Karriereverläufe von Frauen und Männern in der Altenpflege. Eine systemtheoretische und sozialpsychologische Analyse

Manfred Borutta, Christiane Giesler Karriereverlaufe von Frauen und Mannern in der Altenpflege

SOZIALWISSENSCHAFT

Manfred Borutta, Christiane Giesler

Karriereverlaufe von Frauen und Mannern in der Altenpflege Eine sozialpsychologische und systemtheoretische Analyse

Mit einem Geleitwortvon Prof. Dr. Heribert W. Gartner

Deutscher Universitats-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ijber abrufbar.

I.Auflage April 2006 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Ute Wrasmann / Dr. Tatjana Rollnik-Manke Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media, www.duv.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen Im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und dahervon jedermann benutzt werden durften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheBlitz Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8350-6029-5 ISBN-13 978-3-8350-6029-6

Geleitwort Sie haben ein Buch in der Hand, das eine Frau und ein Mann zusammen geschrieben haben. Beide kommen aus einem typischen Frauenberuf, der Pflege. In diesem Beruf haufen sich die pflegenden Manner, wenn es urn verantwortliche Positionen geht. Beide iiaben Pflegemanagement studiert. Die Frau und der Mann schrleben dieses Buch nicht in einem Alter, in dem man ubiichen/veise Diplomarbeiten schreibt, sie sind wesentlich alter und sind somit ein Spiegel der Bildungslandschaft Pflege. Das heidt, hinter wissenschaftlich formulierten Satzen stehen Erfahrungen und Biographie. Dies ist der anregende Hintergrund dieses Buch. Es beschaftigt sich mit drei wichtigen Fragen: 1. Was bedeutet Karriere in der Altenpflege? 2. Welchen Einfluss hat das Geschlecht auf den Karriereverlauf in der statlonSren Altenpflege? 3. Wamm leiten vor allem Manner Altenheime? Man kann sich diesen Fragen sinnvoll auf unterschiedliche Art zuwenden. Das Buch ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen BeschSftigung mit diesen Themen. Den fachlichen Bezugsrahmen bilden die (neuere) Systemtheorie und Erkenntnisse der (Sozial-)Psychologie. Mit diesen Zugangen und der Tatsache, dass es sich um eine Diplomarbeit handelt, ist eine Sprache impliziert, die nicht alltagssprachlich ist. Wenn Sie bereit sind, manche Satze auch zweimal zu lesen und sich durch Zitate, die ublichenA^eise zu einer wissenschaftlichen (Erstllngs-)Arbeit gehGren, nicht abschrecken lassen, wird sich das Lesen lohnen. Also kein Buch fur die Badewanne, sondern eher fur den TIsch. Ich getraue mich aber zu sagen, dass Sie Neues erfahren werden. Und dies passiert einem zurzeit nicht jeden Tag; obwohl wir einer Flut von Nachrichten ausgesetzt sind. Neu ist so einlges, well es den beiden gelingt, Erkenntnisse aus Wissenschaftsbereichen auf das Feld Pflege so anzuwenden, dass man mehr sehen kann und nicht einfach Seiten gefullt werden. Fur das Arbeitsfeld Pflege betreten Christiane Giesler und Manfred Borutta mit ihrem Thema ein unbestelltes Feld; dies belegen auch die Ergebnisse der von Ihnen durchgefuhrten Befragung. Die Auswertung des vorhandenen Materials zeigt die von mir bereits angesprochene Verschiebung der Geschlechtervertellung zwischen Grundberuf und Leitungsstellen; die beiden gehen den Grunden nach, warum dies so ist. Eine solche Arbeit beginnt zumeist mit BegriffsklSrungen. Und so verfahren auch die Autoren. Sie entfalten systematisch die fur die Arbeit zentralen Begriffe Lebenslauf, Biographie und Karriere und beleuchten was dies mit Non-Profitorganisationen zu tun hat. Damit wird das Thema sinnvoll eingegrenzt. Es geht also nicht um Manner-Frauen-Karriere in Industrieunternehmen. Danach schlieflt sich die ausfuhrliche Er5rterung von Geschlecht und Sozlalisation im Beruf, Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Rollentheorie an. Das Kapitel V. klappt die Geschlechterdifferenz systemisch auf und analysiert sie mit den Unterscheidungen Inklusion / Exklusion, Codes und Programme. Auch wenn man-

ches abstrakt klingt, werden hier die Begrifflichkeiten geliefert, mit denen die beiden in ihrem Thema praktisch weiterkommen. Wenn Sie bis dahin durchgehalten haben, werden Sie belohnt; es wird immer praktisclier: Was machen denn Organisationen mit IViannern und Frauen, wenn sie Karriere machen wollen? Und wie sieht das in der Altenhilfe aus? Und der Schluss gehort der Minderheit (so merkt man, dass auch dieser Begriff wohl eine Beobaclitungskategorie ist): Was machen eigentlich IVIdnner in der Altenpflege zwischen beruflichem Ausstieg, (Neu-)Einstieg und Aufstieg? Ich finde, Christiane Giesler und iVIanfred Bomtta haben ein wirklich lesenswertes Buch geschrieben. Es hat naturlich die erforderliche Zwanghaftigkeit wissenschaftlicher Erstlingswerke; aber das schadet einer neuen wissenschaftlichen Disziplin, wie dem Pflegemanagement und der Pflegewissenschaft nicht wirklich. Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, wissen Sie mehr uber dieses Thema. Fur die Pflege ist die Arbeit nutzlich, well man zu einem Thema, das viele umtreibt und die Gemuter erregt, nun argumentativer sprechen kann. Und das ist gut, denn wenn man in die Praxis schaut, Ist hier immer noch der Weg von der Betroffenheit zur Argumentation zu beschreiten. Ich freue mich deshalb, dass die beiden sich entschlossen haben die gemelnsam geschriebene Arbeit zu veroffentllchen. Ihnen werte Leserin und werter Leser wunsche ich einen nutzllchen Erkenntnlsgewinn, der so manches Schmunzein einschlleden kann. Prof. Dr. Heribert W. Gartner Kath. Fachhochschule NRW Fachbereich Gesundheltswesen

VI

Vorwort „Verwunderung uber den Widerstand. Weil Etwas fur uns durchsichtig geworden ist, meinen wir, es k6nne uns nunmehr keinen Widerstand leisten, und sind dann erstaunt, dass wir hindurchsehen und doch nicht hindurch kCnnen! Es ist dieselbe Thorheit und dasselbe Erstaunen, in welches die Fliege vor jedem Glasfenster gerath." aus Nietzsches ,Morgenr6the' 1906

Durch die immer wieder auftretende verbale Auseinandersetzung mit dem Thema unserer Diplomarbeit, vor allem wahrend der letzten zwei Studiensemester, kristallisierte sich irgendwann heraus, diese Arbeit mussen wir, Manfred Borutta und ich, als Mann und Frau, zusammen schreiben. Die reflektierten personlichen Kontexte unseres Lebens als Frau bzw. Mann, unsere eigenen Eriebnisse in Bezug auf Karriere, sollten in einem erkenntnistheoretischen Zusammenhang bearbeitet und somit in einen weiteren Raum gestellt werden. Dann haben wir uns getraut, wir haben uns auf das Wagnis einer gemeinsannen Diplomarbeit eingelassen. Ich habe viel dabei gelernt, sowohl personlich als auch in Bezug auf die Einflussfaktoren, die auf einen Karriereverlauf wirken konnen. Gerade die Auseinandersetzung mit organlsationalen wie indlviduellen Einflussen fand ich sehr spannend. Die sehr konstruktive Zusammenarbeit mit Manfred Borutta hat in unzahligen Telefonaten, Treffen und e-mails das gemeinsame Werk wachsen lassen. Wir waren kritisch miteinander aber letztendlich einig uber die wesentlichen Zusammenhange und wie wir sie darlegen wollten. Gerade als Frau empfinde ich die Erkenntnisse, die ich aus dieser Auseinandersetzung gezogen habe, zwar als deprimierend (im Jahr 2004), aber auch als entlastend. Diese Ambivalenz erklart sich so: Zu wissen, dass die karriererelevanten Einflussfaktoren nicht allein von Frauen individuell attribulert werden mussen, sondern, dass systemrelevante Faktoren den Verlauf welblicher Karrieren pragnant mitbestimmen, tragt zur Gelassenheit bei. Mir ist nun ein Ansatzpunkt geboten, z.B. glaserne Decken und Wande zu orten und konstruktiv und phantasievoll damit umzugehen (Oder selbst welche zu konzipieren?..) ...und nicht wie die Fliege staunend vor der Sciieibe zu sitzen, durcli die ich sehe, aber nicht hindurchl
vn

Vorwort „Alles Wissen und alle Vermehrung unseres Wissens endet nicht mit einem Schlusspunkt, sondern mit einem Fragezeichen." (Hermann Hesse) ...SO auch diese Arbeit! Die Grundzuge dieses Themas ergaben sich aus der logischen Verbindung von eigenen erlebten Episoden als (sowohl von Frauen und Mannern) Gefuhrten und als eigene Leitungskraft mit den Erfahrungen im Studium. Viele dieser Episoden lassen sich nun nach vierjahriger Auseinandersetzung mit der Systemtheorie und ungezahlten Diskussionen in der Lerngmppe unter einem verSnderten Paradigma reflektieren. Es war mir klar, dass diese Arbeit nur in der reflexiven Auseinandersetzung mit einer (in Leitung erfahrenen) Frau verfasst werden kann. Und es war mir weiterhin - friih klar, mit welcher Frau dies in kritisch-konstruktiver Weise leistbar ware. Ebenfalls fruii war uns beiden gemeinsam klar, bei wem diese Arbeit zu schreiben sei. Denn das Lernen (als eine konfliktrelche Form der VerSnderung von Unterscheldungen) ist nach abgelegter Diplomprufung nicht beendet. Insofern war und ist die Auseinandersetzung mit Prof. Dr. Herlbert W. Gartner fur uns the difference, that makes a difference. Manfred Borutta

Bedanken mochten wir uns fur konstruktive Anregungen und wiederholtes Korrekturlesen bei Eva Cukovic, Knut Giesler, KatrIn GrSwinger, Wolfgang Jansen, Norbert Nagel, Jutta Weber, Monika Prummer und Josy Zellerhoff.

IX

Hinweis zur Lesbarkeit der Arbeit: Weibliche und mannliche Sprachformen haben wjr wie folgt verwendet: Dort, wo ausschlielilich Frauen bzw. Manner gemeint sind, wurde die entsprechende Sprachform verwendet. Dort, wo sowohl Frauen als auch Manner gemeint sind, wird dies mit einem Schragstrich (,/') kenntlich gemacht. Die von uns im Text ven/vendetet Abkurzung „A d. A." bedeutet .Anmerkung der Autor/innen' und ven/veist auf von uns vorgenommene Hervorhebungen bzw. verdeutlichende Einfugungen.

X

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Zur Fragestellung der Analyse

1

I. Thematische Leitfragen

3

II. Darstellung der Datenlage

5

1. Eigene Befragung und Auswertung des vorhandenen Datenmaterials 2. Primaranalyse: Eigene Befragung relevanter Institutionen 2.1 2.2

5 5

Die Fragestellung an die Institutionen und Heimaufsichtsbehorden

5

Die Ergebnisse aus der vorgenommenen Befragung

6

2.2.1 Auswertung der Antworten der angeschriebenen Institutionen

6

2.2.2 Auswertung der Antworten der Heimaufsichtsbehorden 3. Auswertung des Altenheim-Adressbuches

8 10

4. Sekundaranalyse: Abblldung der Fragestellung in verschiedenen Studien

10

4.1

Die Untersuchung des Bundesinstltuts fiir Berufsbildung

11

4.1.1 Altenpflege - ein Sackgassenberuf?

14

4.1.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede im Alton pflegeberuf

14

4.1.3 Weiterbildung als Einstiegschance zur Karriere in der Altenpflege?

19

4.1.4 Mannlicher Auf(s)stieg - weiblicher Wiedereinstieg als Formen der Anpassung?

27

4.2

Die NEXT-Studie

30

4.3

Die Pflegestatistik

32

5. Fazit

33

XI

III. Biografie und Karriere als Formen des Mediums Lebenslauf 1. Etymologie des Karrierebegriffs

37 37

2. Lebenslauf, Biografie und Karriere aus systemtheoretischer Perspektive

37

2.1

Lebenslauf

38

2.1.1 Institutionallsierter Lebenslauf

39

2.1.2 Deinstitutionalisierter Lebenslauf

40

2.2

Biografie

41

2.3

Karriere

42

2.4

Lebenslauf, Biografie und Karriere im Kontext des Medium/Form-Begriffs

48

3. Karriereplateaus

51

4. Karriere in Nonprofit Organisationen (NPOs)

53

4.1

Zur Schwierigkeit der Definition und Kategorisierung von NPOs

53

4.2

Einrichtungen der Altenhilfe in Deutschland als NPOs

56

4.3

Karriererelevante Besonderheiten von NPOs - Oder: Wie wird in NPOs „der Karren durch den Dreck gezogen?"

57

4.3.1 Ehrenamtliche FunktionSre und hauptamtliche Mitarbeiter

57

4.3.2 Kapltalienausstattung von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern

62

4.3.3 Karriererelevante Gratwanderung zwischen formalen und informalen Strukturen

66

4.3.4 Die Auswirkungen der Intemiedlaritat von NPOs auf Karrieren

70

4.3.5 Das spezifische Organisation-Umwelt-Verhgiltnis der NPOs und seine Auswirkungen auf Karrieren 4.4

Fazit

72 73

IV. Geschlecht und Soziallsation Im Beruf

79

1. Geschlechtertypisierung der Berufe

79

XII

2. Zuschreibungen an die Geschlechterrolle im beruflichen Kontext

83

2.1

Rollentheorie

84

2.2

SozialeRolle

87

2.3

Geschlechterrollen und Geschlechterstereotype

88

2.4

Rollenerwartungen im beruflichen Umfeld Altenpflege

93

3. Berufliche Sozialisation

95

3.1

Sozialisation fur den Beruf - Berufsausbildung

96

3.2

Ubergang in Arbeitsmarkt und Betrieb - Berufsstart

96

3.3

Sozialisation durch den Beruf

97

V. Geschlechterdifferenz - systemisch beobachtet

101

1. Systemtheoretische Analysemoglichkeiten zu den aufgeworfenen Fragen

101

2. Die funktionale DIfferenzierung der Gesellschaft

102

3. Inklusion und Exklusion

104

3.1

3.2

Formen der Inklusion

106

3.1.1 Primahnkluslon

106

3.1.2 SekundSrinklusion

107

Formen der Exklusion

108

3.2.1 Primarexklusion

108

3.2.2 Sekundarexklusion

108

3.3

Inklusion und Exklusion in weiteren Rollen

112

3.4

Zusammenfassung im Kontext der stationaren Altenpflege

113

4. Codes und Programme

114

5. Geschlecht in der funktional differenzierten Gesellschaft

115

6. Geschlecht und Organisation

116

7. Personen im Mikrokosmos Stelle

119

8. Organisationstauglichkeit als personaler Selektionsmechanismus

122

VI. Geschlechtsbezogene Selektionsmechanismen in Organisationen..125 1. Die .gISserne Decke' als vertikaler geschlechtsbezogener Selektionsmechanismus

125

XIII

2. Systematisches Mehrdeutigkeitsversagen und daraus resultierende Zuschreibungen

129

3. Netzwerke und ,glass walls' als horizontale geschlechtsbezogeneSelektionsmechanismen 4. .Glass ceiling' und .glass walls' in NPOs

131 138

5. .Glass walls' und .glass ceilings' in stationaren Altenpflegeeinrichtungen VII. Karrleren von Frauen in der stationaren Altenhllfe

