Peter Kohle
Afrika – Patt Problemm Eine Reise durch Afrika
sca n n ed : b y D en k la n g en a ch corrected: by Denkla...
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Peter Kohle
Afrika – Patt Problemm Eine Reise durch Afrika
sca n n ed : b y D en k la n g en a ch corrected: by Denklangenach
Per Auto durch Schwarzafrika! (50 Länder, hundert Grenzen, Schmiergelder, Drogen, Strapazen) Wer wissen will, wie man es durch die Minen nach Mauretanien schafft; Wer wissen will, wie die westafrikanischen Länder wirklich sind; Wer unbeschadet afrikanische Grenzen passieren will; Wer wissen will, wo man billig einkauft und wie man richtig verhandelt; Wer wissen will, wie man echte Diamanten von falschen unterscheidet; Wer wissen will, wie man sein Fahrzeug von Abidjan verschifft; Wer wissen will, wie man lebend von Kapstadt nach Kairo kommt... ISBN: 3831102716 BoD GmbH, Norderstedt
Dieses eBook ist nicht für den Verkauf bestimmt !!!!!!!!!!!
Peter Kohle Afrika - Patt Problemm Eine Reise durch Afrika
VORWORT Dieser Reisebericht ist mehr durch Zufall entstanden. Als wir die im folgenden beschriebene Reise tatsächlich starteten, hielt ich es für einen guten Einfall, endlich einmal einem Vorsatz treu zu bleiben und ein Tagebuch zu führen. Ich habe schon immer Leute beneidet und irgendwie auch bewundert, die die Disziplin haben, sich am Ende des Tages hinzusetzen und ihre Erlebnisse und Eindrücke festzuhalten. Selbst ist mir das noch nie gelungen und ich habe mich nur zu oft geärgert, daß die Vergangenheit so arm an Zwischentönen und nebulös wird, nur noch Eckdaten und Highlights und Abturner bleiben in Erinnerung und selbst diese Verfälschen sich mit der Zeit auch noch. Nur für Annett und mich, um dem angeschlagenen Kurzzeitgedächtnis ein Schnippchen zu schlagen und unsere Erlebnisse und Erfahrungen zu konservieren, fing ich also an, auf dem Secondhand-Notebook eher lustlos das Eine oder Andere aufzuschreiben. Diese belastende Pflicht begann mir mehr und mehr Spaß zu machen, ich fing an, mich über die Möglichkeit der Beschreibung zu freuen und empfand sie als wesentlich präziser und variantenreicher als Film oder Fotografie, den gängigen Medien zur Konservierung von Reiseeindrücken, die ich bisher benutzte und die mich nie richtig befriedigt hatten. Die Tour bot dann auch reichlich Material und mir fiel das Schreiben immer leichter, Seite um Seite entstand, die härtesten Kontraste wechselten sich ab. Wir sahen einen Leichnam mitten auf dem stark frequentierten Gehweg in der Sonne verfaulen und liefen Michael Jackson übern Weg, wir speisten an üppigsten Tafeln und sahen Menschen, die ihre eigene Scheiße von der Straße aßen. Wir schauten in Gewehrläufe zehnjähriger Soldaten und betrachteten im Sonnenuntergang die Elefanten beim baden. Noch nie erlebte ich solche Wechselbäder der Gefühle in so kurzer Zeit. Allerdings: Wir wurden weder ausgeraubt noch vergewaltigt, nicht einmal ein bißchen angeschossen. Wir landeten nicht in den Töpfen der Menschenfresser, nähten keine klaffenden Wunden ohne Betäubung und töteten auch keinen Löwen mit dem Buschmesser. Wer allzu verwöhnt ist von solchen Storys wird an dieser Lektüre nicht übertrieben viel Freude haben. Die Besonderheit der folgenden
Berichterstattung, wenn es denn eine Besonderheit sein sollte, liegt in der Alltäglichkeit, in dem Irrsinn der Normalität, in dem täglichen Drama. Wen so etwas nicht interessiert, und dafür habe ich jede Menge Verständnis, der sollte spätestens hier aufhören zu lesen. Er verschwendet seine Zeit. Afrikareisende, von denen wir viele trafen, sind ganz wild auf Geschichten dieser Art, aber was heißt das schon. Bücher über Pferde verkaufen sich auch am besten auf der Rennbahn. Mein Interesse an Reisebeschreibungen über Länder, die weit weg sind und die ich nicht kenne, ist ebenso sehr gering, bald gegen Null. "Per Wohnmobil durch Asien." Ich würde es liegen lassen, dem Autor keine drei Minuten für das schenken, für was er drei Jahre gebraucht hat es aufzuschreiben. Und noch einen Hinweis: Diese Niederschrift ist oberflächlich, unwissenschaftlich, subjektiv, zufällig, verallgemeinernd, manchmal gemein und wird der Sache nicht gerecht ! Sie geht ignorant mit kulturellen Hintergründen um, indem sie kaum bis gar nicht erwähnt werden, ist politisch unzulänglich und hinterfragt die Dinge nur bis zu einem gewissen Grad. Das liegt einerseits in der Art des relativ schnellen Reisens und anderseits an der Sichtweise und den Möglichkeiten des Autors. Also, noch ist es nicht zu spät, diese Lektüre beiseite zu legen. Als ich dann Freunden Teile der Reisebeschreibungen zu lesen gab wurde ich stark ermuntert, diese zu veröffentlichen und ich begann, alles noch einmal zu überarbeiten, mit dem Ansinnen, dem Ganzen etwas mehr Professionalität zu verpassen. Aber was heißt das schon, Professionalität. Ich bin kein Profi. Als ich mein eigenen Kram noch mal durchlas, kamen mir starke Zweifel, ob es denn zum Einen notwendig und zum Anderen überhaupt förderlich sei, alles kompatibel zu machen, die Ecken und Kanten abzufeilen und sprachliche Veränderungen vorzunehmen. Ich ließ es bleiben, teils aus Bequemlichkeit, teils mit - so hoffe ich - guten Gründen. Manchmal mußte ich selber schmunzeln, wie geprägt von den jeweiligen Tagesstimmungen meine Berichte ausfielen, wie ich am schimpfen, lästern, loben oder schwärmen war. Wie ich in englischsprechenden Ländern mehr und mehr englische Worte benutze und wie die jeweilige Reiselektüre mich beeinflußte. Im nachhinein hätte ich einiges anders geschrieben, einiges weggelassen oder wenigstens anders formuliert. Hinterher ist man immer schlauer. Bis auf ein paar Nachträge und Ergänzungen entspricht das Folgende genau dem, was ich in unregelmäßiger Regelmäßigkeit unterwegs
aufgeschrieben habe. Ich habe es im Original belassen, denn ich wußte wirklich nicht, was Umformulierungen und Streichungen oder Ergänzungen groß bringen sollen; ich befürchtete einen Verlust an Authentizität und Zunahme von Langeweile. Kompatibilität ist auch nicht immer der Weisheit letzter Schluß. Dementsprechend fehlt es diesem Bericht obendrein auch noch an Gelassenheit, denn unterwegs war Gelassenheit an den Tag zu legen bisweilen eine der schwereren Prüfungen. Also - here we go: DIE IDEE
Die Idee entstand wohl irgendwann in den Siebzigern, schätzungsweise. Eine Zeit, die von Optimismus und Aufbruchsgeist geprägt war und in der es völlig uncool war, jede Kreativität durch Hinweise an die widrige Wirklichkeit zu ersticken. Wann und wo genau, ich weiß es nicht mehr, mir fällt das Café Adler in Hamburg ein, Dieter Bockhorn - wem der Name was sagen sollte - und endlose, verkiffte Gespräche "man sollte mal...", "man könnte eigentlich ..." - diese Abteilung - viele Sätze mit "wenn" und "hätte". Bau' man erstmal noch eine ... Ständig kreisten Ideen, die sich darum drehten, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten ohne morgens früh aufstehen zu müsssen und vor allen Dingen, sich nicht mit entfremdeter Arbeit den Tag zu versauen. Entfremdet war das Wort der Stunde. Ein immer wieder lohnenswerter Gegenstand von ausschweifenden Überlegungen. Irgend jemand sagte irgendwann: "Alter, wenn du Millionär werden willst, das ist ganz einfach, da habe ich `nen hundertprozentigen Plan, ganz legal. Du kaufst Dir ein Wohnmobil und fährst nach Afrika. Dann nimmst du tausend Briefumschläge mit. In Afrika fährst du in jedes Land - jedes, verstehst Du - und kaufst tausend Briefmarken. Die klebst du auf die Umschläge und läßt sie abstempeln. Am Schluß hast du tausend Umschläge mit den kompletten, abgestempelten Briefmarken von Afrika drauf. Fünfzig Länder sind das so ungefähr. Son Umschlag kann man locker für 1.000,- DM verkaufen, alles vorgecheckt mit Testanzeigen und so und tausend mal tausend ist 'ne Million !" "Warum gerade Afrika ?" "Weil es am härtesten ist." Damals stimmte das, heute hat Europa auch seine Tücken. Seit Jugoslawien nicht mehr Jugoslawien ist, seit der Ostblock nicht mehr das ist, was er einmal war und die Sowjetunion nur noch einen Anachronismus
darstellt, ist eine Reise durch Europa bestimmt stellenweise ebenso "hart" wie der Weg durch Afrika. War es Bockhorns Idee, ich kann es nicht mehr sagen, aber es war eine von vielen Ideen, die damals entstanden und aus denen nichts oder nur wenig oder ganz was anderes wurde. Die Afrika-Geschichte fraß sich in der Hirnanhangdrüse fest und fiel mir immer mal wieder ein. Schon gleich nach dem ersten Hören holte ich Infos ein. Schwierige Sache in den Siebzigern. Kaum Literatur, ich fand einen Bericht über eine Gruppe, die per VW-Bus nach Kapstadt fuhr, aber sie hatten sich den passabelsten Weg rausgesucht und sind nicht zick-zack über den Kontinent gedüst um in jedes Streßland zu fahren um Briefmarken zu besorgen. Es hätte über fünfzig Bücher gebraucht, um einen halbwegs vollständigen Eindruck von dem unbekannten Kontinent zu bekommen. So geordnete Gesamtwerke über Afrika, komplett, mit Routenbeschreibungen, Adressen und allen möglichen Infos, wie sie heute von "Därr" und "Lonely Planet" vorliegen, gab's nicht. Meine Planungen verliefen stets wieder im Sande. Ich fand zudem niemanden, der mich wirklich begleiten wollte - "bist Du nicht dicht oder was". Und an den vielen Bedenken ist ja auch was dran. Der Entenhausener Chronist Carl Barks läßt in der Geschichte "Jungle Hi-Jinks" Donald zu seine Neffen sagen: "Was erwartet euch denn in Afrika ? Ein mörderisches Klima, bösartige Buschmänner, nagender Hunger, brennender Durst, blutdürstige Raubtiere, kurz: Tod und Verderbnis !" Da hat man's mal schwarz auf weiß aus berufenem Munde. Nicht zuletzt war natürlich die Finanzierung ebenfalls ein erhebliches Problem. Oftmals führte es mich nach Marokko und jedesmal, wenn ich am Eingang der Westsahara stand, erhielt diese Vision neue Impulse. Wie mag es da hinten weitergehen ... Es verging seit dem ersten Hören der Idee ein bewegtes Vierteljahrhundert, als ich wieder einmal in Marokko stand. Die Lebenssituation war exorbitant festgefahren und anders als jemals zuvor. Ich hatte gerade den Versuch, eine saubere, offizielle Firma zu gründen und erste Kontakte mit Finanzämtern, Handelskammern und weiteren ominösen und undurchsichtigen Verbindungen zu knüpfen, nach wenigen Jahren mit einer vernichtenden Niederlage abgeschlossen. Heizungsgroßhandel, mit Blick auf die Kundschaft aus der neu hinzugepachteten DDR - was für ein artfremder, umnachteter und absurder Einfall, mußte ja schiefgehen.
Entfremdeter geht's nicht und früher aufgestanden als in diesen Zeiten war ich noch nie. Heizungsmenschen fangen grundlos in halber Nacht an zu arbeiten. Aber wenigstens kann keiner sagen, ich hätte es nicht weißgott versucht ... Die Bank konnte irgendwann nicht mehr zusehen und hatte überraschend das Lager versiegelt und die Kredite wurden fällig gestellt. Keine Nerven, die Herren. Die Stunde des Konkursverwalters war gekommen und ich bekam nur noch Besuch von unglaublich humorlosen Anzugträgern mit Aktentasche. Im Würgegriff der Männer - und Frauen - mit der fahlen Gesichtsfarbe und den weißen Krägen und den weißen Westen. Diese Menschen können einem wirklich den Tag versauen. Selbst die unterbezahlte Sachbearbeiterin der Sozialbehörde, ein junges, locker wirkendes und nicht schlecht aussehendes Mädchen, war der Meinung, das "rein Menschliche" von dem "Sachlichen" oder "Dienstlichen" behördlich trennen zu müssen und daher entpuppte sie sich als ein richtiges, deutsches Beamtenarschloch. So jung und schon so verdorben. Das, was sie als "rein menschlich" bezeichnen, ist ihnen suspekt, hat etwas ungeordnetes, steht einer vernüftigen Entscheidung oftmals im Wege und spielt keine Geige. Sie haben sich anders entschieden, immer im Dienst und Dienst kommt von dienen. So sind sie alle, die Befehlsempfänger in den Büros, strenge Trennung zwischen menschlich und sachlich, welch ein Irrweg! Der tägliche Posteingang war erheblich und niederschmetternd, sofern man soetwas zu sehr an sich heran läßt. Jeder rechnete sich reich und wollte Geld, Hans und Franz klagte wegen allen nur erdenklichen Versäumnissen, von denen ich in vielen Fällen gar nichts bemerkt hatte, die Gesamtverschuldung hatte die Millionengrenze überschritten und mein ziemlich abgeturntes Leben pendelte zwischen Amtsgericht und Sozialbehörde. Die Hauptfreundin zeigte mir mit perfektem Timeing die rote Karte, genau an dem Tag, an dem mein alter Kater starb, der mich fünfzehn Jahre begleitet hatte - es gibt so Tage... "Nichts widerlicher, als wenn das Pech in Strähnen kommt. Ich fühlte mich wie ein zerkautes Endchen Bindfaden, ich war ein Sandkorn in der Wüste der Vergessenheit", wie Raymond Chandler einmal formulierte. Ein neues Ziel mußte her, eine neue Inspiration, ein neuer Kick. Ich konnte die Menschen noch nie verstehen und in dieser Lage noch viel weniger, die empört behaupten, unsere schöne bundesdeutsche Demokratie sei doch kein Selbstbedienungsladen. Ich hatte dies
immer exakt genau so empfunden, und was spricht eigentlich so sehr gegen Supermärkte. Klingt bald so, als bekäme man dort etwas geschenkt. Bestenfalls mal 'ne Warenprobe zum anfüttern. Ich wollte es wieder so machen, wie ich es die vielen Jahre vor diesem kläglichen Experiment immer mit Lust getan hatte und es immer als selbstverständlich empfand. Kaufen und bezahlen, und zwar cash no checks please, no plastikmoney. Damit unterstütze ich meines Erachtens den Selbstbedienungsladen mehr als genug, man denke nur an Tabak-, Benzin-, Alkohol-, Vergnügungs-, Straßenverkehrs- und Mehrwertsteuer, und ich habe bestimmt noch ein paar übersehen. Mit der Geschäftsleitung, der Verwaltung, den Zulieferern und Handlangern und allen anderen Supermarktbeteiligten laß mich in Ruhe, will ich gar nichts von wissen. Kaufen und bezahlen, Ende. Von mir aus kann man Deutschalnd gerne in "Pick'n Pay" umbenennen wie die Supermärkte in Südafrika. Ich trat also überall wieder aus, hob die Finger und fühlte mich sehr befreit. Die Dankesschreiben wurden auch langsam weniger. Und da stand ich nun wieder einmal in Marokko, mit neuer Freundin - Annett - im warmen Sand der Wüste und machte sie mit der alten Afrikaidee vertraut. Wenn nicht jetzt, dann nie. Die magischen vierzig schon ein paar Jahre überschritten, noch ein Aufschub, und die Biofalle wird unweigerlich zuschnappen. Annett war die Erste, die mir keinen Vogel zeigte, mich nicht für verrückt erklärte, sondern nachfragte, Interesse zeigte und sich positiv äußerte. "Klar, Superidee, laß uns das machen." Erschreckend. Genauso naiv wie ich und mit der gleichen Veranlagung, das vermeintlich sichere Mittelmaß zu verlassen und sich sich Hals über Kopf in völlig unsicheres Fahrwasser zu begeben. In meinem Fall konnte man von gesichertem Mittelmaß allerdings kaum noch sprechen. Denn man los. So entstand schlagartig eine neue Situation und genau das war es, was ich suchte. Auf diese Antwort war ich so ganz und gar nicht vorbereitet. Das Alibi, keinen Begleiter zu haben, fiel nun weg und es blieb nur noch eine gewichtige Hürde zu nehmen, die Finanzierung. Ein weiteres Mal begann die Planung dieser Reise, und diesmal war es anders als die Male vorher. Es wurde konkret, beängstigend konkret. Was so lange aufgeschoben wurde und als bloße Vorstellung nie mit größeren Ängsten behaftet war, entpuppte sich nun doch bei näherer Betrachtung als eine scheinbar nicht so
ganz ungefährliche Angelegenheit. Wir besorgten Dieses und Jenes für die Ausrüstung, vor allem ein fünfzehn Jahre altes 307 Daimler Benz Wohnmobil mit mageren siebzig PS, sahen oder lasen hier und dort etwas über Afrika, schoben eigene Bedenken beiseite und trieben die Dinge Stück für Stück voran. With a little big help from our friends kam Eines zum Anderen, es wuchs unaufhaltsam zusammen. Wir brachten uns bewußt in eine Zwangslage, in der wir am Ende losfahren mußten, aber Afrika war so unfaßbar und unglaublich weit weg, so richtig klar war es uns nicht, was wir da eigentlich machten und die ganze Geschichte empfanden wir nach wie vor so, als wären es Andere, die sich diese Tour vorgenommen hatten. Sicher wäre es sinnvoll und vernüftig gewesen, an dieser Stelle die Marktchancen für so einen Bogen mit 56 Briefmarken zu überprüfen, aber dafür fehlte uns der Mut. Wir wollten diese Tour machen, so oder so, und von so etwas profanem wie Marktchancen wollten wir uns schon gar nicht aufhalten lassen. Wir sind schließlich keine Bänker. Wozu also eine solche Prüfung ... Wir wollten nicht in erster Linie reich werden, obschon das ausreichende Vorhandensein von Geld natürlich begrüßens- und erstrebenswert ist, ein Heuchler, der etwas anderes sagt. Für uns galt jedoch bedingt der alte Antroposophen-spruch "Der Weg ist das Ziel", jedoch ohne dies als Kredo postulieren zu wollen, denn ein solcher Leitsatz scheint gerade nach den elenden Schicksalen und Gestalten, die wir auf unsere Reise zu sehen bekommen sollten, reichlich zynisch und für einen Atroposophen etwas unreflektiert, kurzsichtig und weltfremd. Aber ist es nicht gerade das, was einen Antroposophen auszeichnet ? Man stelle sich einen verarmten und greisen Krüppel in der Dritten Welt vor, der bettelnd an einer Kreuzung sitzt und dem wir fröhlich aus dem Mercedes zurufen "der Weg ist das Ziel"! Aber ich will nicht zu sehr vorgreifen. VORBEREITUNGEN
Ganz langsam an Realität gewann die Afrika-Reise mit einer Fahrt nach Idar-Oberstein. Wir hatten uns vorgenommen, einen Diamanten-Lehrgang zu besuchen, um einer eventuell auf uns zukommenden Ankaufssituation kompetent begegnen zu können. Man soll ja nichts liegen lassen. Alles vorher, die vielen Impfungen, der Ankauf des Wohnmobils, der Druck der Briemarkenbögen, denn jeder Briefumschlag hatte sich als
zu klein herausgestellt, die Besorgung unzähliger und wie sich später heraustellte, vielerlei unnützer Utensilien u.s.w., hatte nicht dazu geführt, daß die Reise ansich irgendwie konkreter wurde. Der Alltag in Hamburg war so kompakt, daß er alles überdeckte. Aber die Reise nach Idar-Oberstein. Darauf hatte keiner Bock Schulbank drücken, nasses Herbstwetter, linksrheinischer Campingplatz als Test für Mensch und Material und langweilige Gebrauchsanweisungen - alles überhaupt nicht unsere Sache. Der Kurs war im Voraus bezahlt, die Fahrt ansich unausweichlich, da sie verbunden war mit dem Besorgen von Visa in Bonn, ebenso eine Angelegenheit, so reizvoll wie eine Woche Verkehrsamt. Hin und wieder jedoch packt uns gemeinsam der Ehrgeiz, Straightness zu beweisen. Zwar hatten wir schon beim Losfahren beschlossen, statt Campingplatz ein Hotel zu nehmen und Camping in wärmeren Regionen zu praktizieren, aber den Sonntag vor Kursbeginn fuhren wir tatsächlich in strömendem Regen gen Süden. Das erste Mal Reisefeeling. Autobahn, Schilder nach Basel und Frankreich, weg von Hamburg - es fing an Spaß zu machen. Der als sehr trocken vermutete Lehrgang gestaltete sich wesentlich innovativer und lebendiger als erwartet und wir brachen nicht ab, wie wir selbst vorher befürchtet hatten. Diamanten sind eine ansprechende und lockende Materie, verbunden mit interessanten Leuten, Perspektiven und Geschichten. Je mehr wir darüber erfuhren, desto intensiver konnten wir uns vorstellen, in Afrika mit Diamanten in Kontakt zu geraten und vor diesem Hintergrund kauften wir erwartungsvoll diverses Zubehör. Restlos wurden wir von der Faszination der Materie durch einen Besuch bei einem ansässigen Diamantenhändler und Schleifer erfaßt. Der erste Kontakt fand bereits telefonisch aus Hamburg statt. Wir fanden seine Adresse willkürlich aus der D-Info und baten ihn, uns an einem Wochenende etwas über Rohdiamanten zu referieren. Er lehnte freundlich ab, als er erfuhr, daß wir gedachten, mit Nullwissen anzureisen und empfahl uns vorweg den Kurs, den wir dann auch auf sein Anraten belegten. Als wir in Idar-Oberstein herum fuhren, stellten wir fest, daß dieser Mann überall seine Werbung plaziert hatte und daß der kleine Juwelierladen, den wir vermutet hatten, über mehrere Hausnummern reichte.
Wir riefen ihn erneut an, bezogen uns auf das erste Gespräch und baten um einen Gesprächstermin. War nicht einfach, er hatte anscheinend noch anderes zu tun, als uns kostenlos Vorträge zu halten, aber er schob uns irgendwie am nächsten Vormittag dazwischen. Als wir in seiner Firma kamen, passierten wir als erstes eine Sicherheitsschleuse und als wir uns anmeldeten, fragte uns die Empfangsdame schon ungläubig "Einen Termin, beim Chef persönlich" und brachte uns dennoch in ein Empfangszimmer. Wir fühlten uns zu freizeitmäßig gekleidet und zweifelten, ob wir den Richtigen angesprochen hatten. Alles erschien einige Nummern zu groß für unser doch sehr bescheidenes Anliegen. Er ließ uns auch trocken eine dreiviertel Stunde warten, was uns weniger störte, denn die Wartezeit half, sich an die Umgebung zu gewöhnen und bei einer Tasse Kaffee das anfängliche Fremdeln ein wenig abzulegen. Als er dann kam und sich vielmals für seine Verspätung entschuldigte, entpuppte er sich als ruhig, sachlich und verbindlich und als ein in jeder Hinsicht zugänglicher Gesprächspartner. Er wirkte - wie soll man sagen, in sich selbst ruhend, zufrieden und weltmännisch. Er brachte uns Mengen von Rohdiamanten und ausgesuchte, geschliffene Exponate, zeigte sich interessiert an unserem Vorhaben, erzählte eigene Anekdoten seiner Afrikareisen und persönlichen Erfahrungen auf dem Gebiet des Diamantenhandels und half uns mit seinen Informationen, unser frisches Halbwissen aus dem Kursus zu erweitern. Es passiert höchst selten, daß Menschen einen sofort positiv beeindrucken ohne zu protzen, durch ihre Art und durch das, was sie sagen und wie sie es sagen, aber er gehörte zweifellos dazu. Die Woche ging locker ins Land und wir fuhren anschließend nach Bonn, um die Visageschichten auf Reihe zu kriegen. Wir ahnten, daß diese Wochen eine der ganz nervigen werden würde - und sie wurde es. DIE BOTSCHAFTEN
Im Großen und Ganzen hatten wir keinen schlechten Lauf - es gelang uns, von 17 Ländern Visa zu bekommen, aber man braucht einen eisenharten Humor, um sowas fünf Tage lang halbwegs gutgelaunt abzuarbeiten.
Die Botschaften überraschen jede auf Ihre Art. Meist in alten Villen untergebracht, erkennt man sie an den davor geparkten Benzern ohne Nummernschild mit Moos an den Fenstergummis. Schilder mit Öffnungszeiten sind als unverbindliche Hinweise zu verstehen und selbst dem von der bundesdeutschen Bürokratie nicht eben verwöhnten Menschen eröffnen sich hier neue Erfahrungshorizonte. Die Härte war die Botschaft vom Kongo. Abbruchhausambiente, grausame Geruchskulisse, Sperrmüllberge in den Fluren und wir fragten uns, ob es sicher ist, zu zweit die Treppen hinauf zu gehen. Wir testeten einige Türen, kaum eine ging auf, da Müll- und Aktenberge die Türen blockierten. Ein Büro war besetzt, wir warteten vor der Tür. Das Botschaftspersonal kam die Treppe hoch, links einen Altkleidersack, rechts eine Palette Aldi-Bier geschultert. Als wir an der Reihe waren ging alles schnell, freundlich und teuer über die Bühne. DM 150,- cash - no checks please - pro Person, und die Visa waren binnen 5 Minuten im Paß. Das läuft nicht immer so. Die Länder, die sich selber etwas wichtiger nehmen, über eine Rezeption verfügen und Öffnungszeiten halbwegs einhalten, sind durch die Bank bescheidener, was die Visagebühren betrifft, dafür brauchen sie jedoch für das Erteilen der Visa zwischen 1 - 3 Tagen. Wir konnten nie feststellen, daß während der Wartezeit irgend etwas überprüft wird, was für die Entscheidung Visa oder kein Visa ent-scheidend wäre, es scheint reine Prinzipiensache zu sein, Vorschrift ist Vorschrift. Wir arbeiteten mit je drei Pässen, die man anstandslos vom Ortsamt bekommt, wenn man diesen Wunsch nur irgendwie begründet. So ging es dann auch. Wir konnten den ersten Paß abgeben, den zweiten auch, mit dem dritten unser Glück versuchen, den ersten wieder abholen u.s.w. Wir trafen Botschaften, in denen jede Tür aufgebrochen war und rund um den Türdrücker mit Tesaband ausgebessert war. Eine andere Botschaft, wieder eine stattliche alte Villa, war komplett leer und nur im letzten Zimmer im dritten Stock befand sich ein Büro mit fliegenden Kabeln und einem kettenrauchenden, überdressten Menschen, der zwischen Stapeln von Akten und vollen Aschenbechern sofort gutgelaunt die Visa einstempelte. Eine weitere Botschaft war komplett ungeheizt und es roch wie in einer Köhlerhütte. Wir rätselten, ob es ein Feuer im Keller gab, kamen aber zu keinem Ergebnis.
Ist es wirklich ein guter Einfall, dort überall hin zu fahren, wenn die Botschaften schon so aussehen ... Auch diese Woche ging rum, wir machten viel mehr Spesen, als wir uns ausgerechnet hatten, bekamen dafür genügend Visa, so daß wir das Gefühl hatten, nun endlich losfahren zu können, der Rest wird sich unterwegs finden. Wieder in Hamburg wußten wir, daß wir uns nun einen kurzfristigen und festen Losfahrtermin setzen mußten, sonst kommen wir nie weg. Ob wir diesen nun den einen oder andern Tag überziehen würden, war nicht wichtig, es mußte aber einen Termin geben und wir legten den 31. Oktober 1996 fest. Der Termin bot sich schon deswegen an, da dies das Datum war, welches wir bei allen Behörden, Vermietern, Telekom, Versicherungen usw. als geschätzten Abreisetag angegeben hatten. Es ist so unendlich schwierig, den Nullpunkt zu finden, der einem ermöglicht, abzuschließen und für eineinhalb Jahre wegzufahren. Alle laufenden Dinge müssen zu Ende gebracht werden, zukünftiges im Vorwege geregelt sein und zudem der angenehme Streß, eine Abschiedsfeier nach der anderen zu celebrieren, ein letztes gemeinsames Essen und ein Allerletztes. Alle Freunde, Verwandte und Bekannte, denen wir nun seit einem guten Jahr mit unseren Reiseplanungen auf die Nerven gingen, hatten dies wohl ähnlich irreal zur Kenntnis genommen wir es selbst auch empfunden hatten und als es nun tatsächlich darum ging, Tschüs zu sagen, machte sich jedesmal eine merkwürdige Stimmung breit. Die, die selber mal längere Reisen unternommen hatten, waren am lockersten. "Tja, Tschüs ihr beiden, macht`s mal gut und meldet euch hin und wieder." Diejenigen, für die an den Elbbrücken das Ausland beginnt und die im täglichen Einerlei seit Jahren versäumt hatten, Hamburg länger als maximal zwei Wochen zu verlassen, brachten in diese Verabschiedungen gerne so eine unterschwellige Endgültigkeit rein, ätzend ! Nach einigen Feiern fehlte uns der anschließende Tag, da wir ihn zur körperlichen Rekonvaleszenz benötigten und beim Aufwachen die Geschäfte schon wieder am Schließen waren. Trotzdem zogen wir durch. Wir hakten Punkt für Punkt vom Zettel ab, verzichteten dafür auf eine ernsthafte Inbetriebnahme des Wohnmobils - wird schon funktionieren - und verschoben unsere Abreise nur um zwei Tage. Wir stellten uns den Wecker auf 3.00 Uhr morgens und am 02.
November 1996 fuhren wir in kalter Nacht im Dunkeln aus Hamburg raus, der Sonne entgegen. Tschüs, Hamburg !
Teil 1 AfrikaDIE ERSTE WOCHE Wir kamen gut voran. Die ersten 500 km hat keiner so richtig gemerkt, es war einfach zu früh. Wir fuhren und schliefen abwechselnd, bis uns so gegen Mittag in Frankfurt der Tag langsam wieder einholte. Wir waren in Superlaune. Wir hatten es geschafft, einmal nicht den Traum der Realität zu opfern und eine aufregende, relaxte und von ernst zu nehmenden Sorgen hoffentlich freie Zeit lag vor uns. Und endlich mal lang Sommer - war in Hamburg leider mal wieder komplett ausgefallen. In den Lautsprechern spielten die Stones, in Frankreich schien die Sonne erstmals durch und die letzten Wochen, doch alles in allem ganz schön streßig, begannen schon hier, zur Vergangenheit zu werden. Wir nahmen das Tempo aus dem Leben, wurden ruhiger, fuhren langsamer und freuten uns auf unsere private Abschiedsfete zu zweit, die wir uns für diesen ersten Abend unterwegs vorgenommen hatten. Als ich den letzten kurzen Absatz nach gut einem Jahr noch mal las, war ich versucht ihn zu streichen. Ich konnte es nur noch schwerlich nachvollziehen, mit was für idealistischen Vorstellungen wir losgefahren waren, mit was für märchenhaften Traumbildern. Aber es war so, und anders geht es wohl auch überhaupt nicht. Hätten wir nur den blassesten Schimmer von dem gehabt, was auf uns zu kommen sollte, wären wir wohl bestenfalls bis Südmarokko gefahren. Aber wir schraddelten munter Richtung Afrika, mit einem Lied auf den Lippen und nichts Böses ahnend. Wir entdeckten zum Sonnenuntergang einen einladenden McDonald Laden, fuhren, nachdem wir gegessen und geschissen hatten, noch ein paar Kilometer auf eine Autobahnraststätte, bauten zum ersten Mal das Wohnmobil in einen Schlafwagen um, zogen die Rollos zu, verkrochen uns nach hinten, um von liebgewonnenen, hamburger Gewohnheiten vorerst Abschied zu nehmen. Es wurde, wie gewöhnlich, ziemlich spät. Im Wohnmobil ist es wesentlich
gemütlicher, als wir angenommen hatten, und ich glaube, es war schon wieder etwas hell, als wir einschliefen. Nachdem wir verhältnismäßig früh aufwachten, beschlossen wir, auf der teuren Autoroute zu bleiben, um zügig das Franzokken-Land hinter uns zu bringen. Frankreich hatte mich schon zu oft genervt. Als Tramper, als ich tagelang an der Straße stand und keine Sau mich mitnahm, als Transitfahrer, als mich die Franzokkenbullen mehrfach akribisch und stundenlang bis unter die Vorhaut filzten und meine Zahnpastatube ausdrückten, als hungriger Mensch, als man mir oftmals kleine Vermögen für indiskutable Imbisse abnahm, als Schlafender, als ich von den derben Tritten der Uniformierten am Strand geweckt wurde. Und die fünfjährige Einreisesperre wegen ein paar Grassamen, die sich in den Autopolstern versteckt hatten, trage ich ihnen auch nach. Vom Muroroa-Atoll ganz zu schweigen. Bis auf einen kleinen Abstecher bei Montpellier, um einmal ans Mittelmeer zu gehen und um abseits der Autobahn eine Pizza zu essen, fuhren wir durch, noch ein Stück nach Spanien rein und schliefen wie die Steine auf einem Rastplatz kurz vor Barcelona. Da wir erst in über einem Monat in Agadir verabredet waren, mußten wir unser Tempo weiter drosseln. Wir hatten keine Lust, bis Agadir durchzuheizen um dort gezwungener Maßen die Zeit totzuschlagen. Wir sind beide harte und bekennende Autotouristen. Die ständig wechselnde, an der Windschutzscheibe vorbeigleitende Landschaft, hin und wieder mal einen kleinen Stop auf einen Café oder einen Imbiß, weiterfahren, paar Zigaretten, neue Landschaften, neue Eindrücke, das ist das Größte. So fuhren wir nach Barcelona rein, um einmal die Ramblas rauf und runter zu schlendern, was zu essen, im Straßencafe in der Sonne zu sitzen und die Stiefel wienern zu lassen. Nach guten vier Stunden waren wir ziemlich platt von der Rumrennerei in der ungewohnten Wärme, fuhren ein Stück aus der Stadt raus, suchten den ersten Parkplatz um erstmal zwei Stunden zu schlafen. Das Wohnmobil gefällt uns von Tag zu Tag besser. In einer solchen Situation fällt einem immer die Mercedes-Werbung ein: ZU HAUSE ! Rechts ran, Bett ausklappen, Rollos dicht und in zwei Minuten ist der Schlaf da. Das ist großartig. Nach dem Aufwachen sind wir über den Resttag nicht mehr so richtig wach geworden. Ein bißchen noch Richtung Süden, was essen und wieder schlafen. Keiner von uns verspürte das Bedürfnis, einmal eine Nacht im Hotel zu verbringen - wir hatten das
vorher beide geglaubt - zumindest jetzt noch nicht. Es ist völlig ok im Auto, und die wenigen Quadratmeter sind wir ja als Kleingartenbewohner sozusagen von Haus aus gewohnt. Am nächsten Tag fuhren wir wieder straight Autopista und zu meiner Überraschung hat sich in den letzten Jahren im spanischen Straßenbau einiges getan. Die Autopista mit Maud-Gebühren hört zwar in Alicante auf, wie ich es erinnerte, aber dann geht die Autobahn unter der Bezeichnung Autovia in gleicher Art weiter, bloß, daß sie nichts mehr kostet, sehr angenehm. Spanien ist einfach ein schönes Land ! Wir fuhren den ganzen Tag durch, bis wir in der Dunkelheit kurz hinter Almeria einen Campingplatz ansteuerten. Das Wetter war den ganzen Tag bilderbuchmäßig und als wir gegen 20.00 Uhr aus dem Fahrzeug ausstiegen, war es milde und warm, kein Luftzug ging und auf dem Campingplatz, der für einige hundert Camper ausgelegt war, standen wir mit einer Handvoll geschwätziger deutscher Rentner alleine da und konnten unter zig Duschen, Toiletten usw aussuchen. Der Wasserdruck, der eigentlich für zwanzig Duschen ausgelegt war, kam jetzt aus einer Einzigen und das Duschen war tierisch, zumal es unsere erste Dusche seit Hamburg war - ganz schön notwendig. Hier wollten wir ein paar Tage bleiben und erlebten unsere erste Mückennacht, weil wir dieses Problem noch gar nicht auf dem Zettel hatten und einfach mit offenem Fenster ohne Gaze einschliefen passiert nicht wieder. Den nächsten Tag sahen wir die Anlage erstmals bei Licht. Naja... Stellt man sich das Ganze noch in der Saison vor, voller Touristen, Manta fahrende, urlaubende Handwerker und läufige Frisösinnen aus Castrop-Rauxel, schreiende Gören, überfüllte Scheißhäuser und Nachts "Vamos a la Playa" bei oberhalb der 2 Promille Grenze bis hell werden, erfaßt einen das kalte Grauen. Jetzt im November, verschlafen daliegend, war alles erträglich. Selbst der Strand. Schmal, durch eine Versorgungsstraße vom Campingplatz getrennt, ging er gerade so durch, solange wir alleine dort saßen. Im Sommer muß es die Hölle sein. Wir fuhren zu einem ein paar Kilometer entfernten Supermarkt, den wir abends zuvor bei der Anreise entdeckt hatten. Einer dieser typischen, spanischen, riesigen Hypermercados, in denen man allerdings gut einkaufen kann und so ziemlich alles kriegt. Auf dem Weg dahin fuhren wir durch einen Ort, Almerimar oder so ähnlich,
der komplett dicht war. Bis auf ein paar Golfspieler hatte der Ort geschlossen. Fensterläden verrammelt, Gitter runter, Boote aufgebockt - gespenstisch, künstlich und tot. Das gesamte Umland war flächendeckend mit Plastikgewächshäusern zugepflastert, was für die Einheimischen sicher notwendig, für das Landschaftsbild jedoch verheerend ist. Der Hypermercado, mit einem Parkplatz wie vor einem Fußballstadion, war der einzig lebendige Punkt, wenn auch kapazitätsmäßig nur zu maximal 5 % genutzt. Wir blieben den restlichen Tag auf dem Campingplatz, fummelten unsere elektrische Anlage zusammen, betrieben Insektenabwehr für die Nacht, duschten viel zu häufig, lasen und beschlossen, am nächsten Tag weiter zu fahren. Viele Kilometer lagen in Spanien nicht mehr vor uns und wir fanden auf der Karte einen Campingplatz bei Tarifa eingezeichnet, der von der Lage her vielversprechend aussah. Die Autovia hörte nach ein paar Kilometern auf und wir fuhren gutausgebaute Landstraße. Das schönste Stück in Spanien. Rechts die "Mountains of Spain", die Jim Morrison schon inspirierten, links das blaue Mittelmeer, durch kleine Ortschaften, an Haciendas vorbei, zwischen Palmen, blühenden Hecken, grünen Rasenflächen - da sieht Spanien streckenweise aus, wie sich ein Kind das Paradies vorstellt. Gegen späten Nachmittag fuhren wir an Algeciras vorbei nach Taraifa und sahen zum erstenmal das marokkanische Riffgebirge. Der eingezeichnete Campingplatz erwies sich als den Erwartungen entsprechend. Direkt am Strand, ebenso unterfrequentiert wie der vorherige, ein ansprechendes, spanisches Restaurant, welches sich italienisch gibt, direkt in der Nähe, und nachts sieht man die Lichter von Tanger über die Straße von Gibraltar durch die Windschutzscheibe. Das Wetter optimal, Sonne den ganzen Tag, dazu ein kühler Wind und abends läßt der Wind nach, so daß die Nächte mild sind, weder zu kalt noch zu warm. Hier kann man es gut aushalten und wir blieben einige Tage, um noch mal die europäische Küche auszukosten, uns zu sonnen, zu lesen, rumzuhängen und noch mehr Ruhe und "easy going" reinzukiegen. Wir nutzen die Pause, um den kleinen Fernseher und die Satelitenanlage anzutesten. Es dauerte eine ganze Weile, aber irgendwann hatten wir die kompletten deutschen Satelitensender auf dem Schirm, den Einen besser, den Anderen schlechter. Das ist
schon seltsam, auf einmal war der ganze Kommerzscheiß von der längsten Praline der Welt bis Plentitüt und Rewitaasch Er in voller Farbenpracht wieder da, muß man gar nicht haben. Bücher lesen hat auch was. Aber wenn's schon mal läuft, dann schaut man auch zu und wie anders sollten wir den FC. St. Pauli in seinem schweren Kampf um den Verbleib in der ersten Liga verfolgen.
RÜBER NACH MORO
Bevor wir nach Marokko übersetzen wollten, blieben wir noch einige weitere Tage auf dem ruhigen Campingplatz, der sich täglich mehr mit Wohnmobilen füllte. Allesamt besetzt von älteren Ehepaaren, einige aus der Schweiz und Österreich, hauptsächlich aber aus Deutschland, Ost wie West. Wir fanden heraus, daß diese sich sammelten, um gemeinsam unter einer deutschen Reiseleitung im Konvoi in drei Wochen ca 3.500 km durch Marokko zu reisen. Alle waren fürchterlich gesprächig und erzählten, daß sie mit elf Fahrzeugen die Reise antreten wollten, was die Untergrenze der Rentabilität für den Reiseunternehmer wäre. Wir fragten uns, was wohl die Höchstgrenze wäre und stellten uns vor, wie ein solches Unternehmen wohl abgeht. Was passiert, wenn eine oder auch mehrere Kisten eine Panne haben oder die Hälfte der Teilnehmer an Dünnschiß leiden wird. Wir waren uns einig, daß der Job der Reiseleitung auf keinen Fall was für uns sei, egal, was auch immer dabei rumkommt. Es fiel uns zudem schwer, zu entscheiden, ob uns die Teilnehmer sympathisch oder unsympathisch wären. Wir begegneten Ihnen überall und sie entließen einen nicht, ohne daß sie einen zuvor in ein Gespräch verwickelten. Einerseits wirkten sie erheblich lockerer und zufriedener als die grauen Gestalten gleichen Alters, die man auf den Straßen und in den Einkaufzentren zu hause antrifft, anderseits haftete ihnen mit ihren sauberen, weißen HymerMobilheimen plus Dackel und Auto-Abdeckplanen soviel allzu bekannte, deutsche Normalität an, daß wir sie eher unangenehm und peinlich empfanden. Aber sie unternahmen etwas, trauten sich ein bißchen und das ist ja immerhin mehr als Nichts. Am letzten Tag, bevor wir weiter wollten, wuschen wir noch Wäsche, kramten unsere Sachen zusammen und stellten fest, daß wir an so ziemlich alles gedacht hatten, nur nicht an diese profane, grüne Versicherungskarte, obligatorisch für die Einreise nach Marokko. Sie
lag in Hamburg, bei den KfZ-Unterlagen im Schrank - es war so ziemlich das Erste, was wir besorgt hatten und war damit beim Einpacken in Vergessenheit geraten. Also riefen wir zu hause an und beauftragten eine Freundin, bei der Versicherung anzurufen und in die Wege zu leiten, daß uns eine neue, grüne Versicherungskarte zugeschickt würde. Von nun an warteten wir auf die Post. Unglücklicherweise änderte sich über nacht das Wetter. Wir wachten von einem gewaltigen Sturm auf. Das Wohnmobil schaukelte als wenn wir fuhren. Seltsamerweise waren zwischenzeitlich alle anderen Fahrzeuge vom Campingplatz verschwunden, die Karawane unerschrockener Endsechziger hatte sich doch tatsächlich bei diesem Wetter auf die Socken gemacht. Jede Wette, daß bei solchem Sturm keine Fähre rüber geht. Es wurde immer heftiger. Wir trieben uns den ganzen Tag im Bett rum und beobachteten das aufgewühlte Meer und die vorbeirasenden Wolken. In einer Regenpause gingen wir zum Strand. Der lag einige hundert Meter entfernt. Erst kam ein Stück Vorland, auf dem Kühe und Pferde weideten, dann der recht breite Strand. Erinnerte ein wenig an St. Peter-Ording, jedoch nicht ganz so weitläufig. Man kam nicht mehr weit, das Meer war auf dem Weg zu uns. Es dauerte nicht lange, und das Wasser war auf 10 Meter an unseren Standort heran gekommen. Umzuparken hatten wir keine Lust, war es doch mit lästigem Einpacken im Regen verbunden und wir beobachteten erstmal und warteten ab. Kurz ließen wir das stetig steigende Wasser aus dem Auge und als wir wieder raussahen, war es verschwunden und befand sich auf dem Rückzug. Ebbe und Flut, hier also auch - doch mehr Atlantik als Mittelmeer auf dieser Ecke. Gegen abend zeigte das Unwetter noch mal richtig, was es drauf hatte. Es setzte Tanger unter Wasser und verursachte mal eben vierzehn Tote. Es erwischte eine marokkanische Polizeipatrouille, die sich im Übereifer bei der Jagd nach Haschischschmugglern zu weit in Richtung Meer getraut hatte. Unser Mitleid hielt sich Grenzen. Im Auto fühlten wir uns, als stünden wir in einer Waschanlage, und das mehr oder weniger die ganze Nacht durch. Das Wohnmobil erwies sich regenzeittauglich, kein Tropfen gelangte bei geschlossenen Fenstern ins Auto. Bedauerlich allerdings, daß die Satelitenanlage bei Sturm und starkem Regen nicht einzusetzen war.
Es wäre sonst ein herrlicher, verschlafener Fernsehtag geworden. So lasen wir stundenlang in Erwartung besseren Wetters. Der Sturm ließ nach, der Regen nicht. Es goß noch einen weiteren Tag durch, an dem wir einen umfangreichen Vorratseinkauf tätigten, damit wir nach Erhalt der grünen Versicherungskarte zügig übersetzen könnten um schnell noch mal einige hundert Kilometer südlich zu fahren. Der Bedarf an Schlechtwetterfronten, atlantischen Tiefdruckausläufern und solchem Zeug war vorerst gedeckt. Erst gegen abend riß der Himmel auf und ein beeindruckendes Wetterleuchten ließ uns auf die Rückkehr des Indian Summer hoffen. Auf Schlag klappte dies nicht, aber die sonnigen Stunden wurden mehr und die Regenabschnitte kürzer. Das Gelbe war's dennoch nicht. Unter nach wie vor reichlich Wolken blieben die Wiesen matschig und die Klamotten klamm. So hingen wir weiter im Bett rum, zappten durch die Satelitenprogramme und warteten weiter auf die Post. Am nächsten Tag kam die Karte endlich an. Das Wetter wurde wieder schlechter und wir bereiteten uns auf Abflug für den nächsten Tag vor. Der Campingplatz war durch den wieder eingesetzten Dauerregen zwischenzeitlich so durchgematscht, daß wir eine Winde brauchten, um das Auto aus der Parkbucht zu ziehen. Uns kamen erste Zweifel, ob wir bezüglich des Fahrzeuges die richtige Wahl getroffen hatten. Wenn man schon auf einem spanischen Campingplatz nicht ohne fremde Hilfe rauskommt ... Nachts um vier wachten wir von Sturmgeheul und Platzregen auf. Es langte. Wir schmissen den restlichen, nassen Kram in die Kiste und fuhren los zur Fähre, bloß ab gen Süden und der Sonne hinterher. MAROKKO
Die guten zwanzig bergigen Kilometer bis Algeciras dauerten ewig. Der Himmel schüttete sich aus und an mehr als dreißig km/h war nicht zu denken. Als wir ankamen empfing uns ein triefender, spanischer Jugendlicher, der den Touristen zur Hand ging und dafür hoffte, die restlichen Pesetas abzuhaken. Die Fähre fuhr in fünf Minuten und wir hatten noch keine Tickets. Der Spanier roch seine Chance, trieb uns zur Eile, im Laufschritt zum einzig offenen Ticketladen und er verbreitete Hektik. Wir waren etliche Male an diversen Ticketbuden vorbei gekommen, waren auch schon drin, Preise und Abfahrtszeiten eingeholt, aber aus unerfindlichen
Gründen keine Karte gekauft - läuft nicht weg, können wir ja immer noch machen. Das rächte sich jetzt. War schnell mal eben hundert Mark teurer, die Konkurrenz hatte noch nicht auf und die Fähre wartet nicht - selber schuld, 'nen Hunderter für Blödheit. Egal, noch vor sieben waren wir auf dem Wasser und Moro wartete. Die Überfahrt verschliefen wir größtenteils. Vier Uhr morgens ist einfach eine Unzeit. Als wir wieder aufwachten, war gerade noch Zeit für einen Toast mit Tee und es ging wieder an Land. Und da waren sie alle wieder, die Immigrationsbeamten, Zöllner, Helfer und Helfershelfer und zu guter letzt die Polizei. Und alle wollen ein bißchen was. Jeder hängt im Wohnmobil rum, grabbelt alles an, was ist dies, wofür ist das. Hundert Dirham, Monsieur, Control patt Problemm. Messer schön, Präsent für mich und alles ganz schnell. Alle lachten und scherzten ständig und auf weiteren Spuren sah man deutlich, was abgeht, wenn man diese Wünsche ignoriert. Ihre verarmten Landsleute, schon dadurch privilegiert, daß sie einen Reisepaß besitzen und Aus- und Einreisen dürfen, können nicht mal eben zwei marokkanische Wochenlöhne verteilen um in zehn Minuten das Prozedere hinter sich zu bringen. Sie wurden vom Übelsten gefilzt und auseinander genommen. Wir kannten die Regeln, zwar nicht gerecht, aber so ist es nun mal, und gaben dem Einen und dem Anderen jeweils etwas weniger, als er wollte und problemlos verließen wir den Hafen in Tanger. Marokko hatte uns wieder. Die Horden von Menschen, die üblicher Weise vor dem Zoll in Tanger lauern und einem alles mögliche verkaufen oder vermitteln wollen, hatte der Regen vertrieben und wir fuhren ungehindert raus aus der Stadt immer südlich. Auch hier die gleiche Überraschung wie in Spanien. Nach wenigen Kilometern begann die Autoroute du Maroc durch bis Casablanca, nagelneu, für kleines Geld und es gab sogar zwei Raststätten. Die erste steuerten wir, immer noch in strömendem Regen, an. Alles picobello, gutes Essen und einen Kellner, der einen typisch marokkanischen Dialog veranstaltete: " Bonjour Monsieur, bonjour Madame, englaise ou allemand ?" "Alle Mann." "Guuut ! Allemand guut. Chitler viel guut ! Rat-tat-tat-tat-tat ! Und Rummenigge viel guut!"
Dabei erschoß er mit seiner Maschinenpistole uns, andere Gäste und das Personal hinter der Theke. Wahrscheinlich alles Juden. "Rat-tat-tat-tat ! Chitler viel stark" Nun ja, zwei angemessenere und skurrilere Botschafter als Atsche und Kalle für das wiedervereinte Deutschland im Ausland fielen uns spontan auch nicht ein. "Klar, d accord. Alle Mann suuper. Besonders die Autobahn" Strahlendes Lachen und Riesenfreude bei dem großen Kind mit dem Schnauzbart. Wäre er ein Hund gewesen, hätte er mit dem Schwanz gewedelt. Daraufhin galt es erstmal abzuklatschen. Wieder einen Menschen glücklich gemacht... Wir verloren allerdings einige Sympathiepunkte, als er entdeckte, daß eine Frau in der Öffentlichkeit oder überhaupt rauchte. Jedesmal, als er unseren Tisch passierte, drückte er wild gestikulierend seinen Unmut aus, sowas sah er gar nicht gerne. Zwei Dirham Trinkgeld, und die Freundschaft war wieder die Alte. "Bon voyage, Monsieur, Madame" und ab ging`s Richtung Casablanca. Solches und Ähnliches erlebten wir auf der ganzen Reise in fast jedem Land immer wieder. Einen sonderbaren Bonus für Deutsche. Es liegt nicht an Entwicklungshilfen, davon weiß in Afrika eh niemand was, da diese Gelder zum überwiegenden Teil auf den Devisenkonten der trüben Gestalten an der Spitze versickern oder gar am Trinkgeld von Reisenden und Touristen, wie gerne vermutet wird. Ebensowenig an der berüchtigten netten und einfühlsamen Art der Deutsche im Ausland. Es begründet sich allein in den beiden Weltkriegen, besonders im zweiten. Eine bessere Promotion gibt's gar nicht. Nahezu alle Länder waren in der Kolonialzeit von den Franzosen und/oder den Engländern regiert, übernommen, geknechtet, unterdrückt und ausgebeutet. Ausnahmen gibt es nur wenige. Und gegen die Franzosen und die Engländer haben die Deutschen gekämpft, verbittert und wiederholt. Keiner verdächtigt sie, jemals mit den Franzosen oder Engländern gemeinsame Sache zu machen oder gemacht zu haben und das macht sie grundlegend sympathisch. Waffenbrüder. Das diese Zeiten für mich und die meisten Anderen ungefähr zweihunderttausend Jahre zurückliegen und die Dinge zwischenzeitlich anders liegen - auch was die Rolle der ehemaligen Kolonialmächte betrifft - ist bewußtseinsmäßig nicht durchgeschlagen. Wir sind die Guten. Immer wieder wurden wir
durchgewunken, wenn die Nationalität zur Sprache kam, wurden gelobt, was für feine und fleißige Menschen wir wären und so weiter. Manchmal ist es einem unwohl, auf wessen Kreditkarte man da reist, aber oft genug kann man diesen kleinen Bonus bestens brauchen und wir waren häufiger mal froh, Alle Mann zu sein. In Marokko kommt in dieser Hinsich viel zusammen. Die Deutschen trieben die Franzosen aus dem Land, haben die Judenfrage ganz im Sinne vieler Araber angegangen und selbst die marokkanischen Kriegsgefangenen wurden - wie ich hörte - teilweise besser als andere, wie Dreiviertelfreunde, behandelt. Obendrein sind sie gerngesehene Touristen, die den Dirham locker sitzen haben. Im Moroland ist dieser Bonus besonders groß. Zwar hatten wir uns bereits in Hamburg nach einer Fährverbindung von Casa nach Dakar erkundigt - wenn's sich umgehen läßt, muß man ja nicht durch die Sahara fahren - und erfahren, daß keine bekannt sei. In unserer Marokko-Karte war aber eine eingezeichnet. Wir fuhren daher einen Campingplatz südlich von Casa an um dort zu übernachten und tags darauf vor Ort heraus zu finden, was nun ist mit einer Fähre. Der Campingplatz machte uns endgültig bewußt, daß wir Europa verlassen hatten. Die Nähe zu Casablanca hatte ihn in einen Slum der unteren Mittelklasse verwandelt. Nichts als Dauerwohner in seltsamen Arrangements aus Zelten und Wohnwagen. Wir besichtigten die sanitären Anlagen, die diese Bezeichnung nicht im Ansatz verdienten. Ein Scheiße gewordener Skandal aus Brettern und Beton. Wir ahnten, daß wir möglicherweise noch an Orte kommen werden, an denen wir uns an einen wie diesen zurück sehnen werden. Aber das ist nicht sicher und allemal war es noch nicht so weit schnell vom Acker und rein nach Casablanca, mal sehen, was da los ist. An diesem Punkt greife ich kurz vor. Es war das Übelste, was man uns in ganz Afrika als Campingplatz angeboten hat. SATURDAY NIGHT IN CASABLANCA
Wir erreichten Casablanca im Dunkeln und erlebten eine tolle Stadt. Auf den Straßen wimmelte es von Leuten und wuseligem Straßenverkehr, die Häuser, die Menschen, alles wieder sehr europäisch mit einem Hauch vom Marokko. Eine höchst gelungene Mischung. Wie in keiner anderen Stadt in diesem Land gingen wir völlig unbeobachtet und unbehelligt durch die Menschenmassen,
durch großzügige Boulevards unter zehn Meter hohen Palmen. Große Plätze, Leuchtreklamen, zwanzig Grad und ohne Ende gut besuchte Straßencafes prägten das Bild. Wir fühlten uns wohl. Nach einem kleinen Spaziergang fuhren wir zum Hafen auf der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Ein Campingplatz war nicht auszumachen und wir versprachen uns nicht allzuviel davon, einen zu suchen, er wird mitten in der Stadt sicher nicht viel anders aussehen als der, den wir gerade verlassen hatten. Erstmal entdeckten wir direkt an der Strandpromenade einen schönen McDonald. Klar, das war das Abendessen. McDonald in Casablanca ist gerammelt voll bis zum Abwinken. Auf zwei großen, überfüllten Parkplätzen drängeln sich Autos vom neuesten Benz-Cabrio bis zum Fiat-Uno. Im Restaurant selber und drum herum Familien mit Kindern sowie auffallend viele hübsche, europäisierte junge Mädchen mit ihren Jungs, alle mit nem Tablett und ihren Burgern. Wir setzten uns dazwischen und aßen Menu eins, Big-Mac mit Pommes und Cola. Geil! An dieser Stelle muß ich eine Lanze für Fast-Food brechen. Was man auch immer dagegen sagen kann, es ist ok, wenn es ein Restaurant gibt, irgendwo auf der Welt, und man weiß, was kommt. Und das kommt dann auch wirklich, so, wie man es kennt und es schmeckt lecker, ganz zu schweigen von dem für unseren Geldbeutel moderaten Preis. Es ist einfach ok, Vitamine hin oder Vitamine her, dafür gibt's Tabletten. Nach dieser befriedigenden Mahlzeit waren wir schon leicht müde und setzten unsere Suche nach einem geeigneten Schlafplatz fort. Nicht ganz einfach in dieser pulsierenden Stadt. Uns fehlte diesbezüglich auch noch die Routine und die Abgewichstheit. Bislang hatten wir immer die Sicherheit von Autobahnraststätten oder Campingplätzen gesucht - einfach rechts ran, im dicksten Gewühl, das hatten wir noch nicht drauf. Eine große Straße führt aus Casa raus, immer direkt am Meer, und die fuhren wir lang. Schon bald war da ein etwas zurückgelegener Parkplatz mit ca. zwanzig Autos drauf, alle mit der Schnauze Richtung Wasser und es saßen Leute in den Autos. In der Einfahrt zwei alte Moros, die einem ein Ticket gaben. Wir suchten uns einen Platz zwischen den anderen Fahrzeugen. Nachdem wir auf Bettmodus umgebaut hatten, löschten wir alle Lichter und beobachteten die Insassen der anderen Autos. In jeder Stadt gibt es so Plätze, an die meist junge Menschen ohne eigene
Wohnung Sonnabends fahren um im Wagen ein wenig rum zu machen. Wir dachten, sowas wäre dies wohl auch und wir wollten mal ein bißchen spannen. Aber nichts. Es war kein Grund zu erkennen, warum hier in zwanzig oder mehr Autos, die auch ständig wechselten, Leute saßen und Zigaretten rauchten, keine Joints, das hätte ja einen Sinn ergeben. Es waren teilweise Familien mit Kindern, dann wieder zwei Pärchen, oder vier Männer, jede Kombination, jung und alt, bevölkerten die Fahrzeuge. Ein Fahrzeug kam, vier Männer stiegen aus, versammelten sich hinterm Auto, debattierten über irgendwas und fuhren wieder weg. Andere gingen ein paar Meter über den Strand, kamen zurück und fuhren wieder. Mal kurbelten welche das Fenster runter und drehten arabische Musik auf. Was auffiel war, daß häufig Männer aus den Autos ausstiegen und hinter ihre eigenen Fahrzeuge pissten. Dies gibt mir die Gelegenheit zu berichten, daß der arabische Mann anders pisst als der Rest der zivilisierten Welt, nämlich wie sonst normalerweise Frauen, in der Hocke. Bundesdeutsche Emanzen wird es freuen, muß nicht soviel hinterher gewischt werden. Aber das nur am Rande, falls mal einer fragt ... Wir beobachteten weiter diese seltsame Beach-Party. No sex, no drugs, no rock & roll, was soll sowas ? Bemerkenswert zudem, daß keiner von dem Anderen Notiz nahm, es gab keine Kontakte außer zwischen denen, die gemeinsam gekommen waren. Und die saßen hauptsächlich in den dunklen Autos und rauchten Zigaretten, die aufglimmende Glut war immer gut zu sehen. Es gelang uns einfach nicht, diese immer in Bewegung befindliche Ansammlung von Autos irgendwie plausibel zu erklären. Der einzige halbwegs brauchbare Hinweis war das häufige pissen. Vertrieben sich diese Menschen die Zeit, indem sie sich mit harntreibenden Getränken berauschten? Das Bier in Marokko soll nun wirklich nicht törnen, erzählt einem jeder zweite Tourist aus Alle Mann. Wie dem auch sei, wir entschieden, daß der Platz in Ordnung sei und schliefen mit der arabische Musik aus den anderen Autos im Ohr langsam ein. Das erste mal wurde wir gegen ein Uhr nachts von Stimmengewirr wach. Dann kachelte einer gegen unser Auto und wir standen in den Betten. Draußen waren nur noch wenige Autos und zwei Gruppen hatten, nun doch merklich angedudelt, eine Meinungsverschiedenheit. Sie prügelten sich nicht, sondern
plusterten sich gehörig und lautstark auf und schubsten sich - genau neben unserem Auto - wobei andere immer zu schlichten versuchten. Mehrmals rammte son dicker Typ unser Auto und es dauerte bestimmt eine gute halbe Stunde, bis sich draußen die Szene wieder beruhigte. Nun rauchten wir selbst erstmal ein paar Zigaretten, um wieder einschlafen zu können. Kaum wieder den Schlaf gefunden, hämmert es vehement ans Auto. Das nervt um halb vier mitten aus dem Tiefschlaf und verursacht einen heftigen Adrenalinstoß. Vor dem Fenster ein seltsames Wesen mit einem Korb unterm Arm, klopft und klopft und ruft was in arabisch. Ich machte die Tür auf und vor mir eine kleinwüchsige Gestalt, angetrunken oder von Natur aus breit und unmöglich, das Geschlecht festzustellen. Das kann in Casablanca ja mal vorkommen, aber bietet mir das Wesen um diese Zeit Schokoladenriegel an als wäre es das normalste von der Welt. "Merci, laß mal, non Madame ou Monsieur, bon nuit" und die Tür wieder zu. Das wurde gar nicht akzeptiert und als bestünde die berechtigte Hoffnung, es läge ein Mißverständnis vor, klopfte er/sie weiter mit seinen/ihren idiotischen Schokoteilen. Also wieder auf die Tür und mal etwas grimmiger. "Hau mit dem Scheiß ab, je dormir maintenant" aber schon hatten vier Moros die Szene beobachtet und kamen ebenfalls zum Auto, voll im Ligth-Bier Rausch und fangen an, mit zu nerven. Die Übriggebliebenen, der harte Kern. Einer will paar Dirham, der andere sein Hemd tauschen und ins Auto drängeln, es wurde langsam unangenehm. Das Gute in diesem Land ist, daß sie nie wirklich link sind und imgrunde immer auf ihre Art spielen. Nicht zu vergleichen mir der Situation, in die ein Marokkaner gerät, wenn er Samstag nacht auf dem Parklatz einer Disco in Rostock mit vier besoffenen Eingeborenen in Kontakt gerät. Es löste sich also irgendwie auf. Einer war nüchtern, vermutlich der Fahrer, und der redete auf seine Jungs ein, die dann auch untereinander diskutierten, sich vom Auto entfernten und ich konnte die Tür wieder schließen. Trotzdem ließen wir den Wagen an und fuhren wieder nach Casa rein, noch mal hatten wir keine Lust, uns wecken zu lassen. Diese Stadt ist wirklich unglaublich. Morgens um vier geöffnete Läden, Verkehr und überall Menschen. Direkt in der City fanden wir einen Boulevard mit Banken und Administrationsgebäuden, sehr ruhig und sehr menschenleer. Wir parkten, hauten uns wieder hin und schliefen bis zehn Uhr durch.
Der erste Tag in Marokko ist immer wieder ein Trip. Ich liebe dieses Land, welches spätestens seit Mitte der sechziger Jahre für so viele Leute in Europa bis heute positiv prägend geblieben ist. Die Leute, so crazy sie einem manchmal erscheinen, haben ihre eigene Klasse und wenn irgendwann mal von marokkanischer Seite der Wunsch geäußert wird, als Vorort von Hamburg eingemeindet zu werden; zwei Stimmen hätte dieses Projekt auf Sicher. NACH SIDI R`BAT
Wir fanden schnell heraus, daß es keine Schiffsverbindung nach Dakar gibt - zumindest fanden wir keinen, der davon wußte, und wir verließen die Stadt Richtung Sidi R`bat, einem kleinen Ort südlich von Agadir. Mit Sidi R`bat verbindet mich eine mittlerweile zwanzigjährige Reisetradition und eine Menge Freundschaften, Storys und Erlebnisse. Dort werde ich aus Autos begrüßt, dessen Fahrer ich schon kannte, als sie noch zwischen meinen Knien im Sand gespielt haben. Der Ort wird hauptsächlich von europäischen Freaks besucht, und da der Aufenthalt in der am Strand gelegenen, einfachen Campinganlage für Marokko nicht gerade geschenkt ist, führte dies zu einer Vorauswahl, so daß Klauereien und ähnliches nicht vorkamen. Ich habe in Sidi R`bat neben vielen Anderen schon Schweizer Hell`s Angels und Münchner Luden kennen gelernt. Ein in jeder Hinsicht hochinteressanter Platz und seit je her der moslemischen Obrigkeit ein Dorn im Auge. Entsprach noch nie so ganz der Form von Tourismus, den sich die Chefs und Planer im weißen Kragen so vorstellten - immer hart an der Grenze, es gab keine nennenwerten Vorfälle, und so lief es und lief immer weiter. Die letzten Informationen, die nach Hamburg durchdrangen, waren betrüblich. Die besagte Campinganlage wird von der Kommune verpachtet und der aktuelle Pächter ließ sich erwischen, als er mit Engländern hundert oder hundertfünzig oder weiß der Teufel wieviel Kilo Haschisch durchhandeln wollte. Angeblich wurde erstmal das halbe Dorf eingeknastet, dann wieder entlassen, aber die Engländer und der Pächter bekamen recht zügig lange Haftstrafen in marokkanischen Gefängnissen. Die Gerüchte besagten weiter, daß die Administration diesen Anlaß nutzte, den Platz gleich mit zu plätten, keinen neuen Pächter einsetzte und diesen Ort für Touristen hat sperren lassen. Wir waren gespannt, was an diesen Geschichten
stimmt und was sich zwischenzeitlich ereignet hat - außerdem freuten wir uns auf ein Wiedersehen mit den Leuten aus Sidi R`bat. Meist werden die Dinge ja nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht werden und es wäre zu schade, wenn dort langfristig nie wieder was funktionieren sollte - für die Art Tourismus, wie ihn sich die Hotelbesitzer aus Agadir vorstellen, wird Sidi R`bat noch für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinaus, infrastrukturmäßig ungeeignet sein Allah sei dank. EL OUALIDIA
An einer Abzweigung verpaßten wir die Hauptstraße und fuhren eine kleine asphaltierte Küstenstraße weiter. Vorbei an einladenden Fischrestaurants direkt am Meer bekamen wir langsam Hunger und an einem Ort Namens El Oualidia bogen wir rechts ab, einem Hinweisschild Hotel-Restaurant-Hippocampe folgend. Vor uns lag ein kleines Paradies von atemberaubender Schönheit. Um eine von schroffen Felsen vom Atlantik abgetrennten Lagune lag in den Hügeln ein malerisches Fischerdorf, das sich bis hinunter zu einem weißen Sandstrand zog. Wir parkten vor dem Restaurant, gingen durch eine gepflegte Anlage mit blühenden, exotischen Blumen und saftig grünen Palmen in einen holzgetäfelten Salon, in dem uns ein 1a gekleideter Kellner freundlich und zurückhaltend an einen mit Blumen und rosa Tischdecke eingedeckten Tisch am Fenster führte, mit einem einmaligen Blick auf die Lagune. An zwei Stellen waren die Felsen unterbrochen und die meterhohen Brecher des Ozeans brandeten in die Lagune und liefen in ihr aus. In der Lagune selbst war das blaue Wasser still wie in einem See und unter der tiefen Sonne des späten nachmittags warfen die auf Land liegenden Fischerboote lange Schatten auf die gewellten Sandbänke, die bei Flut völlig überspült wurden. Ein Ort von fast unbeschreiblicher Schönheit und es bedurfte keiner Absprache, daß wir hier vorerst verweilen würden. Das Menü bestand zu klassischer Musik und frischem Orangensaft aus jeder Art von Meeresfrüchten und reichte von Austern und Muscheln, Krebsen, Seeigeln, kleinen fritierten Sardinen und gebratenen Fischen über ein Orangendessert bis zu einem exzellenten Café - es ging nicht besser. Zudem gab es einen Campingplatz mit Strom und warmer Dusche und nachdem wir das Auto abgestellt hatten, machten wir noch einen
Spaziergang durch den Ort. Auch bei näherer Betrachtung verlor der erste Eindruck keinesfalls. An der Lagune lag ein altes, verlassenes Chalet von Mohammed V, das auch im Verfall noch dekadente, bourgeoise Eleganz ausstrahlte. Die Häuser im Ort waren alle in hervorragendem Zustand und überwiegend unbewohnt. Wir vermuteten, daß sie wohlhabenden Marokkanern aus Casablanca gehören, die diese am Wochenende oder in den Ferien nutzen. Es gab kleine Lebensmittelgeschäfte mit einem reichhaltigen Angebot und noch eine handvoll Fischrestaurants mit Übernachtungsmöglichkeit in bester Lage. Die breiten, menschenleeren Strandbuchten waren sauber, und vor kleinen Fischerhütten lagen die Boote, mit denen die Fischer herausfahren und ihre Netze auslegen, sofern sie nicht einfach auf den Felsen sitzen und angeln. Alles, was man nicht braucht, fehlte erfreulicher Weise, wie Schicki-Micki-Läden, Souvenir-Shops, Nightclubs und solche Dinge, tatsächlich ein unglaublich gediegener Ort in einer faszinierenden Naturkulisse und wir hatten das deutliche Gefühl, daß es nicht das letzte Mal in diesem Leben sein sollte, daß wir uns hier aufhalten. Wir verbrachten vier phantastische Tage unter strahlend blauem Himmel. Wir aalten uns in den Dünen, gönnten uns Langusten und allerlei weiteres Meeresgetier, ließen uns mit einem kleinen Boot durch die Lagune rudern und als wir in einer kleinen Bucht halt machten, lagen wir im warmen Sand und sahen zu, wie ein Delphinpaar nahe am Strand durch die Wellen sprang. Überwältigend. Die Einheimischen unterschieden sich durch ihre dezente, zurückhaltende Art wohltuend von vielen ihrer Landsleute; man war ungestört und für sich, ohne sich als Fremdkörper zu fühlen. In diesen Tagen lernten wir ein bemerkenswertes, junges Pärchen aus Ostberlin kennen mit einem VW-Bus für viertausend Mark. Ganz im Gegensatz zu ihren meisten Landsleuten hatten sie die Zeit nach der Wende sinnvoll genutzt, die halbe Welt im Rahmen ihrer schmalen, finanziellen Möglichkeiten zu bereisen und zwischendurch in Berlin zu jobben. Sie belegten eindrucksvoll, daß Weltanschauung etwas damit zu tun hat, daß man sich die Welt anschaut. Sie waren so angstfrei, wie man es sein kann, wenn man nicht zu blöd ist, echte Risiken zu erkennen und hatten schnell und präzise erfolgreich herausgefunden wo's langgeht und was die schönen Dinge im Leben sind. Wir klönten uns bis drei Uhr morgens fest und als wir uns am nächsten morgen verabschiedeten und uns gegenseitig alles Glück
der Welt wünschten, meinte es jeder von uns wirklich so. Wenn doch nur mehr so drauf wären... Am letzten Abend vor der Weiterreise grillte uns ein Fischer zur blauen Stunde am Strand Fische und Krebse, für die das Wort "fangfrisch" noch eine Bedeutung hatte. Diese einfache, aber überaus delikate Mahlzeit beendete unsere unvergeßlichen Tage und Nächte in El Oualidia. Der Vollständigkeit halber muß erwähnt werden, daß der Aufenthalt nicht ganz billig ist, schnell mal vermarmelt man über den Tag 'nen Hunderter DM. Aber was man dafür erhält, ist es allemal wert und man wird nie abgezogen, sondern zahlt für eine korrekte Leistung einen korrekten Preis. Mit dem Bewußtsein, nicht alles für etwas mehr als Nichts haben zu müssen und, daß die Menschen hier auch angemessen Leben sollen, erwarten einem in diesem Ort nur angenehme Erlebnisse. Am nächsten Vormittag setzten wir unsere Fahrt nach Sidi R`bat fort. Auf der Strecke lag noch ein Ort, den uns ein ca. sechzigjähriger Franzose empfahl, der in El Oualidia mit seiner Frau in einem riesigen Wohnmobil mit noch größerer Satelitenschüssel schon seit über einem Monat als bisweilen einziger Gast stand. Der typische Franzose. Er begrüßte jeden Neuankömmling, und wer ihn nicht schroff abwies, was ja keiner tut, der bekam einen Bericht seiner bisherigen Route anhand seiner Michelin-Karte mit detaillierten Hinweisen der besten Restaurants. Die Worte formidable und extraordinaire waren meinem aktuellen Sprachschatz entfallen, aber nach dem Gespräch mit Monsieur Doberman, wie er aufgrund seines Hundes im internen Sprachgebrauch hieß, werde ich sie nie wieder vergessen. Für ihn war die Welt in Ordnung, solange die Küche stimmt, da ist es egal, ob das Land mit Atomkraftwerken zugepflastert wird oder am anderen Ende der Kugel seine Regierung irgendein Atoll durch Nuklearversuche konterminiert. So sind sie, die Franzokken. Bin ich froh, daß ich nicht so bin und, daß ich keine Vorurteile habe. So toll war sein Tip auch nicht. Wir übernachteten an einer Steilküste neben anderen Free-Campern. Der Platz war nicht übel aber auch nicht weiter erwähnenswert. Am nächsten Morgen fuhren wir nach Agadir rein, einem Ort ohne jeden Charme aber nützlich für Einkäufe, Geldwechseln und was sonst in dieser Richtung notwendig sein könnte. Jedesmal erstaunt es uns auf`s Neue zu beobachten, daß Leute tatsächlich hier ihren ganzen Urlaub verbringen und sich diese
angebliche erdbebensichere Betonburg als Marokko verkaufen lassen. Es waren nur noch wenige, sehr vertraute Kilometer nach Sidi R`bat und unsere Vorfreude stieg, an einen Ort zu kommen, der in uns schon heimatliche Gefühle auslöste. Wir bogen an dem alten Schild ab und nichts deutete darauf hin, daß sich irgend etwas verändert haben könnte. Auf einer Fahrt durch Marokko läuft man stets in Gefahr, einen Tennisarm zu kriegen, da dauernd Kinder und zum Teil auch Erwachsene einem lachend zuwinken und man winkt zurück. Auf den letzten Kilometern erschien uns das Winken der Menschen an der Straße noch freundlicher als sonst und wir fuhren erwartungsvoll das letzte Stück steinige und holperige Straße, links hinter dem Süßwasserfluß die hohen Sanddünen, rechts Palmen, ein kleines Dorf und das Meer schon in Sicht. Auf einmal ein Palmenstamm quer über der Straße. Aus einem Häuschen kam gemächlich ein unbewaffneter, uniformierter Moro, Soldat oder Förster oder beides, wer will das sagen, und begrüßte uns: "Bonjour Monsieur, bonjour Madame. Camping fini, probleme de drugue. Interdit de passage." Also tatsächlich. Wir dibberten noch etwas rum, daß wir kein Drogenproblem haben und ausnahmsweise und so weiter, aber das hätten wir uns auch schenken können. Wir testeten den anderen, unausgeschilderten Weg, den wir außer diesem kannten. Piste, und zwar eine, die sich immer, je nach Wettereinflüssen, ein wenig verändert und beim ersten Mal immer mit dem Risiko verbunden ist, daß man eine falsche Abzweigung erwischt und sich einbuddelt. Aber es war's uns wert. Die Strecke war wirklich schlimm, das Wohnmobil mußte sich zum ersten Mal anstrengen, aber wir kamen gut durch und fuhren in den kleinen Ort Sidi R`bat ein, deren gut zwanzig Häuser uns so vertraut waren. Na bitte, geht doch. Im Ort war es bedrückend ruhig, nur einige Kinder spielten, absurderweise imitierten sie militärischen Drill. Wir fuhren langsam durchs Dorf und keiner grüßte. Zufällig kamen wir an einem Feld vorbei, auf dem die Mutter "unserer" Familie mit irgendwas zugange war. Mit ihr, ihrem Mann, ihren Söhnen und Töchtern hatten wir nächtelang in ihrem Haus gesessen, gelacht, gegessen, sie und ihre Kinder mit Medikamenten versorgt, Freundschaften geschlossen und Geschenke ausgetauscht. Wir waren froh, eine so gute Bekannte
getroffen zu haben und winkten ihr aus dem Auto zu. Sie war keine fünf Meter entfernt und gab uns hinter ihrem Schleier durch deutliche Handzeichen zu verstehen, daß wir schnell weiter fahren sollen und ging ihres Wegs, als hätte sie uns nicht gesehen. Wir verstanden sofort. Über dem ganzen Dorf lag Paranoia so spürbar die Pest. Der Polizeistaat hatte seine Visitenkarte abgegeben, und das so nachhaltig, daß es jeder Diktatur zur Ehre gereicht hätte. Hier hatte jeder, auch der Unbeteiligste, echte Angst, hier stand jeder Bewohner ab sechzehn willkürlich mit einem Bein im Gefängnis; das ehemals so unbeschwerte und natürliche Dorf war irreal, gespenstisch und wie tot und wir machten, daß wir fort kamen, um niemanden durch unsere Nähe zu kompromittieren. Als wir aus dem Ort rollten sprachen wir nicht viel, es dauerte eine ganze Zeit, bis sich unsere Beklemmung langsam löste - es gibt Momente, da schlägt einem dieses Land schwer aufs Gemüt. Auf wiedersehen, Sidi R´Bat, bis irgendwann mal, in besseren Zeiten. LEGZIRA
Nach dieser bislang deprimierendsten Erfahrung fuhren wir noch einige Kilometer, stellten uns auf einen Restaurantparkplatz und beendeten diesen Tag. Uns lief noch ein Hundebaby zu, dem wir Asyl für die Nacht gewährten und welches zwischen uns die Diskussion auslöste, was zweckmäßig zu tun sei, wenn das Tier nicht wieder weg geht. Am nächsten Morgen trollte sich die kleine Strandtöle, und so erübrigte es sich einstweilen, eine gefühlsmäßige oder eine verstandesmäßige Entscheidung zu treffen. Derjenige, der gegen ein hilfloses, treu blickendes Hundebaby spricht, ist immer das Arschloch, der Fürsprecher der Idiot - vorerst jedoch mangels Handlungsbedarf vertagt. Zum Dank hat der kleine Bastard uns noch vor den Beifahrersitz gekackt, war aber auch noch ganz klein und wußte von gar nichts. Wir folgten dem Tip eines Hamburger Freundes, der in Legzira mit seinem Riesenbus vor einem halben Jahr beachtliche Abstehqualitäten bewies und uns diesen Ort wärmstens empfahl. Der Platz liegt zehn Kilometer vor Sidi Ifni und wir fuhren prompt vorbei. Wir übersahen kein Schild und keine Straße und erst nach Durchfragereien wies man uns eine kleine Piste in die Einöde, die bei einem kleinen, weißen Haus kaum sichtbar abgeht.
Keine Ahnung, warum der Ort Legzira heißt. Es ist auch kein Ort im eigentlichen Sinne, es ist das kommerziell gesehen am beknacktesten gelegene Hotel, das ich je gesehen habe. Es gibt nicht das kleinste Hinweisschild und es ist so gut wie nicht zu finden. Erst wenn man die nur schwer befahrbare Piste hinter sich gebracht hat, landet man an einer Plattform auf der Steilküste und sieht nichts. Geht man durch Kakteen, etwas Müll und Gestrüpp weit an den Rand der Steilküste, sieht man unten am Strand einige rote, zum Teil schilfgedeckte Lehmhütten, in denen die Fischer ihr Werkzeug lagern und fühlt sich an Slumbehausungen erinnert, daneben eine Baustelle und die rosa Rückwand des Hotels, so groß wie zwei Reklamewände für den Malboro-Mann. Wir machten uns leichte Sorgen um den Geisteszustand unseres Freundes und sahen keinen Grund, diesen trostlos wirkenden Ort näher zu begutachten und mehr, weil wir es ihm irgendwie schuldig waren, erbarmten wir uns und nahmen den Fußmarsch hinunter zu diesem in jeder Hinsicht reizlosen Platz in Angriff. Legzira ist ein Ort für den zweiten Blick. Unten angekommen sahen wir, daß das Hotel halb in den Felsen hinein gebaut wurde und von vorne zwei Terrassen mit Tischen, Stühlen und Sonnenschirmen aufwies und über zwei Etagen verfügte. Im Parterre war ein kleiner Laden mit spärlichem Angebot untergebracht, im ersten und zweiten Stock gab es kleine Fenster zum Meer hinaus. Das einfache Gebäude zeigte verspielte Liebe zum Detail. Alles, drinnen wie draußen, war gepflegt, unter Farbe und liebevoll beschriftet. An der Außenfassade sahen wir erstmals das Wort LEGZIRA, Restaurant & Café, neben einem bunten Phantasielogo. Wir nahmen auf der Terrasse Platz, auf der sich einige Hunde und Katzen in der Sonne rekelten und tranken einen Thé la Menthe. Der junge, marokkanische Inhaber setzte sich zu uns und er vermittelte frisches Engagement mit Aufbruchscharakter ohne Dollar-Blick und Hektik. Er liebte den Platz und war eifrig bemüht, etwas Gutes entstehen zu lassen - little by little, wie er sich ausdrückte - alles schien in den Anfängen und charmant provisorisch. Es gab eine saubere Dusche, aber noch kein warmes Wasser. Die kleinen, sauberen Zimmer hatten Flair, das Mobiliar bestand wie üblich in diesen einfachen Herbergen aus Matratzen und einem flachen, runden Tisch, Strom gab`s noch keinen aber einen kosmischen Ausblick auf den Atlantik sowie einer Felsgruppe in der
Brandung. Diese Felsgruppe war bei Flut zum größten Teil überspült, bei Ebbe trockenen Fußes bequem zu begehen. Auf ihr saßen Fischer mit langen Angeln und gingen ihrem Tagwerk nach. Während der Flut spaddelten sie in winzigen Booten aus umgebauten Schläuchen von LKW-Reifen um den Felsen, um auf diesem Weg den Fischen nachzustellen - schön zu beobachten. Auf dem Flur hing neben dem obligatorischen Bild von Hassan II ein gerahmtes Foto hinter Glas von John Lennon, und dieses Detail gibt am besten den Geist und die Magie dieser Herberge wieder. Vieles erinnerte an die Stimmung der ersten Besuche in Sidi R`bat, auch die Hintergründe eines Pachtvertrages waren ähnlich gelagert, wollen's hoffen, daß es nicht ähnlich endet. Auf unsere Frage nach dem Übernachtungspreis antwortete er, fast etwas verlegen, 40 Dirham das sind um die acht Mark. Neben dem bereits äußerlich fertiggestelltem Gebäude entstanden gerade vier neue Räume und eine Küche. Einige Mann und zwei Esel waren den ganzen Tag beschäftigt, Sand und Steine herbeizuschaffen und es wuchs, langsam aber sicher. Links des Hotels liegen in Buchten langläufige Sandstrände und kleinere Dünen, der Steilküste vorgelagert, die durch Felsvorsprünge von kathedralen Ausmaßen voneinander getrennt sind. Wind und Wasser haben große, runde Tore in die gigantischen Felsen gespült. Geht man durch sie hindurch, beeindrucken die gewaltigen Dimensionen und man erfährt ein einmaliges, akustisches Erlebnis. Auf einigen Strandabschnitten liegen Tausende, rundgeschliffene Steine in allen Farben, die häufigste Farbe ist blau. Die Wellen rollen diese Steine gegeneinander und in diesen höhlenartigen Toren und Wölbungen der Felsen hallt dieses Geräusch, vermischt mit dem Sound der brechenden Wellen, von den Felswänden vielfältig wider. Abends geht die Sonne über dem Meer unter und beleuchtet diese bizarren Felsformationen mit warmen Abendlicht, und die Eindrücke verändern sich durch Licht und Schatten ständig, bis die Sonne im Meer versinkt. Ein meditativer Ort, an dem jemand, der entsprechende Eindrücke und Feelings zu schätzen weiß, bestimmt seine Freude haben wird. Wir als Fast-Food-Freunde gehören dieser Art Menschen nur bedingt an. Es ist keinem von uns beiden gegeben, aus der häufigen Wiederholung von Eindrücken dieser Art viel Neues zu schöpfen, auch hier sagt uns der Fast-Tourismus, zumindest der etwas fastere,
mehr zu. So vertrödelten wir ein paar Tage am Strand, sahen uns alles an, lagen in den Dünen, badeten und holten uns etwas weitere Bräune. So charmant dies Provisorium auch war, wir hätten doch gern mal wieder warm geduscht und mit 220 Volt unseren Kühlschrank auf Eiswürfelniveau gebracht. Zudem war die Versorgungs-lage spartanisch, wollte man nicht alle Näslang über die Holperpiste in die nächste Stadt fahren. Es lag noch so viel vor uns und wir beschlossen daher, um Agadir herum die komfortableren Campingplätze aufzusuchen, um abends auch mal auf Asphaltstraßen in ein besseres Restaurant fahren zu können, solange dies noch möglich war. Es waren noch zwei Wochen, bis unser Besuch eingeflogen kommen sollte und zwei Wochen am Stück in Legzira - freiwillig nicht so ganz unser Ding. EMIRATE DE FORT BOU JERIF
So packten wir unsere Sachen am nächsten Morgen zusammen und fuhren zuerst nach Sidi Ifni zur Post, um ein paar Karten und einen Brief einzustecken und unsere ersten tausend Briefmarken in kleinstem Wert zu besorgen. Der Schaltermoro zweifelte erst an meinen, dann an seinen Französischkenntnissen und schrieb zweimal die Zahl 1000 auf einen Zettel. Als ich es wiederholt bejahte, kam er mit zwanzig Bögen a fünfzig Marken zu fünfzig Centime zurück, das ist etwa ein Groschen. Es existieren angeblich auch welche zu dreissig Centime, die hat bloß niemand. Bei einem Blick auf die Landkarte fiel uns eine Einzeichnung ins Auge, die noch von Monsieur Dobermann stammte - formidable natürlich. Lag eine Ecke südlich von Goulimine, was nur noch ca. sechzig Kilometer in süd-östlicher Richtung lag. Wir hatten mehr als genug Zeit und beschlossen an diesem Dienstag, den eingezeichneten Ort zu suchen, dort gegebenenfalls ein paar Tage zu bleiben und am Wochenende dann in Goulimine den Kamelmarkt zu besuchen, zu dessen Besuch jeder Reiseführer dringend rät. Zu früh im Dunstkreis von Agadir zu sein, reizte uns ohnehin nicht sonderlich, trifft man dort doch zu häufig auf die Horden von fertigen Pauschal-urlaubern, welche die Märkte, Straßen und Restaurants übervölkern. Zwar ist es vergnüglich, in einem Straßencafe zu sitzen und `ne Runde abzulästern, es ist aber keinesfalls abendfüllend. Monsieur Dobermann hatte neben seinen Pfeil die Worte "Fort Boujerif" geschrieben, wir fanden jedoch keinen Hinweis auf einen
Ort solchen Namens. Ein Schild an einer Straße gleich hinter dem Eingangstor von Goulimine, welche gefühlsmäßig Richtung Meer verlief, trug die Aufschrift "Plage Blanche 65 km", und das klang doch auch akzeptabel. Wir folgten dieser Asphaltstraße, die jedoch ständig schlechter wurde und sich zwanzig Kilometer später zu einer steinigen Piste, teilweise mit leichtem Wellblech und erheblichen Unebenheiten, entwickelt hatte - eigentlich eine Angelegenheit für diese hochbeinigen Off-Roaders mit Allradantrieb. Wir hatten vollgetankt, den Wassertank ebenso randvoll, es war früh am Tage und keiner von uns hatte Lust, vor der schlechten Wegstrecke zu kapitulieren, und so fuhren wir, meist im zweiten, teilweise im ersten Gang, Kilometer um Kilometer der Piste folgend in die unendliche Bergwelt der Westsahara. Nach jedem kakteenbewachsenem Hügel kam der Nächste und die Piste zeichnete sich kilometerweit im voraus ab. Nach jedem weiteren Berg erhofften wir das Meer, was kam, war sich ständig wiederholende Landschaft ohne Ende. So fuhren wir bald eine gute halbe Stunde über ausgetrocknete Flußläufe und durch stark ausgefahrenen Spurrillen, da kam ein großer, heller Stein mit weißer Beschriftung und verwies schlecht leserlich auf ein Restaurant mit dem Namen Fort Bou Jerif , Pfeil nach rechts und angeblich noch neun Kilometer. Die Fahrerei unter diesen Umständen ist anstrengend und es kommt einem wesentlich länger vor, als einem eine halbe Stunde sonst erscheint und neun Kilometer sind nicht irgendwas, sondern weitere, lange neun Kilometer - bei unserem Tempo mindestens eine weitere halbe Stunde - in denen man sich Festfahren kann, die Ölwanne aufsetzen oder in denen ein Reifen seinen Geist aufgeben könnte - wenn es denn überhaupt stimmt, mit den neun Kilometern. Wir holperten langsam weiter. Die Geröllpiste stellte uns vor immer schwierigere Aufgaben und uns kam der Verdacht, daß wir Blödsinn machen, da Mitten im Nichts, bis am Rand der Piste folgendes Steinschild auftauchte: BRAVO LE PLUS DUR EST FAIT ENCORE 3 km POUR ATTENDRE UM UN PARADIS NOMME FORT BOU JERIF
GUY & EVY VOUS ATTENDENT Das Schild war auch nötig und es motivierte uns, die Fahrt fortzusetzen, obwohl unserer Sprachschatz nicht ganz auslangte, jedes Wort zu verstehen. Aber drei Kilometer, das war ok, Paradis klingt auch nicht schlecht und nach Fort Bou Jerif wollten wir ja ohnehin. Wir kamen uns vor wie in einem 3D-Computerspiel, noch drei Hindernisse und sie erreichen das nächste Level. Bravo, Mission completed, operation succesful. Ein weiteres Durchhalteschild trafen wir mit dem Hinweis, noch achthundert Meter, an einer Stelle, an der nun absolut gar nichts zu sehen war, aber nach der nächsten Kurve lag vor uns die Frontseite eines Forts, gemauert wie eine alte Ritterburg, mit Türmen, Zinnen und Fahnen mit einem breiten Eingangstor, alles so gepflegt, daß es fast surreal wirkte. Vollkommen unglaublich, an dieser Stelle, in der einödesten Einöde am Rand der Sahara ohne einen Zuweg, den man guten Gewissens so hätte nennen können. Wir fuhren hinein und drehten eine Runde mit dem Wagen über das Gelände. In der Rückseite des Gebäudes waren mehrere Gästezimmer untergebracht, gegenüber ein Restaurant mit hohen Kakteen, Palmen und blühenden Stauden bepflanzt. In den gepflegten Zimmern gab es Holzbetten, einen Schrank und einen Schreibtisch, das Restaurant hatte europäisches Format. An Runden, weißen Tischen standen weiße Korbstühle, die Wände waren mit gerahmten Zeichnungen und Aquarellen geschmückt, auf den Tischdecken standen kleine Vasen mit bunten Blumen. Auf einer an der Wand angebrachten Trommel stand "Emirat de Fort Bou Jerife". Man entdeckte Lederarbeiten der Tuaregs, Messinglampen, ausgestopfte Tiere und von der Sonne gebleichte Tierschädel. Diese waren zu einem okkult anmutenden Arrangement vor dem Restaurant aufgestapelt. Acht große Beduinenzelte standen aufgebaut auf dem Platz, sie standen den Besuchern zur Verfügung und mit ihren ca. vier mal sechs Metern Grundfläche spendeten sie Raum und Schatten vor der hier auch im November mittags brennenden Sonne und gaben Gelegenheit, die Enge des Wohnmobils zu verlassen und in ihnen zu kochen, zu essen, zu dösen und zu schlafen. Weiter stand in Restaurantnähe ein großes, prächtiges Festzelt, indem fünfzig Personen locker Platz gefunden hätten.
Im Zentrum der Anlage standen in einem Kreis parkähnlich angeordnet saftig grüne Pflanzen. Palmen, Bäume, großblättrige Gewächse und blühende Kakteen und Büsche. Selbst die Sanitäranlagen wurden im Stil dieser maurischen Festungen errichtet und waren so penibel sauber und mit arabischen Fliesen ausgebaut, daß wir aus dem Staunen nicht herauskamen. Es gab warme Duschen, morgens frisches Brot und sogar per Generator 220 Volt, allerdings nur in den vier dunklen Abendstunden zwischen 18.00 22.00 Uhr. Wir hatten den Eindruck, uns in einer arabesken Märchenkulisse zu befinden und dieser Eindruck wurde vollends bestätigt, als die Sonne untergegangen war und elektrisches Licht die Anlage beleuchtete. An vielen Stellen waren Strahler und Lampen geschickt und effektvoll angebracht, die dem Ganzen eine fast operettenhafte Ausstrahlung verliehen. Tausendundeine Nacht in Mitten der Steinwüste. Das Restaurant servierte Einheimisches auf ansprechende Art. Es gab nur ein Menü für 130 Dirham pro Person unter der Bezeichnung "Inspiration du Chef", das täglich varierte. In einer Tajine wurde der Hauptgang gebracht, Kamelfleisch mit Gemüse, Birnen und Rosinen. Als Vorspeise Salat mit einer fritierten Teigtasche, in der sich ein gebratenes Ei befand, zum Dessert flambierte Bananen - so sah unsere erste kuli-narische Erfahrung in Fort Bou Jerife aus. Extraordinaire, wahrlich - der Tip hat's gebracht, Monsieur Doberman. Hier war nichts im Aufbau oder provisorisch, hier war alles fertig und bestens gelungen. Eine besondere Funktion erfüllt dieser Ort obendrein. Hier treffen sich Abenteurer und Globetrotter aus der ganzen Welt, tauschen Erfahrungen aus, geben Tips für Visabeschaffung und Grenzübergänge, beschreiben Strecken und gute Plätze. Als Kommunikationsmedium dienen dicke DIN A 4 Bücher, nach Jahrgängen geordnet, in die wer will, reinschreibt, was er meint, reinschreiben zu müssen. Es macht eine Menge Spaß, in diesen Büchern zu schmökern. Es gab eingeklebte Fotos von wahnsinnigen Wüstenfahrzeugen und ähnlichen, wüstenspezifischen Ablichtungen, gezeichnete Impressionen, kurze Hommagen an diesen Ort, lange Reiseschreibungen und vielerlei Anekdoten. Wir beschränkten uns auf die reichlich vorhandenen, deutschsprachigen Eintragungen. Viele Motorradfahrer schildern ihre Erlebnisse. Einer verfuhr sich
auf dem Rückweg vom fünfzehn Kilometer entfernten Strand so gründlich, daß er einhundertsechzig Kilometer Piste und weitere einhundert Kilometer Teerstraße benötigte, um an seinen Ausgangspunkt zurück zu gelangen. Wir entschieden daraufhin, auf einen Strandbesuch zu verzichten. Ein weiterer Eintrag beschrieb die Odyssee zweier Reisender in Rabat bei dem Versuch, ein Visum für Mauretanien zu erlangen. Wir hatten eines im Paß eingestempelt. Wir erfuhren, wann die Konvois in Dakhlar starteten, was für Formalitäten auf uns zukommen, welche Strecke zu bevorzugen ist, wo in den nächsten Ländern die empfehlenswertesten Plätze sind und vieles mehr. Wir schrieben das für uns Wichtige ab und notierten noch einige Adressen von Afrikafreaks, die um eine Postkarte baten. Wir dachten dabei ein wenig an den Verkauf unser Briefmarkenbögen, denn an solchen Orten sitzt ein Teil des Klientel. Die Lektüre dieser seitenlangen Eintragungen tat uns gut. Hier war unser Vorhaben nicht mehr exotisch, hier war es Normalität. Unser kleiner Drei-Null-Sieben, dem wir einen schweren Bullfänger, ein Solarpaneel und einen Sonnenschutz verpasst haben, wirkte im Hamburger Stadtverkehr schon etwas albern, so wie die Fahrer wüstentauglicher Jeeps mit Winsen-Luher Kennzeichen, die mit so einer Maschine rumfahren, um die Kiesauffahrt vor ihren Einfamilienklitschen hoch zu kommen. Hier hatte er seinen Platz, war eher schon wieder einen Tick zu bieder neben den martialisch zurecht gemachten Four-Whell-Drivern. Wir hatten uns mit dem Auto zwischenzeitlich auch sehr angefreundet. Es war kein Haufen Second-Hand-Blech mehr, sondern wir litten mit ihm, wenn ein Schlagloch mal besonders tief war, schwitzen mit ihm, wenn er im zweiten Gang in der Hitze einen Berg rauf kletterte und versprachen ihm eine gründliche Inspektion mit Ölwechsel in Dakar - wenn verfügbar in einer klimatisierten Benz-Werkstatt. Als wir abends im Bett lagen fühlten wir uns in dem, was wir taten, zu einhundert Prozent bestätigt. Seit Beginn der Planung stellten wir immer wieder fest, daß unsere Tour scheinbar unter einem guten Stern zu stehen schien, wohl wissend, daß solchen Gefühlen oft Wunschdenken zugrunde liegt. Aber es war einfach so und es hielt an. Von dem Ankauf des Wohnmobils über die Visabeschaffung, den Diamatenkurs, die Impfungen bis hin zu der zentral entscheidenden Frage der Finanzierbarkeit, nichts lief wirklich unrund oder war gar mit Entbehrungen oder Rückschlägen verbunden, alles griff
ineinander und wenn mal irgend etwas unvorhergesehen nicht so klappte, ergab sich sofort eine andere, meist bessere Alternative. Das läuft ja beileibe nicht immer so im Leben. Jetzt lagen wir hier gesättigt in dieser Oase, um uns herum die absolute Stille der Bergwelt und wir waren rundherum glücklich das Leben kann so schön, einfach und harmonisch sein. In diesem Zustand dachten wir an unsere Freunde in Hamburg, besonders an die, die nicht müde wurden, uns ohne jeden Hintergrund der eigenen Erfahrung immer wieder vor den unkalkulierbaren Risiken dieser Reise zu warnen. Und dieses Geschwätz läßt einen auf die Dauer doch nicht unberührt, denn natürlich kann alles jederzeit immer auch schiefgehen. An diesem Abend empfanden wir sowas wie Mitleid mit ihnen, wobei uns klar war, daß sie Mitleid weder benötigten, noch verdienten oder gar haben wollten. Aber was ihnen entgeht ist viel mehr, als sie in ihren kühnsten Träumen erahnen und zu gerne hätten wir etwas von unseren Empfindungen konserviert und ihnen geschenkt. Aber wie soll das gehen. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es - wie wahr in diesem Moment. Mit diesen Gedanken schliefen wir die erste Nacht bei Vollmond in Fort Bou Jerif ein. Am nächsten Morgen lag dichter Bodennebel über den Bergen und die Sonne brauchte bis zehn Uhr früh, um sich durch zu kämpfen. In diesem Nebel erschien ein Kamel vor unserem Fenster, welches ohne ersichtlichen Grund plötzlich Eile empfand und durch den Dunst im strammen Galopp verschwand. So ein schnell laufendes Kamel im Nebel wirkt mit seine ungelenken Bewegungen fast urzeitlich. Die ersten brachen bereits gen Mauretanien auf und wir stellten fest, daß die sich hier treffenden Menschen von einem Schlag sind, der einen mit der Gattung Homo Sapiens wieder versöhnen könnte, ohne, daß wir wirklich verzürnt wären. Automatisch hilft jeder jedem, läßt einen in Ruhe oder gibt bereitwillig Auskunft. Guy, der Chef der Anlage, war um die sechzig, wobei diese Schätzung plus/minus zehn Jahre Spiel enthält. Das Gleiche gilt für seine Frau, wenn man sie auf zwanzig Jahre jünger schätzt. Er trug einen weißen Vollbart und seine langen, weißen Haare als Zopf über der grünen Fransenweste. Seine hübsche, langhaarige blonde Partnerin trug eine schwarze Hose mit einem schwarzen T-Shirt. Beide wirkten resolut, ruhig, intelligent und zufrieden, sie noch resoluter als er. Ein Projekt wie dieses in dieser Lage anzugreifen, überstieg unser beider Fassungsvermögen und nötigte uns allen
Respekt ab. Wir versuchten, uns in ihre Lage zu versetzen und warfen die Frage auf, ob es denn ein erstrebenswertes Ziel sei, so drauf zu kommen, mit diesen begrenzten Reizen hier langfristig zufrieden sein zu können. Keine Antwort. Es erschien uns nicht so absurd, wie ein Leben als Metzger auf dem Schlachthof oder sowas ähnliches, aber unsere Bedürfnisse lagen mit den ihren weit auseinander und wir ließen eine Bewertung offen. Einige Tage später sollten wir einem Menschen begegnen, der diese Art Fragestellung erneut in uns entfachte. Allerdings hatte diese Sauberkeit und Perfektion ihren Preis, in doppeltem Wortsinn. Es kostete hier alles für marokkanische Verhältnisse viel Geld, worüber wir noch hinwegsehen konnten, war man ja nicht gezwungen, sich hier aufzuhalten und bei hilfsweiser Umrechnung auf DM blieb das Preisniveau wieder im Rahmen. Der so weltmännisch und freakig wirkende Franzose und seine Frau leiteten den Betrieb jedoch im Stil alter Kolonialherren, ihr Personal lebte vor ihnen in Angst und besonders bezeichnend fanden wir, daß keiner von beiden nach über zehnjährigem Aufenthalt es für nötig gehalten hatte, mehr als "Guten Tag" und "Wie geht's" in Landessprache zu erlernen. Wir trafen Leute, die von dem französischen Faschisten sprachen, wenn von Guy die Rede war und was auch immer dran war, unsere Sympathie schwand von Tag zu Tag. Dies drückte sich darin aus, daß wir sein Restaurant nicht mehr aufsuchten und statt dessen lieber selber kochten. Es war kein gutes Feeling mehr, ihm mehr Geld für unseren Aufenthalt zu geben, als notwendig. Dem entgegen stand dieser tatsächlich allerbest funktionierende Laden und aufgrund unsere eigensten Erfahrungen aus Deutschland mit einer Laissez-Faire-Betriebsführung brachten wir einiges an Verständnis auf. Zeige einem Sklaven Dein Lächeln und er zeigt Dir seinen Arsch (Schopenhauer ?). Sei's wie es ist, wir verbrachten herrliche Tag in Fort Bou Jerif. Wir freundeten uns mit einer Schweizer Freak-Familie mit zwei Töchtern, sechs und acht, an, mit denen wir viel Zeit verbrachten. Die Mädchen hatten das Freie, Offene und Kreative, was FreakKinder so an sich haben und wir kamen sehr gut miteinander zurecht. Die Eltern kehrten aus Frust über die beengende, Schweizer Administration ihrem Land den Rücken mit der Intension, irgendwo - wahrscheinlich in Südafrika - Fuß zu fassen. Nach guter, Schwyzer Art waren sie vom Feinsten ausgerüstet und wir nutzten ihren Land-
Rover für gemeinsame Fahrten, wofür wir uns mit gemeinsamen Essen revanchierten. Auf diese Weise kamen wir doch noch zu einem Strandbesuch und er war für alle Beteiligten sehr lehrreich. Der generalüberholte, vierunddreißig Jahre alte Land-Rover begeisterte. Die Strecke hatte einiges zu bieten - schon nach den ersten zwei Kilometern wäre unser Fahrzeug am Ende gewesen - aber der alte Rover gab sich keine Blöße und ging durch das Gelände, daß einem die Luft wegblieb. Über den Strand gibt's nicht viel zu sagen. Natürlich war er menschenleer und sehr schön, aber uns stand die Rückfahrt bevor und so blieben wir nicht viel länger als eine viertel Stunde, zudem es bis zum Sonnenuntergang keine zwei Stunden mehr waren und eine Nachtfahrt über die Piste ist ausgeschlossen. Eine Dämmerung wie bei uns gibt es so gut wie nicht, nach dem Untergang der Sonne ist es sehr schnell stockfinster. Wir traten die Rückfahrt an und obwohl wir versucht hatten, uns den Weg und die Abzweigungen zu merken, stellten wir fest, daß die Strecke aus der anderen Richtung gänzlich anders aussah. Es gab Abzweigungen, die man auf der Hinfahrt einfach nicht wahrgenommen hatte und dann steht man auf dem Rückweg vor dem Problem, welcher von zwei Wegen der Richtige ist. Wir verfranzten uns binnen kürzester Zeit restlos, wobei ein Kompaß keine Hilfe ist, da man auch mit einem Land-Rover auf den Pisten bleiben muß und nicht querfeldein in eine bestimmte Himmelsrichtung fahren kann. Um es nicht dramatischer zu schildern, als es wirklich war: Mit viel Glück und vielen Umwegen erreichten wir knapp vor der Dunkelheit das Fort aber wir hatten erfahren, wie schnell man sich in den Bergen in Situationen bringen kann, die noch vor Minuten nicht vorstellbar waren. Wir waren froh, kein Geländefahrzeug zu besitzen, denn, hat man so ein nicht gerade preiswertes Teil erst angeschafft, dann muß man auch Piste fahren und dann kann es schnell riskant werden. OMAR
Auf diesem Ausflug kamen wir an der Ruine des alten Fort Bou Jerif vorbei. Eine gewaltige Festungsanlage, die ehemals die Grenze zwischen französischem und spanischen Territorium markierte, in den fünfziger Jahren aufgegeben wurde und seitdem verfällt. Hier winkte uns ein Araber zu, machte Zeichen, daß wir anhalten möchten und er kam zu unserem Auto. Er entpuppte sich als etwa
vierzigjähriger, älter wirkender Deutscher, der sich schon solange in der Sahara aufhielt, daß er äußerlich von einem Araber kaum mehr zu unterscheiden war. Er zeigte auf seinen Unterarm, an dem ein schwarzes, steinähnliches Stück klebte, in der Größe einer halben Zigarette, und sagte: "Hat mich das Mistvieh doch glatt gebissen. Die Kobras hatten ihren Kasten vollgeschissen, ich mußte sie rausnehmen, und das eine Vieh beißt mich doch tatsächlich. Hätte ich nicht gedacht. Habt ihr mal `ne Zigarette oder zwei, meine sind gerade alle geworden." Wir gaben ihm ein paar Zigaretten und waren perplex. Wir fragten ihn, ob der Kobrabiß nicht ein Problem für ihn sei und er antwortete: "Keine Ahnung, hatte lange keinen und man weiß nie, wieviel Gift einem die Kobra gibt. Ich werd's ja mitkriegen. Wenn ihr Bock auf Schlangen habt, könnt ihr mal gelegentlich vorbeikommen, ich wohn da hinten bei den Palmen." Er drehte sich um und ging. Daraufhin fuhren wir weiter und erst am nächsten Tag begannen wir, mit unserer Reaktion unzufrieden zu werden. Er hätte ja unter Schock gestanden haben können und viel Hilfe hatten wir ihm gerade nicht angeboten. So suchten wir die Stelle erneut auf und fanden außer seinem Esel nichts. Allerdings sah seine Lagerstätte zwar verlassen, aber nicht planlos verlassen aus und außerdem gab es keine Leiche. Wir gingen davon aus, daß es ihm gut gehen müsse und verließen den Platz. Als wir abends in dem Beduinenzelt saßen und klönten, besuchte uns der Schlangen-mann, der sich Omar nannte. Sein Weg in die Wüste begann in den späten Sechzigern, spirituelle Interessen, bewußtseinserweiternde Drogen, Afghanistan, Indien, Philosophie, Buddhismus, Senyassin, Moslem und dann die Begegnung mit einem indischen Schlangenmeister, mit dem er mehrere Jahre als Lehrling durch die Gegend gezogen ist und sich alles Wissen über Schlangen aneignete. Er hatte herausgefunden, daß Freiheit immer mit Reduktion zu hat und so seinen Platz an diesem Ort gefunden. Eine beachtliche Persönlichkeit und seine Selbstverwirklichung ging im Gegensatz zu der von Guy und Evy nicht auf Kosten Anderer und war insofern in unseren Augen die überlegene. Omar überzeugte auch durch eine unvermutet aufgeräumte Art, nichts an ihm war durchgeknallt, was wir - ehrlich gesagt - angenommen hatten. Zu dem, was er machte, konnten wir
uneingeschränkt ja sagen ohne entschuldigende Denk-konstruktionen bezüglich der Sachzwänge einer marokkanischen Betriebsführung. Der Biß der Kobra hatte ihm eine Horrornacht beschert aber er hatte ihn verdaut. Der schwarze Stein hatte einiges von dem Gift wie ein Schwamm aus der Wunde gesogen. Er berichtete, daß das Gift einer Kobra einhundertfünfzig Menschen töten kann, die Kobra die Dosierung jedoch je nach Heftigkeit ihres Angriffs wählt. Da seine Tätigkeit darin besteht, Schlangen zu jagen, zu zähmen und auf dem Souk kleine Vorstellungen zu geben, hat ihn der Biß nur insofern überrascht, als daß er ihn von dieser Schlange nicht erwartet hatte. Er hatte dem Reptil zu früh vertraut - sein Fehler, nicht der der Schlange. So sah er das. Einem Bedürfnis folgend schenkten wir ihm allerlei Dinge, vor allem ein Zelt, Grundnahrungsmittel und ein Telefonat nach Hamburg mit der Bitte, uns möglichst Trockenserum gegen Kobrabisse nebst ein paar Einwegspritzen mitzubringen, Dinge, die für Omar hier nicht zu kriegen sind. Die Armee rückt nichts raus und andere Quellen gibt es nicht Am nächsten Morgen gingen wir ihn verabredungsgemäß besuchen. Sein Lager war eine kleine Feuerstelle unter Palmen, er hatte zusätzlich ein Zimmer in einem etwas abgelegenen, verlassenem Haus. In drei Stoffsäcken und einer mit Münzen beschlagenen Holzkiste wohnten seine Schlangen. Vipern, eine Rattenschlange, eine Puffotter und zwei kupferfarbene, dunkle Kobras. Er holte eine nach der anderen heraus und animierte diese eleganten, kalten und immer gefährlichen Tiere zu einigen Attacken gegen seine Hose oder seinen Händen, denen er jeweils Geschickt auswich. Er spielte mit den Schlangen und hatte zu jeder, auch zu denen, die erst wenige Wochen bei ihm waren, eine respektvolle Beziehung. Er arbeitete mit Geduld, Hypnose und Telepathie, wobei er bei Letzterem nicht sicher war, ob dies wirklich funktionierte, aber er hatte Teilerfolge. Es gelang ihm beispielsweise nach seiner Erzählung auf telepatischem Wege, die Schlangen zu bewegen, in ihre Kiste zu gehen, er war sich jedoch nicht sicher, ob sie dies nicht ohnehin getan hätte. Bei dieser Performance hatten wir zu jeder Zeit das sichere Gefühl, daß er genau wußte, was er tat und obwohl wir zwei Kinder dabei hatten und die Giftschlangen keine zwei Meter von uns entfernt waren, gab es nie Angst oder Sorge.
Die Schlangen waren seine Freunde und so behandelte er sie auch. Freunde allerdings, denen nie ganz zu trauen ist. Er verzichtete darauf, ihnen das Gift abzumelken, da dies artfremd und dem Charakter der Schlange abträglich sei. Sein Tagesablauf wie sein ganzes Leben waren ausgefüllt und reich an ruhigen Abenteuern. Er erzählte von dem Jagdfieber, wenn er mit seinen arabischen Kollegen tagelang einer vielversprechenden Fährte folgte, von den unbeschreiblichen Vollmondnächten, die hier so hell sind, daß man jeden Strauch erkennt und von dem täglichen Überlebenskampf für sich und seine Schlangen. Er berichtete von seinen Vorführungen, von der moslemischen Mentalität und seinen psychologischen Tricks, den Arabern etwas Geld für seine Darbietung zu entlocken. Nur im Notfall verkaufte er ab und an eine Schlange, um von dem Erlös Grundnahrungsmittel zu erwerben. Er hatte stets was um die Ohren, ob er Feuerholz sammelte, Ratten, Mäuse und Streifenhörnchen als Futter für seine Reptilien jagte, den Schlangen nachstellte, Vorführungen gab, Essen zubereitete, seinen Esel suchte, mit den Schlangen spielte oder was auch immer. Das gefiel uns und so absurd es klingt, sein karges Leben erschien uns um Längen vorstellbarer als das des von Zwängen wimmelnden französischen Kolonialisten, obwohl es natürlich meilenweit entfernt von unserer Aus-dem-Portemonnaie-Realität lag. Wir taten uns schwer, von Fort Bou Jerif aufzubrechen. "Morgen wäre Streß, laß uns übermorgen hier los." So verständigten wir uns täglich und ein Tag nach dem anderen plätscherte ins Land. Es gab hier einen dauernd humpelnden Hund und eine dreibeinige Katze, die sich in den Beduinenzelten aufhielten und kleine Auseinandersetzungen um die Reste unser Mahlzeiten hatten, die wir ihnen zukommen ließen. Ein weiteres Pärchen bildete ein Kamel und ein Esel, die beide immer in Sichtweite zueinander durch die Gegend zogen. Das Kamel wurde mit der Flasche groß gezogen und war überhaupt nicht schüchtern. Es besuchte uns täglich und war komplett verschmust. Mit seinem großen Kopf näherte es sich in Zeitlupe und mit der ganz weichen, warmen Schnauze strich es einem sehr zärtlich um den Hals und legte seinen Kopf behutsam auf die Schulter. Es bekam dann etwas Wasser und Brotreste und ganz langsam verschwand es wieder mit seinem Kameraden in den umliegenden Hügeln bis es am nächsten Tag wieder am Auto auftauchte. Wir fühlten uns wie Profis im Nichtstun, oder besser, im
sehr wenig tun. Immerhin montierten wir den Ölwannenschutz, verklebten unsere Briefmarken und wuschen die Wäsche - aber das war's auch schon. Die Tage liefen trotzdem rund und jedesmal, wenn die Sonne versank, wunderten wir uns, wo die Stunden geblieben waren. WARTEN AUF BESUCH AUS HAMBURG
Dennoch rafften wir uns auf und trödelten Richtung Agadir, hatten wir doch noch vor, die tausend Bögen mit Briefmarken abstempeln zu lassen. Noch aus Sidi R`bat-Tagen kannten wir Hassan, den Postler, der im Nachbarort seinen Dienst schob und dem hatten wir diese Aufgabe zugedacht. Wir fuhren nach Massa direkt zur Post, schleppten die erste Alubox ins Postamt und erklärten ihm unseren Wunsch. Er druckst rum, schaut uns kaum in die Augen, wirkt verlegen. Wir wissen nichts mit dieser Reaktion anzufangen, unser Anliegen war nun weißgott nicht abenteuerlich oder gar illegal und wir fragten ihn, ob er ein Problem mit dem Abstempeln habe. Es gab keine klare Antwort, er bot an, so nach und nach unterm Tresen ein paar der Bögen zu bearbeiten. Unverständlich. Wir lehnten freundlich ab und erklärten, daß wir nicht wollen, daß er etwas tut, von dem er glaubt, daß es für ihn in irgendeiner Beziehung heikel sein könne und packten zusammen, um das zweite Postamt im Ort aufzusuchen. Dort kannten wir keinen, demgegenüber wir uns zu irgendwelchen Rücksichten verpflichtet fühlten, dann sollte der den Job kriegen, wir waren ja auch durchaus bereit, die Extraarbeit zu honorieren. Auch dort weigert sich der Kerl beharrlich. Wir erklärten, daß er es nicht umsonst tun solle und er will uns weiß machen, daß es streng verboten sei, einen Poststempel anders zu benutzen als für das Stempeln von Briefen oder Postkarten. Er ist unfreundlich und ihm ist unsere Anwesenheit sichtlich unangenehm. Drecksnest, denken wir und hauen ab. Da fällt es uns wie Schuppen von den Augen. Der Polizeistaat. Sidi R´Bat ist zu nahe. Touristen sind hier Persona non grata und jeder, der sich über Gebühr länger als notwendig mit ihnen abgibt, scheint zu befürchten, mit den Behörden Ärger zu bekommen. Als wir aus Massa rausfuhren, sind wir in der gleichen Stimmungslage wie an dem Tag, als wir Sidi R`bat verließen. Zum zweiten mal bedrückte uns der Besuch dieses Gebietes und als uns auf dem Weg nach Agadir ein Unfallwagen mit Blaulicht überholte, den wir nicht gleich als solchen
erkannten, dachten wir beide kurz, es wäre ein Polizeieinsatz, der uns galt. Paranoia färbt schnell ab. Dummerweise mußten wir noch ein drittes Mal in den Ort um eingelagertes Gepäck abzuholen, wohl war uns bei dem Gedanken nicht. In Agadir angekommen wollten wir erstmal gut Essen gehen, um auf andere Gedanken zu kommen. Aber die Ablenkung besorgte ein Anderer. Kaum eingeparkt quetscht sich ein kompletter Idiot von einem Touristen vor unserer Auto und untersucht aus zehn Zentimeter das Nummernschild. Wir steigen aus, und ein kleiner, dicker Kretin aus Sachsen fragt uns in seinem abartigen Dialekt, wo wir stationiert wären. Was für eine Frage ! Darauf gibt es keine vernünftige Antwort. Wir quälten das Gespräch ein wenig auf Länge, denn soviel Einfalt auf einer Person ist selten und wir kamen anders drauf und vergaßen über den Clown langsam das miese Erlebnis in Massa. Um sowas zu erleben, muß man in Marokko nach Agadir fahren. Außerhalb läuft so jemand, blöd wie ´ne Bürste, nicht rum, wenigstens nicht lange. So sparten wir ein teures Menü und begnügten uns mit einem dicken Doppel-Hamburger mit Pommes und Cola. Und im gleichen Stil ging es weiter. Der Wunsch nach einer warmen Dusche führte uns auf den Campingplatz in Agadir. Unfaßbar. Es gibt eine deutsche Fraktion, eine französische, englische usw. Alle ähneln sich und die Meisten haben sich für länger eingerichtet. Aber wie. Wir nahmen das Deutsche Hoheitsgebiet in Augenschein. Die Detlefs-Wohnwagen und Hymer-Campingmobile, meist mit unbekannten Drei-Buchstaben-Kennzeichen, allesamt mit Vorzelt und Gardinen mit der Goldkante, sind durch mitgebrachte kleine Zäune voneinander abgetrennt. Viele haben sich helle Kieselsteine besorgt, um ihren Abschnitt mit einem Kiesbett zu versehen, auf dem wiederum Strohmatten liegen. Hinter einem Schild "VORSICHT BISSIGER HUND" entdeckten wir tatsächlich Gartenzwerge, im Hintergrund spielte aus einem Cassettenrecorder Volksmusik und deutsche Schlager. Es gibt noch mehr tolle Sachen. Am Ende der Zeltleinen werden gerne leere, abgeschnittene Plastikflaschen angebracht, wir vermuteten, daß damit der Häring vor Rost geschützt werden soll. Kleine Musterschrebergärten sind entstanden mit einem elektrischen Springbrunnen, eingebettet in Geranien und des nachts beleuchtet. Mit einem Fahrrad-Zelt, einem Schuppen-Zelt für Besen und Eimer, Wäscheleinen, auf denen hautfarbene Ekelteile zum
trocknen hängen, Deutschlandfahnen und Satelitenschüsseln in jeder Übergröße. Es muß jemanden geben, der diese Dinger bemalt. Viele waren mit arabischen Motiven verziert - Kamel in der Wüste und solche Sachen. Wir erfuhren später, daß man mit ihnen nichts Wesentliches empfängt, Astra ist außer Reichweite. Dazwischen wuseln sie umher, die Hardliner kleinbürgerlicher Subkultur, übergewichtig, gegerbt wie echtes Leder und verpackt in Trainingsanzügen, keiner unter fünfundsechzig und meist mit Geschirr oder Wäsche bepackt. Es wird "Das Neue Blatt" gegen die "Bild-Zeitung" getauscht, der Hund Gassi geführt und laufend leert irgendjemand einen Eimer mit Meister-Propper-Schmutzwasser aus immer ab in die Botanik. Wir hatten nicht übel Lust, ein paar Pudel zu vergiften oder wenigstens einen Zaun umzufahren. Wir erstellten noch einen Video-Film - Arbeitstitel: Alzheimer Impressionen - und fuhren zügig fort um den Stallgeruch wieder los zu werden. Gänzlich unverständlich war uns der Zustand der Sanitäranlagen. Sollte man doch vermuten, daß hier alles aprilfrisch blitzt uns blinkt. Nichts dergleichen. So lausig, daß wir es vorzogen, auf eine Dusche zu verzichten, das paßte wieder so gar nicht ins Bild. Damit kein Mißverständnis aufkommt: Nicht, daß Jugend ansich ein Verdienst ist und Alter ein Verbrechen - aber muß man denn so gräußlich und abscheußlich sein. Schwamm drüber. Der einzige Vorteil ist hier, daß keiner kontrolliert, wer auf den Campingplatz fährt und wer ihn verläßt, so daß die Übernachtung nichts kostet. Wir fuhren zur Post, da die Bögen immer noch unerledigt herumlagen. Natürlich weigerte sich der Postler erwartungsgemäß auch diesmal, aber es war sofort klar, daß er dies nur tat, um sich bitten zu lassen und über den Preis zu feilschen. Das übliche Hin und Her. Er tat so, als wollten wir ihm seinen Arm amputieren und wir behaupteten, daß es für einen echten Berber ja wohl keine große Sache sein könne, die paar Zettel abzustempeln. Am Ende waren es eine Flasche spanischer Brandy plus zweihundert Dirham und er legte mit viel Hi-Hi und Ha-Ha, Fatima hier und Ali-Baba da, los wie eine gut geölte Maschine. Alle Hundert klagte er wort- und gestenreich über unerträgliche Schmerzen in der Hand und im Oberarm, wir lobten ihn dann über den grünen Klee, wie einzigartig er das mache und es dauerte keine Stunde und der Fall war abgegessen. So ist das doch in Ordnung, kein Wort von Verboten warum auch.
Jetzt waren auch die letzten Aufgaben erledigt und wir waren nur noch in Wartestellung. Wir fuhren ins Banana- Valley oder ParadiseValley - wird mal so und mal so genannt - und verbrachten an einem sehr malerischen Platz zwei Tage. Unter fünfzehn Meter hohen Palmen zwischen gewaltigen Felswänden fanden wir einen verlassenen oder vorbereiteten Campingplatz. Wir waren ganz allein. In dem Tal floß ein kristallklarer, eiskalter Gebirgsbach, der vergleichsweise viel Wasser mit sich führte. Es hatte in den letzten Wochen und Tagen immer mal wieder geregnet und die Natur war zu großer Form aufgelaufen. Alles war saftig grün, Gras und Kraut wuchs an den unmöglichsten Stellen, es blühte in prächtigen Farben und überall schwirrten kleine, bunte Singvögel umher. Wir wären länger geblieben, wenn in die Schlucht mehr Sonnenstunden eingefallen wäre. Von den zehn möglichen ließen die Felswände nur fünf ins Tal hinein und die Tage waren entsprechend kurz und außerdem ziemlich kühl. So fuhren wir ans Meer, gesellten uns zu einer internationalen Gruppe von Free-Camper, die sich aus ca. zwanzig Campingmobilen gebildet hatte und ließen die Zeit an uns vorbei laufen. Als wir unseren Besuch vom Flieger abgeholt hatten, verbrachten wir noch ein paar Tage zusammen. Erneut fuhren wir ins Fort Bou Jerif und besuchten Omar. Wir erfuhren, daß er so ganz freiwillig nicht in der Westsahara weilt. Wegen einer Heirat gab er seine deutsche Staatsbürgerschaft zugunsten der marokkanischen auf und hängt nun fest. Sein Traum ist es, wieder nach Indien zu kommen, bloß das Wie ist unklar, sowohl finanziell als auch behördenmäßig. Je näher wir ihn kennen lernten, desto mehr gewann der Mann. Wir verbrachten einen für ihn futuristischen Abend mit ein paar Computerspielen, wir erklärten was "Fax" und "E-Mail" bedeuten und er verliebte sich in unser russisches Nachtsichtgerät vom Flohmarkt, was wir ihm überließen. Unglaublich, wie aktuell informiert er ist und welch vertraute Denkweise er sich in dieser Umgebung bewahrte und wie nachvollziehbar und präzise seine Einschätzungen ausfallen. Ein Beispiel: Auf dem Campingplatz kam ein Deutscher mit Frau in einem Mördergespann an. Das Wohnmobil maß bestimmt knappe zehn Meter, Doppelachse, jeden erdenklichen Luxus und einen Allrad-Jeep auf dem Hänger. Er von Beruf Bundesbahnbeamter, den fünfzigsten Geburtstag lange hinter sich, der durchgesetzt hat, alle
paar Jahre vier Monate Urlaub am Stück zu bekommen, um längere Reisen zu unternehmen. Der typische Handwerker, immer im Dienst, immer im Blaumannn und kann alles besser. Ohne viel sprechen lag er unter unserem Auto um einem Öltropfen auf die Spur zu kommen, den wir mal entdeckt hatten und von dem wir ihm erzählten, um nicht unhöflich zu sein. Er betonte immer wieder, was für´n cooler und ausgeflippter Kerl er war - was natürlich überhaupt nicht zutraf, nur ein Spießer, der gerne länger im Urlaub ist. Wir bewarben Omars Schlangenshow, er ging hin und revanchierte sich mit einem Essen in seinem Wohnmobil. Omar blieb lange bei Kartoffelsalat und Deutschländer-Würstchen, sie unterhielten sich über Indien, Afghanistan und andere Orte, die er bereist hatte, es gab Geschenke und spät abends fuhr er Omar mit seinem Zweitfahrzeug den einen Kilometer nach hause. Als wir Omar am nächsten Vormittag besuchten um uns zu verabschieden und zu verabreden, den Kontakt zu halten um ihm möglicherweise zu helfen, Indien wieder zu sehen, kam das Gespräch auf besagten Bundesbahner. Omar saß zwischen seiner ärmlichen Habe, wusch sich aus einer Blechdose, freute sich über die kleinen Geschenke, die er erhalten hatte und bemerkte: "Ein ganz, ganz armes Schwein. Überall schon gewesen und hat nichts begriffen. Und er begreift immer noch nichts." Treffender und schlanker kann man´s nicht formulieren. Sehr stark. Hoffentlich gelingt es uns, ihm zu helfen, seinen Lebenstraum zu erfüllen - er hätte es verdient.
Teil 2 DIE WÜSTE KLEBT Nachdem wir unseren Besuch abgesetzt hatten, ging´s nun endlich los in die Sahara. Die guten eintausend Kilometer auf marokkanischem Gebiet lassen sich am besten vermitteln, indem man zehn leere Seiten läßt. Wie ein viel zu langer Road-Movie ohne jede Handlung in immer etwa gleicher Kulisse. Die gute Teerstraße ist über weite Strecken wie mit dem Lineal gezogen, von Horizont zu Horizont. Es wäre bestimmt möglich, das Lenkrad fest zu zurren, einen Stein aufs Gaspedal zu legen und hinten zu frühstücken. Wir haben es nicht ausprobiert. Kaum ein Auto kommt einem entgegen, und, daß man überholt wird oder selbst überholen muß, passiert vielleicht einmal am Tag. Die Landschaft besteht aus plattem, harten
Untergrund mit Steinen ohne Ende, zum Teil mit kleinen, merkwürdigen Büschen bewachsen. Dann taucht mal ein Felsen auf oder eine Felsengruppe, dann ein Salzsee und dann wieder lange Zeit flache Steinwüste soweit das Auge reicht. Über hunderte Kilometer keine Häuser, keine Bäume, kein Nix. Nur selten wandelt sich die Landschaft. Zweimal kommt man an Sanddünen vorbei, wie man sie von Lawrence von Arabien her kennt, hin und wieder gibt die Straße einen Blick auf endlose Sandstrände vor der Steilküste frei, die einfach so daliegen. Vorbei an den Wracks gestrandeter Schiffe, bei deren Anblick man sich fragt, warum gerade an dieser Stelle drei Schiffe strandeten, links und rechts der Straße Kadaver von Eseln und Kamelen, die Gelegenheit geben, die verschiedenen Verwesungs- und Mumifizierungsphasen dieser Lebewesen zu studieren. Man braucht von Goulemine bis Dakhlar zwei volle Tage von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und es ist langweilig. Wenn man sonst im Marokko irgendwo in der Pampa anhält, sind binnen Minuten einige Moros um einen herum, die wie Murmeltiere aus ihren Bauten rätselhaft von irgendwo auftauchen. Das hört hier auf. Man kann stoppen, wo man will, in Ruhe seinen Bedürfnissen nachkommen und Nichts und Niemand stört einen. Vor den drei Städten, die man passiert um subventionierten Diesel zu tanken und kleine Einkäufe zu tätigen, sorgen zahlreiche Polizeikontrollen für Unterhaltung. Immer freundlich und nie im Streß werden die Daten aus den Pässen abgeschrieben, Beruf, Vornamen der Eltern, warum, wohin und wieso keine Kinder, Kugelschreiber gegen Äpfel tauschen und weiter. Bisweilen stehen zwei Kontrollen in Sichtweite zueinander, erst die Grauen, dann die Blauen, und bei jeder die gleiche Prozedur. Was soll's, es gibt keine Eile. Während der Mittagszeit, wenn die Sonne auch im Dezember ziemlich hoch steht, vertrieben wir uns die Zeit mit einem Wettstreit, wer die schönsten Fata-Morganas sieht. Ein nettes Spielchen. Man sieht immer das Gleiche, Wasser mit Bäumen. Nicht ganz scharf, aber schon echt. Bisweilen sieht es aus, als ob man gleich durch eine palmenbewachsene Seenplatte fahren wird, aber weg ist sie und weiter hinten erscheint die nächste. Aber auch dieser Unterhaltungswert ist begrenzt. Über die ganze Strecke klebt alles. Das Lenkrad, die Haut, die Klamotten, die Fenster, der Rückspiegel, man selbst - eben alles.
Keine Ahnung woher. Vor uns fuhr Scholz die Strecke bereits und er hatte Farbe dabei. Ebenso andere Deutsche, die wohl einen Campingplatz in Gambia betreiben, auf dem es Pferde gibt. Diese beiden haben jeden großen, sich anbietenden Stein, kaputten Reifen oder Rückseiten von Schildern genutzt um sich per Sprühdose zu verewigen oder eben, ihren Campingplatz in einigen tausend Kilometern zu bewerben. Schöne Ablenkung. "Cool running with Scholz", "Reiten in Gambia", "Scholz war hier", "Frankfurt-Gambia 800 DM" usw., bis zu "Scholz gibt auf". Schade, Scholz. Die anderen Jungs hielten durch - sie verstehen scheinbar was von Werbung - wir beschlossen schon dort, auf jeden Fall diesen Campingplatz zu besuchen. Scholz selber trafen wir leider nicht, im Gegensatz zu den Campingplatzbesitzern in Gambia, aber wir hörten einiges über ihn. Ein Millionär aus München, ein absolutes Unikum, der aus Spaß an der Freud' - wie man in München wohl sagt - oder aus Gaudi, hin und wieder irgendwelche amerikanischen Luxusschlitten nach Mali bringt. Gerne veranstaltet er unterwegs kleine Parties oder Happenings, wie Feuerwerk in Rundhüttendörfern oder er verschüttet in der Wüste einige Kanister Benzin und inszeniert kleine Feuerspektakel. Oder schmuggelt aus Quatsch in der Türverkleidung Weinflaschen durch Mauretanien. Könnte er als Millionär genauso gut im Senegal kaufen. Nicht aufgeben, Scholz, mach weiter so, is geil ! Am zweiten Tag kamen wir zum Sonnenuntergang in der landschaftlich beeindruckenden Lagune von Dakhlar an. Ab hier geht es nur noch im Militärkonvoi weiter, wegen der Minen, immer Dienstags und Freitags. Eine banale Feststellung, aber es schien uns immer unbegreiflicher, daß in diesem endlosen Nichts sich irgendjemand die Mühe macht, eine Mine zu verbuddeln, damit der Nächste, der zufällig dort langläuft, in die Luft fliegt. Aber es scheint wohl so zu sein. Uns wurde eine frische Geschichte von drei Franzosen erzählt, die der Schönheit eines Strandabschnitts nicht widerstehen konnten und diesen Fehler wegen der Minen mit dem Leben bezahlten. Wir fuhren auf den fliegenreichen Campingplatz, auf dem die Meisten den immer jeweils nächsten Konvoi abwarten und derweil die notwendigen Ab- und Anmeldungen bei Polizei, Zoll und Militär erledigen. So auch wir.
Auf diesem Campingplatz trafen wir ein Pärchen, das mit dem Fahrrad unterwegs war, mal eben von Stuttgart über Senegal nach Bolivien, sowie eine bemerkenswerte, zwanzigköpfige, per Annonce zusammengewürfelte, Reisegruppe aus England, viele Freaks über vierzig. Overlander. Auf einem Pritschen-LKW hatten sie Sitze aus einem Flugzeug oder Bus montiert und jeder zahlte sechstausend Mark für ein halbes Jahr, London - Cape Town inklusive Verpflegung. Der Küchenjob ging reihum, jeden Tag mußten zwei andere von dem eingezahlten Geld einkaufen gehen und die übrigen achtzehn Leute bekochen. Für diese Augabe stehen täglich einhundert Dirham zur Verfügung, das sind nicht ganz zwanzig Mark, jeden zweiten Tag zwanzig Dirham extra für Fleischeinlage. Es gibt immer Reis mit Gemüse oder Gemüse mit Reis. Ausgerechnet der Fahrzeughalter und Fahrer dieser immer hungrigen Gruppe hatte leider das Pech, daß die mauretanische Botschaft in Brüssel einen lächerlichen Fehler machte, sich bezüglich des Datumstempels im Visa vertat und das Visum ein Jahr zurück datierte. Der Grenzer erkannte diesen offensichtlichen Zahlenfehler, da der Ausstellungstag zehn Monate später datierte, sah die ganze Sache ein, bedauerte jedoch, daß er nichts tun könne. Die ganze Fuhre also wieder zurück nach Dakhlar, wieder dreihundertsechzig harte Wüstenkilometer per Konvoi, und der Fahrer fuhr die knapp zweitausend Kilometer nach Rabat zur Botschaft per Sahara-Taxi, um diesen Zahlendreher korrigieren zu lassen, währenddessen die Bande wartete und die Zeit totschlug. Sahara-Taxis sind Taxis, die jeden, der unterwegs winkt, mitnehmen, sofern Platz ist, was sich angenehm auf den Fahrpreis des Einzelnen auswirkt aber die Reise zur Tortour werden läßt. Meist alte Mercedese, in denen locker sieben Personen transportiert werden - mit nicht zu knappen Gepäck. Trotz dieser unkomfortablen und langsamen Art zu reisen wird es erheblich teurer als fliegen, aber die Flieger nach Rabat waren lange ausgebucht. Armer Kerl, ganz mieser Lauf ! Aus der Entfernung sahen sie aus wie eine Gruppe ein wenig zu alter und etwas zu braungebrannter und viel zu nüchternder Hooligans auf dem Weg zu einem Europacup-Spiel. Besonders das T-Shirt eines Mitreisenden, knallrot, mit der Aufschrift "Eat Football, Sleep Football, Drink Coca-Cola" unterstrich diesen Eindruck. Bei einigen Mitfahrern tauchte bereits das Problem auf, daß nun ihrerseits die für Dezember ausgestellten Visa langsam abliefen und die ersten suchten
bereits Mitfahrgelegenheit, um vorsichtshalber in Mauretanien einzureisen und dort auf die Anderen zu warten. Schönes Chaos, welches durch kleine Streitereien, Zank und Tratsch untereinander an Klasse gewann. Nicht jedermanns Sache. Wir nahmen von Ihnen auch ein Mädchen mit nach Mauretanien, die froh war, auf diesem Weg für eine Weile ohne die Gruppe sein zu können. "You have to laugh, or you cry", war ihr Kommentar. Wir waren gespannt, was sich alles in den Konvoi einreihen würde. Laut Story sind noch alle durchgekommen, sogar ein Fahrzeug, welchem der Tank wegriß. Es wurde den kompletten Weg in die erste mauretanische Stadt geschoben. DER KONVOI
Am nächsten Tag ab zehn Uhr kamen die zum Konvoi gemeldeten Fahrzeuge auf dem Sammelplatz an. Einer nach dem Anderen trudelte ein, gegen Mittag waren alle komplett. Es .war sehr international: Kanadier, Australier, Österreicher, Deutsche, Holländer, Schweizer und natürlich leider auch Franzokken. Die meisten sind Autoschieber. Die Deutschen bringen Hundertdreiundzwanziger runter, die Holländer und Franzosen Fünfnullvierer. Meist zu viert mit vier Autos oder zu dritt mit drei Autos - so in dem Stil. Es ist kein echtes Geschäft. Selbst, wenn die Autos heil ankommen, was nicht sicher ist, fressen die Reise- und Rückflugkosten zu viel auf, von dem Streß gar nicht zu reden. Man muß Bock drauf haben, Spaß und Business miteinander verbinden, dann macht es Sinn. Dann gibt es eine Gruppe bestausgerüsteter Allrad-Fahrer, die um des Erlebnisses wegen fahren und Motorradfahrer mit Servicewagen, die sich zur ehemaligen ParisDakar Ralley aufgemacht haben, die mittlerweile nur noch ein bißchen um Dakar herum stattfindet. Es gab nur ein Wohnmobil, und das waren wir. Die Österreicher, drei Wiener Freaks - falls es sowas gibt - die ziemlich bescheuert waren - was sie später noch eindrucksvoll unter Beweis stellten - aber prima mit der Sandschaufel umgehen konnten, fuhren einen alten, zwillingsbereiften Fünfnullacht und hatten ein ähnliches Handikap wie wir. Bloß war ihre Kiste nicht so hoch und schaukelte entsprechend weniger. Die Deutschen mit den Hundertdreiundzwanzigern waren ein witziger Haufen von Jungs. Just for Fun. Über die Franzosen wird noch zu sprechen sein -höchst
unerfreulich - und die Holländer sind einfach cool, wie man sie kennt. Die Ralley-Typen haben einen an der Marmel, die AllradFahrer sind äußerst hilfsbereit, die Engländer erfrischen mit ihrem britischen Humor und die Schweizer sind so unauffällig, daß man sie kaum bemerkt. Der Konvoi begann mit warten. Stundenlang standen die ungefähr fünfunddreizig Fahrzeuge herum, währenddessen der marokkanische Zoll, das Militär und die Polizei undurchschaubare Spielchen mit merkwürdigen Listen und Pässen und Meldebögen veranstalteten. Gegen fünfzehn Uhr fuhren wir los. Ein besonderes Gefühl. An den Straßen und an den Stränden stehen noch etliche Fahrzeuge, die einen späteren Konvoi nehmen wollen oder für die Dakhlar der südlichste Punkt ihrer Reise ist. Sie alle winken dem Konvoi nach, kommen an die Straße und sehen zu, wie wir abfahren nach Afrika. Marokko ist nicht Afrika, kein Marokkaner will was Gegenteiliges hören. Es ist schon ein merkwürdiges Feeling - eine Mischung aus DDR-Grenzöffnung und Fahrt in die Verbannung. Jetzt geht's los ! Der erste Konvoi-Tag ist nervend langsam und schlaucht trotzdem. Nur auf Teerstraße, die immer schlechter wird, geht es mit vielen Stops an Militärkontrollen bis neun Uhr abends an die vierhundert Kilometer südlich. Wir passierten den Wendekreis des Krebses. An dieser Stelle geht eine etwa zwanzig Zentimeter, dicke schwarze Linie quer durch die Landschaft, über die Straße, von links nach rechts durch den Sand und über die Felsen, endet am jeweiligen Horizont und schlagartig ändert sich die Natur in eine üppige, tropische Vegetation. Wenn du das glaubst, glaubst du alles. Während dieser Fahrt zieht sich der Konvoi auf der einspurigen Straße kilometerweit in die Länge. Nur die Franzosen - und es waren wirklich nur sie - überholten wie die Bekloppten durch den Schotter um schnell am nächsten Stop zu sein um dort auf die Andern zu warten. Es geht nicht blöder, denkt man, aber man irrt. Abends, an einem Platz in der Wüste wie jeder andere auch, wurde übernachtet. Am nächsten Tag gegen acht Uhr kam Bewegung auf. Einer nach dem Anderen fährt auf die Straße und wartet auf ein Zeichen, loszufahren. Die Franzokken hatten verschnallt, ganz vorne zu stehen und nervten und drängelten in einer zweiten Spur, bis ein Soldat sie einreihte - an einer für Franzokken unbefriedigenden Position. Es ging ein paar Kilometer weiter, vielleicht fünf, und die Straße hörte auf. Wir bekamen unsere Pässe wieder, das marokkanische Militär
sagte "Au revoir" und uns wurde klar, was gemeint ist, wenn jemand von In-die-Wüste-schicken redet. Viel Glück, seht zu, wie ihr klar kommt. Es war überhaupt nicht klar, wohin es gehen sollte, aber irgendeiner fuhr vorweg, den undeutlichen Spuren früherer Konvois folgend und nach kurzer Zeit waren die Franzokken vorne und sie waren die Ersten, die bis zum Radlauf im Sand steckten. Als erstes grub sich eine dusselige Else aus Paris beim Versuch zu überholen ziemlich übel ein. Ihr Freund eilte mit einem zweiten Auto zu Hilfe und tat es ihr gleich. Es ist ein Konvoi, alles stoppt, alles steigt aus und holt Schaufeln, Sandbleche und schiebt und macht, bis die Autos wieder frei sind. Dann kamen wir, der Schwachpunkt des Trecks - peinlich peinlich. Ein bestimmt einhundert Meter langes Weichsandfeld lag vor uns. Die anderen waren überwiegend durch, einige PKWs mußten rausgezogen werden und es blieben nur noch die beiden Mercedes Busse, die Österreicher und wir - wir zuerst. Erster Gang - Vollgas, zweiter Gang - Vollgas, dritter Gang - Vollgas und rein in die Sandkiste. Das Auto verliert dramatisch an Schwung. Runterschalten. Zweiter Gang - Vollgas - und schon gräbt sich die Kiste hinten fürchterlich ein, bis sie auf dem Bodenblech liegt und die Hinterreifen durchdrehen. Bestimmt zwanzig Mann eilen zu Hilfe, schaufeln, schieben Sandbleche vor die Reifen, schieben an, graben weiter und nach einer halben Stunde war unser Auto auf dem nächste Stück mit hartem Untergrund angekommen. Die Österreicher waren zu meiner Beruhigung auch nicht besser, sie hingen an der gleichen Stelle fest wie unser Auto. Sie hatten uns mit ausgebuddelt, wir halfen ihnen und so ging´s irgendwann weiter. Alle hatten geholfen, keiner war genervt. Im Gegenteil, es kam eine gute Stimmung auf. Wir schaffen´s, wär doch gelacht. Wir sind alle zusammen und wir werden alle hier durchkommen. Alle ? Nein, nicht alle. Die Vertreter eines Landes hatten diese Gemeinschaft verlassen und waren vorausgefahren - hatten's eilig. Es muß nicht gesagt werden, welche es waren ... sie sind einfach Scheiße. "Natural Enemies" war der trockene Kommentar unser englischen Mitfahrerin die sich mehr und mehr als ein tolles Mädchen mit wirklich schwarzen, britischen Humor entpuppte.
Wir ließen die Luft aus den Reifen, bis sie kurz vorm Platten waren. Nach steinigen Passagen kam immer mal wieder ein Weichsandfeld. In unserem Teil des Konvois fuhren die Allräder vorweg, checkten vor und blieben stehen. Alle hielten vor den Feldern an und gingen mit Schaufeln und Blechen zu der schwierigen Stelle. Ein Fahrzeug nach dem anderen nahm Anlauf und heizte durch. Die Sorgen aller ruhten immer auf uns und auf den Österreichern. Das Ablassen der Luft hatte sich in kleineren Sandfeldern gut bewährt. Allerdings hatte unser Wagen aufgrund seiner bequemen Stehhöhe schon immer die Fahreigenschaften eines Schiffes und durch den niedrigen Reifendruck kam er mächtig ins Schaukeln und Schlingern. Im letzten Sandfeld, keine zweihundert Meter vor der Grenze, waren die Österreicher bös stecken geblieben und die Reihe war an mir. Ein mauretanischer Soldat, rabenschwarz und vermummt in furchterregender Wüstenuniform, gab mir filmreif, auf einem Felsen stehend, das Zeichen zum Losfahren. Vor mir ein zweihundert Meter langes Sandfeld, gesäumt von bestimmt zwanzig Leuten auf jeder Seite. Und ab. Wieder den ersten Gang - Vollgas, zweiten Gang Vollgas und drauf stehen bleiben. Der Motor schreit wie am Spieß und rein ins Sandfeld. Die Kiste wankt und biegt sich unglaublich. Immer will sie bedenklich ausscheren und man lenkt mit den schlappen Reifen gegen wie ein Irrer - immer Vollgas - bloß nicht den Fuß vom Gas. Man hört und sieht, wie einen die Anderen anfeuern und irgendwie wühlt und schaukelt sich die Kiste unter dem Jubel und Applaus der Mitfahrer durch. Superauto ! Das hat was. Wenn man ausgestiegen ist, kommen sie an. "Schönes Ding, Alter.", "Well done" und so weiter, man kommt sich vor, als hätte man irgendeinen Titel gewonnen. Alles in allem bis dahin ein aufregender und spannender Tag, der, nur überschattet von der Sorge ums Auto, Spaß gemacht hatte. An der mauretanischen Grenze trafen wir die Fahrer der Grande Nation wieder. Sie waren genervt vom stundenlangem Warten und das war OK so. MUSTAFATANIA
Die Grenze besteht aus einem Tisch in der Wüste mit einer Handvoll Soldaten. Jeder gibt seinen Paß ab, der Soldat kontrolliert das Visum und steckt die Pässe in einen Sack. Die Österreicher, Meister der Schaufel, waren ohne Visum angereist. Das ist so unglaublich blöd
und ebenso unglaublich fatal in den Auswirkungen. Es gibt überhaupt keine Diskussion. Kein Visum - keine Einreise. Da helfen keine Dollars, kein Betteln und kein Flehen. Sie mußten diese unglaubliche Strecke zurück fahren. Allein, irgendwo im Nirgendwo, mit einem Fahrzeug, so wüstenuntauglich wie unseres. Man muß es erlebt haben, um nachempfinden zu können, was das bedeutet. Sie haben nicht die geringste Chance, den Weg zwischen den Minenfeldern zu finden oder gar zu schaffen und keiner wußte, ob sich die Mauretanier um sie kümmern werden. Die drei Jungs waren fix und fertig und sie mußten zusehen, wie der Konvoi startete und sie mit den Soldaten zurückblieben. Viele fragten, ob sie was bräuchten, Wasser, Sprit oder Zigaretten - aber sie wollten nicht. Weiß der Teufel, was aus ihnen geworden ist, aber irgendwie geht es immer weiter und der nächste Konvoi kommt in fünf Tagen. Es gibt allerdings kein reguläres Zurück. Die Einreise von Mauretanien nach Marokko ist nicht vorgesehen. Später hörten wir von anderen Reisenden, daß sie in Dahklar wieder gesehen wurden und es vorgezogen hatten, nach Österreich zurück zu fahren. Vielleicht das beste. Wir passierten die Grenze und dies ist definitiv der "Point of no return". Jetzt gibt es kein Umkehren mehr, nur noch durchziehen oder den Abbruch unter Notfall-bedingungen. Es waren noch sieben Kilometer in die Grenzstadt Nouâdhibou. Nicht, daß es eine Straße gäbe. Es ging weiter durch Sandpisten, über Unebenheiten, die gruselige Schräg-lagen verursachten und Eisenbahnschienen zum nächsten Kontrollpunkt. Wieder sammeln und einzeln durch den Zoll. Der Zoll ist ein Soldat in einer Hütte aus Pappkartons, einem Tisch mit einer Kerze und einem Bett. Er trägt die Namen, Beruf und so weiter in eine Liste, eine Filze gibt es Gott sei Dank nicht, und nach weiteren unglaublichen drei Kilometern erneutes Sammeln. Wieder warten. Diesmal waren es glatte vier Stunden und die Anstrengungen des Tages wandelten sich in bleierne Müdigkeit. Natürlich kann man nicht schlafen. Immer auf stand-by. Ewig kommt irgendein Mustafah und will irgendwas. Wüstenführer sein, was schnorren, blöd rumsabbeln und weiß der Geier was sonst noch. Die Wüstenführer weisen sich gerne durch Referenzen aus und bei einem Auto mit deutschem Kennzeichen kramen sie Kritiken von Deutschen vor. Nach geglückter Durchquerung der Sahara bitten sie einen, in Landessprache eine kurze Huldigung nieder zu schreiben.
