Matthias Papesch Corporate Governance in Familienunternehmen
GABLER RESEARCH
Matthias Papesch
Corporate Governance...
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Matthias Papesch Corporate Governance in Familienunternehmen
GABLER RESEARCH
Matthias Papesch
Corporate Governance in Familienunternehmen Eine Analyse zur Sicherung der Unternehmensnachfolge
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Burghard Hermeier, Prof. Dr. Eric Frère, Michael Beck und Stefan Lukai
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Der Druck der Arbeit erfolgt mit freundlicher Unterstützung der Sparkasse Essen und der FOM, Essen.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Anita Wilke Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2290-8
Geleitwort
Familienunternehmen stellen die historisch älteste und in der Gesamtschau bedeutendste Organisationsform menschlichen Wirtschaftens dar. Sie behaupten sich in ihren Märkten durch Flexibilität, kurze Entscheidungswege und Innovationskraft. Gleichzeitig waren aber auch die Herausforderungen und Risiken für Familienunternehmen nie größer als heute. Neben dem Mechanismus des Marktes als ein Element natürlicher Auslese hat vor allem die Analyse der Vergangenheit gezeigt, dass die Phase des Generationenwechsels als kritischster Zeitpunkt im Lebenszyklus des Familienunternehmens gewertet werden muss. Im Fokus der Analyse stehen daher Strukturen, welche in kapitalmarktorientierten und global ausgerichteten Unternehmen schon länger im Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung stehen – die Einführung von Corporate-GovernanceMechanismen. Ein Familienunternehmen unterscheidet sich jedoch von einem anonymen Unternehmen durch den Einfluss der Familie, sodass der Unternehmensführung und -kontrolle eine insgesamt facettenreichere und komplexere Aufgabe zukommt. Die Fragestellung, inwieweit die Organisation der Leitung und Kontrolle im Familienunternehmen anders erfolgen muss als in anonymen Publikumsgesellschaften, gewinnt in Deutschland erst seit kurzem an Aufmerksamkeit. Die Diskussion steht folglich erst ganz am Anfang. Ein integratives Konzept, welches die Vorteile von Corporate Governance im Zusammenhang der Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen analysiert und empirisch erforscht, fehlt gänzlich. Daher wird diese Betrachtungsweise und wissenschaftliche Auseinandersetzung von Matthias Papesch aufgegriffen und ein erster Ansatz vorgestellt.
VI
Geleitwort
Im Rahmen der Analyse wird gezeigt, dass die Einbindung alternativer Erklärungsansätze zum Verständnis der Corporate Governance im Familienunternehmen beiträgt und dass eine präzise Darstellung in Abhängigkeit des Entwicklungsstadiums vorgenommen werden muss. Im Kontext des besonderen Ereignisses “Generationenwechsel“ bedarf es zur Stabilisierung und Bestandssicherung des Familienunternehmens Mechanismen, die private Familienkrisen vom Unternehmen fernhalten. Da die Mechanismen den Anforderungen der unternehmens- und familienpolitischen Prozesse und Strukturen im Rahmen des Generationenwechsels Rechnung tragen müssen, werden sie unter Berücksichtigung des Drei-Kreis-Modells mehrdimensional im Rahmen der Analyse vorgestellt und hinsichtlich ihres Erfolges als Best-Practice-Beispiele bewertet. Die Behandlung erfolgt jeweils auf zwei Ebenen. Während auf der wissenschaftlich deskriptiven Seite theoretische Modelle und Erklärungsansätze konkret auf inhaltliche Probleme der Governance gerichtet werden, erfolgt aus der methodisch analytischen Sichtweise eine empirische Umfrage im Bundesgebiet NordrheinWestfalen. Der gewählte situative Forschungsansatz zeigt sehr anschaulich Handlungsempfehlungen aufgrund der gewonnenen Ergebnisse zur Installation von Corporate-Governance-Mechanismen auf, die Unternehmen, Nachfolgern und Politikern zum Management der Nachfolgeregelung hiermit an die Hand gegeben werden. Der Verfasser leistet mit seiner Analyse einen bedeutenden Beitrag zur Familienunternehmensforschung. Sie soll zu einer intensiveren Diskussion der Corporate Governance in Familienunternehmen beitragen und zu einem weiterführenden Gedankenaustausch in Praxis und Wissenschaft anregen. Auf ersten gemeinsamen Veranstaltungen mit renommierten Vertretern der Sparkasse Essen, der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young und Wissenschaftlern der FOM Hochschule für Oekonomie & Management konnte bereits eine fundierte thematische Auseinandersetzung unter Experten stattfinden.
Geleitwort
VII
Wir wünschen diesem Werk viel Erfolg und hoffen, einen kleinen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass Familienunternehmen auch künftig einen wichtigen Teil der Unternehmen in fast allen Ländern dieser Welt stellen. Wir wünschen uns, dass die wichtige Diskussion um die Unternehmensnachfolge durch die Buchform auf eine noch größere Plattform gestellt wird. Prof. Dr. Burghard Hermeier Rektor der FOM Hochschule für Oekonomie & Management Prof. Dr. Eric Frère Dekan für Internationale Studiengänge an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management Michael Beck Vorstand der Sparkasse Essen Stefan Lukai Bereichsleiter Projektfinanzierungen und Unternehmenskunden der Sparkasse Essen
Vorwort
Was hat das Thema Corporate Governance mit Familienunternehmen zu tun? Diese Frage scheint zwar auf den ersten Blick abwegig zu sein, da sich die Kommunikation und Interaktion um das Thema Corporate Governance in Wissenschaft und Praxis in erster Linie auf publikumsnotierte Aktiengesellschaften bezieht. Beim Studieren der bestehenden Literatur zeigt sich jedoch sehr deutlich: Corporate Governance wird mit zunehmendem Interesse hinsichtlich einer positiven Auswirkung auf die Performance des Unternehmens untersucht. Allerdings kommen Studien aufgrund der Heterogenität von Familienunternehmen bisher zu keinem eindeutigen Ergebnis. Des Weiteren stehen Diskurse zur Installation von Beiräten in Familienunternehmen im Zentrum von Analysen. Über den Nutzen eines freiwillig institutionalisierten Aufsichtsgremiums in Form des Beirates und vor allem über dessen Besetzung und Kompetenzen besteht jedoch bislang Uneinigkeit. Die familiäre Perspektive findet in der wissenschaftlichen Literatur bisher erst seit Kurzem Beachtung. Familienpolitische Aspekte werden jedoch in neuester Zeit unter dem Etikett der „Family Governance“ thematisiert. Darin spiegelt sich die Einsicht wider, dass gerade die Auseinandersetzung mit soziofamiliären Aspekten sowie Erkenntnissen der Familienpsychologie - wie etwa der Art und Weise des Zusammenlebens und zum Umgang miteinander sowie zur kollektiven familiären Entscheidungsfindung - keineswegs außen vor gelassen werden dürfen. Im Rahmen meines betriebswirtschaftlichen Studiums an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management fasste ich bereits sehr früh den Entschluss, den Stand der bisherigen wissenschaftlichen Diskussion als Ausgangs-
X
Vorwort
punkt zu begreifen, um mit Hilfe des professionell vermittelten wissenschaftlichen Rüstzeuges des Studiums sowie einem nötigen Gespür für die Praxis eine übergreifende Weiterentwicklung und Vertiefung der Thematik voranzutreiben. Das Ergebnis liegt nunmehr vor Ihnen und ich hoffe, dass die gewonnenen Erfahrungen von 180 Familienunternehmen als Spiegel und Maßstab für das eigene Familienunternehmen zur Seite stehen und Sie dabei unterstützen, die Herausforderung der Unternehmensnachfolge zu meistern und somit die Zukunftsfähigkeit des Familienunternehmens in einem sich wandelnden Umfeld sicherzustellen. Ich bedanke mich vor allem bei den 180 Familienunternehmen für ihre Zeit sowie ihr Vertrauen für die Beantwortung der Fragen. Ohne ihre Mithilfe wäre diese Studie nicht realisierbar gewesen. Zudem möchte ich all jenen weiteren Menschen danken, die den Abschluss dieser Arbeit durch unterschiedlichste Beiträge gefördert haben. Ich hatte das große Glück, die Arbeit bei Herrn Prof. Dr. Eric Frère, Dekan für Internationale Studiengänge an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management, zu verwirklichen, dem mein ausdrücklicher Dank gilt. Ferner leisteten neben der wissenschaftlichen Unterstützung Herr Stefan Lukai als Bereichsleiter der Sparkasse Essen und Herr Peter Englisch als Partner bei Ernst & Young als Mentoren aus der Praxis zahlreiche Anregungen sowie mentale und wirtschaftliche Unterstützung, so dass auch ihnen an dieser Stelle mein herzlicher Dank gilt. Die konstruktive Zusammenarbeit konnte auf ersten gemeinsamen Veranstaltungen zum Thema Unternehmensnachfolge mit renommierten Vertretern der Sparkasse Essen, der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young und Wissenschaftlern der FOM Hochschule für Oekonomie & Management vertieft werden, so dass bereits eine fundierte thematische Auseinandersetzung unter Experten stattgefunden hat. Ich hoffe, dass weitere informative und konstruktive Gesprächsrunden folgen und ich somit einen kleinen Beitrag dazu geleistet habe, dass Familienunternehmen auch künftig einen wichtigen Teil der Unternehmen in fast allen Ländern dieser Welt stellen. Matthias Papesch
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort ........................................................................................................... V Vorwort............................................................................................................. IX Abbildungsverzeichnis ................................................................................... XV Tabellenverzeichnis ..................................................................................... XVII Abkürzungsverzeichnis ................................................................................. XIX 1 Einleitung ......................................................................................................... 1 1.1 1.2 1.3 1.4
Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Diskussion ......................... 1 Problemstellung ................................................................................ 4 Ziele der Untersuchung .................................................................... 6 Methodisches Vorgehen und Gang der Arbeit ................................. 8
2 Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen........................................................... 11 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3
Definition und Abgrenzung des Begriffs Corporate Governance..................................................................................... 11 Definition mittelständischer Familienunternehmen........................ 13 Mittelständische Unternehmen ............................................... 14 Begriff des Familienunternehmens ........................................ 17 Definition der Analyse ........................................................... 22 Neoinstitutionelle Modelle und Familienunternehmen .................. 23 Property-Rights-Theorie ........................................................ 24 Transaktionskostentheorie ...................................................... 26 Prinzipal-Agenten-Theorie ..................................................... 28 Theoretische Modelle der Governance in Familienunternehmen ... 31 Stewardship-Theorie .............................................................. 34 Drei-Kreis-Modell.................................................................. 37 Family Governance ................................................................ 41
Inhaltsverzeichnis
XII
3 Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance . 47 3.1 3.2
Generationenwechsel im Mittelpunkt der Auseinandersetzung...... 48 Grundgesamtheit und Größenverteilung analysierter Familienunternehmen ..................................................................... 52 3.3 Prozess der Unternehmensnachfolge .............................................. 58 3.3.1 Aktuelle und zukünftige Bedeutung der Unternehmensübergaben ........................................................ 63 3.3.2 Nachfolgeplanung und Vorbereitungsmaßnahmen ................ 68 3.3.3 Motive und Zielsetzungen der Eigentümer ............................ 76 3.3.4 Personenkreise der Unternehmensnachfolge.......................... 79 3.4 Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess ....................... 85 3.4.1 Abgrenzung führungsrelevanter Problemfelder der Unternehmensnachfolge......................................................... 86 3.4.2 Personenorientierte Aspekte................................................... 88 3.4.2.1 Fehlen von Nachfolgern .................................................... 89 3.4.2.2 Mehrere potentielle Nachfolger ......................................... 91 3.4.2.3 Rivalisierende Gesellschafterstämme ................................ 93 3.4.2.4 Notwendigkeit des „Loslassens“ des abtretenden Unternehmers .................................................... ................ 96 3.4.3 Unternehmensorientierte Aspekte ........................................ 100 3.4.3.1 Personenabhängigkeit in der Führung ............................. 100 3.4.3.2 Unzureichende Organisationsstruktur ............................. 102 3.4.3.3 Probleme in der strategischen Positionierung.................. 104 3.4.3.4 Finanzierung der Nachfolge ............................................ 106
4 Umsetzung von funktionierenden Corporate-GovernanceStrukturen in Familienunternehmen .......................................................... 109 4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.4 4.4.1 4.4.2
Systematisierung und Erfolgsdefinition der Mechanismen .......... 110 Aktuelle und zukünftige Bedeutung der Strukturen ..................... 113 Einrichtung eines Beirates – Mechanismus des Unternehmens ........................................................................ 119 Begriffsbestimmung und Zusammensetzung ....................... 122 Beratung und Kontrolle der Geschäftsführung..................... 127 Begleitung strategischer Entscheidungen ............................. 131 Sicherstellung der personellen Kontinuität .......................... 133 Einrichtung einer Family Governance – Mechanismus der Familie .................................................................................... 136 Familienverfassung .............................................................. 139 Familientreffen ..................................................................... 142
Inhaltsverzeichnis
XIII
4.4.3 Family Education ................................................................. 146 4.4.4 Family Office ....................................................................... 149 4.5 Einrichtung eines eigenen Kodex – Mechanismus des Eigentums............................................................................... 153 4.5.1 Ziel und Inhalt eines eigenen Kodex .................................... 154 4.5.2 Regelungen der Höhe der Gewinnauszahlungen .................. 156 4.5.3 Festlegung des Gesellschafterkreises ................................... 158 4.5.4 Trennung von Familie und Unternehmen ............................ 161 4.6 Kosten und Nutzen von Corporate-Governance-Strukturen......... 163 5 Fazit und Ausblick ....................................................................................... 169 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 173
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: F-PEC Skala des Familieneinflusses .................................................... 21 Abb. 2: Zusammenhang allgemeiner Corporate Governance und der Governance familiengeführter Unternehmen ....................................... 33 Abb. 3: Eigentum und Management untersuchter Familienunternehmen ......... 34 Abb. 4: Stewardship-Theorie vs. Prinzipal-Agenten-Theorie in Familienunternehmen ........................................................................... 36 Abb. 5: Verteilungsfunktion der Familienunternehmenstypen ......................... 37 Abb. 6: Drei-Kreis-Modell ................................................................................ 39 Abb. 7: Familienunternehmenstypen nach Generation und Gründungsjahr ..... 52 Abb. 8: Grundgesamtheit der Untersuchung aus Markus-Datenbank ............... 54 Abb. 9: Familienunternehmen im Verarbeitenden Gewerbe nach der 2.Stelle des Wirtschaftscodes ............................................................... 55 Abb. 10: Verteilung der Rechtsformen ............................................................... 56 Abb. 11: Familienunternehmen nach Beschäftigungsgrößenklassen 2007 ......... 58 Abb. 12: Erfahrungskurve nach Astrachan et al. vs. Generationenverteilung des Samples ................................................... 62 Abb. 13: Anstehende Übergaben nach Zeiträumen in NRW .............................. 65 Abb. 14: Anstehende Nachfolgen nach Zeiträumen in Korrelation zum Alter der Geschäftsführer ............................................................. 66 Abb. 15: Generationenverteilung vs. Nachfolgeregelung ................................... 67 Abb. 16: Motive der Unternehmensnachfolge .................................................... 77 Abb. 17: Persönliche Ziele der Unternehmensnachfolge .................................... 79 Abb. 18: Feststehende Übertragungsvarianten ................................................... 81 Abb. 19: Familieninterne Übernahme nach Personen und Übertragungsform ................................................................................ 83 Abb. 20: Bewertung möglicher Übertragungsvarianten nach deren Umsetzung ................................................................................. 84 Abb. 21: Vorzubereitende Maßnahmen der Unternehmensnachfolge ................ 88 Abb. 22: Familienexterne Übernahme nach Varianten und Gründen ................. 91 Abb. 23: Gesellschafter und Geschäftsführer des Unternehmens in Korrelation zum Alter ...................................................................... 99
XVI
Abbildungsverzeichnis
Abb. 24: Systematisierung der Mechanismen in Anlehnung an das Drei-Kreis-Modell ............................................................................. 113 Abb. 25: Umsetzung und Planung von Corporate-Governance-Strukturen ......117 Abb. 26: Existenz eines Kontrollorganes in Familienunternehmen .................. 121 Abb. 27: Family-Governance-Mechanismen in Familienunternehmen ............138 Abb. 28: Strategie des Konfliktmanagements nach Neubauer und Lank.......... 143 Abb. 29: Mechanismen der Eigentumserhaltung .............................................. 155 Abb. 30: Nutzen von Corporate-Governance-Mechanismen ............................167
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Definitionsgrundlagen zur Anteilsermittlung von KMU und Mittelstand des IfM Bonn und der EU .......................................... 16 Tab. 2: Wirtschaftszweigverteilung .................................................................. 55 Tab. 3: Verteilung von Unternehmen in NRW 2006 im Vergleich zum Sample .......................................................................................... 57 Tab. 4: Beschäftigung mit der Nachfolgeproblematik nach geplanten Übergabezeiträumen ............................................................................. 69 Tab. 5: Informationsstand zum Thema Nachfolge nach geplanten Übergabezeiträumen ............................................................................. 70 Tab. 6: Regelungen zur Vorbereitung der Unternehmensnachfolge nach Umsatzgrößenklassen ........................................................................... 74 Tab. 7: Regelungen zur Vorbereitung der Unternehmensnachfolge nach Generationen ........................................................................................ 75 Tab. 8: Tätigkeitsprofil der Gesellschafter in Korrelation zum Familienunternehmenstyp .................................................................... 95 Tab. 9: Beschäftigung und Kenntnisstand der Corporate Governance in Korrelation zu installierten Kontrollorganen ...................................... 116 Tab. 10: Umsetzung und Planung von Corporate-Governance-Strukturen in Korrelation zu installierten Kontrollorganen.................................. 118 Tab. 11: Etablierte Kontrollorgane nach Familienunternehmenstypen............. 122 Tab. 12: Beratung der Geschäftsführung .......................................................... 129 Tab. 13: Kontrolle der Geschäftsführung ......................................................... 131 Tab. 14: Begleitung strategischer Entscheidungen ........................................... 133 Tab. 15: Sicherstellung der personellen Kontinuität ......................................... 136 Tab. 16: Familienverfassung als Fundament der Family Governance in Korrelation zum Familienunternehmenstyp ....................................... 141 Tab. 17: Familientreffen im Verhältnis zu Umsatzgrößenklassen und Familienunternehmenstypen ............................................................... 145
XVIII
Tabellenverzeichnis
Tab. 18: Family Education im Verhältnis zu Umsatzgrößenklassen und Familienunternehmenstypen ............................................................... 149 Tab. 19: Institution des Family Office nach Familienunternehmenstypen ....... 152 Tab. 20: Regelungen der Höhe der Gewinnauszahlung nach Familienunternehmenstypen ............................................................... 158 Tab. 21: Mechanismen der Bewahrung familieninterner Gesellschafterstrukturen nach Rechtsformen und Familienunternehmenstypen ....... 161 Tab. 22: Trennung von Familie und Unternehmen nach Familienunternehmenstypen ............................................................... 163 Tab. 23: Kosten von Corporate-Governance-Mechanismen ............................. 164
Abkürzungsverzeichnis
Abs.
Absatz
AG
Aktiengesellschaft
Aufl.
Auflage
BetrVG
Betriebsverfassungsgesetz
bga
Bundesweite Gründerinnenagentur
Bd.
Band
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
Bsp.
Beispiel
CPA
Certified Public Accountant
Diss.
Dissertation
ErbStRG
Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts
et al.
et alii
EU
Europäische Union
EUR
Euro
e.V.
eingetragener Verein
F.A.Z.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GmbHG
Gesellschaft-mit-beschränkter-Haftungs-Gesetz
HGB
Handelsgesetzbuch
Hrsg.
Herausgeber
i.d.R.
in der Regel
Abkürzungsverzeichnis
XX IfM
Institut für Mittelstandsforschung
IPO
Initial Public Offering
Jg.
Jahrgang
KG
Kommanditgesellschaft
KMU
Kleine und mittlere Unternehmen
KWG
Kreditwesengesetz
MBI
Management Buy In
MBO
Management Buy Out
MitbG
Mitbestimmungsgesetz
Mio.
Million
n
Anzahl
Nr.
Nummer
NRW
Nordrhein-Westfalen
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
o. J.
ohne Jahrgang
OHG
Offene Handelsgesellschaft
PWC
Price Waterhouse Coopers
S.
Seite
Tsd.
Tausend
Vgl.
Vergleiche
Vs.
Versus
1 Einleitung
1.1 Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Diskussion Im Zusammenhang mit Unternehmensinsolvenzen namhafter Aktiengesellschaften ist das Thema Corporate Governance in Deutschland erstmalig Mitte der neunziger Jahre in die Schlagzeilen1 und damit in das Blickfeld der Öffentlichkeit und der Wissenschaft geraten.2 Durch die Unternehmenszusammenbrüche kamen Zweifel auf, ob der Vorstand einerseits seinen Aufgaben verantwortungsbewusst nachgekommen war und andererseits seine Überwachung den Erfordernissen entsprach. Der Ruf nach einer verbesserten und stärkeren Kontrolle sowie Haftung der Leitungsorgane wurde laut.3 Nach Ansicht der breiten Mehrzahl sollte Corporate Governance dazu beitragen, das Risiko einer Insolvenz durch die Etablierung von effizienten Kontrollmechanismen zu minimieren und somit die Unternehmen mit ihren betroffenen Arbeitsplätzen zu sichern.4 Für viele schien dies die Geburtsstunde von Corporate Governance zu sein, obwohl Fragen der geeigneten Unternehmensüberwachung schon seit längerer Zeit im angloamerikanischen Raum untersucht wurden.5 Die ersten umfassenden und grundlegenden Arbeiten wurden bereits in den 30er Jahren von Berle/ Means und Coase veröffentlicht. Darin erkannten sie die Trennung zwischen den Anteilseignern eines Unternehmens und der Unterneh-
1
Vgl. bezeichnend Schilling, F. (1994): „Der Aufsichtsrat ist für die Katz“ in F.A.Z. v. 27.08.1994; Peltzer, M. (1994): „Ist der Aufsichtsrat wirklich für die Katz?“ in F.A.Z. v. 08.09.1994. 2 Vgl. Götz, H. (1995), S. 337. 3 Vgl. v. Werder, A. (2003), S. 5; Waering, R. (2005) liefert anhand der Unternehmen Enron und Worldcom Beispiele für Corporate Governance Probleme. 4 Vgl. Iliou, C. (2004), S. 1. 5 Vgl. Witt, P. (2003), S. 3.
2
Einleitung
mensleitung als Hauptproblem der modernen Publikumsgesellschaft.6 Dieser Grundgedanke und die Betrachtung der Problemstellung aus der Sichtweise der Publikumsgesellschaft charakterisierte die Corporate-Governance-Diskussion bis in die nahe Vergangenheit und ist Ursache für die unzureichende Betrachtung von Corporate Governance in Familienunternehmen.7 Was hat das Thema Corporate Governance also mit Familienunternehmen zu tun? Diese Frage erscheint zwar auf den ersten Blick abwegig zu sein, da sich die Kommunikation und Interaktion um das Thema Corporate Governance in Wissenschaft und Praxis in erster Linie auf publikumsnotierte Aktiengesellschaften bezieht. Fasst man den Begriff jedoch weiter und versteht darunter sowohl Probleme der Führung und Kontrolle als auch unternehmenspolitische Prozesse und Strukturen, die eine langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens sicherstellen, so treten zwei Aspekte hervor. Zum einen, Corporate Governance ist sehr wohl ein wesentliches und relevantes Thema der Unternehmenspolitik und strategischen Fortführung von Familienunternehmen. Für ihre nachhaltige Existenzsicherung ist die Regelung der Eigentums- und Führungsnachfolge von entscheidender Bedeutung.8 Und zum Zweiten, die bisherigen Auseinandersetzungen mit dem Themenkomplex mittelständischer Familienunternehmen thematisieren schon Einzelaspekte der „Corporate und Family Governance“, jedoch gewinnen diese Begriffe in Deutschland erst seit Kurzem an Aufmerksamkeit und werden in der Literatur neben steuer- und gesellschaftsrechtlichen, familiensoziologischen und psychologischen Forschungsansätzen behandelt.9 Es stellte sich in jüngster Zeit nicht nur vor dem Hintergrund von Basel II und den Diskussionen um den „Deutschen Corporate Governance Kodex“ zwin-
6
Vgl. Berle, A., Means, G. (1932); Coase, R. (1937). Vgl. Iliou, C. (2004), S. 2. Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 1. 9 Vgl. Hausch, K. (2004); Kellersmann, D., Winkeljohann, N. (2006); Lange, K. W. (2005); Strenger, C.(2003). 7 8
Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Diskussion
3
gend die Frage, ob und welchen Stellenwert Corporate Governance für die Unternehmensform des Familienunternehmens aufzuweisen hat.10 Wissenschaftliche Beiträge und empirische Analysen in Deutschland sind eher selten, doch werden innerhalb der vorhandenen Ansätze Überlegungen zur Notwendigkeit und sinnvollen Anwendung kontrovers diskutiert.11 Die Auseinandersetzungen mit Fragen zur Corporate Governance in Familienunternehmen reichen von eher ablehnenden Beiträgen, in denen die Etablierung eines Kodex nach dem „Vorbild des aktienorientierten DCG-Einheitskodex“12 verneint wird, bis hin zu Empfehlungen nach einer expliziten Einführung von so genannten „Codes-of-best-practice“ zur Verbesserung der Orientierung.13 Hennerkes merkt hierzu beispielsweise an, dass das Thema entgegen der vorherrschenden Meinung „gerade auch für Familienunternehmen einen bedeutenden Stellenwert hat.“14 Auch die Einführung des Governance Kodex für Familienunternehmen im Jahre 2004 durch die Unternehmensberatung INTES und der WELT AM SONTAG verdeutlicht das Bestreben einer neuen Interpretation und Dimension der Corporate Governance für das Forschungsobjekt des Familienbetriebs.15 Doch bleiben der Bekanntheitsgrad und die Umsetzung der gegebenen Empfehlungen nach der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Studie im Bundesland NRW bisher hinter den Erwartungen zurück.16 Da eine Rückkopplung mit der Praxis hinsichtlich der Stärken und Schwächen von Corporate Governance bislang unterblieben ist,17 wird es in der weiteren Forschung zu Familienunternehmen maßgeblich darauf ankommen, ob und inwieweit es gelingt, eine Anwendung von Corporate Governance und dessen spezifischen Nutzenpotential innerhalb der Unternehmensentwicklung zu überprüfen.
10
Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 30. Vgl. Oesterle, M. J. (2007), S. 28. 12 Bernhard, W. (2003), S. I; vgl. auch Weipert, L. (2004), S. 143. 13 Vgl. Hausch, K. (2004), S. 312 ff.; Iliou, C. (2004), S. 163 ff. 14 Hennerkes, B. H. (2002), S. 105. 15 Vgl. INTES [Hrsg.] (2004). 16 Vgl. Kapitel 4.2: Aktuelle und zukünftige Bedeutung der Strukturen, S. 113 ff. 17 Vgl. Oesterle, M. J. (2007), S. 30. 11
4
Einleitung
Da in den kommenden Jahren bei vielen der in einer Gründungswelle nach dem 2. Weltkrieg entstandenen Familienunternehmen die Frage der Nachfolge akut wird, werden Lösungen zur Sicherung des Fortbestandes der Unternehmen immer wichtiger. Ob Corporate Governance in Form einer Unternehmensverfassung dazu beitragen kann, die Dimensionen Führung, Kontrolle und Eigentum über verschiedene strukturelle Elemente in Einklang zu bringen und somit die Aussicht auf eine erfolgreiche Zukunft des Unternehmens verbessern kann, gilt es zu überprüfen. Da bisher ein integratives Konzept, welches die Aspekte Corporate Governance und Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen in Zusammenhang bringt und empirisch untersucht, fehlt,18 wird diese Betrachtungsweise und wissenschaftliche Auseinandersetzung in dieser Arbeit aufgegriffen und ein erster Ansatz vorgestellt. 1.2 Problemstellung Wie eingangs festgestellt, ist die Diskussion um das Thema Corporate Governance innerhalb des in der Praxis so vielfältig vertretenen und für die wirtschaftliche Entwicklung zu bedeutenden Typs des Familienunternehmens vernachlässigt worden. Mit anhaltender Intensität wird hingegen das Thema Unternehmensnachfolge in der Öffentlichkeit diskutiert. Forschungsinstitute, zahlreiche Akteure der so genannten unternehmensnahen Organisationen wie Kammern, Verbände und Banken, eine Vielzahl der rechts-, steuer- und wirtschaftsberatenden Berufe sowie die Politik haben das Problemfeld Nachfolge in Familienunternehmen zu einem ihrer Aufgabenfelder deklariert.19 Da es nur in weniger als 50% der Fälle gelingt, die Einheit von Führung und Kapital durch einen familieninternen Nachfolger sicherzustellen und auch externe Nachfolgelösungen in der Regel mit
18 19
Vgl. Weissenberger-Eibl, M. A., Spieth, P. (2006), S. 129. Vgl. Freund, W., Kayser, G. (2007), S. 1.
Problemstellung
5
größeren Schwierigkeiten behaftet sind als interne,20 ist dieses Vorgehen zu befürworten. Trotzdem blicken immer noch Unternehmen mangels geeigneter Nachfolgelösung in eine ungewisse Zukunft, die in vielen Fällen in einer Stilllegung des Unternehmens endet. Nach einer Hochrechnung des Institutes für Mittelstandsforschung in Bonn betrifft dies in dem Zeitraum von 2005 bis 2009 pro Jahr 5.900 von insgesamt 70.900 übergabereifen Unternehmen in Deutschland, wodurch 33.500 Arbeitsplätze verloren gehen.21 Weiterhin geraten immer noch Unternehmen in eine Nachfolgekrise, weil viele Unternehmer den Übergabeprozess gar nicht initialisieren oder fehlerhaft angehen. Studien zufolge besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Insolvenz eines Unternehmens und der im Vorfeld nicht geplanten Nachfolgesituation.22 Auch die Euler Hermes Kreditversicherungs-AG hat zusammen mit dem Zentrum für Insolvenz und Sanierung an der Universität Mannheim in einer Studie Managementfehler der Geschäftsführung, hier als autoritärer und rigider Führungsstil des Alleinherrschers (57%) und fehlende Transparenz und Kommunikation innerhalb des Unternehmens durch unklare Kompetenzzuweisungen (44%), als häufigste Insolvenzursache festgestellt.23 Auch glaubt immer noch eine ganze Reihe von Unternehmern, dass die Vorbereitung der Unternehmensübergabe erst mit fortgeschrittenem Lebensalter zu bewältigen ist.24 Dagegen tritt eine Vielzahl der Nachfolgefälle und ein damit verbundenes Führungsvakuum durch unvorhersehbare Ereignisse wie Krankheit oder Tod viel früher ein.25 Zudem wird für die heranwachsende Generation die Übernahme des Unternehmens von Jahr zu Jahr uninteressanter, vor allem dann,
20
Vgl. Freund, W. (2000), S. 1; L-Bank [Hrsg.] (2003), S. 12. Vgl. Freund, W. (2004), S. 87. 22 Vgl. Hildebrand, E. (2008): „Firmen suchen händeringend Nachfolger“ in Handelsblatt v. 02.05.2008; Nötzli-Breinlinger, U. (2003): „Ist jedermann jederzeit ersetzbar? Vernachlässigte Nachfolgeregelungen“ in NZZ v. 26.09.2003. 23 Vgl. Euler Hermes Kreditversicherungs-AG [Hrsg.] (2006), S. 9. 24 Vgl. Kapitel 3.3.1: Aktuelle und zukünftige Bedeutung der Unternehmensübergaben, S. 24 ff. 25 Vgl. Freund, W. (2004), S. 1. 21
6
Einleitung
wenn die potentiellen Nachfolger über ein hohes Qualifikationsprofil verfügen und ihnen somit hervorragende berufliche Alternativen offen stehen.26 Diese hohe Abhängigkeit von der Person des Unternehmers steht im Gegensatz zu der geringen Nachfrage nach Hilfe von außen durch das Einbringen von Know How und der gezielten Planung und Vorbereitung der Mitarbeiter zur Unternehmensübernahme.27 Die Tatsache, dass der Lebenszyklus von Unternehmen und Familie zeitlich nicht synchronisiert ist und deren Funktionsverständnis ein anderes ist, bedarf einer effektiven Koordination und im besonderen Ereignis der Nachfolgelösung Instrumente zur langfristigen und reibungslosen Sicherung des Fortbestandes der Unternehmung.28 Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass 95% aller deutschen Unternehmen Familienunternehmen sind, sie 41,5% der gesamten Unternehmensumsätze erwirtschaften und 57,3% aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse bereitstellen, ist die erfolgreiche Durchführung des Generationenwechsels für die volkswirtschaftliche Entwicklungskraft Deutschlands entscheidend.29 Der vorherrschende Mangel einer systematischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Familienunternehmen sowie die Einbeziehung der Familie als gleichberechtigten Teil des Gesamtsystems30 bietet eine Reihe von Ansatzpunkten zur Erarbeitung von neuen Lösungsansätzen. 1.3 Ziele der Untersuchung In einer Zeit dynamischer Veränderungen können diese Aufgaben immer weniger ausschließlich mit bewährten Mitteln gelöst werden. Im Folgenden wollen
26
Vgl. Freund, W. (2000), S. 3. Vgl. Albach, H., Freund, W. (1989), S. 43 sowie aktuell Kapitel 3.3.2: Nachfolgeplanung und Vorbereitungsmaßnahmen, S. 24 ff. 28 Vgl. Simon, F. B. (2005c), S. 54. 29 Vgl. Haunschild, L. et al. (2007), S. 53 sowie zu identischen Verhältnissen US-amerikanischer Familienunternehmen Carney, M. (2005), S. 249; Miller, D., Steier, L., Le Breton-Miller, I. (2006), S. 371 f. 30 Vgl. Klein, S. B. (2004), S. 6; Pfannenschwarz, A. (2006), S. 20; Simon, F. B. (2005a), S. 7. 27
Ziele der Untersuchung
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wir der Frage nachgehen, welche Mechanismen von Corporate Governance in Familienunternehmen entwickelt und diskutiert worden sind und inwieweit eine Implementierung dieser Mechanismen es ermöglicht, den Anforderungen der unternehmens- und familienpolitischen Prozesse und Strukturen im Rahmen des Generationenwechsels zu entsprechen und das Familienunternehmen langfristig im Besitz der Familie zu halten. Der Untersuchungsgegenstand konzentriert sich daher auf die Erforschung nachfolgender Fragestellungen:
Was wird im Zusammenhang mit den Themen Corporate Governance und Familienunternehmen in Wissenschaft und Praxis diskutiert und mit welchen theoriebasierten Modellen können diese spezifischen Charakteristiken präzise dargestellt werden? Welche Bedeutung haben Unternehmensübergaben aktuell in Familienunternehmen? Welche vorrangige Zielrichtung der Übertragungsform wird mit Blick auf die Notwendigkeiten zu treffender Vorbereitungsmaßnahmen präferiert? Mit welchen Ansätzen der Familienunternehmensforschung können Prozessverläufe der Unternehmensnachfolge abgebildet werden und welche Kräfte können Einfluss auf die Entscheidungsfindung ausüben? Welche Risikofaktoren determinieren den familieninternen Nachfolgeprozess und welche Wechselwirkungen bestehen in diesem Zusammenhang zwischen den Dimensionen Eigentum, Familie und Unternehmen? Können aufbauend auf dem Verständnis der Nachfolgesituation konkrete Elemente der Corporate und Family Governance einen Ansatzpunkt zur Sicherung des Unternehmens über den Generationenwechsel hinaus leisten? Liefert Corporate Governance unter Berücksichtigung verschiedener Familieunternehmenstypen ein integratives Konzept der Unternehmensnachfolge und kann die Anwendung eine gelungene familieninterne Nachfolge sicherstellen?
Die Behandlung der Fragen erfolgt jeweils auf zwei Ebenen. Während auf der wissenschaftlich deskriptiven Seite theoretische Modelle und Erklärungsansätze konkret auf inhaltliche Probleme der Governance gerichtet werden, erfolgt aus der methodisch analytischen Sichtweise eine empirische Umfrage im Bundesgebiet Nordrhein-Westfalen.
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Einleitung
Der gewählte situative Forschungsansatz soll Erkenntnisse aufgrund der gewonnenen Ergebnisse zur Installation von Corporate-Governance-Mechanismen zugänglich machen, die Unternehmen, Nachfolgern und Politikern zum Management der Nachfolgeregelung an die Hand gegeben werden. 1.4 Methodisches Vorgehen und Gang der Arbeit Die Betriebswirtschaftslehre hat nach Heinen generell die Aufgabe zu erfüllen, Mittel und Wege aufzuzeigen, die zur Verbesserung der Entscheidungen führen.31 Methodisch wird dieser Anspruch durch wissenschaftlich deskriptive und als Ergänzung normativ ausgerichtete Vorgehensweisen umgesetzt. Dieser Maxime folgend werden nach dem einleitenden Kapitel die theoretischen Grundlagen und Modelle der Governance von Familienunternehmen in Kapitel 2 aus einer inhaltsorientierten Perspektive analysiert. Die unterschiedlichen Verständnisse von Corporate Governance machen eine Strukturierung und inhaltliche Abgrenzung des Begriffs sowie die im weiteren Verlauf verwendete Arbeitsdefinition nötig. Die existierende inhaltliche Bandbreite und Problematik des Begriffs „Familienunternehmen“ erfordert ein gemeinsames Verständnis des Untersuchungsgegenstandes, so dass unter Berücksichtigung der vorliegenden Literatur eine operationalisierbare und arbeitsspezifische Begriffsbestimmung vorgenommen wird. Anschließend wird in Kapitel 2.3 ein detaillierter Überblick des Familienunternehmens als Gegenstand der neuen Institutionenökonomik vorgestellt. Hintergrund dieser Erörterung bilden die Property Rights Theorie, die Transaktionskostentheorie sowie die Prinzipal-Agenten-Theorie. Da den neuen institutionellen Ansätzen und insbesondere der Prinzipal-Agenten-Theorie hauptsächlich die Erklärung der Probleme börsennotierter Publikumsgesellschaften zukommt, werden zunehmend alternative Erklärungsansätze in die Corporate-Governance-Diskussion eingebunden. Deshalb werden im Anschluss die Stewardship-Theorie und das ihr zugrunde liegende Menschenbild, das DreiKreis-Modell und darauf aufbauend die Organisation der Familie unter dem 31
Vgl. Heinen, E. (1969), S. 209.
Methodisches Vorgehen und Gang der Arbeit
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Begriff der Family Governance als hinzukommender Aspekt der Corporate Governance erläutert. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Vorteile und Chancen aufzuzeigen, welche die Realisierung von Corporate-Governance-Strukturen im Rahmen der Unternehmensnachfolge mit sich bringt. Im folgenden Kapitel 3 wird daher zur Gesamteinschätzung ein aktueller und vertiefender Einblick in die Problematik des Generationenwechsels in Familienunternehmen geliefert. Ausgangspunkt bildet eine umfassende Literaturanalyse im Bereich der Nachfolgeregelung unter Berücksichtigung bereits vorgeschlagener Ansätze zur systematischen Analyse des Nachfolgeprozesses. Aufbauend auf diesem Verständnis wurde als Zugang zum Forschungsobjekt eine empirische Untersuchung im Bundesland NordrheinWestfalen initiiert, welche einen ausführlichen Einblick zum Status quo des Themas Nachfolge in Familienunternehmen erlaubt. Das Forschungsdesign gliederte sich entsprechend der Entwicklung einer quantitativen wissenschaftlichen Befragung in die Teilabschnitte Formulierung des Forschungsproblems, Planung und Vorbereitung der Erhebung und schließlich Durchführung, Auswertung und Berichterstattung der gewonnenen Daten.32 Die Befragung erfolgte auf Grundlage von 1.000 postalisch versandten Fragebögen mit beiliegendem freigemachten Rückumschlag an ein Postfach. Den persönlich adressierten Firmeninhabern wurde aufgrund der Vertraulichkeit des Themas Anonymität zugesichert. Der erreichte Rücklauf von 17,3% verdeutlicht im Vergleich zu anderen Befragungen die Relevanz des Themas und liefert im Folgenden die Datenbasis der Untersuchung. Insbesondere werden aus den Umfrageergebnissen in Kapitel 3.3 feststehende und beabsichtigte Lösungen zur Nachfolgeregelung mit dem Blick auf Erfordernisse des Informationsstandes und der bisher umgesetzten Maßnahmen der übergebenden Generation zur Vorbereitung und Initialisierung des Prozesses untersucht. Motive und Zielsetzungen der Eigentümer runden unter Berücksichtigung von familien- und unternehmensorientierter Aspekten dieses Unterkapitel ab. Mithilfe eines systematischen Ordnungsgerüstes, das zielgerichtet führungs32
Vgl. Atteslander, P. (2000); Diekmann, A. (2001).
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Einleitung
relevante Problemfelder der Unternehmensnachfolge in personen- und unternehmensorientierte Einflussfaktoren gliedert und analysiert, wird in Kapitel 3.4 ein integrierter Bezugsrahmen geschaffen, der den Besonderheiten des Familienunternehmens gerecht wird. Die so gewonnenen Erkenntnisse dienen im anschließenden 4. Kapitel als Ausgangspunkt einer systematischen Erforschung von Corporate-GovernanceStrukturen zur Sicherung der Unternehmensnachfolge. Die Analyse möglicher Institutionen der Governance im Familienunternehmen folgt hier einer zweigleisigen Strategie. Zuerst werden die Mechanismen in ihren jeweiligen Funktion auf Basis der Literaturauswertung vorgestellt und beurteilt, um darauf aufbauend in Abhängigkeit von Größenkriterien und Familienunternehmenstypen aus der empirischen Analyse heraus zu prüfen, welche Formen der Governance bislang realisiert und auf Grundlage von definierten Kriterien in Kapitel 4.1 von Vorteil für Familienunternehmen sind. Im Rahmen dieser Prüfung werden in Anlehnung an das Drei-Kreis-Modell der Beirat als Mechanismus des Unternehmens, verschiedene Elemente der Family Governance als Mechanismen der Familie sowie die Einrichtung eines unternehmenseigenen Kodex als Mechanismus des Eigentums erforscht und näher beleuchtet. Aus den erhaltenen Ergebnissen stellt Kapitel 4.6 Kosten und Nutzen gegenüber, so dass die Arbeit in Kapitel 5 mit einem Fazit sowie einem Ausblick zukünftiger Forschungsperspektiven endet.
2 Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
2.1 Definition und Abgrenzung des Begriffs Corporate Governance Angesichts des in jüngster Zeit beobachtbaren Wachstums an Diskussionen in wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Literatur sowie in einschlägigen Zeitschriften und anderen Medien ist die Aktualität des Themas Corporate Governance wohl unbestritten. Da unter dem gemeinsamen Oberthema ähnlich einer Überschrift je nach Hintergrund verschiedene Fragestellungen der Unternehmensführung erörtert werden, ist es nicht verwunderlich, dass sich bislang noch keine einheitliche Definition des Begriffs herausgebildet hat, sondern im deutschsprachigen Raum als eigener Begriff direkt übernommen wird.33 Eine Gleichsetzung mit Begriffen wie „Herrschaft im Unternehmen“34, „Verhaltensmaßstäbe für Unternehmensführung und Kontrolle“35 oder „Leitungsstruktur eines Unternehmens“36 ist unterblieben. Im Kern thematisiert Corporate Governance Zusammenhänge zwischen der Funktionsweise der Leitungsorgane, ihrer Kontrolle und dem daraus resultierenden Erfolg eines Unternehmens innerhalb eines marktwirtschaftlichen Umfeldes. Sie zielt auf die Etablierung eines unternehmenseigenen Systems der Selbstkontrolle, das im Idealfall die Rollenverteilung der beteiligten Organe optimiert.37 Corporate Governance ist allerdings nicht als einmaliger Vorgang zu verstehen, der die Implementierung bestimmter Gremien und deren Kompetenzen untereinander beinhaltet. Vielmehr 33
Vgl. Budäus, D. (2005), S. 2; Rechkemmer, K. (2003), S. 3; Witt, P. (2003), S. 1; Bassen, A. (2002), S. 20. 34 Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 27. 35 Vgl. OECD [Hrsg.] (2004), S. 11 f. 36 Vgl. Witt, P. (2003), S. 1. 37 Vgl. Baums, T. (2001), S. 20.