141 145

1. Die bemfliche Situation der Frauen in der Altenpflege

145

2. EInflussfaktoren auf die Karriere von Frauen

146

3. Der Einfluss der Rollenzuschrelbungen

149

4. Organisationale EInflussfaktoren

150

VIII. Manner und mannllche Karriereverlaufe In der stationaren Altenpflege 1. Der mannllche Weg in den Frauenberuf der Altenpflege

153 153

2. Manner, die aus der Pflege aussteigen und der Mythos der Fluktuation

156

3. Manner, die in der Pflege bleiben

157

4. Manner, die aufsteigen

167

Schlussbemerkung

175

Anhang

177

Literaturverzeichnis

189

XIV

Tabellenverzeichnis Tab. 1:

Geschlechterverteilung in den Leitungspositionen der Altenheime inNRW

Tab. 2:

10

Funf Merkmale des Karrierebegriffs (n. Luhmann und K.E. Schorr 1999) sowie ihre moglichen Konsequenzen

45

Ebenen der Beobachtung von Karriere (n. W. Mayerhofer 2001)

47

Tab. 4:

Phanomene und Einflussfaktoren des Karriereplateaus

52

Tab. 5:

Konsequenzen der Diffusion von formalen und informalen

Tab. 3:

Strukturen in NPOs Tab. 6:

70

Zusammenfassung der karriererelevanten Besonderheiten in NPOs

74

Tab. 7.1: Inklusion in der Leistungsrolle innerhalb des Funktionssystems Pflege

Ill

Tab. 7.2: Exklusion in der Leistungsrolle innerhalb des Funktionssystems Pflege

Ill

XV

Abbildungsverzeichnis Abb. 1:

Die Person im Zentrum von Rollenen/vartungen

85

Abb. 2:

Unterscheidung von Geschlechterstereotypen und -rollen

90

Abb. 3:

Die Person im Zentrum von Rollenenvartungen erganzt urn die ..Brille" der Geschlechterstereotypen

92

Abb. 4:

Die Pflegekraft im Altenheim im Zentrum der Rollenen/vartungen

94

Abb. 5:

Typisierte Handlungsmuster der Berufsbiografie und Personlichkeitsmerkmale

99

Abb. 6:

Formen der Inklusion und Exklusion im Funktionssystem Pflege ...110

Abb. 7:

Einflussfaktoren auf den Karriereverlauf

147

Abb. 8:

Das Ausbalancieren der Ich-ldentitat

164

Abb. 9:

Das Ausbalancieren der Ich-ldentitat alterer Manner in der Pflege

166

Abb. 10: Katalysierende Wirkung sozialer Netzwerke auf die Identitatsentwicklung von Personen

170

XVII

Einleitung: Zur Fragestellung der Analyse Wir leben im Jahr 2004 nach Christi Geburt. Wir leben in einer aufgeklSrten, demokratischen Gesellschaft. Die Gleichstellung von Mann und Frau ist gesetzlicii verankert, die Emanzipation der Frau im Sinne von polarisierenden Kampfansagen an das mannliche Geschlecht sciieint hinter uns zu liegen. Es ist ubiich und en/vunscht (?), dass Frauen eine Berufsausbildung machen und ihren Lebensunterhalt selbst sichern konnen, unabliangig und frei. Soweit die Skizze der .herrschenden Verhaltnisse' im Jahr 2004 in der Bundesrepublik Deutschland. Wir als Studierende im Fachbereich Gesundheitswesen, Frau und IVIann, die einen .typischen Frauenberuf eriernt haben und im Berufsfeld Altenpflege tatig sind, finden hier interessante IVIilieubeobachtungen vor, die in Differenz steiien zu dem oben entworfenen Bild. Die oben angesprochenen Voraussetzungen mussten ja fur einen Frauenberuf selbstverstandlich bedeuten, dass Frauen diese Arbeitsbereiche leiten, in geschaftsfuhrenden Positionen die Geschicke der Pflegeeinrichtungen lenken und naturlich einem personlichen Karriereweg folgen konnen, wenn sie daran interessiert sind und den dazu erforderlichen Bildungs- und Weiterbildungshintergrund aufweisen konnen. Aber weit gefehit! Wir beobaciiten, im Berufsfeld Altenpflege arbeiten uberwiegend Frauen, (aber) die Leitungspositionen sind von/viegend mit Mannern besetzt. Immer noch, so scheint uns, besteht fur Manner in der Pflege, die Moglichkeit sich im Gegensatz zu Frauen - ohne entsprechende Qualifikation in eine berufliche Position zu begeben, in der hohe Anforderungen am Umgang mit Routinen (dem Wechselspiel ihrer Beibehaltung und ihrer Veranderung), an die Menschenfijhrung und an die Zukunftssicherung der fokalen Organisationen gestellt werden. Wamm ist das so? Warum scheinen Manner schneller Karriere zu machen als Frauen? Ist der Karriereweg in die Leitungspositionen von Frauen nicht gewollt oder gibt es Hintergrunde, die sich in ganz anderen Kontexten finden lassen? Wir suchen in der vorliegenden Diplomarbeit nach Erklarungsansatzen fur diese Tatsache und sich daraus resultierende weitere Fragen. Hierbei mochten wir uns bewusst nicht ausschliefllich auf empirisches Datenmaterial verlassen. In wissenschaftstheoretischen AnsStzen und in der Auseinandersetzung mit dem Karrierebegriff starten wir den Versuch, theorlegeleitet die Karreierwege und -situationen von Frauen und Mannern in der stationaren Altenpflege zu analysieren. Wir bedlenen uns dabei des sozialpsychologischen und des systemtheoretischen Ansatzes. „Sieht man als Aufgabe der Psychologie Beschreibung, Erklarung, Prognose und Veranderung von Verhalten bzw. Handeln..."'' so liefert sie dementsprechende Theoriefolien zur Beschreibung und zum Verstehen bestimmter Phanomene (z. B. die Auswirkung der Geschlechterrollen und der Geschlechterstereotypen auf den Karriereverlauf von Frauen und Manner in der Altenpflege). Systemtheorie kann nach H. WILLKE verstanden werden als .System-Umwelt-Theorie', „ denn die Funktion der Systembildung, der Sinn von Systemen, lasst sich nur rekonstruieren, wenn der Bezugspunkt der Analyse aufierhalb des Systems selbst liegt: in der ' Speck, J. (Hrsg.): Handbuch wissenschaftstheoretischer Begriffe. Band 2, Gottingen 1980, 523

Relation zwischen System und Umwelt."^ Die Systemtheorie bietet uns Erklgimngsansatze, welche sowolil die Person (z.B. die Altenpflegerin / den Altenpfleger) als auch die Organisation (z. B. ein Altenheim) und die Geselischaft (als Gesamtheit erreichbarer und Bezug nehmender Kommunikationen) in den Blick nimmt. Das Datenmaterial aus der von uns durchgefuhrten schriftlichen Befragung (Primaranalyse) sowie die Auswertung vorhandener Studien (Sekundaranalyse) kfinnen uns hier als ein erstes Vorverstandnis im Sinne eines hermeneutischen Zirkels dienen. Dem soil sich dann - uber den Weg der theoriegeleiteten Auseinandersetzung ein en/veitertes (Vor-)Verstandnis des zu untersuchenden Phanomens anschlieflen. Die Hermeneutik bietet als wertfreie Methode und auslegende bzw. verstehende Kunstlehre die MGglichkeit menschliche Lebens^ulierungen in ihrer Bedeutung zu verstehen,..."^. Wahrend also mit dem Datenmaterial versucht wird, bestimmte beobachtete Phanomene durch Zuriickfuhrung auf Ursachen oder Grunde zu erkl^ren, soil mit den wissenschaftstheoretischen AnsStzen (Sozlalpsychologie und Systemtheorie) versucht werden, diese Phanomene zu verstehen bzw. verstehbare Voraussetzungen zu schaffen. Denn nach W. DILTHEY bedeutet Verstehen das ....Erkennen eines Inneren an dem Aulieren eines Zeichens."^

^ Willke, H.: Systemtheorie I. Grundlagen, 6. Auf!., Stuttgart 2000, 6 ^ Lamnek, S.: Qualitative Sozialforschung - Band 1 Methodologie, 3. korr. Auf!., Weinheim 1995, 87 ^ zitiert nach S. Lamnek, a.a.O., S. 87

I. Thematische Leitfragen Im Verlauf des Studienganges Pflegemanagement beschaftigten wir uns u. a. in den letzten vier Jahren ausgiebig mit Fragen der Fiihrung von Einrichtungen. Uber Erkenntnisse, Betrachtungen und diagnostische Analysen naherten wir uns der Thematik des Pflegemanagements auf vielfSltige Weise. Unser besonderes Interesse gait und gilt dabei dem Bereich Altenpflege. In einlgen Diskusslonen erGrterten wir zudem unsere Standpunkte zur Geschlechterfrage im Frauenberuf Pflege, ebenso bewegte uns zunehmend die Frage nach Karrlereveriaufen in der stationaren Altenpflege. Schauen wir uns einige Beispiele aus der beobachteten Praxis an: Pfleger P. hat nach der mittleren Reife eine Ausbildung als Schlosser absolviert, anschliefiend leistete er seinen Zivildienst in einem Altenheim und lernte so die Altenpflege kennen. Nach dem Zivildienst arbeitete er zunachst als Pflegehelfer welter In der Einrichtung. Im unmittelbaren Anschluss an die dann folgende berufsbegleitende Ausbildung zum examinierten Altenpfleger wurde ihm die Leitung eines Wohnbereichs ubertragen. Die dafur notwendige Zusatzqualifikation konnte er nachholen, als er bereits als Leitungskraft auf der mittleren Fuhrungsebene arbeitete. Schwester A. hat nach ihrem Krankenpflegeexamen 10 Jahre in einem klinischen Funktionsbereich gearbeitet. Wahrend der .Kinderpause' lernt sie die ambulante und spater die stationare Altenpflege kennen. Der berufliche Wiedereinstleg nach funf Jahren mundete in einer Teilzeitbeschaftigung von 30 Stunden in der Woche. Wahrend einer langfristigen Erkrankung der Wohnbereichsleiterin vertrat sie diese kommissarisch. Bei der spateren Neubesetzung dieser Stelle wurde sie nicht berucksichtigt. Diese exemplarischen Beobachtungen fuhren unmittelbar zu unserer ersten Leitfrage: A.) Was bedeutet Karriere in der Altenpflege? Wer macht eigentlich im Pflegeberuf Karriere und wie(so)? Was ist eigentlich Karriere, was heifit .Karriere machen' in der heutigen Zeit in der Pflege, speziell in der Altenpflege? Wovon ist weibliche und mannliche Karriere abhangig? Ist sie abhangig von den familiaren Umstanden, von den Zuschreibungen, die an Frauen und Manner gemacht werden? Was hindert, was fordert Karriere in der Altenpflege? Ein weiteres Beispiel: Pfleger M. und seine Kollegin Schwester R., beide Vollzeit beschaftigt als Wohnbereichsleitungen (WBL) in der gleichen Einrichtung, bewerben sich um die Stelle der Helm- und Pflegedienstleitung. Schwester R. hat aufier der Qualifikation zur WBL mehrere Fortbildungen absolviert, Kenntnisse in Qualitatsmanagement und Praxisanleitung gehoren dazu. Pfleger M. hat keine Fortbildungen absolviert, er kann in seinem Lebenslauf auf eine Verwaltungsausbildung vor seinem Eintritt in die Altenpflege verweisen. Die Tragervertreter ubertragen Pfleger M. die Heimleitung und Pflegedienstleitung und finanzieren ihm die entsprechend notwendige Weiterbildung. Schwester R. wird kurz mitgeteilt, dass sie ja wegen ihrer Kinder meistens nicht langer bleiben konne. Dies sei aber in der Position als Heimleitung des Ofteren notwendig. Gefragt wurde sie dazu vorher allerdings nicht.

Es stellt sich fur uns die weitere Leitfrage: B.) Welchen Einfluss hat das Geschlecht auf den Karriereverlauf in der stationaren Altenpflege? 1st die Rollenzuschreibung auch im 21. Jahrhundert diese: Frauen kummern sich liebevoll urn die zu pflegenden Bewohner/innen und urn neue Mitarbeiter/innen (Auszubildende u. a.); iVianner leiten und verwalten diesen Bereich. Hochstens „de liebe Jong"^ darf in diesem Familiengefuge eine Sonderrolle einnehmen und bei der (nicht zu intimen) Pflege zur Hand gehen oder auch mal den Fernseher neu programmieren. Ein letzter Einblick in die vorfindliche Praxis: Herrn Q. obliegt die Heimleitung einer kleinen Einrichtung am Rande des Westen/valdes. Vierteljahrlich begibt er sich auf eine kurze Dienstreise, urn an einem uberregionalen Arbeitskreis fur Heimleiter teilzunehmen. Dort tauscht man(n) sich aus, uber die neuesten gesetzlichen Entwicklungen, berichtet von den jeweiligen Prufungen des Medizinischen Dienstes und klagt sich gegenseitig das Leid des fehlenden Personals. Diese Runde besteht aus 14 IVIannern und sechs Frauen. Alle Frauen bekleiden gleichzeitig zur Heimleitung auch das Amt der Pflegedienstleitung. Von den Mannern sind nur drei in dieser Doppelfunktion, acht von ihnen sind gleichzeitig GeschaftsfiJhrer ihrer Einrichtungen, drei nehmen ausschliefilich die Aufgaben der Heimleitung war, ggf. leiten sie zus^tzlich den Sozialdienst. Im Kontext der Feststellung, dass die Mehrzahl der Altenheime in Deutschland von Mannern geleitet werden, fuhrt uns die Wahrnehmung, dass prozentual zur Geschlechterverteilung der Berufsgruppe mehr Manner als Frauen in Leitungsfunktionen vorzufinden sind zu unserer dritten Leitfrage: C.) Warum leiten primer l\/lanner Altenheime?

„Der liebe Junge"; Aussage einer Bewohnerin uber einen Zivildienstleistenden 2004

II.

Darstellung der Datenlage

1.

Eigene Befragung und Auswertung des vorhandenen Datenmaterlals

Zur Beantwortung der im vorherigen Kapitel aufgeworfenen Fragen hat das Autor/innenteam in einem ersten Schritt vier Behorden, acht Interessenverbande, zwei Berufsverbande, eine Gewerkschaft, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wolilfahrtspflege e.V. (BAG FW) und die sechs Wohlfahrtsverbande, den AOKBundesverband, das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) und den Deutscher Verein fur offentliche und private Fursorge (DV) angeschrieben. Erganzend hierzu haben wir die Landesbehorden der Heimaufsicht in acht Bundeslandern und in den funf Regierungsbezirken Nordrhein-Westfalens (Arnsberg, Detmold, Dusseldorf, Koln und Munster) jeweils die Heimaufsichtsbehorden der groRten kreisfreien Stadte und der kleinsten Landkreise angeschrieben. In einem weiteren Schritt hat das Autor/innenteam versucht, vorhandenes Datenmateriai im Hinblick auf die aufgeworfenen Fragen auszuwerten. Hierzu wurden zunachst die beiden Teile der Studie des Bundesinstituts fur Berufsbildung (Berlin und Bonn) .Altenpflege - eine Arbeit wie jede andere? Bin Beruf furs Leben' (Berlcht zur beruflichen Bildung, Heft 200, 1997) und ,Altenpflege - Abschied vom Lebensberuf (Bericht zur beruflichen Bildung, Heft 227, 1998) ausgewertet. Des weitern wurden die beiden in deutscher Sprache verfassten Teile der NEXT-Studie® (Kapitel 15 und 17 der Studie) ausgewertet. Erganzend hierzu haben wir die ..Pflegestatistik" des Bundesamtes fur Statistik aus Juni 2003 analysiert sowie - zur KISrung der Geschlechterverteilung bei den LeItungskraften - im Altenheim-Adressbuch 2003 - die Angaben zu den Einrlchtungen in Nordrhein-Westfalen ausgewertet. Im Folgenden soil zunachst auf die eigene Befragung (Prim^ranalyse) und die hieraus resultierenden Ergebnisse und anschlieflend auf das untersuchte Datenmaterial (Sekundaranalyse) eingegangen werden

2.

