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Stuttgarter Bibelstudien 178 Herausgegeben von Helmut Merklein und Erich Zenger
Joachim Kügler
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9 783460 047815
Stuttgarter Bibelstudien 178 Herausgegeben von Helmut Merklein und Erich Zenger
Joachim Kügler
Der andere König Religionsgeschichtliche Perspektiven auf die Christologie des Johannesevangeliums
I
I·~ Verlag Katholisches Bibeiwerk.GmbH ~
Stuttgart
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme I{ügler, Joachim: Der andere König: religiollsgeschichtliche Perspektiven auf die Christologie des Johannesevangeliums / Joachirn Kügler. Stuttgart : Ver!. Kath. Bibelwerk, 1999 (Stuttgarter Bibelstudien ; 178) ISBN 3-460-0478J-X
ISBN 3-460-04781-X Alle Rechte vorbehalten © 1999 Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: Friedrich Pustet, Regensburg
KARLKUPFER zum achtzigsten Geburtstag!
INHAL TSVERZEICHNIS
V01wort
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Einführung: Iesus als König?
1. Zur Traditionsgeschichte der Königstheologie 2. Jesu Botschaft vom Königtum Gottes und die Entwicklung der messianischen Christologie 3. Die weisheitliche Transformation der Königstheologie
IL Iohanneische Fallstudien 1. Jesus als Logos LI. Die Rolle des Logos bei Philo von Alexandria 1.2. Der Logos im Johannesevangelium 2. Der Logos als königlicher Sohn 3. Der Logos als Sohn im Schoß des Vaters 4. Jesus als das Brot des Lebens 4.1. Jesus als königlicher Brotgeber 4.2. Zur Traditionsgeschichte der Vorstellung vom König als Brotgeber 4.3. Prophet und König 4.4. Jesus als Geber und Gabe in der Brotrede
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5. Jesus als der Gute Hirte 5.1. Zur Traditionsgeschichte der Hirtenmetapher als Topos der Königstheologie 5.2. Die Hirtenmetapher im Kontext der johanneischen Königschristologie
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6. Das Machtwort des Königs 7. Jesus als Gott
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7
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VORWORT
Die vorliegende Studie verdankt ihre Entstehung einer Reihe von religionsgeschichtlichen Beobachtungen, die ich im Rahmen meines Habilitationsprojektes machen konnte. Da dort allerdings eine Einschränkung auf den messianischen Zweig der neutestamentlichen Christologie geboten war, konnten alle Beobachtungen, die in die Richtung der weisheitlich ·geprägten Präe?Cistenzchristologie wiesen, nicht berücksichtigt werden. Nach einigen kleineren Vorarbeiten, welche andeuten sollten, daß die religionsgeschichtlichen Erkenntnisse aus· dem· Bereich der antiken Königstradition auch für das. Verständnis von Texten wie dem Johannesevangelium fruchtbringend sind, schien es mir nun sinnvoll, meine These in der gebündelten Form dieser Studie vorzutragen. In einer ersten Abteilung stelle ich einführend noch einmal skizzenartig wichtige Grundzüge der antiken Königstradition, sowie _der neutestamentlichen. Königschristologie vor. Die zweite Abteilung ist dann einigen johanneischen Fallstudien gewidmet. Es geht dabei um die religionsgeschichtliche Analyse einer kleinen Auswahl von christologischen Bildern, mit denen das Johannesevangelium die soteriologische Bedeutung Jesu umschreibt. Da weder eine umfassende Darstellung der jo~anneischen Christologie. noch die detaillierte Untersuchung ihrer Entwicklungsgeschichte angezielt ist, gehe ich, was die johanneischen Texte angeht, vorwiegend synchron vor. Literarkritische Beobachtungen ·wurden nur dort einbezogen, wo es aufgrund der Diskussionslage unausweichlich schien. Trotz des fragmentarischen Charakters dieser Untersuchung wird, so meine ich, deutlich, daß die antike Königstradition als wichtiger kultureller Hintergrund für verschiedene christologische Vorstellungen des johanneisclien Christentums fungiert. Vor diesem Hintergrund wird es möglich, Vorstellungen, die zunächst ganz heterogen wirken mögen, als Elemente einer einheitlichen Konzeption zu verstehen.
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Herzlich zu danken habe ich wieder Herrn Prof. Dr. Helmut MERKLEIN, der die Arbeit in die Reihe der STUTTGARTER BIBELSTUD!EN aufgenommen hat. Dankbar erwähnen mächte ich auch meine bewährten Mitarbeiter, WelfREISCH in Erlangen und Daniel MEIER in Bonn. Mit d€
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Eillführullg: Jesus als König?
Es mag modernen Menschen ziemlich schwerfallen, sich Jesus als König vorzustellen. Dieser Gedanke erscheint auch angesichts seiner sozialen Herkunft, seines öffentlichen Wirkens unter Armen und Außenseitern und schließlich seines Schandtods am Kreuz recht abwegig. Trotzdem wurden sehr bald nach Ostern Elemente antiker Königstheologie herangezogen, um die Bedeutung Jesu zu umschreiben. Und das war durchaus naheliegend. Immerhin waren Vorstellungen von der Heilsbedeutung des Königs nicht nur in allen antiken Kulturen präsent, sondern spielten auch in den frühjüdischen Theologien und in der biblischen Tradition eine gewichtige Rolle.
1.
Zur Traditionsgesclziclzte der Königstlteologie
Im Staat gewordenen Israel wurde das Verhältnis zwischen Gott und König zunächst wohl nach den gängigen Modellen der Umwelt entworfen. Zwar ist die biblische Königstradition durch die Hände einer sorgfliltigen monotheistischen Revision gegangen, ab-er es gibt immer noch Hinweise auf ein sakral verstandenes Königtum. 1 Schon die Jerusalemer Kleinkönige des 2. Jahrtausends dürften u.a. Elemente ägyptischer Königskonzepte übernommen haben, und das israelitische Königtum setzte solche Traditionen mitentsprechenden Veränderungen fort. Es ist also sinnvoll, zunächst einen kurzen Blick auf die ägyptische Königstradition zu werfen: Die Konzeption des ägyptischen Königtums muß verstanden werden als eine Heilslehre, in der Politik und Religion verschmelzen. Die heute geläufige Trennung von Politik und Religion war dem ägyptischen Königsbild fremd. Der König ist Herrscher, Richter
Vgl. B. Lang, Der v~rgöttlichte König im polytheistischen Israel, in: D. Zeller (Hg.), Menschwerdung Gottes - Vergöttlichung von Menschen (NTOA 7), Göttingen 1988,37-59 .
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und Priester in einer Person. Er ist die entscheidende VerbindungssteIle zwischen göttlicher und menschlicher Welt und damit eine göttliche Heilsgestalt. Der König ist das Zentrum der ägyptischen - Welt, Gott auf Erden, Bindeglied zwischen Menschenwelt und Götterwelt, Garant für Leben, Heil und Wohlstand seiner Untertanen und präsentiert sich als die Erfüllung menschlicher Heilserwartung.2 Durch ~ie Reichseinigung, die bei jeder Thronbesteigung von Neuem vollzogen wird, stiftet er die Ordnung der Welt (m3 CI), und es obliegt ihm, diese Ma'at, die ständig bedroht ist, durch sein Handeln aufrechtzuerhalten, für umfassende Ordnung und Harmonie zu sorgen. 3 Im Kontext der königlichen Titel taucht sehr früh, nämlich in der 4. Dynastie, eine Bezeichnung auf, die ab der 5. Dynastie (24502345 v.Chr.) zum kanonischen Bestandteil der Königstitulatur gehört und den ägyptischen König bis in die römische Kaiserzeit hinein begleiten wird: "Sohn des Re" (z3 Rc.w).4 Die Rede von der Gottessohnschaft des Königs ist zu verstehen als eine Klammer, die den Sonnengott und sein irdisches Ebenbild verbindet. Sie stellt "ein kollektives Regierungsprogramm" dar, "das die ägyptischen Könige verpflichtet, die Schöpfertolen des Sonnengottes auf Erdefl zu wiederholen. "5 Als Sohn hält der König die Welt, das Haus seines Vaters, in Ordnung. 6 Im Neuen Reich (1550-1070 v.Chr.) wird dann die Sohnesbeziehung des Königs zum Reichsgott Amun-:Re im Sinne ~iner Geburtslegende entfaltet, welche in mehrteiligen Tempelreliefs dar2
3 4
5 6
Um Mißverständnisse zu vermeiden, ist, allerdings zu betonen, daß das frühe Ägypten unter Heil einfach ein Leben versteht, das nicht durch Not, Gewalt und Unrecht gequält wird. Vgl. J.,Assmal1l1, Ma'at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im alten Ägypten, München 1990,200-236. Vgl. zum folgenden K. Koch, Geschichte der ägyptischen Religion, Stuttgart 1993, 129-150; R. Grieshammer, Gottessohnschaft, LÄ 2 (1977) 820 - 822. E. Hornung, Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 51993 (=1971), 187 f. Vgl. J. Assmann, Stein und Zeit; Mensch und Gesellschaft im alten Ägypten, München 1991,96-137; besonders 128-134. '
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gestellt wurde. 7 Diese Legende erzählt, wie Amun sich in die Kö.nigin verliebt, zu ihr kommt und mit ihr den Thronfolger zeugt. Da die Gottessohnschaft erst dann von einem Menschen ausgesagt werden konnte, wenn er König geworden war, ist die Geburtslegende als erzählerische Entfaltung der ägyptischen Vorstellung von der Erwählung des Königs im Mutterleib (Königtum im Ei) zu verstehen. Sie ist eine retrospektive Verlängerung der Königswürde bis an den Anfang der menschlichen Existenz. Das klassische Königskonzept Altägyptens war bei allen Wandlungen und Brüchen erstaunlich beständig. Allerdings gelang es in späteren Zeiten immer weniger, das real existierende Königtum als Umsetzung traditioneller Heilsverheißungen zu verstehen. So läßt sich im späten Ägypten beobachten, daß an die Stelle des göttlichen Königs mehr und mehr der königliche Gott tritt, wenn nicht der einzelne selbst die I<;.:önigsverantwortung für sein eigenes Leben übernimmt. 8 Kehren wir zurück zum biblischen Bereich: Unter den Bedingungen des Polytheismus dürfte sich das Selbstbild der Könige Israels und Judas nicht sehr von dem der Nachbarkulturen unterschieden haben. Was die Sicht des Königs als Sohn Gottes angeht, so ist auf Texte wie die Natanweissagung und einige Königspsalmen zu verweisen. 9
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Vgl. J. Kiigler, Pharao und Christus? Religionsgeschichtliche Untersuchung zur Frage einer Verbindung zwischen altägyptischer Königstheologie und neutestamentlicher Christologie im LukasevangeHum (BBB 113), Bodenheim 1997,21-73. Vgl. dazu U. Rößler-Köhler, Individuelle Haltungen zum ägyptischen Königtum der Spätzeit. Private Quellen und ihre Königswertung im Spannungsfeld zwischen ~rwartung und Erfahrung (GÖF IV.21), Wiesbaden 1991. Zu den Samuelbüchern allgemein vgl. jetzt H. Niehr, Die Samuelbüeher; in: E. Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 1995, 151-157; zum Psalmenbuch E. Zenger, Das Buch der Psalmen, in: ders. u.a., Einleitung, 242-255.
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Die Natanweissagung (2Sam 7,12-16), die in ihrem Kern vermutlich aus der mittleren oder späteren Königszeit stammt,lO scheint ein wichtiger Haftpunkt dynastischer Ideologie gewesen zu sein und hat in der Deutungsgeschichte ein besonderes Gewicht erhalten. In dieser Weissagung garantiert Gott dem Königshaus Davids ewigen Bestand und konstituiert ein Vater-Sohn-Verhältnis zu Davids Nachkommen: Ich willjUr ihn Vater sein lind er wirdfiir mich Sohn sein. (2Sam 7,14)
Hier ist der Gedanke an eine göttliche Zeugung der Nachkommen Davids nicht ausgedrUckt. Die Sohnschaft des Königs interessiert vor allem unter dem funktionalev. Aspekt der stellvertretenden Herrschaft, während die Vaterschaft Gottes vor allem unter dem Aspekt der Legitimation und Fürsorge gesehen wird. Der zukünftige König "wird wie der Pharao in AgyptenSohn, d.h. Stellvertreter und Repräsentant Gottes sein".ll In Psalm 2 liegt die Sache insofern anders, als hier die Vaterschaft Gottes auch unter dem Aspekt der Zeugung thematisiert wird. So heißt es in Ps 2,7: Den Beschluß des Herrn will ich kundtun. Er sprach zu mir: "Mein Sohn bist du. Ich habe dich heute gezeugt. "
Nach der Mehrheitsmeinung der Forschung gehörte der Grundtext von Ps 2 (V.I-9) als Krönungslied zum vorexilischen Hofzeremoniell. l2 Daß die Konzeption königlicher Gottessohnschaft auf 10
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Zur Natanweissagung vgl. R. Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, 2 Bde. (ATD. Ergänzungsreihe 8), GÖttingen 1992, 178; S. Schroer, Die Samuelbücher (NSKAT 7), Stuttgart 1992, 154-157; G. Hentschel, Gott, König und Tempel. Beobachtungen zu 2Sam 7,1-17 (EThS 22), Leipzig 1992. Schroer, Samuelbücher (s. Anm. 10), 156 f; vgl. M Görg, GottKönig-Reden in Israel und Ägypten (BWANT 105), Stuttgart 1975, 258-261; Hentschel, Gott, König und Tempel (s. Anm. 10),42-47. H-J. Kraus (Psalmen I. (BK 15,1), Neukirchen-Vluyn 61989) hält die Entstehung des Psalms in der "Ära des judäisch-jerusalemischen Königtums" (146) von späteren Erweiterungen abgesehen für sicher.
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Ägypten verweist, ist recht deutlich. Hier wie dort wird der Akt der Amtsübertragung, in Ps 2 ist es die Inthronisation (V.6), als neue Zeugung bzw. Geburt des Königs verstanden. 13 Das Interesse richtet sich dabei nicht auf die Kindheitsgeschichte des Königs, sondern auf den Akt des Königwerdens, der als Zeugungsakt ("heute'~ gedeutet wird und dem König göttliche Qualität qua Amt zukommen läßt. Psalm 45 (LXX 44) gehört ebenfalls in die Reihe der Texte, die die Konzeption eines göttlichen Königtums belegen. 14 Obwohl die biblische Theologie sonst den unendlichen Abstand zwischen Gott und dem König als Menschen betont, wird dieser in V.7 f als Gott (elohim IC'j:f"~) angesprochen, der von seinem Gott gesalbt wurde. Offensichtlich· konnte die israelitische Köriigstheologie durchaus zu einer Ausdrucksweise greifen, die in die Nähe der ägyptischen Rede vom Pharao als sichtbaren Gott (ntr njr) führte. Welche theologische Relevanz die Institution des Königs einmal in Israel gehabt haben muß, wird auch daran deutlich, welche Klage sie in ihrem Untergang auslöst. Immerhin spricht Klgl 4,20 vom Gesalbten des Herrn als Lebensatem des Volkes und schreibt damit dem König eine Qualität zu, die sonst nur in bezug auf den
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Weniger überzeugend erscheint dagegen die These von E. Zenger: Er sieht hier eine späte, um 300 v.ehr. erfolgte Reaktion auf den Göttlichkeitssanspruch der hellenistischen Könige im Gefolge Alexanders. Vgl. F.-L. Hass/eid / E. Zenger, Die Psalmen 1. Psalm 1-50 (NEB 29) Würzburg 1993,50 f. M Görg (Studien zur biblisch-ägyptischen Religionsgeschichte (SBAB.AT 14), Stuttgart 1992, 21-26) versteht ,t,., im Sinne des ägyptischen msj und übersetzt dementsprechend "gebären". Er verweist auf eine Inschrift, in der Sesostris I. von Amun-Re als "mein Sohn, den ich geboren hahe" angesprochen wird (23). Offensichtlich tritt immer dort, wo die menschliche Mutter keine Rolle spielt, und nur die Relation zwischen Gott und König thematisiert wird, auf der göttlichen Seite ein Aufweichen der Geschlechtsgrenzen auf. Die Gott-König-Relation transzendiert dann ganz deutlich die menschliche Analogie, indem die Gottheit als alleiniger Ursprung des Königs charakterisiert ist. Vgl. zum folgenden Hoss/eld / Zenger, Psalmen (s. Anm. 12), 278284.
Schöpfergott (Ps 104,29) oder in ägyptischen Königshymnen zu finden ist. Der Sieg des Monotheismus und die politische Verabschiedung des Königtums durch das Exil führten aber zu einem Bruch, der niCht unterschätzt werden darf. Das bedeutet freilich nicht, daß die Idee des Königtums aufgegeben worden wäre. Ganz ini Gegenteil: Sie begleitet die biblisch-jüdische Theologiegeschichte auf Dauer. Die Katastrophe der Niederlage und die Krise des Exils stießen aber entscheidende Transfonnationsprozesse an. Für solche Prozesse ist die hinter Deuterojesaja stehende Gruppe ein gutes Beispiel. 15 Dort steht die Infragestellung der Verbindung von politischer und göttlicher Macht in einem engen Zusammenhang der Entwicklung eines universalistischen Monotheismus.1 6 JHWH wird zum alleinigen König Israels erklärt und damit jeder sakralen Überhöhung institution.eller politischer Macht eine Absage erteilt. Wir haben es hier mit Prozessen der Übertragung königlicher Vollmacht auf die göttliche Ebene bei gleichzeitiger Distanzierung vom irdischen Königtum zu tun, wie sie sich auch im Ägypten der Spätzeit abspielten. 17 Folgerichtig wird keine staatli·che . Wiederherstellung des monarchischen Israel erwartet. Der Bund mit David gilt jetzt vielmehr dem Volk Israel (55,3). Dieses wird als Thronanwärter und Befehlshaber von Nationen (55,4) eingesetzt.
mit
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Zum folgenden vgl. E. Zenger, Herrschaft Gottes / Reich Gottes n. Altes Testament, TRE 15 (1986) 176-189: 182 f; Alberlz, Religionsgeschichte (s. Anm. 10), 431-446. Vgl. Albertz, Religionsgeschichte (s. Anm. 10), 438. Zur Kritik an den Fremdgöttern vgl. L. Ruppert, Die Kritik an den Göttern im Jesajabuch, BN 82 (1996) 76-96. Vgl. U. Räßler-Köhler, Individuelle Haltungen (s. Anm. 8), passim. Zur israelitischen Tradition der Königskritik in ihrem Zusammenhang mit der Rede vom Königtum Gottes vgl. Zenger, Herrschaft Gottes (s. Anm. 15), 180-182; A. Moenikes, Die grundsätzliche Ablehnung des .Königtums in der Hebräischen Bibel (BBB 99), Weinheim 1995, bes. 209-221.
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2.
Jesu Botschaft vom Königtum Gottes und die Entwicklung der messianischen Christologie
Wenn nun Jesus ins Zentrum seiner Verkündigung die Rede von der Königsherrschaft Gottes stellt, dann steht· er mit seiner Botschaft eindeutig in der Fluchtlinie der deuterojesajanischen Theologie, die das universale Königtum Gottes so betont, daß jedes irdische Königtum damit in Frage gestellt wird. Bei Jesus geht es um eine direkte und ·unvermittelte Aktion Gottes. Der Schöpfer wendet sich in grenzenloser Gnade neu seinem Geschöpf zu und braucht dazu keinen königlichen Mittler. Die Königsherrschaft Gottes ist die endzeitliehe Wiederherstellung der Schöpfungsordnung und als solche ein universales Heilsgeschehen. Deshalb i.st der Gott, den Jesus verkündigt, ein Gott aller, ein Gott, der seine Sonne aufgehen läßt über Böse und Gute und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte (Mt 5,45). Die Würde der Gotteskindschaft ist bei Jesus nicht mehr das eifersüchtig gehütete Privileg eines irdischen Machthabers, sondern wird potentiell jedem zugesprochen, der sich von der "umfassenden Güte Gottes bewegen läßt, die durch Vorurteile und Eigeninteressen errichteten Grenzen zu überschreiten und jeden - selbst den Feind - als einen Menschen anzusehen, der von Gott akzeptiert ist. Daher gilt: 'Selig sind die Friedensmacher, sie werden Söhne Gottes genannt werden' (Mt 5,9). "18 Und wenn auch der historische Jesus unbestreitbar seine Vollmacht stark betont und die B~sonderheit seiner Gottesbeziehung herausstellt, so verkündet er doch eindeutig die Königswürde Gottes und nicht seine eigene. Wie die Zeitgeschichte lehrt, wäre ein entsprechender Anspruch selbst für den Handwerker aus einem galiläischen Dorf durchaus möglich gewesen. Er liegt aber nicht vor, denn Jesus mit seiner programmatischen Gewaltlosigkeit kann .nicht mit den revolutionären Volkskönigen der damaligen Zeit in Verbindung gebracht wer18
P. Hoffinann, Studien zur Frühgeschichte der Jesus-Bewegung (SBAB.NT 17), Stuttgart 1994, 37. Zur inhaltlichen Bestimmung der Basileia vgl. auch M. Woller, "Was heisset nu Gottes reich?", ZNW 86 (1995) 5-19.
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den. 19 Fragt man also, was der historische Jesus mit der Welt der Könige und Kaiser zu tun hatte, dann lautet die nüchterne historische Antwort: Nicht viel mehr, als daß er ihr zum Opfer fiel. Und trotzdem: Kurz nach Jesu Tod wurde die Vorstellung von Jesus als König zu einem wichtigen Element christlicher Verkündigung. Die durch die Ostererfahrung neu bzw. wieder erkannte Bedeutung Jesu konnte nach Ostern sehr früh in Mustern der Königstheologie ausgesagt werden, wobei mehr und mehr auch dem irdischen Jesus königliche Züge beigelegt werden konnten. 20 Einen zentralen Belegtext für die frühe christologische Entwicklung stellt Röm 1,3 / dar,. wo Paulus auf eine ihm schon vorliegende Bekenntnisformel zurückgreift. Diese beschreibt Jesus als "geworden aus dem Samen Davids" (V.3) und "eingesetzt zum Sohn Gottes", und zwar "dem Geist der Heiligkeit nach au/grund der Auferstehung von den Toten" (V.4). Höchstwahrscheinlich findet sich hier in einer alten Bekenntnisformel "die Spur einer ältesten ehristologie",21 die im Unterschied zu Paulus selbst noch nicht die Präexistenz des Gottessohns voraussetzt, sondern davon ausgeht, daß Jesus in seiner Auferweckung zum Gottessohn als Messiaskönig eingesetzt wird. Für diese vorpaulinische Tradition sind folgende Aspekte festzustellen: Die Auferweckung Jesu wird als Inthronisationsakt gedeutet. Jesus wird als königlicher Messias eingesetzt, und diese Einsetzung wird mit der Sohn-Gottes-Bezeichnung verbunden. Das
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V gl. J. Kiigler, Der alldere König. Religionsgeschichtliche Anmerkungen zum Jesusbild des Johannesevangeliums, ZNW 88 (1997) 223-241: 225 f. Vgl. zum folgenden U. B. Müller, "Sohn Gottes" - ein messianischer Hoheitstitel Jesu, ZNW 87 (1996) 1-32; H. Merk/ein, Ägyptische Einflüsse auf die messianische Sohn-Gottes-Aussage des Neuen Testaments, in: H. Cancik I H. Lichtenberger I P. Schäfer (Hg.), Geschichte - Tradition - Reflexion. FS Martin Hengel. III. Frühes Christentum, Tübingen 1996, 21-48; Kügler, Pharao und Christus? (s. Anm. 7),255-267. E. Käsemann, An die Römer (HNT 8a), Tübingen 41980, 10.
18
messianische Amt, in das Jesus eintritt, steht in einem dynastischen Zusammenhang mit David. Die Kombination aus Inthronisation, davidischem Dynastiedenken und Gottessohnschaft deutet darauf hin, daß der biblische Hintergrundtext, der die semantische Matrix für diese Kombination bietet, die Natanweissagung in 2Sam 7,12-14 ist. 22 Der Einfluß von Ps 2 ist zwar nicht zu beweisen, muß aber als wahrscheinlich geIten. Jedenfalls ist Röm 1,3 f das Zeugnis einer alten Erhöhungschristologie, welche biblische Verheißungen auf den auferweckten Jesus bezogen und diesen als Erfüllung messianischer Erwartung verstanden hat. 23 Sieht man diese Konzeption vor dem Hintergrund der "Demokratisierung" der Gottessohflschaft im Frühjudentum,24 auf die im folgenden Abschnitt einzugehen ist, so wird deutlich, daß sich im christlichen Bereich eine Reindividualisierung der allgemeinen Gottessohnschaft des jüdischen Volkes bzw. der weisen Gerechten vollzogen hat. Die individuelle Deutung der Natanweissagung, die das frühe Christentum hier vollzogen hat, war innerhalb des zeitgenössischen Judentums nicht ganz außergewöhnlich. Immerhin zeigen entsprechende Qumranbelege positiv (4Q 174 I,10-13) wie negativ (4Q 246) eine vergleichbare Vorgehensweise. 25 Auch auf die in22
23 24 25
M Henge/ hat darauf hingewiesen, daß die Deutung der Auferweckung durch 2Sam 7,12-14 möglicherweise mit den Ähnlichkeiten zwischen der Septuagintafassung der Natanweissagung und der Auferweckungsformel mit ANIl:THMI zusammenhängt: Der Sohn Gottes. Die Entstehung der Christologie und die jüdisch-hellenistische Religionsgeschichte, Tübingen 1975, 100 f. - Vgl. Merk/ein. Ägyptische Einflüsse (s. Anm. 20), 32 mit Anm. 36; Müller. "Sohn Gottes" (s. Anm. 20), 11. Vgl. Mülle,.. "Sohn Gottes" (s. Anm. 20), 7-14. Zu JosAs und Weish vgl. Kügler, Pharao und Christus? (s. Anm. 7), 210-218; zur spirituellen Deutung Philos vgl. ebd., 224-244. Die Unterscheidung zwischen einem Vorkommen im Schriftzitat und außerhalb ist insofern unangemessen, als ein Schriftzitat im entsprechenden Kontext nicht weniger Aussagekraft hat als eine freie Formulierung, sondern eher mehr. Gegen Müller, "Sohn Gottes" (s. Anm. 20), 2 f.
.n
dividuell politische Deutung in LXX Jes 7,14 und Sib.3 ist hinzuweisen. 26 Ein weiterer Entwicklungsschritt messianischer Sohn-Gottes-Christologie läßt sich an der Erzählung von der Taufe Jesu (Mk 1,9-11) festmachen. Diese stellt wohl überwiegend ein vorgegebenes Traditionsstück dar, welches von der mk Redaktion durch kleine Veränderungen in ihren Erzählrahmen eingepaßt wurde. Die Taufe selbst wird knapp erzählt (V.9). Sie wird in V.IO f gefolgt von einem dreiteiligen Epiphanieereignis. Jesus sieht, daß sich der Himmel öffnet und der Geist auf ihn herabkommt, und eine Himmelsstimme verkündet ihn als Gottes geliebten Sohn. Deutlich ist, daß der erste Teil der Aussage der göttlichen Stimme Ps 2,7 zitiert. Die Aussage des Wohlgefallens in der zweiten Hälfte dürfte dagegen auf Jes 42,1 zurückgehen. Ein Vergleich zeigt, daß in Mk 1,11 die Zeugungsaussage von Ps 2, 7 ausgelassen wird. Dit:s deutet daraufhin, daß die Tauferzählung nicht ausdrücken will, daß Jesus durch die Taufe zum königlichen Sohn Gottes gemacht wird. Es liegt nicht in der Aussageabsicht der Erzählung, festzulegen, von wann an Jesus Sohn Gottes ist. Vielmehr geht es darum, daß Jesus nach der Taufe als geistbegabter Gottessohn geoffenbart wird. Es geht um die liebevolle Anerkennung des königlichen Sohnes durch den Vater und die Bestätigung der Vaterschaft in einem performativen Sprechakt, nicht um eine Zeugungs- oder Adoptionsszene. Für Mk ist Jesus ebenfalls Sohn Gottes von Anfang an. Er macht diesen christologischen Grundsatz innerhalb des Gesamtrahmens seiner Erzählung dadurch deutlich, daß er schon in V.I von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, spricht. Vermutlich vereindeutigt er damit aber nur eine Aussage, die er mit seiner Tradition teilte. Andernfalls müßte man unterstellen~ daß erst die mk Redaktion die Zeugungsaussage des Psalms eliminiert hätte, was wenig wahrscheinlich ist.27 Schließlich hängt die Orientierung an Jes 42,1 auch mit dem Kontext der Geistbegabung zusammen, der keinesfalls erst redaktionell eingebracht worden sein kann, weil er zu den
26 27
Vgl. Kügler, Pharao und Christus? (s.. Anrn. 7),218-224. Vgl. Müller, "Sohn Gottes" (s. Anm, 20), 17.
20
erzählerischen Grundbestandteilen der Perikope gehört. Durch den Zusammenhang mit Jes 42,1 wird der Vorstellungskomplex des Gottesknechts aktualisiert. Das bedeutet aber nicht, daß die SohnGottes-Aussage hier "nur" als Knechtsaussage zu verstehen wäre. 28 Jesus wird als geistbegabter eschatologischer Messiaskönig geoffenbart. Allerdings ist eine zweite Veränderung gegenüber dem Psalmtext zu beachten. Sie liegt in der Veränderung der Wortstellung. Damit wird der Ton auf die identifizierende Anrede Jesu gelegt: "Du, und niemand sonst, bist mein geliebter Sohn!". So hat Anton VÖGTLE schon 1972 darauf hingewiesen, daß beim Wort der göttlichen Himmelsstimme in Mk 1,11 der Ton darauf liegt, "daß dieser Jesus der geliebte Sohn Gottes ist, der aufgrund dieser Sohnesqualität von Gott erwählt wurde. Wenn unsere Offenbarungsszene eben verkünden will, daß JeSliS trotz der im Taufempfang erfolgten Unterordnung unter den Täufer der Höhere ist, ist es nur folgerichtig, wenn die Gottesstimme Jesus nicht nur aus den übrigen Täuflingen herausheben, sondern auch, ja wohl noch mehr, dem Täufer gegenüberstellen will, der in der vorausgehenden Taufnotizja auch ganz allein genannt wird".29 Freilich ist nicht nur an eine Abgrenzung vom Täufer Johannes zu denken, sondern an eine prinzipielle Heraushebung der Gottessohnschaft Jesu vor allen entsprechenden Ansprüchen. Es kann nur einen geben, und dieser eine ist Jesus! Wohl schon bei der VOl'markinischen Tradition, spätestens aber bei Mk, dürfte sich damit eine gegen die hellenistisch-römische Herrscherideologie gerichtete Stoßrichtung verbinden, worauf noch einzugehen ist. Daß die Liebe des Vaters in diesem Kontext nicht nur mit Emotionen zu tun hat, sondern zugleich den Aspekt stellvertretender Ermächti-
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So F. Hahn, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, Göttingen 51995 (zuerst 1963), 341, im Hinblick auf die von ihm angenommene älteste Traditionsschicht der Tauferzählung. Vgl. J Gnilka, Das Evangelium nach Markus I (EKK. 1,1), Neukirchen-Vluyn 41994, 50.53. A. Vögtle, Die sogenannte Taufperikope Mk 1,9-1 L Zur Problematik der Herkunft und des ursprünglichen Sinns, in: EKK. V 4 (1972) 105-139: 135.
21
gung impliziert, erhellt aus der Phraseologie der hellenistischen Herrscherideologie, wo (in Fortführung alter Königstraditionen) die Sohnesbeziehung des Herrschers zu einem Gott üblicherweise durch die Liebe des Vaters zu seinem königlichen Sohn näher bestimmt ist. Was die Symbolik der Taube angeht, so kann angenommen werden, daß die Taube in lvlk 1,10 als leibhaftige und sichtbare Botengestalt des unsichtbaren und gestaltlosen Geistes Gottes aufzufassen ist. 30 Ihm wird einerseits die Freiheit und Beweglichkeit des Vogels zugeschrieben, andererseits werden Konnotationen, welche in der Liebessymbolik vorgeprägt sind, aufgerufen. Allerdings geht es hier nicht um die erotische Liebesbeziehung, sondern um die liebende Anerkennung des Sohnes durch den Vater.3 1 Zugleich wird deutlich gemacht, daß Jesus als Geistbegabter auch Träger der göttlichen Weisheit ist. Im Vergleich mit der Tradition in Röm 1,3 jwird von der Tauftradition die Königswürde Jesu insofern nach vorne verlagert, als die dem Auferstandenen zuerkannte Qualität als Sohn Gottes schon dem irdischen Jesus zugeordnet wird. Hier liegt zwar nicht die primäre Aussageintention der Erzählung,32 aber traditionsgeschichtlich gesehen dokumentiert sie eben doch eine entsprechende christologische Entwicklung. Indem die" Erzählung die Sohn-Gottes-Würde des irdischen Jesus als gegeben offenbart, ist sie selbst ein Indikator dafür, daß die retrospektive Dynamik, die
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32
Vgl. dazu J. Kiig/er, Pharao und Christus? (s. Anm. 7),260-263. Wenn S. Schroer (Der Geist, die Weisheit und die Taube. Feministisch-kritische Exegese eines neutestamentlichen Symbols auf dem Hintergrund seiner altorientalischen und hellenistisch-frühjüdischen Traditionsgeschichte, FZThPh (1986) 197-225: 206) behauptet, das NT habe mit dem Taubensymbol "ganz sicher auch dessen erotischsinnliche Assoziationen" übernommen, so verkennt sie, daß der Symbolgehalt vom jeweiligen Kontext abhängig ist, und auch al1ßerhalb des NT nicht immer eine erotische Komponente gegeben ist. Die Trennung VOll Erotik und Heiligem ist sicher zu bedauern, aber mit dem Taubensymbol der neutestamentlichen Tauferzählungen nicht zu beheben. Vgl. Vög/le, Taufperikope (5. Anm. 29), 125-130.
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ägyptisch mit der Vorstellung vom Königtum im Ei verbunden ist, in christlicher Ausprägung zu greifen beginnt: Ausgehend vom österlichen Bekenntnis, wird sukzessiv die gesamte Existenz Jesu als Sohnesexistenz erhellt. Eine weitere Station in diesem Prozeß ist die Verklänmgserzählung (Mk 9,2-8), die eine große Nähe zur taufgeschichte aufweist und vermutlich aus denselben oder doch verwandten Tradentenkreisen stammt. Auch hier wird wieder Ps 2 variiert, um Jesus in seiner besonderen Stellung als Sohn Gottes zu umschreiben. Wieder wird die Zeugungs aussage gemieden und durch eine andere Aussage ersetzt. Hier ist es die Aufforderung an die Jünger (und durch sie an die Lesenden), auf Jesus zu hören. Damit ist auch der besondere Akzent der Sohn-Gottes-Aussage in der Verklärungserzählung gekennzeichnet. Diesmal geht es um die Qualität Jesu als eschatologischer Lehrer, auf den unbedingt zu hören ist. Jesus wird als einzigartiger Offenbarungsträger gekennzeichnet, der als Sohn auch die großen biblischen Gestalten Mose und Elija überragt. 33 Mit ihm kommt die himmlische Königsherrschaft Gottes auf die' Erde, freilich einstweilen nur punktuell und situativ. Die christologische Grundbotschaft des Textes läuft wie bei der Tauferzählung auf eine Vorverlagerung der Würde des Auferstandenen hinaus: Jesus hat schon in seiner irdischen Existenz himmlische Qualität. Er wird nicht etwa erst durch Kreuz und Auferstehung in die Herrlichkeit des Sohnes eingesetzt, sondern hat sie bereits auf Erden, allerdings vorerst im Verborgenen.3 4 Er ist schon als Irdischer der königliche Stellvertreter der göttlichen Herrschaft, weshalb seiner Botschaft unbedingt zu' folgen ist. Hier geht es (wie in der Tauferzählung) nicht um die Einsetzung Jesu als Gottessohn, sondern um die göttliche Offenbarung bzw. Bestätigung dieser seiner Würde.3 5 Die Verklärungserzählung teilt also mit der Tauferzählung den 33 34 35
Vgl. Miiller, "Sohn Gottes" (s. Anm. 20), 19-23. Vgl. M Öhler, Die Verklärung (Mk 9:1-8): Die Ankunft der Herrschaft Gottes auf der Erde, NT 38 (1996) 197-217: 216. Anders J. Gnilka (Das Evangelium nach Markus II (EKK 1,2), Neukirchen-Vluyn 4I 994, 32), der von einem "Inthronisationsakt" spricht.
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retrospektiven Aspekt unter dem die Sohn-Gottes-Würde J esu begriffen wird. Beide wollen nicht den Beginn der Gottessohnschaft Jesu erzählen, sondern offenbaren unter dem Blickwinkel der Ostererfahrung rückblickend die Würde Jesu als eine schon dem Irdischen gegebene. Auf der Ebene der mk Redaktion wird der Prozeß der christologischen Retrospektive insofern wieder näher mit seinem Ursprung, der Auferstehung des Gekreuzigten, verbunden, als Mk eine Brükke baut, die von der Einleitung seines Evangeliums bis zum Bekenntnis des Hauptmanns unter dem Kreuz führt. Es würde den R!ihmen dieser Skizze sprengen, den mk Entwurf einer Sohn-Gottes-Christologie. adäquat nachzeichnen zu wollen, aber immerhin ist festzuhalten, daß die Integration des Todesgeschicks Jesu in die Sohn-Gottes-Vorstellung ein besonderes Anliegen der mk Redaktionsarbeit darstellt. Das wird nicht nur am Bekenntnis des Hauptmanns unter dem Kreuz (Mk 15,39) deutlich, sondern auch an der Einbettung der Verklärungsgeschichte in den Kontext der Leidensankündigungen (Mk 8,31 f; 9,31). So ist es dann auch folgerichtig, daß Jesus beim Herabsteigen vom Verklärungsberg mit den Jüngern über seine Auferstehung von den Toten spricht. Das Verklä·rungsereignis wird zum Vorzeichen des Auferstehungsereignisses. Wie zuletzt U. B. MÜLLER betont hat, kann die mk Betonung, daß Jesus der einzige legitime Gottessohn ist, "einen negativen Anstoß in der Herrschajtspropaganda Vespasians gefunden haben. "36 Ein Dokument der Auseinandersetzung mit zeitgenössisch aktuellen Sohn-Gottes-Konzepten' ist auch die Versuchungsgeschichte der ~ogienqllelle (Lk 4,2-12 11 Mt 4,2-11), welche um die Frage der G'ottessohnschaft Jesu kreist. Die ganze Erzählung, deren ursprüngliche Fassung wohl bei Mt besser erhalten ist,37 bezieht ihre
36
37
Müller, "Sohn Gottes" (s. Anm. 20), 27. Vgl. auch G, Theißen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien. Ein Beitrag zur Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 21992, 270-284. Zur Rekonstruktion. des Q-Textes vgl. P. Hoffmann, Die Versuchungsgeschichte in der Logienquelle. Zur Auseinandersetzung der Judenchristen mit dem politischen Messianismus, BZ 13 (1969) 207-223: 208. f.
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erzählerische Logik aus der Konfrontation verschiedener Konzepte von Gottessohnschaft. Besonders die erste Versuchung, das Verwandeln von Steinen in Brot (lviI 4,3 f 11 Lk 4,3 f), und die dritte, das Erlangen der Weltherrschaft (lviI 4,8-10 11 Lk 4,5-8), rekurrieren auf Vorstellungen der gängigen Herrscherideologie. Die Versorgung mit Brot gehört zum Standardrepertoire hellenistisch-römischer Herrscherideale (s.u. Kap. H.4.) wie auch der bio. blisch-jüdisc.hen Königstheologie. Die Vorstellung vom Herrscher als Brotgeber erscheint hier aber in persiflierter Form, da es nicht um die Versorgung hungernder Massen, sondern um die Selbstver• sorgung des Gottessohns geht. ·Die Versuchung, messianische Macht selbstsüchtig einzusetzen, wird von Jesus unter Hinweis auf biblische Frömmigkeit abgewiesen. Die Verlockung der Weltherrschaft als Gratifikation der Anbetung stellt die dritte Versuchung dar. Hier kann der Satan geradezu als theologische Chiffre für einen Herrscher gelesen werden, der in satanischer Selbstvergottung eine bedingungslose Unterwerfung fordert und sich die freie Verfügung über die KönigtUmer dieser Welt anmaßt. Auch diese Versuchung wird durch den Hinweis auf biblische Frömmigkeitstradition abgewiesen. Insgesamt erweist sich die Gottessohnschaft Jesu gerade im bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem einen Gott.3 8 Den zeitgeschichtlichen Hintergrund der Versuchungserzählung der Logienquelle hat P. HOFFMANN in messianischen Konzepten des zelotischen Widerstandes gegen die Römer gesehen.3 9 Entsprechende politfsch-militärische Messiasvorstellungen würden von der Q-Überlieferung abgelehnt. Dagegen hat G. THEIßEN sich daf'ür ausgesprochen, hier eine Kritik an der religiösen Aufladung politischer Herrschaft durch Herrscher wie Caligula zu sehen. 40 Die beiden Erklärungen ergänzen sich. Für die beiden ersten Versuchungen ist die These von HOFFMAi-m die überzeugendere Lösung. Immerhin berufen sich Jesus und der
38
39 40
Vgl. Müller, "Sohn Gottes" (s. Anm. 20), 27-30. Vgl. HojJmann, Versuchungsgeschichte (s. Anm. 37), 213-219. Vgl. Theißen, Lokalkolorit (s. Anm. 36),215-232.
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Teufel auf die Schrift, wodurch die Auseinandersetzung Züge einer schriftgelehrten Disputation annimmt. Das läßt auf eine innerjüdische Auseinandersetzung um das rechte Verständnis der Sohn-Gottes-Rolle schließen. In dieser Auseinandersetzung verurteilt die Erzählung ein in ihrer Perspektive falsches Sohn-Gottes-Verständnis als Resultat einer satanischen Schriftauslegung. Das hat sicher mit dem Anspruch zelotischer Messiasanwärter zu tun. Dagegen scheint für die Versuchung der Weltherrschaft eher eine Bezugnahme auf römische Vorstellungen vorzuliegen. Immerhin gehört die souveräne Verfügung über Reiche und Völker zur Ideologie römischer Herrschaft, die sich auch in Palästina immer wieder durch das Einsetzen von abhängigen Regionalkönigen auswirkte. Hier geht es nicht um das rechte Verständnis der Gottessohnschaft Jesu, sondern um die Unterwerfung Jesu als Kleinkönig unter einen Großkönig. Selbst die Aussicht auf eine weltweite Herrschaft als Vasallenfürst kann aber den Gottesfürchtigen nicht zur blasphemischen Proskynese bewegen. Für den Frommen ist es unmöglich, einen anderen anzubeten als Gott allein. Diese erzählerische Grundstruktur paßt sehr gut zu einer Situation, die die Anbetung eines heidnischen Herrschers mit der Aussicht auf die Erweiterung der eigenen Macht belohnte. Eine solche Situation war in Palästina in hellenistisch-römischer Zeit immer wieder einmal gegeben. Für die Q-Redaktion, die wohl in die Zeit der Tempelzerstörung fallt,41 bietet sich am ehesten die flavische (aber von Herrschern wie Caligula oder Nero vorbereitete) Renaissance hellenistischer Königsideologie als historischer Hintergrund an. Das würde bedeuten, daß die Q-Tradenten mit der Versuchungs geschichte einen Zweifrontenkrieg führten, sowohl gegen den zelotischen Messianismus, wie auch gegen die opportunistische Unterwerfung unter die Macht des Stärkeren. Die Entwicklung der Königschristologie wäre unvollständig beschrieben, wenn nicht auch die beiden synoptischen Kindheitser41
Zur Spätdatierung von QR vgl. P. HofJmann, QR und der Menschensohn. Eine vorläufige Skizze, in: F. Van Segbroeck u. a. (Hg.), The Four Gospels 1992. FS Frans Neirynck (BEThL 100), Leuven 1992, 421-456: 450-456.
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zählungen angesprochen würden. Sowohl das Matthäusevangelium wie auch das Lukasevangelium vollenden die durch die frühe Inthronisationschristologie ermöglichte Denkbewegung und reden von einer Gottessohnschaft von Anbeginn der menschlichen Existenz Jesu. Beide blenden die Vaterschaft Josefs aus und verwurzeln die Entstehung J esu in der schöpferischen Macht des Geistes Gottes. So heißt es in Mt 1,18, daß Maria, die Verlobte Josefs "bevor sie zusammenkamen" schwanger befungen wurde " aus- heiligem Geist". Und dem irritierten Josef wird im Traum mit göttlicher Autorität erklärt, daß das entstehende Kind aus heiligem Geist ist und als "Gott mit uns" die Erfüllung der Botschaft vo~ Jes 7,14 darstellt. Bei Lukas wird die entscheidende Erklärung der geheimnisvollen Entstehung in der Geburtsankündigung des Engels an Maria gegeben. Dort wird Jesus angekündigt als "Sohn des Höchsten", dem Gott den Thron seines Vaters David geben wird. Die Herrschaft des neuen Königs über Israel wird ewig währen (Lk 1,321). Auf den Einwand Marias, daß sie keinen Mann erkenne, der als Vater des Kindes in Frage käme, antwortet Lk 1,35, wo es heißt: Heiliger Geist wird kommen aufdich lind Kraft des Höchsten wird dich überschatten; deshalb wird auch das Erzeugte heilig genannt werden, Sohn Gottes.