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
ist eine ständige Optimierung und Neuausrichtung der eingeführten Strukturen der innerbetrieblichen Organisation vorzunehmen, um notwendige Anpassungen an sich verändernde Gegebenheiten vornehmen zu können.38 Zur Schaffung eines solchen Systems können Regelungen aus verschiedenen Blickwinkeln getroffen werden. Während innerhalb der Finanzwissenschaft Corporate Governance hinsichtlich der Auswirkungen von Unternehmenskonstellationen im Zusammenhang der Komplexität des Unternehmens auf die Performance diskutiert wird (Shareholder-Value-Ansatz39), werden unter dem Begriff der Comparative Corporate Governance Forschungen angestellt, die Corporate Governance als Rahmenbedingungen von Systemen international vergleichen und dabei deren länderspezifische Wettbewerbsfähigkeit untersuchen.40 Die Diskussion bezieht sich dabei auf die Unterscheidung zwischen dem „Two-TierSystem“ und dem „One-Tier-System“, vorwiegend im Vergleich zwischen Deutschland und den USA. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass im deutschen „Two-Tier-System“ eine strikte Trennung der Leitungsfunktion von der Aufsichtsfunktion vorliegt, während im amerikanischen „One-Tier-System“ die Leitungsaufgaben sowie die Überwachungskompetenzen gemeinsam vom „Board of Directors“ wahrgenommen werden.41 Der dritte Ansatz findet in der Organisationslehre statt. Corporate Governance soll hier die notwendigen Strukturen und Prozesse bereitstellen, um innerhalb der arbeitsteiligen Unternehmenswelt eine Fehlallokation von Ressourcen zu vermeiden. Diese Fehlallokation, ausgelöst durch opportunistisches Handeln der beteiligten Personen in einem Umfeld unvollständiger Verträge, zeigt sich beispielsweise in einer Umsatz- statt Ertragsorientierung oder einer Strategie der Profitbefriedigung seitens des Managements.42
38
Vgl. v. Werder, A. (2008); Zöllner, C. (2007). Ausgehend von den USA, hier insb. Fisher, I. (1930) und darauf aufbauend Rappaport, A. (1986), hat sich dieser Ansatz auch in Deutschland durchgesetzt, vgl. bspw. Coenenberg, A. G. (2007); Bress, S. (2008). 40 Vgl. Clarke, T. (2007); Witt, P. (2003); Mann, A. (2003). 41 Vgl. Schewe, G. (2005), S. 73 ff. 42 Malik, F. (2008); Lubatkin, M. H. et al. (2005). 39
Definition mittelständischer Familienunternehmen
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Trotz der dargestellten unterschiedlichen Sichtweisen ist dem Großteil der Beiträge das Problem der Trennung von Eigentum und Management für die Unternehmensform der Aktiengesellschaft gemein. Dabei erkannte schon Adam Smith im Jahre 1776 diesen Zielkonflikt: „Da die Direktoren solcher Gesellschaften jedoch eher mit anderer Leute Geld als mit ihrem eigenen wirtschaften, kann man wohl nicht erwarten, daß sie darauf mit der gleichen sorglichen Wachsamkeit achten wie die Partner einer Personengesellschaft häufig auf das ihre.“43 Es stellt sich vorrangig die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass das Management eines Unternehmens im Interesse seiner Eigentümer handelt. In der hier vorgelegten Arbeit sind unter Corporate-Governance-Strukturen neben der Organisation der Leitung und Kontrolle des Unternehmens mit dem Ziel des Interessenausgleiches aller beteiligten Anspruchsgruppen vor allem die unternehmenspolitischen Prozesse und Strukturen zu verstehen, die eine langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens sicherstellen. 2.2 Definition mittelständischer Familienunternehmen Zielsetzung der Arbeit ist die Umsetzung von Corporate-Governance-Strukturen in mittelständischen Familienunternehmen und deren Auswirkungen auf den Generationenwechsel zu untersuchen. Um dies leisten zu können, ist eine exakte Definition der Begriffe „mittelständische Unternehmen“ und „Familienunternehmen“ vorzunehmen. Im Folgenden wird aufbauend auf diesem Verständnis die Definitionsgrundlage der vorliegenden Analyse vorgestellt und der Kreis der befragten Unternehmen einer Klassifizierungskontrolle unterzogen. Somit ist gewährleistet, dass die nachfolgenden Ergebnisse auf Basis der gelieferten Definitionsgrundlage auf die Unternehmensform des Familienunternehmens angewendet werden können.
43
Smith, A. (2005), S. 715.
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
2.2.1 Mittelständische Unternehmen Die herausragende Bedeutung des Mittelstandes für die deutsche Volkswirtschaft wird in der Öffentlichkeit immer wieder hervorgehoben. Umso erstaunlicher ist es, dass einerseits keine gesetzliche Definition existiert, andererseits jedoch in der wissenschaftlichen Literatur eine Vielzahl von Definitionen verwendet werden.44 Bereits im Jahre 1906 bemerkte Gothein: “Was man nicht definieren kann, das spricht mit Mittelstand man an.“45 Auf die in den 60er Jahren von Gantzel veröffentlichte Übersicht mit über 190 Definitionen des Mittelstandes sei an dieser Stelle zur Veranschaulichung verwiesen.46 Diese Vielfalt an Definitionsversuchen ist dadurch zu begründen, dass der Begriff aus der Zeit des Mittelalters stammt, wo sich neben der Aristokratie und der unfreien Landbevölkerung ein mittlerer Stand der reichen und gebildeten Bürger herauskristallisierte, deren gesellschaftliche Stellung durch die eigene Leistung erreicht wurde. Heutzutage wird der Begriff von seiner historisch-soziologischen Bedeutung weiterhin beeinflusst, eine Annäherung erfolgt jedoch aus Praktikabilitätsgründen über quantitative und ergänzend um qualitative Kriterien.47 Die Zuordnung eines Unternehmens zum Mittelstand erfolgt gemäß den quantitativen Kriterien über die Unternehmensgröße. Dies hat zur Herausbildung des Begriffes der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) geführt, der oft synonym mit dem Begriff des Mittelstandes verwendet wird. Da jedoch, an der Vergangenheit angelehnt, als Definitionsgrundlage eine Vielzahl von Kriterien und Schwellenwerten existieren, sollen an dieser Stelle stellvertretend die Definitionen des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn (IfM) und die der EU vorgestellt werden. Das IfM definiert den Begriff der KMU anhand einer Kombination der beiden Merkmale Beschäftigtenzahl und Jahresumsatz. Unabhängige Unternehmen, die eine selbstständige wirtschaftliche Einheit darstellen und keinem Mutterkon44
Vgl. Wallau, F. (2006), S. 12. Gothein, G. (1906), S. 7. 46 Vgl. Gantzel, K. J. (1962), S. 293 ff. 47 Vgl. Hausch, K. (2004), S. 12 f. 45
Definition mittelständischer Familienunternehmen
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zern zuzuschlagen sind, dürfen bis zu 499 Mitarbeiter beschäftigen und einen Jahresumsatz bis unter 50 Mio. € erwirtschaften, um zu der Gruppe der KMU gezählt zu werden.48 Abweichend von der IfM-Definition werden nach der EU die Kriterien Beschäftigtenzahl, Jahresumsatz und Bilanzsumme zur Bestimmung der KMU herangezogen. Gemäß einer Kommissions-Empfehlung vom 6. Mai 2003 werden seit dem 1. Januar 2005 Unternehmen als KMU betrachtet, wenn sie unabhängig, hier insbesondere nicht 25% oder mehr in Besitz eines anderen Unternehmens sind, nicht mehr als 249 Angestellte beschäftigen und entweder weniger als 50 Mio. € Jahresumsatz oder eine Bilanzsumme von weniger als 43 Mio. € aufweisen.49 Während die IfM-Definition zur nationalen Definition in Deutschland etabliert und auch in der Literatur Zustimmung findet, erhält die Definition der EU ihren Ausdruck innerhalb des deutschen Bilanzrechtes in § 267 Abs.1 bis Abs.3 HGB, welcher sich auf europarechtliche Vorgaben bezieht und ebenfalls die Kriterien Beschäftigtenzahl, Umsatz und Bilanzsumme zur Bestimmung der Größenklassen von Kapitalgesellschaften heranzieht.50 Diese an zwei Beispielen verdeutlichten quantitativen Größenschwellen werden um qualitative Komponenten ergänzt. Auch hier befindet sich innerhalb der Literatur ein ganzer Katalog von möglichen Charakteristiken.51 Jedoch soll analog der oben gewählten Vorgehensweise auf die Definition des IfM zurückgegriffen werden, da sie sowohl allgemein Anerkennung und Anwendung in der Praxis findet als auch für das Verständnis des Mittelstandes von essentieller Bedeutung ist.52 Im Zentrum steht hier die Einheit von Eigentum und Leitung in der Hand einer oder mehrerer Unternehmer. Diese leiten durch ihren Anteil am Kapital oder durch Ausübung der Kontrollrechte das Unternehmen selbst oder gemeinsam mit Fremdmanagern. Ein lediglich durch externes Management al48
Vgl. Haunschild, L. et al. (2007), S. 4. Vgl. EU-Kommission [Hrsg.] (2003), S. 39. Vgl. Iliou, C. (2004), S. 94. 51 Vgl. Hausch, K. (2004), S. 14 ff. und die dort angegebene Literatur. 52 Vgl. Adenäuer, C., Kayser, G., Wallau, F. (2007), S. 69. 49 50
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
lein geführtes Unternehmen wird nach dieser Definition folglich vom Mittelstandsbegriff ausgeschlossen. Auch wenn ein Unternehmen durch Eigentümer geführt wird, die nicht den maßgeblichen Anteil am Kapital oder über die entsprechenden Kontrollrechte verfügen, wird eine Zugehörigkeit zum Mittelstand verneint. Entscheidend ist nach Auffassung des IfM, dass der Eigentümer allein oder zusammen mit einer überschaubaren Anzahl von Partnern die unmittelbare Einwirkung auf alle zu treffenden strategischen Entscheidungen innerhalb des Unternehmens besitzt und somit das Schicksal der Unternehmer direkt mit dem Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens verbunden ist.53 Tabelle 1 verdeutlicht zusammenfassend die geschilderten Definitionsgrundlagen zur Anteilsermittlung von KMU und mittelständischen Unternehmen.
Quantitative Kriterien
Qualitative Kriterien
Definition
Verknüpfung der Kriterien
1 Beschäftigte
2 Umsatz
3 Bilanzsumme
4
KMU nach IfM
<500
< 50 Mio. €
-
Unabhängigkeit des Unternehmens
Ja (1 und 2)
KMU nach EU
<250
< 50 Mio. €
< 43 Mio. €
Unabhängigkeit des Unternehmens
Ja (1 und [2 oder 3] und 4)
Mittelstand nach IfM
-
-
-
Einheit von Eigentum und Leitung
nein
Tab. 1 : Definitionsgrundlagen zur Anteilsermittlung von KMU und Mittelstand des IfM Bonn und der EU54
53 54
Vgl. Haunschild, L. et al. (2007), S. 5 f. Vgl. Haunschild, L. et al. (2007), S. 4.
Definition mittelständischer Familienunternehmen
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Die aufgeführten Untersuchungen zeigen, dass die Einordnung eines Unternehmens zum Mittelstand von verschiedenen Kriterien und deren Quantifizierung abhängig gemacht wird. Um einen vollständigen Überblick über die in der Praxis häufig synonym verwendeten Begriffe KMU, Mittelstand und der des Familienunternehmens zu erhalten, wird im Folgenden der Begriff des Familienunternehmens ausführlich vorgestellt. 2.2.2 Begriff des Familienunternehmens Im Jahre 1989 konstatierte Handler: „Defining the family firm is the first and most obvious challenge facing family business researchers.”55 Intuitiv hat zwar jeder eine gewisse Vorstellung davon, was unter dem Begriff des Familienunternehmens zu verstehen ist, jedoch zeigt eine Vielzahl von veröffentlichten Arbeiten und den dort gegebenen Definitionsversuchen, dass jeder an etwas anderes denkt.56 Gleichwohl bewirkt das Fehlen einer gesetzlichen Definition eine ebenso intuitiv wie häufig vorgenommene Gleichsetzung der Begriffe Familienunternehmen und Mittelstand, was aber nicht gerechtfertigt ist.57 Um sich dem Begriff des Familienunternehmens wissenschaftlich zu nähern, müssten zunächst die einzelnen Bestandteile des zusammengesetzten Wortes „Familie“ und „Unternehmen“ definiert und abgegrenzt werden. Im Anschluss müsste das Spektrum der von verschiedensten Autoren gegebenen Definitionen analysiert werden. Da sich jedoch in der Vergangenheit keine darunter befindet, die als grundlegend bezeichnet werden kann, wird im Rahmen dieser Arbeit auf die sehr umfangreiche und je nach Ausgangsperspektive sehr vielfältige Literatur verwiesen.58
55
Vgl. Handler, W. C. (1989), S. 258. Vgl. Klein, S. B. (2004), S. 1. Vgl. Hennerkes, B. H. (2004), S. 16; Wallau, F., Kayser, G., Backes-Gellner, U. (2001), S. 43 ff. 58 Vgl. insbesondere Klein, S. B. (2004); Redlefsen, M. (2004); Pfannenschwarz, A. (2006) aus betriebswirtschaftlicher, Simon, F. B., Wimmer, R., Groth, T. (2005) aus soziologischer und Hennnerkes, B. H.(2004); Iliou, C. (2004); Sudhoff, H. [Hrsg.] (2005) aus juristischer Perspektive sowie Poutziouris, P. Z. et al. (2006) aus internationaler Forschungsperspektive. 56 57
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
Es erscheint insofern vernünftig und pragmatisch, sich dem Begriff folgendermaßen zu nähern. In einem ersten Schritt werden die in der Literatur einheitlich festgestellten und anerkannten Kriterien eines Familienunternehmens erläutert. In einem zweiten Schritt wird darauf aufbauend die wissenschaftlich und international angewendete F-PEC Skala zur Messung des Familieneinflusses auf Unternehmen vorgestellt. Diese erstmals im Jahre 2001 auf dem Family Business Network Research Forum veröffentlichte Methode überwindet das bisherige Problem einer künstlichen Dichotomisierung in Familien- und NichtFamilienunternehmen.59 Es folgt eine direkte, jedoch vereinfachte Anwendung der F-PEC Skala in Kapitel 2.2.3. Durch gezielte Abfragekriterien innerhalb der empirischen Unternehmerbefragung in NRW kann eine Überprüfung der gewählten Zielgruppe des Familienunternehmens durchgeführt werden. Somit ist eine Einschränkung der nachfolgenden Ergebnisse auf diesen Unternehmenstyp gewährleistet. Diese zwei beschriebenen Ansätze stehen auch im Mittelpunkt der aktuellen internationalen Diskussion zur Definition von Familienunternehmen. Nach Chrisman et al. steht der sog. „essence approach“, der Familienunternehmen von Nicht-Familienunternehmen aufgrund ihres Verhaltens und dem Nachweis der Unterschiede abgrenzt, im Gegensatz zu dem sog. „component-of-involvement approach“, der auf messbare Voraussetzungen für die Unterschiede von Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen abstellt.60 Der oben beschriebenen Vorgehensweise folgend wird ein Unternehmen nach dem essence approach als Familienunternehmen definiert, wenn an diesem durch Verwandtschaft oder Ehe miteinander verbundene Familienkreise mehrheitlich beteiligt sind. Weiterhin ist darauf abzustellen, dass die Familie nicht nur die entscheidende Kapitalmehrheit hält, sondern auch den maßgeblichen Einfluss auf grundsätzliche Entscheidungen der Unternehmenspolitik ausübt.61 Diese Trägerschaft des Unternehmens kann durch folgende, in der Forschung typische 59
Vgl. Astrachan, J. H., Klein, S. B., Smyrnios, K. X. (2002), S. 47. Vgl. Chrisman, J. J. et al. (2003), S. 9. 61 Vgl. Hennerkes, B. H. (2004), S. 16; Habig, H., Berninghaus, J. (2003), S. 8; Van den Berge, L., Carchon, S. (2002), S. 228. 60
Definition mittelständischer Familienunternehmen
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und verbreitete Erscheinungsformen von Familienunternehmen mit abstufender Intensität wahrgenommen werden:62
Wenige, aktive Familienmitglieder führen und beaufsichtigen das Unternehmen. (Kontrollmodell - Alleinherrscher) Viele, aktive Familienmitglieder führen und beaufsichtigen das Unternehmen. (Dynastisches Modell - Geschwistergesellschaft) Viele, inaktive Familienmitglieder beaufsichtigen das Unternehmen und übertragen die Führung an einen Fremdmanager. (Portfoliomodell - Vetternkonsortium)
Diese gewählte Klassifizierung verbindet das vorliegende Marktmodell als Rahmenbedingung für die Corporate Governance mit der charakteristischen Lebenszyklusentwicklung der Eigentümerstruktur als vorherrschendem Verwandtschaftsgrad der Beteiligten eines Familienunternehmens und liefert somit für diese Arbeit den Ausgangspunkt zum Verständnis von Corporate-GovernanceStrukturen in Familienunternehmen. Ein von der Gründung bis zur Vererbung an nachfolgende Generationen vergrößerter Eigentümerkreis wirft zusätzliche Fragestellungen hinsichtlich der Ausgestaltung der Kontrolle im Unternehmen auf, die in den folgenden Kapiteln behandelt werden. Bei allen drei Varianten liegt die Festlegung der grundsätzlichen Mission des Unternehmens und damit die Entscheidung zulässiger und unzulässiger Tätigkeitsfelder, die Bewahrung und Fortentwicklung der Unternehmenskultur als Leitlinie ihrer unternehmerischen Betätigung und die Auswahl der Unternehmensführung, falls diese nicht durch ein Familienmitglied selbst wahrgenommen wird, uneingeschränkt im Machtbereich der Familie.63 Es liegt auf der Hand, dass dieser maßgebliche Einfluss gleichsam die Brücke zwischen dem Unternehmen und der Familie darstellt, worüber sowohl positive als auch negative Faktoren des einen in den anderen Bereich hineinwirken.64
62
Vgl. Astrachan, J. H. et al. (2006), S. 339; Aronoff, C. E., Ward, J. L. (1996), S. 46 ff. Vgl. Kormann, H. (2005), S. 3. 64 Vgl. Wimmer, R. et al. (2005), S. 7 f. 63
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
Übereinstimmung besteht in der Literatur dahingehend, dass der Begriff des Familienunternehmens nicht rechtsformabhängig ist und bestimmte Größenmerkmale wie Umsatz, Beschäftigtenzahl und Bilanzsumme ohne Berücksichtigung bleiben. So sind beispielsweise Unternehmen in der Rechtsform der börsennotierten AG wie BMW, Henkel oder Porsche als Familienunternehmen zu bezeichnen, solange die Mehrheit der Aktien- bzw. Stimmanteile in Familienhand liegen. Die Größenmerkmale spielen lediglich für Fragen zur Bildung und Besetzung von Aufsichtsräten sowie für Bilanzierungs- und Publizitätsregeln eine Rolle.65 Darüber hinaus können auch Unternehmen in der Gründungsphase als Familienunternehmen bezeichnet werden, solange von den Gründern der explizite Wille verfolgt wird, das Unternehmen über Generationen hinweg in Familienbesitz zu halten.66 In neuester Zeit wird die F-PEC Skala des Familieneinflusses als Konzept zur Definition von Familienunternehmen verwendet. Sie misst als component-ofinvolvement approach den Einfluss der Familie auf das Unternehmen über die drei Säulen Macht, Erfahrung und Kultur. Die Abkürzung steht demzufolge für Family influence durch Power, Experience und Culture. Anhand einer tieferen Untergliederung der drei Kriterien soll das Konzept erläutert werden. Eine Familie kann innerhalb der Säule Power das Unternehmen über Eigentum, Kontrolle und der Beteiligung an der Geschäftsführung beherrschen. Das Eigentum wird durch die Zahl der Stimmrechte festgelegt. Im Rahmen der Kontrollmöglichkeiten wird hinterfragt, ob ein entsprechendes Gremium mit familieneigenen oder mit familienfremden Mitgliedern besetzt ist. Eine analoge Vorgehensweise wird bei der Geschäftsführung vorgenommen. Insgesamt ergibt sich aus der Dimension Macht die prozentuale Beteiligung der Familie am Eigentum und die daraus resultierenden Rechte zur Kontrolle und Führung des Unternehmens. Innerhalb der Säule Experience werden die erfolgreich durchgeführten Generationenwechsel innerhalb der Familie als Erfahrungsgewinne gewertet. Der Einfluss der ersten Generation wird mit 50%, jede weitere mit der Hälfte des verbleibenden 65 66
Vgl. Hennerkes, B. H. (2004), S. 17; Kirchdörfer, R., Kögel, R. (2000), S. 228. Vgl. Brose, T. (2006), S. 13.
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Definition mittelständischer Familienunternehmen
Mindereinflusses bewertet. Da nach internationaler Forschung das Wertesystem als Familienkultur des Unternehmens als eines der wichtigsten Elemente innerhalb der Unternehmensnachfolge gesehen wird,67 misst die dritte Säule Culture diesem Gedanken folgend den Grad der Beeinflussung der Familie auf das Wertesystem, welches eine Generation innerhalb des Nachfolgeprozesses an die nächste weitergibt.68 Abbildung 1 stellt die drei Säulen der F-PEC Skala zusammenfassend dar.
F-PEC power subscale
Ownership (direct and indirect)
Governance (family and nonfamily members)
Management
F-PECscale The F-PEC
experience subscale
F-PEC culture subscale
Generation of ownership
Overlap between family values and business values
Generation active in management Generation active on governance board
Family business commitment
(family and nonfamily members) Number of contributing family
Abb. 1: F-PEC Skala des Familieneinflusses69 Insgesamt liefert die mittels einer Stichprobe von 1166 Unternehmen in Deutschland getestete und validierte Methode erstmals ein relativ einfach anzuwenden-
67
Vgl. Aronoff, C. E., Ward, J. L. (2001); Carlock, R. S., Ward, J. L. (2001). Vgl. Astrachan, J. H., Klein, S. B., Smyrnios, K. X. (2002), S. 47 ff. 69 Vgl. Astrachan, J. H., Klein, S. B., Smyrnios, K. X. (2002), S. 52. 68
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
des Verfahren zur zahlenmäßigen und inhaltlichen Messung des Einflusses der Familie auf das Unternehmen.70 2.2.3
Definition der Analyse
Eine Abgrenzung hinsichtlich quantitativer Mittelstandsdefinitionen durch die angesprochenen KMU-Definitionen seitens der EU oder des IfM sind Behelfe, um sich dem Wesen von Familienunternehmen zu nähern. Sachgerechter ist stattdessen die Wahl qualitativer Abgrenzungskriterien. Somit werden für diese Untersuchung die oben aufgeführten „klassischen“ Merkmale eines Familienunternehmens mit dem internationalen Ansatz der messbaren Unterschiede (FPEC) verbunden und als Definitionsgrundlage verwendet. Die Familie steht in einem direkten verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander und beeinflusst das Unternehmen über Eigentum, Kontrolle und Führungsbeteiligung. Dies entspricht weitestgehend auch der ersten Säule der F-PEC Skala. Im konkreten Fall wird ein Unternehmen als Familienunternehmen definiert, wenn die Familie einen der dargestellten Einflussfaktoren vollständig dominiert oder ein etwaiger Mindereinfluss der Familie durch entsprechende Einflussmöglichkeiten der Dimensionen Erfahrung und Kultur ausgeglichen werden kann. Zur Kontrolle der Zielgruppe wird den Geschäftsführern der befragten Unternehmen die Frage gestellt, ob sie ihr Unternehmen als Familienunternehmen bezeichnen oder nicht.71 Die Problematik des sog. Self-Assessment, wonach die befragten Unternehmen aller Wahrscheinlichkeit nach mit unterschiedlichen Definitionsansätzen an das Thema herangehen und schlussendlich eine gewisse soziale Erwünschtheit darin sehen, nicht etwa per Definition, sondern des Begehrens nach Familienunternehmen zu sein,72 wird mit der pragmatischen Anwendung der F-PEC Skala entschärft. Da gesamtwirtschaftliche Größenordnungen innerhalb dieser Studie nicht berücksichtigt werden, spielen Probleme der Operationalisierbarkeit von Annahmen und das Zurückgreifen auf Größenkriteri70
Vgl. Klein, S. B., Astrachan, J. H., Smyrnios, K. X. (2005), S. 326 ff. Vgl. Birley, S. (2001), S. 64 f.; Freund, W. (2000), S. 17. 72 Vgl. Hennerkes, B. H. (1998), S.2. 71
Neoinstitutionelle Modelle und Familienunternehmen
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en zur Erfassung von Familienunternehmen keine Rolle.73 Anhand der beiden dargestellten „Kontroll-Instrumente“ Self-Assessment und F-PEC Skala kann im Nachhinein die Klassifizierung als Familienunternehmen vorgenommen werden. Betrachten wir im Folgenden die Auswertung des Self-Assessments, so beurteilen den Umfrageergebnissen zufolge 95% der Unternehmer ihren Betrieb als Familienunternehmen. Zur Vermeidung unterschiedlicher Definitionsvorstellungen und etwaigen sozialen Erwünschtheiten seitens der befragten Unternehmer erfordern die Werte des Self-Assessments durch Anwendung der F-PEC Skala entlang der vorgestellten Dimensionen eine Überprüfung. Hiernach können auf Basis der Dimension Macht, welche die prozentuale Beteiligung der Familie am Eigentum misst, 73% der Unternehmen als Familienunternehmen bezeichnet werden. Die Beteiligung der Familie wird in diesen Fällen entweder durch eine direkte Machtausübung in Form eines geschäftsführenden Gesellschafters oder durch die familieninterne Besetzung eines installierten Kontrollorgans wahrgenommen. Untersuchen wir die verbleibenden Unternehmen entsprechend der Säulen Erfahrung und Kultur, so können weitere 26% als Familienunternehmen aufgrund von erfolgreich durchgeführten Generationenwechseln sowie hieraus gewachsenen Wertesystemen klassifiziert werden. Insgesamt weist die Analyse der beiden Verfahren darauf hin, dass nahezu alle teilnehmenden Unternehmen als Familienunternehmen zu klassifizieren sind und die nachfolgenden Ergebnisse auf diese Unternehmensform angewendet werden können. 2.3 Neoinstitutionelle Modelle und Familienunternehmen Die Corporate-Governance-Diskussion wird vor allem von den Vertretern der sog. „Neuen Institutionenökonomik“ beherrscht, auch wenn diese vielfachen Kritiken ausgesetzt waren.74 Dieses Gedankengebäude war zunächst ein Versuch, den Anwendungsbereich der neoklassischen Theorie zu erweitern. Somit ist der Neue Institutionalismus der neoklassischen Analyse zwar in vieler Hin73 74
Vgl. zu dieser Problematik Haunschild, L. et al. (2007), S. 8 f. Vgl. Schneider, D. (1993), S. 4 ff.
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
sicht ähnlich, verfolgt jedoch eine eigene Richtung. Während in der neoklassischen Betriebswirtschaftslehre der Gedanke neutraler Institutionen fest verankert ist, werden gerade diese in der Neuen Institutionenökonomik in ihrer Wirkung auf den Wirtschaftsprozess und das Verhalten der Individuen als bedeutend erachtet.75 Unter Institutionen werden Systeme von formalen und informellen Regeln einschließlich der Vorkehrung zu deren Durchsetzung verstanden, die einen bestimmten Bereich des menschlichen Zusammenlebens organisieren. Da Institutionen innerhalb der neoklassischen Theorie praktisch überhaupt keine Rolle spielen, erlaubt es dem Vertreter Marshall „die Grundgedanken ökonomischer Effizienz unter idealtypischen Bedingungen vollkommener Informationen und Voraussicht zu entwickeln.“76 Jedoch ist diese Ansicht sehr abstrakt und für eine reale Prognosefähigkeit der Mikroökonomik nur eingeschränkt brauchbar. Der realen Welt entsprechend folgen deshalb Theoretiker der neuen Institutionenökonomik wie Coase, Williamson und North dem Gedanken, dass die Schaffung von Institutionen positive Transaktionskosten auslöst und somit auf individuelle Anreize und das Verhalten der Entscheidungssubjekte Einfluss nimmt.77 Nach dieser Erkenntnis sind neue, raffinierte ökonomische Modelle entwickelt worden. Im weiteren Verlauf werden die drei maßgeblichen Forschungsrichtungen Property-Rights-Theorie, Transaktionskostentheorie und Prinzipal-Agenten-Theorie als Teil der ökonomischen Vertragstheorie vorgestellt und in Bezug zum Familienunternehmen untersucht. 2.3.1 Property-Rights-Theorie Als Property Rights begreift man innerhalb der Neuen Institutionenökonomik die Summe der Verfügungsrechte, die sich aus dem Besitz einer Ressource ergeben, abzüglich der Kosten, die aus den Eigentumspflichten resultieren. In der Theorie werden die vier folgenden Kategorien von absoluten Verfügungsrechten, histo-
75
Vgl. Richter, R., Furubotn, E. G. (2003), S. 1 f. Richter, R., Furubotn, E. G. (2003), S. 1. 77 Vgl. Blum, U. et al. (2005), S. 43 f. 76
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risch als auch begrifflich die elementarste Form von Verfügungsrechten, basierend auf Artikel 14 des Grundgesetzes und § 903 des BGB, geregelt:78
Rechte, welche die Art der Nutzung eines Gutes betreffen (usus), Rechte zur formalen und materiellen Änderung eines Gutes (abusus), Rechte, Erträge und Verluste aus der Nutzung des Gutes einzubehalten (usus fructus), Rechte, das Gut mit den dazu gehörenden Verfügungsrechten anderen ganz oder teilweise zu überlassen (ius abutendi).
Innerhalb der Theorie, die auf Coase und darauf aufbauend auf Alchian und Demsetz basiert, wird angenommen, dass ökonomische Anreize des Privateigentums dazu beitragen, einen effizienten Einsatz knapper Ressourcen zu gewährleisten. Mittelpunkt ist demnach die Analyse der Anreizwirkungen der Ausstattung von Verfügungsrechten, da diese die Allokation und die Nutzung wirtschaftlicher Ressourcen beeinflussen. Anders ausgedrückt wird das Problem auf folgende Frage reduziert: Wie gut wirtschaftet der Einzelne mit seinem Eigentum und wie effizient nutzt er es? Weiterhin werden Probleme, die aus der Zuweisung von Verfügungsrechten an einzelne Entscheidungssubjekte entstehen, als externe Effekte zusammengefasst. Eine geänderte Verteilung der Verfügungsrechte durch einen externen Effekt löst einen Anpassungsdruck aus, der in Form von Übertragungskosten negativ wirkt.79 Das Familienunternehmen als ein vertraglicher Zusammenschluss ressourcenbesitzender Individuen weist aus der Property-Rights-Perspektive einige Besonderheiten auf. Durch das Eigentum am Unternehmen liegt die Verfügungsgewalt über die Produktionsfaktoren als Bündel von Verfügungsrechten zur Durchführung des Unternehmenszwecks in der Hand von wenigen, familiär verbundenen Entscheidungsträgern, welche somit Einfluss auf die folgenden Verfügungsrechte ausüben:80
78
Vgl. Blum, U. et al. (2005), S. 46; Richter, R., Furubotn, E. G. (2003), S. 90. Vgl. Richter, R., Furubotn, E. G. (2003), S. 105 ff. 80 Vgl. König, D. (1986), S. 147; Redlefsen, M. (2004), S. 14. 79
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
Entscheidung hinsichtlich Leitungsbefugnis, Kontroll- und Stimmrechte (usus und abusus), Recht auf Gewinn und Pflicht zur Information, Haftung und Abführung von Steuern (usus fructus), Recht zur Veräußerung und Übertragung des Eigentums (ius abutendi).
Die ökonomische Effizienz des Familienunternehmens wird von den unternehmerischen Gegebenheiten und den Verhaltensweisen der Unternehmensmitglieder bestimmt. Da die wirtschaftliche Entscheidung über das Familienunternehmen im Ermessen der Inhaber liegt, kann vor dem Hintergrund der Handlung aus Altruismus im Hinblick auf nachfolgende Generationen ein langfristiger Planungshorizont als Zielfunktion unterstellt werden. Dies zeigt sich durch Investitionen in das Unternehmen zur Erhöhung des Kapitals und somit zur Schaffung von größerem Einkommen für die Zukunft.81 Dieses langfristige Interesse ist jedoch nur sinnvoll, wenn auftretende externe Effekte durch eine Änderung der Verfügungsrechte, hier das Nachfolgeproblem, mit geringen Übertragungskosten gelöst werden können. Auch weiterführende familiäre, ideelle und Machtziele dürfen die ökonomischen Ziele nicht beeinträchtigen. Ob rechtliche und soziale institutionelle Rahmenbedingungen in Form von Corporate-Governance-Strukturen die verfügungsrechtlichen Strukturen und Verhaltensweisen der Eigentümer zu einer Zielkonvergenz führen können, wird danach zu beurteilen sein, inwieweit diese Mechanismen im Nachfolgefall zur Sicherung des Unternehmens beisteuern können. 2.3.2 Transaktionskostentheorie Ein wesentliches Merkmal innerhalb der Neuen Institutionenökonomik ist das Hervorheben der Kostspieligkeit von Transaktionen. Ausgangspunkt dieses Gedankens ist die Feststellung, dass in der Realität alle Menschen nur über begrenzte und eingeschränkte Informationen verfügen und somit entgegen der neoklassischen Auffassung dem Ausdruck der unvollkommenen individuellen Rationalität 81
Vgl. Redlefsen, M. (2004), S. 17.
Neoinstitutionelle Modelle und Familienunternehmen
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folgen. Hiernach sind die Präferenzen der Entscheidungssubjekte unvollständig und über die Zeit veränderlich. Da ein unbegrenzter Erwerb von Wissen und dessen Verarbeitung entweder zu teuer oder schlicht unmöglich ist, wird der Mensch stets ineffizient handeln. Transaktionskosten sind das Ergebnis dieser Ineffizienz.82 Aufgrund der beschriebenen Wesensart der Entscheidungssubjekte, gleichgültig ob Konsument, Unternehmer oder Beamter, treten Transaktionskosten überall da auf, wo Transaktionen durchgeführt werden. Williamson definiert Transaktion als technischen Vorgang, der die Übertragung eines Gutes oder einer Leistung über eine technisch trennbare Schnittstelle hinweg oder eine Übertragung von Verfügungsrechten beschreibt. Es geht also um die Übertragung von Ressourcen im physischen und im rechtlichen Sinne, die zu einem institutionell zu lösenden Koordinationsproblem führen.83 Die dabei entstehenden Transaktionskosten sind nach Arrow als Betriebskosten eines Wirtschaftssystems definiert.84 Jedoch sind neben diesen laufenden Kosten auch die Kosten der Einrichtung, Erhaltung und Veränderung von Institutionen im Sinne der Ordnung eines Unternehmens zu berücksichtigen. Deshalb ist es sinnvoll, eine Unterscheidung in fixe und variable Kosten vorzunehmen.85 Die Kosten für eine Transaktion am Markt als Beispiel der variablen Betriebskosten des Wirtschaftssystems lassen sich anschaulich an einem Zitat von Coase verdeutlichen: „Um eine Markttransaktion durchzuführen, muß man herausfinden, wer derjenige ist, mit dem man zu tun haben will (Suchkosten); Leute informieren, dass und unter welchen Bedingungen man mit ihnen zu tun haben will (Informationskosten); Verhandlungen führen, die zu einem Abschluss führen (Verhandlungskosten); den Vertrag aufsetzen (Entscheidungskosten); die erforderlichen Kontrollen einbauen, um sicher sein zu können, dass die Vertragsbedingungen eingehalten werden (Überwachungs- und Durchsetzungskosten).“86
82
Vgl. Richter, R., Furubotn, E. G. (2003), S. 53. Vgl. Williamson, O. E. (1985), S. 18 f. Vgl. Arrow, K. J. (1969), S. 48; Williamson, O. E. (1981), S. 1537. 85 Vgl. Richter, R., Furubotn, E. G. (2003), S. 58. 86 Coase, R. H. (1960), S. 15. 83 84
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
Die Kosten der Transaktionen im Unternehmen als Beispiel der fixen Kosten von Institutionen sind einzuteilen in Kosten der Einrichtung und Erhaltung der Organisationsstruktur und in Kosten des Betriebes dieser Organisation. Erstere sind beispielsweise Kosten der Personalverwaltung, der Infrastruktur des Unternehmens, PR-Kosten und Lobbykosten. Letztere sind einerseits Informationskosten der Überwachung des Managements durch ihre Eigner oder der Leistungsmessung des angestellten Personals und andererseits Kosten zur Übertragung von Gütern innerhalb des Unternehmens.87 Für Familienunternehmen als teilnehmende Unternehmen am Wirtschaftssystem und als Verbindung von unterschiedlichen Interessengruppen, die in vertraglichen oder nicht-vertraglichen Beziehungen zueinander stehen, gelten genau wie für andere Unternehmensformen die oben beschriebenen fixen und variablen Transaktionskosten. 2.3.3 Prinzipal-Agenten-Theorie Wie gezeigt wurde, sind Transaktionskosten in den Modellen der Neuen Institutionenökonomik von entscheidender Bedeutung. Im Rahmen der Prinzipal-Agenten-Theorie werden diese nicht modelliert, sondern bezüglich ihrer Wirkungen auf das zugrunde liegende Menschenbild hin untersucht. Da ein unbegrenzter Erwerb von Wissen und dessen Verarbeitung entweder zu teuer oder schlicht unmöglich ist, sind die Informationen asymmetrisch unter den Akteuren verteilt. Im Zentrum der Prinzipal-Agenten-Theorie überlässt ein Vertragspartner (der Prinzipal) dem anderen (dem Agenten) die Verfügungsrechte seiner Beteiligung mit der Bedingung, bestimmte Aufgaben in seinem Sinne auszuführen. Da beide dem Modell des homo oeconomicus folgend versuchen, ihren persönlichen Nutzen unter Einsatz opportunistischen Handelns zu maximieren, will der Prinzipal einen Vertrag formulieren, der das Verhalten des Agenten in seinem Sinne steuert. Durch die unvollkommene Voraussicht ist es jedoch unmöglich, alle entscheidungsrelevanten Informationen im Vertrag zu berücksichtigen. Deshalb 87
Vgl. Richter, R., Furubotn, E. G. (2003), S. 61 f.
Neoinstitutionelle Modelle und Familienunternehmen
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muss der Prinzipal zur Überwindung dieser Ineffizienz Systeme zum Anreiz und zur Kontrolle des Agenten installieren, die als Kosten den Nutzen der Delegation der Verfügungsrechte einschränken.88 Dieser Grundgedanke, der auf Berle und Means und darauf aufbauend auf Jensen und Meckling zurückgeht, war Ausgangspunkt der Corporate-Governance-Diskussion und liefert ein Modell zur Erklärung des Problems von anonymen Publikumsgesellschaften.89 Jedoch wird unabhängig von der aktuellen Diskussion um die Ausgestaltung der Kontrolle des Vorstandes in Aktiengesellschaften die Gültigkeit der klassischen Prinzipal-Agenten-Theorie für Familienunternehmen hinterfragt. Durch das generell in der Praxis anzutreffende Kontrollmodell bei Familienunternehmen besetzen die Gesellschafter die Führungs- und Kontrollgremien des Unternehmens selbst. Die Eignerfamilie kann somit jederzeit die benötigten Informationen vor Ort in Erfahrung bringen, wodurch Transparenzdefizite und Kontrollkosten eliminiert werden müssten.90 Diese klassische Sichtweise, nach der Familienunternehmen eine sehr effiziente Governance-Struktur aufweisen, wird kritisch untersucht. Schulze et al. argumentieren, dass Prinzipal-Agenten Beziehungen in Familienunternehmen durch die jeweilige Eigentumsvariante ineffizient sein können. Indem Familienunternehmen aufgrund der Rechtsformwahl der Zugang zum Kapitalmarkt gänzlich fehlt oder aufgrund der beherrschenden Stellung der Eigentümerfamilie sehr eingeengt und wenig liquide ist, versagt bei Familienunternehmen die Kontrollfunktion des Kapitalmarktes. Hierdurch entstehen einerseits Schwierigkeiten bei der Auswahl qualifizierter Mitarbeiter und effizienter Anreizinstrumente. Andererseits existiert aus fehlender Liquidität des Eigenkapitals und mangels Fungibilität der Gesellschaftsanteile ein Problem beim Verkauf der Beteiligung (sog. „Lock-in-Effect“),91 was den Anreiz zu opportunistischem Verhalten der Minderheitsgesellschafter erhöhen kann.92 Aus dieser Perspektive treten demzufolge Hindernisse auf, die in der 88
Vgl. Richter, R., Furubotn, E. G. (2003), S. 216 f. Vgl. Jensen, M. C., Meckling, W. H. (1976), S. 307 f. Vgl. Wiedemann, A., Kögel, R. (2008), S. 6. 91 Vgl. Richter, R., Furubotn, E. G. (2003), S. 160. 92 Vgl. Schulze, W. S. et al. (2001), S. 101 ff. 89 90
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
bisherigen Sichtweise der Prinzipal-Agenten-Theorie keine Berücksichtigung fanden. Außerdem wird das zugrunde liegende Menschenbild der PrinzipalAgenten-Theorie für Familienunternehmen hinterfragt. Durch das Vorhandensein von Altruismus, hier als zwingende Fürsorge der Eltern für ihre Kinder im Kontrollmodell („other-regarding-altruistic“) oder als Präferenz im Portfoliomodell, das eigene Wohlergehen vor das der anderer Individuen zu platzieren („self-regarding-egoistic“), wird das Verhalten der Agentenbeziehungen in Familienunternehmen beeinflusst.93 Da innerhalb dieser Ansätze weiterhin das Menschenbild des homo oeconomicus analog der Erklärung der klassischen Prinzipal-Agenten-Theorie zugrunde gelegt wird, können je nach Ausprägung des altruistischen Verhaltens positive als auch negative Aspekte auf die Beziehungen im Familienunternehmen einwirken. Positive Ausprägungen von Altruismus verringern die Prinzipal-Agenten-Probleme und sind gekennzeichnet durch:
das Vorhandensein von Vertrauen innerhalb der Familie und der Möglichkeit des Einsatzes von familiären Sanktionen, was den Kontrollaufwand minimiert;94 ein auf Kultur, Tradition und familiärer Identität beruhendes Zusammengehörigkeitsgefühl, was Informationsasymmetrien reduziert.95 Weiterhin sind die Familienmitglieder eher am Erhalt des Firmenvermögens zur Weitergabe an ihre Nachkommen interessiert als an der Konsumierung des erreichten Wohlstands zu Lebzeiten, was die Empfindung des kollektiven Eigentums und kollektiven Anspruchs auf den Residualgewinn erhöht.96
Dagegen erhöhen negative Auswirkungen altruistischen Verhaltens die Prinzipal-Agenten-Probleme und stellen sich wie folgt dar:
93
Vgl. Schulze, W. S. et al. (2003), S. 473 f. Vgl. Randoy, T. et al. (2003), S. 6. 95 Vgl. Van den Berghe, L., Carchon, S. (2003), S. 173 f. 96 Vgl. Lubatkin, M. H. et al. (2005), S. 323. 94
Theoretische Modelle der Governance in Familienunternehmen
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Blindes Vertrauen und eine Überschätzung der Fähigkeiten der Eltern in ihre Kinder führt zu eingeschränkter Kontroll- und Durchsetzungsgewalt und zu einer Bevorzugung von Familienmitgliedern bei der Besetzung von strategischen Positionen innerhalb des Unternehmens unabhängig von ihrer Qualifikation, was zu opportunistischem Handeln auf Seiten der Kinder führt.97 Macht, Privilegien und Vorrechte von Familienmitgliedern können zusätzliche Informationsasymmetrien zwischen aktiven und passiven Gesellschaftern innerhalb des Unternehmens hervorrufen und spiegeln sich in der Ausschüttungs- und Risikopolitik des Unternehmens wieder.98 „Altruism makes each family member employed by the family firm a de facto owner of the firm in the sense that each acts in the belief that they have a residual claim on the family´s estate.“99 Somit birgt Altruismus durch negative Anreize der Familienbeziehungen und die erzeugte privilegierte Stellung die Gefahr einer Reduzierung der Arbeitsleistung.
