Melchior David Bryant Commitment in Kundenbeziehungen
GABLER RESEARCH
Melchior David Bryant
Commitment in Kundenbe...
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Melchior David Bryant Commitment in Kundenbeziehungen
GABLER RESEARCH
Melchior David Bryant
Commitment in Kundenbeziehungen Eine multipartiale Messung und Analyse von Determinanten und Erfolgswirkungen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Hans H. Bauer
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Mannheim, 2010
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Stefanie Loyal Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2384-4
V
Geleitwort Die langfristige Bindung wertvoller Kunden ist das wesentliche Ziel des Kundenbeziehungsmanagements. Als Ursache für die zunehmende Bedeutung langfristig gebundener Kunden wird in Wissenschaft und Praxis häufig deren positive Auswirkung auf den Unternehmenserfolg genannt. Allerdings sind nicht alle gebundenen Kunden gleich wertvoll. Vielmehr variiert der Wert eines Kunden mit seinem Beweggrund, warum er sich an einen Anbieter bindet. Solche Bindungsformen sind unter dem Begriff Commitment bekannt. Allerdings fehlt es im Marketing an Forschungsarbeiten, die diesen Gegenstand differenziert beleuchten. Melchior D. Bryant folgt der Forderung von Wissenschaft und Unternehmenspraxis nach einer umfassenden Durchdringung dieses Themas und leistet durch seine Dissertation einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des Erkenntnisstandes zu diesem Untersuchungskomplex. Der Autor entwickelt auf Grundlage umfangreicher, empirischer Erhebungen mit mehr als 2.000 Probanden zunächst mehrere Modelle zur Messung von vier unterschiedlichen Commitment-Konstrukten. Hierdurch gelingt es Unternehmen, die einer Beziehung zugrunde liegende Bindungsform offenzulegen und zu bewerten. Zudem analysiert er von Unternehmen beeinflussbare Steuerungsgrößen und Erfolgswirkungen der einzelnen CommitmentKonstrukte. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse liefern der Praxis wichtige Ansatzpunkte, um vorteilhafte Bindungsformen gezielt zu fördern und den Wert von Kunden zu erhöhen. Darüber hinaus berücksichtigt Herr Bryant die in Konsumentenstudien grundsätzlich zu unterstellende Konsumentenheterogenität, indem er mittels der Finite Mixture-Analyse fünf beschreibbare Kundensegmente identifiziert. Auf Basis dieser Analyse werden zielgruppenspezifische Empfehlungen für das wertorientierte Kundenbeziehungsmanagement abgeleitet. Insgesamt präsentiert der Verfasser eine hervorragende Forschungsarbeit. Er liefert durch die ausführliche theoretisch-konzeptionelle und empirische Analyse des Commitments in Kundenbeziehungen einen wichtigen Beitrag zur Kundenbeziehungsforschung. Hervorzuheben ist der originäre Ansatz von
VI Herrn Bryant, Commitment multipartial in Form verschiedener Beweggründe zur Aufrechterhaltung einer Kundenbeziehung zu messen. Ich wünsche dieser Arbeit eine weite Verbreitung in Wissenschaft und Praxis.
Prof. Dr. Hans H. Bauer
VII
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Marketing II der Universität Mannheim. Sie wurde Anfang 2010 durch die Fakultät für Betriebswirtschaftslehre als Dissertationsschrift angenommen. Nach dem erfolgreichen Abschluss meiner Promotion möchte ich mich bei all denjenigen Personen bedanken, die mich während dieser Zeit begleitet haben. Zuerst gilt mein Dank meinem Doktorvater Professor Dr. Hans H. Bauer. Von Beginn an verstand er es, mich durch seinen bemerkenswerten Intellekt und seine außergewöhnliche menschliche Art umfassend zu fordern und zu fördern. Von dem von ihm geschaffenen Arbeitsumfeld konnte ich sowohl fachlich als auch persönlich sehr stark profitieren. Darüber hinaus ist die gestalterische Freiheit, die ich unter seiner Leitung genießen durfte, in dieser Art einzigartig. Hierfür bin ich ihm sehr dankbar. Für die bereitwillige Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens möchte ich mich zudem bei Professor Dr. Dr. h.c. mult. Christian Homburg bedanken. In Hinblick auf das Lehrstuhlteam möchte ich zuerst unser sehr „anregendes“ und nicht minder herzliches Lehrstuhlsekretariat – Christa-Maria Elwart, Marion Kumpf-Ammon, Monika Ortlieb und Marlies Schlicksupp – nennen und mich für die langjährige Unterstützung bedanken. Auch meinen ehemaligen Kollegen Dr. Carmen-Maria Albrecht, Kai Bergner, Dr. Tobias Donnevert, Dr. Anja Düll, Dr. Stefanie Exler, Sabine Eckardt, Dr. Thomas Falk, Dr. Tobias E. Haber, Dr. Maik Hammerschmidt, Stefan Hattula, Daniel Heinrich, Dr. Frank Huber, Dr. Marcus M. Neumann, Prof. Dr. Nicola Stokburger-Sauer, Boris Toma und Hauke Wetzel möchte ich meinen herzlichen Dank für die schöne Zeit und den freundschaftlichen Beistand ausdrücken. Des Weiteren danke ich meinen ehemaligen Famulanten Verena Schoenmüller, Stella Steinmeier, Michael Timm und Friederike Weißbach für ihre wertvolle Arbeit. Für die bereichernden wissenschaftlichen Diskussionen rund um mein Dissertationsthema danke ich vor allem Dr. Maik Hammerschmidt. Bei Dr. Mark Grether möchte ich mich für die interessante und angenehme Zusammenarbeit im Rahmen unserer Drittmittelkooperation mit United Internet Media bedanken. Neben dem gesamten Lehrstuhlteam hat mich auch
VIII Dr. Julian Kawohl in der Korrektur meiner Arbeit unterstützt. Herzlichen Dank für die wertvollen Korrekturen und hilfreichen Anmerkungen. Ein besonderer Dank gilt meinen Freunden Frank, Marcus, Sabine und Tobias für die tolle Zeit vor und während meiner Lehrstuhlzeit. Ich hoffe, dass wir auch in Zukunft vieles gemeinsam erleben werden. Frank, Marcus und Tobias danke ich außerdem für die exzellente Unterstützung meiner Arbeit trotz ihrer eigenen hohen beruflichen Belastung. Sie verkörpern die Eigenschaften Pragmatismus, Cleverness und Weitblick, die wertvolle „Zugaben“ für meine Arbeit darstellten. Bei Monica Wagner und Professor Dr. Tillmann Wagner möchte ich mich für die tolle Gastfreundschaft während meines Forschungsaufenthalts an der Texas Tech University in den USA bedanken. Durch sie war die gemeinsame Zeit in Lubbock kurzweilig und bereichernd zugleich. Aus ganzem Herzen danke ich meiner Freundin Maike Kaffenberger, die während meiner Promotionszeit immer eng an meiner Seite war. Durch sie konnte ich mich den Anforderungen meiner Dissertation mit hoher seelischer Ausgeglichenheit stellen. Mein größter Dank gilt meiner Mutter, die mich in großartiger und selbstloser Weise in den letzten Jahrzehnten unterstützt hat. Ihr möchte ich daher auch diese Arbeit widmen.
Melchior D. Bryant
IX
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ................................................................................XIII Tabellenverzeichnis...................................................................................... XV Abkürzungsverzeichnis .............................................................................. XIX
I
II
Problemstellung und Forschungsziele ................................................... 1 1
Notwendigkeit einer multipartialen Commitment-Betrachtung für die Steuerung des Beziehungserfolgs ................................................... 1
2
Ziele der Arbeit....................................................................................... 3
3
Aufbau der Arbeit ................................................................................... 5
Erfolgsbeitrag des Kundenbeziehungsmanagements........................... 9 1
Charakteristika von Kundenbeziehungen .............................................. 9
2
Kundenwert als Erfolgsgröße des Kundenbeziehungsmanagements ...................................................................................... 12
3
Forschungsbefunde zum Beitrag von Kundenbeziehungen für den Unternehmenserfolg ............................................................................ 15
4
Zusammenfassung und Konsequenz für das weitere Vorgehen......... 19
III Commitment im Kontext der Kundenbeziehungsforschung............... 21 1
Zum Commitment-Begriff..................................................................... 21
2
Commitment-Konzeptualisierungen..................................................... 24 2.1 Strukturierung der bestehenden CommitmentKonzeptualisierungen .................................................................. 24 2.2 Einordnung bestehender Commitment-Konzeptualisierungen in etablierte Einstellungstheorien ................................................. 27
3
Bestandsaufnahme der empirischen Commitment-Forschung ........... 32 3.1 Strukturierung der betrachteten Literatur..................................... 32 3.2 Studien mit einstellungsorientierter Konzeptualisierung von Commitment................................................................................. 37
X 3.3 Studien mit verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment................................................................................. 53 3.4 Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment ....... 57 4
Zusammenfassung der Erkenntnisbeiträge der CommitmentForschung für die Forschungsziele der Arbeit .................................... 65
IV Theoretische Bezugspunkte zur Konzeptualisierung von Commitment – ein multipartialer Ansatz ............................................... 69 1
Vorüberlegungen zur theoretischen Konzeptualisierung..................... 69
2
Soziale Identitäts-Theorie und Affektives Commitment ....................... 70 2.1 Grundlagen der Sozialen Identitäts-Theorie ................................ 70 2.2 Übertragung der Sozialen Identitäts-Theorie auf das Affektive Commitment.................................................................. 73
3
Reziprozitäts-Theorie und Normatives Commitment ........................... 75 3.1 Grundlagen der Reziprozitäts-Theorie......................................... 75 3.2 Übertragung der Reziprozitäts-Theorie auf das Normative Commitment ............................................................... 77
4
Side bet-Theorie und Kalkulatives Commitment.................................. 79 4.1 Grundlagen der Side bet-Theorie ................................................ 79 4.2 Übertragung der Side bet-Theorie auf das Kalkulative Commitment .............................................................. 80
5
Soziale Interaktions-Theorie und Kaptives Commitment..................... 82 5.1 Grundlagen der Sozialen Interaktions-Theorie ............................ 82 5.2 Übertragung der Sozialen Interaktions-Theorie auf das Kaptive Commitment.................................................................... 85
6
Zusammenfassung und Konsequenz für das weitere Vorgehen......... 86
XI V Konzeption eines Untersuchungsmodells zu den Determinanten und Erfolgswirkungen von Commitment .............................................. 89 1
Vorüberlegungen zum Untersuchungsmodell...................................... 89
2
Exploratorische Tiefeninterviews mit Konsumenten (Studie 1) ........... 92
3
Hypothesen des Untersuchungsmodells ............................................. 97 3.1 Determinanten ............................................................................. 97 3.1.1
Reputation........................................................................ 97
3.1.2
Markenpräsenz ................................................................ 98
3.1.3
Vertrauen ....................................................................... 100
3.1.4
Bevorzugte Behandlung................................................. 101
3.1.5
Direktmarketing .............................................................. 103
3.1.6
Wechselkosten............................................................... 105
3.1.7
Attraktivität von Alternativen........................................... 108
3.1.8
Mangel an Alternativen .................................................. 109
3.2 Erfolgswirkungen ....................................................................... 111
4
3.2.1
Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums ............. 111
3.2.2
Bereitschaft zur Koproduktion ........................................ 114
Berücksichtigung von Konsumentenheterogenität ............................ 117 4.1 Definition und Relevanz von Konsumentenheterogenität.......... 117 4.2 Auswahl der beschreibenden Segmentvariablen ...................... 119
5
Das Untersuchungsmodell................................................................. 122
VI Empirische Studien zur Überprüfung des Untersuchungsmodells ................................................................................................... 125 1
Ziel und Vorgehensweise .................................................................. 125
2
Methodische Grundlagen................................................................... 127 2.1 Konstruktmessung ..................................................................... 127 2.2 Kausalanalyse............................................................................ 135
XII 2.3 Finite Mixture-Analyse ............................................................... 138 3
Experten- und Konsumentenbefragung zur Itemoptimierung (Studie 2) ........................................................................................... 141
4
Empirische Vorstudie zur Überprüfung der Diskriminanzvalidität der Commitment-Konstrukte (Studie 3) ............................................. 142
5
Empirische Studie zur Überprüfung der Untersuchungshypothesen (Studie 4)........................................................................ 150 5.1 Datenerhebung und deskriptive Analyse ................................... 150 5.2 Operationalisierung und Gütebeurteilung der Konstruktmessung ..................................................................... 152 5.2.1
Determinanten................................................................ 152
5.2.2
Commitment-Konstrukte ................................................ 157
5.2.3
Erfolgswirkungen............................................................ 159
5.2.4
Beschreibende Segmentvariablen ................................. 161
5.2.5
Überprüfung der Diskriminanzvalidität ........................... 163
5.2.6
Überprüfung auf Common-Method-Bias ........................ 164
5.3 Hypothesenprüfung und Ergebnisinterpretation ........................ 165 5.3.1
Ergebnisse der Kausalanalyse....................................... 165
5.3.2
Ergebnisse der Finite Mixture-Analyse .......................... 175 5.3.2.1 Schätzung der Segmente................................. 175 5.3.2.2 Charakterisierung der Segmente ..................... 183
VII Schlussbetrachtung .............................................................................. 188 1
Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse ................................ 188
2
Implikationen für die Forschung......................................................... 194
3
Implikationen für das Management.................................................... 198
Literaturverzeichnis..................................................................................... 207
XIII
Abbildungsverzeichnis Abbildung I-1:
Aufbau der Arbeit ................................................................. 8
Abbildung II-1:
Merkmale diskreter und relationaler Transaktionen........... 10
Abbildung II-2:
Entwicklungsprozess von Beziehungen............................. 12
Abbildung III-1:
Commitment-Konzeptualisierungen im Marketing ............. 25
Abbildung III-2:
Einordnung der Commitment-Konstrukte in bestehende Einstellungstheorien........................................................... 30
Abbildung III-3:
Weiterer Ablauf der Arbeit zur Verfolgung der Forschungsziele ................................................................. 68
Abbildung IV-1:
Theoretische Bezugspunkte für die Konzeptualisierung des Affektiven, Normativen, Kalkulativen und Kaptiven Commitments ...................................................... 70
Abbildung IV-2:
Attraktivität und Abhängigkeit in Beziehungen................... 85
Abbildung V-1:
Vorgehen zur Konzeption des Untersuchungsmodells ...... 92
Abbildung V-2:
Ausgewählte Segmentierungskriterien im Überblick........ 119
Abbildung V-3:
Untersuchungsmodell ...................................................... 124
Abbildung VI-1:
Studien zur Überprüfung des Untersuchungsmodells ..... 126
Abbildung VI-2:
Basismodell mit standardisierten Pfadkoeffizienten für Friseurkunden .................................................................. 167
Abbildung VI-3:
Basismodell mit standardisierten Pfadkoeffizienten für Werkstattkunden .............................................................. 168
Abbildung VII-1:
Empfehlungen für Segmentbearbeitung .......................... 205
XV
Tabellenverzeichnis Tabelle II-1:
Ausgewählte B2C-Studien mit Kundenwertsegmentierung ..... 16
Tabelle III-1: Ausgewählte Commitment-Definitionen im Marketing ........... 23f. Tabelle III-2: Konzeptualisierung einstellungsorientierter CommitmentKonstrukte ................................................................................ 26 Tabelle III-3: Konzeptualisierung von Commitment in ausgewählten Marketingstudien................................................................... 33ff. Tabelle III-4: Studien mit einstellungsorientierter Ein-KonstruktKonzeptualisierung von Commitment .................................... 37f. Tabelle III-5: Studien mit einstellungsorientierter Zwei-KonstruktKonzeptualisierung von Commitment ................................... 42ff. Tabelle III-6: Studien mit einstellungsorientierter Drei- und VierKonstrukt-Konzeptualisierung von Commitment...................... 50 Tabelle III-7: Studien mit verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment .................................................................... 53f. Tabelle III-8: Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment.......................................................................... 57ff. Tabelle V-1:
Determinanten der vier Commitment-Konstrukte aus Konsumentensicht (n=22) ........................................................ 94
Tabelle V-2:
Determinantenauswahl der vier Commitment-Konstrukte für das Untersuchungsmodell .................................................. 96
Tabelle V-3:
Hypothesensystem im Überblick............................................ 123
Tabelle VI-1: Anspruchskriterien der ersten und zweiten Generation im Überblick ................................................................................ 134 Tabelle VI-2: Güte der einzelnen Commitment-Konstrukte auf Basis der exploratorischen Faktorenanalyse sowie des Cronbachschen Alphas (n=391) ............................................ 145 Tabelle VI-3: Güte der einzelnen Commitment-Konstrukte auf Basis der konfirmatorischen Faktorenanalyse (n=391).......................... 146
XVI Tabelle VI-4: Gesamtvarianz und Eigenwerte (n=391) ............................... 147 Tabelle VI-5: Rotierte Faktorladungsmatrix (n=391) ................................... 148 Tabelle VI-6: Diskriminanzvalidität der Commitment-Konstrukte anhand des Fornell-Larcker-Kriteriums (n=391) ................................. 149 Tabelle VI-7: Vergleich alternativer Messmodelle für Commitment (n=391)................................................................................... 150 Tabelle VI-8: Soziodemographika der Stichprobe (n=1.682) ...................... 152 Tabelle VI-9: Messung des Konstrukts Reputation (n=1.682)..................... 153 Tabelle VI-10: Messung des Konstrukts Markenpräsenz (n=1.682) ............. 154 Tabelle VI-11: Messung des Konstrukts Vertrauen (n=1.682) ...................... 154 Tabelle VI-12: Messung des Konstrukts Direktmarketing (n=1.682) ............. 155 Tabelle VI-13: Messung des Konstrukts bevorzugte Behandlung (n=1.682)................................................................................ 155 Tabelle VI-14: Messung des Konstrukts Wechselkosten (n=1.682).............. 156 Tabelle VI-15: Messung des Konstrukts Attraktivität von Alternativen (n=1.682)................................................................................ 156 Tabelle VI-16: Messung des Konstrukts Mangel an Alternativen (n=1.682)................................................................................ 157 Tabelle VI-17: Messung des Konstrukts Affektives Commitment (n=1.682)................................................................................ 158 Tabelle VI-18: Messung des Konstrukts Normatives Commitment (n=1.682)................................................................................ 158 Tabelle VI-19: Messung des Konstrukts Kalkulatives Commitment (n=1.682)................................................................................ 159 Tabelle VI-20: Messung des Konstrukts Kaptives Commitment (n=1.682)... 159 Tabelle VI-21: Messung des Konstrukts Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (n=1.682)....................................................... 160 Tabelle VI-22: Messung des Konstrukts Bereitschaft zur Koproduktion (n=1.682)................................................................................ 161 Tabelle VI-23: Nutzung von Informationsquellen .......................................... 163
XVII Tabelle VI-24: Diskriminanzvalidität der Modellkonstrukte anhand des Fornell-Larcker-Kriteriums (n=1.682) .............................. 164 Tabelle VI-25: Chi-Quadrat-Differenztest der standardisierten Pfadkoeffizienten in den Basismodellen für Friseurkunden und Werkstattkunden ............................................................. 169 Tabelle VI-26: Totaleffekte auf den Beziehungserfolg .................................. 172 Tabelle VI-27: Kriterien zur Bestimmung der optimalen Klassenanzahl ....... 176 Tabelle VI-28: Segmentergebnisse der Finite Mixture-Analyse .................... 177 Tabelle VI-29: Segmentbezogene Totaleffekte auf den Beziehungserfolg ... 178 Tabelle VI-30: Anteil von Friseur- und Werkstattkunden in den Segmenten............................................................................. 179 Tabelle VI-31: Beschreibung der Segmente im Sample mit Friseurkunden ........................................................................ 185 Tabelle VI-32: Beschreibung der Segmente im Sample mit Werkstattkunden .................................................................... 186 Tabelle VI-33: Jährliches Kaufvolumen von Friseur- und Werkstattkunden .................................................................... 187
XIX
Abkürzungsverzeichnis AA
Attraktivität von Alternativen
AC
Affektives Commitment
AGE
Alter
AIC
Akaike Information Criterion
ANOVA
Einfaktorielle Varianzanalyse
AV
Anbieterbezogene Variable
B2B
Business-to-Business
B2C
Business-to-Consumer
BB
Bevorzugte Behandlung
BD
Beziehungsdauer
BF
Besuchsfrequenz
BIC
Bayesian Information Criterion
CD
Cronbachsches Alpha
CB
Cross-Buying
CFI
Comparative Fit Index
CL
Comparison Level
CLAlt
Comparison Level of Alternatives
DEV
Durchschnittlich erfasste Varianz
df
Anzahl der Freiheitsgrade
DM
Direktmarketing
E
Ergebnis einer Beziehung
EFA
Exploratorische Faktorenanalyse
EM-Algorithmus
Expectation-Maximation-Algorithmus
EV
Erklärte Varianz
FL-EFA
Faktorladung der exploratorischen Faktorenanalyse
XX FL-KFA
Standardisierte Faktorladung der konfirmatorischen Faktorenanalyse
FR
Faktorreliabilität
IFR
Informationsquelle „Freunde und Bekannte“
IIN
Informationsquelle „Internet“
IPR
Informationsquelle „Printmedien“
IR
Indikatorreliabilität
ITN
Informationsquelle „Testnutzung“
ITTK
Item to Total-Korrelation
KC
Kontinuierendes Commitment
KKC
Kalkulatives Commitment
KMC
Kombiniertes Commitment
KNC
Konatives Commitment
KP
Bereitschaft zur Koproduktion
KPC
Kaptives Commitment
KV
Kurzfristig beeinflussbare (instrumentelle) Variable
KVOL
Kaufvolumen
LL
Logarithmierter Likelihood-Wert
L-M-R Test
Lo-Mendell-Rubin Likelihood Ratio Test
LSD-Test
Least-Significant-Difference-Test
LV
Langfristig beeinflussbare (strategische) Variable
MA
Mangel an Alternativen
MBA
Master of Business Administration
MP
Markenpräsenz
NC
Normatives Commitment
NFI
Normed Fit Index
NNFI
Non Normed Fit Index
XXI PP
Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums
R2
Quadrierte Korrelation
REP
Reputation
RMSEA
Root Mean Squared Error of Approximation
SEX
Geschlecht
SRMR
Standardized Root Mean Residual
t-Wert FL
t-Wert der Faktorladung
USD
United States Dollar
VER
Vertrauen
VHB
Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft
WK
Wechselkosten
WV
Wettbewerbsbezogene Variable
-Test
Chi-Quadrat-Anpassungstest
2
1
I
Problemstellung und Forschungsziele
1
Notwendigkeit einer multipartialen Commitment-Betrachtung für die Steuerung des Beziehungserfolgs
Das Ziel des Kundenbeziehungsmanagements ist der Aufbau und die Pflege langfristig wertvoller Kundenbeziehungen.1 Die Fokussierung auf die langfristige Bindung von Kunden geht auf die Annahme zurück, dass langfristige Beziehungen einen höheren monetären Beziehungserfolg in Form höherer Umsatzerlöse und geringerer Marketingkosten aufweisen.2 Entsprechend wird in zahlreichen Praxisstudien die Bindung bestehender Kunden als ein wichtiger Erfolgsfaktor für steigende Gewinne hervorgehoben.3 In der wissenschaftlichen Forschung wird jedoch seit geraumer Zeit der positive Zusammenhang zwischen der Dauer der Kundenbeziehung und dem Beziehungserfolg in Frage gestellt.4 Studienergebnisse belegen beispielsweise, dass nicht zwangsläufig alle langfristig gebundenen Kunden höhere Preisbereitschaften oder geringere Betreuungskosten aufweisen müssen.5 Die alleinige Ausrichtung des Kundenbeziehungsmanagements auf die langfristige Bindung von Kunden kann demzufolge auch zu einer geringeren Profitabilität führen.6 Zur Umsetzung eines erfolgreichen Kundenbeziehungsmanagements stellt sich somit die Frage, warum sich langfristige Kunden in ihrem Wert unterscheiden und wie sich der Kundenwert steuern lässt. Einen Erklärungsansatz hierzu liefern Überlegungen, die das wertsteigernde bzw. -mindernde Verhalten eines Kunden auf seinen Beweggrund zurückführen, warum er seine Anbieterbeziehung aufrechterhält.7
1
2 3
4 5 6 7
Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 133ff.; Homburg/Krohmer (2009), S. 501f. Vgl. Reichheld/Sasser (1990), S. 108. Vgl. Roland Berger Strategy Consultants (2003), S. 5; Capgemini (2008), S. 1; BBDO Consulting (2009), S. 8f. Vgl. Dowling/Uncles (1997), S. 78. Vgl. Reinartz/Kumar (2000), S. 28; Reinartz/Krafft (2001), S. 1277. Vgl. Reinartz/Kumar (2002), S. 90. Vgl. Thomas (2001), S. 265f.; Lewis (2005), S. 233f.
2 Die Beweggründe zur Fortführung einer Beziehung werden in diversen Wissenschaftsdisziplinen dem Begriff Commitment subsumiert.8 Darunter lassen sich vier verschiedene Commitment-Konstrukte fassen, die jeweils einen eigenständigen Beweggrund zur Beziehungsfortführung beinhalten und hierdurch die bestehende Beziehung zu einem Anbieter charakterisieren: (1) emotional begründete Beziehung (Affektives Commitment), (2) moralisch begründete Beziehung (Normatives Commitment), (3) ökonomisch begründete Beziehung (Kalkulatives Commitment) und (4) „unfreiwillig“ begründete Beziehung (Kaptives Commitment).9 Diese Commitment-Konstrukte basieren auf unterschiedlichen Einstellungen, welche die Natur der jeweiligen Beziehung reflektieren.10 Sie beschreiben dadurch die Form der vom Kunden ausgehenden Bindung.11 Obwohl diese Commitment-Konstrukte grundsätzlich bekannt sind, werden in der Marketingwissenschaft fast ausschließlich die Einflussfaktoren und Erfolgswirkungen des Affektiven und Kalkulativen Commitments untersucht (vgl. Abschnitt III-3). Aussagen darüber, inwieweit sich alle vier Formen des Commitments in ihren Einflussfaktoren und Wirkungen auf den Beziehungserfolg unterscheiden, können auf dieser Erkenntnisbasis nicht getroffen werden. Es verwundert daher nicht, dass viele Marketingforscher Commitment nach wie vor als monolithisches Konstrukt behandeln und grundsätzlich von einer positiven Wirkung auf den Beziehungserfolg ausgehen.12 Folglich werden konsequent ältere Studien zitiert, die Commitment generalisiert als „[…] essential ingredient for successful longterm relationships”13 oder „[…] key to achieving valuable outcomes”14 beschreiben. Die Notwendigkeit, Commitment multipartial zu betrachten, indem die jeweiligen Beweggründe zur Beziehungsfortführung als eigenständige Konstrukte behandelt werden, wird aufgrund mangelnder Befunde zu negativen Erfolgswirkungen bestimmter Commitment8
9 10 11 12
13 14
Vgl. z.B. Adams/Jones (1997), S. 1178f.; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235f.; Meyer/ Becker/Vandenberghe (2004), S. 994ff. Vgl. z.B. Blau (2003), S. 469ff.; Blau/Holladay (2006), S. 700. Vgl. Meyer/Allen (1997), S. 10; Meyer/Herscovitch (2001), S. 323. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 236. Vgl. z.B. Brown et al. (2005); Palmatier et al. (2006); Ramaseshan/Yip/Pae (2006); Palmatier/Dant/Grewal (2007); Tsiros/Ross/Mittal (2009). Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 78. Morgan/Hunt (1994), S. 23.
3 Konstrukte nicht gesehen. Dies steht im Gegensatz zu den Erkenntnissen aus der Organisationspsychologie, in der es als gesichert gilt, dass sich diese Commitment-Konstrukte in ihrem Einfluss auf bestimmte Verhaltensweisen eines Arbeitnehmers (z.B. Kündigungsabsicht, Abwesenheit und Arbeitsleistung) deutlich voneinander unterscheiden.15 Es ist eine plausible Annahme, dass die divergierende Wirkung dieser Commitment-Konstrukte nicht nur in Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen, sondern auch in Anbieter-KundenBeziehungen auftritt und damit für den unterschiedlichen Beziehungserfolg langfristig gebundener Kunden mit verantwortlich ist. Ein multipartiales Commitment-Verständnis erscheint daher auch in der Marketingforschung sinnvoll und dringend angebracht.16 Nur so lässt sich eindeutig klären, welche der durch die Commitment-Konstrukte repräsentierten Bindungsformen sich vorteilhaft auf den Beziehungserfolg auswirken und wie sich diese und damit der Beziehungserfolg durch das Marketing steuern lassen. Die Beantwortung dieser Fragestellungen erleichtert es Unternehmen, ein differenziertes Kundenbeziehungsmanagement zu erhalten, umzusetzen und so ineffiziente Budgetallokationen zu vermeiden. Dies ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. 2
Ziele der Arbeit
Der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist die grundlegende Annahme, dass eine multipartiale Betrachtung von Commitment in Form von vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten (Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kaptives Commitment) notwendig ist, um einen commitmentspezifischen Beziehungserfolg erkennen und gezielt steuern zu können. Zur Prüfung dieser Vermutung verfolgt diese Arbeit vier Forschungsziele. Das Forschungsziel I beinhaltet die theoretische Konzeptualisierung des Affektiven, Normativen, Kalkulativen und Kaptiven Commitments. Obwohl diese Konstrukte grundsätzlich bekannt sind, herrscht im Marketing Uneinigkeit über deren genaue inhaltliche Bedeutung. Dadurch kommt es teilweise zu gravierenden Abweichungen zwischen dem inhaltlichen Verständnis und der
15 16
Vgl. Meyer/Herscovitch (2001), S. 311. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235.
4 jeweiligen Operationalisierung.17 Dies gilt insbesondere für das Kaptive Commitment, das bisher in den betrachteten Studien erst einmal untersucht wurde.18 Die Analyse individueller Wirkungen der vier Konstrukte auf den Beziehungserfolg ist auf dieser Basis unmöglich. Um dies aber zu ermöglichen und zukünftigen Forschungsarbeiten theoretisch fundierte CommitmentKonstrukte zu liefern, ist deren Konzeptualisierung anhand von theoretischen Bezugspunkten notwendig. Dieses Erkenntnisziel wird in der vorliegenden Arbeit erstmalig erreicht. Forschungsziel II umfasst die Sicherstellung der Diskriminanzvalidität der vier Commitment-Konstrukte. Damit die spezifische Wirkung dieser Konstrukte auf den Beziehungserfolg isoliert werden kann, muss gewährleistet sein, dass die vier Konstrukte jeweils nur einen spezifischen Beweggrund für die Fortführung einer Beziehung erfassen. Da diese Konstrukte aber noch nie zusammen eingesetzt wurden, ist die Prüfung der Diskriminanzvalidität erforderlich. In der vorliegenden Arbeit erfolgt diese Überprüfung umfassend in Anlehnung an die von Homburg und Giering (1996) sowie Bansal, Irving und Taylor (2004) vorgeschlagenen Verfahren der exploratorischen Faktorenanalyse, des Fornell-Larcker-Tests und des Chi-Quadrat-Differenztests.19 Die explizite Analyse der Diskriminanzvalidität als eigenes Forschungsziel erscheint angebracht, da die Problematik der hohen Korrelation zwischen einzelnen Commitment-Konstrukten häufig thematisiert wird20 und auch Gegenstand eigener Studien ist.21 Zusammen mit Forschungsziel I können damit erstmalig theoretisch fundierte und empirisch validierte Messmodelle für die vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte entwickelt werden. Das Forschungsziel III besteht darin, die Einflussfaktoren und Wirkungen der vier Commitment-Konstrukte auf den Beziehungserfolg zu untersuchen. Dazu wird ein Untersuchungsmodell entwickelt, in dem Verhaltensabsichten als Erfolgsgrößen und spezifische, vom Unternehmen beeinflussbare Determinanten der einzelnen Commitment-Konstrukte berücksichtigt werden. Auf diese Weise können Steuerungsmöglichkeiten für die einzelnen Commitment17
18 19 20 21
Vgl. z.B. Moorman/Zaltman/Deshpandé (1992), S. 316; Grayson/Ambler (1999), S. 133f.; Palmatier/Dant/Grewal (2007), S. 175. Vgl. Jones et al. (2007), S. 338. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 13; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 240ff. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 240; Bergman (2006), S. 646. Vgl. Blau (2003); Blau/Holladay (2006).
5 Konstrukte und damit auch für den Beziehungserfolg offengelegt werden. Zwar existiert bereits eine Vielzahl an Commitment-Studien in der Marketingforschung, allerdings konzentrieren sich diese nur auf bestimmte CommitmentKonstrukte, so dass ein Großteil der interessierenden Zusammenhänge als unerforscht gilt. Forschungsziel IV verfolgt die Identifikation von Konsumentensegmenten mit spezifischen Reaktionsprofilen auf die betrachteten Determinanten der Commitment-Konstrukte. Dies ist notwendig, da grundsätzlich von heterogenen Konsumenten ausgegangen werden muss.22 Die Berücksichtigung von Konsumentenheterogenität wurde bisher in der Commitment-Forschung allerdings vernachlässigt. So wurde die Heterogenität von Konsumenten im Kontext der vier Commitment-Konstrukte lediglich für die Kausalitäten des Affektiven und Kalkulativen Commitments untersucht.23 Um zielgruppenspezifische Steuerungsmöglichkeiten der vier Commitment-Konstrukte und damit des Beziehungserfolgs entwickeln zu können, reicht dies allerdings nicht aus. Die Berücksichtigung der Konsumentenheterogenität ermöglicht es in der vorliegenden Arbeit, Konsumentensegmente zu identifizieren und zielgruppenspezifische Determinanten zur Steigerung des Beziehungserfolgs aufzuzeigen. 3
Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit ist in sieben Kapitel gegliedert. Das diesem Abschnitt folgende Kapitel II beinhaltet den Beitrag des Kundenbeziehungsmanagements für den Unternehmenserfolg. Zunächst werden hierfür die Charakteristika von Kundenbeziehungen dargestellt (vgl. Abschnitt II-1) sowie der Kundenwert als Erfolgsmaßstab des Kundenbeziehungsmanagements eingeführt (vgl. Abschnitt II-2). In Abschnitt II-3 werden schließlich Arbeiten vorgestellt, die den Wert von Kundenbeziehungen thematisieren. In diesem Rahmen werden zudem Studien beschrieben, die Hinweise für den Zusammenhang zwischen dem Wert von Kundenbeziehungen und den verschiedenen Beweggründen für die Fortführung einer Beziehung liefern.
22 23
Vgl. Jedidi/Jagpal/DeSarbo (1997), S. 39. Vgl. Garbarino/Johnson (1999); Verhoef/Franses/Hoekstra (2002); Jones et al. (2007); Martin (2009).
6 Kapitel III dient der Darstellung des Commitment-Konzepts im Kontext der Kundenbeziehungsforschung. Dazu wird zunächst der Commitment-Begriff näher erläutert (vgl. Abschnitt III-1). Im weiteren Verlauf des Kapitels erfolgt eine Strukturierung der bisher im Marketing verwendeten Konzeptualisierungsansätze für Commitment (vgl. Abschnitt III-2.1) sowie deren Einordnung in etablierte Einstellungstheorien (vgl. Abschnitt III-2.2). Die Verwendung der Commitment-Konzeptualisierungen wird daraufhin in einem breiten Literaturüberblick näher beschrieben (vgl. Abschnitt III-3). Abschließend werden die in der Arbeit verfolgten Forschungsziele eingehend aus den bestehenden Forschungslücken hergeleitet (vgl. Abschnitt III-4). In Kapitel IV erfolgt die Konzeptualisierung des Affektiven, Normativen, Kalkulativen und Kaptiven Commitments (Forschungsziel I). Als theoretische Bezugspunkte dienen die Soziale Identitäts-Theorie (vgl. Abschnitt IV-2), die Reziprozitäts-Theorie (vgl. Abschnitt IV-3), die Side bet-Theorie (vgl. Abschnitt IV-4) sowie die Soziale Interaktions-Theorie (vgl. Abschnitt IV-5). Die vorgestellten Theorien dienen außerdem als Grundlage für die im folgenden Kapitel herzuleitenden Hypothesen zu den vier Commitment-Konstrukten. In Kapitel V wird das Untersuchungsmodell zu den Determinanten und Erfolgswirkungen der vier Commitment-Konstrukte konzipiert. Das Modell wird dazu exemplarisch auf die Branchen personenorientierte Dienstleistungen (Friseurstudios) und produktorientierte Dienstleistungen (Autowerkstätten) ausgerichtet. Mittels einer qualitativen Vorstudie (vgl. Abschnitt V-2; Studie 1) wird zunächst anhand strukturierter Einzelinterviews mit Konsumenten (n=22) die Eignung der vier Commitment-Konstrukte für die beiden Untersuchungsbranchen überprüft. Im explorativen Teil der Interviews werden zudem mögliche Einflussfaktoren abgefragt. Dies dient der Auswahl relevanter Determinanten für die vier Commitment-Konstrukte im Untersuchungsmodell. Im Anschluss werden auf Basis der in Kapitel IV beschriebenen Theorien Hypothesen hergeleitet (vgl. Abschnitt V-3). In Abschnitt V-4 werden schließlich Variablen vorgestellt, die zur Beschreibung der später zu identifizierenden latenten Kundensegmente im Rahmen der Heterogenitätsanalyse benötigt werden. Kapitel VI beinhaltet die empirischen Studien zur Überprüfung des postulierten Modells. Dazu werden in Abschnitt VI-2 die dafür notwendigen
7 methodischen Grundlagen der Konstruktmessung, der Kausal- sowie der Finite Mixture-Analyse vorgestellt. Im Rahmen einer zweiten Vorstudie (vgl. Abschnitt VI-3) werden die theoretisch erarbeiteten Itempools der verwendeten Konstrukte für die Hauptstudie optimiert. Zu diesem Zweck wird ein mehrstufiges Vorgehen gewählt, das zwei Expertenbefragungen mit Marketingwissenschaftlern (n1=8; n2=5) und eine Konsumentenbefragung (n=26) beinhaltet. In der dritten Vorstudie (vgl. Abschnitt VI-4; Forschungsziel II) wird die Diskriminanzvalidität der vier Commitment-Konstrukte auf Basis einer Konsumentenbefragung (n=391) gesondert analysiert. Im Rahmen der Hauptstudie (Studie 4) erfolgt schließlich die Überprüfung des in Kapitel V aufgestellten Untersuchungsmodells (vgl. Abschnitt VI-5.3.1; Forschungsziel III). Dies erfolgt mittels der Multigruppen-Kausalanalyse, die auf zwei Stichproben mit Kunden von Friseurstudios (n=842) und Autowerkstätten (n=840) zurückgreift. Weiterhin werden in Abschnitt VI-5.3.2 mit Hilfe des Finite Mixture-Ansatzes mehrere Kundensegmente identifiziert, wodurch die Konsumentenheterogenität im vorliegenden Datensatz (n=1.682) berücksichtigt wird. Anhand der beschreibenden Segmentvariablen werden die identifizierten Segmente schließlich charakterisiert (Forschungsziel IV). Zum Abschluss werden in Kapitel VII die zentralen Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst (vgl. Abschnitt VII-1). Hieraus ergeben sich wichtige Implikationen für die weitere Forschung (vgl. Abschnitt VII-2) sowie für die Unternehmenspraxis (vgl. Abschnitt VII-3). Abbildung I-1 fasst das Vorgehen der Arbeit überblicksartig zusammen.
8 I Einleitung
II Erfolgsbeitrag des Kundenbeziehungsmanagements Darstellung der Grundlagen zu Kundenbeziehungen (II-1) und zum Kundenwert (II-2) sowie Darstellung des Beitrags von Kundenbeziehungen für den Unternehmenserfolg (II-3)
III Commitment im Kontext der Kundenbeziehungsforschung Einführung des Commitment-Begriffs (III-1) und Darstellung von CommitmentKonzeptualisierungen im Marketing (III-2)
Bestandsaufnahme der Commitment-Forschung (III-3)
Ableitung der Forschungsziele der Arbeit (III-4)
Commitment-Betrachtung
Modell-Betrachtung
IV Theoretische Bezugspunkte 1
V Konzeption eines Untersuchungsmodells
Darstellung der Theorien und Verknüpfung mit den vier Commitment-Konstrukten (IV-2 – IV-5):
Tiefeninterviews zur Abfrage möglicher Determinanten der vier CommitmentKonstrukte (V-2)
(1) Soziale Identitäts-, (2) Reziprozitäts-, (3) Side bet- und (4) Soziale Interaktions-Theorie
Herleitung der Modellhypothesen (V-3) Berücksichtigung von Konsumentenheterogenität (V-4)
VI Empirische Studien Experten- und Konsumentenbefragung zur Itemoptimierung (VI-3)
2
Studie zur Überprüfung der Diskriminanzvalidität der vier Commitment-Konstrukte (VI-4)
Hauptstudie in zwei Branchen (VI-5) Identifizierung von Determinanten und Konsequenzen der vier Commitment-Konstrukte (VI-5.3.1)
Test auf Konsumentenheterogenität und Identifizierung von Kundensegmenten (VI-5.3.2)
VII Schlussbetrachtung Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse (VII-1) sowie Darstellung der Forschungs- (VII-2) und Managementimplikationen (VII-3) Forschungsziel
Abbildung I-1: Aufbau der Arbeit
3
4
9
II
Erfolgsbeitrag des Kundenbeziehungsmanagements
1
Charakteristika von Kundenbeziehungen
Kundenbeziehungen sind im Wesentlichen als Austauschbeziehungen zu charakterisieren. Johnson und Selnes (2004) definieren eine Austauschbeziehung als „[…] a mechanism for creating value through the coordination of production, consumption, and related economic activities between a customer and a supplier.“24 Innerhalb einer Austauschbeziehung werden demnach die Bedürfnisse der Kunden mit den Angeboten und Fähigkeiten eines Anbieters zusammengeführt. Aus der Perspektive des Anbieters dient die Austauschbeziehung dazu, die Heterogenität der Kundenbedürfnisse zu verstehen, Angebote zur Befriedigung dieser Bedürfnisse zu entwickeln und den Kunden durch Marketingaktivitäten im Wettbewerb mit anderen Anbietern zu gewinnen.25 Aus Kundenperspektive reflektiert die Austauschbeziehung das Ergebnis einer spezifischen Anbieterauswahl.26 Die Ausgestaltung von Austauschbeziehungen kann sich sehr unterschiedlich darstellen. Nach einer Typologisierung von MacNeil (1974) wird zwischen diskreten und relationalen Transaktionen unterschieden: x Diskrete Transaktionen werden beschrieben als „[…] sharp in by clear agreement; sharp out by clear performance […].“27 Solche Transaktionen sind nur auf einen bestimmten Zeitpunkt gerichtet und finden zwischen zwei Parteien statt, die ein vorerst einmaliges Geschäft abschließen und dabei keine soziale Beziehung entwickeln.28 In diesem Fall erfüllt die Austauschbeziehung aus Sicht des Anbieters dann ihren Zweck, sobald der Kunde das gewünschte Produkt erhält und dafür bezahlt.29 x Relationale Transaktionen sind hingegen durch ihre Langfristigkeit gekennzeichnet. Im Gegensatz zu diskreten Transaktionen gilt, dass „[…] each transaction must be viewed in terms of its history and its anticipated
24 25 26 27 28 29
Johnson/Selnes (2004), S. 2. Vgl. Reekie/Savitt (1982), S. 55ff. Vgl. Murphy/Enis (1986), S. 24ff. MacNeil (1974), S. 738. Vgl. MacNeil (1974), S. 856ff.; Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 12f.; Zimmer (2000), S. 8f. Vgl. Johnson/Selnes (2004), S. 2.
10 future.“30 Mit zunehmender zeitlicher Ausdehnung der Transaktionen bilden sich relationale Elemente aus, die für beide Beziehungspartner von Vorteil sind. So kommt es beispielsweise dazu, dass Anbieter und Kunde zusammenarbeiten, Informationen teilen, sich sozialisieren, Tätigkeiten integrieren und Ressourcen in die Beziehung investieren.31 Beide Transaktionsformen bilden die Endpunkte eines Kontinuums und stellen damit gegenpolige Ausprägungen dar (vgl. Abbildung II-1).32 Die Extremformen des Kontinuums sind in der Realität allerdings kaum anzutreffen. Vielmehr verfügen alle Transaktionen über mehr oder weniger stark ausgeprägte relationale Elemente.33
Diskrete Transaktion
• zeitpunktorientiert • kurzfristig • ohne sozialen Bezug • einmalig • ohne Abhängigkeit
Ausprägung relationaler Elemente
Relationale Transaktion
• zeitraumbezogen • langfristig • mit sozialem Bezug • regelmäßiger, informeller Informationsaustausch • kooperatives Verhalten • mit Abhängigkeit
Abbildung II-1: Merkmale diskreter und relationaler Transaktionen Quelle: In Anlehnung an MacNeil (1980), S. 14ff.; Werner (1997), S. 39; Zimmer (2000), S. 8.
Den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit bilden relationale Transaktionen, die, wie beschrieben, über wesentliche Vorteile gegenüber den rein diskreten Transaktionen verfügen. Sie sind außerdem Fokus des Kundenbeziehungsmanagements, dessen Ziel sowohl der Aufbau als auch die Pflege langfristiger und erfolgreicher Kundenbeziehungen darstellt.34 Geschäfts- und Kundenbeziehungen durchlaufen, vergleichbar mit den Überlegungen zur Lebenszyklustheorie, verschiedene Entwicklungsphasen.35 In der Marketingforschung existiert eine Vielzahl phasenbezogener Kunden-
30 31 32 33 34 35
Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 12. Vgl. Johnson/Selnes (2004), S. 2. Vgl. MacNeil (1980), S. 14ff.; Werner (1997), S. 39; Zimmer (2000), S. 8. Vgl. Saab (2007), S. 9. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 133ff. Vgl. z.B. Hennig-Thurau/Hansen (2000), S. 11.
11 lebenszyklusmodelle,36 worunter dem sektorenübergreifend formulierten Ansatz von Dwyer, Schurr und Oh (1987) sowohl in B2C-37 als auch B2BStudien38 besondere Beachtung gewidmet wird. Nach diesem Modell wird der Entwicklungsprozess einer Kundenbeziehung in fünf idealtypische Phasen unterteilt (vgl. Abbildung II-2):39 1. Die erste Phase des Modells (Kenntnisnahme) beschreibt die initiale Wahrnehmung und Identifikation eines Anbieters als potenziellen Geschäftspartner. Sie stellt damit den Ausgangspunkt für die Beziehungsanbahnung dar. 2. In der sich daran anschließenden Erkundungsphase finden erste Interaktionen zwischen dem Kunden und dem Anbieter statt. In diesem Beziehungsstadium werden Vor- und Nachteile der möglichen Austauschbeziehung gegeneinander abgewogen. Hierzu können einzelne Testkäufe erfolgen, um die Leistungsfähigkeit des Anbieters besser einschätzen zu können. 3. Als dritte Phase ist die Ausweitungsphase zu nennen, in der weitere Transaktionen zwischen Kunde und Anbieter getätigt werden und sich der beiderseitige Beziehungsnutzen zunehmend erhöht. Ein weiterer Unterschied zur vorherigen Phase liegt darin, dass sich die Partner nun in einem stärkeren Maße vertrauen und zufriedener mit den Ergebnissen der Beziehung sind. Dies bewirkt eine Intensivierung der Geschäftsbeziehung durch zusätzliche Investitionen. Die Zahl und Attraktivität der wahrgenommenen Alternativen sinkt, wodurch die Abhängigkeit vom Anbieter steigt. 4. Die sich anschließende vierte Phase ist durch die Entstehung von Commitment gekennzeichnet. Diese Phase reflektiert den fortgeschrittensten und wünschenswertesten Zustand der Anbieter-KundenBeziehung und bezieht sich auf ein explizites oder implizites Versprechen der Beziehungsfortführung zwischen den Partnern.
36 37 38 39
Vgl. Schmitz (1997), S. 67; Lorbeer (2003), S. 59. Vgl. z.B. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235; von Stenglin (2008), S. 33. Vgl. z.B. Ramaseshan/Yip/Pae (2006), S. 66; Saab (2007), S. 8. Vgl. Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 15ff.
12 5. Als fünfter und letzter Schritt beschreibt die Auflösungsphase eine mögliche Beendigung der Geschäftsbeziehung. Diese Phase beginnt mit der Absicht des Kunden, den Anbieter wechseln zu wollen, und kann bei Vorhandensein von adäquaten Alternativen schließlich zum tatsächlichen Abbruch der Beziehung führen. Zufriedenheit Vertrauen Investitionen
Dauer der Beziehung Kenntnisnahme
Erkundung
Ausweitung Commitment
Auflösung
Abbildung II-2: Entwicklungsprozess von Beziehungen Quelle: In Anlehnung an Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 15ff.; von Stenglin (2008), S. 33.
Zusammenfassend zeigt das Phasenmodell von Dwyer, Schurr und Oh (1987), dass sich Kundenbeziehungen über die Zeit entwickeln und je nach Zyklusphase unterschiedlich zu charakterisieren sind. Deutlich wird auch, dass das Commitment ein zentrales Konstrukt für langfristige Kundenbeziehungen darstellt.40 Dies wird auch umfassend durch eine Meta-Analyse von Palmatier et al. (2006) empirisch bestätigt.41 2
Kundenwert als Erfolgsgröße des Kundenbeziehungsmanagements
Der Kundenwert wird von Reichheld und Sasser (1990) als „[…] net present value of the profit streams a customer generates over the average customer
40 41
Vgl. Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 20; Schmitz (1997), S. 102f. Vgl. Palmatier et al. (2006), S. 136f.
13 life“42 definiert. Er dient als Maßstab für den Kapitalwert der als Investitionsobjekt betrachteten Kundenbeziehung.43 Der Kundenwert wird zudem als abhängige Variable des Kundenbeziehungsmanagements verstanden44 und eignet sich daher auch zur Messung der Zielerreichung des Kundenbeziehungsmanagements.45 Dies ist einerseits erforderlich, um die interne Forderung nach verlässlichen Steuerungsgrößen für Kundenbeziehungen zu erfüllen. Andererseits erfordert die zunehmende Kapitalmarktorientierung von Unternehmen die Bewertung von konkreten Marketingaktivitäten.46 Zudem kann es passieren, dass bei der Vernachlässigung des Kundenwerts unprofitable Kundenbeziehungen bearbeitet werden.47 Im Rahmen einer wertorientierten Unternehmensführung ist daher die Berücksichtigung von Erfolgsgrößen der Kundenbeziehung in Form des Kundenwerts notwendig.48 Für die Berechnung des Kundenwerts ist die Betrachtung seiner einzelnen Teilwerte erforderlich. Nach Bauer, Stokburger und Hammerschmidt (2006) können die Kundenwertbestandteile Basiswert, Loyalitätswert, Cross-SellingWert, Referenzwert sowie Kooperations- und Informationswert unterschieden werden. Dieses Verständnis wird auch der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt und nachfolgend erläutert:49 x Der Basiswert entspricht dem Mindestertrag, der relativ sicher erwartet werden kann. Er gilt als „autonomer“ Umsatz, der ohne den Einsatz von kundenspezifischen Marketingaktivitäten erzielt wird.50 x Der Loyalitätswert ergibt sich für den Anbieter durch zusätzliche Erfolgsbeiträge des Kunden. Diese können zum einen in Form von höheren Kaufmengen pro Transaktion (höhere Kaufintensität) und zum anderen in Form von häufigeren Transaktionen pro Periode (höhere Kauffrequenz) erfolgen. Neben der Möglichkeit, Kunden mehr desselben Produkts zu 42 43 44 45 46 47 48 49 50
Reichheld/Sasser (1990), S. 109. Vgl. Rust/Lemon/Zeithaml (2004), S. 112; Lewis (2005), S. 230f. Vgl. Lewis (2005), S. 230. Vgl. Bruhn (2009), S. 15. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 26ff. Vgl. Homburg (2007), S. 399. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 58. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 49ff. Vgl. Bauer/Hammerschmidt (2005), S. 334f.
14 verkaufen, ist auch das Up-Selling, d.h. der Verkauf höherpreisiger Güter derselben Produktkategorie, möglich.51 x Der Cross-Selling-Wert entspricht den zusätzlichen zukünftigen Erfolgsbeiträgen aus dem Absatz von Produkten außerhalb der Produktkategorie des Basisgeschäfts.52 Dabei handelt es sich nicht nur um den gekoppelten Verkauf voneinander unabhängiger Güter, sondern auch um die Bündelung von Komplementär- oder Substitutionsgütern sowie zeitlich aufeinanderfolgende Geschäfte.53 x Der Referenzwert eines Kunden bezieht sich auf dessen Erfahrungsaustausch über seinen Anbieter mit anderen potenziellen Kunden außerhalb der Geschäftsbeziehung.54 Diese Kommunikationsaktivität wird als Weiterempfehlung bezeichnet, durch die neue Kunden gewonnen sowie die Abwanderung bestehender Kunden verhindert werden können. Solche Referenzen werden aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaft als besonders vertrauenswürdig und kaufverhaltensrelevant angesehen.55 x Der Kooperationswert bezeichnet die Bereitschaft eines Kunden, sich in die Prozesse des Anbieters zur Leistungserstellung mit einzubringen.56 Dies hat insbesondere durch erzielbare Kostenreduktionen auf Seiten des Anbieters einen positiven Einfluss auf den Erfolgsbeitrag eines Kunden.57 x Der Informationswert quantifiziert den Informationsfluss zwischen den Geschäftspartnern einer Austauschbeziehung, der kundeninitiiert oder durch Anbietermaßnahmen induziert sein kann.58 Diese Informationen können beispielsweise Prozessinnovationen ermöglichen, die Kostensenkungen durch Effizienzverbesserungen und damit günstigere Transaktionen ermöglichen. Gleichfalls können daraus auch neue Erlösquellen in Form von Produktentwicklungen und -verbesserungen erschlossen werden.59 Auch Kundenbeschwerden werden als wertvolle Informationen 51 52 53 54 55 56 57 58 59
Vgl. Bauer/Hammerschmidt (2005), S. 335. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 51. Vgl. Schäfer (2002), S. 52ff. Vgl. Bayón/Weber/von Wangenheim (2002), S. 181f. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 51. Vgl. Homburg/Schnurr (1998), S. 173. Vgl. Fitzsimmons (1985), S. 61f. Vgl. Tomczak/Rudolf-Sipötz (2006), S. 134. Vgl. Gruner/Homburg (1999), S. 124f.
15 angesehen, da Anbieter daraus Handlungsempfehlungen ableiten können, mittels derer Kundenzufriedenheit und -bindung positiv beeinflusst werden können.60 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Ziel des Kundenbeziehungsmanagements der Aufbau langfristiger und wertvoller Kundenbeziehungen ist. Die Zielerreichung wird dabei anhand des erzielten Kundenwerts bzw. einzelner Teilkomponenten des Kundenwerts ermittelt. Entscheidend ist nun die Frage, ob langfristige Kundenbeziehungen generell wertvoller sind und ob es Unterschiede im Wert solcher Beziehungen in Abhängigkeit bestimmter Einflussfaktoren gibt, die im Beziehungsmanagement berücksichtigt werden müssen. 3
Forschungsbefunde zum Beitrag von Kundenbeziehungen für den Unternehmenserfolg
Eine generelle Annahme ist, dass Unternehmen mehr von langfristigen als von kurzfristigen Kundenbeziehungen profitieren.61 Überzeugende, aber nur konzeptionelle Argumente liefern hierzu beispielsweise Morgan und Hunt (1994), Sheth und Parvatiyar (1995) oder Bendapudi und Berry (1997). Ein weiterer in diesem Zusammenhang oft zitierter Artikel stammt von Reichheld und Sasser (1990). Die Autoren erläutern, wie langfristige Kundenbeziehungen zum Unternehmensprofit beitragen. Demnach neigen Kunden auf der einen Seite dazu, umso mehr Käufe zu tätigen, höhere Preise zu zahlen sowie neue Kunden zu werben, je länger die Kundenbeziehung andauert. Auf der anderen Seite profitiert das Unternehmen an den fallenden Kosten bei der Betreuung langfristiger Kunden.62 Reichheld und Sasser (1990) schlussfolgern daher: „As a customer´s relationship with the company lengthens, profits rise.“63 Mittlerweile kann diese pauschale Annahme nicht mehr aufrechterhalten werden. Zum einen zeigen Studien, dass sich Kundensegmente identifizieren lassen, die unterschiedlich wertvoll sind.64 Zum anderen werden Einfluss60 61 62 63 64
Vgl. Stauss/Seidel (2007), S. 38f. Vgl. Reinartz/Kumar (2000), S. 17. Vgl. Reichheld/Sasser (1990), S. 108. Reichheld/Sasser (1990), S. 105. Vgl. hierzu auch Steiner (2009), S. 13ff.
16 faktoren erkannt, die je nach Segment die Wertigkeit der Kunden beeinflussen (vgl. Tabelle II-1). Autor/-en (Jahr) Reinartz/ Kumar (2000)
Studiencharakteristika Kunden eines Versandhändlers (B2C, n=9.167, stochastisches Modell)
x x x x x
Thomas (2001)
Mitglieder (im x Sinne von Kunden) einer x Pilotenorganisation (B2C, n=2.300, ökonox metrisches Modell)
x Lewis (2005)
Abonnenten einer x Zeitung (B2C, n=1.578, ökonox metrisches Modell)
x Homburg/ Steiner/ Totzek (2009)
Kunden jeweils x eines Finanz- und Telekomx munikationsanbieters (B2C, n1=100.000, n2=300.000, stochastisches Modell)
Zentrale Ergebnisse bzgl. segmentspezifischer Kundenwerte Identifikation von vier Segmenten im Kundenstamm Als Segmentierungskriterien werden Beziehungsdauer und -umsatz verwendet. Alle Segmente zeichnen sich durch eine unterschiedliche Profitabilität aus. In drei der vier Segmente nimmt die Profitabilität über die Zeit ab. In allen Segmenten sinken weder die Kundenbearbeitungskosten noch steigt die Zahlungsbereitschaft für höhere Preise über die Zeit. Identifikation von zwei latenten Segmenten im Kundenstamm Segment 1 wird im Vergleich zu Segment 2 durch eine kürzere Kundenbeziehungsdauer und einen niedrigeren Kundenwert beschrieben. In Segment 1 wird die Kundenbeziehungsdauer durch alle drei eingesetzten Marketingaktivitäten (Werbegeschenke, kostenlose Ergänzungsprodukte und kostenlose, eigenständige Produkte) beeinflusst. In Segment 2 wirken nur Werbegeschenke auf die Kundenbeziehungsdauer. Identifikation von zwei latenten Segmenten im Kundenstamm In Segment 1 steigern gewährte Rabatte und anfänglich niedrige Preise die Preissensibilität über die Zeit. Hier führen niedrige Preise und häufige Rabattaktionen zum maximalen Kundenwert. In Segment 2 fällt dagegen die Preissensibilität mit der Dauer des Abonnements. Hier steigert eine anfängliche Rabattaktion den Kundenwert. Identifikation von mehreren Segmenten je Kundenstamm Zur Beschreibung von Segmenten mit unterschiedlicher gegenwärtiger (zukünftiger) Kundenprofitabilität eignen sich Kaufverhaltensvariablen (Soziodemographika).
Tabelle II-1: Ausgewählte B2C-Studien mit Kundenwertsegmentierung Zunächst widerlegen Reinartz und Kumar (2000) die generalisierten Überlegungen von Reichheld und Sasser (1990). In ihrer Studie mit Kunden eines Versandhändlers zeigen sie, dass über die Beziehungsdauer weder die Bereitschaft zur Zahlung höherer Preise automatisch steigt, noch die Kosten
17 zur Bearbeitung eines Kunden automatisch fallen. Vielmehr können sie nachweisen, dass hochprofitable Kundensegmente sowohl mit kurzer als auch langer Beziehungsdauer existieren. Eine mögliche Erklärung sehen sie in den grundlegenden Beweggründen der Kunden für die Fortführung ihrer Anbieterbeziehung. Das segmentspezifische Kaufverhalten ist demnach „[…] driven mostly by an affective momentum for the short-life, high-revenue customers or by a cognitive element for the long-life, high-revenue customers.“65 Für den Fall einer „unfreiwilligen” Kundenbeziehung aufgrund mangelnder Alternativen sehen die Autoren die Möglichkeit einer über die Zeit steigenden Profitabilität: „[…] loyalty might lead to increased profit over time if there is a forced ongoing relationship or an inertia-driven relationship, if costs of maintenance decrease over time at a faster rate than revenues fall off, and so forth.”66 Thomas (2001) identifiziert in seiner Untersuchung zum Kaufverhalten von Mitgliedern einer Pilotenorganisation zwei latente Segmente, die unterschiedlich auf den Einsatz von Marketinginstrumenten ansprechen. Während sich in dem einen Segment die Kundenbeziehungsdauer und der daraus kalkulierte Kundenwert durch ermäßigte und kostenlose Produkte sowie Werbegeschenke beeinflussen lassen, wirken im zweiten Segment lediglich Werbegeschenke auf die Dauer der Beziehung und den daraus abgeleiteten Kundenwert. Generell zeichnet sich das erste Segment durch eine niedrigere Kundenbeziehungsdauer und demzufolge einen niedrigeren Kundenwert aus. Als möglicher Grund für die unterschiedlichen Reaktionen der Segmentmitglieder auf diese Marketingaktivitäten wird der divergierende Anteil an Berufspiloten in den beiden Segmenten angeführt. Es ist davon auszugehen, dass Berufspiloten grundsätzlich einen anderen Beweggrund haben, Mitglied in der Pilotenorganisation zu sein, und dies ein Erklärungsansatz für das unterschiedliche Verhalten darstellt. Auch Lewis (2005) kommt in seiner Studie mit Zeitungsabonnenten zu dem Schluss, dass sich Unterschiede im Kundenwert auf die grundsätzlichen Beweggründe der Kunden für die Fortführung ihrer Beziehung zurückführen lassen. Von den beiden latenten Segmenten, die er identifiziert, weist eines eine generell höhere Preissensibilität aus. Weiterhin entwickelt sich die segmentspezifische Bereitschaft, höhere Preise zu zahlen, über die Zeit 65 66
Reinartz/Kumar (2000), S. 33. Reinartz/Kumar (2000), S. 27.
