Nr. 288
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Nr. 288
König der Deserteure Sie gelten als Überlebende einer Schlacht - Atlan und Fartuloon in der Maske von Toten von Peter Terrid
Auseinandersetzungen im Innern und Kämpfe gegen äußere Feinde – sie bestimmen gegenwärtig das Geschehen im Großen Imperium der Arkoniden. Während die imperialen Flottenverbände gegen die mächtigen Methans im schweren Ringen begriffen sind, gärt es auf vielen Welten des Imperiums. Schuld daran ist einzig und allein Orbanaschol, der Brudermörder und Usurpator, der in seiner Verblendung und Korruptheit einen politisch völlig falschen Weg beschritten hat. Die Tage Orbanaschols scheinen gezählt, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, wann die Gegenkräfte im Imperium stark genug sind, den Usurpator vom Thron zu stoßen. Kristallprinz Atlan, der eigentliche Thronfolger, und seine verschworenen Gefährten, die Orbanaschol bisher schwer zu schaffen machten, sind augenblicklich allerdings nicht in der Lage, gezielt einzugreifen. Kraumon, ihre geheime Stützpunktwelt, wurde von den Methans zerstört. Atlan ist sich über das Schicksal seiner rund 15.000 Kampfgefährten auf Kraumon im unklaren. Er weiß nur, daß seine Gesinnungsgenossen der Vernichtung entgehen konnten. Nach dem unfreiwilligen Besuch auf dem Schwarzplaneten kommt der Kristallprinz erneut in Schwierigkeiten. Auf dem Weg nach Arkon gerät er an den KÖNIG DER DESERTEURE …
König der Deserteure
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan und Fartuloon - Der Kristallprinz und sein Lehrmeister in der Maske von Raumsoldaten. Zergan und Kastyr - Zwei kampferprobte Angehörige der Arkon-Flotte. Pysther - Ein verrückter Roboter. Hurtheyn - Eine zwielichtige Persönlichkeit. Kester Hehl - Er nennt sich »König der Deserteure«.
1. Zum dritten Mal überprüfte ich mein Aussehen. Die Biomolplastmaske saß und würde halten, sie konnte uns nicht verraten. Ich warf einen prüfenden Blick auf Fartuloon. Auch bei ihm hatte unser Maskenbildner hervorragende Arbeit geleistet. Zwar hatten sie aus dem dicklichen Bauchaufschneider keinen schlanken Mann machen können, aber ich war sicher, daß selbst gute Freunde geraume Zeit brauchen würden, bis sie uns in dieser Verkleidung wiedererkennen würden. »Fertig, Sohn?« Ich nickte. Wir waren fertig, der Einsatz war abgesprochen. Ein Beiboot, das kleinste der CRYSALGIRA, brachte uns zu dem Wrack hinüber. Vor wenigen Tagen noch war die DEWAC ein stolzes Schiff gewesen, hochmodern und kampfkräftig. Jetzt trieb die Hülle steuerlos durch das All. In der Bordwand aus Arkonstahl klafften riesige Löcher, eines davon hatte den Namenszug DEWAC halbiert. Von der Besatzung der DEWAC lebte niemand mehr, wir hatten uns davon überzeugt. Zwei der Toten allerdings wurden jetzt zu neuem Leben erweckt. Ein gewisser Lothor und ein gewisser Premcest hatten angeblich den Totalverlust der DEWAC überlebt. Ich sollte Lothor verkörpern, Fartuloon hatte sich den Namen Premcest zugelegt. Es hatte diese beiden Männer gegeben, ihre Unterlagen waren einwandfrei. Von der Positronik an Bord der DEWAC war genug übriggeblieben, um ein Logbuch rekonstruieren zu können. Daher wußten wir genau, daß Lothor und Premcest zur Besatzung der DEWAC gehört hatten.
Die beiden Männer trieben durch den Raum und drifteten auf die Sonne zu. Ein gewaltiges Grab für zwei tapfere Männer. Aus Indizien hatten wir rekonstruiert, daß sie bis zum letzten Augenblick gegen die Maahkschiffe gekämpft hatten. Lothor war von einem herumfliegenden Trümmerstück durchbohrt worden, Premcest war an explosiver Dekompression gestorben. Die Leichen hatten fürchterlich ausgesehen. Es waren nicht die ersten Toten des grauenvollen Methankrieges – und es würden auch nicht die letzten sein. Wir kamen der DEWAC näher. Die Hülle sah aus, als habe ein Gigant damit gespielt. Beulen und Einbuchtungen waren zu sehen, eine Schleuse stand offen. Im Hangar lag ein völlig zertrümmertes Beiboot. Darin lagen noch immer zehn Männer. Wir hatten nur Lothor und Premcest bestattet und dem Raum übergeben. Die anderen Toten lagen noch immer in den Trümmern des Wracks und warteten darauf, daß andere Einheiten der Arkon-Flotte kamen, um ihnen die letzte Ehre zu erweisen. »Mehr nach links«, sagte Fartuloon leise. Der Pilot nickte. »Diese Schleuse ist zu zerstört. Nehmen sie den Einschuß dort drüben!« Die Öffnung war groß genug, um zwei Beiboote durchzulassen. Unser Pilot steuerte das Boot behutsam näher. »Zeit zum Aussteigen!« murmelte Fartuloon. Das Beiboot war eng, es war schwierig, die kleine Mannschleuse zu erreichen. Die raumfesten Anzüge hatten wir bereits an Bord der CRYSALGIRA angelegt. Pumpen saugten den Sauerstoff aus der Schleuse, dann öffnete sich das kleine Schott. Letzte Reste der Atemluft verwehten, die Stille des absoluten Vakuums umfing uns. »Sprechprobe!« Fartuloons Stimme war in meinen Kopf-
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Peter Terrid
hörern klar und deutlich zu verstehen. »Ich höre dich, Fartuloon.« »Premcest«, erinnerte mich der Bauchaufschneider. »Ich steige als erster aus.« Gegen den Hintergrund des Weltalls war die DEWAC kaum zu erkennen. Der Pilot des Beiboots mußte uns mit einem Scheinwerfer den Weg weisen. Nacheinander schwebten wir zu dem Wrack hinüber. »Wir sind am Ziel«, gab ich durch, als ich das Wrack erreicht hatte. »Viel Glück beim Rückflug!« »Ich wünsche das gleiche«, sagte der Pilot. Ich sah, wie die kleinen Flammen der Korrekturdüsen aus den Öffnungen wehten. Das Boot wendete und jagte dann zurück zur CRYSALGIRA. Die Besatzung der CRYSALGIRA hatte ebenfalls ein präzises Ziel. Sie sollte den Raumbezirk um Kraumon verlassen und wieder Sorkoth ansteuern. Dort sollte das Schiff einige Tage in Wartestellung verbringen. Danach war vorgesehen, daß die CRYSALGIRA eine Stützpunktwelt des Großen Imperiums anflog und dort Getray von Helonk absetzte. Die Frau sollte versuchen, sich nach Arkon durchzuschlagen. Es würde uns sicherlich nützen, wenn eine Frau von Getrays Format im Zentrum von Orbanaschols Macht für uns arbeitete. Dann konnten wir den Hebel sozusagen von zwei Seiten aus ansetzen, von außen und von innen. Der Abflug der CRYSALGIRA schnitt unsere letzten Rückzugsmöglichkeiten ab. Wenn wir uns verkalkuliert hatten, war uns der Tod sicher.
* Ein leises Frösteln überkam mich, obwohl der Raumanzug klimatisiert war. Es hatte etwas Gespenstisches an sich, durch ein Totenschiff zu treiben. Die Antigravanlagen waren ausgefallen, keine Maschine arbeitete mehr. Es war totenstill, kein Leuchtkörper funktionierte noch. Wir bewegten uns durch ein alptraumhaftes Labyrinth aus Schwärze, Schwerelosigkeit und weltraumkaltem Stahl.
Und immer wieder stießen wir auf Tote. Männer, die erstickt waren, als die Atemluft explosionsartig in den Weltraum entwichen war. Männer die bei einem Treffer aus den Sitzen gerissen worden waren und sich das Genick gebrochen hatten. Es gab viele Möglichkeiten, an Bord eines kämpfenden Raumschiffes zu sterben. Ich flog voran. Unser Ziel war, einen noch nicht zerstörten Raum im Innern des Schiffes zu finden, der uns als Unterschlupf dienen konnte. Wir sollten diesen Raum, wenn möglich, wieder mit Sauerstoff füllen, damit wir nicht ununterbrochen in den Anzügen leben mußten. Unsere Experten hatten bei einem raschen Vorstoß festgestellt, daß einige Atemlufttanks der DEWAC noch unbeschäftigt waren. Wenn es uns gelang, unseren Unterschlupf aus diesen Tanks zu versorgen, konnten wir einige Wochen überleben. Nahrungsmittel gab es für uns in unbegrenzter Menge, aber begrenzter Qualität. Wasser stand ebenfalls zur Verfügung. Wenn es ein Problem geben sollte, dann nur mit dem Sauerstoff. Etwas bewegte sich vor mir. Ich schrie erschrocken auf, dann sah ich Fartuloons Waffe aufblitzen. Der Robot verging in einer lautlosen Explosion. Es war eine jener Maschinen, die eine eigene Energieversorgung besaßen. Wahrscheinlich trieben sich noch Dutzende solcher Robots in den verlassenen Gängen und Räumen der DEWAC herum. »Wir müssen ein wenig aufpassen«, knurrte Fartuloon. Er behielt seine Waffe vorsichtshalber in der Hand. Wenn mich mein Orientierungssinn nicht trog, hatten wir den Bereich der DEWAC erreicht, der den Offizieren des Schiffes als Wohnraum diente. Die sorgsam abgestufte Rangordnung innerhalb der Arkonflotte brachte es mit sich, daß Offiziere wesentlich bequemer untergebracht waren als Mannschaftsdienstgrade. Dieser Bereich des Schiffes war nicht beschädigt. Fartuloon brummte zufrieden. Während ich die Räume inspizierte, machte
König der Deserteure er sich an die Arbeit, diesen Bereich des Schiffes vakuumfest abzuschotten. Die Schottsicherung hatte während der Raumschlacht versagt, nur so war auch der große Verlust an Menschenleben zu erklären. Eine Viertelstunde verging, dann kehrte Fartuloon zurück. »Alles in Ordnung«, berichtete er. »Dieser Bereich ist abgeschottet, und die Sauerstoffverbindung ist intakt.« Wir hielten uns in den Räumen auf, die dem Kommandanten zugewiesen worden waren. Es war üblich, daß wichtige Kontrollinstrumente in mehrfacher Ausführung verwendet wurden, desgleichen bestimmte Regler. Der Alarmknopf beispielsweise, der vor dem Sitz des Piloten in der Zentrale angebracht war, hatte ein Gegenstück in der Ortungszentrale und eines in der Kabine des Kommandanten. Das gleiche galt für die Notaggregate. Wenn die Verbindungen noch intakt waren, mußten wir bald in der Lage sein, die unbequemen Anzüge ablegen zu können. Ich sah auf das Mehrzweckgerät an meinem linken Handgelenk. Die Sauerstoffkonzentration stieg beständig an. Als die Atemluft die nötige Dichte erreicht hatte, öffnete ich den Helm. Ich atmete tief ein. Die Luft war schneidend kalt, aber sehr erfrischend. Rasch legten wir unsere Anzüge ab. Die künstliche Schwerkraft hatten wir nicht reaktivieren können, also mußten wir uns in den Räumen freischwebend bewegen. Fartuloon bastelte an den Schaltern herum, und wenig später flammte auch die Beleuchtung wieder auf. Rasch sah ich mich um. Der Kommandant der DEWAC – der frühere Kommandant, verbesserte ich mich; wir hatten seine Leiche in der völlig zerstörten Zentrale gefunden – war ein Mann, der sich von anderen Offizieren beträchtlich unterschied. Auf die Prachtentfaltung und den Luxus, der für viele Kommandanten typisch war, hatte er vollkommen verzichtet. Auf einem Tablett, das langsam durch den Raum trieb, sah ich die Reste der letzten Mahlzeit. Der Kommandant hatte Konzentratwürfel
5 verzehrt, wie jeder normale Raumsoldat an Bord seines Schiffes. Fartuloon sah auf seine Uhr. »Jetzt bleibt uns nur noch eines übrig«, sagte er. Ich wußte, was er meinte. Uns stand ein Kampf bevor, gegen den bösartigsten Gegner, den ich kannte – die Langeweile.
* Wir warteten auf den Flottentender, der das Wrack der DEWAC abschleppen sollte, wenn möglich sofort nach Arkon III. Dort gab es die größten und leistungsstärksten Werften und Docks der bekannten Galaxis. Nachdem unser Aufenthalt beim Treffpunkt Sorkoth ohne Ergebnis geblieben war, waren wir nach Kraumon zurückgekehrt und hatten rein zufällig festgestellt, daß arkonidische Flottentender damit beschäftigt waren, die im Raum treibenden Wracks zu bergen. Auf diese Entdeckung stützte sich unser Plan. Er war verwegen, vielleicht sogar waghalsig, aber nach dem Verlust Kraumons war ich zu jedem Risiko bereit gewesen. Kraumon vernichtet, die Arbeit langer Jahre in wenigen Stunden zerstört! Dazu kam die Ungewißheit über das Schicksal unserer Freunde. Auf dem zerstörten Planeten Kraumon hatten wir nur die Nachricht einer Robotsonde gefunden. In knappen Worten war uns geschildert worden, was sich ereignet hatte. Wir sollten den Treffpunkt Sorkoth anfliegen, dort würden unsere Freunde auf uns warten. Aber dort hatten wir niemanden gefunden. Mich quälte die Angst, daß die Sonde vielleicht zu früh programmiert worden war. Es war denkbar, daß meine Freunde noch während ihrer übereilten Flucht von einem arkonidischen Geschwader entdeckt und vernichtet worden waren. Vielleicht waren sie auch den Maahks in die Hände gefallen. Das Warten an Bord des Wracks machte die Sache für mich nicht einfacher. Die quälenden Gedanken fanden Zeit, sich breitzu-
6 machen. Kraumon war verloren, unser wertvollster Stützpunkt. Mußte ich jetzt ganz von vorne beginnen? Und wenn ich es tat, würde ich wieder Freunde finden? Daß sich nach jedem kleinen Erfolg zahlreiche Sympathisanten fanden, war nicht verwunderlich, aber wie mußte es sich auswirken, wenn bekannt wurde, daß Kraumon verloren war? Während ich trübsinnigen Gedanken nachhing, hatte sich Fartuloon mit den Instrumenten der DEWAC beschäftigt. Er knurrte zufrieden, als ein Bildschirm aufflammte und die Umgebung der DEWAC zeigte. Deutlich waren die anderen Wracks zu erkennen, auch die zerschossenen Maahkschiffe, die ebenfalls im Raum um Kraumon trieben. Um sie würde sich niemand kümmern, höchstens der Nachrichtendienst. Aber es war nicht zu erwarten, daß sich an Bord der Maahkschiffe Unterlagen finden ließen, die dem Imperium nützlich sein konnten. »Aha«, machte Fartuloon. Von einer Sekunde zur anderen war ein neues Schiff aufgetaucht, der Form nach unverkennbar ein Bergungsschiff. Fartuloon grinste zufrieden. »Wir werden abgeholt«, verkündete er fröhlich. Unser Plan schien aufzugehen. »Achtung, die Atemluft wird knapp!« Der Impuls des Extrahirns war von schmerzhafter Stärke. Sofort griff ich nach dem Kombigerät. Wie nicht anders zu erwarten war, war die Warnung durchaus berechtigt. Langsam aber stetig nahm der Sauerstoffanteil der Luft ab. »Wir müssen wieder die Anzüge anziehen«, informierte ich Fartuloon. Wie nötig diese Maßnahme war, machte sich schon bald bemerkbar. Ich hatte den Anzug noch nicht ganz übergestreift, da spürte ich schon die ersten Anzeichen eines Sauerstoffrauschs. Ich fühlte mich plötzlich ungemein fröhlich, kannte keine Angst mehr und bekam eine gefährliche Lust, mit dem Helm zu spielen. Nur die drängenden Impulse des
Peter Terrid Extrahirns hinderten mich daran, zum Narren zu werden, der übergeschnappt kichernd langsam erstickte. Die Helmverschlüsse rasteten ein, aus den Sauerstofftanks kam Atemluft in ausreichender Dichte. Langsam klärten sich meine Sinne wieder. Ich sah, daß auch Fartuloon seinen Anzug wieder übergestreift hatte. Auf meinem Kombigerät sank die Anzeige immer tiefer, der Sauerstoffgehalt der Luft verminderte sich erschreckend schnell. »Ich fürchte«, sagte Fartuloon grimmig, »wir haben uns verrechnet. Die Leitungen zwischen den Sauerstofftanks und diesen Räumen sind offenbar doch defekt.« Damit hatten wir rechnen müssen. Immerhin reichte der Luftvorrat in unseren Flaschen für mehrere Stunden. Bis dahin waren wir längst in Sicherheit. Auf dem Bildschirm konnte ich sehen, wie sich der Tender der DEWAC näherte. Fartuloon grinste hinter der Scheibe seines Helms. Die Anzeige des Sauerstofftasters sank auf Null, also war sämtliche Atemluft in das Vakuum entwichen. »Die Schotts sind dicht«, informierte mich der Logiksektor. »Die Zuleitungen sind defekt!« Irgendwo in den kilometerlangen Leitungssträngen, die das ganze Schiff durchzogen, gab es ein Leck, durch den der Sauerstoff ins Freie entwichen war. Die Lecks, die durch Trefferwirkung aufgetreten waren, wurden normalerweise von einer Automatik festgestellt und abgesichert. Wir hatten durch unsere Manipulationen diese Sicherung aufgehoben, jedenfalls für den Teil des Leitungssystems, der die Kommandantenkabine mit den Tanks verband. Jetzt war es für Gegenmaßnahmen zu spät. Der Sauerstoff hatte sich ins Vakuum verflüchtigt. Gespannt wartete ich auf die Erschütterung, die uns anzeigen würde, daß der Tender an der DEWAC festgemacht hatte. Längst war das Schiff aus unserem Blickfeld verschwunden. Ich sah, wie Fartuloon sich verfärbte. Leidenschaftslos teilte der Logiksektor mit:
König der Deserteure »Der Tender wird zunächst ein anderes Wrack bergen!« Diese Nachricht war niederschmetternd. Ich begann durchzurechnen, wie lange es dauern würde, bis der Tender das andere Wrack festgemacht hatte und abfliegen würde. Die Reisezeit bis nach Arkon III war einigermaßen genau vorherzusehen, dazu kam die Zeit der Abfertigung, die Neuausrüstung des Tenders, seine Rückkehr in das Gebiet um Kraumon und die Zeit, die vergehen mußte, bis er die DEWAC erreichte. »Die Atemluft wird früher erschöpft sein«, hatte der Logiksektor berechnet. Wir saßen in der Falle. Die CRYSALGIRA hatte längst das System verlassen, und die Distanz zwischen der DEWAC und dem nächsten Wrack, das uns vielleicht bessere Überlebenschancen bot, war entschieden zu groß, als daß wir sie mit unseren Anzügen hätten überwinden können. »Was nun?« fragte Fartuloon halblaut. Ich zuckte mit den Schultern, soweit das mit dem hinderlichen Anzug überhaupt möglich war. Bis vor wenigen Minuten hatten wir darauf gewartet, daß man uns abholte. Jetzt hieß die Frage, ob man uns überhaupt noch lebend abholen konnte. Die Mannschaft des Schleppers war hervorragend eingespielt. Nach kurzer Zeit sahen wir, wie sich das Schiff mit einem Wrack im Schlepp auf den Rückweg machte. Es war ein entsetzlicher Anblick, zu sehen, wie der Tender ein Schiff voller Leichen abschleppte und ein Wrack zurückließ, in dem zwei Menschen auf den Tod warteten. »Wir müssen diese Räume verlassen«, stellte Fartuloon fest. »Vielleicht können wir sie mit Blinksignalen auf uns aufmerksam machen!« Der Logiksektor schwieg. Er brauchte nicht zu kommentieren, daß dieser Gedanke absurd war. Der Tender nahm unverkennbar Fahrt auf. Kurz vor Erreichen der Lichtgeschwindigkeit würde er transitieren. Unser Lichtsignal
7 hätte eine förmliche Aufholjagd veranstalten müssen, um die davonrasenden Schiffe erreichen zu können. Da die Stärke dieses Lichtsignals mit dem Quadrat der Entfernung abnahm, hatten wir überhaupt keine Chance, den Tender so über unsere Notlage zu informieren. Mit brennenden Augen sah ich zu, wie die beiden Schiffe im Hyperraum verschwanden. Wir waren wieder allein im Raum um Kraumon.
2. Mein Atem ging stoßweise, vor meinen Augen flimmerte es. Unsere Luft wurde knapp, die Reserven unserer Anzüge würden nicht mehr lange vorhalten. Wir hatten die Schotte wieder geöffnet und das ganze Schiff abgesucht. Nirgendwo hatte sich ein zurückgelassener Raumanzug gefunden, dessen Flaschen unsere erschöpften Vorräte hätte strecken können. Aber die Verzweiflung trieb uns vorwärts. Ich wußte kaum noch, in welchem Bezirk des Wracks ich mich herumtrieb. Es konnte mir gleichgültig sein, in welchem Bezirk ich das leise Blubbern hören würde, das das Ende ankündigte. Noch war Sauerstoff in den Flaschen, noch lebte ich. »Sohn!« Ich hörte Fartuloons Ruf über die Kopfhörer. Jubel schwang in seiner Stimme mit. »Was gibt es, hast du einen brauchbaren Anzug gefunden?« »Etwas viel Besseres«, frohlockte der Bauchaufschneider. »Ein Tender ist aufgetaucht, und er hält genau auf uns zu. Du mußt Deck IV anfliegen, dort ist ein großes Leck.« Ich nahm mein fotografisches Gedächtnis zu Hilfe, um die Stelle finden zu können, die mir Fartuloon bezeichnet hatte. Eine bedrückende Stille umgab mich, als ich durch das Totenschiff schwebte. Ich konnte meine Atemzüge hören, und mir entging nicht, daß ich von Minute zu Minute krampfhafter at-
8 mete. Die Angst ließ meinen Puls heftiger schlagen, daher brauchte ich auch mehr Sauerstoff. Der Gedanke, daß ich durch meine Aufregung entschieden mehr Luft verbrauchte, als überhaupt nötig war, ließ die Furcht nur wachsen. Keuchend reichte ich Fartuloon. Der Bauchaufschneider war, soweit ich das beobachten konnte, ruhig. Er deutete auf einen glitzernden Punkt, der sich rasch gegenüber den Konstellationen der Sterne bewegte. Wäre die Hülle des Tenders nicht von der Sonne beschienen worden, hätten wir den winzigen Punkt kaum bemerkt. Einmal mehr kam mir zu Bewußtsein, wie winzig selbst das größte Schiff im Vergleich zu den Dimensionen der Natur war. »Sie steuern gradlinig auf uns zu«, murmelte Fartuloon. Er machte eine kleine Bewegung. Ich sah, wie er sich sehr langsam in eine Haltung hineinmanövrierte, in der so wenig Muskeln wie möglich beansprucht wurden. »Folge seinem Beispiel«, riet mir der Logiksektor. »Versuche, die Atemluft durch Selbstversenkung zu strecken!« Ich befolgte diesen Ratschlag. Bald schwebte ich neben Fartuloon und versuchte mich zu entspannen. Erste Erfolge stellten sich ein, mein Atem ging weniger heftig, der Herzschlag verlangsamte sich. Ich schloß die Augen, um die Entspannung zu vertiefen. Noch immer strömte der Sauerstoff gleichmäßig aus den Flaschen. Während ich mich bemühte, so flach wie nur möglich zu atmen, kalkulierte das Extrahirn die Reserven durch. »Du hast vier Minuten Zeit«, lautete das Ergebnis. »Gerechnet von dem Zeitpunkt an, an dem die Flaschen leer sind.« Richtig, es war ja auch Atemluft im Anzug selbst. Sie würde nicht lange reichen, aber im Ernstfall konnten Sekundenbruchteile entscheiden. Ich konnte die Luft für vielleicht drei Minuten anhalten, das zusammen konnte reichen. Der Tender kam näher. Es war kein sehr moderner Tender, aber
Peter Terrid er erfüllte seinen Zweck. Er bestand aus einem großen Transportfeld, auf dem ein Wrack wie die DEWAC bequem Platz fand. Auf einer Seite dieses Transportfelds war an die Scheibe eine Kugelzelle angeflanscht worden. Von dort aus wurden die Traktorstrahlprojektoren und die Projektoren der Fesselfelder bedient. Unter der Ladefläche waren die gewaltigen Triebwerke versteckt, die den Tender samt seiner Ladung beschleunigen sollten. Die Ladefläche kam in Sicht, ein großes Rechteck, auf dem ich einige Robots erkannte. Männer rannten über die Fläche auf die Projektoren zu, mit denen das Wrack der DEWAC auf die Ladefläche heruntergezogen werden sollte. Ich spürte, wie ein leiser Ruck durch das Schiff ging. »Sie haben uns im Griff«, flüsterte ich, um Luft zu sparen. Mit kleinen Handbewegungen sorgte ich dafür, daß ich flach auf den Boden zu liegen kam. Sobald die DEWAC den Boden des Landefelds berührte, würde dort die künstliche Schwerkraft eingeschaltet werden, während Projektoren dafür sorgten, daß das Wrack nicht umkippen konnte. Es traf mich wie ein Schlag, als die Schwerkraft plötzlich über uns hereinbrach. Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag. Ich stand auf. Der Arm, den ich erhoben hatte, um den Männern auf der Plattform zuzuwinken, sank herab. Ich hörte das Gurgeln in meinem Helm. Die Atemluft in den Flaschen war verbraucht. Jetzt mußten wir die Sekunden zählen. Ich griff zum Handscheinwerfer und gab Lichtsignale. Sie wurden sofort beantwortet. »Brauchen Atemluft!« gab ich durch. »Verstanden!« lautete die schnelle Antwort. Ich sah, wie sich zwei Männer auf dem Landefeld in Bewegung setzten. Sie trugen flugfähige Anzüge. Ich sah, wie sie in die Höhe zu steigen begannen, sie zielten auf das große Einschußloch, in dem wir uns auf-
König der Deserteure hielten. »Ruhe bewahren, Lothor!« hörte ich Fartuloon sagen. »Wir haben Zeit!« Ich wunderte mich, woher der Bauchaufschneider seine Beherrschung nahm. Nach meiner Schätzung mußte sein Sauerstoffvorrat schon vor einer Minute aufgezehrt gewesen sein. Ein Mann seiner Statur brauchte naturgemäß mehr Luft als ich. Zwei Männer tauchten vor uns auf. Entsetzt sah ich, daß sie nicht, wie ich erwartet hatte, Sauerstofflaschen mitgebracht hatten. Trotzdem deutete ich als erstes auf Fartuloon. Er war in noch größerer Gefahr als ich. Die beiden Männer packten den Bauchaufschneider unter den Armen und hoben ihn in die Höhe. Dann verschwanden sie hastig mit ihm. Mich ließen sie zurück. Offenbar hatte der Kommandant des Bergetenders mein Signal falsch verstanden. Er hatte nur mit einem Überlebenden gerechnet. Ich fühlte, daß ich langsam das Bewußtsein zu verlieren begann. Meine Lungen keuchten, vor meinen Augen tanzten feurige Punkte. Das Herz hämmerte in meiner Brust. Ich atmete krampfhaft, fühlte, wie mich wieder die Angst überkam. Ich spürte noch etwas Hartes, das gegen meine Brust schlug, dann wurde ich ohnmächtig.