Durch die gezeigten Besonderheiten im Familienunternehmen bezüglich des Marktzuganges bzw. Trägerschaft und den möglichen Unterschieden innerhalb der Interessenkonstellationen ist es notwendig, die Verhaltensweisen der Eigentümer zu einer Zielkonvergenz zu führen. Dies ist davon abhängig, inwieweit die negativen Seiten des Altruismus diszipliniert werden können und ob ergänzende Sichtweisen eine eindeutigere Bewertung zulassen. 2.4 Theoretische Modelle der Governance in Familienunternehmen Ein Anlass für die Einbindung alternativer Erklärungsansätze in die CorporateGovernance-Diskussion ist die Feststellung, dass den neuen institutionellen Ansätzen und insbesondere der Prinzipal-Agenten-Theorie hauptsächlich die Erklärung der Probleme börsennotierter Publikumsgesellschaften zukommt, jedoch die Vielzahl der volkswirtschaftlich bedeutenden Familienunternehmen mit ihren spezifischen Charakteristiken unberücksichtigt bleiben. Kennzeichnend hierfür ist ein Beitrag von Lubatkin, in dem er sich wundert, warum der Prinzipal97
Vgl. Lubatkin, M. H. et al. (2005), S. 319 f. Vgl. Gersick, K. E. et al. (1997), S. 49 ff. 99 Schulze, W. S. et al. (2003), S. 477. 98
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
Agenten-Theorie weiterhin große Aufmerksamkeit seitens der internationalen Forschung geschenkt wird und warum nicht alternative Lösungsansätze zur Erklärung der Corporate-Governance-Problematik eine ähnliche Zulässigkeit erlangen.100 Im Folgenden sollen deshalb die Stewardship-Theorie und das ihr zugrunde liegende Menschenbild, das Drei-Kreis-Modell in Anlehnung an Gersick et al. und darauf aufbauend die Organisation der Familie unter dem Begriff der Family Governance als hinzukommender Aspekt der Corporate Governance erläutert werden. Abbildung 2 gibt zu Beginn einen ersten Anreiz zum Verständnis des bezeichnenden Zusammenhangs der allgemeinen Governance Diskussion und der spezifischen Governance familiengeführter Unternehmen. Betrachten wir als kennzeichnendes Element die Eigentümerstruktur auf der Ordinate, so gewinnen bei einer zunehmenden Zahl an Gesellschaftern, wie beispielsweise in zersplitterten oder dynastischen Unternehmerfamilien der Fall, Aspekte der allgemeinen Corporate-Governance-Diskussion an Bedeutung. Die Verknüpfung mit dem typischen Problem der Publikumsgesellschaft - einer Nichtwahrnehmung von Kontroll- und Überwachungsrechten der Aktionäre - und der daraus folgenden Notwendigkeit zur Schaffung von Mechanismen zur Interessenwahrung, ist leicht herstellbar. Des Weiteren lässt ein Rückzug der Gesellschafter aus dem operativen Management des Unternehmens, hier als Untersuchungsgegenstand auf der Abszisse, die Relevanz der Themen allgemeiner Corporate-GovernanceDiskussionen steigen. Dieser Zusammenhang der beiden Bestimmungsfaktoren Eigentümerstruktur und Management unterscheidet die signifikanten Fragen der Governance familiengeführter Unternehmen von allgemeinen Fragen der Corporate Governance.101
100 101
Vgl. Lubatkin, M. H. (2007), S. 64. Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 32.
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Theoretische Modelle der Governance in Familienunternehmen
Spezifische Governance familiengeführter Unternehmen
Allgemeine Corporate Governance
Abb. 2: Zusammenhang allgemeiner Corporate Governance und der Governance familiengeführter Unternehmen102 Diese charakteristische Beziehung in Familienunternehmen wird durch den empirischen Befund in NRW bestärkt. Wird das Unternehmen durch einen geschäftsführenden Gesellschafter operativ gemanagt, beträgt der Eigentumsanteil im Durchschnitt 74%. Sinkt der operative Einfluss eines Gesellschafters durch Aufgabe der Geschäftsführung, bedeutet dies im Sample eine Ausweitung des Gesellschafterkreises und demzufolge eine Reduzierung des persönlichen Eigentumsanteils auf 51%. Noch deutlicher wird die Beziehung bei Gesellschaftern ohne Funktionen im Unternehmen. Innerhalb dieser Gruppe von Anteilseignern wird das Familienunternehmen als Investment verwaltet, die Eigentümerstruktur ist durch eine Vielzahl von Gesellschaftern bei einem Eigentumsanteil von
102
Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 32.
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
durchschnittlich 46% zersplittert. Abbildung 3 hebt den beschriebenen Sachverhalt graphisch hervor.
Abb. 3: Eigentum und Management untersuchter Familienunternehmen103 2.4.1 Stewardship-Theorie Da die Prinzipal-Agenten-Theorie in Familienunternehmen nicht eindeutig begründet werden kann, findet nach anfänglicher Kritik die Stewardship-Theorie104 und das ihr zugrunde liegende Menschenbild des self-actualizing man105 Anerkennung in der Literatur zu Familienunternehmen. Da im Unternehmen arbeitende Familienmitglieder im Gegensatz zu angestellten Managern in Publikums-
103
Eigene Studie. Vgl. Donaldson, L., Davis, J. H. (1991); Davis, J. H., Schoorman, F. D., Donaldson, L. (1997). 105 Vgl. Argyris, C. (1964). 104
Theoretische Modelle der Governance in Familienunternehmen
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gesellschaften ökonomische und nicht-ökonomische Ziele verfolgen, steht eine opportunistische Nutzenmaximierung nicht im Vordergrund des Individuums. Vielmehr orientiert es sich an einem kollektiven Nutzen der anderen Familienmitglieder und an der Maximierung des Familienunternehmenswertes. Diese Überlegungen der Stewardship-Theorie hinterfragen die Gültigkeit des Ansatzes des homo oeconomicus und somit die Anwendung der Prinzipal-AgentenTheorie auf Familienunternehmen. Das Vorhandensein von Stewardship Beziehungen im Unternehmen, welches maßgeblich durch die Familie selbst im Hinblick auf Kultur und das Menschenbild beeinflusst wird, ist durch Vertrauen, eine hohe Ausprägung des intra-familiärem Altruismus und emotionalen Beziehungen determiniert.106 Jedoch muss analog der Prinzipal-Agenten-Theorie eine Abgrenzung hinsichtlich der vorliegenden beschriebenen Typen von Familienunternehmen vorgenommen werden, da hier die Aspekte unterschiedlich ausgeprägt sind. Während beim Alleinherrscher, der das Unternehmen mit wenigen aktiven Familienmitgliedern führt und kontrolliert nicht-ökonomische Aspekte durch familiäre Eltern-Kind Beziehungen vorherrschen und somit dem Wesen von Altruismus folgt, rücken bei zunehmender Größe des Eigentümerkreises aufgrund der Generationenfolge ökonomische Ziele in den Vordergrund. Die einzelnen Mitglieder verfolgen in wachsendem Maße persönliche Ziele, da altruistisches Verhalten und emotionale Beziehungen aufgrund der Fokussierung des Unternehmens als Investment abnehmen. Die Ausführungen zur Prinzipal-Agenten-Theorie in Kapitel 2.3.3 und zur Stewardship-Theorie lassen die Schlussfolgerung zu, dass in Familienunternehmen der Form des Alleinherrschers die Stewardship-Theorie Anwendung findet. Eine zunehmende Zersplitterung der Eigentümerfamilie von der Geschwistergesellschaft zum Vetternkonsortium führt im Regelfall eher zur Anwendung der Prinzipal-Agenten-Theorie (Abbildung 4).
106
Vgl. Chrisman, J. J., Chua, J. H., Litz, R. A. (2004); Chrisman, J. J., Chua, J. H., Sharma, P. (2003); Jaskiewicz, P., Klein, S. B. (2007); Schulze, W. S., Lubatkin, M. H., Dino, R. N. (2003).
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
Altruismus
Vertrauen
Nicht ökonomische Ziele
Emotionale Beziehung
Altruismus
Vertrauen
Nicht ökonomische Ziele
Emotionale Beziehung
Abb. 4: Stewardship-Theorie vs. Prinzipal-Agenten-Theorie in Familienunternehmen107 Betrachten wir in diesem Zusammenhang die Verteilungskurve der untersuchten Familienunternehmenstypen in Abbildung 5, so wird die Mehrzahl der Unternehmen in der Form des Alleinherrschers von 1-2 Gesellschaftern geführt (73%). Der dargestellte Mittelwert, errechnet aus dem jeweiligen Anteilsbesitz am Unternehmen, verdeutlicht die Konzentration von einem dominanten Gesellschafter mit über 80% Eigentumsanteil in der Form des Alleinherrschers. Weitere 23% der Unternehmen treten in der Form der Geschwistergesellschaft in Erscheinung. Das Eigentum am Unternehmen ist zwischen 3-6 aktiven und passiven Gesellschafter mit jeweiligem Anteilsbesitz zwischen 35% und 75% aufgeteilt. Die restlichen 4% sind Vettern verschiedenen Grades. Die Eigentümer-
107
Vgl. Koeberle-Schmid, A., Nützel, O. (2005), S.19.
Theoretische Modelle der Governance in Familienunternehmen
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struktur ist durch eine Vielzahl passiver Gesellschafter mit entsprechendem Anteilsbesitz unter 25% gekennzeichnet. Aufgrund dieser Feststellung wird im Folgenden von der Stewardship-Theorie als Rahmenbedingung und der Prinzipal-Agenten-Theorie als ergänzende Sichtweise ausgegangen.
Abb. 5: Verteilungsfunktion der Familienunternehmenstypen108 2.4.2 Drei-Kreis-Modell Die Komplexität des Familienunternehmens ist darin begründet, dass die Anwesenheit von zwei sozialen Systemen – die Familie und das Unternehmen – und deren enge Verflechtung zu Besonderheiten gegenüber anderen Unternehmen führen.109 Um zu erkennen, in welchem Maße die wechselseitige Beeinflussung 108 109
Eigene Studie. Vgl. Winkler, C. (2005), S. 84.
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
von Familie und Unternehmen besteht, bedienen wir uns im Folgenden des Drei-Kreis-Modells zur Veranschaulichung der vielfältigen Verbindungen in Familienunternehmen. Die ursprüngliche Entwicklung begann mit den zwei Subsystemen Familie und Unternehmen, dargestellt als zwei sich überlappende Kreise. Gersick et al. merken hierzu an: “From the beginning, it was clear that finding strategies that satisfy both subsystems is the key challenge facing all family enterprise.”110 Taguiri und Davis entwickelten durch die Erweiterung des Faktors Eigentum das heute sowohl in Wissenschaft als auch in Lehre und Beratung von Familienunternehmen anwandte Drei-Kreis-Modell.111 Die charakteristischen Problemfelder des Familienunternehmens sind als Schnittmenge der drei Kreise dargestellt und werden durch das Vorhandensein unterschiedlicher Rollen und Verpflichtungen der Interessengruppen, die innerhalb ihres Systems eigene Regeln und Werte verfolgen, begründet. Durch abweichende Verhaltens- und Kommunikationsregeln der jeweiligen Subsysteme und unklaren Abgrenzungen hinsichtlich der Rollenverteilungen wird die Anzahl potentieller Konfliktfelder erhöht.112 Das Drei-Kreis-Modell mit der beschriebenen Überlappung ist in Abbildung 6 dargestellt und verdeutlicht, dass je verflochtener die Schicksalsgemeinschaft von Familie, Unternehmen und Eigentum ist, desto größer besteht die Gefahr eines Hineinwirkens einer Krise des einen Kreises in die anderen.
110
Vgl. Gersick, K. E. et al. (1997), S. 5. Vgl. Tagiuri, R., Davis, J. A. (1982). 112 Vgl. beispielhaft Baus, K. (2007), S. 15; LeMar, B. (2001), S. 245; Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 33; Viehl, P. (2004), S. 22. 111
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Theoretische Modelle der Governance in Familienunternehmen
Eigentum
5
2
3 1
7
Familie
4
6
Unternehmen
Abb. 6: Drei-Kreis-Modell113 Die in der Praxis vorkommenden Typen an Familienunternehmen können in einem der sieben Sektoren, die durch die Überlappung zustande kommen, platziert werden. Der gewählte Grad der Überschneidung in den Bereichen 1-4 entspricht allgemein dem heutigen Erscheinungsbild dieser Unternehmensform. Eine vollständige Deckung der drei Systemkreise ist in der heutigen Unternehmenswelt kaum noch vorzufinden, denn in diesem Fall sind alle Familienmitglieder in der Firma beschäftigt und gleichzeitig alle Eigentümer des Unternehmens. Diese personelle Identität der Beteiligten existiert heutzutage lediglich in Kleinstbetrieben, wie sie in den Branchen der Landwirtschaft, der Gastronomie oder dem Handwerk zu finden sind.114 Demgegenüber steht als anderes Extrem die vollkommene Entkopplung der drei Kreise ohne jegliche Berührungspunkte. Hier sind die Mitarbeiter nicht miteinander verwandt und das Kapital liegt in der 113 114
Vgl. Tagiuri, R., Davis, J.A. (1982). Vgl. Müller Tiberini, F. (2001), S. 23 f.
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
Hand von familienfremden Personen oder Investoren. Die drei Systeme Familie, Kapital und Unternehmen sind voneinander abgegrenzt und handeln nach ihren eigenen Vorstellungen.115 Diese Erscheinungsform entspricht dem gesellschaftlichen Trend zur Individualisierung. Jeder einzelne wird zur „ökonomischen Überlebenseinheit“ und kann verschiedene, jederzeit austauschbare berufliche und private Beziehungen eingehen. Auf der Unternehmensseite stellt die klare Trennung der drei Systeme die anonyme Kapitalgesellschaft dar. Hier sind zwar die Rollen klar definiert, jedoch führen unterschiedliche Interessen sowie Informationsasymmetrien zwischen den verschiedenen Identitäten zum klassisch vorgestellten Corporate-Governance-Problem innerhalb der Prinzipal-AgentenTheorie.116 Dadurch, dass in Familienunternehmen diese Trennung nicht gegeben ist, kommt der Governance in familiengeführten Unternehmen eine insgesamt facettenreichere und komplexere Aufgabe zu, da sowohl Familien-, Eigentums- und Unternehmensaspekte in gleichem Maße zu managen sind. Eine Synchronisation dieser drei verschiedenen, aber strukturell verbundenen Organisationen muss so gesteuert werden, dass eine dauerhafte Überlebensfähigkeit des Unternehmens sichergestellt ist.117 Die in Kapitel 2.2.2 durchgeführte Unterscheidung von Familienunternehmenstypen nach Alleinherrscher, Geschwistergesellschaft und Vetternkonsortium bildet die Grundlage für eine differenzierte Diskussion der Herausforderungen von Corporate Governance, da die Typen innerhalb des Drei-Kreis-Modells eigene dynamische Dimensionen aufweisen. Während sich das Modell beim Typ des Alleinherrschers in zwei Kreise, dem Unternehmen als eine Sphäre und der Familie als alleiniger Eigentümer als andere darstellt, entwickelt sich das Modell durch zunehmende Zersplitterung der Eigentümer innerhalb der Geschwistergesellschaft und des Vetternkonsortiums wieder in das Drei-Kreis-Modell.118 Bei dem erstgenannten Typ beeinflusst die Logik familiärer Spielregeln das Unter115
Vgl. Simon, F. B. (2005a), S. 10 f. Vgl. Wimmer, R. et al. (2005), S. 11 f. 117 Vgl. Simon, F. B., Wimmer, R., Groth, T. (2005), S. 19; Cadbury, S. A. (2000), S. 4. 118 Vgl. Gersick, K. E. et al. (1997), S. 5. 116
Theoretische Modelle der Governance in Familienunternehmen
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nehmen. Fehlendes Eigenkapital des Unternehmens kann bis zum finanziellen Bankrott der Familie und eine nicht geregelte Nachfolge in Verbindung mit fehlenden Notfallplänen bei gesundheitlicher Beeinträchtigung des geschäftsführenden Eigentümers zum Untergang des Unternehmens führen.119 Bei den beiden letztgenannten Typen treten familiäre Aspekte zu Lasten ökonomischer Aspekte der Ausschüttungs- und Risikopolitik des Unternehmens in den Hintergrund. Eine Vielzahl von passiven Gesellschaftern ist eher an der Ausschüttung der Gewinne als an der Thesaurierung im Unternehmen interessiert und verfolgt risikoaverse Strategien als Präferenz zur Sicherung ihrer Investments. Die Nachfolgeproblematik ist aufgrund eines in der Regel anzutreffenden Fremdmanagements zwar entschärft, doch kann aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen eine Blockierung der Entscheidungen die zukünftige Entwicklung des Unternehmens gefährden.120 Aus dieser Komplexität heraus bedarf es geeigneter Mechanismen, die in Abhängigkeit des jeweiligen Familienunternehmenstyps Lösungen der jeweiligen Spannungsfelder erzielen und somit die Existenz des Familienunternehmens langfristig sicherstellen. 2.4.3 Family Governance Wie definitorisch und anhand des Drei-Kreis-Modells dargestellt, unterscheidet sich ein Familienunternehmen von anonymen Publikumsgesellschaften durch den Einfluss der Familie. Die Beachtung der familiären Perspektive steht jedoch in der wissenschaftlichen Literatur bisher noch am Anfang.121 Während im angloamerikanischen Raum die Relevanz der Familie seit Anfang der 80er Jahre an Anerkennung gewinnt122, so kommt der Diskussion von Family Governance innerhalb der deutschsprachigen Literatur vor dem Hintergrund, dass viele Familienunternehmen nicht aus wirtschaftlicher Hinsicht Schiffbruch erlitten, erst seit
119
Vgl. Moos, A. (2003), S. 18. Vgl. Redlefsen, M. (2004), S. 20; Wiedemann, A., Kögel, R. (2008), S. 10. Vgl. Klein, S. B. (2008), S. 14. 122 Vgl. Kepner, E. (1983); Gersick K. E. et al. (1997); Neubauer, F., Lank, A. G. (1998); Carlock, R. S., Ward, J. L. (2001). 120 121
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Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
Beginn des 21. Jahrhunderts in familiensoziologischen Beiträgen Bedeutung zu. Dabei bemerkte schon Mann im Jahre 1901 bei der Schilderung des Verfalls der Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook in einem Gespräch zwischen Vater Johann und Sohn Jean über die Feindschaft zu seinem Bruder: „Es sollte kein heimlicher Riss durch das Gebäude laufen, dass wir mit Gottes gnädiger Hilfe errichtet haben. Eine Familie muss einig, muss zusammenhalten, Vater, sonst klopft das Übel an die Tür.“123 Insbesondere liefern die nachstehenden vier Aspekte ein Verständnis zur Notwendigkeit unterschiedlicher Spielregeln der Governance in Familienunternehmen. Die Behandlung erfolgt in einer Gegenüberstellung von Unternehmen und Familie:124
Funktionsorientierung vs. Personenorientierung
Im Unternehmen liegt der Wert des Mitarbeiters nicht in seiner Person, sondern primär in dem, was er macht. Mit seiner Funktion innerhalb des arbeitsteiligen Produktionsprozesses sollen Produkte und Dienstleistungen erbracht und durch ihren Verkauf ein Mehrwert generiert werden. Anders ist die Situation in der Familie. Hier liegt der Wert in der Präsenz der Person selbst, ihren positiven und negativen, körperlichen und psychischen Eigenschaften. Funktionen sind nicht formal festgeschrieben, sondern im Laufe der familiären Entwicklung veränderbar.
Austauschbarkeit der Person vs. die Nichtaustauschbarkeit der Beziehung
Die Mitarbeiter des Unternehmens sind prinzipiell ersetzbar, wodurch eine langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens gewährleistet ist. Die Spielregeln bleiben konstant, lediglich die Spieler werden bei Nichterfüllung ihrer Funktion gewechselt. Geld dient hier als Medium zur Steuerung kurzfristiger und geschichtsloser Beziehungen. Das Gegenteil gilt für die Familie. Die Personen 123 124
Vgl. Mann, T. (2007), S. 48, überarbeitete Fassung der Erstausgabe von 1901. Vgl. Simon, F. B. (2005b), S. 20 ff.; Simon, F. B., Wimmer, R., Groth, T. (2005), S. 35 ff.
Theoretische Modelle der Governance in Familienunternehmen
43
bleiben konstant, lediglich die Funktionen sind veränderlich. Kann eine übernommene Funktion nicht mehr ausgeführt werden, wird die Beziehung zu Angehörigen weiterhin aufrechterhalten. Beziehungen sind langfristiger Natur und werden von Werten wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Zuverlässigkeit determiniert.
kurzfristig materielle vs. der langfristig immateriellen Entlohnung
Die Leistungserbringung innerhalb des Unternehmens wird anhand von Kennzahlen interpersonell und materiell belohnt. Diese Honorierung erfolgt zeitnah in monetärer Form, da Erwartungen einer dauerhaften Zusammenarbeit eher gering sind und ein „Gedächtnis“ der vollbrachten Leistungen nicht existiert. Dagegen wird die Leistung in der Familie immateriell durch die Einräumung von „persönlichen Schuldscheinen“ prämiert. Ansprüche und Erwartungen der Familienmitglieder sind inhaltlich und zeitlich unbegrenzt, so dass deren Honorierung erst in Zukunft zu erwarten ist oder an die Enkel vererbt wird.
Unterscheidung zwischen schriftlicher und mündlicher Kommunikation
Kommunikation findet im Unternehmen häufig stark formalisiert und bürokratisiert zwischen den einzelnen Hierarchieebenen statt. Entscheidungen aus Besprechungen und Prozesse werden zur Unabhängigkeit der Organisation von ihren Mitarbeitern schriftlich fixiert, da aufgrund der Austauschbarkeit eine Know-how Sicherung erfolgen muss. In Familien wird hingegen primär mündlich und wenig formalisiert als Interaktion unter Anwesenden kommuniziert. Durch den laufenden Austausch über Angelegenheiten identifiziert sich jeder einzelne als Familienmitglied. Entstehende strittige Punkte werden aus fehlender Objektivität schneller wieder vergessen und das erforderliche Wissen wird über Generationen hinweg weitergegeben. Ziel der Family Governance ist es daher, unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse der Familienmitglieder untereinander im Sinne des Überlebens des
44
Theoretische Fundierung und Charakteristika der Corporate Governance in Familienunternehmen
gesamten Familien-Clans zielorientiert zu handhaben. Das dadurch entstehende Zusammengehörigkeitsgefühl bewirkt Einigkeit unter den Familienmitgliedern und birgt Konflikten und Auseinandersetzungen innerhalb der Familie vor.125 Diese ausdrückliche Thematisierung familiärer Aspekte unter dem Etikett der Family Governance zeigt, dass aus einer wissenschaftlichen Betrachtung die Aspekte des Zusammenlebens und des Umgangs miteinander sowie Werte und Ziele der Familie als interne Organisationsstruktur nicht außen vor gelassen werden dürfen.126 Vielmehr liefert nach Neubauer und Lank die Ausgestaltung einer gewissenhaften Ausüben von Eigentümerrechten eine Schnittstelle zwischen Corporate und Family Governance: „A family, like any other organisation, must have a governance structure, if it is to continue to function as an entity. How a family in business is governed will have a major impact not only on the family’s own health and ability to survive, but also on the success and longevity of its enterprise and how it is governed.”127 Mechanismen der Corporate und Family Governance müssen daher gleichberechtigt nebeneinander institutionalisiert werden. Da Familienunternehmen als das Resultat einer zeitabhängigen und gemeinsamen Entwicklung der beschriebenen sozialen Systeme zu charakterisieren sind, ist eine Optimierung allein unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht möglich. Vielmehr liegt in der Synchronisation und Gleichberechtigung der jeweiligen Systeme die Herausforderung der Governance familiengeführter Unternehmen, was durch die Integration von ökonomischen und verhaltenswissenschaftlichen Mechanismen in Abhängigkeit des jeweiligen Erscheinungstyps erfolgen kann.128 Gelingt es, diesen Mechanismus so zu gestalten, dass Konflikte gelöst und zum wechselseitigen Nutzenpotential aufgegriffen werden, so verfügt das Familienunternehmen über Ressourcen, die keine andere Unternehmensform aufzuweisen hat. Misslingt der Prozess jedoch, weil etwa der Familienzusammenhalt zerbricht oder Streit unter den Gesellschaftern ausbricht, so existiert im 125
Vgl. Cadbury, S. A. (2000), S. 23. Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 43. 127 Neubauer, F., Lank, A. G. (1998), S. 71. 128 Vgl. Klein, S. B. (2005), S. 188. 126
Theoretische Modelle der Governance in Familienunternehmen
45
Unternehmen ein ebenso einzigartiges Risikopotential.129 Diesen kritischen Erfolgsfaktor gilt es zur langfristigen Überlebensfähigkeit des Unternehmens in die richtige Richtung zu bewegen.
129
Vgl. Wimmer, R. et al. (2005), S. 7 f.
3 Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Nachdem die Diskussion über Corporate Governance in der Vergangenheit lediglich anonyme Publikumsgesellschaften beinhaltete, erreicht das Thema mit zunehmendem Interesse in Wissenschaft und Praxis auch die Gruppe der Familienunternehmen. Der Stellenwert von Corporate Governance für die Unternehmensform des Familienunternehmens wird analog der Vorgehensweise in Aktiengesellschaften in einer positiven Auswirkung auf die Performance des Unternehmens untersucht.130 Jedoch kommen Studien aufgrund der Heterogenität von Familienunternehmen bisher zu keinem eindeutigen Ergebnis.131 Des Weiteren stehen Diskurse zur Installation von Beiräten in Familienunternehmen im Zentrum der Analysen. Auch hier sind Parallelen zur allgemeinen CorporateGovernance-Diskussion durch die gesetzlich bestimmte Trennung der Leitungsfunktion von der Aufsichtsfunktion in deutschen Aktiengesellschaften deutlich erkennbar. Über den Nutzen eines freiwillig institutionalisierten Aufsichtsgremiums in Form des Beirates und vor allem über dessen Besetzung und Kompetenzen besteht jedoch bislang Uneinigkeit.132 Auch hier ist durch die heterogene Gruppe der Familienunternehmen und der Anwendung der Stewardship-Theorie im Unterschied zur Prinzipal-Agenten-Theorie eine differenzierte Betrachtungsweise dringend notwendig. Dieser Gedanke, der Aspekt der Family Governance als zukünftiges Forschungsfeld sowie die Idee der Etablierung eines individuellen „Codes-of-best-practice“ des Familienunternehmens sollen entsprechend der zugrunde liegenden Definition von Corporate Governance auf die langfristige 130
Vgl. zu einem ausführlichen Überblick bisheriger Performancestudien Pieper, T. M. (2003), S. 8 ff. sowie Shea, H. (2006), S. 3 ff. 131 Vgl. Klein, S. B. (2008), S. 16. 132 Vgl. May, P., Lehmann-Tolkmitt, A. (2006), S. 103; Scherer, S. et al. (2005), S. 224.
48
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Überlebensfähigkeit des Unternehmens innerhalb der Unternehmensnachfolge analysiert werden. Da bisher ein integratives Konzept, welches die Aspekte Corporate Governance und Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen in Zusammenhang bringt und empirisch untersucht, fehlt,133 wird eine differenzierte Gesamtbetrachtung innerhalb dieser Arbeit vorgenommen. Im nun folgenden Kapitel wird daher zur Gesamteinschätzung ein aktueller und vertiefender Einblick in die Problematik des Generationenwechsels in Familienunternehmen im Bundesland Nordrhein-Westfalen geliefert, um darauf aufbauend in Kapitel 4 Mechanismen der Corporate und Family Governance als Lösungsansätze des Nachfolgeprozesses zu analysieren. 3.1 Generationenwechsel im Mittelpunkt der Auseinandersetzung Bei der Sichtung der wissenschaftlichen Literatur zum Themenkomplex des Familienunternehmens fällt auf, dass die Mehrzahl der internationalen und deutschsprachigen Beiträge dem Aspekt des Generationenwechsels Beachtung schenken.134 Da ein Scheitern der Unternehmensnachfolge die Existenz der betroffenen Unternehmen als Haupteinnahmequelle gefährdet und eine Vielzahl an familiengeführten Unternehmen in der Vergangenheit nicht über die ersten Generationen hinaus überlebt haben, ist dies nicht verwunderlich.135 Das Ineinandergreifen von verschiedenen Problemfeldern verlangt eine fachübergreifende und interdisziplinäre Betrachtungsweise, jedoch liegt der Schwerpunkt in der Regel auf steuerlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen.136 Das mit der vorliegenden Arbeit verfolgte Ziel der Analyse von Corporate Governance in Bezug zur Unternehmensnachfolge erfordert vielmehr ein stärkeres Gewicht der
133
Vgl. Weissenberger-Eibl, M. A., Spieth, P. (2006), S. 129. Vgl. zu einer Literaturübersicht Chua, J. H. et al. (2003), S. 89; Handler, W. C. (1994) S. 133 ff.; Sharma, P. (2006), S. 34 f. im internationalen und Pfannenschwarz, A. (2006), S. 48 f. im deutschsprachigen Raum. 135 Vgl. Hennerkes, B. H. (2004), S. 22, Degadt, J. (2003), S. 381. 136 Vgl. Hannes, F. et al. (2008), S. 181 f.; Lang-von Wins, T. et al. (2004), S. 185 ff.; Stephan, P. (2002), S. 35; Schließmann, C. P. et al. (2001), S. 5 ff. 134
Generationenwechsel im Mittelpunkt der Auseinandersetzung
49
personellen und unternehmensorientierten Dimensionen Management, Familie und Eigentum. Um dementsprechend eine Definition des Begriffs Nachfolge vorzunehmen, muss als erster Detaillierungsschritt entlang den Dimensionen des Drei-KreisModells unterschieden werden zwischen:137
der Führungsnachfolge als Übernahme von Leitungsfunktionen im Unternehmen durch familieninterne Mitglieder einer jüngeren Generation und dem Ausscheiden von älteren Familienunternehmern respektive deren zukünftige Aufgabe als Beirats- oder Familienratsmitglied; der Eigentumsnachfolge als Form der Übertragung der Anteile des Unternehmens auf die Folgegeneration. Durch die Verfassung des Gesellschaftsrechts bedingt, ist dies die wesentliche Nachfolge, da die Eigentümer zur Führung und Kontrolle des Unternehmens berechtigt sind; der Nachfolge als Familienoberhaupt. Diese Position ist nicht durch formalisierbare Faktoren, sondern eher durch Gewohnheit, Macht oder Vertrauen geprägt und somit schwer zu erfassen.
Im weiteren Verlauf wird unter Nachfolge zum einen die Führungsnachfolge und zum anderen die Eigentumsnachfolge mit dem Ziel der Sicherstellung eines geeigneten Nachfolgers und der somit gewährleisteten Stabilität und Kontinuität des Familienunternehmens verstanden.138 Das Entwicklungsstadium des Unternehmens resultierend aus den Lebenszyklen der vorangegangenen Generationen spielt im Rahmen der Nachfolgeregelung eine entscheidende Rolle. Bei den untersuchten Familienunternehmen in Nordrhein-Westfalen ist eine typische Verteilung zu beobachten. Unternehmen vom Typ des Alleinherrschers und der Geschwistergesellschaft sind im Querschnitt relativ junge Unternehmen und haben in der Vergangenheit einen oder zwei Generationenwechsel vollzogen. Als Idealfall einer Übertragung wird die familieninterne Kontinuitätsstrategie gesehen, da innerhalb dieser Variante nicht nur die Spezifizierung der Property Rights in Form des Kapitals, sondern auch
137 138
Vgl. Pfannenschwarz, A. (2006), S. 50 f. In Anlehnung an Spielmann, U. (1994), S. 20.
50
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
die Führungsnachfolge aus der eigenen Familie gestellt werden kann.139 In diesem Fall müssen persönliche Interessen und Bedürfnisse der Anteilseigner als auch Motive und Strategien in Bezug zum Familienunternehmen kollektiv betrachtet werden. Allerdings kann diese Festlegung aufgrund mangelnder Erfahrung und ungleicher sachlicher sowie zeitlicher Gegebenheiten in der Realität zu einem „Kontinuitätsparadigma“ führen. In Situationen hoher Unsicherheit, wie sie in der heutigen Zeit durch zunehmende Umweltveränderungen vorliegen, können frühzeitige Abhängigkeiten durch die Festlegung der familieninternen Handlungsstrategie Gefahrenpotential entstehen lassen. Man denke an dieser Stelle an Unvorhersehbarkeiten im Zusammenhang mit dem designierten Nachfolger sowie an bewusste Vernachlässigungen nicht nur hinsichtlich der Prüfung anderen Übertragungsoptionen, sondern auch bezüglich notwendiger Investitionen seitens des Seniors. Weiterhin sind hiermit vielfach einhergehende finanzielle Belastungen aus Abfindungen anderer Familienmitglieder und zu zahlende Erbschaftsteuer verbunden.140 Folglich bedarf es zur Bewältigung eventueller Situationsänderungen, einer Unvereinbarkeit der Unternehmenspolitik mit der Überlebenschance am Markt sowie auftretender finanzieller Belastungen erfolgsversprechende Strategien, die Flexibilität schaffen und verschiedene Handlungsalternativen objektiv überprüfen. Mit zunehmender Familiengröße und Entwicklung des Familienunternehmens über Generationen hinweg, hier insbesondere deutlich bei den untersuchten Vetternkonsortien in der durchschnittlich 8. Generation, werden informelle und mündliche Abstimmungen zunehmend schwieriger. Auch der Zusammenhalt und das Vertrauen untereinander entwickeln sich überwiegend vom Steward in Richtung des Agenten, so dass zusätzlich eine Balance im Management der Familie nötig wird.141 Als mögliche Kontinuitätsstrategien werden in der Literatur neben der Übertragung des Eigentums an Mitarbeiter oder Fremdmanager (MBO/MBI), dem Verkauf des Unternehmens und der Gründung einer Stiftung vor allem die
139
Vgl. Schröder, E., Freund, W. (1999), S. 75. Vgl. Löhr, D. (2001), S. 75 ff. 141 Vgl. Jaffe, D., Lane, S. (2004), S. 89. 140
Generationenwechsel im Mittelpunkt der Auseinandersetzung
51
Variante eines angestellten externen Managements thematisiert.142 Die Bereitschaft zur Verdünnung der Property Rights durch Aufgabe der operativen Geschäftsführung steht hier im Einklang mit dem Wunsch, das Unternehmen in Familienhand und somit im Machtbereich der Familie zu belassen. Dabei sind zur Realisierung auch hier Strategien anzuwenden, die der beschriebenen Öffnung des Unternehmens gegenüber Familienfremden Rechnung tragen und den langfristigen Familieneinfluss sicherstellen. Abbildung 7 zeigt zusammenfassend die beschriebene Verteilung der dargestellten Familienunternehmenstypen nach Generationen. Das zusätzlich aufgenommene Kriterium des Gründungsjahres kann an dieser Stelle sowohl zur Veranschaulichung des Grads der durchlaufenen Entwicklungsstadien als auch zur Plausibilitätsprüfung der gewonnen Angaben innerhalb der Empirie verstanden werden.
142
Vgl. exemplarisch Hävelmann, I. (2006); Olbrich, M. (2005); Mertens, R. (2004); Bergamin, S. (1995).
52
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Abb. 7: Familienunternehmenstypen nach Generation und Gründungsjahr143
3.2 Grundgesamtheit und Größenverteilung analysierter Familienunternehmen Die Grundgesamtheit der vorliegenden Analyse setzt sich aus Familienunternehmen in Nordrhein-Westfalen aus den Wirtschaftsbereichen Verarbeitendes Gewerbe, Baugewerbe, Energie und Wasserversorgung sowie Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden zusammen und entspricht der häufig in Analysen verwendeten Begrifflichkeit des industriellen Familienunternehmens.144 Die Grundlage der Daten zur Auswahl der Stichprobe stellt die Markus-Datenbank
143 144
Eigene Studie. Vgl. Adenäuer, C., Kayser, G., Wallau, F. (2007), S. 68 f.; Backes-Gellner, U., Wallau, F., Kayser, G. (2001), S. 43 f.
Grundgesamtheit und Größenverteilung analysierter Familienunternehmen
53
des Verbandes der Vereine Creditreform e.V. dar.145 Dort wurde innerhalb der Selektionskriterien eine sinnvolle Beschränkung der Familienunternehmen hinsichtlich des zu untersuchenden Forschungsgegenstandes vorgenommen. Zunächst sind alle in Nordrhein-Westfalen ansässigen Firmen gemäß den oben genannten Branchen selektiert worden. Eine weitere bewusste Eingrenzung erfolgte hinsichtlich der Rechtsform der börsennotierten AG, da das zu analysierende Problem der Nachfolgeregelung hier bereits erfolgreich gelöst ist. Auch die beiden Merkmale Umsatz (> 3 Mio. €) und Mitarbeiterzahl (> 30) sind bezüglich der Größenordnung quotiert, da bei Unternehmen unterhalb dieser Größenordnung eine potentielle Relevanz von Corporate-Governance-Aspekten weitgehend auszuschließen ist. Das gewählte Kriterium der natürlichen Person als Gesellschafter fungiert als Ausschlusskriterium einer Konzernabhängigkeit. Wie in Abbildung 8 ersichtlich, verbleibt nach der Selektion eine Grundgesamtheit von 2.431 Unternehmen. Hiervon sind wie eingangs dargestellt nach einer geschichteten Zufallsprobe 1.000 Unternehmen kontaktiert worden. Der erreichte Rücklauf von 18% verdeutlicht im Vergleich zu anderen Befragungen die Relevanz des Themas und liefert im Folgenden die Datenbasis der Untersuchung, welche mithilfe des Statistikprogramms SPSS Version 16 über Häufigkeitsverteilungen, Pivot-Tabellen sowie Korrelationsanalysen erfolgt.
145
Vgl. zu einer detaillierten Beschreibung der Datenbank Wolter, H. J., Hauser, H. E. (2001), S. 54 ff.
54
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Abb. 8: Grundgesamtheit der Untersuchung aus Markus-Datenbank Eine Betrachtung der 173 als Familienunternehmen klassifizierten Unternehmen hinsichtlich der Wirtschaftszweigverteilung zeigt im Verhältnis zur Verteilung in Nordrhein-Westfalen ein relativ homogenes Bild.146 Im Sample dominiert das Verarbeitende Gewerbe mit 83,8% vor dem Baugewerbe mit 16,2% der befragten Unternehmen (Tabelle 2).
146
Vgl. hierzu Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Stand Mai 2008: Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden 1%, Verarbeitendes Gewerbe 78%, Energie- und Wasserversorgung 2% sowie Baugewerbe 18%.
55
Grundgesamtheit und Größenverteilung analysierter Familienunternehmen
Häufigkeit
Prozent
Kumulierte Prozente
Verarbeitendes Gewerbe
145
83,8%
83,8%
Baugewerbe
28
16,2%
100%
173
100%
Gesamt
Tab. 2: Wirtschaftszweigverteilung Aus dem Verarbeitenden Gewerbe sind wie in Abbildung 9 ersichtlich am häufigsten die Wirtschaftsbereiche Maschinenbau (18%), Metallerzeugung und -bearbeitung (18%), Ernährungsgewerbe und Tabakverarbeitung (12%) sowie Papier-, Verlags- und Druckgewerbe (11%) vertreten.
Abb. 9: Familienunternehmen im Verarbeitenden Gewerbe nach der 2.Stelle des Wirtschaftscodes147 147
Eigene Studie.
56
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Bezüglich der Rechtsform kann festgestellt werden, dass 51% aller untersuchten Familienunternehmen in der Form der GmbH & Co. KG firmieren, dicht gefolgt von der GmbH mit 44%. Andere Personengesellschaften in Form der Einzelfirma, KG oder OHG spielen mit insgesamt 5% eine untergeordnete Rolle. Da auch die einschlägige Literatur zu Familienunternehmen sowie Auswertungen anderen Studien im Ergebnis zu dieser typischen Rechtsformverteilung bei Familienunternehmen kommen148, kann die dargestellte Verteilung der SampleUnternehmen in Abbildung 10 als repräsentativ bezeichnet werden.
Abb. 10: Verteilung der Rechtsformen149 Die zu untersuchenden Determinanten der Corporate Governance sind im Hinblick auf den Generationenwechsel größenabhängig. Daher wurde die 148 149
Vgl. Adenäuer, C. et al. (2008); Hennerkes, B. H. (2004), S. 69. Eigene Studie.
57
Grundgesamtheit und Größenverteilung analysierter Familienunternehmen
Grundgesamtheit hinsichtlich der Größenklassen Umsatz und Mitarbeiterzahl bewusst quotiert. Dies führt in der Stichprobe dazu, das größere Unternehmen im Vergleich zur Gesamtwirtschaft Nordrhein-Westfalens übergewichtet sind, jedoch für eine differenzierte Auswertung eine ausreichend große Anzahl von Antworten zur Verfügung steht. Die somit erzielte Datengrundlage liefert die Möglichkeit einer qualitativ aussagekräftigen Schichtung nach Umsatz- und Beschäftigungsgrößenklassen.150 Insgesamt repräsentiert das vorliegende Sample somit überwiegend mittlere und größere Familienunternehmen. Tabelle 3 zeigt die Verteilung nach Umsatzgrößenklassen in NRW im Vergleich zum Sample. Beispielsweise beträgt der Anteil kleinerer Unternehmen mit einem Umsatz unter 5 Mio. Euro pro Jahr in NRW 96%, in der Stichprobe hingegen lediglich 4,6% (Kleinstbetriebe ausgeschlossen). Große Unternehmen mit einem Umsatz zwischen 10 und 25 Mio. Euro pro Jahr haben im Sample einen Anteil von knapp 40%, jedoch nur 1,2% an der Gesamtwirtschaft von NRW. Größenklassen nach Umsatz von …bis unter…Euro
Prozent NRW
Prozent Sample
<= 5 Mio.