18 unterschiedlich. Während sich beim ersten Segment die Preissensibilität durch den Einsatz von Rabatten und niedrigen Einstiegspreisen weiter erhöht, sinkt beim zweiten Segment die Preissensibilität unabhängig vom Marketingeinsatz. Lewis (2005) vermutet, dass im ersten preissensibleren Segment überwiegend opportunistische Abonnenten vertreten sind, die auf Basis preisgetriebener, kalkulativer Überlegungen das Abonnement erwerben und wieder kündigen. So lässt sich der Kundenwert im preissensiblen Segment durch niedrige Einstiegspreise und häufige Rabattaktionen maximieren. Im zweiten Segment maximiert dagegen lediglich eine anfängliche Rabattaktion den Kundenwert. Somit zeigt der Einsatz von Marketinginstrumenten in Abhängigkeit der vorliegenden Beweggründe für eine Beziehungsfortführung einen unterschiedlichen Einfluss auf den Kundenwert. Eine weitere Studie von Homburg, Steiner und Totzek (2009) nutzt dagegen Kaufverhaltensvariablen und Soziodemographika zur Identifizierung von Segmenten mit unterschiedlicher Kundenprofitabilität. Die Autoren unterscheiden hierbei die gegenwärtige und zukünftige Profitabilität von Kunden eines Finanz- und Telekommunikationsdienstleisters. Zur Identifizierung von Segmenten mit divergierender gegenwärtiger Profitabilität erweisen sich die Kaufverhaltensvariablen der Kunden (z.B. Kaufvolumen und Cross-Buying) als die maßgeblichen Kriterien. Zur Bestimmung zukünftiger Kundenprofitabilität sind wiederum Soziodemographika (z.B. Alter, Geschlecht und Einkommen) die geeigneten Segmentierungskriterien. Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Kunden weder gleich wertvoll sind, noch dass ihr Wert bei anhaltender Kundenbeziehung automatisch steigt. Vielmehr müssen im Kontext der Wertbetrachtung weitere Faktoren berücksichtigt werden. Dazu lassen sich anhand der exemplarisch ausgewählten Studien drei Gruppen von Variablen unterscheiden: 1. Reinartz und Kumar (2000) sowie Lewis (2005) postulieren, dass der Beweggrund, warum Kunden ihre Anbieterbeziehung aufrechterhalten, einen Einfluss auf den Wert des Kunden besitzt. 2. Thomas (2001) und Lewis (2005) vermuten, dass der Einsatz von Marketinginstrumenten in Abhängigkeit der Beweggründe für die Beziehungsfortführung unterschiedliche und teilweise sogar gegensätzliche
19 Effekte auf das Kundenverhalten und damit auf den Kundenwert hervorrufen. 3. Homburg, Steiner und Totzek (2009) nutzen Kaufverhaltensvariablen und Soziodemographika, um Kundensegmente mit unterschiedlicher Profitabilität zu identifizieren. 4
Zusammenfassung und Konsequenz für das weitere Vorgehen
In den vorangegangenen Abschnitten wurde zunächst auf die Charakteristika von Kundenbeziehungen eingegangen und ein mehrstufiges Phasenmodell des Kundenlebenszyklus von Dwyer, Schurr und Oh (1987) vorgestellt (vgl. Abschnitt II-1). Weiterhin wurden in Abschnitt II-2 die einzelnen Bestandteile des Kundenwerts erläutert, der für das Management von Kundenbeziehungen als Erfolgsmaßstab herangezogen wird. Abschließend wurden mehrere Forschungsbefunde vorgestellt, die den Beitrag von Kundenbeziehungen für den Unternehmenserfolg thematisieren (vgl. Abschnitt II-3). Zusammenfassend kann festgehalten werden: x Das Phasenmodell von Dwyer, Schurr und Oh (1987) dient als konzeptioneller Rahmen für das Verständnis von Kundenbeziehungen. Es werden hier die fünf idealtypischen Phasen Kenntnisnahme, Erkundung, Ausweitung, Commitment und Auflösung unterschieden. Darunter stellt das Commitment die wichtigste Phase der Kundenbeziehung dar, da in dieser ein explizites oder implizites Versprechen der Beziehungsfortsetzung zwischen den Partnern besteht. Diese Phase ist daher auch der Betrachtungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. x Das Ziel des Kundenbeziehungsmanagements besteht im Auf- und Ausbau von profitablen Kundenbeziehungen. Als Bewertungsmaßstab dafür wird der Kundenwert herangezogen, der üblicherweise in die Bestandteile Basiswert, Loyalitätswert, Cross-Selling-Wert, Referenzwert sowie den Kooperations- und Informationswert zerlegt wird.67 Der Kundenwert bzw. seine Komponenten werden daher als Erfolgsgröße für den empirischen Teil der Arbeit genutzt.
67
Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 49ff.
20 x Zahlreiche Studien zeigen, dass Kunden in ihrem Wertbeitrag nicht gleich sind und dass ihr Wert nicht zwangsläufig mit der Dauer der Kundenbeziehung steigt. Zwar kann der Kundenwert über Aktivitäten des Kundenbeziehungsmanagements beeinflusst werden, allerdings sind weitere Faktoren dafür verantwortlich, dass sich der Kundenwert unterscheidet. Es wird von mehreren Forschern vermutet, dass der Einsatz von Marketinginstrumenten in Abhängigkeit der vorliegenden Beweggründe für eine Beziehungsfortführung unterschiedliche bzw. keine Effekte auf die Wertsteigerung ausüben kann.68 Zur Erklärung des wertsteigernden bzw. -mindernden Verhaltens von Kunden reicht es daher nicht aus, solche Marketingaktivitäten isoliert zu betrachten. Vielmehr sollten beide Aspekte in einem Modell berücksichtigt werden, um das Kundenverhalten erklären zu können. Weiterhin können Kundensegmente mit unterschiedlichem Wert anhand von Kaufverhaltensvariablen und Soziodemographika identifiziert werden.69 Der Einsatz dieser Kriterien bei der Kundensegmentierung eignet sich vor allem deswegen, weil dadurch die gebildeten Kundensegmente eine hohe Ansprechbarkeit gewährleisten. Aufgrund der beschriebenen Gründe werden für diese Arbeit alle genannten Aspekte (Marketingaktivitäten, Beweggründe zur Beziehungsfortführung sowie Kaufverhaltensvariablen und Soziodemographika) Berücksichtigung finden. Für das weitere Vorgehen empfiehlt sich zunächst eine detaillierte Betrachtung des Commitments aus zwei Gründen. Erstens stellt das Commitment die zentrale Phase im Kundenbeziehungszyklus dar. Zweitens können über das Commitment die in Abschnitt II-3 angesprochenen Beweggründe für eine Beziehungsfortführung erfasst werden.
68 69
Vgl. Thomas (2001), S. 265f.; Lewis (2005), S. 233f. Vgl. Homburg/Steiner/Totzek (2009), S. 74.
21
III
Commitment im Kontext der Kundenbeziehungsforschung
1
Zum Commitment-Begriff
Dem anglo-amerikanischen Begriff Commitment stehen im Deutschen eine Vielzahl an unterschiedlichen Bedeutungen wie Engagement, Verpflichtung oder Bindung gegenüber.70 Den wissenschaftlichen Ursprung findet das Commitment-Konzept in den Disziplinen der Soziologie und der Psychologie. Erste Überlegungen in der Soziologie beziehen sich auf die gesellschaftlichen und sozialen Faktoren, die Individuen auf ein bestimmtes Verhalten festlegen.71 In der Psychologie wurde Commitment hingegen als Entscheidung oder Kognition definiert, die ein Individuum an eine bestimmte Verhaltensdisposition bindet.72 Bis dato hat sich das Commitment-Konstrukt vor allem in der Sozial- und Organisationspsychologie sowie im Marketing fest etabliert.73 In der Sozialpsychologie haben sich bis heute zahlreiche Anwendungsfelder für das Commitment-Konstrukt herausgebildet. Ein zentraler Bereich stellt die interpersonelle Commitment-Forschung (partner commitment) dar, welche die konsistente Fortführung eines Verhaltens gegenüber einem Partner betrachtet.74 Ein weiterer Bereich beschäftigt sich mit dem Commitment zu bereits getroffenen Entscheidungen (commitment to course of action).75 Von hoher Bedeutung sind auch die Forschungsfelder zum Commitment gegenüber persönlichen Zielen (goal commitment)76 und zur Berufswahl (occupational commitment)77, wobei das letztere Anwendungsgebiet meist im direkten Vergleich mit dem aus der Organisationspsychologie stammenden Commitment zum Arbeitgeber (organizational commitment) diskutiert wird.78
70 71 72 73
74 75 76 77
78
Vgl. Dietl/Lee (2007), S. 86f. Vgl. Becker (1960); Kanter (1968). Vgl. Festinger (1957); Kiesler (1971). Vgl. Meyer/Becker/Vandenberghe (2004), S. 991; Blau/Holladay (2006), S. 691ff.; Palmatier et al. (2006), S. 136f. Vgl. z.B. Finkel et al. (2002); Frank/Brandstätter (2002); Arriaga et al. (2006). Vgl. z.B. Simonson/Staw (1992); Bobocel/Meyer (1994); Moon (2001). Vgl. z.B. Oettingen/Pak/Schnetter (2001); Sue-Chan/Ong (2002); Koo/Fishbach (2008). Vgl. z.B. Irving/Coleman/Cooper (1997); Lee/Carswell/Allen (2000); Snape/Redman (2003). Vgl. Chang/Choi (2007), S. 300.
22 In der Organisationspsychologie besteht gerade im organizational commitment das zentrale Anwendungsgebiet. Commitment wird hier als „[...] the relative strength of an individual´s identification with and involvement in a particular organization“79 definiert. Commitment gilt in diesem Kontext als der zentrale Einflussfaktor auf das Wechselverhalten von Arbeitnehmern gegenüber ihrem Arbeitgeber.80 Weitere Studien befassen sich mit dem Commitment von Arbeitnehmern gegenüber organisatorischem Wandel (commitment to organizational change)81 sowie gegenüber organisatorischen Zielen (organizational goal commitment)82. In der Marketingwissenschaft wurde das Commitment-Konstrukt von Dwyer, Schurr und Oh (1987) sowie Morgan und Hunt (1994) in die Kundenbeziehungsforschung eingeführt.83 Wie eine Meta-Analyse von Palmatier et al. (2006) zeigt, hat sich das Commitment-Konstrukt mittlerweile als zentraler Bestandteil des Kundenbeziehungsmanagements etabliert und dient als Mediator zwischen unabhängigen (Steuerungs-)Variablen und den kundenbeziehungsbezogenen Verhaltensgrößen.84 Das CommitmentKonstrukt findet sich sowohl in B2B-85 als auch in B2C-Studien86 wieder. Beim Bezugsobjekt des Commitments wird unterschieden zwischen der Beziehung zu einem Unternehmen87, der geschäftlichen Beziehung zu einem Vertreter dieses Unternehmens88 oder der freundschaftlichen Beziehung zu diesem Vertreter89. Für das Commitment-Konstrukt existiert eine Reihe unterschiedlicher Begriffsbestimmungen im Marketing (vgl. Tabelle III-1). Ein erster und häufig verwendeter Definitionsansatz stammt von Dwyer, Schurr und Oh (1987), die Commitment als eine implizite oder explizite Bindung an einen Austauschpartner sehen.90 Moorman, Zaltman und Deshpandé (1992) 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90
Mowday/Porter/Steers (1982), S. 27. Vgl. z.B. Wright/Bonett (2002); Bentein et al. (2005); Sinclair et al. (2005). Vgl. z.B. Herscovitch/Meyer (2002); Herold/Fedor/Caldwell (2007); Herold et al. (2008). Vgl. z.B. Klein et al. (2001); Latham (2001); Jarzabkowski/Sillince (2007). Vgl. Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 19; Morgan/Hunt (1994), S. 20. Vgl. Palmatier et al. (2006), S. 136f. Vgl. z.B. Jap/Ganesan (2000); Palmatier/Dant/Grewal (2007); Tsiros/Ross/Mittal (2009). Vgl. z.B. Verhoef (2003); Johnson/Herrmann/Huber (2006); Zeithammer (2007). Vgl. z.B. Gustafsson/Johnson/Roos (2005); Auh et al. (2007). Vgl. z.B. Hansen/Sandvik/Selnes (2003); Palmatier/Scheer/Steenkamp (2007). Vgl. z.B. Jones/Taylor/Bansal (2008). Vgl. Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 19.
23 erkennen im Commitment den Wunsch, die Beziehung mit einem Geschäftspartner aufrechtzuerhalten.91 Anderson und Weitz (1992) sowie Morgan und Hunt (1994) gehen einen Schritt weiter und definieren Commitment als eine Verhaltensabsicht, Investitionen jeglicher Art zu tätigen, um eine Beziehung zu entwickeln bzw. diese fortzuführen.92 Eine mehrdimensionale Sichtweise vertreten dagegen Gundlach, Achrol und Mentzer (1995). Nach deren Verständnis beinhaltet Commitment ein beziehungsförderndes Verhalten, eine positive Einstellung gegenüber diesem Verhalten und eine temporale Komponente, welche die Langfristigkeit der Beziehung deutlich werden lässt.93 Diese exemplarische Aufzählung an häufig zitierten Commitment-Definitionen lässt allerdings erkennen, dass sich in der Vergangenheit kein Konsens über die Konzeptualisierung von Commitment im Marketing herausgebildet hat. Autor/-en (Jahr), Seite Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 19
Definition von Commitment „Commitment refers to an implicit or explicit pledge of relational community between exchange partners.“
Anderson/Weitz (1992), S. 19
„[…] commitment to a relationship entails a desire to develop a stable relationship, a willingness to make shortterm sacrifices to maintain the relationship, and a confidence in the stability of the relationship.”
Moorman/Zaltman/Deshpandé „Commitment to the relationship is defined as an enduring (1992), S. 316 desire to maintain a valued relationship […].”
Morgan/Hunt (1994), S. 23
„[…] we define relationship commitment as an exchange partner believing that an ongoing relationship with another is so important as to warrant maximum efforts at maintaining it; that is, the committed party believes the relationship is worth working on to ensure that it endures indefinitely.”
Tabelle III-1: Ausgewählte Commitment-Definitionen im Marketing (Teil 1/2)
91 92 93
Vgl. Moorman/Zaltman/Deshpandé (1992), S. 316. Vgl. Anderson/Weitz (1992), S. 19; Morgan/Hunt (1994), S. 23. Vgl. Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 79.
24 Fortsetzung Autor/-en (Jahr), Seite
Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 79
Definition von Commitment „First, commitment is defined to possess an input or instrumental component, that is, an affirmative action taken by one party that creates a self-interest stake in the relationship and demonstrates something, more than a mere promise. Second, commitment includes an attitudinal component signifying an enduring intention by the parties to develop and maintain a stable long-term relationship […] Third, commitment is thought to embrace a temporal dimension, highlighting the fact that commitment means something only over long term, that is, the inputs and attitudes brought to the relationship must reveal consistency over time […].”
Tabelle III-1: Ausgewählte Commitment-Definitionen im Marketing (Teil 2/2) 2
Commitment-Konzeptualisierungen
2.1
Strukturierung der bestehenden Commitment-Konzeptualisierungen
Um eine geeignete Strukturierung der in der empirischen Marketingliteratur verwendeten Commitment-Konzeptualisierungen vornehmen zu können, ist es zunächst notwendig, die bestehenden Ansätze zu identifizieren. Im vorliegenden Fall kann dies nur über die jeweilige Konstruktoperationalisierung erfolgen, da die in der Literatur angebrachten Konzeptualisierungsversuche unzureichend sind und die inhaltliche Bedeutung des jeweils verwendeten Commitment-Konstrukts nur selten exakt erfassen.94 Insgesamt lassen sich so drei unterschiedliche Commitment-Konzeptualisierungen herausarbeiten, die im Folgenden näher beschrieben werden (vgl. Abbildung III-1).
94
Vgl. z.B. Moorman/Zaltman/Deshpandé (1992), S. 316; Grayson/Ambler (1999), S. 133f.; Palmatier/Dant/Grewal (2007), S. 175.
25 CommitmentKonzeptualisierungen
einstellungsorientiertes Commitment
verhaltensorientiertes Commitment
kombiniertes einstellungsund verhaltensorientiertes Commitment
Existierende Konstrukte: • Affektives Commitment • Normatives Commitment • Kalkulatives Commitment • Kaptives1 Commitment • Kontinuierendes Commitment (bestehend aus Kalkulativem und Kaptivem Commitment)
Existierende Konstrukte: • Konatives1 Commitment (Messung einer Verhaltensabsicht oder eines tatsächlichen Verhaltens)
Existierende Konstrukte: • Kombiniertes1 Commitment (Messung einstellungsorientierter als auch verhaltensorientierter Aspekte in einem Konstrukt)
Verwendung: • Überwiegend wird das Affektive Commitment entweder einzeln oder zusammen mit dem Kalkulativen oder Kontinuierenden Commitment eingesetzt
Verwendung: • Das Konative Commitment wird in Studien überwiegend nur einzeln eingesetzt
Verwendung: • Das Kombinierte Commitment wird in Studien überwiegend nur einzeln eingesetzt
Abschnitt III-3.2
Abschnitt III-3.3
Abschnitt III-3.4
1 Neu eingeführte Bezeichnung, da sich in der Literatur bisher kein eigener Begriff durchgesetzt hat
Abbildung III-1: Commitment-Konzeptualisierungen im Marketing Einstellungsorientierte Commitment-Konstrukte geben einen Beweggrund wieder, warum ein Kunde seine Anbieterbeziehung grundsätzlich aufrechterhält.95 Die Konstrukte basieren somit auf unterschiedlichen Einstellungen, welche die Natur der jeweiligen Beziehung reflektieren und Auswirkungen auf die Entscheidung haben, diese Beziehung fortzuführen.96 Dadurch charakterisieren sie jeweils eine ganz bestimmte Form der vom Kunden ausgehenden Bindung.97 In der Literatur lassen sich die einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte Affektives98, Normatives99, Kalkulatives100, Kaptives101 und Kontinuierendes Commitment102 unterscheiden (vgl. Tabelle III-2). Das Kontinuierende Commitment beinhaltet allerdings keinen eigenen Beweggrund und vermischt die Aspekte des Kalkulativen und Kaptiven Commitments. Folglich wird es in der Literatur häufig kritisiert.103 Hervorzuheben ist, dass alle 95 96 97 98 99 100 101 102 103
Vgl. Scholl (1981), S. 590; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 236. Vgl. Meyer/Allen (1997), S. 10; Meyer/Herscovitch (2001), S. 323. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 236. Vgl. z.B. Auh et al. (2007), S. 364. Vgl. z.B. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 242. Vgl. z.B. Gustafsson/Johnson/Roos (2005), S. 213. Vgl. z.B. Jones et al. (2007), S. 352. Vgl. z.B. Gruen/Summers/Acito (2000), S. 41. Vgl. Blau (2003), S. 470ff.; Blau/Holladay (2006), S. 692f.
26 angesprochenen Commitment-Konstrukte keine Verhaltensabsicht und kein konkretes Verhalten beschreiben. Sie werden daher nach dem Verständnis von Ajzen und Fishbein (1970) als einstellungsorientierte Konstrukte beschrieben,104 die der Verhaltensabsicht bzw. dem Verhalten vorgelagert sind.105 Einstellungsorientierte CommitmentKonstrukte
Konzeptualisierung
Affektives Commitment (AC)
Das Affektive Commitment entspricht der emotionalen Dimension der sozialen Identifikation mit einem Anbieter. Es beschreibt somit die emotional begründete Beziehung zu einem Anbieter.
Normatives Commitment (NC)
Das Normative Commitment basiert auf der Norm zur Reziprozität gegenüber einem Anbieter. Es beschreibt daher die Beziehung zu einem Anbieter, begründet durch die moralische Verpflichtung, die empfangenen Leistungen in einer für den Anbieter nützlichen Form zurückzugeben.
Kalkulatives Commitment (KKC)
Das Kalkulative Commitment basiert auf der Wahrnehmung der ökonomischen Nachteile einer Beziehungsaufgabe. Es beschreibt daher die Beziehung zu einem Anbieter, begründet durch die bei einem Anbieterwechsel entstehenden ökonomischen Nachteile.
Kaptives Commitment (KPC)
Das Kaptive Commitment beruht auf einer wahrgenommenen Abhängigkeit von einem Anbieter. Es beschreibt daher eine „unfreiwillige“ Beziehung zu einem Anbieter, die mehr aus einer Notwendigkeit als aus einer freien Entscheidung resultiert.
Kontinuierendes Commitment (KC)
Das Kontinuierende Commitment stellt eine Vermischung des Kalkulativen und Kaptiven Commitments dar, indem die inhaltlichen Aspekte beider Commitment-Konstrukte in einem Konstrukt integriert werden.
Tabelle III-2: Konzeptualisierung einstellungsorientierter Commitment-Konstrukte Das verhaltensorientierte Commitment-Konstrukt (Konatives Commitment) misst wiederum die Beziehungsaufrechterhaltung auf Basis eines konkreten Verhaltens oder einer Verhaltensabsicht.106 Kritisch zu sehen ist hier, dass das Konative Commitment eine inhaltliche Überschneidung mit den im Marketing verwendeten loyalitätsbezogenen Konstrukten aufweist, die Verhalten oder Verhaltensabsichten beispielsweise in Form des Wiederkaufs107, des Zusatzkaufs108, der Zahlung eines Preispremiums109 oder der 104 105 106 107
Vgl. Ajzen/Fishbein (1970), S. 466ff. Vgl. z.B. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235. Vgl. z.B. Jap/Ganesan (2000), S. 243. Vgl. z.B. Jones et al. (2007), S. 352.
27 Koproduktion110 erfassen. In diesem Fall erfüllt das Konative Commitment keine mediierende Rolle zwischen den unabhängigen Variablen und den kundenbeziehungsbezogenen Verhaltensgrößen, da es die verhaltensbezogenen Größen selbst integriert. Das kombiniert einstellungs- und verhaltensorientierte CommitmentKonstrukt (Kombiniertes Commitment) vermischt das Konative Commitment mit einem oder mehreren einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten.111 Hier gilt der gleiche Kritikpunkt, der bereits beim Konativen Commitment angeführt wurde. Die Berücksichtigung von Verhalten oder Verhaltensabsichten im Kombinierten Commitment führt zu einer inhaltlichen Überschneidung mit den loyalitätsbezogenen Konstrukten im Marketing. Zusammenfassend können drei Ansätze zur Konzeptualisierung von Commitment identifiziert werden. Darunter erweisen sich die einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte, insbesondere das Affektive, Normative, Kalkulative und Kaptive Commitment, zum einen aufgrund ihrer inhaltlich trennscharfen Konzeptualisierungen und zum anderen durch die Erfassung spezifischer Beweggründe für die Beziehungsfortführung als besonders vorteilhaft. Diese Konstrukte stellen folglich auch den Forschungsfokus der vorliegenden Arbeit dar. 2.2
Einordnung bestehender Commitment-Konzeptualisierungen in etablierte Einstellungstheorien
Für ein besseres Verständnis der im vorherigen Abschnitt beschriebenen Commitment-Konzeptualisierungen werden diese in die Einstellungstheorien nach Thurstone (1928) sowie Hovland und Rosenberg (1960) eingeordnet.112 Der Ausgangspunkt für beide Theorien stellt das Einstellungskonstrukt dar, das zunächst Gegenstand der Betrachtung ist. Das Einstellungskonstrukt verdankt seine Popularität in der Sozialpsychologie und Marketingwissenschaft der ihm zugeschriebenen
108
109 110 111 112
In Form von Anzahl gekaufter Dienstleistungen, vgl. Verhoef/Franses/Hoekstra (2002), S. 208. Vgl. z.B. Fullerton (2003), S. 339. Vgl. z.B. Auh et al. (2007), S. 364. Vgl. z.B. Ramaseshan/Yip/Pae (2006), S. 68. Vgl. Thurstone (1928), S. 529ff.; Hovland/Rosenberg (1960), S. 198ff.
28 Funktion als Prädiktor menschlichen Verhaltens.113 Die Einstellung wird in diesem Zusammenhang als Handlungsbereitschaft charakterisiert.114 Fishbein (1967) beschreibt die Einstellung als eine „[…] learned predisposition to respond to any object in a consistently favorable or unfavorable way.“115 Es existiert eine Vielzahl an Konzeptualisierungsversuchen der Einstellung. Bislang finden allerdings das von Hovland und Rosenberg (1960) vorgeschlagene Dreikomponentenmodell der Einstellung116 sowie der eindimensionale Ansatz von Thurstone (1928)117 die größte Beachtung.118 Beide Ansätze zeichnen sich durch den bewertenden Charakter der Einstellung aus.119 Das Dreikomponentenmodell von Hovland und Rosenberg (1960) beschreibt, wie später auch Eagly und Chaiken (1993), die Einstellung als eine Kombination von kognitiven, affektiven und konativen Reaktionen auf ein bestimmtes Objekt. Eine Einstellung besitzt demnach eine affektive Komponente, die sich auf Gefühle und Werte begründet, eine kognitive Komponente, die sich vor allem durch die Überzeugungen und das Wissen einer Person bildet, und eine konative Komponente. Letztere beschreibt vor allem das eigene Verhalten gegenüber einem Objekt und begründet eine Verhaltensintention bzw. ein tatsächliches Verhalten.120 Allerdings kann die Einstellung auch dann zustande kommen, wenn nicht alle drei Reaktionen gleichzeitig auftreten.121 Die Messung der Einstellung über nur einen einzigen Einstellungswert ist jedoch unvorteilhaft, da in diesem Fall die drei Komponenten nur unzureichend wiedergegeben werden. Aus diesem Grund fordert Fishbein (1967) „[…] that beliefs and behavioral intentions must be studied in their own rights.“122 Weiterhin kritisiert Fishbein (1967) die Skalierung vieler der für das dreidimensionale Einstellungskonstrukt
113 114 115 116 117 118 119 120 121 122
Vgl. Franzoi (1996), S. 173. Vgl. Spencer (1862); Thomas/Znaniecki (1918), S. 21. Fishbein (1967), S. 483. Vgl. Hovland/Rosenberg (1960), S. 198ff. Vgl. Thurstone (1928), S. 529ff. Vgl. Braunstein (2001), S. 96. Vgl. Ajzen/Fishbein (1977), S. 889. Vgl. Hovland/Rosenberg (1960), S. 198ff.; Eagly/Chaiken (1993), S. 1ff. Vgl. Franzoi (1996), S. 173. Fishbein (1967), S. 479.
29 verwendeten Messmodelle, da diese häufig nur die affektive Einstellungskomponente erfassen.123 Als Alternative bietet sich der eindimensionale Einstellungsansatz von Thurstone (1928) an, bei dem eine Einstellung lediglich mit dem Affekt gleichgesetzt wird.124 Überzeugungen als kognitive Komponente und die Verhaltensintention bzw. das tatsächliche Verhalten als konative Einstellungskomponente finden hier explizit keine Berücksichtigung. Insbesondere die Einstellungsforscher Petty und Cacioppo (1981) konzentrieren sich ausschließlich auf die affektive Komponente.125 Sowohl der eindimensionale Einstellungsansatz als auch das Dreikomponentenmodell der Einstellung sind in der Vergangenheit oft in wissenschaftlichen Studien verwendet worden.126 Die generelle Vorteilhaftigkeit eines bestimmten Ansatzes ist bis heute allerdings umstritten. Vielmehr hängt es vom Kontext ab, wann sich welcher der beiden Ansätze zur Erklärung der Einstellung am besten eignet. So empfehlen beispielsweise Schlegel und DiTecco (1982) die Erfassung der Einstellung als affektive Reaktion nur dann, wenn die relevanten Überzeugungen hinsichtlich des Einstellungsobjektes einfach, gering an der Zahl und widerspruchsfrei sind.127 Bei der Betrachtung der verschiedenen Commitment-Konzeptualisierungen (vgl. Abschnitt III-2.1) wird deutlich, dass es sich um ein komplexes Phänomen handelt, das neben affektiven Reaktionen kognitive und je nach Konzeptualisierung auch konative Elemente in sich vereint. Der eindimensionale Einstellungsansatz von Thurstone (1928) eignet sich daher nur für die Einordnung bestimmter Commitment-Konstrukte. Es ist daher vorteilhafter, das Dreikomponentenmodell von Hovland und Rosenberg (1960) für die Kategorisierung der Commitment-Konstrukte heranzuziehen. Abbildung III-2 verdeutlicht die Systematisierung der Commitment-Konstrukte nach beiden Einstellungstheorien.
123 124 125 126 127
Vgl. Fishbein (1967), S. 479. Vgl. Thurstone (1928), S. 529ff. Vgl. Petty/Cacioppo (1981), S. 7. Vgl. Braunstein (2001), S. 97. Vgl. Schlegel/DiTecco (1982), S. 17ff.
30
Einstellungstheorien
Commitment-Konstrukte
Dreikomponentenmodell der Einstellung nach Hovland/Rosenberg (1960) • Kombiniertes Commitment Eindimensionale Einstellung nach Thurstone (1928) Psychologischer Zustand als Ergebnis einer Emotion
• Affektives Commitment • Normatives Commitment
Kognition
Psychologischer Zustand als Ergebnis einer bewussten Wahrnehmung
• Kalkulatives Commitment • Kaptives Commitment • Kontinuierendes Commitment
Konation
Offenkundige Verhaltensabsichten
• Konatives Commitment
Affekt
Sammelbegriffe im Marketing
Kombiniert einstellungsund verhaltensorientiertes Commitment
Einstellungsorientiertes Commitment
Verhaltensorientiertes Commitment / Verhaltensorientierte Loyalität
Abbildung III-2: Einordnung der Commitment-Konstrukte in bestehende Einstellungstheorien Unter der auf Emotionen basierenden affektiven Komponente des Einstellungsmodells von Hovland und Rosenberg (1960) lässt sich das Affektive Commitment einordnen, das die Beziehung zu einem Anbieter aufgrund der sozialen Identifikation mit diesem beschreibt. Zu dieser Komponente kann ebenfalls das Normative Commitment gezählt werden, das eine Anbieterbeziehung resultierend aus der moralischen Norm der Reziprozität darstellt. Die auf bewussten Wahrnehmungen basierende kognitive Komponente des Einstellungsmodells wird durch das Kontinuierende Commitment bzw. dessen einzelne Bestandteile des Kalkulativen Commitments (Beziehung auf Basis von Kosten-Nutzen-Überlegungen) und des Kaptiven Commitments (Beziehung auf Basis wahrgenommener Abhängigkeit) repräsentiert. Die konative Komponente des Einstellungsmodells findet sich schließlich im Konativen Commitment wieder. Wie bereits aufgezeigt, stellt das Konative Commitment allerdings eine inhaltliche Überschneidung mit den im Marketing verwendeten loyalitätsbezogenen Konstrukten dar, die Verhalten oder Verhaltensabsichten erfassen. Dadurch kann es seiner mediierenden Rolle zwischen unabhängigen Variablen und den kundenbeziehungsbezogenen Verhaltensgrößen nicht mehr gerecht werden. Dies macht die Loslösung des Konativen Commitments vom Einstellungsmodell und eine gesonderte Betrachtung als rein
31 verhaltensorientiertes Konstrukt im Sinne einer verhaltensorientierten Loyalität zwingend notwendig. Die Abtrennung der konativen Komponente vom Einstellungsmodell entspricht auch dem Verständnis von Ajzen und Fishbein (1970), die das Verhalten bzw. die Verhaltensabsicht als Folge der Einstellung eines Individuums bzgl. eines konkreten Objekts sehen und nicht als Bestandteil der Einstellung.128 Im Marketing wird daher vom Konativen Commitment oft als verhaltensorientiertes (behavioral) Commitment gesprochen. Der Begriff einstellungsorientiertes (attitudinal) Commitment wird dagegen für die Commitment-Konstrukte Affektives, Normatives, Kontinuierendes, Kalkulatives und Kaptives Commitment verwendet.129 Die exakte Einordnung des Kombinierten Commitments in das Dreikomponentenmodell von Hovland und Rosenberg (1960) fällt schwer, da sich in diesem Konstrukt sowohl affektive, kognitive als auch konative Einstellungselemente wiederfinden. Es gilt hier der gleiche Kritikpunkt wie für das Konative Commitment. Bei der Verwendung dieses Konstrukts kommt es ebenfalls zu einer inhaltlichen Überschneidung mit den im Marketing verwendeten loyalitätsbezogenen Konstrukten. Im Folgenden wird daher das Kombinierte Commitment als eine kombinierte einstellungs- und verhaltensorientierte Konzeptualisierung behandelt. Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass zu einem umfassenden Commitment-Verständnis auch die Berücksichtung der konativen Komponente grundsätzlich notwendig ist. Da allerdings in der bisherigen Kundenbeziehungsforschung der konative Aspekt als verhaltensorientierte Loyalität Eingang findet, ist es für die vorliegende Arbeit zweckmäßig, das Konative Commitment-Konstrukt in Tradition zur bestehenden Literatur als verhaltens- und nicht als einstellungsorientiert zu klassifizieren. Damit muss allerdings die Notwendigkeit eines Konativen Commitments in Frage gestellt werden, da es inhaltlich bereits durch andere Konstrukte abgedeckt wird. Gleiches gilt für das Kombinierte Commitment, das ebenfalls konative Elemente in sich vereint.
128 129
Vgl. Ajzen/Fishbein (1970), S. 466ff. Vgl. z.B. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235.
32 Zusammenfassend unterscheidet sich das einstellungsorientierte Commitment von der Einstellung in der fehlenden konativen Komponente, die im Marketing unter der verhaltensorientierten Loyalität bzw. dem verhaltensorientierten Commitment zu finden ist. Um die Problematik einer fehlenden Abgrenzbarkeit des Commitments von der Loyalität zu vermeiden, erscheint es im Marketingkontext daher vorteilhaft, ausschließlich die einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte (Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kaptives Commitment) zu verwenden. 3
Bestandsaufnahme der empirischen Commitment-Forschung
3.1
Strukturierung der betrachteten Literatur
Insgesamt wurden 38 Studien in den vorliegenden Literaturüberblick aufgenommen. Zur Auswahl geeigneter Studien dienten zwei Kriterien. Zum einen musste mindestens ein Commitment-Konstrukt in der Studie empirisch enthalten und zum anderen musste die Studie in einer Zeitschrift publiziert sein, die nach dem VHB Jourqual 2-Ranking130 als A oder A+ kategorisiert ist. Zusätzlich wurden zwei deutschsprachige Dissertationen in den Literaturüberblick mit aufgenommen.131 Tabelle III-3 stellt überblicksartig die in der vorliegenden Arbeit betrachteten Studien und die darin verwendeten Commitment-Konstrukte dar. Für den folgenden Literaturüberblick wurden die Commitment-Konstrukte auf Basis der in der jeweiligen Studie vorgenommenen Operationalisierung benannt. Da die ursprüngliche Konstrukt-Bezeichnung bzw. -Konzeptualisierung durch den Autor nicht in jeder Studie mit der angewandten Operationalisierung übereinstimmt, kann die Originalbezeichnung der Konstrukte irreführend sein. Tabelle III-3 gibt für jede Studie sowohl die Bezeichnung auf Basis der zugrunde liegenden Operationalisierung als auch die ursprüngliche Bezeichnung durch den Autor wieder.
130 131
Vgl. Schrader/Hennig-Thurau (2008). Vgl. Zimmer (2000); Martin (2009).
33
CommitmentKonzeptualisierung Einstellungsorientierte Commitment-Konstrukte (vgl. Abschnitt III-3.2)
Verwendete Commitment-Konstrukte [Bezeichnung in Studie]
Autor/-en (Jahr) Moorman/Zaltman/ Deshpandé (1992)
x
AC [Commitment]
Brown/Lusch/Nicholson (1995)
x x
AC [Normative Commitment] KKC [Instrumental Commitment]
Geyskens et al. (1996)
x x
AC [Affective Commitment] KKC [Calculative Commitment]
Garbarino/ Johnson (1999)
x
AC [Commitment]
Grayson/Ambler (1999)
x
AC [Commitment]
Gruen/Summers/Acito (2000)
x x x
AC [Affective Commitment] NC [Normative Commitment] KC [Continuance Commitment]
Zimmer (2000)
x x
AC [Innere Verbundenheit] KKC [Innere Verpflichtung]
Harrison-Walker (2001)
x x
AC [Affective Commitment] KKC [High Sacrifice Commitment]
Gilliland/Bello (2002)
x x
AC [Loyalty Commitment] KKC [Calculative Commitment]
Verhoef/Franses/Hoekstra (2002)
x x
AC [Affective Commitment] KC [Calculative Commitment]
Fullerton (2003)
x x
AC [Affective Commitment] KC [Continuance Commitment]
Hansen/Sandvik/Selnes (2003)
x x
AC [Affective Commitment] KC [Calculative Commitment]
Verhoef (2003)
x
AC [Affective Commitment]
Bansal/Irving/Taylor (2004)
x x x
AC [Affective Commitment] NC [Normative Commitment] KC [Continuance Commitment]
Tabelle III-3: Konzeptualisierung von Commitment in ausgewählten Marketingstudien (Teil 1/3)
34 Fortsetzung CommitmentKonzeptualisierung Einstellungsorientierte Commitment-Konstrukte (vgl. Abschnitt III-3.2)
Verwendete Commitment-Konstrukte [Bezeichnung in Studie]
Autor/-en (Jahr) Gustafsson/Johnson/Roos x (2005) x
AC [Affective Commitment] KKC [Calculative Commitment]
x x x
KNC [Behavioral Commitment] AC [Affective Commitment] NC [Obligation-based Commitment] KC [Locked-in Commitment] KKC [Value-based Commitment]
Sharma/Young/Wilkinson (2006)132
x x
Verhaltensorientierte Commitment-Konstrukte (vgl. Abschnitt III-3.3)
Auh et al. (2007)
x
AC [Affective Commitment]
Jones et al. (2007)
x x
AC [Affective Commitment] KPC [Calculative Commitment]
Palmatier/Dant/Grewal (2007)
x
AC [Commitment]
Davis-Sramek et al. (2009)
x x
AC [Affective Commitment] KKC [Calculative Commitment]
Martin (2009)
x x
AC [Affektives Commitment] KKC [Kalkulatives Commitment]
Gundlach/Achrol/Mentzer (1995)133
x
KNC [Long-term Commitment Intentions]
Andaleeb (1996)
x
KNC [Commitment]
Siguaw/Simpson/Baker (1998)
x
KNC [Commitment]
Jap/Ganesan (2000)
x
KNC [Commitment]
Tsiros/Ross/Mittal (2009)
x
KNC [Commitment]
Tabelle III-3: Konzeptualisierung von Commitment in ausgewählten Marketingstudien (Teil 2/3)
132
133
Aufgrund der überwiegenden Anzahl an einstellungsorientierten CommitmentKonstrukten wird die Studie von Sharma/Young/Wilkinson (2006) in die gleichnamige Kategorie eingeordnet. Zwar konzeptualisieren die Autoren Commitment über die Konstrukte Glaubwürdigkeit vergangener Beziehungsinvestionen, Verhaltensabsicht für zukünftige Investitionen und deren zeitliche Stabilität, doch nur die Verhaltensabsicht ist dem vorliegenden Commitment-Verständnis als Konatives Commitment zuzuordnen und wird daher ausschließlich betrachtet. Vgl. Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 89.
35 Fortsetzung CommitmentKonzeptualisierung Kombinierte einstellungsund verhaltensorientierte Commitment-Konstrukte (vgl. Abschnitt III-3.4)
AC: KC: KPC: KMC:
Verwendete Commitment-Konstrukte [Bezeichnung in Studie]
Autor/-en (Jahr) Anderson/Weitz (1992)
x
KMC (bestehend aus KNC, AC und NC) [Commitment]
Scheer/Stern (1992)
x
KMC (bestehend aus KNC und KKC) [Commitment]
Ganesan (1994)
x
KMC (bestehend aus KNC und KKC) [Long-term Orientation]
Morgan/Hunt (1994)
x
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Commitment]
Kumar/Scheer/Steenkamp x (1995)
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Commitment]
Mohr/Fisher/Nevin (1996)
x
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Commitment]
Hennig-Thurau/Gwinner/ Gremler (2002)
x
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Commitment]
Brown et al. (2005)
x
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Commitment]
Johnson/Herrmann/Huber (2006)
x
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Affective Commitment]
Ramaseshan/Yip/Pae (2006)
x
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Commitment]
Dean (2007)
x
KMC (bestehend aus KNC, AC und NC) [Affective Commitment]
Jones/Taylor/Bansal (2008)
x
KMC (bestehend aus KNC, AC und KKC) [Commitment]
Affektives Commitment Kontinuierendes Commitment Kaptives Commitment Kombiniertes Commitment
NC: Normatives Commitment KKC: Kalkulatives Commitment KNC: Konatives Commitment
Tabelle III-3: Konzeptualisierung von Commitment in ausgewählten Marketingstudien (Teil 3/3) In den betrachteten Studien herrscht Uneinigkeit darüber, ob Commitment einstellungs- und/ oder verhaltensorientiert konzeptualisiert werden sollte. Studien, die Commitment rein verhaltensorientiert verwenden (Konatives Commitment), finden sich überwiegend im B2B-Bereich.134 Die Mehrheit der Studien konzeptualisiert Commitment allerdings einstellungsorientiert und 134
Vgl. z.B. Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 90; Andaleeb (1996), S. 90; Jap/Ganesan (2000), S. 243.
36 verwendet folglich das Affektive, Normative, Kalkulative, Kaptive und Kontinuierende Commitment.135 Entsprechend werden die Messmodelle operationalisiert, indem affektive136 und/ oder kognitive137 Einstellungskomponenten abgebildet werden. Überwiegend werden jedoch nur das Affektive, Kalkulative und Kontinuierende Commitment eingesetzt. Studien mit dem Normativen138 oder Kaptiven Commitment139 finden sich dagegen kaum. Weiterhin existieren Studien, die keine klare Trennung zwischen einstellungsund verhaltensorientiertem Commitment vornehmen und beide Aspekte im Kombinierten Commitment-Konstrukt vereinen.140 Zudem gibt es unterschiedliche Auffassungen über die Anzahl der zu verwendenden Commitment-Konstrukte. Einige Studien nutzen lediglich ein Commitment-Konstrukt,141 während andere Commitment in Form von zwei Konstrukten konzeptualisieren.142 In zwei neueren Marketingstudien von Gruen, Summers und Acito (2000) sowie Bansal, Irving und Taylor (2004) finden sich Ansätze, die sich an die Commitment-Konzeptualisierung von Allen und Meyer (1990) aus der Organisationspsychologie anlehnen, die das Affektive, Normative und Kontinuierende Commitment verwenden.143 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Commitment zwar Eingang in eine Vielzahl von Studien findet, allerdings die genaue Konzeptualisierung sowohl in der Art als auch in der Anzahl der verwendeten Commitment-Konstrukte stark variiert. Folglich sind bei der sich anschließenden Studienbetrachtung auch sehr unterschiedliche Erkenntnisse zu den Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte zu erwarten.
135
136 137 138
139 140
141 142
143
Vgl. z.B. Verhoef (2003), S. 43; Auh et al. (2007), S. 364; Palmatier/Dant/Grewal (2007), S. 191. Vgl. z.B. Garbarino/Johnson (1999), S. 84. Vgl. z.B. Jones et al. (2007), S. 352. Vgl. Gruen/Summers/Acito (2000), S. 41; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 242; Sharma/ Young/Wilkinson (2006), S. 78. Vgl. Jones et al. (2007), S. 352. Vgl. z.B. Siguaw/Simpson/Baker (1998), S. 108; Johnson/Herrmann/Huber (2006), S. 127; Ramaseshan/Yip/Pae (2006), S. 68. Vgl. z.B. Johnson/Herrmann/Huber (2006); Auh et al. (2007); Dean (2007). Vgl. z.B. Hansen/Sandvik/Selnes (2003); Gustafsson/Johnson/Roos (2005); Jones et al. (2007). Vgl. Gruen/Summers/Acito (2000), S. 46; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235.
37 3.2
Studien mit einstellungsorientierter Konzeptualisierung von Commitment
Bei der einstellungsorientierten Konzeptualisierung von Commitment greifen die Autoren in ihren Studien entweder auf ein einzelnes einstellungsorientiertes Commitment-Konstrukt oder auf mehrere dieser Art zurück. Hervorzuheben ist, dass bei der Verwendung eines einzigen einstellungsorientierten Commitment-Konstrukts ausschließlich das Affektive Commitment berücksichtigt wird (vgl. Tabelle III-4). Solche Studien werden zunächst im Folgenden näher beschrieben.
Autor/-en (Jahr) Moorman/ Zaltman/ Deshpandé (1992)
Untersuchungsobjekt Marktforschungsnutzer und -anbieter (B2B, n=779, Regressionsanalyse)
Garbarino/ Johnson (1999)
Kunden eines Theaters (B2C, n=401, Kausalanalyse)
Grayson/ Ambler (1999)
Kunden von Werbeagenturen (B2B, n=200, Regressionsanalyse)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Konstrukte Affektives Determinanten: Commitment x Vertrauen (+, stärker bei (der Marktforinterorganisationalen schungsnutzer Beziehungen) und -anbieter) x wahrgenommene Qualität der Interaktion (+) Konsequenz (bei Marktforschungsnutzern): x Nutzung von Marktforschungsinformationen (+, stärker bei intraorganisationalen Beziehungen und Beziehungen zwischen Marketingmanagern) Affektives Determinanten bei hoher Commitment Beziehungsorientierung: (des Kunden) x Einstellung ggü. Aufführung (+) x Familiarität mit Schauspielern (+) x Vertrauen (+) Determinante bei niedriger Beziehungsorientierung: x Zufriedenheit (+) Konsequenz bei hoher Beziehungsorientierung: x Loyalitätsabsicht (+) Determinanten: Affektives Commitment x Erwartungen an Geschäftspartner (des Kunden) (+) x Vertrauen (+) x wahrgenommene Qualität der Interaktion (+)
Tabelle III-4: Studien mit einstellungsorientierter Ein-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment (Teil 1/2)
38 Fortsetzung Autor/-en (Jahr) Verhoef (2003)
Auh et al. (2007)
Palmatier/ Dant/ Grewal (2007)
Untersuchungsobjekt Kunden eines Finanzanbieters (B2C, n=1.128, Probit Analyse, Regressionsanalyse) Kunden von Finanzanbietern (B2C, n=1.197, Kausalanalyse) und Ärzten (B2C, n=100, Kausalanalyse) Händler (B2B, n=396, Kausalanalyse)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen Konstrukte der Commitment-Konstrukte Affektives Konsequenzen: Commitment x Share-of-Wallet (+) (des Kunden) x Wiedernutzung (+)
Affektives Commitment (des Kunden)
Konsequenz bei Branche Finanzanbieter: x Koproduktion (+)
Affektives Commitment (des Händlers)
Determinanten in Teilstudie 1: x Interdependenz der Beziehungspartner (+) x Relationale Normen (+) x Vertrauen (+) Konsequenzen in Teilstudie 1: x Ausmaß an Konflikten (-) x Finanzieller Erfolg (+) x Kooperation (+, stärker bei hoher Unsicherheit ggü. Veränderungen in der Umwelt sowie bei hoher Heterogenität von Kundenbedürfnissen) x Umsatzwachstum (+) Konsequenz in Teilstudie 2: x Interdependenz der Beziehungspartner (+) Konsequenz in Teilstudie 3: x Relationale Normen (+)
Tabelle III-4: Studien mit einstellungsorientierter Ein-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment (Teil 2/2) Zwei B2B-Studien thematisieren die Bedeutung des Affektiven Commitments in verschiedenen Beziehungsdyaden. In diesem Kontext untersuchen Moorman, Zaltman und Deshpandé (1992) die Faktoren, die das Verhalten der Informationsbeschaffung und -nutzung von Informationsanbietern (Marktforschern) und Informationsnutzern (Marktforschungsnutzern) beeinflussen. Sie postulieren, dass je nach vorliegender Beziehungsdyade die Kausalitäten zentraler Konstrukte wie die des Affektiven Commitments variieren und damit die Art des Umgangs mit Informationen beeinflusst wird. Zur Operationalisierung der Beziehungsdyaden unterscheiden die Autoren die
39 Marktforschungsnutzer in reine Marketingmanager und fachfremde Manager. Bei den Marktforschungsanbietern werden Anbieter im eigenen mit denen in externen Unternehmen verglichen. Es zeigt sich, dass Affektives Commitment in intraorganisationalen Dyaden die Nutzung von Marktforschungsinformationen stärker determiniert als in interorganisationalen Dyaden. Da Mitglieder der gleichen Organisation ähnliche Werte teilen und sich näher stehen, womit die Entstehung des Affektiven Commitments wahrscheinlicher ist, wird das Verhalten hinsichtlich der Nutzung von Informationen dadurch auch stärker beeinflusst. Zudem lässt sich nachweisen, dass Affektives Commitment in Beziehungen zwischen Marketingmanagern einen höheren Effekt auf die Nutzung von Marktforschungsinformationen besitzt als in anderen Dyaden. Dies wird durch die vergleichsweise stärkere Vertrautheit von Marketingmanagern untereinander als zwischen Managern fachfremder Gebiete erklärt. Die Studie von Grayson und Ambler (1999) repliziert und erweitert die Untersuchung von Moorman, Zaltman und Deshpandé (1992). Die Autoren untersuchen dabei die Beziehung zwischen Werbeagenturen und ihren Kunden. Die Nutzung der Agenturdienstleistung erweist sich im Gegensatz zu den Ergebnissen von Moorman, Zaltman und Deshpandé (1992) allerdings nicht als signifikante Konsequenz des Affektiven Commitments. Auch wenn Moorman, Zaltman und Deshpandé (1992) diesen Zusammenhang nicht in allen Subsegmenten ihres Datensatzes nachweisen können, erscheint diese Beziehung abhängig vom Industriekontext zu sein. Garbarino und Johnson (1999) betrachten die Fragestellung, inwieweit sich Theaterbesucher in ihrem Beziehungsverhalten unterscheiden. Dafür trennen sie die Probanden anhand ihrer entweder rein transaktionalen (niedrigen Beziehungsorientierung) oder relationalen Beziehung (hohen Beziehungsorientierung) in zwei Gruppen. In zwei Teilstudien modellieren die Autoren in Abhängigkeit der Beziehungsorientierung die Zufriedenheit bzw. das Vertrauen und das Affektive Commitment als Determinanten der Treueabsicht. Für Kunden mit hoher Beziehungsorientierung werden Vertrauen und Affektives Commitment als Determinanten der Loyalitätsabsicht identifiziert. Bei Kunden mit reiner Transaktionsorientierung ist hingegen die Zufriedenheit der zentrale Einflussfaktor. Bei relationalen Kunden gelingt weiterhin der
40 Nachweis, dass das Affektive Commitment als Mediator zwischen dem Theater-Image und dem Loyalitätskonstrukt fungiert. Mittels einer vierjährigen Längsschnittuntersuchung testen Palmatier, Dant und Grewal (2007) verschiedene Theorien zur Erklärung erfolgreicher Beziehungen in Distributionskanälen. Neben der Commitment-Trust-Theorie von Morgan und Hunt (1994)144 werden auch weitere Theorien basierend auf Abhängigkeiten,145 relationalen Normen146 und Transaktionskosten147 herangezogen, um die Wirkung des Affektiven Commitments auf den finanziellen und relationalen Erfolg einer Beziehung zu testen. Als zentrales Ergebnis lässt sich festhalten, dass lediglich das Affektive Commitment und beziehungsspezifische Investitionen in allen auf den vier Theorien beruhenden Modellen einen positiven direkten Effekt auf die beiden Finanzkennzahlen Umsatzwachstum und finanziellen Erfolg zeigen. Hinsichtlich der Variablen Kooperation und Konfliktvermeidung kann neben dem Affektiven Commitment und beziehungsspezifischen Investitionen auch das Vertrauen als Kerndeterminante über alle Modelle ausgewiesen werden. Weitere Studien, die explizit einzelne Kundenwert-Treiber als direkte und indirekte Konsequenz des Affektiven Commitments untersuchen, stammen aus dem B2C-Kontext. So analysiert Verhoef (2003) die ökonomischen Konsequenzen des Affektiven Commitments. In seiner Längsschnittstudie mit Kunden eines Versicherungsanbieters weist er nach, dass Affektives Commitment im Zeitverlauf sowohl einen positiven Effekt auf den Share-ofWallet als auch auf die Kundenbindung im Sinne einer Wiedernutzung der Versicherungsdienstleistungen ausübt. Auh et al. (2007) untersuchen den Beitrag des koproduzierenden Verhaltens auf den Kundenwert sowohl in Kundenbeziehungen zu einem Finanzdienstleister als auch in Arzt-Patienten-Beziehungen. Darüber hinaus wird untersucht, ob Affektives Commitment koproduzierendes Verhalten begünstigt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich ein positiver Effekt des Affektiven Commitments auf die Koproduktion nur in der Teilstudie zu Finanzdienstleistungen nachweisen lässt. Die Autoren erklären den nicht signifikanten 144 145 146 147
Vgl. Morgan/Hunt (1994), S. 20. Vgl. Bucklin/Sengupta (1993); Hibbard/Kumar/Stern (2001). Vgl. Macneil (1980). Vgl. Williamson (1975).
41 Zusammenhang bei Arzt-Patienten-Beziehungen mit dem traditionell starken paternalistischen Rollenmodell zwischen Arzt und Patient. Demnach nehmen Patienten eine wesentlich passivere Rolle bei Arztbesuchen ein, als dies beim Besuch ihres Finanzdienstleisters der Fall ist. Zusammenfassend lässt sich für die Studien mit einer einstellungsorientierten Ein-Konstrukt-Konzeptualisierung festhalten: x Alle Autoren, die nur ein einzelnes der einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte in ihrer jeweiligen Studie verwenden, greifen ausschließlich auf das Affektive Commitment zurück. Dem Affektiven Commitment kann demnach unter den einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten eine zentrale Bedeutung zugesprochen werden. x Die in den betrachteten Studien identifizierten Konsequenzen des Affektiven Commitments sind ausschließlich positiv. x Als signifikante Moderatoren der Zusammenhänge mit dem Affektiven Commitment können die Beziehungsorientierung148, die Art der Beziehungsdyade149, die Unsicherheit gegenüber Veränderungen in der Umwelt und die Heterogenität von Kundenbedürfnissen150 identifiziert werden. Weiterhin deuten die Ergebnisse von Auh et al. (2007) und die divergierenden Befunde von Grayson und Ambler (1999) sowie Moorman, Zaltman und Desphandé (1992) auf einen moderierenden Einfluss der Branche hin.151 Bei der einstellungsorientierten Zwei-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment werden zwei eigenständige einstellungsorientierte CommitmentKonstrukte verwendet. Die getroffene Auswahl der beiden Konstrukte variiert dabei je nach Studie (vgl. Tabelle III-5).
148 149 150 151
Vgl. Garbarino/Johnson (1999), S. 80. Vgl. Moorman/Zaltman/Desphandé (1992), S. 321. Vgl. Palmatier/Dant/Grewal (2007), S. 184. Vgl. Moorman/Zaltman/Desphandé (1992); Grayson/Ambler (1999); Auh et al. (2007), S. 366.
42 Autor/-en (Jahr) Brown/ Lusch/ Nicholson (1995)
Geyskens et al. (1996)
Zimmer (2000)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen Konstrukte der Commitment-Konstrukte Determinanten: Affektives Commitment x Machtausübung durch Hersteller (des Händlers) (-, stärker bei hoher Macht des Händlers) x Steuerung über Information und Expertise durch Hersteller (+) Konsequenz: x Vorsteuergewinn (+) Determinanten: Kalkulatives Commitment x Machtausübung durch Hersteller (+) (des Händlers) x Steuerung durch Hersteller über Information und Expertise (-, stärker bei hoher Macht des Händlers) Determinanten: Händler von Affektives AutomobilherCommitment x Gegenseitige Abhängigkeit (+) stellern (B2B, (des Händlers) x Vertrauen (+) n=706, RegresKalkulatives Determinanten: sionsanalyse) Commitment x Gegenseitige Abhängigkeit (+) (des Händlers) x Vertrauen (-) Determinanten: Hersteller von Affektives Industrieprodukten Commitment x Investitionen des Kunden (+) (B2B, n=121, (des Herx Konstruktiver Widerspruch des Kausal- und stellers) Kunden (+) Clusteranalyse) x Offenheit der Kommunikation des Kunden (+) x Opportunismus des Kunden (-) Konsequenzen: x Beziehungsfortführung (+) x Investitionen (+) x Offenheit der Kommunikation (+) x Konstruktiver Widerspruch (+) x Opportunismus (-) x Suche nach Alternativen (-) Kalkulatives Determinanten: Commitment x Bedeutung des Kunden (+) (des Herx Investitionen (+) stellers) Untersuchungsobjekt Händler von Agrarequipmentherstellern (B2B, n=203, Kausalanalyse)
Tabelle III-5: Studien mit einstellungsorientierter Zwei-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment (Teil 1/4)
43 Fortsetzung Autor/-en (Jahr) HarrisonWalker (2001)
Gilliland/ Bello (2002)
Verhoef/ Franses/ Hoekstra (2002)
Fullerton (2003)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen Konstrukte der Commitment-Konstrukte Affektives Konsequenzen: Commitment x Positive Valenz der (des Kunden) Weiterempfehlung (+) x Weiterempfehlungsfrequenz (+) Kalkulatives Keine signifikanten Zusammenhänge Commitment (des Kunden) Hersteller von Affektives Determinanten: Industrieprodukten Commitment x Investitionen des Abnehmers (+) (B2B, n=314, (des Herx Vertrauen des Herstellers (+) Kausalanalyse) stellers) Konsequenz: x Zusammenarbeit ohne vertragliche Regeln (+) Kalkulatives Determinanten: Commitment x Abhängigkeit vom Abnehmer (+) (des Herx Exklusivität des Abnehmers (+) stellers) x Investitionen des Herstellers (+) Konsequenzen: x Zusammenarbeit mit vertraglichen Regeln (+) x Zusammenarbeit ohne vertragliche Regeln (-) Kunden eines Konsequenzen: Affektives Finanzanbieters Commitment x Abgabe von Weiterempfehlungen (B2C, n=1.677, (des Kunden) (+) Probit- und x Anzahl gekaufter Produkte (+, Regressionsstärker bei hoher Beziehungsdauer) analyse) Kontinuieren- Keine signifikanten Zusammenhänge des Commitment (des Kunden) Studenten als Affektives Konsequenzen: fiktive Kunden Commitment x Bereitschaft zur Zahlung eines eines Mobilfunk(des Kunden) Preispremiums (+) anbieters (B2C, x Wechselabsicht (-) n=92, Varianzx Weiterempfehlungsabsicht (+) analyse) Kontinuieren- Konsequenzen: des Commit- x Wechselabsicht (-) ment (des x Weiterempfehlungsabsicht (-) Kunden) Untersuchungsobjekt Kunden von Friseurstudios und Tierarztpraxen (B2C, n=471, Kausalanalyse)
Tabelle III-5: Studien mit einstellungsorientierter Zwei-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment (Teil 2/4)
44 Fortsetzung Autor/-en (Jahr) Hansen/ Sandvik/ Selnes (2003)
Untersuchungsobjekt Kunden einer Bank (B2C, n=335, Kausalanalyse)
Gustafsson/ Johnson/ Roos (2005)
Kunden eines Telekommunikationsanbieters (B2C, n=2.715, Regressionsanalyse) Kunden von Dienstleistungsanbietern (B2C, n=863, Kausalanalyse)
Jones et al. (2007)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen Konstrukte der Commitment-Konstrukte Determinanten: Affektives Commitment x Affektives Commitment ggü. (des Kunden Mitarbeiter (+) ggü. Bank) x Kontinuierendes Commitment ggü. Bank (+) Konsequenz: x Wiederbesuchsabsicht (+) Kontinuieren- Determinante: des Commit- x Kontinuierendes Commitment ggü. ment (des Mitarbeiter (+) Kunden ggü. Konsequenz: Bank) x Affektives Commitment ggü. Bank (+) Konsequenz: Affektives Commitment x Affektives Commitment ggü. (des Kunden Mitarbeiter (+) ggü. Mitarbeiter) Kontinuieren- Konsequenz: des Commit- x Kontinuierendes Commitment ggü. ment (des Mitarbeiter (+) Kunden ggü. Mitarbeiter) Keine signifikanten Zusammenhänge Affektives Commitment (des Kunden) Konsequenz: Kalkulatives Commitment x Wechsel (-) (des Kunden) Affektives Determinanten: Commitment x Auf entgangenen Gewinnen (des Kunden) basierende Wechselkosten (+) x Soziale Wechselkosten (+) Konsequenzen: x Abgabe negativer Weiterempfehlung (-) x Wiederkaufsabsicht (+) Kaptives Determinante: Commitment x Prozessuale Wechselkosten (+) (des Kunden) Konsequenzen bei positiver Einschätzung der Beziehung: x Abgabe negativer Weiterempfehlung (+) x Wiederkaufsabsicht (-) Konsequenz bei negativer Einschätzung der Beziehung: x Wiederkaufsabsicht (+)
Tabelle III-5: Studien mit einstellungsorientierter Zwei-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment (Teil 3/4)
45 Fortsetzung Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen Konstrukte der Commitment-Konstrukte Affektives Determinanten: Commitment x Kalkulatives Commitment (+, stärker (des Händlers) bei Kunden mit hohem Share-ofWallet) x Servicequalität (+) x Zufriedenheit (+) Konsequenz: x Loyalität (+) Kalkulatives Determinante: Commitment x Zufriedenheit (+) (des Händlers) Martin (2009) Kunden von Affektives Determinanten: EinrichtungsCommitment x Einkaufsstättenatmosphäre (+) häusern (B2C, (des Kunden) x Persönliche Beratung (+) n=2.033, Kausalx Vertrauen (+) und Finite MixtureKonsequenz: Analyse) x Kundenbindung (+) Determinanten: Kalkulatives Commitment x Preiswürdigkeit (+) (des Kunden) x Produktauswahl (+) Konsequenz: x Kundenbindung (+) Autor/-en Untersuchungs(Jahr) objekt Händler eines DavisSramek et al. Konsumgüter(2009) herstellers (B2B, n=389, Kausalanalyse)
Tabelle III-5: Studien mit einstellungsorientierter Zwei-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment (Teil 4/4) Anhand von Hersteller-Händler-Beziehungen untersuchen Brown, Lusch und Nicholson (1995) wie sich die vom Hersteller ausgeübte Macht sowie die Steuerung von Händlern durch Expertise und Informationen auf die Entstehung des Affektiven und Kalkulativen Commitments auswirken. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Commitment-Konstrukte deutlich in ihren Kausalitäten unterscheiden. Während beispielsweise die Ausübung von Macht das Affektive Commitment verringert, wird das Kalkulative Commitment dadurch erhöht. Umgekehrt verhält es sich mit der Steuerung der Beziehung über Information und Expertise. Auch in den Erfolgswirkungen unterscheiden sich die Konstrukte. Demnach geht lediglich vom Affektiven Commitment ein Erklärungsbeitrag für den Vorsteuergewinn des Händlers aus. Eine weitere B2B-Studie von Geyskens et al. (1996) untersucht den Einfluss der Abhängigkeitsstruktur und des Vertrauens innerhalb von Geschäftsbeziehungen auf das Affektive und Kalkulative Commitment von Händlern gegenüber Automobilherstellern. Die Abhängigkeit voneinander begünstigt
46 zunächst alle betrachteten Arten des Commitments, wobei die Wirkung auf das Kalkulative Commitment deutlich stärker ausfällt. Welche Art von Commitment aber letztlich entsteht, hängt wiederum vom Vertrauen ab, welches das Affektive Commitment positiv und das Kalkulative Commitment negativ beeinflusst. Abhängigkeitsassymetrien in Beziehungen sind in diesem Kontext zudem nicht zu vernachlässigen. Fällt die Abhängigkeit des Herstellers höher aus als die des Händlers, so verringert dies das Kalkulative Commitment des Händlers gegenüber dem Hersteller und umgekehrt. Zimmer (2000) untersucht anhand von Geschäftsbeziehungen die Kausalitäten des Affektiven und Kalkulativen Commitments. Als positive Determinanten des Affektiven Commitments können Investitionen, konstruktiver Widerspruch und Offenheit der Kommunikation seitens des Kunden identifiziert werden. Der Opportunismus des Kunden wirkt sich dagegen negativ aus. Alle Aktivitäten des Kunden, die als Determinanten bestätigt werden, sind auch als analoge Aktivitäten des Herstellers Konsequenzen des Affektiven Commitments. Zusätzlich identifiziert der Autor die Absicht zur Fortführung der Beziehung als Konsequenz des Affektiven Commitments. Hinsichtlich des Kalkulativen Commitments gelingt es ihm, nur die Bedeutung des Kunden und spezifische Kundeninvestitionen als Einflussfaktoren zu bestätigen. Im Rahmen einer zusätzlichen Clusteranalyse kann er seine Hypothese im Rahmen der Clan-Theorie verifizieren, wonach Geschäftsbeziehungen mit hoher innerer Verbundenheit (Affektives Commitment) in komplexen Situationen geringere Transaktionskosten aufweisen als Beziehungen mit niedriger innerer Verbundenheit. Gilliland und Bello (2002) betrachten die Wirkung des Affektiven und Kalkulativen Commitments auf die Art der Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Abnehmern. Je nach Ausprägung der Commitment-Konstrukte wird die Handelsbeziehung mehr oder weniger formell durchgesetzt. Während das Kalkulative Commitment die Zusammenarbeit mit dem Partner ohne vertragliche Regeln negativ beeinflusst, geht vom Affektiven Commitment eine positive Wirkung aus. Auch in der Untersuchung von Davis-Sramek et al. (2009) zeigt sich die Vorteilhaftigkeit des Affektiven Commitments. Mittels einer Händlerbefragung in der Konsumgüterbranche zeigt sich, dass beispielsweise lediglich das
47 Affektive Commitment durch die Servicequalität beeinflusst wird. Zudem wird das Loyalitätsverhalten nur durch das Affektive Commitment bestimmt, während vom Kalkulativen Commitment kein signifikanter Einfluss ausgeht. In seiner B2C-Studie fokussiert sich Harrison-Walker (2001) auf die Entwicklung und Validierung einer Skala zur Messung der Frequenz von Weiterempfehlungen und deren Valenz in Endkundenbeziehungen. Mittels zweier Branchenstudien betrachtet er dabei das Affektive und das Kalkulative Commitment als Determinanten beider Weiterempfehlungs-Konstrukte. Es zeigt sich, dass das Affektive Commitment sowohl in der Teilstudie mit Friseurkunden als auch in der Teilstudie mit Tierarztbesuchern einen positiven Einfluss auf die Weiterempfehlungsfrequenz und deren Valenz ausübt. Hinsichtlich des Kalkulativen Commitments kann kein signifikanter Effekt festgestellt werden. Verhoef, Franses und Hoekstra (2002) untersuchen die moderierende Wirkung der Beziehungsdauer auf die Zusammenhänge zwischen relationalen Konstrukten und der Abgabe von Weiterempfehlungen sowie der Anzahl gekaufter Produkte bei einem Anbieter von Versicherungs- und Finanzierungsprodukten. Als relationale Konstrukte werden die beiden CommitmentKonstrukte Affektives und Kontinuierendes Commitment verwendet. Vergleichbar mit den Ergebnissen von Harrison-Walker (2001) leistet lediglich das Affektive Commitment einen positiven Erklärungsbeitrag für beide abhängigen Variablen. Verhoef, Franses und Hoekstra (2002) weisen zudem den moderierenden Einfluss der Beziehungsdauer nach. Demnach begünstigt eine lange Geschäftsbeziehung den Zusammenhang zwischen Affektivem Commitment und der Anzahl gekaufter Produkte beim betrachteten Anbieter. Die Wirkung des Affektiven und Kontinuierenden Commitments auf die Bereitschaft, ein Preispremium zu zahlen, sowie auf die Weiterempfehlungsund Wechselabsicht steht im Mittelpunkt der Studie von Fullerton (2003). Anhand von Kundenbeziehungen zu einem Mobilfunkanbieter deckt er divergierende Konsequenzen der beiden Commitment-Konstrukte auf. Affektives Commitment wirkt sich durchweg positiv auf die Geschäftsbeziehung aus, da es die Wechselabsicht verringert und die Weiterempfehlungsabsicht sowie die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums steigert. Das Kontinuierende Commitment zeigt dagegen gemischte Effekte, indem es zum
48 einen die Wechselabsicht verringert und zum anderen aber auch die Weiterempfehlungsabsicht negativ beeinflusst. Folglich zieht Fullerton (2003) sein Fazit: „[…] it is not necessarily the case that more customer commitment is better for either the service provider or the customer.”152 Als eine der ersten Studien thematisieren Hansen, Sandvik und Selnes (2003) die Wirkungen von Affektivem und Kontinuierendem Commitment gegenüber Servicemitarbeitern von Banken. Die Untersuchung zeigt, dass sich die Commitment-Konstrukte gegenüber dem Servicemitarbeiter zum einen positiv auf die jeweiligen Commitment-Konstrukte gegenüber der Bank und zum anderen indirekt positiv auf die Wiederbesuchsabsicht auswirken. Die Untersuchung von Hansen, Sandvik und Selnes (2003) stellt neben der Studie von Jones, Taylor und Bansal (2008) eine der wenigen Forschungsbeiträge dar, die den Einfluss des Commitments gegenüber dem Servicemitarbeiter auf die Kundenloyalität explizit betrachten und nachweisen können. Allerdings nutzen Jones, Taylor und Bansal (2008) ein Commitment-Konstrukt, das sowohl verhaltensorientierte als auch einstellungsorientierte Aspekte vermischt, wodurch der Aussagegehalt ihrer Studie geschmälert wird. Gustafsson, Johnson und Roos (2005) modellieren die Wechselrate der Kunden eines Telekommunikationsanbieters als abhängige Variable des Affektiven und Kalkulativen Commitments. Sie finden dabei zunächst einen negativen Effekt beider Commitment-Konstrukte. Wird in das Gesamtmodell allerdings die Zufriedenheit als Prädiktor des Wechsels mit aufgenommen, verliert das Affektive Commitment seine Erklärungskraft auf die Wechselrate. Eine Begründung für dieses Ergebnis sehen die Autoren in der hohen inhaltlichen Überschneidung und folglich auch hohen Korrelation des Affektiven Commitments mit der Zufriedenheit, die im Gesamtmodell die Wechselrate verringert. Jones et al. (2007) analysieren die Bedeutung von Wechselkosten als Bindungsstrategie bei Endkundenbeziehungen im Dienstleistungskontext. Als einzige der betrachteten Studien verwenden sie dabei als Mediatoren neben dem Affektiven Commitment das Kaptive Commitment. Das Hauptziel der Studie besteht in der Identifizierung des Einflusses von sozialen, prozessualen und auf entgangenen Gewinnen basierenden Wechselkosten auf zentrale 152
Fullerton (2003), S. 333.