* Ein bärtiges Gesicht sah auf mich herab, als ich die Augen öffnete. In dem struppigen Bart entstand eine Öffnung. Eine nicht mehr ganz vollständige Zahnreihe grinste mich an. »Du hast alles überstanden, Junge!« Ich nickte schwach. Ich wußte nicht, wie lange ich ohne Besinnung gewesen war. Offenbar waren doch noch Helfer erschienen. Ich atmete, und diese Tatsache allein genügte, um mich wieder aufzumuntern. »Wo bin ich?« Ich erkannte meine eigene Stimme kaum wieder, so sehr krächzte ich. »An Bord der KOPHAT, Junge«, sagte der Bärtige freundlich. »Du hast Glück ge-
9 habt, wir haben dich gerade noch aus dem Wrack geholt. Eine Minute länger, und du hättest dem Galaktischen Geist die Hand schütteln können!« »Falls er eine hat«, brachte ich mühsam über die Lippen. Vorsichtig richtete ich mich auf. Man hatte mich in eine Krankenstation gebracht. Der zweite Patient in dem ansonsten leeren Raum war Fartuloon. »Herzlich willkommen unter den Lebenden«, grüßte er mich. Ich winkte matt zurück. »Wie sieht es aus?« fragte ich den Bärtigen. »Habt ihr noch andere Überlebende gefunden?« Er schüttelte den Kopf und preßte dabei die Lippen zusammen. »Keine«, sagte er dumpf. »Ihr beide seid die Einzigen.« Eine Tür wurde geöffnet, und ein Mann betrat die Medo-Station. An den Abzeichen erkannte ich den Kommandanten des Tenders. »Wie geht es den Männern?« fragte er rauh. »Bestens«, antwortete der Bärtige. »Sie sind noch etwas angeschlagen, aber in einigen Stunden wieder voll einsatzfähig.« »Gut gemacht, Doktor!« sagte der Kommandant. Er sah mich an. »Habt ihr etwas von der Schlacht beobachten können?« Ich schüttelte den Kopf. »Nicht sehr viel, Herr. Wir werden einen ausführlichen Bericht anfertigen, wenn ihr es wünscht.« Der Kommandant winkte ab. »Überflüssig«, brummte er. »Die Besatzung eines geflüchteten Beiboots hat uns genug berichten können. Seht zu, daß ihr wieder zu Kräften kommt. Das Imperium braucht jeden Mann!« Er grüßte knapp und verließ den Raum. Der Arzt sah ihm lächelnd nach, dann wandte er sich wieder an uns. »Er ist ein wenig brummig, müßt ihr wissen. Eigentlich sollte er einen Schlachtkreuzer übernehmen, aber weil kein anderer
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Kommandant greifbar war, hat man ihm den Tender gegeben. Sehr erfreut ist er darüber nicht.« »Es sah ganz danach aus«, murmelte Fartuloon. »Müssen wir lange hier liegen bleiben?« »Wenn ihr wollt, könnt ihr sofort aufstehen. Man hat euch eine Kabine zugewiesen. Dort könnt ihr euch bis zur Landung erholen.« Ich hütete mich aufzuatmen, aber der kurze Seitenblick auf Fartuloon verriet dem Bauchaufschneider, wie erleichtert ich war. Vor allem darüber, daß wir keine peinlich genaue Befragung zu überstehen hatten. Zur Not hätten wir uns zwar herausreden können, schließlich hatten wir einige Zeit unter akutem Sauerstoffmangel gelitten, aber früher oder später hätte man uns bei einem gründlichen Verhör sicherlich erwischt. Was wir über die DEWAC und das Gefecht bei Kraumon wußten, war ziemlich dürftig. Frische Uniformen lagen für uns bereit. Wir zogen uns rasch an und verließen die Medo-Sektion. Der Arzt begleitete uns zu unserer Kabine. Sie war nicht sehr groß, da wir nur einfache Besatzungsmitglieder verkörperten. Ich wollte mich gerade auf der schmalen Liege ausstrecken, als ich ein Geräusch hörte. Jeder im Großen Imperium, der einmal an Bord eines Schiffes Dienst getan hatte, kannte den an- und abschwellenden Rhythmus des infernalischen Heulens. Maahk-Alarm!
* Ich zögerte keinen Augenblick, meine Schwache war vergessen. Die Kabinentür stand noch offen. Auf den Gängen wirbelten die Männer durcheinander, vor den Beiboothangars zogen die Robotwachen auf. Sie sollten verhindern, daß Feiglinge versuchten, das Schiff zu verlassen und zu fliehen. Es war erschütternd zu sehen, daß derartige Maßnahmen neuerdings an Bord von Arkon-
schiffen nötig waren. Ein Offizier hielt uns auf. »Was wollt ihr hier?« herrschte er uns an. »Wird am dem Wrack gearbeitet?« fragte ich eilig zurück. Der Offizier nickte unwillkürlich. Genaugenommen hatte ich mich schuldig gemacht, ich hätte zuerst die Frage des Offiziers beantworten müssen. »Das obere Polgeschütz ist noch einwandfrei«, erklärte ich dem Offizier hastig. Ein mit Waffen beladener Robot hastete an uns vorbei. Fartuloon angelte zwei Impulsstrahler von dem Haufen und steckte einen davon in meinen Gürtel. »Wenn wir uns beeilen, können wir eine Leitung vom Hauptreaktor zum Polgeschütz zusammenbasteln. Dann haben wir wenigstens eine Chance. Gegen einen Maahkkreuzer helfen eure Knallbüchsen nichts!« Dem Offizier kam nicht zu Bewußtsein, daß ich ihn geduzt hatte. Normalerweise hätte ich dafür zehn. Tage Arrest bekommen. »Los, mir nach!« Der Offizier rannte voran. Ich steckte die Waffe richtig in den Gürtel und folgte ihm, hinter mir rannte Fartuloon. »Entfernung vierzehn Einheiten!« quäkte es aus einem Lautsprecher. »Feind schließt mit hoher Fahrt auf!« Es war höchste Zeit. Das Landefeld tauchte vor uns auf. Mit herrischen Gesten teilte der Offizier zehn Mann vom Bergepersonal ab, dazu ein halbes Dutzend Robots. Ich kümmerte mich nicht um ihn, sondern rannte auf das Wrack der DEWAC zu. Die große Bodenschleuse war geöffnet, die Antigravanlage an die Maschinen der KOPHAT angeschlossen worden. Der zentrale Schacht brachte uns zum Polgeschütz hinauf. Ich stöpselte die Sprechleitung ein. »Gebt mir zuerst Energie für die separate Feuerleitortung!« brüllte ich in das Mikrophon. Sekunden später liefen die Geräte an. Ein ganzer Schwarm Maahkschiffe war in der Nähe Kraumons rematerialisiert. Ich zählte allein zwanzig schwere und überschwere Einheiten, genug, um ein Raumge-
König der Deserteure fecht damit veranstalten zu können. Dieser Übermacht hatten wir nichts entgegenzusetzen. Fartuloon hatte hinter der Beobachtungskanzel Platz genommen. Leidenschaftslos und ruhig teilte er mir seine Beobachtungen mit. »Sie haben sich getrennt. Offenbar wollen sie lediglich die Wracks vernichten, damit sie nicht mehr repariert werden können!« Ich konnte auf meinem Monitor sehen, daß Fartuloon Recht hatte. Feuerbälle entstanden plötzlich im Raum, dort, wo vor Minuten leblose Schiffshüllen getrieben hatten. »Sie machen sich einen Spaß mit uns!« stellte er erbittert fest. »Teufel auch, wo bleibt die Energie für die Kanonen?« »Wir beeilen uns«, hörte ich eine Stimme im Kopfhörer. »Nur noch ein paar Sekunden!« Die Maahks hatten eine Abteilung Spähboote ausgeschickt, um unser Schiff zu zerstören. Die schwerfälligen Tender hatten keine Chance, solchen Schiffen auszuweichen. Die Maahkspähboote waren ziemlich stark bewaffnet und vor allem ungeheuer wendig und schnell. »Energie kommt!« Die Lichter auf dem Feuerpult vor mir flammten auf. Auch die Motoren, die die Geschützkuppel drehten, bekamen Energie. Der Kommandant der KOPHAT schaltete sich in den Sprechfunk ein. »Werft das verfluchte Wrack los!« schrie er. »Der Schrotthaufen hindert uns!« Ich brauchte nur meine Finger zu bewegen, um die Geschützkuppel zu bewegen. Der Mann hatte seinen Satz noch nicht beendet, da zeigte die Mündung des schweren Impulsgeschützes schon auf die Kuppel des Tenders. »Ich habe den Befehl nicht ganz verstanden, Kommandant!« sagte ich eisig. Ich konnte hören, wie der Mann schluckte. Ein Schuß aus diesem Geschütz würde bei der geringen Entfernung ausreichen, um die KOPHAT in Stücke zu reißen. »Befehl korrigiert!« hörte ich ihn rufen.
11 »Fahrt die Maschinen hoch, bevor die Maahks uns erwischen können!« Sein Befehl kam um einige Sekunden zu spät. »Da sind sie!« stellte Fartuloon nüchtern fest. Mich überkam jene seltsame, eisige Ruhe, die für Arkoniden so typisch war, wenn sie gegen die Methanatmer antreten mußten. In Lagen wie dieser brachten selbst Schwächlinge Dinge zuwege, die ihnen niemand zugetraut hätte. Das Geschütz glitt in eine neue Stellung. Ich faßte die Salve zusammen, ein überschweres Impulsgeschütz, dazu ein weitgestreuter Fächer von kleineren Desintegratoren. Ein Knopfdruck löste die Salve aus, zwei der Spähboote vergingen in kleinen Feuerkugeln. »Treffer!« meldete der Beobachtungsoffizier der KOPHAT. »Schirmfeldbelastung unerheblich.« Zwei Maahkboote waren geblieben, drei weitere tauchten übergangslos aus dem Hyperraum auf. Sie rasten genau in meine nächste Salve hinein und teilten das Schicksal ihrer Vorgänger. Ein weiteres Maahkschiff wurde von den kleineren Geschützen der KOPHAT vernichtet. »Was machst du!« schrie mich Fartuloon an. Ich hörte ihn nicht. Ich war voll auf die Anzeigen konzentriert und auf die Impulse meines Extrahirns. Es berechnete anhand der Ortungsdaten die möglichen Kurse der großen Maahkschiffe. Nach diesen Daten richtete ich die Geschütze aus. Ich konnte hören, wie der Strukturtaster explodierte, auch den Entsetzensschrei der Besatzung. Unmittelbar neben dem Tender war ein Maahkkreuzer aus dem Hyperraum aufgetaucht, genau dort, wo das Extrahirn vermutet hatte. Ich brauchte nur noch den Feuerknopf niederzudrücken. Der Feuerstrahl des Geschützes raste dem Maahkschiff entgegen. »Treffer!« stellte Fartuloon fest. Ich sah, wie das Schirmfeld der Maahks zu flackern begann und dann für Sekunden
12 zusammenbrach. Ein zweiter Schuß traf das nun verteidigungsunfähige Schiff und durchschlug es, eine Serie von Desintegratortreffern durchlöcherte die Außenhaut. Der Grek 1 leitete ein Fluchtmanöver ein, aber sein Schiff wurde noch einmal von dem Polgeschütz getroffen. Wie durch ein Wunder hatte noch kein Waffenstrahl der Maahks eingeschlagen. Ich sah nur noch eine Feuerwand. Mit einem Schlag wurde ich aus meinem Sitz gerissen und flog gegen den heißen Lauf des Geschützes. In meinen Ohren dröhnte der Schlag, der unser Schirmfeld zusammengestaut hatte. Ich rutschte über den Boden und blieb an einem Pfosten hängen. »Treffer«, verkündete eine unbeteiligt klingende Stimme. »Schirmfeldbelastung am Grenzwert!« Ich rappelte mich auf und hastete auf meinen Platz zurück. Der Maahk war schwer angeschlagen, aber das hieß nicht, daß er uns nicht vernichten konnte. Seine Offensivkraft schien trotz der schweren Treffer nicht gelitten zu haben. Mit Fingerbewegungen, die von der positronisch gesteuerten Hydraulik sofort ausgeführt wurden, brachte ich das Polgeschütz in eine neue Stellung. Ich drückte den Feuerknopf. Nichts geschah, die Lichter vor mir verloschen. »Energiefluß zusammengebrochen«, hörte ihn in meinem Kopfhörer. Bevor ich den Mann anbrüllen konnte, spürte ich den unverkennbaren Schmerz im Nacken. Die KOPHAT transitierte. Ich stöhnte unterdrückt, als ich mich aufrichtete. Die Transition war in Nullzeit vonstatten gegangen. Mir war rätselhaft, wie ein Vorgang, der mathematisch überhaupt keine Zeit in Anspruch nahm, einen derart peinigenden und anhaltenden Schmerz hervorrufen konnte. In meinen schmerzerfüllten Kopf drang die Stimme des Kommandanten: »An die beiden Männer in der Polkuppel der DEWAC: gut gemacht!« »Danke, Kommandant!« gab ich seufzend
Peter Terrid zurück. Ich warf einen Blick ins Freie. Die Sternenkonstellationen kannte ich nicht. Es stand aber fest, daß wir Kraumon hinter uns gelassen hatten.
3. Es ging nicht nach Arkon. Ich war maßlos enttäuscht, durfte mir das aber nicht anmerken lassen. Das Ziel hieß Mirc und war der bedeutendste und schönste Planet des Fezzan-Systems. Dieser Rang war unbestritten, das Fezzan-System hatte nur diesen einen Planeten. 306 Lichtjahre trennten Mirc von Arkon, eine schier unüberbrückbare Distanz – aus der Sicht zweier Mannschaftsmitglieder der wracken DEWAC. An Bord der KOPHAT wurden Fartuloon und ich mit einem gewissen Wohlwollen behandelt. Offenbar hatte sich herumgesprochen, daß das Schiff verloren gewesen wäre, hätten wir nicht die Polgeschütze der DEWAC zur Verteidigung eingesetzt. Nur der Kommandant der KOPHAT ging uns geflissentlich aus dem Weg. Mich wunderte das nicht, schließlich hatte ich ihn aus nächster Nähe in die Mündung des entsicherten Polgeschützes blicken lassen, und diesen Anblick vergaß keiner so schnell. »Was sollen wir auf Mirc anfangen?« fragte ich mürrisch. Fartuloon drehte sich auf seiner Liege herum und knurrte unverständlich. In den letzten Stunden hatten wir Zeit genug gehabt, um uns von den Strapazen zu erholen. Ich fühlte mich frisch und ausgeruht, mein Tatendrang wurde einzig durch die Tatsache gedämpft, daß sich an Bord der KOPHAT nichts ausrichten ließ. Die Aussichten auf Mirc waren noch geringer. Die KOPHAT setzte zur Landung an. Mirc war, soweit ich sehen konnte, eine ausgesprochene schäbige Welt, die keinen besonderen Reiz zu bieten hatte. Es sei denn, man bezeichnete die endlose Reihe von Magazinen, Docks, Werften und Lager-
König der Deserteure hallen als reizvoll. Auf den ersten Blick mochte dieser Aufwand beeindruckend sein, aber wer die Kapazitäten der Arkon-Welten kannte, war rasch desillusioniert. Mirc war notdürftig als Reparaturwelt hergerichtet worden, alles wirkte sehr improvisiert. Die Erklärung für diese Tatsache lag auf der Hand. Der gnadenlose Methankrieg wütete noch immer in voller Stärke, es war nötig geworden, die beschädigten Schiffe so schnell wie möglich wieder herzurichten und an die Fronten zu schicken. Die Zeit, die verstrich, bis ein defektes Schiff nach Arkon gebracht, repariert und wieder in den Einsatz geschickt werden konnte, war einfach zu groß. Deshalb hatte man zahllose Welten in der Nähe der Fronten provisorisch zu Reparaturwelten ausgebaut. Eine dieser Welten war Mirc. Sanft setzte die KOPHAT auf einem Feld auf, doch damit war ihr Einsatz noch nicht beendet. Jetzt galt es, das Wrack der DEWAC behutsam in ein Dock zu transportieren. Dutzende von Wracks wurden auf dem gigantischen Landefeld bewegt, einige sahen noch übler aus als unsere DEWAC. Langsam stieg die KOPHAT mit ihrer schweren Last wieder auf. Ein Lotsengleiter war erschienen und dirigierte den Tender über das Landefeld. Der Lotse verstand sein Handwerk, er wirkte jedoch erschöpft. Seine Stimme dröhnte aus den Lautsprechern: »Mehr nach rechts, halt, nicht so viel! Hat denn hier kein Mensch einen Sinn für Entfernungen. Immer diese lausigen Luftkutscher. Hier muß Millimeterarbeit geleistet werden, Herr!« Die Stimme des Lotsen überschlug sich. Der Mann hätte längst abgelöst werden müssen, er war völlig erschöpft. Fast alle Lotsen waren überlastet, zu viele Schiffe wurden gebracht, die Enge auf dem Landefeld spottete jeder Beschreibung. Und natürlich erwartete jeder Kommandant, daß man sein Schiff bevorzugt behandelte und als erstes in die Docks brachte. »Aufpassen«, brüllte der Lotse. »Preist
13 euch glücklich, daß ihr überhaupt ein Dock bekommt, und benehmt euch entsprechend!« Eine Schimpfkanonade folgte. Sie galt einem Kollegen, der gerade ein notdürftig überholtes Schiff aus einem Dock herausdirigierte. Auf einer Rampe ging es langsam in die Tiefe. Die Hälfte des Docks lag unter der Erde, die andere Hälfte ragte in die Luft. Langsam glitt die KOPHAT auf der Neigung in die Tiefe. Für den Kommandanten eines Bergungstenders ergaben sich Probleme, die sich einem normalen Kommandanten niemals stellten. Im Extremfall mußte der Tenderkommandant einen 899-Meter-Riesen auf zehn Zentimeter genau ins Dock bugsieren. Trotz der ausgefeilten Steuerpositroniken war dies eine Arbeit, die Fingerspitzengefühl, ein Höchstmaß an Konzentration und eine schier unerschöpfliche Geduld erforderte. »Das Ganze zurück, und dann noch einmal von vorn. Gebt auf die Landestütze acht.« Der Lotse war zu erschöpft, um den Fehler des Kommandanten noch kommentieren zu können. Zu allem Überfluß mußte die DEWAC mit dem Heck voran in die Docks gesteuert werden. Der Kommandant mußte also blind steuern. Blind hieß in diesem Fall, daß er die unvermeidlichen Zerrungen und Sinnenstäuschungen eines projizierten Bildes augenblicklich einkalkulieren und sich entsprechend verhalten mußte. »Aufpassen, ihr demoliert noch das Dock!« Der Kommandant der KOPHAT antwortete mit einem Schwall von Flüchen. Erst beim dritten Versuch stand die DEWAC richtig. »Projektoren los!« rief der Lotse, dann stöhnte er auf. »Doch nicht ihr, ihr …« Die Bedienungsmannschaft der KOPHAT hatte zu früh reagiert. Sie hatten die Traktorstrahlprojektoren eine Winzigkeit zu früh abgeschaltet. Die DEWAC kippte zur Seite und hätte mit ihrem Ringwulst fast die Wand des Docks demoliert, hätten die Ar-
14 beiter im Dock nicht bereits mit solchen Fehlern gerechnet. Ich hörte, wie die Energieerzeuger aufheulten, als sie über die Projektoren das Wrack wieder in eine normale Lage brachten. Von den Fesselfeldern gehalten schwebte die DEWAC im Dock. Fartuloon und ich hatten uns dafür entschieden, an Bord des Wracks zu bleiben. Auf der KOPHAT würde uns sicherlich niemand vermissen. Ich konnte sehen, wie die Ladefläche des Tenders meterweise unter dem Wrack hervorkroch. Stück für Stück wurde die KOPHAT aus dem Dock herausgefahren. Als alle Hindernisse überwunden waren, ließ der Kommandant die Maschinen hochfahren. Mit hoher Fahrt verschwand er über die Rampe, fast hätte er dabei einen kleinen Kreuzer von der Ladefläche eines anderen Tenders gefegt. Ich konnte den Tobsuchtsanfall des anderen Kommandanten deutlich über die Kopfhörer verstehen. »Da wären wir nun«, stellte Fartuloon fest. Er hockte sich auf den Boden. Dort hatten einmal schnelle Einmann-Jäger gestanden. Jetzt zeugte nur zerlaufenes Metall davon. Eine halbe Tausendschaft von Robots stürzte auf das Wrack los. Wie nicht anders zu erwarten war, kümmerten sie sich als erstes um die Landestützen. Energie war knapp und kostbar. Wertvolle Megawattstunden wurden gespart, wenn das Wrack auf seinen eigenen Beinen stehen konnte und nicht mehr mit gewaltigem Energieaufwand in der Schwebe gehalten werden mußte. Dazu kam eine Hundertschaft von Technikern, die sich daran machten, das Wrack genauestens zu überprüfen. Sie mußten die Anforderungslisten ausfüllen, die Kosten vorherberechnen und der Einsatzzentrale mitteilen, wann ungefähr das Schiff neu bemannt werden konnte. Ein älterer, mürrisch aussehender Mann näherte sich uns. Den Abzeichen nach war er Wartungsmeister des Docks. »Was macht ihr beide hier? Geht an die
Peter Terrid Arbeit, faule Bande!« »Wir gehören zur Besatzung des Schiffes«, erklärte ich freundlich. »Wir warten darauf, daß das Schiff wieder einsatzklar ist.« Der Mann begann zu lachen. Der Unterton ließ deutlich erkennen, daß der Mann überarbeitet war und an Schlafmangel litt. »Euren Optimismus möchte ich haben«, knurrte er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. »Bis dieser Schrotthaufen wieder fliegt, werden mindestens drei Wochen vergehen, wahrscheinlich sogar noch mehr. Wollt ihr solange warten?« Fartuloon schüttelte den Kopf und stand auf. »Was sollen wir tun?« fragte er. »Geht zu einem Rekrutierungsbüro und mustert anderswo an. Männer werden immer gebraucht. Und jetzt verschwindet, ihr stört hier nur!« Wir zogen uns eilig zurück, getreu der Rolle, die wir zu spielen hatten. Einfache Besatzungsmitglieder widersetzen sich keinem Vorschlag, der von einem Ranghöheren gemacht wird. Niemand hielt uns auf, als wir das Dock verließen. Die Männer und Robots waren zu sehr damit beschäftigt, sich um das Wrack der DEWAC zu kümmern. Sie leisteten hervorragende Arbeit. Wer erst einmal das scheinbar chaotische Durcheinander durchschaute, begriff rasch, wie präzise und schnell diese Männer ihre Arbeiten erledigten. Ich sah die großen Transporter, die komplette Landestützen aus den Magazinen heranbrachten. Andere Abteilungen verkabelten die DEWAC neu, eine Arbeit, die ebenso langwierig wie kompliziert war. »Willst du wirklich zum Rekrutierungsbüro?« fragte mich Fartuloon, während wir langsam über das Landefeld gingen, wohlweislich immer an der Abgrenzung entlang. Ich zuckte mit den Schultern. »Lust habe ich keine«, schrie ich, um den Lärm eines startenden Nachschubfrachters zu übertönen. »Wenn wir Pech haben, werden wir zu ir-
König der Deserteure gendeiner Einheit abgeteilt, die monatelang an einer Nebenfront eingesetzt wird, wo wir überhaupt nichts unternehmen können. Ich will nach Arkon.« »Leicht gesagt«, kommentierte der Bauchaufschneider mißmutig. Ich verstand seine Gefühle. Wir hatten in den letzten Wochen Rückschläge erleben müssen, die mehr als ausreichend waren, um unsere Stimmung zu senken. Fehlgeschlagen war mein Plan, mich auf dem Umweg über die Amnestie-KAYMUURTES zu rehabilitieren, und jetzt war Kraumon ausgefallen. Bis zu unserer völligen Niederlage fehlte nicht mehr viel. Ein Krankentransporter raste mit heulenden Sirenen an uns vorbei. Er brachte die Verletzten der JURTAND. Das Schiff stand, schwer beschädigt, aber gerade noch flugfähig, am Rand des Landefelds. Der Transporter jagte an uns vorbei und raste auf das Portal zu. Es gab kaum Kontrollen auf Mirc, dafür war der Stützpunkt zu hastig improvisiert worden. Zudem gab es hier keine Zivilisten, die man hätte beaufsichtigen müssen. Die Männer die hier lebten, kannten nur eine Aufgabe: Sie wollten alles tun, um den grauenvollen Methankrieg so rasch wie möglich zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Die wenigsten von ihnen ahnten auch nur, wie stark die Maahks wirklich waren und wie schwach die eigene Führung. Noch drei oder vier Jahre Orbanaschol als Imperator, und der Grek 1 konnte fast sorglos seine Schiffe nach Arkon schicken. Wir marschierten ohne Kontrolle durch das Tor, das das Landefeld von den Unterkünften absonderte. Natürlich gab es auch eine Stadt, die man der Einfachheit halber ebenfalls Mirc genannt hatte. Hier wohnten die Techniker und die Verwaltungsbeamten. Es sprach für die hastige Improvisation des Stützpunkts, daß die Techniker bei weitem zahlreicher waren als die Verwaltungsbeamten. Im Lauf der Jahre würde sich dieser Zustand ins Gegenteil verkehren. Außerdem wurde Mirc von einigen zehn-
15 tausend Raumfahrern aller Dienstgrade bevölkert, die hier auf einen neuen Einsatz warteten. Die Stadt zerfiel in drei völlig voneinander verschiedene Bezirke. Da war zunächst einmal das Gebiet um den Raumhafen, dem Magazine, Lagerhallen, Werften, Docks und Werkstätten angegliedert waren. Zu diesem Bereich zählte auch die weitläufige Anlage des Lazaretts, in dem Tausende von Männern medizinisch versorgt werden konnten. An diesen Bezirk schloß sich der Wohnbereich an. Dort lebten die Bürger von Mirc, die Beamten und ihre Familien, Genesende und Flottenoffiziere. Im gleichen Bereich lagen die schmucklosen Unterkünfte für die Mannschaftsdienstgrade. Den dritten Bezirk hatte die Unterhaltungsindustrie für sich beansprucht. Es gab Bars und Kneipen, kleine Läden und Etablissements, die das Tageslicht zu scheuen hatten. In diesem Rotlichtbezirk konnte ein Mann im Lauf einer Nacht alle nur denkbaren Laster des Universums auskosten – und am nächsten Morgen mit durchschnittener Kehle in einem Graben gefunden werden. Das Rekrutierungsbüro lag im ersten Bezirk der Stadt. Auch dieses Gebäude war aus Kostengründen größtenteils in den Erdboden hineingebaut worden. Auf diese Weise wurde kostbares Material gespart. Vor dem Eingang standen Hunderte von Männern jeglichen Alters. Altgediente Kämpen, die schon als Knaben gegen die Maahks gekämpft hatten und nichts anderes als diesen Krieg kannten, junge Männer, die zum ersten Mal an die Front geschickt worden waren, abgewirtschaftete Offiziere, die jetzt um Neuverwendung nachkommen mußten. »Stellt euch hinten an«, knurrte ein bulliger Mann wütend. »Wir müssen auch warten!« Der Ton war alles andere als freundlich, aber ich gehorchte. Fartuloon verschwendete keinen Blick an den Mann, der uns angefahren hatte. Neben dem Untersetzten stand ein junger Mann, der ziemlich geistesabwesend dreinsah. Und zwischen den beiden stand