96,0%
4,6%
5. Mio. – 10. Mio.
1,8%
15,6%
10. Mio. – 25. Mio.
1,2%
39,9%
25. Mio. – 50. Mio.
0,5%
22,0%
50. Mio. – und mehr
0,5%
17,9%
Tab. 3: Verteilung von Unternehmen in NRW 2006 im Vergleich zum Sample nach Umsatzgrößenklassen151 Aus dieser Konsequenz zeigt die Stichprobe hinsichtlich der Mitarbeiteranzahl ein analoges Bild. Wie Abbildung 11 verdeutlicht, beschäftigen 21% der
150 151
Vgl. so auch Freund, W., Kayser, G. (2007), S. 25; Jaskiewicz, P., Klein, S. B. (2007), S. 1084. Vgl. Statistisches Bundesamt [Hrsg.] (2008), S. 21; eigene Studie.
58
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Unternehmen 50 und weniger Mitarbeiter, 61% zwischen 51 und 250 sowie 19% mehr als 250 Mitarbeiter.
Abb. 11: Familienunternehmen nach Beschäftigungsgrößenklassen 2007152 3.3 Prozess der Unternehmensnachfolge Die Analyse des Nachfolgeprozesses als geplanter Ablauf der Übertragung von Eigentums- und Führungsverantwortung ist für die weitere Untersuchung von entscheidender Bedeutung, da das Feld der Familienunternehmensforschung als relativ jung bezeichnet werden muss,153 primärer Untersuchungsgegenstand bereits durchgeführter Prozessanalysen eine ex-post Perspektive oder die Mo-
152 153
Eigene Studie. Vgl. Poutziouris, P. Z. et al. (2006), S. 1.
Prozess der Unternehmensnachfolge
59
mentaufnahme in Bezug auf den Zeitpunkt vor der „Stabsübergabe“ darstellen154 und verfügbaren unternehmenspolitischen Gestaltungsspielräumen der Eigentums- und Führungsnachfolge in der Praxis unzureichende Aufmerksamkeit geschenkt wird.155 Es stellt sich somit die Frage, auf welche bestehenden Grundlagen zurückgegriffen werden kann, um das Ziel dieser Arbeit zu erreichen. Da im Mittelpunkt der Analyse Mechanismen der Corporate und Family Governance zur Planung und Regelung der Nachfolge stehen, werden im Folgenden die bestimmenden Ansätze und Modelle der Unternehmensnachfolge prägnant vorgestellt und auf ihre Verwendbarkeit hin untersucht. Die individuelle Nachfolge ist in der Regel einzigartig und aufgrund von Unsicherheit in der Zukunft praktisch nicht vorhersehbar. Allgemein betrachtet, ist jedoch nicht jede Nachfolge einmalig, da bestimmte Muster wiederholt vorkommen und somit als zielgerechte Erfolgspotentiale innerhalb einer Strategie ausgearbeitet werden können.156 Infolgedessen haben einerseits Ansätze zur Identifizierung und Ausarbeitung von inhaltlichen Erfolgsfaktoren in der Literatur an Bedeutung gewonnen.157 Ausgangspunkt bildet hier eine Darstellung der grundlegenden Spannungsfelder im Nachfolgeprozess. Da als Vorstufe dieser detaillierten Faktorenanalyse Gliederungen angesehen werden können, die zu analysierende Einflussbereiche des Generationenwechsels in einzelne Fachdisziplinen strukturieren,158 werden aufbauend auf diesem Verständnis gestalterische Erfolgsfaktoren innerhalb der einzelnen Wirkungsbereiche getrennt voneinander erläutert. Dabei gewinnen Erkenntnisse der Familiensoziologie und -psychologie als Besonderheit familiengeführter Unternehmen erst in neuster Zeit an Bedeutung und eröffnen Forschern ein weites Feld um „Beiträge zum tieferen Verständnis der Interakti-
154
Vgl. Albach, H., Freund, W. (1989); Dyck, B. et al. (2000); Habig, H., Berninghaus, J. (2003); Hennerkes, B. H. (1998); Viehl, P. (2004). 155 Vgl. Adenäuer, C., Kayser, G., Wallau, F. (2007), S. 47 ff. sowie Kapitel 4.2 – Aktuelle und zukünftige Bedeutung der Strukturen, S. 113 ff. 156 Vgl. Hering, T., Olbrich, M. (2003), S. 83. 157 Vgl. Gerke-Holzhäuer, F. (1996); LeMar, B. (2001); Schließmann, C. P. et al. (2001). 158 Vgl. Brückmann, H. (1991); Flick, H., Kappe, K. (1997); Hofmann, U. (1996); Risse, W. (1997).
60
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
onsmuster in Unternehmerfamilien zu liefern.“159 Demzufolge werden im weiteren Verlauf Aspekte der Family Governance in Kombination mit unternehmensorientierten Themen unter Berücksichtigung des Drei-Kreis-Modells als führungsrelevante Problemfelder der Unternehmensnachfolge thematisiert und empirisch analysiert. Neben diesen inhaltlichen Ansätzen versucht eine Reihe von Untersuchungen den Ablauf von Nachfolgeprozessen in zeitlich unterschiedliche Abschnitte zu gliedern. Phasenkonzepte, Nachfolge-Fahrpläne und Checklisten der Unternehmensnachfolge sind das Ergebnis dieser Prozessanalyse. Der Wechsel auf die nächste Generation wird hierbei mehrheitlich in die Phasen der Vorbereitung, des Übergangs und der Übergabe, je nach Sichtweise aus der Perspektive des Seniors oder Juniors, unterteilt.160 Da Nachfolgeprozesse je nach Familienunternehmenstyp sehr vielfältig und teilweise auch unvorbereitet verlaufen können und somit nicht mit einem einzigen universalen Ablaufschema darzustellen sind, wird als Kernaussage dieser Ansätze festgehalten, dass unterschiedliche Einzelphasen im Gesamtprozess der Nachfolge charakteristisch aufeinander aufgebaut sind.161 Eine integrierte Einbindung von Corporate Governance-Mechanismen wird auch in diesen Phasenmodellen bislang nicht vorgenommen. „Keeping a family business alive is perhaps the toughest management job on earth.“162 20 Jahre später ist diese Herausforderung immer noch aktuell und soll an dieser Stelle den dritten bestimmenden Ansatz kategorisieren, die Betrachtung der Nachfolge aus der Sichtweise des Lebenszyklus eines Familienunternehmens. Ausgangspunkt ist ein in der Vergangenheit festgestellter Schrumpfungsprozess des Anfangsbestandes gegründeter Familienunternehmen weit über das normale marktübliche Versagen hinaus:
159
Klein, S. B. (2008), S. 17. Vgl. Felden, B., Klaus, A. (2003), S. 63; Riedel, H. (2000), S. 167; Rodenstock, R. (1997), S. 154. 161 Vgl. Pfannenschwarz, A. (2006), S. 101. 162 Ward, J. L. (1987), S. 1. 160
Prozess der Unternehmensnachfolge
61
Hennerkes schätzt, dass 2/3 aller Familienunternehmen bis in die zweite Generation überleben, 1/3 die dritte und 1/6 die vierte Generation erreichen.163 Simon et al. sind der Ansicht, dass 50% an der Übergabe an die zweite Generation scheitern und lediglich 10% bis zur vierten Generation bestehen.164 Internationale Studien gehen sogar davon aus, dass lediglich 30% der Familienunternehmen in zweiter Generation existieren, 10-15% in dritter und 35% in vierter Generation bestehen können.165
Aus diesen Zahlen wird deutlich, dass die Überlebenschancen von Familienunternehmen gerade in der ersten und zweiten Generation als relativ gering einzuschätzen sind. Zuspruch finden diese Zahlen durch die vorgestellte F-PEC Skala, hier insbesondere durch die zweite Säule Experience. Erfolgreich durchgeführte Generationenwechsel innerhalb der Familie werden als Erfahrungsgewinne gewertet und zeigen eine Lernkurve der in Abbildung 12 dargestellten Form.166 Betrachten wir hierzu parallel als Flächendiagramm die Verteilung der untersuchten Familienunternehmen nach Generationen, entsteht folgendes Bild:
163
Vgl. Hennerkes, B. H. (1998), S. 373 f. Vgl. Simon, F. B., Wimmer, R., Groth, T. (2005), S. 39. 165 Vgl. Aronoff, C. E. (1999), S. 1; Davis, P. S., Harveston, P. D. (2003), S. 312. 166 Vgl. Astrachan, J. H. et al. (2002), S. 49. 164
62
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Erfahrungskurve nach Astrachan et al.
Generationenverteilung des Samples
Abb. 12: Erfahrungskurve nach Astrachan et al. vs. Generationenverteilung des Samples167 Über 40% der Unternehmen existieren in der ersten Generation als Gründerunternehmen, bereits 50% weniger in der zweiten Generation. Demnach steht das Sample sowohl mit Fällen einer nicht vollzogenen Nachfolge von der ersten zur nächsten Generation als auch mit Werten des Erfahrungslernens in Unternehmerfamilien im Einklang. Von der zweiten in die dritte Generation ist der Verfall im Sample relativ gering (2%), jedoch entsteht bei der Übergabe an die vierte Generation eine erneute Halbierung des Bestandes pro Generation auf 10%. Nach der vierten Generation wendet sich das Blatt und der Verfall nimmt einen gewöhnlichen Lauf an. Unternehmen haben aufgrund der gemachten Er-
167
In Anlehnung an: Astrachan, J. H. et al. (2002), S. 49; eigene Studie.
Prozess der Unternehmensnachfolge
63
fahrungen aus überstandenen Generationenwechseln eine gute Überlebenschance. Auch wenn diese Erkenntnisse aufgrund des untersuchten Samples mit Vorsicht zu interpretieren sind, können wir als Ergebnis festhalten, dass junge und unerfahrene Unternehmen tendenziell gefährdeter sind als alte und über Generationen hinweg stabile Familienunternehmen. Da der beschriebene Misserfolg partiell durch die Kopplung von Familie und Unternehmen, ihrer gemeinsamen Entwicklung, Erfahrung und gegenseitigen Beeinflussung determiniert wird, soll die Frage der Etablierung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen als Lösungsweg erörtert werden. Des Weiteren ermöglicht die durchgeführte empirische Untersuchung eine Differenzierung zeitlicher und inhaltlicher Aspekte des Kontinuitätsprozesses im Familienunternehmen unter Berücksichtigung einer vergleichenden Darstellung nach Größenklassen und Erfahrungen aus bereits durchgeführten Generationenwechseln. Durch diese Vorgehensweise sollen Weichenstellungen der zu installierenden Mechanismen ausfindig gemacht und in ihrer Gültigkeit überprüft werden. 3.3.1 Aktuelle und zukünftige Bedeutung der Unternehmensübergaben Der Beginn einer systematischen und empirischen Erforschung des Generationenwechsels resultierte in der Vergangenheit aus der Feststellung, dass vermeidbare Gründe zur Unterbrechung der Unternehmenskontinuität aufgedeckt und verhindert werden sollten, da eine Existenzsicherung des Unternehmens sowohl durch betriebswirtschaftliche Kontinuitätsziele der Unternehmenseigentümer als auch in einem bedeutenden Nutzen für eine Vielzahl an Personen im Umfeld des Unternehmens begründet ist.168 Mit dieser gesellschaftspolitischen Sichtweise, zu der auch eine öffentliche Diskussion gehört, wurde der Generationenwechsel als kritische Konstellation innerhalb der Unternehmensentwicklung erkannt und somit zum Gegenstand der Mittelstandspolitik, was zahlreiche Beiträge und in 168
Vgl. Freund, W. (2000), S. 35.
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Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
öffentlichem Auftrag angefertigte Studien sowie die Gründung der Aktionsplattform „nexxt“ als Initiative zur Unternehmensnachfolge durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie belegen.169 Aufbauend auf diesem Verständnis wird zur Erfassung der Bedeutung des Generationenwechsels die Frage aufgeworfen, ob die Nachfolgesituation aktuell und zukünftig als Herausforderung gesehen werden muss oder nicht. Die gegenwärtigen Entwicklungen für das Bundesland NRW werden im Folgenden auf Basis der Auswertungen der empirischen Analyse dargestellt und bewertet. Auf die eingangs gestellte Frage, ob in den nächsten Jahren die Nachfolge zu regeln ist, antworteten 26% der Befragten mit „Nein“. Bei der Mehrzahl der Familienunternehmen besteht jedoch in den nächsten Jahren die Absicht, eine Übergabe zu vollziehen (74%). Die Relevanz der Nachfolge betrifft somit zukünftig sowohl die Unternehmer selbst als auch die betroffenen Stakeholder des Wirtschaftssystems. Eine differenziertere Betrachtungsweise zeigt, dass lediglich 12% dieser Gruppe unmittelbar vor einer Unternehmensnachfolge stehen und weitere 20% eine Übertragung des Unternehmens in den nächsten 2-5 Jahren erwarten. Bei weiteren 27% steht eine Übergabe in den nächsten 5-10 Jahren und bei den verbleibenden 40% erst in mehr als 10 Jahren auf der Agenda. Eine Stilllegung des Unternehmens aufgrund von negativen Zukunftseinschätzungen der Branche oder fehlenden Nachfolgealternativen wird von keinem der befragten Familienunternehmen in Betracht gezogen (Abbildung 13).
169
Vgl. ASU [Hrsg.] (2007); BMWi [Hrsg.] (2007); DIHK [Hrsg.] (2007); L-Bank [Hrsg.] (2003).
Prozess der Unternehmensnachfolge
65
Abb. 13: Anstehende Übergaben nach Zeiträumen in NRW170 Die Auswertung zeigt, dass die Mehrzahl der vom Generationenwechsel tangierten Unternehmen ausreichend Zeit für eine gezielte und umfassende Planung und Regelung der Nachfolge besitzen. Lediglich 12% der Unternehmen im Sample zeigen akuten Handlungsbedarf, da hier der Generationenwechsel in den nächsten 1-2 Jahren ansteht. Betrachten wir in diesem Zusammenhang in Abbildung 14 das durchschnittliche Alter der übergebenden Unternehmer, wird die Situation zunehmend verschärft. Die befragten Geschäftsführer weisen innerhalb dieser Gruppe im Durchschnitt ein Alter von über 67 Jahren auf, das gesetzliche Rentenalter ist demzufolge längst überschritten. Diese Feststellung deutet zwar auf eine verlängerte aktive Tätigkeit der Gesellschafter im Familienunternehmen hin, birgt jedoch gleichzeitig vielfältige Gefahren bezüglich der Notwendigkeit 170
Eigene Studie.
66
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
des Loslassens der abtretenden Generation und damit einhergehend der strategischen Fehlpositionierung des Unternehmens am Markt.
Abb. 14: Anstehende Nachfolgen nach Zeiträumen in Korrelation zum Alter der Geschäftsführer171 Betrachten wir die Generationenverteilung der Sample-Unternehmen in Korrelation einer eventuell bevorstehenden Nachfolge wird deutlich, dass eine Unternehmensnachfolge bei 3/4 aller Unternehmen der ersten Generation in Zukunft bevorsteht. Innerhalb der zweiten Generation beträgt der Anteil im Verhältnis zur Gesamtzahl 70%, in der dritten Generation 90% und in der vierten Generation stehen nochmals 60% der Familienunternehmen zukünftig vor der Aufgabe der Nachfolgeregelung (Abbildung 15).
171
Eigene Studie.
Prozess der Unternehmensnachfolge
67
Abb. 15: Generationenverteilung vs. Nachfolgeregelung172
Dieser Befund ist ausschlaggebend für die aktuelle und zukünftige Bedeutung der frühzeitigen Planung und Regelung der Nachfolge zum Bestehen des Unternehmens. Die aufgezeigte Fehlentwicklung der Vergangenheit, welche durch die festgestellte Unbedarftheit und einer daraus abgeleiteten Überlebenswahrscheinlichkeit von lediglich 50% gekennzeichnet ist, offenbart an dieser Stelle akuten Handlungsbedarf zur Sicherung und langfristigen Ausrichtung des Familienunternehmens. Da auch nach herrschender Meinung als wesentlichster Erfolgsfaktor zur Sicherung der Unternehmenskontinuität und somit zum Verbleib des Unternehmens in Familienhand genau dieser Aspekt der frühzeitigen Planung und Rege-
172
Eigene Studie.
68
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
lung erkannt wird,173 gilt es in einem nächsten Schritt zu prüfen, ob dies im Rahmen von ersten Maßnahmen oder explizit formulierten Plänen in den betroffenen Familienunternehmen angestrebt wird. 3.3.2 Nachfolgeplanung und Vorbereitungsmaßnahmen Wie in Kapitel 2.4.3 gezeigt, schafft das Unternehmen im Rahmen von Prozessen und Organisationsbemühungen eine schriftliche Planung, die sowohl der Koordination, der Konfliktvermeidung als auch der Bewältigung von Unsicherheiten in der Zukunft dient. Die in Familien praktizierte primär mündliche und wenig formalisierte Kommunikation als Interaktion unter Anwesenden kann innerhalb des Nachfolgeprozesses den Erfolg des Generationenwechsels erheblich gefährden, indem eine explizite Nachfolgestrategie zur Organisation der Unternehmensübergabe nicht durchgeführt wird. Da die Verantwortung zur Initialisierung dieses Prozesses aufgrund des unternehmenspolitischen Einflusses meist in den Händen des Alleinherrschers liegt, und in der Vergangenheit eine Tabuisierung und Vernachlässigung des Themas Nachfolge zu Machtkämpfen, unfähigen Nachfolgern und nicht zurücktreten wollenden Firmenpatriarchen geführt hat,174 gilt es zur erfolgreichen Fortführung des Familienunternehmens zu prüfen, ob diese Situation gegenwärtig ein Risiko darstellt. Zur Feststellung wurde den Unternehmern die Frage gestellt, ob sie sich bereits mit dem Aspekt der Nachfolge beschäftigt haben. Das Ergebnis zeigt, dass die Herausforderung der Unternehmensnachfolge von der Mehrzahl der Familienunternehmen erkannt wird. 83% der befragten Unternehmer haben den Aspekt der Nachfolge bereits in ihre Planungen einbezogen. Die übrigen 17% der Unternehmen, die bislang dem Aspekt der Nachfolge keine Beachtung schenken, planen eine Übertragung in 5-10 Jahren (2,3%) oder erst in mehr als 10 Jahren (14,8%), so dass an dieser Stelle das Interesse als gering einzuschätzen ist (Tabelle 4). 173
Vgl. Albach, H., Freund, W. (1989), S. 269; Habig, H., Berninghaus, J. (2003), S. 81 f.; Viehl, P. (2004), S. 31 ff.; Wimmer, R. et al. (2005), S. 311 ff. 174 Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 69.
69
Prozess der Unternehmensnachfolge
Ist bei Ihrem Unternehmen in den nächsten Jahren die Nachfolge zu regeln? Gesamt
Haben Sie sich
Ja, in den
Ja, in den
Ja, in
Ja, in
bereits
nächsten
nächsten
5-10
mehr als
1-2 Jahren
2-5 Jahren
Jahren
10 Jahren
12,5%
20,3%
25,0%
25,0%
82,8%
0%
0%
2,3%
14,8%
17,2%
12,5%
20,3%
27,3%
39,8%
100,0%
mit dem Aspekt der Unternehmens-
Ja
nachfolge beschäf-
Nein
tigt?
Gesamt
Tab. 4: Beschäftigung mit der Nachfolgeproblematik nach geplanten Übergabezeiträumen175 Betrachten wir zur Beurteilung der aktuellen Situation in einem zweiten Schritt den Informationsstand der Übergeber zum Thema Nachfolge, so wird das oben gewonnene positive Bild relativiert. Zwar beurteilen den Umfrageergebnissen zufolge 69,5% der Familienunternehmen ihren individuellen Informationsstand als gut, die verbleibenden 30,5% negieren jedoch einen ausreichenden Wissensstand bezüglich des Themas Nachfolge. Eine differenzierte Aufstellung nach Übergabezeiträumen zeigt, dass 2,3% dieser Gruppe in Kürze einen Generationenwechsel, weitere 5,5% in den nächsten 2-5 Jahren eine Übergabe und die verbleibenden 22,6% in mehr als 5 Jahren eine Übertragung des Familienunternehmens anstreben (Tabelle 5).
175
Eigene Studie.
70
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Ist bei Ihrem Unternehmen in den nächsten Jahren die Nachfolge zu regeln? Gesamt
Fühlen Sie sich gut
Ja, in den
Ja, in den
Ja, in
Ja, in
über das Thema
nächsten
nächsten
5-10
mehr als
1-2 Jahren
2-5 Jahren
Jahren
10 Jahren
Ja
10,2%
14,8%
16,4%
28,1%
69,5%
Nein
2,3%
5,5%
10,9%
11,7%
30,5%
Gesamt
12,5%
20,3%
27,3%
39,8%
100,0%
Unternehmensnachfolge informiert?
Tab. 5: Informationsstand zum Thema Nachfolge nach geplanten Übergabezeiträumen176 Zusammenfassend geben die Ergebnisse einen Hinweis darauf, dass fast ein Drittel der befragten Unternehmen, die in den nächsten 1-5 Jahren einen Generationenwechsel planen, nicht ausreichend informiert sind. Dieser Eindruck konnte auch im Rahmen bereits durchgeführter Studien gewonnen werden und verdeutlicht, dass in den letzten Jahren sowohl Quantität als auch Qualität von Informationen zum Generationenwechsel auf Initiative von Wirtschaftspolitik, Kammern und Verbänden kontinuierlich verbessert worden sind, jedoch die Angebote nicht alle Unternehmen erreichen. Existierende Informations- und Beratungsangebote werden heute zwar deutlich häufiger wahrgenommen als noch vor Jahren, eine umfassende Betrachtung ist jedoch bislang noch nicht eingetreten.177 Nach zunächst allgemeinen Fragestellungen zur Planung der Unternehmensnachfolge soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, ob die Organisation des Generationenwechsels auch durch konkrete Maßnahmen angegangen und vorbereitet wird. Da in Familienunternehmen Eigentums- und Führungsnachfolgeentscheidungen sehr eng miteinander verbunden sind, helfen explizit formulierte Regelungen die Verbindlichkeit des Generationenwechsels 176 177
Eigene Studie. Vgl. BMWi [Hrsg.] (2007), S. 4 ff.; Freund, W., Kayser, G. (2007), S. 36 ff.; MIND [Hrsg.] (2005), S. 57.
Prozess der Unternehmensnachfolge
71
und somit die Zukunft eines familiengeführten Unternehmens sicherzustellen. Abgesehen von den Plänen einer geregelten Nachfolge sollte für die Ungewissheit eines risikobehafteten Nachfolgefalles, der unerwartet und plötzlich aufgrund im Vorhinein nicht planbarer Umstände eintreten kann, Vorsorge getroffen werden. Denkbare Gründe hierfür sind eine schwere Erkrankung oder Tod des Unternehmers, eine Zerrüttung der Familie oder der Wunsch des Unternehmers, eine andere Beschäftigung auszuüben. Da die Ergebnisse der SampleUnternehmen im Folgenden nach Umsatzgrößenklassen (Tabelle 6) und Generationen (Tabelle 7) ausgewertet sind, können Größenunterschiede und Erfahrungen älterer Familienunternehmen auf die Bedeutung einzelner Regelungen hinweisen. Die Mehrzahl der Familienunternehmen – die größeren eher als die kleineren - haben zur Absicherung der Eigentumsverhältnisse bei einem plötzlichen Ausfall testamentarische Regelungen getroffen. Dadurch ist sichergestellt, dass im Todesfall nicht gesetzliche Regelungen, sondern die Vorstellungen der Unternehmer in Kraft treten. Diese Gestaltung als lebzeitige Maßnahme ist zur Erhaltung des Unternehmens und des Familienvermögens von höchster Priorität, da sowohl Streit innerhalb der Familie als auch unnötige Liquiditätsbelastungen durch Pflichtteilsgeltendmachung vermieden werden können.178 Die Bedeutung der letztwilligen Verfügung als Gestaltungselement innerhalb des Generationenwechsels wird dadurch bestätigt, dass Familienunternehmen in der 5. Generation zu 100% über das Schicksal der Firmenanteile nachgedacht und ein Testament erstellt haben (vgl. Tabelle 7). Gleichwohl ist das Risikobewusstsein der SampleUnternehmen hinsichtlich der Unsicherheit eines risikobehafteten Nachfolgefalls eingeschränkt, da ein Notfallplan auch von größeren und erfahrenen Unternehmen häufig nicht erstellt und festgelegt ist. Lediglich in 13,8% der kleineren und in 16,7% der größeren Unternehmen sind Regelungen oder Vollmachten hinterlegt, um in Krisenzeiten wenigstens das Tagesgeschäft weiterführen zu können (vgl. Tabelle 6).
178
Vgl. Hannes, F. et al. (2008), S. 181 ff.
72
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Die bisherigen Ergebnisse verdeutlichen das Ausmaß der vorsorglich getroffenen Maßnahmen zur Vermeidung risikobehafteter Nachfolgefälle, sie sagen jedoch noch nichts über getroffene Pläne zur Vorbereitung einer geregelten Nachfolge aus. Fragen wir danach, so haben knapp 50% der Familienunternehmen in allen Größenklassen die Familie als Ansprechpartner einbezogen. Da insbesondere neuere Beiträge in Anbetracht der Besonderheit familiengeführter Unternehmen hervorheben, die Interessen und Bedürfnisse der Familie in die Planung der Nachfolge mit einzubeziehen,179 ist dieses Ergebnis positiv zu bewerten. Hingegen wird eine Beratung durch familienfremde Akteure wie beispielsweise Steuerberater, Rechtsanwälte und Banken vor allem von Gründerunternehmen (9,6%) unterdurchschnittlich in Anspruch genommen. Da innerhalb der Unternehmensnachfolge erhebliche steuerliche und rechtliche Gestaltungsspielräume existieren, stellt die Einbindung von externem Know-how an dieser Stelle eine erfolgsentscheidende Weichenstellung dar. Ein Drittel der großen Unternehmen hat die Bedeutung der Öffnung des Unternehmens bereits erkannt und zieht externe Berater zur Vorbereitung des Generationenwechsels hinzu. Analysieren wir im Vorfeld der Unternehmensübergabe angestrebte Bemühungen, geeignete Mitarbeiter im Unternehmen zur späteren Übernahme fachlich und persönlich zu qualifizieren, so können mit zunehmender Größe (von 42,5% auf 16,7%) und Erfahrung (von 30,8% auf 0%) der Familienunternehmen abnehmende Bestrebungen zur Ausbildung von eigenen Mitarbeitern festgestellt werden. Dieses Ergebnis verdeutlicht obige in der Literatur festgestellte These, dass mit zunehmender Zersplitterung der Eigentümerfamilie über Generationen hinweg die Prinzipal-Agenten-Theorie im Vergleich zur Stewardship-Theorie an Bedeutung gewinnt und die Variante eines angestellten Fremdmanagements der Übertragung des Eigentums an Mitarbeiter (MBO) vorgezogen wird. Bislang noch wenig Anerkennung innerhalb des Nachfolgeprozesses findet die Implementierung eines Kontrollorgans. Zwischen 10,0% und 28,6% aller Unternehmen haben bereits ein Aufsichtsorgan in der Form des Aufsichts- oder 179
Vgl. Kapitel 4.4: Einrichtung einer Family Governance - Mechanismus des Unternehmens, S. 24 ff.
Prozess der Unternehmensnachfolge
73
Beirates institutionalisiert. Jedoch zeigt sich bei der Analyse nach Generationen eine richtungweisende Tendenz: Die Hälfte aller Sample-Familienunternehmen in vierter und fünfter Generation hat bereits in der Vergangenheit ein Kontrollorgan eingerichtet (vgl. Tabelle 6). Da diese Unternehmen bereits über Generation hinweg existieren und sowohl national als auch international ein rapider, nicht marktüblicher Schrumpfungsprozess an Unternehmen in den ersten Generationen festgestellt wurde, verdeutlicht das Ergebnis, dass die Einrichtung eines Aufsichtsorgans einen positiven Beitrag zur Regelung der Unternehmensnachfolge und somit zur Aufrechterhaltung des Unternehmens als familiengeführtes Unternehmen über Generationen hinweg leisten kann. Das folgende 4. Kapitel untersucht dem Ziel dieser Arbeit folgend bestehende Aufsichtsorgane als Mechanismus der Corporate Governance innerhalb der Unternehmensnachfolge und stellt Aufgaben, Kompetenzen und Zusammensetzungen dezidiert dar.
74
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Umsatzgrößenklassen < 30
30 –
>100
100 Regelungen
Erstellung eines Testamentes
% innerhalb
61,2%
64,3%
66,7%
48,8%
47,6%
50,0%
42,5%
26,2%
16,7%
37,5%
28,6%
33,3%
10,0%
28,6%
16,7%
13,8%
16,7%
16,7%
15,0%
11,9%
33,3%
7,5%
14,3%
33,3%
Umsatzklasse Einbindung der Familie
% innerhalb Umsatzklasse
Aufbau geeigneter Mitarbeiter
% innerhalb Umsatzklasse
Allgemeine Überlegungen
% innerhalb Umsatzklasse
Einrichtung eines Kontrollor-
% innerhalb
ganes
Umsatzklasse
Erstellung eines Notfallplans
% innerhalb Umsatzklasse
Einbindung Familienfremder
% innerhalb Umsatzklasse
Noch nichts unternommen
% innerhalb Umsatzklasse
Tab. 6: Regelungen zur Vorbereitung der Unternehmensnachfolge nach Umsatzgrößenklassen (Mehrfachnennungen möglich)180
180
Eigene Studie.
75
Prozess der Unternehmensnachfolge
Generation
Regelungen
Erstellung eines
% innerhalb
Testamentes
Generation
Einbindung der
% innerhalb
Familie
Generation
Aufbau geeig-
% innerhalb
neter Mitarbei-
Generation
1.
2.
3.
4.
5.
53,8%
53,6%
81,5%
60,0%
100,0%
57,7%
35,7%
51,9%
20,0%
100,0%
30,8%
39,3%
48,1%
40,0%
0%
26,9%
46,4%
33,3%
30,0%
50,0%
11,5%
14,3%
3,7%
50,0%
50,0%
15,4%
17,9%
14,8%
10,0%
25,0%
9,6%
25,0%
14,8%
0%
50,0%
11,5%
10,7%
7,4%
10,0%
0%
ter Allgemeine
% innerhalb
Überlegungen
Generation
Einrichtung
% innerhalb
eines Kontroll-
Generation
organes Erstellung eines
% innerhalb
Notfallplans
Generation
Einbindung
% innerhalb
Familienfrem-
Generation
der Noch nichts
% innerhalb
unternommen
Generation
Tab. 7: Regelungen zur Vorbereitung der Unternehmensnachfolge nach Generationen (Mehrfachnennungen möglich)181 Zusammenfassend zeigt die Untersuchung eine deutlich stärkere Wahrnehmung analysierter Vorbereitungsmaßnahmen von größeren und erfahrenen Familienunternehmen. Dieser erste Befund soll das Bewusstsein kleinerer Grün181
Eigene Studie.
76
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
dungsunternehmen schärfen und gleichzeitig einen Appell zur Bedeutung von Vorbereitungsmaßnahmen im Generationenwechsel leisten. Da im Rahmen der erforderlichen Planung und Regelung der Nachfolge die persönlichen Motive und Zielsetzungen der Unternehmer mit Interessen und Bedürfnissen der Familie und ihren Akteuren in Einklang zu bringen sind, werden im Folgenden Zielsetzungen aus Unternehmersicht vorgestellt und auf ihre familiäre Harmonisierung überprüft. 3.3.3 Motive und Zielsetzungen der Eigentümer Da rationale und emotionale Aspekte Einfluss auf den zeitlichen Verlauf des Nachfolgeprozesses nehmen können, werden im weiteren Verlauf Motive der Unternehmensnachfolge aus der Sichtweise der Übergeber vorgestellt. Das Alter ist in 80% der Fälle der Hauptauslöser für die Nachfolgeplanung. Diesem Ergebnis zufolge erkennen Familienunternehmer den Bedarf einer strukturellen Erneuerung der Eigentums- und Führungsrechte des Unternehmens. Allerdings flankiert bei weitem nicht jeder Unternehmer eine durch den Generationenwechsel vorgegebene Instabilität durch konkrete Vorbereitungsmaßnahmen. An zweiter Stelle äußern 56% der Unternehmer den Wunsch, das Unternehmen in Familienbesitz zu halten. Das Umfrageergebnis bestätigt die idealtypischerweise in Familienunternehmen anzutreffende Entscheidungssituation, sich auf die familieninterne Nachfolgestrategie festzulegen. Die Gefahr einer solchen frühzeitigen Konzentration liegt jedoch darin, dass die Wünsche des Seniors nicht wie erhofft in Erfüllung gehen.182 Denn die Initiative zur Übernahme des Unternehmens sollte auch auf Wunsch der Kinder erfolgen, was jedoch nur in 12% der Familienunternehmen tatsächlich der Fall ist. Eng verknüpft mit einer Veranlassung der Nachfolgeregelung aus Altersgründen sind die Motive Wunsch nach mehr Freizeit (24%) und Gesundheit (14%). Wie die Analyse der Altersstruktur in Kapitel 3.3.3 gezeigt hat, ist eine verlängerte aktive Tätigkeit der Gesellschafter im Familienunternehmen zu konstatieren, welche diesem Ergebnis zufolge Aus182
Vgl. hierzu auch Löhr, D. (2001), S. 87 ff.
Prozess der Unternehmensnachfolge
77
wirkungen auf die Freizeitgestaltung und das gesundheitliche Befinden der Unternehmer zeigt. Die Möglichkeit, das Unternehmen an geeignete Mitarbeiter zu übergeben, spielt in 13% der Familienunternehmen eine Rolle und determiniert in diesen Fällen die zukünftige Entwicklung des Unternehmens. Hingegen wird der Wechsel in eine andere Tätigkeit lediglich von 2% der Unternehmer als Motiv der Unternehmensnachfolge genannt und kann an dieser Stelle als relativ unbedeutend erachtet werden (Abbildung 16).
Abb. 16: Motive der Unternehmensnachfolge183 In der Phase des Generationenwechsels verfolgen Familienunternehmer aber auch persönliche Ziele, die je nach Ausprägung Einfluss auf die zukünftige Fortführungsvariante des Unternehmens ausüben können. Die dargestellte Prob183
Eigene Studie.
78
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
lematik des Drei-Kreis-Modells muss an dieser Stelle besonders herausgestellt werden, da der Erfolg des Generationenwechsels maßgeblich davon abhängt, inwieweit die Familie als Subsystem des Unternehmens gleichberechtigt und emanzipiert behandelt wird. Um diesbezüglich eine erste Einschätzung treffen zu können, haben wir die Unternehmer gebeten, verschiedene persönliche Ziele nach deren Bedeutung zu bewerten. Das Umfrageergebnis zeigt, dass als wichtigstes Ziel die Sicherstellung des Fortbestandes des Unternehmens unter Aufrechterhaltung der damit verbundenen Arbeitsplätze im Fokus der Familienunternehmer steht. Zwei Ziele, die eindeutig das Unternehmen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen. Jedoch folgen diesen Zielen mit geringem Abstand Absichten, den familiären Zusammenhalt durch eine Vermeidung von Erbstreitigkeiten und finanzielle Absicherungen im Rahmen des Generationenwechsels sicherzustellen. Weitere wichtige Ziele der Unternehmensnachfolge beruhen wiederum auf unternehmensorientierten Aspekten, hier insbesondere die Unabhängigkeit des Familienunternehmens sowie die Sicherung des Unternehmens als Lebenswerk. Aufschlussreich ist das Ergebnis, dass steuerliche Vorteile der Unternehmensnachfolge mit abnehmender Bedeutung genannt werden. Denn im Gegensatz dazu haben in der Vergangenheit eine Vielzahl von Unternehmern die Nachfolgeplanung lediglich mit ihrem Hausanwalt oder Steuerberater besprochen, so dass oftmals steuerrechtliche Gesichtspunkte den alleinigen Ausschlag zugunsten einer Regelungsvariante gegeben haben.184 Auch ein relativ hoher Stellenwert von Stiftungslösungen in der Diskussion von Familienunternehmen und damit einhergehende Imageeffekte werden seitens der Sample-Unternehmen nicht bestätigt und können bislang in der Praxis als relativ unbedeutend bezeichnet werden. Abbildung 17 fasst die Ergebnisse anschaulich zusammen.
184
Vgl. Hennerkes, B. H. (1998); Sudhoff, H. (2005).
79
Prozess der Unternehmensnachfolge
Sicherstellung des Fortbestandes des Unternehmens
57
Sicherung von Arbeitsplätzen
34
monetäre Absicherung der Familie
31
30
Unabhängigkeit des Unternehmens
14
10
steuerliche Vorteile
Imageeffekte
3
33
40,0% wichtig
Prozente neutral
60,0%
2
5
26
35
sehr wichtig
22
37
20,0%
14
14
26
21
16
0,0%
12
22
33
6
17
12
34
9
9
44
27
Sicherung des Lebenswerkes
n=128
41
40
Vermeidung von Erbstreitigkeiten
5 2
36
6
13 80,0%
weniger wichtig
100,0% unwichtig
Abb. 17: Persönliche Ziele der Unternehmensnachfolge185 3.3.4 Personenkreise der Unternehmensnachfolge Für die Perpetuierung des Unternehmens ist aus den potentiellen Suchfeldern „Familienkreis“, „Eigentümerkreis“ und „Managerkreis“ ein geeigneter Nachfolgekandidat zu rekrutieren. Auf Basis des gewonnen Eindrucks von Motiven und Zielsetzungen der Geschäftführer gilt es daher im Folgenden zu prüfen, inwieweit die persönlichen Bedürfnisse tatsächlich Einfluss auf die zukünftige Fortführungsvariante nehmen. In einem ersten Schritt werden zunächst Familienunternehmen analysiert, deren Nachfolgestrategie bereits feststeht. Ein Vergleich zu noch unklaren Neu185
Eigene Studie.
80
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
besetzungen offenbart, dass erst 39% aller vom Nachfolgeproblem betroffenen Familienunternehmen konkrete Vorstellungen der zukünftigen Kontinuität nachweisen können. Ein Resultat, das den gewonnen Eindruck unzureichender Planung und Vorbereitung der Unternehmensnachfolge an dieser Stelle ein weiteres Mal bestätigt. Dem Umfrageergebnis zufolge streben innerhalb dieser Gruppe 84% der Geschäftsführer eine Weiterführung des Unternehmens durch einen Nachfolger aus dem Kreis der Familie an. Dem Wunsch, das Unternehmen im Familienbesitz zu halten, wird demnach bei der Mehrzahl der Eigentümer nachgegangen. Die verbleibenden 16% der Unternehmer verfolgen eine Nachfolge außerhalb der Familie. Während 10% innerhalb dieser Gruppe eine Übergabe im Rahmen eines Management-Buy-out, dem Verkauf an die eigenen Mitarbeiter des Familienunternehmens anstreben, setzten 4% der Fälle auf die Übernahme im Wege eines Management-Buy-in. Sowohl der Verkauf an eigene Mitarbeiter als auch der an ein fremdes Management tragen dem Ziel der Sicherstellung des Fortbestandes des Unternehmens unter Berücksichtung der monetären Absicherung der Familie Rechnung. Jedoch gefährden sie die zukünftige Gewissheit der Arbeitsplatzsicherung sowie der Erhaltung des Unternehmens als Lebenswerk. Die verbleibenden 2% der Geschäftsführer, die den Verkauf an ein anderes Unternehmen ansteuern, behalten zwar das Ziel der monetären Absicherung der Familie im Auge, setzen jedoch damit alle anderen Zielvorstellungen aufs Spiel (Abbildung 18).
Prozess der Unternehmensnachfolge
81
Abb. 18: Feststehende Übertragungsvarianten186 Betrachten wir familieninterne Generationenwechsel detaillierter, so möchten 69% der Senioren den eigenen Sohn „inthronisieren“, was dem Trend entspricht und möglicherweise in vielen Fällen mit frühzeitigen familiären Rollenzuschreibungen zusammenhängt. Allerdings ziehen weitere 24% der Eigentümer eine Übernahme durch die eigene Tochter als Nachfolgeoption in Erwägung. Diese Erkenntnis zur Vater-Tochter Beziehung stimmt mit Einschätzungen in der aktuellen Literatur überein. Viele Unternehmer sind zwar nach einem heutzutage veralteten Frauenbild aufgewachsen und erzogen worden und trauen demnach der eigenen Tochter die Unternehmensführung nicht zu, jedoch zeigen bereits durchgeführte Analysen, dass die Quote in jüngster Zeit steigt. Initiativen des
186
Eigene Studie.
82
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Bundes und speziell ausgerichtete Beiträge187 sowie das Publikwerden des unternehmerischen Erfolges einiger Frauen dürften in Zukunft zu einem Umdenkungsprozess führen, der im Rahmen dieser Analyse bereits ersichtlich wird. Nahe Verwandte wie Enkel und Schwiegersöhne und -töchter sind unter der Gruppe der anderen Familienmitglieder zusammengefasst und gehören mit einem Anteil von 7% nicht zum favorisierten Übernehmerkreis der Senioren. Ein Hindernis kann in der Befürchtung des Über-gebers liegen, die Familientradition durch den Eintritt eines Fremden zu verlieren, denn „often, however, the choice of a successor is predetermined by blood.“188 Auf die zu stellende Anschlussfrage, in welcher Form das Eigentum und die Nutzung des Unternehmens auf den Nachfolger übertragen wird, wählen 50% der Eigentümer die Übertragung mittels Erbfolge und weitere 30% zu Lebzeiten des Inhabers mittels Schenkung. Diese unter Anrechnung auf den Erbteil oder unentgeltliche Übertragung stellt bei familieninterner Übernahme den Regelfall dar. Jedoch existieren auch Formen, die eine Beteiligung durch Anteilserwerb (18%) oder den Verkauf des Unternehmens (2%) vorsehen.189 In diesen Fällen sind Gründe der Alterversorgung sowie eventuelle Abfindungen nicht bedachter Familienmitglieder denkbar. Abbildung 19 fasst familieninterne Übernahmen nach Personen und Übertragungsformen zusammen.
187
Vgl. beispielsweise bundesweite Gründerinnenagentur (bga), Schwerpunkt 2008: „Nachfolge ist weiblich!“; Isfan, K. (2002); Müller Tiberini, F. (2001) im deutschsprachigen sowie einer Übersicht in Pyromalis, V. D. et al. (2006) im angloamerikanischen Raum. 188 Vgl. Miller, D., Steier, L., Le Breton-Miller, I. (2006), S. 372. 189 Vgl. hierzu Basisstrategien der Unternehmensnachfolge in Hering, T., Olbrich, M. (2003), S. 83 ff.
Prozess der Unternehmensnachfolge
83
Abb. 19: Familieninterne Übernahme nach Personen und Übertragungsform190 Um in einem zweiten Schritt herauszufinden, inwieweit Familienunternehmen ihre zukünftige Entwicklung bei bislang noch ungewisser Fortführungsstrategie einschätzen, haben wir die Unternehmer gebeten, verschiedene Übertragungsvarianten nach ihrem wahrscheinlichen Eintritt zu bewerten. Dem Umfrageergebnis zufolge werden auch hier Nachfolger aus dem Kreis der Familie bevorzugt. Im Vergleich zu möglichen anderen Varianten wird die familieninterne Kontinuität am ehesten in Betracht gezogen. Auffallend ist an dieser Stelle die Feststellung, dass der Verkauf an ein anderes Unternehmen an zweiter Rangstelle hinter der familieninternen Strategie rangiert, da im Falle einer Realisierung die geäußerten Motive und Zielvorstellungen der Eigentümer bis auf den monetären Aspekt 190
Eigene Studie.