Sie können kein Deutsch und so bekamen wir einige Referenzen zu sehen, in denen stand "fahrt bloß nicht mit diesem nichtsnutzigen Penner, der hat uns bis zum Erbrechen genervt" und solche Texte. Es hat etwas Amüsantes, wenn der Herr von und zu Mauretanier in seinem wehenden, blauen Ausgehbubu gockelhaft mit dem Zettel angeflattert kommt und darauf besteht, daß jeder ihn aufmerksam durchliest. Und der dann guckt er einen an, ganz stolz, was für ein hochgelobtes Arschloch er ist. Und jeder beläßt es dabei, zieht bewundernd die Augenbrauen hoch - sehr überzeugend - und gibt ihn dem stolzen Inhaber mit anerkennender Geste zurück. "Verlier' den bloß nicht !" Es war nach Mitternacht, als es endlich weiter ging. Vorher gab´s die Pässe zurück, einen Einreisestempel allerdings hatten sie nicht. Wieder schrieben sich alle in einem Pappschuppen bei Kerzenlicht in eine Liste ein. Schlange stehen und Gedränge. Bemerkenswert war, daß auf dem Fragment eines Tisches eingesandet hunderte solcher Listen von früheren Konvois lagen. Die Sinnlosigkeit dieser Liste hätte nicht drastischer dokumentiert werden können. Man mag es kaum erzählen, aber die Chronistenpflicht gebietet zu erwähnen, daß wir diese exorbitante Wartezeit einem Franzosen zu verdanken hatten, der bereits vorm Zoll versucht hatte, sein Auto zu verkaufen. Was für ein Arschloch. Wir nahmen die Warterei als Training für spätere Grenzübergänge und hofften dabei, die Franzosen in Ländern, die nicht französisch sprechen, irgendwann abhängen zu können. Franzosen mit Fremdsprachenkenntnissen sind selten und das ist immerhin eine Chance. Gegen ein Uhr nachts erreichten wir die Grenzstadt. Alle Geschäfte offen, kein Problem einzukaufen, Geld zu wechseln oder sonstwas zu tun. In den Straßen viele Menschen, Ziegen, Kühe, Katzen, Müll und Autos. Wir fuhren zum Campingplatz, dessen Außenmauer bunt mit Strandmotiven und Ähnlichem verziert war. Kulturschock! Der "Campingplatz" war betoniert und bot etwa sechs Autos Platz, wenn man geschickt parkte. Daneben eine Halle, in der notdürftig Räume, nach oben offen, abgemauert waren in denen Betten standen. Assoziationen zu Schilderungen der Straflager aus "Papillion" wurden wach. Dazwischen eintreffende Touristen, die sich mit offenen Mündern staunend umsahen und nicht wußten, ob das, was sie sehen, tatsächlich Realität war. Wir saßen mit Sue und Rob, den
beiden Overlandern, im Auto und mußten erstmal ´ne Runde ablachen. Hallo Afrika ! Here we are. Wir hatten zwischenzeitlich bereits unseren eigenen Mustafah aufgedrängt bekommen - beim ersten Mal Mauretanien ist es schwer ohne - und er bemerkte, daß dieser Ort nicht ganz unseren Vorstellungen entsprach. Er kannte einen anderen Campingplatz, der auch mit europäischen nicht vergleichbar ist aber es gab einen abschließbaren Hof und eine ruhige Ecke, in der wir parkten und in weniger als zwei Minuten schickten wir den Mustafah weg und waren in der Tiefschlafphase. Was für ein Tag. Achtzehn Stunden auf Achse für keine fünfzig Kilometer. Am nächsten Morgen sah die Welt schon anders aus. Der unaussprechliche Ort erschien nicht ganz so schlecht, wir hatten uns nach den Eindrücken im Dunkeln auf alles vorbereitet. Es gibt fast alles zu kaufen, es ist nicht ganz billig aber für Importware auch nicht zu teuer und wir begannen unter Hinzuziehung unseres Mustafahs die Formalitäten zu erledigen. Es ist schwer zu sagen, warum wir am Vortage ewig auf irgendwas warten mußten, denn jetzt ging es erst los mit Zoll, Polizei und Versicherung. Mit 'nem Mustafah allerdings kein Problem. Ganz flott per Taxi von Einem zum Anderen und dann noch zur Bahn, eine Plattform für die Passage ins Inland reservieren, von wo eine passable Piste zur Hauptstadt Nouakchoutt gehen soll. Es gibt auch einen angeblich landschaftlich einmaligen Weg durch den Nationalpark, entlang der Küste quer durch die Wüste. Nationalpark ist allerdings irreführend, Vogelreservat wäre treffender. Ich bin sicher, daß wir ihn schaffen würden, nachdem, was am Vortag möglich war, kann es viel schlimmer nicht werden. Aber lieber nicht. Wir hatten bislang immer das Glück auf unserer Seite und weder dem Auto noch uns war etwas passiert außer ein paar lächerlichen Schrammen. Sobald wir aber beginnen, uns auf das Glück zu verlassen, geht es weg - ist immer so, war immer so - und daher war klar: Weiter erstmal per Zug, den vermeintlich sichereren Weg. Unser Mustafah handelte nach vielem Geschinsche mit uns einen Vertrag aus. Er bringt uns in die Hauptstadt und bekommt pauschal DM 450,-. Anfängerpreis, für die Hälfte hätte er es auch getan, aber wir bürdeten ihm immerhin zusätzlich den Job auf, den Weg zu ebnen, daß unsere tausend Bögen abgestempelt würden, was
daraufhin auch reibungslos klappte. Der Postler weigerte sich entschieden, nach getaner Arbeit ein kleine finanzielle Zuwendung anzunehmen - schöne und unerwartete Geste. Allerdings war das Geld trotzdem weg, denn unser Mustafah hatte diese Hemmung ganz und gar nicht und da wir uns innerlich von dem Geld anscheinend schon verabschiedet hatten, bot er sich sofort an, es zu nehmen. Er bekam es. OK, mein lieber, warte ab, wie die Verpflegung durch uns aussehen wird. Das war trotz des Wuchers laut Vertrag zusätzlich unsere Angelegenheit. Wir sahen es als Lehrgeld. Wir wollten dieses Land nun zügig Richtung Senegal verlassen. Es ist nicht direkt unerträglich, bis dahin, aber es geht auch überhaupt nicht los. Strenge Moslems, die immerzu und überall völlig humorlos abbeten. Sollen sie ja, wenn's hilft, aber sie tun es auf eine Art, die immer zu sagen scheint UND-IHR-TUT-ES-NICHT. Außerdem ist diese Wüstenstadt offen gesagt ein Dreck. Kein Baum, kein Strauch und ewig dibbert einen irgendein Mustafah von der Seite an. Und sie schlafen nie. Tag und Nacht wuseln sie herum, der Vorbeter grölt von der Moschee zu jeder erdenklichen Stunde über die Stadt. Sie hätten so gerne Tourismus. Vielleicht sollte ihnen mal jemand sagen, daß es was ausmachen würde, die Minen vom Strand zu entfernen und so etwas wie eine Straße oder gar ein schönes Hotel zu bauen. Ein letztes mal zitiere ich die Briten wörtlich, denn man kann es nicht besser sagen: We tried it, we didn´t like it, we won´t do it again. Am nächsten Tag klappte es mit dem Zug nicht, er war entgleist. Die gute Nachricht war die, daß er ohne uns entgleiste, die schlechte, daß wir Weihnachten - wie es aussah - auf einem Güterzug im Auto verbringen werden, mit Mustafah .... mal was Anderes. Es kam noch anders. Wir trauten uns nicht zu fragen, wie oft so ein Zugunfall passiert. Jedenfalls war es am nächsten Tag immer noch nicht möglich, dieses gottverlassene Nest per Zug zu verlassen und wir richteten uns auf Weihnachten in Nouâdibou ein. WEIHNACHTEN
Auf dem Campingplatz waren nur wir zusammen mit Sue und Robert aus London. Sie hatten sich beide auf dem englischen LKW kennengelernt, in getrennten Autos vorausgefahren und hier zusammen einen Raum gemietet. Rob war praktizierend katholisch und bekennend schwul - oder umgekehrt - so daß keine beziehungsmäßigen Verwicklungen drohten. Ein wundervoll
skurriles Pärchen mit jeder Menge Selbstironie und entsprechend betrachteten sie Mauretanien wie einen Comic, in dem sie selbst eine tragikomische Rolle abbekommen hatten. Der Versuch, mit Ihnen ein vorweihnachtliches Essen in einem Restaurant zu zelebrieren, ruinierte ein besonders dreister Mustafah, der sich uns unaufgefordert anschloß, einen Stuhl an unseren Tisch zog und seelenruhig eine Portion Leber bestellte und uns den Appetit verdarb, indem er sie laut schmatzend verdrückte. Versuch das mal auf St. Pauli. Und wir waren gegen jedes Gebot der Höflichkeit wirklich ätzend zu ihm. Wir machten uns lustig, betrachteten ausgiebig die leere Wand, um Blickkontakt zu vermeiden aber er war durch nichts zu erschüttern. Er erzählte immer den gleichen bescheuerten Müll - wen er alles kennt, in Stuttgart und München und überall, ob wir den Jürgen aus Frankfurt oder den Günter aus Berlin kennen würden, daß wir seine besten Freunde wären und Ähnliches. "Ach ja, der Herr Jürgen aus Frankfurt, wer kennt ihn nicht..." Es war erschütternd. Es wurde das schnellste Essen, was wir je hatten, und unmittelbar vor dem Restaurant hielten wir sofort ein Taxi an. Es störte uns nicht, daß bereits jemand in dem winzigen Auto saß. Wir quetschten uns mit vier Mann dazu - es war ein klarer Notfall, Flucht vor Mustafa - und sagten "Ab zum Camping, aber schnell". So schnell ging es nicht, denn Mustafa versuchte tatsächlich, sich mit uns in das komplett überfüllte Taxi zu drängeln. Hat man sowas schon erlebt. Wir schubsten ihn mit einem Tritt raus und auf diesem Weg gelang es uns, ihn abzuhängen und ein Café aufzusuchen, indem wir uns in der letzten Ecke verkrochen und den übelsten Kuchen serviert bekamen, den man sich überhaupt vorstellen kann. Es war Zucker drin, aber mehr hatte er nicht mit dem gemeinsam, was man landläufig als Kuchen verkauft. Der bereits ansatzweise verarbeitete Kulturschock brach wieder auf und wandelte sich in Kulturhysterie. Wir schütteten uns aus vor Lachen und bildeten, mit Tränen in den Augen, irrwitzige Wortkreationen wie Mustah-Flies, Mustafamaniac und mehr in dieser Richtung und kamen schließlich zu der Erkenntnis, daß die drei Österreicher ohne Visum echte Glückspilze waren. Heiligabend essen zu gehen kam nach dieser Erfahrung nicht mehr in Frage. Wir wollten zusammen im Schutz des Campingplatzes gemütlich was kochen. Als wir bei strahlendem Himmel in der Mittagshitze beim Schlachter reinkamen war es ohne Kommentar
sofort klar, daß es etwas vegetarisches werden würde. Robert erwähnte so etwas wie einen Supermarkt, indem er Corned-Beef entdeckt hatte und so wurde es Spaghetti mit Tomatensauce mit Corned-Beef. Beim Zubereiten warfen wir einen Blick auf den Dosenboden. Das Verfallsdatum war genau vor einem Jahr abgelaufen - Dezember 1995. Robert roch einmal kurz dran, sagte daraufhin "FUCK" und rührte es in die Sauce. Wir aßen zu viert, machten derbe Scherze über Land und Leute und erzählten uns, wie es Weihnachten in London und Hamburg zugeht unter Vermeidung zu detaillierter Schilderungen der Speisepläne. Wir packten die Tüte Geschenke zu zweit im Wohnmobil aus, die wir zum Abschied in Legzira bekommem hatten und es war das Highlight des Abends. Eine Spitzencassette mit Rock & RollSchnulzen, Maoam, Tee, Nougat, Schokoladenweihnachtsmänner, ein Spiel und Trinkbecher mit Afrika-Design. Elefanten, Giraffen, Affen und Dschungel. Wenn's doch bloß bald so wäre. Als Krönung ein Art-Deco Abziehbild - 50er-Jahre Frivolität in Form einer leicht bekleideten Dame - für die Windschutzscheibe als Talisman - bitter nötig - unser Glück schien bereits weiter gereist zu sein, was man verstehen kann, es ist ja nicht blöd. Es wird an der senegalesischen Grenze bei einem kühlen Drink auf uns warten. Am ersten Weihnachtstag eröffnete unserer privater Mustafah uns, daß jetzt erstmal drei moslemische Feiertage stattfänden, in denen die Bahn nicht fährt. Das hätte er eigentlich auch schon vorher wissen müssen. Langsam schwand unser ohnehin geringes Vertrauen in den Kerl vollends. Er hatte uns bereits zweihundert Mark Vorkasse mit dem Argument einer offenen Stromrechnung aus dem Kreuz geleiert, aber wir hatten seinen Paß als Pfand eingezogen. Wir waren in einem blöden Konflikt. Die fünfhundert Wüstenkilometer wollten wir weder dem Auto noch uns zumuten aber wir hatten ebensowenig Lust, hier noch tagelang in diesem bepissten Nest abzuhängen, indem es vor Fliegen nur so wimmelte. Zudem war es ganz und gar nicht sicher, daß nach den drei Tagen eine Plattform für uns frei wäre. Unser Mustafah behauptete das zwar mit Nachdruck, allein, uns fehlte der Glaube. Den Ort zu besichtigen reizte uns so wenig wie die Hölle zu besichtigen. Das, was wir unvermeidlich bereits gesehen hatten, reichte. Wo man hinsieht, ist es wert, ein Foto zu machen, mit dem man Eier abschrecken kann. Ob es der Zahnarzt ist, die stinkigen
Holzbuden am Hafen, die vor den Docks liegenden, verrosteten Pötte, die darauf warten, auseinander zu brechen, die Ziegen und Esel, die sich aus Mülleimern ernähren, die Schrotthaufen von Autos, die überall vor sich hin oxidieren, die vermüllten Gassen - egal was. Bezeichnend in diesem Zusammenhang, daß es in diesem Ort keine Postkarten zu kaufen gibt. Logisch ! So warteten wir zusammen mit Rob und Sue. Sie auf ihren Truck, wir auf unsere Train und gaben uns Mühe, bei Laune zu bleiben. Nicht, daß wir es nicht versuchten. Wir faßten einen Plan, gingen auf die Straße, hielten ein Taxi an und sagten "Plage". Dieser von der Welt vergessene Ort liegt an der Spitze einer Landzunge mitten im Atlantik. Es gibt also drei Richtungen, das Meer zu erreichen und eine zurück Richtung Marokko. Der Taxifahrer schaut uns an, als hätten wir St. Pauli Landungsbrücken oder Piccadilly Circus gesagt. Wir wiederholen also. "Plage", "Beach", "Strand", "la mer". Irritiert und ein wenig unsicher fährt er los. Wir fahren vorbei an Sanddünen, in die unablässig Altöl gepumpt wird, an Schrott, über Schienen bis zu einem Militärposten. Der Soldat sagt uns, daß hinter der nächsten Düne der Strand wäre, wir müßten nur eben rüber laufen. Wir taten es und erblickten den Strand. Er paßt zu dem Ort. Vor dem Strand liegen etwa fünfzig tote und total verrostete Schiffe. Einige stehen noch gerade, einige liegen auf der Seite, von wieder anderen sind nur noch die Masten und die Aufbauten zu sehen, manche lehnten aneinander und aus allen suppte irgendein Zeug ins Wasser- ein schauerlicher Anblick. Im Sand lagen braune Eisenteile jeder Größe bis ins flache Wasser hinein, ein paar Feuerquallen dümpeln umher und dort, wo eigentlich hätten Strandkörbe stehen sollen, war alles übersät von jeder Art Müll, den die arabische Gesellschaft so produziert. Auf den am wenigsten verrotteten Wracks wohnen Leute, die vom Angeln leben und sofort bereit waren, uns per Ruderboot zu holen um uns vollzuquatschen. Nein danke. Schnell zurück zum Camping, raus aus der sengenden Mittagssonne und die Attraktion des Tages war die kalte Dusche danach. Eine warme gab's eh nicht. Wir warteten weiter und töteten derweil ein paartausend Fliegen. Wir beobachteten die beiden Haussklaven bei der Arbeit. Es sind echte Sklaven mit dem winzigen Unterschied, daß sie mit umgerechnet einer Mark am Tag entlohnt werden. Etikettenschwindel. Ein weiterer Umstand, der einem dieses Land nicht gerade sympathischer macht. Zwar gibt es seit wenigen Jahren offiziell keine Sklaverei
mehr, aber die ehemaligen Sklaven und ihre Kinder, ohne jeden Besitz, blieben bei ihren Familien, was bleibt ihnen auch anderes übrig. So auch auf dem Campingplatz. Und die Mauretanier sind üble Rassisten. Selber schwarz, projizieren sie ihren Rassismus auf die schwärzeren Schwarzen und behandeln sie entsprechend von oben herab. Sie sehen sich selbst mehr bräunlich. Weiße mögen sie auch nicht, sie mögen nur sich selbst, wenn überhaupt. Es macht hier alles einfach keinen Spaß und es hält einen nichts. Das Land liegt leider auf dem Weg und man muß durch und es macht's einem wirklich nicht leicht. Weder rein zu kommen, noch raus zu kommen noch, einen angenehmen Aufenthalt zu haben. Der nächste Konvoi aus Marokko erreichte den Ort. Sechsundsiebzig Fahrzeuge aller Nationen und aller Art. Wir sahen, wie sie eintrafen, die Formalitäten erledigten und sich in kleinen Gruppen schnell wieder aus dem Nest entfernten. Die Engländer fanden ihre Leute, verabschiedeten sich und wir standen ein wenig traurig daneben und schauten zu. Wir hatten einfach keinen Bock mehr, weiter hier abzuhängen und die Bahn, auf der wir bislang ohnehin keinen festen Platz hatten, ist auch nicht so sicher wie ein deutscher Autoreisezug. Wir hörten besorgniserregende Geschichten. Dieser Unfall hatte niemanden überrascht. Scheint häufiger mal vorzukommen. Andere, die die Bahnpassage schon mal in Anspruch genommen hatten, berichteten, daß die Stoßdämpfer nach der Fahrt total am Ende seien und mit Blick auf unser Auto kamen Bedenken, ob sich die Karre nicht hochschaukeln würde und von der Plattform fallen könnte - mit uns drin. Wir fanden eine Fragestellung, welche die Antwort gleich mitbringt: Wem trauen wir mehr. Mercedes-Benz oder der mauretanischen Bahn. So entschlossen wir uns, es mit dem Wohnmobil durch die Wüste zu versuchen. Es sind und bleiben rund fünfhundert Kilometer - nicht drüber nachdenken - und einige aus dem eingetroffenen Konvoi, die es schon mal gemacht hatten, versicherten uns, daß der Weg eigentlich überhaupt kein Problem sei. Wir sollten in den folgenden Tagen feststellen, daß diese Art Aussage eine ganz niedere Form von Angeberei darstellt. "Macht einem Kerl wie mir nichts aus, das bißchen Sand," wie ein Kind, das mit aufgeschlagenen Knien zur Mutter kommt und sagt " hat ja gar nicht weh getan." Dummes Macho-Gehabe von Leuten, die wir verdächtigen, ihr Leben jenseits ihres Urlaubs als befehlsempfangendes Rädchen in einem sicheren Konzern
organisiert zu haben um hier den Dicken zu machen. Allerdings hängt die Durchreise auch extrem stark von den Qualität des Führers ab, insofern ist dies wirklich nur ein Verdacht. Wir fuhren also mit dem Mustafa los, der behauptete, ein "Ensemble" gefunden zu haben, mit denen zusammen er uns durch die Wüste bringen würde. Schon auf dem Weg zu den ersten Checkpoint von Zoll und Gendarmerie kurz hinter dem Ort lotste der Wüstenführer uns ohne Not direkt in eine kleine Sanddüne, in der wir stecken blieben. Es gab einen Weg links vorbei und einen rechts, aber er wählte den durch die Mitte - den denkbar Schlechtesten. Wir waren auf diesem Weg gekommen, ohne Führer, und hatten kein Problem. Mit ihm steckten wir drin. Wir schaufelten uns raus und wußten: Mit ihm als einzigen Führer auf gar keinen Fall ! Dann stellte sich heraus, daß es kein "Ensemble" gab. Wir waren allein mit diesem Idioten aber es gab immer noch die Möglichkeit, auf den trostlosen Campingplatz zurück zu fahren, neue Entscheidungen zu treffen und zwischenzeitlich Mustafah etwas zu quälen. Wir fuhren erstmal bis zum letzten Kontrollpunkt, stellten uns dort hin und warteten ab, was für Gruppen eintreffen würden und ob sich eine Konstellation ergeben würde, mit der dieser Versuch wenigstens die theoretische Aussicht auf Erfolg haben könnte. Die englische Gruppe mit dem Truck übernachtete hier ebenfalls, wir sahen Rob und Sue zum letzten Mal wieder und lernten weitere Mitfahrer kennen. Einigen von Ihnen stand die nackte Angst vor der bevorstehenden Wüstendurchquerung im Gesicht, sie kamen zu uns und erzählten mit angespannten Blick von ihren sicheren Vorahnungen, in der Wüste - total abhängig von ihrem Fahrer verloren zu gehen. Es sind schon verrücktere Dinge passiert. Unser Situation war nicht die Beste, aber mit ihnen hätten wir auch nicht tauschen mögen. Der nächste Tag kam und wir erwarteten die eintreffenden Konvois, die an dieser Stelle alle stoppen mußten, um sich in eine sinnlose Liste beim Militär einzuschreiben. Die Engländer waren bereits aufgebrochen und vor uns in den festen Sand hatten sie ANNETT AND PETER. BYE BYE AND GOOD LUCK geschrieben. Hat gut getan. Der erste Konvoi bestand aus fünf holländischen Allradfahrzeugen in Begleitung eines riesigen, gelben Spezialfahrzeugs mit vier Achsen und Achtradantrieb. Jeder Reifen an die zwei Meter hoch, das ganze
nagelneu. So ein Gerät hatten wir noch nie gesehen und es hat bestimmt ´ne halbe Million oder das doppelte oder noch mehr gekostet. Die werden sich natürlich nicht mit einem Wohnmobil belasten, obwohl sie uns einfach hätten anhängen können und mit durchschleifen. Wir haben gar nicht gefragt. Dann kamen Deutsche. Einige PKW´s, zwei kleine Lieferwagen und zwei Off-Roader. Sie waren hochnäsig, Kommentare wie "kauft euch erstmal a anständ´ges Gerät, wenn's in die Wüste fahrt" langten und wir wollten mit ihnen nicht einmal für Geld dazu. Es nervte. Wir wollten uns nicht aufdrängen, zumal es kein zweites Wohnmobil gab, was diesen Weg versuchte. Wir waren deplaziert und keiner Gruppe zugehörig und zudem durch die Anwesenheit unseres Führers komplett mustahfiziert. Weitere Grüppchen folgten, Engländer, Holländer, weitere Deutsche, diskutierten unseren Wunsch und lehnten, spätestens, nachdem sich Mustafah eingeklinkt hatte, mehr oder weniger um Entschuldigungen bemüht, ab. Unsere Laune sank und sank. Wir meinten, daß unser Glück uns nun vollständig verlassen habe aber es sollte sich später herausstellen, daß alles so, wie es bislang gelaufen war und noch laufen sollte, eine einzige Aneinanderreihung von Glücksfällen war, die einen religiös werden lassen konnte, wenn man so veranlagt ist. Unser Glück und alle Schutzengel machten Überstunden unter schwierigsten Bedingungen und sie taten es noch die weiteren Tage in beeindruckender Manier. Ein normaler Kombi erreichte den Kontrollpunkt allein. Zwei süddeutsche Freaks stiegen aus, wie uns stand ihnen dieser Weg zum ersten Mal bevor und sie weigerten sich strikt, auch nur eine Mark in einen Führer zu investieren. Sie waren im Besitz eines Kompasses, und sie meinten, das würde genügen. Sie fuhren tatsächlich alleine los. Mir fiel unser Handbuch ein. Völlig trocken beschränkt es sich auf Routen-beschreibungen und sachliche Hinweise. Für dieses Stück jedoch macht es eine Ausnahme und gestattet sich ein Zitat: "Manche freilich müssen drunten sterben". Wir schauten uns die beiden Jungs noch mal an, wie sie losfuhren und ahnten, daß genau sie gemeint waren. Und so muß es auch gekommen sein. Wir haben sie, im Gegensatz zu allen anderen, nie wieder gesehen oder etwas von ihnen gehört. Welch schreckliches Ende, wegen dreihundert gesparten Mark.
Es kamen über einen längeren Zeitraum keine Fahrzeuge mehr an und wir starteten den Wagen und fuhren die paar Kilometer Richtung Nouâdibou zurück. VIVE LA FRANCE
Sechs Fahrzeuge kamen uns entgegen. Peugeots, Mercedese und ein R4, der eigentlich hätte gar nicht mehr fahren dürfen. Franzosen. Sie hielten an, fragten uns, warum wir zurück fuhren und es war für sie überhaupt keine Frage, uns mitzunehmen. Wir waren es, die nachfragten, ob sie diese Entscheidung auch wirklich so meinten und daß wir garantiert eine Mehrbelastung für sie sein würden. "Klar, mit dem Teil werdet ihr öfters mal hängen, aber das macht doch nichts, fahrt an vorletzter Position und dann sehen wir mal, wie's geht." So eine paar tolle Jungs und erst später sollte sich zeigen, daß sie noch viel toller waren. Wir hatten den besten Konvoi zufassen gekriegt, den man sich überhaupt nur vorstellen und wünschen kann. Alle anderen, so erfuhren wir später, hatten kleine oder größere Nervereien untereinander. Wir nicht. Ab ging´s in die Wüste. Diese Passage ist fast nicht zu Beschreiben. Sie ist alles andere als easy und jeder erlebt sie anders. Es sind grundverschiedene Dinge, ob man in einem Allrad sitzt, ob man eine Auto für ein paar tausend Mark riskiert, mit wem man fährt, was für einen Führer man hat, wie das Wetter ist und so weiter. Schon Stunden, nachdem man diesen Weg hinter sich gebracht hat, kommt es einem so vor, als wäre dies gar nicht möglich gewesen und die Erinnerungen fesselten uns noch Tage später. Sie lassen einen nicht einschlafen, verursachen Magenprobleme und immer wieder sitzt man in Gruppen zusammen und beschreibt sich das hinter einem liegende wieder und wieder, um es irgendwie zu verarbeiten. Ok, wir saßen in unserem Wohnmobil, indem wir vorhatten, mindestens noch ein weiteres Jahr zu wohnen, welches unseren Plan realisieren könnte oder scheitern läßt. Es geht nicht um Leben oder Tod. Man kann die Kiste aufgeben, ein paar Habseligkeiten mitnehmen, zu jemandem mit einsteigen und vom nächsten Flugplatz nach Hause fliegen. Soweit, so gut. Aber es geht trotzdem um Einiges. Am ersten Tag schafften wir in den verbleibenden fünfeinhalb Stunden knappe achtzig Kilometer. Schlimme Kilometer. Weichsandfelder, durch die man mit Vollgas durch muß, wechseln
abrupt mit spitzen, felsigen Untergrund, über dem man möglichst langsam fahren sollte. Fährt man zu langsam, steckt man mangels Schwung im nächsten Sandfeld, fährt man zu schnell, riskiert man seine fast drucklosen Reifen auf dem Stück mit spitzen Steinen. Das ganze ist wellig, geht auf und ab, Löcher reihen sich an feste, riesige Bodenunebenheiten, die wie Absprungschanzen wirken, nimmt man sie im falschen Winkel oder zu schnell. Immer im Bruchteil einer Sekunde muß die Entscheidung gefallen sein. Erster Gang, Vollgas, Vollbremsung, Steuer rumreißen, hochschalten, gegenlenken, wieder Vollgas, Gang runter, in die Eisen, im Ersten voll drüber, den Stein nehme ich mittig uns so weiter. Manchmal, eher öfters, widersprechen sich die Bedingungen. Man müßte eigentlich Vollgas geben und gleichzeitig bremsen. Dann macht man irgendwas. Drauf und durch und hoffen, daß nichts allzu schlimmes passiert. Der Motor arbeitet an der Grenze des Möglichen, die Heizung bei der Hitze immer auf Maximum, um die Motortemperatur vor dem roten Bereich zu halten. Das schwere Fahrzeug ist mit allen vier Reifen in der Luft, es knallt hart auf, der Motor schreit und heult wenn die Hinterräder den Kontakt zum Boden verlieren, im Fahrzeug fliegt alles durch die Luft, es neigt sich nach rechts, kracht nach links, bricht hinten aus und irgendwann sitzt man trotz aller Schinderei in einem Sandfeld fest und der Motor tuckert im Leerlauf vor sich hin. Dann kommen alle an. Mit Sandblechen, Schaufeln und Seilen und die Abplackerei beginnt. Buddeln, schieben, drei Meter vor, wieder buddeln, Sandbleche wieder drunter, schieben und ziehen, Gas, die nächsten drei Meter, alles von vorn, bis man ein Stück mit festerem Untergrund zu fassen hat um neuen Schwung zu nehmen und wieder mit Vollgas rein ins Ungewisse, während sich der Magen wieder zu einer Faust ballt, um der Anspannung gewachsen zu sein. Wieder und wieder steckten wir fest, mal schlim, mal weniger schlimm und die Jungs holten uns raus. Wieder und wieder. So gestalten sich die ersten siebzig Kilometer, nur selten einmal unterbrochen von glatten, festen Flächen, in denen man im dritten Gang etwas für den Tagesschnitt tun kann. Aber auch bei solchen Abschnitten darf man keinen Augenblick das vor einem liegende Stück Piste aus den Augen lassen. Jederzeit kann ein Loch, ein Stein oder eine Welle einen zwingen, blitzschnell ein Ausweichmanöver zu unternehmen.
Solange ein anderes Fahrzeug vor einem fährt, ist es auf solchen Verhältnissen relativ relaxed. Der erste Wagen, in dem der Wüstenführer der Franzosen mit saß, schaltete bei jeder Schwierigkeit den Warnblinker an, der nächste ebenso, so daß wir schon immer gewarnt waren, daß irgendwas kommen würde, bei dem man besser nicht träumt oder die Landschaft betrachtet. Aber immerhin bleibt Zeit für einen Blick auf die Instrumente, eine zugereichte Zigarette oder einen Schluck Cola. Das erste Mal in meinem Leben traf der Schluck Cola in meinem Bauch auf, als hätte mir einer in die Magengrube getreten. Das muß der Streß sein. Cola vertrug ich bis dahin in jeder körperlichen Verfassung. Unser Mustahfa hatte sich bereits jetzt als völlig unnütz und sogar eher schädlich erwiesen. Es saß auf dem Beifahrersitz, betete vor sich hin, rauchte unsere Zigaretten, klagte über Kopfschmerzen und konnte überhaupt gar nichts. Nicht einmal schaufeln oder auch nur ein Sandblech richtig unters Rad schieben. Mit ihm allein wären wir so sicher dem Tode geweiht gewesen, wie hier nie Schnee liegen wird. Und er wäre mit uns losgefahren - das nahmen wir ihm ein wenig krumm und begannen langsam, ihn zu hassen. Immer wenn wir irgendwo drin saßen, stieg er gemütlich aus, sagte "patt problemm" und besabbelte als erstes den eintreffenden Hilfstrupp, daß die Schuld nicht bei ihm läge. Große Hilfe. Sobald es dunkel wird, ist an Weiterfahrt nicht zu denken. Wir schlugen ein Lager auf, machten Essen für uns und den nutzlosen Penner. Es gab Erbsensuppe mit reingeschnippelten Wüstchen, besonders, weil auf der Wüstchendose ein fettes Schwein abgebildet war. Wir stellten die leere Dose dekorativ auf den Tisch und Mustahfah verging der Appetit. Er hatte noch die Stirn, sich zu beschweren, aber wir klärten ihn auf, daß wir kein moslemisches Spezialitätenrestaurant wären und er sich was hätte mitnehmen müssen, wenn er Sonderwünsche hat. Das erste mal benutzte ich den verhaßten Satz "es wird gegessen was auf den Tisch kommt" und er verstand ihn auch und übte schon mal für den nächsten Ramadan. Kleine Rache. Die Franzosen öffneten eine Flasche Wein, ließen einen Joint rumgehen und wir lachten und klönten miteinander. Drei von ihnen, Freddie, Patrice und "der Kleine" kamen aus dem Elsaß, so daß keine Sprachbarrieren zu überwinden waren. Der R4-Fahrer war ein lustiger Typ, mit dem aber gar nicht gut Kirschen essen war, wenn
ihm was nicht paßte, und er hatte bereits begonnen, sich auf unseren Mustafah einzuschießen. Wir sahen es mit Vergnügen. Die anderen beiden waren Vater und Sohn, die zusammen je ein Auto runter brachten um Spaß miteinander zu haben. So schliefen wir ruhig ein, froh darüber, so gute Leute getroffen zu haben und endlich der Untätigkeit entkommen zu sein. Trotz alledem nagt die gesamte Situation an den Nerven. Es steht so ungewohnt viel auf dem Spiel und das Ungewohnteste ist, daß es keine Möglichkeit des Entrinnens gibt. Man kann nicht aufhören und was anderes beginnen, man keine Pause einschieben, man kann keinen anrufen und um Hilfe bitten, man kann nicht zurück, sich nicht krank melden oder sich sonstwie aus der Affäre ziehen. Es geht nur vorwärts, was auch immer passieren wird. Am nächsten morgen starteten wir mit dem ersten Tageslicht. Der Tag ging vorerst noch zwanzig Kilometer so weiter wie bisher, mit buddeln und schieben, bis die Piste vorerst besser wurde. Ein Wagen verlor seinen Kühler, alle drei Autos mit Dachgepäckträger opferten diese der Wüste, so geschah es auch uns. Der Träger brach weg, lag auf dem Dach und drückte uns das Dachfenster ein. Das Wellblech schafft jeden Dachgepäckträger, der nicht festgeschweißt ist. Die Sachen vom Dach luden wir ins Fahrzeug. Aus war's mit dem Raumangebot, aber das Schaukeln und Schlingern war weg, das Wohnmobil hatte durch diese Umschichtung deutlich an Stabilität gewonnen. Wir näherten uns dem Meer, die Flächen wurden ebener und wir machten Kilometer gut. Ein Fischerdorf tauchte auf, Hütten aus Stroh, Blech und Pappe, Netze, viel Müll und alles in allem unattraktiv. Passend zu dem Land. Hier sahen wir erstmals andere Autos. Wir kamen gut voran. Entgegenkommende Fahrzeuge stoppten, fragten nach Ölfiltern, Kühlerdichtmittel und Ähnlichem, jeweils geschickt von Ihren Gruppen. So hatten alle ihre Probleme, das Größte jedoch hatte der riesige, gelbe Vierachser. Er saß bis zum Führerhaus in einem Gelände, bestehend aus Salzkruste, Sand, Schlick und Seetang. Er war einfach zu schwer und hatte sich zu weit in Meeresnähe gewagt und war schlicht eingebrochen. Wer sollte ihn noch rausziehen, etwas schwereres ist kaum vorstellbar. Mit hunderten von Leuten graben ging auch nicht, weil aufgrund des nahen Ozeans Wasser nachdrückte und alles war nur noch Schlick und Modder. Da nützt weder ein Achtradantrieb noch ein Fünfunddreißigradantrieb. Je mehr Räder da sind, desto mehr Räder
drehen durch. Wir bremsten, konnten nicht helfen und unser fünfzehn Jahre altes Wohnmobil lief wie ´ne Eins, während dieses unglaubliche Gefährt rettungslos in der Scheiße hing. Es ist nicht das gleiche Gefühl, als wenn man mit einer alten Ente an einem liegengebliebenen Ferrari vorbei tuckert, denn Hochmut oder Spott sind Gefühle, welche die Wüste einem vorübergehend ganz schnell abschminkt. Aber nachdenklich macht es einen um so mehr. Welch trügerische Sicherheit, die dieses kriegsmäßige Fahrzeug vermittelte. Und schon bringt die Überschätzung der eigenen Möglichkeiten die dicksten Probleme postwendend mit sich. Wir nahmen uns vor, daraus zu lernen. Ich schätze, daß das Fahrzeug aufgegeben werden mußte oder die Armee mit Panzern gegen fürstliche Entlohnung einen Weg aus dem Schlamassel findet - wie dem auch sei - wie fuhren weiter. Nachmittags wurden die Bedingungen wieder dramatisch schlechter. Vor uns lag das letzte Dünenfeld von zwanzig Kilometern Länge, nichts als weicher Sand. Dort mußten wir durch und es schien unmöglich. Wir stoppten, ließen den Reifendruck soweit runter, wie es jeder normale Autofahrer für unvernünftig halten muß und besprachen mit dem Führer die Vorgehensweise. Die Gruppe fährt nicht mehr als Gruppe sondern jeder für sich. Das einzig leichte war die Richtung: immer geradeaus. Jeder fährt, soweit er kommt. Bei liegengebliebenen Fahrzeugen auf keinen Fall stoppen, sondern weiter. Es ist verboten, die Bremse zu berühren. Jeweils nach sieben Kilometern gibt es ein Stück mit hartem Untergrund. Dort stoppen und zu Fuß zurück, die liegengebliebenen suchen, freischaufeln und zu den Anderen bringen. Soweit alles klar. Die Fahrer stehen nervös herum, wie vor dem Start eines Rennen und einer nach dem Anderen rast wie besessen auf die Dünen zu, immer auf der Suche nach einem Weg, der so aussieht, als könne er gehen. Wir fuhren als Letzte und hingen nach zwei Kilometern beim Versuch, vom zweiten Gang Vollgas, der es einfach nicht mehr schaffte, in den ersten Gang Vollgas zu wechseln, als Erste fest. Von den Anderen war nichts zu sehen und nichts zu hören. Wir begannen mit buddeln, Mustahfah bemerkte "patt problemm" und nach einer Ewigkeit kamen nach und nach die Franzosen über die Hügel, im Schlepp die schweren Sandbleche und Schaufeln. Sie waren bis zu fünf Kilometern unter der Sonne durch schweren Sand zu uns gelaufen und halfen uns raus. Nicht ein Wort des Vorwurfes
oder Rumgemaule. Das Üble ist, daß, wenn unsere Karre wieder flott ist, ich natürlich nicht wieder halten kann. Die Helfer müssen die fünf Kilometer mit Gepäck noch mal laufen. Und so geschah es. Wir kamen nach gut einstündiger Schaufelei flott, ich fuhr die kompletten fünf Kilometer in einem durch im ersten Gang Vollgas, vorbei an dem Peugeot und dem 300D-Benz, ebenfalls eingebuddelt. Die Fahrer winkten mir zu. Weiter, nicht anhalten, immer den Spuren nach und irgendwann sah ich die vier parkenden Autos und eierte mit schreiendem und heißem Motor zu ihnen. Es dauerte bis zur Dämmerung, bis alle Fahrzeuge diese erste Etappe der zwanzig Kilometer hinter sich hatten und wir übernachteten genau dort, wo wir gerade waren. Die Nächte waren an sich schön. Eine Zeit der äußeren Ruhe, die einem die Dunkelheit schenkt. An schlafen ist erstmal nicht zu denken. Es ging allen gleich. Zuviel passiert jeden Tag, zu groß die Sorge um die Autos, denen hier Dinge abverlangt werden, für die sie nicht geschaffen wurden. Wir aßen und tranken während des Fahrens kaum was. Weder Hunger noch Durst stellten sich tagsüber ein. So saßen wir am Feuer klönend zusammen, rauchten, aßen und tranken, reparierten Reifen, checkten dies und das, Ölstand, Wasser und was noch so anlag. Die Nerven jedes Einzelnen waren angespannt und alle hofften, daß dies die letzte Nacht in der Wüste sein würde. Jede weitere würde sowie nervlich als auch versorgungsmäßig schlechter als die vorausgegangene werden. Mustafas Kopfschmerzen waren durchs fasten und beten nicht besser geworden und den ganzen Tag verlangte er nach einer Asprin nach der anderen. Da an diesem Tag die Franzosen freiwillig das kochen übernommen hatten und sich auch für Würstchen aus Dosen entschieden sah es für ihn erneut trübe aus. Das Gebettel nach Tabletten ging uns auch allen auf den Zeiger und ich mischte ihm mal eine etwas steifere Mischung aus Narkotika und Tranquilizern und die sprach auch sehr gut an. Er verzog sich recht zügig und es dauerte bis zum frühen nachmittag des nächsten Tages, bis er wieder die gewohnte Hautfarbe hatte, zu beten begann und nach einer Zigarette verlangte. Gab's aber nicht für Schmerzpatienten. Am dritten Tag lagen zu Beginn noch mal zwei sieben Kilometer lange Sandfelder vor uns. Beim Ersten mußten wir zweimal ausgebuddelt werden, beim Zweiten waren wir fast durch, noch dreihundert Meter bis zu den Autos, da meldet sich Mustafah zu
Wort, erinnert sich seiner Aufgabe als Führer, und lotst uns in eine Sanddüne rein, wie wir sie noch nicht hatten. Das Auto stand so schlagartig, als wäre es gegen eine Mauer gefahren und war sofort bis zu den Radhäusern weg. Mustahfah fragt mich mit dem Brustton der Empörung, warum ich gebremst habe und ich denke, ich muß verrückt werden. Diese Drecksexistenz, die sich als Wüstenführer ausgibt, glaubte tatsächlich, ich hätte gebremst. Ihm kommt nicht einmal die Idee, daß der Sand die Bremse gewesen sein könnte. Meine Nerven waren auch nicht mehr die Besten und wenn er jetzt "patt problemm" gesagt hätte, wäre es um seine Vorderzähne geschehen gewesen. Er sagte es nicht, er sah mich an und ich muß irgendwas im Blick gehabt haben, was er nicht kannte, er stieg auf jeden Fall schnell aus. Die anderen kamen mit ihrem Führer, der als erstes Mustafah zusammenfaltete. Danach der R4-Fahrer, mit rotem Kopf, der sofort auf Mustahfa losging. Wir mußten ihn zurückhalten. Ich brauchte keine fortgeschrittenen Französischkenntnisse um zu verstehen, daß Mustafah eine Gradwanderung machte. Es war nur Mitleid, was ihm half, diese Situation schadlos zu überstehen. Die Lage des Wohnmobils schien hoffnungslos. Wir buddelten stundenlang wie die Besessenen, um die Kiste wieder flott zu kriegen. Die Franzosen zeigten Größe. Sie trösteten Annett, die einige Meter Abseits saß, sich eine Auszeit gönnte und jeden Trost brauchen konnte. Sie schaufelten, machten Scherze, munterten auf und so gelang es uns schließlich - ich weiß nicht wie - den Wagen zum rollen zu kriegen und wieder mit Vollgas im Ersten zu den Anderen zu fahren. Jetzt schien das Gröbste geschafft. Wegen uns hatten wir die erste Ebbe des Tages verpaßt, so daß wir am Strand viel Zeit hatten, bis nachmittags um vier die nächste Ebbe einsetzen würde, damit wir die restlichen einhundertsiebzig Kilometer bis Nuklear-Shock, der Hauptstadt des Landes, am Strand zurücklegen könnten. Der Name ist natürlich nicht wirklich Nuklear-Shock, aber es klingt so ähnlich und es interessiert niemanden, wie der Name der Hauptstadt von diesem Dreckshaufen von einem Land tatsächlich heißt - bei uns hieß er Nuklear-Shock seit diesem Abend, an dem wir mit den Engländern in die Tiefen des Wortspiels eingedrungen waren. Am Strand trafen wir alle wieder, die wir am Kontrollpunkt hatten losfahren sehen - mit Ausnahme der beiden Verrückten mit dem
Kompaß. Es war eine große Wiedersehens-freude und auf unser Wohnmobil hatte keiner einen Cent gesetzt. Umso stürmischer wurden wir überall begrüßt, international, hier gibt es keine Nationalitäten mehr. Das Meer war wie eine Befreiung. Fettgefressene und zufriedene Pelikane schwebten umher oder schwammen auf den Wellen, Delphinschwärme tummelten sich vor der Küste und vollführten irre Sprünge und einige liefen ins Wasser und badeten. Der Rest der Strecke geht über den harten Sand, der nur bei Ebbe frei bleibt. Das klingt leicht, ist es aber nicht. Es gibt ein paar Bedingungen, die es strikt zu beachten gibt: Nicht anhalten. Der Sand sieht überall gleich aus, ist es aber nicht. Es gibt Stellen, auf denen könnte man stoppen, auf anderen nicht, da der Sand dort so weich ist, daß ein Herauskommen unmöglich ist. Was man erwischt hat, weiß man erst, wenn es zu spät ist. Dann nicht trödeln, die Flut wartet nicht. Das heißt: Hast du eine Panne, die du nicht selbst und schnell geregelt kriegst, holt dich das Meer. Zudem gibt es Felsen und Steine, denen man ausweichen muß, ohne zu weit ins Wasser zu fahren, denn sowohl links als auch rechts von dem schmalen Stück harten Boden bei Ebbe ist es wieder zu weich. Kommst du an einer Stelle zum Stehen, an dem Wellenausläufer um die Reifen kommen, spülen sie den Sand unter den Reifen raus und man muß das Auto aufgeben. Von denen, die an unserem Tag fuhren, erwischte es ein Allradfahrzeug, welches sich das Meer einverleibte. Es ging los. Wir kamen im dritten Anlauf und mit vielen Sandblechen durch die Dünen auf den Strand und gaben Gas. Immer so nah am Wasser wie möglich, immer den hereinbrechenden Wellen ausweichend, fuhren wir mit achtzig über´n Strand. Das geht eigentlich ganz passabel, insbesondere nach dem, was hinter uns lag. Die Steine ließen sich leicht umfahren und wir begannen uns zu entspannen. Auch die Mauretanier, die doch tatsächlich im Weg rumstehen um zu trampen, lassen sich vertreiben, indem man direkt mit Vollgas und Lichthupe drauf zu hält. Sie springen irgendwann weg. Plötzlich kommt eine Felsgruppe mit Tempo achtzig auf uns zu, die ins Meer hinein geht. Links vorbei geht nicht, Weichsand. Rechts vorbei geht nicht, Ozean. Anhalten geht nicht, wieder Weichsand. Drüber fahren geht nicht, dafür sind die Felsbrocken zu groß. Man hat uns als erste auf den Strand geschoben und wir waren zu früh dran, die Ebbe war noch nicht weit genug. Wiederum mußte die
Entscheidung im Bruchteil einer Sekunde getroffen werden. Mustafa saß neben mir und hatte die Hosen voll, weil die Nähe zum Wasser ihm überhaupt nicht behagte. Ich fuhr den geraden Weg mit Karacho über die Felsen, lenkte so, daß möglichst immer die Reifen auf den Steinen sind und der Wagen nicht abrutscht und auf den Felsen knallt, dann den flachsten Stein runter direkt ins Meer, Lenkrad so weit links einschlagen wie möglich, zweiten Gang Vollgas und mit dem letzten Schwung wieder raus aus den Wellen. Das Auto war komplett naß, eine Welle hatte uns erwischt. Glücklicherweise ein Diesel, dem Wasser motormäßig nichts ausmacht und so fuhren wir, einigermaßen geschockt, weiter. So viel Glück kann man eigentlich gar nicht haben. Diese Stelle hätte das Aus sein müssen. Wir erholten uns langsam, Kilometer um Kilometer. Die Sonne ging leuchtend rot unter, Vögel flogen um das Fahrzeug und wir hatten es geschafft. Wir ahnten nicht, daß uns das traumatischste Erlebnis noch bevor stehen sollte. Der Strand wurde immer besser, am Horizont tauchten bereits Gebäude auf. Wir nahmen die Musik aus dem Recorder wieder wahr, die letzte Hürde, vom Strand runter, kann so schlimm nicht sein. Mustafah brachte sein stärkstes und letztes Stück. Er ließ uns an der einzigen, nicht erkennbaren Abfahrt vorbei nageln und sagte seelenruhig, daß wir dort hätten abbiegen müssen. Jetzt wußte ich genau, warum die Entscheidung gut gewesen war, keine Pistole mitgenommen zu haben. Ich versuchte zu ermitteln, ob es noch eine zweite Abfahrt gäbe, war nicht herauszubekommen, und vor uns erschien der Strandhafen für die Fischer, die dort ihre langen Boote zu Wasser brachten, Netze reparierten und den Fang verarbeiteten. Wir düsten mitten rein, und, um niemanden Tot zu fahren, bremsten wir ab und der Wagen steckte sofort fest. Ein Blick genügte und Mustafah riß die Tür auf und rannte weg. Wir sahen ihn ca. zwei Stunden später wieder, als er seine Restzahlung haben wollte. Ein Dankschreiben verlangte er allerdings nicht. Es dämmerte bereits, die Flut hatte wieder eingesetzt und hunderte Menschen umlagerten das Auto. Sie kamen von überall her. Schwarze im Alter von zwölf bis dreißig liefen auf uns zu und grölten herum. Fünfzig Meter weiter war der Campingplatz. Bezeichnend für dieses Land, daß diese fünfzig Meter aus einem Sandfeld bestanden, welches ohne Anlauf für normale Fahrzeuge nicht passierbar ist. Es
kommt keiner drauf, nicht einmal der Campingplatzbesitzer, dieses kleine Stück einmal zu befestigen. Dafür kam er mit Handy bewaffnet angerannt und drohte mit polizeilicher Räumung, wenn wir für die Übernachtung auf der Düne an ihn nicht den gleichen Tarif zahlen würden, als stünden wir auf seine Platz. Gibt es in diesem Land nur Arschlöcher ... Unsere französischen Freunde entschlossen sich, noch in der Nacht weiter zu fahren um auf kürzestem Wege den Dreck zu verlassen. Wir hielten das für unvernünftig, konnten es jedoch gut verstehen. Wir wollten es am nächsten morgen genauso machen, aber vorher verlangten die Körper und die Nerven nach Ruhe. Wir lagen dann irgendwann im Bett und fühlten uns wie auf Droge. Körperlich am Ende gab der Kopf keine Ruhe und immer wieder sprachen wir über die zurückliegenden Tage. Ein unvergleichliches Erlebnis. Diese Wüste mergelt einen aus, läßt Freundschaften entstehen und zerstört Freundschaften, stellt Beziehungen auf schwere Prüfungen oder verfestigt sie nachhaltig, tötet Menschen, verschlingt Material und jeder hat die Chance, sich zu beobachten und zu überprüfen. Sie schafft neue Dimensionen der Hilfsbereitschaft, sie lehrt einen, Hilfe anzunehmen, sprengt Ländergrenzen und macht einem plausibel, was "survival of the fittest" bedeutet. Ein Erlebnis, welches ich per Wohmobil nie wieder haben will aber welches ich ebensowenig missen möchte, jetzt, wo es begann, hinter uns zu liegen. Eine kurze Inventur unserer Ausrüstung und des Fahrzeuges schien uns fast unglaublich. Nichts, außer dem Dachgepäckträger, war zu Schaden gekommen. Kein Kühler, keine Kupplung, kein Träger, nicht einmal ein Reifen war zerstört. Das Notebook, der Stromumwandler, Gas, Wasser, Solar, Fernseher, Kamera, alles hatte diese Tour und das mörderische Wellblech überlebt. Wie auch immer dieser Umstand einzuordnen ist, auf jeden Fall war alles zusammen mehr Glück auf einem Haufen, als ich es je bewußt erlebt hatte. SENEGAL
Am nächsten Morgen war uns und den Anderen, die auf der Plattform übernachtet hatten, klar, daß wir alle nur noch den Wunsch hatten, dieses beschissene Land auf kürzestem Weg zu verlassen. Wir gönnten uns am Strand noch ein ausgiebiges Frühstück zusammen, halfen uns gegenseitig durchs allerletzte Sandfeld und fuhren im Konvoi mit vier deutschen Autos nach dem Auftanken
ohne Stop die letzten zweihundert mauretanischen Kilometer nach Rosso an den Fluß Senegal. Dort setzt eine Fähre über. Die ScheißHauptstadt wollte keiner mehr sehen, wir ließen sie links liegen. Der Weg zur Grenze geht über eine hervorragende Teerstraße und es war eine erwartungsvolle und interessante Tour. Zwar waren wir immer noch in Mauretanien, doch begann die Landschaft sich ständig zum Positiven zu verändern. Die Sträucher wurden größer, erste Palmen tauchten wieder auf, großblättrige Pflanzen und Bäume wurden immer mehr und hier und da blühte sogar etwas. Wir erreichten Rosso, fuhren direkt in den Zollhafen, von dem die Fähre ausging und erledigten Polizei, Militär und Zollangelegenheiten. Der Fluß ist vielleicht hundert Meter breit. So ein Fluß als Grenze ist sehr praktisch, kommt doch nicht jeder so ohne weiteres rüber. Drüben angekommen war die Welt wie verwandelt. Ein nahezu unfaßbarer Unterschied. Die Menschen waren bunt gekleidet, freundlich und lachten einen an. Bildhübsche Frauen mit freizügigen Kleidern, Schwarze, die einen normal ansprachen, von selbst wieder gingen, kleine Geschäfte und Cafés mit eisgekühlten Getränken, alles wirkte locker und offen und wir atmeten tief durch. Dieser Grenzort ist wie viele Grenzorte. Natürlich gibt es viel zu viele unausweichliche Helfer, die zum schlechten Kurs Geld wechseln, bezahlt werden wollen, wenn sie einem die Wege zum Zoll und zu den Immigrations-behörden weisen, die sich eine Provision verdienen, wenn sie die Versicherung vermitteln und die als Parkplatzwächter bezahlt werden wollen. Natürlich dauert alles Stunden, besonders, wenn man mit fünf Autos kommt und immer auf den Letzten warten muß. Aber das alles konnte uns nicht wirklich aufregen. Wir waren aus diesem Scheißhaufen von einem Land entkommen und, daß Senegal von ganz anderer Qualität ist, wurde schon bei diesem ersten Eindruck zweifelsfrei deutlich. Die Einreiseformalitäten befaßten uns bis in den frühen Abend. Als wir mit allem fertig waren, verließen wir den Raum, in dem die Carnets de Passages ausgefüllt werden und vor der Tür saß mitten auf der Straße auf einem Stuhl ein gewaltig dicker und fetter, zwei Meter großer Schwarzer in einem weiten weißen Umhang und winkte uns rüber. Wie im Kino. Hinter ihm zwei beflissene hagere Typen, die bei folgendem, was er mit tiefer Stimme in französisch sagte, ständig bekräftigend nickten:
"Ich bin hier der Boß. Mir gehört die ganze Stadt und ich habe euch folgendes zu sagen: Vor der Stadt, in einem Kilometer, steht eine Polizeisperre. Auf diesem Zettel sind eure fünf Autonummern notiert." Mit seinen wurstigen Fingern zeigte er auf ein Blatt Papier. "Ihr habt keine Chance, hier ohne Probleme rauszukommen. Für jeden Wagen verlange ich fünftausend CFA. Nur dann mache ich hinter das Kennzeichen ein OK und rufe an. Ich würde euch empfehlen, lieber zu bezahlen". Seine Lakaien wiederholten alles mehrmals, er lehnte sich bequem zurück und wartete ruhig ab, was passieren würde. Es ging pro Wagen um weniger als zwanzig Mark, aber man darf trotzdem nicht so ohne weiteres alles bezahlen, was verlangt wird, sonst riskiert man einen Dammbruch und jeder Hiwi will auf einmal Geld für alles mögliche. Was er für einer war, blieb uns im Verborgenen, aber seine Show war nicht so übel. Wir zierten uns gewaltig, handelten ein wenig, einer nach dem Anderen drückte seinen Obolus ab und wir fuhren, von den besten Wünschen des Dicken begleitet, weiter. Patt Problemm. Die Polizeikontrolle gab es wirklich und wir hatten keinerlei Schwierigkeiten. Ob es an den fünftausend CFA´s lag oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen. Es hatte sich herumgesprochen, daß in St. Louis ein angenehmer Campingplatz sein sollte, knapp einhundert Kilometer, und diese Fahrt war nur schön. In bester Laune fuhren wir mit lauter Musik die schwarze Asphaltstraße runter. Was wir trotz der Dunkelheit sahen waren Alleen mit hohen Bäumen, durch die die Schatten von Affen huschten, die sich später als Fledermäuse entpuppten. Die Luft war angenehm frisch bei vielleicht fünfundzwanzig Grad und es roch wie in einer wunderschönen Sommernacht. Vorbei an kleinen Buden fuhren wir in St. Louis ein. Der Campingplatz liegt direkt am Strand, weißer Sand von Horizont zu Horizont, auf der anderen Seite fließt der Senegal und im Hintergrund die Lichter der Stadt. In dem offenen, strohgedeckten Restaurant schienen bunte Lichter, es spielte Rockmusik und sehr hübsche und gepflegte, tiefschwarze Frauen servierten Meeresfrüchte, Fisch und alle Getränke, die man sich wünscht. Welch ein Ort, genau den, den wir uns vorgestellt hatten, um uns von den Wüstenstrapazen zu erholen. Wir wollten vorerst nur noch Touristen sein. Duschen, essen, baden, Postkarten schreiben
und nebenbei im Wohnmobil klar Schiff machen, Wäsche waschen und uns um die nächsten Briefmarken kümmern. Wir trafen hier einige wieder, die wir aus den Konvois kannten und feierten mit ihnen zusammen Sylvester. Im Hintergrund spielte eine Kombo auf allerlei Schlag-instrumenten schwarzafrikanische Rhythmen, wir saßen zusammen, aßen Langusten und Entenbraten, tranken Wein und stellten beim klönen fest, daß wir unter den hier Anwesenden eine kleine und flüchtige Berühmtheit erlangt hatten. "Ihr seid die mit den Briefmarken. Hab ich von gehört. Dann seid ihr auch die, die mit dem Wohnmobil durchgekommen sind. Gratuliere !" So oder ähnlich erlebten wir es einige Male und ich will nicht verhehlen, daß es uns gut gefallen hat. Als wir unsere mitgebrachten Raketen zündeten und mit Asti-Cinzano das neue Jahr in dieser angenehmnen Gesellschaft begrüßten, fanden wir zu unserem Grundoptimismus zurück und hatten wieder das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Ein spannendes Jahr lag vor uns und wir freuten uns drauf. Eines Tages, als wir in St.Louis herum liefen, begegnete uns der niedergeschlagene Patrice von den Franzosen. Die Mauretanier hatten ihn gelinkt. Er hatte sein Auto verkauft, Geld erhalten und war mit dem Käufer zur Grenze gefahren, um sein Fahrzeug illegal aus dem Paß austragen zu lassen. Aber sie steckten alle unter einer Decke. Der Käufer, der Zoll und die Bullen. Er landete in einem Raum mit drei Uniformierten, die ihm offenbarten, daß er die Wahl habe, sein Geld heraus zu geben und mit der nächsten Fähre das Land zu verlassen oder er sei auf der Stelle verhaftet. Er fuhr mit der nächsten Fähre, was richtig war. Seine Freunde hatte er dabei aus den Augen verloren und jeder suchte jeden. Dieses Land kann man wirklich niemanden Empfehlen, selbst jetzt, im Senegal, bereitete es uns körperliche Schmerzen zu hören, wie übel unserem Wüstenfreund dort mitgespielt wurde, der uns so selbstlos geholfen hatte. Wir halfen unsererseits, so gut wir konnten, was nicht viel war, und sie fanden sich schließlich wieder, das Geld und das Auto allerdings mußten sie abhaken. Im Verlauf der Reise kamen uns noch mehrere solcher Geschichten zu Ohren. Es scheint der Normalfall zu sein, in Mauretanien abgezogen zu werden, wenn man versucht, in der Hauptstadt ein Auto zu verlockend gutem Gebot zu verkaufen. Mal mit Waffengewalt, mal mit Trick und mal ganz offen, einfach bei der Probefahrt abhauen und fertig. Und ausgerechnet in
Mauretanien essen sie ein Schweinefleisch, welch Ironie. Es kann nur damit zusammenhängen, daß sie keine Lust haben, sich als Kanibalen zu fühlen. Aber ich will den Schweinen auch nicht zu nahe treten. Ich wage an dieser Stelle eine Prognose. Der Weg durch Mauretanien, der ja nur ersatzweise für die Algerienpiste genommen wird, weil dort bereits der Terror der moslemischen Fundamentalisten eine Durchreise unmöglich gemacht hat, wird nicht lange gut gehen. Irgendwann, auf kurz oder lang, wird eine irrsinnige Bande unter der Führung eines dauernd betenden und schwer bewaffneten Mustafahs das Feuer auf den Konvoi der Ungläubigen eröffnen und damit wird der Weg für Jahre unpassierbar sein. Hoffentlich behalte ich unrecht. Wir blieben noch einige Tage, kauften unsere Briefmarken und erholten uns von der Wüste. Ab hier sollte spätestens die Malariaprophylaxe beginnen. Fragt man zehn Leute zu diesem Thema bekommt man elf verschiedene Antworten, Für und Wider, warum auf keinen Fall oder wieso in jedem Fall und so weiter. Der Eine bekam Malaria mit Prophylaxe, der Andere keine ohne, der Nächste beschreibt Malaria wie eine Dreitagesgrippe, wieder Einer beschreibt sie wie das nackte Grauen. Wir studierten den Waschzettel - die aufgezählten Nebenwirkungen darf man nicht lesen, denn dann nimmt man die Tabletten nicht mehr - fanden die Dosierung heraus und verabreichten uns von jetzt an die tägliche Dosis. Dramatische Nebenwirkungen stellten sich vorerst nicht ein und der kleine Kopfschmerz, der etwas zu häufige Stuhlgang, das Schwitzen - wer weiß, ob es eine Nebenwirkung ist oder die normale Folgeerscheinung von einem Eiswürfel oder einer Tasse zu starkem Kaffee. So brachen wir dann auf und machten erste Erfahrungen mit korrupten Bullen. Die Landschaft ist interessant. Die Natur wird zunehmend üppiger, skurrile Bäume wie aus einem Märchenwald mit einem gigantischen Stammdurchmesser stehen herum und Geier machen sich über Verendetes her. Diese Bäume sind teilweise so gewaltig, daß sie früher ausgehöhlt wurden und mit einer Tür versehen als Mini-Gefängnisse dienten - kein Witz. Es sind zweihundert Kilometer bis zu einem Campingplatz vor Dakar und wir hatten über zehn Bullenkontrollen. Alle wollten irgendwas. Der lockere Fall ist der, daß sie einen Kugelschreiber, ein Feuerzeug oder
anderen Schnickschnack verlangen. Wie diese Kontrollen abgehen, ist immer ungewiß. Wenn man es schafft, mit einer freundlichen Begrüßung eine freundliche Atmosphäre entstehen zu lassen, ist man schon auf einer Dose Coca-Cola runter. Je länger man Freundlichkeit aufrecht erhalten kann, desto größer wird die Chance, selten einmal ganz ohne Aderlaß weiter zu kommen. Es kommt jedoch auch vor, daß der Bulle von vorn herein grantig ist und kein "Hallo" oder "Wie geht's" zuläßt. Er sucht irgendwas, abgefahrene Reifen, abgelaufenen TÜV, falsch eingestellte Rückspiegel oder was auch immer, konfisziert darauf die Fahrzeugpapiere plus Führerschein und schreibt eine Strafe von - sagen wir - dreißig Mark auf. Das geht ins Geld. Dann beginnt eine ganz nerviges Spiel. Man kann dieses Spiel immer gewinnen, wenn man auf Zeit spielt, aber wer hat darauf Bock. Die Schwarzen wissen, daß bei Europäern der Faktor Zeit immer eine Rolle spielt, und an der Schraube drehen sie. Man kann den Campingtisch aufbauen, Essen kochen, sich weigern, ohne Papiere weiter zu fahren und behaupten, kein Geld zu haben. Dann geht der Nervenkrieg los. Die Bullen fordern einen auf, abzubauen. Man tut es nicht, denn ohne Papiere kann man nicht weiter fahren. Du hast meine Papiere, ich habe Hunger, also esse ich jetzt. Sie sind genervt. Gehen weg. Kommen wieder. Gehen im Preis runter. Man kann ihnen dann weitere Reisedokumente in die Hand drücken, mit dem Hinweis, daß man die nicht mehr braucht, solange man die Fahrzeugpapiere nicht zurück hat. Sie sind irritiert, hauen wieder ab und tauchen wieder auf. So oder ähnlich zieht es sich über Stunden hin, irgendwann, spätestens zum Schichtwechsel, bekommt man seinen Papierkram zurück weil man auch im Weg steht, und weiter geht's, bis zur nächsten Kontrolle in zwanzig Kilometern. So kann es jedoch nicht immer ablaufen, denn der Zeitfaktor spielt ja tatsächlich eine Rolle. Also drückt man ab, mal mehr, mal weniger, mal ein TShirt, man ´ne Sonnenbrille und wird ärgerlicher und ärgerlicher. Diese Scheißtypen verleiden einem die Reise erheblich, und in nahezu ganz Westafrika läuft es diesen Weg, mal extremer, mal weniger extrem. Sie stecken die Arbeitslosen in Uniformen und damit sie nicht auf der Straße sitzen, stellen sie sich an die Straße und ernähren sich durch Wegelagerei. Manchmal bewegen sie sich nicht einmal, sondern haben dafür ihren Boy. Sie kenne zwei englische Worte: "very nice", was soviel heißt wie "haben wollen". Manchmal kann man sich hinter einem LKW verstecken und rutscht mit durch,
dann wieder kann man freundlich zurück winken, wenn der Befehl, anzuhalten, nicht zu eindeutig ist, aber man läuft in Gefahr, daß sie die Verfolgung aufnehmen und dann ist der Streß um so größer. Alles in Allem eine Pest und es war bereits dunkel, als wir den Campingplatz erreichten. DAKAR
In Dakar hatten wir ein paar Dinge zu erledigen wie Geld wechseln, Versicherung abschließen und Visa besorgen. Dakar ist eine Falle für Autofahrer, besonders für Touristen. Es gibt schlecht beschilderte Einbahnstraßen, in denen kleine Busse und Taxen fahren dürfen, wie sie wollen, aber sonst niemand. Zudem gibt es keine Schilder mit Straßennamen und auch sonst kaum Hinweise. Man schwimmt also im Verkehr so mit und schwupp - ist man falsch in einer Einbahnstraße und es gibt ein Ticket. Zudem ist Parkraum so gut wie nicht vorhanden und in der Eins-Komma-Vier-Millonen Einwohner Stadt ist rund um die Uhr Rush-Hour. Auf dem von einem jungen deutschen Pärchen geleitetem Campingplatz lief ein Schwarzer rum, der in Paris bei Mercedes gelernt hatte und er bekam den Auftrag, das Fahrzeug zu warten. Ölwechsel, alle Filter, Schrauben nachziehen und ein paar Kleinigkeiten mehr. Wir ließen das Auto also auf dem Campingplatz stehen und während unserer Abwesenheit erledigte er den Job preiswert, schnell und gut. Wir nahmen uns ein Bus-Taxi und fuhren rein nach Dakar. Bus-Taxis sind kleine Mercedes Busse, wie wir ihn fahren, ohne Glas in den Fenstern und mit Sitzbänken vollgestopft. Sie fahren nur los, wenn sie voll sind und "voll" heißt hier auch "voll". Wie die Sardinen, eingezwängt zwischen mindestens fünfundzwanzig Schwarzen fährt man eine knappe Stunde ins Zentrum. Das Zentrum der Stadt ist das Plateau. So heißt in jeder Stadt einer ehemaligen französischen Kolonie das Gebiet, in dem die Europäer wohnten und wohnen und welches von Ihnen geprägt wurde. Hochhäuser, Banken, Hotels, Fluggesellschaften und Versicherungen, Restaurants, Cafés und dazwischen unzählige Händler, die mit allem Möglichen auf dem Arm umherlaufen und einem ihre Sachen anbieten. Es sieht so aus, als hätten sie einen Supermarkt geplündert und jeder hat das mit, was er eben hat greifen können. Es gibt welche mit Schrubbern und Abtrockenhandtüchern,
welche mit geschnitzten Holzmasken, mit Nüssen, Zeitungen, Töpfen, T-Shirts, Imitationen von Rolex, Mont-Blanc und Cartier einfach alles, ohne System. Wenn man in Verhandlungen eintritt, hat man sie an den Backen, wenn man jedoch kein Interesse zeigt, belästigen sie einen auch nicht besonders. Dazwischen immer diese unwahrscheinlich hübschen und gutgekleideten Frauen, Schwarze in Anzügen mit wichtigen Aktenkoffern oder Handys und neben Touristen relativ viel Hellhäutige. Wir liefen umher und stellten fest, daß hier alles verdammt teuer ist. Deutsches Preisniveau und teilweise um ein Vielfaches mehr. Beispiele: Halbes Pfund Kaffee: DM 15.-. Ein normales Stück Käse: DM 12,-. Ein Liter Saft: zwischen DM 4,- und DM 5,-. Zwei Orangensaft und zwei Café im Straßencafe: über DM 10,-, wobei in dem kleinen Glas eine hellgelbe Flüssigkeit um sechs bis acht Eiswürfel spült. Wir verbrachten zwei Tage in Dakar, erledigten unsere Dinge problemlos und gaben eine Unmenge an Geld aus. Wir machten einen Kassensturz und stellten fest, daß Senegal ein brandteures Pflaster ist mit dem speziellen Nachteil, daß man für das Geld nichts Vernünftiges bekommt. Alles ist schlechter, als man denkt, der Service, das Essen, die Duschen, die Straßen, die Campingplätze und trotzdem teuer. Dazu die Schmiergelder, Strafen für Nix und seltsame Wegezölle. Obendrein das Risiko von tropischen Krankheiten, die Abzocke an jeder Grenze - es kostet immer mindestens einen Hunderter und einen halben Tag für überhaupt nichts außer beschäftigungs-therapeutischer Administration - der Umstand, um jede Kleinigkeit handeln zu müssen, das ewige Generve um die alltäglichsten und selbstverständlichsten Dinge - so wird das mit Sicherheit Nichts mit dem Tourismus, sie verbauen es sich selbst. Wer keinen besonderen Grund hat, sich hier aufzuhalten, tut es kein zweites Mal. Zwar hat die Natur einiges zu bieten, aber Australien, Asien und Amerika sind ja auch nicht schlecht und zudem garantiert billiger, relaxter und komfortabler. Auch das Überangebot von zugegeben ansprechenden und bereitwilligen Mädchen reißt da nichts raus, führt man sich die Aids-Statistiken vor Augen. Wir trafen zwei englische Ärzte die trocken bemerkten, daß in zehn Jahren hier das große Sterben beginnen wird - na dann gute Nacht.
Zurück nach Dakar. Wir fuhren vom Stadtzentrum zu einem Außenbezirk, um eine Botschaft aufzusuchen. Die Taxifahrt war toll. Sie dauerte ein gute halbe Stunde für drei Mark und ging mitten durch die riesige Medina. Auge und Ohr bekommen einiges geboten. Durch schmale Gassen, es wimmelt von Menschen. In jedem Haus ein Laden, unzählige Stände, alles wird angeboten und es erscheint einem wie ein riesiger Flohmarkt. Trommelnde Rastas ziehen durch die Straßen, es spielt von überall Musik und dazwischen Ziegen, Katzen und Hunde. Die Taxen bahnen sich ihren Weg mit Tempo zehn hupend hindurch und man bekommt einen sehr intensiven Eindruck, ohne zu direkt mit einbezogen zu werden. Ein Randerlebnis ist es noch wert, geschildert zu werden. Wir gehen in einen Telefonladen um uns zu Hause zu melden und stoßen beim Herausgehen mit einem Schwarzen zusammen, dem seine Tüte herunter fällt. Wir entschuldigen uns, obwohl es nicht unsere Schuld war, er sagt, es macht nichts - alles in Ordnung - und wir gehen weiter. Fünf Minuten später holt er uns ein, spricht uns völlig verzweifelt an und zeigt uns aus der heruntergefallenen Tüte zwei zerbrochene Ampullen und behauptet, ein für ihn lebenswichtiges Medikament wäre nun verloren und er hätte nicht die Möglichkeit, sich die Ampullen neu zu kaufen. Ich sage ihm, daß ich ihm keinen Krümel glaube und den ganzen Zirkus für einen billigen Trick halte und er auf Dinge, die für ihn angeblich so wichtig wären, besser aufzupassen hätte. Nun bricht er völlig zusammen - kann man mit schweren Krankheiten Tricks machen - er haßt es über Geld zu sprechen und versteht meine Gedanken, aber es wäre nicht so. Natürlich kann man Schindluder mit Krankheiten treiben, gerade damit, und ich sage ihm, daß es mich ankotzt, in solchen Situationen zu sein und ich ihm wohl trotzdem das Geld geben werde, da ich gerne nett zu Menschen bin, aber, daß ihn Gott mit Tod und Fäulnis bestrafen wird, wenn er mich bescheißt. Er zeigt mir sein Rezept, auf dem steht, was das Medikament gekostet hat, beteuert wiederholt und weinerlich, daß ich keinem Trick aufsäße und ich denke mir, ich gebe mal in etwa das Doppelte von dem, was er haben will, um seine Reaktion zu sehen. Er ist beschämt - oder spielt es - begleitet uns noch ein ganzes Stück, es war ein angenehmer Typ, und irgendwann verabschieden wir uns. Warum mich diese kleine Episode so lange beschäftigt hat, ist die Vielschichtigkeit der Möglichkeiten. Am Ende war ich abends mit meiner Reaktion ganz zufrieden, hätte ich doch
schlecht geschlafen mit dem Gefühl, einem Kranken sein rettendes Medikament verweigert zu haben. Dann lasse ich mich lieber bescheißen, wenn's nicht zu oft vorkommt. Der Campingplatz vor Dakar ist nicht besonders ansprechend und liegt auch nicht am Meer. Hier ist Endstation für viele Autoschieber. Autohändler und Vermittler geben sich die Klinke in die Hand und zu unserem Erstaunen gehen die Fahrzeuge für sehr kleines Geld über´n Tisch. Das lohnt sich überhaupt nicht und mir fielen spontan einige bessere Möglichkeiten ein, an anderer Leute Geld zu kommen. Aber es fanden sich hier kleine Klönrunden zusammen und man erfährt ´ne Menge, wenn man will. Der Reiseleiter von Rotel-Tours, der hier auf seine nächsten Gäste wartete, entpuppte sich als wandelndes Auskunftsbüro. Seit dreißig Jahren hielt er sich in Afrika auf, hatte hier studiert und wir fragten ihm einen Loch in den Bauch und er blieb keine Antwort schuldig. Sehr informativ. Die Erledigungstage waren anstrengend, den ganzen Tag auf den Beinen bei vierzig Grad im Schatten, und zudem hatte sich auf dem Campingplatz eine ungünstige Besuchermischung ergeben. Bis auf die beiden Radler und einen holländischen Skunk-Züchter waren die anderen Angebertypen mit altklugen Gören, Billigfreier, RotelTours-Gäste und harte Alkoholkonsumenten. Wir packten abends zusammen, um gleich nach dem Frühstück nach Gambia aufzubrechen - zu dem Campingplatz in Sukuta, dessen intensive Werbung uns nun schon einige tausend Kilometer begleitet hatte. THE GAMBIA
Weiter ging es, vorbei an lästigen Polizeistopps, über schrecklich schlechte Straßen zur Grenze von Gambia. Die sengalesische Grenzpolizei war kein Problem, der Bulle hatte Schnupfen und wir gaben ihm ein Medikament, der Zoll dauerte, weil der Zöllner, der das Carnet de Passage bearbeitete, ein Analphabet war, aber der Zoll in Gambia überraschte mit der ersten, halbwegs gründlichen Durchsuchung des Fahrzeuges in der Mittagshitze. Alles angrabbeln, mehr aus Neugier als aus Pflichtgefühl, aber es war dennoch angenehm, sehr freundlich und in englischer Sprache abgefertigt zu werden. Den Zöllnern lief der Schweiß in strömen, wie auch uns, aber das darf einen nicht aus der Ruhe bringen, was leichter gesagt wie getan ist. Aber sie fanden irgendwann ein Ende und wir fuhren
ein paar Kilometer und sahen die Fähre in die Hauptstadt gerade ablegen. Der Ort, an dem die Fähre abgeht, hat den Charakter eines Grenzortes mit Polizeistation und jeder Menge Typen, die sich einem aufdrängen mit dem Ziel, etwas Geld für irgendeine Sinnlosigkeit zu ergattern. Der Zoll hatte uns gebeten, zwei Polizisten mitzunehmen und wir hatten eingewilligt in der Hoffnung, so der Filze zu entgehen, was ja nicht geklappt hatte. Ich ging mit den Papieren in den Checkpoint und der Officer fragte mich, wo ich die beiden her hatte. Ich erzählte ihm, daß sie ein kleines Geschenk seiner Kollegen wären und er war genervt. Fragte mich, ob ich das in Ordnung fände, so Gäste zu empfangen, ich druckste herum "naja, so schlimm ist das nun auch wieder nicht", er schüttelte verständnislos den Kopf und sagte zu mir: " Du bist ein echter Gentleman. Laß uns die Adressen tauschen und ich schreibe Dir mal ´ne Karte. Würde mich freuen, wenn ich auch mal eine bekäme." Ich fand´s sehr menschlich, wir tauschten Anschriften, fuhren vor das Hafentor und die zweistündige Wartezeit begann. Im Nu waren wir umringt von Händlern und Schleppern. Wieder diese Situation, daß man nicht weg kann. Erfreulich waren die vielen Kinder mit ihren Körben und Tabletts, die sie auf den Köpfen trugen und Kokosnüsse, Wasser in kleinen Plastiktüten und Bonbons anboten. Sie waren ausgesprochen niedlich. Die Konversation in Englisch ist nach den drei französisch sprechenden Ländern sehr komfortabel und sie berichteten uns, wie stolz sie waren, auf eine Schule zu gehen, daß sie Pilot werden wollen, daß Ausbildung wichtig sei für die Verständigung der Völker, für Freiheit, Unabhängigkeit und Frieden. Große Worte, und es klang natürlich ein wenig nachgebetet, aber aus den Mündern dieser strahlenden, kleinen, schwarzen Mädchen war es großartig, insbesondere im Kontrast zu der moslemischen Verquastheit der Mauretanier, denen der Virus des Fundamentalismus schon eingepflanzt scheint. Wir lachten mit ihnen, schenkten ihnen kleine, wertlose Sachen wie Weihnachtspostkarten, Muscheln, einen Armreifen und Ähnliches und sie hielten sie ganz fest und freuten sich ehrlich über diese Geste der Sympathie. Diese Kinder haben Spaß gemacht - unvorstellbar, daß vier Länder weiter, in Liberia, ihre gleichaltrigen Brüder und Schwestern auf Rollerblades mit Kalaschnikows durch die Gegend brettern und Pimmel und Ohren als Trophäen sammeln.
Die Erwachsenen machten weniger Spaß. Sie begrüßten uns und jeder erklärte, er wolle uns helfen und Gambia wäre kein Problem. MaL was anderes: "No problem" statt "pas de problem". Feel free, feel easy. Ich versuchte ihnen zu erklären, daß genau sie das Problem sind. Daß ich kein Millionär bin und jeden dafür entlohnen kann, daß er mir den Weg zum Scheißhaus oder zur nächsten Cola-Bude zeigt. Es ist wie im Stau. Jeder Einzelne ist nicht der Stau, aber der Stau besteht aus der Summe der Einzelnen. Sie verstehen es, aber sie haben trotzdem keinen Job und kein Geld und wir waren ihr Chance für diesen Tag. So debattierten wir vor uns hin, die Zeit lief und es lag an meiner mangelnden Abgebrühtheit - einer hatte sich als Führer zu dem Campingplatz etabliert und saß mit im Auto. Ich werde in dieser Hinsicht härter werden müssen. Auf der Fähre erschien der Officer, nun in Zivil, und er war begeistert, daß ich ihn ohne Uniform wieder erkannte. Er entdeckte den Typen im Auto, ließ ihn antreten und hatte einen längeren Disput in Landessprache - alles andere als freundlich. Als wir im Hafen anlegten, ging er kurz vor, informierte seine Kollegen, die unseren Begleiter kurzerhand verhafteten und wir hatten den Officer im Auto der sich anbot, uns den Weg in der inzwischen eingebrochenen Nacht zu zeigen. Wir fuhren mit ihm in ein Restaurant, dann zu ihm nach Hause, lernten seine Kinder und seine Frau kennen und als seine Frau hörte, daß er uns bis zur Schnellstraße bringen wollte, zog sie sich schnell hübsch an und sagte, daß sie uns selbstverständlich sicher bis zum Campingplatz begleiten werden. Der netteste Bulle der Welt, zumindest uns gegenüber. Sein karges, kleinbürgerliches Heim war für europäische Verhältnisse erschreckend. Ausgestattet so gut wie gar nicht, das Beste war ein kleiner schwarz-weiß Fernseher und in zwei winzigen Räumen wohnte er mit Frau und zwei Kindern, alles auf ummauertem Polizeigelände im Kasernenstil. Sein Lohn geht zum großen Teil für Schulgeld drauf, an der Wand hängt ein Foto von einem dritten Kind, welches mit sieben Monaten an irgend etwas Unerforschtem einging. Hier stimmten die alten Feindbilder überhaupt nicht mehr. Er brachte uns zu seinen Verwandten, stellte uns vor und führte uns dann direkt zum Campingplatz Pferdeland. Auf dem Weg sahen wir ein großes Schild mit der Aufschrift THE GAMBIA - THE BEST OF THE WEST und vielleicht haben sie sich nicht getraut, den Satz mit dem Schnack aus der Harley-Szene zu vervollständigen: FUCK
THE REST. Möglicherweise wäre das auch unberechtigt, wir konnten zu diesem Zeitpunkt dazu noch kein Urteil abgeben. SUKUTA HORSELAND
Seltsam, daß die Werbung abrupt in Gambia endet und es selbst für Einheimische schwer ist, diesen Platz zu finden. Nicht der kleinste Hinweis und selbst, wenn man direkt davor steht, weist nichts darauf hin, daß man angekommen ist. Man steht, nachdem man dreimal auf Sandwegen abgebogen ist, vor einer Mauer, in die ein blaues Eisentor eingebaut ist und wenn nicht zufällig jemand da ist und einen hört, fährt man weiter und setzt die Suche fort. Die Besitzer kamen raus, weil sie unseren Diesel tuckern hörten und den Schein der Taschenlampe gesehen hatten. Die Erklärung ist einfach. Es gibt zwei gegenüberliegende Plätze, die von Deutschen geleitet werden und auf denen man als Gast willkommen ist. Ehemals gehörten beide zusammen, sie kennen sich seit Jahren, aber mittlerweile trüben einige Dissonanzen die Beziehung, die auf einer grundsätzlich anderen Einstellungen zu den Dingen beruhen, die ein wenig lebensphilosophische Aspekte mit einbeziehen. Der eine, Joe - das ist der, der das Riff-Gebirge, die Wüste und Senegal mit Werbung zugedeckt hat - ist frisch angetreten, einen Campingplatz zu installieren, auf dem es nur so brummt. Dort sammeln sich vorwiegend Leute, die was erleben wollen, die mit den Taschen voll Geld aus einem Autoverkauf schnell noch einen Alkoholexzeß und ´ne Nummer mit 'ner Schwarzen erledigen müssen, bevor ihr Flieger in die Heimat startet. Joe paßt da prima zwischen, sitzt gern mit den Gästen rum und genießt es, wenn alle ihm lauschen, während er Anekdoten aus seinem Leben zum Besten gibt. Wer das sucht, wird hier bestens bedient. Die anderen beiden, Heinz und Moni, bevorzugen die leisen Töne und der Rentabilitätsgedanke ist im Hintergrund. Sie sehen ihre Anlage mehr wie eine Wohngemeinschaft und wollen sich ihre Lebensqualität nicht durch Gäste versauen lassen, bei denen die Chemie nicht stimmt und die nichts mitbringen außer Geld. Es geht ihnen um Qualität und nicht um Quantität, was uns - aus dieser Schilderung unschwer zu entnehmen - weitaus besser gefiel. Diese Haltung können sie sich leisten, da ihre Haupteinnahme nicht der Campingplatz ist, sondern der Handel mit schweren Baumaschinen
und dem entsprechenden Know-how. Moni managt nebenbei die Pferdegeschichte. Sie kommt aus dem Berliner Trabrennsport, liebt die Pferde und man hat das Gefühl, daß sie ihre Bestimmung gefunden hat. Man kann reiten lernen, bis zu zwei Tage lange Reitausflüge auf dem Strand unternehmen und das in angenehmer Begleitung. Alles läuft hier überlegt, hinterfragt und einfühlsam. Allerdings: Ohne Joe´s Mörder-Werbecampagne hätten wir diesen Platz nie gefunden. Die Anlage selbst ist im Aufbau und muß nicht morgen fertig werden. Ein zeitliches Ziel ist nicht gesetzt. Entsprechend ist das eine oder andere Provisorium in Kauf zu nehmen, aber dafür verbringt man die Tage in einer so ruhigen, liebevollen und harmonischen Atmosphäre, daß es uns in kürzester Zeit gelang, wieder neue Kraft für die vor uns liegenden Kilometer zu tanken. Westafrika ist unter den Bedingungen, unter den wir reisen, reine Nervensache - wir hatten beim Eintreffen schon einen kleinen, moralischen Durchhänger - und um so wichtiger sind Punkte, an denen man durchatmet und völlig ohne Besorgnisse in den Tag leben kann. Wir saßen abends zusammen, auf dem Tisch die ausgebreitete Karte, und zusammen mit Heinz und einem weiteren Gast erarbeiteten wir Routen, markierten Orte, in denen es sich gut aushalten läßt und versahen Städte mit Minuszeichen, durch die wir besser nur durchfahren. Wir profitierten von ihren Afrika-Erfahrungen, sie waren ganz angetan von unserm Plan mit den Briefmarkenbögen und hatten Spaß daran, ihren Teil zum Gelingen des Unternehmens beizutragen. Wenn Heinz uns besuchen kam, waren seine ersten Worte stets "stör ich" - ich bezweifle, daß es in Afrika dafür eine Übersetzung gibt - und daher tat das so gut. Wir fühlten uns wirklich wie zu Hause. ZWANGSURLAUB
Von hier aus starteten wir unsere Unternehmungen und Besorgungen und am ersten Werktag gingen wir mit Pässen, Travellerschecks und Master-Card bewaffnet in die Bank. Die Banken geben hier die schlechtesten Kurse, daher blüht überall auf den Straßen ein schwarzer Geldmarkt, auf dem allerdings nur Cash läuft. Wir wollten unsere begrenzten Bargeldreserven nicht strapazieren und besorgten uns Knete per Karte - Kurs hin oder her - es sind ja keine Unsummen.
Dann in die Post. Vor den Schaltern drängeln sich Trauben von Menschen - das mit dem berühmten Schlangestehen haben die Engländer hier nicht durchsetzen können - und wir drängelten mit. Immer, wenn wir vorne angekommen waren und tausend Briefmarken bestellten, wurde abgewunken und zum nächsten Schalter verwiesen. Eine Weile machten wir das Spiel mit aber irgendwann ist Schluß und wo wir gerade waren, bestanden wir darauf, daß hier und jetzt die Marken anrollen. Erstmal füllten wir einen Zettel aus - eintausend Marken zu insgesamt 630 Dalasis bezahlten und wurden rausgeschickt in ein Nebengebäude, ohne Marken. Dort gab es einen Raum, zwei Frauen hatten es sich gemütlich gemacht, und es nannte sich Philatelisten-Abteilung - sehr erstaunlich. In einem Rollschrank gab es bunte Sondermarken ohne Ende, groß wie eine Zigarettenschachtel mit breitem Schmuckrand, Schmetterlingen, Rockstars, Fußballmannschaften, chinesische Politiker und alles Mögliche, bloß jede kostete zwischen einer und zwei Mark. Tausend Stück mit kleinem Wert zusammen zu kriegen machte erhebliche Schwierigkeiten aber nach einer knappen Stunde waren sie zusammen, verschiedene Motive und verschiedene Werte und nach einer unendlichen Zählerei und Rechnerei verzichteten wir auf den im voraus überzahlten Betrag und kündigten uns dafür zum Stempeln an - was in den vorherigen Ländern immer der härteste Auftrag war. Es war bislang die aufwendigste Ankaufsituation und wir fuhren aus der Stadt raus über die einzige Brücke, an der immer eine Polizeikontrolle steht, die freundlich die Papiere kontrolliert und wir suchten schon mal zusammen. Weg waren sie ! Beide Pässe muß mir irgendein Arschloch im Gewühl des Postamtes aus der extra mit Klettband gesicherten Tasche in der extra für Abenteuer-Reisen angefertigten Survivalhose gezottelt haben. Wir hatten beide schon oft genug von gestohlenen Pässen gehört aber wie Krebs, Flugzeugabstürze oder Entführungen dachten wir, daß so etwas nur Anderen passieren kann - so kann man sich täuschen. Wir verfügten jeder über drei gültige Pässe, insofern war es mehr ärgerlich als auch nur ansatzweise katastrophal - das Carnet de Passage oder der Impfpass wäre bedeutend tragweiter gewesen - aber im Pass befanden sich neben den unwichtigen zweihundertfünfzig Dollar in Travellerschecks auch einige Visa eingestempelt. Diese neu zu besorgen kostet Zeit, Geld und Nerven und das war der Punkt.
Wir wendeten, fuhren zum Police-Head-Quarter, erstatteten Anzeige und im "Departement for Serious Crime" nahmen sie alles ganz genau, superfreundlich und superlangsam. Langsam ist eigentlich nicht das richtige Wort. Wenn mal einer anfängt, dann geht's auch gemächlich voran, aber hier ist nichts mehr relaxed, sondern verschlafen. Sie müssen allesamt schon müde geboren sein, aber wie müde ! Wir erlebten einen Fahrradfahrer, der während der Fahrt einschlief und umfiel, überall sieht man schlafende Menschen, hinter Tresen, im Restaurant, in der Post und wenn sie losschlurfen, kann man ihnen ohne Probleme beim Laufen die Schuhe besohlen. Selbst das Pferd, auf dem Annett zum Strand ritt, döste im langsamen Schritt ein, knickte vorne um und sie lag im Sand - und das Pferd macht keinen Ramadan, was manchmal als Erklärung herhalten muß. So überraschte es auch nicht, daß mitten in der lautstarken Hektik am Tresen des Head-Quarters vornan eine tief schlafende Politesse ihren Kopf auf den Tresen gekuschelt hatte. Der Tag war so gut wie rum, als wir die Polizei verließen und wir fuhren noch einmal in die Gegend, in der Geldwechsler und Eierdiebe auf Touristen lauern und lobten für die Wiederbeschaffung unserer Pässe knapp einhundert DM aus, ungefähr einen landesüblichen Monatslohn. Ob das was wird, kann keiner sagen. Vorsichtshalber werteten wir das Wiederauffinden als krasse Außenseiterchance und richteten uns darauf ein, die je fünf verlorenen Visa Tag für Tag, eines nach dem nächsten, wieder zu beschaffen. Das geht nur vormittags bis zwölf, und mehr als eines am Tag ist unmöglich. Gambia ist nicht der schlechteste Ort, an dem einen so etwas passieren kann. Die Hauptstadt Banjul ist klein und überschaubar, Botschaften sind vertreten, die Menschen gastfreundlich, die Preise niedrig, das Essen hervorragend, unsere Unterbringung optimal und an den von Palmen gesäumten Stränden kann man reiten, baden oder sich Langusten und Edelfische direkt aus dem Meer zubereiten lassen. Menschenleere Strände wechseln sich ab mit kleinen Fischerdörfern, in denen Rastas strohgedeckte Restaurants betreiben, oder man geht in die großen Hotels und läßt sich schrille Cocktails an den Pool bringen. Ich kenne schlimmere Schicksale, als bei strahlender Sonne zwischen 35 und 40 Grad unter tropischen Pflanzen bei einer leichten Brise hier die Nachmittage und Abende rum zu kriegen.
Gambia ist auch neben Togo, Ghana und Benin eines der Länder, die von amerikanischen Schwarzern auf der Suche nach ihrem Ursprung gerne aufgesucht wird. Inspiriert von der schwarzen Familiensaga "Roots" besuchen sie in Gruppen die Länder, die einst Hauptrekrutierungsfeld für den transatlantischen Sklavenhandel waren. Sie sind dann meist erst ganz begeistert vom Land ihrer Ahnen, kaufen sich weite afrikanische Klamotten, die besonders den beleibten Damen besser stehen als enge Jeans und Leggins, lassen sich afrikanische Locken in die Haare drehen und fangen dann doch langsam an, sich zu wundern. Sie kommen nicht klar mit ihren Brüdern und Schwestern, wenn sie ihnen in der Nachmittagshitze aggressiv alle Arten von Kunsthandwerk aufschwätzen und unverhohlen betteln - die Afroamerikaner beginnen sich unwohl zu fühlen. Kein Strom, keine Klimaanlage, kein Kühlschrank und die ersten danken Gott für die Verschleppung ihrer Vorväter. Sie haben Glück, daß sie in Gambia gelandet sind und nicht in Nigeria, Sierra Leone oder Liberia, beispielsweise, die Eindrücke dort hätten sie in eine tiefe Identitätskrise gestürzt. Ich fand in einer Zeitschrift den Kommentar des Afroamerikaners Keith B. Richburg, der sich als Afrika-Bürochef der Washington Post länger und umfassender mit dem Kontinent seines Ursprungs beschäftigte und er äußerte sich folgendermaßen: " Ich bin es leid weiterzulügen. Ich bin diese Ignoranz und Heuchelei über Afrika satt. Ich habe drei Jahre zwischen seinen Leichen gelebt. Ich bekam eine K-47 gegen meine Schläfe gedrückt; ich sprach mit macheteschwingenden Hutu-Milizen, deren T-Shirts noch vom Blut ihrer Opfer bespritzt waren; ich erlebte eine Choleraepedemie in Zaire, eine Hungersnot in Somalia, einen Bürgerkrieg in Liberia. Ich sah Städte zu Schutt gebombt und andere Städte zu Müllhalden reduziert - weil ihre Führer sie verrotten ließen, beschäftigt damit, Milliarden von Dollar auf ihre Auslandskonten zu transferieren. ( ... ) Erzählen Sie mir was über Afrika und meine schwarzen Wurzeln, ich spucke Ihnen die Worte zurück ins Gesicht. ( ... ) Glauben Sie mir, ich hasse Afrika und seine Menschen nicht. Was ich hasse, ist die Brutalität, die Vergeudung menschlichen Lebens, die Ungerechtigkeit, mit der diktatorische Regime den Menschen ihre Würde rauben. Ich hasse es, wenn mein Fahrer in Somalia sich weigert anzuhalten, damit ich einer verdurstenden Frau eine Wasserflasche reichen kann. Ich hasse die Kids mit ihren lässig umgehängten
Maschinengewehren, die nur so zum Spaß auf die Alten einschlagen, die sich an einer Hilfsstation nach einer Handvoll Haferschleim angestellt haben. Ich hasse den Big Man, der seine ganze Regierung und das diplomatische Korps in sengender Hitze am Flughafen antreten läßt, um sich zu irgendeiner Auslandsreise verabschieden zu lassen. Ich hasse den Beamten des Diktators, der mich belehrt, daß "die Weißen" sein Land in den Ruin getrieben hätten. Ich kann in Kinshasa oder Khartoum in ein Meer von schwarzen Gesichtern eintauchen, in die Anonymität des Nicht-Erkennbaren. Doch ich bin keiner von ihnen, ich bin aus einer anderen Welt." Nicht alle Ursprungssucher sehen es so, bei einem Drink im FirstClass-Hotel sieht die Welt schon wieder ganz anders aus, aber irritiert sind sie alle. Wo sind denn hier die Kühlschränke und die Klimaanlagen ? Das Thema Sklaven, unumgänglich bei einer Fahrt durch Afrika. Vieles ist bekannt, einiges nicht oder nur Wenigen. Klar, die Europäer haben den Sklavenhandel betrieben, an der Spitze die Portugiesen und Engländer. Aber der Sklavenhandel hätte nie funktioniert ohne die freundliche Unterstützung der Schwarzen Herrscher, die ihre eigenen Landsleute bereitwillig einfingen und an die Weißen verscherbelten. Die Schuld der Europäer ist unbestritten, aber es war weder ihre Erfindung noch ihr Privileg. In Afrika bestand die Sklaverei als Wirtschafts- und Gesellschaftsform schon lange, bevor die Weißen dort landeten. Sie trieben nur die Nachfrage in die Höhe, so daß das Ausmaß erheblich größer wurde und ganze Landstriche entvölkert wurden. Es war auch der weiße Bürgermeister von Nantes, der stellvertretend für derzeitiges, weißes Denken formulierte: "Als Bodensatz der Menschheit neigen die Schwarzen von Natur aus zu Diebstahl, Raub, Faulheit und Verrat. Sie eignen sich ausschließlich zu einem Leben in Knechtschaft und zur Landarbeit in unseren Kolonien." Als die Sklaverei in der ersten Welt mit der Zeit in Verruf kam, nicht zuletzt durch die vielen Toten bei den unmenschlichen Transporten, kam paradoxerweise der lauteste Protest aus Afrika. Der König von Bonny, heute Nigeria, beschwerte sich bei einem englischen Kapitän: "Dieser Handel muß weitergehen, das ist das Urteil unserer Orakel und Priester. Euer Land, und sei es noch so mächtig, kann nicht ein Gewerbe stoppen, das Gott selbst gesegnet hat." Ein Herrscher in Dahomey, heute Benin, hielt den Briten vor, er müsse seine bereits gefangenen Landsleute töten, wenn
er sie nicht verkaufen dürfe, und das sei doch "sicher nicht im Sinne der Engländer." Noch heute bekommt man als Weißer in Afrika hin und wieder vorgeworfen: "Ihr habt uns versklavt !" Falsch, ihr habt euch selber versklavt und versklaven lassen. So wie ihr euch heute von euren selbstgewählten oder zumindest geduldeten Despoten ausbeuten, verarschen, unterdrücken, bestehlen, belügen, verkaufen und auf den Boden drücken laßt. Da ist kein großer Unterschied. "Wir" haben "euch" nicht versklavt, "wir" haben "euch" gekauft. Und wenn man ganz gemein sein will, kann man hinzufügen, daß sie heute das Pech haben, daß sie keiner mehr kaufen will, nicht mal geschenkt haben will, aber das schluckt man besser runter. Tatsächlich ist es so, daß die Buren in Südafrika als eine Hauptursache für Ihrem möglichen "Untergang", dem Ende der Apartheid, den Umstand sehen, daß sie den Schwarzen erlaubt haben, als Billigarbeitskräfte bei ihnen auf den Feldern zu schuften. Sie haben sie zu dicht an sich herangelassen. Und sie haben reagiert. Heute rekrutieren sie in Belgien junge Weiße als Feldarbeiter und Diener. In Amerika ist die Reue ebenfalls groß. Hätten sie geahnt, welche Probleme sie mitimportierten und es den Taschenrechner schon gegeben hätte, wäre es zum transatlantischen Sklavenhandel nie gekommen. Ein Irrtum, eine kurzsichtige Fehlentscheidung, an deren Ende nur Verlierer standen, bis auf die Geschäftemacher, die kurzfristig zu Reichtum kamen. Und bis auf diejenigen Schwarzen, die heute in Amerika wohnen statt in Townships, Slums und Homelands in dem geheiligten Land ihrer Vorväter. Das Ende der Sklavenausfuhr war trotz anderer Bekundungen auch keinesfalls einer moralischen Einsicht der Exportländer zu verdanken. Nach der industriellen Revolution war es einfach profitabler, statt pflegeintensiver Lebendfracht Palmöl als Grundstoff für Schmiermittel aller Art zu transportieren. Es gibt auch zu diesem Thema nicht die einfache Mär von Gut und Böse, von Schwarz und Weiß, die sich gegenüber stehen. Zurück zu unserer Reise. Wir arbeiteten also gemütlich in Sachen Visa ab und trafen Hamburger Bekannte aus den Konvoi-Tagen wieder, wir wurden von Einheimischen zu delikaten Mahlzeiten eingeladen, von Hotelmanagern zu exotischen Drinks überredet und es entwickelte sich ein ausgefüllter Alltag mit angenehmen Verabredungen. Wir stellten fest, daß unsere Reise und die
Briefmarkenstory, die wir natürlich überall erzählten, immer eine seltsame Wirkung hatte. Beim ersten Hören wird sie zur Kenntnis genommen, abgenickt, "ist ja toll", und gut. Eine Nacht drüber geschlafen, und dann kommen die Nachfragen und jeder ist auf seine Art von der Idee und der Durchführung fasziniert. Den Einen fesselt der doch nicht zu mickerige Gewinn, der im Erfolgsfall realisierbar scheint, den nächsten einfach die Genialität und das Neue der Idee, Andere bewundern den Mut, ein solches Unternehmen tatsächlich anzupacken und dann noch mit einem Wohnmobil statt mit einem Räumungspanzer. In jedem Fall schlägt es sich in Staunen, Sympathie und Respekt nieder und wir werden rumgezeigt, eingeladen und mit Tips, Medikamenten und Hilfestellungen unterstützt. Bestellungen für die Bögen lagen bereits jetzt reichlich vor - es fehlten ja nur noch zweiundfünfzigtausend von sechsundfünfzigtausend Marken und unserer Adreßbuch füllte sich mehr und mehr mit Namen interessanter Menschen. Ein Gambianer organisierte eine Radiodurchsage, daß die Pässe gegen Belohnung abzugeben seien und die Hamburger Jungs, die einen kleinen Ausflug nach Guinea-Bissau unternahmen, versprachen uns, schon mal die tausend Marken mitzubringen, damit wir sie hier in Ruhe einkleben können und im Land selbst nur noch das Stempeln auf dem Zettel haben. So soll es doch sein, und nie anders. Wir genossen diesen unfreiwilligen Urlaub in vollen Zügen und nicht nur einmal bestätigten wir uns gegenseitig, daß der Verlust der Pässe, so ärgerlich er uns anfangs erschien, durchaus seine positiven Seiten hatte. Während dieses Bilderbuchurlaubs fingen unsere Körper an, auf die ungewohnten, klimatischen Bedingungen oder auf die Prophylaxe oder auf beides unangenehm zu reagieren. Wir hatten hauptsächlich die Prophylaxe in Verdacht. Wir nahmen zwei Präparate, eines täglich und ein anderes zweimal wöchentlich. Nach dem zweimal wöchentlichem folgte bei Annett regelmäßig ein gebrauchter Tag mit Kopfschmerzen, Müdigkeit und sehr gedämpfter Stimmung bis hin zu einer gewissen Mauligkeit. Bei mir war es übler, mein Körper ist schließlich auch älter und mußte schon diverse Partys mehr wegstecken. Eines Tages wachte ich auf, hatte einen wirklich beeindruckenden Dünnschiß und verbrachte den Tag mit Fieber im Halbtran, mehr schlafend als wach, in durchgeschwitzten Laken. Kaum wieder erholt, wachte ich nachts mit so starken, kolikenartigen
Schmerzen in der Blase auf, daß mir der kalte Schweiß am ganzen Körper austrat. Sowas über drei Tage und Du willst nur noch nach Hause zu Mama und warmen Kakao trinken. Annett verabreichte mir eine Mischung aus heavy Schmerzmitteln, Psychopharmaka und Penicillin, die umgehend den Vorhang zuzog und mir einen ohnmachtsähnlichen Schlaf bescherte. Die Dosis hätte auch einen Elefanten niedergestreckt. Am nächsten Vormittag war von dem nächtlichen Zwischenfall aber auch nicht die kleinste Nachwehe zu spüren. Es war schwer zu glauben, daß ein Körperteil, welches ich im Leben noch nie gespürt hatte und auch jetzt nicht spürte, so unglaubliche Schmerzen verursacht haben sollte. Also setzte ich vorsichtshalber die Malariaprohylaxe ab - wir hatten auch seit wir in Gambia waren kaum noch eine Mücke gesehen - zog eine Penicillin-Kur der Gebrauchsanweisung entsprechend zu Ende durch, um meinen Körper von allen möglichen Entzündungen, die diese Schmerzen verursacht haben könnten, zu befreien. Ganz wohl war uns bei dieser Selbstmedikation nicht, aber was hätten wir im Krankenhaus erzählen sollen, so braun gebrannt und völlig schmerzfrei, und einer langen Untersuchung, der ich ehedem nicht getraut hätte, wollte ich mich auf keinen Fall unterziehen. Die Alternative, einen Marabu aufzusuchen, empfahl auch keiner wirklich. Es kursieren okkulte Geschichten über unerklärliche Heilerfolge dieser Marabus, aber ebenso viele halten sie für Scharlatane. Außerdem hatte ich nichts Akutes, ebensowenig Annett, kleine tropische Unpäßlichkeiten sind normal und nach dem Absetzen der Malaria-Präparate lief mein Körper wieder, unspektakulär und zuverlässig, wie gewohnt. Nun sollte mich aber keine von diesen verseuchten Stechmückken erwischen, am besten garnicht, aber wenn schon, dann bitte solange warten, bis die Prohylaxe wieder aufgenommen wird - ganz davor drücken wollte ich mich nicht, nur mal ´ne Pause machen. Die beiden Hamburger Jungs trudelten wieder ein, mittlerweile jeder mit ´ner neuen Freundin bestückt, und hatten die tausend Marken dabei. Schönes Ding. Sie berichteten von ziemlich schlechten Straßen und einer eingeknickten Brücke mit Ersatzverkehr per Ponton. Für ein Wohnmobil keine leichte Übung. Wir klebten erstmal in Ruhe die Marken ein und es gefiel uns, quasi von einem Basislager aus zu operieren. Wir stellten uns vor, nur noch mit 'nem Handy hier zu sitzen und vom Strand aus verschiedene Touristen in
die Nachbarländer zu jagen um Briefmarken zu organisieren. So geht's natürlich leider nicht, aber wir beschlossen, Guinea-Bissau per Leihwagen zu bereisen, nur kurz rein, die vorbereiteten Bögen abstempeln lassen, und wieder zurück. Es sprach ´ne Menge für diesen Plan. Es ist ein Weg über viele Grenzen. Raus aus Gambia, rein nach Senegal, raus aus Senegal, rein nach Guinea-Bissau und das Ganze wieder zurück. Acht Mal erhalten die Zöllner die Gelegenheit, unser hochinteressantes Wohnmobil auseinander zu nehmen, nicht zu vergessen, die nervigen Kontrollen im Senegal das kann Tage dauern. Per Leihwagen mit einheimischer Nummer fällt das alles weg, zudem entfällt die Sorge um das Fahrzeug auf schlechter Straße - die Ausgabe rechtfertigt sich in jedem Fall. Ganz entzückt von diesem Plan dachten wir auch gleich darüber nach, ob sich Sierra-Leone nicht auch irgendwie von hier aus abhaken läßt. Unsere Informationen waren die, daß das Land nur aus Dschungel besteht, voller Rebellen, die einem todsicher alle Habe abnehmen und mit Glück gestatten, daß man zu Fuß weiter gehen darf. Allerdings ist die Hauptstadt Freetown zur Zeit angeblich völlig cool - nur wie dahin kommen, das ist die Frage. Mit dem Flieger natürlich. Gesagt - getan. Wir besorgten uns zwei Return-Tickets, drei Tage Aufenthalt, fünfhundert US$, und in den drei verbleibenden Tagen bis zum Start des Fliegers holten wir uns so einen kleinen, japanischen Allrad-Jeep, wuppten die beiden AluBoxen mit den Bögen auf die Rücksitze und düsten los, das Wohnmobil stand sicher bei Heinz und Moni in Sukuta auf dem Hof. GUINEA-BISSAU
Die ganze Strecke sind nur einhundertfünfzig Kilometer bis zur Grenze von Guinea-Bissau. Klingt wie ein Klacks. Wir wußten nicht, wo sich in dem Land ein Postamt befindet. Guinea-Bissau war bis vor kurzem sozialistisch, und die anderen Reisenden, die bereits dort waren, erzählten, daß man den Einheimischen, ganz im Gegensatz zu allen anderen Ländern, ziemlich egal ist - sie wollen nichts von Einem, keine Geschäfte, kein Gesabbel - und, daß nichts funktioniert. Naja, mal schauen. Daß sie einen ignorieren, klingt ja gut, besser als wenn sie einen belagern, und viel wollten wir auch nicht - tausend Stempel und vom Acker. Sobald wir Gambia verlassen hatten, wurden die Straßen schlecht. Schlagloch an Schlagloch, zum Teil so, daß Ausweichen unmöglich
ist, und der kleine Jeep sprang da durch wie ein Ping-Pong-Ball und wir hielten uns fest, so gut wir konnten. Die Grenzformalitäten sowie die Kontrollen liefen easy, zwei Alu-Boxen geben nix her, und es ging gut voran durch den Busch, bis wir die gesperrte, eingeknickte Brücke erreichten. Tolles Bild. Die Brückenpfeiler waren an zwei Stellen malerisch in den Morast versunken und die Betonplatten, die ehemals die Fahrbahn waren, beschrieben eine dramatische ZickZack-Linie aus rechten Winkeln. Das Militär hatte zwei Rampen gebaut, ein paar Schwimmpontons organisiert und fuhren vier mal täglich rüber, jeweils sieben Autos hatten Platz. Es gab sogar ein Schild, auf dem die Fährzeiten standen - aber vergiß es - sie fahren irgendwann. Wir waren das dritte Auto, welches sich, mit dem Heck voran, in die Schlange einreihte. Auf die Pontons geht's rückwärts, weil sie nur von einer Seite befahrbar sind und auf diese Art kann man vorwärts wieder runter fahren. Ein paar Strohbuden waren entstanden und es gab Bananen, Cola, Gebäck, Papajas und so weiter zu einheimischen Preisen, da kaum Touristen diese Straße befahren. Wir warteten gute zwei Stunden in der prallen Sonne und es fiel uns eine Geschichte über die Fähre nach Banjul ein, die sich vor ein paar Tagen ereignete: Die Fähre ist völlig rott, und, daß Wasser in den Maschinenraum dringt, ist normal. Das Leck läßt sich nicht mehr reparieren, aber ersatzweise laufen ständig zwei Pumpen, die das Wasser wieder ins Meer zurück befördern. Nun war aber Ramadan, und der Mechaniker war eingeschlafen und hatte vergessen, die Pumpen einzuschalten. Die Fähre, mit Autos und gut tausend Mann komplett überladen, fuhr los, und auf halber Strecke war sie so voll gelaufen, daß die Maschine streikte. Als das Wasser langsam den Passagierbereich zu umspülen begann, traf der Kapitän eine kluge Entscheidung und verfügte, daß ein vollgeladener Sattelschlepper umgehend über Bord zu gehen hat. Der mauretanische Besitzer flippte aus, konnte aber nicht verhindern, daß sein Gefährt ins Wasser geschoben wurde. Die Fähre hob sich, die Pumpen wurden eingeschaltet, die Maschine lief wieder an und alles war gut. No problem. Der Kapitän wurde hoch gelobt, bekam einen Orden, und jedermann war sehr glücklich, bis auf den Mauretanier, der hat jetzt sein Problem, sei's ihm gegönnt. Wir waren vor gut zwei Wochen mit genau dieser Fähre eingereist und standen ganz vorne ...
Zurück zum Schwimmponton. Links und rechts waren zwei Motorboote fest montiert und ein Auto nach dem anderen wurde rückwärts dicht an dicht eingewiesen. Von der Rampe runter auf den Ponton ist es gruselig - gut, daß wir den kleinen Jeep hatten. Als alle Autos drauf waren, stürmten Fußgänger die Plattform, so viel wie geht. Es sieht abenteuerlich aus, der Ponton liegt bedenklich tief im Wasser, und ein ganz wichtiger Uniformierter mit olivgrünem Cowboyhut erscheint. Er legt sich die Schwimmweste an, die einzige weit und breit, zurrt sie fest, setzt die verspiegelte Sonnenbrille auf, nimmt die Kopfhörer von seinem Walkman ab, stellt sich breitbeinig auf die Spitze des Pontons und gibt wilde Handzeichen zu den beiden Soldaten in den Beibooten, die daraufhin abwechselnd die Motoren aufheulen lassen. So geht's über den Fluß - man faßt es nicht. Die letzte größere Ortschaft vor der Grenze ist Ziguinchor. Wir hätten es nicht mehr geschafft, ein geöffnetes Postamt in GuineaBissau zu erreichen und machten dort in einem sehr passablen Hotel Schluß. Die Straße dorthin ist so am Ende, daß selbst die Senegalesen es einsahen und straßenbauliche Maßnahmen eingeleitet hatten. Derweil führte der Weg über eine Ausweichpiste, die entstanden war, indem ein gigantischer Caterpillar eine Schneise mitten durch dem Busch gefräst hatte. Selbst auf dieser Stecke gab es ausreichend Kontrollen. Wir hatten zwischenzeitlich eine verschärfte Form der Konversation entwickelt, die ganz gut klappte. Sie verläuft - aus dem französischen übersetzt - in etwa so: Officer: "Guten Tag, wie geht's ?" Wir: "Sprechen Französisch Nein." Officer: "Führerschein, Durchfahrerlaubnis" Wir: "Guten Tag, sehr gut." Officer: "Führerschein, Durchfahrerlaubnis" Wir reichen einige willkürliche Dokumente raus. Officer: "Meine Familie ist sehr arm. Kleines Geschenk bitte" Wir: "Zwei Kinder. Hamburg. Sehr kalt. Deutschland" Officer: "Ohne Geschenk nicht weiterfahren." Wir: "Danke schön. Guinea-Bissau. Sehr schön. Gambia" Wir legen einige Dokumente nach, lächeln blöd und nicken dabei. Officer: "Tausend CFA´s, dann ist alles gut." Wir: " Vielen Dank. Sonne. Warm. Auf wiedersehen. Zwei Kinder."
Wir erhalten genervt nach und nach alle Dokumente wieder zurück. Mal zieht sich ein solcher Schwachsinnsdialog länger hin, mal kürzer, aber irgendwann hat er genug. Winken, doof grinsen und langsam weiterfahren. Es klappt mit dieser afrikanisierten Form der Kommunikation seltsamerweise häufiger und häufiger - zumindest mit dem kleinen Jeep - wir kamen komplett ungeschoren durch. Es störte auch niemanden, daß ich auf den Reisedokumenten der Zollbehörden statt Jens-Peter Kohle auf einmal Jean-Pierre Ortsamt hieß. Irgendwas aus dem Pass abgeschrieben. Und wieso Jean-Pierre - keine Ahnung - steht nirgends. Sie fragen, ob das mein Name ist. Ich sage "klar, steht doch da" und dann ist das in Ordnung. Wir fragen nicht mehr nach, korrigieren keine Fehler mehr und lassen sie einfach machen - alles in Butter. Äußerst merkwürdig. Das Hotel war sehr ok. Direkt am Salzwasserfluß, keine Malariagefahr, Dusche, Toilette, saubere Zimmer. Wir brachen früh zum Sonnenaufgang auf und waren um neun im ersten Ort in Guinea-Bissau. Ein kleines Nest, Namen vergessen, gerade drei gemauerte Häuser, sonst nur Rundhütten und kleine Holz- oder Strohbuden mit Palmenblattdächern. Das eine Steinhaus, eine Ruine, bewohnte die Polizei, bei der wir den Einreisestempel holten und gleich erste Ermittlungen nach einem Postamt begannen. "Gleich um die Ecke, seid ihr schon vorbei gefahren." Sehr erfreulich, wir fuhren hundert Meter zurück, aber da war keine Post. Wir fragen weiter und weiter, keiner weiß was von einer Post, jeder zeigt eine andere Richtung, bis wir herausfinden, daß wir genau davor stehen. Ein Gebäude aus Stein mit einer Tür. Wir wollten erstmal was Leichtes versuchen, gingen mit einer Postkarte hinein und verlangten eine Briefmarke. Es gab einen Tresen und eine Frau, die sich nach ein paar Minuten erhob und bedauerte, daß sie keine Briefmarken hätte. Ich holte einen Bogen raus und machte ihr verständlich, daß ich gerne einen Stempel hätte. Sie kramt tatsächlich einen raus, pustet den Staub weg und gibt ihn mir. Ist ja schon mal was. Stempelkissen. Auch das. Sie holt ein total vertrocknetes, schwarzes Etwas in einer Holzkiste hervor und schiebt es über den Tresen. Eine Neuinbetriebnahme war erforderlich. Das Datum des Stempels stand auf August 1995. Anderthalb Jahre nicht benutzt. Was mag da vor anderthalb Jahren bloß Schwerwiegendes vorgefallen sein ? Sie fand auch eine zerquetschte Tube mit Stempelfarbe, nachdem sie
merkte, daß Wasser nichts bringt, und nach `zig Probeläufen gelang es uns, einen Abdruck zu erzeugen, der halbwegs leserlich und mit aktuellem Datum erkennbar war. Ich begann zu stempeln und sie traute ihren Augen nicht, als wir immer mehr von diesen Bögen aus dem Auto anschleppten. Wir stempelten und stempelten ungestört unsern Stiefel weg, bis nach einer guten halben Stunde der Chef kam. Er war ganz irritiert, daß überhaupt jemand in der Post war und begann, per Taschenrechner zu ermitteln, wieviel Bögen das wohl wären. Wir erzählten ihm mehrfach in jeder verfügbaren Sprache, daß es sich um tausend Exemplare handelt, aber sein Taschenrechner kam zu anderen Ergebnissen, jede Zahl zwischen Tausend und Tausendfünfhundert. Wir denken "laß ihn man rechnen, ist ja eh wurscht" und als wir fertig waren, packten wir zusammen und wollten noch ein paar Pesos liegen lassen, da wir sie ohnehin nicht mehr brauchten - aber so einfach war das nicht. Jetzt wollte Chefchen die Briefmarken addieren. Wir fragten, ob er nicht ganz dicht sei, die sind längst in Bissau bezahlt. Nix da - erstmal in Bissau anrufen, was natürlich nicht klappte. Wir haben gemächlich verladen, ein Dritter kam in die Post - langsam wurde es voll - und unterhielt sich mit dem Chef über Philatelisten - das einzige Wort, das ich in portugiesisch mit bekam - und dann war's auf einmal gut und wir konnten gehen. Was´n Schwachkopf. Ich drückte der Post-Lady unser Restgeld in die Hand - sie konnte es nicht fassen - und wir verließen das Land auf geradem Weg. "Ossi-Schwarzer" war Annetts schulterzuckender Kommentar, als wir uns fragten, was die in der Post wohl seit August 1995 gemacht haben, mit mindestens zwei Mann besetzt. Es gab bei der Ausreise noch kleinere Irritationen, warum wir nach `ner guten Stunde wieder verschwinden, aber mit dieser Menge an Briefmarken halten sie einen sowieso für bescheuert und so fragten sie nicht lange und der Rückweg verlief wie der Hinweg, nur umgekehrt und in einem Tag. In Gambia angekommen, fühlten wir uns bereits sehr heimisch. Kein Französisch, kein Portugiesisch, sondern verständliches Englisch mit netten Uniformierten. Alles in allem ein lockerer, erfolgreicher und netter Ausflug, dreißig Stunden für dreihundertdreißig Buschkilometer mit acht Grenzüberschreitungen - das war weit über Erwartungs-haltung - und wir hatten noch einen ganzen Tag Zeit zu relaxen und uns auf den Flug nach Freetown vorzubereiten. Für mich
eine ganz harte Prüfung. Ich hasse fliegen und schließe vorher jedesmal mit dem Leben ab. Nun gut - oder auch nicht gut. Bestimmt komfortabler und sicherer als die Fähren, bloß mein Bewußtsein will und will das einfach nicht wahr haben. SIERRA LEONE
Wir standen im Dunkeln auf und ließen uns zum Flughafen fahren. Im Warteraum trafen wir auf zwei Schwestern aus Hamburg und Hannover, beide Journalistinnen, mit dem gleichen Ziel wie wir. Ihre Mission bestand drin, die Spuren ihres Urgroßvaters zu suchen, der im letzten Jahrhundert in Sierra-Leone, damals hieß es wahrscheinlich noch Gold-Land, irgendwelche Geschäfte mit Gummi gemacht hatte. Schon ewig wurde auf Familienfesten der Gedanke verfolgt, dem einmal nachzugehen, und endlich hatten die beiden dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt. Wir beschlossen, zusammen vom Airport ein Taxi zu nehmen um Kosten zu sparen. Der Flug mit Zwischenlandung in Conakry verlief ruhig und meine Flugangst hielt sich in Grenzen. Ich fand diese Art, an die Briefmarken zu kommen, schon fast ein wenig unsportlich, es sollte sich jedoch herausstellen, daß es durchaus sportlich genug verlaufen sollte. Als wir aus dem Flieger ausstiegen, schlug uns ein drückendes und heißes Klima entgegen. Waschküche, dicke Suppe, Sauna. Der Himmel war nicht blau, sondern weiß und das sollte sich während des dreitägigen Aufenthaltes auch nicht ändern. Dicker Dunst hängt über dem Land und alles, was ein paar hundert Meter entfernt ist, läßt sich nur noch als verschwommener Umriß wahrnehmen. Trotzdem war die Sonne stark genug, sie brannte heiß und schon auf dem Weg übers Rollfeld schwitzen wir enorm. Die Zollabfertigung ging relativ flott, Kofferträger schafften unser Gepäck zu einem Taxi und maulten rum, als wir ihnen rund zehn Mark anboten für zwanzig Meter Koffer tragen. Die erste längere Diskussion entbrannte über Geld, dessen Wert und was man für angemessen hält. Der Taxifahrer klinkte sich ein und verlangte schnell mal hundert Dollar, um uns nach Freetown ins Hotel zu bringen, inklusive Fähre. Wo sind wir denn hier. Aber was soll's. Als Neuankömmlinge zahlt man immer drauf, runterhandeln war nicht und wir fuhren zu viert los ins Paramount-Hotel. Fahrtwind trocknete unseren Schweiß, die Landschaft war grün, grün, und nochmals grün, wo die Straße endet,
beginnt dschungelmäßiger Wald. Nach ein paar Kilometern erreichten wir die Fähre, setzten über. Langsam erkannte man im Dunst die Silhouetten von Bergen und die Häuser von Freetown, das sich aus der Entfernung romantisch in grüne Hügel bettet . Diese Stadt ist jedoch aus der Nähe betrachtet total am Ende. In der Treibhausluft gammelt alles vor sich hin, die Häuser verfallen und verfaulen. Seit die Engländer vor sechsunddreißig Jahren das Land verlassen haben, hat hier scheinbar keiner mehr irgendwas instand gesetzt außer Wellblech-, Holz-, oder vorzugsweise Papphütten zwischen die Ruinen zu setzen. Der Bürgerkrieg hat aufgrund der Landflüchtlinge aus der sechshunderttausend Einwohnerstadt einen Drei-Millionen-Molloch gemacht. Die Straßen sind dramatisch von Menschen übervölkert, die nichts mehr haben, außer einer kurzen, zerlumpten Hose am Leib. Um die Stadt herum haben sich im Dschungel Villages gebildet. Gegen diese Villages sind die üblichen Slums bessere Wohngebiete. Es gibt dort nichts, außer Hunger, Krankheiten, Schlägereien, Messerstechereien, Mord, Vergewaltigung und Totschlag. Im Dschungel um die Stadt und im ganzen Land morden und brandschatzen schwer bewaffnete Banden in Militäruniformen und greifen alles an, was sich bewegt. Sie brennen Dörfer nieder, Schulen, Krankenhäuser und plündern, was sie kriegen. Sie werden Rebellen genannt, aber es handelt sich um durchgeknallte Wahnsinnige, um ordinäre, gewalttätige Mörder, die diesen Virus aus Liberia übernommen haben. Trouble-People. In Folge dessen flüchtet alles, was überlebt hat und noch halbwegs mobil ist, nach Freetown und keiner auf dem Land baut mehr irgendwas an, was wiederum zur Folge hat, daß Lebensmittel größtenteils importiert werden müssen und die Preise im Verteilungskampf ständig steigen und bereits europäisches Preisniveau deutlich überschritten haben. Unnötig zu sagen, daß die Menschen in den Villages nichts abbekommen. Hunger, die schwüle Hitze, alle sind aggressiv bis in die Haarspitze, ständig Terror und Tote - es ist ein einziges Grauen und die dort hausenden Menschen haben nichts menschliches mehr an sich - sie essen ihre eigene Scheiße. Sogar die Hunde sind zu wilden Bestien geworden - fressen oder gefressen werden. Über diesem Szenario und über der ganzen Stadt kreisen Schwärme von Geiern oder hocken auf Dächern. Die Bäume hängen voller Fledermäuse, die, hin und wieder durch irgendwas aufgeschreckt, zu
zigtausenden kreischend die milchige Sonne verdunkeln. FREE TOWN, welch bitterer Sarkasmus liegt in diesem Namen. Wir kamen ins Zentrum der Stadt und erreichten das ParamountHotel. Ein runtergekommener Betonklotz mit abblätternden Farbresten, in den man normalerweise keinen Fuß setzen würde. Im Stadtkern läuft das Leben tagsüber augenscheinlich gesittet ab. Die im Kolonialstil erbauten Häuser, zweistöckig, aus Holz mit verzierten Veranden sowie Jugendstilvillen lassen selbst im Verfall noch erahnen, daß diese Stadt einmal sehr schön gewesen sein muß. Das jedoch muß lange her sein. Wir gingen ins Foyer des Hotels und erfragten den Preis für ein Doppelzimmer. Knapp über hundert Mark die Nacht. Was wir noch nicht wußten war, daß diese Preise immer netto/netto angegeben werden. Sie rechnen am Ende noch mal Gebühren und Steuern drauf, was den Grundbetrag noch mal um über zwanzig Prozent erhöht. In dem mit vielleicht fünfzig Zimmern ausgestatteten Hotel hingen alle Schlüssel am Brett. Wir sahen das Zimmer und nahmen es - was auch sonst. Alles roch muffig und verspakt, aber es gab ein Klimagerät, welches unter beachtlicher Geräuschentwicklung kalte Luft in den Raum blies und wir warfen uns auf die Betten und holten tief Luft. Das Zimmer war zur Hälfte mit in der Feuchtigkeit aufgequollenem Holz vertäfelt, im Bad gab es eine Badewanne mit zwei Wasserhähnen, blau und rot. Es kam allerdings aus beiden kaltes Wasser. Vor den verdreckten Fenstern waren außen dicke Blechlamellen gegen die Sonne angebracht, es erinnerte an Sichtblenden in Gefängnissen. Wir wußten, warum wir hier waren und nachdem wir uns ein wenig erholt hatten, machten wir uns auf, die Post zu suchen und tausend Briefmarken zu erstehen. Es waren keine fünf Minuten zu Fuß. An einer Kaserne vorbei, vor deren Tür schwerst bewaffnete Soldaten Mühle spielten, ging es über die Straße. Links und rechts der Straße verlaufen einmeterfünfzig tiefe, offene Schächte, um in der Regenzeit die Wassermassen aufzunehmen, die von den Bergen durch die Stadt spülen und alles zu einer Schlammwüste machen. Man muß aufpassen, wo man hintritt. In der Post gab es sogar einen Extraschalter für Briefmarkensammler mit bunten und riesengroßen Sondermarken. Wir entdeckten einen Satz mit dem Titel "Gallery Of Old Masters". Donald Duck in elf verschiedenen Posen, den großen Meistern wie Rembrand, Picasso,
Von Gogh usw. nachempfunden - Copyright by Walt Disney. Was für eine Absurdität. Sie kennen weder Rembrand, geschweige denn Donald Duck. Was muß jemand denken, für den das Elend ständiger Begleiter ist, wenn er so eine Marke sieht: Eine Ente mit erbostem Blick in mittelalterlichem Kostüm in Öl gemalt. Ich wollte den Satz als langjähriger Sammler von Donald-Devotionalien trotzdem unbedingt haben und nachdem wir die tausend Marken am regulären Schalter problemlos bekamen, versuchte ich mein Glück am Sonderschalter. Keine Chance. Die Tussi redete eindeutig Blödsinn und behauptete, ich müßte die Marken gegenüber bei der Bank bestellen, die hätte aber zu. Ich ersparte mir den Weg und weitere Nachfragen und verzichtete lieber, aber schön wären sie schon gewesen. Wir liefen zurück zum Hotel und kamen komplett durchgeschwitzt an. Zwischenzeitlich hatte die Klimaanlage den Raum angenehm runtergekühlt. Wir wechselten die Klamotten und begannen, die Marken einzukleben. Nach getaner Arbeit stellte sich langsam Hunger ein. Nach wie vor lag alles unter einer erdrückenden und dumpfen Hitze. Wir suchten ein Versteck für die Pässe und wollten sie unter die Matratze schieben. Fehler ! Kakerlaken von locker sieben Zentimetern Länge tummelten sich in den Holzritzen und verschwanden hinter der Wandverkleidung und der Fußleiste. Ekelerregend. Dagegen war der Gecko, der sich an der Zimmerdecke rumtrieb, noch in Ordnung, wir sahen ihn als Verbündeten im Kampf gegen das Ungeziefer. Wir töteten knackend, was wir erwischten, und zerlegten die Betten. Eines war aufgrund der verwinkelten Holzkonstruktion nicht 100%ig kakerlakenfrei zu bekommen, das Andere bestand aus mehr Stahl, war übersichtlicher konstruiert und wir entschlossen uns, lieber zu zweit in dem Einen zu schlafen, nachdem wir es von der Wand in die Zimmermitte verschoben hatten. Dieses herrliche Wohnmobil - wie haben wir es vermißt. Wir gingen vor´s Hotel, in dessen Innenhof alte Mercedese warteten die als Hotel-Taxis fungierten. Wir handelten einen viel zu hohen Preis aus, der eine kleine Sightseeing-Tour durch Freetown mit anschließendem Besuch eines Restaurants beinhalten sollte. Wir fuhren zunächst durch die im Berufsverkehr zu ersticken drohende Stadt. Die Eindrücke von der ersten Tour wiederholten sich, bis wir an eine etwas außerhalb gelegene Strandbucht kamen, an der sich vier Restaurants befanden - im Besitz von Weißen. Wir gingen
hinein. Alles war nett gemacht, bunte Lichter, Stofftischdecken, was fehlte, waren die Gäste. Der Besitzer saß mürrisch hinter seinem Tresen. Er vermittelte den Eindruck, daß er lieber woanders wäre aber es vorzog, wohl oder übel seinen Besitz zu hüten und auf bessere Zeiten zu warten. Der Kellner kam und nahm unsere Bestellung entgegen. Wir waren allein. Für wirr überhöhte Preise bekamen wir ein Essen, welches sich am besten mit einem deutschen Imbißmenu vergleichen läßt, nur viel kleinere Portionen. Wir luden den Taxifahrer aus Taktgefühl mit ein und er erzählte von seinem Land. Nichts, was wir noch nicht wußten, aber er kam zum ersten mal auf Diamanten zu sprechen. Sierra-Leone hat eigene Diamantenvorkommen, ebenso Goldmienen, aber keiner schürft aus Angst vor Überfällen. Trotzdem sind Diamanten im Umlauf und er wurde richtig wach, als wir das Thema vertieften und mit einigen internationalen Fachausdrücken etwas Sachkompetenz durchblicken ließen. Wir checkten die Preise ab und merkten sehr bald, daß seine Vorstellungen weit über denen lagen, die auch nur als halbwegs realistisch angesehen werden können und wir ließen ab. Es sind sowieso zu viele freie Waffen im Land und selbst, wenn so ein Deal glatt über die Bühne geht, weiß man nicht, wie man aus dem Dreck wieder raus kommen soll, ohne Raubmördern in die Hände zu fallen - lieber lassen. Die Rückfahrt war gespenstisch. Mittlerweile war es dunkle Nacht, die Temperaturen waren nicht um einen Grad gesunken und Strom gab es, mit Ausnahme der Häuser, die über einen Generator verfügten, keinen. Die Straßen nach wie vor überfüllt und gesäumt von zerlumpten Händlern, die auf kleinen, mit Kerzen beleuchteten Tischen, Kleinigkeiten anboten. Acht Bananen, Bürsten, Papier, Umschläge und so weiter. Die Gerüche von Moder und Verwesung mischten sich mit den Auspuffgasen. Vor dem Hintergrund der durch die Kerzen, einigen Feuern und den Scheinwerfern der Autos ausgeleuchteten Ruinen schoben sich die spärlich bekleideten Menschenmassen durch die engen Gassen. Die zuckenden und tanzenden Schatten der flackernden Lichtquellen verbreiteten diabolische Endzeitstimmung und wir wurden immer kleiner im Taxi. Hier geht nichts mehr, das Land befindet sich auf der Laufkatze zur Hölle und einen Weg zur Umkehr fiel keinem von uns ein. Im Hotel angekommen sahen wir die Kakerlaken fluchtartig in den Ritzen verschwinden, sobald wir das Licht anmachten. Wir schliefen
also bei Festbeleuchtung mit dem laut ratternden Klimagerät im Hintergrund zu zweit auf dem schmalen Bett. Wir waren oft wach, jedesmal, wenn sich einer umdrehte, bis um drei Uhr morgens der Strom auch im Hotel wegblieb. Das Licht erlosch, das Klimagerät setzte aus und saunamäßige Temperaturen erfüllten den Raum. Die Kakerlaken fühlten sich wohl, kamen hervor und überall knackte und krabbelte es um uns herum. Reine Nervensache, durchhalten. Der Strom schaltete sich Gott sei Dank irgendwann wieder ein, die Viecher versteckten sich, die Raumtemperatur sank wieder ab und wir schliefen wieder ein - eine der unangenehmeren Nächte in einem Hotel der oberen Mittelklasse. Am nächsten Morgen trafen wir frühstückender Weise die beiden Schwestern auf Ahnenforschung wieder. Wir tauschten Erfahrungen aus über Hitze, Kakerlaken und Preise und die Eine der Beiden bemerkte: "White Mans Grave, heißt es ja nicht umsonst. Das Klima hält kein Weißer länger aus, dazu die Malaria, kann man sich ja vorstellen.." Ja, kann man. Die beiden Profis der Recherche machten sich an die Arbeit, Friedhöfe abklappern und Behörden aufsuchen viel Spaß. Wir hatten unsere Aufgabe. Mit den beiden Koffern voller Bögen ließen wir uns die zweihundert Meter zum Postamt per Taxi bringen und den Chauffeur warten. Wir gingen hinein, erklärten unseren Wunsch und erlebten das bisher freundlichste Postamt unserer Reise. Man bat uns nach hinten, baute einen Tisch und zwei Stühle auf, brachte den Stempel mit dem deutlichsten Schriftzug und tränkte das Stempelkissen neu. Unter dem wohlwollenden Interesse des Postamtpersonals stempelten wir eine Stunde die Bögen ab und kamen in einer Art und Weise ins Schwitzen, wie wir sie noch nicht kannten. Der Schweiß perlte am ganzen Körper, wie aus einer Quelle, und wir tropften alles voll. Wir mußten aufpassen, daß wir uns nicht über die Bögen beugten, um sie nicht aufzuweichen. Nach Beendigung dieser Tätigkeit in klitschnassen Klamotten kam der Chef und fragte uns, ob wir noch irgendwelche Wünsche hätten. Ja ! Zum einen wollten wir gerne dem Schalterpersonal einen gemeinsamen Drink ausgeben und zum Anderen waren da noch die Donald-Marken. "Nur wenn es ihr ausdrücklicher Wunsch ist, sie müssen nichts bezahlen", antwortete der Chef und nachdem wir die Freiwilligkeit nochmals deutlich unterstrichen bat er uns in sein Büro. Dort öffnete er einen durch eine amtliche Tresortür gesicherten Raum und wühlte sich durch Berge von Kartons, bis er mit einem
herauskam, auf dem stand mit Filzstift "Gallery Of Old Masters". Tausende Sätze enthielt dieser eine Karton, und der Tresorraum war voll von Ihnen. Der Portowert muß sich auf ein paarhunderttausend Mark addieren, wenn nicht erheblich mehr - es gab Serienweise Sammlermarken mit allen erdenklichen Motiven - aber es war anderseits auch nur bedrucktes Papier. Äußerst penibel suchte er uns ein Dutzend Sätze heraus, wir bezahlten einhundertzwanzig Mark und nachdem wir von allen überfreundlich verabschiedet wurden brachte uns der Chef noch die Koffer zum Taxi. Ein sehr angenehmes Erlebnis - bis auf die Temperaturen - in dieser HorrorStadt. Im Hotel angekommen zogen wir die nasse Kleidung aus und blieben den restlichen Tag im Zimmer bei laufender Klimaanlage. Schon beim Verlassen des Raumes bekommt man auf dem Flur einen Schock von der stehenden, dicken Brühe, die einem nach der dritten Treppenstufe schon wieder den Schweiß auf die Stirn treibt. Abends liefen wir noch ins Restaurant runter, bekamen ein grausam überteuertes Essen von minderer Qualität und flüchteten gleich wieder unter die scheppernde Air-Condition. Die Nacht verlief ohne Stromausfall, insofern kühl und ohne Kakerlaken und am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns von den Journalisten-Schwestern, tauschten Adressen und checkten aus. Wir wollten lieber schon mal mit der Fähre auf die Halbinsel übersetzen, auf welcher der Flughafen war - keinen Bock, wegen irgendwas den Rückflieger zu verpassen - um ein anderes Hotel in unmittelbarer Nähe des Airports zu nehmen. Wir gingen vors Paramount-Hotel und bestellten ein Taxi. Die Hinfahrt mit vier Personen kostete hundert Dollar, also kann die Rückfahrt zu zweit bestenfalls fünfzig Dollar kosten. Viel mehr gab unser Budget auch nicht mehr her. Wir hatten fünfhundert Dollar für drei Tage eingesteckt - das muß wohl dicke reichen - und sicherheitshalber hatte ich drauf bestanden, weitere fünfhundert Mark cash mitzunehmen. "Müssen doch nicht ausgegeben werden, kann man ja wieder mitbringen." Master-Card wird nicht akzeptiert. Mittlerweile waren wir ganz schön abgefegt. Die Dollars waren weg fürs Hotel, Transfer, Briefmarken und Essen und wir wechselten den ersten Hunderter unter erschwerten Bedingungen zu schlechtem Kurs. Deutsches Geld haben sie nicht auf dem Zettel, nur Dollars und Pfund Sterling.