16 der klapprigste Kampfrobot, den ich je gesehen hatte. »Will er sich auch anwerben lassen?« fragte ich ernsthaft und deutete auf die Maschine. Hastig zog ich den Finger zurück. Der Robot hatte blitzartig reagiert und seine Waffe auf mich gerichtet, einen überschweren Kampfstrahler, mit dem er die Schirmfelder von Geländefahrzeugen knacken konnte. »Er mag es nicht, wenn man auf ihn zeigt«, sagte der Jüngere. »Pysther ist ein sehr sensibler Robot.« »Was nicht gar«, staunte ich. Fartuloon erlaubte sich ein diskretes Hüsteln. »Wo habt ihr den Burschen her?« Aus Pysthers Eingeweiden kam ein mürrischer Brummton. »Sei ruhig, Pysther«, sagte der Bullige. »Er meint es nicht so.« Zu mir gewandt, führte er aus: »Pysther gehört zu unserer Einheit, beziehungsweise zu dem, was von der Einheit noch übriggeblieben ist. Er hat ein paar schwere Treffer abbekommen, und wir haben ihn wieder repariert. Pysther bringt uns nämlich Glück, er stammt aus der Bauserie M-131.313.« »Ja, dann …«, murmelte Fartuloon gedehnt. »Wo hat es euch erwischt?« »Hurthan-System«, sagte der Jüngere dumpf. »Totalverlust, nur wir drei sind davongekommen. Und ihr?« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kenne das System nicht. Wir kamen an und waren noch nicht richtig rematerialisiert, da krachte es schon. Jetzt steht die DEWAC im Dock.« Den Namen Kraumon erwähnte ich nicht, da ich nicht wissen konnte, wie dieser Planet in den offiziellen Unterlagen der Flotte hieß. »Wollt ihr euch für ein neues Schiff rekrutieren lassen?« Fartuloon nickte. »Ein paar Wochen Erholung wäre nicht schlecht«, knurrte er. »Aber ich gehe lieber an Bord eines Seelenverkäufers, als hier auf Mirc herumzulungern.«
Peter Terrid Während wir uns unterhielten, kroch die Menschenschlange langsam in das Gebäude hinein. Der Bullige nannte sich Zergan, der jüngere hieß Kastyr. Beide taxierten uns mit Skepsis. »Ich hoffe, ihr versteht euer Handwerk«, brummte Zergan. »Ich fahre nicht gern mit Grünschnäbeln.« »Wenn du deinem Blechkasten befiehlst, ruhig zu sein, könnten wir beweisen, daß wir zu kämpfen verstehen.« Fartuloon sprach sehr ruhig, und das machte erkennbar Eindruck. »Man wird sehen«, stellte Kastyr fest. Ich begann zu ahnen, daß er bei weitem nicht so weichlich und verträumt war, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. »Was habt ihr nachher vor?« Ich wechselte einen Blick mit Fartuloon. Wenn wir auf Mirc Bekanntschaften anknüpften, konnten wir nur Vorteile gewinnen. Vielleicht kannte jemand einen Schleichweg, der uns nach Arkon bringen konnte. Vor allem der bullige Zergan war ein altgedienter Kämpfer, der sich auf allen Welten auszukennen schien. »Gern, wir schließen uns euch an. Nehmt ihr den da auch mit?« Pysther quietschte empört. Mit seinen Sprechapparaten schien es nicht weit her zu sein, aber ich ahnte, daß der Robot Qualitäten besaß, über die sein Äußeres hinwegtäuschte. »Wir gehen nirgendwo hin, ohne Pysther mitzunehmen«, verkündete Kastyr. Es klang wie eine Drohung. »Pysther ist unser bester Freund!« Ich traute meinen Augen nicht, als ich sah, wie Zergan mit der linken Hand fast zärtlich über den unförmigen Metallschädel des Robots strich und die Maschine dazu ein Geräusch von sich gab, das sich wie ein heißlaufender Elektromotor anhörte. Ich kam nicht mehr dazu, mich näher mit unseren neuen Bekannten zu beschäftigen. Wir hatten inzwischen das Innere des Rekrutierungsbüros erreicht. Hinweisschilder wiesen uns den Weg.
König der Deserteure Das Büro war kärglich eingerichtet. Eine Reihe von Stühlen für die Wartenden, eine Barriere und dahinter ein Schreibtisch mit einem Anschluß für den zentralen Großrechner des Planeten. Wir mußten noch kurze Zeit warten, dann waren wir an der Reihe. Der Mann hinter dem Schreibtisch glich einem wandelnden Warenlager. Er bestand bestenfalls noch zu vierzig Prozent aus natürlichem Gewebe, der Rest waren Bioplastprothesen und dort, wo das Gewebe solche Arbeiten ausschloß, Stahl und Hartplastik. Eines der beiden Augen war künstlich, das Lid des anderen zuckte immer wieder. »Name, Vorname, Personalkennzeichen, Rang, letzter Einsatz!« Der Mann sprach mit der Geschwindigkeit einer Druckmaschine. Hastig rasselte ich meine Daten herunter. Die echten Personalpapiere hatten wir wohlweislich verschwinden lassen, da sie in einigen Details nicht mit unseren Daten übereinstimmten. »Sie brauchen also neue Papiere, nach nebenan!« Die Prozedur nahm ihren üblichen Verlauf. Messungen wurden an uns angestellt, die Individualdaten aufgezeichnet. Alle Informationen wurden säuberlich gespeichert und dann auf eine fälschungssichere Plastikkarte übertragen. Eine halbe Stunde nach dem Eintreten verfügten Fartuloon und ich über nagelneue Papiere, die fast jeder Überprüfung standhalten würden. Der lidzuckende Beamte prüfte die Karten kurz und sah dann auf. Es kostete einige Überwindung, in sein Gesicht zu sehen. »Wollen Sie sofort ein neues Kommando?« Ich grinste anzüglich. »Ganz so eilig haben wir es nicht. Nach dem Verlust der DEWAC würde uns ein wenig Ruhe guttun.« »Meinetwegen«, knurrte der Beamte. »Drei Tage!« Ich sah Fartuloon an, er zuckte mit den Schultern. Drei Tage waren wenig Zeit, um etwas einfädeln zu können, von dem wir noch nicht einmal wußten, daß dieses Etwas
17 überhaupt aussehen sollte. »Die SOWSTH wird in drei Tagen starten. Seht zu, daß ihr pünktlich an Bord seid. Wegtreten!« Wir grüßten und zogen ab, in der Hand die neuen Papiere und einen bedruckten Einsatzbefehl. Dieses Dokument war nötig, um uns vor der Militärpolizei zu bewahren, die unentwegt auf der Suche nach Deserteuren war. Auf dem Gang suchten wir nach dem Schwarzen Brett, auf dem die startbereiten Schiffe aufgeführt waren. Wir konnten dem Aushang entnehmen, daß die SOWSTH ein 500-Meter-Großkampfschiff war. Ein Ziel war für das Schiff nicht angegeben, aber mir schwante, daß wir für sehr lange Zeit keinen Planeten mehr betreten würden, wenn wir dort anzumustern hatten.
4. Es war eine Raumfahrerschänke, wie es sie in der Nähe jedes Landefelds gab, klein, nicht sonderlich sauber, aber stets überfüllt. Weine und Schnäpse aller Himmelsrichtungen wurden angeboten, in den Hinterzimmern wurde um hohe Einsätze gespielt, und wie durch ein Wunder hatten sich auch einige Mädchen nach Mirc verirrt, die in verschwiegenen Räumen ihre Dienste anboten. Robots stampften durch den Raum und servierten die Getränke. Menschliches Personal wäre den Belastungen eines solchen Ansturms bald erlegen, vor allem konnte man es leichter betrügen. Die Robots nahmen jede Währung an, und ihnen konnte man keinen günstigen Kurs vorschwindeln – im Gegenteil, meist waren die Positroniken der Robotkellner entsprechend eingestellt worden. Fartuloon und ich saßen im entferntesten Winkel des Lokals und beobachteten das lebhafte Bild. Schon bald war uns klar, daß hier mehr als nur gegessen und getrunken wurde. Es wurde auch gehandelt, und zwar vornehmlich unterhalb der Tischflächen. Schmuckstücke, die aus irgendwelchen Beu-
18 tezügen stammen mochten, wechselten den Besitzer, Rauschgifte wurden umgeschlagen. Außerdem gab es, wie ich bei schärferem Zusehen entdeckte, einen schwunghaften Handel mit Adressen. Was für Anschriften es waren, die dort gegen bares Geld getauscht wurden, konnte ich nicht erkennen. Ich vermutete, daß es sich um gewisse Ärzte handelte, die mit Dienstuntauglichkeitsbescheinigungen rasch bei der Hand waren. Vielleicht handelte es sich aber auch nur um die Anschriften von Frauen, die bereit waren, gegen entsprechende Bezahlung den Aufenthalt von abgekämpften Soldaten auf Mirc zu versüßen. Szenen dieser Art gab es in nahezu jeder Raumfahrerschänke der bekannten Galaxis zu sehen. Je weiter diese Örtlichkeiten vom Muttergestirn entfernt waren, desto freier und umfangreicher wurde dieser illegale Handel. Ich bestellte zwei Gläser Vurguzz die prompt geliefert wurden. Es war merkwürdig, wie rasch sich dieses Getränk über die Galaxis verbreitet hatte. Vor einiger Zeit hatte kaum jemand dieses Gebräu gekannt, jetzt wurde es allenthalben ausgeschenkt, und den meisten Gästen ging es wie mir – ich wußte nicht einmal, was dieses Getränk enthielt, woher es stammte, und was der absonderliche Name zu bedeuten hatte. Fartuloon prüfte mit Kennermiene den Vurguzz und nickte dann zufrieden. Wenn es dem verwöhnten Bauchaufschneider schmeckte, konnte ich wohl auch zufrieden sein. Einstweilen verhielten wir uns ruhig, wir warteten auf unsere neuen Bekannten. In dieser Kneipe wollten wir uns treffen, um unsere Pläne durchzusprechen. Noch wußten wir nicht, welcher Einheit die beiden Männer und ihr verrückter Robot zugeteilt worden waren. Es wurde schlagartig still in dem völlig überfüllten Raum, als Zergan, Kastyr und Pysther das Lokal betraten. Die Gelenke des Robots quietschten jämmerlich, sein Kopf pendelte bedrohlich und schien sich in jedem Augenblick vom Rumpf lösen zu wollen.
Peter Terrid Durch die staunenden Raumfahrer hindurch kam die Gruppe auf uns zu. Kastyr und Zergan machten ausgesprochen mißmutige Gesichter, dementsprechend kurz fiel die Begrüßung aus. Sie bestellten zwei dreifache Vurguzz und kippten das Getränk hastig herunter, dann erst machten sie ihrem Unmut Luft. »Ausgerechnet die SOWSTH«, knirschte Kastyr. »Warum hat man uns nicht gleich in einen Konverter gesteckt, das geht wenigstens schneller und schmerzt nicht so sehr!« Ich tauschte einen Blick mit Fartuloon. »Achtung!« gab das Extrahirn durch. »Der kahlköpfige Mann am dritten Tisch von rechts. Er fixiert euch und hört euch aufmerksam zu!« Ich wußte mit dieser Warnung nichts anzufangen. »Was ist an der SOWSTH besonderes?« wollte Fartuloon wissen. Kastyr ließ einen tiefen Seufzer hören. »Wir kennen den Kommandanten der SOWSTH ziemlich genau«, informierte uns der bullige Zergan. »Einer der übelsten Leuteschinder, der die Galaxis unsicher macht. Ein Schuft, ein …« Er charakterisierte den Kommandanten mit so drastischen Worten, daß mir angst und bange zu werden begann. Es war üblich, daß die Soldaten in der Arkonflotte über ihre Kommandanten schimpften, aber meist geschah dies mit einem deutlich erkennbaren Unterton von Respekt. Was Kastyr aber zum Besten gab, war eine Schimpfkanonade, die vernichtend war. Ich hatte noch nie einen Soldaten über einen Vorgesetzten derart fluchen hören. Fartuloon und ich grinsten fast gleichzeitig. Zergan sah uns verwundert an, dann begriff er. »Ihr auch?« fragte er und begann wider Willen zu grinsen. »Allmächtiger, dieser Kommandant und dann noch zwei Grünschnäbel als Besatzungsmitglieder … von uns wird keiner zurückkehren.« Er streichelte über Pysthers Kopf. Der
König der Deserteure Robot gab einen erstaunlich echt klingenden Seufzer von sich. Offenbar schien die Nachricht, daß er zum Dienst an Bord der SOWSTH abkommandiert war, auch das Gemüt des Robots beeinträchtigt zu haben. »Unfug«, gab das Extrahirn durch. »Eine Maschine kennt keine Gefühle. Achte auf den Kahlkopf, er hat euch nicht aus den Augen gelassen!« Die Warnung war kaum beendet, als sich der Kahlköpfige auch schon in Bewegung zu setzen begann. Er fixierte mich, und seine Züge formten ein Lächeln. Ich wußte sofort, woran ich war. Diese Art von Lächeln gab es nur bei Personen, die berufsmäßig mit vielen anderen Menschen zu tun hatten, bei Ärzten, Vertretern und besonders Politikern. Mit ein wenig Übung ließ sich das Maskenhafte dieser Art Lächeln sofort erkennen. Der Mann mochte uns nicht, er lächelte nur, weil er etwas von uns wollte. »Darf ich?« fragte der Kahlköpfige. Bevor einer von uns eine Antwort geben konnte, hatte er sich bereits gesetzt und den Robotkellner herangewinkt. »Fünfmal die Hausmarke!« Diese grundlose Großzügigkeit machte mich schlagartig mißtrauisch. Ich betrachtete den Mann prüfend. Er war von mittlerem Alter und sah so aus, als habe er zeit seines Lebens keine Waffe in der Hand gehalten. Seine Muskulatur war, soweit ich sie sehen konnte, schwach ausgeprägt und mit einer erkennbaren Fettschicht überzogen. Dazu wies das Gesicht jene Blässe auf, die man bei aktiven Soldaten niemals traf. Das allein wäre kein Grund gewesen, dem Kahlköpfigen skeptisch gegenüberzustehen – dieser Mann aber machte auf mich den Eindruck, als treibe er sich stets nur da herum, wo mit wenig Arbeit und möglichst geringem Risiko ein größtmöglicher Profit für die eigene Tasche zu erzielen war. Der Robotkellner servierte eine grünlich schimmernde Flüssigkeit. »Auf die Helden des Großen Methankriegs«, sagte der Kahlköpfige und hob sein
19 Glas. Pysther nahm Haltung an und krächzte: »Danke!« Die aufdringliche Schmeichelei des Kahlkopfs verlor damit zusätzlich an Wirkung. Die Hausmarke war wohlschmeckend, aber mir schien, als habe sie einen verdächtig medizinischen Nachgeschmack. Ich sah Fartuloon an. Der Bauchaufschneider kostete das Getränk noch einmal, und seine Gesichtszüge drückten höchstes Behagen aus. Nur ich sah, daß er mit dem Zeigefinger der Rechten absonderliche Gebilde auf den Tisch malte. Mein Extrahirn lieferte mir schnell die Erklärung. Was Fartuloon da symbolisch auf den Tisch zeichnete, war die Strukturformel eines medizinischen Präparates, meine Ahnung hatte mich also nicht getrogen. Das fotografische Gedächtnis lieferte mir auch eine Beschreibung der Wirkungsweise der Droge. Sie setzte das Entschlußvermögen des Patienten herab. Der Kahlkopf wollte also etwas von uns, und er wollte etwas, auf das wir uns mit nüchternem Verstand wahrscheinlich niemals eingelassen hätten. »Hurtheyn!« stellte sich der Kahlkopf vor. »Ich hörte – rein zufällig – Ihre Unterhaltung über Ihr nächstes Kommando.« Aha, dachte ich. Ich sah, wie Kastyr erneut zu seinem Glas griff. Ich wollte ihn warnen und trat ihm unter dem Tisch vor das Schienbein. Es war erstaunlich hart, stellte ich fest. Pysthers Waffenarm zuckte in die Höhe und krachte unter das Serviertablett eines Robotkellners. Gläser und Flaschen flogen durch die Luft und zerschellten auf dem Boden. Eine Flasche barst auf einem Tisch, und Sekunden später kräuselte ein bläulicher Rauchfaden in die Höhe. Fartuloons Augen weiteten sich, als er die Wirkung des Flascheninhalts auf der hölzernen Tischfläche sah. Gelächter kam auf und unterdrückte die naheliegende Frage, wieso Pysther plötzlich um sich zu schlagen begonnen hatte. Lediglich ein schneller Blick von Zergan verriet
20 mir, daß er schnell gefolgert hatte, daß ich versehentlich Pysthers Beine getroffen hatte. Erneut wurde mir bewiesen, daß der Kahlkopf etwas von uns wollte. Warum sonst hätte er sich freiwillig erboten, die Scherben zu bezahlen, die Pysther auf dem Gewissen hatte? »Was ist mit unserem Kommando?« wollte Zergan wissen. »Kennen Sie die SOWSTH und ihren Kommandanten?« Ein Fuß drückte rhythmisch auf meine Zehen. Ich verfolgte den Morsecode: »Warnung verstanden!« »Wer würde diesen Kommandanten nicht kennen«, orakelte Hurtheyn vielsagend. »Ich wüßte – vielleicht – eine Möglichkeit, diesem Leuteschinder zu entgehen.« Fartuloon beugte sich vor und stützte sich mit dem Ellenbogen ab. »Woran hatten Sie gedacht«, fragte er interessiert. »Haben Sie Einfluß auf die Kommandozuteilungen?« »Man kann es so nennen«, sagte Hurtheyn und lächelte Fartuloon an. Es sprach für die Qualitäten unserer neuen Freunde, daß sie den winzigen Augenblick, in dem sich Hurtheyn ausschließlich auf Fartuloon konzentrierte, dazu nutzten, die gefährliche Hausmarke unter den Tisch zu schütten. »Ich könnte sogar erreichen«, sagte Hurtheyn so leise, daß nur wir ihn verstehen konnten, »daß Sie sozusagen auf Dauer vom Frontdienst befreit werden.« In Fartuloons Augen trat ein träumerischer Schimmer. Einmal mehr stellte ich fest, daß der Bauchaufschneider ein hervorragender Schauspieler sein konnte, wenn es nottat. »Ich höre«, sagte er fasziniert. »Die Sache ist naturgemäß mit gewissen Risiken und Aufwendungen behaftet«, erklärte Hurtheyn vielsagend. »Mit dem Wort Aufwendungen meinen Sie wohl Geld?« warf Zergan ein. Ich sah, daß er sich beherrschen mußte. »Richtig«, stellte Hurtheyn freundlich fest. »Ich kann mir vorstellen, daß es natürlich nicht einfach ist, sich von einer be-
Peter Terrid trächtlichen Summe Geldes zu trennen, aber mir will scheinen, daß es einen wesentlich härter ankommt, sich von seinem Leben zu trennen. Sie stimmen mir zu?« Allein schon die gekünstelte Sprache des Mannes ging mir auf die Nerven, trotzdem nickte ich. »Wir sollten Klartext reden«, schlug Fartuloon vor. »Sie wollen uns zur Desertion verleiten.« Hurtheyn lächelte. »Verleiten ist nicht ganz das richtige Wort«, sagte er freundlich. »Und es gibt auch weniger harte Worte, um den Tatbestand zu beschreiben. Ich würde es eher so nennen: ich helfe Ihnen, Ihren persönlichen Überlebenskoeffizienten zu erhöhen.« Eigentlich hätte ich den Mann sofort der Militärpolizei übergeben müssen. Der Gedanke an Desertion war mir ohnehin zuwider. Ein Mann konnte nicht verächtlicher handeln, als Arkon in diesem Augenblick feige den Rücken zu kehren und den verzweifelten Kampf des Großen Imperiums anderen zu überlassen. Noch widerwärtiger aber schien mir dieser Mann, der aus der Gefahr für das Imperium und der Niedertracht gewissenloser Feiglinge Kapital schlug. Ich beherrschte mich mit Mühe. Zergan preßte die Kiefer zusammen, während Fartuloon und Kastyr gleichgültig dreinsahen. »Wieviel?« fragte ich rauh. »Und was bieten sie dafür?« Hurtheyn kam zu keiner Antwort mehr. Vom Eingang her drang Lärm zu uns herüber. In dem Halbdunkel erkannte ich die Abzeichen der Militärpolizei. Als ich mich wieder zu Hurtheyn herumdrehte, war der Kahlköpfige verschwunden. Ich sah gerade noch, wie in einigen Metern Entfernung eine sehr gut getarnte Tür hinter ihm zufiel. Ich streckte und reckte mich. Es war klar, was sich in den nächsten Minuten abspielen würde. Der Haß zwischen Soldaten und Militärpolizei war so alt wie das Imperium selbst, vielleicht noch älter. Beide Parteien konnten
König der Deserteure wenig für den Konflikt, die Männer wurden den jeweiligen Abteilungen zugeteilt. Trotzdem aber kam es immer wieder zu Konflikten. Die Soldaten konnten einfach nicht begreifen, daß die Militärpolizisten ihnen die Vergnügungen nach dem unglaublich harten Frontdienst nicht gönnten. Dazu kam noch, daß die Polizisten den Fronten selten näher als ein Dutzend Lichtjahre kamen. Erste Beschimpfungen flogen durch den Raum. Einstweilen bewahrten die Polizisten die Ruhe. Mit versteinert wirkenden Gesichtern gingen sie durch die Räume und überprüften die Papiere. »Freunde«, sagte Zergan hoffnungsvoll. »Gleich geht es los – ich kenne das. Wie steht es mit euch?« Fartuloon und ich sahen uns an. Unsere Scheinidentitäten waren die zweier normaler Raumsoldaten – und ein Raumsoldat, der sich an einer Keilerei mit der Militärpolizei nicht beteiligte, war schlichtweg undenkbar. Nachdenklich musterte ich die Militärpolizisten. Es waren breitschultrige, hoch gewachsene Gestalten. In einigen Gesichtern sah ich, gerade noch erkennbar, dünne helle Streifen. Das sagte mir genug. Die Arkonmedizin brachte es ohne Mühe fertig, die typischen Verletzungen bei Schlägereien rasch zu kurieren und zum Verschwinden zu bringen. Erst wenn die gleiche Stelle mehrfach beschädigt oder verletzt worden war, wurden Narben sichtbar. Unsere Gegner waren also erfahrene Männer, die bereits einige Auseinandersetzungen dieser Art hinter sich hatten. Wir mußten auf alles gefaßt sein. Ein Mann trat an unseren Tisch. Unter der dünnen Uniformjacke sah ich beeindruckende Muskelpakete, an der Hüfte trug der Polizist rechts und links je einen Paralysator. »Die Papiere«, sagte der Uniformierte. »Bitte!« Zergan stieß Kastyr an. »Hast du das gehört? Er hat bitte gesagt! Die Militärpolizei ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war.« »Wenn das so ist«, sagte Kastyr gedehnt und brachte seine Identitätskarte zum Vor-
21 schein. Sorgfältig prüfte der Polizist die Dokumente, dann gab er sie zurück und verblüffte den fassungslosen Zergan sogar mit einem freundlichen »Danke!« Die Spannung fiel von mir ab. Mir war es naturgemäß lieber, wenn es zu keiner Schlägerei kam, deren Ausgang nie vorherzusagen war. »Zum wem gehört der Robot?« fragte der Polizist und deutete auf Pysther. Er zuckte mit keiner Wimper, als Pysthers Waffenarm hochschnellte und auf seinen Bauch zeigte. »Das ist unser Freund Pysther«, verkündete Kastyr. Es wurde merkwürdig still in der Schänke. Die Gewitterwolken einer Prügelei ballten sich am Horizont mit erschreckender Geschwindigkeit zusammen. »Haben Sie etwas gegen Kampfrobots?« Wieder lächelte der Polizist. »Überhaupt nichts«, verkündete er liebenswürdig. »Ihren Freund Pysther finde ich sogar so sympathisch, daß ich ihn mitnehmen werde. Sie werden ihn begleiten, hoffe ich.« »Darf ich fragen, warum?« erkundigte sich Zergan. Langsam stand er auf, und im Hintergrund begannen sich Raumfahrer und Militärpolizisten nach handlichen Waffen umzusehen. »Besitz von regierungseigenen Kampfmaschinen«, erklärte der Polizist freundlich. »Strafbar nach Paragraph XYZ, der Richter wird Ihnen das genauer erklären können.« Zergan schlug zu. Er legte alle Kraft in den Schwinger, der in der Magengrube des Polizisten landete. Der Uniformierte fiel nicht um, er trat lediglich einen Schritt zurück. Die nächsten Ereignisse entwickelten sich mit einem unglaublichen Tempo. Noch während der Polizist zurücktrat, setzte er zu einem Hieb an, der Zergan präzise am Kinnwinkel traf. Zergan flog einen halben Meter zurück, warf den Tisch um und rollte vor die Füße seines robotischen Freundes. Pysther wurde von den Beinen gerissen und kippte nach vorn. Eine halbe Sekunde verstrich, in der
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Peter Terrid
nichts anderes zu hören war als das erregte Atmen der Männer, das leise Kollern einer Flasche auf dem Boden und das Tropfen einer zähen Flüssigkeit, die von einem Tisch herabrann. Dann hörte ich eine heitere Stimme sagen: »Auf sie, Jungs!« Damit war das Startsignal gegeben. Es war die Einleitung zu einem Gefecht, das später als die große Schlacht von Mirc in die Geschichte der Militärpolizei eingehen würde.