84
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
keine Berücksichtigung finden. Während weiterhin die beiden Möglichkeiten der Übertragung im Rahmen eines Management-Buy-Out oder Management-Buy-In von den Unternehmern vergleichsweise äquivalent als neutral beurteilt werden, kann eine Neuausrichtung des Familienunternehmens als Aktiengesellschaft oder Stiftung als unbedeutend bezeichnet werden (Abbildung 20).
Nachfolger aus dem Kreis der Familie
6
Verkauf an ein anderes 2 Unternehmen
27
9
3
sehr sicher
5
18
5
25
16
0,0%
n=78
15
20
2
Stiftung 1
Börsengang (IPO)
20
8
4
Externes Management
Personen aus dem Mitarbeiterkreis
14
12
13
28
16
34
16
41
20,0%
40,0% sicher
Prozente neutral
60,0% unsicher
80,0%
100,0%
ausgeschlossen
Abb. 20: Bewertung möglicher Übertragungsvarianten nach deren Umsetzung191 Aus der aufgezeigten zweigleisigen Analyse wird deutlich, dass die Mehrzahl der befragten Unternehmen eine familieninterne Nachfolge anstrebt. Doch laut vergangenen Analysen ist davon auszugehen, dass weit mehr als die Hälfte 191
Eigene Studie.
Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess
85
der betroffenen Unternehmer eine familieninterne Nachfolgestrategie wünschten bzw. versuchten, diese aber nicht umsetzten konnten.192 Da neben dem Mechanismus des Marktes als Element natürlicher Auslese vor allem neuere Beiträge hervorheben, dass ein Scheitern des familieninternen Generationenwechsels nicht nur Folge eines Naturgesetztes, sondern die Konsequenzen unternehmerischer Fehlleistungen darstellen,193 gilt es festzustellen, welche Spannungsfelder im Rahmen des Nachfolgeprozesses eine gelungene familieninterne Nachfolgeregelung beeinflussen können. Gelingt dies, so können auf Basis der gewonnen Erkenntnisse Rahmenbedingungen aufgezeigt werden, die den Grad der Fehlschläge zukünftig minimieren. 3.4 Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess Das vorangegangene Kapitel diente dazu, die aktuelle und zukünftige Bedeutung der Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen im Bundesland NordrheinWestfalen zu kennzeichnen. Dabei hat die empirische Analyse eindeutig gezeigt, dass eine frühzeitige Vorbereitung, ausreichende Informations- und Planungsschritte sowie Motive und Zielsetzungen von Unternehmern und Familienmitgliedern als wesentliche Risikofaktoren im Prozess fungieren und damit einhergehend bei unzureichender Berücksichtigung die Existenz des Familienunternehmens gefährden können. Dieser Befund verdeutlicht, dass unternehmenspolitische Gestaltungsspielräume in der Realität kaum Beachtung finden und in vielen Fällen ein mangelndes Risikobewusstsein auf Seiten der Unternehmer vorherrscht, da aus Ratschlägen bereits angefertigter Studien zu diesem Themenkomplex keinerlei Konsequenzen getroffen worden sind.194 Weiterhin sind zwar in der Historie verschiedene Themenschwerpunkte analysiert worden, jedoch ist aufgrund der Interaktion von verschiedenen Aufgabenschwerpunkten ein integratives und fachübergreifendes Konzept der Unternehmensnachfolge notwendig. Entsprechend dem 192
Vgl. Pfannenschwarz, A. (2006), S. 71. Vgl. May, P. (2008), S. 13. 194 Vgl. Brüser, J. (2007), S. 19; Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 69. 193
86
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Erkenntnissinteresse dieser Arbeit, Elemente der Corporate und Family Governance als Orientierungsrahmen der Unternehmensnachfolge zu untersuchen, liegt der Fokus nicht auf einer Darstellung von verschiedenen Problemfeldern und daraus erwachsenden Schwierigkeiten. Vielmehr gilt es auf Basis der bereits gewonnenen grundlegenden Gefährdungspotentiale im Nachfolgeprozess bestimmende Faktoren führungsrelevanter Problemfelder der Unternehmensnachfolge abzugrenzen und im Anschluss zu konkretisieren. 3.4.1 Abgrenzung führungsrelevanter Problemfelder der Unternehmensnachfolge Der Vorgang einer erfolgreichen Unternehmensnachfolge muss als ganzheitliche Gestaltungsaufgabe verstanden werden. Die festgestellte Heterogenität der Familienunternehmen erfordert innerhalb dieser Phase des Lebenszyklus zusätzlich eine individuelle und umfassende Betrachtungsweise der jeweiligen Analysefelder, so dass rezepthaften Leitfäden und Ratgebern an dieser Stelle eine untergeordnete Bedeutung zukommt.195 Da finanzielle und juristische Gestaltungsaufgaben der Nachfolge, hier insbesondere die Vermeidung unnötiger Zahlungsverpflichtungen sowie die Ausnutzung steuerlicher Optimierungsmöglichkeiten, im Fokus der Unternehmer standen und auch weiterhin einen bedeutenden Stellenwert einnehmen, hat sich die einschlägige Literatur bereits intensiv mit diesen Problemfeldern der Nachfolge beschäftigt.196 Vor dem Hintergrund der Liquiditätssicherung sind diese Aspekte im Generationenwechsel als Rahmenbedingungen zu thematisieren, jedoch stellen sie nicht die alleinige Lösung einer erfolgreichen Unternehmensnachfolge dar. Vielmehr determinieren personelle und unternehmensorientierte Dimensionen das Gelingen einer langfristigen Existenzsicherung und müssen zur Wahrung von Familien- und Unternehmenskontinuität in Einklang gebracht werden. Im Folgenden wird daher die Konfliktanfälligkeit des Familienunternehmens innerhalb des Nachfolgeprozesses anhand eines systematischen Ord195 196
Vgl. Freund, W. (2000), S. 19 f.; Iliou, C. (2004), S. 142 f.; Stephan, P. (2002), S. 35 f. Vgl. Stephan, P. (2002), S. 35 und der dort zitierten Literatur.
Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess
87
nungsgerüstes analysiert, welches eine zielgerichtete Gruppierung inhaltlicher Themenschwerpunkte zulässt. Der somit geschaffene Bezugsrahmen trägt unter Berücksichtigung des Drei-Kreis-Modells den Besonderheiten eines Familienunternehmens Rechnung und liefert die Möglichkeit zur anschließenden Beurteilung der Problemlösungsfähigkeit von Corporate- und Family-GovernanceMechanismen. Eine Bewertung der Sample-Unternehmen zu thematisierender Einflussfaktoren im Rahmen des Generationenwechsels soll vorab einen ersten Anhaltspunkt liefern, inwieweit Eigentümer die Bedeutung einzelner Themenschwerpunkte aus der Sichtweise ihres Unternehmens einschätzen. Dabei wird deutlich, dass personenorientierte Aspekte von erheblicher Bedeutung sind, denn die Suche des Nachfolgers wird mit weitem Abstand von allen Beteiligten als wichtigste Maßnahme betrachtet. Erst in einem zweiten Schritt spielen Themen aus der Perspektive des Unternehmens wie Bewertungsfragen, steuerliche Auswirkungen eines Verkaufs und innerbetriebliche Verbesserungsmaßnahmen eine Rolle. Als relativ unbedeutende Maßnahme kann dem Umfrageergebnis zufolge die Einführung von Corporate Governance-Strukturen bezeichnet werden. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird es maßgeblich darauf ankommen herauszufinden, inwieweit ein Verständnis des Begriffes Corporate Governance und dessen inhaltlicher Ausgestaltung in Familienunternehmen vorliegt und welchen Nutzen eine Anwendung von Corporate Governance im Kontext der Unternehmensnachfolge mit sich bringen kann, um die hier getroffene Einschätzung der Familienunternehmer zu verifizieren (Abbildung 21).
88
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Bewertung des Unternehmens
18
steuerliche Auswirkungen eines Verkaufes
18
Verbesserung Controlling/ Reporting
12
Trennung betriebsnotwendiges/ nicht betriebsnotwendiges Vermögen
11
Optimierung der Finanzierungsstruktur
9
Verbesserung der Eigenkapitalsituation
8
Einführung von CorporateGovernance-Strukturen
2
46
6
28
36
5
26
47
3
28
40,0% wichtig
Prozente neutral
1
20
31
20,0%
3
19
35
27
2
15
29
28
sehr wichtig
13
24
40
12
2 6 2
21
40
27
0,0%
n=128
26
63
Suche des Nachfolgers
60,0% weniger wichtig
12 80,0%
100,0% unwichtig
Abb. 21: Vorzubereitende Maßnahmen der Unternehmensnachfolge197 3.4.2 Personenorientierte Aspekte Im Zentrum personenorientierter Konfliktpotentiale des Nachfolgeprozesses stehen Einflüsse, deren Ausgangspunkt innerhalb der Dimensionen Eigentum und Familie liegen. Da die Familie als Subsystem des Unternehmens stark mit dem Eigentümerkreis verbunden ist, sind die Herausforderungen nicht klar voneinander abgrenzbar und beeinflussen sich gegenseitig, so dass im Folgenden eine gemeinsame Behandlung vorgenommen wird.198 Weiterhin wird als Zielvorstellung der Nachfolgeplanung die familieninterne Unternehmensübergabe gesehen, wodurch Teilaspekte des Nachfolgers, des abtretenden Unternehmers
197 198
Eigene Studie. Vgl. zu dieser Vorgehensweise Koeberle-Schmid, A., Nützel, O. (2005), S. 22.
Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess
89
und der mit zunehmender Entwicklung des Unternehmens beteiligten Gesellschafterstämme in den Vordergrund treten. 3.4.2.1 Fehlen von Nachfolgern Die Wahrung des typischen Charakters eines Familienunternehmens hängt entscheidend davon ab, inwieweit es gelingt, die Eigentums- und Führungsnachfolge an eine Person aus der Familie zu übertragen. Da sowohl externe Beobachter als auch die befragten Familienunternehmer im Rahmen der empirischen Analyse diesen Wunsch mehrheitlich äußern, wird als Suchfeld der Kreis der Familie favorisiert und wenn möglich auch umgesetzt.199 Allerdings stehen diesem Wunsch verschiedene restriktive Größen gegenüber, so dass nur eine externe Übernahme die Existenz des Unternehmens gewährleisten kann. Die befragten Unternehmer sehen mit 55% als die mit deutlichem Abstand größte Herausforderung, dass sie zwar über eigenen Nachwuchs verfügen, dieser jedoch nicht ausreichend qualifiziert oder zu jung zur Übernahme ist. Für den Fall, dass die eigenen Kinder zu jung sind, wird in der relevanten Literatur die Möglichkeit der Implementierung eines Fremdmanagements vorgeschlagen, welches für eine Interimszeit so lange amtiert, bis der vorgesehene familieninterne Nachfolger ausreichend qualifiziert ist und die Geschäfte übernehmen kann. Jedoch verbleibt hier die Aufgabe beim Unternehmer, ein kompetentes Fremdmanagement einzustellen, was sich aufgrund der schon im Vorhinein feststehenden zeitlichen Befristung als schwierig herausstellen dürfte.200 Ein größerer Teil der Autoren widmet sich dem Aspekt eines nicht vorhandenen Interesses (18%) der Nachwuchsgeneration. Als Ursache für dieses Dilemma wird die Tendenz gesehen, dass Nachwuchskräfte ihre freie persönliche Entfaltung und ihre eigenen Karrierewege dem Familienunternehmen vorziehen. Durch die gesellschaftliche Entwicklung von der „kämpferischen Kriegsgeneration“ zur „verweichlichten Wohlstandsgeneration“ spielen außerberufliche Aktivitäten und die sog. 199 200
Vgl. Abb. 18: Feststehende Übertragungsvarianten, S. 81. Vgl. Iliou, C. (2004), S. 144.
90
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Work-Life-Balance eine immer stärkere Rolle, so dass ein mit der Übernahme einhergehender 15-Stunden-Arbeitstag in einer Sechs-Tagewoche mit dreiwöchigen Jahresurlaub als nicht erstrebenswert angesehen wird. Ein seit der Kindheit erlebter überarbeiteter Vater erschwert zunehmend den Antritt der Führungsnachfolge.201 Eng verbunden mit geänderten individuellen Werthaltungen sind Aspekte des schwindenden Traditionsbewusstseins. Werden Werte und Ziele der Familie nicht gemeinsam erarbeitet, so ist eine Weitergabe und ständige Anpassung der Familienstruktur und -kultur über Generationen hinweg nicht gewährleistet und floriert zum Kernproblem einer fehlenden Verantwortungsbereitschaft der Nachfolgegeneration.202 Ferner sind den Umfrageergebnissen zufolge biologische und lebensplanerische Ursachen der Kinderlosigkeit mit 9% eher die Ausnahme, weshalb das Unternehmen eine externe Übernahmestrategie verfolgt. Auch die Annahme, dass Mitarbeiter zur Übernahme des Unternehmens nicht ausreichend qualifiziert sind, wird durch das Umfrageergebnis entschärft (9%), da die Variante des MBO bei feststehender Kontinuitätsstrategie des Unternehmens an zweiter Rangstelle nach der familieninternen Fortführung rangiert und innerhalb der externen Varianten mit 62% am häufigsten zum tragen kommt. Ebenso sind Anzeichen finanzieller Erbschaftsteuerbelastungen, welche im Rahmen der Weiterführung als Familienunternehmen anfallen und im Wege stehen könnten, bei den Sampleunternehmen in NRW mit 9% im Vergleich zu anderen Studienergebnissen eher unbedeutend.203 Das Ergebnis weist darauf hin, dass Bestrebungen der Bundesregierung zur Reform des Erbschaftsteuerrechtes in 2008 von den Unternehmern gewürdigt werden.204 Abbildung 22 verdeutlicht zusammenfassend die geschilderten einschränkenden Aspekte nach familienexternen Übernahmevarianten.
201
Vgl. Freund, W. (2000), S. 25; Mueller-Harju, D. (2002), S. 101; Watermann, L. (1999), S. 122. Vgl. Bergamin, S. (1995), S. 35; Gerke-Holzhauer, F. (1996), S. 45 f.; Wimmer, R. et al. (2005), S. 193. 203 Vgl. DIHK [Hrsg.] (2007), S. 3; Ernst & Young [Hrsg.] (2007), S. 22 ff. 204 Vgl. Gesetzentwurf ErbStRG des BMF (2007). 202
Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess
91
Abb. 22: Familienexterne Übernahme nach Varianten und Gründen205 3.4.2.2 Mehrere potentielle Nachfolger Das persönliche Ziel des Unternehmers, ein Lebenswerk zu schaffen, das über die eigene Person hinaus weiterexistiert und von den Nachkommen fortgeführt wird, scheint bei mehreren potentiellen Nachfolgern gesichert zu sein.206 Doch nicht nur ein Mangel, sondern auch ein Überangebot an Nachfolgern kann im Rahmen des Nachfolgeprozesses zu Schwierigkeiten führen, da hier eine Vielzahl an Erben zur Verfügung stehen und Ambitionen zur Übernahme des Unternehmens signalisieren.207
205
Eigene Studie. Vgl. May, P. (2001), S. 162. 207 Vgl. Iliou, C. (2004), S. 146. 206
92
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Betrachten wir diese Herausforderung aus der Sichtweise der vorgestellten Familienunternehmenstypen, so nimmt die Komplexität von der Form des Alleinherrschers zum Vetternkonsortium zu: „Managing the entry process is more complicated for the leaders of sibling partnerships and cousin consortiums because they usually have to evaluate and groom many more candidates.“208 Während Geschwister in einem gemeinsamen Haushalt aufwachsen, die gleichen Eltern haben und kollektive Lebenserfahrungen sammeln, können Vetter durch unterschiedliche Fürsorger und eine räumliche Trennung diese Art der Intimität nicht wahrnehmen, so dass die zukünftige Zusammenarbeit im Unternehmen durch unterschiedliche Wertvorstellungen erschwert wird.209 Außerdem sollte sich der Seniorunternehmer aus dem Blickwinkel des DreiKreis-Modells klar machen, dass er in dieser Situation symbolisch zwei verschiedene Hüte aufhaben muss, den „Unternehmens-Hut“ oder den „FamilienHut“.210 Die Position des Vaters verfolgt das Bestreben einer erbrechtlichen Gleichbehandlung aller Erben, da ausgeschlossene Kinder in diesem Verhalten ein Zeichen mangelnder Liebe sehen würden. Jedoch resultieren aus dieser Intention Kleinstbeteilungen, welche bei gleichzeitigem Ehrgeiz der Erben zu einer personellen Überbesetzung in der Unternehmensspitze führen. Dieses häufig in der Praxis anzutreffende Bemühen des Erblassers mag zwar im Interesse der Familie liegen, ist jedoch aus der Wahrnehmung der Unternehmensrolle eher kurzsichtig und schädlich zu beurteilen, da die erforderliche Handlungsfähigkeit und strategische Ausrichtung durch Interessendivergenzen stark beeinträchtigt wird.211 So genannte Doppelspitzen zeigen bislang in der Praxis wenig Erfolg, da die Beteiligten sehr hohe persönliche Anforderungen zur Bewältigung eines sensiblen Gleichgewichtes aufweisen müssen. Aronoff et al. stellen hierzu fest, dass wenn ein Unternehmen das Glück besitzt, aus mehreren potentiellen Nachfolgern auswählen zu können, dann kann die Entscheidung zwar für einen von
208
Lansberg, I. (1999), S. 174. Aronoff, C. E., Ward, J. L. (2007), S. 4. 210 Davis, J. A., Tagiuri, R., (1989). 211 Vgl. May, P. (2001), S. 165; Seibel, J. (1999), S. 154 f.; Simon, F. B. (2005d), S. 60 f. 209
Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess
93
ihnen nachteilig sein, jedoch kann der Verzicht einer klaren Entscheidung die Firma lähmen.212 Kommt es somit innerhalb der Nachfolgeregelung zu einem Auswahlprozess, treten häufig objektive Entscheidungskriterien zugunsten sachfremder Kriterien in den Hintergrund, so dass Konfliktpotentiale zwischen den beteiligten Familienmitgliedern vorprogrammiert sind. Fehlt in dieser Situation zusätzlich eine gezielte Vorbereitung und aktive Heranführung potentieller Kandidaten an das Familienunternehmen, sei es durch pädagogische und ausbildungstechnische Möglichkeiten, vor allem aber - von frühester Kindheit an - durch eine psychologische und symbolische Vermittlung zur Identifikation mit und Bezogenheit zum Familienunternehmen, ist eine strukturierte familieninterne Nachfolge nicht garantiert.213 3.4.2.3 Rivalisierende Gesellschafterstämme Ein weiterer Teilaspekt personenorientierter Spannungsfelder im Familienunternehmen liegt darin begründet, dass der Unternehmer sich aufgrund eines Überangebotes an potentiellen Nachfolgern nicht entscheiden kann. Mit seinem Ausscheiden beginnt ein unaufhaltsamer Prozess der Zersplitterung der Beteiligung und das Auseinanderfallen von Führung und Eigentum. In der jetzt folgenden Geschwistergesellschaft bilden meist wenige Nachfolger den Gesellschafterkreis mit gleich großen und wirtschaftlich bedeutenden Beteiligungen.214 Aber bereits in diesem Stadium kann wie oben dargestellt an der Einheit von Führung und Eigentum nicht festgehalten werden, so dass eine Unterscheidung von aktiven und inaktiven Gesellschaftern nötig wird. In den Folgegenerationen verschiebt sich dieses Verhältnis weiter in Richtung der inaktiven, infolgedessen es in der Praxis im Vetternkonsortium durch eine Zunahme der Komplexität häufig zur Installation eines angestellten Fremdmanagements kommt.215 212
Vgl. Aronoff, C. E. et al. (1997), S. 49. Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 76. 214 Vgl. May, P. (2006b), S. 27. 215 Vgl. Sharma, P. et al. (2001), S. 17. 213
94
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Auch die Umfrageergebnisse zeigen deutlich, dass Familienunternehmen aufgrund von Diskussionen über den Besitz der Anteile und einem damit verbundenen Tätigkeitsprofil Konfliktpotentiale aufweisen. Analysieren wir diesen Aspekt in Korrelation zum jeweiligen Familienunternehmenstyp, erhalten wir ein für Familienunternehmen typisches Bild. Während die aktive Tätigkeit des Gesellschafters und Geschäftsführers im Modell des Alleinherrschers zu 78,1% ausgeübt wird, reduziert sie sich drastisch innerhalb der Geschwistergesellschaft auf 21,9%. Im Vetternkonsortium übt keiner der befragten Gesellschafter die Funktion des Geschäftsführers aus, was auf die Installation eines Fremdmanagements hindeutet. Betrachten wir in einem zweiten Schritt Gesellschafter mit Funktionen im Unternehmen, so fällt auf, dass hier ein genau gegensätzliches Verhältnis vorliegt. Lediglich 25% nehmen im Modell des Alleinherrschers Funktionen im Unternehmen wahr, wohingegen 62,5% in der Geschwistergesellschaft und 12,5% im Vetternkonsortium diese Position im Unternehmen bekleiden. Noch deutlicher wird dieses Verhältnis bei einem inaktiven Tätigkeitsprofil ohne Funktionen im Unternehmen. 15,0% nehmen beim Typ des Alleinherrschers diese Position ein, 50,0% in der Geschwistergesellschaft und 35,0% im Vetternkonsortium. Die oben aufgeführte These einer durch den Generationenwechsel bedingten Verschiebung von Tätigkeitsprofilen der Gesellschafter wird durch das vorliegende Sample bestätigt. Tabelle 8 illustriert zusammenfassend die geschilderten Ergebnisse.
95
Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess
Allein-
Gesellschafter und
% innerhalb
keit
Geschäftsführer
Familienunter-
des Unternehmens
nehmenstyp
Gesellschafter mit
% innerhalb
Funktionen im
Familienunter-
Unternehmen
nehmenstyp
Gesellschafter
% innerhalb
ohne Funktionen
Familienunter-
im Unternehmen
nehmenstyp
Gesamt
ter-
konsor-
gesellschaft
tium
78,1%
21,9%
0%
100,0%
25,0%
62,5%
12,5%
100,0%
15,0%
50,0%
35,0%
100,0%
herrscher
Tätig-
Familienunternehmenstyp VetternGeschwis-
Tab. 8: Tätigkeitsprofil der Gesellschafter in Korrelation zum Familienunternehmenstyp216 Diese Herausbildung von zwei oder mehreren Gesellschafterstämmen verändert jedoch nicht nur den Eigentümerkreis und das Tätigkeitsprofil, sondern auch die an das Unternehmen gestellten Ansprüche. Da nicht nur noch eine Familie, sondern mehrere aus den Erträgen des Unternehmens überleben möchten, verfolgen meist inaktive Gesellschafter den Wunsch einer hohen Ausschüttungspolitik. Während mit der aktiven Tätigkeit als Gesellschafter ein regelmäßiges Gehalt verbunden ist, beziehen inaktive Gesellschafter als Angestellte, Lehrer oder Künstler oft deutlich bescheidenere Einkünfte, die sie durch eine Entnahme aus dem Unternehmen aufbessern wollen.217 Dieser wirtschaftliche Interessenkonflikt wird durch unterschiedliche Lebensplanungen der Beteiligten verschärft. Eine zunehmende Entfremdung vom Unternehmen und voneinander sowie eine nachlassende Bereitschaft, die Interes216 217
Eigene Studie. Vgl. May, P. (2001), S. 168; Wiedemann, A., Kögel, R. (2008), S. 10.
96
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
sen der Firma in den Vordergrund zu stellen, steigert die emotionale Sprengkraft zwischen den Firmeninhabern. Das Familienunternehmen nähert sich zunehmend dem Bild der anonymen Kapitalgesellschaft, wodurch Prinzipal-AgentenKonstellationen zu Lasten von Stewardship-Beziehungen in den Vordergrund treten.218 Zusammenfassend können wir an dieser Stelle festhalten, dass es gewiss kein Zufall ist, dass nur wenige Familienunternehmen in der Form des Vetternkonsortiums existieren und daraus resultierend die durchschnittliche Lebensdauer des Familienunternehmens auf drei Generationen veranschlagt wird. 3.4.2.4 Notwendigkeit des „Loslassens“ des abtretenden Unternehmers In der Regel beginnt durch das Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess ein neuer Lebensabschnitt. Wie jedoch eine Vielzahl von Beiträgen zum Thema der Unternehmensnachfolge betonen, ist gerade in familiengeführten Unternehmen zu beobachten, dass ein Abschiednehmen von der Spitze des Unternehmens des bisher so erfolgreichen Unternehmers als einschneidendes Erlebnis gesehen wird.219 Die Frage der Nachfolge wirft beim abtretenden Unternehmer zunächst psychologische Probleme auf. Aus der besonderen emotionalen Verbundenheit zum Unternehmen resultiert gerade beim Typ des Alleinherrschers ein besonderes Interesse am Fortbestand des Familienunternehmens. Dieses stellt zwar in den meisten Fällen die einzige Finanzquelle zur Bestreitung des Lebensunterhaltes dar, jedoch sind darüber hinaus sowohl die Unabhängigkeit des Unternehmens als auch die Sicherung des Lebenswerkes für den Unternehmer von entscheidender Bedeutung.220 Aus diesen persönlichen Zielen resultiert häufig der Wunsch, das Unternehmen innerhalb der Familie zu übertragen. Auch die Samp-
218
Vgl. Abb. 4: Stewardship-Theorie vs. Prinzipal-Agenten-Theorie in Familienunternehmen, S. 36. Vgl. Nagl, A. (2005), S. 47; Sharma, P. et al. (2003), S. 671. 220 Vgl. BMWi [Hrsg.] (2007), S. 29; Abb. 17: Persönliche Ziele der Unternehmensnachfolge, S. 79. 219
Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess
97
le-Unternehmen in NRW folgen diesem Trend mit 84% bei feststehender Übertragungsvariante. Eng verbunden mit den Vorstellungen über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens ist die eigene Persönlichkeit des Unternehmers: „Erfolgreiche Gründerpersönlichkeiten schaffen es, aufgrund einer für sie charakteristischen inneren Psychodynamik und Selbstpräsentation, sich selbst und ihre Umgebung mit der Überzeugung auszustatten, ihr unternehmerisches Aufbauwerk sei schlicht als Ausdruck der Einzigartigkeit ihrer Leistung und ihrer Persönlichkeit anzusehen.“221 Da viele dieser Pioniere in fast allen Prozessen des Unternehmens im Mittelpunkt stehen und täglich wichtige Entscheidungen treffen, können sie ihre eigene Unentbehrlichkeit im Tagesgeschäft immer wieder bestätigen. Ein enormer zeitlicher Einsatz des Unternehmers im Sinne des Familienunternehmens bekräftigt ihn in seiner Existenz und dem Gedanken, von niemandem abhängig zu sein. Diese Machtposition im Unternehmen wird durch sein soziales und gesellschaftliches Engagement in der Öffentlichkeit als Arbeitgeber gestärkt und vergrößert zusätzlich die Autorität und Autonomie des Firmeninhabers.222 Aber genau diese Gründe führen zur Paradoxie. Auf der einen Seite liegt der Wunsch des Patriarchen darin, einen Nachfolger aus dem Kreis der Familien zu wählen und somit das eigene Werk in Familienhand zu belassen. Gleichzeitig wird er jedoch skeptisch darüber und kommt vom Misstrauen nicht los, dass die eigenen Kinder nicht in der Lage sind in seine Fußstapfen zu treten und folglich die Unternehmenskontinuität misslingt. Die daraus folgenden Schwierigkeiten der älteren Generation, die Verantwortung für das Unternehmen abzugeben, führen jedoch auf der Nachfolgerseite zu Ambivalenzen und widersprüchlichen Zukunftsperspektiven, die einen Misserfolg eher denkbar machen.223
221
Nagel, R., Oswald, M., Wimmer, R. (2005), S. 332. Vgl. Habig, H., Berninghaus, J. (2003), S. 46; Nagel, R., Oswald, M., Wimmer, R (2005), S. 277; siehe hierzu auch die Einteilung der Unternehmer in sechs Persönlichkeitstypen nach Sonnenfeld, J. (1988), S. 69 ff. und darauf aufbauend im Familienunternehmen Sonnenfeld, J., Spence, P. L. (1989), S. 373 f. 223 Vgl. Hennerkes, B. H. (2004), S 46; May, P. (2001), S. 163; Nagel, R., Oswald, M., Wimmer, R. (2005), S. 333. 222
98
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Doch sind die Ursachen einer mangelnden Rücktrittsbereitschaft in den Ruhestand nicht nur emotional bedingt. Ebenso kann der materielle Versorgungsaspekt als wesentliche Übergabebarriere fungieren. Das Unternehmen bildet in vielen Fällen den einzigen Vermögensgegenstand des Seniors, da alle verfügbaren finanziellen Mittel in das Unternehmen und somit nicht in die eigene Altersversorgung investiert worden sind. Deshalb muss das Unternehmen eine monetäre Absicherung der Familie bereitstellen, so dass auch vor diesem Hintergrund ein starkes Interesse an der Unternehmensfortführung zu erklären ist. Werden zusätzlich Pflichtteilsansprüche nicht oder nicht ausreichend berücksichtigter Erben geltend gemacht, entsteht ein zusätzliches Drohpotential, da diese in Höhe von 50% des gesetzlichen Anspruches sofort und in bar fällig sind und das Privatvermögen der Familie in der Regel zur Abfindung nicht ausreicht.224 Auch die Ergebnisse der Sampleunternehmen bei bevorstehender Unternehmensübertragung zeigen deutlich, dass Gesellschafter als amtierende Geschäftsführer zu lange im Unternehmen verweilen. 20 % der befragten Unternehmer sind im Alter zwischen 61 und 70 Jahren Gesellschafter und Geschäftsführer des Unternehmens, 2% sogar zwischen 71 und 80 Jahren (Abbildung 23).
224
Vgl. Freund, W. (2000), S. 26; Iliou, C. (2004), S. 148.
Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess
99
Abb. 23: Gesellschafter und Geschäftsführer des Unternehmens in Korrelation zum Alter225 Die Diskussion der Rücktrittsbereitschaft und des Loslassens des abtretenden Unternehmers ist demnach auch für die untersuchten Familienunternehmen in Nordrhein-Westfalen von Bedeutung. Ferner können die genannten Ursachen als Auslöser einer unzureichenden Vorbereitung und Planung der Unternehmensübergabe herangezogen werden. Die in diesem Kapitel angestellte Untersuchung von bereits im Vorfeld durchgeführten Vorbereitungsmaßnahmen hat eine deutlich stärkere Wahrnehmung bei größeren und erfahrenen Familienunternehmen gezeigt. Hier sind Konflikte durch eigene Erfahrungen als Nachfolger und externer Unterstützung abgeschwächt. Im Sample befinden sich jedoch vorwiegend jüngere und dadurch unerfahrene Unternehmen in der Form des Alleinherrschers, wodurch die Gefahr 225
Eigene Studie.
100
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
des Verdrängens der Nachfolgeplanung wahrscheinlich wird. „Es benötigt einen eigenen Lernprozeß, damit es den Beteiligten - Familienangehörigen wie Mitarbeitern - gelingt, die Protagonisten des Generationenwechsels aus dem (psychischen) Gefängnis der familiären Rollen zu entlassen.“226 Dieser Erkenntnis und damit der menschlich-emotionalen Dimension kommt daher in der Praxis die wichtigste Rolle im Generationenwechsel zu. Eine Nichtbeachtung kann daher trotz Behandlung aller anderen aufgezeigten Problemfelder zum Scheitern der Unternehmensnachfolge führen. 3.4.3 Unternehmensorientierte Aspekte Analog der obigen Vorgehensweise werden im Folgenden Konfliktpotentiale innerhalb der Dimension Unternehmen analysiert, zumal betrieblichen Gegebenheiten im Rahmen des Generationenwechsels oftmals ein bedeutender Einfluss zugeschrieben wird. Da das Ziel der familieninternen Unternehmenskontinuität auch im Interesse der am Unternehmen beteiligten Personen sowie deren Umwelt liegt, bewirkt diese Betrachtungsweise grundsätzlich keine neue Perspektive. Jedoch liegen die Schwerpunkte bei der Betrachtung des Unternehmens als eigenständiges Gebilde etwas anders. Insbesondere müssen zur Befähigung einer reibungslosen Übertragung des Unternehmens die Bestimmungsfaktoren Führung, Organisationsstruktur, strategische Positionierung und Finanzierung aufgrund ihrer gegenseitigen Wechselwirkung gemeinsam behandelt werden.227 3.4.3.1 Personenabhängigkeit in der Führung Ein Wesensmerkmal von Familienunternehmen ist die Einheit von Eigentum, Kontrolle und Führungsbeteiligung. Da diese Eigenschaft in der klassischen Eigentümer-Unternehmung von einem dominanten Alleinherrscher wahrgenommen wird, besteht oftmals eine ausgesprochen personenorientierte Betriebsorganisation, die in hohem Maße auf die Führungs- und Entscheidungsmacht des 226 227
Siefer, T. (1996), S. 296. In Anlehnung an Albach, H., Freund, W. (1989), S. 28 f.
Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess
101
Unternehmers zentralisiert ist.228 Anders als beim Vorstand in Nicht-Familienunternehmen, der für eine gewisse Zeit die Führungsfunktion vom Kapitalgeber erhält, betrachtet der Unternehmer seine Tätigkeit als lebenslange Aufgabe, deren Beendigung in seinem Ermessensspielraum liegt.229 Diese Konzentration von Verfügungsrechten bedeutet jedoch gleichzeitig eine Konzentration von Risiken. Da eine Stellvertreterregelung zur Bewältigung der Unsicherheit eines risikobehafteten Nachfolgefalls sowohl im Sample (13,8% der kleineren und 16,7% der größeren Unternehmen haben Notfallpläne festgelegt) als auch in anderen Studien häufig nicht geregelt ist, wird die wirtschaftliche Existenz des Inhabers mit der des Unternehmens eng verknüpft.230 Sind zusätzlich Familienmitglieder und das mittlere Management bei Entscheidungen des Unternehmens außer Acht gelassen und vorwiegend als Ausführungsorgane benutzt worden, treten nach Vollzug der Unternehmensnachfolge Orientierungsverluste auf Seiten des Nachfolgers und dessen Führungsmannschaft auf, da notwendige Qualifikationen und Erfahrungen einer tragfähigen Stellvertretung gar nicht erworben werden konnten.231 Dessen ungeachtet scheuen eine Vielzahl der Unternehmer Zeit und Kosten einer planmäßigen Personalentwicklung und versäumen dadurch „die Schaffung einer Führungsorganisation, welche die Unternehmung überhaupt nachfolgefähig macht.“232 Die Aufgabe der alten Führung, eine Heranführung und Weitergabe des erforderlichen Wissens an potentielle Nachfolger zu gestalten, kann daher als wesentliches Element der Nachfolgeplanung erachtet werden. Das beschriebene Bild ändert sich beim Übergang auf die Geschwistergesellschaft und erreicht seinen Höhepunkt im Vetternkonsortium. Hier spielt der Senior-Unternehmer keine so entscheidende Rolle mehr wie bei Gründerunternehmen. Existiert das Unternehmen über mehrere Generationen, sind im Laufe der Jahre Strukturen geschaffen, die eine gewisse Unabhängigkeit von der Per228
Vgl. Bergamin, S. (1995), S. 39; Iliou, C. (2004), S. 148. Vgl. Kapitel 3.4.2.4: Notwendigkeit des „Loslassens“ des abtretenden Unternehmers, S. 96 ff. Vgl. Hennerkes, B. H. (1998), S. 26; Stephan, P. (2002), S. 41. 231 Vgl. Bergamin, S. (1995), S. 40; Nagl, A. (2005), S. 49. 232 Spielmann, U. (1994), S. 215. 229 230
102
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
son des Unternehmers ermöglichen. Vielmehr liegt hier die Herausforderung in der Ausgestaltung des Managements. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob die Familie oder Fremde das Unternehmen führen sollen, da eine Sicherung des Unternehmens selbst als langfristige Zielvorstellung dient. Die Eigentumsrechte der Familie werden durch den Prozess der abnehmenden Identifikation nicht anders bewertet als Fremdkapitaltitel, wodurch die Unternehmensführung zur Profession und somit zeitlich losgelöst vom Generationenwechsel betrachtet wird.233 Jedoch können Probleme bei der Rekrutierung von Managern aufgrund einer nicht akzeptablen Vergütungsstruktur und Organisationsform des Familienunternehmens die Auswahl und folglich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Eigentümer und Fremdmanagement erschweren.234 3.4.3.2 Unzureichende Organisationsstruktur Als Folge der beschriebenen Aufgabenkonzentration beim Typ des Alleinherrschers sind häufig unzureichende Organisationsstrukturen zu beobachten. Sie manifestieren sich in der Weise, dass zum einen Prozesse, Strukturen und Werte im Unternehmen vom Leistungsprofil und der vorgegebenen Strategie der Unternehmerpersönlichkeit abhängen und bestimmt werden (structure follows strategie). Der Unternehmensleiter ist es gewohnt, selbstständig und ohne Kontrolle zu entscheiden, ein Rückgriff auf Informations- und Steuerungsinstrumente wird zugunsten des eigenen Bauchgefühls vernachlässigt.235 Dadurch herrschen dispositive und intuitiv getroffene Regelungen zur Aufbau- und Ablauforganisation, die schnelle und flexible Entscheidungswege ermöglichen. Allein aus der operativen Tätigkeit im Geschäft sowie aus dem engen Kundenkontakt entsteht ein unternehmerisches Gespür, günstige Marktchancen wahrzunehmen und somit erfolgreiche Weichenstellungen für das Unternehmen vorzunehmen. Jedoch ist genau deswegen die Gefahr eines Fehlschlages wesentlich größer. Liegen nur 233
Vgl. Albach, H., Freund, W. (1989), S. 266 f. Vgl. Lubatkin, M. H. et al. (2005), S. 320. 235 Vgl. Hennerkes, B. H. (1998), S. 277; Nagel, R., Oswald, M., Wimmer, R. (2005), S. 317; Spielmann, U. (1994), S. 197; Viehl, P. (2004), S. 67 f. 234
Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess
103
bruchstückhaft Informationen über die Leistungsfähigkeit des Unternehmens vor, und wird die Zukunftsverantwortung in einer ähnlichen operativen und kurzfristigen Herangehensweise in Angriff genommen, so gestaltet sich nicht nur eine objektive Kontrolle der subjektiven Einschätzungen, sondern auch der Einstieg der Nachfolgegeneration als besonders schwierig.236 Zum anderen hängt auch die persönliche Beziehung zu Mitarbeitern des Unternehmens von der Unternehmerpersönlichkeit ab. Wandern langjährige Leistungsträger aufgrund von organisatorischen Führungsschwächen im Rahmen des Generationenwechsels freiwillig oder unfreiwillig vom Unternehmen ab, haben Familienunternehmen es schwer, Ersatz zu finden. Gerade hochqualifizierte Mitarbeiter reagieren sehr sensibel auf Führungsschwächen, wie sie im Zuge des Generationenwechsels durch einen unerfahrenen Nachfolger virulent werden können. Von besonderer Bedeutung sind somit Aktivitäten und Maßnahmen, das Unternehmen als Arbeitgeber langfristig attraktiv zu gestalten.237 Ebenso können organisatorische Problemfelder der Delegation und Koordination im Verhältnis zu Marktpartnern, Kunden und der Hausbank auftreten. In ihren Augen ist es oft weniger das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit, sondern eher der Unternehmer als Verkörperung des Familienunternehmens, welcher die Unternehmenspolitik hinsichtlich Informations- und Preispolitik, Prinzipien des Kundendienstes und Qualitätsstandards maßgeblich vertritt. Da die Betriebsorganisation in diesen Fällen in geringem Maße spezialisiert als Einlinien-System mit wenigen Hierarchieebenen und weitgehend ohne Stabsabteilungen konfiguriert ist, verbindet das Umfeld des Unternehmens mit dem Ausscheiden des Seniors nicht nur einen Verlust der Bezugsperson, sondern vor allem eine Beeinträchtigung der Vertrauensbasis. Gerade in Wachstumsunternehmen kann ein delegationsfeindlicher Führungsstil zu einer Überbelastung der Unternehmensspitze führen, welcher eine rechtzeitige Durchführung des personellen Führungswechsels blockieren kann.238
236
Vgl. Bergamin, S. (1995), S. 40; Iliou, C. (2004), S. 107. Vgl. Löhr, D. (2001), S. 62. 238 Vgl. Löhr, D. (2001), S. 143; Viehl, P. (2004), S. 46 f. 237
104
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang Befragungen der Nachfolgegeneration zu Veränderungen im Personal- und Betriebsbereich. Unternehmen der Form der Geschwistergesellschaft und des Vetternkonsortiums haben hiernach die Dynamik ihres Umfeldes und ihrer Organisation erkannt und zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung eingeleitet. Insbesondere zählen hierzu die Flexibilisierung der Arbeitsorganisation und die Abkehr vom patriarchalischen Führungsstil im Personalbereich sowie die Einführung von Controlling- und Kommunikationstechnologien im Betriebsbereich.239 In diesem Zusammenhang gilt es die Frage zu klären, ob die Etablierung eines Kontrollorganes den beschriebenen organisatorischen Herausforderungen des Generationenwechsels Abhilfe schaffen und frühzeitig richtungweisende Impulse setzen kann. Während in börsennotierten Publikumsgesellschaften die objektive Kontrolle durch den Kapitalmarkt und das Organ des Aufsichtsrates ausgeübt wird, besteht in Familienunternehmen in den meisten Fällen keine gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung einer Überwachungsinstanz. Da die Etablierung eines freiwilligen Organs mit finanziellem Aufwand und der Abtretung von Kompetenzen verbunden ist, stellen institutionalisierte Aufsichtsorgane vor allem bei jüngeren Unternehmen bislang die Ausnahme dar.240 3.4.3.3 Probleme in der strategischen Positionierung Die strategische Positionierung des Familienunternehmens gehört neben der Organisationsstruktur zu den Orientierungsmustern unternehmerischen Handelns. Sie beinhaltet die Festlegung einer langfristigen Ausrichtung des Unternehmens zur Erreichung der unternehmenspolitischen Ziele und determiniert somit den Verlauf des Nachfolgeprozesses. Dabei muss in Familienunternehmen die Familie als Subsystem des Unternehmens berücksichtigt werden, da sie beachtlichen Einfluss auf die Strategiediskussion nimmt.241 Der Erfolg des Unter239
Vgl. Schröer, E., Freund, W. (1999), S. 76 ff.; Schröer, S., Kayser, G. (2006), S. 25. Vgl. Tab. 7: Regelungen zur Vorbereitung der Unternehmensnachfolge nach Generationen, S. 76. 241 Vgl. Ward, J. L. (1987), S. 98 f. 240
Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess
105
nehmens hängt somit nicht von der Unternehmensstrategie allein, sondern von den individuellen Zielvorstellungen des Unternehmers, des Nachfolgers sowie den anderen Familienmitgliedern ab. Dazu gehören insbesondere die Fortführungsvariante und damit verbunden die Verteilung der Unternehmensanteile sowie die Entscheidung des Eintritts von Familienmitgliedern in Führungs- oder Beiratspositionen. Darüber hinaus gibt der Generationenwechsel Anlass dazu, „in einer Zukunftssicht die Lebens- und Entwicklungsfähigkeit des Familienunternehmens in ihrem Umfeld kritisch zu überdenken und Möglichkeiten zur Neupositionierung ins Auge zu fassen.“242 Dabei gilt es für Familienunternehmen die eigenen Engpassfaktoren - Größe, Produktionsmöglichkeiten und Eigenmittelressourcen - zu lokalisieren und aufgrund von Umweltveränderungen auf ihre langfristige Erfolgswirksamkeit hin zu überprüfen. Hohes Gefahrenpotential bergen dabei vornehmlich junge und kleinere Unternehmen, da sie über eine gering diversifizierte Produktpalette verfügen und Erfolgspotentiale von diesen wenigen Produkten abhängen (Differenzierungs- oder Nischenstrategie). Kommt es aufgrund einer technischen Weiterentwicklung im Produktlebenszyklus zur Marktsättigung oder taucht durch den Wegfall eines Patentschutzes eine neue Konkurrenzsituation auf, so entstehen weit reichende negative Auswirkungen die zu einer Bestandsgefährdung des Unternehmens führen können. Es geht also insoweit um Entwicklungsflexibilität.243 Eine andere Dimension ist diejenige der Bestandsflexibilität. Vor allem traditionsreiche, über Jahre gewachsene und erfolgreich positionierte Unternehmen sind häufig in mehreren Marktsegmenten präsent. Hier sind für den Fall sich ändernder Rahmenbedingungen strategische Überlegungen anzustellen, ob alteingesessene Produkte und Vertriebswege in Zeiten des globalen Wettbewerbs und des technologischen Wandels noch wettbewerbsfähig sind. Die Unternehmensplanung des Familienunternehmens muss deshalb so ausgestaltet sein, dass sie zwar langfristig ausgerichtet ist, jedoch regelmäßig auf Innovationspotential 242 243
Bergamin, S. (1995), S. 41. Vgl. Iliou, C. (2004), S. 110.