Wir täuschten uns in den Taxipreisen. Die Fahrt kostet einhundert Dollar, mit wieviel Personen, ist egal. Wir handelten wie die Weltmeister, aber niemand rührte sich. Auf das Angebot von achtzig Dollar kam nur "small money, man, very small money". So so, achtzig Dollar, einen landesüblichen Monatslohn, nennen sie small money für eine Taxifahrt von knapp dreißig Kilometern und einer knapp einstündigen Fahrt mit der Fähre, wenn sie glauben, daß du von ihnen abhängig und unter Zeitdruck bist. Angeblich war der Preis für ein Auto auf der Fähre das Problem. So ließen wir uns bis zur Fähre fahren, gingen zu Fuß aufs Boot und suchten uns auf der anderen Seite ein neues Taxi. Die schweren Koffer trugen wir in der brudaalen Hitze - um mit Klinsmann zu sprechen - lieber selbst und wimmelten alle Träger ab, um nicht erneut in Diskussionen über unverschämte Forderungen verstrickt zu werden. Das klappte alles recht gut und wir erreichten das Airport-Hotel auf diese Art für fünfzig Mark, allerdings mit arg strapazierten Nerven, erneut durchgeschwitzt und fertig für den Tag. Das Zimmer kostete natürlich auch wieder richtiges Geld, über einhundert Dollar ohne Frühstück und der zweite Ersatzhunderter DM ging drauf, mit einem kleinen Imbiß zum Abend. Aber immerhin keine Wanzen, Geckos, Ratten oder sonstiges Getier. Am nächsten Morgen wollten wir nichts mehr anbrennen lassen und fuhren drei Stunden vor Abflug des Fliegers zum Airport. Lieber sitzen wir drei Stunden vorm Schalter als zu riskieren, daß unser Platz bei den hier chronisch überbuchten Maschinen an einen Anderen vergeben wird. Wir waren tatsächlich sehr früh, allein auf weitem Feld, nur die ersten Träger lungerten herum und warteten, daß der Betrieb langsam losgehen wird. Wir klönten mit ihnen und erfuhren, daß die Preise für sie ebenso teuer sind wie für uns. Für einen Beutel Reis bezahlen sie fünfundzwanzig Dollar und ein Schälchen gekochter Reis, irgendwo hinten in den Schmuddelecken, kostet einen Dollar. Sie haben Frauen und Kinder und sind verzweifelt. Aus ihren Schilderungen war heraus zu hören, daß Sierra-Leone düsteren Zeiten entgegen sieht, wenn nicht irgendein Wunder geschieht - und wer glaubt schon an Wunder. Wir checkten ein, schmierten Zoll, Security und Immigration für nichts, aber es gibt nur diesen Weg ins Flugzeug, und der nächste Hunderter war flöten. Über tausend Mark weg, in drei Tagen, den Flug nicht gerechnet - eine teuer erkaufte Briefmarke. Aber per
Wohnmobil wäre es nicht möglich gewesen und selbst wenn, wir hätten nichts gespart. Wir saßen im Flieger. Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen und nach dem gut einstündigen Flug landeten wir in Banjul / The Gambia. Das dritte Mal reisten wir in dieses Land ein, einmal als Fremde und zweimal als Bekannte und wir fühlten uns, als kämen wir nach Hause. Alles wieder in Ordnung. Lachende Menschen, volle Regale, Eis, Pizza, Krabbencocktail, warmes und angenehmes Klima und dieses ruhige Plätzchen bei Heinz und Moni, mit denen sich bereits eine sehr freundschaftliche Beziehung entwickelt hatte. Es wird schwer sein, den Dreh zu finden, von hier weiter zu fahren. Aber wir müssen, die Regenzeiten am Äquatorbereich rücken immer näher und warten nicht auf uns. Aber erstmal bleiben wir noch ´ne Weile - bloß keine Hektik. Sollen wir nicht lieber ein paar Autos von den Autoschiebern kaufen und doch Pauschaltouristen in die Nachbarländer hetzen. Erstmal nach Mali und Guinea und dann weiter sehen. Geht ja nicht ... schade eigentlich, sehr schade ! Wir blieben noch eine weitere Woche und lernten The Gambia immer mehr kennen und lieben. Sogar an das Nachtgespenst, den alten schwarzen Watchman, hatten wir uns gewöhnt. Seine Aufgabe bestand darin, bei Sonnenuntergang zu erscheinen und das Gelände nächtens zu bewachen und bei Bedarf das Tor zu öffnen. So einen Watchman muß man haben, gehört zum guten Ton, jeder stellt so eine Person ein. Die Realität sah anders aus. Er kam wenn's dunkel wurde, machte sich ein kleines Lagerfeuer und bereitet sein Nachtlager vor. Das Öffnen das Tores überließ er denen, die gerade rein oder raus wollten und er versank in tiefen Schlaf. Hin und wieder jedoch machte er schleichend einen Rundgang und tauchte gespenstisch und schweigend unvermittelt auf und jagte einem bisweilen einen gehörigen Schrecken ein. Ihm wurde schon des Öfteren angeboten in Pension zu gehen und sein Geld weiterhin zu bekommen, aber er lehnte entschieden ab. Den Vorwurf, daß er seine Aufpasseraufgaben so gut wie nicht mehr wahrnahm, konterte er mit dem Hinweis "Hier ist noch nie was passiert. Ich habe auf dem Grundstück meine Jou-Jous versteckt und das genügt. Ich verlasse mich darauf, dann könnt ihr euch auch darauf verlassen." Ist ja was Wahres dran. Eine Unterhaltung mit ihm war so gut wie nicht möglich. Sein Englisch war unverständlich und selbst die Einheimischen hatten Schwierigkeiten, sein Gerede zu begreifen. Er
sprach ohnehin kaum, warum auch, wenn ihn keiner versteht. Eine seltsame und liebenswerte Gestalt. Die Beach-Bumpers, Rastas, deren Beruf darin besteht, Touristen anzuquatschen, sich ihnen anzuhängen und Geld locker zu machen, ließen uns mit jedem Tag, den wir länger hier verweilten, mehr und mehr in Ruhe. "I eat spezial food. I can make you very happy and can make love very long", "Let me be your friend, I show you everything and take care of you" - so oder ähnlich kommen sie auf einen zu, je nachdem, ob Frau allein oder Pärchen. Aber es hörte auf, langsam kannten sie einen und sahen uns nicht mehr wie normale Touristen. Die überall schlafenden Schwarzer, die eigentlich mit einer Arbeit beschäftigt sein sollten, kamen uns auch schon normal vor. In Schubkarren, auf kaputten Laufbänder, in Gebüschen - einfach überall pennen sie ab, die Schaufel noch im Arm. Dieses Land und die Leute genießen ein recht hohes Maß an Freiheit. Moslems und Christen leben friedlich nebeneinander her, respektieren sich und lassen sich gegenseitig gewähren. Weiß und Schwarz - no problem. Es gibt wenig Reglementierungen. Keine starren Bauvorschriften, keine Ladenöffnungszeiten, jeder macht, wie er denkt. Anderseits findet man Dinge geregelt, über die man sich wundert. Es gibt ein auf genauen Vermessungsdaten basierendes Grundbuch, zumindest für die Gebiete, die weitestgehend besiedelt sind. Heinz, der gerade mit dem Gedanken spielte, sich etwas von der Hotelarea entfernt in landschaftlich ruhiger und ansprechender Lage einen Compound zu kaufen, bot uns an, daß wir uns an ihn dranhängen könnten um bei Interesse ebenfalls ein Stück Land zu erwerben. Die Administration hatte er eh zu erledigen und da macht es keinen großen Unterschied, ob er dies für einen, zwei oder drei Grundstücke tut. Die Grundstücke sind hier alle parzelliert und jeder darf nur eine Parzelle, die hier Compound heißt, auf seinen Namen erwerben. Eine vernünftige Regelung, die großen Spekulationen vorbeugen soll und so gewährleistet, daß die Struktur in etwa erhalten bleibt. Dieser Gedanke reizte uns. Eine Winterresidenz in diesem friedlichen Land mit den traumhaften Stränden, dem angenehmen Klima und den umgänglichen Menschen. In Gedanken entstand bereits ein weißes Haus mit Strohdach in einem tropischen Garten
mit bunten Vögeln, blühenden Gewächsen, farbenprächtigen Schmetterlingen und glücklichen Haustieren. Aufwachen ! Unsere Pläne sind Andere und die Zeit drängte bereits ein wenig. Wir hatten erst in Marokko und jetzt in Gambia etwas arg getrödelt und die Regenzeit wartet nicht auf uns. Wenn wir nicht in die Hufe kommen, stecken wir später im Äquatorbereich fest, im Dauerregen, bei schwüler Hitze im Matsch zwischen Milliarden von Moskitos. Aber trotzdem, der Gedanke ließ uns nicht los und wir machten zu viert eine Rundfahrt, um ein Gebiet für den Ankauf eines Stück Landes auszuspähen. Ungefähr dreihundert Meter vom Strand entfernt verläuft eine holperige Straße aus roten Staub. Zwischen Straße und Strand hat die Regierung die Hand drauf, hier steht nichts zum Verkauf. Optionsland für große Hotelbauten - irgendwann einmal. Ein Gebiet zwischen Straße und Strand ist als Vogelreservat für alle Zeiten reserviert, aber dahinter liegt ein kleines Fischerdorf an einer Lagune, aus der ein Salzwasserfluß ins Landesinnere fließt. Der Fluß versickert nach einigen hundert Metern in einen Mangrovensumpf. Verläßt man das Fischerdorf auf der roten Piste, säumen auf der dem Strand gegenüberliegenden Seite eingezäunte Compounds die Straße. Palmenwälder und dichtes Buschwerk, man riecht bereits die kühle Brise des Meeres und wir entschieden uns spontan, an dieser Stelle den Versuch zu starten, einen Zipfel dieses Paradieses zu kaufen. Privatland, grundbuchlich erfaßt, und wir besprachen mit Heinz und Moni, daß sie versuchen werden, für sich und für uns ein jeweils möglichst großes Stück zu kaufen, wenn möglich nebeneinander. Wir erstellten Vollmachten, füllten Schecks aus und hofften, daß die beiden den Deal für uns schaukeln werden. Wir verzichteten auf Quittungen und Verträge und vertrauten ganz unserer Menschenkenntnis - das ist genau die Art von Geschäften, mit denen ich klar komme, wo ein Wort noch ein Wort ist und weder die Ämter noch die Gerichte je etwas mit zu tun bekommen werden. In dieser Art, die Dinge abzuwickeln, bestand seit je her unsere Überlegenheit und Stärke, das haben wir seit Jahrzehnten den Banken voraus und es wird sich zeigen, ob dies in diesem Fall auch so sein wird. Als wir das Gefühl hatten, alles auf den Weg gebracht zu haben, verließen wir Gambia. Es wurde auch Zeit. So langsam hatten wir uns auf diesen Rhythmus eingestellt und wir wußten beide, daß wir jetzt die Kurve kriegen mußten, sonst versacken wir hier. Ein letztes
Mal riefen die fröhlich winkenden Kinderhorden "Tubaaaaab", wenn wir vorbei fuhren. Es heißt soviel wie Weißer, und sie sprechen Tubab mit irrsinnig vielen A´s aus und freuen sich dabei wie verrückt. Bye bye Gambia, hoffentlich läuft alles planmäßig und bei unserem nächsten Besuch werden wir dann nicht mehr nur als Touristen einreisen. Je weiter wir uns von Gambia dann im Fortgang der Tour entfernten, desto zweifelhafter kam uns diese Aktion vor. Man fällt immer wieder drauf rein. Vor Ort ist man begeistert, und etwas später fällt einem auf, daß Gambia ganz schön weit weg ist von all den Orten, an denen man sich normalerweise aufzuhalten pflegt. Wir stornierten also später fernmündlich und beschlossen, uns vorerst auf unsere eigenen Aufgaben zu konzentrieren und uns später dann, irgendwann nach Beendigung der Reise, gegebenenfalls um Dinge wie ausländische Immobilien zu kümmern. ON THE ROAD AGAIN
Wir rafften uns also auf und waren wieder auf der Straße, die normalen Probleme standen uns bevor wie eine Mauer. Unmotiviert fuhren wir, solange wie möglich über gambianisches Gebiet, bis die Straße aufhörte und eine Piste nach Senegal durch den Busch führte. Wir klönten uns noch mit dem letzten Officer in Gambia fest, genossen die freundliche Konversation zum letzten Mal und fuhren einige hundert Meter weiter zum senegalesischen Grenzposten. Auch den Senegal erreichten wir mittlerweile zum dritten Mal, aber nichts löste in uns Freude, Vertrautheit oder ähnliche Gefühle aus. So schön einem das Land im Kontrast zu dem Maurateanien-Dreck erscheint, so belastend empfanden wir den Länderwechsel aus Richtung Gambia. Und wir wurden nicht enttäuscht. Es empfing uns ein Immigrationsbeamter an diesem verlassenem Grenzgebäude, der als Visitenkarte besser nicht hätte sein können, um unsere gemischten Gefühle zu untermauern. Mit vollgepisster, kurzer Hose erhob er sich schwankend und lallend aus seiner Dreckecke, wankte bedenklich Richtung Schreibtisch und fiel auf seinen Schemel. Mit einem irren Blick aus halbtoten Augen starrte er durch uns hindurch und wir schlugen ihm die Pässe auf und legten sie vor ihm hin. Trotz aller Anstrengungen gelang es ihm nicht, einen Stempel in den Pass zu setzen, er traf weder den Pass, noch war der Abdruck kräftig genug. Ein Helfer erschien, stempelte
ein und nun versuchte diese unerfreuliche Erscheinung, das Datum und seinen Namen einzutragen. Drei Striche und ein Kreis, wir griffen die Pässe, packten sie ein und machten uns fort. Eines jedoch hatte er in seinem verfaulten Resthirn fest vornan gespeichert, nämlich, daß jetzt Geld fällig war. Wir warfen ihm irgendeinen Schein auf den Schreibtisch und nix wie weg. Ein ausgezeichnetes Land, welches einen durch einen derart handverlesenen Vertreter an der Grenze empfangen läßt und wir zweifelten, ob wir nicht lieber wenden sollten und zurück nach Gambia fahren. Nein nein, wir fuhren weiter und Afrika gönnte uns noch einige Stunden normales Leben, bevor dieser Kontinent eine neue Runde im Nervenkrieg eröffnen sollte. Die Straße wurde bald wieder besser, auf glattem Asphalt fuhren wir nach Tambacounda, von wo aus wir die das Auto auf die Bahn nach Bamako, der Hauptstadt von Mali, verladen wollten. Wir erreichten Tambacounda gegen fünf Uhr nachmittags, gleich am Anfang des Ortes bogen wir einem Schild folgend in ein Hotel ein, welches uns gestattete, auf dem Parkplatz unter Bäumen zu campieren, sofern wir Essen und Trinken im Hotel zu uns nähmen. Das ist nur fair und wir machten es uns am Pool gemütlich, orderten ein paar Drinks und blickten eigentlich auf einen sehr befriedigenden Tag zurück. Was auf uns lastete, war die Sorge um das vor uns Liegende. Alles an der Situation erinnerte verdammt an Nouadibou in Mauretanien. Es gab eine Piste, etwa eintausend Kilometer, von der uns jeder abriet. Zwar kein Sand, aber erst Schlagloch an Schlagloch, dann Felsen, Gebirge und wieder kaum Orientierungspunkte. Daneben gab es die Bahn, an der wir ja schon einmal gescheitert waren. Wie das wohl wieder ablaufen wird - wenn wir das schön wüßten, wäre uns wohler gewesen am Pool. So drückte die nahe Zukunft etwas auf die Stimmung. Wir taten an diesem Tag nichts mehr, schliefen früh ein und machten uns am nächsten Morgen auf den Weg zum Bahnhof, nicht weit weg - in Tambacounda ist alles um die Ecke, wie der Name bereits verrät. Man darf sich nichts so vorstellen, wie man es vermutet. Einen Bahnhof mit Gleisen, Bahnsteigen, einem Haus mit Schaltern, Fahrplänen mit Abfahrt- und Ankunftszeiten, Toiletten, ein Restaurant und einem Wartesaal - alles Fehlanzeige. "Fahren sie ihr Fahrzeug bitte auf den Waggon, wir kümmern uns um alles und sie
können derweil ja schon einmal im Speisewagen Platz nehmen. Unser freundliches Personal freut sich und so weiter... " Ha ! Ha! Ha! SLOW TRAIN - DER ERSTE TAG
Es gibt ein paar Gleise und ein Haus und jede Menge Müll, das war´s. Wir fanden einen Raum, in dem der "Chef de gare" residierte und trugen unseren Wunsch vor. "Jaaaa, sehr schwierig, eine Plattform, so, so," startete er seine Arbeit und begann zu telefonieren. Keiner zu erreichen, um zwölf Uhr noch mal wiederkommen, das war das Ergebnis nach zweistündiger Warterei. Wir wechselten noch Geld, kauften ein paar Lebensmittel ein und fuhren erneut zum Bahnhof. War immer noch äußerst schwierig. Wann der Zug fuhr, wußte er nicht. "Jeden Tag" war seine Antwort, was nicht stimmte, wie wir später herausfanden. Die Züge fahren hier tagsüber generell nicht, nur Nachts. Wir hängten einen deutschen Werbekalender auf und schoben ihm fünftausend CFA´s über´n Schreibtisch - "Das wäre nun aber nicht nötig gewesen, dies ist meine offizielle Arbeit" sprach er, schnappte sich den Schein, ging heraus, kam nach fünf Minuten wieder und sagte: "Ihr habt die Plattform. Kommt um fünfzehn Uhr wieder zum Verladen." Wir nutzen die verbleibenden zwei Stunden um uns noch mal zu duschen und ein paar Runden im Pool zu drehen und dann ging´s los - in der Mittagshitze zum Verladen. Zu aller erst gingen wir mit einem dafür Auserkorenen in den Ort, um Befestigungsmaterial zu besorgen. Eine halbe Rolle Draht in der Stärke, wie man ihn normalerweise für Einzäunungen benutzt. Na, na, was hat er vor ? "Wir haben ein Polyester-Dach, mon ami, und der Draht schneidet sowas wie Papier." Er hätte schon größere Fahrzeuge auf diese Art befestigt und wir sollen uns keine Sorgen machen. Es ging zurück zum Bahnhof, wo sich vier Kerle unter einem Baum rumlümmelten und sie warteten auf ein Angebot, damit sie das Fahrzeug verladen. Wir wurden uns irgendwie einig, und sie begannen, die Schienen bis zu den Fragmenten einer Auffahrrampe von Sand und Müll zu säubern, um eine Plattform davor zu schieben. Ging nicht per Manpower, die Gleise waren zu schief und krumm und ich zog per Seil mit unserem Auto die Plattform zur Rampe. Dann wurde gebastelt. Mit Schwellen, Steinen, Ästen und Knüppeln und Alteisenteilen stopften sie die Lücke zwischen Rampe und Plattform, so daß ich das Wohnmobil rüber holpern konnte. Durch
die Löcher der Felgen flochten sie den Draht an Halterungen der Plattform fest, ich vertäute noch zusätzlich mit dem Strick einmal übers Auto, um ein Herunterkippen seitwärts zu verhindern und so schlecht sah es nicht aus. Wir wußten es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber damit hatten wir die Arschkarte gezogen - die goldene Arschkarte. Und ging es zuerst noch ganz glatt weiter. Wir machten den Zoll klar, schrieben die Speditionspapiere aus und das Gerücht, daß der Zug um acht Uhr abends käme, verfestigte sich. Als tatsächlich um halb acht der Zug in Tambacounda einlief, waren wir tief beeindruckt. Wir standen auf der Plattform, alle Papiere auf Reihe und die Lok rangierte uns vorne in den Zug - alles an einem Tag. Wenn es auch bis fast zehn Uhr dauerte, bis der Zug sich in Bewegung setzte, das hat ja nun verdächtig gut geklappt, aber man will ja nicht unken. Während der Wartezeit wurde der Rest der Plattform mit fünfhundert Salzsäcken vollgeladen, so daß unser Auto auch nach vorn und hinten gegen Verrutschen hundert prozentig abgesichert war. Auf die Salzsäcke kletterten Schwarze, um dort mitzureisen und los gings. Unter ihnen befand sich einer aus Benin, der sich durch sein Gehabe leicht positiv von den Anderen abhob. Er verscheuchte erst einmal die dreißig Gören, die bereits wieder begonnen hatten, unsere Fenster abzulecken und zu benuckeln und unablässig nach Geschenken zu betteln. Sein Name war Brice und er sprach dieses typisch afrikanische Englisch, sehr vereinfacht, aber verständlich. Als Beispiel für dieses Pitchin mag die Zeitung aus Sierra-Leone dienen. Sie kürzt sich FDP ab - kennt man ja - was ausgeschrieben "For Di Poeple" heißt - kennt man nicht. Vielleicht sollte sich unsere FDP auch so umbenennen um dadurch neue Wählerschichten zu erreichen, die sie über die 5%-Hürde hievt. Wir klönten mit Brice, der bereits drei Jahre in Hamburg gewohnt hatte und mich als Erstes fragte, ob ich die Sierichstraße kennen würde. Welch ein Zufall: Meine Geburtsstraße, mein Elternhaus, die Drogerie vom Alten - und nach ausgerechnet dieser Straße fragte er mich. Ich entschloß mich daraufhin, ihm einen ordentlichen Sympathievorsprung zu gewähren, was sich jedoch als vorschnell und falsch erwies. Er fuhr ebenfalls auf den Salzsäcken mit - Ziel Benin - und sollte uns im Fortgang ständig begleiten. Der Zug fährt im Schnitt mit Tempo fünfzig und das langt auch. Das Feeling im Auto war, als wenn man rückwärts über eine sehr üble Straße fährt. Das Auto schaukelt nach links und rechts, rüttelt einen
kräftig durch wobei der Lokführer häufiger mal abrupte Bremsproben durchführt, bei denen alles, was nicht fest steht, durch den Wagen poltert. Also kein Schlafen möglich. Wir lagen auf unserem Rüttelbett, rauchten ein paar Luckies, der Fahrtwind brachte angenehme Kühlung und die Landschaft zog unter sternklarem Himmel an den Fenstern unseres Salonwagens vorbei. Aus dem Taperecorder sang Willie de Ville was von "Slow Train" - es ging voran. Wir vertrieben uns die Zeit mit etwas Sex, was unter diesen Bedingungen mal was ganz Anderes ist. Automatik-Sex. Man braucht nur eine beliebige Stellung zu wählen und der Rest geht wie von selbst. "Eine Bremsprobe, und ich kriege einen Scheidenkrampf." Anyway, es wurde nicht gebremst und wir hatten unseren Spaß. Das war's dann allerdings auch mit den angenehmen Seiten dieser Bahnfahrt und bevor ich den weiteren Verlauf schildere, der für Afrika-Unerfahrene nahezu unglaublich erscheinen muß, kommt jetzt ein Exkurs über Begrifflichkeiten, damit keine Mißverständnisse aufkommen. BIMBOISMUS
Was bedeutet Bimboismus und was ist das eigentlich für ein häßliches Wort: BIMBO Rassist oder was !? Nichts dergleichen ! Wir haben uns im Verlauf dieser Reise stundenlang mit verschiedensten Weißen unterhalten, die in Afrika leben und denen es so egal ist wie nur irgendwas, ob jemand grün, schwarz oder gestreift ist. Trotzdem werden Bezeichnungen verwand, wie für alles Andere auch, man muß die Dinge ja benennen können. Von "Farbigen" oder "farbigen Mitbürgern" reden nur Leute, die ein gestörtes Verhältnis zu Schwarzen haben und immer meinen, sie müßten irgendwelche Ungerechtigkeiten in der Welt durch gestelzte Wortwahl wieder gut machen. Für diese Leute - man trifft sie hier so gut wie nicht - ist jeder Andersfarbige aus lauter schlechtem Gewissen gleich entweder ein Heiliger oder ein armes Schwein, dem man unbedingt helfen muß. "Farbiger" ist nebenbei bemerkt auch sachlich einfach unrichtig. Unter einem "Farbigen" versteht man, laut Duden, ein Kind, welches mit Fingerfarben experimentiert. Das Gegenextrem, etwa "Nigger", ist eindeutig rassistisch und kommt aus dem Ku-Klux-Klan-Repertoire, damit will keiner was zu
tun haben. Daß eingefleischte Rassisten Arschlöcher sind, das weiß hier jeder und muß nicht extra dick unterstrichen werden. Die Begriffe "Neger" oder "Neger" werden wertneutral verwandt, etwa so, wie die Schwarzen die Weißen "Tubabs" nennen - sie sind nun mal die Schwarzer und wir die Tubabs. Isso. "Bimbo" hingegen kennzeichnet nicht nur die Hautfarbe, sondern primär die Mentalität und die damit verbundenen Verhaltensweisen, die uns Tubabs immer wieder staunend vor unerklärliche Rätsel stellen. Meistens fällt das Wort "Bimbo" mit hochgezogenen Augenbrauen, einem hilflosen Blick und Schulterzucken. So gibt es den "Bimbo-Koller", gegen den es nur ein Hilfsmittel gibt, nämlich den sofortigen Rückflug und einen längeren Aufenthalt in der sogenannten Zivilisation. Dieser B-Koller entsteht, wenn einen eine Salve von völlig abwegigen und bösartigen Verhaltensweisen über einen längeren Zeitraum getroffen hat und man es auf einmal nur noch leid ist, bei allem, was man tut und plant, die absurdesten Möglichkeiten von Fehl- oder Nichtleistungen mit zu bedenken. Dann kann man sie nicht mehr ertragen, man möchte von Leuten umgeben sein, die eine Armbanduhr nicht nur tragen, sondern sie auch benutzen, die Kondome nicht verwenden, um darin gefrorenes Wasser zu verkaufen und sich wundern, daß ein Kind nach dem Anderen geboren wird, die nicht mitten im Gespräch einschlafen, denen es etwas ausmacht, dreißig Stunden auf irgendwas zu warten, was auch in zehn Minuten gehen könnte und denen es nicht gleichgültig ist, wenn vierundzwanzig Stunden täglich mindestens fünf Mann ständig auf einen einreden - kurz, von Leuten, die mitdenken, vorausplanen und die gleiche Sozialisation genossen haben - bei denen die Dinge einfach regulär ablaufen. Hat einen der Bimbo-Koller erst einmal erwischt, neigt man zu Ungerechtigkeiten da muß man aufpassen - und es passiert leicht, daß es zu Überreaktionen kommt. Es gibt weitere Wörter, die sich aus dem Wortstamm "Bimbo" gebildet haben, wie "bimbomäßig", "verbimbot" usw - so auch Bimboismus. Ist man nur kurzfristig dem verschärften Bimboismus ausgesetzt, kann es genügen, wenn man sich regulativ mit Tubabs - wenn's geht keine Franzosen - unterhält, um wieder ein Gefühl für Dinge wie Timeing, Präzision und Zuverlässigkeit zu bekommen. Man findet sie in Hotels, besseren Restaurants oder auf Campingplätzen, soweit vorhanden. Hat man jedoch eine Überdosis erwischt, droht der
Amoklauf oder - um dem vorzubeugen - die Flucht nach Europa auf schnellstmögichem Weg. Soweit die Einstimmung. Im Folgenden geht es um die Gegebenheiten, die zu einem Bimbo-Koller führen. Ein paar ganz normale und alltägliche Tage unter der sengenden Sonne Westafrikas. SLOW TRAIN - DER ZWEITE TAG
Wir rüttelten also durch die Nacht, dösten ab und zu ein, wurden durch rüde Bremsungen wieder geweckt, alles Bestens. "Könnte eigentlich immer so sein. Man fährt per Bahn, erledigt auf den Bahnhöfen die Briefmarken und weiter geht's." Der Zug hielt an jedem dicken Baum. Wir fuhren acht Stunden, um dreihundert Kilometer zu schaffen. Vor der Frontscheibe drängelten sich die Mitfahrer auf dem Salz und versuchten, nicht abzurutschen. Um sechs Uhr Morgens fuhren wir in den senegalesischen Grenzort ein, wurden auf ein Nebengleis geschoben und die Lok verschwand. Wir schiefen endlich fest ein, erwachten gegen zehn Uhr morgens durch die drückende Wärme im Auto und machten zuerst ein Frühstück. Von den Mitreisenden war nichts zu sehen. Um das Bahnhofsgebäude lagen einige kleine Rundhütten, ein paar sogar aus Stein, und darin waren sie verschwunden. Nichts für uns, wir blieben im Auto und warteten. Nur Brice kam ab und an zu, fragte wie es uns geht, ob wir etwas bräuchten und informierte uns über den geschätzten Zeitpunkt einer möglichen Weiterfahrt. Heute noch, eventuell, vielleicht gegen zehn Uhr abends. Nicht doch ! Sechzehn Stunden Aufenthalt auf dem Nebengleis in der Gluthitze, das geht doch nicht an. Es schien keinen zu stören außer uns. Wir konnten uns aus dem Auto nicht heraus bewegen. Sobald wir uns sehen ließen, kamen aus allen Ecken Schwarze, um einen zu belabern, krach zu machen und aufdringlich zu sein. So blieb uns nichts anderes übrig, als uns im Auto zu verstecken und die Gluthitze über uns ergehen zu lassen. Alle Anderen dröhnten vor sich hin, lagen mal auf der rechten Seite, mal auf der linken, rutschten ein Stück, wenn die Sonne sie wieder erreichte und sahen alles in allem zufrieden aus - ein Tag wie jeder Andere. Die Zeit schlich dahin. Stunde um Stunde ging zähflüssig ins Land, bis die Sonne langsam unterging und die Stunde von Millionen Mücken brach an. Wir schmierten uns mit ätzendem Anti-Mücken-Mittel ein. Endlich kam eine Lok, koppelte uns vom Restzug ab und schob uns auf ein Abstellgleis. "Ihr könnt heute noch
nicht weiter, es fehlt irgendein Begleitpapier. Very wichtig. Vielleicht kommt es morgen mit dem nächsten Zug. Dann könnt ihr morgen abend weiter oder übermorgen." Das war die Message vom Oberrangierer auf Befehl irgendeines Oberbimbos. Brice klinkte sich ein und ging mit mir ins Dorf, den Oberbimbo zu suchen. Er saß auf der Veranda einer Spelunke, kippelte mit dem Stuhl und machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Annett hielt die Stellung im Auto und Brice redete auf den Chef ein. "Nichts zu machen. Kein Dokument, keine Weiterreise. Ihr müßt warten." Ich bat Brice, ihn zu fragen, ob er Hunger hat, ob ein Arrangement möglich ist. "Nein, kein Problem von Geld, Problem von Dokument." Wir zogen erstmal ab. Tolle Perspektive, noch einen oder zwei weitere Tage in diesem entzückenden Ort abzuschwitzen - und das Dokument kommt sowieso nicht. Zwischenzeitlich rangierte die Lok unter dauerndem Hupen Waggon an Waggon und stellte den Zug zusammen, bloß unseren nicht. Brice schlug einen zweiten Anlauf vor. Wir liefen erneut zum Boß und Brice erzählte ihm, daß ich ein sehr berühmter Bestsellerautor wäre, der ein Buch über Afrika schreibt. Nicht dumm! Ich verstand immer gerade genug, um den Sinn mitzukriegen und Brice malte ihm aus, daß mein Buch eventuell in die Hände seiner Vorgesetzten fallen könnte und er bitte die Folgen bedenken möge. Er erhob sich tatsächlich, ging mit uns in ein Nachbarhaus und weckte seinen Knecht mit dem Auftrag, sich um uns zu kümmern. Damit war sein Job auch schon wieder beendet. Mit ihm marschierten wir zum Nächsten, der auch geweckt werden mußte - wir störten ihm angeblich beim Beten - und dieser gab Anweisung, schnellstens dafür zu sorgen, daß wir wieder angekoppelt werden. Allein, es schien zu spät. Im Hintergrund hupte die Lok immer wieder und ließ die Maschine hochtouren. Wir schnappten uns ein Auto und fuhren zum Chef de Gare. Alles stoppen, der Zug geht ohne uns nicht raus. Puh, noch mal gutgegangen, und während wir noch über den Zusatzpreis für diese Sonderleistung diskutierten, tauchte auf einmal das verlorene Dokument wieder auf, es hatte die ganze Zeit irgendwo herum gelegen. Wir mußten trotzdem an jedermann bezahlen und wurden direkt hinter die Lok verbracht und los ging´s. Schon beim hochfahren der Motoren regnete es aus dem Schornstein der Diesellok Altöl und sprenkelte auf unsere Plattform. Den Passagieren machte es wenig aus, da Altöl kosmetisch bei Schwarzen
nichts verändert, unser vormals weißes Auto sah nach diesem Abschnitt aus, als hätten wir eine Ölquelle entdeckt. Also alle Schotten dicht, keine kühle Frischluft aber dafür auch keinen Erstickungstod durch Auspuffgase. SLOW TRAIN - DER DRITTE TAG
Wir fuhren einen Kilometer über einen Fluß und machten einen zweistündigen Stop an der Grenze zu Mali, wo alle Formalitäten erledigt wurden. Unser Visum hatte keine Gültigkeit, wir hatten es in Banjul neu besorgt, da das ursprüngliche aus Bonn mit den beiden Pässen geklaut war. Die Repräsentanz war allerdings auch etwas merkwürdig. Sie bestand aus einer Werkstatt für Bootsmotoren und der Herr Honorarkonsul unterbrach nur kurz seine Schrauberei, um uns gegen Honorar, wie der Name schon sagt, ein Visum auszustellen. Unsere Skepsis führte uns schon in Banjul zur deutschen Botschaft, die uns aber mitteilte, daß nie Beschwerden über Visa dieses Abgesandten eingetroffen wären. Gültig oder ungültig, ich hatte zu bezahlen, erhielt die Einreisestempel und der Zug ruckte wieder an. Für die noch vor uns liegenden einhundert Kilometer brauchte der Zug vier Stunden und so trafen wir um zwei Uhr morgens in Kayes ein und wurden erneut auf ein Abstellgleis geschoben. Wir schliefen durch und wurden morgens vom Chef de Sekurite und seiner Crew geweckt, die uns eröffnete, daß die Befestigung des Fahrzeugs nicht sicher genug sei und, daß wir so nicht weiter fahren könnten. Außerdem muß das Salz sofort verschwinden, völlig unsichere Angelegenheit. Brice sagte, daß das Auto nicht das Problem wäre, sondern das Salz, und der Besitzer würde sich kümmern. Das Generve riß nicht ab. Erneut auf einem Nebengleis und die Weiterfahrt stand in den Sternen. Brice und ich gingen in jedes Büro das wir finden konnten, Chef de Gare, Chef de Mouvement, Chef de Sekurite, Chef de Douane und was weiß ich was für Chefs noch und der eine sagte "Alles klar" und der nächste wieder nicht, natürlich ohne Begründung - ein Idiotenspiel. Und wie die Büros beschaffen waren... Ich will mich nicht in Detailverliebtheit verlieren, aber sie wären alle für unbegehbar erklärt worden - da, wo die Zivilisierten wohnen - nur Schrott, Schutt und Dreck. Die Sonne kletterte ins Zenit, die Temperaturen im Auto überschritten die fünfzig Grad Marke und die ersten Anzeichen des
Bimbo-Kollers stellten sich ein. Wir konnten weder raus aus der Kiste, um nicht entdeckt und belagert zu werden, noch das Auto alleine lassen, da überall Diebe lauerten, die genau nur darauf warteten. Unsere Gespräche kreisten um die Vorzüge eines St.Pauli Heimspiels Mitte Februar, über das Vergnügen zu rodeln oder auf der zugefrorenen Alster einen Grog zu trinken und wehe, wir hätten jetzt die Kassette mit Lotto King Karl eingelegt - Mitten in Barmbek - dann wäre es um uns geschehen gewesen. So fluchten wir über Bimboismus, stellten uns hilfsweise schlimmere Situationen vor wie Achsenbruch fernab auf der Bergpiste und ähnliches Unbill und versuchten mehr oder weniger erfolgreich, Gelassenheit an den Tag zu legen. Annett schoß sich ungerechterweise auf Brice ein - der war gerade verfügbar - dem Einzigen, der uns half und der einigermaßen korrekt war. Lehrbuchmäßige Begleiterscheinung des B-Kollers. Zum ersten Mal fiel ein Satz, indem "Scheiß-Briefmarken" vorkam und wir versprachen uns, sollten diese extrem verbimboten Nervereien nach Verlassen der Bahn fortdauern, kein Schiff nach Namibia zu suchen, sondern eines nach Casablanca, Lissabon, Rotterdam oder Hamburg - nur raus aus diesem Irrenhaus. Der Ehrgeiz, diese Tour unter allen Umständen durchzuhalten, schmolz dahin wie unser Eis in der Sonne. Immerhin hatten wir noch die Hoffnung, ab Bamako auf guten Straße weiter fahren zu können und wieder auf uns selbst gestellt ein Land wie Gambia und Menschen wie Heinz und Moni zu finden, um erneut einen Motivationsschub zu erleben. Als wir so vor uns hin träumten, hörten wir von draußen auf einmal "Moin-Moin". Wie vom Blitz getroffen schauten wir uns an. Heißt "Moin-Moin" vielleicht in Bimbo-Sprache "Gib Geld" oder sowas oder hatten wir tatsächlich ein norddeutsches "Moin-Moin" gehört. Vor uns stand ein fülliger Typ aus Rendsburg, schätzungsweise Mitte dreißig. Er war einem Spontanentschluß folgend nach einwöchiger Planung mit Frau und zwei Kindern im Vorschulalter im nagelneuen Wohnmobil für hundert Scheine aufgebrochen, um in drei Monaten nach Südafrika zu fahren und dort einen Stein ins Wasser zu werfen. Er hatte uns im Vorbeifahren auf der Plattform gesehen und wollte mal eben "Moin-Moin" sagen. Er parkte ein, wir gingen in sein überaus komfortables Wohnmobil, tranken Eiskaltes aus der Gefrierbox und klönten von Nord-Tubab zu Nord-Tubab. Die ganze Familie war sehr flach gestrickt, Handwerker, Self-Made-Man,
selbständig mit 'ner kleinen Baufirma und KfZ-Handel gerade dabei, einen Jugendtraum zu verwirklichen. "Bevor die Lütten in die Schule müssen." Keine Sandbleche, keine Ahnung, keine Visa, kein Konzept - einfach los und irgendwo in Dakar mal ´ne überalterte Landkarte gekauft - Gott ist mit die Doofen. Er hatte sich auch nicht für die schlechte Straße und gegen die Bahn entschieden, er wußte weder von dem Einen noch dem Anderen, er fuhr den bunten, kringeligen Linien auf der antiken Michelin-Karte nach. Sprachkenntnisse gleich Null. Er auch hatte einen jungen Schwarzen aufgegabelt, der sich im Wohnmobil wie zu hause fühlte und rein zufällig nach Bamako wollte und sich ihm anvertraut. Laut dessen Aussage lagen nur noch sechs Stunden Fahrzeit vor ihm für sechshundert Kilometer ohne Straße und er glaubte ihm, weil es so gut klang und er ihm gerne glauben wollte. Mein lieber Scholli, was man für Leute trifft ... Sein Wohnmobil wollte er in Gabun verkaufen, in Libreville, der teuersten Stadt der Welt, was man so hört - Cola acht Mark und sone Scherze - dort vermutete er Geld. Er fuhr dann weiter, während seine übergewichtige Frau an die fahlblassen Gören Dünnschißtabletten und Malariamittel ausgab. Hoffentlich treffen wir sie noch mal wieder, solche Menschen kommen meist irgendwie durch. Zwar mit schwer Federn lassen, aber sie kommen durch. Vielleicht liegt es an der Struktur des Nervenkostümes. Ihn ficht nichts wirklich an. Man braucht hier Nerven wie Gummiseile oder gar keine. Alles dazwischen, diese feinen Verästelungen um Zwischentöne und Nuancen wahrzunehmen, kannst du hier nicht brauchen und er hatte sowas gar nicht erst eingebaut. Es langt vollkommen, wenn man grobe Raster wahrnimmt: Hell und Dunkel, Warm und Kalt. In dieser Hinsicht war er uns überlegen - zumindest für diesen Teil Afrikas. Wir verkrümelten uns wieder in die Hitze des Autos und es kam eine Lok, die uns abkoppelte und auf ein anderes Abstellgleis schob, um in einen Nebenwaggon das Salz umzuladen. Warum - ich weiß es nicht. Danach schob man uns zurück an die ursprüngliche Position. Jedesmal interpretierten wir in diese Bewegungen etwas hinein. "Jetzt geht's weiter." "Sie stellen jetzt den Zug zusammen" usw. Die Sonne versank erneut, die Mücken wurden wach und noch mal hakte sich eine Lokomotive ein und brachte uns zusammen mit weiteren Waggons auf ein zwei Kilometer entferntes Abstellgleis. Zum verfaulen.
Brice und ich liefen los um irgendwas in Erfahrung zu bringen. Wie deprimierend. Ohne jeden ersichtlichen Grund waren wir auf keiner Zugliste vertreten, obwohl wir den halben Tag von Büro zu Büro getobt waren und es schien unmöglich, uns hinter den Zug zu hängen. Der Chef de Sekurite machte einen ganz kompetenten Eindruck - verhältnismäßig, sehr verhältnismäßig - und wollte sich nun wenigstens dafür verwenden, daß wir am nächsten Tag am Morgen mit dem ersten Zug weiter kommen. Kein Wort mehr von unsicherer Verankerung des Fahrzeuges, das war wohl nur mal so ein Gag am Rande. Ich schmierte ihn und den Chef de Rangier und erwähnte zudem den gesundheitlich bedenklichen Zustand meiner Frau Gemahlin, um zu erreichen, daß die Angelegenheit auch gefühlsmäßig voran getrieben wird. Aber das ist ihnen eh Wurscht, wie alles Andere auch, bis auf Geld. Wir legten uns hin, betrieben aufwendige Insektenabwehr, flüchteten mit einem schnellen Sprung unter das Mokitonetz und die Stimmung war auf unter Null gerutscht. Wir konnten nichts mehr aus eigener Initiative machen, nicht mal von der Plattform runter und den Rendsburgern hinterher - aber das war sowieso nicht unser Wunsch. Nicht einmal waschen konnten wir uns, da wir es für zweckmäßig hielten, die gut einhundert Liter Wasser als Trinkwasser zu sparen, angesicht der unsicheren Zukunfsperspektiven. Wir begannen seltsam zu muffeln und waren nur noch genervt und der arme Brice und ich als Überbringer schlechter Nachrichten zogen uns den Zorn von Annett zu - alles Idioten, erschießen, Klapsmühle und Schlimmeres. Fluchtpunkt Sarkasmus half auch nicht mehr. Schwere Symptome von Bimbo-Koller machten sich breit. SLOW-TRAIN - DER VIERTE TAG
Wir stellten uns den Wecker um aufzupassen, daß wir den Frühzug nicht verpassen und rechtzeitig beim Chef de Sekurite auftauchen, damit der sich wieder an uns erinnert. Der Tag begann, wie der letzte geendet hatte, nur waren wir mittlerweile noch etwas dreckiger, verölter, stinkiger und von Mücken zerstochener. Es stellte sich heraus, daß es sich hier um einen Personenzug handelt und nicht um einen Güterzug, da kann man uns nicht dranhängen. Warum sagt er es uns dann zu, dieses Arschloch, aber schenken wir uns Fragen nach dem Warum, die sind im klassischen Bimboismus nicht vorgesehen.
Wir wurden vertröstet unter der Zusage, mit dem nächsten Zug auf jeden Fall mitzukommen - schon wegen der kranken Mademoiselle der fährt am Nachmittag oder in der Nacht. Also in der Nacht. Im Grunde nichts Neues. Ein weiterer Tag mit Müsli essen lag vor uns ich bin der Müsli-Man - so komfortabel und harmonisch wie die drei vorausgegangenen und mit der gleichen Unsicherheit, wie es wohl weitergehen werde. Wir hörten noch, daß die letzten Touristen hier vier Tage gewartet haben - das macht Mut. Wir erinnerten uns der Worte vom schwulen Robert aus dem englischen Overlander-Truck: "Ich hoffe, ich bekomme ein bis zwei Mal eine schwere Malaria. Wenn mich dann einer fragt, wie's in Afrika war, dann sage ich "Alles vergessen, sorry". Ich laß mir dann sicherheitshalber nur noch meinen Namen auf die Hand tätowieren und muß mich um nichts mehr kümmern." Wie es ihm wohl gerade ergeht .... oder Sue .... Uns wurde klar, daß man uns nicht als Fahrgäste oder als Fracht betrachtete, sondern als Geiseln und erwartete, daß wir in Lösegeldverhandlungen eintreten, um hier nicht zu verschimmeln. Folglich wiederholten wir die Runde vom Vortag von Büro zu Büro und steckten jeden, der etwas wichtiger aussah, ab. Diese Scheißtypen lassen einen tagelang in der Hitze schmoren und kommen auch nicht ans Fahrzeug, um ihre Erpressungen vorzutragen, sondern warten, bis du weich gekocht bist und von selber angeschissen kommst. Gott sei dank wissen sie nicht, was Geld wirklich ist und, daß sie aus einem in einer Situation wie dieser ganz andere Beträge erpressen könnten. Dreißig Mark war bis dahin der Höchstbetrag an Schmiergeld für Uniformträger und zwischen drei und fünfzehn Mark verlangen Blaumann- oder Kittelträger. Es summiert sich allerdings auch so ganz nett auf. Wir hatten noch kein Drittel der Gesamtstrecke hinter uns und schon überstiegen die Bestechungsgelder die regulären Fahrkosten bei weitem. Die Kühlbox funktionierte schon lange nicht mehr, sie kam gegen die Hitze nicht an und der Inhalt, Butter, Käse und Joghurt, war zu einer flüssigen und übelriechenden Masse vergoren in der Cola-Dosen wuchsen. Der Tag wurde erneut sehr heiß, es wehte kaum ein Lüftchen und mittlerweile hatte unser Freund Brice sich den Beifahrersitz erobert. Da nun keine Salzsäcke mehr auf der Plattform lagen war es nicht mehr sicher, draußen zu schlafen, da er bei einer rüden Bremsung im wahrsten Sinne unter die Räder gekommen wäre. Vorläufig jedoch fuhren wir nicht einmal. Dieses Eindringen in
unsere Privatssphäre unter dem Vorwand angeblicher Sachzwänge, die nie entstanden wären, wenn er sich nicht ohne unser Einverständnis aufgedrängt und - zugegeben - auch nützlich gemacht hatte, war wirklich belastend und einengend. Um ihn rauszuschmeißen, war es nun zu spät, dafür hatten wir zu lange miteinander geklönt, gegessen und waren gemeinsam durch die Administration gelaufen. Annett war nur noch komplett genervt und zeigte dies auch - sie mochte ihn ohnehin nicht - und war dabei, vom B-Koller zum platten Rassismus zu konvertieren und sah es überhaupt nicht ein, sich mit einer Person zu belasten, die ihrer Meinung Teil dessen war, was seit Tagen keine Skrupel hat, uns das Leben schwer zu machen, uns zu nötigen, zu erpressen und unsere Nerven zu strapazieren. Ist was dran, zweifellos. Mir ging er ebenso auf den Sack. Ewig "Mistä Pitä, give me water, give me this, Mistä Pitä, give me that, Mistä Pitä". Mein Standpunkt jedoch basierte im Groben auf einer grundsätzlichen Wahrheit, die ich erkannt zu haben glaube, und die besagt, daß das einzig Reale im Leben der Zufall ist. Dies trifft auch auf Personen wie Brice zu und der Zufall wollte es, daß er uns traf, daß er die Sierichstraße kannte, meiner Generation angehörte, und wir ihm die Möglichkeit verschaffen konnten, ohne Mehrkosten schon einmal tausend Kilometer in Richtung seiner Heimat zurück zu legen. Fahrgäste im Auto sind frei, solange für das Auto bezahlt wird - kommt allerdings auch nicht drauf an, bei den Nebenkosten. Eigenes Geld hatte er keines. Ich fand es zum einen arschlöchig, unter diesen Umständen die Hilfe zu verweigern und zum Anderen hat es in meinen Augen keine Größe, nur denen was zu geben, die einen erpressen, nötigen und zwingen und an denen, die weder fordern noch betteln und sich wenigstens Mühe geben, die emotionale Rache auszuführen und Sparsamkeit an den Tag zu legen. Graueste Theorie. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was in diesem Fall richtig ist. Mein Standpunkt bedient sich zwar eines boulevard-philosophischen Hintergrunds, aber er kann nichts desto Trotz oder gerade deswegen grottenfalsch, unangebracht und weltfremd sein. Wir waren noch bei Sinnen genug, diese Diskussion auf einen streßfreieren Tag zu verschieben, damit wir uns nicht noch unter diesen Umständen in die Haare gerieten, und verfielen wieder in dumpfe Warterei. Nicht mal lesen, nur geradeaus starren. Der Tag ging noch langsamer vorbei als die voran gegangenen. Am Abend stellten wir fest, daß keiner von uns auf den Trichter
gekommen war, per Taxi zum Postamt zu fahren und schon einmal die tausend Briefmarken zu besorgen. Einerseits hätten wir die Zeit beim Kleben recht gut rum gekriegt, anderseits baut es auch immer auf, wenn das Gesamtbild des Bogens wächst. Mit Chance wäre sogar die Abstempelung möglich gewesen. Aber wir haben einfach nicht dran gedacht - zu sehr auf Bamako fixiert - das Bewußtsein war noch gar nicht in Mali. Um elf Uhr in der Nacht koppelte man uns tatsächlich an einen Zug. Es lief auf dem Bahnhof aber auch kein Offizieller mehr rum, der nicht unsere Knete auf Tasche hatte - und ich glaube, es gab auch kaum noch eine Mücke, die nicht von unserem Blut lebte - und nachdem wir angekoppelt waren, gaben sie uns alle durch Handzeichen und triumphierende Zurufe zu verstehen, wie dankbar und begeistert wir sein müßten, daß wir tatsächlich nach über fünfzig Stunden Wartezeit weiter transportiert würden. Wir überlegten, ob sie zu einer feinen Form des Hohns vorgedrungen waren, aber niemals, diese Überlegung verfehlt den Rahmen der bimboalen Empfindungswelt meilenweit. Was sie uns zu verstehen geben wollten war "Weiterfahren viel gut", nicht mehr und nicht weniger. Aber so weit waren wir noch nicht. Der Sicherheitscrew fiel ein, daß da ja noch was war und sie knüpften an, wo sie vor zwei Tagen aufgehört hatten: Die Befestigung des Fahrzeuges entspräche nicht ihren Vorstellungen von Sicherheit. Ich mache es kurz: Achttausend CFA`s, dann war's supersicher, fünfundzwanzig Mark. Ein weiteres "Ticket" mußten wir auch noch kaufen, sechstausend CFA´s, und um ein Uhr nachts rüttelte der Zug endlich los, wir waren nur noch müde und schliefen wie die Steine - nix mehr gemerkt. SLOW TRAIN - DER FÜNFTE TAG
Wir erwachten gegen acht, es war bereits länger hell, und wir standen auf einem Bahnhof. Der Zug setzte seine Fahrt fort - man bedenke: Am hellichten Tag - hielt an jeder Hütte, ob rund oder eckig, und der eine brachte eine Ziege, der nächste bekam einen trockenen Fisch und wieder einer hatte einen Stapel Feuerholz. Wir schliefen fest ein. Aber nicht lange. Um zehn Uhr hielt der Zug bei einem gottverlassenem Kaff aus primitivsten Rundhütten, hupte spöttisch drei Mal und weg war die Lok. Der Sicherheitsdienst kam und besah sich unseren Waggon. Diesmal war es nicht die Befestigung des Wohnmobils, diesmal erklärten sie
die ganze Plattform für verkehrsunsicher. Da gibt es nur Eines: Die Plattform auskoppeln und bis Montag - drei Tage - warten, bis die Plattform repariert werden kann. Ich mußte mich stark zusammenreißen - gib mir ´ne Handgranate. Ich ertrug die schwarzen Fressen nicht mehr, den dummdreisten Blick, die bescheuerte Art zu reden, laut, hektisch und immer so, als wenn es um das Ende der Welt ginge. Ich sagte zu Brice, er solle den Bastard fragen, was er haben will und ihn dann zur Hölle schicken. Achttausend CFA´s und die Plattform war wie von Zauberhand repariert. Der Weiterfahrt stand vorerst nichts mehr im Wege, bis auf das Fehlen einer Lokomotive. Auf unsere Fragen erhielten wir jede erdenkliche Antwort, aber sie reden nur irgendwas, es hat keinen Bezug zur Realität. Die Realität war, daß wir die Mittagshitze wieder einmal bei völliger Windstille auf einem Abstellgleis in Deckung verbrachten, naßgeschwitzt am ganzen Körper. Mir ging Einiges durch den Kopf. Als ich in den späten Sechzigern als junger Hippie das erste Mal in den Schulferien nach Amsterdam trampte um mir ein Stück Schimmel-Afghan zu kaufen und Pfingsten im Vondelpark durch zu kiffen, gab mir ein älterer und erfahrener Freund folgenden Tip. Meine revolutionäre Hippieseele brannte vor Empörung. Für mich waren Schwarzer die Leute, mit denen Alexis Corner den Blues spielte, ehemalige unterdrückte Sklaven auf den Cotton-Fields bei New-Orleans - Mississippi Delta People. Und diesen Brüdern im Kampf gegen die Unterdrückung sollte ich mit spießbürgerlichem Mißtrauen begegnen. Zum Trotz kaufte ich gerade eine Ecke bei 'nem Schwarzen und meine Illusionen gingen sprichwörtlich in Rauch auf, als das Erworbene beim warm machen Feuer fing, eine schwarze Rußfahne entstand und mir der Rest brennend vor die Füße tropfte wie kleine Brandbomben. "Hey man, very good Quality !" Jahre später, wieder in Amsterdam, traf ich einen Freund, der sich in der Stadt niedergelassen hatte. Konnte ich damals, wenn auch schon abgeklärter und um mehr als einer Illusion beraubt, nicht drüber lachen. Mittlerweile habe ich mich diesem Humor erschlossen. Es sah zu diesem Zeitpunkt so aus, als sollte diese Voraussage mehr nur als eine Außenseiterchance haben - zu meinem ehrlichen Bedauern - aber wenn ich in mich reinhörte, war da einiges in mir, was mir nicht gefiel. Auch Brice verspielte seinen Sympathievorsprung von Stunde zu Stunde - seine naiven
Vorstellungen von Allem waren erschütternd dämlich - und wie er aß, und vor allem was - ihm gegenüber mußte ich mir mehr und mehr Mühe geben, um meinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Wie lange wird mir das noch gelingen - Annett hatte dies bereits lange aufgegeben. Die Zugreise wurde gegen achtzehn Uhr fortgesetzt. Vor jeder weiteren Station bekamen wir Horror, daß man uns erneut als Geiseln nehmen würde und uns unter irgendeinem erdenklichen Vorwand wieder auf ein Nebengleis verbringen wird. Das passierte nicht, aber die Lokomotive gab den Geist auf, als die Strecke leicht bergan ging. Der Zug rollte rückwärts, die Lok gab sehr beunruhigende Geräusche von sich, verschnaufte, drehte hoch, ruckte wie in den letzten Zuckungen und schaffte es gerade noch, mit Tempo zwanzig - hoch geschätzt - weiter zu ächzen. Wir schliefen ein, nur einmal geweckt, da wir eine neue "Fahrkarte" kaufen mußten, - zehntausend CFA´s - und wachten dann erst wieder gegen zwei Uhr morgens auf. Übrigens: Fahrkarte kaufen bedeutet nicht, daß man ein Ticket bekommt, sondern, daß irgendein Wichser in Bahnuniform eine handvoll Scheine einsackt. SLOW TRAIN - DER SECHSTE TAG
Wir waren in Bamako, so teile es uns Brice mit, und wir hatten bis zum nächsten Morgen zu warten, damit der Wagen von der Plattform runter gefahren werden könne. Schönes Ding. Wir nahmen es im Halbschlaf wahr, drehten uns wieder um und wachten um acht auf, da um uns herum reges Markttreiben auf den Gleisen stattfand. Holzscheite wurden hin und her geworfen, Eimer und Tabletts mit gulpigen Sachen schwebten vor den Fenstern hin und her, auf den Köpfen der Frauen, begleitet von lautstarken Gefeilsche und Geschrei. Nach dem Frühstück ging ich mit Brice los, um die Lage zu peilen. Von wegen Bamako, die dritte Geiselnahme hatte stattgefunden. Den ganzen letzten Abend konzentrierten sich unsere Ängste bezüglich einer erneuten Festsetzung auf einen Ort namens Kita, da dieser in der Karte größer eingezeichnet war als die anderen und auffällig nach Abstellgleis roch, aber jetzt waren wir in Kati hängen geblieben - nur die Buchstaben verdreht - schlappe fünfzehn Kilometer von dem Ziel der Reise entfernt, und doch brachte es uns keinen Schritt weiter. Diese hinterhältigen schwarzen Teufel hielten es für richtig,
uns wieder einmal schmoren zu lassen. Nach wie vor hilflos und unbeweglich stand das Auto auf der Plattform. Wir entdeckten eine Rampe. Man müßte nur ein paar Waggons wegziehen, uns hinschieben und wir wären frei. Die paar verbleibenden Kilometer nach Bamako fahre ich notfalls im Rückwärtsgang, nur um dieser zermürbenden Abhängigkeit zu entrinnen. Wir fanden einen Verantwortlichen, der besah sich unsere Papiere und sagte, daß dies ohne Weiteres möglich wäre, aber nicht, wenn es sich um einen internationalen Transport handele. Und von Senegal nach Mali ist international, da kann man erst in Bamako von der Bahn - und was Gesetz ist, muß schließlich Gesetz bleiben. Na Klasse. Eine Lokomotive war eh schon wieder nicht vorhanden. Aber die sagte er uns für die Zeit zwischen elf und zwölf an, dann geht's mit Sicherheit weiter. Was das hieß, war uns mittlerweile klar: Ein weiterer Tag in der prallen Sonne, mehr und mehr aus jeder Pore stinkend, und eine eventuelle Weiterfahrt in den späten Abendstunden lag an. Außerdem war Sonntag, keiner mochte mit Sicherheit sagen, ob Sonntag überhaupt jemand arbeitet, da gingen die Vermutungen auseinander - aber was einer sagt oder nicht ist so unerheblich, wie nur irgendwas unerheblich sein kann. Nur eines war sicher: Wir hatten zu warten. Was für eine unglaubliche Geduldsprobe. Sie hatten sich für diese Station eine perfide Art der zusätzlichen Folter ausgedacht. Der Waggon stand vor einem Blechhaus, in dem die Wilden von Morgens bis Abends auf Schlaginstrumente eindroschen und dazu diabolische Laute von sich gaben - der Schädel dröhnte, die Hitze wurde von Stunde zu Stunde unerträglicher. Ochsenzoll. Wir überlegten, ob wir uns Valium verpassen sollten, wollten aber lieber klar bleiben - soweit man unseren Zustand so nennen konnte - um eventuell in den Abendstunden doch noch was zu bewegen. Die Zeit lief garnicht mehr - jede Stunde zählte wie fünf - und nach einer unendlich langen Dauer des Versteckens kam ein Zug eingefahren. Wir konsultierten die Erpresserbande, welche langsam die Preisschraube anzog, und erreichten für fünfzehntausend CFA´s, knapp fünfzig Mark, einem halben Monatslohn, daß man uns nach Bamako auf´s Abstellgleis zog. Für uns mußte irgendein anderer Waggon stehen bleiben, damit die Gesamtzahl stimmt. Was mit dem passiert, blieb unklar. Die Fahrt dauerte keine zwanzig Minuten. Um zehn Uhr standen wir in Bamako, die Straße keine fünfzig Meter entfernt, und nichts rührte sich mehr. Wir suchten den
Bahnhof nach langen Stahlplatten ab, um selbst eine Rampe zu bauen - wir waren der erste Waggon - aber es fand sich nichts Brauchbares. Der Dreck, der Staub und das überall verteilte Maschinenöl hatte unser Hautfarbe in Richtung Schwarzer verändert. Wir stanken wie die Bergziegen, klebten am ganzen Körper, flüchteten unter das Moskitonetz und stellten uns auf den nächsten Tag im Glutofen ein in der Hoffung, am nächsten Abend an die Rampe rangiert zu werden. Sie arbeiten tagsüber nicht, soviel hatten wir gelernt. SLOW TRAIN - DER SIEBTE TAG
Nachts gegen halb eins ging ein harter Ruck durchs Wohnmobil. Eine Rangierlok fuhr uns auf ein Nebengleis vom Abstellgleis, um den Container, der hinter uns im Zug stand und wohl irgendwie wichtig war, heraus zu holen. Ein Glücksfall. Wir nahmen sofort die Lösegeldverhandlungen auf und tatsächlich brachte uns der Rangierer für zehntausend CFA´s an die Rampe. "Um sieben Uhr dreißig wird abgeladen." Von wegen. Wir machten uns sofort an Ort und Stelle an die Arbeit, bevor jemand auf die Idee kommt, uns zwei Meter zurück zu ziehen um nochmal in Preisverhandlungen einzutreten. Wie bei einem Gefängnisausbruch, die Mücken ignorierend, zersägten wir die Verankerung, schoben eine Stahlplatte über Plattform und Rampe und fuhren runter. Frei ! Wir schlichen über das Bahnhofsgelände und suchten einen Fluchtweg. Alles eingezäunt und am einzigen Ausgang lauerte die Polizei. Sie verlangte diverse Abstempelungen, die man um zwei Uhr morgens natürlich nirgendwo bekommt. Unsere Laune stieg angesichts der in greifbare Nähe gerückten, endgüligen Befreiung und wir schluckten mit eintägiger Verspätung das Resochin. Wir nahmen diese Verspätung trotz der vielen Mücken notgedrungen in Kauf, da wir uns angesichts der Gesamtsituation am Vortag nicht noch zusätzlich schwächen wollten. Mein Hass jedoch hatte sich verfestigt. Ich malte mir aus, was passiert, wenn einen auf einer solchen Tour die Malaria erwischt. Sie lassen einen in ihrer Gleichgültigkeit und Geldgier eiskalt wegen fünfundzwanzig Mark verrecken, und da hört der Spaß doch langsam auf. Ich nahm mir vor, mich verstärkt zu kontrollieren. Nicht das Differenzieren aufgeben, nicht jeder ist gleich und so weiter und beschloß für mich, trotz einer völlig gegenteiligen Empfindung zum Zwecke des Selbstbeweises meinem Vorhaben treu zu bleiben und
Brice das Geld für die Weiterreise nach Benin zu schenken. Dann schlief ich ein. Wir erwachten früh von Qualm, Staub und Auspuffgasen. Schwarze mit Mundschutz wuselten herum und ich quälte mich resochingeschwächt hoch. Wir nahmen die Stempeltour durch verwarzte Büros in Angriff und es war fast unmöglich, ohne Sauerstofferät in der unerträglichen Luft zu athmen. Der erste Weg führte uns zu einem Spediteur, wir warteten eine Stunde, bis er alles zusammengekramt hatten und er rechnete aus, daß wir ein weiteres Mal einhundertsiebzigtausend CFA´s abzudrücken hätten fünfhundert Mark, glatter Raub. Dicke Luft, kein Frühstück und Resochin, - egal - ich hob zu einem Proteststurm an, da ich mich wieder stärker fühlte, weil das Auto endlich mit vier Rädern am Boden war, aber der Sturm war nur einer im Wasserglas, ich zog es schnell vor, mich zu fügen - nur weg. Der zweite Stempel war locker, der dritte führte mich drei Kilometer über die Gleise zu dem Commissariat Spezial. Der Bulle nahm meinen Laufzettel, legte ihn sich auf den Schoß und sagte ohne sich zu rühren: "Warten." Ich spürte förmlich, wie mir ein Geschwür wuchs. Er blieb eine viertel Stunde ruhig sitzen und kraulte sich die Eier, ich lief schwer athmend wie ein Tiger im Käfig in seinem Zimmer auf und ab und dann stempelte er endlich ab. "Merci, Monsieur, au revoir, du stinkendes Stück Müll." Deutsch ist eine schöne Sprache. Auf dem Rückweg verwehrte man mir den Weg über die Gleise - zu gefährlich - und ich mußte in verpesteter Luft ungefrühstückt einen kilometerlangen Umweg in der knalligen Sonne machen, vorbei an toten Fischen und über Müllmärkte, und nun war ich richtig frisch. Wir durften endlich fahren - das mit dem Geld für das Ticket nach Benin war gestorben, es gab nur die paar restliche Scheine, die sich noch in meinen Taschen befanden - "Pech, mein lieber Brice, hast ja gesehen, wo die Knete geblieben ist" - und ich fuhr fluchend und pöbelnd durch Bamako: "Verschwinde vor meinem Kühler, du Dreck", "Verpiß dich, Rattenmilbe" und so weiter ging es Richtung Hotel. Mußte sein, es hat entschlackt. "Nun krieg dich mal wieder ein", kam es selbst von Annett. Eine Bullenkontrolle überfuhr ich "Fickt euch selber, schwarze Pestbrut" und wir kamen übel riechend und völlig verdreckt mit ölverschmiertem Fahrzeug in einem Apartement-Hotel an, welches wir aus dem Reiseführer gesucht hatten. Ok, Ok. Bißchen schmuddelig, aber es gab warme Duschen,
Air-Condition, Strom und sogar einen Fernseher mit Franzokkensendern. Das war kein normaler B-Koller mehr, ich war reif fürs Sanatorium und nicht gewillt, noch einen Meter weiter zu fahren und wir checkten ein. Der Koller klang ganz, ganz langsam ab - ob wir ihn je wieder vollkommen los werden, vermochte ich zu diesem Zeitpunkt nicht vorhersagen - und wir resümierten über die hinter uns liegende Woche: Tausend Kilometer in einer Woche. Nettofahrzeit in der Nacht: ca 30 Stunden. Wartezeit: ca 110 Stunden, davon bei brütender Mittagshitze ca. 35 Stunden ... und das Ganze für über tausend Mark, mehr als die Hälfte davon Schmiergeld. MALI
Erst nach Verlassen des Bahnhofs hatten wir das Gefühl, in Mali eingetroffen zu sein. Bamako wimmelt von Menschen, jede Straße ist von Händlerbuden gesäumt, wie diese größeren, afrikanische Städte so sind, und mit dem Auto durch zu fahren ist kein Vergnügen. Zwei große Brücken führen über den Niger, über dem in der Dämmerung und Nachts Fantastrilliarden von Mücken schwirren, und man läßt mit dem Überqueren dieses Flusses bald die Hektik des Zentrums hinter sich. Im Hotel, welches aus kleinen Bungalows, in einem tropischen Garten gelegen, bestand, ließ es sich gut aushalten. Wir trafen zwei Deutsche aus Stuttgart, mit denen wir uns unterhielten, zwei Kanadier aus einem kanadischen Fernsehteam, die sich auf dem Rückweg von einem Naturdreh in Cameroon befanden und sich noch Land und Leute anschauten. Wir saßen bis spät nachts zusammen im Gartenrestaurant der Anlage, bekamen passables Essen mit kalten Getränken, duschten mehrfach warm während die Klimaanlage den Bungalow kühlte, machten das Auto innen wieder begehbar und mit der Zeit fühlten wir uns in sauberen Klamotten wieder besser. Das hinter uns Liegende relativierte sich, unsere Fähigkeit zu Differenzieren kehrte Stück für Stück zurück und wir konnten bereits über die Unfaßbarkeit der Bahnpassage lachen. " ... das glaubt dir zuhause kein Schwein ..." Den im Raum stehenden Gedanken von einen möglichen, zeitlich unbestimmten Unterbrechung der Reise stellen wir ganz weit nach hinten, ihn allen Ernstes in Erwägung gezogen zu haben war
allerdings schon deprimierend und der frühe Zeitpunkt obendrein ernüchternd. Wir ließen es ruhig angehen, schickten den Hotelboy - Spitzname Mike Thyson - ins Hauptpostamt zum Briefmarken kaufen, um der Parkplatzsuche im Gewühl und dem Gedrängel zwischen den schwarzen Menschenmassen vorerst noch aus dem Weg zu gegen um die Rekonvaleszenz vom B-Koller nicht zu gefährden. Die beiden Schwaben erzählten uns, wie begeistert sie von den südafrikanischen Ländern wären - Namibia, Südafrika, Botswana, Zimbabwe usw und, daß selbst im Vergleich zu Asien und Südamerika Westfrika mit Abstand am beschissensten und am teuersten ist, die Menschen am übelsten drauf und am wenigsten funktioniert, und wir schöpften Hoffnung bezüglich einer Verbesserung der Reiseumstände in den nächsten zwei Monaten, wenn es uns denn gelingen sollte, eine Schiffspassage auf einem europäischen Dampfer von Togo oder Benin nach Namibia zu finden. Die Zeit drängte ein wenig und wir hatten noch Guinea auf dem Zettel. Laut der Information von Mister Heinz führt der Weg - gut zweihundert Kilometer - über eine neu gemachte Teerstraße. "Da ist gerade kürzlich einer gefahren. Der hat gesagt, es wäre eine hundertzwanziger Straße, kein Problem." Hundertzwanzig fährt unser Auto ohnehin nicht, aber diese anscheinend problemlose Tour wollten wir noch vor dem Wochenende abhaken. Morgens früh los, drei Stunden fahren, Briefmarken kaufen, in der Mittagspause einkleben, nachmittags abstempeln lassen und abend zurück nach Bamako in die klimatisierten Bungalows der Kolibri-Hotelanlage. Wir lernen aber auch nicht dazu. Immer wieder machen wir Pläne und geben uns Zeitvorgaben, und das ist in Afrika einfach blöd. Es sollte genau die Tour werden, die wir nicht haben wollten, nach den Strapazen der Bahnfahrt. STAUB FRESSEN
Was die Straßenbeschreibung betrifft, da muß jemand was verwechselt haben. In der Karte ist die Straße als Salami-Piste eingezeichnet, rot-weiß gestrichelt, und das heißt nichts Gutes. Und so war sie auch. Eine ganz üble Schweinepiste, hartes Wellblech, felsiger Untergrund mit hunderten Schlaglöchern, bedeckt mit einer zentimeterdicken roten Staubschicht. Im Schnitt fuhren wir dreißig km/h, mal weniger, mal mehr. Fünfzig km/h war
Spitzengeschwindigkeit über kurze Abschnitte, aber bei diesem Tempo verkürzt sich die Reaktionszeit zu stark, um dem nächsten Schlagloch oder einer Welle auszuweichen. Kaum ein Auto kam uns entgegen, und trotzdem konnte man vor Staub kaum atmen. Auf der Straße bildeten sich immer wieder kleine Windhosen, die herumwirbelten und uns das Zeug um die Ohren schleuderten. Die paar fahrenden Autos, die wir sahen, zwangen uns zum Anhalten, da der aufgewirbelte Staub uns für Minuten die Sicht und die Luft nahm und wir warten mußten, bis er sich einigermaßen gelegt hatte. Alles dreckte binnen kürzester Zeit total ein, die Nase verkrustete und die Lunge belegte sich wie bei einer Erkältung, während wir uns schlangenlinienfahrend Kilometer um Kilometer vorwärts bewegten. Die Naturkulisse war ansprechend. Dichter Busch und kapitale Bäume vor schroffen Felswänden, kleine Brücken führten über Bäche, die Piste ging durch Rundhüttendörfer, in denen uns die Menschen zuwinkten und uns irgendwas Unverständliches zuriefen. Je nachdem, wie man gerade drauf ist, empfindet man es als freundlich oder nervig, wenn bei jeder Dorfdurchfahrt jeder irgendwas ruft und schreit. Wir tranken unzählige Flaschen Wasser und kamen nach Stunden an der Grenze an. Das Außenthermometer hatte die vierzig Grad im Schatten längst überschritten und wir liefen in der Sonne von Gendarmerie zum Zoll, vom Zoll zur Immigration und von der Immigration zur Polizei. Das taten wir bei der Ausreise aus Mali und es wiederholte sich einhundert Meter weiter bei der Einreise nach Guinea, eine langwierige Prozedur. GUINEA
In Guinea angekommen fühlten wir uns, als führen wir durch ein Völkerkunde-museum. Nur der überall herumliegend Müll trübte diesen Eindruck. Frauen wuschen Wäsche mit freiem Oberkörper oder badeten nackt in Flüssen. Die Bewohner der Hüttendörfer zerstampften mit urzeitlichem Gerät Getreide in Holzschalen, liefen mit Beilen durchs Gebüsch und lagen ansonsten mit den Kühen und Ziegen friedlich zwischen ihren Behausungen und dösten. Wenn wir durch fuhren, blickten sie auf uns, als kämen wir vom Mond und wir kamen uns recht deplaziert vor. Nichts in diesen Dörfern war öffentlich, wie etwa ein Restaurant oder ein Laden, geschweige denn eine Post.
Unser Zeitplan war bereits gestorben und wir quälten uns tiefer und tiefer ins Land in der Hoffnung, in der nächsten größeren Ortschaft auf ein Postamt zu stoßen. Eine Polizeikontrolle kündigte die Nähe von Siguiri an, der ersten erwähnenswerten Ansammlung von Gebäuden. Die Uniformierten waren von unserer Ankunft komplett überfordert. Sie verlangten alle Papiere, ohne mit ihnen irgend etwas anfangen zu können und hatten keine Ahnung, was jetzt zu tun sei. Sie nahmen alles an sich, steckten es in die Tasche und warfen ein altes Moped aus der DDR an. Wir sollten folgen. Die verrottete Simson gab nach ein paar Kilometern auf, eine kleine Reparatur war fällig und wir erreichten schließlich Siguiri, die Zollstation. Der Zöllner besah sich das Carnet de Passage und - ich lüge nicht - er besah es sich Blatt für Blatt, von der Rückseite. Da es ihn offensichtlich nicht störte, sich weiße Seiten anzusehen, verzichtete ich darauf, mich einzumischen und beobachtete staunend diesen Vorgang. Er fand es in Ordnung und gab mir das Carnet zurück alles ok. Daraufhin ging es erneut zur Immigration. Das Gleiche, oder so gut wie ! Der Chef kramte eine Liste heraus, legte den Reisepaß falsch herum vor sich und schrieb spiegelverkehrt, Buchstaben für Buchstaben, aus meinem Paß ab. Mir fiel dazu nichts mehr ein und ich versuchte, so normal blickend wie möglich seine Arbeit zu betrachten und abzuwarten, bis er endlich fertig wurde. Dann kam die Fragestunde, warum und wieso. Mit der Erklärung Tourist können sie nichts anfangen, sie schauen einen an, als hätte man Terrorist gesagt. Journalist habe ich mir nicht getraut, also versuchte ich es mit Philatelist und erklärte mein Anliegen. Kaufmann ist immer riskant, sie denken dann, man hätte was zu verkaufen und das zieht endlose Debatten nach sich. Verstanden haben sie es nicht, aber sie fragten nach meiner Genehmigung, Briefmarken zu kaufen. "Was für eine Genehmigung, ich brauche keine Genehmigung, so wenig, wie ich eine Genehmigung brauche, eine Dose Cola zu kaufen." Sie sahen das anders, die Antwort war vielleicht auch zu frech, und ich verlegte mich auf Schulter zucken, lächeln und "nix verstehen", um aus dieser Nummer irgendwie raus zu kommen. Ich verpflichtete mich, im Hotel Tam-Tam zu nächtigen - der Höchstdekorierte bestand darauf, weil es wohl seinem Schwager gehörte - einem Rattenloch sondergleichen. Egal, wir können ja ein Zimmer mieten und im Auto pennen. Damit endete die Fragerei vorerst.
Sie stellten zwei Mann Polizeieskorte ab, um uns zum Postamt zu begleiten. Was für ein Blödsinn. In dieser charmanten Begleitung kamen wir in einem verlassenem Postoffice an und der Postler, extra wegen uns geweckt, holte aus seinem Tresor ein paar Briefmarken. Nur teure Dinger und tausend sowieso nicht. Fünfhundert zu einem Wert von dreißig Pfennig und weitere vierhundert für über eine Mark - mehr war nicht. Die für eine Mark könne er uns nicht verkaufen, die anderen könnten wir haben. Das half uns alles nicht weiter und wir befragten die Karte, ob noch ein ähnliches Kaff in der Nähe wäre. Kankan, die zweitgrößte Stadt des Landes, war einhundertdreißig Kilometer entfernt, mit zwei Flußüberquerungen, also einen Tag Fahrzeit, sofern die Piste sich nicht verschlechtert. Was soll's. Siguiri ist so ein räudiges Nest, daß wir gerne den Ort verlassen wollten. Es gibt nichts Ansprechendes und sie fertigen auch nichts an, Kunsthandwerk, Postkarten oder etwas in der Art. Nur verkommene Häuser und Dreck, Staub und Müll, davon allerdings jede Menge. Einhundertdreißig Kilometer werden schon irgendwie zu schaffen sein. Der Reisführer sprach von "guter Infrastruktur", erwähnte mehrere Hotels unter französischer Leitung und wir machten uns auf den Weg, nachdem wir die beiden Bullen für zehn US$ wieder los wurden. Was ist das denn für ein kaputtes Land und wie sind die denn drauf ein neuer Spitzenwert auf der bisherigen Reise. Da kann ja der Mauretanier noch von lernen. Wir blätterten in unserem zweiten Reiseführer, den wir selten zu Rate ziehen, da er ausschließlich Geschichtliches bietet und wir dies selten benötigen. Es gab hier wohl mal einen Präsidenten, der den französischen Kolonialherren Adieu sagte und gleichzeitig mit dem Rest der Welt brach. Lieber frei und arm als abhängig und reich. Naja ... starke Worte. Daraufhin stoppte Frankreich und alle Anderen jede Unterstützung und Ausbeutung, die Europäer und das damit verbundene Kapital wanderte ab und mit dem damaligen Ostblock mochte man auch nicht so recht. La President witterte überall Verschwörung, initiierte diverse Säuberungswellen, bis ein Putsch ihn seines Amtes beraubte. Seitdem hat das Militär das Sagen und es gab wohl sogar sowas wie Wahlen, die aber keiner ernst genommen hat und die entsprechend nichts veränderten - soweit der Reiseführer. Die DDR-Mopeds deuten auf eine zarte, wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Zone hin, aber das war's dann wohl auch. Jetzt haben sie ihre Freiheit in
Armut, und was immer man davon halten mag - uns hat es nicht restlos zu überzeugten vermocht. Wir fuhren weiter und natürlich wurde die Straße schlechter. Wenn uns hier die Kiste verreckt, dann können wir einpacken. Ganz vorsichtig fuhren wir immer weiter. Die erste Flußüberquerung ging zügig und problemlos mit einer motorisierten Fähre, wir waren sehr positiv überrascht. Dann kam der Niger. Auf dem Weg dorthin durchfuhren wir Löcher, in denen man einen LKW hätte verstecken können. Aufsetzer nach Aufsetzer steckte der Daimler weg. Die letzten zweihundert Meter zum Niger waren nicht mehr zu beschreiben. Ein schmaler Damm aus Hügeln und Kratern und auch über diesen quälten wir uns in Erwartung einer Fähre. Der Niger hatte Niedrigwasser, was keine Frage von Ebbe und Flut ist, sondern eine Frage der Jahreszeit, sinnlos also, zu warten. Die reguläre Fähre war mitten im Fluß auf Grund gelaufen. Ersatzweise bot man uns an, das Wohnmobil auf zwei Piroggen zu verladen, über die quer zwei Holzbretter lagen und uns so ans andere Ufer zu staken. Never ! Ich sah das Wohnmobil bildlich vor mir, im flachen Wasser des Nigers halb auf der Seite liegend und um uns herum zig Schwarze, bis zum Bauch im Wasser, "pas de problem" sagend. Wenn's geklappt hätte, wäre es ein hübsches Dia geworden. Die Sonne war gerade dabei, rot unter zu gehen, und so ein Wohnmobil im Gegenlicht, auf zwei Piroggen mit langen Stäben über den Fluß gestakt - nicht schlecht, kann man vielleicht sogar verkaufen ... aber laß mal lieber. Wir wendeten, fuhren ein paar Kilometer zurück, bis kein Dorf mehr in Sicht war und fuhren im letzten Licht der Dämmerung rückwärts in den Busch. Die Dunkelheit verbarg schnell das Fahrzeug, wir zogen alle Vorhänge zu um kein Licht nach draußen dringen zu lassen und aßen Abendbrot. Die vorletzte Dose deutsches Dosenschwarzbrot mit Käse plus ´ne handvoll Vitamintabletten. Neuplanung war erforderlich. Was blieb uns übrig. Wir mußten den ersten Mangel an unserer Sammlung in Kauf nehmen und uns mit den Briefmarken begnügen, die wir in Siguiri kriegen können - es gab keinen anderen Weg. Wir legten uns in das völlig eingestaubte Bett des Wohnmobils und verbrachen eine sehr ruhige Nacht. Draußen war Totenstille. Kein Zirpen von Insekten, kein Laut eines Vogels, kein Rascheln, kein Nichts drang in dieser Vollmondnacht von draußen herein. Es wurde kühler und wir schliefen fast zwölf Stunden ohne Störung durch, bis die Sonne des nächsten Tages uns weckte.
Es ging zurück zum Postamt. Die Polizeikontrolle vor dem Ort kannte uns bereits und fragte, warum wir nicht im schönen TamTam-Hotel gewesen wären. Wir erklärten, von der Dunkelheit überrascht worden zu sein und sie waren entsetzt. "Die Banditen. Das ist unmöglich. Die schlimmen Banditen." Wir hatten bislang keine Banditen gesehen, außer die in Uniform, die vor uns standen, aber wir fragten uns schon ein wenig, ob es sich um das normale Geschwätz handelt, um uns dem Rattenhotel zu zu treiben oder ob es tatsächlich Banditen gäbe. Uns waren mehrfach Fahrradfahrer mit einem Gewehr aufgefallen, aber wir hielten sie für Jäger - was sie wohl auch waren - und erklärten damit, daß uns so gut wie kein Tier begegnete, außer einem Rudel kleiner Bushpigs und einem ganz eigenartigem Vieh, über das später noch berichtet werden wird. Es war nicht ganz einfach, aber wir kauften fünfhundertachtundzwanzig Marken und klebten sie ein. Während der zweistündigen Klebezeit kamen zwei Immigrations-beamte mit dem Mofa zum Postamt und forderten uns auf, nach Beendigung unserer Tätigkeit bei der Post sofort zur Wache zu kommen. Uns schwante nicht Gutes. Gegen fünfzehn Uhr war alles erledigt, inklusive der Abstempelungen, für die der Postler per Taschenrechner einen auf den Centime genauen Preis errechnete, von dem er auch nicht einen Millimeter abwich - Vorschrift. Es waren über vierzig Mark für keine halbe Stunde stempeln - aber wie gesagt, alles streng nach Vorschrift. Wir wollten nur noch raus, da wir bei diesen Falschgepolten alles für Möglich hielten und gar nicht wissen wollten, was ihnen noch so alles einfällt. Bei der Immigration hatten wir Glück. Derjenige, der uns hinzitierte, war gerade nicht da, und sein Vertreter sah den Grund unseres Besuches nicht und sagte, wir könnten direkt zur Grenze fahren, alles sei in Ordnung. Nix wie weg. Wir staubten uns also wieder auf der Piste ein, das von der Wüstenfahrt angeschlagene Dachfenster zerbröselte auf dem Wellblech vollends, die Schrauben der Deckenverkleidung rüttelten sich raus und die Pappen fielen ins Auto, aber wir wollten unbedingt noch bei Licht über die Grenze, weil uns die Banditengeschichte nicht ganz unberührt gelassen hatte. Dies klappte auch. Der Grenzzoll in Guinea begann bei der Ausreise zwar auch, nach einer Genehmigung für die Ausfuhr abgestempelter Briefmarken zu fragen, sprach von Beschlagnahme, aber ich verstand kein Wort. Der Chef berichtete verzweifelt seinem Kollegen, daß ich
zu blöd wäre, französisch zu verstehen und er nicht wisse, wie er sich mir verständlich machen könne. Ich lächelte die ganze Zeit, berichtete zusammenhanglos von meiner Familie und den vielen Kindern, was für eine wunderschöne Zeit ich in dem schmucken Örtchen Siguiri verbracht hätte und das Guinea das schönste Land sei, welches ich je gesehen habe - in einem grausamen Französisch. Dann bedankte ich mich bei jedem, schüttelte allen die Hand, sagte "au revoir" und fuhr raus - leckt mich doch am Arsch. WIEDER IN MALI
Nach Mali rein war ok, nicht mal nach unserem Visum fragten sie und wir wiederholten die Vorgehensweise vom Vortag. Mit dem letzten Tageslicht ins Gebüsch, Vorhänge zu und ab ins staubige Bett. Klappt nicht immer. Kaum im Einschlafmodus, fuhr ein Mofa vorbei, bremste, wendete und fuhr hupend ans Auto. Ein schwer bewaffneter Turbanträger fragte, was wir hier machten. "Schlafen." Das ist verboten, sofort weiter fahren. Mein Gott, warum müssen sie immer und immer nerven. Ich fragte ihn noch, welche Bestimmung das Schlafen in der Nacht verbieten würde, aber ihm war nicht nach Unterhaltung und er begann, an seinem Pistolenhalfter zu fummeln. Schon gut, wir waren eh hellwach und packten zusammen um die vier Stunden, die wir für die letzten einhundert Kilometer noch bräuchten, in der Nacht zu fahren. Die Halogenscheinwerfer waren noch heil, der Mond stand hoch am Himmel und beleuchtete die Szenerie recht gut und warum nicht, lockte überdies die Dusche des Kolibri-Hotels. Die Fahrt war so schrecklich wie die ganze Tour. Der Staub ist der Gleiche wie tagsüber und überall im Auto, selbst in den Schränken, war alles von einer roten, schmierigen Schicht überzogen. Während wir also mit Tempo dreißig durch die Dunkelheit rumpelten, passierte etwas höchst Erstaunliches. Links aus dem Busch sprang ein etwa fünfundzwanzig Zentimeter großes Felltier wie ein kleines Känguruh mit drei Sprüngen mitten auf die Fahrbahn direkt vors Auto. Mit einem leisen TOCK beendete unsere Stoßstange das Leben diese idiotischen Tieres. Was sollte das denn ? Die Piste ist so gut wie nicht befahren und es ist für so ein Vieh wie ein Lottotreffer, beim Überqueren von einer Stoßstange erwischt zu werden. Es sah alles verdammt nach geplantem Selbstmord aus - gibt es den BKoller auch bei Tieren ? Ich nahm mir vor, gelegentlich mal im
Brehm's nachzuschlagen, was bei diesem Tier in der Evolution falsch gelaufen ist, wenn es überhaupt verzeichnet sein sollte. Der sehr seltene, suizide Springheimer, noch nie lebend gesehen, und wenn, nur ganz kurz. Hüpft gerne von hohen Brücken oder springt vorzugsweise vor fahrende Personen- und Güterzüge, in Ausnahmefällen auch manchmal vor Autos. Wir hielten nicht an kein Bock auf Tierleichen - sondern fuhren durch, an weiteren nutzlosen Kontrollen vorbei, bis auf den Hof des Hotels. Es war zwar kein Bungalow mehr frei, aber wir konnten im Dreck des Autos wenigstens mit dem sicheren Gefühl einschlafen, nicht gestört zu werden. Was für ´ne Scheiß-Tour schon wieder. Wir lagen noch eine Weile wach und wurden uns einig, daß wir unter solchen Umständen nervlich nicht in der Lage sein werden, die ganze Reise an einem Stück zu absolvieren. Mit Pausen vielleicht. Erst Westafrika - große Pause - dann Südafrika - kleine Pause - und dann Nordafrika Riesenpause - dann die Inseln per Flugzeug als Urlaub. Wenn man auf die vergangenen vier Monate zurück blickt und die angenehmen Zeiten, in denen wir sicher standen, ausklammert, teilt sich der Rest in drei ungefähr gleiche Teile. Ein Drittel fahren auf zur Hälfte üblen und staubigen oder sandigen Pisten, ein weiteres Drittel auf irgendwas Sinnloses warten und das letzte Drittel besteht darin, uniformierten Wegelagerern Dokumente hin zu blättern und über ungerechtfertigte Schmiergelder zu diskutieren. Das ist so trostlos, wie es klingt. Wenn man schon mal resümiert nach mittlerweile acht Ländern, fiel uns ein weiterer Umstand auf. Überall dort, wo etwas funktioniert, ist ein Weißer oder ein Libaneseim Hintergrund. Ob es ein Bauvorhaben ist, ein Campingplatz, ein Restaurant, ein Supermarkt oder ein keiner Laden oder sonstwas. Hin und wieder trifft man auf eine Einrichtung, die von einem Weißen gegründet wurde, der sie zwischenzeitlich verlassen hat und die von Einheimischen weiter betrieben wird. Prompt geht es niveaumäßig den Bach runter. Nichts wird mehr repariert oder instand gesetzt, nur noch geflickt, bis es nicht mehr geht und dann ist es eben kaputt und bleibt es auch. Die Kleinigkeiten werden nicht mehr berücksichtigt. Im Restaurant gibt es kein Brot, in den Zimmern kein Klopapier, die Bedienung wird mürrisch und tranig, die Sauberkeit läßt nach, das Warenangebot wird nicht mehr aufgefüllt und Zeiten nicht mehr eingehalten und man erhält für nichts mehr eine Quittung. Diese
Aufzählung ließe sich unendlich fortführen. So traurig dieser Umstand ist, so wahr ist er leider auch. Westafrika war mit Ausnahme von Gambia bisher eine Enttäuschung, das muß so klar festgestellt werden. Auch wenn es einige Erklärungsansätze gibt, warum es so ist - die klimatischen Bedingungen, früherer Kolonialismus, Militärdiktaturen, Korruption, Armut und Perspektivlosigkeit, mangelndes Schulwesen, Überbetonung religiöser Komponenten und Unaufgeklärtheit, einengende familiäre Strukturen usw - aber alles das muß nicht zwangsläufig zu diesem traurigen Gesamteindruck führen, in dem sich Westafrika bislang präsentierte, zudem nicht alle Negativbedingungen überall zutreffen. Immer wieder stellt man fest, daß es Enklaven gibt, in denen es unter gleichen Voraussetzungen besser funktioniert als anderswo. Dort wird angebaut, dort gibt es Projekte und die Menschen entwickeln Ehrgeiz, es gibt politische und ökonomische Ziele und das Gesamtbild wird gleich positiver - es scheint primär eine Frage der Mentalität, der Denkungsweise und der Geisteshaltung zu sein. Zumeist haben wir den Eindruck gewonnen, daß die Bevölkerung sich abgefunden hat und in eine tiefe, mentale Lethargie verfallen ist ohne, daß es dafür in jedem Fall unüberwindliche Sachzwänge gäbe. Wacht auf, Leute, gebt Gas - das ist es, was man ihnen sagen möchte. Nur ein paar ganz Wenige tun es. Vor uns lag in den folgenden fünf Ländern bis Benin nur noch Asphalt. Die Küste werden wir auch demnächst auch wieder erreichen und insofern gaben wir Westafrika noch Chancen, den Gesamteindruck zum Positiven zu verändern. Den ersten Tag in der Hotelanlage verbrachten wir erneut komplett damit, das Wohnmobil von Staub und Dreck zu befreien und Schrauben nach zu ziehen, von morgens bis abends. Annett hatte den Putzjob gerade vor zwei Tagen beendet, um die Spuren der Bahnfahrt zu beseitigen. In jeder Ritze, in den Schränken, auf dem Geschirr, in der Wäsche, der feine Staub hatte sich überall festgesetzt und alles rot gefärbt. Das Wochenende ging mit diesen und weiteren Reinigungsarbeiten drauf, da wir keine Lust hatten, die Weiterfahrt im Schweinestall fort zu setzen und ich bin in dieser Hinsicht weiß Gott nicht besonders empfindlich, aber was zuviel ist, ist zuviel. Atmen sollte man können. Mike Thyson begrüßte uns wie alte Freunde, eine erfreuliche Erscheinung. Wir zeigten ihm die Bögen und er verstand endlich, warum wir ihn mit dem Auftrag, tausend Briefmarken zu besorgen,
losgeschickt hatten. Ich versprach ihm, ihn in meinem Tagebuch zu erwähnen und nun mochte er uns wirklich und er war daraufhin sehr anhänglich auf eine unaufdrigliche und angenehme Art. Wer will es sich auch schon mit Mike Thyson verderben, der diesen Spitznamen natürlich nicht von ungefähr hatte. Der Genesung vom B-Koller war der kleine Ausflug nach Guinea nicht gerade zuträglich gewesen, aber überraschender Weise auch nicht besonders abträglich, die Eindrück hielten sich im Rahmen dessen, was wir erwartet hatten. Die Heilung war nur unterbrochen. So wie ein paar extreme Arschlöcher es schaffen, in einem den latenten Rassisten zu wecken, so schafft es auch ein einziger Mike Thyson mit seiner einfachen, ehrlichen und lieben Art, einen wieder zu versöhnen und die Dinge nicht nach Hautfarbe zu bewerten. "People are people, all over the world", wie Sue stets sagte, und so ist es ja wohl auch. Den folgenden Montag fuhren wir nach Bamako und stempelten ohne Probleme die eintausend Bögen ab. Wir bekamen den Stempel und das Stempelkissen ausgehändigt und in einer ruhigen Ecke des Postamtes arbeiteten wir die übliche knappe Stunde ab. Ein immer wieder aufbauendes Erlebnis. Am Abend vorher sprachen wir lange über die verschiedenen Möglichkeiten, die Reise fortzusetzen. Angesichts einiger neuer Geräusche, die das Auto nach der Pistenfahrt von sich gab, favorisierten wir den Weg über Europa. Erstmal einen Schiffstransfer in einen europäischen Hafen suchen, um in Hamburg das Auto von Lothar, dem besten MercedesSchrauber der Welt mit goldenen Händen, wieder auf Vordermann bringen zu lassen und auch sonst die Ausrüstung zu komplettieren. Zudem können wir neue Visa in Bonn besorgen, was einfacher ist, als in den afrikanischen Großstädten Botschaften zu suchen, das Carnet de Passage verlängern lassen, frische Medikamente und neue Travellerschecks besorgen und viele so kleine Sachen mehr machten uns diesen Plan schmackhaft. Über Allem stand natürlich als Erstes der Wunsch nach einer kulturellen Pause im Hamburger Sommer, nach unseren Freunden, den Eltern, nach Dingen wie Brötchen mit Thunfischsalat beim Hansebäcker, Rockkonzerten und nach Essen gehen auf dem Kiez. Alles weitere waren eher nachrangige Hilfsargumente. Wir sahen die Gefahr, die in diesem Plan steckt sehr wohl. Erst einmal wieder mit Sack und Pack zu Hause wird es schwierig sein, unserem Grobplan treu zu bleiben und wieder einmal
den Nullpunkt zu finden. Der einlullende Alltag drohte mit seinen vielen komfortablen Versuchungen. Wir beschlossen, diesen Moment nicht über zu bewerten, zudem der zweite Start direkt nach Südafrika per Schiff und Flugzeug stattfinden wird - und das klingt schon anders als Saharadurchquerung. Das Geld und die Arbeit, die wir bis dahin in den Briefmarkenbogen bereits gesteckt hatten und noch stecken werden, rechtfertigt sich auch nur, wenn wir dranbleiben und die Fahrt fortsetzen - und das werden wir auch tun. Dem entgegen stand im Grunde nur, daß es erheblich teurer sein wird, das Auto dann wieder nach Cape-Town verschiffen zu lassen, aber hierfür fiel uns schnell eine Lösung ein. Wir beschlossen, ab sofort in jedem folgenden Land für ein paar Hundert Mark auf den Märkten Schmuck und andere kunstgewerbliche Gegenstände zu erwerben, um durch den Verkaufserlös diese Mehrkosten aufzufangen. Eine grobe Kalkulation ergab, daß es locker möglich sein wird, auf diesem Weg das eingesetzte Geld mindestens zu verdreifachen, zieht man einige Ladenhüter ab, die man immer erwischt, schien eine Verdoppelung allemal realistisch. Wenn man die Mehrkosten also bei zehntausend Mark ansetzt, müssen eben diese zehntausend Mark eingesetzt werden, um die entstehenden Mehrkosten aufzufangen. Große und teure Teile, wie Musikinstrumente oder lebensgroße Statuen aus Ebenholz, wollten wir erst dann kaufen, wenn sicher ist, daß wir tatsächlich verschiffen können, aber auf Kleinkram wollten wir sofort losgehen. Ein solider und hochkarätiger Diamanten-Deal wäre dem natürlich vor zu ziehen, aber in dieser Hinsicht zeichnete sich nichts ab und drauf warten wollten wir nicht. Für solche Kleingewinne lohnt es zwar nicht, extra los zu fahren, aber wenn man schon mal hier ist ... Wir fuhren von der Post direkt zum Markt und schlenderten mit den Taschen voll Geld durch die Stände, fanden hier Armbänder, dort Ketten, ein paar Masken, abstrakte Skulpturen aus Messing uns allerlei Kleinkram. Es machte Spaß. Endlich einmal war die Situation umgekehrt und wir waren im Vorteil. Wir hatten das Geld und sie wollten verkaufen. Was mich in Marokko immer wahnsinnig gemacht hatte, die Handelei um jeden Furz, begann ich auf einmal zu genießen. Wir ließen uns gemächlich alles zeigen, gingen weiter zum Nächsten, betrachteten alles in stoischer Ruhe, erfragten Preise bei größeren Stückzahlen ohne irgendwas zu kaufen. Jedesmal schüttelten wir bei den Preisvorstellungen der Händler entschieden
den Kopf, lehnten jeder weitere Diskussion ab und liefen zum nächsten Stand. Dann wurden sie langsam aufmerksam Wiederverkäufer - und bei der zweiten Runde wurden die Angebote schon deutlich interessanter. Wir setzten uns gemütlich hin, grabbelten erneut alles mit kritischem Blick an, stellten kleine Warenkörbe zusammen und ließen uns Pauschalangebote machen. Dann fingen wir mit Gegenangeboten an, die bisweilen darin bestanden, von dem Händlerangebot einfach eine Null wegzustreichen. Dann fallen sie natürlich um, das scheint dann doch etwas arg unter ihren Vorstellungen zu liegen, aber sie gehen auch so frech ran, daß wir meistens nicht mehr bedeutend höher bieten mußten. Mit der Androhung zu gehen, in dem man aufsteht und sie sanft beiseite schiebt und sich mit mürrischem Blick Richtung Ausgang bewegt, erreicht man meist den Zuschlag. Ein überaus befriedigender Tag, und mit der neuen Perspektive kehrte die Leichtigkeit zurück, mit der wir die Reise begonnen hatten und die uns auf der Bahnfahrt und in Guinea kurz abhanden gekommen war. Die Weiterreise stand uns nicht mehr bevor wie ein Zahnarztbesuch, sondern wir freuten uns auf die nächsten Länder, die nächsten Briefmarken und die nächsten Einkäufe auf den jeweiligen Märkten. Die trockene und pragmatische Arbeitsatmosphäre, die Raum gegriffen hatte, begann sich zu verflüchtigen. BURKINA-FASO
Bei Sonnenaufgang fuhren wir in dem im Innenbereich supersauberen Auto in Bestlaune los. Außen ließen wir die Karre schon lange nicht mehr waschen, da sie dreckig weniger auffällt und die Polizeikontrollen dann lockerer ablaufen. Sieht einfach ärmlicher und afrikanisierter aus. Landschaftlich eine eher triste Angelegenheit, Busch, soweit das Auge reicht und sonst gar nichts bis auf ein paar Dörfer und kleinerer Städte zum Tanken. Die Straßen in Mali waren teilweise hervorragend und auch die Polizeikontrollen waren zwar vielzählig, aber nur einer wollte ein "Gateau" und ließ sich auch nicht abwimmeln. Eine Cassette war sein Wunsch, und wir gaben ihm unsere Härteste. Eine Mischung aus Hans Albers und den Bronx Boys - Mutterficker, Fick Deine Mutter - damit er gleich weiß, wo's lang geht. Selbst die Grenze ging recht zügig. Zwar mußte ich noch mal bei der Ausreise einen letzten fünftausend CFA-Schein rüber schieben, da das Visum von dem bootsmotoren-schraubenden
Honorarkonsul erneut Anlaß zur Kritik bot, aber da kann man drüber hinweg sehen. Burkina-Faso ist eines der ärmsten Länder der Welt und so sind leider auch die Straßen. Die letzten gut einhundert Kilometer bis nach Bobo-Dioulasso - kurz Bobo - waren ein einziger SchlaglochSlalom und wir brauchten vier Stunden. Trotzdem schafften wir an diesem Tag insgesamt über sechshundert Kilometer inklusive eines Grenzübertrittes und mehr kann man wirklich nicht erwarten. Die auch in Burkina-Faso zahlreichen Kontrollen von Gendarmerie und Douane ließen sich meist durch ein freundliches Winken aus dem Auto erledigen, sie lachten, winkten ebenfalls und gaben Zeichen zur Weiterfahrt. Nach Reiseführer steuerten wir nach längerem Suchen ein Campinghotel namens Casafrica an, ein einfacher Platz mit gutem und preiswertem Essen unter Leitung eines französischen Freaks und seit langem schliefen wir das Erste mal wieder im Bett des Wohnmobils, moskitofrei und rundherum zufrieden unter Mangobäumen ein. Der nächste Tag begann auf dem Postamt. Keine Probleme beim Ankauf der eintausend Marken und auf ging's zum Markt. Und wieder war es toll. Wir bekamen die Jungs von Mal zu Mal besser in den Griff und erreichten einmal sogar, daß uns einer nach getätigtem Geschäftsabschluß nachlief und den Handel rückgängig machen wollte oder auf Nachschlag bestand. Bei ihm müssen wir echt ganz gut gewesen sein. Wir boten ihm an, seinen Krempel wieder mit zu nehmen aber lehnten entschieden ab, auch nur eine Mark nach zu legen. Das wollte er dann doch nicht, aber zufrieden war er so oder so nicht. Es klingt vielleicht aus der Distanz etwas gemein, Vergnügen daran zu finden, die uns wirtschaftlich unterlegenen Händler zu quetschen so weit es geht. Aber ich sehe es sportlich, genau, wie sie es sehen - ein kleiner Wettkampf zwischen Tubab und Schwarzen, von Mensch zu Mensch. Auf der anderen Seite habe ich kein Problem, einem Behinderten oder einem alten Menschen mal ein- oder zweitausend CFA's zu schenken, aber genauso feilsche ich um jeden CFA beim Spiel mit den Händlern. Es ist ihr ureigenstes Spiel, sie haben damit angefangen und es zudem erfunden, und sie sind stolz darauf, da das Feilschen für sie Teil ihrer Kultur ist. Wer nicht handelt, ist in ihren Augen ein Schwachkopf und wer gut handelt, wird akzeptiert und steigt in ihrer Achtung. OK, Männer, dann werden wir halt dafür sorgen, daß ihr uns auf dieser Ebene
akzeptiert. Man merkt es auch. Die immer vorhandenen Zuschauer eines solchen Vorgangs und besonders die Inhaber der umliegenden Stände, bekommen ein breites Grinsen aufs Gesicht, wenn sie merken, daß der Kunde, der ihnen vom Nachbarstand weggeschnappt wurde, ein harter Brocken ist und ihr Händlerkollege sein letztes Hemd ausziehen muß, um ins Geschäft zu kommen. Und ernsthaft braucht man sich bestimmt keine Sorgen zu machen, daß sie auf ihren Schnitt kommen. Wir ergatterten tolle Sachen und erneut machte es uns jede Menge Spaß. Der nächste Tag startete wieder auf dem Postamt, nachdem wir am Vortag den Nachmittag mit Einkleben verbracht hatten. Alles easy. Es wird zunehmend leichter, die Stempel zu bekommen, da sie angesichts der anderen Stempel aus anderen Ländern nicht dumm dastehen wollen. Es ist jedesmal Arbeit und die Menge beeindruckt sie stets aufs Neue. In Bobo stempelten zwei Postler parallel, was die Angelegenheit sehr beschleunigte und sie verlangten keinen Pfennig. Die Ärmsten der Armen, sie schlagen nicht zu, und uns war es ein Vergnügen, ihnen trotzdem in etwa das zu geben, was wir durchschnittlich fürs Stempeln raus tun müssen. Wir wechselten schnell noch mal fünfhundert Dollar und bummelten zum zweiten Mal über den Markt. Der Markt ist ein typisch afrikanischer Markt, alles wird Angeboten und es ist rappelvoll. Es begegnete uns ein splitternackter Mann, der seine Besorgungen erledigte und von niemandem besonders beachtet wurde, Frauen tragen ihre gewaltigen Brüste oft draußen und säugen einkaufender Weise ihre Babys, auf dem Kopf Tabletts mit Früchten und anderen Dingen. Witziges Ambiente und selbst uns Tubabs wurde keine besondere Beachtung geschenkt, außer von den Händlern auf der Ecke mit Kunstgewerbe, die uns noch vom Vortage kannten und uns alles Mögliche offerierten. Wir kauften weitere Kleinigkeiten ein, bunte Steine aus der Sahara, verzierte Schäferstäbe aus Bronze, Anhänger aus Messing und Holz, Ketten aus Lochsteinen und verzierte Lederdosen der Tuaregs. Burkina-Faso empfanden wir als ein angenehmes Land, wie rückblickend eigentlich auch Mali. In Mali war das Entree bloß so übel, daß wir es nicht so bemerken konnten. Die Menschen in diesem bitterarmen Land befinden sich in einem Teufelskreis. Die Landbesitzer haben sich auf Baumwollanbau fixiert - der Exportgewinne wegen - was zum Einen dem Boden die letzten Nährstoffe entzieht und zum Anderen nicht gegessen werden kann.
Den wenigen Besitzenden kann es egal sein, da sie importierte Lebensmittel bezahlen können. Die übrigen können sehen, wie sie klar kommen. Die Dürreperioden haben hier besonders hart zugeschlagen und zudem leiden sie unter der Abholzung des Regenwaldes an der Elfenbeinküste, was zusätzliche Trockenheit bringt. Sie haben es echt nicht leicht in ihrer staubigen Welt und trotzdem machen sie etwas, treiben Handel, begrüßen einen freundlich und verzichten auf Wegelagerei. Wir verschenkten hier mehr Geld an Leute auf der Straße als in jedem anderen Land bisher, wobei dies natürlich nicht viel mehr als gar nichts ist und wohl mehr unserer mentalen Stabilität dient als den wenigen Empfängern unsere Almosen nützen. ELFENBEINKÜSTE
Unsere Mission in Burkina war erledigt und wir fuhren um sieben Uhr früh am nächsten Tag weiter. Zur Überraschung war die Straße gen Süden in einem hervorragendem Zustand, wir erreichten zügig die Grenze und hatten weder bei der Ausreise aus Burkina noch bei der Einreise nennenswerte Schwierigkeiten. Nur der Immigrationsbeamte bot noch eine Besonderheit. Er saß in einem kleinen Häuschen wie stets, Schreibtisch direkt an der Wand, und versah seinen Dienst. Ich setzte mich, als ich an der Reihe war, auf einen Stuhl, gab ihm die Pässe und schaute ihm zu. Er hatte wohl was chronisches mit den Bronchien oder den Schleimhäuten, auf jeden Fall mußte er lamamäßig ständig Schleim loswerden, was ja für sich allein genommen schon nicht das appetitlichste ist. Aber er benutzte kein Spucknapf oder Taschentuch, er rotzte alle drei Minuten oder in kürzeren Abständen direkt neben sich an die Wand, die schon aussah wie glasiert und an welcher der Schleim so langsam runter glibberte, Nachschub gab's lang von oben. Darf man nicht zu eng sehen. Die Straßen in Ivory-Coast ebenfalls super. Zwar auch hier zahlreiche Kontrollen, aber freundlich und nie verlangte einer auch nur irgendwas. Wir kamen so zügig voran wie schon lange nicht mehr und die Landschaft wandelte sich stündlich. Immer dichter wurde der Busch, immer mehr Palmen und Bäume tauchten auf und die Luft wurde drückend und schwül. Dem Staub waren wir für lange Zeit endgültig entkommen aber dafür ging's ab in die Sauna. Während der Fahrt sorgte die Air-Condition für relativ angenehme
Temperaturen, wobei die Außentemperatur objektiv gar nicht so extrem war - unser Thermometer stand recht konstant bei siebenunddreißig Grad und da hatten wir schon wärmere Tage erlebt - aber die Luftfeuchtigkeit trieb uns den Schweiß aus jeder Pore. Gegen sechzehn Uhr erreichten wir die zweitgrößte Stadt des Landes mit dem Namen Bouake. Dort schauten wir schnell ins Postamt und holten schon mal die tausend Marken, ohne Probleme. Große Lust weiter zu fahren hatten wir nicht und ebensowenig wollten wir in der dumpfen Hitze des Wohnmobils schlafen und machten uns auf die Suche nach einem Hotel. Kurz vor dem Ende der Stadt entdeckten wir neue Hinweisschilder und fuhren ihnen nach bis auf den Hof einer ordentlich aussehenden Herberge. Schon auf dem Hof begrüßten uns zwei Mann überfreundlich, baten uns herein und standen um uns herum. Wir erfragten den Preis eines Zimmers, die mit Klimaanlage waren nicht verfügbar, aber sie zeigten uns eines mit Ventilator und einem sehr sauberen und geräumigen Bad. Gebucht. Die beiden waren dermaßen beflissen um uns bemüht, daß es unmöglich war, auch nur ein Handtuch allein vom Auto zu holen oder den Tonic aus der Flasche selbst ins Glas zu kippen. Wir ließen uns die Aluboxen aufs Zimmer bringen, baten um einen zweiten Stuhl und begannen unsere Arbeit des Reißens und Klebens. Gute drei Stunden und alle Bögen waren für die Abstempelung vorbereitet. Das Hotelrestaurant war noch nicht in Betrieb genommen und das Personal, mittlerweile auf vier Personen angewachsen und ausschließlich für uns da, war untröstlich. Ob sie uns etwas holen dürfen oder uns in die Stadt begleiten sollen - nein, schon ok, wir fahren selber rein und suchen uns ein Restaurant. Sie machten so einen enttäuschten Eindruck, daß wir vorsichtshalber im voraus die Nacht bezahlten, da sie auf uns wirkten, als hätten sie Befürchtungen, irgend etwas so falsch gemacht zu haben, daß wir verschwinden würden. Sie schienen beruhigt und lotsten uns vom Parkplatz runter, riefen "See You Later" und winkten uns nach. Wir waren ganz gerührt von so viel Aufmerksamkeit und überlegten schon, ob sie uns mit einem Prominenten verwechselten, aber wir waren einfach die einzigen Gäste und vielleicht sogar die Ersten überhaupt. Wir erfuhren später, daß das Hotel erst vor zwei Tagen eröffnet hatte. Bei der Rückkehr nach dem Essen ging's genauso weiter. Jeder Gegenstand, den wir trugen, wurde uns abgenommen, ob wir noch
Wünsche hätten - nein, wirklich nicht, alles perfekt - und selbst unsere Klamotten wollten sie noch bügeln. Sie hatten sich wahrlich vorgenommen nett und umsichtig zu sein und sie waren es auf eine rührende Art. Die Nacht allerdings war unangenehm heiß und drückend. Ein Ventilator bringt es einfach nicht in dieser Hitze und wir schwitzten Liter um Liter, immer wieder unterbrochen von kalten Duschen. Viel zusammenhängender Schlaf kam nicht bei rum. Gegen sieben Uhr morgens gaben wir weitere Einschlafversuche auf und sahen beim ersten Blick aus dem Fenster, wie zwei Mann einen Tisch an unser Auto gestellt hatten und es mit großer Freude wuschen. Der schöne, schwer erkämpfte Film aus Öl, Dreck und rotem Staub von Wochen, dahin ! Wir konnten ihnen nicht böse sein, wie konnten sie ahnen, daß wir gerne mit einem Dreckauto fahren und wir heuchelten freudige Überraschung, als sie uns erwartungsvoll am Auto begrüßten. Die Kiste sah aus wie im Genfer Autosalon und wir stellten uns schon lebhaft die nächsten Bullenkontrollen vor "Hey, rich guys from Germany with a brandnew car. Welcome, very nice." Über Nacht hatten sie ein Zimmer mit Air-Condition für uns vorbereitet, so wurde uns strahlend berichtet, und wenn wir vom Frühstück zurück kommen, sei alles bezugsfertig. Wir fuhren erstmal zur Post solange es noch nicht so extrem schwül war, da eine geglückte Abstempelung immer wieder 'ne schöne Sache ist und der Tag beginnt dann bereits erfolgreich. Wir hatten einfach einen Bombenlauf. Keine langen Diskussionen, wir zeigten die Bögen, sie fanden sie toll und machten einen Tisch frei, besorgten Stempel und Stempelkissen und wir begannen als gut eingespieltes Team die zwischenzeitlich auf halbstündig geschrumpfte Stempelzeit. Die frühe Stunde war so kühl nicht und wir schwitzten wie in Freetown, das Wasser perlte auf dem Handrücken raus und floß aus jeder Pore, die erste Klamottenwechselung war vor dem Frühstück bereits fällig. Es war keine zehn Uhr, und wir saßen gesättigt auf der Frühstücksveranda eines Hotels und wollten noch über den Markt schauen um 'ne Runde zu Handeln. An diesem Tag lief irgendein Fest in der Stadt und wir sahen einen ganz schrägen Umzug. Mitten auf der abgesperrten und von Massen gesäumter Straße stand von Sekurity umlagert stundenlang eine mit Goldschmuck herausgeputzte Familie und ließ die Fotografen über sich ergehen, unter die sich Annett mit der Videokamera mischte. Drum herum kurzberockte
Mädels in goldenen Uniformen und mit Chear-Leader-mäßigen Plüsterteilen ausgerüstet, die eine sehr amerikanisierte Parade nach einer sehr afrikanischen Kapelle vollführten. Anläßlich dieses Spektakels gab es eine Budenmeile, in der große Firmen sich mit Remmi-Demmi-Ständen präsentierten, die jeweils mit einer amtlichen Lautsprecheranlage ausgerüstet waren und sich gegenseitig überschrien. Ein Höllenlärm, zu dem Maggi die Vorzüge von Suppenwürfeln erklärte und Nestle mit Kakaopulver gegenhielt. Wir schritten die Fronten ab bis kurz vorm Hörsturz und nachdem wir festgestellt hatten, daß für uns nichts dabei ist und wir in einem regulären Kaufhaus noch dies und das eingekauft hatten, setzten wir uns ins Auto und steuerten unser Hotel an. Es war kurz nach elf, unerträglich dumpf brütete die Sonne aus milchigem Himmel auf uns herab und nur bei Fahrtwind mit Klimaanlage war es erträglich. Das Meer war nur noch ein paar Stunden weg und da wollten wir hin, und zwar heute noch und jetzt sofort, nur: Wie bringen wir das den Jungs vom Hotel bei. Als wir ankamen warteten sie schon ganz aufgeregt im Hof. Sie hatten unsere Sachen bereits in den geräumigsten Raum verbracht, nett herunter gekühlt und fieberten unseren Freudenrufen entgegen. So schön es auch war und so herzlich sie es gemeint hatten, das Meer rief und wir teilten mit, daß wir gedachten, Abzureisen. Sie sahen uns an, mittlerweile zu fünft und einer vorsichtshalber mit 'nem Bügeleisen, als ob wir ihnen eröffnet hätten, daß sie verhaftet wären. "Wir hätten sie gerne noch mehrere Tage als Gäste bedient, das tut uns sehr leid, aber wenn es ihr Wunsch ist, selbstverständlich." Das Ganze hat keine zwanzig Mark gekostet und wir mußten noch unsere Anschrift dort lassen, damit sie uns einen Brief schreiben können. Die Abfahrt fand unter den besten und allerbesten und allerallerbesten Wünschen mit viel Gewinke statt und es hätte uns nicht gewundert, wenn Tränen geflossen wären. Mein Gott, waren die lieb, und wir nahmen uns vor, an den Verfasser unseres Reiseführers einen Hinweis zu schicken, daß es den Laden beim nächsten Update mit reinnimmt, sie haben den Erfolg wirklich verdient. Wir waren wieder auf der Straße und die Landschaft veränderte sich stetig weiter. Die Bäume waren von Schlingpflanzen zugewachsen, das Unterholz undurchdringlich, nur ein paar Tiere und Tarzan haben gefehlt. Keinen Streß mit Bullen, und wir kamen nach Yamamousso, einer doch sehr sterilen Stadt, für die es seit acht Jahren Pläne gibt,
daß sie Abidjan als Hauptstadt ablösen soll. Klappt aber nicht. Es sind nicht nur die sechsspurigen Straßen mit Peitschenmasten, die diese Intension unterstreichen, es ist vor allen Dingen der originalgetreue Nachbau des Petersdoms aus Rom, der monumental, deplaziert und etwas verlassen unvermittelt auftaucht. Kein Mensch interessiert sich für das von Parkanlagen und Seen umgebene und schwer eingezäunte Monstrum, das hier so wenig hinpaßt wie der Eiffelturm. Wieviele dringend benötigte Scheißhäuser hätte man dafür bauen können... Warum gerade Scheißhäuser - ich komme noch auf dieses Thema zurück. Wir sahen es uns an, weil es so surreal aussah wie ins Panorama hinein geklebt, aber noch mehr Interesse weckte in uns eine ausgeschilderte Pizzeria in französischer Hand, die uns überzeugte, das klimatisierte Wohnmobil zu verlassen und uns eine äußerst leckere Pizza mit dünnen Boden und anschließendem Eisbecher reinzuschwitzen. Seit Langem mal wieder eine Mahlzeit zur Mittagszeit. Dann zogen Wolken auf. Der hellgraue Himmel wurde heimlich immer dunkelgrauer, bis es nach über drei Monaten zum ersten Mal wieder tröpfelte. Das Thermometer fiel in wenigen Minuten von achtunddreißig auf einundzwanzig Grad, mittlerer Regen setzte ein und der tropische Regenwald roch genau so, wie man sich den Geruch des tropischen Regenwaldes vorstellt, einfach extrem nach Pflanzen, Wald und nasser Erde, wie im Troparium. Wir fuhren durch ihn hindurch auf einer schwarzen Asphaltstraße, wie sie besser nicht sein konnte über leichte Hügel und durch sanfte Täler bei frühlingshaften Temperaturen, eine beeindruckende Fahrt, bis wir die Drei-Millionen-Metropole Abidjan erreichten, in der wir uns prompt verfuhren. Wir mußten einmal durch, um an einen Campingplatz am Meer zu gelangen und erreichten ihn mit dem letzten Tageslicht. Sobald der Regen aufgehört hatte, kletterte das Thermometer wieder auf tropische Temperaturen und wir setzten uns auf die Terrasse eines Restaurants, keine zehn Meter von der Brandung des Atlantiks entfernt. Ein Leuchtturm wischte mit seinem Schein durch die Palmen und im Hintergrund sah man am Himmel des hellen Schein der Stadt. Auf See bewegten sich die Lichter der großen und kleinen Schiffe und wir bestellten uns eiskalte Getränke und ein Fischmenu ein gelungener Tagesabschluß.
DIE LIBANESEN
So herumsitzender Weise wurden wir von einem Typen angesprochen, der behauptete, uns zu kennen und er fragte uns, ob wir uns ebenfalls seiner erinnerten. Kein Stück. Er gab sich als libanesischer Besitzer des Supermarktes in Bamako zu erkennen, in dem wir eingekauft hatten und er setzte sich zu uns, bestellt für uns einen Spieß mit Krabben und übernahm die Getränkerechnung. Überall, wo wir bislang waren, sitzen Libanesen dort, wo Geld verdient wird, vorzugsweise in Supermärkten. Wir hatten in Dakar bereits den Reiseleiter von Rotel-Tours nach den Hintergründen dazu gefragt - warum ausgerechnet Libanesen - und er sagte, daß sie die Ersten waren, die in Afrika über Transportmöglichkeiten verfügt hatten und sich aufgrund dessen in eine wirtschaftlich starke Position gebracht haben und nun überall Supermärkte betreiben. !965, als Che Guevara versuchte, die Revolution nach Afika zu bringen, berichtete er bei der Durchreise in Tansania von Posten an der Straße, an denen Lianesen Dinge verkauften. Apropos Che Guevara. Dieser Mann, der nun unbestritten auf der Seite der Unterdrückten und Entrechteten stand, verzweifelte bei diesem Versuch ebenfalls am Bimboismus, der bis tief in die afrikanische Guerilla verwurzelt war. Größenwahnsinnige Buschgeneräle, Desorganisation, Schlendrian, Vergeudung der wenigen Mittel und vieles mehr ließen ihn diesen Versuch klammheimlich abbrechen. Nachzulesen in dem Buch "Das Jahr, in dem wir nirgendwo waren". Auch der Leihwagen in Gambia wurde uns von einem Libanesen geliehen. Hin und wieder nörgeln die Schwarzen über die Libanesen, da die Preise in den Supermärkten den meisten Einheimischen einen Einkauf unmöglich machen und das wurmt sie. Zusätzlich haben die Libanesen natürlich überall eine Lobby und beeinflussen schon mal die eine oder andere politische Entscheidung, besonders wenn es um Standortfragen, Bautätigkeiten oder Gewerbegenehmigungen geht und sicherlich werden da ein paar Mark unter der Hand ihren Besitzer wechseln. Nicht jedermann mag sie, wenn sie am Wochenende mit Jet-Skis über den Niger rasen und die einfachen Frauen beim Waschen der Windeln ihrer Babys naß spritzen. Wir hingegen können nichts Schlechtes berichten. Wo gibt es auch am Sonntag Butter, Käse und Wurst - beim Libanesen. Wer hat die billigsten Zigaretten - der Libanese. Wo gibt es das leckerste Eis natürlich beim Libanesen. Und auch unsere per Flugzeug reisende
Terrassenbekanntschaft war angenehm, gepflegt und hellwach. Der Erste übrigens, der völlig selbstverständlich unsere Getränkerechnung übernahm, nur mal so, als Dankeschön für das Gespräch. Er erzählte uns von seinen Autogeschäften, regte an, daß wir das auch tun sollten - Big Business - sagte uns, welche Autos in welcher Preislage wohin und gab uns die Adresse seines Bruders in Benin, falls wir Traveller-Checks zu einem besseren Kurs als in der Bank zu wechseln wünschten oder Interesse an Gold hätten. Das hat doch alles Stil und uns gefiel es, nicht wegen den zehn Mark für die Drinks, sondern weil er dran war an Allem und einen zufriedenen Eindruck machte und vor allem, weil er sich gegen halb acht verabschiedete mit dem Hinweis auf Termine - das war uns in Afrika bislang noch nicht begegnet. ABIDJAN
Wir erreichten Abidjan am ersten März, dem kalendarischen Anfang der beginnenden Regenzeit und Afrika war untypischer Weise überpünktlich. Ein gewaltiges Gewitter brachte Massen an Regen und die Straßen waren zentimeterhoch unter Wasser. Wir verbrachten das Unwetter in einem Bungalow auf einer grindigen Matratze auf der man nie allein ist, durch den es prompt durchregnete und wechselten gleich am nächsten Morgen auf einen anderen Campingplatz am Meer. Und wir trafen viele Bekannte wieder - wir waren zurück auf dem Ameisenweg der Tubabs von Nord nach Süd. Die Schweizer Familie aus der Zeit in Fort Bou-Jerif, einen Holländer aus den Konvoi-Tagen, den Münsteraner Motorradfahrer aus der Botschaft in Bonn und vor allen Dingen die Rendsburger - Klaus und Gabi mit den beiden Lütten - und sie waren auch bei genauerer Betrachtung genau so, wie man sich Klaus und Gabi aus Rendsburg vorstellt. Man muß schon - auch mit einem kleinen Schuß Selbstkritik - feststellen, daß alle, die man in Westafrika als Reisende trifft, einen an der Marmel haben - was nicht unbedingt negativ gemeint sein muß. Die Einen mehr, die Anderen weniger - sonst wären sie nicht hier - und bisweilen ist es auch gerade das, was einem das angenehme Gefühl gibt, sich im Kreise Gleichgesinnter zu befinden. Aber auch in dieser Gesellschaft sind Spitzenwerte möglich - Klaus und Gabi. Sie hatten die Schweinepiste, für die wir die Bahn nahmen, hinter sich und das nagelneue Wohnmobil war nicht mehr das Gleiche. Es
fuhr noch und sah auch noch einigermaßen aus - so schnell dreht selbst Klaus mit seiner Frau und den Gören plus schlechter Piste hunderttausend Mark nicht auf Null - aber der Wiederverkaufswert hatte schon erheblich gelitten. Es waren nicht nur die von den Kindern angenagten Kopfstützen oder die ungangbaren Schlösser "is'n Schwachpunkt, weiß ich" - es war vor allem der Gesamteindruck. Überall fehlten Knöpfe, hier klemmte was, da klapperte was und dort war was ausgelaufen oder abgerissen. Aber wenn er sich beeilt, ist er bei der Rückkehr immer noch in der Garantiezeit. Den Schwarzen Mitfahrer hatten sie zwischenzeitlich quasi adoptiert, obwohl seine Ansage von den sechs Stunden Fahrzeit sich als nicht ganz präzise erwiesen hatte, sie brauchten vier Tage. Aber das ist Klaus und Gabi dann auch egal - muß man nicht so eng sehen. Sein Schwarzer war Waschmaschine, Übersetzter von einem Kauderwelsch in den nächsten, Kindermädchen, Geschirrspüler, Autowäscher, Einkäufer und Hausboy in einem, dafür gab's Speisungen und nachts durfte er vor der Stoßstange sein Nachtlager errichten. Und alle Beteiligten waren glücklich. Klaus kam in seiner schlichten Art - nie von oben herab - mit "Muser", wie er seinen Namen aussprach, bestens zurecht. "Muser, kam hier. Ei am hangri. Hol bräd, änd Fisch. Matsch, ju no. Hier is manni." Muser nickte, steckte sich die CFA's ein und dackelte los. Manchmal kam er erst Stunden später wieder, weil es keinen Fisch gab und er mehrere Kilometer suchen mußte. Klaus hatte sich zwischenzeitlich paar Pommes bestellt und Muser aß dann den Fisch. Läuft doch alles prima. "Muser, tomorro wosch. No wis kar in City, ju stay hier änd wosch. Ol reit ?" Und nächsten Tag war Muser von Licht bis Licht mit den Bergen von Wäsche der vierköpfigen Bande beschäftigt. Muser hatte was um die Ohren, immer satt zu essen und sah was von der Welt. So lief es ab und alles hatte seine Richtigkeit. Für so gut wie alle auf dem Campingplatz gilt es, Visageschichten oder Verschiffungsformalitäten zu erledigen, so auch für uns und den Strohwitwer Klaus. Abidjan ist eine nicht ganz ungefährliche Stadt das Manhattan Westafrikas - überall lauern Bullen, um einen zur Ader zu lassen und die Schwarzen rasen wie die Irren durchs Gewühl. Allerdings wird man sehr wenig belästigt, es funktioniert großstädtisch und jeder geht seiner Wege ohne viel Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu vergeuden - gefiel uns. Von der hohen Straßenkriminalität, vor der alle warnen, bemerkten wir nichts. Die
Taxipreise sind lächerlich und so ist es zweckmäßig und allgemeine Praxis, diese Erledigungswege per Taxi abzufahren. Aber nicht für Klaus. "Muß ich morgen auch hin, können wir doch zusammen fahren." Klar, es ist natürlich angenehm, chauffiert zu werden und keine Verantwortung zu tragen und die Erledigungstage mit dem Rendsburger-Klaus waren wie ein Slap-Stick. Klaus düst einfach los und wenn ihn ein Bulle ranpfeift, ruft er ihm fröhlich "mußt mal arbeiten gehen" zu, und das war's. Parkplatzwärter, die Geld haben wollen, nimmt er gar nicht wahr, höchstens mal fragt er erstaunt "was will der Idiot denn" oder gibt ihm den Ratschlag "plant potatoes, muss' mal machen, sän ju häf mani." An der Elfenbeinküste redet man übrigens französisch. Und so ging's vom Baumarkt, in dem er Polyestermatten für sein Wohnmobil suchte, zum Krankenhaus, zu Supermärkten, zu Spediteuren wegen einer möglichen Verschiffung und zu Botschaften - ohne jedes Problem und ohne einen Pfennig dazu bezahlt - man sitzt staunend daneben und irgendwie hat er was, wie er da so rumdüst und alles geht ihn irgendwie nix an - wir beschlossen, ihn einfach zu mögen und darauf zu verzichten, die Folgen seines Handelns einer strengeren Hinterfragung zu unterziehen. You have to laugh, or you cry - hatten wir bereits. Wir kamen auf diesem Weg sehr gut unterhalten zu unseren Visa für Togo und Ghana und sahen so die Stadt. Das Plateau besteht aus teuren Läden, in denen man alles bekommen kann, und riesigen Betonhochhäusern, die die Wärme speichern und verursachen, daß es in den Straßenschluchten glatte fünf Grad wärmer ist als außerhalb. Und fünf Grad in dieser Feuchtigkeit sind eine Welt. Auf dem Plateau ist es unerträglich. Man verteilt Hundertmarkscheine in den Botschaften, dafür wartet man stundenlang schweißgebadet in der Sonne, da wieder kein Termin gehalten wird, oder sitzt in heruntergekühlten Räumen. Ständig wechselt man zwischen triefend nassen und kalten Klamotten. Raus aus dem klimatisierten Raum in die glühenden Taxis oder ins aufgeheizte Wohnmobil, dann kurz Zug durch den Fahrtwind, dann Stau und wieder Mörderhitze. Rein in die Bank, eiskalt, und raus in die Sauna - es schlaucht ganz nett. Nachts legt sich regelmäßig der Wind und man erwacht im Stundenrhythmus, durchgeschwitzt wie geduscht. Ständig kleben die Klamotten am Körper, alles ist feucht und körperlich ging es uns immer, als ob wir uns gerade von einer Grippe erholen. Aber wir bekamen unsere Infos über Verschiffungsmöglichkeiten, was sich
sehr realisierbar anhörte sowohl gen Südafrika als auch nach Europa, und auch die obligatorischen Visa waren schließlich eingestempelt und gaben uns das Recht, in die nächsten Länder zu reisen und uns dort von der uniformierten Seuche nerven zu lassen. Westafrika ist einfach klasse ! Auf dem Campingplatz, wie gesagt, viele Tubabs und wir saßen abends zusammen und tauschten Erfahrungen aus. Alle, die bis hierhin gekommen sind, befinden sich seit Monaten auf Achse und haben ähnliche befremdliche Erfahrungen gesammelt. Viele sorgen sich ernsthaft, was sie zu hause erzählen sollen - wie's denn so war ohne in den Verdacht des Rassismus zu kommen. "Fahr hin, Alter, guck's dir an, wenn du's nicht glaubst.." das scheint die Lösung, aber nicht alle machen es sich so einfach. Die Schwierigkeit besteht darin, das, was man so sieht, zu werten und daraus ein Bild zu formen und das Ergebnis ist unbefriedigend. Der Campingplatz bot erneut Anschauungsmaterial. Es gab nebeneinander liegend zwei Duschen und zwei Toiletten. Ebenso die bestimmt weit über zehn schweren LKW-Unfälle, die jeder auf der kurzen Strecke in Ivory-Coast gesehen hatte. Bös gecrashte Trucks alle paar Kilometer. Die LKWs, die uns entgegen kamen, fuhren auch überwiegend halb seitwärts - wie soll ich es beschreiben - völlig verzogen halt, das Heck immer halb auf der Gegegenspur, wobei das Führerhaus korrekt in der Mitte der eigenen Spur fuhr. Mehrfach mußten wir einen kleinen Schlenker nach rechts machen, um nicht von dem Ende eines entgegenkommenden Lasters angeditscht zu werden. Wie kann das angehen ?! Es ist ein Phänomen zu beobachten, wie sie aus keiner Katastrophe lernen, wie sie nichts tangiert. Ein Tanklaster mit Benzin fiel mitten in einem Dorf einfach um - kein Wunder bei den verbogenen Geräten - und das Benzin lief aus einigen Löchern aus. Alle kamen - Bängzäng umsonst, schöne Sache - und nahmen die Schüsseln und Krüge, in denen sonst Wasser transportiert wird, und füllten diese mit Benzin. Die Dunkelheit brach an, einer kam mit einer Petroleumlampe - zweihundert Tote, ein Tag wie jeder andere. Die Überlebenden vergifteten sich teilweise durch Einnahme eines Wasser-Benzin-Gemischs in Form von Tee und was soll man dazu sagen außer "typisch Afrika." Solche Geschichten hört man ständig und die traurige Pointe ist die, daß sie es morgen wieder machen würden. Das Busch-Taxi bleibt liegen, kein Sprit mehr. Ganz normaler Vorfall. Der Fahrer steigt aus und
holt eine Literflasche mit Sprit aus dem Kofferraum. Erst nimmt er einen kräftigen Schluck, den er im Mund behält, und kippt dann den Rest seelenruhig in den Tank. Er geht nach vorn, macht die Haube auf, nimmt den Luftfilter ab und sprüht den Sprit aus seinem Mund in den Vergaser. Zündschlüssel drehen, Auto springt an, zweimal noch ausspucken und es paßt bis zur nächsten Tankstelle. Und dazu die täglichen, kleinen Erlebnisse. Es sind nicht nur die augenfälligen Hämmer, wie die Kleinkinder und Babys, die mit den überall herumliegenden Rasierklingen munter spielen, sie in den Mund nehmen und dabei von keinem Erwachsenen abgehalten werden. Es ist die Vielzahl an Kleinigkeiten. Nie bekommt man komplettes Besteck zu einer Mahlzeit, nie stimmt das Gelieferte mit der Bestellung überein oder gar mit der Rechnung. Die bedienenden Frauen sind so langsam, mürrisch und abgrundtief doof, daß einem schlecht werden kann und die Männer, Machos par excellence, dramatisch eifersüchtig und in gleichem Maße untreu, prägen das Straßenbild, in dem sie die Aufmerksamkeit auf sich lenken durch herumfummeln an ihren Geschlechtsteilen oder durch ständiges und sinnloses Hupen bei Tempo neunzig im Gewühl, sofern sie ein Auto besitzen. Es ist nicht besonders außergewöhnlich, wenn ein Taxi ohne Windschutzscheibe mit offener Motorhaube fährt, um die Fahrgäste vor dem Fahrtwind zu schützen und der Fahrer selbst hängt dabei halb zum Fenster raus, um überhaupt irgendwas vom fließenden Verkehr mit zu bekommen. Solche Eindrücke müssen erstmal verarbeitet werden. Man muß ständig auf Habacht-Stellung sein, immer aufpassen was gerade läuft. Und die Behandlung, die wir Reisenden durch die uniformierte Pest erfahren, ist im wesentlichen die Gleiche, die sie auch ihren eigenen Landsleuten angedeihen lassen. Zwar sind die eingeforderten Bestechungsgelder für Garnichts in absoluten Zahlen geringer, aber der niedrigere Betrag schmerzt sie oft bedeutend härter als uns der höhere TouristenObolus. Nachts verleihen die Bullen ihre Uniformen und Fahrzeuge an Gangster, die dort, wo sie es gerade für lukrativ halten, Polizeikontrollen inszenieren - fifty-fifty. Das andere Westafrika, das was funktioniert - falls sowas existiert - geprägt von den Wenigen, die es auf weiß der Teufel für einem Weg geschafft haben, aus dem Straßenbild zu verschwinden, sieht man nicht. Es findet in klimatisierten Räumen hinter verspiegeltem Glas statt. Eine Ahnung von diesem nicht sichtbaren Szenario geben die überall
herumlaufenden und zum Teil schwer bewaffneten Securitys in vielerlei martialischen Phantasieuniformen, die vor und in jedem wichtigen Gebäude zu finden sind sowie die vereinzelten Luxuskarossen mit tiefgetönten Scheiben - gerne mit dem guten Stern auf allen Wegen vorne weg. Und dann sitzt man abends zusammen. Der eine redet, um entschuldigende Erklärungen ringend, von der Unfähigkeit der Europäer zur Unpünktlichkeit, von der Freiheit, wenn einem alles piepenegal ist und ob es denn wirklich so wichtig sei, immer irgendeinem Ziel nachzustreben. Aber selbst die gewagtesten gedanklichen Konstruktionen, bis hin zu dem schon lange als falsch erkanntem Aspekt, daß nur die Verrückten in einer verrückten Welt die Normalen sind, helfen nicht. Man kann sich soviel Mühe geben wie man will, was Scheiße ist, bleibt nun mal Scheiße, und weder kulturelle, ethnische, philosophische, politische noch sonstwelche Gesichtspunkte können daran rütteln. Auch hierzu abschließend ein Zitat von Andreas Altmann, dem Autor einer afrikanischen Reisebeschreibung ("Weit weg vom Rest der Welt"), die mir nebenbei sehr gut gefallen hat: "Ich habe kein Recht, so zu reden. Wie ich das weiß. Und wie dieses Wissen nichts verändert. Weil eine Reise durch Afrika nicht als moralische Veranstaltung funktioniert. Ich komme an Grenzen. Und dahinter ... Dahinter liegt meine Intoleranz." Na gut. Uns allen haben die Gespräche bis tief in die Nacht - schlafen geht aufgrund der Schwüle sowieso nicht - gut getan. Man ist mit seinen ungeordneten Empfindungen nicht allein, jeder hat harte Durchhänger, trägt bisweilen die Hasskappe und man ist nicht der einzige Idiot, der laufend zahlt und ständig daran arbeitet, 'zig neu gewonnene Freunde abzuwimmeln. Andere reisende Pärchen bestätigen das einschlafen sexueller Handlungen - geht nicht, zu heiß - was für eine Erleichterung, daß es Anderen auch so geht. "Wir dachten schon, das läge an uns". "Dann schwitzt ihr auch so, schon beim Nichtstun. Dann ist es ja gar nicht mein Herz." So ermunterten wir uns gegenseitig, lachten uns bisweilen schlapp über die Pannen der Anderen, und es gab auch noch durchaus unerwartete Aspekte. Indienfahrer behaupteten, nie wieder nach Indien fahren zu können, da ihnen das nach Afrika als stinklangweilig vorkommen würde. Da ist doch nix los, da passiert nichts. Zudem stellen diejenigen, die schon so gut wie die ganze Welt bereist haben, übereinstimmend
folgendes fest. In jedem Land und in jeder Kultur bestehen anfänglich Verständnisschwierigkeiten und es gibt Mißverständnisse und Überraschungen. Je länger man sich jedoch - egal wo - aufhält und Land und Leute kennen lernt, desto vertrauter und durchschaubarer werden die Denkungsweisen. Man weiß irgendwann, warum sie so denken, aus was sich ihr Weltbild zusammensetzt und warum sie auf Dieses und Jenes so oder so reagieren. In Afrika bleibt dies mysteriös, kaum einer enthüllt tiefergehende Gefühlsregungen. Sie antworten einem das, was sie vermuten, was man hören will, so, wie sie einem immer auf die Frage nach dem Weg eine Antwort geben werden, auch wenn sie nicht die geringste Ahnung haben. Sie wollen ihre Unwissenheit nicht zugeben und weisen einen lieber in die Irre. So riskieren sie auch keinen Konflikt durch Preisgabe einer eigenen Meinung, sondern reden vorsichtshalber opportunistisch Unverbindliches. Man kann aus ihnen nicht schlau werden. Und langweilig ist es hier tatsächlich nicht, das ist verdammt wahr. Sollte Langeweile aufkommen, braucht man sich nur ins Auto setzen und weiterfahren. Im Feindesland, fern der Ruheinseln, geht's gleich wieder ab, verlaß dich drauf. Wir waren durch mit Ivory-Coast. Die Gäste auf dem Campingplatz waren erfrischend, die Einwohner zurückhalten, der Markt gespickt mit wirklich exorbitanten Holzarbeiten und weiteren schönen Objekten und wir wären noch länger geblieben, wenn das Klima nicht so geschlaucht hätte. So verabredeten wir uns mit den Schweizer Freunden, die zwischenzeitlich in Abidjan eine Wohnung angemietet hatten, zu einem Abschiedsessen und der Zufall führte uns in ein bemerkenswertes Lokal mit dem Namen BMW-Pizzaria. Wieso BMW war nicht zu klären. Das Restaurant liegt direkt am Wasser, so daß die Temperaturen auch draußen angenehm sind. Es gibt sehr feines Essen zu einem sehr gehobenem, europäischem Preis. Der erste Gag jedoch ist ein vier Meter hoher Empfangsschwarzer auf Stelzen mit einer Plastikmaske vom Karneval, die das Antlitz eines älteren, weißen Herren zeigt. Recht absurd. Im Restaurant läuft ein Clown herum, eigens für die Unterhaltung der Kinder zuständig. Zu dem üblichen Clownkostüm trägt er eine starre Clownsmaske - Gesichtsausdruck staunend - die ihm jede Mimik nimmt. Um seinen Hals trägt er ein Tuch, damit auch nicht der kleinste schwarze Hautfetzen zu sehen ist. Er spricht
kein Wort. Nur mit seiner Gestik faszinierte er die beiden Schweizer Kinder über zwei Stunden, spielte verstecken, setzte sich und die beiden Mädchen abwechselnd auf ein Karussell, machte Fingertricks und verzauberte sie mit wenigen, aber sehr gekonnten Bewegungen. Spitze. Ein Duett spielte unplugged nur mit Gitarre alte BeatlesEvergreens und Traditionals - nicht zu laut und nicht zu leise und perfekt. Ein sehr gelungenes Abschiedsessen in einem sehr erstaunlichen Ambiente. GHANA
Das war's dann allerdings auch. Wir fuhren am nächsten Vormittag gemütlich los, keine Gebühren, gute Straße und erreichten kurz nach zwölf die Grenze. Der Zöllner. der das Carnet de Passage abstempeln darf, hatte gerade seine dreistündige Mittagszeit begonnen und wir schmorten mal wieder zur unangenehmsten Tageszeit im brüllend heißen Auto, umlagert von zwanzig Mann, die daurauf lauerten, uns auf die Nerven gehen zu können, sobald wir uns nur zeigten oder das Auto verließen. An sich kein Drama, wir wußten ja, wo wir sind, aber wir waren aufgrund der heißen Nächte und des wenigen und immer naßgeschwitzten Schlafs körperlich ziemlich durch und das wirkte sich auf unser Nervenkostüm aus. Als wir dann endlich weiter kamen, nervte die Immigration in Ghana. Die Ghana-Visa und die Ivory-Visa waren in verschiedenen Pässen und sie vermißten in den vorgelegten den Ausreisestempel von Ivory. Ich holte den zweiten Satz Pässe, zeigte ihr den Ausreisestempel, aber sie bestand drauf, daß dieser in den Paß mit dem Ghana-Visum gehört und schickt uns tatsächlich zurück. Sie sind sehr penibel und nicht korrupt, mit Geld war da nichts zu machen. Mach das mal dem Bullen in Ivory klar. Aber so, wie bisweilen die kleinsten Dinge nicht klappen, so funktionieren dann auch wieder schwierige Vorgänge unerwartet einfach. Ich breche mir mit meinem französisch einen ab, habe kein gutesGefühl, ihm vier Pässe zu zeigen, aber er begreift sofort, sagt ok, und stempelt zwei weitere Ausreisestempel in den Paß ohne Ivory-Coast Visum, als wäre es das selbstverständlichste der Welt. Ich gab ihm freiwillig zweitausend CFA - schließlich sind wir in Afrika - und nach fünf Stunden Grenzformalitäten und dem üblichen Betrug beim Geld tauschen, der uns siebzig DM kostete, hatten wir endlich freien Boden in Ghana unter den Reifen. Ghana, the number one in Afrika - so die Eigenwerbung - hat für diesen Anspruch nicht
die besten Straßen. Unvermutete Wellen und Schlaglöcher, wir waren von Haus aus an diesem Tag beide nicht so gut drauf, und begannen schon wieder, lustlos zu werden und maulten uns sogar schon ein bißchen an. Luxus muß her ! Warme Dusche, Klimaanlage, Minibar, Couch, Fernseher, Langusten, weiße Laken, Teppichboden, Room Service - diese Abteilung - egal, laß kosten. Endlich mal wieder kühl ausschlafen, warm duschen, moskitofrei und vorher auf der Couch fernsehen. Wir fuhren in den ersten großen Ort namens Takoradi und verfranzten uns ohne Hinweisschilder wie üblich, gabelten einen schwergewichtigen Schwarzer auf, der sich mit ins Auto wuchtete und uns in ein Hotel brachte. Natürlich lud er sich zu einem Essen ein, natürlich wurden wir ihn schwer wieder los und natürlich mußten wir ihm versprechen, mit ihm am Sonntag seine Familie zu besuchen aber irgendwann paßte alles. VollausstatterBungalow, sündhaft teuer, Scampis auf dem Teller, Baileys auf Eis im Glas und im Fernsehen Bundesliga live. Sie übertragen auf einem afrikanischen Sportsender Spielausschnitte von den Vereinen, die afrikanische Spieler unter Vertrag hatten und so verdankten wir Jonathan Akpobori das zweischneidige Vergnügen, ausgerechnet Hansa Rostock, den traurigsten Club der Bundesliga, präsentiert zu bekommen. Wieder einmal bewies sich überdeutlich, welch krassen Fehler der FC. St. Pauli begangen hatte, als er den Kauf dieses Spielers nicht auf die Reihe kriegte. Diese Anhäufung von Luxus, der für uns zu Hause das alltäglichste der Welt ist, genossen wir wie Kinder in einer Märchenwelt. Achtzehn Grad im Zimmer, Fernseher läuft im Hintergrund und bis spät in der Nacht saß ich am Notebook, frisch geduscht und neben dem Januar-Spiegel stand ein Becher mit Nescafé auf dem Couchtisch. EUROPA! Je weiter wir uns von Europa entfernten, desto teurer wurde es, in etwa wie in Europa zu leben. Aber sie akzeptierten Mastercard, das tut erstmal nicht weh - süßer Selbstbetrug - und wenn man schon mal praßt, dann soll man es auch genießen und das taten wir. Mit den anderen Gästen, alles Weiße und überwiegend golfspielende Spesenritter großer Firmen, konnten wir nicht viel anfangen und sie mit uns wohl auch nicht. Da ist es auf den Campingplätzen und den Low-Budget-Tips des Reiseführers eindeutig witziger. Aber es war
lange genug witzig und es wird mit Sicherheit auch wieder witzig werden, diese Kulturpause hatten wir uns verdient. Am nächsten morgen, einem Sonnabend, wollten wir vormittags schnell noch zur Bank und zur Post, um die Kühle des Bungalows zum Briefmarken kleben zu nutzen. Was für eine ausgemistete Stadt im selbsternannten Number-One-Country. Straßen vom Übelsten, offene Kanalisation mit entsprechender Geruchskulisse und alles bös runtergekommen. Die Bank natürlich geschlossen, der erstaunlicherweise vorhandene Kartenautomat verweigerte Mastercard und wir mußten unsere schmalen Bargeldreserven beanspruchen, um an ein bißchen einheimische Währung beim Schwarztausch zu kommen. Die Post, eine der schäbigsten, die wir bislang zu Gesicht bekamen, hatte dermaßen wenig Briefmarken, daß es nicht lohnte, wenigstens die vorhandenen zu kaufen. White-MansGrave-Klima, die Trödelei begann sich zu rächen - wir waren überall zwei Monate zu spät dran und müßten jetzt eigentlich auf dem Weg nach Südafrika sein - und die schwüle Hitze hatte uns schnell wieder im Würgegriff. Bloß zurück ins Planter's Lodge unter die AirCondition und vor die Glotze, raus aus den nassen Plünnen und ein paar Liter Mineralwasser nachfüllen. Die ersten Eindrücke von Ghana widersprachen sich mit allen positiven Informationen, die uns andere Reisende gaben und so waren wir gespannt, ob und wann Ghana uns dieses positive Gesicht wohl zeigen wird. Als wir herumsaßen und uns ein leichter Appetit überfiel, gingen wir zum Restaurant und ließen einen Fruchtsalat zubereiten. Ein Hotelgast sprach uns auf das Wohnmobil an und ich zeigte es ihm, wie ich es schon hundert Anderen vorher gezeigt hatte und verriet das fünfzehnjährige Alter. Er fragte, ob wir es verkaufen wollen, wie schon hundert Andere zuvor und er bekam die Standardantwort: Zwanzigtausend US$. Er war interessiert - ernsthaft - und wir waren darauf ganz und gar nicht vorbereitet. Der Dollar war hoch, bei 1,71 DM, also über 34.000,- DM, da fängt das Nachdenken an. Das ist bedeutend mehr, als wir in Deutschland je bekommen werden, deckt die Anschaffungskosten locker ab und ein komfortabler Heimflug stand bevor ohne den Streß einer Verschiffung. Wir erzählten ihm, daß wir die Kiste vorher aber noch sechstausend Kilometer bis hoch zum Tschad und zurück benötigen würden - kein Problem. Er war Architekt aus Kanada, um die fünfzig, hatte hier noch über ein Jahr zu tun und suchte genau dieses Fahrzeug, professionell ausgebaut
und in vertretbarem Zustand, schon lange. Ebenso war er clever genug zu wissen, daß wir uns nicht in ein Schrottauto setzen und ewig Pannen riskieren - dieses mögliche Geschäft wäre für beide Parteien nicht das Schlechteste. Er hatte sich auch schon reichlich umgesehen, aber Mercedes-Busse wie unseren gibt es hier nur als dreissig Personen Überlandtaxis. Was nun. Der Spaß und auch der damit verbundene Gewinn mit dem Ankauf von Statuen, Masken, Kleinmöbeln und son Kram fällt dann natürlich aus und vor dem Neustart aus Hamburg stünde dann auch wieder der Ankauf eines neuen Gefährts, was auch nicht gerade eine Erleichterung wäre. Zudem hat der Dreinullsieben bisher wahrlich überzeugt, aber besser geworden war er auf den Pisten wiederum auch nicht gerade. Immer diese Entscheidungen. Wir tauschten Adressen und versprachen ihm, ihn anzurufen, wenn wir uns zu einem Verkauf entschließen würden. Eine Option mehr kann nicht schaden, aber was uns besonders ärgerte war, daß so viele - besonders Rendsburg-Klaus händeringend einen potenten Käufer für ihr Fahrzeug suchen und uns, die eigentlich gar nicht verkaufen wollen, läuft ein Interessent rein - aber sie fahren halt kein bezahlbares Mercedes-Wohnmobil. Wir verbrachten das ganze Wochenende im Planter's Lodge und kauften uns auf diese Weise für drei Tage von Afrika frei. Alles stimmte, netter Luxus, komplettes Besteck, freundliche Bedienung und wir starteten neu am Montag. Ein Ort namens Cape Coast war das Ziel, klang sehr nett und war nicht weit weg. Je mehr wir von Ghana sahen, desto mehr erinnerte das Land an die DDR. Wir beide wußten zuwenig über Ghanas Geschichte, um ehrlich zu sein, wir wußten gar nichts - vielseitig ungebildet - und der Reiseführer hielt sich auch bedeckt. Es war nicht nur die kämpferisch geballte Faust auf den Banknoten, die stets man noch zum Hunger zwingt, auch die Plakate hatten den Stil des sozialistischen Realismus - heroische Posen, Menschenmassen - und statt der allgegenwärtigen OstPropaganda, wie "Heraus zum XIVXI Parteitag" oder "Kollektiv Traktor Brandenburg grüßt den großen Vorsitzenden", liegt in Ghana Jesus weit vorn. Die Missionare mit ihrem unausstehlichen Christentum müssen hier gewütet haben. In den moslemischen Ländern haben diese Schriftzüge den Vorteil, daß wir sie nicht lesen können, aber hier gehen sie einem schwer auf den Keks. Jedes zweite Auto verkündet die Gnade Jesu, wirbt für die Methodistenkirche oder mahnt, an Jehova zu Glauben. Das ist keinen Krümel sympathischer
als der demonstrativ zur Schau getragene, moslemische Glaube der Mauretanier. Das Christentum hat allerdings wenigstens dieses erfrischend heuchlerische Verlogenheit - die besten Tage hinter sich und nur noch als Karikatur tauglich - und die nicht mehr ernst zu nehmenden Katholikenpäpste und ihren karnevalistischen Witzkardinäle. Die Moslems sind in ihrer Vitalität und gleichermaßen hündischen Ergebenheit Allah gegenüber noch viel bedrohlicher, die sie allen Ernstes veranlaßt, sich mehrfach täglich in aller Öffentlichkeit auf die Knie zu werfen und sich wie brünstige Küchenschaben zu gebährden. In keinem dieser Länder, in denen Religion dermaßen nach vorne gestellt wird, ist es möglich, sich mit einem Bewohner hinzusetzen und gepflegt über Gott und die Welt zu lästern. Alles ist gleich schwer und wichtig und von dunklen Unheilsdrohungen überschattet - widerlich. Immerhin finden sich in Ghana Stilblüten wie "Jesus, forget me not" oder eine Werkstatt wirbt mit "In god we trust. Gearbox-Doktor". Auch ein Text wie "Life is War" steht vorne an Autos, an denen hinten "Let's pray" steht. Jeder, mit dem man spricht, hat diesen Number-One-CountryQuatsch verinnerlicht und dröhnt einen damit voll. "Ghana, number one, you know, Ghana the best." Welcher wahnsinnger Statistiker hat ihnen das bloß hingerechnet. Sowohl Ivory-Coast im Westen wie Togo im Osten liegen entwicklungsmäßig und lebensstandardmäßig weit vor Ghana, soweit wir das als Durchreisende beurteilen können. Schilder werben mit "Broiler for sale" - wie entlarvend - oder behaupten "Club-Cola. The No. 1 Choice." Und es ist auch sowas wie die Zonen-Club-Cola: Probieren, wegstellen, was Neues ordern. Aber damit sind es der Parallelen nicht genug. Sie fahren neben Ladas auch Westautos, mit den gleichen Schwierigkeiten, die bei Ossis beobachtet werden. Der geringe Verkehr auf den Landstraßen schützt sie vor dem schnellen Unfalltod, aber sobald ein paar Autos auf dem Haufen sind, schwebt über der Szene der Beinaheunfall. Überholen in Kurven, blindes Spurwechseln und Einfädeln ohne Umsicht sind für den ghanesischen Autofahrer keine Geheimnisse und entsprechend knallt es hier mal und kracht es dort mal. Wir wollten uns in einem Supermarkt eindecken, und Annett fühlte sich in die finsterste DDR-Zeit zurück versetzt. Die Regale überwiegend leer und was drin stand, will keiner haben. Dauerartikel wir Bürsten, Bilderrahmen, Schuhcreme und Ähnliches - keine Tiefkühltruhe, keine Fleisch, keine Wurst, kein Käse, kein Gemüse,
kein Obst. So sieht das aus, wenn man die Libanesen nicht ran läßt. In einem Restaurant entwickelte sich folgender Dialog, nachdem wir die Karte studiert hatten: " Ich nehme einmal Languste mit ..." "Languste ist aus." "Dann nehme ich das Filetsteak ..." "Filetsteak ist auch aus." "Ach so. Was haben sie denn, von dem, was auf der Karte steht ?" "Wir haben Huhn und Fisch" "Gut. Dann nehmen wir erstmal das Huhn mit French Fries ..." "Huhn gibt es nur mit Reis, wir haben keine French Fries." "Also ok. Huhn mit Reis und Fisch dann wohl auch mit Reis." "Fisch gibt es nur mit Patatoe-Chips." "Aha. Was ist der Unterschied zwischen French Fries und PotatoeChips." "Da ist kein Unterschied." "Wäre es möglich, Huhn und Fisch mit Potatoe-Chips zu bekommen." "Ja, das geht." "Super ! Und dazu trinken wir jeder einen Ananassaft." "Ananassaft gibt es nur als Dessert, nicht als Getränk. Außerdem haben wir nur Anana in Scheiben." "Aber an jeder Ecke stehen doch hundert Stände mit Ananas für Stück zehn Pfennig. Holen sie doch zwei und machen uns Saft, wenn er schon auf der Karte steht." "Nein, das geht nicht." "Gehen denn zwei Tonics ?" "Nein, wir haben nur ein Tonic und ein Bitter-Lemon." "Dann bringen sie das ..." Wir bekamen das Huhn und den Fisch mit klassischen French Fries und einer Salatbeilage aus geraspeltem Kohl sowie einem Tonic und einem Bitter Lemon. Ein Gespräch zwischen Gast und Kellner, wie er genauso gut in Leipzig zur oder vor der Wendezeit hätte stattfinden können. Sogar das Menu paßte. Wir konzentrierten uns auf unsere Aufgabe, besorgten Briefmarken, klebten und ließen stempeln. Wir werden immer routinierter und stoßen diesbezüglich kaum mehr auf Schwierigkeiten.
Dann ging's nach Accra, die Hauptstadt. Leichtsinnigerweise hatten wir einem Motorradfahrer, der in Abidjan hängen geblieben war, versprochen, auf der Hauptpost in Accra seine postlagernden Briefe abzuholen und nach Abidjan zu schicken, wenn wir sowieso vorbei kommen. Wir wollten ihm diesen Gefallen schon tun, also mußten wir mitten rein. Man ist ja aus Deutschland stautechnisch schon Einiges gewöhnt, aber in Accra ist der Verkehrskollaps zur Normalität geworden. Ein unglaubliches Chaos. Die kurze Autobahn verjüngt sich schlagartig in eine normale, zweispurige Straße und nichts geht mehr. Diese zweispurige Straße verliert sich in einem Gewimmel von Einbahnstraßen, die von stehenden Autos voll sind. Nichts ist ausgeschildert. Dazwischen laufen Menschen wie Ameisen. Und jeder Zweite fühlt sich aufgerufen, mit uns zu kommunizieren, indem er uns anschreit, Ssssst-Ssssst macht oder pfeift und dabei mit Armen und Beinen wirre Zeichen gibt. Ohne Grund, keiner will was Bestimmtes und wir konnten nicht herausfinden, welcher gedankliche Vorgang diesem Verhalten vorgeschaltet ist - es nervt einfach nur und dient in keiner Weise dazu, freundliche Gefühle aufzubauen. "Mein Gott, diese Schwarzer .." Einige schieben Karren zwischen den Fahrzeugkolonnen umher, wieder Andere versorgen die stehenden Autos mit Getränken und suspekten Snacks und unter ständigen Hupen schafft man hundert Meter in fünf Minuten. Wir quälten uns da notgedrungen durch und hielten bei der Gelegenheit nach einem Markt Ausschau. Wir sahen sowas ähnliches, schrecklich wühlig, aber es war sowieso unmöglich, einen Parkplatz zu finden, ganz unmöglich. Nur noch die Postlagergeschichte erledigt und nix wie raus aus dem Moloch durch den auch etwas außerhalb noch mehr stehenden als fließenden Verkehr an einen Campingplatz am Coco-Beach. Klingt auch besser, als es ist. Toiletten dicht geschissen, Dusche ebenso, und am Strand wimmelte es von Schwarzen, die teilweise mit offenen Mündern und heraushängender Zunge die Badegäste beobachteten - kein sehr erhabener Anblick. Es entwickelte sich zwischen mir und Annett ein Wortwechsel, ein Mißverständnis, welches bitter bezeichnend ist und weil es obendrein so ungewollt zynisch war, lachten wir uns halbtot mit schlechtem Gewissen und wieder doch nicht. Zynisch ist das falsche Wort. Menschenverachtend muß es heißen. Ich saß so da und beobachtet sieben bis acht fette und bunte Geckos, wie sie an der Wand und kopfüber an der Decke herumflitzten und
Insekten fingen, alle auf einem Quadratmeter. Annett hing ihren Gedanken nach und ich sagte "ganz schön viele von den Viechern hier". Sie sah sich um, blickte in die Runde und erwiderte "stimmt, das ist Scheiße. Laß uns was Anderes suchen". Fand ich gar nicht. "Ich empfinde die nicht so schlimm, die gehören dazu, die tun doch nix." Die Antwort: "Ja ja, natürlich gehören sie dazu. Aber sie werden uns wieder vollquatschen und nerven und wir werden sie den ganzen Abend nicht los, kennst du doch inzwischen..." Wir blickten uns an - "ach, ich dachte du meinst ..." - und im gleichen Moment wußten wir, daß wir aneinander vorbei geredet hatten und prusteten los, was soll man auch sonst machen - es ist so peinlich einem selbst gegenüber. Soweit war es schon wieder, ganz schön hart ... Wir übernachteten trotzdem, standen um sechs auf und fuhren an die Grenze. Die Straßen übler als in Burkina-Faso, dem Land, dem man das leicht nachsieht. Aber Ghana hat Industrie, einen großen Hafen und müßte eigentlich, bei dem religiös verschrobenem Nationalstolz, die Möglichkeiten für einen adäquaten Straßenbau haben. Hätten uns andere Reisende nicht so positiv eingestimmt, sondern uns mit Warnungen überschüttet, wie viele es bezüglich der Kriminalität von Abidjan taten, hätten wir Ghana als ein Land wie viele Andere auch empfunden, in der Toleranz der üblichen Überraschungsskala. Aber so, mit einer zu hohen Erwartungshaltung und diesem Eigenlob hat es uns angestunken. Ich weiß nicht, wo die Anderen waren oder was wir falsch gemacht hatten. Vielleicht waren wir zu kurz da. Bisweilen erschließt sich einem der Reiz eines Gebietes erst, nachdem man etwas länger verweilt hat und vertrauter geworden ist. Wer weiß ... Der Grenzübertritt war auch streßig und von bürokratischer Pedanterie bestimmt, die schon bei der Visaerteilung anklang. Sie verlangten "Referenzen", wie bescheuert, wenn man als Tourist zum ersten Mal einreist. Wiederum langt es ihnen jedoch, wenn nur irgendetwas in diese Zeile eingetragen wird. Das "Hotel California" in der Eagles-Road oder "Morrissons-Hotel" am Jim'sSquare werden als Referenz akzeptiert. Wir waren froh, als wir endlich ein Land weiter waren.
Teil 3 TOGO
Endlich ! Endlich mal wieder ein kleines Land, in dem es Spaß macht, sich aufzuhalten. Es liegt nicht auf der Meßskala "voll nervig bis weniger nervig", sondern es ist ok, irgendwo bei Ländern wie Gambia und Marokko angesiedelt. Burkina, Mali oder Ghana beispielsweise, nirgends hatten wir Schlimmes auszuhalten, nicht einmal die Bullen ätzten zu extrem, aber wir fanden einfach keinen plausiblen Grund, sich dort aufzuhalten. In Togo schon. Dabei war das Eintreffen gar nicht so überwältigend. Binnen zehn Minuten hatten wir vier Bullenkontrollen - allerdings ohne GateauForderung - und als ich den letzten auf diesen Umstand aufmerksam machte, sagte dieser freundlich "d'accord, das ist Sicherheit". Wir fuhren auf den ersten Campingplatz - der Reiseführer erwähnte mehrere - und frühstückten erstmal in Ruhe in einer netten Anlage. In den vorherigen Ländern wären wir dort geblieben, um nicht den bis dahin relativ glatten Tagesablauf zu gefährden, wie ein MenschÄrger-Dich-Nicht-Spieler, der lieber auf einem sicheren Feld stehen bleibt, bevor er wieder rausfliegt. Bestenfalls hätten wir noch den Weg in ein Postamt riskiert. Das Feeling in Togo ist anders. Wir brachen auf, um weitere Campingplätze zu sichten, Tubabs suchen und vielleicht gibt es noch einen Schöneren. Der vierte Campingplatz war vollgehängt mit Wäsche - RendsburgKlaus mit seiner zwischenzeitlich sechsköpfigen Bande war da. Er hatte einen weiteren Alleinreisenden aus Deutschland eingeladen. Wir schauten mal rein, fuhren jedoch erstmal weiter und verabredeten uns für später. Man fährt gerne in Togo. Im Reiseführer war noch ein "phantastischer Campingplatz unter deutscher Leitung" erwähnt und da wollten wir hin. So zottelten wir über die Landstraße, das Meer wurde immer schöner, türkisblau wie in der Südsee und von Palmen gesäumt, bis wir an eine Polizeikontrolle gerieten, die uns nicht durchwinkte, sondern die Pässe abstempeln wollte. Das war's schon mit Togo, gut fünfzig Kilometer von Grenze zu Grenze, und wir drehten schnell wieder um. Der phantastische Campingplatz muß in Benin liegen - kommen wir auch noch hin. Auf dem Rückweg fuhren wir ausgeschilderte Bungalowanlagen am Togosee ab. Auch nicht verkehrt. Wir hatten die Wahl zwischen Air-
Condition-Bungalows und der Möglichkeit, Jet-Ski zu fahren und einer ruhigen und einfacheren Anlage, Rundhütten mit Ventilator und Dusche am Palmenufer mit wahnsinnig netter Bedienung, und wir entschieden uns für letztere. Einmal wegen des herzlichen und persönlichen Empfangs, der uns an die freundlichen Autowäscher im Hotel in Ivory-Coast erinnerte, und wegen des Preisunterschiedes wir hatten in dieser Hinsicht etwas über die Stränge geschlagen. Ein abgelegenes, angenehmes und ruhiges Plätzchen, und obwohl ein Binnensee nie ein Ersatz für türkisblaues Meer sein kann, wollten wir ein paar Tage bleiben und am nächsten Vormittag gemütlich nach Lomé fahren, der kleinen Hauptstadt von Togo, um wie üblich Briefmarken zu kaufen und zu checken, was auf dem Markt so gehandelt wird.
LOMÉ
Lomé ist ein sympathisches Städtchen. Kein Moloch. In den Straßen fließt der Verkehr, die Autofahrer sind zuvorkommend, gewähren Vorfahrt und dort, wo man anhält, wird einem kein ungewollter Kontakt aufgenötigt. Alle sind freundlich, nichts ist bedrohlich, nicht einmal die übertrieben bewaffneten, paramiitärischen Polizeikontrollen flößen einem Angst ein. Es hat hier vor wenigen Jahren einen Umsturz gegeben, der die Dinge - wie von Afrikareisenden berichtet wird - zum Negativen verändert hat. Wie schön muß es da vorher gewesen sein. Die kontrollierenden Bullen üben manchmal die Cadeau-Leier, aber ihnen fehlt es an der professionellen Art ihrer straßenraubenden Kollegen und durch ganz einfache Dialoge bringt man sie von ihrem Vorhaben ab. "Ein Geschenk ? Warum soll ich ein Geschenk haben. Ist das nicht ihre bezahlte Arbeit ?" "Habe ich irgend etwas falsch gemacht ? Warum soll ich dann etwas geben ? Das verstehe ich nicht." Meist sind sie dann ganz beschämt, lächeln und wünschen einem gute Weiterreise. Hoffentlich ändert sich das nicht. Einer wollte unbedingt Deutsch lernen und fragte uns nach einem ausgelesenen Buch. Wir sagten, daß wir mal nachschauen und ihm beim nächsten mal ein Buch bringen werden. Als wir nachmittags erneut vorbei kamen, pfiff er uns ran und kam freudestrahlend mit seiner Maschinenpistole im Anschlag ans Auto gelaufen und rief in korrektem Deutsch "Ich will mein Buch !" Wir mußten alle drei lachen, vertrösteten ihn erneut auf's nächste Mal und dann bekam er sein Buch. Am
beeindruckendsten sind die Behinderten, die an den Ampeln sitzen und betteln. Sie sind erbärmlich verwachsen, meist junge Männer, und kriechen auf dem Gehsteig an den Autos entlang. Wir gaben einigen 100 CFA - dreissig Pfennig - und irgendwann waren unsere Münzen alle. Den Nächsten konnten wir also nichts mehr aus dem Auto werfen und trotzdem strahlten sie uns an, wünschten uns viel Glück und gute Weiterreise. Das ist überwältigend, woher nehmen sie diese Kraft. Wenn es einer nicht leicht hat, dann sind es diese armen Kreaturen, aber in ihrem Lächeln lag nichts Bitteres, Resignierendes oder gar Aggressives uns gegenüber, die wir so privilegiert waren und doch nicht einmal eine kleine Münze übrig hatten. Sie konnten nicht wissen, daß wir bereits alle Münzen verschenkt hatten und ihnen hätte ich jede Empörung gegen uns leicht verziehen. An einer Ampel kam ein Händler ans Auto, und bevor er uns was anbieten konnte, fragten wir nach dem Postamt. Er erklärte den Weg, wir fanden das Postamt und als wir später noch mal an dieser Ampel standen, kam er wieder ans Auto, nur um sich zu erkundigen, ob wir das Postamt gefunden hätten. Ein Anderer begleitete uns ungebeten beim Einkauf, trug unsere schweren Obsttüten und verabschiedete sich später, ohne auch nur andeutungsweise um eine Entlohnung zu fragen. Erlebnisse, wie wir sie seit langem nicht mehr hatten und davon gleich mehrere. Wenn die Menschen in anderen Ländern ähnlich gestrickt wären, hätte es den B-Koller nie gegeben. Wieder an der Ampel. Einer kommt, fragt, ob es uns gut geht und wann wir uns wiedersehen. Ich sagte "morgen". Er: "Morgen ist schlecht, da habe ich schon was vor und bin nicht hier. Wie sieht es mit Montag aus." "Ja, vielleicht auch Montag." Er nickt, entschuldigt sich für die Störung, bedankt sich für das Gespräch und verschwindet mit dem Hinweis, daß er sich auf Montag freut. Wenn's so läuft, kann einen nichts mehr erschüttern, selbst Kinder nicht, die mit Steinen nach unserem Auto warfen oder der Dauerregen, der am zweiten Tag einsetzte. Wir nutzten den Regentag, um ins Postamt zum Abstempeln zu gehen und es ist merkwürdig aber wahr: In den schönsten Ländern ist das Abstempeln von Briefmarken ein Problem, in den übelsten Ländern läuft das wie geschmiert. Marokko, Gambia und jetzt Togo machten uns diese Aufgabe schwer. Ein Aufriß mit Chef fragen und lange warten. Auf keinen Fall durften wir selber stempeln, sondern ein zwangsrekrutierter und entsprechend lustloser
Postler mußte das machen, was sich ungemein negativ auf die Qualität des Abdrucks auswirkte. Naja, man kann nicht alles haben. Was lernen wir daraus ? Am besten gar nichts, denn die Konsequenz würde bedeuten: Ab nach Lagos und Liberia.