5. Das plötzliche Brüllen der Männer ließ mich erschreckt zusammenfahren. Instinktiv duckte ich mich. Der Hieb des hünenhaften Polizisten zischte über mich hinweg, der Mann stolperte und fiel auf Fartuloon, woraufhin die beiden engumschlungen zu Boden gingen. Ich rollte mich zur Seite und warf einen Soldaten von den Beinen, der Inhalt seines Glases rann mir über dem Kopf und verklebte meine Haare. Rasch kam ich wieder auf die Beine, aber nur, um einen Tritt in die Magengrube zu empfangen, der mich erneut auf den Boden schickte. Von dem zähflüssigen Likör in meinem Gesicht halb geblendet, sah ich, wie ein Stuhlbein gegen Pysthers Kopf geschleudert wurde. Der Metallschädel verlor den Halt und stürzte auf den Boden. Pysther stieß einen entsetzten Schrei aus, während sein Kopf über den Boden rollte. Ein Fußtritt beförderte den Schädel in eine Ecke. »Mein Kopf!« kreischte Pysther. »Wo ist mein Kopf. Hilfe, Hilfe, ich brauche meinen Kopf. Hat denn niemand meinen Kopf gesehen!« Ich kam nicht dazu, mich über die Tatsache zu belustigen, daß dieser entsetzte Ruf nicht vom Rumpf Pysthers stammte, sondern aus den Sprechorganen seines Schädels erklang. Offenbar kam Pysther mit dem Sachverhalt nicht ganz zurecht. Ich rappelte mich auf und stürzte mich in
das Gewühl. Meine Hände bekamen ein Fußgelenk zu fassen, an dem ich ohne Zögern zu drehen begann. Etwas Hartes landete in meinen Kniekehlen und ließ mich einknicken. Ungefähr auf der Höhe meines Gesichts tauchte der haarlose Schädel eines Mannes auf, der schmerzerfüllt aufschrie. »Laß mich los, du Halunke, du brichst mir den Knöchel.« Unwillkürlich ließ ich das Fußgelenk fahren, daß ich immer noch umklammert hielt. »Wann gibt mir endlich jemand meinen Kopf zurück«, hörte ich Pysther kreischen. »Macht den verfluchten Robot stumm!« brüllte eine Männerstimme. »Der Blechkerl regt mich auf.« Die festgeschriebene Programmierung verbot es Pysther, auf die Kämpfenden zu schießen, aber offenbar hatten unsere neuen Freunde eine Möglichkeit gefunden, dieses Hindernis wenigstens teilweise zu umgehen. Pysther beschränkte sich keineswegs darauf, jämmerlich zu schreien. Er griff alle erreichbaren Gegenstände und schleuderte sie durch den Raum. Da er seine Sehzellen nicht mehr besaß, trafen seine Wurfgeschosse Freund und Feind gleichermaßen. Der Boden der Gaststätte war nach kurzer Zeit mit klebrigen Lachen bedeckt, Scherben knirschten unter den Füßen der Kämpfenden. Ein Fausthieb traf mich an der Hüfte, ich schlug ungezielt zurück. Längst hatte ich die Übersicht verloren. Wo Fartuloon steckte, wußte ich nicht, und Zergan steckte mit Kastyr in einem unentwirrbar scheinenden Knäuel von Gliedmaßen, die unregelmäßig nacheinander schlugen oder traten. Dazwischen tauchten Flaschen und hölzerne Trümmer des Mobiliars auf, die ziellos auf Köpfe herabsausten. Gern hätte ich meine Fähigkeiten voll ausgespielt, aber ein gewöhnlicher Raumsoldat kannte für gewöhnlich keine DagorKampftechniken, also mußte ich mir anders helfen. Als mich erneut ein Faustschlag traf, diesmal am Oberarm, war meine Geduld erschöpft. Ich griff nach dem nächstbesten
König der Deserteure Körperteil, das in meinem Blickfeld auftauchte und setzte einen Hebelgriff an. Zu meinem Leidwesen war es Fartuloon, dessen Arm vor mir aufgetaucht war. Der Bauchaufschneider beschrieb einen Bogen und landete nach einem wütenden Aufschrei auf den Köpfen zweier Polizisten, die gerade nach ihren Paralysatoren greifen wollten. Fartuloons Ellenbogen kollidierte mit der Nase eines der Polizisten. Der Uniformierte blieb auf dem Boden sitzen und griff nach seiner blutenden Nase. Der Raum war erfüllt von Lärm. Die Männer beschimpften sich oder forderten ihre Freunde zu Hilfsmaßnahmen auf, die in diesem Gewühl von vornherein zum Scheitern verurteilt waren. Darüber ertönte das Kreischen der wenigen Frauen, die sich an die Wände gepreßt hatten und fassungslos dem Getümmel zusahen. Ich trat um mich, schlug und warf, was meine Muskeln nur hergaben, denn dies war die einzige Möglichkeit, nicht selbst getroffen oder gar verletzt zu werden. »Hierher!« kreischte eine Stimme. »Her zu mir!« Die Stimme kam von Pysther. Ein mitleidiger Kämpfer hatte den Kopf des Robots aufgehoben und auf einem Schrank postiert. Pysthers Sehorgane bewegten sich hektisch, während der Robot jetzt verzweifelt nach seinem Körper rief. Minuten vergingen, in denen sich das Schlachtfeld langsam zu lichten begann. Die kräftigen Polizisten hatten unter den Reihen der Soldaten gewütet, aber deren Überzahl machte sich jetzt immer stärker bemerkbar. Ich sah den hünenhaften Anführer des Polizeikommandos, auf den sich gleich zwei Raumsoldaten stürzten, um ihn außer Gefecht zu setzen. Obwohl der Polizist Zeit genug gehabt hätte, griff er nicht nach seinen Paralysatoren. Offenbar hätte dies gegen den ungeschriebenen Ehrenkodex solcher Auseinandersetzungen verstoßen. Schnell wie zwei Robotarme bewegten sich die Arme des Polizisten auf seine Widersacher zu, und ebenso hart griffen seine Hände zu.
23 Es gehörte eine unglaubliche Körperkraft dazu, die beiden Männer an den ausgestreckten Armen im Kreis herumzuwirbeln. Die beiden Soldaten heulten erschrocken auf, aber bevor sie sich gegen diese unwiderstehliche Gewalt zur Wehr setzen konnten, hatte der Polizist sie bereits losgelassen. Einer der beiden Angreifer krachte gegen eine Seitenwand der Gaststätte und sackte bewußtlos auf dem Boden zusammen. Der zweite flog genau in die zuschlagbereiten Fäuste eines Militärpolizisten und war eine halbe Sekunde danach ebenfalls kampfunfähig. Ich konnte nicht sehen, was geschah, weil ich einen übereifrigen Raumfahrer, der in seiner Kampfeswut weder Freund noch Feind kannte, mit einem Handkantenschlag in die Magengrube ausschalten mußte, aber mir wurde schlagartig klar, daß sich etwas geändert hatte. Wie unter einem geheimnisvollen Befehl stehend, hielten die Kämpfer inne. Verwundert sahen sie hoch. Ich richtete mich auf und sah den Anführer der Militärpolizei an. Seine Züge hatten sich verhärtet, seine Augen waren nur noch schmale Striche. Sein Blick galt dem Anführer eines neuen Trupps, der auf der Bildfläche erschienen war. Klein, fett und grinsend vor Heimtücke stand der Kralasenenoffizier, im Eingang. Hinter ihm drängten sich seine Männer. »Dürfen wir mitspielen?« fragte der Offizier mit einer fetten Stimme, die vor Hohn förmlich troff. Langsam schoben sich die Kralasenen in den Raum. Seit dem Tod des Blinden Sofgart hatte sich die Angst vor seinen uniformierten Bluthunden etwas gelegt, geblieben aber war der Haß. In der Zeit, die ein Herz für einen Schlag brauchte, wurde ein Bündnis geschlossen, das in der Geschichte der Arkon-Flotte einmalig war. Die Männer brauchten nicht einmal Blicke zu wechseln, um dieses Bündnis zu besiegeln. Mit vereinten Kräften gingen Militärpolizisten und Raumsoldaten auf die
24 verhaßten Kralasenen los. Mein Extrahirn lieferte einen warnenden Impuls von größter Stärke, aber ich ignorierte ihn. Das plötzliche Bündnis der beiden Erzfeinde Raumsoldaten und Militärpolizisten riß mich mit, dazu kam der brennende Haß auf die Kralasenen, denen meine Freunde und ich soviel Leid zu verdanken hatten. Nur am Rande nahm ich war, daß sich auch Fartuloon auf die Kralasenen stürzte. Das Gefecht zwischen Polizei und Soldaten war eine wüste Rauferei gewesen, jetzt wurde ein Gemetzel daraus. Zwar waren die Verbündeten noch besonnen genug, dem Gegner keine schweren oder gar tödlichen Verletzungen zuzufügen, aber die stillschweigend eingehaltenen Spielregeln waren jetzt außer Kraft gesetzt. Nasenbeine brachen mit dumpfem Knirschen, und nach kurzer Zeit landeten die ersten ausgeschlagenen Zähne auf dem Boden. Ein Kralasene stürzte auf mich zu. Ich wich seinem Schwinger aus und hebelte ihn über mich hinweg. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie Fartuloon den Mann mit einem raschen Griff beider Hände an den Hals betäubte. Es war merkwürdig still geworden in der Gaststätte. Man hörte das Keuchen der Kämpfer, ihr dumpfes Aufstöhnen, wenn ein Schlag getroffen hatte, das Splittern und Krachen von zerbrechenden Stühlen und Tischen, das Klirren berstender Gegenstände aus Glas. Die wenigen Frauen hatten sich in sicher erscheinende Winkel verzogen und sahen dem Kampf gebannt zu. Ihre Sympathien galten ganz offenkundig den verbündeten Soldaten und Polizisten. Zwei der Frauen hatten sich einen besonders sicheren Platz ausgesucht. Sie hatten sich vor Pysthers Füßen auf den Boden gesetzt. Der Robot drehte sich wie wild auf einem Fleck und wirbelte mit seinen Armen umher. Wer in diesen Wirbel hineingeriet, konnte ernsthafte Verletzungen davontragen, daher hielten die Kämpfer trotz der Hektik und Verbissenheit der Auseinandersetzung gehörigen Abstand.
Peter Terrid Pysthers Kopf konnte ich nicht sehen. Offenbar hatte es sogar dem Robot die Sprache verschlagen, denn er war nicht mehr zu hören … Die Kralasenen kämpften verbissen und mit der ihnen eigentümlichen Hinterlist, aber diese Mittel halfen nicht viel gegen die Wut und den Haß der Verbündeten. Nach einer halben Stunde war der Kampf entschieden.
* Ich schüttelte dem Uniformierten die Hand, von dessen Uniform nicht mehr viel zu sehen war. Der Anführer der Militärpolizei hatte ein blaues Auge, und ihm fehlten drei Vorderzähne. Ich wußte allerdings, daß er bereits am nächsten Morgen mit einem einwandfreien Gebiß seinen Dienst antreten konnte, wenn er bald einen guten Arzt aufsuchte. Ein Robotkellner näherte sich. Eine seiner Sehzellen baumelte vor seinem metallenen Gesicht. Er balancierte ein mit vollen Gläsern bedecktes Tablett durch die Menge. Aus den hinteren Räumen drängte sich eine Schar weiterer Kellner in den Raum. Der feiste Wirt strahlte über das ganze Gesicht, sein Doppelkinn hüpfte vor Freude. »Ich erlaube mir, ein Glas für jeden auszugeben«, erklärte er strahlend. »Von denen da natürlich abgesehen!« »Die da« waren die Kralasenen, die, säuberlich verschnürt, auf dem Boden lagen und uns, soweit sie noch bei Besinnung waren, mit haßerfüllten Blicken bedachten. Die Szenerie war einmalig. Auf dem Boden lagen die Kralasenen, in der Gaststätte standen Militärpolizisten und Raumsoldaten friedlich zusammen und klopften einander triumphierend auf die Schultern. Ich spürte den Schmerz in der Magengrube nicht mehr. Der starke Schnaps tat einiges dazu, die Treffer vergessen zu machen, die ich bei der Auseinandersetzung erhalten hatte. Der Anführer des Polizeikommandos hieb mir auf die Schulter, als wolle er mir das Gelenk zerschmettern.
König der Deserteure Wir mußten im Stehen trinken, sämtliche Stühle, Sitzbänke und Tische lagen in Trümmern, aber das konnte die gute Laune des Wirtes nicht beeinträchtigen. Aus einem der hinteren Räume erklang lautes Lachen. Leicht schwankend tauchten Zergan und Kastyr im Rahmen auf. Sie trugen vorsichtig den Kopf ihres Freundes Pysther auf einem Tablett in den Raum. Auf geheimnisvolle Weise war der Kopf des absonderlichen Kampfrobots während der Saalschlacht in die Küche geraten. »Wir haben ihn aus dem Suppentopf gefischt!« verkündete Kastyr kichernd. Das war nicht zu übersehen. Pysthers Kopf war von einer glänzenden Fettschicht überzogen, das Metall war über und über mit Gemüsestreifen bedeckt. Der Rest von Pysther stand kerzengrade im Raum und rührte sich nicht. Vorsichtig trugen Kastyr und Zergan den Kopf ihres Freundes zu seinem Rumpf, mit einem geschickten Griff befestigte Kastyr den glitschigen Schädel am Hals. »Brssst«, machte Pysther. Vergeblich versuchte er, die Fettschicht mit seinen metallenen Händen vom Kopf zu wischen. »Ich werde mich beschweren!« Danach verzog er sich in die Sanitärräume. Seine beiden Freunde kamen auf mich zu, auch Fartuloon näherte sich. Vergnügt stießen wir an. »Was nun?« fragte Kastyr heiter. Zergan sah sich rasch um. »Wir verschwinden besser von hier«, schlug er vor. »In kurzer Zeit wird es hier von Sicherheitsstreitkräften wimmeln, und mit den Burschen ist nicht zu spaßen. Wenn sie sehen, was wir hier veranstaltet haben …« Ich nickte hastig. Rasch verließen wir das Lokal, während in der Ferne Sirenengeheul zu hören war. Der Klang kam auf uns zu, wir hatten uns gerade noch rechtzeitig abgesetzt. Während wir uns in gemächlichem Tempo auf unsere Unterkünfte zubewegten, beratschlagten wir, was zu tun sei. Zu einem Ergebnis kamen
25 wir nicht. »Mir graut vor der SOWSTH«, murmelte Kastyr niedergeschlagen. »Wenn ich an den Kommandanten denke, kommt mir der Gedanke an eine Desertion fast schon verlockend vor.« »Was bieten diese Vermittler eigentlich?« wollte ich wissen. »Sicherheit«, knurrte Zergan. »Sie bringen einen in Sicherheit, allerdings nur gegen Bargeld.« »Und wie sieht diese sogenannte Sicherheit aus?« »Sie verschaffen dir neue Papiere und transportieren dich auf eine Welt, die nur spärlich besiedelt ist oder weitab der normalen Routen liegt. Dort ist man vor Rekrutierungsabteilungen der Flotte sicher.« »Es sei denn, die Maahks finden eine solche Welt«, warf Fartuloon ein. Zergan schüttelte den Kopf. »Wenig wahrscheinlich«, murmelte er. »Was sollen die Maahks mit einer nur spärlich besiedelten Sauerstoffwelt. Die wenigen Arkoniden zu jagen, die auf solchen Planeten leben, ist viel zu umständlich. Es gibt andere Planeten, die zu überfallen sich wirklich lohnt. Diese Seelenhändler wissen, was sie zu tun haben. Sie haben wirklich etwas zu bieten, allerdings fordern sie horrende Summen für ihre Leistungen.« »Was ist, wenn man ihnen auf die Schliche kommt?« forschte ich. Diesmal grinste Zergan. »Strafdienst in der Flotte«, verkündete er. »Natürlich in besonders gefährdeten Einheiten. Wer erwischt wird, hat kaum noch eine Chance, lebend davonzukommen. Ich finde dieses System ausgesprochen gerecht.« Ich nickte nachdenklich. »Könnte uns dieser Hurtheyn auch eine Passage nach Arkon vermitteln?« fragte ich Zergan. Der Bullige sah mich verwundert an. »Ich wüßte nicht, was das für einen Sinn haben sollte. Auf Arkon wirst du schneller erwischt als auf jedem anderen Planeten der Galaxis. Wenn schon desertieren, dann doch
26 nicht nach Arkon!« Ich lächelte verhalten. »Ich will gar nicht desertieren«, eröffnete ich meinen Begleitern. »Ich will nach Arkon, und wenn mir die Flotte dabei nicht helfen will, dann muß mir eben Hurtheyn helfen.« »Und was willst du auf Arkon?« fragte Kastyr mit einem scheelen Blick. »Hast du Verwandte dort, die dir helfen könnten? Beziehungen?« »Ich will lediglich ein vernünftiges Kommando«, log ich. »Eure Berichte über die SOWSTH und ihren Kommandanten haben mich stark beeindruckt.« Zergan kicherte. »Junge, wenn dich schon die Berichte aus den Stiefeln heben, dann ist es wirklich besser, du mustert gar nicht erst an. Die Wirklichkeit ist nämlich noch wesentlich schlimmer.« Er wechselte einen Blick mit Kastyr. »Was meinst du?« Der Jüngere zuckte mit den Schultern. »Es wäre eine Möglichkeit«, überlegte er laut. Jetzt sah ich Fartuloon an. Was sollten wir machen, wenn die beiden auf die Idee verfielen, uns begleiten zu wollen? Vor allem der auffällige Roboter mußte unsere Chancen weit mindern. Und vor allem: was sollten wir Kastyr und Zergan erklären, wenn wir uns auf Arkon einfach absetzten? Es fiel mir nicht im Traum ein, mich für ein Schiff der Arkon-Flotte zu melden und darauf zu warten, daß man meine Identität herausfand, mich gefangennahm und den Henkern Orbanaschols überlieferte. »Was haltet ihr davon: Wir versuchen zusammen, nach Arkon zu kommen und dort ein Kommando zu bekommen? Zu fünft haben wir sicher bessere Aussichten!« Offenbar zählten unsere beiden Freunde den verrückten Robot als vollwertige Person. Ich hütete mich, eine Bemerkung zu machen. Pysther war bekanntlich ein sehr sensibler Robot. Ich zögerte.
Peter Terrid »Zustimmen«, gab das Extrahirn durch. Eine Begründung für diesen Impuls lieferte es nicht. »Also gut«, erklärte ich. Fartuloon sah mich sekundenlang skeptisch an, dann schien er zu begreifen, daß ich nicht ins Blaue hinein geredet hatte. »Versuchen wir es. Als erstes müßten wir allerdings Hurtheyn finden oder irgendeinen anderen Mittelsmann.« Kastyr grinste zuversichtlich. »Laß das unsere Sorge sein«, erklärte er selbstsicher.