Primaranalyse: Eigene Befragungen relevanter Institutionen

2.1 Die Fragestellung an die Institutionen und Heimaufsichtsbehorden Dem Autor/innenteam war es vor dem Hintergrund der aufgeworfenen Fragen wichtig, die folgenden Daten nach Moglichkeit eruieren zu konnen^: a) Die Geschlechterverteilung bei den Heimleltungen und Geschaftsfuhrungen der ca. 9.200 stationaren Altenpflegeeinrichtungen In Deutschland; b) die Altersverteilung dieser Leitungskrafte in der stationaren Altenpflege; c) die grundstandigen Ausbildungen der Fuhrungskrafte; d) die Zusatzquallfikationen der Fuhrungskrafte; e) der Anteil der akademisch ausgebildeten Fuhrungskrafte; ® NEXT steht fur ..nurses' early exit study" ^ Das Anschreiben an die VerbSnde etc. ist in der Aniage 1 beigefugt

f) die Fremdbewertung des Qualifizierungsniveaus der Leitungskr^fte durch die angeschriebenen Adressaten. Die Liste der Adressaten sowie der Form und Inhalt ihrer Antworten ist der Aniage 2 zu dieser Arbeit beigefugt. In aclit der 16 Bundeslander der Bundesrepubiik Deutschland ist die Heimaufsicht auf Landesebene angesiedelt. Ende Februar 2004 haben wir die zentralen Heimaufsichtsbehorden in den Bundesiandern Baden-Wurttemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Niedersachen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen-Anhalt angeschrieben®. In diesen Bundesiandern leben ca. 40% der Gesamtbevolkerung der BRD. In Nordrhein-Westfalen (NRW) sind die Heimaufsichtsbehorden auf kommunaler Ebene bei den Kreisen und kreisfreien Stadten^ angesiedelt. Ende Februar 2004 haben wir von den Insgesamt 54 kreisfreien Stadten und Landkreisen im Rahmen eines mehrstufigen Auswahlverfahrens^° in jedem der funf Regierungsbezirke in NRW jeweils die nach Einwohnerzahlen grOUte kreisfreie Stadt und den kleinsten Landkreis angeschrleben. Die funf Regierungsbezirke des Landes NRW stellten damit die Auswahieinheiten dar, auf die der Auswahlpian angewendet wurde. Die kreisfreien Stadte und die Landkreise stellten die Erhebungs-einheiten dar, die reprasentativ in der Stichprobe vertreten sein sollen^\

2.2 Die Ergebnisse aus der vorgenommenen Befragung Die Ergebnisse aus der Befragung der Heimaufsichtsbehorden, als auch aus der Befragung anderer BehOrden (Ministerien, Bundesamt fur Statistik) und der Wohlfahrtsund InteressenverbSnde ergeben, was die verfijgbare Datenlage anbelangt, ein ernuchterndes Fazit: Aulier den vom Bundesamt fur Statistik zur Verfugung gestellten Daten, waren die Antworten der Adressaten zur KISrung unserer Fragen wenig hilfreich.

2.2.1 Auswertung der Antworten der angeschriebenen Institutionen Von den insgesamt 22 Institutionen konnte keine Angaben zu den aufgeworfenen Fragen nach Geschlechtervertellung, Altersverteilung, Ausbildung, Zusatzqualifikation und mSglichen akademischen Ausbildungen machen. Nahezu alle angeschriebenen Institutionen venA/iesen in einer kurzen Stellungnahme darauf, dass sie „uber kein geeignetes Datenmaterial verfugen" (DVLAB, BPA und DV) bzw. dass „keinerlei Informationen Oder Statistiken" vorliegen wurden (BMFSFJ). Das Kuratorium Deutsche Altershilfe beschrSnkte sich auf die Zusendung des „aktuellen KDA-Gesamtverzeichnisses" und den Hinweis auf eine kostenpflichtige LiAnschreiben: siehe Aniage 3 ® In NRW gibt es insgesamt 23 kreisfreie Stadte und 31 Landkreise ^° Friedrichs, J.: Methoden empirischer Sozialforschung, 14. Aufl., Opiaden 1990, 141ff. ^^ Verzeichnis der angeschriebenen kreisfreien Stadte und der Landkreise: s. Aniage 4

teraturrecherche. Auch konnten - mit Ausnahme der Gewerkschaft Ver.di e.V. - die Verbande, Behoren und andere Einrichtungen keine Angaben zur eigenen Einschatzung im Hinblick auf das QualifikatJonsniveau der Heimleitungen und Geschaftsfuhrung in der stationSren Altenpflege machen. Die Antworten wurden i. d. R. sehr kurz gehalten. Hiervon ausgenommen sind ein E-Mail des Caritasverbandes, der auf den DVLAB verwies (der allerdings bereits zu den Adressaten der Befragung gehorte) und das Schreiben der Gewerkschaft Ver.di e.V., welche als einzige angeschriebene Institution die Frage nach der Einschatzung des Qualifikationsniveaus ausfuhrllcher beantwortete.Die Gewerkschaft Ver.di e.V. h^lt die derzelt im Heimgesetz bzw. der Heimpersonalverordnung (§ 2) vorgeschriebenen Qualiflkations-voraussetzungen fur unzureichend. Das mogliche Berufspektmm ist zu weit gefasst und nicht hinreichend auf die Aufgaben einer Heimleitung spezifiziert." Die Gewerkschaft pladiert dafur, dass das Qualifikationsniveau „...den in einigen Landern geregelten Weiterbildungsabschluss zum/zur Pflegedienstleiter/in ... nicht unterschreiten" sollte. Des Weiteren hSIt Ver.di e.V. auch „...ein einschlagiges Studium .Pflegemanagement' [fur] denkbar, wenn es entsprechende Schwerpunktsetzungen aufweist.""*^ Der von Ver.di e.V. als Ansprechpartner genannte Deutsche Verband der Leitungskrafte von Alten- und Behinderteneinrichtungen e.V. (DVLAB) verwies in seinem Antwortschreiben mit einem Satz darauf, dass er uber kein geeignetes Datenmaterial" verfuge, um die aufgeworfenen Fragen beantworten zu konnen. Bei den Reaktionen der Freien Wohlfahrtsverbande finden sich vergleichbare Resultate: Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V. sandte uns eine Aufstellung der sieben judischen Einrichtungen fur Senioren in Deutschland zu. Der Deutsche Caritasverband (Abteilung Soziales und Gesundheit, Referat Altenhilfe) sandte uns ein e-mail mit dem Hinweis auf die Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes und der Nennung der dortigen Ansprechpartner, sowie dem Hinweis auf das Altenheimadressbuch des Vincentz-Verlags (Hannover). Der Deutsche Paritatische Wohlfahrtsverband (DPWV) antwortete mit einem Formschreiben, dass den Hinweis auf die Internetseite des DPWV enthielt. Von den Verbanden des Deutschen Roten Kreuzes, dem Arbeiten/\/ohlfahrt-Bundesverband und dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland erhielten wir keine Antwort auf unser Schreiben. Das Bundesamt fur Statistik sandte uns ihre ..Pflegestatistik uber stationare Einrichtungen" aus dem Jahr 2001, sowie eine Aufstellung der sozialversicherungspflichtig Beschaftigten in Alten- und Pflegeberufen nach Geschlecht, Bildungsabschluss und Alter (aus August 2003) zu. DIese Materialien konnten zur weiteren Analyse herangezogen werden. Das Bundesamt venA/eist jedoch ebenfalls darauf, dass ,.der Personenkreis der Heimleitungen und Geschaftsfuhrungen....auch die Bundesagentur fiir Arbeit nicht abgrenzen" kann^^. Eine tabellarische Zusammenstellung der Kernaussagen in den Antwortschreiben liegt als Aniage 5 dieser Arbeit bei.

^^ Handschriftliche Notiz des Bundesamtes fur Statistik auf dem zugesandten Datenbogen zu den sozialversicherungspflichtig Beschaftigten

Damit kann festgehalten werden, dass offenkundig keine der angeschrjebenen Instjtutionen in der Lage zu sein scheint, die Fragen nach der GesciiiechterverteiJung sowie der Qualifikation der Leitungskrafte in den ca. 9.200 stationaren Altenpflegeeinrichtungen beantworten zu konnen.

2.2.2 Auswertung der Antworten der Heimaufsichtsbeliorden Von den aciit angescinriebenen Heimaufsichtsbehorden, die auf Landesebene angesiedelt sind, haben innerhalb der vorgegebenen Frist sieben geantwortet. Antworten gingen ein aus dem Saarland, Bremen, Niedersaciisen, Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt. Aus Baden-Wurttemberg erhielten wir nach Ablauf der Frist ein Antwortschreiben. Von den angeschriebenen 10 Heimaufsichtsbehorden in NRW erhielten wir Antworten aus den Stadten Bielefeld, Koln (telefonisch), Gelsenkirchen sowie aus den Krelsen Coesfeld, Hoxter (telefonisch), Viersen. Aus den Stadten Dortmund und Essen sowie aus dem Kreis OIpe erhielten wir keine Antwort. Die Stadt Gelsenkirchen beantwortete als einzige unsere aufgeworfenen Fragen. Demnach sind in 20 Senioren- und Pflegeheimen In Gelsenkirchen 11 Leiter und neun Leiterinnen beschaftlgt. Die Auswertung der Daten aus Gelsenkirchen sind ebenfalls der Aniage (8) beigefugt. Aufgrund der haufigen Hinweise in den Antwortschreiben der LandesbehGrden und der kommunalen Behorden, dass die Bearbeitung unserer Anfrage sehr viel Zeit In Anspruch nehmen wurde, haben wir uns in einem e-mail erneut an die zustandige Stelle mit der Frage gewandt, wie lange die Bearbeitung unserer Anfrage zeitlich in Anspruch genommen habe. In seiner Antwort vom 08.03.2004 (e-mail) teilte der Sachbearbeiter mit, dass die Beantwortung der Anfrage drei Stunden gedauert habe. ..Allerdings kam mir diese Arbeit auch zugute, da ich nun uber eine aktuelle Aufstellung verfuge, die ich welter pflegen werde", so der zustandige Mitarbeiter. Von alien anderen Landkreisen und kreisfreien Stadten erhielten wir Absagen. In der Regel verweisen die angeschriebenen Kommunen darauf, dass sie nicht uber die angefragten Daten verfugen wurden (Bielefeld, Viersen, Koln), die Beantwortung zu aufwandig sei (Kreis Hoxter) bzw. die Beantwortung aus datenschutzrechtlichen Grunden (!) nicht moglich sei (Kreis Euskirchen) Oder unsere Anfrage nicht mit dem zustandigen Spitzenverband (Landkreistag) abgestimmt sei (Kreis Coesfeld). Das Landesdatenschutzgesetz^"^ widerspricht einer Beantwortung unserer Anfrage nicht, da die Daten nicht personenbezogen, sondern zu wissenschaftlichen Zwecken in anonymisierter Form erfragt wurden und ebenso verarbeitet werden sollen. Es bedarf auch keiner Zustimmung durch den zustandigen kommunalen Spitzenverband, da dieser keine Weisungsbefugnis sondern lediglich beratende Funktion gegenuberden Kommunen einnimmt.^^ ^* Paragraph 28 DSG NRW vom 09. Juni 2000 i. d. F. vom 23. April 2003 ^^ „Die zentrale Aufgabe der kommunalen Spitzenverbande besteht darin, die den Landkreisen, Stadten und Gemeinden grundgesetzlich garantierte kommunale Selbstverwaltung zu fGrdern, den Erfahrungsaustausch zu pflegen und die gemeinsamen Belange aller kommunalen KOrperschaften gegenuber dem Staat und der Offentlichkeit zur Geltung zu bringen. (...) Der deutsche Landkreistag ... ver-

Die von uns angefragten Daten sind durch die Heimaufsichtsbehorden nach dem Heimgesetz (HeimG) bei der Anzeige der Betriebsaufnahme (§ 12 Abs. 1 Nr. 5 HeimG - Anzeige) abzufragen. Daruber hinaus veriangt § 11 Abs. 2 HeimG, dass ein Heim nur betrieben werden darf, wenn der Trager „(...) 2. sicherstellt, dass die Zahl der Beschaftigten und ihre personliche und fachliche Eignung fur die von ihnen zu leistenden Tatigkeit ausreicht". Diese Bestimmung betrifft nicht nur die Pflege-, sondern ebenso die Leitungskrafte einer stationSren Pflegeeinrichtung. Die Heimpersonalverordnung (HeimPersV) veriangt im Hinblick auf die Funktion der Heimleitung entsprechende fachliche Eignungen (§ 2 HeimPersV). Dort, wo die angeschriebenen Kommunen argumentieren, dass sie nicht uber die angefragten Daten verfugen (Bielefeld, Coesfeld, Viersen, Koln), muss die Frage aufgeworfen werden, in wie fern diese StSdte und Landkreise ihren gesetzlichen Aufgaben nach dem Heimgesetz nachkommen. Dass diese Daten durchaus bei einzelnen Behorden vorliegen, belegt das Beispiel der Stadt Gelsenkirchen. In einem Pretest haben wir zudem vorab den Kreis Aachen gebeten, uns die angefragten Daten zur Verfijgung zu stellen. Auch die Heimaufsichtsbehorde des Kreises Aachen hatte keine Probleme uns die angefragten Daten zur Verfugung zu stellen. Die Befragung der acht Heimaufsichtsbehorden auf Landesebene erbrachte ein vergleichbares Ergebnis wie die Befragung der 10 kommunalen Beh6rden in NRW. Auch die Landesbehorden argumentierten, dass sie nicht uber entsprechende Daten verfugen wurden (Berlin, Saarland) bzw. der Arbeitsaufwand zur Generierung der (vorliegenden) Daten zu hoch sei (Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz). Das Bundesland Sachsen-Anhalt raumte ein, dass solche Daten bislang nicht erhoben worden sind. Das niedersachsische Landesamt fur Zentrale Soziale Aufgaben ist zwar als Heimaufsichtsbehorde zustandig, verfugt aber nicht uber die angefragten Daten. Das Landesamt hat unser Schreiben an das Niedersachsische Ministerium fur Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit (Referat 101, Grundsatzangelegenheiten der Sozialpolitik) weitergeleitet. Von dieser Behorde erhielten wir mit Datum vom 15.03.2004 ein kurzes Antwortschreiben, in dem mit einem Satz mitgeteilt wurde, dass die gewunschten Daten nicht vorliegen wurden: „0b es hierzu statische Erhebungen gibt, ist nicht bekannt". In der Aniage zu diesem Schreiben legte das Ministerium eine Kopie der Heimpersonalverordnung (!) bei. Eine tabellarische Zusammenstellung der Antworten der Heimaufsichtsbehorden findet sich in Aniage 6. Als Fazit dieser Befragung kann festgehalten werden, dass die uberwiegende Mehrzahl der angeschriebenen zustandigen Behorden entweder die angefragten Daten nicht aufbereitet vorhalten, oder diese moglichen/veise gar nicht entsprechend den Bestimmungen des Heimgesetzes bei den Tragern der Einrichtungen eingefordert haben und somit nicht uber die gesetzlich vorzuhaltenden Daten verfugt.

tritt die Interesse der deutschen Landkreise gegenuber Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat (Quelle: Deutscher Landkreistag - Kommunaler Spitzenverband der Landkreise auf Bundesebene. www.kreise.de/landkreistag/deutsch.htm)

3.