Lk versteht Jesus als den von Gott versprochenen Endzeitkönig, der das Königtum Davids wieder errichtet und den Thro~ seines Vaters David besteigt. Er ist aber nicht Sohn Davids im Sinne einer leiblichen Abstammung, sondern als Heilskönig direkt Gottes Geschenk an sein Volk. Gott ist der eigentlich Handelnde, der seinen Sohn als König auf den Thron setzen wird. Er selbst gibt diese Würde, die Jesus nicht über Josef von David erben kann. Es gibt keinen dynastischen Automatismus mehr. Lk setzt in seiner Konzeption des Wirkens des Geistes die im hellenistischen Judentum vollzogene Annäherung von Geist, Dynamis und Weisheit voraus und meint mit der Überschattung durch die Kraft des Höchsten nichts anderes als mit dem Herabkommen des Geistes. Hier wie dort geht es um die Übertragung schöpferischer Kraft durch das göttliche Weisheitspneuma. Der Hinweis auf das
Wirken des Geistes bedeutet dabei nicht einfach, daß der Geist den leiblichen Vater ersetzt. Es ist vielmehr festzuhalten, daß in Lk 1,35 keine Umschreibung der Zeugung Jesu. vorliegt. "Trotz der 'realistisch' vorgestellten Empfängnis ohne ·Mitwirkung eines Mannes verbleibt die Erzählung also auf der Ebene der die Bedeutung erschließenden (symbolischen) Sprache. "42 Das ist theologisch konsequent, denn im Bereich monotheistischer Religion kann Gott nicht an die Stelle .des menschlichen Vaters treten. Die Vorstellung, der höchste und transzendente Gott mache sich zum Gatten einer menschlichen Frau, dürfte als überatl5 anstößig angesehen worden sein. Deshalb geht es bei der Geburtsankündigung in Lk 1 nicht um einen Zeugungsvorgang, sondern um einen Schöpfungsakt: "Gottes Allmacht wird im Schoße Mariens ein Kind erschaffen. "43 Das bedeutet, daß der Zusammenhang zwischen Gottessohnschaft und Geistzeugung in Lk 1 so zu verstehen ist, daß Jesu Würde als messianischer Gottessohn auf "einem besonderen schöpferischen Akt der Erwählung und Aussonderung, der schon im Mutterleib stattge·fimden hat", beruht. 44 Insgesamt gesehen nimmt das Lk eine durchaus eigenständige Position ein. Es unterscheidet. sich von der altägyptisch beeinflußten biblischen Königstheologie insofern, als es ein einfaches Nebeneinander von menschlicher und göttlicher Vaterschaft nicht annimmt. Es unterscheidet· sich aber auch von den hellenistischen Varianten des Geburtsmythos, weil es die Stelle des leiblichen Vaters nicht einfach mit der Gottheit auffüllt. Vielmehr wird eine theologisch wichtige Leerstelle im Text konstituiert, die durch biblisch gefüllte metaphorische Hinweise auf die Leben spendende Allmacht Gottes zwar bezeichnet, aber nicht geschlossen wird. Mutatis mutandis gilt das auch für die Erzählung des Matthäusevangeliums.
42
H Merk/ein, Die JeslIsgeschichte - synoptisch gelesen, Stuttgart
1995,47. 43 . H Schürmann, Das Luka&evangelium I. Kommentar zu Kap. 1,1 9,50 (HThKNT m,l), Freiburg 41990 (zuerst 1969),52. 44 Hahn, Hoheitstitel (s. Anm. 28), 306.
28
Dieser kurze Durchgang durch die Rezeptions- und Interpretationsgeschichte der königlichen Sohn-Gottes-Konzeption im christlichen Bereich zeigt, wie der erste, in Röm 1,3 f dokumentierte Schritt der individualisierten Anwendung der messianischen Gottessohnschaft auf den Auferstandenen eine christologische Denk:bewegung ermöglicht, die schon dem irdischen Jesus die messianische Qualität der Gottessohnschaft zuschreibt. In diesem Prozeß der sukzessiven Vorverlagerung der königlichen Sohn-GottesWürde des Auferstandenen bis hin zum Beginn seines öffentlichen Wirkens, ja bis zum Beginn der physischen Existenz, kommen religiöse Grundmuster zum Tragen, die zur Reaktivierung bestimmter (durchaus von Ägypten beeinflußter) Elemente biblischer Königstradition führten. In diesem Prozeß kommen zudem zeitgenössisch geläufige Elemente der Herrscherideologie, mit denen sich das junge Christentum auseinandersetzen mußte, als Negativfolie zum Zuge. Sie dienen der abgrenzenden Umschreibung eines spezifisch christlichen Konzepts der Gottessohnschaft, in dem die Tradition vom leidenden Gerechten eine entscheidende Rolle spielt, weil sie es ermöglicht, das Todesgeschick Jesu zu integrieren. Diese Entwicklung hatte sicher eine wichtige Ursache darin, daß die Königstheologie in der hellenistisch-römischen Universalkultur ebenso eine dominierende. Stellung innehatte, wie in der biblischen Tradition. Angesichts dieser kulturellen Vorgaben, war es naheliegend, vielleicht sogar unausweichlich, die durch die Ostererfahrung begründete Überzeugung von der bleibenden Bedeutung Jesu und seiner Botschaft auch in den kulturell geläufigen Termini königlicher Herrschaft zu denken.
29
3.
Die weisheitliehe Transformation der Königstheologie
Als ein Spezialfall der beschriebenen christologischen Entwicklung soll im folgenden das Johannesevangelium betrachtet werden. Dabei wird es nicht um eine umfassende Analyse der johanneischen Christologie oder gar deren Entwicklungsgeschichte gehen, sondern nur um einige Fallstudien zum Verhältnis zwischen der Tradition der Königstheologie und dem Jesusbild des Johannesevangeli ums. Diese Frage fand bislang erstaunlich wenig Beachtung. 45 Das mag daran liegen, daß die Rezeption königstheologischer Vorstellungen vor allem der messianischen Linie der Christologie zugeordnet wurde, während die johanneische Christologie zur weisheitlieh geprägten Präexistenzchristologie gehört. Es ist unbestreitbar sinnvoll und notwendig, zwischen diesen beiden Strömen der christologischen Entwicklung zu unterscheiden. Aber es läßt sich, so meine ich, auch zeigen, daß die weisheitliehe Richtung ebenfalls von Vorstellungen der Königstradition geprägt wurde. Zu den Vorgaben frühchristlicher Theologie gehörte ja eine weisheitliche Theologie, die seit längerem gewohnt war, königliche Vorstellungen auf die Weisheit und auf die Weisen zu übertragen, wobei die spätägyptische Isisreligion einen gewissen Einfluß hatte. 46 Im Bereich dieser weisheitlichen Theologie findet sich eine Weiterentwicklung der Königstheologie, die die alte Königstradition entscheidend verändert. Gehörten in Israel (wie auch in Ägypfen und den anderen Nachbarkulturen) Weisheit und König ursprüng4S
46
Eille Ausnahme ist W. A. Meeks, The Prophet~King. Moses Traditions and the Johannine Christology (NT.S 14), Leiden 1967; vgl. ders.; Moses as King and God, in: 1. Neusner (Hg.), Religions in Antiquity. FS E. R. Goodenough (SHR 14), Leiden 1968, 354-371. Vgl. S. Schroer, Die personifizierte Sophia im Buch der Weisheit, in: W. Dietrich / M. A. Klopfenstein, (Hg.), Ein Gott allein? lliWHVerehrung und biblischer Monotheismus im Kontext der israe1iti~ sehen und altorientalischen Religionsgeschichte (OBO 139), Göttingen 1994, 543-558.
lich so zusammen, daß der König eben der Träger der göttlichen Weisheit war, so verselbsfändigt sich später die Weisheit immer mehr als göttliche Gestalt und übernimmt selbst königliche Züge. Aus der Krisenerfahrung des Exils heraus, wird nicht mehr der mit Weisheit begabte König als Garant der gottgewollten Ordnung angesehen, sondern die Weisheit selbst. "Die Weisheit übernimmt die klassischen Funktionen, die der israelitische König innegehabt hatte (Offenbarer des göttlichen Willens, Garant der gottgefälligf!.n Ordnung und Gerechtigkeit, Repräsentant der Herrschaft JHWHs, attloritaliver Ratgeber). "47 Die Königswürde konnte dabei insofern universalisiert werden, als sie auf diejenigen übertragen wird, die sich der Weisheit verschreiben. In diesem Zusammenhang konnte später sogar das königliche Prädikat der Gotteskindschaft auf die Weisen übertragen werden. Der göttlichen Weisheit als göttlicher Person wird ein Sein yor der Schöpfung und eine Beteiligung an der Schöpfung zugesprochen: So heißt es im Buch der Sprichwörter über die Weisheit Gottes: (22) Der Herr hat mich geschaffen im Anfang seiner Wege, vor seinen Werken in der Urzeit. (24) Als die Urmeerenoch nicht waren, wurde ich geboren, als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen. (30) Als er die Fundamente der Erde abmaß, da war ich als Kind auf dem Schoß bei ihm. Ich war seine Freude Tagfür Tag und spielte vor ihm allezeit. (Spr8)
Das /jobbuch stellt in Kap. 28 die Frage nach dem Ort der Weisheit. So heißt es etwa in /job 28, 20: 48 Die Weisheit aber, wo kommt sie her? Und wo ist der Ort der Einsicht?
Beantwortet wird diese Frage dahingehend, "daß die Weisheit vor allem ErschqfJenen da ist und die Voraussetzung des Schöpjimgswer-
Die Weisheit hat ihr Haus gebaut. Studien zur Gestalt der Sophia in den biblischen Schriften, Mainz 1996, 47; vgl. auch ebd., 38-49.
47
S. Schroer,
48
Vgl./job28,12.
kes bildet, indem Gott nach diesem kosmischen Gesetz die Welt erschafft (V.23-27). Diese präexistente und transzendente Weisheit steht dabei eigenartig als selbständiges Wesen, als 'Hypostase' Gott gegenüber (vgl. Hi 28,27)".49 Schon im Ijobbuch ergibt sich im Nachdenken über die ferne Weisheit "eine MittlersteIlung zwischen Gott und der SchöpfUng: die Weisheit vermittelt Gott an die Welt. "50 In der Septuaginta wird der göttliche Logos, die zweite Größe, die in der.. späteren Weisheitstheologie eine entscheidende RoHe spielt, in mehreren Psalmen (z.B. Ps 33,6) und in Sir 39,17.31; 43,10.26 mit dem göttlichen Schöpfun.gsakt und dem Erhalt der kosmischen Ordnung verbunden. Logos und Weisheit werden einander angenähert: Wie das Wort Gottes, ist die Weisheit aus dem Mund Gottes hervorgegangen (Sir 24,3).51 Diese Verbindung des göttlichen Logos mit Schöpfung und kosmischer Ordnung hatte einen wichtigen Einfluß auf die weitere Entwicklung der Weisheitsspekulation im .Bereich des hellenistischen JUdentums. 'Obwohl die Anfänge der hellenistisch-jüdischen Logosspekulation verloren sind, deuten Fragmente des Aristobul an, daß die entsprechende Entwicklung in der Mitte des 2. Ih. v.ehr. schon begonnen hatte. Für Aristobul hatten Logos und Sophia "ähnliche Funktionen der Schöpfungsordnung. 52 Eine Verbindung von Weisheit und Logos zeigt auch das Weisheitsbuch, das jüngste Buch des griechischen AT. Diese (vermutlich im 1. Ih. v.ehr. in Alexandria entstandene Schrift)53 kennt die Vorstellung, daß Gott das All durch den Logos und den Menschen durch seine Weisheit geschaffen hat (Weish 9,lf).
49
50 51 52
53
H. Gese, Der Johannesprolog, in: ders., Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge (BEvTh 78), München 1977, 152-201: 175. - Auch in Sir 1,4 ffwird betont, daß die Weisheit vor aller Zeit und vor allen Schöpfungswerken existiert hat. Gese, Johannesprolog, 175. Vgl. Gese, a.a.O., 178 f. Vgl. T. H. Töbin, Logos, AncB.Dictionary 4 (1992), 348-356:.350. Vgl. S. Schroel', Das Buch der Weisheit, in: E. Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 1995, 277-284.
32
Was die Königstheologie angeht, so fällt zunächst auf, daß der Text es sehr konsequent vermeidet,dem weltlichen Herrscher, welcher in der aktuellen Situation der Diaspora ja stets ein Heide war, göttliche Würde zuzuschreiben. 54 Statt dessen rückt·der gesetzestreue Jude in seiner Beziehung zu Gott in die Königsrolle ein. So heißt es über den weisen Gerechten, er rühme sich, die Erkenntnis Gottes zu besitzen und ein Kind des Herrn zu sein (Weish 2,13}.55 Weil der Gerechte Sohn Gottes (Weish 2.18) ist, nimmt Gott sich seiner an und schenkt ihm nach seinem Tod die Vollendung königlicher Würde in engelgleicher Existenz (Weish 5.5.16).56 So wird die königliche Würde der Weisheit zum Ursprung der königlichen Würde des Weisen. Als Höhepunkt der hellenistisch-jüdischen Logosspekulation kann Philo von Alexandria gelten. Philo zeigt eine deutliche Verbindung von Weisheit und Logos: Er weist ihnen die gleichen Attribute zu und identifiziert die Weisheit mit dem Logos (all. 1,65; her. 191; somn. 2,242-45). So stellte schon B. L. MACK fest, "daß die Gestalt des Logos der nahen Weisheit du~chaus entspricht und daß mehrere Prädikate und Funktionen des Logos von der Weisheit auf 54
55
56
Zur kritischen Haltung des Weisbeitsbuches gegenüber der Herrscherideologie vgl. J. Kiigler, Die Windeln Jesu als Zeichen. Religionsgeschichtliche Anmerkungen zu tnAPrANon in Lk 2, BN 77 (1995) 20-28, hier: 23.26 f; zustimmend H-J. Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis, Stuttgart 1996, 39. Mit 1I1ILC; ist hier tatsächlich Kindschaft und nicht ein Dienstverhältnis gemeint. Auch D. Winston (The Wisdom of Solomon. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 43), New York 1979, 120) betont, daß die Bedeutung von 1I1ILC; in 2,13 durch 2,16.18 festgelegt wird. Im Unterschied zu LXX Jes 49,1-6; 52,12/ kann hier 1I1ILC; also nicht durch lioüÄoc; ersetzt werden. Vgl. Winston, Wisdom, 147. Die Sohn-Gottes-Würde, die Weish dem Gerechten, der Gottes Weisheit folgt, zuspricht, gründet auf einer kollektiven Gotteskindschaft des Volkes Israel, das in seiner Gesamtheit als königlich qualifiziert wird (Weish 12.7.19.21 .. 16.21.26), wobei Gott als der eigentliebe König anzusehen ist (Weish 3,8). Der Weise als Sohn Gottes darf somit nicht als Sonderfall betrachtet werden, sondern stellt die Erf'dIlung jiidischer Existenz dar.
33
ihn übertragen worden sind. "57 Es ist also festzuhalten, daß der philonische Logos bestimmte Züge der Weisheit und einen Teil ihrer Rolle übernommen hat. Deshalb sind bei Philo die Begriffe Weisheit und Logos auch so eng miteinander verwandt. Der Logos trägt im philonischen Werk eindeutig königliche Züge, was mit seiner Beziehung zum königlichen Gott zu tun hat. Für Philo steht fest, daß das Wirken Gottes sich nicht auf den Beginn der Schöpfung beschränkt. Gott ist deshalb nicht nur Schöpfer, sondern auch Regent und Erhalter der Schöpfung. So ist es für Philo ganz selbstverständlich, daß Gott im Hinblick auf seine Herrschermacht als König gesehen wird, der den ganzen Kosmos regiert. 58 Sicher hängt Philos Zurückhaltung gegenüber einer religiösen Aufladung menschlicher Herrschaft mit seiner Betonung des Königtums Gottes zusammen. 59 Die absolute Souveränität Gottes darf nicht durch menschliche Macht- und Herrlichkeitsanspüche geschmälert werden. Gott selbst ist Groß könig, "König der Götter und der Menschen" (Flacc. 170), "Herrscher der Götter und der lvfenschen" (Mos. 2,238),60 er ist "der erste und einzige König 57
58
59
60
B. L. Mack, Logos und Sophia. Untersuchungen zur Weisheitstheologie im hellenistischen Judentum (StUNT 10), Göttingen 1973, 142. Vgl. ebd., 141-154. Zu Gott als König bei Philo vgl. opif. 69; eher. 99; decal. 155; spec. 1,207 u. ö. - Zur Königstheologie Philos vgl. N. Umemoto, Die Königsherrschaft Gottes bei Philon, in: M. Hengel / A. M. Schwemer (Hg.), Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult im Judentum, Urchristentum und in der hellenistischen Welt (WUNT 55), Tübingen 1991, 207-256; G. Mayer, Die herrscherliehe Titulatur Gottes bei Philo von Alexandrien, in: D.-A. Koch / H. Lichtenberger (Hg.), Begegnungen zwischen Christentum und Judentum in Antike und Mittelalter. FS H. Schreckenberg, Göttingen 1993,293302. Zur Skepsis Philos gegenüber der hellenistisch-römischen Herrscherideologie vgl. Kiigler, Pharao und Christus? (s. Anm. 7), 224229. Daß Philo häufiger von Gott als Herrscher (tiYEllwv) spricht als von Gott als König, hängt vermutlich damit zusammen, daß Philo in einer Zeit lebte, die den römischen Kaiser zwar im umgangsprachlichen Griechisch als König bezeichnen konnte, im offiziellen Sprachgebrauch aber neutral vom Herrscher sprach. Dieser erfah-
34
des Alls" (post. 101). Wenn Philo in dieser Weise Gott königliche Würde zuschreibt, so steht er einerseits eindeutig in biblisch-jüdischer Tradition, befindet sich aber andererseits auch in guter Übereinstimmung mit dem griechisch-hellenistischen Denken. In beiden Denktraditionen war die Übertragung der Königsvorstellung auf Gott bekannt und wurde mit. ähnlichen F ormuIi erun gen thematisiert. 61 Für Philo regiert der transzendente Gott Himmel und Erde freilich nicht unmittelbar. als König. Seine Transzendenz verlangt nach vermittelnden Kräften, die als Boten und Mittler zwischen dem König und seinen Untertanen fungieren. So hat Gott auch seinen Logos, den Inbegriff göttlicher Weisheit und Vernunft, als stellvertretenden Machthaber als "Unterbeamten und Vertreter des Großkönigs" (agr. 51) eingesetzt. Zwar bezeichnet Philo den Logos vergleichsweise selten als König, aber die Königswürde des Logos ist implizit gegeben. Als Sohn, Ebenbild und Stellvertreter Gottes, des Königs, partizipiert der Logos selbstredend an dessen königlicher Würde. Darüber hinaus können aber durchaus einige explizite Äußerungen über den Logos als König angeführt werden. In fug. 103 nennt Philo den Logos die "schöpferische und königliche Kraft" Gottes, des Herrschers. Wenn Philo dann in fug. 108-118 den Logos als Hohenpriester des Kosmos und der Seele des Menschen (als Mikrokosmos) schildert, dann ist für ihn damit zugleich königliche Würde gegeben. Er spricht in fug. 111 davon, daß der Logos "nie das königliche Diadem ablegen wird. das Zeichen seiner wunderbaren. freilich nicht selbständigen. sondern untergeordneten Herrschaft". Und in fug. 118 bezeichnet er den Logos, der in der Seele als richterliche Zurechtweisung lebt, als "den Hohenpriester und zugleich König". Es kann also keinen Zweifel daran geben, daß Philo den Logos als König sieht. Er partizipiert in seiner kosmologischen wie in seiner soteriologischen Funktion an der Herrschaft Gottes und insofern auch an dessen Königswürde.
61
rungsweltliche Kontext dürfte nicht ohne Einfluß auf die theologische Sprache geblieben sein. Vgl. Mayer, Titulatur (s. Anm. 58), 301 f. Vgl. Mayer, Titulatur (s. Anm. 58), 299-301.
Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß im Bereich des hellenistischen Judentums auf der Basis entsprechender biblischer Vorgaben eine Konzeption entwickelt wurde, die die Weisheit bzw. den Logos mit königlichen Zügen ausstattet. Dies vollzieht sich i~ Rahmen eines umfassenden theologischen Prozesses der weisheitlichen Transformation der Königstradition, der dazu führt, daß die soteriologische Funktion des Königtums auf die Weisheit und auf . die Weisen übertragen werden kann. Die Königsverantwortung wird also in zwei Richtungen transferiert, einmal auf die göttliche Ebene der personifizierten Weisheit und zum anderen auf die menschliche Ebene des Gerechten, der sich der Weisheit öffnet. Im folgenden ist nun zu prüfen, inwiefern die johanneische.Logoschristologie an dieser Entwicklung Anteil hat. Ich werde mich beschränken auf einige zentrale Bilder aus dem königlich-weisheitlichen Bereich, die im Johannesevangelium aufgegriffen werden, um die Heilsbedeutung Jesu zu beschreiben. So soll versucht werden zu zeigen, daß die Königstradition in weisheitlicher Transformation als eine kulturelle Matrix für die johanneische Christologie fungiert. Diese Matrix macht es möglich, verschiedene christologische Bilder zu einem einheitlichen Entwurf zu integrieren und Elemente der Königstradition in eine weisheitlich geprägte Präexistenzchristologie einzubauen.
36
11. Johanneische Fallstudien
1.
Jesus als Logos
Selten entspricht die Häufigkeit bzw. Seltenheit einer Textaussage so wenig ihrer Bedeutung, wie dies bei den Logos.!lussagen des Johannesevangeliums der Fall ist. Nur in den wenigen Versen des johanneischen Prologs (Joh 1,1-18), genauer gesagt sogar nur in Joh 1,1 und 1,14 wird der Logosbegriff in bezug auf Jesus gebraucht. Sobald die Fleischwerdung des Logos thematisiert worden ist, verschwindet der Logosbegriff für den Rest des Evangeliums. Und doch ist es eben nicht irgendein Text, in dem der Begriff vorkommt, sondern die Eröffnung ~es Evangeliums. Diese hat als bewußt gestalteter Textanfang entscheidende Bedeutung für die Lenkung der Leserwahrnehmung und damit f"Ur das Verständnis des Ganzen. Auch wenn der Mensch Jesus nie als Logos bezeichnet wird, wissen die Lesenden durch den Prolog von Anfang an, mit wem sie es hier zu tun haben. Es ist kein anderer als der fleischgewordene Logos, der ihnen in Jesus begegnet. .Es ist nun in der Johannesexegese keine ganz neue Erkenntnis mehr, daß die hellenistisch-jüdische Logos- bzw. Weisheitsspekulation auf die Entwicklung der johanneischen Christologie großen Einfluß hatte.! Deshalb sei zunächst gleich noch einmal auf den prominentesten Vertreter hellenistisch-jüdischer Logosspekulation, Philo von Alexandria, eingegangen. In seinen Schriften spielt der
Vgl. z.B. E. Haenchen, Johannesevangelium. Ein Kommentar, hg. v. U. Busse, Tübingen 1980, 151-154; J. Ashton, The Transformation of Wisdom. A Study of the Prologue of Jol1n's Gospel, NTS 32 (1986) 161-186; J. Kiigler, Der Jünger, den Jesus liebte. literarische, theologische und historische Untersuchungen zu einer Schlüsselgestalt johanneiscl1er Theologie und Geschichte. Mit einem Exkurs über die Brotrede in Joh 6 (SBB 16), Stuttgart 1988, 169 f.229 f; T H Tobin, The Prologue of lohn and Hellenistic Jewish Speculation, CBQ 52 (1990) 252-269, bes. 268 f.
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Logos eine wichtige Rolle und diese Rolle hat in bestimmten Punkten Ähnlichkeit mit der Rolle des Logos im Johannesprolog.
1.1. Die Rolle des Logos bei Philo von Alexandria Generell ist über den Logos bei Philo zu sagen, daß er eine vermittelnde Realität zwischen dem transzendenten Gott und dem Kosmos darstellt. 2 Philo kennt mehrere Bezeichnungen, um den Logos in seiner Zwischenstellung zwischen Gott und Welt zu beschreiben. Der Logos ist z.B. der erstgeborene Sohn des Vaters (conj. 146; somn. 1,215), der oberste der Engel (her. 205), der Hohepriester des Kosmos (fug. 108-112), der Mann Gottes (conf 41.63.146). All diese Begriffe sollen deutlich machen, daß der Logos eine verbindende Stellung zwischen dem transzendenten Gott und der Welt innehat. Die Existenz des Logos reicht für Philo weit zurück, bis vor den Anfang der Schöpfung. Der Logos, der Inbegriff göttlicher Weisheit und Vernunft, ist der Erstling der Schöpfung, der älteste und erstgeborene Sohn Gottes (conf. 63). Er ist nicht selbst Geschöpf, sondern von Gott geboren. Die erste Funktion des Logos kann als kosmologisch bezeichnet werden. Damit ist einmal gemeint, daß der Logos, der vor der Schöpfung ist, als Abbild Gottes und Urbild dessen, was geschaffen werden soll, als Mittlergröße zwischen Schöpfer und Schöpfung fungiert (somn. 2,45). Da Philo unter dem Einfluß platonischer Tradition steht und folglich zwischen der wahrnehmbaren und der geistigen Welt, der Welt der Ideen, unterscheidet, muß diese Unterscheidung in die Vorbildfunktion des Logos eingezeichnet werden. So hat der Logos eine differenzierte Zwischenstellung: Gott gegenüber ist er direktes Abbild, dem Kosmos gegenüber ist er mittelbares Vorbild. Der Logos ist nämlich nicht das 2
Vgl. zur Logoskonzeption Philos: T. H Dictionary 4 (1992), 348-356: 350 f.
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Tobin, Logos, AneB.-
Urbild der wahrnehmbaren Welt, sondern das der Ideenwelt. Als normativer Vorentwurf aller Entwürfe ist er die archetypische Idee, aus welcher alle anderen Ideen hervorgehen (opij. 20~25). Der Logos ist aber nicht nur Urbild der Schöpfung. Er ist auch Schöpfungsmittler, denn er dient Gott als Werkzeug bei der Erschaffung der Welt. Philo vergleicht Gott mit einem Baumeister, der sich zunächst einen Plan, eine Idee, von dem macht, was er bauen will. Bei der Ausführung dieser Pläne benutzt er Werkzeug. Ein solches Werkzeug stellt in bezug auf Gottes Schöpfungswerk auch der Logos dar. Philo schreibt in eher. 127, daß Gott der Urheber der Welt ist, und die vier Elemente der Stoff sind, aus denen sie zusammengesetzt wurde. Er stellt fest, daß der Logos das Werkzeug Gottes war, durch das er die Welt eingerichtet hat, und daß der Grund, warum Gott überhaupt die Welt geschaffen hat, seine Güte ist. Darüber hinaus hat der Logos auch teil an der Herrschaft Gottes über den Kosmos. Der Logos spielt nämlich nicht nur beim ~chöp fungsakt eine Rolle, sondern auch bei der kontinuierlichen ordnenden und erhaltenden Beherrschung der Welt, denn selbstverständlich ist Gott für Philo nicht nur der Schöpfer der Welt, sondern auch ihr immerwährender Regent und Erhalter. Gott wird, wie schon erwähnt wurde, als König über den gesamten Kosmos verstanden, der aber den Logos, seinen "erstgeborenen Sohn" (agr. 51) als stellvertretenden kosmischen Machthaber eingesetzt hat. Der Logos regiert Himmel und Erde an Gottes Stelle. So hat also der Logos auch permanente Ordnungsrnacht im Kosmos. Die Schöpfungsrolle des Logos entspricht der Schöpfungsmacht Gottes, seine konstante Ordnungsrolle der Regierungsrnacht Gottes. Der Logos hat aber nicbt nur. kosmologische Funktionen, sondern auch eine soteriologische. Die kosmische Herrschaft des Logos hat nämlich für die Menschen auch Heilsbedeutung: Wer sich als Mensch dem Logos öffnet, durch den Gott herrscht und seine Güte erweist (eher. 27), der erhält Anteil an der Weisheit Gottes und wird so vom Logos hingeführt zur Gottesschau. Diejenigen, die sich dem Logos öffnen, werden dem Logos ähnlich. Und da dieser das Ebenbild Gottes ist, erlangen. sie auch eine gewisse Wesens-
ähnlichkeit mit Gott selbst (fug. 63). Der Weise erhält so Anteil an der königlichen Qualität Gottes und des Logos, Er wird selbst in gewisser Weise zum König. Der königliche Weise läßt seinen Nous wie einen König über seine unvernünftigen Neigungen regieren und betrachtet das himmlische Reich der reinen Vernunft als seine Heimat, da er f'ahig ist, jede Leidenschaft zu besiegen (agr. 65j).3 Dieser geistige König wird also zum Ebenbild des Logos, und da _dieser auch Sohn Gottes genannt werden kann, liegt es nahe, daß auch die Würde der Gotteskindschaft auf den frommen Weisen übertragen wird. Nun ist Philo bei der Übc;rtragung der Sohn-Gottes-Bezeichnung auf Menschen außerordentlich zurückhaltend. Im Bereich der irdischen Herrschaft meidet er sie. ganz konsequent. Aber an einigen Stellen, etwa in spec. 1,318, schließt er im Anschluß an Dtn 13,18; 14,1, daß die Frommen, also jene Menschen, die das naturgemäß Gute und Schöne tun, Söhne Gottes sind. Philo partizipiert also an der weisheitlichen Universalisierung der Gotteskindschaft, wie sie auch im Weisheitsbuch vorliegt. Dabei geht es Philo nicht um eine einfache Übertragung der Gotteskiridschaft auf das jüdische Volk. Die leibliche Abstammung spielt bei ihm keine Rolle, weil es ja um eine in Tugendhaftigkeit erworbene und aus Gnade gewährte Gottessohnschaft geht, die nicht vererbt werden kann. 4 Vielmehr werden jene zu Recht "Söhne des einzigen Goltes genannt", so konstatiert Philo in con! 145, "die sich auf die Erkenntnis stützen".
3 4
Vgl. R. Barraclough, Philo's Politics. Roman Rule and Hellenistic Judaism, ANRW II.2 1. 1. (1984),417"553: 547. Vgl. M. Hengel, Der Sohn Gottes. Die Entstehung der Christologie und die jüdisch-heIlenistische Religionsgeschichte, Tübingen 1975. 84; dort sind weitere Belege angegeben. Zur Relativierung ethnischer Grenzen durch Philos spiritualisiertes Israelkonzept vgl. N. Umemoto, Iuden, "Heiden" und das Menschengeschlecht in der Sicht Philons von Alexandria, in: R. Feldmeier IU. Hecke! (Hg.), Die Heiden. Juden, Christen und das Problem der Fremden (WUNT 70), Tübingen 1994. bes. 50 f.
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Philo unterscheidet allerdings zwischen der direkten Sohnesbeziehung zu Gott und der indirekten Sohnschaft, wie sie durch den Logos, das königliche Ebenbild Gottes, vennittelt wird. So heißt es in conf. 145-149: Wenn aber jemand noch nicht würdig ist, Sohn Gottes zu heißen, so bestrebe er sich. sich zuzuordnen dem Logos. seinem Erstgeborenen, dem Altesten unter den Engeln. da er Erzengel lind vielnamig ist. /.../ Denn wenn wir auch noch nicht tüchtig sind, als Söhne Gottes erachtet zu werden, so doch seines formlosen Abbildes, des hochheiligen Logos; der ehnvürdige Logos ist nämlich das Ebenbild Goltes.
Die Würde des Frommen ist also durch den Logos vennittelt, der den Menschen zur geistigen Neugeburt bringt. 5 Der Logos als Sohn und Ebenbild Gottes tritt als vermittelnde und verbindende Gestalt helfend zwischen Gott und Mensch, wird zur Brücke zwischen göttlicher Welt und Mehschenwelt und damit zum Erlöser der Menschen. Obwohl diese Logosspekulation Philos sich ganz unbestreitbar aus stoischen und mittelplatonischen Quellen speist, ist das Denken des Alexandriners doch insofern biblisch-jüdisch orientiert, als es sich -als Weiterentwicklung bestimmter Gedanken der biblischen und der frühjüdischen Weisheitstheologie (s.o.) verstehen läßt.
1.2. .per Logos im Johannesevangelium Es liegt auf der Hand, daß Elemente des philonischen Denkens der johanneischen Logoschristologie gut entsprechen. Das hat nichts mit "Abhängigkeit" zu tun, sondern rührt eher daher, daß auch das Johannesevangelium sich auf die biblisch-jüdische Weisheitstheologie bezieht und so Vorstellungen entwickelt, die der philonisehen Konzeption in manchen Punkten recht ähnlich sind. Hier wie dort gilt: Der göttliche Logos ist der geliebte Sohn und das Ebenbild des Vaters. Er wirkt als Schöpfungsmittler und Heilsmittler im Auftrag des Vaters zum Heil der Menschen. Der Logos besteht vor dem Anfang der Schöpfung und ist damit von den Schöpfungswerken qualitativ unterschieden. Schon vorweltlich ist
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Vgl. Hengel, Sohn Gottes (s. Anm. 4), 85.
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der Logos bei Gott und hat göttliche Qualität. Er ist es, durch den die Schöpfung geworden ist. Er schenkt der Welt Licht und Leben; er erleuchtet die Menschen. Angesichts dieser Gemeinsamkeiten, die sehr dafür sprechen, daß Philo und das Johannesevangelium vor demselben Hintergrund weisheitlicher Tradition stehen, darf allerdings nicht übersehen werden, daß es auch sehr wichtige Unterschiede gibt, die aus der Tradition vom menschlichen Geschick Jesu resultieren und es verbieten, die johanneische Christologie nun einfach als Fortschreibung jüdischer Logosspekulation zu sehen. Da es im Johannesevangelium ja immer noch um den Menschen Jesus und sein irdisches Geschick geht, kann die johanneische Christologie nicht einfach vom permanenten geistlichen Wirken des Logos sprechen. Sie muß das Menschsein Jesu thematisieren. Der vorzeitliche Logos und der irdische Jesus müssen theologisch zusammengebracht werden. Die aus dieser Herausforderung resultierenden Veränderungen der Logoskonzeption lassen sich gut an dem Logoshymnus aufzeigen, der im Prolog des Evangeliums verarbeitet ist. 6 Im Anfang war der Logos, und der Logos war bei Gott, und der Logos war Gott. Alles wurde durch ihn, und ohne ihn wurde auch nicht eines, was geworden ist. In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen, und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht ergriffon. In der Welt war er, und die Welt il·t qllrch ihn geworden, lind die Welt erkannte ihn nicht.
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Ich stütze mich im folgenden mit geringen Abweich~ngen auf die Rekonstruktion und Auslegung von H Merklein, Geschöpf und Kind. Zur Theologie der hymnischen Vorlage des Johannesprologs, in: R. Kampling / Th. Söding (Hg.), Ekklesiologie des Neuen Testaments. FS Karl Kertelge, Freiburg 1996, 162-183.
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Dieser Lobpreis auf den göttlichen Logos als Schöpfungsmittler, als Lebensträger und Lebenspender wäre auch im Kontext hellenistisch-jüdischer Weisheitstheologie gut denkbar. Er könnte fast von Philo sein, der ja auch davon ausgeht, daß die Mehrheit der Menschen sich dem Wirken der Weisheit verschließt. Auf der Basis einer Tradition aber, die von dem konkreten historischen Leben und Wirken eines Menschen spricht, muß das weisheitliche Modell so verändert werden, daß die Weisheit in irdischer Gestalt erscheint. Zwar kannte die weisheitliehe Tradition die Vorstellung, daß die göttliche Weisheit von der Seele bestimmter Menschen Besitz ergreift (Weish 7,27; 10,16) und durch sie wirkt, aber über dieses Modell der Einwohnung scheint der christliche Logoshymnus doch hinauszugehen, wenn er fortfährt: In das Eigene kam er, und die Eigenen nahmen ihn nicht auf. Alle aber, die ihn aufnahmen, ihnen gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.
Hier wird nicht einfach vom In-der-Welt-Sein der göttlichen Weisheit gesprochen, sondern vom Kommen des präexistenten Logos. "Sachlich kann mit dem 'Kommen' des Logos nur sein geschichtliches Auftreten in Jesus gemeint sein. "7 Da allerdings nicht ausdrücklich gesagt wird , daß es um die Menschwerdung des Logos geht, sah sich der spätere Redaktor, der den Logoshymnus in den Prolog seines Evangeliums einarbeitete und den man mit H. THYEN "Evangelist" nennen sollte,8 genötigt, die Sache unmißverständlich klarzustellen. Er formulierte dann: '''Und der Logos ist Fleisch geworden!" (Joh 1,14*). Freilich dürfte schon der ältere Hymnus mit dem "Kommen" des Logos nichts anderes gemeint haben. Das Wirken als Schöpfungsmittler und Lebenspender reichte auch ihm nicht aus, um das Heil der Menschen zu bewirken. Erst das Kommen des Logos ermöglicht die Überwindung des Nicht-Ergreifens 7 8
Merk/ein, a.a.O., 174. Vgl. H. Thyen, Johannes 13 und die "Kirchliche Redaktion" .des vierten Evangeliums, in: G. Jeremias / H.-W. Kuhn / H. Stegemann (Hg.), Tradition und Glaube. FS K. G. Kuhn, Göttingen 1971, 343356: 356. - In späteren Veröffentlichungen immer wieder.
und Nicht-Erkennens. Zwar sind es auch dann nur wenige, die ihn aufuehmen, aber sie erlangen durch ihn die Würde von Gotteskindern. Ihnen eröffnet sich die Möglichkeit einer neu,en Existenzweise, in der der Mensch nicht mehr nur Geschöpf Gottes, sondern vielmehr Kind Gottes ist. Auch wenn der Hymnus den Logos hicht explizit als Sohn Gottes bezeichnet, ist aufgrund der weisheitlichen Tradition fast selbstverständlich anzunehmen, daß der Logos in einem Vater-SolmVerhältnis zu Gott steht. Wir hatten ja bei Philo gesehen, wie elementar die Sohnesbeziehung zu Gott für die Beschreibung des Logos ist. Als Sohn ist der Logos Ebenbild Gottes und kann seine Mittlerfunktionen ausüben. Da zudem die Rede vom "Sohn" vermutlich schon von Anfang an zur weisheitlieh geprägte~ Präexistenzchristologie gehörte,9 ist es nicht sehr kühn, diesen Gedanken auch f'tir den Logoshymnus anzusetzen. Schon der zur Vorlage des Prologs gehörende V.1 dürfte wie Philo eine Vater-Sohn-Beziehung zwischen Gott und dem Logos voraussetzen. In V.1 entsteht ja durch die Aussage, daß der Logos 'Gott ist, andererseits aber bei Gott ist, ein merkWÜrdiges Changieren zwischen Identität und Nichtidentität. Dieses Problem klärt sich ansatzweise, wenn man hier eine Vater-Sohn-Relation·ansetzt. Schließlich konnte in antiken Kulturen der Sohn als Abbild oder Wiederholung des Vaters begriffen werden. Dabei wird einerseits die personale Verschiedenheit von Vater und Sohn festgehalten, aber andererseits ihre qualitative Einheit betont. Dies gilt schon für Ägyptert, wo der Glaube anzutreffen ist, daß der Vater im Sohn weiterlebt. "Der Vater sagt zu dem Sohn, den er durch die Umarmung als echtbürtig anerkennt: 'Das bin ich!' und ein in Ägypten häufiger Personenname lautet 'Der seinen Vater wiederbringt'. ttl0Ähnliche Vorstellungen, nun freilich ontologisch gefaßt, 9
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Vgl. H Merk/ein, Zur Entstehung der urchristlichen Aussage vom präexistenten Sohn Gottes, in: ders., Studien zu Jesus und Paulus (WUNT 43), Tübingen 1987,247-276, hier bes.: 272-274. JAssmann, Stein und Zeit. Mensch und 'Gesellschaft im alten Ägypten, München 1991, 135 . .zur ägyptischen Vaterkonzeption allgemein vgl. ebd., 96-13 7.
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sind dann auch in der griechischen Philosophie unter der Maxime "Gleiches zeugt Gleiches" zu finden. I I So kann auch der johanneische Jesus sagen, daß diejenigen, die ihn kennen, zugleich den Vater kennen (Joh 8,19; 14,7). Wer Jesus sieht, sieht den Vater (14,9). Und wenn generell gilt, daß im Gesandten der Sendende präsent ist, so ist Jesus als Sohn der Gesandte schlechthin: Wer ihn sieht, sieht den, der ihn gesandt hat (12,45). Der Höhepunkt entsprechender Aussagen ist aber die Feststellung der Einheit von Vater und Sohn: Ich und der Vater sind eins. EYW KU t 0 lTU"lP EV EaIlEV. (Joh 10,30)
Dazu stellte schon Ernst HAENCHEN treffend fest: "Jesus und der Vater sind nicht eine einzige. Person - das würde EI<; erfordern -, sondern eins".12 Es geht also auch im Johannesevangelium bei der
Entsprechung von Vater und Sohn um eine qualitative Einheit bei 11
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Was die griechischen Zeugungsvorstellungen angeht, so ging die Mehrheitsmeinung dahin, daß die Mutter nur Ge:fäß und Nahrung :für das entstehende Leben sei. So unterscheiden sich nach Plato Mann und Frau dadurch voneinander, "daß der Mann erzeugt und die Frau gebärt" (rep. 454e). Aristoteles liefert in seinem Werk De generatione animaliunI die ausf"lihrlichste Darstellung dieser Auffassung. In Kap. 19.20 des 1. Buches dieser Abhandlung stellt Aristoteles klar, daß der weibliche Körper keinen Samen produziert. Der Same ist vielmehr ausschließlich das Produkt des männlichen Klirpers und entsteht aus dem Blut. Er wird mit Pneuma gemischt, welches die Lust des Beischlafs auslöst. Dieser Blut-Pneuma-Samen gibt an den weiblichen Körper, der keinen Samen, sondern nur die Materie und die Nährseele beisteuert, die entscheidenden Qualitäten des Vaters weiter, indem er das Menstruationsblut zum Stocken bringt und so den Embryo formt. "Die Wirkung des männlichen Samens bei der Formung des weiblichen Ausflusses im Uterus ist der von Lab auf Milch ähnlich." (gen. an. 739b21) Die somatischen Bestandteile des männlichen Samens lösen sich dabei übrigens auf, so daß der Embryo nicht als ein materieller, "ausgelagerter" Teil des väterlichen Körpers angesehen werden kann. Haenchen, JohannesevangeIium (s. Anm. 1), 392. - Vgl. auch Joh 17,1l.21, wo die Einheit von Vater und Sohn zum Strukturmodell johanneischer Ekklesiologie wird.
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personaler Verschiedenheit. Vater und Sohn sind eins, aber eben nicht einer. Daraus ist zu schließen, daß die antike Konzeption von der Einheit von Vater und Sohn einen kulturellen Kommunikationshorizont darstellt, vor dem die johanneischen Aussagen über die Einheit von Vater und Sohn plausibel werden. Setzt man für Joh 1,1 denselben Hintergrund voraus, so wird die eigentümliche Spannung von Bei-Gott-Sein und Gott-Sein des Logos gut nachvollziehbar. Außerdem ließe sich im Falle einer Vater-Sohn-Relation die Gotteskindschaft der Menschen, die den Logos aufnehmen, von dieser Relation her begründen. Die Gotteskindschaft der Erlösten könnte dann als Entsprechung zur Sohneswürde des Logos begriffen werden: Gabe und Geber entsprächen sich dann. Daß die Gabe dem Geber entspricht, wußte ja die Weisheit immer und ist auch bei Philo gut zu sehen. Im redaktionellen Kontext, als Prolog zum Johannesevangelium, ist eine Vater-Sohn-Relation eindeutig gegeben, denn die Redaktion ordnet den Logos als Sohn Gott als dem Vater zu, indem sie in dem schon teilweise zitierten Vers Joh 1,14 den Logos den "Einziggeborenen des Vaters" nennt. Zudem gehört die Gottessohnschaft Jesu zu den Grundaussagen der johanneischen Christologie. Jesus ist als tleischgewordener Logos Sohn Gottes und - wie das folgende Evangelium dann zeigt - als solcher auch König.
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2.