* Unsere Unterkünfte waren nicht schlecht, vor allem nicht, wenn man berücksichtigte, daß die Anlagen auf Mirc improvisiert waren. In der Nähe des großen Raumhafens hatte man in den Untergrund eine komplette Kleinstadt hineingebaut. Sie hatte alles zu bieten, was man von einer arkonidischen Stadt auf einer Kolonialwelt erwarten konnte. Fünfzehn Stockwerke tief reichten die Räume unter die Erde, unterhalb dieses Niveaus lagen die Versorgungseinrichtungen: Kanalisation, Energieversorgung, Klimaanlage und dergleichen. Über unseren Köpfen lagen die Quartiere, in denen die auf Mirc stationierten Offiziere wohnten. Ihnen war der Luxus vorbehalten, die karge Landschaft des Planeten bewundern zu dürfen. Im Ernstfall aber waren ihre Quartiere die ersten, die von den Geschützen der Maahks vernichtet wurden. Es lag daher im ureigensten Interesse der Offiziere, diesen Ernstfall nach Möglichkeit zu verhindern. Fartuloon und ich hatten eine Kleinwohnung zugeteilt bekommen, die wir mit unseren Freunden Zergan und Kastyr zu teilen hatten. Natürlich lebte auch Pysther mit uns zusammen. Zum Glück schnarchte er nicht. Kastyr und Zergan waren unterwegs. Sie wollen versuchen, Hurtheyn aufzufinden. Die beiden Freunde lebten schon seit Monaten auf Mirc und kannten sich in den Örtlichkeiten aus. Wenn es jemanden gab, der
König der Deserteure den Vermittler schnell aufstöbern konnte, dann waren sie es. Zergan und Kastyr waren in den frühen Morgenstunden des planetaren Tages aufgebrochen, jetzt war es früher Nachmittag. Fartuloon hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht und schien auf Vorrat zu schlafen. Im Hintergrund spulte ein Video ein langweilendes Propagandaprogramm ab. Es waren die üblichen Klischees: der Brudermörder Orbanaschol wurde als Held und Retter des Großem Imperiums gefeiert. Wenn auch nur die Hälfte der Siegesmeldungen stimmte, hätten die Maahks längst vernichtet sein müssen. Das Gegenteil war der Fall, Thantur-Lok, der große Sternenhaufen, der das Arkonsystem barg, schwebte immer noch in höchster Gefahr. Überall trieben sich die schnellen Schiffe der Methanatmer umher und hielten nach leichter Beute Ausschau. Die Untätigkeit zerrte an meinen Nerven. Für mich selbst und meine Sache konnte ich im Augenblick herzlich wenig tun, und solange Mirc nicht unmittelbar von den Maahks bedroht wurde, sah ich auch keinen Sinn darin, mich sonderlich für die Interessen der Arkon-Flotte zu interessieren. Was konnte ich mit meinen geringen Mitteln auch schon ausrichten? Der Mann an der Spitze, Orbanaschol, der wegen seiner Unfähigkeit immer größere Gefahren für das Imperium heraufbeschwor, mußte beseitigt werden, dann erst war das Große Imperium in der Lage, sich seiner Feinde wirkungsvoll zu entledigen. Zergans Ankunft riß mich aus meinen trübsinnigen Gedanken. »Wir haben ihn gefunden!« verkündete er strahlend. Hinter ihm erschien Kastyr im Eingang. Mit klirrenden Schritten näherte sich Pysther. Seit sein Schädel im Suppentopf gelandet war, waren seine Sehzellen von einem grünlich schimmernden Ring umgeben. Der Robot hatte das Fett nicht völlig entfernen können, und auf dem idealen Nährboden hatte sich ein einheimisches Moos angesiedelt. Der Lärm, den der Robot bei jedem
27 Schritt erzeugte, riß Fartuloon aus seinem Dämmerschlaf. Er rieb sich die Augen und sah Kastyr an. »Mehr Informationen!« forderte er. »Laßt euch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.« Zergan ließ sich in einen Sessel fallen. Der schlanke Kastyr baute sich neben seinem Freund auf. »Wir haben Hurtheyn in einer Gaststätte angetroffen«, berichtete der Bullige. »Er hat uns sofort wiedererkannt. Wir sollen uns in drei Stunden mit ihm treffen.« »Wir alle?« wollte Fartuloon wissen. »Das kann eine Falle sein«, gab das Extrahirn durch. »Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings sehr gering. Nimm dich dennoch in acht!« »Und was soll bei diesem Treffen stattfinden?« wollte ich wissen. Kastyr zuckte mit den Schultern. »Angeblich wird Hurtheyn uns einer sehr wichtigen Persönlichkeit vorstellen«, berichtete Zergan. »Das ist eine reichlich zweideutige Formulierung«, orakelte Fartuloon.
6. Dumpf erklang hinter uns der stetige Marschtritt, mit dem Pysther uns folgte. Ich hatte es für zu gefährlich gehalten, den Robot mitzunehmen, aber unsere Freunde hatten auf Pysthers Begleitung bestanden. Ich wußte inzwischen, daß die beiden Männer, so grundverschieden sie auch aussahen, erfahrene Kämpfer waren, die schon etliche lebensgefährliche Einsätze überstanden hatten. Um so unerklärlicher war mir, daß zwei intelligente Männer mit einem schrottreifen Kampfrobot einen derartigen Aufwand betrieben. »Aberglaube«, gab das Extrahirn durch. »Es gibt viele intelligente Menschen, die Talismane oder ähnliches benutzen!« Über diese Region von Mirc war der Winter hereingebrochen. Auf den Straßen wäre es stockdunkel gewesen, hätte es keine automatische Straßenbeleuchtung gegeben. Das
28 Gebiet, durch das wir uns bewegten, war sehr ruhig. Hier wohnten die höchsten Offiziere und die Spitzen der Planetenverwaltung, daraus erklärte sich die nächtliche Ruhe. In den Mannschaftsunterkünften ging es zur Zeit hoch her. Es lag in der Natur der Sache, daß die Männer, die nicht wissen konnten, ob sie jemals wieder den Fuß auf einen Planeten setzen würden, in den kurzen Kampfpausen versuchten, vom Leben soviel mitzubekommen, wie sich in wenigen Tagen erreichen ließ. Mißtrauisch musterte ich den Schädel des Vermittlers. Hurtheyn ging voran. Er schritt so gelassen aus, als könne ihm überhaupt nichts passieren. War Hurtheyn tatsächlich so sicher, daß man ihm nicht an den Kragen konnte? Reichte die Organisation, der er angehörte, vielleicht bis in die höchsten Spitzen der Gesellschaft von Mirc? Oder war er so ruhig, weil er uns gradlinig in ein Verlies der POGIM steuerte? Das Extrahirn wußte auf diese Fragen keine Antwort und schwieg. Vor einem dunklen, langgestreckten Gebäude blieb Hurtheyn stehen und drehte sich zu uns um. »Wir sind am Ziel«, verkündigte er feierlich. »Folgen Sie mir!« Hurtheyn betätigte ein Impulsschloß und flüsterte so leise ein Kodewort in ein Mikrophon, daß wir keine Silbe verstehen konnten. Geräuschlos schwang die Tür auf, Licht strahlte uns entgegen. Das Licht war gut, daran ließ sich nicht zweifeln. Der Rest des Raumes aber machte einen ganz anderen Eindruck. »Schäbig«, kommentierte Fartuloon naserümpfend. »Ausgesprochen heruntergekommen!« »Der Schein trügt«, wehrte Hurtheyn ab. Dem Vorraum schloß sich ein weiterer Raum an, dessen Ausstattung Hurtheyn sofort Lügen strafte. Die Wandbekleidungen hingen in Fetzen herab, das Licht des einzigen Leuchtkörpers flackerte unstet. »Herzlich willkommen, mein Name ist Kester Hehl, man nennt mich den König der
Peter Terrid Deserteure!« Der Sprecher besaß eine beeindruckende Gestalt, beeindruckend zum ersten der Größe wegen, zum anderen der Fettleibigkeit wegen. Kester Hehl überragte mich um mehr als einen Kopf, seine Schultern waren breit und wuchtig. Die nicht sonderlich reinliche Kleidung des Mannes hatte alle Mühe, seine Leibesfülle zu bändigen. Der Boden zitterte ein wenig, als Kester Hehl auf uns zutrat und uns die Hand reichte. Sein Griff war fest und sicher. »Was kann ich für euch tun, Freunde?« Die imposante Gestalt des Kester Hehl hatte einen Schönheitsfehler. Der Mann sprach mit einer fetterstickten Falsettstimme, die zu dem massigen Körper einen beträchtlichen Gegensatz bildete. Bevor wir antworten konnten, fuhr Hehl fort: »Der Robot allerdings soll draußen warten. Man kann in diesen Maschinen Dinge einbauen, die vor Gericht bei Angeklagten wenig beliebt sind, aber um so höher in der Gunst der Anklage stehen. Sie verstehen?« Kastyr machte ein finsteres Gesicht, Zergan zuckte mit den Schultern, dann bedeutete er Pysther, den Raum zu verlassen. Der Robot gab ein beleidigtes Grunzen von sich und verschwand. An den wuchtigen Tritten konnten wir erkennen, daß er das Gebäude verließ und vor dem Eingang Stellung bezog. »Ihr wollt also die ruhmreiche Flotte seiner Erhabenheit verlassen«, stellte Kester Hehl fest. Er lehnte sich etwas zurück und balancierte seine Körperfülle mit den Zehenspitzen aus. Sollte uns das Schauspiel beeindrucken? »So kann man es nennen«, murmelte Fartuloon. Der Bauchaufschneider war noch nie ein Freund von Traurigkeit gewesen und wußte das Leben und seine Annehmlichkeiten sehr wohl zu schätzen. Sein Körper zeigte deutliche Spuren dieser Genußsucht, aber mit dem voluminösen Leib eines Kester Hehl konnte sich Fartuloon nicht messen. Der Bauchauf-
König der Deserteure schneider schien von dem Fettkoloß sichtlich beeindruckt. »Einverstanden«, erklärte Hehl und legte die Hände vor dem Bauch zusammen. »Tausend Chronners pro Nase.« Das war unverschämt viel, aber sicherlich ein erträglicher Betrag, wenn man daran dachte, daß man sich damit eine – wenn auch nur relative – Sicherheit für sein Leben erkaufte. »Pysther hat keine Nase«, wandte Kastyr ein. Hehl begann zu lachen, sein ganzer massiger Körper geriet in Schwingungen. »Ihr wollt die Maschine mitnehmen?« kicherte Hehl. »Mir soll es recht sein, für den Robot zweihundert Chronners. Sozialtarif für Mittellose!« Hehl fand seinen eigenen Witz über alle Maßen erheiternd, er schüttelte sich vor Lachen und kreischte in den höchsten Tönen. Hurtheyn sah dem Schauspiel ohne jede Gemütsregung zu, wahrscheinlich kannte er die Allüren seines Chefs bereits seit langer Zeit. »Habt ihr einen speziellen Wunsch?« wollte Hehl wissen. Aus einem Panzerschrank förderte er eine staubbedeckte Flasche zutage, aus der er einen gewaltigen Schluck nahm. Das Etikett deutete auf einen hochkonzentrierten Schnaps hin. »Auch etwas?« Fartuloon und ich lehnten dankend ab, Zergan nahm einen Schluck, dann trank Kastyr. Sekunden später krümmten sich beide Männer, und wieder begann Hehl zu lachen. »Euer Humor ist von der feinsinnigsten Art«, stellte Fartuloon sarkastisch fest. »In diesem Gewerbe muß man humorvoll sein«, prustete Kester Hehl und nahm einen neuen Schluck. Langsam begannen die Gesichter von Kastyr und Zergan wieder eine halbwegs normale Färbung anzunehmen. »Das ist kein Schnaps«, ächzte Zergan wehleidig, »das muß konzentrierte Säure sein. Das Zeug ist viel zu stark!« »Es gibt keinen zu starken Schnaps«, verkündete Hehl sein Dogma, »es gibt nur zu
29 schwache Männer. Ich werde für euch einen hübschen Kolonialplaneten auftreiben. Dort könnt ihr in Ruhe das Ende des Krieges abwarten, es sei denn … hahahaha … es sei denn, eine Maahkflotte taucht über eurer Welt auf und kürzt für euch den Krieg auf andere Weise ab.« Diesen Witz schien er für besonders gut zu halten. Er setzte die Flasche auf den wackligen Schreibtisch zurück und schlug sich mit beiden Händen auf die Schenkel. »Wir wollen auf keine Kolonialwelt«, verkündete ich. Hehls humoriger Anfall brach jäh ab. Verdutzt sah er mich an. Seine Stirn legte sich in Falten. »Wollt ihr zu den Maahks überlaufen?« fragte er entgeistert. Zergan schnaubte wütend, während Kastyrs Hand unwillkürlich zur Hüfte ging. »Wir wollen nach Arkon«, erklärte ich. Kester Hehl erstarrte, dann öffnete er den Mund. Sein Lachanfall übertraf alles, was ich jemals gehört hatte. Kester Hehl hatte Mühe, das Gleichgewicht zu wahren. Seine Stimme war eine Tortur für meine Ohren. »Nach Arkon wollen sie, nach Arkon!« Hehl schien diesen Wunsch nicht begreifen zu können. Dicke Tränen liefen über sein rundliches Gesicht, mit der linken Hand schlug er immer wieder auf die Platte des Schreibtischs. »Nach Arkon«, wimmerte Hehl. »Was bei allen Galaxien wollt ihr ausgerechnet auf Arkon?« »Das ist unsere Sache«, wehrte Fartuloon ab. »Nach Arkon«, wiederholte Hehl. »Seid ihr Selbstmörder?« »Überlassen Sie das uns«, knurrte Zergan grimmig. »Können Sie uns helfen, ja oder nein?« Kester Hehl beruhigte sich. Als erstes leerte er die noch halbvolle Schnapsflasche auf einen Zug, dann wandte er sich mit breitem Grinsen wieder zu uns. »Also gut, nach Arkon soll es gehen.« »Können Sie uns helfen?« bohrte Zergan.
30 »Natürlich«, erklärte Kester Hehl. »Der König der Deserteure kann alles, gegen Bargeld versteht sich. In eurem Fall …« Kester Hehl begann zu rechnen, und er brauchte geraume Zeit dafür. »Fünfundsechzig Prozent Aufpreis«, sagte er schließlich. Ich sah Fartuloon an. Woher sollten wir diese Unsumme nehmen? Das einzige Geld, über das wir verfügten, war ein Vorschuß, den man uns auf den zu erwartenden Sold ausgezahlt hatte. Die auf Arkon üblichen Kreditkarten hatten wir nicht, und sie hätten uns hier auch nichts genützt. Auf Mirc wurde bar gezahlt – bis eine Auskunft von Arkon kam, die einem Kreditkarteninhaber Bonität bescheinigte, konnte der Besitzer der Karte schon lange tot sein. Dreitausenddreihundert Chronners, für unsere Verhältnisse eine utopische Summe. »Abgelehnt«, warf Zergan ein. »Wir haben nicht soviel Geld.« »Dann seht zu, daß ihr es euch besorgt«, erklärte Hehl kalt. Von seiner überwältigenden Heiterkeit war nichts mehr vorhanden, jetzt sprachen wir mit einem eiskalt kalkulierenden Geschäftsmann. »Und wo?« fragte Kastyr scharf. »Eure Sache«, erklärte Hehl mit gespielter Freundlichkeit. »Meinethalben stehlt das Geld oder unterschlagt es. Ohne Geld geht nichts.« »Was ist besser?« versuchte Zergan zu handeln. »Wenn wir das Geld nicht zusammenbekommen, können wir Ihre Dienste nicht in Anspruch nehmen – und Sie verlieren ihren Profit. Ein wenig Entgegenkommen könnte Wunder wirken!« »Junger Mann«, sagte Kester Hehl und richtete sich auf. »In diesem Gewerbe wird nicht gefeilscht, hier wird befohlen und bestimmt – und zwar von mir. Es gibt genug Leute, die sich förmlich darum raufen, von meiner Organisation vermittelt zu werden. Auf euch bin ich nicht angewiesen, ich, Kester Hehl, König der Deserteure!« »Was nun?« sagte Zergan und sah mich ratlos an. Hehl mischte sich ein.
Peter Terrid »Ihr gefällt mir, also werde ich ein wenig entgegenkommend sein. Ich werde sehen, wo ich euch eine geheime Passage verschaffen kann. Von den Unkosten, die ich dabei haben werde, wird der endgültige Preis abhängen. Meldet euch in zwei Tagen wieder bei mir. Ihr seid entlassen!« Kester Hehl machte eine hoheitsvolle Geste, mit der er uns förmlich aus dem Raum scheuchte. Selbst ein Übelwollender mußte zugeben, daß der König der Deserteure, wie er sich selbst nannte, eine eindrucksvolle Persönlichkeit war. Wie eindrucksvoll, das zeigte sich, als Fartuloon das Freie erreicht hatte und loszuschimpfen begann. »Dieser aufgeblasene Wichtigtuer«, fauchte er. »Er ist ein feister, aufgeblasener Verbrecher, nicht mehr und nicht weniger. König der Deserteure, daß ich nicht lache. Wahrscheinlich gibt es auf Mirc mindestens ein Dutzend solcher Gestalten.« »Kester Hehl ist einzigartig«, sagte Hurtheyn sanft und lächelte dazu. »Ihr könnt mir glauben, es gibt keinen, der ihm gleicht!« Fartuloon schreckte zusammen. Er hatte nicht bemerkt, daß Hurtheyn ihm gefolgt war und jedes seiner Worte gehört hatte. »Glaubt mir, Kester Hehl ist einzig in seiner Art. Es ist nicht leicht, für ihn zu arbeiten, aber es lohnt sich. Und noch etwas« – seine Stimme wurde leiser und eindringlicher – »es ist lebensgefährlich, gegen ihn zu arbeiten. Versucht gar nicht erst, ihn betrügen zu wollen!« Fast lautlos huschte Hurtheyn davon, das Dunkel verschluckte ihn. Nachdenklich trotteten wir unseren Quartieren entgegen. »Wie sollen wir diese Riesensummen aufbringen«, murmelte Kastyr niedergeschlagen. Ich grinste. »Laß mich nur machen!«
* Es war stickig in dem Raum, aber niemand achtete auf die schlechte Luft. Mehr als drei Dutzend Menschen hielten sich in
König der Deserteure dem Raum auf, der tief unter den Mannschaftsunterkünften lag. Hierher hatte sich noch nie eine Aufsichtsperson verirrt. Welchem Zweck der Raum früher einmal gedient haben mochte, wußte ich nicht – jetzt war es das Stammquartier der Spieler und Hasardeure. Es gab im unterirdischen Labyrinth ein halbes Dutzend Spielhöhlen, je nach der Art des Glücksspiels, das gewünscht wurde. Ich hatte mich für Thur'dharr entschieden. Die Regeln waren ebenso einfach wie mörderisch. Ein Spieler hielt die Bank, genauer gesagt, er verteilte aus einem Stapel von 326 Karten nacheinander jedem Spieler bei jeder Runde eine Karte. Die Werte der Karten schwankten zwischen eins und fünfzig. Ziel war die Zahl 111. Kam ein Mitspieler dieser Zahl näher als die Bank, gewann er den Topf, überstieg er die Zahl, verfielen sämtliche Einsätze der Bank. Da nach der Ausgabe jeder Karte neu gesetzt werden mußte, erhöhten sich die Einsätze von Runde zu Runde. Unter Umständen hatte ein Spieler zwanzig bis dreißig Karten mit niedrigen Werten offen vor sich liegen – dann hatte er für jede Karte seinen Einsatz erhöhen müssen. Natürlich waren die Spielbedingungen so gestaltet worden, daß die Bank einen meßbaren statistischen Vorteil hatte, wie bei allen Glücksspielen. Ich aber hatte eine Methode herausgefunden, mit der ich die Chancen ein wenig zu meinen Gunsten verändern konnte, ohne dadurch gegen die Spielregeln zu verstoßen. Die Bank machte nämlich einen entscheidenden Fehler. Unter Umständen war eine Runde bereits nach der dritten Karte erledigt, dann nämlich, wenn ein Mitspieler zwei Fünfziger gezogen hatte. Der Bankhalter raffte dann die Karten auf dem Tisch zusammen und verstaute sie im Auffangkorb des Kartengebers. Anstatt nun aber diese Karten unter die restlichen zu mischen und alle Karten völlig neu durchzumischen, spielte die Bank aus dem Vorrat weiter.
31 Wer also gedächtnisstark genug war, sich genauesten zu merken, welche Karten bereits in früheren Runden verbraucht worden waren, und welche offen im jeweiligen Spiel auf dem Tisch lagen, konnte sich ausrechnen, was für Werte noch im Kartengeber steckten. Ganz schlaue Köpfe konnten dann sogar ausrechnen, wie groß die Wahrscheinlichkeit dafür war, eine ganz bestimmte Karte zugespielt zu bekommen. Vor mir lagen einhundert Augen. Nach meiner Rechnung – das Extrahirn mit seinem fotografischen Gedächtnis sorgte dafür, das dies eine Rechnung und nicht einfach eine Schätzung war – steckten noch fünfzehn Karten im Kartengeber, darunter zwei, die ich überhaupt nicht brauchen konnte. Zog ich den Siebzehner oder den Zweiundzwanziger, hatte ich das Spiel verloren. Alle anderen Karten brachten mich näher an die magische Zahl 111. Der Bankhalter grinste mich an. Der Mann war ein Angestellter des Unternehmers, der diese Spielhölle betrieb, ein ausgefuchster Kartenhai, dem man nichts vormachen konnte. Die Bank stand bei 108, und nur ich wußte, daß noch ein einziger Dreier im Kartengeber steckte. Zog die Bank diese Zahl, hatte ich verloren – ich hatte wesentlich mehr Karten gebraucht, um an die Grenze zu kommen. »Karte!« forderte ich und schob einhundert Chronners in die Mitte des Tisches. Zweihundert Chronners besaß ich noch, der Rest einer Gewinnsträhne, die mich im Lauf von vier Stunden von vierzig Chronners auf zweitausend gebracht hatte. Im Topf lagen mehr als zehntausend Chronners. Jedem war klar, daß dies das Spiel des Abends war. Verlor ich, war ich pleite, gewann ich, kam die Bank in Schwierigkeiten. Ich brauchte mich nicht anzustrengen, um nervös auszusehen. Der Bankhalter drückte einen Knopf, leise surrend schob sich die Karte aus dem Automaten. Mit seinem typischen Grinsen schob der Bankhalter mir die verdeckte Karte hinüber. Ich leckte mir die Lippen.
32 Die Chancen standen 15:2, daß ich eine Karte gezogen hatte, die mich verlieren ließ. Langsam drehte ich die Karte herum. Die Fünf, ich atmete erleichtert auf, dann erwiderte ich das hämische Grinsen des Bankhalters. Natürlich hatte sich der Bankhalter ebenfalls angestrengt, die Verteilung und den Verbleib der Karten zu registrieren, aber darin mußte er mir, wenn er ehrlich spielte, unterlegen sein. »Die Bank verzichtet«, sagte mein Gegner und erhöhte um weitere einhundert Chronners. Ich nickte langsam. »Karte!« Wieder das gleiche, nervenzerreißende Spiel. Langsam drehte ich die Karte herum. Die Wahrscheinlichkeit stand 14:2. Ich lächelte nicht, ich atmete nur erneut erleichtert auf. Die Bank hatte verloren, wenn der Bankhalter jetzt eine Karte forderte. Vor mir lag der letzte verbliebene Dreier. Gleichstand, 108:108. Hinter mir erklang ein dumpfes Stöhnen aus einem halben Dutzend Kehlen. Die Zuschauer waren nicht weniger aufgeregt als ich. »Karte!« Jetzt grinste ich. Es sprach für die Fähigkeiten des Bankhalters, daß er sein stereotypes Grinsen auch jetzt nicht verlor, als er die Karte umdrehte. Mit den zusätzlichen siebzehn Punkten hatte die Bank verloren. Hätte der Mann in der vorletzten Runde eine Karte gefordert, hätte er die Drei bekommen … »Ich fordere eine Untersuchung«, sagte der Bankhalter. Aus den Reihen der Zuschauer erklang ein unwilliges Murren. Es war verbrieftes Recht der Bankhalter, daß ihre Kunden untersucht wurden, ob sie Mini-Positroniken eingeschmuggelt hatten, um ihre Chancen zu verbessern. Normalerweise wurden nur Stichproben gemacht, allerdings so häufig, daß sich das Risiko nicht lohnte, einen Minirechner einzuschmuggeln. Wer erwischt wurde, landete gewöhnlich mit durchschnittener Kehle an einem Straßenrand. »Einverstanden«, sagte ich lächelnd.