LAGOS UND LIBERIA
Diese beiden Namen haben die mit weitem Abstand schlechteste Reputation in Westafrika und da wir dort vorläufig nicht hinreisen, nur eine kurze Erklärung. Vielleicht geht's später einmal, Afrika ist launisch, und die Dinge können sich schnell ändern. In Liberia, was wir weiträumig umfahren haben, läuft ein sinnloses und brutales Blutbad - Bürgerkrieg wird es genannt. Uniformierte Jugendliche rennen schwer bewaffnet herum, schießen auf alles, was sich bewegt, plündern, vergewaltigen, morden und verstümmeln sich aufs Unappetitlichste. Ein weißes Pärchen mit einem Wohnmobil erlebt dort keine zwei Sonnenaufgänge, mit Pech nicht mal einen. Zwar sahen wir in einem Hotel auf CNN einen Bericht, in dem in Monrovia große Container aufgestellt waren, in die "Rebellen" ihre Waffen abgaben und von einem Schluß des Gemetzels war die Rede - uns fehlte der Glaube. Selbst ein vorsichtiges Einfliegen in die Hauptstadt ist nicht sicher, kann gut gehen, muß aber nicht. Krieg ist eine Sondersituation, noch viel erschütternder sind die Geschichten um Lagos, der größten Stadt von Nigeria und dem Süden von Nigeria selbst, wohl bemerkt, in Friedenszeiten. Schon der Grenzübergang von Benin wird als eine der vielen Pforten zur Hölle beschrieben. Schon beim Eintritt muß Geld vorgewiesen werden. Hast du kein Geld, gibt es keine Einreise, hast du Geld, nehmen sie es weg. Der ehemalige amerikanische Präsidentschaftskandidat, Jesse Jackson, bemerkte zu Nigeria: "Kommt es hier zum Bürgerkrieg, dann war das, was in Ruanda stattfand, eine Gartenparty." Die Straßen voller Kontrollen, betrunken, bewaffnet und bösartig, ein paar Hundert (!) auf den wenigen Kilometern bis Lagos. Und mit weißer Haut bist du so gut wie tot - Schlachtvieh. Ein Wohnmobil ist dort noch absurder als in Liberia. Selbst für den deutschen Botschafter in Lagos ist es Alltag, daß seine gepanzerte Limousine ständig gerammt wird, um ihn zu stoppen und auszurauben. Beim Halten an Ampeln schlagen sie auf das Auto ein, reißen an den Türen und zertrümmern die Scheiben, links brennende Müllberge, auf denen Leichen verkohlen,
rechts die übervölkerten Slums mit besoffenen und bös aggressiven Banden, mir Knarren und Messern ausgerüstet. Eine weitere Anekdote darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Angeblich gibt es in Nigeria, speziell um Lagos herum, "Quarter People". Es handelt sich hier um platt gefahrene Verkehrsopfer, die einfach auf der Straße liegen bleiben und irgendwann, nach dem hundertsten LKW, der sie überrollt, ziemlich exakt einen Quadratmeter groß sind, einen Quarter eben. So oder ähnlich lauten die Schilderungen und natürlich machen wir um Lagos genauso einen Bogen wie um Liberia. Was daran stimmt und was Schauergeschichten sind, wir hatten keine Lust, es heraus zu finden. Nur eine Stimme - es war die einer seltsamen Dame auf einer Botschaft, alleinreisend per öffentlicher Verkehrsmittel - hatten wir vernommen, die behauptete, Lagos hätte eine Säuberungswelle hinter sich und alles wäre bereits wieder gut. Zwanzigtausend verhaftete Verbrecher. Als wir davon Mitreisenden erzählten, sagten diese nur "und was ist mit den restlichen zehn Millionen Schwerstkrimineller ?" In das riesige Nigeria werden wir von Norden einreisen - wenn überhaupt - dort soll es moderat zugehen, aber das stand noch nicht fest und wird sich zeigen, je nach dem, was uns noch infomäßig ans Ohr dringen wird. Aber zurück zu selbst Erlebtem. IMMER NOCH TOGO
Rendsburger-Klaus kam ebenfalls zu dem Platz an dem See und seine Situation hatte sich zugespitzt. Bis auf Muser und die Kinder war der Rest nun ständig volltrunken und Klaus verdächtigte schon seinen neu erworbenen Mitreisenden - den guten Detlev, einen Frankfurter Taxifahrer und in meinen Augen eine Ratte - heimlich mit seiner Gabi angebändelt zu haben. Ständig beobachtete er beide aus der Deckung eines Palmenstammes, in der Hand eine Flasche Bier. In nüchternen Momenten wurde der Arzt gerufen, der sich mal um ein Kind, mal um Klaus kümmern mußte, der sich eines Abends in Krämpfen wand und gar nicht mehr aufhören wollte zu kotzen die Art der Flüssigernährung unter den ungewohnten Klimabedingungen forderte Opfer. Ein einziger Abgrund - nicht mehr witzig - und wir rieten ihm und Gabi dringend, die Reise abzubrechen oder zumindest, hier, wo eine problemlose Verschiffung möglich ist, ruhig ausklingen zu lassen, schon im Interesse der Kinder. Klaus plante jeden Tag was Neues, sie fuhren weiter, und
wir sollten sie noch einmal kurz treffen. Am Ende hatten sie ein Einsehen, beendeten hier die Reise und sind auch alle wohlbehalten in Rendsburg angekommen. Über Nacht hatte, wie bereits erwähnt, ein mittlerer Landregen eingesetzt. Wir fuhren eine weiteres Mal nach Lomè. Die Luft war durch den Regen sehr klar und die Temperatur war auf fünfundzwanzig Grad gefallen. In den Straßen standen tiefe Pfützen, obwohl nicht übermäßig viel Wasser vom Himmel gefallen war und gab einen Vorgeschmack auf die Hauptregenzeit. Eine Regenwasserkanalisation gibt es nicht. Der Regen war äußerst erfrischend und um die vielfach vorangekündigte, heimliche Attraktion von Lomè nicht auszulassen, besuchten wir das Restaurant Alt-München, vorne am Meer. Ein Laden, in den ich in Deutschland für Geld nicht gegangen wäre. Alles in blau-weiß - bayrisch eben - in einem topgepflegten Garten, liegt ein topgepflegtes Restaurant. AirCondition, schwarze Bedienung in bayrischen Kellneruniformen, deutsche Karte mit sehr deutschen Gerichten. Teuer und gut besucht. An den Tischen ausnahmslos schwarze Anzugträger mit Krawatte und weiße Geschäftsleute, lockerer gedreßt. Man ißt, unterhält sich leise, lacht gedämpft und der Chef persönlich begrüßt seine Gäste smalltalkender Weise. Bei aller Gegenwehr, das ist zugegebenermaßen gelungen, und ich war kurz davor, mir ein Eisbein mit Sauerkraut zu bestellen - nur aus Bock - ich kenne kaum optisch fragwürdigere Gerichte. Tags drauf tat ich es tatsächlich mein erstes Eisbein, und mein letztes - aber ich wollte einfach sagen können, daß ich in Togo ein Eisbein gegessen habe, kultmäßig. Am folgenden Tag schien die Sonne nach diesem Regentag seit Wochen erstmals wieder von einem strahlend blauem Himmel. Sie schien jeden Tag, stark genug, um Schatten zu werfen und die Temperaturen an die vierzig Grad Marke zu treiben, aber der Himmel war sonst weiß, nie blau. Auf dem Togosee fuhren neben den Fischerbooten Surfer mit bunten Segeln, ein leichte Brise strich durch die Kokospalmen und wir verdösten diesen BilderbuchSonnabend, während die Wäsche trocknete. In Togo kann man sehr gut etwas länger bleiben, aber wir hatten nur noch zwei Monate bis zu unserer Hamburg-Pause, bis dahin muß das Auto auf'm Dampfer sein und wir ein Flugticket in der Hand haben. Das Hotelpersonal überschlug sich vor Zuvorkommenheit - wir waren wieder einmal die einzigen Gäste - brachte uns Prospekte von Nationalparks - Löwen,
Elefanten und Hotels mit Pool - fragte regelmäßig unsere Wünsche ab, aber es trieb uns weiter. Im Interesse der Briefmarkenbögen wäre es schon sehr sinnvoll, nach Benin auch noch nach Niger und mit gemischten Gefühlen nach Nigeria einzureisen, und obendrein noch zweitausend anstrengende Kilometer in den Tschad und Cameroon hinter uns zu bringen. Die Versuchung, in Togo und Benin die Zeit beim Baden und Fotografieren in Reservaten zu vertrödeln und mit dem Erreichten zufrieden zu sein und nur noch gemütlich und einkaufender Weise nach Abidjan zurück zu bummeln, war schon sehr groß - den anderen Kram erledigen wir später mal - aber wieder einmal obsiegte vorläufig die Straightness. Annett ist in dieser Hinsicht ständige Mahnerin. Wenn's nach mir alleine gegangen wäre , hätte ich wohl meiner wohl typisch zwilingsgeborenen Neigung nachgegeben, mich in alles Hals über Kopf voller Begeisterung zu stürzen , dann aber jede Planänderung zu akzeptieren, wenn sie meiner Bequemlichkeit dient. "Wir sind nicht zum Spaß hier und wenn wir ein Land nach dem anderen ausklammern und vor uns herschieben, wird's am Ende knüppelhart. Am Schluß fehlen dann fünfzehn üble Problemländer und das wird extrem teuer und fatal nervig." Sie hatte ja recht, wir brachen am Sonntag auf in Richtung Benin. BENIN
Entfernungsmäßig liegt alles eng beieinander. So brachen wir erst nach einem gemütlichen Frühstück, begleitet von den besten Wünschen unserer Gastgeber, auf, und der Grenzübertritt war erträglich. Keine ungebetenen Helfer, keine Durchsuchung, nur das übliche, zeitraubende Einschreiben in unendliche Listen mit Beruf, Vater, Mutter, Heimatadresse, woher und wohin, Fahrgestellnummer, Führerscheinnummer und dem ganzen Käse. Überhaupt waren die Grenzübertritte bislang - toi, toi, toi - unerwartet problemarm. Es dauert zwar immer alles seine Zeit, aber ich stelle mir ein schwarzes Pärchen auf einer Reise durch Europa vor, die werden es schwerer haben. Nicht einmal sind wir auch nur halbwegs gründlich durchsucht worden - in Gambia etwas, aber da war's die Neugier. Sonst nie. Wir hätten alles Erdenkliche schmuggeln können, in jeder Größe. Nur was ... Als wir in das Land einfuhren kam uns Klaus entgegen und bemerkte "taugt nix, Benin, wir fahren erstmal wieder nach Lomé". Es war das
letzte Mal , daß wir ihnen begegnet waren und war ist auch gut so, langsam war uns diese Bekanntschaft unangenehm geworden. Schon an der Grenze, in der Zollstation, hing ein Plakat "VOODOOLAND BENIN". Endlich mal ein wenig angekündigte, okkulte Mystik, mal sehen, vielleicht treffen wir ja sogar mal ein VoodooChile. Vorerst hielten wir in der "Auberge Grande Popo", da muß man ja wohl halten. Was für ein begnadeter Ort. Direkt am Meer - ein kilometerlanger, von Palmenwäldern gesäumter Sandstrand vor dem helltürkisen Meer - liegt ein prächtiges, altes Kolonialhaus als Hotel. Zwei Etagen, viel Holz, und eine breite Veranda, von Säulen getragen, führt um beide Stockwerke des Hauses. Die obere Etage bietet einen phantastischen Ausblick auf das Meer. Das Haus liegt in einem grünen Park mit hohen Bäumen und Palmen, blühenden Büschen und Kakteen. Neben diesem Herrenhaus gibt es ein flaches Gebäude mit weiteren Gästezimmern sowie ein Restaurant, auf dessen Terrasse zum Meer feines Essen serviert wird. Ferner dient ein baumreiches Stück als Campingplatz mit sehr guten Sanitäreinrichtungen, auf der anderen Seite des Hauses gelegen. Wir verschoben den Wunsch nach einer Übernachtung im stilvollen Kolonialhaus aus Kostengründen auf später und parkten unter schattigen Kiefern, keine fünfzig Meter vom Atlantik entfernt. Waren die letzten Tage am Togosee schon lange nicht mehr so schwül wie die Zeiten in Cote-Ivoire und Ghana, so sorgte hier eine herrlich kühle Brise vom Meer für ein optimales Klima. Das Meer war sehr aufgewühlt und baden schien uns zu gefährlich, aber auch dies kompensierte Grande Popo durch einen Swimmingpool. Meist war es so, daß der Ort, den wir nach einem schönen Platz fanden, uns enttäuschte, und wir bedauerten, zu schnell weiter gefahren zu sein. Hier nun ganz und gar nicht. Vor dem Restaurant gab's Souvenirs, Holzschnitzereien, Stoffe und Anhänger und wir fanden ein ganz exorbitantes Teil. Ein Fahrrad in der Größe eines Kinderrades, komplett aus Ebenholz und Teakholz, mit Bremsen, Lampen, Dynamo und was so zu einem Fahrrad gehört. Das allerschärfste war, daß es sogar bedingt funktionstüchtig war. Die Ebenholzkette trieb das Hinterrad an, der Lenker bewegte sich in der Gabel und das Vorderrad drehte sich ebenso. Die Holzklingel allerdings funktionierte ebensowenig wie der Dynamo. Kaufen ! Nun rief der Besitzer über dreihundert Mark auf - die Arbeit ist es sicher wert,
und wir waren schwer am überlegen, ob wir zugreifen sollen. Wäre klar, daß es in Cotonou keine Botschaft von Niger gibt - nicht Genaues weiß man nicht - die uns das geklaute Visum ersetzen würde, wäre unsere Weiterreise sowieso hier vorerst beendet. Aber falls wir doch noch in weitere vier Länder und gute dreitausend Kilometer fahren würden, wie wir es eigentlich vor hatten, ist uns das Holzfahrrad nur im Weg und irgendein Zöllner, spätestens in Nigeria, greift es sich bestimmt. Schade. Also erstmal am nächsten Tag weiter nach Cotonou und das Pflichtprogramm abarbeiten und Infos holen.
COTONOU
Cotonou ist Alles in Allem eine angenehme Stadt. Die Botschaften, Fluggesellschaften, Banken und die Post liegen in einem überschaubaren Bereich beim Hafen, der Verkehr ist dicht, aber nicht zu dicht, überall leichtes Parken und dazwischen wieseln Mopeds als Taxen herum. Keiner trägt einen Helm, aber die Fahrer der Mopeds, die als Ein-Mann-Taxen ihr Geld verdienen, tragen gelbe Kittel mit einer Nummer auf dem Rücken. Allerdings gibt es keinen passablen Platz zum campieren, etwa am Meer, mit Bademöglichkeit und bezahlbar, so daß wir wieder in eine teure Anlage mit Swimmingpool fuhren. Hat natürlich auch sein Gutes. Zum einen faxten wir die Telefonnummer mit Zimmeranschluß nach Hause und ließen uns von Eltern und Freunden anrufen, um einmal nicht auf unsere Kosten zu telefonieren. Die Verbindung war so gut, daß wir nach den diesmal recht langen und verklönten Gesprächen das Gefühl hatten, nicht weit von zu Hause weg zu sein und vor dem Bungalow direkt Hamburg anfing. Macht etwas Heimweh. Zum Anderen ist das Wohnmobil in diesen Breitengraden nicht der optimale Schlafplatz. Steht man direkt am Meer und läßt nachts Türen und Fenster offen, geht's gerade. Nur zweihundert Meter im Land ist der Wind schon wieder zu schwach und man zerschmilzt nachts in der brütenden feuchten Wärme. Da ist es sehr viel angenehmer, die Klimanlage auf "Super-Cool" zu stellen und in die warme Badewanne zu verschwinden. Afrika als Low-Budget-Tour ist für die ganz Harten sind wir nicht. Die Erledigungen liefen flüssig, obschon es eine Besonderheit gab:
DIE DREIZEHNTE BRIEFMARKE
Wir gingen erst zu einer dem Postamt ausgelagerten Philatelistenstelle und trafen zwei mürrische Schwarze, die zu nichts Lust hatten und am allerwenigsten, sich mit uns über Briefmarken zu unterhalten. Schuß in den Ofen. Daraufhin gingen wir in die Post und erfragten die Marke mit dem kleinsten Wert. Einhundertdreißig CFA's, das ist viel Geld, - vierzig Pfennig - hatten wir bislang in den CFA-Ländern fünf bis maximal zehn CFA's ausgeben müssen. Bei tausend Stück sind das vierhundert Mark - wollten wir nicht so ohne weiteres bei - und das Beste war, daß sie überhaupt nicht bereit waren, uns tausend Marken zu verkaufen. Hätten sie angeblich überhaupt nicht. Wir versuchten unser Glück am Nebenschalter auch nichts - noch einen Schalter weiter, bis einer sich unserer erbarmte und bereit war, eintausend Marken für neunzig CFA zu verkaufen. Immer noch dreihundert Mark, aber was blieb uns übrig. Er ließ sich erstmal das Geld geben um sicher zu gehen, daß wir auch meinten, was wir sagten, und verschwand für eine viertel Stunde in den Katakomben des Postamtes. Mal tauchte er kurz wieder auf, gab uns Zeichen, daß wir noch ein wenig Geduld bräuchten, bis er mit einem Packen bunter Marken erschien, Riesenlappen. Diese übergab er hinter dem Tresen einem Schalterbeamten gegen Beleg, der wiederum gab sie uns - komischer Weg. Die Sammlung bestand aus drei verschiedenen Marken. Zwei waren Sondermarken zur Winterund Sommerolympiade 1972 ! Fünfundzwanzig Jahre alt, Druckdatum 16.02.72, mit dem deutschen Adler oben links in der Ecke, da sich diese Olympiade seinerzeit in München zutrug. Aktion "Schwarzer September - wer sich noch erinnert. Zu dieser Zeit hieß Benin noch "République du Dahomey", und so stand es auch auf den Briefmarken. Ebenso stimmte die Währung nicht mehr. Beides war durchgestrichen und übergestempelt mit "90 F" und "République Populaire du Benin", eine Bezeichnung aus der Zeit, in der Benin sozialistisch war und auch bereits überholt. Die dritte Marke war bereits aus der Zeit "République Populaire" - kein gestrichenes Dahomey mehr, aber ebenso eine übergestempelte Währung und ebenso von der Zeit überholt. Motiv: Picasso. Da dreizehn traditionell meine Glückszahl ist - am Dreizehnten geboren - bildete ich mir mit meinem briefmakentechnischen Nullwissen sofort ein, eine philatelistische Rarität ergattert zu haben. Beim Zerreißen und Einkleben scherzten wir noch, daß diese Marke postfrisch wahrscheinlich ein Vermögen wert sei und abgestempelt einen
Dreck, aber wir bereiteten unsere Bögen zum Abstempeln vor wie gewöhnlich. Immerhin mal eine andere Marke, die aufgrund von Größe und Motiv gleich ins Auge springt. KUNSTMARKT COTONOU
In Cotonou fanden wir einen Kunstmarkt der besseren Art. Es gab Bronzegefäße, reich verziert, große Statuen und unheimliche Figuren, ebenfalls aus Bronze oder Messing, die allerdings preislich am oberen Bereich unserer Möglichkeiten lagen. Uns fehlte wieder einmal das Wissen, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen ärgerlich. Wir fanden Werbeschilder von Friseuren, die mir schon monatelang aufgefallen waren, haben sie doch den Charme der Werbung aus den fünfziger Jahren, gemischt mit dem Hang zur Farbenfreude der Afrikaner und deren einfachen und einprägsamen Gestaltungsformen. Alle handgepinselt, auf Presspappe mit Lackfarbe, und zeigen die seltsamsten Typen mit den schrägsten Frisuren, die dann auch noch Namen haben. Der geilste Name für eine Frisur war "Lagos-Punk". Toller Deko-Artikel, vorgemerkt als ein Muß für den Einkaufszettel der Rückreisetour, jetzt wollten wir uns nicht mit Sperrgut belasten. Neben den üblichen Schnitzereien, Stoffen, Möbeln und Kleinkram, den wir jedoch in Grand Bassam in Cote-Ivoire reichhaltiger und besser vorgefunden hatten, trafen wir einen Händler, der sich auf Glassteine und andere Dinge mit Loch spezialisiert hatte, die man auf Ketten ziehen kann. Er hatte eine beachtliche Sammlung in seinem Haus und wir fuhren zu ihm. Ich hatte schon lange ein Fabel für diese speziellen Glassteine entwickelt, die früher in der Wüste zur Bezahlung von Palmenöl, Gold oder Sklaven dienten. Aufwendig hergestellt, zieren sie filigrane, fast psychedelische Muster aus kleinen Blumen, Ornamenten und verlaufenden Farben. Sie sind so geschaffen, daß man sie auf einer Schnur aufreihen kann und jeder ist ein faszinierendes kleines Einzelstück. Zum ersten Mal erfuhr ich, daß es über diese Steine dicke Bücher und Kataloge gibt, sortiert und numeriert mit geschichtlichen Hintergrundinformationen. Wir betrachteten die umfangreiche Sammlung des Händlers. Verschiedene Steine waren sorgfältig in Reih und Glied in pralinenschachtelgroße Lederdosen genäht wie in einem Album, und er hatte viele dieser Schachteln. Sie standen nicht zum Verkauf, aber er verfügte darüber hinaus über das reichhaltigste Angebot, welches
ich je zu Gesicht bekommen hatte. Wir verbrachten einige Stunden bei ihm, sortierten, suchten heraus, feilschten, legten zurück, stellten neu zusammen, feilschten wieder und wieder, bis wir mehr als tausend dieser Steine erworben hatten. Zum dritten Mal an zwei Tagen wurmte uns unsere Unwissenheit. Es gab zwei Ketten aus gelben, runden Steinen, Amber, wie er erklärte. Ich kannte dieses Material aus Marokko, wo es fast ausschließlich als Fälschung vorkommt. Findet man dort mal ein echtes Stück, erklären einem die Maroks sogleich, wie wertvoll es sei. Die Maroks verkaufen die gerade erworbenen Glassteine, die sie Gouelmine-Steine nennen, allerdings ebenso zu einem zehn- bis zwanzigfach höheren Preis als den, den wir gerade ausgehandelt hatten. Nun fing auch der Händler aus Cotonou an, aus dem Gesamtpacket immer wieder die Ketten mit den eigentlich nicht besonders ansehnlichen Ambersteinen heraus zu nehmen. So eine Kette verfügte über fünfzig Steine, kollierartig von klein bis groß, und er wollte über 350,- DM haben. Egal, wie wir das Gesamtpacket hin und her kombinierten, sobald eine dieser Ketten dabei war, stieg der Gesamtpreis um etwa diesen Betrag. Es war nichts zu machen. Wir mixten hin und her, brachten unseren kleinen Farb-TV ins Spiel - egal, die Amber-Ketten waren nicht mit unter zu mauscheln. Mit Händen und Füßen pries er den Wert dieser beiden Ketten - aber das kennt man nun zu gut, als daß man es als wahr annehmen muß. Er war so scharf auf den Fernseher, aber wir kamen nicht von diesem Preis runter und ließen die Ketten schließlich zu unserem und seinem Bedauern liegen. Scheiße, wenn man sich seiner Sache nicht sicher ist und mit dem Gefühl geht, etwas Schönes liegen gelassen zu haben oder betrogen worden zu sein. Unbedingt Nachforschungen anstellen. Die Tage in Cotonou waren schön. Wir hatten beim Abstempeln keine Probleme, sehr nette Leute, wir fanden die Niger-Botschaft, bekamen unsere Visa und während der eintägigen Wartezeit schwammen wir ein paar Runden im Pool, lasen im Schatten oder dösten im klimatisierten Bungalow. Wir entwickelten so eine ruhige Feierabend-stimmung aber wir wußten, daß wir noch einen vorletzten großen Hieb vor uns hatten, bevor es mit dem Flieger nach Gabun, Äquatorial-Guinea und Sao Tome & Principe gehen sollte und dann endlich zurück nach Abidjan zur Verschiffung.
KILOMETER MACHEN
Die dicht auf dicht liegenden Länder hören hier erstmal auf, jetzt geht's wieder on the road, gute sechstausend Kilometer - geschätzt mindestens zwei Wochen - bis wir wieder am Ausgangspunkt Hotel Croix du Sud in Cotonou angekommen sein werden - wenn denn alles glatt läuft. Und die vor uns liegenden Länder versprachen nicht gerade Highlights zu werden. Der Reiseführer - es handelt sich um "Durch Afrika" von Därr - berichtet nicht viel Gutes. Allerdings ist auf ihn nicht immer Verlaß, was in der Natur der Sache liegt. Das, was der Einzelne erlebt, ist gerade in Afrika extrem unterschiedlich. Wie sind die Bullen eingenordet, wie ist der Reisende drauf, ist es ein Pärchen oder zwei Typen, wie treten sie auf, fahren sie tags oder nachts und vieles mehr, wie ist das Wetter, ist eine Straße gerade ausgebessert oder in miserablem Zustand - kommt immer ganz drauf an. Der Reiseführer ist obligatorisch und ohne ihn würde alles sehr viel schwerer sein. Er nennt Hotels und Campingplätze, Tankmöglichkeiten, warnt vor schwierigen Grenzen und pedantischen Zöllnern, hat kleine Stadtpläne zur groben Orientierung und erweist sich täglich als äußerst hilfreich. Und eben dieser spricht bezüglich Niger von ganz ätzenden und unfreundlichen Bullen, von Meldeschikanen in jeder Stadt und ähnlichen Scherzen. Nigeria eilt der schlechteste Ruf voraus. Wegezölle von bis zu tausend Dollar unter Waffengewalt, korrupte Bullen wie sonst nirgendwo, und dafür etwas zahlreicher. Tschadeinreise bis zu einem halben Tag, äußerste Pedanterie, und gerade für dieses Land waren die Visa abgelaufen und wir mußten eine handschriftliche Korrektur vornehmen, um sie wieder gültig zu machen - hoffentlich stolpert da keiner drüber. Nur Kamerun hatte neutrale Kommentare. So eingestimmt schraddelten wir also los. Erwartungshaltung ganz im Gegensatz zu Ghana: Augen zu und durch. Den ersten Tag fuhren wir von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Richtung Norden durch Benin. Die tropische Vegetation endete schon am ersten Tag und es wird steppig und trocken und heiß. Ab zwölf Uhr wandert das Thermometer auf die zweiundvierzig Grad und es dauert bis in die nächsten frühen Morgenstunden, bis es sich auf gute dreißig Grad senkt. Wir erreichten mit dunkelwerden den Grenzort zu Niger und kampierten auf dem Parkplatz eines Hotels. Den Neubau mit Air-Condition-Rooms entdeckten wir erst am nächsten Morgen, abends sahen wir nur Wanzenlöcher jenseits jeder Akzeptanz. Daher die Übernachtung im aufgeheizten Fahrzeug.
Schlimm. Die Kiste ist so hervorragend isoliert, daß sie die vierzig Grad locker die ganze Nacht hält - schöne Sache für Norwegenurlauber - aber wir liefen schier aus. Nicht noch mal, soviel war klar.
NIGER
Gerädert von der durchschwitzten Nacht erreichten wir die Grenze zum Niger und wurden freundlich begrüßt, wurden nicht gefilzt und mußten nichts zahlen. Hey, da kann man mal sehen. Wir fuhren vorsichtig weiter, immer auf der Lauer, was für Aufregungen jetzt wohl kommen werden. Keine. Ein ganz feiner Lauf durch Steppe und Wüste, vorbei an Kamelen und Moscheen, zurückversetzt in arabisches Ambiente über ausgezeichnete Straßen. Eine Besonderheit im Niger sind die Wohngebäude in den kleinen Dörfern. Normalerweise sind die Hütten rund oder eckig, sonst alle irgendwie gleich. Im Niger wohnen sie in iglugroßen, kugeligen Tonkrügen, die auf fünfzig Zentimeter hohen Stöcken lagern und ein Loch als Seiteneingang haben. Oben offen, sind sie mit deckelähnlichen Strohhüten versehen - sieht völlig lustig aus, wie bei Gulliver's Reisen. Vielleicht wohnen sie auch nicht darin, sondern es sind sowas wie Speicher oder kleine Läger, wer weiß. Wir haben es nicht heraus bekommen. Verstärkt wird man im Niger wieder bei Ortsdurchfahrten von Groß und Klein angebrüllt, bei jedem Stopp kommen sie ans Auto gerannt, starren einen an und fallen einem auf den Wecker. Mir fiel wie schon so oft meine Erziehung ein. "Guck da nicht so hin, starr den nicht so an. Man zeigt nicht mit dem Finger auf Menschen und laß die jetzt in Ruhe." Hometraining, kriegt man mit der Muttermilch gratis. Das scheint hier gänzlich zu fehlen, solche Rücksichtnahmen sind vollkommen unbekannt und sie denken sich auch nichts dabei, permanent Kontakt aufzunehmen und ich glaube, sie selber empfinden das auch nicht als unangenehm, wenn es ihnen selbst widerfährt. Wir hielten entsprechend selten an, nur um an einem kleinen Postamt nach tausend Briefmarken zu fragen, die wir ohne zucken bekamen, für kleines Geld, und hatten mit keiner Bullenkontrolle ein Problem. Sie betrachteten sich unsere Reisedokumente, scherzten, wünschten angenehme Weiterreise und gut - eine nach der anderen. Wir dachten viel darüber nach, warum unsere Erfahrungen so gänzlich andere waren wie die im Buch
beschriebenen und erklärten es versuchsweise damit, daß wir gerade gut drauf waren und sich das auf die Bullen bis zu einem gewissen Grad überträgt. Wir waren nun zu lange in Westafrika unterwegs, als daß wir uns noch über die Existenz der vielzähligen Checks an sich aufregten. Ist halt ihr Job. Über kleine Geschenke wie Kugelschreiber - die mußten eh langsam weg - gab's ebenfalls kein Gerede mehr. Wir waren sehr freundlich auf eine - so glaube ich natürliche Art, und reichten freiwillig sofort sämtlich Papiere raus und stellten meist den Motor ab. Das beruhigt sie, die Dokumente überfordern sie und mit ein paar netten Worten waren sie immer zufrieden und ließen uns weiter. Wir waren auch auf keiner klassischen Touristen-Route - es gibt hier gar keine TouristenRouten - und manchmal freuten sie sich direkt und bedankten sich anerkennend, als sie in den Papieren sahen, daß wir den langen Weg von Germany mit dem Auto gekommen waren, nur um sie und ihr Land zu besuchen. Der Nachteil dieser abseits gelegenen Straßen war die Hotelsituation. Bimbobuden, um es mit einem Wort zu sagen, und keinesfalls billig. Strom nur nachts, wenn überhaupt, immer Remmidemmi, schreiende Bälger, immer umlagert und meist braucht man fortgeschrittene Sanitärkenntnisse, um die Dusche oder das Klo zu betreiben. Die Klimageräte verfügten nie über einen einzigen Knopf, ratterten wie Rasenmäher, wenn man Glück hatte. Manchmal fielen sie nachts aus, liefen dann wieder an und das klang, als wenn ein Hubschrauber im Zimmer landet. So saßen wir am Abend im Innenhof eines Hotels, aßen Huhn mit Pommes, wie immer in diesen Spelunken, und hatten mehrere Gäste am Tisch. Die halben Hähnchen sind eine Sache für sich. Sportler, schätze ich. Ganz mager, zäh und kaum Fleisch auf den Knochen. Wir sind nicht sicher, daß es wirklich Hähnchen sind. Man sieht oft sehr schlanke und langbeinige weiße Stelzvögel durch die Gegend flattern und diese haben nackt eine verdammte Ähnlichkeit mit den servierten halben Hähnchen. Wie dem auch sei, wir gniedelten an den Knochen rum, während sich um uns herum mehrere Händler mit Tüdelkram aufbauten. Essenderweise bot man uns alles Mögliche an und wir griffen uns einen, der die anderen wegschicken sollte und bestellten bei ihm eintausend Lederbänder, um unsere Steine als Ketten aufzuziehen. Wir feilschen wie stets, versprachen ihm, auf dem Rückweg dieses Geschäft zu machen und er wollte die Zeit nutzen, um die Lederbänder zu besorgen. Seine Befürchtung war nun die,
daß wir uns nicht wieder blicken lassen würden und er mit tausend Strippen da sitzt. Verständliche Sorge. Wir wagten ein Experiment und zahlten umgerechnet einhundertfünfzig Mark an, gegen Vertrag, der natürlich im Konfliktfall nicht das Papier wert ist. Mal schauen, auf dem Rückweg wissen wir mehr. NIGERIA
Am nächsten Morgen wurde es ernst. Nigeria lag an. Erst ging's noch ein gutes Stück durch Niger, aber dann war sie da, die schreckliche Grenze von der alle sprachen. Es ging gleich gut los. Wir sahen einen englischen Overlander-Truck, der komplett auspacken mußte, und wir wurden zu einer sechsköpfigen Bullenbande gebracht, die sich erstmal unsere Pässe vorknöpfte. In aller Freundlichkeit offenbarte man uns, daß die Visa ein Dreck wären, völlig falsche Nummer drauf, und, daß das mit der Einreise wohl nichts wird. Wir hatten nichts Anderes erwartet und mir war es irgendwie auch kackenegal. Dann eben nicht, erspare ich mir den Streß und finde später einen anderen Weg. Sie sagten zwar, daß der Fehler nicht bei uns läge, sondern bei der Botschaft in Banjul, aber ein gewichtiger Fehler sei es leider trotzdem. Ich sagte: "Gut, wenn sie da nichts machen können und ihre Kompetenzen nicht weitreichend genug sind, möchte ich sie in keinem Fall in Schwierigkeiten bringen. Ich bedaure sehr, daß uns dies schöne Land jetzt verborgen bleiben wird, aber was nicht ist, ist nicht, und wir fahren dann halt wieder zurück, kein Drama." Der Officer fragt: "Wollen sie denn gerne zurück fahren ?" Ich: "Natürlich nicht, dann wären wir nicht erst hergekommen. Aber es liegt in Ihrem Ermessen, was soll ich da lange debattieren und sowohl unsere als auch ihre Zeit mit nutzlosem Gerede verschwenden." Er bat mich draußen zu warten, während die Kommission eine Entscheidung fällen wird. Ich gab noch 'ne Runde Malboro aus und setzte mich rauchend zu Annett vor die Tür. Es war anscheinend der richtige Vortrag. Zehn Tage bewilligte er uns - ohne Extrageld - stempelte allerdings die Visa ungültig, was auch nicht so nett war. Es brachte uns in eine Zwangslage. Wenn jetzt der Tschad unser datumsmäßig leicht korrigiertes Tschad-Visum nicht akzeptiert, kommen wir an keine nigerianische Botschaft mehr und hängen in Kamerun fest - das wäre ziemlich blöd. Außerdem wäre die Anzahlung für die Lederbänder futsch. Aber die erste Hürde war genommen, alles Weitere wird sich finden. Jetzt kam der Zoll.
Hier nahmen sie alles sehr genau, aber sehr freundlich. Fragten uns nach unserer Mission - "Land und Leute, Tiere und Pflanzen" - und baten uns sehr höflich, einen Blick in das Fahrzeug werfen zu dürfen. Aber sicher doch. Ich lüftete das Fahrzeug, damit es bei der Durchsuchung nicht zu stickig ist - das fanden sie gut - und führte dem extra Drogenbeamten die Reiseapotheke vor. Nur lockere Stimmung und keine harte Filze, war völlig in Ordnung. Ob wir zwei Bullen mitnehmen könnten, läge auf dem Weg. Wie kann man da Nein sagen. So fuhren wir mit sehr sehr gemischten Gefühlen ins Land und die ersten fünf Kilometer kamen wir vor lauter Kontrollen kaum in den vierten Gang. Eine nach der Anderen. So macht nur weiter, dann habt ihr uns nicht lange zu Gast. Diese Kontrollen liefen alle überraschend glatt. Ich diskutierte über eine Bestimmung, die mich angeblich zum Mitführen eines Feuerlöschers verpflichte. Konnte ich ihm ausreden. Gibt das nicht in Germany, sonst stünde das im Fahrzeugschein, ist doch ein Diesel. "Ach so ..." Meist entdeckten sie unsere Zöllner und dann war's gleich ok, aber diese verabschiedeten sich nach vierzig Kilometern. Jetzt waren wir allein in Nigeria. Die Kontrollen wurden weniger und jede wurde freundlicher - wir fühlten uns an Gambia erinnert und konnten es nicht glauben. Der Unterschied ist die Bewaffnung. Sie kommen mit MP's oder automatischen Schnellfeuergewehren ans Auto, nicht umgehängt, sondern im Anschlag mit dem Finger am Abzug. Das ist gewöhnungsbedürftig, da sie dabei aber meist fröhlich lachen und mit der freien Hand winken, erscheint einem die auf einen gerichtete Waffe nicht bedrohlich. Kein gutes Land allerdings für Freund Klaus, mit vorbeifahren und "muß-mal-arbeiten-gehen" rufen. Das wird hier nicht oft gut gehen. Unsere Erfahrungen waren nur die Allerbesten, nichts gegen die Bullen in Nord-Nigeria - so weit. Das Land ist groß und wir fuhren zwei volle Tage durch. Morgens den Anlasser betätigen, einmal auf halber Strecke nachtanken - für zwanzig Pfennig den Liter - und weiter bis dunkel werden ins nächste Hotel mit Klimaanlage. Nicht einmal gab's Ärger. Als ich mal halb auf der Straße anhielt, forderte man mich nett auf, einen Meter weiter nach rechts zu fahren, das war alles. In Senegal kostete die gleiche Nummer vierzig Mark und ein langes und unerquickliches Gedibber. Ein anderes Mal belehrte man mich, daß Rauchen während der Fahrt in Nigeria verboten sei. "Wußte ich nicht." Ich machte die Zigarette aus und der Fall war ohne Bußgeld
erledigt. Wäre in Senegal nicht zu bezahlen gewesen, Verhaftung wahrscheinlich. Wir saßen am vierten Abend unweit der Grenze zu Kamerun in einem teuren, aber passablen Hotel, schauten CNN-International und waren ganz zufrieden mit dem bisherigen Ablauf. Abends zuvor fuhren wir von unserem Hotel aus per Taxi zu einem Chinesen und bekamen mal keinen Gummiadler mit Pommes, sondern hervorragendes Chinese-Food. Alles recht kultiviert in Nigeria. Die Hotels nicht ganz so übel, wenn man die obere Klasse nimmt, die Straßen überwiegend in Superzustand. Es gab wider erwarten wenig zu meckern. Nach vier sehr anstrengenden Tagen nur im Auto durch monotone Steppenlandschaft, nahmen wir uns vor, einen Tag zu pausieren und die Briefmarkenarie hinter uns zu bringen. Wer weiß, ob wir noch mal reinkommen. Ärgerlich genug, daß uns das in Niger noch nicht ganz gelang, da am Sonnabend die Postämter durchgehend geschlossen hatten und der Stempel daher noch fehlte. Das ganze Wochenende warten hatten wir keine Lust, erstmal wollten wir weiter und Kilometer hinter uns bringen. So führte uns der erste Weg am nächsten Morgen zur Bank. Wir waren ohne Bargeld, da die Hotels in Nigeria ein seltsames Zahlsystem haben. Wenn ein Zimmer beispielsweise einhundert Mark kostet, dann verlangt das Hotel ein Deposit in dreifacher Höhe. Extra dafür gibt es einen Kassierer in einem vergitterten Kassenhäuschen, der einem eine Quittung aushändigt. Man kann dann im Restaurant und im Café alles gegen Unterschrift bekommen - trinkgeldmäßig schlecht für die Kellner - und am Ende wird abgerechnet. Keine Bank wechselt irgendwas, da auch sie ein nicht durchschaubares Wechselsystem haben, alles geht über Lagos. Wenn man ihnen drei Travellerschecks gibt, dauert es zwei Wochen, und man bekommt Landeswährung. Reiner Blödsinn. In einer Wechselstube bekamen wir für dreihundert Dollar eine Plastiktüte voll mit gebündelten Scheinen und zogen zum Postamt. Der größte Schein ist hier 1,25 DM und der kleinste 0,13 DM, und dann gibt es auch noch Münzen. Auf den Banken kommen sie entsprechend mit Pappkartons und Säcken voller Banknoten an, um ihre Geldgeschäfte zu tätigen. Sehr nette Leute auf der Post, wieder einmal, und als wir am nachmittag nach den Bastelstunden zum Stempeln kamen und eine Kiste eiskalte Coca-Cola mitbrachten, stempelten sie freundlich und klönend die Bögen ab. Mehrere abwechselnd und parallel. Sie
waren auch nicht doof und überrissen, daß wir auf dem Weg waren, ein gutes Geschäft zu machen, das schnallen sonst die Wenigsten. Wir wiegelten ab - kleines Hobby - damit kein Neid oder Gier entsteht, nur zur Deckung der Reisekosten. Wer weiß es denn wirklich, es kann noch so viel passieren. Vor fünfzehn Uhr waren wir mit dem Pflichtteil durch und ich holte mir ein Six-Pack Maltina Malzbier mit Erdbeergeschmack - geiles Blubberlutsch - "Maltina cares for you" - und wir verzogen uns ins klimatisierte Zimmer zu einem Mittagsschlaf. Ein bißchen vorerholen, am nächsten Tag sollte es wieder weiter gehen. Die Entfernungen wurden jetzt moderater, dafür lagen mehrere Grenzübertritte an, auch immer Unternehmungen mit unsicherem Ausgang. So brachen wir früh morgens auf und die nigerianischen Bullen schafften es nicht, das positive Bild zu halten. Sie zeigten sich an diesem Tag von genau der Seite, die ihnen den Ruf der größten Arschloch-Bullen Westafrikas eingebracht hat. Wir kamen in den Grenzbereich und die Kontrollen häuften sich arg. Es ging alles noch, bis wir die Border-Control-Unit erwischten. Sie nahmen uns die Pässe weg und ich mußte zu ihnen ins Häuschen gehen. In der einen Hand die Pässe, in der anderen die gezogene Pistole, erklärt mir der Chef, daß wir nicht weiter fahren können, da die Visa falsch wären. Und zwar wäre es ein Visum für eine "Single Journey", das bedeutet, daß man einmal ins Land darf und an der gleichen Stelle wieder raus. Mit einem "Single Journey" kann man nicht einfach irgendwo raus, da bräuchte man ein Transitvisum. Fazit: Zurück zum Einreiseübergang, ca. tausend Kilometer, und dort eine Sondergenehmigung erbitten für die Ausreise an einem anderen Grenzort. Die Art, wie er mir das mitteilte, hatte etwas perfides und widerliches, fast höhnisch oder zynisch, ich traute ihnen jedoch weder Hohn noch Zynismus zu - vielleicht muß ich da umdenken. Er tat so, als bedaure er zutiefst, uns mit dieser Nachricht kommen zu müssen und leide geradezu mit, daß er uns nicht helfen könne. Und dieses Spiel muß man auch noch mitspielen. "Ich verstehe den Konflikt, in dem sie stecken, Chief. Single Journey ist nicht Transit, da haben sie vollkommen recht. Aber wenn ich jetzt das Land verlasse, dann ist die Single-Journey doch beendet und alles andere kann ihnen doch egal sein." Nein Nein, es ginge nur um mein Wohlergehen. Ich käme mit dem Visum nicht wieder ins Land und müßte dann den Rest meiner Tage in Kamerun verbringen.
"Berechtigter Hinweis, Chief, very usefull hint ."Ich erklärte ihm, ich werde mir in der Botschaft im Tschad ein Transitvisum besorgen und damit zurück reisen, aber jedes Argument, welches dazu diente, sein Spielchen zu beenden, konterte er freundlich mit einer neuen Absurdität und tat jedesmal so, als suche er verzweifelt eine Lösung, finde aber keine. Während er mit gezogener Knarre mit mir diskutiert, passiert etwas seltsames. Ein weiterer Bulle kommt hinter mir in die Tür und fragt nach einer Pistole. Der Chef drückt mir seine Knarre in die Hand und sagt "pass it over, please." Ich reiche die Knarre durch wie 'ne Flasche Cola und keiner der Anwesenden fand an diesem Vorgang irgend etwas ungewöhnlich. Ich ließ mir auch nichts anmerken und versuchte es mit der Taktik der Einreise. "Ok, was soll's, dann fahre ich zurück. In meinem Buch über Afrika wird dann der Bericht über Kamerun fehlen, ebenso über Tschad, aber mein Verleger wird es verstehen, wenn die nigerianische BorderControl-Unit mich mit einem Visum der nigerianischen Botschaft nicht weiter läßt." Der Bulle änderte nun seine Strategie. Er sagte: "Wenn sie gut für meine Officers sorgen, dann weise ich diese an, sie fahren zu lassen." Ich sagte, daß ich der Meinung wäre, die Officers sollen für uns sorgen und nicht umgekehrt, aber andererseits natürlich bereit sei, eine Gebühr für ein Arrangement zu bezahlen. Nun kam er wieder und sagte, daß ich ihn vollkommen mißverstanden hätte. Es geht nicht um ein Arrangement, sondern zum Einen um eine eindeutige Visabestimmung, die ich übertreten hätte, und zum Anderen um eine völlig freiwillige Handlung meinerseits. Die Entscheidung einer Weiterfahrt überlasse er ganz mir und ob ich für die Officers sorgen möchte, die es unter schwersten persönlichen Risiken möglich machen, daß ich trotz eklatanter Gesetzesübertritte weiter fahren könne, ist ebenso in meiner freien Entscheidung. Er betonte noch, daß er hoffe, ich hätte ihn nun richtig verstanden und, daß ich gut überlegen solle, was ich nun mache. Was für Arschlöcher. Ich tat so, als überlege ich hin und her, dann fiel die reiflich durchdachte Entscheidung und ich legte einen Stapel Scheine auf den Tisch. Sieht mächtig nach was aus, es waren aber nur diese fünfundzwanzig Pfennig Lappen und da ist auch ein dicker Stapel nicht alle Welt. Er fragte mich nun, ob ich diesen Betrag für angemessen hielte. Ich sagte ja, drückte jedem die Hand und wir fuhren nach einer guten Stunde Gesabbel weiter zur nah gelegenen Grenze.
Da ging der Zauber erst richtig los. Fünf Stunden - und das ist eine lange Zeit - habe ich mir in schwachsinnigsten Dialogen Fransen an den Mund gesabbelt, damit die Wichser uns endlich rauslassen. In gleichem Stil wie die Control-Unit. Ein paar von vielen Dialogfetzen: Officer: "Haben sie eine Quittung für das Visum in ihrem Pass ?" Ich : "Nein, die Botschaft gab mir keine." Das weiß der genau, weil der Botschafter das Geld für die Visa natürlich einsackt. Officer: "Dann können sie nicht beweisen, daß dieses Visum echt ist." Ich : "Das Visum ist echt. Es hat einen Stempel, ein Datum, eine Unterschrift. Mehr hat eine Quittung auch nicht." Officer: "Wenn sie eine Quittung hätten, könnte ich jetzt anrufen und überprüfen, ob dies Visum tatsächlich in Banjul erteilt wurde. So kann ich das nicht prüfen." Ich : "Sie können doch auch so anrufen und die Visanummern vergleichen. Dafür hat das Visum doch eine Nummer. Ich sehe keinen Unterschied." Officer: "Haben sie denn die Telefonnummer der Botschaft in Banjul ?" Ich : "Habe ich nicht, aber ich brauche die auch nicht, weil ich dort nicht anrufen möchte. Ich weiß ja, daß mein Visum echt ist. Ich hatte sie so verstanden, daß es ihr Wunsch ist, zu telefonieren. Aber vielleicht ist mein englisch nicht gut genug." Officer : "Sie verstehen mich sehr gut." Ich : "Hatte ich ebenso empfunden." bla...bla...bla...bla... bla. Bis man soweit war, daß man ihm bestätigt, daß es sich hier tatsächlich um ein Problem von äußerster Tragweite handele und man seine Dankbarkeit für sein Entgegenkommen, dieses Problem großzügig und gutwillig zu lösen, gerne vollkommen freiwillig mit ein paar Talern ausdrücken möchte. Das war die Immigration, dann kam der Zoll: Zöllner: "Haben sie einen Fotoapparat." Ich : "Ja, drei Stück. Habe ich bereits bei der Einreise angegeben." Zöllner: "Sie wissen, daß sie in Nigeria nicht alles fotografieren dürfen ?" Ich : "Aber selbstverständlich weiß ich das, Sir. Und um jedem Konflikt aus dem Wege zu gehen, habe ich gar nicht fotografiert."
Zöllner: "Wie soll ich das überprüfen. Ist der Film schon entwickelt. Ich will die Negative sehen." Ich : "Entschuldigen sie mein schlechtes Englisch. Ich hatte gerade zu erklären versucht, daß ich nicht fotografiert habe. Was soll ich dann also entwickeln." Zöllner: "Dann muß ich die Kameraausrüstung leider beschlagnahmen. Fotografieren ist in Nigeria nicht überall erlaubt." Ich : "Dem kann ich bedauerlicher Weise nicht zustimmen. Ich glaube, ich erwähnte bereits, daß ich in Nigeria nicht fotografiert habe und daher glücklicherweise gegen kein Gesetz verstoßen konnte. Hin und her, her und hin. Als das mit dem Fotoapparat nicht so hinhaute, nachdem wir noch ein halbes Stündchen bekakelten, daß es etwas schwierig sei, Dinge zu beweisen, die man nicht getan hat, verlegte er sich auf die Devisendeklaration. Natürlich hätte ich mich illegaler Devisengeschäfte schuldig gemacht. Ich möchte diese Dialoge nicht weiter aufschreiben, sie verliefen alle gleich. Freundlich, dumm und link. Ohne Argumentationszwang und ohne jede nachvollziehbare Logik. Immer mit dem gleichen Ziel. Man muß eingestehen, sehr an der Grenze der Legalität agiert zu haben und gleichzeitig durch finanzielle Zuwendungen würdigen, daß man doch ein echter Glückspilz ist, an so einen verständnisvollen Beamten geraten zu sein. Man kann sich die Schilderungen aus Lagos schon vorstellen. Die gleichen schwer bewaffneten Typen, nicht aus der Provinz, nicht mehr freundlich, sondern verroht, geldgierig und besoffen, dann wird's heikel. Als Immigration und Zoll und Polizei erledigt waren, kam ein Arzt und sagte, die Choleraimpfung sei überaltet und er wolle uns jetzt weitere Impfungen gegen Cholera verpassen. Erst versuchte ich es auf die gleiche, freundliche und ruhige Scheißtour mit Argumenten. Die Impfung sei ok, das hätte der Professor aus Germany bestätigt, es gibt weit und breit keine Cholera, zudem haben wir Geld genug, um eine vernünftige Wasserhygiene zu gewährleisten und überdies reisen wir aus, nicht ein. Insofern lehne ich es strikt ab, mir irgendeine Injektion von ihm geben zu lassen. Er ließ sich nicht abbringen. Ich hatte die Faxen dicke und wechselte die Vorgehensweise. "Ok, Sir. enough is enough ! Geben sie mir meine Papiere wieder, zahlen sie die Gebühren wieder aus, stempeln sie mir mein zehntägiges Single-Journey wieder in den Pass und vergessen
sie alles Andere. Wir fahren zurück nach Niger. Hier hat das anscheinend keinen Sinn, die Reise fortzusetzen !" Ich griff mir die Impfpässe aus seiner Hand, verließ den Raum unter aufgeregten "wait wait !" Rufen und machte das Gleiche bei der Immigration. "Alles retour, mir langt es. Ich will zurück und mit dieser Grenzstation und diesem Land nie wieder etwas zu tun haben. Und niemand wird hier irgendjemanden impfen !" Nun kamen sie alle an, irgendwie tatsächlich beeindruckt, und wollten mich überreden, doch, wie geplant, nach Kamerun zu fahren. Ich zierte mich nicht zu doll und ließ mich überreden. Unter vielfachen Bekundungen, daß Nigeria ein very good country sei und alles nur in ehrlicher Sorge um uns geschähe - sicher sicher, selbstverständlich - brachten sie uns zum Auto und vergaßen darüber sogar die ausstehende Filze. Wie gesagt, fünf Stunden hat das Gelaber gedauert, der halbe Tag war rum, als wir endlich in Kamerun ankamen. Was für eine Schweinebande. Wenn sie wenigstens sagen würden "das kostet hier paar Hunderter, mein Bester", so wie die Senegalesen, dann ist das zwar auch nicht schön, aber besser wie dieses schwule Gesülze " ach, was bist du für ein toller netter Officer. Bitte, sei ein Schatz, und nimm meine freiwillige Spende und sei wieder lieb !" Hass ... Uns graute vor dem Rückweg und schon jetzt war klar, daß wir es an einer anderen Stelle versuchen werden, obwohl dies mit einer Fahrt über üble Piste verbunden ist. Aber mit den Jungs nicht noch mal. Zudem werden wir die Taktik erneut ändern. Mein Englisch ist zu gut, ich kann mich zu gut ausdrücken und verstehe zu viel. Bei den französischsprechenden Grenzen kann so ein Geseire gar nicht erst entstehen, dafür langt's nicht. " Ici Passport, ici Visa, fini." Also auf dem Rückweg auch schulterzucken, grinsen und nix verstehen. KAMERUN
Die Einreise nach Kamerun lief wie so oft ziemich problemlos. Neben dem Immigrationsbeamten saß auf dem Fußboden ein Schwarzer in schweren Ketten, nur noch mit einer zerlumpten kurzen Hose bekleidet. Er machte nun gerade keinen sehr glücklichen Eindruck. Aber das ist Afrika. Leute liefen rein und raus, an der Wand lehnt die Maschinenpistole, auf dem Hof wäscht einer ungefragt unser Auto und dazwischen ein Kettensträfling. Normal. Wir bekamen unsere Stempel und nach vierzig Kilometer mittlerer Piste begann wieder eine schlaglochreiche Asphaltstraße in die
nächste große Stadt, Maroua. Eine schöne Stadt mit Bäumen an den Straßen und richtig gepflegten Häusern und keine Kontrollen bis dahin. Kamerun fing gut an. Die Post dieser 70 000 Einwohner Stadt konnte uns gerade eben zweihundert Briefmarken verkaufen bißchen dünn - und wir setzten uns in den Garten einer Bungalowanlage und aßen erstmal ein Sandwich. Während wir aßen und noch zwei Cola nachbestellten, kamen Händler an den Tisch und boten uns witzige Sachen an. Dünne Armreifen mit Schlangenhaut überzogen, andere Armreifen, die aus Elefantenhaar geflochten waren und sich raffiniert verschließen ließen und weitere Lederarbeiten. Wir handelten 'ne Runde, kauften dies und das und entschlossen uns trotz später Stunde noch einen Ort weiter zu fahren - zweihundert Kilometer - um am nächsten Tag dort die Post aufzusuchen. Die letzte Stunde fuhren wir im Dunkeln. Das ist furchtbar. Immer einen Tick zu spät tauchen im Scheinwerferkegel Ziegen, Schlaglöcher, Fußgänger, Boden-wellen und Kühe auf und man muß sich konzentrieren wie verrückt und sehr langsam fahren. Man schafft eigentlich mehr sich selbst und das Auto als Kilometer und einige Schlaglöcher erwischten wir voll. Nachtfahrten gilt es einfach zu vermeiden. Wir erreichten ein sehr anständiges Hotel mit integrierter Pizzeria und setzten uns noch gemütlich an den Pool, ließen Pizzen und Pastis anrollen und beobachteten Schwärme von großen Fledermäusen, wie sie sturzflugartig in den Pool flogen um einen Schluck Wasser aufzuschnappen. Für den Tag war's genug, der folgende sollte einer Fahrpause dienen und dem routinemäßigen Abarbeiten der Briefmarken. Tat er dann auch. Wir mußten leider etwas teure Briefmarken kaufen, klebten in der klimatisierten Suite ein und schwitzen im Postamt beim Abstempeln. Alles verlief reibungslos, aber ein Tag ist mit dieser Arbeit imgrunde ausgefüllt oder zumindest soweit abgegessen, daß der Rest nur noch zum rumhängen und relaxen dienen kann, was wir dann auch machten. Am darauf folgenden Morgen starteten wir um sechs Uhr früh. Um diese Zeit ist es bei guten dreißig Grad verhältnismäßig kühl und während wir immer gen Norden fuhren fiel uns auf einmal ein, daß morgen Ostern ist. Scheiß Karfreitag und Ostermontag, fegt uns komplett den Zeitplan hin, falls die missionierten Wilden diese Feiertage zelebrieren. Ein Blick in den Reiseführer: Natürlich tun sie
es - Feiertage immer gut - obwohl es ihnen doch egal sein kann, ob Feiertag oder nicht, sie sind eh in der Mehrzahl zur Untätigkeit verdammt. Man fragt sich in diesem Zusammenhang, wie schlimm ein solches Schicksal wirklich ist. Ist es schlimmer, Fließbandarbeiter mit drei Kindern in der Industriewelt zu sein oder, um dieses Beispiel zu wiederholen, Abdeckergeselle auf einem Schlachthof - das ist für mich das Unvorstellbarste überhaupt. Die Schwarzen, mit denen man spricht, halten immer große Stücke auf Germany und Germany bedeutet für sie 'nen Haufen gut bezahlter Arbeit. Wenn man den ganzen Tag vor seiner Rundhütte döst oder zwei Tage auf ein Taxi wartet, welches dann leider besetzt ist - egal mag der Gedanke an stramme Arbeit ganz abwechslungsreich sein, besonders wenn man sich dafür auch noch schicke Klamotten und einen Sportwagen kaufen kann. Wir bestätigen sie in diesem Bild, wie wir da mit einem unbezahlbarem Wohnmobil in unermeßlichem Luxus von einem Hotel zum nächsten fahren und die erlesensten Speisen bestellen und dann noch nörgeln. Und wir können jederzeit verschwinden. Ab in den Flieger und Tschüs, sie hängen hier fest, auf ewig. Aber wir wissen besser, was ihnen in Germany blüht. Einen netten, diskriminierenden Job auf dem Hauptbahnhof, Kotze und Blut von Junkies und Besoffenen unauffällig wegmachen für abgezähltes Geld - diese Kategorie - wenn nicht sofortige Abschiebung. Es ist nicht möglich, ihnen das auch nur ansatzweise verständlich zu machen, wie auch. Da erscheint mir der Müßiggang erträglicher. Aber wer will das beurteilen, das Elend ist schwer in meßbare und vergleichbare Größen zu ordnen. Zu diesem Punkt ein prägnantes Beispiel aus Gambia. Auf den Wunsch der Mutter einer befreundeten Familie stellt Mister Heinz einen Sohn ein, den die Mutter ihm wärmstens ans Herz legte. Kann alles, ist sich für nichts zu schade und ist bis in die Zehenspitzen motiviert. Heinz tut es, nimmt ihn mit auf seinen täglichen Wegen und gibt ihm mal diesen kleinen Auftrag und mal jenen. Mit jedem Tag wird die Arbeitsleistung schlechter und der Mann ist überhaupt kein Gewinn, eher ein Hindernis, da die erteilten Aufträge am Ende doch von Heinz selbst kontrolliert und erledigt werden müssen. Er mag ihn nicht so einfach kündigen und fängt vorsichtig ein Gespräch an. "Ich glaube, diese Zusammenarbeit bringt uns beiden nicht so viel und könnte es nicht sein, daß andere Arbeit für dich reizvoller wäre." "Kann ich endlich gehen ..." war die fragende Antwort mit
hoffnungsvollem Blick und Heinz sagte, daß er natürlich gehen könne wann immer er wolle, er hätte bloß gerne gewußt, warum er so gerne gehen wolle, die Bezahlung ist nicht schlecht und der Job nicht zu hart. Er erklärte: "Wenn ich bei einem Weißen arbeite, halten mich alle für reich. Das Geld muß ich sowieso bei meinem Vater abgeben, der es in der Familie aufteilt. Alle kommen und schnorren Zigaretten und wollen, daß ich immer bezahle, dabei habe ich genauso wenig Geld wie vorher, eher noch weniger. Wenn ich hier nicht mehr arbeiten muß, kann ich wieder den ganzen Tag zu Hause auf dem Sofa sitzen, Fernsehen gucken und bekomme Geld und Zigaretten von der Familie." Wenn das so ist ... Zurück zu unserer Reise. Wir traten etwas aufs Pedal, um im Glücksfall noch am gleichen Tag in der nigerianischen Botschaft in N'Djamena ein Visum für die Rückreise zu bekommen, denn an ihnen hängt alles. Die nigerianischen Botschaften sind zickig und das erste Visum, welches wir bekamen, war der dritte Versuch. Sie lehnten uns erst in Bonn ab und dann in Dakar, bis Banjul sich gnädig zeigte. Aber wir waren noch nicht drin im Tschad und da war noch was ... Durch Kamerun kamen wir flott durch. Der Weg führte direkt durch den Waza-National-Park. Ganz großartiges Erlebnis, muß man gemacht haben. Auf beiden Seiten der Straße kärgste Steppe soweit das Auge reicht. Jedes Tier, welches sich in diesem Park aufhalten würde, wäre kilometerweit zu sichten und daher gibt es außer ein paar Vögeln - diese weißen und staksigen Pseudohähnchen - kein einziges Lebewesen. Man muß sich wundern und unsere Theorie, daß, will man große Tiere sehen, man besser nach Hagenbeck fährt, bleibt bestehen. Alles in Allem haben uns die drei Tage in Kamerun sehr gut gefallen. Die Schweiz Afrikas, habe ich mal irgendwo gelesen. Kann ich zwar nicht viel mit anfangen, aber warum nicht, klingt gut. Wir hatten überhaupt keine Probleme, nicht mit Bullen, nicht mit Menschen, nicht mit dem Essen, mit gar nichts und wir wären noch länger geblieben, wenn der Zeitdruck nicht gewesen wäre - ein Visum nach dem anderen lief langsam aus. TSCHAD
Dann kam die Grenze in den Tschad. Das Erste, was der Zöllner schon beim flüchtigen Blick auf das Visum bemerkte, war die durchgestrichene Drei und die übermalte Sechs. Unsere Wege trennten sich und während ich das Carnet de Passage ausfüllen ließ,
erklärte Annett der Immigration mit zehn Worten französisch, daß die Botschaft in Bonn das auf unseren Wunsch korrigiert hätte, da der Tschad auf dem Landweg in drei Monaten nicht zu erreichen sei. Daher diese Sonderregelung. Dabei war viel mädchenhaftes und hilfloses Lächeln, ein Trägershirt mit reichlich Fleischbeschau und Augenaufschlag im Spiel. Als ich hinzu kam, war alles schon beim Chef geklärt und wir fuhren ins Land. Puuuh, nochmal gut gegangen, das war ein wichtiger Moment. Wenn das schief gegangen wäre, hätten wir ein ganz blödes Problem zu lösen gehabt. Quartier machen in Kamerun, Flug buchen in die Hauptstadt Duala, Visa besorgen, zurück fliegen und so weiter. Eine passable Straße gibt es nicht. So machten wir, daß wir schnell noch zur nigerianischen Botschaft kamen und sahen gerade, wie der Hausmeister die Gitter verschloß. Donnerstag, 15.00 Uhr, nächste Öffnungszeit am Dienstag nach Ostern. Wir redeten mit dem Hausmeister, der uns durch einen Hintereingang in die Botschaft brachte und wir trugen unser Problem vor. Sie gaben sich Mühe, liefen durch die Botschaft, aber der Zeichnungsberechtigte war schon weg. "Nix zu machen, kommen sie am Dienstag wieder, dann bekommen sie das Visum in 48 Stunden." Scheiß die Wand an, um eine Stunde zu knapp. Aber was soll's, es hätte schlimmer kommen können und man deutete uns an, daß sich die 48 Stunden mit einer Extragebühr auch auf 48 Minuten verkürzen ließen. An der Grenze hatte man uns noch aufgetragen, mit dem merkwürdigen Sondervisum umgehend zur Immigrations-behörde in N'Djamena für eine weitere Prüfung zu erscheinen, aber das lassen wir vorerst mal lieber, schließlich ist ja Ostern. Das machen wir, wenn das Nigeria-Visum im Paß ist und die Briefmarken erledigt sind. Wenn sie uns dann rausschmeißen, soll uns das nur recht sein. Vorerst war Ostern im Tschad angesagt, und wir fuhren durch N'Djamena auf der Suche nach einem Hotel. Eine sympathische Stadt, im europäischen Viertel. Nicht dreckig, wenig Verkehr, kleine Geschäfte und gepflegte Restaurants, Bäume in den Straßen und weder die Bullen hielten uns an noch wurden wir bebrüllt. Über zwei Hotels verfügt N'Djamena, eines teurer wie das andere -gehobenes europäisches Preisniveau - aber dafür sind sie auch super. Wir bezogen das Chari-Hotel, Air-Condition, Fernseher, Kühlschrank und vom Balkon einen freien Blick über den Pool auf den ChariRiver mit Fischerbooten und Reihern. Romantische Angelegenheit,
und als wir noch lasen, daß es einen sehr interessanten Markt und eine Pferderennbahn geben soll, schien das Osterfest gerettet. Westafrika ist nun bis auf Liberia briefmarkentechnisch abgehakt und Liberia wird schon nicht son Rausreißer sein, als daß es verfrüht wäre, zurück zu blicken. Kamerun und Tschad gehören bereits zu Zentralafrika. Eines ist völlig klar. GAMBIA, THE BEST OF THE WEST ! Mit Abstand, aber mit was für einem ! Da kommt auch Togo nicht ran, nicht Benin und auch nicht Ivory-Coast mit ihren kackenden Einwohnern, obwohl es sich dort aushalten läßt. Die Länder ohne Küstenanbindung sind halt recht unattraktiv - Mali, Burkina-Faso, Niger - aber trotzdem, Hut ab vor diesen bitter armen Ländern, sie haben einen guten Eindruck bei uns hinterlassen und wir werden uns gerne an sie erinnern. Tja, und dann kann man guten Gewissens sagen: FUCK THE REST. Obwohl es natürlich sehr ungerecht ist, die Länder nach ihren Bullen zu beurteilen, aber sie prägen das Feeling nun mal extrem stark, gibt es da eben Senegal und Nigeria, die man ummauern sollte, zuscheißen und dann sprengen ersatzweise von der uniformierten Seuche säubern, das tät's sicher auch. Besonders in Nord-Nigeria, da sind die Menschen tierisch nett. Mauretanien - muß man nix mehr zu sagen - nukleares Versuchsgebiet oder sonst was von mir aus, kann gar nicht dick genug kommen. Wieder zum Tschad. Ein Blick auf die Karte genügt und man stellt fest, daß das Land nur aus Wüste besteht. Wir befinden uns links Mitte, dort, wo überhaupt nur eine kurze rote Straße und eine größere Stadt eingezeichnet ist. N'Djamena eben, zweihunderttausend Einwohner, und insofern können wir über den Tschad nichts berichten, nur über die Hauptstadt N'Djamena.
N'DJAMENA
Wir hatten uns trotz der Hitze beide eine leichte Erkältung eingefangen und blieben daher zwecks Genesung hauptsächlich in der Hotelanlage. Gerade mal zu einem chinesischen Essen und einem kleinen Einkauf fuhren wir in die Stadt. Im europäischen Viertel gibt es Supermärkte, Videotheken, Bars, Restaurants und alles ist sehr teurer. Natürlich regelten wir als erstes die Sachen mit den Briefmarken, erneut ohne Schwierigkeiten, und das der Post
gegenüberliegende Kino, welches von Maschinengewehrsalven zu einer Ruine zerschossen wurde, ist stummer Zeuge der Bürgerkriegszeiten. Außer der starken Militärpräsenz ist davon nichts mehr zu merken. Als wir am Ostersonntag zum Pool runter schlenderten, sprach uns ein Deutscher an und fragte uns "freiwillig hier ?". Einer der zwei Angehörigen der Deutschen Botschaft, der für einen Kollegen eine dreimonatige Urlaubsvertretung machte. Er setzte sich zu uns unter den Strohschirm und wir verklönten den ganzen Nachmittag bei ein paar Drinks. Er erzählte von seinen Zeiten in der Teheraner Botschaft, als Khomeni den Schah vertrieb, von den Erlebnissen in der Ungarischen Botschaft, als sich Ungarn entschloß, die Grenzen zu öffnen und die Massenflucht der DDR'ler auf die Botschaft zu rollte und kam dann auf die Geiselnahme in der Botschaft in Stockholm zu sprechen. Er berichtete, daß er einige der damaligen Botschaftsangestellten kennen gelernt habe, und, daß einige die psychischen Folgen der RAF-Gefangenschaft bis heute nicht überwunden hätten. Mir wurde seit langem nicht mehr so deutlich vor Augen geführt, wie sehr ich mich in den letzten gut zwanzig Jahren verändert habe und wie sich die Sichtweise zu den Dingen verschieben kann. Ich kannte zwar nicht wie er das Botschaftspersonal, aber ich kannte einige der Geiselnehmer, das habe ich ihm lieber nicht erzählt. Noch zu gut erinnere ich mich an die Nachrichten im Fernsehen und die Hetzberichte der Bild-Zeitung und wie ich es nicht glauben konnte, als die Namen der Leute bekannt wurden, die da schwer bewaffnet und anscheinend zu allem entschlossen das gesamte Botschaftspersonal als Geisel nahmen, um Gefangene der RAF frei zu pressen. "Die doch nicht. Die Idioten, was machen die denn für 'ne Scheiße." Pickelige, spätpubertierende Jugendliche mit langen Haaren wie ich selbst, born in the fifties, und auf der Suche nach Gerechtigkeit und "satisfaction" jenseits des Konsums und nach einer besseren Welt, was immer das auch sei. Mir war sofort klar, daß diese Heranwachsenden, die da in den Medien als fanatische und bösartige Terroristen beschrieben wurden, nicht die geringste Chance hatten, und als sie auch noch einen Botschafter erschossen, war ihr Schicksal spätestens besiegelt. Das des Botschafters allerdings auch. Meine eigene Vergangenheit hatte mich eingeholt und nun saß ich da am Pool im Tschad und hörte diese Geschichte von der anderen Seite. Befremdliches Erlebnis. Der
Mitarbeiter des auswärtigen Dienstes war mir durchaus sympathisch mit seinem Sonnenöl Schutzfaktor 12 und dem kleinen Bauchansatz, wie er sich beklagte, daß er nichts für die Menschenrechte tun könne, solange nur die wirtschaftlichen Interessen gewahrt blieben und, wie er uns sofort ein Empfehlungs-schreiben für die nigerianische Botschaft anbot, falls wir dort Schwierigkeiten haben sollten. Zeitsoldat, Amateurfunker, und trotzdem. Er tat nichts anderes, als die meisten anderen auch, er lebte und überlebte, mit den alltäglichen Sorgen, wie sie die meisten anderen auch haben. Kürzen sie die Kaufkraftswertausgleichspauschale - was für ein Wort, fast besser als Mehrwersteuerrückerstattungsfähig, und allein dafür lohnt es sich schon, einmal nach Deutschland zu fahren - komme ich beim nächsten Einsatz an eine attraktivere Botschaft und wo bleibt eigentlich meine Freundin aus Kamerun. Wir erfuhren interessante Dinge aus dem Botschaftsbetrieb. So sind die Botschaften in Kategorien eingeteilt, von eins bis zwölf. Wien zum Beispiel ist Eins und alles in Westafrika ist Zwölf. Je höher dieser Wert, je höher das Gehalt - Buschzulage. Als ich ihn fragte, was er außer Champagner trinken und mit seiner schwarzen Freundin am Pool sitzen noch so macht, wenn der Tag lang ist, legte er richtig los. Geht man davon aus, daß es richtig und wichtig ist, daß die Interessen Deutschlands im Ausland angemessen vertreten werden, so erschien uns Einiges ganz clever eingefädelt. So werden anhand der Lektüre der Tageszeitungen Journalisten ausgesucht, deren Artikel ein gewisses Niveau haben und die man als Multiplikator einer Meinung einschätzt. Diese werden kostenlos zu einer mehrwöchigen Deutschlandreise eingeladen, auf der sie herumgeführt werden und vom Feinsten hofiert. Das vergessen die ein Leben lang nicht und eine generell deutschfreundliche Berichterstattung ist mehr als wahrscheinlich. Andere, aussichtsreiche Studenten beispielsweise, bekommen ein Studium in Deutschland finanziert in der berechtigten Hoffnung, daß diese hoch qualifizierten Kräfte nach Rückkehr in den Tschad in der Spitze der Gesellschaft landen werden und sich dann an exponierter Stelle für deutsche Interessen einsetzen können und sich der Kontakte aus der Studienzeit erinnern. Sowas läuft noch auf vielerlei Ebenen, wie Mechanikerausbildung bei Benz, damit Mercedese gekauft werden und so weiter. Diesbezüglich findet ein kleiner Konkurrenzkampf zwischen den westlichen Botschaften statt, wer am pfiffigsten baggert. Vieles läuft natürlich, wie überall, über
Kontakte, und da ist der deutschen Vertretung ein besonderer Coup gelungen. Sie haben den ehemaligen Chef des Geheimdienstes als Hausmeister angestellt. Eine schillernde Persönlichkeit. Von Geburt Österreicher, wurde sein Vater und sein Bruder in Österreich überfahren. Da es der Sohn vom Bürgermeister war, bekam dieser nur ein halbes Jahr auf Bewährung. Das hat ihn so geärgert, daß er den Richter tötete und zur Fremdenlegion ging. Das große Programm mit allem, was so anlag, Indochina und so weiter. Danach im Tschad an die Spitze des Gemeindienstes gewurschtelt und nun, auf die alten Tage, Hausmeister in der deutschen Botschaft. Die setzt sich nun bei den Wiener Kollegen dafür ein, daß man ihm nach zwischenzeitlicher Verjährung des Mordes seine Staatsbürgerschaft zurück gibt. Was für'n Lebenslauf. Nebenbei hilft die Botschaft natürlich auch noch in Not geratenen Reisenden, was nach den Schilderungen unseres Informanten in den sechziger und siebziger Jahren in Indien dazu führte, daß der Botschaftsbetrieb dem eines Reisebüros nicht unähnlich war. Ein aufschlußreiches Geplauder, mal im Pool, mal unterm Sonnenschirm, und mein Bild von dem Beruf des Diplomaten hat sich ein wenig geändert. Ich hatte gerade ein Buch ausgelesen, in dem ein renitenter Diplomat seine ruhige, distinguierte und gut bezahlte Tätigkeit pries, die von jeder wirklichen Verantwortung frei ist und trotzdem viel Reisen und jede Menge interessante Momente birgt. Das konnte ich jetzt sehr gut nachvollziehen. Gehobenes Versorgerdenken. DIE RÜCKFAHRT
N'Djamena teilt sich strikt in europäisches und afrikanisches Viertel. Europäisches Zehntel und afrikanisches Neunzehntel wäre korrekter. Das Afrikanische gilt, um im Botschaftsjargon zu bleiben, als unzumutbar. So strichen wir Markt und Rennbahn und blieben ganz europäisch. Erst nachdem wir unsere Visa hatten und die Immigration hinter uns, verließen wir die Europaabteilung und fuhren die paar Kilometer zur Grenze. Die Unzumutbarkeit offenbarte sich uns auf dem kurzen Stück recht drastisch. Am Straßenrand lag wie selbstverständlich eine vermodernde Leiche. Mir wurde leicht schlecht am frühen Morgen. Es war nicht der Anblick des Toten, der mit offenem Mund und ohne Augen wie schlafend in der Hitze vor sich hin faulte. Was die Übelkeit auslöste waren die Autos, Fußgänger und Fahrradfahrer, die vorbei fuhren oder gingen
und angesichts dieses schrecklichen Anblicks scheinbar nicht den geringsten Bezug zu ihrer eigenen Würde herstellten. Zumindest nicht so stark, als daß sich irgend jemand kümmern würde oder der normale Ablauf gestört war. Wir hatten uns schon lange an die überall herumliegenden und verwesenden Tierkadaver gewöhnt, aber wir schienen die Einzigen zu sein, die zwischen Tier- und Menschenleiche einen Unterschied sahen. Wir fanden es erschreckend. Timothy Leary fiel mir ein. Totenkult - die niedrigste Stufe des menschlichen Bewußtseins. Das mag für einen amerikanischen LSD-Experimentierenden durchaus seine Logik haben, aber es schien uns Welten niedriger, die Verstorbenen einfach mitten auf der Straße in der Sonne aufgehen zu lassen und zu warten, bis die Geier und Hyänen den Job erledigen. Unerfreuliche und unerwünschte Eindrücke kurz nach unserem petit déjeuner am blauen Pool im Elfenbeinturm des Chari-Hotels. Afrika läßt einem nicht viel Muße, solche Momente lange mit sich herum zu tragen. Die Grenzübergänge lenkten unsere Aufmerksamkeit auf alltägliche Dinge und danach hatten wir eine anstrengende Pistenfahrt hinter uns zu bringen. Ein kurzes Stück führte der Rückweg noch mal durch Kamerun. Sie sind die Coolsten, was Grenzformalitäten betrifft. Sie winken einen durch und es interessiert sie weder Visum noch Carnet de Passage noch sonstwas und das ist für Afrika so ungewöhnlich als fiele Schnee. Man kann dann im Land auf Wunsch in eine Zoll- oder Polizeistation gehen und sich ein paar Stempel abholen, was wir blöderweise auch taten, aber das muß nicht sein, reine Zeitverschwendung, kontrolliert kein Mensch. Ganz anders natürlich beim Eintritt in Nigeria. An diesem Übergang hatten sie, wie auf'm Dom, eine Budenmeile aufgebaut. Und da muß man rein, in sieben verschiedene Buden, und überall nerven sie rum und man muß ein paar Taler liegen lassen, um ihren Arbeitseifer zu bremsen oder zu unterstützen, je nachdem. Unerfreulich, zeitraubend und typisch, aber wenigstens wollte uns niemand impfen. Nachdem wir endlich weiter konnten, dauerte es nicht lange, da kam wieder ein Check von der schon hinlänglich bekannten Border-Control-Unit. Das sind die Schlimmsten. Der Officer fragt mich, ob ich Drogen hätte. Selbstverständlich nicht, und ich wies ihn darauf hin, daß ich gerade vor drei Kilometern vom Kollegen der Drug-Enforcement-Agency durchsucht wurde. "Wo", fragt er mich und greift dabei unter meine Gürtelschnalle. "Auch dort
?" Er erklärte mir, daß es im Auto bestimmt noch viel solcher kleinen Verstecke gäbe, von denen er sicher sei, daß sie nicht durchsucht wurden. Er hielt die Pässe in den Händen und deutete an, daß dies jetzt geschehen solle. Vorher jedoch fragte er, ob es wohl möglich sei, drei seiner Kollegen in die nächste Stadt in einhundertdreißig Kilometern Entfernung mitzunehmen. "Nichts lieber als das, Sir." Wir hatten die Kiste wieder einmal voller Bullen, die Filze hatte sich erledigt und wir kamen unbelästigt auf der übelsten Straße, die wir bisher befahren mußten, in Maiduguri an. Im gleichen Hotel wie auf der Hintour begrüßte und das Personal überaus herzlich. Scheint nicht so oft vorzukommen, daß jemand zweimal dort einkehrt. Der alte Parkplatzwächter war besonders entzückend. Als er das Auto sah, stieß er einen kleinen, quiekenden Freundenschrei aus und klatschte ganz aufgeregt in die Hände, und freute sich dabei wie ein Kind zu Weihnachten. Ein relativ üppiges Trinkgeld war nach diesem Auftritt absout gesichert. Als wir im Hotelzimmer lagen, machten wir uns bewußt, daß ab jetzt die Rückreise beginnt. Wir fahren nur noch über bekannte Straßen und durch bekannte Städte. Einerseits beruhigend, es können keine allzu derben Überraschungen bezüglich schlechter Straßen oder Rattenhotels kommen - man fühlt sich auf bekanntem Terrain eben sicherer - anderseits angesichts der vielen vor uns liegenden Kilometer etwas trist. Wir freuten uns an diesem Abend bald ein Loch in den Arsch auf Hamburg. Was für eine Sehnsucht nach Vertrautem. Nach vertrautem Essen, nach vertrauten Menschen, nach vertrauten Straßen und Plätzen. Mit Sicherheit werden wir spätestens, wenn die Blätter wieder von den Bäumen fallen und der lange Winter droht, vom verschärften Fernweh geplagt sein. Dann werden wir wieder Lust haben, "stranger" und "étranger" zu sein und uns wieder mittenrein zu begeben. Dahin, wo's weh tut, würde ein Fußballtrainer sagen. Aber jetzt fieberten wir den Verlockungen Europas entgegen und Europa ist für uns nun mal im Wesentlichen die Freie und Hansestadt. Wir hielten das für eine sehr ausgewogene und befriedigende Gefühlswelt. Schon am nächsten Tag lag nur fahren auf Teerstraße an. Von morgens früh bis abends spät Steppe, auf einsamen und kaum befahrenen Landstraßen, der zweite von fünf strammen vor uns liegenden Autotagen, nur unterbrochen von Ortsdurchfahrten durch Rundhüttendörfer. L-a-n-g-w-e-i-l-i-g. Die Zeit lief nicht und die
Kilometer wurden nicht weniger. "Schade, daß man nicht beamen kann ..." "Dann wär's zu einfach." Man kann es auch nicht ruhig angehen lassen, da die Orte, in denen man passable Hotels findet, nicht dicht an dicht liegen und im Auto schlafen war nicht möglich. Zu heiß. Erst nach dem Erreichen von Cotonou geht's gemütlich weiter, aber dazwischen lagen noch etliche Kilometer. Nigeria, für das wir unsere Visa übrigens zwar etwas trödelig, aber immerhin am gleichen Tag erhielten, zeigte sich zum Abschied von seiner Schokoladenseite. Keine Kontrollen, keine Units und selbst bei der Ausreise an der Grenze alles sehr freundlich und zügig. Im Niger waren wir gespannt auf unsere Verabredung mit dem Strippenhändler und hatten zudem noch den Auftrag der Abstempelung vor uns. Erneut drohte der Sonnabend, an dem die Postämter geschlossen haben. Die vorerst letzte Abstempelung gestaltete sich etwas schwieriger als die voran gegangenen. Der Chef des Amtes mußte selber entscheiden und weigerte sich, Briefmarken abzustempeln, die nicht in seiner Post gekauft wurden. Es war etwas Diskussion notwendig. Ich bot ihm an, noch mal eintausend Briefmarken zu kaufen für fünftausend CFA, wenn er diese dann umsonst abstempelt. Oder, um es einfacher zu machen, ich gebe ihm die fünftausend CFA einfach so, er behält seine Briefmarken und gibt uns den Stempel plus Stempelkissen für 'ne halbe Stunde und wir stempeln selbst. Das fand er dann auch praktischer und so lief es dann auch über die Bühne. Je umständlicher der Umstand der Bestechung umschrieben wird, desto lieber greifen sie ganz ohne einen Hauch von schlechtem Gewissen zu. Im Hotel angekommen wurden wir wieder einmal ganz freudig begrüßt. Ein enormer Unterschied, ob man zum ersten oder zum wiederholten Mal kommt. Man schickte sofort nach unserem Geschäftspartner, der mit einer dicken Tasche strahlend eintraf. Ganz oberwichtig sagte er: "Laß uns auf Zimmer gehen, wir haben Geschäfte zu machen." Gute Idee, dachte ich, da ist man dann allein zu dritt und hat nicht die schon wieder auf locker zehn Personen angewachsene Schar von dauernd laut redenden Menschen um sich. Aber alle kamen natürlich mit. In dem kleinen Doppelzimmer war binnen Minuten der Fußboden, das zweite Bett und der Tisch in einen afrikanischen Markt verwandelt und uns war vorher nicht klar, was alles in einen solchen Raum reinpaßt. Es hatte sich natürlich rumgesprochen, daß wir wieder kommen wollten und der Auftrag
über tausend Lederbänder hatte alle Blut lecken lassen. Was für eine abgefahrene Szene. Die Lederbänder hatte er absprachegemäß und termingerecht besorgt und hatte zudem seine Kollektion an allem Möglichen erheblich erweitert. Wir saßen auf dem Doppelbett, in der einen Hand den Taschenrechner, in der anderen ein Blatt Papier mit Schreiber und von allen Seiten wurden Warenpackete mit Preisvorstellungen rüber gereicht, angepriesen wie verrückt. Es entwickelte sich Börsenstimmung. "Nein, zu teuer", "kommt überhaupt nicht in Frage", "für ein Viertel können wir drüber sprechen", "die Dinger nicht mal geschenkt", "leg noch fünf Stück drauf und es ist gemacht" usw usw. Dann fragt einer, ob er unsere Toilette kurz benutzen dürfte. Ja sicher. Er geht in Richtung Dusche, ich denke "das machst du nicht" und er zieht sich aus den tiefen seiner Nebenhöhlen eine amtliche Auster mit Kern hoch und Faalutsch - setzt er sie gekonnt an die Duschwand. Wo waren wir stehen geblieben ... Gekauft, aufgeschrieben, später abgerechnet. Ein heilloses und hektisches Durcheinander, weil jeder wußte, daß irgendwann unser Geld und unsere Kauflust zu Ende gehen wird und dann ist Schluß. Also vordrängeln was das Zeug hält. Annett zeigte als Einzige Überblick und ich verwies nur noch an sie, was ihr die Rolle der Patronin einbrachte. Ich war nur noch zweite Wahl. Wenn ich irgend etwas ablehnte, galt das noch gar nichts, erst wenn Annett einem Angebot ihre Aufmerksamkeit widmete, den Taschenrechner befragte und dann den Kopf schüttelte, dann glaubten sie das sofort. So ging es stundenlang hin und her. Nebenbei wurde mit dem Geldwechsler verhandelt, da wir nur noch Währungsgemisch in den Taschen hatten. Das Arschloch hatte miese Kurse drauf, und wir umgingen seine Mitwirkung so gut es ging. Wir behielten gerade noch genug Geld, um bis zur Grenze zu kommen und das Hotel bezahlen zu können um später in Benin regulär zu tauschen. Irgendwann war Feierabend, wir schickten alle raus, alle zufrieden und gleichzeitig enttäuscht, weil noch mehr noch besser gewesen wäre, und wir räumten auf und zogen Bilanz. Sie selber sind absolut nicht Herr ihres eigenen Chaos. Annett hatte, wie gesagt, alles stets im Griff und einige Teile sind bei dem Drunter und Drüber von uns nicht bezahlt worden. Haben sie vor lauter Feilschen am Ende verschnallt, ihr Geld abzufordern und auch später hat sich keiner beschwert - keinen Durchblick die Männer. Ein schöner Tag ging zu
Ende. Gut Kilometer gerissen, Stempelung erfolgreich, und nette, afrikanische Geschäftchen am Abend. Guter Lauf. Den nächsten morgen starteten wir bereits im Dunkeln, um möglichst weit zu kommen um dann am Sonntag, dem voraussichtlich letzten Fahrtag bis Cotonou, nur noch knappe fünfhundert Restkilometer vor uns zu haben und es vielleicht zu schaffen, nachmittags noch eine Runde im Pool zu drehen. Nun gestaltete der Tag sich sonderbar. Ein platter Hinterreifen verursachte den ersten, unfreiwilligen Stop. Dabei bemerkten wir, daß uns irgend jemand, irgendwie und irgendwo den Wagenheber geklaut haben muß, auf jeden Fall war er weg. Das vereinfacht die Sache nicht gerade und wir mußten Hilfe in Anspruch nehmen. In Afrika hilft einem immer gleich eine halbe Hundertschaft. Ein paar Rollstuhlfahrer, ein paar Kinder, ein paar Zuschauer und ein paar Aktivisten lagen ratzfatz unterm Auto, hatten sich einen Wagenheber besorgt und werkelten drauflos. Das ist soweit recht komfortabel, man steht daneben und überwacht etwas, ohne schmutzige Finger zu bekommen. Aber nach Beendigung der Arbeit fühlt sich jeder, der auch nur in der Nähe war, aufgerufen, nach Bezahlung zu verlangen. Da ist es ratsam, einen Stapel EinDollar-Noten bei sich zu haben und wir hatten noch 'ne Handvoll. Als wenn man Haifische füttert. Die grünen Scheine ganz hoch halten und dann recken und strecken sie sich, springen an einem hoch, um sie einem aus der Hand zu reißen. Gut, daß ich so lang bin. Dabei rückwärts ins Auto - au revoir - die restlichen Noten fallen lassen, Gas und ab. Wir kamen zur Grenze, hatten null Schwierigkeiten und merkten, daß die Vermutung, an der Grenze Geld wechseln zu können, unüberlegt war. Beide Länder haben die gleiche Währung, warum also sollte jemand changen. Kein Schwein wollte uns was tauschen, DeutschMark, Franc-France, Dollar, ohne Interesse. Wir fuhren mit den letzten Tropfen zur einzigen Tankstelle mit dem Plan, volltanken zu lassen und dann irgendeine Währung anzubieten. Was soll er machen, den Diesel kriegt er schwer wieder raus. Kein Diesel im Ort. Was nun ? Wir fuhren zum Hotel, um erst einmal dort zu versuchen, an CFA zu kommen. Auf dem Gnadenweg wechselte der Chef uns zweihundert Franc-France, sechzig Mark, nicht gerade ein Hit, aber immerhin. Wir wollten ins Dorf fahren, um zu überhöhten Preisen auf dem schwarzen Markt ein paar Liter zu erwerben. Da steht doch unser Auto vorm Hotel mit dem zweiten Platten des Tages, diesmal
ein anderer Reifen. Ein lächerlicher Dorn von einem Gestrüpp, der normalerweise keinem Reifen etwas anhaben kann, hatte sich in die weiche Seite gebohrt und zischend entwich die Luft. Ein klarer Fall für Reifenpilot, aber ich hatte vormittags die letzte Dose bei der ersten Reifenpanne sinnloser Weise vergeudet. Seit einem halben Jahr hatten wir unter teilweise härtesten Bedingungen nicht das kleinste Reifenproblem gehabt, und jetzt, auf bester Teerstraße, zwei Verluste an einem Tag. Gut, wir hatten noch einen zweiten Ersatzreifen, aber das kann nicht ewig so weiter gehen und normal fanden wir das nicht. Ich bin ein bekennender Anhänger der Lauf-Theorie. Gute Läufe schlechte Läufe. Widerspricht sich nur augenscheinlich mit der These, daß das einzig Reale im Leben der Zufall ist, existiert nebeneinander und ergänzt sich. Eine Reihe dieser realen Zufälle bilden unter Umständen einen Lauf, den es zu erkennen und zu interpretieren gilt. Es gibt Menschen, die haben immer einen schlechten Lauf, andere mal einen guten, mal einen schlechten und so weiter. Ein platter Hinterreifen ist eine Panne, kein schlechter Lauf. Daß keiner Geld wechselt und die letzte von zwei Dosen Reifenpilot Stunden vorher sinnlos verschwendet wurde - da fängt es schon leicht an. Daß der Wagenheber weg ist, daß kein Diesel verfügbar ist - mit ziemlicher Gewißheit ein schlechter Lauf, keine banale Aneinanderreihung von Zufällen mehr. Aber, daß am gleichen Tag ein zweiter Reifen genau vorm Hotel ausatmet - wegen eines lächerlichen Dorns - bestätigt nicht nur das Vorhandensein oder den Beginn eines zumindest abgeschwächten, mittelschlechten Laufs, sondern ist darüber hinaus ein überdeutlicher Hinweis, die Aktivitäten an diesem Tag auf das Notwendigste zu begrenzen, um das Schicksal zu beruhigen und den schlechten Lauf schnellstmöglich zu unterbrechen, wenn nicht sogar zu beenden. Wenn mir einer sagt, daß das Quatsch ist, mag er recht haben, aber ich habe sowas zu häufig beobachtet, in meinem Leben trifft es auffällig oft zu, und nicht umsonst gibt es den Begriff der "Duplizität der Ereignisse" oder Sprichwörter wie "Ein Unglück kommt selten allein" oder "Der Teufel scheißt alles auf einen Haufen". Und abergläubisch sind wir doch sowieso alle. Zu oft war es so. Ein schlechter Lauf, und gleich geht 'ne Menge den Bach runter, ein guter Lauf, und gleich eine Serie von glücklichen Umständen tritt ein. Mit dem Einhalten von präventiven Vorsichts-maßnahmen bei
Früherkennung bin ich als Lauftheoretiker immer gut beraten gewesen. Wir taten also nur noch das aller Unumgänglichste. Das ist kein Aberglaube, sondern Hellsicht und Erfahrung. Wir tauschten in der hintersten Ecke zweihundert Deutsch-Mark zu einem noch schlechteren Kurs als den, den wir Vortags abgelehnt hatten, um im Hotel einchecken zu können. Wir kümmerten uns um den kaputten Reifen und trieben vierzig Liter Sprit auf dem schwarzen Markt auf einem Hinterhof auf. Eine obskure Brühe, die wir vorsichtshalber durch Hinzugabe von zwei Litern bestem Motoröl veredelten. Mehr nicht. Rein in den Bungalow, gerade noch duschen und ansonsten im Bett bleiben und nichts mehr anfassen. Morgen ist auch noch ein Tag. Dann wird der schlechte Tageslauf abgeklungen sein und - inch Allah - der normale, unterm Strich als sehr gut zu bezeichnende Gesamtlauf dieser Reise zurückkehren. Vielleicht war es auch nur nur ein angetäuschter schlechter Lauf - gibt's auch - denn so dramatisch war's nun wiederum auch nicht ... Jetzt aber Schluß damit ! Ein letztes Mal starteten wir im Dunkeln. Über siebenhundert Kilometer waren noch zu machen und das ist reichlich, mit einem Auto, welches nur achtzig fährt und dann noch in Afrika. Was ist mit dem Lauf ? Früh morgens dachte ich schon, da wären unrunde Vorgänge zu beobacheten. Wir fuhren zum zweiten mal durch ein Elefantengebiet und die Dickhäuter hatten sich schon wieder versteckt - zeigt euch, ihr Süßen - und die erste Bullenkontrolle nötigte uns drei bewaffnete Mitfahrer auf. Keine Stunde unterwegs, nicht ein Elefant und die Kiste voll mit Uniformierten, wenn das man gut geht. Ging es aber. Die Bullen stiegen irgendwann aus, und wir fuhren und fuhren bis zur Dämmerung und erreichten ziemlich geschafft Cotonou, das Hotel Croix du Sud. Ab jetzt sollte es gemütlich werden. Nur noch kurze Wege, alle vor uns liegenden Länder im grünen Bereich, symbolisch wie auch von der Natur her. COTONOU ZUM ZWEITEN
Einiges an Erledigungen lag an. Neue Visa für Ghana und Elfenbeinküste, Geld per Karte holen, neue Versicherung abschließen, Reifen reparieren lassen und Einkaufen. Bloß keinen Streß mehr machen. Nach dem Ausschlafen frühstückten wir ausgiebig, fuhren in die Stadt und erledigten das Eine und Andere. Wenn uns zu heiß wurde, kehrten wir ins Hotel zurück, machten eine
Pause am Pool oder legten uns im klimatisierten Bungalow 'ne Runde aufs Ohr. In Cotonou läßt es sich gut aushalten. Vor der Bank sprach uns ein Schwarzer im Anzug an. Sehr höflich, zurückhaltend und respektvoll und in astreinem Deutsch. Ihm war das HH-Nummerschild aufgefallen und er fragte, was uns in die Gegend treibt. Wir erzählten ihm von der Reise, zeigten die Briefmarken und er lud uns zu sich in Abidjan ein, wenn wir dort sein werden. Beruflich hatte er irgendwas mit Entwicklungsgeschichten zu tun, seine Internet-Adresse lautete auf Worldbank. Er bedauerte, daß sein Flugzeug in Kürze ging, aber fragte uns, ob wir mit der Presse sprechen wollen. Warum nicht, und er versprach zu versuchen, vor seiner Abreise noch einen Redakteur ans Telefon zu kriegen, damit der ins Hotel kommt um eine Reportage zu machen. Daraus wurde allerdings nichts mehr. Zudem gab er uns Namen und Telefonnummer seines Hamburger Freundes, Afrikaberichterstatter beim Spiegel. Er wird uns avisieren. Na bitte, ganz eindeutig das definitive Ende des angetäuschten, schlechten Laufs. So muß es laufen, Eins in Andere greifen, und wir düsten in Bestlaune durch die Stadt. Am beeindruckendsten war die Art, wie er die Straßenhändler fort schickte, die sich in unser Gespräch zu drängen versuchten, indem sie Wecker, Telefone und sonstigen Kram anboten. Ein Blick - excuse moi - eine kleine Geste - aber Schwanz einziehen und ganz schnell weg. Sehr stark ! Ich versuchte sofort, das nach zu machen, aber ich gab mich der Lächerlichkeit preis. Null Wirkung. Da braucht es einen Anzug und eine Krawatte mindestens. Wir suchten den Markt auf. Die Händler erinnerten sich an uns und wir wollen eigentlich nur mal so eben, ganz vornan, ein bißchen rumschlendern, aber waren sofort in härteste Verkaufsgespräche verstrickt. Die Statuen aus Bronze hatten es uns angetan, aber sie waren halt verhältnismäßig teurer und wir nutzten den ersten Markttag um herauszufinden, wo die unterste Preisgrenze liegt. Man braucht dafür mindestens einen Tag. Man muß die Zeit haben, mehrfach wieder weg zu gehen, beim nächsten Händler wieder rumzudealen, neue Gruppen von Bronzefiguren zusammen zu stellen und wieder zu verschwinden. Wenn man ein Geschäft abbricht und Anstalten macht zu gehen, reagieren sie auf zwei mögliche Weisen. Entweder, sie lassen einen relativ leicht ziehen, dann kann man davon ausgehen, daß das gefallene Höchstangebot tatsächlich zu
niedrig ist. Oder sie fordern einen auf, sich wieder hinzusetzen und weiter zu verhandeln. Dann haben sie den Preis schon gehört, für den sie bereit sind, ihre Dinge zu veräußern und wollen lediglich versuchen, noch mehr heraus zu holen. So nähert man sich einem Richtwert, auf dem man am zweiten Tag aufbauen kann. Mit diesen Ermittlungen ging der erste Tag drauf, wir kauften nur zehn FriseurWerbeschilder, da dies keine Schwierigkeiten machte. Scheint für sie irgendwie mehr oder weniger ein Abfallprodukt zu sein. Diese Bronzen waren wirklich wahnsinnig schön. Es gab eine kniende Frau, mit kleinen spitzen Brüsten, die auf einem Tablett Obst anbot. Mein Favorit. Frauenköpfe, Reiter, Kämpfer, alles wirklich filigran verarbeitet aber der Preis ... Tausend Mark war nichts, und wieder einmal fehlte uns das Wissen, um in dieser Größenordnung selbst kompetent entscheiden zu können. Auch diesbezüglich: unbedingt Nachforschungen anstellen. Wir konnten uns gut vorstellen, so eine Figur am Jungfernstieg in einem exklusiven Geschäft mit einem 4.900.- DM Preisschild zu sehen, aber genauso gut konnten wir uns vorstellen, daß man uns keine Bronzearbeit verkauft, sondern irgendeinen Plunder aus Spritzguß. Wir begrenzten Gewinnchance und Risiko, indem wir hauptsächlich Tauschgeschäfte mit Wertausgleich machten und unseren alten Fernseher und den nagelneuen Stromgenerator, den wir sehr günstig erworben hatten und der sich als nicht notwendig erwiesen hatte, mit ins Gespräch brachten. Das macht die Sache nicht leichter. Money walks, bullshit talks. Cash haben sie am liebsten - wer nicht ... Natürlich war unser Zeug vollkommen uninteressant im Gegensatz zu den von Ihnen angebotenen Dingen, falsches Farbsystem, zuwenig Watt und falsches Fabrikat - aber durchschaubar, natürlich hatten sie Bock drauf, und wir kamen auch zusammen, nach etlichen Stunden. Ich war wieder bis auf die Unterhose durchgeschwitzt, die Schwüle ist nicht zu beschreiben, aber man gewöhnt sich dran - laß laufen die Suppe. Die Tour neigte sich dem Ende zu und wir hatten noch ein paar Tüten mit Werbekugelschreibern im Auto gefunden, die wir extra zum Verschenken auf dem Flohmarkt gekauft hatten. Der König war in Geberlaune, und wir gaben sie bündelweise an die Kinder aus. Wieder eine Szene, die man unbedingt hätte filmen müssen, aber wie alle wirklich prägnanten Momente, kann man sie nicht bannen, da sie vorbei sind, bevor einem die Idee des Filmens kommt. Zudem ist man zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Um das
Auto waren binnen Minuten aus allen Ecken über fünfzig Personen versammelt, von denen vorher kaum einer zu sehen war. Wir versuchten anfangs, die Schreiber gerecht zu verteilen und Kinder zu bevorzugen, aber das funktioniert nicht. Ein Knäuel aus Händen drängt immer dichter - erneut Haifischbecken - sie schubsen und wühlen wie die Wilden und keiner nimmt sich einen oder zwei Stifte, jeder grabscht nach dem ganzen Bündel. Die Erwachsenen nutzen skrupellos ihren körperlichen Vorteil den Kindern gegenüber aus und man muß die Kulis mit dem Körper vor den Großen abdecken, damit die Lütten was abkriegen. Irgendwann wir es zu eng und die Gefahr wächst, daß man im Gewühl noch den Inhalt seiner Taschen einbüßt und wir warfen die Stifte fünf Meter vom Auto weg, um wieder Luft zu bekommen. Wirf eine Schüssel rohes Rindergulasch in einen Hundezwinger mit zwanzig Kötern, die ein paar Tage nichts zu fressen bekommen haben, dann entsteht in etwa ein Eindruck von dem Handgemenge, welches um die Werbekulis entbrannte. Nicht zu glauben. Groß und Klein warfen sich auf den Rasen, schnappten was sie ergattern konnten, bunkerten es irgendwo am Körper und stürzten sich sofort wieder in die Traube wie beim American Football. Alle Kulis weg, die ganze Meute zurück zum Auto, aber da waren die Türen schon dicht und der Motor lief. Rückwärtsgang rein und langsam vom Acker. Bei diesen wühligen Szenen, die man immer wieder in Afrika erlebt beim Tanken, Einkaufen, an Grenzen, vorm Postamt, an Ampeln und überall - fällt Eines auf. Die Frauen halten sich völlig zurück, und die Mädchen auch. Sie sprechen einen mal an, bitten um eine milde Gabe, aber rücken einem nie auf die Pelle oder entlassen einen nicht aus einem Gespräch. Selbst die Huren, die mich vor jedem teureren Hotel ansprachen, sobald Annett außer Sichtweite war, lächeln, fragen wie es einem geht und gut. Kein Einhaken, Darling hier und Schätzchen da, ich mach's dir besonders gut und billig, nichts, nur eine unverbindliche Kontaktaufnahme. So muß es auf dem Kiez gewesen sein, als Hans Albers "komm doch, süße Kleine, sei die Meine, sag nicht Nein" gesungen hat. Eine Hure die Nein sagt, das hat doch Klasse. Nicht dieses widerliche, ordinäre kobern wie es meist Gang und Gebe ist. In Cotonou hatten wir bald alles erledigt, was wir erledigen konnten und freuten uns auf Grand Popo. Wir hatten uns auf dem Hinweg vorgenommen, eine schöne, romantische Nacht im Kolonialhaus zu
verbringen, das Holzfahrrad zu kaufen und auf der Terrasse am türkisen Meer endlich mal wieder Langusten zu essen. Unser Feeling war wie am Anfang in Marokko. Nicht so auf der Lauer wie sonst man muß eigentlich immer voll wach sein um zu checken was gerade abgeht - diesmal aber relaxed und in Urlaubslaune. In den Ländern, die wir vor uns hatten, kann man sich das bedingt leisten, zumal sie uns schon ein wenig bekannt waren. So fuhren wir ganz langsam die lächerlichen achtzig Kilometer und erneut haute uns die Farbe des Meeres an diese Stelle fast um. Man möchte einen ganzen Film verknipsen. Zwei Wermutstrofen mußten wir allerdings hinnehmen. Das Fahrrad war verkauft - volle Sauerrei - und zudem war das Herrenhaus ausgebucht. You can't allways get what you want, but you get what you need. Und wir bekamen auch, was wir brauchten. Ein Zimmer im Gästehaus mit Moskitonetz und Humphrey-Bogartmäßigem Ventilator überm Bett und die Langusten gingen auch in Ordnung. Beim Begrüßungsdrink setzte sich ein Holländer aus Amsterdam zu uns. Er hatte sich sein Leben ganz pfiffig und komfortabel eingeteilt. Er arbeitete ein halbes Jahr und das andere halbe Jahr reiste er durch die Welt um zu schreiben. Er versucht, langfristig von der Schreiberei zu leben, meint aber, daß man erstmal sieben Jahre Praxis braucht, bevor man so gut wird, daß man das Geschriebene auch veröffentlichen kann. Das erscheint mir plausibel und Anderen vor ihm war es auch schon gelungen - Jack London, Kerouac, um nur zwei von vielen zu nennen. Nur mit Rucksack fuhr er per Busch-Taxi von Land zu Land und hielt seine Eindrücke fest. Einzelgänger. Aber High-Tech-mäßig vom obersten Regal bestückt. In seinem geringem Gepäck befand sich das neuste und beste Toshiba-Notebook und zusätzlich hatte er eine Sony-Digital-Kamera dabei. Während er reiste, erstellte er Reiseberichte mit digitalen Fotos und gab diese regelmäßig ins Internet ein und holte sich gleichzeitig seine E-mail ab. Das hielt ich für ganz ausgeschlafen. Auf diesem Wege weckte er bereits Interesse, während er unterwegs ist, und hatte wohl auch schon Erfolge wie Rundfunkberichte und Optionen auf diese schrecklichen Vormittags-Talkshows, die den fertigen Hausfrauen endgültig den Rest geben. Hoffentlich bleibt uns während der Hamburg-Pause Zeit genug, um uns genauso zu rüsten und zu organisieren - das finde ich ja nur geil. Wenn machbar, auch so machen. Da spart man sich die Filme, das Porto - na gut, dafür fallen Telefongebühren an - und vor allen Dingen den Drucker, der
uns ohnehin einige Schwierigkeiten machte. Feine Aufgabe, die mir da bevor steht. Wurde dann aber doch nichts draus, ging irgendwie unter. Wir tauschten Erfahrung aus. Seine waren wie die unseren: In keiner Weise homogen, sowenig, wie Menschen homogen sind. "Da bist du jetzt schon über vierzig und denkst, du weißt ein wenig wie die Dinge laufen, und dann fährst du nach Afrika und siehst und erlebst Sachen, von denen du noch nicht einmal etwas geahnt hast. Und du lernst 'ne Menge." Anläßlich dieses Austauschs fiel mir auf, daß ich einen wichtigen und sehr tief positiven Eindruck noch gar nicht erwähnt habe. Die Fröhlichkeit, die einem manchmal in einem Lächeln begegnet, die man mal als Beobachter erlebt und die allgegenwärtig zu sein scheint. In Deutschland gibt es den Schnack "der hat gut lachen" und man meint damit, daß es jemandem generell, haupsächlich finanziell, sehr gut geht. Die Menschen hier haben in diesem Sinne alles andere als "gut lachen", um so mehr fasziniert ihre neidlose und fröhliche Leichtigkeit. Das Erstaunliche dabei ist, daß diese Freundlichkeit und Fröhlichkeit bei Leuten anzutrefen ist, bei denen man es am wenigsten vermutet. Die Behinderten, diese armen Teufel, man sieht sie nur lachen. Sie winken einem zu, geben die aus dem Auto zugeworfenen Geldstücke an ihren Nachbarn weiter und trifft man sie wieder, erinnern sie sich, betteln kein zweites Mal und strahlen einen mit einem entwaffnenden Lächeln an. Annett sagte einmal im Auto: "Ich freue mich schon richtig auf die Behinderten in Togo." Ich mich auch. Sollte mich das Schicksal irgendwann einmal auch nur halb so hart treffen, wie es diese Menschen getroffen hat, werde ich versuchen, mich an sie zu erinnern und mich an ihnen aufbauen. Bei diesen Eindrücken darf man nicht vergessen, daß diejenigen Krüppel, die es bis zur Ampel schaffen, noch lange nicht die Hauptlooser sind. Gehe ein paar Straßen rechts rein, da sind die, die selbst dazu nicht die Möglichkeit haben und da ist das alltägliche Elend mit keinem europäischen zu vergleichen. Noch ein Beispiel aus Gambia, welches sicher nicht nur für Gambia zutrifft. Irgendwo, im tiefen afrikanischen Gewühl der Downtown, gibt es einen illegalen Rollstuhlverleih. Dort leihen sich Gehandicapte und Nichtgehandicapte tageweise Rollstühle, um vor den Touristenzentren zu betteln. Je wirtschaftlich besser es den Leuten geht, desto mehr läßt diese Fröhlichkeit nach. Nicht immer, aber immer öfter. Die
Parkplatzwächter sind meistens Supertypen, immer mit einem Scherz auf den Lippen und locker drauf. Staatsangestellte - Zöllner, Bullen, Immigrationsbeamte, Militärs - in Lohn und Brot und nicht gerade über Gebühr hart rangenommen, lassen diese Fröhlichkeit bis auf wenige Ausnahmen gänzlich vermissen. Ebenso Angestellte in der Bank, an der Rezeption oder auch viele Kellner. An ihre Stelle tritt bei den - wie soll ich sagen - gehobenen Schwarzen, eine uns vertrautere Art im Sinne von leiser, zielgerichtet und verbindlich, mit der wir sozialisationsbedingt immer recht gut klar kamen. Die Heiterkeit und die leichte Art, die Dinge so zu nehmen, wie sie halt sind, ist ein Aspekt des schönen und lehrreichen Afrikas, aber eben nur ein Aspekt, der leider Gottes so selten überwiegt und meist neutralisiert wird durch den Zwang, dauernd angespannt und auf Abwehr eingestellt zu sein. Diese Fröhlichkeit entgeht einem entsprechend allzu häufig, wenn ein ganz lieber und offener Mensch auf einen zukommt, er aber, ohne es zu wissen, der dreiundachtzigste des Tages ist und man ihn mit einem grantigen "what do you want, man" oder "leave me fuckin' alone, please, I need nothing" abbügelt. Aber in der Kollage von Erinnerungen werden sie hängen bleiben, die fröhlich und offen lachenden Menschen am Straßenrand, die uns zuwinkten, einfach nur so, weil sie sich freuten, uns zu sehen und dies zum Ausdruck bringen wollten. Wir verließen schließlich Benin ohne jedoch ein Voodoo-Chile getroffen zu haben. NOCH MAL IN LOMÉ
In Lomé führten wir unsere Einkäufe fort und deckten uns mit Trommeln ein. Die Geberlaune hielt an und wir trieben es nicht so hart wie sonst, reizten nicht aus. Ist am Ende auch ziemlich egal, ob eine Trommel zehn Mark mehr oder weniger kostet und außerdem wie gesagt - Geberlaune. Wir konnten sie später in Hamburg für den sechsfachen Preis verkaufen und lagen immer noch deutlich unter dem üblichen Marktpreis. Man kann es jedoch nicht immer so machen. Vorm Hotel sprach mich eine schwarze Händlerin an, die ihre paar Ketten, die sie anzubieten hatte, auf einem Tablett auf dem Kopf trug. Ich wackelte ein wenig an ihrem Tablett, aus Spaß, und sie reagierte so reizend, daß ich mich ein bißchen in die dicke Mama verliebte. Sie lachte, nahm ihr Tablett vom Kopf und bot mir sofort eine Kette nach der anderen an, völlig überteuert, aber immer mit
einem verschmitzten Lächeln in ihrem Gesicht. Sie wußte, daß ich weiß ... und so weiter. Manchmal, wenn ein Dritter unsere stets eine Spur ironische Feilscherei beobachtete, hakte sie mich ein, ging ein paar Schritte mit mir zur Seite und flüstere mir, wie ein Geheimagent, der ein ganz heißes Plutoniumgeschäft machen will, weitere Vorzugspreise ins Ohr. Und dabei lispelte sie, ich stehe auf lispeln. Man muß es sich vorsprechen: "Oh master, this is not good. Listen, master, thirtythousand CFA is not good. Give me fortythousand, oh master, please." Halb geflüstert, mit höchst engagierter Mimik und einer Frisur, als wäre sie gerade ohne Helm mit dem Motorrad ein paar hundert Kilometer gefahren. Sie hatte Thousand-Flowers-Steine im Angebot, von denen ich den Preis mittlerweile wirklich kannte und von denen schon weit über tausend im Auto lagen, und ich kaufte ihr noch ein paar ab, etwas überteuert, aber ich mochte sie halt gern. Was macht es schon aus, ob ich tausend oder tausendfünfhundert davon habe ... Wir tauschten natürlich auch noch Adressen, falls ich weitere per Post wünschte, aber ich glaube eher nicht. Das letzte Visum konnten wir auch erledigen und vor der Botschaft trifft man andere Schwarzer als auf den Straßen - logisch. Diejenigen, die ein Visum an der französischen Botschaft benötigen, sind eine andere Klasse. Sie machen irgendwelche Geschäfte, eine Fähigkeit, die den Schwarzen sonst völlig abgeht. Sie können ein bißchen Krimskrams verhökern oder mal einen gebratenen Fisch verkaufen, aber das, was wir unter Geschäften verstehen, kriegen sie in der erdrückenden Mehrheit überhaupt nicht auf die Reihe. Wenn einer einen LKW hat und damit Transporte durchführt, dann verdient er etwas Geld und verlebt - nein, verpraßt es, und kauft seiner Frau teure Klamotten und Schminkzeug. Es wird nicht gespart oder in Werbung investiert, damit ein zweiter LKW angeschafft werden kann, ein Fahrer eingestellt, irgendwann ein dritter und vierter LKW und eine kleine Transportfirma entstehen könnte. Das funktioniert nicht. Keine Vorausplanung, keine Effektivität, keine Zuverlässigkeit, kein Timeing, keine Rücklagen für Reparaturen, keine mittelfristigen Perspektiven und am aller wenigsten das, was man unter Straightness versteht. Wenn der LKW kaputt geht, dann ist das Pech. Dann bleiben die Transporte liegen, im schlimmsten Fall geht's gar nicht weiter und der mögliche Speditionsunternehmer setzt sich wieder vor seine Rundhütte und starrt Löcher in die Luft. Unter
diesem Mangel - ich nenne es Mangel, denn es ist ein Mangel und nichts Anderes - leidet Afrika erheblich und viele zerbrechen sich den Kopf, woran es liegt und wie es sich verändern läßt. Kleines Beispiel: Aus Südafrika trafen wir einen Vertreter für WellaHaarmittel. Er war auf der Suche nach cleveren Frauen zwecks Untervertreter auf dem von Haus-zu-Haus Prinzip, die er auf den Märkten fand. Er sprach Frauen an, die einen eigenen Stand hatten und schlug diesen den Job vor. Viele machten es, waren mit der Zeit so erfolgreich und entsprechend zeitlich gebunden, daß sie den Marktstand nicht mehr weiter betreiben konnten und eine Vertretung hierfür suchten. Unmöglich eine zuverlässige Kraft zu finden. Entweder, sie machen es allein, oder es geht nicht. Die Alternative war, das Eine oder das Andere aufzugeben, ein neuer Job kam für niemanden dabei rum. Sehr traurig, bei der in Afrika dramatischen Arbeitslosigkeit. Es gibt natürlich auch Reiche, nicht zu knapp, aber die meisten von ihnen haben sich ihren Reichtum nicht verdient, sondern zusammengeklaut. Nicht im Sinne von "Eigentum ist Diebstahl", sondern regelrecht ergaunert, meist durch Korruption oder andere Betrügereien auf Regierungsebene. Auch hierzu ein Beispiel: Ein junger Nigerianer geht nach Amerika und studiert dort. Er kommt nicht zurück, es gefällt ihm in Amerika, bis eine Ölgesellschaft auf ihn aufmerksam wird. "Hey, ein domestizierter Afrikaner, genau das, was wir brauchen, um die nigerianische Regierung zu kaufen." Der macht den Job, ruft zwanzig Millionen Dollar notwendiger Bestechungsgelder auf und gibt davon achtzehn weiter. Dünnes Geld für einen Ölmulti, und ein paar Generäle und Minister füllen sich die Taschen und der Vermittler dealt noch einen gebrauchten Öltanker raus und verschifft auf eigene Rechnung nigerianisches Öl in die Staaten. Das ist nicht das, was wir unter Geschäften verstehen und hilft keinem Staat auf die Beine. So entsteht eine trübe Schicht von mafiösen Besitzenden, durch Diktaturen und Militär gesichert, und ein Heer von fröhlichen, ärmsten Armen. "Der Unterschied zwischen Bill Gates und mir ist nicht so groß wie der zwischen mir und den meisten Menschen in Afrika. Bill Gates und ich haben beide mehr, als wir brauchen, aber die Menschen hier haben nichts, absolut nichts." sagte der holländische Computerfreak eines abends zu mir und er hat ja so recht. Noch einmal auf das Timeing zurück zu kommen. Der geläufige Begriff GMT - Greewich Meridian Time -
wird in Gambia mit "Gambia Maybe Time" übersetzt. Sagt alles. Eine Verabredung um beispielsweise vier Uhr, gilt unter afrikanischen Geschäftsleuten - wohl bemerkt: Geschäftsleuten - als eine Zeit, die mit vier anfängt. Also auch vier Uhr fünfundfünfzig. Unter Privatleuten heißt vier Uhr gar nichts, es bedeutet irgendwann, wie jede andere Uhrzeit auch. Bestenfalls bedeutet es heute noch inch Allah. Wenn es wirklich mal drauf ankommt, selten genug, dann muß man "Japanese Time" dazu sagen. Das heißt exakt, auf den Punkt, vier Uhr. Die Japaner scheinen der Inbegriff der Pünktlichkeit zu sein. EIN ZWEITER BLICK AUF GHANA
Wir verließen am nächsten Tag das gemütliche und preiswerte Hotel Le Galion in Lomé und fuhren nach Ghana, zwei Kilometer vom Hotel entfernt ist die Grenze. Ghana war auf der Hinreise so schlecht weg gekommenen und wieder hatten wir Leute getroffen, denen Ghana gefallen hat. Wir gaben uns also noch mal Mühe, die schönen Seiten dieses Landes zu entdecken. Wir gaben uns stark Mühe, umfuhren das stickige und verstopfte Accra, versuchten in einem nett aufgemachten Lokal zu frühstücken - aber irgendwie hatten wir keinen Erfolg. Das Frühstück mißlang, man brachte uns einen Topf Margarine und drei Scheiben Toastbrot - das bringt's beim besten Willen nicht - die Straßen waren noch schlechter, als ich sie erinnerte, und als wir in die Post gingen, um knapp vierzig Bögen nachstempeln zu lassen, die uns auf der Hintour durchgerutscht sind, war der Stempel verschwunden und kein zweiter aufzutreiben. Bei Ortsdurchfahrten wurde wir wieder exzessiv bebrüllt und beim Tanken blöd angesabbelt und die Ghanaesen fahren wirklich miserabel und höchst riskant Auto. Erneut ging uns die aufdringliche und dümmliche Christenpropaganda auf den Sack. Das hat alles nix. Die Bullen sind wie überall - nicht besser und nicht schlechter - aber mittlerweile haben wir diese Sache ganz gut im Griff. Wir haben ein präzises Felling dafür entwickelt, wann man anhalten muß und wann man einfach lustig winkend vorbei fahren kann. So stoppen wir nicht mehr überall und die unumgänglichen Kontrollen kriegen wir mit übertriebener Freundlichkeit locker geregelt - das kostet kein Geld, höchstens Mal eine getauschte Adresse. Die positiven Momente in Ghana sollen auch erwähnt werden. Wir aßen in einem großen Hotel zu Mittag, das war teuer, aber gut. Dann fuhren wir einem Tip
folgend ins "Busua Beach Resort". Ein wunderschöner Ort. In einer Bucht, die in grünen bewachsenen Hügeln zwischen Palmen und großen Bäumen liegt, befindet sich eine wirklich erstklassige Bungalowanlage. Vor der Küste liegt eine kleine, malerische Insel, auf der genau zwei Palmen stehen. In den nagelneuen Bungalows stimmt alles. Die leiseste Aircondition mit Fernbedienung die wir je hatten, gestochenes Fernsehbild, Küche, Terrasse, alles blitzblank und keine zwanzig Meter bis zum Sandstrand entfernt. Sekurity ohne Ende, gepflegte Gartenanlage, im Dunkeln raffiniert ausgeleuchtet wie im Prospekt. Natürlich kostet es richtiges Geld, hier eine Nacht zu verbringen, aber wir hatten noch genug Cedis, und bevor wir sie mit Verlusten zurück tauschen, checkten wir lieber ein. Es ist allerdings kein Kunststück, sich in den High-Society-Lokations aufzuhalten und sich zwischen gestopften Schwarzern und Tubabs komfortabel untergebracht zu fühlen. Das geht in fast jedem Land der Welt und besagt gar nichts. Ein kleiner Mangel war der anscheinend nicht funktionierende Wasserboiler. Ich rief die Rezeption an - "wir schicken jemanden rum". Eine Stunde vergeht, ich frage nach was ist - "yes Sir, wir schicken jemanden rum". Eine weitere Stunde vergeht, ich rufe erneut an und frage ganz langsam und deutlich, ob er mich nicht mag. "Der Mann, der es reparieren kann, ist nicht an der Rezeption vorbei gekommen, aber er schickt jemanden, ihn zu suchen." Das ist doch wieder voll Schwarzemäßig. So etwas geht doch nicht durch, in einer Anlage der obersten Klasse mit dem Werbeslogan "Enjoy a V.I.P. treatment". Als dann endlich jemand den Weg gefunden hat, betätigt dieser einen versteckten Schalter hinter der Tür und das war's. Hätte schon beim Einchecken passieren müssen oder wenigstens könnte er mir den Trick am Telefon verraten. Es soll nicht richtig was werden mit uns und Ghana. Oder ist das zu nörgelig oder hochnäsig ...? Ich denke nicht. In günstigen Herbergen kann man über vieles hinwegsehen, aber für richtiges Geld kann man auch adäquaten Service erwarten. Überhaupt, dieses Hotel gab ein beeindrucktes Beispiel für den Begriff verbimbot. Die Bungalows waren so neu, daß noch keine Verbimboung einsetzen konnte. Jede Wette, daß die Anlage selbst von einem Weißen in weitestem Sinne errichtet wurde. Aus uns unbekannten Gründen liegt das Betreiben allerdings in der Hand von Schwarzen, die nicht kontrolliert werden und sich selbst überlassen sind. Ich habe immer das Gefühl, diese im Detail erkennbare und
schleichende Verbimboung nicht rüberbringen zu können. Hier war sie in den Anfängen toll zu beobachten und ich will den Versuch einer Beschreibung erneut versuchen. Das Beispiel mit dem Schalter für'n Boiler war schon typisch. Es ist allein genommen nicht schlimm, davon stirbt man nicht, aber die Summe der Kleinigkeiten ... das kennen wir ja alle. Wir gehen also zum Essen. Das Restaurant, nicht so neu wie die Bungalows, stimmt niveaumäßig nicht mit dem Rest überein. Dreckige Gardinen, ungeputzte Fenster, herumlungernde Kellner, verwelkte Blumen. Wir sind die einzigen Gäste. Der Kellner begrüßt uns mit Hacken zusammen schlagen und Hand an die nicht vorhandene Mütze. Bin ich hier beim Bund oder was. Wir setzten uns hin und er bringt eine Karte. Er sieht doch, daß wir zu zweit sind ... Er läuft also noch mal los und besorgt eine zweite Karte. Er bleibt penetrant in strammer Soldatenhaltung neben uns stehen und nimmt uns die Ruhe beim Auswählen. Frag nach den Getränken, bereite diese in Ruhe vor, und dann kannst du wiederkommen. Wir bestellen zweimal Lobster, und mitten in der Bestellung läuft er weg, um einen Block zu suchen, und läßt uns in Leere sabbeln. Als Kellner kann man sich doch mal vorbeugend einen Block mit Schreiber einstecken. Die Bestellung nimmt er auf und schlägt erneut die Hacken zusammen. Zulange gedient ... Im Hintergrund schleppt sich eine weitere Kellnerin schwer leidend durch den Raum, ein Bild des Jammers. Bleib zu Hause, Mädchen, wenn du krank bist oder reiß Dich zusammen. Das Essen kommt. Alles in Ordnung. Die Getränke waren ausgetrunken und er hätte eigentlich fragen müssen, ob wir weitere wünschten. In einem Hotel dieser Klasse hat ihm das bestimmt irgendeiner irgendwann man erklärt. Der Aschenbecher wird nicht geleert, die leeren Flaschen nicht abgeräumt. Der Kellner schlurft zu seinen Kollegen. Am Tresen hängen weitere Kellner rum, die sich belustigen, in dem sie einen Behinderten nachmachen und sich nicht halten können vor Lachen. Doch nicht wenn Gäste da sind ... ausreichender Entlassungsgrund. Wir sind gerade fertig mit dem Hauptgang, da bringt er die Rechnung. Gehört sich nicht und ist außerdem geschäftsschädigend. Wir bestellen noch einen Nachtisch und er räumt ab. Was er mit einem Hieb mitkriegt, nimmt er mit, der Rest bleibt stehen. Er bietet vier Eissorten an, von denen wir drei bestellen. Er merkt sich die Zahl Drei und bringt genau das Falsche. Schreibe es dir doch auf, Kerl, wenn du dir es nicht merken kannst. Aber wahrscheinlich den Block oder den Schreiber schon wieder
verdaddelt. Er serviert den Nachtisch zwischen leeren Flaschen und Langustenschalen. Muß man sehen, als Kellner ... Am Ende besteht er auf Barzahlung unter sinnlosen Argumenten, und zwingt uns, extra zum Auto zu laufen. Arschloch, das macht er nur wegen seines Trinkgeldes. Wir fühlen uns rausgedrängt ... er will Feierabend machen ... und gehen mit dem Sound zusammengeschlagener Hacken aus dem Restaurant. "Enjoy a V.I.P. treatment". Alles nicht extrem kraß - es gibt mit Sicherheit Schlimmeres zu erdulden - und man wird satt und das Essen war auch in Ordnung, aber sie kriegen es nicht elegant hin. Keinen Stil, keine Klasse, keine Disziplin. Und sie wissen ganz genau, wie es geht. Das haben wir oft genug erlebt. Aber da muß hinterm Tresen ein Weißer stehen und permanent drillen, dann klappt's. Ohne ständige Kontrolle verschlampt der Laden Tag für Tag mehr - wie eben beschrieben. Wenn der Besitzer das nicht bald abstellt, ist abzusehen, daß das Hotel irgendwann rückläufige Gästezahlen haben wird und keiner hat die Schuld. Ich finde das einfach nur traurig ... ERLEDIGUNGEN IN ABIDJAN
Wir checkten am nächsten Tag aus und fuhren ein letztes Mal über eine afrikanische Grenze. In Grand Bassam, einem Seevorort von Abidjan, in dem die Europäer und Libanesen gerne ihre Wochenenden verbringen, beendeten wir den Tag in einer gepflegten Bungalowanlage direkt am Meer. Ich bekam die beste Paella meines Lebens. Jetzt war es so gut wie geschafft, viel konnte eigentlich nicht mehr schief gehen. Cote d'Ivoire gibt einem das Gefühl, in einem sehr zivilisierten Land zu sein, was schon dadurch zum Ausdruck kommt, daß das Hotel Ivoire über die einzige Schlittschuhbahn in Afrika verfügt. Vorm ins Bett gehen schwamm ich noch ganz allein ein paar Runden im Pool. Um den Pool Palmen und blühende Büsche, über mir ein sternklarer Himmel und die schwüle, tropische Nachtluft surrte vom Gezirpe der Grillen. Wir erreichten Abidjan gegen zehn Uhr früh und begannen, die Speditionen wegen der Verschiffung des Wohnmobils aufzusuchen. Diese Stadt hat in ihrer Betriebsamkeit viel Europäisches und binnen weniger Stunden hatten wir das günstigste Angebot herausgefunden und einen Deklaranten unter Vertrag, der sich um das Handling im Hafen kümmert. Uns blieben drei Tage, um unsere Einkäufe zu komplettieren und ein Flugticket zu besorgen. Dann mußten wir das
Auto im Hafen abgeben. Auf einmal ging alles wahnsinnig schnell und das Gefühl, weit weg vom Rest der Welt zu sein, war verschwunden. Wir fanden ein preiswertes Hotel mit einem kleinen Pool und Blick auf den Hafen, packten das Fluggepäck ins Zimmer, in dem sich auch die beiden gewichtigen Aluboxen mit den Briefmarken befanden, und fuhren zum Markt nach Grand Bassam, um das Auto voll zu kriegen. Zum Einen wollten wir möglichst viel wiederverkäuflichen Krempel mitnehmen, zum Anderen auch vorzugsweise solche Teile, die sperrig und schwer genug sind, den Innenraum des Autos so zu verstellen und zu verkeilen, daß Autoknacker es schwer haben, an unauffällig transportable und teure Dinge zu kommen. Diese Einkäufe machten einen Mörderspaß, obwohl sie wahnsinnig anstrengend sind. Es dauert keine zehn Minuten, und man ist naßgeschwitzt wie aus dem Wasser gezogen. Links und rechts der Straße steht über eine Länge von ca. einem Kilometer Bude an Bude. Hinter den Ständen wird produziert, geschnitzt, gegossen, gebatikt, gehämmert, lackiert und genäht. Die Händler kriegten bald spitz, daß wir interessantere Kunden sind als die Flugtouristen, die mal ein Hemd und mal 'ne Kette mitnehmen. Geberlaune hatte sich nun erledigt, hier galt es wieder, zu quetschen was das Zeug hält und die Konkurrenzsituation der Händler machte es uns leichter. Sie merkten schnell, daß wir nicht unter Zeitdruck standen und vor hatten, jeden Stand preislich in Ruhe zu vergleichen und in dem Maße einig, daß sie Kartelle bilden, sind sie sich nicht. Genauso wissen sie natürlich, daß, ziehen wir einmal weiter, die Chance, daß wir noch mal zurückkommen, nicht sehr groß ist. So beobachtete der Eine, der mit seinen Preisvorstellungen nicht zu unserer Zufriedenheit runter wollte, wie der Nachbar das Geschäft machte und unser Auto voller und voller wurde. Klar, daß irgendwann Schluß sein muß, und wir kauften an diesem ersten Tag nicht viel, bis auf zwei irrsinnig überdimensionale Frauenbüsten, aus Massivholz geschnitzt, über eine Meter hoch, fünfzig Zentimeter Durchmesser und schwer wie Huppertz. Die ließen wir ins Auto hieven, bekamen gerade noch einen pfiffig konstruierten Klappliegestuhl ins Auto und beließen es für diesen Tag dabei. Wir rechneten uns aus, daß sie jetzt für den nächsten Tag reif sein müßten. Sie haben mit eigenen Augen gesehen, daß wir durchaus Kaufbereitschaft und besseres Geld mitbringen, aber nicht zu afrikanischen Phantasiekursen. Schnelle,
realistische Angebote, dann läuft was, langes Gedibber und Mondpreise, dann eben nicht, ab zum nächsten Stand. Am Abend räumten wir noch lange hin und her, schafften reichlich Platz und waren schon ganz gespannt, wie der nächste Tag verlaufen wird. Ausgeschlafen und gut gefrühstückt mit trockenen Klamotten rückten wir wieder an. So richtig geglaubt, daß wir wiederkommen, hatten sie es nicht, ist es doch der Standarttext eines jeden, auf Morgen zu vertrösten, um der aufdringlichen Intensivwerbung der Händler zu entrinnen. Aber da waren wir wieder, und es lief genau wie vorhergesehen. Diejenigen, die am Vortage übergangen wurden, überstürzten uns mit überraschend akzeptablen Preisen und damit kommen sie selbst nicht so richtig klar. Sie sind es gewohnt, daß der "premier prix" schlimm überhöht ist, und wenn man darauf mit entschiedenen Ablehnung reagiert, erklären sie einem, daß es sich nur um den "premier prix" handelt und in Afrika funktioniert das so und wir sollten unser Gegenangebot machen. Nun war ihr "premier prix" aber bereits für ihre Verhältnisse zu niedrig angesetzt und wir begannen, sie daran zu erinnern, daß wir uns in Afrika befänden und sie nicht ernsthaft annehmen könnten, daß auch nur in der Nähe des "premier prix" kaufen würden. Zudem stellten wir nach den diesbezüglich guten Erfahrungen wieder Warengruppen zusammen, die wir häufig auch wieder umkombinierten und neue Pauschalpreise aufriefen. Sie waren mit diesem Vorgehen erneut überfordert und um ihre Verwirrung zu steigern, scherzten wir in einer Tour, gaben mal 'ne Runde Cola aus und machten ihnen Zeitdruck, indem wir Richtung Nachbar drängten. Wir hatten sehr viel Freude an dem Tag, haben viel gelacht und haben phantastische Sachen gekauft. Mehr oder weniger von Morgens bis Abends verbrachten wir auf diese Weise und als wir völlig fertig und wieder einmal durchgeschwitzt bis auf die Knochen im Hotel ankamen, war das Wohnmobil voll bis zur Eichkante. Bis zum Sonnenuntergang und ein Stück länger packten wir unser Auto um. Die Sachen vom Dach mußten noch in den Innenraum, alles wieder raus, dies zuerst, das dazwischen und das obendrüber. Ein Puzzlespiel, aber als die Kiste seefertig gepackt war, hatten wir ein gutes Gefühl. Wenn das ganze Auto geklaut wird, da kann man nichts machen - Pech - aber Teile daraus fingern, das ist nicht ganz einfach. Sie schafften es allerdings trotzdem. Insgesamt haben wir knappe zehntausend Mark auf den Märkten gelassen - eine Unsumme für afrikanische Verhältnisse - und es gab viele Teile, von
denen wir uns nur schwer - wenn überhaupt - wieder trennen werden. Aber mal abwarten. Manchmal muß man ja, um das große Ganze weiter machen zu können. Tags drauf erledigten wir weitere Formalitäten und klapperten Reisebüros und Fluggesellschaften ab, um den preiswertesten Rückflug zu ermitteln. Eine portugiesische Fluggesellschaft erhielt den Zuschlag, und entweder ging es in einer Woche los direkt nach Hamburg oder bereits übermorgen in der Nacht, allerdings mit einem ganzen Tag Aufenthalt in Lissabon. Übermorgen - meine Fresse ist das schnell - das waren wir gar nicht mehr gewohnt. Dann sitzen wir bereits Sonntag bei Kaffee und Kuchen im frühlingshaften Hamburg mit Freunden auf der Terrasse am See. Mit einem Pullover an ... Was für eine Vorstellung, was für ein atemberaubendes Tempo - mitten in Afrika - direkt unheimlich. Aber klar, ist gebucht, und den ganzen Sonnabend durch Lissabon laufen ist auch eine angetörnte Vorstellung. Lissabon im April - nette Jugenderinnerungen verknüpfen sich für mich daran - und ich erinnerte es als mild und warm, mediteran, obwohl es nicht am Mittelmeer liegt, verschlafen wartend auf die großen Touristenströme im Sommer. Wie dieser Eindruck wohl aussehen wird, wenn man vom Süden anreist, nach fast einem halbe Jahr in den afrikanischen Tropen ... spannend. Auf jeden Fall waren wir froh, es bezüglich Mauretanien jetzt so zu machen, wie wir und viele andere Reisende es sich vorgenommen hatten: " Schwimm drum herum, flieg drüber weg, grabe einen Tunnel, aber fahre nicht durch." Das Auto schwamm drum herum und wir flogen drüber weg. Alles richtig. Jetzt war Europa und Hamburg blitzartig ganz nah und wir begannen bereits, Pläne für den nächsten Montag zu machen. Den besuchen, da anrufen, dies erledigen, das noch abhaken und jenes auf den Weg bringen. Es langt bereits, das Ticket in der Tasche zu haben und der europäische Drive erfaßte uns umgehend. Ich glaube, ich habe sofort aufgehört zu schlurfen, was Annett schon zeitweise ganz wahnsinnig gemacht hatte. Aber noch waren wir in Afrika. Natürlich trafen wir die Schweizer Familie wieder, die in einer geräumigen Wohnung residierte, aber ein wenig unter Beschäftigungsarmut litt. Nun ja, entweder weiter fahren nach Südafrika, dafür war die Jahreszeit gerade ungünstig, oder abwarten. Und abwarten bedeutet natürlich Müßiggang bis zum Abwinken. Wir luden uns gegenseitig zum Essen ein, wie wir es stets
taten, seit wir uns zum ersten Mal vor fünf Monaten in Fort Bou-Jerif begegneten, klönten, tauschten Erfahrungen aus und wir überließen ihnen unsere Medikamente, Bücher und Musik-cassetten, so, wie wir auch schon öfters Resthabe von Heimkehrern übernommen hatten. Ich hatte das Gefühl, sie beobachteten unsere Heimreisevorbereitungen mit sehr gemischten Gefühlen. Mir ging es vor sechs Wochen auf dem Campingplatz ähnlich, als er sich mit mehr und mehr Leuten füllte, die ihre Autos verkauften oder verschifften und bereits ein Flugticket auf Tasche hatten. Es stellt sich einem die bohrende Frage "was mache ich hier, ich gehöre hier nicht hin ...", aber so wie wir findet jeder irgendeine persönliche Antwort auf diese Frage, sinnvoll oder unsinnig - egal. Für uns stellte sich diese Frage nicht mehr - vorläufig - und die Dinge funktionierten wie am Schnürchen, wie eigentlich die ganze Tour, bis auf ein paar klitzekleine Hänger. Mehr war es nicht, aus der Distanz betrachtet, die sich angesichts der in greifbare Nähe gerückten Heimat schon langsam einzustellen began. Wir brachten das Wohnmobil in den Hafen. Abidjan, eine Oase an Effektivität und Professionalität in Westafrika. Sowohl bei der Spedition wie auch beim Deklaranten wurde jeder Termin gehalten, man kümmerte sich um uns, telefonierte nach einem billigen Flugticket, brachte uns im Konvoi zum Dock und fuhr uns anschließend ins Hotel zurück. Wollen's hoffen, daß die Diebe nicht halb so Professionell sind wie die bewaffneten Wächter in den Hafenanlagen. Keine Filze, keine Schmiergelder. Alles klappte in dieser Stadt vom Feinsten, bis auf den Termin mit unserer WeltbankBekanntschaft. Schade. Monsieur war auf Mission und kam erst wieder zurück, wenn wir bereits in der Schlange der Begeisterten beim FC. St. Pauli stehen werden, um die traurigen Reste des Abstiegkampfes life mitzuerleben. URLAUBSREIF
Es blieb nun nichts mehr zu tun. Gerade eben zwei Tage hatten wir noch zu warten und wir hätten eigentlich diese zwei Tage genießen können. Bißchen am Pool abhängen, lesen, Mittagsschlaf, essen gehen und so weiter. Aber es ging nicht, wir waren so was von urlaubsreif ... wie ein latent vorgeschädigter Backenzahn. Einem gesunden Zahn macht es nichts aus, wenn mal 'ne Eiskugel kommt und dann heißer Kaffee, aber der Vorgeschädigte flippt aus. Und so ging es uns. Jede Kleinigkeit ging uns auf den Zeiger. Ob die
Bedienung das Essen lustlos anschleppte, dann seelenruhig Messer und Gabel abwusch bis das Essen kalt war, ob grölende und kreischende Kinderhorden von privilegierten Franzokken den Pool vollurinierten - diese ganzen tausend Kleinigkeiten, es reichte nun wirklich Wir brauchten keinen Urlaub in Mallorca, mit läufigen Friseusen und brünstigen Handwerkern, Schnaps und Lärm, wir brauchten auch keinen Meditationsurlaub im Himalaja oder Survivaltraining im Dschungel - was wir brauchten war Alltag. Den ganz normalen, europäischen Alltag mit Terminen, Verabredungen, Aufgaben - hendelbarem, positiven Streß - das Gefühl, Dinge zu bewegen und auf die Reihe zu kriegen. Die Schweizer begannen uns leid zu tun - nein, das eigentlich weniger - wir verstanden ihr Handeln bloß so schwer. Noch ein halbes Jahr in Abidjan und jeder Tag geht nach dem Frühstück nicht weiter - grauenhafte Vorstellung. Wir hatten schon keinen Bock mehr auf die restlichen paar Stunden... Aber sie gingen vorbei. Wir veranstalten das dritte Abschiedsessen mit den Schweizern, die uns noch zum Flughafen brachten. Wir verabredeten uns zu einem vierten Abschiedsessen in Herbst in Südafrika. Ein letzter afrikanischer Moment auf dem Airport. Ein letzter Schwarzer drängte sich uns auf und behauptete, die Maschine sei überbucht und nur mit seiner Hilfe könnten wir noch eine Platz ergattern. Nicht mit uns, Junge, dafür waren wir zulange hier. Er lief uns ständig hinterher, behauptete, unser etwas übergewichtiges Gepäck wäre nur durch seine Nähe ohne Mehrkosten durchgelaufen und ich sagte ihm, er solle sich verpissen. "I don't need a guy like you, black man, to find my way on an airplane." Er guckte mich ganz böse an und ich grinste. Dann wünschte er mir eine safe journey und ging weg. Ich rief ihn zurück, gab ihm meine letzten tausend CFA so wollte ich mich nicht aus Afrika verabschieden ... LISSABON
Dann begann ein seltsames Erlebnis. Der Flug war ereignislos, was ich bei Fliegen liebe, aber es war, als käme man von einem Trip runter. Besonders beim auschecken und bei der ersten Fahrt durch Lissabon. Die Collage aus Bildern und LSD-artigen Eindrücken aus Westafrika wurde schon während des Fluges bei Roastbeef und geräucherter Gänsebrust zu einer Erinnerung - schon leicht diffus und irreal. Auf einmal stimmten die Bilder wieder mit den Erwartungen und bekannten Schemen überein, wir verstanden alles
wieder, alles paßte. Chrom, Glas, Laufbänder, Rolltreppen, kein Müll, keine Nervtypen, keine Korruption, Geldautomaten, neutraler Geruch, ausgeschilderte Wechselkurse - so kennt man's und so war es immer gewesen und so gehört es. Das Taxi sauber, keine Gefahr, sich die Hose an einer Polsterfeder aufzureißen oder ähnliches, man kann sich einfach übermüdet und tranig reinfallen lassen. Die Autos normal, mit heilen Scheinwerfern und Glas in den Fenstern, ohne Kühe im Kofferraum oder Ziegen auf dem Dach, nicht hoffnungslos überladen. Sie halten an rote Ampeln, es gibt Verkehrsschilder, und es wird nicht ständig gehupt. Keine Müllberge, keine Marktstände, keine schlafenden Menschen überall, keiner kackt auf die Straße, keiner labert dich an, keiner beachtet uns. Der Taxifahrer nett, gepflegt angezogen, regulärer Taxameter. Er bringt uns zu einem netten und preiswerten Hotel, keinem Rattenloch, das dem Bruder seines Onkels gehört, bietet uns Zigaretten an, fährt keine Umwege, rast nicht lebensgefährlich und ist einfach ok. Im Hotel bekommen wir ein Zimmer, wie es sich gehört, zu einem angemessenem Preis. Keiner ist mürrisch, keiner ist lustlos, jeder bemüht sich um unser Wohlergehen. Man fragt, ob wir zu frühstücken wünschen. Das Frühstück ist in Ordnung, nichts fehlt, kein Nescafé und im Preis inklusive. Wir klönen mit einem New Yorker NBC-Jornalisten. Erzählen ihm von Afrika. Er ist ganz geplättet von Schilderung ganz alltäglicher Eindrücke. Wir lachen mit ihm und seiner Frau, fühlen uns zu hause, sie wünschen uns Glück. Wir lassen während des Frühstücks das Gepäck unbewacht an der Rezeption stehen - wie selbstverständlich - das kannst in Afrika nicht machen. Die Desorientierung ist weg, wir bewegen uns auf sicherem Terrain, hier gehören wir hin, hier fühlen wir uns geborgen und sicher - EUROPA. Nüchtern, sachlich, funktionierend, vertraut unter bewölktem Himmel. Der Trip in doppeltem Wortsinn war hier zu Ende, der Sprung nach Hamburg nur noch Formsache. Ich vergaß meine Jacke am Kleiderständer. Sie war nicht weg, sondern wurde mir nach telefonischem Avis ins Zimmer nachgebracht - es wird nicht lange dauern, und diese Dinge werden mir nicht mehr auffallen, so, wie sie mir die letzten dreiundvierzig Jahre nicht aufgefallen sind. Wir waren etwas platt vom Nachtflug, und nachdem wir ein paar Stunden Schlaf nachgeholt hatten, fuhren wir mit der Taxi in die City. Lissabon war für mich früher ein big adventure gewesen, jetzt kam dieses Gefühl nicht im Keim auf. Nur, daß uns standartgemäß
auf der Straße Dope angeboten wurde - in Afrika nie, mit Ausnahme von etwas Ganja in Gambia. Insofern haben die Schwarzen ja recht, wenn Europa für sie in erster Linie Drogenproblem heißt, wenn man denn in einem Maße unaufgeklärt ist, daß man Haschisch und Marihuana immer noch für ein Drogenproblem hält. Wir flanierten umher, wir suchten das Café auf, in dem ich seinerzeit zu Frühstücken pflegte und wollte traditionsverbunden meine Stiefel polieren lassen, es gab aber keine Schuhputzer. Wie es mit Erinnerungen meistens ist, sie kommen nicht zurück und sind nicht oder nur sehr begrenzt auffrischbar. Das Gefühl des Ungewöhnlichen wie bei der Ankunft war schon jetzt verschwunden. Ich erinnerte Lissabon und die Portugiesen als ein wenig schläfrig und langsam in ihrer Aktion, jetzt kamen sie mir hellwach und wieselflink vor. Wir besuchten den Zoo, um noch ein paar Tiere zu Gesicht zu bekommen und fragten uns, was deprimierender ist: Wenn alle Tiere aufgefressen werden oder wenn man sie einknastet. Wir landeten schließlich in der Kindervorstellung im Delphinarium, drehten eine Runde in den Schwebekabinen und fuhren ins Hotel zurück, um satelitenmäßig die Bundesligaübertragungen zu verfolgen. Das war's nun erstmal wirklich. Am nächsten morgen flogen wir einfach nach Haus und warteten auf die Ankunft des Wohnmobils im Hamburger Hafen ... URLAUB IN HAMBURG
Es kam wie es kommen mußte. Noch ziemlich afrikanisiert erkannten wir zwar alles sofort wieder und das Bekannte und Vertraute erfaßte uns binnen Stunden, aber wir versackten recht arg. Anfangs agierten wir noch verhältnismäßig schwunghaft, besuchten Freunde, holten Infos ein, bis das Schiff aus Abidjan den Hafen erreichte, ohne unser Auto an Bord. Na Toll ! Vergessen zu verladen oder so ... Ohne das Fahrzeug war es sinnlos, die Weiterreise zu planen - das überstieg unsere Möglichkeiten. Wir feierten die Nächte durch, verschliefen die Tage und bekamen nichts auf die Reihe. Außerdem war die Glückssträhne weg. Wir hatten zwar kein Pech, das wäre zuviel gesagt, aber eben auch kein Glück. Nichts lief, und wir, als Touristen in der eigenen Stadt, wollten uns auch nicht in langfristige Projekte verstricken um uns nicht den letzten Elan für den Wiederaufbruch gen Afrika zu nehmen. Die Wochen gingen ins
Land, das Geld wurde weniger, ohne das irgendwas passierte. Afrika war schlagartig wieder ganz weit weg. Wir telefonierten mit Overlander-Sue aus England, die mittlerweile wieder im UK angekommen war. Schlimme Nachrichten. Einer von zwei englischen Ärzten, mit denen wir Sylvester in St. Louis im Senegal gefeiert hatten, war bei einem Police-Check im Kongo erschossen worden. Die Nachricht von diesem Mord deprimierte uns ziemlich. Die englischen Ärzte waren im wahrsten Sinne des Wortes gute Leute, die ein halbes Leben studiert hatten, um den Schwarzen in Afrika zu helfen und schon bei der Anreise durchsiebt sie irgendein Arschloch in Uniform bei einem dieser sinnlosen Bullenkontrollen. Und wer sie gekannt hat weiß, daß sie mit Sicherheit nicht den geringsten Anlaß geliefert hatten. Erst Monate später, auf einem Campingplatz in Walvisbay, hörten wir einige Hintergründe dieser Geschichte. Angeblich hatten die Engländer einen Mitfahrer aus Südafrika dabei. Bei einer dieser Bullenkontrollen, bei denen es um irgendwelchen Schwachsinn ging, wurden 10.000 CFA für eine angebliche Übertretung verlangt. Es kam wie üblich zu einer langen Diskussion, bei deren Verlauf sich dieser Betrag auf 40.000 CFA erhöhte. Also von dreissig Mark auf einhundertzwanzig Mark. Man war dann schließlich doch an dem Punkt angekommen, es bei zehntausend zu belassen, und ob die nun gezahlt wurden oder nicht, der Südafrikaner zeigte den Bullen einen Walkman, mit dem er den Dialog mitgeschnitten hatte und drohte, diesen den Vorgesetzten vorzuspielen. Sicher gibt dieser Umstand niemandem das Recht, dies mit der Schußwaffe zu verhindern, aber es erklärt die Eskalation. Die Engländer mit dem Südafrikaner fuhren erst weiter, die Bullen nahmen dann doch die Verfolgung auf und erschossen den Fahrer, den englischen Doktor, bei dieser Verfolgungsjagd. Es folgte Verhaftung, die Frau des Doktors mußte noch einen ganzen Tag und einne ganze Nacht neben der Leiche ihres Mannes im Gefängnis verbringen, bis ein Mitarbeiter der englische Botschaft eingeflogen kam und sie aus dieser scheußlichen Lage befreite. Am Ende wegen dreißig Mark, aber so kann man es nicht sehen. Man muß sich einfach manchmal wehren, und wenn es eben nur wegen dreißig Mark ist. Sicher sehr ungeschickt, Tricks, die in einem gesicherten Rechtsstaat funktionieren mögen, ausgerechnet im Kongo anzuwenden, aber wer weiß wie es wirklich war, wir hörten dies wiederum auch nur um drei Ecken.