49 Verhaltensvariablen, wie die Wiederkaufsabsicht und die Abgabe negativer Weiterempfehlungen. Als zentrales Ergebnis lässt sich festhalten, dass soziale Wechselkosten und Kosten entgangener Gewinne das Affektive Commitment erhöhen, welches wiederum die Wiederkaufsabsicht steigert und die Abgabe negativer Weiterempfehlungen vermindert. Dagegen sind prozessuale Wechselkosten förderlich für die Entstehung des Kaptiven Commitments, das zwar in einigen Fällen die Wiederkaufsabsicht, aber auch die Abgabe negativer Weiterempfehlungen erhöht. Die pauschale Verwendung von Wechselkosten als Kundenbindungsstrategie kann demnach auch zu negativen Effekten beim Kunden führen. Martin (2009) untersucht in ihrer Arbeit den Einfluss des Affektiven und Kalkulativen Commitments auf die Kundenbindung an einen Händler. Von beiden Commitment-Konstrukten kann sie einen positiven Einfluss auf die Kundenbindung feststellen. Für das Affektive Commitment erweisen sich die Einkaufsstättenatmosphäre, die persönliche Beratung und das Vertrauen als positive Determinanten. Zur Entstehung des Kalkulativen Commitments tragen dagegen die Preiswürdigkeit und die Produktauswahl des Händlers bei. Im Rahmen einer Finite Mixture-Analyse kann die Autorin zudem drei Kundensegmente identifizieren. Eines der Segmente zeichnet sich durch affektiv gebundene Kunden aus (Affektives Commitment), während die Kunden eines zweiten Segments sich kognitiv binden (Kalkulatives Commitment). Die Mitglieder des dritten Segments binden sich aufgrund einer hohen Zufriedenheit mit dem Kaufentscheidungsprozess. Studien, die mehr als zwei einstellungsorientierte CommitmentKonstrukte verwenden, sind im Marketing selten (vgl. Tabelle III-6). Lediglich Gruen, Summers und Acito (2000) sowie Bansal, Irving und Taylor (2004) verwenden die aus der Organisationspsychologie bekannte Drei-KonstruktKonzeptualisierung von Allen und Meyer (1990) bestehend aus dem Affektiven, Normativen und Kontinuierenden Commitment. Ein weiterer Beitrag von Sharma, Young und Wilkinson (2006) erweitert dieses Modell und identifiziert sogar fünf Commitment-Konstrukte, wobei ein Konstrukt verhaltensorientiert konzeptualisiert wird.
50
Autor/-en (Jahr) Gruen/ Summers/ Acito (2000)
Untersuchungsobjekt Mitglieder eines Berufsfachverbandes für Versicherungsvertreter (B2B, n=2.545, Kausalanalyse)
Bansal/ Irving/ Taylor (2004)
Kunden von Autowerkstätten (B2C, n=356, Kausalanalyse)
Sharma/ Young/ Wilkinson (2006)
Geschäftspartner (B2B, n=160, Kausalanalyse)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Konstrukte Affektives Determinanten: Commitment x Anerkennung von Kontributionen (des Mitglieds) an den Verband (+) x Weitergabe organisatorischen Wissens (+) Konsequenzen: x Koproduktion von Verbandsangeboten (+) x Partizipation an Verbandsangeboten (+) Normatives Determinante: Commitment x Mitgliederverflechtung (+) (des Mitglieds) Konsequenz: x Koproduktion von Verbandsangeboten (+) Konsequenz: Kontinuierendes Commitx Partizipation an ment (des Verbandsangeboten (+) Mitglieds) Affektives Determinante: Commitment x Vertrauen (+) (des Kunden) Konsequenz: x Normatives Commitment (+) Normatives Determinanten: Commitment x Normatives Commitment (+) (des Kunden) x Subjektive Normen (+) Konsequenz: x Wechselabsicht (-) KontinuierenDeterminante: des Commitx Wechselkosten (+) ment (des Konsequenz: Kunden) x Wechselabsicht (-) Affektives Determinanten für alle CommitmentCommitment Konstrukte: x Konfliktmangel (+) Normatives x Kooperation (+) Commitment x Vertrauen (+) Kontinuierendes Commitment Kalkulatives Commitment Konatives Commitment153
Tabelle III-6: Studien mit einstellungsorientierter Drei- und Vier-KonstruktKonzeptualisierung von Commitment 153
Das Konative Commitment aus der Studie von Sharma/Young/Wilkinson (2006) wird nur zur Vollständigkeit der Studiendarstellung angegeben.
51 Gruen, Summers und Acito (2000) untersuchen in ihrer empirischen Studie den Einfluss von Beziehungsaktivitäten eines Berufsfachverbandes auf das Commitment gegenüber der Mitgliedschaft sowie das Verhalten der Mitglieder im Verband. Die Autoren übernehmen in ihrem Beitrag erstmals die Commitment-Konzeptualisierung nach Allen und Meyer (1990). Hierbei sollen das Affektive, Normative und Kontinuierende Commitment als Mediatoren zwischen den Beziehungsaktivitäten des Verbands und dem Verhalten der Mitglieder wirken. Die Ergebnisse der Studie bestätigen dies zumindest für das Affektive und Normative Commitment. Obwohl alle untersuchten CommitmentKonstrukte nach Meyer und Herscovitch (2001) als Determinanten der Beziehungsaufrechterhaltung gelten,154 können Gruen, Summers und Acito (2000) keinen signifikanten Effekt der Commitment-Konstrukte auf die Aufrechterhaltung der Verbandsmitgliedschaft identifizieren. Die Autoren führen dies zum einen darauf zurück, dass das Modell auf einer aggregierten Gruppen- anstatt auf einer Mitgliedsebene geprüft wurde, und zum anderen darauf, dass nicht die Absicht, sondern die tatsächliche Mitgliedschaftsaufrechterhaltung gemessen wurde. Auch Bansal, Irving und Taylor (2004) nutzen die von Allen und Meyer (1990) entwickelte Drei-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment, um die Einflussfaktoren der Wechselbereitschaft von Kunden einer Autowerkstatt zu analysieren. Im Gegensatz zu den Ergebnissen von Gruen, Summers und Acito (2000)155 beeinflussen in dieser Studie zumindest das Normative und das Kontinuierende Commitment die Beziehungsaufrechterhaltung durch eine Verringerung der Wechselabsicht. Den nicht-signifikanten Einfluss des Affektiven Commitments erklären die Autoren über einen relativ starken indirekten Effekt des Affektiven Commitments, der die Wechselabsicht über das Normative Commitment beeinflusst. Mit der Berücksichtigung von Beziehungen zwischen den einzelnen Commitment-Konstrukten greifen Bansal, Irving und Taylor (2004) Überlegungen von Meyer und Smith (2000) aus der Organisationspsychologie auf, die einen Einfluss des Affektiven auf das Normative Commitment postulieren.156 Obwohl dieser Zusammenhang mit einer Einflussstärke von 0,53 relativ stark ausfällt, gelingt dennoch der Nachweis der Diskriminanzvalidität. Die Autoren schlussfolgern, dass es sich 154 155 156
Vgl. Meyer/Herscovitch (2001), S. 311f. Vgl. Gruen/Summers/Acito (2000), S. 43. Vgl. Meyer/Smith (2000), S. 324.
52 bei den Commitment-Konstrukten zwar um stark verwandte, aber dennoch unterschiedliche Ansätze handelt. Sharma, Young und Wilkinson (2006) führen eine explizite Untersuchung der Dimensionalität von Commitment bei internationalen Handelspartnerbeziehungen durch. Die Autoren unterscheiden in ihrem Modell die vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kontinuierendes Commitment sowie das Konative Commitment als verhaltensorientiertes Konstrukt. Obwohl Kontinuierendes und Kalkulatives Commitment hinsichtlich des Aspekts der Beziehungsaufrechterhaltung aufgrund hoher wahrgenommener Wechselkosten inhaltlich vergleichbar sind, gelingt den Autoren der Nachweis der Diskriminanzvalidität aller betrachteten Commitment-Konstrukte. Weiterhin überprüfen sie deren nomologische Validität und finden in Vertrauen, Kooperation und Konfliktmangel jeweils positive Determinanten für alle Commitment-Konstrukte. Zusammenfassend lässt sich für die einstellungsorientierte Konzeptualisierung mit zwei und mehr Commitment-Konstrukten festhalten: x Commitment-Studien, die mehrere eigenständige Commitment-Konstrukte verwenden, nutzen mit Ausnahme der Studie von Sharma, Young und Wilkinson (2006) nur einstellungsorientierte Commitment-Konstrukte. Darunter finden sich das Affektive, Normative, Kalkulative, Kaptive und Kontinuierende Commitment. Dabei wird das Normative Commitment lediglich in drei Studien157 und das Kaptive Commitment158 nur in einer Studie verwendet. x Bei der Betrachtung von Commitment-Konzeptualisierungen mit mehreren eigenständigen Commitment-Konstrukten wird deutlich, dass die jeweiligen Konstrukte unterschiedliche Determinanten, aber auch unterschiedliche Konsequenzen besitzen. x Als Moderatoren der betrachteten Kausalbeziehungen der CommitmentKonstrukte können vier Variablen identifiziert werden. Neben der
157
158
Vgl. Gruen/Summers/Acito (2000); Bansal/Irving/Taylor (2004); Sharma/Young/Wilkinson (2006). Vgl. Jones et al. (2007).
53 Beziehungsmacht159, spielen auch der Share-of-Wallet160, die Einschätzung der Beziehung161 sowie die Beziehungsdauer162 eine moderierende Rolle. 3.3
Studien mit verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment
Verhaltensorientierte Konzeptualisierungen von Commitment sind in der wissenschaftlichen Forschung nicht sehr verbreitet (vgl. Tabelle III-7). Sie beruhen auf einem einzelnen Commitment-Konstrukt, das in der vorliegenden Betrachtung als Konatives Commitment bezeichnet wird. Seine Operationalisierung erfolgt durch Indikatorvariablen, die entweder eine Verhaltensabsicht oder ein tatsächliches Verhalten abfragen.
Autor/-en (Jahr) Gundlach/ Achrol/ Mentzer (1995)
Studiencharakteristika MBA-Studenten als Händler und Hersteller von Computern (B2B, Szenario, n=130, Regressionsanalyse)
Andaleeb (1996)
MBA-Studenten als Händler von diversen Herstellern (B2B, Szenario, n=72, Varianzanalyse) Händler und Hersteller von Elektronikwaren (B2B, n=179, Kausalanalyse)
Siguaw/ Simpson/ Baker (1998)
Verwendete CommitmentKonstrukte Konatives Commitment (des Herstellers und des Händlers)
Konatives Commitment (des Händlers)
Konatives Commitment (des Händlers)
Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Determinanten: x Glaubwürdigkeit der Investitionen des Partners (+) x Relationale Normen (+) Konsequenz (nur aus Händlerperspektive): x Investitionen in darauffolgender Periode (+) Determinanten: x Abhängigkeit (+) x Vertrauen (+, stärker bei geringer Abhängigkeit)
Determinanten: x Marktorientierung des Herstellers (+) x Relationale Normen (+) Konsequenz: x Zufriedenheit des Händlers mit finanziellem Ergebnis (+)
Tabelle III-7: Studien mit verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment (Teil 1/2)
159 160 161 162
Vgl. Brown/Lusch/Nicholson (1995), S. 380. Vgl. Davis-Sramek et al. (2009), S. 449. Vgl. Jones et al. (2007), S. 345. Vgl. Verhoef/Franses/Hoekstra (2002), S. 210.
54 Fortsetzung Autor/-en (Jahr) Jap/ Ganesan (2000)
Studiencharakteristika Händler eines Chemieproduzenten (B2B, n=1.457, Regressionsanalyse)
Tsiros/ Ross/ Mittal (2009)
Studie 1: MBAStudenten als Abnehmer und Lieferanten (B2B, Szenario, n=80, Varianzanalyse) Studie 2: Geschäftspartner (B2B, n=76, Varianzanalyse)
Verwendete CommitmentKonstrukte Konatives Commitment (des Produzenten)
Konatives Commitment (des Abnehmers)
Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Determinanten: x Investitionen des Händlers (-) x Investitionen des Produzenten (+) x Relationale Normen (+) x Vertragliche Regeln (-) Konsequenzen: x Bewertung der Produzentenperformance (+) x Konfliktintensität (-) x Zufriedenheit (+) Konsequenzen (Studie 1): x Suche nach Alternativen (-) x Wechselabsicht (-) Konsequenzen (Studie 2): x Evaluation von Alternativen (-, stärker bei Unzufriedenheit mit Geschäftspartner) x Suche nach Alternativen (-) x Wechselabsicht (-, stärker bei Unzufriedenheit mit Geschäftspartner)
Tabelle III-7: Studien mit verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment (Teil 2/2) Eine Reihe von Studien spricht den Investitionen und relationalen Normen in Geschäftsbeziehungen eine hohe Bedeutung für die Entstehung des Konativen Commitments zu. Eine frühe Untersuchung, die diese Thematik adressiert, stammt von Gundlach, Achrol und Mentzer (1995), die ihren Ausführungen zufolge drei Commitment-Konstrukte verwenden. Während das erste Konstrukt nur die Glaubwürdigkeit vergangener Investitionen in die Geschäftsbeziehung darstellt, beschreibt das zweite Konstrukt die Verhaltensabsicht, zukünftige Investitionen in die Beziehung zu tätigen. Das dritte Konstrukt bezeichnet lediglich die zeitliche Stabilität des zweiten Konstrukts über drei Zeitperioden. Daher kann hier einzig die Verhaltensabsicht als Commitment-Konstrukt aufgefasst und als Konatives Commitment bezeichnet werden. Mittels eines Laborexperiments, in dem MBA-Studenten als fiktive Händler und Hersteller fungieren, stellen die Autoren fest, dass sich die Glaubwürdigkeit der Investitionen und relationale Normen positiv auf das Konative Commitment auf beiden Seiten der Dyade auswirken. Der Nachweis, dass sich in darauffolgenden Perioden das Konative Commitment in
55 tatsächlichem Verhalten in Form von Investitionen in die Beziehung äußert, gelingt den Autoren nur in der Stichprobe der Händler. Eine weitere Studie, welche die Auswirkungen relationaler Normen in Geschäftsbeziehungen analysiert, wurde von Siguaw, Simpson und Baker (1998) durchgeführt. Ihre Ergebnisse zeigen, dass neben der Marktorientierung des Herstellers auch die Existenz relationaler Normen in der Geschäftsbeziehung die Entstehung des Konativen Commitments auf Händlerseite begünstigt. Investitionen und relationale Normen stehen auch im Fokus der Studie von Jap und Ganesan (2000). Sie betrachten in diesem Zusammenhang die Fragestellung, wie das Konative Commitment eines Produzenten von Chemieerzeugnissen in einer bestehenden Geschäftsbeziehung aus Händlersicht erhöht und damit einer möglichen „Ausbeutung“ durch den Lieferanten vorgebeugt werden kann. Sie identifizieren dabei Investitionen des Produzenten und die Entwicklung von relationalen Normen als positive Einflussfaktoren des Konativen Commitments, während sich die Investitionen des Händlers sowie der Einsatz von Verträgen hemmend auswirken. Die Vorteilhaftigkeit eines hohen Konativen Commitments zeigt sich in der Folge durch niedrigere Konfliktintensität, höhere Produzentenperformance und steigende Zufriedenheit des Händlers. Neben der Forschungsströmung zu den Auswirkungen von Investitionen und relationalen Normen finden sich in der vorliegenden Betrachtung auch Studien, die den Einfluss der Abhängigkeiten in Beziehungen auf die Entstehung des verhaltensorientierten Commitments untersuchen. In diesem Zusammenhang untersucht Andaleeb (1996) die unabhängigen und interagierenden Effekte von Vertrauen und Abhängigkeit auf die Zielkonstrukte Zufriedenheit und Konatives Commitment von Händlern. Als Datenbasis dienen ihm experimentelle, szenariobasierte Hersteller-Händler-Beziehungen. Sowohl die Abhängigkeit vom Hersteller als auch das Vertrauen in den Hersteller begünstigen die Entstehung des Konativen Commitments und der Zufriedenheit auf Händlerseite. Ein weiteres Ergebnis zeigt, dass sich bei geringer Abhängigkeit vom Hersteller das Vertrauen in Form eines höheren Einflusses auf das Konative Commitment als besonders vorteilhaft erweist.
56 Die Bedeutung des Konativen Commitments für die Terminierung von Geschäftsbeziehungen ist Gegenstand der Untersuchung von Tsiros, Ross und Mittal (2009). Als theoretischen Bezugsrahmen nutzen die Autoren das Buy-Grid-Model von Robinson, Faris und Wind (1967),163 in dem sie den Ablauf eines Lieferantenwechsels explizit anhand der Schritte Suche, Evaluation und Wechselabsicht betrachten. Mittels einer ersten Studie mit MBA-Studenten als fiktiven Geschäftspartnern identifizieren die Autoren einen negativen Einfluss des Konativen Commitments auf die Suche nach alternativen Unternehmen und auf die Wechselabsicht. In einer zweiten Studie replizieren sie ihre vorherigen Ergebnisse anhand einer realen Stichprobe mit Managern und konkretisieren ihre Befunde. Diese zeigen, dass das Konative Commitment in dieser Stichprobe auch die Evaluation von Alternativen verringert. Weiterhin wirkt die Unzufriedenheit mit dem bestehenden Geschäftspartner verstärkend auf den negativen Zusammenhang zwischen dem Konativen Commitment und der Evaluation sowie der Wechselabsicht. Zusammenfassend lässt sich festhalten: x Verhaltensorientierte Commitment-Konzeptualisierungen sind in der vorliegenden Betrachtung ausschließlich in B2B-Studien zu finden. Hierbei gilt die direkte Händler-Hersteller-Beziehung bei vielen Autoren als beliebter Untersuchungsgegenstand. x Weiterhin wird ersichtlich, dass sich in den betrachteten Studien ausschließlich vorteilhafte Konsequenzen des Konativen Commitments für die jeweilige Geschäftsbeziehung identifizieren lassen. x Nur zwei Studien betrachten Moderatoren, welche die Kausalitäten des Konativen Commitments beeinflussen. So werden die Abhängigkeit vom164 und die Unzufriedenheit mit dem Geschäftspartner165 als Moderatoren bzw. Interaktionsvariablen identifiziert. x Die Zahl der Studien, die eine verhaltensorientierte CommitmentKonzeptualisierung verwenden, ist überschaubar. Da den Loyalitätskonstrukten (z.B. Wiederkauf bzw. Wiederkaufsabsicht oder Weiterem163 164 165
Vgl. Robinson/Faris/Wind (1967), S. 13ff. Vgl. Andaleeb (1996), S. 86f. Vgl. Tsiros/Ross/Mittal (2009), S. 270.
57 pfehlung bzw. Weiterempfehlungsabsicht) ebenfalls eine Verhaltensorientierung zugrunde liegt, ergibt sich bei gleicher Konzeptualisierung des Commitments die Problematik einer trennscharfen Abgrenzung. Dies erklärt möglicherweise, warum nur eine vergleichsweise kleine Anzahl an Autoren eine verhaltensorientierte Commitment-Konzeptualisierung aufgreift. 3.4
Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment
Kombinierte einstellungs- und verhaltensorientierte Konzeptualisierungen von Commitment verwenden das Kombinierte Commitment als einziges Konstrukt (vgl. Tabelle III-8). Zur Operationalisierung werden Items verwendet, die sowohl eine Verhaltensorientierung als auch verschiedene Aspekte der Einstellungsorientierung erfassen. Autor/-en (Jahr) Anderson/ Weitz (1992)
Studiencharakteristika Händler und Hersteller (B2B, n=518, Regressionsanalyse)
Verwendete CommitmentKonstrukte Kombiniertes Commitment
Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Determinanten (der Händlerwahrnehmung des HerstellerCommitments): x Commitment des Herstellers (+) x Exklusive Vertriebsrechte (+) x Investitionen des Herstellers (+) x Vergangene Konfliktintensität (-) Determinanten (der Herstellerwahrnehmung des HändlerCommitments): x Commitment des Händlers (+) x Investitionen des Herstellers (+) x Vergabe exklusiver Vertriebsrechte (+) x Vergangene Konfliktintensität (-) Determinanten (des HändlerCommitments): x Commitment des Herstellers (+) x Intensität der Kommunikation (+) x Investitionen des Händlers (+) x Reputation des Herstellers (+) …
Tabelle III-8: Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment (Teil 1/4)
58 Fortsetzung Autor/-en (Jahr)
Scheer/ Stern (1992)
Ganesan (1994)
Studiencharakteristika
MBA-Studenten als Händler von Herstellern medizinischer Ausrüstung (B2B, Szenario, n=208, Varianzanalyse) Händler (B2B, n=124, Kausalanalyse) und Hersteller (B2B, n=52, Regressionsanalyse)
Händler von Morgan/ Hunt (1994) Reifenherstellern (B2B, n=204, Kausalanalyse)
Kumar/ Scheer/ Steenkamp (1995)
Händler von Automobilherstellern (B2B, n=417, Regressionsanalyse)
Verwendete CommitmentKonstrukte
Kombiniertes Commitment (des Händlers)
Kombiniertes Commitment
Kombiniertes Commitment (des Händlers)
Kombiniertes Commitment (des Händlers)
Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte … Determinanten (des HerstellerCommitments): x Herstellerwahrnehmung des Händler-Commitments (+) x Intensität der Kommunikation (+) x Investitionen des Herstellers (+) x Vergabe exklusiver Vertriebsrechte (-) Keine signifikanten Zusammenhänge
Determinanten (des HändlerCommitments): x Abhängigkeit des Händlers vom Hersteller (+) x Abhängigkeit des Herstellers vom Händler (-) x Glaubwürdigkeit des Herstellers (+) x Zufriedenheit des Händlers (+) Determinanten (des HerstellerCommitments): x Abhängigkeit des Händlers vom Hersteller (+) x Glaubwürdigkeit des Händlers (+) x Zufriedenheit des Herstellers (+) Determinanten: x Gemeinsame Werte (+) x Vertrauen (+) x Wechselkosten (+) Konsequenzen: x Einverständnis mit Anforderungen des Herstellers (+) x Kooperation (+) x Wechselabsicht (-) Determinanten: x Ausmaß der Abhängigkeitsasymmetrie (+) x Stärke der Abhängigkeit beider Partner untereinander (+)
Tabelle III-8: Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment (Teil 2/4)
59 Fortsetzung Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Konstrukte Determinanten: Kombiniertes Commitment x Gemeinschaftliche Kommunikation (des Händlers) (+, schwächer bei hoher Kontrolle des Herstellers) x Konflikthäufigkeit (-) x Kontrolle des Herstellers (+) Determinanten: Kunden von Kombiniertes HennigDienstleistungsCommitment Thurau/ x Bevorzugte Behandlung (+) anbietern (B2C, (des Kunden) Gwinner/ x Soziale Benefits (+) n=336, KausalGremler x Zufriedenheit (+) analyse) (2002) Konsequenzen: x Loyalitätsabsicht (+) x Weiterempfehlungshäufigkeit (+) Kombiniertes Determinanten: Brown et al. Kunden eines (2005) Autohauses (B2C, Commitment x Identifizierung mit Autohaus (+) (des Kunden) n=397, Regresx Zufriedenheit (+) sionsanalyse) Konsequenzen: x Weiterempfehlungsabsicht (+, schwächer bei hoher Zufriedenheit) x Weiterempfehlungshäufigkeit (+, schwächer bei hoher Zufriedenheit) Determinanten: Kombiniertes Kunden eines Johnson/ Mobilfunkanbieters Commitment Herrmann/ x Commitment aus vorangegan(des Kunden) (B2C, n=2.990, Huber gener Periode (+, schwächer bei Kausalanalyse) (2006) langer Beziehungsdauer) x Wahrgenommener ökonomischer Wert (+, stärker bei langer Beziehungsdauer) Konsequenz: x Loyalitätsabsicht (+, stärker bei langer Beziehungsdauer) Determinanten: Händler von Kombiniertes Ramasediversen Commitment shan/Yip/ x Ökonomische Zufriedenheit (+) (des Händlers) x Soziale Zufriedenheit (+) Pae (2006) Herstellern (B2B, n=295, Konsequenz: Kausalanalyse) x Wahrnehmung eines strategischen Wettbewerbsvorteils (+) Autor/-en (Jahr) Mohr/ Fisher/ Nevin (1996)
Studiencharakteristika Händler von Computerherstellern (B2B, n=125, Regressionsanalyse)
Tabelle III-8: Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment (Teil 3/4)
60 Fortsetzung Autor/-en (Jahr) Dean (2007)
Jones/ Taylor/ Bansal (2008)
Studiencharakteristika Kunden eines Versicherungsanbieters (B2C, n=289, Kausalanalyse) und Geschäftskunden einer Bank (B2B, n=325, Kausalanalyse) Kunden von Dienstleistungsanbietern (B2C, n=472, Kausalanalyse) und fiktive Kunden von Dienstleistungsanbietern (B2C, Szenario, n=768, Regressionsanalyse)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Konstrukte Determinanten (beider Studien): Kombiniertes Commitment x Eingefordertes Kundenfeedback (des Kunden) (+) x Servicequalität (+) Konsequenz (beider Studien): x Loyalitätsabsicht (+)
Kombiniertes Commitment (des Kunden)
Determinante (des Commitments ggü. dem Mitarbeiter): x Commitment ggü. der Person (+) Determinanten (des Commitments ggü. dem Unternehmen): x Commitment ggü. dem Mitarbeiter (+) x Commitment ggü. der Person (+) Konsequenzen (des Commitments ggü. dem Mitarbeiter): x Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (+) x Wiederkaufsabsicht (+) Konsequenzen (des Commitments ggü. der Person): x Altruismus (+) x Beziehungsdauer (+) x Commitment ggü. dem Mitarbeiter (+) x Commitment ggü. dem Unternehmen (+) x Wiederkaufsabsicht (-) Konsequenzen (des Commitments ggü. dem Unternehmen): x Altruismus (+) x Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (+) x Relative Einstellung (+) x Treueausmaß bei Wiederkauf (+) x Weiterempfehlungsabsicht (+) x Wiederkaufsabsicht (+)
Tabelle III-8: Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment (Teil 4/4) Als eine der ersten Studien im Marketing betrachten Anderson und Weitz (1992) das Kombinierte Commitment in Hersteller-Händler-Beziehungen. Als Kernergebnis der Studie lässt sich festhalten, dass das wahrgenommene Kombinierte Commitment der Gegenseite eine wesentliche, positive
61 Einflussgröße auf das eigene Kombinierte Commitment darstellt. Weiterhin zeigt sich, dass Investitionen die Entstehung des Kombinierten Commitments beider Partner begünstigen, wodurch der jeweilige Partner die Glaubwürdigkeit seines langfristigen Interesses an der Beziehung unterstreicht. In ihrer vielbeachteten Studie166 führen Morgan und Hunt (1994) die „Commitment-Trust Theory of Relationship Marketing“ ein. Laut dieser Theorie wirken Kombiniertes Commitment und Vertrauen als mediierende Variablen zwischen unabhängigen Variablen und Verhaltenskonsequenzen, weshalb die Autoren diesen Ansatz auch als „key mediating variable model“ bezeichnen. In der Empirie kann anhand von Hersteller-Händler-Beziehungen die mediierende Rolle des Kombinierten Commitments und des Vertrauens bestätigt werden. Schließlich erweitern die Autoren die Aussagekraft ihres Modells, indem sie es nicht nur auf die reine Anbieter-Kunden-Beziehung beschränken, sondern es auf alle Formen des relationalen Austauschs beziehen. Im Fokus der Studie von Ramaseshan, Yip und Pae (2006) steht der positive Einfluss der ökonomischen und sozialen Zufriedenheit auf das Kombinierte Commitment von Händlern diverser Hersteller. Die Analyse bestätigt diesen Zusammenhang und offenbart weiterhin, dass das Kombinierte Commitment die Wahrnehmung eines strategischen Wettbewerbsvorteils begünstigt. Weitere Studien thematisieren die Machtverteilung in Beziehungen und deren Einfluss auf das Kombinierte Commitment. In diesem Zusammenhang untersucht Ganesan (1994) die Entwicklung des Kombinierten Commitments auf beiden Seiten einer Händler-Hersteller-Beziehung unter Berücksichtigung gegenseitiger Abhängigkeiten. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das Kombinierte Commitment des Herstellers positiv durch die Abhängigkeit des Händlers beeinflusst wird. Im Gegensatz dazu übt die Abhängigkeit des Herstellers einen negativen Effekt auf das Kombinierte Commitment des Händlers aus. Der Autor begründet dieses Ergebnis damit, dass Hersteller die Abhängigkeit von Händlern als vermeintliches Signal starken Commitments in die Beziehung auffassen und sich daher ebenfalls langfristig in dieser Partnerschaft engagieren. Händler wiederum versuchen die Abhängigkeit von
166
Vgl. Palmatier et al. (2006), S. 136.
62 Herstellern auszunutzen und setzen daher nur auf eine kurze Beziehungsdauer. Kumar, Scheer und Steenkamp (1995) beschäftigen sich ebenfalls mit Machtstrukturen in Beziehungen und vermuten, dass sowohl die Abhängigkeitsasymmetrie als auch die aufsummierten Abhängigkeiten von Händlern und Herstellern das Kombinierte Commitment beeinflussen. Anhand einer Befragung von Autohändlern zu ihrer Beziehung mit Autoherstellern zeigen sie, dass mit steigender Asymmetrie der Abhängigkeit das Kombinierte Commitment gegenüber dem Hersteller abnimmt und mit steigender Gesamtabhängigkeit innerhalb der Geschäftsbeziehung zunimmt. Die Autoren erklären diese Effekte mit der bilateralen Konvergenztheorie, nach der sich bei hoher und gegenseitig ausgeglichener Abhängigkeit beide Parteien aktiv für die Beziehung engagieren. Auch Mohr, Fisher und Nevin (1996) berücksichtigen Machtverhältnisse in Geschäftsbeziehungen. Anhand einer Händlerbefragung bestätigen sie zunächst die gemeinschaftliche Kommunikation als positiven Einflussfaktor auf das Kombinierte Commitment. Zudem kann die Beziehungsmacht in Form der Kontrolle über den jeweiligen Partner als abschwächender moderierender Effekt auf diesen Zusammenhang identifiziert werden. Während in B2B-Studien überwiegend Aspekte der Machtverteilung als Determinanten des Kombinierten Commitments betrachtet werden, schließen Untersuchungen aus dem B2C-Kontext auch explizit die Konsequenzen des Kombinierten Commitments mit ein. So werden beispielsweise die Weiterempfehlungsabsicht bzw. -häufigkeit167 sowie die Loyalitätsabsicht168 als Konsequenzen analysiert. Hennig-Thurau, Gwinner und Gremler (2002) untersuchen die Determinanten der Weiterempfehlungshäufigkeit von Konsumenten in der Dienstleistungsbranche. Als Determinanten verwenden sie zum einen den Relational Benefits Approach von Gwinner, Gremler und Bitner (1998), der aus sozialen Benefits, Vertrauen und bevorzugter Behandlung besteht,169 und zum anderen die Konstrukte Zufriedenheit und Kombiniertes Commitment. Die 167 168 169
Vgl. Hennig-Thurau/Gwinner/Gremler (2002); Brown et al. (2005). Vgl. Johnson/Herrmann/Huber (2006); Dean (2007). Vgl. Gwinner/Gremler/Bitner (1998), S. 103ff.
63 Autoren können einen positiven Einfluss der sozialen Benefits und der bevorzugten Behandlung sowie der Zufriedenheit auf das Kombinierte Commitment nachweisen, das wiederum die Weiterempfehlungshäufigkeit positiv determiniert. Die Einflussfaktoren auf die Weiterempfehlungsabsicht bzw. -häufigkeit stehen im Fokus der Betrachtung von Brown et al. (2005). Anhand einer Kundenbefragung eines Autohändlers können die Autoren neben der Zufriedenheit das Kombinierte Commitment als zentralen Einflussfaktor nachweisen. Zur Entstehung des Kombinierten Commitments tragen zudem die Zufriedenheit und die Identifizierung mit dem Autohaus wesentlich bei. Dean (2007) analysiert die Auswirkungen der Kundenorientierung von Callcenter-Mitarbeitern auf die Loyalitätsabsicht von Kunden verschiedener Dienstleistungsunternehmen. Mittels zweier Studien, in denen Endkunden eines Versicherungsanbieters und Geschäftskunden einer Bank befragt werden, identifiziert der Autor das Kombinierte Commitment als Mediator der Einflüsse der Einforderung von Kundenfeedback sowie der Servicequalität auf die Loyalitätsabsicht. Die Entstehung von Loyalitätsabsichten steht ebenfalls im Mittelpunkt der Analyse von Johnson, Herrmann und Huber (2006). Anhand einer Längsschnittstudie mit Kunden eines Mobilfunkanbieters wird zudem der Einfluss der Beziehungsdauer berücksichtigt. Die Studienergebnisse zeigen, dass in einer frühen Beziehungsphase die Loyalitätsabsichten eine Funktion des wahrgenommenen ökonomischen Werts der Beziehung sind. Über die Zeit mediieren allerdings das Kombinierte Commitment und das Markenimage des Anbieters den Zusammenhang zwischen dem ökonomischen Wert der Beziehung und den Loyalitätsabsichten. Die Autoren schlussfolgern, dass die wahrgenommenen kognitiven Vorteile einer Beziehung über die Zeit an Einfluss verlieren und affektive Einstellungen, wie sie das Markenimage und zum Teil das Kombinierte Commitment darstellen, an Bedeutung gewinnen. Die erste Studie in der vorliegenden Betrachtung, welche die Auswirkungen des Kombinierten Commitments gegenüber drei unterschiedlichen Bezugsobjekten thematisiert, stammt von Jones, Taylor und Bansal (2008). Ihre Ergebnisse zeigen, dass Konsumenten von Dienstleistungsanbietern zwischen dem Kombinierten Commitment gegenüber dem Unternehmen,
64 gegenüber der Person in der Rolle des Mitarbeiters und gegenüber der Person in der Rolle als persönlicher Freund unterscheiden. Weiterhin offenbaren die drei Kombinierten Commitment-Konstrukte einen hierarchischen Wirkungszusammenhang und bedingen in der Folge zum Teil sehr unterschiedliche Konsumentenreaktionen. So führen beispielsweise das Kombinierte Commitment gegenüber dem Mitarbeiter und gegenüber dem Unternehmen zu einer gesteigerten Wiederkaufsabsicht, während das Kombinierte Commitment gegenüber der Person als Freund diese verringert. Zusammenfassend lässt sich festhalten: x Das Kombinierte Commitment findet sich sowohl in B2B- als auch in B2CStudien wieder. Die Berücksichtigung von einstellungs- und verhaltensorientierten Aspekten in einem Commitment-Konstrukt erscheint daher nicht auf einen Anwendungskontext beschränkt zu sein. x Bis auf die Studie von Jones, Taylor und Bansal (2008), die auch negative Konsequenzen des Kombinierten Commitments identifiziert,170 weisen alle übrigen Untersuchungen ausschließlich positive Effekte dieses Commitment-Konstrukts nach. x Allerdings ist die Verwendung des Kombinierten Commitments in vielen der vorliegenden Studien kritisch zu sehen, da häufig Verhaltensabsichten bzw. tatsächliches Verhalten als Konsequenz des Kombinierten Commitments modelliert werden. In diesen Fällen kommt es zu einer inhaltlichen Überschneidung des Commitments mit seinen Konsequenzen, wodurch eine genaue Wirkungsaussage erschwert wird. x Variablen, welche die Kausalitäten des Kombinierten Commitments moderieren, werden nur selten betrachtet. So finden sich lediglich drei Studien, in denen die Kontrolle des Geschäftspartners,171 die Zufriedenheit172 und die Beziehungsdauer173 als signifikante Moderatoren bzw. Interaktionsvariablen identifiziert werden.
170 171 172 173
Vgl. Jones/Taylor/Bansal (2008), S. 481. Vgl. Mohr/Fisher/Nevin (1996), S. 111. Vgl. Brown et al. (2005), S. 132. Vgl. Johnson/Herrmann/Huber (2006), S. 129.
65 4
Zusammenfassung der Erkenntnisbeiträge der CommitmentForschung für die Forschungsziele der Arbeit
In einem ersten Untersuchungsschritt wurden der Commitment-Begriff und seine Entstehung näher beleuchtet (vgl. Abschnitt III-1). Dabei wurde insbesondere auf dessen breite Verwendung in der Sozial- und Organisationspsychologie sowie dem Marketing eingegangen. Weiterhin wurde das heterogene Definitionsverständnis von Commitment beschrieben und es wurde näher auf die unterschiedlichen Konzeptualisierungen hinsichtlich der Einstellungs- und Verhaltensorientierung eingegangen (vgl. Abschnitt III-2). Schließlich erfolgte eine Betrachtung der bestehenden Literatur im Marketing bezüglich der Verwendung einzelner CommitmentKonstrukte (vgl. Abschnitt III-3). Als Ergebnis der vorangegangenen Abschnitte lässt sich festhalten: x Commitment wird im Marketing uneinheitlich konzeptualisiert (vgl. Abschnitt III-2.1). Es existieren Konzeptualisierungen, die Commitment rein verhaltensorientiert auslegen, während andere Ansätze Commitment rein einstellungsorientiert definieren oder sogar beide Orientierungen verwenden. Die verhaltensorientierte Konzeptualisierung von Commitment ist allerdings kritisch zu sehen, da sich hier Abgrenzungsprobleme zu Loyalitätskonstrukten ergeben, die überwiegend ein Verhalten bzw. eine Verhaltensabsicht abfragen. Hinsichtlich der verwendeten Anzahl und Art der Commitment-Konstrukte herrscht ebenfalls große Uneinigkeit. Zum einen variiert die Anzahl der berücksichtigten Commitment-Konstrukte in Marketingstudien zwischen eins und fünf. Zum anderen existieren bei den rein einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten die Arten Affektives, Normatives, Kontinuierendes, Kalkulatives und Kaptives Commitment. Hervorzuheben ist, dass das Kontinuierende Commitment eine Vermischung aus Kalkulativem und Kaptivem Commitment darstellt und folglich von etlichen Autoren kritisiert wird.174 Somit erscheinen lediglich das Affektive, Normative, Kalkulative und Kaptive Commitment als vorteilhaft, da sie zum einen einstellungsorientiert sind und damit keine Abgrenzungsprobleme zu verhaltensorientierten Loyalitätskonstrukten aufweisen und zum anderen distinkte Beweggründe zur Fortführung einer 174
Vgl. z.B. Blau (2003), S. 470ff.; Blau/Holladay (2006), S. 692f.
66 Beziehung repräsentieren. Allerdings sind sich viele Autoren nicht bewusst, welches dieser einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte sie tatsächlich in ihrer Studie verwenden (vgl. Abschnitt III-3.1). So divergieren Konzeptualisierung und Operationalisierung dieser Konstrukte.175 Bis dato mangelt es daher an einer Studie, welche die theoretischen Bezugspunkte der einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kaptives Commitment klar definiert und auf dieser Basis eine umfassende Commitment-Konzeptualisierung für zukünftige Forschungsarbeiten vorstellt (Forschungsziel I). x Vereinzelt wird die Problematik der hohen Korrelation zwischen den einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten angesprochen. So weisen Bansal, Irving und Taylor (2004) in ihrer Studie auf den hohen Einfluss des Affektiven auf das Normative Commitment hin, können aber dennoch die Diskriminanzvalidität dieser Konstrukte bestätigen.176 Gleichfalls gelingt Sharma, Young und Wilkinson (2006) der Nachweis der Diskriminanzvalidität ihrer betrachteten Commitment-Konstrukte.177 In der Organisationspsychologie, in welcher der Einsatz mehrerer einstellungsorientierter Commitment-Konstrukte eine weitaus längere Tradition hat, wird dagegen nach wie vor die hohe Korrelation zwischen Affektivem und Normativem Commitment thematisiert.178 Zudem muss festgehalten werden, dass die für diese Arbeit relevanten vier Commitment-Konstrukte noch nie im Marketing zusammen eingesetzt und auf Diskriminanzvalidität überprüft wurden. Es erscheint daher notwendig, nach erfolgter Konzeptualisierung der vier einstellungsorientierten CommitmentKonstrukte eine umfassende diskriminanzanalytische Überprüfung dieser vorzunehmen (Forschungsziel II). Zusammen mit Forschungsziel I kann dadurch erstmalig ein theoretisch fundiertes und empirisch valides Messmodell für die vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte entwickelt werden. x Sofern mehrere Commitment-Konstrukte in einer Studie angewendet werden, liegt mit Ausnahme der Studie von Sharma, Young und Wilkinson 175
176 177 178
Vgl. z.B. Moorman/Zaltman/Deshpandé (1992), S. 316; Grayson/Ambler (1999), S. 133f.; Palmatier/Dant/Grewal (2007), S. 175. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 240. Vgl. Sharma/Young/Wilkinson (2006), S. 74ff. Vgl. Bergman (2006).
67 (2006) eine vollständig einstellungsorientierte Konzeptualisierung zugrunde.179 Dabei werden die Commitment-Konstrukte Affektives, Kalkulatives und Kontinuierendes Commitment sehr häufig angewendet. Das Normative Commitment ist dagegen lediglich in drei Studien180, das Kaptive Commitment sogar nur in einem Beitrag181 zu finden (vgl. Abschnitt III-3.1). Die Kausalitäten der für diese Arbeit relevanten CommitmentKonstrukte, insbesondere für das Normative und Kaptive Commitment, können daher als weitestgehend unerforscht eingestuft werden. Ein Vergleich spezifischer Bestimmungsfaktoren und Erfolgswirkungen der einzelnen Commitment-Konstrukte ist auf dieser Erkenntnisbasis nicht möglich und bedarf daher weiterer Forschungsbemühungen (Forschungsziel III). x In den betrachteten Studien wird zudem die Heterogenität von Konsumenten vernachlässigt. So wird die Konsumentenheterogenität im Kontext der vier interessierenden Commitment-Konstrukte lediglich beim Affektiven und Kalkulativen Commitment untersucht.182 Dieser Kenntnisstand reicht allerdings nicht aus, um daraus zielgruppenspezifische Steuerungsmöglichkeiten der vier Commitment-Konstrukte und damit des Beziehungserfolgs entwickeln zu können. Grundsätzlich muss aber von Konsumentenheterogenität ausgegangen werden.183 Es ist daher notwendig, für die Kausalitäten der vier im Fokus stehenden CommitmentKonstrukte eine Prüfung der Konsumentenheterogenität vorzunehmen (Forschungsziel IV). Das weitere Vorgehen dieser Arbeit zur Schließung der beschriebenen Forschungslücken ist überblicksartig in Abbildung III-3 dargestellt.
179 180
181 182
183
Vgl. Gilliland/Bello (2002), S. 36; Sharma/Young/Wilkinson (2006), S. 75ff. Vgl. Gruen/Summers/Acito (2000); Bansal/Irving/Taylor (2004); Sharma/Young/Wilkinson (2006). Vgl. Jones et al. (2007). Vgl. Garbarino/Johnson (1999); Verhoef/Franses/Hoekstra (2002); Jones et al. (2007); Martin (2009). Vgl. Jedidi/Jagpal/DeSarbo (1997), S. 39.
68
Commitment-Betrachtung Konzeptualisierung der vier Commitment-Konstrukte anhand von vier Theorien:
Forschungsziel I
Forschungsziel II
1.Soziale Identitäts-Theorie 2.Reziprozitäts-Theorie 3.Side bet-Theorie 4.Soziale Interaktions-Theorie
Prüfung der Diskriminanzvalidität der in Forschungsziel I konzeptualisierten CommitmentKonstrukte unter Anwendung der exploratorischen Faktorenanalyse, des Fornell-Larcker-Tests und des Chi-Quadrat-Differenztests (n=391)
Kapitel IV
Abschnitt VI-4
Modell-Betrachtung
Forschungsziel III
Identifizierung von Determinanten und Erfolgswirkungen der vier Commitment-Konstrukte in zwei Branchen unter Anwendung der MultigruppenKausalanalyse (n1=840; n2=842)
Abschnitt VI-5.3.1
Forschungsziel IV
Test der Commitment-Kausalitäten aus Forschungsziel III auf unterstellte Konsumentenheterogenität und Identifizierung von Konsumentensegmenten unter Anwendung der Finite Mixture-Analyse (n=1.682)
Abschnitt VI-5.3.2
Abbildung III-3: Weiterer Ablauf der Arbeit zur Verfolgung der Forschungsziele
69
IV
Theoretische Bezugspunkte zur Konzeptualisierung von Commitment – ein multipartialer Ansatz
1
Vorüberlegungen zur theoretischen Konzeptualisierung
Auf Basis der Ergebnisse des vorangehenden Abschnittes wird zur Erreichung des Forschungsziels I im Folgenden ein multipartiales Commitment in Form von vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten für den Anwendungskontext Konsumentenbeziehungen konzeptualisiert. Der Fokus der folgenden Abschnitte liegt hierbei in der theoretischen Fundierung der Commitment-Konzeptualisierung. Dadurch soll zukünftigen Forschungsarbeiten ein inhaltlich exaktes Verständnis zum Einsatz dieser CommitmentKonstrukte bereitgestellt werden. Die inhaltliche Bedeutung der einstellungsorientierten CommitmentKonstrukte kann grundsätzlich als Beweggrund wiedergegeben werden, warum ein Kunde seine Anbieterbeziehung aufrechterhält (vgl. Abschnitt III-2.1).184 Unterscheiden lassen sich dabei vier Commitment-Konstrukte, welche jeweils einen spezifischen Beweggrund zur Beziehungsfortführung beinhalten und damit die Natur der jeweiligen Beziehung charakterisieren: (1) emotional begründete Beziehung (Affektives Commitment), (2) moralisch begründete Beziehung (Normatives Commitment), (3) ökonomisch begründete Beziehung (Kalkulatives Commitment) und (4) „unfreiwillig“ begründete Beziehung (Kaptives Commitment). Als theoretische Bezugspunkte für die vier interessierenden CommitmentKonstrukte können die Soziale Identitäts-Theorie (Affektives Commitment), die Reziprozitäts-Theorie (Normatives Commitment), die Side bet-Theorie (Kalkulatives Commitment) sowie die Soziale Interaktions-Theorie (Kaptives Commitment) identifiziert werden. In den nachfolgenden Abschnitten werden jeweils die Grundlagen dieser Theorien sowie deren Erklärungsbeitrag zur Entstehung der vier Commitment-Konstrukte vorgestellt. Die Theorien dienen zudem als Basis für das im Kapitel V herzuleitende Untersuchungsmodell. Abbildung IV-1 verdeutlicht die Verknüpfung der einzelnen Theorien mit den jeweiligen Commitment-Konstrukten im Überblick.
184
Vgl. Scholl (1981), S. 590; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 236.
70
Soziale Identitäts-Theorie (vgl. Tajfel/Turner 1979, 1986) Soziale Identifikation mit einer Personengruppe ist Bestandteil des Selbstkonzepts. Soziale Identifikation ist auch mit Kundengruppen eines Anbieters und dem Anbieter selbst möglich. Als Folge der sozialen Identifikation mit einem Anbieter kommt es zu einer emotional begründeten Beziehung.
Affektives Commitment
Abschnitt IV-2
Reziprozitäts-Theorie (vgl. Gouldner 1960) Die Norm der Reziprozität ist Bestandteil der Moral und besagt, dass Individuen denen helfen bzw. nicht schaden sollen, die ihnen geholfen haben. Die empfangenen Leistungen eines Anbieters können zu einer Verpflichtung zur Gegenleistung führen. Als Folge dieser Verpflichtung kommt es zu einer moralisch begründeten Beziehung.
Normatives Commitment
Abschnitt IV-3
Side bet-Theorie (vgl. Becker 1960) Als Seitenwette (side bet) werden spezifische Investitionen in Form von Zeit und Geld in die Beziehung gesehen, die bei Abbruch dieser ihren Wert verlieren. Als Folge der wahrgenommenen ökonomischen Nachteile einer Beziehungsaufgabe kommt es zu einer kalkulativ begründeten Beziehung.
Kalkulatives Commitment
Abschnitt IV-4
Soziale Interaktions-Theorie (vgl. Thibaut/Kelley 1959) Abhängigkeit in einer Beziehung entsteht dann, wenn entweder Alternativen unattraktiver sind als die aktuelle Beziehung oder keine Alternativen vorhanden sind. Als Folge der wahrgenommenen Abhängigkeit kommt es zu einer „unfreiwilligen“ Beziehung.
Kaptives Commitment
Abschnitt IV-5
Abbildung IV-1: Theoretische Bezugspunkte für die Konzeptualisierung des Affektiven, Normativen, Kalkulativen und Kaptiven Commitments 2
Soziale Identitäts-Theorie und Affektives Commitment
2.1
Grundlagen der Sozialen Identitäts-Theorie
Die Soziale Identitäts-Theorie (Social Identity Theory) befasst sich mit den Beziehungen zwischen Gruppen sowie mit Prozessen innerhalb von Gruppen
71 und dem sozialen Selbst.185 Grundsätzlich beschreibt die Soziale IdentitätsTheorie, wie die selbst wahrgenommene Zugehörigkeit zu anderen Personen und sozialen Gruppen die eigenen sozialen Wahrnehmungen, Einstellungen und das eigene Verhalten beeinflusst. Die Theorie besteht im Wesentlichen aus vier verknüpften Elementen: Der sozialen Kategorisierung, der sozialen Identität, dem sozialen Vergleich und der sozialen Distinktheit, die im Nachfolgenden näher erläutert werden.186 Grundlage der sozialen Kategorisierung ist die Tendenz von Individuen, nach bestimmten Mustern Kategorien zu bilden. Demnach werden Personen (z.T. auch Objekte und Ereignisse), die in Bezug auf ihre Relevanz für die Handlungen, Absichten oder Einstellungen eines Individuums ähnlich oder äquivalent sind, einer Kategorie zugeordnet. Die Kategorisierung verfolgt dabei zwei Ziele: Zum einen wird die soziale Umwelt kognitiv segmentiert und geordnet, wodurch andere Personen auf systematische Weise definiert werden. Zum anderen ermöglicht es die Kategorisierung dem Individuum, seine eigene Position in der sozialen Umwelt zu bestimmen.187 Individuen unterscheiden weiterhin zwischen Kategorien, denen sie selbst angehören (Ingroup) und solchen, denen sie nicht angehören (Outgroup). Die Zugehörigkeit zu einer Kategorie wiederum bildet die Grundlage für die soziale und persönliche Identität des Individuums.188 Während die persönliche Identität individuelle Eigenschaften subsumiert, versteht Tajfel (1978a) unter der sozialen Identität „[…] that part of an individual´s self concept which derives from his knowledge of his membership of a social group (or groups) together with the value and emotional significance attached to that membership.“189 Somit leistet die soziale Identität zusammen mit der persönlichen Identität einen Beitrag zum gesamten Selbstkonzept eines Individuums.190 Je nach Kontext bestimmen die soziale und die persönliche Identität nicht nur die aktuelle Handlungsweise, sondern auch Handlungsabsichten.191 Die soziale Identität erweist sich dabei 185 186 187 188 189 190 191
Vgl. Tajfel/Turner (1986). Vgl. Tajfel (1978a); Tajfel/Turner (1979). Vgl. Tajfel (1978a), S. 61ff.; Mummendey (1995), S. 100. Vgl. Röder (2001), S. 44f. Tajfel (1978a), S. 63. Vgl. Fischer/Wiswede (2009), S. 731. Vgl. Sproull (1981), S. 215.
72 insbesondere bei Intergruppensituationen als die einflussreichere der beiden Identitätsfacetten. In diesem Fall wird das Bedürfnis nach positiver sozialer Identität nur dann befriedigt, wenn sich die eigene soziale Gruppe im Rahmen des sogenannten sozialen Vergleichs positiv von anderen Gruppen abhebt.192 Für das Individuum besteht somit ein gewisser Druck, die Ingroup gegenüber der Outgroup im sozialen Vergleich positiv zu bewerten. Um eine möglichst hohe positive Bewertung zu ermöglichen, müssen sich die Gruppen deutlich voneinander abgrenzen. Dieser Prozess unterliegt drei Einschränkungen. Erstens müssen die Individuen ihre Gruppenmitgliedschaften internalisiert haben und sich als Teil der Gruppe fühlen. Zweitens werden nur diejenigen Gruppenattribute einem Vergleich unterzogen, die zu einer möglichst hohen positiven Diskrepanz zu einer anderen Gruppe führen. Die Attributsauswahl variiert folglich je nach betrachteter Vergleichsgruppe. Drittens vergleichen sich Ingroups nicht mit allen kognitiv verfügbaren Outgroup-Alternativen. Lediglich die als relevant erachteten Vergleichsgruppen werden herangezogen.193 Das Ziel des sozialen Vergleichs besteht zusammengefasst darin, eine möglichst hohe positive Differenz zur Fremdgruppe aufzudecken. Je höher die Differenz ausfällt, desto mehr gewinnen die Mitglieder der eigenen Gruppe an Selbstwert und damit an positiver sozialer Identität. Da jedoch grundsätzlich die Mitglieder aller Gruppen daran interessiert sind, eine positive soziale Identität zu erreichen, und diese nur zu Lasten der Mitglieder anderer Gruppen entwickelt werden kann, ist das Verhältnis der Gruppen untereinander kompetitiv. Dies kann zu Intergruppenkonflikten führen, die sich entweder in sozialen oder materiellen Wettbewerben äußern und die Polarisation gegenüber der jeweils anderen Gruppe noch verstärken. Der soziale Wettbewerb erfolgt durch eine Selbstevaluierung und einem anschließenden Vergleich mit der jeweils anderen Gruppe. Beim materiellen Wettbewerb wird dagegen die Realisierung eines realistischen materiellen Ziels verfolgt und der eigene Fortschritt mit dem der anderen Gruppen verglichen.194
192 193 194
Vgl. Mummendey (1985), S. 199f. Vgl. Tajfel/Turner (1986), S. 16f. Vgl. Tajfel/Turner (1986), S. 16f.
73 Das Ergebnis sozialer Vergleiche wird als soziale Distinktheit bezeichnet und stellt die psychologische Eigenart einer Gruppe dar.195 Positive soziale Distinktheit liegt dann vor, wenn eine positive soziale Identität entwickelt wurde. Sobald jedoch die Gruppenmitglieder feststellen, dass sie sich bezogen auf ein relevantes Vergleichsattribut schlechter stellen, sinkt der Gruppenstatus. Entsprechend fällt damit die soziale Identität weniger positiv aus.196 In diesem Fall werden die Gruppenmitglieder versuchen, die Distanz zur Fremdgruppe zu erhöhen, um wieder eine positive Distinktheit und positive Identität zu erreichen. Zwei Strategien stehen dafür zur Verfügung: Entweder können Individuen auf Grundlage des Vergleichsattributs einen sozialen Wettbewerb anstreben oder sie wechseln zu einem für sie günstigeren Vergleichsattribut.197 Zusammenfassend ist Tajfel (1978a) der Auffassung, dass Individuen nicht in der Lage sind, Selbstkonzepte zu bilden, ohne auf soziale Identitäten zurückzugreifen. Demnach definieren sich Individuen meist über gruppenbezogene Merkmale (z.B. Familie oder Nationalität). Sie können aber auch bewusst Mitglieder von frei wählbaren gesellschaftlichen Gruppierungen (z.B. Sportvereinen, Parteien oder religiösen Verbindungen) werden, die in Folge als Erweiterung des Selbstkonzepts dienen.198 Aber auch die gemeinsame Anstellung bei einem Arbeitgeber kann als identitätsstiftende Gruppe dienen,199 ebenso wie die Zugehörigkeit zur Kundengruppe eines Anbieters von Produkten oder Dienstleistungen.200 2.2
Übertragung der Sozialen Identitäts-Theorie auf das Affektive Commitment
Die Entstehung des Affektiven Commitments kann direkt aus der Sozialen Identitäts-Theorie hergeleitet werden. Die Art des Bezugsobjekts nimmt dabei nur eine untergeordnete Rolle ein. So lässt sich mittels dieser Theorie auch das Affektive Commitment gegenüber einem Anbieter von Produkten oder Dienstleistungen erklären.
195 196 197 198 199 200
Vgl. Tajfel (1978b), S. 83. Vgl. Tajfel (1978b), S. 86ff. Vgl. Tajfel/Turner (1986), S. 17. Vgl. Tajfel (1978a). Vgl. Johnson/Chang (2006), S. 553. Vgl. z.B. Büttner et al. (2008), S. 43ff.
74 Entscheidend für die Entstehung des Affektiven Commitments ist die dreidimensionale Struktur der sozialen Identität. Nach Ellemers, Kortekaas und Ouwerkerk (1999) kann die soziale Identität in die Dimensionen kognitiv, evaluativ und emotional unterteilt werden. Die kognitive Dimension zielt auf das Bewusstsein über die Mitgliedschaft des Individuums in einer sozialen Gruppe ab. Die evaluative Dimension beschreibt dagegen die positive oder negative Bewertung, die mit der Gruppenmitgliedschaft assoziiert wird. Damit ist die Wahrnehmung der Attribute gemeint, die der jeweiligen Gruppe von außen zugeschrieben werden. Die emotionale Dimension bezeichnet schließlich die affektive Identifikation mit der Gruppe und ist Ellemers, Kortekaas und Ouwerkerk (1999) zufolge gleichzusetzen mit dem Affektiven Commitment gegenüber der jeweiligen Gruppe.201 Dieser emotionalen Dimension wird im Vergleich zur evaluativen und kognitiven Dimension zudem eine höhere Prognosegüte für das tatsächliche Verhalten zugeschrieben.202 Die Herleitung des Affektiven Commitments gegenüber einem Anbieter kann nun wie folgt begründet werden. Zunächst wird angenommen, dass die aus der Zugehörigkeit zu einer Kundengruppe resultierende soziale Identität zu einer sozialen Identifikation mit dem jeweiligen Anbieter führt. Die emotionale Dimension dieser sozialen Identität entspricht wiederum dem Affektiven Commitment gegenüber diesem Anbieter. Eine Untersuchung von Büttner et al. (2008) belegt diesen Zusammenhang. Sie zeigen, dass sich die soziale Identifikation mit der Kundengruppe einer Luxusmarke positiv auf die in dieser Studie dem Affektiven Commitment ähnlich operationalisierten markenbezogenen Beziehungsqualität auswirkt.203 Das Affektive Commitment wird in der vorliegenden Arbeit daher wie folgt definiert: Das Affektive Commitment entspricht der emotionalen Dimension der sozialen Identifikation mit einem Anbieter. Es beschreibt somit die emotional begründete Beziehung zu einem Anbieter.