Peter Terrid Aus dem Hintergrund löste sich eine Gestalt und kam hastig näher. Ich erkannte den Inhaber dieser Spielhölle. »Keine Untersuchung nötig«, entschied er laut. »Wenn unsere Gäste darauf vertrauen, daß die Bank ehrlich spielt, dann sollte das Haus auch einem glücklichen Gewinner vertrauen!« Beifall kam auf, fremde Hände schlugen mir auf die Schulter. »Geschickte Geschäftspolitik«, gab das Extrahirn durch. »Die Nachricht von deinem Gewinn wird die Zahl der Besucher und die Spieleinsätze in die Höhe treiben. Obendrein ist der Verlust der Bank gering, die Masse des Geldes haben deine Mitspieler an dich verloren!« Ich stand auf und strich meinen Gewinn ein. Meinetwegen hätte man mich durchaus durchsuchen können, eine Mini-Positronik besaß ich nicht. Woher hätte der Bankhalter wissen können, daß ich die Fähigkeiten meines Extrahirns eingesetzt hatte? Ein Arkonide mit aktiviertem Extrahirn im Mannschaftsrang? Unvorstellbar! Arkoniden mit der ARK SUMMIA hatten es nicht nötig, sich in Hinterzimmerspielhöllen zu vergnügen, ihnen standen ganz andere Möglichkeiten offen. Fartuloon kam näher und half mir, meinen Gewinn zu verstauen. Sein Gesicht war bleich, die Stirn von Schweiß bedeckt. Der Inhaber der Spielhölle sah mich lächelnd an. »Noch ein Spiel gefällig?« fragte er amüsiert. Fartuloon wehrte sofort ab. »Das würden meine Nerven nicht aushalten«, stöhnte er. »Ich bin schon tausend Tode gestorben, nur vom Zusehen.« Der Inhaber lächelte wieder. »Auf ein neues!« rief er. »Sie haben gesehen, was man hier gewinnen kann!« Die Besucher drängten sich um die Spieltische, größtenteils mit fiebrig glänzenden Augen. Wahrscheinlich hatte das Unternehmen den Verlust, den es durch mich erlitten hatte, in spätestens einer Stunde wieder ausgeglichen. »Was werden Sie mit dem Gewinn ma-
König der Deserteure chen«, fragte der Inhaber freundlich. Ein Wahnsinnsgedanke durchzuckte mich. Vorher hatte ich Chancen kalkuliert und angewandte Statistik und Wahrscheinlichkeitsmathematik betrieben. Was ich jetzt tat, war blankes Hasardieren. »Narr!« schrie das Extrahirn, bevor ich noch den Mund geöffnet hatte. »Kennen Sie einen gewissen Kester Hehl?« Fartuloons Unterkiefer klappte herunter, er gab ein ersticktes Gurgeln von sich. Der Inhaber begann zu lachen. »Wenn die Sache so liegt, können Sie das Geld gleich hier abgeben. Hehl ist einer unserer Stammgäste. Er spielt oft und sehr hoch – und verliert meistens. In seinem Gewerbe ist er allerdings ein Spitzenkönner. Sie werden Ihre Wahl nicht bereuen!« Ich lächelte verbindlich, obwohl mir alles andere als wohl zumute war. Wenn mein Gesprächspartner mit der Polizei zusammengearbeitet hätte … die Folgen wagte ich mir nicht auszumalen.
7. Gemächlich gingen wir durch die Gänge des Soldatensilos, wie die Mannschaftsunterkünfte mit bösem Spott von den Betroffenen genannt wurden. Es tat gut, das Gewicht in der Tasche zu spüren. Jetzt konnte ich für uns fünf die Passagiere bezahlen, die Kester Hehl fordern würde. Das Pysther uns begleiten würde, war für mich mittlerweile eine feste Tatsache. Ich begann mich an den skurrilen Robot zu gewöhnen, und langsam begriff ich, warum Kastyr und Zergan sich von der Maschine nicht trennen wollten. »Zufrieden, Sohn?« erkundigte sich Fartuloon. Ich wiegte den Kopf. »Ein Teilziel ist erreicht«, murmelte ich. »Wir haben das Geld, das wir brauchen. Aber was das große Ziel angeht …« Fartuloon fiel in mein Schulterzucken ein. Es gab wenig, was wir jetzt noch tun konnten. Längst hatten wir die Initiative verloren, die Ereignisse wirbelten uns durcheinander,
33 wir hatten auf den Ablauf der Geschehnisse nur noch einen minimalen Einfluß. Ich kniff die Augen zusammen. Irgend etwas hatte sich verändert, aber ich konnte nicht sagen, was. Das Bild vor meinen Augen zeigte plötzlich unscharfe Konturen, und ich begann mich zu fühlen, als hätte ich zwei Tage härtester körperlicher Arbeit hinter mir, ohne geschlafen zu haben. »Was ist das?« murmelte Fartuloon. »Achtung«, warnte der Logiksektor mich. »Das Phänomen ist nicht auf dich beschränkt. Fartuloon scheint ebenfalls davon betroffen!« Ich wischte mir mit der freien Hand über die Augen, als könnte ich so die Schleier entfernen, die mein Blickfeld immer stärker beeinflußten. Die Bewegung half nichts, und das Gefühl des Unwohlseins wurde immer stärker in mir. Ich blieb stehen. Fartuloon ging noch einige Schritte weiter, dann verharrte auch er. Das Gesicht des Bauchaufschneiders zeigte Angst. Irgend etwas geschah mit uns, aber weder Fartuloons Sachverstand noch die Informationen meines aktivierten Extrahirns reichten aus, dieses Etwas faßbar zu machen. Etwas traf mich hart im Nacken, ein kleiner spitzer Gegenstand. Ich griff danach … und erschrak. Unter meinen Fingern spürte ich einen kleinen, harten Gegenstand, der in meinem Nacken förmlich festgewachsen schien. Hastig sah ich mich um. Niemand schien auf mich geschossen oder nach mir geworfen zu haben. Ich versuchte den Gegenstand zu entfernen. Er saß erstaunlich fest. Verwunderlich war, daß meine Finger kein Blut ertasten konnten. Wenn dieses Etwas so fest in meiner Haut stak, dann hätte eigentlich Blut fließen müssen. Endlich gelang es mir, das merkwürdige Ding zu fassen. Meine Augen weiteten sich. In der Hand hielt ich eine Öse aus Metall, wie sie in altmodischen Flottenstiefeln zu finden waren. Wie kam die Öse in meinen Nacken? Ich hob den Blick und sah zu Far-
34 tuloon herüber. Der Bauchaufschneider war bleich, und ich sah sofort den Grund für sein Erschrecken. Ein Löffel hing quer unter seiner Nase, als wäre er dort festgewachsen. Noch bevor ich etwas sagen konnte, kam bereits das nächste Geschoß herangesaust. Der zweite Löffel klatschte gegen meine Schulter und blieb dort hängen. »Magnetismus!« informierte mich das Extrahirn trocken. Ich versuchte auf Fartuloon zuzugehen, aber das erwies sich als unmöglich. Eine unsichtbare Kraft drängte mich zurück, und diese Kraft wurde mit jedem Schritt stärker, den ich auf Fartuloon zu machte. »Was …?« Mehr brachte Fartuloon nicht über die Lippen. Ich konnte sein Erschrecken gut verstehen. »Wir müssen uns zurückziehen«, rief ich ihm zu. Der Grund dafür lag buchstäblich in der Luft. Immer neue Metallteile kamen von irgendwoher und hefteten sich an unsere Körper. Eßgeschirre, Einzelteile von Maschinen, Büromaterial … die Liste nahm kein Ende. Meine Befürchtungen wuchsen, als ich merkte, daß dieser Effekt zusehends an Stärke zunahm. Ich spürte, wie mich dieser geheimnisvolle Magnetismus von Fartuloon wegdrückte. Ich stand bereits mit dem Rücken an der Wand, auf der anderen Seite des Ganges wurde Fartuloon gegen das Gemäuer gepreßt. Ein Spielzeug kam herangesaust, ein handtellergroßes Tier, das von einer Positronik im Kleinformat gesteuert wurde. Wie ein Geschoß jagte der Körper auf uns zu. Er raste in das unsichtbare Magnetfeld, wurde abgebremst und verharrte nach einigem Hinund Herschwingen mitten zwischen Fartuloon und mir. Es knirschte leise als sich der Körper des Spielzeugtieres in seine Bestandteile zerlegte. Sekundenlang regneten kleine Teile auf den Boden, während andere der Anziehungskraft des Magnetfelds unterlagen
Peter Terrid und sich an unsere Körper hefteten. Nur mühsam fand Fartuloon seine Fassung wieder. »Wir müssen verschwinden«, flüsterte er aufgeregt. »Wenn der Besitzer des Maskottchens hier auftaucht, ist die Hölle los. Geh du nach rechts!« Ich folgte seiner Aufforderung ohne Zögern. Mir war schlagartig klargeworden, daß wir uns in höchster Gefahr befanden. Sobald ein zufällig vorbeikommender Passant uns entdeckte, gab es kein Entrinnen mehr, dann saßen wir in einer planetengroßen Falle. Natürlich würde man uns zunächst zu helfen versuchen, aber dieser Hilfe würde sich mit tödlicher Folgerichtigkeit eine eingehende Untersuchung anschließen. Und eine peinlich genaue Überprüfung unserer Personalien war das mit Abstand letzte, was wir gebrauchen konnten. Zu unserem Glück waren die Gänge fast menschenleer. Es verirrten sich ohnehin nur recht zweifelhafte Elemente in diesen Bereichen der Unterwelt von Mirc. Dennoch kam ich nur langsam voran. Es schepperte und klirrte bei jedem Schritt, und immer neue Teile kamen herangeflogen und hefteten sich an meinen Körper. Nach meiner Schätzung schleppte ich mindestens dreißig Kilo Metall mit mir herum, und dieser Betrag wuchs. Jedes zusätzliche Kilo mußte meine Beweglichkeit weiter einschränken, bis ich zum Schluß kein Glied mehr rühren konnte. Durch das Klappern des Metalls drang ein anderes Geräusch, ein bedrohliches Knirschen. Zunächst überhörte ich es, dann aber wurde dieser Klang stärker. Feiner Staub begann auf mich herabzurieseln. »Die Metallverstärkungen des Gebäudes werden angegriffen!« teilte mir das Extrahirn lakonisch mit. Ich erstarrte für einen Augenblick vor Schreck. Was waren das für Gewalten, die mich in ihrem Griff hatten? Offenbar war die Stärke des magnetischen Feldes um mich herum so groß, daß sie selbst nach den Stahleinschlüssen in den Wänden und Decken griffen.
König der Deserteure Wieder traf mich ein harter Schlag, der abgerissene Waffenarm eines Robots krachte gegen meinen Brustkorb. Ein Schuß löste sich und bohrte eine handtellergroße Öffnung in die massive Wand. Eine grüne Wolke wehte auf mich zu. Die Waffe war ein Desintegrator gewesen. Der Strahl hatte die Bindung zwischen den Molekülen der Wand aufgelöst, und die metallischen Teile der Konstruktion wurden in Form einer Gaswolke ebenfalls von dem Magnetismus angezogen. Instinktiv schloß ich die Augen und verhinderte so, daß mich der ungeheuer feine Staub blenden konnte. Da ich mich nicht mehr bewegte, war das Knirschen nicht mehr zu überhören, mit dem die magnetischen Kräfte in den tragenden Teilen des Gebäudes wüteten. Ein leises Seufzen drang durch den verlassenen Gang, dann löste sich neben mir eine stabil aussehende Wand in ihre Bestandteile auf. Schrauben und Muttern flogen mir entgegen. Dann hörte ich die Sirenen. Strahlungsalarm hieß das Signal. Offenbar griffen die magnetischen Felder weiter um sich, weit genug jedenfalls, um die Orter an der Oberfläche von Mirc anschlagen zu lassen. Natürlich würden sich die Soldaten zum Raum hin orientieren, aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis diesen hochqualifizierten Männern auffallen mußte, daß die Quelle der geheimnisvollen Strahlung nicht bei einer angreifenden Maahkflotte zu suchen war, sondern unter dem Boden des Planeten ihre Quelle hatte. Mit den vorzüglichen Instrumenten der Orter mußte es ein leichtes sein, den Ausgangspunkt der Strahlung auf wenige Zentimeter genau zu bestimmen. Ich setzte mich wieder in Bewegung. Es kam auf jede Sekunde an. Niemand konnte vorhersagen, wie lange dieses Phänomen anhalten würde. Nur eines war klar – wenn mich die Polizei erwischte, war es mit meiner angenommenen Identität vorbei. »Fartuloon!« erinnerte mich das Extrahirn. »Er strahlt ebenfalls, und das wird die Sucher irritieren!«
35 Ich konnte nur hoffen, daß diese Überlegung richtig war. Mühsam schleppte ich mich vorwärts, meine Füße schleiften über den Boden. Ich konnte sie nicht mehr heben, so sehr waren sie bereits von schweren Metallgegenständen bedeckt. Die Szenerie um mich herum begann chaotisch zu werden. Wände brachen in sich zusammen, Eisenteile jagten pfeifend durch die Luft und schlugen krachend gegen meinen Körper. Wäre mein Rumpf nicht bereits mit einer dicken Schicht metallener Gegenstände bedeckt gewesen, hätten mich einige der Geschosse glatt durchbohren können. So aber wurde der Aufprall von meiner ungewollten Rüstung teilweise aufgefangen. Die Energien, die dennoch durchdrangen, reichten aus, mir immer wieder die Luft aus dem Leib zu treiben. Mein Atem ging keuchend und pfeifend. Schweiß lief mir über die Stirn und brannte in den Augen. Aus zwei verschiedenen Richtungen kamen einige Kampfrobots angestürmt. Lediglich ihrer Reaktionsschnelligkeit hatten es die Maschinen zu verdanken, daß sie nicht einfach flogen, sondern mit höchster Geschwindigkeit Arme und Beine bewegten, als würden sie rennen. Dennoch war ihnen anzusehen, daß sie sich mit aller Kraft gegen den übermächtigen Zug des Magnetfelds zur Wehr setzten. Vergeblich. Ich konnte mich gerade noch zur Seite werfen, als mich die Maschinen erreichten. Sie prallten aus verschiedenen Richtungen aufeinander. Teile lösten sich, eingebaute Warnanlagen schickten ihre schrillen Klänge durch die Luft. Sekundenschnell verwandelten sich die hochwertigen Maschinen in einen unförmigen, zuckenden Klumpen. Waffenarme wedelten hilflos durch die Luft, schlangen sich um gegnerische Gliedmaßen und wurden aus ihren Gelenken gerissen, Köpfe rollten über den Boden auf mich zu, und aus dem Innern der Metallleiber schoben sich die Kabel wie kleine farbige Schlangen auf mich zu. Das Magazin eines
36 Desintegrators ging hoch und verwandelte den gesamten Haufen in eine Gaswolke, die auf mich zuwehte. Ich schrie entsetzt auf. Das Gewicht von einigen Kampfrobotern – ich hatte fünf Stück gezählt – war mehr, als ich tragen konnte. Wenn sich die Eisenatome, aus denen die Maschinen bestanden, in Form einer feinen Gaswolke auf meinem Körper sammelten, mußte ich zusammenbrechen. Ich wunderte mich, daß ich bis jetzt noch nicht umgekippt war. Abwarten, bis dieser satanische Spuk von selbst aufhörte oder mich das Gewicht der Lasten erdrücken mußte? Oder hinauf, wo man vermutlich bereits auf mich wartete? Ich konnte darauf spekulieren, daß jeder Soldat eine Schrecksekunde brauchen würde, bevor er seine Waffe auf mich richtete. Diese Zeit konnte durchaus genügen. Bis der Mann sich besann und zur Waffe griff, hing sie bestimmt schon an meinem Körper. Trotzdem war nicht von der Hand zu weisen, daß vielleicht doch ein Schuß fallen konnte, gegen den ich mich nicht zur Wehr setzen konnte. »Du hast Glück«, informierte mich der Logiksektor, »das magnetische Feld entsteht auf deinem Körper, aber nicht darin!« Das erklärte immerhin, warum die Kräfte, die imstande waren, einen Kampfrobot von den Beinen zu reißen und Wände zum Einsturz zu bringen, nicht dazu geführt hatten, daß die Metallteile auf meinem Körper mich einfach zusammenquetschten. Doch diese Information tröstete mich nicht über die Einsicht hinweg, daß ich noch immer in Gefahr schwebte. In höchster Gefahr. Noch immer schrillten die Sirenen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Soldaten bei mir auftauchen würden. Ich entdeckte einen Antigravschacht. Tiefer hinab ging es nicht mehr. Ich hatte die Sohle des Gebäudes längst erreicht. Was sollte ich tun? Dieses Vielleicht hatte einen tödlichen Beigeschmack, aber ich mußte das Risiko eingehen.
Peter Terrid Ich stieß mich ab und schwebte langsam in die Höhe. Unter mir begann es wieder zu knirschen dann steigerte sich das Geräusch zu einem Kreischen. Ich kannte diesen Klang – er entstand, wenn Metall gewaltsam in neue Formen gepreßt wurde. So schnell ich es bei meiner Behinderung konnte, sah ich nach unten. Der Anblick erfüllte mich aufs neue mit Schrecken. Unter mir zog sich der Antigravschacht regelrecht zusammen. Die Öffnung verringerte sich zusehends. Bald war der Einstieg nur noch so groß, daß lediglich ein Kind ihn hätte passieren können. Und dieser Prozeß machte nicht halt. Es schien, als hätte eine gigantische Faust nach der Antigravröhre gegriffen, um mich förmlich aus ihr herauszuquetschen. Aufgeregt sah ich mich um. Es gab nichts, mit dem ich meine Fahrt in die Höhe hätte beschleunigen können. Zentnerlasten schienen an meinen Muskeln zu hängen, ich konnte nur mit größter Kraftanstrengung einen Arm bewegen, zu mehr war ich nicht imstande. Und unter mir wurde der Schacht zugedrückt. »Keine Panik«, gab das Extrahirn durch. »Die Geschwindigkeit, mit der diese Verengung in die Höhe schreitet, ist geringer als deine Aufstiegsgeschwindigkeit!« Ich atmete erleichtert auf, obwohl ich wußte, daß eine Gefahr weniger in meiner Lage kein sonderlicher Gewinn war. Das Schicksal zerquetscht zu werden, schien gebannt, dafür sah ich dem Tod in einem halben Dutzend anderer Spielarten entgegen. Zudem … Der Schacht über mir hatte sich gleichfalls verengt. Dort war dieser Prozeß nur wesentlich langsamer verlaufen. Jetzt war die Verengung nicht mehr zu übersehen, und es erschien nur logisch, daß sich dieser Prozeß beschleunigen mußte, je näher ich kam. Selbst der Logiksektor wußte keinen Rat mehr. Ich saß in einer Falle, aus der kein Entrinnen möglich schien. Ob ich nach oben schwebte oder nach unten fiel, in beiden Fäl-
König der Deserteure len würde ich zerquetscht werden. Im günstigsten Fall hätte ich nur für alle Zeiten in dem Schacht festgesessen. Übergangslos schaltete sich der Logiksektor in meine von Angst überschwemmten Gedanken. »Das Antigravfeld wird schwächer!« gab es durch. Jetzt war alles klar. Ich würde in die Tiefe stürzen und im unteren Ende des Antigravschachts umkommen. Das Kreischen des mißhandelten Metalls dröhnte in meinen Ohren. Ich konnte sehen, wie sich der Schacht verengte, und ich sah auch, daß der Logiksektor richtig kalkuliert hatte. Mein Aufstieg verlangsamte sich. Ich versuchte zu schätzen, wie tief ich fallen würde. »Zwanzig Meter!« gab der Logiksektor durch. Für den Bruchteil einer Sekunde durchzuckte mich ein Gedanke, der in meiner Lage völlig absurd war. Kannte das Extrahirn, das doch ein Teil meiner selbst war, eigentlich keine Angst vor dem Tode? Starb dieses künstlich aktivierte Bewußtsein mit mir? Mir war unerklärlich, wie dieses Organ in einem Augenblick, in dem sich für mich ein unabwendbares Ende abzeichnete, noch klar und ruhig, ja völlig emotionslos bleiben konnte. Ich kam nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu führen. Mit einem Aufschrei stürzte ich in die Tiefe. Das Antigravfeld war schlagartig ausgefallen.
* Ich konnte mich nicht mehr erinnern, was mich bewußtlos gemacht hatte: die Angst vor dem Tod, die sich in dem schrecklichen Augenblick des Sturzes zu Gewißheit gesteigert hatte, oder der Aufprall meines Körpers auf den verengten Wänden des Schachtes. Das erste, was mir bewußt wurde, war eine Tatsache, die ich kaum glauben konnte: ich lebte noch. Mein Kopf schmerzte, es war dunkel um
37 mich herum. Außer meinem Atem und dem hämmernden Schlag meines Herzens konnte ich kein Geräusch hören. Jeder Muskel meines Körpers schmerzte, aber ich konnte das Gefühl unterdrücken. Ich lebte noch, alles andere war unwichtig geworden.