Zurück nach Hamburg. Im Hafen vertröstete man uns auf das nächste Schiff, welches mit zweiwöchiger Verspätung endlich den Hamburger Hafen erreichte - mit unserem geplünderten Wohnmobil an Bord. Es erwies sich als geschickt, daß wir die Kiste so vollgestopft hatten. Der Schaden hielt sich in Grenzen, da die Diebe nicht überall herankamen, aber wir hatten ihre Gelenkigkeit unterschätzt. Es gab doch noch einiges, was erreichbar war, und das fehlte natürlich. Aber immerhin, das Auto war da, wir konnte die Planung der Weiterreise beginnen und ganz langsam begannen wir damit, eines nach dem anderen anzupacken und uns um einen Termin für eine Neuverschiffung nach Cape Town zu kümmern. Die Euphorie, die Vorfreude, das Gefühl, einen Traum zu verwirklichen, welches wir bei der erste Abreise empfunden hatten, stellte sich nicht ein. So ist das eben mit verwirklichten Träumen. Ganz sicher verliert man den Traum und was man dafür erhält ist ungewiß. Wir hörten zwar viel Gutes über die vor uns liegenden Länder und es sah wirklich so aus, als ob wir das Übelste wohl größtenteils hinter uns hatten, aber so richtig überzeugen konnte uns das alles nicht. Klar, einerseits lockte Afrika angesichts des mit Sicherheit stattfindenden nordischen Winters auch sehr, aber imgrunde hatten wir wenig Lust, das zur Zeit angenehm milde Sommerwetter hinter uns zu lassen und wieder Extremwerten ausgesetzt zu sein und wir wollten auch nicht das bekannte, zurückhaltende, sichere und komfortable Europa verlassen um wieder von morgens bis abends vollgelabert und vorgeführt zu werden. Und ganz so locker und nett kann es in den sogenannten problemlosen Ländern nicht sein, wie uns folgende DPA-Nachricht ahnen ließ: 04.07.1997 14:07 bas361 4 pl 112 vvvvb dpa 0300 Simbabwe/ SIMBABWISCHER EX-PRÄSIDENT WEGEN SEXUELLER VERFEHLUNGEN VOR GERICHT. Harare (dpa) - Der frühere Präsident von Simbabwe, Pastor Canaan Banana, muß sich wegen Sodomie, versuchter Sodomie und Vergewaltigung in elf Fällen vor Gericht verantworten. Das teilte Generalstaatsanwalt Patrick Chinamasa am Freitag mit. Bei der Verurteilung eines früheren Adjutanten Bananas wegen Mordes war im März herausgekommen, daß der Ex-Präsident in seiner Amtszeit 1980-87 den jungen Beamten wiederholt
vergewaltigt hatte. Der heute 35jährige Jefta Dube war von den Kollegen als "Bananas Frau" gehänselt worden und hatte im Zorn einen Polizisten getötet. Er kam mit einer zehnjährigen Freiheitsstrafe davon. Banana hatte drei Monate lang zu den Vorwürfen geschwiegen. Erst im vergangenen Monat bezeichnete er sie als "ein Leichenschmaus voller krankhafter Lügen". Und als wenn dies nicht schräg genug wäre - allein der Name - , kommt von DPA eine halbe Stunde später eine Korrektur der Nachricht. 04.07.1997 14:40 bas387 4 pl 43 vvvvb dpa 0381 br 0300 Simbabwe/ ( BERICHTIGUNG - EX-PRÄSIDENT - HARARE/1407 ) Der frühere Präsident von Simbabwe, Pastor Canaan Banana, muß sich wegen Analverkehrs, versuchten Analverkehrs und sexueller Belästigung ( nicht Sodomie, versuchter Sodomie und Vergewaltigung ) in elf Fällen vor Gericht verantworten. Na bitte, alles halb so wild, da scheint sich nicht ein einziges Tier beschwert zu haben. Hätten wir einem Mann Gottes auch gar nicht zugetraut. Findet sich hier zwischen den Zeilen eine Erklärung dafür, daß wir in Westafrika so gut wie kein Tier zu Gesicht bekommen hatten. Wie dem auch sei, nun war uns klar, daß Disziplin erforderlich war und wir unsere Planungen forcieren mußten: Der Ruf des "Abenteuer Wildnis" war unüberhörbar. Wir wußten nun schon besser, was wichtig ist und was nicht. Von dem Verkauf einiger Mitbringsel aus Afrika besorgten wir allerlei Krimskrams auf den Flohmärkten, um diese bei Kontrollen zu verschenken. Wir sammelten Sperrmüll und Altkleider ein als Ballastmaterial für die erneute Verschiffung und wir ließen vieles zu Hause, was sich als Unnütz erwiesen hatte. Langsam fanden wir zu alter Form zurück, wurden wieder etwas eloquenter und damit begannen die Dinge seltsamerweise, eigentlich vielmehr logischerweise, auch wieder zu funktionieren - Fortuna war uns ebenfalls wieder gewogen - wir arbeiteten uns ein, die Zeit begann zu rasen und wir stellten eine Weiche nach der anderen Richtung Fortführung unserer Unternehmung. Was wir auch taten, es stellte sich nicht die geringste Reiselust ein. Je näher der Tag des Abfluges rückte - das Wohnmobil war bereits auf den Weg gebracht - desto bockloser wurden wir. Wir wachten morgens auf, das
Hamburger Wetter im August 97 war einfach nicht zu überbieten, setzten uns auf die Terrasse, schauten auf den See vor unserer Haustür, die Sonne kam langsam höher und wir frühstückten im Halbschatten. Wir fühlten uns nur wohl, es gab nicht den geringsten Grund, diese Umgebung zu verlassen und die Lebensqualität schlechter und teurer werden zu lassen. Es gab nichts, was wir entbehrten, tagsüber schien die Sonne, die Nächte waren angenehm warm, fast heiß, die Stadt hatte mediteranes, wenn nicht tropisches Flair und wir mußten uns gegenseitig die Schrecken des Winters vergegenwärtigen und uns zu Disziplin mahnen, um nicht ernsthaft eine Verschiebung der Abreise ins Auge zu fassen. Es wäre sehr unklug gewesen, das Wohnmobil länger als nötig im Hafen von Kapstadt rumstehen zu lassen. Aber es war nicht nur das Wetter und die von uns als genial empfundene Umwelt, es waren auch einige Fernseh-dokumentationen über Afrika, die uns motivationsmäßig nach hinten warfen. Nichts so sehr die Berichte über Unruhen in Kenia fuckten uns ab, natürlich auch nicht die bekannten Bilder von athemberaubenden Landschaften und freilebenden Tieren in den südlichen und östlichen Ländern Afrikas, es waren im wesentlichen zwei Berichte über Westafrika. So ein geschönter Müll, daß wir harte Zweifel am Wahrheitsgehalt der Berichterstattung aus den anderen Ländern bekamen. Der erste Bericht handelte über Mali, speziell über eine kleine Fähre über den Niger, wie wir sie oft genug gesehen hatten. Der Reporter war ganz hingerissen von der "Philosophie, die in der Ruhe des Müßigganges und des asketischen, moslemischen Lebens" steckt, oder so ähnlich - ausgerechnet an dieser bescheuerten Fähre. Gezeigt wurden ein paar Schwarze, die noch nie was anderes taten und auch nie etwas anderes tun werden als tagein, tagaus auf ihrem verrosteten Schrotthaufen abzuhängen, sich von Moskitos stechen zu lassen, kargste Mahlzeiten zu sich nehmen und dafür Allah rund um die Uhr auf den Knien zu danken. Zwischenzeitlich warten sie darauf, daß sich ein Fahrzeug mit Touristen blicken läßt, um diese in abstruse Preisverhandlungen zu verwickeln und mit tagelangem Fährstreik zu drohen. In jedes sinnentleerte Wort, was diese Leute in übelstem französisch dem Kamerateam auf penetrantes Befragen antworteten, wurden Weisheiten interpretiert. "Stein schwarz, schwarz wie Haut von Bruder Mohammed. Welt weiß, weißer Mann kommen, weiß wie Sand von Sahara, bringen schwarzem Mann Leben und Tod."
Und so weiter ... Wie tiefgründig, welch ungeheure Aussage ! Dem Zuschauer, der es ja in der überwiegenden Zahl noch nie selbst gesehen hat, entsteht der Eindruck, daß sich ihm eine geheimnisvolle, okkulte arabisch-schwarze Welt voller Weisheiten eröffnet, untermalt von malerischen Sonnenuntergängen zu schönen Klängen und Gegenlichtaufnahmen von Eingeborenen, die ruhig und wissend in die endlose Weite der Landschaft blicken. Die Wahrheit ist eine andere. Der stoisch dreinschauende Typ ist wie alle kurz vorm einnicken und was er sagen will ist in etwa sowas wie "Du Tubab und ungläubig und du mußt ein schlechtes Gewissen haben und ich will dein Geld". Was er sonst noch redet ist geprägt von diversen schweren, aus Geldmangel unbehandelt gebliebenen Malariaerkrankungen, die Spuren hinterlassen haben, und der Rest ist Elend, Tristess, Hoffnungslosigkeit und religiöser Wahn. Da gibt's nix zu verklären. Warum tut der Berichterstatter das ? Glaubt er das selbst oder wird er den Bericht sonst nicht los - wer weiß ... Der zweite Bericht war auf seine Art noch härter. Es ging um die Elfenbeinküste, Schwerpunkt Abidjan. Der Berichterstatter war Jean Pütz - dieser unausstehlich oberlehrerhafte Kerl, der im Dritten die Hobbythek moderiert - und es ist hilfreich, ihn sich vorstellen zu können. Da rennt er mit der Kamera durch die Gegend und steckt alles begeistert in den Mund, was man ihm anbietet. Und er findet alles supergeil. Leckeres Maniok. Welch Geschmacksvielfalt, welch raffinierte Zubereitung ! Er findet es sogar oberdufte, wenn ihn eine Horde Gören verfolgt um ihm überteuert irgendein angebliches Nahrungsmittel anzudrehen, welches er bezahlt und dann den Kindern zurück gibt. Solche Geschäfte wiederum begeistern natürlich die Kinder über alle Maßen. In einer Tour rennt das gleiche schwarze Mädchen durchs Bild und Misjöh Pütz ist sichtlich verliebt und so ist sein Bericht. Da steht er dann mit dem gutgenährten Besitzer einer Ananasplantage vor der Kamera, beißt in eine Ananas und ihm scheint bald einer abzugehen. Er kann seine tuntenhaftige Begeisterung anläßlich dieser Ananas nicht mehr zügeln und tölt strahlend "ün Delikatess, hmm, ün Delikatess". Da wird einem doch schlecht, da muß einem schlecht werden. Er braucht den dicken Besitzer ja nicht unbedingt nach dem Lohnniveau seiner Feldarbeiter fragen oder nach dem Verbleib des Regenwaldes, der vor der Ananasplantage da war, aber er hätte wenigstens erwähnen können, daß er auf dem Weg dahin mehrfach in Scheißhaufen getreten ist.
Wir haben dann abgeschaltet, denn dieser Film führt bös in die Irre. Er vermittelt, daß es eine Reise wert sei, Abidjan oder die Elfenbeinküste zu besuchen und das ist es nicht, wenigstens nicht mit der Begründung, die in diesem Beitrag suggeriert wurde. Am Ende noch aus kulinarischen Gründen, und das ist nun wirklich ein ganz übler Scherz ... Tja, und wie sieht es hinsichtlich der Authentizität der Berichte aus anderen Ländern aus. Wir wußten es nicht, aber wir werden es herausfinden. Anyway, wir flogen los - bereits bei der Abreise von leichtem Heimweh geplagt - dafür ganz sicher, diesmal keine übertriebenen Erwartungshaltungen zu haben und das ist immerhin die beste Voraussetzung, nicht enttäuscht zu werden. Es ist das gemeine am Reisen; es zwingt einen, die gewohnte und vertraute Umgebung zu verlassen. Wir flogen ca. fünfzehn Stunden und es ist ein seltsames Gefühl zu wissen, daß jede Flugstunde uns Wochen kosten wird, die Strecke zurück zu fahren. Mit der Ankunft in Kapstadt begann die Rückfahrt. SÜDAFRIKA
Wir erreichten Kapstadt morgens um acht. Kühl, Dauerregen, Berufsverkehr. Wir nahmen uns ein Taxi und ließen uns in ein Mittelklassehotel ins Zentrum bringen. Nichts von dem, was wir auf dieser kurzen Fahrt sahen, hatte irgend etwas mit dem zu tun, was wir bislang in Afrika zu Gesicht bekommen hatten. Eine penibel saubere Stadt, gepflegte Einfamilienhäuser in den Vororten, Fußgängerpassagen, Hochhäuser, Chrom, Glas, Restaurants, teure Boutiquen, Kaufhäuser, Banken und Supermärkte im Zentrum. Alles wie zu hause, selbst das Schwarz-Weiß-Gemisch auf den Straßen war so, wie man es auch in einige Stadtteilen in Hamburg vorfinden kann. Ein sehr softer Übergang, man fühlt sich erstmal gleich heimisch. Keiner spricht einen an, es regnet wie im April in Norddeutschland und die Temperaturen sind auch entsprechend. Ebenso die Preise. So ging es letztes Jahr auch los. Bei strömendem Regen nach Afrika eingereist und in Marokko hat man uns erzählt, daß es Glück bringt, bei Regen in Afrika anzukommen. Hat es ja auch - rückwirkend betrachtet. Und auch der erste Teil der Reise begann mit Warten bei üblem Wetter. War es in Spanien die grüne Versicherungskarte, so ist es diesmal das Wohnmobil. Wieder lagen
ein paar sehr ruhige Tage vor uns. Wir hatten nichts zu tun, warteten auf die Ankunft der "Blue Master" und schliefen erstmal den Jet-Lag aus dem Körper. Das durchgängig miese Wetter bescherte uns so viel Ruhe wie wir sie gar nicht haben wollten. Es hatte vorerst keinen Sinn, die Stadt zu erkunden und so lagen wir mit Ausnahme kleiner Ausflüge in umliegende Restaurants ganztägig im Bett und lasen und sahen fern. Und erneut, wie an der Elfenbeinküste, stolperte ich bei der obligatorischen Afrikalektüre über einen Artikel von Andreas Altmann, dem Autor des Buches "Weit weg vom Rest der Welt" und wieder begeisterte mich seine Art der Berichterstattung. Wir reisen den sichersten Weg, der sich anbietet - bloß nicht das Schicksal herausfordern - er macht es anders, er sucht den härtesten Weg, geht dahin, wo es brenzlig wird - nach Liberia, nach Lagos - und auch in Südafrika treibt er sich in den dunkelsten Ecken rum. Niemals würden wir wissend unseren Arsch für eine Briefmarke - oder wie er, für eine Story - riskieren. Südafrika ist nun doch ein Land, indem es wohl leichtsinnig wäre, wie Rendsburg-Klaus einfach drauflos zu düsen und ansonsten nicht die geringste Ahnung von den geschichtlichen Zusammenhängen und Hintergründen zu haben. Gerade die jüngsten Entwicklungen - Stichwort: Ende der Apartheid - haben zu bizarren Resultaten geführt. Es ist nicht meine Intension das sollte bereits deutlich geworden sein - im Rahmen dieser Reisebeschreibung ethnisches, geschichtliches, politisches oder sonstiges Buch- oder Schulwissen weiter zu geben - bloß kein weiteres unsachliches Sachbuch - aber Südafrika geht nicht ganz ohne und bei einer einfachen Durchreise wird das eigene Erleben hoffentlich - nicht reichen um einen halbwegs adäquaten Eindruck von den Hintergründen dieses Landes zu erfahren - und unser Anspruch diesbezüglich ist ohnehin nicht gerade hoch angesetzt. Außerdem verhält es sich bei Südafrika anders. Dieses Land ist nicht irgendeines, es hat Bezug zu meinem eigenen Leben, wie Marokko, bloß ganz anders. Ich bin nicht nur einmal durch die Straßen gerannt und habe gegen die Rassentrennung demonstriert, Rockkonzerte besucht, weil sie unter dem Motto "Free Nelson Mandela" standen und jahrelang Produkte aus diesem Land aus gleichen Grund boykottiert. Also werde ich ein bißchen bei Andreas Altmann klauen, zu Überschneidungen mit selbst Erlebtem wird es garantiert nicht kommen, denn wo dieser Mann sich aufhält, werden wir keinen Fuß
hinsetzen. Warum gerade dieser Artikel. Weil er meines Erachtens gut ist und weil es egal ist, welches Glied einer Kette man betrachtet, man erkennt das Prinzip und ahnt, wie das Ganze aussieht. Der Artikel handelt von einem Zug zwischen Soweto und Johannesburg, der täglich eine halbe Million Schwarze zur Arbeit transportiert. Auf diesem Zug werden jährlich ein paar hundert Mitfahrer ermordet, kein einziger Weißer fährt je mit diesem Zug. Erschossen, erstochen, erschlagen und aus dem Zug geworfen. In dem GEO-Bericht, der übrigens sensationell bebildert ist, heißt es auszugsweise: (...) "Südafrika hat viele Kriegsschauplätze. Ein Krieg findet in den Zügen zwischen Johannesburg und den Townships statt. Als lebensgefährliche Strecken gelten die beiden Strecken durch Soweto im Südwesten der Stadt. Hauptkriegszeiten sind Montag bis Freitag, morgens zwischen 5 und 7 und abends zwischen 17 und 19 Uhr. Täglich riskieren ein paar hunderttausend Pendler als potentielle Opfer ihr Leben. Alles Schwarze. Während der gesamten Zeit, während wir mit ihnen unterwegs sind, sehen wir nie einen Weißen. Auch in der ersten Klasse fährt hier keiner von ihnen in die Dritte Welt. Doch, eine Ausnahme: der Zugführer. Nur in Begleitung von zwei mit Schrotflinten bewaffneten Bodyguards betritt er die Plattform. "Die Killer der Schwarzen sind immer andere Schwarze." Die Indizien für diesen Satz sind erdrückend. Viele Weiße im Land mögen ihn. Er lenkt ab. Er beruhigt sie. Er ist irgendwo wahr, halb wahr. Die andere Hälfte der Wahrheit sind die weißen Hintermänner, die ihre schwarzen Arbeitnehmer, die Henker, mit Waffen, Geld und Alibis versorgen. Es braucht Zeit, bis man solche Zusammenhänge erkennt. Angefangen hat die schwarzweiße Vergangenheit in diesem Land vor langer Zeit, im Jahre 1660, als die ersten europäischen Siedler sich zu einem folgenschweren Schritt entschlossen. Sie legten eine lange, hohe, dichte Mandelhecke an. Da, wo sie landeten. Damit sie unter sich bleiben konnten. Und die anderen, die Nicht-Weißen, draußen. Dieser Dickicht aus bitteren Mandeln war aller Anfang von Apartheid. Auch Soweto liegt hinter dieser Hecke. Zwei, vielleicht drei Millionen Schwarze leben hier auf knapp 100 Quadratkilometern. Eisenbahnschienen zwischen den South West Townships und dem 25 Kilometer entfernten Johannesburg wurden gelegt. Um sicher zu stellen, daß der Schwarze als Arbeitstier erhalten bleibt. Denn
Soweto ist arm und arbeitslos. So war es beabsichtigt, so ist es noch heute. Wer überleben will, muß in die große Stadt. Morgens rein mit dem Zug, abends raus. Immerhin dürfen Schwarze jetzt in der ersten Klasse sitzen. Seit August 1990. Wichtiges Datum, da gleichzeitig die meisten Apartheidsgesetze abgeschafft wurden. Drei Wochen später fällt der Startschuß für das, was nun als "train violence", als Gewalt in den Zügen, Schlagzeilen macht. Seit Staatspräsident de Klerk die Macht übernahm, wird er von weißen Nationalisten beschimpft. Die Aufhebung der Rassentrennung betrachten sie als Hochverrat. Daher greifen sie ein. Am 13. September 1990 verläßt um 17.04 Uhr ein Zug nach Soweto den Hauptbahnhof. Zwei Stationen später betreten acht Männer einen Waggon und legen los. Das Massaker dauert vier Minuten. Dann liegen 26 Niedergeschossene oder Erstochene zwischen 106 Verwundeten. Die schwarzen Täter verschwinden, die Überlebenden schweigen. Das erhöht ihre Überlebenschancen. Niemand wird verhaftet, niemand verurteilt. Darum kümmern sich die Auftraggeber. Und sie kümmern sich auch darum, daß des weißen Mannes Lieblingstheorie im Gespräch bleibt: die barbarischen Wilden, die durch die Züge rasen, um Stammesfehden auszutragen. Soweto ist vermint. Mit Zeitbomben. Sechs davon sind "men's hostels", Männerwohnheime, die direkt an den Bahnhöfen liegen. Dort hausen Zulus, mindestens 50 000. Stacheldrahtumzäunt und gehaßt von allen anderen. Einsame Männer, deren Frauen und Kinder in den fernen Krals im Homeland KwaZulu leben. Sie gehören zum zahlreichsten Volk Südafrikas und zu den tapfersten, erbarmungslosesten Kriegern. Schwarze Arier, die alles Fremde beargwöhnen. Es dauert, bis sie uns Zutritt gewähren in ihre Flachbaracken mit Eisenpritschen, Paraffin-verrußten Wänden und versauten Außentoiletten. Auf den Dächern sammelt sich der Schrott der letzten Jahre. Autowracks stehen herum, jeder Quadratmeter Erde ist dreckig, jeder Blick strengt an. Fliegen wimmeln in der Grube mit fauligen Kuhschädeln. Daneben wird gekocht. Das Fett zischt, jemand brät Innereien, ein anderer rührt den Kuhmagen um. Wir sind eingeladen. Die Zulus stehen unter schwerem Verdacht. Viele halten sie für die Eisenbahnmörder, gedungen von rechten Regierungskreisen und ultrarechten Splittergruppen. Ihre Wut und Isolation sind unübersehbar. Bei unserem dritten Treffen holen sie ihre traditionellen Waffen aus ihrem Spind: Stöcke, Speere, Schilde.
Plötzlich vibriert der Raum von ihrer Erregung. Sie tanzen, sie grölen, auf ihren Gesichtern der Bierschweiß eines langen Sonntagnachmittags. Ihr Haß gilt Mandela, seinem Volk, den Xhosa, seiner Partei, dem ANC. Wieder fällt auf, daß ein solcher Haß vor dem Sommer 1990 nicht existierte. Daß Aversionen bestanden, aber keine Bereitschaft zu Lynchjustiz, zum mordhungrigen Amoklauf. Und, daß diese Aversionen planmäßig mit gezielter Fehlinformation und stillen Geldüberweisungen zum nackten Haß herangezüchtet werden. Nur pulkweise gehen sie morgens zum Zug. Um sicher zu sein. Um Angst zu machen. Sie belegen immer die letzten drei Waggons, ausschließlich. Die Männer dösen, müssen wie ihre Todfeinde zur Arbeit. Maurer, Ausfahrer, Krankenpfleger, Parkwächter, Bankangestellte. Steigt die SAP zu, die South African Police, um Passagiere nach Waffen zu durchsuchen, erledigen sie das bei den Zulus mit vorsichtiger Zurückhaltung. Man fragt zuerst den "Induana", den zuständigen Zulu-"General", nach seinem Einverständnis. Erst dann beginnt der - nachlässige Sicherheitsscheck. Abends, wenn sie zurückkehren, ist ihre Stimmung gelöster. Auch bedrohlicher. Sie strecken ihre Fäuste nach oben, verlassen in Marschformation den Zug, warnen mit einem wilden, bösen Gesang jeden, der sie unterschätzt: "we can't alow to be ruled by a Xhosa" wir lassen uns von keinem Xhosa regieren. "We Zulus, we are the strong and big nation. Shoot, shot the enemy, kill, kill the enemy, fight, fight, fight." Das sind Augenblicke, in denen sie unberechenbar stark sind und alles hassen. Auch ihr gemeines Leben, auch den Stacheldraht, der dieses Leben einzäunt, auch uns, die sie plötzlich für Freunde des ANC halten. (...) Auf der Strecke zwischen den beiden Soweto-Stationen Mzimhlope und Phomolong zogen fünf Männer ihre Waffen hervor und fragten jeden, welchem Stamm er angehöre. Wer nicht akzentfrei in Zulu antwortete, wurde standrechtlich hingerichtet. Eine apokalyptische Panik brach aus. Die versiegelten Verbindungstüren erwiesen sich als Todesfallen. Aberwitzigerweise versiegelt, um zu verhindern, daß Zug-Killer schlachtend durch alle 14 Waggons marodieren." Und Altman fährt mit seinem Fotografen Ken tatsächlich auf diesem Zug mit, diese Wahnsinnigen. Nachdem sie im ersten Waggon eine Fuhre abgedrehter christlicher Sekten erlebten, was noch ganz freundlich abging, wechseln sie in den nächsten:
(...) "Das war für längere Zeit das letzte Mal, daß wir so hautwarm begrüßt wurden. In den vorderen Wagen, in denen sich die Mitglieder des ANC, des African National Congress, befinden, will keiner uns lieben. Auch hier singen sie, trampeln auf den Boden, pochen gegen das Eisen. Auch sie schreien, aber Schlachtrufe und den wütenden Blues ihres langen, zähen Kampfes: "Daddy Mandela, tell the world that we are dying for Afrika." Immer kommen sie auf uns zu, fragen barsch nach dem Grund unserer Anwesenheit, verbieten das Fotografieren, verdächtigen uns der Kollaboration mit weißen Kopfjägern und schwarzen Verrätern, denen Kens Fotos angeblich als Vorlage dienen sollen, hören nie hin, bezichtigen uns grundsätzlich der Lüge und Falschaussage. Einmal kommt es zum Eklat. New Canada Station, 6.10 Uhr. Sie drängen uns hinaus, schieben uns ab. Sofort greift Polizei ein, verlangt, daß jeder einzelne aus dem Waggon tritt, um nach Waffen durchsucht zu werden. Über hundert, die sich bereits auf dem Bahnsteig befinden, schwingen die Fäuste, beginnen mit stierem Blick den Toyi-Toyi, "the dance of defiance", Ausdruck von Trotz und lauerndem Widerstand. Die anderen klemmen von innen die Tür zu, weigern sich, dem Lautsprecherruf folge zu leisten. Ken und ich sind vergessen. Was sich hier Bahn bricht, ist der pure, alte Haß zwischen Machtlosen und der Macht. Die Polizei feuert eine Tränengaspatrone in den Waggon, die Türen öffnen sich schlagartig. Jeder wird durchsucht. (...) Wer sich einige Zeit in Soweto aufhält oder drüben, am Südostrand von Johannesburg, in den nicht weniger tristen Townships um Katelong und Kwesine, da, wo sie auch aus dem Zug fallen, der wird erfahren, daß es eine spezifische "train violence" nicht gibt. Es sieht nur rasanter aus, wenn jemand blutüberströmt bei 70 Stundenkilometer auf dem Gegengleis aufschlägt. Ein Schauplatz der Barbarei, nie der einzige. In diesen Gegenden finden sich überall Leichen. Daß ein System dahinter steckt, ein schwerbewaffnetes System reaktionärer Dunkelbirnen, die sich für einen demokratischen Frieden zwischen Schwarz und Weiß nicht interessieren, ist längst bittere Realität. Daß dieses System gerade dann zuschlägt, wenn entscheidende politische Aktionen in Richtung eines "neuen Südafrika" stattfinden, dieses Timing läßt ahnen, wie todernst es die Anhänger knüppelharter Apartheidspolitik meinen. (...) An diesem Samstag, nachts, verbringen wir eine Acht-StundenSchicht in der Notaufnahme des Baragwanath-Hospitals, des größten
Krankenhauses von Soweto und ganz Schwarzafrikas. So ein Besuch macht dankbar. Im 15-Minuten-Takt werden sie hier eingeliefert. Alles dunkelschwarze Körper. Die, die kein Glück hatten. Dafür haben sie zwei Kugeln in der Lunge, neun Messerstiche im Rücken, eine Spalte im Schädel, eine Blutlache im plattgeprügelten Gesicht. Oder nichts, nur noch ein totes Herz. Zweimal waren wir schon hier, immer mit der Information, daß einer den Sturzflug aus dem Zugabteil überlebt hatte. Wir sahen keine Überlebenden. Nur die Totenscheine von Männern, deren geschundene Leiber drei Stunden länger durchhielten. Nicht alles ist schwarz und rot in meinem Gedächtnis. Nach dieser Nacht erinnere ich mich auch einiger weißer Ärzte, junger Profis, die "farbenblind" und unsentimental dunkle Hautfetzen heilten. Und ich erinnere mich eines Satzes, den ich vor kurzem in einer Polizeistation in Soweto entdeckte. Er hing als achter und letzter eines EthikKodexes an der Wand. Eingerahmt, verglast, hieß es da: "Würde. Behandle stets jedermann mit Würde". Links unter stand winzig der Name der Druckerei und das Datum: 1.7.1991. Eine Spätgeburt. Aber immerhin, irgend jemandem fiel der so lange verschollene Satz wieder ein. Dreihundertunddreißig Jahre nach dem Tag, an dem sie die Hecke hochzogen." Das soll es an Abgekupfertem gewesen sein, wer mehr dichte Informationen will über den Niedergang von Joh'burg seit dem Sommer 1990, den durchgeknallten Buren, den Homelands und was es sonst noch über Südafrika zu berichten gibt, soll sich das GEOSpezial-Südafrika besorgen oder andere, ausreichend verfügbare Lektüre. Für uns heißt es erstmal nur: ein wenig Obacht ! Cape Town ist nicht Südafrika. Aber das wußten wir vorher. Die erste gute Nachricht hierzu war die, daß es die Homelands Transkei, Ciskei und Bobhuthatswana als eigenständige Staaten nicht mehr gibt. Es gibt dort folglich auch keine eigenen Briefmarken mehr und wir können uns den Weg dorthin sparen. Bezüglich der Transkei wurden wir bereits in Hamburg vom Schiffsmakler gewarnt: "Tut mir einen Gefallen und fahrt nicht in die Transkei. Da haben die Schwarzen ein neues Hobby entdeckt. Sie werfen gerne Steine von Straßenbrücken. Angeblich haben sie damit aufgehört, seit sie versehentlich das Auto von Mandelas Fahrer getroffen hatten, aber genau weiß man das nicht." Wie auch immer, das muß uns nun nicht mehr beunruhigen. Obwohl es anderseits auch bescheuert aussieht, auf dem Bogen drei
weiße Felder zu haben, aber was sollen wir machen ... wer zu spät kommt, den bestraft die Post. Das stimmt allerdings so nicht ganz. Wir sind nicht zu spät, sondern zu doof. "Wir" ist auch schon wieder falsch. "Ich" muß es heißen. Die Vorbereitung des Bogens war ganz allein mein Job. Seit 1990 gibt es die Homelands nicht mehr als selbständige Staaten, ich hätte es also wissen können und bin insofern aufgrund nachlässiger Vorbereitung für die drei leeren Felder ganz allein verantwortlich. Allerdings wurden sie offiziell erst vier Jahre später aufgelöst und die Postwertzeichen behielten ihre Gültigkeit bis ins Jahr 1995 hinein, was nichts entschuldigen soll. Außerdem, um die Nichtleistung perfekt zu machen, hatte ich auch noch ein viertes Homeland übersehen: Venda. Wirklich lausig ! Mal sehen, ob's da noch was nachzubessern gibt. Einer Ahnung folgend habe ich auf dem Bogen zwei optionale Freifelder gelassen, falls sich während unserer Reise ein neues Land gründen sollte oder wir über eines stolpern, von dem wir vorher nichts gehört hatten. Eines diese Felder kann Venda kriegen, für den Fall, daß wir noch VendaMarken auftreiben können. Zurück zu Cape Town. Das Wetter stabilisierte sich, und wir genossen optimales, sonniges und frisches Frühlingsklima. Wir nahmen Kontakte zu dem hiesigen Schiffsmaklerbüro der "Blue Master" auf, nahmen uns einen Agenten für Zoll und Hafenformalitäten und erfuhren, daß wir zwei Tage Verspätung in Kauf nehmen mußten. Ärgerlich, damit rutschen wir möglicherweise ins Wochenende und jeder Tag warten kostet uns 100,- DM extra an Hotelkosten. Andererseits bleibt es auf die Strecke gerechnet im Rahmen dessen, mit dem man rechnen muß. Wir machten eine Stadtrundfahrt mit einem englischen Overlanderbus und vertieften unsere flüchtigen Eindrücke der Stadt. Sie ist phantastisch. Englische und holländische Altbauten im Topzustand zwischen modernen Hochhäusern, Parks und Gärten und im Straßenbild Leichtigkeit, Zurückhaltung und Offenheit. Die Weißen kommen hier nicht nur als Businessmen oder Touristen vor, es gibt zudem Hippies, Rocker, Freaks, Penner und Punker. Die im Innenstadtbereich anzutreffenden Schwarzen scheinen integriert und verhalten sich völlig anders, als wir es bisher erlebt hatten. Mit einem Wort normal. Keiner quatscht einen an oder rotzt einem vor die Füße, nicht einmal dieses Hinterherzischen - Sssst Sssst - mußten wir hören. Sie machen Musik in den Straßen, gehen ihren Jobs nach,
haben Souvenirstände und fallen nicht auf. Eine multikulturelle Stadt, wie man sie sich vorstellt, ein Spritzer London, eine Idee Amsterdam, ein Hauch Barcelona und einen ganz kleinen Touch Afrika - faszinierend. Auch Casablanca könnte einem entfernt einfallen, wenn es sauberer und geordneter wäre. Es gibt ein striktes Ladenöffnungsgesetz und um 18.00 Uhr schließen in der City alle Läden, inklusive der Restaurants und die Innenstadt stirbt innerhalb einer halben Stunde aus. Wer dann noch Hunger hat, muß an den Hafen, frisch zu einer Touristenamüsiermeile ausgebaut, perfekt, glatt, gekonnt. Oft wurden wir von weißen Einheimischen gewarnt, nicht nachts um die Ecken zu ziehen, aber diese Warnung scheint ihrer Lieblingsparanoia zu entspringen, Angst vorm schwarzen Mann zu haben, seit dieser sich frei bewegen darf. Uns hat dies in Cape Town nur ein müdes Lächeln abgerungen. Wie in jeder Stadt hat man selbst für seine Sicherheit zu sorgen, aber besondere Maßnahmen sind keinesfalls erforderlich. Es paßt einfach nur ins Bild einiger, in diese Richtung Stimmung zu machen. Boomtown Kapstadt. Mit Blick auf die Bewerbung für die Olympiade 2004 wird gebaut was das Zeug hält. Über dreißig große Hotels befinden sich im Bau. Wir buchten einen ganztägigen Ausflug zum Kap der guten Hoffnung per VW-Bus, um auf Wunsch eines Daheimgebliebenem ein blödes Foto zu machen. Wir am Kap der guten Hoffnung, grinsend vor einem Schild - muß irgendwie sein. Dieser Kleingruppenausflug bewirkte zwei Dinge. Er brachte unsere Reislust zurück und machte uns klar, wie ungemein wichtig uns die Freiheit ist, die uns das Wohnmobil bietet. Die Fahrerin gab sich tierisch Mühe, keine Information auszulassen und sie hätte es ohne Schwierigkeiten geschafft, einem Pferd ein fünftes Bein an den Körper zu sabbeln. Namen, Storys, Fakten, Hintergründe - Südafrika animiert dazu. Jedes Haus, jede Ecke, jeder Strauch ist erklärungsbedürftig. Haben ihn die Buren gepflanzt oder waren die Holländer vor den Engländern da oder gar die Franzosen, Schlacht von sowieso, Sklaven aus Indien und Moslems zu irgendeinem Zweck, weiß der Geier woher, irgendwann eingeführt. Überflutet von einer Informationsschwemme aus uferlosen Themen. Ein einziges Puzzle, von dem wir nicht wirklich wissen wollten, wie es zusammen paßt. Nenn mich ignorant, aber es ist viel angenehmer, eine Kassette eigener Wahl einzuschieben und mit Rock & Roll die Küstenstraße entlang zu düsen und dort zu stoppen, wo man es selber will.
CAPE OF GOOD HOPE
So fuhren wir in ungewohnter Besetzung ans Kap der guten Hoffnung. Wir waren nicht die einzigen, die eigens des Idiotenfotos wegen angereist waren. An einem Holzschild schieben sich die Massen vorbei, mit Pkws, großen und kleinen Bussen angekarrt. Läuft alles sehr diszipliniert ab. Kameras werden getauscht - können sie mich mal bitte, ich werde dann auch gerne von ihnen ... aber selbstverständlich - und so tritt jeder einzeln oder zu zweit, je nach dem, hinter das Holzschild - klick - während die Wartenden einen angemessenen Abstand halten, damit keine Fremden ins Bild kommen. Wir taten es ihnen gleich. Aber es gibt auch aufregendes am Kap, das sind die Affen. RockerPaviane warten, nein, lauern auf ankommende Touristen und sie erinnerten uns an Westafrika. Sie sind heftig drauf - voll auf Aggro und sie sind aufdringlich, ätzend und nervig. Wenn sie Uniformen an hätten würde man glauben, in Nigeria in einen Policecheck geraten zu sein. Sie entern das Auto und zerpflücken alles, was ihnen in die Finger gerät. Alles Eßbare kann man sofort vergessen und man hofft, keine Handtasche im Auto liegen gelassen zu haben. Gerne verschwinden sie mit solchen Dingen auf nimmer-wiedersehen in den Felsen. Wenn man versucht sie zu verscheuchen, nehmen sie sofort Angriffshaltung an und scheinen so etwas zu sagen wie "Komm her du Arschloch, wenn du was aufs Maul haben willst" und zeigen dabei ihre beeindruckenden Zähne. Bloß keinen Streß mit denen. Und sie bluffen nicht. Wenn man nicht schnell genug verschwunden ist, setzen sie nach, schlagen einen und reißen an den Klamotten - man glaubt es nicht. Als wir wieder in den VW-Bus stiegen, ging Annett als erste. Ein Pavian drängte uns andere kreischend und um sich schlagend ab und sprang ins Auto. Ein Blick genügte, und Annett wußte, daß sie besser ruhig auf der hinteren Sitzreihe verharrt und sich nicht bewegt. Da saß er nun und begann seine Filze. Beim Handschuhfach angekommen gelang Annett ein Sprung ins Freie. Trickreich sind die Jungs obendrein. Wir versuchten, ihn mit einem Apfel aus dem Auto zu locken. Er sieht mich mit dem Apfel, stürzt auf mich zu, so daß ich den Apfel sofort wegwerfe. Man darf nicht denken, daß er den Apfel nimmt und ihn ißt. Er greift ihn sich, rennt wortwörtlich im Affenzahn zum Auto zurück, vertreibt den, der gerade versucht, die Schiebetür zu
schließen mit Schlägen und verspeist den Apfel gemütlich auf dem Fahrersitz während er eine Kameratasche untersucht. Der Affe hat die Regie und man muß warten, bis er etwas Interessanteres entdeckt hat und sich das nächste Opfer sucht. Wir waren froh, daß er in dem leeren Auto des Tourveranstalters saß und nicht in unserem Wohnmobil. Er hätte Tage gebraucht, dort alles auseinander zu bauen und Lebensmittel zu suchen. Er wäre auch ganz schön fündig geworden. Wir fuhren weiter die Küstenstraße entlang. Erneut fühlten wir uns an Spanien erinnert. Kleine Orte in Buchten, Restaurants, Bars, Surfer, Hypermercados und statt Haziendas englisch oder holländisch geprägte Gebäude. Keine hundert Meter vom Ufer entfernt spielten Wale, prusteten, zeigten ihre Heck- und Schwanzflossen - das war es, was wir brauchten und mit diesen freien Riesengeschöpfen kehrte sie zurück, die Lust zu reisen, Dinge zu sehen, unterwegs zu sein und immer weiter zu fahren. Pinguine bevölkerten einen Teil des Strands, sie sind alles andere als scheu und der Zaun diente nicht ihrem Schutz, sondern dem Schutz der Anwohner und des nahegelegenen Golfplatzes, auf den sie trotz Zaun hin und wieder laut quakend Ausflüge unternahmen und unfeine Spuren hinterließen. Netter Ausflug, nun wurde es aber Zeit, daß das Wohnmobil ankommt, wir hatten tierisch Bock Südafrika, Namibia und Botswana zu bereisen - Walfisch-Bay, Skeleton-Coast, Sun-City, Nationalparks. Weniger erregend empfanden wir die Aussicht auf Angola - Briefmarkenpflichtprogramm. Wenn alles so wäre wie diese Kapregion, dann wäre unser Unternehmen allerdings auch unspannend und von vorne herein eine Luftnummer. Als würde man eine Briefmarkenkollektion der Benelux-Länder oder Skandinaviens anbieten. Hier kann jeder hinfahren und für Geld alles kriegen, was er haben will, es ist keine Nervensache, keine Herausforderung, keine Erfahrung - alles ist beliebig wiederholbar. Es ist einfach nur nice and easy - but we like it ... Außerdem: Mit Sicherheit wird sich das wieder ändern. Vielleicht noch nicht in Angola oder Mozambique, aber ganz bestimmt in Ruanda, Burundi, Sudan und was noch alles anliegt, da oben, in der Mitte und im Norden Afrikas. Vorläufig waren wir jedoch weiter auf stand by und die Ankunft, beziehungsweise die Aushändigung des Fahrzeuges rutschte tatsächlich ins nächste Wochenende rein. Also Montag. Kein
gewöhnliches Wochenende, denn an diesem Freitag sollte die Entscheidung fallen, welche der fünf Bewerberstädte für die Olympiade 2004 den Zuschlag erhalten sollte. Cape Town veranstaltete dazu eine Riesenparty über Teile der Innenstadt, in deren Mitte unser Hotel lag. Wir hatten mittlerweile unsere Rundgänge institutionalisiert, immer gingen wir die gleichen Straßen ab, tranken Kaffee und aßen Kuchen in dem selben Café und kamen uns vor wie Rentner, die nichts mehr auf dem Zettel haben und täglich dem gleichen Ritual folgend die Zeit totschlagen. Alle Museen hatten wir durch, alle Parks abgeschritten und um schon einmal etwas sinnvolles zu beginnen, starteten wir die Suche nach den Briefmarken der eingemeindeten Homelands. Aus dem Telefonbuch suchten wir Briefmarkenhändler raus und begannen sie abzutelefonieren. Gleich der erste war ein älterer Herr, Hamburger, der vor über vierzig Jahren auswanderte und seitdem nicht wieder in Deutschland war. Seine Muttersprache war etwas verkümmert, von englischen Worten durchsetzt und mit einem englischen Akzent versehen. Ich freue mich eigentlich immer, wenn ich im Ausland Deutsche treffe und noch mehr, wenn es Leute aus Hamburg sind und umso mehr, wenn es um geschäftliche Dinge geht, da meist lokalpatriotische Gefühle umgehend die Abläufe erleichtern. Ich bekam ihn tagelang nicht zu sehen, wir telefonierten nur recht häufig und er unterrichtete uns über den Stand seiner Bemühungen, vier mal eintausend Briefmarken der ehemaligen Homelands zu besorgen. Ein anscheinend nicht ganz einfaches Unternehmen, will man nicht Katalogpreise bezahlen, was uns bei der Menge zu teuer gewesen wäre. So blieb Raum für Phantasie, was mag er für einer sein, wie sieht er aus - seine Stimme am Telefon war heiter, er lachte viel und klang gar nicht alt, obwohl er von einem Sohn in meinem Alter berichtete und somit nicht mehr der Jüngste sein konnte. Viele der Weißen in diesem Land haben Blut an den Fingern, soviel ist bekannt, und jetzt, in der Defensive, sind viele ein bißchen kleinlaut geworden - und ausgesucht freundlich. Ich stellte mir vor, wie es gewesen sein muß, als ausländische Touristen nach dem Zweiten Weltkrieg zum ersten mal Deutschland bereisten und sich fragten, was der gemütliche Herr Wirt oder der zuvorkommende Herr Amtsgerichtsrat wohl während der Nazizeit gemacht hatten. Täter, Opfer, Mitläufer - was war seine Rolle in dunklen und noch nicht ganz vergangenen Zeiten. So ging es mir mit Charles, dem
Briefmarkenhändler, wie er sich nannte, da Karl-Heinz für Südafrika ein zu schwieriger Name sei, und manchmal kam ich mir regelrecht schäbig vor, ihn, der sich wirklich Mühe gab uns zu helfen, derart meinen unfundierten Verdächtigungen auszusetzen. Er hatte seinen Hof voll Tiere, Rebhühner, Eichhörnchen und Katzen, um die er sich täglich mehrere Stunden kümmerte und deswegen gerne Amusitäten mit den weißen Nachbarn in Kauf nahm. Aber dann immer diese kleinen Anzeichen. "Wer was werden will im Leben, der muß redlich arbeiten, das hat mein Vater mir so beigebracht", "ich hatte mal einhundert Schwarze unter mir, die faule Bande. Sie haben mich gehaßt, denn bei mir wird gearbeitet und nochmals gearbeitet, etwas anderes gibt es gar nicht" und dann dieses enthusiastische Gerede von der Todesstrafe - "gleich an die Wand, solche, das ist meine Meinung. Was sagst Du, Peter, häh ..." Solche Sätze lassen bei mir alle Lampen angehen. Genau wie "Ordnung muß sein". Inhaltlich nicht übermäßig verfänglich und obendrein zweifellos richtig natürlich muß Ordnung sein - aber ausgesprochen ist dieses Wahrheit nicht mehr neutral, sie wird penetrant und immer die unsympathischsten Existenzen bedienen sich dieser Floskeln. Er beschäftigte mich und wir waren gespannt, wie das erste Zusammentreffen wohl verlaufen werde, unausweichlich, wenn wir dann mit den Briefmarken ins Geschäft kommen sollen. Vorläufig beschränkte sich der Kontakt jedoch aufs Telefon und erst einmal rüstete Cape Town für die Big Olympics Party. Rüsten ist genau der richtige Ausdruck. Die ersten Anzeichen für das vorstehende Ereignis waren neben dem Errichten einer Bühne vor dem Parlamentsgebäude das auftauchen von martialischen Sicherheitskräften. An den Straßenecken standen panzerähnliche Bullenwagen, wie ich sie noch gut von den Fernsehbildern aus den alten Apartheidszeiten erinnere, wie sie durch die schwarzen Wohnsiedlungen heizen und von ihnen aus die Baracken stürmten. In den Straßen und durch die Fußgängerzonen patrouillierten paramilitärisch ausgerüstete Polizisten, hoch zu Pferd und mit Maschinenpistolen bewaffnet, jeweils in Zehnergruppen. Der Festplatz wurde weiträumig abgesperrt und überall uniformierte Sicherheitskräfte, Schwarze und Weiße, die jedoch sehr unauffällig und mit Augenmaß agierten. Wir beobachteten in der ersten Policeline, die zur Absicherung des Parlamentsgebäudes diente, einen besoffenen schwarzen Penner, der dort ein Nickerchen machte
und hin und wieder aufwachte, herumtorkelte und wieder einschlief direkt in der ersten Reihe vor der Nase der Polizei. In Deutschland wäre man gegen ihn vorgegangen, angesichts der vielen Kamerateams aus der ganzen Welt, die überall herumwuselten ganz bestimmt, aber sie ließen ihn gewähren. Sie versuchten ihn sanft zu wecken in der Hoffnung, daß er, erstmal wach, verschwinden möge, aber als sich diese Hoffnung nicht erfüllte, wurde nicht nachgehakt. Bemerkenswert. Wenn es keine weiteren Gründe geben sollte, diese Beobachtung war für uns ein Grund, Cape Town die Daumen zu drücken, daß dem Wunsch nach der Ausrichtung der Olympischen Spiele entsprochen werden solle, wie segensreich auch immer dies sein möge. Die Stadt hatte einen kostenlosen Busverkehr eingerichtet, der Menschen aus allen Richtungen ins Zentrum beförderte. Zum ersten mal wurde deutlich, daß die Schwarzen in der Überzahl sind und die Stadt füllte sich ab den Mittagsstunden mit Tausenden, die man hier sonst alltags nicht zu sehen bekommt. Bunt gekleidet, mit Fähnchen und Luftballons und Transparenten. Bereits am Nachmittag spielten Rockgruppen, welche die schon vielzähligen Besucher immer wieder zu Sprechchören aufriefen so wie "Cape Town, wir haben es geschafft" und "Cape Town, Stadt der Olympiade 2004". Die Entscheidung sollte um sieben Uhr verkündet werden und fragte man bei besonnenen Einwohnern herum, so war absolut nicht klar, wie das Votum ausfallen wird, insbesondere deshalb, weil jüngst ein Bestechungsversuch in dieser Angelegenheit seitens Cape Towns offenkundig wurde. Optimisten waren sich sicher, daß man Mandela, der immerhin 27 Jahre seines Lebens mehr oder weniger seiner Hautfarbe wegen in südafrikanischen Gefängnissen verbracht hat, diesen Wunsch nicht werde abschlagen mögen und als weiteres Plus erkannten sie, daß es noch nie eine Olympiade in Afrika gab. Warum wohl ?! Sie wähnten sich am drannsten. Die Spannung dieser Entscheidung erreichte auch uns und wir waren vor allem gespannt, wie die Menge, derart auf Siegesstimmung aufgeputscht, auf eine Ablehnung reagieren würde. Der positive Fall war leicht vorstellbar, Riesenparty eben mit allem Guten und Schlechten, was so etwas mit sich bringt. So liefen wir auch auf den Platz, schon um einmal Nelson Mandela live zu erleben. Die Massen waren euphorisiert, die Stimmung auch ein wenig feierlich wie beim letzten Spiel von Bernd Hollerbach, und
auf einer Großbildleinwand wurde die Bekanntgabe der Entscheidung des olympischen Komitees übertragen. ATHEN. Eine spürbare Welle der Enttäuschung ging durch die Menschen und die Stimmung zerplatze wie die sprichwörtliche Seifenblase. Erstaunlich, wie schnell die überwiegend schwarzen Besucher nach doch relativ kurzer Zeit der Beendigung ihres Martyriums der Rassendiskriminierung ein solch hohes Maß an Identifikation mit der Stadt ihrer ehemals weißen Unterdrücker aufbringen. Was sie aber noch dringend lernen müssen - das hat ihnen jeder St. Pauli Fan voraus - ist, mit Stil zweiter Sieger zu sein. Auf der Bühne wurde noch zu "Viva, President Mandela, Viva"- Sprechchören animiert, um wieder etwas Schwung in die verpatzte Feier zu bringen, aber erfolglos. Die überwiegende Mehrheit der siebzigtausend und nahezu alle Weißen zogen unmittelbar nach Bekanntwerden ruhig ab, aber es blieben noch genügend zurück, um jetzt in langsam umgeschlagener, aggressiver und alkoholisierter Verfassung den Sicherheitskräften und der Ambulance ordentlich Arbeit zu verschaffen. Unötig zu erwähnen, daß die geplante Rede Mandelas unter diesen Umständen nicht statt fand. Wir schlenderten zurück ins Hotel und wurden sofort gebeten, in dieser Nacht aus sicherheitstechnischen Gründen nicht mehr das Haus zu verlassen. Etwas übertrieben, wie wir fanden, aber wir hatten es ohnehin nicht vor. Im Fernsehen sahen wir uns noch die Liveberichte über das Fest an, Gequetsche, rennende Menschen, Blaulicht, Blut und Verletzte und während wir von draußen die Sirenen der Unfallwagen und der Polizei hörten, fanden wir die Entscheidung gegen Cape Town ganz in Ordnung - die Stadt scheint nicht reif für solche weltweiten Großereignisse. Noch nicht oder nicht mehr. Die scheinbare Normalität im täglichen Straßenbild existiert nur dann, wenn die nicht vorhandene Mobilität und die Preise der öffentlichen Verkehrsmittel verhindern, daß sich in der Stadt ein sich proportional zum Bevölkerungsdurchschnitt befindliches Schwarz-Weiß-Gemisch bewegt. Schade. Es kursieren auch viele Wortspiele mit Cape Town. Zwei davon. Die Lokalpatrioten sprechen gerne von Es-Cape Town, die ständigen Warner vor Überfällen von Rape Town. Ist dieser Nacht schien uns Rape Town zumindest vorstellbar. Der nächste morgen begann ungewohnt hektisch. Um sieben klingelte das Telefon und unser Hafenagent klingelte uns - an einem
Sonnabend ! - aus dem Tiefschlaf und scheuchte uns in den Hafen. Er hatte es möglich gemacht, daß die Arbeiter unser Auto nicht über's Wochenende wegschlossen sondern es uns aushändigten. Ebenso hatte er einen Zollbeamten aufgetrieben, der extra unseretwegen ankam und den Stempel ins Carnet setzte. Ohne Schmiergeld, pünktlich und freundlich. Wahrlich, das ist nicht das Afrika welches wir kennen gelernt hatten. Natürlich war die Kiste erneut von der diesmal philippinischen Schiffscrew aufgebrochen worden, aber sie bedienten sich des bereits demolierten Fensters als Einstieg, welches wir in weiser Voraussicht nur mit Tesaband verklebt hatten. Diesmal waren wir schlauer gewesen und hatten Köderkoffer mit Altkleidersammlungen ausgelegt, die sie auch dankend annahmen. Das alte Mofa, verkeilt durch zwei Kühlschränke und zwei Fahrradfragmenten, beschwert mit zwei alten Sesseln verhinderten wirkungsvoll weiteres Vordringen und versperrte die Schranktüren und das sogenannte Badezimmer - ich hasse das Wort Feuchtzelle, obwohl es zutreffender ist - erfolgreich. So entstand kein zählbarer materieller Schaden, nur verdreckt war die Kiste von innen und außen mit so etwas ähnlichem wie Sägespäne. Als wenn riesige Goldhamster es sich im Fahrzeug gemütlich gemacht hätten - merkwürdig. Na egal, wir checkten aus dem Hotel aus, nicht, ohne uns bei unserer Briefmarkenconnection abzumelden und wurden auf Dienstag vertröstet, und fuhren zum nächsten kleinen Küstenort. MELKBOOSSTRAND
Was für ein geiles Gefühl ! Endlich wieder mobil, unabhängig und umgeben von unserer gesamten Ausrüstung. Der ungewohnte Linksverkehr erforderte erhöhte Konzentration und bescherte uns die eine und andere Schrecksekunde. Etwas nervös machte es uns auch, daß wir ohne reguläre Versicherung fuhren. Unbezahlbar in Südafrika, da die Versicherungen auf eine Mindestvertragsdauer von einem Jahr bestehen und schnell mal eben vorneweg schlappe dreitausend Mark hingeblättert haben wollten. Wir verfügen wohl über ein sehr schönes, grünes Dokument - Personalcomputer können eine Menge - die wohl jeder Polizeikontrolle standhalten würde, aber im Schadensfall sieht man damit nicht so gut aus. Auch egal, wir werden in Namibia mal schauen, ob es dort fairere Angebote gibt, vorerst muß das, was wir haben, reichen. Als erstes mußte der
Ramsch aus dem Fahrzeug, er hatte seinen Zweck erfüllt und war nur noch im Weg. Wir fanden anfangs auf der Strecke keinen geeigneten Empfänger, unvorstellbar, auf der Einfahrt eines Einfamilienhauses vor der mit Hochspannung gesicherten Mauer Schrott aus Germany abzuliefern. Alles sah sehr wohlhabend aus, bis unvermittelt eine Slumsiedlung auftauchte, vor der abgerissene Schwarze umherlungerten. Papp- und Blechhütten ohne Strom und Kanalisation auf einer Fläche von vier Fußballfeldern, links und rechts Baumärkte, Werkstätten und Supermärkte. Paßte dort überhaupt nicht hin, war aber für uns wie eine Aufforderung. Wir hielten am Fahrbahnrand an, mißmutig und äußerst kritisch von den Schwarzen begutachtet, und fingen an auszuladen. Die ersten kamen angetrödelt - mal sehen was da los ist - und fragten, warum wir als Weiße beginnen, an so einem ungastlichen Ort unser Gepäck auszuladen. Wir erzählten, daß wir ihnen ein paar Sachen mitgebracht hätten, die wir zu verschenken gedenken und da gab's kein Halten mehr. Wir mußten nur darauf achten, daß sie beim Entladen nicht so sehr an den Sachen reißen, daß das Fahrzeug beschädigt wurde und, daß nicht zuviel mit raus geht. Vor dem Auto wüstes Gedränge und kleinere Auseinandersetzungen um jedes Teil wer will ihnen das verdenken und Gott sei Dank nicht unser Problem - und wir sahen zu, daß wir die Tür verschließen konnten und weiter kamen. Wieder gelang es uns gegen unsere feste Absicht nicht, die Übergabe zu filmen oder wenigstens Fotos zu machen. Geht einfach nicht, man muß zu sehr aufpassen, daß alles kontrolliert abläuft. Bis auf die Kühlschränke, die uns an einem Ort ohne Strom zu verschenken recht sinnlos erschien, gaben wir alles raus, Klamotten waren ohnehin kaum noch welche übrig geblieben. Mit dem befriedigenden Gefühl, diese Sachen doch immerhin den Ärmsten der Armen, die wir finden konnten, übergeben zu haben und nicht aus Bequemlichkeit oder eingeredeten Ängsten irgendeinen Ladeninhaber, der es nicht so nötig hat, beglückt zu haben, machten wir uns auf die Suche nach einer Unterkunft für die nächsten paar Tage. Wir mußten das Wohnmobil aufräumen und die verbunkerten Sachen auspacken und dieses Hamsterzeug mußte verschwinden. Wir fanden ein sehr ansprechendes Guesthouse unweit des Strandes mit Blick auf Cape Town in einer verträumten, ausschließlich weißen Siedlung, vergleichbar mit Zaanvord in Holland, nur noch viel gepflegter, und begannen mit Aufräumarbeiten.
Das Wohnmobil war schnell wieder hergestellt, aber die Warterei war noch nicht ganz vorbei. Die Homelandbriefmarken. Ein paar Tage waren noch rum zu kriegen. Das Wetter war sonnig, windig und kühl, die Nächte recht ungemütlich und wir gönnten uns noch die letzten Tage im Guesthouse, bevor es wieder ans Outdoor-Leben ging. Wir besichtigten schon mal einen Campingplatz. Auch hier alles bestens. Swimming-pool, Grillplätze, astreine Sanitäranlagen, Waschmaschinen, Laden, Restaurant, alles, was man sich wünscht. Wenn's nur nicht nächtens so frisch wäre, im südafrikanischen Frühling. Wir wechselten schließlich auf den Campingplatz. Warum erinnerte mich bloß alles, die Umstände, die Situation, so hartnäckig an den Beginn der Reise im letzten Jahr. Genau wie in Spanien. Alles picobello, nur hilflose, ältere Leute in ausstellungsreifen Arrangements aus Zelten, Campern und Wohnwagen, in Trainingsanzügen, natürlich nur Weiße, abends wird gegrillt. Unweit des menschenleeren Strandes des atlantischen Ozeans, klares, frühlingshaftes Wetter, aber instabil mit kühlen Nächten wie bereits erwähnt, Pizzeria ein paar Schritte entfernt und wieder kamen wir nicht weg, so wie wir wollten, da der Briefmarkenkauf von einem Tag auf den nächsten verschoben wurde. Wir hingen daher gelangweilt rum und lasen, duschten und vertrödelten die Zeit mit Tüdelkram. Seit wir in Kapstadt landeten kam es mir vor, als sähe ich einen bekannten Film zum zweiten Mal, ein Remake, etwas anders in der Aufmachung, aber mit sehr hohem Wiedererkennungswert. Selbst die Art des Träumens wiederholte sich. Schon bei der ersten Losfahrt fielen mir in den ersten Wochen die intensiven Träume auf, die mich jede Nacht begleiteten. Bloß gab's diesmal keine roten Faden oder ein Hauptthema. Letztes Jahr wiederholte sich eine Traumserie, in der es immer wieder darum kreiste, die Reise abgebrochen zu haben und ich war wieder zu hause, voll verärgert, und konnte mich nicht mehr an die Gründe erinnern, die zu diesem Abbruch geführt hatten. Dieses mal erinnerte ich mich kaum an einzelne Träume, nur wußte ich jeden morgen, daß ich mindestens einmal in der Nacht aufgewacht war in völliger und kompletter Desorientierung. Keine Ahnung wo ich war, was das soll und überhaupt. So intensiv träume ich sonst nicht. Sollten sich die Dinge weiter so dublettenhaft entwickeln, rechnete ich damit, daß dies sich wieder legen wird - es war nicht übermäßig angenehm - in den
nächsten Wochen. Tat es dann auch. Selbst das nächste Land, ja selbst das übernächste, wies Parallelen auf. Namibia entsprach Marokko. Keiner sagte etwas Negatives, jeder riet uns, dies nicht zu verpassen und unbedingt hier hin und dort hin zu fahren. Und dann Angola, wie Mauretanien - nichts Genaues weiß man nicht. Merkwürdige Beobachtung. Erstmal ging es noch einmal nach Kapstadt rein, Charles war nun so weit. Meine Befürchtungen zu seiner Person waren unbegründet. Er ist "just an ordinairy everage guy" von vierundsechzig Jahren, etwas umständlich in allem und sehr mitteilsam. "Mein Fehler war, daß ich von einem Nazi-Land ins nächste ausgewandert bin, ich habe nur nicht gedacht, daß die Nazis hier sich solange halten." Na bitte, sowas wollte ich doch hören. Wir brachten vier Stunden bei ihm und seiner Frau zu, ein beschauliches, nettes deutsches Ehepaar, zählten die viertausend Briefmarken und bekamen sie zu einem wirkich sehr fairem Preis. Afrikaans zu lernen weigerten sich beide, ist 'ne Nazisprache. All right Charles, nichts für Ungut. Am nächsten morgen konnten wir nun endlich los fahren. Wir nahmen uns vor, es sutsche angehen zu lassen, nicht mit Wecker aufstehen und Kilometer fressen. Der Reiseführer beschrieb einen bemerkenswerten Campingplatz mit Namen "The Baths" gute einhundert Kilometer entfernt. Eine sehr gemächliche Tagesetappe, aber warum nicht. Von Naturthermen in einem Tal war die Rede, von Whirlpools und diversen anderen Badegeschichten. Wir stellten uns sowas in römischem Stil vor, etwas dekadent und lasterhaft vielleicht, einen Ort, an dem man neckische Unterwasser-spielchen erfinden kann und an dem wir ein paar Tage bleiben wollten. Wir fuhren also los, sagten dem atlantischen Ozean bye bye, ihn werden wir eine lange Zeit nicht wieder zu sehen bekommen - so wie's geplant war. Im Süden fuhren wir durch Felder und Hügel, nicht ein Quadratmeter ist unbebaut, meist Weizenfelder, dazwischen gepflegteste Orte und auf den Straßen reger Verkehr. Vorbei an Gouda, Potsdam, Misverstaands und ähnlichen Orten mit seltsamen und vertrauten Namen. Schon nach den ersten Kilometern wurde uns klar, daß wir hier keine Tagesrouten planen mußten, um abends an einem bestimmten Ort anzukommen, damit wir einen sicheren Schlafplatz finden. Hätten wir als unregelmäßig regelmäßige Zuschauer der Harald-Schmidt-Show wissen müssen, ich erinnere nur an die
vielzähligen Käskoppsendungen. In einem Land, an dessen Gestaltung die Holländer maßgeblich mitgewirkt haben, gibt es natürlich Campingplätze ohne Ende. Jeder Winzort, und wenn er nur zehn Häuser und eine Kirche hat, verfügt über einen Campingplatz, auf dem ein paar Wohnwagen stehen. Apropos Dirty Harry. Wir fahren also an ungezählten Campingplätzen vorbei zu dem Ort des Badevergnügens. Ein sehr idyllisch gelegenes Plätzchen, aber doch eher was für Schwiegermutters Ischias oder Omas schlimmes Bein. Überfüllt mit älteren Herrschaften in Wohnwagen - Kurbadfeeling und wir fuhren doch lieber weiter. Hatten wir uns ganz anders ausgemalt. Nun begann die Landschaft sich zu verändern. Die Berge wurden schroffer, die angebauten Flächen seltener, der Verkehr dünner und dünner. Alles erinnerte sehr an Marokko. Die Straßen in hervorragendem Zustand, die Temperaturen bei ca. 35 Grad, die Orte lagen immer weiter auseinander. In den wenigen uns entgegenkommenden Fahrzeugen so gut wie ausnahmslos Weiße. Das Auto schuftete sich die Berge hoch auf mit dem Lineal gezogenen Aspahltbahnen, bald gab es überhaupt keine bebauten Flächen mehr. Herrlich einfach zu fahren, auf die Dauer ein bißchen eintönig, aber es ging Richtung Afrika, ganz eindeutig. Um in die Ortschaften zu fahren, muß man die N7 verlassen und fährt durch Dörfer amerikanischen Zuschnitts, wie man sie aus vielen Filmen kennt. An einer Straße im Nichts reihen sich zwei Tankstellen, ein paar Restaurants, eine Servicestation, Godfathers Pizza-House und eine Apotheke neben dem Supermarkt vor etwas zurück liegenden Häusern. In etwas größeren Ortschaften auch Kentucky-FriedChicken. Vor den Häuser überwiegend Pick-Ups. Es gibt überall Tourist-Informations, die bestens ausgerüstet sind, einem umsonst bebildertes Kartenmaterial überlassen und eifrig Kringel in die Karten malen, wo denn überall Campingplätze sind. Sehr komfortables Reisen und wie es sich für ein kultiviertes Land gehört, selbstredend ohne einen einzigen Bullencheck. Wir haben noch nicht einmal Bullen gesehen. Die erste Nacht verbrachten wir in einem solchen Ort - war ok - und tags darauf ging es noch mal um die vierhundert Kilometer bis an die Grenze von Namibia. Also wenn das nicht Marokko war, durch das wir an diesem zweiten Tag fuhren, dann weiß ich auch nicht. Dejavu, wohin das Auge blickt. Gebirge, Pampas, Pisten, die von der
Hauptstraße ins Nichts fuhren, abgelegene Ansammlungen von Häusern, so ab von der Welt, daß ich da nicht einmal tot über'n Zaun hängen möchte, und sogar winkende Menschen an der Straße. Wir entwickelten die Theorie, daß die Welt sich spiegelverkehrt ab der Äquatorlinie wiederholt. Tut sie ja auch auf gewisse Art, aber so extrem. Das mag auch der Grund dafür sein, daß hier linksverkehr ist. Man kann ohne weiteres ein Dia in Marokko machen, es seitenverkehrt in den Projektor stecken und hat eines von Südafrika. Und diese Theorie erhielt noch zusätzliche Nahrung, als wir kurz vor dem Zollhäuschen abbogen, einem Campingplatzschild folgend. Fort-Bou-Jerif. Nein, so hieß er nicht wirklich, aber er hieß "Peace of Paradise", am Ufer des Orange-River gelegen, dem Grenzfluß zu Namibia. Natürlich ging der Weg dorthin über eine 23 km lange Piste, die zunehmend schlechter wurde, sich allerdings nie so rüde entwickelte wie der Schweineweg zu Guy und Evy. Aber natürlich ging er durch Berge, befindet sich am Tor zur Kalahari-Wüste, wenn man so will, liegt malerisch vor einer gewaltigen Felswand, hat eine magische Ausstrahlung und wir trafen andere Menschen als auf den Plätzen zuvor. Weniger Touristen als Reisende. Deutsche Freaks, Studenten, Safarigruppen, Allradfahrzeuge. Haben die das alles nur aufgebaut um uns zu verwirren oder was. Auf halber Strecke fehlte selbstverständlich auch nicht das Hinweisschild, daß die halbe Strecke geschafft sei und nur noch 11 Kilometer vor uns lägen. Gibt's sowas ... Fehlte nur noch, daß ein Typ mit Schlangen um die Ecke gekommen wäre. PEACE OF PARADISE CAMPSITE
Diese Anlage ist ebenso zauberhaft wie Fort-Bou-Jerif, jedoch ganz anders. Der Chef, ein Deutscher mit einer englischen Frau, bedienen selber, bereiten Frühstück und grillen abends am offenen Feuer für die Gäste Fisch oder Fleisch, wie gewünscht, und schenken an einer kleinen Bar Getränke aus. Die Stellplätze sind von Wänden aus Schilfmatten umgeben, die so dicht mit blühender Klematis berankt sind, daß das Schilf nicht mehr zu sehen ist. Es gibt zu jedem Stellplatz einen kleinen Unterstand, in dem man sich im Schatten aufhalten kann oder sein eigenes Essen zubereiten mag. Hinter hohen Hecken sind Rasenflächen angelegt, auf denen man sich sonnen, Zelte errichten oder einfach so zusammen sitzen kann. Rings herum liegen die Duschen und Toiletten, ebenfalls durch umrankte
Bastwände voneinander getrennt und blitzsauber, topgepflegt. So auch die kleine Bar, das Gemeinschaftsküchenhaus für Safarigruppen, alles ist grün. Phantasievoll und mit Liebe angelegt. Wenige Schritte, und man erreicht die Ufer des Flußes und blickt auf riesige Felsformationen. Kanus sind zu leihen, Liegestühle stehen herum, ein Ort, der verführt eine Weile hängen zu bleiben und nichts zu tun. Kaum waren wir angekommen, fanden wir uns schon klönend mit ein paar anderen auf dem Rasen sitzend wieder. Reisende, die uns freundlich begrüßten und uns mit Nambiatips versorgten. "Ihr fahrt in ein Paradies", so war der Tenor, und "laßt euch bloß Zeit, Namibia ist zu schön, um einfach durch zu fahren." Das hört man gerne. So waren wir etwas hin und her gerissen. Einerseits lockte dieses Land mit den Elefanten, Giraffen, Löwen, Leguanen und von was noch alles die Rede war, anderseits wäre es auch schade, hier vorschnell wieder zu verschwinden. Vorerst stellte sich die Entscheidung nicht. In der nächsten Woche würden wir wieder Malariagebiet erreichen und die Prophylaxe mußte wieder aufgenommen werden. Die Erfahrung hatte gezeigt, daß wir gut beraten waren, den ersten Tag nach der Doppeldosis Pallodrin plus Resochin besser ganz ruhig zu verbringen. Und nach dieser Pause - wer weiß, was der Körper dazu sagen wird. Den ersten abend klönten wir noch hier und da, verzogen uns ins Bett und schliefen bei nicht wesentlich kühler werdenden Nachttemperaturen und leichtem Wind ganz entspannt ein. Im Hintergrund wurde Gitarre gespielt, gelacht und gesungen - die beiden Teile dieser Reise begannen zusammen zu wachsen, der break in Hamburg hörte auf, so zu wirken, als wären wir auf einer zweiten, völlig unabhängigen Tour. Es ging da weiter, wo wir aufgehört hatten - in Afrika - allerdings an einer so unvorstellbar anderen und schöneren Stelle dieses Kontinents wie es unterschiedlicher kaum sein konnte. Tagsüber überstieg das Thermometer locker die vierzig Grad, der Wind legte sich fast gänzlich und wie wir so in der Hitze dösten, Annett packte sich bei diesen Klimabedingungen in die pralle Sonne, unvorstellbar, ich dachte, das machen nur Hunde - entschlossen wir uns doch zur Weiterreise am nächsten Tag. Der Fahrtwind fehlte uns, und die Aircondition, die nur während der Fahrt läuft. Wir setzten unsere Arbeit fort, die viertausend Homelandmarken zu reißen und
einzukleben, viertausend am Stück ist heftig viel. In einem Rutsch sitzt man daran leicht einen ganzen Tag, also viertelten wir den Auftrag und schoben zwei mal 'nen Dreistundertörn Bastellei dazwischen. Von Nebenwirkungen der Prophylaxe merkten wir nichts. NAMIBIA
Am nächsten Morgen brachen wir auf. Nach Süd-West, wird gerne auch noch gesagt. Der Zoll und die Immigration nicht nur freundlich, fast lieb und ohne das kleinste Problem. Der Weg ins Paradies führte zunächst über 800 km allerödeste Einöde. Durch Grünau, Lüderitz links liegen lassend nach Marienental und weiter nach Windhoek. So wie die Kolonialherren die Länder aufgeteilt haben, so haben die Straßenplaner die Straßen plaziert. Von A nach B, kein Problem, Luftlinie die paarhundert Kilometer. Die Straßen sind kaum befahren und in einem Zustand wie neu, wir wünschten uns einen Porsche. Hatten wir aber nicht, und so teilten wir uns den Weg in zwei gemütliche Tagesetappen mit Tempo achtzig ein. Da ich mit Autoschraubereien auf Kriegsfuß bin, behandelten wir das Auto schonend wie einen Menschen und hofften, es wird sich dabei wohl fühlen und es uns durch möglichst pannenfreien Lauf danken. Servicestationen in ca. einhundert Kilometern Abstand, manchmal ein Dörfchen mit einer deutschen Kirche und dem Kaiserlichen Postamt und natürlich einem Campingplatz. Jede Tankstelle bietet eine Campiermöglichkeit, ein Restaurant, ein Hotel und kalte Getränke, Zigaretten und so weiter. Diese deutschen Ortsnamen machten uns bewußt, wie die Franzosen sich fühlen müssen, wenn sie durch ihre ehemaligen Kolonien fahren. Für uns ganz seltsam, wenn der schwarze Tankwart besser Deutsch als Englisch redet und merkwürdig, daß wir so freundlich begrüßt wurden. Die Deutschen hatten sich Mitte des neunzehnten Jahrhunderts nicht gerade wie die Sozialpädagogen benommen. Es gab Widerstand gegen die Kolonialherren, was dazu führte, daß sechzig Prozent der Gesamtbevölkerung ihr Leben lassen mußte . Der Rest hatte begriffen. Na ich weiß nicht ... Gut, ist lange her, danach kamen andere, und das waren auch keine Chorknaben, aber trotzdem ... Ein bemerkenswertes Gesetz zeugt von deren Wirken. Es ist verboten, Rohdiamanten zu haben. Schon der Besitz ist strafbar, selbst wer einen findet, hat diesen abzugeben. Bis heute hat es niemand für
nötig gehalten, dieses Gesetz einmal zu überdenken. Aber ich kenne ein Land, in dem ist schon der Besitz einer bestimmten Pflanze strafbar - kein riesiger Unterschied. Der eine verbietet einen Stein, der andere eine Pflanze - so ist es wohl, so mag's wohl sein.. Gleich im Süden ist Diamantensperrgebiet. Da setzt kein Unbefugter auch nur einen Fuß in die Nähe. De Beers trägt da seit Jahren die Wüste ab, auf 14 Metern Tiefe, um dann den felsigen Untergrund mit Staubsaugern zu reinigen, umgeben von Zäunen und High-TechÜberwachung. All diesen Sand und Schotter transportieren sie mit Lkws in riesige Anlagen zwecks schütteln und wühlen und zerkleinern, bis am Schluß Diamanten allerbester Schmuckqualität übrig bleiben. Bald sind sie damit durch, dann kann dort wieder gebadet werden. Wir rechneten uns kaum noch Chancen aus, einen kleinen Edelsteindeal auf die Beine zu kriegen, zumal wir hörten, daß es extra Spitzel gibt, die Scheinangebote machen um einen dann zu verzinken. Aber man weiß ja nie. WINDHOEK
Die Landschaft befindet sich an der Grenze zur Wüstenbildung. Steinig, flach, Krüppelgewächse, bis wir am zweiten Tag in der Hauptstadt Windhoek ankamen. Eine Stadt, die sofort gefällt. Wenig Verkehr, überall Parkplätze, sauber, voller Geschäfte und nichts ist fremd oder bedrohlich. Ich hatte noch westfrikanische Abwehrinstinkte verinnerlicht. Als wir einparkten, kam ein Schwarzer mit schnellen Schritten auf das Fahrzeug zu. In Windhoek, dem provinziellen Städtchen mit einhundertzwanzigtausend Einwohnern, läuft es natürlicher als in Kapstadt. Die Schwarzen sind nicht irgendwie künstlich ausgesondert, durch welche Mechanismen auch immer, sondern sie sind - so unser Eindruck - wie selbstverständlich im Straßenbild und verhalten sich überwiegend in keiner Weise anders als die Weißen. Kein Angequatsche, kein Herumgehänge, alles läuft so seinen Gang und man hat nach zehn Minuten das Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit, zu dessen Entwicklung es in anderen Städten wesentlich länger dauert, wenn es denn überhaupt eintritt. Überall Informationspunkte für Fremde, die einen bestens bedienen und auch die Post beachtlich. Es gibt eine Philatelistenabteilung, die extra einen Tisch mit Stempel und Stempelkissen aufgebaut hat, falls mal jemand vorbei kommen sollte, der tausend Bögen dabei hat und die
abzustempeln wünscht. Übertrifft jede Erwartung. Wir hatten sowas mal im Flax gesagt, "noch nichtmal was vorbereitet hier ...". Es sei kurz erwähnt: Briefmarkenkauf und Stempelei liefen so glatt, freundlich und witzig wie nie zuvor. Wir liefen eine Weile herum, durch Einkaufspassagen, an kleinen Läden vorbei und aßen in einem Deutschen Restaurant Schweinebraten mit Rotkohl und Spätzle. Es gibt eine Lokalzeitung in Deutsch, welche die Bundesligaergebnisse veröffentlicht und wenn man ein paar Mark ausgibt, bieten Hotels geräumige Suiten mit deutschem Fernseheprogramm an. Hätte es das in Westafrika gegeben, wir hätten sofort eingecheckt, hier fanden wir das nicht nötig. In Windhoek hatten wir noch die Visa für Angola zu besorgen und so machten wir uns zuerst auf die Suche nach einem schönen Platz als Basisstation. Drei Campingplätze stehen zur Auswahl. Einer, für den wir uns entschieden, liegt zwanzig Kilometer außerhalb. Begnadet. Er liegt in einem eingezäunten großen Park, in dem einige Tiere wohnen. Huftiere. Gazellen, Gnus, Zebras und so etwas in der Art, nichts gefährliches. Bevor man die Rezeption erreicht, durchfährt man ein Tor und erhält einen Passierschein. Mit diesem meldet man sich am Schalter und trägt seine Wünsche vor. Es gibt Rundhütten mit durchschnittlicher Ausstattung, daneben Comfort-Suiten mit jedem erdenklichen Luxus und eben Stellplätze für Camper. Diese Stehplätze verfügen über einen Grillplatz, Licht, Strom, Wasser und die Sanitäranlagen lassen keine Kritik zu. Ein kleiner Laden bietet Versorgungsmöglichkeiten, ein an einem aufgestauten See liegendes Restaurant macht feines Essen und auf einem kleinen Hügel liegt ein von Rasen und Liegen umgebenes Pool. Die Fahrzeuge stehen so, daß man zum Sonnenuntergang die Tiere beobachten kann, die sich auf einem Freifeld einfinden um zu grasen. Kleine und große, schillernd bunte Singvögel schwirren umher und setzen sich zu einem in der Hoffnung, einen kleinen Brotkrümel schnorren zu können. Je länger ich den Vögeln zuschaute, desto interessanter fand ich sie. Ich kam mir schon selbst etwas doof vor, ewig die Piepmätzer mit Krümeln zu locken und sie anzustarren, aber es gibt vieles zu beobachten. Einmal die Farben der Natur. Unfaßbar, wie schillernd und grellbunt viele sind. Und dann was sie so machen. Einige sind reichlich blöd. Schnappen sich einen Krümel, hauen ab und vergessen, wo sie ihn her hatten. Andere entdecken Krümel, machen einen Heidenlärm, der wiederum andere größere anlockt und
sie selber kriegen nichts ab. Wenn die Perlhühner überrissen haben, daß es was zu picken gibt und angezischt kommen, ist Schluß mit lustig für alle anderen, sie sind Chef im Ring. Naja, und so weiter ich will nicht zu ornithologisch werden - aber wenn's sonst kaum wichtigeres zu tun gibt kann einen das längere Zeit gut unterhalten. Paviane lungern herum, immer bereit, einen kleinen Diebstahl zu begehen, da heißt es ein waches Auge zu haben und das Auto nicht mit offenen Fenstern stehen zu lassen. Aber sie sind nicht aggressiv wie am Cape Of Good Hope, wenn man sie erwischt und sie nur scharf ansieht, hauen sie ab. Beim baden im Pool ist es ratsam, daß einer bei den Klamotten bleibt. Im Morgengrauen allerdings kamen sie regelmäßig als Bande mit Kind und Kegel, um auf dem Auto zu turnen, die Spiegel zu verdrehen und den Müll zu filzen. Wir hatten zudem genau die richtige Zeit erwischt. Kaum Touristen, ein Wetter, wie es besser nicht sein könnte, wenn man es selber hätte bestimmen können. Tagsüber angenehm warm, abends wird es kühler und nachts pendelt es sich bei 15 Grad ein. Es gibt noch Wege für ausgiebige Spaziergänge, aber das war nicht so sehr unser Ansinnen. Aber schön zu wissen, daß so etwas angeboten wird. Der Anfang vom Paradies. Nachdem es dunkel wurde und ich mir zum Tagesausklang ein heißes Schaumbad habe einlaufen lassen, saß ich da in der Wanne und während ich meinen Gedanken nachhänge, wird es mir immer unvorstellbarer, was wir da in diesen westafrikanischen Ländern hören mußten und erlebt hatten. Ich glaubte es in diesem Moment selber kaum noch. Die nächsten Tage trieben wir uns viel in Windhoek rum. Wie schon gesagt, angenehm, und auch bei längerem Aufenthalt mußten wir den ersten positive Eindruck nicht korrigieren. Wir entdeckten noch Einkaufspassagen, die sich hinter den großen in Europa nicht verstecken brauchten und wir suchten die Botschaft von Angola auf. Mit Angola sieht es nicht so gut aus und die Botschaft wirft bereits ein entsprechendes Licht auf das, was dort auf uns zu kommen könnte. Zwei Zicken schmeißen den Laden und weigerten sich, uns ein Visum zu geben. "Müßt ihr nach Bonn, das ist Gesetz." Wenn ich sowas schon höre, kommen mir die Haare durch die Strumpfhose. "Das ist Gesetz" - diesen Satz hört man immer dann, wenn korrupte oder auch nicht korrupte Wichtigtuer ihr Spielchen starten, mit ungewissem Ausgang. Diese beiden Weiber machten nicht den Eindruck, daß sie Geld haben wollten - sie waren einfach nur
Scheiße von Haus aus - und um es uns nicht gänzlich zu versauen, boten wir auch nichts an. Manchmal reagieren einige auf Bestechungsversuche übertrieben eingeschnappt, als wäre dies das Abwegigste von der Welt. Wir sahen uns erstmal den Reiseführer an, was der dazu meint. Über die Visaerteilung verliert er kein Wort, aber wir machten uns schon mal mit dem in Grenznähe befindlichen Ort vertraut, in welchem wir ein Postamt vermuteten. Schon die Wegbeschreibung: "Ab der Grenze miserable Piste mit zum Teil metertiefen Minentrichtern." Und über das Örtchen Ondjiva: "Fürchterlich zerstörte Kleinstadt." Und so geht's weiter: "Keine Versorgungsmöglichkeiten. Ein- und Ausreisestempel bei D.N.E.F.A. (Büro im Hinterhof, nahe der geschlossenen Tankstelle). Polizeikontrollen." u.s.w. Das klang ja alles ratteneinladend. Mußte das schon wieder sein ... ? Vorerst hatten wir sowieso keine Visa, aber dieses Land ohne Not einfach ausklammern und vor uns herschieben, wo wir so dicht dran waren, ging auch wieder nicht. Von Deutschland per Flieger, vorher nach Bonn, drei Wochen auf ein Visum warten - das war der Grund, warum wir keines hatten - brandteuer und auch nicht besser, als mal schnell reinhuschen, durch die paar Minentrichter. Wir konsultierten die Deutsche Botschaft, ob es dort Erfahrungswerte gäbe und was man uns rate. Wir fragten nach einer Verbalnote. Dieses Wort hatten wir bei den Gesprächen mit dem Botschaftangehörigen im Tschad aufgeschnappt und uns gemerkt, weil man mit solchen Worten immer gut Eindruck schinden kann. Eine Verbalnote ist - für die wenigen, die dies nicht wissen sollten - ein Schrieb - von Botschaft zu Botschaft - der einem Empfehlungsschreiben gleichkommt. Uns hat man es so erklärt, daß das, was drin steht, nicht wichtig ist irgendein Behördenkauderwelsch. Wichtig ist die dahinter steckende Message, die in etwa lautet: "Wir, die Botschaft aus dem Land soundso, empfehlen euch dringend, demjenigen, der diese Verbalnote vorlegt, ein Visum zu erteilen. Andernfalls wartet mal ab, was passiert, wenn der nächste aus eurem Land bei uns auftaucht und irgendwas will. Also seid friedlich und tut wie euch geheißen." So etwas wollten wir haben um der Schlampenwirtschaft auf die Sprünge zu helfen. Wir wurden aufgeklärt, daß dies nur in diplomatischen Angelegenheiten üblich sei und wir noch einmal zu den Angolanern gehen sollten um sie darauf aufmerksam zu machen, daß es ihre "bloody duty" sei, in ihrer Botschaft in Bonn
nachzufragen, ob es Einwände gäbe, und uns dann die Visa zu erteilen. Das ist natürlich ein nicht ganz den Realitäten angepaßter Vorschlag. Entweder läuft es gleich locker oder man muß Druck machen, aber betteln gehen und mit Vorschriften wedeln, damit erreicht man gar nichts außer Trotz. Egal, ob und wie wir es am Ende erreichen, sie werden sich allemal mit einer irrsinnig langen Wartezeit revanchieren. Wir gingen also wieder raus, setzen uns in ein gepflegtes Terrassenrestaurant und ließen Straußsteak mit Kroketten und Gemüse kommen. Ganz ausgezeichnete Mahlzeit. Wir entschieden, noch einmal zur deutschen Botschaft zu gehen, zu behaupten, einen zweiten, erfolglosen Versuch bei den Angolanern gemacht zu haben um erneut das Thema auf diese ominöse Verbalattacke zu bringen. Mein Jagdinstinkt war nun auch geweckt. Was schwer zu kriegen ist, will ich haben, schon um es in meine Computersammlung von sinnvollen, nachempfundenen Originaldokumenten aufzunehmen. Kann irgendwann mal nützlich sein. Am gleichen Tag war nichts mehr zu machen. Die deutsche Botschaft hatte zwar zu unserem Erstaunen auch Nachmittags für Publikumsverkehr geöffnet, aber alle waren schwer beschäftigt, da aktuell ein deutsches Militärflugzeug vor der Küste mit einem amerikanischen kollidiert war und nun ging die Sucherei nach Leichen und Wrackteilen im Atlantik los. Wir hatten darüber in der Zeitung gelesen. Emsiges Treiben, aber wir bekamen einen Termin für den nächsten Tag. So schlenderten wir durch Passagen und Fußgängerzonen um noch ein paar Dinge des täglichen Bedarfs zu besorgen und entdeckten einen Laden für Coins and Stamps. Noch mal so vorgehen wie bei den Homelands, über'n Händler...? Immerhin eine Option, falls überhaupt nichts anderes läuft. Und was machen wir bezüglich der Abstempelung? Fragen über Fragen. Leider hatte Coins and Stamps sich den Öffnungszeiten der Botschaften angepaßt, so daß wir diese Ermittlungen ebenfalls auf den nächsten Tag verschieben mußten. Als wir zum Auto zurück kamen, klebte ein Zettel an der Windschutzscheibe. Den ganzen Tag hatten wir schon Politessen durch die Straßen wieseln sehen, war uns aber egal, solange sie nicht über Krallen verfügen, und das war uns nicht aufgefallen. Aber es war kein Knöllchen, es war folgender Zettel:
Bundesliga Bar Ein echtes Sporterlebnis You are cordially Invited to the opening of Windhoek's FIRST German Sport Bar Date: 19 September 1997 Time: 17h00 till late ... Venue: Clo Goethe & Uhland Straße Come and experienece a truly sporting event. Wer keinen Bock auf Fußball hat wird kaum erahnen können, wie uns dies freute. Eine Bundesliga Bar, und wir gerade rechtzeitig zur Eröffnung anwesend. Wir hatten eine Satelitenantenne gekauft, die ab Casablanca untauglich war. Wir hatten einen Weltempfänger vom Flohmarkt gekauft, der auch nichts taugte. Seine Durchsagen klangen etwa wie. "Und nun die KRRRRRliga. Es KRRRRR der FC St. KRRRRR gegen Bayern MünchKRRRRR eins zu KRRRRR." Im Niger verkauft die Gurke. Dann für richtiges Geld einen anderen Kasten besorgt, der seinen Job auch gut erledigte, aber der FC St. KRRRRR spielte mittlerweile in der Zweiten Liga, nicht erwähnenswert für die Deutsche Welle. Also war klar, daß wir dieser Lokalität einen Antrittsbesuch abstatten werden. Alles stimmte in Namibia bis ins Kleinste und uns war es ziemlich gleichgültig, ob und wie lange sich das mit den Angolanern hinziehen wird. Es war schon immer so mit den Botschaften, sie sind tatsächlich Spiegelbild ihres Landes. Diejenigen, die sich zieren und auf wichtig machen, vertreten die schlimmsten Kackländer, beispielsweise Mauretanien, Nigeria und Ghana. Diejenigen, die ganz auf Visa verzichten sind meist auch im Land cool und locker, siehe Marokko, Gambia, Südafrika und jetzt Süd-West. Ein paar weitere lagen noch vor uns. Dieses kleine exteritoriale Gebiet der Hottentottenbotschaft von Angola erinnerte uns daran, was noch alles für afrikanisiertes Generve vor uns liegen möge und wir hatten es damit gar nicht eilig. Das Paradies hatte noch so viel zu bieten.
Nächsten Tag also wieder zur heimatlichen Botschaft. Sehr freundlich und hilfsbereit. Allerdings gab es keine Verbalnote, sondern ein Botschaftsangestellter rief bei den Angolanern an und drohte massiv. Sie blieben stur, unser Mann war echt genervt. Er fragte was wir denn überhaupt in Angola wollten, wir erklärten es ihm, nur kurz rein, erstes Postamt und schnell vom Acker. "Aha," sagte er, "dann genügt also ein Transitvisum." Natürlich, wenn man das denn Transit nennen will, und er klemmte sich noch mal an die Strippe. Nicht mal das war möglich. Er sagte ihnen in aller Deutlichkeit, daß dieses Verhalten sich sehr negativ auf die nächsten Angolaner auswirken würde und die Botschaft keine Visa für diese mehr ausstellen würde, solange sie nicht ihrerseits ihren Pflichten nachkommen würden, aber es half nichts. Es gab auch keine Erklärung, warum sie sich so anstellten, es will eh so gut wie niemand in dieses Land fahren, aber wie auch immer. Dieser Disput wird ohne unsere Begleitung fortgeführt werden müssen, wir bedankten uns für den Versuch und sagten, daß wir nun kein Interesse mehr an einem Visum hätten. Man soll die Dinge nicht zwingen, wer weiß, wozu das gut ist. Möglicherweise hätte man uns ausgeraubt oder sonst was angezettelt und es sollte wohl so sein, daß wir diesen Weg nicht nahmen. Der Briefmarkenladen entpuppte sich als Stand auf der Straße, keine Chance auf Marken aus Angola. Damit will niemand was zu tun haben. Es blieb uns nichts weiter übrig, als diesen Punkt erst einmal als unerledigt zurück zu stellen. So waren wir um zehn Uhr morgens mit dem Tag durch, und so schön auch eine Fußballsendung am Sonnabend sein kann, fast zwei Tage rumsitzen und drauf warten wollten wir nicht. Auf der Rückfahrt, wenn's paßt. Wir sattelten unsere siebzig Pferde und fuhren Richtung Etoscha-Nationalpark. Wir hätten auch kehrt machen können und Botswana ansteuern, Verpflichtungen gab es in Namibia keine mehr, aber so viele Sehenswürdigkeiten. Der EtoschaPark gilt als der schönste in Afrika und den wollten wir uns ansehen, ein paar Tage dort bleiben, allein schon, um später, im KrügerNational-Park einen Vergleich zu haben. ETOSHA NATIONAL PARK
Wir hatten nicht mehr viele Kilometer bis zum Eingang des Parks und erreichten ihn in der Mittagszeit. Ich war sehr gespannt, wie wir dieses Erlebnis empfinden würden. Natürlich hatten wir jeder schon
einmal Elefanten, Nashörner, Giraffen usw gesehen und diverse Filme mit unglaublichen Aufnahmen dieser Tiere betrachtet und oft genug hatten uns skeptische Freunde gesagt, als wir vor Beginn der Reise die tollen Tiere erwähnten "Was soll's, ich weiß, wie Löwen aussehen. Brauch ich nur in den Zoo gehen oder den Fernsehen einschalten". Ich will mich dieser Argumentation auch nicht völlig verschließen. Aus dem gleichen Grund reizt mich Amerika nicht besonders. Es ist bekannt aus unzähligen Filmen. Ich will es vorweg nehmen, es ist ein Paradies. Nicht in streng biblischen Sinne, aber selbst davon hat es was. Ein Paradies mit Buffet, Swimming-Pool, Cola-Automat und Kartentelefonen. Ich würde sagen, wie es sich für ein Paradies unbedingt gehört. Und es zählt nicht, das Kennen aus zweiter Hand oder der Besuch im Tiergefängnis. Es wäre so, als würde man hin und wieder einen Pornofilm sehen, ein Schmuddelheft durchblättern und vielleicht mal anderen hinter einer Glasscheibe zusehen - mit Händen auf'm Rücken - und dann behaupten, nun sexuell voll unterrichtet und auf dem Laufenden zu sein und daher keinen Handlungsbedarf für eigenem Aktivitäten mehr sehen. Es sind zwei verschiedene Dinge. Ich überdenke auch noch einmal meinen Standpunkt zu USA-Reisen. In dem riesigen Park leben die Tiere frei, sich selbst überlassen. Sie werden nicht angefüttert oder zu bestimmten Stellen gelockt, sie erhalten überhaupt kein Futter sondern stehen im natürlichen Überlebenskampf. Wir fuhren hinein und rollten durch die gleiche, unberührte flache Steppen- und Buschlandschaft wie sonst auch. Wir entdeckten eine Zebraherde, ein paar Giraffen und allerlei Gazzellenarten, wie sie ihren Alltag verbringen. Unser Fahrzeug war optimal, da wir etwas höher saßen als in Pkws und einen guten Rundumblick hatten. Es ist kein visuelles Erlebnis allein wie im Film, es mischt sich visuelles, akustisches und Gerüche zu einer sinnlichen Erfahrung. Wieder wäre das Beispiel Sex nicht das unbrauchbarste. Es riecht überall nach Tieren. Die akustische Untermalung überließen wir Paul Rodgers und wie wir mit Tempo 20 so durch die Gegend rollen, kommt in der Ferne ein riesiger, alter Elefantenbulle in Zeitlupentempo aus dem Busch. Er wirkt über alles erhaben, setzt mit der Ruhe und Gelassenheit eines Tieres, welches keine ernstzunehmenden Feinde hat und anscheinend alles weiß und schon immer wußte, einen Fuß vor den anderen und nähert sich langsam dem Auto, ohne es auch nur im geringsten zu beachten. Nur
unendlicher Frieden und geht von ihm aus. Paul Rodgers singt "Little Wings" und ich bekamen die Gänsehaut meines Lebens. Eine überwältigende Welle aus Emotionen, Ehrfurcht und Glück, ich muß es so pathetisch ausrücken. Thank you, Jimi Hendrix, where ever you are. Ein Hauch von Schöpfung und Ewigkeit. Solche Gefühlsmomente sind so intensiv wie flüchtig, und schon als das nächste Stück aus dem Recorder kam - Foxy Lady, nicht ganz so passend - erwachte ich quasi aus dieser Verzückung und wir setzten die Fahrt fort zu dem ersten von drei Camps. Wir stellten fest, daß wir nicht die einzigen waren. Kein Ort für Ruhesuchende, obwohl von Massentourismus und Überbuchung nicht im entferntesten die Rede sein kann. Bungalows, ein umlagertes Pool, Postamt, Supermarkt, Restaurant, Tankstelle, Wohnwagen, Safaribusse, Zelte, Toiletten- und Duschhäuser - ein kleines, eingezäuntes, komplettes Dorf. Stimmung ein wenig wie an der Ostsee in der Vorsaison. Das darf einen nicht stören, zumal wir jede dieser Einrichtungen gern in Anspruch nahmen und man kann es sich dort auch sehr gut einrichten. Es gibt natürlich Momente, die einen schlucken lassen. Dickbäuchige Familienväter in mitgebrachten Jogginganzügen aus Ballonseide zum Beispiel, die palettenweise Bier in ihre Vorzelte schleppen. Es trifft einen auch wie ein Schlag, wenn hinter einem sich auf einmal sechs Rentner aus Sachsen unterhalten, die laufend die Worte "Safari" und "Namibia" verwenden, ohne dabei ein einziges "A" auszusprechen. Das schmerzt schon. Aber wir verstanden jetzt besser, was gemeint ist, wenn gesagt wird, daß nicht alles in der DDR schlecht war. Die Sache mit der Reisefreiheit hätte man nicht so ohne weiteres ungeprüft und pauschal für jederman ändern sollen. Aber wir sahen viele sympathische Leute, klönten mit Schweizer Freaks und jungen Studenten - auch aus Sachsen - die angenehm und völlig klar waren. Safari Gruppen bevölkern diese Camps. Das Klientel meist so Anfang zwanzig, teilweise etwas jünger, und mir fiel auf, daß die männlichen Teilnehmer, aus allen Herren Ländern zusammgewürfelt, überwiegend alle gleich aussahen. Ob am Pool, beim Einkauf oder rund um ihre Zeltlager, überall sah man ein und denselben Kerl in zigfacher Ausfertigung. Kurze Haare, gerne Stoppelfrisur, glattrasiert, Standardkörper, nicht dick, nicht dünn, nicht athletisch, einfach nur aufdringlich gesund und sportiv, geboren und geschaffen zum arbeiten. Sonnenbrille, Käppchen auf, kurze Hosen, freier Oberkörper. Wie rekrutierte
Soldaten - nichts gemütliches an sich - denen man alles Persönliche genommen hatte und die nun in einer Urlaubs- und Freizeiteinheit steckten. Mir waren schon des öfteren Beschwerden von verschiedenen und sehr netten jungen Damen zu Ohren gekommen, die diesen Umstand beklagten. Nachvollziehbar, Mädels, aber ich kann es auch nicht ändern. Ich war nur froh, selbst keine Frau oder schwul zu sein, denn ich konnte mir beim besten Willen ebensowenig vorstellen, daß man mit solch einem kantigen, geclonten Arterhalter und Geldverdiener besonders viel Spaß haben könnte. Da macht weder Treue noch Fremdgehen einen Sinn. Am Ausgang des zwanzigsten Jahrhunderts beginnen die Visionen von Aldous Huxley langsam Realität zu werden. Fitness-Junkies, sie hängen an der Hantel. Morgens nach dem Frühstück machten sie mit Zwei-Liter-Flaschen nicht enden wollende Kraftübungen, um nicht an Leistungsfähigkeit einzubüßen. Das mag ja sehr vernünftig sein Jungs, aber es hat nichts. Kein Ponum, kein Feeling, keine Art, kein Stil. Auf mich wirkt es töricht und es nervt schon beim zusehen. Die Camps an sich sind spitzenmäßig gemacht. In unmittelbarer Nähe befindet sich ein Wasserloch, welches nachts beleuchtet ist. Auf Bänken hinter einer kniehohen Mauer oder auf Felsen, die bis spät in die Nacht die Wärme der Sonne speichern, kann man sich setzen und diese Wasserlöcher beobachten. Tagsüber ist es dort relativ ruhig, doch schon bei Sonnenuntergang kommen die ersten Herden von Zebras ganz langsam näher. Die Touristen stehen teilweise in Dreierreihen und machen ihre Fotoapparate und Videorecorder bereit. Blitzlicher, summen von elektrischen Zooms, ratschen von Klettverschlüssen und Kontrollpiepse der Camcorder. Mit einsetzender Dunkelheit beginnt ein ständiger Wechsel, der die ganze Nacht weiter geht. Langsam, sehr langsam. Ein Nashorn erscheint auf einmal aus dem Nichts. Noch eines. Eine Mutter mit Kind. Sie nähern sich ohne jede Eile, bleiben stehen, unbeweglich, um dann wieder ein paar Schritte zu machen und sich so langsam dem Wasser zu nähern. Sie trinken, einer legt sich hin und schläft, während ein heller Punkt im Busch auszumachen ist. Zwei, drei helle Punkte. Wiederum unendlich langsam werden diese Punkte größer und immer mehr. Eine Herde Elefanten nähert sich lautlos in einer Staubwolke im Schnecktempo dem Wasser. Der Leitbulle streckt schnuppernd seinen Rüssel in die Luft und checkt vor. Die Nashörner unterbrechen ihre Wasseraufnahme und gehen schon mal ein Stück
beiseite. Ohne Hast, ohne Angst, mit Respekt. Die Elefanten erreichen die ausgeleuchtete Stelle und stecken ihre Rüssel ins Wasser und trinken, so langsam, daß man denkt, sie sind eingeschlafen. Einige stehen minutenlang ohne jede Bewegung herum. Die vielen Zuschauer, die vorher klönten und sich gegenseitig auf dies und jenes aufmerksam gemacht hatten, waren still. Es wird bestenfalls geflüstert, obwohl dies sicher der Tiere wegen nicht notwendig wäre. Ich vermutete, daß es vielen so ging, daß sie angesichts dieses majestätischen Schauspiels das Gefühl hatten, ein wenig Zurückhaltung und Demut wäre recht am Platze und die übrigen sich anstecken ließen. Diese andachtsmäßige Stimmung löste sich, als ein Elefant einen mörderlauten und lang durchgezogenen, flatterigen Bohnenfurz abließ. Ein strenger Geruch mit ungeheurer Standwirkung wehte rüber und er hatte davon ordentlich auf Lager. Die Zuschauerreihen lichteten sich, selbst die Nashörner hatten die Nase voll und trollten sich in den Busch. Wir waren von all diesen Eindrücken ziemlich aufgeregt und an Schlafen war nicht zu denken. Wir empfanden beide sehr große Leichtigkeit und Freude, wir waren so froh, an diesem Ort zu sein, die Reise fortgesetzt zu haben und in diesem Zusammenhang war auch Westafrika wichtig. Gerade diese Erfahrungen und der Kontrast ließen uns bewußt werden, wie unglaublich schön und überwältigend dieser Kontinent ist - sein kann, sei könnte, sein sollte, sein müßte. Und wir nahmen es nicht für selbst-verständlich. Ich hatte mich schon häufiger gefragt, was denn das für Leute sind, die sich als Afrikaliebhaber bezeichnen - ich war nahe dran, sie für Perverse der unangenehmeren Art zu halten - aber hier wird jeder zum Afrikaliebhaber. Wir setzten starken Kaffee auf und liefen immer wieder zu diesem beleuchteten Wasserloch. Es sieht einfach ungeheuer surreal und faszinierend aus, wir konnten uns nicht losreißen. Der Busch, ausgeleuchtet wie eine Theaterbühne von gelblich diffusen Scheinwerfern. In dem stillen schwarzen Wasser spiegeln sich die trinkenden Giraffen, die ein Spagat machen müssen, um ihren Kopf hinunter zur Wasserfläche zu bekommen. Über allem die leuchtenden Sterne des südlichen Firmamentes. Aus dem dunklen Hintergrund ertönen Geräusche. Schreie, Heulen, Brüllen, es bewegt sich etwas, es raschelt und dann wird langsam die Kontur eines dieser riesigen Lebewesen deutlich, das sich langsam nähert. Immer wieder wechselten die Besucher, manchmal war auch über längere
Zeit keiner da, bis morgens um fünf zwei alleinerziehende Löwenmütter mit fünf Jungen ankamen. Wir waren völlig übermüdet, warteten noch, bis die Löwen sich langsam wieder verzogen hatten und schliefen sehr glücklich ein. Am nächsten Tag kamen wir erst spät hoch und machten nach dem Frühstück eine ausgiebige Rundtour auf den hervorragenden Pisten. Elefantenherden ziehen in weiter Entfernung vorbei, an den abseits gelegenen Wasserlöchern treffen sich alle möglichen Tiere, Vögel, Schakale, Hyänen, Antilopen, Warzenschweine und viele mehr. Wir fuhren bislang durch den Etosha-Park und sahen am Nachmittag erstmals die Etosha-Pfanne. Ein endloser, ausgetrockneter See, bis zum Horizont nur flach, kein Baum, kein Strauch - nur eine dicke, grünlich-weiße Salzkruste. Man könnte hier jeden Geschwindigkeitsrekord brechen oder ein Space-Shuttle landen lassen. Es wehte ein heißer, trockner, starker Wind, der mich an die Lufschleusen der Kaufhäuser im Winter erinnerte. Über der durch vertrocknete Algen leicht grünlichen Ebene flimmert die Luft und überall sieht man in dem grellen Licht der senkrecht am Himmel stehenden Sonne eine Fata Morgana neben der anderen. Immer das gleiche Motiv, wie in Marokko zuletzt. Seen mit Bäumen, ganze Seenplatten mit Wäldern, Baumreihen und Küstenlandschaften. Manchmal auch eine schwebende Insel. Viele Tiere sahen wir an diesem Tag nicht, das heiß, eigentlich schon, aber wir hielten fast nur noch Ausschau nach den "big five". Die Landschaft ist dürr und flach, nur ganz vereinzelt stehen kleine Bäume herum, unter deren Schatten sich Springböcke, Gnus und solche Artgenossen eingefunden hatten um die Mittagshitze etwas zu lindern. Zur Dämmerung gingen wir wieder zu dem Wasserloch und hatten Glück, daß sich dort gerade etwa zwanzig Elefanten eingefunden hatten, die vor der untergehenden Sonne tranken, badeten, herumprusteten, sich mit Staub bewarfen und sich wälzten. Nicht jedes Zusammentreffen mit Ihnen ist gleich und nicht jedesmal berührt es einen auf die gleiche Weise. Diese Ansammlung war heiter, ohne jedoch ausgelassen zu sein. Selbst wenn sie kleine Meinungsverschiedenheiten haben oder mit Wasser spritzen, sie tun es immer irgendwie würdevoll, langsam und cool, unglaublich cool. Wir müssen auf sie wirken, wie wir Goldhamster oder Meerschweinchen empfinden. Ohne ersichtlichen Grund mit einer viel zu hohen Herzfrequenz ausgestattet und daher immer am
hektisch sein, am zappeln und zucken, ohne jeden erkennbaren Sinn. "Nun bleibt mal ruhig", aber sie können es nicht, wir können es ebensowenig, aber Elefanten haben es drauf. Überwältigende Geschöpfe, und wenn sie so dastehen, in zehn Minuten nicht mehr tun als einmal nach vorne zu wippen und zwei mal mit den Ohren zu wedeln, dann kann man sich wirklich einreden sie wüßten was, was wir nicht wissen und was sie uns nie verraten werden. Und noch etwas, was mich in höchstes Erstaunen versetzte. Man entdeckt bei Ihnen Humor, wenn das nicht letztlich überinterpretiert ist. Ich hielt Humor immer für eine Domäne des Homo Sapiens. Spaß, Übermut, Getobe und so etwas, klar, aber Humor... Ein mittelgroßer Elefant hatte sich ein paar Schritte ins Wasserloch gewagt, war aber im Gegensatz zu seinen Artgenossen offensichtich wasserscheu und wollte auf keinen Fall zu sehr naße Füße kriegen. Da erschien wiederum völlig lautlos eine weitere Herde von vielleicht zehn Tieren, der gewaltige Chefbulle vorweg, und dieser ging direkt hinter den zögerlichen Kollegen und drückte ihn mit seinem riesige Kopf spielerisch Stück für Stück in Richtung tieferen Wassers und hatte eindeutig seinen Spaß an dieser Neckerei. Nach diese kleinen Einlage erinnerte er sich sofort wieder an seine Chefaufgaben und sorgte mit dem ganzen Gewicht seines tonnenschweren Körpers für Platz an der beliebtesten Stelle des Wasserloches, damit die kleinsten seiner Herde in Ruhe trinken und baden können. Läuft streng hierarchisch und sozial geordnet. Wir verbrachten völlig unbeschwerte und sorgenfreie Tage im National-Park. Pausierten, indem wir einen ganzen Tag das Camp nicht verließen, am Pool saßen, lasen, badeten, Vögel fütterten und uns nur bedienen ließen. Abgesehen von kleinen Spaziergängen zum Wasserloch, mal gucken was so abgeht. Herrliche, paradiesische Zeiten ! Es ist soviel einfacher zu lästern, zu meckern und zu spotten, aber es gab nicht den geringsten Anlaß, auch die nächsten Tage bestanden aus einer überwältigenden Kollage aus Bildern und Sinneseindrücken. Sonnenuntergänge, wie ich sie schöner noch nicht sah, Schwärme Tausender Vögel, die in die Bäume einfielen und dort ein unvergleichliches Konzert ablieferten, sich in den Wasserlöchern spiegelnde Herden von Zebras, Giraffen, Gnus und Gazellen, badende Elefanten, dösende Löwenfamilien, die an den Wasserlöchern zu einem Herdenstau der verschiedensten Arten
führten da sich keiner traute, nächtliche Konzerte von Grillen, Fröschen und den Geräuschen der durch den Busch streifenden Großtiere. Gerüche von Wild, Blüten und heißer, trockner Luft. Dann wieder der Luxus der Völlerei am allabendlichen Buffet. Ich habe schon an einigen Buffetts gespeist, zu Hochzeiten, auf skandinavischen Fähren und sonstigen, festlichen Anlässen, aber keines konnte sich mit denen in den Camps des Etosha-Parks messen. Vorspeisen, wie fünf Sorten kalter Braten und Räucherware, zehn Sorten Meeresfrüchte, allerlei Salate, Saucen, Früchte, Käse, Oliven, Spargel - ich weiß nicht was noch alles - gingen dem Hauptgericht voraus. Dieses bestand aus zwei oder drei Fischsorten, Fleisch vom Strauß, vom Rind, vom Gemsbock, vom Schwein und natürlich Geflügel, dazu Reis, Kartoffeln, gedünstet oder gebraten, mehrere Gemüsesorten und wieder eine Palette raffinierter Saucen. Zum Nachtisch wurde Eis mit Früchten, wahlweise Kuchen, überbackene Früchte oder Pudding serviert, für den Freund herzhafter Abschlüsse standen einige Käsesorten mit verschiedenen Crackern bereit. Am Ende stand neben hervorragendem Kaffee eine Auswahl zehn verschiedenen Teesorten zur Wahl. Wir sahen Sektkübel und Weinflaschen an den Nebentischen, blieben selbst bei Coke auf Eis mit Zitrone aus der eiskalte Dose. Wir waren jeden abend kurz davor, uns raus tragen zu lassen, meiner ohnehin nicht als optimal zu bezeichnenden Figur sehr abträglich. Aber angesichts dieser Verlockungen kann Zurückhaltung nur falsch sein. Der Spaß kostete für beide zusammen umgerechnet vierzig Mark, wobei ein üppigen Trinkgeld bereits enthalten war. Nach diesen kulinarischen Orgien brauchten wir stets etwas Regenerationszeit, bis wir uns wieder fit für ein kleines Schaumbad fühlten, um uns für die kühlen Stunden der Nacht frisch zu machen. Diese ein zwei Stunden verbrachten wir meist an den Wasserlöchern, die kühle der Nacht überwog noch nicht die Wärme des Tages, wo wir immer wieder aufs Neue die Faszination der Tierwelt in uns aufnahmen. Wir konnten es einfach nicht fassen. Immer wieder drängte sich uns der Vergleich mit Westafrika auf und wir kamen überein, daß es nun an der Zeit wäre, uns langsam von diesem Trauma zu lösen. Sehr erleichtert waren wir darüber, endlich mal etwas vorzufinden, an dem wir nicht herumnörgelten und krittelten, wir waren schon nicht mehr sicher, ob wir nicht in unserem Urteil bislang zu scharf waren oder ob es am Ende sogar an uns lag. Zu wenig Nervenstärke, zu
verwöhnt, zu empfindlich. Diese Zweifel wurden hier gänzlich ausgeräumt. Wir einigten uns bezüglich einer Wertung des EtoshNational-Parks auf eine glatte Eins Plus. Keine Kritik, keine Verbesserungs-vorschläge - höchstens vielleicht Kinder zu verbieten, aber das ist nicht wirklich ernst gemeint. Es ist auch müßig, die einzelnen Camps miteinander zu vergleichen. Bei dem einen ist das Wasserloch ansprechender, beim nächsten das Pool größer und bei wieder einem sind mehr schattenspendende Bäume vorhanden. Summasummarum sind sie alle drei erstklassig. Schon jetzt, nachdem noch nicht die Hälfte der Länder hinter uns lag, wagte ich in Anlehnung an Achim Reichel folgendes zu prognostizieren: "Wenn Du mich fragst wo's am schönsten war, sag ich NAMIBIA." Das ist schwer zu toppen, die Meßlatte liegt verdammt hoch, und sollte es noch einem Land gelingen, werde ich mich gerne korrigieren. Für uns war es das Paradies, jedem zu empfehlen, egal welchen Alters, Geschlecht oder Hautfarbe. Bloß für Mauretanier nicht, für die muß es die Hölle sein, mit Schweinfleisch, leichtbekleideten Frauen, Alkohol und Menschen, die offen wagen, glücklich auszusehen. Was sind das bloß für sauertöpfische und miesepeterige Scheißtypen aber wir wollten uns ja der Vergleiche mit diesem Teil Afrikas mehr und mehr enthalten. Schluß mit der Schwärmerei, es gibt auch noch ein nachdenkliches Stück Alltagsrealität aus diesem Park zu berichten. Kurz bevor wir hier ankamen, gab es einen Streik des Personals. Sie haben kein Essen mehr serviert, keine Reinigungsarbeiten mehr vorgenommen und so weiter. Alltägliche Sache, könnte man denken, ein Zeichen für eine funktionierende, demokratische Ordnung mit funktionierenden Gewerkschaften, aber dieser Streik ging nicht wie üblicherweise um eine Verbesserung der Bezahlung. Gebt ihnen ein paar Dollar mehr und erhöht die Preise, dann ist wieder 'ne Weile Ruhe. Das Spiel kennen wir ja. Aber hier ging es um alte Ansprüche, das Land ihrer Urväter, welches die Schwarzen zurück haben wollen. Spricht man mit Leuten, die in Namibia wohnen, so wird diese Forderung nicht schlichtweg als unbegründet empfunden, jedoch befürchtet man Schlimmes. Sie werden den Park herunterwirtschaften, die Straßen werden nicht mehr gepflegt, die Camps verkommen, die Besucher bleiben aus. Sie werden Not leiden, auf kurz oder lang die Tiere abschießen, auffressen oder verhökern und Schluß ist es mit paradiesischen Zuständen. Wieder
spielten die in Westafrika gemachten Erfahrungen bei der Beurteilung dieser Geschichte bei uns eine entscheidende Rolle. Hätten wir unsere Reise hier im Süden des Kontinents begonnen, hätte ich diese Prognose für eine typische Ausgeburt eines elitären und überheblichen weißen Denkens empfunden. Eine bösartige Unverschämtheit geradezu, eine perfide Unterstellung. Nach dem, was wir erlebt haben, bin ich vorsichtiger geworden. Wir haben gesehen, wie aufgrund von Ignoranz, Dummheit, Egoismus, Raffgier und Gleichgültigkeit Gärten zu Wüsten wurden, Wohlstand sich zu Armut wandelte und Aufgebautes zerstört wurde. Aus bimboistischen Gründen, so gemein dieses Wort in Namibia auch klingt. So ganz absurd und aus der Luft gegriffen sind diese Bedenken mit Sicherheit nicht. Langfristig gesehen werden sie ihr Land bekommen, soviel scheint klar, es ist nur eine Frage der Zeit. Bitte enttäuscht mich nicht, ich will einfach nicht glauben, daß diese schreckliche Vorhersage unweigerlich eintreffen wird und ebensowenig will ich glauben, daß es tatsächlich etwas mit der Hautfarbe zu tun haben soll. Die Zukunft wird es zeigen. NOCH MAL WINDHOEK
Wir verließen tags drauf den Park Richtung Windhoek. Wir hatten da noch eine kleine Verabredung, die bei unsere ersten Durchreise zustande kam. Seit Südafrika wurden wir zunehmend häufig auf das HH-Nummernschild angesprochen. Meistens von Hamburgern, auf der Reise oder ausgewandert. In der überwiegenden Zahl dieser Fälle entstehen daraus nette kleine Gespräche, oftmals bekommen wir Angebote, uns an sie zu wenden, falls wir Hilfe bräuchten, werden eingeladen oder mit Tips versorgt. Zum beschnuppern wird meist erst einmal nach gemeinsamen Punkten gesucht, Stadtteile abgefragt, kennst du dies, kennst das, kennst du den. In Windhoek hörten wir wieder das unvemeintliche Hummel-Hummel - für jedes mal zehn Mark und wir wären nahezu der Reisekosten befreit - aber wir hören es gern. Wieder das Abtasten, und wir stellen ungewöhnliche Verknüpfungen fest. So passierte es mir ein zweites Mal auf dieser Tour, wie bereits im Senegal, daß meine Geburtsstraße erwähnt wurde, ich denke erneut an die kleine Drogerie meines Vaters, die den Flair der fünfziger Jahre einzelkämpferisch bis in die frühen neunziger hinüberrettete und genau dort hatte unser Gesprächspartner jahrelang eingekauft. Es folgten viele Sätze wie
"Nein das gibt es doch gar nicht, kenn' ich, aber genau, der Herr Kohle, und sie sind der Sohn" und so weiter und diesmal war ich es, der einen Sympathievorsprung erhielt und wir wurden eingeladen. Jetzt auf der Rücktour wollten wir diese Einladung wahrnehmen. Wir fuhren direkt und unangemeldet zu der Adresse und so ganz wohl ist uns bei solchen Überfällen nicht, zu oft sitzt man sich dann fremdelnd gegenüber, kommt völlig ungelegen, hat sich nichts zu sagen und keiner findet den Dreh, die Situation aufzulösen. Aber diese Bedenken erwiesen sich als völlig unbegründet, wir wurden herzlich und offen empfangen und nach ein paar Begrüßungsformeln und Austausch von Höflichkeiten entwickelten sich tatsächlich Gespräche, die für beide - so hoffe ich - interessant waren. Wir hatten noch nicht sehr oft die Gelegenheit, mit Auswanderern zu sprechen, die sich als Bürger des jeweiligen Landes begreifen und entsprechend zu Namibia eine ganz andere Sichtweise haben als wir. Sie sehen die Dinge alltäglich, nüchtern und kritisch und waren von den Umständen nicht in dem Maße begeistert wie wir. Wie selbstverständlich hatte sich eine Sprachregelung bezüglich der Schwarzen eingefunden, die man in Europa ohne jeden Zweifel mit dem Hinweis auf Diskriminierung ablehnen würde. Mir fiel es zwar auf, aber ich fand es nicht schlimm, da es zum Einen nicht aggressiv verwandt wurde und zum Anderen auf Probleme des Zusammenlebens hinwies, die auch nicht besser werden, wenn man sich bezüglich der Wortwahl übermäßig diszipliniert. Natürlich traten die gleichen Probleme auf, die uns alle ansässigen Weißen überall in Afrika genannt hatten. Kriminalität der Schwarzen, die zu der unangenehmen Notwendigkeit umfangreicher Sekuritymaßnahmen führte, die doch ungewöhnliche Einstellung zur Arbeit, um es mal vorsichtig auszudrücken und noch so vieles mehr. Wir verbrachten viele schöne Stunden zusammen und ich erlebte wieder einmal, daß diese Schwarz-Weiß-Geschichte ein ganz vertracktes Ding mit sehr vielen Wahrheiten ist. Wir wurden verköstigt, beherbergt, herumgefahren und bekamen unsere Wäsche gewaschen und wir verkrümelten uns, da wir ihnen nicht auf den Geist gehen wollten, wie es Schwarzer-Brice einst mit uns tat, als ich ihm einen Sierichstraßenbonus einräumte. Besuch und Fisch stinkt nach einem Tag, so habe ich es gelernt und so haben wir es gemacht. Es war Sonnabend, die Bundesligakneipe rief zu einer schönen zweistündigen RAN-Übertragung und wir machten uns auf den Weg.
Ein toll gemachter Laden. Überall stehen Fernseher, es gibt eine zwei mal drei Meter Projektion und man bekommt Essen und Trinken alles prima. Aber wir hatten eines ganz vergessen: Das Publikum ! Genau die, wegen denen ich ungern Deutscher bin und wegen denen ich lange Jahre Fußball als Sport ablehnte und die mich heute noch in schwere Zweifel stürzen. Fette, ekelhafte Specknacken - echte Sportfsreunde von der Spaß-Muß-Sein-Fraktion - angeduselt bis volltrunken, vor biernassen Tischen lallend, lärmend und wiehernd dreimal so laut wie die härteste Bimbotruppe - wollten sich mit uns kumpelhaft verbrüdern und dröhnten uns mit Schwachsinn voll. Sie gaben uns beiden den Rest. Allesamt ansässig, seit Jahren beleidigen sie dieses Land mit ihrer Anwesenheit. Es ist diese Sorte, die mich gerne fragt, ob Annett meine Frau oder Tochter wäre und ob da noch was zu machen sei - ich liebe das - und es kam prompt. "Is meine Oma, Junge". So arschig ist mir noch keiner gekommen und wo seid ihr, von der Swapo und den Black Panters, schmeißt sie raus, am besten gestern ! Wir sahen uns die Übertragung an, versuchten die körperlich schmerzhafte Konversation an den Nachbartischen zu ignorieren und waren am Ende überhaupt nicht befriedigt. Der arme Besitzer, sonderbarerweise ein Portugiese. Hoffentlich wußte er, auf was er sich da eingelassen hat. Es gibt unter den Deutschen in Namibia eine Aktion, die sich DEUCOM nennt - oder so ähnlich die neben dem Ausstrahlen deutscher TV-Programme dem Umstand entgegen wirken will, daß die Deutschen sich nicht mehr öffentlich treffen und statt dessen isoliert zu Hause hocken und ihr eigenes Süppchen kochen. Ich möchte ihnen zurufen "laßt es bleiben, ist besser so !" Unser nächstes Ziel war das Städtchen Swakopmund, der angeblich deutscheste Ort im alten Süd-West, und wir waren nach diesem Eindruck auf eine teutonische Geisterbahnfahrt gefaßt. SWAKOPMUND
Obwohl wir uns kalendarisch noch im frühen Frühling befanden, wurde in Presse und Funk von einer Hitzewelle gesprochen. Die Fahrt ging durch die Namib-Wüste und das Thermometer kletterte auf dreiundvierzig Grad. Als wir uns gerade noch fünfzig Kilometer vor der Küste befanden, sanken die Temperaturen ständig. Am Horizont erschien allmählich eine seltsam trübe Schicht, man konnte nicht erkennen, um was es sich handelt. Wir kamen immer näher,
sahen schon die Häuser von Swakopmund und stellten fest, daß der Ort in dichtem Küstennebel lag. Ein komisches Phänomen, muß mit spezieller Thermik zusammenhängen. Der sonst überall strahlend blaue Himmel war wolkenverhangen und als wir nun doch noch ein allerletztes Mal die atlantische Küste erreichten, stand das Thermometer bei achtzehn Grad. Fünfundzwanzig Grad Differenz in einer halben Stunde, sehr erfrischend und wir zogen lange Hosen und ein weiteres Hemd über. Wir reisen übrigens sonst nur in kurzer Hose. Wer nun gedacht hat, wir hätten dies wegen der Wärme zweckmäßigerweise immer getan, der täuscht sich. In den HonkyTonky-Ländern ist das schlecht möglich, da dort stärker auf Kleider geachtet wird. Der schädderigste und speckgiste Anzug, der in der Sonne glänzt und stinkt, schmückt immer noch mehr als Freizeitkleidung. Wer dort Shots trägt, hat kein Geld für eine lange Hose und steht auf der untersten Stufe der sozialen Leiter. Das wird naiverweise auch auf Reisende übertragen und kurzbehost lassen sie es an dem letzten Fünkchen Respekt mangeln. Also, egal wie heiß, immer mit langer Hose. Swakopmund ist die niedlichste Stadt, die wir bislang zu sehen bekamen. Kolonialhäuser, Jugendstilgebäude, Fachwerk und gediegene moderne Architektur an Einfamilienhäusern. Alles in akkuratem Zustand - bald puppenstubenhaft - kleine Parks, Cafés, Gärten, Steg ins Meer, Promenade mit Flaggenparade und deutsch beschriftet. Gott sei Dank wurden wir nirgends und an keiner Stelle mit dieser abscheulichen Art Deutschtum konfrontiert, wie wir es tags zuvor erleben mußten. Ich nehme mal gutwillig an, daß wir die schlimmsten Kapeiken auf dem Haufen erwischt haben, denn hier begegneten wir nur lockeren Leuten, weniger deutschen Deutschen als europäischen Deutschen und wir hielten uns sehr gerne dort auf. Der nahe Campingplatz "Mile 4" ist ein riesengroßes Ding. Mitten im Sand, nicht ein Strauch, abgeteilt in hunderte Stellplätze und wir die einzigen Besucher. Das wirkte beklemmend, und wir buchten lieber ein kleines Hotel im Herzen dieses verschlafenen Örtchens. Als wir im Bett lagen, war uns unwohl angesichts des völlig einsam und verlassen stehenden Wohnmobils auf der Straße vorm Haus. An dieser Stelle zeigt Westafrika endlich einmal einen Vorteil, der bei Licht betrachtet natürlich kein wirklicher ist. Immerhin hatten wir dort nie Angst vor Dieben. Es gibt dort so viele Menschen - gerade im Gegensatz zu dem weitläufigen Namibia mit weniger Einwohnern
als Hamburg - die sich gegenseitig auf die Finger sehen und ein Fahrzeugeinbruch daher fast unmöglich machen. Wo man hält, bietet sich ein Watchman an, der auch gerne für 'ne Markfünfzig die ganze Nacht vorm Auto schläft. Er schläft eh irgendwo, warum nicht vorm Auto, und dabei noch Geld verdienen. Das ist ein mehr als gutes Angebot. So kann nie jemand wissen, ob ein geparktes Auto nicht doch aus irgendeiner Ecke bewacht und beobachtet wird und daher passiert nichts. Jeder, dem eine kriminelle Karriere vorschwebt, meldet sich sowieso bei der Polizei und ist daher später durch das Tragen einer Uniform stets leicht zu erkennen. Und die uniformierten Gangster knacken keine Autos um ein Radio oder Bargeld zu stehlen. Sie würden warten, bis man ans Auto kommt, und sich etwas ausdenken, wie unerlaubte Einfuhr technischer Geräte oder eine Devisendeklaration verlangen und es mit Beschlagnahme oder Geldstrafe versuchen, so etwa, aber nie einfach einbrechen. Sie basteln sich einen in ihren Augen pseudolegalen Hintergrund und argumentieren dann wild drauflos. Hier ist es wieder so wie man es kennt. Kleinkriminelle knacken Autos, Uniformierte passen auf und sind ungefährlich, solange man nichts Verbotenes tut. Wir gingen nochmals runter, schleppten die wichtigsten Sachen ins Hotelzimmer und zogen im Wohnmobil alle Rollos runter um den Eindruck zu erwecken, im Auto pennen welche. Das erschien uns dann genug und wir schliefen endlich ein. An diese Stelle paßt gut eine kleine Anekdote, die wir zum Thema Beschlagnahme von einem Reisenden aus dem Land hörten, welches sich Zaire nannte und es heute unter dem Namen "Demokratische Republik Kongo" versucht. Ein Konvoi von drei Fahrzeugen fährt durchs Land, insgesamt knapp zehn Personen, und in einem Ort entdeckt einer die Reklame für Seife, die unter dem Namen "BimboSoap" verkauft wird. Das findet er sehr amüsant und hält an und macht ein Foto von dem Plakat. Hätte ich auch gemacht. Als er gerade dabei ist, kommen zwei Zivile, weisen sich als Geheimpolizei aus und erklären, daß das Fotografieren von Bimbo-Soap-Werbung streng verboten sei und nun die Beschlagnahme der Fotoausrüstung fällig wäre. Die zehn Mann steigen alle aus, wilder Protest, die Kamera wir nicht herausgegeben, und die Zivilen zücken ihre Waffen und führen die ganze Gruppe ab zum Kommissariat. Zwei gegen zehn ist schwierig, und die Jungs waren pfiffig und gingen auf dem Marktplatz immer einen großen Kreis, was für die beiden
Bewaffneten ohne Schußwaffengebrauch schwer zu verhindern war, und schießen gab Bimbo-Soap nun doch nicht her. Der Platz füllte sich mit Zuschauern, die sich, ohne zu wissen worum es ging, auf die Seite der zehn Leutchen schlugen und feixten, Getränke zureichten und aufmunternde Gesten zu der Veranstaltung machten. Einer konnte sich fortstehlen und ging zur Hauptkommandantur, um irgendeinen Oberheini zu erwischen und ihn aufzufordern, den Ringelpietz zu beenden. Geschlagene drei Stunden dauerte der Zirkus, bis ein Uniformträger hinzu kam. Es wurde sich darauf verständigt, daß die Beschlagnahme des Films ausreichend sei, der zwischenzeitlich natürlich ausgewechselt war, und die Fahrt konnte endlich fortgesetzt werden. Wir verbrachten einen weiteren Tag in Swakopmund. Ein Ort, der sich als angenehmer und sehr schön temperierter Altersruhesitz anbietet. Seit ich zum ersten Mal in meinem Leben Orte mit Palmen sah, kommt mir immer wieder die fixe Idee, mich dort nieder zu lassen, eine kleines Café oder Restaurant zu betreiben und zufrieden zu sein. Ich weiß, daß so etwas das Letzte ist, was mir gefallen würde - spätestens nach Beendigung der Aufbauphase würde ich vor langer Weile sterben - aber dieser kleine Badeort ließ diesen Gedanken mal wieder aufflackern. Wenn ich nur wüßte was mich daran so sehr reizt ? In dieser betulichen Stimmung besuchten wir das Museum, welches sich hauptsächlich mit der Deutsch-Süd-West-Zeit befaßt. Da sieht man Uniformen, schrill wie beim Fasching mit vollem Wichs und glänzende Brustschilde, Säbel und verzierte Pickelhelme. Planwagen, Ochsenkarren, erste motorisierte Fahrzeuge - die Buschmänner müssen nicht schlecht gestaunt haben, bevor man sie mit dem Umstand der Zwangsarbeit vertraut machte. Irgendwie ja Vollwahnsinnge. Mit Ochsenkarren, ohne vernüftige medizinische Betreuung, zu wenig Frauen und bis zum Hals voll dieser Werte von Blut, Ehre und Vaterland und obendrein noch gottesfürchtig, in dieser Hitze, keine Restaurants, keine Pools - was für eine Idee ... Wir waren schon ganz besorgt, daß unsere Klimanlage Aussetzer hatte und ließen beim Bosch-Dienst schnell eine kleine Reparatur vornehmen. Aber mit Ochsenkarren ...? Ein paar Erledigungen standen noch an, und bevor wir weiter fuhren, fiel mir noch die alte Kamera ein, die wir jetzt schon seit Beginn der Reise mit uns führten. Eine Erwerbung vom Flohmarkt. Ich entdeckte auf dem Stand eines Russen eine Leica, aus Messing in
einem uralten Lederetui mit Leica-Prägung. Ich prüfte sie genaustens, alles funktionierte, Verschlußzeiten, Blende, Scharfeinstellung, und ich kaufte sie ihm für 200.- DM ab. Glückstag ! Diese herrliche antike Kamera, mit Schlagenleder verziert, komplett mit Optik, mindestens 'nen Tausender geschnappt. Die Freude hielt bis Montag, als ich einen Fotohändler aufsuchte, der nur einen knappen Seitenblick auf das gute Stück warf und lapidar das Wort "verrusst" sagte. Völlig verrusst. Solche Fälschungen werden in Moskau für fünfzehnhundert Dollar angeboten und wenn man gut handelt, bekommt man sie für fuffzig Mark. Wir hatten sie mitgenommen um sie irgendeinem deutschen Schlaumichel anzudrehen, in Afrika sind diese Händlerrussen noch nicht angekommen. Vortags hatten wir in einem Antiquitätenladen eine alte Geburtshelferzange - unschöne Bilder, stellt man sie sich in Aktion vor - als Mitbringsel für unseren Doc in der Heimat erworben, der als humorvoller Hobbygynäkologe bestimmt seine Freude daran haben wird. Diesen Laden suchten wir erneut auf, zumal er auch alte Kameras ausgestellt hatte und ich bot ihm meine an. Zu stark, wenn andere glauben, sie sind clever und ihre Gier kaum verheimlichen können. Wie ich damals bei dem Russen sieht er das Teil und macht auf unwissend. Wo ich die her hätte. "Hat mein Vater mir mal gegeben. Aber es ist sehr mühsam, damit zu fotografieren. Ich komme damit nicht so recht klar." Er zeigt sie seiner Frau, betont gelassen, und im Augenwinkel kriege ich heftige Zeichensprache mit. Er fragt, was ich mir denn so vorstelle. "Keine Ahnung, hängen ja auch ein paar Erinnerungen dran." und ich lasse ihn zappeln. Seine Frau kann sich nicht verkneifen, auf das Schlangenleder hinzuweisen. "Phyton, das ist doch Phyton." Ihm ist nicht ganz wohl, er denkt sich anscheinend, ich könnte über dieses exquisite Lederimitat noch darauf kommen, etwas wertvolles zu besitzen und lenkt vom Thema ab. Ich wollte es nicht zu hart treiben, wenn ich meine zwei Blauen wieder bekomme, sollte es mir recht sein, und, um noch etwas Spanne zu haben, komme ich mal mit "dreihundert Deutsche sollten es schon sein" rüber. Jetzt hat er mich ! Er traut sich nicht, um einen Pfennig zu handeln, fragt nur noch, welche Währung ich wünschte und zahlte in südafrikanischen Rand ganz schnell aus. Sein Glückstag. Wie lange dieses Glück wohl anhalten wird und wie oft und zu welchem Preis mag dieses Stück wohl noch den Besitzer wechseln, bis der nächste das Wort
"verrusst" kennen lernen wird. Aber es war wirklich eine hervorragende Fälschung und der dekorative Wert soll auch nicht unterschätzt werden. Außerdem funktionierte sie tipptopp.
WALVISBAY
Danach steuerten wir Walvisbay an. So um die dreißig Kilometer, die es aber landschaftlich in sich hatten. Die Dünen der Wüste reichen bis ans Meer heran - hatten wir schon in Mauretanien - nur mit dem Unterschied, daß hier eine allerfeinste Teerstraße direkt am Wasser verläuft. Unglaubliche Perspektiven. Über die schwarze Straße wehen sich schlängelnde Sandströme aus Wind, links erheben sich die Licht- und Schattenspiele der Sanddünen und rechts landen die Brecher des Atlantiks an. Und wieder diese erstaunlichen Temperatursprünge. Die Straße verläßt für ein kürzeres Stück die Küste und verläuft mehr in die Wüste hinein, um dann wieder zu einer Küstenstraße zu werden. Das Thermometer macht bei diesem Schlenker einen Sprung von fast zwanzig Grad auf sechsunddreißig und wieder zurück. Eine unvergeßliche halbstündige Fahrt, bis wir in dem etwas tristen und von Hafenanlagen und Industrie geprägten Walvisbay ankamen. Der Campingplatz war wie immer korrekt, sauber und gepflegt und keine zwei Kilometer von der Wüste entfernt ein einziger grüner Garten mit Bäumen, Rasen, Hecken und Palmen. Wir ließen den Tag dort ausklingen. Wir wollten uns ein bißchen die Gegend ansehen, fuhren auf eine lange Lagune voller Pelikane und Flamingos, kreuzten durch die Stadt, die, wie schon gesagt, sehr von Fischindustrie geprägt ist aber nichts desto trotz nicht anstrengt. Es ist alles ruhig und nett, Geschäfte, Restaurants, Supermärkte und kleine Unternehmen, die Bootstouren vor der Küste anboten. Wir wollten das Kamerageld verjubeln und fanden einen vor 29 Jahren ausgewanderten Stuttgarter, der über ein Speedboot mit zwei 90 PS Motoren verfügte und verabredeten mit ihm für den nächsten Tag eine vierstündige Rundfahrt. Um neun Uhr morgens im Yachthafen begann die Fahrt. Eigentlich machte er es erst ab vier Personen, der Rentabilität wegen, aber wir zahlten entsprechend Aufpreis und hatten ihn exklusiv. Ein wahnsinniger Ausflug. Das Boot geht ab wie 'ne Rakete, zieht einen meterlangen Wasserschweif hinter sich her und ist nur noch mit den
Motoren im Wasser. So flitzten wir über die See, der Käptn war völlig angenehm, nicht zu sabbelig und auch nicht zu schweigsam. Er bewirtete uns mit einer kalten Platte, hatte Sekt, Bier und Cola dabei, die frischen Austern hatten wir abgelehnt. Muß man mögen und keiner von uns findet an ihnen besonderes Gefallen. Wir fuhren raus zu den Fischerbooten, die vor der Küste ihre Beute auf Gefrierfrachter umladen. Hauptsächlich Russen erhalten hier Fanggenehmigungen, eine kleine Geste der Swapo - jetzt an der Regierung - die früher von der UdSSR mit Waffen und so weiter versorgt wurde. Bei dieser Umladung fällt hin und wieder Fisch ins Wasser und das wissen auch die Robben, die sich gerne in dieser Gegend aufhalten. Besonders eine spezielle Robbe hält sich dort auf. Sie hatte sich in einem Fischernetz verfangen, konnte sich befreien, aber Reste des Netzes hatten sich um ihren Bauch gewickelt. Das Todesurteil für die Robbe. Unser Kapitän hatte dieses Tier nun über lange Zeit gefüttert und sie dabei immer näher ans Boot gelockt. Endlich war es ihm gelungen, nach mehreren Versuchen, die Robbe mit Fischfütterung abzulenken und dabei das Netz - Tag für Tag etwas mehr - zu zerschneiden, bis es endlich durchtrennt war und sich aus dem Tier lösen konnte. Die Robbe wußte das zu schätzen, und immer, wenn er mit dem Boot vorbei fuhr, kam sie angeschommen, brauchte ein paar Anläufe, da sie ungemein fett geworden war, jetzt, wo der Druck vom Bauch weg war, und wuppte sich ins Boot. Da saß sie dann mit ihren fünfhundert Pfund oder mehr auf dem Heck, wartete, bis man ihr den mitgebrachten Fisch gab und nahm diesen ganz vorsichtig aus der Hand, um bloß nicht der Hand weh zu tun, die sie von ihrer Qual befreit hatte. Wir gaben ihr auch ein paar Fische, sie hatte eine ganz weiche Nase, streichelten sie mit respektvoller Zurückhaltung, denn am Ende bleibt sie eine wildes Tier, und außerhalb des Wassers ist sie plump und fühlt sich unsicher und daher ist etwas Vorsicht geboten. Im Wasser, ihrem Element, sind sie gänzlich ungefährlich. Man kann zwischen Hunderten von ihnen baden, sie kommen zum spielen und toben aber würden niemals etwas tun. Bloß die letzten Fische, die mußten wir ins Meer schmeißen, um das dicke Teil wieder ins Wasser zu locken. Sonst bleibt sie gemütlich im Boot sitzen, welches ganz nett Schlagseite durch sie hatte. An ihrem Bauch sah man noch immer die tiefen offenen Stellen, die das Netz verursacht hatte.
Wir düsten weiter, zu einer Robbenbank. Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Robben saßen dort und taten nichts. Als wir mit dem Boot mit kleiner Fahrt ankamen, ungefähr fünfzig Meter von den Robben entfernt, fragte der Bootsführer, ob wir möchten, daß sie kommen. Klar. Zwei mal kurz gepfiffen, und alle Robben, und zwar wirklich alle Hunderte oder Tausende, machten sich auf und robbten zum Wasser, stürzten sich in die Wellen und sprangen und schwammen zum Boot. Ein unglaublicher Anblick. Am Strand wimmelte es, große Bullen unter ihnen, und immer mehr hoppelten ins Wasser. Rings um das Boot kochte das Meer. Überall tauchten Köpfe auf, die uns neugierig betrachteten, ganze Scharen sprangen durchs Wasser, wo man hinsah Robben. Eine, wiederum eine Freundin des Käptens, auf einem Auge blind, kommt direkt ans Boot, weil er ihr gerne mal einen Extrafisch mitbringt. Sie begrüßen sich kurz - den kompletten Fisch hatte sich vorher die fette Robbe allein einverleibt - und sie mischte sich wieder unter ihre Artgenossen. Diese wurden nicht müde, das Boot zu umschwimmen und zu umspringen und als wir weiterfuhren, begleiteten sie uns noch ein ordentliches Stück. Links und rechts vom Boot zischten sie lang, ganze Gruppen vollführten Synchronsprünge bis sie nach einigen Kilometern abdrehten und zur Sandbank zurück schwammen. Dafür tauchten Delphine auf, die auch ihren Spaß daran hatten, dem Boot Geleitschutz zu geben und in Gruppen um uns herum zu schwimmen. Mit langsamer Fahrt trieben wir ein Weilchen durch die Wellen, beobachteten diese von vielen unglaublichen Geschichten umrankten Tiere, die uns nun ein drittes Mal auf diese Reise begegneten. Zum ersten Mal allerdings so nah und so vielzählig. Wir fuhren einen gemächlichen Bogen, näherten uns wieder den Robbenbänken, und Robben und Delphine mischten sich. Wir nahmen einen kleinen Imbiß zu uns und erfreuten uns an den freundlichen und verspielten Begleitern im Wasser. Die Tour ging langsam zurück Richtung Hafen, vorbei an unzähligen Komoranen, Möwen, Flamingos und Pelikanen. Nur Wale gibt es hier - bis auf ganz seltene Irrläufer - keine, wie man vom Namen her denken könnte. Aber wie bei Elfenbeinküste weist auch der Name Walvisbay nur auf längst Vergangenes hin und belegt die gnadenlose Jagd auf die jeweiligen Namensgeber. Fast fünf Stunden waren wie im Fluge vergangen und jetzt hatten wir das Gefühl, uns angemessen vom
atlantischen Ozean verabschiedet zu haben. Mal schauen, was der Indische so zu bieten hat. Auf dem Campingplatz trafen wir noch Reisende aus Deutschland, die über Land gekommen waren, seit einem Jahr unterwegs und die sich erstaunlicherweise als echte Westafrikafans outteten. Erlebten wir zum ersten Mal und wir kamen ins klönen. Mich interessierte auch wirklich, wie man zu einer solchen Beurteilung kommen konnte, zumal mir dies Pärchen rundweg sympathisch war. Aber dieses Geheimnis war schnell gelüftet. Ein gänzlich anderer Denkansatz lag vor, ein vertrauter und hinlänglich bekannter. Ich nenne ihn mal den asiatischen - für jeden nur erdenklichen Blödsinn duldsamstes Verständnis - da er Indienfahrern so oft eigen ist. Geprägt von Religiösem und Unerklärlichem, von Astrologischem und Mystischem. Ich mag keine Religionen und dementsprechend auch keine Astrologie, ist sie doch Schwester der Religion. Katholen nur in Polen, sonst bleibt mir gestohlen. Ich will es nicht einsehen, daß ich mich partout vor irgendwelchen Mächten beugen soll und ich hasse es, wenn man mir erzählt, daß die Dinge nun mal gottgegeben oder sternbestimmt so sind, wie sie sind, und, daß ich mich abzufinden habe. Das stimmt nämlich nicht, alles Firlefanz. Gerade noch versöhnlich als Banal-Horoskop in der Morgenpost, von dem man weiß, daß es Quatsch ist, aber wenn es dann sogenannt "seriös" wird, dann ist alles zu spät. Hinnehmen sprach sie mit einer Betonung aus, die bestenfalls für das Wort Hingabe gepaßt hätte. Und das aus dem Mund einer Frau, die mit Recht jede Geschlechtsgenossin verachtet hätte, die die Schläge ihres betrunkenen Ehemanns demütig so mal eben hingenommen hätte. Das für mich Widersprüchliche ist, daß ich diese Art des Denkens komplett ablehne, mir aber Menschen, die so denken, in der Regel nicht unsympathisch sind. Sie tun nicht weh, laden keine Schuld auf sich und sind für nichts Schlechtes oder gar Böses verantwortlich und nerven nicht, sofern sie nicht missionieren. "Wir werten nicht, wir sagen einfach, daß wir es nicht verstehen .." Ha Ha, so hält man sich fein raus und fühlt sich edel und erhaben gegenüber jedem, der den Hochmut besitzt von oben herab zu werten. Ich nenne es unscharf und schwammig. Out of focus - hocus pokus. Auch ein uferloses Thema - ich denke an einen durchaus geschätzten Freund und Kollegen, der allen Ernstes aus mir schleierhaften Erwägungen heraus ablehnt, bei Vollmond Geschäfte zu machen. Also, auch
tagsüber, bei Vollmond, nicht etwa wegen der Dunkelheit. Ich komme da nicht weiter - will es auch gar nicht - und das sanfte Alternativpärchen vom Campingplatz konnte mich ebenfalls nicht die Bohne überzeugen. Die beiden waren schließlich entsetzt als sie hörten, daß wir vorhatten, total blauäugig nach Angola rein zu fahren. Sie hatten es hinter sich, allerdings im LKW-Konvoi unter schwerer Bewaffnung. Immer als letztes Fahrzeug in einer Staubwolke, damit sie am besten gar nicht erst gesehen werden, und mit neunzig durch die Schlaglöcher, um den Anschluß nicht zu verlieren. Die Angst ständiger Begleiter. Gut, daß wir das noch zu hören bekamen, war es so gesehen doch ganz in Ordnung, daß man uns die Visa verweigerte. Zudem erzählten sie von einer kleinen Enklave im Norden Angolas, in der alles einigermaßen geregelt verläuft. Die haben wir uns für später mal vorgemerkt. Wir beendeten den Aufenthalt in Walvisbay mit einem stilgerechten Fischmenü bei Musik von Bob Dylan und Janis Joplin in einem auf Pfählen in die Lagune gebautem Restaurant. Nachts angestrahlt, mit Stofftischdecken und Kerzen. Damit hatte sich das Kamerageld auch erledigt und unsere Kritik an Namibia bleibt weiterhin auf die hohen Langustenpreise beschränkt, die uns von einem Verzehr abhielten. Am nächsten morgen verließen wir die angenehme Frische unter der Wolkendecke des Ozeans und bereits nach ca. zehn Kilometern hatte das Thermometer die Vierzig-Grad-Marke überschritten. Ganz im Gegensatz zu unserer sonst gültigen Richtlinie - keine Pistenfahrt, wenn nicht unabdinglich notwendig - ließen wir uns auf fünfhundert Kilometer Schotterwege ein. Die Pisten in Namibia sind alle ok, so heißt es, und es stimmt auch in dem Sinne, daß nirgendwo 4X4Fahrzeuge erforderlich sind. Aber Piste bleibt Piste und rückwirkend bereuten wir es dann doch. Nicht nur, daß es uns einen Reifen kostete, die nirgendwo in Afrika besonders billig sind, es ist auch der Staub und dieses verfluchte Wellblech. Einen schlappen Reifen merkt man auf Pisten erst dann, wenn die Fahreigenschaften nun wirklich nicht mehr durch Sand, Unebenheiten oder so etwas erklärlich sind und dann ist es zu spät, der Reifen ist komplett hinüber. Ein neues Geräusch entstand auch wieder, immer Anlaß zur Sorge. Der dauernde Lärm, das Gerüttel und Geschüttel - ok, wat mutt dat mutt - aber nur so for fun, höchstens mit 'nem Leihwagen. Die sind ja auch nicht ohne Grund so teuer in Namibia.
SUSSOSVLEI UND DUWISIB CASTLE
Nun hatten wir es mal begonnen und so schepperten wir am ersten Tag nach Sussosvlei, einem Ort, an dem sich die höchsten und ältesten Dünen der Welt befinden. Schön und gut, die Dünen sind beachtlich und für jemanden, der noch nie in der Wüste war sicher eine gute Gelegenheit, ein wenig Wüstenfeeling zu schnuppern und ganz unbedarfte Fahrer sahen wir sogar, wie sie sich einsandeten und so zu etwas Schaufeltraining kamen, aber uns hat es nicht gerade umgehauen. Die Ausleuchtung zu Sonnenauf- und Untergang lassen das Herz eines Hobbyfotografen sicherlich höher schlagen, zu ähnlich spektakulären Aufnahmen kommt man anderenorts auf so bequemen Wege kaum. Die Sahara hatte diesbezüglich jedoch vorgesorgt und unsere Sehnsucht nach unendlichen Sandmassen war noch nicht wieder besonders groß. Und ob sie nun 'nen Tick größer oder älter sind oder nicht, macht den Kohl nicht fett. Die letzten fünf Kilometer bis zu der Hauptdüne, vor der sich malerisch ein See bettet, müssen Besitzer nicht allradgetriebener Fahrzeuge zu Fuß absolvieren. Wir haben kapituliert. Wir haben's versucht - so ist es nicht - aber nach zwei- dreihundert Metern waren wir es leid, das Gelatsche durch den heißen Sand, Ärger mit ein paar besonders hartnäckigen Angriffsfliegen gab's auch noch, und wir haben es dann gelassen. Einen Nachteil hat Namibia doch, und zwar die Weitläufigkeit. Man fährt und fährt und fährt, bis man von einem Ort oder von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten kommt. Es gibt dort selbstverständlich ein Camp, auf dem wir den größten Staub aus dem Wageninneren entfernten und die Nacht verbrachten. Der Tag war rum. Ein Schloß gab es noch zu sehen. Imgrunde ist es weder meine noch Annetts Obsession, Schlösser zu besichtigen, dafür bräuchten wir auch nicht so weit fahren, aber es handelte sich um ein besonderes Schloß. In the middle of nowhere, wie die Engländer gerne sagen, hat ein Deutscher Adliger um 1900 tatsächlich ein kleines Schloß errichtet. Mit Zinnen, Türmchen und allem drum und dran. Unter Bedingungen, wie sie halt um 1900 herrschten, Ochsenkarren schon wieder, ohne Strom und Baumaschinen und all das. "Hansheinrich von Wolf, Sproß des Generalmajors Ernst Hugo von Wolf und seiner Frau Caroline Louise, geb. von Oppel" wie es respektvoll in der überlassenen Infobroschüre vor Ort heißt - wen das wohl interessiert
- setzte hier ein Denkmal für bourgeoise Großmannssucht gekrönt von dem Umstand, selbst das Personal aus Europa bezogen zu haben. Voll eingerichtet mit verschnörkelten Antiquitäten, Parkettfußboden und Holzvertäfelung und importierten Kaminöfen aus Nürnberg. Es erinnerte mich an Wolfenstein, vor Jahren mein bevorzugtes Computerspiel. Warum macht so einer das? Letztlich fiel mir keine befriedigende Erklärung ein. Angeberei - falscher Ort, sieht doch keiner. Geld verdienen, da es immerhin als Hauptgebäude dieser unermeßlich riesigen Farm diente - aber die hatten vorher schon genug. Nur mal so aus Jux, mal was anderes - dann doch lieber an der Küste oder wenigstens an einen Binnensee. Anderseits natürlich ein Schiß gegen den protzigen Petersdom, der uns an der Elfenbeinküste in Erstaunen versetzte. Daß der Sproß des Herrn von Generalmajor zum Seltsamen tendiert, zeigt auch sein Abgang. Ganze fünf knappe Jahre bewohnte er sein prunkvolles Schlößchen, bis er vom Krieg 1914 - 1918 hörte und nichts dringenderes zu tun hatte als sich freiwillig zur Front zu melden. Es kam, wie es kommen mußte, und zwei Wochen später war's um ihn geschehen. Seitdem hat sich nie wieder einer wegen des Gebäudes gemeldet und so steht es dort noch heute, bestens gepflegt und zum nationalen Kulturdenkmal erhoben, und für fünf Mark kann man es sich mal ansehen. Drinnen hängen noch die Bilder von seiner gruseligen Sippe und da wurde mir der Entschluß, sich freiwillig zum Sterben zu melden, etwas plausibler. Dieser Tag war auch abgegessen. Wir fuhren noch bis zum Ende der Piste, um am nächsten morgen nicht wieder Staub fressen zu müssen und besuchten eine Guest-Farm um die Nacht dort zu verbringen. Die Dame des Hauses, wie unsere Gastgeber in Windhoek auch, sehr besorgt über die Zukunft des Landes. In nächster Nähe zu dem kleinen Ort Maltahöhe gelegen, hatte sie ein Spiegelbild der Zukunft direkt vor Auge, wie sie meinte. Nur noch zwei Weiße lebten in dem Dorf und er ist für namibische Verhältnisse tatsächlich runtergekommen, verdreckt und müllig. Und auch sie zitierte den unverdächtigen Albert Schweizer - gleiches kam uns schon häufiger zu Ohren - der angeblich gesagt hatte: "Ihr sollt ihnen helfen, aber verbrüdern sollt ihr euch nicht." Ein Zitat, welches wunderschön ins Weltbild paßt. Ich besuchte als Junge die Albert-Schweizer-Schule und habe demzufolge eine Menge von ihm gehört, diesen Satz allerdings nicht. Ich kenne folglich auch nicht den Zusammenhang,
aber es interessiert mich brennend, wie dieser Mann, der sein Leben für die Schwarzen hergab, dies gemeint haben könnte. Ich wollte dem gelegentlich auf den Grund gehen. So langsam begann die Bummelei uns etwas zu langweilen und wir beschlossen, keine weiteren Sehenswürdigkeiten mehr anzusteueren und wieder ein paar Kilometer straight in die richtige Richtung zu fahren. Durch Südafrika nach Botswana, runter nach Lesotho und mit dem Flieger rüber nach Mauritius. Der Abschied von Namibia fiel uns im Gegensatz zu seinerzeit Gambia nicht schwer, da keine Schweineländer auf uns warteten. Nur Schönes, insbesondere Sun City, das Las Vegas Südafrikas, lockte uns. Bißchen zocken. So fuhren wir vier Tage geradeaus, nur unterbrochen von den sehr zuvorkommenden Immigrationsbeamten Namibias und Südafrikas und eines Reifens, der sich mit lautem Knall verabschiedete und uns kurz aus der Dumpfheit des immergeradeausfahrens weckte. Es war ansonsten komplett ereignislos. Die Landschaft verändert sich so gut wie nicht, das einzige, was sich bewegte war die Tankanzeige, die im Laufe des Tages ganz langsam von voll auf leer wanderte. Es ist ermüdend und wir ließen es entsprechend locker angehen. Nie starteten wir vor zehn und nie fuhren wir länger als bis siebzehn Uhr. Man kann es sich Einteilen wie man will, denn jeder Ort, den wir durchfuhren, war eine Erholung fürs Auge. Immer gepflegt, "gute Infrastruktur", wie der Reiseführer es nennt, mit Riesensupermärkten, kleinen Parks, Restaurants, Tankstellen, allen möglichen Läden und selbstverständlich einem Campingplatz. Wir erwischten bei einer Übernachtung den bislang preiswertesten und gleichzeitig schönsten, den wir je hatten. Der Ort hieß Upington, an sich schon ein Schmuckstück von Örtchen, aber der Campingplatz verdient besondere Erwähnung. Zwölf Mark für uns beide inklusive Fahrzeug. Zwei bewachte elektrische Tore müssen passiert werden, damit sich kein Unbefugter herumtreiben kann. Die Zufahrt besteht aus einer Palmenallee, die über einen Kilometer lang ist und in einer weitläufigen parkähnlichen Anlage mit riesigen Bäumen und dichtem Rasen sind Stellplätze vorgesehen. Jeder verfügt über einen Wasserhahn, Licht, Strom und einen gemauerten Grillplatz. Es gibt ein kleines Café, einen großen Pool, Sanitäranlagen ohne den kleinsten Mangel, Geschirrabwaschplätze, Kinderspielplätze, Wäscherei, Auto-waschplatz, Kiosk und das alles liegt am OrangeRiver, in dem auch gebadet werden kann. Es wimmelte von Vögeln
und Katzen. Wir waren versucht, einen Tag dort zu bleiben, aber es trieb uns weiter, bis wir am vierten Tag an der Grenze zu Botswana ankamen.