201 202 203
Vgl. Ellemers/Kortekaas/Ouwerkerk (1999), S. 372. Vgl. Ouwerkerk/Ellemers/Gilder (1999), S. 188f. Vgl. Büttner et al. (2008), S. 94ff.
75 3
Reziprozitäts-Theorie und Normatives Commitment
3.1
Grundlagen der Reziprozitäts-Theorie
Die Reziprozitäts-Theorie beschreibt das Phänomen der Gegenseitigkeit beim Erbringen von Leistungen zwischen verschiedenen Individuen.204 Der Begriff Reziprozität wird oft gleichgesetzt mit der in der interpersonellen Psychologie verwendeten Reziprozitätsnorm,205 die im Wesentlichen auf die Überlegungen von Gouldner (1960) zurückgeht.206 Obwohl die Reziprozitätsnorm die bekannteste Form der Reziprozität ist, lassen sich inhaltlich insgesamt vier Reziprozitätsformen unterscheiden:207 1. Generalisierte Reziprozität 2. Reziprozität von Positionen 3. Reziprozität der Perspektive 4. Direkte oder „echte“ Reziprozität (auch bekannt als Reziprozitätsnorm) Die Generalisierte Reziprozität bezeichnet eine Leistung, die erbracht wird, ohne dass der Leistungsgeber auf einen direkten Ausgleich hofft. Diese Art der Reziprozität wird häufig in Verbindung gebracht mit der Gruppenzugehörigkeit.208 Die Gruppenzugehörigkeit kann in diesem Fall entweder eine konkrete soziale Gruppe sein (z.B. die Familie) oder eine soziologische Gruppe (z.B. Lehrer). In diesem Fall wird allein durch die Gruppenzugehörigkeit eine Reziprozitätsbeziehung aufgebaut, ohne dass eine Gegenleistung in jeglicher Form erwartet wird.209 Hondrich (2001) bezeichnet dieses Verhalten auch als Solidarität unter Individuen, die sich in bestimmten Merkmalen ähneln.210 Reziprozität von Positionen bedeutet, dass in Rollensystemen eine bestimmte soziale Rolle zugleich auch einen bestimmten Gegenpart besitzt. Beispielsweise ist die Rolle eines Arztes immer an die Rolle seiner Patienten 204 205 206 207 208 209 210
Vgl. Stegbauer (2002), S. 19. Vgl. Petersitzke (2009), S. 65. Vgl. Gouldner (1960), S. 171ff. Vgl. Stegbauer (2002), S. 31. Vgl. Stegbauer (2002), S. 79. Vgl. Stegbauer (2002), S. 79ff. Vgl. Hondrich (2001), S. 105f.
76 gebunden. Demnach existieren die unterschiedlichen Rollen in Abhängigkeit voneinander. Nach Boorman und White (1976) erzeugt nun die Erwartung eines Akteurs A reziproke Erwartungen bei Akteur B. Erfüllt ein Akteur die mit der Rolle verbundenen Erwartungen nicht ausreichend, drohen ihm Sanktionen. So ist neben der Kritik die häufigste und auch schwerwiegendste Sanktion für einen Partner der Beziehungsabbruch.211 Die Gegenseitigkeit des Verhaltens ist hier nicht an eine bestimmte Leistung oder ein entsprechendes Äquivalent geknüpft, sondern der Austausch ist durch die spezifische Position der Beteiligten geregelt. Meist werden die Partner nicht als gleichberechtigt angesehen, da in derartigen Rollensystemen natürliche Hierarchien existieren. Daher sind Tauschgüter oder -leistungen in vielen Fällen nicht gleichwertig.212 Die Reziprozität der Perspektive ist eng mit der Reziprozität von Positionen verwandt. Diese Form beschreibt, inwiefern ein Akteur in der Lage ist, sich in die Rolle des anderen hineinzuversetzen und die sich aus der jeweils anderen Perspektive ergebenden Erwartungen zu erkennen. Mittels der Perspektivenübernahme kann der Akteur seine Reaktion auf den anderen besser kontrollieren. Letztlich handelt es sich aber um eine selbstreflexive Perspektive, bei der es um die Frage geht, wie das Gegenüber einen selbst wahrnimmt und welche Handlungen es von der eigenen Person erwartet.213 Die Verknüpfung zur Reziprozität resultiert daher, dass diese Art der Reziprozität stark mit einer Rollen-Typisierung einhergeht, d.h. ein Individuum lässt sich bei der Perspektivenübernahme stark vom Rollenbild des anderen gegenüber der eigenen Person beeinflussen.214 Die vierte Form der Reziprozität wird direkte oder auch „echte“ Reziprozität genannt. Sie geht in ihren Ursprüngen auf die Ausführungen von Gouldner (1960) zurück, der sich in seiner Arbeit auf die Reziprozitätsnorm bezieht. Mit ihr sind zwei miteinander verknüpfte Minimalforderungen verbunden: (1) Individuen sollten denen helfen, die ihnen geholfen haben und (2) Individuen sollten denen nicht schaden, die ihnen geholfen haben. Die Reziprozitätsnorm ist grundsätzlich in allen Wertesystemen vorzufinden und gilt als Hauptkomponente der Moral.215 Die Norm ist mittlerweile als universelles Prinzip 211 212 213 214 215
Vgl. Boorman/White (1976), S. 1391. Vgl. Stegbauer (2002), S. 32. Vgl. Joas (1992), S. 251f. Vgl. Berger/Luckmann (2007), S. 33. Vgl. Gouldner (1960), S. 171.
77 anerkannt.216 Nach Regan (1971) scheinen Individuen ein inneres Bedürfnis zu haben, jegliche Gefälligkeiten, die ihnen andere zuteil werden lassen, zurückzuzahlen, sogar wenn dies nicht erwünscht ist.217 Die Reziprozitätsnorm beinhaltet somit eine Verpflichtung zur Rückzahlung, die aus den gewährten Leistungen anderer resultiert. Die Höhe der Rückzahlung ist abhängig vom kalkulatorischen Wert der Leistungen und variiert je nach Kontext. Demnach ist der Wert beispielsweise abhängig von der Dringlichkeit der Leistung, der Wertigkeit der Leistung aus Sicht des Gebers und der Motivation des Gebers. Der Wert der Rückzahlung soll dabei in etwa zum Wert der gegebenen Leistung äquivalent sein.218 Bei der Äquivalenz von Rückzahlungen werden zwei Formen unterschieden. Zum einen existiert die Heteromorphe Reziprozität, bei der die ausgetauschten Leistungen unterschiedlich, deren Wert aus der Perspektive der Akteure aber identisch ist. Zum anderen gibt es die Homomorphe Reziprozität. In diesem Fall sind die ausgetauschten Leistungen nahezu identisch. Allerdings ist zu beachten, dass die Äquivalenzbewertung der ausgetauschten Leistungen nur aus der Perspektive der Akteure in einer bestimmten Situation erfolgt. Demzufolge können sich die Werte der Leistungen objektiv betrachtet deutlich voneinander unterscheiden. Dies steht in einem deutlichen Gegensatz zur Annahme von Ökonomen und Sozialwissenschaftlern, dass ausgetauschte Leistungen zwischen zwei Individuen langfristig die gleichen Marktbewertungen aufweisen.219 3.2
Übertragung der Reziprozitäts-Theorie auf das Normative Commitment
Die Rezprozitäts-Theorie lässt sich direkt auf Anbieter-Kunden-Beziehungen übertragen. Nach Morales (2005) zeigen Konsumenten Tendenzen, eine reziproke und gegenseitig lohnende Beziehung mit einem Anbieter einzugehen.220 Bagozzi (1995) erwähnt bereits, dass die Reziprozität eine grundlegende Eigenschaft in Anbieter-Kunden-Beziehungen darstellt.221 216 217 218 219 220 221
Vgl. Morales (2005), S. 806. Vgl. Regan (1971), S. 628ff. Vgl. Gouldner (1960), S. 171f. Vgl. Gouldner (1960), S. 171f. Vgl. Morales (2005), S. 806. Vgl. Bagozzi (1995), S. 272ff.
78 Fournier (1998) geht einen Schritt weiter und stellt fest, dass in guten Anbieter-Kunden-Beziehungen eine Balance zwischen Geben und Nehmen vorhanden sein sollte.222 Obgleich sich alle Reziprozitätsformen eignen, dient in der Marketingforschung primär die Reziprozitätsnorm von Gouldner (1960) als Erklärung für das belohnende Verhalten von Konsumenten gegenüber Firmen, die sich überdurchschnittlich um das Kundenwohl besorgt zeigen. Nach Morales (2005) ist in länger andauernden Anbieter-Kunden-Beziehungen die Wahrnehmung von Leistungen und Kosten entscheidend. Wenn beispielsweise ein Kundenbetreuer besonders viel Zeit für die Bedienung eines Kunden aufwendet, so steigen die Aufwendungen des Anbieters ebenso wie der Nutzen des Kunden. Hält der Anbieter dabei seine Preise konstant, führt dies aus Kundenperspektive zu einem Ungleichgewicht, da der Kundennutzen den für die Anbieteraufwendungen entrichteten Preis übersteigt. Als Konsequenz fühlt sich der Kunde gegenüber dem Anbieter zu großem Dank verpflichtet. Da dieses Gefühl der Verpflichtung für Individuen unangenehm ist, streben diese eine Rückzahlung an, die sich beispielsweise in einem höheren Kaufvolumen niederschlagen kann.223 Demnach löst das Gefühl der Verpflichtung gegenüber dem Anbieter vorteilhafte Verhaltensreaktionen beim Konsumenten aus, welche die Leistungen des Anbieters honorieren.224 In der vorliegenden Arbeit wird das Gefühl der Verpflichtung gegenüber einem Anbieter als Normatives Commitment konzeptualisiert. Dieses CommitmentKonstrukt definiert sich daher wie folgt: Das Normative Commitment basiert auf der Norm zur Reziprozität gegenüber einem Anbieter. Es beschreibt daher die Beziehung zu einem Anbieter, begründet durch die moralische Verpflichtung, die empfangenen Leistungen in einer für den Anbieter nützlichen Form zurückzugeben.
222 223 224
Vgl. Fournier (1998), S. 344ff. Vgl. Morales (2005), S. 806. Vgl. Goranson/Berkowitz (1966), S. 232.
79 4
Side bet-Theorie und Kalkulatives Commitment
4.1
Grundlagen der Side bet-Theorie
Die Side bet-Theorie geht im Wesentlichen auf die Überlegungen von Becker (1960) zurück, in denen er sogenannte Seitenwetten (side bets) als Ursache für konsistentes Verhalten beschreibt.225 Konsistentes Verhalten ist dabei durch Dauerhaftigkeit gekennzeichnet und richtet sich immer auf ein bestimmtes Bezugsobjekt. Letztlich führt konsistentes Verhalten zur Ablehnung von Handlungsalternativen.226 Der Begriff Seitenwette bezieht sich auf die Kosten, die einem Individuum entstehen, wenn dieses ein bestimmtes Verhalten nicht konsistent fortführt. Becker (1960) veranschaulicht dies anhand einer hypothetischen Verhandlungssituation. In diesem Beispiel bietet ein potenzieller Hauskäufer 16.000 USD, während der Verkäufer des Hauses 20.000 USD verlangt. Gleichzeitig hat der Interessent mit einer dritten Peson gewettet, dass er nicht mehr als sein ursprüngliches Angebot in Höhe von 16.000 USD zahlen wird. Durch diese Seitenwette hat sich der potenzielle Käufer darauf festgelegt, nicht mehr als sein ursprüngliches Angebot zu zahlen, da er sonst die Wette mit der dritten Person verliert. Der Käufer hat demnach durch eine der Verhandlung zeitlich vorgelagerten Aktion einen Wert an das konsistente Fortführen seines ursprünglich geplanten Verhaltens geknüpft. Die Konsequenz eines inkonsistenten Verhaltens, d.h. die Abgabe eines höheren Angebots als 16.000 USD, würde zu einem Verlieren der Seitenwette führen und damit diese Handlungsalternative als unvorteilhaft erscheinen lassen.227 Es lassen sich drei Voraussetzungen identifizieren, die zu dem Aufrechterhalten eines ursprünglichen Verhaltens durch Seitenwetten führen. Erstens muss das Individuum in einer Position sein, in der seine Entscheidung bezüglich einer bestimmten Handlung Konsequenzen für eine andere Handlung nach sich zieht, wobei die Konsequenzen nicht zwangsläufig miteinander verknüpft sind. Zweitens muss sich das Individuum durch frühere Handlungen selbst in diese Position gebracht haben. Drittens muss das
225 226 227
Vgl. Becker (1960), S. 33ff. Vgl. Moser (1996), S. 1. Vgl. Becker (1960), S. 35.
80 Individuum bewusst erkennen, dass es eine Seitenwette eingegangen ist, die zu einem Verlust führt, wenn es sein ursprüngliches Verhalten aufgibt.228 Weiterhin macht Becker (1960) darauf aufmerksam, dass konsistentes Verhalten durch mehrere Seitenwetten gleichzeitig verursacht werden kann.229 Darüber hinaus ist der Wert von Seitenwetten an das persönliche Wertesystem eines Individuums gekoppelt. Becker (1960) bemerkt dazu: „[…] it is important to recognize that many sets of valuable things have value only within subcultural groups in a society and that many side bets […] are made within a system of value of limited provenience.“230 Folglich ist der Wert von Seitenwetten individuell zu bestimmen und kann nicht objektiviert werden. 4.2
Übertragung der Side bet-Theorie auf das Kalkulative Commitment
Die Side bet-Theorie dient sowohl in der Organisationspsychologie231 als auch in der Marketingwissenschaft232 zur Erklärung des auf ökonomischen Vor- und Nachteilen einer Beziehung basierenden Kalkulativen Commitments. Der Ursprung dieser Verknüpfung geht auf Becker (1960) zurück, der die Side bet-Theorie als wesentlichen Erklärungsansatz für die Entstehung des Kalkulativen Commitments sieht.233 Nach Becker (1960) ist die Voraussetzung für die Entstehung des Kalkulativen Commitments eine Seitenwette, deren Wert verloren geht, wenn das mit der Seitenwette verknüpfte Verhalten nicht fortgesetzt wird. Kalkulatives Commitment wiederum beschreibt er als Wahrnehmung des Einflusses dieser Seitenwette auf die Entscheidung zur Fortführung des damit verbundenen Verhaltens. Die Konsequenz des Kalkulativen Commitments sieht er im konsistenten Verhalten. Demzufolge bilden die Konstrukte Seitenwette und Kalkulatives Commitment für ihn die zentralen Bestandteile zur Erklärung der Verhaltenskonsistenz.234 Becker (1960) betont weiterhin, dass Kalkulatives Commitment nicht mit dem konsistenten Verhalten gleichzusetzen ist, sondern dessen Determinante darstellt: „Note that […]
228 229 230 231 232 233 234
Vgl. Becker (1960), S. 35f. Vgl. Becker (1960), S. 38. Becker (1960), S. 39. Vgl. z.B. Cohen/Lowenberg (1990), S. 1016ff.; Shore et al. (2000), S. 429ff. Vgl. z.B. Harrison-Walker (2001), S. 65; Gilliland/Bello (2002), S. 29. Vgl. Becker (1960), S. 36. Vgl. Becker (1960), S. 36.
81 commitment can be specified independent of the consistent activity which is its consequence.“235 Im Marketing ist der Zusammenhang zwischen Seitenwette und Kalkulativem Commitment folgendermaßen begründet. Sobald ein Kunde in eine Beziehung mit einem Anbieter eingetreten ist, kann er grundsätzlich Seitenwetten abgeben. Dwyer, Schurr und Oh (1987) sowie Söllner (1993) argumentieren, dass mit zunehmender Dauer der Beziehung mehr spezifische Investitionen getätigt werden, die bei Abbruch der Beziehung ihren Wert verlieren.236 Diese Investitionen können als Seitenwetten interpretiert werden. Je höher deren Wert ausfällt, desto eher wird die Beziehung aufrechterhalten, um die bereits getätigten Investitionen nicht als versunkene Kosten (sunk costs) verbuchen zu müssen. Die Wahrnehmung des Einflusses der Seitenwette auf die Beziehungsfortführung wird wiederum als Kalkulatives Commitment bezeichnet.237 Von Stenglin (2008) setzt den Wert von Seitenwetten auch mit Wechselkosten gleich.238 In der Marketingliteratur findet sich unter dem Begriff Wechselkosten eine Vielzahl weiterer relevanter Wertbestandteile von Seitenwetten. So können nach Jones, Mothersbaugh und Beatty (2002) Wechselkosten zunächst in Kontinuitätskosten und Lernkosten unterschieden werden (vgl. auch Abschnitt V-3.1.6). Unter Kontinuitätskosten fallen die verlorenen Gewinne aus einer Beziehung, die sich ein Konsument durch eine lang andauernde Beziehung mit dem Anbieter „verdient“ hat. Beispielsweise können dies Vorteile aus Bonusprogrammen oder volumenbasierten Discounts sein. Ebenfalls unter Kontinuitätskosten fallen Unsicherheitskosten, die notwendig waren, um den vormals unbekannten Anbieter kennenzulernen und ihm zu vertrauen. Bei einem Anbieterwechsel würden auch diese Investitionen verloren gehen. Unter den Lernkosten finden sich die Kosten, die für Suche, Bewertung sowie Anpassung an einen Anbieter notwendig sind. Diese Kosten sind Investitionen, die vor dem Beziehungseintritt anfallen und bei einem Beziehungsaustritt ebenfalls verloren sind.239
235 236 237 238 239
Becker (1960), S. 36. Vgl. Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 15ff.; Söllner (1993), S. 109f. Vgl. Zimmer (2000), S. 49. Vgl. von Stenglin (2008), S. 78f. Vgl. Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 442f.
82 Um als Seitenwette wahrgenommen zu werden, ist entscheidend, dass diese Kosten als spezifische Investitionen240 in die Beziehung interpretiert werden. Die Spezifität beschreibt hierbei das Ausmaß, zu dem eine Investition oder ein aus der Beziehung hervorgegangener Vorteil nur in einer bestimmten Austauschbeziehung genutzt wird und nicht auf alternative Beziehungen übertragen werden kann.241 Somit entstehen bei Beendigung einer Anbieterbeziehung für das Individuum grundsätzlich ökonomische Nachteile, deren Wahrnehmung zu konsistenten Verhalten, d.h. dem Beibehalten der ursprünglichen Austauschbeziehung, führen. In der vorliegenden Arbeit wird daher das Kalkulative Commitment wie folgt definiert: Das Kalkulative Commitment basiert auf der Wahrnehmung der ökonomischen Nachteile einer Beziehungsaufgabe. Es beschreibt daher die Beziehung zu einem Anbieter, begründet durch die bei einem Anbieterwechsel entstehenden ökonomischen Nachteile. 5
Soziale Interaktions-Theorie und Kaptives Commitment
5.1
Grundlagen der Sozialen Interaktions-Theorie
Die Soziale Interaktions-Theorie, auch als Soziale Austauschtheorie (Social Exchange Theory) bekannt, geht in ihren Grundlagen auf die Arbeiten von Soziologen wie Homans (1958, 1961) und Blau (1960, 1964) sowie auf die Sozialpsychologen Thibaut und Kelley (1959) zurück. Mittels der Sozialen Interaktions-Theorie können Aussagen darüber getroffen werden, unter welchen Bedingungen Interaktionspartner eine Beziehung fortführen und welche Bedingungen sie zur Abwanderung veranlassen.242 Soziale Interaktionen werden nach dem Prinzip wirtschaftlicher Tauschbeziehungen erklärt.243 Nach Thibaut und Kelley (1959) sind damit zunächst dyadische Austauschbeziehungen gemeint. Im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen werden aber auch komplexere Beziehungen wie soziale Gruppen untersucht.244 Eine Gruppe ist in diesem Kontext dadurch definiert, 240
241 242 243 244
Spezifische Investitionen sind auch als sunk costs in der Transaktionskostentheorie bekannt und bezeichnen Investitionen, die mit Beendigung der Beziehung vollständig oder zumindest teilweise ihren Wert verlieren. Vgl. Williamson (1990), S. 60ff. Vgl. Riordan/Williamson (1985), S. 367. Vgl. Schütze (1992), S. 83f. Vgl. Neuberger (1974), S. 95. Vgl. Thibaut/Kelley (1959), S. 9ff.
83 dass eine Mehrzahl von Personen in direkter Interaktion über eine längere Zeitspanne soziale Austausche vornimmt.245 Grundlage der Sozialen Interaktions-Theorie ist der Ansatz des AnreizBeitrags-Gleichgewichts.246 Dieser beruht auf der Annahme, dass Interaktionspartner ihr Verhalten an konkreten Kosten-Nutzen-Überlegungen ausrichten. Eine Austauschbeziehung wird nur dann aufrechterhalten, wenn das Kosten-Nutzen-Verhältnis positiv und damit die Beziehung als profitabel beurteilt wird.247 Dabei sind Kosten und Nutzen nicht aus einer rein ökonomischen Perspektive zu verstehen, sondern beinhalten auch psychologische Elemente wie Werte, Gefühle und Einstellungen.248 Thibaut und Kelley (1959) postulieren, dass jeder Interaktionspartner über unterschiedliche Verhaltensmöglichkeiten verfügt, die für ihn Nutzen und Kosten und folglich bestimmte Werte repräsentieren. Die Beurteilung der Wertadäquanz in einer Austauschbeziehung erfolgt allerdings nicht objektiv sondern immer über Vergleichsprozesse. Dazu führen die Autoren das Konstrukt „Comparison Level“ (CL) ein.249 Das CL misst dabei Kosten und Nutzen der Beziehung basierend auf den Erfahrungen der Vergangenheit. Je positiver die Erfahrungen, desto höher liegt das CL.250 Das CL dient damit als Vergleichsmaßstab im Sinne eines Standards, anhand dessen der Interaktionspartner die Ergebnisse (E) seiner Beziehung bewertet. Das CL kann allerdings im Laufe der Beziehung variieren. Es verändert sich je nach positiven und negativen Erfahrungen sowie subjektiven Wahrnehmungen.251 Ob ein Interaktionspartner in der Austauschbeziehung verbleibt, lässt sich allerdings anhand der Betrachtung des CL alleine noch nicht ablesen. So kann eine Beziehung auch bei Unzufriedenheit aufrechterhalten werden, wenn keine bzw. keine gleichwertige Alternative zur Verfügung steht. Um Handlungsabsichten vorhersagen zu können, führen Thibaut und Kelley (1959) den „Comparison Level of Alternatives“ (CLAlt) als zweiten Bewertungsmaßstab ein. Das CLAlt steht für das Kosten-Nutzen-Verhältnis mit der besten zur 245 246 247 248 249 250 251
Vgl. Rosenstiel (2003), S. 274. Vgl. Kern (1990), S. 10. Vgl. Homans (1961), S. 10ff. Vgl. Schütze (1992), S. 85. Vgl. Thibaut/Kelley (1959), S. 21. Vgl. Douven (2009), S. 55. Vgl. Thibaut/Kelley (1959), S. 81.
84 Verfügung stehenden Alternativbeziehung. Damit gilt das CLAlt als das niedrigste Niveau der Ergebnisse innerhalb einer bestehenden Austauschbeziehung, das vom Interaktionspartner gerade noch toleriert wird, ohne die Beziehung zu beenden und zur Alternative zu wechseln.252 Je nach Relation von CL, CLAlt und E wird eine Beziehung als mehr oder weniger attraktiv wahrgenommen und die Interaktionspartner sind in der Konsequenz mehr oder weniger voneinander abhängig. Zur Fortführung der Beziehung kommt es, wenn eine der folgenden drei AttraktivitätsAbhängigkeits-Kombinationen vorliegt (vgl. Abbildung IV-2):253 1. Szenario 1 beschreibt eine Beziehung, die attraktiv und unabhängig wahrgenommen wird. Attraktiv erscheint die Beziehung dann, wenn die durchschnittlich erzielten Ergebnisse einer Beziehung über dem CL liegen. Gleichzeitig besteht Unabhängigkeit, wenn das CLAlt über dem CL liegt, da folglich Alternativen existieren, die auch potenzielle Ergebnisse über dem CL versprechen. Die Unabhängigkeit ist dabei umso größer, je geringer der Abstand zwischen E und CLAlt ist. Je weiter die erzielten Ergebnisse das CLAlt jedoch übersteigen, desto höher sind die empfundenen Wechselkosten im Sinne eines Verzichts auf den Nutzen, den die aktuelle Austauschbeziehung realisiert. 2. Szenario 2 zeigt eine attraktive, aber abhängige Beziehung. Liegen die durchschnittlichen erzielten Ergebnisse höher als das CL und liegt das CL über dem CLAlt dann besteht zunächst Zufriedenheit mit der Beziehung. Allerdings liegt auch Abhängigkeit vor, da sich mit den wahrgenommenen adäquaten Alternativen keine über dem CL liegenden Ergebnisse erzielen lassen. 3. Szenario 3 beschreibt eine Situation, in der ein Interaktionspartner unzufrieden mit der Beziehung, gleichzeitig aber auch abhängig von ihr ist. Die Ergebnisse der Beziehung sind niedriger als das CL, die zu erwartenden Ergebnisse von Alternativen CLAlt sind aber noch schlechter einzustufen. Folglich wird eine Beziehung selbst dann fortgeführt, wenn die aktuellen Ergebnisse unter dem CL liegen, jedoch nur, wenn die Alternativen genauso schlecht oder noch schlechter eingestuft werden. In 252 253
Vgl. Thibaut/Kelley (1959), S. 21. Vgl. Thibaut/Kelley (1959), S. 23f.
85 diesem Fall sprechen Thibaut und Kelley (1959) von „nonvoluntary relationships“254. Beziehung
Konstellationen
Szenario 1: attraktiv und unabhängig
-
Szenario 2: attraktiv und abhängig
-
Szenario 3: unattraktiv und abhängig
-
+ CL
CLAlt
CL
E
E
+ CLAlt
+ CLAlt
E
CL
CL = Comparison Level CLAlt = Comparison Level für Alternativen E = Ergebnis einer Beziehung
Abbildung IV-2: Attraktivität und Abhängigkeit in Beziehungen Quelle: In Anlehnung an Herkner (2001), S. 398.
5.2
Übertragung der Sozialen Interaktions-Theorie auf das Kaptive Commitment
Die Soziale Interaktions-Theorie wird im Marketing zur Beantwortung der Frage genutzt, wann Partner eine Beziehung aufgrund eines unvorteilhaften Kosten-Nutzen-Verhältnisses verlassen. Die Soziale Interaktions-Theorie bietet daher neben der Side bet-Theorie auch einen Erklärungsansatz für das Kalkulative Commitment. Darüber hinaus eignet sich die Soziale InteraktionsTheorie aber auch für die Herleitung des Kaptiven Commitments, also der Beibehaltung einer Beziehung aufgrund des wahrgenommenen Gefühls der Abhängigkeit. Grundsätzlich sind im vorliegenden Kontext zwei Konstellationen vorstellbar, bei denen sich ein Konsument von seinem Anbieter abhängig fühlt. Zunächst ist das aus Abschnitt III-5.1 beschriebene Szenario 2 vorstellbar, bei dem der Konsument sich zwar in einer attraktiven, aber abhängigen Beziehung befindet. In diesem Fall liegt das Ergebnis der Beziehung über dem Vergleichswert CL, weswegen die Beziehung attraktiv erscheint. Der 254
Thibaut/Kelley (1959), S. 23f.
86 Vergleichswert für alternative Anbieter CLAlt ist allerdings niedriger einzustufen als der Vergleichswert CL, wodurch der Konsument abhängig vom ursprünglichen Anbieter ist, da es keinen gleich guten oder besseren Anbieter als Alternative gibt. Die Motivation zum Wechsel sollte allerdings aufgrund der attraktiven Beziehung nicht gegeben sein, wodurch der Aspekt der Abhängigkeit zunächst in den Hintergrund tritt. Dennoch kann die Wahrnehmung fehlender adäquater Alternativen das Gefühl des „Gefangenseins“ in der Beziehung oder sogar der „Unfreiwilligkeit“ mit der Anbieterwahl nach sich ziehen. Im Szenario 3 handelt es sich um eine unattraktive und zugleich abhängige Beziehung. Das Ergebnis der Austauschbeziehung wird vom Konsumenten schlechter als der Vergleichswert CL eingestuft, wodurch die Anbieterbeziehung als unattraktiv empfunden wird. Jedoch ist das Ergebnis besser als der Vergleichswert einer adäquaten Alternative CLAlt, weswegen sich keine Alternative für einen Wechsel anbietet. In diesem Fall bleibt der Konsument bei seinem Anbieter, obwohl es sich um eine unattraktive Beziehung handelt. Das Gefühl der Abhängigkeit dominiert hier die Wahrnehmung des Konsumenten. Das in der vorliegenden Arbeit verwendete Kaptive Commitment bezieht sich grundsätzlich auf die beiden letztgenannten Szenarien, in denen eine Abhängigkeit vom betrachteten Anbieter besteht. Das Konstrukt wird daher wie folgt definiert: Das Kaptive Commitment beruht auf einer wahrgenommenen Abhängigkeit von einem Anbieter. Es beschreibt daher eine „unfreiwillige“ Beziehung zu einem Anbieter, die mehr aus einer Notwendigkeit als aus einer freien Entscheidung resultiert. 6
Zusammenfassung und Konsequenz für das weitere Vorgehen
In den vorangegangenen Abschnitten wurden vier einstellungsorientierte Commitment-Konstrukte auf Basis von vier unterschiedlichen Theorien konzeptualisiert. Jedes dieser Commitment-Konstrukte bildet dabei einen spezifischen Beweggrund ab, warum ein Kunde seine Anbieterbeziehung aufrechterhält. Das Spektrum der Beweggründe ist dabei vielfältig. So wird zunächst zwischen dem Affektiven Commitment, das eine emotional begründete
87 Beziehung auf Basis der sozialen Identifikation mit einem Anbieter beschreibt, und dem Normativen Commitment, das auf der moralischen Verpflichtung gegenüber einem Anbieter beruht, unterschieden. Weiterhin existieren das Kalkulative Commitment, das eine Beziehung auf Basis eines KostenNutzen-Verhältnisses darstellt, und das Kaptive Commitment, das auf einer „unfreiwilligen“, abhängigen Beziehung gründet. Die vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte unterscheiden sich inhaltlich auch in der Freiwilligkeit, mit der eine Beziehung aufrechterhalten wird. Während das Affektive Commitment eine völlig freiwillige Bindungsform beschreibt, beinhalten das Normative Commitment und das Kalkulative Commitment bereits Zwänge, in der Anbieterbeziehung zu verbleiben. Beim Normativen Commitment verursacht die moralische Norm, eine empfangene Leistung wieder zurückgeben zu wollen, die Verpflichtung zur Beziehungsaufrechterhaltung. Beim Kalkulativen Commitment führen ökonomische Kosten-Nutzen-Abwägungen dazu, dass die Beziehung aus rationaler Sicht nicht aufgegeben werden sollte. Das Kaptive Commitment verkörpert schließlich das „Gefangensein“ in einer Beziehung, die beispielsweise aus der Wahrnehmung mangelnder Alternativen resultiert. Die Fortführung der Beziehung fußt in diesem Fall nicht auf einer freien Entscheidung. Die Notwendigkeit einer multipartialen Commitment-Betrachtung in Form von vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten geht auf Überlegungen der Organisationspsychologen Mowday, Porter und Steers (1982) zurück, die bereits früh die unterschiedlichen Bedeutungsinhalte von Commitment erkannt haben. Die Betrachtung von Commitment als ein einzelnes Konstrukt ist zudem problematisch, werden empirische Befunde herangezogen, die nicht nur das Vorhandensein mehrer inhaltlicher Ausprägungen von Commitment, sondern auch unterschiedliche Wirkungen dieser Konstrukte auf das Verhalten belegen. So können in der Organisationspsychologie Meyer und Herscovitch (2001) unterschiedliche Einflussstärken einzelner Commitment-Konstrukte auf Verhaltensvariablen nachweisen.255 Es ist folglich davon auszugehen, dass auch die in dieser Arbeit im Fokus stehenden Commitment-Konstrukte nicht nur unterschiedlich entstehen, 255
Vgl. Meyer/Herscovitch (2001), S. 310ff.
88 sondern auch unterschiedliche Erfolgswirkungen aufweisen. Zur Überprüfung dieser Annahme wird im weiteren Verlauf der Arbeit ein komplexes Hypothesensystem zu den Determinanten und den Erfolgswirkungen dieser Commitment-Konstrukte aufgestellt und auf Signifikanz getestet.
89
V
Konzeption eines Untersuchungsmodells zu den Determinanten und Erfolgswirkungen von Commitment
1
Vorüberlegungen zum Untersuchungsmodell
Im vorangegangen Kapitel IV wurde auf Basis mehrerer Theorien das Affektive, Normative, Kalkulative und Kaptive Commitment konzeptualisiert. Das Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, ein hypothetisches Untersuchungsmodell zu entwickeln, das die Steuerung des Beziehungserfolgs anhand einer multipartialen Commitment-Betrachtung in Form dieser vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte beschreibt. Dazu wird zunächst der Einfluss ausgewählter Determinanten auf die einzelnen Commitment-Konstrukte modelliert, die wiederum den Beziehungserfolg in Form ausgewählter Verhaltensabsichten beeinflussen sollen (vgl. Abschnitt V-3; Forschungsziel III). Um darüber hinaus die unterstellte Konsumentenheterogenität zu berücksichtigen und zielgruppenspezifische Steuerungsmöglichkeiten aufzudecken (Forschungsziel IV), werden zudem Variablen ausgewählt, die später zur Segmentbeschreibung herangezogen werden (vgl. Abschnitt V-4). Das zu entwickelnde Untersuchungsmodell wird hierzu auf den Dienstleistungskontext ausgerichtet. In der Forschung hat sich die Analyse der Commitment-Kausalitäten mit Kunden von Friseurstudios (personenorientierte Dienstleistungen) und Kunden von Autowerkstätten (produktorientierte Dienstleistungen) bewährt.256 Daher werden diese beiden Dienstleistungsbranchen exemplarisch auch für die vorliegende Untersuchung verwendet. In einer ersten Studie (vgl. Abschnitt V-2) wird zunächst die Eignung der vier Commitment-Konstrukte für die beiden Untersuchungsbranchen mittels strukturierter Einzelinterviews mit Konsumenten (n=22) geprüft. Dies erscheint notwendig, da bisher nur einzelne Commitment-Konstrukte in beiden Untersuchungsbranchen eingesetzt wurden. In einem explorativen Teil der Interviews werden außerdem mögliche Einflussfaktoren der vier CommitmentKonstrukte abgefragt. Dies dient neben den Erkenntnissen der vorhandenen
256
Vgl. Harrison-Walker (2001); Bansal/Irving/Taylor (2004).
90 Literatur der Auswahl relevanter Determinanten für die CommitmentKonstrukte. Der Aufbau des Untersuchungsmodells bildet die Wirkungskette (1) Determinanten, (2) einstellungsorientierte Commitment-Konstrukte und (3) Verhaltensabsichten ab und kann somit in drei Ebenen gegliedert werden: x Die erste Stufe stellt die Determinantenebene dar. Diese Ebene beinhaltet unabhängige Variablen, die es ermöglichen, über eine Beeinflussung der Commitment-Konstrukte gezielt den Beziehungserfolg zu steuern. Für jedes der Commitment-Konstrukte werden charakteristische Determinanten eingesetzt. Die Auswahl der unabhängigen Variablen erfolgt im Wesentlichen auf Basis der Erkenntnisse aus den exploratorischen Tiefeninterviews (vgl. Abschnitt V-2). x Die zweite Ebene des Untersuchungsmodells ist die Commitmentebene, in welche die einzelnen einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte (Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kaptives Commitment) eingebunden sind (vgl. Abschnitt IV). An dieser Position des Untersuchungsmodells mediieren die Commitment-Konstrukte den Zusammenhang zwischen unabhängigen und kundenbeziehungsbezogenen Verhaltensvariablen. Die mediierende Rolle des Commitments in der Kundenbeziehungsforschung gilt als bestätigt und wird daher auch für diese Arbeit übernommen.257 x Auf der dritten Ebene (Erfolgsebene) finden sich schließlich die Kundenwertkomponenten wieder, die durch die Commitment-Konstrukte beeinflusst werden. Im Modell werden die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums und die Bereitschaft zur Koproduktion berücksichtigt. Diese Auswahl an verfügbaren Kundenwertkomponenten (vgl. Abschnitt II-1.2) begründet sich durch deren Bedeutung für den Kundenwert. Nach Zeithaml (2000) wird der Kundenwert bei Dienstleistungsanbietern hauptsächlich durch Kostensenkungen bei der Kundenbedienung und der Möglichkeit zur Durchsetzung eines Preispremiums beeinflusst.258 Die Möglichkeit zur Durchsetzung eines Preispremiums wird von Zeithaml, Berry und Parasuraman (1996) als ein dominanter Faktor zur Steigerung von 257 258
Vgl. Palmatier et al. (2006), S. 136f. Vgl. Zeithaml (2000), S. 73ff.
91 Umsatzerlösen und Unternehmensgewinnen gesehen.259 Die Reduktion kundenspezifischer Kosten kann dagegen durch die Integration der Kunden in den Erstellungsprozess der Dienstleistung erreicht werden.260 Um den Beziehungserfolg im Untersuchungskontext der vorliegenden Arbeit adäquat zu erfassen, werden daher die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (Erlöskomponente) als Bestandteil des Loyalitätswerts und die Bereitschaft zur Koproduktion (Kostenkomponente) als Kooperationswert verwendet. Die Auswahl dieser beiden Kundenwertkomponenten stützt sich zudem auf die Erkenntnisse des Literaturüberblicks (vgl. Abschnitt III-3). Demnach sind die Wirkungen der vier interessierenden Commitment-Konstrukte auf diese Erfolgsgrößen weitestgehend unerforscht. So findet im B2C-Kontext lediglich Fullerton (2003) einen positiven Effekt des Affektiven Commitments auf die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums, während Auh et al. (2007) einen positiven Effekt auf die Bereitschaft zur Koproduktion feststellen.261 Zusammenfassend dient das skizzierte dreistufige Untersuchungsmodell dazu, die vier Commitment-Konstrukte in ein Wirkungsgefüge aus unabhängigen Variablen und Erfolgsgrößen einzubetten. Dadurch soll die Prüfung der grundlegenden Annahme ermöglicht werden, dass die betrachteten Commitment-Konstrukte nicht nur unterschiedlich entstehen, sondern auch einen divergierenden Einfluss auf den Beziehungserfolg haben. Dazu werden nun im weiteren Verlauf des vorliegenden Kapitels die Wirkungszusammenhänge des Untersuchungsmodells theoretisch fundiert und konkretisiert (vgl. Abbildung V-1).
259 260 261
Vgl. Zeithaml/Berry/Parasuraman (1996), S. 31. Vgl. Vargo/Lusch (2004), S. 10f. Vgl. Fullerton (2003), S. 340; Auh et al. (2007), S. 366.
92
Exploratorische Tiefeninterviews (Studie 1) Eignungsprüfung der Commitment-Konstrukte für die Untersuchungsbranchen Abfrage von spezifischen Einflussfaktoren für die CommitmentKonstrukte
Abschnitt V-2
Hypothesenherleitung Determinanten der Commitment-Konstrukte Definition der Konstrukte Theoriebasierte Hypothesenherleitung
Abschnitt V-3.1
Erfolgswirkungen der Commitment-Konstrukte Definition der Konstrukte Theoriebasierte Hypothesenherleitung
Abschnitt V-3.2
Berücksichtigung von Konsumentenheterogenität Definition und Darstellung der Relevanz der Konsumentenheterogenität Auswahl von beschreibenden Segmentvariablen
Abschnitt V-4
Abbildung V-1: Vorgehen zur Konzeption des Untersuchungsmodells 2
Exploratorische Tiefeninterviews mit Konsumenten (Studie 1)
Mit der qualitativen Vorstudie werden mehrere Zielsetzungen verfolgt. Zunächst wird die Eignung der vier Commitment-Konstrukte (Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kaptives Commitment) für die beiden Untersuchungsbranchen personenorientierte Dienstleistungen (Friseurstudios) und produktorientierte Dienstleistungen (Autowerkstätten) überprüft. Im Anschluss werden Einflussfaktoren für die Entstehung der CommitmentKonstrukte abgefragt, die der Auswahl der unabhängigen Variablen des Untersuchungsmodells dienen. Hierfür werden Tiefeninterviews angewendet. Das Tiefeninterview kann nach Salcher (1995) definiert werden als „[…] ein langes und intensives Gespräch zwischen Interviewer und Befragtem über vorgegebene Themen, das der Interviewer in weitestgehend eigener Regie so zu steuern versucht, dass er möglichst alle relevanten Einstellungen und Meinungen der befragten Person zu diesem Thema erfährt, auch wenn es sich um Aspekte handelt, die der befragten Person bis zu diesem Zeitpunkt selbst
93 nicht klar bewusst waren.“262 Die Befragungsmethodik Tiefeninterview eignet sich besonders, um Motive, Einstellungen, Denkmuster, Argumentationsketten sowie Empfindungs- und Verhaltensweisen der Probanden zu erforschen. Folglich lassen sich komplexe psychische Zusammenhänge gut dadurch abbilden.263 Für die operative Durchführung und Auswertung der Tiefeninterviews wird den Empfehlungen der einschlägigen Literatur gefolgt.264 Die Tiefeninterviews wurden im Mai 2009 mit insgesamt 22 Personen durchgeführt, die sich gleichmäßig auf die beiden Untersuchungsgruppen Friseur- und Werkstattkunden aufteilten. Die durchschnittliche Interviewzeit lag bei 21 Minuten. Der zugrunde liegende Interviewleitfaden zeichnet sich durch den Einsatz von zwei Befragungsvarianten aus. Zum einen enthält er Bewertungsfragen mit vorgegebenen Antwortskalen, die dem Interviewer nur wenige Freiheitsgrade in der Befragung geben, zum anderen sind offene Fragen vorhanden, die wiederum einen Dialog mit dem Befragten ermöglichen. Zunächst wurde den Probanden die inhaltliche Bedeutung der vier Commitment-Konstrukte im Sinne von spezifischen Beweggründen für die Fortführung einer Kundenbeziehung ausführlich erklärt. Im Anschluss erfolgte eine Szenariobeschreibung, durch die sich die Probanden in die Lage eines Kunden einer Autowerkstatt oder eines Friseurstudios hineinversetzen sollten. Daraufhin wurde um eine Einschätzung gebeten, ob die jeweiligen Beweggründe zur Beziehungsfortführung als realistisch in dem jeweiligen Branchenkontext anzusehen sind (Likertskala mit 1=sehr unrealistisch bis 7=sehr realistisch). In der Untersuchungsgruppe mit Friseurkunden erhielt das Normative Commitment (3,7) die niedrigste und das Kalkulative Commitment (5,9) die höchste gemittelte Einstufung. Für die Werkstattgruppe wurde das Kaptive Commitment (3,2) am niedrigsten und das Kalkulative Commitment (5,0) am höchsten eingestuft. Zwar stellen das Normative Commitment für Friseurkunden und das Kaptive Commitment für Werkstattkunden die Beweggründe mit den jeweils niedrigsten durchschnittlichen Eignungswerten dar, allerdings finden sich in beiden Kundengruppen auch Probanden, die diesen Beweggründen eine hohe Relevanz bescheinigen. Zusammenfassend 262 263 264
Salcher (1995), S. 34. Vgl. Kepper (1996), S. 158; Kuß (2007), S. 127f. Vgl. Lamnek (2005), S. 402ff.; Bortz/Döring (2006), S. 310f.; Kepper (2008), S. 180; Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2009), S. 90; Mayer (2009), S. 47ff.
94 lässt sich daher festhalten, dass alle betrachteten Beweggründe für eine Beziehungsfortführung in beiden Branchen als ausreichend realistisch eingeschätzt wurden. Im zweiten Hauptteil der Befragung wurden die Probanden ungestützt zu den aus ihrer Sicht maßgeblichen Einflussfaktoren für die Entstehung der vier Commitment-Konstrukte befragt. Tabelle V-1 stellt die genannten Einflussfaktoren im Überblick dar. Commitment-Konstrukt Affektives Commitment
Determinanten aus Konsumentensicht1 x x x x
Reputation des Anbieters Zufriedenheit mit dem Anbieter Vertrauen in den Anbieter Qualität der Dienstleistungen und Produkte
Normatives Commitment
x x x
Bevorzugte Behandlung durch das Personal Freundschaftliches Verhältnis zum Besitzer des Anbieters Sonderangebote des Anbieters
Kalkulatives Commitment
x x
Preis-Leistungs-Verhältnis des Anbieters Bevorzugte Behandlung durch das Personal
x Mangel an Alternativen zum Anbieter x Wechselkosten x Freundschaftliches Verhältnis zum Besitzer des Anbieters Aufgelistet sind nur Einflussfaktoren mit zwei oder mehr Nennungen
Kaptives Commitment
1
Tabelle V-1: Determinanten der vier Commitment-Konstrukte aus Konsumentensicht (n=22) Anhand der aus den Tiefeninterviews gewonnenen Erkenntnisse wird im Folgenden eine Auswahl an anbieter- und wettbewerbsbezogenen Determinanten für die vier Commitment-Konstrukte getroffen: x Hinsichtlich des Affektiven Commitments werden die in den Interviews genannten Variablen Reputation des Anbieters und Vertrauen in den Anbieter als Determinanten im Untersuchungsmodell verwendet. Die in den Interviews geäußerten Einflussfaktoren Zufriedenheit mit dem Anbieter sowie Qualität der Dienstleistungen und Produkte werden nicht in das Untersuchungsmodell übernommen. Hierzu zeigen Studien, dass sowohl Zufriedenheit265 als auch Qualität266 Determinanten des Konstrukts Vertrauen sind, das bereits im Modell berücksichtigt wird.
265 266
Vgl. z.B. Garbarino/Johnson (1999), S. 80. Vgl. z.B. Aydin/Özer (2005), S. 920.
95 x Als eine Determinante des Normativen Commitments wird die bevorzugte Behandlung aus den Tiefeninterviews übernommen. Die Berücksichtigung des Einflussfaktors freundschaftliches Verhältnis zum Besitzer des Anbieters erscheint nicht sinnvoll, da dies keine explizite steuerbare Variable aus Anbieter- oder Wettbewerbssicht darstellt. Die Wahrnehmung von Sonderangeboten kann dagegen als wahrgenommene Intensität des Direktmarketings interpretiert werden, da gerade in der Bekanntmachung von Sonderangeboten der Hauptzweck des Direktmarketings liegt.267 Das Direktmarketing ist daher zweckmäßig, um die Wahrnehmung von Sonderangeboten beim Kunden zu stärken und wird somit als Determinante in das Untersuchungsmodell aufgenommen. x Für das Kalkulative Commitment wird von den Probanden ebenfalls die bevorzugte Behandlung als Einflussfaktor genannt und daher in das Untersuchungsmodell übernommen. Ein weiterer genannter Einflussfaktor ist das Preis-Leistungs-Verhältnis des Anbieters. Da eine solche Beurteilung meist im Vergleich mit dem Wettbewerb erfolgt,268 kann diese Variable durch die Determinante Attraktivität alternativer Anbieter mit abgedeckt werden. Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis steht, ist die Kenntnis von günstigen Angeboten des Anbieters. Da das Direktmarketing die Wahrnehmung von Sonderangeboten stärkt,269 wird dieses ebenfalls als unabhängige Variable des Kalkulativen Commitments übernommen. x Sowohl die Wechselkosten als auch der Mangel an alternativen Konkurrenzanbietern werden von den Probanden als Einflussfaktoren des Kaptiven Commitments beschrieben und folglich als Determinanten berücksichtigt. Kein Eingang in das Untersuchungsmodell findet dagegen der Einflussfaktor des freundschaftlichen Verhältnisses zum Besitzer des Anbieters. Bei dieser Variable muss, wie bereits in Bezug auf das Normative Commitment, von einer geringen Relevanz hinsichtlich ihrer Steuerbarkeit ausgegangen werden.
267 268 269
Vgl. Diepen/Donkers/Franses (2009), S. 120f. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 241; von Stenglin (2008), S. 84f. Vgl. Diepen/Donkers/Franses (2009), S. 120f.
96 Neben den aus den Tiefeninterviews gewonnenen Determinanten werden auf Grundlage der Erkenntnisse aus der Literatur zwei weitere Variablen ausgewählt. So wird in einer Studie von Bauer et al. (2008) die Präsenz der Anbietermarke als markenbezogene Determinante des Affektiven Commitments diskutiert.270 Weiterhin können die Kosten eines Anbieterwechsels als Einflussfaktor des Kalkulativen Commitments theoretisch begründet werden.271 Zur Prüfung dieser Annahmen werden beide Variablen zusätzlich in das Modell aufgenommen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass aus Sicht der Befragten alle vier Commitment-Konstrukte jeweils für beide Untersuchungsbranchen einen ausreichend realistischen Beweggrund für die Fortführung einer Kundenbeziehung darstellen. Weiterhin wurden sechs anbieterbezogene und zwei wettbewerbsbezogene unabhängige Variablen für das Untersuchungsmodell ausgewählt. Tabelle V-2 stellt diese im Überblick dar. Commitment-Konstrukt Affektives Commitment
Determinanten x x x
Reputation des Anbieters (AV) Markenpräsenz (AV) Vertrauen in den Anbieter (AV)
Normatives Commitment
x x
Bevorzugte Behandlung (AV) Direktmarketing (AV)
Kalkulatives Commitment
x x x x
Attraktivität von Alternativen (WV) Bevorzugte Behandlung (AV) Direktmarketing (AV) Wechselkosten (AV)
x Mangel an Alternativen (WV) x Wechselkosten (AV) AV: anbieterbezogene Variable WV: wettbewerbsbezogene Variable Kaptives Commitment
Tabelle V-2: Determinantenauswahl der vier Commitment-Konstrukte für das Untersuchungsmodell
270 271
Vgl. Bauer/Bryant/Hammerschmidt/Timm (2008). Vgl. von Stenglin (2008), S. 87f.
97 3
Hypothesen des Untersuchungsmodells
3.1
Determinanten
3.1.1
Reputation
Die Reputation eines Unternehmens ist ein zentrales Konzept, mit dessen Hilfe untersucht werden kann, wie Individuen ein Unternehmen wahrnehmen und sich ihm gegenüber verhalten.272 Forschungsergebnisse im Marketing zeigen, dass eine hohe Anbieterreputation sowohl das Vertrauen273 als auch die Kaufabsicht274 positiv beeinflussen kann. Die Reputation eines Anbieters reflektiert Wahrnehmungen, die zum einen auf persönlichen Informationen Dritter beruhen, die in der Vergangenheit Erfahrungen mit dem Anbieter gemacht haben,275 und zum anderen aus Informationen resultieren, die über öffentliche Medien zugänglich sind.276 Die Reputation entwickelt sich somit in einem sozialen System im Sinne eines Netzwerkeffekts277 und entsteht folglich nicht aufgrund direkter Erfahrungen eines Individuums mit einem Bezugsobjekt, sondern bildet sich durch öffentlich verfügbare Informationen.278 Entsprechend diesen Überlegungen wird der Reputation folgendes Begriffsverständnis zugrunde gelegt: Reputation stellt den guten Ruf eines Anbieters dar, der aus sozial vermittelten Einstellungen Dritter gegenüber selbigem resultiert. Aus Unternehmenssicht ist der Aufbau von Reputation ein langfristiger Prozess, da hierzu viele Elemente eines sozialen Systems mit einbezogen werden müssen.279 Diese Anbietervariable ist daher als langfristig beeinflussbar (strategisch) einzustufen. Anhand der Sozialen Identitäts-Theorie kann ein kausaler Zusammenhang zwischen der Reputation eines Anbieters und dem Affektiven Commitment 272 273
274 275 276 277 278
279
Vgl. Brown et al. (2006), S. 104. Vgl. Ganesan (1994), S. 11; Doney/Cannon (1997), S. 45; Johnson/Grayson (2005), S. 505. Vgl. Yoon/Guffey/Kijewski (1993). Vgl. Ripperger (2003), S. 183. Vgl. Brown et al. (2006), S. 105. Vgl. Granovetter (1985), S. 490. Vgl. Smith/Barclay (1997), S. 10; Einwiller (2003), S. 198; Einwiller/Herrmann/Ingenhoff (2005), S. 27. Vgl. Granovetter (1985), S. 490.
98 gegenüber diesem hergeleitet werden (vgl. Abschnitt IV-2). Zunächst besagt die Soziale Identitäts-Theorie, dass sich Individuen über ihre Mitgliedschaft in den Gruppen identifizieren, die sich positiv gegenüber anderen Gruppen abgrenzen. Muniz und O'Guinn (2001) erläutern im Rahmen ihrer Brand Community-Forschung, dass Konsumenten von Marken mit hoher öffentlich wahrgenommener Reputation dazu neigen, sich zu einer markenbezogenen Gruppe (Brand Community) zusammen zu schließen. Eine solche Gruppe zeichnet sich vor allem durch eine positive Selbstwahrnehmung aus.280 Somit besteht für diese Kundengruppe eine positive Distinktheit gegenüber anderen Kundengruppen. Die Gruppenmitglieder nutzen dies in Folge dazu, aus der Gruppenzugehörigkeit ihre soziale Identität abzuleiten. Weiterhin belegt eine Untersuchung von Büttner et al. (2008), dass sich die soziale Identifikation mit der Kundengruppe eines Anbieters positiv auf das Affektive Commitment gegenüber diesem auswirkt.281 Auf dieser Basis kann die folgende Hypothese formuliert werden: H 1:
Je positiver die Reputation eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter.
3.1.2
Markenpräsenz
Das Konstrukt Markenpräsenz lehnt sich an die Wahrnehmungskomponente der Markenwert-Konzepte von Aaker (1991) und Keller (1998) an. Forschungsergebnisse zeigen, dass Marken, die leicht und häufig wahrgenommen werden, generell einen höheren Markenwert aufweisen.282 Nach Aaker (1991) ist die Markenwahrnehmung die Fähigkeit von Individuen, eine Marke wiederzuerkennen oder sich an sie zu erinnern.283 Keller (1998) erweitert dieses Verständnis und charakterisiert die Markenwahrnehmung zum einen mit der Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum die Marke wiedererkennt oder sich an sie erinnert, und zum anderen mit der Anzahl an Kaufund Konsumsituationen, in denen ein Individuum bewusst an die Marke denkt.284 Das in der vorliegenden Arbeit betrachtete Konstrukt Markenpräsenz bezieht sich auf dieses letztere Verständnis. Da in der Arbeit allerdings 280 281 282 283 284
Vgl. Muniz/O'Guinn (2001), S. 415. Vgl. Büttner et al. (2008), S. 94ff. Vgl. Yoo/Donthu/Lee (2000), S. 205. Vgl. Aaker (1991), S. 61. Vgl. Keller (1998), S. 50.
99 personen- und produktorientierte Dienstleistungen untersucht werden und der Konsum dieser Dienstleistungen nur am Ort ihrer Entstehung erfolgen kann, ist die Markenpräsenz hier auf den Ort der Dienstleistungserstellung beschränkt. Auf Basis dieser Überlegungen wird das Konstrukt wie folgt definiert: Die Markenpräsenz bezeichnet die Sichtbarkeit der Anbietermarke am Ort der Dienstleistungserstellung. Da sich die Markenpräsenz durch den Einsatz von markencharakteristischen visuellen Elementen (z.B. Logos, Symbole, Schriftzüge, Ladengestaltung etc.) vergleichsweise schnell steuern lässt,285 wird diese Anbietervariable als kurzfristig beeinflussbar (instrumentell) eingestuft. Anhand der Sozialen Identitäts-Theorie, nach der Individuen ihre soziale Identität aus der Mitgliedschaft in Gruppen mit positiver Distinktheit ableiten (vgl. Abschnitt IV-2), lässt sich ein positiver Effekt der Markenpräsenz auf das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter begründen. Es ist eine plausible Annahme, dass bei starker Präsenz der Anbietermarke, diese öfter wahrgenommen wird. Auf Basis des Mere Exposure-Effekts ist als Folge der häufigen Wahrnehmung der Marke auch eine positivere Markeneinstellung zu erwarten.286 Aus der Brand Community-Forschung von Muniz und O'Guinn (2001) ist bekannt, dass neben einer starken öffentlich wahrgenommenen Reputation auch eine positive Markeneinstellung des Konsumenten einen Einfluss darauf hat, dass sich Konsumenten zu Brand Communities mit positiver Selbstwahrnehmung zusammenschließen.287 Laut der Sozialen Identitäts-Theorie entsteht dadurch eine positive Distinktheit gegenüber anderen Kundengruppen, infolge derer die Gruppenmitglieder ihre soziale Identität bilden. Gemäß dem Untersuchungsergebnis von Büttner et al. (2008), nach der sich die soziale Identifikation mit der Kundengruppe eines Anbieters positiv auf das Affektive Commitment diesem gegenüber auswirkt (vgl. Abschnitt IV-2),288 kann die folgende Hypothese formuliert werden: H 2:
285 286 287 288
Je stärker die Markenpräsenz eines Anbieters, desto höher ist das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter.
Vgl. Keller (1998), S. 51. Vgl. Zajonc (1980); Yoo/Donthu/Lee (2000), S. 205. Vgl. Muniz/O'Guinn (2001), S. 415. Vgl. Büttner et al. (2008), S. 94ff.
100 3.1.3
Vertrauen
Vertrauen ist ein zentrales Konzept im Kundenbeziehungsmanagement.289 Forschungsbefunde zeigen, dass Vertrauen unter den identifizierten Commitment-Konstrukten hauptsächlich das Affektive Commitment gegenüber einem Unternehmen sowohl im B2C-290 als auch im B2B-Kontext291 positiv beeinflusst. Grundsätzlich kann sich Vertrauen sowohl gegenüber Personen als auch gegenüber Unternehmen entwickeln.292 Es wächst inkrementell über die Zeit und basiert auf einem Prozess des Sammelns von Informationen.293 Diese Informationen werden hauptsächlich durch direkte Interaktionen mit dem jeweiligen Partner gewonnen.294 Nach Fang et al. (2008) bezieht sich Vertrauen auf die Erwartung, dass der Partner verlässlich ist, zukünftig seine Verpflichtungen erfüllt sowie sich integer und gutmütig verhält.295 Entsprechend diesem Begriffsverständnis wird Vertrauen für die vorliegende Arbeit wie folgt definiert: Vertrauen ist die Erwartung eines Konsumenten, dass ein Anbieter zukünftig verlässlich, ehrlich und glaubwürdig am Markt auftritt. Da der Aufbau von Vertrauen nur durch wiederholte Interaktionen der Beziehungspartner möglich ist,296 wird das Vertrauen als eine langfristig beeinflussbare (strategische) Anbietervariable kategorisiert. Der mehrfach nachgewiesene positive Einfluss von Vertrauen auf das Affektive Commitment297 kann auf Basis der Sozialen Identitäts-Theorie begründet werden (vgl. Abschnitt IV-2). Hiernach entspricht das Affektive Commitment gegenüber einem Anbieter der emotionalen Dimension der sozialen Identifikation mit diesem. Sobald das Bezugsobjekt der sozialen Identität aber der Anbieter darstellt, ist die Identität vom zukünftigen Verhalten des Anbieters abhängig und folglich „verwundbar“. Garbarino und Johnson
289 290 291
292 293 294 295 296 297
Vgl. Palmatier et al. (2006), S. 136; Neumann (2007), S. 189ff. Vgl. Garbarino/Johnson (1999); Bansal/ Irving/Taylor (2004). Vgl. Moorman/Zaltman/Deshpandé (1992); Geyskens et al. (1996); Grayson/Ambler (1999); Palmatier/Dant/Grewal (2007). Vgl. Doney/Cannon (1997), S. 35. Vgl. Jones/George (1998), S. 536; Grayson/Johnson/Chen (2008), S. 242. Vgl. Grayson/Johnson/Chen (2008), S. 242. Vgl. Fang et al. (2008), S. 80. Vgl. Jones/George (1998), S. 536; Grayson/Johnson/Chen (2008), S. 242. Vgl. z.B. Garbarino/Johnson (1999); Bansal/Irving/Taylor (2004).
101 (1999) argumentieren daher, dass Vertrauen in das zukünftige Verhalten des Anbieters bestehen muss, damit Konsumenten Affektives Commitment entwickeln.298 Vertrauen gilt aus den gleichen Gründen auch in der Organisationspsychologie als Determinante des Affektiven Commitments.299 Es gilt: H 3:
Je stärker das Vertrauen in einen Anbieter, desto höher ist das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter.
3.1.4
Bevorzugte Behandlung
Die bevorzugte Behandlung ist Bestandteil des Relational BenefitsAnsatzes300 und wird überwiegend im Kundenbeziehungsmanagement angewendet.301 Gwinner, Gremler und Bitner (1998) können eine hohe Korrelation der bevorzugten Behandlung mit der Weiterempfehlungs- und Wiederkaufsabsicht sowie der Zufriedenheit nachweisen.302 Nach Gwinner, Gremler und Bitner (1998) ist die bevorzugte Behandlung nur ausgewählten Kunden vorbehalten und besteht aus zwei Nutzenarten. Zum einen lässt sich ein ökonomischer Nutzen durch günstigere Preise oder schnellere Dienstleistungen, zum anderen ein Individualisierungsnutzen durch zusätzliche auf den Kunden angepasste Dienstleistungen realisieren.303 In der Literatur wird allerdings kritisch angemerkt, dass der ökonomische Nutzen durch günstigere Preise keinen Wettbewerbsvorteil darstellt und von Konkurrenzanbietern leicht imitiert werden kann.304 Aus diesem Grund wird dieser für die vorliegende Arbeit nicht als Bestandteil der bevorzugten Behandlung gesehen. Somit ergibt sich die folgende Definition: Die bevorzugte Behandlung beschreibt vergleichsweise schnell ausgeführte und auf den Kunden angepasste zusätzliche Dienstleistungen, die nur ausgewählten Kunden angeboten werden. Da die bevorzugte Behandlung Dienstleistungen beschreibt, die ausgewählten Kunden unmittelbar ohne längere Vorbereitungen durch das Unternehmen 298 299 300 301 302 303 304
Vgl. Garbarino/Johnson (1999), S. 73. Vgl. Meyer et al. (2002), S. 19. Vgl. Gwinner/Gremler/Bitner (1998); Reynolds/Beatty (1999). Vgl. Morgan/Crutchfield/Lacey (2000). Vgl. Gwinner/Gremler/Bitner (1998), S. 109. Vgl. Gwinner/Gremler/Bitner (1998), S. 108. Vgl. Berry (1995), S. 240; Hennig-Thurau/Gwinner/Gremler (2002), S. 243.