Der Logos als königlicher So/zn
Die Charakterisierung Jesu als königlicher Sohn ist nun nicht nur implizit durch seine Logoswürde gegeben. Im Vergleich mit den synoptischen Evangelien, die ja, wie in der Einleitung zu sehen war, die Vorstellung von Jesus als königlichem Gottessohn durchaus kennen, fällt vielmehr auf, daß das Johannesevangelium mehr als jedes andere die königliche Würde Jesu explizit betont. Dieses christologische Anliegen ist offensichtlich· von besonderer Bedeutung für das Verständnis des johanneischen Christusbilds, denn es begegnet gen Lesenden gleich zu Beginn des Evangeliums .. So treffen wir schon im ersten Kapitel auf das Christusbekenrttnis des Natanael: Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König von Israel! (Joh 1,49)
Es handelt sich bei diesem Bekenntnis zwar nur um die Außerung einer erzählten Figur, aber ihr Sprecher ist immerhin ein Jünger, der im Text positiv bewertet ist. Da auch keine Textäußerung das Credo des Natanael relativiert, besteht kein Anlaß, daran zu zweifeln, daß diese Äußerung der Intention des Autors voll entspricht, und also auch für ihn Jesus Gottessohn und König ist, wobei die Zusammenstellung von Gottessohnschaft und Königswürde für unseren Zusammenhang besonders interessant ist. Nun steht das Bekenntnis des Natanael zur Königswürde Jesu im Johannesevangelium keinesfalls isoliert. Es wird später, beim Einzug Jesu in Jerusalem, wiederaufgenommen (Joh 12, 13-15), Die Massen ziehen Jesus, der dabei ist, auf einem Esel in die Stadt einzuziehen, entgegen und rufen ihm zu: Hosanna, gesegnet der Kommende im Namen des Herrn, der König von Israel! (Joh 12,13)
Zwar sind solche Äußerungen der Volksmenge im Johannesevangelium stets mit Vorsicht zu betrachten, denn sie können auch grobe Mißverständnisse implizieren. Daß es sich auch hier um eines der johanneischen Mißverständnisse handelt, wird allerdings durch den Erzähler selbst eindeutig ausgeschlossen. Er charakteri-
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siert die ganze Szene nämlich als ErfUllung biblischer Verheißung und belegt dieses Verständnis mit einem entsprechenden Bibelzitat. Fürchte dich nicht, Tochter Sion; siehe, dein König kommt, sitzend auf einem Eselsftillen. . (Joh 12.15)
Jesus zieht also als der biblisch verheißene Friedenskönig in die Stadt Jerusalem ein. Auffällig ist, daß in V.16 angemerkt wird, daß die Jünger den Sinn dieser Zeichenhandlung damals nicht begriffen haben. Erst die "Verherrlichung" Jesu, also sein Tod und seine Auferstehung, fUhren zur Erinnerung und zum nachträglichen Verstehen. Erst das Kreuz kann also das Königtum Jesu wirklich erschließen. Zu di~ser Verbindung von Kreuzestod und Königtum paßt, daß die Königswürde Jesu umso häufiger betont wird, je näher sein Tod rückt. Am intensivsten wird dieses Thema unmittelbar vor der Hinrichtung, nämlich im Verhör vor Pilatus bearbeitet (Joh 18,33-40).13 Hier wird das Königsbekenntnis nun nicht mehr anderen erzählten Figuren überlassen, sondern Jesus selbst bekennt seine Königswürde (V.37). Bevor es zu diesem Höhepunkt der johanneisGhen 'Christus-König-Aussagen kommen kann, muß Jesus allerdings klarstellen, daß e's sich bei ihm nicht um einen irdischen König handelt, mit dessen Macht andere Könige oder der Kaiser in irgendeiner Weise konkurrieren könnten. Sein Reich ist nicht von dies~r Welt (V.36). Das ist nicht weniger als ein irdisches Königtum, es ist unvergleichlich mehr. Die Königswürde keines irdischen Königs ist mit der Jesu irgendwie zu vergleichen. Jesus ist, so wissen es die Lesenden inzwischen, ein König, der vom Himmel herabgekommen. Von dort her stammt seine Königs13
Vgl. M Hel/gel, Reich Christi, Reich Gottes und Weltreich im Johannesevangelium, in: ders. / A. M. Schwemer (Hg.), Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult im Judentum, Urchristentum und in der hellenistischen Welt (WUNT 55), Tübingen 1991, 163184, hier: 165-174; c. Diebold-Scheuermann, Jesus vor Pilatus. Eine exegetische Untersuchung zum Verhör durch Pilatus (Joh 18,28 19,16a) (SBB 32), Stuttgart 1996.
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würde. Als solcher Himmelskönig ist Jesus in die Welt gekommen, um von der Wahrheit Zeugnis ablegen zu können. Zu dieser Sendung gehört unausweichlich auch der Tod am Kreuz. Deshalb spricht der Kreuzestitel (19,19-21), wie auch immer er von Pilatus gemeint sein mag, letztlich doch die Wahrheit. Hier hängt wirklich der König der Juden, der Menschensohn, der vom Himmel herabgestiegen ist und am Kreuz erhöht wurde (3,13-15). Eine deutliche Reibung zwischen dem, was die erzählten Figuren meinen, und der eigentlichen Wahrheit, die die Lesenden verstehen sollen, beherrscht schon vorher die Verspottungsszene (19,2 j). Die Soldaten kleiden Jesus als König und setzen ihm einen Dornenkranz auf. Sie schlagen Jesus und grüßen ihn als König der Juden. Was als Spott gemeint ist, spricht in bitterer Doppelbödigkeit, die Wahrheit aus. Jesus ist König und zu seinem Königtum gehört der Tod am Kreuz unverzichtbar dazu. Insofern ist der Dornenkranz die geeignetste Krone für diesen König. Insgesamt gesehen läßt sich also feststellen, daß Kreuzestod und Königswürde in der Sicht des Johannesevangeliums auf das engste zusammengehören. Das Königtum Christi, so hat Martin HENGEL ganz zutreffend betont, "vollendet sich in der tiefsten Erniedrigung und Ohnmacht, im Tode Jesu am Kreuz. "14 Nun ist die Einschreibung des Kreuzestodes in das Königsschema nicht die einzige Transformation des Königsbildes, die die johanneische_Theologie vornimmt. Jesus wird ja als König verkündet, der vom Himmel herabgekommen ist, und zum Vater zurückkehrt. Diese Struktur von Präexistenz, Inkarnation und Erhöhung ist dem Königsschema fremd. Sie wird ermöglicht durch die Entwicklungen der Weisheitstheologie, denen der letzte Abschnitt der Einleitung gewidmet war. In der Folge der weisheitlichen Transformation der Königstheologie entwickelt auch Philo, wie zu sehen war, eine Konzeption, in der der Logos als Sohn und Ebenbild Gottes an dessen königlicher Würde und Macht partizipiert. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus verständlich, wenn auch das Johannesevangelium Jesus betont königliche Würde zu-
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Henge/, Reich Christi, 182.
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schreibt. Da es Jesus als di:m fleischgewordenen Logos verkündet, kommt Jesus natürlich die königliche Würde zu, die dem Logos als Schöpfungs- und Heilsmittler, als Sohn und Ebenbild Gottes gewöhnlich zugeschrieben wird. Die Königswürde Jesu speist sich im Johannesevangelium vermutlich aber auch noch aus einer zweiten Quelle, die allerdings eng mit der ersten verbunden ist. Neben der Königswürde des Logos als Ebenbild Gottes spielt ja im hellenistischen Judentum auch die Königswürde des Mose eine zentrale Rolle. Daß das johanneische Jesusbild auf hellenistisch-jüdische Mosetraditionen Bezug nimmt, wird an verschiedenen Stellen deutlich, wie unten noch zu sehen sein wird. Ein Indiz für die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Mosekonzeptionen findet sich gleich zu Beginn des Evangeliums, im Prolog, was ein besonderes Gewicht hat, weil sich ja hier wie gesagt um eine Lektüreanleitung für die Lesenden handelt. In V.17 f des Johannesprologs wird Jesus als Exeget des Vaters in eine deutliche Opposition zu Mose gebracht Jesus steht als der, der Gnade und Wahrheit bringt, Mose gegenüber, dem das Gesetz zugeordnet wird. Daß hier eine echte Opposition gemeint ist, wird aus V.18 deutlich, wo betont wird, daß Jesus der einzige Exeget des Vaters ist, weil er der einzige ist, der Gott je gesehen hat. Damit wird die Gestalt des Mose in ihrer Offenbarungsqualität depotenziert. Jesus ist der entscheidende und einzige Offenbarungsträger. Auch wenn das Jesusereignis im Johannesevangelium wohl stets als unvergleichbare Überbietung des Moseereignisses gesehen wird, tritt Jesus doch strukturell gesehen in gewisser Weise an die Stelle des Mose: Er kann ihn offenbarungstheologisch nur ersetzen, wenn er in gewisser Weise wie Mose ist. Durch diese strukturelle Zwangsläufigkeit werden Qualitäten, die das hellenistische Judentum für Mose reklamierte, als Kommunikationshorizont für die Lesenden aktiviert und potentiell auf Jesus übertragen. Hier ist dann daran zu erinnern, daß z. B. Philo in Moll'. 1,149-162 dem Mose Qualitäten zuschreibt, wie sie aus der hellenistischen
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Königsideologie vertraut sind. 15 . Zwar wird Mose vom üblichen Königtum abgehoben, zugleich wird aber darauf hingewiesen, daß Mose durchaus König war, und zwar nicht aufgrund eigenen Machtstrebens sondern durch den Willen Gottes. Gott hielt ihn für würdig, sein Freund und Teilhaber zu sein (Mos. 1,1551). Gott ist und . bleibt bei Philo natürlich der eigentliche König. In seiner Souveränität als Hetrscher der Welt hat er sich aber entschlossen, dem Menschen Mose ein umfassendes Königtum übertragen, das nicht nur wie das der römischen Kaiser Herrschaft über den Erdkreis bedeutet, sondern darüber hinaus eine universale Herrschaft über den gesamten Kosmos mit all seinen Elementen meint (Mos. 1,155-157). Als Partner Gottes und Erbe des gesamten Kosmos wird Mose von Philo in Mos. I, 158 auch "des ganzen Volkes Gott und König" genannt. Im Hintergrund dieser im Kontext des jüdischen Monotheismus äußerst kühnen Redeweise stehen durchaus biblische Texte wie Ex 7, I, wo Gott Mose zum Gott für den Pharao macht. Sicher ist auch an die Vergöttlichung des Königs zu denken, wie sie die Jerusalemer Hoftheologie in Ps 45,8 (s.u. II.7.) thematisiert hat. Damit waren biblische Anknüpfungspunkte gegeben, um im hellenistischen Kontext für Mose eine Art göttliche Würde zu entwickeln. Diese Vergöttlichung des Mose darf aber nicht so verstanden wer~ den, als würden die Grenzen zwischen Gott und Mensch verwischt. Gott bleibt stets der eigentliche König, der in unbeschränkter Souveränität den Menschen Mose erhöht und ihm den königlichen Status eines Mittlers zwischen Gott und den Menschen verleiht. 16
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VgI. zum folgenden W. A. Meeks, The Prophet-King. MosesTraditions and the Johannine Christology (NT.S XIV), Leiden 1967, 107131; ders., Moses as King and God, in: J. Neusner (Hg.), Religions in Antiquity. FS E. R. Goodenough (SHR 14), Leiden 1968, 354371; Barraclough, Philo's Politics (s. Anm. 3),468-506; P. Borgen, Moses, Jesus, a.nd the Roman Emperor. Observations in Philo's Writings and the Revelation of John, NT 38 (1996) 145-159: 147152. Vgl. Meeks, Prophet-King, 1I0 f; Borgen, Roman Emperor, 150152.
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Als Beispiel dafür, wie weit hellenistisches Judentum in der Vergöttlichung der Mosegestalt gehen kotU1te, hat Pieter van der HORST auf das Exodusdrama des Tragikers Ezechiel hingewiesen, das vermutlich im 2. Jh. v.ehr. in Alexandria entstanden ist. l7 In diesem Werk wird von einer Traumvision des Mose berichtet, in der er zum Thron Gottes entrückt wird. Dort übergibt ihm Gott sein königliches Zepter und läßt ihn auf dem Himmelsthron Platz nerunen. Anschließend übergibt er ihm seine Himmelskrone und verläßt selbst den Thron, so daß Mose an Gottes Stelle thront. Hier regiert Mose das Universum als königlicher Platzhalter Gottes. Vermutlich ist eine solch gewagte Aussage nur vor dem Hintergrund der im Hellenismus gängigen Vergöttlichung der Könige zu verstehen. Hier wäre dann eine (freilich strukturanaloge) Gegenreaktion gegen solche Vergottungstendenzen zu sehen. Die Botschaft des hellenistisch-jüdischen Textes wäre dann ein Insistieren auf dem Heilsmonopol der biblischen Tradition: Nur in und durch Mose (und sein Gesetz) kann Gott erkannt werden. Nur durch den König Möse ist Gottes Königsherrschaft in der Welt präsent. Neben solchen. Mosetraditionen, hinter denen er allerdings deutlich .zurückbleibt, spielen bei Philo vermutlich auch philosophische Überlegungen über die Göttlichkeit des Herrschers eine Rolle. So bezeichnet Philo Mose als NOMOl: EM'PYXOl: TE KAI AOrIKOl: (Mos. 1,162) und nimmt damit eindeutig Spekulationen über den Königals Weltlogos und lebendes Gesetz auf, wie sie sich auch bei hellenistischen Philosophen wie Plutarch, Seneca und anderen finden. t8 So werden also Logos und Mose einander angenähert, ohne daß freilich genau zu klären ist, wie sich Philo die Relation zwischen Mose und Logos genauer vorstellt, vermutlich doch nach dem weisheitlichen Modell der Einwohnung. 17
18
Vgl. zum folgenden P. W. van der Horst, Moses' Throne Vision in Ezekiel the Dramatist, in: ders., Essays on the' Jewish World of Early Christianity (NTOA 14), Göttingen 1990; 63-71. Vgl. G. F. Chesnllt, The Ruler and the Logos in Neopythagorean, Middle Platonic, and Late Stoic Political Philosophy, ANR W II.l6.2. (1978),1310-1332: 1326-1329.
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Vor diesem Hintergrund ist der Konflikt zwischen Jesus und Mose nicht schwer nachzuvollziehen. Indem die johanneische Christologie Jesus in das Zentrum rückt, und ihn mit dem Logos identifiziert, wird Jesus fast automatisch zum Konkurrenten des Mose, weil er dessen zentrale soteriologische Rolle an sich zieht. So erklärt es sich auch, daß schon im Prolog eine Opposition zwischen Jesus und Mose aufgebaut wird. 19 Durch die Konkur~enz mit Mose als Logosgestalt liegt es nahe, daß auf Jesus auch die Zuschreibungen königlicher Würde übertragen werden, die das hellenistische Judentum für Mose entwickelt hatte. Das zeitgenössische Wissen, das so auf Jesus übertragen wird, erhält dabei die für das johanneische Christentum so typische christologische Engführung: Nur in und durch Jesus und seine Botschaft kann Gott erkannt werden; nur durch ihn ist Gottes Königsherrschaft in der Welt präsent.
19
Ausführlicher dazu der nächste Abschnitt (II.3.).
53
3.
Der Logos als Sohn im Schoß des Vaters
Die Frage, wie denn die Logoschristologie des Prologs mit der Sohneschristologie zusammenhängt, die im Korpus des Evangeliums vorherrscht, stellt ein Dauerproblem der Johannesforschung dar. Zwar ist kaum zu beantworten, warum Jesus nur im Prolog Logos genannt wird und sonst nicht mehr im Evangelium, aber wir haben im vorhergehenden immerhin gesehen, daß dem Logos in der hellenistisch-jüdischen Theologie die Qualität eines königlichen Gottessohns zugeschrieben wird. Von daher ist es nicht überraschend, wenn, wie zu sehen war, auch für oie johanneische Präexistenzchristologie eine feste inhaltliche Klammer zwischen der Rede von Jesus als Logos im Prolog und der von Jesus als König und Sohn Gottes im Korpus des Evangeliums besteht. Im folgenden Abschnitt kehren wir noch einmal zum Prolog zurück, um eine weitere Aussage über den Logos zu analysieren, die seine Sohneswürde unterstreicht. Es geht um den (redaktionellen) V.I8, welcher keinen Zweifel zuläßt, daß Gott in einem Vaterverhältnis zum Logos steht. 20 Er beschreibt den Logos als f.LOVOYEV~e; BEae; (,
wv Eie; .av
KOA,1TOV .00
lTlX.pae;.
Die EINHEITS ÜBERSETZUNG gibt diese Wendung mit "der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht" wieder. Und das MÜNCHENER NEUE TESTAMENT formuliert: "der einziggeborene Goit, der ist an der Brust des Vaters". Die meisten Kommentare übersetzen ähnlich und assoziieren damit wohl das an der Brust Liegen des Freundes beim Gastmahl. Schon 1977 hat aber Hartmut GESE gegen ein solches Verständnis protestiert und ist dafür eingetreten, statt dessen an das Bild des im Schoß ruhenden, mit den Armen gehaltenen Kindes zu denken.2 1 Otfried HOFIUS hat diesen Vorschlag zwölf Jahre später unter
20 21
Vgl. zum folgenden J. Kügler, Der Sohn im Schoß des Vaters. Eine motivgeschichtliche Notiz zu Joh 1,18, BN 89 (1997) 76-87. Vgl. H. Gese, Der Johannesprolog, in: ders., Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge (BEvTh 78), München 1977, 152201: 169.
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Hinweis auf rabbinische Literatur untermauert. 22 Dieses Verständnis wird auch durch die spätere Ikonographie gestützt. Hinzuweisen ist auf den ikonographischen Typus der Paternitas, der den Sohn auf den Knien des Vaters zeigt, "e'est a dire 'dans le sein du Pere' (Jn 1,18): il parait clair. que ce motif a ete, sinon sllscite directement par le verse! correspondant de /'evangile selon saint Jean, du moins reutilise et injlechi pour en offrir une traduction visuelle. "23 Natürlich darf man wirkungsgeschichtliche Argumente nicht überschätzen, wenn man nicht das Gewordene mit dem Gewesenen verwechseln will. Doch wird man sie als Unterstützung für ~ie von GESE und HOFIUS vorgeschlagene Interpretation einschätzen können. Sprachlich ist ihre Deutung j~denfalls ohne weiteres möglich, denn der griechische Begriff KOA.1TOC; umschreibt wohl allgemein die Vertiefung in der Leibesmitte, die beim Beugen des Körpers im Sitzen oder Liegen entsteht. 24 Da es im Deutschen keinen umfassenden Begriff für diese Einbuchtung von den Knien bis zur Brust gibt, muß jeweils vom Kontext her entschieden werden, welche genauere Lokalisierung in der deutschen Wiedergabe zu wählen ist, entweder der Schoß oder eher die Brust, wobei sich beides keinesfalls ausschließen muß. In der Septuaginta findet sich das Wort KOA.1TOC; in bezug auf den Schoß der Mutter (lKön 3,20; 17,19), wie auch in bezug auf den väterlichen Schoß (Num 11,12). Die Plazierung auf dem Schoß bedeutet eine enge Liebesbeziehung (28am 12,3). Diese Liebesbeziehung kann auch die besondere Bedeutung der Anerkennung der Elternschaft haben. So erzählt das Buch Rut, da~ Noomi das neugeborene Kind ihrer verwitweten und wieder verheirateten Schwiegertochter Rut auf den Schoß nimmt (Rut 4,16). Obwohl
22
23 24
Vgl. O. HofillS, "Der in des Vaters Schoß ist" Joh 1,18, ZNW 80 (1989) 163-171. Jetzt auch U. Wilcken . . , Das Evangelium nach Johannes (NTD 4), Göttingen 1998,36. F. Boespflllg I Y. Zall/ska, Note sur l'Iconographie du Prologue de Jean, RSR 83 (1995) 293-303: 293 f. Deshalb ist auch die übertragene Bedeutung "Meeresbucht" möglich (Apg 27,39). Vgl. auch LXX lKön 22,35, wo Kobol;; das Innere des Streitwagens bezeichnet.
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keine biologische Verwandtschaft vorliegt, wird durch diese Geste der Annalune eine verwandtschaftliche Beziehung konstituiert. So können die Nachbarinnen dann akklamieren: "Der Noomi ist ein Sohn geboren/Ir (Rut 4,17) Diese symbolische Bedeutung der Plazierung im Schoß hat eine uralte religionsgeschichtliche Tradition: Ein sehr früher Beleg ist ein ägyptischer Totentext aus dem 3. Jahrtausend v.ehr., der dem Toten hymnisch den Status eines königlichen Gottessohns zuweist. Dem toten König Teti wird zugerufen: EI' (= Chenti-menutef) nimmt dich heraulzum Himmel zu deinem Vater Geb. Er (= Geb)jubelt bei deinem Nahen, er streckt seine Hände nach dir aus, er kiißt dich, er nimmt dich al/Iden Schoß; er setzt dich an die Spitze der Unvergänglichen Geister. 25
Hier sichert die Annahme durch Geb, welche eine Vater-Sohn-Relation konstituiert, die postmortale Existenz des Verstorbenen als eines Verklärten. Die Schoßgeste ist ein Element des symbolischen Vollzugs dieser Annahme. . Eine Variation der Schoßgeste besteht darin, daß der nichtkönigliche Grabinhaber seine jenseitige Existenz dadurch zu sichern versucht, daß er seine Person mit dem königlichen Schoßkind in Verbindung bringt. 26 Üblicherweise ist aber derjenige, der jemanden 'auf dem Schoß hält, von höherer Würde als der, der aufdem Schoß gehalten wird. Dann bezieht sich der Aspekt der Würdigung und der Annalune natürlich auf den Gehaltenen. So läßt sich etwa König Sethos I. in seinem Tempel in Abydos darstellen, wie ihn die Göttin 1sis auf dem Schoß hält und ihn stillt. 27 Schon das Stillen bedeutet die Annahme des Königs als Sohn durch die Göttin als Mutter. Die
25 26 27
Zitiert nach J. Assmann, Ägypten. Theologie und Frömmigkeit einer ,frühen Hochkultur, Stuttgart 1984, 111. Beispiele dazu bei Kiigler, Schoß (s. Anm. 20), 78 f. Vgl. J. Capart, Abydos. Le Temple de Seti ler, Bruxelles 1912, Planche XI.
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Grundaussage entsprechender Darstellungen kann darin gesehen werden, daß der König durch die Milch der Göttin göttliche Lebenskräfte (Leben, Dauer und Wohlfahrt) erhält, "die ihn sowohl zur Ausübung seines Königsamtes befähigen als auch Schutz und Nahrung flr seine jenseitige Existenz gewährleisten. "28 Die so konstituierte Relation zur göttlichen Mutter wird durch die Schoßgeste bekräftigt. Auch der Geburtsmythos des Neuen Reiches, der den König als Gottessohn verherrlichte, kannte die Stellung des Sohnes auf dem Schoß einer Gottheit. In zwei Szenen der entsprechenden Reliefs (XXI)29 wird gezeigt, wie Amun, der göttl~che Vater des Königs, den Neugeborenen auf die Arme nimmt, ihn liebkost und so seine Vaterschaft anerkennt. In der ersten der beiden Szenen (X) in der Luxorfassung präsentiert die Göttin Hathor das neugeborene Königskind seinem göttlichen Vater Amun. Das Reliefbild zeigt Amun, dessen vordere Hand erhoben ist und die Knie des Kindes berührt, welches die vordere Hand an den Mund gelegt hält30 und auf den nach vorne gestreckten Händen der Hathor sitzt)1
28 29
30 31
W Seipet, Säugen, LÄ 5 (1984), 339-342: 340. Beschreibung bei II Brunner, Die Geburt des Gottkönigs. Studien zur Überlieferung eines altägyptischen Mythos (ÄA 10), Wiesbaden 21986,107-121. Abbildungen ebd., Tafeln 10.11. Es handelt sich bei dieser Geste um ein standardisiertes Zeichen der Kindlichkeit. Auch in der entsprechenden Szene der Hatschepsutfassung in Deir el-Bahari sitzt Hathor auf einem Thron. Die Szenellaufteilung in Deir el-Bahari ist einleuchtender: Erst kommt Amun zu Hathor, die auf dem Thron sitzt und ihm das Kind erstmalig präsentiert (,y), in der nächsten Szene dann sitzen Hathor und Amun. Der Götterkönig hat seine Tochter auf den Knien und herzt sie, was einer öffentlichen Anerkennung der Vaterschaft gleichkommt. Dazu passen die Texte. Dagegen beruht die Luxorfassung offensichtlich auf einer schlechteren Vorlage, die die unterschiedliche Semantik der beiden Szenen verwischt, indem sie die Aufforderung, das Kind zu herzen, nach Szene X vorzieht, so daß XI nur mehr als eine Wiederholung erscheint. Genaueres bei Brunner, Geburt des Gottkönigs (s. Anm. 29), 120 f.
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Hathor, die offensichtlich als göttliche Amme fungiert, spricht in Szene X der Luxorfassung zu Amun: (Kiisse ihn, umarme ihn,) nimm ihn aufden Schoß, denn ich habe ihn liebgewonnen iiber (alle Maßen).
Und Amun-Re, der Götterkönig, spricht zu seinem Sohn: Willkommen, willkommen in Frieden, leiblicher Sohn des Re, Neb-Ma'at-Re, begabt mit Leben!
In Szene XI wird dann gezeigt, wie Amun das Kind liebkost. Diese Szene gehört eng mit der vorhergehenden zusammen. Darauf deutet die weitgehende Übereinstimmung der Dargestellten ebenso wie die thematische Kontinuität der Texte. Amun begrüßt das Kind nochmals: Willkommen in Frieden, mein Sohn meines Leibes Neb-Ma'at-Re! Ich gebe dir, Millionen von Jahren zu verbringen wie Re.
Daß es bei aller Zärtlichkeit, die sich in der bildhaften Darstellung ausdrückt, hier nicht um eine idyllische Familienszene geht, machen vor allem die Texte deutlich, die das Kind immer mit dem königlichen Thronnamen benennen und von der Übergabe dauerhafter Herrschaft sprechen. Die symbolischen Gallen der Göttin Mut, die in der zweiten Szene anwesend ist, bekräftigen dies, indem sie eine unendliche Zahl von Sedfesten verheißen.3 2 Die liebevolle Annahme durch den Vater steht also eindeutig im Kontext der Zusage dauerhafter Herrschaft. Die väterliche Anerkennung der Vaterschaft und die Zusage der Vaterliebe haben herrschaftsfundierende Funktion. Dies gilt auch für Szene XVII aus dem oberen Register der Geburtshalle von Deir el-Bahari, die Jan ASSMANN als Abschluß des Geburtsmythos sieht. 33 Sie fst in Entsprechung zur Szene I der Hatschepsutfassung zu sehen, wo Amun der Göttergemeinschaft 32 33
Ein Sedfest entsprach (mindestens theoretisch) einer Regierungszeit von 30 Jahren. Vg!..1. Assmann, Die Zeugung des Sohnes. Bild, Spiel, Erzählung und das Problem des ägyptischen Mythos, in: ders. / W. Burkert / F. Stolz, Funktionen und Leistungen des Mythos. Drei altorientalische Beispiele (OBO 48), Fribourg 1982, 13-61: 17 f.
SR
mitteilt, daß er vorhat, einen neuen König zu zeugen. Szene XVII verkündet dann den Vollzug der Verheißung: Amun präsentiert der Götterneunheit seine Tochter, den neuen König.
Abb. nach Assmann, Zeugung (s. Anm. 33), 16.
Wie die Abbildung zeigt, ist die öffentliche Proklamation des "Gottessohns" als neuem Herrscher bildlich so ausgedrückt, daß Amun, der Göttergemeinschaft gegenübersitzend, den König auf dem Schoß hält. Amun, der als "Herr des Himmels" und "König der· Götter" bezeichnet wird, spricht im beigeschriebenen Text: 34 Seht meine Tochter {Vereint-mit-Amzin Hatschepsut~, sie lebe.' Ich liebe sie, ich bin mit ihr zufrieden.
Die Götter äußern in ihrer Antwort ebenfalls ihre Zufriedenheit mit der neuen Königin. Sie übermitteln ihr eine Fülle von Segenswünschen und bestätigen ihre Abstammung von Amun. Der Text der Göttergenieinschaft endet mit der Übergabe ewiger Königsherrschaft an Hatschepsut: Sie ist vor allen lebenden Kas zusammen mit ihrem Ka als König von Ober- .und Unterägypten au/dem Throne des Horus wie Re ewiglich.
34
Text in K. Seihe, Urkunden der 18. Dynastie, Leipzig 1914, Nr. 243.
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Hier ist gut zu sehen, wie die öffentliche Anerkennung des Solmes bzw. der Tochter als bewußter sprachlicher Vollzug der Vaterschaft Hand in Hand geht mit der Designation zur Herrschaft. Dies wird auch an einem Hynmus von Thutmosis IH. deutlich, wo Amun zum König spricht: Meine Arme umfassen deine Glieder in Schutz und Leben; wie süß ist deine Anmut an meiner Bnlst!35
Diese Aussage, die als eine textliche Umsetzung der entsprechenden Szenen des Geburtszyklus gesehen werden kann, steht im Kontext der göttlichen Garantie für die. Sieghaftigkeit und Größe des Königs. Seinen Schluß- und Höhepunkt findet der Hymnus darin, daß der göttliche Vater seinem königlichen Sohn und Ebenbild dauerhafte Herrschaft zusichert: Ich setze dich ein aufdem Thron des Horus fü,. Millionen von Jahren, daß du die Lebenden leitestfor immer. (ÄHG Nr. 233, 96-98)
Nun wäre freilich die altägyptische Königstradition schon allein wegen des zeitlichen Abstandes für die Auslegung des Neuen Testaments ohne jeden Belang, wenn es nicht Indizien dafür gäbe, daß die Geste auch in der alttestamentlichen Überlieferung eine Rolle spielte und später auch in neUtestamentlicher Zeit bekannt war und praktiziert wurde. Für die biblische Tradition wurde oben schon auf das Buch Rut hingewiesen. Ein weiterer Beleg liegt wohl in Spr 8,30 vor, auch wenn die Sep.tüagintafassung den Begriff I
Zitiert nach.J. Assmann, Ägyptische Hymnen und Gebete (= ÄHG), Zürich-München 1975, Nr. 233,6-8. Vgl. Gese, Johannesprolog (s. Anm. 21), 177; auch Hojius, Schoß (s. Anm. 22), 167; M Baules I G. Baumann, Im Anfang war ... ? Gen 1,1, ff und Pro v 8,22-31 im Vergleich, BN 71 (1994) 24-52: 31. -
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Als er die Fundamente der Erde abmaß, da war ich bei ihm wie ein aufdem Schoß gehallenes Kind. Ich war seine Freude Tagfür Tag und spielte vor ihm allezeit. (Spr8,30)
"Offensichtlich wird Gott gerade auch hier bei der Schöpfung als thronend vorgestellt, wobei er die Weltordnung au/seinem Schoß mitthronen läßt. "37 Die Weisheit ist damit als königliche Tochter Gottes anerkannt,38 was dem Kontext gut entspricht, denn in 8,23f war ja der göttliche Ursprung der Weisheit thematisiert worden. Ein Widerspruch dieser Deutungsrtchtung zur religionsgeschichtlichen Interpretation von Othmar KEEL, der die spielende Weisheit als Jugendliche auffaßt,39 muß übrigens nicht gegeben sein. Gerade die ägyptischen Darstellungen zeigen ja immer wieder das Schoßkind als verkleinerten Erwachsenen. So kann die Weisheit wohl ebenso gut als ruhendes Schoßkind wie als spielende junge Frau vorgestellt werden. Nun zum Befimd in neutestamentlicher Zeit, zunächst in paganen Quellen. Der römische Historiker Sueton (* 70 n.Chr.) überliefert in seiner Biographie des Augustus (Augustus 94,8) den zweiteiligen Traum eines Quintus Catulus. In der ersten Nacht sieht dieser, wie von mehreren Kriaben, die um einen Altar des Jupiter Optimus Maximus herum spielten, einer vom Gott ausgesondert wird. Dieser Knabe, bei dem es sich natürlich um Augustus handelt, erhält von Jupiter das 'Bild des römischen Staates, welches er in Händen hielt, in den Schoß gelegt. Mit dem Signum rei publicae wird Sueton eine
37
38 39
M V Fox rAmon again, JBL 115 (1996) 699-702) hat vorgeschlagen, 'amon als absoluten Infinitiv, der als adverbiale Ergänzung des Hauptverbs fungiert, zu begreifen. Inhaltlich schätzt er seinen Vorschlag als Variation der Bedeutung "Schoßkind" ein. Gese,Johannesprolog(s.Anm.21),177. Zur herrscherlichen Funktion der Weisheit vgl. z.B. Spr 8,15. Vgl. O. Keel, Die Weisheit spielt vor Gott. Ein ikonographischer Beitrag zur Deutung des mesahäqät in Sprüche 8,30 f, Göttingen 1974.
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Statuette der Roma meinen. Wenn diese dem z~ünftigen Herrscher in den Schoß gelegt wird, so wird sie seinem väterlich-fürsorglichen Schutz anvertraut. Hier wird eine Beziehung zwischen Augustus und der Republik begründet, die sich später im Titel Pater patriae ausdrückt. In der nächsten Nacht sieht Quintus Catulus in seinem zweiten Traum, wie der Augustusknabe im Schoß des Kapitolinischen Jupiters sitzt. Als er befiehlt, den Knaben zu entfernen, wird er von den Göttern selbst daran gehindert und darüber belehrt, daß der Knabe zum Schutz des Staates erzogen werde. Hier ist die römische Symbolik der väterlichen Anerkennung des Sohnes auf einen göttlichen Vater übertragen. Jupiter nimmt Augustus als Sohn an. Mit dieser Anerkennung der Vaterschaft ist, so sagt es der erste Traum, die Übergabe der Herrschaft über den Staat ausgesagt. Augustus als Sohn des Jupiter ist selbst ein neuer Jupiter und herrscht als Stellvertreter des Gottes auf Erden. Dies entspricht exakt der augusteischen Herrschaftskonzeption. Zwar ist es vor allem Apollo, der als Vater des Princeps, die göttliche Legitimation für dessen Herrschaft liefert, aber auch die Beziehung zu Jupiter spielt für Augustus eine wichtige Rolle. 40 Die Jupiterchiffre wird von Augustus zwar nicht als offizielle Symbolik seiner Herrschaft benutzt, aber sie taucht in der Kunst als recht unverblümte Einladung zu einer bestimmten Wahrnehmung der kaiserlichen Herrschaft auf. So thront Augustus auf der berühmten Gemma Augustea 41 der Wiener Antikensammlung (und ähnlichen Darstellungen)42 in der Rolle Jupiters an der Seite der Roma. Und dieses Schema blieb nicht auf die Darstellungen der Kleinkunst
40
41
42
Vgl. dazu J. Kügler, Pharao und Christus? ReIigionsgeschichtliche Untersuchung zur Frage einer Verbindung zwischen altägyptischer Königstheologie und neutestamentlicher Christologie im Lukasevangelium (BBB 113), Bodenheim 1997, 157-164. Matthias-Inv. 900. Abbildung Ull~ Beschreibung: GESCHNITTENE SmINE. Die Prunkkameen der Wiener Antikensammlung. Beschrieben und photographiert von W. Oberleitner, hg. v. G. Langthaler, Wien 1985,40-44. Vgl. auch Schatzkammer-Inv. 1750: GESCHNITTENE STEINE, 45-48.
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beschränkt. Das bedeutet bei Augustus noch nicht, daß seine Verehrer ihn tatsächlich mit Jtipiter gleichgesetzt hätten, oder daß er sich selbst als Wiedergeburt des Jupiter betrachtet hätte. Zu solchen Aufgipfelungen hellenistischer Herrscherideologie ist es· erst unter CaliguIa gekommen. Eher drückt sich in den augusteischen Darstellungen der Jupiterchiffre aus, wie die Untertanen die Herrschaft des Augustus wahrnehmen konnten und sollten. Für diese ist sie "ein allegorisches Bildfiir seine Herrschaft, die sie als umfassend, gerecht und endgültig wie die des Götfervalers feiern. Augustus vertritt die Götter aufErden. "43 Von Kaiser Gaius (Caligula) wird berichtet, daß er seine Tochter lulia Drusilla der Göttin Minerva auf den Schoß setzte. Damit bekommt die Göttin symbolisch die Rolle einer göttlichen Amme rür die Kleine übertragen (Sueton, Gaius 25), was auf ägyptische Traditionen zurückverweist. Dio Cassius erzählt darüber hinaus, daß Gaius das Kind auf das Kapitol brachte und es der Jupiterstatue auf die Knie setzte, um auszudrücken, daß es ·sich um die Tochter des Gottes handle (59.28.7).44 Daß die Schoßgeste auch in bezug auf den natürlichen Vater von Bedeutung. blieb, zeigt sich an einer anderen Notiz des Sueton. In seiner Biographie des Kaisers Claudius schreibt er über diesen und seinen Sohn Britannicus: Den Britannicus, der ihm am zwanzigsten Tage nach seiner Thronbesteigung während seines zweiten Konsulats geboren wurde, empfahl er schon damals noch als klltines Kind beständig sowohl den versammelten Soldaten, denen er ihn auf seinen Armen haltend zeigte. als al/ch anläßlich von Schauspielen dem Volk, indem er ihn auf seinem
43 44
P. Zanker, Augustus und die Macht der Bilder, München 21990, 235. Zur Jupiterrolle des Augustus vgl. ebd. 232-239. Diese Information kann zwar einfach eine Übertragung der entsprechenden Augustuslegende auf Caligula sein, allerdings ist es viel wahrscheinlicher, daß Gaius selbst eine entsprechende Wiederaufnahme vollzog, als daß er, der als monströser Unfall der römischen Kaisergeschichte eingestuft wurde, von römischen Historikern mit Augustus, dem hehren Urbild des Kaisertums, in Verbindung gebracht wurde.
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Schoß oder vor sich sitzen ließ und ihm unter dem Jubelruf der versammelten Menge Heil und Segen wünschte. (Claudius 27)
Der Kontext macht klar, daß es hier nicht um eine harmlose Bekundung väterlicher Liebe geht. Die· Adressaten der entsprechenden Gesten sind ja die Soldaten und die Plebs, also zwei gesellschaftliche Gruppen, die ganz entscheidende Machtfaktoren darstellten, wenn es datUm ging, die dynastische Kontinuität der Herrschaft zu sichern. Indem Claudius den Sohn auf den Armen hält, oder ihn auf seinem Schoß sitzen läßt, bestätigt er zum einen seine Vaterschaft, und zum anderen designiert er den Kleinen damit zugleich zum Thronfolger. Hier ist die Verbindung dei' Schoßgeste mit der Bestätigung der Vaterschaft und der öffentlichen Designation zur Herrschaft überdeutlich. Daß Domitian programmatisch Elemente hellenistischer Herrscherideologie aufgriff, ist in der Altertumswissenschaft gut bekannt. Es ist deshalb nicht überraschend, wenn der Topos bei ihm im Kontext der göttlichen Vaterschaft wieder auftaucht. Tacitus berichtet über den Kaiser: Mox imperium adeptus Iovi Custodi templll1n ingens seque in sinu dei sacravit. (Tacitus, hist. 111, 74)
In dankbarer Erinnerung an seine Rettung während der Wirren nach dem Ende Neros soll also der Kaiser dem Jupiter als seinem Schützer einen mächtigen' Tempel erbaut haben. Domitian selbst soll darin auf dem Schoß des Gottes sitzend dargestellt gewesen sein. Damit wäre, falls die literarische Notiz historisch zutreffend ist, eine Sohn-Vater-Relation zwischen dem Kaiser und dem höchsten Gott und zugleich eine Deutung des kaiserlichen Regiments als irdische Stellvertretung des Gottes ausgedrückt gewesen. Daß dies die Aussageabsicht eines entsprechenden Bildprogramms ge·wesen wäre, hat Jedenfalls alle historische Wahrscheinlichkeit für . sich. Dafür sind nicht nur die Rückbezüge des Motivs auf die entsprechende Augustuslegende ein Indiz, sondern auch das sonstige Programm domitianischer Herrschaftsideologie spräche ganz ein-
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deutig dafür. Es drückt sich z.B. auch im numismatischen Befund aus: Das Münzbild Jupiters trägt des Kaisers eigene Züge. 45 Nun gibt es nicht nur pagane Belege für die Schoßgeste. Sie findet sich auch in der neutestamentlichen Überlieferung: Bei Lukas darf der arme Lazarus, der sein Leben lang nur gelitten hat, nach seinem Tod den Ehrenplatz im Schoß Abrahams einnehmen (Lk 16,22 j). Genau dieser Platz wird dem ungerechten Reichen verwehrt, der nach seinem Tod in der Hölle leiden muß. Er wird zwar von Abraham als Sohn angesprochen und spricht diesen seinerseits als Vater an (Lk 16,24 j), aber der Platz im Schoß des Vaters bleibt ihm unzugänglich. Dort darf allein der Arme sitzen. Ohne daß der Aspekt der Herrschaftsübergabe hier eine Rolle spielen würde, ist damit der Arme als der wahre Sohn Abrahams anerkannt. Aus diesen Befunden ergibt sich ganz eindeutig: Wenn der Logos im Schoß des Vaters ruht, dann ist entsprechend dem gängigen kulturellen Wissen damit eine Sohnesbeziehung zum Vater ausgedrückt, und zwar eine vom Vater anerkannte und bestätigte Sohnesbeziehung. Die Frage ist allerdings, inwieweit der Aspekt der Designation zur Herrschaft in Joh 1,18 eine Rolle spielt. Auch er scheint mir gegeben zu sein, denn die Sohneschristologie des Johannesevangeliums ist ja, wie wir im vorhergehenden Abschnitt gesehen haben, ganz unbestreitbar eine Königschristologie. Jesus wird begriffen als ein himmlischer König, der aus seinem göttlichen Reich in die Welt der Menschen herabgestiegen ist, um hier Zeugnis abzulegen für die Wahrheit. Aus der Tatsache, daß dem auf Erden wirkenden Jesus 'die Würde eines Königs zugeschrieben wird, der vom Himmel herabgestiegen ist, darf übrigens nicht ohne weiteres geschlossen werden, daß der Platz im Schoß des Vaters zwischenzeitlich leer wäre. Eine solche Schlußfolgerung ist unzulässig, weil es sich bei der Aussage von Joh 1,18 um eine ikonische Konstellation handelt, die nicht erzählerisch im Sinne eines Mythos expliziert wird und deshalb auch
45
Vgl. A, A/földi, Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche, Darmstadt 31980,221.
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keine Aussagen über ein Vorher oder Nachher zuläßt. "Ikone sind zeitlos bzw. bezogen auf eine 'zeitlose Gegenwart'''.46 In Form einer ikonischen, das heißt zeitlosen, immer gültigen Aussage wird die Beziehung zwischen Vater und Sohn ein für allemal festgeschrieben. Damit ergibt sich auch eine recht nahe liegende Erklärung für das Partizip Präsens "seiend" (wv) in Joh 1,18, das den Exegeten schon viel Kopfschmerzen bereitet hat. Die festzustellende Betonung der Königswürde Jesu im Johannesevangelium unterstützt jedenfalls den interpretatorischen Schluß, daß der Platz im Schoß des Vaters die Würde des Logos als einziggezeugtem Gottessohn und damit zugleich die Übertragung der Würde eines himmlischen Königtums anzeigt, welches Macht über Menschen und Schöpfung impliziert. Wenn der Logos als Sohn Ebenbild Gottes ist und an der kosmischen Herrschaft Gottes partizipiert, liegt der Schluß, die Schoßgeste habe auch im Johannesevangelium etwas mit Macht- und Herrschaftsübergabe zu tun, mindestens nahe. Dies wird auch schon durch die Aussage in Joh J, J 2 angedeutet. Wenn der Logos denen, die ihn aufnehmen, die Macht gibt, Kinder Gottes 'zu werden, dann muß auch er über eine Ermächtigung verfügen. Die Exousia-Aussagen des Evangeliums führen diesen Gedanken weiter: • • •
Der Sohn ist vom Vater ermächtigt, Gericht zu halten (5,27). Auch hat er die Macht, sein Leben hinzugeben und es sich wieder zu nehmen (10,18). Der Höhepunkt der entsprechenden Aussagen dürfte freilich in (Joh J 7,2) liegen, wo die Vollmacht Jesu über "alles Fleisch" (lTUOT]C; OlXpKOC;), also über alle Menschen, festgestellt wird. Diese Vollmacht hat ihm der Vater gegeben, damit er allen, die der Vater erwählt hat, ewiges Leben geben kann. Die Exousia des Sohnes hat also eindeutig soteriologische Qualität.
In Joh J, J8 wird die Art der Vollmacht, die dem Logos zukommt, zunächst durch den Kontext des Verses bestimmt. J,18a stellt fest, 46
Assmann, Ägypten (s. Anm. 25), 135.
daß niemand Gott je gesehen hat. Diese generelle Aussage, als deren Ausnahme der Logos mitzudenken ist, betont die Exklusivität der Stellung des Sohnes. Der Aspekt der Ausschließlichkeit wird in dem folgenden "Einziggezeugt" (f.LOVOYEV~<;) aufgegriffen. Der johanneische Logos ist nicht nur' der Erstgeborene des Vaters, wie bei Philo, sondern er ist der einzige Sohn, der vom Vater jemals gezeugt wurde. 47 Als Sohn Gottes ist er Ebenbild des Vaters und kann so einfach "Gott" genannt werden. Dieser "einziggezeugte Gott" ist im Schoß des Vaters. Er ist also als der einzige Sohn auch vom Vater angenommen, bestätigt und bevollmächtigt. Wenn dann der Vers mit der Feststellung abschließt, daß jener Kunde gebracht hat (EKELVOC; E~TJy~oa;"to), dann ist damit klar gemacht, daß die Vollmacht Jesu aJs des fleischgewordenen Logos konkret in seiner Offenbarungsmacht besteht. Das ist kein Widerspruch zu den oben angefiihrten Exousia-Aussagen des Evangeliums, denn die Offenbarung, die der Sohn vollzieht, ist ja keine bioße Informationsweitergabe. Es geht vielmehr um die Vermittlung der Erkenntnis Gottes, also um eine Wahrheit, die frei macht (Joh 8,32) und deshalb soteriologische Relevanz hat. Die Wahrheit, die Jesus offenbart, ist eine Wahrheit auf Leben und Tod. Sie hat insofern auch Gerichtscharakter, als ihre Annahme oder Ablehnung über Heil··oder Unheil entscheidet. Jesus ist als Logos der einzige Sohn Gottes und konkurrenzlose König. Zu dieser Botschaft trägt die Schoßgeste einen gewichtigen Teil bei, indem sie ein kulturelles Hintergrundwissen aufruft, das den Lesenden sagt, daß der im Schoß des Vaters Seiende der anerkannte, geliebte und bevollmächtigte Sohn ist. Da der Sohn mit dem Vater eins ist, ist sein Kennen des Vaters nicht etwas Äußerliches, sondern beruht auf der Präsenz des Vaters im Sohn. Als der einzige, anerkannte und bevollmächtigte Sohn ist Jesus der "Exeget" des Vaters schlechthin. Der Gedanke, daß es außer und neben ihm noch einen heilsrelevanten Offenbarer geben könnte, muß ausscheiden.
47
Vgl. die entsprechenden Aussagen in Joh 1,14; 3,16.18; lJoh 4,9.