BOTSWANA
Grenzformalitäten fanden in sehr zurückhaltendem Maße statt. Es dauerte nicht länger als tanken. Was soll ich über Botswana sagen ... Es ist nicht Namibia und schon gar nicht Südafrika, es wird afrikanischer. Wir mußten öfters schrottreife Autos überholen, die Ausschilderung läßt schwer zu wünschen übrig, kaum noch Weiße. Trotzdem ein Land, in dem man sich nicht unwohl fühlt, wären wir aus einem andern Land eingereist, wären wir sicher begeistert gewesen, aber so gingen wir zügig die Briefmarkengeschichte an um uns nicht länger als nötig dort aufzuhalten. Sicher werden wir dem Land damit in keiner Weise gerecht, es gibt auch in Botswana Nationalparks, allerdings zu horrenden Preisen, wie uns erzählt wurde. Außerdem sind wir nicht zum Spaß hier, wie wir uns gegenseitig gerne ab und an mal mahnend bestätigen, aber seit wir in Kapstadt angekommen waren, stimmte dieser Satz kein Stück mehr. Hier fiel er uns kurz wieder ein. Wie wir so durch Gaborone düsten, immer am Suchen wegen der nicht vorhandenen Ausschilderung, tret' ich vor einer Ampel auf die Bremse und muß feststellen, daß da keine Bremse mehr ist. Ich trete ins Leere und kann gerade noch die Handbremse hochreißen um einen Auffahrunfall zu verhindern. Was soll das denn ... Noch nie erlebt, sowas, daß die Bremse von einem aufs andere Mal Nullwirkung zeigt, ohne vorher die kleinste Warnung von sich zu geben. Jetzt fuhren wir gaaanz vorsichtig ohne Bremse und ohne Versicherung - und schlichen zur nächsten Werkstatt. Ich hatte noch einen Blick auf die Bremsflüssigkeit geworfen, aber die war ausreichend vorhanden. Damit war ich mit meinem Latein auch schon am Ende. Die erste Werkstatt war furchtbar nett, schickte uns aber zu Mercedes. Auf die feine Art, mit einem Fahrzeug mit Warnblinker vorweg, umsonst und freundlich. Bei Mercedes angekommen erlebten wir genau das, was wir uns vorgestellten und was uns zu dem Entschluß geführt hatte, einen Benz und sonst gar nichts zu kaufen. Auch wenn jetzt eine kleine Werbeeinblendung für diesen Rüstungskonzern kommt - was soll's, es war nun mal so.
Man brachte uns zum Empfang und dort kümmerte sich ein Berater um uns. Wie zu Hause. Neben der Materialausgabe die Abteilung für sinnlose Accessoires, einen Raum weiter die Plätze mit den Sichtgeräten, an denen man dem Berater gegenüber sitzt und wie beim Arzt bei einem Gratiskaffee von seinen Problemen berichtet. "Fahren sie auf den Hof, der Werkstattmeister wird sich umgehend um sie kümmern". Und was für einer. Ein Libanese, schätze ich, von imposanter Gestalt mit zwei Schwarzen im Blaumann im Schlepp checkt kurz die Situation und gibt dann seine Anweisung: "Come on boy ! Ich will von jeder Bremsleitung wissen, ob da irgendwas feucht ist. Schwing dich unters Auto und prüf' das. Mach das ordentlich, ich werde es kontrollieren. Und du, du baust sofort den Hauptbremszylinder aus und nimmst ihn als Muster mit ins Lager und findest heraus, ob wir einen solchen haben. So was ist... Was stehst du hier noch rum, Buschmann, irgendwas unklar ...?! Dann beweg' deinen Arsch, die Gäste aus Europa haben nicht ewig Zeit." Er sagte dies lachend, bestimmend und ironisch und die Maschine rollte an. Die auf Lager befindlichen Hauptbremszylinder waren alle seitenverkehrt von wegen Rechtssteuerung und er sagte, er wolle es erst einmal mit einem kompletten Wechsel der völlig trüben und dreckigen Bremsflüssigkeit probieren. Wahrscheinlich immer noch vom Erstausstatter. Er pfiff weitere drei Mann hinzu. "Der mit den größten Füßen hinters Steuer und pumpen, der Schlauste - hmm, wir haben keinen schlauen - geh du, Bushman, du kippst immer Bremsflüssigkeit nach und ich mach das Entlüften, ich will ja heute noch mal nach Hause." Das ging zack zack. Es standen mittlerweile acht Mann ums Auto und fragten uns zu unserer Tour, Chefchen tönte unterm Auto, daß ich auf mein Werkzeug gut achtgeben solle, die Boys haben flinke Finger wenn sie wollen, was schmunzelnd bestritten wurde. " Los, Achter-Ring-Gabel. Bist du nur bescheuert, Boy, Achter sagte ich ... komm, mach hin mach hin ... na bitte geht doch ..." Pumpen, halten, wieder pumpen und die Bremse war wieder da. "So" sagt er, "fahrt erstmal los, und sagt mir morgen, ob's ok war. Kann sein, daß es das nicht war, dann denken wir uns etwas anderes aus, aber fahrt erstmal vorsichtig und testet das an." Bis dahin kostete es nicht eine Mark und alle winkten uns, weit nach Feierabend, lachend hinterher, als wir vom Hof rollten. Wir fuhren also mit dem eigenen Auto vom Hof, den angebotenen Ersatzwagen brauchten wir nicht in Anspruch nehmen, und suchten
eine Übernachtungs-möglichkeit. Botswana, wie gesagt, ist nicht Südafrika, und wir nahmen die einzige Campingmöglichkeit wahr, die wir finden konnten. Ohne Toiletten, ohne Strom mit kalten Duschen. Wir klebten bis spät in die Nacht unsere Briefmarken in die Bögen und mußten am nächsten morgen seit langem mal wieder den Morgenschiß in den Busch setzen. Wir ließen als erstes abstempeln, problemlos, und fuhren wieder zu Benz, um zu berichten, daß die Bremsen wieder funktionierten wie gewohnt und um unsere Rechnung zu bezahlen. Das ist bei Mercedes oftmals eine der unangenehmeren Prozeduren. Und was sagt er. "Ich bitte euch, wofür denn. Viel Glück bei eurer Reise und kommt heil in Deutschland an." All right, wir bedankten uns, ließen ein paar kleine Schnapsfläschchen da und fuhren geraden Weg wieder nach Südafrika nach Sun City. SUN CITY & LOST CITY
Was nun kam ist ungemein schwer zu beschreiben. Ich werde alle Superlative benötigen, die ich je hörte. Es übertraf alles, was ich je gesehen hatte. Wie fange ich am besten an ...? Ich bringe noch einmal das Schlößchen von Sproß Wolfenstein in Erinnerung. Vergiß die lausige Hütte. Ich erwähne auch noch einmal den Petersdom an der Elfenbeinküste. Ein lächerlicher Haufen Steine. Alles ein Dreck gegen Sun City. Dieser Ort liegt nicht am Meer, er liegt auch nicht im Dschungel, er liegt im Nirgendwo mitten im ehemaligen Homeland Bobhuthatswana. Zu den Gründen für diese Standortwahl komme ich später. Das bedeutet nicht, daß man dort nicht am Sandstrand liegen und in den Wellen toben kann - sogar mit klassischer Musik unter Wasser. Man hört die Löwen brüllen, flaniert an Wasserfällen vorbei, durchstreift den tropischen Regenwald und erlebt stündlich auf einer Brücke, die Lost City und Sun City verbindet, ein simuliertes Erdbeben. Alles von Menschen gemacht, gigantisch, atemberaubend, perfekt bis ins kleinste Detail. Aber das ist noch lange nicht alles. Es ist nicht nur Las Vegas, obwohl es ein Paradies für Spieler ist, es ist kein Einkaufszentrum, obwohl es die feinsten Geschäfte gibt, es ist auch nicht nur ein Ferienparadies, obwohl sich dort die besten Hotels befinden, die man sich vorstellen kann und es ist auch kein Freizeitpark, obwohl es die abgedrehtesten Vergnügungen gibt und es ist auch kein Kongreßzentrum, obwohl ständig Kongresse stattfinden. Es ist alles, von allem noch ein ganzes
Stück mehr. Wir trafen unterwegs Leute, die zu Sun City naserümpfend bemerkten, dies sei doch nicht Afrika. Natürlich nicht - Schwachkopf - hat auch keiner behauptet. Euro-Disney ist auch nicht Frankreich - obwohl, schön wär's ja ... Sun City nimmt afrikanische Themen und Träume auf und inszeniert sie mit nicht zu überbietender Perfektion. Zur weiteren Einstimmung ein paar Fakten, um die Dimension von Lost City und Sun City, die man gemeinsam sehen muß, rüber zu bringen. Über allem thront der Palast. Ein Gebäude wie ein Traum und "nichts auf Erden übertrifft seinen üppigen Prunk", wie es in einer Broschüre heißt. Um den siebzig Meter hohen Mittelturm liegen die 338 Schlafzimmer. Jede einzelne Tür massiv und von Hand geschnitzt. Man betritt ihn durch ein Prunktor aus majestätisch, kannelierten Säulen. Ringsherum Brunnen, Wasserfälle, Bäche und eine überlebensgroße Jagdszene, wie Leoparden eine Gruppe Impalas jagen. Im Palasthotel trifft der Blick von einer Kostbarkeit auf die nächste. Der Fußboden im Foyer besteht aus einem Mosaik aus 300000 Splittern polierten Marmors, an der Wand befindet sich ein weiteres Mosaik aus 10 000 Halbedelsteinen in Stile persischer Teppiche, in der Mitte eines Saales wird von vier Elefanten ein kolossales Bronzegefäß getragen - mal so eben als Blickfang. Deckenmalereien in 25 Meter hohen Lichtkuppen, Wandteppiche, unbeschreibliche Kronleuchter, eine überquellende Fülle aus Kristall, Bronze und Marmor. Es sind 5 650 Quadratmeter Marmor, 425 000 Quadratmeter Gemälde, 50 000 Quadratmeter Teppiche und 6 500 Lampen, ich hab's vermessen und gezählt. Fünfundsiebzig Spitzenköche sind angestellt, damit die im hoteleigenen biodynamischen Kräuter- und Gemüsegarten gezogenen Gewächse auch kompetent zubereitet werden. Allein in der King-Suite befinden sich achthundert handgearbeitete Kostbarkeiten und Kleinodien um die Sinne zu erfreuen. Im Zentrum der Anlage befindet sich ein Nachbau des Meeres mit drei kleinen Inseln, umgeben von einer Wasserlandschaft aus Bächen, Wasserfällen, künstlichen, unterirdischen Wasserkanälen und steilen Wasserrutschen. Eine Wellenanlage sorgt für 1.80 Meter hohe Wellen, unter Wasser, falls man gerne taucht, spielt klassische Musik. Hier riecht es nach Meerwasser, als nur ein Beispiel für die Detailverliebtheit der Erbauer. Daneben gibt es das königliche Bad im Stile der römischer Bäder. Eine hundert Meter lange Steintreppe,
nachts von Gasfackeln beleuchtet, in deren Mitte ein Bächlein den Berg herunter rieselt, verbindet den Palast mit dem römischen Bad. Alles bewußt im Verfall befindlich gestylt, brüchig und rissig wie die Akropolis. Dort findet man ein Amphitheater und die Observatoriumsbar, eine Kuppel, von der man am Nachthimmel die Sterne beobachten kann. Dies alles ist umgeben von Dschungel und tropischem Regenwald und Ziergärten, mit Bäumen, die viele hundert Jahre alt sind. Über 3 000 verschiedene Pflanzen wachsen dort, allesamt angepflanzt und künstlich bewässert, wie auch der Dauerregen im tropischen Regenwald natürlich ebenso künstlich ist. Zu diesem Arrangement, Lost City genannt, verkünden Tafeln die Legende einer weit zurückliegenden Kultur, die schon vor hunderten von Jahren solche Paläste und Landschaften zu schaffen in der Lage war, aber durch ein Erdbeben zerstört wurde. Ihr zu Ehren hat man diese Stadt wieder auferstehen lassen. Unnötig zu betonen, daß dieser Mythos frei erfunden ist, aber er macht Spaß. Über eine Brücke verläßt man Lost City. Die Brücke der Zeit. Auf jeder Seite von ihr stehen fünf Elefanten, alles ist im Stil von Indiana Jones errichtet. Risse durchziehen das Gemäuer, Teile sind abgebrochen. Rauchgeschwärzte Höhlen und Gruften tun sich auf. Die Brücke führt in einen Felsen, der durch in Stein gemeißelte, überlebensgroße Tierreliefs eindrucksvoll verziert ist. Jede Stunde findet auf der Brücke ein Erdbeben statt. "Tief aus der Erde brechen mit plötzlichem Zischen urgewaltige Kräfte hervor, und Dampf wallt aus den Spalten der Felsen. Bis in die Grundfesten hinein erschüttert ein Beben die Brücke." So beschreibt es ein käuflich zu erwerbender Prospekt. Sie führt nach Sun City, dem Unterhaltungszentrum der Anlage. Unzählige Neonlichter schillern in den mehrstöckigen Kuppelgebäuden, überall klingeln und scheppern Daddelautomaten, Flipper, Videospiele und sonstige Unterhaltungsmaschinen. Auch hier herrscht Größe und Prunk, aber dezenter und moderner, nicht so barock. Das alles ist umgeben von Kinos, Geschäften, Restaurants und reichlich Fast-Food-Läden, alles bestens klimatisiert und ansprechend dekoriert. Überall stehen Aschenbecher herum mit schwarzen Sand, in der nie eine Kippe länger als ein paar Minuten liegt, bevor sie von einem Mitarbeiter unauffällig entfernt wird. Viele rauchen, aber nirgendwo riecht es nach Rauch.
Von dort erreicht man das Sun City Hotel, in dem die Evening-Show stattfindet und in dem sich das Casino befindet. Ein wenig abgelegen das Kongreßzentrum. Alle Hotels sind spitzenklasse und decken ein anderes Klientel ab. Reiche, Geschäftsleute, Besserverdienende und Leute mit Kindern, so, daß keiner durch die Interessen der anderen gestört wird. Apartheid, the guys stay apart from each other. Nie ist es irgendwo sonderlich überlaufen. Natürlich gibt es noch einen eigenen Flugplatz, zwei Golfplätze, an einem befinden sich in einem Wasserloch lebendige Krokodile, Seaworld für Freunde des Wassersportes wie Wasserski, Jet-Ski und solche Sachen, Reitmöglichkeiten, Pools an jeder Ecke, eine SkyTrain, um von einem Ort zum Andere zu kommen, kostenlose Busse im Zehn-Minuten Takt, Tiergehege - ach, und noch so dies und das. Das alles hat seinen Preis. Der Eintritt ist sehr moderat. Pro Person zahlten wir ca. 17,. DM, wobei wir ca. 13,- DM in Form von SunBucks wieder bekamen, mit denen man überall bezahlen kann. Also so gut wie nichts. Die Hotelpreise sind von-bis. Das preiswerteste Doppelzimmer geht für 180,- DM, das teuerste geht für zwei Mille, ohne Frühstück. Mit der Verpflegung verhält es sich ähnlich. Man kann Pizza oder Hamburger für günstig nehmen, ebenso kann man fünfhundert Mark in ein aufwendiges Menu investieren. Einen Campingplatz gibt es - ich muß sagen: Gott sei Dank - nicht. Leute, die im Trainingsanzug mit einem Stapel Schmutzgeschirr rumlaufen und Wäscheleien mit Windeln vollhängen passen wirklich nicht so recht ins Bild. Und dann bleibt es einem selbst überlassen. Der Eintritt in die Badelandschaft muß mit nochmals 17,- DM pro Person erkauft werden, aber das ist es wert, hundertprozentig. Wie man das Kasino und die Slot-Machines finanziell übersteht ist ungewiß. Schon einige kamen mit 'nem Toyota und verließen Sun City mit einem Rolls Royce, vielen gelang es aber auch umgekehrt. So, rübergekommen das Ambiente ? Hoffentlich wenigstens etwas. Wir kamen im strömenden Regen am Eingangstor von Sun City an. Es ähnelt einer vielspurigen Zahlstelle auf der Autobahn, bloß viel aufwendiger und einladender erbaut. Wir erhielten unsere Sun-Bucks und fuhren an einem weitläufigen und leeren Parkplatz vorbei, von dem die Sky-Train startet, über ein paar Straßen in die Anlage hinein. Auf dem ersten Hügel sieht man bereits in der Ferne den Palast. Er erinnert an das Schloß in Schwerin, er ist nur Größer und Schöner. Wir steuerten einen der großzügig angelegten Parkplätze an und
gingen von dort aus ins Entertaiment-Center. Wir kommen beide aus der Großstadt und Deutschland ist nicht so hinterm Mond, als daß einen jeder Mist in Erstaunen versetzt, aber wir liefen durch die Hallen und Dome wie die Land-Ossis beim ersten Kiezbummel. Die Quadratkilometer Auslegware, speziell angefertigt, die Temperatur, körpergerecht, die Luft, die Architektur, wir waren nur am Abstaunen. Nichts ist vergessen worden, die Atmosphäre ist an jeder Stelle geglückt und wir liefen wie die Kinder von hier nach dort, mußten oft lachen über den Einfallsreichtum und die Beachtung kleinster Details, über den Mut zu solch einem Engagement und die Kühnheit, selbst ein künstliches Erdbeben zu inszenieren, zu dem sich stündlich Gruppen einfanden und sich dieses Spektakel ansahen. Aus versteckten Lautsprechern dringen bedrohliche Laute, aus Spalten und Ritzen quillt Qualm, die Brücke erzittert wie ein riesiger Vibrator und japanische Reisegruppen quieken vor Vergnügen und machen Fotos vom Weltuntergang. Überhaupt wimmelt es von Japanern, die wir in Afrika bis dahin noch nie zu Gesicht bekommen hatten. Das machen sie dann also doch. Nachdem sie vier bis fünf Jahre 12 Stunden am Tag durchgearbeitet haben, bilden sie kleine Gruppen und fahren nach Sun City, um mal einen unverfälschten Eindruck vom schwarzen Kontinent zu bekommen. Ihnen läuft bestimmt ein wohliger Schauer übern Rücken, wenn sie nachts im Bett des Palast-Hotels aus High-Tech-Lautsprechern das bedrohliche Gebrüll der wilden Tiere vernehmen. Wir hatten eine lange Anreise, der Tag war rum und es wurde dunkel. Wir flipperten, bretterten ein paar Mal die Skipiste auf der Simulationsanlage runter und machten uns auf, das Kasino zu besuchen. Im Foyer lief uns - wer könnte besser in diese Welt passen - der leibhaftige Michael Jackson über'n Weg. Der unbestrittene Meister des Künstlichen mit seiner Familie und großem Troß war unangemeldet angereist, um sich die Evening-Show in Sun City anzusehen. Wenn er extra diesen Weg macht, um diese Show zu sehen, kann sie nicht so schlecht sein, und wir gingen ihm nach und schlichen wie er, kurz nach Beginn der Vorstellung, in das dunkle Theater. Kaum einer hatte seine Ankunft bemerkt, das hat er drauf, stickum rein und fertig. Auf der Bühne lief Michael Jackson, wie abgefahren. Ein dem Original aufs Haar gleicher Typ sang live mit der gleichen Stimme einige Jackson-Hits, hatte jede Bewegung drauf, vom Moonwalk bis zum gekonnten Griff an die Eier. Man
muß es sich reinziehen. Da bewegt man sich nun zwischen Felsen, die keine sind, die Erde bebt nur mal so, nothing is real, und sitzt in einem Theater, sieht Michael Jackson, der es nicht ist, und neben einem sitzt der wirkliche Michael Jackson, an dessen Echtheit generell begründete Zweifel bestehen. Was für ein Tag, am morgen noch in den Busch gekackt und jetzt diese Szene ... Die Show war so perfekt wie alles in Sun City. Weltklasse Illusionskünstler führten durchs Programm, welches noch Tom Jones, einige Tina Turners, Liza Minelli, Bette Midler und noch ein paar mehr täuschend echte Double zu bieten hatte. Am Ende der Show kam der falsche Michael Jackson noch einmal auf die Bühne und bat den "greatest entertainer of the planet" kurz ein paar Worte zu sagen. Der, ich meine den falschen, war natürlich gänzlich aus dem Häuschen. Was muß es für ein Gefühl sein, das ganze Leben jemanden bis in die kleinste Geste zu imitieren und ihm dann höchstselbst zu begegnen. Da standen sie nun beide, und die scheue, bleiche Originalversion wirkte bedeutend künstlicher als das aufgekratzte Double. Er hauchte ein paar unverbindliche Worte ins Mikro - I love you, wonderful, und noch einen halben Nebensatz und drückte sich an uns vorbei durch den Seitenausgang und war im Konvoi, in dem ein Krankenwagen nicht fehlen durfte, blitzschnell und leise wieder auf dem unbekannten Planeten der weißen Schwarzen verschwunden. Selbst aus einem halben Meter Entfernung, face to face, wirkt er wie eine Wachsmarionette, ängstlich und zerbrechlich. Den Hut tief ins fahle Antlitz gezogen, den Kopf geneigt, die Hand im weißen Handschuh schützend vorm Gesicht, schleicht er sich fort, der arme reiche Megastar, immer Vater und Mutter im Nacken und einen kleinen Jungen dabei. Die personifizierte Neurose. Plastic fantastic, wir waren berührt. Wir blieben im Plastikrausch, tauschten im Kasino etwas echtes Geld gegen Plastikjetons und setzen planlos hier mal was und da mal was bis die Chips alle waren. Wir hatten bei sowas noch nie Glück, und solange es uns bei anderen Dingen treu bleibt, wollen wir auch höchst zufrieden sein. Alle vier Hotels waren ausgebucht, und so legten wir uns auf dem Parkplatz ins Wohnmobil, sparten auf diesem Weg ein paar Scheine, und schliefen ungestört die restliche Nacht durch. Am nächsten Tag setzten wir den Rundgang fort. Es begann am Frühstücksbuffett eines der Hotels - Frühstück vom Allerfeinsten -
und wir liefen anschließend durch den Wasserpark, den wir am Vortag des Eintritts wegen kurz vor der Dunkelheit nicht aufgesucht hatten. Und da war unser kleines Glück wieder da. Der Kassierer mußte wohl mal kurz weg, jedenfalls war keiner da, als wir durch die Pforte gingen und die Spielverluste waren kompensiert. Der Wasserpark ist, wie das ganze Ding, unfaßbar. Unfaßbar schön. Durch ewig lange Bäche, mal unterirdisch, mal überirdisch, kann man sich auf bunten Gummireifen treiben lassen, verwegene Rutschkonstruktionen gibt es und eben das Meer. Zum Zeichen, daß eine Welle kommt, sprühen aus einer Reihe Löwenköpfe kurze Fontänen und dann rauscht sie mit einem Knall durch den See und brandet an den Strand. Einen Weg durch den Dschungel gibt es, überall blüht es und riecht verführerisch, über künstliche Felsen springt man an Wasserfällen vorbei über Bäche und wird im Regenwald naß vom künstlichen Regen. Aus allen möglichen Perspektiven sieht man den Palast, den ich in seiner ganzen Schönheit einfach nicht beschreiben kann. Jede Ansicht bietet neue Überraschungen, das Mosaik im Pool, der lebensgroße Elefantenbulle aus Bronze, die Kraniche an den Türmen, die Zwiebeltürme aus Stoßzähnen, es haut einen um, es geht nicht besser. Auch wir wurden allerdings Opfer der Apartheid by money, einige der eingangs geschilderten Einrichtungen blieben den Gästen des Palastes exklusiv vorbehalten. Aber dafür brachten wir jedes Verständnis auf, sie zahlen richtig und kaufen sich völlig legitim eine gewisse Exklusivität, die sie auch haben sollen. Wer hat schon Lust zwei Riesen pro Nacht zu legen und tagsüber rennen hordenweise Typen in Shorts vorbei die aussehen, als kämen sie von einer Messe für Kameras und Camcorder. Uns kam folgende Idee. Wenn wir diese Reise mit einem finanziellen Erfolg abschließen, und zwar in der Größenordnung, daß sich unsere finanziellen Möglichkeiten erweitern, werden wir dies genau hier, im Palasthotel von Lost City, eine Woche lang feiern. Unter Hinzufügung von ein, zwei Dingen, die wir mitbringen werden, denn alles, was das Leben schön machen kann, wird nicht angeboten, für Specials muß selber gesorgt werden. Wollen wir dann gerne tun. Und dann ist es aufregend, wenn es noch ein paar Dinge zu entdecken gibt, zu denen wir diesmal, als verylow-budget-Gäste, keinen Zutritt hatten. Wir beschlossen, nach Etosha die zweite glatte Eins Plus an Sun City zu vergeben, so was abgedrehtes, so irreal und trotzdem real und irgendwie dann doch
wieder nicht. Das einzige, was uns mißfiel war das Wetter. Cloudy City hätte besser gepaßt und so blieb uns das Badevergnügen wegen leichter Kühle vorenthalten. Wir liefen noch alles Erreichbare ab und verließen Sun City vorerst, um auf den Campingplatz im nahegelegenen Game-Resort zu wechseln. Erstmal wieder in die Wanne, einen Tag lang Tiere gucken und wenn das Wetter sich bessert schnell noch einen Strand- und Rutschtag im Wasserpark einschieben. Eines hätte ich bald vergessen, die Begründung zur Standortwahl wollte ich noch nachschieben. Die Buren sind es, deren rigide Moralvorstellung sowohl Glücksspiel als auch sexy Shows in Südafrika verbieten. So nahm der Erbauer, ein Mann namens Sol Kerzner, einfach ein Homeland als Ort seiner Investition von einer guten halben Milliarde DM, das zum Zeitpunkt der Erbauung noch als selbständiger Staat anerkannt war. Sol Kerzner gilt als einer der wohlhabendsten und einflußreichsten Männer des Kontinents und von ihm wird gesagt, er mache mehr Umsatz als alle Schwarzen Südafrikas zusammen. Dann sollen die Buren sich meinethalben in Leinengewändern zur Öllampe versammeln und sich Gedanken zur Verwerflichkeit und der Sünde machen. Diese Arschlöcher, die vom Härtesten jahrelang ein menschenverachtendes Mörderregime installiert und betrieben hatten, regen sich über ein paar Titten und Dattelapparate auf. Typisch. Unser Wetterplan schien voll aufzugehen. Den ganzen nächsten Tag kreuzten wir durch den verhältnismäßig kleinen Nationalpark und mit jeder Stunde verbesserte sich das Wetter. Dieser Park ist völlig anders als Etosha. Landschaftlich reizvoller. Kleine Hügel und Berge gibt es, Seen und sehr viel grüne Bäume und Büsche. Für die Tiere sicher bedeutend angenehmer als die glühende Steppe im Norden Namibias, sie können überall grasen, sich verstecken und sind nicht auf die wenigen Wasserlöcher angewiesen. Für den Besucher allerdings eher von Nachteil. Der dichte Bewuchs versperrt die Sicht, die Tiere sind nicht an einer vorhersehbaren Stelle, den Wasserlöchern, abzupassen und selbst, wenn man welche entdeckt, erhascht man oftmals nur einen flüchtigen Blick, weil sie auch scheuer sind und gerne im Busch verschwinden, sobald man das Auto stoppt oder den Motor ausmacht. Das finden sie verdächtig und hauen lieber ab. Als Ergänzung war es allerdings sehr nett. Eine Vielzahl Affen und Warzenschweine beobachteten wir, beide Arten
waren recht agil und sogar ein Nashornpärchen sahen wir das erste Mal bei Tageslicht und nicht am beleuchteten Wasserloch. Wir waren wieder einmal sehr glücklich und zufrieden und freuten uns über den immer mehr aufreißenden Himmel und erwartungsvoll sahen wir den Badespielen am nächsten Tag entgegen. So kamen wir nachmittags wieder auf dem Campingplatz an und unser Plan hatte einen ganz wesentlichen Faktor vernachlässigt: Wochenende ! Freitags, mit Kind und Kegel hatten sich Karawanen von Wohnwagen eingefunden, überall hämmerte und werkelte es beim Aufbau doppelgaragengroßer Vorzelte und Gören über Gören, von drei bis dreizehn, lärmten durch die Gegend. Wir blickten in den zwischenzeitlich wolkenlosen Himmel, blickten um uns herum, zwei sturmklingelnde Stützradfahrer rasten vorbei und wir dachten an W.C.Fields: "Wer junge Hunde und Kinder haßt, kann ein so schlechter Mensch nicht sein." Sie werden morgen alle im Wasserpark rumstinken, die Rutschen und Grotten kreischend verstopfen und uns graute vor der Vorstellung, uns im von Kinderpisse gelblichen Wasser mit den unzähligen Blagen um die bunten Schwimmringe zu streiten. Bullshit, kann kein regulärer Wochentag sein ... Wir schliefen im Grillrauch und mit dem Gezeter der Lütten, die ständig irgendwelche Konflikte ausheulen mußten, und dem aufdringlich lebensbejaenden Freizeitlachen der essenden und trinkende Elternrunden im Ohr ein. Das ist genau der Grund, warum ich es aufs schärfste begrüße, daß Sun City selbst keinen Campingplatz hat und hohe Hotelpreise ansetzt. Schutzpreise, es mag gemein sein, aber es hilft. Wenn sie jetzt noch auf Tagesgäste verzichten würden, wäre alles geregelt. Wir wollten lange pennen, dann die zwanzig Kilometer zum Tor von Sun City fahren und je nachdem, was der Parkplatz für Tagesbesucher für ein Bild abgibt, weiter fahren oder den zweifelhaften Versuch wagen, den Wasserpark trotzdem aufzusuchen. Ist ja möglich, daß die nur so das Wochenende gerne auf Campingplätzen verbringen und am Pool bleiben - Kinderspielplatz gibt es auch - aber allzu wahrscheinlich erschien uns das nicht. So machten wir es und erreichten Sun City gegen zwölf Uhr. Allerbestes Wetter, der Parkplatz zu einem Zehntel gefüllt, was auch schon eine Menge ist, und wir riskierten es. Es war wie vermutet, der Wasserpark war unangenehm voll, aber gerade noch erträglich. Wir testeten jede Rutsche bis auf die ganz Große, jede ist geil, wir
sprangen durch die künstliche Brandung, duschten unterm Wasserfall, rauchten im königlichen Bad eine Zigarette und ließen uns den heiligen Fluß herunter treiben. Ein sehr gelungener Tag und wir wagten uns nicht vorzustellen, wie es sein muß, wenn der Parkplatz ausgelastet ist. Am später Nachmittag fuhren wir zurück auf den Campingplatz um am nächsten Tag nach dem exzellenten Frühstücksbuffet, das hier jedem Morgen für fünf Mark Eintritt aufgebaut wird, wieder eine Zweitagestour bis Lesotho anzugreifen. Wir machten uns auf die Socken und hatten bei der Planung der Strecke einen kleinen Konflikt. Der direkteste Weg führte über Pretoria und Joh'burg nach Lesotho. Aber über Johannesburg fahren ist riskant. Nicht so riskant wie Lagos, das wäre schlimm, aber es geht in die Richtung. In Lagos ist der Raub, der Überfall, mit Pech sogar der Mord besiegelte Sache, begeht man den Fehler, die Stadt über Land erreichen zu wollen oder sich ihr auch nur auf fünfzig Kilometer zu nähern. In Joh'burg erhöht sich die Chance, Opfer eines Verbrechens zu werden dramatisch, aber es muß nicht unausweichlich passieren. Die überlastete Polizei ist noch nicht Teil oder sogar Speerspitze der Gangster geworden, so daß Ortskundige bei einer gewissen Umsicht tagsüber keine heldenhaften Einzelkämpfer zu sein brauchen, um sich in Joh'burg zu bewegen. Joh'burg ist das Krebsgeschwür von Südafrika und alle hoffen, daß es nicht streut und keine Metastasen bildet. Es ist von Townships umsäumt und die besitzlosen Schwarzen sind mittlerweile bis in den Stadtkern vorgedrungen. Wir umkurvten also östlich und kamen in ein Schlechtwettergebiet. Wir hatten keine Ahnung, daß es so etwas gibt, aber die Temperatur sank von Stunde zu Stunde, Blitze zuckten am Himmel, es regnete und hagelte so stark, daß beachtliche Haufen Hagelkörner die Landschaft bedeckten und es sah aus wie im Winter. Nebel, tiefhängende Wolken, stehende Pfützen, alles grau in grau. Am hellichtenTag fuhren alle mit Licht, ein Gefühl wie in Hamburg Mitte November. Von den fünfunddreißig Grad, mit denen wir in herrlichstem Sonnenschein gestartet waren, blieben bis nachmittags gerade noch zwölf, und der Portier am Campingplatz klärte uns auf, daß es sich in dieser Gegend immer so verhält. "Wartet die Nachttemperaturen ab. Es wird keinen Schnee geben, wie in Deutschland, aber es wird jede nacht sehr kalt. Fahrt morgen weiter Richtung Süden, und die Temperaturen werden wieder angenehm
warm werden." Hoffentlich ! Wir mummelten uns ein, verschlossen die Fenster, duschten nicht mehr und sahen einer frostigen afrikanischen Nacht entgegen. Es wurde eine kalte Nacht und tatsächlich besserte sich das Wetter am nächsten Tag nach wenigen Kilometern. Allerdings wurde es nicht mehr so heiß, je weiter wir nach Süden kamen, die Tagestemperatur pendelte zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Grad ein, allerbeste Reisebedingungen. So fuhren wir durch Täler und Hügel, vorbei an saftigen Weiden, Wäldern und Seen, durch Landschaften, wie man sie auch in Deutschland finden kann. Wir stoppten in der letzten Stadt vor der Grenze nach Lesotho da wir nicht wußten, wie die Übernachtungsmöglichkeiten in dem kleinen Staat sein mögen und begaben uns erst am nächsten morgen ins Land. LESOTHO
Lesotho liegt mitten in Südafrika, ist umzingelt. Grenzformalitäten waren wieder einmal nicht erwähnenswert und gegen neun Uhr rollten wir in die Hauptstadt Maseru ein. Uns kam es ein wenig vor wie ein Nationalpark, wie ein extra für Touristen aufgebautes Stück echtes Afrika mitten in dem überaus europäischen Land. Die Stadt ist sehr afrikanisch, überall Stände und Buden, kaum Hinweisschilder, viele Menschen auf der Straße. Einige schrottreife Autos scheinen ausschließlich die Aufgabe zu haben, hektisch hupend hin und her zu rasen um Afro-Flair zu verbreiten und die Ampeln sind wie Wasserlöcher. Hier treffen sich alle Arten, um dem staunenden Reisenden zu zeigen, wie es in Afrika abgeht. Es wird gebettelt, angequatscht und feilgeboten was das Zeug hält. Zerlumpte Typen, andere wieder folkloristisch in Decken gewandet und wieder andere lässig sportiv mit Pudelmütze und Trainingsanzug. Auch der Müll wurde nicht vergessen, überall sorgfältig plaziert Dosen, Plastiktüten und Unrat aller Art. Extrakräfte stehen an den Ecke und pissen in die Landschaft, Kollegen zischen einem nach - ein gelungenes Szenario, ähnlich wie in Sun-City wurde kein Detail übersehen. Selbst Kamikaze-Fahrer gibt es, die verhindern, daß man dösig wird und einem unvermutet Ausweichmanöver oder Bremsungen abverlangen. Schick ! Wir steuerten auf direktem Weg das Postamt an um möglichst die Briefmarkensache an einem Tag zu erledigen und uns schleunigst
wieder nach Südafrika zu verdrücken. Nach dem Ankauf der tausend Stück fuhren wir ca. zwanzig Kilometer ins Land, um eine Stelle zu finden, an der wir ungestört halten können um die Bögen vorzubereiten. Wir waren noch verwöhnt und suchten diese Anhalten mit Baum und Tischchen, wie sie in Südafrika alle paar Kilometer auftauchen. Das war nichts. Überall Menschen, nirgendwo ein abseits gelegenes Plätzchen und wir fuhren wieder mitten rein nach Maseru direkt vors Postamt. Im dicksten Gewühl herrscht manchmal mehr Anonymität als Abseits. So zogen wir die Rollos runter und erledigten das Reißen und Kleben über die Mittagspause der Post gänzlich unbemerkt und unbehelligt. Es blieb noch etwas Zeit, aus dem Auto heraus die Menschen in den Straßen zu beobachten. Es macht alles einen sehr fröhlichen Eindruck, es wird viel gelacht und die meisten wirkten zufrieden. Es paßte gerade mit der Beendigung unserer Arbeit, daß wir nach der Mittagspause gleich mit den Aluboxen ins Postamt konnten und gingen schnurstracks zum Philatelisten-Büro, wo wir auch die Marken gekauft hatten. Dort saßen vier Frauen, die anfangs etwas entsetzt auf die Kartons schauten, aber gleich entspannter wurden, als wir erklärten, daß sie nicht einen Finger rühren müßten, sondern daß wir selber stempeln. Wir fingen also an, und die Erste fragte, ob sie helfen könne. So ließen wir sie einen Karton stempeln, sie war geschafft, die Nächste bot sich an, wir gaben eine Runde Getränke aus, und so ging es reihum. Die Mädels machten einen kleinen Wettstreit, wer am deutlichsten und akkuratesten stempelt, gaben uns die verbindliche Anweisung zu entspannen und nichts zu tun und arbeiteten flaxend und singend alle tausend Bögen weg. Eine tolle Atmosphäre in dem kleinen Büro. Als sie fertig waren, sagte ich, daß sie den Preis für das freundlichste, fröhlichste und netteste Postamt in Afrika gewonnen hätten und heftete einen fünfzig Maloti-Schein an die Wand, etwa zwanzig Mark. Sie riefen ihren Chef an, in dessen Gegenwart ich dieses nochmals wiederholen mußte und es war sofort Partystimmung ausgebrochen. Wir mochten ihnen gar nicht sagen, daß wir schon wieder auf dem Weg aus dem Land raus waren - außer dem Postamt sagte es uns nicht so ganz zu - und wir wurden mit Applaus und einer Million bester Wünsche aus dem Amt geleitet. "Kommt morgen wieder und bringt ruhig noch mal fünftausend Bögen mit ..."
Wir verließen den Afro-Park-Lesotho in Superstimmung und stellten fest, daß so etwas in Deutschland völlig fehlt. Es wäre ein Leichtes gewesen, einen Zonen-Park einzurichten, ein Ossi-Homeland. Genau nach dem Beispiel des Königreichs von Lesotho. Mit einer eigenen Regierung, eigenem Geld, eigenen Briefmarken und Visazwang. Alles hätte so bleiben können wie es war, die Gegend um Bitterfeld drängt sich geradezu auf. Die preiswerten und urgemütlichen Dreiraumwohnungen mit fließend warm Wasser und Fernheizung in Plattenbauweise hätten genug Freiwillige und Nostalgiker angezogen. Trabis gäbe es umsonst für kinderreiche Familien und an jedem Ersten werden von der Parteispitze Einkaufsgutscheine für den Intershop und den Delikat-Laden an die Helden der Arbeiter auf einer der Öffentlichkeit zugänglichen Feierlichkeit zu kämpferischer Blasmusik verteilt. An den zwei Checkpoints Campingplätze, Hotels, Souvenirbuden und Parkplätze für Tagesbesucher, ein unbedingtes Muß für alle ausländischen Besucher und geschichtsinteressierte Landsleute. Nach dem Besuch im Phantasia-Land geht's ab in den Zonen-Park bei Kettwurst, Glub-Gola und mürrischer Bedienung. Nun, das ist versäumt worden und ist wohl kaum mehr nachzuholen, ein Jammer. Vielleicht wird Bayern sich eines Tages bewerben. Schnell hatten wir die Grenze passiert und rollten wieder durch dieses optimale Basisland. So kann man leicht mal für ein paar Stunden nach Afrika, wenn danach wieder europäischer Standart lockt und am Abend ein Schaumbad als Entspannung für Herz, Nerven und Kreislauf das selbstverständlichste der Welt ist. Wir nutzen diesen Umstand aber auch reichlich aus. Bis wir Südafrika endgültig verlassen haben werden, sind wir acht Mal ein- und ausgereist. Rekord. Erstmal war Durban das nächste Ziel, der erste Kontakt mit dem indischen Ozean. DURBAN
Wir brachten also den vorerst letzten Tag hinterm Lenkrad hinter uns, wieder durch tiefhängende Wolken und dichten Regen, steil bergauf und bergab bei Temperaturen um zehn Grad, so kalt hatten wir es in ganz Afrika bis dahin nicht. Und so erreichten wir auch Durban. Der Himmel schüttete sich aus, allerdings wurde es an der Küste wieder wärmer und da wir bei der bergauf-bergab Fahrerei länger für die Strecke gebraucht hatten als angenommen dämmerte es bereits. Die 3,2 Mio. Stadt verfügt nur über einen einzigen
Campingplatz, den zu finden nicht so einfach ist und es war stockfinster, als wir ihn, immer noch im strömenden Regen erreichten. Im Dunkeln war nicht viel zu erkennen, der Preis von 40,DM die Nacht lag um mehr als das Doppelte höher als üblich und direkt am indischen Ozean, wie wir es und vorgestellt hatten, lag er auch nicht. Die Duschen und Toiletten waren ok, befanden sich aber doch am unteren Ende der Vergleichsskala. Etwas enttäuscht schliefen wir ein. Durban sollte für einige Wochen unsere Station sein. Wir wollten von dort sowohl Mauritius als auch Madagaskar anfliegen, geographisch liegt es hierfür am günstigsten. Außerdem hatten sich schon wieder zehntausend gefahrene Kilometer zusammen geläppert, eine Serviceinspektion und Ölwechsel für den Daimler war fällig. Und nicht nur das. Unsere Videokamera, die schon häufiger durch widerwilligen Lauf aufgefallen war, hatte endgültig den Geist aufgegeben und gab auch die Kassette nicht mehr her. Wir wollten versuchen, sie reparieren zu lassen und im schlimmsten Fall eine neue kaufen. Ein finanzieller Aderlaß stand bevor, aber es erschien uns noch ärgerlicher, auf Filmen zu verzichten und sich den Rest des Lebens über diese gesparten zweitausend Mark zu ärgern. So fuhren wir in die Innenstadt, besorgten uns einen Stadtplan und begannen mit dem Postamt, um nachzusehen, ob Poste Restante was für uns dort liegt. Zwei Briefe, von denen wir wußten, daß sie abgeschickt wurden, waren nicht da, dafür einer von den Schweizer Freunden aus Abidjan, mit denen wir begonnen hatten uns zu schreiben. Wir erfuhren, daß in Südafrika 50% der Post verschwindet - ob das wirklich stimmt ... - bei uns waren es jedenfalls mindestens zwei Drittel. Naja, wir wollten noch ein paar mal häufiger nachfragen. Durban ist die Stadt, in der wir uns beide am ehesten vorstellen könnten zu wohnen und zu leben. Das Klima ist frisch, überall gibt es Parks und Bäume und Gärten. Überall grün, es regnet häufiger mal. Die Stadt ist großzügig angelegt, Hochhäuser, prächtige Altbauten wie in London und Kolonialstil nebeneinander, man kommt gut durch und zügig überall hin und in den Straßen findet man ein internationales Völkergemisch. Atmosphärisch aufgrund des starken asiatischen Einflusses einmalig und so gesehen weltoffener und freier als Kapstadt. Es gibt Rikschas neben Stingrays, Straßenmärkte neben marmornen Bankgebäuden. An jeder
Ecke stößt man an die Küste, riecht das Meer, hört die Brandung. Eine richtig schöne große echte Stadt zum Leben. Dann suchten wir ein Reisebüro auf. Die pummelige Bedienung namens Linkey, eine "Coloured", wie sie hier genannt werden Mischung aus Allem - war reizend, niedlich und kompetent. Wir verbrachten den halben Tag im Reisebüro und waren nur am Lachen. Sie hatte die Dinge auf eine sehr heitere Art fest im Griff und telefonierte und faxte quer durchs Land. "Hallo, it's Linkey ! Thank you soo much !" Mauritius war kein Problem, es gibt Last Minute Sonderangebote, und wir waren schnell mit der Buchung durch. Madagaskar ist bedeutend komplizierter. Obwohl es wesentlich dichter liegt, kostet es fast das Doppelte. Wir hätten leicht einen NurFlug bekommen können, aber wir wollten etwas komplettes, mit Transfer und Hotel. Die Erfahrung hat gezeigt, daß es bedeutend teurer ist, mit Gepäck vorm Airport zu stehen und per Taxi ein Hotel suchen zu müssen. Zu schnell wittern sie den Notfall und man zahlt wie doof. Als Neuankömmling sowieso. Es gab nur einen Veranstalter mit dem Namen "Unusual Destinations", der solche Pakete anbietet und wir nahmen aus dem Prospekt ein Beach-Hotel mit allerbester Beschreibung. Madagaskar hat sonst nicht den besten Standart, wurde uns vorbeugend berichtet. Als wir es uns am Abend auf der Karte ansahen, stellten wir fest, daß es etwa eintausend Kilometer vom Flugplatz entfernt liegt und fragten uns, wie der Transfer wohl vonstatten gehen wird. Diese Reise sollte bereits in zwei Tagen um sieben Uhr morgens starten, über Johannesburg, und wir waren echt gespannt, was das werden wird. Zwei Tage im Transfer-Bus oder mit einem Buschpiloten über Madagaskar knattern - wir wußten es nicht - auf jeden Fall wollte ich meine Tavors mitnehmen, mein Lieblings Leck-Mich-Am-Arsch-Präparat, unter dessen Wirkung ich verwegenste Dinge recht ungerührt über mich ergehen lasse. Besonders bewährt bei Flugreisen. Ich sollte es nicht brauchen. Als wir Linkey nächsten Tag auf diesen Umstand hinwiesen, nahm sie ihr Lineal, maß den Landweg auf der Weltkarte und sagte "Siebeneinhalb Zentimeter, das ist nicht sehr weit. Außerdem, was wollt ihr. Werdet ihr seekrank ? Es ist ein Bootstransfer." und kriegte sich kaum mehr ein vor lachen. Wir mochten dann nicht mehr weiter nachfragen, fanden ihre Reaktion auch völlig in Ordung und ließen uns von ihrer fröhlichen Gelassenheit anstecken. Linkeys werden niemals Tavor brauchen.
So weit, so gut. Die Kamera gaben wir in einem entsprechenden Laden ab, sie wollten eine Reparatur versuchen, schauten noch bei Mercedes rein, sah alles erwartungsgemäß vertrauenerweckend aus und machten uns auf die Suche nach dem zweiten Campingplatz, den wir noch in der Karte eingezeichnet fanden. Es fehlte noch eine sichere Unterbringung für das Wohnmobil für die Zeit unserer Abwesenheit und es drängte auf einmal. Vierzig DM am Tag fanden wir zu heftig nur als Parkplatzgebühr. Wie sich herausstellte, gab es diesen Zweiten nicht mehr und notgedrungen fuhren wir wieder auf den bereits bekannten. Wir gingen in die Rezeption, erklärten, was wir vorhatten und was sich die Besitzerin so vorstelle. Eine Dame von vielleicht fünfzig kam uns sehr entgegen. Sie berechnete nur die Tage, an denen wir uns in Durban befinden und die restlichen waren frei, bei bester Bewachung von zwei Dobermännern. Ich fragte sie, warum sie so ungewöhnlich hohe Preise für die Übernachtung verlangt und bekam meine Antwort. Sie sagte, daß das Betreiben eines Caravan-Parks im "neuen Südafrika" - was gemeint war, war klar - eine unschöne Angelegenheit sei, sie wäre der Dinge sehr müde. Der andere Campingplatz mußte aufgeben, da die Sicherheit der Gäste nicht mehr garantiert war. Er lag nah am Strand, war nicht wie ein Konzentrationslager konzipiert und nur sehr aufwendig bis gar nicht nachrüstbar und es kam immer häufiger vor, daß Wohnwagen ausgeräumt wurden, Toiletten zerstört waren und seltsame Typen auf dem Gelände die Gäste vertrieben. Ein Investor fand sich und so steht dort heute eine Appartementanlage für die upper class. Elektrozaungesichert mit automatischen Toren, Warnschildern und Video-überwachung. Auf ihrem Campingplatz mieteten sich nach und nach zunehmend Schwarze ein, die dort zu Dauerwohnern wurden, Familienfeste feierten und die ersten Diebstähle wurden verzeichnet. Der Untergang zeichnete sich ab. Jetzt gab es nur noch ein Mittel, da Schilder "for whites only" nicht mehr gestattet waren: Die Preise derart drastisch herauf setzten, daß das Wohnen auf dem Campingplatz keine preiswerte Alternative zu einer richtigen Wohnung mehr bot. Darauf lehrte sich der Ort zügig, normale Gäste waren aber zwischenzeitlich durch diese Umstände überwiegend vergrault und auch ehemalige Stammgäste blieben aus, so daß sie mittlerweile diesen Betrag auch benötigt, um von den wenigen Verbliebenen existieren zu können. Verschärfend entstand direkt gegenüber ein preiswertes Einkaufszentrum mit mehreren
Restaurants, so daß sie ihren kleinen Laden auch noch schließen mußte und so kamen diese einhundert Rand pro Nacht zustande. Times, they are a changing. Sicher und preiswert stand das Wohnmobil jetzt neben den Dobermännern und wir kamen ins klönen über die Hunde. Ich fragte sie, ob die Hunde mit den Schwarzen gut klar kämen. Diese Frage kam nicht von ungefähr. Seit Marokko über Gambia, an der Elfenbeinküste und überall, wo wir Hundebesitzer oder überhaupt nur Hunde trafen, waren sie echte Rassisten, ohne, daß die Besitzer sie in irgendeiner Weise in diese Richtung beeinflußt hätten. Selbst bei freilaufenden Hunden beobachteten wir das. Für mich unerklärlich, aber es ist eine Tatsache. Bei frisch eingetroffenen Weißen kommen sie an und schnuppern, aber machen keinen Alarm. Vor Jahren schon hatte ich ein beeindruckendes Erlebnis zu dieser Thematik. So gut wie jeder war ihnen suspekt und es gab irrtümlich zerfetzte Hemden und leichtere Bißwunden. MADAGASKAR
Wir hoben erstmal um sieben Uhr früh ab. Unusual Destinations ungewöhnliche Ziele - da ist schon was dran. Für uns stellt es sich etwas anders dar, wir haben einen Grund, diese Insel zu bereisen und es ist zwar ein relativ teurer, aber anderseits auch der günstigste und preiswerteste Weg. Der normale Tourist jedoch, der mit gänzlich anderen Ansprüchen von weit her anreist, der vieleicht lange für diesen Urlaub gespart hat und zeitlich begrenzt ist, wird schon am ersten Tag in seinen Koffer kotzen wenn er nicht von besonders duldsamer Natur ist. Sowohl bei der Anreise als auch bei der Rückreise vertrödelt man je einen zusätzlichen Tag bei unnötigen Wartezeiten und Transfers. Es gibt keine Anschlußflüge, man wird in ein Hotel in die Hauptstdt Antananarivo - klingt wie In-A-Gada-DaVida und selbst die Einwohner sagen nur "Tana"- gebracht, in der man eigentlich nichts verloren hat. Antananarivo gestattet es einem nicht, wie in Lesotho, die Dinge etwas ironisch zu betrachten und alles auf die Leichte zu nehmen, zu allgegenwärtig begegnet einem Armut und menschliches Elend. Man verspürt nicht die Lust nach einem Rundgang, und tut man es trotzdem, sieht man in jedem Hauseingang Obdachlose liegen, junge, schwangere Mütter mit einem Kleinkind, einem Baby und einem Säugling, Altersunterschied geschätzt jeweils neun Monate und zehn Minuten. Im Bad des
Hotelzimmers lagen zwei Kondome bereit, für alle Fälle, draußen scheint es daran bös zu mangeln. Daneben der zerlumpte und restlos abgerissene Vater, der stundenlang ein kleines Lied vor sich her singt und uns sofort mit einem Strauß Blumen verfolgte, den wir unbedingt kaufen sollten. Für 'ne Mark. Ihm folgten viele ambulante Kleinhändler, die aus ihren ärmlichen Pappbuden oder Blechhütten kamen und einem in der schlimm vermüllten und verfallenen Stadt alles mögliche an Obst und Steinen anboten, Dinge eben, die frei wachsen oder herumliegen. Oftmals auch Kinderspielzeug aus alten Blechdosen, das sich dann gut macht in der Glasvitrine in der guten Stube zu Hause. Das Transferauto am Airport wird sofort von vielen Kindern und Jugendlichen umlagert, die sich darum reißen, den Koffer ein paar Meter zu tragen um damit vielleicht in den Vorzug einer kleinen Hartgeldzuweisung zu kommen. Wir stellten bei uns einige Anlaufschwierigkeiten fest, uns wieder an diese Umstände zu gewöhnen. Allein das Wechselgeld, diese klebrigen, immerfeuchten Geldscheinfragmente, aus denen einen alle Arten von Bazillen milliardenfach anspringen und von denen man schon Dünnschiß kriegt wenn man sie nur ansieht - wir waren es nicht mehr gewoht. Ich habe mal einen sechshunderter Mercedes kurz nach der Wende mit Westberliner Kennzeichen durch durch die frisch geöffnete DDR fahren sehen und er hatte einen Kleber am Heck angebracht mit der Aufschrift "Eure Armut kotzt mich an !" Fand ich ganz mutig und gönnte ihm einen Stein durch die Windschutzscheibe. Uns ging es in etwa auch so, wobei wir uns natürlich bewußt waren, wie abgrundtief mickrig es ist, so zu empfinden. Aber es ist schwer sich dagegen zu wehren. Uns fiel jeder Weg durch diese Tristesse schwer, wir fühlten uns belästigt und beklemmt und hofften, daß sich diese Reaktion bald wieder ändern, zumindest abschwächen, wird. Nicht ewig werden wir von Ländern wie Südafrika aus operieren können. Bald wird es wieder mittenrein gehen und bis dahin werden wir uns wieder an so manches gewöhnt haben müssen. Das Hotel war allerdings ok und wir waren froh über die Entscheidung, alles gleich im Vorwege mitgebucht zu haben und hier nicht ohne eigenes Fahrzeug auf uns selbst gestellt zu sein. Am nächsten Tag ging der Transfer weiter. Wir machten einen Zwischenstopp auf einem Flugplatz, dessen einziges Gebäude nicht halb so groß war wie das Flugzeug und landeten schließlich am Zielflughafen in Tulear. Es waren noch ca. zwanzig Passagiere in der
Boeing 737, das kann nicht rentabel sein. Wiederum winzig, wie der Bahnhof von Buxtehude, und zur Begrüßung der Maschine waren alle Krüppel und Gehandicapten der Gegend, die es noch schafften, angekommen um ein paar Taler zu erbetteln. Unzählige Rikschafahrer boten ihre Dienste an. Diese Rikschas, die es auch in Durban gibt, erzeugen gemischte Gefühle. In Durban kann man das Gefühl haben, es sei ein Touristengag, was nicht stimmt. Im armen Madagaskar wirkten sie auf uns bedrückend. Es sieht so unglaublich herablassend und großkotzig aus, wenn sich jemand von ihnen durch die Straßen ziehen läßt. Der arme Kerl vorne, wie son Pferd, strampelt sich einen ab in der Hitze und der Fahrgast fletzt sich in die Polster und fächelt sich Luft zu. "Lauf schneller Kerl, zu wenig Fahrtwind." Und das oberbedrückende ist, daß man dem Fahrer, wenn man ihn mal so nennen will, keinen Gefallen tut, wenn man seine Dienste ablehnt. Er ist auch noch drauf angewiesen, diese in unseren Augen erniedrigende Tätigkeit anzubieten. Aber diese Empfindungs-welt ist eine importierte, sie hat nichts mit den Realitäten zu tun. Wieder stand jemand mit unserem Namensschild bereit und wir fuhren los, um das Hotel zu erreichen. Der Chauffeur hatte im Ort noch ein paar wichtige Gespräche mit dem Tankwart und den Fahrern entgegenkommender Autos zu führen, aber dann gings los, fünfundzwanzig Kilometer rüde Piste, Allrad obligatorisch. Wir überholten überladene Ochsenkarren, fuhren an Fischerdörfern aus Strohhütten vorbei, Müll lag nicht herum weil es keinen gab, und es wurde immer verlassener und einsamer und einfacher. Nach einer knappen Stunde wüstestem Gerüttel, in der es schwierig war, eine Zigarette aus der Packung zu fingern ohne den Filter abzubrechen, erschien es uns zunehmend unwahrscheinlicher, daß noch so etwas wie ein Hotel kommen könnte, zumindest keines, in welchem man sich vorstellen könnte ein paar Tage zu wohnen, aber der Fahrer bog dann doch von der schlimmen Piste ab auf einen Sandweg, der zu ein paar gemauerten Häusern führte. Man führte uns zu unserem Zimmer, direkt am Meer, alles super in Ordnung und der menschenleere Strand und der angenehm warme, türkisblaue indische Ozean keine zehn Schritte vom unserer, unter schattenspenden Bäumen gelegenen, Terrasse entfernt. Ein bezaubernder Ort, bloß eines lag ferner denn je: Briefmarken. Es gab ein Restaurant und eine Bar - verhungern werden wir nicht - aber das
war's auch. Keine weiteren Einkaufsmöglichkeiten und erst recht keine Post oder Taxis oder sonstwas. Nur Meer, Sonne, Strand. Ein Platz für Jungverliebte oder der ideale Ort um braun zu werden und sich zu erholen, bloß von was sollten wir uns erholen. Wir schnappten uns sofort den aufgeweckt wirkenden Transfer-Chauffeur bevor er wieder abhaut und beauftragten ihn, tausend Briefmarken zu holen und den Stempel samt Stempelkissen aus der Post auszuleihen und mitzubringen. Wenn's klappt, versprachen wir ihm einhundert Mark, muß 'ne Menge sein in Madagaskar. Ohne es zu wissen schätze ich es auf einen ober-durchschnittlichen Monatslohn. Das Geld für den Ankauf der Briefmarken nahm er natürlich gerne, als Sicherheit nannte er uns seinen Namen Julien und wollte am nächsten Tag mit allem Bestellten wiederkommen. Abwarten, wir werden sehen. Wenn er in zwei Tagen nicht wieder aufgetaucht sein wird, wollten wir uns was Neues ausdenken. Vorerst war Strand- und Badeurlaub angesagt, nur getrübt durch die Anwesenheit von reichlich Franzosen. Sie hatten uns wieder. Sie fahren tatsächlich nur in französischsprechende Länder, sonst trifft man sie nicht, die paar Ausnahmen bestätigen in diesem Fall wirklich nur die Regel. Wie erbärmlich. Das wurde aber durch die Langustenpreise mehr als ausgeglichen und wir taten einiges für den Eiweißspiegel. So begannen fünf Tage des absoluten Nichtstuns. Keine Spaziergänge, kein Wohnmobil sauber zu halten, keine Wäsche zu waschen, keine Einkäufe zu erledigen, kein Essen zubereiten. Von morgens bis abends rumliegen, mal ins Meer, mal unter die Dusche und wieder lesen. Den ganzen Tag lesen ist auch nichts anderes als den ganzen Tag fernsehen, wirkt nur intellektueller. Kommt natürlich ein wenig drauf an, was man liest, aber in der prallen Sonne ist der Unterschied nicht so groß wie man annehmen möchte. Wir begleiteten Philipp Marlowe durch L.A., ließen nach über zwanzig Jahren dank Stephan Aust noch mal das Konzept Stadtguerilla gegenwärtig werden und warteten auf Julien mit den Briefmarken. Er kam auch tatsächlich und erzählte, er habe die Briefmarken gekauft, die er gerade im Postamt abstempeln läßt und in zwei Tagen vorbei bringt. Falsch Junge, ganz falsch. Wir machten ihm keinen Vorwurf, unsere lausigen Sprachkenntnisse waren sein Fehler nicht, und so nordeten wir ihn nochmals genau ein und schickten ihn wieder los, postfrische Marken zu besorgen. Zweiter Versuch.
Wieder rauf auf die Liege, Schicht Sonnencreme auftragen und ab nach L.A. oder nach Stammheim. Diese Art Urlaub liegt uns beiden nicht sonderlich. Eine Freundin berichtete mir einmal von einem zweiwöchigen Ausflug auf eine kleine Südseeinsel. Sie war mit ihrem Freund dorthin geflogen, sie wurden mit einem Boot auf eine Insel gebracht, auf der man in jede Richtung fünfzig Meter bis zum Wasser laufen konnte und in deren Mitte eine gediegen eingerichtete Hütte stand. Palmen, türkises Wasser, optimales Wetter, der Prospekt hatte nicht gelogen. Alle zwei Tage kam ein Boot vorbei mit Lebensmitteln, die sie zu Apothekerpreisen kaufen konnten und ansonsten genossen sie absolute Ruhe und Freiheit. Sie konnten nackt am Strand laufen, sich ungestört sonnen und lieben, exotische Früchte essen und tun und lassen was sie wollten. Nach ein paar Tagen wußten sie, was sie wollten: Nach Hause, nur weg. Es ging ihnen auf die Nerven, die Robinsonromantik mit Dosenbier, und zwar ganz schnell. Ich kann das sehr gut verstehen. Uns gefiel es auch nicht besonders, den ganzen Tag nichts sinnvolles tun zu können, und immer nur lesen und lesen wird auch schnell öde. Bei Schriftstellern muß alles immer "wie" sein. Ruhig wie eine Lehmmauer bei Mondlicht, Beine wie Gummi und eine Frau wie ein Traum. Und alles wird in mindestens drei Adjektive eingepackt. Na gut, so schreibt man wohl Bestseller und bei normaler Benutzung, ohne Überdosis, macht es ja auch Spaß drin zu schmökern. Es wirkt, mit mehreren parallel betrieben, allerdings weniger intellektuell als bescheuert. Gruppenlesung. Jeden morgen kommen die insgesamt ungefähr zehn Touristen in fünf Pärchen aus ihren Buden, bereiten ihre Liegen vor, cremen sich gegenseitig ein, machen sich breit und verstecken sich hinter einem Buch. Hin und wieder vertreiben sie mal etwas ärgerlich eine Fliege oder kratzen sich. Es wird wenig gesprochen. "Cherie, holst du mir einen Drink. Reich mir doch mal bitte das Feuerzeug. Merci." Nur zwei junge Französinnen lehnten es ab, auf diese Art in der zehnköpfigen Masse unter zu gehen. Hauptsächlich interessiert an nahtloser Oberkörperbräune wendeten sie sich nur regelmäßig und trugen, wie neuerdings fast alle knackigen Junghühner, als Ausdruck ihrer törichten Suche nach Individualität und ihrer gleichsam dankbaren Unterwürfigkeit an Modeströmungen kleine Tätowierungen auf ihrem Schulterblatt oder an der Fußfessel, die sie am Ende alle nur noch Gleicher machen. Manchmal kommt es mir
vor, als wären diese künstlichen, unveränderlichen Kennzeichen seit Kurzem behördlich vorgeschrieben, aber ich habe wahrscheinlich nur gerade etwas zuviel über die RAF-Fahndung gelesen. Aber es wirkt. Sie locken damit gleichaltrige Paarungsfähige an, die ihrerseits ihre Verwegenheit durch Ohrringe, passende Gegentatoos und piratenmäßige Kopftücher zum Audruck bringen. Sieht doll aus. Zweihundert Meter weiter, etwas abgeschirmt, findet fast das gleiche Rumgeliege statt. Bloß durch Schwarze, ohne Liege und ohne Buch und ohne Ohrringe. Außerdem zahlen sie nichts für ihre unorganisierte Untätigkeit, benutzen keinen Schutzfakor 12 und darum nennt man es Dritte Welt. Was müssen sie von uns denken ? Am Abend kam dann überraschend Julien mit den genau abgezählten Marken. Ein cleverer Bursche. Er war natürlich erwartungsgemäß auf Schwierigkeiten gestoßen, als er sich bei der Post den Stempel ausleihen wollte. Aber er wußte sich zu helfen und hat den Postler mitsamt seinem Stempel gleich mitgebracht, der ihn so nicht aus dem Auge verlor uns nachts vermißt ihn keiner im Amt. Auch das Zusammensuchen von eintausend Exemplaren war scheinbar nicht so einfach. Restbestände von über zehn verschiedenen Marken hatte er dabei, teilweise über fünfzehn Jahre alte, halbe Bögen und Einzelstücke und hat sich nicht um eine Einzige verzählt. Mir passiert das regelmäßig. Daß der Postler für diesen Service eine kleine Extraanerkennung verdiente war klar, die beiden halfen uns bei der Nachtschicht und in drei Stunden war der Fall abgegessen für insgesamt 150,- DM inklusive der Marken Sie stellten sich geschickt an, waren lustig und ausgesucht freundlich, wie eigentlich alle, mit denen wir in Madagaskar in Berührung kamen. Es ist kein Urlaubsland, wie man es sich vorstellt. Die Verpflegung ist so lala macht bei der Verdauung zuviel Schwierigkeiten - Strom gibt es nur manchmal, abends allerdings regelmäßig, und die Dusche führt ebenso nur zu unbestimmten Zeiten Wasser. Dafür allerdings stimmt die Atmosphäre, jeder gibt sich sehr viel Mühe und mehr kann man wohl kaum verlangen, alle sind nett und fröhlich, so daß man sich wohl fühlt und nur der hohe Preis, der sich hauptsächlich durch die Flugkosten ergibt, liegt in keinem besonders guten Verhältnis zu dem, was man woanders für ähnliches Geld bekommt. So waren die Tage an der Küste von Madagaskar alles in allem harmonisch, romantisch und nervlich überaus erholsam. Die Putzfrau beschenkte uns mit einigen Muscheln und am Vormittag landeten
regelmäßig die einfachen Segelboote der Fischer mit ihren zusammengeflickten Segeln und den weiten Auslegern am Strand und brachten alle möglichen bunten Fische in jeder Größe und natürlich Langusten. Sie sind im Gegensatz zu denen aus dem Atlantik grünlich und von intensiverer Musterung. Für uns sind sie das Leckerste, was das Meer zu bieten hat. Man kann sie aufwendig zubereiten - Langouste Termidor - oder einfach nur kochen oder grillen, sie sind immer hervorragend solange sie nur frisch sind. Und das waren sie. Die Kinder aus dem Fischerdorf beobacheten wir, wie sie mit den Kindern der weißen Gäste den ganzen Tag im Wasser spielten, Muscheln und Krebse fingen und nichts wußten von schwarz und weiß. Das sind einfach schöne, natürliche und friedvolle Bider, die einem in Erinnerung bleiben. Der Rückflug war so nervig wie der Hinflug, eher noch schlimmer. Ganz im Gegensatz zum sonstigen Afrika sind sie in Madagaskar meist zu früh. Eine besondere Form der Unpünktlichkeit, die dann besonders unangenehm wird, wenn andere dafür wieder zu spät sind. So waren wir nach knapp zweistündigem Autotransfer noch zwei Stunden zu früh am Flugplatz, dafür hatte das Flugzeug zwei Stunden Verspätung und machte obendrein noch eine Zwischenlandung mit alle Mann aussteigen und wieder einsteigen. Weder auf den Flughäfen noch an Bord gibt's was zu essen. Als wir nach über acht Stunden den ersten Transfertag und knapp eintausend Kilometer hinter uns hatten waren wir ausgehungert, übermüdet und platt. Ein blödes Spiel mit Zöllen wurde auch noch veranstaltet. Wir hatten unsere restlichen Ariarys unter dem Hotelpersonal aufgeteilt und am Flugplatz verlangten sie dann auf einmal einen Minderbetrag Tax und bestanden auf Landeswährung. Wir liehen uns was von Mitreisenden, wechselten in Tana noch mal hundert Dollar, da bei Ausreise erneut eine Steuer von dreißig DM pro Person fällig wird. Gerade, nachdem wir getauscht hatten, eröffnete uns unsere Betreuerin - liebes Mädchen nebenbei - daß dieser Betrag wiederum nur in Devisen akzeptiert wird. Ein wenig kompliziert sind sie bisweilen. So mußten wir noch die andernorts nirgendwo akzeptierte Landeswährung loswerden und trödelten durch Tana. Die Stadt war in der einen Woche nicht schöner geworden aber unsere Akzeptanz hatte sich erheblich gebessert. Wir aßen eine Pizza, die uns magenmäßig für die nächsten 48 Stunden unter schweren Druck setzte, schlenderten durch die Märkte und Gassen, kauften
Blechspielzeug und machten, daß wir ins Bett kamen. Dieses Blechspielzeug ist eine Sache, die mir viel Respekt abzollte und auch einiges aussagt über die Menschen in Madagaskar. Es ist eigentlich weniger ein Spielzeug als ein kunsthandwerklicher Artikel. Das Material liegt auf der Straße, Dosen und Draht, Gummi und Stoffreste und sie verarbeiten es. Man muß kein begnadeter Künstler sein um ein Modellauto daraus zu basteln, man muß es nur tun und Zeit und Sorgfalt investieren und Zeit ist das einzige, was im Überfluß vorhanden ist. Es gibt Buschtaxis - volle mit kleinen Menschen drin und leere - mit allerlei typisch afrikanischem Zeugs auf dem Dach, Busse, Pkw's, Motorräder und Fahrräder, mal etwas akkurater hergestellt, mal etwas nachlässiger. Man muß aussuchen. Wir kauften von allem zwei Stück verschiedener Qualität, schon, um damit vielleicht Menschen in anderen Ländern zu inspirieren. Es steckt viel Phantasie in den kleinen Dingern. Der Rückflug startete um sechs Uhr morgens - ich weiß nicht, warum sowas sein muß - und entsprechend waren wir um halb drei aus den Federn, um erneut viel zu früh zum Flugplatz gebracht zu werden. Sobald man die Zollkontrolle hinter sich hat, bekommt man für ihre eigenen Ariarys nicht mal mehr einen Café. Man kann in Devisen bezahlen und Indianergeld zurück bekommen, schönes Angebot. Wir ärgerten uns, daß wir am Vortage beim Einkauf die Kinder, von denen wir die Sachen hauptsächlich erstanden, runtergehandelt hatten um nicht ganz so blöd dazustehen, und jetzt verfaulten die so dringend benötigten Scheine in unseren Taschen. Wir hatten ausreichend Zeit um auf dem Airport noch mit einigen englischsprechenden Reisenden zu klönen. Meist aus Südafrika, waren sie durch die Bank begeistert. Von der Natur und von der Mentalität der Bevölkerung auf dem Lande, und das kann man auch sein. Madagaskar wird noch auf viele Jahre hinaus ein Geheimtip sein, wenn nicht für immer, von beginnendem Massentourismus keine Spur, dafür fehlt es an zu vielem. Ein Geheimtip für solche, die es mögen. Man kann in Madagaskar schon finden was man sucht, wenn es das ist, was man sucht. Und wenn es einem dann noch gefällt, wenn man es gefunden hat. Als wir mit 'nem amtlich verkorksten Magen im verregneten Durban ankamen, fühlten wir uns erholungsbedürftiger als bei der Abreise und übten vorerst den schnellen Weg zum Scheißhaus.
WIEDER IN DURBAN
In Durban ankommen war wie zuhause ankommen. In etwas Vertrautem. Wir aßen wieder normales Zeug und der Magen erholte sich in wenigen Stunden. In der Wochenenddausgabe einer Zeitung erfuhren wir von diversen Veranstaltungen und besuchten Sonntags einen Flohmarkt am Central-Beach. Ein einfach grandioses Szenario. Das ganze Küstenstück ist kilometerlang ausgebaut. Hinter der breiten Promenade, auf der Basketball gespielt oder mit Skateboards rumgefahren wird, erstrecken sich Parks. In den Parks gibt es Pools, einen neben dem anderen, Liegewiesen und Grünflächen auf denen Kinder toben und Familien picknicken und Teiche, dann wieder kleine Freiplätze, auf denen Bands spielen umgeben von Flohmarktständen und Buden. Dazwischen direkt am Strand Häuser mit Restaurants und Freiluft-Cafés, es gibt ein Aquarium mit einer Delphinshow und den Schlangenpark. Wie in den Straßen der Stadt auch hier ein buntes Bevölkerungs-gemisch und wir fühlten uns geborgen in einer multikulturellen Stadt, wie sie es in Deutschland nie geben wird, nie geben kann. In London fühlt man sich manchmal ähnlich frei und unbeobachtet, doch hier erschien es uns noch gelungener, leichter und eleganter. In den Brechern des Atlantiks beobachteten wir viele Surfer, die es echt raushatten. Ich dachte an einen Artikel im SPIEGEL, in dem das Ende der multikulturellen Gesellschaft verkündet wurde, und verstand ihn lange nicht mehr so gut, wie ich es tat, als ich ihn in Deutschland las. Wenn Ausländer vorwiegend als Asylanten vorkommen und zur Untätigkeit verdammt sind, fallen sie durch ihr Gehabe unangenehm auf und es bilden sich seltsame Allianzen aufgrund seltsamer Maß-nahmen und Erscheinungsformen . Besonders in einer Gesellschaft voller kleinkarierter und engstirniger Neider. Ich will es nicht gutheißen, aber zu verstehen ist es schon, daß man, ohne Geld im Pick'n PayCountry gelandet, irgendwann auf dumme Gedanken kommt. Besonders wenn es keine Chance gibt, auf legalem Wege an adäquates Geld zu kommen. Man kann nur noch picken und nicht mehr payen, und das zieht in der Regel Ärger nach sich. Ich habe keine Lösungen anzubieten, fühle mich dazu auch in keiner Weise aufgerufen, ich stelle nur fest, daß es in Durban - als ein Beispiel augenscheinlich nicht so trübe aussieht. Angesichts der vielen Rassen und der Mischlinge macht es auch irgendwann keinen Sinn mehr, sie fein säuberlich in Gruppen zu unterscheiden und zu separieren,
schließlich ist die Tönung der Haut dann wieder völlig egal. Die Stadt macht Spaß. Obwohl es natürlich Querelen und Amusitäten untereinaner gibt, auf den ersten Blick nicht sichbar, aber das kommt, wie man zu solchen Gelegenheiten gerne sagt, in den besten Familien vor. Das Wetter macht ebenso Spaß. Als jemand, der in Norddeutschland geboren ist, denkt man bisweilen, daß es das Größte sein müßte, dauernd von der Sonne beschienen zu werden. Diese Sehnsucht teilen viele, man sieht es allein schon an der enormen Zahl von Cabrios, die in Hamburg rumfahren. Wenn es nur nicht regnet, fahren sie schon offen umher, mit Sonnenbrille auf und wirken etwas albern. Auch in Gluthitze, bloß keinen Sonnenstrahl verpassen, aber so muß es wohl sein, wenn acht Monate im Jahr schlechtes Wetter herrscht. Das Gegenextrem, der goldene Hammer von morgens bis abends, garantiert 360 Tage im Jahr, das nervt aber auch. Es dauert nicht lange, und man sehnt sich nach Regentagen. In Durban hat das Wetter Stil. Es windet, die Temperatur schwankt, mal regnet es, mal scheint die Sonne. Die unangenehmsten Spitzenwerte fallen weg, sowohl nach oben als nach unten, und morgens, wenn die Sonne nicht selbstverständlicherweise scheint, freut man sich über den schönen Tag und steckt voller Tatendrang. So war es uns ein leichtes, die Tage zu gestalten und die Erledigungen hinter uns zu bringen. Die Videokamera war wieder hergestellt, der Daimler bekam neues Öl und eine große Inspektion und wir hielten hier mal an und dort mal, um uns etwas anzusehen oder ein paar Sachen zu kaufen. Durban steht an erster Stelle auf der Liste potentieller Auswanderungsstädte noch vor Es-Cape-Town, obwohl ich diese Abstufung nicht logisch begründen kann - nur son Gefühl. MAURITIUS
Der Flug nach Mauritius fand in einer Boeing 737 statt, sowohl auf der Hin- wie auf der Rückreise mit unter zwanzig Mann besetzt. Das geht gut ab. Wir konnten uns quer über die Sitze legen, fast für jeden war eine Stewardeß da, die ebensowenig gestreßt war wie der Fluggast und uns freundlich weckte, um Speisen und Getränke zu servieren. So kamen wir in guter Kondition auf der Insel an, der Transfer klappte bestens und das Hotel, immerhin hatten wir nach Preis
gebucht und das billigste genommen was es gab, war vollkommen ok. Nicht einen Schwarzen sahen wir auf Mauritius, nur Inder, und das macht sich bemerkbar. Diese Inder sind in ganz anderem Ausmaß beweglich, lassen keine Gelegenheit aus, irgend etwas auf die Beine zu stellen um Geld zu verdienen. Es gibt Berge von TShirts "made in Mauritius" für dünnes Geld, kleine Bootstouren und Busfahrten werden angeboten und in der Hauptstadt Port Louis entsteht nach dem Muster von Cape Town gerade eine Waterfront mit Casino, Bars, Läden und allem was man braucht um sein Geld los zu werden. In den Cafés an der Waterfront nehmen sie einem für eine Packung Zigaretten 12,- DM ab, das ist rekordverdächtig. Muscheln, Korallen, Schiffsmodelle und jede Art von kitschigen Souvenirs begegnen einem ständig. Mit nichts hatten wir Schwierigkeiten, Briefmarken kaufen und abstempeln erledigt die Philatelistenstelle, was man auf Mauritius auch erwarten darf, und wir fanden uns schon wieder bei einem Beachurlaub. Baden ist aufgrund der Korallenriffs eine brenzlige Sache und ich holte mir von der Rezeption Schnorchelzubehör und watschelte ins Wasser. Mein lieber Mann, was sich da unter Wasser alles rumtreibt verleidet einem das baden restlos. Tauchen, beziehungsweise Schnorcheln, ist nicht mein Ding, ich hab's versucht. Ewig beschlägt die Brille und Salzwasser blubbert durch den Schnorchel und unter Wasser ist es gruselig. Seeigel mit zehn Zentimeter langen Stacheln lauern hinter jedem Stein, komische Fische gibt es in Schwärmen und obendrein fühlt sich dort auch noch der Steinfisch sehr wohl, dessen Biß oder Stich sofort ein Gegengift erfordert, will man nicht in Mauritius begraben werden. So spaddelt man da etwas panisch entlang, weiß nicht recht, was man von alledem zu halten hat und paßt man nicht auf, schubbert man sich das Bein oder den Bauch an den scharfkantigen Korallen auf, hinter denen wiederum alles mögliche auf der Lauer liegen kann. Da ist es nun wirklich besser, man betrachtet sich diese Dinge im Fernsehen. Wir ließen zerkratzt davon ab. Ich beschrieb es schon im Zusammenhang mit Madagaskar, das Abliegen am Beach macht mir nur bestenfalls zehn Minuten Freude eine Zigarettenlänge - dann werde ich kribbelig. Wir buchten also zwei Tagestouren, eine per Bus mit dem Namen "Zauber des Südens" und eine per Segelschiff. Als erstes kam die mit dem Bus.
Eine typische Scheißtour, wie man sie in diesen professionellen Touri-Abzock-Ländern erleben kann. Die ersten drei Stunden karrte uns der Bus von einem überfüllten Touristenladen zum nächsten, vor denen bereits andere Busse standen, und was soll man machen. Wenn man schon mal da ist steigt man auch aus und läuft wie all die anderen Idioten durch die Läden und schaut hier mal und dort mal. T-Shirts zu Fabrikpreisen, die um hundert Prozent über dem lagen, was wir nach leichtem handeln am Beach bezahlt hatten. Dann gab's die einmalige Gelegenheit, Duty-Free Diamanten zu kaufen. Mag sein, daß sie Duty-Free sind, aber die Preise lagen in etwa dort, wo man sie auch auf der Champs-Elysee oder bei Wempe findet. Aber es gibt doch tatsächlich Leute, die sich gegenseitig ihre große Liebe beweisen, indem sie mal eben nebenbei für zwanzigtausend US$ ihrer Frau einen kleinen Brilli in Herzform kaufen, wir haben es gesehen. Naja, jeden morgen steht ein Dummer auf, man muß ihn nur treffen. Dann ging die Tour weiter - richtig hieß es Exkursion - durch strömenden Regen zu solch fragwürdigen Sehenswürdigkeiten wie siebenfarbiger Erde. Wir konnten nur eine einfarbige Schlammstelle entdecken und nach dem null-acht-fuffzehn Mittagessen kam noch ein Wasserfall und ein paar Affen und das war's. Das ganze mit teuflischer Animation. Ein überdrehtes Mädchen kicherte in einem fort in ihr Mikrofon und wehe man sah nicht glücklich und zufrieden aus, dann wurde man doch tatsächlich angesprochen, warum man nicht grinst. Man grinst dann schon allein deshalb, um nicht erneut angequatscht zu werden. Wir stornierten daraufhin die Bootsfahrt, was problemlos ging, da wir nicht im voraus bezahlt hatten. Es kam zwar eine kleine Nachfrage nach den Gründen, aber als wir sagten, daß sie uns gerne einmal anscheißen können aber nicht zweimal, hatte die Reiseleitung ganz schnell was anderes zu tun und war nicht besonders scharf auf eine solche Diskussion. Wird wohl auch nicht das erste mal vorgekommen sein. Wie gewinnbringend der wie geschmiert funktionierende Tourismus auf Maurtius für viele auch sein mag, so hat er doch auch seine dunklen Seiten. Wir hatten viel Zeit und beobachteten zahllose Fickpärchen. Natürlich außerhalb der Fickzeit, ich will keinen Schaden für's Leben wegkriegen. Die kleinen, grazilen Inderinnen kommen unseren Südseeträumen sehr entgegen und viele Männer
reisen eigens deswegen an. Und das ist dermaßen widerlich und weckt überflüssigerweise in mir auch noch lächerliche Beschützerinstinkte. Aufgeschwemmte Mitfünfziger mit der Figur von Helmut Kohl mieten sich ein siebzehnjähriges Mädel und verschwinden mit ihr auf dem Hotelzimmer. Man darf sich das gar nicht zu plastisch ausmalen, wie sich die fette Sau schwitzend auf dem zerbrechlichen Kind austobt, man könnte impotent werden vor Ekel. Oder zwei uralte, halbtote Lustgreise, die kaum noch ohne fremde Hilfe aufs Klo kommen und mit Sicherheit unter penetranten Inkontinenzen leiden, präsentieren zum Abendessen zwei blutjunge Mädchen und schämen sich nicht, diese mit dem grauenhaften Anblick ihrer verwelkten Körper zu belästigen. Wenn wenigstens noch der Hauch von Freiwilligkeit dabei wäre - wenigstens die Illusion dessen - könnte ich es gerade noch ertragen ohne mich schwer zu entrüsten, aber so fallen mir stets eine Reihe kleinerer und größerer Perversionen und Quälereien ein, die ich den Kerlen angedeihen lassen möchte. Bevor jetzt der weibliche Leser frohlockt und auf die Männer schimpft, die umgekehrte Konstellation ist nicht weniger entsetzlich. Da sieht man Frauen, die vor Brilliantringen und Goldketten kaum noch gehen können, die das doppelte an Gewicht auf die Waage bringen als es gerade noch vorstellbar ist, deren Fressen pfundweise mit Cremes zugegipst sind und in deren Fettwülsten irgendwo ein junger Inder steckt und nach Luft japst. Auch diese Vorstellung, wie der arme Kerl nächtelang in den fauligen , fettigen Falten herumstochern muß, an die seit Jahrzehnten kein Wassertröpfchen mehr gekommen ist, macht nicht unbedingt Appetit. Girls just wanna have fun. Aber das ist natürlich nichts Spezielles von Mauritius, es fiel uns nur mal wieder auf. Und so ging ein Tag nach dem anderen herum, unterm Strich eine Insel, welche die Bedürfnisse des mitteleuropäischen Pauschaltouristen in allen Preisklassen abdeckt und auf der man einen sorglosen Urlaub verbringen kann aber nichts Sensationelles. Ich würde die Kanarischen Inseln schon aufgrund der kürzeren Anreise für diese Art Urlaub immer vorziehen. Da sind Schnaps und Zigaretten wirklich billig, die Sonne scheint auch und wir fanden nichts erwähnenswertes, was für einen Europäer die lange und teuere Anreise lohnenswert machen würde. Nichts gegen Mauritius, aber es ist eine Urlaubslokation wie viele andere auch.
INTERNET
Der Rückflug ging wie stets über Joh'burg. Diesmal besonders unpassend, da wir keinen Anschlußflug mehr bekommen konnten und so eine nutzlose Sonderausgabe für die Übernachtung in irgendeinem Airporthotel tätigen mußten. Holiday Inn ist immer ok, so ließen wir dort bereits aus Durban ein Zimmer reservieren. Auf dem Rückflug von Madagaskar vor gut einer Woche trafen wir einen Deutschen, der in Joh'burg wohnte und mit dem wir in der Abflughalle ein paar Sätze wechselten. Er gab uns im Flieger beim Aussteigen überraschend seine Visitenkarte und bot an, daß wir ihn anrufen sollten, falls wir mal nach Joh'burg kämen auf ein Bierchen. Das taten wir nun auch, bereits vom Mauritius-Airport aus und als wir abends im Hotelrestaurant saßen, kam er tatsächlich mit seiner Freundin vorbei. Ich weiß, ehrlich gesagt, gar nicht warum. Aber es sind genau diese Ketten von Zufällen - daß wir uns überhaupt trafen, die spontane Idee eine Karte zu überreichen, der nicht vorhandene Anschlußflug, der Umstand, daß seine Karte nicht im Wohnmobil lag sondern in meiner Weste steckte, der Entschluß, extra eine Telefonkarte zu kaufen und ihn anzurufen und sein Entschluß, uns aufzusuchen - die bisweilen zu beachtlichen Resultaten führen. Das einzig Reale im Leben ist der Zufall, so auch diesmal. Wir klönten über unsere Reise, erzählten was über hier und da und über die Briefmarken, und Michael - so sein Name - begriff um einiges schneller als der Durchschnitt der sonstigen Zuhörer. Wir können das mittlerweile beurteilen. Und so kam eines zum anderen. Michael verfügt über umfangreiche PC- und Internetmöglichkeiten, kam von sich aus mit dem Vorschlag, unsere Story auf diesem Weg einem größeren Kreis zugänglich zu machen und traf bei uns natürlich auf reges Interesse. Ich hatte mir eigentlich seit dem Zusammentreffen mit dem Amsterdamer in Benin vorgenommen, dies selbst zu tun, aber habe das irgendwie verdaddelt. Man soll sich auch nicht verzetteln. Nicht, daß ich auf so etwas gewartet hätte, das hat ja keinen Sinn, aber wir machten ein kurzes Brainstorming im Hotelzimmer, umrissen die Aufgaben und sprachen Kommunikationswege ab und damit stand die Sache im wesentlichen. Alles, was wir zu tun hatten war, noch zwei Tage in Durban dranzuhängen und Michael so gut es geht zuarbeiten. Wir verbrachten also das verregnete Wochenende im Auto am Notebook,
fuhren zum Copyshop, erstellten Disketten und telefonierten, um einen Übergabetermin für Montag zu vereinbaren. Das klappte alles wie am Schnürchen. Als ich Montag morgen den Boten an die Strippe bekam, der übrigens John Ross hieß, ein Name der die Herzen aller Seifenoperfans höher schlagen läßt und schwer nach Erfolg klingt, war dieser schon auf dem Weg zum Flieger nach Joh'burg und es gelang uns gerade noch, einen engen Termin vorm Postamt zu vereinbaren und den Umschlag mit Unterlagen zu übergeben. Nun konnten wir Durban verlassen. Alles war erledigt, vom Besten sogar. Der Daimler hatte neues Öl, sämtliche Wäsche war frisch gewaschen, alle schriftlichen Aufgaben waren ebenso fertig und wir frühstückten ein letztes Mal in einem dieser großen und appetitlichen Einkaufszentren, die es in Südafrika überall gibt. Ich kaufte mir noch einen Schlagring, nur so aus Sentimentalität und für alle Fälle und ein allerletzter Weg führte uns noch zu Linkey, um eine Quittung für die Reisekosten für die Inseln zu erhalten. Aber Durban wollte uns noch nicht gehen lassen.
Teil 4 DURBAN UND KEIN ENDE Wie wir die breite Hauptstraße überquerten, werfe ich routinemäßig einen Blick in Richtung Auto um zu sehen wie's ihm geht. Und da steht die Kiste halb quer in der Parklücke, so, als wolle gerade jemand ausparken. Aber nichts bewegt sich und ich überlege, ob ich so bescheuert eingeparkt haben könnte, aber das konnte nicht sein. Wir gehen also schnellen Schrittes Richtung Fahrzeug und sehen schon von weitem, daß Bullen und alle möglichen Leute rumstehen bis hinten links eine feine Beule sichtbar wurde, das Rücklicht in tausend Stücken. Ein öffentlicher Bus hatte unser Wohnmobil geküßt - nein, geschändet - und es locker zwei Parklücken weiter geschoben. Ein glücklicher Zufall, daß dort keine weiteren Auto standen. Für den rüden Rempler sah es noch ganz gut aus - ist eben ein Benz - aber die Beule wäre für deutsche Verhältnisse Totalschaden. Hätten wir ein Wohnmobil mit Polyesteraufbau genommen, wie sie zu 90 % angeboten werden, wäre unsere Reise hier zu Ende gewesen. Hinten links auf ganzer Höhe eingedrückt, die Seitenwand und die hintere
Tür hatten auch was abgekriegt und drinnen alles voller verwinkelter Einbauten, eine unanständig teure Reparatur. Dem Busfahrer war dies fürchterlich peinlich. Ich muß aber auch sagen, daß schon einiges an Unvermögen dazu gehört, ein parkendes Auto in einer offiziellen Parklücke auf gerader Straße derart zu traktieren. Als Berufsfahrer ! Ein Weißer, natürlich, und was ich immer sage, sie können einfach nicht vernünftig Auto fahren, diese Weißen. Man hätte Ihnen das nie erlauben dürfen. Jetzt ging das Generve mit Polizei und Versicherung los. Zumindest die Schuldfrage war so klar wie sie klarer nicht sein konnte. Dachten wir. Wir hatten sogar die Parkuhr zum ersten mal auf der Reise mit zwei Rand gefüttert, um unsere Sammlung an Knöllchen nicht noch weiter anwachsen zu lassen. Soll man anscheinend nicht machen, kommt nicht wieder vor. Auf diesem Weg lernte ich einige neue Vokabeln wie Kostenvoranschlag und Schadensgutachter und wir mußten erstmal zwei Gutachten anbringen. Schwierig, da es sich um ein Fahrzeug handelt, welches es so in Südafrika nicht gibt und daher nach Deutschland zu Daimler-Benz telefoniert werden mußte um Ersatzteilpreise einzuholen. Natürlich rief keiner der Pfeifen aus Deutschland zurück und wir warteten stundenlang im Auto, bis wir aufgaben, uns auf den nächsten Tag verabredeten und die Versicherung aufsuchten. Was wir schon herausgefunden hatten war, daß die Gutachten bei DM 2.000,- ausfallen werden, eine herbe Enttäuschung. Den Schaden beheben lassen kam nicht in Frage. Schweißarbeiten genau hinter der Plastikduschwand und den Schränken und den Elektrokabeln, das kann unmöglich gut gehen. Den dann folgenden Regreßfall mochten wir uns nicht einmal vorstellen. Anderseits macht uns das in Deutschland für DM 2.000,kein Mensch und um uns nicht zu ärgern, freuten wir uns lieber darüber, daß dies nicht in Nigeria, im Tschad oder in Mauretanien passiert war. Da hätten wir noch Strafe für unsere Anwesenheit ansich bezahlen müssen und die Reparaturkosten für den Bus wären das gewesen, worüber wir zu diskutieren gehabt hätten. Wir hatten so eine Geschichte tatsächlich gehört, wie einer im Café saß, während draußen sein Auto angefahren wurde und er sich daraufhin wüsten Beschimpfungen, Vorwürfen und Forderungen ausgesetzt sah. Die Versicherung war erwartungsgemäß so, wie man sich eine Versicherung vorstellt. Banken und Versicherungen sind die Geschwüre der Marktwirtschaft, überall. In einem sauteuren Chrom
und Glas Neubau, von Kundenbeiträgen finanziert, gibt man sich in der Abteilung für Schadensregulierung sehr zugeknöpft und so unterkühlt, wie es gut zu dem klimatisierten Räumen paßt. "Das kann dauern", wurde uns als erstes mitgeteilt, alles muß sorgfältig geprüft werden. Schuldfrage und so, beide Seiten anhören, Polizeiberichte abwarten. "Wie lange denn ungefähr". "Schwer zu sagen." "Gib mir wenigstens 'ne Hausnummer, in etwa, damit ich eine Vorstellung habe." Daraufhin sagt der Typ "vier oder fünf". Schöne Antwort. "Vier bis fünf was ? Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate oder Jahre oder was ?" Er druckst rum, lächelt verlegen und sagt "Wochen." Ich fragte ihn, ob er Lust hat, einen fünfwöchigen Aufenthalt im Hilton für zwei Personen plus Leihwagen zu bezahlen, Verdienstausfall müßten wir gesondert berechnen, aber er zuckte nur mit den Schultern und grinste dämlich. OK, er sitzt am längeren Hebel. Wir sagten ihm, daß wir am nächsten Tag wieder kommen würden und er zu seinem Chef gehen solle und sich was ausdenken, füllten noch einen Vordruck aus und verschwanden. Die Zeiten scheinen vorbei, wo es hieß "wenn's hinten kracht gibt's vorne Geld". Wir überlegten hin und her. Das treue Auto fuhr ja noch wunderbar, aber weiterfahren als wäre nichts gewesen und sie so einfach davon kommen lassen wollten wir auch nicht. Ewig aufs Geld warten war ebenso indiskutabel. Wir geben in der Wartezeit mehr aus als die ganze Angelegenheit am Ende bringt. Die deutsche Bankverbindung hinterlassen, diese Möglichkeit braucht nicht erörtert zu werden. Einen Rechtsanwalt aufsuchen ? Dann können wir uns gleich ein Haus kaufen, Telefon anmelden und uns fest ansiedeln. Aber wir wollten weiter. Einen zweiten Anlauf jedoch mußten wir in jedem Fall noch machen, zumindest irgendeine Kompromißzahlung auf die Schnelle mitnehmen, das sollte doch irgendwie gehen. Wir fuhren also wieder einmal auf den DurbanCaravan-Park und wurden wie immer freundlich empfangen. Endlich mal wieder Stammkunden. Den nächsten Tag begannen wir mit einem Weg zu Mercedes-Benz. Dort bekamen wir ein erstes Gutachten über 3.600,- DM - schon besser - und begaben uns damit zu dem ersten Schätzer. Der wartetet immer noch auf seinen Anruf aus Deutschland und als wir ihm unser Dokument zeigten übernahm er einige Posten und kam selber auf 2.500,- DM. Immerhin hatten wir jetzt zwei Voranschläge und liefen wieder zur Versicherung. Erneut gerieten wir an den hilflosen
Untergebenen und verlangten nun nach dem Vorgesetzten, der, wie könnte es anders sein, auf einem Meeting war und erst am Nachmittag zurück erwartet wurde. Diese Leute sind immer entweder auf Meetings oder bei Gericht oder auf Kundenbesuch oder schlicht außer Haus. Was sie wirklich in diesen Zeiten tun ist eines der wenigen unentdeckten Geheimnisse des zwanzigsten Jahrhunderts. Wir lernten noch ein paar Cafés, die Leihbücherei und ein Museum kennen und bekamen den Kerl endlich zu fassen. Wenn das stimmt, was er uns erzählt hat, dann ist Südafrika wirklich auf dem Weg nach unten und schon sehr nah an der Dritten Welt. Er erklärte uns, daß wir uns als Deutsche in Südafrika natürlich dem Landesrecht zu unterwerfen haben. So weit stimmten wir überein. Und Landesrecht wäre insbesondere in diesem Fall das "Law Of Sudden Emergency" - ein Gesetzt, welches die Schuldfrage bei unausweichlichen und plötzlich auftretenden Notfallsituationen regelt. Wenn der Busfahrer nun in unser parkendes Auto fahren mußte, um Schlimmeres zu verhindern, dann hat keiner die Schuld. Dann gibt es auch kein Geld von der Versicherung der Durban Transportgesellschaft. Und die Aussage des Busfahrers liegt noch nicht vor und daher kann gar nichts geregelt werden. Das konnten wir nicht glauben. Mit diesem Gesetz wäre die Haftpflichtversicherung ad absurdum geführt, denn welchem Unfall geht kein Notfall voraus. Im Zweifel war da doch immer ein Kleinkind, welches über die Straße rannte und später nicht zu finden war, ein rollender Ball, der ein präventives Ausweichmanöver notwendig machte, eine Mutter, die einen Kinderwagen aus der Parklücke schob und sich verkrümelte, als sie den durch sie verursachten Unfall sah oder sonstwas. Wer soll sich denn ein solches Gesetzt ausgedacht haben, das jedem Autofahrer einen Katalog von unwiderlegbaren Schutzbehauptungen öffnet. Wir fragten, ob es sich dabei um eine Errungenschaft des ANC handele, aber das wurde bestritten, es handele sich um ein sehr altes Gesetz. War es der weiße Burenmüll - der Volksmund spricht gerne von White-Trash und Black-Trash = alte Regierung und neue Regierung der es sich so hingebastelt hat, daß weiße Burenrichter jeden Weißen, der einen Schwarzen umfährt oder sein Fahrzeug ruinierte aufgrund von "sudden emergency" freisprechen können. Dann könnte ich es sogar noch als ausgleichende Gerechtigkeit empfinden, wenn jetzt wir Leidtragende einer solchen Regelung würden. Sei es wie es ist,
wir hatten auf die Aussage des Busfahrers zu warten, dessen Inhalt wir uns unter diesen gesetzlichen Vorgaben - einmal als wahr unterstellt - schon denken konnten. Um die Zeit noch sinnvoll zu verbringen - es regnete den zweiten Tag in Folge ununterbrochen fuhren wir zur Administration der Verkehrsbetriebe und machten Druck, daß die ihrem Fahrer auf die Füße treten damit seine Aussage rüber kommt. Hier wurde uns dieses Gesetz erstmals bestätigt. Aber das will nicht viel heißen, sie hängen unter einer Decke. Wir nahmen uns vor, am nächsten Tag zum dritten Mal bei der Versicherung auf zu laufen und bei negativem Resultat eine deutsche Vertretung zu suchen um von dort Hilfe zu bekommen. Dreitausend Mark, und um einen Betrag in etwa dieser Höhe ging es immerhin, kann man nicht einfach kampflos liegen lassen. Durban ist nicht die Hauptstadt und wir waren nicht sicher, ob sie überhaupt über eine Botschaft oder ein Konsulat verfügt. Erstmal war Feierabend. So gestaltete sich der zweite Tag nach dem Crash. Meine Prognose an diesem Abend war die, daß wir uns am Ende ärgern werden, nicht gleich weiter gefahren zu sein und es vorzogen, uns neben dem Materialschaden auch noch die Zeit stehlen zu lassen. Das stellte sich dann allerdings als zu pessimistisch heraus. Den nächsten Tag schickte man und ein paar Häuser weiter zu einem Assessor. Von sudden emergency war nicht mehr die Rede und er hatte die beiden Kostenvoranschläge vor sich liegen. Einen über 6.500 Rand und einen über 8.500 Rand. Er nahm einen firmeneigenen Taschenrechner heraus und errechnete das arithmetische Mittel und kam so auf 5.000 Rand. Versicherungen in der ganzen Welt rechnen so. Wir fragten nach, ob er uns den Rechenweg erklären könne und er erklärte es einfach so, daß Kostenvoranschläge immer zu hoch seien und, daß er ungewöhnlich schnell gearbeitet hätte und wie froh wir sein müßten. Was hätten wir tun sollen ? Also baten wir um den Scheck. Das wiederum machte eine andere Abteilung und um es kurz zu machen: Nach weiteren zwei Tagen hatten wir umgerechnet 2.000 DM in der Tasche und hörten noch hundert mal, wie wahnsinnig schnell das gegangen sei. Besser als nix. Nun konnten wir weiter und stellten fest, daß wir gar keine Lust dazu hatten. Es geht uns in dieser Hinsicht beiden gleich. Wenn mir mal irgendwo eine Weile waren und in so einen afrikanischen Trott verfallen sind, dann treibt uns nichts mehr. Uns kam es vor, als
könnten wir noch Wochen auf dem Caravan Park abhängen und die Zeit totschlagen. Wenn wir allerdings erst einmal wieder richtig im Fahrrhythmus sein werden, dann reizt es keinen von uns irgendwo länger als bestenfalls einen halben Tag zu verweilen. Ein Glücksfall, daß wir in diesem Punkt harmonieren, denn sonst läge hier einiges an Zündstoff für unangenehme Auseinandersetzungen verborgen. Wir brachen am nächsten Vormittag auf und verließen Durban. Die gute Frau vom Campsite verabschiedete uns mit tausend guten Wünschen und Ermahnungen vorsichtig zu sein, wie in Gambia fuhren wir etwas wehmütig aus der Stadt. Eigenartig, wie schnell man sich an eine Umgebung gewöhnen kann. Nur damit wir erstmal loskommen, unterwegs sind, fuhren wir knapp dreihundert Kilometer nördlich. Das Schöne ist ab jetzt, daß die Hin- und Hergurkerei ein Ende hat. Zwar fahren wir nicht den geraden Weg, aber jeder Meter geht Richtung Hamburg. Gutes Gefühl. ST. LUCIA
Wir finden einen Patz direkt am Meer eingezeichnet und steuern ihn an. Oh verdammt, wieder so ein wuderschönes Fleckchen mit Bootstouren zu den Hippos und Motorbootverleih und einem Craft Market und Superrestaurants und und und. Drei Campingplätze mit riesigen Bäumen und Rasen direkt am Meer. Da kann man nicht eine Nacht bleiben und weiterheizen, Swaziland und Mozambique können warten. So checkten wir auf dem Campingplatz ein und da es bereits 16.00 Uhr war machten wir einen kleinen Mittagsschlaf, um danach noch einen Haps zu essen und ins Bett zu gehen. Wenn wir das Tempo durchhalten, kommen wir Sylvester zur Jahrhundertwende über die Elbbrücken gefahren. Wir fanden einen Kompromiß. Wir verbrachten einen faulen Tag auf dem Campingplatz bei den unzähligen Äffchen die durch die Bäumen zischten und den Müll filzten und einen weitern Halbarbeitstag. Wir ließen endlich die Briefmarken abstempeln, was wir nun schon seit fast drei Monaten vor uns herschoben und belohnten uns mit einer Bootstour um die Hippos zu besuchen. Das sind ja auch urgemütliche Gesellen und wir hatten sie noch nie zu Gesicht bekommen. Allerdings soll man sich nicht von ihrem harmlos-schnuddeligen Aussahen täuschen lassen. Von ihnen werden in Afrika mehr Menschen getötet als von jedem anderen Tier, wurde uns erzählt, und das traut man ihnen gar nicht zu. Wenn es denn
stimmt. Dann allerdings setzten wir die Reise fort Richtung Swaziland. SWAZILAND
Swaziland hat äußerlich fast die gleichen Bedingungen wie Lesotho. Es sitzt mitten in Südafrika, ist ein kleines Land und bergig. Es hat keinen See und kein Meer. Also, dachten wir, wird es mit Lesotho vergleichbar sein aber da haben wir uns schwer getäuscht. Ein ganz freundliches, sauberes und angenehmes Ländchen mit sehr zuvorkommenden und netten Menschen. Das kleinste in ganz Afrika, erzählten uns die Bewohner. Die ersten Kilometer merkt man schon immer was los ist, wir haben dafür mittlerweile einen Blick entwickelt. Wenn man sofort umzingelt ist und vor Bettlern und Schnorrern nicht ins Auto kommt, ist der Fall einfach, aber so kraß präsentieren sich die wenigsten Länder. Die Details machen es aus. Wieviel Müll liegt im Straßengraben. In welchem Zustand sind die Autos, die Häuser und die Straßen. Sieht man Leute schlafen oder pissen oder gar scheißen. Was steht auf den Werbeschildern. Sind sie handgemalt oder plakatiert. Wenn sich große Fast-Food-Ketten angesiedelt haben ist das immer das beste Zeichen. Wenn neue Modelle von Importautos beworben werden ist das noch besser und wenn dann noch Souvernirstände aufgebaut sind, in denen die Anbieter ruhig sitzen und nicht wild gestikulieren, dann hat man ein Superland erwischt. Das alles paßt positiv auf Swaziland. Wir fahren in die Hauptstadt Mbabane, ein übersichtliches, gepflegtes Städtchen hoch auf einem Berg und da es schon etwas spät war, entschließen wir uns, gleich einen Campingplatz aufzusuchen und finden einen im Reiseführer fünfzehn Kilometer außerhalb in einem Tal. Wir fahren also ohne Ende bergab, müssen viel mit der Bremse arbeiten und auf einmal wird das Ding wieder weich. Ich pumpe und pumpe, damit die Kiste nicht immer schneller wird und wir irgendwann aus der Kurve fliegen und wir erreichen den Campingplatz mit völlig fertigen Bremsen. Damit war jeder Zeitplan mal wieder gestorben. So können wir nicht weiterfahren, Boxenstop war angesagt mit Open-End. Am nächsten Tag hatten sich die Bremsen zwar wieder etwas erholt, aber das war uns jetzt doch zu riskant. Irgendwann erholen sie sich nicht wieder und wenn das auf einer Serpentine in der Einöde passiert wird's brenzlig. Wir fuhren wieder den Berg hoch und
gingen, nachdem wir schnell noch die Briefmarken gekauft hatten, zu einer Mercedes Vertretung. Der Fall lag ja mehr oder weniger klar. Das Austauschen der Bremsflüssigkeit in Botswana hatte keine Dauerwirkung und jetzt mußte der ganze Hauptbremszylinder getauscht werden. Bloß hat niemand so ein Teil. In dieser Hinsicht sind wir in Südafrika und den umliegenden Ländern schlecht dran, für unser Modell gibt es keine Teile, nicht einmal seitenverkehrte. Sie telefonierten rum, suchten die Werkstatt durch und fanden ein Reparatur-Set. Gute Lösung. Es wurde gebastelt, der Reparatur-Set paßte nicht und sie besorgten aus der nächsten Stadt mit BenzNiederlassung einen ähnlichen Bremszylinder, allerdings seitenverkehrt. Da paßte nicht ein einziger Anschluß und schon war Feierabend. Zwischendurch klebten wir Briefmarken, ließen uns zum Postamt fahren und stempelten ab, da wir nachmittags noch der Meinung waren, wir könnten mit Glück doch einen strammen Zeitplan durchziehen. Unser Auto konnten wir nicht bewegen und uns blieb nichts anderes übrig, als bei Benz auf dem Hof zu campieren. Die ganze Crew war äußerst zuvorkommend. Man brachte uns Strom und ließ die Büroräume offen damit wir eine Toiletten haben, es war für eine Nacht ganz in Ordnung. Das ist das Schöne an einem Wohnmobil. Wenn die Rollos runter sind dann ist es immer gleich und wo man steht ist eigentlich egal so lange der Platz sicher ist. Und das war er. Um Sieben am nächsten Morgen begann der Werkstattlärm um uns herum. Vier Stunden tat sich an unserem Auto nichts, bis endlich ein anderer Reparatur-Set aufgetrieben wurde. Diesmal angeblichen den Richtigen. Das Teil wurde wieder eingebaut, das System entlüftet und wir bezahlten und fuhren los. Eintausend Rand futsch. Nicht weit, denn es war schlimmer als vorher. Konnte ich vorher immerhin durch Pumpen noch kurzfristig den vollen Bremsdruck aufbauen, so war die Bremse jetzt zwar hart und gab nicht nach, aber sie bremste auf den letzten paar Zentimetern und wenn ich das Pedal mit voller Kraft durchtrat, wurde der Wagen langsamer wie eine Lokomotive langsamer wird. Sehr verzögert und der Bremsweg war enorm lang. Blockieren der Reifen ganz unmöglich. Wir also wieder zurück, sie fummelten noch ein paar Stunden daran herum und gaben auf. Fünfzig Kilometer weiter gibt es eine Daimler-Benz Vertretung, die sich mehr mit Transportern befaßte, teilte man uns mit und wir ließen uns dort telefonisch einen Termin geben. Verdächtig war jetzt der
Bremskraftverstärker, den es ebensowenig in ganz Südafrika gibt und wir fuhren vom Hof. Ich lernte wieder eine Menge neuer Vokabeln. Auch dieser Tag war rum. Ganz vorsichtig bewegten wir das Auto zum Campingplatz. Es ging einigermaßen und man hätte unter Notfallbedingungen fahren können, aber wir wollten lieber noch weiter versuchen, die Bremsen korrekt repariert zu bekommen. Wenn nichts Unvorher-gesehenes kommt und man gleichzeitig umsichtig und vorausschauend fährt, dann war's ok und so gesehen besser als vorher, bloß wenn eine plötzliche Vollbremsung erforderlich wird, und davon hatten wir schon ein paar, dann wären wir aufgeschmissen. Schon jetzt war klar, daß wir mindestens noch drei weitere Tage in Swasiland bleiben werden. Selbst wenn sie es am folgenden Tag beheben werden, was alles andere als wahrscheinlich war, wären wir in Mozambique ins Wochenende gekommen und das muß nicht sein. Nichts Gutes hörten und lasen wir über das Land. Überfallgefahr, also Konvois bilden, der Campingplatz wird als eine herunter-gekommene Mischung aus Zigeunerlager und Autofriedhof beschrieben und bei Mercedes sagte man uns, daß in Mozambique alles geklaut wird was nicht festgesschweißt ist. Selbst die Schrauben an den Fahrzeuglampen muß man verkleben, denn sie holen alles weg was man sich nur denken kann. Besser, als wenn sie einen erschießen und das ganze Auto klauen, aber schön trotzdem nicht. Wir werden für Mozambique früh aufstehen, schnell rein, Briefmarken kaufen, kleben, stempeln und ab nach Südafrika in den Krüger-Park. Also frühestens Montag, und wir hatten Donnerstag abend. Immerhin passierte es in so einem sympathischen Ländchen wie Swaziland. Nichts ist weit weg, es gibt Game-Resorts, gute Restaurants und Läden und so unangenehm ist das nicht. Bloß wir kommen nicht voran und wenn es hart auf hart kommt, müssen wir die Teile aus Deutschland schicken lassen und das dauert zwei Wochen. Von den Kosten gar nicht zu sprechen. Und dann liegt was Falsches im Paket, das kennt man ja. Also übten wir uns in afrikanischer Gelassenheit und hofften, daß sich mit dem Unfall in Durban und dem Ärger mit der Bremse das Pech genug ausgetobt haben wird und es danach wieder glatter weiter läuft. Wir fahren fünfzig Kilometer weiter wieder zu Benz. Tragen unser Problem vor und man sagt uns, wir sollten mit dem Manager sprechen, es wäre ein Deutscher. Wir warten bis er kommt. Ein
Mann von fünfundfünfzig, in bester Laune, sieht uns und sagt: "Seit ihr verrückt ? Mit dem Auto bis hier runter ! Was habt ihr für Sorgen ?" Wir erklären es ihm, er sagt, daß dieses Problem gelöst werden wird und läßt seine Jungs den Hauptbremszylinder ausbauen. Er kommt wieder und sagt: "Das konnte nicht gehen, die sind Irre. Habt ihr schon was bezahlt ? Gib mal die Rechnung, das kriegt ihr wieder." Fing gut an und während er alle zum Suchen ins Lager geschickt hatte erzählt er : "Seit zehn Jahren bin ich in Swaziland. Hier bin ich Manager, Zuhause nimmt mich keiner nicht mal mehr als Kraftfahrer. Ich habe ein kleines Haus gebaut, habe eine schwarze Frau und eine schwarze Freundin, fahre einen dicken Firmenmercedes und bin der glücklichste Mensch der Welt." Das merkte man auch. Das Ersatzteilproblem konnte auch er nicht lösen und wir fuhren ihm nach zu einem Portugiesen, der sich mit der Reparatur von Baumaschinen und Flugzeugen befaßte. Sie kannten sich privat und machten zusammen gerne Ausflüge mit der Chesna. Soviel Glück muß man erstmal haben, in Swaziland einen Deutschen und einen Portugiesen zu treffen, die sich zusammen um die Bremsen von unserem Auto kümmerten. Ich will es kurz machen, sie bekamen es in den Griff und die Kiste bremste besser als je zuvor. Sie besorgten einen gebrauchten Bremszylinder aus einem gecrashten Zweiachtziger. Der Mercedes-Manager lud uns zu sich ein in sein Gästehaus. Bester Standart. Es war Freitag abend und bis wir unser Geld nicht wieder bekommen hatten, waren wir seine Gäste. Wir klönten in seinem Garten und er war wirklich einer der glücklichsten Menschen die wir trafen. Dieses Swaziland ist tatsächlich ein kleines Paradies. Die Swazis stammen ursprünglich von den Zulus ab, wurden aber vertrieben, da sie zu faul sind. Wurde uns erzählt. Und wenn Schwarze andere Schwarze aufgrund von Faulheit vertreiben, dann sind die Vertriebenen wirklich faul, das kann als sicher gelten. Sie gehen schon ganz langsam und es gibt kaum Kriminalität. Viel zuviel Aufwand. Fünf Prozent haben einen Job und die ziehen die Anderen mit durch und irgendwie klappt das. Mit jeder Arbeit, die Zwei machen könnten befaßt sich ein halbes Heer aber jeder ist freundlich und lacht und winkt einem zu. Es wird nie zu heiß und nie richtig kalt, es ist ein Land, indem man es bestens aushalten kann. Es passieren auch hin und wieder Dinge die nur in Afrika passieren können. In einem Steinbruch mußten fünf Tonnen Dynamit ausgeladen werden. Es war kühl und die Arbeiter hatten
klamme Finger und machten sich ein Feuerchen. Wo ? Natürlich unter dem LKW. Der Knall hat das ganze Land erzittern lassen, von den fünfzehn Leuten ist nie auch nur ein Teilchen gefunden worden und der LKW war überall verteilt. "Sorry Sir, it was a mistake." War nicht bös gemeint. Nie gab es in Swaziland Apartheid und die wenigen Weißen die rumlaufen kommen gut mir den Schwarzen zurecht, es gibt in dieser Hinsicht keine Probleme. Wir wurden noch eingeladen und trafen ein paar Europäer, alle seit ewig im Land, und sie sind integriert. Die Buren heißen hier "weiße Kaffern", denn sie haben soviel versaut und so direkt vor der Haustür. Sie werden gehaßt. Schon deshalb, weil sie es nicht duldeten, wenn jemand seine schwarze Frau mit ins Hotelzimmer nahm. Natürlich stehen sich die Weißen alle gut, verdienen nicht wie zu Hause, haben aber die zehnfache Lebensqualität. Pool, Versorgung mit allem aus Südafrika, Golfplätze, dicke alte S-Klassen, feine Restaurants und Frauen mehr als genug, so geht's doch. Das Land hat nichts Besonderes zu bieten. Die drei kleinen National-Parks haben keinen hohen Standart, da sich keiner richtig drum kümmert. Sie sorgen nur dafür, daß es nach wie vor ein paar Tiere im Lande gibt und das langt ja auch. Kein Touristenland, aber das macht überhaupt nichts, ist sogar gut so. Unser Gastgeber hatte, als er von der Grenzöffnung der DDR hörte, auf einmal Sehnsucht und besuchte Deutschland. Wie so viele und wie auch ich dachte er, daß dort jetzt, wo die Karten neu verteilt werden, irgendwas machbar sein müßte. Also mal hin und checken. Er fuhr in die Zone und bemerkte, daß, wenn er in der Dritten Welt lebte, das die Fünfte Welt sein mußte. Im Ruhrpott, seiner Heimat, da war er nicht der Manager, sondern die gescheiterte Existenz. Um es wenigstens zu versuchen, nahm er einen Job als Fernfahrer an und wäre aufgrund polizeilicher Kontrollen bald im Gefängnis gelandet. Er hatte die Faxen dicke, fuhr ganz schnell wieder nach Afrika und wenn sie nicht gestorben sind dann leben sie noch heute. Wir verabschiedeten uns, sagten, er solle die Gutschrift mit der erfolgreichen Reparatur verrechnen und besuchten das Hlane-GameReserve. Liegt direkt an der Grenze nach Mozambique. Liebenswert gemacht. Ganz einfach, aber mit Liebe. Die Toiletten und Duschen sind sauber und das warme Wasser wird in zwei großen Kanistern bereitet, die mit Rohren am Duschsystem hängen und unter denen den ganzen Tag ein kleines Feuer kokelt. Es gibt kein Restaurant
oder einen Kiosk, nicht einmal Strom, die Wege durch den Park sind in schlechtem Zustand, aber zum Sonnenuntergang kam eine kleine Combo mit Trommeln und tanzte uns was vor. Das hat was, und wir taten gerne ein paar Taler raus. Wir blieben bis zum Morgen des Montags und fuhren los nach Mozambique. MOZAMBIQUE
Kein besonders gutes Gefühl. An der Grenze wurden wir schon wieder an westafrikanische Verhältnisse erinnert. Es lungern haufenweise Leute rum die sich einem aufdrängen und viele von ihnen sprechen gut Deutsch. Mit sächsischem Akzent. Die Zöllner ebenso und man muß aufpassen, wenn man sich unterhält. Aber sie lieben die Deutschen, obwohl sie 1989 alle nach Hause geschickt wurden und auch vorher nicht gerade in den schönsten Ecken waren. Eisenhüttenstadt, Bitterfeld, Halle, Leipzig. Das sind die Ortsnamen die man hört. Wir fragen den Zöllner was er in Deutschland gemacht hat. "Grube." Morgens im Dunklen rein ins Loch, und abends im Dunklen wieder raus. "Und wie war's ?" Wir mögen kaum fragen. Er bekommt einen ganz verklärten Blick und sagt: "Es waren herrliche drei Jahre in Deutschland." Mann oh Mann. "Und jetzt, wie ist es in Mozambique ?" fragen wir weiter. " Scheiße," sagt er, "kein Geld. Das Geld greift sich der Herr, dessen Foto ihr im goldenen Rahmen über jedem Schreibtisch seht." Also nichts Neues. Es ist seltsam, daß Menschen, die drei Jahre in den Minen gearbeitet haben so einfach rausfliegen können und in den Parks und am Hauptbahnhof gegen Heroinhändler aus Afrika anscheinend kein Kraut gewachsen ist. Wir reisten einmal mehr auf German-Bonus und fuhren auf exzellenter Straße die einhundert Kilometer nach Maputo, die Hauptstadt. Überfallgefahr, wie im Reiseführer berichtet wurde, hat sich erledigt, alles ok. Allerdings sahen wir wieder viele PoliceChecks, die uns aber in Ruhe ließen, bewaffnete Soldaten an jeder Ecke und die Hauptstadt ist - wie soll ich sagen ... wir haben bessere und schlechtere Städte gesehen. Viel Müll, was immer schrecklich wirkt, wühlige Märkte, aber im Zentrum breite Straßen, Hochhäuser, Banken, Restaurants. Die Menschen lassen einen überwiegend in Ruhe, Kinder bieten sich zu dritt oder viert als Aufpasser fürs Auto an, was man annehmen muß. Wir fuhren direkt zur Post, holten tausend Marken, klebten im Auto ein, ließen sie abstempeln und
fuhren den geraden Weg zur Grenze. Diese Fahrt war ereignislos, oberflächlich betrachtet. Aber wir hatten wieder das Westafrikagefühl. Wir nahmen eine andere Straße als auf der Hinfahrt und ständig muß man auf Schlaglöcher achten und wir sahen unglaubliche Mengen an Autowracks längs der Straße. Absolut unglaublich. Auf gerader Strecke gibt es Punkte, da sieht man links vier zertrümmerte Autos und rechts drei. Auf einen Blick ! Nicht alle von der letzten Woche, viele sind schon fast wieder Natur, aber trotzdem. Dann hat man immer das ungewisse Gefühl, daß hinter der nächsten Biegung irgendeine Nerverei lauern könnte und man will raus. Es war, wie gesagt, völlig ereignislos und alles hat vom Feinsten geklappt, der Streß war nur in unseren Köpfen, aber wir waren froh, als wir gegen nachmittag wieder südafrikanischen Boden unter den Reifen hatten. KRÜGER NATIONAL PARK
Dieses Südafrika. Ein wunderschönes Land, in das wir nun endgültig zum letzten Mal einreisten. Gleich hinter der Grenze atmeten wir tief durch, entspannten, und fuhren nach diesem äußerst effektiven Tag in den Krüger-National-Park. Er beginnt direkt an der Grenze und läuft über vierhundert Kilometer an ihr entlang. Genau auf unserer Strecke. Es gibt kein schöneres Reisen als durch einen Nationalpark. Ganz Afrika müßte so sein. Zwölf Camps gibt es im Krüger-Park. Jedes ist in Ordnung. Man muß nicht als erstes die Toiletten und Duschen checken oder sich mit irgend etwas bevorraten. Man braucht keine Angst vor irgendwas haben, vor schlechten Straßen oder Diebstählen oder Überfällen. Man fährt Tempo vierzig oder langsamer, wie gewünscht auf Asphalt oder auf kleinen Umwegen über Sandwege, entdeckt hier einen Leoparden, dort einen Elefanten und ist umgeben von schönster Natur. Als wir im ersten Camp ankamen hatten wir wieder dieses Glücksgefühl, welches einen erreicht, wenn alles stimmt und sorgenfreie Tage bevorstehen. Ein wenig Abschiedsstimmung von Südafrika erfaßte uns bereits. Nach drei Monaten mit Unterbrechungen in diesem Land Zeit für ein paar abschließende Worte, hoffentlich kein Nachruf. So unwahrscheinlich angenehm, komfortabel, wunderschön und entwickelt dieses Land ist, so sehr scheint es auf dem falschen Weg zu sein. Geht man durch die Waterfront in Cape-Town, durch SunCity oder an den Beach von Durban, besucht man die Garden-Route
oder die Nationalparks oder durchfährt man diese gepflegten kleinen Ortschaften, kann man nicht glauben, daß diese Land jemals nieder gehen könnte. Aber uns scheint, daß es unvermeidlich passieren wird. Wir haben mit vielen gesprochen, Zeitungen gelesen und Nachrichten gehört. Wenn kein Wunder passiert, wird dieses Land den Weg gehen, auf dem sich Nigeria befindet. Es wird trotz Wohlstand in Kriminalität, Korruption und Brutalität versinken. Oder gerade deswegen. Es ereignete sich in der Zeit, als wir in Durban waren, folgendes Verbrechen. Eine weiße Touristenfamilie mit zwei kleinen Kindern wird auf dem Highway mitten in Durban NorthernBeaches nachts gestoppt. Der Vater und die Mutter werden per Genickschuß hingerichtet, die kleinen Kinder auf die Leichen der Eltern gesetzt und die Schwarzen fahren mit dem Auto weiter. Die Täter wurden nur gefaßt, da sich an den folgenden Tagen am Tatort Autokonvois gebildet hatten, die von den Sicherheitskräften nicht ignoriert werden konnten und die Teilnehmer teilten der Polizei die Namen der Täter mit. Jeder wußte wer es war, nur die Polizei nicht. Als die Täter dann verhaftet wurden, stellte sich heraus, daß einer von ihnen vor kurzer Zeit wegen Mordes verurteilt wurde und bereits wieder frei rumlief. Das ist nicht so ein großer Ausnahmefall, daß es unfair wäre ihn zu berichten. In den Details natürlich, aber dieses Maß an Skrupellosigkeit und Schlamperei paßt zu einem Land, welches vor die Hunde gehen will. Da mag noch so oft betont werden, wie schwer es für die Schwarzen sein mag, die Ergebnisse dessen zu hören, was momentan die sogenannte Wahrheitskommission macht. Sie soll die Verbrechen der Apartheitsregierung und der damaligen Exekutive aufdecken und das läuft hart ab. Wenn irgendein weißes Stück Bullenmüll drei Schwarze erschossen hat, dann sagt dieser, daß er im offiziellen Auftrag handelte und er der Meinung war, daß dies im Interesse des Landes zu geschehen hatte. Dann geht er als pensionsberechtigter und freier Mann aus der Angelegenheit hervor. Das soll der Bewohner eines Townships erstmal begreifen und verarbeiten. Diese Verbrechen werden oft als Rache gewertet für die Jahre der Unterdrückung, aber das trifft den Kern nicht. Auch nicht die Erklärung mit dem ungerecht verteilten Gütern. Das würde Einbruch und Autodiebstahl erklären, aber keine Morde wegen nichts. Und Rache, was soll das, es trifft nie die Richtigen. Aber wie auch immer,
es ändert nichts an der höchstwahrscheinlich düsteren Zukunft Südafrikas, im Gegenteil. Ebenso das Schulwesen, sicherlich ein entscheidender Punkt. Mandela hat freie Schulen versprochen und überall wurden nagelneue Gebäude errichtet. Nach einem Jahr sehen diese aus wie Ruinen. Alles geklaut, von den Türklinken über sämtliche Sanitäreinrichtungen und in den Klassen sitzen Sechsjährige neben Fünfund-zwanzigjährigen. Die Einflüsse müssen nicht extra beschrieben werden. Das Geld ist alle und die Schulen verkommen zu nichts anderem als Brutstätten für neue Kriminalität. Bedenkt man noch die Abwanderung von Spitzenkräften und den Verfall der Immobilienpreise, betrachtet man sich die Gestalten, die hinter dem alten Mandela bereits lauern, dann werden düsterste Visionen auf einmal greifbar nah. Ein Land, in dem nur noch der Bodensatz bleibt mit einer Regierung von unfähigen, korrupten und machtgeilen Existenzen wie sonst fast überall in Afrika, dort wird das Aufgebaute schnell ruiniert sein und Chaos wird um sich greifen. Noch entdeckt man überall Versuche, das Ruder herum zu reißen und es sieht vielleicht so aus, als wäre es noch nicht zu spät. Mit viel Optimismus. Besonders erinnere ich eine bunte Leuchtschrift "D'ont stop the miracle. Stop crime" aber auch auf den Wegen nach Lagos steht "Jesus loves you". Ich glaube nicht, daß es etwas nützt, bestenfalls hat es eine aufschiebende Wirkung. An diese Stelle paßt ein Witz, der in Südafrika gerne erzählt wird: Was ist der Unterschied zwischen einem Rassisten und einem Touristen ? Zwei Wochen. Es gibt noch unzählige warnende Indizien, weitere aufzuzählen ist müßig. Wir haben einige Länder gesehen, deren Perspektiven finster aussehen. Das Schlimme speziell in Südafrika ist, daß es vermutlich vermeidbar ist, daß die Ursachen so eindeutig scheinen. Und der Weg es zu vermeiden ist genau der, den keiner will, denn dieser schien gerade überwunden und droht jetzt zu scheitern. Und für den außenstehenden Betrachter entsteht der irrige Eindruck, daß der White-Trash doch recht gehabt hat und das ist sehr deprimierend. Vorerst hatten wir aber noch ein paar Tage im Krüger-Park. Er ist mit dem Etosha-Park nicht zu vergleichen. Wäre ich ein Tier, würde ich den Krüger immer vorziehen, als Mensch allerdings nicht. Der Krüger-Park ist größer als Schleswig-Holstein. Es gibt Berge und Täler, Flüße und Teiche und überall dichten Busch. Beachtliche
Tierbestände beherbergt der Park, bloß bekommt man sie kaum zu sehen, es verläuft sich zu sehr. In der dürren, flachen Steppe von Etosha sind die Tiere auf die Wasserlöcher angewiesen und dort kann man sie in Ruhe und in großer Zahl beobachten. Rund um die Uhr. Im Krüger haben die Tiere keinen Grund, bestimmte Stellen aufzusuchen und selbst wenn sie zwanzig Meter neben der Straße sind verschwinden sie im Unterholz. So fährt man Kilometer um Kilometer ohne ein Tier zu sehen, außer mal ein paar Zebras oder Impalas, und nur mit viel Glück sieht man einen der big five aus der Nähe. Wir sahen einen Leoparden, der wie gemalt keine fünf Meter vom Auto entfernt auf einem Felsen saß und die Lage peilte, das war beeindruckend. Aber sonst mußten wir das Fernglas benutzen, um Hippos, Büffel, Elefanten oder Löwen in geringer Stückzahl irgendwo weit weg auszumachen, wenn das Terrain etwas offener war. Elefantenherden von dreißig Stück, denen man beim Baden und Einstauben auf Bänken sitzend aus nächster Nähe im Sonnenuntergang zuschauen kann bietet der Krüger-Park nicht. Einen Löwen sahen wir, der sich frisch ein Zebra gerissen hatte, aber wir standen in einem Pulk etlicher Fahrzeuge voller Amateurfilmer und Hobbyfotografen, an denen sich Versorgungsfahrzeuge vorbei quetschten. Das ist irgendwie nicht das Gelbe vom Ei. Der Krüger-Park ist irrsinnig professionell. Die Natur wird mit HighTech überwacht, eine jährliche Inventur findet anhand von Infrarotaufnahmen aus der Luft statt, Buschbrände werden gelegt, Bestände korrigiert, per Computer alles genau errechnet. Die Camps laufen wie ein Uhrwerk, das Essen ist teurer und schlechter als im Etosha-Park, es erreicht bestenfalls das Niveau einer guten Betriebskantine. Souvenirs aller Preisklassen werden angeboten, vom Metallemblem für den Spazierstock bis zu ausgestopften Löwen für Stück 17.000 DM. Mit Zertifikat in jedes Land der Welt zu verschicken. Es gibt Nachtfahrten, Post und Bank, Autoverleih und einen Flugplatz. Akribisch genau achtet die Verwaltung auf das Gleichgewicht der Natur. "Es ist ein wenig wie Gott spielen" sagte ein Mitarbeiter auf die entsprechende Frage einer Zeitung. Es berührt einen bisweilen seltsam zu sehen, wie jedes Tier umhegt und gepflegt wird, pedantisch genau ausgerechneten Lebensraum zur Verfügung bekommt, und jenseits des 1.400 km langen Zaunes, der elektrisch Tier vor Mensch und Mensch vor Tier schützt, gibt es das verarmte
Homeland Venda und Towsships ohne Wasser, ohne Strom, ohne Straßen und die Felder vertrocknen oder sind überbewirtschaftet. Ich fühlte mich daran erinnert, daß in Deutschland ebenso der Platzbedarf eines Schäferhundes gesetzlich geregelt ist und der eines Kindes nicht. Diesen Vorwurf, wenn es denn einer ist, kennen die Betreiber des Krüger-Parks und sie erwidern, daß sie - egal ob für Schwarz oder Weiß - die ökologische Ethik für das neue Südafrika formulieren. Da ist was dran, es braucht eine Vorgehensweise und den Bewußtseins- und Wissensstand aus der Ersten Welt, um in der Dritten Naturschutz zu praktizieren. Für den besitzlosen Buschmann verspricht Holz eine warme Mahlzeit, ein Tier etwas zu essen und fruchtbarer Boden ist Ackerland. Und was ist der Umkehrschluß wert. Wenn man die These aufstellt, daß es erst dem Menschen gut gehen muß, bevor man sich derart intensiv mit dem Wohlergehen der Tiere befaßt, dann heißt das überspitzt und zuende gedacht, daß es keinem Tier gut gehen darf, bevor nicht das letzte Arschloch versorgt ist, und das kann es wohl nicht sein. Ein Beispiel, welches die Bemühungen um das Wohlergehen der Menschen belegt, wird aus dem Homeland Transkei berichtet. Dort ist fruchtbarer Boden und die Schwarzen leben überwiegend von Rinderzucht. Ackerbau ist nicht ihr Ding, unter der Würde. Das kann der Boden langfristig nicht ab, er platzt auf und verdirbt, die Rinder haben nichts mehr zu essen. Es soll kein falscher Eindruck entstehen. Der Krüger-National-Park ist ein Juwel und auch, wenn er zum Beobachten von Tieren nicht optimal ist, so fuhren wir gerne durch. Großartig zum relaxen, auf besten Straßen von Camp zu Camp rollen, Musik hören, an nichts denken, ab und an doch ein Tier entdecken, Essen gehen, in der Badewanne liegen, Frühstück am Büfett einnehmen und dabei noch in die richtige Richtung reisen. In einer wunderschönen Naturkulisse. Vielleicht spielte auch das nicht gerade optimale Wetter eine Rolle. Es war durchgehend bedeckt, es regnete mitunter und man erzählte uns, daß die meisten Tiere sich bei Regen irgendwo im Busch verstecken und nicht durch die Gegend laufen. Mag sein. Am vierten Tag hatten wir dennoch genug. Wir trafen kurz vor dem Verlassen des Parks noch zwei Elefanten, einen links der Straße und einen rechts. Der Bulle war ein amtlicher Vertreter mir beachtlichen Stoßzähnen und wir halten genau zwischen den beiden an, um ein Foto zu machen. Der Bulle war nun durch unser schepperndes Auto
von seiner Frau getrennt und fand das überhaupt nicht amüsant. Er klappt die Ohren vor, holt tief Luft, nimmt Maß und wir ließen das mit dem Foto bleiben und waren ganz schnell wieder im Dritten Gang. Daraufhin steuerten wir ein letztes Mal einen dieser exzellenten Burencampingplätze in Südafrika an. Machten noch die Wäsche in den Maschinen und am nächsten Tag fuhren wir nach Zimbabwe rein. SIMBABWE
Schon die Grenze hat nicht mehr den gewohnt geordneten Ablauf. Drei Helfer scharten sich um uns, zeigen in den Formularen auf die Stelle, an der "Name" steht und informierten uns, daß wir dort unseren Namen hinschreiben müßten. Das selbe Spiel bei "Country" und "Destination" und was alles auf diesen Bögen steht. Sie vermuten wahrscheinlich, wir seien Analphabeten. Am Ende hatten wir die übliche Diskussion um die Entlohnung, was damit endete, daß alle unzufrieden waren und sie uns nachriefen, daß wir bloß nicht wieder kommen sollten. Hatten wir auch nicht geplant. Am Nachmittag kamen wir in Bulawayo an, einer großen und übersichtlichen Stadt. Es war Sonnabend, der Geldautomat verweigerte wie meist die Auszahlung, die Banken geschlossen, und wir waren genötigt, auf der Straße zu wechseln. Ganz peinlicher Auftritt. Drei Jungs kommen ans Auto, wir erfragen den Kurs der ca 15% über dem der Bank lag. Nicht übel, und wir wechselten Dreihundert Mark. Sie holen das Geld, 2.700 Zimbabwe-Dollar, und zählen sie vor. Wir bekommen erst einen Stapel zum kontrollieren, 1.500$, den geben wir wieder raus, bekommen einen zweiten, 1.200$, der Typ legt die beiden Stapel zusammen und fragt nach den drei Hundertern. Ich gebe ihm einen zum testen, er gibt uns wieder den halben Stapel, damit wir sein Geld auf Echtheit prüfen können, ich gebe ihm den nächsten, wir bekommen im Austausch wieder die zweite Hälfte der einheimischen Währung. Nie hatten wir die volle Summe im Auto. Ich merke nichts, die drei Hundert-Mark-Scheine hatte ich wieder, der Typ den kompletten Stapel Dollars in der Hand. Er macht ein Gummiband um den Stapel, und die Übergabe lief Zug um Zug. Ich halte die drei Hunderter fest, er die Rolle mit dem Geld und wir lassen beide gleichzeitig los. Jeder hatte sein Geld. Wir fahren los, wollen noch mal nachzählen und statt siebenundzwanzig Hundertern hatte wir ein Bündel Fünfer mit einem Hunderter außen.