102 angeboten werden können (z.B. Bonusprogramme),305 wird diese Anbietervariable als kurzfristig beeinflussbar (instrumentell) eingestuft. Mit der Reziprozitäts-Theorie kann ein positiver Einfluss der bevorzugten Behandlung auf das Normative Commitment erklärt werden (vgl. Abschnitt IV-3). De Wulf, Odekerken-Schröder und Iacobucci (2001) zeigen, dass Konsumenten die bevorzugte Behandlung als Investment des Anbieters in die Beziehung wahrnehmen.306 Peterson (1995) argumentiert, dass eine solche Behandlung als außergewöhnlich angesehen wird, da sie nur ausgewählten Kunden zuteil wird.307 Nach Reynolds und Beatty (1999) würdigen Kunden den von einem Anbieter empfangenen Nutzen.308 Auf Basis der Reziprozitätsnorm fühlt sich der Konsument dazu verpflichtet, die empfangenen und als außergewöhnlich empfundenen Leistungen zu honorieren. In Folge sollte es zu einer moralisch begründeten Aufrechterhaltung der Beziehung in Form des Normativen Commitments kommen. Daher kann folgende Hypothese formuliert werden: H 4:
Je ausgeprägter die bevorzugte Behandlung eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Normative Commitment gegenüber diesem Anbieter.
Weiterhin kann auf Basis der Side bet-Theorie ein positiver Effekt der bevorzugten Behandlung auf das Kalkulative Commitment begründet werden (vgl. Abschnitt IV-4). Die bevorzugte Behandlung beinhaltet einen Nutzengewinn für einen ausgewählten Kundenkreis. Für gewöhnlich sind dies Kunden mit einer langen Beziehungsdauer oder hohen Umsätzen.309 Insofern haben diese Kunden sich die bevorzugte Behandlung „erarbeitet“ und riskieren bei einem Anbieterwechsel deren Verlust. Die lange Beziehungsdauer und die wiederholten Käufe bei demselben Anbieter können nach dem Verständnis von Riordan und Williamson (1985) als spezifische Investitionen des Kunden in die Beziehung interpretiert werden, die bei Beendigung der Beziehung ihren Wert verlieren.310 Die Erwartung dieses ökonomischen Verlusts führt laut der Side bet-Theorie dazu, dass Kunden nicht von ihrem bisherigen Verhalten 305 306 307 308 309 310
Vgl. Morgan/Crutchfield/Lacey (2000), S. 72. Vgl. De Wulf/Odekerken-Schröder/Iacobucci (2001), S. 43. Vgl. Peterson (1995), S. 279f. Vgl. Reynolds/Beatty (1999), S. 25. Vgl. Morgan/Crutchfield/Lacey (2000), S. 72. Vgl. Riordan/Williamson (1985), S. 367.
103 abweichen und folglich die Beziehung zu ihrem Anbieter aufrechterhalten. Somit kommt es zu einer auf Kosten-Nutzen-Überlegungen basierenden Beziehung mit dem Anbieter im Sinne des Kalkulativen Commitments. Folgende Hypothese kann daher aufgestellt werden: H 5:
Je ausgeprägter die bevorzugte Behandlung eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Kalkulative Commitment gegenüber diesem Anbieter.
3.1.5
Direktmarketing
Das Direktmarketing wird als Teilaspekt der Anbieter-Kunden-Kommunikation gesehen.311 Während die Anbieter-Kunden-Kommunikation einen positiven Effekt auf die Entwicklung von Vertrauen in den Anbieter ausübt,312 wird das Direktmarketing als positive Determinante der wahrgenommenen Beziehungsinvestitionen des Anbieters bestätigt.313 Generell werden der Anbieter-Kunden-Kommunikation mehrere Vorteile zugeschrieben. Zum einen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde neue Anbieteraspekte entdeckt, die er positiv wahrnimmt, und zum anderen werden die Rolle und das Verhalten des Anbieters für den Kunden transparenter.314 Daher wird Kommunikation auch als eine notwendige Bedingung für die Existenz erfolgreicher Beziehungen aufgefasst.315 Prins und Verhoef (2007) verstehen unter Direktmarketing die direkte transaktionsorientierte Kommunikation mit Kunden.316 Für die vorliegende Arbeit bezieht sich das Verständnis von Direktmarketing daher auf die Zustellung von Werbung, die den Abverkauf von Produkten oder Dienstleistungen erhöhen soll.317 Es ergibt sich somit folgendes Begriffsverständnis: Das Direktmarketing bezeichnet die direkte transaktionsorientierte Kommunikation des Anbieters.
311 312
313 314 315 316 317
Vgl. De Wulf/Odekerken-Schröder/Iacobucci (2001), S. 35. Vgl. Anderson/Weitz (1989), S. 320; Anderson/Narus (1990), S. 50; Morgan/Hunt (1994), S. 30. Vgl. De Wulf/Odekerken-Schröder/Iacobucci (2001), S. 43. Vgl. Doney/Cannon (1997), S. 46; Smith/Barclay (1997), S. 8. Vgl. Anderson/Narus (1990), S. 45; Duncan/Moriarty (1998), S. 7. Vgl. Prins/Verhoef (2007), S. 171. Vgl. Diepen/Donkers/Franses (2009), S. 120f.
104 Da sich das Direktmarketing in der vorliegenden Arbeit im Wesentlichen auf die Zustellung von Werbung beschränkt,318 wird diese Anbietervariable als kurzfristig beeinflussbar (instrumentell) betrachtet. Auf Basis der Reziprozitäts-Theorie ist ein positiver Einfluss des Direktmarketings auf das Normative Commitment zu vermuten (vgl. Abschnitt IV-3). Zunächst können Verhoef, Franses und Hoekstra (2001) bestätigen, dass Direktmarketing auch den Kauf von Produkten aus anderen Kategorien beim gleichen Anbieter fördert.319 Folglich ist anzunehmen, dass die durch das Direktmarketing übermittelten Informationen dem Kunden einen Zusatznutzen bei der Kaufentscheidung liefern und das Direktmarketing daher als beziehungsorientierte Handlung des Anbieters wahrgenommen wird. Die Studie von De Wulf, Odekerken-Schröder und Iacobucci (2001) belegt diese Annahme, indem ein positiver Einfluss des Direktmarketings auf die wahrgenommenen Beziehungsinvestitionen des Anbieters nachgewiesen wird.320 Infolge der Anbieterinvestitionen kann sich der Kunde entsprechend der Reziprozitätsnorm verpflichtet fühlen, diese Zuwendung in einer dem Anbieter nützlichen Form zu erwidern. Somit ist anzunehmen, dass der intensive Einsatz von Direktmarketing die Entstehung einer moralisch begründeten Beziehung in Form des Normativen Commitments fördert. Daher lässt sich die folgende Hypothese formulieren: H 6:
Je intensiver das Direktmarketing eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Normative Commitment gegenüber diesem Anbieter.
Weiterhin kann die Side bet-Theorie herangezogen werden, um einen positiven Effekt des Direktmarketings auf das Kalkulative Commitment zu erklären (vgl. Abschnitt IV-4). Die durch das Direktmarketing übermittelten Informationen helfen dem Kunden, das Angebotsportfolio und -verhalten des Anbieters besser einzuschätzen.321 Letztlich führen diese dazu, dass der Kunde einen größeren Anteil seines Bedarfs bei seinem Anbieter deckt, wie die Studie von Verhoef, Franses und Hoekstra (2001) zeigt.322 Das Wissen über das anbieterspezifische Angebotsportfolio und -verhalten entwickelt sich 318 319 320 321 322
Vgl. Diepen/Donkers/Franses (2009), S. 120f. Vgl. Verhoef/Franses/Hoekstra (2001), S. 371. Vgl. De Wulf/Odekerken-Schröder/Iacobucci (2001), S. 43. Vgl. Doney/Cannon (1997), S. 46; Smith/Barclay (1997), S. 8. Vgl. Verhoef/Franses/Hoekstra (2001), S. 371.
105 über die Zeit und besitzt nur in Bezug auf diesen Anbieter einen Wert. Die Spezifität der Information führt dazu, dass bei einem Anbieterwechsel dieser Wissensvorsprung verloren geht und der Kunde seine vorteilhaften Kenntnisse über den Anbieter nicht mehr einsetzen kann.323 Die Wahrnehmung dieses Verlusts führt nach der Side bet-Theorie dazu, dass der Kunde sein bisheriges Verhalten beibehält und entsprechend die Beziehung zu seinem Anbieter aufrechterhält. Somit kommt es zu einer auf Kosten-Nutzen-Überlegungen basierenden Beziehung mit dem Anbieter in Form des Kalkulativen Commitments. Es kann daher folgende Hypothese aufgestellt werden: H 7:
Je intensiver das Direktmarketing eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Kalkulative Commitment gegenüber diesem Anbieter.
3.1.6
Wechselkosten
Wechselkosten sind ein zentrales Konzept,324 um den Wechsel zu einem alternativen Anbieter zu erklären.325 Forschungsbefunde zeigen, dass sich Wechselkosten negativ auf die Wechselneigung auswirken.326 Nach Jones, Mothersbaugh und Beatty (2002) können Wechselkosten in Kontinuitätskosten und Lernkosten eingeteilt werden. Die Kontinuitätskosten wiederum lassen sich in verlorene Gewinne und Unsicherheitskosten unterteilen.327 Verlorene Gewinne beziehen sich auf die ökonomischen Vorteile, die sich ein Konsument durch eine lang andauernde Beziehung mit dem Anbieter erarbeitet hat und die bei einem Wechsel verloren gehen.328 Ein Beispiel für einen solchen Vorteil ist die bevorzugte Behandlung, die viele Kunden erst nach längerer Zugehörigkeit zum Kundenkreis erhalten (vgl. Abschnitt V-3.1.4). Unter den Unsicherheitskosten werden Investitionen in Form von Zeit und Geld verstanden, die notwendig waren, um den vormals unbekannten Anbieter kennenzulernen. Diese Investitionen sind verloren, wenn sich der Konsument von seinem Anbieter trennt.329 Die Unsicher-
323 324 325 326 327 328 329
Vgl. Riordan/Williamson (1985), S. 367. Vgl. Morgan/Hunt (1994), S. 24. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 238f. Vgl. Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 449; Bell/Auh/Smalley (2005), S. 177. Vgl. Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 442f. Vgl. Turnball/Wilson (1989), S. 233; Maute/Forrester (1993), S. 239f. Vgl. Guiltinan (1989), S. 216ff.
106 heitskosten lassen sich beispielsweise durch die Anbieter-Kunden-Kommunikation in Form des Direktmarketings senken (vgl. Abschnitt V-3.1.5). Unter den Lernkosten finden sich die Ausgaben, die für die Suche und Bewertung von Anbieteralternativen sowie für die Anpassung an einen bestimmten neuen Anbieter investiert werden. Die Such- und Bewertungskosten beziehen sich auf den Zeitpunkt vor dem Beziehungseintritt. Sie beinhalten alle Aufwendungen, die geleistet werden müssen, um zum einen Informationen über mögliche Anbieter zu finden und zum anderen potenzielle Anbieter auf Vorteilhaftigkeit zu prüfen.330 Anpassungskosten fallen an, wenn sich ein Kunde auf einen bestimmten Anbieter einstellt. Dazu zählen auch kognitive Kosten, die den mentalen Aufwand der Anpassung an einen Anbieter beschreiben. Diese treten vor allem bei Dienstleistungsanbietern auf, da hier der Kunde einen integralen Bestandteil bei der Dienstleistungserstellung darstellt.331 Da zu vermuten ist, dass die Kontinuitätskosten mit den Modellkonstrukten der bevorzugten Behandlung und dem Direktmarketing stark korrelieren, werden sie für das Wechselkostenverständnis der vorliegenden Arbeit nicht weiter betrachtet. Den Wechselkosten wird daher lediglich das Begriffsverständnis der Lernkosten zugrunde gelegt. Somit ergibt sich die folgende Definition: Wechselkosten beziehen sich auf die Aufwendungen, die notwendig sind, um einen vergleichbaren, alternativen Anbieter zu finden und sich auf diesen einzustellen. Die einzelnen Bestandteile der Wechselkosten können von Unternehmen langfristig beeinflusst werden. So können die Such- und Bewertungskosten für alternative Anbieter erhöht werden, indem ein Kunde über die Zeit an Produkte und Dienstleistungen herangeführt wird, die nicht direkt mit Angeboten der Konkurrenz vergleichbar sind. Dadurch wird die Suche nach vergleichbaren Anbietern und die Bewertung derselbigen erschwert.332 Hinsichtlich der mentalen Anpassungskosten ist bekannt, dass ein Kunde über die Zeit von einem Anbieter lernt, sich auf ihn einstellt und davon profitiert.333 Je intensiver diese Anpassung ausfällt, die beispielsweise durch kundenspezifische
330 331 332 333
Vgl. Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 443. Vgl. Bowen (1986), S. 373ff. Vgl. Bowen (1990), S. 47f.; Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 444. Vgl. Bell/Auh/Smalley (2005), S. 170f.
107 Prozesse gefördert werden kann,334 desto aufwendiger ist es für den Kunden, sich bei einem Anbieterwechsel an vollkommen neuen Prozessen auszurichten.335 Die Wechselkosten werden in der vorliegenden Arbeit daher als vom Unternehmen steuerbar gesehen und sind als eine langfristig beeinflussbare (strategische) Anbietervariable einzustufen. Ein positiver Effekt der Wechselkosten auf das Kalkulative Commitment kann anhand der Side bet-Theorie begründet werden (vgl. Abschnitt IV-4). Von Stenglin (2008) argumentiert, dass Wechselkosten und insbesondere die Lernkosten spezifische Investitionen in eine Beziehung darstellen.336 Diese gehen bei einem Wechsel verloren, was laut der Side bet-Theorie zu einem Festhalten an der ursprünglichen Beziehung führen kann.337 Neben dem Verlust der Investitionen in Suche, Bewertung und Anpassung sind bei einem Anbieterwechsel erneut Investitionen in diesen Kategorien notwendig, um vergleichbare Alternativen zu finden.338 Diese wahrgenommenen Wechselkosten machen das Wechselvorhaben unvorteilhaft und führen damit zur Aufrechterhaltung der ursprünglichen Beziehung. Es kommt zu einer auf Kosten-Nutzen-Überlegungen basierenden Beziehung mit dem Anbieter in Form des Kalkulativen Commitments. Somit kann folgende Hypothese aufgestellt werden: H 8:
Je höher die Wechselkosten eines Anbieters wahrgenommen werden, desto höher ist das Kalkulative Commitment gegenüber diesem Anbieter.
Von den Wechselkosten kann zudem ein positiver Einfluss auf das Kaptive Commitment hergeleitet werden. Ein solcher Effekt ist auf Basis der Sozialen Interaktions-Theorie nachvollziehbar, nach der Kunden ihre Anbieterbeziehung nur aufrechterhalten, weil sie keine adäquate oder gar keine Alternative am Markt finden (vgl. Abschnitt IV-5). Da Wechselkosten die Vorteilhaftigkeit einer neuen Alternative geringer erscheinen lassen, erschwert die Existenz von hohen Wechselkosten das Auffinden von vergleichbaren Alternativen, was wiederum zu einem Gefühl der Abhängigkeit vom Anbieter 334 335 336 337 338
Vgl. Bell/Auh/Smalley (2005), S. 180. Vgl. Bowen (1990), S. 47f. Vgl. Riordan/Williamson (1985), S. 367; von Stenglin (2008), S. 78. Vgl. von Stenglin (2008), S. 78f. Vgl. Burnham/Frels/Mahajan (2003), S. 111ff.
108 führt.339 Somit begünstigen hohe Wechselkosten das Gefühl, eine „unfreiwillige“ Beziehung zu führen, die mehr aus einer Notwendigkeit statt aus einer freien Entscheidung resultiert. Daher kann folgende Hypothese formuliert werden: H 9:
Je höher die Wechselkosten eines Anbieters wahrgenommen werden, desto höher ist das Kaptive Commitment gegenüber diesem Anbieter.
3.1.7
Attraktivität von Alternativen
Das Konstrukt Attraktivität von Alternativen wird verwendet, um den Wechsel eines Kunden zu einem alternativen Anbieter zu erklären.340 Studien zeigen, dass eine geringe Attraktivität von Alternativen die Absicht zur Beibehaltung der Kundenbeziehung signifikant erhöht.341 Sharma und Patterson (2000) definieren die Attraktivität von Alternativen als absolute Größe. Die Autoren betrachten sie als die vom Kunden geschätzte Wahrscheinlichkeit, mit einer alternativen Anbieterbeziehung zufrieden zu sein.342 Bansal, Irving und Taylor (2004) verfolgen dagegen eine relative Betrachtung des Konstrukts, indem sie die Attraktivität des derzeitigen Anbieters mit der alternativer Anbieter vergleichen.343 Diesem Ansatz entsprechend stellt die Attraktivität von Alternativen eine Differenzbetrachtung aus Sicht des Nachfragers dar.344 Das Ergebnis dieser Betrachtung ist eine subjektive Nettonutzendifferenz, die sich aus dem Vergleich des wahrgenommenen Nettonutzens in der aktuellen Beziehung mit dem antizipierten Nettonutzen alternativer Beziehungen ergibt.345 Der Nettonutzen stellt hierbei den Nutzen dar, den ein Nachfrager in einer Anbieterbeziehung erzielt, abzüglich der in diesem Geschäftsverhältnis anfallenden Kosten.346 Sobald der Kunde in der bestehenden Beziehung einen subjektiven Nettonutzenvorteil wahrnimmt, würde die Aufgabe dieser Geschäftsbeziehung zu einem Verlust dieses relativen Nutzenvorteils führen.347 In der vorliegenden 339 340 341 342 343 344 345 346 347
Vgl. von Stenglin (2008), S. 82ff. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 238. Vgl. Ping (1994), S. 369; Theron/Terblanche/Boshoff (2008), S. 1002. Vgl. Sharma/Patterson (2000), S. 475. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 241. Vgl. von Stenglin (2008), S. 85. Vgl. Plinke (2000), S. 80; Adler (2003), S. 99. Vgl. Bliemel/Eggert (1998), S. 39; Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein (2009), S. 427. Vgl. von Stenglin (2008), S. 83.
109 Arbeit wird dieses relative Begriffsverständnis aufgegriffen. Somit ergibt sich für die Attraktivität von Alternativen folgende Definition: Die Attraktivität von Alternativen stellt die subjektive Nettonutzendifferenz aus dem Vergleich des Nettonutzens der aktuellen Beziehung mit dem antizipierten Nettonutzen alternativer Beziehungen dar. Die Attraktivität von Alternativen stellt im Gegensatz zu den bisher behandelten Konstrukten keine Variable dar, die sich direkt vom Unternehmen beeinflussen lässt. Durch die Berücksichtigung des Wettbewerbs in Form des antizipierten Nettonutzenvorteils alternativer Beziehungen kann dieser exogene Markteinfluss aber als Wettbewerbsvariable in das Modell einfließen. Der negative Effekt der Attraktivität von Alternativen auf das Kalkulative Commitment kann mit Hilfe der Side bet-Theorie hergeleitet werden (vgl. Abschnitt IV-4). Je höher die Attraktivität von Alternativen ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Nettonutzen aus einer neuen Beziehung die ökonomischen Nachteile einer Beziehungsaufgabe überwiegt. Sobald die subjektive Nettonutzendifferenz zugunsten der Alternative ausfällt, ist das Festhalten an der ursprünglichen Beziehung zur Vermeidung wechselbedingter ökonomischer Nachteile rational nicht mehr sinnvoll.348 Nach der Side bet-Theorie verlieren in diesem Fall die wahrgenommenen Nachteile einer Beziehungsaufgabe ihren Einfluss auf die Beziehungsfortführung. Somit bekräftigt eine hohe Attraktivität von Alternativen den Kunden nicht in seiner auf Kosten-Nutzen-Überlegungen basierenden Beziehung zum Anbieter in Form des Kalkulativen Commitments, sondern bringt ihn vielmehr davon ab. Es kann daher folgende Hypothese aufgestellt werden: H10: Je höher die Attraktivität von Alternativen wahrgenommen wird, desto geringer ist das Kalkulative Commitment gegenüber einem Anbieter. 3.1.8
Mangel an Alternativen
Das Konstrukt Mangel an Alternativen wird in der Kundenbeziehungsforschung verwendet, um die Abhängigkeit von einem Anbieter zu erklären.349
348 349
Vgl. von Stenglin (2008), S. 83ff. Vgl. Barnes (1997), S. 768.
110 Dieses Konstrukt wurde in der Commitment-Forschung bisher nur in B2BStudien eingesetzt.350 Es lassen sich drei verschiedene Formen des Alternativenmangels unterscheiden. Es gibt viele Beziehungen, bei denen der Zugang zu Alternativen durch vertragliche Regelungen bewusst verwehrt wird. Beispielsweise ist dies bei Abonnements der Fall.351 Eine zweite Form des Alternativenmangels kommt dadurch zustande, dass zwar Alternativen wahrgenommen werden, diese aber keinen Nutzenvorteil im Vergleich zur bestehenden Beziehung bieten.352 Die dritte Form ist der tatsächliche Mangel an Alternativen, bei dem es keine verfügbaren Alternativen gibt, zu denen gewechselt werden kann.353 Da die vorliegende Arbeit keine vertraglich fixierten Kundenbeziehungen betrachtet und der Alternativenmangel aufgrund fehlenden Nutzenvorteils der Alternative bereits in Form der Attraktivität von Alternativen berücksichtigt ist (vgl. Abschnitt V-3.1.7), wird das Konstrukt hier auf den tatsächlichen Mangel an Alternativen beschränkt. Hieraus ergibt sich folgendes Begriffsverständnis: Der Mangel an Alternativen beschreibt einen Zustand, in dem keine Alternativen für einen Wechsel des Anbieters zur Verfügung stehen. Der Mangel an Alternativen ist ebenso wie die Attraktivität von Alternativen keine durch das Unternehmen direkt beeinflussbare Größe. Vielmehr ist diese Variable ein Indikator für die Intensität des Wettbewerbs und wird daher als Wettbewerbsvariable erfasst. Nach der Sozialen Interaktions-Theorie kann angenommen werden, dass der Mangel an Alternativen beim Kunden das Gefühl von Abhängigkeit verstärkt (vgl. Abschnitt IV-5). Fullerton (2005) argumentiert analog, dass der wahrgenommene Mangel an Wechselalternativen beim Kunden zu der Erkenntnis führt, vom derzeitigen Anbieter abhängig zu sein, ganz gleich, ob die Beziehung als attraktiv oder unattraktiv eingeschätzt wird.354 Es ist entsprechend zu erwarten, dass der wahrgenommene Alternativenmangel das Gefühl begünstigt, eine „unfreiwillige“ Beziehung in Form des Kaptiven 350
351 352 353 354
Vgl. Anderson/Weitz (1992), S. 25ff.; Kumar/Scheer/Steenkamp (1995), S. 352; Gilliland/ Bello (2002), S. 38. Vgl. Homburg/Krohmer (2009), S. 904. Vgl. Sharma/Patterson (2000), S. 475. Vgl. Fullerton (2005), S. 102. Vgl. Fullerton (2005), S. 102.
111 Commitments zu führen, die mehr auf einer Notwendigkeit anstatt einer freien Entscheidung basiert. Daher kann folgende Hypothese formuliert werden: H11: Je größer der Mangel an Alternativen wahrgenommen wird, desto höher ist das Kaptive Commitment gegenüber einem Anbieter. 3.2
Erfolgswirkungen
3.2.1
Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums
Das Konstrukt Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (nachfolgend auch Preispremiumbereitschaft) stellt einen Indikator für den Kundenwert dar und gibt Unternehmen einen Hinweis darauf, ob sie beim Kunden höhere Preise durchsetzen können.355 Die Bereitschaft zur Zahlung höherer Preise wird daher auch als wichtige Voraussetzung für die Steigerung von Umsatzerlösen356 und die Steigerung der Kundenprofitabilität357 gesehen. Forschungsbefunde belegen, dass sich die Preispremiumbereitschaft durch den Beziehungsnutzen358 und das Affektive Commitment359 positiv beeinflussen lässt. Das Konstrukt Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums bezieht sich auf die Bereitwilligkeit des Kunden, einen Preisaufschlag bei seinem Anbieter zu zahlen.360 Die Preispremiumbereitschaft basiert auf der Preisbereitschaft, welche die Bereitwilligkeit beschreibt, in einer bestimmten Kaufsituation höchstens einen bestimmten Preis zu zahlen.361 Die Preisbereitschaft markiert somit eine obere Preisschwelle und stellt ein monetäres Maß des Nutzens dar, den ein Produkt oder eine Dienstleistung stiftet.362 Bezugsobjekte der Preisbereitschaft können beispielsweise eine Produktkategorie, eine Marke oder eine Einkaufsstätte sein.363 Das Preispremium bezieht sich demnach auf die Differenz zwischen dem maximalen Preis, den ein Konsument bereit ist zu zahlen, und dem aktuell gezahlten Preis. Aufbauend auf diesen Ausführungen
355 356 357 358 359 360 361 362 363
Vgl. Zeithaml (2000), S. 73ff.; Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 50f. Vgl. Zeithaml/Berry/Parasuraman (1996), S. 31. Vgl. Jones/Taylor/Bansal (2008), S. 482. Vgl. Palmatier/Scheer/Steenkamp (2007), S. 193. Vgl. Fullerton (2003), S. 340. Vgl. Palmatier/Scheer/Steenkamp (2007), S. 190. Vgl. Koschate (2002), S. 39. Vgl. Goldman/Leland/Sibley (1984); Oren/Smith/Wilson (1984). Vgl. Diller (2008), S. 155.
112 wird die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums wie folgt definiert: Die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums gibt die Bereitwilligkeit eines Kunden wieder, für Anbieterleistungen einen Preisaufschlag zu zahlen. Im Folgenden wird der positive Einfluss des Affektiven Commitments auf die Preispremiumbereitschaft hergeleitet. Einen empirischen Nachweis für diesen Zusammenhang liefert Fullerton (2003). Er begründet diesen Effekt damit, dass emotional gebundene Kunden eher dazu neigen, Forderungen des Anbieters nachzugeben und daher auch bereit sind, höhere Preise zu zahlen.364 Auch die Soziale Identifikations-Theorie bietet einen Erklärungsbeitrag für den Zusammenhang (vgl. Abschnitt IV-2). Demnach können sich Kunden mit hohem Affektiven Commitment gegenüber einem Anbieter mit diesem identifizieren und leiten daraus ihre soziale Identität ab. Dutton, Dukerich und Harquail (1994) nehmen an, dass solche Kunden ihrem Anbieter nicht „schaden“ wollen, da der Anbieter in diesem Fall das Bezugsobjekt für ihre soziale Identität darstellt. Ein „erfolgloser“ Anbieter würde die positive Wahrnehmung desselben und damit auch die eigene soziale Identität des Kunden beschädigen.365 Es ist daher anzunehmen, dass Kunden mit hohem Affektiven Commitment bereitwillig der Forderung nach höheren Preisen nachkommen und so den Anbieter in seiner Geschäftspolitik stützen. Somit gilt: H12: Je höher das Affektive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Die Reziprozitäts-Theorie kann herangezogen werden, um einen positiven Einfluss des Normativen Commitments auf die Preisbereitschaft zu begründen (vgl. Abschnitt IV-3). Kunden mit hohem Normativen Commitment fühlen sich ihrem Anbieter gegenüber zu Gegenleistungen verpflichtet. Diese auf der Reziprozitätsnorm beruhende Verpflichtung kann dadurch entstehen, dass der Anbieter dem Kunden zuvor besondere Produkte oder Dienstleistungen geboten hat, die ihm einen hohen zusätzlichen Nutzen erbracht haben. In Folge empfindet der Kunde die Verpflichtung, dem Anbieter etwas zurückzugeben. Morales (2005) belegt diese Vermutung und zeigt, dass Kunden auf Basis der Reziprozitätsnorm besondere Leistungen des Anbieters mit der 364 365
Vgl. Fullerton (2003), S. 336. Vgl. Dutton/Dukerich/Harquail (1994), S. 254.
113 Bereitschaft, höhere Preise zu zahlen, honorieren.366 Die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums stellt folglich aus Kundenperspektive eine angemessene Art der Gegenleistung für besondere Anbieterleistungen dar. Entsprechend kann folgende Hypothese aufgestellt werden: H13: Je höher das Normative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Weiterhin kann ein positiver Einfluss des Kalkulativen Commitments auf die Preispremiumbereitschaft erwartet und hergeleitet werden. Laut der Side betTheorie sind sich Kunden mit hohem Kalkulativen Commitment der Tatsache bewusst, dass die Aufgabe der Anbieterbeziehung mit ökonomischen Nachteilen verbunden ist (vgl. Abschnitt IV-4). Folglich sehen sie in der Beziehungsaufrechterhaltung einen positiven Nutzen und sind daher eher bereit, einen Preisaufschlag zu zahlen. Palmatier, Scheer und Steenkamp (2007) können einen positiven Zusammenhang zwischen dem aus einer Geschäftsbeziehung gezogenen Nutzen und der Preispremiumbereitschaft nachweisen.367 Auf dieser Basis kann folgende Hypothese formuliert werden: H14: Je höher das Kalkulative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Vom Kaptiven Commitment ist schließlich ein negativer Einfluss auf die Preispremiumbereitschaft zu erwarten. Kunden mit hohem Kaptiven Commitment fühlen sich von ihrem Anbieter abhängig, da laut der Sozialen Interaktions-Theorie entweder keine attraktiven Alternativanbieter oder überhaupt keine Alternativen existieren (vgl. Abschnitt IV-5). Am Beispiel von Distributionskanalbeziehungen weisen Gundlach, Achrol und Mentzer (1995) nach, dass der abhängigere Partner das Risiko scheut, in die Geschäftsbeziehung zu investieren, um Opportunismus seitens des Partners vorzubeugen.368 Als ein Beispiel für opportunistisches Verhalten sieht Fullerton (2003) Preiserhöhungen.369 Folglich ist anzunehmen, dass Kunden mit hohem Kaptiven Commitment, d.h. mit dem Gefühl von einem Anbieter abhängig zu
366 367 368 369
Vgl. Morales (2005), S. 808. Vgl. Palmatier/Scheer/Steenkamp (2007), S. 193. Vgl. Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 89. Vgl. Fullerton (2003), S. 336.
114 sein, opportunistisches Anbieterverhalten in Form von höheren Preisen ablehnen. Daher kann folgender Zusammenhang postuliert werden: H15: Je höher das Kaptive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto niedriger ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. 3.2.2
Bereitschaft zur Koproduktion
Das Konstrukt Bereitschaft zur Koproduktion (nachfolgend auch Koproduktionsbereitschaft) stellt einen weiteren Indikator für den Kundenwert dar.370 Es beschreibt die Bereitwilligkeit des Kunden, sich am Erstellungsprozess der Dienstleistung zu beteiligen und trägt damit zur Reduktion kundenspezifischer Kosten bei.371 Ein Forschungsbefund aus dem B2CKontext zeigt, dass die Koproduktionsbereitschaft durch das Affektive Commitment positiv beeinflusst wird.372 Koproduzierende Kunden werden als aktive Elemente in der Erbringung der Anbieterleistung gesehen373 und werden deshalb auch als „partial employees“374 des Anbieters bezeichnet. Im Rahmen der Koproduktion unterstützen die Kunden den Anbieter mit ihren physischen und psychischen Fähigkeiten bei der Dienstleistungserstellung.375 Die aktive Partizipation der Kunden am Erstellungsprozess der Dienstleistung ist nicht beschränkt auf Dienstleistungskategorien, für die ein hohes Kundeninvolvement typisch ist. Auch in Kategorien mit niedrigem Involvement sind Kunden bereit, den Erstellungsprozess aktiv zu begleiten.376 Koproduktion wird in der Literatur mit zwei wesentlichen Vorteilen assoziiert. Zum einen entsteht in Form eingesparter Personalkosten ein direkter ökonomischer Benefit für den Anbieter.377 Zum anderen bekommt der Anbieter durch die Interaktion mit dem Kunden die Möglichkeit, seine Leistungen besser an die Kundenwünsche anzupassen.378 Entsprechend der vorangegangenen Ausführungen wird der
370
371 372 373 374 375 376 377 378
Vgl. Zeithaml (2000), S. 83; Bendapudi/Leone (2003), S. 14; Bauer/Stokburger/ Hammerschmidt (2006), S. 56f. Vgl. Bendapudi/Leone (2003), S. 14. Vgl. Auh et al. (2007), S. 366. Vgl. Lengnick-Hall/Claycomb/Inks (2000), S. 359. Kelley/Donnelly/Skinner (1990), S. 316. Vgl. Vargo/Lusch (2004), S. 10f. Vgl. Bateson (1985), S. 73ff. Vgl. Bendapudi/Leone (2003), S. 14. Vgl. Auh et al. (2007), S. 360.
115 Bereitschaft zur Koproduktion analog zu Lengnick-Hall, Claycomb und Inks (2000) in der vorliegenden Arbeit folgendes Begriffsverständnis zugrunde gelegt:379 Die Bereitschaft zur Koproduktion bezeichnet die Bereitwilligkeit eines Kunden, sich aktiv am Erstellungsprozess einer Dienstleistung zu beteiligen. Der positive Einfluss des Affektiven Commitments auf die Bereitschaft zur Koproduktion wird von Auh et al. (2007) bestätigt.380 Ihre Argumentation basiert auf der Sozialen Identifikations-Theorie (vgl. Abschnitt IV-2). Da Kunden mit hohem Affektiven Commitment gegenüber einem Anbieter ihre soziale Identität aus der Identifikation mit diesem ableiten, ist ihnen daran gelegen, dass ihr Anbieter auch zukünftig erfolgreich ist.381 Ein „schlecht agierender“ Anbieter kann seine Wahrnehmung und damit auch die soziale Identität des Kunden beschädigen. Daher ist anzunehmen, dass Kunden mit hohem Affektiven Commitment sich koproduzierend verhalten, um dem Anbieter zu helfen und damit ihre aus der Identifikation mit dem Anbieter abgeleitete soziale Identität zu schützen.382 Daher kann folgende Hypothese aufgestellt werden: H16: Je höher das Affektive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Koproduktion. Ein positiver Einfluss des Normativen Commitments auf die Bereitschaft zur Koproduktion kann anhand der Reziprozitäts-Theorie erklärt werden (vgl. Abschnitt IV-3). Demnach fühlen sich Kunden mit hohem Normativen Commitment ihrem Anbieter aufgrund der Reziprozitätsnorm zu Gegenleistungen verpflichtet. Laut Bendapudi und Leone (2003) stellt die Koproduktion eine Verhaltensweise dar, von der ein Anbieter wegen ihres Kostensenkungspotenzials profitiert.383 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sich Kunden koproduzierend Verhalten, um sich bei ihrem Anbieter für die empfangenen Leistungen erkenntlich zeigen. Es gilt daher folgende Zusammenhangsvermutung:
379 380 381 382 383
Vgl. Lengnick-Hall/Claycomb/Inks (2000), S. 359. Vgl. Auh et al. (2007), S. 366. Vgl. Dutton/Dukerich/Harquail (1994), S. 254. Vgl. Auh et al. (2007), S. 362. Vgl. Bendapudi/Leone (2003), S. 14.
116 H17: Je höher das Normative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Koproduktion. Ebenso kann ein positiver Einfluss des Kalkulativen Commitments auf die Bereitschaft zur Koproduktion hergeleitet werden. Nach der Side bet-Theorie führen Kunden mit hohem Kalkulativen Commitment gegenüber einem Anbieter eine Beziehung auf Basis von Kosten-Nutzen-Überlegungen (vgl. Abschnitt IV-4). Koproduzierendes Verhalten kann für den Kunden eine Nutzensteigerung mit sich bringen. Zum einen führt die Beteiligung am Dienstleistungserstellungsprozess dazu, dass Anbieter Personalkosten einsparen.384 Nach Fitzsimmons (1985) eröffnet eine solche Kosteneinsparung den Anbietern Spielraum für Preissenkungen, wodurch der Kunde wiederum direkt profitiert.385 Zum anderen, argumentieren Vargo und Lusch (2004), können Anbieter durch die Integration des Kunden Dienstleistungen besser auf dessen Wünsche anpassen und damit den Nutzen des Kunden steigern.386 Bauer, Bryant und Hammerschmidt (2009) schlussfolgern daher, dass Kunden mit hohem Kalkulativen Commitment eine hohe Koproduktionsbereitschaft zeigen.387 Auf Basis dieser Überlegungen kann folgende Hypothese formuliert werden: H18: Je höher das Kalkulative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Koproduktion. Ein negativer Einfluss auf die Koproduktionsbereitschaft ist hingegen vom Kaptiven Commitment zu erwarten. Nach der Sozialen Interaktions-Theorie fühlen sich Kunden mit hohem Kaptiven Commitment von ihrem Anbieter abhängig, wenn entweder keine attraktiven Alternativanbieter oder überhaupt keine Alternativen existieren (vgl. Abschnitt IV-5). Aus der Studie von Gundlach, Achrol und Mentzer (1995) ist bekannt, dass in Distributionskanalbeziehungen der abhängigere Partner nicht in die Geschäftsbeziehung investiert. Dadurch will er die Abhängigkeit vom anderen Partner nicht weiter vergrößern, um so Opportunismus seitens des Partners vorzubeugen.388 Koproduzierendes Verhalten versetzt den Anbieter allerdings in die Lage, auf 384 385 386 387 388
Vgl. Bendapudi/Leone (2003), S. 14. Vgl. Fitzsimmons (1985), S. 61f. Vgl. Vargo/Lusch (2004), S. 12. Vgl. Bauer/Bryant/Hammerschmidt (2009). Vgl. Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 89.
117 zweierlei Arten opportunistisch handeln zu können. Zum einen ist er nicht verpflichtet, die durch die Koproduktion entstehenden Kosteneinsparungen389 in Form von Preissenkungen an den Kunden weiterzugeben. Zum anderen kann der Anbieter die Wechselkosten erhöhen, da er durch die Koproduktion in der Lage ist, Leistungen an die Kundenwünsche anzupassen. Damit steigert er zwar den Kundennutzen,390 allerdings begibt sich der Kunde durch die maßgeschneiderten Leistungen in eine stärkere Abhängigkeit. Ein späterer Wechsel zu einem alternativen Anbieter wird dadurch erschwert.391 Da sich der Kunde aber die Möglichkeit für einen etwaigen Wechsel offen halten und dem opportunistischen Verhalten seitens des Anbieters vorbeugen möchte, ist anzunehmen, dass er nicht zur Koproduktionsbereitschaft neigen wird. Daher kann folgender Zusammenhang hergeleitet werden: H19: Je höher das Kaptive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto niedriger ist die Bereitschaft zur Koproduktion. 4
Berücksichtigung von Konsumentenheterogenität
4.1
Definition und Relevanz von Konsumentenheterogenität
Konsumentenheterogenität wird allgemein von DeSarbo et al. (2007) als das Ergebnis individueller Differenzen beschrieben, die Konsumenten hinsichtlich ihrer Entscheidungen und deren zugrunde liegenden Prozesse aufweisen.392 In der Konsumentenforschung sollte grundsätzlich von Heterogenität ausgegangen werden.393 Die Konsumentenheterogenität ist im Marketing daher ein zentrales Konzept und wird als Ausgangspunkt für Marktsegmentierungen gesehen.394 Es wird eine Reihe von Heterogenitätsarten unterschieden.395 Für die vorliegende Arbeit besitzt insbesondere die präferentielle Heterogenität hohe Bedeutung. Sie beschreibt die Unterschiede zwischen Konsumenten hinsichtlich ihrer Reaktionen auf exogene Stimuli, wie z.B. anbieter- oder
389 390 391 392 393 394 395
Vgl. Fitzsimmons (1985), S. 61f. Vgl. Vargo/Lusch (2004), S. 12. Vgl. Hennig-Thurau/Gwinner/Gremler (2002), S. 236. Vgl. DeSarbo et al. (1997), S. 336. Vgl. Jedidi/Jagpal/DeSarbo (1997), S. 39. Vgl. Kamakura/Kim/Lee (1996), S. 153. Für einen Überblick vgl. DeSarbo et al. (1997), S. 337f.
118 wettbewerbsbezogene Variablen.396 Die Berücksichtigung dieser Form der Heterogenität ermöglicht es, für das Untersuchungsmodell der vorliegenden Arbeit Segmente mit charakteristischen Wirkungsprofilen bezüglich der im Modell enthaltenen Anbieter- und Wettbewerbsvariablen zu bilden. Zur Bestimmung einer geeigneten Segmentierungsmethodik zur Erfassung der Konsumentenheterogenität ist die Differenzierung in beobachtbare und nicht-beobachtbare Heterogenität entscheidend. Beobachtbare Heterogenität liegt dann vor, wenn Unterschiede zwischen den Segmenten aufgrund theoretischer oder sachlogischer Erkenntnisse ex ante bekannt sind und über Indikatoren operationalisiert werden können.397 In diesem Fall kommen a priori-Segmentierungen zur Anwendung, die im Vorfeld auf Basis von theoretischen Überlegungen Segmente bilden.398 Nicht-beobachtbare Heterogenität besteht dagegen in latenten Strukturen, die durch solche Überlegungen nicht ex ante aufgedeckt werden können.399 In diesem Fall werden a posteriori-Segmentierungen genutzt, welche auf Basis einer Datenanalyse die Art und Anzahl der Segmente bestimmen.400 Für das Untersuchungsmodell der vorliegenden Arbeit muss aus mehreren Gründen von einer nicht-beobachtbaren Heterogenität ausgegangen werden. Zunächst liefert die Bestandsaufnahme der empirischen CommitmentForschung kaum Erkenntnisse über mögliche Segmentierungskriterien. Es existieren nur wenige Studien im Konsumentenkontext, die anhand von Moderatorvariablen solche Kriterien identifizieren (vgl. Abschnitt III-3). Zudem wurde die Heterogenität von Konsumenten im Kontext der vier interessierenden Commitment-Konstrukte lediglich beim Affektiven und Kalkulativen Commitment untersucht.401 Auf Basis dieser Erkenntnisgrundlage ist eine Ableitung von Segmentierungskriterien und die Durchführung einer a prioriSegmentierung nicht möglich. Es ist daher von nicht-beobachtbarer Heterogenität auszugehen.
396 397 398 399 400 401
Vgl. Kamakura/Kim/Lee (1996), S. 153. Vgl. Görz/Hildebrandt (1999), S. 6f. Vgl. Bunn (1993), S. 40. Vgl. Görz/Hildebrandt (1999), S. 6f. Vgl. Wedel/Kamakura (2003), S. 17. Vgl. Garbarino/Johnson (1999); Verhoef/Franses/Hoekstra (2002); Jones et al. (2007); Martin (2009).
119 Zur Berücksichtigung nicht-beobachtbarer Heterogenität zählt die Finite Mixture-Analyse zu den am weitest verbreiteten Ansätzen der a posterioriSegmentierungen402 und wird daher auch in dieser Arbeit angewendet (vgl. Abschnitt VI-2.3). Der wesentliche Vorteil dieser Methodik besteht darin, dass die Bildung der Segmente und die Schätzung segmentspezifischer Strukturgleichungen simultan erfolgen.403 Um die spezifische Ansprache der Segmentmitglieder zu erleichtern, sind beschreibende Segmentvariablen zu erheben, die nach Abschluss der Finite-Mixture-Analyse zur Identifizierung der Segmentmitglieder herangezogen werden können.404 4.2
Auswahl der beschreibenden Segmentvariablen
Grundsätzlich lassen sich Segmentierungskriterien in Variablen ohne direkten Produktbezug (soziodemographische Kriterien und allgemeine Persönlichkeitsmerkmale) und mit direktem Produktbezug (nutzen- und verhaltensbezogene Kriterien) unterscheiden (vgl. Abbildung V-2). Alle Variablen können hinsichtlich ihrer Eignung auf Ansprechbarkeit der Segmentmitglieder und Kaufverhaltensrelevanz bewertet werden.405
Segmentierungskriterien Kriterien ohne direkten Produktbezug
soziodemographische Kriterien Sozioökonomische Kriterien: • Beruf • Bildung • Einkommen
allgemeine Persönlichkeitsmerkmale • Einstellungen • Interessen • Lebensstil
Demographische Kriterien: • Alter • Familienstand • Geschlecht • Wohnort
Kriterien mit direktem Produktbezug
nutzenbezogene Kriterien • Imagenutzen • Preisnutzen • Qualitätsnutzen • Servicenutzen
verhaltensbezogene Kriterien Kaufverhalten: • Beziehungsdauer • Besuchsfrequenz • Cross-Buying • Einkaufsstättenwahl • Kaufvolumen • Markenwahl Informationsverhalten: • Informationsweitergabe Nutzung von Medien
Abbildung V-2: Ausgewählte Segmentierungskriterien im Überblick Quelle: In Anlehnung an Bauer (1986), S. 249; Homburg/Krohmer (2009), S. 465.
402 403 404 405
Vgl. Wedel/Kamakura (2003), S. 17. Vgl. Jedidi/Jagpal/DeSarbo (1997). Vgl. Shively/Allenby/Kohn (2000), S. 159. Vgl. Homburg/Krohmer (2009), S. 465.
120 Zu den Variablen, die eine gute Ansprechbarkeit der Segmente ermöglichen, gehören soziodemographische und verhaltensbezogene Kriterien. Soziodemographische Kriterien unterteilen sich in demographische (z.B. Alter und Geschlecht) und sozioökonomische Kriterien (z.B. Beruf, Bildung und Einkommen). Sie haben den Vorteil, dass sie einfach zu erheben bzw. zu beobachten sind und damit eine gute Ansprechbarkeit der Segmente gewährleisten.406 Allerdings ist gerade bei den sozioökonomischen Kritierien zu beobachten, dass ihre Kaufverhaltensrelevanz an Bedeutung verliert. Dies ist zum Teil darin begründet, dass in den vergangenen Jahren der Trend zum „hybriden Konsumenten“ weiter zugenommen hat. Demnach tätigen Konsumenten nebeneinander Teuer-, Preiswert- und Billigkäufe, was sich nicht mehr durch das sozioökonomische Kriterium Einkommen alleine erklären lässt.407 Verhaltensbezogene Kriterien können unterschieden werden in Informationsverhalten (z.B. Mediennutzung) und Kaufverhalten (z.B. Kaufvolumen, Kaufhäufigkeit und Markenwahl). Verhaltensbezogene Kriterien sind vergleichsweise einfach zu erfassen. Da sie das Ergebnis von Entscheidungen sind, lassen sie allerdings keinen Rückschluss auf die grundlegenden Beweggründe des Verhaltens zu.408 Dennoch eignen sich insbesondere kaufverhaltensbezogene Kriterien zur Identifizierung von Kundenwertsegmenten (vgl. Abschnitt II-1.3).409 Im Gegensatz dazu stehen Variablen, die eine hohe Kaufverhaltensrelevanz aufweisen. Hier werden allgemeine Persönlichkeitsmerkmale und nutzenorientierte Kriterien unterschieden. Den allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen werden Lebensstile, Interessen und Einstellungen zugeordnet. Ihnen wird zwar eine hohe Kaufverhaltensrelevanz zugesprochen, allerdings sind sie nicht einfach zu erheben und lassen sich zur Segmentansprache kaum nutzen.410 Schließlich sind noch nutzenorientierte Kriterien zu nennen. Die Erhebung dieser Kriterien erfolgt in der Regel über eine Conjoint-Analyse und ist daher sehr aufwendig. Zur besseren Ansprache der Individuen sind diese ebenfalls nicht praktikabel.411
406 407 408 409 410 411
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 194ff. Vgl. Esser (2002), S. 40f. Vgl. Freter (1983), S. 87f.; Meyer (1996), S. 76. Vgl. Homburg/Steiner/Totzek (2009), S. 74. Vgl. Homburg/Krohmer (2009), S. 465f. Vgl. Perrey (1998), S. 107ff.; Perrey/Hölscher (2003), S. 8ff.
121 Es wird deutlich, dass bei den zentralen Kriterien der Kundensegmentierung ein Zielkonflikt zwischen Ansprechbarkeit und Kaufverhaltensrelevanz vorliegt.412 In der Marktforschung wird daher ein zweistufiges Segmentierungsverfahren vorgeschlagen. In einem ersten Schritt sollen aktive Segmentierungskriterien herangezogen werden, die eine hohe Kaufverhaltensrelevanz aufweisen. In einem zweiten Schritt können passive Segmentierungskriterien zur Beschreibung dieser Segmente verwendet werden, die eine gute Ansprechbarkeit gewährleisten.413 Ein vergleichbares Vorgehen lässt sich auch mit der Finite-Mixture-Analyse durchführen. Zunächst werden durch die Finite-Mixture-Analyse in sich homogene Segmente gebildet, die sich in ihren Reaktionen auf exogene Stimuli gleichen und damit eine hohe Kaufverhaltensrelevanz der Segmente sicherstellen. Zu diesem Analyseschritt werden allerdings keine vorgegebenen Segmentierungskriterien benötigt. Erst in einem zweiten Schritt sind beschreibende Segmentvariablen zur Identifizierung dieser Segmente notwendig, um deren spezifische Ansprache zu ermöglichen. Für die vorliegende Arbeit erscheint es daher zweckmäßig, sich auf soziodemographische und verhaltensbezogene Kriterien zu beschränken. Diese Variablen sind einfach zu erheben und gewährleisten eine ausreichend gute, spezifische Ansprechbarkeit der Segmente. Als soziodemographische Kriterien werden Alter und Geschlecht, als verhaltensbezogene Kriterien das Kaufvolumen pro Besuch, die Beziehungsdauer, die Besuchsfrequenz sowie das Cross-Buying verwendet. Weiterhin wird zur Segmentbeschreibung die Nutzung von Informationsquellen bei der Suche eines neuen Anbieters als verhaltensbezogenes Kriterium berücksichtigt.414 Grundsätzlich ist bekannt, dass bei zunehmendem individuellen Kaufrisiko die Nutzung von Informationsquellen zunimmt.415 Aus diesem Grund wird das Ausmaß der Nutzung der Informationsquellen Printmedien, Internet, Freunde und Bekannte sowie Testnutzung als zusätzliche beschreibende Segmentvariable berücksichtigt.416
412 413 414 415 416
Vgl. Bonoma/Shapiro (1984), S. 257f.; Perrey (1998), S. 111f. Vgl. Bauer/Neumann/Hoffmann (2004), S. 63; Homburg/Krohmer (2009), S. 468. Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 207. Vgl. Locander/Hermann (1979), S. 271; Bauer et al. (2004), S. 8f. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein (2009), S. 306.
122 5
Das Untersuchungsmodell
Insgesamt wurden auf Basis theoretischer und empirischer Erkenntnisse 19 Hypothesen zu den Determinanten und Wirkungen der vier CommitmentKonstrukte hergeleitet. Elf Hypothesen (H1-H11) beschreiben die Wirkungen der langfristig beeinflussbaren (strategischen) Anbietervariablen (Reputation, Vertrauen und Wechselkosten) und der kurzfristig beeinflussbaren (instrumentellen) Anbietervariablen (bevorzugte Behandlung, Direktmarketing und Markenpräsenz) sowie der Wettbewerbsvariablen (Attraktivität von Alternativen und Mangel an Alternativen) auf die Commitment-Konstrukte. In jeweils vier Hypothesen werden die Erfolgswirkungen der vier Commitment-Konstrukte auf die Erfolgsvariablen Preispremium(H12-H15) und Koproduktionsbereitschaft (H16-H19) beschrieben. Tabelle V-3 fasst alle Hypothesen überblicksartig zusammen. Abbildung V-3 veranschaulicht die Wirkungszusammenhänge des Untersuchungsmodells grafisch. Zusammenfassend basiert das entworfene dreistufige Untersuchungsmodell auf der Anforderung, wertorientiertes Kundenmanagement zielgruppenspezifisch zu gewährleisten. Durch das entwickelte Modell lassen sich im Rahmen der folgenden empirischen Untersuchung zunächst die Erfolgswirkungen der einzelnen Commitment-Konstrukte miteinander vergleichen. Weiterhin kann auf dieser Erkenntnisbasis eine Priorisierung commitmentspezifischer Kundenbearbeitungsstrategien vorgenommen werden. Durch die Auswahl beschreibender Segmentvariablen wird zudem gewährleistet, dass die aufzudeckenden Kundensegmente identifiziert und damit zielgruppenspezifische Besonderheiten im Kundenbeziehungsmanagement adressiert werden können.
123 # H1 H2 H3 H4 H5 H6 H7 H8 H9 H10 H11 H12 H13 H14 H15 H16 H17 H18 H19
Hypothesen Je positiver die Reputation eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je stärker die Markenpräsenz eines Anbieters, desto höher ist das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je stärker das Vertrauen in einen Anbieter, desto höher ist das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je ausgeprägter die bevorzugte Behandlung eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Normative Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je ausgeprägter die bevorzugte Behandlung eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Kalkulative Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je intensiver das Direktmarketing eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Normative Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je intensiver das Direktmarketing eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Kalkulative Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je höher die Wechselkosten eines Anbieters wahrgenommen werden, desto höher ist das Kalkulative Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je höher die Wechselkosten eines Anbieters wahrgenommen werden, desto höher ist das Kaptive Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je höher die Attraktivität von Alternativen wahrgenommen wird, desto geringer ist das Kalkulative Commitment gegenüber einem Anbieter. Je größer der Mangel an Alternativen wahrgenommen wird, desto höher ist das Kaptive Commitment gegenüber einem Anbieter. Je höher das Affektive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Je höher das Normative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Je höher das Kalkulative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Je höher das Kaptive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto niedriger ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Je höher das Affektive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Koproduktion. Je höher das Normative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Koproduktion. Je höher das Kalkulative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Koproduktion. Je höher das Kaptive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto niedriger ist die Bereitschaft zur Koproduktion.
Tabelle V-3: Hypothesensystem im Überblick
124
Reputation (LV)
Markenpräsenz (KV)
Vertrauen (LV)
H1 +
Affektives Commitment
H2 +
H3 +
H12 +
H16 + Erlössteigerung
Bevorzugte Behandlung (KV)
Normatives Commitment
H4 +
H13 +
Preispremiumbereitschaft
H5 + H17 + Multipartiales Commitment
Anbietervariablen
H6 + Direktmarketing (KV) Wechselkosten (LV)
Beziehungserfolg
H14 + Kalkulatives Commitment
H7 +
H18 +
Koproduktionsbereitschaft
Kostenreduktion
H8 + H15 -
H9 + Kaptives Commitment
H19 -
H10 H11 + Attraktivität von Alternativen
Mangel an Alternativen
KV: kurzfristig beeinflussbare (instrumentelle) Variable LV: langfristig beeinflussbare (strategische) Variable
Wettbewerbsvariablen
Beschreibende Segmentvariablen Soziodemographika: • Alter • Geschlecht
Kaufverhalten: • Beziehungsdauer • Besuchsfrequenz • Cross-Buying • Kaufvolumen pro Besuch
Abbildung V-3: Untersuchungsmodell
Nutzung von Informationsquellen: • Printmedien • Internet • Freunde und Bekannte • Testnutzung
125
VI
Empirische Studien zur Überprüfung des Untersuchungsmodells
1
Ziel und Vorgehensweise
In den vorangegangen Kapiteln IV und V wurde zunächst ein multipartiales Commitment in Form von vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten konzeptualisiert und anschließend in ein komplexes Hypothesensystem eingebettet. Dabei wurden ausgewählte Anbieter- und Wettbewerbsvariablen als Determinanten und kundenwertbezogene Verhaltensabsichten als Erfolgskonsequenzen der vier Commitment-Konstrukte berücksichtigt. In diesem Kapitel werden die Diskriminanzvalidität der Commitment-Konstrukte (Forschungsziel II) sowie die theoretisch hergeleiteten Wirkungszusammenhänge des Hypothesensystems auf Signifikanz (Forschungsziel III) und nichtbeobachtbare Konsumentenheterogenität (Forschungsziel IV) geprüft. Zur Erreichung dieser Forschungsziele werden in den exemplarisch ausgewählten Branchen personenorientierte Dienstleistungen (Friseurstudios) und produktorientierte Dienstleistungen (Autowerkstätten) insgesamt drei weitere, separate Studien durchgeführt (vgl. Abbildung VI-1). Im Rahmen der Vorstudie in Abschnitt VI-3 (Studie 2) werden die in der vorliegenden Literatur identifizierten Itempools der verwendeten Modellkonstrukte für die folgenden Studien optimiert. Um geeignete Indikatorvariablen identifizieren zu können, die den jeweiligen Konstrukten inhaltlichsemantisch entsprechen, wird ein mehrstufiges Vorgehen gewählt, das zwei Expertenbefragungen mit Marketingwissenschaftlern (n1=8; n2=5) und eine Konsumentenbefragung (n=26) beinhaltet. In der Literatur wird die Diskriminanzvalidität der verschiedenen CommitmentKonstrukte, insbesondere zwischen Affektivem und Normativem Commitment, oft in Frage gestellt.417 Daher wird in einer weiteren Vorstudie (vgl. Abschnitt VI-4; Studie 3) umfassend die Diskriminanzvalidität der vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte separat analysiert (Forschungsfrage II). Hierfür kommen die exploratorische Faktorenanalyse, der Fornell-Larcker-Test sowie der Chi-Quadrat-Differenztest zur Anwendung. Alle Verfahren greifen
417
Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 240; Bergman (2006).
126 dabei auf die Daten einer quantitativen Konsumentenerhebung (n=391) zurück.
Experten- und Konsumentenbefragung zur Itemoptimierung (Studie 2) Optimierung der auf Basis der Literatur entwickelten Items durch zwei Expertenbefragungen (n1=8; n2=5) und eine Konsumentenbefragung (n=26)
Abschnitt VI-3
Empirische Vorstudie zur Überprüfung der Diskriminanzvalidität der Commitment-Konstrukte (Studie 3; Forschungsziel II) Durchführung einer Konsumentenbefragung (n=391) Überprüfung der Diskriminanzvalidität anhand der exploratorischen Faktorenanalyse, des Fornell-Larcker-Tests und des Chi-QuadratDifferenztests alternativer Messmodelle
Abschnitt VI-4
Hauptstudie (Studie 4) Prüfung der Wirkungszusammenhänge im Untersuchungsmodell (Studie 4 – Teil 1; Forschungsziel III) Durchführung einer Konsumentenbefragung in zwei Branchen (n1=840; n2=842) Identifizierung der Determinanten und Konsequenzen der vier Commitment-Konstrukte anhand der Multigruppen-Kausalanalyse
Prüfung der Wirkungszusammenhänge auf nicht-beobachtbare Konsumentenheterogenität (Studie 4 – Teil 2; Forschungsziel IV) Identifizierung von Kundensegmenten anhand der Finite Mixture-Analyse (n=1.682)
Abschnitt VI-5.3.1
Abschnitt VI-5.3.2
Abbildung V-1: Studien zur Überprüfung des Untersuchungsmodells Ziel der Hauptstudie (vgl. Abschnitt VI-5; Studie 4) ist die Überprüfung des in Kapitel V aufgestellten Untersuchungsmodells. Hierzu wird auf eine branchenübergreifende Stichprobe (n=1.682) zurückgegriffen, die sich sowohl aus Kunden von Friseurstudios als auch aus Kunden von Autowerkstätten zusammensetzt. Für jede Branche wird anhand der Multigruppen-Kausalanalyse zunächst ein Basismodell geschätzt, dass zum einen Anbieter- und Wettbewerbsvariablen als Determinanten und zum anderen einzelne Kundenwertkomponenten als Erfolgsauswirkungen der vier CommitmentKonstrukte enthält (Forschungsfrage III). Danach wird mit Hilfe des Finite Mixture-Ansatzes eine Mehr-Klassenlösung geschätzt, um die vermutete nicht-
127 beobachtbare Konsumentenheterogenität im Datensatz zu berücksichtigen (Forschungsfrage IV). Auf dieser Basis werden segmentspezifische Einflüsse sowie deren Wirkungsstärken aufgedeckt, die eine zielgruppenspezifische Marktbearbeitung ermöglichen sollen. 2
Methodische Grundlagen
2.1
Konstruktmessung
Die in der vorliegenden Arbeit verwendeten Modellvariablen sind fast ausschließlich hypothetische Konstrukte, die nicht direkt beobachtbar bzw. messbar sind. Eine solche latente Variable wird von Bagozzi und Fornell (1982) definiert als „[…] an abstract entity which represents the ‚true’, nonobservable state or nature of a phenomenon.“418 Zur Messung von latenten Variablen werden Indikatorvariablen (Items) genutzt, die das Konstrukt indirekt erfassen. Im Vorfeld der Messung müssen diese Konstrukte allerdings zunächst inhaltlich konzeptualisiert und operationalisiert werden.419 Unter dem Begriff Konzeptualisierung wird die Erarbeitung der Konstruktdimensionen verstanden, während die Operationalisierung die Entwicklung des dazugehörigen Messinstruments, bestehend aus den Indikatorvariablen, beschreibt.420 Grundsätzlich wird bei der Konstruktoperationalisierung zwischen formativen und reflektiven Indikatoren unterschieden. Von reflektiven Indikatoren wird gesprochen, wenn das Konstrukt die ihm zugeordneten, beobachtbaren Variablen verursacht. In diesem Fall wird von einer fehlerbehafteten Messung des Konstrukts ausgegangen. Umgekehrt gelten formative Indikatoren als beeinflussende Größen des Konstrukts.421 Die Entscheidung, ob das Messmodell mit formativen oder reflektiven Indikatoren operationalisiert wird, sollte theoriegeleitet erfolgen, doch bei sehr vielen Konstrukten besteht zwischen beiden Messphilosophien eine freie Wahlmöglichkeit. Da allerdings die Gütebeurteilung von Messmodellen, insbesondere die Reliabilitäts- und Validitätsprüfung, bei der Verwendung von reflektiven Indikatoren besser möglich ist als bei formativen Indikatoren,422 418 419 420 421 422
Bagozzi/Fornell (1982), S. 24. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 6. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 5f. Vgl. Bagozzi (1979); Fornell (1986); Bollen/Lennox (1991). Vgl. Eberl (2006), S. 652ff.; Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 36ff.; Homburg/ Klarmann/Pflesser (2008), S. 296.
128 empfehlen Homburg und Klarmann (2006), „[…] in solchen Fällen reflektive Indikatoren zu entwickeln und formative Indikatoren nur mit Bedacht einzusetzen.“423 In der vorliegenden Arbeit werden aufgrund dieser Empfehlung und inhaltlicher Überlegungen ausschließlich reflektive Messmodelle eingesetzt. Zur Beurteilung der Güte eines Messmodells werden die Kriterien Objektivität, Reliabilität und Validität herangezogen. Sie bestimmen das Ausmaß der Güte des Messvorgangs und erlauben damit eine Aussage über die Qualität der durch die Messung generierten Daten und der daraus abgeleiteten Implikationen. 424 Von Objektivität wird gesprochen, wenn die Messergebnisse unabhängig vom Versuchsleiter sind. Eine objektive Messung zeichnet sich also dadurch aus, dass mehrere Personen, die unabhängig voneinander die Messergebnisse registrieren, zum gleichen Ergebnis gelangen. Je nach Ablauf eines Messvorgangs lässt sich die Objektivität der Durchführung, der Auswertung sowie der Interpretation der Messung beurteilen.425 Die Reliabilität ist definiert als der Grad, zu dem das Messverfahren frei von Zufallsfehlern ist. Reliabilität manifestiert sich also darin, dass bei einer Wiederholung der Messung unter gleichen Rahmenbedingungen auch das gleiche Messergebnis erzielt wird.426 Ein Messmodell ist dann als reliabel zu bezeichnen, wenn der Zufallsfehler möglichst gering ist und somit der wesentliche Anteil der Varianz eines Indikators durch das zugrunde liegende Konstrukt erklärt wird. Die Reliabilität des Messinstruments ist weiterhin eine notwendige Bedingung für dessen Validität.427 Die Validität bezieht sich sowohl auf systematische Fehler als auch auf Zufallsfehler. Validität beschreibt somit die konzeptionelle Richtigkeit einer Messung, d.h. inwieweit das Messverfahren auch wirklich das misst, was es messen soll.428 Insgesamt lassen sich vier Arten der Validität unterscheiden.429
423 424 425 426 427 428 429
Homburg/Klarmann (2006), S. 731. Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2009), S. 80. Vgl. Herrmann/Homburg/Klarmann (2008), S. 10f. Vgl. Peter/Churchill (1986), S. 1ff. Vgl. Homburg/Klarmann/Pflesser (2008), S. 278. Vgl. Heeler/Ray (1972), S. 361; Homburg/Giering (1996), S. 6f. Vgl. Homburg/Klarmann/Pflesser (2008), S. 279.