Im Kontext des Prologs entsteht hier eine polemische Spitze gegen die Moseoffenbarung, die in V.17 als Bringen des Gesetzes thematisiert wird,48 Auch hier ist also zu sehen, wie stark in der johan. neischen Theologie jedes Heils- und Offenbarungsgeschehen christologisch enggeführt wird. Nur in und durch Jesus als dem einzigen Sohn kann Gott erkannt werden. Es ist dies eine Botschaft, die Christen und Christinnen auch heute nicht einfach für unwesentlich erklären können, ohne Schaden an ihrer Glaubensidentität zu nehmen. Zugleich ist aber festzuhalten, daß die Radikalität der johanneischen Christologie einer Biblischen Theologie nach· Auschwitz die Frage nach der Bedeutung der Mosetradition als brennendes Problem mit auf den Weg gibt, ein Problem, das zwar noch lange nicht gelöst ist, dessen Bearbeitung aber glücklicherweise mindestens begomlen hat. So hat Jacobus SCHONEVELD die- grundsätzliche Frage gestellt, ob es überhaupt eine Christologie ohne Antijudaismus geben kann, und bei seinem Antwortversuch die Ansicht vertreten, "daß im Prolog des Johannesevangeliums 'Logos' als 'Thora' zu verstehen ist. "49 Bei dieser Interpretation stützt sich SCHONEVELD auf die frühjüdisch belegte Gleichsetzung von Weisheit und Thora einerseits und auf die gängige Gleichsetzung von Weisheit und Logos andererseits. Des weiteren versucht er, den Gegensatz zwischen Mose und Jesus, der in der Regel in Joh 1,17 gesehen wird, aufzuheben. Der Hinweis auf die Gesetzgebung des Mose wird als Begründung von V.16 gelesen. Das Empfangen von "Gnade über Gnade" wäre dann an das mosaische Gesetz gebunden. 50 Vehement wehrt sich SCHONE VELO gegen eine "Substitutionstheolegie", nach der Jesus an die Stelle der Mosethora tritt und damit diese in ihrer Heilsfunktion ablöst. 51 In seiner Erwiderung auf diesen Beitrag betont P. von der OSTEN48 49
50 51
Den polemischen Akzent von .loh 1,18 im Zusammenhang mit 1,17 hat Hofius, Schoß (s. Anm. 22), 169-171, gut herausgearbei,tet. J. Schoneveld, Die Thora in Person. Eine Lektüre des Prologs des Johannesevangeliums als Beitrag zu einer Christologie ohne Antisemitismus, KuI 6 (1991) 40-52: 40. Vgl. Schoneveld, Thora in Person, 45 f. Vgl. Schoneveld, a.a.O., 47.
68
SACKEN, daß die exegetische Sachlage wohl anders zu sehen ist. 52 Er stellt heraus, daß der Logos in Joh 1 zwar die Rolle übernimmt, die in biblisch-jüdischer Sicht der Weisheit und der Thora zugeschrieben werden kann, daß aber eine solche Strukturanalogie eben noch keine Identifizieru~g ist. Er stützt sich dabei auf den Wortlaut des Prologs, der zwischen Gesetz und Logos unterscheidet. V.16 ordnet den Nomos, also die Thora, Mose zu und schließt damit eine Identifizierung mit dem Logos geradewegs aus. Von der OSTEN-SACKEN gesteht zwar zu, daß die Formulierung in V.17 keine ausdrückliche Opposition beinhaltet, betont aber, daß Gnade und Wahrheit eben Jesus zugeordnet werden und nicht Mose. Gerade wenn hier ein Rückbezug auf die Gottesoffenbarung in Ex 34,6 gegeben ist, rückt Jesus in eine zentrale Offenbarungsrolle. Nach Ansicht von von der OSTEN-SACKEN wird zwischen Mose und Jesus kein Gegensatz aufgebaut, weil Mose und das Gesetz auf Jesus als Offenbarer des Vaters hinweisen. Dieser Deutung ist insofern zuzustimmen, als tatsächlich Mose und das Gesetz johanneisch als Zeugen für Jesus aufzufassen sind (Joh 5,46). Ob dies allerdings auch die schiedlich-friedliche Unterscheidung von Thora und Evangelium, die von der OSTEN-SACKEN letztendlich als Lösung präsentiert, zu stützen vermag, erscheint mir mehr als fraglich. Gerade weil Jesus an die zentrale Stelle rückt, die im zeitgenössischen Judentum Mose und der Thora gebührt, und beide als Zeugnis für Jesus gesehen werden, gibt es in der Sicht des Johannesevangeliums für das Judentum nur einen Weg, sich selbst und seinem Gott treu zu bleiben, und das ist der Glaube an Jesus. Die schroffen antijudai~tischen Aussagen in Joh 8, die den Juden, die nicht an Jesus glauben, sowohl die Abrahamskindschaft als auch die Gotteskindschaft absprechen und sie als Teufelskinder denunzieren (loh 8,44), sind Ausfluß dieser Konzeption. Jesus ist der einzige Weg zum Heil (Joh 14,6) und Abraham, Mose und Jo-
52
VgL zum folgenden P. von der Osten-Sacken, Logos als Tora? Anfragen an eine neue Auslegung des Johannesprologs, KuI 9 (1994) 138-149.
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hannes sind Zeugen für ihn, aber eben kein eigenständiger Heilsweg. Diese christologische Monopolisierung des Heils, die sich selbst durchaus in Kontinuität zur jüdischen Tradition sieht (Joh 4,22), scheint mir die eigentliche Herausforderung für eine wirklich heutige Theologie zu sein. Die johanneische Frontstellung gegen "die Juden" läßt sich historisch gewiß erklären, etwa durch die lebensbedrohlichen Konflikte der jüdisch geprägten johanneischen Gemeinde mit einem (anderen) Judentum, das sie als feindliche Welt erlebt. Aber damit ist das theologisch Anstößige des johanneischen Antijudaismus noch nicht bewältigt. Es wird wohl unumgänglich sein, die soteriologische Exklusivität der johanneischen Christologie zu entradikalisieren und ihren dualistischen Denkrahmen aufzubrechen. Vermutlich ist die prinzipielle Anerkennung einer nichtchristlichen Heilsmöglichkeit nötig, um eine angemessene Theologie des Judentums - und 'nichtchristlicher Religionen überhaupt - entwickeln zu können. Auf katholischer Seite hat das ZWEITE VATIKANISCHE KONZIL mit seiner Erklärung Nos/ra aetate wohl einen· ganz entscheidenden Schritt zu einer solchen Theologie der Religionen gemacht, und damit entsprechende theologische Bemühungen lehramtlieh abgesichert. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang Art. 2 der Konzilserklärung, wo es im Blick auf die in der Welt verbreiteten Religionen heißt, daß die katholische Kirche nichts von alledem ablehnt, "was in diesen Religionen wahr und heilig isl. " Zur Begründung dieser Haltung wird darauf verwiesen, daß bei allen Unterschieden zu dem, was die Kirche selbst für wahr hält, anzuerkennen ist, daß die nichtchristlichen Religionen in ihren Lehren und Traditionen "doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet." Daß die Kirche den christlichen Wahrheitsanspruch damit keinesfalls aufgibt, wird sofort im nächsten Satz deutlich gemacht. Dort heißt es: Unablässig aber verkiindet sie und muß sie verkiindigen Christus, der ist "der Weg, die Wahrheit lind das Lehen" (Joh 14,6), in dem die
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Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat. (Nostra aetate Art. 2) 53
Unter Hinweis auf Joh 14,6 wird also die zentrale soteriologische Stellung des Christusereignisses festgehalten. Zugleich wird aber an der Textauswahl des Zitats auch deutlich, was unter einer konzilsgemäßen Entradikalisierung der soteriologischen Exklusivität der johanneischen Christologie zu verstehen ist: Präsentiert sich der johanneische Christus als alleiniger Weg zum Heil ("Niemand kommt zum Vater außer durch mich. '~, so unterläßt es das Dekret, diesen Ausschluß anderer Heilsmöglichkeiten zu zitieren. Christus wird als die Fülle des Heils verkündet, aber eben nicht zugleich behauptet, daß außerhalb dieser Fülle nur noch das soteriologische Nichts zu finden wäre. Die dualistische Zuspitzung der johanneischen Soteriologie wird zugunsten einer heils optimistischen Schöpfungstheologie aufgebrochen und damit zugleich der Grund für eine katholische Theologie der Religionen gelegt. 54
53 54
Zitiert nach LThk2 13,491. Vgl. dazu K. Rahner, Das Christentum und die nichtchristlichen Religionen, in: ders., Schriften zur Theologie 5, Einsiedeln 1962, 136-158; H. Waldenfels, Theologie der nichtchristlichen Religionen. Konsequenzen aus "Nostra aetate", in: E. Klinger / K. Wittstadt (Hg.), Glaube im Prozeß. Christsein nach dem H. Vatikanum. FS Karl Rahner, Freiburg 1984, 757-775; ders., Religionstheologie, in: F. König / ders. (Hg.), Lexikon der Religionen, Freiburg 21988, 557 ff; F. König, Der interreligiöse Dialog. Auf dem Weg zu einer Theologie der Religionen, in: G. Riße / H. Sonnemans / B. Theß (Hg.), Wege der Theologie an der Schwelle zum dritten Jahrtausend. FS Hans Waldenfels, Paderborn 1996, 355-367; P. Schmidt-Lellkel, Worum geht es in der "Theologie der Religionen"?, IKaZ 25 (1996) 289-297; ders., Skizze einer Theologie der Religionen, in: Wege der Theologie (s.o.), 447-460; H. R. Schletle, Die Theologie der Religionen, der neue Relativismus und die Frage nach Jesus, in: R. Hoppe / U. Busse (Hg.), Von Jesus zum Christus. Christologische Studien. FS Paul Hoffmann (BZNW 93), Berlin 1998, 621-63~.
71
4.
Jesus als das Brot des Lebens
Die metaphorische Verbindung von körperlicher Sättigung und d'en geistlichen Wirkungen des Glaubens gehört sicher zu den Aussagen, die religiöse Menschen direkt und mit tiefer Wirkung. anzusprechen versteht. Elementarste leibliche und seelische Grundbedürfnisse und Glücksgefühle werden miteinander verbunden und erhellen sich gegenseitig. So kann eine Aussage wie "Jesus ist das Brot des Lebens" eine Plausibilität erreichen, die eine über alle kulturellen Brüche hinwegreichende Evidenz suggeriert. Wenn die Exegese diese Evidenz erneut aufraut, das Selbstverständliche als nicht selbstverständlich hinterfragt, so läuft sie fast schon Gefahr, sich· als tempelschänderisches Unterfangen unbeliebt zu machen. Oft freilich ist das ganz selbstverständlich Verstandene auch nur das scheinbar Verstandene, weil sich unter der Decke der selbstverständlichen Vertrautheit die eigenen Projektionen breit machen und die kritische Kraft des Textes zu ersticken drohen. So kann die kritische Exegese ein Dienst am Offenbarungscharakter des Textes sein. Indem sie den Text erneut fremd macht, eröffnet sie den Lesenden ein neues Potential von Fremdheit als Offenbarung,55 eine neue Chance, sich vom Text treffen und verändern zu lassen. So mag es gut sein, sich immer neu auch auf den wissenschaftlichen Zugang zum biblischen Text einzulassen, der zwar immer damit droht, liebgewonnene Vertrautheit und Selbstverständlichkeit aufzulösen, der aber auch damit lockt, daß am Ende der Mühen ein neues,vertieftes Verständnis stehen kann. Da die Entstehungsgeschichte von Joh 6, dem Kapitel, in dem sich· die Selbstidentifikation Jesu mit dem Brot des Lebens findet, zu den meistdiskutierten Problemen der Johannesexegese gehört, ist zunächst wenigstens· thesenartig festzuhalten, welches entstehungsgeschichtliche Modell im folgenden vorausgesetzt wird.
55
Zur theologischen Valenz von Fremdheit vgl. R, Bucher, Die Theologie, das Fremde. Der theologische Diskurs und sein ander~s, in: O. Fuchs (Hg.), Die Fremden (Theologie zU!' Zeit 4), Diisseldorf 1988,302-319.
72
Aufgrund der schlechten Anschlüsse zwischen .loh 5 und .loh 6 einerseits und .loh 6 und .loh 7 andererseits ist zu schließen, "daß Kap. 6 zwischen .loh 5 und 7 sekundär eingeschoben ist. "56 Als Autor des Kapitels kOlnmt der Redaktor in Fr~ge, dem sich auch .loh 21 verdankt, und den ich wie gesagt Evangelist nenne. Dieser johanneische Redaktor hat die verschiedenen Teile von .loh 6 im Zuge seiner umfassenden Redaktionstätigkeit miteinander kombiniert. Für die eigentliche Brotrede in .loh 6,26-59 lag ihm dabei johanneisches Überlieferungs gut vor. Dieses umfaßte wohl die Verse 6,28-30*.31-33.35*.37.38.40*-44*.45.47.59. 57 Für die anderen Teile, also die Erzählungen vom Brotwunder (.loh 6,1-15), vom Seewandel (.loh 6, 16-21) und von der Auseinandersetzung um die Brotrede (6,60-71), stützte sich der Evangelist auf die entsprechenden markinischen Texte (Mk 6,30-52; 8,27-33) als synoptische Vorlage, die er dort abänderte, wo er dies im Hinblick auf die johanneische Tradition und seine eigene Aussageintention für notwendig hielt Das Scharnierstück 6,22-25 hat er selbst verfaßt, ebenso die eucharistische Relecture der Brotrede (6.48-58).
4.1. Jesus als königlicher Brotgeber Der Vers, der aus der Perspektive der Königstradition besonders interessiert, .loh 6,15, ist also Teil der johanne.ischen Verarbeitung einer markinischen Vorlage und schließt in der redaktionellen Komposition die Erzählung vom Brotwunder ab, welches seinerseits aber der Auftakt zu der berühmten johanneischen Brotrede ist. Bei der Analyse ist also darauf zu achten, welche übergrei~
S6 57
I. Dunderberg, Johannes und die Synoptiker. Studien zu Joh 1-9,
Helsinki 1994, 132. Vgl. zum folgenden ebd., 127-174. Zur Begründung dieser literarkritischen Entscheidung vgl. Kügler, Der Hinger, den Jesus liebte (s. Anll1. 1). 186-196. Die einzige nennenswerte Abweichung, die ich hier vornehme, liegt in der Ein~ schätzung von V.33. Ich rechne den Vers jetzt zur Vorlage, weil die Ambivalenz des Partizips KlXtlXßIXCVWV zwischen einem sachhaften und einem personalen Verständnis des Himmelsbrotes eine Vorbereitung auf die personale Aussage von. V.35 darstellt.
73
fende Funktion der Vers im Kontext hat, und was seine Semantik zur semantischen Einheit der Gesamtkomposition beiträgt. 58 Zunächst fallt auf, daß die Menge auf das Brotwunder in Joh 6,14 mit der Vermutung reagiert, Jesus sei wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll (0 1fpo~'tT]e; 0 EPX6IJ.EIIOe; Eie; 'tOll K60f.L0Il). Die Verbindung von Brotwunder und Prophetentitel läßt sich natürlich von der Brotvermehrung des Elischa in 2Kön 4,42-44 her verstehen. Dort wird erzählt: Einmal kam ein Mann von Baal-Schalischa und brachte dem Gottesmann Brot von Erstlingsfriichten, zwanzig Gerstenbrote, und frische Körner in einem Beutel. Elischa befahl seinem Diener: Gib es den Leutell zu essen! Doch dieser sagte: Wie soll ich das hundert Männern vorsetzen? Elischa aber sagte: Gib es den Leuten zu essen! Denn so spricht JHWH: Man wird essen und noch davon iibriglassen. Nun setzte er es ihnen vor; und sie aßen und ließen noch übrig, wie JHWH gesagt hatte.
Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Wundergeschichten sind deutlich erkennbar. Werden in der Elischaerzählung 100 Männer mit 20 Gerstenbroten und einem Beutel Körnern gesättigt, so sind es bei Johannes 5000 Männer, die mit nur 5 Gerstenbroten und 2 Fischen auskommen müssen. Im Vergleich ist also sehr schön zu sehen, wie die johanneische Erzählung die einzelnen wunderhaften Züge steigert. Dies wird auch an dem, was übrigbleibt, deutlich. Bleibt beim Prophetenwunder die Menge des Übriggebliebenen unbestimmt, so sind es bei Johannes 12 Körbe voll. Insgesamt also stellt sich das Wunder Jesu im Vergleich zum Sättigungswunder des Elischa als das größere Wunder heraus. Daraus ist nun freilich nicht ohne weiteres zu schließen, daß die johanneische Erzählung sich als Steigerung der Elischaerzählung verstanden wissen will. Die steigernden Erzählziige (5000 Männer, 5 Brote, 12 Körbe) stammen ja allesamt aus der mk Erzählung, die der Evangelist hier verarbeitet. Das schließt zwar nicht aus, daß er
58
Vgl. zum folgenden J Kügler, Der König als Brotspender. Religionsgeschichtliehe Überlegungen zu JosAs 4,7; 25,5 und Joh 6,15, ZNW 89 (1998) 118-124.
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damit zu:gle~.ch auch die Aussage übernommen hat, daß Jesus im Vergleich zu Elischa der größere Prophet ist, aber es ist doch zumindest unwahrscheinliGh, daß hier sein besonderes christologisches Anliegen zu finden ist. Man kann nämlich die Frage stellen, ob in Joh 6 nicht eher eine Art Mosetypologie für Jesus aufgebaut wird. Der erwartete Prophet von 6,14 wäre dann konkret der Prophet wie Mose, dessen Erwartung sich auf Dtn 18,15-18 zurückführen läßt. Marie-Emile BOISMARD etwa hat diese Frage eindeutig bejaht. S9 Er verweist auf die Mosethematik in der folgenden Brotrede, wo das Brot des Lebens mit dem Mannawunder des Mose verglichen wird und damit implizit auch eine Parallele zwischen dem Wundertäter Mose und dem Wundertäter Jesus hergestellt wird. Deswegen erscheint es ihm unwahrscheinlich, daß die Brotvermehrung nur an das Wunder des Elischa erinnern soll, und er schließt: "There can be no doubt then that, in 6: 14, the expression 'the Prophet who comes into the world' al/udes 10 Ihe prophet like Moses announced in Deut 18:1819."60 In der Tat wird in dem Gespräch, das sich an das Brotwunder anschließt, an mehreren Stellen auf die Mosethematik eingegangen. In 6,31 verweist die Volksmenge aUf das Manna in der Wüste als Brot vom Himmel. Jesus erwidert in V.32 mit der Feststellung, daß das wahre Himmelsbrot nicht von Mose gegeben wurde, sondern vom Vater gegeben wird. Auch 6,49 erinnert an das Manna, das die Väter in der Wüste gegessen haben. Und schließlich stellt auch 6,58 nochmals das Manna der Väter dem wahren Himmelsbrot gegenüber. Die mit Mose verbundene Mannathematik zieht sich also in unterschiedlicher Akzentuierung durch die gesamte Brotrede hindurch und ist in der Vorlage ebenso vertreten wie in den als redaktionell eingestuften Teilen. Es legt sich also die These nahe, daß der Evangelist bei der Verbindung des Brotwunders mit der
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60
Vgl. M.-i. Boismard, Moses or Jesus. An Essay in Johannine Christology, Minneapolis 1993,4-10. Vgl.jetzt auch Wilckens, Johannes (s. Anm. 22), 96 f. Boismard, Moses or Jesus, 10.
Brotrede eine Art Mannatypologie intendiert habe, di 7 ihm wichtiger war als jede Elischatypologie. Während das Manna im Gespräch über das Brotwunder explizit thematisiert wird, bleibt das Elischawunder ein unthematisierter biblischer Horizont, der vom Text nicht weiter funktionalisiert wird. Man kann also der Schlußfolgerung, daß in Joh 6 vom Evangelisten eine Parallele zwischen Mose und Jesus aufgebaut wird, zustimmen~ wenn klar ist, daß Jesus im Johannesevangelium stets als radikale Überbietung des Mose verstanden wird. Das haben die Lesenden schon zu Beginn des Johannesevangeliums, nämlich in Joh 1,17, gelernt. Zugleich gibt die dortige Gegenüberstellung von Mose und Jesus eine zusätzliche BesÜitigung, daß ailch in Joh 6 eine solche Gegenüberstellung intendiert ist und In 6,14 schon vorbereitet wird. Nicht Mose gab das Himmelsbrot, sondern Jesus (ist und) gibt das wahre Himmelsbrot. Die Reaktion Jesu auf die Äußerung des Volkes, er sei der kommende Prophet, ist allerdings m:it der Mosetypologie nicht ohne weiteres erklärt. Jesus schließt nämlich aus dieser Äußerung, daß sie kommen wollen, um ihn zum König zu machen (6,15). Diese Schlußfolgerung liegt insofern nahe, als es in der Antike einen Bestand kulturellen Wissens gab, der besagte, daß der, der die Massen mit Brot versorgt, königliche Qualität zeigt und beansprucht. Auf diesen Wissensbestand ist vor der weiteren Interpretation einzugehen.
4.2. Zur Traditionsgeschichte der Vorstellung vom König als Erotgeber Beginnen wir wieder in Agypten: Daß der Pharao die Versorgung und Ernährung des Landes garantiert, gehört zum festen Bestand des ägyptischen Königsideals. Dahinter steht die Erfahrung, daß nur die staatliche Administration, also der König und seine Beamten, tUr eine effiziente Organisation der Landwirtschaft sorgen konnte, die einen optimalen Ernteerfolg im Rahmen der natürlichen Bedingungen herbeiführte. Diese Erfahrung wurde freilich religiös überhöht, so daß dem König eine magische Fruchtbarkeitsgarantie zugeschrieben werden
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kOIU;lte. So hatte er als Herr des Nils für die richtige Überschwemmung zu sorgen. Diese magische Zuschreibung hat ihren Haftpunkt in der theologischen Konzeption der königlichen Rolle. Der König agierte als Stellvertreter der Götter auf Erden (s.o. l.1.). Da jede Versorgungsleistung letztlich auf die Götter zurückgeführt wurde; mußte der König, der sie vertrat, als der Versorgungsgarant s<;:hlechthin angesehen werden. Als einer von vielen Belegen sei die Lehre des Königs Amenemhet aus dem Mittleren Reich (etwa 2000 - 1700 v.Chr.) angeführt. Dort rühmt sich der König: Ich war einer, der Getreide schuf, ein Liebling des Korngottes. Die Niljlut enllies mir Achtung aufjedem offenen Feld. Man hungerte nicht in meinen Jahren und man dürstete nicht in ihnen. (IJ,11)61
Für das Neue Reich (etwa 1500 - 1100 v.Chr.) kann auf eine entsprechende Passage des Ptahsegens verwiesen werden. Ptah spricht zu Ramses H.: Ich gebe dir reichliche Niliiberschwemmungen; ich versehe dir die beiden Länder mit Wohlstand, Nahrung lind edler Versorgung. Speisen sind bestimmt für jeden Ort, an den du trittst. Ich gebe dir fortdauernd Getreide, um die beiden Ufer (= Ägypten) in deiner Zeit zu nähren. Ihr Korn ist wie der Sand des Strandes; ih,'e Scheunen nähern sich dem Himmel, ihre Haufen sind wie Berge. Man freut sich und ist satt bei deinem Anblick, (denn) Nahrung, Fische und Vögel sind unter deinen Füßen; Ober- und Unterägypten nähren sich von deiner Versorgung. 62
61 62
Zitiert nach H. Brzmner (Hg.), Die Weisheits bücher der Ägypter. Lehren für das Leben, München 1991, 176. Zitiert nach Th. Schneider, Lexikon der Pharaonen. Die altägyptischen Könige von der Frühzeit bis zur Römerherrschaft, Zürich 1994,27. - Zur Verbindung von Königtum und Versorgung vgl. E. Blumenthai, Untersuchungen zum ägyptischen Königtum des Mittleren Reicbes I. Die Phraseologie (ASAW.PH 61.1), Berlin 1970, 269-271.349-353; J. Assmann, Ma'at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im alten Ägypten, München 1990, 226-228.
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In beiden Texten wird deutlich, daß die opulente Versorgung, die der Pharao dem Land garantiert, mit seiner Beziehung zu den Göttern zu tun hat. Dadurch, daß der König als "sichtbarer Gott" (ntr njr) in gewisser Weise zur Götterwelt gehört, kommt ihm auch die göttliche Potenz zu, das Land zu versorgen. Nun können freilich altägyptische Belege, so eindrucksvoll sie sich auch lesen, nicht ohne weiteres für hellenistisch-jüdische oder neutestamentliche Texte als Kommunikationshintergrund herangezogen werden. Der zeitliche und kulturelle Graben ist einfach zu breit. Allerdings läßt sich zeigen, daß entsprechende Vorstellungen auch von den Ptolemäerkönigen gepflegt wurden und also im hellenistischen Ägypten präsent waren. Besondere Relevanz haben in diesem Zusammenhang natürlich die mehrsprachigen Dokumente der ägyptischen Priestersynoden,63 weil sie für eine interkulturelle Kommunikation im bikulturellen Ägypten der Ptolemäerzeit die besten Voraussetzungen boten,64 Diese Texte "wandten sich sowohl an die einheimische als auch an die griechische Bevölkerung und können als repräsentativ für die ptolemäische Königsideologie angesehen werden. "65 So zeigt etwa das Kanopusdekret, daß die königliche Versorgungsgarantie auch ein Bestandteil der ptolemäischen Königspropaganda war. 66 In der Tradition ägyptischer Königsideologie berichtet der
63 64 65
66
Zur Funktion der ägyptischen Priestersynoden vgl. J. Kiigler, Priestersynoden im hellenistischen Ägypten. Ein Vorschlag zu ihrer sozio-histol'ischen Deutung, GöMisz 139 (1994) 53-60. Zur Situation im griechisch-römischen Ägypten vgl. Kiigler, Pharao und Christus? (s. Anm. 40), 83-131. eh. Onasch, Zur Königsideologie der Ptolemäer in den Dekreten von Kanopus und Memphis (Rosettana), APF 24/25 (1976) 137155: 137. Das Kanopusdekret dokumentiert die Ergebnisse einer Priestersynode in Alexandria im Jahre 238 v.Chr. Hieroglyphischer und griechischer Text bei K. SeIhe, Hieroglyphische Urkunden der griechisch-römischen Zeit, Leipzig 1904, 124-154 (zur Hungersnot: 130-132); deutsche Übersetzung: G. Räder (Hg.), Kulte, Orakel und Naturverehrung im Alten Ägypten, Ziirich 1960, 153-166 (zur Hungersnot: 155).
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Text von Hilfsmaßnahmen des Königspaares während einer Hungersnot aufgrund einer niedrigen Nilschwemme. Dann trat ein Jahr eines schlechten Nils in ihrer Zeit ein, und das Herz aller Lebenden von Ägypten war betrübt über das Eintreten des Ereignisses angesichts dessen, daß sie sich des Elends erinnerten, das einst eingetreten war in der Zeit friiherer Könige, wenn das Ereignis eines schlechten Nils in ihrer Zeit fiir die Bewohner'von Ägypten eingetreten war, Da sorgten sich Seine Majestät und seine Schwester, indem ihr Herz brannte (= bekümmert war) wegen der Bewohner der Häuser der Gölter und aller Bewohner von Ägypten. Sie überlegten vielmals, und sie erließen viele Steuern in dem Wunsch, die Untertanen zu ernähren. Sie ließen Getreide nach Ägypten holen alls Syrien und alls Phönizien und von Zypern lind aus anderen großen Fremdländern, Sie gaben viel Silber als Entgelt dafiir, aufgehäuft zur Bezah11Ing. Sie erhielten die Lebenden, die in dem Land Ägypten waren, und sie ließen sie ihre Wohltaten bis in Ewigkeit wissen lind ihre'zahlreichen Tre.fJlichkeiten angesichts der Seienden und derer, die nach ihnen kommen werden. '
Ein bedrohliches Naturereignis wie eine unzureichende Nilschwemme konnte leicht, als göttliches Zeichen gegen eJie Fremdherrschaft der Makedonen aufgefaßt werden. Im Gegenzug weisen die ptolemäischen Herrscher auf ähnliche Ereignisse in der Vergangenheit hin und lassen sich bestätigen, sie hätten große finanzielle Anstrengungen vollbracht, um durch Getreideimporte die Not zu lindern. So wird die Katastrophe zu einer Wohltat des Königshauses uminterpretiert. 67 Auffallig ist jedoch, wie wenig der Text die religiöse Dimension der Versorgungsleistung thematisiert. Hatte der Ptahsegen noch davon gesprochen, daß Ptah dem König fortdauernd Getreide gibt, so ist dagegen jetzt von Steuererhöhungen und teuer bezahlten Importen die Rede. Es dürfte kein Fehlschluß sein, in diesem Realismus des Textes einen feinen Ausdruck der Distanz der ägyptischen Priesterschaft gegenüber den fremden Königen zu sehen. Trotzdem ist der Text ein Beleg dafür, daß auch die ptolemäischen Könige sich unter dem Anspruch sa:hen, die Versorgung des Landes zu garantieren. Das entsprechende
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Vgl. (9nasch, Königsideologie (s. Anm. 65), 142 f.
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Königsideal war also noch lebendig und wurde mit solchen Texten in die hellenistische Kultur hinein übersetzt. Es ist also recht naheliegend, für einen im hellenistischen oder römischen Ägypten entstandenen, jüdischen Text mit dem Einfluß ägyptischer Traditionen in hellenistischer Fassung zu rechnen. Daß es tatsächlich zu einem solchen Einfluß kam, läßt sich mit Josej und Asenet, dem zwischen 100 v.Chr. und 100 n.Chr. in Ägypten entstandenen jüdischen B ekehtungsroman, belegen. 68 Es gehört zu den Eigenarten von JosAs daß seine Protagonisten Sohn bzw. Tochter Gottes genannt werden. 69 Wenn Josef als Gottessohn bezeichnet wird, so geschieht dies nie durch den Erzähler und nie durch Josef selbst, sondern immer nur in der Rede anderer erzählter Figuren. 70 Trotzdem ist diese Bezeichnung der besonderen Würde des Helden ernst zu nehmen. Sie ist zunächst im kollektiven Sinne zu verstehen: Josef gehört als Jude zu den Erwählten und hat Anteil an deren göttlicher Würde, ja er ist der Starke, Schöne, Weise und Geistbegabte (JosAs 3,4; 4,7; 18,1 f; 21,21) schlechthin. Josef wird also als der Sohn Gottes aus den Kindern Gottes herausgehoben, weil in ihm sich die besondere Lebensfülle, die allen Gliedern seines Volkes eigen ist, noch einmal konzentriert. 71 Josef wäre demnach als der Erste unter den Söhnen und Töchtern Gottes zu sehen. Überall, wo er als der erstgeborene Sohn Gottes bezeichnet wird (18,11; 23,10; 21,4), trifft dieses Verständnis mit Sicherheit zu. paneben gibt es nun aber auch Textstellen, die anzeigen, daß es für Josefs Gottessohnwürde noch eine weitere Quelle gibt, nämlich den Ber~ich der Königstradition, in den Josef hineingestellt wird. Josef ist ja vom Pharao als Herrscher über Ägypten eingesetzt. Er
68
69 70 71
Zu Einleitungsfragen vgl. Ch. Burchard, Untersuchungen zu Joseph und Aseneth. Überlieferung - Ortsbestimmung (WUNT 8), Tübingen 1965, 140-151. Zum Konzept der Gotteskindschaft bei JosAs vgl. Kiigler, Pharao und Christus? (s. Anm. 40),210-214. Vgl. Ch. Burchard, Joseph und Aseneth, JSHRZ 2 (1983), 577-735: 607. Vgl. Burchard, JSHRZ 2,608.
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ist "König des ganzen Landes Ägypten und Retter und Korngeber" (JosAs 25,5)72 und wird nach dem Tode des ägyptischen Königs rur 48 Jahre dessen Nachfolger (29,9). Daß der Rettertitel in diesem Zusammenhang aus dem Repertoire der hellenistischen Herrsch~rideologie stammt, bedarf keiner weiteren Ausführung. Für die Bezeichnung als Kornspender scheint dies nicht ohne weiteres zuzutreffen. Sie verweist zunächst auf biblische Tradition. Immerhin ist es auch in der biblischen Josefserzählung Josef, der den notleidenden Ägyptern Getreide gibt. In Gen 42,55-57 wird erzählt: Da ganz Ägypten Hunger hatte, schrie das Volk zum Pharao nach Brot. Der Pharao aber sagte zu den A'gyptern: Geht zu Josej! Tut, was er euch sagt. Als die Hungersnot über das ganze Land gekommen war, öffnete Josef alle Speicher und verkaufte Getreide an die A'gypter. Aber der Hunger wurde immer bedrückender in Ägypten. Auch alle Welt kam nach Ägypten, um bei Josef Getreide zu kaufen; denn der Hunger wurde immer bedrückender aufder ganzen Erde.
Daß der Hilfeschrei des Volkes sich zunächst an den König richtet, entspricht der Logik des ägyptischen Königsideals. Dadurch, daß der König diesen Ruf an Josef weiterleitet, partizipiert Josef an der königlichen Rolle. Ansonsten ist festzustellen, daß das Motiv der königlichen Versorgung im Bereich der biblischen Königstradition nicht sehr stark vertreten ist. Das könnte unter anderem damit zusammenhängen, daß die reale Bedeutung des Königs und seiner Verwaltung für die funktionierende Organisation der Landwirtschaft in Palästina keine Rolle spielte, die mit der in Ägypten vergleichbar wäre. Allerdings finden sich trotzdem einige Hinweise auf die Ernährerfunktion des Königs. So tritt David als Ernährer des Volkes auf, wenn er anläßlich der Überführung der Bundeslade nach Jerusalem die Massen mit Brot und Kuchen speist (2Sam- 6,19). Vor allem aber ist auf Ps 72 zu verweisen. Bei diesem Psalm handelt es sich um einen Königspsalm, der für einen offiziellen höfischen Anlaß geschaffen wurde.?3 In Form und Stil ist er altori72 73
Vgl. die Trias in JosAs 4,7. Vgl. K. Seybold, Die Psalmen (HAT 1115), Tübingen 1996,275-279.
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entalischen Königsinschriften verwandt. Seine auff'ällige Textstrukturierung läßt eine Art Plakatfunktion vermuten. Der Text besteht aus einem einleitenden Gebet für den König "und einer lan.gen Reihe von Gli1ck- und Segenswünschen", "welche die judäischen Königsvorstellungen thematisieren".74 So wird in dieser "herrschaftstheologischen Magna Charta des altisraelitischen Königtums" der ideale "Herrscher als Wohltäter in Natur und Geschichte mit geradezu theokratischen Kategorien beschrieben. "75 Daß zum Bild des Herrschers als Wohltäter auch die wunderbare Fruchtbarkeit des Landes gehört, macht V.16 deutlich. Es sei eine Fülle von Korn im Land, aufden Gipfeln der Berge rausche seine Frucht wie der Libanon!
Wenn zu den Wünschen für den König auch eine so phantastische Fruchtbarkeit gehört, daß das Getreide selbst auf den Bergen.wie die Wälder des Libanon rauscht, dann kann daraus geschlossen werden, daß auch zum judäischen Königsideal eine Versorgungsgarantie für das Land gehörte. Die Herrschaft Gottes über die Fruchtbarkeit des Landes wird auf den Idealkönig übertragen, und dieser dann als Garant der Fruchtbarkeit und damit der Versorgung des Volkes gepriesen, was seinerseits auf ägyptische Königstradition ebenso zurückverweist,76 wie es mesopotamische Vorstellungen aufgreift. 77 Zu beachten ist, daß die Heilswirkung der königlichen Herrschaft in Ps 72 in den Gesamtzusammenhang königlichen Handeins eingebettet ist, in dem die Durchsetzung von Recht 'und
74 75
76
77
Seybold, Psalmen, 277. R. LilYak, Der Herrscher als Wohltäter. Soteriologische Aspekte in
den Königstraditionen des Alten Orients und des Alten Testaments, in: D. Vieweger / E.-J. Waschke (Hg.), Von Gott reden. Beiträge zur Theologie und Exegese des Alten Testaments. FS Siegfried Wagner zum 65. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 1995, 163-186: 168. Vgl. auch B. Janowski, Stellvertretung. Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff (SBS 165), Stuttgart 1997, 46-66. Vgl. V. A. Tobin, Amarna and Biblical Religion, in: S. Israelit-Groll (Hg.), Pharaonie Egypt, the Bible and Christianity, Jerusalem 1985, 231-277: 245. Vgl. R. Kessler, Gott und König, Grundeigentum und Fruchtbarkeit, ZAW 108 (1996) 214-232: 226 f.
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Gerechtigkeit eine zentrale Rolle spielt. "Die Wirkung des Heils, die sich mit einer grenzenlosen Herrschaft verknüpft, wird hier mediatisiert, sofern sie über eine gerechte Herrschaft vermittelt ist. "78 Da in Israel der König nicht wie in Ägypten Herr der Ma'at ist, sondern als Diener von Recht und Gerechtigkeit angesehen wird, folgt aus dem Zusammenhang von Fruchtbarkeit und gerechter Herrschaft auch, daß dort, wo das königliche Regiment die göttliche Ordnung verletzt, mit einem Zusammenbruch der Versorgung zu rechnen ist. Dies wird etwa in 2Sam 21,1-14 deutlich, wo eine ungesühnte Blutschuld Ursache einer dreijährigen Hungersnot ist. Die Ungnade Gottes endet erst, als die Schuld durch König David gesühnt wird. 79 Da die Belege allerdings nicht sehr zahlreich sind und die entsprechende Vorstellung offensichtlich nicht gerade dominant war, ist es trotzdem naheliegend, für einen Text, der im hellenisierten Ägypten entstanden ist, neben biblischer Tradition auch mit dem Einfluß ägyptischer Vorstellungen in hellenistischer Fassung zu rechnen. Dies gilt umso mehr als die biblische Überlieferung die Rezeption solcher Vorstellungen unterstützte und Josef in JosAs ja nicht irgendein König ist, sondern konkret König in Ägypten. So kann geschlossen werden, daß der "Korngeber" Josef als Vertreter des Pharao an dessen königlicher Rolle partizipiert. Als königlicher Gottessohn garantiert Josef die. Versorgung des Landes. Er hat Anteil an der königlichen Würde, partizipiert an der königlichen Rolle und beweist dies auch durch seine Versorgungsleistung. Das ganze hat durchaus auch einen ironischen Unterton: Dadurch, daß nämlich dem Regenten Josef Elemente der Königsideologie' zugeordnet werden, während sie in bezug auf den Pharao strikt vermieden werden, wird der Eindruck erweckt, daß der Jude Josef der eigentliche und wahre König ist. So kann die Kornspende problemlos als eine auf die konkrete Erzählsituation zugeschnittene Fassung hellenistisch-ägyptischer und biblischer Königstheologie verstanden werden.
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Liwak, Wohltäter (s. Anm. 75), 168. Vgl. Kessler, Gott und König (s. Anm. 77),227.
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Im folgenden soll nun die Frage gestellt werden, inwieweit diese traditionsgeschichtliche Linie für die Auslegung des Johannesevangeliums relevant ist. Zunächst ist festzuhalten,. daß der Topos selbstverständlich auch in neutestamentlicher Zeit aktuell blieb. Immerhin gehörte die Versorgung der Plebs mit Brot zum unverzichtbaren Bestandteil römischer Herrscherideologie. Brot und Spiele waren elementare Kommunikationsmittel im Verhältnis zwischen Kaiser und Volk. 80 Wie heikel es sein konnte" sich in diese Kommunikation einzumischen, läßt sich am Beispiel von Germanicus, dem Vater des Gaius (Caligula), zeigen. Er bereiste inoffiziell Ägypten, was an sich schon der Erlaubnis des Kaisers bedurft hätte. Dort reagierte er auf eine Hungersnot mit dem Öffnen der staatlichen Kornspeicher und machte sich damit zum Liebling der Massen. Bei Kaiser Tiberius kam diese Aktion nicht als Zeichen unschuldiger Menschenliebe an, sondern als durchaus verfrühter Anspruch auf den Thron. Die Verstimmung war entsprechend. 81 Daß zur ideologischen Ausgestaltung des Brottopos auch ägyptische Elemente benutzt werden konnten, läßt sich gut am Beispiel Kaiser Domitians zeigen. Dieser ließ das Iseuin Campense als zentralen architektonischen Ausdruck seiner Herrschaftsidee neu gestalten82 und nutzte diesen Komplex zu "seiner Repräsentation als Pharao, die göttliche Verehrung und Dauerhaftigkeit implizierte. "83 Den Text des Obelisken, der in dieser Anlage aufgestellt wurde, ließ sich der Kaiser von einem echten oberägyptischen Priester entwerfen,84 Wie stark hier die Herrschaft des Kaisers aus ägyptischer Tradition verstanden wird, zeigt sich auch an der Übernahme
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Vgl. P. Veyne, Brot und Spiele. Gesellschaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike, Frankfurt 1988, bes. 390-440. Vgl. Sueton, Tiherizts 52; Tacitus, Ann. 2,59.69-72. Vgl. K. Lembke, Das Iseum Campense in Rom. Studie über den Isiskult unter Domitian (Archäologie und Geschichte 3), Heidelberg 1994, 18-63.69 f. Lembke, Iseum, 136. , Beschreibung und Text des Obelisken bei Lembke, a.a.O., 210-212; Abb. ebd., Tafeln 15-17. Zur Deutung ebd., 37-41.
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pharaonischer oder ptolemäischer Titulaturen. Ganz in altägyptischer Manier wird der Herrscher gepriesen als "sichtbarer Gott" (ntr nfr) und "Erbe des Vaters der Götter, der sitzt auf dem Thron des Horus". Was den Topos des Herrschers als Ernährer des Volkes angeht, so heißt es über den Kaiser: Er foUte das Land mit seinen Speisen, und das, was ist, und das, was nicht ist, ist überschwemmt mit seiner Nahrung.
Ägyptische Traditionen und römische Vorstellungen laufen in diesem Propagandatext problemlos zusammen. Und wenn auch kaum jemand in Rom den Hieroglyphentext lesen konnte, dürfte die Botschaft des Textes doch angekommen sein, denn sie war ganz offensichtlich eingebettet in ein Set signifikanter Handiungen, die gut verstanden wurden. Aus der Tatsache, daß der Kaiser an dem Tag, an dem er eine öffentliche Speisung veranstaltete, im Amphitheater als Dominus bejubelt wurde (Sueton, Domitian 13,1), ist jedenfalls zu schließen, daß die Öffentlichkeit sehr gut verstand, wie Domitian seine Herrschaft aufgefaßt wissen wollte, nämlich wie die eines hellenistischen Gottkönigs. Dieses Herrschaftskonzept kam dann auch in der Anrede "Gott und Herr" deutlich zum Ausdruck. Diese Anrede "entsprach genau der griechischen Bezeichnung 'theos kai kYrios', sie ist for die späteren Ptolemäer (Ptolemaios XII, Kleopatra VII und ihre Mitregenten) in den Papyri bezeugt. "85 Insgesamt ist also festzuhalten, daß die Vorstellung vom Herrscher als Brotgeber, als Ernährer und Versorger seines Volkes, in unterschiedlichen kulturellen Räumen und verschiedenen Epochen bis hin zur neutestamentlichen Zeit vertreten ist. Sie gehörte offensichtlich über lange Zeit zum allgemeinen kulturellen Wissen, vor dem sich auch das hellenistische Judentum nicht verschließen konnte, vor allem deshalb nicht, weil der Topos auch zum Bestand biblischer Königstheologie gehörte. Das bedeutet, daß angenommen werden muß, daß die Vorstellung vom königlichen Ernährer
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H. Bengtson, Die Flavier: Vespasian - Titus - Domitian. Geschichte eines römischen Kaiserhauses, München 1979, 185. Vgl. ebd., 184188.
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zum Bestand des allgemeinen kulturellen Wissens gehörte, den auch ein christlicher Autor bei seinen Leserinnen und Lesern voraussetzen durfte. Vor dem Hintergrund dieses kulturellen Wissens ist die Absicht, Jesus, den wunderbaren Ernährer, zum König zu machen, eine kulturell durchaus adäquate, ja sogar nahe liegende Reaktion. Zudem wissen die Lesenden spätestens seit dem Bekenntnis des NatanatH (Joh 1,49), daß Jesus König ist. Auch später im Evangelium wird, wie wir gesehen haben, die königliche Würde Jesu betont.
4.3. Prophet und König Nun kann allerdings das populäre kulturelle Wissen vom König als Brotgeber nicht der einzige kommunikative Horizont für die Aussage in 6,15 sein. Jesus schließt nämlich die Absicht; ihn zum König zu machen, direkt aus der Akklamation als Prophet. Damit wird vom Text signalisiert, daß Prophet und König als gleichbedeutende Bezeichnungen gebraucht werden können. Diese Gleichsetzung mag für moderne Leser auf den ersten Blick überraschend sein, aber sie darf nicht durch literarkritische Operationen unsichtbar gemacht werden. So hält Jürgen BECKER diese Kombination für so problematisch, daß er sie literarkritisch aufzulösen versucht. Er rechnet Joh 6,14 zur Semeiaquelle, aus der seiner Meinung nach der Evangelist, welcher bei ihm nicht der Endredaktor ist, diesen Vers unter Hinzufügung von 6, 15 ohne großes Interesse übernommen hat. Weil die beiden Verse, und damit zugleich die beiden Titel Prophet und König, sich auf unterschiedliche literarische Ebenen verteilen, hält es BECKER für unnötig, nach einer Synthese der beiden Aussagen zu suchen,86 Selbst wenn aber 6,14 und 6,15 literarkritisch zu verschiedenen Schichten gehören würden, was nach meiner Analyse nicht der Fall ist, so müßte man sie auf der redaktionellen Ebene doch aufeinander beziehen. Denn der Evangelist müßte sich ja irgendeine Vorstellung davon gemacht haben, warum es möglich ist, die beiden Titel so miteinander zu 86
Vgl. J. Hecker, Das Evangelium nach Johannes (ÖTK 4), 2 Bde., Gütersloh 1979/1981, 194.