Ich Idiot ! Spätestens, als wir nie den vollen Betrag in der Hand hatten, hätte ich Lunte riechen müssen. Das Austauschen der Geldrollen war nur noch ein Klacks, da ich mich ausschließlich darauf konzentriert habe, daß er die drei Hunderter nicht greift und abhaut. Auch das hat er gewußt. Die nächste halbe Stunde habe ich mir bald ein Geschwür geärgert. Nicht wegen den drei Scheinen, die bringen uns nicht um, auch nicht wegen den drei Jungs, denen kann ich nichts krumm nehmen, aber über mich, wie man so blöd sein kann. Kann jedem passieren, sagt man dann gerne, aber den Dümmsten zuerst, das steht fest. Zu allem Überfluß hielten es die Geldwechsler nicht einmal für nötig, nach diesem Coup zu verschwinden und stellten sich rotzfrech wieder an die Straße und warteten auf die nächsten Opfer. Wir konnten nur freundlich winken wenn wir sie sahen, was bleib uns übrig. Naja, Lehrgeld. Wenigstens waren es Fünf-Dollar-Noten und kein Papier, echt waren sie auch, so daß wir für unsere Dreihundert Mark gerade noch zwei Pizzas und Getränke bekamen. Wir müssen uns jetzt wieder vollkommen klar darüber sein, daß ab jetzt wieder mehr und mehr afrikanische Verhältnisse herrschen und wir wieder verschärft auf kleine Linkereien achten müssen. Südafrika liegt endgültig hinter uns. BULAWAYO
Wir blieben noch vier weitere Tage auf dem Campingplatz im Central-Park von Bulawayo. Die Stadt ist von allen schwarzafrikanischen Städten eine der schönsten, die wir bislang besucht haben. Alles in Südafrika und Namibia nenne ich nicht schwarz-afrikanisch. Sehr sauber, gepflegte Geschäfte, ansprechende Steakhäuser mit Riesenfilets die im Munde zerschmelzen, breite Straßen, an denen nicht nur links und rechts Parkplätze sind, sondern auch in der Mitte. Wo immer man stoppen möchte ist Parkraum ohne Ende, keiner nervt einen, man kann ganz und gar unbehelligt durch die Straßen laufen. Das Postamt ist allerdings stark überfrequentiert. Vor jedem Schalter dreißig Mann Schlange und allein das Kaufen der Briefmarken dauerte eine Stunde. Ganz unmöglich, dort abstempeln zu lassen, sie würden uns mit Recht lynchen, wenn wir für eine knappe Stunde einen Schalter blockieren und unsere Bögen bearbeiten. Der Preis der Briefmarken dafür neuer Minusrekord,
unschlagbar, nehme ich an. Für Eintausend Stück zahlten wir umgerechnet 1,20 DM, billiger als Rauhfaser. Durch Zufall entdeckten wir auf der Rückseite des Postgebäudes eine Paketannahmestelle, in der so gut wie nichts los war und dort stempelten wir in Ruhe mit dem Parcel-Stempel. Zimbabwe ist prädestiniert für Afrikaeinsteiger. Es ist ohne Zweifel Afrika, aber kein Moloch, kein Township, kein Trouble-Country, kein besetztes schwarzes Land, kein religiöser Wahnsinn. Die Kriminalität ist akzeptabel, man muß auf seine Sachen aufpassen wie überall, aber nichts ist lebensbedrohlich. Die Bewohner halten ihr Land in Ordnung, sie sind freundlich und zurückhaltend, man sieht Bettler, aber nicht zu viele, und die Entbehrungen, die es gibt, halten sich sehr im Rahmen dessen, was jeder in Afrika erwartet. Mal ist die Dusche nicht warm, alles dauert für europäische Verhältnisse sehr lange, die Nebenstraßen sind abenteuerlich, aber wenn man nicht will, geht es ebenso auf bestem Asphalt. In den Nationalparks gibt es ganz simple Camps wie bei John Wayne und Hardy Krüger, wo nachts die Hyänen ums Auto und um die Zelte streifen, seltsame Geräusche aus dem Busch den Schlaf stören und Affen und Gürteltiere rumlaufen wohin das Auge blickt. Ebenso kann man in eine Lodge gehen oder eine Rundhütte mit Klimaanlage mieten, alles für sehr zivile Preise. Wenn ganz Afrika wie Zimbabwe wäre, hätte dieser Kontinent keine unlösbaren Probleme, wage ich zu behaupten. Die Art der Reisenden wird schlagartig wieder interessanter. Auf den Buren-Camp-Sites in Namibia und Südafrika geht einem der übergewichtige und kurzgeschorene White-Trash mit der Zeit doch ziemlich auf den Keks. In ihren Vorzelten und Wohnwagen hängen sie in Jogging-Anzügen ab und grillen wie besessen, sie putzen ihre Autos und das Feeling ist wie in Travemünde. Wir wollten mit ihnen nichts zu tun haben, hatten keine Lust auf Gespräche, waren immer sehr für uns. Die vielen Jugendlichen aus Südafrika, die diese Camps ebenso bevölkern - unter zwanzig - haben auch nicht viel mitzuteilen.Das wurde anders. Wir trafen ein Franzosenpärchen, welches zu Fuß mit einem winzigen Zelt unterwegs war mit Geige und Gitarre. Sie sahen aus, als hätten sie den Knall nicht gehört und lebten immer noch im Sommer von 69. Sie schwanger, was immer dabei herauskommt, wenn man Chemie grundlegend ablehnt, und in ein paar Monaten stand eine Zeltgeburt an. Natürlich nahm keiner von beiden Malariamittel, schon wegen der Schwangerschaft und
überhaupt, was sie nicht abhielt, sich langsam nach Malawi in die Regenzeit zu begeben, ein Hauptmalariagebiet. Wir finden zu solchen Leuten keinen Draht, aber ich mag sie irgendwie trotzdem, diese Träumer, die immer gute Laune haben, einen stets anlächeln und jenseits von Gut und Böse einfach so auf der Welt wandeln. Ein alleinreisendes Mädchen kam mit einem Riesenrucksack angestiefelt, baute ihr Ultraleichtzelt auf und setzte sich unter einen Baum und schrieb einen Brief. Sowas sehe ich gerne, es interessiert mich, wie sie drauf ist, was ihre Motivation ist, was sie zu erzählen hat. Eine Hamburgerin, die - natürlich, was sonst - Heilpraktikerin war oder lernte, die ihre Wohnung aufgegeben hat und sich ein bißchen in Afrika umsieht. Danach erstmal wieder in die Freie- und Hansestadt zu ihrem Freund und dann weiter sehen. Respekt, Mädel, ich könnte das nicht. Nicht mehr. Neben uns ein zerknautschter R5 mit südafrikanischem Kennzeichen und einem kleinen Zelt. Ein Pärchen aus Dachau mit bayrischer Mundart. Der R5 hatte schon mal besser ausgesehen, bevor er von einem Bus mit den beiden drinnen in die Böschung geschossen wurde. Er, Doktor der Physik, und sie - natürlich, was sonst Sozialpädagogin. Beide hatten einen Job, lebten neben seinen Eltern in einem komfortablen Haus, alles war überaus einlullend aber sie hatten es geschafft, diese Mauern zumindest für den Moment einzureißen. Weg mit dem Job und per Rucksack für ein Jahr nach Afrika, das Gurkenauto gekauft und einfach durch die Gegend ziehen. Auch davor habe ich viel Respekt und wir hatten Mordspaß mit den beiden, haben lange geklönt und Geschichten erzählt. Bayrisch ist ein durchaus angenehmer und von Humor und Mutterwitz geprägter Dialekt, wenn ihn die richtigen Leute sprechen. Das ist bloß so selten. Diese Zusammentreffen sind einfach erquicklich. Es ist nicht schwer ins Gespräch zu kommen. Woher kommst du, wohin gehst du. Und erst tauscht man Erfahrungen aus, welche Straßen, welche Plätze, Kringel in der Karte machen, dann kann man sich stundenlang Reiseerlebnisse berichten und wenn es nach zwei Tagen zwar vertrauter geworden ist, aber die Themen langsam ausgehen, trennt man sich wieder, tauscht eventuell Adressen und sieht sich in der Regel nie wieder. Trotzdem hat man viel erfahren, lernt von jedem dieser Kontakte irgendwas, bekommt eine Inspiration oder, was bei uns meistens eintritt, freut sich über die eigene Begründung für die
Reise. Die Briefmarken lieben wir mittlerweile. Zwar nervt es häufig, sie zu kaufen und im heißen Auto einzukleben, die Boxen ins Amt zu schleppen und triefend naßgeschwitzt tausend Mal zu stempeln, aber sie nehmen uns die Langeweile, zeigen uns die Richtung und geben dem, was wir gerade tun, einen Sinn. Viele, die wir treffen, beneiden uns darum. Weniger um den möglichen Gewinn, denn der ist noch nicht konkret genug, sondern um den einfachen und klaren Plan, den roten Faden unserer Reise, um die Aufgabe. Als wir aufbrachen, gab es eine kleine Abschiedsszene, aber eine angenehme. Tausend gute Wünsche von allen - ebenso, euch auch und winkend verläßt man den Ort. In diesen Momenten wird uns jedesmal bewußt, wie stark man als Reisender spürt, wie Gegenwart zur Vergangenheit wird. Im heimatlichen Alltagstrott, in immer gleicher Umgebung mit immer den gleichen Leuten, merkt man bisweilen nur daran, daß die Kinder größer werden oder die Haare ausfallen, daß Zeit überhaupt ein fließender Faktor ist. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind ein und dasselbe, ein Brei. Unterwegs ist dies völlig anders. Wir verlassen Orte, von denen wir wissen, daß wir sie nie wieder sehen werden, treffen Menschen, die wir gestern noch nicht kannten, lachen mit ihnen, verabschieden uns, und sie sind aus dem Leben verschwunden. Die Zukunft rollt als schwarze Asphaltbahn oder Wellblechpiste unter dem Auto entlang, Landschaften erscheinen, verändern sich, verschwinden, neue tauchen auf. Man spürt, daß man lebt und fließt mit der Zeit dahin, eine Sache, die zeitweise süchtig machen kann bis irgendwann das Heimweh kommt und der alten, vertrauten Heimatumgebung zu neuen Reizen verhilft. Nicht täglich hat man ein Gespür dafür, aber es gibt Tage, da empfindet man diese Zusammenhänge ganz greifbar und real und das ist ein intensives und gutes Gefühl. Schon wieder hatten wir ein paar Tage Leerlauf. Von dem nächsten Land, Sambia, hörten wir nichts Übles, aber alles soll eine Idee schlechter sein und dafür teurer. Also lohnt es nicht, dort ins Wochenende zu rutschen, so daß wir lieber noch einen kleinen Nationalpark besuchen wollten, zwei Tage an den Vic-Falls rumlaufen, und erst am Sonntagabend in Lusaka ankommen wollten. Auf der Fahrt dorthin eine typisch afrikanische Szene. Die Straße ist in erstklassigem Zustand und kaum befahren. Ein Mann steht mitten drauf und winkt wie wahnsinnig mit einer roten Fahne. Wir werden
langsamer. Hundert Meter hinter ihm ein Rollstuhl, auch mit einer roten Fahne. Wir fahren bis zu dem Rollstuhlfahrer, der arme Kerl kann nicht laufen, weil er ein steifes Bein hat. Wir schmeißen ein paar Münzen in seine Blechdose, er lacht fröhlich und bedankt sich artig und im Rückspiegel sehe ich, wie diese kleine Gabe sein steifes Bein sofort kuriert hat und er es gemütlich anwinkelt und es sich im Rollstuhl bequem macht. HWANGE NATIONAL PARK
Ich will über diesen Park nur deswegen kurz berichten, falls jemand dies liest, der gerade vor der Entscheidung steht, den Park links liegen zu lassen oder hindurch zu fahren. Unser Tip: Links liegen lassen. Es ist schade, das feststellen zu müssen, denn die beiden Camps, die wir aufsuchten, waren ok, von dem Rumpsteak im Hyena-Restaurant mal abgesehen, aber da haben wir die Warnung, die in dem Namen steckt, schlicht übersehen. Die Menschen sind freundlich, wir sahen Elefanten und einen Leoparden und noch so allerlei Getier, aber die Wege durch den Park sind unzumutbar. Kein Mensch verlangt eine sechsspurige Autobahn und ich spreche auch nicht von den Pisten, die den Allradfahrzeugen vorbehalten sind, ich meine die Wege, die man fahren muß, um überhaupt durch den Park zu kommen. Es beginnt mit den Fragmenten einer Teerstraße. Eine schlechte Teerstraße ist übler als eine einigermaßen gepflegte Piste. Ein einziger Schlaglochslalom. Diese hört nach achtzig Kilometern auf und eine fürchterliche Wellblechpiste beginnt für die nächsten neunzig Kilometer bis zum nächsten Camp. Schweres Wellblech und im Auto rüttelt und klappert es, daß unterhalten oder Musik hören ausgeschlossen ist, man kaum nach Tieren Ausschau halten kann und nur Nerven und Fahrwerk strapaziert. Von außen muß es geklungen haben, als hätten wir uns einen Schwanz aus Blechdosen hinter die Kiste gehängt wie man es öfters bei frisch Vermählten sieht. Von den Tieren sahen wir stets nur die Hacken, mit Glück mal ein Hinterteil, wie es panisch im Busch verschwand, wenn wir angerasselt kamen. Die mehr langmütigen Tiere wie Elefanten, unterbrachen ihre Tätigkeit, ob sie badeten oder grasten oder gerade einen Wald zerlegten, um uns entgeistert anzublicken als wollten sie sagen "ihr seid doch nicht bei Sinnen, uns mit diesem Krach zu belästigen". Und wenn mehrere Elefanten einen alle gleichzeitig entrüstet ansehen, dann sind sie nicht mehr die ruhigen und friedlichen
Geschöpfe, sondern es taucht sofort die Frage auf, ob es nicht besser sei, zügig weiter zu scheppern. Wir haben in diversen Camps in diversen Nationalparks genug Fotos von Fahrzeugen nach einer Elephanten-Attacke gesehen, und das muß weiß Gott nicht sein. Der ganze Park macht deshalb keinen Spaß, außer Schlaglöcher und Wellblech kriegt das Auge wenig geboten. Am Ende geht es weitere sechzig Kilometer zum Ausgang des Parks, zwar auf leicht besserer Piste, aber immer noch kein Genuß. Besonders schade, da der Park ansonsten überdurchschnittlich viel Abwechslung bietet. Er geht von dichtem Buschwerk bis in die Ausläufer der Kalahariwüste, und es würde bestimmt Spaß machen, ein paar Tage kreuz und quer hindurch zu fahren, doch wie gesagt, keiner verlangt eine Autobahn, aber was zuviel ist, ist zuviel. VICTORIA FÄLLE
Am nächsten Tag erreichten wir die Vic-Falls. Ein touristisch hundertprozentig erschlossenes Gebiet. Es gibt alles, und natürlich wieder unzählige Geldwechsler mit Superkursen. Nicht noch mal ! Der Weg zu den Fällen führt durch einen toll angelegten Park für 12,- DM Eintritt pro Person. Durch die herunterstürzenden Wassermassen liegt der halbe Park in einem dauernden, ganz feinen Sprühregen und die Vegetation wuchert wie verrückt. Durch dichtesten Dschungel, in dem es ständig tropft, geht ein Plattenweg mit kleinen Querwegen bis zu der schroffen Felswand, der gegenüber diese gigantischen Fälle tosen. Durch die Feuchtigkeit gepaart mit gnadenloser Sonne entsteht Waschküchenklima und unsere Raucherlungen waren überfordert. Am Anfang ging es ganz gut, aber der Rückweg war für beide eine Qual. Wir schleppten uns durchgeschwitzt von Bank zu Bank wie Rentner und mußten, als wir das Auto erreicht hatten, erst jeder einen Liter eiskaltes Wasser nachfüllen, bevor wir ziemlich am Ende eine klimatisierte Pizzeria aufsuchen konnten, um wieder zu Kräften zu kommen. Zwei Tage verbrachten wir noch auf einem ruhigen und gepflegten Campingplatz direkt am Ufer des Sambesi, bis wir Sonntags nach Sambia einfuhren. Nachtrag: Drei Monate später, nachdem ich diese Prognose aufschrieb, saßen wir in einem Hotel in Äthiopien und sahen CNN World News. Dort wurde von Unruhen in Zimbabwe gesprochen, es gab Bilder von brennenden Autos, zerstörten Geschäften und
schießenden Soldaten in Harare. Als Grund wurden steigende Lebensmittelpreise genannt, da die Produkte der weißen Farmen fehlten und Knappheit herrschte. Und das ist erst der Anfang. SAMBIA
Wieder einen Schritt afrikanischer. Straßen langsam schlechter, Roadblocks, Kontrollen, und wieder Wechselbeschiß an der Grenze. Flinke Finger haben die Jungs. Obwohl ich diesmal, welch Wunder, besonders aufgepaßt hatte, fehlten nach einer Stunde, als wir unsere Scheine sortierten, die Hälfte des Geldes. Keine Ahnung, wie sie das hingekriegt haben, meine Hochachtung. Peanuts diesmal, Verlust etwa zwanzig Mark. Lusaka hingegen ist besser als jede Stadt, die wir in Westafrika gesehen haben. Zwar hat sie nichts, aber auch gar nichts Europäisches mehr an sich, aber sie ist weder vermüllt noch fühlt man sich bedrängt oder belästigt. Wir hatten ein paar Kleinigkeiten zu erledigen, insbesondere, was das nächste Land Zaire, oder jetzt Demokratische Republik Kongo, betrifft. Zaire war das Land, an dem selbst die größten Optimisten unsere Briefmarkenaktion scheitern sahen. Bürgerkrieg. Der ist ja nun vorbei, die Frage war nur die, ob das Land bereits wieder zur Normalität zurückgefunden hat oder nicht. Gibt es noch Rebellen oder Armee-Einheiten, welche die Straßen unsicher machen, werden noch Autos beschlagnahmt, Überfallgefahr, Wegezölle und so weiter. Wir trafen keine Reisenden, die diesbezügliche aktuelle Erfahrungen hatten. Zudem lautete unser Visum noch auf Zaire, würden sie uns damit überhaupt reinlassen ? Wir begannen mit der Deutschen Botschaft. Dort las man uns Berichte aus der Hauptstadt Kinshasa vor, die drei Monate alt waren. Nachts nicht mit dem Auto fahren, allgemein unsichere Lage, Diebstahlgefahr. Allgemeinplätze, Bla Bla, nutzlose Informationen geschenkt. Man sagte uns, daß, wären besondere Vorkommnisse gewesen, sie das wüßten, insofern sei keine Nachricht auch eine Nachricht. Gut, soweit, wenigstens keine Horrorgeschichten. Dann fuhren wir zur Botschaft der Demokratischen Republik Kongo. Das Visum, welches in Bonn 150,- DM pro Person gekostet hatte, war natürlich erledigt, aber dafür bekommen wir ohne Probleme für zehn Dollar eines an der Grenze. Da bin ich ja gespannt, hoffentlich weiß der Grenzer das auch. Wir fragten noch, ob es sicher wäre, das Land
zu bereisen. "Aber selbstverständlich. Herzlich willkommen. Patt problemm." Grins, grins ! Was soll er auch sonst sagen. Es sprach also nichts dagegen, wir beeilten uns mit den Briefmarken und brachen auf Richtung altes Zaire. Gleich am Ausgang von Lusaka stoppte uns eine Kontrolle. Routinemäßig, vor jeder Stadt ist eine Kontrolle, aber freundlich und nicht einer wollte uns ein Geschenk rausleiern oder Schmiergeld haben. An der Ersten saß ein kleiner Junge mit Reisetasche auf dem Seitenstreifen und als der Sergant heraus bekommen hatte, wohin wir wollen, fragt er uns, ob wir den Jungen mitnehmen könnten. "Warum nicht, wo will er denn hin ?" Die Mutter kam, auch in Uniform, zeigte uns auf der Karte eine Kreuzung in etwa dreihundert Kilometern Entfernung und sagt, dort wäre wieder eine Polizeikontrolle und dort könnten wir ihn raussetzen. Wir waren einverstanden, und der Lütte, etwa neun Jahre alt - schwer zu schätzen - klettert ins Auto und ist völlig verschüchtert. So verschüchtert, wie ich gewesen wäre, wenn meine Mutter mich im Alter von Neun bei zwei fremden Schwarzern ins Auto gesetzt hätte. "Setzt den mal in Kassel an der Raststätte raus, dann hat er es nicht mehr weit." Wir gaben ihm erst einmal eine Cola, dann hielten wir an und spendierten ihm einen Hamburger mit Getränk, aber ich glaube, er hielt das alles für einen Trick. Wir fanden es ja irgendwie rührend, welches Vertrauen sie in uns hatten, uns den Sprößling für eine halbe Tagesreise an zu vertrauen. Unvorstellbar, stellt man es sich umgekehrt vor. In Europa fahren zwei Schwarze durch die Gegend und kriegen, ohne jeden Argwohn, einen kleinen, weißen Jungen in ihre Obhut. Völlig undenkbar. Sie können in Sambia noch nicht so viele schlechte Erfahrungen gemacht haben und das stimmt doch hoffnungsvoll. Als wir besagte Kreuzung erreichten, war da weit und breit kein Bulle zu sehen, dem wir den Jungen hätten aufs Auge drücken können. So einfach raussetzen wollten wir ihn nicht. Wir fragten ihn, wohin er überhaupt wolle. Zu seinem Onkel. Und wo der wohnt. In der Nähe von einer Stadt in einem Dorf. Den Namen der Stadt. Luanshya. "Na gut, dann fahren wir dort erstmal hin, wir finden deinen Onkel schon". Er kramt einen Zettel raus. "Bitte geben sie meinen Sohn bei Officer soundso oder bei Sergant soundso ab". Aha, also zur Bullenwache in Luashya, was nicht besonders auf unserem Weg lag. Der Kleine saß nun nicht mehr hinten, sondern kauerte zwischen uns um irgendwas wieder zu erkennen. Sah aber
alles gleich aus, links und rechts nur grüner Busch und Bäume und in der Mitte die Straße. Als wir in die Stadt einfuhren, sah man ihm die Erleichterung an. Wir brachten ihn zur Wache, dort gab es den gesuchten Officer und den Sergant, schenkten dem Lütten noch zwei Pakete Kaugummi und ein Schweizer Taschenmesser, aber es half nichts, geheuer waren wir ihm immer noch nicht. Er nickte kurz, der Anflug von einem Lächeln, und weg war er in der Wache. Wir fuhren noch ein paar Kilometer weiter in eine größere Stadt, um eine Unterbringung zu finden. Campingplätze gibt es auf dieser Ecke nicht mehr, für wen auch. Zwei Hotels gab es und den Y.M.C.A. Die Hotels kosten dreihundert DM pro Nacht und der Y.M.C.A. dreissig. Dazwischen gibt es nix. Also übernachteten wir beim "ChristlichenVerein-Junger-Männer" für 'nen Dreißiger. Sehr seltsam. Ich erinnerte mich an diese Mega-Schwulengruppe, dessen Namen ich vergessen habe, die mal einen Hit hatte, der "Wei-Em-Ci-Ey" hieß. "It's fun to stay at the Y.M.C.A." Schreckliches Lied, absolut tödlich. DEM. REP. KONGO (ex ZAIRE)
Wir brachen um sechs Uhr früh auf, um zu versuchen, dieses Land ähnlich wie Mozambique, Lesotho oder Guinea-Bissau in einem Tag zu erledigen. Wir erreichten die Grenze um acht Uhr, früher hätte sie ohnehin nicht aufgemacht. Den gleichen kleinen Jungen, den wir am Vortage mit hatten, gab es auch an der Grenze, bloß in Kampfuniform mit einem Schnellfeuergewehr und ganz und gar nicht verschüchtert. Er paßte ein bißchen auf, daß alles seinen geregelten Gang geht. Unmengen Gesindel an der Grenze, Geldwechsler, undurchsichtige Gestalten, Helfer und wahnsinniges Gewühl. Mit dem Helfer hatten wir diesmal Glück, er war sehr cool und wußte auch wo's lang geht. Tatsächlich bekamen wir eine Visum an der Grenze, allerdings nicht für zehn US$ sondern für dreißig, aber was soll der Geiz. Es dauerte etwa eine Stunde, zwischenzeitlich erledigten wir Zoll und den Doktor. Unsere Choleraimpfung war nun wirklich abgelaufen, aber er war sehr verständnisvoll, als ich ihm sagte, daß eine Injektion nicht infrage kommt. Eine Spritze in Zaire, das klingt schon wie der sichere Tod durch Aids oder Ebola. Er verlangte pro Person zwei US$ für den Stempel in den Impfpass und das ist sehr in Ordnung, erspart uns dies weitere Diskussionen an den nächsten Grenzen. Unser Helfer bekam auch noch zwanzig US$ und wir waren drin. Die Straße ist natürlich Scheiße, aber nicht zu
Scheiße. Wenn man langsam fährt, können die meisten Schlaglöcher umkurvt werden und die unvermeidlichen muß man eben im Schrittempo nehmen. Der Zeitplan war allerdings schon jetzt gestorben. Die erste Militärkontrolle. Der junge Soldat trägt eine Kette, auf der LOVE steht, um den Hals, in der Hand hat er eine Maschinenpistole, natürlich verspiegelte Sonnenbrille, und fragt, ob wir ihn und zwei Kollegen ein paar Kilometer mitnehmen könnten. "Aber mit dem allergrößten Vergnügen, die Herren." Jetzt waren wir wieder voll, selbst bei offenem Fenster veränderte sich die Geruchskulisse dramatisch zum Negativen und das absolut sorglose Hantieren mit den Automatikwaffen in unserem Rücken beruhigt auf der Schlaglochpiste auch nicht gerade. Wir erreichten den nächsten Militärstop, sie stiegen aus, andere steigen zu, als wären wir der öffentliche Nahverkehrsbus. "Bonjour, sa va, auf geht's." Mit ihnen erreichten wir Lubumbashi. Eine bös heruntergekommene Stadt aus Ruinen und Schlamm und Schlaglöchern. Im Zentrum wird es etwas besser. Der Eine bedankte sich und verschwand, den anderen wurden wir nicht wieder los. Er hilft uns, wie toll. Ich gehe in eine Bank, um zu wechseln, Annett bleibt mit dem Typen am Auto. Gerammelt voll, keine Chance. Ich gehe in die zweite Bank, kein einziger Kunde, ich bin sofort dran, brauche aber trotzdem über eine Stunde, um 200 US$ Travellerschecks zu wechseln. Der Kassierer war damit beschäftigt, von einem Kollegen Krawatten zu kaufen, und da dieser bestimmt zehn verschiedene zur Auswahl hatte, dauerte es eben ein wenig. Er gibt mir dann trocken 170 US$ cash. Ich sage, daß kann nicht angehen. Wenn ich ihm 200 Dollar gebe kann er mir nicht 170 zurück geben, außerdem will ich Landeswährung haben, da ist der Beschiß nicht so offensichtlich. "Vergiß das", sagt er, "Dollar ist patt problemm, Landeswährung ist problemm." Und über das bißchen Kommission, da lohnt es sich nicht zu sprechen. Wir also zur Post, tausend Briefmarken holen. Die Post ist groß, alt und menschenleer. Jeder Schalter besetzt, kein Kunde. Gleich vier Leute beschäftigen sich mit uns, den unfreiwilligen MP-Tramper hatten wir immer noch im Schlepp. "Tausend Stück ... hmm ... kommt in einer Stunde wieder, wir stellen was zusammen." Na gut, wir machen uns auf die Suche nach einem Hotel. Unser Helfer zeigt uns eines, welches nicht so teuer ist - laß mal - gegenüber der Post das Park-Hotel, sah doch nicht so schlimm aus. Wir dahin, sagen unserem Schatten, daß unsere Wege sich nun trennen, aber er hatte
noch ein petit problemm. Wo soll er schlafen, er wohnt doch gar nicht hier ? Ich frage ihn, warum er denn überhaupt her gefahren sei und er antwortet, daß er morgen wieder mit uns zurück fahren wird. Is ja logisch, blöde Frage, hätte ich auch selbst drauf kommen können. Zwanzig Dollar für seine Übernachtung wären ihm noch genehm, und ich gebe sie ihm, um ihn loszuwerden, geschissen auf die zwanzig Dollar, hier geht es um mehr. Wir checken im Hotel ein, 90 Dollar, aber da wir gerade einen 100 Dollar Traveller - Check hatten, paßte der auch. Auf ein paar Dollar mehr oder weniger scheint es niemanden anzukommen. Das Zimmer mit Blick auf den immer lauten Marktplatz - rund um die Uhr Alarm - die Betten wie Hängematten und Kopfkissen wie Allways-Ultra. Dafür kam nur kaltes Wasser aus der Dusche. Wir wieder rüber zur Post, das lag nun alles sehr günstig um die Ecke. Sie hatten die Marken zusammen, alle möglichen, und wollten dafür zweihundert Dollar haben. "Nein Nein, Monsieur, das ist zu teuer, was hältst du von fünfzig." "Och nöö, lieber einhunderthunderfünfzig..." "Ok, nicht lange reden, du bekommst sechzig." "Naja, hundert müssen es schon sein." usw... usw. Wir einigten uns bei achtzig, die aufgedruckten Zahlen auf den Briefmarken spielen überhaupt keine Rolle. Was kostet eine Postkarte nach Europa ? Keine Ahnung. Er holt fünf vorgedruckte Postkarten und verlangt Stück einen Dollar. "Zu teuer, Monsieur." "Die sind aber sehr alt." "Ja, das habe ich befürchtet, kann man die nach Deutschland verschicken ?" "Nein, oder, warte mal, doch, das geht." Die gleichen Postkarten benutzte er auch als Schmierzettel, um den Betrag zu errechnen, den wir für die Marken zahlen sollten. Wir bekamen dann sechs Stück für einen Dollar, natürlich alle von Zaire wie auch die Briefmarken, die Umbenennung des Landes hat anscheinend bloß außerhalb der Grenzen stattgefunden. Wir haben mal zwei losgeschickt, spaßeshalber, mal sehen, ob die ankommen. Als wir die Marken einkleben, stellen wir fest, daß es nur knapp neunhundert sind. Ich gehe schnell noch mal rüber, hole weitere hundert. Auf der Straße läuft man unbehelligt, wenn man sich zügig und zielgerichtet bewegt. Rumstehen und blöd gucken darf man allerdings nicht, dann ist man sofort als Ansabbelopfer erkannt. Der Postler will noch mal Geld, ich sage, daß ich vorhin schon bezahlt hatte und das findet er auch, war ihm nur kurz entfallen. Au revoir, bis morgen zum stempeln ...
Wir haben nur gestaunt. Wir lasen bei der Einreise im Reiseführer noch, daß "das Land theoretisch ohne Personenschaden bereist werden kann". Das scheint Gott sei Dank vorbei, sie haben sich beruhigt und sind zu dem zurück gekehrt, was sie für normal halten. Für uns ein neuer Glanzpunkt. Daß man nicht einmal Briefmarken für das bekommen kann, was draufsteht, das ist neu. Und, daß keiner im Land mit den Millionenbeträgen der eigenen Währung auch nur das geringste anfangen kann, das haben wir auch noch nicht erlebt. Jeder schätzt in etwa, was es in Dollar wert sein könnte und dann wird gehandelt. Wie rechnen die bei der Post überhaupt ab, und wem gegenüber ? Vielleicht sagt dies der Generation mehr, die Inflationen und Währungsreformen schon einmal selbst erlebt hat, für uns, wie gesagt, eine neue Erfahrung. Nach Reiseführerinfo, die mittlerweile auch schon ein paar Jahre alt ist, liegt die Inflationsrate bei 4.000 % im Jahr. Daran hat sich in den letzten Jahren bestimmt nichts verbessert. In Sambia wird von 500 % gesprochen, das klingt dagegen schon fast wieder stabil. Eine sehr merkwürdige Stimmung herrscht in dem Land. Unser Hotel ist das beste am Platze, vor der Tür neben unserer alten Karre S-Klassen. Abends Stimmengewirr. Ich gehe auf den Balkon, etwa zwanzig Mann bepöbeln einen Anderen. Ein Soldat kommt, greift sich den Einzelnen, bringt ihn über die Straße und steckt ihn auf die Rückbank eines dicken Mercedes'. Die anderen kommen hinterher und sind immer noch am Schimpfen. Sie schimpfen jetzt mit dem Mercedes. Der Soldat nimmt seine Maschinenpistole, lädt durch, schreit ein paar Worte und die anderen machen, daß sie fortkommen. Er stellt sich vor den Benz und der andere bleibt im Auto. Es kehrt wieder Ruhe ein. Alltag in der demokratischen Republik Kongo. Wir frühstückten noch und bezahlten die Rechnung. Es gibt Posten wie "Report = 23 US$", was das Frühstück etwa 50,- DM teuer werden ließ. Bloß rüber zur Post, abstempeln lassen und raus. Klappte gut, bloß entdeckte unser Anhalter das Auto und kam zu uns. Er hätte sehr gut geschlafen und holt eben seine Freunde, damit wir alle zusammen zurück fahren können. Wir sagten ihm, er solle sich nicht beeilen, wir treffen uns alle um zehn vorm Hotel und als wir in der Post fertig waren, fuhren wir geraden Weg zur Grenze. Es kam uns jetzt zugute, daß wir auf dem Hinweg so gut wie jeden Soldaten mitgenommen hatten, sie winkten uns zu, wünschten gute Reise und bekamen noch ein paar Kugelschreiber. Keine Probleme. Die Straße
gab unserem Auspuff allerdings den Rest, klingt nicht so, als würde er bis Hamburg durchhalten, vielleicht in Kenia eine Werkstatt mit Stern suchen. Es folgte das Beste, was man in der Demokratischen Republik Kongo überhaupt nur machen kann, nämlich die Ausreise. Wir hatten noch das Vergnügen, daß uns einer der Kindersoldaten vorgestellt wurde, zehn Jahre alt, in voller Bewaffnung. Er konnte seine Maschinenpistole kaum tragen, ließ sich aber nichts anmerken, blickte grimmig um sich. Sie waren ganz stolz auf ihren Benjamin, die Arschlöcher. Eisen erzieht, Monster züchten, das Ergebnis kam man heute schon in Liberia bewundern. Was soll man als Reisender dazu sagen. "Klasse, ein Land mit Zukunft ..." und alle nickten zustimmend. Das war's dann. Rein nach Sambia und wieder ins Y.M.C.A. Hostal. Die knapp zwei Tage hatten uns fast tausend Mark gekostet, imgrunde für nix und wieder nix. Je beschissener das Land, desto teurer wird's, das hatten wir bereits und es bestätigt sich immer wieder. Man kann in solchen Ländern einfach an nichts sparen und bekommt obendrein keinen adäquaten Gegenwert für sein Geld. Um nur halbwegs das Gefühl von Sicherheit zu haben, und dazu gehört ein bewachter Platz für das Auto, ein Hotelzimmer ohne zuviel Ungeziefer und eine Küche, die einem nicht für zehn Tage den Magen umdreht, muß man löhnen ohne Ende. WIEDER IN SAMBIA
Jetzt kam uns Sambia sehr komfortabel vor uns wir haben schon seit langem ein kleines Belohnungssystem eingeführt. Nach strapaziösen Abschnitten, die immerhin effektiv und erfolgreich waren, gibt es eine Belohnungsrunde. Wir nehmen schwarze Anhalter freiwillig mit - manchmal - dann geben wir den Bettlern großzügig ein paar Kröten, lassen das Auto waschen, kaufen irgendeinen Quatsch und solche Sachen. Zaire stand uns echt bevor, wie demnächst Somalia, Burundi und Ruanda, und das war uns eine etwas größere Belohnung wert. Wir aßen noch im ersten Haus des Ortes Kitwe in einem First Class indischen Restaurant und kauften den Ganoven auf der Straße noch einen Stein für zweihundert Mark als Souvenir ab. Ein komisches Geschäft. Zwei kommen ans Auto und zeigen uns geschliffene Aquamarine. "Nee, brauch ich nicht", sage ich, "wo hast du denn deine Diamanten ?" Er packt Diamanten aus, ich hole das Testgerät raus, die beiden staunen nicht schlecht, und natürlich waren es keine Diamanten. Ich gebe sie ihnen wieder, sie sollen es bei
einem anderen Versuchen, und sie erklären, daß Diamanten in Sambia auch gar nicht vorkommen, nur Aquamarin und Emerald. Die Diamanten kommen aus Angola und da kenne man sich selber nicht so gut aus. Sie geben mir einen Emerald, Fünf-Mark-Stück groß, roh, mit schwarzer Schlacke herum. Leuchtet grün wie das Glas von Beck's-Bier, wenn man ihn gegen das Licht hält. Wird es wohl auch sein, 'ne eingeschmolzene Beck's-Bier-Buddel mit etwas Dreck dran. "Emerald, nie gehört. Kryptonit kenne ich, ist auch grün." Aber von Kryptonit hatten die beiden wiederum noch nie was gehört. "Naja, ganz nett, haut einen aber nicht gerade um" sage ich, "als Souvenir an euch beiden Betrüger würde ich ihn vielleicht nehmen, was denkt ihr denn, was der kosten soll ?" Für mich, Sonderpreis, 600 US$. "Hasta la Vista, boys, enjoy your day." Sie lassen natürlich nicht locker und wollen ein Gegenangebot hören, und ich denke mir, eine Null wegstreichen ist immer gut und runde ab auf fünfzig Dollar. Ich bin so ein Idiot, ich bin schon bald wie sie, und feilsche um ein Produkt, von dem ich keine blasse Ahnung habe nur so aus Bock. Irgendwann habe ich das Teil dann tatsächlich für Zweihundert Deutsch-Mark erstanden. Nicht, daß es irgendwie hübsch ausgesehen hätte, wie ein Stück Kohle, und brauchen tue ich es noch weniger, aber ich habe es gekauft und mich auch noch darüber gefreut. "Guck doch mal, ist doch geil, oder nicht ?" Annett zweifelt in solchen Momenten immer an meinem letzten Fünkchen Verstand und schaut mich an, wie ein Arzt seinen unheilbaren Patienten ansieht. Hoffnungslos. Ich glaube sie hat recht. "Für jeden Scheiß, den du hier kaufst, kaufe ich mir in Hamburg auch was in gleicher Höhe, ich schreib das alles auf !" "Mal sehen ..." Jetzt habe ich den Stein an den Backen und um der Sache überhaupt einen Anschein von Sinn zu geben, habe ich ihn zum Talismann ernannt. Das Auto ist ohnehin voll von Talismännern, es ist mehr oder weniger ein einziger Talisman, aber den mußte ich unbedingt noch haben. Ich glaube, es ist das Vernünftigste, ich lege mich erstmal hin und schlafe mich aus. Kaum richtig aufgewacht, begann der Tag gleich mit Ärger. Wir gehen zum Auto, Schloß aufgebrochen und am Heckfenster rumgehebelt. Auf einem bewachten Parkplatz. Genauso wie tags zuvor, als man uns auch auf einem bewachten Parkplatz die Glühbirnen des kaputten Rücklichtes geklaut hatte. Reingekommen ins Auto waren sie nicht, sie hatten wohl nicht genug Ruhe und
konnten keinen Lärm machen, aber das Schloß ruiniert und das Heckfenster zog ab sofort Wasser. Jede Wette, es waren die Edelsteinhändler. Der Diamantentester und die vielen Imitationen zur Bestimmung von Farbe und Größe müssen für sie wie die Kronjuwelen gewirkt haben. Damit kann man vorzüglich betrügen und sich selbst vor Betrug schützen. Recht leichtsinnig von uns die Sachen so gezeigt zu haben. Wir hatten die Reisedokumente im Fahrzeug gelassen, Kameras, Radio - wir sind noch nicht wieder richtig fit, die Instinkte sind noch eingelullt von den zivilisierteren Ländern. Noch mal gut gegangen, da es halt Betrüger waren und keine gelernten Autoknacker. In Westafrika war auf die WatchMänner immer Verlaß. Hier unten hat man mit ihnen nie ein gutes Gefühl. Ich glaube, die paar Mark für's Bewachen werten sie geringer als den Tip, daß man das Auto jetzt über Nacht aus dem Auge läßt. Rein rechnerisch ist das sicher richtig gedacht. Der beste Teil Afrikas, von Süden aus gesehen, hört an den Vic-Falls auf, so unsere Befürchtung. Danach kann man mit Glück noch mal gute Läufe haben und hier und da einen schönen Platz entdecken, aber durchgängig sorglose Tage ohne Probleme und Ärger, das scheint mit Zimbabwe vorbei. Der Tag lief beschissen weiter. Waren wir von Cape Town bis bis zu den Vic-Falls ungefähr 15.000 km ohne Bullenbelästigungen und Roadblocks gefahren, kamen sie jetzt wieder alle fünfzig Kilometer vor. Kugelschreiber liegen hoch im Kurs, davon haben wir ja genug. Bis uns eine fette Politesse auf die zwei fehlenden Glühbirnen anspricht. Sind geklaut worden, wir besorgen uns in der nächsten größeren Stadt neue. "Nein", sagt sie, "das kostet Strafe, gehen sie da vorne zu dem Kommandanten." Der schreibt mir tatsächlich zwei Strafzettel aus, pro Glühbirne 70,- DM. In Worten: Siebzig Deutsche Mark. Ich nehme den gar nicht für voll und sage, daß ich soviel Geld überhaupt nicht besitze, mehr als seinen Monatslohn, er solle sich was anderes ausdenken. Wieviel ich denn hätte. Nun packe ich immer die großen Scheine in meine Weste, und die kleinen, die man als Wechselgeld erhält, habe ich mit einer Klammer in der Hosentasche. Ich sage, ich schaue gerne mal nach, ein wenig müßte er mir lassen für 'ne Cola oder so, über den Rest können wir sprechen. Ich greife in die Hose, fühle die Geldklammer, hole sie raus und lege ihm das Geld auf den Tisch. Zehn bis zwanzig Mark, umgerechnet, denke ich. Zwischenzeitlich hatte Annett jedoch unsere Barschaft sortiert und alles Geld von
Sambia schön säuberlich von meiner Westentasche in den Geldclip gepackt, so wie ich es normalerweise gerne habe. Kopf auf Kopf, der Größe nach sortiert. Ich packe dem Kerl also mit doofen Gesicht ca. 170,- DM auf den Tisch und ich lasse ihn das auch nehmen, damit er sich von meiner Armut und Ehrlichkeit überzeugen kann. "Oh, that's very good !" Er eröffnet mir freudig, daß es dicke reicht und ich sogar noch viel mehr als eine Cola übrig hätte. Dumm gelaufen, das Ding war vergurkt. Meine ganze Argumentation den Bach runter und 140,- DM dazu. Unter diesen Umständen hätte es wenig Sinn gehabt, das Spielchen fortzuführen. Ich habe mich wieder schwarz geärgert, ich spürte förmlich, wie mir ein Mördergeschwür wächst. Das gibt Ärger-Dünnschiss. Schon wieder eigene Blödheit, sowas Nachlässiges, das häuft sich allmählich. Zwei Mal beim Geldwechseln anscheißen lassen, dann nachts die wichtigsten Sachen im Auto liegen gelassen und jetzt das Geld nicht getrennt aufbewahrt. Wir ermahnten uns zu mehr Disziplin, was jetzt kommt, ist nichts mehr für Träumer, wir müssen einfach wieder wacher werden. Der neue Talisman arbeitete bis dahin nicht besonders beeindruckend. Wir fahren also mit eben noch dreißig Mark und halb leerem Tank weiter. Stimmung gedämpft, als wir feststellen, daß die Karte mit den Kilometerangaben sehr großzügig verfährt und wir fahren und fahren, aber das eingezeichnete Dorf taucht nicht auf. Die Tankanzeige geht immer tiefer in den roten Bereich, links und rechts nur Busch und Hügel. Nicht auch das noch. Ohne Geld mangels Diesel liegenbleiben, Spritleitungen entlüften, Autos anhalten, mit einem Kanister losfahren usw, was ist das für ein Schweinetag. Aber jetzt griff der neue Talisman endlich in die Abläufe ein. Mit dem letzten Tropfen erreichten wir eine Tankstelle, der Besitzer war persönlich da und wechselte uns 100 US$ zu einem fairen Kurs. Na bitte ! Wieder flüssig, den Tank voll Sprit, jetzt sahen wir Sambia wieder mit anderen Augen und würdigten auch die vielen freundlich winkenden Leute an der Straße - das Land ist nicht so übel und verdient es nicht, daß ein korrupter Police-Check das ganze Image versaut. Es ist allerdings auch in keiner Weise sensationell. Wir schafften an diesem Tag über siebenhundert Kilometer, weil wir noch bis zu einem Punkt kommen wollten, den uns die Bayern in Bulawayo empfohlen hatten. Hot Springs. Außerdem ist die Auswahl auch sehr gering, weit und breit kein anderer Campingplatz und von
Hotels mit bewachten Parkplätzen waren wir erstmal bedient. Der Weg dorthin führt über dreissig Kilometer Piste mitten durch den Wald und als wir ankamen, war es stockfinster. Zwei Schwarze begrüßten uns sowas von freundlich, mit Hände schütteln und in den Arm nehmen. Ein alter Mann namens Ernest, der Chef oder Chefverwalter oder was auch immer, war ganz aufgeregt und mußte uns auf der Stelle alles mit der Taschenlampe zeigen. Er wußte gar nicht, was zuerst. Die heiße Quelle. Absolut begnadet ! Mitten im Nichts sprudelt da eine Quelle und füllt ein etwa 50 m² Natursteinbecken mit kristallklarem Wasser in Badewannentemperatur. Dann mußten wir in den kleinen Park, direkt an einem Fluß mit kleinen Stromschnellen gelegen und uns auf die Sessel setzen und ausprobieren, wie gut man da relaxen kann. Alles mußten wir uns sofort ansehen. Er kam direkt ins Stottern vor Aufregung, und immer wieder "feel free, f-f-feel like home, you are very w-w-wellcome". Als er noch heraus bekam, daß wir aus Deutschland kommen, war er überhaupt nicht mehr zu bremsen. Die Deutschen, also nein, das beste Volk der Welt, gar keine Frage. Welch eine Ehre, euch als Gast bewirten zu dürfen. Was sie alles in seinem Bezirk gemacht haben. Lehrer geschickt, ihnen Ackerbau und Lesen und Rechnen und, ach, überhaupt alles haben sie gezeigt und wenn man krank war, konnte man zum Arzt gehen. Der hat den Kindern geholfen und den Alten und jedem, für umsonst. Die Deutschen, das Allerbeste von der ganzen Welt. Und dann haben sie Zuckerrohr angebaut und uns Arbeit gegeben und wir hatten zu Essen und alles war gut. Ist einem ja direkt unangenehm. Er bedankte sich bei uns, daß die Deutschen so toll sind, noch mal Danke für alles, Danke, was ihr für mich und meine Familie alles getan habt. "... keine Ursache, it was a pleasure ..." Der neue Talisman hatte sich mächtig ins Zeug gelegt, fast übertrieben, aber besser so als anders. Wir verbrachten den nächsten Tag bei Ernest. Morgens spaddelten wir in der heißen Quelle rum, kreislaufmäßig sehr anstrengend, wie wir erst später bemerkten und klönten noch ein wenig. Die Engländer hatte er gefressen, weil er, oder sein Vater, habe ich nicht genau verstanden, einmal einen Engländer auf den Schultern durch einen Fluß tragen mußte. Den Gipfel fand er, daß der Herr dabei frühstückte, und zwar ein weich gekochtes Ei. "Ist er ein Baby, oder was, daß er getragen werden muß ...?! Fuck the British !" Wir versuchten ihm noch zu erklären, daß die Deutschen als
Kolonialmacht mit Sicherheit nicht besser gewesen wären, aber seine Liebe zu diesen "wonderful people" wollte er sich auf keinen Fall trüben lassen. Er brachte uns riesige Waldpilze, bis es dann gegen Mittag aus Eimern anfing zu schütten und bis in die Nacht nicht mehr aufhörte. Wir verkrochen uns ins Auto und hatten einen sehr gemütlichen Lesenachmittag. Uns kamen langsam bedenken, ob wir überhaupt wieder weg kommen würden, solche Massen von Wasser kamen vom Himmel. Rings um uns herum überall strömende Bäche, alles matschig, aber am nächsten Morgen war das Meiste versickert und wir machten uns auf die Socken nach Tanzania.
TANSANIA
Keine Roadblocks auf der Schlaglochstraße da Sonntag war. So hat der christliche Glauben doch auch seine positiven Seiten. Die Einreise nach Tanzania war langwierig und teuer. Man ist um zweihundert Mark ärmer, bis sich der Schlagbaum öffnet. Visa, Straßennutzungsgebühr, Einreisegeld und Versicherung, das läppert sich und immer in US$. Wenn man nur mit Restbeständen der letzten Währung, Travellerschecks und Kreditkarte kommt, hat man ein Problem. Sie gehen wie selbstverständlich davon aus, daß man neben dem Paß, dem Carnet de Passage, Internationalen Führerschein und dem Impfzeugnis auch noch abgezählte Dollars dabei hat. Auch Deutsch-Mark wird nicht akzeptiert. Nun gut, wir hatten noch Dollars, bald ist allerdings Ende, und wir kamen rein. Bei Gelegenheit mal ein paar Neue besorgen. Der krasseste Unterschied zu Sambia ist der, daß auf einmal wieder links und rechts der Straße Felder, Beete und Viehzeug zu sehen ist. In Sambia ist nur Busch, soweit das Auge reicht. Sie machen gar nichts, außer an der Straße Zeichen zu geben, daß sie Hunger hätten und sich der Hoffnung hinzugeben, daß man eine Vollbremsung macht und anfängt Schnittchen zu schmieren. Wir checkten mangels Campingmöglichkeit in ein Hotel ein mittelmäßig - bekamen sofort Kredit, als wir sagten, daß wir erst am nächsten Morgen zur Bank gehen könnten und obendrein ein vernünftiges Essen. Noch ist Schweinefleisch auf der Karte, das ist ein gutes Zeichen. Wir ließen uns noch eine Wanne braunes Wasser ein, kippten ordentlich Dusch-Das dazu um wenigstens weißen Schaum zu haben und wußten hinterher nicht, ob wir wirklich
sauberer geworden waren. Aber wir rochen besser. Dann legte ein Blitz die Elektrizität lahm und wir gingen zu Bett. MALAWI
Bevor wir weiter Richtung Kenia fahren konnten, hatten wir noch einen kleinen Abstecher nach Malawi zu machen. Eine frisch gemachte Straße führt über hohe Berge, vorbei an Tee- und Kaffeeplantagen zur Grenze. Das Gestikulieren und Brüllen begann schon auf der Fahrt dorthin abzuebben und wurde später, mit jedem Meter weiter rein nach Tanzania weniger und hörte dann ganz auf. Es scheint sich da um ein spezielles Gebiet gehandelt zu haben, Malaria-Schwerpunkt oder nur weil Sonntag war, weiß der Geier. In Malawi ist alles sehr arm, sehr freundlich, sehr friedlich. Wir fanden wenige Kilometer nach der Grenze einen Ort mit Bank, Campingplatz, Post und winzigem Supermarkt. So lief Malawi bei uns generalstabsmäßig ab. Wir kauften Briefmarken, checkten auf dem Campingplatz ein, klebten ein und ließen tags darauf vormittags abstempeln. Abends traf noch eine englische Reisegruppe in einem alten Doppeldeckerbus ein und wir fragten sie, ob sie über Burundi oder Ruanda gekommen seien, um eventuell Informationen über Straßenzustände und Sicherheitslage zu bekommen. Waren sie nicht, aber sie hatten die Nachrichten gehört. Gerade vor ein paar Tagen hatten die Hutsi die Tutsis oder umgekehrt - ich kann mit das nie merken - achtausend Leute in einem Flüchtlingslager im Kongo massakriert. Also geht das Schlachten immer noch weiter und für uns war sofort klar, daß wir keines der beiden Länder befahren werden. Es klingt für uns Außenstehende so unbegreiflich, daß diese Stämme sich in einer Tour abmurksen. Hutsis und Tutsis, das klingt fast niedlich, aber es müssen ganz üble Gestalten sein, wer nun auch immer gerade Täter und wer gerade Opfer ist. Ein Flüchtlingslager im Kongo, wie mag es da bloß aussehen ? Der Kongo - das alte Zaire ist gemeint - sieht so schon aus wie ein Flüchtlingslager. Und da setzen Mördertruppen nach um Frauen und Kinder und alte Menschen zu vernichten die eh den Hungertod vor Augen haben. Schwarze gegen Schwarze. Wir fragten uns, ob es die gleichen Menschen sind, die achttausend Flüchtlinge ermorden, die an der Straße die Kontrollen durchführen ? Bestimmt. Und mir welchen Augen sehen sie uns, was zählt für einen solchen Typen ein Menschenleben ? Indiskutabel dort mit einem Wohnmobil
einzureisen. Wir werden noch prüfen, ob ein Flug in die Hauptstadt vertretbar ist, aber im Zweifel lassen wir beide Länder links liegen. Dieses Gemetzel zusammen mit dramatischen Aids-Zahlen, da würde einem in Südafrika jeder lächelnd raten, noch ein wenig zu warten und dann gemütlich durch ein menschenleeres Land zu fahren und dem letzten überlebenden Postbeamten Briefmarken und Stempel abzukaufen. Darauf könnte es hinaus laufen. Es war sehr schwül, es gab nichts besonderes, es regnete, und wir sahen keine Veranlaßung länger im Land zu bleiben. Es ist sympatisch, wir verschenkten viele Kugelschreiber, erhielten dafür als Dank strahlende Kinderaugen und fuhren wieder zur Grenze. Schade, daß der Grenzer den sympatischen Eindruck trübte. Er wollte uns nicht raus lassen, da wir den Ausreisestempel von Tanzania und den Einreisestempel von Malawi in verschiedenen Pässen hatten. Von internationalen Verwicklungen war die Rede. Dann fing er an, daß wir nicht nach einem Tag schon wieder ausreisen könnten, wenn wir ein Visum für zehn Tage bekommen hätten. Ein absurder Wortwechsel begann: "Sorry, ich wußte nicht, daß wir zehn Tag im Land bleiben müssen. Ich dachte, nur länger bleiben wäre eine Problem, nicht kürzer." "Sie verstehen mich falsch. Wenn sie ein zehn Tage Visum haben und nach einem Tag schon wieder das Land verlassen, ist das verdächtig." "Was wollen sie von uns ? Wir können ja hier noch acht Tage auf der Zollstation campieren, bis die zehn Tage rum sind und uns freuen, daß das Visum nicht für drei Monate ausgestellt wurde." "Sie verstehen mich falsch. Nach zwei Tagen ausreisen bei einem Zehntagesvisum ist nicht richtig." "Wieviel Tage müssen wir denn warten, bis wir einen Ausreisestempel erhalten können?" "Sie verstehen mich falsch. Das Visum ist für zehn Tage ....bla bla bla..." Das ging so eine ganze Weile, bis ich sagte "Jetzt verstehe ich sie. Das Visum ist für zehn Tage und wir reisen schon nach zwei Tagen wieder aus." "Na bitte", sagte er, "jetzt haben sie mich verstanden", und stempelte den Ausreisestempel ein und schmollte mit bösem Blick. Abends wird er seiner Frau erzählen, wie blöd die Weißen sind, die partout nichts begreifen. Ein ziemlicher Schwachkopf, der die Erinnerung an Malawi ein wenig dunkel färbt, zumindest die
letzte Stunde. Bei der Einreise waren Zoll, Polizei und Immigration ausgesucht freudlich, der Spinner paßte so gar nicht ins Bild. WIEDER IN TANZANIA
Wir fuhren den ganzen Tag weiter bis kurz vor die Dunkelheit. Nicht eine Bullenkontrolle. Die Regenzeit, durch die wir jetzt schon seit Wochen fahren, war ungewöhnlich heftig. Schwarze Fronten kamen auf uns zu, wir fuhren durch wasserfallähnliche Güsse, am Himmel zuckten Blitze und es donnerte mächtig. Dunkel wie am frühen Abend, die Straße glich einem Fluß, links und rechts in der Böschung strömten die Wassermassen die Berge runter, da wird einem Angst und Bange. Abends in einem preiswerten und angenehmen Hotel, in dem das Leitungswasser allerdings die Farbe von Tee hatte, trafen wir ein deutsches Pärchen, welches von einer weggespülten Brücke sprach, genau auf unserem Weg, über die sie gerade noch fahren konnten, da sie nur mit einem kleinen Bus gekommen sind. Die großen Busse und LKW's haben keine Chance. Alternativ zu dieser Straße führt eine Piste quer durch die Landschaft, von der keiner sagen konnte, wie sie wirklich beschaffen ist. Wir starteten am nächsten Morgen auf genau der einzigen guten Straße, auf der angeblich wegen der Brücke nur kleinere Fahrzeuge passieren können. Unser Auto muß vergleichsweise als klein angesehen werden, also, was soll sein. Auf dem Weg dorthin kamen uns große Reissebusse und LKW's entgegen, die ja irgendwo her gekommen sein mußten. Es wird also einen Weg geben, und wir genossen die Landschaft. Von den Bergen strömte immer noch überall Wasser über die Straße, gelöste Felsbrocken mußten umfahren werden und viele Wasserfälle waren entstanden. Der im Tal verlaufende Fluß war wieder auf normales Level abgesunken, aber noch deutlich sichtbare Spuren und entwurzelte Bäume zeugten von dem Unwetter, welches über das Land herab gegangen war. Die Bussfahrer in Tanzania sind absolute Wahnsinnige. Die Bayern vom Camp-Site in Zimbabwe waren ihnen bereits zum Opfer gefallen, und wir verstanden jetzt besser, wie das passieren konnte. Unser Auto sieht recht wuchtig aus, es ist hoch und sie sehen es rechtzeitig. Das hindert sie nicht, jede Kurve zu schneiden, ohne Rücksicht auf Verluste zu überholen um in den Serpentinen nicht an Schwung zu verlieren und wenn man nicht bremst oder auf den schmalen Grünstreifen fährt, rammen sie einen
von der Straße. Wieviel ruppiger müssen sie sich einem kleinen R5 gegenüber verhalten. Wir erreichten die Brücke, und drei Busse standen vor uns, sie hatten uns alle überholt. Die linke Spur war komplett fortgespült, auf der rechten war ein LKW eingebrochen und hing halb über dem Abgrund. Ein wahnsinniger Busfahrer hatte versucht, sich noch daran vorbei zu drängeln, war dabei restlos im Modder festgefahren, lag mit dem ganzen Heck auf, und bei dem Versuch, wieder heraus zu kommen, hatte er den Motor ruiniert. Zwanzig Leute versuchten, ihn wieder in Gang zu bringen, jeder schraubte ab, was er gerade lockern konnte, ein anderer schraubte es wieder fest und damit war der Motor restlos geliefert. Teile lagen im Dreck, Haube offen, verstreutes Werkzeug. Es kann gerade zwanzig Minuten vor uns passiert sein, und es war unvorstellbar, daß sich diese Situation am gleichen oder am nächsten Tag beheben lassen wird. No chance. Immer weitere Busse kamen an, alle bis auf den letzten Platz besetzt, jeder stieg aus und die Straße war ratz-fatz schwarz von Menschen. Die ersten boten Kekse und Getränke an, ein Truck versuchte, den Bus raus zu ziehen, aber der bewegte sich um keinen Millimeter. Andere versuchten, eine Nebenstrecke durch den Fluß zu eröffnen. Ein Allradfahrzeug testete an, versank im Schlick, und wir wußten, daß es nur noch einen Weg gab, nämlich zurück nach Iringa. Und zwar bevor weitere Busse die zweite Spur dichtparken und wir nicht mehr raus kommen werden. Sehr ärgerlich, wären wir eine halbe Stunde früher gestartet, wären wir wahrscheinlich noch durchgekommen, oder hätten anstatt des Busses im Schlamm festgesessen, wer weiß. IRINGA
Also die einhundertachtzig Kilometer zurück zum Hotel. Zwei Möglichkeiten standen uns offen. Entweder ein paar Tage zu warten, bis die Brücke wieder repariert sein würde oder die Piste über Dodoma zu probieren. Die beiden Deutschen vom Vortage hatten sich zwischenzeitlich ein Busticket für die Piste am nächsten Tag besorgt, und der Busfahrer sprach von neun Stunden Fahrzeit für 250 km. Und das bei der irrsinnigen Fahrweise, für uns bedeutet das zwölf Stunden. Die Zeit ansich ist ja egal, aber wie muß diese Piste beschaffen sein ? Das wollten wir nicht ohne Not riskieren und entschlossen uns zu warten. Es handelt sich bei der eingestürzten Brücke um die Hauptstraße, die Dar-es-Salaam mit Sambia,
Zimbabwe, Malawi und alles was dahinter kommt verbindet, das können sie nicht einfach so lassen, es gibt keine Ausweichsstrecke, über die der Schwerlastverkehr umgeleitet werden könnte. Also lieber ein paar gemütliche Tage, als Mensch und Material einer Härteprüfung auszusetzen. Wir wollten die Briefmarken erledigen, den Auspuff schweißen lassen und bei der Elektrik was nachsehen lassen, da die Ladekontrollleuchte seit zwei Tagen brennt. Nicht so schlimm, da die Solaranlage die Batterie ebenso läd, aber für den Dauerbetrieb der Kühlbox reicht es nicht und auf kalte Getränke während der Fahrt wollten wir ungern verzichten. Es soll auch noch einen schönen Markt geben und ein Canyon, insofern kann die Wartezeit auch ganz angenehm werden. Am Abend gingen wir zu einem Inder essen und auf dem Hof stand der alte Mercedes 220 S, den John Wayne während der Dreharbeiten zu HATARI gefahren hat. Mit Hardy Krüger, und das ist doch witzig - ein schöner Grund, sich diesen Spitzenfilm noch einmal anzusehen und an den alten Benz zu denken. Mit Rechtslenker. Wir haben schnell ein paar Fotos gemacht. Was wir die nächsten Tage von der Stadt sahen riß uns nicht gerade vom Hocker, deprimierte uns allerdings auch nicht. Der Markt und die Restaurants, die Straßen und das Postamt, die handwerklichen Arbeiten, alles hatten wir woanders schon vielfach so oder ähnlich gesehen. Die Menschen lassen einen in Ruhe, geben gerne Auskunft und sind freundlich. Auf eine Autoreparatur verzichteten wir jedoch lieber, da sie so akut nun wieder auch nicht war. Lieber zu Benz nach Nairobi. Wir haben extra der Werkstätten wegen einen Mercedes genommen und dann wollen wir diese auch aufsuchen. Wir hofften auf eine gute Nachricht bezüglich der Brücke. Es kam nicht auf den Tag an, nicht einmal auf die Woche, es war nur, daß wir uns Weihnachten in Kenia vorgestellt hatten. Einfach nur so, ohne speziellen Grund, das heißt, irgendwie doch mit Grund. Und zwar ist Kenia eine Etappe. Nicht irgendeine, sondern die letzte Große. Wie Gambia und wie Südafrika. Auf einmal wird Afrika überschaubar. Bislang fuhren wir von einem Land ins nächste, ohne uns den endlosen Rest jedesmal vor Augen zu führen. Das wird ab Kenia anders. Ein paar Flugreisen, nach Somalia und Sudan, auf die Inseln Komoren und Seychellen - Burundi und Ruanda klammere ich mal aus - einen kleinen Abstecher nach Uganda und dann geht es in wenigen Tagen Fahrzeit durch Äthiopien über Eritrea nach Djibouti.
Zumindest hatten ir uns das so vorgestellt. Von da eine kleine Überfahrt, von Ägypten die Mittelmeerküste nach Tunesien entlang und rüber nach Italien. Sicher, auch da kann noch 'ne Menge schief gehen, aber das Risiko bestand vom ersten Tag an, bloß, das es auf einmal überschaubar ist. Ein ganz anderes Gefühl. Vielleicht finden wir auch noch die Kraft, angesichts des greifbaren Endes der Reise nach Zentralafrika zu fliegen - was weg ist, ist weg - und dann ist selbst der dritte Anlauf, den wir noch machen müssen um die Restländer abzuklappern, nicht mehr so gewaltig. Es sind ein paar Länder darunter, in die man ohne Grund bestimmt nicht einreist, aber mit dem Flieger in die Hauptstadt, mit der Taxi Hotel-Postamt-Hotel, das geht fast immer irgendwie. Und laß es kosten, wenn es sich um die letzten fehlenden Marken handelt, rechtfertigen sich auch größere Ausgaben. Das Ziel rückt ganz langsam in greifbarere Nähe. Nach drei Tagen trafen Reisende aus Dar-es-Salaam ein. Sie waren mit großen Überlandbussen gekommen und berichteten, daß am Unglücksort eine stationäre Winde installiert sei, die alle Autos, die im Schlamm stecken bleiben, herauszieht. Es regnete täglich, nicht immer heftig, aber nahezu ständig. Im Januar sollte die Regenzeit ihren Höhepunkt erreichen, also lohnte weiteres Warten in dieser Hinsicht nicht. Die beiden Deutschen, die vor zwei Tagen mit dem Bus über die Piste fortgefahren waren wollten anrufen, sobald sie Dodoma erreicht hätten, aber kein Anruf kam an. Das muß nichts heißen, es kann an der Rezeption oder an der Telefonverbindung liegen, aber es ist allemal keine Ermutigung, die einen Versuch über die Piste rechtfertigen würde. Die Restaurants in Iringa waren allesamt drittklassig bis lausig, besonders übel das Frühstücksangebot. Kaffee oder Tee verbot sich von selbst, wenn man das Leitungswasser einmal gesehen hatte, ein Omelett, welches angeboten wurde, bestand nur aus Eiweiß, sah bläulich aus und schmeckte gräßlich. Käsetoast wurde ohne Käse serviert und auf einem Extrateller lagen gebratene Hühnermägen. Ich habe mich bereits an das englische Frühstück gewöhnt, ziehe es sogar an Tagen, an denen man ausgeschlafen und hungrig an den Tisch kommt, dem Continental-Breakfast vor. Ich esse mit Appetit und Freude einen Teller mit gebackenen Bohnen, Geflügelleber, Würstchen, Speck, Spiegeleiern, Champignons und warmen Tomaten, aber Hühnermägen mit Margarinetoast geht doch zu weit. Seit der Ankunft leide ich an chronischem Dünnschiss, nur durch Immodium-
Akkut auf erträgliche Konsistenz eingedickt. Wie soll das besser werden, wenn man nur mit Abscheu ißt und dann auch noch höchst fragwürdige Sachen? Wir waren die einzigen Gäste im Hotel, und das Hotelrestaurant öffnete abends um sieben und wartete mit fünf Mann extra auf uns. Zwei zum Kochen, Einer brachte die Speisen, ein Anderer die Getränke und noch ein Weiterer schrieb die Rechnung. Trotz dieses Aufgebots an Personal war das Essen nicht doll - Hühnchen mit Pommes, Fisch mit Gräten oder Leber mit Sehnen - und wir versuchten es in einem Restaurant im Ort. Annett bekam einen Cheeseburger ohne Fleisch und ohne Käse, mehr braucht dazu nicht gesagt werden. Überall belästigten einen Mücken - Malariamücken - und nachts unter dem Moskitonetz hörte man sie aggressiv, nervös und blutrünstig surren, wie sie Masche um Masche auf einen Durchschlupf abscannten. Man schläft schwer dabei ein. Wir machten also einen zweiten Versuch weiter zu kommen. Man muß nicht unbedingt Weihnachten in Iringa/Tanzania verbringen, obwohl selbst das gegen das letzte Weihnachtsfest in Nouâdibou/Mauretanien schon eine gewaltige Verbesserung wäre. Nicht zu früh starten, wie man uns riet, damit die vom nächtlichen Regen eventuell aufgeweichte Ausweichstrecke schon wieder etwas befestigt worden ist und nicht zu spät, damit der große Schwung schwerer Fahrzeuge aus Dar-es-Salaam diese Stelle noch nicht erreicht hat und alles wieder zu tiefen Matschgräben umgepflügt haben wird. Start gegen zehn Uhr. Während wir nach völlig mißglücktem Frühstück zum zweiten mal die Serpentinen durchkurvten, kamen uns deutlich mehr von diesen Irrsinnsbussen entgegen. Sie machen die Fahrt durch Tanzania tatsächlich zu einer lebensgefährlichen Angelegenheit. Schrottreif, schrillbunt bemalt und mit Texten versehen. "In God we trust", "Victim", "Adidas", "California Love", "Rubbish" oder "Video Comfort Coach", alles was cool klingt und dazu Lichterketten und "Turbo" und "Power" Aufkleber. "Der Tag, am dem du stirbst, den kennt nur Gott. Darauf haben wir sowieso keinen Einfluß", wird gern erzählt. Die Missionare haben den Schwarzen diese wertvolle Weisheit mit auf den Weg gegeben, bloß gab es da noch keine Busfahrer. An diesem Tag jedoch waren sie für uns ein Zeichen, daß es einen Weg über den Fluß geben muß, und so war es auch. Hilfskräfte hatten einen Weg knapp neben der Brücke kurz vorm Abgrund errichtet, links und rechts je zwanzig Männer mit Spaten,
die nach jedem Fahrzeug sofort wieder Ausbesserungsarbeiten vornahmen. So kamen wir gut rüber und gleich danach fuhren wir durch den Nikumi-Nationalpark. Dort, wo sie HATARI gedreht haben. Die einzige Hauptstraße führt mitten durch den Park. Es gibt komischerweise keine Zäune und keine Pforten, nicht einmal diese Gitterroste, über die Tiere nicht gehen. Trotzdem sahen wir in den paar Kilometern direkt von der Straße aus mehr Tiere als in den vielen Tagen, in denen wir durch den Krügerpark gefahren waren. Große Elefantenherden, viele Giraffen und Zebras und Mengen von Huftieren. Sogar Hippos in einem Wasserloch genau neben der Straße, auf der Lkws und Busse, die Geschwindigkeitsbegrenzung ignorierend, mit Karacho vorbei donnern. Wieso die Tiere in dem als Nationalpark ausgewiesenen Gebiet bleiben und sich nicht über das ganze Land verteilen blieb uns ein Rätsel. Es goß nach wie vor heftig. Zeitweise ließ der Regen nach und es nieselte, manchmal kam sogar die Sonne durch und das verdampfende Regenwasser machte alles zu einer Sauna. Kein schönes Klima und in unserem Fahrzeug war alles klamm und feucht. Zügig gen Norden, kann die Devise nur heißen, bloß mußten wir noch einen Tag langsam angehen lassen, um vor den letzten siebenhundert Kilometern in Tanzania noch einmal eine vernünftige Unterkunft zu haben. Man kann nicht in irgendeinem Ort abends stoppen und ein Hotel suchen, man muß die wenigen größeren Orte nehmen. Die Hotels in den Dörfern, sofern überhaupt vorhanden, verdienen den Namen nicht und sind absolut Schrott. Da gab es nur noch Morogoro, und dann eben siebenhundert Kilometer gar nichts aber dann Vollausstatter im Touristengebiet am Kilimanjaro. Hotels und Campingplätze, Pizza, Steakhouse und Chinese-Food, wie es sich gehört. Also fuhren wir hinein nach Morogoro, obwohl wir noch gut ein paar Stunden bei Tageslicht hätten weiter fahren können. Eine fürchterliche Stadt. Die Zufahrtswege, nein, falsch, der einzige Zufahrtsweg, besteht aus einem kilometerlangen Loch-an-LochParcours aus rotem Schlamm. Das Auto, am Vortag noch für achtzig Pfennig von Kindern mit einem alten Lappen mehr feingeschliffen als gewaschen, sah aus, als wären wir wochenlang auf Nebenstrecken durch den Dschungel gefahren. Der ganze Ort eine Schlammwüste, die Straßen unter Wasser, kleine reißende Bäche überall. Überholende Bussen spritzten uns den roten Schlamm bis übers Dach
und es war schon fast verwunderlich, daß uns das Hotel überhaupt reinließ. Ein gutes Hotel, akzeptiert sogar Traveller-Checks, und wir bekamen endlich mal wieder etwas Appetitliches zu essen, bloß die Preisstaffel hatte etwas Bemerkenswertes. Sie unterschied zwischen Ausländern und Einheimischen, und Ausländer zahlten glatt das Doppelte. Sechzig US$ für uns, was ja noch gerade so im Rahmen bleibt, aber frech ist es trotzdem. Man stelle sich das in Europa vor, Ausländer das Doppelte, es würde mit Recht stürmische Proteste geben. Sie formulieren es natürlich anders herum: Einheimische die Hälfte. Den nächsten Tag verbrachten wir nur im Auto und schafften siebenhundert Kilometer. Erschwerend kam hinzu, daß wir nachts auf einer Ameisenstraße geparkt hatten und die Mistviecher über die Reifen ins Fahrzeuginnere eingedrungen waren. Überall winzige Ameisen, es krabbelte am ganzen Körper, teils Einbildung, teils Ameisen. Die Straßen in Tanzania machen wenig Freude. Meist sind sie schlecht und man kann nie entspannt vorwärts rollen, sondern muß stets konzentriert die Fahrbahnbeschaffenheit überwachen, da auch in guten Passagen ohne Vorwarnung bösartige Schlaglöcher auftauchen. An den Stellen, an denen die Straße frisch gemacht ist, hat ihnen jemand erzählt, daß Schwellen - Speed-Bumps - eine feine Sache sind. Wenn nur drei Rundhütten links und rechts der Straße stehen, gibt es sechs brachiale Speed-Bumps, die man im ersten Gang überfahren muß damit einem die Vorderachse nicht rausfliegt. Nervtötend ! Anstatt den dafür vergeudeten Asphalt in die hunderte Löcher zu kippen ... Am Abend erreichten wir das Masai-Camp in Arusha, bekamen eine Pizza und hauten uns hin. KENIA
Wir verließen Tanzania, welches insgesamt enttäuschte. Wir fuhren direkt am Kilimanjaro vorbei, er war aber aufgrund von Wolken nicht zu sehen. Darüber kann ich hinwegsehen, bin eh kein großer Freund von Bergen, ich finde, sie sind hauptsächlich im Weg. Die Nationalparks, besonders Serengeti, sind nur über schlimmste Straßen zu erreichen und kosten für uns pro Tag 120 US$. Das ist schwer unverschämt, zudem war nicht klar, ob sie nach den Regenfällen überhaupt befahrbar sein werden. Also ab nach Kenia und gleich durch bis Nairobi. Auf dem Weg dorthin an der Straße
Masai-Krieger. Sie rennen mit buntem Ohrschmuck durch die Gegend, ein Gewand um und immer einen Speer dabei. Große Krieger, die ein wenig in die Sackgasse geraten sind. Sie glauben, Gott hätte ihnen alle Rinder der Welt geschenkt - kleiner Scherz der Missionare wahrscheinlich - und so klauen sie überall Viehzeug zusammen, auch gegenseitig, da ja jeder glaubt, es gehöre ihm sowieso. Das führt zu kriegerischen Verwicklungen und der Masai ist in seinem Element. Außer Vieh besitzen und ein bißchen Krieg führen haben sie an nichts richtig Spaß. Ackerbau oder Lohnarbeit ist entwürdigend für das stolze Volk, welches nicht mehr so ganz in die Zeit paßt. Wer gerade kein Vieh hat, macht dicke Backen und steht voll kampfbereit an der Straße und winkt oder guckt mürrisch. Die Frauen tragen Glatze und noch mehr Ohrgehänge, sie bieten etwas fürs Auge. Sie sehen immer etwas aus wie Zippy aus den U-Comics, wem das was sagt. Ihre Aufgabe besteht darin, ihren kämpfenden Männern Gefährte zu sein. Als aggressive Bettler soll man die großen Krieger bisweilen auch antreffen können. NAIROBI
Auf den ersten Blick eine afrikanische 2,5 Mio. Stadt mit allem drum und dran. Die Straßen in einem unerfreulichen Zustand, die Parkplatzsituation kann als angespannt bezeichnet werden, aber es gibt wieder alles, vor allen Dingen vernünftiges Essen. Das Klima ist sehr angenehm, sonnig und trotzdem kühl und klar, auf den Straßen wird man wenig belästigt. Nairobi ist für uns eine sehr wichtige Station, insofern waren wir besonders erfreut, daß nicht gleich der erste Eindruck zu abturnend war. Wir können nicht weiterfahren, wenn's uns nicht gefällt, denn hier werden wir planmäßig bestimmt zwei Monate bleiben. Wir brauchen einen preiswerten und sicheren Platz, an dem wir das Auto alleine stehen lassen können und der muß auch noch in etwa in Airportnähe liegen. Dann müssen wir jede Menge Infos einholen um zu checken, wie die Reise weiter verlaufen wird. Dieses Einholen von Informationen ist eine schwierige Sache. Man erfährt Gerüchte, unbestätigte Storys und Angebereien und muß daraus versuchen, ein realistisches Bild zu formen. Afrikareisende jagen einem gern Angst und Schrecken ein, da sie stets nur das Negative erzählen. Das mag vielfach durchaus geschehen, um vor Gefahren zu warnen, aber wenn man das nicht relativiert, fährt man nirgendwo mehr hin. Beiseite wischen kann man dies ebensowenig,
dann bräuchten wir nicht erst zu fragen, aber die Einschätzung ist kompliziert. Wenn einer beklaut wurde, handelt es sich um ein Land voller Diebe, wenn einer nachts um zwei angetrunken im RotlichtDistrikt ausgeplündert wurde, spricht er von Nairobbery. Dazu noch die ausgeschmückten Storys von bestandenen Abenteuern, um das eigene Erleben aufzuwerten und dazu die Patt-Problemm-Typen, die nicht zugeben wollen, daß sie vor irgendwas auf der Welt Angst haben könnten. Wir werden also viele Gespräche mit den verschiedensten Kapeiken führen müssen und dann entscheiden, was dran ist und was wir tun werden. Manchmal ganz lustig, manchmal auch nur blöd. Es ist nicht einmal klar, ob die Grenze nach Äthiopien offen ist, da haben wir widersprüchliche Angaben bekommen. Wenn es da nicht weiter geht, müssen wir komplett umstellen. Aber erst einmal abwarten und checken. Den ersten Tag fuhren wir zu dem Campingplatz, der die ansprechendste Beschreibung im Reiseführer aufwies. WaterfallsInn. Fünfundzwanzig Kilometer außerhalb, und dann noch entgegengesetzt zum Flughafen, aber wir wollten ihn uns wenigstens ansehen. Tolle Lage mit Blick über die Stadt und die Berge, langer und sehr übler Zuweg, schlechte Sanitäreinrichtung, ziemlich teurer kommt als Station nicht in Frage. Wir blieben eine Nacht und setzten die Suche fort. Zum Frühstüch eine Szene, die uns mal wieder in ungläubiges Staunen versetzte. Weit und breit gab es nur uns. Wir setzten uns in das Restaurant und bestellten Frühstück und bekamen es. Zu einem Stapel Toast, Tee und Spiegelei brachte der Kellner sieben Teelöffel, fünf Messer und drei Teller nebst ein paar Gabeln. Das fand der völlig normal. Alles lief schwieriger als vermutet. Überhaupt sahen wir uns nach kurzer Zeit mit einem Bündel von unerfreulichen Gegebenheiten konfrontiert, die alle spezielle Maßnahmen erforderten. Angefangen damit, daß in Kenia, besonders in Nairobi, eine Cholera-Seuche grassiert. Dazu standen historische Wahlen vor der Tür, die den langjährigen Präsidenten Moi eventuell abwählen sollen, was zu Unruhen führen könnte. Dazu, als Krönung von Allem, rafft eine unbekannte Krankheit im Nord-Osten des Landes hunderte Menschen dahin, der Verdacht heißt Ebola. Alle hierzu verfügbaren Zahlen sind ungenau und stellen bestenfalls die Spitze des Eisberges dar. Dies alles greift ineinander, dazu später mehr.
Wir fanden keinen Campingplatz, der unseren Ansprüchen genügen konnte. Der zweite von Dreien existierte nicht mehr, nehmen wir an, auf jeden Fall konnten wir ihn nicht finden. Der Dritte, Mrs. Roche, wird von einer liebenswerten aber überdrehten alten Dame aus Polen geleitet. Sie begrüßt uns wie alte Freunde, aber alles ist sehr einfach, kein Strom, Sanitäranlagen so lala, Dusche nur manchmal warm und undurchsichtige Freaks aus allen Ländern auf dem Gelände. Wir fragten nach der Sicherheit, und sie sagte, daß das letzte mal, als Räuber über die Mauer kamen, die Hunde wie verrückt angeschlagen hätten und sie die Eindringlinge verscheuchen konnte. Der Kern der Information ist der, daß nachts Räuber über die Mauer kommen und das langt. Hier kann man unmöglich ein vollbepacktes Auto allein stehen lassen. Wir blieben eine Nacht und klönten mit anderen Reisenden. Erst jetzt erfuhren wir, daß die extremen Regengüsse, die uns in Tanzania schon das Fürchten lehrten, seit Monaten über ganz Ostafrika hereingebrochen waren und überall erhebliche Schäden angerichtet hatten. Ganz und gar ungewöhnlich, und man gibt "El Niño" die Schuld, einem Wetterverschiebungsphänomen, von dem keiner weiß, was es genau bedeutet, außer den T-Shirt-Herstellern. Daher auch die Cholera-Epidemie und die vielen Malariafälle. Der Regen hat alles durchgeweicht und den Müll über das ganze Land verteilt und milliardenfache Vermehrung aller Viren und Bakterien war die Folge. Straßen hinüber oder ausgewaschen, so daß die Weiterreise nach Norden politisch zur Zeit wohl kaum ein Problem darstellt, aber technisch. Sowieso angeblich nur im Konvoi wegen Überfallgefahr, aber angesichts der vielen anderen Nachrichten werteten wir dies als positive Neuigkeit. Über Ruanda und Burundi weiß kein Mensch irgendwas, außer, daß seit Jahren noch nie einer auf die Idee gekommen ist, dorthin zu fahren. Am Rande berichteten wir über den komischen Emerald den wir gekauft hatten, und ein Reisender sagte, Emerald ist englisch für Smaragd. Aha ! Wir kramten ihn vor, er mochte ihn gar nicht anfassen vor Respekt " ... wenn der wegkommt ..." und wir ritzen damit eine Glasflasche um die Härte zu prüfen, betrachteten ihn durch die 10x-Lupe und kamen zu dem Ergebnis, daß es sich wohl tatsächlich um einen rohen Smaragd von knapp einhundert Karat handeln müsse. Kann man das glauben ? Freuen wir uns, solange wir kein gegenteiliges Wissen haben. Annett sah diesen Ankauf schlagartig mit ganz anderen Augen, mehr aus der weiblichen Perspektive, und erwähnte das
bevorstehende Weihnachtsfest am nächsten Tage. "Ist sowieso deiner, mein Schatz, du wolltest ihn doch vom ersten Moment an gleich haben." Mit hundert Karat Smaragd steht man nicht schlecht da am Heiligabend. Wir fuhren durch die Stadt, die immer eine Verkehrsdichte hat, die an der Grenze des Erträglichen liegt. Man kommt mit der Zeit überall an, aber immer im Gestank von Fahrzeugen, die teilweise hinter ihrem eigenen, dunklen Auspuffqualm nicht zu erkennen sind und immer muß man hellwach sein, da zwischen den Schlaglöchern und Kreisverkehren nach nicht erkennbaren Regeln gefahren wird. Tiefschwarze, dicke Popel pult man sich abends aus der Nase. Parkplätze sind äußerst rar und zudem kann man das Auto nicht für Minuten aus dem Auge lassen. Wir verzeichneten den nächsten Einbruchsversuch auf einem bewachten Parkplatz, Nairobbery ist ein heißes Pflaster, auf dem wir besonders auf alles acht zu geben hatten. DAS ZWEITE WEIHNACHTEN
Heiligabend suchten wir vormittags Benz auf wegen der Ladekontrolleuchte. Es ist nicht der Tag, um die Effizienz einer Firma zu beurteilen, das will ich gerne einräumen, aber wie dreißig Angestellte im Blaumann in drei Stunden nichts, aber auch gar nichts, an Arbeitsleistung vollbringen ist schon eine besondere Beobachtung. Es wird mit dem Feuerlöscher gespielt - Zisch, Zisch , Hand in Hand über den Hof geschlendert, debattiert, gescherzt, gestritten und gelacht, Kaffee getrunken, ein bißchen gerangelt und rauchend rumgesessen. Vor dem Hintergrund dieses Szenarios erklärt mir der schwarze Chef, daß Präsident Moi unbedingt verschwinden müsse. Das sehe man allein an dem traurigen Zustand der Straßen. "Wo ist das Geld geblieben, welches in einem Land, in dem jeder Einzelne hart arbeitet, doch vorhanden sein müsse", fragte er mich. Da konnte ich auch keine Antwort drauf finden. "Selbst die Bauern", ergänzte er noch "die haben eine Kuh, die sie melken und die Milch verkaufen." Also, jeder schuftet wie verrückt. Naja. Immerhin gab es Einen, der es schaffte, im Alleingang in drei Stunden mit unendlichen Pausen den mitgebrachten Regler zu tauschen und das Problem war behoben. Da Weihnachten war, hatte man auch keine Lust, eine Rechnung zu schreiben, sagte "Merry Christmas" und der Fall war erledigt. Wir gaben ihm zwanzig Mark, wünschten ebenso frohe Weihnachten und hatten das erste
Erfolgserlebnis in Nairobi. Wir wußten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß diese Reparatur keine tausend Kilometer halten sollte. Schräg gegenüber von Mrs. Roches seltsamen Etablissement, entdeckten wir ein kleines Hotel umgeben von stattlichen Villen mit hohem Zaun und Watchman. Doppelzimmer 50,- DM inklusive Frühstück und wir kamen überein, daß wir umsonst das Auto während der Flugreisen auf dem bewachten Hof stehen lassen können, wenn wir die übrige Zeit in diesem Hotel wohnten. Hoffentlich ist der Platz so sicher wie behauptet wird, so richtiges Vertrauen wie in Gambia oder Durban konnten wir nicht aufbringen, so übersichtlich war der dunkle Hof wiederum nicht. Aber etwas Besseres war zu akzeptablen Preisen nicht zu finden. Wir können nicht über mehrere Wochen hundertachtzig Dollar pro Nacht im Hilton bezahlen. Ganz in der Nähe gab es ein afrikanisches Einkaufszentrum mit allen möglichen Imbißbuden und Geschäften, Supermärkten und Restaurants und da aßen wir in einer kleinen vegetarischen, indischen Bude ein ganz hervorragendes Weihnachtsessen für zwanzig Mark zusammen. Alles bunt auf Weihnachten geschmückt, Lichterketten in den Palmen, Girlanden und Kränze. Das erste Mal hielten wir es für angebracht, für die zweihundert Meter unbeleuchteten Weg lieber den Elektroschocker und den Schlagring einzustecken. Nairobi ist nicht ganz geheuer. Trotzdem muß Weihnachten 1997 als gelungen bezeichnet werden. Das Hotelzimmer sehr in Ordnung, das Geschenk angemessen und auf dem Weg vom Essen zurück wünschten uns drei Schwarze fröhliche Weihnachten, das ist doch nett. Die Gesamtsituation jedoch eher unbefriedigend. Zunächst hatte das ganze Land zwei Wochen geschlossen. Zum Einen lagen die Weihnachts- und Neujahrstage arbeitnehmerfreundlich, dazwischen fiel die Wahl, also begann alles erst wieder am fünften Januar. Kleine Geschäfte und Buden werden wohl geöffnet haben, aber die Großen, wie Fluggesellschaften und Reisebüros und Botschaften, die sicher nicht, und genau die brauchten wir. Lehrlauf war angesagt. Schreiben, lesen, Briefmarken kleben und schlafen. CHOLERA, MALARIA, EBOLA UND AIDS
Zurück zur Epidemie, die nur deswegen so große Ausmaße annehmen konnte, da sie offiziell von der Regierung kurz vor der
Wahl herunter gespielt wird. Man will keine Probleme und auch keine schlechte Stimmung. Am 12. Dezember, als Präsident Moi mit Pomp die Unabhängigkeit feierte, erschienen die großen Zeitungen mit Berichten über den Ausbruch einer Cholera-Epidemie. Der Präsident ließ tags darauf mitteilen, daß er das sehr unkooperativ fände. Er hat nicht gesagt, ob er die Cholera meinte oder die Berichterstattung darüber. Unsere Informationen holten wir überwiegend aus dem SPIEGEL, der recht aktuell auf den immer verstopften Kreuzungen angeboten wird. Die Deutsche Welle brachte auch hin und wieder etwas zwischen den Weihnachtsliedern, BBCInternational informiert ebenfalls recht ausführlich über Afrika. An der Küste, dort, wo die wenigen Touristen, die trotz Unruhen nach Kenia gekommen waren, sich verlustieren, dort wird die Cholera bekämpft. Aber hinten im Land können sie verrecken. Die Bevölkerung will mehrheitlich die Regierung nicht mehr, so schätzt es wenigstens jeder ein, aber eine Abwahl wird Präsident Moi aller Wahrscheinlichkeit ignorieren und Bürgerkrieg scheint nicht ausgeschlossen. Die Gegenstimmen splitten sich wiederum auf vielzählige Parteien - jeder will Präsident werden - so daß möglicherweise selbst relativ wenige Prozente dazu führen könnten, Moi an der Macht zu belassen. Welche Reaktionen daraus entstehen werden, ist nicht absehbar. Das Land ist in jedem Fall politisiert, die Wahl ist ständig präsent durch Presse, Plakate, Lautsprecherwagen und Gespräche. Dazu die Seuchen. Helfer, die in den Slums arbeiten, berichten, daß so gut wie jeder Tropfen Blut der Kranken, den sie untersuchen, Aids positiv ist. Diese so Geschwächten verrecken wie die Fliegen an Malaria und Cholera. Noch eine angebliche Tatsache, wo ich gerade dabei bin. Mir ist bekannt, daß Entwicklungshilfe selten aus reiner Nächstenliebe gewährt wird sondern meist dem Absichern politischer und wirtschaftlicher Interessen dient, aber die Organisation derselben scheint nicht immer zu funktionieren. Wir hörten von einer Dame, die bei der Ausgleichsbank arbeitet, folgendes: Die Ausgleichsbank, das vorweg, bewilligt Mittel für Entwicklungshilfe an Organisationen unter anderem in Afrika. Ein Mitarbeiter einer solchen Organisation hat nun, sagen wir, eine bewilligte Million Mark zu vergeben. Er geht zu einem Häuptling und sagt: "Willst du umsonst einen Brunnen haben ?" Der Häuptling kennt das Spiel und sagt: "Nein, keinen Bock auf Brunnen." Nach einiger Zeit kommt der
Entwicklungshelfer wieder. Der Häuptling sagt: "Ich hätte da ein Projekt, will ich nicht so drüber reden. Ich halte mich vorläufig lieber noch bedeckt. Aber gib mir mal das Geld. Ich kaufe dem Dorf einen Traktor oder mir ein Auto oder beides, weiß noch nicht so genau." "So geht das nicht !", sagt der Entwicklungshelfer und zieht wieder ab. Nun geht das Jahr ins Land und es tritt ein Zustand bei dem Entwicklungshelfer ein, für den ich ein neue deutsche Behördenwortschöpfung lernen mußte. Hoffentlich habe ich es richtig behalten, es heißt GELDMITTELABFLUSSDRUCK. Es bedeutet, daß er die Million los werden muß, irgendwie, um seinen Job zu rechtfertigen und um die nächste beantragen zu können und am Ende geht er zu dem Häuptling, überreicht ihm das Geld und sagt "gib mir 'ne Quittung und mach damit was du willst" und im nächsten Jahr geht das Spiel von vorne los. Ob es ein Einzelfall ist, der unzulässig verallgemeinert wurde oder zu plump geschildert wurde, ich weiß es nicht, aber die ganze Entwicklungshilfegeschichte ist ohnehin meist recht fragwürdig. Wenn sie nicht in den Taschen der Veruntreuer der Regierung landet, was selten genug der Fall ist, ist sie meist, selbst so angewendet wie vorgesehen, verschwendet. Es hat einfach keinen Zweck, ihnen Maschinen und Anbaumöglichkeiten zu geben oder sonstige Technologien. Die Maschinen verrosten oder werden kaputtgefummelt und angebaut wird solange, wie jemand dahinter steht. Dann ist Schluß. Die vielen Entwicklungshelfer, die wir trafen, sind alle frustriert und stehen in ihren Heimatländern oftmals in dem Ruf, Rassisten zu sein. Weil sie realistische Einschätzungen ihrer Arbeit in den jeweiligen Ländern abliefern. Aufbau bringt nichts. Nach zehn Jahren Aufbau und einer zweimonatigen Pause muß wieder bei Null begonnen werden, weil nichts hängen bleibt, nichts fortgeführt wird. Fertig eingedoste Lebensmittel versenden ist sinnvoller wenn man denn meint, eingreifen zu müssen. Die bewirtschafteten Felder existieren daher, weil ein paar Leute schlau genug sind und Geld verdienen wollen und sich Arbeiter halten, nicht, weil initiierte Eigeninitiative in Gang gekommen ist. Behindertenheime oder so etwas, von Entwicklungshilfegeldern finanziert, sind schneller verfallen als eröffnet, sobald das importierte, weiße Personal verschwunden ist. PLANUNGEN
Gut, oder auch nicht gut. Bürgerkriegsgefahr, Malaria und Cholera, Ebola und Aids, wir nahmen uns vor, jeden weiteren Schritt in Kenia ruhig, überlegt und wohl bedacht zu unternehmen, dann erschien uns das Risiko nach wie vor kalkulierbar. Wir verdoppelten als erste Maßnahme die tägliche Dosis Multivitamintabletten. Malaria, dagegen nehmen wir Prophylaxe und treiben Insektenabwehr. Cholera, das ist eine Arme-Leute-Krankeit, die mit allgemeiner Abwehrschwäche und Wasserhygiene zu tun hat und betrifft uns nicht. Aids, da weiß man, wie man Ansteckung vermeiden kann. Ebola - oder was immer es ist - da ist allerdings äußerste Vorsicht geboten, also nicht in das Gebiet fahren, bevor keine weiteren Infos da sind. Es ist auch noch nicht raus, um was es sich handelt und wie man es bekommt, man rätselt noch. Die Menschen bekommen Fieber, bluten aus Mund und Nase und sind in wenigen Stunden tot, das wurde beobachtet. Ebola soll angeblich diese Symptome haben. Kenia ist ganz und gar nicht der stabile Stützpunkt für weitere Unternehmungen, den wir uns erhofft hatten. Alles war momentan ungewiß. PRESSESCHAU
Wir besorgten uns alle verfügbaren Zeitungen und fanden so zu einer Entscheidung bezüglich Ruanda und Burundi. Dabei half uns die Lektüre der Wochenzeitung "The East African", die unter dem Titel "AGAIN, HUTU GENOCIDE AGAINST TUTSI TEARS AT RWANDA" folgendes berichtet: Der Kopf des kleinen Mädchens war von einer Machete geteilt worden. Eine lange, zerfranste Naht lief von ihrem linken Auge über ihren gespaltenen Schädel. Ihr Atem hechelte flach und zart und ihr zerbrechlicher Körper schien sich an die Welt der Lebenden zu klammern mit nicht mehr Kraft als der eines Schmetterlings. "Wir fanden das Baby zwischen den toten Leibern der Eltern", sagte die Tante des Mädchens, Esperance Dusabi, und wischte Blut vom Kopf des Kindes im grünen Licht eines behelfsmäßigen Krankenhauszeltes in Gisenyi. "Sie töteten meine jüngere Schwester, ihren Mann, ihre Kinder. Dies ist die einzige Überlebende. Ich weiß nicht, wie ich sie beschreiben kann. Es sind Leute, die alle Menschheit ausrotten wollen". Das vierjährige Mädchen, Alice Mukeshimana, war eine von 227 verletzten Opfern, die in das Hutu Gisenyi Krankenhaus gebracht wurden, nachdem Hutu Guerilla das Tutsi Flüchtlingslager
im Nordwesten Ruandas vor zwei Wochen angriffen. Sie töteten mindestens 272 Menschen und sie hinterließen nichts, außer verbrannten Zelten und Flugblättern, die von Völkermord predigten. Drei Jahre, nachdem Hutus eine halbe Million Menschen massakrierten, ist das Töten und das ethnische Blutvergießen zurückgekehrt und ist intensiver denn je. (...) In den letzten Monaten starteten die Guerilla eine Kampagne, die darauf gerichtet ist, Ruanda unregierbar zu machen. Sie ermordeten lokale Beamte, legten Hinterhalte auf der Straße, massakrierten zahlreiche Tutsi-Zivilisten in ihren Häusern und griffen Gefängnisse an und befreiten hunderte von Hutu-Männer, die ihre Prozesse wegen Völkermord erwarteten. Im letzten Monat waren die Angriffe auf den Nordwesten beschränkt , aber die Guerilla scheint besser organisiert und unverschämter als in der Vergangenheit zu sein, sagen Militärexperten. Sie bewegen sich oft in Gruppen von 500 bis 1.000 Mann und greifen ihre Ziele während des Tageslichtes an. Dazu paßte ein Artikel des "Daily Nation", auch vom Heiligabend, über das Nachbarland Burundi unter dem Titel BURUNDI MILITARY CHANGES TACTICS : Burundis Verwaltung hat begonnen, Waffen an Zivilisten zu verteilen, so daß diese sich gegen wachsende bewaffnete Angriffe durch Hutu Rebellen verteidigen können, erklärte ein älteres Mitglied des Gouvernements heute offiziell. Herr Salvador Mikumbi, Presssprecher im Innenministerium sagte, daß Waffen verteilt wurden, "unter der Prämisse der Selbstverteidigung, weil wir nicht überall und in jedem Haushalt Soldaten stationieren können". Herr Mikumbi präzisierte nicht, wie viele Schußwaffen an Zivilisten ausgehändigt wurden, aber er sagte, daß alle betroffenen Zivilpersonen welche erhalten werden, sobald sie die obligatorische, militärische Schulung beendet hätten. Burundi befindet sich im Zustand des Bürgerkriegs zwischen bewaffneten Regierungs-truppen, die von der Tutsi-Mehrheit dominiert werden, und einer Hutu-Rebellion, schwerpunktmäßig im Westen des Landes. "Die Rebellion bewegt sich mehr und mehr in Richtung Terrorismus", sagte ein Diplomat. "Sie bekämpfen keine militärischen Ziele mehr oder infrastrukturelle Einrichtungen, sie greifen Schulen an, entführen Zivilisten und begehen Massaker." Ein Dorfbewohner in der Bururi Provinz, jüngster Schauplatz schwerer Kämpfe, sagte AFP, daß sein Dorf nach einer Offensive der Rebellen
Waffen erhalten habe. "Wir wissen, daß auch anderswo Zivilisten Waffen erhalten haben." (AFP) In unserem Hotel trafen wir einen Apotheker pakistanischer Abstammung, der in Ruanda geboren war und zu einem Weihnachtsbesuch nach Kenia gekommen war. Er erzählte uns ein wenig über die beiden Länder. Hutsis und Tutis sind durch nichts zu unterscheiden. Gleiche Sprache, gleiche Hautfarbe, gleiche Religion. Er hat ebenso keine Ahnung, was diese beiden Gruppen so verfeindete. Mittlerweile hat die Angelegenheit eine eigene Dynamik entwickelt. Die Einen vertreiben die Anderen und beziehen ihre Häuser und fahren ihre Autos. Kein Gesetz wird in keinem der Länder angewandt. Die Flüchtlinge strömen zurück, finden ihr Eigentum beschlagnahmt und bringen die neuen Besitzer um. Dann flüchten die Überlebenden, rüsten auf, und töten nach einer Phase des Kräftesammelns nun ihrerseits diejenigen, die dort sind, wo sie eigentlich meinen, sein zu dürfen und so weiter. Die Tutsis sind zahlenmäßig unterlegen, so daß die Hutsis sich ausgerechnet haben, daß sie langfristig die Oberhand behalten werden. Die Hutsis sind zudem brutaler und religiös aufgrund anderer Auslegung besser eingenordet, etwa wie die Busfahrer in Tanzania. Ihnen ist es egal, wann sie sterben, und wenn drei Millionen von ihnen drauf gehen und eine Million Tutsis, dann ist der Krieg gewonnen, da es nur eine Million Tutsis gibt. Schwarze Logik. Den Nachbarländern ist das schon lange zu doof und Burundi ist komplett isoliert. Tanzania hat für alle Zeiten die Grenzen dicht gemacht, es gibt keine Personenflüge weder rein noch raus aus Burundi und nur der Norden Ruandas hat Kontakt zu Uganda. Östlich erstreckt sich das alte Zaire, wo nichts funktioniert, und aus dortigen Flüchtlingslagern brechen die Mörder auf, sofern sie nicht vorher nächtens in diesen Lagern massakriert wurden. Frohe Weihnachten. Das langte nun wirklich zu diesem Thema. Aber wir fanden zwischen Cholera-Berichten mit erschreckenden Zahlen und Artikel über vielzählige, grausame Verkehrsunfälle auch Informationen zu dem Ebola-Gerücht. Ebola wurde bestritten, und wir wußten nicht, ob dies eine strategische Zensur zur Wahl ist oder ob es uns, als wahr angenommen, überhaupt beruhigen sollte. An vier aufeinanderfolgenden Tagen fanden wir folgende Berichte (auszugsweise): MYSTERY DISEASE CLAIMS 28 MORE DAILY-NATION, 24.12.97
Anerkannte medizinische Experten flogen gestern in die nordöstlichen Provinzen, um die mysteriöse Krankheit zu untersuchen, welche weitere 28 Todesopfer forderte und die Gesamtzahl auf 171 in vier Tagen anwachsen ließ. Die Krankheit, dessen Opfer sich erbrechen, Durchfall bekommen und sich zu Tode bluten, hat Furcht und Panik unter den Menschen der Semi-Arid Region verbreitet. Der Direktor des medizinischen Dienstes, Dr. James Mwanzi, erklärte, die Experten hätten 12 mögliche Krankheiten aufgelistet, darunter das gefürchtete Ebola, welche umfassend untersucht würden. Er sagte weiter, daß Ebola wegen der Erscheinungsform und der Art und Weise der Übertragung der aufgetauchten Krankheit unwahrscheinlich sei. "Ebola ist normalerweise sehr lokal begrenzt und tritt in Haushalten auf. In dem Zeitraum bis zur ersten Entdeckung wäre die Zahl der Opfer nicht so hoch, wie es sie in diesem Fall gegeben hat," sagte Herr Maima Kahindo, Chef des Communicable Disease Control beim Gesundheitsministerium. "Die gegenwärtige Krankheit tritt sehr vereinzelt auf. " Dr. Peter Tukei, ein führender Virologe aus Kemri, schloß ebenso die Möglichkeit aus, daß es sich um Ebola handeln könne. "Ebola tötet alle, die in engem Kontakt zu den Opfern gestanden haben, das ist bei dieser Krankheit nicht der Fall," erklärte Dr. Turkei Journalisten des WHO im Capital Hill Tower in Nairobi. Er behauptete, daß die örtlichen Gesundheitszentren mit der Krankheit zurecht gekommen wären, wenn sie nur betriebsbereit gewesen wären. Gesundheitszentren und Apotheken in den von der Epidemie heimgesuchten Bereichen sind seit Beginn des Krankenschwesternstreiks geschlossen. Herr Serem, der mit Reportern in seinem Büro sprach, sagte, daß AntimalariaMedikamente aus Mogadischu geschickt werden, und es gäbe keine Ursache für Furcht, da Malaria in dieser Region nach den Regenfällen schon immer geherrscht hätte und sie könne kontrolliert werden. DISEASE SAMPLES FOR TESTS EAST AFRICAN STANDARD, 25.12.97 Ausscheidungsprodukte von Opfern der mysteriösen Krankheit, die bis jetzt geschätzt 200 Menschen getötet hat, werden in ungefähr einer Woche auf dem Luftwege zu Analysezwecken ins Ausland transportiert .
Dr. James Mwanzi sagte, daß Stuhl-, Urin- und Blutproben dieses Wochenende per Flugzeug nach Atlanta, USA, und nach Südafrika zu Analysen versandt werden, um den mysteriösen Erreger, der in den nordöstlichen Provinzen die Menschen tötet, nachzuweisen. Patienten, die unter der fremdartigen Krankheit leiden, reagieren mit Fieber, Kopfschmerzen und Unterleibsbeschwerden. Innerhalb von einigen Tagen entwickeln sie blutigen Durchfall, geben blutigen Urin von sich und müssen sich Erbrechen. Sie erliegen bald nach dem Erreichen dieser Stufe der Krankheit. Dr. Mwanzi sagte, daß mehrere Dörfer betroffen sind, die nicht durch Kommunikationsmittel miteinander verbunden sind. Sie haben nur gemeinsam, daß sie alle am Ewaso Nyiro Fluß liegen, der verdächtigt wird, der Ursprungsort des Virus zu sein. KILLER DISEASE CLAIMS 48 MORE DAILY-NATION, 26.12.97 Mindestens 48 weitere Leute sind in den letzten 24 Stunden in Wajir Bezirk an der Krankheit gestorben, die Experten als schwerwiegende Malaria diagnostiziert haben. In Garissa starb Herr Sais Abdurahi, 20, der sich in Malariabehandlung befand, gestern Nachmittag. Dieser Krankheit fielen in den letzten zwei Wochen 217 Menschen zum Opfer. Hunderte von Bewohnern entlang des Ufers des Uwaso Nyiro Flusses klagen über diese Leiden. Die Todesfälle bestätigen, sagte der für Gesundheitsfragen zuständige Offizier der Provinz, Dr. Abdi Hassan, daß sich die Gesundheitsbedingungen und der Mangel an medizinischen Einrichtungen in Wajir verschlechtert haben. Herr Abdi erklärte weiter, daß die meisten der Toten Hirten waren und fügte hinzu, daß es schwierig sei, die tatsächliche Zahl der Opfer zu ermitteln, seitdem islamische Tradition erfordert, daß die Toten umgehend zu beerdigen sind. Er sagte, daß Dysenterie und Malaria die Hauptursachen für die Todesfälle sind. Er räumte ebenso ein, daß die Zahl der Todesfälle in einigen Bereichen durchaus höher sein könnte, da einige Gebiete abgeschnitten und unzugänglich sind. Telefonisch mit der Redaktion des "Daily National" verbunden, sagte das frühere Mitglied des lokalen Parlamentes, Herr Omar Abdi, daß die Situation "sehr schlimm" (too bad) sei. Er sagte mehr Tote voraus, es sei denn, es würden umgehend dringend notwendige Maßnahmen eingeleitet, um eine Katastrophe abzuwenden. In Wajir Stadt gibt es keine einzige Toilette mehr und es wird das benutzt, was
im Volksmund "Eimertoilette" genannt wird, verursacht durch Überschwemmungen, Geröll und gelöste Felsbrocken. Inzwischen ist eine weitere mysteriöse Krankheit in der Provinz beobachtet worden, die Kamele, Ziegen und Schafe zu hunderten getötet hat. Der Vorsitzende vom Verband Junger Moslems in Garissa befürchtet, daß aufgrund der weit verbreiteten Hungersnot viele Leute das Fleisch von den toten Tieren gegessen haben. Er benannte als die am schwersten von der mysteriösen Tierkrankheit betroffenen Gebiete als Habaswein, Lagh Dera und Bereiche, die den Lorian Sumpf bis zum Wajir Bezirk begrenzten. Obgleich frühe Tests die Krankheit als schwerwiegende Malaria identifizierten, sagte der Direktor von medizinischem Dienst, Dr. James Mwanzia, daß erst endgültige Analysen am Mittwoch, die sowohl im Inland wie im Ausland stattfinden werden, Klarheit bringen können. Die Symptome der Krankheit sind Erbrechen, Diarrhöe und Bluten. MALARIA IN DOUBT AS ANOTHER 28 DIE DAILY NATION, 27.12.97 "Inzwischen", sagte der Direktor des medizinischem Dienstes, Dr. James Mwanzi, gestern, erreichten uns Berichte von Hunderten toter Kamele, Ziegen und Schafe in den betroffenen Gebieten und das könnte die frühere Diagnose ändern. Dr. Mwanzi sagte, daß Veterinärexperten und medizinischen Fachleute zusammenarbeiten würden, um mögliche Verbindungen zwischen toten Menschen und totem Vieh zu überprüfen. "Ich bin sicher, daß wir zum Ende dieser Epidemie kommen werden, sobald die Ursache wissenschaftlich identifiziert sein wird," sagte er. Berichte von der Region zeigen, daß die Art des Sterbens bei Mensch und Vieh ähnliche Symptome aufweist, als da sind schwere Blutungen aus den Körperöffnungen. Untersuchungen verweisen auf das mögliche Vorhandensein von Anthrax im verendeten Vieh. Anthrax ist eine tödliche Viruskrankheit, die große Tierbestände in sehr kurzer Zeit dezimieren kann und die selbst durch einen leichten Riß in der Haut von einem infizierten Skelett auf ein Opfer übertragbar ist. Ein offizieller Mitarbeiter des UN Gesundheitsdienstes erklärte inzwischen, daß es sich um etwas anderes als Malaria handeln müsse, wenn Tiere und Menschen der Krankheit gleichermaßen zum Opfer fielen.
Mitarbeiter vom Roten Kreuz meldeten 42 weitere Todesfälle im Nachbarland Somalia. Proben wurden nach Nairobi zur Analyse gesandt. Was soll man von all dem halten ?! Auch in den folgenden Tagen lasen wir täglich über die Krankheit und jeden Tag gab es andere Interpretationen. Die Ausbreitung nach Somalia betraf uns speziell, denn gerade dort müßten wir in der ersten Januarwoche hinfliegen, wenn das Visum nicht verfallen soll. Nur einmal die Woche geht ein Flug, soviel hatten wir bereits herausgefunden. Das heißt, sieben Tage in Mogadischu absitzen, klingt nicht besonders einladend. Zur Zeit war keine sinnvolle Entscheidung möglich, wir konnten nur weiter abwarten und die Dinge beobachten. Dann verdichtete sich der Verdacht auf Anthrax und wir erfuhren per Telefon aus Hamburg, daß es sich dabei um Milzbrand handelt. Nicht viel besser als Ebola. Sadam Hussein wurde einmal vorgeworfen, Milzbrand als Biowaffe kultiviert zu haben, also kann es sich nur um etwas aus dem oberen Regal des Teufels handeln. Die Reise nach Somalia stand in Frage. Draußen verstärkten sich die Sicherheitskräfte, von Tränengaseinsätzen und Warnschüssen bei letzten Wahlveranstaltungen war die Rede, und alle Stunde schrie ein Lautsprecherwagen Parolen durch die Gegend. Wir verließen das Hotel nicht öfters als nötig und suchten die Milzbrandgebiete auf der Michelin-Karte. Wenigstens sind wir weder auf der Fahrt nach Uganda noch bei der Abreise nach Äthiopien gezwungen, dort hindurch zu fahren. Wenn sie sich nicht ausbreiten. DIE WAHL
In den letzten Zeitungsausgaben vor der Wahl fanden wir mehrseitige Werbeanzeigen von Präsident Daniel Arap Moi. Der Mann ist schon an der Macht, seit Helmut Schmidt Kanzler war, und seinen ehemaligen Spitznamen "Funny Danny" wagt keiner mehr in den Mund zu nehmen. Er ist ein typischer Diktator eines afrikanischen Landes. Seine Polizei geht gegen Demonstranten vor, wie es übler kaum vorstellbar ist. "Ratten, die man jagen muß", so der Kommentar des Präsidenten. Sein Privatvermögen wird auf fünf Milliarden Mark geschätzt und zu seinen Verdiensten gehört in erster Linie, ein ehemals blühendes Land zu einer Ziegenwiese heruntergewirtschaftet zu haben. Aids, Elend, Cholera, Korruption,
konjunkturelle Talfahrt, Unruhen, Seuchen, so präsentierte sich Kenia uns nach 20 Jahren Funny Danny. Die Industrie klagt über ständig wachsende Verluste aufgrund unpassierbarer Straßen, der Tourismus am Ende aufgrund instabiler Verhältnisse und Übergriffen auf Reisende. Der SPIEGEL berichtet, daß in Washington eine geheime Liste von Staaten kursiert, denen vom CIA eine ungünstige politische und wirtschaftliche Entwicklung vorausgesagt wird. Kenia, Schwarzafrikas ehemaliges Musterland Nummer Eins, figurierte darauf als eines der "Höllenlöcher erster Ordnung", wie sie von Eingeweihten genannt werden. Und trotzdem sieht es so aus, als ob er es wieder schaffen wird. Die Massai wählen keinen Mann, der keine Kühe hat, Kamba-Christen wählen keine Muslime, weil das Sünde wäre und Kikuyu wählen keine Lou, weil Lou-Männer nicht beschnitten sind. Zerlumpte Schwarze rennen mit Moi-T-Shirts rum, weil es die umsonst gibt und die weibliche Gegenkandidatin Charity Ngilu, die verspricht, im Falle des Wahlerfolges das Präsidentenflugzeug zu verkaufen und dafür Schulbücher, Malaria-Tabletten und Wasserleitungen zu kaufen, ist zwar sympathisch und volksnah, scheint jedoch chancenlos in dem Wirrwarr aus religiösen und stammesgebundenen Vorgaben. Ein Irrenhaus mit Schlaglöchern. Die fünfhundert Kilometer lange Hauptstraße zwischen Nairobi und Mombasa ist dermaßen am Ende, daß für die Fahrt 19 (!) Stunden kalkuliert werden muß. Aber wir haben Schlimmeres gesehen, das steht fest. Schlimmeres Elend, schlimmere Straßen, schlimmere Atmosphäre, schlimmere Polizei, schlimmere Versorgungslage. In Kenia ist es noch recht gut auszuhalten, das Bedrückende ist nur, daß es rapide bergab geht und nicht bergauf. Aber wo tut es das nicht? Das einzige Land mit Aufbruchsstimmung und optimistischer Attitüde war bislang The Gambia, ein Jahr nach einem Umsturz, und es bleibt abzuwarten, wie es sich entwickeln wird. Die Wahl ging los. Es gab ein paar Tote, einige verbrannt, andere erschossen und wieder welche totgetrammpelt. Vor den Wahllokalen Schlangen, wie ich sie noch nicht gesehen hatte. Fünf bis sechs Stunden anstehen ist völlig normal. Es gab nicht genug Wahlzettel, immer mal wieder Randale, und es wurde ein zweiter Tag drangehängt. In den Zeitungen standen Kommentare und die am häufigsten verwendeten Worte waren rigging, irregulations, complaints, fiasco, confusion und chaos. Funny Danny beschwerte
sich schon mal vorbeugend über eine Verschwörung und Wahlmanipluation um ihn aus dem Amt zu hebeln - der kluge Mann baut vor - so daß der Ausgang allemal fest stand. Gewinnt Moi, ist alles gut, verliert er, war es Betrug. Demokratie made in Afrika.
REISEVORBEREITUNGEN
Da es nicht wie in Europa zehn Minuten nach Schließung der Wahllokale relativ verbindliche Hochrechnungen gibt sondern keiner eine Ahnung hat, wann denn die Stimmzettel ausgewertet sein werden, gab es immerhin einen normalen Tag, nämlich Sylvester, an dem alle Läden geöffnet hatten. Wir begannen, unsere Flugreisen in Angriff zu nehmen. Wir starteten damit, einen Flug nach Somalia buchen zu wollen. Der Flugplatz sei weggeschwemmt, sagte man uns, aber es sei möglich, einen Passagierplatz auf einem UN-Flugzeug zu bekommen. Die landen auf einer provisorischen Behelfspiste irgendwo. Allerdings gäbe es dort keine Taxen oder sowas, wir stünden dann dort knietief im Schlamm mit unseren Koffern unterm Arm. Und nicht nur das. Neben Krankheit, Seuchen und Überschwemmung loderte auch ein Krieg wieder auf und in Mogadischu würde zur Zeit geschossen. Warlords, Chef irgendwelcher Clans, bekämpften sich dort äußerst ruppig, wie in Afrika üblich. Dankeschön, das genügt. Somalia war damit nach Burundi und Ruanda ebenfalls gestrichen. Zentralafrika, wie sieht es denn damit aus ? Es gibt keinen Direktflug, nur über Westafrika. Das ist nun auch Quatsch, da wir dort sowieso noch einmal hin müssen. Es wäre eine Geldverschwendung erster Güte, über Libreville zu fliegen. Wenn wir dort wenigstens einen Drei-Tage-Stop hätten, aber selbst der würde uns nichts nützen, da wir kein Visum für Gabon haben und es in Nairobi keine Botschaft gibt. Also: Auch gestrichen. Das Restprogramm für die übergangenen Länder wird immer umfangreicher. Was bleibt denn da noch außer den Inseln ? Sudan ! Und, es war kaum zu glauben, wir bekamen einen Flug mit dreitägiger Aufenthaltsdauer. Teuer wie Sau allerdings. Die Inselflüge sind anscheinend kein Problem, das hatten wir auch nicht erwartet. Erstmal das Unangenehme, die Inseln danach zur Erholung bevor wir weiterfahren.
Die Erledigungen in Nairobi sind anstrengend. Die Stadt wimmelt von Sicherheitskräften, Helme, Knüppel und Waffen überall. Bisweilen laufen schwer Angetrunkene durch die Straßen, feiern die wahrscheinliche Wiederwahl ihres Kontenverwalters in der Schweiz. Manchmal betrinkt sich halt der Sklave und spielt torkelnd den Herren, wie Tucholsky einmal formulierte. Viele abgemagerte und halbnackte Kinder betteln dauernd nach Essen oder Geld, kleben förmlich am Auto, und das ist zum Steine erweichen. Gibt man einem was, wird man sie nie wieder los und im Nu ist man Mittelpunkt einer ganzen Horde. Verständlich, aber der einzige Weg, das zu vermeiden, ist niemanden auch nur einen Cent zu geben. Es gibt reichlich dieser bedauernswerten Geschöpfe, wirklich schrecklich und bedeutend mehr als wir es je sahen, aber bedauernswert hin oder her, sie nerven. Der extremste Fall ist der, daß eines dieser Kinder mit Scheiße ankommt und droht, einen damit voll zu schmieren, wenn man nichts gibt. Elektroschocker, was sonst, aber da man das nicht wirklich machen kann, hofft man, daß einem das einfach nicht passiert. In dieser Hinsicht hatten wir Glück und dieses Erlebnis blieb uns erspart. Wenn man durch die Straßen geht verfolgt einen ständig irgendwer. Immer freundlich dabei. Er hofft, man geht in ein Reisebüro und er schlüpft mit rein und gibt sich als derjenige aus, der den Kunden angeschleppt hat um eine kleine Provision zu kassieren. Wir hatten Mühe, diese Bazillen abzuwimmeln. ALFRED
Selbstverständlich warf sich die Frage auf, ob wir wieder einmal einem schlaueren Betrüger aufgesessen waren. Weiß der Henker. Natürlich gaben wir uns der Hoffnung hin, daß es nicht so ist, aber klären kann man es nicht. Wie der Typ in Dakar mit seinen Ampullen. Aber uns war es am Ende auch egal, die Entscheidung war gefallen und die Postkarte wird es zeigen. Was wir auf jeden Fall für die knapp fünfhundert Mark bekommen hatten war das Gefühl, vielleicht einem verzweifelten Menschen mit etwas beschissenem Geld ein ordentliches Stück weiter geholfen zu haben. Uns trifft der Verlust von fünfhundert Mark nicht übermäßig hart, was soll's also. Dann entdeckten wir das Hard-Rock-Café Nairobi. Diese HardRock-Scheiße mit ihrem aufdringlichen Merchandising kotzt mich geradezu an und ich kenne nichts widerlicheres als die Leute, die mit
ihren Hard-Rock-Café-T-Shirts rumrennen von möglichst weit weg. In diesem Elend wirkt es geradezu pervers. Hard-Rock-Café Entenhausen habe ich mal gesehen, das einzige, was mir bislang gefallen hat. Wir gingen trotzdem rein, da es auch ein integriertes Cyber-Café gab. Zwischen goldenen Schallplatten, signierten Stratocastern und einem rosaroten Cadillac gab es ein paar OnlineComputer und eine süße Schwarze half einem, E-Mails für drei Mark zu verschicken. Wir gaben Michael in Südafrika eine Nachricht und hatten sogar die Möglichkeit, Antworten zu erhalten, die man ausgedruckt bekommt. Das ist natürlich ein Superservice und so gelang es auch dem Hard-Rock-Trust, uns zwei Cola und zwei Hamand-Cheese Toast für dreißig DM anzudrehen. Aber es war wenigstens lecker. SYLVESTER
Wir kauften uns noch ein paar Süßigkeiten, fuhren ins Hotel zurück und verbrachten die Sylvesternacht gemütlich und ruhig im Bett. Sylvester macht sehr deutlich, wo einer der gravierenden Unterschiede in der Lebensqualität selbst der Besitzenden liegt. Beispielsweise Hamburg, wo sich jedes Jahr Tausende am Hafen treffen, um überwiegend angeheitert gemeinsam ihr Feuerwerk in den Himmel zu schicken. Ich habe noch nie gehört, daß bei dem Gedränge überhaupt nur einer in die Elbe gefallen ist. So etwas würde in Afrika in einem Blutbad enden. Es gibt vereinzelte Raketen, abgefeuert aus den gesicherten Hotelanlagen, aber ansonsten verläßt kaum einer die sicheren Horte. Niemand will nach 20.00 Uhr draußen sein, nur der Mob treibt sich auf den Gassen rum. Mal abends durch die Straßen schlendern, Veranstaltungen besuchen und sein Auto vor der Tür stehen lassen, in einem Straßencafé sitzen und um Mitternacht anstoßen, das alles fällt aus. Das Maß an Selbstdisziplin, welches in Europa - bei allen Ausfällen - selbst auf alkoholisierten Massenveranstaltungen aufgebracht wird, gibt es in Afrika nicht. Es scheint so, als bilde sich das Maß an Würde, welches Grundlage dieser Disziplin ist, erst ab einer gewissen Stufe würdevoller Lebensbedingungen. Wer hinter seine Strohhütte scheißen muß, an Seuchen verreckt, keine Schulbildung hat, weder Wasser, Strom noch Perspektive noch gar nichts besitzt, wie soll sich ein solcher wie ein zivilisierter Mensch verhalten können. In Westafrika, und das ist besonders bedenklich, erlebt man diese
gewalttätige Grundstimmung überwiegend nicht. Mir fiel der Satz des Bullen in Togo ein, der mir nach der vierten Kontrolle auf einem Kilometer sagte: "Oui Monsieur, c'est sécurité." Scheint tatsächlich was dran zu sein. Diese Art offenen Bullenstaat trafen wir nicht wieder an. Die bewaffneten Sicherheitskräfte sind überwiegend privat und machen Feierabend, sobald diejenigen, die sie bezahlen, in ihren Häusern verschwunden sind. In Gambia oder Marokko oder auch Togo, Benin und noch ein paar Länder mehr, da kann man ohne Sorge um seine physische Integrität abends losgehen. Es handelt sich um die gleiche Sicherheit, von der Adolf 1933 sprach, um so schlimmer, daß es das Einzige zu sein scheint, was in Afrika funktioniert. Und es funktioniert obendrein nur dann, wenn die Gefängnisse menschenunwürdiger sind als die ohnehin menschenunwürdigen Bedingungen draußen und es kaum eine Familie gibt, in der nicht mindestens ein Mitglied aus erster Hand davon zu erzählen weiß. Besser ein überschaubar korrupter und strenger Polizeistaat als gar keiner, soll man das für Afrika so feststellen? Diese Feststellung ist mir zutiefst zuwider. Und wenn mir einer entgegenhält, daß die Lösung darin liegt, menschenwürdige Verhältnisse und Schulen zu schaffen, dann kann ich nur bitter schmunzeln. Träum weiter, Alter. Die Deutsche Welle berichtete von einem Rekordfeuerwerk in Deutschland, von 160 Millionen verknallter Mark, von Zigtausenden am Brandenburger Tor, von über Hundert Rockmusikern, die dort Konzerte gaben und nicht von einem einzigen Verletzten. Dafür hat hier Ramadhan begonnen. Ich will nach Hause. Das Warten ging weiter. Die Wahl, oder was sich so nennt, war abgeschlossen und jede Partei hatte bereits erklärt, daß sie das Wahlergebnis nicht anerkennen werde. Bis auf den Gewinner natürlich und Moi lag anscheinend vorn. In den nächsten zwei Tagen wird sich entscheiden, so die allgemeine Einschätzung, ob ein Aufstand folgen wird oder ob die Talfahrt mit Funny Danny still weiter gehen soll. Unangenehme Spannung lag in der Luft. Und tatsächlich kam noch ein Tag, an dem die Geschäfte geöffnet hatten. Der zweite Januar, danach erst einmal wieder Wochenende. Wir wollten die Komoren und die Seychellen fest machen. Schon wieder tauchte eine Hürde auf, diesmal teilweise unser Fehler. Es gab keinen Flug auf die Komoren. Wir hatten uns auf die Angaben im Reiseführer verlassen, der von einem wöchentlichen Direktflug
von Nairobi sprach. Pustekuchen. Es wäre schlauer gewesen, dies in Südafrika überprüft zu haben, aber diese Erkenntnis kam zu spät. Über Joh'burg, dann nach Madagaskar, von dort auf die Komoren, über zweitausend Mark pro Person nur der Flug. Das sprengt die Relationen. Wir bekamen noch einen Cargo-Flug über einen persönlichen Bekannten des Besitzers des Reisebüros angeboten, aber das sagte uns doch nicht so zu. Man kann die Briefmarkenbögen auf die Komoren bringen oder die Briefmarken plus Stempel zu den Bögen. Also boten wir an, daß der Cargo-Pilot Stempel und Marken mitbringen solle und sich tausend Dollar verdienen könne. Die Schwierigkeit liegt im Stempel, den gibt kein Postler gerne aus der Hand, aber, er sollte es wenigstens versuchen. Ein paar Mark Schmiergeld sind bei tausend Dollar ja drin. Am Ende klappte dies nicht. Wenigstens die Seychellen machten wirklich keine Schwierigkeiten. Die teuerste Insel, die man bereisen kann, wurde uns gesagt, und wir buchten vorsichtshalber wieder pauschal. Allein der Unterschied zwischen Bed-and-Breakfast zu Halbpension macht einhundert Dollar pro Tag und pro Person aus, das ließen wir bleiben. Für zweihundert Dollar täglich werden wir doch wohl auch außerhalb des Hotels ausreichend zu beißen kriegen, so teuer ist es nicht einmal auf Capri. Wir werden es sehen. Die Dinge waren damit überschaubar geworden. Moi hatte endgültig die Wahl gewonnen, die Bevölkerung nahm dies vorläufig ohne Aufstand hin, obwohl die zerstrittene Opposition sich einig darin war, daß alles mit Betrug zugegangen sein mußte. Annullierung, Neuwahlen, von Allem war die Rede. Solange sie reden, ist alles gut. Redet noch ein paar Wochen, dann werden wir verschwunden sein. Die komische Krankheit verschwand aus den Schlagzeilen, die Sterbefälle gingen zurück. Nur zwei Flugreisen standen an, dann kurz nach Uganda, wieder zurück und nix wie weg. Es sah auf einmal wieder ganz gut aus, abgesehen davon, daß wir zu viele Länder auslassen mußten. SUDAN
Schon als wir uns die Visa besorgten, schwante uns nichts Gutes. Zweimal vertröstete uns die Botschaft, bis wir lieber im Foyer sitzen blieben, um zu erreichen, daß sie uns nicht sofort wieder vergessen, nachdem sich die Tür hinter uns geschlossen hatte. Ramadhan ! Das
Botschaftspersonal verschwand umschichtig hinter einer Tür mit der Aufschrift "Privat", betete und betete, kam mit hochgekrempelten Hosen und nassen Füßen wieder raus und jeder lief mit diesen FlipFlop-Badelatschen rum. Es dauerte entsprechend, bis einer die Zeit fand, zwischen Füße waschen und Beten die Visa einzustempeln, aber es klappte irgendwann. Wir flogen dann los. Nicht mit Sudan-Air. Inch-Allah-Booking, wurde uns gesagt, da die Fluggesellschaft ständig pleite ist und sie die Landegebühr bar bezahlen muß. Das klappt nicht immer. Am Spätnachmittag ging's los mit Kenya-Airways, das war in Ordnung, und abends saßen wir in einem Hotel in Khartoum mit überwiegend sehr freundlicher Bedienung. Sie nehmen alles ganz genau, Zoll und Immigration, und einem Hinweis des Reiseführers folgend ließen wir Kamera, Computer und Camcorder im Auto. War auch gut so, denn sie filzten alles. "Keinen Computer dabei ?" war gleich die erste Frage- die konfiszieren sie anscheinend gerne - aber wir hatten statt dessen oben im Koffer eine Deutsche Ausgabe des Korans liegen und das wirkt Wunder. Die Eheringe vom Flohmarkt, der Koran, vielleicht noch eine Betkette lässig ums Handgelenk und ChalalaHalala brummeln, hin und wieder eines der A's lang betonen, etwa wie Chalalaaa-Haaalala, das kommt gut für die einfachen Gemüter. Ich will es etwas vorweg nehmen, dieser Ausflug gab einen Vorgeschmack auf Teil Drei der Afrika-Tour. Nichts ist furchtbar schlimm, alles wunderbar gegen Westafrika, aber brandteuer, im Hotel langweilig, außerhalb des Hotels ärgerlich und obendrein anstrengend. Diese moslemische Gesellschaft stellte meine Toleranz und Geduld erneut auf eine schwere Prüfung. 99,9% Moslems, dazu Ramadhan, das ist etwas heftig. Ich weiß gar nicht, seit wann ich das so empfinde, in Marokko bin ich immer gut mit den Leuten klar gekommen. Haben die Mauretanier mich versaut ? Im heiligen Monat Ramadhan ist alles noch extremer. Im Zimmer stand ein Fernseher, und diese Programme, die übersteht keiner schadlos. Auf drei verschiedenen Sendern LiveÜbertragungen aus Mekka. Stundenlang immer das gleiche Bild. Unendliche Menschenmassen in Schlafanzügen mit Picknick-Körben beten küchenschabenmäßig zu immer der gleichen Litanei ab. Allah Ug Agbar oder wie das heißt, mit leierigem, langgezogenem A, einen Tick ins kehlige O gesprochen, wieder und wieder. Draußen, sofern wir das Fenster öffneten, der gleiche Sound gemischt mit hektischem
hupen. Auf CNN wurde über die neusten Massaker in Algerien berichtet. Über Tausend Kinder, Greise und Frauen in der ersten Ramadhanwoche massakriert, mit Messern und Feuer, ganz stilgerecht. Allah Ug Agbar. Es scheint sehr wichtig zu sein, daß man beim Morden nichts ißt oder trinkt, das würde Allah sicher nicht gefallen. Aber solange man fastet ... Der neue persische Präsident gab ein Interview und schleimte sich bei den Amis ein, weil es wohl auf die Dauer doch nicht so erquicklich ist, Erdölgeschäfte nur mit Russen und Chinesen zu machen. Dabei preist er schaumgebremst und ganz vorsichtig die Vorzüge des islamischen Gottesstaats, nicht ohne vorher besonders der amerikanischen Bevölkerung ein frohes neues Jahr und ein glückliches Weihnachtsfest zu wünschen - ich hätte kotzen können. Wenn nicht gerade moslemisches über den Sender ging, berichtete CNN über den Pimmelskandal des amerikanischen Präsidenten, der unbestätigten Berichten aus gut unterrichteten Kreisen zufolge seinen Wurm rausgeholte und eine Sekretärin um einen Blow Job bat. Glaubt man der Aussage der Sekretärin, hat Billy einen Knick im Schwanz und das nahm ihm die Dame offensichtlich nicht nur krumm, sie war sogar geknickt, was verständlich ist. "Kreisch ! Igitt ! Ein Knickpimmel !" So wurde nichts aus dem neuen Job. Nebenbei blieb unklar, in welche Richtung der Knick verlief, ich denke, das ist für eine Frau nicht so egal, wie der Laie denken könnte. Obwohl diese Enthüllungen aufs schärfste dementiert wurden, rutschte der Dollar, was ich Mr. Clinton angesichts unserer restlichen TravellerChecks persönlich übel nahm, anderseits bewunderte ich diesen Effekt als Mann schon. Wenn ich mein Ding raushole rutscht gar nichts, außer vielleicht der Stimmung, und selbst bei Helmut Kohl wage ich zu bezweifeln, daß er auf diese genitale Art und Weise das internationale Währungsgefüge zu beeinflussen vermag. Wie wohl der fastende Moslem mit Informationen dieser Art aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten und verbogenen Pimmel umgeht. Allah hat übrigens generell nichts dagegen mehrere Frauen - gegen mehrere Esel hat er auch nichts - aber das ist nicht so spaßig wie es klingt und wird kaum noch gemacht. Fragt man beim Herren des Hauses nach, wo denn die anderen Frauen abgeblieben sind, antwortet das Familienoberhaupt meist mit "one woman, one problem, two women, two problems, tree women... " lacht und macht eine entschuldigende Geste. Es ist nicht wie bei Billy, daß eine Frau
im Hauptprogramm läuft und die anderen im Nebenprogramm, sondern alle müssen im Hauptprogramm laufen und das kostet richtig. Wahrscheinlich denkt er: "Amerika, kannst knicken, Alter." Ich bin mit dieser Abhandlung mehr als unzufrieden aber ich gestehe, ich kann es nicht besser. Imgrunde sehr unangmessen, dieses Thema, welches eine Grenze überschreitet, für die ich keine Ausdrücke finde, in lockerem Stil abzuhandeln mit etwas bitterer Ironie und humoristischen Einlagen. Es könnte der Eindruck der Verhöhnung der Opfer entstehen und das ist bestimmt nicht meine Absicht. Ich kann mich problemlos in dieser Art über Jack The Ripper auslassen, über die Inquisition, über die Nazis, über ethnische Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien, über Giftgaseinsätze von Sadam Hussein und über Völkermord in Ruanda und Burundi. Diese gesammelten Abscheulichkeiten unterscheiden sich von den islamischen Barbareien in einem wesentlichen Punkt: In keinem der Fälle liefen die Mörder mit ihren Taten auch noch Reklame und glaubten, sie täten etwas Gutes. Sie haben wenigstens ein schlechtes Gewissen, versuchen zu verheimlichen und zu vertuschen, was für die Opfer wenig trostreich sein mag, aber nichts desto Trotz hat es eine andere Qualität. Ich las den Bericht des Französischen Philosophen André Glucksmann, den er nach einem Besuch in Algerien verfaßte. Folgende Stelle fiel mir auf: "Der Mörder, der sein kleines Opfer mit durchgeschnittener Kehle an die Haustür nagelt (so geschehen Weihnachten 1997), konfrontiert die Welt mit der Frohen Botschaft, die ihn umtreibt." Auch er bedient sich eines ironisch-sarkastischen Untertones, es ist zwar hilflos, aber es hilft. Wie sonst soll man damit klar kommen ? Ich las dies gerne, konnte ich mich doch ein wenig hinter ihm verstecken denn ich hatte das Gefühl, meinen Schreibstil in diesem Fall rechtfertigen zu müssen. Es geht mir nahe, so nahe, daß ich nicht anders kann als flapsig zu reagieren. KHARTOUM
Zurück zum Sudan und seiner wunderschönen Hauptstadt. Khartoum ist nichts. Eine Ansammlung von meist verfallenen oder halbfertigen Häusern und hupenden Schrottautos. Dazwischen schleichen Massen von Schlafanzugträgern auf kaputten Gehwegen umher. Wir hielten aus dem Taxi, das uns zum Postamt fuhr, nach irgendwas Interessantem Ausschau. Wo man mal hingehen könnte, was kaufen, was ansehen, was essen oder trinken, aber vergiß es. Einen Weg
machten wir trotzdem, aus Langeweile, zu einer Apotheke und holten uns zwei Riegel Valium - kann man immer brauchen - und das war es auch schon. Der Apotheker fragte mich, ob ich Depressionen hätte von Khartoum, ein Anflug von Humor. Auf dem Weg dahin nur mürrische Gesichter. Sie haben Hunger und Durst im Monat Ramadhan, ist ja klar, aber selber schuld, will ich meinen. Die Jungs, die sich als Schuhputzer aufgebaut haben, flüchten auf einmal und rennen in die schmuddeligen Seitengassen. Lassen sogar ihre wenigen Sachen wie Schuhcreme und Hocker liegen. Militär kommt die Straße runter. Schuhe putzen verboten, aber das Militär greift heute nicht ein, läßt mal Fünf gerade sein. Ein kleines Mädchen, um die vier Jahre alt, hält sich an meinem Hemdzipfel fest und läuft völlig selbstverständlich neben mir her als wäre sie meine Tochter. Sie zeigt keine Regung, guckt mir nicht in die Augen, bettelt nicht, kommt einfach nur mit. Ich streichle ihr über den Kopf, schau mich verlegen um ob da jemand ist, der sich der Lütten zugehörig fühlt, löse ihre winzige Hand von meinem Hemd, die sich richtig festgekrallt hat, drehe sie um und schicke sie weg. Sie haut auch ab. Kein schönes Erlebnis. Wir gehen wieder ins Hotel zurück. Allerdings, und das macht die ganze Sache noch erträglicher als Westafrika, sie lassen einen vollkommen in Ruhe, beachten einen nicht die Spur. Kein Gequatsche und kein Gelaber. Abends, wenn's dunkel wird, grölt der Vorbeter seinen Sermon über die Stadt und dann darf wieder gegessen werden. Oder massakriert, kommt auf die Auslegung des Koran an. Im Hotel fanden wir eine Gratisbroschüre auf dem Nachtschränckchen über den Sudan. SUDANOW, tolles Wortspiel, klingt wie ein Ort in der Ostzone. Böse Zungen behaupten, der Sudan wäre ein autoritärer und fundamentalistischer Polizeistaat mit Militärdiktatur, der zudem seine Nachbarstaaten mit Krieg überzieht und die südlichen Provinzen unterdrückt und aushungert. Dagegen verwehrte sich SUDANOW vehement. Bloß weg hier. Es stimmt auch nicht, zumindest ist diese Aufzählung unvollständig. Der Süden im Sudan wird nicht nur ausgehungert und unterdrückt, er dient auch aktuell im Jahre 1998 noch als SklavenJagdgebiet für Milizen der sudanesischen Regierung., die dann von den Arabern im Norden Sudans gehalten werden. Auf "mehrere Zehntausend" wird die Zahl von einer Schweizer Wohlfahrtsorganisation geschätzt, die gerade für rund 25.000 DM 800 "Stück" zurückgekauft hat, um sie wieder zu ihren Familien in
den Süden zu bringen. Sie berichteten nichts Gutes über ihre Behandlung, aber wen überrascht das ? Der Flieger ging um 4.45 Uhr, eine Unzeit, zudem man zwei Stunden vor Abflug dort zu sein hat. Diese zwei Stunden braucht man tatsächlich, bis man alle Hürden passiert hat und in unserem Fall mußte noch unter Hinzuziehung des Sicherheitschefs geklärt werden, ob die Briefmarken nicht irgendwie die Sicherheit des Landes gefährden könnten. Nein, Nein, kein autoritärer und fundamentalistischer Polizeistaat mit Militärdiktatur, wer kommt bloß auf sowas. Als wir morgens in Nairobi landeten, fühlten wir uns richtig wohl. Die Stadt liegt 1.700 Meter über dem Meeresspiegel, ist daher selbst unter dem Äquator immer angenehm kühl und es gibt wieder Frauen im Stadtbild. Wir kauften uns zwei Tageszeitungen, die Verkehrstotenzahl der letzten zwei Tage lag über Einhundert, wobei ein Bus, der nur knapp die Brücke verfehlte und in den Abgrund fuhr, schon zwei Drittel geschafft hatte. Der Rest läpperte sich zusammen im täglichen Berufsverkehr. Burundi und Ruanda waren auch fleißig, die mysteriöse Krankheit war mit drei Toten deutlich auf dem Rückzug, also alles beim Alten. Ein halbes Jahr Auto fahren in Nairobi ist vom Risikoquotienten schätzungsweise so hoch wie drei Leben lang in Europa, soweit mein persönliches Gutachten. Zwei Tage ausspannen, und dann geht's auf die Seychellen. Seit längerem mal wieder ein Unternehmen, welches wir mit Vorfreude erwarteten. Einen Nebeneffekt dieser Reise allgemeiner Natur will ich noch erwähnen. Meine Flugangst ist verschwunden. Schon länger, eigentlich mit dem Abflug aus Sierra Leone, es ist mir nur wieder bewußt geworden, als ich völlig ruhig im Flieger nach Khartoum saß als wäre es ein Bus. Mit Gewöhnung ist dies nicht ausreichend erklärt, denn ich war schon vorher oft genug geflogen, da meine Angst nie so groß war, daß ich sie nicht überwinden konnte, und sei es mit Tabletten. Ich erklärte es mir damit, daß ein Flugzeug in Sierra Leone eine andere Bedeutung hat als ein Urlaubsbomber auf die Kanarischen Inseln. Man verläßt sein sicheres Zuhause und begibt sich in eine dieser schweren Flugmaschinen, die eigentlich physikalisch betrachtet nie und nimmer fliegen können dürften. Angst. In Sierra Leone verläßt man eine äußerst kritische und gefährliche Umwelt in einem Apparat, der täglich tausendfach, und
dies bereits seit Jahrzehnten, seine Zuverlässigkeit bewiesen hat. Erleichterung. Es gibt keinen Raum für Ängste, denn nirgendwo ist es sicherer als im Flugzeug. Klingt doch plausibel.