129 So bezieht sich die Inhaltsvalidität auf den Grad, zu dem die Variablen eines Messmodells dem inhaltlich-semantischen Bereich des Konstrukts angehören und alle Bedeutungsinhalte und Aspekte des Konstrukts abbilden.430 Die Konvergenzvalidität bezeichnet den Grad, zu dem zwei oder mehrere unterschiedliche Messungen des gleichen Konstrukts übereinstimmen.431 Die Diskriminanzvalidität ist der Grad, zu dem sich Messungen unterschiedlicher Konstrukte unterscheiden.432 Schließlich repräsentiert die Nomologische Validität den Grad, zu dem vorhergesagte Beziehungen des Konstrukts zu anderen Konstrukten bestätigt werden können. Die vorhergesagten Beziehungen müssen dabei aus einem übergeordneten theoretischen Rahmen hergeleitet werden.433 Die Prüfung der Reliabilität und Validität lassen sich in Verfahren der ersten und zweiten Generation unterscheiden.434 Von den Kriterien der ersten Generation werden die folgenden angewendet: x Anteil der durch die Faktoren erklärten Varianz (EV) x Faktorladung der exploratorischen Faktorenanalyse (FL-EFA) x Cronbachsches Alpha (C) x Item to Total-Korrelation (ITTK). Die exploratorische Faktorenanalyse (EFA) untersucht die vorliegenden Indikatoren auf die ihnen zugrunde liegende Faktorenstruktur, ohne dass a priori eine bestimmte Struktur festgelegt wird.435 Der zur Verdichtung der Indikatoren extrahierte Faktor sollte mindestens den Schwellenwert von 50% der EV erreichen.436 Die FL-EFA gibt die jeweilige Stärke des Zusammenhangs zwischen den einzelnen, ursprünglichen Indikatoren und den extrahierten Faktoren an. In der Literatur wird ein Mindestwert von 0,4 für die jeweilige Faktorladung gefordert. 430 431 432 433 434 435 436
Vgl. Bohrnstedt (1970), S. 92. Vgl. Bagozzi/Phillips (1982), S. 468. Vgl. Bagozzi/Phillips (1982), S. 469. Vgl. Bagozzi (1979), S. 15ff. Vgl. Homburg (2000), S. 75. Vgl. Hartung/Elpelt (1992), S. 505ff.; Backhaus et al. (2008), S. 324. Vgl. Peter (2001), S. 179.
130 In diesem Fall lassen sich die Indikatoren eindeutig einem Faktor zuordnen und es kann von einer ausreichenden Konvergenz- und Diskriminanzvalidität ausgegangen werden.437 Der am häufigsten angewandte Reliabilitätskoeffizient der ersten Generation stellt das C dar.438 Es misst die Reliabilität einer Gruppe von Indikatoren, die nur einen Faktor messen,439 und ist damit ein gutes Maß für die interne Konsistenz.440 Ein Mindestwert für das C ist in der Literatur umstritten, häufig wird jedoch der Vorschlag von Nunnally (1978) aufgegriffen, der einen Mindestwert von 0,7 fordert.441 Die ITTK empfiehlt sich als Eliminiationskriterium für Indikatoren. Liegt das C eines Faktors unterhalb seines geforderten Mindestwerts, so lässt sich seine Reliabilität dadurch steigern, dass die zugehörige Indikatorvariable mit der jeweils niedrigsten ITTK eliminiert wird.442 Die Beurteilung der Reliabilität und Validität anhand der Ansätze der ersten Generation weist jedoch einige Nachteile auf.443 So ist eine differenzierte Untersuchung der einzelnen Indikatoren in Hinblick auf die jeweils zugrunde liegenden Messfehlereinflüsse nicht möglich. Der zweite Kritikpunkt bezieht sich auf die Beurteilung von Validitätsaspekten, die bei diesen Ansätzen im Wesentlichen auf Faustregeln und nicht auf inferenzstatistischen Prüfungen basiert.444 Bezüglich dieser Schwachstellen erweist sich der Einsatz der konfirmatorischen Faktorenanalyse als überlegen.445 Die konfirmatorische Faktorenanalyse unterscheidet sich vom exploratorischen Ansatz dadurch, dass a priori Hypothesen über die den Indikatoren zugrunde liegende Faktorenstruktur formuliert werden.446 Die in Verbindung mit der konfirmatorischen Faktorenanalyse anzuwendenden Gütemaße erlauben eine detaillierte Prüfung der Reliabilität und Validität. Die Überlegenheit dieser
437 438 439 440 441 442 443 444 445 446
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 8. Vgl. Peterson (1994), S. 381ff. Vgl. Gerbing/Anderson (1988), S. 190. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 8. Vgl. Nunnally (1978), S. 245. Vgl. Churchill (1979), S. 68. Vgl. Bagozzi/Phillips (1982); Gerbing/Anderson (1988); Bagozzi/Yi/Phillips (1991). Vgl. Gerbing/Anderson (1988), S. 189. Vgl. Bagozzi/Phillips (1982); Gerbing/Anderson (1988); Steenkamp/van Trijp (1991). Vgl. Backhaus et al. (2008), S.381.
131 sogenannten Kriterien der zweiten Generation447 ist in der Marketingforschung unumstritten.448 Grundsätzlich lässt sich bei den Kriterien der zweiten Generation zwischen globalen und lokalen Anpassungsmaßen unterscheiden. Während globale Anpassungsmaße die Anpassungsgüte des gesamten Modells beurteilen, beziehen sich lokale Anpassungsmaße auf einzelne Modellteile.449 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kommen folgende globale Anpassungsmaße zur Anwendung: x Chi-Quadrat-Anpassungstest (2-Test) x Root Mean Squared Error of Approximation (RMSEA) x Standardized Root Mean Residual (SRMR) x Non Normed Fit Index (NNFI) x Comparative Fit Index (CFI). Mithilfe des 2-Tests kann die inferenzstatistische Beurteilung des spezifizierten Modells in Abhängigkeit der Stichprobengröße erfolgen. Es wird in einer Nullhypothese davon ausgegangen, dass sich die empirische Kovarianzmatrix und die vom Modell reproduzierte Kovarianzmatrix entsprechen.450 Zur Überprüfung wird der 2-Wert als deskriptives Anpassungsmaß in Form des Quotienten aus dem 2-Wert und der Freiheitsgrade (2/df) benutzt.451 Als Maximalwert des Quotienten wird ein Wert von 5,0 angestrebt.452 Der RMSEA prüft, ob das Modell die Realität ausreichend gut approximiert. Werte kleiner als 0,05 deuten auf einen sehr guten Fit hin, während Werte bis 0,08 noch als akzeptabel gelten.453 Das Gütemaß SRMR bezieht sich auf die Residuen (Varianzen und Kovarianzen), die in dem zugrunde liegenden Modell nicht erklärt werden. Je 447 448 449 450 451
452 453
Vgl. Bagozzi/Baumgartner (1994), S.417. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 9. Vgl. Homburg/Baumgartner (1998), S. 351. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 10; Homburg/Pflesser/Klarmann (2008), S. 561. Vgl. Förster et al. (1984), S. 361; Jöreskog/Sörbom (1989), S. 43; Bagozzi/Baumgartner (1994), S. 398. Vgl. Fritz (1995), S. 140. Vgl. Steiger (1990), S. 173ff.; Homburg/Klarmann (2006), S. 737.
132 mehr sich der SRMR dem Wert Null annähert, desto weniger Residuen werden im Modell nicht erklärt und desto besser ist folglich die Anpassungsgüte des Modells.454 Als Höchstwert des SRMR wird in der Literatur ein Wert von 0,1 genannt.455 Der NNFI stellt eine Weiterentwicklung des Normed Fit Indexes (NFI) dar, der den Minimalwert der Diskrepanzfunktion des unterstellten Modells mit dem des dazugehörigen Basismodells vergleicht. Der NFI misst dabei die Verbesserung der Anpassungsgüte beim Übergang vom Basismodell, in dem alle Indikatorvariablen als unkorreliert angenommen werden, zum unterstellten Modell. Der NNFI basiert auf der gleichen Methodik, allerdings berücksichtigt dieser die Stichprobengröße, was als Mangel des NFI kritisiert wird.456 Als Mindestwert des NNFI gilt hierbei der Wert von 0,9.457 Der CFI gilt ebenso wie der NNFI als inkrementelles Anpassungsmaß und berücksichtigt ebenfalls die Stichprobengröße.458 Seine Berechnung basiert auf dem Relative Noncentrality Index von McDonald und Marsh (1990). Als Mindestwert gilt gleichfalls der Wert von 0,9.459 Die angesprochenen Gütemaße zur Überprüfung des globalen Fits eines Modells erlauben jedoch keine Auskunft über die Anpassungsgüte von Teilstrukturen des Modells. Für die vorliegende Studie werden daher folgende lokale Anpassungsmaße für die Messmodelle verwendet: x Indikatorreliabilität (IR) x Faktorreliabilität (FR) x durchschnittlich erfasste Varianz eines Faktors (DEV) x standardisierte Faktorladung (FL-KFA) x t-Wert der Faktorladung eines Indikators (t-Wert FL) 454 455 456
457 458 459
Vgl. Homburg/Klarmann/Pflesser (2008), S. 285. Vgl. Homburg/Klarmann (2006), S. 737. Vgl. Bentler/Bonett (1980), S. 599f.; Homburg/Baumgartner (1995a), S. 170; Schermelleh-Engel/Moosbrugger/Müller (2003), S. 40f.; Homburg/Klarmann/Pflesser (2008), S. 284f. Vgl. Homburg/Baumgartner (1995a), S. 166. Vgl. Bentler (1990), S. 238ff. Vgl. Homburg/Baumgartner (1995a), S. 166.
133 x Fornell-Larcker-Kriterium. Die IR beschreibt für einzelne Indikatoren den Anteil der durch den zugehörigen Faktor erklärten Varianz an der Gesamtvarianz dieser Variablen.460 Damit erfasst sie auch die jeweilige Varianz des zugehörigen Messfehlers des Indikators. Der Wertebereich der IR reicht von Null bis Eins, wobei sie im günstigsten Fall den Wert Eins annimmt, wenn keine Varianz des Messfehlers vorhanden ist.461 In der Literatur wird ein Mindestwert von 0,4 vorgeschlagen.462 Während die IR die Reliabilität eines einzelnen Indikators untersucht, zeigen die FR und die DEV, wie gut der Faktor durch die Gesamtheit aller ihm zugeordneten Indikatoren gemessen wird.463 Dies ist ein wichtiger Aspekt hinsichtlich der Reliabilitätsbeurteilung des Messmodells.464 Während die DEV lediglich die Varianzanteile innerhalb einer Messkomposition berücksichtigt, erfasst die FR auch die Kovarianz zwischen den Indikatoren.465 Beide Maße verfügen über einen Wertebereich zwischen Null und Eins und für beide gilt, dass Werte nahe Eins unter Reliabilitätsgesichtspunkten wünschenswert sind. In der Literatur wird für die FR ein Mindestwert von 0,6 und für die DEV ein Mindestwert von 0,5 vorgeschlagen.466 Weiterhin sollte die FL-KFA, welche Hinweise für die Konvergenzvalidität liefert, hinreichend groß und signifikant sein.467 Die FL-KFA gibt die Stärke des Zusammenhangs zwischen einem einzelnen Indikator und den extrahierten Faktoren an. Als Mindestwert für die FL-KFA wird die Schwelle von 0,5 vorgeschlagen.468 Zur Überprüfung der Konvergenzvalidität der Indikatoren eines Faktors wird weiterhin geprüft, ob alle zugehörigen Faktorladungen signifikant von Null verschieden sind. Hierzu erfolgt die Untersuchung mittels eines einseitigen t-Tests auf einem in der Literatur vorgeschlagenen
460 461 462 463 464 465 466 467 468
Vgl. Bagozzi (1982), S. 156. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 10. Vgl. Homburg/Baumgartner (1995a), S. 172. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 10f. Vgl. Homburg (2000), S. 91f. Vgl. Fritz (1995), S. 133. Vgl. Bagozzi/Yi (1988), S. 74ff.; Bagozzi/Baumgartner (1994), S. 386ff. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 11. Vgl. Fritz (1995), S. 132ff.
134 Signifikanzniveau von 5%, woraus sich für den t-Wert der FL-KFA ein Mindestwert von 1,645 ergibt.469 Für eine vollständige Reliabilitäts- und Validitätsbetrachtung ist abschließend die Analyse der Diskriminanzvalidität anhand des Fornell-Larcker-Kriteriums notwendig.470 Demnach kann von einer ausreichenden Diskriminanzvalidität zwischen den Faktoren ausgegangen werden, wenn die durchschnittlich erfasste Varianz eines Faktors größer ist als jede quadrierte Korrelation dieses Faktors mit einem anderen Faktor (R²).471 Die Gütekriterien der ersten und zweiten Generation sowie deren optimales Anpassungsniveau sind in Tabelle VI-1 zusammengefasst. Sie bilden die Basis für die Beurteilung der Anpassungsgüte der in der Hauptstudie verwendeten Messmodelle. Gütekriterien Kriterien der 1. Generation Anteil der durch die Faktoren erklärten Varianz Faktorladung der EFA Cronbachsches Alpha Item to Total-Korrelation Kriterien der 2. Generation Globale Gütekriterien 2-Anpassungstest (2/df) Root Mean Squared Error of Approximation Standardized Root Mean Residual Non Normed Fit Index Comparative Fit Index Lokale Gütekriterien Indikatorreliabilität Faktorreliabilität Durchschnittlich erfasste Varianz Faktorladung der KFA t-Wert der Faktorladung Fornell-Larcker-Kriterium
Optimales Anpassungsniveau 0,5 0,4 0,7 Zu eliminierendes Item, falls C < 0,7
5,0 0,08 0,1 0,9 0,9 0,4 0,6 0,5 0,5 1,645 (5% Signifikanzniveau) DEV>R²
Tabelle VI-1: Anspruchskriterien der ersten und zweiten Generation im Überblick Quelle: In Anlehnung an Homburg/Klarmann/Pflesser (2008), S. 288.
469 470 471
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 11. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 11. Vgl. Fornell/Larcker (1981), S. 46.
135 2.2
Kausalanalyse
Viele Fragestellungen beziehen sich auf die Überprüfung von kausalen Abhängigkeiten zwischen bestimmten Merkmalen. Werden mit Hilfe von Datensätzen Kausalitäten überprüft, so wird allgemein von einer Kausalanalyse gesprochen. Dabei wird ein im Vorfeld theoretisch fundiertes Hypothesensystem auf Übereinstimmung mit dem empirisch gewonnen Datenmaterial getestet.472 Die Kausalanalyse hat damit konfirmatorischen Charakter473 und wird zu den strukturprüfenden Verfahren der Dependenzanalyse gezählt.474 Die Kausalanalyse wird mathematisch als lineares Strukturgleichungsmodell formuliert und kombiniert die Faktorenanalyse mit der Regressionsanalyse.475 Die Verknüpfung beider Verfahren ermöglicht der Kausalanalyse simultan die fehlerbehaftete Messung komplexer Konstrukte sowie die Analyse komplexer Abhängigkeitsstrukturen.476 Während die Faktorenanalyse eine Methode zur Operationalisierung latenter, nicht direkt beobachtbarer Konstrukte durch beobachtbare Indikatoren darstellt, untersucht die Regressionsanalyse die Stärke des Zusammenhangs zwischen einer abhängigen und einer oder mehreren unabhängigen Variablen.477 Nach Homburg, Pflesser und Klarmann (2008) ist der Ausgangspunkt einer kausalanalytischen Untersuchung ein Modell aus linearen Gleichungen, die hypothetische Beziehungen zwischen den Modellvariablen beschreiben. Ein solches Modell lässt sich wie folgt darstellen:478 (1)
= B + +
(Strukturmodell)
(2)
y = y +
(endogenes Messmodell)
(3)
x = x +
(exogenes Messmodell)
Diese Modellformulierung zeigt, wie die Kausalanalyse mehrere multivariate Modelle integriert: Gleichung (1) ist ein herkömmliches Strukturgleichungs472 473 474 475 476 477 478
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 511ff. Vgl. Homburg (1989), S. 2. Vgl. Pepels (2000), S. 326. Vgl. Homburg/Pflesser/Klarmann (2008), S. 549f. Vgl. Homburg/Baumgartner (1995b), S. 1092. Vgl. Bagozzi/Fornell/Larcker (1982), S. 104ff. Vgl. Homburg/Pflesser/Klarmann (2008), S. 554ff.
136 modell (im weiteren Verlauf als Strukturmodell bezeichnet), dessen Variablen allerdings nicht direkt messbar sind. Es stellt die hypothetischen Beziehungen zwischen den latenten Variablen (den Konstrukten) des Modells dar.479 Bei den latenten Variablen wird zwischen endogenen () und exogenen () Größen unterschieden. Während die exogenen latenten Variablen nicht von anderen Modellvariablen abhängen, werden die endogenen latenten Variablen von anderen Modellvariablen beeinflusst. Die Koeffizientenmatrix B modelliert die Effekte zwischen latenten endogenen Variablen, während die Koeffizientenmatrix die Effekte latenter exogener auf latente endogene Variablen abbildet. ist ein Vektor von Fehlergrößen im Strukturmodell, der dem Fehlerterm im Modell der multiplen Regressionsanalyse entspricht.480 Die Gleichungen (2) und (3) sind faktoranalytische Modelle und werden als Messmodell bezeichnet. Sie stellen die Beziehung zwischen den latenten Variablen ( und ) sowie den zugehörigen messbaren Indikatorvariablen dar. Hierbei enthält der Vektor y die Indikatoren der latenten endogenen Variablen und der Vektor x die der latenten exogenen Variablen. Die Koeffizientenmatrizen y und x sind als Faktorladungsmatrizen interpretierbar. Da unterstellt wird, dass jeder Indikator eine fehlerbehaftete Messung einer oder auch mehrerer latenter Variablen darstellt, werden durch die Vektoren und explizit Messfehlervariablen modelliert.481 Unter geeigneten Voraussetzungen ist es möglich, die Kovarianzmatrix der beobachteten Variablen x und y durch die acht Parametermatrizen B, , /y, /x, ), <, TH, TG auszudrücken (Gleichung 4).482 Die vier letztgenannten Matrizen stellen die Kovarianzmatrizen der Vektoren , , und dar.483 (4)
= (B, , /y, /x, ), <, TH, TG)
Ziel ist es nun, die Parameter der Kovarianzmatrix so zu schätzen, dass die dadurch generierte Matrix möglichst exakt die empirisch ermittelte Kovarianzmatrix S reproduziert.484 Zur Schätzung der Parameter stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, die sich hinsichtlich ihrer Anforde479 480 481 482 483 484
Vgl. Homburg/Baumgartner (1998), S. 347. Vgl. Homburg/Baumgartner (1998), S. 347f. Vgl. Homburg/Pflesser/Klarmann (2008), S. 554. Vgl. Homburg (1989), S. 151ff. Vgl. Homburg/Pflesser/Klarmann (2008), S. 557. Vgl. Homburg/Pflesser/Klarmann (2008), S. 558.
137 rungen an die Verteilung der Indikatoren, an die Stichprobengröße und an das Skalenniveau unterscheiden. Zu den am häufigsten genutzten Schätzverfahren zählen das Maximum Likelihood-, das Weighted Least Squares-, das Unweighted Least Squares- und das Generalized Least SquaresVerfahren.485 Klarmann (2008) empfiehlt den Einsatz des Maximum Likelihood-Verfahrens. Eine zentrale Annahme dieser Schätzfunktion ist dabei die multivariate Normalverteilung der Ausgangsdaten. Bei Stichproben mit mehr als 200 Fällen wird allerdings eine robuste Schätzung erwartet.486 Da für die vorliegende Arbeit sogar eine weitaus größere Stichprobe vorhanden ist, wird der Empfehlung gefolgt und das Maximum Likelihood-Schätzverfahren verwendet. Zur Gütebeurteilung des Kausalmodells werden dieselben Kriterien angewendet wie zu der einer konfirmatorischen Faktorenanalyse, da diese lediglich einen Spezialfall der Kausalanalyse darstellt.487 Weiterhin sind die standardisierten Pfadkoeffizienten des Strukturmodells und die zugehörigen t-Werte von besonderer Bedeutung. Der Anwender erhält Informationen über die Stärke und die Richtung der Effekte zwischen den latenten Variablen sowie über deren statistische Signifikanz.488 Zudem wird der quadrierte multiple Korrelationskoeffizient für jede latente endogene Variable als Indikator dafür herangezogen, wie groß der Anteil der Varianz der zu erklärenden Variablen ist, der durch das Modell tatsächlich erklärt wird. Der Wertebereich liegt im Intervall zwischen Null und Eins, wobei ein hoher Wert dafür spricht, dass die zu erklärende Variable überwiegend durch die im Modell repräsentierten Variablen bestimmt wird. Liegt das Erkenntnisziel der Untersuchung in der möglichst vollständigen Erklärung der jeweiligen endogenen Variablen, dann schlagen Homburg, Pflesser und Klarmann (2008) einen Mindestwert von 0,4 vor. Geht es allerdings lediglich um die Prüfung vermuteter Kausalbeziehungen, kann zwar die quadrierte multiple Korrelation als Interpretationshilfe herangezogen werden, die Vorgabe eines Mindestwertes ist in diesem Fall aber nicht sinnvoll.489 Für die vorliegende Studie wird daher kein Mindestwert festgelegt.
485 486 487 488 489
Vgl. Diamantopoulos/Siguaw (2000), S. 55. Vgl. Klarmann (2008), S. 45. Vgl. Homburg/Klarmann/Pflesser (2008), S. 273. Vgl. Giering (2000), S. 93. Vgl. Homburg/Pflesser/Klarmann (2008), S. 565.
138 2.3
Finite Mixture-Analyse
Die ausschließliche Betrachtung von Strukturgleichungsmodellen auf aggregierter Ebene setzt eine homogene Stichprobe voraus, in der für alle Probanden dieselben Wirkungsstärken gelten. Liegt aber Heterogenität in der Stichprobe vor, dann können die geschätzten Parameter systematisch verzerrt sein.490 Eine modellbasierte a priori-Segmentierung ist allerdings nur selten möglich. Die Finite Mixture-Analyse in Kombination mit einem Strukturgleichungsmodell erlaubt es aber, Heterogenität in der Stichprobe unmittelbar abzubilden und so die systematische Verzerrung der Parameter zu reduzieren.491 Nach Gensler (2008) ist die Finite Mixture-Analyse „[…] heute eine State-ofthe-Art-Methode der Segmentierung.“492 Finite Mixture-Modelle gehen davon aus, dass die Beobachtungen der interessierenden Variablen (Segmentierungsbasis) einer spezifischen Dichtefunktion entstammen. Diese Dichtefunktion ergibt sich aus mehreren segmentspezifischen Dichtefunktionen, die miteinander vermischt sind und sich nur bezüglich ihrer segmentspezifischen Parameter unterscheiden. Das Ziel der Finite Mixture-Analyse ist es nun, die Dichtefunktion der Beobachtungen zu entmischen, um so die segmentspezifischen Dichtefunktionen zu erhalten.493 Den Finite Mixture-Modellen liegt analog zur Clusteranalyse die Annahme zugrunde, dass eine endliche Anzahl an Segmenten existiert. Die Zuordnung der Konsumenten zu den Segmenten erfolgt jedoch nicht deterministisch, sondern vielmehr probabilistisch. Demnach gehört jeder Konsument mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einem Segment an.494 Somit ergibt sich eine Fuzzy-Zuordnung der Konsumenten zu den Segmenten. Allerdings basieren Finite Mixture-Modelle auf der Annahme, dass jeder Konsument nur einem bestimmten Segment angehört. Meist liegen jedoch nicht genügend Informationen vor, mittels derer die Konsumenten eindeutig dem klassifizierenden Segment zugeordnet werden können. Daher kann eine Aussage der Segmentzugehörigkeit lediglich auf Basis der höchsten Wahrscheinlichkeit 490 491 492 493
494
Vgl. Gensler (2008), S. 460. Vgl. Jedidi/Jagpal/DeSarbo (1997), S. 40. Gensler (2008), S. 441. Vgl. Gensler (2008), S. 441. Für eine mathematische Betrachtung der Dichtefunktionen vgl. Jedidi/Jagpal/DeSarbo (1997), S. 44; Hahn et al. (2002), S. 249ff. Vgl. Green/Carmone/Wachspress (1976), S. 172f.
139 getroffen werden.495 Im Anschluss an die Segmentzuordnung können die einzelnen Segmente anhand der für ihre Mitglieder charakteristischen, deskriptiven Variablen beschrieben werden. Auf diese Weise können zum einen die Identifizier- und Ansprechbarkeit der ermittelten Segmente gesichert werden und zum anderen lassen sich im Nachhinein die Ursachen für die zuvor unbeobachtbare Heterogenität identifizieren.496 Für die segmentspezifische Parameterschätzung eines Finite MixtureModells muss zunächst eine Likelihood-Funktion formuliert werden, die dann zu maximieren ist. Die Maximierung kann entweder durch iterative Algorithmen, wie beispielsweise den Newton-Raphson-Algorithmus oder den häufig verwendeten Expectation-Maximation-Algorithmus (EM-Algorithmus), erfolgen. Bei der Verwendung des EM-Algorithmus wird nicht die gesamte Likelihood-Funktion in einem Iterationsschritt maximiert, sondern die vorhandenen Informationen der beobachteten Variablen werden durch unbeobachtete Erwartungswerte hinsichtlich der Segmentzugehörigkeit angereichert. Auf dieser Basis werden die Fälle iterativ den Segmenten zugeordnet und daraufhin die segmentspezifischen Parameter sowie die Wahrscheinlichkeit der Segmentzugehörigkeit neu ermittelt.497 Dies wird solange wiederholt, bis sich der Wert des Likelihoods nicht weiter erhöht.498 Eine Schwierigkeit des Finite Mixture-Ansatzes besteht in der Festlegung der optimalen Klassenanzahl, die vom Anwender ex ante vorzugeben ist. Da im Vorfeld der Untersuchung meist keine klare Vorstellung über die optimale Anzahl der Segmente existiert, muss das Modell für verschiedene Klassenzahlen geschätzt werden.499 Zu diesem Zweck werden meist unterschiedliche Informationskriterien herangezogen, die zum einen die Devianz (mit -2 multiplizierter Wert des Likelihoods des geschätzten Modells) und zum anderen einen Bestrafungsfaktor für die Modellkomplexität berücksichtigen. In der Literatur werden häufig die folgenden zwei Informationskriterien thematisiert:500
495 496
497 498 499 500
Vgl. Gensler (2008), S. 441. Vgl. Green/Carmone/Wachspress (1976), S. 171; Wedel/DeSarbo (1994), S. 375; Wedel/ Kamakura (2003), S. 145f. Vgl. Wedel/DeSarbo (1994), S. 354ff.; Wedel/Kamakura (2003), S. 84ff. Vgl. Cohen/Ramaswamy (1998), S. 16. Vgl. Dillon/Kumar (1994), S. 305; Teichert (2001), S. 802. Vgl. Hahn et al. (2002), S. 254; Gensler (2008), S. 449.
140 x Akaike Information Criterion (AIC) (1) AIC = -2 lnL + 2 |K| x Bayesian Information Criterion (BIC) (2) BIC = -2 lnL + (ln(|H||I|)) |K| Das AIC verwendet neben der Devianz (-2 lnL) auch die Anzahl der Elemente in der Indexmenge der zu schätzenden Parameter (|K|), indem diese mit dem Faktor Zwei multipliziert und zu dem Wert der Devianz hinzuaddiert werden.501 Das BIC berücksichtigt ebenfalls die Devianz und die Anzahl der Elemente in der Indexmenge der zu schätzenden Parameter. Darüber hinaus integriert dieses Kriterium aber auch die Anzahl der Elemente in der Indexmenge der Konsumenten (|H|) sowie die Anzahl der Elemente in der Indexmenge der Beobachtungen je Konsument (|I|).502 Das Minimum von AIC und BIC zeigt das Modell mit der Gruppenanzahl an, das die Beobachtungen am besten wiedergeben kann.503 Während das Informationskriterium AIC dazu neigt, die Zahl der Segmente zu überschätzen,504 vermeidet es das BIC, eine zu hohe Zahl an Segmenten festzulegen.505 Ein weiteres Kriterium zur Festlegung der optimalen Klassenzahl stellt die Trennschärfe der Klassen dar. Dazu lässt sich das sogenannte Entropie-Maß heranziehen, das den Grad der Unschärfe der Segmentzugehörigkeit der Konsumenten auf Basis der A-posteriori-Wahrscheinlichkeit der Segmentzugehörigkeiten betrachtet.506 Das Entropie-Maß ist auf das Intervall zwischen Null und Eins normiert. Dabei deuten hohe Werte auf eine gute Separation der Segmente hin.507 Zusätzlich kann zur Wahl der optimalen Klassenzahl der Lo-Mendell-Rubin Likelihood Ratio Test (L-M-R Test) herangezogen werden. Bei diesem Test wird die Nullhypothese geprüft, ob ein Modell mit einer um Eins geringeren Anzahl an Klassen die Daten besser reproduzieren kann als das zuvor
501 502 503 504 505 506 507
Vgl. Bozdogan (1987), S. 353. Vgl. Wedel/Kamakura (2003), S. 92. Vgl. Gensler (2008), S. 450. Vgl. Ramaswamy et al. (1993), S. 109. Vgl. Bozdogan (1987), S. 368. Vgl. Wedel/Kamakura (2003), S. 92f. Vgl. Ramaswamy et al. (1993), S. 109.
141 geschätzte Modell. Wird die Nullhypothese abgelehnt, so ist das zuvor geschätzte Modell mit der höheren Klassenzahl vorzuziehen.508 Mit Hilfe dieser Gütekriterien lassen sich Strukturgleichungsmodelle auf Basis des Finite Mixture-Ansatzes identifizieren, die mit einer optimalen Klassenzahl die Heterogenität zwischen Konsumenten realitätsnah reproduzieren.509 Allerdings ist die Auswahl der Klassen auch unter dem Gesichtspunkt der praktischen Relevanz kritisch zu hinterfragen. Besonders die Aspekte der Plausibilität, Interpretierbarkeit und Substanzialität der Klassen sind im Auswahlverfahren gleichfalls zu berücksichtigen.510 3
Experten- und Konsumentenbefragung zur Itemoptimierung (Studie 2)
In den vorangegangen Kapiteln IV und V wurden die in der vorliegenden Arbeit verwendeten Konstrukte konzeptualisiert. Die sich nun anschließende Operationalisierung erfolgt in einem vierstufigen Vorgehen. Hierbei liegt die besondere Herausforderung darin, geeignete Indikatorvariablen zu bestimmen, die dem jeweiligen Konstrukt inhaltlich-semantisch entsprechen. Weiterhin sind bei der Entwicklung der Messinstrumente die Besonderheiten der beiden zu untersuchenden Branchen Friseurstudios und Autowerkstätten zu berücksichtigen. In einem ersten Schritt wurden zu allen Konstrukten auf Basis einer umfassenden Literaturrecherche Itempools aus bestehenden Messskalen zusammengestellt. Diese wurden zunächst aus der überwiegend englischsprachigen Literatur ins Deutsche übersetzt und gemäß dem deutschen Sprachgebrauch abgewandelt. Schließlich erfolgte eine sprachliche Anpassung an die beiden in der vorliegenden Arbeit zu untersuchenden Branchen. Im zweiten Schritt wurde eine Expertenbefragung durchgeführt. Hierfür wurde acht Marketingwissenschaftlern zu Beginn die inhaltliche Bedeutung der jeweiligen Konstrukte erläutert. Daraufhin wurden den Experten die Itempools, bestehend aus vier bis fünf Items je Konstrukt, vorgelegt mit der Bitte, die zu einem Konstrukt gehörenden Items bezüglich ihrer Eignung zu sortieren
508 509 510
Vgl. Lo/Mendell/Rubin (2001); Muthén/Muthén (2007), S. 517f. Vgl. Jedidi/Jagpal/DeSarbo (1997). Vgl. Völckner (2003), S. 143; Reichardt (2008), S. 125.
142 (Kriterium 1). Hierbei wurden die Items eines Konstrukts eliminiert, die nach gemittelter Rangfolge als am wenigsten geeignet eingestuft wurden. Weiterhin wurden alle Items auf ihre Verständlichkeit bewertet (Kriterium 2). Bei unverständlichen Items wurden konkrete Optimierungsvorschläge von den Experten erbeten. Sobald mindestens eine Person das jeweilige Item als unverständlich bewertet hatte, wurde es auf Basis der Verbesserungsvorschläge optimiert. Der durch die Expertenbefragung optimierte Itempool wurde dann in einem dritten Schritt mittels einer Konsumentenbefragung auf Verständlichkeit für die Zielgruppe geprüft. Dafür wurden die Konstruktitems insgesamt 26 Personen vorgelegt, die sich gleichmäßig auf die beiden Untersuchungsgruppen Friseur- und Werkstattkunden aufteilten. Innerhalb dieser Gruppen wurden die Items auf Verständlichkeit hinsichtlich des jeweiligen Branchenkontextes bewertet. Sofern die Verständlichkeit nicht gegeben war, wurden konkrete Optimierungsvorschläge abgefragt. Wenn zwei oder mehr Personen aus einer Untersuchungsgruppe ein Item als schlecht verständlich bewerteten, wurde dieses entsprechend optimiert. Im letzten Schritt wurden die durch die Konsumenten bewerteten Items nochmals in einer Expertenbefragung überprüft. Hierzu wurden fünf Marketingwissenschaftler gebeten, die zu einem Konstrukt gehörenden Items auf inhaltliche Übereinstimmung mit der ursprünglichen Konstruktkonzeptualisierung zu überprüfen. Da alle Konstruktitems den Anforderungen genügten, wurden keine weiteren Anpassungen vorgenommen. 4
Empirische Vorstudie zur Überprüfung der Diskriminanzvalidität der Commitment-Konstrukte (Studie 3)
In der Literatur wird beim Einsatz mehrerer Commitment-Konstrukte häufig die Diskriminanzvalidität aufgrund teilweise hoher Korrelationen zwischen den einzelnen Konstrukten angezweifelt.511 Um diesen Kritikpunkt aufzugreifen und für die vorliegende Arbeit zu klären, wird im folgenden Abschnitt die Diskriminanzvalidität der vier Commitment-Konstrukte geprüft (Forschungsziel II). Als Ansätze kommen dafür in Anlehnung an Homburg und Giering (1996) sowie Bansal, Irving und Taylor (2004) die exploratorische Faktoren511
Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004); Bergman (2006); Sharma/Young/Wilkinson (2006).
143 analyse, der Fornell-Larcker-Test sowie der Chi-Quadrat-Differenztest zur Anwendung.512 Alle Ansätze greifen auf die Daten einer ersten quantitativen Erhebung zurück, die mittels einer Online-Befragung von Konsumenten durchgeführt wurde. Die Attraktivität der Online-Befragung begründet sich primär durch forschungsökonomische Vorzüge. Im Vergleich zu schriftlichen Erhebungen sind Online-Umfragen zum einen kostengünstiger und zum anderen reaktionsschneller, da die Antwortzeit der Probanden erheblich verkürzt wird.513 Weiterhin wird der Online-Befragung eine mit der schriftlichen Befragung vergleichbare interne Validität zugesprochen.514 Außerdem kann von einer hohen Durchführungs- und Auswertungsobjektivität ausgegangen werden.515 Lediglich hinsichtlich der externen Validität sind Einschränkungen zu machen, da noch nicht von einer vollständigen Diffusion des Internets in allen Bevölkerungsschichten auszugehen ist.516 Zusammenfassend überwiegen die Vorteile der Online-Befragung allerdings deutlich, weswegen die empirische Vorstudie mittels der Online-Befragung durchgeführt wurde. Für die quantitative Konsumentenerhebung kam ein dreiteiliger Fragebogen zum Einsatz. Im ersten Teil erfolgte eine kurze Einführung in die grundlegende Thematik der Studie sowie die Zuweisung der Probanden zu den jeweiligen Untersuchungsbranchen Friseurstudios und Autowerkstätten. Hierfür wurde zunächst versucht, dem Probanden seine aktuell genutzte Autowerkstatt als Untersuchungsgegenstand zuzuordnen. Dabei wurde kontrolliert, dass der jeweilige Proband ein Fahrzeug besaß, selbst für die Kosten eines Werkstattbesuchs aufkam und die letzten zwei Kundenbesuche bei der gleichen Autowerkstatt stattfanden. Wurde eines dieser Kriterien nicht erfüllt, wurde dem Proband sein aktuell genutztes Friseurstudio als Alternative zugewiesen. Auch hier galt, dass die letzten zwei Kundenbesuche beim gleichen Anbieter stattgefunden haben mussten. Wurde auch dies nicht erfüllt, wurde der Proband von der Untersuchung ausgeschlossen. Der zweite Teil des Fragebogens enthielt die Indikatorvariablen, die zur Messung der 512 513
514 515 516
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 13; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 240ff. Vgl. Schaefer/Dillman (1998), S. 378ff.; Kent/Lee (1999), S. 377ff.; Llieva/Baron/Healey (2002), S. 363. Vgl. Sproull (1986), S. 167. Vgl. Neumann (2007), S. 108. Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2009), S. 107f.
144 Commitment-Konstrukte benötigt wurden und sich auf den jeweiligen im ersten Teil des Fragebogens ermittelten Anbieter bezogen. Alle Items wurden dabei auf einer siebenstufigen Likert-Skala (1=höchster Grad der Ablehnung; 7=höchster Grad der Zustimmung) bewertet. Der dritte Teil der Erhebung beinhaltete schließlich die Abfrage der soziodemographischen Merkmale der Probanden. Die quantitative Konsumentenerhebung wurde in der Zeit vom 13. Juli bis 11. August 2009 durchgeführt. Hierfür wurden die Probanden per E-Mail zu der Online-Umfrage eingeladen. Insgesamt wurden 391 vollständig ausgefüllte Fragebögen generiert. 232 Probanden wurde ihr aktuell genutztes Friseurstudio und 159 Probanden ihre aktuell genutzte Autowerkstatt als Anbieter zugewiesen. Die Geschlechterverteilung in der Stichprobe ist nahezu ausgeglichen (47,7% männlich; 52,3% weiblich), während das Durchschnittsalter der Probanden 26,6 Jahre beträgt. Das geringe Durchschnittsalter ist darauf zurückzuführen, dass die Probanden der empirischen Vorstudie hauptsächlich im universitären Umfeld rekrutiert wurden. Die Verwendung von Studenten als Probanden ist in der Commitment-Forschung gängig und wird daher für die Vorstudie als zweckmäßig angesehen.517 Bevor die Diskriminanzvalidität der einzelnen Commitment-Konstrukte geprüft wird, werden die in Abschnitt VI-3 entwickelten und optimierten Messmodelle anhand verschiedener Analysemethoden verdichtet. Dazu werden in einem ersten Schritt die einzelnen Messmodelle auf der Basis des Cronbachschen Alphas, der Item to Total-Korrelation sowie der exploratorischen Faktorenanalyse separat analysiert (vgl. Abschnitt VI-2.1). Dadurch wird sichergestellt, dass die Indikatormenge der Messmodelle bei zunächst unbefriedigenden Ergebnissen verdichtet wird und dass die Indikatoren der jeweiligen Commitment-Konstrukte nur einem Konstrukt zugeordnet werden können. Basierend auf diesem Analyseschritt muss für jedes CommitmentKonstrukt jeweils eine Indikatorvariable eliminiert werden. Tabelle VI-2 gibt einen Überblick über die Anzahl der jeweils ausgeschlossenen und verbliebenen Items der vier Commitment-Konstrukte. Darüber hinaus sind das Cronbachsche Alpha, die Varianzerklärung der Konstrukte mit den verbleibenden Indikatoren sowie die jeweils geringste Faktorladung dokumentiert.
517
Vgl. z.B. Andaleeb (1996); Fullerton (2003); Tsiros/Ross/Mittal (2009).
145 Affektives Commitment Anzahl eliminierter Items Anzahl verbleibender Items C FL (EFA) EV Kalkulatives Commitment Anzahl eliminierter Items Anzahl verbleibender Items C FL (EFA) EV
1 3 0,92 0,90 (min.) 0,86 1 3 0,95 0,95 (min.) 0,91
Normatives Commitment Anzahl eliminierter Items Anzahl verbleibender Items C FL (EFA) EV Kaptives Commitment Anzahl eliminierter Items Anzahl verbleibender Items C FL (EFA) EV
1 3 0,85 0,83 (min.) 0,77 1 3 0,89 0,89 (min.) 0,83
Tabelle VI-2: Güte der einzelnen Commitment-Konstrukte auf Basis der exploratorischen Faktorenanalyse sowie des Cronbachschen Alphas (n=391) In einem weiteren Untersuchungsschritt erfolgt die konfirmatorische Überprüfung der Messmodellstruktur der einzelnen CommitmentKonstrukte. Im Rahmen dieses Analyseschritts können alle Indikatorvariablen angenommen werden und eine weitere Verdichtung der Messmodelle ist nicht notwendig. Zwar erscheint die Indikatorreliabilität eines Items beim Normativen Commitment vergleichsweise niedrig, doch es werden alle in der Literatur geforderten Mindestwerte der Gütekriterien erfüllt (vgl. Abschnitt VI-2.1). In Tabelle VI-3 sind die Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalyse für die einzelnen Konstrukte dargestellt. Die Tabelle dokumentiert die interpretierbaren Gütekriterien, wobei für die Indikatorreliabilitäten sowie die t-Werte der Faktorladungen die jeweils kleinsten Werte je Konstrukt angegeben sind.
146 Affektives Commitment FR IR FL (KFA) t-Wert (KFA) DEV Kalkulatives Commitment FR IR FL (KFA) t-Wert (KFA) DEV
0,92 0,65 (min.) 0,80 (min.) 18,93 (min.) 0,80 0,95 0,84 (min.) 0,92 (min) 23,51 (min.) 0,87
Normatives Commitment FR IR FL (KFA) t-Wert (KFA) DEV Kaptives Commitment FR IR FL (KFA) t-Wert (KFA) DEV
0,86 0,49 (min.) 0,70 (min.) 15,00 (min.) 0,67 0,89 0,64 (min.) 0,80 (min.) 18,43 (min.) 0,74
Bei drei Indikatoren besitzt ein konfirmatorisches Modell keine Freiheitsgrade. Eine Berechnung der globalen Gütemaße 2/df, RMSEA, CFI, NNFI, SRMR ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-3: Güte der einzelnen Commitment-Konstrukte auf Basis der konfirmatorischen Faktorenanalyse (n=391) Nachdem die Messmodelle der einzelnen Commitment-Konstrukte verdichtet wurden, wird nun die Prüfung der Diskriminanzvalidität durchgeführt. Dazu werden mittels der exploratorischen Faktorenanalyse zunächst die vorliegenden Indikatoren der Commitment-Konstrukte auf die ihnen zugrunde liegende Faktorenstruktur geprüft, ohne dass a priori eine bestimmte Struktur festgelegt wird.518 Um eine ausreichende Diskriminanzvalidität der Commitment-Konstrukte zu bestätigen, müssen bei der Analyse aller für die Konstrukte verwendeten Indikatoren genau vier Faktoren identifiziert werden. Die Verdichtung der Indikatorvariablen erfolgt mittels der Hauptkomponentenanalyse, bei der die Faktoren sequentiell gemäß dem Ausmaß ihres Erklärungsbeitrags an der Gesamtstreuung der Indikatorvariablen extrahiert werden.519 Dafür kommt das Eigenwert- bzw. Kaiser-Kriterium zur Anwendung,520 nach dem sämtliche Faktoren extrahiert werden, die einen Eigenwert größer als eins aufweisen. Das Kriterium repräsentiert somit den Anteil der durch den Faktor aufgeklärten Varianz an der Gesamtvarianz.521 Die Anwendung der exploratorischen Faktorenanalyse auf den vorliegenden Datensatz zeigt, dass vier Faktoren mit einem Eigenwert größer eins extrahiert werden können (vgl. Tabelle VI-4). Die erklärte kumulierte Varianz 518 519 520 521
Vgl. Hartung/Elpelt (1992), S. 505ff.; Backhaus et al. (2008), S. 324. Vgl. Aaker/Kumar/Day (2004), S. 563. Vgl. Kaiser (1958), S. 187ff. Vgl. Green/Tull/Albaum (1998), S. 566.
147 beträgt 84,54%, was auf eine hohe Repräsentation der Daten durch die identifizierte Faktorenstruktur hindeutet. Komponente
Anfängliche Eigenwerte Gesamt
1 2 3 4 5
4,78 2,60 1,68 1,10 0,47
Erklärte Varianz (in %) 39,80 21,63 13,96 9,14 3,89
Erklärte kumulierte Varianz (in %) 39,80 61,43 75,39 84,53 88,42
Rotierte Summe der quadrierten Ladungen Gesamt Erklärte Erklärte Varianz kumulierte (in %) Varianz (in %) 2,75 22,94 22,94 2,53 21,08 44,02 2,51 20,90 64,92 2,35 19,62 84,54
Tabelle VI-4: Gesamtvarianz und Eigenwerte (n=391) Im Folgenden wird die Zuordnung der einzelnen Indikatoren zu den extrahierten Faktoren betrachtet. Die Indikatorvariablen werden dazu entsprechend der Höhe ihrer Faktorladungen den Faktoren zugeordnet. Je höher dabei der absolute Wert einer Faktorladung ist, desto präziser ist der Indikator dem zugehörigen Faktor zuzuordnen und desto höher ist der Erklärungsgehalt der Indikatorvariablen für den jeweiligen Faktor.522 Um eine eindeutige Faktorenstruktur zu generieren, wird im Rahmen der Hauptkomponentenanalyse das Varimax-Verfahren als Rotationsmethode angewendet.523 Das Ziel dieser Rotation ist es, die Faktorladungen so zu variieren, dass eine Indikatorvariable möglichst hoch auf nur einen einzigen Faktor und möglichst niedrig auf die verbleibenden Faktoren lädt. Damit wird die Entstehung einer eindeutigen Faktorenstruktur begünstigt.524 Die rotierte Lösung zeigt, dass sich eine klare Zuordnung der Indikatorvariablen zu einzelnen Faktoren ergibt (vgl. Tabelle IV-5). Es wird deutlich, dass die für die Commitment-Konstrukte vorgesehenen Indikatorvariablen auch jeweils auf den entsprechenden Faktor laden. Somit kann im Rahmen der exploratorischen Faktorenanalyse von einer auf Indikatorebene eindeutigen Messmodellstruktur ausgegangen werden.
522 523 524
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 355ff. Vgl. Aaker/Kumar/Day (2004), S. 570. Vgl. Hair et al. (2010), S. 112ff.
148
Item
Faktor AC
Faktor NC
Faktor KKC
Ich bin stolz, Kunde [meines Friseurstudios/ 0,835 meiner Werkstatt] zu sein. Ich finde es schön, Kunde [meines Friseurstudios/ AC2 0,871 meiner Werkstatt] zu sein. Ich finde es toll, Kunde [meines Friseurstudios/ AC3 0,899 meiner Werkstatt] zu sein. Ich werde [mein Friseurstudio/ meine Werkstatt] NC1 nicht wechseln, da ich mich [ihm/ ihr] gegenüber 0,803 verpflichtet fühle. Ich werde [mein Friseurstudio/ meine Werkstatt] NC2 0,866 nicht wechseln, da ich es als falsch empfinde. Ich werde [mein Friseurstudio/ meine Werkstatt] NC3 nicht wechseln, da ich es als nicht richtig 0,845 empfinde. Kunde [meines Friseurstudios/ meiner Werkstatt] KKC1 0,924 zu sein, ist für mich vorteilhaft. Es zahlt sich aus, Kunde [meines Friseurstudios/ KKC2 0,935 meiner Werkstatt] zu sein. Kunde [meines Friseurstudios/ meiner Werkstatt] KKC3 0,910 zu sein, ist von Vorteil. Ich bin bei [meinem Friseurstudio/ meiner WerkKPC1 statt], da ich kaum Ausweichmöglichkeiten habe. Ich denke, ich bin bei [meinem Friseurstudio/ KPC2 meiner Werkstatt] fast nur notgedrungen. Ich habe keine wirkliche Wahl, zu [welchem KPC3 Friseurstudio/ welcher Werkstatt] ich gehen kann. Zur Verbesserung der Übersichtlichkeit sind Faktorladungen < 0,3 nicht ausgewiesen AC: Affektives Commitment KKC: Kalkulatives Commitment NC: Normatives Commitment KPC: Kaptives Commitment
Faktor KPC
AC1
0,888 0,908 0,924
Tabelle VI-5: Rotierte Faktorladungsmatrix (n=391) Um die Diskriminanzvalidität der Commitment-Konstrukte auf Konstruktebene zu testen, bietet sich die Analyse des Fornell-Larcker-Kriteriums an.525 Demnach ist eine ausreichende Diskriminanzvalidität zwischen den Konstrukten vorhanden, wenn die durchschnittlich erfasste Varianz eines Konstrukts größer ist als jede quadrierte Korrelation dieses Konstrukts mit einem anderen Konstrukt.526 Bei Anwendung des Fornell-Larcker-Kriteriums zeigt sich, dass bei allen Commitment-Konstrukten die durchschnittlich erfasste Varianz jeweils höher ist als die quadrierten Korrelationen mit allen anderen Konstrukten (vgl. Tabelle VI-6). Somit ist auf Konstruktebene eine ausreichende Diskriminanzvalidität vorhanden.
525 526
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 11. Vgl. Fornell/Larcker (1981), S. 46.
149
AC NC KKC KPC AC: NC:
Konstrukt DEV 0,80 0,67 0,87 0,74 Affektives Commitment Normatives Commitment
AC 0,80 1,00 0,27 0,22 0,03
NC 0,67
KKC 0,87
1,00 0,14 1,00 0,01 0,00 KKC: Kalkulatives Commitment KPC: Kaptives Commitment
KPC 0,74
1,00
Tabelle VI-6: Diskriminanzvalidität der Commitment-Konstrukte anhand des Fornell-Larcker-Kriteriums (n=391) Als letztes Verfahren zur Analyse der Diskriminanzvalidität kommt der ChiQuadrat-Differenztest zur Anwendung.527 Hierbei wird die Vorteilhaftigkeit der Messmodellstruktur von den vier einzelnen Commitment-Konstrukten im Vergleich zu alternativen Messmodellstrukturen bestimmt. Dazu werden alternative Messmodelle gebildet, indem die vormals eigenständigen Commitment-Konstrukte zusammengelegt werden. Als ausschlaggebendes Kriterium der Diskriminanzvalidität dient die signifikante Reduktion des ChiQuadrat-Werts beim Übergang von den alternativen Strukturen zur Messmodellstruktur der vier eigenständigen Commitment-Konstrukte. Darüber hinaus werden auch die globalen Gütekriterien RMSEA, SRMR, CFI und NNFI betrachtet (vgl. Abschnitt VI-2.1). Der Vergleich alternativer Messmodelle für Commitment zeigt eine deutliche Überlegenheit der multipartialen Messmodellstruktur in Form der vier eigenständigen Commitment-Konstrukte (vgl. Tabelle VI-7). Nicht nur die Verringerung des Chi-Quadrat-Wertes gegenüber Messstrukturen mit weniger Konstrukten ist signifikant, sondern auch alle weiteren ausgewiesenen globalen Gütekriterien sind für die vier einzelnen Commitment-Konstrukte am besten ausgeprägt. Die Signifikanz der Chi-Quadrat-Differenz zu alternativen Modellstrukturen belegt eine ausreichende Diskriminanzvalidität der vier Commitment-Konstrukte.
527
Vgl. Bienstock/Mentzer/Bird (1997).
150 Messmodell
2
df
1 Konstrukt 2141,80 (AC mit NC, KKC und KPC) 2 Konstrukte 1277,69 (AC mit NC; KKC mit KPC) 3 Konstrukte 807,94 (AC; NC; KKC mit KPC) 3 Konstrukte 564,02 (AC mit NC; KKC; KPC) 4 Konstrukte 111,77 (AC; NC; KKC; KPC) AC: Affektives Commitment NC: Normatives Commitment KKC: Kalkulatives Commitment KPC: Kaptives Commitment
RMSEA SRMR
CFI
NNFI
2-Differenztest (zum nächst kleineren Modell)
54
0,315
0,210
0,49
0,37
53
0,243
0,180
0,72
0,65
864,11a mit df=1
51
0,195
0,160
0,81
0,75
469,75a mit df=2
51
0,161
0,100
0,89
0,86
713,67a mit df=2
48
0,058
0,035
0,99
0,98
696,17a mit df=3 452,25a mit df=3
a: b: c:
signifikant mit p < 0,01 signifikant mit p < 0,05 signifikant mit p < 0,10
Tabelle VI-7: Vergleich alternativer Messmodelle für Commitment (n=391) Zusammenfassend kann den Messmodellen der vier eigenständigen Commitment-Konstrukten sowohl auf Indikatorebene eine eindeutige Faktorzuordnung als auch auf Konstruktebene eine ausreichende Diskriminanzvalidität bescheinigt werden. Diese Messmodellstruktur von Commitment weist zudem exzellente globale Gütekriterien auf, die auf eine sehr gute Repräsentation der zugrunde liegenden Daten hinweisen. Daher werden die in der Vorstudie verwendeten Indikatorvariablen auch in der Hauptstudie zur Anwendung kommen. 5
Empirische Studie zur Überprüfung der Untersuchungshypothesen (Studie 4)
5.1
Datenerhebung und deskriptive Analyse
In den folgenden Abschnitten wird die Gültigkeit des aufgestellten Hypothesensystems aus Kapitel V empirisch überprüft (Forschungsziel III) und auf nicht-beobachtbare Konsumentenheterogenität getestet (Forschungsziel IV). Die Analysen erfolgen anhand der Daten eines im Rahmen einer weiteren Online-Erhebung generierten Untersuchungssamples.528 Zur Gewährleistung einer ausreichend großen und qualifizierten Teilnehmerzahl wurden die Pro528
Für Vor- und Nachteile der Online-Erhebung vgl. Abschnitt V-2.
151 banden eines deutschen Online-Befragungspanels mittels E-Mail kontaktiert und gebeten, an der Erhebung teilzunehmen. Der für die Hauptuntersuchung konzipierte Fragebogen bestand aus drei Teilen. Im ersten Teil erfolgte die Einführung der Versuchsteilnehmer in die Thematik der Studie sowie die Zuweisung der Probanden zu den Untersuchungsbranchen Friseurstudios und Autowerkstätten. Die Zuweisungssystematik der Probanden zu ihrem jeweiligen Anbieter ist identisch zu der in der Vorstudie verwendeten Logik (vgl. Abschnitt VI-4). Im zweiten Teil des Fragebogens wurden die für das Beziehungsgefüge relevanten Konstrukte abgefragt. Als Bezugsobjekt der anbieter- und wettbewerbsbezogenen Variablen, Commitment-Konstrukte und des Beziehungserfolgs in Form der Bereitschaften zur Zahlung eines Preispremiums und zur Koproduktion diente der im ersten Teil des Fragebogens ausgewählte Anbieter. Weiterhin wurden die beschreibenden Segmentvariablen für die Finite Mixture-Analyse erhoben. Die verwendeten Items wurden hierbei auf einer siebenstufigen Likert-Skala (1=höchster Grad der Ablehnung; 7=höchster Grad der Zustimmung) bewertet. Der dritte Teil der Erhebung beinhaltete schließlich die Abfrage der soziodemographischen Merkmale der Probanden. Die Online-Erhebung für die Hauptstudie erfolgte in der Zeit vom 15. September bis zum 07. Oktober 2009. Während der Feldzeit konnten insgesamt 1.682 vollständig ausgefüllte und für die Analysen verwertbare Fragebögen generiert werden. Die Verteilung der Probanden auf die Branchen ist im Untersuchungssample nahezu ausgeglichen (vgl. Tabelle VI-8). So wurde der Fragebogen von 842 Friseurkunden und von 840 Werkstattkunden ausgefüllt. Der Vergleich beider Samples offenbart eine leichte Verzerrung sowohl bei der Geschlechter- als auch bei der Altersverteilung. Das Sample mit Werkstattkunden beinhaltet mehr männliche Probanden (62,4%) als das Sample mit Friseurkunden (55,1%). Zudem ist das Durchschnittsalter im Sample mit Werkstattkunden mit 46,1 Jahren höher als im Sample mit Friseurkunden (37,1 Jahre). Die Frage, ob die divergierende Verteilung der soziodemographischen Merkmale oder die Branche selbst einen Einfluss auf das Beziehungsgefüge des Untersuchungsmodells besitzt, wird mit Hilfe der Finite Mixture-Analyse beantwortet.
152
Geschlecht Alter
Höchster erreichter Bildungsabschluss
Männlich Weiblich Unter 20 Jahre 20 – 29 Jahre 30 – 39 Jahre 40 – 49 Jahre 50 – 59 Jahre Über 59 Jahre Volks-/ Hauptschulabschluss Realschulabschluss Abitur/ Hochschulreife Fach-/ Hochschulabschluss Promotion Ohne Abschluss
Sample Friseurstudios (in %) 55,1 44,9 1,1 29,0 18,6 19,7 16,4 15,2 7,6 18,6 22,0 46,2 5,2 0,4
Deutsche Sample GesamtWerkstätten bevölkerung (in %)529 (in %) 62,4 49,0 37,6 51,0 0,4 10,5 14,6 12,0 20,5 13,1 24,4 16,9 19,9 13,5 20,2 34,0 9,6 34,0 21,8 24,0 16,8 21,2 44,6 10,4 6,9 0,9 0,3 9,5
Tabelle VI-8: Soziodemographika der Stichprobe (n=1.682) Die Gegenüberstellung der erhobenen Soziodemographika der Untersuchungssamples mit denen der deutschen Gesamtbevölkerung zeigt nur leichte Unterschiede. Die Analyse der Geschlechterverteilung deutet auf eine geringfügige Dominanz männlicher Probanden in den Untersuchungssamples hin, während in der deutschen Gesamtbevölkerung eine nahezu ausgeglichene Geschlechterverteilung besteht. Wie erwartet, deutet sich bei der Alters- und Bildungsstruktur der erhobenen Stichprobe eine Überrepräsentation der jüngeren Altersgruppen sowie der besser Ausgebildeten an. Diese Verzerrung kann dadurch erklärt werden, dass die Rekrutierung der Untersuchungsteilnehmer über ein Online-Panel erfolgte, das zu großen Teilen aus aktuellen oder ehemaligen Studenten besteht. Insgesamt kann den Datensätzen eine ausreichend hohe Repräsentativität zugesprochen werden. 5.2
Operationalisierung und Gütebeurteilung der Konstruktmessung
5.2.1
Determinanten
Die Überprüfung der Untersuchungshypothesen setzt die vorherige Entwicklung und Optimierung geeigneter Messinstrumente für die Modellkonstrukte voraus. Die Konstrukte wurden daher zunächst auf Basis umfas529
Vgl. Statistisches Bundesamt (2009).
153 sender Literaturrecherchen theoretisch erarbeitet und mittels eines mehrstufigen Verfahrens durch Konsumenten- und Expertenbefragungen optimiert (vgl. Abschnitt VI-3; Studie 2). Nachfolgend werden zunächst die finalen Modellkonstrukte der Anbieter- und Wettbewerbsvariablen gemäß der in Abschnitt VI-2.1 erarbeiteten Gütekriterien auf Reliabilität und Validität geprüft. Als Datenbasis dient die Stichprobe der Hauptuntersuchung. Das Konstrukt Reputation bezieht sich auf das Ansehen des jeweiligen Anbieters und ist angelehnt an das Inventar von Lacey (2007). Wie aus Tabelle VI-9 zu entnehmen ist, weisen die Gütekriterien ausgesprochen gute Werte auf. Reputation (REP) Item REP1 [Mein Friseurstudio/ Meine Werkstatt] hat ein gutes Image. [Mein Friseurstudio/ Meine REP2 Werkstatt] ist als gute Wahl bekannt. [Mein Friseurstudio/ Meine REP3 Werkstatt] hat eine gute Reputation. NNFI CFI SRMR RMSEA -1 -1 -1 -1 1
ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
0,90
0,96
0,93
49,86
0,86
0,91
0,96
0,94
51,15
0,88
0,93
0,97
0,97
53,72
0,93
2/df -1
C 0,96
EV 0,93
FR 0,96
DEV 0,89
Bei drei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-9: Messung des Konstrukts Reputation (n=1.682) Die Operationalisierung des Konstrukts Markenpräsenz geht in seinen Ursprüngen auf die Skala zur Messung der Markenwahrnehmung von Yoo, Donthu und Lee (2000) zurück. Für die vorliegende Arbeit wurde allerdings nur ein Teil der Items verwendet. Zudem wurden die Items stärker auf den Aspekt der Markensichtbarkeit am Ort der Dienstleistungserstellung ausgerichtet. Trotz der starken Abwandlung weisen die Gütekriterien hervorragende Werte auf (vgl. Tabelle VI-10).
154 Markenpräsenz (MP) Item Der Name [meines Friseurstudios/ meiner Werkstatt]… MP1 …fällt einem vor Ort sofort ins Auge. MP2 …ist nicht zu übersehen, wenn ich vor Ort bin. MP3 …prägt sich vor Ort gut ein. NNFI CFI SRMR RMSEA -1 -1 -1 -1 1
ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
0,90
0,96
0,93
50,28
0,87
0,92
0,97
0,96
53,16
0,93
0,87
0,94
0,90
47,01
0,80
2/df -1
C 0,95
EV 0,91
FR 0,95
DEV 0,87
Bei drei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-10: Messung des Konstrukts Markenpräsenz (n=1.682) Das Modellkonstrukt Vertrauen gegenüber dem Anbieter basiert im Wesentlichen auf der Arbeit von De Wulf, Odekerken-Schröder und Iacobucci (2001), die diese Operationalisierung im Kontext des Kundenbeziehungsmanagements benutzt haben. Tabelle VI-11 zeigt die sehr gut erfüllten Gütekriterien dieses Konstrukts. Vertrauen (VER) Item ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
VER1 …ist verlässlich. VER2 …ist vertrauenswürdig.
0,89
0,95
0,90
47,98
0,82
0,94
0,98
0,98
54,95
0,96
VER3 …ist glaubwürdig. NNFI CFI SRMR -1 -1 -1
0,93
0,97
0,95
52,63
0,91
2/df -1
C 0,96
EV 0,93
FR 0,96
DEV 0,90
[Mein Friseurstudio/ Meine Werkstatt]…
1
RMSEA -1
Bei drei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-11: Messung des Konstrukts Vertrauen (n=1.682) Auch die Operationalisierung des Konstrukts Direktmarketing bezieht sich auf eine Skala von De Wulf, Odekerken-Schröder und Iacobucci (2001). Hierbei wird die wahrgenommene Intensität der Angebotswerbung des Anbieters gemessen. Die in Tabelle VI-12 dargestellten Informationen zur Messung des Konstrukts erfüllen die statistischen Anforderungen sehr gut.