Auswertung des Altenheim-Adressbuches

Die Auswertung des Altenheim-Adressbuches^^ brachte in Bezug auf das Bundesland NRW folgende Ergebnisse: Tabelle 1: Geschlechterverteilung in den Leitungspositionen der Altenheime in NRW Einrichtungen Keine Angaben Angaben iiber davon davon insgesamt uber Leitungs- Heimleitung/ Frauen IVIsinner krSfte Geschaftsfijhrung 1.755

690

1.065

442

623

100%

39.3%

60,7%

41,5%

58.5%

Die Quotenstichprobe (alle mit Namen der Leitung angegebenen Einrichtungen) soil hinsichtlich der ausgewahlten IVIerkmale ein verkleinertes Abbild der Grundgesamtheit (alle stationaren Einrichtungen in NRW) darstellen. In den wenigen Fallen, wo keine Angaben uber Heimleitung bzw. Geschaftsfuhrung gemachte wurden und ausschiielilich die PDL namentlich angegeben wurde, ist das Geschlecht der PDL in die Auswertung mit eingeflossen. Da in nahezu 40% der F^lle keine Angaben uber die Leitung gemacht wurden, sind die Werte interferenzstatistisch kritisch zu bewerten, da Grundgesamtheit (alle Einrichtungen in NRW) und Erhebungseinheit (mit Namen der Leitung angegebene Einrichtungen) stark voneinander abweichen. Dennoch ISsst sich eine eindeutige Tendenz ausmachen, die unsere Hypothese, dass im so genannten Frauenberuf Altenpflege (mit 84,6% Frauenanteil''^) die oberen Leitungsfunktionen (Heimleitung / Geschaftsfuhrung) uben/viegend von Mannern besetzt sind. bestatigt.

4. Sel(undaranalyse: Abbildung der Fragestellung in verschiedenen Studien Die Anzahl der innerhalb der Literaturrecherche ausfindig gemachten Studien, die sich thematisch annahernd mit den dargelegten Fragestellungen befassen, ist aufierst gering. Insgesamt lieflen sich zwei Studien und eine Statistik zum Versuch einer Beantwortung unserer Fragestellung heranziehen. Sowohl die Studie uber die so genannte Langzeituntersuchung des Bundesinstituts fur Blldung (W. BECKER/B. MEIFORT, Berlin 1997/1998) als auch die noch laufende NEXT- Studie tangieren die in dieser Arbeit aufgeworfene Fragestellung. Deshalb soil an dieser Stelle auf die die Fragestellung betreffenden Aussagen. sowie im Zusammenhang mit unserer Fragestellung relevanten Themen aus diesen Studien ein-

^® Altenheim-Adressbuch, Hannover 2002, 223 - 266; 272 - 294; 306 - 320 ^^ Bundesamt fur Statistik, 2002

10

gegangen werden. Hilfsweise wurde auf die Pflegestatistik 2001 des Statistischen Bundesamtes zuruckgegriffen.

4.1

Die Untersuchung des Bundesinstituts fur Berufsbildung

Zwischen 1992 und 1994 wurde im Rahmen einer so genannten Langsschnittuntersuchung uber .Berufseinmundung und Berufsverbleib von Altonpflegekraften in den ersten Berufsjahren' der gesamte Ausbiidungsjahrgang 1992 von mehr als 300 westdeutschen Altenpflegeschulen mehrfach schriftlich befragt^®. Dies waren insgesamt 3.757 Altenpfiegekrafte, die im Jahr 1992 ihre Ausbildung beendeten. Am Ende des ersten Berufjahres (1993) wurden hiervon erneut 1.404 Teilnehmer/innen schriftlich befragt. Erganzend wurde eine mundllche Befragung mit 10% dieser schriftlich befragten Altonpflegekraften durchgefuhrt. Jm Mittelpunkt der Untersuchung standen ... Fragon zum Prozess der beruflichen Sozialisation, nach der Motivation fur die Berufswahl, nach den Erfahrungen mit der Ausbildung und der Einmundung in den Beruf Altenpflege im Rahmen des ersten Berufsjahres"^^. Die Ergebnisse aus dieser Befragung bilden Toil 1 der Studio. 1997 wurde im Rahmen einer Folgeuntersuchung weitere Befragungen durchgefuhrt, die in einem zweiten Toil dokumentiert sind^°. Hier betrug die Zahl der Befragten nur noch 470 (12,5% der in der ersten Befragung, 1992, beteiligten Altenpfiegekrafte bzw. 33,5% der 1.404 Befragten aus 1993). Die Ergebnisse aus dieser Befragung bilden Toil 2 der Studie. Die Studie hat in der Fachwelt fur Aufsehen und Diskusslonen gesorgt. Einige der Aussagen aus der Studie werden regelmadig wiederkehrend zitiert und aufgegriffen^\ so beispielsweise die Behauptung, dass jede vierte Altenpflegekraft nach spatestens funf Jahren den Beruf verlasst. Nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht beruft sich in der Begrundung zu seiner Entscheidung zum bundeseinheitlichen Altonpflegegesetz^^ auf die v. g. Studie, wenn auch mit dem kritischen Hinweis, dass generell die Datenlage zur Bestimmung der Berufsverweildauer in der Altenpflege .. veraltet und luckenhaft"^^ sei. Deshalb soil an dieser Stelle eine kurze methodenkritische Bewertung voran gestellt werden. Die weiteren fur unser Thema relevanten ^® Becker, W. und Meifort, B.: Altenpflege - eine Arbeit wie jede andere? Ein Beruf furs Leben? - Dokumentation einer LSngsschnittuntersuchung zu Berufseinmundung und Berufsverbleib von Altenpflegekraften (Bundesinstitut fur Berufsbildung, Band 200), Teil 1, Berlin 1997 (im Folgenden „Teil 1" genannt) ^® Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1,11 ^° Becker, W. und Meifort, B: „Altenpflege - Abschied vom Lebensberuf - Dokumentation einer LSngsschnittuntersuchung zu Berufseinmundung und Berufsverbleib von Altenpflegekraften (Teil 2), Bundesinstitut fur Berufsbildung, Band 227, Berlin und Bonn 1998 (im Folgenden „Teil 2" genannt) ^^ Vgl. u.a. Deutsches Institut fur angewandte Pflegeforschung (Dip) e.V.: Pflege-Thermometer 2003. Fruhjahrsbefragung zur Lage und Entwicklung des Pflegepersonalwesens in der stationaren Altenhilfe in Deutschland, 26 (Fudnote 36) sowie: Dick, G. / Ver.di: Professionalisierung in der Pflege - Transparenzstudie, o. J. und des Weiteren: Karsten, M.-E. u.a.: Entwicklung des Qualifikations- und ArbeitskrSftebedarfs in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen (Expertise im Auftrag der Senatsyerwaltung fur Arbeit, Soziales und Frauen, Berlin) 1999, 90ff ""^ BVerfG-Beschluss vom 24. Oktober 2002 (Az.: 2 BvF 1/01), Absatznummer 59 - 61

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Aussagen aus der Studie sollen an Ort und Stelle entsprechend reflektiert und kommentiertwerden. Erkenntnis ist stets methodenabhangig. Der Zugriff der Methode verandert ihren Gegenstand der eigentlich methodenneutral gemessen werden soH"^^. W. BECKER/B. MEIFORT haben sich bei dem von ihnen gewahlten Forschungsansatz fur den einer Langsschnittstudie entschieden. Langsschnittstudien sollen .....einen interessierenden Prozess oder Zustand auch zu einem spateren Erhebungszeitpunkt analysieren" helfen. Die Starke einer Langsschnlttuntersuchung llegt sicherlich darin, „Veranderungen in Sicht- und Handlungsweisen durch wiederholte Erhebungen dokumentieren zu konnen, wobei der Ausgangszustand eines VerSnderungsprozesses unbeeinflusst von seinem Endzustand erfasst werden kann"^^. H. KROMREY spricht von Panel-Analyser)^^ als eine Form von Langsschnittuntersuchungen, bei denen die wiederholte Datenerhebung immer wieder bei den gleichen Untersuchungseinheiten (z. B. den gleichen Personen, Haushalten oder Organisationen)" durchgefuhrt werden^^. Werden bei wiederholten Erhebungen „...die Untersuchungseinheiten neu ausgewahit und bei der Auswertung lediglich die statistischen Merkmalsverteilungen vergllchen, handelt es sich urn vergleichend-statlsche (komperativstatische) Analyse"^®. Im Gegensatz zu Langsschnittuntersuchungen spricht man von Querschnitt'Untersuchungen, wenn Daten, z.B. in einem Sozialisationsprozess, zu einem Zeltpunkt (nicht zu mehreren) erhoben werden. „Stehen Daten aus hinrelchend vielen Wiederholungszeitpunkten zur Verfugung, konnen Trend- oder Zeitreihenanalysen vorgenommen werden."^® Bei der Untersuchung von W. BECKER/B. MEIFORT handelt es sich demnach um eine Panel-Analyse, eine Form der Langsschnlttuntersuchung. Zunachst ging die Studie, als Grundgesamtheit, von alien Ausbildungsabgdngern in uber 300 Schulen im Jahr 1992 aus (n = 3.757). Spater wurde die Untersuchung Jewells mit Teilen dieser Grundgesamtheit weitergefuhrt [1994: n = 1.404 (37,3%); 1997: n = 470 (12,5%)]. Die Frage, inwiefern diese Telle noch eine reprasentative Auswahl darstellen, wird in der Studie nicht hinreichend geklart. Es wird lediglich festgestellt, dass sich die Zahl der bis 1997 mitwirkungsbereiten Altenpflegekrafte gerade noch in den Grenzen empirischer Validitaf bewegen wurde^° und die verbleibenden 470 Altenpflegekrafte trotz deutlicher VerSnderungen in der Alterszusammensetzung - ein weithin stimmiges Abbild der Befragtengruppe von 1993 (N = 1.404) darstellen..." wurden^^ Von den 470 angeschrlebenen Altenpflegekraften in 1997 antworteten noch 349 (74,3%) auf den versendeten Fragebogen.

^^ Lamnek, S.: Qualitative Sozialforschung, Band 2 - Methoden und Techniken, 3. korr. Aufl., Wein-

heim 1995,247 ^^ Flick, U.: Design und Prozess qualitativer Forschung. In: U. Flick, E.v. Kardorff, I. Steinke (Hg.): Qualitative Forschung - Ein Handbuch, Hamburg 2000, 256 ^^ Panel: fur einen bestimmten Zweck ausgewShlte, representative Gruppe ^^ Kromrey, H.: Empirische Sozialforschung, 9. Aufl., Opiaden 2000, 68 ^® Kromrey, H.: a.a.O., 68 ^® Kromrey, H.: a.a.O., 69 ^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 2, a.a.O., 43 ^^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 2, a.a.O., 45

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Die Frage der behaupteten Reprasentativitat der Befragungen in 1997 muss u. E. kritisch gesehen werden, da sie durch Selektionseffekte^^ wohl eher den Charakter einer Zufallsstichprobe erfullt. S. LAMNEK gibt zu bedenken, dass eine Beobachtung immer nur Ausschnitte aus dem totalen sozialen Geschehen erfassen" kann^^. Auch wenn sich diese Aussage auf die Methode der .teilnehmenden Beobachtung' bezieht, so kann sie doch - da sie explizit Bezug nimmt auf das Untersuchungsbeispiel der Lebensgeschichten - auch auf schriftliche Befragungen Anwendung finden. S. LAMNEK empfiehit deshalb in einem Beispiel zur Langsschnittuntersuchung der .Karriere' von Kriminellen, die Entwicklung retrospektiv naclizuzeichnen"^^ Qualitativen Anforderungen wird die Studie des Bundesinstituts fur Berufsbildung nicht gerecht^^. So findet an keiner Stelle ein Vergleich mit anderen Berufen statt (S. LAMNEK: ..Vergieich mit anderen Fallen"). Es bleibt zudem offen, ob eine differente Situation zum Zeitpunkt X2 (1997) eine Veranderung der Struktur indiziert Oder als Falsifikation von Daten aus der Erhebung aus dem Zeitpunkt ti (1992) gewertet werden muss. Soziale Einflussgroiien, die z. B. zu einem Ausstieg aus dem Altenpflegeberuf fuhrten, werden nicht welter - z.B. durch stichprobenartige narrative, situationsflexible Interviews - untersucht bzw. hinterfragt. Begrundete Trendaussagen ergeben sich zum Beispiel aus dem systematischen Vergleich der Lebenslagen und Lebensbilanzen verschiedener Kohorten. Der Begriff Kohorte meint ein „Aggregat von Individuen, ...die ein gleiches Ereignis innerhalb eines gleichen Zeitraums eriebt haben"^^. Es kommt dabei auf die Bezugnahme auf ein gemeinsames Prage- und Wirkungserlebnis (z. B. Ausbildung und Berufskarriere) an."^^ Es bleibt die methodische Frage offen, ob z. B. nicht eine auf Kohorten basierende Rekonstruktion von Lebenslaufen, der in einem Jahrgang gemeinsam die Berufsausbildung abgeschlossenen Altenpflegekrafte, retrospektiv nicht zu einer realistischeren Einschatzung und Bewertung des Karriere- bzw. Ausstiegsverhaltens der Altenpflegekrafte gefuhrt hatte, als die von W. BECKER/B. MEIFORT vorgenommene schriftliche Befragung uber einen Gesamtzeitraum von funf Jahren mit den benannten Nachteilen. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse aus der Studie des Bundesinstituts fur Berufsbildung (BIBB) teilweise kritisch zu werten. Dennoch sollen einige der fur unser Thema relevanten Aussagen an dieser Stelle zusammenfassend dargestellt werden; jedoch nicht ohne im Einzelnen auf die aus unserer Sicht erforderlichen Methodenkrltik zu verzichten.

^^ Von 3.757 Adressaten (1992) beteiligten sich 1997 nur noch 349 (9,3%) Teilnehmer/innen ^^ Lamnek, S.: a.a.O., 245 ^'^ Lamnek, S.: ebd. ^^ Lamnek, S.: a.a.O., 353 ^ Bude, H.: Qualitative Generationsforschung. In: Flick, U. von Kardorff, E., Steinke, I. (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Hamburg 2000, 187-194 ^^Bude,H.: a.a.O., 188

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4.1.1 Altenpflege - ein Sackgassenberuf? Die Studie spricht in Kapitel 2.1 .Altenpflege - ein frauenspezifischer Teilzeitarbeitsmarkt' vom Altenpflegeberuf als einen .Sackgassenberuf. Dieses Stigma sei mit dafur verantwortlich, dass berufsorientierte, weiterbildungsmotivierte und karrierebewusste Frauen aus dem Altenpflegeberuf aussteigen mussen."^® Verantwortlich fur das Merkmal des Sackgassenberufs sei zum einen, die „...auf Rationalisierung, Konkurrenz und Kostenreduzierung hin angelegte zersplitterte Ausbildungs- und Berufsstruktur"^® (1. Merkmal), und zum anderen fuhre die .....fehlende Durchlassigkelt der in verschiedenen Berufsbereichen angesiedelten Ausbildungsgange und daran anknupfende Berufszulassungen zu den verschiedenen Pflege- und Betreuungsberufen..." (2. Merkmal) dazu, dass Gleichwertigkeitseinschatzungen und damit die Durchlassigkelt zwischen Ausbildungsgangen und Berufszugangen"^° erschwert seien. Hierbei wird ein Appell fur ein Berufskonstrukt mit einer einheitlichen Pflegeausbildung sowie horizontaler und vertikaler Durchlassigkelt erkennbar, der sich innerhalb der Studie auch an anderen Stellen regelmSfiig wieder finden lasst. Die Studie lasst im Hinblick auf das zweite Merkmal (Durchlassigkelt) einen Vergleich mit anderen Berufen leider vermissen. So kann nicht unterschieden werden, ob und in welchen anderen Berufen die geforderte horizontale und vertikale Durchlassigkelt eher gegeben ist. Ein drittes .Sackgassenmerkmal' - neben der zersplitterten Ausbildungs- und Berufsstruktur und der mangelnden horizontalen und vertikalen Durchlassigkelt stent nach Meinung der Autor/innen der Mangel an systematlsch aufelnander aufbauenden und gegenseitig anrechnungsfahigen Weiterbildungswegen und betrieblichen Karrieremustern" ^^ dar. Der Mangel an institutions- und tragerubergreifenden Weiterbildungen mit entsprechenden staatlich anerkannten Regelungen erschwere die Ven/vertbarkeit der Weiterbildungsqualifikationen fur die Bemfsinhaber in sich verandernden beruflichen bzw. betrleblichen Kontexten. Damit wurden die berufllchen Karrierechancen von Frauen in der Altenpflege auf einzelberufstypische „betriebs- bzw. trSgerspezifische Karrieren" verengt'*^.