106
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
überprüft und angepasst werden kann. Außerdem sollten attraktive Geschäftsfelder durch Investitionen gezielt gefördert werden, um einen Investitionsstau gerade im Zuge des Generationenwechsels zu vermeiden.244 Da jedoch die Unternehmensinhaber im Tagesgeschäft strategische Überlegungen und Entscheidungen schlicht vergessen, stellt sich die Frage nach einem unterstützenden Orientierungsrahmen. Zusätzlich erfordert die enge Beziehung zwischen Unternehmen und Familie eine Integration familiärer Interessen in die Unternehmensstrategie. Im nachstehenden Kapitel werden daher Elemente der Corporate und Family Governance als systematische Lösungsmechanismen innerhalb der Systemverknüpfung des Familienunternehmens vorgestellt und auf ihre Zielerreichung analysiert. 3.4.3.4 Finanzierung der Nachfolge Auch mit Bezug auf die Finanzierungssituation sind im Familienunternehmen Momente der Bestandsgefährdung zu erkennen, da die beschriebenen Unterschiede in der Eigentümerstruktur auf den Bereich der Versorgung des Unternehmens mit Kapital Einfluss nehmen. Während Gesellschaften in der Rechtsform der Aktiengesellschaft ihre Mittel hauptsächlich über die Börse akquirieren, bleibt Familienunternehmen diese Möglichkeit mangels Fungibilität der Gesellschaftsanteile weitestgehend verschlossen. Außerdem entspricht der Wunsch der Inhaber, dass Unternehmen in Familienbesitz zu erhalten, nicht dem Verkauf von Anteilen und der Aufnahme von neuen Gesellschaftern, da hiermit in der Regel unerwünschte Mitspracherechte verbunden sind.245 Genau aus diesem Grund wird auch das Thema „Private Equity“ als alternative Finanzierungsform von außerhalb des organisierten Kapitalmarktes seitens familiengeführter Unternehmen eher kritisch betrachtet, da die Kapitaleinlage mit erheblichen Kontroll-, Informations- und Mitentscheidungsrechten bis hin zur Managementunterstüt-
244 245
Vgl. Hennerkes, B. H. (1998), S. 70 f.; Stephan, P. (2002), S. 79 f. Vgl. Iliou, C. (2004), S. 112; Wiedemann, A., Kögel, R. (2008), S. 6.
Bedeutende Spannungsfelder im Nachfolgeprozess
107
zung verbunden ist.246 Doch gerade hinsichtlich der Nachfolgeproblematik eröffnet diese Form der Kapitalbeteiligung neue Möglichkeiten, da die Unternehmensteile bei externer Fortführungsvariante entweder an das bestehende Management (MBO) oder an eine externes Management (MBI) unter Beteiligung einer Private-Equity-Gesellschaft übertragen werden können. Andererseits kann der Bedarf an Eigenkapital bei familieninterner Kontinuitätsstrategie nur durch die Thesaurierung von Gewinnen gedeckt werden. Jedoch reicht die Selbstfinanzierungskraft gerade innerhalb des Generationenwechsels nur selten zur Bestandssicherung und erst recht nicht zur Etablierung von zukunftsfähigen Strategien aus, da fällige Erbschaftsteuern, bestehende Entnahmebedürfnisse der Familienmitglieder sowie Abfindungszahlungen an ausscheidende Gesellschafter zu erheblichen Liquiditätsbe-lastungen führen können.247 Eine in der Vergangenheit festgestellte kontinuierliche Verbesserung der Eigenkapitalausstattung deutscher Familienunternehmen248 ist somit stark gefährdet. Doch die Liquiditätssicherung als wichtigste Existenzfrage des Unternehmens ist keinesfalls allein eine Frage der Bankenfinanzierung. Vielmehr muss bei der Gestaltung des Gesellschaftsvertrages darauf geachtet werden, dass Ausgleichszahlungen, Pflichtteilsansprüche und Gewinnentnahmen liquiditätsschonend vereinbart werden. Weiterhin muss der Unternehmer in der operativen und strategischen Unternehmensführung beachten, ein wirksames Forderungsmanagement und eine effiziente Kapitalbindung zu betreiben, so dass die verfügbare Liquidität als Innenfinanzierungspotential für betriebliche Investitionsmöglichkeiten genutzt werden kann.249 Dieser Befund zeigt, dass finanzielle Kontinuitätsziele nur dann erreicht werden können, wenn familiäre und unternehmensorientierte Elemente synchronisiert und gleichberechtigt unter Berücksichtigung von ökonomischen und verhaltenswissenschaftlichen Mechanismen im Einklang stehen.
246
Vgl. Schuler, A. (2002), S. 244. Vgl. Hennerkes, B. H. (2004), S. 355. 248 Vgl. DSGV (2008), S. 32 ff. 249 Vgl. Hennerkes, B. H. (2004), S. 356. 247
108
Unternehmensnachfolge im Spannungsfeld der Corporate Governance
Vielen Unternehmern bleibt trotzdem der Weg zur Hausbank und der Antragstellung eines Kredites nicht erspart. Doch wird das Eigenkapitalproblem der Banken zum Fremdkapitalproblem des Mittelstandes. Getrieben durch Basel II250 versorgen Finanzinstitute familiengeführte Unternehmen nur noch dann mit existentiellem Fremdkapital, wenn diese einen Nachweis zur Fähigkeit von Zinsund Tilgungsleistungen und einer erfolgreichen Unternehmensfortführung darlegen können. Die Etablierung einer „Good Governance“ im Familienunternehmen kann an dieser Stelle im Sinne ihrer originären Aufgabe bei Publikumsgesellschaften wahrgenommen werden, da der Abbau von Informationsasymmetrien zwischen Unternehmen und Kreditinstitut zur Erarbeitung einer gezielten Kommunikationsstrategie, zur Verbesserung des Ratings und somit zur Gewährung des Kredites beitragen kann.251 Können erforderliche Investitionen oder die Übernahme des Unternehmens nicht allein durch Eigenkapital der Familie oder aufgrund fehlender Sicherheiten durch Banken-Fremdfinanzierungen durchgeführt werden, vermag die Hereinnahme einer neuartigen Finanzierungsform des Mezzaninekapitals den benötigten Liquiditätsspielraum zur Durchführung der gewünschten Transaktion bereitzustellen. Hiermit werden Mittel bezeichnet, die auf der Grenze zwischen Eigenund Fremdkapital stehen und als stille Beteiligung oder Genussscheine ausgestaltet sind. Das Verkäuferdarlehen soll an dieser Stelle die Gestaltungsmöglichkeiten der Finanzierungsstruktur abrunden. Dabei steht die Überlegung im Raum, dass eine persönliche Risikobeteiligung des Alteigentümers die Bürde der Kreditvergabe aller anderen dargestellten Finanzierungsformen begünstigt und somit eine positive Wirkung entfalten kann.
250 251
Vgl. hierzu Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht [Hrsg.] (2004). Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 82; Kellersmann, D., Winkeljohann, N. (2007), S. 409.
4 Umsetzung von funktionierenden CorporateGovernance-Strukturen in Familienunternehmen
Als Grundthese dieser Arbeit ist im vorangegangenen Kapitel die Zukunftsfähigkeit des Familienunternehmens im Zusammentreffen von externen Gefahren des Unternehmensumfeldes und internen Schwächen der Führung und Kontrolle analysiert worden. Dabei wurden Familienunternehmen in Abhängigkeit des jeweiligen Entwicklungsstadiums als krisenanfällig und somit in ihrer Existenz gefährdet eingestuft. Sie geraten an Grenzen, die nur mit einer gewissen Formalisierung und Strukturierung von Prozessen innerhalb eines angemessenen Rahmens überschritten werden können. Die Darstellung personenorientierter und unternehmensorientierter Spannungsfelder im Nachfolgeprozess kann als Ausgangspunkt zur Ermittlung des Handlungsbedarfes in Familienunternehmen verstanden werden und verdeutlicht, dass die personelle Kontinuität keineswegs isoliert betrachtet werden darf. Vielmehr bedarf es zur Wahrung von Familienund Unternehmenskontinuität einer nachhaltigen Fortführungsstrategie, dessen Verankerung und Implementierung im Familienunternehmen Anerkennung findet und interdisziplinär Herausforderungen im Kontext ihrer Ursachen analysiert. Die Bedeutung der dargestellten Spannungsfelder richtet sich nach dem Erscheinungsbild des Familienunternehmens, da die vorgestellten Typen Alleinherrscher, Geschwistergesellschaft und Vetternkonsortium innerhalb des Drei-KreisModells eigene dynamische Dimensionen aufweisen. Aus dieser Komplexität heraus wollen wir in den folgenden Unterkapiteln der Frage nachgehen, inwieweit das Konzept der Corporate Governance dazu beitragen kann, die interne Organisation der Prozesse und Strukturen im Rahmen des familieninternen Nachfolgeprozesses auszurichten und somit die Zukunftsfähigkeit des Familienunternehmens sicherzustellen.
110
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
Obwohl der Ursprung der Debatte von Corporate Governance nicht in diesem Bereich liegt und auch die Zielsetzungen wie beispielsweise die Erhöhung des Anteilswertes eines an der Börse gehandelten Unternehmens hier nicht im Mittelpunkt stehen, findet die Untersuchung insofern Anknüpfung, dass die wichtigsten Elemente hinsichtlich des Beitrages zur Sicherung des Familienunternehmens über den Generationenwechsel hinaus als Aussicht einer strukturellen Verbesserung und positiven Nutzenmaximierung verstanden werden. Auf diese Weise sollen bislang unreflektierte Aspekte von Corporate-GovernanceElementen dazu beitragen, vorhandene Berührungsängste des Generationenwechsels aufzudecken und durch dessen zielorientierte Anwendung zu überwinden. Da im Rahmen dieses Forschungsansatzes nunmehr Mechanismen der Corporate und Family Governance im Hinblick auf die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Übertragung von Eigentums- und Führungsnachfolge innerhalb der Familie analysiert werden, muss in einem ersten Schritt eine Systematisierung und Erfolgsdefinition der einzelnen Mechanismen erfolgen. Das hierdurch erreichte Verständnis erlaubt in einem zweiten Schritt die Mechanismen auf Basis der Literaturauswertung vorzustellen und gleichzeitig eine Erfolgsbeurteilung anhand der durchgeführten empirischen Untersuchung zur Lösung der vorgestellten Spannungsfelder im Rahmen des Nachfolgeprozesses durchzuführen. Dabei werden sowohl Ausprägungen des Familienunternehmenstyps als auch Größenkriterien berücksichtigt, so dass die Mechanismen in Abhängigkeit der aufgezeigten theoretischen Analyse auf die Anforderungen des jeweiligen Familienunternehmens abgestimmt werden können. 4.1 Systematisierung und Erfolgsdefinition der Mechanismen Aus der Darstellung des bezeichnenden Zusammenhangs der allgemeinen Governance Diskussion und der spezifischen Governance familiengeführter
Systematisierung und Erfolgsdefinition der Mechanismen
111
Unternehmen in Abbildung 2252 ist deutlich geworden, dass durch den Einfluss der Familie spezifische Ansätze zur Sicherstellung der Transparenz und des Interessenausgleichs der Familienmitglieder erforderlich sind. Auch die Einbeziehung des Drei-Kreis-Modells253, welches als Bezugsrahmen der Governance in drei überlappenden Kreisen „Eigentum“, „Management“ und „Familie“ vorgestellt wurde, zeigt das besondere Erfordernis der Ausgestaltung einer optimalen Leitung und Kontrolle des Unternehmens in Abhängigkeit des jeweiligen Familienunternehmenstyps. Da die Mechanismen demzufolge den Anforderungen der unternehmens- und familienpolitischen Prozesse und Strukturen im Rahmen des Generationenwechsels Rechnung tragen müssen, werden unter Berücksichtigung des Drei-Kreis-Modells und in Anbetracht der schwierigen Operationalisierbarkeit folgende Mechanismen mehrdimensional im Rahmen der Analyse vorgestellt und hinsichtlich ihres Erfolges untersucht (Abbildung 24).
252
Da die Zukunftsfähigkeit des Unternehmenssystems gesichert sein muss, wird die Implementierung eines Beirates sowie dessen Ausgestaltung als Erfolgskriterium und maßgebendes Strukturelement der Corporate Governance untersucht. Die Analyse erfolgt auf Basis der vorgestellten personen- und unternehmensorientierten Spannungsfelder in Kapitel 3.4 und gliedert Aufgabenbereiche in Abhängigkeit von Besetzung und Kompetenzen des Organs. Diese Vorgehensweise erlaubt rein äußerliche Beobachtungen mit tatsächlichen Verhältnissen innerhalb des Unternehmens zu verproben, so dass Beiräte als Orientierungsrahmen und Mechanismus einer langfristigen Existenzsicherung innerhalb der vorgestellten Familienunternehmenstypen überprüft werden können. Im Familiensystem fällt eine Erfolgsdefinition aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen der Familienmitglieder über Art und Umgang miteinander relativ schwer. Zusätzlich dürfen Aspekte des Zusammenlebens sowie Werte und Ziele der Familie als interne Organisationsstruktur nicht außen vor gelassen werden. Aus diesen Gründen wird eine stattfindende Kommunikation der Familienmitglieder untereinander als Erfolgskriterium untersucht. Da familienpolitische Institutionen der Governance vielfältig sind, werden das Vorhandensein einer niedergelegten Familienverfassung, Regelungen ge-
Vgl. Abb. 2: Zusammenhang allgemeiner Corporate Governance und der Governance familiengeführter Unternehmen, S. 33. 253 Vgl. Abb. 6: Drei-Kreis-Modell, S. 39.
112
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
meinsamer Leitplanken der Familie innerhalb eines Familientreffens, Investitionen in die Weiterbildung der nachfolgenden Generation sowie die Gestaltung einer gemeinsamen Vermögensanlage als wesentliche Mechanismen der Family Governance vorgestellt und als Maßstab einer vorhandenen Kommunikation angesetzt. Die Ausgestaltung einer gewissenhaften Ausübung von Eigentümerrechten wird somit als kritischer Erfolgsfaktor zur langfristigen Überlebensfähigkeit des Unternehmens gewertet. Das Eigentumssystem fragt nach der prozentualen Beteiligung der Familie am Eigentum und den daraus resultierenden Rechten zur Kontrolle und Führung des Unternehmens. Zwingendes Erfolgskriterium ist daher eine Übertragung innerhalb der eigenen Familie und dem Erhalt des Unternehmens als Familienunternehmen. Sind Regelungen innerhalb der Satzung und des Gesellschaftsvertrages über eine Aufnahme von Gesellschaftern, der Höhe der Gewinnausschüttung sowie eine strikte Trennung von Familie und Unternehmen vorhanden, so fungieren diese als wesentliche Instrumente einer dauerhaften familieninternen Unternehmensperpetuierung. Die übergreifende Einrichtung dieser Mechanismen soll anhand eines unternehmenseigenen Kodex vorgestellt werden.
113
Aktuelle und zukünftige Bedeutung der Strukturen
Eigentum
Code of Best Practice
Family Governance
Familie
Corporate Governance
Unternehmen
Abb. 24: Systematisierung der Mechanismen in Anlehnung an das Drei-KreisModell Zur Erfolgs- und Risikobeurteilung findet bei allen Strukturelementen eine Differenzierung nach Umsatzgrößenklassen und Generationen. Durch diese Vorgehensweise können Regeln und Prozesse erfahrener Familienunternehmen aus bereits vollzogenen Nachfolgeregelungen in der Vergangenheit sowie Größenunterschiede auf die Bedeutung einzelner Governance-Mechanismen hinweisen und als Vorbildfunktion dienen. 4.2 Aktuelle und zukünftige Bedeutung der Strukturen Im Bereich der Familienunternehmen ist die Corporate-Governance-Forschung eine sehr junge Disziplin. Bisher durchgeführte Studien richten in Anlehnung an das allgemeine Verständnis von Corporate Governance den Fokus auf eine Per-
114
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
formance-Wirkung, kommen jedoch aufgrund der Heterogenität von Familienunternehmen zu keinem eindeutigen Ergebnis.254 Außerdem konstatieren jüngste Analysen bei Familienunternehmen ein bruchstückhaftes Verständnis des Begriffes Corporate Governance und dessen inhaltlicher Ausgestaltung,255 so dass der Umsetzungsstand bereits durchgeführter Empfehlungen zur Einrichtung von Corporate Governance in Familienunternehmen in der Praxis als gering einzuschätzen ist.256 Auf der anderen Seite gibt es eine Gruppe von „GovernanceChampions“. Diese vornehmlich über mehrere Generationen gewachsenen und anhand von Wachstumskennzahlen wie Umsatz und Eigenkapitalrendite als Erfolgsunternehmen klassifizierten Familienunternehmen bewerten die Etablierung von Strukturen in den Bereichen Management, Kontrolle und Eigentum im Sinne des Drei-Kreis-Modells als Erfolgsrezept und haben diese im eigenen Betrieb umgesetzt.257 Vor diesem Hintergrund besteht also gerade bei jungen und unerfahrenen Familienunternehmen die Aufgabe, eine Anwendung von Corporate Governance und dessen spezifischen Nutzenpotential innerhalb der Unternehmensentwicklung zu überprüfen. Da im Rahmen dieses Forschungsansatzes Stärken und Schwächen von Corporate Governance im Kontext der Unternehmensnachfolge analysiert werden, soll zunächst der aktuelle Stellenwert und Bekanntheitsgrad von Governance-Strukturen im Sample als Beurteilungskriterium herangezogen werden. Ohne den Begriff der Corporate Governance näher zu erläutern, wurden die Unternehmer einleitend gefragt, ob sie sich bereits mit den Aspekten der Corporate Governance beschäftigt haben. Hierauf antworteten 78% der Firmeninhaber mit „Nein“. Auch eine generelle Kenntnis des Corporate-Governance-Kodex für Familienunternehmen wird von 82% der Unternehmer verneint. Diesen Ergebnissen zufolge könnten Diskussionen zur Umsetzung und inhaltlichen Thematisierung von Corporate-Governance-Strukturen als unbedeutend angesehen wer254
Vgl. Klein, S. B. (2008), S. 16. Vgl. Adenäuer, C., Kayser, G., Wallau, F. (2007), S. 48 f. Vgl. INTES [Hrsg] (2004); Kellersmann, D., Winkeljohann, N. (2007); Peemöller, V. H. (2006). 257 Vgl. Adenäuer, C., Kayser, G., Wallau, F. (2007), S. 69 f. sowie einem Statement hierzu Englisch, P. (2007), S. 1; May, P. et al. (2006), S. 158 f. 255 256
Aktuelle und zukünftige Bedeutung der Strukturen
115
den. Betrachten wir jedoch in einem zweiten Schritt die Ergebnisse in Korrelation mit der Implementierung eines Kontrollorganes als wichtigstes Element der Unternehmens-Governance, so wird der oben gewonnen Eindruck relativiert. Knapp 15% der Unternehmen, die auf die Frage zur Auseinandersetzung mit Corporate-Governance-Apekten mit „Nein“ geantwortet haben, besitzen ein Beirat, weitere 1,5% einen Aufsichtsrat und fast 12% einen Familienrat. Ebenfalls planen 15,7% dieser Gruppe von Unternehmern eine Einrichtung in der Zukunft, so dass auch hier eine inhaltliche Thematisierung stattgefunden haben muss. Das Ergebnis zeigt, dass die Unternehmen im Sample ein ebenso unvollständiges Verständnis von Corporate Governance und ihrer Bedeutung haben, wie es bei Familienunternehmen in anderen Analysen bereits festgestellt wurde. Noch eindeutiger wird der Sachverhalt beim abgefragten Kenntnisstand zum Governance Kodex für Familienunternehmen. Gut 20% der Unternehmer, die den Corporate-Governance-Kodex für Familienunternehmen nicht kennen, haben einen Beirat, 1,7% einen Aufsichtsrat und 11% einen Familienrat etabliert. Darüber hinaus planen 15,6% die Einrichtung eine Kontrollorganes als Element der Unternehmensverfassung. Auch diesen Untersuchungsergebnissen zufolge erfassen Familienunternehmen das Konzept der Corporate Governance nur bruchstückhaft. Die Sicherung einer qualifizierten Beratung und Kontrolle der Unternehmensführung in Form des Kontrollorganes wird nicht mit dem Begriff der Corporate Governance, hier insbesondere dem Kodex für Familienunternehmen, in Verbindung gebracht. Die Ergebnisse stellt Tabelle 9 zusammenfassend dar.
116
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
Kontrollorgan Beirat
Auf-
Fami-
Einrich-
nicht
sichtsrat
lienrat
tung ist
nötig
Gesamt
geplant Haben Sie sich bereits
Ja
38,5%
2,6%
7,7%
15,4%
35,9%
100,0%
Nein
14,9%
1,5%
11,9%
15,7%
56,0%
100,0%
Ja
31,2%
3,1%
9,4%
18,8%
37,5%
100,0%
Nein
20,2%
1,7%
11,0%
15,6%
51,4%
100,0%
mit den Aspekten der Corporate Governance beschäftigt? Kennen Sie den Governance Kodex für Familienunternehmen?
Tab. 9: Beschäftigung und Kenntnisstand der Corporate Governance in Korrelation zu installierten Kontrollorganen258
Die Umsetzung und zukünftige Planung von Corporate GovernanceStrukturen in Familienunternehmen sollen aufbauend den aktuellen Stellenwert und die Bereitschaft zur Einführung der Mechanismen darstellen. Hiernach haben lediglich 11% der Sample-Unternehmen in der Vergangenheit eigene Governance-Strukturen geschaffen, weitere 12% planen eine Einführung in naher Zukunft. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass 77% der Familienunternehmen keinen Anlass zur Etablierung der Strukturen sehen (Abbildung 25). Die individuelle Entwicklung und damit verbunden die Bereitschaft zur Implementierung von Corporate-Governance-Mechanismen liegt nach diesem Ergebnis nicht im Trend der Familienunternehmen. Das Erhebungsergebnis bedarf jedoch auf Basis des gewonnenen gegenwärtigen Verständnisses auf Seiten der Familienunternehmer einer Relativierung. 258
Eigene Studie.
Aktuelle und zukünftige Bedeutung der Strukturen
117
Abb. 25: Umsetzung und Planung von Corporate-Governance-Strukturen259 In Korrelation zu einem tatsächlich installierten Kontrollorgan verfügen 16,7% der Unternehmer über einen Beirat und 8,3% über einen Familienrat, obwohl sie die Einführung von Corporate-Governance-Strukturen erst in den nächsten 1-2 Jahren planen. Noch offensichtlicher wird das Missverständnis bei der Gruppe von Familienunternehmen, die eine Einführung in den nächsten 5 Jahren planen. Hier besitzen bereits heute 25% einen Beirat und weitere 12,5% einen Familienrat. Da den bisher dargestellten Ausführungen gemäß Abbildung 25 eine geringe Anzahl von Familienunternehmen zugrunde liegt, ist vor allem die Korrelation der Unternehmen, die nach eigenen Aussagen keinen Anlass zur Etablierung von Strukturen sehen, aussagekräftig (77%). Innerhalb dieser Gruppe nehmen 17,2% Beirats-, 1,5% Aufsichtsrats- und 11,2% Familienratstätigkeiten in Anspruch, 259
Eigene Studie.
118
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
weitere 15% planen eine Einrichtung in der Zukunft. Demzufolge thematisieren knapp 45% dieser Familienunternehmen das Kontrollorgan als Element der Corporate Governance (Tabelle 10).
Kontrollorgan
Corporate GovernanceStrukturen eingeführt oder geplant?
Beirat
Aufsichtsrat
Familienrat
Einrichtung ist geplant
nicht nötig
Gesamt
innerhalb der letzten 2 Jahre eingeführt
30,0%
0,0%
10,0%
10,0%
50,0%
100,0%
innerhalb der letzten 5 Jahre eingeführt
0,0%
50,0%
0,0%
50,0%
0,0%
100,0%
vor mehr als 5 Jahren eingeführt
71,4%
0,0%
14,3%
0,0%
14,3%
100,0%
innerhalb der nächsten 1-2 Jahre in Planung
16,7%
0,0%
8,3%
33,3%
41,7%
100,0%
innerhalb der nächsten 5 Jahre in Planung
25,0%
0,0%
12,5%
12,5%
50,0%
100,0%
vorerst nicht
17,2%
1,5%
11,2%
14,9%
55,2%
100,0%
Tab. 10: Umsetzung und Planung von Corporate-Governance-Strukturen in Korrelation zu installierten Kontrollorganen260 Die Ergebnisse der Unternehmerbefragung zeigen, dass die Mehrzahl der Familienunternehmen die inhaltliche Bedeutung des Begriffes Corporate Governance nur bruchstückhaft wahrnehmen, insgesamt jedoch von einer bedeutenderen Einschätzung und zukünftigen Entwicklung ausgegangen werden kann. 260
Eigene Studie.
Einrichtung eines Beirates – Mechanismus des Unternehmens
119
Demzufolge ist es im Folgenden lohnenswert, eine detaillierte Darstellung unternehmens- und familienpolitischer Institutionen der Governance durchzuführen und gleichzeitig vorhandene Strukturen im Sinne der dargestellten Erfolgsdefinitionen zu analysieren. 4.3 Einrichtung eines Beirates – Mechanismus des Unternehmens Im Bereich der Corporate-Governance-Forschung ist international das „Board of Direktors" und national der Aufsichtsrat als Mechanismus der Unternehmenskontrolle eines der vorherrschenden Themen.261 Je nach Forschungsinteresse werden Größe, Zusammensetzung und Funktionen des Kontrollgremiums analysiert, doch stehen internationale Studien zur Performance-Messung unter Verwendung der Prinzipal-Agenten-Theorie im Vordergrund.262 Da die Analysen aus dem Blickwinkel der allgemeinen Corporate-Governance-Diskussion und somit aus der Sichtweise der anonymen Publikumsgesellschaft geführt werden, sind die Ergebnisse im Rahmen der Untersuchung von Familienunternehmen nur eingeschränkt nutzbar. Denn die Einrichtung eines Aufsichtsorgans ist aufgrund der Rechtsformwahl der Aktiengesellschaft gesetzlich vorgeschrieben, während bei Familienunternehmen in der Rechtsform der GmbH erst ab 500 Mitarbeitern (BetrVG) bzw. mit mehr als 2000 Mitarbeitern gemäß § 1 MitbG ein Pflichtaufsichtsrat zu etablieren ist. Laut § 52 GmbHG besteht ohne Erfüllung der oben genannten Voraussetzungen die Möglichkeit, einen fakultativen Aufsichtsrat zu etablieren. Auch bei Personengesellschaften ist aufgrund der in §§ 109, 161 Abs. 2 sowie 163 HGB formulierten gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsfreiheit die Bildung eines Beirates möglich.263 In der Mehrzahl der Familienunternehmen besteht demzufolge aufgrund von Größe und Rechtsformwahl ein generelles Wahlrecht, überhaupt einen Aufsichts- oder Beirat im Unternehmen einzurichten. 261
Vgl. Blair, M. M. (1995). Vgl. Astrachan, J. H. et al. (2006); Huther, J. (1997); Oxelheim, L., Randoy, T. (2001). 263 Vgl. Brose, T. (2006), S. 14 f.; Oesterheld, N. (2002), S. 28 f.; Scherer, S. et al. (2005), S. 228; Wälz holz, E. (2005), S. 393 f. 262
120
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
Über den Nutzen eines freiwillig institutionalisierten Aufsichtsgremiums in Form des Beirates und vor allem über dessen Besetzung und Kompetenzen besteht jedoch bislang Uneinigkeit, da die heterogene Gruppe der Familienunternehmen und eine in der Vergangenheit geringe Umsetzung des internen Gremiums eine differenzierte Betrachtungsweise erschweren. Neuste Forschungsbeiträge untersuchen in Abhängigkeit der Zielkongruenz zwischen Eigentümern und Management prinzipielles Vorhandensein, Größe und Zusammensetzung von Beiräten und kommen zu dem Ergebnis, dass bei Familienunternehmen mit hoher Zielübereinstimmung und gegenseitigem Vertrauen deutlich seltener Kontrollgremien installiert werden als bei solchen, in denen das Verhältnis durch mangelnde Interessengleichheit und Misstrauen geprägt ist.264 Den Ergebnissen folgend werden im Rahmen dieser Analyse unter Anwendung der Stewardship-Theorie und Prinzipal-Agenten-Theorie institutionalisierte Beiräte als Orientierungsrahmen und Mechanismus einer langfristigen Existenzsicherung überprüft. Unter Berücksichtigung der vorgestellten Familienunternehmenstypen soll gezeigt werden, dass die Einrichtung eines Aufsichtsorgans einen positiven Beitrag zur Regelung der Unternehmensnachfolge und somit zur Aufrechterhaltung des Unternehmens als familiengeführtes Unternehmen über Generationen hinweg leisten kann. Abbildung 26 gibt zunächst einen aktuellen Überblick freiwilliger Kontrollorgane in Familienunternehmen. Betrachten wir dabei die prozentuale Häufigkeit, so verfügen bislang nur 1/3 der Sample-Unternehmen über ein Kontrollorgan. Auch Klein weist für das generelle Vorhandensein in deutschen Familienunternehmen mit mehr als 1 Mio. € Umsatz ähnliche Größenordnungen nach.265 Eine zukünftige Umsetzung steht bei 16% der Familienunternehmen auf der Agenda und verdeutlicht den immer häufiger anzutreffenden Wunsch der Etablierung eines Organs.
264 265
Vgl. Pieper, T. et al. (2008); Jaskiewicz, P., Klein, S. B. (2007). Klein, S. B.(2004), S. 133 f.
Einrichtung eines Beirates – Mechanismus des Unternehmens
121
Abb. 26: Existenz eines Kontrollorganes in Familienunternehmen266 Ein detaillierterer Blick nach Familienunternehmenstypen in Tabelle 11 zeigt bereits an dieser Stelle eine richtungweisende Tendenz, da Familienunternehmen in der Form des Vetternkonsortiums den Beirat als Element der Corporate Governance häufiger institutionalisieren als junge und unerfahrene Unternehmen. So messen 61,6% der Alleinherrscher und 27,3% der Geschwistergesellschaften der Etablierung eines Beirates keine Bedeutung zu, wohingegen 75% der Vetternkonsortien diesen bereits etabliert haben oder eine Einrichtung in Zukunft planen (25%). In den folgenden Unterkapiteln gilt es daher zu analysieren, ob der Beirat als Ausdruck von Stärke und Professionalität oder aufgrund der dargestellten Inkongruenz zwischen Eigentümern und Management häufiger institutionalisiert wird. 266
Eigene Studie.
122
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
Familienunternehmenstyp Kontrollorgan
Alleinherrscher
Geschwistergesellschaft
Vetternkonsortium
Gesamt
Beirat
% innerhalb Familienunternehmenstyp
11,2%
43,2%
50,0%
20,2%
Aufsichtsrat
% innerhalb Familienunternehmenstyp
0,0%
6,8%
0,0%
1,7%
Familienrat
% innerhalb Familienunternehmenstyp
9,6%
13,6%
25,0%
11,0%
Einrichtung ist geplant
% innerhalb Familienunternehmenstyp
17,6%
9,1%
25,0%
15,6%
nicht nötig
% innerhalb Familienunternehmenstyp
61,6%
27,3%
0,0%
51,4%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
Tab. 11: Etablierte Kontrollorgane nach Familienunternehmenstypen267 4.3.1 Begriffsbestimmung und Zusammensetzung Da eine gesetzliche Definition des Begriffes Beirat bislang nicht existiert, wird in der einschlägigen Literatur eine Begriffsbestimmung folgendermaßen vorgenommen: „Der Beirat ist ein, von den Unternehmenseigentümern freiwillig geschaffenes fakultatives Gremium, welches hierarchisch in der Unternehmensspitze angesiedelt ist, und im Verhältnis zu der Geschäftsführung gewisse Aufgaben und Kompetenzen wahrnimmt.“268
267 268
Eigene Studie. Brose, T. (2006), S. 14 f.; vgl. auch Fabis, F. G. (2007), S. 88; Oesterheld, N. (2002), S. 29.
Einrichtung eines Beirates – Mechanismus des Unternehmens
123
Aus juristischer Sicht besteht für die Einrichtung eines Beirates im Familienunternehmen bei den dargestellten typischen Unternehmensformen der KG und der GmbH eine Unterscheidung zwischen dem schuldrechtlichen und dem organschaftlichen Beirat. Bei erst genanntem handelt es sich um eine Bündel von Geschäftsbesorgungsverträgen zwischen der Gesellschaft und den Beiratsmitgliedern, der rechtlich gesehen keine Kompetenzen besitzt. Da der schuldrechtliche Beirat keinen Organstatus erlangt, können ihm auch keine Zuständigkeiten, sondern lediglich Beratungsfunktionen zugeordnet werden. Hingegen stellt der organschaftliche oder statutarische Beirat ein freiwillig geschaffenes Organ der Gesellschaft dar, welches durch satzungsrechtliche Regelungen eigene Zustimmungs- und Entscheidungsbefugnisse erhält und dadurch häufig Aufgaben der Gesellschafterversammlung wahrnimmt. In der juristischen Diskussion steht der organschaftliche Beirat deutlich im Vordergrund, da nur er die ihm zukommenden Aufgaben und Funktionen wirkungsvoll erfüllen kann.269 Die aufgezeigte Flexibilität des Beirates ermöglicht es dem Familienunternehmen ein maßgeschneidertes Kontrollorgan zu implementieren. Allerdings wird die Einrichtung des Beirates maßgeblich vom Entwicklungsstadium des Familienunternehmens und dem zugrunde liegenden Menschenbild beeinflusst. In der Unternehmenspraxis hängt die Bedeutung des Beirates davon ab, inwieweit er als offizieller Akteur im Spannungsfeld zwischen Familie und Unternehmen eingesetzt und mit Kompetenzen ausgestattet wird. Da vergangene Untersuchungen die generelle Bedeutung des Gremiums hervorheben und auch die Sample-Unternehmen in NRW eine Etablierung bereits umgesetzt haben oder den Wunsch nach einem Gremium äußern, erfolgt vor dem Hintergrund des Beirates als Orientierungsrahmen und Mechanismus der Unternehmensnachfolge eine Analyse von Motiven und Funktionen. Zur Klassifizierung des breiten Spektrums möglicher Anwendungsfelder270 werden in den folgenden Unterkapiteln die Beratung und Kontrolle der Geschäftsführung, die Begleitung strategi-
269 270
Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 149 f.; Oesterheld, N. (2002), S. 33 ff. Vgl. May, P., Sieger, G. (2000), S. 249 f.; Oesterheld, N. (2002), S. 31; Ruter, R. X., Thümmel, R. C. (1994), S. 32; Wiedemann, A., Kögel, R. (2008), S. 27 ff.
124
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
scher Entscheidungen sowie die Sicherstellung der personellen Kontinuität als spezifische Typologisierungen vorgestellt. Dabei werden die dargestellten Funktionen und Aufgabenfelder aus den unterschiedlichen Perspektiven der Familienunternehmenstypen sowie in Abhängigkeit von Besetzung und Kompetenz des Organs zur Feststellung von Rollenverständnissen und deren Wirksamkeit dargestellt. Da die Wahrnehmung von Aufgaben sowohl im Interesse der Eigentümer als auch im Sinne des Unternehmens erfolgen muss, kommt der Besetzung und Kompetenzzuordnung von Beiratsmitgliedern eine hohe Bedeutung zu. Der Befund, dass Beiräte in Familienunternehmen als organschaftliche Institutionen aus eigenem Antrieb eingerichtet werden, führt dazu, dass die Mitgliederzahl selbständig und nach Effizienzüberlegungen festgelegt werden kann, wobei zu berücksichtigen ist, dass bei Bevorzugung einer geraden Mitgliederzahl ein Mechanismus zur Regelung in Pattsituationen in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden sollte. In der Praxis haben sich daher Beiräte mit drei bis fünf Mitgliedern bewährt. Ebenfalls empfiehlt sich die Bestellung eines Vorsitzenden, der eine effiziente Arbeitsweise des Gremiums fördert und für strukturierte Sitzungen sorgt.271 Die konkrete Bestimmung der Beiratsmitglieder erfolgt über die Gesellschafterversammlung, welche ihre Auswahl anhand eines Anforderungskataloges unter Berücksichtigung der fachlichen und sozialen Kompetenzen sowie der beruflichen Erfahrungen treffen sollte.272 Aber zu einem effektiven Beirat gehört mehr als nur die Ausbalancierung seiner Fähigkeiten und unterschiedlichen Erfahrungshorizonte. Die Vereinbarung einer festen Altersgrenze, mit deren Erreichung ein Ausscheiden aus dem Beirat einhergeht, intensiviert den Anspruch zur Etablierung eines ständigen Prozesses mit dauerhafter Überprüfung, um mit den wechselnden Bedürfnissen der Gesellschafter und der Unternehmensumwelt Schritt zu halten.273
271
Vgl. Brose, T. (2006), S. 21 ff.; Hennerkes, B. H. (2004), S. 269 ff.; Iliou, C (2004), S. 219 f.; May, P., Lehman-Tolkmitt, A. (2006), S. 110. 272 Vgl. Wiedemann, A., Kögel, R. (2008), S. 106. 273 Vgl. Jeuschede, G. (2000), S. 279 ff.
Einrichtung eines Beirates – Mechanismus des Unternehmens
125
Als mögliche Kandidatengruppen werden innerhalb der Literatur familieninterne und familienexterne Personen thematisiert. Dabei wird eine Aufnahme von Familienmitgliedern in das Aufsichtsorgan umstritten behandelt. Zum einen bewirkt die Integration nicht aktiver Gesellschafter eine Intensivierung der Beziehung zum Familienunternehmen, was zur Erhöhung der Akzeptanz in der Gesellschafterversammlung beiträgt. Auf der anderen Seite sind zwangsläufig alle Entscheidungen dem Verdacht der Parteiergreifung zugunsten oder zulasten einzelner Anteilseigner ausgesetzt, wodurch die beabsichtigten Anwendungsfelder des Organs nicht erfüllt werden.274 Zur Sicherung der notwendigen Objektivität und Neutralität im Sinne der oben genannten Voraussetzungen sowie zur Nutzung von externem Fachwissen sollte der Beirat auch unternehmensfremde Persönlichkeiten aufnehmen. Bei der Auswahl dieser Personen gilt es möglichen Interessenkonflikten oder Defiziten im Diskretionsverhalten durch Überparteilichkeit vorzubeugen. Denn das Amt des Beirates darf weder aus finanziellen Aspekten noch aus Gründen der Reputation aufgenommen werden. Vielmehr erfordert die intensive und professionelle Auseinandersetzung mit dem Familienunternehmen einen zeitlichen Aufwand, der nicht nur aus der Sitzungsteilnahme, sondern auch aus der Vor- und Nachbereitung resultiert.275 Zur Etablierung eines funktionsfähigen Beirates reicht die gelungene Auswahl geeigneter Mitglieder allein nicht aus. Denn je nach Familienunternehmenstyp und Aufgabenspektrum entstehen unterschiedliche Kompetenzanforderungen an das institutionalisierte Organ, so dass der Erteilung von Verfügungsbefugnissen eine wesentliche Rolle im Findungsprozess zukommt. Während die Zuständigkeiten von Pflichtaufsichtsräten der AG oder GmbH gesetzlich festgelegt sind und nicht in der Satzung vereinbart werden können, erlaubt die angesprochene Individualität freiwillig eingerichteter Beiräte verschiedene Möglichkeiten der Zuweisung von Kompetenzen. Grundsätzlich ist die Frage zu klären, ob der Beirat bei der Wahrnehmung von Aufgaben, welche er anstelle der Ge274
Vgl. allgemein Hennerkes, B. H. (2004), S. 271 ff.; Peemöller, V. H. (2006), S. 87 und insbesondere Jaskiewicz, P. et al. (2006) zu einer Analyse nicht aktiver Gesellschafter im Kontrollorgan. 275 Vgl. Brose, T. (2006), S. 27 f.; Iliou, C. (2004), S. 223; May, P., Lehman-Tolkmitt, A. (2006), S. 113.