SEYCHELLEN
Erneut flogen wir in einem leeren Flugzeug. Eine riesige 747 brachte uns rüber, wenn zehn Prozent der Plätze besetzt waren, ist das eine hohe Schätzung. Ich weiß nicht, wie das funktioniert, als würde man morgens seine Brötchen mit dem Tieflader holen. Mischkalkulation, aber wo ist die Mischung ? Wir fliegen fast ausschließlich in leeren Fliegern. Egal, Britisch Airways wird schon wissen was sie tut. Preispolitisch ist Afrika sowieso erstaunlich. Der Chef in unserem Hotel verbrachte Weihnachten an der Kenianischen Küste in einem Beach-Hotel. Er zahlte ab Nairobi, um die fünfhundert Kilometer, für eine Woche Bed-and-Breakfast um 1.000 US$. Er traf dort auf europäische Touristen, die drei Wochen dort waren, Halbpension, eine Safari inklusive, und dafür mit Transfer 700 US$ bezahlt hatten. Er fand das ungerecht. So ungerecht wie der Umstand, daß Touristen in Kenia normalerweise für die National-Parks oder Museen bis zu zehn mal mehr löhnen müssen als Einwohner des Landes. Die Seychellen sind einfach traumhaft. Wir waren auf der Insel Mahè. Eine unglaubliche Vegetation. Die hervorragenden, teilweise tunnelmäßig überwachsenen Straßen führen durch die Berge durch dichte, dschungelmäßige Wälder aus umrankten Palmen und Bäumen, von denen Lianen herunterhängen. Wasserfälle, und immer wieder der Blick auf weiße Sandstrände vor hellblauen und türkisfarbenem Meer. Nur gute Hotels, gepflegte Häuser, intakte und blitzblanke Autos. Ein eindeutiges Versehen, daß diese Inseln zu Afrika gehören. Preislich allerdings - Schluck - ausgereizt, würde ich es gutwillig nennen. Aber wen es nicht stört, für eine Flasche Mineralwasser acht Mark und für einen Cheeseburger zwanzig Mark zu bezahlen oder ein abendliches Buffet für siebzig Mark ohne Getränke zu besuchen, den erwartet nur Angenehmes. Selbst Kokosnüsse, die auf den Seychellen in einer besonderen Form wachsen, erzielen wirre Preise. Sie sehen aus, wie der wohlgeformte Unterleib eines jungen Mädchens, mit knackigen Pobacken und Schamhaaren, eine nette Einlage der Natur. Sie werden auch recht
groß, fast Originalgröße, und man kann sie für ungefähr 800 DM kaufen. 800 DM für 'ne Kokosnuß ! Aber alle scheinen sich für dieses Preisgefüge eine Sichtweise zurechtgelegt zu haben, die sie zufrieden aussehen läßt. Man macht nur einmal im Jahr Urlaub, die schönsten Wochen des Jahres, das haben wir uns schießlich verdient, so jung sehen wir uns nie wieder und so weiter. Da will man auch nicht so knickerig sein. Für uns stellt es sich ebenso nicht so dramatisch dar. Wir sind Schlimmeres gewohnt, nämlich, daß man genausoviel oder mehr bezahlt, dafür aber kaum etwas an Gegenleistung empfängt. Auf den Seychellen ist es wenigstens schön und angenehm, und selbst in der Regenzeit, in welcher viele Wolken am Himmel hängen und nur selten die Sonne durchkommt, ist es warm und die UV-Strahlen, die durch die Wolkendecke dringen, sind extrem sonnenbrandgefährlich. Dafür gibt es eine tiefe Bräune in kurzer Zeit, und darauf kommt es schließlich an. Genau das Richtige, um es mit allen drum und dran plus Taschengeld und Leihwagen in der Glücksspirale zu gewinnen. "Ich nehme die Waschmaschine, das Fragezeichen und die ganze blaue Gewinnpalette. Den Einkaufsgutschein von Leonardo schenke ich der Uschi, die soviel Pech gehabt hat." Applaus. Uschi lächelt säuerlich. In den Hotels, die trotz der Regenzeit gut besucht sind, erinnert alles an das Traumschiff. Es wäre kein Stilbruch, wenn Sascha Hehn in Kellneruniform um die Ecke käme und einem mit blödem Grinsen eine Cocktail servieren würde. Die Hintergrundmusik, von einer Creolischen Combo live intoniert, paßt ebenso. Marina, Marina, Marina, Let It Be, Green Green Grass Of Home und andere unverfängliche Evergreens als Instrumentalversion. Am Pool rumliegen oder am Strand, um 35° C das ganze Jahr über rund um die Uhr, 90% Luftfeuchtigkeit - feines, sorgloses Tropenfeeling ohne Kriminalität, ohne angequatscht zu werden, in angenehm gekühlten Räumen und mit hoteleigenen Videokanälen in allen Sprachen. Abends ein bißchen Terminator oder Ben Hur - kommt gut. Æroflot landet auf den Seychellen ebenfalls an. Diese Fluggäste fallen auf, sie sind anders als die Anderen. Schwer zu sagen, was sie unterscheidet, irgendwie grobschlächtiger, vielleicht sogar eine Idee Gewaltätiges im Ponum, die Frauen überschminkt, ein bißchen zu blond, ein bißchen zu schlank und daher etwas ordinär wirkend, die oft tätowierten Typen übergewichtig und stämmig mit Goldkettchen und Türsteherimage und eigentlich - besser kann ich es nicht
ausdrücken - deplaziert. So deplaziert wie an der Küste Spaniens, wo ihre Anwesenheit schon zu Abwanderungs-strömen der früheren Villenbesitzer geführt hat und Preisverfall auf dem Immobiliensektor verursachte. Sie wirken wie düstere Gangster, die Urlauber spielen weil man es von ihnen erwartet und die sich in dieser Rolle nicht besonders wohl fühlen. Sie lächeln oder scherzen auch so gut wie nie, meistens machen sie einen mürrischen und damit etwas bedrohlichen und gleichzeitig fast hilflosen Eindruck. Das andere Europa. Wenn sie nicht mit finsterer Miene ihre Runden im Pool ziehen, rennen sie mit ihren Camcordern durch die Gegend als sei es ein Minensuchgerät. Im Dauerbetrieb, sie filmen alles, für den KGB wahrscheinlich. Wir versuchten es damit zu erklären, daß sie vielleicht unheimlich froh sind, in ihren Heimatländern keine Holzattrappe erwischt zu haben und sie sich schon darüber, daß der Apparat überhaupt Bilder festhält, über alle Maßen freuen. Bloß nicht abschalten, dieser Urlaub muß bewiesen werden können. Wir liehen uns einen kleinen Mini-Moke, so ein Winzauto ohne Dach und ohne Türen und fuhren einen Tag über die Insel. Sie ist wirklich phantastisch und bezüglich der Seychellen kann ich schon verstehen, wenn man den längsten Weg in Kauf nimmt. Die Botanik ist atemberaubend. Überall blüht und wuchert es, verträumte Buchten tauchen auf, an denen wir anhielten und badeten. Das Wasser warm und klar, helles Türkis, weißer Sand und beim Baden sahen wir bunte Fische und einen Rochen durchs Wasser segeln. Die Brandung ist sanft, wir ließen uns treiben und legten uns zum Trocknen unter die Palmen am Strand. Nicht einen Krümel Müll findet man, alles ist topgepflegt und es wird auch nichts angebaut. Zumindest nicht dort, wo man es sieht. So mußten wir keine Pestizide vermuten, keinen Qualm abgebrannter Zuckerrohrfelder einathmen wie in Mauritius und uns kein Elend anschauen wie in Madagaskar. Die Preise werden auch moderater, sobald man die Hotelanlage verläßt und sich in die Restaurants begibt, die dem freien Wettbewerb unterliegen. Wir sahen Guest Houses mit Selbstverpflegung in ansprechender Lage und kleine Supermärkte, so läßt sich sicher auch ein traumhafter Beach-Urlaub auf ganz bestimmt einer der schönsten Inseln der Welt auf nicht zu arg überhöhten Kursen erleben. Mal vormerken. Die Tage gingen harmonisch vorbei. Per Speedboat auf eine kleine Insel zum Lobster essen und Sonnenbrand holen, am Pool ein paar kalte Cola, Schweinebraten mit Thymiansauce uns so weiter. Alle
Aggregate voll aufgetankt. Ein bemerkenswertes Gesetz kam uns noch zu Ohren, und zwar, daß auf das Entfernen von Sand vom Strand ein halbes Jahr Gefängnis steht. Nicht dumm, denn was nutzen die schönsten Hotels, wenn der Strand zu Beton verarbeitet wurde. Ebenso ist die Bettenanzahl auf der Insel streng begrenzt, Abholzen von Bäumen bei Strafe verboten, Übernachten oder Fußballspielen am Strand untersagt und so erhalten sie sich ihr exzellentes Paradies. Wir fanden es ok, soll es ein paar Mark mehr kosten, aber dafür gibt es keine überfüllten Strände, kein Ballermann-6-Feeling, keinen Ball an Kopp beim Sonnen und für Apartheid by money bringe ich mit jedem Tag, den ich älter werde, mehr Verständnis auf. NAIROBI SCHON WIEDER
Wenn man von den Seychellen statt aus Khartoum kommt, ist Nairobi alles andere als gemütlich. Während unserer Abwesenheit waren weitere dramatische Regengüsse herunter gekommen und nun ging nichts mehr. Die Verbindung zwischen Nairobi und Mombasa war völlig zusammengebrochen. Immer wieder ein Erlebnis, die Zeitungen zu studieren. "Madness on Mombasa Highway" lautet die Überschrift, wobei die Madness schon damit beginnt, von einem Highway zu sprechen. Diesmal gab es 86 Tote auf diesen 500 Kilometern, Schlägereien um Trinkwasser zwischen den Busreisenden, die tagelang im Stau steckten, Überfälle durch Banden mit Pfeil und Bogen (kein Scherz !), Herzattacken, Hunger, eingestürzte Brücken, Autos die in kraterähnlichen Schlaglöchern versanken, umgekippte Lkws und so weiter. Sogar ein Löwe griff eine Frau an, die sich dem Ruf der Natur folgend in die Büsche verdrückt hatte und sich nur noch knapp in ihr Auto retten konnte. Der Löwe sprang dann auf einen Transporter mit Lebendvieh, räumte dort kräftig auf und verschwand mit fetter Beute im Unterholz. Das große Programm auf dem Highway des Todes, wie er in der Presse auch gerne bezeichnet wurde. Highway To Hell, jetzt weiß ich endlich, was gemeint ist. Dieses Kenia ist imgrunde widerlich und vollkommen am Arsch. So widerlich und am Arsch wie afrikanische Länder und ihre korrupten Regierungen fast überall sind. Nebenbei die normalen Verkehrstoten, eine Hand voll Morde, Choleratote wieder dramatisch angestiegen da erneut alle Gullys und Scheißegruben übergelaufen sind, nebenbei eine kleine
Heuschreckenplage und das vermehrte auftauchen der Nairobi-Fly, einer besonders ätzenden Fliegensorte. DIE FLIEGENDE BEDROHUNG titelt die East African Standart und gibt folgenden Hinweis: "If the Nairobi-Fly lands on you, don't panic, don't touch it with your bare hands, just flip it away using something." Nette Fliege, denn berührt man sie oder haut sie einfach breit wie üblich, gibt es chronische und schmerzhafte Entzündungen und Blasen, die nicht nur langwierig sind sondern auch noch amtliche Narben hinterlassen. Gerne greift die Nairobi-Fly die Augen an, die dann zuschwellen und nicht einmal Antibiotika hilft. Urlaub in Nairobi und du siehst aus wie Freddy Krüger. Aber Hauptsache, Funny Danny hat noch mal fünf Jahre gekriegt, um weiter per Privatjet seine Freunde in der Schweiz zu besuchen. Für den Regen kann er nichts, aber für alles andere. Selbst für die Fliegen, finde ich. Wir starteten bei der Botschaft von Ägypten. Geschlossen. Wir finden einen Pförtner, der uns folgendes sagt. "It's closed. They come at 11.00 or 12.00. It's Ramadhan. Do you know Ramadhan ?" Und ob ... Für die, die das afrikanische Zeitsystem nicht so genau beherrschen: Die Angabe 11.00 or 12.00 bedeutet, gar nicht oder überhaupt nicht. Der Hinweis auf Ramadhan bedeutet, daß, sollte doch einer kommen, dieser mit Sicherheit nicht arbeiten wird sondern beten. Der Tag fing gut an. Wir fuhren auf Tip zu einem Auspuffservice mitten in der Stadt, der aber zum Einen nur mit Allradfahrzeugen erreichbar war und zum Anderen eine Toreinfahrt hatte, durch die wir nicht durchgekommen wären. Also doch wieder zu Benz. Ölwechsel ging nur mit mitgebrachtem Filter, sowas hat Mercedes-Nairobi nicht auf Lager. OK, wir hatten noch einen und er tauchte am Ende tatsächlich nicht auf der Rechnung auf. Den Ölwannenschutz wollten wir wegen des Highways wieder anschrauben lassen und das Rücklicht sollte erneuert werden. Auspuff reparieren ging nicht. Er zeigte auf die Gasflaschen und sagte, es wäre keine Strom da wegen der Regenfälle. Es gibt keinen Zusammenhang, als würde man mit dem Hinweis, daß kein Strom da wäre, einen Reifenwechsel ablehnen, aber Afrika folgt anderen Gesetzen. Nach einer Stunde begann der Ölwechsel, danach passierte nichts mehr. Wir warteten zwei Stunden, dann ging ich zum Chef und sagte, er solle die Rechnung klar machen, wir suchen uns eine andere Werkstatt. Wieder diese kühne Argumentation: Die anderen Arbeiten wie das Rücklicht und die Montage des Ölwannenschutzes
wären schon auf der Arbeitskarte und ich müsse sie sowieso bezahlen, ob ausgeführt oder nicht. "Macht nichts," sage ich, "die Kosten für alle Reparaturen in Afrika übernimmt für mich MercedesBenz in Deutschland, ich mache im Gegenzug Berichte über die Werkstätten. Mich kostet das hier kein eigenes Geld." Das hat gewirkt. Auf einmal arbeiteten drei Mann gleichzeitig am Auto, der Chef fuhr selber mit zu einem Auspuffservice und das ganze kostete sehr kleines Geld. Der Auspuffservice schweißte einen neuen Schalldämpfer unter die Kiste, wir fuhren vom Hof, über einen Zuweg, für den es in deutsch keine Bezeichnung gibt, und als wir nach einem Kilometer wieder Asphalt erreichten und erstmals das Gaspedal etwas kräftiger durchtreten konnten, hatten wir röhrenden Niki-Lauda-Sound, schlimmer als vorher. Wir waren bedient, man soll sie einfach nicht ranlasen, das wußten wir vorher, taten es aber trotzdem, denn Hoffen und Harren ... und fuhren weiter in der Hoffnung, daß es sich "zusetzt". Sagt man doch immer, "das setzt sich zu". Und mit welchen Hoffnungen hätten wir eine Reklamation verknüpfen sollen? Mit keinen. Wir fahren durch Krater und Löcher ins Zentrum, um was zu essen und vor uns fährt eine nagelneue Mercedes-Limousine V12 durch die Straßen. Da wird einem schlecht. Uns wundert immer, daß augenscheinlich nicht die Spur von Neid oder gar Aufbegehren oder wenigstens Zerstörungswut bei den Hungerleidern aufkommt, wenn ihnen derart vor der Nase herumgeprotzt wird. Wenigstens im Vorbeigehen einen Kratzer machen. Das geht in Europa nicht. In gewissen Gegenden, Stadtteilen, Provinzen, da fährt man nicht ungestraft mit einem V12-Daimler spazieren und parkt ihn mitten im Gewühl. Wenigstens die Typenangaben entfernen, aber der in Nairobi gab sich voll zu erkennen. Es ist diese Haltung, die einen berechtigt, auf den Vorwurf der Schwarzen, daß die Weißen sie versklavt hätten, mit dem Hinweis zu antworten: "Das geht auch nur mit euch." Sie lassen sich mehr oder weniger alles bieten, setzen dem nichts entgegen außer religiösen Stammesrivalitäten und schlimmste Verbrechen und wenn sie mal richtig die Wut kriegen, dann massakrieren sie sich gegenseitig Völkerweise. Auf den schwarzen Besitzer dieses Fahrzeuges sind sie eher noch stolz, wie weit es ein Schwarzer gebracht hat, und schöpfen wieder Hoffnung und Selbstvertrauen beim Betteln. Es ist und bleibt 'ne komische Bande. Selbst der dicke Daimler schien sich mit jeder Schraube gegen seine
artfremde Haltung zu sträuben, so machte es auf mich den Eindruck, er hatte es sich bestimmt auch anders vorgestellt als täglich OffRoader-Qualitäten beweisen zu müssen und - wer repariert und wartet den eigentlich ? Doch nicht etwa diese Niederlassung mit Stern aber ohne Strom ? Schade, daß ich nicht wirklich einen Werkatatt-Bericht schreiben muß. Das arme Auto. Wir waren schon wieder pappensatt. Ob West- oder Süd- oder Nordoder Zentral-oder Ostafrika, als einer in Europa aufgewachsener ist nach einem halben Jahr der Zeitpunkt erreicht, daß es einem alles auf den Sack geht. Diese zweite Halbzeit, die wohl eher ein zweites Drittel werden wird, war entschieden angenehmer als die erste - bis jetzt - aber es langte eigentlich. Eine allgemeine Lustlosigkeit machte sich bei uns beiden breit. Wir hatten keinen rechten Bock auf Autofahren, auch nicht auf Flugreisen und so begeisternd ist eine Schiffsreise auf einem Frachtdampfer mit Sicherheit auch nicht. Beam me up, Scotty. Uns blieb ohnehin nur noch der Weg über Mombasa per Dampfer nach Ägypten. Vorher noch kurz Uganda aufsuchen, aber das ist prinzipiell kein unangenehmer Auftrag. Dann den "Highway To Hell" nach Mombasa lang quälen, falls Funy Danny sich zu dem schweren Aderlaß für eine Instandsetzung der zerstörten Brücke durchringen kann und schon lockt kurz darauf das Mittelmeer. Und eilig, schnell wieder nach Deutschland zu kommen, hatten wir es nicht, am 19. Januar. Was die Flugreisen betrifft, reizten sie uns weniger, aber sie sind halt undramatisch, unumgänglich und letztlich nur eine Frage der Kosten. Was für Kosten genau, das sollten die Ermittlungen am folgenden Tage ergeben. Lustlosigkeit oder nicht, die Sache war einfach die, daß wir uns überwinden mußten denn nichts tun befriedigte am allerwenigsten. Für und gegen die Flugreisen sprach fast das selbe Argument. Einerseits müssen wir überall Länder ausklammern, so daß wir sowieso noch einmal auf diese Ecke kommen werden. Also macht es nichts, wenn wir noch ein paar mehr vor uns herschieben. Anderseits sprach auch nichts dagegen, es gleich zu machen - außer der Lustlosigkeit - denn gemacht werden mußte es ohnehin und die Jahreszeit war günstig und wir hatten nichts besseres vor. Das kleine, indische Hotel mit dem Namen Azee-House wurde auch immer freundlicher, wir wurden behandelt, als gehörten wir schon etwas zur
Familie, man nahm an unseren Reisen teil, über die Sicherheit des Fahrzeuges brauchten wir uns keine Sogen mehr machen - also los ! Das Five-Continents Reisebüro kannte uns nun auch schon, beschenkte uns mit Reisetaschen und bediente uns vorzüglich. Auch alles in indischer Hand. Blitzschnell war ein Dreiländer-Rundflug gebucht, zehn Tage Äthiopien-Eritrea-Djibouti für 900 US$ p.p., das bleibt im Rahmen und wir waren eigentlich ganz zufrieden. Keinen Streß mit Schlamm- und Sandpisten, keine Überfälle, keine Kriege, keine Risiken, nur ein bißchen Beschiß mit Taxipreisen, aber das gehört dazu. Noch zwei Tage indische Küche und dann gings wieder ab. ÄTHIOPIEN
Wie erlebten eine positive Überraschung, passiert selten genug in Afrika. Alles, was wir von Äthiopien erwartet hatten war Hitze, Dürre und Armut, denn so kennt man das Land aus den Nachrichten. Addis Ababa hingegen - mehr lernten wir von Äthiopien nicht kennen - ist eine großzügige, grüne und verhältnismäßig angenehme Stadt die nicht übermäßig vermüllt ist. Kein Vergleich mit Khartoum. Das soll nicht heißen, daß jemand, der Urlaub machen möchte und nach Addis Ababa fährt, zufrieden sein könnte, denn es ist nichts Besonderes, aber eben auch nichts besonders Schlechtes. Das Hilton unbezahlbar, die Klasse unterm Hilton schon wieder recht einfach, aber dafür wenigstens nicht so teuer. Überhaupt stimmt das Preis-Leistungsverhältnis. Man bekommt nicht viel geboten aber man blutet auch nicht finanziell aus. Immerhin gab es auf dem Hotelzimmer, welches so klein war, daß es schwierig war, die Koffer zu öffnen, einen Fernseher mit zwei Satelitenprogrammen. CNN und MTV-Asia. Ich wußte nicht, daß es MTV-Asia gibt, aber es ist für eine viertel Stunde unterhaltsam. Statt gangstermäßig gestylte AfroAmericans mit Pudelmützen und Pappbechern, die um brennende Mülltonnen tanzen, wie man es gewohnt ist, hotten schrill gekleidete indische Boygroups über den Strand zu den verpopten Klängen von Geigen und Tablas. Abends wechselt der Sender mit TNT, die ein paar alte Hollywoodschinken mit Cary Grant und Lana Turner brachten, angenehm. Die Stadt liegt wie Nairobi ziemlich hoch über dem Meeresspiegel, dünne Luft, immer leichte Atemnot und gleich aus der Puste, aber daher ist das Klima sonnig und trotzdem nicht zu heiß, alles in allem nicht anstrengend. An jeder Kreuzung ein
Denkmal oder eine Siegessäule mit Rotem Stern und Russen mit Kalschnikows und wehender Fahne in Siegerpose. Kalaschnikows überhaupt überall, an jeder Ecke ein paar Leute mit Kalaschnikows zum aufpassen auf irgendwas. Moslems kommen für den Breitengrad überraschend wenig vor, sind allerdings im Vormarsch, daher noch eine recht heitere Stimmung auf der Straße. Es gibt auffällig viele sehr hübsche Mädels. Die Bevölkerung mischt sich aus Arabs und Schwarzern, was für beide Rassen vorteilhaft ist. Man hat das Gefühl, daß sich von beiden Rassen die angenehmeren Seiten durchgesetzt haben, anders herum wäre es allerdings auch ein Alptraum. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber sie nerven nicht, sind wahnsinnig freundlich und, das zählt noch viel mehr vorwärts: zurückhaltend. Nicht anstrengend, diese Umschreibung trifft es stets am präzisesten. Natürlich erlebten wir wieder Kleinigkeiten, die einen nervolabilen Nägelkauer dazu treiben würden, seine Finger bis zum ersten Glied abzunagen. Wir wechselten das Hotelzimmer da wir doch nicht darauf verzichten wollten, den Koffer zu öffnen und man gab uns ein geräumigeres ohne Fenster. Es gab eine Balkontür, die Scheiben weiß übergemalt, da dieser Balkon von anderen genutzt wurde und dort eine ganze Sippe von Eingeborenen drauf wohnte. Aber das war es alles nicht, was uns störte, bloß funktionierte der Fernseher nicht. Der Hotelboy nahm sich des Problems an und wir waren gezwungen, ihn dabei zu beobachten, ein dem menschlichen Verstand kaum mehr zumutbarer Akt. Es war sofort klar, nach zwei Minuten, daß die Antenne kein Signal hatte, dafür brauchte man kein Fernsehtechniker sein, aber er schleppte einen Fernseher nach dem nächsten an, verstellte jeden einzelnen komplett, wiederholte alles, was bereits zehn mal nicht funktioniert hatte, unzählig oft. Jeden Fernseher schaltete er permanent Ein und Aus, ein Wunder, daß sie es überlebt haben und eine Mentalfolter für jeden Betrachter, der mit technischen Geräten und Gebrauchsanweisungen groß geworden ist. Dann war auf einmal der Schraubenzieher wie von Zauberhand verschwunden, mit dem er in der Antennendose herumgestochert hatte und er gab auf. Ohne Schraubenzieher waren selbst ihm die Hände gebunden. Nach knapp zwei Stunden zogen wir es vor, wieder in das ursprüngliche Zimmer zurück zu ziehen. Dort war der Duschvorhang genau in einer Höhe angebracht, daß alles Duschwasser, welches gegen den Vorhang kam, ins Bad laufen mußte. Der Hotelboy versuchte sich auch daran
und stieß dabei mein Parfüm um, welches ich im Duty-Free auf den Seychellen gekauft hatte um die letzten Rupies los zu werden. Die Flasche kachelte ins Waschbecken und war natürlich kaputt - 40 Dollar mein Bester ! - und er behauptete, daß sie leer gewesen sein müsse, da jetzt, nachdem die Flasche in drei Teile zersprungen war, gar kein Parfüm mehr zu entdecken war. Für ihn eine eindeutige Beweislage. Glas ist einfach nicht das Wahre für Afrika. Flüssigkeiten, die auf einmal weg sind, auch nicht. Metall oder Plastik, werde ich beim nächsten Parfümkauf berücksichtigen. Oder einen Deostick. Ich beschwerte mich bei der Rezeption, allein wegen der Frechheit der Behauptung, er hätte eine leere Flasche zerdeppert und verlangte erstmal Schadensersatz und wurde auf später vertröstet. Der Manager war außer Haus. Mir fiel bei dem Hotelboy wieder der nette Witz mit den zwei Kugeln aus Südafrika ein: ... die Eine habe ich verloren und die Andere kaputt gemacht. Mit den Briefmarken waren wir schnell durch und wir mieteten uns einen Taxifahrer für eine Rundtour. Er hat uns beschissen, das war vorher klar, aber er nahm umgerechnet 50,- DM für einen halben Tag kreuz und quer durch Addis fahren und das geht ja selbst mit Beschiß noch. Trotzdem fanden wir es angebracht, uns etwas mit ihm zu streiten, um es nachfolgenden Touristen nicht zu schwer zu machen. Die Taxifahrt: Das Auto war wohl mal ein Lada, alle Herkunftsmerkmale waren bereits abgefault. Die Lenkung war so eingestellt, daß der Fahrer das Lenkrad fast eine ganze Umdrehung bewegen konnte, ohne, daß sich an der Fahrtrichtung etwas änderte. Folglich ruderte er für jede kleine Richtungskorrektur in einer Art, daß die Mercedes A-Klasse sich sofort auf die Seite gelegt hätte und jedes Hindernis hupte er schon fünfzig Meter vorher ausgiebig an weil er wußte, daß Ausweichen so gut wie nicht möglich ist. Dazu ratterte die Hinterachse, oder die Vorderachse oder die Kardanwelle oder alles drei synchron zur Geschwindigkeit von 30 km/h und er fuhr uns zuerst zum Zoo. 25 Pfennig Eintritt, wir waren begeistert, aber mehr kann man auch nicht nehmen. Es gibt fünf männliche Löwen in Einzelkäfigen und ebenso viele Schildkröten, das war's. Nach zehn Minuten war der Zoobesuch erledigt, ohnehin schon auf Länge gequält. Es ging ins Museum. Dort, wie überall in Addis Ababa, Sicherheitschecks. Ob bei der Bank, beim Postamt oder im Museum, man wird durchsucht und mit Metalldetektoren abgescannt wie auf dem Flugplatz. Das Museum auch sehr preiswert, dafür nicht
sehr unterhaltsam. Ein paar Gerippe, alte Steine und Krempel, traditionelle Klamotten und als Hauptattraktion den Thron von Heilla Selassi. Zwanzig Minuten, ebenfalls erledigt. Fotografieren streng verboten, als wenn das einer wollte. Nun fragten wir den Fahrer, ob es einen Markt gäbe. So einen mit Crafts, Souvenirs - tü comprende ? Er nickt, erzählt von einem Markt, den man unbedingt gesehen haben muß, aber es muß ein Mißverständnis gewesen sein. Er kann nur verstanden haben, daß wir Schuhe kaufen wollten, anders ist es nicht erklärlich, daß er uns in einen Moloch-Vorort fuhr zu einem Einkaufszentrum, welches ausschließlich aus Schuhgeschäften bestand. Noch nie gesehen sowas, zig Schuhgeschäfte, eines neben dem anderen und alle gleich, und umliegend drum herum weitere Schuhgeschäfte. In Äthiopien haben sie wieder diese EckenAufteilung wie in Marokko. Es gibt die Fleischecke, die Elektroecke, die Gemüseecke und so weiter und eben auch die Schuhecke. Immer gleich mindestens fünfzig gleiche Läden nebeneinander, bevor man in die nächste Ecke kommt. Er merkte, daß wir keine Schuhe haben wollten und lief mit uns durch unendliche Gassen zur Juwelierecke. Böses Elend, sobald man die ohnehin schon mit Bettlern ausreichend bestückte Innenstadt verläßt. Jedes Restaurant beschäftigt einen Aufpasser mit Knüppel, um die Gäste vor Belästigungen durch Bettler zu schützen. Aber sie müssen nicht eingreifen, ihre Anwesenheit genügt. In den Vororten wimmelt es von Kaputten, man watet direkt durch Krüppel, Bettler und Kranke, bis man zu den Goldhändlern kommt. Es ist naiv zu glauben, dort günstig einkaufen zu können, zumindest nicht als durchreisender Tourist mit einem Taxifahrer im Schlepp, der Schwager von jedermann ist. Selbst angenommen, daß es sich bei dem gelben Material tatsächlich um 18 Karat Gold handeln würde, was äußerst unwahrscheinlich ist, sind die Preise immer noch absurd. Es macht auch keinen Spaß zu handeln, denn selbst ein akzeptabler Preis garantiert noch lange keine akzeptable Qualität. Wir drängelten uns durch übel stinkende und total überlaufene Gassen zum Lada zurück und suchten einen Souvernirladen auf. Kuriose Sachen ohne Ende, religiöse Devotionalien aller Glaubensrichtungen, Militaria von Russen, Engländern, Italienern und Karawanen-zubehör wie Wassersäcke aus Leder und Schlafkissen aus Holz, aber was soll man am Ende damit. Ich entdeckte ein Teil wieder, welches ich bereits in Marokko mal gesehen hatte. Es wird jetzt etwas unappetitlich. Es handelte sich um
zwei Holzknäbel mit Aufsteigbügel für Kamele. Ich fragte in Marokko den Händler, wofür das gut sei, und er wollte erst nicht so recht mit der Sprache raus. Druckste so rum, bis er sagte, es wäre für die Karawanen, die monatelang ohne Frauen durch die Wüste zögen. "Nee", sagte ich, langsam begreifend, "das ist nicht dein ernst." Aber einmal angefangen zu erklären bemerkte er fröhlich und technisch versiert, daß Kamele eine ungünstige Höhe hätten und diese Holzteile einerseits die Hinterbeine fixieren und dafür sorgen, daß sie still halten und obendrein noch einen leichten Aufstieg und damit komfortable Verrichtung ermöglichen. Er packte die Dinger dann auch etwas beiseite, es war ihm klar, daß ich die nicht kaufen wollte, ich hatte ja gar kein Kamel und auch 'ne eigene Mensch-Freundin dabei. Ein Insiderartikel für Genießer unter dem Ladentisch zu verkaufen. Dazu der afrikaübliche Krimskrams wie Schnitzereien, Masken, Schilde und sogar Ohrpopler aus Silber, aber, wie gesagt, wer will all sowas haben. Sie sind in ganz Afrika der Meinung, daß Silber ein teures Material sei und verlangen Preise wie verrückt. Wir luden den Taxidriver noch zu Kaffee und Kuchen ein, was ich bereute, als er mit der ganz anders abgesprochenen Entlohnung für diese unvergeßliche Tour kam, und dann ließen wir uns wieder im Hotel absetzen. Es ist das gleiche Problem wie fast überall in Afrika, man weiß nicht, was man da soll. Neben dem Sinn des Briefmarkensammelns, wenn man das Sinn nennen will, ergeben sich immer ein paar Erledigungen wie das Besorgen weiterer Visa und die Bestätigung des nächsten Fluges, aber wenn das erledigt ist oder man ins Wochenende rutscht, gibt es nichts, was man tun könnte. Also hingen wir doof rum, lasen, dösten und ließen uns zum Essen in verschiedene Restaurants fahren. Bis der Weiterflug nach Eritrea anstand. Wir hatten die Reise extra so gelegt, daß wir immer noch einen zusätzlichen Werktag für Visa-Geschichten zur Verfügung hatten. Besonders Libyen wurde langsam zum Problem. Ähnlich wie Nigeria haben sie irgendwie keine Lust, einem ein Visum zu geben, ich weiß nicht warum. Erschwerend kommt hinzu, daß diplomatische Vertretungen selten sind und wir wollten uns die bekanntermaßen unangenehme Stadt Kairo ersparen. Schon im Sudan, einem Nachbarland, waren wir bei Gadafis Botschaft, aber dort war der Mann mit dem Visum-Stempel angeblich verreist. Erneut probierten wir es in Addis. Wie die Ägypter arbeiten sie die vier Wochen über
Ramadhan nicht einen Handschlag. Es war nicht möglich, selbst mit großzügigem Sonderbonus von 100 US$, den wir anboten, jemand zu überreden, zwei Stempel in die Pässe zu drücken. Wahnsinnig freundlich und immer am Lachen, wir erzählten, unser Flugticket würde verfallen, wenn wir jetzt kein Visum erhalten würden, aber das war auch furchtbar lustig, gleichfalls bedauerlich, aber es ist eben Ramadhan und da kann man einfach nichts machen. Für Djibouti besorgten wir auch noch Visa, in Eritrea brauchen wir ein Neues für Äthiopien, da sie nur Single-Visa ausstellen und wir sonst nicht wieder zurück kommen - diese Beschäftigung hält einen auf Trab und sorgt dafür, daß das Geld in der Tasche nicht alt wird. Ich wollte ein Erfolgserlebnis und ließ den Manager des Hotels antreten um die Parfümangelegenheit zu klären. Wäre nicht sein Problem, sagt er, denn wenn Gäste was kaputt machen, müssen die auch nicht zahlen. "Ist gut", sage ich, "wenn sie das so sehen, schmeiße ich den Fernseher aus dem Fenster." Er nahm es mit Humor und zog es doch vor, uns eine Nacht nicht zu berechnen und alle waren zufrieden. Am Nebentisch in der Lobby war eine Rastatruppe aus USA eingetroffen. Alles Schwarze, aber so unterschiedlich im Habitus zu ihren afrikanischen Kollegen wie es unterschiedlicher nicht sein konnte. Ausgelassen, verkifft, selbstsicher, rebellisch und super drauf, eine Augenweide mit ihren Dreadlocks und bunten Mützen. Schade, daß ich ihre Musik nicht besonders mag, die Interpreten sind sympathisch. ERITREA
Als ich formulierte "alles Dreck da oben", war das eine Vermutung, die sich als teilweise vollkommen falsch erweisen sollte. Eritrea ist ein rund herum ansprechendes Land mit angenehmen Menschen, gepflegten Straßen und Häusern, Boulevards mit Straßencafés unter hohen Palmen und optimalem Klima. Sonne, frischer Wind und abends leicht kühl, geht nicht besser. Blühende Hecken, Bäume, Parks und Kolonialbaustil. Wir bedauerten tief, daß der Flugplan uns zwang, nur zwei Tage Aufenthalt zu haben und nicht mehr von dem Land sehen zu können als die Hauptstadt Asmara. Keine 150 Kilometer entfernt liegt das Rote Meer, alles ist preiswert und in Eritrea hätten wir gerne das Wochenende verbracht. Leihwagen mieten, rumfahren, im Meer baden, Seafood essen und so weiter. Die Preise sind ok. Dabei hatten wir noch nicht mal viel Glück. Der Flug
war schrecklich. Gerammelt volle Boeing 767, fast nur Schwarze und die Verspätung beim Abflug überstieg die reguläre Flugzeit. Diese innerafrikanischen Flüge sind kein Vergnügen. Nicht zu vergleichen mit Flügen in Europa. Eine permanente Völkerwanderung im Flieger, Handgepäck als zögen sie um, es wird sich über fünf Sitzreihen ausgiebig unterhalten, die Stewardessen kommen kaum durch, es ist höllenlaut, der Service miserabel und der Geruch befremdlich. Selbst Kurzflüge schaffen einen. Für den Andertalbstundenflug brauchten wir vom Betreten des Airports in Addis bis zum Verlassen des Airports in Asmara über sechs Stunden. In Asmara war zu unserer Überraschung das einzige Hotel, welches einigermaßen Standart hat, ausgebucht und wir mußten in ein weniger komfortables. In diesem gab es Räume erster Klasse und zweiter Klasse, die erste Klasse war ebenfalls ausgebucht, so daß wir in einem spartanischen Raum landeten mit Dusche und Klo über'n Gang. Wobei die Dusche nicht funktionierte. Annett, die sonst fast alle Unannehmlichkeiten wegsteckt wie nix, haßt miese Hotels und erholte sich stimmungsmäßig die zwei Tage kaum nennenswert, lief mit 'ner Fresse rum und maulte leicht. Allerdings unterschritten wir auf diesem Wege unser Budget dramatisch und schauten bei den örtlichen Goldhändlern rein. Tatsächlich kann man in Eritrea günstig Goldschmuck kaufen. Die kleinen Goldschmieden, in denen auch die Einheimischen kaufen, haben feste Kurse per Gramm und Karat. Das ist fair und man kann sich auf Gewicht und Qualität verlassen, da sie ihre eigenen Leute nicht ohne Protest bescheißen können, vielleicht auch gar nicht wollen. So vertrieben wir uns die Zeit und stellten fest, daß Asmara seit urlanger Zeit mal wieder eine Stadt ist, in der man lustvoll abends im dunkeln spazieren gehen kann. Wie in Casablanca, bloß viel kleiner, alle Läden lange geöffnet, keiner kümmert sich um einen, kein Bettler spricht einen an und viele Menschen sitzen in den Cafés oder schlendern umher. Selbst Seitengassen sind völlig gefahrlos zu begehen. Alle sind gepflegt gekleidet, Pärchen Arm in Arm, modische Jugendliche und nicht den Hauch von Aggressivität. Ich merkte erst in diesem fast italienisch anmutenden Flair, wie sehr ich das in Afrika vermißte. Immer dieses in Deckung gehen sobald es dunkel wird und das Spießrutenlaufen zwischen Bettlern, stets auf der Hut sein und immer schauen, daß man nicht in ein Loch fällt oder auf Müll oder Geröll umknickt, es wird zwar Gewohnheit, aber im Kontrast merkten wir, wie sehr es
nervt. Wir sahen Touristenbusse mit "Red Sea Beach Resort" Beschriftung, verlockende Plakate des "Tourist-Bureau of Eritrea" und ich ärgerte mich wirklich, mir das alles nicht ansehen zu können. In Eritrea könnte sich ein durchaus empfehlenswertes Urlaubsland verstecken, die Grundvoraussetzungen sind alle gegeben. Die begrenzte Zeit, die wir hatten, war auch noch mehr oder weniger ausgefüllt. Die Briefmarkensachen erledigten wir auf dem Rand, aber die Botschaft von Äthiopien wollte noch mal 100,- DM pro Nase für ein neues Visum haben, damit wir wieder reinkommen um die zwei Tage auf den Anschlußflug nach Djibouti zu warten. Morgens die Pässe abgeben, nachmittags abholen, jedesmal Wartezeiten, dazwischen kann man nichts richtiges anfangen. Eritrea ist eine Abspaltung von Äthiopien und das scheint dem Land sehr gut getan zu haben. Wellcome to Free Eritrea. Es gibt keinen einzigen Sekuritytypen im Stadtbild, keinen, der mit Knüppeln gegen Bettler vorgeht, die Taxifahrer lassen ihre Fahrzeuge unabgeschlossen stehen, bloß vor den Banken sitzen welche mit MP's, aber das ist in Afrika das normalste der Welt. Dieses Land würde ich mir zu gerne noch mal genauer ansehen. Aber wir flogen nach zwei Tagen zurück, erneut mit knapp zwei Stunden Verspätung, und suchten noch einmal die Libysche Botschaft in Addis Ababa auf, da Ramadan vorbei war. Diesmal war es Freitag, und, das war ja klar, am Freitag wird natürlich nicht gearbeitet. Ich hatte die Durchreise durch Libyen bislang als problemlos betrachtet, nichts Gegenteiliges gehört, und Gadaffi hat die Sache doch im Griff, schon seit ewig, so mein Eindruck. Langsam bekam ich Zweifel, denn bislang war es immer so, daß die Länder, bei denen die Probleme bereits in der Botschaft beginnen, am allerübelesten sind. War nichts zu machen, wir packten wieder zusammen und es ging nach Djibouti. ETHIOPIAN AIRLINES
Ethiopian Airlines ist zum hassen ! Die letzte Scheiß-Fluglinie, die schlimmste, mit der wir bislang geflogen sind. Bislang hatten sie es geschafft, die Verspätungen knapp unter der Zwei-Stunden-Grenze zu halten, aber bei dem einstündigen Flug nach Djibouti waren es knapp über vier Stunden. Dafür luden sie die wartenden Fluggäste zu einem Mittagessen ein, ganz nett, könnte man denken, aber es war nur eine weitere Impertinenz. Ein Essen, welches uns den Magen völlig umkremmpelte. Pures Gift. Zu jedem Essen gab es einen Zettel
mit der Aufschrift in vier Sprachen "Diese Mahlzeit enthält kein Schweinefleisch", als wenn das so wichtig wäre. "Diese Mahlzeit war vor zwei Wochen schon ungenießbar" oder "Zwei Portionen töten ein Pferd" wäre interessanter gewesen. Auf jeden Fall ging es bei mir zuerst los. Bis in das Taxi in Djibouti ging es gerade noch, lediglich das Bordmenu ließ ich stehen, was ich sonst nie tue. Gerade so weit, daß man nicht ins Flugzeug kotzt. Aber im Taxi dachte ich zu implodieren und die nächsten zwölf Stunden verbrachte ich mehr auf Klo als sonstwo. Ich war am scheißen wie ein Weltmeister, Annett kotze ab, nur unterbrochen von kleinen Ausflügen ins Hotelrestaurant oder in ein Café über die Straße, um etwas trocken Brot und Tee ohne Zucker zu uns zu nehmen. Nie weiter weg als zehn Schritte von der nächsten Toilette. Aber der Anschlag auf den Magen und der Diebstahl von unserer Zeit war nicht alles, was sich Ethiopian Airlines herausnahm, eine besonders gemeine Attacke auf unser Nervenkostüm war auch noch enthalten. Wir durften aus dem Warteraum zusehen, wie unser Flugzeug repariert wurde, und das entmutigte restlos. Zehn Autos parkten um die Maschine, ein paar Schwarzer schraubten an den Düsen herum, viele standen ratlos daneben und brüllten gestikulierend in ihre Funkgeräte, ein Feuerwehrzug stand vorsichtshalber bereit und einer - ich sah es mit eigenen Augen - hatte einen Sitz aus dem Cockpit ausgebaut und werkelte auf dem Rollfeld an ihm rum. Irgendwann hatten sie keine Lust mehr, es ging wohl auf Feierabend zu, und wir durften einsteigen. Wird schon laufen. Ethiopian Airlines wünschte einen guten Flug und würde sich freuen, wenn unsere Wahl erneut auf ihre Gesellschaft fallen würde. Meine Flugangst war wieder da, diesmal begründet, wie ich fand. Nicht aufs Fliegen generell bezogen, aber auf diesen Flug, mit diesem Flugzeug, mit dieser Airline. Selbst Annett, die bis dahin gar nicht wußte, was Flugangst sein könnte, wechselte leicht die Farbe, als mitten im Flug das vertraute Dröhnen der Turbinen aussetzte und die Maschine abwärts zu gleiten schien. Horrormäßig. Da weiß man, wozu Valium gut ist. Lächelnd in den Tod. DJIBOUTI
Wir kamen tatsächlich lebend in Djibouti an. Seit zehn Monaten die erste ehemalige Franzokken-Kolonie, wenn man den Abstecher in die Demokratische Republik Kongo mal ausklammert. Ich hatte mir
gerade vorgenommen, nicht jedesmal zu erwähnen, daß es keine besonderen Belästigungen gab, da ich vermutete, dies wäre vorbei und eine speziell westafrikanische Variante, aber in Djibouti kam alles Beschissene zusammen. Womit beginne ich ... ? Die Straßen ! Erbärmlich, selbst in der Hauptstadt und wenn sie in der Hauptstadt schon schlecht sind weiß man, wie sie im Land sein müssen. Ruinen, Müll, Bettler, Krüppel, Schutt, Dritte-Welt-Prostitution, Schrottaxis einfach alles, was eine Stadt abstoßend macht, ist in Djibouti konzentriert. Schwüles Klima, verheerende Geruchskulisse und überall Lärm. Und die Krönung von allem sind die Preise. Die Seychellen sind ein Schnäppchen dagegen. Cola 4,- DM, eine miese Pizza über 20,- DM, ein kleines Sandwich mit Käse für'n Zehner und so weiter. Wir waren heilfroh, daß wir nicht mit dem Auto nach Djibouti gefahren waren und dort eine Verschiffungsmöglichkeit gesucht haben. Der Hafen sah alles andere als kompetent und vertrauenswürdig aus, von dem Preisniveau ganz zu schweigen. Das Positive soll auch erwähnt werden. Man bekommt für 120 US$ die Nacht ein sehr passables Hotel, welches mitten in dem kleinen Zentrum an einem Platz wie eine Oase im Elend liegt. Eine Fluchtburg. Wir hatten schon mehr Geld für schlechtere Unterbringung bezahlt. Um den Platz herum Geschäfte, Bars und Restaurants, die sich zu Fuß erreichen lassen. Die Taxipreise für die Schrottautos liegen deutlich über allem, was ich je erlebt habe. Es gibt von dem Platz ausgehend ein paar Gassen, die noch begehbar sind, aber dann verkommt das Ambiente mit jedem weiteren Schritt weg vom Hotel. Aber selbst die paar Meter aus dem Hotel zu umliegenden Orten sind nicht möglich, ohne in einer Tour angesabbelt und bedrängt zu werden. Selbst beim Essen, sofern man sich nicht in den hintersten Winkel zurück zieht, bieten ambulante Händler ständig alles Mögliche an, vorzugsweise Postkarten und Tiger-Balm. Ein schreckliches Volk, ein heruntergekommener Mist. Djibouti entspricht dem, was ich mir für diesen Ausflug vorgestellt hatte, übertrifft es sogar. Was für ein Unterschied zu Free Eritrea, diesem angenehmen, gepflegten und ruhigen Nachbarland. Und jetzt kommt das Allererstaulichste und Fürchterlichste: Unnormal viele Weiße im Straßenbild. In jedem Restaurant, welches wir betraten, um Unsummen für ein bestenfalls durchschnittliches Menu zu bezahlen, saßen an dem Tisch neben uns, hinter uns und vor uns ein paar Forest Gumps und Meister
Proppers, die sich in französisch anbrüllten. Sehr erstaunlich, wo sie so viele Idioten überhaupt zusammenrekrutiert haben. Um eine ähnliche Zusammenrottung von geschorenen Schwachköpfen zu treffen muß man sonst nach Rostock zum Heimspiel fahren. Ich sehe es ein, daß es dort, wo es schön ist, bisweilen teuer ist. Seychellen beispielsweise. Ebenso sehe ich ein, daß einige Orte ihre Exclusivität wahren, indem sie durch hohe Preise das Kraut fernhalten. Capri oder Nizza beispielsweise. Aber, daß man in einem Cafe sitzt, mit Blick auf Armut und Müll, umzingelt von einer weißen Verbrecherarmee und affektierten Kolonialisten und für zwei Cola plus liebloses Käsesandwich ohne Butter über dreißig Mark berappen muß, ist unverschämt. Eintausend Dollar ließen wir in den drei Tagen. Darin enthalten an Extras die teuersten Briefmarken der Reise (350,- DM für tausend Stück) und eine Taxifahrt zur Botschaft von Libyen. Diesmal war weder Ramadhan noch Freitag, noch war der Mann mit dem Stempel verreist, aber wir bekamen wieder kein Visum. Wir kamen nicht am Pförtner vorbei, der uns erklärte, daß diese Botschaft generell keine Visa erteilt. Was ist denn bloß los mit Gadafis Leuten ? Nun blieb nur noch Kairo als letzte Chance. Djibouti hat unser Heimweh auf neue Höhen katapultiert. Abbruch oder Aufgabe war natürlich kein Thema mehr, dafür kam es nicht dick genug und wir waren schon zu weit gegangen, aber jetzt war es wieder ein blöder Job, den es möglichst zügig zu erledigen galt. Der Rückflug nach Nairobi barg eine besondere Spannung. Er ging nicht direkt, sondern per Umsteiger und Anschlußflug über Addis. Anderthalb Stunden Aufenthalt, nach unseren bisher gemachten Erfahrungen mit der Pünktlichkeit von Ethiopian Airlines viel zu knapp, als daß es passen könnte. Der Weiterflug allerdings wieder mit der gleichen Firma, das machte Hoffnung, denn da könnte Minus mal Minus direkt einmal Plus ergeben. Die Hauptsorge lastete bei diesen afrikanischen Luftlinien stets auf dem Gepäck. Direktflug, da kann man nicht viel falsch machen, aber umladen von einer Maschine auf die nächste, da lauern Gefahren. Wir versuchten jeweils, es immer nur von einem Airport zum nächsten schicken zu lassen, dann lieber erst wieder in Empfang nehmen und neu einchecken. Dann weiß man wenigstens, an welcher Stelle es gegebenenfalls verloren gegangen ist und kann sofort Nachforschungen starten. Aber manchmal machen die das nicht mit,
weil man dafür den Transitbereich verlassen muß und ein Visum benötigt. RÜCKFLUG NACH KENIA
Der Rückflugtag war ein absoluter Glückstag. Es fing gleich morgens an, als ich die Hotelrechnung bezahlte. Sieben Uhr morgens ist früh, der Kassierer noch nicht richtig wach, und er vergißt den Grundbetrag der Übernachtung mit der Anzahl der Tage zu multiplizieren. Wir zahlten nur eine Übernachtung, machten, daß wir weg kamen und waren so zwei Stunden vor Abflug noch im Besitz von 360 US$, allerdings in Landeswährung. Banken in der Stadt hatten noch nicht auf, am Flughafen bestand keine Möglichkeit zu wechseln und außerhalb Djiboutis will keiner Djibouti-Francs sehen. So gelang es uns nicht, die Kosten zu dämpfen, aber wir hatten Glück, daß sie im Duty-Free Bereich immerhin ihre Landeswährung akzeptierten, absolut nicht selbstverständlich, und kamen so noch in den Besitz eines Dupont-Feuerzeuges. Nettes Abschiedsgeschenk, so muß man es wohl sehen, und wir waren gut gelaunt. Ethiopian Airlines wuchs über sich selbst hinaus und flog einmal auf die Minute pünktlich, so daß wir keinen Streß mit dem Anschlußflieger hatten. Selbst dieser hatte weniger als eine Stunde Verspätung. Wir konnten die Stewardeß überreden, uns den neusten SPIEGEL aus der ersten Klasse zu besorgen, das direkt durchgecheckte Gepäck erschien in Nairobi auf dem Laufband, in der Stadt schien die Sonne und wir sahen sie erstmals ohne Pfützen. Als wir wieder in unseren Stammhaus ankamen waren alle nett und freundlich, wir hatten effektiv gearbeitet und waren so zufrieden, wie man sich zufrieden fühlen kann, wenn man in Nairobi ankommt. Zwei Erledingungstage noch in Sachen Visa und Versicherungen, und dann stand das letzte Land vor der Verschiffung an: Uganda. Am Morgen der Weiterreise erlebten wir in unserem kleinen Hotel noch einen afrikanischen Krimi live. Ein Gast schlug Alarm und meldete, daß in seinem Zimmer eingebrochen wurde und sein Aktenkoffer gestohlen sei. Im Koffer waren neben wichtigen persönlichen Dokumenten ca. 6.000,- DM in Dollar und Kenia Shilling. Der Besitzer des Hotels wies die Wachleute an, keinen mehr raus oder rein zu lassen, bevor die Polizei nicht eingetroffen sei. Eine erste, durch das Hotelpersonal vorgenommene Durchsuchung aller Räume bis auf die Gästezimmer brachte den aufgeknackten und um
das Geld erleichterten Aktenkoffer zum Vorschein, er lag auf einer Toilette. Das ist ein normaler Kriminalfall, bis dahin, jetzt kommt das afrikanische Moment. Das Hotel ist unter indischer Leitung und wird so gut wie ausschließlich von Indern besucht. Es gab neben uns beiden ungefähr zwanzig indische Gäste und einen einzigen Schwarzer als Gast. Das afrikanische daran ist, daß der Fall mit dieser Information als aufgeklärt betrachtet werden kann. Die Polizei kam mit Trenchcoats, Helmen, Knüppeln und Funkgeräten, man erklärte ihr die Zusammensetzung der Gäste und sie begann umgehend mit der Durchsuchung des Zimmers und der Person des Schwarzers. Und fand natürlich prompt das Geld, in den Taschen des Herren, die Dollars, die Shillings, alles wieder da. Er behauptete, jede Beweislage ignorierend, es wäre sein Geld, dafür gab es vom Oberbullen einen Hieb mit dem Knüppel und eine rüde Verfrachtung aufs Bullenrevier. Später kam heraus, daß der Schwarzer noch versucht hatte, das Geld dem Hauskellner zur Aufbewahrung zu übergeben, als er merkte, daß die Schmiere im Haus ist und er nicht mehr weg kam, aber der hat abgelehnt und ihn natürlich, mit leichter Verzögerung, bei seiner Chefin verzinkt. Allerdings etwas zu spät, wie sie meinte, und er bekam auch ein paar Schläge, damit er beim nächsten Fall nicht erst lange nachdenkt und grübelt. Ist es wirklich so, daß Schwarzer so schwarz sind, damit man sie erkennt ? Scheint bald so. Die Schwarzen Polizisten glaubten das jedenfalls auch - und hatten recht. Wir fuhren dann los, kauften noch Vorräte ein und hatten sogar etwas Lust, mal wieder durch die Landschaft zu rollen, Musik hören, Campingplätze suchen, im Auto frühstücken und Leute zu treffen. Nach einer guten halben Stunde jedoch waren wir so bedient, daß wir ernsthaft überlegten, ob wir nicht besser umkehren und auch diesen Weg mit dem Flugzeug machen. Die Straßen in Kenia spotten jeder Beschreibung. Wir fuhren die eine große Straße, die es überhaupt nur gibt, die Mombasa mit Nairobi und Kampala verbindet, nicht etwa Schleichwege oder Abkürzungen. Sie sind, über alles gerechnet, die schlimmsten in Afrika. Es gibt ausgebesserte Abschnitte, die besser sind als die schlechtesten Abschnitte in beispielsweise Zaire, aber das ist die Ausnahme. Man merkt, daß es alles mal schöne Straßen gewesen sein müssen, vielleicht vor zwanzig Jahren, bevor Mr. Moi die Sache mit den Schweizer Auslandskonten entdeckt hat, aber seit dem hat augenscheinlich kein Mensch mehr was repariert. Teilweise
ist die ehemalige Straße vollkommen verschwunden, nicht einmal mehr Spuren sind zu finden, dann wieder trifft man hier und dort auf verbundene Aspaltplacken, Riesenlöcher, aus Not entstandene Nebenstrecken, die von den zahlreichen Lkws und Bussen aufs übelste ausgefurcht sind und alles, was man sich vorstellen kann. Sie haben jeden miesen, straßenbaulichen Trick drauf. Auf Serpentinen wird weitestgehend verzichtet, die Straßen führen steil über Hügel und Berge. Die chronisch überladenen Schwertransporter kommen da nur im Schrittempo hoch, überholt wird in jeder Situation, Autowracks, liegengebliebene Fahrzeuge, alles lang da. "Runter wie ein Däne, rauf wie ein Rumäne", alter europäischer Fernfahrerschnack. Bergab bremsen die Lastzüge und schieben dabei die Aspaltdecke in großen Wellen und Bögen zusammen, so daß man nicht nur Slalom um die Löcher fährt, sondern auch noch schlingert wie wild. Nicht alle schaffen die Kurven, viele kacheln in die Botanik, kippen um und bleiben dort liegen, wo sie gestrandet sind. Wer Spaß an umgekippten Lkws hat, für den lohnt sich die Strecke. Der Gegenverkehr kommt im Zick-Zack entgegen gewackelt und gehoppelt, sich dabei auf allen Spuren überholend, manchmal nur als große Staubwolke zu erkennen, da gerne so gedrängelt wird, daß die linken Reifen nicht mehr auf der Fahrspur sind sondern durch den dicken Staub mangeln. Wir wunderten uns, daß es nicht noch mehr Tote gibt als ohnehin täglich anfallen. Diese absolut wahnsinnige Art Auto zu fahren hat meines Erachtens auch etwas mit mangelndem Respekt zu tun, vorm eigenen Leben und vor dem des Anderen. Ich dachte eine Weile, es wäre einfache Dummheit, aber das stimmt nicht. Dummheit kommt durch, wenn man genau weiß, daß bei der Essensbestellung entweder der erste oder letzte Auftrag in Erinnerung bleibt, der Rest aber auf dem Weg zur Küche in Vergessenheit gerät. Aber daran haben wir uns lange gewöhnt. Wir bestellen halt ein Teil nach dem nächsten, dafür muß der Ober etwas häufiger laufen, aber das müßte er sowieso. Stört auch niemanden. Es mag auch Dummheit sein, wenn ein entgegenkommendes Fahrzeug ausschert um die Lage zu peilen, sieht, daß wir gerade auf der Spur fahren, aber der Fahrer es nicht hinbekommt, aus dem, was er gesehen hat, den Schluß zu ziehen, daß er besser nicht überholt. Aber völlig sorglos irgendwo und irgendwie zu fahren, egal was dabei rauskommt, Hauptsache es geht schnell, das ist mit Dummheit allein nicht zu schaffen, das ist Respektmangel. Die Nile-Brauerei hat
Schilder an der Straße aufgestellt, auf denen steht "We need you alive". Wirklich ?! Es gibt kurze Stücke, die frisch gemacht sind, wenige, aber es gibt sie. Aber da sie es anscheinend einfach nicht mögen, daß ein Fahrzeug ruhig geradeaus läuft ohne zu vibrieren und zu rütteln, haben sie an jedem dicken Baum "Speed-Bumps" und "Rumble-Strips" eingebaut. Nicht so angedeutet, damit man auf ein Hindernis aufmerksam wird oder so, sondern als Fahrwerkskiller konstruiert, wie Bordsteine, aber quer über die Fahrbahn, immer mehrere hintereinander. Are you ready to rumble ? Wir fuhren stundenlang im ersten, bestenfalls mal im zweiten Gang, mit Tempo 10 - 20 km/h. Durchgerüttelt und durchgeschüttelt und das ganze Auto eingestaubt bis in den letzten Winkel. Das Schlimme ist, daß dies nicht sein muß. Kenia hat genug Industrie und Wirtschaft und Steuereinnahmen um einen vernünftigen Straßenbau zu betreiben, aber nicht mehr lange. So kann keiner Geld verdienen, der im entferntesten am Transport über die Straße hängt. Und letztlich tut das so gut wie jeder. Weder der Spediteur kann zu vernünftigen Preisen arbeiten, keiner kann einen Termin halten, laufend gibt es Transportschäden, Busunternehmen müssen an den Reparaturkosten pleite gehen, diese Aufzählung hat kein natürliches Ende. In den nächsten fünf Jahren mit Moi ist mit staatlichen Investitionen nicht zu rechnen, da er so wie so nicht wieder gewählt werden kann. Es gibt also nicht den geringsten Anlaß, Staatsgelder, die viel besser bei ihm selbst oder seiner Familie aufgehoben sind, im letzten Moment noch für solchen Unsinn wie Straßenbau zum Fenster hinaus zu werfen. Es sei denn ein Verwandter von Funny Danny macht eine Straßenbaufirma auf, es wäre dem Land zu wünschen. Daß es in Kenia trotz allem irgendwie aushaltbar ist, liegt zum Einen daran, daß es ihnen einmal bedeutend besser ging und noch nicht alles erledigt ist. Einkaufsmöglichkeiten vom Feinsten, viele Restaurants und Übernachtungs-möglichkeiten, Tankstellen und so weiter, das alles steht ja noch. Zum Anderen ist es die bemerkenswerte und offene Freundlichkeit fast aller Kenianer, die uns den Aufenthalt als für Afrika überwiegend angenehm empfinden ließ. Es soll sogar Campingplätze geben, aber jeweils einige Kilometer abseits der Hauptstraße, und es führen nur Sandwege mit Geröll und Festfahrmöglichkeit zu ihnen. Die Reise ging dem Ende zu, es lagen
nur noch gute eintausend Kilometer auf schwarzafrikanischem Gebiet vor uns, und wir hatten keinen Bock mehr, uns und das Fahrzeug noch unnötig zu quälen um an der Übernachtung zu sparen. Außerdem wurde ein summendes, drehzahlabhängiges Nebengeräusch aus dem Motor ständig lauter, seit wir bei BenzNairobi einen an die Lichtmachine ließen. Wir blieben bei Hotels, die groß, hell und bewacht waren und direkt an der Straße lagen. Wir konnten auch immer durchsetzen, daß wir den Tarif für "Residents" bezahlten und nicht den doppelt so hohen für "Non-Residents". Die ausbleibenden Touristenströme machten es möglich. Das hat uns gefreut, nicht nur der Einsparung halber, sondern des eingetretenen Effektes wegen, daß es endlich zu Umsatzrückgängen geführt hat, wenn man die Dreistigkeit besitzt seinen ausländischen Gästen den zweifachen Preis zu berechnen. Obwohl, dies ist nicht der entscheidende Punkt für rückläufige Touristenzahlen. Aber es kommt Eines zum Anderen. Übrigens überquerten wir an diesem Tage erstmals per Auto den Äquator, und, wer hätte das gedacht, es ist nichts besonderes, es gibt nicht einmal ein Schild. UGANDA
Kein allzu großer Unterschied zu Kenia. Die Straßenzustände ebenfalls unerfreulich, nur die negativen Spitzenwerte fallen weg. Landschaftlich und von den Menschen her ebenfalls nah beieinander. Weltweit führend an Aidskranken, von 60% der Gesamtbevölkerung wird gesprochen, und es gibt Berggorillas. Mit beidem hatten wir keinen Kontakt. Aidskranke sieht man (noch) nicht im Straßenbild, und zu den Berggorillas muß man lange laufen und kraxeln und viel Geld bezahlen. Lohnt sich auch nicht, denn wenn man in Uganda durch die Dörfer fährt und die Bewohner an der Straße sitzen sieht, wie sie auf einem Zuckerrohr rumgniedeln, dann fragt man sich unweigerlich, was ein Berggorilla einem da noch bieten kann. Darwin hatte recht, ganz unzweifelhaft, und wenn es dafür nach den tanzanischen Busfahrern noch eines weiteren Beweises bedurft haben sollte, dann findet man ihn in den Dörfern von Uganda. Idi Amin, noch in Erinnerung !? Franz-Joseph Strauß wurde seinerzeit von einer Zeitung mal Idi Alpin genannt, das finde ich jetzt, nachdem ich Uganda bereist habe, noch treffender und lustiger als damals. Das Land hat einfach zuviel hinter sich, eben auch und gerade durch diesen Herrn Amin, dauernd Aufruhr und Unruhen und das seit
Jahrzehnten, und hat sich davon noch nicht wieder richtig erholt. Es kann nicht auf vergangene, goldene Zeiten zurückblicken wie Kenia, daher ist alles sehr ärmlich und verwahrlost. Noch liegt der Lebensstandard in Kenia deutlich höher, aber wenn es dort weiter bergab geht und sich Uganda noch ein bißchen entwickelt, werden die beiden Länder bald nicht mehr zu unterscheiden sein. Wir fuhren in die erste große Stadt, suchten vergeblich den im Reiseführer erwähnten "schönen, neuen und sauberen Campingplatz direkt am Ufer des Nils" und landeten wieder in einem Hotel. Wenn man drei Wochen Urlaub in Uganda macht, so kann ich mir vorstellen, daß es akzeptabel und exotisch ist, ein wenig über schlechte Straßen und durch halbverfallenen Städte ohne bessere Einkaufsmöglichkeiten zu fahren. Dann ist es auch egal, daß der Liter Diesel einen Dollar kostet. Das Hotel war einfach und in Ordnung, es gab eine Terrasse mit Blick auf den Victoria-See, auf der wir zum Sonnenuntergang saßen und einen Drink zu uns nahmen. Wenn es nicht gerade wie in den Tropen üblich aus Eimern schüttete. Das Essen war auch ok. Fernseher übertrugen Fußballspiele vom African-Nations-Cup, viele Raubvögel und riesige Marabus flogen herum - aber uns begeisterte das alles nicht übermäßig. Die innere Ruhe war weg, wir wollten raus aus Afrika, weiter gen Norden, und so erledigten wir so zügig wie möglich die Briefmarken und machten uns auf den Weg nach Mombasa. Vier Tage fahren, das ist nicht so dramatisch, also am besten gleich damit anfangen. Wir begannen auch schon wieder, uns über Kleinigkeiten aufzuregen, wie wir es letztes Jahr am Ende des ersten Abschnitts in Westafrika taten. So riß die Putzfrau das Kabel des Ventilators raus, während sie die Betten machte. Kann passieren, aber sie ließ die beiden abisolierten Kabelenden unter Strom genau vor meinem Bett liegen. Nicht ihr Verdienst, daß ich zufällig nicht draufgetreten bin. Damit war der Ventilator außer Betrieb, und natürlich kommt keiner auf die Idee, den von sich aus zu reparieren oder auszutauschen. Ich beschwere mich, verlange einen anderen, und bekomme den auch. Er wurde ausgetauscht aus einem Zimmer, welches gerade nicht belegt war und da wurde der kaputte reingestellt. Das ist doch Mist. Der nächste Gast wird sich auch beschweren, dann wird wieder getauscht, anstatt sich hinzusetzen und den Defekten zu reparieren oder ihn wenigstens beiseite zu stellen. Aber das ist Afrika, und wenn man beginnt, sich
über solche Lappalien zu erregen, dann ist es höchste Zeit zu verschwinden. Aber ganz so einfach war das nicht. In Jinja, der zweitgrößten Stadt des Landes, gab es keine Briefmarken in ausreichender Stückzahl. Wenigstens keine billigen. Wir hätten alle Bestände aufkaufen müssen und das hätte über 500,- DM gekostet. Also fuhren wir schnell die 80 Kilometer nach Mombasa, besorgten die Marken dort und sparten über 400,- DM. Dafür kann man schon mal ein paar Stunden fahren. Es sei kurz erwähnt: Kampala muß man nicht gesehen haben. Vor dem Postamt trafen wir zwei Radfahrer aus Bremen. Mir fiel spontan keine bessere Begrüßung ein als "seid ihr verrückt ?", wurde mir erst später bewußt. Sie hatten sich mit dem Flugzeug bis Nairobi bringen lassen und waren unterwegs über Uganda, dann durch Ruanda bis nach Tanzania. Dafür fehlt mir nun jedes Verständnis. Durch dieses schwülheiße Scheißklima mit heftigen Regenfällen, immer nur über Berge hochstrampeln, sich einen Wolf holen, nachts per Zelt in die Büsche wo die Schlangen und Spinnen sind, keinen ausreichenden Proviant transportieren können und mitten durch die Krisengebiete. Ein Pärchen wie wir, altersmäßig, und als wir erzählten, daß Ruanda etwas heikel werden könnte, bekamen wir folgende Antwort: "Wir sind in Kenia auch durch das Krisengebiet geradelt, wo gerade diese Mordserien an der Dorfbevölkerung stattgefunden haben. Man merkte es schon, komische Stimmung irgendwie und alle Geschäfte geschlossen, aber das geht uns ja eigentlich nichts an." Da hat er recht, "eigentlich" geht uns das nichts an. "Es ist wie ein Fünfer im Lotto, daß einem dort etwas zustößt", ergänzte er noch, aber das kann doch kein Argument für eine Urlaubsplanung sein, dann nehme ich doch lieber den Fünfer im Lotto. Vielleicht auch nur wie ein Vierer im Lotto, oder wie ein Dreier. Was ist das ? Blauäugigkeit, Unwissenheit, falsche Vorstellungen, Doofheit ? Aber einen doofen Eindruck machten die beiden nicht. Oder einfach nur eine andere Bewertung, was schön ist und was nicht ? Oder sind wir doch zu ängstlich ? Toller Urlaub auf jeden Fall. Ich werde sowas nie nachvollziehen können. Wie jemand, der sich im Puff für 'nen Tausender auspeitschen läßt. Da kann ich auch nicht nachvollziehen, was daran angenehm sein soll. Und wir trafen noch mehr Leute. Im Hotel liefen wir einem deutschen Arzt über'n Weg, der Praxisseminare vor Ort über
Tropenkrankheiten abhält. Nachdem wir uns gegenseitig über unsere Tätigkeiten unterrichtet hatten, fragte er: "Und, sagt mal, seid ihr überhaupt interessiert an den Ländern oder hakt ihr sie nur so ab ?" Oh, diese Frage ! Ich will nicht behaupten, daß sie unberechtigt wäre, aber sie nervt, gerade, weil sie nicht unberechtigt ist. Was sollen wir da antworten. "Ja schon, irgendwie, aber anderseits auch nicht besonders, wenigstens nicht immer, wie man's nimmt." Für Leute, die einem eine solche Frage stellen, ist diese Antwort fast beleidigend und wir merkten, daß wir bei ihm unten durch waren. "Das würde ich nicht machen, was ihr da treibt. Absolute Reizüberflutung, bringt doch nichts." Und so weiter. Er hat je auf seine Art recht, er wußte auch von der überlegenen Kultur der Westafrikaner zu berichten die uns verborgen blieb, erkannte, daß die Menschen in Kenia, die uns bislang nicht schlecht gefielen, ganz arme Schweine sind und vollkommen erniedrigt. "Sie haben ihre Sprache verloren, ihre Kultur, sieht man schon daran, daß sie keine afrikanische Kleidung mehr tragen. Völlig am Ende, alles verloren, keine eigene Identität mehr. Dagegen in Westafrika, diese Kultur ..." Wir waren ein bißchen irritiert, denn ein wenig wie die Bauern bereisen wir Afrika tatsächlich, aus der Sicht eines multikulturell interessierten Intellektuellen allemal. Er schrieb auch ein Buch. "Für zwölf Leser", hab ich mir gedacht, mit Hintergründen, Fakten, Analysen, Perspektiven, Entwicklungen und allem drum und dran. Eine interessante Begegnung, aber keine allzu aufbauende. Wir übergaben ihm alle unsere Medikamente, die wir wohl nicht mehr brauchen werden und so werden diese wenigstens zweckmäßig und nutzbringend verwandt. Auf der Rückfahrt am nächsten Tag überholte uns ein motorradfahrendes Pärchen. Wir hielten zu einer gemeinsamen Pinkelpause an. Wieder Landsleute, seit neun Monaten unterwegs, und diese Begegnung war unserem Niveau angemessener und sehr typisch. Unter Deutschen herrscht Vorsicht, wenn es darum geht, kritisches über Afrika zu berichten. Alle, die etwa enttäuscht oder sogar verschrocken sind, halten sich erst einmal bedeckt. Wollen nicht gleich in die Kritik geraten, was für eine falsche Sichtweise sie haben "Und, wie hat es euch bisher gefallen ?" "Och, naja, wir wollen jetzt eigentlich nach Hause." "Zeit abgelaufen oder warum ?" "Zeit, nee, hätten wir noch. Aber soviel Regen die letzten Wochen. Und überhaupt ..." "Wie überhaupt ?" "Naja, die Leute sind ja ganz
nett, meistens, aber nach so langer Zeit ..." In diesem Stil plätschert das Gespräch dahin, bis einer anfängt und sagt "Aber die Busfahrer in Tanzania, das sind Wahnsinnige, oder nicht ?" Dann ist der Damm gebrochen. Ein Gesinnungsfreund ! "Natürlich sind die Busfahrer in Tanzania Wahnsinnige, aber nicht nur die. Was wir hier erleben mußten, oder dort, das glaubt ihr nicht." Und dann sprudeln die Geschichten, von denen dieses Buch voll ist, und wir fühlten uns wieder etwas bestätigt. Ihnen war der kulturelle Hintergrund auch egal, wenn sie beklaut oder betrogen wurden, ewig schikanöse Wartezeiten erlebten oder in einer Tour mit ihren Motorrädern von der Straße gedrängt werden. Es langte ihnen, ihre Gefühlswelt war nahe der unseren. Drei Monate Afrika, das war ihre Empfindung, ist eine feine Sache, aber alles darüber hinaus besser nicht. Nachdem wir ausgepißt hatten, trennen sich unsere Wege wieder. Direkt nach der Grenze, wieder in Kenia, stand ein weißer Tramper mit Rucksack an der Straße. Wir nahmen ihn mit. Aus Irland, seit über Anderthalb Jahren in Afrika unterwegs, und immer noch gut gelaunt. Low Budget, sein Wochensatz lag bei 150,- DM und er war noch lange nicht auf dem Heimweg. Er hatte noch tausend Englische Pfund. Viele Strecken war er per öffentlichen Bussen gefahren und er freute sich jedesmal, wenn wir einen Bus überholten, der mit einer Panne am Straßengraben stand. Er haßte die Busse. Aber das alles störte ihn nicht übermäßig, er war gerade auf dem Weg an die Küste um zu baden und sich vom indischen Ozean zu verabschieden, bevor er durch Äthiopien nach Eritrea weiter fahren wollte. Es störte ihn auch nicht, als wir abends vor einem Hotel stoppten, welches seine finanziellen Mittel überstieg und wir ihm sagten, daß jetzt Schluß sei. Wir boten ihm an, uns morgens um halb zehn im Hotel auf ein Frühstück abzuholen und weiter mit uns zu fahren. Er nahm seine Sachen, lehnte ab, daß wir ihn noch zu einem billigeren Hotel fuhren, und stiefelte gut gelaunt los, sich irgendein Wanzenloch zu suchen. Von ihm erfuhren wir, daß man die Berggorillas auch weniger aufwendig besuchen kann. Eine Stunde laufen, und dann trifft man sie und kann sich bis auf einen Meter an sie nähern. Er war hin und weg und wir ärgerten uns, das nicht gemacht zu haben. Blöde Fehlinformation aus dem Deutschen Fernsehen. Wir sahen einen Bericht, wie eine Gruppe mit Zelten und Träger in die Berge wanderte, um nach unendlich strapaziösen Stunden in der schwülen, dünnen Bergluft endlich auf ein paar Berggorillas zu treffen. Daher
nahmen wir an, das wäre nichts für uns. Und ausgerechnet Gorillas. Im Amsterdamer Zoo haben sie die beeindruckendsten Gorillas die wir je in Gefangenschaft sahen. Der sehr geräumige Käfig - ist eigentlich gar kein Käfig - besteht aus Panzerglas, so gebaut, daß die Dicke des Glases nicht zu empfinden ist. Man kann auf einer Bank davor sitzen und die Gorillas sind direkt vor einem und gehen ihrem Alltag nach. Zooalltag, aber immerhin. Wir saßen dort stundenlang und schauten ihnen zu, diese Tiere sind extrem beeindruckend. Jetzt, wo ich empfinden kann, welch ein Unterschied zwischen einem Zoo und der freien Wildbahn ist, bedauerte ich es ungemein, dieses Erlebnis versäumt zu haben. Naja, nun war es zu spät. Am nächsten morgen kam John aus Irland uns zum Frühstück besuchen und er begleitete uns die nächsten zwei Tage bis Mombasa. Bis Nairobi lief alles wie gewöhnlich, dort allerdings erstickte die Stadt im Verkehrschaos. So hatten wir es noch nicht erlebt. Der Grund war eine große Demonstration gegen Morde an der Dorfbevölkerung in der Gegend, durch die wir gerade gefahren waren und von der auch die Radfahrer sprachen. Der Hintergrund ist der, daß in dem Distrikt eine Opposition zu Mr. Moi ausgemacht wurde, anhand der Wahlzettel, und diesem aufmüpfigen Stamm wurde gerade eine Lektion in afrikanischer Demokratie verpaßt. Nachts wurden mehrere Dörfer überfallen und die Bewohner erschossen. Das ging schon mehrere Wochen so. In dem Gebiet gab es schon Flüchtlinge, die sich in Schulen und Kirchen gerettet haben und auch die Kirche war es, die nicht nur den Mut hatte diese Demonstration zu organisieren, sondern auch offen die Regierung als Verantwortliche dieser Mordkommandos benannte. So widerlich der Papst auch rüberkommt und so blödsinnig sie mit ihren Bibelübersetzungen bisweilen wirken, so sind sie doch in der Dritten Welt manchmal echte Helden. Wie in Südamerika auch. Ohne Rücksicht auf Konsequenzen, die nicht selten Ermordung bedeuten, stellen sie sich an die Spitze der Opposition und des Widerstandes. Dafür haben sie Hochachtung verdient. Moi selbst reiste derweil durch die betroffenen Gebiete und schimpfte auf die Mörder, die er in moslemischen Kreisen vermutete und ethnisch-religöse Gründe für die Massaker nannte. Das paßt immer. Uns wurde der Boden langsam zu heiß und wir zogen es vor, nicht, wie vorgesehen, in Nairobi zu übernachten, sondern fünfzig Kilometer weiter zu fahren
und dort ein Hotel zu suchen. Dann haben wir diesen Streß schon mal hinter uns. Um John nicht übermäßig zu diskriminieren, einigten wir uns auf ein Mittelklassehotel und übernahmen die Differenz zu seinem üblichen Übernachtungspreis. Er war von dem Hotel sehr angetan, er meinte, es wäre mal wieder schön, in einem Raum zu schlafen, in dem man die Wände nicht riecht, für uns war es genau das, was wir eigentlich nicht mehr haben wollten. Wir nahmen den teuersten Raum, den einzigen mit Klo und Dusche, aber nichts von beidem führte Wasser. Wir tranken noch zu dritt ein paar Cola und aßen ein Sandwich, als der Kellner kam, eine Flüssigkeit auf den Tisch goß und sie verrieb. Wir fragten, was das sei, weil es erbärmlich stank, und er sagte ganz trocken: "Diesel, gegen die Fliegen." Uns fiel nichts mehr ein. Was soll man sagen, wenn der Kellner einem den Eßtisch mit Diesel einreibt ? Als wir uns schlafen legen wollten, recht früh, denn der nächste Tag sollte ein anstrengender werden, drangen bedenkliche Geräusche an unsere Ohren. Erbärmliche Schreie, Gewimmer, und sehr nah. Annett vermutete eine sexuelle Verrichtung, schwarze Riten oder sowas, und ich machte den Fehler, aus dem Fenster zu sehen. Keine zwei Meter entfernt machten sich zwei Mann mit Äxten über ein Huftier her. Ich konnte nicht mehr erkennen, was für eines es war, denn sie hatten es schon reichlich verdorben. Nachdem sie es totgeschlagen hatten, schlitzten sie es lang auf, nahmen es aus, wateten in Blut und begannen, es in kleine Teile zu zerlegen. Wie gesagt, keine zwei Meter vor unserem Parterrefenster. Abendessen gespart. Es ist leicht, in Afrika Vegetarier zu werden. Irgendwann waren sie fertig und wir schliefen ein. HIGHWAY TO HELL
Am nächsten morgen starteten wir früh, denn jetzt kam der Highway To Hell, korrekt: Der Mombasa-Highway. Alles lesen und hören über diese Strecke nützt nichts, man muß ihn gefahren sein. Unvorstellbar ! Wir haben viele schlechte Straßen befahren, in Cameroon, Zaire, Senegal und so weiter, aber es waren immer unwichtige Straßen. Wege zu kleinen Grenzübergängen, Abkürzungen, Nebenstrecken, auf denen pro Woche 10 Lkws fahren. Und meist sahen wir auf den ganz üblen Abschnitten mal eine Baumaschine wenigstens rumstehen oder zumindest, daß Schlaglöcher mit weißer Farbe markiert und numeriert waren. Ein
Hinweis, daß sich irgendwer mit dieser Sache befaßt. Nichts davon in Kenia. Diese Straße ist die einzige Strecke zwischen dem Hafen und Nairobi, zwischen ihren einzigen beiden, nennenswerten Städten. Schwerlastverkehr und Busse ohne Ende. Der Mombasa-Highway ist einspurig. Irgendwann war er mal zweispurig angelegt, aber mittlerweile ist er zusammen-geschrumpft auf bestenfalls einspurig. Diese eine Spur ist eine Aneinanderreihung von Teerresten, Gerümpel, Bodenunebenheiten und Schlaglöchern, bis 50 Zentimeter tief und bis zu 4 Meter Durchmesser. Eine Mischung aus Mondlandschaft und 15. Jahrhundert. Überholen ist daher so gut wie unmöglich. Es darf keiner entgegen kommen, die Straße muß breit genug sein und es darf auf dem Stück, welches man zum Überholen braucht, kein Schlagloch sein. Diese drei Bedingungen treffen selten zusammen. Ständig hat man einen Lkw vor sich, der schwarze Rauchwolken ausstößt. Die Straße selbst wird nicht als Straße benutzt, sondern dient hauptsächlich als richtungsmäßige Orientierung. Es wird links der Straße gefahren oder rechts, manchmal auch auf ihr, eben dort, wo es eben gerade noch geht. Gerast wird nicht mehr, das ist technisch nicht durchführbar. Teilweise sieht der Weg aus wie Kopfsteinpflaster, bloß nicht verlegt, sondern einfach hingekippt. Tempo 30 ist Schnitt, höchstens. Alle Näslang liegt ein LKW oder ein Bus auf der Seite, Pannen in einer Tour. Überall stehen Lkws am Rand mit Reifenpannen, ohne Scheiben, Motorschäden, Achsenbrüchen, alles geht in die Grütze auf diesem Highway. Materialschlacht. Die Fahrer stehen dann hilflos und alleine gelassen da und betteln die Vorbeifahrenden nach Wasser an, wir verschenkten unseren gesamten Mineralwasservorrat. Grauenhafte Zustände. Jeder, der diesen Weg machen muß, fährt so rücksichtsvoll er kann. Wenn jemand entgegen kommt, wird gewartet, bis der sich durch die Krater durchgearbeitet hat, der bedankt sich, und dann versucht man selber sein Glück. Sehr solidarisches Verhalten, es spricht für die an Kummer gewöhnten Menschen in Kenia. Es kommt auf die Minute nicht mehr an. Auch nicht auf zehn Minuten. Für uns, die wir diesen Wahnsinn einmal im Leben machen müssen, mag es noch angehen. Bei hochkonzentrierter Fahrweise kommt man irgendwann durch, man fährt sich nicht fest, setzt nur ab und an krachend auf, und wenn man den Wagen auf die Seite legt, ist dem ein Fahrfehler voraus gegangen. Wir waren heilfroh, daß wir den Ölwannenschutz drunter
hatten. Aber die Berufsfahrer, die armen Schweine, die machen irgendwann einen Fahrfehler, irgendwann kommt die Situation, wo ein Loch zehn Zentimeter zu tief ist und er fünf Zentimeter zu weit links gefahren ist und der eine Sack Zement ein Stück zu dicht am Fahrerhaus lag und dann rutscht was weg und die Kiste kippt um. Ein Alptraum. Wir sahen einen umgekippten Tanklaster, an dem sich Leute bereits mit Ästen und Zweigen einen kleinen Unterstand gezimmert hatten und einen sehr dürftigen Werkzeugservice betrieben. Mehr oder weniger hatten sie nur zwei Hämmer und einen Wagenheber. Das geht so über 350 km, nur die jeweils letzten Kilometer vor den Städten sind etwas besser, im Dritten, stellenweise sogar im vierten Gang zu befahren. Der Rest erinnert an den Nouâdibou-Highway in Mauretanien (Insiderscherz). Für die 350 harten Kilometer brauchten wir zwölf Stunden. Es gibt Stücke, da ist die Straße einen knappen Meter unter Wasser. Das ist nicht gerade wenig. Pkws sind vollgelaufen, den Lkws reicht das Wasser bis über die Reifen. Auch die überschwemmten Stücke haben natürlich Schlaglöcher, und wenn das Wasser eh schon bis an die Tür kommt, sind weitere 50 Zentimeter für ein Schlagloch dramatisch. Folglich bieten sich Leute an vor dem Fahrzeug durch das trübe fließende Wasser zu laufen um die Spur zu zeigen und verlangen dafür ein paar Mark. Ein irres Bild, wenn vor einem drei Mann bis zum Oberschenkel weg vorm Kühler halb rennen, halb paddeln und dabei winken. Es gibt eine Behelfsbrücke aus Holz, vom Militär schnell errichtet, über die es nur einzeln geht. Aber es sind nicht diese Extreme, es ist das Gesamtbild, welches wütend macht. Die Überflutungen sind tatsächlich eine Folge der heftigen Regenfälle wie auch weggeschmemmte Brücken. Es handelt sich um Flüsse, die es erst seit ein paar Tagen gab. Der gestiegene Grundwasserspiegel hat diese vormals unterirdisch fließenden Gewässer ans Tageslicht befördert, ein Segen für den Landstrich, der eigentlich ein Dürregebiet ist. Sie haben noch nicht einmal einen Namen. Den dort ansässigen Menschen wird es zukünftig besser gehen. Der Regierung kommen diese Regenfälle wie gerufen, denn jetzt ist der Schuldige für den Straßenzustand gefunden. Der schwere Regen hat die Straße bestimmt nicht besser gemacht, das ist klar, aber für den traurigen Zustand über die gesamte Strecke ist er ebensowenig verantwortlich. Und es hat sich sogar schon ein besonders gutgläubiges Land gefunden, welches diese Version glaubt und Unterstützung zugesagt
hat: Die Bundesrepublik Deutschland. Hoffentlich sind sie so schlau und schicken kein Geld sondern Straßenbautrupps, denn andernfalls können sie es eben so gut lassen Ich wollte eigentlich das Wort "Drama" verwenden, aber wir kauften eine Zeitung, da wurde von 1500 Malariatoten im Osten Kenias berichtet, weil kein Geld für Chinin da ist, über weitere Regierungsmorde im Rift-Valley-District und über Bombenabwürfe nigerianischer Truppen über Freetown. Da erschien mir das Wort "Drama" angesichts des Mombasa-Highways nicht mehr angemessen. Aber es ist trotzdem ein Drama, ein minderschweres und größtenteils menschengemachtes. Ich verstehe nicht, wie diese Sau von Mr. Moi auch nur eine einzige Stimme kriegen konnte. Drastischer als durch den Zustand dieser Hauptverkehrsader kann man seinem Volk nicht deutlich machen, daß es einem völlig egal ist, was mit ihm passiert. Ein Bankrotterklärung, ein Offenbarungseid der besagt, daß diese Regierung keinerlei Zukunftspläne mehr für das Land hat. Ich hoffe, ich werde irgendwann einmal in den Nachrichten hören, daß sie Funny Danny an einer Palme aufgehängt haben oder ihn wenigstens mit einem nassen Handtuch aus dem Land prügelten. Man sagt immer, daß jedes Land die Regierung hat, die es verdient, aber gerade die Kenianer sind so nett, lieb und freundlich sie haben es nicht verdient. Vielleicht zu nett, lieb und freundlich. Als wir uns also Stück für Stück vorarbeiten, macht Annett den Casettenrecorder an, schiebt eine Cassette rein und erwischt unsere lokalpatriotische, die wir als Mentalfolter für Heimwehtage aufgenommen hatten. Achim Reichel, Lotto King Karl und eben auch, den Meister aller Klassen, Hans Albers. Und eines seiner schönsten Stücke dröhnt aus den Boxen: In der Ferne, ja, da wurd' er ein reicher Mann aber glücklich, das wurd' er nicht. Und legt ein Schiff aus HAMBURG an, Steht er am Kai und spri-hicht, steht er am Kai und spricht: Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise, nimm mich mit, denn ich kenne jetzt die Welt. Wohin geht, Kapitän, deine Reise, bis nach Hause, hier, nimm all mein Geld. Nimm mich mit, Kapitän, aus der Ferne, bis nach HAMBURG, da steig ich aus.
In der Heimat, da glühen meine Sterne, in der Heimat, bei Muttern zu Haus. War sonst immer ein Super-Ablacher, manchmal sogar ein Mitgröhler, aber auf dem Mombasa-Highway weniger. "Dreh das weg, sonst brechen wir in Mombasa sofort ab und verschiffen direkten Weg !" Man kann das nicht immer hören. Als wir nur noch ein paar Kilometer vor Mombasa waren, fix und fertig, kam der Verkehr vollständig zum Erliegen. Wir stiegen aus und sahen nach. Ein Lkw war in ein Schlagloch gerutscht und die Ladung hatte sich verschoben. Das war schon ein paar Tage her. Er stand mitten auf der Spur, hatte enorme Schräglage und war mit Baumstämmen gegen vollständiges Umkippen gesichert. Daran vorbei hatte sich ein weiterer Lkw gequetscht, der ebenfalls wegrutschte, umgekippt war und die letzte Durchfahrt blockierte. Es gab nur noch einen schmalen Weg links vorbei über die steile Böschung, aber nur für kleine Autos. Toyota-Busse und Pkws. Auf der Einspurstraße kamen jetzt aus beiden Richtungen in drei bis vier Spuren Fahrzeuge und wollten sich über die Böschung quälen, und das ging halt nicht. Militär kam, entwirrte die Sache und sorgte dafür, daß wenigstens die kleinen Fahrzeuge weiter kamen. Wir rutschten in die Kategorie "kleine Fahrzeuge" und erreichten so mit Glück in der Nacht doch noch ein Hotel in Mombasa. Die Lkws und vollbesetzten Busse, die sich kilometerlang stauten, müssen halt ein paar Tage warten, bis die beiden gestrandeten Trucks von der Fahrbahn geborgen sein werden. Eine Umleitungsstrecke gibt es nicht. Ein paar werden kleine Geschäfte machen und die Reisenden mit Wasser und Nahrungsmitteln versorgen - sofern man überhaupt noch von "Reisenden" reden kann - der Straßenrand wird zur Kloake und der Besuch in Nairobi findet dann eben nächste oder übernächste Woche statt. Hat alles keine Eile, liegt ja unweit einer Versorgungsmöglichkeit. Wir waren glücklich, als wir im Hotelzimmer ankamen, uns duschen konnten und aufs Bett fielen. Geschafft ! Das waren die letzten Streckenkilometer im richtigen Afrika. Vorher setzten wir John raus, der ein kleines Hotelschild für 3,30 DM pro Nacht entdeckt hatte. Das kannst mir schenken ! In Mombasa herrscht wieder Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit, nicht wie in den Bergen, wo es angenehm kühl war. Nairobi wurde von den Engländern extra erbaut, weil ihnen das Klima in Mombasa unerträglich erschien. Ist es auch, aber uns
war es ertmal wurscht. Nur noch die Verschiffung klar machen, die restliche Zeit nackt auf'm Bett unterm Ventilator liegen, das wird schon zu schaffen sein. Falls nicht gerade Stromausfall ist. MOMBASA
Am nächsten Tag gingen wir zu den Shipping-Companies um die Verschiffung zu buchen. Wesentlich teurer als vermutet und auch schwieriger, da wir diesmal zusätzlich zwei Passagierplätze suchten. Alles muß in Europa rückgefragt werden, es war Freitag, nicht der effektivste Tag in Europa, Telefonverbindungen überlastet, so daß wir nichts Definitives erfuhren aber immerhin die Sache schon mal anschieben konnten. Wird schon werden. Wir schlenderten durch Mombasa. Wir beide mögen Städte, sind nicht unbedingt Landfans, und Mombasa ist ganz nett. Alles andere als eine Stadt für Touristen, vieles ist in bedenklichem Zustand wie Gehwege und Häuser, aber es läßt sich aushalten. Absolutes Tropenfeeling. Überall Cafés mit hohen Räumen und Ventilatoren, so auch unser Hotel, gemauerte Rundbögen, Innenhöfe, Riesenfoyer, Bar mit gepolsterten Sesseln, abgebröckelter Charme, Lamellentüren, verzierte Raumteiler und jugendstilartige Fenster. Humphrey Bogart Stil. Warme Dusche wird nicht vermißt. Je länger wir in Kenia waren, desto schwerer wurde die Vorstellung, daß es einmal ein Touristenland war oder eigentlich immer noch ist oder meint es zu sein. Hin und wieder sahen wir Bilder von Strandhotels, weiß der Teufel wo die sind, und badenden Touristen. Mag sein, daß es kleine, abgeschottete Orte gibt, in die man direkt vom Airport via Transferbus gebracht wird, aber das Land selbst ist ungeeignet für die normale Art von Tourismus. Dafür ist es einmal zu traurig, und wenn wir nach über einem Jahr Afrika Mombasa im Vergleich für relativ in Ordnung halten, heißt das nicht, daß jemand, der direkt aus Europa kommt, dort irgendwas besonders reizvoll finden muß. So toll ist es auch wieder nicht, durch überfüllte Straßen zu laufen, den ganzen Tag zu schwitzen, Stromausfälle zu erdulden und ewig von unterbeschäftigten Souvenirverkäufern angelabert zu werden. Ausflüge kann man knicken wegen unpassierbarer Straßen, Nationalparks überteuert, Sextourismus ist nur was für ganz Unerschrockene, politisch mehr als bedenklich, gesundheitlich riskant, preislich auch kein Hit. Freundlich ausgedrückt: Ich kenne bessere Ziele.
Wir kauften uns gewohnheitsmäßig die Tageszeitungen und erfuhren erst jetzt, was für ein Glück wir - wieder einmal - hatten. Die beiden neu entstandenen, namenlosen Flüsse hatten dem Mombasa-Highway so schwer zugesetzt, daß es kein weiteres Durchkommen mehr gab. Wir müssen so ziemlich eines der letzten Fahrzeuge gewesen sein, die es noch schafften. Nur noch Lkws durften starten. Es wurde berichtet, daß es auch nur noch eine Frage von Tagen sein wird, daß auch diese nicht mehr durchkommen werden. Und ein neuer Fluß ist ein ordentlicher Gegner. Da ist nichts mit Behelfsbrücken oder kurz abdämmen. Das ganze Land ist ein Drama, denn die Unpassierbarkeit dieser Strecke hat schwere Versorgungskrisen zur Folge. Nach zwei Wochen ohne Lkw-Verkehr war von zigtausend Hungernden bis tief rein nach Uganda die Rede. Jetzt waren wir mehr als glücklich uns in der Hafenstadt zu befinden und nur äußerst überschaubare Probleme vor uns zu haben. Die Hitze in Mombasa raubte uns die Lust an allem und es wurde ziemlich langweilig. Wir verließen das Hotelzimmer nur selten, waren jedesmal nach wenigen Minuten durchgeschwitzt und kehrten schnell wieder zurück, erst unter die Dusche, dann unter den Ventilator. Am verkehrsarmen Sonntag wagten wir uns etwas weiter weg und fuhren ins Touristengebiet an die Strände. Der Weg dorthin ist straßenzustandsmäßig in Ordnung. So geht's dann natürlich, direkt vom Airport aus mit einem klimatisierten Bus in eine Hotelanlage, der Dreck und Müll auf dem Weg sieht durch getönte Scheiben auch erträglicher aus und die Hotelanlagen sind erstklassig. Wir klapperten einige ab und erkundigten uns nach Übernachtungspreisen, aber da war unter 160 US$ für Bed and Breakfast nichts zu machen. Man muß pauschal buchen, von Europa aus, sonst ist es unbezahlbar. Das ganze Hotelgebiet ist ausgestorben. Souvenirstand neben Souvenirstand, Restaurants, Postkartenläden, aber kaum Besucher. In den Hotels findet man kleine, tropische Paradiese aus üppigen Pflanzen, Liegen, weißen Stränden, blauen Pools und Buffets. Die paar Touris verlaufen sich dazwischen, die Ober sind in der Überzahl. Für jemanden, der gerne Strandurlaub macht ist es traumhaft und billig. Die Hotelanlage braucht nicht verlassen zu werden, man bekommt alles von dort aus selbst Bootstouren und alle Arten von Mitbringseln. Von einem Sicherheitsrisiko nicht die Spur. Die Hotelbesitzer in Kenia müssen
höllisch sauer auf Funny Danny sein, denn die von ihm inszenierten Unruhen vor der Wahl, die diesen drastischen Buchungsrückgang verursacht haben, müssen ihnen Millionenverluste einbringen. Ich kann mir auch kaum vorstellen, daß sich Kenias Image in absehbarer Zeit wieder bessern wird, denn es war sowieso überbewertet. Gettourlaub in Hotelanlagen gibt es letztlich genug auf der Welt und Kenia stand, soviel ich weiß, doch noch für etwas mehr. Safaris und Afrika beispielsweise, aber davon kriegt man wenn überhaupt nur unter erschwerten Bedingungen etwas mit. Es wird nur über Lockangebote weiter gehen, und das ist für niemanden gut, außer für die Kunden, und langfristig nicht einmal für die. Wir besuchten noch eine kleinere Anlage, die nicht über die großen Veranstalter bedient wird weil wir mit dem Gedanken spielten, für die Wartezeit in Strandnähe umzuziehen. Natürlich auch so gut wie leer, auch bezahlbar, aber der Strand ist genauer betrachtet eher anstrengend. Touristen, wie gesagt, kaum vorhanden, aber die Schwarzer, die es gewohnt sind, einen mit "Mombassa wunnebar" oder "alles klare, meine Freund" anzusprechen sind bös unterbeschäftigt und sobald sie einen weißen Bauch entdecken bieten sie einem von Tauchlehrgängen, Kanufahrten, Hemden, schnellen Sex, toten Fischen, Muscheln, Masken, Speeren, Schildern bis kalten Getränken alles Erdenkliche an. Es ist also nicht möglich, sich an den Strand zu legen, ab und an ins Wasser zu gehen und zwischendurch ein Buch lesen oder wenigstens seine Ruhe zu haben. So etwas wäre auf den Seychellen völlig undenkbar. Auf der Terrasse stand ein Schild "Sonntag: Schweinebraten mit Rotkohl und Knödeln", trotzdem aßen wir eine Pizza und beobachteten zwanzig Deutsche, die sich auf mehrere Tische verteilt hatten und Skat spielten. Pfui Teufel ! Fette Gestalten, triefend naßgeschwitzt in Turnhose mit jeweils einem Bier vor sich, ereiferten sich über ihre Karten und machten Lärm. Ich spiele gerne Skat, habe es sogar zu höheren Weihungen gebracht, als ich mich in Jugendzeiten einmal mehrere Monate in geschlossenen Häusern aufhalten mußte und mich dort ein wenig mit einem Falschspieler anfreundete. Er hatte immer die Fahrgäste im Intercity HamburgMünchen beim Skatspiel erleichtert, sich erwischen lassen, und brachte mir ein paar schmutzige Tricks bei. Es juckt mir immer in den Fingern, wenn ich Leute Skat spielen sehe. Aber das war zuviel. Eisbein in Togo, Bundesliga in Namibia und jetzt Preisskat in Kenia.
Ich konnte es mir nicht verkneifen zu ihnen zu gehen und zu fragen, um was es geht. Ich schmeichelte ihnen, indem ich fragte, ob sie ein Ärztekongress wären - das kommt immer gut - und selbst bei dieser zuvorkommenden Gesprächseröffnung staunte ich, wie man in die Antwort alles das an Gestik, Mimik und Sprache reinlegen kann, was überall dazu führt, daß die Deutschen in jedem Urlaubsland bei Sympathieumfragen trotz üppiger Trinkgelder auf den untersten Plätzen landen. Hochmut, Arroganz, Promille, Dummheit, Ignoranz, das alles und mehr steckte in der doch eigentlich unverfänglichen Antwort auf meine Frage, was es zu gewinnen gäbe. Natürlich nicht feindselig, man ist ja Deutscher unter Deutschen, Gleicher unter Gleichen, aber wie in Billstedt am Sonntagvormittag oder Freitag nach Feierabend in der Eckkneipe. Dumpfdeutsch und bedrohlich, und, daß sie alle verbrannt und halbnackt waren und Körper wie von Helmut Kohl geclont besaßen, die obendrein aus jeder Pore tropften, gab mir den Rest. Nur Deix, der begnadete Maler aus Österreich, hätte an Ihnen Freude habe können. Da machten selbst die ganz und gar nicht vollbeschäftigten und auch sonst nicht wählerischen Huren einen Bogen. Wir blieben also im "New Palm Tree Hotel" im Herzen Mombasas und duschten lieber weiterhin als mitten in dieser Gesellschaft im Pool zu schwimmen. VERSCHIFFUNG
Wir bekamen keinen Passagierplatz an Bord, was uns, je länger wir darüber nachdachten, ganz willkommen war. Irgendwo unter Deck in einer kleine Luke abhängen, das Essen der unterbezahlten Mannschaft bekommen, die Hälfte der Reise schwüles Klima und noch langweiliger als Mombasa, wo man wenigstens mal rausgehen kann, so scharf waren wir darauf auch wieder nicht. Eine dieser Fähren, wie sie in Skandinavien verkehren oder zwischen England und Frankreich, das wär's gewesen. Mit Swimmingpool und Tenniscourt. Aber ein Frachter mit Schwarzerbesatzung, das kann sich zu einer höchst bedenklichen Angelegenheit ausweiten die in keinem Verhältnis dazu steht, daß wir unser Eigentum im Auge haben. Ich sah mich schon nachts mit Harpune, 300 000 Volt und Schlagring in der Kajüte neben Annett Wache halten, damit wir nicht doch noch das American-Invented-Disease-Syndrom mit auf den
Weg kriegen. Das Thema war damit erledigt, ohne, daß wir eine Entscheidung treffen mußten. Gut so. Aber selbst die Verschiffung des Autos war wesentlich komplizierter als in Abidjan oder Hamburg. Ro-Ro-Schiffe gibt es auf der Strecke eh nicht, also kam nur konventionelle Verladung in Betracht. Das ist aber schwierig beim Suez-Kanal. "Die Ägypter sind die übelsten Typen", erzählte unser Ansprechpartner von der Shipping-Companie. "Ein Containerschiff muß im Suez weniger Kanalgebühren bezahlen als ein anderes, und wenn zwischen all den Containern auch nur ein Auto nicht im Container steht, errechnen die Ägypter für das ganze Schiff einen anderen Tarif." Also brauchten wir einen Open-TopContainer, aus dem unser Auto knapp 30 cm rausgucken würde. Er mußte auch ganz oben drauf gestellt werden, offen an Deck, da Port Said der erste Hafen auf der Route des Dampfers war und die Ägypter sehen sowas, wenn aus einem Container was rausguckt. Und es sei durchaus möglich, daß sie dies zum Anlaß von Schwierigkeiten machen. Er wollte sich bei den Ägyptern rückversichern, ob dies innerhalb ihres Definitionsbereiches "Containerschiff" bleibt und das schriftlich bestätigt bekommen. "Die Ägypter sind nicht nur abscheuliche Geschäftspartner", ergänzte er, "sie sind auch noch die langsamsten auf dem ganzen Planeten." Oh Gott, und das sagt einer in Mombasa. Diese beschissenen 30 Zentimeter, die unser Auto zu hoch für einen normalen Container ist, verursachten uns zum dritten Mal Schwierigkeiten und Mehrkosten bei der Verschiffung und sie sind auch dafür verantwortlich, daß die Kiste bisher jedesmal auf See aufgebrochen wurde. Ein echter Nachteil, den wir beim Kauf nicht bedacht hatten. Wir warteten also auf Rückmeldung und buchten bereits einen Flug nach Kairo. So schnell wie möglich weg aus Kenia. Die Flüge von Mombasa nach Nairobi waren stark nachgefragt, da als Alternative nur noch die aus allen Nähten platzende Bahnverbindung in Frage kam. Bilder wie in Deutschland nach dem Krieg. Ein Segen für uns, daß nur verhältnismäßig wenige in der Lage sind, die Preisdifferenz aufzubringen. Und wir mußten über Nairobi, einen Direktflug gab es nicht. Nicht nur das qualvolle Klima trieb uns, es setzte langsam eine Versorgungsknappheit ein, da mittlerweile auch der Lkw-Verkehr gänzlich zum Erliegen gekommen war. Nichts ging mehr auf dem Landweg. Nicht so, daß wir nichts zu beißen bekamen, aber die Preise für
Grundnahrungsmittel hatten sich in den letzten Tagen teilweise versechsfacht. Für uns machte sich auch dies nicht bemerkbar, da wir nur in Restaurants aßen und die Preise nicht unbedingt auf der Grundlage der Kosten der Zutaten kalkuliert sind, aber der vielzitierte kleine Mann auf der Straße saß schon recht übel in der Klemme. Es war nicht mehr die Frage, ob Fleisch und Tomaten, sondern ob Fleisch oder Tomaten und sowieso nur die halbe Menge. Irgendwann wird das Maß auch für den gutmütigen Kenianer voll sein und seit wir uns in Kenia befanden, gab es laufend kleine Demonstrationen und Unmutskundgebungen. Mal hier und mal da, mal dieser Anlaß und mal jener. Die knapp von Moi besiegte Opposition schürte wo es nur ging. Bald brennt hier die Luft, wir konnten es direkt fühlen, und besser ohne uns. Gerechtfertigt, absolut gerechtfertigt, und ich drücke ihnen die Daumen, aber meine Solidarität geht nichts so weit, als daß ich unser Auto als Straßensperre zu Verfügung stellen wollte. Wir versuchten alles zu beschleunigen, was nur sehr begrenzt möglich war da wir in allem von Anderen abhängig waren und so hofften wir, daß wir noch einmal Glück haben werden und gerade noch so rausrutschen. Die nächste schlechte Nachricht war die, daß uns keine Fluggesellschaft mit einem einfachen Ticket transportieren wollte, da sie dann angeblich Ärger mit den ägyptischen Immigrationsbehörden bekommt. Wieder einmal kam uns ein glücklicher Umstand zugute, daß Kenia-Airways gerade eine Sonderaktion gestartet hatte für Hinund Rückflug Mombasa-Kairo 600 US$. Pro Kopf 21 US$ mehr als der einfache Flug, das war vertretbar. Wir buchten also Returnticket. Die Ägypter gingen uns schon auf den Sack, bevor wir den ersten zu Gesicht bekommen hatten. Das kann heiter werden. Mir fiel wieder ein, daß der Reiseleiter von Rotel-Tours, den wir ganz am Anfang in Dakar trafen, uns erzählte, daß die Ägypter die Allerschlimmsten auf dem ganzen Kontinent wären. "Nichts läuft regulär, wegen Allem und Jedem hast du Ärger und Gerede und mußt Schmiergeld bezahlen. Echte Arschlöcher." Damals dachte ich, das wäre noch lange hin und hatte mir keine Sorgen deswegen gemacht, aber jetzt, da uns von Ägypten nur noch ein paar Tage trennten, beunruhigte mich diese Aussage doch ein wenig. Zumal es sich schon abzeichnete, daß an der Sache was dran zu sein schien. Doch bevor wir uns über die Ägypter ärgern konnten, mußten wir erstmal da sein und vor allen Dingen das Auto. Die Sucherrei nach
einem Open-Top-Container ging los, es wurde einer gefunden, der war kaputt, mußte repariert, in den Hafen gebracht und abgeladen werden. Der Manager, oder wie es heißt, der die Verschiffung vom Schreibtisch aus regelte, hieß Mustafah, schon fast ein Grund, eine andere Companie zu suchen, aber er war trotz dieses stigmatisierenden Namens ganz fit. Wir luden erneut alles um, auf die Art, daß es den Dieben möglichst schwer gemacht wird, uns fehlte allerdings sperriger Ballast. Dann kam der Tag, an dem wir das Auto in den Hafen bringen konnten. Es war mit jedem Tag heißer geworden, so heiß hatten wir es auf der gesamten Reise nicht erleben müssen. In Sierra Leone oder an der Elfenbeinküste hörte das Schwitzen wenigstens auf, wenn man sich in den Schatten setzte und sich nicht bewegte, hier ging es selbst unter dem Ventilator weiter. Ewig nasse Handrücken, tropfende Klamotten und alles klebrig, salziges Wasser läuft ständig von der Stirn in die Augen, die Haare klatschen am Kopf. Für die männlichen Leser: Es gib ein norddeutsches Sprichwort, welches ich nicht ganz beherrsche. Es endet aber folgendermaßen: "... kalter Nordenwind, gibt 'nen krusen Büdel und 'nen lütten Pint." In Mombasa läuft exakt das Gegenteil. Wenn das männliche Geschlechtsteil den ganzen Tag so aussieht, als hätte man gerade zwei Stunden in der Badewanne gesessen, ist es einfach zu heiß. Als diesbezügliches Sprichwort in Mombasa würde passen: "Wer's lang hat, läßt's auch lang hängen." Ist von Villon, glaube ich, oder von Rimbaud, für diejenigen, die es interessieren sollte. Oder von Kinsky ? Wir warteten auf den Container in einer Halle, auf die gnadenlos die Sonne brannte. Gleichsam bot sie den einzigen Schattenplatz. Drei Stunden, also eine Ewigkeit. Man braucht im Hafen eine Gang zum Verladen, ohne geht's nicht. Auch, wenn man alles selber macht, berechnen sie einem ihre Dienste. Unsere Gang bestand aus zwanzig vor Schweiß glänzenden, knapp behosten Schwarzern. Drei Aufseher, zwei mit Funkgerät und fünfzehn zum Arbeiten. Sie warteten schon seit acht Uhr nur auf uns und den Container. Nach sechs Stunden, vom Beginn ihrer Arbeitszeit gerechnet, war der Container endlich da und sie schauten mit zwanzig Mann zu, wie ich das Wohnmobil rein fuhr. Dann befestigten zwei von ihnen zwei Stricke an den Achsen und vertüdelten die an einem Haken, verschlossen den Container und legten sich wieder hin. Ein
Einundzwanzigster kam, kassierte Hundert Dollar und damit war das Wichtigste geschafft. So Kleinigkeiten, daß das Taxi auf dem Rückweg den Geist aufgab und der einzige Kopierer der Firma streikte sind kaum erwähnenswert. Das Auto machte sich gut in der orangenen Box. Es paßte gerade noch rein, sowohl der Breite als auch der Länge nach. Ich hatte Schwierigkeiten, aus dem Auto wieder rauszukommen, als es eingeparkt war. Die hintere Tür ließ sich schon lange nicht mehr öffnen seit Einbrecher das Schloß restlos vermurkst hatten, die Schiebetür an der Seite brachte nichts und die Türen der Fahrzelle ließen ich nur ein paar Zentimeter öffnen. Ich mußte mich durchs Fenster hangeln, daraufhin krabbelte Annett rein, um das Fenster zu schließen und konnte sich gerade noch rauszwängen. Mehr Busen hätte sie nicht haben dürfen, es ging um jeder Millimeter. Wir verließen dann den Container per Leiter und waren zufrieden. Diese Art der Verschiffung macht es den Dieben erheblich schwieriger als Ro-Ro oder Konventionell. Kein Fenster geht auf, keine Tür, das ist gut. Wenn wir rauskommen, dann kommen sie zwar auch rein, aber bepackt geht nicht viel. Zumindest keine großen Sachen. Und auffälliger ist es auch, wenn jemand auf Containern rumturnt. Jetzt blieb uns nur noch zu hoffen, daß sie das Verladen nicht vergessen wie in Abidjan, daß sie keinen Container auf unseren draufsetzen und ein Cabrio aus unserem Fahrzeug machen, daß die Verspätung nicht noch länger dauern wird als ohnehin schon und, daß die Diebe es diesmal tatsächlich nicht schaffen werden. Sieben Tage Verspätung waren jetzt schon sicher, da sich die Abreise aufgrund chaotischer Zustände im Mombasa-Port um mindestens diese Zeit verschieben wird. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Transport Mombasa - Port Said bereits fast das doppelte gekostet als Abidjan-Hamburg, obwohl die Strecke kürzer ist. Was die Ägypter an Hafen- und Zoll- und sonstigen Gebühren erheben werden war noch unklar. In Hamburg hatte es 90.- DM gekostet, in Kapstadt 1.000,- DM, in Abidjan 800,- DM und in Mombasa 500,DM. Insofern gibt es kaum einen Richtwert. Wenn wir unser Auto dreimal Verschiffen, was wir jetzt getan hatten, ist der Wiederverkauftswert überstiegen. Man kann sich nur glücklich schätzen, daß das Geld in Deutschland auf der Straße liegt, sonst wäre es bald ärgerlich. Den Wert des Geldes verliert man in Afrika bald aus den Augen. Muß man auch, sonst bekommt man ein Geschwür. Zweitausend Dollar ? Ok ! Hier sind Zweitausend Dollar.
Noch Zweihundert mehr ? Auch gut, hier sind weitere zweihundert. Sonst noch was ? Paar Schmiergelder oder Gebühren ? Mußt nur sagen ... Trotzdem ein schönes Gefühl, wenn diese Dinge erledigt sind. Noch ein paar Stunden unter'm Ventilator, noch eine verschwitzte Nacht, und dann stand seit langen mal wieder ein Tag an, auf den wir uns freuten. Raus aus der Gluthölle ! Nur noch vormittags mit langen Hosen zum Flugplatz schwitzen, und ab dort wird es wohl Aircondition geben. Und dann Kairo. Im Reiseführer, der vier Jahre alt war, wurde die Einwohnerzahl mit Zwölf Millionen angegeben. Dabei stand aber noch, daß sie sich alle zehn Monate um eine Million erhöht. Also bei ca. fünfzehn Millionen, klingt nach Moloch. Aber es gibt Fast-Food-Ketten, das ägyptische Nationalmuseum und Temperaturen zwischen 18 und 20 Grad Celsius. Also eine deutliche Verbesserung der Lebensumstände. Und darum freuten wir uns erst einmal, obwohl wir die drei Wochen, die wir mindesten dort werden warten müssen, als entschieden zu lang empfanden. ÄGYPTEN
Der Flugtag war so, wie solche Tage halt sind. Langweilig und anstrengend zugleich. Wir saßen den ganzen Tag irgendwo doof rum, checkten ein und aus, warteten und warteten und aßen alles durcheinander. Es war nach Mitternacht, als wir auf dem alten Flughafen von Kairo ankamen. Mißtrauisch wie verrückt, es ist schlecht, nachts in einer unbekannten Stadt anzukommen und dazu noch übermüdet, mit einer Erkältung und Dünnschiß. Besonders die Erkältung machte uns beiden zu schaffen, die wir schon seit zehn Tagen mit uns rumschleppten. Man wird sie einfach nicht los, wenn man den ganzen Tag in nassen Klamotten vor einem Propeller sitzt uns sich anpusten läßt. Als erstes überraschte uns die Immigration und der Zoll. Überaus zuvorkommend. Keiner wollten das Rückflugticket sehen, für das Gepäck interessierte sich kein Mensch und uns sprach ein kleiner Mann im Anzug mit angehefteter Erkennungskarte an, ob wir ein Hotel suchten. Wir scheuchten ihn weg, wollten erstmal in Ruhe checken was abgeht, aber er zeigte uns sein Büro und ließ uns nicht mehr los. "Na gut, dann erzähl uns was du anzubieten hast." Er war Repräsentant einer Tour-Gesellschaft und sagte, er könne uns zu einem Gruppendiscount in ein preiswertes Hotel bringen, überhaupt
könne er alles, und zu Superpreisen, er wollte uns ganz im Ernst noch in der gleichen Nacht auf einen Nildampfer zu einem Essen mit Tanz und Musik überreden. Immerhin bot er an, uns in einem Hotel unterzubringen, mitten im Zentrum unweit des Hilton und des Sheraton, für 34 US$ fürs Doppelzimmer inklusive Frühstück. Fernseher, Kühlschrank, Bad, Restaurant, alles da, das klang gut. Er hatte es auch noch preiswerter, aber ohne Bad und ohne alles, das wollten wir nicht. Er bot uns ein Hotel-Voucher über 15 Tage für 500 Dollar an, gleich zu bezahlen, was wir natürlich ablehnten. Erst einen Blick auf das Hotel und die Zimmer werfen, dann sehen wir weiter. Der Typ war wahnsinnig freundlich, gleichfalls unerträglich hektisch und es machte ihn nervös, daß wir kein Geld raus taten. Er kam mit einem ganz absurden Vorschlag. Wir geben das Geld einer neutralen Person, dem Fahrer seines Busses, ein hochoffizieller und nagelneuer Benz mit Ginger-Tours Beschriftung, worauf wir ihn auslachten. Warum sollten wir, das Geld kann genauso gut in meiner Tasche bleiben. Nun schmollte er etwas, ich sagte ihm, daß ich alle Menschen liebe aber keinem vertraue, und er taute wieder auf und fuhr uns umsonst zum Hotel und plapperte wie ein Wasserfall. Wir haben ihn echt genervt aber er uns genauso, mitten in der Nacht. Wir ließen keine Sekunde das Gepäck aus dem Auge, ließen niemanden in unserem Rücken sitzen - afrikageschädigt - und unser offenes Mißtrauen war an der Grenze der Kränkung für ihn. Aber es war alles ok, das Hotel sauber und korrekt, wir zahlten den Preis in Gegenwart des Hotelmanagers gegen eine Quittung für 15 Übernachtungen mit Frühstück und gegen halb drei morgens lagen wir in den Betten und realisierten, daß wir aus Afrika raus waren. Zwar noch nicht ganz, aber doch schon so gut wie. Die Ägypter wollen mit Afrika genauso wenig in einem Satz erwähnt werden wie die Maroks, und zwar mit gutem Grund und mit vollem Recht, wie wir erst in den nächsten Tagen richtig feststellen konnten. Es ist immer wie ein halber Überfall, wenn es gleich am Flugplatz losgeht und es keine Gelegenheit zum Luftholen gibt. Es stellte sich auch heraus, daß die Dienste von Ginger-Tours zwar nicht schädlich waren, aber auch nicht besonders hilfreich. Wir sparten das Taxi, was in Kairo aber sehr preiswert ist, der " günstige Gruppentarif" deckte sich mir dem normalen Tarif nahezu komplett wenn man von Dollar in ägyptische Pfund umrechnete, aber wir hatten Verständnis für den älteren Familienvater von vier Kindern, der da um nach Mitternacht
um seine Existenz kämpfen muß. Er hat uns weder betrogen noch beklaut, und er arbeitet nach dem "Messe-Prinzip". Auf Messen kauft man auch am letzten Tag in der letzten Stunde, wenn die Vertreter halb besoffen vom dauernden Anstoßen bei kleinen Abschlüssen sind, geschafft vom langen Trubel und kaum noch in der Lage, ihren Namen fehlerfrei zu schreiben. Ähnlich konstitutioniert erschienen wir auch auf dem Kairoer Flughafen und dafür hat er uns gnädig davon kommen lassen. Wir schliefen bis Mittags durch, in einem herrliche kühlen Raum in Decken eingekuschelt und verließen gegen 13.00 Uhr das Hotel um was zu essen. Schon in dieser einen Nacht ging die Erkältung zurück, wir frühstückten bei McDonald, ich zog mir einen Quarterpounder, Pommes, Apfeltasche und Eiscola rein und mein angekrankter Magen war mit einem Schlag wieder gesund. Kein Grummeln, kein Dünnschiß, keine Blähungen, alles das, was afrikanisches Essen selbst mit Imodium noch vermurkst, heilt ein einziges Menü bei McDonalds in 10 Minuten. Unglaublich. Ein Taxifahrer sprach uns an, älterer Moslem, italienischer Typ, heiter, fröhlich und lebenslustig, ob er uns durch die Gegend fahren soll und uns die Stadt zeigen. Why not? Wir handelten einen Preis aus, 25,- Mark für eine vierstündige Rundfahrt mit Pausen und Begehungen und allem drum und dran, und fuhren los. Ein herrlicher Tag. Diese riesige und völlig unübersichtliche Stadt Kairo geht für einen Stadtfreund gut ab und steckt voller Überraschungen. Die Schwarzer hatten wir vollständig abgehängt, das merkte man, wo man hinschaute. Kairo ist alles andere als ein Sanatorium, noch weniger ein Luftkurort, sondern eine laute und schnelle und überfüllte Stadt, aber sie hat Kultur. Die Menschen haben Kultur, die Bauwerke, die Autofahrer es funktioniert. Casablanca hoch drei, arabisch, auch etwas schmuddelig, es gibt Slums, horrormäßiges Verkehrsaufkommen und seelenlose Betonbauten, eng mit Wäsche vor den Balkonen und Hühnerzucht in Käfigen im dritten Stock, nicht zu knapp das alles, aber es hat nichts von dem abstoßenden Dreck und dem bimbohaften Idiotenflair Afrikas. Es ist wie Marokko, zum Wohlfühlen wenn man es mag, und nichts erregte in uns diese Abscheu, wie wir sie im Sudan oder in Mauretanien empfunden hatten. Allah ist ihr Freund, den sie um gute Geschäfte und Glück in der Liebe bitten und dafür gibt es ein paar Gebete ihm zu Ehren. So ist es in Ordnung. Wir hatten beide schon besorgt beobachtet, daß Reisen nicht unbedingt zu
mehr Verständnis und Toleranz zwischen den Menschen auf der Welt führen muß. Ganz im Gegenteil. Bisweilen ist es sehr angebracht, seine Toleranz gegenüber anderen Religionen und Völkern besser nur bei Olympischen Spielen, Fußballweltmeisterschaften und Reiseberichten zu überprüfen als selbst in die Ländern zu fahren. Vorm Fernseher ist es leichter, der ganz Supertolerante und Verständnisvolle zu sein als vor Ort bis zum Knöchel im Müll und mit einer schwarzen Hand in der Tasche. Aber Kairo unterläuft solch traurige Gedanken wieder, wie Marokko, Gambia und eben diese Länder, in denen man sich gerne aufhält und nicht nur schnell weiter will. Aber sie sind so drastisch in der Unterzahl. Gemüse und Früchte werden wieder ansprechend präsentiert und liegen nicht irgendwo im Dreck neben einem schlafenden Verkäufer und die Moscheen, von denen es in Kairo über Eintausend geben soll, sind eine Augenweide. Monumentale Kuppel- und Säulenbauten mit grazilen Minaretten und Türmchen, das ist alles sehr beeindruckend. Der Taxifahrer fuhr uns überall hin, durch das alte und das neue Kairo, durch die Viertel der Moslem und der Christen, an den Nil und hielt schließlich an einem Altstadtgebiet, in das wir zu Fuß gingen. Wir sahen alte jüdische Synagogen aus der Zeit vor Christi, gingen durch enge Gassen, durch Tunnel über uralte Steinpfade, das hat Spaß gemacht. An einer Kirche erzählte uns der Taxifahrer, daß es sich um den Ort handeln würde, an dem eine Mutter das kleine Baby im schwimmenden Bastkorb fand, das von einem Pharao den Fluten des Nils übergeben wurde. Der Nil hat zwischenzeitlich seinen Lauf geändert, so daß nur noch ein Brunnen, in den man einen Stein werfen kann um das Platschen zu hören, den Beweis für diese Geschichte erbringen soll. Wir erreichten einen Laden, riesengroß und weitläufig, mit kunsthandwerklichen Gegenständen aus Ägypten. Ich habe völlig abgeschnallt. In ganz Afrika sah ich nicht solch prächtige und gut verarbeitet Dinge. Sowas kriegen die Schwarzen einfach nicht hin. Es gab Schränke mit Intasienarbeiten aus Perlmutt mit ägyptischen Motiven und Mustern. Überall kleine Schubladen und Fächer in jeder Größe eingebaut, im Licht in allen Farben glänzend. In gleichem Stil Tische, Kommoden, Truhen, Vasen und Dosen. Für jemanden, der psychedelische Muster liebt und sich das Lichtspiel von Perlmutt und Lack einmal unter der Wirkung von LSD angeschaut hat, für den sind diese Arbeiten wie ein Feuerwerk, wie ein optisches Wunder.
Wir waren fasziniert, betrachteten uns ein Stück nach dem anderen und hatten nicht übel Lust, unsere ganze Wohnung mit dem für manchen etwas überladenen wirkenden Stücken einzurichten. Zumindest in Gedanken. Wir stöberten den ganzen Laden durch, entdeckten immer wieder neue Stücke, eines umwerfender als das andere. Der Schmuck, ob aus Silber oder Gold, unwahrscheinlich schön, wir konnten uns sehr gut vorstellen, daß die alten Pharaonen sich ihre Schätze mit ins Grab legen ließen. Von sowas will man sich nicht wieder trennen. Während wir stöbern, stoßen wir auf ein Stück, welches ich in seiner Schönheit, Verarbeitung und Ausstrahlung nie vorher gesehen hatte. Eine kleine Schatztruhe, oder ein Schmuckkästchen oder eine Kassette, etwa so groß wie ein Beautycase, massiv aus Messing mit Beschlägen aus Silber und bis in den letzten Winkel mit Ornamenten verziert. Wenn man den Deckel öffnete, war dort ein Fach, mit Samt ausgeschlagen, und zwei kleine Schubladen. In der Frontpartie gab es eine kleine, geschwungene Flügeltür mit zwei Flügeln, hinter denen ein Extrafach eingebaut war. Es bestand aus sechs kleinen, ebenfalls reich verzierten Schubladen, die tief in das innere der Truhe hineingleiten. Ein versteckter Mechanismus verschloß die beiden Türen automatisch, wenn der Deckel der Truhe geschlossen war. Einzigartig. Nichts klapperte oder wackelte, alles war schwer und massiv, das ganze Teil unglaublich gewichtig. Etwas, um es mit ins Grab zu nehmen oder es über Generationen zu vererben, aus Tausendundeinernacht. Es wird in hunderten von Jahren noch genau so aussehen wie heute. Ich konnte mich überhaupt nicht mehr losreißen. Das erste mal, daß ich einen handwerklichen Gegenstand in einem arabischen Land entdeckte, der mir wirklich gefiel, der meiner Phantasie und meinen Vorstellungen entsprach und der nicht nur blendete, sondern auch qualitativ und vom Finish überzeugte. In Marokko beispielsweise stellen sie ausschließlich minderwertigen Plunder her, Ramsch, Flohmarktware. Dies war eine grandiose Arbeit. Wir erkundigten uns nach dem Preis. Viertausend, war die Antwort, und zu allem Übel keine Ägyptischen Pfund, sondern Amerikanische Dollar. In etwa die Summe, für die wir normalerweise unsere alten Mercedese kaufen. Es war auch nicht so ein Trödelladen, indem sich eine Null wegstreichen läßt und dann die Verhandlungen beginnen. Etwas Luft ist immer drin, aber nicht in der Größenordnung wie in Afrika. Nun kam der Chef ins Spiel, ein
junger, erfolgreicher Händler, der den Laden in der vierten Generation betreibt. Er erzählte erstmal, daß diese Truhe nur bei ihm zu erwerben wäre, da der Künstler, der sie herstellt, nur exklusiv für ihn arbeiten würde. Er bot an, mir die Truhe zu schenken, wenn ich ihm eine zweite irgendwo auf der Welt zeigen würde, außer den Dreien, die er selbst bereits verkauft hätte. Naja, das ist leicht mal gesagt, er würde sich eh nicht erinnern, wenn ich eine finden würde. Er erzählte weiter. Der Mann, der jedes einzelne Teil mit der Hand anfertigt und für die Verzierungen nur reines Silber verwendet, braucht ein Jahr, um eine solche Truhe herzustellen. Kann ich nicht beurteilen, aber es wird seine Zeit brauchen, das will ich gerne glauben. Er zeigte mir die vielen Verarbeitungsdetails, die es an dem Stück zu sehen gab aber kurz und gut: Es war uns zu teurer, wenn es auch zugegeben ein Stück zum Verlieben war. Es gab erstmal Tee. Wir begannen zu handeln. Er zeigte uns die Bilder der Reste seines Mercedes, den er, vier Tage, nachdem er nagelneu aus Deutschland geliefert war, zu Vollschrott gefahren hatte. "Lady Di", sagte er "do you know Lady Di ?" und tatsächlich sahen die Bilder aus wie die, auf denen der zercrashte Benz von Lady Di zu sehen war. "Last Price for the case: 3.500 US$", streute er mit einem traurigen Blick auf die Schrottbilder ein und packte sie weg. Immer noch zu teurer. Wir boten 2.000. Jetzt holte er, ohne auf das Gegenangebot einzugehen, einen Prospekt von Porsche raus. Das neuste Cabrio. Er schwärmte, und sagte, 2.000 Dollar wären ok, für jede andere Truhe, die er hätte. Keine andere kam der von uns ausgesuchten im Entferntesten nahe und wir lehnten ab. Sie waren auch hübsch, aber eben nicht im Vergleich. Auf seinem Schreibtisch lag eine Glasplatte, unter die er Polaroidfotos von Kunden gesteckt hatte. Prominente, die uns nichts sagten und wir fragten ihn zu den Bildern, um das Gespräch nach der Porsche-Einlage in Gang zu halten. "Der", sagte er, und zeigte auf einen goldbehangenen Schwarzer, "der kam hier rein und kaufte für einhunderttausend Dollar ein. Milliardär, übrigens einer der Besitzer der drei anderen Truhen. Der hat ohne mit der Wimper zu zucken 4.000 $ bezahlt." Ich hätte auch überhaupt kein Problem, in dem Laden für Hunderttausend Dollar einzukaufen. "Mag sein", antwortete ich, "aber ich bin kein Milliardär", und er gab sich einen letzten Ruck und machte den ganz bestimmt allerletzten Preis, versicherte mir, daß es sich wirklich um ein einmaliges Angebot halten würde, ich das beste Geschäft meines Lebens machen würde
und so weiter und sagte, um weiteres Handeln auszuschließen, nicht erst 3.300 oder so, sondern gleich 3.000, damit endgültig Schluß ist. Very last price ! Es ging noch etwas weiter, es gab noch einen Tee, und wir landeten bei 2.850 Dollar, inklusive eines BackgammonSpiels mit Perlmutteinlagen, für das er ursprünglich noch 250 Dollar extra haben wollte. Er tat nun so, als hätten wir ihn ausgeraubt, und das gehört sich auch so, wenn er uns gerade gute 5.000 DM aus dem Kreuz geleiert hatte. Wenn er gelacht hätte und überschwengliche Freude gezeigt hätte, wäre ich unzufrieden geworden. Die Verkäuferin, die uns die ganze Zeit über bei Laune hielt, zeigte allerdings nicht nur Freude, sondern war offensichtlich überglücklich über den zustande gekommenen Deal. Aber sie durfte das auch, eine Provision war bestimmt fällig. Auch der Taxifahrer war zufrieden, er kann sicher auch noch einmal zu dem Laden zurück kommen und darauf, uns angeschleppt zu haben, ein paar Mark abhaken. So waren alle gut drauf, prima Stimmung, und wir ließen uns ins Hotel zurück fahren. Wir verstanden jetzt auch die Hektik des Hotel- und Tourvermittlers am Vortage besser, der mit uns am liebsten noch in der Nacht ein paar Ausflüge in die Umgebung gebucht hätte. Wir machten das natürlich nicht und wollten erst ausgeschlafen sein und vertrösteten den Mann. Wir bekamen noch einen Prospekt mit Preisen, aber er wußte, daß seine Chance vorbei war. Jeder in Kairo will einen zu Ausflügen überreden, so auch der Taxifahrer. Die ausbleibenden Touristen aufgrund mehrerer Morde islamischer Fundamentalisten an ausländischen Besuchern haben in Ägypten ebenso zu Unterbeschäftigung bei am Tourismus orientierten Firmen und Einzelunternehmer geführt wie in Kenia. Er unterbot die Angebote von Ginger-Tours glatt um die Hälfte und wir verabredeten uns mit ihm für einige Fahrten an den nächsten Tagen. In die Museen, zur Libyschen Botschaft, zu den Pyramiden und am Ende nach Port Said. Wir empfanden seine Angebote als fair, der Typ war angenehm und sympatisch, so daß wir darauf verzichteten, ihn weiter zu drücken. Dafür hatten wir einen zufriedenen und gutgelaunten Chauffeur, und das ist viel wert. Das erstaunliche, wieder einmal zu beobachtende Phänomen, daß in den Ländern, in denen es kultiviert und entwickelt zugeht, die Preise auch wieder akzeptabel sind, traf erneut zu. Alles ist wesentlich günstiger und besser als in Kenia, die Löhne höher, die Preise
niedriger, aber so langsam beginnen wir, es zu verstehen. Wenn in den afrikanischen Ländern Steuern wie Irre verlangt werden, davon aber weder Straßen noch sonstige infrastrukturellen Maßnahmen finanziert werden, dann wird halt alles teuer und die Masse lebt in Hütten im Busch und frißt das, was gerade so vor der Hüttentür wächst oder ihnen über den Weg läuft. Will man das nicht mitmachen, muß man eben die durch Mißwirtschaft und steuerlicher Ausplünderung explodierten Preise bezahlen. Die in Nairobi wachsende Tomate wird in Mombasa unbezahlbar, wenn ihr Transport einen Satz Stoßdämpfer und zwei neue Reifen kostet, ganz einfach. In Asien, so wird immer wieder berichtet, ist dies anders. Da wird wenig verdient und alles ist billig, und so hatten wir uns das in Afrika auch vorgestellt. Is aber nicht. Die nächsten beiden Tage gönnten wir uns eine Vollbedienung mit ägyptischer Kultur. Das Nationalmuseum und die Pyramiden - mein Gott, was soll ich dazu sagen ? Es hat natürlich eine seltsam magisch-morbide Anziehungskraft. Und es ist wahnsinnig imposant und schön. Vergleichbar mit dem Konzert der Rolling Stones, ein ähnlicher Anachronismus, ein Happening. Man kennt es hundertfach, aus dem Geschichts-unterricht, aus Hollywoodschinken, als Abenteuergeschichten "Donald bei den Pharaos" oder "Asterix am Nil", Cleopatra ist einfach Liz Taylor und niemand anders. Aber wenn man dann Kopf an Kopf, nur durch eine Glasscheibe getrennt, neben der paartausend Jahre alten Mumie von Ramses II steht und ihm in die vertrockneten und geschlossenen Augen schaut, dann ist es ähnlich, als wenn Keith Richards mit einer Zigarette im Mundwinkel auf die Bühne kommt und die Anfangsriffs von Honky Tonk Woman spielt. Es gibt ihn wirklich, und ich kann ihn sehen ! Ähnlich verhält es sich mit den unglaublichen Goldschätzen und den Grabbeigaben, die man alle schon einmal auf Photos, Reisebüroplakaten oder bei Ausgrabungsfilmen bewundert hat oder den Pyramiden, die, wie vermutet, viel beeindruckender als auf den ungezählten Abbildungen und Postkarten sind - es gibt sie wirklich, und wir laufen mitten darin herum ! Mir fielen die Leute ein, die von Pyramidenenergie sprechen und kleine Drahtpyramiden über ihre Topfpflanzen stülpen um besseren Wuchs zu erreichen, streng ausgerichtet nach den Winkelmaßen und der Ausrichtung der Cheops-Pyramide. Naja, ich muß das nicht kommentieren. Auch die Eintrittspreise und das Merchandising sind vergleichbar. Etwas
störend, wenngleich keineswegs überraschend, sind die zahllosen Führer die einen sofort in Beschlag nehmen. Wir saßen ruckzuck jeweils auf einem Kamel beziehungsweise Pferd um die weitläufigen Pyramidengebiete nicht zu Fuß ablaufen zu müssen, krochen durch klaustrophobische, unterirdische Gänge zu den alten Grabkammern und bekamen zum hundertsten mal die Hyroglyphen erklärt. Da zieht ein Zehnmarkschein den nächsten aber es ist es wert. Wäre auch zu merkwürdig, wenn man ein Weltwunder besichtigt und dort der Erste und Einzige wäre. Es waren schöne Tage, Bilder, die man nicht vergißt obwohl sie alle schon vorher bekannt waren. Wie bei einem Live-Konzert der Rolling-Stones eben. An diesen exponierten Orten besonders, aber mehr oder weniger überall, wimmelt es von schwer bewaffneten Sicherheitskräften. Helm, Kugelweste, Maschinenpistole mit aufgepflanzten Bajonett oder in Betonbunker auf Brücken oder an Kreuzungen verschanzt, die Waffe immer im Anschlag, das gehört wie selbstverständlich ins Straßenbild. Sie meinen es ernst mit ihren Fundamentalisten, die schon mal Touristenbusse unter Feuer nehmen oder alkoholische Getränke vergiften und die Flaschen austauschen. Ganz Kairo muß für den Moslem Abteilung Hardliner aber auch eine einzige Provokation sein. Kaum einer trägt einen Schlafanzug, die wenigsten ein Kopftuch, verschleiert trafen wir nicht eine einzige und Frauen schminken sich sogar und rauchen in der Öffentlichkeit. Im Fernsehen läuft Werbung für Cremes, und man sieht, wie sie auf die unverdeckte Haut aufgetragen wird. Ein einziger Sündenpfuhl, der islamische Sittenwächter weiß sicher überhaupt nicht, wohin mit seiner Empörung. Die Touristen sind deswegen Opfer, weil tote Touristen Negativwerbung für Ägypten sind und der Staat ernste finanzielle Probleme bekommt, wenn die Devisen der Besucher ausbleiben. Zudem lehnen sie natürlich auch den ganzen Scheiß mit Pharaonen und Pyramiden als gotteslästerlich ab und wer sich sowas ansieht anstatt in Mekka auf den Knien rumzurutschen hat kaum besseres als den Tod verdient. Ist der Staat erst einmal bankrott, dann geht's zurück ins Mittelalter und dafür bieten sie eben die passende Religion. Geschenkt, das Thema ist ausreichend erwähnt worden und wird langweilig. Wir kamen mit den Ägyptern bestens zurecht, ich weiß gar nicht, was der Reiseleiter von Rotel-Tours wollte. Vielleicht kommt ja noch was, wenn wir erst einmal Kontakt mit den Zollbehörden haben
werden, sobald das Wohnmobil aus den Hafenanlagen geholt werden muß, aber bis dahin hatten wir null Probleme. Der Taxifahrer war immer angenehm im Umgang, umsichtig, kaufte uns vorbeugend Wasser, weil es an den Pyramiden nichts gibt und mehr so kleine Dinge. Und immer pünktlich auf die Minute, was ich liebe, denn ich halte Unpünktlichkeit für Diebstahl, für dumm und respektlos und ärgere mich immer wieder darüber. Seit fünftausend Jahren beschäftigen sich die Ägypter mit Parfüm und Duftölen aus kaltgepressten Pflanzen. Wie herrlich, ein Volk, welches gut riecht, welches sogar die Mumien innenwandig mit Lotusöl einrieb, damit sie auch nach dem Tod nicht stinken. Die Schwarzer wissen von sowas nichts, leider überhaupt gar nichts, und wir vermißten dies mehr als ein Mal. So suchten wir eine Parfümerie auf, die viele verschiedene Öle anbot und dazu hunderte kleiner Flakons in den grazilsten Formen und den verschnörkelsten Mustern. Kultur, egal in welcher Form, ist einfach so nötig wie die Luft zum atmen. Ob sie einen anspricht oder nicht, ist eine andere Frage, aber schon das Vorhandensein beruhigt und schafft Vertrauen zu seinem Gegenüber. So habe ich es empfunden. Die Abwesenheit von jeder Kultur, etwa, wenn ein Schwarzer ganz offen seinen schwarzen Schwanz rausholt und im Gehen kleine Bögen auf die Straße pißt und dabei auf einem Ast rumkaut und sich im Arsch kratzt, die jedenfalls beunruhigt und schafft Mißtrauen. Der Handel um die Parfümöle gestaltete sich dann auch in einer höchst kultivierten Art. Es gab einen Tee oder Kaffee, es wurde geschwatzt und gealbert, Höflichkeiten ausgetauscht und dann ging es langsam ans Geschäft. In aller Ruhe bekamen wir ein Parfüm nach dem anderen erklärt, dieses ist leicht und frisch für den Morgen, dieses - Zwinker Zwinker - erst etwas für nach Mitternacht und dieses ein besonderer Liebeszauber, an ganz bestimmte Stellen aufzutragen. Doppelt gezwinkert. "Drei Stunden, Sir, da bricht nichts zusammen wie ein altes Pferd. Sie werden sehen." Ja, so sind sie halt, und damit kommt man wunderbar klar. Wortreiche Verkäufer, gewitzte Händler, sie wollen was und verfolgen ein Ziel und machen es gut und schaffen eine angenehme und heitere Atmosphäre. Wir wurden weder bedrängt noch überfahren noch genötigt. Was für ein Unterschied zu dem schrecklichen Geschäfts-gebaren der Schwarzer, welches nur anstrengend und von absurder Zahlenakrobatik geprägt ist und eher einem Machtkampf als einem kleinen Spielchen gleicht. Sie fragten,
wie es uns in Ägypten gefällt. Uns gefällt es in jedem Land klasse, wenn uns ein Einwohner fragt, aber hier brauchten wir nicht zu heucheln. "Wir fühlen uns ein bißchen wie zu hause, wir kommen aus südlicher Richtung, es ist eine Freude, sich in Ägypten als Gast aufzuhalten." Das hören sie gerne und wir sagten es auch gerne, weil es nicht gelogen war. Wir rauchten eine Wasserpfeife zusammen, feilschten um den Preis, kauften ein paar Öle und Fläschchen, wurden herzlich und warm verabschiedet und fühlten uns rundum gut. Auch den Montag starteten wir in Bestlaune mit dem wie immer auf die Minute präzisen Taxifahrer und fuhren zur Botschaft von Libyen. Wiederum kamen wir am Pförtner nicht vorbei, bekamen ein Telefon in die Hand gedrückt und erfuhren, daß wir ein Visum ausschließlich in Deutschland erhalten könnten. Diese Information bekamen wir dann in der Deutschen Botschaft bestätigt, nicht einmal in Ägypten wohnhafte Deutsche bekommen ein Visum, jeder Versuch ist absolut zwecklos. Scheiß-Gadafi ! "Warum erkundigen sie sich denn nicht vorher ?", fragt und die bescheuerte Else hinterm Schalter in vorwurfsvollem Ton. Ja wo denn, blödes Arschloch, in ganz Afrika weiß kein Mensch irgend etwas Genaues, Deutsche Botschaft inklusive ?! "Fahren sie doch über Israel weiter," wurde uns seitens unserer Vertretung dann noch geraten, "von Haifa aus geht eine Fähre in die Türkei." "Dankeschön, wir denken drüber nach." Was zum Teufel sollen wir in Israel oder in der Türkei. Gibt es dort afrikanische Briefmarken oder was ? Und überhaupt. Der GolfKonflikt zwischen Irak und den Staaten war gerade brandaktuell und in Israel wurden bereits Gasmasken ausgegeben. Dem Anthrax in Kenia gerade entkommen fahren wir fröhlich den Bio-Bomben von Saddam Hussein entgegen. Und selbst, wenn das nicht eintritt, dann dürfen wir durch den aus dem Ruder gelaufenen Ostblock oder durch Restjugoslawien und den ganzen Gammel fahren, absolut indiskutabel. Wir sind doch nicht wahnsinnig ! Was blieb also? Bei Licht betrachtet nur eine einzige Möglichkeit. Das Auto im Container lassen und gleich weiter nach Hamburg schicken und selbst nach Hause fliegen. Das einzig Vernünftige. Wir dachten noch darüber nach, den Heimweg mit einem Stop in Tunesien zu verbinden und per Leihwagen nach Algerien zu fahren, aber das Problem mit Libyen lösen wir so auch nicht. Außerdem waren wir wie wild bepackt und hatten mit der Schatulle bestimmt 30 kg Übergepäck. Da
bietet es sich eher an, und ist überdies preiswerter, pauschal zwei Wochen Tunesien von Deutschland aus zu buchen und sich vorher die Visa in Bonn zu besorgen. So wollen wir es dann auch machen. Das Auto umzubuchen war kein Problem, nur Papierkram und von heute auf morgen zu erledigen, ein Flugticket zu besorgen ebenfalls nicht, und auf einmal war die Reise zu Ende. Viel zu früh, die Ägypter hatten uns gerade etwas Reiselust zurück gegeben und wir hatten uns darauf gefreut, noch gemütlich durch den Frühling in Italien zu fahren und uns auch dort das alte Gerümpel anzuschauen. Das fiel nun flach. Trostreich allerdings war die Vorstellung, was uns alles erspart geblieben war dadurch, daß wir nicht auf dem Schiff mitgefahren waren. Wir wären nach entbehrungsreicher Überfahrt in Port Said von Bord gegangen, hätten teure Hafengebühren bezahlt, das Auto durch den Zoll gebracht und wären nach Kairo gefahren. Dort hätten wir zuerst festgestellt, daß diese Stadt für Ausländer nicht befahrbar ist. Alle Straßenschilder sind in arabischen Lettern, nur hin und wieder wird mal ein großer Platz oder eine Brücke in lesbarer Schrift benannt. Also unmöglich irgendwas zu finden, selbst mit Stadtplan, und der Verkehr bringt einen um wenn man selber fahren muß. Selbst nach mittlerweile 4 Tagen per Chauffeur kreuz und quer hatten wir noch nicht einen Krümel Orientierung gewonnen. Wir wären also auch per Taxi zur libyschen Botschaft gefahren, hätten die gleiche Information erhalten und da wir auch dann nicht über Israel gefahren wären, wäre alles von vorn losgegangen. Shipping-Company suchen, noch mal Zollformalitäten, noch mal Hafengebühr, noch mal Schmiergelder, noch mal Wartezeiten, wieder rinn in Container, zurück nach Kairo, Hotel suchen, Flugticket besorgen und alles das. Ein Segen, daß dies alles nur Fiktion blieb, ich glaube, ich hätte eine Krise gekriegt ! Na gut, also übermorgen in Hamburg, Ende Februar, schweinekalt, das ist die eine Seite, aber auch zu Hause, und das ist - Klima hin oder her - immer ein gutes Gefühl. "I'm going home ... by helicopter." (Alvin Lee). Wir sahen auch schon erste Demonstrationen islamischer Frauen mit Kopftüchern auf der Straße, die hysterisch kreischten und amerikanische Fahnen verbrannten und trafen einen Kanadier, der sich recht hektisch um einen Rückflug bemühte, denn im Falle eines Bombardements Bagdads muß man nicht unbedingt westlicher Besucher in einem arabischen Land sein.
Vielleicht ganz gut so, daß wir verschwinden. Zeit für einen kleinen Rückblick. RÜCKBLICK
Das Abenteuer war vorbei. Sicherlich, die Restländer in Afrika stehen noch aus, aber allesamt per Flieger, und das ist kein Abenteuer. Es ist ein zu erledigender, überschaubarer Job, und wir erwarten keine weiteren Überraschungen über das hinaus, was hinter uns liegt. Flughäfen, Hotels, Taxis, Postämter. Es muß gemacht werden, wenn wir denn die Briefmarkenbögen komplett haben wollen. Auch die Angst ist vorüber. Angst ist in Afrika ständiger Begleiter, außer in den National-Parks, aber auch nicht in allen. Nicht so, daß man ständig am Zittern wäre, aber wer in Afrika nicht hin und wieder Angst hat, oder wenigstens Befürchtungen, ist ein Idiot. Es braucht nicht viel Phantasie, sich auf den ewig langen und vollkommen unbefahrenen Straßen vorstellen zu können, daß ein paar Leute ein Nagelbrett über den Weg schieben um einen Überfall zu starten. Eine angetrunkene Kontrolle aus schwerbewaffneten Uniformierten ist ebenso schnell eskaliert vorstellbar, vom Raub über Vergewaltigung bis Mord. Oder sei es nur eine Motorpanne, die in einigen Gebieten einfach besser nicht passiert, will man nicht eine Odyssee aus Rundhüttenübernachtungen, Eingeborenenverpflegung und Werkstatthorror erleben. Von den Risiken seltsamer Krankheiten ganz zu schweigen. Vorbei ! Es gibt wieder eine Nacht, in der man sich nicht verstecken muß. "Ja, und wie war's ?", die Frage wird wieder kommen, so wie wir sie in der ersten Pause auch zu hören bekamen. Die Antwort interessiert die Wenigsten. Wie auf die Frage "wie geht's ?", erwartet kaum jemand mehr als "danke, und selbst ?" Tief Luft holen und den Versuch starten, eine wenigstens einigermaßen adäquate Antwort zu finden, quittiert die Mehrheit mit abrupten Themenwechsel auf Niederquer-schnittsreifen oder den letzten Titten-Skandal in einer Talkshow. "Superstrände, Bombenwetter, wilde Tiere. Aber die Sauberkeit ... Nur jeden dritten Tag das Handtuch gewechselt, das hat uns schon gestört. Und das Frühstück natürlich, aber das kennt man ja von den Südländern." Diese Antwort gefällt nicht nur, sie befriedigt sogar. So haben es sich die meisten vorgestellt, ihre Erfahrungen vom letzten Urlaub auf den Kanarischen Inseln
kommen vor, sie fühlen sich bestätigt, können mitreden. So ist sie halt, die große weite Welt. Ganz anders als in Pinneberg. Aber es gibt auch welche, die wollen mehr wissen. Was sagt man denen ? "Hat's euch gefallen ?" "Tja, gefällt dir das Leben ?" Es war kein Urlaub, es war auch kein Job im Ausland. Es war ein Lebensabschnitt unter besonderen Bedingungen. Einiges hat uns gefallen, anderes weniger, wie das Leben eben ist. Alles in Allem, wie meistens, war es besser, als hätte es nicht stattgefunden. "Hat es sich denn gelohnt, rein erfahrungsmäßig betrachtet ?" "Weiß nicht, lohnt sich das Leben, am Ende stirbt man ja doch ?" "Und was ist vom Traum übrig geblieben ? Würdet ihr es noch einmal machen ?" Vom Traum ist so gut wie nichts übrig geblieben, nur ein paar Dias und Videokassetten. Allerdings, es war eine von den Sachen, an die man zurück denkt, wenn man achtzig ist und mit offenem Mund im Pflegeheim Waldesruh auf dem Rücken liegt und aufs Stechbecken wartet. Und noch mal machen? Never ! Oder ... ? Ein Freund von mir hatte einmal Blasensteine oder sowas. Der Doc sagt, die könne man leicht durch die Harnröhre entfernen, und es war die Hölle. Mein Freund beschwert sich, und fragte, ob es nicht eine schmerzfreie Methode gegeben hätte. "Natürlich", sagte der Arzt, "eine aufwendige Operation unter Vollnarkose ist schmerzfrei. Diese Art, wie wir es gemacht haben, kann man jedem Patienten nur einmal vorschlagen, solange er nicht weiß, was auf ihn zukommt. Und dann hält er es auch aus und die Angelegenheit ist ruck-zuck erledigt." So ist es mit Afrika auch. Wenn man nicht weiß, was auf einen zukommt, dann hat es einen gewissen Reiz. Dann sind die Überraschungen ein Ausgleich für Entbehrungen, dann entschädigt die Spannung für die Wartezeiten, dann ist auch der Horror unter dem Aspekt der Erfahrung interessant. Als Wiederholung jedoch eher bocklos. Nach Namibia noch mal per Flieger und Leihauto, oder pauschal nach Gambia, meinetwegen auch über Land durch die Wüste als Gag. Oder Sun-City, Südafrika überhaupt, solange es noch befahrbar sein wird, oder auch Zimbabwe, aber das war's dann auch. Die Seychellen selbstverständlich jederzeit wieder, aber was hat das mit Afrika zu tun ? Nicht zu vergessen Eritrea und auch Ägypten. Den Rest müssen wir nie wieder sehen, einmal ist mehr als genug. "Also enttäuscht ?" "Irgendwie einerseits schon, überwiegend, aber anderseits auch nicht, es kommt auf die Erwartungshaltung an. Es heißt nicht ohne Grund die Dritte Welt. Man kann zweifellos auch in
Frieden sterben, ohne Afrika gesehen zu haben." Afrika ist besser als sich Blasensteine durch die Harnröhre entfernen zu lassen, das kann man mit gutem Gewissen behaupten. Und trotzdem kann ich diese Reise empfehlen. Es ist das versnobteste, was man sich gönnen kann, auf sehr intensive und direkte Weise dekadent und auch eine gehörige Portion Arroganz spielt mit rein. Dekadent bekommt hier endlich eine Bedeutung jenseits davon, einen kokainabhängigen und schwulen Modeschöpfer so zu bezeichnen. Und damit klar zu kommen, ist eine Prüfung, wie man sie unter Laborbedingungen nicht vorfinden kann. Berge von Geld zu verschwenden, ohne dafür auch nur im Ansatz den Gegenwert zu erhalten, den man gewohnt ist und den man woanders auch meist problemlos bekommt. Sich vorführen zu lassen, oft genervt zu sein, ständig in realen und imaginären Gefahren zu schweben, im Müll und Krüppeln zu waten, und dafür auch noch nicht zu knapp bezahlen. Trotz aller vielzähligen Niederlagen und Demütigungen doch ohne Zweifel der Hyperprivilegierte zu sein und das nie zu vergessen. Niemand zwingt einen, nach Afrika zu reisen. Alles ist echt, kein abgesteckter Abenteuerparcours, keine gebratenen Würmer aus der Hand von Rüdiger Nehberg, kein Sprung in die Tiefe mit einem Gummiseil am Fuß. Nicht eine Versicherung findet sich, die das Risiko abdecken möchte. Und es gibt weder Applaus noch ein Zertifikat fürs Wohnzimmer am Ausgang. Eher Spott, Schadenfreude und falsches Mitleid sind zu erwarten, wenn man auf einer freiwilligen Afrikareise bös Federn läßt. Die Chance dazu bietet sich täglich und jeder hatte es dann vorher gewußt. Afrikafahrer sind nicht umsonst eine verschworene Gemeinschaft von Halbirren, die sich jedoch bisweilen recht aufdringlich in diesem selbsternannten Image sonnen. Was sind wir doch für unerschrockene und tolle Typen, und da ist Spott im Falle einer Abfuhr, um die sie ja irgendwie gebettelt haben, durchaus angemessen. Vielleicht würden wir es sogar doch noch einmal machen, wenn ein paar Jahre ins Land gegangen sein werden, aber die Frage stellt sich im Moment nicht und ist überdies nicht zu beantworten. Immerhin wissen wir jetzt, daß wir halb soviel Klamotten und doppelt soviel Geld einkalkulieren müssten. Noch besser funktioniert es in Ein-Drittel-zu-Drei-mal-soviel-Proportion. Daß Afrika so teuer ist hat den Kontinent bisher von einem Massentourismus ausgeflippter Westler auf der Suche nach Erleuchtung verschont, wie er sich in Indien fest etabliert hat.
Mittelose Aussteiger, die mit den Bettlern um Pfennige feilschen, die durch falsch verstandene Freiheitsbegriffe die letzten Werte einheimischer Kultur unterlaufen und ein Dritte-Welt-Land schlimmer schädigen als der immerhin arbeitsplatzschaffende und devisenbringende Pauschaltourist, die kommen nicht vor. Weder lebensphilosophische Alternativen noch Sex und Drugs und Rock&Roll in kleinen, als Geheimtip gehandelter Enklaven an bevorzugten Strandabschnitten sind verfügbar. Weder Ballermann-6Ambiente noch übersättigter Drogenkonsum von narzistisch gepiercten Zeitgeistjüngern ist für Afrika zu befürchten. Nicht nur einmal hörten wir in Gesprächen unterwegs, daß es durchaus möglich sei, daß wir die letzte Generation von Weißen sein könnten, die sich in Afrika überhaupt noch blicken lassen kann. Absolut nicht ausgeschlossen aber auch nicht sicher. Wen man fragt, von denjenigen, die in Afrika geboren sind oder länger dort leben, sagen alle dasselbe. Es gab wenig Probleme, solange die Engländer oder entsprechend die Franzosen oder Belgier oder Portugiesen oder Holländer oder Deutschen da waren. Aber seit der Unabhängigkeit ... Die Weißen ziehen sich überall zurück, in dem einen Land sind sie schon so gut wie weg, in dem anderen denken sie erst darüber nach. Irgendwann werden sie alle verschwunden sein und dann wird es ganz schnell dramatisch bergab gehen. Hier früher, dort später. Ich sage das nicht, weil ich stolz auf meine verdammte weiße Rasse bin oder so - wie könnte ich - sondern weil es so ist. Weil es leider so ist. Die Kolonialisten brachten das Schlechte mit dem Guten. Sie haben viel durcheinander gebracht - besonders die Missionare - haben gemordet, unterdrückt, versklavt und ausgebeutet, aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Sie haben auch ausgebildet, Wissen vermittelt, Infrastruktur errichtet, Ackerland geschaffen, Verkehrswege gebaut und geholfen. Ein gebürtiger Südafrikaner sagte mir: "Ich verstehe nicht, daß es auf der Welt einen einzigen Menschen gibt, der glaubt, daß es in Afrika ohne die Weißen auch nur eine Straße, ein Krankenhaus, eine Schule oder gar einen Flughafen gäbe." Dem möchte ich mich anschließen. Nordafrika fällt aus dieser Betrachtung raus, die Arabs sind anders als die Schwarzer, ebenso wie die Inder, die weite Teile Ostafrikas prägen. Die kriegen was auf die Reihe. Und wenn ich schon trotz allem so etwas wie Werbung für eine Afrikareise mache - ich mache das ohnehin sehr halbherzig - dann
will ich zwei gravierende Fehler erwähnen, die wir begangen haben und die vermeidbar sind. Auch für diejenigen, die sich animiert fühlen, die Reise nach zu machen. Ich habe öfters abends im Auto gelegen und überlegt, ob sich welche finden werden, die sich auf die Socken machen. Eine Chance ist es allemal und der Verkauf der Bögen scheint nicht so schwierig zu sein. Wir haben von unterwegs genug Voranfragen, um gewiß zu sein, finanziell mindestens auf die sichere Seite zu kommen, wenn sie denn komplett sein werden. Das natürlich immer vorausgesetzt. Ich habe mir vorgestellt, daß es vielleicht einige versuchen werden, aber eventuell aufgeben, aufgrund verschiedenster, unkalkulier-barer physischer wie psychischer oder finanzieller Umstände. Es würden dann mehrere angefangene Bögen existieren wie unsere zur Zeit auch. Die könnte man auch verkaufen, an wiederum andere Reiselustige, die eine Möglichkeit sehen und Lust haben, einen Teil der Tour zu absolvieren. Verhandlungs- und Kontaktfrage. Überlassen mit vertraglicher Absicherung und im Erfolgsfall den Gewinn teilen beispielsweise, es gibt ein paar Möglichkeiten. Ein Bogen mit komplett Westafrika drauf ist schon fast die halbe Miete, nervlich gesehen. Ebenso könnte man einen schöneren Bogen machen als unseren. Etwa nicht immer nur die billigste Marke nehmen sondern nach Motiv auswählen. Es gibt wunderhübsche Marken in jedem Land, bloß teilweise recht teuer, besonders wenn man Stückzahlen nimmt. Dreihundert mit Schmetterlingen, dreihundert mit Tieren, dreihundert mit Blumen uns so weiter. Macht den einzelnen Bogen rarer und interessanter, uns kam diese Idee zu spät. Oder geographisch geordneter. Immer nur in der Hauptstadt abstempeln lassen, aber davon würde ich abraten. Das erhöht den Schwierigkeitsgrad enorm. Es wäre viel nerviger und weiter und riskanter. Auch der Gedanke, mehr Bögen mitzunehmen - kam uns natürlich auch - rate ich ebenso von ab. Tausend ist gerade richtig. Weniger, da ärgert man sich, wenn man es denn geschafft hat, aber mehr, ich glaube, das wird sehr schwierig. Gewichtsmäßig für Flugreisen, arbeitsmäßig beim Kleben, überredungsmäßig beim Stempeln und verwirrungstechnisch bei Kontrollen. Oder den ganzen Kontinent abfliegen. Öfters wurden wir gefragt, ob dies nicht einfacher und billiger wäre. Keine Ahnung, man müßte es mal ausprobieren, aber billiger, das glaube ich weniger. Auch auf den Airports sind sie korrupt. Und immer nur Taxis, Hotels, Botschaften,
Reisebüros, Flughäfen, da verlassen einen die Dollars auch auf dem kurzen und schnellen Weg, denn nichts ist in Afrika billig, als Weißer. Ungefährlicher ist es, das bestimmt, aber die ganze Angelegenheit bekommt einen völlig anderen Charakter. Man kriegt so gut wie nichts von Afrika zu sehen, und ob das ein Nachteil oder Vorteil ist mag ich nicht beurteilen. Die Sorge um's Auto fällt weg, der Ärger an Grenzen, die schlechten Straßen, wenn's nur ausschließlich um die Briefmarken geht, dann ist Fliegen sicherlich empfehlenswert. Naja, vorläufig Spinnkram, aber für diese wenigen, potentiellen Kandidanten, die auf welche Art auch immer mit dem Gedanken des Aufbruchs spielen: Auf jeden Fall alle benötigten Visa, die möglich sind, im Vorwege holen. Nicht, wie wir, irgendwann die Schnauze voll haben vom Klinkenputzen und glauben, der Rest ergibt sich unterwegs. Man ärgert sich die Pest. Das ist zwar auf den ersten Blick teurer, da die Viasgebühren in Afrika oft niedriger sind als in Deutschland und es nervt auch, aber gemessen an dem Aufwand, den dies in Afrika macht, unbedingt lohnenswert. Die Umwege, die man in Kauf nehmen muß um die jeweilige Landeshauptstadt mit diplomatischen Vertretungen zu erreichen, die Sucherei und Rumgurkerei in den teilweise fürchterlichen Städten, die Wartezeiten, das ist viel schlimmer als sich im beschaulichen Bonn/Bad-Godesberg von einer Villa zur nächsten zu begeben. Demnächst in Berlin. Und letztlich billiger. Kompakter kriegt man Afrika nirgends geboten. Der zweite Fehler war der, in der Annahme, wir führen durch jedes Land nur einmal, ausschließlich Single-Visa genommen zu haben. Man spart ein paar Taler. Man kann aber nie wissen, ob man eventuell wieder umkehren muß, sei es aufgrund einer Panne, die einen zurück zu einer kompetenten Werkstatt zwingt, sei es schlechter Straßenzustand, Unruhen, Krankheit oder sonstwas. Es ist ein besseres Gefühl, wenn der Rückweg offen ist. Multiple-Visa empfiehlt sich in fast jedem Fall, Ausnahme vielleicht Mauretanien, denn dahin will niemand zurück. Eine gefälschte Kfz-Versicherung ist auch sehr praktisch. Wir haben uns trotzdem in fast jedem Land extra versichern lassen, es kostet, gemessen an den anderen Ausgaben, nicht alle Welt. Aber man hängt nicht Sonntags an der Grenze fest, weil das Versicherungsbüro geschlossen hat, muß keine Irrsinnskonditionen akzeptieren, sondern kann erstmal weiterfahren und in Ruhe überlegen, was man tut. Bei
Ländern, in die man nur kurz reinschaut, braucht man sich gar nicht um Versicherungen kümmern. Es erleichtert die Sache. Und, als abschließenden Hinweis, laßt fünfzig Prozent von dem ganzen Krempel, von dem man denkt, man müßte ihn haben, zuhause. Satelitennavigation, Solarduschen, Generator, Winden, Überlebensmesser, Safariklamotten, Vorzelte, Klimaanlage, Stromumwandler, das meiste solches Zeug braucht man selten bis gar nicht. Einige Plastiktüten mit Kugelschreibern, ein paar Taschenrechner oder Digitaluhren, Feuerzeuge und SchweizerMesser made in Hong-Kong, das bringt es viel mehr. Vitamintabletten empfehlen sich auch dringend, Hähnchen mit Pommes ist auf die Dauer keine Offenbahrung und die Salate riskant riskant. Wer essenmäßig besonders krüsch ist, sollte sich besser von Afrika fern halten. Dieses nicht mögen und jenes nicht, kleine Spleens kultivieren wie Vegetarier sein oder auf bestimmte Formen der Zubereitung bestehen, zuviel Wissen über Vitamine, Mineralien und Cholesterin ist nur hinderlich und reduziert das meist geringe Angebot nur noch zusätzlich. Wir haben uns zum Vorsatz gemacht, alles zu essen was vorkommt, mit Ausnahmen allerdings. Ebenso sollte man die Finger von Afrika lassen, wenn Empfindlichkeiten irgendwelcher Art vorhanden sind. Dies nicht vertragen und das nicht, bei Lärm nicht schlafen können, weiche Betten nicht abkönnen, sich übermäßig ekeln vor kleinen Tierchen mit sechs Beinen, hohe hygienische Ansprüche und solche Dinge das alles steht einem nur im Weg. Entscheidend über für Verlauf und damit den Erfolg einer solchen Reise jedoch ist die Tragfähigkeit der Beziehung untereinander. Überhaupt nicht hoch genug einzuschätzen. Es macht vielleicht nicht soviel aus, wie die geschlechtliche Zusammensetzung ist, es ist nur meine persönliche Vorliebe, dies in Pärchenform gemacht zu haben. Sexuelle Harmonie oder Kumpeltum reichen ebenso wenig aus wie keine Konflikte zu haben. Denn konfliktfrei läuft keine Beziehung durch solch eine Unternehmung, die entscheidende Frage ist, wie damit umzugehen ist. Wenn zu dem Außenstreß auch noch interner hinzukommt, kann man nur noch einpacken. Wir hatten diesbezüglich auch unsere Momente, aber wenigstens einer muß cool sein. Abwechselnd, das reicht, aber das muß dann allerdings auch. Keiner braucht Vorwürfe wegen einer Fehlentscheidung, Schuldzuweisungen sind mehr als überflüssig und kommen diese
doch einmal, braucht es die Disziplin, nicht zurückpowern zu wollen. Einer muß sie jeweils aufbringen und da interner Streß natürlich nur dann entsteht, wenn gerade wieder mal etwas ganz schief gelaufen ist und beide gereizt sind, fällt dies besonders schwer. Im voraus kann man darüber nichts Definitives sagen. Ein paar Menschen benennen, mit denen es nie und nimmer ginge ist einfach, aber ob derjenige, dem man es zutraut, es tatsächlich bringt oder ob es an einem selbst scheitert, das merkt man erst unterwegs. Allerdings relativ früh. Wenn nicht beim Erreichen des Senegal, dann spätestens an der Elfenbeinküste. Es gibt aber für die Art Disziplin, die von beiden aufgebracht werden muß, auch eine Belohnung beziehungstechnischer Natur. Hinterher kennt man sich wirklich und kennt die eigenen Grenzen und die des Partners und entweder man sieht schnell zu, daß man glatt auseinander kommt oder hat eine stabile Partnerschaft, auf der sich schön aufbauen läßt. Krisengeprüft, konkurrenzunempfindlich, eingeschworen und sehr intim. Was unbedingt zu einem Rückblick gehört ist die Erwähnung von zwei Ausrüstungsteilen, die sich durch besonders beeindruckende Leistungen hervor getan haben. Einiges hat sich gestreckt, aber teilweise unter sehr harten Bedingungen. So will ich nichts negativ benennen, aber zwei Produkte haben extrem überzeugt und sind jedem empfohlen, der einmal etwas ähnliches machen will. Beides Second-Hand-Erwerbungen. Das erste ist der alte Daimler, in den wir uns fast verliebt haben. Was der mitgemacht hat ist unfaßbar. In der Hitze die Berge hoch gekrabbelt, durch Serien von Schlaglöchern marschiert, in denen man sich hätte verstecken können, das Wellblech, Staub, die Wüste und nicht einmal die Spur mußte nachgestellt werden. Was wir alles an Landrovern oder Toyota-OffRoadern oder ähnliches jüngeren Baujahres getroffen hatten und was die Besitzer alles wußten über Blattfederbrüche, Achsenprobleme, ausgefallene Elektrik und was sonst noch alles. Wir waren immer froh, diese Gespräche nicht durch eigene Erlebnisse bereichern zu können. Selbst nach diesem 40.000 km Ausflug, den das mittlerweile 17 Jahre alte Gerät mit Eins bestanden hat, verfügt er immer noch über einen nennenswerten Wiederverkaufswert. Das zweite Teil ist das Notebook von Toshiba. Längst nicht mehr auf dem neusten Stand der Technik - als 486/33 fast museumsreif - aber vollkommen ausreichend für jede Anforderung, die auf einer solchen Reise anfällt. Zweimal ist uns auf Rüttelpiste die obere Schrankklappe
aufgesprungen und das Notebook ist aus zwei Metern Höhe durchs Auto geflogen und hart auf den Boden gekracht. Macht nix. Es ist durchgeschüttelt worden ohne Ende, nicht zu knapp eingestaubt mit mehlfeinem Sand und rotem Staub, es war in den Tropen manchmal beschlagen wie eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und es ist dreckig wie Sau, aber es hat nicht einmal gezuckt. Selbst Kenia, wo die Elektrizitätswerke alles zwischen 180 und 360 Volt durch die Leitung schicken, hat ihm nichts anhaben können. Den Akkulader der ohnehin widerwillig laufenden Sony-Videokamera hat es gekillt, aber Toshiba ließ ein Lämpchen blinken, verweigerte die Ladefunktion aber funktionierte bei Direktbetrieb immer noch störungsfrei. Im nächsten Land mit regulärer Stromversorgung war alles wieder in Ordnung und selbst der alte Akku hält nach wie vor weit über zwei Stunden. Das macht doch Freude. Es gibt noch ein paar mehr Apparate, die ganz brav funktioniert haben, aber diese beiden wurden gnadenlos rangenommen und haben mehr als überzeugt. DAS WAR'S
Nun, kurz noch mal zurück nach Kairo, um die Geschichte zum vorläufigen Abschluß zu bringen. Der letzte Tag war ein hektischer mit der Erledigung der Briefmarken, einem letzten Besuch bei der Shipping-Company und viele kleine Sachen sonst noch. Wir kamen nicht um eine Einladung zum Essen durch den Taxifahrer herum. Passiert gerne in arabischen Ländern und es ist wahnsinnig lieb gemeint und eine Ablehnung ist einfach herzlos. Das Vergnügen ist sehr zweischneidig. Der Taxifahrer war ein sehr einfacher und offenherziger und gerader Typ. Sein Englisch lag auf dem Niveau von meinem Französisch und da die englische Sprache unsere einzige Verständigungs-möglichkeit war blieb die Kommunikation auf das Allerwesentlichste beschränkt. Nachdem wir alle Erledigungen abgehakt hatten ging es also zu ihm nach Haus zu seiner Familie. Schon auf dem Weg entschuldigte er sich, daß er nicht in einem schicken Stadtteil mit einem tollen Haus wohnt - was soll man da erwidern ? Er denkt natürlich, wir wohnen in einem Palast oder sowas ähnliches, es hat auch keinen Sinn ihm zu erklären, daß es nicht so ist. Wer auf die Schnelle in sechs Tagen fast zehntausend Mark ausgibt - er war immer dabei - der muß in einem Palast leben. Wir fuhren in seinen Stadtteil und es war so einer, zu
dem einem spontan der Satz rausrutscht "Hier könnte ich nicht leben". Enge Gassen zwischen fünfstöckigen Betonbauten, staubig, eine Geräuschkulisse aus Dauerhupen, voll aufgedrehten Kassettenrecordern und islamischen Schreiern, überall Stände an denen es qualmt und dampft, die Straßen voller Menschen, sehr viel Müll an jeder Ecke. Eine Luft zum schneiden. Aber es stimmt nicht, daß man da nicht leben kann. Wir würden dort ungern leben oder uns zumindest gehörig schwer tun, das steht fest, aber wenn ich mich hineindenke in das Leben, dann erscheint es mir vorstellbar, dort auch seine Freunde, Verabredungen, kleine Geschäftchen und speziellen Plätze zu haben. Viel eher als in diesen gottverlassenen Dörfern, da kann man wirklich nicht leben. Wir gingen in seine Wohnung, klein, dürftig eingerichtet aber Farbfernseher, Video und Telefon und im Großen und Ganzen nicht schlimm. Es wurde wie immer aufgetafelt als wäre eine Fußballmannschaft zu Gast. Ist jedesmal so. Egal wieviel man ißt, nach dem Essen sieht der Tisch immer noch so aus wie vorher. Ewig fordert eine der Hausherr auf, doch kräftig zuzulangen - iß, min Jung, damit du groß und stark wirst - und obwohl es diesmal wirklich sehr lecker war hatten wir am Ende trotzdem das Gefühl, daß er es lieber gesehen hätte, wenn wir noch dreimal mehr vertilgt hätten. Er erzählte von seinem Leben. Seine fünf Kinder benötigen Unsummen an Schulgeld. Das ist der schwerste Posten in seinem Haushalt, mehr als der ganze Rest zusammen. Ihm geht es finanziell nicht schlecht. Er hat ein Auto und ist nicht irgendein Taxifahrer, sondern hat das Privileg, vor einem der drei Sheraton-Hotels stehen zu dürfen. Man erwirbt sich dies zum Einen durch einen Beitrag von 5,- DM täglich, aber das ist wenigste. Das Auto hat zu blitzen und der Fahrer muß eine Vertrauensperson sein. Also keinen Touristen über'n Tisch ziehen, vernünftig fahren, pünktlich und zuverlässig sein, gefällige Umgangsformen besitzen. Dann bekommt man die reichen Fahrgäste ab. Europäer, Japaner und die Menschen aus Saudi-Arabien und den Arabischen Emiraten sind gute Kunden. Syrien und Kuwait sind Mist, knauserig, unfreundlich und überheblich, Amerikaner lassen sich so gut wie nicht blicken. Oft läuft das gleiche Programm, wie auch bei uns. Überall bekommt er 5% Provision, wenn er einen Kunden zu einem Händler bringt, aber nur zu Händlern, bei denen der Kunde nicht beschissen wird. Sheraton möchte nicht hören, daß ein Gast unter Mithilfe des Taxifahrers, der von ihnen empfohlen war, für den sie quasi gebürgt
haben, betrogen wurde. Dann ist er sein Privileg sofort los. So hat er durchaus Glückstage, in denen er um 1.000,- DM am Tag mit nach Hause bringt. Er erzählte von Gästen, die mal auf dem Rand zu dritt Zehntausend Dollar zwischen Mittags und Abends unter die Leute bringen, dann ist bei ihm Weihnachten. Japaner handeln nicht, daß ist für ihn besonders toll, da dann die Händler ihm gegenüber auch nicht knausern. Bei uns wurde seine Provision geschmälert, da wir den Preis zu stark gedrückt hatten, aber er war trotzdem zufrieden. Die Restaurants, in die er mit seinen Kunden geht, geben ihm große Kartons mit Essen für die ganze Familie als Gegenleistung, da hatte er bei uns mit McDonald Pech. Seine Angst besteht darin, daß die Touristenzahlen weiter rückläufig sein werden und er seine Kunden im Gewühl unter Einheimischen suchen muß, dann gibt es nur noch Hartgeld und bei ihm ist Ende der Fahnenstange. Sein noch recht ansehnliches Einkommen steckt er zu neunzig Prozent in seine Kinder, alle fünf sind in der Ausbildung, sind gepflegt und gut gekleidet und das ist sein Luxus. Es war ein netter Ausklang, er bedankte sich bei uns hundert mal, daß wir ihm die Ehre unseres Besuchs erwiesen haben und wir dankten hunderteinmal für seine Gastfreundschaft. Die letzte Nacht in einem arabischen Hotel waren wir in Gedanken schon auf dem Hamburger Flugplatz am Inter-RentSchalter, um uns mit Pyramidenstaub auf den Schuhen und einem Muskelkater vom Kamelreiten einen Leihwagen zu besorgen. Der zweite Teil der Afrika-Reise war zu Ende, einen Kulturschock wie bei der Rückkehr von der zugeschissenen Elfenbeinküste wird es nicht geben. Von Kairo nach Hamburg ist ein fließender Übergang.