4.1.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede im Altenpflegeberuf Der Weg in die Altenpflege Laut W. BECKER/B. MEIFORT haben 59% der befragten AltenpflegekrSfte vor der Altenpflegeausbildung bereits eine andere Ausbildung begonnen^^. Wiederum 59% von diesen (59%) Befragten hat die (erste) Ausbildung abgebrochen. Bel den MSnnern

^® Becker, W. ^® Becker, W. ^° Becker, W. ^^ Becker, W. ^^ Becker, W. ^^ Becker, W.

14

und und und und und und

Meifort, Meifort, Meifort, Meifort, Meifort, Meifort,

B.: B.: B.: B.: B.: B.:

Tell Teii Teil Teil Teil Teil

1, a.a.O., 48 1, ebd. 1, ebd. 1, ebd. 1, ebd. 1, a.a.O., 88ff.

betragt der Anteil der Abbrecher 77%. Bei den Frauen betragt er 56%. Uberwiegend handelt es sich hierbei urn Altenpflegekrafte, die uber 30 Jahre alt sind. Lediglich 12% der Befragten verfugen (zum Zeitpunkt ihres Ausbildungsabschlusses 1992) uber ejne berufliche Vorbildung aus dem gesundheits- und sozialpflegerischen Bereich. 37% verfugen uber berufliche Qualifikatlonen aus der gewerblichen Wirtschaft. Hierbei handelt es sich uben^^iegend urn Manner. 26% verfugen uber berufliche Erfahrungen im kaufmannischen Bereich und 9% uber Erfahrungen in Industriellen und handwerklichen Dienstleistungsberufen. Bei den Angaben zu den beiden letztgenannten Berufsfeldern wurde in der Studie nicht nach Geschlecht differenziert. 57% der (1992) befragten Altenpflegekrafte verfugen uber berufliche oder sonstige erwerbsbezogene Erfahrungen in den Berufsfeldern des Gesundheitswesen. 25% von alien Befragten verfugen uber berufliche Erfahrungen in der Altenpflege"^"^. Fur 73% aller Befragten fuhrt der Weg in die Altenpflegeausbildung uber Hilfsarbeiten, in der gewerblichen Wirtschaft - meist aber In der Altenhilfe. Die der Ausblldung vorausgehende Wahrnehmung von Hilfstatigkelten in der Altenpflege kapriziert sich im Wesentlichen auf Frauen. ..Manner gehen im Regelfall beim Wechsel aus ihrem eriernten Beruf in die Altenpflege nicht den Umweg uber Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten; sie wechsein wenn man so will: statuskonform - aus dem eriernten in einen eriernten Beruf'*^. Sie schulen ohne grofiere erkennbare berufsbiograflsche Bruche in einem am Arbeitsmarkt nachgefragten Beruf um. Auffallend an den Ergebnissen aus 1997 (zweiter Tell der Befragung) ist die Tatsache, dass es in der Gesamtpopulation zu einer markanten Schwerpunktverlagerung auf die Altersgruppe .,40 und alter" gekommen ist; von (in 1993) 26% Anteil auf (in 1997) 39,1%. Dies fuhren die Autor/innen auf einen hohen Anteil ausgestiegener jungerer Altenpflegekrafte zuruck: 84,4% der bis 1994 identifizierten Absolventen des Abschlussjahrgangs 1992, die ihrem Beruf den Rucken gekehrt haben, waren zwischen 20 und 30 Jahre alt.

Familiar bedingtes temporares Aussclieiden der Frauen als Chance fur die Karriere der Manner In Kapitel 11.1.2.1 ihrer Untersuchung (aus 1997) gehen die Forscher der Frage nach, ob Altenpflege (k)ein Mannerberuf ist. Auffallend sind fiJnf Merkmale bei der Betrachtung der Altersverteilung: 1.

Es gibt in der Altersverteilung „zwei Wellen", d.h. a) die Altersspanne zwischen 23 bis 28 Jahren und b) die Altersspanne zwischen 41 bis 52 Jahren sind stark ausgepragt"*^.

; Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 93 I Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 96 ' Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 50

15

2.

Der Anteil der Frauen 1st in diesen Segmenten erhebllch hoher, als der der Manner.

3.

Manner verteilen sich auf einen relativ kleinen Ausschnitt der Altergruppen, nSmlich auf die 27 bis 39-jahrigen. Hier erreichen sie eine uber die Normalverteilung deutlich hinausreichende ReprSsentanz"^^.

4.

Auch bei der prozentualen Altersverteilung (Verteilung der Altersgruppen getrennt nach Geschlecht) verdeutliciit eine Konzentration von Mannern in einem Alterssegment von 30 und 40 Jahren"^®.

5.

In der Gruppe der 40- bis 50-jahrigen betragt der Frauenanteil 95%^^.

Dies kann - so die Autor/innen der Studie - darin begrundet sein, dass „die Mehrheit der Manner in diesem Alterssegment... durch das Ausscheiden ihrer weiblichen Berufskolleglnnen mogliche berufliche Entwicklungschancen nutzen wollen - und im Beruf bleiben". Da „...Frauen in der Zeitspanne zwischen 27 und 42 Jahren traditionell familienbedingt ihre Berufsbiografie unterbrechen... ."^° ^^

Geschlechtsspezifische Differenzen in der beruflichen Identifikation In Kapitel II. 4 wird der Frage nach der beruflichen Perspektive im Beruf nachgegangen. Es schSlen sich deutliche geschlechtsspezifische Perspektiven auf den Beruf Altenpflege heraus..."^^. Die Mehrheit der 1997 befragten Altenpfleger/lnnen „verneint fur sich die Perspektive, Altenpflege als einen Beruf auf Lebenszeit zu betrachten."^^ Hierbei fallt auf, dass die Manner, die ihre Zustimmung zum Beruf als Lebensberuf geben (37%), dies fast ausschliefilich an die Moglichkeiten des beruflichen Aufstiegs koppeln. Beim Anteil der den Beruf als Lebensberuf befun/vortenden Frauen ist der prozentuale Anteil etwa gleich groU, allerdings fehit hier diese Koppelung an den beruflichen Aufstieg. Bel Mannern, die den Beruf als Lebensberuf ablehnenden, steht die Kritik • an der „veranderungsresistenten Hierarchie und Leitung" und • an „den verkrusteten (hierarchischen) Stmkturen der sie beschaftigenden Institution"

^^ Becker, W. und Meifort, B.: Tell 1, a.a.O., 51 ^® Becker, W. und Meifort, B.: Tell 1, a.a.O., 52 ^® Becker, W. und Meifort, B.: Tell 1, a.a.O., 142 ^ Becker, W. und Meifort, B.: Tell 1, a.a.O., 52 ^^ Dabei muss berucksichtigt werden, dass zu diesem Zeitpunkt nur noch 65 Manner (18,6%), aber 227 Frauen (79,4%) an der Untersuchung teilnahmen. ^^ Becker, W. und Meifort, B.: Tell 1, a.a.O., 104 ^^ Becker, W. und Meifort, B.: Tell 1, a.a.O., 103

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im Vordergrund (bei zwei Drittel der den „Lebensberuf zuruckweisenden Fallen)^. Manner in der Altenpflege erieben den Beruf sehr viel haufiger als Frauen als ,Aufstiegsfalle'; einen Beruf jedenfalls, der ihnen durch seine strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen nicht zur VerSnderungen, sondern aucii ein berufliches .Fortkommen' auf fur sie akzeptable Leitungsstellen ven/vehrt" ^^. Bei Frauen ist diesbezuglicii wesentlich haufiger, eine auf Dauer angelegte, Identifikationsbereitschaft mit dem Beruf vorhanden, die lediglich durch qualitative „St6rungen der Voraussetzungen fur eine individuelle ertrSgliche Pflegearbeit" beeintrachtigt ist (Beispiele: keine Fortbildung, fehlende IVIoglichkelt fur korperschonendes Arbeiten, Zeitdruck etc.). Diese geschlechtsspezifischen Untersciiiede des einen Drittel (der Befragten), die den Beruf (nach 3 Berufsjahren) nicht als Lebensberuf sehen, werden ailerdings begleitet von geschlechtsunabhangigen Faktoren, wie den gesetzlichen und okonomischen Einflussnahmen auf die alltagliche berufliche Arbeit. Diese Faktoren ..zerstoren eine Perspektive, auf Dauer im Beruf zu bleiben."^^ „Anders ausgedruckt: Geschlechtspezifische Sozialisationswege in den Beruf haben unter den herrschenden marktokonomlschen, kapitalschopfenden Bedingungen am .Pfiegemarkt' kaum eine Chance, sich so zu entfalten, dass sie pragen wurden."^''.„Auffallig ist..., dass gerade unter denjenigen, die die erste ,echte' Aufstiegsposition in der Altenpflege die Funktion als Stationsleitung - eingenommen haben, der Glaube an eine dauerhafte Zukunft im Beruf wieder deutlich abnimmt". Die Quote der Ablehnung ist bei den Stationsleitungen sogar etwas hoher (35,8%) als bei den ablehnenden Altenpfleger/innen an der Basis (34,3%). Die Autor/innen bezeichnen an verschiedenen Stellen die Karrlerechancen im Beruf der Altenpflege als „...auf wenige Aufstiegsmogllchkeiten" begrenzt^® bzw. „eingegrenzt"^^.

Weibliche Teilzeitbeschaftigung - mannliche Vollzeitbeschaftigung W. BECKER/ B. MEIFORT stellen fest, dass die Teilzeitbeschaftigung in der Altenpflege „elne weibliche Domane" Ist: „92% der Teilzeltbeschaftigten sind welblich"®°. Den Daten des Statlstischen Bundesamtes fur das Jahr 2001 kann entnommen werden, dass von den 475.368 Beschaftigten in der stationaren Altenpflege 226.432 Personen (47,6%) teilzeitbeschaftigt sind. Mit 209.057 Personen (92,3%) stellen die Frauen hier den grofiten Anteil gegenuber 17.375 Mannern (7,7%) dar^\ Diese Daten beflnden sich somit In Kongruenz mit den Aussagen von W. BECKER/B. MEIFORT.

' ' Becker, W. ^^ Becker, W. ^^ Becker, W. ^® Becker, W. ^^ Becker, W. ®° Becker, W. ®^ Bundesamt

und Meifort, und Meifort, und Meifort, und Meifort, und Meifort, und Meifort, fur Statistik:

;Teil1, a.a.O., , 104 B.: Teil 1, ebd. B.: Teil 1, a.a.O., ,105 B.: Teil 1, ebd. B.: Teil 1, a.a.O., ,112 B.: Teil 1, a.a.O., ,139 B.: Teil 1, a.a.O., ,32 Pflegestatistik uber stationare Einrichtungen, Bonn 2001

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Somit arbeiten 52% aller in der stationaren Altenpflege beschSftigten Frauen In Teilzeit (23,6% aller in der stationaren Altenpflege beschMigten Manner). 54,1% dieser teilzeitbeschaftigten Frauen haben einen Beschaftlgungsanteil von Qber 50% der w6chentlichen Arbeitszeit; 27,5 % verfugen Qber einen Teilzeitanteil von unter 50% der wochentlichen Arbeitszeit; 18,4% der Frauen sind geringfQgig besch^igt®^. Bel den geringfugig Beschaftigten in der stationaren Altenpflege ist der Anteil der Frauen laut Bundesamt fur Statistik - ebenfalls mit 86,6% wesentlich hfiher als bei den MSnnern (13,5% arbeiten von ihnen als geringfugig BeschSftigte). Aniage 7 bietet eine Auswertung der Daten des Bundesamtes fiir Statistik als tabellarlschen Oberblick zu den unterschiedlichen Beschaftigungsumfangen von Frauen und Mannern in der Altenpflege.

Geschlechtsspezifischer Dualismus bei den beruflichen Entwicklungspotenzialen Ein .geschlechtsspezifischer Dualismus' zeigt sich in den beruflichen Entwicklungspotenzialen: „Einer weiblichen Fachaufsicht im engeren Sinne mit einer berufsinternen Ausdifferenzierung in fachbezogene und enge funktionsbezogene Weiterbildungsprofile (Schichtleitung, Stationsleitung usw.) steht eine i. d. R. m^nnliche Gesamtleitung (z.B. Heimleitung usw.) mit der Zustandigkeit fOr die - betrieblich relevanten - okonomischen und personalpolitischen Aufgaben gegenQber."®^ Leider wird diese These nicht welter mit entsprechenden Daten verifiziert. Der ..geschlechtsspezifische Dualismus bei den beruflichen Entwicklungspotenzialen" ergibt sich nach W. BECKER/B. MEIFORT aus der Vermischung von

a)

b)

traditionellen vorhen^schend „staatlichen und wohlfahrtsverbandlichen TrSgerstrukturen mit ihren trSgertyplschen Laufbahn- und Aufstiegsmustern" auf der einen Seite und einem „staatlich-burokratischen Berechtigungs- und Laufbahnsystem" auf der anderen Seite^.

Interessant ware hier die Klarung der Frage, Qber welche Laufbahn- und Aufstiegsmuster bzw. Berechtigungssysteme die (traditionellen) Privattrager verfQgen^^ und ob diese nicht zu ahnlich „verengenden" Wirkungen im Hinblick auf Karrierechancen von Frauen fQhren. Hierauf deutet manches hin®^. Mannliche Karrleren in der Altenpflege haben offenkundig zwei Primarquellen: Der mannliche Karriereweg speist seinen (i.d.R. mannlichen) Nachwuchs entweder aus den ,echten' Professionen - Medlzin, Jura, Theologie - Oder aus den verbandsinternen kaufm^nnisch-verwaltenden oder verbandspolitischen (Manner-) DomSnen und besetzt in den Einrichtungen der FrauendomSne Pflege die ,echten' Lei^^ Bundesamt fOr Statistik: Pfiegestatistik Ober stationSre Einrichtungen, Bonn 2001 ®^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 49 ^ Becl<er, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 48 ®® 36% der stationaren Einrichtungen befinden sich in privater TrSgerschaft (vgl. Bundesamt fur Statistik: Pfiegestatistik 2001, 5) ^ Vgl. hierzu F.B. Simon: Das Dilemma des Nachfolgers. In: Die Familie des Famillenunternehmens, 2003,187-208

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tungspositionen (z.B. arztlicher Direktor, Geschaftsfuhrer, Vorsteher etc.) mannlich"^^. Leider fehit hier wiederum eine vertiefende Erorterung der Frage, ob tatsachlich Manner aus den so genannten .echten Professionen' (Medizin, Jura, Theologie) Oder aus verbandspolitischen Herrschaftsgebieten (DomSnen) ihren Weg in die Leitung von Pflegeeinrichtungen gehen. Relevant ist aus unserer Sicht vor allem die sich iiieran anschJieflende Frage, welche spezifischen Strukturen diese mannJiciien Karrierewege fordern und weibliche Karrierewege behindern. W. BECKER/B. MEIFORT fuhren einen hohen und ebenso fruhen Bemfsausstieg „ehemals hochmotivierter Pflegekrafte" in den 1990er Jahren auf diese Form der „Ausgrenzung von Frauen aus entwicklungsf^higen Laufbahnmustern" zuruck®®.