126
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
sellschafterversammlung oder der Geschäftsführung wahrnimmt, eine konkurrierende oder eine verdrängende Zuständigkeit erhalten soll, also ob das Gremium neben dem ursprünglichen Kompetenzträger Rahmenbedingungen aufzeigt oder an dessen Stelle tätig wird.276 Naturgemäß bewirkt die Anordnung einer verdrängenden Kompetenz wie etwa das Aufstellen von Zustimmungskatalogen einen erheblich schwerwiegenderen Eingriff in die gesellschaftsrechtliche Zuständigkeitsordnung, da es hier zu einer echten Kompetenzverlagerung kommt. Allerdings muss dabei beachtet werden, dass die Kataloge zielgenau auf die Unternehmenssituation ausgerichtet sind, ohne die Geschäftsführung an der Ausführung ihres Tagesgeschäftes zu hindern.277 Übt der Beirat zusätzlich die Kontrolle der Geschäftsführung aus, muss er sich auf eine klar definierte Positionsmacht berufen können. Kontrolle ist deshalb notwendigerweise durch das Recht zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung sowie zum Abschluss der entsprechenden Geschäftsführerverträge begründet.278 Zu klären bleibt in diesem Zusammenhang, ob die Personalkompetenz auf den Beirat übertragen werden kann. Die Frage ist sowohl für eine GmbH als auch für eine GmbH & Co. KG als typische Rechtsformen von Familienunternehmen zu bejahen, wenn im Gesellschaftsvertrag bzw. in der Satzung der Gesellschaft geregelt ist, dass die Gesellschafterversammlung keine Personalkompetenz besitzt. Einschränkungen bestehen nur bei Gesellschaften der KG oder OHG als personalistische Organisationsformen, da hier das Recht zur Geschäftsführung einzelnen Gesellschaftern in der Funktion der persönlichen Haftung zusteht. Die Bedenken von Familienunternehmen, dass ein Beirat zu viel Macht im Unternehmen erlangt, können dadurch entkräftet werden, dass sich die Gesellschafterversammlung einstimmig oder mit satzungsändernder Mehrheit über Entscheidungen des Beirates hinwegsetzten oder diesen abberufen kann.279 Da die beschriebenen Möglichkeiten der Zusammensetzung und Kompetenzverlagerungen des Beirates lediglich eine Momentaufnahme darstellen und 276
Vgl. Fabis, F. G. (2007), S. 102; Lange, K. W. (2006), S 901 f. Vgl. Wiedemann, A., Kögel, R. (2008), S. 68. 278 Vgl. Klein, S. B. (2005), S. 195; May, P., Lehman-Tolkmitt, A. (2006), S. 108 f. 279 Vgl. Iliou, C. (2004), S. 200 ff; Wiedemann, A., Kögel, R. (2008), S. 69 f. 277
Einrichtung eines Beirates – Mechanismus des Unternehmens
127
in der Entwicklung des Familienunternehmens einem ständigen Veränderungsprozess unterliegen, sollte dieses interne Organisationsrecht des Beirates nicht im Gesellschaftsvertrag festgelegt werden, da hieraus eine zu große Schwerfälligkeit bei Änderungsbedarf resultiert. Geeigneter erscheint daher die Einrichtung eines unternehmenseigenen Kodex, der als gesondertes Regelwerk die Struktur und Arbeitsweise des Organs thematisiert und dem gesamten Unternehmensumfeld transparent zur Verfügung steht.280 4.3.2 Beratung und Kontrolle der Geschäftsführung Der beschriebene Bezugsrahmen allgemeiner Corporate Governance und der Governance familiengeführter Unternehmen in Kapitel 2.4 sowie die gezogenen Schlussfolgerungen, dass im Kontrollmodell die Stewardship-Theorie als Rahmenbedingung und im dynastischen bzw. Portfoliomodell im Regelfall die Prinzipal-Agenten-Theorie als ergänzende Sichtweise zur Anwendung kommt, üben erheblichen Einfluss auf das Rollenverständnis des Beirates aus. Während dem Beirat aus der Perspektive der Prinzipal-Agenten-Theorie hauptsächlich die Aufgabe der Kontrolle und Überwachung des vornehmlich angestellten Fremdmanagements und der Reduzierung des Prinzipal-Agenten-Konfliktes zukommt, konzentriert sich die Tätigkeit bei Verfolgung der Stewardship-Theorie eher auf eine Beratungsfunktion. Das Verhältnis von formalen Kontrollmechanismen und informellen, auf einem Vertrauensverhältnis basierenden Beratungsaktivitäten hängt demnach wesentlich von der Zielübereinstimmung zwischen Eigentümern und Management ab.281 Um die Zielübereinstimmung der Sample-Unternehmen zu analysieren und eventuelle Dilemmata zwischen Beratungs- und Kontrollaufträgen ausfindig zu machen, werden die Umfrageergebnisse einer differenzierten Auswertung unterzogen. Betrachten wir in einem ersten Schritt als Aufgabenschwerpunkt die Beratungsfunktion des Beirates in Tabelle 12, so nehmen insgesamt 77,8% der 280 281
Vgl. Kapitel 4.5, S. 153 ff. Vgl. Jaskiewicz, P., Klein, S. B. (2007), S. 1081; Corbetta, G., Salvato, C. (2004), S. 123.
128
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
Alleinherrscher, 89,3% der Geschwistergesellschaften und 100% der Vetternkonsortien den Nutzen ergänzender Fachkompetenz wahr. Da die Beratungstätigkeit sowohl ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis zwischen Geschäftsleitung und Mitgliedern des Beirates als auch ein gewisses Maß an Interessenübereinstimmung der einzelnen Gesellschafter voraussetzt, wird die Wahrnehmung eines Beratungsauftrages im Vetternkonsortium in der Literatur mit der Begründung, dass dieser durch Kontrolle gestört wird, teilweise ausgeschlossen.282 Allerdings weist sowohl die Gesamtzahl der Beratungsmandate als auch eine Analyse der Besetzung und Kompetenzzuweisung der Sample-Unternehmen darauf hin, dass Beiräte im Vetternkonsortium durchaus einen Beratungsauftrag wahrnehmen können, wenn einerseits ihre Besetzung durch Wahl und einem mehrheitlichen Anteil an familieninternen Mitgliedern resultiert sowie gleichzeitig entsprechende Kompetenzzuweisungen durch zustimmungspflichtige Entscheidungen innerhalb des Familienunternehmens erfolgen. Zur langfristigen Optimierung des Unternehmensoutputs und zum Schutz vor Betriebsblindheit bevorzugen hingegen jüngere und unerfahrene Unternehmen in der Form des Alleinherrschers und der Geschwistergesellschaft die Besetzung des Beirates mit familienexternen Mitgliedern. Da zur Ausübung der Beratungstätigkeit im Sinne eines „Moderators mit kritischem Gedankenaustausch“ eine gewisse Akzeptanz benötigt wird, erhalten die Akteure innerhalb dieser Entwicklungsstadien überwiegend Zustimmungspflichten, jedoch selten Personalkompetenz.
282
Vgl. Klein, S. B. (2005), S. 199.
129
Einrichtung eines Beirates – Mechanismus des Unternehmens
Besetzung und Kompetenzen
Beratung der Geschäftsfüh-
Wahl
rung
Familien-
Familien-
Personal-
Zustim-
Gesamt
eigene
fremde
kompetenz
mungs-
Sample
Mitglieder
Mitglieder
pflicht
Alleinherrscher
33,3%
38,1%
57,1%
31,9%
57,1%
77,8%
Geschwisterge-
32,0%
52,0%
76,0%
20,0%
68,0%
89,3%
66,7%
66,7%
33,3%
66,7%
100,0%
100,0%
sellschaft
Vetternkonsortium
Tab. 12: Beratung der Geschäftsführung (Mehrfachnennungen möglich)283 Kommt es im Familienunternehmen durch komplexe Eigentümerstrukturen zur Problemstellung des Auseinanderfallens von Eigentum und Management, oder liegt die Führung des Unternehmens gänzlich in den Händen eines angestellten Managements, so lebt der beschriebene Prinzipal-Agenten-Konflikt wieder auf und erweckt den Wunsch nach einer qualifizierten Kontrolle der Unternehmensführung. Da in der Gesellschafterversammlung häufig das entsprechende Wissen zur Kontrolle der Geschäftsführung fehlt, dient der Beirat als Überwachungsorgan und Gegenpol der Geschäftsführung.284 Die Ergebnisse der befragten Familienunternehmen rechtfertigen diese Sichtweise, da Beiräten im Vetternkonsortium in Anlehnung an den aktienrechtlichen Aufsichtsrat zu 100% die Befugnis zur Kontrolle der Geschäftsführung erhalten. Im Wesentlichen besteht die Überwachungsfunktion des neutralen Gremiums aus der Übertragung
283 284
Eigene Studie. Vgl. Iliou, C. (2004), S. 195 f.; Jaskiewicz, P. et al. (2006), S. 176; May, P., Sieger, G. (2000), S. 247 f.; Wiedemann, A., Kögel, R. (2008); S. 28.
130
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
entsprechender Zustimmungsbefugnisse sowie dem Recht zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung. Doch auch Familienunternehmen im Modell des Alleinherrschers nutzen mit 40,7% die Kontrolle der Geschäftführung als Kompetenz des Beirates. Da der Firmenpatriarch in dieser Konstellation als alleiniges Mitglied der Gesellschafterversammlung quasi seiner Selbstkontrolle unterliegt und somit keine wirksame Prüfung erfolgt, kann die Kontrolle durch den Beirat mit familieninternen und -externen Mitgliedern besetzt als Disziplinierungsfunktion ein positives Erfolgskriterium darstellen. Darüber hinaus können Differenzen im Familiensystem aufgrund unterschiedlicher Ziele und Aufgaben insbesondere in Geschwistergesellschaften entstehen, da hier in der Regel zwischen im Management tätigen Gesellschaftern und nicht im Unternehmen aktiven Gesellschaftern unterschieden wird.285 Um einen vertrauensbildenden Zielausgleich im Sinne aller Familiengesellschafter hervorzubringen, nutzen 50% der Familienunternehmen in diesem Entwicklungsstadium das Instrument des Beirates, da nicht aktive Familiengesellschafter (64,3%) gemeinsam mit familienfremden Mitgliedern (71,4%) eine Kontrollfunktion des Management übernehmen und die Unternehmensentwicklung beobachten (Tabelle 13). Die Erteilung von zustimmungspflichtigen Kompetenzen bestärkt das gemeinsame Interesse am Erhalt des Familienunternehmens, indem Entscheidungen des Managements hinterfragt und somit Fehleinschätzungen leichter vermieden werden können.
285
Vgl. Chrisman, J. J. (2004), S. 336; Jaskiewicz, P.; et al. (2006), S. 176; Fabis, F. (2007), S. 95.
131
Einrichtung eines Beirates – Mechanismus des Unternehmens
Besetzung und Kompetenzen
Kontrolle der Geschäftsfüh-
Wahl
rung
Familien-
Familien-
Personal-
Zustim-
Gesamt
eigene
fremde
kompetenz
mungs-
Sample
Mitglieder
Mitglieder
pflicht
Alleinherrscher
36,4%
45,5%
45,5%
20,5%
72,7%
40,7%
Geschwisterge-
50,0%
64,3%
71,4%
7,1%
85,7%
50,0%
66,7%
66,7%
33,3%
66,7%
100,0%
100,0%
sellschaft Vetternkonsortium
Tab. 13: Kontrolle der Geschäftsführung (Mehrfachnennungen möglich)286 4.3.3 Begleitung strategischer Entscheidungen Familienunternehmen verfolgen wie andere Unternehmen auch eine Unternehmensstrategie, welche nach unternehmens- und familienpolitischen Grundsätzen, Zielen und Strategien ausgerichtet ist. Dem Beirat obliegt an dieser Stelle die Herbeiführung eines Abstimmungsprozesses, welcher im Sinne der ihm angetragenen und für sinnvoll erachteten Maximen stattfinden kann und nicht nur in Krisenzeiten die Kontinuität der Familienwerte im Unternehmen gewährleistet.287 „An effective board, in the sense of a board which concentrates on policy rather than on management, and a logical management structure are necessary conditions for retaining broad family loyalty in a growing family firm and for the continued success of the firm itself.”288 Als prozessbegleitender Sparringspartner unterstützt er nicht nur die Unternehmensführung in der strategischen Unternehmensplanung im mittel- und langfristigen Sinne,289 sondern ergreift zusätzlich als 286
Eigene Studie. Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 138. Cadbury, A. (2000), S. 20. 289 Vgl. May, P., Lehmann-Tolkmitt, A. (2006), S. 104; Wiedemann, A., Kögel, R. (2008), S. 68 f.; Wälzholz, E. (2005c), S. 395. 287 288
132
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
Repräsentant der Familie eine gewisse Sonderstellung gegenüber fremden Dritten wie zum Beispiel Fremdkapitalgebern und genießt dadurch ein nicht zu unterschätzendes Ansehen.290 Wird ein Beirat im Familienunternehmen institutionalisiert, liegt der Fokus in der Begleitung strategischer Entscheidungen.291 Je nach Familienunternehmenstyp beträgt der Anteil in Nordrhein-Westfalen zwischen 90% und 100%, wodurch die Bedeutung und Relevanz der Funktion des Beirates hervorgehoben wird. Richtungweisend ist an dieser Stelle die Analyse der Beiratsbesetzung. Während Beiräte im Modell des Alleinherrschers überwiegend mit familienexterner Fachkompetenz besetzt sind (68,8% zu 46,2%), werden mit zunehmender Entwicklung des Familienunternehmens zum Vetternkonsortium deutlich mehr Mitglieder aus dem Eigentümerkreis in das Gremium berufen (66,7% zu 33,3%). Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Besetzung von Beiräten erheblichen Einfluss auf ökonomische (Aufgabenspektrum) und verhaltenswissenschaftliche (Menschenbild) Erkenntnisse ausübt.
290 291
Vgl. Neubauer, F., Lank, A. (1998), S. 108 f. Vgl. zu analogen Ergebnissen Adenäuer, C.; Kayser, G.; Wallau, F. (2007), S. 57 f.
133
Einrichtung eines Beirates – Mechanismus des Unternehmens
Besetzung und Kompetenzen
Begleitung strategischer Ent-
Wahl
scheidungen
Familien-
Familien-
Personal-
Zustim-
Gesamt
eigene
fremde
kompetenz
mungs-
Sample
Mitglieder
Mitglieder
pflicht
Alleinherrscher
30,8%
46,2%
68,8%
57,7%
50,0%
96,3%
Geschwisterge-
28,0%
56,0%
45,5%
28,0%
64,0%
89,3%
66,7%
66,7%
33,3%
66,7%
100,0%
100,0%
sellschaft Vetternkonsortium
Tab. 14: Begleitung strategischer Entscheidungen (Mehrfachnennungen möglich)292 4.3.4 Sicherstellung der personellen Kontinuität Ein Ziel dieser Arbeit ist die Klärung der Fragestellung, inwieweit der Beirat als Element der Corporate Governance im Bereich der Unternehmensnachfolge nützlich für das Familienunternehmen sein kann. Da die Vorbereitung des Generationenwechsels in Familienunternehmen häufig unstrukturiert abläuft und nicht durch konkrete Maßnahmen flankiert wird,293 kann ein erfahrener Beirat sowohl bei der Planung und Durchführung sowie im Falle eines risikobehafteten Nachfolgefalles, der unerwartet und plötzlich aufgrund im Vorhinein nicht planbarer Umstände eintreten kann, unterstützend tätig werden. Bei der so genannten Notgeschäftsführung ist jedoch zu beachten, dass die Vertretung der Gesellschaft etwa nach § 35 Abs. 1 GmbHG zwingend den Geschäftsführern der GmbH vorbehalten bleibt und in keinem Fall auf den Beirat übertragen werden kann. Somit kann der Beirat entweder eine Geschäftsführungsmaßnahme vorbereiten oder
292 293
Eigene Studie. Vgl. Kapitel 3.3.2: Nachfolgeplanung und Vorbereitungsmaßnahmen, S. 68 ff.
134
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
durch Delegation eines Beiratsmitglieds in die Geschäftsführung interimistisch die Leitung übernehmen.294 Grundsätzlich kann dem Beirat die Aufgabe übertragen werden, sich frühzeitig mit der Auswahl und Entwicklung potentieller Kandidaten zu beschäftigen und rechtzeitig die Unternehmensübergabe einzuleiten. Da seine Entscheidungen frei von persönlichen Gefühlen und nach sachlichen Gesichtspunkten erfolgen, kann die Einführung des Beirates eine objektive Nachfolgeentscheidung herbeiführen. Dabei helfen zur strukturierten Eingrenzung des Personenkreises sowie zur Heranführung und gezielten fachlichen Vorbereitung des ausgewählten Kandidaten spezielle Anforderungskataloge, welche zur Schaffung einer von allen Seiten akzeptierten Entscheidung in enger Zusammenarbeit mit den Gesellschaftern erarbeitet werden sollten. Auf diese Weise wird auch aus Sicht der Unternehmensumgebung sichergestellt, dass der zukünftige Nachfolger sowohl entemotionalisiert und unparteiisch ausgewählt als auch im Hinblick auf seine zukünftigen Tätigkeiten professionell vorbereitet wird.295 Besondere Bedeutung erhält die Nachfolgebegleitung des Beirates bei Familienunternehmen in Alleinbesitz, da hier dem Senior vor dem Hintergrund der angesprochenen Problematik des Loslassens die Möglichkeit eines schrittweisen Rückzugs eröffnet wird. „Wechselt der Senior mit Bestellung seines Nachfolgers aus der Geschäftsführung in einen Beirat über, so kann der Beirat als Plattform dazu genutzt werden, das Know-how und die Erfahrung des ausscheidenden Seniors weiter für das Unternehmen fruchtbar zu machen.“296 Allerdings nutzen Alleinherrscher diese Funktion des Beirates im Verhältnis zu den anderen untersuchten Aufgabenfeldern bislang am geringsten (37%). Die Erteilung entsprechender Zustimmungsbefugnisse (60%) sowie die Personalkompetenz über die Geschäftsführung (80%) sind den Umfrageergebnissen zufolge Erfolgskriterien, auftretende Schwierigkeiten im Rahmen der Nachfolgeregelung zu glätten. Eventuelle Befürchtungen, dass der Unternehmer als „graue Eminenz“ die Ge294
Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 140 ff. Vgl. Carlock, R. S., Ward, J. L. (2001), S. 229 f.; Iliou, C. (2004), S. 187 f.; Neubauer, F., Lank, A. (1998), S. 103 f. 296 Vgl. Wiedemann, A., Kögel, R. (2008), S. 84 f. 295
Einrichtung eines Beirates – Mechanismus des Unternehmens
135
schicke des Unternehmens nicht formell, sondern informell aus dem Beirat heraus an sich reißt, können durch die Festlegung bestimmter Altersgrenzen gemildert werden.297 Wächst das Familienunternehmen über Generationen zur Geschwistergesellschaft und zum Vetternkonsortium, kann an der Einheit von Führung und Eigentum durch die Existenz verschiedener Familienstämme nicht festgehalten werden. Da in diesem Entwicklungsstadium Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Person des Nachfolgers zu Blockierungen führen können, erhält der Beirat primär eine Moderations- und Schlichtungsfunktion. Die Analyse der Gremienbesetzung kann als Hinweis dienen, dass zur Vermeidung der Konfliktsituation die operative Geschäftsführung einem angestellten Fremdmanagement überlassen wird und die Gesellschafter stattdessen eine Position im Beirat bekleiden. Auch ein steigender Anteil zustimmungspflichtiger Verfügungsbefugnisse weist auf einen bedeutenden Eingriff in die gesellschaftsrechtliche Zuständigkeitsordnung und somit auf eine stattfindende Kompetenzverlagerung hin (Tabelle 15).
297
Vgl. Iliou, C. (2004), S. 193.
136
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
Besetzung und Kompetenzen
Sicherstellung der personellen
Wahl
Kontinuität
Familien-
Familien-
Personal-
Zustim-
Gesamt
eigene
fremde
kompetenz
mungs-
Sample
Mitglieder
Mitglieder
pflicht
Alleinherrscher
30,0%
50,0%
50,0%
80,0%
60,0%
37,0%
Geschwisterge-
62,5%
62,5%
45,0%
25,0%
87,5%
48,6%
66,7%
66,7%
33,3%
66,7%
100,0%
100,0%
sellschaft Vetternkonsortium
Tab. 15: Sicherstellung der personellen Kontinuität (Mehrfachnennungen möglich)298 Schlussendlich schafft ein frühzeitig institutionalisierter Beirat ein exzellentes Forum, welches unter Berücksichtigung von familien- und unternehmenspolitischen Gegebenheiten das Bekenntnis und die Verbindlichkeit zum Familienunternehmen mit dem Ziel einer gemeinsamen Zukunftsvision stärkt und somit im Bereich der Unternehmensnachfolge erheblichen Nutzen für das Unternehmen stiftet. 4.4 Einrichtung einer Family Governance – Mechanismus der Familie Aus den bisher geschilderten Besonderheiten der Governance familiengeführter Unternehmen ist deutlich geworden, dass eine explizite Thematisierung familienpolitischer Aspekte aufgrund der Interaktion zwischen den einzelnen Individuen in ihren jeweiligen Rollen als Familienmitglied, wie etwa der Art und Weise des Zusammenlebens und des Umgangs miteinander sowie der kollektiven familiären Entscheidungsfindung, keineswegs außer Acht gelassen werden darf. 298
Eigene Studie.
Einrichtung einer Family Governance – Mechanismus der Familie
137
Im besonderen Ereignis des Generationenwechsels bedarf es zur Stabilisierung und Bestandssicherung des Familienunternehmens Mechanismen, die Krisen aus dem privaten Umfeld der Familie vom Unternehmen fernhalten. Auch eine zunächst fehlende Bereitschaft der nachfolgenden Generation zur Fortführung des Unternehmens kann durch Anwendung von wirkungsvollen Mechanismen Einigkeit herstellen und die aktuelle Stimmungslage innerhalb der Familie positiv beeinflussen. In neuester Zeit wird daher in der deutschsprachigen Literatur gefordert, die zerstörerische Kraft der Entfremdung frühzeitig zu identifizieren, als Problem wahrzunehmen und ihre strategische Lösung als Schlüsselkompetenz nicht nur zum Fortbestand der Familie, sondern zum Überleben des Unternehmens als Familienunternehmen anzusehen.299 Als Instrument vorausschauender Planung der Familiensphäre sollen innerhalb dieses Unterkapitels konkrete Mechanismen der Family Governance vorgestellt und im Rahmen der empirischen Analyse auf ihre bisherige Anwendung im Familienunternehmen und Wirksamkeit im Generationenwechsel überprüft werden. Abbildung 27 zeigt einleitend die Ergebnisse der generellen Existenz von Family-Governance-Mechanismen in Familienunternehmen. Betrachten wir dabei die Häufigkeit familienpolitischer Institutionen der Governance, so stehen den Umfrageergebnissen zufolge ausdifferenzierte Family-Governance-Strukturen nicht auf der Agenda der Sample-Unternehmen. Positiv hervorzuheben sind Investitionen in die gezielte Weiterbildung zukünftiger Gesellschafter in Form einer Family Education (32%) sowie die Diagnose, dass 13% der Unternehmen die Einführung von Regelungen in Zukunft planen. Jedoch fördert erst jedes zehnte Unternehmen eine Stabilisierung der Familie durch Diskussionen und Festschreiben der gemeinsamen Leitplanken und Grundüberzeugungen in Form eines Familientreffens. Bezeichnend für den aktuellen Stellenwert ist weiterhin der Befund, dass 8% die Servicefunktion eines Familienbüros (Family Office) in Form einer gemeinsamen Vermögensanlage nutzen und lediglich 4% der Sample-Unternehmen über eine niedergelegte Familienverfassung als Grund299
Vgl. Baus, K. (2007), S. 67; Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 163; PWC [Hrsg.] (2006), S.
138
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
lage der Family Governance verfügen. Das gewonnene Bild wird durch die Beurteilung von knapp jedem dritten Unternehmen, eine Etablierung von FamilyGovernance-Strukturen sei nicht nötig, bestärkt.
Abb. 27: Family-Governance-Mechanismen in Familienunternehmen300 Dieser erste Zugang zeigt deutlich, dass die Mehrzahl der untersuchten Familienunternehmen die Bedeutung familienpolitischer Governance-Mechanismen bislang nicht erkannt hat. Jedoch entstehen starke Familien nicht zufällig: “Processes and mechanismen, including what we call ´family institutions´, must be created to operationalise these evolving value systems. They range from highly informal to highly formal bodies, and of course tend to vary over time and in parallel with the family’s life cycle, the ownership stage and the life cycle of 300
Eigene Studie.
Einrichtung einer Family Governance – Mechanismus der Familie
139
the business.“301 Während internationale Studien, dem gewonnen Erkenntnisinteresse und Stellenwert der Family Governance folgend, die Einigkeit in der Unternehmerfamilie hinsichtlich der Performance des Unternehmens untersuchen302, werden die Mechanismen nachstehend im Sinne der dargestellten Erfolgsdefinition zur Sicherung der Unternehmensnachfolge im Generationenwechsel analysiert. 4.4.1 Familienverfassung Die Familienverfassung kann als Fundament der Family Governance als eine Art Grundgesetz unternehmenspolitischer Grundhaltungen und Entscheidungsprozesse innerhalb der Familie verstanden werden.303 Da der Begriff der Familienverfassung in der internationalen Literatur eine Vielfalt an Formen und Namensgebungen annimmt, diese aber ähnliche Zielsetzungen verfolgen, sei an dieser Stelle auf die jeweilige Literatur verwiesen.304 In dieser Arbeit wird die Familienverfassung in Form eines Rahmenkonzeptes, dass Maximen im Sinne von Grundsätzen, Zielen und Strategien der Familie als Soll-Vorstellung einer langfristigen Entwicklung dokumentiert und schriftlich festhält, vorgestellt.305 Bei der Einrichtung einer Familienverfassung steht der Gedanke im Vordergrund, dass unternehmenspolitische Entscheidungen im Rahmen der Fortentwicklung des Unternehmens noch nicht vorbestimmt sind. Es bedarf eines Entwicklungsprozesses, der zwei wesentliche Fragen berücksichtigen muss. Erstens, hat die Familie ein Interesse an der Aufrechterhaltung ihres Anteilsbesitzes über Generationen hinweg und zweitens, ist die Familie auch bereit und befähigt, die Verantwortlichkeit des Anteilsbesitzes in Form der aktiven Geschäftsführung zu übernehmen. Der Familienverfassung kommt nunmehr die Bedeutung zu, den innerfamiliären Zusammenhalt zielorientiert aufeinander abzustimmen und der 301
Neubauer, F., Lank, A. (1998), S. 80. Vgl. Miller, D., Steier, L., Le Breton-Miller, I. (2006); Shea, H. (2006); Tan, W. L., Gan, F. J. (2007). 303 Vgl. Moos, A. (2003), S. 70. 304 Vgl. zu einer Übersicht unterschiedlicher Begrifflichkeiten Neubauer, F., Lank, A. (1998), S. 89. 305 In Anlehnung an Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 172. 302
140
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
nächsten Generation ein realistisches Bild zukünftiger Herausforderungen der Eigentümerschaft aufzuzeigen, um im Ergebnis beide Fragen mit „Ja“ zu beantworten.306 Hierzu steht der materielle Bezugspunkt des Familienvermögens unter Berücksichtigung von emotionalen Aspekten zur sachlichen Verständigung der Familienmitglieder untereinander im Vordergrund. Ein gemeinsamer Erstellungsprozess kann danach als mindestens genauso entscheidend erachtet werden wie das finale Dokument, da ein intensiver Dialog über Grundstrukturen und Inhalte der Familienverfassung wesentlich zur späteren Akzeptanz des familiären Rahmenwerkes und somit zur Fortführung des Unternehmens als Familienunternehmen beiträgt.307 Was sind nun mögliche Inhalte einer Familienverfassung? Da sie als Summe der geteilten Überzeugungen und Resultate der Family-Governance Diskussionen als notwendige Ergänzung zur Corporate Governance innerhalb des Generationenwechsels verstanden wird, sollen innerhalb dieses Ansatzes familienpolitische Mechanismen der gemeinsamen Werte- und Zieldefinition, Investitionen in die gezielte Weiterbildung zukünftiger Gesellschafter in Form einer Family Education sowie die Servicefunktion des Family Office in Form einer gemeinsamen Vermögensanlage in ihr platziert werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der vorgestellten Familienunternehmenstypen kommt der Institutionalisierung dieser Inhalte eine wesentliche Bedeutung zu, da diese Mechanismen sowohl in einem frühen Entwicklungsstadium als Grundgerüst als auch in entwickelten Familienunternehmen über Generationen hinweg zur Komplexitätsreduktion und Formalisierung dienen können. Von außen betrachtet findet zumindest die schriftliche Fixierung der Familienverfassung und dessen Inhalt in der Praxis bislang wenig Berücksichtigung. Sowohl der Befund im Sample als auch jüngste Analysen von Familienunternehmen308 zeigen, dass augenblicklich die Möglichkeiten vorbeugender Maßnahmen zur Konfliktvermeidung im Zusammenspiel der Funktionskreise des
306
Vgl. Carlock, R. S., Ward, J. L. (2001), S. 51. Vgl. Baus, K. (2007), S. 71; Neubauer, F., Lank, A. (1998), S. 89. 308 Vgl. PWC [Hrsg.] (2008), S. 24. 307
141
Einrichtung einer Family Governance – Mechanismus der Familie
Drei-Kreis-Modells als nicht ausreichend bezeichnet werden müssen. Eine detailliertere Betrachtungsweise der Sample-Unternehmen nach Familienunternehmenstypen in Tabelle 16 lässt jedoch die unverkennbare Tendenz erkennen, dass eine Implementierung tragfähiger Strukturen, hier in Form der Familienverfassung, vom Alleinherrscher (2,4%) bis zum Vetternkonsortium (25,0%) immer häufiger wahrgenommen wird. Zwar stehen aufgrund der zersplitterten Eigentümerstruktur einzelne inhaltliche Aspekte des Werte- und Kommunikationsmanagements im Vetternkonsortium im Vordergrund, jedoch kann im Hinblick auf den festgestellten Schrumpfungsprozess von Familienunternehmen der ersten und zweiten Generation eine individuell strukturierte Familienverfassung gerade im Anfangsstadium für Geschlossenheit und Ausgewogenheit in der Unternehmerfamilie sorgen und somit die notwendige Loyalität zum gemeinsamen Projekt Familienunternehmen dauerhaft sichern.
Familienunternehmenstyp
Niedergelegte Familienverfassung
Alleinherrscher
Geschwistergesellschaft
Vetternkonsortium
Gesamt
Nein
% innerhalb Familienunternehmenstyp
97,6%
93,2%
75,0%
96,0%
Ja
% innerhalb Familienunternehmenstyp
2,4%
6,8%
25,0%
4,0%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
Tab. 16: Familienverfassung als Fundament der Family Governance in Korrelation zum Familienunternehmenstyp309
309
Eigene Studie.
142
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
4.4.2 Familientreffen Ein wichtiger Kernpunkt in allen Familien ist das Verständnis von Streit als Phänomen des Konflikts im menschlichen Sozialverhalten und der Beziehung von Familienmitgliedern, was gerade im Familienunternehmen aufgrund der engen Zusammenarbeit als Grundproblem anerkannt werden muss. Jedoch mangelt es in Familienunternehmen zu oft an der Wahrnehmung, dass Konflikte innerhalb des Unternehmens aus einer fehlenden oder begrenzten Mitverantwortlichkeit der Familie zur Erforschung von gemeinsamen Werten, Zielen und Visionen resultieren. Insofern ist eine angemessene Konflikthandhabung im Sinne eines kontinuierlichen Bemühungsprozesses notwendig, welcher die Identität der Familie durch gemeinsame Wertvorstellungen festigt und langfristig sicherstellt.310 In der Literatur zur Konfliktforschung wird daher gefordert, Auseinandersetzungen innerhalb einer direkten Konfrontation und Kommunikation anzugehen, da Verhaltensweisen der Ignoranz und Verleugnung von familiären Konflikten nicht zu einer angemessenen Thematisierung, sondern letztlich zu einer Verschiebung der Probleme in die Zukunft führen. Da dieses Vorgehen im Falle des Generationenwechsels und der Frage potentieller Fortführungs- und Nachfolgervarianten in der Praxis zu verhängnisvollen Auswirkungen geführt hat, sind Anerkennung und ein gemeinsamer Dialog über potentielle familiärer Konflikte für die Zukunft des Familienunternehmens von zentraler Bedeutung (Abbildung 28).311
310 311
Vgl. Carlock, R. S., Ward, J. L. (2001), S. 73. Vgl. Neubauer, F., Lank, A. (1998), S. 73 ff.
143
Einrichtung einer Family Governance – Mechanismus der Familie
Vermeiden
Empfehlung
Konfrontation
Ignoranz
Schlichtung
Kommunikation
Zurückziehung
Verhandlung
Problemlösung
Verleugnung
Anerkennung
Dialog
Gradmaß langfristiger Erfolgswirksamkeit zur Lösung bedeutender Konflikte
Abb. 28: Strategie des Konfliktmanagements nach Neubauer und Lank312 Zur Schaffung eines kollektiven Forums der Diskussion können Familientreffen mit inhaltlichem Bezug zum Unternehmen eingeführt werden. Da die Zukunft des Unternehmens vom Kooperationspotential der Familie abhängt, kann ein regelmäßig stattfindendes Familientreffen den Rahmen vorgeben, in dem die Beziehungen der Familienmitglieder entwickelt und langfristig gefestigt werden können. Außerdem besteht für die Familienmitglieder die Gelegenheit, familienpolitische Entscheidungsfindungen über Veränderungen des Anteilsbesitzes in einem ungezwungenen Kreis zu formulieren und somit spannungsgefährdete Themen wie das der Unternehmensnachfolge zunächst im Kreis der Familie zu diskutieren.313 Die Ausgestaltung und Institutionalisierung eines solchen Familientreffens hängt wiederum von dem anzutreffenden Familienunternehmenstyp ab. Während beim Typ des Alleinherrschers Familientreffen als informelle Regelungen mit 312 313
Entnommen aus: Neubauer, F., Lank, A. (1998), S. 75. Vgl. Baus, K. (2007), S. 121; Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 180; May, P. (2006b), S. 33.
144
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
festgelegter Agenda als präventive Eskalationsmaßnahme zwischen dem Eigentümer und seiner Familie fungieren, so etabliert das Familientreffen bei zunehmender Zersplitterung der Eigentümerfamilien zu einer offiziellen Familienversammlung. Je weiter sich die Familien vom Unternehmen und voneinander distanzieren, desto wichtiger wird die Schaffung eines gemeinsamen Rituals innerhalb des Familienunternehmens, das den passiv beteiligten Familienmitgliedern einerseits die Möglichkeit bietet, sich aktiv am Unternehmen zu beteiligen und andererseits ihre Haltung und Meinung hinsichtlich der Bedürfnisse und Anliegen ihres Investments vorzutragen.314 Das Familientreffen als Element der Family Governance sollte aber nicht nur als Kommunikationsforum gemeinsamer Interessen und Maximen der Familie genutzt werden. Vielmehr bietet es für die heranwachsende Generation und somit potentieller Nachfolgekandidaten die Gelegenheit, ein Verständnis für das familiengeführte Unternehmen zu entwickeln und Werte und Normen der Familie frühzeitig zu erfahren. Umso erstaunlicher ist daher die Feststellung, dass erst 12% der untersuchten Familienunternehmen eine Konfliktlösung in Form eines gemeinsamen Forums der Familie anstreben. Um zu erfahren, welche Faktoren Einfluss auf die gemeinsame Erarbeitung und Kommunikation innerhalb des Familienunternehmens nehmen, zeigt Tabelle 17 eine Auswertung nach Umsatzgrößenklassen und Familienunternehmenstypen. Hiernach verfügen vor allem große Unternehmen mit einem Umsatz größer 100 Mio. € mit insgesamt 33,3% über kollektive familienpolitische Entscheidungsfindungen als Instrument der Family Governance, während der Anteil bei Unternehmen mit Umsätzen kleiner 30 Mio. € insgesamt 10,2% und zwischen 30 und 100 Mio. € insgesamt 13,0% beträgt. Der im Unterkapitel 4.4.1 festgestellte Trend, dass bereits über mehrere Generationen bestehende Familienunternehmen in der Form des Vetternkonsortiums tendenziell häufiger Instrumente der Family Governance in Anspruch nehmen, kann durch die hier vorgenommene Schichtung bestätigt werden. Die Entwicklung findet 314
Vgl. Carlock, R. S., Ward, J. L. (2001), S. 80 ff.; Davis, J. A. (2001), S. 2; Neubauer, F., Lank, A. (1998), S. 80 ff.
145
Einrichtung einer Family Governance – Mechanismus der Familie
Ergänzung darin, dass nicht nur Erfahrung, sondern auch Umsatzstärke einen Einfluss auf die Institutionalisierung der Mechanismen ausübt, denn 50,0% der Familienunternehmen in der Form des Alleinherrschers und 25,0% in der Form der Geschwistergesellschaft haben innerhalb der Umsatzgrößenklasse größer 100 Mio. € Familientreffen als Regelungen der Familie etabliert.
Familientreffen nach Umsatzgrößenklassen in Mio. € < 30
30 100
>100
Familienunternehmenstyp Alleinherrscher
Geschwistergesellschaft
Vetternkonsortium
Gesamt
Nein
% innerhalb Familienunternehmenstyp
91,2%
85,2%
0,0%
89,8%
Ja
% innerhalb Familienunternehmenstyp
8,8%
14,8%
0,0%
10,2%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
0,0%
100,0%
Nein
% innerhalb Familienunternehmenstyp
84,4%
92,3%
100,0%
87,0%
Ja
% innerhalb Familienunternehmenstyp
15,6%
7,7%
0,0%
13,0%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
Nein
% innerhalb Familienunternehmenstyp
50,0%
75,0%
66,7%
66,7%
Ja
% innerhalb Familienunternehmenstyp
50,0%
25,0%
33,3%
33,3%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
Tab. 17: Familientreffen im Verhältnis zu Umsatzgrößenklassen und Familienunternehmenstypen315 Da als greifbares Ergebnis eine Verbesserung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit und somit eine Verbesserung der Kommunikation innerhalb der Familie zu manifestieren ist, kann im Zusammenhang der Nachfolgeregelung
315
Eigene Studie.
146
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
die Einrichtung eines Familientreffens als kritischer Erfolgsfaktor zur langfristigen Überlebensfähigkeit des Unternehmens gewertet werden. 4.4.3 Family Education Die Analyse der Vergangenheit hat gezeigt, dass die Phase des Generationenwechsels als kritischster Zeitpunkt im Lebenszyklus des Familienunternehmens gewertet werden muss. Betrachten wir die Voraussetzungen, unter denen Familienunternehmen langfristig erfolgreich sein können, so stellen Leistungsfähigkeit und Qualität zwei wesentliche Ziele dar. Um diesen Standards auch in Zukunft entsprechend zu können, liefert die Übertragung des erforderlichen Wissens vom Vorgänger auf die nächste Generation einen unerlässlichen Beitrag: „…knowlege, since most of the times, it is ´the taken-for-granted´ factor.“316 Trotzdem haben Untersuchungen in der Vergangenheit dem Themenaspekt des Wissenstransfers wenig Beachtung geschenkt. Während auf der einen Seite eine explizite Thematisierung dieser Überlieferung nicht stattfindet und vorausgesetzt wird, deutet auf der anderen Seite alles darauf hin, dass die Befähigung zur strukturierten Übermittlungen und Weitergabe des Wissens aufgrund einer interdisziplinären Anwendbarkeit für Familie und Unternehmen von Vorteil sind.317 Diesem Gedanken folgend soll Family Education als Element der Family Governance dafür Sorge tragen, dass die zukünftige Führungsgeneration systematisch mit dem notwendigen Grundwissen versorgt und somit Schritt für Schritt auf die bevorstehenden Aufgaben vorbereitet wird. Die Basis des erforderlichen Wissens ist die Unternehmensphilosophie und -soziologie. Da die Reputation des Unternehmens stark mit dem Persönlichkeitsbild der Familie verbunden ist, gilt es gemeinsame Werte und Normen mit dem Ziel eines gesteigerten Verantwortungsbewusstseins an potentielle Nachfolger weiterzugeben, so dass Wille und Motivation zur Fortführung des Familienunternehmens auf eigenen Wunsch und nicht auf Drängen des Seniors erfolgen. Im Sample äußerten 316 317
Trevinyo-Rodriguez, R. N., Tàpies, J. (2006), S. 343. Vgl. Le Breton-Miller, I., Miller, D., Steier, L. (2004), S. 307 f.; Trevinyo-Rodriguez, R. N., Tàpies, J. (2006), S. 344.
Einrichtung einer Family Governance – Mechanismus der Familie
147
lediglich 12% der Nachkommen diesen Wunsch gegenüber ihren Eltern. Familientreffen und eine frühzeitige Heranführung an das Unternehmen können das Hineinwachsen der nachwachsenden Generation fördern und eine der Stewardship-Theorie folgenden Rollenverteilung zwischen Vorgänger und Nachfolger hervorbringen.318 Nachdem der Führungsnachwuchs die Entscheidung zum Verbleib im Unternehmen getroffen hat, muss in einem zweiten Schritt die akademische und persönliche Entwicklung des Nachfolgers innerhalb eines strukturierten Karriereplans festgelegt werden. Idealerweise erfolgt schon während des Studiums eine Phase der Berufserfahrung in anderen Betrieben oder im Ausland, so dass im Anschluss eine üblicherweise im mittleren Management angesiedelte Position innerhalb des Familienunternehmens eingenommen werden kann. Im folgenden Zeitabschnitt thematisieren vor allem internationale Beiträge den Stellenwert eines „strategic planning process“, der anerkannt und empirisch nachgewiesen Übereinstimmung schafft, Kommunikation fördert und durch eine integrative Themenbehandlung Lerneffekte hervorruft.319 Im Ereignis des Generationenwechsels stehen vor allem die beiden folgenden Aspekte im Vordergrund:
“content, and in particular in helping young members in acquiring knowledge in a systematic way, thanks to the internal and external learning through collecting spread knowledge, and to the effort of quantifying phenomena; interpersonal relationship, both with family and non-family members, through improving legitimization before family and non-family external stakeholders, and through allowing executives and directors to evaluate the job done, above all in terms of strategic intent.” 320
Zur Realisierung und anschließenden Wirksamkeitsüberprüfung der dargestellten Vorteile können alle relevanten Aspekte innerhalb eines integrativen
318
Vgl. May, P., Rieder, G. (2006), S.135 f.; Neubauer, F., Lank, A. (1998), S. 133 ff. Vgl. Carlock, R. S., Ward, J. L. (2001), S. 101 ff. 320 Mozzola, P., Marchisio, G., Astrachan, J. H. (2006), S. 403. 319
148
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
Modells dargestellt und bewertet werden.321 Nach dem Vorbild der lernenden Organisation322 kann Family Education insgesamt als ständiger Anpassungs- und Verbesserungsprozess im Rahmen des Generationenwechsels verstanden werden, der kritische Momente identifiziert und somit Konfliktsituationen verbeugt. Analysieren wir das bislang am häufigsten etablierte Elemente der Family Governance (32%) nach Umsatzgrößenklassen und Familienunternehmenstypen wird deutlich, dass insbesondere umsatzschwache Familienunternehmen in der Form des Alleinherrschers den Ausschlag für die hohe Gesamtimplementierung liefern, da 33% innerhalb dieser Gruppe das erforderliche Wissen an die nachfolgende Generation weitergeben. Aufgrund der festgestellten Vorteile ist diese Vorgehensweise gerade in jungen und unerfahrenen Familienunternehmen sicherlich von hohem Wert. Erinnern wir uns an die bislang untersuchten Corporate und Family-Governance-Mechanismen, so vermittelt der Blick auf die umsatzstärkeren und erfahrenen Familienunternehmen ein ähnliches Bild. Hier gehören Maßnahmen des Werte- und Wissenstransfers zwar nicht zur Tagesordnung, jedoch findet vor allem innerhalb des Vetternkonsortiums eine ansehnliche Thematisierung statt (Tabelle 18).
321
Vgl. beispielhaft Le Breton-Miller, I., Miller, D., Steier, L. (2004), S. 318; Trevinyo-Rodriguez, R. N., Tàpies, J. (2006), S. 352. 322 Vgl. Senge, P. M. (1990).
149
Einrichtung einer Family Governance – Mechanismus der Familie
Family Education nach Umsatzgrößenklassen in Mio. € < 30
30 100
>100
Family Education
Family Education
Family Education
Familienunternehmenstyp Alleinherrscher
Geschwistergesellschaft
Vetternkonsortium
Gesamt
Nein
% innerhalb Familienunternehmenstyp
67,0%
81,5%
0,0%
70,3%
Ja
% innerhalb Familienunternehmenstyp
33,0%
18,5%
0,0%
29,7%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
0,0%
100,0%
Nein
% innerhalb Familienunternehmenstyp
65,6%
61,5%
0,0%
63,0%
Ja
% innerhalb Familienunternehmenstyp
34,4%
38,5%
100,0%
37,0%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
Nein
% innerhalb Familienunternehmenstyp
50,0%
100,0%
33,3%
66,7%
Ja
% innerhalb Familienunternehmenstyp
50,0%
0,0%
66,7%
33,3%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
Tab. 18: Family Education im Verhältnis zu Umsatzgrößenklassen und Familienunternehmenstypen323 4.4.4 Family Office Im Zuge der Nachfolgeregelung stehen erfolgreiche Firmengründer, etablierte Unternehmensinhaber sowie ausscheidende Familiengesellschafter gleichbedeu323
Eigene Studie.