An
kombinieren. Streng methodologisch gesprochen: Bei der Überarbeitung eines Textes, wenn sie nicht gerade eine antithetische Kommentierung darstellt, entsteht eine neue textliche Einheit. Dieser neuen Einheit kann nur eine synthetisch orientierte Auslegung gerecht werden. Die Aussage des redaktionell komponierten Textes kann nicht allein aus den redaktionellen Hinzufügungen erhoben werden. Erst recht muß natürlich derjenige nach 'einer Möglichkeit der Verbindung suchen, der im vorliegenden Fall ohnehin keine Verteilung auf zwei verschiedene Textschichten vornimmt. Meiner Meinung nach läßt sich die "Spannung" zwischen 6,14 und 6, 15 sehr gut erklären, wenn man beachtet, daß Prophetentum und Königsamt in der Antike von zwei Seiten her verbunden werden konnten, Zum einen konnte der hellenistische König im Herrscherkult sein eigener Prophet werden. Das ist für einige Ptolemäerkönige bezeugt. Zwar dürfte diese Sitte in römischer Zeit nicht mehr bekannt gewesen sein, aber noch Augustus läßt sich mit dem Augurenstab abbilden und bindet damit herrscherliche Macht und seh'erische Autorität zusammen. 87 Zum anderen aber, und das ist für das Johannesevangelium sicher relevant, konnte im zeitgenössischen Judentum Propheten die Königswürde zugeschrieben werden. Diese Entwicklung läßt sich etwa bei Flavius Josephus belegen, der in seinem Werk "Der Jüdische Krieg" von "Schwarmgeistern und Betrügern" berichtet, "die unter dem Vorwand göttlicher ßingebung Unruhe und Aufruhr hervorriefen und die Menge durch ihr Wort in dämonische Begeisterung versetzten." (bell. 2,2591). Der revolutionskritische jüdische Historiker setzt diese prophetischen Schwärmer so eng mit den revolutionären Anführern in Verbindung, daß die Unterschiede zwischen ihnen verwischt werden. 88
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Vgl. A, Aljöldi, Repräsentation (s. Anm. 45), 142 f. Vgl. J..1. Collins, Jesus and the Messiahs of Israel, in: H. Cancik / H. Lichtenberger / P. Schäfer (Hg.), Geschichte - Tradition - Reflexion. FS Martin Henge!. BI. Frühes Christentum, Tübingen 1996, 287-302: 299.
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Dies gilt besonders für den ägyptischen Propheten, den er in bell. 2,261-263 erwähnt. Diesem wird nicht nur eine, für Josephus natürlich' fälschlich beanspruchte, prophetische Qualität zugeschrieben, sondern auch die Ambition, sich durch die Einnahme Jerusalems zum Herrscher zu machen. Leider läßt sich aus der allgemeinen Bemerkung des Josephus über die "Zeichen der Freiheit" (bell. 2,259), die die Propheten wirkten, nicht erschließen, ob das Mannawunder zu diesen Zeichen dazugehörte oder nicht. Auch fur den Wüstenaufenthalt des ägyptischen Propheten gibt es bedauerlicherweise keine entsprechenden Anhaltspunkte. Allenfalls läßt sich allgemein feststellen, daß es um die Wiederholung der Exoduswunder ging. ' Für das hellenistische Judentum sei außerdem auf Philo von Alexandria verwiesen, der die Rolle des Mose als kompakte Einheit von priesterlichen, prophetischen und herrscherlichen Funktionen konzipiert, "denn dank der Vorsehung wurde er König, Gesetzgeber, Oberpriester und Prophet und leistete in jedem dieser Ämter das Höchste. " (Mos. 2,3).8 9 Entsprechend dieser vierfiiltigen Funktion gliedert Philo auch seine Mosebiographie. Dabei stehen die vier Aspekte der Rolle des Mose nicht unverbunden nebeneinander, sondern Werden untereinander in Beziehung gesetzt, wobei das Königtum die Basiskategorie darstellt. König und Priester werden ebenso verbunden wie König und Gesetzgeber. Dabei kann Philo neben biblischen Ansätzen auf den Common sense der paganen Königskonzeptionen zurückgreifen. Da sich dort allerdings, wie oben schon angedeutet, die Verbindung von König und Prophet in römischer Zeit nur mehr sporadisch findet, kann geschlossen werden, daß diese Verbindung eher frühjüdischen Vorstellungen entsprach. Jedenfalls kann festgehalten werden, daß für Philo das Königtum des Mose die Zentralkategorie darstellt, an die die anderen Aspekte, Priester, Gesetzgeber und Prophet, angeschlossen werden können. Auf diese Weise werden auch König und Prophet miteinander gekoppelt.
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Vgl. fV.:A. Meeks, Prophet-King (s. Anm. 15), 112-131.
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Vor diesem Hintergrund läßt sich einerseits die enge Verbindung von Königstitel und Prophetenamt gut verstehen und andererseits wird zugleich die Annalune einer Mosetypologie sicherer gemacht, da Philo die enge Verbindung von Prophetentum und Königsamt speziell dem Mose zuschreibt. Das würde bedeuten, daß Jesus in einer (im Johannesevangelium immer antagonistisch gemeinten) Analogie zu Mose eine kOJ?pakte Rolle aus Prophetentum und Königswürde zugeschrieben bekommt. Nun ist freilich noch eine weitere interpretatorische Ebene zu beachten: Jesus reagiert ja negativ auf die Absicht des Volkes, ihn zum König zu machen: Er entzieht sich dem Zugriff der Massen durch Rückzug auf den Berg. An dem Schluß, den die Leute aus dem Brotwunder ziehen, muß also etwas falsch sein. Ihre Gleichsetzung IJESUS == BROTGEBER = PROPHET WIE MOSE == KÖNIG I kann also nicht so stimmen, wie sie es meinen, nämlich daß Jesus hier und jetzt zum König gemacht werden soll. Wo'rin das Mißverständnis liegt, wird zwar erst in der ab 6,26 folgenden Brotrede richtig klar gemacht werden, wenn die Lesenden allerdings eine hellenistisch-jüdische Deutung der Mosegestalt, wie wir sie oben kennengelernt haben, kennen, dann sind sie schon jetzt nicht ganz ahnungslos. Dann wissen sie nämlich, daß Mose nicht einfach ein König wie andere Könige war, sondern ein kosmischer König, dessen Reich nicht nur alle Länder der Erde, sondern den gesamten Kosmos umschließt. Wenn die Königswürde Jesu die des Mose aufnimmt und inkommensurabel überbietet, dann gilt dies alles flir Jesus erst recht. Da die Lesenden zudem schon vom Prolog des Johannesevangeliums her wissen, daß in J esus der Logos, der als einziggezeugter Gott vor aller Schöpfung bei Gott ist, Fleisch geworden ist, kölmen sie sogar genau wissen, was am Bestreben der Menge falsch ist. Der Logos ist von Ewigkeit her Herr der Schöpfung und deshalb kann das Brotwunder nur ein Zeichen flir die himmlische Königswürde Jesu sein, aber kein Anlaß, Jesus zum Volkskönig zu machen. Angesichts der göttlichen Würde Jesu ist das Ansinnen der Menge geradezu lächerlich. Der, der von -Gott her immer schon König ist, kann nicht von den Massen zum König gemacht werden.
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Die Würde Jesu, des fleischgewordenen Weltenkönigs, wird anschließend auch durch den Se'ewandel, der die Herrschaft Jesu über die Elemente demonstriert, untermauert, und dann im weit~ ren Fortgang des Evangeliums bestätigt. Vollends.klar wird die Art der Königswürde freilich, wie wir gesehen haben, erst in der Passionserzählung. Dort wird deutlich gemacht, daß Jesus einerseits ein himmlischer König ist, dessen Reich nicht von dieser Welt ist (Joh 18,36), und daß andererseits dieses Königtum im Tod am Kreuz (19,19-21) sich vollendet. Das Gesamt johanneischer Königschristologie baut damit für 6,15 einen Kontext auf, der nun wirklich einmal die Rede von der spezifisch johanneischen Ironie berechtigt erscheinen läßt.
4.4. Jesus als Geber und Gabe in der Brotrede Die falsche Einschätzung des Königtums Jesu ist nun allerdings nicht das einzige Mißverständnis, das die Erzählung des Brotwunders beherrscht. Erscheint Jeslis beim Brotwunder als königlicher Geber eines irdischen Brotes, so wird in der Brotrede dann deutlich, daß er selbst auch die entscheidende Gabe ist, das Brot vom Himmel, welches der Vater gibt. Daneben erscheint Jesus aber auch weiterhin als Geber des Brotes, welches nun aber nicht mehr irdisches Brot ist, sondern sein Fleisch, das er gibt für das Leben der Welt. So kann Jesus als Geber und Gabe zugleich erscheinen. Hinter der großartigen theologischen Synthese, die der Evangelist hier vorlegt, steht nun freilich ein Gespräch des Evangelisten mit seiner gemeindlichen Tradition. Wenn gilt, daß einen Text zu verstehen heißt, die Frage zu verstehen, auf die er antworten will, so mag es angebracht sein, einmal dieses Gespräch in Frage und Antwort zu skizzieren. So soll zunächst versucht werden, die übernommene Tradition inhaltlich nachzuzeichnen, um so die redaktionelle Synthese noch besser zu verstehen. 90
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Zum folgenden vgl. Kiigler, Der Jünger, den Jesus liebte (s. Anm. 1), 196-232.
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Die dialogisch strukturieI1e Vorlage beginnt mit einer Frage der Juden an Jesus nach den Werken, die Gott fordert (6,28). In dieser Frage liegt das Schwergewicht ganz auf dem Tun, was die Häufung entsprechender Begriffe (tun, wirken, Werk) zum Ausdruck bringt. In der Antwort Jesu (6,29) geschieht eine Engführung auf ein einziges Gotteswerk. Gott fordert ein einziges, umfassendes Werk von den Menschen, nämlich den Glauben an Jesus, seinen gesandten Sohn. Diese Engführung auf den Glauben im Gegenüber zu den Werken führt zu einer fast schon paulinisch anmutenden Antithese. Die Antwort Jesu besagt, daß allein der Glaube an ihn soteriologisehe Qualität besitzt. Der Chri::;tusglaube als das einzige Werk, das Gottes Willen erfüllt, rettet den Menschen, nicht die Werke. Dem entsprechend kann später auch dem Glaubenden ewiges Leben verheißen werden (6,40.47;'. Da vorausgesetzt wird, daß die Juden wissen, daß mit dem Gottgesandten Jesus gemeint ist, können sie die Glaubensforderung sofort in der Forderung nach einem legitimierenden Werk zurückgeben (6,30 j). Wenn Jesus will, daß sie an ihn glauben, dann soll 'er sich mit einem Wunder ausweisen. Gleichzeitig wird auf das Mannawunder als Beispiel der erwarteten Beglaubigung hingewiesen. In dem Verweis auf das Manna spricht sich die Erwartung eines eschatologischen Propheten aus. Die Erwartung, daß in der Heilszeit biblische Wunder, speziell die Exoduswunder, wiederholt würden, war im Frühjudentum verbreitet. 91 Daß in diesem Zusammenhang auch an die Wiederholung des MannaWuilders gedacht werden konnte, läßt sich mit syrBar 29,4-8 belegen. Allerdings ist zu beachten, daß sich die Spuren einer solchen Erwartung hier in einer Äußerung der Gesprächspartner Jesu finden, die sich später als seine Gegner erweisen werden. Nichts deutet darauf hin, daß der implizite Autor denjohanneischen Jesus im Rahmen eines solchen apokalyptischen Denkmusters verstanden wissen wollte. Jesus geht auf die Wunderforderung in keiner Weise ein und läßt so jede Parallelisierung mit Mose hinter sich. Er nimmt jedoch die
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Vgl. J. Beeker, Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth (Biblische Studien 63), Neukirchen-Vluyn 1972,48.
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Erwähnung des Brotes vom Himmel auf und macht sie zum Ausgangspunkt seiner weiteren Ausfiihrungen. Nicht Moses gab, sondern der Vater gibt das Lebensbrot (6,32). Folglich ist auch nicht das Manna: des Moses das Himmelsbrot, sondern etwas anderes bzw. ein anderer, nämlich der, der aus dem Himmel herabsteigt (6,33). Dieser ist Jesus, der sich deshalb auch selbst als Brot des Lebens anbieten kann. Mit der christologischen Spitzenaussage "Ich bin das Brot des Lebens" (6,35) findet die Lebensbrotrede ihren Höhepunkt. Jesus als der Gottgesandte ist in Person das Himmelsbrot, das der Vater gibt. Es ist wichtig festzuhalten, daß die Gegenüberstellung von Jesus und Mose, die sich in der Brotrede findet, antithetisch zu verstehen ist. Mit HAHN ist festzustellen, "daß die Typologie hier keineswegs die Analogie betont und allenfalls das Motiv der Steigerung impliziert; der Antitypos ist in einem radikal antithetischen Sinne dem alttestamenilichen Typos gegenübergestellt",92 der selbst jede Heilsfunktion verliert. Nicht mehr Got~ wird als Geber des Manna erwähnt, sondern Mose. Die Gabe Gottes dagegen ist Jesus. Die Identifikation Jesu mit dem Lebensbrot macht deutlich, daß die endzeitliche Erwartung in ihm erfüllt ist .. Das Heil der Endzeit ist in Jesus da! Folgerichtig kann diese Identifizierung mit der Verheißung immerwährender Sättigung verbunden werden (V.35). Diese Verheißung gilt jedem, der an Jesus glaubt. Daß der Glaube, welcher der Zugang zum Brot des Lebens ist, nicht etwa auf menschlicher Initiative beruht, sondern allein Gottes Werk ist, schärfen V.37 und 44 ein. Wenn dort nämlich betont wird, daß jeder, den der Vater ihm gibt, zu Jesus kommt, und umgekehrt niemand zu Jesus kommen kann, wenn ihn der Vater nicht zieht, so ist klar, daß der Glaube nur sehr uneigentlich ein Werk des Menschen darstellt. Die Bezeichnung des Glaubens als Werk (V.28) ist deterministisch abgefangen. Eigentlich ist immer der Vater der Handelnde. Der Mensch ist zum Glauben aufgefordert und zugleich wird ihm gesagt, daß sein Glaube völlig von der Ak-
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F. Hahn, Die alttestamentlichen -Motive der urchristlichen Abendmahlsüberlieferung, EvTh 27 (1967) 337-374: 389.
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tivität des Vaters abhängt. Dieser ist es, der Jesus als das Lebensbrot gibt, und so das Objekt des Glaubens anbietet, und sein Geben ist andererseits auch die Ursache ftir das Kommen der Menschen. J esus ist als der, der vom Himmel herabgestiegen ist und der Welt das Leben gibt, das Lebensbrot. Er ist deshalb in Person das Mittel, mit dem der. Vater seinen Heilswillen durchsetzt. Wer JesuS sieht und an ihn glaubt, gelangt in den Besitz des ewigen Lebens. Daß derVater, von dem immer wieder die Rede ist, der Vater Jesu ist, versteht sich von selbst. Ebenso klar ist, daß die Bezeichnung Gottes als Vater eine Relationsbeschreibung thematisiert, in die Jesus als Sohn hineingehört. Wenn die Sohnesbezeichnung dann in 6,40 zum ersten Mal auftaucht, so signalisiert das, daß von da an die Sohnschaft zu einem Gegenstand der Auseinandersetzung wird. In 6,41 f setzen die Juden der von Jesus behaupteten Identität mit dem vom Himmel herabgekommenen Brot die Tatsache seiner irdischen Sohnschaft entgegen. Das Problem liegt im Anspruch Jesu, aus dem Himmel gekommen zu sein. Als Argument gegen diesen Anspruch wird angeführt, Jesus sei doch der Sohn Josefs, seine familiäre Herkunft sei bekannt. Diese Gegenüberstellung setzt voraus, daß Gottessohnschaft meint, aus dem Himmel gekommen zu sein. Dies entspricht V.38.40 und wird deshalb auch von Jesus nicht bestritten. Jesus widerspricht auch der Annahme, seine Eltern seien bekannt, nicht. Deshalb ist es exegetisch schwierig, zu schließen, der Text wolle die Vaterschaft Josefs bestreiten. Dann wäre die gleichzeitige Erwähnung der Mutter problematisch. Vielmehr wird der Widerspruch zwischen irdischer und himmlischer Kindschaft einfach stehen gelassen und als solcher der Seite des Unglaubens zugeordnet. Joachim GNILKA formuliert treffend: "Für den Unglauben steht der Anspruch Jesu, der himmlische Bote zu sein, in einem unaujhebbaren Gegensatz zu seiner allgemein bekannten irdischen Abkunft. "93 Für den Glauben dagegen ist dieser Widerspruch offensichtlich unwichtig. Der Glaube konzentriert sich ganz darauf, daß Jesus von
93 . J. Gnilka, Johannesevangelium (NEB 4), Würzburg 1983,52.
oben kommt. Die irdische Abkunft Jesu ist ihm dagegen völlig irrelevant, weil sie für das Heil nichts austrägt. Jesus ist nur für den Unglauben als Sohn losefs interessant, für den Glauben zählt er nur als Sohn, den der himmlische Vater gesandt hat. Wer an diesen Sohn als Lebensbrot glaubt, hat das ewige Leben (V.47). Der Text der Vorlage hat also seinen eindeutigen Schwerpunkt in einer christologisch begründeten soteriologischen Aussage: Wer an Jesus glaubt, hat ewiges Leben. Wie die entsprechenden Aussagen in V.35.40.47 verdeutlichen, vertritt der Text eine realisierte Eschatologie, die deterministisch unterfangen ist. Der allein seligmachende Glaube wird ganz auf die Aktivität Gottes zurückgeführt. Um religionsgeschichtlich zu verstehen, wie eine Person als Lebensbrot bezeichnet werden kann, ist von der weisheitlichen Grundausrichtung des Textes auszugehen. Wie SCHNACKENBURG richtig gesehen hat, nimmt Jesus in seiner Selbstidentifikation mit dem Lebensbrot den Einladungsruf der personifizierten Weisheit auf. 94 Im Buch Jesus Sir ach heißt es etwa: Kommt zu mir, die ihr mich begehrt, ' sättigt euch an meinen Früchten! . An mich zu denken ist süßer als Honig, mich zu besitzen ist besser als Wabenhonig. Wer mich genießt, den hungert noch, wer mich trinkt, den dürstet noch. Wer au/mich härt, wird nicht zuschanden, wer mir dient, fällt nicht in Sünde. (Sir 24,19-22)
Wenn auch der fortwährende Hunger nach Weisheit, von dem Sir 24 spricht, in Joh 6 durch die Verheißung endgültiger Sättigung ersetzt ist, so ist Joh 6,35 durchaus mit Sir 24,19-22 oder auch 51, 23 jzu vergleichen. Auch die Rede von den Belehrten Gottes (Joh 6,45) deutet aufweisheitlichen Hintergrund.
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Vgl. R, Schnackenburg, Das Brot des Lebens, in: G. Jeremias / H.W. Kuhn / H. Stegemann (Hg.), Tradition und Glaube. FS K. G. Kuhn, Göttingen 1971, 328-342: 334.
Weisheit und Logos konnten aber, wie schon zu sehen war, problemlos miteinander verbunden werden, da ihre Rollen sich zum Teil überschnitten. So kann Philo auch das Manna als himmlisches Brot sowohl auf den Logos wie auf die Sophia Gottes hin auslegen. Das Manna ist eine himmlische Seelenspeise (sacr. 86), welche sowohl die göttli-' ehe Weisheit (mut. 259) sein kann, wie auch der göttliche Logos (fug. 117; deI. 118). So wird auch in a/l. 3,169-173 das Manna mit dem Logos Gott~s identifiziert. Philo bezieht sich auf das in Ex 16,13-36 erzählte Mannawunder und legt dann allegorisch aus, wobei wie üblich Einzelzüge des biblischen Berichts die Anknüpfungspunkte der Auslegung bilden. Das Manna ist der Logos Gottes, der die ganze Seele umfaßt (all. 3,169), wie der Tau rings um das Lager lag (Ex 16,13). Und auch die Verwunderung der Israeliten über das Manna (16,15) wird aufgegriffen: Und da sie es sahen, sprach einer zum anderen: Was ist das? Denn sie wußten nicht, was es war: Mose aber sprach zu ihnen: das ist das Brot, das euch der Herr zum Essen gegeben hat: dies ist das Wort (pillJ.lX), das euch der Herr befohlen hat, Du siehst also, welcher Art die Nahrung der Seele ('rilc;; Ijmxfjc;; 'tpolj>~v) ist: es ist der einheitliche Logos Gottes, der dem Tau vergleichbar die ganze Seele rings umfaßt und keinen leil derselben ohne ihren Einfluß läßt. (all. 3.169)
Der Logos ist wie Koriandersamen (Ex 16.31): Es läßt sich zerteilen und wirkt doch in jedem Teile ganz (all. 3,170). Die weiße Farbe des Manna (Ex 16,31) wird auf die Lichtqualität des Logos ausgelegt. Für Philo gibt es nichts, was heller strahlt und glänzt als der göttliche Logos, dessen Kraft es sogar anderen Wesen ermöglicht, alles Dunkel zu bannen und das seelische Licht zu gewinnen (all. 3,171). Daß das Manna wie Reif (Ex 16,14) auf der Erde liegt, bedeutet, daß bei demjenigen, der Gott schaut, die Wogen der Leidenschaft gefrierend erstarren. Der Fromme muß ja alle Leidenschaften fliehen. Das Erstarren der Begierden wird in einer zweiten Allegorese mit dem Erstarren der Meereswogen beim Durchzug durch das Rote Meer in Verbindung gesetzt. Und schließlich wird noch einmal festgehalten:
"Dies ist das Brot", das heißt die Nahrung, die Gott der Seele gegeben hat, daß sie .nämlich sein Wort und seinen Logos sich zufiihren soll; denn dieses Brot, das Gott uns zu essen gegeben hat, ist "dieses (sein) Wort".' (011.3.173)
Es liegt auf der Hand, daß die philonische Vorstellung von einer unvergänglichen Seelenspeise (her. 79), welche mit dem Logos Gottes identisch ist, sehr gut der Lebensbrotchristologie der johanneisehen Vorlage entspricht, die der Evangelist in Joh 6 verarbeitet hat. Jesus, der in die Welt gekommene Logos offenbart sich als das Brot des Lebens, die umfassende und endgültige Nahrung, welche den Glaubenden hier und jetzt Leben schenkt. Wenn Philo den Logos als Nahrung bezeichnet, so geht es um die Nahrung der Seele, die geistig-geistlich genossen wird. Dem entspricht, daß die johanneische Vorlage nie von einem Essen des Lebensbrotes spricht. Der Genuß des Lebensbrotes ist für sie ebenfalls ein geistig-geistlicher Vorgang. Er vollzieht sich im Glauben an Jesus als vom Himmel gekommenen Logos Gottes. So ist die Identifikation Jesu mit dem Logos die Grundlage rur die christologische Verwendung der Mannatypologie. Auch wenn Philo die Bezeichnung "Brot des Lebens" nicht verwendet, kann in der Allegorie des Mannawunders, die er bietet, eine gute Basis rur die johanneische Verwendung dieser Bezeichnung als christologischem Titel gesehen werden. Wenn man davon ausgeht, daß sowohl die Auslegung des Philo als auch die der johanneischen Vorlage auf einer entsprechenden hellenistisch-jüdischen Exegese beruhen, ist man nicht gezwungen, irgendeine direkte Abhängigkeit anzunehmen. Im Hintergrund von Joh 6 steht wohl ein gemeindlicher Konflikt, der bei der Auslegung zu beachten ist. Wenn in dem redaktionellen Abschnitt Joh 6,60-71 eine Auseinandersetzung im Jüngerkreis darüber beginnt, daß die (eucharistisch reinterpretierte) Rede Jesu über das Lebensbrot zu hart Sei, als daß man sie annehmen könne, so mag das ein Hinweis auf eine innergemeindliche Auseinandersetzung um das Herrenmahl sein, die sich so zuspitzte, daß es sogar zur Spaltung, kam. Die Frage ist nun, wie eine solche Ausein-
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andersetzung in Zusammenhang mit der vom Evangelisten überarbeiteten, und damit als· ergänzungsbedürftig eingestuften Vorlage, in Verbindung gebracht werden kann. Lassen sich von der Vorlage her Fragen formulieren, die einerseits einen innergemeindlichen Streit plausibel machen und andererseits die Antwort des Evangelisten erklären? Wie oben festgestellt, hat die Vorlage ihren eindeutigen Schwerpunkt in einer christologisch begründeten soteriologischen Aussage: Wer an Jesus als Lebensbrot glaubt, hat ewiges Leben. Dabei verdeutlichen die entsprechenden Aussagen, daß der Text eine realisierte Eschatologie vertritt, die deterministisch unterfangen ist: Der allein seligmachende Glaube wird ganz auf die Aktivität Gottes zurückgeführt. Es ist eindeutig eine befreiende Botschaft, die hier ausgesprochen wird. Sie verheißt den Christusgläubigen das volle Leben, die Vollendung, und zwar nicht irgendwann und irgendwie, sondern hier und jetzt. Der Glaubende ist in vollem Maße erlöst, ihm fehlt nichts mehr. Eine solche theologische Aussage kann nun freilich auch eine Dynamik entwickeln, die ihre Gefahren hat. • . Zwingt nicht etwa die Aussage, daß der Glaubende hier und . jetzt schon alles hat, dazu, die Heilsgüter radikal zu spiritualisieren? Muß das Heil, das angesichts der bleibenden Unvollkommenheiten des Lebens als vollkommen behauptet wird, nicht etwas radikal Geistig-Geistliches sein, ein Heil, das nur im "stillen Seelenkämmerlein" sich realisiert? • Und ~ie ist es mit der Aussicht auf endzeitliehe Vollendung, auf Auferweckung und Gericht? Was sollen die, die hier schon alles haben, mit solchen Hoffnungen anfangen? • Kann das Bewußtsein, im Glauben die Vollendung gefunden zu haben, nicht seht schnell zur ethischen Lauheit führen? Was bedeutet Bewährung in christlicher Lebenspraxis für den, der schon alles hat? • Was bedeutet für die" Vollkommenen die Gemeinschaft der Glaubenden? Was soll noch die Teilnahme an gemeinsamen Riten wie dem Herrenmahl, wenn der Glaube allein genügt?
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Diese Fragen sollen nicht die Position der johanneischen Vorlage charakterisieren. Sie versuchen nur aufzuzeigen, welche Fra:gen bei entsprechend radikaler Auslegung der gemeindlichen Tradition aufbrechen konnten, um von daher die Probleme plausibel zu machen, die den Evangelisten offensichtlich bewegten. Diese Fragen indizieren jedenfalls die Möglichkeit einer innergemeindlichen Entwicklung, in der einige das Seelenheil des einzelnen Vollkommenen so absolut setzten, daß elementare Lebensvollzüge der Gemeinde, wie Bruderliebe und die gemeinsame Feier des Herrenmahls vernachlässigt und die Identität der Gemeinde damit gefährdet wurde. Unter der Annahme einer solchen radikalisierten Position im johanneischen Christentum, läßt sich dann die Gesamtkomposition von Joh 6 als Antwort des Evangelisten gut verstehen. Wie ich eingangs des Kapitels ausgeführt habe, hat der Evangelist auch die Verbindung von Brotrede und Brotwunder geschaffen. Beginnen wir mit der Frage, welche Intention ihn dabei leitete. Welche interpretatorischen Schlüsse sind aus der Zusammenstellung von Brotwunder und Brotrede zu ziehen? Wenn angenommen wird, daß sich die ab 6,51 anzutreffende Rede vom Essen des Fleisches und Trinken des Blutes Jesu auf den gemeindlichen Brauch des Herrenmahls bezieht, dann steht das Brotwunder Joh 6,1-15 besonders mit diesem Teil der Brotrede in Verbindung. Das Wunder paßt dann sehr gut zu der eucharistischen Auslegung der Rede vom Lebensbrot. Bezieht man nämlich das Brotwunder auf diesen Teil der Brotrede, so wird das Brot des Wunders als Zeichen für die wunderbare Gabe des eucharistischen Brotes verstehbar. Dieser Bezug wird dadurch noch deutlicher, daß schon in der Erzählung vom Brotwunder eucharistische Hinweise gefunden werden können. 95 Für einen entsprechenden Bezug spräche die Notiz in 6,11 (KOCI. EUXttPLO't~ottC; ÖLEÖWKEV), die darauf hinweist, daß Jesus erst für die Brote dankt, bevor er sie austeilt. Dieser Hinweis
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Vgl. die Terminologie in Joh 6,11.23 mit der in den Einsetzungsberichten (Mk,14,22f; Mt 26,26f; Lic 22,17-19; 1Kor 11,24).
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wird in 6,23 wieder aufgegriffen, womit ihm eine besondere Bedeutung zugewiesen wird. V.23 blickt auf das Brotwunder zurück und bezeichnet den Ort des Wunders als den Ort, "wo sie das Brot gegessen hatten, nachdem gedankt hatte (EUXa.p LOLtlOa.VLOC;) der Herr". Das ganze Wundergeschehen kann also vom Text selbst als Essen nach der Danksagung zusammengefaßt werden. Damit werden alle anderen Züge des Wundergeschehens ausgeblendet. Es geschieht eine Engführung des Wunders auf die beiden Züge, die es mit dem nachösterlichen Brauch des Herrenmahls verbinden. Dabei verstärkt der Gebrauch des Kyriostitels in 6,23 den nachösterlieh-kultischen Aspekt. Es ist freilich nicht ganz selbstverständlich, daß die Rede von Essen und Trinken im zweiten Teil' der Brotrede nun tatsächlich eucharistisch zu verstehen ist. In der Forschungsgeschi~hte ist immer wieder einmal gefragt worden, ob nicht Essen und Trinken wie etwa das Kommen zu Jesus als Metaphern für den Glauben an Jesus als Himmelsbrot aufzufassen ist. Eine solche metaphorische Auslegung würde den Zusamme'nhang zwischen dem ersten und dem zweiten Teil der Brotrede ganz sicher verbessern. Sie scheitert aber daran, daß der Text einen Kontrast zwischen den Wirkungen des wahren Himmelsbrotes ünd dem Mosemanna aufbaut (V.49 f). Dieser Kontrast funktioniert nur, wenn das Himmelsbrot gegessen wird wie das Mosemanna (V.35.49). So ist also "essen" (EoaLw) auch in V.51.53.58 als sinnlicher Vorgang zu verstehen. Dies wird auch dadurch deutlich, daß das Verb als Synonym zu LPWYW verwendet wird. Das massive tpwyw, welches soviel wie "nagen, knabbern, zerbeißen" bedeutet, spelTt sich gegen ein metaphorisches Verständnis. 96 Es muß also hier an einen Vorgimg wirklichen Essens gedacht werden, und damit spricht nichts mehr dagegen, daß die Rede vom Essen und Trinken von Fleisch und Blut Jesu mit dem gemeindlichen Brauch des HelTenmahls in Verbindung gebracht wird. Dieser Bezug ist entschieden zu bejahen, auch wenn das Johannesevangelium keinen eucharistischen Einsetzungsbericht bringt. Das bedeutet, daß
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Vgl. Kiigler, Der Jünger, den Jesus liebte (s. Anm. 1),205.
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der Evangelist die Glaubensforderung seiner Vorlage durch die Aufforderung zur Teilnahme am Herrenmahl ergänzt. Damit stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem ersten Teil der Brotrede und ihrem zweiten, eucharistischen Teil. Diese beiden Textteile dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. BECKERS Interpretation, wonach an die Stelle der "Glaubensbeziehung zum Sohn" auf der redaktionellen Stufe "die Aufnahme der sabamentalen Gaben durch den Mund" tritt,97 wäre nur berechtigt, wenn der Evangelist seine Vorlage verdrängt hätte. Statt dessen nimmt er sie auf und signalisiert damit wenigstens partielle Zustimmung. Er erweitert die Vorlage aber auch und zeigt damit, daß er sie für ergänzungs bedürftig hält. So entsteht durch die redaktionelle Arbeit des Evangelisten eine synthetische Aussage. Daß es dem Evangelisten nicht darauf ankommt, seine Tradition einfach außer Kraft zu setzen, zeigt sich an dem sehr behutsamen Aufgreifen der Identifikation von Jesus und dem Lebensbrot. Der redaktionelle Teil beginnt ja schon in Joh 6,48, wo die Grundaussage der Vorlage aus 6,35 wiederholt wird: Ich bin das Brot des Lebens I
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0 clp"t'oc; "t'Tic; (wTic;
Die redaktionelle Arbeit knüpft also an die vorgegebene Aussage, daß Jesus in Person das Brot des Lebens ist, an.· Im weiteren wird dann das "Ich" Jesu in einer eucharistischen Wendung auf sein Fleisch und Blut hin entfaltet, bevor das "mich" in 6,57 zurückführt auf die personale Identifikation Jesu mit dem Lebensbrot. Durch dieses sorgfaltige Vorgehen zeigt der Evangelist, daß auch fiir ihn der Glaube an Jesus als Lebensbrot Grundlage seiner Ausführungen ist, auch wenn in seinen Textteilen das Stichwort "glauben" nicht vorkommt. Glaube und eucharistisches Mahl dürfen deshalb nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das redaktionelle Anliegen ist es ja gerade, deutlich zu machen, daß es das eine ohne das andere nicht geben kann. Heil ist für den Evangelisten nicht allein gegenwärtiges, unüberbietbares Resultat des Glaubens ... 97
Becker, Johannesevangelium I (s. Anm. 86), 220.
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an das Lebensbrot. Für ihn genügt es nicht, Jesus als das Himmelsbrot geistlich zu genießen, vielmehr kommt es ihm auch auf das reale Trinken und Zerbeißen an. So wird die Teilnahme am Herrenmahl zu einer Voraussetzung für das Heil, denn bei diesem Mahl wird die heilspendende Kraft des Todes Jesu aktuell erfahrbar. Im Vergleich zu den soteriologischen Aussagen der johanneischen Vorlage ist eine entscheidende Erweiterung durch die redaktionelle Arbeit des Evangelisten festzustellen. Er läßt in seinen Lebensaussagen deutlich eine futurische Dimension erkennen, die der Vorlage abgeht. Diese Dimension zeigt sich in den Hinzufügungen in V.39.40.44 und in den futurischen Formulierungen in V.54 und V.58. Daß es der Redaktion dabei keinesfalls darum geht, das Heil der Glaubenden auf den Letzten Tag zu verschieben, zeigen die synthetischen Aussagen in V.40 und V.54, in denen gegenwärtiges Leben und zukünftige Auferstehung zu einer spannungsvollen Einheit zusammentreten. Es geht al~o nicht darwn, die präsentische Eschatologie völlig abzulehnen, sondern darum, den Aspekt eschatologischer Vollendung ergänzend einzubringen. Ähnliche Korrekturen finden sich auch bei Paulus, wenn er sich bemüht, seine Botschaft gegen enthusiastische Mißverständnisse zu sichern. Hier ist etwa auf Röm 6 hinzuweisen, wo Paulus zwei verschiedene Strategien antienthusiastischer. Korrektur einsetzt. In 6,4 wird gesagt, daß die Glaubenden durch die Taufe an Tod und Auferstehung Jesu Anteil haben. Wie Jesus starb, wurden auch sie mit ihm in den Tod begraben. Bei der Auferstehung vermeidet Paulus dagegen eine direkte Parallelisierung. Die zu erwartende Aussage, daß die Glaubenden auch ·mit Christus auferstanden sind, wird· durch den Hinweis auf einen neuen Lebenswandel der Getauften ersetzt. Man kann hier von einer pragmatisch orientierten Korrektur sprechen. In 6,8 wird dagegen die futurische Perspektive als Vorbeugung gegen ein enthusiastisches Mißverständnis eingeführt: "Wenn wir aber starben mit Christus, glauben wir, daß wir auch mit ihm leben werden. "
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Es liegt nahe, in der (Wieder-) Einführung der futurischen Eschatologie durch die johanneische Redaktion eine vergleichbare Strategie zu sehen, was auf eine vergleichbare Problemlage schließen läßt. Die oben formulierten Fragen, die sich aus einem radikalisierten Verständnis der johanneischen Tradition ergeben konnten, legen es jedenfalls nahe, anzunehmen, daß auch die johanneische Gemeinde mit dem Problem einer enthusiastischen Überbetonung des gegenwärtigen Vollendungszustandes der Glaubenden zu kämpfen hatte. Auch hier scheint es zu einer Ablehnung der futurischen Perspektive der Soteriologie und zu einer Vernachlässigung der praktischen Bewährung des Glaubens in einem entsprechenden Lebenswandel gekommen zu sein. 98 In dieser Situation korrigiert die johanneische Redaktion das rein präsentische Heilsverständnis der Vorlage in der Weise, daß gegenwärtiges und zukünftiges Heil in spannungsvoller Einheit abhängig gemacht wird vom Glauben an Jesus, der vom Himmel herabgekommen und am Kreuz erhöht worden ist. Die Teilnahme am Herrenmahl gehört zu diesem Glauben dazu, weil in ihm der Kreuzestod, Jesu Hingabe seines Fleisches für das Leben der Welt (V .51), vergegenwärtigt wird. Es genügt dem Evangelisten nicht, Jesus als Himmelsbrot geistlich zu genießen, vielmehr kommt es auch auf das reale Essen und Trinken an. So wird die Teilnahme am Herrenmahl zur· Voraussetzung f'tir das dialektisch von Erfüllung und Verheißung bestimmte Heil, das beim Herrenmahl als die heilbringende Kraft des Todes Jesu aktuell erfahren wird. Trotz der eindrucksvollen Synthese, die die Redaktion erreicht, bleibt festzuhalten, daß die Kombination der beiden Gedanken IJESUS IST DAS LEBENSBROT IN PERSONI und IJESUS IST SPENDER DES LEBENSBROTESI alles andere als selbstverständlich ist. So ist zu fragen, ob nicht theologische Vorgaben existierten, die überhaupt erst die Möglichkeit für die kombinatorische Arbeit der Redaktion schufen. 98
Zur redaktionellen Betonung der Bruderliebe als Pragmatisierung der Soteriologie vgl. Kiigler, Der Jünger, den Jesus liebte (s. Anm. 1),128-133.170 f.
Eine dieser Grundlagen ist sicher die weisheitliche Theologie der biblisch-jüdischen Tradition. In der Weisheitstheologie ist es ja selbstverständlich, daß die Gabe der Weisheit vor allem Weisheit ist. Die Weisheit gibt sich selbst. Sie kann Geberin und Gabe zugleich sein, weil zu ihrem W"esen das Oszillieren zwischen Person (Spr 8,1-9,18; Weish 8,2-4) und Pneuma (Weish 7,22-26) gehört. Auch Philo kann die Weisheit und den Logos sowohl apersonal als Nahrung der Seele (mut. 259; all. 3,169-173) wie personal als geistliche Nährmutter bzw. Lehrer (det. 115 f; her. 191) sehen. 99 Allerdings ist bei Philo der Gedanke, daß das Himmelsbrot etwas real zu Zerbeißendes ist, nicht anzutreffen. Wenn Philo den Logos als Nahrung bezeichnet, so geht es immer um die Nahrung der Seele, die man sich geistig-geistlich zuführt. Die Frage ist also, welche Vorstellungen es dem Evangelisten ermöglichten, an eine personale Identifikation Jesu mit dem Logos als geistliches Lebensbrot seine eucharistiebezogene Brotlehre anzuschließen. Immerhin ist der Übergang von Jesus als Brot des Lebens in Person zu den eucharistischen Gaben von Brot und Wein als Fleisch und Blut nicht so ganz problemlos, denn der Wein als Blut Christi will nicht recht zur Brotmetapher passen. Nun ist schon länger bekannt, daß eine direkte Parallele zur johanneisehen Formulierung vom Brot des Lebens in JosAs zu finden ist. JosAs bringt den Begriff "Brot des Lebens"; und zwar eingebettet iq den Kontext einer Trias von Brot, Kelch und Salbung. Nach den Ergebnissen von BURCHARD steht hinter dieser Dreierreihe die antike Vorstellung von Brot, Wein und Öl, als den Grundlagen der täglichen Versorgung,IOo Das tägliche Essen und Trinken und die nonnale Körperpflege werden, wenn sie nach jüdischer Sitte gehandhabt werden, zum Träger einer soteriologi-
Vgl. B. L. Mack, Logos und Sophia. Untersuchungen zur Weisheitstheologie im hellenistischen Judentum (StUNT 10), Göttingen 1973, 171-179. 100 Vgl. zum folgenden eh. Burchard, The Importance of Joseph and Aseneth for the Study of the New Testament: A General Survey and a Fresh Look at the Lord's Supper, NTS 33 (1987) 102-134.
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sehen Stnndimension, die ebenfalls auf einem symbolischen Verständnis des Mannas beruht. Asenet erhält bei ihrer Bekehrung eine himmlische Honigwabe zu essen (JosAs 16,15). Diese. Wabe wird vorher so beschrieben, daß sowohl eine Anspielung auf das Weisheitspneuma entsteht, wie auch eine Mannasymbolik. •
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Die Wabe ist weiß wie Schnee und ihr Honig wie Tau des Himmels. Diese Beschreibung erinnert bibelkundige Leserinnen und Leser an die biblische Beschreibung des Manna. Was die Beziehung zur Weisheit angeht, so ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Weisheit sich in ihrem Einladungsrufmit Honig vergleichen kann. Zu verweisen ist auf den schon oben zitierten Vers Sir 24,20, wo der Besitz der Weisheit als "süßer als Honig" und "besser als Wabenhonig" gepriesen wird. Die Honigwabe, die Asenet gereicht bekommt, kann also als Anspielung auf eine biblische Weisheitsmetapher verstanden werden. Außerdem wird in JosAs gesagt, daß die Wabe wunderbar duftet. Der himmlisch«? Wohlgeruch, kann sogar als "Odem des Lebens" (JosAs 16,8) bezeichnet werden und ist mit dem Duft des Engels identisch (JosAs 16,9.11).1 01 Als die Wabe verbrannt wird, erfüllt der Wohlgeruch das ganze Gemach (17,4). Diese Beschreibung erinnert an die Beschreibung der Weisheit, von der ebenfalls gesagt werden kann, daß sie einen besonderen Wohlgeruch ausströmt. Die in den königlichen Kontext l02 verweisende Vorstellung vom göttlichen Wohlgeruch
Zum antiken Verständnis des Duftes als Signum des Göttlichen vgl. Kügler, Paulus und der Duft des triumphierenden Christus'. Zum kulturellen Basisbild von 2Kor 2,14-16, in: R. Hoppe / U. Busse (Hg.), Von Jesus zum Christus. FS Paul Hoffmann (BZNW 93), Berlin 1998, 155-173. 102 Der Gesalbte Gottes duftet (Ps 45,9) ebenso, wie der Name des gerechten Königs Joschija (Sir 49,1). Wie in Ägypten und anderen orientalischen Kulturen ist der besondere Duft des Königs nicht nur eine Sache der Kosmetik, sondern Ausdruck seiner göttlichen Würde. 101
J.
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wird in Sir 24,15 auf die Weisheit angewendet. In Sir 39,14 findet eine Übertragung der weisheitlichen Duftqualität auf die Frommen statt. Wer zur duftenden Weisheit gehört, wird selbst zum Duftträger, der Anhänger der Weisheit zum Spender der Weisheit. Wie oben gesagt, konnte im Frühjudentum die Weisheit als Pneuma verstanden werden. Diese Pneumaqualität der Weisheit wird auch in JosAs aufgegriffen, und zwar in 16,14, wo gesagt wird, daß die himmlische Honigwabe "Geist des Lebens" ist.
JosAs präsentiert also ein symbolisches Verständnis des Manna, _das der allegQrischen Auslegung bei Philo insofern vergleichbar ist, als auch hier das Manna mit dem Weisheitspneuma in Verbindung gebracht werden kann. Das Manna als Weisheitspneuma ist himmlische Speise, von der alle Engel, die Auserwählten Gottes und die Söhne Gottes essen. Mit ihrer Bekehrung gehört Asenet zu diesen und hat an der himmlischen Speise Anteil. In JosAs 16,16 wird dann die Honigwabe, die Asenet gegessen hat, als Brot des Lebens, Kelch der Unsterblichkeit und Salbe der Unverweslichkeit gedeutet. Damit sind einerseits die Stoffe der täglichen Versorgung angesprochen, denen Heilsqualität zugewiesen wird, andererseits kann bei der Salbe der Unverweslichkeit im ägyptischen Kontext auch an die Totensalbung gedacht werden. Entweder wird hier der alltäglichen Salbung der Juden die Heilswirkung der ägyptischen Totenriten zugesprochen oder das ägyptische Judentum, das hinter JosAs steht, partizipierte an der ägyptischen Bestattungskultur. Zwar werden Brot, Becher und Salbung nicht direkt mit dem Manna gleichgesetzt, aber sie sind doch irdischer Ersatz rur das Manna, das Asenet aß. Zum Ersatz werden Speise, Trank und Salbung durch die jüdischen Segensgebete, die sie mit dem Geist des Lebens erfüllen. Wenn die gesegneten Gaben benutzt werden, teilt sich das Pneuma als Träger ewigen Lebens den Konsumierenden mit. Die Juden erwerben sich also täglich, am Tisch Gottes das Leben, weil ihr Essen und Trinken Himmelsmanna ist.