155 Direktmarketing (DM) Item Durch Briefe, Flyer, E-Mails oder SMS… DM1
DM2
DM3 NNFI -1 1
…informiert mich [mein Friseurstudio/ meine Werkstatt] oft über aktuelle Angebote. …hält mich [mein Friseurstudio/ meine Werkstatt] bezüglich aktueller Angebote regelmäßig auf dem Laufenden. …lässt mir [mein Friseurstudio/ meine Werkstatt] häufig Informationen über aktuelle Angebote zukommen. CFI SRMR RMSEA -1 -1 -1
ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
0,94
0,97
0,96
53,09
0,92
0,95
0,98
0,97
54,70
0,95
0,95
0,98
0,96
53,80
0,93
2/df -1
C 0,98
EV 0,95
FR 0,98
DEV 0,93
Bei drei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-12: Messung des Konstrukts Direktmarketing (n=1.682) Beim Konstrukt bevorzugte Behandlung wird auf das bestehende Inventar von Hennig-Thurau, Gwinner und Gremler (2002) zurückgegriffen. Die bevorzugte Behandlung ist Teil des von den Autoren entwickelten Relational Benefits-Ansatzes und beschreibt die wahrgenommene priorisierte Behandlung der eigenen Person im Vergleich zu anderen Kunden des gleichen Anbieters. Die Indikatorvariablen sowie die sehr gute Erfüllung der Gütekriterien sind in Tabelle VI-13 zusammengefasst. Bevorzugte Behandlung (BB) Item Im Vergleich zu den meisten anderen Kunden erhalte ich… BB1 …eine Bevorzugung bei der Terminvergabe. BB2 …besondere Dienstleistungen. BB3 …eine bessere Behandlung. NNFI -1 1
CFI -1
SRMR -1
RMSEA -1
ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
0,85
0,93
0,88
45,40
0,77
0,89
0,95
0,94
50,63
0,88
0,89
0,95
0,94
50,27
0,88
2/df -1
C 0,94
EV 0,90
FR 0,94
DEV 0,84
Bei drei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-13: Messung des Konstrukts bevorzugte Behandlung (n=1.682) Für die Operationalisierung des Konstrukts Wechselkosten wurde das ursprüngliche Inventar von Bansal, Irving und Taylor (2004) nahezu unverändert übernommen. Tabelle VI-14 bildet die sehr gute Messung dieses Konstrukts ab.
156 Wechselkosten (WK) Item Der Wechsel [meines Friseurstudios/ meiner Werkstatt]… WK1 …wäre mit Mühe und Aufwand verbunden. WK2 …wäre erstmal umständlich. WK3 …wäre aufwändig. NNFI -1 1
CFI -1
SRMR -1
RMSEA -1
ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
0,83
0,92
0,86
43,77
0,74
0,88
0,95
0,93
49,51
0,86
0,90
0,96
0,95
51,54
0,91
2/df -1
C 0,94
EV 0,89
FR 0,94
DEV 0,84
Bei drei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-14: Messung des Konstrukts Wechselkosten (n=1.682) Die in das Modell aufgenommene Wettbewerbsgröße Attraktivität von Alternativen bezieht sich auf das gleichnamige Konstrukt, das in einer Studie von Bansal, Irving und Taylor (2004) verwendet wird. Die Originalskala wurde leicht abgewandelt und für die vorliegende Arbeit stärker auf die wahrgenommene preisliche Attraktivität von Alternativen ausgerichtet. Das dazu verwendete Messmodell weist sehr zufriedenstellende Fitmaße auf (vgl. Tabelle VI-15). Attraktivität von Alternativen (AA) Item AA1
AA2
AA3 NNFI -1 1
Andere [Friseurstudios/ Werkstätten] bieten vermutlich einen besseren Preis. Ich würde mit [einem anderen Friseurstudio/ einer anderen Werkstatt] wahrscheinlich Geld sparen. Andere [Friseurstudios/ Werkstätten] sind vermutlich günstiger. CFI SRMR RMSEA -1 -1 -1
ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
0,90
0,96
0,91
48,84
0,84
0,94
0,97
0,96
53,48
0,93
0,95
0,98
0,98
55,15
0,96
2/df -1
C 0,97
EV 0,94
FR 0,97
DEV 0,91
Bei drei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-15: Messung des Konstrukts Attraktivität von Alternativen (n=1.682) Das Konstrukt Mangel an Alternativen dient ebenfalls als Wettbewerbsgröße und basiert auf einem neuen Messmodell, das erstmalig durch die in Abschnitt VI-3 beschriebenen mehrstufigen Experten- und Konsumentenbefragungen entwickelt und optimiert wurde. Das Konstrukt beschreibt den wahrgenommenen Alternativenmangel zum derzeitigen Anbieter. Die Ausprägung der Gütekriterien für dieses Konstrukt sind sehr zufriedenstellend (vgl. Tabelle VI-16).
157 Mangel an Alternativen (MA) Item MA1
MA2
MA3 NNFI -1 1
Ich wohne in einer Gegend, in der es wenige [Friseurstudios/ Werkstätten] gibt. Um eine größere Auswahl an [Friseurstudios/ Werkstätten] zu erreichen, müsste ich einen weiten Weg zurücklegen. Um weitere [Friseurstudios/ Werkstätten] zu nutzen, wäre ein hoher zeitlicher Aufwand nötig. CFI SRMR RMSEA -1 -1 -1
ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
0,77
0,89
0,80
39,01
0,64
0,90
0,96
0,98
53,43
0,96
0,85
0,93
0,90
46,15
0,80
2/df -1
C 0,92
EV 0,86
FR 0,92
DEV 0,80
Bei drei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-16: Messung des Konstrukts Mangel an Alternativen (n=1.682) 5.2.2
Commitment-Konstrukte
Die Messmodelle der vier Commitment-Konstrukte wurden bereits durch die mehrstufigen Konsumenten- und Expertenbefragungen optimiert (vgl. Abschnitt VI-3; Studie 2). Zudem durchliefen die einzelnen Itembatterien erfolgreich verschiedene Verfahren zur Prüfung der Diskriminanzvalidität (vgl. Abschnitt VI-4; Studie 3). Nachfolgend werden nun anhand der Datenbasis der Hauptuntersuchung die finalen Messmodelle auf Reliabilität und Validität geprüft. Das Konstrukt Affektives Commitment beschreibt die emotional begründete Beziehung zu einem Anbieter. Die zur Erhebung verwendeten Indikatorvariablen stützen sich auf die Messinventare von Gruen, Summers und Acito (2000) sowie Sharma, Young und Wilkinson (2006). Die berechneten Gütekriterien können als ausgezeichnet angesehen werden (vgl. Tabelle VI-17).
158 Affektives Commitment (AC) Item AC1
AC2
AC3 NNFI -1 1
Ich bin stolz, Kunde [meines Friseurstudios/ meiner Werkstatt] zu sein. Ich finde es schön, Kunde [meines Friseurstudios/ meiner Werkstatt] zu sein. Ich finde es toll, Kunde [meines Friseurstudios/ meiner Werkstatt] zu sein. CFI SRMR RMSEA -1 -1 -1
ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
0,85
0,93
0,87
44,87
0,76
0,89
0,95
0,92
49,26
0,85
0,92
0,97
0,98
54,50
0,96
C 0,95
EV 0,90
FR 0,95
DEV 0,86
2
/df -1
Bei drei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-17: Messung des Konstrukts Affektives Commitment (n=1.682) Die Operationalisierung des Konstrukts Normatives Commitment basiert auf den Items von Bansal, Irving und Taylor (2004). Die Autoren umschreiben das Konstrukt als eine gefühlte Verpflichtung zur Aufrechterhaltung einer Beziehung. Zwar fällt die Indikatorreliabilität des Items NC1 mit 0,46 vergleichsweise gering aus, der in der Literatur geforderte Mindestwert von 0,4 für dieses Kriterium530 wird jedoch überschritten. Alle weiteren Gütemaße weisen sehr zufriedenstellende Werte auf (vgl. Tabelle VI-18). Normatives Commitment (NC) Item Ich werde [mein Friseurstudio/ meine Werkstatt] nicht wechseln,… NC1 …da ich mich [ihm/ ihr] gegenüber verpflichtet fühle. NC2 …da ich es als falsch empfinde. NC3 …da ich es als nicht richtig empfinde. NNFI CFI SRMR RMSEA -1 -1 -1 -1 1
ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
0,63
0,82
0,68
29,60
0,46
0,77
0,91
0,90
41,71
0,82
0,72
0,88
0,81
36,62
0,66
C 0,84
EV 0,76
FR 0,85
DEV 0,66
2
/df -1
Bei drei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-18: Messung des Konstrukts Normatives Commitment (n=1.682) Das Kalkulative Commitment beschreibt die Aufrechterhaltung einer Anbieterbeziehung aufgrund der wahrgenommenen Kosten eines Wechsels. Das dazu verwendete Messmodell geht auf die Operationalisierung von Gustafsson, Johnson und Roos (2005) zurück. Tabelle VI-19 zeigt die sehr gute Messung dieses Konstrukts.
530
Vgl. Homburg/Baumgartner (1995a), S. 172.
159 Kalkulatives Commitment (KKC) Item Kunde [meines Friseurstudios/ KKC1 meiner Werkstatt] zu sein, ist für mich vorteilhaft. Es zahlt sich aus, Kunde [meines KKC2 Friseurstudios/ meiner Werkstatt] zu sein. Kunde [meines Friseurstudios/ KKC3 meiner Werkstatt] zu sein, ist von Vorteil. NNFI CFI SRMR RMSEA -1 -1 -1 -1 1
ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
0,89
0,95
0,91
48,31
0,83
0,91
0,96
0,94
51,50
0,89
0,93
0,97
0,96
53,30
0,93
C 0,96
EV 0,92
FR 0,96
DEV 0,88
2
/df -1
Bei drei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-19: Messung des Konstrukts Kalkulatives Commitment (n=1.682) Das Konstrukt Kaptives Commitment misst die „unfreiwillige“ Beziehung mit einem Anbieter. Die dazu verwendeten Items sind eine Eigenentwicklung, lehnen sich aber an ein von Jones et al. (2007) genutztes Inventar an. Die in Tabelle VI-20 dargestellten Gütekriterien erfüllen alle Anspruchsniveaus. Kaptives Commitment (KPC) Item Ich bin bei [meinem Friseurstudio/ KPC1 meiner Werkstatt], da ich kaum Ausweichmöglichkeiten habe. Ich denke, ich bin bei [meinem KPC2 Friseurstudio/ meiner Werkstatt] fast nur notgedrungen. Ich habe keine wirkliche Wahl, zu KPC3 [welchem Friseurstudio/ welcher Werkstatt] ich gehen kann. NNFI CFI SRMR RMSEA -1 -1 -1 -1 1
ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
0,68
0,85
0,74
33,31
0,54
0,73
0,89
0,83
38,55
0,69
0,77
0,91
0,89
42,35
0,79
C 0,85
EV 0,78
FR 0,85
DEV 0,65
2
/df -1
Bei drei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Tabelle VI-20: Messung des Konstrukts Kaptives Commitment (n=1.682) 5.2.3
Erfolgswirkungen
Im Rahmen des konzipierten Untersuchungsmodells werden die Erfolgswirkungen der Commitment-Konstrukte über die Bereitschaften zur Zahlung eines Preispremiums und zur Koproduktion berücksichtigt. Die dazu verwendeten Items wurden ebenfalls durch die mehrstufigen Konsumentenund Expertenbefragungen in Studie 2 optimiert (vgl. Abschnitt VI-3).
160 Zur Abfrage der Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums wurde in Anlehnung an die Einzelindikatormessung von Palmatier, Scheer und Steenkamp (2007) ebenfalls kein multivariates Konstrukt verwendet. Dies bietet sich nach Rossiter (2002) immer dann an, wenn der zu messende Gegenstand als konkret und singulär konzeptualisiert werden kann.531 Die Indikatorvariable wurde allerdings nicht von Palmatier, Scheer und Steenkamp (2007) übernommen, sondern stellt eine Eigenentwicklung dar. Da das Konstrukt nur aus einem einzelnen Item besteht, sind keine Gütekriterien berechenbar (vgl. Tabelle VI-21). Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (PP) Item PP1 NNFI -1 1
Ich bin bereit, auch höhere Preise bei [meinem Friseurstudio/ meiner Werkstatt] zu zahlen. CFI SRMR RMSEA -1 -1 -1
ITTK -
1
2/df -1
FL (EFA) -
1
C -1
FL (KFA) -
1
EV -1
t-Wert (KFA) -
1
FR -1
IR -1 DEV -1
Eine Berechnung ist bei Verwendung eines Indikators nicht möglich.
Tabelle VI-21: Messung des Konstrukts Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (n=1.682) Das Konstrukt Bereitschaft zur Koproduktion misst das durch den Kunden beeinflussbare Kostensenkungspotenzial für Unternehmen. Hierbei wird sowohl das kooperative Verhalten bei der Dienstleistungserstellung als auch die Flexibilität bei Terminfestlegungen berücksichtigt. Der erste Aspekt findet sich in einer Operationalisierung von Auh et al. (2007) wieder, während der zweite Aspekt aufgrund der Ergebnisse der in Studie 2 durchgeführten Konsumenten- und Expertenbefragungen hinzugefügt wurde (vgl. Abschnitt VI-3). Tabelle VI-22 stellt die zufriedenstellende Messung dieses Konstrukts dar.
531
Vgl. Rossiter (2002), S. 324f.
161 Bereitschaft zur Koproduktion (KP) Item Wenn möglich, versuche ich die Arbeit [meines Friseurstudios/ meiner Werkstatt] zu erleichtern,… …indem ich flexibel bin, z.B. wenn KP1 mein Wunschtermin nicht möglich ist. …indem ich mich bei der KP2 Dienstleistungserstellung kooperativ verhalte. NNFI CFI SRMR RMSEA -1 -1 -1 -1 1 2
ITTK
FL (EFA)
FL (KFA)
t-Wert (KFA)
IR
-2
0,92
0,84
16,23
0,70
-2
0,92
0,82
16,16
0,67
2/df -1
C 0,79
EV 0,84
FR 0,81
DEV 0,69
Bei zwei Indikatoren ist ein Modell saturiert. Eine Berechnung ist aus diesem Grund nicht möglich. Eine Berechnung ist bei Verwendung von zwei Indikatoren nicht möglich.
Tabelle VI-22: Messung des Konstrukts Bereitschaft zur Koproduktion (n=1.682) 5.2.4
Beschreibende Segmentvariablen
Die Variablen zur Segmentbeschreibung werden über Einzelindikatoren gemessen, weshalb die in Abschnitt VI-2 dargestellten Gütekriterien hier keine Anwendung finden. Im Folgenden wird die Operationalisierung der Segmentvariablen dargestellt. Für die Beziehungsdauer (BD) wurde für beide Branchen das gleiche Messverfahren verwendet. Die Probanden wurden gebeten, ihre bisherige Beziehungsdauer mit ihrem Anbieter in Jahren anzugeben. Falls die Dauer der Beziehung geringer als ein Jahr war, konnten die Probanden ihre Beziehungsdauer in Monaten angeben. Hinsichtlich der Besuchsfrequenz (BF) wurde für beide Branchen eine unterschiedliche Fragenformulierung verwendet. In der Gruppe mit Friseurkunden wurde erfragt, wie viele Wochen durchschnittlich zwischen zwei Friseurbesuchen liegen. Kunden von Werkstätten hingegen wurden gebeten anzugeben, wie oft sie in den letzten 2 Jahren ihre Werkstatt besucht haben. Da sich die durchschnittliche Besuchsfrequenz zwischen den beiden Branchen stark unterscheidet, wurde eine unterschiedliche Fragenformulierung verwendet, um den Befragten eine präzise Angabe zu erleichtern. Bei der Abfrage des Kaufvolumens (KVOL) kam in beiden Branchen dieselbe Fragenformulierung zur Anwendung. So wurden die Probanden gebeten, den
162 Geldbetrag in Euro zu schätzen, den sie beim letzten Besuch ihres Friseurstudios bzw. ihrer Werkstatt ausgegeben hatten. Zur Erfassung des Cross-Buyings (CB) wurde ein aufwendiges Verfahren verwendet, das nachfolgend exemplarisch für die Branche Autowerkstätten skizziert wird. Zunächst wurde den Werkstattkunden eine umfangreiche Liste mit Produkt- bzw. Dienstleistungskategorien vorgelegt, die grundsätzlich bei Autowerkstätten angeboten werden. Die Probanden wurden daraufhin gebeten, für jede Kategorie anzugeben, ob sie diese in den letzten 12 Monaten (1) überhaupt, (2) ausschließlich von ihrer Autowerkstatt, (3) ausschließlich von einem alternativen Anbieter oder (4) von beiden erworben hatten. Sofern der Proband Produkte bzw. Dienstleistungen einer Kategorie sowohl von seiner Autowerkstatt als auch von einem anderen Anbieter bezogen hatte, wurde er gebeten einzuschätzen, wie viel Prozent seiner Ausgaben in dieser Kategorie auf die derzeitige Autowerkstatt entfielen. Diese Art der kategoriebasierten Erhebung stützt sich auf Ausführungen von Du, Kamakura und Mela (2007).532 Die Bedarfsdeckung bei der jeweiligen Autowerkstatt wurde anschließend zur angegebenen Anzahl der insgesamt vorhandenen Produkt- bzw. Dienstleistungskategorien (19 für Autorwerkstätten; 15 für Friseurstudios) ins Verhältnis gesetzt, um so einen relativen Indikator für das Cross-Buying des Probanden bei seiner Autowerkstatt zu erhalten. Dieses Vorgehen wurde analog auf die Friseurkunden angewendet. Die Soziodemographika Geschlecht (SEX) und Alter (AGE) wurden für beide Branchen identisch abgefragt. Hinsichtlich des Alters konnten die Probanden ihr jeweiliges Geburtsjahr exakt angegeben. Weiterhin wurden die Probanden um ihre Einschätzung gebeten, wie stark sie verschiedene Informationsquellen nutzen würden, wenn sie ein neues Friseurstudio bzw. eine neue Autowerkstatt suchen (vgl. Tabelle VI-23). Zur Anwendung kam hierbei eine siebenstufige Likert-Skala (1=keine Nutzung des Mediums; 7=sehr hohe Nutzung des Mediums).
532
Vgl. Du/Kamakura/Mela (2007), S. 96.
163 Nutzung von Informationsquellen Item Welche Quellen würden Sie zur Informationsbeschaffung nutzen, wenn Sie [ein neues Friseurstudio/ eine neue Werkstatt] suchen? IPR Printmedien (z.B. lokale Branchenverzeichnisse, lokale Zeitungen etc.) IIN Internet (z.B. Verbraucherportale, Suchmaschinen etc.) IFR Freunde, Bekannte und andere Personen ITN Einfaches Anschauen und Ausprobieren [des Friseurstudios/ der Werkstatt]
Tabelle VI-23: Nutzung von Informationsquellen 5.2.5
Überprüfung der Diskriminanzvalidität
Nach der Überprüfung der Modellkonstrukte erfolgt in einem nächsten Schritt der Test auf Diskriminanzvalidität nach dem Fornell-Larcker-Kriterium.533 Nur bei einem erfolgreichen Nachweis der Diskriminanzvalidität können die einzelnen Konstrukte in ein Gesamtmodell überführt und die Signifikanz der Untersuchungshypothesen geprüft werden. Zur Überprüfung der Diskriminanzvalidität werden nur die exogenen und endogenen Modellkonstrukte herangezogen. Die Variablen zur Segmentbeschreibung bleiben von dieser Betrachtung unberührt. Die Ergebnisse in Tabelle VI-24 zeigen, dass alle Modellkonstrukte das Fornell-Larcker-Kriterium erfüllen. Lediglich für das Konstrukt Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums kann keine Überprüfung der Diskriminanzvalidität erfolgen, da es sich bei diesem Konstrukt um eine Einzelindikatormessung handelt und hierbei die Berechnung der durchschnittlich erfassten Varianz nicht möglich ist. Wird allerdings die maximal erreichte quadrierte Korrelation dieses Konstrukts mit allen anderen betrachtet, so stellt diese mit dem Affektiven Commitment mit einer Höhe von 0,24 einen vergleichsweise niedrigen Wert dar. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Diskriminanzvalidität gewährleistet ist.
533
Vgl. Fornell/Larcker (1981), S. 46.
164 Konstrukt A B C DEV 0,86 0,66 0,88 A 0,86 1,00 B 0,66 0,25 1,00 C 0,88 0,22 0,16 1,00 D 0,65 0,02 0,00 0,04 E 0,89 0,24 0,10 0,12 F 0,90 0,26 0,12 0,13 G 0,87 0,01 0,00 0,00 H 0,91 0,00 0,00 0,05 I 0,84 0,14 0,18 0,18 J 0,93 0,03 0,05 0,03 K 0,84 0,04 0,07 0,05 L 0,80 0,00 0,00 0,01 M 0,69 0,11 0,10 0,10 -1 0,24 0,12 0,10 N A: Affektives Commitment B: Normatives Commitment C: Kalkulatives Commitment D: Kaptives Commitment E: Reputation F: Vertrauen G: Markenpräsenz H: Attraktivität von Alternativen
D E F G H I J K L M 0,65 0,89 0,90 0,87 0,91 0,84 0,93 0,84 0,80 0,69
1,00 0,06 0,12 0,00 0,01 0,00 0,01 0,07 0,31 0,02 0,03
1,00 0,46 0,04 0,00 0,08 0,03 0,01 0,01 0,15 0,12
1,00 0,01 0,00 0,10 0,00 0,01 0,02 0,14 0,12
N -1
1,00 0,03 1,00 0,00 0,00 1,00 0,12 0,01 0,03 1,00 0,00 0,00 0,06 0,01 1,00 0,00 0,00 0,00 0,01 0,09 1,00 0,00 0,01 0,03 0,01 0,01 0,00 1,00 0,00 0,02 0,07 0,01 0,01 0,01 0,03 1,00 I: Bevorzugte Behandlung J: Direktmarketing K: Wechselkosten L: Mangel an Alternativen M: Bereitschaft zur Koproduktion N: Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums 1 Eine Berechnung ist bei Verwendung eines Indikators nicht möglich.
Tabelle VI-24: Diskriminanzvalidität der Modellkonstrukte anhand des FornellLarcker-Kriteriums (n=1.682) 5.2.6
Überprüfung auf Common-Method-Bias
Da die Daten zur Messung der Modellkonstrukte von derselben Quelle (Kunden) stammen, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass die Stärke der Effekte zwischen den einzelnen Konstrukten signifikant über- oder unterschätzt wird und ein sogenannter Common-Method-Bias vorliegt.534 Zur Diagnose eines Common-Method-Bias wird von Klarmann (2008) der HarmanEinfaktortest vorgeschlagen.535 Der Harman-Einfaktortest überprüft auf Grundlage der unrotierten Faktorladungsmatrix einer exploratorischen Faktorenanalyse über alle Indikatorvariablen des Dependenzmodells, ob sich ein einziger Faktor bildet. Ist dies der Fall, so lassen sich die Modellvariablen nicht mehr voneinander unterscheiden und es wird davon ausgegangen, dass ein Common-MethodBias vorliegt. Das gleiche gilt auch dann, wenn sich zwar auf Grundlage der 534 535
Vgl. Podsakoff et al. (2003), S. 879. Vgl. Klarmann (2008), S. 159.
165 unrotierten Faktorladungsmatrix eine Mehr-Faktorenlösung ergibt, aber der stärkste Faktor einen sehr hohen Anteil der Varianz der Variablen erklärt.536 Die Ergebnisse der exploratorischen Faktorenanalyse zeigen mehrere Faktoren, die jeweils einen Eigenwert größer als eins aufweisen und insgesamt 85,2% der Gesamtvarianz erklären. Wie gefordert, besitzt der stärkste Faktor lediglich eine Varianzerklärung von 14,8% und ist folglich nicht für die Mehrheit der Varianz verantwortlich. Zudem findet sich in der unrotierten Faktorladungsmatrix der Mehr-Faktorenlösung kein übergreifender Faktor. Zusammenfassend zeigt dieser Test, dass im vorliegenden Datensatz kein Common-Method-Bias vorliegt. 5.3
Hypothesenprüfung und Ergebnisinterpretation
5.3.1
Ergebnisse der Kausalanalyse
Die Überprüfung der Modellhypothesen erfolgt mittels der Kausalanalyse unter der Verwendung des Softwarepakets LISREL 8.72.537 Um zu entscheiden, ob für die beiden vorliegenden Branchen jeweils ein separates Modell benötigt wird oder ob ein aggregiertes Modell zum Einsatz kommen kann, wird ein Chi-Quadrat-Differenztest durchgeführt. De Wulf, OdekerkenSchröder und Iacobucci (2001) schlagen dazu vor, zwei Modelle im Rahmen der Multigruppen-Kausalanalyse zu berechnen: (1) ein restringiertes Modell, in dem alle Pfadbeziehungen über beide Branchen gleichgesetzt werden, und (2) ein freies Modell, in dem alle Pfadbeziehungen über beide Branchen frei geschätzt werden. Die beiden Modelle werden anhand des Chi-Quadrat-Werts auf die bessere Anpassungsgüte hin verglichen.538 Der Vergleich zeigt, dass das frei geschätzte Modell eine signifikante Verringerung des Chi-QuadratWertes mit sich bringt ( 2=95,60; df=19; p<0,01). Daraus lässt sich schließen, dass die vorhandenen Daten durch zwei separat geschätzte Branchenmodelle besser repräsentiert werden. Im Folgenden wird daher jeweils getrennt ein Basismodell für Friseur- und Werkstattkunden geschätzt. Im Basismodell für Friseurkunden können alle Untersuchungshypothesen mit Ausnahme von H2 als signifikant bestätigt werden (vgl. Abbildung VI-2). 536 537 538
Vgl. Podsakoff et al. (2003), S. 889. Vgl. Jöreskog/Sörbom (1993). Vgl. De Wulf/Odekerken-Schröder/Iacobucci (2001), S. 41ff.
166 Die globalen Gütekriterien weisen sehr gute Werte auf (2/df=2,63; RMSEA=0,04; SRMR=0,09; NNFI=0,97; CFI=0,98). Das Modell wird daher in dieser Struktur angenommen. Die quadrierten multiplen Korrelationskoeffizienten für die endogenen Konstrukte des Modells, die den Beziehungserfolg repräsentieren, liegen bei 0,21 für die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums und bei 0,12 für die Bereitschaft zur Koproduktion. Somit lässt sich ein nicht unerheblicher Varianzanteil des Beziehungserfolgs durch die Commitment-Konstrukte erklären. Auch die quadrierten multiplen Korrelationskoeffizienten für die Commitment-Konstrukte können als gut bezeichnet werden. Die unabhängigen Variablen erklären somit einen ausreichend hohen Varianzanteil der einzelnen Commitment-Konstrukte. Im Basismodell für Werkstattkunden können alle postulierten Hypothesen bis auf H15 bestätigt werden (vgl. Abbildung VI-3). Die globalen Gütekriterien weisen ähnlich wie das Basismodell für Friseurkunden gute bis sehr gute Werte auf (2/df=2,91; RMSEA=0,05; SRMR=0,10; NNFI=0,97; CFI=0,98). Daher wird auch dieses Modell angenommen. Der durch das Modell erklärte Varianzanteil der beiden betrachteten Erfolgsgrößen kann auch hier als gut eingestuft werden. Die quadrierten multiplen Korrelationskoeffizienten für die einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte sind ebenfalls gut. Folglich wird ein ausreichend hoher Varianzanteil der Commitment-Konstrukte durch die im Modell berücksichtigten unabhängigen Variablen erklärt. Grundsätzlich gilt jedoch für die Varianzerklärung der endogenen Variablen in beiden Branchenmodellen, dass es vermutlich weitere Einflussfaktoren gibt, die nicht berücksichtigt wurden. Homburg, Pflesser und Klarmann (2008) argumentieren hierzu, dass in Modellen, die nicht den Anspruch auf eine hohe Erklärung aller endogenen Konstrukte erheben, keine Mindestanforderungen an die Varianzerklärung bestehen sollten.539 Da die Zielsetzung des Modells aufgrund des Fokus auf Commitment als zentralen Untersuchungsgegenstand nicht in einer möglichst vollständigen Erklärung des Beziehungserfolgs liegen kann, ist die erreichte Varianzerklärung als zufriedenstellend zu bezeichnen. Der erklärte Varianzanteil der Preispremium- und Koproduktionsbereitschaft, der allein durch die Berücksichtigung der Commitment-Konstrukte als Bestimmungsfaktoren erreicht werden kann, ist sogar als Erfolg zu werten. Denn durch diesen nicht unerheblichen Anteil an erklärter Varianz wird die 539
Vgl. Homburg/Pflesser/Klarmann (2008), S. 565.
167 Annahme dieser Arbeit bestätigt, dass sich der Beziehungserfolg durch die vier Commitment-Konstrukte steuern lässt. Die Wirkungszusammenhänge können somit nachfolgend interpretiert werden.
Reputation (LV)
Markenpräsenz (KV)
Vertrauen (LV)
H1 +0,34a
H2 +0,02
Affektives Commitment (r2=0,34)
H3 +0,29a
H12 +0,37a
H16 +0,23a Erlössteigerung
Bevorzugte Behandlung (KV)
H4 +0,42a
Normatives Commitment (r2=0,20)
Preispremiumbereitschaft
H13 +0,12a
(r2=0,21)
H5 +0,29a H17 Multipartiales Commitment
Anbietervariablen
H6 +0,10a Direktmarketing (KV) Wechselkosten (LV)
+0,13a
H7 +0,15a
H14 +0,12a Kalkulatives Commitment (r2=0,18)
H8
Beziehungserfolg
Koproduktionsbereitschaft
H18 +0,14a
(r2=0,12)
+0,15a
Kostenreduktion H15 -0,17a
H9 +0,14a Kaptives Commitment
H19 -0,15a
(r2=0,25)
H10 -0,12a H11 +0,45a Attraktivität von Alternativen
Mangel an Alternativen
Wettbewerbsvariablen
n = 842 ²/df = 2,63 RMSEA = 0,04 SRMR = 0,09 NNFI = 0,97 CFI = 0,98
KV: kurzfristig beeinflussbare (instrumentelle) Variable LV: langfristig beeinflussbare (strategische) Variable a: b: c:
signifikant mit p < 0,01 signifikant mit p < 0,05 signifikant mit p < 0,10
Abbildung VI-2: Basismodell mit standardisierten Pfadkoeffizienten für Friseurkunden
168
Reputation (LV)
Markenpräsenz (KV)
Vertrauen (LV)
H1 +0,23a
H2 +0,07a
Affektives Commitment (r2=0,29)
H3 +0,34a
H12 +0,37a
H16 +0,18a Erlössteigerung
Bevorzugte Behandlung (KV)
H4 +0,42a
Normatives Commitment (r2=0,23)
Preispremiumbereitschaft
H13 +0,24a
(r2=0,24)
H5 +0,44a H17 +0,13a Multipartiales Commitment
Anbietervariablen
H6 +0,19a Direktmarketing (KV) Wechselkosten (LV)
H7
+0,15a
Beziehungserfolg
H14 +0,10a Kalkulatives Commitment (r2=0,36)
Koproduktionsbereitschaft
H18 +0,19a
(r2=0,12)
H8 +0,05b
Kostenreduktion H15 -0,02
H9 +0,08a Kaptives Commitment
H19 -0,09a
(r2=0,37)
H10 -0,34a H11 +0,58a Attraktivität von Alternativen
Mangel an Alternativen
Wettbewerbsvariablen
n = 840 ²/df = 2,91 RMSEA = 0,05 SRMR = 0,10 NNFI = 0,97 CFI = 0,98
KV: kurzfristig beeinflussbare (instrumentelle) Variable LV: langfristig beeinflussbare (strategische) Variable a: b: c:
signifikant mit p < 0,01 signifikant mit p < 0,05 signifikant mit p < 0,10
Abbildung VI-3: Basismodell mit standardisierten Pfadkoeffizienten für Werkstattkunden Die Betrachtung der langfristig beeinflussbaren (strategischen) Anbietervariablen zeigt, dass sich die Entwicklung einer emotional begründeten Kundenbeziehung (Affektives Commitment) in beiden Branchen sehr stark durch den Aufbau von Anbieterreputation (H1F: +0,34; H1W: +0,23) und durch Schaffung von Vertrauen zu diesem Anbieter (H3F: +0,29; H3W: +0,34) steuern lässt. Die Wechselkosten hingegen begünstigen sowohl die Entstehung einer ökonomisch begründeten Beziehung (Kalkulatives Commitment) (H8F: +0,15; H8W: +0,05) als auch die einer „unfreiwilligen“ Beziehung (Kaptives Commitment) (H9F: +0,14; H9W: +0,08). Ein zusätzlich durchgeführter Chi-
169 Quadrat-Differenztest offenbart für die beschriebenen Pfadbeziehungen keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Branchen (vgl. Tabelle VI-25). Die Wirkung der langfristig beeinflussbaren Anbietervariablen unterliegt damit keinem Brancheneinfluss.
#
Kausalzusammenhang
H1 H2 H3 H4 H5 H6 H7 H8 H9 H10 H11 H12 H13 H14 H15 H16 H17 H18 H19 AC: NC: KKC: KPC:
Reputation AC Markenpräsenz AC Vertrauen AC Bevorzugte Behandlung NC Bevorzugte Behandlung KKC Direktmarketing NC Direktmarketing KKC Wechselkosten KKC Wechselkosten KPC Attraktivität von Alternativen KKC Mangel an Alternativen KPC AC Preispremium NC Preispremium KKC Preispremium KPC Preispremium AC Koproduktion NC Koproduktion KKC Koproduktion KPC Koproduktion Affektives Commitment Normatives Commitment Kalkulatives Commitment Kaptives Commitment
Sample 2-DifferenzFriseurWerktest kunden stattkunden (mit df=1) (n=842) (n=840) 0,34a 0,23a 2,65 0,02 0,07a 0,64 0,29a 0,34a 0,02 0,42a 0,42a 0,08 0,29a 0,44a 4,85b 0,10a 0,19a 2,67 a 0,15 0,15a 0,00 0,15a 0,05b 2,02 0,14a 0,08a 1,06 -0,12a -0,34a 25,83a 0,45a 0,58a 27,72a a a 0,37 0,37 0,00 0,12a 0,24a 0,49 0,12a 0,10a 0,39 -0,17a -0,02 16,02a 0,23a 0,18a 1,13 0,13a 0,13a 0,33 0,14a 0,19a 0,17 -0,15a -0,09a 2,03 a: signifikant mit p < 0,01 b: signifikant mit p < 0,05 c: signifikant mit p < 0,10
Tabelle VI-25: Chi-Quadrat-Differenztest der standardisierten Pfadkoeffizienten in den Basismodellen für Friseurkunden und Werkstattkunden Bei den kurzfristig beeinflussbaren (instrumentellen) Anbietervariablen zeigt sich, dass die Präsenz der Anbietermarke lediglich für das Sample mit Werkstattkunden die Entstehung einer emotional begründeten Kundenbeziehung (Affektives Commitment) fördert (H2W: +0,07). Für Friseurkunden ist dieser Zusammenhang nicht signifikant (H2F: +0,02). Der absolute Unterschied der Pfadkoeffizienten fällt allerdings so gering aus, dass der Chi-QuadratDifferenztest keinen signifikanten Unterschied zwischen den Branchen feststellt (vgl. Tabelle VI-25). Die bevorzugte Behandlung des Kunden durch das
170 Servicepersonal (H4F: +0,42; H4W: +0,42) erhöht ebenso wie die durch das Direktmarketing zugestellten werblichen Angebote (H6F: +0,10; H6W: +0,19) in beiden Untersuchungssamples das auf einer moralischen Verpflichtung basierende Normative Commitment. Die Entstehung einer auf ökonomischen Überlegungen begründeten Kundenbeziehung (Kalkulatives Commitment) wird ebenfalls branchenübergreifend durch die bevorzugte Behandlung (H5F: +0,29; H5W: +0,44) und die durch das Direktmarketing kommunizierten werblichen Angebote (H7F: +0,15; H7W: +0,15) positiv beeinflusst. Der Chi-QuadratDifferenztest zeigt nur für den Einfluss der bevorzugten Behandlung auf das Kalkulative Commitment einen divergierenden Einfluss in beiden Branchen (vgl. Tabelle VI-25). Demnach wirkt sich die bevorzugte Behandlung stärker auf das Kalkulative Commitment im Werkstattumfeld aus, als dies bei Friseurkunden der Fall ist. Möglicherweise stiftet die bevorzugte Behandlung im Werkstattumfeld deswegen einen höheren ökonomischen Nutzen, weil die durchschnittlichen Werkstattausgaben deutlich höher liegen als bei Friseurstudios und somit der bevorzugten Behandlung ein höherer Stellenwert zugesprochen wird. Die Wettbewerbsvariablen erweisen sich in beiden Samples als signifikant. So beeinflusst der Mangel an alternativen Anbietern mit einer Pfadstärke von +0,45 für Friseurkunden und +0,58 für Werkstattkunden die Aufrechterhaltung einer „ungewollten“ Kundenbeziehung (Kaptives Commitment) positiv (H11F; H11W). Eine hohe Attraktivität von Alternativen bewirkt eine unvorteilhafte Wahrnehmung des derzeitigen Anbieters, wodurch die ökonomisch begründete Fortführung einer Beziehung (Kalkulatives Commitment) abgeschwächt wird (H10F: -0,12; H10W: -0,34). Im Branchenvergleich unterscheiden sich beide Wettbewerbsgrößen in ihren Wirkungen (vgl. Tabelle VI-25). Beim Vergleich der Pfadstärken mittels des Chi-Quadrat-Differenztests fällt auf, dass die Wettbewerbseinflüsse für Friseurkunden signifikant geringer sind als für Werkstattkunden. Da das finanzielle Engagement von Friseurkunden deutlich geringer ist als das von Werkstattkunden, ist anzunehmen, dass das eingegangene Risiko niedriger wahrgenommen wird, wodurch Friseurkunden nur in einem geringeren Maße Vergleiche mit Wettbewerbern anstreben. Hinsichtlich der Erfolgswirkungen der Commitment-Konstrukte auf die Preispremium- und Koproduktionsbereitschaft können die positiven Einflüsse des Affektiven, Normativen und Kalkulativen Commitments bestätigt werden.
171 So geht in beiden Samples von der emotional begründeten Kundenbeziehung (Affektives Commitment) ein positiver Effekt auf die Preispremiumbereitschaft (H12F: +0,37; H12W: +0,37) und auf die Bereitschaft zur Koproduktion (H16F: +0,23; H16W: +0,18) aus. Auch eine Beziehung auf Basis einer moralischen Verpflichtung (Normatives Commitment) begünstigt branchenübergreifend sowohl die Bereitschaft zur Zahlung höherer Preise (H13F: +0,12; H13W: +0,24) als auch die Bereitschaft zur Koproduktion (H17F: +0,13; H17W: +0,13) positiv. Eine ökonomisch begründete Beziehung (Kalkulatives Commitment) erhöht ebenfalls in beiden Branchen die Preispremium- (H14F: +0,12; H14W: +0,10) und Koproduktionsbereitschaft (H18F: +0,14; H18W: +0,19). Bei der „unfreiwilligen“ Beziehungsfortführung (Kaptives Commitment) bestätigen sich die negativen Auswirkungen auf den Beziehungserfolg für Friseurkunden vollständig und für Werkstattkunden teilweise. Im Fall der Friseurkunden ist ein negativer Einfluss sowohl auf die Erlöse (H15F: -0,17) als auch auf die Kosten zu beobachten (H19F: -0,15). Bei den Werkstattkunden ist lediglich der negative Effekt auf die Kostenvariable signifikant (H19W: -0,09), während die erwartete negative Pfadbeziehung zur Erlösvariable nicht bestätigt wird (H15W: -0,02). In Folge zeigt auch der Chi-Quadrat-Differenztest, dass sich die Einflussstärke des Kaptiven Commitments auf die Preispremiumbereitschaft zwischen beiden Branchen signifikant unterscheidet (vgl. Tabelle VI-25). Obwohl sich in diesem Fall Werkstattkunden in einer ungewollten Beziehung befinden, reduzieren sie ihre Bereitschaft zur Zahlung höherer Preise nicht. Ein Grund könnte sein, dass ihr wahrgenommenes Risiko, resultierend aus dem höheren finanziellen Engagement, so bedeutsam ist, dass sie eine möglicherweise niedrigere Dienstleistungsqualität an ihrem Fahrzeug als Folge einer geringeren Preispremiumbereitschaft nicht provozieren wollen. Anhand der ermittelten Totaleffekte der Anbietervariablen auf die Bereitschaften zur Zahlung eines Preispremiums und zur Koproduktion lässt sich eine branchenspezifische Priorisierung der Anbietervariablen vornehmen (vgl. Tabelle VI-26). Im Untersuchungssample der Friseurkunden dominiert bei den langfristig beeinflussbaren (strategischen) Anbietervariablen die Reputation die Totaleffekte auf die Preispremium- (TP: +0,13) und die Koproduktionsbereitschaft (TK: +0,08). Für Werkstattkunden gehen dagegen die höchsten Totaleffekte auf die Bereitschaften zur Zahlung eines Preispremiums (TP: +0,13) und zur Koproduktion (TK: +0,06) vom Vertrauen aus, das ebenfalls wie die Reputation eine positive Wirkung auf die
172 Entstehung einer emotional begründeten Kundenbeziehung (Affektives Commitment) ausübt. Die Wechselkosten zeigen dagegen nur sehr schwache Effekte auf die Erfolgsvariablen. Im Sample mit Friseurkunden ist der Totaleffekt auf die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums mit -0,01 leicht negativ. Der Totaleffekt auf die Koproduktionsbereitschaft hebt sich durch den positiven Effekt über das Kalkulative Commitment mit dem negativen Effekt über das Kaptive Commitment vollständig auf. Für Werkstattkunden ist der Totaleffekt der Wechselkosten auf die Preispremiumbereitschaft mit +0,01 wiederum leicht positiv. Hier entfällt der negative Effekt über das Kaptive Commitment, da sich der Einfluss der „unfreiwilligen“ Kundenbeziehung auf die Preispremiumbereitschaft als nicht signifikant herausstellt. Hinsichtlich des Totaleffekts auf die Kostenvariable Koproduktionsbereitschaft ist festzustellen, dass sich der positive Effekt über das Kalkulative Commitment und der negative Effekt über das Kaptive Commitment wieder vollständig aufheben. Totaleffekt auf Preispremium Koproduktion Sample Sample Sample Sample FriseurWerkstattFriseurWerkstattUnabhängige Variable studios kunden studios kunden Langfristig beeinflussbare (strategische) Anbietervariablen Reputation 0,13 0,09 0,08 0,04 Vertrauen 0,11 0,13 0,07 0,06 Wechselkosten -0,01 0,01 0,00 0,00 Kurzfristig beeinflussbare (instrumentelle) Anbietervariablen Bevorzugte Behandlung 0,09 0,14 0,10 0,14 Direktmarketing 0,03 0,06 0,03 0,05 Markenpräsenz -1 0,03 -1 0,01 Wettbewerbsvariablen Attraktivität von Alternativen -0,01 -0,03 -0,02 -0,06 Mangel an Alternativen -0,08 -1 -0,07 -0,05 1 Kein Totaleffekt ermittelbar, da zugrunde liegende Pfadbeziehung(en) nicht signifikant
Tabelle VI-26: Totaleffekte auf den Beziehungserfolg In beiden Branchen dominiert bei den kurzfristig beeinflussbaren (instrumentellen) Anbietervariablen die bevorzugte Behandlung mit Totaleffekten von 0,09 bzw. 0,14 auf die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums und 0,10 bzw. 0,14 auf die Bereitschaft zur Koproduktion. Da die bevorzugte Behandlung zum einen die Entstehung einer moralisch
173 begründeten Kundenbeziehung (Normatives Commitment) und zum anderen die einer ökonomisch begründeten Kundenbeziehung (Kalkulatives Commitment) begünstigt, summieren sich hier die Effekte zweier Wirkungspfade. Gleiches gilt für das Direktmarketing. Durch die direkte Abgabe werblicher Angebote wird sowohl das Normative Commitment als auch das Kalkulative Commitment gefördert. Dies führt für beide Branchen ebenfalls zu positiven, aber im Vergleich zur bevorzugten Behandlung dennoch schwächeren Totaleffekten von jeweils 0,03 für die Preispremiumbereitschaft und 0,06 bzw. 0,05 für die Koproduktionsbereitschaft. Die Präsenz der Anbietermarke besitzt nur im Sample mit Werkstattkunden einen signifikanten Einfluss auf die Entstehung einer emotional begründeten Kundenbeziehung. Die Totaleffekte fallen mit 0,03 auf die Erlösvariable und mit 0,01 auf die Kostenvariable allerdings sehr schwach aus. Für die berücksichtigten Wettbewerbsvariablen können fast ausschließlich negative Totaleffekte auf die beiden Erfolgsgrößen identifiziert werden. So begünstigt der Mangel an alternativen Anbietern zunächst die Entstehung einer „unfreiwilligen“ Kundenbeziehung (Kaptives Commitment), die sich wiederum abschwächend auf den Beziehungserfolg auswirkt. Im Sample mit Friseurkunden gehen daher vom Mangel an Alternativen Totaleffekte von -0,08 auf die Preispremiumbereitschaft und -0,07 auf die Koproduktionsbereitschaft aus. Im Werkstattsample ist lediglich ein negativer Totaleffekt von -0,05 auf die Kostenvariable festzustellen, da das Kaptive Commitment in dieser Branche keinen Effekt auf die Preispremiumbereitschaft besitzt. Die Attraktivität von Alternativen hemmt die Entstehung von ökonomisch begründeten Kundenbeziehungen, wodurch in Folge auch die Erfolgsgrößen negativ betroffen sind. In beiden Branchen sind daher zwar sehr schwache, aber negative Totaleffekte von -0,01 bzw. -0,03 auf die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums und von -0,02 bzw. -0,06 auf die Bereitschaft zur Koproduktion festzustellen. Zur Durchsetzung höherer Preise bei gleichzeitiger Kostensenkung durch Koproduktion können der Reputationsaufbau im Kontext von Friseurstudios und der Vertrauensaufbau im Kontext von Autowerkstätten empfohlen werden. Diese Maßnahmen begünstigen über ihre förderliche Wirkung für die Entstehung von emotional begründeten Kundenbeziehungen jeweils die Preispremium- und Koproduktionsbereitschaft. Der Aufbau von Wechselkosten
174 ist dagegen nicht empfehlenswert, da sie im Sample mit Werkstattkunden nur sehr schwache positive Effekte und im Sample mit Friseurkunden sogar negative Folgen mit sich bringen können. Als kurzfristig umsetzbare Maßnahme für die erfolgreiche Durchsetzung höherer Preise und die Stimulierung der Kunden zur Koproduktion kann in beiden Branchen die bevorzugte Behandlung zum Einsatz kommen. Hier werden die positiven Effekte des Normativen und Kalkulativen Commitments ausgenutzt, die beide durch die bevorzugte Behandlung steuerbar sind. Die Präsenz der Anbietermarke und das Direktmarketing haben dagegen vergleichsweise geringe bzw. gar keine Einflüsse und sind daher zu vernachlässigen. Werden die Erfolgswirkungen der Commitment-Konstrukte isoliert betrachtet, so wird deutlich, dass die emotional begründete Kundenbeziehung in Form des Affektiven Commitments für Unternehmen die vorteilhafteste Form einer Kundenbeziehung darstellt. Unabhängig von der Branche können hier die stärksten Effekte auf die Erlösvariable Preispremiumbereitschaft (H12F: +0,37; H12W: +0,37) und die Kostenvariable Koproduktionsbereitschaft (H16F: +0,23; H16W: +0,18) festgestellt werden. Weiterhin ist lediglich der Einfluss des Kalkulativen Commitments auf die Bereitschaft zur Koproduktion in der Gruppe mit Werkstattkunden als erhöht zu identifizieren (H18W: +0,19). Die restlichen Erfolgswirkungen des Normativen und Kalkulativen Commitments sind zwar ebenfalls positiv, aber deutlich schwächer ausgeprägt. Für die „unfreiwillige“ Kundenbeziehung (Kaptives Commitment) sind bei Friseurkunden deutlich negative Auswirkungen auf den Beziehungserfolg zu beobachten (H15F: -0,17; H17F: -0,15). Bei Werkstattkunden fällt dieser negative Einfluss des Kaptiven Commitments auf die Preispremiumbereitschaft weg, während er in Bezug auf die Koproduktionsbereitschaft vergleichsweise schwach ausfällt (H19W: -0,09). Zusammenfassend kann gezeigt werden, dass je nach CommitmentKonstrukt unterschiedliche Wirkungen auf den Beziehungserfolg vorliegen. Während das Affektive, Normative und Kalkulative Commitment zwar positive, aber in ihrer Stärke variierende Einflüsse auf die beiden Erfolgsgrößen aufweisen, wirkt das Kaptive Commitment sowohl auf die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums als auch auf die Bereitschaft zur Koproduktion kontraproduktiv. Die komparative und branchenspezifische Analyse der Erfolgswirkungen commitmentspezifischer Determinanten ermöglichte zum
175 einen deren Priorisierung und zum anderen die Berücksichtung kontextspezifischer Unterschiede. Die Frage, ob neben der Branche zusätzlich zielgruppenspezifische Besonderheiten in der Wirkung dieser Determinanten auf den Beziehungserfolg berücksichtigt werden müssen, wird durch den Einbezug nicht-beobachtbarer Konsumentenheterogenität im nächsten Schritt geklärt. 5.3.2
Ergebnisse der Finite Mixture-Analyse
5.3.2.1 Schätzung der Segmente Um die im vorangegangenen Abschnitt geschätzten Basismodelle auf das Vorliegen von nicht-beobachtbarer Konsumentenheterogenität zu überprüfen, wird die Finite Mixture-Analyse angewendet. Hierzu wird das Softwarepaket MPlus 5.1 genutzt.540 Für die Identifizierung latenter Kundensegmente wird im Gegensatz zum Vorgehen bei der Schätzung der Basismodelle zunächst keine branchenspezifische Betrachtung vorgenommen. Die Branche dient stattdessen als beschreibende Segmentvariable anhand derer sichtbar wird, wie stark die zu identifizierenden Kundensegmente in den beiden Branchen vertreten sind. Um die optimale Anzahl an Kundensegmenten zu bestimmen wird folgendes Vorgehen gewählt. Für jedes multivariate Modellkonstrukt werden zunächst Durchschnittswerte gebildet, um die hohe Komplexität des Gesamtmodells zu verringern.541 In einem nächsten Schritt werden unterschiedliche Modelltypen geschätzt, die aus einer zuvor festgelegten Anzahl an Klassen bestehen.542 Dabei wird, ausgehend von einem 1-Klassen-Modell, die Anzahl der Klassen sukzessive erhöht. In der vorliegenden Untersuchung wurden Modelltypen mit bis zu sechs Klassen geschätzt. Für jeden Modelltyp wird auf den in Abschnitt VI-2.4 beschriebenen EM-Algorithmus zurückgegriffen, der die Maximierung des logarithmierten Likelihood-Wertes (LL) verfolgt. Eine grundsätzliche Herausforderung bei dieser Form der Modellschätzung besteht allerdings darin, dass der iterative Schätzalgorithmus häufig nur zu einem lokalen 540 541
542
Vgl. Muthén/Muthén (2007). Zur Bildung von Durchschnittswerten bei multivariaten Modellkonstrukten vgl. z.B. Verhoef/Langerak/Donkers (2007), S. 106; Jones/Taylor/Bansal (2008), S. 483. Der Begriff Klasse ist gleichzusetzen mit dem Segmentbegriff und wird in der Terminologie des Finite Mixture-Ansatzes verwendet. Vgl. Muthén/Muthén (2007), S. 131.
176 Optimum, d.h. einer suboptimalen Lösung, konvergiert. Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass der Algorithmus das globale Optimum findet, können die zur Schätzung notwendigen Startwerte variiert werden.543 Innerhalb eines jeden Modelltyps werden daher mehrere Lösungen mit verschiedenen Startwerten berechnet und schließlich die beste Modelllösung ausgewählt. Die beste Lösung wird hierbei durch den höchsten LL repräsentiert.544 Sind innerhalb eines jeden Modelltyps die optimalen Lösungen gefunden, wird anhand eines Vergleichs der Kriterien LL, AIC, BIC, des Entropie-Maßes und des L-M-R-Tests die beste Klassenlösung ermittelt (vgl. Abschnitt VI-2.3). Modelltyp 1-Klassen- 2-Klassen- 3-Klassen- 4-Klassen- 5-Klassen- 6-KlassenKriterium Modell Modell Modell Modell Modell Modell -17.824 -17.553 -17.296 -17.133 -16.997 -16.884 LL 35.714 35.222 34.760 34.486 34.266 34.092 AIC 35.887 35.537 35.216 35.083 35.004 34.971 BIC 1,00 0,58 0,69 0,75 0,70 0,76 Entropie 0,00a 0,02b 0,04b 0,08c 0,58 L-M-R-Test a: signifikant mit p < 0,01; b: signifikant mit p < 0,05; c: signifikant mit p < 0,10
Tabelle VI-27: Kriterien zur Bestimmung der optimalen Klassenanzahl Die Bestimmung der optimalen Klassenanzahl erfolgt anhand der Analyse der in Tabelle VI-27 dargestellten Werte für die berechneten sechs Modelltypen. Die Gütekriterien lassen grundsätzlich auf Heterogenität in der Stichprobe schließen. Zu beobachten ist eine vergleichsweise starke Zunahme des LL vom 1-Klassen-Modell zum 2-Klassen-Modell ( LL=271). Dies deutet darauf hin, dass die Mehrklassenlösung die zugrunde liegende Datenstruktur besser repräsentiert. Da der LL entsprechend der steigenden Klassen- und Parameteranzahl nur steigen und nicht fallen kann, würde eine Entscheidung alleine auf Basis des LL immer zur Wahl des komplexesten Modelltyps führen.545 Bei der Betrachtung des AIC ist zu beachten, dass dieser aufgrund des hohen Stichprobenumfangs erwartungsgemäß zu einer Überparametrisierung des Modells neigt. So ist selbst vom 5-Klassen- zum 6-KlassenModell noch immer eine starke Verringerung des AIC festzustellen ( AIC=174). Da aber eine zu hohe Klassenanzahl gegen eine praktikable und interpretierbare Lösung spricht, wird der AIC nicht weiter beachtet. Auch der BIC 543 544 545
Vgl. Vermunt/Magidson (2000), S. 167f.; Wedel/Kamakura (2003), S. 88f. Vgl. Völckner (2003), S. 147; Wedel/Kamakura (2003), S. 88. Vgl. Völckner (2003), S. 148.
177 verringert sich vom 5-Klassen- zum 6-Klassen-Modell ( BIC=33), wobei die Abnahme allerdings vergleichsweise gering ausfällt. Dies deutet darauf hin, dass die 5-Klassen-Lösung eine gute Annäherung an den Datensatz darstellt. Der L-M-R-Test zeigt schließlich, dass bis zum 5-Klassen-Modell eine kontinuierliche, signifikante Verbesserung der Modellgüte im Vergleich zur Lösung mit dem jeweils kleineren Klassen-Modell erreicht werden kann. Auch die Entropie weist mit einem Wert von 0,70 für das 5-Klassen-Modell eine ausreichend hohe Genauigkeit bei der Zuordnung der Probanden zu den einzelnen Klassen auf. In der Konsequenz wird daher das 5-Klassen-Modell als optimaler Modelltyp zur Abbildung der vorhandenen Konsumentenheterogenität ausgewählt.
A # H1 H2 H3 H4 H5 H6 H7 H8 H9 H10 H11 H12 H13 H14 H15 H16 H17 H18 H19 AC: NC: KKC: KPC:
Kausalzusammenhang
B
Segment C
D
E
n=92 n=382 n=500 n=439 n=269 (5,5%) (22,7%) (29,7%) (26,1%) (16,0%)
Reputation AC 0,21 0,02 0,40a 0,23a 0,28a Markenpräsenz AC -0,21c 0,25a -0,02 0,09 -0,01 Vertrauen AC 0,42a 0,15 0,20b 0,44a 0,47a Bevorzugte Behandlung NC 0,16 0,18b 0,37a 0,36a 0,56a Bevorzugte Behandlung KKC 0,66a 0,34a 0,39a 0,15b 0,42a Direktmarketing NC 0,09 0,09 0,08 0,23a 0,13b Direktmarketing KKC 0,01 0,34a 0,04 0,11b 0,22a Wechselkosten KKC -0,02 0,20a 0,09 0,02 0,19a c a b Wechselkosten KPC 0,25 0,19 0,07 0,09b 0,27a b b a Attraktivität von Alternativen KKC -0,26 -0,26 -0,30 -0,19a -0,19b Mangel an Alternativen KPC 0,72a 0,80a 0,17a 0,77a 0,78a AC Preispremium 0,28b 0,39a 0,11 0,65a 0,40a NC Preispremium 0,24c 0,18b 0,21b -0,12b 0,12 KKC Preispremium 0,04 -0,03 0,23b -0,09 0,08 KPC Preispremium -0,03 -0,15b 0,04 -0,05 0,00 AC Koproduktion 0,43a 0,02 0,16b 0,34a 0,22b NC Koproduktion -0,19c 0,13 0,04 0,31a 0,14c KKC Koproduktion -0,21 0,12 0,35a 0,06 0,26a KPC Koproduktion 0,18c -0,09 -0,20b 0,02 -0,01 Affektives Commitment a: signifikant mit p < 0,01 Normatives Commitment b: signifikant mit p < 0,05 Kalkulatives Commitment c: signifikant mit p < 0,10 Kaptives Commitment Grau unterlegte Pfadkoeffizienten sind signifikant
Tabelle VI-28: Segmentergebnisse der Finite Mixture-Analyse
178 Die standardisierten Pfadkoeffizienten der 5-Klassenlösung sind in Tabelle VI-28 dargestellt, wobei die signifikanten Koeffizienten zur besseren Übersicht grau unterlegt sind. Tabelle VI-29 zeigt die segmentspezifischen Totaleffekte der anbieter- und wettbewerbsbezogenen Variablen auf die beiden Erfolgsgrößen Preispremium- und Koproduktionsbereitschaft. Hierbei werden nur die Totaleffekte signifikanter Pfadbeziehungen betrachtet. Totaleffekt des Zusammenhangs Segment Unabhängige Variable Erfolgsvariable A B C D E Langfristig beeinflussbare (strategische) Anbietervariablen Reputation Preispremium -1 -1 -1 0,05 0,11 Koproduktion -1 -1 0,06 0,08 0,06 Vertrauen Preispremium 0,12 -1 -1 0,29 0,19 Koproduktion 0,18 -1 0,03 0,15 0,10 1 Wechselkosten Preispremium -0,03 -1 -1 -1 1 1 Koproduktion 0,05 -0,01 0,05 Kurzfristig beeinflussbare (instrumentelle) Anbietervariablen Bevorzugte Behandlung Preispremium -1 0,03 0,17 -0,04 -1 1 1 Koproduktion 0,14 0,11 0,19 Direktmarketing Preispremium -1 -1 -1 -0,03 -1 1 1 1 Koproduktion 0,07 0,08 Markenpräsenz Preispremium -0,06 0,10 -1 -1 -1 1 1 1 Koproduktion -0,09 -1 Wettbewerbsvariablen Attraktivität von Alternativen Preispremium -1 -1 -0,07 -1 -1 1 1 1 Koproduktion -0,11 -0,05 Mangel an Alternativen Preispremium -1 -0,12 -1 -1 -1 Koproduktion 0,13 -1 -0,03 -1 -1 1 Kein Totaleffekt ermittelbar, da zugrunde liegende Pfadbeziehung(en) nicht signifikant
Tabelle VI-29: Segmentbezogene Totaleffekte auf den Beziehungserfolg Da in der Finite Mixture-Analyse eine aggregierte Betrachtung vorgenommen wurde, interessiert nun, ob alle identifizierten Segmente sowohl für die personen- als auch für die produktorientierte Dienstleistungsbranche Gültigkeit besitzen. In den identifizierten Segmenten stammt jeweils mindestens ein Anteil von 25% der Segmentmitglieder aus einer der beiden Kundengruppen (vgl. Tabelle VI-30). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass alle identifizierten Segmente für beide Branchen zu berücksichtigen sind.
179
Segmentzusammensetzung Anteil Friseurkunden Anteil Werkstattkunden
A
B
Segment C
D
E
25,0%
53,1%
55,2%
51,0%
43,1%
75,0%
46,9%
44,8%
49,0%
56,9%
Tabelle VI-30: Anteil von Friseur- und Werkstattkunden in den Segmenten Unter Einbezug der vorangestellten Analysen können die einzelnen Segmente der 5-Klassenlösung in ihren Reaktionen auf die exogenen Variablen charakterisiert werden. Nachfolgende Segmentprofile zeigen, welche commitmentspezifischen Determinanten sich zur Steuerung des Beziehungserfolgs in den einzelnen Segmenten eignen: x Segment A: „Die scheuen Vertrauensorientierten“ Das Segment A ist mit einem Anteil von lediglich 5,5% an der Gesamtstichprobe die kleinste identifizierte Gruppe. Bezeichnend für dieses Segment ist, dass das Vertrauen besonders stark zur Entstehung einer emotional begründeten Kundenbeziehung (Affektives Commitment) beiträgt (H3: +0,42). Dadurch lässt sich in Folge auch der Beziehungserfolg in Form der Bereitschaften zur Zahlung eines Preispremiums (TP: +0,12) und zur Koproduktion (TK: +0,18) steuern. Auffällig ist, dass die Präsenz der Anbietermarke das Affektive Commitment negativ beeinflusst (H2: -0,21) und sich folglich negativ auf die beiden Erfolgsgrößen auswirkt (TP: -0,06; TK: -0,09). Demnach empfinden die Mitglieder dieses Segments eine zu starke Markenpräsenz als störend und honorieren diese nicht. Der Mangel an Anbieteralternativen hat in diesem Segment einen signifikant positiven Einfluss auf das Kaptive Commitment (H11: +0,72). Da das Kaptive Commitment hier jedoch entgegen der ursprünglichen Hypothese eine stimulierende Wirkung auf die Bereitschaft zur Koproduktion zeigt (H19: +0,18), ist auch der Totaleffekt des Mangels an Alternativen für diese Erfolgsgröße positiv (TK: +0,13). Somit kann es in diesem Segment zwar zur Entstehung einer „unfreiwilligen“ Kundenbeziehung kommen, die Kunden scheinen sich jedoch mit dieser Situation zu arrangieren und sind bereit, sich trotzdem koproduzierend zu verhalten. Aufgrund der dominant positiven Wirkung der Steuerungsvariable Vertrauen und der negativen Wirkung einer starken Markenpräsenz vor Ort wird dieses Segment „Die scheuen Vertrauensorientierten“ genannt.