4.1.3 Weiterbildung als Einstiegschance zur Karriere in der Altenpflege? Bildungshunger und fruhzeitiges Karrierebewusstsein Nacii W. BECKER/B. MEIFORT auRern zwei Drittel der nicht ausgestiegenen Frauen eine zwar bescheidene, aber immerhin docii eindeutige berufliche Perspektive" und wunschen Weiterbildung in der Altenpflege. Hier wurden sIch - so die Autor/innen - Weiterbildungen zur Praxisanleitung, zur Gruppenleitung und zur Leitungskraft auf mittlerer und hoherer Managementebene anbieten^^. Mit Bezug auf die Aussagen zur Belastung der Pflegekrafte etc. wird ein deutlicher „Handlungsbedarf beinn Pflegemanagement" gesehen. Eine adaquate Qualifizierung fur das Leitungspersonal sei vordringlich^°. Wie diese aussehen konne und welche Leitungskrafte hier besonders gemeint sind, beantwortet die Studie nicht. In Kapitel 6.2 der Studie, „Plane fur die bemfliche Zukunft", werden u.a. die Weiterbildungswunsche der Ausbildungsabsolventen untersucht. Der Bedarf nach Weiterbildung, den die Befragten unmittelbar nach der Ausbildung artikulieren ist bei Mannern etwas hoher (81%) als bei Frauen (76%). Auch im Hinblick auf Weiterbildungen „in einem anderen Bereich als den der Altenpflege" auflern sich die Manner mit 12% haufiger als Frauen (7%). Bei denjenigen, die keine Weiterbildung planen, lagen die Frauen mit 13% vor den Mannern mit 6%. 20% der mundlich Befragten wollten „...m6glichst schnell an einer Stationsleiter-Fortbildung teilnehmen, dann die Stationsleitung ubernehmen, danach eventuell noch eine Fortbildung zur Pflegedienstleitung" absolvieren''^ Fur nahezu ebenso viele Ausbildungsabsolventen standen Weiterbildungen zur Praxisanleitung und zur Unterrichtsfachkraft in der Altenpflege im Vordergrund. Nach Angaben der mundlich Befragten ubernehmen zwei Drittel derjenigen, die sich zu Stationsleitungen weiterbilden lassen wollen, unmittelbar nach der Ausbildung eine Leitungsaufgabe im mittleren Management (Stationsleitung, Wohn- und Pflegegruppenleitung). Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O. 49 ^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, ebd. ' Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, ebd. ^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, ebd. ' Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 194

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„Ausschliefilich Manner sind es ... die schon am Ende ihrer Ausbildung Heimleiterpositionen im Visier haben und angeben, in unmittelbarer Zukunft entsprechende .Heimieiterkurse' zu belegen, urn die den meisten von ihnen offenbar bereits wahrend der Ausbildung angebotenen Positionen ausfullen zu k6nnen"^^. Dabel handelt es sich bei diesen Mannern ausschliedlicli urn Umschuier, die Oberwiegend uber eine kaufmannisclie Ausbildung und Bemfserfahrung verfugten. „Sie haben, auf dem Umweg uber eine zweite .Ausbildung', einen Karrieresprung in Leitungspositionen vor sich, der ihnen aller Voraussicht nach im ursprunglich eriernten Beruf nicht m6glich gewesen ware."^^ Kapitel 10.4 der Studie (,Statt Wechsel - Weiterbildung?'), grelft die Frage auf, inwiefern Weiterbildung eine Alternative zum Berufswechsel darstellt. Ausgehend von der Oberlegung, wie sich • die jeweiligen personlichen Entwicklungsmoglichkeiten im Beruf darstellen, • das Verhaltnis berufllcher Anforderungen zu den individuellen Kompetenzen verhalt. • Veranderungschancen und Mitbestimmungsmoglichkeiten darstellen, kommen die Autor/innen zu drei „...zuganglichen Instrumenten der Anpassung an das System des Berufs Altenpflege"^^: 1. Instrument: Ausstieg, 2. Instrument: Arbeitsplatzwechsel innerhalb des Berufsfeldes, 3. Instrument: berufliche Fort- und Weiterbildung. Das erste ..Instrument", der Ausstieg, stellt aus unserer Sicht kein Instrument zur Anpassung im eigentlichen Sinne dar, sondern eine alternative Form des Umgangs mit den Anforderungen des Berufes, in dem dieser verlassen wird. Der Arbeitsplatzwechsel innerhalb des Berufsfelds Pflege wird in der Studie nicht n^her untersucht und unter dem Begriff .Fluktuation' subsumiert (vgl. hierzu Kapitel VIII., Pkt. 2).ln der beruflichen Fort- und Weiterbildung geht es konkret um die ..Anpassung an fachliche VerSnderungen und auf .Karrieren' im Handlungsraum des Berufs"^^. An dieser - wie auch an anderen Stellen der Studie - werden die Begriffe Fortbildung und Weiterbildung synonym venA^endet. Dies widerspricht jedoch einer differenzlerten Betrachtung der beiden Felder des quartaren Bildungssektors^®, die zu Verwirrungen fuhren kann. Die Autor/innen kommen zu der Feststellung, dass 70% der mundlich befragten Altenpflegerinnen (n = 71) zum Untersuchungszeitpunkt am Ende des ersten Berufsjahres (nach der Ausbildung) bereits eine berufliche Weiterbildung besucht haben bzw. zu diesem Zeitpunkt besuchten; davon mehr als zwei Drittel eine ..hausexterne Weiterbildung". EinschrSnkend stellen sie fest, dass der Themenbezug der Weiterbildung - aufgrund der offenen Interviewstruktur - nicht immer nachvollzogen werden kann. Dennoch kommen sie anschlieflend erneut zu dem Schluss, dass im Wesentli^^ Becker, W. und Meifort, B.: Tell 1, a.a.O., 195 ^^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, ebd. ^^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O.. 286 ^^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, ebd. ^® Mit dem quartaren Bildungssektor meinen wir in Aniehnung an den Deutschen Bildungsrat den gesamten Bereich der Fort- und Weiterbildung (Vgl. K.W. DOring: Weiterbildung als System - Zur Professionalisierung des quartaren Bildungssektors, Weinheim 1988, 24)

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Chen „...in diesen Kursen und Maflnahmen.... Ausbildungsdefizite kompensiert werden mussten."^^ Die These der Kompensation von Ausbildungsdefiziten durch Weiterbildung wird in der Studie auch an anderen Stellen aufgestellt. Worauf sich diese These stutzt, wird in der Untersuchung allerdings nicht hinreichend thematisiert. Unseres Erachtens kann aus einer Betrachtung der Weiterbildungswunsche, -titel und themen nicht ohne weiteres abgeleitet werden, ob es sich hierbei urn Angebote zur Kompensation vermeintlicher Ausbildungsdefizite handelt. Von den Weiterbildungsmafinahmen, die die Befragten Jn unmittelbarer Zukunft" besuchen wollen, stehen ein Jahr nach Ausbildungsabschluss sowohl Funktions- als auch Fachweiterbildungen inn Vordergrund: Stationsleitungs-Weiterbildung: 17,5% Praxisanleitungs-Weiterbildung: 12,5% Gerontopsychiatrie-Weiterbildung: 12,5% Beschaftigungstherapie-WB: 12,5% Bildungsangebote, die mogiichenA/eise auf eine Kompensation von Ausbildungsdefiziten hinweisen konnten, werden - entgegen der Darstellung der Autor/innen - demgegenuber seltener benannt: Psychologie: 6.3% Medizin: 5% Sterbebegleitung: 2,5% In naher Zukunft studieren mochten 2,5% der Befragten. Es wird erkennbar, so die Autor/innen, dass alle Moglichkeiten der vertikalen beruflichen Mobilitat - des beruflichen Aufstiegs In der Altenpflege - bereits zu diesem fruhen Zeitpunkt der Berufsbiografie voll ausgeschSpft werden."^® Weiterbildungshaufigkeit und thematische Streuung weisen auf ein Phanomen (so die Autor/innen), das bereits an der Schwelle zur Ausbildung angesprochen wurde: „...den bei den Berufsangehorigen in der Altenpflege offenbar ausgepragten .Hunger nach Bildung'."^^ Diesen .Hunger nach Weiterbildung' erachten die Autor/innen in Kapitel 10.5 erneut als einen ..Reflex auf die ungenugenden Qualifikatlonsleistungen der Ausbildung". obschon sie eine Seite vorher feststellten, dass dieser .Bildungshunger' auch zu Beginn der Ausbildung bei den Befragten zu verzeichnen war und somit stark in der Personlichkeitsstmktur der Befragten verankert scheint und weniger durch externe Rahmenbedingungen (unbefriedlgende Ausbildung) etc. hervorgerufen wird. Zu vermuten ist aus unserer Sicht jedoch eine Interdependenz zwischen diesen internen (personengebundenen) und externen (die Rahmenbedingungen betreffenden) Faktoren. Das ..erstaunlich fruhzeitige Karrierebewusstsein" der Befragten hat zum einen mit einem verbreiteten Andemngswillen im Hinblick auf das Berufsfeld zu tun („Nurin Leitung kann man was andern") und zum anderen mit dem fruhzeitigen Angebot von Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O.. 287 ' Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 288 ' Becker, W. und Meifort. B.: Teil 1, ebd

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Leitungsaufgaben durch die Einrichtungen. Dies kann nacii Meinung der Autor/innen der Studie, als ein Hinweis darauf gewertet werden, dass es zu wenig qualifiziertes examiniertes Personal in den stationaren Einrichtungen gibt®°. ..Auffaliig sind vielmehr die vonA^eggenommenen Absatzbewegungen von der berufilchen Pflege „...in Richtung Studium, Lehrschwester etc.®\ Diesen Weg wollen jedoch de facto nur insgesamt 9,8% der (1993) befragten AltenpflegekrMe gehen. Auch der Gedanke an die Grundung eines elgenen privaten Heimes oder eines eigenen ambulanten DIenstes verdeutliche eine Absatzbewegung von der Pflegearbeit (10,7%). Beiden Perspektiven (Studium und Selbstandigkeit) werden ausnaiimsios mit der unbefriedigenden Situation im Beruf (Belastung, wenig Chancen, die eigenen Vorstellungen umzusetzen) und der Absicht, in anderen beruflichen ZusammenhSngen eher SelbstvenA/irklichung finden zu konnen, begrundet®^.

Weiterbildungsteilnahme: eine Frage von individueller Lebensgestaltung und objektiven Umsetzungsbedingungen Kapitel III. 4.2 der Studie befasst sich eingehender mit dem Bereich Fort- und Weiterbildung im Jahr 1997 (funf Jahre nach Ausbildungsabschluss). Bei der Begrundung der Nichtteilnahme an Fort- und Weiterbildung (n = 243) wurden vor allem folgende Grunde angegeben: Grunde: • nicht gewahrte Freistellung • zu hohe Kosten • Verlust beruflicher Entwicklungsperspektiven

absoiut 10,9% 10,5%

F 12% 11%

4,7%

10.1%

11%

4,7%

IVI

7%

Die Autor/innen zeigen auf der Grundlage dieser Befragung Verbindungslinien zwischen Verzicht auf Weiterbildung und beruflicher Krise auf, die im Folgenden soweit es fiir unser Thema relevant erscheint - aufgegriffen werden. A) Famili^re Grunde r^ reduzierte Arbeitszeit ^ ke'ine Zeit fur Weiterbildung Hier finden sich - nach Aussage der Autor/innen - weniger „...populare Klagen weiblicher Berufsangehoriger uber die Doppelbelastung aus Familien- und Berufsarbeit...", als vielmehr eine generell ..verSnderte kulturelle Orientierung", die weder den Rijckzug in die (entbehrte) Hauslichkeit, noch die Belastungssituation am Arbeitsplatz in den Blick nimmt. Es wird vor allem mit einer .....grofleren und individuell wichtigeren Identifikationshaltigkeit des Lebens aulierhalb des Berufes argumentiert."®^ Hierbel spielen die v. g. Belastungssituationen jedoch offenkundig eine „Ausl6serrol-

®° ®^ ^^ ^^

Becker, W. und Meifort, B.: Tell 1, a.a.O., 290 (Fulinote 29) Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 291 Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, ebd. Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 231

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le" fur eine kulturelle Umorientierung (hin zum Lebensschwerpunkt Familie, Freunde, mehr Freizeit = reduzierte Arbeitszeit, personliche Interessen etc.). B)

Keine berufliche Aufstiegsmoglichkeiten erkennbar ^ keine Freistellung erhalten ^ Ausstieg steht bevor Die wesentlichen Aufstiegs- und Entwicklungsbarrieren stellen mangelnde Freistellung (u. a. aufgrund von Personalmangel) und die durch die Pflegekrafte nicht leistbare Kostenubemahme fur Weiterblldungsmalinahmen dar. HIer taucht (in 1997) auch zum ersten Mai die beginnende Konkurrenz zu durch Fachhochschulabschluss qualifizierten .Managern' auf, „...die das Terrain der Absolventen grundstandlger Weiterbildungsmadnahmen zunehmend zu besetzen schelnen."®"^ C) Keine Forderung erhalten ^ Weiterbildungsangebote waren zu teuer Der Attraktivitatsverlust der Schlusselfunktionen ist jedoch eine gefahrliche Bruchstelle fur die Aufrechterhaltung einer qualltativ hochwertigen gesundheits- und sozialpflegerischen Versorgung alterer Menschen: Wenn die Obernahme von Ausbildungsverantwortung und Managementaufgaben sowohl in finanzieller Hinsicht als auch im Hinblick auf die zu erwartenden Arbeitsanforderungen eine Last wird, kann Altenpflege in der Praxis kaum noch mehr leisten als M^ngelverwaltung."^^ Die Teilnahme von Frauen an Weiterbildungen scheitern - so die Autor/innen - „offenbar in erster Linie an den Widerspruchen zwischen Individuellen Lebensgestaltungsansprijchen und den objektiven Umsetzungsbedingungen beruflicher (Weiter-)Bildungsmafinahmen."®^ Frauen riskieren offenkundig mit den Hinderungen, an berufliche Weiterbildungsmaflnahmen teilnehmen zu konnen, den Kontakt zum Beruf und zum Arbeitsalltag. Sie stecken quasi in der „berufsbiograflschen Falle", In dem sie einerseits „...Opfer ihrer hohen Identifikationen mit der grundsatzlichen Bedeutung des Berufes..."®^ sind und andererseits diese Identifikation nur selten - unter den bekannten Bedingungen - einlosen konnen. In der 1997er Befragung hat sich sowohl ideell als auch praktisch durch ein hohes Mafl an arbeitsbedingten Zumutungen diese Identifikation aufgebraucht. „Aufstieg durch Weiterbildung" bedeutet fur viele Altenpfleger/innen keine Alternative mehr. Karriere in der Altenpflege: eine Spezialisierungsfalle? Mit Blick auf die von den Befragten geauflerte Kritik am Beruf, schalen sich nach Meinung der Forscher - vier Schwerpunkte der Kritik heraus: 1. Arbeitsbedingungen, die von Hetze und Zeltmangel gekennzeichnet sind, 2. Personalausstattung und Personalqualiflkation, 3. Vereinbarkeit von Privat- und Famillenleben mit dem Beruf, 4. Unvereinbarkeit von ausbildungsbegrundeten Berufsvorstellungen und Beruf.