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Aufgrund dieser symbolischen Aufladung kann sich in den alltäglichen Gaben dann auch das jüdische Proprium manifestieren. Die spezifisch jüdische Art, die Dinge des Alltags so zu gebrauchen, daß sich in ihnen die jüdische Gottesbeziehung manifestiert, läßt dieses Dinge zur Quelle jüdischer Identität werden. Wenn aber in JosAs der Terminus "Brot des Lebens" von der täglichen Mahlzeit, in der sich die jüdische Eigenart manifestiert, zu verstehen ist, dann ist damit ein' gedanklicher Rahmen gegeben, der die Verwendung in bezug auf das Herremnahl als Manifestation des christlichen Propriums nicht nur möglich, sondern sogar naheliegend erscheinen läßt. Die Vorstellung, daß konkrete Dinge, darunter Essen und Trinken, durch Segnungen zu einem geisterfüllten Abbild des himmlischen Geistmanna werden und so lebenspendend wirken können, erklärt wohl ganz gut, wie dann auch in Joh 6 die Verheißung ewigen Lebens an konkretes Essen und Trinken gebunden werden kann. Auch für den johanneischen Text wäre dann die Vorstellung von einer Geisterfüllung der Gaben durch entsprechende Segensgebete vorauszusetzen. Das würde auch die Betonung der Danksagung in Joh 6.11.23 erklären. Zwar geht es im johanneischen Bereich vermutlich nicht um das tägliche Essen und Trinken, sondern um ein spezielles Mahl mit kultischer Qualität, aber religionssoziologisch dürfte das Herrenmahl die gleiche Funktion gehabt haben, wie das Essen und Trinken der Juden. Es konnte zur Quelle der eigenen Identität werden, weil es eine Unterscheidung zur Umwelt markierte. So wie das tägliche Essen und Trinken nach jüdischem Ritus die Juden und Jüdinnen von ihrer nichtjüdischen Umgebung abgrenzte, so unterschied das Herremnahl die christliche Gemeinde von ihrer nichtchristlichen Umgebung. Wenn aber dem Herremnahl eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer christlichen Identität zukam, dann wird verständlich, warum der Evangelist auf Störungen in diesem Bereich entschieden reagieren mußte. Hier ging es offensichtlich nicht um irgendeine theologische Frage, die man so oder so entscheiden hätte können, sondern es ging insofern um alles, weil die Identität der
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christlichen Gemeinde auf dem Spiel stand.l 03 Wer die identitätstiftende Institution des Herrenmahls vernachlässigte, weil er der Meinung war, im Glauben hier und jetzt alles zu haben, mußte schnell in den Verdacht kommen, den Bestand der Gemeinde als solcher zu gefährden. Gegen eine solche Fehlhaltung geht der Evangelist vor, indem er die Heilsnotwendigkeit des Herrenmahls neu einsch,ärft und die Ursache für seine Geringschätzung, nämlich die üb~rtriebene Heilsgewißheit der Gegner, entschieden bekämpft. Es geht um die Verdeutlichung der Tatsache, daß der gegenwärtige Lebensbesitz im Glauben eben doch noch nicht alles ist, sondern die Vollendung noch aussteht. Weil die Glaubenden noch nicht alles haben, ist es wichtig, an dem Mahl teilzunehmen, das den Tod Jesu als Quelle des Heils vergegenwärtigt.. Abschließend läßt sich also sagen: Die johanneische Vorlage fUhrt die Vorstellung vom Lebensbrot, die aus dem Bereich der hellenistisch-jüdischen Sophia-MannaSpekulation stammt, christologisch eng und betont, daß Jesus (als der gekommene Logos) in seiner Person das himmlische Brot ist, das der Vater gibt. Auf dieser Basis präsentiert der Evangelist eine eucharistische WeiterfUhrung, die deutlich macht, daß der Fleischgewordene in Brot und Wein als Fleisch und Blut real zu essen und zu trinken ist. 104 Trotz dieser unterschiedlichen Akzentsetzung bewegen sich beide, Tradition und Redaktion, im Rahmen einer hellenistisch-jüdischen Theologie, die vom Logos, bzw. von der Sophia, als pneumatischem Ernährer und Nahrung der Men.. sehen spricht. Da dem Logos königliche Qualität zukommt, kann der Evangelist bei der Verknüpfung der Brotrede mi~ der synoptischen Tradition des Brotwunders das kulturelle Wissen vom König als Brotgeber
103 VgI. Kügler, Der Jünger, den Jesus liebte (s. Anm. 1),217-227. 104 Ist sie auch literarkritisch jünger, so dürfte die eucharistische Deutung doch traditionsgeschichtlich älter. Immerhin kann schon Paulus das Manna als geistliche Nahrung der Väter mit dem christlichen Herrenmahl in Verbindung bringen (lKol' 10.3). Vgl. Kiigler, Der Jünger, den Jesus liebte (s. Anm. 1),229-23 L
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aufgreifen, um in ironischer Brechung auf die Königswürde J esu hinzuweisen. Und weil Jesus als menschgewordener Logos König ist und als Logos zugleich· das Lebensbrot ist, kann eine Verknüpfung zwischen der Charakterisierung Jesu als königlichem Geber des Lebensbrotes und der Rede von Jesus als personalem Lebensbrot hergestellt werden. In seiner königlichen Würde als Logos kann er zugleich Geber und Gabe sein. Der Logos kann sich im Glauben als geistliche Nahrung geben und kann sich in den Gaben von Brot und Wein als Fleisch und Blut eucharistisch geben, weil. er aufgrund seiner pneumatischen Qualität in den Gaben präsent sein kann. Die Würde Jesu vollendet sich für den Evangelisten allerdings in der Erhöhung am Kreuz. Dann erst gibt Jesus sein Fleisch für das Leben der Welt (Joh 6,51) und dann erst ist die ganze Wahrheit über das Königtum Jesu offenbar gemacht. Wer Jesus dagegen am Kreuz vorbei' zum König machen will - und sei es aufgrund wunderbarer Erfahrungen -' verfehlt die Wahrheit Jesu und seines Gottes.
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Jesus als der Gute Hirte
Zu den bekanntesten Bildern der johanneischen Christologie gehört sicherlich das des Guten Hirten.l 05 Von der Antike bis in die Moderne hat diese Vorstellung das Bild Jesu in der christlichen Kunst entscheidend geprägt. Als Ausdruck der Fürsorge und der zärtlichen Zuwendung hat es vielen Generationen von Christinnen und Christen ein Modell zur Formulierung ihrer eigenen Christusbeziehung geboten. Daß das Bild vom Hirten ursprünglich aus dem 'königlichen Bereich kommt, hat dabei allerdings kaum je eine wichtige Rolle gespielt. Nachdem in den vorausgehenden Kapiteln aber immer wieder zu sehen war, welch entscheidende Rolle die königliche Würde Jesu für das Verständnis der johanneischen Christologie spielt, ist auch bei der Metapher vom Guten Hirten erst einmal zu vermuten, daß sie von der antiken Königstheologie her zu verstehen ist.
5.1. Zur Traditionsgeschichte der Hirtenmetapher als Topos der Königstheologie Die Hirtenmetapher spielt in fast allen Kulturen des Alten Orients eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Funktion des Königs unter dem Aspekt des Schützens, des Leitens und der Fürsorge für die Untertanen zu beschreiben.. Sie findet sich nicht nur in Ägyptens Königstraditionen, sondern ebenso bei den östlichen Nachbarkulturen des alten Israels. So bezeichnet sich etwa der babylonische König im Prolog des Kodex Hammurapi als "der von Enlil berufene Hirte, der Hülle und Fülle aufhäufte" ,106 Wenn ich mich im. folgenden trotzdem auf das Alte Agypten beschränke, so ist das eine fast willkürliche Entscheidung, die aller-
105 Vgl. zum folgenden J Kilgler, Der andere König. Religionsgeschichtliche Anmerkungen zum Jesusbild des Johannesevangeliums, ZNW 88 (1997) 223-241. 106 Vgl. Liwak, Wohltäter (s. Anm. 75), 169 f.176 f. Weitere Belege bei Janowski, Stellvertretung (s. Anm. 75), 58 f. .
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dings einen sachlichen Grund darin hat, daß der ägyptischen Entwicklung insofern ein Vorrang zukommt, als sie die Geschichte Israels und des Judentums über Jahrhunderte hinweg begleitete. So erstrecken sich die zahlreichen ägyptischen Belege, in denen der König, oder seine Beamten, die ihn vertreten, als Hirte und Hüter des Landes und seiner Menschen bezeichnet wird, über einen ZeitralJm von etwa 2000 Jahren, nämlich vom Beginn des Mittleren Reiches bis in die hellenistische Zeit der Ptolemäerkönige. Ich verweise aus dieser Fülle nur auf zwei Texte des Mittleren Reiches, und damit befinden wir uns in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends v.ehr.: Im Text der berühmten Berliner Lederrolle 107 rühmt sich König Sesostris 1.: EI' I 08 formte mich, das zu tun, was er getan hat, das entstehen zu lassen, was er zu tun befohlen hat. Er ernannte mich zum Hirten dieses Landes, denn er wußte, wer es ihm zusammenhalten würde. Er brachte mir das, was er behütet und was das Auge, das in ihm ist, erhellt, er, der alles nach seinem Willen schafft und der mich mit dem Wissen um das ausgestattet hat, was er bestimmt hat. (1,6)
Und im Text der Koptosstele wird König Rahotep (17. oder 13. Dynastie) als "guter Hirte fitr die Untertanen" gepriesen, als "Zufluchtsort/lir jedermann". 109
Stets steht die Hirtenmetapher im Zusammenhang mit der Herrschaftsübergabe durch die Götter an den König. Der König regiert 107 Zum Text vgl. A. de Buck, The Building Inscription of the Berlin Leather Roll, in: A. M. Blackman u. a., Studia Aegyptiaca I (AnOr 17), Rom 1938, 48-57. Deutsche Übersetzung nach W. Beyerlin (Hg.), Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament (ATD Ergänzungsreihe 1), Göttingen 1975,54. 108 Gemeint ist der Sonnengott Re-Harachte. 109 Vgl. E. Blumenthai, Die Koptosstele des Königs Rahotep (London V.C. 14327), in: E. Endesfelder u.a. (Hg.), Ägypten und Kusch (SGKAO 13), Berlin 1970,63-80: 66.71; dies., Königtum (s. Anm. 62),323.
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als deren Stellvertreter auf Erden. Vor dem Hintergrund der als Chaos interpretierten Ersten Zwischenzeit kultiviert die Staatsideologie des Mittleren Reiches ein Schutzbedürfnis, dem sich der König als Heilsbringer und Guter Hirte anbieten kann. lID Festzuhalten ist aber, daß die Hirtenrolle nicht nur dem göttlichen König, sondern auch dem königlichen Gott zukommt. Dies.e Zuschreibung findet sich schon in den Pyramidentexten des Alten Reiches. Osiris oder andere Götter können als Hirten vorgestellt werden, die die Sterne als himmlische Herde hüten. 11 I • Im Mittleren Reich wird die Metapher im Konzept einer repräsentativen Theokratie weiterentwickelt. So wird der Schöpfergott in der Lehre für Merikare als Guter Hirte gepriesen: 112 Wohlversorgt sind die Menschen, das Vieh Gottes. Um ihretwillen hat er Himmel und Erde geschaffen undfiir sie den Gierigen des Wassers vertrieben. Er hat die LlIft geschaffen, damit ihre Nasen leben können. Seine Abbilder sind sie, aus seinem Leibe gekommen. Er geht um ihretwillen am Himmel azif, ji'ir sie hat er die Pflanzen geschaffen, Vieh, Vögel lind Fische, um sie zu ernähren. Er hat seine Widersacher getötet lind seine eigenen Kinder verringert, weil sie planten, sich zu empören. Für sie schqfft er das Licht und fährt am Himmel, um sie zu sehen. Er hat sich eine Kapelle errichtet zu ihrem Schlitz, und wenn sie nun weinen, so hört er. Er hatft;r sie Herrscher gebildet im Ei. lvfachthaber, den Rücken des Schwachen zu stützen. Er hat ihnen den Zauber geschaffen,
110 Vgl. J. Assmann, Ägypten. Eine Sinngeschichte, München 1996,
122-126. Pyr. 771a-b. 1864a-1865b (Himmelsgott als Hirte der Sterne); Pyr. 1533a-b (Osiris in gleicher Funktion). Vgl. D. Müller, Der gute Hirte. Ein Beitrag zur Geschichte ägyptischer Bildrede, ZÄS 86 (1961) 126-144, hier: 128 f. 112 Zitiert nach H. Brunner, Weisheitsbücher (s. Anm. 61), 153 f; vgl. J. Assmann, Ägypten (s. Anm. 25),201-204; sowie Müller, Hirte (s. Anm. 111), 131 f. 111
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Waffen, dem Schlag des Unheils zu wehren, über dem gewacht wird bei Tag und bei Nacht. Er hat die Aufrührer IInter ihnen getötet, wie ein Mann seinen Sohn züchtigt dessen Bruder zuliebe. Gott kennt jeden Namen.
Als Schöpfer hat der Sonnengott, so sagt es dieser Text, alles getan, damit Menschen leben können. Als Zeichen seiner Menschenfreundlichkeit setzt er darüber hinaus aber auch Herrscher ein, damit die Schwachen eine Stütze haben. Daß die staatliche Ordnung zu den Wohltaten des Schöpfers gehört, deutet darauf hin, wie die Hirtenrolle Gottes und die des Königs sich aufeinander beziehen: Der König als Solm hütet die Herde Ägyptens stellvertretend für den Gott. Da dessen Herrschaft in einen mythischen Bereich des Nicht-Hier und Nicht-Jetzt verwiesen wird, während das Hier und Jetzt dem Staat gehört, entsteht keine Konkurrenz zwischen königlichem lind göttlichem Hirtenamt. "Der Staat setzt die lebenspendende und richtende Herrschaft des Schöpfergottes in irdische Verhältnisse um." 113 Und er hegreift sich in dieser Funktion keinesfalls als defizitär. Deshalb ist die Konstellation der stellvertretenden Herrschaft des Solmes für den Vater in Ägypten kein Ansatzpunkt für Königskritik. Erst Israel wird anders mit dieser Konstellation umgehen, aber eben auf der Basis eines anderen Gottesbilds. Und weil der ägyptische Staat sich als ebenso diesseitige wie ausreichende Kompensation weltlicher Unvollkommenheit entwirft, braucht die ägyptische WeH des Mittleren Reiches keinen Erlöser. Sie hat im König einen guten Hirten, der die Schafe vor den Wölfen beschützt. 114 Wo ein Heilsdefizit wahrgenommen wird, richtet sich die Klage darüber eher an Gott als an den König. So wird in den Klagen des Ipuwer der Schöpfergott als Hirte der Menschen in Anspruch genommen und für sein Versagen angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, er tue nichts gegen das Chaos im Lande und lasse das Volk ver-
113 J. Assmann, Sinngeschichte (s. Anm. 110),222. 114 Vgl. Assmann. a.a.O., 222.
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kommen "wie eine verirrte Herde. die keinen Hirten hat" .1 15 Dabei ist deutlich erkennbar, daß der Text das Bild vom Hirten schon als Tradition voraussetzen und Gott auf qieser Basis in Pflicht nehmen kann. Wohl sagt man: 'Er ist ein Hirte jUr jedermann. keine Schlechtigkeit ist in seinem Herzen', aber dürftig ist seine Herde, wenn er sie den Tag lang gehütet hat, (denn) hitzig sind ihre Herzen. I 16
Weil die H.erde in schlechtem Zustand ist, wird Gott als Hirte radikal in Frage gestellt: Wer nämlich das Sterben seiner Herde liebt, kann kein Hirte sein. 117 Allerdings mag auch diese Anklage vor dem Hinter.grund der Königskonzeption des Mittleren Reiches zu begreifen sein. Sie beklagt dann eine chaotische Situation, die im königlichen Zentralstaat, der sich als Verwirklichung der konnektiven Gerechtigkeit (Ma'at) entwirft, gebannt ist. IIS Es gibt nun aber einen Text, der anzudeuten scheint, daß die göttliche Hirtenfunktion auch in eine gewisse Konkurrenz zur königlichen Volbnacht gebracht werden konnte. Gemeint ist eine Szene aus den Erzählungen des Papyrus Westcar: 1l9 König Cheops, der berühmte Pyramidenbauer, hat sich zu seiner Unterhaltung einen Magier bringen lassen, der es versteht, einen abgeschnittenen Kopf wieder anzusetzen. Als der König dieses Kunststück an einem Gefangenen vorgeführt bekommen will, erwidert der Weise (Pap. Westcar VIII, 17): Doch nicht an einem Jlenschel1, Herrscher, LHG!, mein Her,.. Es ist doch verboten, so etwas am edlen Kleinvieh zu tun.
115 Zitiert nach E. Hornung (Hg.), Gesänge vom Nil. Dichtung am Hofe
116 117 II'S 119
der Pharaonen, München 1990, 93. Vgl. Müller, Hirte (s. Anm. 111),129-131; J. Assmann. Stein und Zeit (s. Anm. 10),260-265. Zitiert nach Hornung, Gesänge vom Nil, 96. Vgl. Hornung, a.a.O .• 98. Vgl. Assmann. Sinngeschichte (s. Anm. 110), 127-130.220. Text in deutscher Übersetzung bei: E. Brunner-Traut, Altägyptische Märchen. Mythen und andere volkstümliche Erzählungen, München 1°1991,48-50.
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Der König akzeptiert diesen Einwand und der Weise zeigt dann seine wunderbaren Fähigkeiten an Tieren. Wenn man so will, ist dieser Text das erste Dokument einer religiösen Begründung der Menschenwürde. Das "edle Kleinvieh" ist ja nichts anderes als das Kleinvieh Gottes, von dem die Lehre für Merikare spricht, also die Menschen. Die Zuordnung der Menschen als Herde zu Gott als dem Hirten verhindert das Töten eines Menschen zum Zwecke der Unterhaltung, und das obwohl sich in der Logik der Erzählung der Weise durchaus sicher sein kann, daß sein Werk gelingen wird. Der Hinweis auf die Hirtenrolle Gottes kann also als Argument gebraucht werden, um der GewaItausübung des Königs Grenzen zu setzen. Dieser Gedanke muß zwar nicht im Gegensatz zum Königskonzept des Mittleren Reiches stehen, welches die Absolutheit königlicher Macht mit dem Aspekt der Verantwortung zusammen~ bringt und so das eigene Königskonzept der repräsentativen Theokratie von dem der identitären Theokratie des Alten Reiches ab~ setzt, eröffnet aber prinzipiell die Möglichkeit einer religiös fundierten Kritik am König. 120 Zu erwähnen ist auch, daß sich im Neuen Reich (etwa 1500-1000 v.ehr.) eine Persönliche Frömmigkeit ausbildet, welche auf der freiwilligen Bindung des einzelnen an eine bestimmte Gottheit als Schutzpatron basiert. Der Gott tritt dabei als Patron in die Nachfolge des Königs und der Fromme, der sich (selbst wenn er König ist) als schwach, arm und schutzbedürftig sieht, sucht seinen Halt bei der Gottheit. Diese ist "ihm Vater. und Mutter, Vater der Waisen, Gatte der Witwe, Zuflucht der Bedrängten, Schutzwehr des Armen, der gute Hirte". 121 Entsprechend seiner herausragenden Stellung in der Götterwelt des Neuen Reiches ist es vor allem Amun, der als starker, liebevoller und guter Hirte (mnjw nfr) des Menschen gepriesen wird:
120 Vgl. Assmann, Sinngeschichte (s. Anm. 110), 212-214; entsprechende Andeutungen schon bei Müller, Hirte (s. Anm. 111), 132. 121 Assmann, Sinngeschichte (s. Anm. 110),264.
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Amun, wie gut bist du! Du bist gut zu jedermann, Hirte, der die Vergebung kennt. Der das Flehen dessen hört, der zu ihm nift, der das Herz zuwendet, der Luft gibt. (,4."HGNr.195,210-2]4)122
Trotz der nochmaligen Aufgipfelung der Königsideologie in der Zeit Ramses' H. ist mit der Persönlichen Frömmigkeit die Basis gelegt für eine soteriologische Entleerung des Königtums und die Übertragung der Königsverantwortung auf die Gottheit. 123 Wenn es nun um den biblischen Befund geht, so ist zu beachten, daß das Nachdenken Israels über das Königtum' frühestens zu einer Zeit beginnt, als Ägypten schon 2000 Jahre Königtumsgeschichte hinter sich gebracht hat, und die Macht des ägyptischen Königtums spürbar nachläßt. So ist es nicht verwunderlich, wenn sich in der Verwendung der Hirtenmetapher im alten Israel der gesamte Reichtum an Bedeutungsdimensionen, der in der Religionsgeschichte Ägyptens durchgespielt wurde, finden läßt, allerdings in der Konzentration auf einige wenige Jahrhunderte. So kann die biblische Literatur auf einem Entwicklungsstand ansetzen, der nicht nur die Neuerungen des Neuen Reiches, sondern auch die Transformatlonen und Wiederaufnahmen der Spätzeit einschließt. Es ist deshalb nahe liegend, daß die biblischen Texte sowohl" Gott als auch den König als Hirten sehen. Die Texte, in denen Gott als der Gute Hirte seines Volkes bezeichnet wird, sind zahlreich. Entsprechend dem israelitischen Gottesbild wird die Hirtenfunktion JHWHs nicht nur mit seiner kontinuierlichen Fürsorge als Schöpfergott (Ps 95,6j; 100,3; 121,4) in Verbindung gesetzt, sondern auch auf sein geschichtliches Handeln bezogen. So wird das Exodusgeschehen (Ps 77,21; 78,52)
122 Dieser Hymnus beschäftigt sich intensiv mit der Hirtenrolle des
Amuo. Sie wird mehr als zehnmal angesprochen. Weiterhin ist auf ÄHG (s. Anm. 35) Nr. 165,9; 190,l3-17 zu verweisen. 123 Vgl. Assmann, Sinngeschichte (s. Anm. 110),259-267.
zum Erweis, daß Gott sein Volk leitet. Im Vordergrund steht dabei die positive Seite der Hirtent~tigkeit: JHWH sammelt; leitet und beschützt sein Volk. Es gibt aber auch die negative Seite von JHWHs Hirtenamt. Weil Israel eine' störrische Herde ist, gehört auch das strafende Zerstreuen der Herde dazu. So kann auch die Erfahrung von Exil (Ps 79,13) und Heimkehr (Jer 31) im Bild der Hirtentätigkeit Gottes bearbeitet werden. 124 Hört, ihr Völker, das Wort des Herrn, verkündet es auf den fernsten Inseln und sagt: Er, der Israel zerstreut hat, wird es auch sammeln und hüten wie ein Hirt seine Herde. (Jer 31,10)
Aber nicht nur die Geschichte des Volkes ist ein Ort der Gottesnähe, sondern auch das Ergehen des eInzelnen. Auch der einzelne Fromme erfährt Gott als seinen guten Hirten. Die Hirtenmetapher wird in der Persönlichen Frömmigkeit zum Ausdruck einer individualisierten Fassung der israelitischen Gottesbeziehung. 125 So nimmt der Beter des vermutlich nachexilischen Psalms 23 Gott als seinen persönlichen Beschützer in Anspruch: Mein Hirt ist JHWH, nichts wird mir jehlen. (Ps 23,1)
Die Verwendung der Hirtenmetapher für das Königsamt findet sich ebenfalls in der biblischen Tradition. Sie wird besonders mit David verbunden, dem Prototypen israelitischen Königtums, der von den Herden weg zum Hirt des Volkes berufen wurde (vgl. 2Sam 5,2; Ps 78,70-72). Aber die Hirtenmetapher scheint nach dem Stand der Überlieferung nicht zum Standardrepertoire der Königsphraseologie zu gehören und weit stärker als in Ägypten kann die Hir124 Zur Verarbeitung des Exils in der Hirtenmetaphorik vgl. W. M. Schniedewind, "Are We His People Or Not?": Biblical Interpretation During Crillis, Bib. 76 (1995) 540-550, hier: 542-547. 125 Vgl. dazu A. Miiller, Psalm 23 als Text persönlicher Frömmigkeit, in: R. Bucher / O. Fuchs / J. Kügler (Hg.), In Würde leben. Interdisziplinäre Studien zu Ehre~ von Ernst Ludwig Grasmück (Theologie in Geschichte und Gesellschaft 6), Luzern 1998,24-34.
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tenfunktion Gottes zur kritischen Instanz für das Hirtenamt des Königs werden. Der Gott Israels wird ja als Gott der Geschichte begriffen, mit dessen Handeln im Hier und Jetzt stets zu rechnen ist. Deshalb kann die königliche Herrschaft nicht mehr als Ablösung und vollgültiger Ersatz der göttlichen Herrschaft gelten. Damit entsteht ein neuer Akzent. Fungierte in Ägypten die Stellvertretungskategorie als Aufwertung des Königtums, die zugleich eine Immunisierung der politischen Institution bewirkte, so ist in Israel das Regiment des Königs nur ein stellvertretendes Hüten der Herde Gottes. Die Stellvertretungskategorie ist hier eine Relativierung des Königtums, die die politische Institution für eine religiös fundierte Kritik öffnet. Wie die Stellvertreterkonstellation vor allem im Kontext der Exilserfahrung zum Ansatzpunkt prophetischer Kritik werden konnte, läßt sich gut an der Verkündigung des Jeremia zeigen. Der Prophet kann das offenkundige Versagen des Königtums im Namen Gottes anklagen. Das Urteil Gottes gegen die Könige lautet: Die Hirten des Volkes wurden mir untreu! (Jer 2,8; vgl. 10,21)
Eine ganz eigene Fortführung der Hirterunetapher findet sich bei Deuterojesaja. 126 In Jes 44 wird nämlich der Perserkönig Kyrus, der das Volk aus der Knechtschaft Babyions befreit, als Werkzeug Gottes, als sein Hirte (Jes 44,28) verstanden. Der ausländische König übernimmt damit die Rolle, die die traditionelle Königstheologie exklusiv dem davidischen König zugewiesen hatte. Zwar ist von Gottessohnschaft an keiner Stelle die Rede, aber Kyrus kommt eindeutig messianische Qualität zu, Gott spricht ihn als seinen Gesalbten an. t27 Dies steht im Kontext eines wichtigen Durchbruchs der israelitischen Religionsgeschichte. Aus der abso126 Zum folgenden vgl. E. Zenger, Herrschaft Gottes / Reich Gottes II. Altes Testament, TRE 15 (1986),176-189,182 f; R. Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, 2 Bde. (ATD. Ergänzungsreihe 8), Göttingen 1992, 431-446. 127 Zur Rolle des Kyrus vgl. allgemein R. G. Kratz, Kyros im Deuterojesaja-Buch. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zu Entstehung und Theologie von Jes 40-55 (FAT 1), Tübingen 1991.
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luten Geschichtsmächtigkeit JHWHs wird Itir Deuterojesaja seine Einzigkeit offenbar: "Die Berufung des Kyros zielt nicht nur auf die Befreiung Israels (45,4), sondern auch darauf, daß der König Jahwe, den GoI/Israels, als den einzigen Gott erkennt (45,3.5), ja letztendlich darauf, daß alle Welt anerkennt, daß es außer Jahwe keinen Gott gibt (45,6). "128 In einem engen theologischen Zusammenhang mit der Entwicklung eines universalistischen Monotheismus steht die Infragestellung der Verbindung von politischer und göttlicher Macht, wie sie die davidische Königstheologie fundiert hatte. Auch wenn die Beschreibung der Rolle des Perserkönigs noch ganz in dieser Tradition steht, hat sie sich doch letztlich überlebt. Als der König schlechthin ist JHWH der Herr des Universums. Sein Weltregiment umspannt die Gesamtheit der Weltgeschichte und alle denkbaren Dimensionen. 129 Dieses universale Königtum Gottes macht das menschliche Königtum verzichtbar. Deshalb wird auch keine staatliche Wiederherstellung des monarchischen Israel erwartet. Am breitesten durchgeItihrt ist die mit der Hirtenmetapher arbeitende prophetische Kritik bei Ezechiel, der als Angehöriger der Oberschicht 597 v.Chr. selbst mit seinem König nach Babyion deportiert wurde. 130 In Ez 34 wird zunächst mit den irdischen Hirten abgerechnet, deren selbstsüchtige Mißachtung ihrer Königspflichten zur Zerstreuung der Herde führte. SCHNIEDEWIND hat jetzt versucht, Ez 34 als Zeugnis eines innerbiblischen Dialogs deutlich zu machen, der ausgehend VOll Ps 100 unter dem Eindruck der Exilskatastrophe zu den Hirtenkonzepten von Ps 79; 95 und eben Ez 34 führt. 13 ! Während Ps 100 noch völlig ungebrochen von der Beziehung zwischen Gott als Hirten und Israel als seiner Herde spreche, nehme die Klage von Ps 79 Gott als Hirte in Anspruch, der das Unheil in seinem Zorn verhängt hat und um seiner Ehre willen Is128 Alberlz, Religionsgeschichte (s. Anm. 126),438. 129 Vgl. Zenger, Herrschaft Gottes (s. Anm. 126) 1986, 182. 130 Vgl. zum folgenden F.-L. Hoss/eld. Untersuchungen zu Komposition und Theologie des Ezechielbuches (fzb 20), Wiirzburg 21983, 230-286; B. Willmes, Die sogenannte Hirtenallegorie Ez 34. Studien zum Bild des Hirten im Alten Testament (BET 19), Frankfurt 1984. 131 Vgl. Schniedewind, People (s. Anm. 124),547-550.
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rael wieder befreien soll. Dagegen mache Ps 95 vor allem den Ungehorsam des Volkes als Quelle des Unheils aus und rufe die Herde auf, auf die Stimme ihres göttlichen Hirten zu hören.Ez 34 wende wie Ps 95 die Verantwortung für das Unheil von Gott ab, gehe aber insofern einen eigenen Weg, als hier nun speziell die Führer des Volkes als Hirten angeklagt würden, die versagt hätten. f)iese Beschreibung der theologiegeschichtlichen Entwicklung scheint mir allerdings insofern problematisch zu sein, als die Unterscheidung zwischen der Verantwortlichkeit Gottes und der der Menschen deutlich überzogen wird. Schließlich sieht auch Ps 79 den Zorn Gottes nicht als Willkür, sondern spricht von menschlicher Schuld und Sünde (V.8 f) und deutet damit eine Ursache für die göttliche Strafe an. Umgekehrt spricht Ps 95 nicht nur davon, daß das Herz des Volkes in die Irre geht (V. 10), sondern auch vom Zorn Gottes als Reaktion darauf (V.II). Zudem kann Ez 34 nicht einfach als "an appeal 10 return 10 a theocratic and utopian society" eingestuft werden. Dazu ist die Entstehungsgeschichte von Ez 34 ~u komplex. 132 Zunächst wird in Ez 34,1-10 festgestellt, daß die Könige als Hirten versagt haben. Deshalb wird ihnen ihr Hirtenamt weggenommen, Gott fordert seine Herde zurück und kündigt an, nun selbst das Hirtenamt für sein Volk zu übernehmen. Als guter Hirte wird JHWH sich besonders um die Verirrten, die Kranken und Schwachen kümmern (Ez 34,11-22). Hier geht es offensichtlich nicht um eine Restitution des Königtums, sondern eher um die V~rstellung einer unmittelbaren Theokratie des Königs JHWH, was in etwa der Botschaft Deuterojesajas vergleichbar wäre. Diese Verheißung wurde im Zuge der Redaktionsarbeit der Prophetenschüler allerdings durch die Ankündigung eines neuen davidischen Königs ergänzt, mit dem ein goldenes Zeitalter von Frieden und Wohlstand beginnen wird (Ez 34,23-31).
132 Zu den Problemen der Entstehungsgeschichte des Ezechielbuchs vgl. auch den Überblick bei F.-L. Hoss/eld, Das Buch Ezechiel, in: E. Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 1995, 345-359.
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Ir;h setze für sie einen einzigen Hirten ein, der sie aufdie Weide fi;hrt, meinen Knecht David. Er wird sie weiden, und er wird ihr Hirte sein. Ich selbst, JIfWH, werde ihr Gott sein, und mein Knecht David wird in ihrer Mitte der Fürst sein. Ich, JHWH, habe gesprochen. (Ez 34,231)
Hier wird eine neue Verbindung von königlicher und göttlicher Hirtenfunktion angezielt. Die Stellvertreterfunktion des Königs erscheint nun in der Perspektive eschatologischer Restitution. 133
5.2. Die Hirtenmetapher im Kontext der johanneischen Königschristologie Es ist kaum zu bestreiten, daß di~ prophetische Botschaft des Ezechielbuc~s, als biblische Vorgabe für die johanneische Hirtenrede in Joh 10 gewirkt hat. Zu denken ist hier vor allem an die Dialektik zwischen den schlechten und dem guten Hirten, die auch die erste Hälfte der johanneischen Hirtenrede prägt: Ich bin der gute Hirt. . Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, . der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, läßt die Schafe im Stich undjlieht, wenn er den Wolf kommen sieht; und der Wolfreißt sie lIndjagt sie allseinander. Er jlieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist -und ihm an den Schafen nichts liegt. (Joh 10,11-13)134
133 Vgl. Albertz, Religionsgeschichte (s. Anm. 126),446-459. 134 Vgl. Ez 34,1-22.
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Allerdings kehrt auch die Verheißung des einen Hirten wieder, und zwar im zweiten Teil der Rede, welcher die Universalität der Heilsbedeutung Jesu in Blick nimmt: Ich habe noch andere Schafe. die nichf aus diesem Stall sind. auch sie muß ichftihren. Und sie werden aufmeine Stimme hören; und sie werden eine Herde werden. ein Hirte. (Joh 10.14-16)135
Trotz dieser Ähnlichkeiten mit Ezechiel darf der johanneische Text nicht einfach als eine direkte FOltschreibung eines biblischen Modells gesehen werden. Zum einen ist die Rede von den schlechten, bezahlten Hirten so allgemein, daß man sie nicht als direkte Kritik am irdischen Königtum wie bei Ezechiel lesen darf, und zum anderen wird man auch nicht unterstellen dürfen, daß das Johannesevangelium Jesus einfach als den davidischen König sieht, den das Ezechielbuch erwartet. Darüber hinaus besteht ein wichtiger Unterschied darin, daß die Todesthematik bei Johannes geradezu die Definition des Guten Hirten ausmacht, was im Ezechielbuch keine Entsprechung hat. Die johanneische Hirtenrede stand eben vor der Herausforderung, das Todesgeschick Jesu zu bearbeiten und zu integrieren. Das ist im Rahmen der Hirtenmetapher allerdings öhne weiteres möglich: Sobald auf die Gefährdung der Herde abgehoben wird, kann der Lebenseinsatz des Hirten als Zeichen seiner Liebe zu den Schafen thematisiert werden. Der Tod Jesu ist in diesem Kontext der letzte Beweis für die Sorge des Hirten. Im Unterschied zum bezahlten Knecht, steht Jesus, der gute Hirt, sogar mit seinem Leben für seine geliebte Herde ein. Da aber die Vorstellung vom Tod des Hirten in der königlichen Tradition keinen Platz hat, wurde in der Forschung grundsätzlicher Zweifel geäußert, ob die johanneische Verwendung der Hirterunetapher denn überhaupt etwas mit dem. Königtum zu tun hat. So
135 Vgl. Ez 34.231
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konstatierte etwa SCHNACKENBURG, daß der Hirt in Joh 10 gar "keine herrscherlichen Züge" trage. 136 Diesem Urteil ist entschieden zu widersprechen, weil auch die Integration des Todesgeschicks Jesu nichts daran ändert, daß die Hirtentätigkeit eine kulturell gängige Metapher für die königliche Herrschaft ist. Die johanneische Hirtenrede aus diesem Kontext herauszureißen, hieße zugleich sie aus dem Gesamtrahmen des Johannesevangeliums herauszureißen, das ja wie kein anderes auf die königliche Würde Jesu abhebt, wobei Kreuzestod und Königswürde, wie zu sehen war, durchaus zusammengehören. So sehr zu betonen ist, daß die Königstradition vom Todesgeschick Jesu her transformiert wird, so deutlich ist auch festzustellen, daß umgekehrt die Königstheologie die Wahrnehmung des Todes Jesu beeinflußt. Dies wird im Abschluß der Hirtenrede ganz deutlich, wo festgestellt wird, daß Jesus sein Leben freiwillig hingibt. Der johanneische Christuskönig kann im Hinblick auf sein Leben sagen: Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. (Joh 10,18*)
Der Tod Jesu erscheint nicht als Niederlage, sondern als ein hoheitsvoller Akt. Er wird direkt mit der Auferstehung verbunden und wie diese als göttliche Machttat interpretiert. Es gibt also keinen Grund, die Hirtenmetapher in Joh 10 mit ihrer Rede vom Sterben des Hirten aus dem königlichen Bereich herauszunehmen. Dies gilt umso mehr, als in der Hirtenrede die Gottesbeziehung Jesu als Vater-Sohn-Relation thematisiert wird, was dem Kontext der Königstradition gut entspricht. Die Rede ist von der innigen Verbindung zwischen Vater und Sohn durch gegenseitige Kenntnis (Joh 10,15) und von der Liebe des Vaters zum Sohn (.Ioh 10,17). Die Vater-Sohn-Beziehung gehört aber zu den ältesten Topoi der Königstradition. Daß die Sohnesbezeichnung in der johanneischen Königschristologie bewußt aufgenommen wird,
136 R. Schnackenbllrg, Das Johannesevangelium II (HThK.NT IV.2), Freihurg 31980, 371.
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wird ja gleich zu Beginn des Evangeliums am doppelten Bekenntnis des Natanael deutlich, der sich zu Jesus als König und Sohn Gottes bekennt. Als Zwischenergebnis ist also festzuhalten: Die johanneische Verwendung der Hirtenmetapher ist sehr wohl vor dem Hintergrund der Königstradition zu verstehen. Sie ist Teil eines Gesamtkonzepts johanneischer Königschristologie. Daß der Gute Hirte im johanneischen Kontext vor allem durch seine Lebenshingabe qualifiziert wird, entspricht der johanneischen Königskonzeption, wonach das Königtum Jesu sich in der Erhöhung am Kreuz vollendet. Die Integration des Kreuzestodes stellt eine spezifisch christliche Transformationsleistung dar, die das traditionelle Königsschema aufbricht. Allerdings ist noch mit einer weiteren Transformation zu rechnen. Schließlich wird Jesus begriffen als ein himmlischer König, der aus seinem göttlichen Reich in die Welt der Menschen herabgestiegen ist, um hier Zeugnis abzulegen für die Wahrheit, und der zurückkehrt zum Vater. Diese gedankliche Struktur ist der biblischen Hirtentradition noch ganz fremd. Und an dieser Fremdheit wird deutlich, daß das johanneische Denken nicht einfach die' Fortschreibung dieser Tradition sein kann, sondern sich noch aus anderen Quellen speist. Eine dieser Quellen liegt, wie wir gesehen haben, im Bereich des hellenistischen Judentums. Die dort vollzogene Weiterentwicklung der Königstheologie stellt die alte Königstradition in den Kontext einer weisheitIichen Theologie. Dabei übernimmt die Weisheit selbst königliche Züge. Ein Zeuge der entsprechenden Transformationsprozesse ist Philo von Alexandria, dessen Logoskonzeption ich schon kurz dargestellt habe. Wie zu sehen war, ist es für Philo ganz selbstverständlich, daß Gott als König gesehen wird, der über den ganzen Kosmos herrscht, und daß der Logos als Sohn Gottes an dieser Herrschaft partizipiert. Diese Grundüberzeugung zeigt sich auch im Umgang Philos mit der Hirtenmetapher: Philo weiß zwar, daß die griechischen Dichter (seit Homer) die Könige als Völkerhirten
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preisen,137 aber er selbst hebt vor allem auf die HirtenrtJlle Gottes ab. Der transzendente Gott als guter Hirte regiert freilich Himmel und Erde nicht unmittelbar., sondern hat seinen Logos, den InbegriffgöttIicher Weisheit und Vernunft, .als stellvertretenden Machthaber eingesetzt. Denn Gott, der Hirt und König, leitet nach Recht und Gesetz, Erde, Wasser, Luft, Feuer samt den sie fiillenden Pflanzen und Tieren. sterblichen und göttlichen Wesen, überdies den Himmel, die Kreisbewegungen der Sonne und des Mondes, die Wendungen und harmonischen Reigen der anderen Himmelskörper wie eine Herde, nachdem er seinen rechten Logos und erstgeborenen Sohn zum Leiter eingesetzt, damit er die Fürsorge fiir diese heilige Herde wie ein Unterbeamter und Vertreter des Großkönigs' übernehme. (agr.51)
Der eigentliche Weltenkönig delegiert also seine kosmische Herrschaft an sein Ebenbild, den Sohn, wobei die Tatsache, daß das umfassende göttliche Hirtenamt ebenso den Gestirnen wie den Menschen gilt, sowohl auf stoischen urid mittelplatonischen Einfluß schließen läßt,138 wie es als Beleg für die (unterschwellige) Integration alter ägyptischer Traditionen gelesen werden kann. 139 Interessanterweise setzt Philo das Bild von der kosmischen Hirtenfunktion Gottes mit Ps 23,1 in VerbindUng. Das persönliche Bekenntnis des Psalmbeters wird dabei universalisiert: Der gesamte Kosmos soll Gott als seinen Hirten anerkennen. Daß ausgerechnet ein Text der Persönlichen Fröm~igkeit zum biblischen Bezugspunkt für ein kosmisches Hirtenverständnis wird, wirkt einigermaßen pikant, hat aber eine sachliche Entsprechung darin, daß bei Philo die kosmische Herrschaft Gottes, bzw. seines Logos stets auch für den Menschen Heilsbedeutung hat:
137 Vgl. agr. 41. 138 Vgl. Tobin, Prologue (s. Anm. 1),257, der auch darauf aufmerksam macht, daß die Bezeichnung von Mittlergestalten als Logos vor allem bei Autoren auftritt, die in Beziehung zu Ägypten stehen (vgl. a.a.O., Anm. 16). 139 Zu den ägyptischen Quellen des philonischen Denkens vgl. Mack, Logos und Sophia (s. Anm. 99), 108-195.
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Wer sich als Mensch dem Logos öffnet, durch den Gott herrscht und seine GUte erweist (eher. 27), der erhält Anteil an der Weisheit Gottes und wird so selbst zum König. Und mit der Überhagung der Königswürde auf den Weisen geht die Übertragung der Hirtenmetapher einher. Der königliche Weise läßt seinen Nous wie einen Hirten über seine unvernünftigen Neigungen regieren und betrachtet das himmlische Reich der reinen Vernunft als seine eigentliche Heimat (agr. 65 j).t 40 Die Herrschaft des geistigen Hirten ist die mikrokosmische Entsprechung zur makrokosmischen Herrschaft des Logos. Es liegt auf der Hand, daß einige Elemente dieses Denkens der johanneischen Logoschristologie entsprechen. Die Basisübereinstimmung ist sicher darin zu sehen, daß der göttliche Logos, der als Sohn und Stellvertreter im Auftrag des Vaters zum Heil der Menschen wirkt und so an der göttlichen Herrschaft partizipiert, sowohl bei Philo als auch im Johannesevangelium die königliche Hirtenbezeichnung übertragen bekommt. Diese Übereinstimmung entspricht der allgemeinen Erkenntnis, daß die hellenistisch-jüdische Logos- bzw. Weisheitsspekulation auf die Entwicklung der johanneischen Christologie großen Einfluß hatte. Allerdings gibt es wichtige Unterschiede, die es verbieten, die johanneische Christologie nun einfach als Fortschreibung jüdischer Logosspekulation zu sehen. Da es im Johannesevangelium ja immer noch um den Menschen Jesus und sein irdisches Geschick geht, kann die johanneische Christologie nicht einfach nur vom permanenten kosmischen oder geistlichen Wirken des Logos sprechen. Der Logos ist Mensch geworden und hat unter den Menschen gewirkt. Es ist von daher mehr als naheliegend, wenn das Johannesevangelium bei der inhaltlichen Bestimmung der Hirtenfunktion des Logos ganz andere Akzente setzt als Philo. Bei ihm liegt der Schwerpunkt "eindeutig bei der kosmischen Hirtenfunktion. Die soteriologische Funktion des Logos steht dabei eher im Hintergrund. Sie ist aus dem, was Philo an anderen Stc;l\en über das Wirken des Logos sagt, zwar eindeutig zu erschließen, wird aber nicht unter 140 Vgl. Barraclough, Philo's Politics (s. Anm. 3), 547.
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dem Hirtenbegriff thematisiert. Hirte auf der persönlichen Ebene ist der Weise selbst, der innerlich seinen Nous regieren läßt. Eine Vermittlungsfunktion des Logos wird in diesem Zusammenhang nicht angesprochen. Die johanneische Hirtenmetaphorik nähert sich dagegen wieder stärker der biblischen Tradition an. Die kosmische Funktion des Logos, die wie der Prolog ausweist, durchaus gegeben ist, wird nicht unter dem Hirtenbegriff thematisiert. Statt dessen steht die soteriologische Beziehung zwischen dem Hirten und den ihm anvertrauten Menschen im Vordergrund. Zwar wird die ethnische Grenze Israels aufgebrochen (Joh 10,16), aber davon abgesehen tritt der Logos in die königliche Rolle der biblischen Tradition ein. Weil das Königtum des Logos nicht von dieser Welt ist, steht die johanneische Christologie zwar jedem politisch-messianischen Verständnis des Königtums Jesu distanziert gegenüber, aber als Königschristologie bleibt sie trotzdem prinzipiell offen für die Rezeption von Einzelelementen aus dem Bereich der Königstradition. Die johanneische Rede von Jesus als dem Guten Hirten kann als ein gutes Beispiel für diese Offenheit gelten - ein Beispiel, das vor allem zeigt, daß Rezeption immer zugleich .Transformation bedeutet. Insbesondere die Integration des Kreuzestodes Jesu ist es, die das königliche Hirtenschema aufbricht. Diese neue Rede vom Guten Hirten ist Teil einer Königschristologie, die weisheitlich geprägt ist, aber auch weisheitliche Schemata grundlegend verändert. Die Vorstellung vom permanenten geistlichen Wirken des' Logos, der als erstgeborener Sohn und Ebenbild Gottes Schöpfungs- und Heilsmittler ist, reicht offensichtlich nicht ~ehr aus. Es geht nicht mehr nur um das kontinuierliche Wirken der göttlichen Weisheit, sondern um die Offenbarung des menschgewordenen Logos. Geoffenbart wird die Herrlichkeit des Sohnes, der vom Vater gesandt ist und zum Vater zurückkehrt, aber diese Herrlichkeit kann nicht anders geschaut werden als im Glauben, daß der
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Mensch Jesus der Sohn Gottes ist und daß seine Erhöhung im Kreuzestod sich vollzieht. 141 Insofern kann die Hirtenmetapher begriffen werden als Element einer weisheitlichen Königscbristologie, die im Hinblick auf die Annseligkeit des historischen Jesus recht fremd wirken mag, aber doch nichts anderes darstellt als einen (im Hinblick auf die hellenistische Weltkultur) modernen Versuch, die bleibende Heilsbedeutung genau dieses Menschen aus Nazaret sicher zu stellen und den Blick auf sein qualvolles Ende aushalten zu lehren.