150
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
tend vor der Herausforderung, das erwirtschaftete Vermögen zu bewahren und auf die nächste Generation zu übertragen. Jedoch kommen sowohl bestehende Beiträge zu Familienunternehmen als auch die Analyse der SampleUnternehmen in Nordrhein-Westfalen zu dem Ergebnis, dass eine vorausschauende und langfristige Nachfolgeplanung zur erfolgreichen Fortführung des Vermögens häufig vernachlässigt wird. Zur existenziellen Absicherung des Eigentümers und seiner Familie ist demnach ein Strukturkonzept nötig, das für eine nachhaltige Verwaltung und Erhaltung des familiären Vermögens sorgt.324 Als Instrument der Family Governance thematisieren daher vor allem internationale Beiträge die Einrichtung eines Family Office, „welches insbesondere alle finanzpolitischen Aktivitäten in einem modernen Vermögensverwaltungsund planungszentrum konzentriert und koordiniert, um die Sicherung, das Wachstum und den Übergang von familiärem Vermögen zu gewährleisten.“325 Die Gründung erster Family Offices erfolgte im 19. Jahrhundert in den USA: „Family offices arose from the need of the ultra-wealthy to have a continuous thread connecting the many disparate parts of the professional advisory, including attorneys, certified public accountants (CPA´s), investment managers, stockbrokers, insurance agents, and bank and independent trust entities.”326 Ein Team hochqualifizierter Spezialisten übernimmt demnach unter Berücksichtigung familiärer Wert- und Zielvorstellungen die Harmonisierung finanzpolitischer Strategien des Unternehmens. Da die Verwaltung des Vermögens zunehmend komplexer wird und über reine Finanzfragen hinausgeht, ist das grundlegende Ziel eines Family Office die Kontrolle einer effizienten Analyse, Erhaltung und Vermehrung des Vermögens unter Beachtung steuerlicher, rechtlicher und politischer Rahmenbedingungen.327 Dabei kann ein Family Office je nach Entwicklungsstadium und Dynamik des Familienunternehmens verschiedene organisatorische Formen annehmen. Zum einen können Unternehmen der Form des Alleinherrschers ihr Vermögen 324
Vgl. Baus, K. (2007), S. 158; Feick, M., Scherer, S. (2007), S. 141. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 184. 326 Gray, L. (2004), S. 9. 327 Vgl. Hennerkes, B. H. (2004), S. 251. 325
Einrichtung einer Family Governance – Mechanismus der Familie
151
über eine kleine und effiziente Beratercrew in einem virtuellen Family Office selbst verwalten lassen (in-house) oder das Family Office outsourcen und einer Bank oder einem sonstigen Finanzdienstleister übertragen (on-side).328 Der Nutzen eines solchen integrierten Strategieplanes liegt hier nicht nur im Management des investierten Kapitals, sondern auch in der Einbeziehung des Humankapitals der beteiligten Familienmitglieder. Diese kollektive Betrachtungsweise liefert aus der Sichtweise der Stewardship-Theorie im Ergebnis eine Steigerung von Vertrauen, intra-familiärem Altruismus und emotionalen Beziehungen im Familienunternehmen und stellt somit einen unverzichtbaren Beitrag zur Unternehmenskontinuität dar. Gewachsene Familienunternehmen in der Form der Geschwistergesellschaft und des Vetternkonsortiums können prinzipiell auch die Möglichkeit eines externen Family Office nutzen, jedoch bietet die Implementierung eines unabhängigen Family Office für mehrere Familien Vorteile aus der Fixkostendegression in der Anlauf- und Verwaltungsphase. Die Bündelung des privaten Anlagevermögens führt bei mehreren Gesellschaftern durch bessere Anlagekonditionen und professionelleres Management zu Synergieeffekten, die für jeden allein unerreichbar wären.329 Die gemeinsame Vermögensanlage reduziert zusätzlich bestehende Prinzipal-Agenten-Beziehungen zwischen rivalisierenden Gesellschafterstämmen, da Entscheidungen über die Ausschüttungspolitik des Unternehmens durch zusätzliche Erträge aus der Vermögensverwaltung zu Gunsten des Familienunternehmens getroffen werden können. Während heutzutage in den USA eine Vielzahl solcher Einrichtungen existieren, nutzen den Umfrageergebnissen zufolge im Bundesland NordrheinWestfalen erst 8% der Familienunternehmen den Mehrwert eines Familie Office als Koordinationsfunktion zwischen Unternehmen und Familie. Betrachten wir dabei in Analogie der dargestellten Organisationsformen die Einrichtung nach Familienunternehmenstypen, so nehmen etwa 10% in der Form des Alleinherr-
328 329
Vgl. May, P. (2001), S .158; Redlefsen, M. (2004), S. 79. Vgl. Hennerkes, B. H. (2004), S. 253; May, P. (2001), S. 158; Neubauer, F., Lank, A. (1998), S. 85.
152
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
schers und 25% der Unternehmen in der Form des Vetternkonsortiums das Dienstleistungsangebot eines Family Office wahr (Tabelle 19).
Familienunternehmenstyp
Family Office
Alleinherrscher
Geschwistergesellschaft
Vetternkonsortium
Gesamt
Nein
% innerhalb Familienunternehmenstyp
90,4%
97,7%
75,0%
91,9%
Ja
% innerhalb Familienunternehmenstyp
9,6%
2,3%
25,0%
8,1%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
Tab. 19: Institution des Family Office nach Familienunternehmenstypen330 Dieses Resultat lässt die Schlussfolgerung zu, dass Unabhängig von der Ausgestaltung des Family Office die Institution als Mechanismus der Family Governance eine Verankerung zwischen den Gesellschaftern schafft und somit eine bindende Wirkung auf die Familienmitglieder ausübt. Im Gegensatz zu anderen Beiträgen, die das Family Office als Anlagevehikel im Falle der Veräußerung des Familienunternehmens begreifen331, bildet die frühzeitige Implementierung eines Family Office im Rahmen dieses Ansatzes einen wertvollen Beitrag zur einheitlichen Willensbildung unter den Gesellschaftern und somit zur Sicherung der Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen.
330 331
Eigene Studie. Vgl. Bechtolsheim, C. v., Rhein, A. (2008), S. 300; Kaye, K. (1998), S. 276.
Einrichtung eines eigenen Kodex – Mechanismus des Eigentums
153
4.5 Einrichtung eines eigenen Kodex – Mechanismus des Eigentums Die bisherige Analyse hat gezeigt, dass die Organisation der Leitung und Kontrolle in Familienunternehmen anders erfolgen muss als in börsennotierten Unternehmen. Insbesondere die aufgezeigte Heterogenität der Familienunternehmen beeinflusst das unternehmenseigene System der Selbstkontrolle, so dass eine optimale Rollenverteilung nur in Abhängigkeit des Menschenbildes, der Komplexität der Unternehmerfamilie sowie verschiedener Umfeldfaktoren erreicht werden kann. Jedoch kann Corporate Governance allein einen dauerhaften Erfolg des Familienunternehmens nicht garantieren. Zur Stabilisierung und Bestandssicherung bedarf es zusätzlich einer professionellen Organisation der Eigentümerfamilie, welche durch die vorgestellten Family-Governance-Mechanismen strukturiert und effektiv umgesetzt werden kann. Infolge dieser Feststellung soll dem Inhalt des Drei-Kreis-Modells folgend ein Mechanismus vorgestellt werden, der in der Funktion eines Beurteilungskataloges nicht nur die bereits untersuchten Corporate- und Family-GovernanceMechanismen übergreifend flankiert, sondern auch durch spezifische Regelungen langfristig Einfluss auf die Eigentumsstruktur des Familienunternehmens ausübt. Dabei ist der prinzipielle Gedanke nicht neu, denn bereits der hohe Adel erkannte im 14. Jahrhundert die Schwierigkeit, das Vermögen des Hauses in den Händen der Familie zu erhalten und erst im Anschluss die Interessen der einzelnen Mitglieder zu berücksichtigen. Es entstand der Begriff der Hausgesetze, welche durch Erbeinigungen, Hausverträge und Familiengesetze das ererbte Vermögen gegen Verfall und Zerteilung sichern sollten.332 Weiterhin folgen die bereits erläuterten und im Rahmen der Umfrage analysierten Bemühungen zur Etablierung des Governance Kodex für Familienunternehmen diesem Gedankengut. Dabei kann dieses einheitliche Regelungswerk, beeinflusst durch „SpilloverEffecte“ der auch in den Medien ausgetragenen Auseinandersetzung rund um den Deutschen Corporate-Governance-Kodex für börsennotierte Unternehmen,
332
Vgl. Hennerkes, B. H. (1998), S. 56.
154
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
„einen verlässlichen Rahmen für die Beurteilung und Optimierung ihrer Unternehmensverfassung geben.“333 Jedoch erfordert die aufgezeigte Heterogenität einen auf die individuellen Bedürfnisse von Familienunternehmen ausgerichteten „Code-of-Best-Practice“, welcher hinsichtlich der sehr spezifischen Governance familiengeführter Unternehmen im Rahmen eines Selbstevaluationsprozess entwickelt und nach Zustimmung aller Gesellschafter als Entscheidungsmaßstab herangezogen werden kann.334 4.5.1 Ziel und Inhalt eines eigenen Kodex Die Schaffung eines unternehmensspezifischen Kodex kann als professionelle Struktur den übergreifenden Willen der Familiengesamtheit abbilden und durch verantwortungsvolles Handeln der Eigentümer das Familienunternehmen langfristig in den Händen der Familie belassen. Dabei darf der Kodex nicht zum bloßen Papiertiger ausarten. Vielmehr schöpft er seine Kraft aus dem Vertrauen, dass kodifizierte Vereinbarungen fortlaufend den aktuellen Gegebenheiten angepasst und von aller Beteiligten eingehalten werden. Erfolgt die Etablierung in Form eines Lernprozesses, so können die analysierten personen- und unternehmensorientierten Spannungsfelder des Nachfolgeprozesses angemessen thematisiert und verbindlich niedergelegt werden. Denn erst durch die schriftliche Fixierung gewinnt der Kodex die ihm gebührende Autorität. Neben der Aufnahme von Regelungen zum Beirat und dessen Tätigkeitsund Kompetenzprofil (Corporate Governance) sowie den vorgestellten Mechanismen einer professionellen Führung der Eigentümerfamilie (Family Governance) sollen im Kodex Mechanismen integriert werden, die im Hinblick auf den Generationenwechsel der familieninternen Eigentumserhaltung dienen. Zur inhaltlichen Konkretisierung empfehlenswerter Einzelregelungen und deren bisherige Umsetzung in Familienunternehmen zeigt Abbildung 29 einen ersten 333 334
Vgl. INTES [Hrsg.] (2004), S. 4. Vgl. Neubauer, F., Lank, A. G. (1998), S. 85 f.; Wiedemann, A., Kögel, R. (2008), S. 27 f.; Winkeljohann, N. (2008), S. 1.
Einrichtung eines eigenen Kodex – Mechanismus des Eigentums
155
Überblick. Während die Trennung von Unternehmen und Familie als grundsätzliche Maxime von 37% der Eigentümer umgesetzt wird, so begreifen Unternehmer Regelungen der Höhe der Gewinnauszahlung und explizite Einschränkungen des zukünftigen Gesellschafterkreises als spezielle Maßnahmen der Eigentumssicherung gleichbedeutend mit jeweils 35%.
Abb. 29: Mechanismen der Eigentumserhaltung335 Im Vergleich zu den bisher vorgestellten Corporate- und FamilyGovernance-Mechanismen zeigt dieses Ergebnis eine ausgeprägtere Anwendung und Umsetzung der dargestellten Regelungen. Dies mag daran liegen, dass Unternehmerfamilien bereits Regelungen innerhalb des individualisierten Gesellschaftsvertrages oder aber in Testamenten der Gesellschafter niedergeschrieben 335
Eigene Studie.
156
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
haben. Allerdings besteht die Gefahr, dass diese vom Senior vorgegebenen Verhaltensweisen der Dynamik des Generationenwechsels nicht gerecht werden. Der Gesellschaftsvertrag sollte daher nicht wie in der Praxis üblich als alleiniger Regelungsort angesehen werden, sondern als Ausgangspunkt des rechtlichen Verhältnisses der Gesellschafter untereinander. Integriert in einem Kodex, der unter der Maxime „Business First“ übergreifend Gewinnauszahlungen der Gesellschafter und zukünftige Eigentümerstrukturen reglementiert sowie Mechanismen der Corporate und Family Governance zu einem integrierten Beurteilungskatalog formiert, kann das Familienunternehmen sowohl intern als auch extern zukunftsfähige Strukturen vorweisen, die vor allem im Rahmen des Generationenwechsels einen wertvollen Beitrag leisten. Der in den folgenden Unterkapiteln im Vordergrund stehende Zugang zur Frage der Governance von Familienunternehmen wird dem Gedanken gerecht, „dass ein Unternehmen als eigenständige Gesellschaft juristisch auf Grundlage des Gesellschaftsvertrages und der dort geregelten Inhalte, bzw. durch spezifische Regelungen in einschlägigen Gesetzestexten konstituiert wird.“336 Die Governance familiengeführter Unternehmen ist somit auch unter inhaltlichrechtswissenschaftlichen Gesichtspunkten zu analysieren. 4.5.2 Regelungen der Höhe der Gewinnauszahlungen Um das Ziel der Aufrechterhaltung und dauerhaften Bewahrung des Familienunternehmens zu erreichen, bedarf es zusätzlich juristischer Regelungen, die vornehmlich im Gesellschaftsvertrag des Unternehmens berücksichtigt werden. Der Gesellschaftsvertrag im Allgemeinen stellt nach Auffassung der jeweiligen Literatur das Grundgerüst dar, welches in der Praxis der Unternehmung mit Leben zu füllen ist.337 Da jedoch Machtverhältnisse, Rechte und Pflichten, Kapital und Nutzen und vieles mehr fixiert werden müssen, nehmen Zielkonflikte in der Entwicklung vom Alleinherrscher zum Vetternkonsortium tendenziell zu. Ein 336 337
Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 99. Vgl. Wälzholz, E. (2005a), S. 68 f.
Einrichtung eines eigenen Kodex – Mechanismus des Eigentums
157
damit verbundenes Streitpotential gilt es durch die Schaffung von Regelungen zu vermeiden, die so gestaltet sind, als wären sie unter Fremden vereinbart worden.338 Der Gesellschaftsvertrag ist daher auch nicht richtig oder falsch, sondern nur so gut, inwieweit er den besonderen Verhältnissen des Familienunternehmens gerecht wird und aus einer Zukunftsperspektive Raum für individuelle Anpassungen erlaubt.339 Eines der wichtigsten Ziele und Grundvoraussetzung für den Bestand des Unternehmens stellt die dauerhafte Erhaltung der Kapital- und Liquiditätsbasis dar.340 Da jedoch der Bedarf an Eigenkapital bei familieninterner Kontinuitätsstrategie nur durch die Thesaurierung von Gewinnen gedeckt werden kann, muss das Interesse der Gesellschaft an ausreichendem Investivkapital gegen das Verlangen der Gesellschafter nach einem hohen Lebensstandard abgewogen werden. Da insbesondere inaktive Gesellschafter den Wunsch einer hohen Ausschüttungspolitik äußern, gilt es Mechanismen einzuführen, die das Unternehmen vor Streitigkeiten abschirmen und für ein ausgewogenes Gleichgewicht sorgen.341 Für die Bewahrung der Kapitalbasis müssen Familienunternehmen gerade im Zuge des Generationenwechsels Entnahmeregelungen zur Vermeidung von Kapitalabflüssen und insbesondere Gewinnausschüttungsquoten im Gesellschaftsvertrag vereinbaren, so dass existenzbedrohende Liquiditätsabflüsse verhindert werden können. Die verbindliche Vorschreibung eines prozentualen Sockelbetrages für die Rücklagenzuführung im Gesellschaftsvertrag und die Einbindung des Beirates über Entscheidungen von Abweichungen innerhalb eines vorgegebenen Korridors sind inhaltliche Konkretisierungen, die jedes Familienunternehmen vereinbaren sollte.342 Auf der anderen Seite beanspruchen Eigentümer auch wirtschaftliche Interessen an das Unternehmen und erwarten eine langfristige Steigerung des Unternehmenswertes, so dass eine befriedigende Wertentwicklungen und Ausschüttungen die finanzielle Attraktivität der Unter338
Vgl. Fromm, R. (1991), S. 114. Vgl. Hennerkes, B. H. (1998), S. 125. Vgl. Scherer, S. et al. (2005), S. 34; Stobbe, T., Schulz, P. (2003), S. 98. 341 Vgl. Wälzholz, E. (2005b), S. 277 sowie Kapitel 3.4.2.3, S. 24 ff. 342 Vgl. Hannes, F. et al. (2008), S. 85 f.; Hennerkes, B. H. (1998), S. 128 f. 339 340
158
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
nehmensbeteiligung steigern und ein langfristiges Interesse am Erhalt des Familienunternehmens ermöglichen. Untersuchen wir die Regelung der Höhe der Gewinnauszahlung nach Familienunternehmenstypen, so disziplinieren 100% der Familienunternehmen in der Form des Vetternkonsortiums Ausschüttungen als Gegenstand des Gesellschaftsvertrages. Im Gegensatz dazu messen 25,6% der Alleinherrscher und 56,8% der Geschwistergesellschaften einer langfristigen Zukunftssicherung durch verankerte Entnahmeregelungen Bedeutung zu, während die verbleibenden Familienunternehmen im Zwiespalt der kurzfristigen Renditeoptimierung verharren (Tabelle 20). Insgesamt zeigen erfahrene Familienunternehmen die Bereitschaft auf Gewinne bzw. deren Ausschüttung zu verzichten und erhöhen dadurch die Chance, das Unternehmen an die nächste Generation zu übergeben.
Familienunternehmenstypen
Regelungen der Höhe der Gewinnauszah lung
Alleinherrscher
Geschwistergesellschaft
Vetternkonsortium
Gesamt
Nein
% innerhalb Familienunternehmenstyp
74,4%
43,2%
0,0%
64,7%
Ja
% innerhalb Familienunternehmenstyp
25,6%
56,8%
100,0%
35,3%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
Tab. 20: Regelungen der Höhe der Gewinnauszahlung nach Familienunternehmenstypen343 4.5.3 Festlegung des Gesellschafterkreises Da das Vermögen im Zuge des Generationenwechsels als Ganzes auf eine oder mehrere Personen übergeht, sind Vorkehrungen nötig, die eine Übertragung des 343
Eigene Studie.
Einrichtung eines eigenen Kodex – Mechanismus des Eigentums
159
Gesellschaftsanteils nur auf Familienangehörige zulässt. Dem Ziel der Aufrechterhaltung des Familiencharakters folgend thematisieren insbesondere rechtswissenschaftliche Beiträge Vinkulierungsklauseln in Kapitalgesellschaften und qualifizierte Nachfolgeklauseln in Personengesellschaften als wirkungsvolle und zielorientierte Mechanismen der familieninternen Vermögensnachfolge.344 Diesem Erkenntnisinteresse folgend werden die Mechanismen rechtsformabhängig vorgestellt und hinsichtlich ihrer bisherigen Umsetzung in Familienunternehmen analysiert. Die Anwendung von Vinkulierungsklauseln beschreibt in Kapitalgesellschaften Vereinbarungen, die einen Übergang des Gesellschaftsanteils nur unter bestimmten Voraussetzungen auf Familienangehörige zulässt. Ihre Verankerung muss in der Satzung erfolgen, da eine Übertragung von GmbH-Anteilen gesetzesbedingt frei vereinbart werden kann.345 Die Vinkulierung verfolgt das Ziel, durch Zustimmungsvorbehalte eine Anteilsübertragung an Dritte zu verhindern bzw. zu kontrollieren. Dabei muss in der konkreten Umsetzung großes Augenmerk darauf gelegt werden, wem der Zustimmungsvorbehalt zufallen soll. Denn die Zustimmung kann entweder der Gesellschaft, vertreten durch den Geschäftsführer, oder allen Gesellschaftern übertragen werden. Die bisherige Gestaltungspraxis hat jedoch gezeigt, dass eine Zustimmung durch die Geschäftsführung nur nach einem vorherigen Gesellschafterbeschluss erteilt werden darf und als zustimmungspflichtiges Geschäft deklariert werden sollte.346 Zusätzlich kann an dieser Stelle dem Beirat als Institution der Corporate Governance sowohl eine Beratungsfunktion als auch eine Zustimmungspflicht beigemessen werden. In Personengesellschaften besteht im Unterschied die Möglichkeit, dass der Gesellschaftsvertrag entgegen der gesetzlichen Regelung eine qualifizierte Nachfolgeklausel enthält. In diesem Fall bleibt es zwar beim Grundsatz der Vererblichkeit des Anteils, jedoch wird der Kreis der nachfolgeberechtigten Erben eingeschränkt und der Geschäftsanteil im Wege der Sonderrechtsnachfol344
Vgl. Hennerkes, B. H. (2004), S. 105; Schindhelm, M. (2000), S. 82; Schließmann, C. P. et al. (2001), S. 210 f. 345 Vgl. Detering, S. (2006); Hennerkes, B. H. (2004); Koch, M. (2007). 346 Vgl. Heckschen, H., Heidinger, A. (2005), S. 143 f.; Jula, R. (2004), S. 337 f.
160
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
ge unmittelbar auf den qualifizierten Nachfolger übertragen. Bestimmte Anforderungen an den Verwandtschaftsgrad, die Qualifikation sowie Altersgrenzen des Nachfolgers beschränken den möglicherweise größeren Kreis der Erben auf ein gewünschtes Niveau. Somit vermeidet auch die qualifizierte Nachfolgeklausel in Personengesellschaften eine Zersplitterung des Gesellschaftsanteils und verhindert Kleinstbeteiligungen.347 Im Besonderen ist darauf zu achten, dass Gesellschaftsvertrag und letztwillige Verfügung aufeinander abgestimmt sind. Zwar gehen gesellschaftsvertragliche Regelungen den testamentarisch eingesetzten Erben vor, sie gelten aber hingegen nicht für Abfindungsansprüche, welche im Zweifel zu einer nicht tragbaren Liquiditätsbelastung des Familienunternehmens führen können. Im Testament sollte daher zum Ausdruck gebracht werden, dass der Geschäftsanteil ohne Ausgleichsverpflichtungen übertragen wird.348 Da die Datenbasis der Analyse im Hinblick auf die Rechtsform eine typische Verteilung bei Familienunternehmen aufweist, kann die Auswertung bislang getroffener Regelungen der Bewahrung familieninterner Gesellschafterstrukturen auf die Rechtsformen der GmbH und der GmbH & Co. KG beschränkt werden. Differenzieren wir die Umfrageergebnisse nach Familienunternehmenstypen, so wird der bislang gewonnen Trend - einer umfassenden Anwendung vorgestellter Mechanismen innerhalb des Nachfolgeprozesses seitens der erfahrenen Unternehmen in der Form des Vetternkonsortiums - erneut bestätigt. Denn diese regeln als Personengesellschaft zu 100% durch qualifizierte Nachfolgeklauseln einen Verbleib des Unternehmens in Familienhand. Weiterhin erkennen 72,0% der Familienunternehmen in der Form der Geschwistergesellschaft die Bedeutung von Regelungen im Gesellschaftsvertrag, im Unterschied zu 28,3% der Alleinherrscher. Satzungsrechtliche Vinkulierungsklauseln in Gesellschaften mit beschränkter Haftung werden hingegen erst von 21,3% der Alleinherrscher und 33,3% der Geschwistergesellschaften wahrgenommen (Tabelle 21). 347 348
Vgl. Hannes, F. et al. (2008), S. 93 f.; Landsittel, R. (2006), S. 358. Vgl. Koblenzer, T. (2004), S. 79 f.
161
Einrichtung eines eigenen Kodex – Mechanismus des Eigentums
Rechtsform
GmbH
GmbH & Co. KG
Vinkulierungsklauseln
Qualifizierte Nachfolgeklauseln
Familienunternehmenstyp Alleinherrscher
Geschwistergesellschaft
Vetternkonsortium
Gesamt
Nein
% innerhalb Familienunternehmenstyp
78,7%
66,7%
0,0%
76,3%
Ja
% innerhalb Familienunternehmenstyp
21,3%
33,3%
0,0%
23,7%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
0,0%
100,0%
Nein
% innerhalb Familienunternehmenstyp
71,7%
28,0%
0,0%
56,2%
Ja
% innerhalb Familienunternehmenstyp
28,3%
72,0%
100,0%
43,8%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
Tab. 21: Mechanismen der Bewahrung familieninterner Gesellschafterstrukturen nach Rechtsformen und Familienunternehmenstypen349 4.5.4
Trennung von Familie und Unternehmen
Das zwangsläufige Aufeinandertreffen von Unternehmens- und Familieninteressen ist in dieser Arbeit bereits mehrfach thematisiert und als Besonderheit des familiengeführten Unternehmens herausgearbeitet worden. Da zusätzlich der Lebenszyklus von Unternehmen und Familie zeitlich nicht synchronisiert ist und deren Funktionsverständnis ein anderes ist, bedarf es im besonderen Ereignis der Nachfolgeregelung einer effektiven Koordination, welche an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben und mithilfe eines Lösungsmechanismus harmonisiert wird.
349
Eigene Studie.
162
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
Auf Dauer kann das Unternehmen nur dann in der Familie gehalten werden, wenn die Familie bereit ist, eigene persönliche Interessen im Konfliktfall gegenüber den Anforderungen des Unternehmens zurückzustellen.350 Besonders im fortgeschrittenen Stadium sind Familienunternehmen aufgrund der zunehmenden sozialen Komplexität und internen Dynamik krisenanfällig und in ihrer Existenz gefährdet. Soll das in dieser speziellen Abhängigkeit liegende Risiko kalkulierbar und berechenbar gemacht werden, benötigt das Unternehmen Prozesse und Strukturen, die das Unternehmen von der Familie und die Familie vom Unternehmen trennen.351 Neben den bereits geschilderten Corporate und Family Governance-Mechanismen bietet die Implementierungen eines unternehmenseigenen Kodex dem Familienunternehmen die Möglichkeit, Interessenabwägungen und offene Fragen an der Nahtstelle zwischen Familie und Unternehmen aufzunehmen und eine Richtschnur festzulegen, nach welcher zukünftig entschieden und verfahren wird. Besonders im Bereich der Unternehmensnachfolge besteht das Ziel dieser Institutionalisierung in einer objektiven und transparenten Behandlung der Themen Führung, Beteiligung, Kontrolle und Mitarbeit im Sinne des Unternehmens. Denn in Familienunternehmen, die über kein ausgefeiltes Nahtstellenmanagement verfügen, das allgemein verbindlich die Überlebensinteressen des Unternehmens in den Vordergrund stellt, kann es leicht passieren, dass sich die Prioritäten weg vom Unternehmen in Richtung einzelner Eigentümer verschieben.352 Eine Differenzierung zwischen den Interessen des Unternehmens als Überlebenseinheit und den Interessen der Familie als soziales System ist gerade im Zuge des Generationenwechsels eine Schlüsselfunktion der Corporate Governance. Fragen wir Familienunternehmen, ob sie nach dem Grundsatz Business First verfahren, so versichern 33,3% der Alleinherrscher und 38,6% der Geschwistergesellschaften eine strikte Trennung. Die Mehrzahl der Familienunternehmen in diesen Entwicklungsstadien verfolgt den Umfrageergebnissen zufolge eine Fami-
350
Vgl. Baus, K. (2007), S. 97; May, P. (2006a), S. 17 f. Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 187. 352 Vgl. Moos, A. (2003), S. 56 ff.; Wimmer, R. et al. (2005), S. 102. 351
163
Kosten und Nutzen von Corporate-Governance-Strukturen
ly-First-Strategie, welche in der Regel für die Zukunftsfähigkeit von Nachteil ist und das Familienunternehmen als Veranstaltung auf Zeit begrenzt. Vetternkonsortien hingegen erkennen die Bedeutung dieses Corporate-GovernanceGrundsatzes und trennen in 100% der Fälle das Unternehmen von der Familie und umgekehrt. Diese Professionalität und Weichenstellung weist auch an dieser Stelle darauf hin, das erfahrene Unternehmen keine Kompromisse beispielsweise bei der Besetzung von Führungspositionen eingehen und auf den Erfolg von Corporate-Governance-Mechanismen setzen (Tabelle 22).
Familienunternehmenstyp
Business First
Alleinherrscher
Geschwistergesellschaft
Vetternkonsortium
Gesamt
Nein
% innerhalb Familienunternehmenstyp
66,7%
61,4%
0,0%
63,6%
Ja
% innerhalb Familienunternehmenstyp
33,3%
38,6%
100,0%
36,4%
Gesamt
% innerhalb Familienunternehmenstyp
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
Tab. 22: Trennung von Familie und Unternehmen nach Familienunternehmenstypen353 4.6 Kosten und Nutzen von Corporate-Governance-Strukturen Nachdem die Mechanismen unter Berücksichtigung des Drei-Kreis-Modells und in Abhängigkeit der jeweiligen Familienunternehmenstypen vorgestellt und bezüglich der Problematik des Generationenwechsels bewertet worden sind, bedarf es im Folgenden einer Analyse der Kosten, welche mit der anfänglichen Einrichtung und dem Betreiben bzw. Erhalt der Mechanismen verbunden sind. Diese Kosten sind bei allen Strukturelementen differenziert zu betrachten, da sie 353
Eigene Studie.
164
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
je nach Ausgestaltung und Umsetzungsgrad variieren können. In Tabelle 23 sind deshalb analog der bisherigen Thematisierungsreihenfolge exemplarische Kosten von Governance-Mechanismen dargestellt.
Einrichtungskosten Beirat
Mechanismus des Unternehmens
Family Governance
Mechanismus der Familie
Eigener Kodex
Mechanismus des Eigentums
Laufende Kosten
Beratungskosten zur Vertragsgestaltung und Gestaltung der Satzungen Kosten der Einbindung in das Unternehmen und Verknüpfung mit anderen Organen Kosten der Auswahl und Kompetenzzuordnung der Beiratsmitglieder
Beratungskosten zur Vertragsgestaltung Ausgestaltung der zu installierenden Institutionen Kosten der Konsensfindung und der erstmaligen Vertragsgestaltung im Familienkreis Mögliche Konfliktkosten in der Familie
Gemeinsame Erarbeitung des Kodex Vermittlungskosten durch divergierende Interessen
Vergütung der Beiratsmitglieder Kosten der Durchführung von Beiratssitzungen Kosten für das jeweilige Aufgabenfeld des Beirates, Vorbereitung der Treffen und Informationsversorgung Nicht messbare Kosten durch Abstimmungsaufwand Überarbeitungskosten der Familienverfassung Kosten der Durchführung von Familientreffen Interne Ausbildung und Weitergabe des erforderlichen Wissens an potentielle Nachfolger Kosten für die Betreuung der Gesellschafter durch das Familienbüro Aktualisierungen und Anpassungen des Kodex Transaktionskosten
Tab. 23: Kosten von Corporate-Governance-Mechanismen354 Die Einrichtung von Corporate-Governance-Strukturen kann für Familienunternehmen mit zum Teil hohen Kosten und ungewohnten Verpflichtungen zusammenhängen. Jedoch muss zur Gesamtbeurteilung analysiert werden, in354
Vgl. Iliou, C. (2004), S. 166; Jeschke, D., Wiedemann, A. (2000), S. 260 ff.; Koeberle-Schmid, A., Nützel, O. (2005), S. 73; Ruter, R. X., Thümmel, R. C. (1994), S. 124.
Kosten und Nutzen von Corporate-Governance-Strukturen
165
wieweit eine Verwirklichung die Dimensionen Führung, Kontrolle und Eigentum über verschiedene strukturelle Elemente in Einklang bringen und somit eine Aufrechterhaltung des Unternehmens als familiengeführtes Unternehmen über Generationen hinweg leisten kann. Dabei hat neben der Literaturauswertung vor allem die empirische Untersuchung gezeigt, dass erfahrene und umsatzstarke Familienunternehmen die Bedeutung von Corporate Governance erkennen und in allen vorgestellten Bereichen professionelle Regeln institutionalisiert haben. Erfolg und Beständigkeit dieser Familienunternehmen können als Hinweis dienen, dass die Einrichtung eines weiteren Organs in der Form des Beirates für eine erheblich größere Stabilität des Unternehmens sorgt und in Krisenzeiten wie im Falle einer unvorhergesehenen Nachfolgeregelung als unverzichtbarer Begleiter und Mitwisser im Familienunternehmen agiert. Der Beirat kann ferner eine wertvolle Ausgleichsfunktion erfüllen. Insbesondere wenn mehrere in Betracht kommende Erben nach der Position des Geschäftsführers streben, dient der Beirat als Medium, die zukünftigen Gesellschafter auf unterschiedlichen Ebenen zu harmonisieren, indem Geschäftsführer und ihn kontrollierende Beiratsmitglieder parallel im Unternehmen operieren. Auch die vorgestellten Elemente der Family Governance als Ergänzung zur Corporate Governance bewirken Einigkeit in der Unternehmerfamilie in der Art und Weise, dass familiäre Entscheidungsfindungen durch Diskussionen und Festschreiben der gemeinsamen Leitplanken und Grundüberzeugungen vollzogen werden und somit die Stimmungslage innerhalb der Familie positiv beeinflusst. Im besonderen Ereignis des Generationenwechsels bewirkt die Anwendung von formalen und informellen Mechanismen, dass Krisen aus dem privaten Umfeld der Familie vom Unternehmen ferngehalten werden und eine vorausschauende, den Nachwuchs integrierende Planung für geregelte und nachvollziehbare Nachfolgesituationen sorgt. Derartig klare und auch für Außenstehende schlüssige Nachfolgeregelungen dienen sowohl in einem frühen Entwicklungsstadium als auch in entwickelten Familienunternehmen zur Komplexitätsreduktion und Formalisierung, so dass nicht nur die Familie, sondern auch die Unter-
166
Umsetzung von funktionierenden Corporate-Governance-Strukturen in Familienunternehmen
nehmensumgebung Vertrauen in die zukünftige Entwicklung des Familienunternehmens erlangen. Die Etablierung eines unternehmenseigenen Kodex in der Funktion eines schriftlich fixierten Beurteilungskataloges schafft zusätzlich professionelle Strukturen im Familienunternehmen. Neben themenspezifischen Einzelregelungen soll hier der übergreifende Wille der Familiengesamtheit abgebildet werden, um Interessenabwägungen und verantwortungsvolles Handeln der Eigentümer an der Nahtstelle zwischen Familie und Unternehmen als langfristige Richtschnur festzulegen. Den aufgezeigten Einrichtungs- und Erhaltungskosten stehen demzufolge zahlreiche wirkungsvolle Aspekte gegenüber, so dass Familienunternehmen im Falle einer Realisierung zu einer positiven Kosten-Nutzen-Analyse gelangen können. Diese Feststellung wird durch die Unternehmerbefragung gestützt, denn die Aufgabenverteilung der einzelnen Governance-Institutionen zielt auf unterschiedliche Dimensionen im Familienunternehmen. Sind Corporate-GovernanceMechanismen etabliert oder für die Zukunft geplant, so steht bei 71% der Unternehmer die Transparenz der Unternehmensstrukturen im Vordergrund, gefolgt von dem Ziel der Verbesserung der Entscheidungsprozesse (66%). Bemerkenswert ist das Ergebnis, dass 55% der Unternehmer Corporate Governance-Mechanismen eine Verbesserung und Vereinfachung der Nachfolgeregelung beimessen. Die im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchende Fragestellung, ob konkrete Elemente der Corporate und Family Governance einen Ansatzpunkt zur Sicherung des Unternehmens über den Generationenwechsel hinaus leisten können, wird an dieser Stelle durch den empirischen Befund bestätigt. Neben der Kontrolle der Unternehmensführung (50%) als klassisches Ziel der Corporate Governance erkennen Familienunternehmen zunehmend, dass gute Governance-Regeln die Beziehung der Gesellschafter untereinander in Einklang bringen können, denn 45% aller befragten Unternehmen sehen die Vermeidung von Konflikten unter den Gesellschaftern als oberstes Gebot der Governance.
Kosten und Nutzen von Corporate-Governance-Strukturen
167
Immerhin 37% der Familienunternehmen versprechen sich von Corporate Governance eine verbesserte Position gegenüber ihrer Bank (Abbildung 30).
Abb. 30: Nutzen von Corporate-Governance-Mechanismen355
355
Eigene Studie.
5 Fazit und Ausblick
Familienunternehmen stellen einen wichtigen Teil der Unternehmen in fast allen Ländern dieser Welt.356 Die eingangs gestellte Frage, inwieweit die Organisation der Leitung und Kontrolle im Familienunternehmen anders erfolgen muss als in anonymen Publikumsgesellschaften gewinnt in Deutschland erst seit kurzem an Aufmerksamkeit. Es konnte gezeigt werden, dass die Einbindung alternativer Erklärungsansätze zum Verständnis der Corporate Governance im Familienunternehmen beiträgt und dass eine präzise Darstellung in Abhängigkeit des Entwicklungsstadiums vorgenommen werden muss. Insbesondere wurde das seit Jahrzehnten dominierende Paradigma der Prinzipal-Agenten-Theorie auf Familienunternehmen im Portfoliomodell beschränkt und das Vorhandensein von Stewardship-Beziehungen im Kontroll- und dynastischen Modell hervorgehoben. Aus risikopolitischer Betrachtung haben wir im Anschluss dem Aspekt des Generationenwechsels Beachtung geschenkt und die familieninterne Unternehmensnachfolge analysiert. Dabei hat die empirische Untersuchung im Bundesland Nordrhein-Westfalen ausdrücklich gezeigt, dass die Mehrzahl der vom Generationenwechsel tangierten Familienunternehmen über ausreichend Zeit für eine gezielte und umfassende Planung der Nachfolge verfügt, diese allerdings nicht hinreichend genutzt wird. Die Fehlentwicklung der Vergangenheit, gekennzeichnet durch einen festgestellten Schrumpfungsprozess über das marktübliche Versagen hinaus, sowie die aufgezeigte Unbedarftheit der SampleUnternehmen offenbaren akuten Handlungsbedarf zur Sicherung und langfristigen Ausrichtung des Familienunternehmens. Da bisherige Ansätze der Familienunternehmensforschung für die vorliegende Fragestellung von Prozessverläufen und deren Optimierung nur am Rande 356
Ifera (2003).
170
Fazit und Ausblick
genutzt werden können,357 wurden anhand eines systematischen Ordnungsgerüstes Aspekte der Family Governance in Kombination mit unternehmensorientierten Themen unter Berücksichtigung des Drei-Kreis-Modells als führungsrelevante Problemfelder der Unternehmensnachfolge thematisiert und empirisch analysiert. Als Grundthese dieser Untersuchung konnte festgestellt werden, dass die Zukunft von Familienunternehmen im Zusammenhang von externen Gefahren des Unternehmensumfeldes und internen Schwächen der Führung und Kontrolle betrachtet werden muss. Besonders die Thematisierung familienpolitischer Aspekte unter dem Etikett der Family Governance wird der Einsicht gerecht, dass gerade die Auseinandersetzung mit sozio-familiären Aspekten sowie Erkenntnissen der Familienpsychologie, wie etwa der Art und Weise des Zusammenlebens und des Umgangs miteinander sowie der kollektiven familiären Entscheidungsfindung, keineswegs außen vor gelassen werden dürfen.358 Dabei richtet sich die Bedeutung der aufgezeigten Spannungsfelder nach dem Erscheinungsbild des Familienunternehmens. Während beim Typ des Alleinherrschers die Verbundenheit zwischen den Inhabern und dem Unternehmen von hoher Intensität ist und eine hohe gegenseitige Abhängigkeit besteht,359 nehmen bei zunehmender Entwicklung des Familienunternehmens neben der sozialen Komplexität auch die an das Unternehmen gestellten Ansprüche zu.360 Die interne Organisation der unternehmens- und familienpolitischen Prozesse und Strukturen muss demzufolge im Rahmen des familieninternen Nachfolgeprozesses Stabilität bewirken und das Risiko eines Fehlschlags vermindern. Ein integratives Modell, das vernetzt und interdisziplinär Erfolgsfaktoren der Nachfolge diskutiert, ist bislang noch nicht erkennbar. Es wird in der weiteren Erforschung des Prozesses der Nachfolge maßgeblich darauf ankommen, ob und inwieweit es gelingt, diese Form weiter zu untersuchen und Rahmenbedingungen aufzuzeigen, die sowohl positive als auch negative Einflüsse einer gelungenen Unternehmensnachfolge definieren. Einen ersten Ansatz zur angemes357
Vgl. Pfannenschwarz, A. (2006), S. 325. Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, A. (2006), S. 187; Klein, S. B. (2008), S. 17. 359 Vgl. Löhr, D. (2001), S. 333. 360 Vgl. May, P. (2001), S. 168; Wiedemann, A., Kögel, R. (2008), S. 10. 358
)D]LWXQG$XVEOLFN
171
senen Berücksichtigung und Handhabung von personen- und unternehmensorientierten als auch steuerlichen und rechtlichen Aspekten der Unternehmensübergabe ermöglicht das Konzept der Corporate Governance. Obwohl die CorporateGovernance-Forschung im Bereich der Familienunternehmen noch eine sehr junge Disziplin ist, hat die umfassende Darstellung und Konzeptionalisierung von Corporate- und Family-Governance-Mechanismen herausgestellt, dass eine Implementierung von verschiedenen Strukturelementen im Rahmen des Nachfolgeprozesses dazu beitragen kann, die Zukunftsfähigkeit des Familienunternehmens in einem sich wandelnden Umfeld sicherzustellen. Zwar erfassen Familienunternehmen den Umfrageergebnissen zufolge das Konzept der Corporate Governance bislang nur bruchstückhaft, jedoch kann aufgrund des analysierten Umsetzungsstandes sowie dem enormen Interesse der teilnehmenden Familienunternehmen von einer bedeutenderen Einschätzung und zukünftigen Entwicklung ausgegangen werden. Mit der in Anlehnung an das Drei-Kreis-Modell vorgestellten und empirisch begründeten Systematisierung von Mechanismen existiert ein Instrumentarium, das der Komplexität des Familienunternehmens Rechnung trägt. Während der Beirat als Mechanismus des Unternehmens bei allen unternehmenspolitischen Fragen beratend und mitentscheidend zur langfristigen Ausrichtung des Familienunternehmens im Rahmen des Generationenwechsels in Anspruch genommen werden kann, trägt das Konzept der Family Governance als Mechanismus der Familie über verschiedene Institutionen zur Stabilisierung und Bestandssicherung des Familienunternehmens bei, indem Krisen aus dem privaten Umfeld der Familie vom Unternehmen ferngehalten werden. Die Einrichtung eines unternehmenseigenen Kodex sichert als Mechanismus des Eigentums durch spezifische Regelungen langfristigen Einfluss auf die Eigentümerstruktur des Familienunternehmens und bildet so den übergreifenden Willen der Familiengesamtheit ab. Am Ende dieser Untersuchung sei angemerkt, dass das Datenmaterial der vorliegenden empirischen Analyse bestimmte Indizien liefern, keinesfalls aber aufgrund der Stichprobe eine valide Begründung getroffen werden kann. Trotz-
172
Fazit und Ausblick
dem ist es auch die Hoffnung dieser Arbeit, einen kleinen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass Familienunternehmen auch zukünftig einen wichtigen Teil der Unternehmen in fast allen Ländern dieser Welt stellen.
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