84

Becker, W. Becker, W. Becker. W. Becker, W.

und Meifort, und Meifort, und Meifort, und Meifort,

B.: Teil B.: Teil B.: Teil B.: Teil

1, a.a.O., 1, a.a.O., 1, a.a.O., 1, a.a.O.,

233 236 237 238

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Im Hinblick auf Punkt 2 (Personalausstattung und -qualifikation) wird ein „eklatanter Mangel an qualifiziertem Personal"®^ als Hauptursache fur die aus Sicht der Befragten festgestellten Uberlastungserfahrungen gesehen. Professionelle Altenpflege sei als ..kooperative Facharbeit" wegen der uben/viegend aus ungelernten bzw. angelernten Kraften, die im gunstigen Fall auf Lebenserfahrung und Erfahrungswissen zuruckgreifen, nicht umsetzbar. Die Autor/innen kommen in ihrem Fazit zu dem Ergebnis, dass der „Aspekt der .beruflichen Karriere' und berufsfeldbrelten, flexiblen Weiterentwicklung ... in der Altenpflege deutlich unterentwickelt [ist]. Die einzlge ,Karrierechance' liegt in der Spezialisierung im Beruf - eine Falle der uber die Geschichte des Berufs beharrlich verfolgten Abgrenzungsstrategien gegenuber anderen Berufen im Berufsfeld. Sie fuhren in Nischen, enge Residuen berufllcher Kompetenz". Der einzige Weg der aus dem Beruf herausfuhrt - so die Autor/innen - sei derzeit der Ausstieg®^. Im zweiten Teil ihrer dokumentierten Untersuchung (uber die 1997 durchgefuhrte Befragung) fordern die Autor/innen eine starkere Verzahnung von Aus- und Weiterbildung in der Altenpflege, da „...berufliche Entwicklungswege (zunehmend) diskontinuierlich, differenzierter, in horizontaler, diagonaler Bewegung [verlaufen]..." und weniger von einem vertikalen Aufstieg gepragt..."^° sind. Die Unvereinbarkeit von ausbildungsbegrundeten Berufsvorstellungen und Beruf wird erneut damit begrundet, dass die Ausbildung den Beruf nicht trifft, „...die bemfliche Arbeit fordert die Verrichtung, nicht aber die ganzheitliche, vollstandige, sozial bewusste, bedurfnissensible: professionelle Altenpflege..."^''. Feststellung und Schlussfolgerung passen u. E. an dieser Stelle nicht ganz zusammen. Es konnte auch umgekehrt sein: Die berufliche Arbeit trifft die professionelle Altenpflege nicht. Dies wurde bedeuten: Die Ausbildung bereitet auf eine .ganzheitliche, sozial bewusste, bedurfnissensible' Altenpflege vor, die im beruflichen Kontext nicht abgerufen wird. Die Differenz zu Weiterentwicklungschancen und moglichkeiten in anderen Berufen wird hier ebenso wenig deutlich, wie in anderen Kritik-Schwerpunkten (z.B. bei der Vereinbarkeit von Privat- und Familienleben mit dem Beruf). Es tauche - so die Autor/innen - zunehmend die Frage auf, ..weshalb Altenpflege lernen, wenn deutlich mehr als die Halfte des Personals die gleiche Arbeit auch ohne berufliche Qualifikation .erledigt'?"^^ Dem kann man, mit Blick auf die Fuhrungsebene (Heimleitung, Geschaftsfuhrung etc.) hinzufiigen: Weshalb Management eriernen, wenn die uben/viegende Zahl der Leitungskrafte keine hinreichende Qualifikation besitzt, der Gesetzgeber dies auch nicht verbindlich fordert, Behorden dies nicht uberprQfen und diese Leitungskrafte dennoch (mehr oder weniger erfolgreich) fuhren?

®® Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 302 ®^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O.. 303 ^° Becker, W. und Meifort, B.: Teil 2, a.a.O., 31 ^^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 303 ^^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 304

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Fruhe Zuschreibung von Fuhrungskompetenzen bei den Mannern Das Interesse an Weiterbildungen zur Ubemahme von Leitungsfunktionen in der Altenpflege ist inn wesentlichen auf alle Altersgruppen gleichmafiig verteilt und im Verhaltnis nur unwesentlich auf die 40- bis 50-jahrigen Berufsruckkelirerinnen konzentriert (in dieser Altersgruppe liegt der Frauenanteil bei 95%). Diejenigen, die die Ubernahme einer Leitungsfunktion fur sich ablehnen^^, begrunden dies - unabhangig von Alter und Geschlecht - damit, dass Altenpflege „Dienst am Hilfebedurftigen" sei, der im Vorgrund stehe. Der Aufstieg in Leitungspositionen stellt fur diese Gruppe keine relevante Orientierungsgrode dar^. Etwas mehr als 80% der Teiinehmer/innen an Weiterbildungsmadnahmen, die fur den Leitungsbereich qualifizieren, berichten daruber, dass sie die Kosten der Weiterbildung (Gebuhren) selbst aufwenden mussten und nur gelegentlich erforderliche zeitliclie Freistellungen vom Arbeitgeber gewahrt bekamen^^ ^^ Die Schwerpunkte unter den Funktionsweiterbildungen liegen bei den Stationsleitungskursen, gefolgt von Praxisanleitungs- und PflegedienstleitungsWeiterbildungen. Oberraschend sei auch die Tatsache, dass bereits im dritten Berufsjahr Malinahmen zur Qualifizierung fur Aufgaben der Heimleitung eine Rolle spielen. Knapp 50% derjenigen, die 1995 an einer Weiterbildung teilgenommen haben, besuchten Quallfizierungsmafinahmen zur Stations- Oder Wohngruppenleitung, Praxisanleitungs-Weiterbildungen: 25,8%; PDL-Weiterbildungen: 7,8%. 60% der Teilnehmer/innen an den PDL-Weiterbildungen sind Manner. Nur einer der Teilnehmer/innen ist unter 30 Jahre, alle ubrigen uber 35 Jahre, die Halfte sogar uber 40 Jahre alt. Die Tatsache, dass alle Teilnehmer/lnnen an einer PDL-Weiterbildung bereits im ersten Berufsjahr mit dieser Weiterbildung begonnen haben miissen, kommentieren die Autor/innen wie folgt: „Offenbar fallen Entscheidungen zur Ubergabe von leitenden Funktionsstellen eher in Wurdigung des Lebensalters und mannlicher Fuhrungskompetenz als unter Berucksichtigung qualifikatorischer Leistungen und beruflich-professioneller Kompetenzen und Erfahrungen - und dadurch in der Mehrheit gegen weibliche Konkurrentinnen."^^ Dies wird auch deutlich an der Tatsache, dass keiner der mannlichen Weiterbildungsteilnehmer auf qualifikatorische Vorteile Oder vorteilhafte Berufserfahrungen im Berufsfeld Gesundheit venA^eisen..." kann^®. Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass „...Manner auch unabhangig vom Nachweis einschlagiger beruflicher Erfahrungen von Institutionen der Altenhilfe eher die Kom-

^^ Wie viele das sind, bleibt in der Untersuchung unklar. ^^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 2, a.a.O., 143 ^^ Becker. W. und Meifort, B.: Teil 2, a.a.O., 145. ^® Zum Vergleich Daten der Fort- und Weiterbildung fCir Pflegekrafte beim Kreis Aachen: In sieben Wohnbereichsleitungskursen mit insgesamt 126 Teilnehmer/innen haben 12 Teiinehmer/innen (9,5%) die Kosten ihrer Weiterbildung selber ubernommen; i. d. R. freiwillig, um tarifrechtliche Bindungen an den Arbeitgeber auszuschlielien ^^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 2, a.a.O., 147 ^® Becker, W. und Meifort, B.: Teil 2, ebd.

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petenz zur Leitung des (stationSren) Pflegebereichs zugetraut wird, als dies bei Frauen der Fall ist."^^ Frauen .qualifizieren' sich offenbar zuerst durch langjahrige Arbeit Im Pflegeberelch, bevor sie In die Konkurrenz um Fuhrungspositlonen eintreten."^°° Aus SIcht der welbllchen Leitungskrafte ergibt sIch ein diametral entgegengesetztes Blld: Alle welbllchen PDL hatten vor Ihrer Ausblldung zum Tell langjahrige Erfahrungen Im Pflegeberelch gesammelt. Bel den Tellnehmern, die (berelts Im dritten Berufjahr) an HelmleitungsWelterblldungen tellnehmen, wIrd die geschlechtsspezlfische DIskrepanz noch deutlicher: Alle sechs Tellnehmer sind Manner, ohne eindeutig abzuleitende qualifikatorische Vorleistungen. Anders ausgedruckt: „Bereits nach relativ kurzer Berufszugehorlgkelt gellngt es M^nnern, Johnende' Aufstiegspositionen zu besetzen und berufliche Entwicklungswege in der Altenpflege zu .deckeln'"''^''. Des Welteren: Zwei der vier Tellnehmer/innen, die 1995 ein Studium aufgenommen haben, sInd Manner. Sie studleren das Fach Pflegemanagement. Die beiden Frauen studleren Im Berelch Pflegewissenschaften. Die Tellnehmer/innen der Praxisanleitungs-Weiterbildungen sind zu 70% Frauen; bei den Tellnehmer/innen an einer Welterblldung im Bereich Unterrlchtsfachkraft handelt es sich ausschlledlich um Frauen. HIer zelgt sich wiederholt die Abblldung einer klasslsch-familialen .Arbeltsteilung': Wahrend Manner (oft unmittelbar nach der Ausblldung) Fuhrungspositlonen anstreben bzw. berelts ubernommen haben und sich (dann erst) entsprechend uber Weiterbildungsangebote dafur qualifizieren, entscheiden sich Frauen eher fur Qualifizierungsmafinahmen im Bereich Bildung. In Analogle zu den von ihnen primar wahrgenommenen gesellschaftlichen Erziehungsaufgaben, ubernehmen sie im berufllchen Kontext als Altenpflegerinnen eher Bildungs- bzw. Anieitungsaufgaben. Diese Form der transferierten Inflzlerung mit famllialen Strukturen In der Altenpflege werden wir aus systemtheoretischer SIcht In den Kapitein V. bis VIM. vertlefend aufgreifen. W. BECKER/ B. MEIFORT gelangen zu der Erkenntnis, dass neben dem klasslschen beruflichen Aufstieg In Leitungspositlonen (bisher systematlsch verhlnderte und kaum beachtete) Karriereoptionen zukunftig an Bedeutung gewinnen werden. Hier werden zwei wesentllche Ver^nderungen hervorgehoben: a) Fur entsprechend (vor-)qualifizlerte Krafte: Horlzontale Mogllchkeiten zwischen den Berufsbereichen des Berufsfeldes Gesundhelt; b) Verbesserungen der M5grichkeiten des {Fach-)Hochschulzugangs. Letzterer wird nach Meinung der Autor/lnnen zu einer zunehmenden Konkurrenz zwischen den gmndstandig ausgebildeten Fachkraften und der (in Zukunft) wachsenden Zahl von (Fach-)Hochschulabsolventen um die mittleren und oberen Funktions- und Fuhrungspositlonen fuhren^°^. Die In dieser Studie nicht geklSrten Fragen im Hinblick auf die Teilnahme an Weiterblldungen sind aus unserer SIcht: ^^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 2, a.a.O., 148 ^°° Becker, W. und Meifort, B.: Teil 2, ebd. ^°^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 2. a.a.O., 149

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Welche Rolle spielen a) das Einkommen der Altenpflegekrafte, b) (unabhangig vom Einkommen) die unterscliiedlichen Beschaftigungsumfange von Frauen und M^nnem (52% aller Frauen in der Altenpflege arbeiten in Teilzeit)?

4.1.4 Mannlicher Auf(s)stieg weibliciier Wiedereinstieg als Formen der Anpassung? Strukturbedingte Ausstiegsgrunde der Mannerpersonliche Ausstiegsgrunde der Frauen In Kapitel 10.6.1 des ersten Toils der Studio kommen die Autor/innen unter Uberschrift „Lovo It or leave it - Ausstieg aus der Altenpflege" zu der Feststellung, dass jede/r vierte Teilnehmer/in in der Wiederholungsbefragung (25,6%) .. den Beruf nach nur einem Jahr Mitarbeit in der Altenpflege wieder verlassen [hat]."''°^ Diese vieldiskutierte und wiederholt zitierte - Aussage ist aus unserer Sicht aufierst kritisch zu bewerten. Hier wird nicht die Gesamtgrundeinheit der 3.757 Befragten aus der ersten Befragung (1992) zugrunde gelegt, sondern die Grundeinheit von 1.404 Teilnehmer/innen aus derzweiten Befragung (1993). Insgesamt wurden 79 Altenpfleger/innen im Rahmen einer .AussteigerBefragung" gesondert befragt, sowie weitere 191 Altenpfleger/innen, die sich zunachst nicht als Ausstelger/lnnen fur eine weitere Befragung zur Verfugung gestellt hatten. Des Weiteren wurden ergSnzend hierzu 89 sogenannte „Sekundarhinweise" auf Berufsausstiege hinzugezogen, von denen die Autor/innen selber sagen, dass sich diese „...im weiteren Untersuchungsverlauf nicht welter verifizieren lieHen...''^^"^. Ohne Berijcksichtigung dieser 89 „Sekundarhinweise" reduziert sich die Aussteigerquote bereits auf 19,2% (aller 1.404 in 1993 befragten Altenpflegekrafte). Bezogen auf die Ausgangszahl aller Befragten (Gesamtpopulatlon von 3.757) reduziert sich diese Prozentzahl noch welter auf nur noch 7,2%. Auch eine aktuelle Studio des Deutschen Krankenhausinstituts e.V. kommt im Hinblick auf die Fluktuationsrate von Frauen im Alter zwischen 22 und 40 Jahren in den baden-wurttembergischen stationSren Pflegeinrichtungen auf einen Wert von lediglich 8,5% aller examinierten Pflegekrafte, die den Beruf verlassen''°^. Die 79 in der BiBB-Studle befragten Aussteiger/innen gaben im Wesentlichen so genannte harte Grunde fur ihren Ausstieg an: Schwangerschaft bzw. Erziehungsurlaub (34%), Arbeitslosigkeit (13%), Erkrankung (9%), andere Ausbildung bzw. Studlum (5%). Die 191 daruber hinaus befragten Aussteiger/innen geben demgegenuber sogenannte ..weiche" Grunde an, wie psychosomatische Uberlastung (30%). Bei ^°^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 293 ^°^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, ebd. ^°^ Deutsches Krankenhausinstitut e. V. (in Zusammenarbeit mit der UniversitSt Dusseldorf): Wiedereinstieg ehemals berufstatiger Pflegekrafte in den Pflegeberuf. Forschungsprojekt im Auftrag der Katholischen Fachhochschule Freiburg, Dusseldorf 2004, 77

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denjenigen, die Arbeitslosigkeit als Grund angeben, uberwiegt bei naherer Betrachtung der Teil, der die Einstellungsbedingungen der konfessionellen Trager nicht erfijlit. Bei den Befragten, die aus psychosomatischen Oberlastungsgrunden aus dem Beruf ausgestiegen sind, stehen Frauen zu IVISnnem im Verhaltnis zwei Drittel zu ein Drittel. Alle Befragten aus dieser Gruppe sind unter 30 Jalire. IVIanner berufen sich bei ihrem Ausstieg meiir als doppelt so haufig als Frauen darauf, ihre personlichen bzw. in der Ausbildung en/vorbenen Vorstellungen im Berufalltag nicht umsetzen zu konnen. Insgesamt geben 23% der befragten ausgestiegenen AltenpflegekrMe diese Begrundung an. W. BECKER/B. MEIFORT formulieren eine „hierarchische Ausstiegsrangfolge": 1. Familienplanung (Schwangerschaft, Erziehungsurlaub); 2. Uberlastung (Arbeitsgegenstand und Arbeitbedingungen); 3. Spurbare Veranderungsresistenz der Institutionen, von Leitungskraften und Teams^°^ Bel Mannern haben die schlechten Arbeitsbedingungen mit ca. 43% aller Angaben eine mehr als doppelt so hohe Bedeutung als bei Frauen (18%). Personliche Grunde fur den Ausstieg werden eher von Frauen als von Mannern genannt. „Verkurzt ausgedruckt quittieren IVIanner den Beruf, wenn ihnen die Arbeitsbedingungen nicht passen (Schichtarbeit!), sie nicht genug verdienen (weniger als Facharbeiterlohn!) und der Beruf nicht das halt, was man(n) sich von ihm versprochen hat (berufliche Anerkennung!). Frauen dagegen steigen ubenA/iegend dann aus, wenn sie Kinder gebaren und erziehen, die Doppelbelastung von Haushaltsfuhrung und Berufsarbelt nicht mehr ertragen konnen, sich von der Berufsarbeit korperlich und psychisch uberfordert sehen und ... ,weiterfuhrende' berufliche Bildungsmafinahmen besuchen. Anders ausgedruckt: Fur die mannlichsozialislerte Perspektive auf den Beruf (Geld, berufliche Anerkennung, geregelte Arbeit) erscheint Altenpflege schon sehr schnell als wenig .karrieretauglich'; fur viele Frauen dagegen sind Beruf und die (Alten-)Pflege die einzige .Karrierechance', weshalb sie Familienplanung und entstehende Belastungen aus ihrem .Doppelleben' zwischen Haushaltsfuhrung und Beruf versuchen, in Einklang zu bringen - bis es nicht mehr geht."''°^ Die Untersuchung von C. BORN uber „VenA/eildauer und Enverbsbiographien von Frauen in der Krankenpflege"''^^ kommt im Hinblick auf Krankenpflegekrafte zu einem anderen Ergebnis als W. BECKER/B. MEIFORT in Bezug auf die Altenpfleger/innen. Demnach sind Krankenpflegekrafte im Vergleich zu neun anderen Frauenberufen diejenigen, die ihre berufliche Tatlgkeit kontinuierlich ausuben und eben nicht dauerhaft aussteigen und den Beruf verlassen, sondern - im Vergleich zu anderen Frauenbemfen am langsten einer Berufstatigkeit nachgehen" und dies auch als Mutter tun^°^. C. BORN hatte 278 in unterschiedlichen Regionen Deutsch-