141 Vgl. Merklein, Geschöpf und Kind (s. Allm. 6), 180 f.
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6.
Das Machtwort des Königs
'Zu den beeindruckendsten, wenn auch heute vielleicht. etwas befremdlich wirkenden Momenten in der johanneischen Passionserzählung gehört sicher die Szene unmittelbar vor der Verhaftung Jesu: Judas, der seinen Meister ausliefert, kommt mit einer ganzen Kohorte, welche auch noch durch Diener der Hohenpriester und Pharisäer verstärkt wird, um Jesus festzunehmen. Das Riesenaufgebot von mehreren hundert Mann kommt zu dem Garten, in dem sich Jesus mit seinen Jüngern aufhält. Jesus nun, der alles wußte, was über ihn kommen sollte, , trat heraus und sagte zu ihnen: Wen sucht ihr? Sie antworteten ihm: Jesus, den Nazaräer, Er sagte zu ihnen: Ichbin (es)! I ~yw df.,LL Es stand aber auch Judas, der ihn aus{;ejime, bei ihnen. Wie er nun zu ihnen sprach: Ich bin (es)! I eycJ df.,LL, da wichen sie nach hinten undfielen zur Erde.
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(Joh 18,4-6)
Jesus wiederholt dann seine Frage nach dem Gesuchten, gibt sich erneut zu erkennen, bewirkt die Verschonung seiner Jünger und gibt sich freiwillig in die Gewalt des beeindruckend zahlreichen Verhaftungstrupps. Die ganze Szene ist offensichtlich von der Absicht geprägt, Jesus als den souveränen Herrn des Geschehens erscheinen zu lassen. Da ist nicht die Rede von Flucht und Verstecken wie es angesichts der Masse der Feinde menschlich durchaus erwartbar wäre. Vielmehr wird die Initiative Jesu herausgestellt. Er muß nicht erst durch einen Kuß' des Judas iqentifiziert werden, sondern stellt sich vielmehr selbst dem Riesenaufgebot der Gegner, denen er im vollen Wissen um das, was kommen wird, entgegengeht. Schon in Joh J3, J, also bei der Einleitung der johanneischen Lei~ densgeschichte, war das Wissen Jesu über sein Todesschicksal betont worden. Insofern ist es für die Lesenden nun keine Überraschung, wenn Jesus auch hier als derjenige geschildert wird, der souverän alles überblickt. Da in 13,3 mit dem Wissen Jesu den Le-
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senden zugleich die Information darüber gegeben worden war, daß der Vater Jesus alles in die Hände gelegt hat, ist es auch nicht überraschend, wenn Jesus hier als der Herr der Lage gezeichnet wird. Insgesamt kann die Szene so gelesen werden, daß gleich bei der Verhaftung deutlich gemacht wird, daß die folgende Geschichte von Leiden und Tod Jesu nur scheinbar eine Geschichte der Ohnmacht Jesu ist. In Wahrheit gilt, was Jesus in 10,18 über sein Leben gesagt hatte, daß nämlich er selbst die alleinige Bestimmung über sein Leben hat. In unbeschränkter Souveränität gibt er es hin und nimmt es sich wieder. Diese Souveränität drückt sich nun in einem Erzählmoment mit ganz besonderer Dichte aus, nämlich im Zurückweichen und Niederfallen der Feinde vor dem eyw d~L Jesu. "Vor seinem hoheitsvollen 'Ich-bin (es)'fallen die, die ihn ergreifen wollen, zu Boden. Vor dem äußerlich Machtlosen weichen die Machthaber zurück. Keine Macht kann ihm etwas anhaben, wenn er es nicht will. "142 So einleuchtend die Botschaft dieses Motivs im Kontext des johanneischen Jesusbilds wirkt, so unklar bleibt seine Herkunft. Ernst HAENCHEN erklärt das Motiv des Zurückweichens und Niederfallens als Produkt schriftgelehrter Spekulation und verweist auf zwei entsprechende Psalmen. 143 Da ist einmal Ps 35 (LXX 34). Dort wird im ersten Abschnitt (V. 13) der Krieg Gottes gegen die Feinde des Beters erbeten. Gott selbst soll sich zum Beistand des Bedrohten machen und für ihn Speer und Lanze gegen seine Gegner schwingen. Im Abschnitt V.4-6 wird dann geschildert, wie es den Feinden ergehen soll. "Die Verse wünschen den Feinden (1) viel Unheilvolles an, weil sie dem Beter nach dem Leben trachten (4). Dazu gehört der Verlust des Gesichts und das Erleiden der Schande, der schmähliche Rückzug in ihrer Niederlage." 144 Im Kontext der entsprechenden Aufzählung wird auch erwähnt, daß die Feinde zurückweichen werden, ohne ihr Ziel zu erreichen.
142 F. Porsch, Johannesevangelium (SKK.NT 4), Stuttgart 21989, 192. 143 Vgl. Haenchen, Johannesevangelium (s. Anm. 1),518. 144 Seybold, Psalmen (s. Anm. 73), 146.
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Zurückweichen sollen sie und vor Scham erröten, die au/mein Ungliick sinnen.
(Ps 35.4)
Entstehungsgeschichtlich gesehen gehört VA zum Gnmdbestand des Psalms, genauer zu dem Teil, der als vorexilischer Bittpsalm einzustufen ist. Verschiedene Textelemente (Darstellung JHWHs als Krieger, anthropomorphe Beschreibung der göttlichen Kriegsausrüstung, Heilsorakel im kriegerischen Kontext) lassen F.-L. HOSSFELD einen königlichen Sprecher annehmen. Auch die alte Tradition des Engels JHWHs als Führungsengel Israels wird zugunsten des Königs aufgerufen. 145 Die Septuagintaversion verwendet für das Zurückweichen der Feinde zum Teil dieselbe Formulierung wie der johanneische Text (
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Die Frage ist natürlich, inwiefern in neutestamentlicher Zeit die königliche Dimension des Psalms überhaupt noch erkannt wurde. Immerhin hat aber auch die Septuagintafassung noch die Zu schreibung "von David" (TC\> LlIWLÖ) und setzt damit einen königlichen Bezug voraus. Es ist also mindestens denkbar, daß die königliche Dimension der Anrufung Gottes als Streiter, vor dem die Feinde zurückweichen, auch neutestamentlich noch mitzulesen ist. Festzuhalten ist auch, daß in V.3, also unmittelbar vor der Aussage über das Zurückweichen der Feinde, die Heilszusage Gottes in der Formulierung "Dein Heil bin ich" (aWTT}pLa oou l:yw e[IJoL) zitiert wird. Auch im Psalm geht also dem Zurückweichen der Feinde ein "Ieh bin" I eyw eLlJoL "oraus, das freilich von Gott gesprochen wird. Das muß aber kein Grund sein, dieser Konstellation im Psalmtext jeden Einfluß auf die Gestaltung der johanneischen Szene abzusprechen. Schließlich kann im Kontext der johanneischen Christologie auch der Logos als Gott bezeichnet werden. Die andere Schriftstelle, die eine Rolle spielen kann, findet sich in Ps 27 (26), der David zugeschrieben ist. Im ersten Abschnitt des
145 Vgl. F.-L. Hoss/eld / E. Zenger, Die Psalmen I. Psalm 1-50 (NEB 29), Würzburg 1993,215 f.
Psalms, in den Versen 1-3 wird die unanfechtbare Glaubepsgewißheit des· Beters thematisiert. Böse Erfahrungen liegen hinter ihm. Er hat sie überstanden, das Dankopfer (V.6) liegt vor ihm. Da er die. Erfahrung gemacht hat, daß Gott ihm Licht und Heil ist, ein zuverlässiger Schutz seines Lebens, hat er nichts zu fürchten. Selbst wenn ein Heer gegen ihn Krieg führen sollte, wird er furchtlos bleiben. Das Vertrauen auf JHWH wird nicht wieder verloren gehen. In diesem Zusammenhang wird in V.2 festgestellt, daß die Bedränger und Feinde, die der Beter tatsächlich hatte, schon gefallen sind. Meine Bedränger und Feinde, sie sind gestrauchelt und gefallen. (Ps 27,2)
Den Versen 1-6 liegt ein Vertrauenslied zugrunde, das vorexilisch entstanden sein kann. Es "spiegelt in seiner militärischen Sprache und in seinen Kriegsbildern den Einfluß von Königsliedern wider". 146 Die Septuaginta behält die Zuschreibung an David bei und. denkt offensichtlich an den jungen. David vor der Königssalbung- (1TP<> '['DU XpLo9fjv«L). Sie formuliert an der interessierenden Stelle: ol
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(LXX Ps 26,2)
Hier geht es also nicht um das Zurückweichen, sondern um das Niederfallen der Feinde. Das hEO«V entspricht der Formulierung inJoh 18,6. Raymond BROWN hat außerdem auf Ps 56 (55) hingewiesen. 147 Bei diesem Psalm handelt es sich um das Gebet eines Verfolgten und Angeklagten, das nach erfolgter Rettung für die Dankfeier konzipiert wurde. 148 Es wird in der Überschrift David zugeschrieben, und zwar in einer biblisch nicht näher zu bestimmenden Situation, "als ihn die Philister in Gath ergriffen." Der Abschnitt V.IO-12
146 Hossfeld I Zenger, Psalmen, 172. Vgl. R. Brown, The Gospel according to lohn, 2 Bde. (AncB 29), London 1971 (=1966), 818. 148 Vgl. Seybold, Psalmen (s. Anm. 73), 224-228. 147
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formuliert ein Vertrauensbekenntnis, das aus der Gewißheit lebt, daß Gott für den Beter ist. Der Entschluß, alles auf Gottes Ent~ scheidung zu setzen, bestätigt sich im Wissen, daß Gott das in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigt. V.IO formuliert als Glaubenserfahrung: Dann weichen die Feinde zurück an dem Tag, da ich rufe: Jetzt weiß ich, daß Gottfiir mich ist! (Ps 56,10) .
Diese Erfahrung führt zum Lobpreis auf Gottes Wort (V.II), womit in der Situation des Psalms ein angerufenes Gottesurteil gemeint sein dürfte. Die Septuagintafassung hat in V.IO wieder Eie; "CQ: o1T(aw. In V.II verwendet sie pfiflU und ÄOyoc;. Unabhängig vom ursprünglichen Sinn des Psalms könnte die Rede des griechischen Textes vom Logos Gottes eine Rolle bei der Konzeption der johanneischen Szene gespielt haben. Insgesamt gesehen, wird man ohne weiteres der These von HAENeHEN und. anderen folgen können und das Zurückweichen. und Hinfallen der Feinde in der johanneischen Erzählung als eine Reaktivierung biblischer Tradition einstufen. Die Relevanz der angeführten Psalmtexte dürfte über die Übereinstimmungen im Wortlaut hinausgehen. Zunächst ist der königliche Kontext zu beachten, in -dem der Psalmbeter steht, und der die Anschlußrähigkeit der Texte für die johanneische Königschristologie erhöht haben kann. Außerdem sind Einzelzüge festzuhalten, die bei einer entsprechend interessegeleiteten Lektüre der Psalmen eine gewisse Relevanz erhalten konnten. 149 Hier ist einmal an das göttliche "Ich bin" in LY,X Ps 34,3 zu denken und außerdem die Rede vom Logos in LXX Ps 55,11.
149 Man hat ja nicht mit einer literaturwissenschaftlichen Analyse biblischer Texte durch neutestamentliche Autoren zu rechnen, sondern mit einer eher verwendungsorientierten Wahrnehmung. Dies gilt für Texte, die in einen Erf"üllungszusammenhang mit dem Jesusereignis gebracht werden konnten, natürlich in besonderem Maße.
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Und trotzdem bieten diese Texte keine hinreichende Erklärung f'lir die Verwendung des Motivs in der johanneischen Erzählung. Dort geht es ja nicht einfach darum, Jesus als Gerechten zu charakterisieren, der wie König David von Gott vor seinen Feinden gerettet wird. Es geht in Joh 18 ja konkret darum, daß die Worte Jesu die Ursache für das Zurückweichen und Niederfallen der Feinde sind. Diese Verbindung ist in Joh 18 so wichtig, daß das EYW EL~L Jesu in V.6 eigens wiederholt wird, bevor die Reaktion der Gegner angesprochen wird. ISO Und gerade für diese Verl>indung findet sich allenfalls in LXX Ps 34,3 ein Anhalt. Allerdings ist die Verbindung von göttlicher Selbstaussage und .Niederfallen dort ja nicht einfach vom Text her gegeben, sondern läßt sich nur be} entsprechendem Lektüreinteresse herstellen. Die Verbindung von ~yw El~L und Niederfallen kann also kaum aus dem Psalm heraus entwickelt worden sein. Was nun den innerjohanneischen Kontext der Worte Jesu angeht, so steht dasEYw EL~L natürlich mit den Worten Jesu in Verbindung, in denen Jesus sich als Brot des Lebens, Licht der Welt, Guter Hirte oder ähnliches bezeichnet und damit seine exklusive soteriologische Funktion thematisiert. Allerdings ist zu beachten, daß es sich hier um einen absoluten Gebrauch der Fonnulierung handelt. Dies hängt zunächst damit zusammen, daß es um eine direkte Identifizierung Jesu geht. Er gibt sich als der Gesuchte zu erkennen. Allerdings wird man aus der machtvollen Wirkung der Worte schließen dürfen, daß es nicht nur um eine banale Feststellung der Personenidentität geht. Dies wird auch von 13,19 her deutlich. Dort hatte Jesus im Hinblick auf den Verrat des Judas gesagt:
150 Das Eyc..> eL\-1L wird auch in 18,8 noch einmal aufgegriffen. Dort dient die Selbstidentifikation Jesu dazu, die Verschonung der Jünger einzuleiten. Deren Rettung vor dem Zugriff der Verfolger wird in V.9 dann als Erfüllung eines Jesuswortes gedeutet. Aufgrund des . Stichworts &no'uuIlL kommen 6,39; 10,28; 17,12 als Bezugspunkt in Frage. Im Hinblick auf Joh ZO,28 wird man sagen können, daß Jesus sich als Guter Hirte bewährt, indem er die Jünger rettet.
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Ich sage es euch schon jetzt, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt: Ich bin (I:.yw dfLL) es.
Da in 18,3.5 Judas erwähnt wird, ist für die Lesenden klar, daß jetzt die Übergabe Jesu durch den Verräter stattfindet. Im Rückbezug auf 13,19 kann es nun aber nicht darum gehen, die irdische Identität Jesu zu klären. Diese steht ja allenfalls in der erzählten Welt (für den Verhaftungstrupp ), aber nie für die Lesenden in Frage. Für sie kann es nur darum gehen, daß die eigentliche Identität Jesu im Moment des Zugriffs der Verfolger deutlich wird. Genau diese deutlich zu machen, leistet die machtvolle Wirkung des Wortes. Insofern hat BULTMANN Recht, wenn er feststellt: "Der Leser, der diefriiheren EYW dfLL im Sinne hat, hört freilich mehr heraus, als der Zshg sagt: der Offenbarer spricht! - und so begreift er die wunderbare Wirkung, die das Wort hat (v'6): die Häscher weichen zurück und fallen zu Boden, wie man vor der epiphanen Gottheit niedersinkt. "151 Zwar ist hier nicht das anbetende Niederfallen thematisiert, auf das BULTMANN verweist, aber an ein Niederfallen vor der Macht einer göttlichen Epiphanie wird man wohl denken dürfen. Immerhin mag das absolutel:.yw ELfLL Jesu bibelkundige Leserinnen und Leser an die biblische Formel der Selbstoffenbarung Gottes ani hu (,i1 ~J~) erinnert haben, welche die Septuaginta mit I:.yw ELf..I.L wiedergibt. "Jesus ist Gottes eschatologischer Offenbarer, in welchem sich Gott selbst zur Sprache bringt. 11152 Die Frage ist nun freilich, inwiefern Jesus als Epiphanie Gottes verstanden werden kann, deren Selbstidentifikation so machtvoll ist, daß sie die Gegner zu Boden wirft. Die Lesenden wissen schon von Joh 1 her, daß der Logos "Gott" (9EOC;) ist (Joh 1,1.18) und daß Jesus die Inkarnation dieses Logos ist, der .als Sohn Ebenbild des göttlichen Vaters ist. Der Sohn und der Vater sind eins (10,30)
151 R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes (KEK), Göttingen 1941,494 f. 152 Schnackenburg, Das Johannesevangelium II (s. Anm. 136), 69; vgl. ebd., 59-70.
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und deshalb ist im Sohn der Vater erkennbar. Diese Vater-SohnRelation ist im Johannesevangelium mit der Vorstellung von Jesus als himmlischem König verbunden. Jesu Königswürde wird, wie wir gesehen haben, gerade im Kontext der Leidensgeschichte .massiv betont. Der scheinbar Ohnmächtige ist der wahrhaft Mächtige, der als· König verspottete Gefangene ist als Logos der wahre König der Welt. Wenn in Jesus dieser göttliche König Mensch geworden ist, dann ist es naheliegend, daß die Gegner vor der Selbstidentifikation Jesu zurückweichen und zu Boden fallen. Dies gilt umso mehr, als damit zu rechnen ist, daß die Königschristologie des Johannesevangeliums auch hier Einflüsse der Königstradition aufnimmt. In antiken Königskonzeptionen war nämlich die Vorstellung bekannt, daß das Wort des Königs über wunderbare Macht verfügt. In A"gypten hängt die Vorstellung vom Machtwort des Königs eng mit der theologischen Würdigung des königlichen Amtes zusammen. Als Sohn ist der König Ebenbild und Stellvertreter (Jottes. "Das Herrschen ist das eigentlich Heilige und Göttliche. Von seinem dem er berufen und bevol1mächtigt ist, wächst dem König Tun also, seine Göttlichkeit zu. "153 Als Träger eines göttlichen Amtes eignet dem König eine göttliche Würde, die sich auch in der erschreckenden Majestät seines Auftretens ausdrückt. Die Macht seiner Gegenwart wird als· numinose Aura erlebt, die Leben oder Tod bedeuten kann. Zur Audienz vor den König geführt zu werden, kann einen heiligen Schrecken auslösen, der zur Ohnmacht führt. Der Zorn des Königs nimmt den Atem. Erst wenn er gnädig wird, kann man wieder Luft holen. In seiner Gegenwart beginnt man vor Angst zu zittern, man verliert den RaH, "in seiner Nähe kann man nicht stehen bleiben. " so ein Loblied auf Sesostris L 154 Der König ist als Repräsentant der Gottheit unangreifbar und steht unter dem besonderen Schutz Gottes. So kann Amun zu Thutmosis In. sagen:
zu
153 Assmann, Stein und Zeit (s. Anm. 10), 245. Vgl. zum folgenden ebd.,238-240. 154 ÄHG (s. Anm. 35) Nr. 227,13.
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Ich lasse die Angreifer. die in deine Nähe kommen. erlahmen. ihre Herzen entbrennen. ihre Leiber erzittern. (ÄHG 233. 42 J)
Weil der König Stellvertreter Gottes auf Erden ist, kann von ihm gesagt werden, daß Atum durch seinen Mund spricht. 155 Da der König nicht auf eine. Gottheit festgelegt ist, ist eine vergleichbare Aussage auch in bezug auf andere Götter möglich. Ramses II. wird zugerufen: Alles~
was aus deinem Munde hervorgeht. ist wie die Worte des Harachte. Eine Waage ist deine Zunge. deine Lippen sind genauer als das genaueste Maß des Thot. (ÄHG 237.9-12)
Als Gottesworte haben königliche Aussprüche Wirkmacht bis in den letzten Winkel des Landes. "Das wird auf unsichtbare Kraftfelder zurückgeführt. die sich im König selbst befinden oder von ihm a1,l.sstrahlen. Daz,u gehört das Vermögen eines unwiderstehlichen Machtspruches. Hu. das seinerseits auf ein außergewöhnliches Erkenntnisvermögen. Sia, rückschließen läßt. "156 So heißt es über Ramses. II. in der schon zitierten Eulogie: Hu ist in deinem Mund. Sia ist in deinem Herz; deine Zunge istein Schrein der Ma'at. auf deinen Lippen sitzt eIn Gott. (ÄHG 237. 36-39) 157
Die Verbindung des königlichen Machtwortes mit der Verwirklichung der Ma'at ist insofern naheliegend, als das gesamte königliche Tun seinen Sinn genau darin hat. Da sich die Ma'at aber nicht realisieren läßt, ohne daß die Feinde, die Widersacher der Ordnung, niedergeschlagen werden, ist es folgerichtig, daß die Vorstellung von der Macht des königlichen Wortes auch in di~sem Zusammenhang auftritt.
155Vgl. ÄHG 238,25. 156 K Koch, Geschichte der ägyptischen Religion, Stuttgart 1993, 58. 157 Vgl. auch ÄHG (s. Anm. 35) 226, 14.
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So wird in einem Loblied auf Sesostris IH. gesagt: Die Zunge seiner Majestät ist es, die Nubien einschüchtert, seine Aussprüche, sie schlagen die Asiaten in die Flucht. (ÄHG 228, 151)
Das königliche Machtwort ist freilich kein Ersatz für die physische Gewalt des königlichen Kriegshelden, sondern unterstützt diese. Dies wird deutlich, wenn etwa unmittelbar vor dem zitierten Passus gesagt wird, daß der König tIden Pfeil schießt wie Sachmet, um Tausende zu fällen unter denen, die seine Macht verkennen." (AHG 228, 13j) Nach diesem Durchgang durch die ägyptische Königstradition ist also festzuhalten, daß der König, der Stellvertreter Gottes auf Erden, als eine mit numinosen Kräften geladene Person galt, deren Epiphanie Reaktionen von Angst und Schrecken, auch das entsetzte Niederfallen, auslöst. Zu den Machtkräften, die der König braucht, um seine Aufgabe zu erfüllen, die Ma'at zur verwirklichen, gehört auch der Machtspruch (Hu), der ihm die unbedingte Realisation seines Willens gestattet. Dieses Machtwort spielt auch eine wichtige Rolle beim Niederwerfen der Feinde, welches elementar zur Errichtung der Ma'at gehört. Nun ist es freilich methodologisch keinesfalls zulässig, von altägyptischen Königstexten eine direkte Beziehung zu neutestamentlicher Christologie herzustellen. Es läßt sich allerdings zeigen, daß ägyptische Vorstellungen in die biblische Königstheologie Eingang gefunden haben und über diese Vermittlung Einfluß auf die Entwicklung neutestamentlicher Christologie gewinnen konnten. Dies gilt auch von der Vorstellung der wunderbaren Macht des königlichen Wortes. Sie findet sich in Jes 11, wo vom davidischen Idealkönig. die Rede ist. Die Beschreibung des neuen Sprosses aus der Wurzel Isais ist stark von ägyptischen Vorstellungen beeinflußt. Jes 11,1-9 kann als Relecture von Jes 8 angesehen werden und gehört zu einer nachexilischen Gesamtkomposition, die dem Zeichen in Jes 7,14 einen neuen, eindeutig positiven Sinn gibt. Man kann mit ZEN GER von einem messianischen Triptychon sprechen, "dessen erstes Bild die Verh~ißung der Geburt eines neuen Königtums
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(Jes 7,10-17), dessen Mitte/bild die Geburt selbst (Jes 9,1-6) und dessen drittes Bild die Herrschaftsausübung (fes 11,1-9) der neuen Dynastie beschreibt, die nicht mehr mit den Makeln des vorexilischen Königshauses behaftet sein wird 1/ 158 Hatte der Königstext in Jes 9,1-6 betont, daß das neue Königtum ein Geschenk Gottes sein wird, und in den Thronnamen das Herrschaftsprogramm des Heilskönigs skizziert, so wird in Jes 11 das Glück seiner Herrschaft mit visionären Farben ausgemalt. Im Unterschied zur Gewaltkomponente, die in anderen Königsliedern anzutreffen ist (vgl. etwa Ps 2), wird hier die absolute Gewaltfreiheit des neuen Königtums besungen. Die Überwindung der Gewalt ist so umfassend, daß auch die Tierwelt mit einbezogen wird. Kein Lebewesen muß mehr ein anderes bedrohen oder gar auf dessen Kosten leben. Dieses paradiesische Königtum ist nun nicht mehr als Fortsetzung der davidischen Dynastie zu denken, sondern stellt sich als Neuschöpfung JHWHs dar. Nicht von David stammt der verheißene König ab, sondern von Isai, dem Vater Davids. Aus dem alten Wurzelholz treibt ein neuer Sproß, ein neuer David, hervor.I 59 Es geht nicht mehr um Fortsetzung, sondern um
158 E. Zenger, J~sus von Nazaret und die messianischen Hoffnungen des alttestamentlichen Israel, in: U. Struppe (Hg.), Studien zum Messiasbild im Alten Testament (SBAB.AT 6), Stuttgart 1989, 2366: 45. 159 In der christlichen Kunst wurde der Sproß aus dem Stamme Isais später mit der ägyptischen Bildtradition des Gottes auf der Bliite verbunden. Vgl. zur ägyptischen Tradition H Schlögl, Der Sonnengott auf der Blüte. Eine ägyptische Kosmogonie des Neuen Reiches (Aegyptiaca Helvetiaa 5), Genf 1977, bes. 17-19; zur Wirkungsgeschichte vgl. S. Morenz, Die Begegnung Europas mit Ägypten, ZÜrich-Stuttgart 1969, 109 f. Es ist aber zu betonen, daß diese Königsmetaphorik atl. noch keine Rolle spielt, sondern hier ein eigenständiges Bild vorliegt, obwohl die Kenntnis der entsprechenden Darstellungsweise aJlch in den palästinisch-syrischen Raum hinein übermittelt wurde. Vgl. S. Morenz / J. Schubert, Der Gott auf der Blume. Eine ägyptische Kosmogonie und ihre weltweite Bildwirkung, Ascona 1954, 78-82; 0. Keel I eh. Uehlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsge-
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einen neuen Anfang, der freilich an Altes anknüpft. 160 Es entspricht der schöpferischen Qualität, die das Handeln Gottes bei der Installierung des neuen Herrschers 'zeigt, wenn ,die paradiesischen Zustände des neuen Reiches dem Urzustand der Schöpfung (Gen 1,30) angenähert werden.I 61 Was den religionsgeschichtlichen Hintergrund der Rede vom Tierfrieden angeht, so ist einmal an entsprechende mesopotamische Vorstellungen zu denken, dann aber auch an das ägyptische Ma'atDenken, für d~s eine Verschränkung von menschlich-sozialer Gerechtigkeit und kosmischer Ordnung bezeichnend ist. Die Reichsordnung, die die Herrschaft des König herstellt, ist ein Ordnungsrahmen, der Menschenwelt und Natur umfaßt, also soziale Ordnung ebenso meint wie kosmische Ordnung. 162 Vermutlich im Rückgriff ,auf die Erwählungsgeschichte Davids (lSam 16) spricht .fes 11,2 auch von der Geistbegabung des Regenten. Die ausdifferenzierte Beschreibung betont die Bedeutung dieses Geistes und verbindet mit ihm alle wesentlichen Herrscherqualitäten altorientalischer Tradition. Durch diese Verbindung wird Gott selbst als die Quelle dieser Eigenschaften herausgestellt, denn es ist sein Geist, der aU dies bewirkt. So wird der König gezeichnet als das von Gott selbst gestaltete Werkzeug seines Handelns, als "der Sachwalter der göttlichen Herrschaft au/Erden. "163 In diesen Kontext der Repräsentanz der göttlichen Herrschaft durch die Regentschaft des idealen Königs ist nun auch die Rede
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schichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (Qn 134), Freiburg 31995, 282-285. Vgl. W. Werner, les 9,1-6 und les 11,1-9 im Horizont alttestamentlicher Messiaserwartung, in: U. Struppe (Hg.), Studien zum Messiasbild im Alten Testament (SBAB.AT 6), Stuttgart 1989, 253-270: 266; auch H. Wildberger, Jesaja I. Jesaja 1-12 (BK 10.1), Neukirchen-Vluyn 21980, 446 f, der al1erdings den Kontinuitätsaspekt des Bildes etwas stärker betont. Vgl. R. Kilian, Jesaja 1-12 (NEB 17), Würzburg 1986,89 f. Zur Konzeption der Ma'at vgl. Assmann, Ma'at (s. Anm. 62), 201231. Wildberger, Jesaja I. (s. Allm. 160), 447; vgl. auch ebd. 447-450; Zenger, Jesus (s. Anm. 158),48; Kilian, Jesaja (s. Anm. 161),88 f.
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von der Macht des königlichen Wortes eingebettet, auf die Anton DAUER hingewiesen hat. 164 Er richtet nicht nach dem Augenschein, und nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er, . . sondern er richtet die Hilflosen gerecht und entscheidet for die Armen des Landes. wie es recht ist. Er schlägt den Gewalttätigen mIt dem Stock seines Wortes und tötet den Schuldigen mit dem Hauch seines Mundes. (Jes 11,31)
Die Wirkmächtigkeit des Wortes, die dem Herrscher den Verzicht auf physische Gewalt erlaubt, erinnert innerbiblisch an die Wirksamkeit des Schöpfungswortes (Gen 1). An die richterliche Gewalt des göttlichen Wo~tes ist in !job 4.9 gedacht, wenn es über die Ungerechten heißt: Durch Gottes Atem gehen sie zugrunde. sie schwinden hin im Hauch seines Zorns"
Die Septuaginta vereindeutigt die hebräische Formulierung, indem sie statt von "Atem" von einer königlichen Anordnung (1TpOO'tttYlJ.oc) spricht. In bezug auf .fes]] kann also gesagt werden, daß das Wort des Messiaskönigs an der Macht des .göttlichen Wortes teilhat, weil seine Herrschaft die Herrschaft Gottes repräsentiert. Seine Macht vertritt die Macht Gottes. Wegen des engen Zusammenhangs von Wort und Atem ist hier auch noch einmai darauf hinzuweisen, daß Klgl 4,20 vom Gesalbten des Herrn als Lebensatem des Volkes ·spricht und damit dem König eine Qualität zuschreibt, die biblisch nur in bezug auf den Schöpfergott (Ps 104,29) zu finden ist (s.o. 1.1.). Religionsgeschichtlich ist die Rede von der Macht des messianischen Wortes mit der altorientalischen Vorstellung vom göttlichen Machtwort des Königs zu verbinden, wie sie sich etwa in den oben zitierten ägyptischen Quellen finden läßt. Als Unterschied ist al-
164 Vgl. A. Daller, Die Passionsgeschichte im Johannesevangelium. Eine traditionsgeschichtliche und theologische Untersuchung zu Joh 18,1-19,30 (StANT 30), München 1972, 42.
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lerdings festzuhalten, daß in den ägyptischen Texten das Machtwort des Königs physische Gewalt in der Regel nicht ersetzt, sondern auf magische Weise unterstützt. 165 Freilich geht es auch im biblischen Text um die Vernichtung der Feinde durch den Heilskönig.. Selbst die Vision vom großen Frieden und der umfassenden Gewaltfreiheit kommt ohne Gewalt nicht aus, denn sie setzt die Vernichtung der Gewalttätigen voraus. Die Gerechtigkeit des messianischen Reiches, die gerade den Armen und Hilflosen gilt, setzt - wie die Errichtung der ägyptischen Ma'at - die Zerstörung der Ung~rechtigkeit notwendigerweise voraus. Diese wird aber nicht mehr mit physischer Gewalt vollzogen, sondern in der göttlichen Vollmacht des königlichen Wortes. Vergleicht man diese Vorstellung mit der johanneischen Szene, so wird man DAUER durchaus zustimmen können, der feststellte: "Gewiß sind die sprachlichen Unterschiede zu Joh 18,6 sehr groß, doch die Vorstellung, die hinter heiden Stellen steht, ist die gleiche: der Messias tritt auf in herrscherlicher Macht, der niemand von den Bösen widerstehen kann. Sein Wort allein, das ihnen das Urteil spricht, genügt zu ihrer Vernichtung. "166 Man wird allerdings korrigierend anmerken müssen, daß in Joh 18 die Vernichtung der Feinde gerade nicht vollzogen wird. Die Macht des Wortes Jesu wird nur gezeigt, nicht aber wirklich angewandt. Sie dient der Information der Lesenden, aber nicht der Änderung des Erzählverlaufs. Was die frühjüdischen Texte angeht, so ist festzustellen, daß die Vorstellung ebenfalls bekannt ist, und zwar im Kontext verschiedener Messiaskonzepte,167 Hier ist etwa auf 4Esr 13 hinzuweisen, wo der Mensch aus dem Meer, welcher nach 13,32 der Sohn Gottes ist, alle, die seine Stimme hören, entzündet wie Wachs, "wenn es das Feuer fühlt" (4Esr 13,4). Als seine eschatologischen Gegenspieler in unübersehbaren Massen gegen ihn anstürmen, zerstört er sie allein mit dem Feuerhauch seines Mundes. 165 Vgl. Wildberger, Jesaja 1. (s. Anm. 160),453 f. 166 Dauer, Passionsgeschichte (s. Anm. 164),42. 167 Vgl. Dauer, a.a.O., 42 f.
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Und siehe, als er den Ansturm der herankommenden Massen sah, erhob er seine Hand nicht lind hielt keinen Ww:[spieß lind kein anderes Kriegsgerät. Ich sah nur, wie er aus seinem Mund (etwas) wie einen Feuerstrom aussandte und von seinen Lippen einen Flammenhauch; und von seiner Zunge sandte er Sturmesful1ken alls. (4Esr 13,9 j)
Diese Feuermacht, mit der wieder auf die Macht des messianischen Richterwortes (J 3,37 j) angespielt wird, fällt über den Ansturm der feindlichen Massen und verbrennt sie, so daß nichts iibrigbleibt außer Asche und Brandgeruch (J 3,11). Auch äthHen 62,2 ist einschlägig. Dort wird in deutlicher Anlehnung an Jes 11,2 zunächst von der Geistbegabung des Menschensohnes gesprochen. Unter Rückbezug auf Jes 11,4 heißt es dann: Die Rede seines MI/ndes tölet alle Sünder, lind alle Frevler werden von seinem Angesicht getilgt.
Auch in den (aus dem 1. Jh. v.ehr. stammenden) Psalmen Salomos ist das Motiv belegt. In PsSal 17,24 wird als Aufgabe des erflehten Davidssohns formuliert: 168 mit eisernem Stab zu zerschlagen all ihren Bestand, vernichten gesetzlose Völker durch das Wort seines Mundes.
zu
EV AOY~ o'toj.J.a:t'O!; au'tou
Die Bezugnahme auf Jes 11,4 (LXX) ist deutlich. Obwohl hier auch das Motiv des eisernen Stabes, welches aus Ps 2,9 stammt, aufgegriffen wird, ist das Wort offensichtlich das entscheidende Machtmittel des Messias gegen Sünder und Heiden. Die Macht des Wortes erlaubt ihm den Verzicht auf alle militärischen Mittel. "Denn er wird die Erde schlagen t/urch das Wort seines Mundes" und die Sünder ausrotten "durch die Macht des Wortes" (h iOxUl AOYOU), wie es in PsSal 17,35fheißt.
168 Zu PsSal 17 vgl. S. H. Brandenburger, Der "Gesalbte des Herrn" in Psalm Salomo 17, in: ders. / Th. Hieke (Hg.), Wenn drei das gleiche sagen - Studien zu den ersten drei Evangelien. Mit einer Werkstattübersetzung des Q- Textes, Münster 1998, 217-236; K. E. Pomykala, The Davidic Dynasty Tradition in Early Judaism. Hs History and Significance for Messianism, Atlanta 1995, 159-170.
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In den neutestamentlichen Schriften ist das Motiv ebenfalls bekannt. Man kann etwa auf die Schilderung des Menschensohnes in der Offenbarung des Johannes verweisen. Bei der Beschreibung der erschütternden Epiphanie in Offb 1,12-16 wird auch erwähnt, daß aus dem Mund des Menschensohnes ein zweischneidiges scharfes Schwert kommt (V.16), was auf die richterliche Gewalt seines Wortes zu deuten ist. Vermutlich wird hier ebenfalls auf die Vorstellung von der Macht des messianischen Wortes in Jes 11,4 zurückgegriffen. Die Charakterisierung des Wortes als Schwert läßt sich aber aus Jes 11,4 nicht ableiten. Dort ist nur von einem Stab oder Szepter (~~W) die Rede. Das Motiv stammt wohl aus dem Zweiten Gottesknechtslied. Dort spricht der Knecht davon, daß Gott seinen Mund zu einem Schwert gemacht hat (Jes 49,2). Daß Gottes Wort den Charakter eines Schwertes hat, ist auch neutestamentlich bekannt. So fordert Eph 6,17: Nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes (piilllX geou).
Und in He br 4,12 wird das Wort Gottes (<'> A.oyot; 'tou geou) als lebendig, kraftvoll und "schälf'er als jedes zweischneidige Schwert" beschrieben. Vor diesem motivgeschichtlichen Hintergrund ist die Rede vom Schwert im Mund des Menschensohnes in Offb 1 als symbolträchtiger Hinweis auf seine Rolle als messianischer Gottesknecht und auf die unbezwingbare Macht seines Wortes zu verstehen. Das in V.17 erwähnte Niederfallen des Sehers hängt allerdings nicht direkt mit der Macht des Wortes zusammen, sondern ist eine Reaktion auf die gesamte Epiphanie. In Offb 2 wird die Vorstellung vom scharfen Schwert aus dem Mund des Menschensohnes vyieder aufgegriffen (Offb 2,12.16). Besonders interessant ist dabei 2,16, wo die Gemeinde in Pergamon zur Abkehr von einer Irrlehre aufgefordert wird. Für den Fall, daß diese Umkehr nicht geschieht, droht der Menschensohn an, selbst zu kommen und die Irrlehrer mit dem Schwert aus seinem Mund (ev tlj pOIl4>IX(~ 'tou a,olla,'toC;;) zu bekämpfen. In Offb 19 tritt ein Reiter auf, der als Logos Gottes bezeichnet wird (19,13). Als "König der Könige und Herr der Herren" (19,16)
schlägt er die Völker .mit dem scharfen Schwert, das aus seinem Mund kommt (19,15). Im Endkampf siegt dieser messianische Krieger über die Könige der Erde und ihre Heere. ."Mit dem Schwert, das qus dem Mund des Reiters kam" (19,21), werden sie getötet. Hinzuweisen ist ·schließlich auch noch auf 2Thess 2,8. Dort wird vom wiederkehrenden Jesus gesagt, daß er seinen eschatologischen Widersacher enttarnen und vernichten wird:· Und dann wird der Gesetzlose enthüllt werden, den Jesus, der Herr, durch den Hauch seines Mundes tölen und durch die Erscheinung seiner Wiederkunft vernichten wird.
Insges.amt läßt sIch also festst~llen, daß die altorientalische Vorstellung vom königlichen Machtwort über die biblische Charakte..risierung des Messiaskönigs Eingan~ in den Bereich der frühjüdischen und christlichen Messiaskonzeptionen gefunden hat. Sie dürfte damit auch zum theologischen Wissenshintergrund der johanneischen Königschristologie gehört haben. Kehren wir nun zum Johannesevangelium zurück. Wir sind genau zu~ Gegenteil dessen gelangt, was Jürgen BECKER in seinem Johanneskommentar festgestellt hatte: "An das Furchtmotiv bei Epiphanien (Bultmann) ist ebensowenig zu denken, da es nicht um Verehrer, sondern Feinde geht, wie an die Gewalt .des Messias nach Jes 11,4 (so Dauer), weil die Nähe zu diesem Text nicht erkennbar ist." 169 Vielmehr ist BULTMANN insofern rechtzugeben, als er den Epiphaniecharakter der Worte Jesu betont. Zwar geht es hier nicht um das verehrende Niederfallen der Offenbarungsempfänger , aber sehr wohl darum, Jesus als Epiphanie Gottes deutlich zu machen, die für den Menschen eine niederwerfende Erfahrung darstellt. Die Selbstidentifikation Jesu ist die Selbstoffenbarung des göttlichen Logos, der Gott ist, weil er als einziggeborener Sohn des Vaters dessen Abbild ist. Als fleischgewordenem Logos, der als Sohn dem Vater wesensgleich i~t, kommt Jesus königliche Qualität zu. Da die Logoschristologie des Johannesevangeliums zugleich eine
169 Becker, Jobannesevangelium II (s. Anm. 86),543.
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Königschristologie ist, kann sie Vorstellungen der antiken Königstradition, in diesem Fall die von der Macht des königlichen Wortes, auf Jesus beziehen. Diese Vorstellung dient hier allerdings nicht dazu, Jesus als davidischen Heilskönig zu charakterisieren. Deswegen wird auch Jes 11 nicht zitiert. Das Königtum Jesu wurzelt nicht in davidischer Königstradition, sondern in seiner Würde als inkarnierter Logos: Als Logoskönig kommt ihm die unbegrenzte Macht des königlich-göttlichen Wortes zu. Da er zugleich das wirkmächtige Wort Gottes in Person ist, wird sein "Ich bin es" zur niederwerfenden Epiphanie Gottes. Das Zurückweichen und Niederfallen der Gegner macht deutlich, über welche Macht Jesus verfügt, und wie aussichtlos das Unterfangen seiner Feinde wäre, wenn er sich nicht selbst in ihre Hände geben würde. So ist das Motiv vom königlichen Machtwort, bei dessen Formulierung die besprochenen Psalmen eine wichtige Rolle spielten, im johanneischen Kontext ein adäquates Mittel, um zu Beginn der Passion das zu formulieren, was schon in Joh 10,18 formuliert wUrde, daß es nämlich in der Macht Jesu liegt, sein Leben zu geben und wieder zu nehmen. Weil das Königtum Jesu nicht von dieser Welt ist (Joh 18,36), ist ein irdischer Kampf gegen die Widersacher ausgeschlossen. Der Königswürde Jesu entspricht es, daß sie sich irdisch im Kr~uzestod realisiert. Das Niederwerfen der Feinde will deshalb nichts von dem verhindern, was dem Willen des Vaters entspricht. Es ist nur ein Zeichen dafür, was sich unter der Oberfläche der äußeren Ereignisse tatsächlich abspielt. Für die Lesenden wird rur einen Moment der Vorhang zurückgezogen, damit sie sehen: Der Gefangene ist der König, der Machtlose ist der .Mächtige schlechthin. Freilich verzichtet dieser Mächtige auf die Durchsetzung dieser Macht, weil sein Tod die Errullung der Liebe zu den Seinen (Joh 13,1) ist und um derentwillen nicht verhindert werden darf.
145
7.
Jeslls als Gott
Zu den Spitzenaussagen johanneischer Christologie gehört zweifelsohne das Bekenntnis des Thomas in Joh 20. Nachdem der Jünger die Identität des Auferstandenen mit dem gekreuzigten Jesus erkannt hat, huldigt er Jesus mit den Worten: Mein Herr und mein Gott! 1'0 KUPL6<; IJ.OU Kat b Se6<; IJ.OU. (Joh 20,28)
Im Kontext monotheistischer Glaubenstradition hat dieses Bekenntnis etwas durchaus Skandalöses, und es stellt sich die Frage, wie denn das Verhältnis zwischen Gott, dem Vater, und dem auferstandenen Jesus als Gottjohanneisch zu denken sei. Um diese Frage zu beantworten, ist es sinnvoll, zunächst noch einmal zum Prolog zurückzukehren, wo der Logos in seiner Relation zu Gott beschrieben ist. In Joh 1,1 heißt es unter anderem: Und der Logos war bei (dem) Gott, und Gott war der Logos. Kat b Ä.6yo<; ~II 'lrpo<; 'tOll SEOV, Kat 9EO<; ~v
0 Ä.oyoc;.
Hier wird also dem Logos zunächst ein Bei-Gott-Sein zugeschrieben. Einerseits wird damit "die untrennbare Zusammengehörigkeit und personale Verbundenheit von Gott und Logos betont: der Logos steht in engster Gemeinschaft mit Gott, er gehört ganz auf die Seite Gottes. Zum anderen wird aber auch die Unterschiedenheit von Gott und Logos angezeigt: der Logos ist nicht pers on identisch mit dem, der dann in V.14d der 'Vater' genannt wird. "170 Direkt nach dieser Betonung der Gemeinschaft in personaler Verschiedenheit wird aber dem Logos auch ein Gott-Sein zugesprochen. Daß es dabei nicht um eine einfache Identifizierung des Logos mit Gott geht, so daß es etwa keinen Gott außer dem Logos gäbe, wird durch die erste Aussage eindeutig festgelegt. Wäre der Logos einfach Gott, dann wäre die Aussage, daß er bei Gott ist, rundweg sinnlos. Es kann also nur um die Gemeinschaft zweier verschiedener Gräßen gehen.
170 0. Hofius, Struktur und Gedankengang des Logos-Hymnus in Joh 1,1-18, ZNW 78 (1987) 1-25: 16.