8. Nur langsam fand ich in die Wirklichkeit zurück. Vorsichtig tastete ich nach meiner Umgebung. Metall wurde spürbar, Metall, das auf sonderbare Art und Weise gewellt war, Risse und Sprünge aufwies. Die Wand des Antigravschachts fiel mir ein. Jetzt wußte ich auch, wo ich mich befand. »Jedenfalls nicht beim Großen Galaktischen Geist«, murmelte ich. Es tat gut, eine Stimme zu hören, auch wenn es nur die eigene war. Spitze, harte Gegenstände bohrten sich in meinen Körper. Vorsichtig versuchte ich mich aus den Trümmern zu befreien. »Das Magnetfeld existiert nicht mehr«, gab der Logiksektor durch. Das erklärte, warum ich noch nicht zerquetscht war. Offenbar war das Antigravfeld und das geheimnisvolle Magnetfeld, das von meinen Körper ausgegangen war, gleichzeitig erloschen. »Kein kausaler Zusammenhang!« informierte mich der Logiksektor. Es war mühsam, in dem Schrotthaufen zu suchen, aber nach einiger Zeit fand ich zwei Gegenstände, die ich jetzt sehr gut gebrauchen konnte. Die Waffe steckte ich in den Gürtel, mit dem Handscheinwerfer leuchtete ich die Umgebung aus. Ich steckte tatsächlich noch in dem Antigravschacht. Langsam leuchtete ich die Höhlung aus. Unter mir war nichts mehr zu sehen. Wenn es noch eine Öffnung gab, dann war sie längst von dem Schrott verstopft, den ich mitgeschleppt hatte. Mir konnte das nur recht sein. Ich hatte ohnehin keine Chance, auf die-
38 sem Weg den Schacht zu verlassen, und unten warteten mit Sicherheit einige Männer auf mich. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es dort unten keine Schaulustigen geben sollte, die den mißhandelten Schacht bestaunen wollten. Über mir war der Schacht etwa fünfzig Meter hoch, dann zeichnete sich auch dort ab, daß die Höhe zusammengequetscht worden war. Vorsichtshalber ließ ich den Strahl des Scheinwerfers nicht bis zum Gipfel wandern. Ich hatte keine Lust, jemanden darauf aufmerksam zu machen, daß es im Innern des völlig zerstörten Antigravschachts noch einen Menschen gab, dem man unangenehme Fragen hätte stellen können. Der Schacht war ein ausgesprochener Schnelläufer. Er sollte die Oberfläche und die Sohle des Gebäudes miteinander verbinden und hatte nur sehr wenig. Ein- und Ausstiegsöffnungen. Auf einer Strecke von fünfzig Metern hätte ich normalerweise mindestens ein halbes Dutzend Ausgänge finden müssen. Ich begann zu überlegen. Daß ich nicht einfach in dem Schacht bleiben und darauf warten konnte, daß man mich fand, lag auf der Hand. Die Fragen, die man mir in diesem Fall mit Sicherheit gestellt hätte, hätte ich niemals beantworten können. Also mußte ich ausbrechen. Mit der Waffe in meinem Gürtel müßte es möglich sein, überlegte ich mir, die Wandung des Schachtes zu durchstoßen und in einen Nachbarraum zu gelangen. Mein Problem bestand darin, daß ich nicht wissen konnte, wer oder was sich in diesem Raum aufhielt. In jedem Fall mußte ich auf unangenehme Überraschungen gefaßt sein. Ich zog die Waffe aus dem Gürtel und überprüfte die Ladung. Das Magazin war erst vor kurzer Zeit ausgetauscht worden. Ich verstellte den Mündungsquerschnitt so, daß der Strahl dünner, dafür aber breiter wurde. Dann gab ich den ersten Schuß auf die Wandung des Antigravschachts ab. Funken sprühten mir entgegen, und nach kurzer Zeit liefen die ersten weißglühenden
Peter Terrid Schmelzbäche an dem Metall entlang. Es wurde heiß in meiner Nähe. Obwohl die Hitze immer stärker wurde, begann ich zufrieden zu lächeln. Die Wandung des Schachtes war nur dünn und aus miserablem Material gefertigt. Langsam ließ ich den Strahl über die Wandung gleiten. Auf diese Weise entstand ein kreisförmiger Streifen verglühten Metalls. Als sich der Strahl der Waffe dem Ausgangspunkt genähert hatte, bedurfte es nur noch eines kräftigen Fußtritts, um die so herausgeschnittene Platte in den Nachbarraum poltern zu lassen. Noch glühten die Ränder der Platte hell, sie reichten für kurze Zeit als Beleuchtung aus. Ich sah einen großen Raum, der bis zur Decke mit Kisten und Ballen gefüllt war. Offenbar ein Magazin, dachte ich. Ich hatte keine Zeit abzuwarten. Über mir wurde allmählich Stimmengewirr laut, offenbar begann man damit, den Schacht genauer zu untersuchen. Ich hechtete mich durch die Öffnung und rollte sofort ab. Ich war weit genug geflogen, um vom eigenen Schwung über die Platte hinweggetragen zu werden, deren Ränder in einem tückischen Rot schimmerten. Ich stand auf und schaltete den Handscheinwerfer ein. Ich war tatsächlich in einem Magazin gelandet. Die Beschriftungen auf den Warenballen verrieten es mir. Ich stieß einen leisen Pfiff aus. Mirc war eine Welt, auf der Schiffe instand gesetzt wurden und ihre Vorräte auffüllen konnten. Dieser Aufgabe entsprechend waren auch die Magazine konstruiert worden. Ich begann mich aber zu fragen, was die Paradeuniformen des Zarltvon-Zalit-Regiments in einem unterirdischen Magazin auf Mirc zu suchen hatten. Das Regiment diente als Leibwache des jeweiligen Zarlt und war wegen seiner prächtigen und aufwendigen Uniformen allgemein bekannt. In diesem Regiment dienten nur solche Männer, die in der Gesellschaft von Zalit hohe und höchste Ämter bekleideten
König der Deserteure und über das nötige Geld verfügten. Der Beitritt zu dem Regiment mußte erkauft werden, denn diese Truppe besaß einen einzigartigen Vorzug – sie brauchte nicht zu befürchten, im Methankrieg eingesetzt zu werden. Nichts konnte also unsinniger sein, als Uniformen für dieses Regiment ausgerechnet auf Mirc aufzubewahren. »Planungsfehler?« überlegte ich halblaut. Es erschien mir wenig wahrscheinlich. Entscheidungsfehler gab es oft, aber Fehler in der Planung waren eine ausgesprochene Seltenheit. Schließlich wurden diese Aufgaben von Positroniken übernommen, die sich – bei richtiger Programmierung – nicht irren konnten. Was hatten also die Uniformen auf Mirc zu suchen? Ich stöberte weiter herum. Ich fand eine größere Menge Konserven, genauer gesagt: Coelantheridenfilets von Travnor, eine auserlesene Delikatesse. Nach den Mengen zu schließen, die hier gestapelt waren, wurde in diesem Magazin mindestens eine Monatsproduktion Travnors aufbewahrt. Die Uniformen und Vorräte ließen sich zur Not noch erklären, aber als ich dann auch noch bündelweise erlesene Pelze fand, dazu wertvollen Schmuck und seltene Schwingquarze, die nur auf Arkon sinnvoll verwendet werden konnten, hatte sich mein Verdacht zur Gewißheit verfestigt. Auf Mirc trieb eine Bande ihr Unwesen, die die Notlage des Imperiums für eigene Zwecke zu mißbrauchen versuchte. Mirc war vielleicht nicht der einzige Depotplanet für diese Bande. Hier stapelten sie das, was sie durch ausgedehnte Schiebungen zusammengerafft hatten. Unwillkürlich knirschte ich mit den Zähnen. Das große Imperium der Arkoniden war in Gefahr, das war allgemein bekannt. Wie groß diese Gefahr tatsächlich war, wurde allerdings von der offiziellen Propaganda wohlweislich unterschlagen. Die Männer,
39 die sich in dieser Notlage bereichern wollten, mußten die Gefahr allerdings kennen – umso schlimmer erschien mir deren rücksichtslose Habgier. Früher hatte es Fälle dieser Art nur ab und zu gegeben, jetzt schienen Aktionen dieser Art zum Alltag zu gehören. Deutlicher ließ sich schwerlich zum Ausdruck bringen, wie zerrüttet das Imperium unter der Führung Orbanaschols geworden war. Ich hatte keine Zeit, mich lange und gründlich umzusehen. Ich mußte verschwinden, und das möglichst schnell und ohne Spuren zu hinterlassen, die mir gefährlich werden konnten. Das Extrahirn meldete sich. »Die Personen, die dieses Magazin angelegt haben«, teilte es mir mit, »werden vermutlich höhere Ränge bekleiden. Daher werden sie dafür sorgen, daß sich die Polizei nicht intensiv mit dem Lager befassen kann. Das verbessert deine Chancen. Auf der anderen Seite müssen die Schieber aber dafür Sorge tragen, daß der neue Mitwisser ihrer Verbrechen schnellstmöglich ausgeschaltet wird. Diese Gefahrensteigerung für dich ist höher zu bewerten als die Minderung der Gefahr durch die erste Kalkulation.« »Schwätzer!« kommentierte ich diese Aussage. Ich hatte Schwierigkeiten genug. Auf eine Gefahr mehr oder weniger kam es im Augenblick wirklich nicht mehr an. Ich erreichte eine Tür und preßte ein Ohr gegen das Metall. Auf der anderen Seite schien es ruhig zu sein. Ich konnte weder Stimmen noch Fußtritte hören. »Wachrobots bleiben meist an einer Stelle!« gab der Logiksektor lakonisch durch. Dieses Risiko mußte ich eingehen. Die Tür besaß kein Impulsschloß, nur einen einfachen Hebel und ein ebenso sinnreiches wie simples Magnetschloß, das von innen ohne Mühe zu öffnen war. Geräuschlos bewegte sich die Tür in den Angeln. Ich trat auf den Gang, er war leer. Als ich versuchte, die Tür hinter mir zuzuziehen, mußte ich feststellen, daß dies
40 nicht möglich war. Von außen sah der Zugang zu dem geheimen Magazin wie ein ganz gewöhnliches Stück Wand aus. Wer nicht wußte, daß hier eine verborgene Tür war, würde sie niemals finden, es sei denn, der Zufall kam ihm zu Hilfe. Ich mußte sehen, daß ich davonkam. Wenn man mich neben der Geheimtür fand … Meine Flucht erwies sich als schwieriger, als ich gedacht hatte. Der Sturz in dem Antigravschacht war nicht ganz ohne Folgen geblieben, ich fühlte mich müde und zerschlagen. Zudem hatte ich seit Stunden weder Nahrung noch Flüssigkeit zu mir genommen. Meine Kleidung und mein Körper waren mit mikrofeinem Staub bedeckt, der sich durch Abklopfen nicht entfernen ließ. Da dieser Staub sehr schwer war, zehrte er zusätzlich an meinen Kräften. Ich bemühte mich, ein freundliches Gesicht zu machen, als ich mich langsam entfernte. Laufen hätte mich verraten, ganz abgesehen davon, daß mir die Kraft dazu fehlte. Ein gemütliches Schlendern wirkte unauffälliger und schonte meine Reserven. Wie ich erwartet hatte, stieß ich bereits nach kurzer Zeit auf Menschen. Offenbar hatte der Strahlungsalarm den gesamten Stützpunkt in helle Aufregung versetzt. Männer rannten durcheinander, brüllten sich gegenseitig Befehle zu, die keiner zu befolgen schien. Das Durcheinander konnte kaum größer werden. Mir war es nur lieb, wenn die Besatzung sich kopflos zeigte. »Wo kommst du her?« herrschte mich ein Offizier an. Ich nahm Haltung an; nicht ganz korrekt, wie mir der mißmutige Gesichtausdruck des Offiziers bewies. »Von dort hinten«, antwortete ich und deutete mit der Hand über meine Schulter. »Instandsetzungsarbeiten.« Der Offizier kniff die Augen zusammen. »Ohne Werkzeug?« »Davongeflogen! Ich weiß, es klingt unglaublich, aber es ist so.« Der Offizier nickte trübsinnig. Jetzt erst
Peter Terrid erkannte ich, daß er seine Hosen mit einem Strick am Körper festgebunden hatte. Offenbar hatte sich seine prächtige Gürtelschnalle aus Metall selbständig gemacht und ihn zu dieser unfreiwillig komischen Notlösung gezwungen. »Und die Waffe?« Ich holte die Waffe aus dem Gürtel und übergab sie ihm. »Die habe ich gefunden. Sie klebte an der Wand. Auch das klingt unwahrscheinlich, aber …« Der Offizier winkte ab. »Verschwinde!« knurrte er grimmig und wandte sich an einen seiner Untergebenen. Auch dieser Mann hatte sich eines Strickes bedient, um seine Beinkleider befestigen zu können. Ich machte mich davon. Überall konnte ich sehen, daß der Magnetismus Schäden hervorgerufen hatte. Ich sah verbogene Gestänge, geplatzte Leuchtkörper und zerbeulte Verkleidungen. Der Waffenarm eines Kampfrobots war zu einem korkenzieherähnlichen Gebilde verdrillt. »Der Alarmzustand ist beendet!« hörte ich eine Stimme aus einem Lautsprecher quäken. »Alarmzustand beendet!« Ich atmete erleichtert auf. Ich kannte den Menschenschlag, der Stützpunktplaneten wie Mirc bewohnte. Erfahrene Raumbesatzungen hätten in jedem Fall weitergesucht, bis sie eine Erklärung für das Phänomen gefunden hatten. Stützpunktbesatzungen waren an regelmäßige Essens- und Ruhezeiten gewöhnt. Die Männer hatten jetzt vermutlich nur ein Ziel – die nächste Verpflegungsstelle oder ein warmes Bett. Niemand schien auf mich zu achten. Die Männer trollten sich langsam und suchten ihre Quartiere auf. Aus den Wortfetzen, die an mein Ohr drangen, konnte ich entnehmen, daß sie sich mehr um die Qualität des Essens als um eine Aufklärung der Strahlengefahr kümmerten.
* Das Wasser war eisig kalt und brannte auf
König der Deserteure der Haut. Ich zitterte ein wenig, aber ich genoß jeden Tropfen. Der Staub auf meinem Körper wurde fortgespült, fast glaubte ich fühlen zu können, wie ich mit jeder Minute leichter wurde. In der zweiten Kabine stand Fartuloon, dem es nicht viel besser als mir ergangen war. Nur um Haaresbreite war er einem Wachkommando entkommen, das ihn verhören wollte. Ich grinste, als ich ihn unterdrückt fluchen und schimpfen hörte. Immerhin, auch der Bauchaufschneider war ohne größere Blessuren aus diesem Abenteuer hervorgegangen. Ein weites, flauschiges Tuch um die Hüften geschlungen, kehrte ich in den Wohnraum zurück. In einer Ecke stand Pysther. Zergan und Kastyr hatten es sich in den Sesseln bequem gemacht. Laut schnaufend verließ Fartuloon die Hygienezelle. »Habt ihr wenigstens eine Erklärung für dieses Phänomen?« wollte Zergan wissen. Fartuloon zuckte mit den Schultern. »Der Schwarzplanet!« gab das Extrahirn durch. Ich gab die Information an den Bauchaufschneider weiter. »Das wäre möglich«, brummte Fartuloon. Nur mit Schaudern dachte ich an die Dunkelwelt zurück. Was wir dort erlebt hatten, hätte als Erklärung für noch absonderlichere Erscheinungen ausgereicht. »Hm«, machte Kastyr und musterte mich besorgt. »Glaubt ihr, daß es wieder zu solchen … Anfällen kommt?« Diesmal war ich es, der eine Geste der Ratlosigkeit machte. Das Extrahirn schwieg zu dieser Frage. »Ich weiß es nicht«, gab ich zu. »In jedem Fall dürfen wir deshalb unser Vorhaben nicht aufgeben.« »Richtig«, stellte Fartuloon fest. Er hatte sich mittlerweile wieder angezogen. »Hast du noch deinen Gewinn?« Auf diese Frage hatte ich gewartet. Erst nachdem ich unsere Unterkunft wieder erreicht hatte, war mir das Geld eingefallen. Ich trug es nicht mehr bei mir, wahrscheinlich lag es irgendwo auf dem Grund des Antigravschachts, der mir fast zum Verhängnis
41 geworden wäre. Ich schüttelte den Kopf, und Fartuloon gab ein unwilliges Brummen von sich. Anschließend machte er sich an die reizvolle Aufgabe, eine Mahlzeit zu vertilgen, die für mehrere Männer ausgereicht hätte. Zu seinem Glück waren Zergan und Kastyr mäßige Esser, mir selbst hatten die Ereignisse der letzten Stunden den Appetit verschlagen. Fartuloon hatte es zudem fertiggebracht, Pysther als normalen Bewohner unserer Unterkunft in die Listen zu schmuggeln. Eines stand fest, verhungern mußten wir nicht. »Vielleicht …« überlegte ich halblaut. »Du kannst nicht noch einmal einen derartigen Gewinn machen«, warnte mich der Logiksektor. »Zwei Riesengewinne in so kurzer Zeit sind zu auffällig!« Gegen dieses Argument gab es nichts einzuwenden. Wir mußten also eine andere Möglichkeit finden, den König der Deserteure zu bezahlen. Oder er mußte uns Kredit gewähren. »Ein gehetzter Kristallprinz ist keine akzeptable Sicherheit«, ernüchterte mich das Extrahirn. »Man wird sehen«, verkündete ich zuversichtlich. »Was habt ihr in der Zwischenzeit erreicht?« Kastyr grinste mich vergnügt an, dann warf er einen Beutel auf den Tisch. Es klang nach sehr viel Geld. »Das müßte genügen«, behauptete er vergnügt. »Man glaubt nicht, wieviele Menschen Pysthers Qualitäten unterschätzen. Wir haben einen Wettkampf zwischen Pysther und einem Serienrobot zuwege gebracht und Wetten abgeschlossen.« »Ich verliere nie!« behauptete der Robot. Das Bad im Suppentopf war seiner Stimme nicht sehr gut bekommen, sie klang undeutlich und verschwommen. Trotzdem, war ein Unterton von Ärger nicht zu überhören. Ich fragte mich, wie unsere beiden Freunde es bewerkstelligt hatten, den Robot umzubauen. Kampfmaschinen hatten üblicherweise keinen Stimmodulator, mit dem Gemütszustände angedeutet werden konnten.
42 »Wir können also zahlen«, stellte Fartuloon fest. Seine Stimme klang undeutlich, weil er dabei seine Mahlzeit nicht unterbrach. »Übrigens, wenn die Soldaten des Großen Imperiums überall einen derartigen Fraß vorgesetzt bekommen, wundert es mich nicht, daß sie gegen die Maahks immer wieder Niederlagen einstecken müssen. Dieses Essen ist wehrkraftzersetzend!« Ungeachtet der so bekundeten Ablehnung aß Fartuloon weiter, als sei er halb verhungert. »Geld haben wir. Steht unserer Abreise noch anderes im Wege?« Kastyr leckte sich die Lippen. Er warf einen scheelen Blick auf Pysther. »Ja …«, sagte er gedehnt. Er warf Zergan einen hilfesuchenden Blick zu, der ohne Erwiderung blieb. »Da gibt es vielleicht noch ein Problem. Um es etwas zu umschreiben … ein Mitglied unseres Teams hat sich in gewisse Dinge verstrickt, die seine Abreise in Frage stellen.« Mit dieser Auskunft war mir nicht geholfen. »Werde bitte etwas deutlicher«, forderte ich Kastyr auf. »Geldschwierigkeiten? Ein Disziplinarverfahren? Rede schon!« Kastyr schluckte heftig. »Es handelt sich um etwas wie eine …« Das Wort schien nicht über seine Lippen zu wollen. »Liebesgeschichte«, ergänzte Fartuloon. »Wenn Männer sich wie Idioten aufführen und hilflos stammeln, ist immer ein Weib im Spiel!« Kastyr lief rot an. Man hätte ihn ohne Schwierigkeiten als galaktisches Leuchtfeuer benutzen können. »Wie heißt die Dame?« bohrte Fartuloon. Um Zergans Lippen spielte ein verlegenes Lächeln. »Es handelt sich nicht um eine Dame«, stotterte Kastyr. »Vielmehr …« Er brach wieder ab. Fartuloon machte das freundlichste Gesicht, zu dem er fähig war – er sah Kastyr salbungsvoll an. »Mir soll es egal sein, mit wem du dein
Peter Terrid Lager teilst, Junge. Aber rede endlich, wo ist das Problem. Wir werden dir helfen.« »Wieso mir?« empörte sich Kastyr. »Es geht überhaupt nicht um mich!« Fartuloon schlug die Hände zusammen und sank in seinem Sessel zurück. »Um wem sonst? Zergan? Nein? Lothor, du etwa? Auch nicht? Ich bin auch nicht betroffen. Ja, wer bei allen Geistern der Galaxis … es ist doch keiner mehr …« Fartuloons Unterkiefer sank herab. Fast synchron drehen sich unserer beiden Köpfe. »Doch nicht etwa Pysther …?« Kastyr nickte bekümmert.
9. »Das darf doch nicht wahr sein«, heulte der Bauchaufschneider. »Ein verliebter Roboter? Seid ihr übergeschnappt?« In der Ecke vollführte Pysther Bewegungen, die in der langen Geschichte des Großen Imperiums noch nie von einem Robot ausgeführt worden waren. Er wand sich förmlich vor Verlegenheit. Ich wartete fast darauf, daß er rot anlief. »Weißt du, wir haben Pysther nach einigen schweren Verwundungen in eigener Regie repariert, und dabei müssen uns wohl einige kleine Fehler unterlaufen sein. Er fühlt sich nicht mehr wie ein Robot, er hält sich für ein normales Lebewesen, und jetzt ist er eben verliebt.« »In den Zentralrechner vielleicht?« höhnte Fartuloon. Pysther ließ ein warnendes Schnauben hören. »Sollen wir die große Positronik mitnehmen, damit Pysther seiner Leidenschaft frönen kann?« »Nein, nein«, wehrte Kastyr ab. »Es handelt sich nicht um einen anderen Robot, sondern um einen Mann.« Diese Eröffnung verschlug dem Bauchaufschneider endgültig die Sprache. Fassungslos sank er in seinem Sessel zurück. Auch mir fehlten die Worte, und es wunderte mich nicht, daß selbst mein Extrahirn vor diesem Problem kapitulierte. »Pysther ist nämlich eine Sie, jedenfalls
König der Deserteure
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das künstliche Bewußtsein, das wir zufällig geschaffen haben.« »Auch das noch!« stöhnte Fartuloon auf. »Bekomme ich jetzt endlich zu hören, wer der Glückliche ist?« Kastyr zuckte mit den Schultern. »Sie will uns dazu nichts sagen«, eröffnete er uns. »Sie hat nur gesagt, daß sie lieber auf Mirc zurückbleiben möchte!« Fartuloon schüttelte fassungslos den Kopf, und mir erging es nicht viel besser. Schwierigkeiten hatten wir wahrlich genug, und jetzt wurde uns auch noch ein liebeskranker Robot serviert. »Wir beide würden Pysther natürlich lieber mitnehmen«, mischte sich Zergan ein. »Vielleicht könnten wir auch zu sechst fliehen, wenn Pysthers Freund damit einverstanden ist. Man könnte ihn ja wenigstens fragen!« Ich versuchte mir gerade vorzustellen, was ich als normaler Arkonide sagen würde, wenn man mich aufforderte, mich einem Trupp von Deserteuren anzuschließen, und das hauptsächlich, weil ein durchgedrehter Kampfrobot in mich verliebt sei. Ich konnte es nicht, diese Aufgabe überstieg meine Vorstellungskraft. Nur eines stand für mich fest – wenn sich für das Problem Pysther nicht bald eine Lösung fand, würde mich nichts mehr davor retten, in der gesamten bewohnten Galaxis als Narr zu gelten. Ein Kristallprinz, der auf der Flucht einen liebestollen, noch dazu weiblichen Robot mitschleppte … unvorstellbar.
hoffen, daß es nicht dazu kam – es würde mich vollends um den Verstand bringen. Wir standen vor Kester Hehls Büro, mitsamt unserem Gepäck. Uns hielt nichts mehr auf Mirc, wir waren reisefertig. Ich betätigte den Signalgeber. »Kommt herein!« hörten wir Hehl rufen. Der König der Deserteure stand im Hintergrund des Raumes und blätterte in alten Akten, aus denen eine beachtliche Staubwolke hervorquoll. »Aha«, sagte er und musterte uns eindringlich. »Da seid ihr ja. Habt ihr das Geld?« Wortlos griff Kastyr zum Gürtel und hakte den Beutel mit dem Geld los. Der Beutel landete auf dem Tisch, und Kester Hehls feistes Gesicht nahm einen freundlicheren Ausdruck an. Genüßlich leckte er sich die dicken Lippen, als er den Beutel öffnete und nachzuzählen begann. Er zählte langsam und umständlich. Als er fertig war, verstaute er das Geld wieder in dem Beutel und befestigte ihn an seinem Gürtel. »Dieser Punkt wäre erledigt. Ihr habt bezahlt. Wann wollt ihr starten?« »Möglichst bald«, versetzte Fartuloon. »Wir fühlen uns auf Mirc nicht sonderlich wohl!« »Das kann ich verstehen«, murmelte Hehl und grinste. Sein Gesicht schimmerte von Fett. »Vorsicht!« Der Impuls des Extrahirns kam zu spät.
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Diesmal überfiel uns das Phänomen mit größter Schnelligkeit, es gab keine Vorbereitungszeit. Ich hörte Zergan und Kastyr gequält aufstöhnen, eine unsichtbare Hand preßte sie gegen die Wände. Diesmal wirkte der Magneteffekt anders, er stieß alle Metallgegenstände von uns ab, während Fartuloon und ich förmlich voneinander angezogen wurden. Kester Hehl kreischte in höchstem Falsett auf, Pysther begann zu wimmern.
»Nimm dich zusammen, Pysther!« Kastyr beschwor seinen metallenen Freund, aber Pysther reagierte nicht. Zu allem Überfluß war er – nein, vielmehr sie – auch noch schwermütig geworden. Pysther bewegte sich langsam und schleppend. Ich wartete auf den Augenblick, an dem er anfangen würde, Liebesgedichte zu verfassen. Auszuschließen war es nicht. Ich konnte nur
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44 »Hehl ist ein Robot!« Es war nicht zu übersehen. Pysther wurde von dem Magnetismus förmlich von uns wegkatapultiert, und in seiner Bewegungsrichtung stand Kester Hehl. Der massige Körper des Königs der Deserteure bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, die kein lebendes Wesen erreichen konnte. Aber auch diese Schnelligkeit nützte ihm nichts. Wie ein Geschoß prallte Pysther auf Hehl. Hehl kreischte noch einmal auf. Dann platzte er auseinander. Metallteile wirbelten durch die Luft, seine Gliedmaßen wurden kreischend aus den Gelenken gerissen. Die künstliche Haut platzte an vielen Stellen vom Körper und legte die maschinellen Eingeweide des falschen Königs der Deserteure frei. Fartuloon und ich waren fast unfähig, uns zu rühren. Pysther war offenbar aus besserem Material hergestellt worden. Obwohl der Robot mit aller Gewalt gegen eine Wand gepreßt wurde und dabei Einzelteile von Kester Hehl zwischen sich und der Wand förmlich zermalmte, gab keines seiner Einzelteile nach. »Nein, nein!« hörte ich Pysther wimmern. »Kester!!« Jetzt begriff ich, wie es zu dem Fehlverhalten des Robots gekommen war. Er hatte Hehls robotische Natur geahnt, deshalb hatte er sich in den König der Deserteure verliebt. »Helft uns!« keuchte Kastyr. Der junge Mann bekam kaum noch Luft. Er stand neben Zergan an der Wand, die Hände vor den Magen gepreßt. Der Magnetismus drückte die metallene Schnalle seines Gürtels gegen seine Magengrube und trieb ihm die Luft aus dem Leib. Er war unfähig, sich zu rühren, auch seine Waffe hing wie festgeklebt an der Wand. Lediglich Zergan konnte noch eine Hand bewegen, die andere wurde von seiner Uhr an der Wand festgehalten. Wieder hörte ich das unheilverkündende Ächzen. Die Gefahr bestand, daß das Gebäude über unseren Köpfen barst und uns unter seinen Trümmern begrub.