180 x Segment B: „Die distanzierten Statusorientierten“ Im Segment B befinden sich 22,7% der Probanden der Gesamtstichprobe. Auffällig in diesem Segment ist, dass sich im Gegensatz zu Segment A („Die scheuen Vertrauensorientierten“) eine emotional begründete Kundenbeziehung (Affektives Commitment) lediglich durch eine starke Präsenz der Anbietermarke aufbauen lässt (H2: +0,25). Das Affektive Commitment besitzt hier nur eine Erfolgswirkung auf die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Daher kann durch die Präsenz der Anbietermarke auch nur diese Erfolgsgröße gesteuert werden (TP: +0,10). Die Mitglieder dieses Segments legen somit großen Wert auf die repräsentative Wirkung einer auffällig kommunizierten Anbietermarke. Außerdem trägt die bevorzugte Behandlung zur Entstehung einer Beziehung auf Basis einer moralischen Verpflichtung (Normatives Commitment) bei (H4: +0,18). Der Totaleffekt der bevorzugten Behandlung über das Normative Commitment beschränkt sich allerdings auf die Preispremiumbereitschaft mit einer vergleichsweise schwachen Wirkung (TP: +0,03). Die Wettbewerbsgröße Mangel an Alternativen wirkt sich in diesem Segment über das Kaptive Commitment (H11: +0,80) negativ auf die Preispremiumbereitschaft (TP: -0,12) aus. Hervorzuheben ist, dass die Commitment-Konstrukte in diesem Segment keine Wirkung auf die Koproduktionsbereitschaft haben. Demnach honorieren die Kunden in diesem Segment die Anstrengungen des Unternehmens lediglich mit der Bereitschaft zur Zahlung höherer Preise, aber nicht mit einer Interaktion mit dem Unternehmen, was sich in der Bereitschaft zur Koproduktion manifestieren würde. Aufgrund dieses distanzierten Verhaltens und der dominant positiven Wirkung der Steuerungsvariable Markenpräsenz werden die Mitglieder des vorliegenden Segments „Die distanzierten Statusorientierten“ genannt. x Segment C: „Die Serviceorientierten“ Mit 29,7% Anteil an der Gesamtstichprobe fällt das Segment C am größten aus. In diesem Segment ist hervorzuheben, dass die bevorzugte Behandlung die mit Abstand stärksten Totaleffekte auf die Erfolgsgrößen Preispremiumbereitschaft (TP: +0,17) und Koproduktionsbereitschaft (TK: +0,14) zeigt. Die hohen Effekte sind darauf zurückzuführen, dass die bevorzugte Behandlung zum einen die Entstehung einer Beziehung auf
181 Basis einer moralischen Verpflichtung (Normatives Commitment) begünstigt (H4: +0,37) und zum anderen eine ökonomisch begründete Beziehung (Kalkulatives Commitment) fördert (H5: +0,39). Da das Kalkulative Commitment beide Erfolgsgrößen (H14: +0,23; H18: +0,35) und das Normative Commitment zumindest die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums positiv beeinflusst (H13: +0,21), nimmt die bevorzugte Behandlung zur Steuerung des Beziehungserfolgs in diesem Segment eine dominante Stellung ein. Zusätzlich kann durch den Einfluss der Reputation und des Vertrauens eine emotional begründete Kundenbeziehung (Affektives Commitment) aufgebaut werden (H1: +0,40; H3: +0,20). Da vom Affektiven Commitment jedoch lediglich eine signifikante Wirkung auf die Bereitschaft zur Koproduktion ausgeht (H16: +0,16), eignen sich die Reputation (TK: +0,06) und das Vertrauen (TK: +0,03) nur zur Steuerung des Kostensenkungspotenzials. Hinsichtlich der Wettbewerbsgröße Attraktivität von Alternativen ist ein negativer Effekt auf die ökonomisch begründete Kundenbeziehung (Kalkulatives Commitment) festzustellen (H10: -0,30). Dies führt zu negativen Totaleffekten auf die Bereitschaften zur Zahlung eines Preispremiums (TP: -0,07) und zur Koproduktion (TK: -0,11). Der Mangel an Alternativen führt über das Kaptive Commitment ebenfalls zu einem schwach negativen Totaleffekt auf die Bereitschaft zur Koproduktion (TK: -0,03). Da die bevorzugte Behandlung in diesem Segment das dominante Instrument zur Steuerung beider Erfolgsgrößen ist, werden die Konsumenten in diesem Segment als „Die Serviceorientierten“ bezeichnet. x Segment D: „Die eigennützigen Anspruchsorientierten“ Das Segment D ist mit einem Anteil von 26,1% an der Gesamtstichprobe die zweitgrößte identifizierte Klasse. Dieses Segment zeichnet sich dadurch aus, dass sich der Beziehungserfolg über vier Anbietervariablen steuern lässt. Zunächst ist festzustellen, dass sowohl die Reputation als auch das Vertrauen die beiden Erfolgsgrößen Bereitschaften zur Zahlung eines Preispremiums (TP: +0,05; +0,29) und zur Koproduktion (TK: +0,08; +0,15) steigern. Beide Anbietervariablen bewirken die Entstehung einer emotionalen Kundenbeziehung (Affektives Commitment) (H1: 0,23; H3: +0,44), die sich wiederum positiv auf beide Erfolgsgrößen auswirkt (H12: +0,65; H16: +0,34). Die Totaleffekte einer bevorzugten Behandlung und des
182 Direktmarketings sind dagegen ambivalent. Zwar begünstigen beide Instrumente die Entstehung einer Kundenbeziehung auf Basis einer moralischen Verpflichtung (Normatives Commitment) (H4: +0,36; H6: +0,23), allerdings bewirkt diese nur einen positiven Effekt auf die Bereitschaft zur Koproduktion. Folglich sind von beiden Variablen nur positive Totaleffekte auf die Kostengröße nachweisbar (TK: +0,11; +0,07). Hinsichtlich der Preispremiumbereitschaft geht vom Normativen Commitment dagegen eine negative Wirkung aus (H13: -0,12), wodurch die entsprechenden Totaleffekte der bevorzugten Behandlung und des Direktmarketings ebenfalls negativ ausfallen (TP: -0,04; -0,03). Da die Kunden schon zur Koproduktion bereit sind, scheinen sie, eine weitere Gegenleistung in Form der Zahlungsbereitschaft eines Preispremiums zu verweigern. Zusammenfassend können die Mitglieder dieses Segments als anspruchsvoll charakterisiert werden, da bei insgesamt vier Anbietervariablen hohe Ausprägungen für eine Steigerung des Beziehungserfolgs vorliegen müssen. Allerdings scheinen die Segmentmitglieder bei den beiden kurzfristig beeinflussbaren Anbietervariablen einen direkten Ausgleich für die geleistete Koproduktion in Form von geringeren Preisen zu fordern. Aus diesen Gründen wird dieses Segment als „Die eigennützigen Anspruchsorientierten“ bezeichnet. x Segment E: „Die großzügigen Anspruchsorientierten“ Das Segment E besitzt einen Anteil von 16,0% an der Gesamtstichprobe. Für dieses Segment lassen sich fünf Anbietervariablen identifizieren, die sich alle positiv auf den Beziehungserfolg auswirken. So erweisen sich die Reputation und das Vertrauen als Determinanten des Affektiven Commitments (H1: +0,28; H3: +0,47). Über die Wirkung des Affektiven Commitments auf die beiden Erfolgsgrößen Preispremium- und Koproduktionsbereitschaft (H12: +0,40; H16: +0,22) können entsprechend jeweils positive Totaleffekte für die Reputation (TP: +0,11; TK: +0,06) und das Vertrauen (TK: +0,19; TP: +0,10) beobachtet werden. Hinsichtlich der Wechselkosten kann zumindest für die Bereitschaft zur Koproduktion ein positiver Totaleffekt festgestellt werden (TK: +0,05). Die Wechselkosten begünstigen zunächst die Entstehung einer ökonomisch begründeten Beziehung (Kalkulatives Commitment) (H8: +0,19), die wiederum einen positiven Einfluss auf die Bereitschaft zur Koproduktion ausübt (H18: +0,26).
183 Auch die bevorzugte Behandlung und das Direktmarketing eignen sich zur Steuerung des Beziehungserfolgs. Beide Variablen wirken positiv auf das Normative (H4: +0,56; H6: 0,13) und das Kalkulative Commitment (H5: +0,42; H7: +0,22). Im Gegensatz zu Segment D geht hier vom Normativen Commitment kein negativer Effekt auf die Preispremiumbereitschaft aus. Gleiches gilt für das Kalkulative Commitment. Ebenso sind für beide Commitment-Konstrukte positive Auswirkungen auf die Koproduktionsbereitschaft festzustellen (H17: +0,14; H18: +0,26). Folglich lässt sich die Koproduktionsbereitschaft über die Instrumente bevorzugte Behandlung und Direktmarketing steuern (TK: +0,19; +0,08). Bei den Wettbewerbsvariablen ist ein negativer Einfluss der Attraktivität von Alternativen auf das Kalkulative Commitment zu beobachten (H10: -0,19), was zu einem negativen Totaleffekt von -0,05 auf die Bereitschaft zur Koproduktion führt. Vergleichbar mit Segment D können die Mitglieder dieses Segments ebenfalls als anspruchsvoll charakterisiert werden, da die Steigerung des Beziehungserfolgs von einer ausreichend hohen Ausprägung mehrerer Anbietervariablen abhängt. Im Gegensatz zu Segment D sind allerdings keinerlei negative Totaleffekte dieser Variablen auf die beiden Erfolgsgrößen zu beobachten. Insofern sind die Segmentmitglieder zwar anspruchsvoll, aber gleichzeitig auch bereit, sowohl höhere Preise zu zahlen als auch bei der Dienstleistungserstellung aktiv mitzuwirken. Aus diesem Grund werden die Mitglieder dieses Segments als „Die großzügigen Anspruchsorientierten“ bezeichnet. Zusammenfassend zeigen die durchgeführten Analysen, dass deutliche Unterschiede in den Reaktionen der Segmentmitglieder auf die betrachteten Anbietervariablen existieren. Daher sollte zur gezielten Steuerung des Beziehungserfolgs eine zielgruppenspezifische Kundenbearbeitung verfolgt werden. 5.3.2.2 Charakterisierung der Segmente Zur Charakterisierung der Segmente wird auf beschreibende Segmentvariablen zurückgegriffen, die in Abschnitt V-4.2 ausgewählt wurden. Allerdings ist zu vermuten, dass die Variablen aus den Kategorien Kaufverhalten, Soziodemographika und verwendete Informationsquellen einem Brancheneinfluss unterliegen. Die Anwendung einer einfaktoriellen
184 Varianzanalyse (ANOVA) mit der Branche als unabhängige und den beschreibenden Segmentvariablen als abhängige Variable zeigt, dass dies auf alle Variablen zutrifft (p<0,10).546 Aus diesem Grund erfolgt die Beschreibung der Segmente für die Branchen jeweils separat. Durch diese Herangehensweise kann zudem die Herleitung branchenspezifischer Implikationen zur Segmentansprache erfolgen. Zur Interpretation der beschreibenden Segmentvariablen auf Branchenebene wird folgendes Verfahren gewählt. Zunächst wird mittels einer multinomialen Regression der Einfluss der beschreibenden Segmentvariablen auf die Klassenzugehörigkeit getestet, wobei die Signifikanz der Effekte durch ein Chi-Quadrat-Differenztest ( df=4) der Regressionsmodelle mit und ohne der jeweiligen Variable festgestellt wird.547 Danach wird mit Hilfe des F-Tests der ANOVA geprüft, ob die Segmentzugehörigkeit einen Einfluss auf die Mittelwertunterschiede der jeweiligen beschreibenden Segmentvariable hat. Ist dies der Fall, kann der Post-hoc-Test (LSD-Variante) herangezogen werden, um zu ermitteln, welche Mittelwertdifferenzen zwischen den Segmenten signifikant sind und zur Unterscheidung der Segmente herangezogen werden können.548 Im Sample mit Friseurkunden erweisen sich die beschreibenden Segmentvariablen Alter, Beziehungsdauer, Besuchsfrequenz, Cross-Buying und Kaufvolumen als signifikant zur Erklärung der Segmentzugehörigkeit (vgl. Tabelle VI-31). Von diesen Variablen ist im Rahmen des F-Tests lediglich das Alter nicht signifikant. Daher ist die Interpretation der vorhandenen signifikanten Mittelwertdifferenzen für diese Variable nur eingeschränkt aussagekräftig. Exemplarisch kann das Segment D anhand des Kaufverhaltens wie folgt charakterisiert werden: Die Mitglieder dieses Segments weisen mit durchschnittlich 3,09 Jahren die längste Beziehungsdauer auf und besuchen durchschnittlich 5,66 Mal pro Jahr ihr Friseurstudio. Dabei bringen sie im Segmentvergleich mit durchschnittlich 38,46 Euro den höchsten Umsatz pro Besuch. Kennzeichnend für dieses Segment ist auch, dass sie Produkte und Dienstleistungen aus durchschnittlich 12,94% der möglichen Produkt- und Dienstleistungskategorien von ihrem Friseur beziehen. Für die übrigen Segmente kann in analoger Weise die Beschreibung der Segmente erfolgen. 546 547 548
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 159f. Vgl. Cohen et al. (2003), S. 519ff. Vgl. Hair et al. (2010), S. 473.
185
Beschreibende Segmentvariable
Multinomiale Regression1 F-Wert
Segmentspezifische Mittelwerte
A
B
C
D
E
Kaufverhalten Beziehungsdauer [Jahre] 18,27a 3,42a 2,72 2,37D 2,34D 3,09BCE 2,58D Besuchsfrequenz 2,52b 4,21CDE 4,81CDE 5,45AB 5,66AB 5,71AB 14,32a [Besuche/Jahr] Cross-Buying [%] 8,54c 4,63a 9,87D 9,93CD 12,05B 12,94ABE 10,79D Kaufvolumen [EUR/Besuch] 8,00c 4,28a 31,83 30,19D 31,72D 38,46BCE 27,72D Soziodemographika Anteil Frauen [%] 4,24 2,51b 60,87 47,29D 53,26E 58,93BE 43,97CD c CD Alter [Jahre] 7,88 1,76 42,04 36,84 36,15AE 36,78A 39,39C Informationsquellen [1=keine Nutzung; 7=sehr hohe Nutzung] Printmedien 4,60 1,93 2,44 2,52D 2,55D 2,96BCE 2,53D D D BC Internet 5,79 1,26 3,48 3,11 3,22 3,58 3,30 Freunde und Bekannte 4,83 3,63a 5,13D 5,48DE 5,59E 5,78ABE 5,06BCD Testnutzung 3,35 1,09 5,00 4,76 4,88E 4,61 4,53C 1: Chi-Quadrat-Differenztest mit df=4 Hochstellung der Großbuchstaben gibt die a: signifikant mit p < 0,01 signifikante Mittelwertdifferenz zum angegebenen b: signifikant mit p < 0,05 Segment an (LSD-Test) c: signifikant mit p < 0,10
Tabelle VI-31: Beschreibung der Segmente im Sample mit Friseurkunden Zur Erklärung der Segmentzugehörigkeit sind im Sample mit Werkstattkunden die Variablen Beziehungsdauer, Besuchsfrequenz, Cross-Buying, Kaufvolumen sowie die Nutzung der Informationsquellen Printmedien, Internet sowie Freunde und Bekannte signifikant (vgl. Tabelle VI-32). Auch der F-Test erweist sich bei den genannten Variablen als signifikant, so dass die Mittelwertdifferenzen zwischen den Segmenten interpretiert werden können. Im Folgenden wird exemplarisch das Segment E anhand des Kaufverhaltens charakterisiert: Die Segmentmitglieder zeichnen sich durch die kürzeste Beziehungsdauer mit durchschnittlich 3,19 Jahren aus. Sie besuchen ihre Werkstatt durchschnittlich 2,03 Mal pro Jahr und geben dabei 464,84 Euro pro Besuch aus. Sie beziehen dabei Produkte und Dienstleistungen aus 26,74% der möglichen Produkt- und Dienstleistungskategorien von ihrer Werkstatt. Die gleiche Systematik kann zur Beschreibung der Mitglieder in den übrigen Segmenten herangezogen werden.
186
Beschreibende Segmentvariable
Multinomiale Regression1 F-Wert
Segmentspezifische Mittelwerte
A
B
C
D
E
Kaufverhalten Beziehungsdauer [Jahre] 16,70a 4,85a 3,31CD 3,77DE 3,78ADE 4,17ABCE 3,19BCD Besuchsfrequenz 7,19a 2,36BCE 1,84ACD 2,05ABD 2,51BCE 2,03AD 22,79a [Besuche/Jahr] Cross-Buying [%] 19,61a 8,48a 26,48D 26,64CD 29,59BDE 34,42ABCE 26,74CD Kaufvolumen [EUR/Besuch] 11,74b 1,97c 512,37BCD 377,28AE 412,07A 362,00AE 464,84BD Soziodemographika Anteil Frauen [%] 5,91 1,68 41,27E 34,32 40,57E 41,46E 30,14ACD b BCDE AE AE Alter [Jahre] 6,14 2,57 42,06 45,41 45,58 46,90A 48,41ABC Informationsquellen [1=keine Nutzung; 7=sehr hohe Nutzung] Printmedien 10,51b 2,36c 3,29 3,25E 3,06DE 3,39C 3,68BC b c D D ACE Internet 10,12 2,32 4,71 4,39 4,58 4,14 4,77D Freunde und Bekannte 11,91b 2,99b 5,60E 5,49E 5,51E 5,73E 5,13ABCD Testnutzung 6,92 2,14c 3,59DE 3,72DE 3,89 4,13AB 4,16AB 1: Chi-Quadrat-Differenztest mit df=4 Hochstellung der Großbuchstaben gibt die a: signifikant mit p < 0,01 signifikante Mittelwertdifferenz zum angegebenen b: signifikant mit p < 0,05 Segment an (LSD-Test) c: signifikant mit p < 0,10
Tabelle VI-32: Beschreibung der Segmente im Sample mit Werkstattkunden Hinsichtlich der beschreibenden Segmentvariable Informationsquelle kann festgehalten werden, dass sich die Präferenzrangfolge für die einzelnen Informationsquellen zwischen den Segmenten nicht nennenswert ändert (vgl. Tabelle VI-31 und 32). Daher kann im Folgenden eine branchenspezifische Betrachtung der Präferenz für bestimmte Informationsquellen über alle Segmente erfolgen. Im Sample mit Friseurkunden gilt hinsichtlich der Adressierbarkeit der Segmente, dass Printmedien unabhängig vom betrachteten Segment am wenigsten zur Suche eines neuen Friseurstudios genutzt werden. Auch das Internet erreicht lediglich einen durchschnittlichen Nutzungsgrad. Die Testnutzung, bei der neue Friseurstudios ausprobiert und danach beurteilt werden, erreicht dagegen einen besseren Nutzungsgrad. Am häufigsten werden jedoch Freunde und Bekannte zu Rate gezogen. Zur Ansprache der Werkstattkunden kann festgehalten werden, dass ebenfalls Printmedien über alle Segmente am wenigsten zur Suche einer neuen Autowerkstatt genutzt werden. Im Vergleich zu den Angaben der Friseurkunden fallen die Mittelwerte je Segment jedoch höher aus. Die Informationsquelle Testnutzung kommt bei Werkstattkunden mit Ausnahme des Segments D lediglich auf den dritten Rang. Freunde und Bekannte sind die meist verwendete Informationsquelle gefolgt vom Medium Internet.
187 Um auf Basis der vorliegenden Kaufverhaltensdaten eine periodenbezogene Attraktivität der Segmente bestimmen zu können, wird die Größe jährliches Kaufvolumen pro Kunde gebildet. Diese Variable wird als Produkt aus den durchschnittlichen Ausgaben pro Besuch und der durchschnittlichen Besuchsfrequenz eines Kunden im jeweiligen Segment gebildet. Anhand der Daten in Tabelle VI-33 kann nun jeweils das attraktivste Segment für beide untersuchten Kundengruppen bestimmt werden (die höchsten Ausprägungen sind grau unterlegt). Im Sample mit Friseurkunden erscheint das Segment D („Die eigennützigen Anspruchsorientierten“) mit dem höchsten jährlichen Kaufvolumen (217,68 Euro) als sehr attraktiv. Im Sample mit Werkstattkunden ist das Segment A („Die scheuen Vertrauensorientierten“) mit einem jährlichen Kaufvolumen von durchschnittlich 1.209,19 Euro am attraktivsten. Jährliches Kaufvolumen pro Kunde [EUR] Friseurkunden Werkstattkunden
A
B
Segment C
D
E
134,00 1.209,19
145,21 694,20
172,87 844,74
217,68 908,62
158,28 943,63
Tabelle VI-33: Jährliches Kaufvolumen von Friseur- und Werkstattkunden Festzuhalten bleibt, dass die erfolgten Analysen zur Charakterisierung der einzelnen Segmente mehrere beschreibende Segmentvariablen offengelegt haben, die alle der Kategorie der beobachtbaren Kaufverhaltensdaten zugerechnet werden. Diese Daten stehen Unternehmen üblicherweise zur Verfügung, so dass die Segmente auf dieser Datengrundlage beschrieben werden können.
188
VII
Schlussbetrachtung
1
Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse
Den Ausgangspunkt dieser Arbeit bildete die Erkenntnis, dass Kundenbeziehungen nicht immer gleich wertvoll sind. Der Beziehungserfolg variiert vielmehr mit den unterschiedlichen Beweggründen der Kunden, ihre Anbieterbeziehung aufrechtzuerhalten (vgl. Abschnitt II-1.3). Es wurde daher vermutet, dass eine multipartiale Betrachtung von Commitment in Form von vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten (Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kaptives Commitment) notwendig ist, um einen commitmentspezifischen Beziehungserfolg erkennen und gezielt steuern zu können. Bisher mangelte es allerdings an einer empirischen Untersuchung, die diese Vermutung prüft. Aufgrund des unzureichenden Kenntnisstands zu den einzelnen Commitment-Konstrukten und den dadurch repräsentierten Bindungsformen fällt es Unternehmen schwer, vorteilhafte Formen der Kundenbindung zu identifizieren und zu steuern. Um diese Forschungslücke zu schließen, wurden auf Basis einer breiten Bestandsaufnahme der empirischen Commitment-Forschung in Kapitel III vier Forschungsziele definiert. Die zentralen Erkenntnisse dieser Arbeit sind nachfolgend zusammengefasst. Forschungsziel I bestand in der theoretischen Konzeptualisierung von vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten (vgl. Kapitel IV). Anhand der Sozialen Identitäts-, der Reziprozitäts-, der Side bet- und der Sozialen Interaktions-Theorie konnten vier inhaltlich überschneidungsfreie Commitment-Konstrukte konzeptualisiert werden, die jeweils einen spezifischen Beweggrund repräsentieren, warum ein Kunde die Beziehung zu seinem Anbieter aufrechterhält. So wird vom Affektiven Commitment gesprochen, wenn die Beziehung zu einem Anbieter emotional begründet ist. Diese emotionale Kundenbeziehung kommt zustande, wenn sich der Konsument mit dem Anbieter identifizieren kann (Soziale Identitäts-Theorie; vgl. Abschnitt IV-2). Das Normative Commitment bezeichnet dagegen eine Beziehung zu einem Anbieter resultierend aus einer moralischen Verpflichtung zur Gegenleistung. Aufgrund der sogenannten Reziprozitätsnorm entsteht beim Konsumenten das Bedürfnis, empfangene Leistungen eines Anbieters in einer Form wieder zurückzugeben, die für den Anbieter nützlich ist
189 (Reziprozitäts-Theorie; vgl. Abschnitt IV-3). Beim Kalkulativen Commitment basiert die Kundenbeziehung auf Kosten-Nutzen-Überlegungen. In diesem Fall wird die Beziehung fortgesetzt, wenn aus einer Beziehungsaufgabe hohe ökonomische Nachteile resultieren (Side bet-Theorie; vgl. Abschnitt IV-4). Das Kaptive Commitment steht für eine „unfreiwillige“ Beziehung. Solche Beziehungsarten werden lediglich aufrechterhalten, weil sich der Konsument vom Anbieter abhängig fühlt (Soziale Interaktions-Theorie; vgl. Abschnitt IV-5). Hiermit wurden erstmalig die vier Commitment-Konstrukte theoretisch fundiert. Forschungsziel I wurde somit erreicht. Forschungsziel II beinhaltete die Sicherstellung der Diskriminanzvalidität der vier Commitment-Konstrukte (vgl. Abschnitt VI-4). Hierzu wurde eine aus der Literatur abgeleitete Operationalisierung verwendet, die in einer Vorstudie durch ein mehrstufiges Verfahren mit zwei Expertenbefragungen (n1=8; n2=5) und einer Konsumentenbefragung (n=26) optimiert wurde (vgl. Abschnitt VI-3). Zur Überprüfung der Diskriminanzvalidität kamen in Anlehnung an Homburg und Giering (1996) sowie Bansal, Irving und Taylor (2004) die exploratorische Faktorenanalyse, der Fornell-Larcker-Test sowie der Chi-Quadrat-Differenztest zur Anwendung.549 Die Verfahren zeigen an einem zu diesem Zweck erhobenen Konsumentensample (n=391), dass den Messmodellen der vier Commitment-Konstrukte sowohl auf Indikatorebene eine eindeutige Faktorzuordnung als auch auf Konstruktebene eine ausreichende Diskriminanzvalidität bescheinigt werden kann. Dabei weisen die Messmodelle in ihrer Gesamtheit exzellente globale Gütekriterien auf, was auf eine sehr gute Repräsentation der zugrunde liegenden Daten hinweist. Im Rahmen der exploratorischen Faktorenanalyse wurde mit den vier Messmodellen zudem eine erklärte kumulierte Varianz von 85% erreicht, was als sehr beachtlich herauszustellen ist. Im Rahmen der Hauptstudie konnten erneut die gute Konstruktmessung (vgl. Abschnitt VI-5.2.2) und die hohe Diskriminanzvalidität bestätigt werden (vgl. Abschnitt VI-5.2.5). Die Sicherstellung der Diskriminanzvalidität als Forschungsziel II wurde damit erreicht. Demzufolge ist es erstmalig gelungen, aufbauend auf der theoretischen Fundierung (Forschungsziel I) valide Messmodelle der vier Commitment-Konstrukte zu entwickeln.
549
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 13; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 240ff.
190 Forschungsziel III lag darin, die Erfolgswirkung der vier CommitmentKonstrukte zu analysieren und für jede der vier Commitment-Konstrukte spezifische, vom Anbieter beeinflussbare Determinanten zur Steuerung des Beziehungserfolgs zu identifizieren. Eine Vorstudie mit Konsumenten (n=22) diente zunächst dazu, die Eignung der vier Commitment-Konstrukte für die beiden exemplarisch ausgewählten Untersuchungsbranchen personenorientierte Dienstleistungen (Friseurstudios) und produktorientierte Dienstleistungen (Autowerkstätten) sicherzustellen und mögliche Einflussfaktoren für die vier Konstrukte abzufragen (vgl. Abschnitt V-2). Auf dieser Basis wurden anschließend anbieter- und wettbewerbsbezogene Variablen als Determinanten der jeweiligen Commitment-Konstrukte hergeleitet (vgl. Abschnitt V-3.1). Im Folgenden wurden Zusammenhangsvermutungen zur Wirkung der Commitment-Konstrukte auf die beiden Erfolgsgrößen Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (Erlösvariable) und Bereitschaft zur Koproduktion (Kostenvariable) formuliert (vgl. Abschnitt V-3.2). In einer weiteren Vorstudie mit zwei Experten- (n1=8; n2=5) und einer Konsumentenbefragung (n=26) wurden die restlichen Messmodelle des Untersuchungsmodells optimiert (vgl. Abschnitt VI-3). Die empirische Überprüfung des Hypothesensystems erfolgte schließlich in zwei nach Branchen getrennten Modellen (nFriseurkunden=842; nWerkstattkunden=840) mittels der Multigruppen-Kausalanalyse (vgl. Abschnitt VI-5.3.1). Als Kernergebnisse lassen sich festhalten: x Die beiden Erfolgsvariablen werden von allen Commitment-Konstrukten beeinflusst. Das Affektive Commitment zeigt von allen CommitmentKonstrukten insgesamt den stärksten positiven Effekt auf die Erfolgsvariablen und stellt somit die vorteilhafteste Bindungsform dar. Das Normative und das Kalkulative Commitment wirken sich schwächer, aber dennoch positiv auf den Beziehungserfolg aus. Lediglich das Kaptive Commitment beeinflusst den Beziehungserfolg negativ. Im Branchenvergleich zeigt sich, dass das Kaptive Commitment im Sample mit Friseurkunden beide Erfolgsvariablen und im Sample mit Werkstattkunden nur die Koproduktionsbereitschaft negativ beeinflusst. Dass Werkstattkunden trotz ihrer „unfreiwilligen“ Beziehung zum Anbieter höhere Preise akzeptieren, liegt möglicherweise daran, dass sie aufgrund ihres vergleichsweise höheren finanziellen Engagements keine geringere Dienstleistungsqualität an ihrem Fahrzeug durch den Anbieter provozieren wollen. Die Varianzerklärung der beiden Erfolgsgrößen bewegt sich in
191 beiden Branchen zwischen 12% und 24%. Die Varianzerklärung, die alleine durch Commitment erreicht werden kann, ist als sehr zufriedenstellend zu bewerten.550 Somit wurde die Annahme dieser Arbeit bestätigt, dass sich ein erheblicher Teil des Beziehungserfolgs durch Commitment steuern lässt. x Als unabhängige Variablen für die Beeinflussung der CommitmentKonstrukte lässt sich eine Vielzahl von Anbieter- und Wettbewerbsvariablen identifizieren. Unter den Anbietervariablen eignen sich die Reputation, die Präsenz der Anbietermarke und das Vertrauen zur Steuerung des Affektiven Commitments. Die bevorzugte Behandlung und das Direktmarketing begünstigen dagegen das Normative und Kalkulative Commitment. Zudem wird das Kalkulative Commitment von der Anbietervariable Wechselkosten positiv und von der Wettbewerbsvariable Attraktivität der Alternativen negativ beeinflusst. Im Unterschied dazu wird das Kaptive Commitment sowohl von der Anbietervariable Wechselkosten als auch durch die Wettbewerbsvariable Mangel an Alternativen positiv determiniert. Im Branchenvergleich zeigt sich für die Anbietervariablen, dass die bevorzugte Behandlung bei Werkstattkunden eine stärkere Wirkungsintensität auf das Normative Commitment entfaltet als bei Friseurkunden. Eine Erklärung hierfür ist möglicherweise, dass die durchschnittlichen Werkstattausgaben deutlich höher liegen als die Kosten eines Friseurbesuchs und daher einer bevorzugten Behandlung ein höherer Nutzen zugeschrieben wird. Dies beeinflusst in Folge auch das Kalkulative Commitment stärker. Der Branchenvergleich über die Wettbewerbsvariablen zeigt, dass die Einflüsse der Attraktivität von Alternativen auf das Kalkulative Commitment und des Mangels an Alternativen auf das Kaptive Commitment in der Gruppe mit Werkstattkunden stärker ausgeprägt sind. Es ist anzunehmen, dass für Werkstattkunden wegen ihres höheren finanziellen Engagements und des damit verbundenen höheren Risikos sowohl der Attraktivität als auch der Verfügbarkeit von alternativen Autowerkstätten eine höhere Bedeutung zukommt. x Sowohl die kurz- als auch die langfristig beeinflussbaren Anbietervariablen können hinsichtlich der direkten Steuerung beider Erfolgsvariablen priorisiert werden. So dominieren unter den langfristigen Anbietervariablen 550
Vgl. hierzu auch Homburg/Pflesser/Klarmann (2008), S. 565.
192 die Reputation in der Gruppe mit Friseurkunden und das Vertrauen in der Gruppe mit Werkstattkunden. Als kurzfristige Maßnahme zur Durchsetzung höherer Preise und zur Stimulation der Koproduktion sollte entsprechend die bevorzugte Behandlung in beiden Branchen als erstes zum Einsatz kommen. Insgesamt ist es gelungen zu zeigen, dass sich der Beziehungserfolg in Form der Preispremium- und Koproduktionsbereitschaft zu einem hohen Anteil durch Commitment beeinflussen lässt. Auf Konstrukt-Ebene zeigt sich aber auch, dass sich die einzelnen Commitment-Konstrukte in ihrem Einfluss auf den Beziehungserfolg erheblich voneinander unterscheiden. Weiterhin konnten spezifische Anbietervariablen für alle vier Commitment-Konstrukte identifiziert werden, die es Unternehmen ermöglichen, den Beziehungserfolg gezielt zu steuern. Die postulierte Modellstruktur erweist sich zudem in beiden Untersuchungsbranchen als äußerst robust. Forschungsziel III wurde somit erfüllt. Für das Forschungsziel IV wurden die Zusammenhänge des Untersuchungsmodells auf Konsumentenheterogenität geprüft, um Kundensegmente für eine zielgruppenspezifische Marktbearbeitung zu identifizieren (vgl. Abschnitt VI-5.3.2). Dazu wurde auf Grundlage des bestehenden Datensatzes (n=1.682) eine Finite Mixture-Analyse über beide Branchen durchgeführt. Als Kernergebnisse lassen sich festhalten: x Es können fünf Segmente identifiziert werden, deren Segmentmitglieder sehr unterschiedliche Reaktionen auf die untersuchten Anbietervariablen zeigen. Für alle Segmente gilt, dass diese einen ausreichend hohen Anteil (25%) an Friseur- und Werkstattkunden aufweisen. Somit ist es gelungen, eine für beide Branchen gültige Segmentstruktur aufzudecken. x Im Segment „Die scheuen Vertrauensorientierten“ erweist sich das Vertrauen als wirksamste anbieterbezogene Steuerungsvariable für den Beziehungserfolg. Über eine Vertrauenssteigerung lässt sich somit langfristig eine emotional begründete Kundenbeziehung (Affektives Commitment) aufbauen, die sich in Konsequenz vorteilhaft auf die Erlös- und Kostenvariable auswirkt. Die Präsenz der Anbietermarke stößt dagegen auf Ablehnung und verringert den Beziehungserfolg signifikant.
193 x Für „Die distanzierten Statusorientierten“ geht von der Präsenz der Anbietermarke der stärkste Effekt auf die Erlösgröße Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums aus. Die Markenpräsenz fördert zwar die Entstehung einer emotional begründeten Kundenbeziehung, allerdings scheuen sich die Kunden, über die Zahlungsbereitschaft eines Preispremiums hinaus mit dem Anbieter in Form einer Koproduktion zu interagieren. In diesem Segment ist daher nur die Durchsetzbarkeit eines Preispremiums steuerbar. x Die Mitglieder des Segments „Die Serviceorientierten“ sprechen hingegen am stärksten auf die bevorzugte Behandlung an. Beide Erfolgsgrößen lassen sich hier in hohem Maße durch diese Variable steuern. Sie fördert die Entstehung sowohl einer moralisch begründeten (Normatives Commitment) als auch einer ökonomisch begründeten Kundenbeziehung (Kalkulatives Commitment). x Zur Steigerung des Beziehungserfolgs sind im Segment „Die eigennützigen Anspruchsorientierten“ mehrere Anbietervariablen zu berücksichtigen. So bieten sich als langfristige Steuerungsvariablen zunächst Vertrauen und Reputation an. Während diese Konstrukte über das Affektive Commitment beide Erfolgsgrößen positiv beeinflussen, ist die Steuerungswirkung der kurzfristig beeinflussbaren Anbietervariablen bevorzugte Behandlung und Direktmarketing ambivalent. Beide Steuerungsvariablen tragen zwar zur Entwicklung einer auf der moralischen Norm begründeten Kundenbeziehung (Normatives Commitment) bei, diese beeinflusst jedoch nur die Bereitschaft zur Koproduktion positiv. Die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums wird stattdessen von beiden Variablen negativ beeinflusst. x Bei den Mitgliedern des Segments „Die großzügigen Anspruchsorientierten“ hängt die Steigerung des Beziehungserfolgs ebenfalls von einer ausreichend hohen Ausprägung mehrerer Anbietervariablen ab. So stimulieren die Konstrukte Vertrauen und Reputation zunächst das Affektive Commitment, was in Folge zu positiven Totaleffekten auf die beiden Erfolgsgrößen führt. Durch eine bevorzugte Behandlung und den Einsatz des Direktmarketings können sowohl das Normative als auch das Kalkulative Commitment positiv beeinflusst werden. Zudem kann durch den
194 Aufbau von Wechselkosten die Entstehung des Kalkulativen Commitments gefördert werden. Für diese beiden Commitment-Konstrukte ist wiederum ein positiver Effekt auf die Koproduktionsbereitschaft festzustellen. Somit lässt sich durch die Anbietervariablen bevorzugte Behandlung, Direktmarketing und Wechselkosten zumindest die Koproduktionsbereitschaft stimulieren. Abschwächende Effekte sind bei keiner dieser Variablen festzustellen. x Zur Charakterisierung der Segmente können für beide Branchen die beschreibenden Segmentvariablen Beziehungsdauer, Besuchsfrequenz Cross-Buying und Kaufvolumen verwendet werden. Somit ist es zusammenfassend gelungen, die Wirkungszusammenhänge der vier Commitment-Konstrukte auf nicht-beobachtbare Konsumentenheterogenität zu testen und beschreibbare Kundensegmente zu identifizieren. Somit wurde auch Forschungsziel IV erreicht. Die dargestellten Erkenntnisse helfen Unternehmen einerseits dabei, die für sie vorteilhafteste Bindungsform zu identifizieren. Andererseits können auf dieser Erkenntnisbasis wertsteigernde Strategien entwickelt und zielgruppenspezifisch umgesetzt werden. Das übergeordnete Ziel dieser Arbeit, den Beziehungserfolg über eine gezielte Stimulation der vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte zu steuern, wurde damit erfüllt. 2
Implikationen für die Forschung
Der Forschungsbeitrag der vorliegenden Arbeit wird anhand der Teilbereiche konzeptioneller, methodischer und empirischer Erkenntnisgewinn beurteilt. Zudem werden Restriktionen dargestellt, die weitere Ansatzpunkte für die zukünftige Forschung induzieren. Folgende konzeptionelle Forschungserkenntnisse konnten gewonnen werden: x Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zum inhaltlichen Verständnis von Commitment. Bislang mangelte es im Marketing an einem einheitlichen und umfassenden Commitment-Verständnis. Der erste zentrale konzeptionelle Beitrag dieser Arbeit besteht daher in der inhaltlichen Präzisierung des Commitment-Verständnisses. Aufbauend auf bisherigen
195 Forschungsarbeiten wurden insgesamt vier unterschiedliche Beweggründe identifiziert, welche die Bindung von Kunden an ihren Anbieter erklären. Diese sind dem Verhalten bzw. der Verhaltensabsicht vorgelagert und werden als Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kaptives Commitment konzeptualisiert. Zukünftige Forschungsarbeiten zu diesem Thema können sich an dieser Konzeptualisierung orientieren und sich so an einem ganzheitlichen Commitment-Verständnis ausrichten. x Als zweiter zentraler konzeptioneller Beitrag sind die theoretischen Bezugspunkte zur Entstehung der vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte herauszustellen. So können für alle vier Commitment-Konstrukte Theorien (Soziale Identitäts-, Reziprozitäts-, Side bet- und Soziale Interaktions-Theorie) herangezogen werden, mittels derer sich konkrete Einflussfaktoren, aber auch Wirkungen ableiten lassen. Diese ganzheitliche Einbettung in einen theoretischen Bezugsrahmen kann zukünftigen Forschungsarbeiten als Grundlage dienen, um das Beziehungsgefüge einstellungsorientierter Commitment-Konstrukte theoretisch zu verankern. Zusammenfassend ist der folgende methodische Aspekt bei den durchgeführten Analysen der vorliegenden Arbeit hervorzuheben: x Die Berücksichtigung von Konsumentenheterogenität wurde bisher in der Commitment-Forschung vernachlässigt, obwohl grundsätzlich von heterogenen Konsumenten ausgegangen werden muss.551 So wurde die Konsumentenheterogenität im Kontext der vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte lediglich beim Affektiven und Kalkulativen Commitment untersucht.552 Um Segmente mit spezifischen Wirkungsprofilen in Modellen mit allen vier Commitment-Konstrukten zu identifizieren, fehlte es bisher an dem Wissen über geeignete Segmentierungskriterien. In solchen Fällen bietet sich die Anwendung des Finite Mixture-Ansatzes an. Dieser Ansatz stellt dann eine überlegene Forschungsmethode dar, wenn a priori nicht bekannt ist, in wie viele Segmente sich eine Kundengruppe aufteilen lässt, zu welchem Segment der einzelne Kunde gehört und welche Faktoren für die Segmentbildung verantwortlich sind. Die 551 552
Vgl. Jedidi/Jagpal/DeSarbo (1997), S. 39. Vgl. Garbarino/Johnson (1999); Verhoef/Franses/Hoekstra (2002); Jones et al. (2007); Martin (2009).
196 Durchführung der Finite Mixture-Analyse deckte in der vorliegenden Arbeit eine Mehr-Klassenlösung auf, deren beschreibende Variablen durch eine multinomiale Regression der Klassenzugehörigkeit auf kundenspezifische Kaufverhaltensvariablen offengelegt wurden. Um schließlich signifikante Mittelwertunterschiede der beschreibenden Variablen zwischen den Segmenten zu identifizieren, wurde der Post-hoc-Test der einfaktoriellen Varianzanalyse (ANOVA) angewendet. Neben den konzeptionellen und methodischen Erkenntnissen lassen sich folgende zentrale empirische Forschungserkenntnisse festhalten: x In dieser Arbeit ist es gelungen, vier diskriminante Messmodelle für das Affektive, Normative, Kalkulative und Kaptive Commitment zu konzipieren und empirisch zu validieren. Dazu wurden die aus der Literatur abgeleiteten Messmodelle zunächst auf Basis von zwei Expertenbefragungen (n1=8; n2=5) und einer Konsumentenbefragung (n=26) optimiert (vgl. Abschnitt VI-3). Diese Messmodelle konnten in einer weiteren Vorstudie (n=391) erfolgreich auf eine eindeutige Faktorstruktur der Indikatoren, auf eine hohe Diskriminanzvalidität sowie auf hohe globale Gütemaße getestet werden (vgl. Abschnitt VI-4). In der Hauptstudie (n=1.682) wurde die Stabilität der Messmodellstrukturen anhand guter bis sehr guter Gütemaße (vgl. Abschnitt VI-5.2.2) und hoher Diskriminanzvalidität (vgl. Abschnitt VI-5.2.5) bestätigt. x Zudem konnten in zwei Branchenmodellen (nFriseurkunden=842; nWerkstattkunden=840) wesentliche Determinanten und Erfolgskonsequenzen identifiziert werden (vgl. Abschnitt VI-5.3.1). Die anbieter- und wettbewerbsbezogenen Determinanten lassen sich als unabhängige Variablen wie folgt den Commitment-Konstrukten zuordnen: Affektives Commitment (Markenpräsenz, Reputation und Vertrauen), Normatives Commitment (bevorzugte Behandlung und Direktmarketing), Kalkulatives Commitment (Attraktivität von Alternativen, bevorzugte Behandlung, Direktmarketing und Wechselkosten) und Kaptives Commitment (Mangel an Alternativen und Wechselkosten). Alle Variablen, bis auf die Attraktivität von Alternativen, wirken sich positiv auf die jeweiligen CommitmentKonstrukte aus. Als Erfolgskonsequenzen konnten für das Affektive, Normative und Kalkulative Commitment eine gesteigerte Preispremium-
197 und Koproduktionsbereitschaft ermittelt werden. Die „unfreiwillige“ Beziehung in Form des Kaptiven Commitments erweist sich als die einzig erfolgsmindernde Bindungsform. x Als dritter empirischer Beitrag wurde im bestehenden Datensatz (n=1.682) mittels der Finite Mixture-Analyse die unterstellte nicht-beobachtbare Konsumentenheterogenität durch die Identifizierung von fünf latenten Segmenten berücksichtigt (vgl. Abschnitt VI-5.3.2). Alle Segmente unterscheiden sich deutlich hinsichtlich des Einflusses der Anbietervariablen auf die beiden Erfolgsgrößen. Zur Charakterisierung der Segmente erweisen sich die Variablen Beziehungsdauer, Besuchsfrequenz, Cross-Buying und Kaufvolumen als geeignet. Die vorliegende Arbeit unterliegt einigen Restriktionen, die zugleich Ansatzpunkte für zukünftige Forschungsbemühungen bieten: x Eine Limitation liegt in der vorgenommenen Auswahl der unabhängigen Variablen der vier Commitment-Konstrukte. Zwar konnte ein bedeutender Teil der Varianz der einzelnen Commitment-Konstrukte und der ihnen nachgelagerten Erfolgskonsequenzen erklärt werden, jedoch ist anzunehmen, dass weitere unabhängige Variablen existieren, die nicht im Fokus der Arbeit standen. Ebenso sollten die Erfolgswirkungen der vier Commitment-Konstrukte auf weitere Kundenwertkomponenten, wie Weiterempfehlungsabsicht oder Absicht zur Mitteilung von Verbesserungsvorschlägen,553 identifiziert und miteinander verglichen werden. x Die vorliegenden Forschungsbemühungen fokussieren sich auf die B2CBranchen Friseur- und Werkstattdienstleistungen. Während bei Friseurstudios die Dienstleistung an der eigenen Person ausgeführt wird, sind bei Werkstätten die jeweiligen Fahrzeuge im Fokus der Dienstleistung. Eine Erweiterung des Erkenntnisstands auf Branchen außerhalb des Dienstleistungssektors, wie z.B. den Handel, wäre ebenso wünschenswert wie die Übertragung auf den B2B-Kontext. Dadurch ließen sich zusätzliche Empfehlungen für einen gezielten Einsatz von Marketingaktivitäten in Abhängigkeit der jeweiligen Branche ableiten.
553
Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 49ff.
198 x Zur Beschreibung der identifizierten Segmente im Rahmen der Finite Mixture-Analyse wurden Variablen des Kaufverhaltens und der Soziodemographika verwendet, die für Unternehmen leicht zugänglich sind. Es erscheint sinnvoll, zukünftig weitere Kriterien zu berücksichtigen. So ist denkbar, dass die Nutzung von Psychographika, wie z.B. Lebensstile554 oder Persönlichkeitsinventare555, zur Beschreibung der Segmente einen weiteren inhaltlichen Erklärungsbeitrag liefert. 3
Implikationen für das Management
Neben dem Beitrag für die Forschung bieten die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit auch Implikationen für die Managementpraxis. Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtung steht die Frage, welche der als Commitment konzeptualisierten Bindungsformen sich am vorteilhaftesten auf die Erlös- (Preispremiumbereitschaft) und Kostenvariable (Koproduktionsbereitschaft) auswirken. Darüber hinausgehend interessiert, welche der commitmentspezifischen Anbietervariablen sich am besten zur Steuerung dieser Bindungsformen eignen. Hinsichtlich der Maßnahmenempfehlung können zwei Betrachtungsebenen unterschieden werden. Zum einen können Unternehmen grundsätzlich Maßnahmen auf aggregierter Marktebene umsetzen, die dann alle Kunden gleichermaßen betreffen (Gesamtmarktbetrachtung). Zum anderen besteht die Möglichkeit, eine zielgruppenspezifische Marktbearbeitung vorzunehmen, indem die Maßnahmenumsetzung in Abhängigkeit von Kundensegmenten erfolgt (Segmentbetrachtung). Gesamtmarktbetrachtung Die Maßnahmenumsetzung auf aggregierter Marktebene empfiehlt sich tendenziell für kleinere Unternehmen. In diesen Fällen ist anzunehmen, dass entweder die notwendigen Ressourcen für ein segmentspezifisches Vorgehen nicht zur Verfügung stehen oder der Kundenkreis überschaubar ist, so dass mögliche Segmente für eine profitable Bearbeitung zu klein werden. Für die undifferenzierte Marktbearbeitung können zunächst alle vier Bindungsformen hinsichtlich ihrer Wertigkeit beurteilt werden:
554 555
Vgl. Brengman (2005). Vgl. Costa/McCrae (1989).
199 x Die emotional begründete Kundenbeziehung (Affektives Commitment) besitzt insgesamt die stärksten positiven Wirkungen auf Erlöse und Kostensenkungen. Demnach sollte versucht werden, die Identifikation des Kunden mit dem Unternehmen zu stärken, um so die Kundenbeziehung zu emotionalisieren. x Die Kundenbeziehung, die durch die moralische Norm zur Gegenleistung begründet ist (Normatives Commitment), zeigt ebenfalls positive Effekte auf beide Erfolgsgrößen. Hier gilt, dass durch besondere, über das normale Maß hinausgehende Leistungen der Kunde dazu stimuliert werden kann, diese empfangenen Zuwendungen in einer dem Unternehmen nützlichen Form zurückzugeben. x Auch bei der durch Kosten-Nutzen-Überlegungen begründeten Kundenbeziehung (Kalkulatives Commitment) ist ein positiver Einfluss auf die Erlös- und Kostenvariablen zu beobachten. Liegt primär diese Bindungsform vor, sollten Unternehmen versuchen, spezifische Leistungen anzubieten, deren Wegfall bei Beziehungsabbruch für den Kunden einen ökonomischen Verlust bedeutet und dadurch eine Austrittsbarriere darstellt. x Vermieden werden sollte dagegen die Wahrnehmung einer erzwungenen Kundenbeziehung (Kaptives Commitment). Der Kunde bleibt in diesem Fall seinem Unternehmen zwar treu, doch geschieht dies vorrangig aus einer wahrgenommenen Notwendigkeit als aus einer freiwilligen Entscheidung. In Folge sind negative Effekte auf der Erlös- und Kostenseite zu beobachten. Durch den Aufbau von Wechselbarrieren oder die Wahl eines Standorts ohne Konkurrenzanbieter kann zwar eine Abhängigkeit an den Anbieter erzeugt werden, entsprechend den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit muss jedoch von einem schädigenden Einfluss auf den Beziehungserfolg ausgegangen werden. Allerdings kann es unter weiteren betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten notwendig sein, den Kunden faktisch „abhängig“ von einem Anbieter zu machen, um eine mögliche Abwanderung des Kunden zu vermeiden. In diesem Fall sollte allerdings versucht werden, die Entstehung eines Abhängigkeitsgefühls und damit des Kaptiven Commitments mitsamt seiner negativen Auswirkungen auf die betrachteten Erlös- und Kostengrößen beispielsweise durch kommunikative Begleitmaßnahmen zu unterbinden.
200 Für Unternehmen ist es daher wichtig, alle Formen des Commitments in einem integrierten Ansatz zu berücksichtigen. Es gilt somit, nicht nur die vorteilhaften Bindungsformen, die durch das Affektive, Normative und Kalkulative Commitment repräsentiert werden, zu fördern, sondern auch die Wahrnehmung einer abhängigen Beziehung (Kaptives Commitment) zu vermeiden. Dazu sollten alle betrachteten Commitment-Konstrukte von einem Unternehmen durch das in dieser Arbeit vorgestellte Instrumentarium regelmäßig gemessen und gegebenenfalls beeinflusst werden. Zur Steuerung der Erlös- und Kostenvariablen wurden in der vorliegenden Arbeit verschiedene kurz- und langfristig beeinflussbare Anbietervariablen analysiert. Folgende Maßnahmenempfehlungen können zur Steigerung des Beziehungserfolgs gegeben werden: x Für die Steuerung beider Erfolgsgrößen erweist sich unter den langfristig beeinflussbaren (strategischen) Anbietervariablen zunächst die Reputation als wichtige Anbietervariable. Eine hohe Reputation des Anbieters ist gleichzusetzen mit einem guten Ruf in der Öffentlichkeit. Dieser kann über eine Vielzahl von Kommunikationsmaßnahmen (z.B. Veranstaltungen, Websites etc.) gezielt beeinflusst werden.556 Hinsichtlich der Durchführung von Veranstaltungen empfiehlt sich grundsätzlich der Einsatz des Internets als begleitende Maßnahme. Hierbei können anbieterbezogene Websites oder Regionalportale, die ausführlich über Veranstaltungsaktivitäten berichten, als Reichweitenmultiplikator in der jeweiligen Zielgruppe wirken.557 Zusätzlich können Websites auch als virtuelle Brand Communities gestaltet werden. In dieser Form können Kunden über gute Unternehmensangebote berichten oder Unternehmen selbst gezielt Produktinformationen veröffentlichen und dadurch eine positive Anbieterreputation in der Öffentlichkeit erreichen.558 Eine ebenfalls wichtige Anbietervariable stellt das Vertrauen dar. Unternehmen können beim Kunden Vertrauen erzeugen, indem sie in der Außenkommunikation mit Kunden glaubwürdig auftreten, verlässlich und dauerhaft hochwertige Leistungen erbringen sowie durch gut geschultes Personal eine hohe Expertise und Kompetenz zeigen.559 Die hohe Bedeutung des Vertrauens556 557 558 559
Vgl. Homburg/Krohmer (2009), S. 795f. Vgl. Bauer/Bryant/Eckardt (2009), S. 10. Vgl. Bauer/Große-Leege/Bryant (2008), S. 117f. Vgl. Bauer/Schüle/Neumann (2006), S. 389; Neumann (2007), S. 196.
201 und Reputationsaufbaus resultiert aus der Tatsache, dass dadurch die Entstehung von emotionalen Kundenbeziehungen gefördert wird, welche wiederum als die vorteilhafteste Bindungsform gelten. Der Aufbau von Wechselkosten hat auf die Kostenvariable keine und auf die Erlösvariable nur schwache Effekte. Grundsätzlich kann der Aufbau von Wechselkosten über eine Erhöhung der Such- und Bewertungskosten für alternative Anbieter erfolgen. Dazu sollte ein Kunde über die Zeit an Produkte und Dienstleistungen herangeführt werden, die nicht direkt mit Angeboten der Konkurrenz vergleichbar sind. Dadurch erschwert sich sowohl die Suche nach vergleichbaren Anbietern als auch die Bewertung derselbigen.560 Weiterhin können die Wechselkosten eines Kunden erhöht werden, indem der Anpassungsaufwand an einen neuen Anbieter gesteigert wird. Dazu ist zunächst zu empfehlen, die Gewöhnung des Kunden an seinen aktuellen Anbieter durch kundenspezifische Prozesse, wie z.B. auf individuelle Vorlieben ausgerichtete Beratung und Bedienung, zu fördern.561 Je stärker diese Gewöhnung ausfällt, desto aufwendiger wird es für den Kunden in Folge, sich bei einem Anbieterwechsel an vollkommen neuen Prozessen auszurichten.562 Aufgrund der schwachen Effekte der Wechselkosten sollte diese Steuerungsvariable allerdings nur nachrangig eingesetzt werden. x Unter den kurzfristig beeinflussbaren (instrumentellen) Anbietervariablen kann primär der Einsatz der bevorzugten Behandlung empfohlen werden. Kunden, denen im Vergleich zu anderen besondere Dienstleistungen, wie z.B. eine Bevorzugung bei der Terminvergabe, geboten werden, weisen eine stärkere Bereitschaft zur Zahlung höherer Preise und zur Koproduktion auf. Unternehmen können den Einsatz der bevorzugten Behandlung beispielsweise mit dem Besitz einer Kundenkarte verknüpfen, so dass der Wert treuer Kunden gezielt gesteigert werden kann.563 Eine zwar weniger effektive, aber dennoch positiv auf den Beziehungserfolg wirkende Steuerungsvariable stellt das Direktmarketing dar. Die werbliche Kommunikation von Angeboten, z.B. zeitlich limitierter Produkte oder Sonderangebote, über Briefe, Flyer, E-Mails oder SMS wirkt sich auf beide Erfolgsgrößen positiv aus. Allerdings sollte beachtet werden, 560 561 562 563
Vgl. Bowen (1990), S. 47f.; Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 444. Vgl. Bell/Auh/Smalley (2005), S. 184. Vgl. Bowen (1990), S. 47f. Vgl. Morgan/Crutchfield/Lacey (2000), S. 72.
202 dass ein zu großzügiger Einsatz des Direktmarketings, insbesondere in digitaler Form, Reaktanzeffekte hervorrufen kann.564 Um dies zu vermeiden, sollte eine hohe Relevanz der Werbung für den einzelnen Konsumenten sichergestellt werden. Dies lässt sich erreichen, indem beispielsweise im Online-Marketing verschiedene Verfahren des Targetings565 angewendet werden oder beim Mobile Marketing auf die Situationsadäquanz566 beim Versenden von SMS geachtet wird. Die bevorzugte Behandlung und das Direktmarketing haben beide vergleichsweise starke Effekte auf die Entstehung der moralisch begründeten (Normatives Commitment) und der ökonomisch begründeten Kundenbeziehung (Kalkulatives Commitment). Für produktorientierte Werkstattdienstleistungen ist zusätzlich ein positiver Effekt der Markenpräsenz zu beobachten. Die prominente Kommunikation der Anbietermarke vor Ort, beispielsweise durch eine große und deutlich lesbare Shopbeschriftung, kann ein gutes Einprägen der Marke begünstigen und über den Mere Exposure-Effekt567 sogar eine positivere Markeneinstellung bewirken.568 Durch den Einsatz von markencharakteristischen Farben und Motiven bei der Gestaltung des Shops sowie bei der Dienstkleidung des Personals kann dieser Effekt zusätzlich unterstützt werden.569 Letztlich fördert eine starke Präsenz der Anbietermarke die Identifikation mit dem Anbieter und damit die Entstehung einer emotional begründeten Kundenbeziehung (Affektives Commitment). Grundsätzlich muss aber bei den beschriebenen Maßnahmen immer die Erfolgswirkung in Relation zum notwendigen Kosteneinsatz berücksichtigt werden. Wird dies nicht befolgt, kann es zu einer Umsetzung von Maßnahmen kommen, die sich zwar positiv auf den Beziehungserfolg auswirken, aber in ihrer Umsetzung sehr kostenintensiv sind. In Folge kann die kundenbezogene Profitabilität sinken.
564 565 566 567 568 569
Vgl. Bauer/Haber/Bryant/Schubert (2008), S. 15. Vgl. Bauer/Bryant (2008), S. 43. Vgl. Bauer/Dirks/Bryant (2008), S. 8; Link/Seidl (2008), S. 52f. Vgl. Zajonc (1980). Vgl. Yoo/Donthu/Lee (2000), S. 205. Vgl. Keller (1998), S. 51.
203 Segmentbetrachtung Die differenzierte Marktbearbeitung ist vor allem für größere Unternehmen zu empfehlen, denen die dazu notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen und deren Kundenstamm sich in ausreichend große Segmente für eine profitable Bearbeitung aufspalten lässt. Hierzu können in der vorliegenden Arbeit fünf Segmente identifiziert werden, die für die beiden untersuchten Dienstleistungsbranchen Gültigkeit besitzen. Als beschreibende Segmentvariablen eignen sich die Variablen Beziehungsdauer, Besuchsfrequenz, Cross-Buying und Kaufvolumen. Der Vorteil dieser Auswahl ist, dass die beschreibenden Segmentvariablen nicht über eine gesonderte Marktforschung erhoben werden müssen, sondern bei Existenz einer Kundendatenbank bereits im Unternehmen vorliegen. Als Entscheidungsvorlage, wie viele Ressourcen auf die einzelnen Segmente zugeteilt werden sollten, kann das segmentspezifische jährliche Kaufvolumen als Produkt des Kaufvolumens pro Besuch und der jährlichen Besuchsfrequenz herangezogen werden. Hierbei können zwei Strategien verfolgt werden. Zum einen kann die Ressourcenzuteilung auf das jeweilige Segment mit dem jährlichen Kaufvolumen steigen. Dadurch wird sichergestellt, dass den Marketingaufwendungen auch ertragreiche Kunden gegenüberstehen. Zum anderen kann der Mitteleinsatz aber auch auf die Segmente mit einem niedrigeren jährlichen Kaufvolumen verteilt werden. In diesem Fall wird davon ausgegangen, dass diese Segmente ein noch nicht realisiertes Potenzial besitzen, das mit entsprechenden Marketingaktivitäten gehoben werden kann. Eine weitere Möglichkeit, unrealisiertes Potenzial zu erkennen, stellt ein vergleichsweise niedriger Cross-Buying-Wert dar, der daher zusätzlich in die Überlegungen zur Ressourcenzuteilung einfließen sollte. Das durchschnittliche segmentspezifische Kaufvolumen pro Besuch kann ebenfalls als Indikator dafür genutzt werden, wie priorisiert Maßnahmen zur Steigerung der Preispremium- oder der Koproduktionsbereitschaft in diesem Segment eingesetzt werden sollten. Grundsätzlich besteht bei niedrigen Kaufvolumina die Gefahr, dass die Kosten, die zur Bearbeitung eines Kunden anfallen, nicht mehr ausreichen, um den Kunden profitabel zu bedienen. In diesem Fall sollten verstärkt Maßnahmen eingesetzt werden, die den Kunden zur Koproduktion stimulieren und damit die Kosten pro Besuch senken. Daneben empfiehlt sich der Einsatz von Maßnahmen, die eine Erlössteigerung
204 über höhere Preise ermöglichen und dadurch die Freiheitsgrade für eine profitable Kundenbearbeitung erhöhen. Zur Steigerung des Beziehungserfolgs können mehrere Empfehlungen zum Variableneinsatz in den jeweiligen Segmenten gegeben werden. Abbildung VII-1 fasst diese im Überblick zusammen. Hierbei gelten für die operative Umsetzung die gleichen Überlegungen wie auf aggregierter Marktebene. Zu beachten ist, dass sich die Wirkungen der betrachteten Maßnahmen auf die Preispremium- und Koproduktionsbereitschaft in den einzelnen Segmenten zum Teil erheblich voneinander unterscheiden und daher deren Einsatz nicht uneingeschränkt über alle Segmente empfohlen werden kann. Es muss daher festgehalten werden, dass es Unternehmen nicht immer möglich sein wird, alle Kundensegmente gleichzeitig zu bedienen. Beispielsweise besitzt im vorliegenden Fall die Anbietervariable Markenpräsenz in verschiedenen Segmenten sowohl positive als auch negative Wirkungen auf den Beziehungserfolg. Da diese Variable nicht für jedes Segment einzeln gesteuert werden kann, muss eine klare Entscheidung gefällt werden, welches Segment bearbeitet werden soll. Bei den Instrumenten bevorzugte Behandlung sowie Direktmarketing, die ebenfalls positive als auch negative Effekte in den einzelnen Segmenten aufweisen, kann wiederum eine selektive Bearbeitung von Kunden(-segmenten) erfolgen, sofern diese identifizierbar sind. Grundsätzlich sollte aber auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, verschiedene Vertriebslinien aufzubauen, die sich durch die Ausgestaltung ihrer Maßnahmen unterscheiden. Dadurch können heterogene Kundensegmente gezielt angesprochen werden, ohne dass sich die Wirkungen der eingesetzten Maßnahmen gegenseitig kompensieren. Hinsichtlich der Generalisierbarkeit der Ergebnisse kann festgehalten werden, dass sich die Wirkungszusammenhänge in den exemplarisch ausgewählten personen- und produktorientierten Dienstleistungsbranchen sowohl auf aggregierter als auch auf segmentspezifischer Analyseebene als weitestgehend vergleichbar herausgestellt haben. Daher erscheint eine Übertragung der grundsätzlichen Erkenntnisse auf weitere Dienstleistungsbranchen, insbesondere des Bank- und Versicherungsgewerbes oder auch der Hotellerie und Gastronomie, plausibel.
KP+
NC KKC KPC
"Die Serviceorientierten"
"Die eigennützigen Anspruchsorientierten"
Segment D
PP++
AC
PP+
PP–
NC KKC KPC
KP+
KP+
AC
PP++ PP++ KP++
KP–
NC KKC KPC PP+ KP+ PP++ KP++
AC
PP– KP++ PP– KP+
NC
KKC KPC
PP++ KP+ PP++ KP++
AC
KP+ KP+
KP++ KP++
KP+
NC KKC KPC
"Die großzügigen Anspruchsorientierten"
Segment E
AC: Affektives Commitment, NC: Normatives Commitment, KKC: Kalkulatives Commitment, KPC: Kaptives Commitment PP: Preispremiumbereitschaft, KP: Koproduktionsbereitschaft +(++)/–(– –): (Hoher) positiver/negativer Effekt der in der jeweiligen Zeile betrachteten Maßnahme auf die Erfolgsgröße
PP– KP–
PP++ KP++
AC
Abbildung VII-1: Empfehlungen für Segmentbearbeitung
Aufbau von Reputation Aufbau von Vertrauen Aufbau von Wechselkosten Bevorzugte Behandlung Direktmarketing Stärkung der Markenpräsenz
Maßnahme
"Die distanzierten Statusorientierten"
"Die scheuen Vertrauensorientierten"
Segment C
Durch Maßnahmen beeinflusste Bindungsformen und Erfolgsgrößen
Segment B
Segment A
205
206 Abschließend ist zu konstatieren, dass eine multipartiale Betrachtung des Commitments notwendig ist, um vorteilhafte Formen der Kundenbindung identifizieren zu können und den daraus resultierenden Beziehungserfolg durch das Marketing steuerbar zu machen. Hierzu stellt die vorliegende Arbeit dem Kundenbeziehungsmanagement das nötige Know-how zur Verfügung.
207
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