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Gleichwohl geht es nicht nur um Gemeinschaft, sondern offensichtlich um noch mehr, nämlich darum, daß der Logos Gott (Seoc;) ist. Der Logos muß also jedenfalls an der Gottheit Gottes partizipieren. Er ist mit ihm in gewisser We"ise eins. Das Problem besteht aber darin, daß der Prolog eine systematische Klärung der Frage, in welcher Weise der I"ogos Gott ist, nicht anzielt. Das entspräche auch kaum dem hymnischen Stil" dieses Textes. Eine Verstehenshilfe ist sicher die Vater-Sohn-Relation, in der Gott und der Logos stehen (s.o. II.l.2.). Entsprechend dem kulturellen Wissen von der Einheit von Vater und Sohn läßt sich der Sohn als Ebenbild des Vaters, der Sohn Gottes als Gott, begreifen. Jedoch stellt sich die Frage, ob diese Vorstellung ausreicht, das Problem der Spannung von Einheit und Verschiedenheit von Vater und Sohn wirklich zu lösen. Schon die altkirchliche Exegese hat versucht, weiterführende Problemlösungen zu erarbeiten. Norbert BROX hat darauf "hingewiesen, daß es offensichtlich ein Problem war, im monotheistischen Kontext von Jesus Christus als Gott zu sprechen. l71 Und doch wurde diese Ausdrucksweise allmählich zum festen Bestandteil der christologischen Terminologie. Origenes und andere konnten aber nur so sprechen, weil sie in der Christologie mit einem gemäßigten Gottesbegriff arbeiteten, der es gestatt~te, den eigentlichen Gottesbegriff konkurrenzlos zu halten und damit der monotheistischen Tradition zu genügen. Jesus konnte nur dann Gott genannt werden, wenn klar war, daß damit nicht derselbe, absolute Anspruch erhoben werden sollte, den der biblisch-jüdische Gottesbegriff erhob. Einen solchen reduzierten Gottesbegriff brauchten die christlichen Theologen nicht völlig neu zu entwickeln, sie fanden ihn" in der antiken Religions- und Geistesgeschichte schon vor. Er war vor allem im Kontext der Herrscherideologie (s.u.) entwickelt worden. Wenn ein König oder Kaiser, also ein menschliches und damit sterbliches Wesen, als Gott bezeichnet wurde, dann war damit klar, daß es sich um eine uneigentliehe Redeweise handelte, was
171 Vgl. zum folgenden N. Brox, "Gott" - mit und ohne Artikel. Origenes über Joh 1,1, RN 66 (1993) 32-39.
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freilich den religiösen Ernst der Aussage nicht unbedingt mindern mußte. Und mit diesem reduzierten Gottesbegriff ist "eine Kategorie gefunden gewesen, die das denkbar Höchste von Christus sagt, ihn (wegen der reduzierten Semantik des Begriffs) aber nicht in konkurrierende Nähe zu Gott (dem Vater) geraten ließ. "172 Freilich war die christologische Rede von Jesus als Gott trotzdem mißverständlich und mußte weiter geklärt werden. Dazu griff Origenes auf den johanneischen Prolog zurück. Er weist darauf hin, daß dort der Begriff AOYOC; stets mit Artikel steht, während der Begriff SEOC; teils mit Artikel steht, teils ohne. Da der artikellose Gebrauch dann vorliegt, wenn es um das Gott-Sein des Logos, geht, begründet Origenes aus seinen Beobachtungen einen Sprachgebrauch, der immer dann, wenn es um den eigentlichen und wahren Gott geht, SEOC; mit Artikel setzt, während alles, was nur durch Teilhabe an dessen Gottheit, und also in abgestuftem Sinn Gott geworden ist, besser nur artikellos als SEOC; bezeichnet werden sollte. Unter denen, die in' abgestuftem Sinne Gott genannt werden können, versteht Origeries alle Geretteten oder auf dem Weg zur Rettung Befindlichen, also auch die vollkommenen Menschen. Die Spitze derer, die in diesem Sinne als eEOC; bezeichnet werden können" bildet der Logos, der vor aller Schöpfung bei Gott ist, und so der Erste und Wichtigste ist, der an der Gottheit Gottes teilhat. Er ist als Abbild des Vaters das Urbild aller anderen, die als Abbild Gottes an der Gottheit Gottes teilhaben. "Als Mittler oder, Retter hat er ,den anderen dabei geholfen, Götter zu werdf!1l. "173 Was nun, die exegetische Qualifizierung dieser Johannesauslegung des Origenes angeht, so gebraucht BROX den Begriff der Entdekkungen und setzt den Terminus in Anführungszeichen. 174 Eventuell möchte er damit suggerieren, daß diese Auslegung seiner Meinung nach den Siim des johanneischen Textes nicht recht trifft, sondern den Text nur als Material in einer dogmatischen Auseinandersetzung benutzt. Dieses Urteil, wenn es denn intendiert ist,
172 Brox, "Gott", 33. 173 Brox, a.a.O., 37. 174 Vgl. Brox, a.a.O., 39.
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wird unterstützt von der exegetischen Analyse, die z.B. Otfried vorgetragen hat. 175 HOFIUS betont, daß nach den Regeln der griechischen Syntax in einem Satz wie KId SEce; ~v [, A.oyoe; der Artikel fehlen muß, weil die Setzung des Artikels die Aussage ergäbe, daß der Logos mit dem vorher erwähnten Gott identisch ist und also außer dem Logos überhaupt kein Gott existiert. Diese Aussage sei unsinnig, weil dann ja nicht von einem Bei-Gott-Sein des Logos gesprochen werden könnte. Für ihn ist es deshalb ''philologisch unbegründet, aus dem artikellosen SECe; den Schluß zu ziehen. daß der Logos nach der Meinung des Hymnus nicht im eigentlichen Sinne Gott" sei. Vielmehr gehe es, so formuliert er im Anschluß an Karl BARTH, um die "Identifikation des Wesens zweier zu unterscheidender Personen" .176 Daran ist sicher richtig erfaßt, daß es dem Logoshymnus um die Gleichheit nichtidentischer Personen geht. Ob aus den syntaktischen Beobachtungen allerdings die Gleichrangigkeit von Vater und Sohn im Sinne der späteren Trinitätsdogmatik zu schließen ist, bleibt doch sehr fraglich, weil die dafüt relevante Terminologie mit ihrer Unterscheidung von Wesen und Person noch nicht vorausgesetzt werden kann. Zudem kann die Argumentation von HOFruS bei näherem Zusehen ja nicht beweisen, daß es grammatikalisch unmöglich wäre, [, SEOC;; TlV 0 A,cyoC;; zu sagen. Sie zeigt nur noch eirurial auf, daß diese Formulierung im Textzusammenhang sinnlos wäre. Da es also nicht um eine grammatikalische Alternativlosigkeit geht, sondern um ein semantisches Problem, bleibt der Artikelgebrauch bzw. Nichtgebrauch bei SEae; als interpretationsrelevantes Textdatum im johanneischen Prolog zu berücksichtigen. Geht man von dieser Erkenntnis aus, dann wird man die Interpretation des Origenes mit .ihrer Unterscheidung von SEae; und [, SEae; als dem Logoshymnus durchaus angemessen einstufen müssen. Da johanneisch immer gilt, daß Vater und Sohn eins sind (Joh 10.30) und daß der Vater srößer ist als der Sohn (14,28), muß die HOFIUS
175 Vgl. Hofius, Logos-Hymnus (s. Anm. 170), 16 f. 176 Hofius, a.a.O., 17.
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Aussage des Prologs, daß der Logos Gott ist, so interpretiert werden, daß die Betonung der Gottheit des Logos und die überragen.de Stellung des Vaters das entsprechende Gewicht behalten. Deshalb ist zu schließen, daß es im johanneischen Kontext zwar darum geht, dem Sohn Anteil an der Gottheit des Vaters zuzusprechen, ohne allerdings zugleich eine 9"leichheit im Sinne von Identität oder Gleichrangigkeit auszudrücken. Genau diesen Aspekt der Vater-Sohn-Relation versucht aber Origines mit seinem abgestuften Gottesbegriff zu bewahren. Man wird seiner Auslegung also nicht leicht die exegetische Berechtigung absprechen können.!77 Dies gilt umso mehr, als das Johannesevangelium an einer anderen Stelle deutlich zu erkennen gibt, daß es ebenfalls einen gemäßigten Gottesbegriff, wie ihn Origines voraussetzt, kennt und ihn in seiner christologischen Argumentation auch benutzt. Ich meine damit das Streitgespräch zwischen Jesus und den Juden in Joh 10. Als Reaktion auf das christologische Selbstzeugnis Jesu, das in der Aussage Jesu gipfelt "Ich und der Vater sind eins" (10,30), versuchen die Juden, Jesus wegen Gotteslästerung zu töten. Ihr Vorwurf ist, daß er sich selbst zu Gott macht, obwohl er nur ein Mensch ist (10,33). Sie sehen also die christologische Aussage der Einheit von Vater und Sohn als Aufhebung des monotheistischen Dogmas und verstehen die Botschaft von der Einheit von Jesus und Gott als Anspruch darauf, mit Gott identisch oder ein zweiter Gott zu sein. Die Antwort Jesu geht auf dieses Mißverständnis ein und versucht, es aufzulösen. Jesus verweist in V.34 f auf ein Psalmwort, in dem von Göttern die Rede ist: SIeht nicht in euerem Gesetz geschrieben: Ich habe gesagt: Ihr seid Göller? OUK
Ecruv
't't\i
YEYPlXj..I.j..I.EVOV EV vOj..l.CJ,l 'Eyw Er TIIX, 8EO ( EO't'E;
UJ,l.wv ön (Joh 10,34*)
Zitiert wird hier Psalm 82 (LXX 81), wo es heißt:
177
Vgl. U. B. Müller, Die Menschwerdung des Gottessohnes. Frühchristliche Inkarnationsvorstellungen und die Anfänge des Doketismus (SBS 140), Stuttgart 1990,40 f.
150
Ich habe gesagt: Ihr seid Gölter, ihr alle seid Söhne des Höchsten.
EYW er Tfll SEOL EO'E Kill uiol U*LO'OU
Tfav'E~
(LXX Ps 81,6)
Im ursprünglichen biblischen Kontext sind mit den Göttern und Gottessöhnen die Staatsgötter (und die Könige als ihre Statthalter) gemeint, die wegen ihrer Unfähigkeit im Richteramt angeklagt und verworfen werden. mWH als ihr oberster Herr bestraft sie wegen ihres Versagens in. der Aufrechterhaltung der Weltordnung als Recht und Gerechtigkeit. Sie werden depotenziert und müssen sterben wie jeder Mensch. 178 Imjohanneischen Kontext wird die Aussage von V.6 off~nsicht1ich als an Menschen gerichtet verstanden, denn es ist nicht vorstellbar, daß Jesus sich im polytheistischen Sinn als Gott unter Göttern ausweisen will. Joh 10,35 hält fest, daß durch die Aussage des Psalmwortes diejenigen, an die Gottes Wort geht, Götter genannt werden. Da die Schrift als göttliche Autorität nicht aufgegeben werden kann,179 ist in der Sicht von 10,36 mit dem Psalmzitat die Rede VOn Jesus als Sohn Gottes biblisch fundiert. Der Gedankengang des Abschnitts Joh 10,30-36 setzt in seiner internen Logik voraus, daß es von der Schrift selbst legitimiert ist, Menschen Götter zu nennen. Umso mehr, so wird vom Kleineren zum Größeren geschlossen, ist es berechtigt, Jesus, den vom Vater Geheiligten und Gesandten, Sohn Gottes zu nennen. Die Gleichwertigkeit der Bezeichnungen "Gott" und "Sohn Gottes" wird dabei vorausgesetzt. Die Aussage, daß Vater und Sohn eins sind, wird also unter Hinweis auf die biblische Bere·chtigung eines abgestuften Gottesbegriffs, der auch auf Menschen angewendet werden kann, vom Vorwurf der Gotteslästerung entlastet.
178 Vgl. Seybold, Psalmen (s. Anm. 73), 325 f. 179 Die Bezeichnung des Gesetzes als "euer Gesetz" in 10,34 darf in diesem Zusammenhang nicht als distanzierende Abwertung verstanden werden. Es geht viel eher darum, das Gesetz als eine Argumentationsgrundlage zu thematisieren, die "die Juden" zwangsläufig anerkennen müssen. .
."'.
Das bedeutet, daß das Johannesevangelium selbst eine Spitzenaussage seiner Christologie gegen ei~ im monotheistischen Kontext mögliches Mißverständnis durch den Rückgriff auf einen abgestuften Gebrauch des Begriffs 8eoc; verteidigt. An dieser Stelle wird, so denke ich, sehr schön deutlich, daß eben nicht erst Origenes, sondern schon das Johannesevangelium im Kontext einer polytheistischen Kulturwelt steht und wie diese den 8E(Jc;-Begriff mit einer reduzierten Semantik kennt. Der Rückbezug auf einen Psalmtext zeigt, daß man sich beim Gebrauch eines gemäßigten Gottesbegriffs im Kontext der ChristOlogie ganz offensichtlich in der Tradition biblischer Redeweise sah, was freilich keinesfalls· ausschließt, daß man damit de facto vor allem auf Einflüsse der hellenistischen Umwelt reagierte. Hier ist zunächst auf den Bereich der Herrscherideologie zu verweisen. Die Bezeichnung des Herrschers als Gott reicht von den römischen Kaisern, über die hellenistischen Könige .zurück bis in das alte Ägypten, wo der König als n[r n/r, als "sichtbarer Gott" bezeichnet wurde. Die hellenistische Divinisierung 180 des Herrschers hat ihren Ur~prung nicht einmal im ·Kontext der Monarchie. Sie geht formal auf ~ie Ehrendekrete zurück, die die griecl1ischen Poleis des fünften und vierten Jahrhunderts v.Chr. ihren verdienten Bürgern verliehen. 181 Inhaltlich speist sie sich wohl aus dem Kult für Heroen. "In den wesentlichen Zügen stimmen /.../ Heroenkult und göttliche VerehrU17g des lebenden Menschen iiberein".182 Mit dem Aufkommen der neuen Monarchien entwickelte sich die Divinisierung zu 180 eh. Habicht, Gottmenschentum und griechische Städte .(Zetemata 14), München 21970,171-179, legt Wert auf die Feststellung, daß der Beschluß der Gemeinde die Göttlichkeit nicht schafft, sondern sie nur als bestehend anerkennt. Für die antike Binnensicht trifft dies wohl zu. Aus einer religionsgeschichtlichen Außenperspektive betrachtet, handelt es sich freilich unzweifelhaft U111 eine Erhebung zum Gott. 181 Vgl. K. Rosen, Ehrendekrete, Biographie und Geschichtsschreibung. Zum Wandel der griechischen Polis im frühen Hellenismus, Chiron 17 (1987) 277-292. . 182 Habicht, Gottnienschentum (s. Anm. 180),203.
152
einem Instrument der Verhältnisbestimrnung zwischen Stadt und Herrscher. Die Polis regelt ihre Beziehung zum Herrscher so, daß sie ihn zum Wohltäter (EUEPYE1:llC;) erklärt, Um in Anerkennung seiner Leistungen zu göttlichen Ehren erhebt und ihn so zugleich als Schutzherrn weiterhin für sich in Pflicht nimmt. 183 Es handelte. sich dabei um die direkte Verehrung als Gott, also um Opfer, Gebete, Kultprozessionen, um die Errichtung von Altären, Tempeln und Götterbildern. 184 Träger des Kultes war die öffentliche Körperschaft, die die Vergottung aussprach und dem Geehrten so ihre Loyalität zusicherte. Die Göttlichkeit des Herrschers im Rahmen des Wohltäterkonzepts ist keine Frage des persönlichen Glaubens, sondern politische Kommunikation in öffentlicher, kultischer Inszenierung. 185 Die Divinisierung der hellenistischen Herrscher führte dabei Ansätze fort, die sich schon bei Alexander gezeigt hatten. In Ägypten war seit Ptolemaios II. das lebende Herrscherpaar in den Königskult einbezogen. Ptolemaios II. erhob seine toten Eltern unter dem Kulttitel URettergottheiten" zu göttlichen Ehren und schloß diese, sowie sich und seine Frau, also das lebende Königspaar, an den Alexanderkult an. Er wandelte diesen Kult damit von einem Gründerkult in einen kollektiven Dynastiekult um. 186 Der griechische Text des Kanopusdekrets (238 v.Chr.)187 zeigt dann später, daß die Vergöttlichung der gesamten Dynastie einschließlich der lebenden Herrscher zum Verständnis des Königs als "Gott von Gott" 183 Entsprechend konnte der Kult auch wieder aufgekündigt werden, wenn ein Wandel im Verhältnis zum Geehrten dies nahelegte. Vgl. Habicht, Gottmenschentum, 186-192. 184 Zu den konkreten Formen des Kultes vgl. Habicht, a.a.O., 138-159. 185 Vgl. Veyne, Brot und Spiele (s. Anm. 80),464. 186 Vgl. G. Hölbl, Geschichte des Ptolemäerrei,ches. Politik, Ideologie und religiöse Kultur von Alexander dem Großen bis zur römischen Eroberung, Darmstadt 1994, 88. Zum Verhältnis von individuellem und dynastischem Charisma vgl. H.-J. Gehrke, Der siegreiche König. Überlegungen zur hellenistischen Monarchie, AKuG 64 (1982) 247-277: 266-273. 187 Hieroglyphischer und griechischer Text bei SeIhe, Urkunden (5. Anm. 66), 124-154.
153
führt. Ptolemaios IH. ist als Gott Sohn der bruderliebenden Gottheiten Ptolemaios H. und Arsinoe. 188 Was die entsprechende römische Entwicklung angeht, so ist darauf zu verweisen, daß schon Caesar vom Landtag der Provinz Asia als "leibhaftig erschienener Gott" und "Retter des Menschengeschlechts" verherrlicht wurde. 189 Eine Inschrift aus Thessalien (nach 48 v.Chr.) bezeichnet Caesar schlicht als "Gott" (8eoc;).l90 Entsprechende Ehren wurden dann auch Octavian nach dem Sieg über Marcus Antonius und Kleopatra angetragen. Octavian nahm diese Ehrungen nicht nur an; sondern richtete später sogar eigens zum Zweck der Divinisierung Landtage in Westprovinzen ein.l 91 Vermutlich im Jahre 9 v.Chr. wurde in der Provinz Asia ein Beschluß gefaßt, der den Jahresanfang auf den Geburtstag des Kaisers legte. Im entsprechenden Text, der u.a. in der berühmten Inschrift von Priene dokumentiert ist, wird die Geburt des Kaisers als die entscheidende Wende der Weltgeschichte gefeiert, da ''für die Welt der Geburtstag des Gottes den Arifang seiner Frohbotschaften bildete". Der Kaiser wird als Retter, Wohltäter und Gott gepriesen. 192 Die Tendenz zur Vergöttlichung des Herrschers entsprach nicht nur den Interessen der Herrschenden, sondern auch weithin den Erwartungen der Beherrschten. So existierte auch in Rom nach den Leiden des Bürgerkriegs ein enormer, religiös aufgeladener Erwartungsdruck. Viele sehnten sich nach einem neuen Zeitalter des Friedens, das auch den 'kleinen Leuten Glück und Wohlstand bringen sollte. Die Sehnsucht vieler galt - allen republikanischen Traditionen zum Trotz - zugleich einem Alleinherrscher, der dieses
188 Vgl. SeIhe, a.a.O., 126. ]89 Vgl. W. Dahlheim, Geschichte der römischen Kaiserzeit, München 21989,22.
190 Vgl. G. Pfahl (Hg.), Griechische Inschriften als Zeugnisse des privaten und öffentlichen Lebens. Griechtsch-deutsch, München 21980, 64 f.
191 Vgl. D, Kienwlt, Augustus. Prinzeps und Monarch, Darmstadt 21992,203-214.
192 Vgl. J. Leipoldt / W. Grundmann (Hg.), Umwelt des Urchristentums H, Berlin 81991, 105-107; Pfahl, Inschriften (s. Anm. 190), 134 f.
Zeitalter heraufführen sollte. Die Tradition der Republik war in den Augen der Bevölkerungsmehrheit durch die Wirren des Bürgerkriegs diskreditiert und galt als bloßes Instrument zur Sicherung der Privilegien der Adligen. 193 Daß die Sehnsucht nach einem Alleinherrscher auch die Intellektuellen erfaßte, zeigt etwa die berühmte 4. Ekloge der Bucolica von Vergil mit ihrer Hoffnung auf die Geburt eines göttlichen Kindes, das eine neue Heilszeit anbrechen ·lassen wird. 194 Daß der Dichter mit seinen Hoffriungen nicht allein steht, sondern künstlerischer Exponent einer Epoche ist, machen zahlreiche archäologische Zeugnisse deutlich.I 95 In ägyptischen Quellen trägt Augustus wie die Ptolemäer den Titel "Retter und Wohltäter", was z.B. durch die Weihinschrift des Tempels in Philae belegt ist. In Petitionen an den Präfekten wird er als "Gott" bezeichnet. In der Inschrift eines Tempels in Nilopolis findet sich die Bezeichnung "Golt von Gott", was ptolemäische Tradition fortführt. Und auf dem Kalabsha-Tor in Berlin wird Augustus "Kaisaros, Gott, Sohn eines Gottes" genannt,196 Daß der Kaiser
193 VgI. Veyne, Brot und Spiele (s. Anm 80), 611-625. 194 Eine wissenschaftlich orientierte Übersetzung ins Deutsche findet sich bei G. Binder, Lied der Parzen zur Geburt Octavians: Vergils vierte Ekloge, Gymnasium 90 (1983) 102-122: 105.107. Mit Binder kann man in diesem Hirtengedicht ein Werk sehen, das konkret "Vergils Erwartungen gegenüber Octavianus ausdrückt - Hoffmmgen, Wünsche, Mahnungen -, und dies in der für Vergils Hirtendichtung typischen Überlagerung der historisch-realen und einer bukolisch-irrealen Welt." (a.a.O., 122) Seine Deutung der Ekloge als ein auf das Geburtsjahr Octavians rückprojiziertes Lied der Parzen, das im Jahr 40 den Wendepunkt zu einer neuen Ära sieht, aber deutlich später verfaßt wurde, ist einleuchtend. 195 V gl. A. A/földi, Der neue Weltherrscher der vierten Ekloge Vergils, in: G. Binder (Hg.), Saeculum Augustum Ir. Religion und Literatur (WdF 512), Darmstadt 1988,197-215. 196 Vgl. E. Winter, Das Kalabsha-Tor in Berlin, Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 14 (1979) 59-71: 66-70. Das absolute Epitheton "Gott" findet sich nach Angabe von Winter sonst nur bei Ramses Ir. Allerdings wurden im Neuen Reich "damit Namen/iir Statuen des Königs gebildet. denen ein bestimmter Kult galt, bei Augustlls ist die Be-
in Tempelreliefs als Pharao dargestellt und als nlr nfr bezeichnet wird, vervollständigt das Bild einer fastbruchlosen Fortsetzung der ägyptisch-ptolemäischen Sicht von der göttlichen Würde des Herrschers. Augustus hatte damit, bei aller Zurückhaltung in der Hauptstadt selbst, den Weg zu einer Vergöttlichung des lebenden Kaisers geebnet, den seine Nachfolger, wenn auch mit je ~igenen Akzenten, später gegangen sind. Selbst ein so zurückhaltender Herrscher wie Tiberius wird in Inschriften als "erhabener Gott" und "Sohn erhabener Götter", womit wohl Caesar und Augustus gemeint sind, gefeiert. 197 Herrscher, die mehr. an der hellenistischen Herrschaftstradition orientiert waren, konnten in der Betonung ihrer Göttlichkeit noch viel weiter gehen. So ließ sich etwa Domitian auch inder Hauptstadt offiziell Dominus et deus nennen. 198 Diese Anrede entspricht wie gesagt der Tradition der ptolemäischen Könige. Nun ließe sich freilich einwenden, daß pagane Belege nicht ohne weiteres für die Interpretation christlicher Texte herangezogen werden dürfen. Gegen diesen Einwand ist zunächst darauf hinzuweisen, daß auch eine Gruppe, die weltanschaulich oder religiös von der Mehrheitsmeinung abweicht, nie völlig unbeeinflußt vom Ambiente der jeweiligen Universalkultur bleiben kann. Außerdem macht es die Tatsache, daß dhi johanneische Christologie großen Wert auf die Königswürde Jesu 'legt, sehr wahrscheinlich daß das Johannesevangelium an der allgemeinen Königstradition der Antike partizipiert, wenn es diese auch tiefgreifend umformt. Darüber hinaus läßt sich zeigen, daß schon in der biblischen Tradition ein reduzierter Gottesbegriff präsent war, der die Rezeption entsprechender griechisch-römischer Sprachgewohnheiten ent-
zeichnung 'der Gott' zum Appelativum geworden. " (a.a.O., 68). Die Fortschreib\J.Dg entsprechender Titel der Ptolemäer wurde durch die Berufung des Kaisers auf einen göttlichen Vater sicher erleichtert. Vgl. H Beinen, Vorstufen und Anfänge des Herrscherkultes im römischen Ägypten, ANRW 11.18.5 (1995), 3144-3180: 3165. 197 Vgl. Pfohl, Inschriften (s. Anm. 190),68 f. 198 Vgl. Sueton, Domitian 13,2.
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scheidend erleichtert hat. Hier ist zunächst auf das schon erwähnte Königslied Ps 45 (LXX Ps 44) zu verweisen. Obwohl die biblische Theologie sonst den unendlichen Abstand zwischen Gott und dem Menschen betont, wird der König in seinem göttlichen Amt in V.7 und V.8 kühn als "Gott" (elohim I c'j':6~) angesprochen, der von seinem Gott gesalbt wurde. Offensichtlich hat sich die Jerusalemer Hoftheologie durchaus dazu hinreißen lassen, eine Ausdrucksweise zu verwenden, die zu einer Annäherung an die ägyptische Rede vom König als Gott (nLr. nfr) führte.l 99 Ein anderer biblischer Text, der sich einer uneigentlichen Semantik der Gottesbezeichnung bedient, findet sich in Ex 7. Dort spricht JHWH zu Mose: Hiermit mache ich dichfi;r den Pharao zum Gott (elohim I C'~'''~), dein Bruder Am'on soll dein Prophet sein. (Ex 7,1*)
Im Gegenüber zum ägyptischen König mit seinen Göttlichkeitsansprüchen erhält auch Mose von Gott göttliche Würde zugewiesen. Er bekommt sogar, wie dies jeder Gott hat, einen Propheten, der für ihn spricht. Es ist allerdings wohl nicht gemeint, daß Mose damit einfach nur auf die gleiche Stufe wie der Pharao gehoben wird. Vielmehr dürfte die Formulierung "fiir den Pharao" implizieren, daß Mose in dieser Beziehung die Rolle des Gottes einnimmt, während der Pharao, dessen Ansprüche biblisch nicht akzeptiert werden konnten, als .Mensch agiert. Hier wird also ein Gefälle zugunsten des Mose begründet. Als interessant ist festzuhalten, daß die Septuaginta an dieser Stelle den Begriff SEOf; ohne Artikel gebraucht. Angesichts dieser Spuren eines reduzierten Gottesbegriffs in der biblischen Tradition selbst, ist es nun nicht verwunderlich, wenn auch das hellenistische .Judentum einen entsprechenden Sprachgebrauch gepflegt hat. Daß dies tatsächlich der Fall war, war ja oben (s. II.2.) schon an der Charakterisierung Jer Mosegestalt zu sehen,
199 Vgl. HossfeTd / Zenger, Psalmen (s. Anm. 145),282.
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wie sie Philo und andere hellenistisch-jüdische Schriftsteller zeigen. Hier soll nur noch einmal daran erinnert werden, daß Philo im Kontext der Beschreibung des Mose als Partner Gottes und königlicher Erbe des gesamten Kosmos in Mos. 1,158 auch davon spricht, Mose sei "des ganzen Volkes Gott und König". Damit ist natiirlich keine Konkurrenz zum biblischen Schöpfergott gemeint, sondern vielmehr eine subordinierte Göttlichkeit des Mose, die seiner Mittlerstellung zwischen Israel und Gott entspricht. Daß Mose nicht absolut, sondern in bezug auf das Volk als "Gott" bezeichnet wird, ist Ausdruck seiner Heilsfunktion für Israel. Zu erinnern ist auch daran, daß Philo Spekulationen hellenistischer Philosophie Uber den König als Weltlogos und lebendes Gesetz auf Mose überträgt (Mos. 1,162) und ihn damit dem Logos und seiner Funktion annähert. Dem entspricht, daß Philo auch den Logos als Gott bezeichnen kann. Das hängt zweifellos mit dem Abbildcharakter des Logos zusammen. Wenn der Logos als der erstgeborene Sohn Gottes dem Vater gleich ist, dann muß der Logos auch an der Gottheit Gottes teilhaben. Andernfalls würde er seine Mittlerfunktion zwischen Gott und dem Kosmos, zwischen Gott und dem Menschen nicht erfüllen können. Mittler kann der Logos nur sein, wenn in ihm die Göttlichkeit Gottes präsent ist. Freilich verlangt diese Mittlerfunktion auch, daß der Logos nicht einfach mit Gott identisch ist. Wären Logos und Gott einer, dann würde der Logos in Gott aufgehen und wäre schlechthin transzendent. Die Mittlerstellung des Logos verlangt also nach einer abgestuften Göttlichkeit des Logos. Auch kann nur eine solche Abstufung verhindern, daß der Logos in Konkurrenz zum eigentlichen und wahren Gott gerät, womit ein eklatanter Widerspruch zur monotheistischen Tradition des Judentums gegeben wäre. Und in der Tat versucht Philo, eine Terminologie zu entwickeln, die einerseits die Göttlichkeit des Logos so betont, daß seine Nähe zu Gott adäquat ausgedrückt wird, andererseits aber auch eine Abstufung zur Göttlichkeit Gottes gegeben ist. Zu dieser Terminologie gehören die oben schon erwähnten Bezeichnungen wie Sohn,
Erzengel, Hoherpriester u.ä., aber eben auch der Tenninus Gott (SE
Dabei ist die Formulierung "am Ort Gottes" im Septuagintatext eine etymQlogische Wiedergabe des hebräischen Bel-EI, was Philo aber nicht wahrnim!llt. Für ihn entsteht vom griechischen Text her die Frage, ob hier etwa von zwei Göttern die Rede ist. Wäre nämlich nur von einem die Rede, dann könnte es ja heißen "~m meinem Ort". Philo schreibt dazu: Der wahrhafte Gott ist nur einer. Die aber, von denen man in zmeigentlicher Redeweise 'spricht, sind mehrere. Deshalb hat auch die Heilige Schriß an der vorliegenden Stelle den in Wahrheit (existierenden Gott) durch den Artikel bezeichnet, indem sie sagt: "Ich bin der Gott" (~yw Elf.LL 0 SEOe;). Den in zmeigentlichem Sprachgebrauch aber (bezeichnet sie) ohne Artikel mit den Worten "der dir erschienen ist an dem Ort", nicht "des Gottes" ('taU SEOÜ), sondern nur "Gottes" (SEOU). (somn. 1,229)
Philo muß sich dann natürlich auch die Frage steUen, wen die Schrift mit jenem artikeUos, also in uneigentlicher Rede~ bezeichneten Gott meine. Und er gibt zur Antwort, die Schrift spreche hier vom ältesten Logos Gottes (somn. 1,230). Jener ist es, der als Abbild Gottes den Seelen erscheint, die noch nicht fähig sind, den Anblick des wahren Gottes zu ertragen. Dieser kann Gott genannt werden, weil er in der Beziehung zu den Menschen als Abbild Gottes den wahren Gott vertritt und von den Seelen so wahrgenommen wird, als sei er dieser Gott selbst (somn. 1,239). Im übrigen ist sich Philo darüber im klaren, daß die so begründete Redeweise im Kontext polytheistischer Religion durchaus mißverständlich bleibt. Er gibt dies zu erkennen, wenn er in somn. 1,230 sagt, die Schrift benutze diesen Sprachgebrauch, "ohne sich abergläubisch mit dem Gebrauch von Wörtern in acht zu nehmen", und
lO:;Q
bemühe sich einzig, den Sachverhalt adäquat auszudrücken. Daraus ist zu schließen, daß sich Philo durchaus bewußt war, daß er sich mit dem uneigentlichen Gebrauch des Gottesattributs dem Sprachgebrauch seiner polytheistischen Umwelt annäherte. Es ist also festzuhalten, daß es auf der Basis entsprechender biblischer Tradition und unter dem Einfluß paganer Königstradition im hellenistischen Judentum zur Entwicklung einer Mosekonzeptioll "kam, die diesen in seiner königlichen Würde auch Gott nennen konnte. In Abgrenzung zur Herrscherideologie del~ Umwelt sollte damit die zentrale soteriologische Rolle des Mose ausgesagt werangenähert, welcher den. In dieser Rolle wurde Mose dem Logos -. ebenfalls als Gott bezeichnet werden konnte. In Unterscheidung zu dem einen, wahren Gott, wird der Logos bei Philo aber nur artikellos "Gott" genannt. Wenn man nun die Überlegungen Philos in Beziehung zum johallneischen Prolog setzt, so kann man sagen: Der Sprachgebrauch, der im j.ohanneischen Text praktiziert wird, wird von Philo theoretisch geklärt. Die philonischen Überlegungen bilden für diesen einen passenden kulturellen Wissenshintergrund. Macht man sich klar, wie eng die. johanneische Logoschristologie mit der. Logosspekulation der hellenistisch-jüdischen Weisheitstbeologie zusammenhängt, so erscheint es geradezu als unabweisbar, die philonische Unterscheidung von 9EOt; mit oder ohne Artikel als Erklärun.g für den johanneischen Sprachgebrauch zu verstehen. So sieht es auch Jürgen BECKER in seinem Johanneskommentar. 2oo Er betont allerdings vor allem die daraus resultierende Differenz zwischen Logos und Gott. Demgegenüber bliebe festzuhalten, daß die Gottesprädikation ja gerade die größtmögliche Nähe und Einheit bei bleibender personaler Verschiedenheit aussagen' will. Das· kommt in der Auslegung von Ernst HAENCHEN besser zum Ausdruck, der feststellt, die Differenz des Logos zu Gott und die Unterordnung des Sohnes unter den Vater werde "hier nur angedeutet. weil gerade das Miteinander betont werden soll".201 Die Aussagein./'
200 Becke,., Johannes I (s. An1l1. 86), 72. 201 Haenchen, Johannesevangelium (s. An1l1. 1), 116.
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tention des Logosliedes ist ja gerade nicht, die Subordination des Logos unter Gott zu betonen, sondern die unvergleichliche Würde und Wichtigkeit des Logos hervorzuheben. Die Verschiedenheit von Gott wird festgehalten, aber sie steht nicht im Zentrum des Interesses. Bevor wir zum Ausgangspunkt, dem Bekenntnis des Thomas vor dem Auferstandenen, zurückkehren, kann also festgehalten werden, daß die von Origenes vorgelegte Deutung von Joh 1,1 durchaus ihre Berechtigung hat. Sie steht offensichtlich in einer hellenistisch-jüdischen Tradition, in der auch Philo und das Johannesevangelium beheimatet sind. Alle drei versuchten, der biblisch-jüdischen Tradition des Monotheismus treu zu bleiben und zugleich über den Logos das Höchste und Würdigste zu sagen, weil nur dieses seiner kosmologischen und soteriologischen Bedeutung gerecht werden konnte. Da es schließlich darum ging, deutlich zu machen, daß der Mensch sein Heil nur durch den Logos finden kann, erschien das geoc;;-Attribut keinesfalls überzogen, sondern gerade angemessen. Dies galt umso mehr,. als in der Umwelt ein Sprachgebrauch gängig war, der die Gottesbezeichnung auch Menschen zulegen konnte, um ihre Heilsbedeutung für ihre Mitmenschen deutlich zu machen. Dies galt besonders für Könige und Kaiser, deren Herrschaft nach antikem Verständnis immer auch religiöse Relevanz hatte, weil Macht als die eigentliche Umschreibung des Göttlichen galt und das Ausüben von Herrschaft insofern immer ein göttliches Handeln war, das für die Beherrschten Heilsbedeutung hatte. Kehren wir nun aber zurück zum Thomasbekenntnis. Auf den ersten Blick trägt die Auslegung von Joh J,1, die wir vor dem Hintergrund antiker Herrscherideologie und hellenistisch-jüdischer Logosspekulation entwickelt haben, für Joh 20,28 wenig aus, denn das Bekenntnis des Thomas formuliert gerade nicht artikellos, sondern bezeichnet J esus als 0 8eoc;; ~OU, was sich, wenn man im Deutschen den Artikel bewahren will, nur sehr ungelenk als "der Gott von mir" wiedergeben läßt. Wird also in Joh 20 der biblische Monotheisnll.J.s doch zugunsten der Christologie aufgegeben? Gerät hier etwa doch das christologische Bekenntnis in Kon-
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kurrenz zur Einzigkeit Gottes? Um diese Fragen beantworten zu können, sind vor allem zwei Beobachtungen relevant. • Zum einen ist festzuhalten, daß es sich nicht um eine Aussage des Erzählers handelt, sondern um das Bekenntnis eines Jüngers, also um die Aussage einer erzählten Figur. Selbst wenn nicht anzunehmen ist, daß der Jünger hier etwas formuliert, was der Intention des impliziten Autors widerspricht, sind solche Aussagen doch immer an die sprechende Person gebunden. Deshalb haftet ihnen immer etwas Subjektives an. • Zum anderen ist die Formulierung genau zu beachten. Thomas tituliert den Auferstandenen nicht einfach als 6 Seoe;, sondern als 6 aHle; !l0u. Die subjektive Perspektive, die erzählte chnisch festzustellen ist, bestätigt sich in dieser Formulierung. Es geht nicht darum, den auferstandenen Jesus zum Gott schlechthin zu machen. Thomas bekennt ihn vielmehr als seinen Herrn und seinen Gott, wie Rudolf SCHNACKENBURG zutreffend betonte. 202 Thomas spricht den Auferstandenen also genau in der Rolle an, in der Philo Mose in bezug auf das Volk sieht. Wie Mose Gott flir Israel ist, so ist Jesus Gott flir Thomas (und alle Glaubenden). Als soteriologische Aussage thematisiert das Seoc;-Bekenntnis eine Relation. Es spricht nicht nur die Würde des Erlösers aus, sondern sagt zugleich, wen der Erlöser erlöst. Was nun den weiteren Inhalt des Thomasbekenntnisses angeht, so hat Georg RICHTER unter Hinweis auf die im Evangelium gebräuchliche Anrede "Herr" (KupLe) für den irdischen Jesus die These vertreten, das .Bekenntnis zu Jesus als Kyrios betone das wahre Menschsein Jesu, so daß sich insgesamt eine antidoketisch zugespitzte Aussage über Jesus als Gott und Mensch ergebe. 203 Das ist aber unwahrscheinlich, weil der titulare Gebrauch mit Artikel sich von der einfachen Anrede doch deutlich unterscheidet.
VgI. R. Schnackenbllrg, Das Johannesevangelium III (HThK.NT IV.3), Freiburg 41982, 397. 203 Vgl. G. Richter, Studien zum Johannesevangelium, hg. v. J. Hainz (BU 13), Regensburg 1977, 180 f. 202
lR?
Ganz gegen jede antidoketische Tendenz drückt der titulare Gebrauch im Neuen Testament (vor allem bei Paulus) die göttliche Würde des Auferstandenen aus)04 Häufig wird im Neuen Testament der Kyriostitel auch als Gottesbezeichnung ve,rwendet. Daß dies auch für das Johannesevangelium zutrifft (Joh 1,23; (5,4); 12,13.38), ist ein weiteres Indiz gegen RiCHTERS These. Was den pag~nen Sprachgebrauch ,angeht, so ist Kyrios ebenfalls als Gottesbezeichnung belegt. Und in der Herrscherideologie thematisiert der Kyriostitel die göttliche Würde des Herrschers. Hier ist noch einmal auf die Anrede Domitians als Dominus et deus zu verweisen. Sicher wird man nicht unterstellen dürfen, das Johannesevangelium wolle direkt gegen die Vergöttlichung des Kaiser~ polemisieren. 205 Eine solche Intention scheidet schon deshalb aus, weil das Königtum, das Jesus als Logos zukommt, über alle irdische Herrschaft unendlich erhaben ist. Allerdings darf die Herrscherideologie als Kontext des Johannesevangeliums auch nicht völlig außer acht gelassen werden. Sie bestimmte das Leben der Menschen im römischen Reich auf vielfaltige Weise und gab den Inhalt dessen vor, was antike Menschen mit dem Begriff "König" assoziierten. Zwar transformiert die johanneische Christologie die antiken Herrschervorstellungen ganz entscheidend, aber diese Transformation setzt erst einmal den üblichen Bestand kulturellen Wissens als Kommunikationshorizont voraus. Erst vor diesem Horizont werden die wichtigen Veränderungen für die Lesenden in aller Deutlichkeit wahrnehmbar. Unter Berücksichtigung der Indizien aus dem neutestamentlichen Bereich - und ohne die Bezugnahme auf die römische Herrscherideologie zu überziehen - kann jedenfalls für Joh 20,28 geschlossen werden, daß "Herr" und "Gott" das gleiche bezeichnen. Beide Titel thematisieren die göttliche Würde Jesu. 206
204 Vgl. zum folgenden .1. A, Fitzmyer,
KUPLO<;, OU, 0, kyrios, Besitzer, Herr, EWNT2 2 (1992), 811-820; W. Fallth, Kyrios, KP 3 (1979), 413-417. 205 Vgl. Schnackenbllrg, Johannesevangelium III (5. Anm. 202), 397. 206 Vg\.. Wilckens, Johannes (5. Anm. 22), 315 f.
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Der Glaube, den Thomas mit seinem Bekenntnis bezeugt, wird vom Kontext in zwei Perspektiven inhaltlich näher bestimmt. Da ist einmal die vorausgehende Erzählung, die deutlich macht, daß der Auferstandene init dem Gekreuzigten identisch ist. Erst nachdem diese Identität durch den drastischen Hinweis auf die Wundmale geklärt ist, kann Thomas Jesus als seinen Herrn und Gott bekennen. Wie oben schon ausgeführt vollendet sich Jesu Königtum ja im Kreuzestod. Am Kreuz findet die Erhöhung des Sohnes statt. Deswegen ist die Identifizierung des Auferstandenen mit dem Ge"' kreuzigten die Voraussetzwlg für den Glauben des Thomas. Fortgeführt wird der Text durch den Hinweis auf den Glauben der kommenden Generationen, die nicht das Privileg des Thomas genießen und ohne Sehen glauben müssen (Joh 20,29). Dieser Perspektive auf die Nachgeborenen entspricht die unmittelbar anschließe~de expli~ite Thematisierung der Erzählintention in Joh 20,31. Die Späteren können nicht mehr direkt sehen, aber sie haben das Zeugnis der Evangelienschrift. Diese soll sie zum Glauben .führen. Inhaltlich wird dei' angezielte Glaube. bestimmt als lebenspendender Glaube an Jesus als Messias und Gottessohn. Dies aber ist geschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Christus ist. der Sohn Gottes, und damit ihr glaubend das Leben habt in seinem Namen. (Joh 20,31)
Im Kontext dieser Formulierung der Textintention ist das Bekenntnis ·des Thomas als eine zugespitzte Formulierung der johanneischen Königschristologie zu versteheri.Die Würde des Auferstandenen als Gott ist von der Würde Jesu als Messias und Gottessohn her auszulegen. Als menschgewordener Logos ist Jesus Messiaskönig und Sohn Gottes. Dabei ist mit SCHNACKENBURG festzuhalten: Der "Ev.angelist denkt noch nicht von der Zwei-Naturen-Lehre - her, sondern bindet das Gott-Sein Je,su an die offenbarende und erlösende Funktion des Sohnes".207 Die soteriologische Funktion be-
stimmt also das Verständnis der Titel: Weil Thomas den auferstandenen Jesus als den erkannt hat, der ihm Heil spendet, kann er 207 Schnackenburg, Johannesevangelium III (s. Anm. 202), 397.
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ihn als seinen Herrn und seinen Gott bekennen. Diese Formulierung muß eine persönliche bleiben, wie der Glaube, um den es geht, immer ein persönlicher sein muß. Zugleich ist allerdings festzuhalten, daß das Bekenntnis des Thomas sich auch nicht in reiner Subjektivität erschöpft. Es wird nämlich durch die Seligpreisung in Joh 20,29 auf den Glauben der zukünftigen Generationen hin geöffnet. Die Formulierung der Gottheit Jesu in .loh 20,28 widerspricht also nicht der in .loh 1,1. Hier wie dort geht es darum, über den Erlöser, der als Sohn Ebenbild des Vaters ist, das Höchste und Würdigste zu sagen, weil nur dies seiner unvergleichlichen Nähe zu Gott entspricht. Gleichzeitig wird eine Konkurrenz zur monotheistischen Tradition vermieden, in 1,1 durch den artikellosen Gebrauch der Gottesprädikation, in 20,28 durch die Bindung an die soteriologische Funktion Jesu als Christus und Gottessohn. Auf diese Weise kann Jesus als Herr und als Gott bezeichnet werden, ohne daß die Einzigkeit Göttes tangiert würde. Deshalb ist es auch kein Widerspruch, wenn der johanneische Jesus betont, daß der Vater größer ist als er (.loh 14,28), wenn dieser Vater in .loh 17,3 vom Sohn als der einzig wahre Gott angesprochen wird und gleichzeitig die Einheit von Sohn und Vater betont wird (Joh 10,30). B_ekanntlich hat das Problem des Verhältnisses zwischen Einheit und Verschiedenheit von Vater und Sohn in der Folge der Dogmengeschichte eine große produktive Kraft ausgeübt, die dann erst mit der trinitätstheologischen Unterscheidung von Person und Wesen zur Ruhe gekommen ist. Diese Lösung lag für das Johannesevangelium noch außerhalb der begrifflichen Reichweite. Es war auf die Begriffe und Denkmuster seiner Zeit angewiesen, um Einheit und Verschiedenheit von Sohn und Vater einander zuzuordnen. Hierbei spielten antike Vaterkonzepte, Königstradition und hellenistisch-jüdische Logosspekulation eine entscheidende Rolle. Die dort entwickelten Vorgaben mußten vorerst ausreichen, um den Sohn als Vergegenwärtigung des Vaters zu beschreiben und damit den Glauben an das ihnl gesetzte Ziel zu bringen, nämlich das ewige Leben darin zu finden, den einzigen und wahren· Gott zu erkennen und Jesus Christus, den er gesandt hat (17,3).
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