Peter Terrid »Unternimm etwas, Sohn!« ächzte Fartuloon. Seine Gürtelschlaufe löste sich, fegte gegen die Wand und schlug ein handtellergroßes Loch hinein. Meine Waffe hatte ich längst verloren. Kein Lebewesen hätte die Kraft besessen, die Waffe festzuhalten. »Du hast nicht viel Zeit!« drängte auch das Extrahirn. »Die Orter sind vorgewarnt, sie werden die Strahlungsquelle schneller orten als beim ersten Mal!« Langsam setzte ich mich in Bewegung. Fartuloon mußte notgedrungen jeden meiner Schritte mitmachen. Wir klebten aneinander, und nichts schien diesen Zustand ändern zu können. Ich dachte daran, wie lange es gedauert hatte, bis beim ersten Anfall dieser Art die Wirkung sich abgeschwächt hatte. Diese Zeit hatten wir jetzt nicht. Wir hatten nur den einen Vorteil, diesmal nicht mit Zentnerlasten auf unseren Körper herumlaufen zu müssen. Die Tür gab von selbst nach. Die Metallfassung krachte aus dem Rahmen und entfernte sich. Ich sah, wie sie über die Straße fegte und in der Dunkelheit verschwand. Ein heftiger Aufprall und ein sich anschließender Splitterregen verrieten, daß die Tür in irgendein Fenster gekracht war. Ein Gleiter kam näher. Der Fahrer saß schreckensbleich auf seinem Sitz, neben ihm eine ältere Frau, die gellend schrie. Unwiderstehlich wurde der Gleiter aus dem Kurs gedrängt, er verließ die Straße und jagte in ein Gebüsch. Erdbrocken flogen durch die Luft, und wenig später war Rauch zu sehen. Ich sah, wie der Mann offenbar unverletzt das Gebüsch verließ und auf uns zurennen wollte, aber er kam nicht weit. Er schrie laut, als ihn der Magnetismus zurückdrängte. Die Straßenlaternen verbogen sich, als wir sie passierten. Wir zogen eine Spur durch die Stadt, die man mit verbundenen Augen hätte finden können. »Wir begleiten euch!« hörte ich eine Stimme rufen. Sie kam aus weiter Entfernung und gehörte Zergan. Ich atmete er-
König der Deserteure leichtert auf. Die beiden Männer konnten uns wirklich helfen, wenn es kritisch wurde. Es sah ganz danach aus, als würde es sehr bald kritisch werden. Ich hörte Stimmen aus der Luft. Offenbar war auch ein Fahrzeug, das über unseren Köpfen geschwebt hatte, von dem Magnetismus abgestoßen worden und hatte seinen Kurs geändert. »Schickt Truppen her«, hörte ich einen Mann rufen. »Aber schnell, sonst werde ich euch zeigen, wer hier zu befehlen hat!« Der Stimme und dem Tonfall nach zu schließen, handelte es sich um einen höheren Offizier. Seinen Befehlen würde man selbstverständlich gehorchen, es konnte also nicht mehr viel Zeit vergehen, bis die ersten Soldaten hier eintreffen würden. Wahrscheinlich … Ich brauchte die Überlegung nicht zu Ende zu führen, der Offizier nahm sie mir ab. »Bringt schweres Gerät mit«, hörte ich ihn befehlen. »Gepanzertes Fahrzeug mit Kanonen. Beeilt euch. Ich bleibe hier und beobachte!« Der Mann hatte Mut, das war nicht zu bestreiten. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich mich fühlen würde in einem Gleiter, der von unerklärbaren Kräften geschoben und gezerrt wurde und nicht mehr korrekt zu steuern war, weil eine unbekannte Kraft auf ihn einwirkte. Daß der Mann dieses Risiko selbst einging und nicht seine Untergebenen vorschickte, sprach für seinen Mut und seine Qualitäten als Offizier. Wenn er sich entschlossen auf unsere Fersen heftete, hatten wir kaum eine Chance. Mehr stolpernd als gehend bewegten wir uns die Straße entlang. Um uns herum schwoll der Lärm an. Scheiben gingen zu Bruch, als sich die metallenen Fassungen verbogen, Leuchtkörper explodierten. Wir hörten die Schreie, mit denen die Anwohner die Verwüstungen in ihren -Häusern kommentierten. Ich konnte mir annähernd vorstellen, wie es in den Wohnungen aussah – alles, was Metall enthielt, wurde gegen die Wände gepreßt und zerbrach dort. Zum
45 Glück waren wir einigermaßen weit von den Häusern entfernt. Ich konnte die Möglichkeit nicht ausschließen, daß wir sonst einige Gebäude zum Einsturz gebracht hätten. »Beeilt euch!« hörte ich den Offizier schreien. Die Stimme war leiser geworden, offenbar hatte sich der Mann von uns entfernt. Was für Freunde wir gefunden hatten, erwies sich wenig später. Einer der beiden Männer, Kastyr oder Zergan, hatte den Gleiter entdeckt und holte ihn mit einem wohlgezielten Schuß herunter. Ich hörte den Offizier erneut schreien, dann brachte er sich mit lautem Fluchen in Sicherheit. Hinter uns stob eine Feuersäule in die Höhe, der Gleiter war in Flammen aufgegangen. »Es gibt nur eine Möglichkeit«, keuchte Fartuloon. »Wir müssen in die Unterwelt ausweichen. Hier oben sind wir ungeschützt!« Er hatte Recht. In wenigen Stunden würde es hell werden, dann waren wir die besten Zielscheiben, die sich nur denken ließen. Auf der anderen Seite war zu bedenken, daß der verhängnisvolle Magnetismus unter der Erde weit bedrohlicher werden konnte. Wenn die ungeheure Kraft es fertigbrachte, einen massiven Gleiter mit einer starken Maschine vom Kurs abzubringen, konnte sie sehr wohl auch unterirdische Gänge auseinanderbersten lassen. »Einwand teilweise falsch«, gab der Logiksektor durch. »Wenn die Gänge viel Metall enthalten, könnt ihr sie zum Einsturz bringen. Auf der anderen Seite wird aber gerade der Magnetismus euch die Trümmer vom Leibe halten!« Das war nur zum Teil richtig, und daher half dieser Hinweis uns nur wenig. Es gab keine andere Wahl, wir mußten erneut den Gang in die Tiefe antreten. »Zergan, Kastyr!« schrie ich. »Wir verziehen uns!« »Verstanden!« schrie ich die Antwort. »Wir kommen nach!« Eigentlich wäre es unvorsichtig von mir gewesen, die Namen unserer Freunde so laut
46 herauszuposaunen. Immerhin konnten uns die Anwohner hören. Aber mir war längst klar, daß wir keine andere Möglichkeit mehr hatten. Wir mußten Mirc auf dem schnellsten Wege verlassen, andernfalls waren wir verloren. Das gleiche galt für Kastyr und Zergan. Pysther würde man mit Sicherheit ebenfalls nicht verschonen. Ein dergestalt fehlgeschalteter Robot mußte normalen Arkoniden beängstigend erscheinen. Man würde ihn verschrotten. Wir erreichten einen Kanaldeckel. Fartuloon seufzte erleichtert auf. »Dort hinein?« fragte er. Ich nickte, und das Extrahirn schwieg, also war diese Entscheidung richtig. Einmal mehr erwies sich das Organ als Lebensretter. Selbst dann, wenn ich die Nerven verlor oder nicht mehr in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen, blieb das Produkt der ARK SUMMIA ruhig, gelassen und vor allem eiskalt logisch. Es ächzte bedrohlich, als wir in die Tiefe hinabstiegen. Der metallene Deckel hatte sich längst aufgelöst und lag, in Teile zertrümmert, auf dem Boden des Schachtes. Eine Dunstwolke schlug uns entgegen und nahm mir fast den Atem. Fartuloon verzog angewidert das Gesicht. Uns blieb keine andere Wahl, wir drangen in die Unterwelt von Mirc ein, eine dunkle, von schlechten Gerüchen erfüllte Welt, aber zur Zeit der sicherste Platz, den wir finden konnten. Wir hatten nicht einmal einen kleinen Scheinwerfer bei uns, wir mußten uns also stolpernd und tastend einen Weg durch die Finsternis suchen. Schlimmer noch als die undurchdringliche Dunkelheit und der widerliche Geruch war das Geräusch, das uns umgab. Immer wieder hörten wir das Ächzen und Stöhnen überlasteten Materials. Wir konnten nur hoffen, daß die Wände nicht barsten und uns unter Trümmern begruben. »Lothor? Premcest?« Das waren die Stimmen von Zergan und Kastyr. Sie klangen erstaunlich nahe. »Wir sind hier! Könnt ihr uns hören?«
Peter Terrid »Keine Sorge, wir finden euch. Metall haben wir nicht mehr bei uns. Wartet, bis wir kommen.« Trotz unserer mißlichen Lage begann ich zu lächeln. Es war ein gutes Gefühl, Freunde zu haben, die uns auch jetzt nicht im Stich ließen. Wenig später hörte ich hastige Atemzüge. »Ihr habt uns gefunden, Freunde!« sagte ich halblaut. Ich spürte, wie mich eine Hand berührte. »Endlich!« seufzte Zergan. Ich erkannte ihn an der Stimme. »Wie geht es euch?« »Lausig!« kommentierte Fartuloon. »Hört ihr nichts?« Für kurze Zeit wurde es still. Deutlich waren die Geräusche zu hören, der Magnetismus griff nach dem Metall in der Nähe und tobte seine Kräfte daran aus. »Es wird schon gutgehen«, meinte Kastyr. »Was nun?« »Wir müssen abwarten, bis sich die Wirkung dieses Phänomens legt, dann suchen wir unsere Quartiere auf!« »Wo habt ihr Pysther gelassen?« Ich glaubte in der Stimme des Bauchaufschneiders fast so etwas wie echte Besorgnis spüren zu können. »Wir haben ihr befohlen, in die Wohnung zurückzukehren und dort auf uns zu warten«, gab Kastyr Auskunft. »Sie machte einen ziemlich niedergeschlagenen Eindruck, offenbar ist ihr Hehls unerwartetes Ende sehr nahe gegangen.« Ein Glück, daß uns niemand hören konnte. Plötzlich kam mir der Gedanke, daß dies vielleicht unsere Rettung sein konnte. Männer, die sich mit solcher Ernsthaftigkeit über das Liebes- und Gefühlsleben eines schrottreifen Kampfrobots unterhielten, konnten geistig nicht in Ordnung sein. »Man kann Pysther überprüfen und feststellen, was mit ihr nicht in Ordnung ist!« Demnach hatte sich auch der Logiksektor damit abgefunden, daß Pysther ein verliebter weiblicher Robot war. Nicht einmal auf das Extrahirn war mehr Verlaß.
König der Deserteure
* Zwei Stunden hatten wir im Kanalsystem Mircs verbracht. Mir war mehrfach übel geworden, und auch Fartuloon hatte sein ausgedehntes Abendessen der Kanalisation anvertrauen müssen. Als wir in einem ruhigen Winkel der Stadt an die Oberfläche zurückkehrten, waren wir alle reichlich blaß und sehr verschmutzt, zudem stanken unsere Kleider erbärmlich. »Zwei Bäder innerhalb weniger Stunden?« fragte Zergan mißtrauisch. »Ist das nicht gesundheitsschädlich? Einmal pro Monat sollte doch reichen.« »Wenn kaltes Wasser ungesund wäre, gäbe es keine alten Seeleute«, zitierte Fartuloon. Es war eine Weisheit, von der ich mir nicht vorstellen konnte, daß sie arkonidischen Ursprungs sein konnte. Hatte es jemals eine Zeit gegeben, in der Arkoniden mit primitiven Waffen aufeinander losgegangen waren? Waren sie selbst einmal ebenso primitiv gewesen wie einige barbarische Völker, die ich bereits kennengelernt hatte? Ich beschloß, diese Frage später einmal genauer zu untersuchen. In den Archiven Arkons lagen sicherlich genug Materialien über die Frühzeit und die Vorgeschichte des Großen Imperiums. Später, wenn ich erst Arkon und meine Ziele erreicht hatte, konnte ich mich damit befassen – wenn es dieses Später je für mich geben würde. Vorsichtig bewegten wir uns auf die Unterkünfte zu. Wir mußten vermeiden, jemandem zu begegnen. Der Gestank, den unsere Kleider verströmten, konnte niemand ignorieren. Man würde uns anhalten und uns Fragen stellen, und daran war uns aus naheliegenden Gründen nicht gelegen. Wir hatten Glück, wir erreichten unser Quartier, ohne behelligt zu werden. Zu verdanken hatten wir diese Tatsache hauptsächlich dem Umstand, daß ein tobsüchtig gewordener Offizier fast die Hälfte der Besatzung Mircs dazu aufgeboten hatte, nach dem
47 Dämon zu suchen, der sein Fahrzeug zerstört hatte. Ab und zu wehte uns der Abendwind den fernen Klang von Detonationen herüber. Fartuloon grinste. »Wahrscheinlich rücken sie sich in ihrem Übereifer gegenseitig auf den Pelz. Heiliges Arkon, was ist aus dir geworden?« Kastyr kicherte in sich hinein. Mit einer Handbewegung öffnete er die Tür zu unserer Wohnung. Merkwürdigerweise war die Beleuchtung eingeschaltet. »Zurück!« warnte der Logiksektor. »Eine Falle!« Mir fiel auf, daß das Extrahirn in letzter Zeit seine Warnungen stets zu spät äußerte. Auch in diesem Fall. Ich spürte etwas Hartes, das gegen meine Rippen gepreßt wurde, und es bedurfte nicht eines Logiksektors, um herauszufinden, daß es sich dabei um die Mündung einer Waffe handelte. »Vorwärts!« herrschte mich eine Stimme an, die mir verdächtig bekannt erschien. »In die Wohnung!« Der Anblick, der sich uns bot, war erschreckend. Alles war durchsucht worden, jeder Schrank, jede Schublade. Unsere wenigen Habseligkeiten lagen verstreut auf dem Boden. Unsere Gegner hatten nicht einmal gezögert, das Video-Gerät aufzubrechen, das zur Standardausrüstung der Zimmer gehörte. »So«, sagte die Stimme. »Und jetzt erwarte ich eine Erklärung!« Ich ließ mich langsam in einem Sessel nieder. Ich war sehr viel gelaufen an diesem Tag, war stundenlang in engen Röhren auf allen vieren herumgekrochen – es tat wohl, einmal die Beine ausstrecken zu können. Als ich den Sprecher ansah, wußte ich auch, was ihn hergeführt hatte. Ich grinste ihn an. »Sie kommen etwas zu spät«, bemerkte ich spöttisch. »Wir haben kein Geld mehr. Kester Hehl hat bereits alles kassiert.« Der Mann, der im Untergrund von Mirc eine geheime Spielbank betrieb, machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das weiß ich bereits«, sagte er scharf.
48 »Ich komme gerade von Kester Hehl, genauer gesagt von dem, was Sie davon übriggelassen haben. Warum haben Sie Hehl zerstört?« Pysthers Kopf, der in einem Winkel des Wohnraums lag und zur Decke starrte, seufzte vernehmlich. »Warum haben Sie das getan?« schluchzte der Robot. Der Bewaffnete sah mich verdutzt an, dann faßte er sich wieder. »Also, ich höre!« »Es war ein Unfall«, berichtete ich. »Pysther ist versehentlich gegen Hehl gerannt, und dabei wurde Ihr robotischer Freund leider zerstört.« »Das ist nicht wahr!« begehrte Pysther auf. »Niemals könnte ich Kester ein Leid zufügen. Du lügst!« Mein Gegner hatte einige Mühe, den Dialog zu verdauen. Nicht nur, daß ein Robot einen Arkoniden einfach duzte, er bezichtigte ihn zudem der Lüge, und das in einem Tonfall, der bei einem Robot nichts zu suchen hatte. »Hehl war ein sehr wichtiger Mann in unserer Organisation. Er nannte sich nicht ohne Grund den König der Deserteure.« »Das glaube ich gern«, antwortete ich. Ich mußte bei der Rolle des jungen Mannschaftsdienstgrad bleiben, also hatte ich jetzt verschüchtert und verängstigt zu sein. Dies darzustellen fiel mir nicht schwer, meine latenten Talente wurden durch die Mündung des entsicherten Strahlers, die genau auf meinen Magen zeigte, lebhaft gefördert. »Wir wollten Hehl um Hilfe bitten, warum also hätten wir ihn zerstören sollen?« Der Bewaffnete überging Fartuloons Einwand. Zwei schweigsame, ebenfalls bewaffnete Gestalten hielten Kastyr und Zergan in Schach. Die Männer verstanden ihr Handwerk, sie blieben so weit von Kastyr und Zergan entfernt, daß diese selbst mit wahren Raubtiersätzen keine Chance hatten, die Wächter anzugreifen. Der Spielbankbesitzer musterte mich mißtrauisch. »Warum wolltet ihr ausgerechnet nach
Peter Terrid Arkon?« fragte er lauernd. »Vielleicht, um der POGIM Hinweise geben zu können?« Wir brauchten uns nicht anzustrengen, um bei der Nennung der POGIM ein wenig blaß zu werden. Wer die Geheimpolizei Orbanaschols kannte, wußte, was sich hinter diesem Kürzel an Schrecken verbarg. »Nein, nein«, wehrte ich ab. »Bestimmt nicht. Wir wollen mit der POGIM nichts zu tun haben, oder …« Der Bewaffnete beantwortete meine unausgesprochene Frage sofort. »Wir gehören nicht zur POGIM, das werdet ihr noch merken. Könnt ihr Hehl wenigstens ersetzen?« »Wie ersetzen?« fragte ich erstaunt zurück. »Soll einer von uns seine Rolle übernehmen, oder wie stellen Sie sich das vor?« »Ich spreche von bezahlen«, entgegnete er mir. »Kester Hehl war eine Spezialanfertigung und daher sehr teuer. Wenn ihr uns den materiellen Schaden ersetzt, können wir den Vorfall vielleicht vergessen.« »Hören Sie«, bat ich. »Ich weiß nicht, was so ein Robot kostet, aber er wird sicherlich sehr teuer gewesen sein. Wir haben kein Geld mehr. Alles, was wir besaßen, haben wir an Hehl zahlen müssen. Können wir nicht vielleicht zurücktreten von dem Geschäft – vielleicht reicht das, was wir Hehl bezahlt haben, um den Schaden wiedergutzumachen?« Der Bewaffnete lachte auf. »Nicht einmal annähernd«, erklärte er. »So werden wir uns nicht einig werden. Habt ihr Verwandte, die für euch zahlen könnten?« Ich schüttelte den Kopf, desgleichen Fartuloon und Zergan. Kastyr grinste spöttisch. »Ich habe eine Tante, aber die ist so geizig, da würde sich selbst Orbanaschol die Zähne ausbeißen. Bei der alten Dame ist nichts zu holen.« Der Bewaffnete strich sich über das Kinn. Langsam sah die Angelegenheit nicht mehr ganz so bedrohlich aus. Offenbar waren unsere Gegner hauptsächlich an Geld interessiert. Mich überkam ein wahnwitziger Ein-
König der Deserteure fall. »Vielleicht können Sie uns ein paar hundert Chronners leihen?« »Bitte?« Das Gesicht des Mannes drückte Fassungslosigkeit aus. »Dann könnte ich in Ihrer Spielbank noch einmal mein Glück versuchen. Vielleicht reicht es dann aus?« »Narr!« schimpfte das Extrahirn. »Wozu ihn zusätzlich reizen?« Ich kam gerade noch schnell genug aus meinem Sessel, um einem wuchtigen Fußtritt zu entgehen. »Bitte nicht schlagen«, winselte ich. »Ich meinte nur …« »Der ist tatsächlich so blöde«, kommentierte einer der beiden Leibwächter. »Sollen wir die Kerle ein wenig bearbeiten?« Der Anführer wehrte ab. »Das bringt uns nicht weiter. Aber wir werden uns schon holen, was uns zusteht!« Rasch griff er an den Gürtel. Ich versuchte auszuweichen und wurde noch in der Bewegung getroffen. Haltlos brach ich zusammen, dann hörte ich die Paralysatorschüsse, mit denen Fartuloon und die anderen außer Gefecht gesetzt wurden. »Ruft ein paar Männer und transportiert sie ab«, hörte ich den Anführer kommandieren. »Und was soll mit dem Robot werden?« Ich konnte nichts sehen, da ich auf dem Bauch lag, aber ich spürte, daß der Mann nachdachte. »Wir nehmen ihn auch mit. Diese Burschen sind nicht blöde. Ohne Grund schleppt man keinen schrottreifen Robot mit. Vielleicht hat er einen besonderen Wert.« »Ich muß mich entschieden gegen das Wort schrottreif verwahren«, entrüstete sich Pysther, dann murmelte er leise: »Ein Fehlschlag nach dem anderen. Was soll aus mir Armen nur werden. Oh Kester!« In diesem Augenblick verfluchte ich die Eigenschaft eines Paralysators, nur die Muskulatur eines Getroffenen zu lähmen, ihm aber Gehör, Geruch, Gesicht und Ge-
49 schmack zu lassen. Einige Minuten vergingen, dann tauchten vier weitere Männer auf. Ich konnte hören, wie sie sich im Zimmer bewegten. »Der Fette muß nach Gewicht bezahlen«, schimpfte eine Stimme. »Wie kann man nur soviel essen!« Ich war mir sicher, daß sich Fartuloon beizeiten für dieses Kompliment auf seine Weise bedanken würde. »Und dann noch der Robot. Ideen haben die Leute.« »Ich verbitte mir Ihre rüpelhafte Sprache, mein Herr. Und fassen Sie mich nicht ausgerechnet dort an! Sie wissen wohl nicht, was sich gehört!« Dann hörte ich, wie Metall gegen Metall prallte, danach verstummte Pysther. Kräftige Hände griffen nach mir und hoben mich in die Höhe. Die Umwelt tanzte vor meinen Augen, als ich abtransportiert wurde. Nur schemenhaft konnte ich den Boden erkennen. Die Männer hoben mich auf einen Wagen, auf dem bereits andere Körper lagen, dann breiteten sie eine Decke über uns. Das leise Quietschen von Rollen verriet mir, daß sich das Gefährt in Bewegung setzte. Unwillkürlich versuchte ich herauszufinden, wohin man uns schleppte. Das fotografische Gedächtnis half mir dabei. Wir wurden aus dem Gebäude gebracht und in einen Transportgleiter verfrachtet. Die Fahrt führte aus dem Wohnbereich Mircs hinaus, offenbar war der Raumhafen das Ziel. Sollten wir von Mirc weggebracht werden? Ich konnte hören, wie der Gleiter einige Kontrollen passierte, dann ging die Fahrt weiter. Arbeitsgeräusche wurden hörbar. Wir befanden uns tatsächlich auf dem Landefeld. Diese Geräusche waren nicht zu verkennen, das Heulen der Impulstriebwerke, die typischen Raumfahrerflüche und der Geruch nach verbranntem Metall. Mit Hilfe des Extrahirns enträtselte ich, was danach mit uns geschah. Wir wurden eine Transportrampe hinaufgefahren, offenbar
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Peter Terrid
in die Ladeschleuse eines größeren Schiffes. Vergeblich versuchte ich herauszufinden, um was für ein Schiff es sich handelte. Groß war es in jedem Fall. Es gab in der Ladeschleuse ein leises Echo, das eine ziemlich gute Schätzung erlaubte. Danach hatte man uns in ein ziemlich großes Schiff verfrachtet. Gerüche drangen durch die Decke an meine Nase, schlechte Gerüche. Entweder war der Kommandant des Schiffes aus der Art geschlagen und hielt nicht viel von Sauberkeit, oder es handelte sich um ein Schiff, das ständig übelriechende Materialien transportierte, Felle und dergleichen. Dann konnte es sich nur um einen Frachtraumer handeln. Auf der anderen Seite gab es nur wenige Transportunternehmer, die Schiffe dieser Größenordnung benutzten. Langsam wurde die Angelegenheit äußerst rätselhaft. Die Decke wurde weggezogen, rauhe Hände drehten mich um. Ich sah in das Gesicht eines bärtigen Raumfahrers. »Herzlich willkommen«, spottete der
Kommandant. »Wir werden euch auf eine andere Welt bringen. Dort wird man entscheiden, was mit euch zu geschehen hat. Ich wünsche eine angenehme Reise!« Der Raumfahrer hob höhnisch die Mütze und verschwand dann. Als das Blickfeld frei wurde, sah ich hinter ihm einen Schriftzug. Überall war dieses Emblem zu finden, jedes Teil an Bord war damit gezeichnet: TUUMAC! So hieß ein bedeutender Pharmaziekonzern. Leiter des Riesenunternehmens war ein gewisser Helcaar Zunth. Dieser Mann hätte eine Frau. Sie hieß Getray von Helonk! Helcaar Zunth war vor kurzem erst verhaftet worden. Damit war das Rätsel komplett, ich begriff gar nichts mehr.
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 289: Von Xuura kam der Tod von H. G. Ewers Er kämpft mit den Waffen des Geistes – und nicht mit Strahlgeschützen