^°® Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 297 - 298 ^°^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 299 ^°® Born, C.: Verweildauer und Erwerbsbiographien von Frauen in der Krankenpflege. Ein Beitrag zur Diskussion urn Altersteilzeit fur Gesundheitsberufe. In: Pflege und Gesellschaft, 6. Jg., 2001, 109 115 '°'Born,C.: a.a.O., 114

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lands ausgebildete (und lebende) Krankenschwestern befragt und ihre Lebenslaufe nach drei Kohorten differenziert rekonstrujert. Wahrend W. BECKER/B. MEIFORT die Verweildauer der Altenpflegekrafte in ih-

rem Beruf als relativ kurz beschrelben und zu einer - kritisch zu bewertenden - Ausstiegsquote von 25,6% innerhalb von funf Berufsjahren kommen^''°, stellt C. BORN fest, dass sich der Beruf der Krankenschwester „...als ein (Frauen-)Beruf mit grofier Tragfahigkeit und VenA/eildauer" ^^^ erweist. In wie fern hier in der BiBBUntersuchung der Zugriff der Methode den Gegenstand verandert hat, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht naher geklart werden.

Altenpflege als Wiedereinstiegsberuf „Als einer der wenigen Beschaftigungsberelche ermoglicht die Altenpflege Frauen den WIedereinstieg in das Berufsleben."''^^ Diese Feststellung fuHt u.a. auf der Tatsache, dass die Pflege offenkundig die einzige Chance fiir Frauen nach oft mehrjahriger Erziehungspause darstellt, wieder in eine Erwerbstatigkeit einzusteigen. Sie geht einher mlt den Untersuchungsergebnissen von C. BORN (S. O.), die feststellt, dass Krankenschwestern, in alien Ausbildungsjahrgangen, den grofiten Anteil in ihrem gelernten Beruf tatig sind."'*''^ Berufsfremde Tatigkeiten werden von ihnen - im Vergleich zu anderen Frauenberufen - am wenigsten wahrgenommen. Des Weiteren arbeiten „...Krankenschwestern auch als Mutter hauflger in ihrem Beruf als die Mutter in samtlichen anderen untersuchten Frauenberufen."^^"^ Insofern ware das zwelte Merkmal des so genannten .Sackgassenberufs' Altenpflege (mangelnde vertikale und horizontale Durchlasslgkeit) zumindest mit Bezug auf die Chancen der Frauen auf WIedereinstieg in ihrem Ausbildungsberuf nach Geburt, bei einer naheren Betrachtung nicht haltbar. Aber: „Pragend fur weibliche Berufskarrieren, an deren vorlSufigem Ende ... der Ausbildungsabschluss in der Altenpflege steht, sind immer wieder Windungen, enA^erbsbiografische Bruche und neuerliche Verschlingungen, die mit nur ganz wenigen Ausnahmen mit Hilfstatigkeiten In der Altenpflege abschlieden."^^^ Genauer sollte hier u. E. nicht von Berufsverlaufen, sondern von Lebenslaufen gesprochen werden, „...da die Zeiten, in denen Frauen einer Erwerbsarbeit oder Beschaftigung nachgehen, immer wieder von (teils langeren) EnA/erbspausen unterbrochen werden"''^^. Die DIfferenz zwischen dem Medium Lebenslauf und der Form der beruflichen Karriere soil in Kapltel III. systemtheoretisch naher untersucht werden. Wie lange die Pausen der Altenpflegerinnen sind, ob die Frauen in anderen so genannten Frauenberufen sich ahnlich Oder anders verhalten, daruber gibt die BiBB-Studie keine Auskunft.

^^° Becker. W. und Meifort, B. :Teil1, ''^ Born, C : a.a.O., 114 ^^^ Becker, W. undMeifort, B. :Teil1, ^^^ Born, C : a.a.O., 112 ^'^Born, C.:a.a.O., 113 ^^^ Becker, W. und Meifort, B. :Teil 1, ''® Becker, W. und Meifort, B. :Teil1,

a.a.O.,, 293 a.a.O.,,100

a.a.O.,, 97 - 98 ebd.

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Zur Vereinbarkeit von Famillen- und Berufsleben wird hervorgehoben, dass „Funktionalitat im System ... mehr berijcksichtigen muss als die betrieblichen Bedingungen der Verwertung von beruflichen Qualifikationen und Kompetenzen."''^^ Damit ist gemeint, dass es in diesem Beruf urn mehr als nur um eine anforderungsgerechte und mogllclist dkonomische Verriclitung pflegerischer Dienstleistungstatigkeiten gehen muss. Hier sei insbesondere die bislier zu wenig beriicksichtigte individuelle Famllien- und Lebensplanung ein zu beaclitender Faktor. Denn ohne eine „...Perspektive zur Integration von Berufstatigkeit und familiSren Erziehungsaufgaben, belsplelsweise durch flexible Arbeitszeit- und angepasste Schichtdienstmodelle, ohne spezielle Widereingliederungsangebote....wird dieser Beruf fQr Frauen seinen Drehtureffekt behalten und als .Beruf auf Zeit' gelten."""^® Auch an dieser Stelle wSre ein Vergleich mit anderen (Frauen-)Berufen aussagekrSftiger als die blofie Feststellung, dass Familienplanung kelne hinreichende Berucksichtigung Im Altenpflegeberuf findet. Auch der Mangel an beruflichen Perspektiven beeinflusst die Frage des Wiedereinstiegs in den Beruf. Der Aspekt der „... .beruflichen Kamere' und berufsfeldbreiten, flexiblen Weiterentwicklung ist .. in der Altenpflege deutlich unterentwickelt. Die einzigen .Karrierechancen' liegen in der Spezialisierung im Beruf - eine Falle der uber die Geschichte des Berufs beharrlich verfolgten Abgrenzungsstrategien gegenuber anderen Berufen im Berufsfeld. Sie fuhren in Nischen, enge Residuen beruflicher Kompetenz."''''®

4.2 Die NEXT-Studie Ausgehend von der Feststellung, dass in fast alien europaischen Landern ein hoher Mangel an Pflegekraften zu verzelchnen ist und im Hinblick auf die demografische Entwicklung in den europaischen Landern wird in der NEXT-Studie im Rahmen einer internationalen Langsschnittuntersuchung die Entwicklung einer ganzen Berufsgruppe, der PflegekrSfte, untersucht. In 10 europaischen Landern wurden im Herbst 2002 und erneut im Herbst 2003 insgesamt 60.000 Pflegekrafte in Krankenhausern, Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten befragt. Des Weiteren sollen die Pflegeeinrichtungen analysiert werden. Der Langsschnittteil der Studie wird bis Juni 2005 andauern. „Die Forschungsergebnisse sollen Ausgangspunkt fur die Entwicklung zielgerichteter Malinahmen der Arbeitsgestaltung sein. Ziel ist, den Verbleib des Pflegepersonals In den jewelligen Arbeitsbereichen zu f6rdern."''^° Die NEXT-Studie wird zeitgleich in Belgien, Deutschland, FInnland, Frankreich, Grodbritannien, Italien, den Niederlanden, Schweden, sowie in Polen und in der Slowakei durchgefuhrt. Sie wird durch die Europaische Union finanziert und von der Bergischen Universitat / Gesamthochschule Wuppertal (Prof. Dr. B.H. Muller und Priv.-Doz. Dr. H.-M. Hasselhorn) koordiniert. " ' Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1. a.a.O., 303 ^^^ Becker, W. und Meifort. B.: Teil 1, ebd. ^^^ Becker. W. und Meifort, B.: Teil 1. ebd. ^^° NEXT-newsletter 1 12/2002, 3

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In Deutschland haben sich 3.565 Pflegende aus 75 Einrichtungen''^^ an der Befragung beteiligt. Pflegekrafte aus dem Krankenhaus sind in der NEXT-Studie uberreprasentiert (74,9%)^^^. Pflegekrafte in Pflegeheimen (15,2%)^^^ und ambulanten Dlensten(9,9%)^^'^ sind unterreprasentiert. Das Durchschnlttsalter der Frauen 1st signifikant hoher, als das der Manner. Das beteiligte Pflegepersonal in den Krankenhausern ist junger als das in den beiden anderen Einrichtungsfonnen. Aus den 29 Pflegeheimen waren 477 (88,0%) Frauen und 65 (12,0%) Manner an der Befragung beteiligt^^^ Die deutsche Befragung wird von Dipl. Pflegewirt Andreas Buscher (Institut fur Pflegewissenschaft der Privaten Universitat Witten/Herdecke gGmbH) geleitet. Auf unsere Anfrage vom 26.02.2004 (e-mail) teilte Herr Buscher mit, dass die Qualifikation der Heimleitungen im Rahmen der NEXT-Studie nicht bestimmt werden kann, da diese in diesem Rahmen nicht befragt werden. Die Geschlechterverteilung in den Leitungsstellen der stationaren Altenpflegeeinrichtungen konnen aus den NEXTDaten fur die Heime ermittelt werden. Herr Buscher h^lt diese Zahlen jedoch fur wenig aussagekrMig, da die vorgenommene Stichprobe in der deutschen Befragung der NEXT-Studie eine Mischung aus Zufalls- und Gelegenheitsstichprobe ist..." und aufierdem der Fokus nicht auf unsere Fragestellung ausgerichtet ist. Dennoch geben die Daten aus der Studie im weiteren Sinne Hinweise auf unsere Fragestellung. So enA^agen in alien beteiligten Landern von den befragten Pflegekraften (n = 34.832) Manner haufiger als Frauen den Berufsausstieg (in Deutschland 18% der Frauen und 2 1 % der Manner). Bei den M^nnern ist dies (nach Grodbritannien mit einem Anteil von 36%) der zweithochste Wert von alien beteiligten Landern. Besonders ausgepragt sind die Alterstufen 30 bis 40 Jahre^^^. Diese Angaben beziehen sich auf alle Einrichtungsformen. „Bei Pflegepersonal in Krankenhausern war der Wunsch, aus der Pflege auszusteigen, am grodten (17,1% en^/ogen dies oft)." Es folgten Pflegeheime mit 12,5% und der ambulante Pflegebereich mit 10,8%. Der Geschlechtsunterschied bei den ausstiegswilligen Pflegekraften war vor allem in der Altersgruppe der 25 bis 40-jahrigen ausgepr^gt^^^. „ln Pflegeheimen und in der ambulanten Pflege dachten Jungere seltener und Altere deutlich haufiger an den Berufsaustieg als ihre Kollegen und Kolleginnen in den Krankenhausern."''^^ ..Personal in Krankenhausern en/vog den Berufsausstieg haufiger (19,1% en^^ogen dies oft) als die Kollegen/innen in Pflegeheimen (15,6%) und ambulanten Pflegediensten (10,8%). Allerdings waren die Unterschiede zwischen den Einrichtungstypen nicht signifikant."''^^ Es zeigte sich, „...dass in Einrichtungen mit einem niedrigen Anteil an Ausstiegswilligen die Mittelwerte fur Arbeitszufriedenheit (r = .51), Fuh^^^ von 6.484 angeschriebenen (= 55,0%) • Insgesamt arbeiten 40% der Pflegekrafte in Deutschland im Krankenhausbereich ^^^ Insgesamt arbeiten 40% der Pflegekrafte in Pflegeheimen ^^^ Insgesamt arbeiten 20% der Pflegekrafte im ambulanten Sektor ^^^ Damit waren 16,1% alter befragten Frauen und 11,1% aller befragten Manner in Pflegeheimen beschaftigt '^® NEXT-Studie. 117ff. '^^NEXT-Studie, 140 '^° NEXT-Studie, 140 '^^NEXT-Studie, 141

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rungsqualMt (r = .45) und die Qualitat der zwischenmenschlichen Beziehungen (r = .44) gunstiger liegen."^^° Bei examiniertem Pflegepersonal mit Zusatzausbildung war der Wunsch, die Pflege zu verlassen, am hSchsten ausgepragt. Der Wunsch, aus dem Beruf auszusteigen war im zweiten und im vierten Berufsjahr besonders hocli. Mit zunehmender Beschaftigungszeit nimmt der Ausstiegswunsch jedoch ab. In der deutschen TeiineJimergmppe zeigt sicli u. a. „dass es insbesondere die .KonfJikte zwischen Arbeit und Familie' sowie fehlende .Entwicklungsmoglichkeiten bei der Arbeit' sind, die zum Wunscli, aus der Pflege auszusteigen, beitragen."""^^ Im Gegensatz zu den Niederlanden und den assoziiert teilnehmendem Non/vegen ist die Bereitschaft aus dem Pflegeberuf auszusteigen in Groflbritannien, Deutschland und Italien auffaiiig hoch. Die Studie kommt zu der Feststellung, dass es offensichtlich zwei unterschledliche Motive gibt, die Pflege zu verlassen, die sich in zwei Gruppen von Berufsaussteigern widerspiegein: Den motivierten und den resignierten Aussteigern. „Die motivierten Aussteiger sind jung, gut ausgebildet und streben nach beruflicher und damit pers5nlicher Weiterentwicklung. (...) Die resignierten Aussteiger haben hingegen eine schlechte Gesundhelt, geringe Arbeitsfahigkeit und sind eher ausgebrannt."^^^

4.3 Die Pflegestatistik Seit 1999 wird die bundesweite Pflegestatistik alle zwei Jahre von den Statistischen Amtern des Bundes und der Lander erstellt. Rechtsgrundlage zur Ermittlung und Aufbereltung der Daten ist die Pflegestatistikverordnung (PflegeStatV) vom 24.11.1999, die auf § 109 Abs. 1 SGB XI basiert. „Zlel der Statlstik ist es, Daten zum Angebot von und der Nachfrage nach pflegerischer Versorgung zu gewinnen. Es werden daher Daten uber die Pflegebedurftigen sowie uber die Pflegeheime und ambulanten Dienste einschlieHlich des Personals erhoben."''^^ Bundesweit gab es Ende 2001 an die 9.200 voll- bzw. teilstationSre Pflegeheime, die nach SGB XI (§ 72) zugelassen waren. Die Tragerschaften dieser Einrichtungen gliedern sich wie folgt: Freigemeinnutzige Einrichtungen: 52% Private Tragerschaft: 36% Offentliche TrSger: 8%. 8.331 von diesen Einrichtungen boten ausschliefilich vollstationSre Dauerpflege an. In den anderen Heimen werden entweder Kurzzeitpflege und/oder Tages- sowie Nachtpflege angeboten. Im Durchschnitt betreut eine stationare Pflegeeinrichtung 66 pflegebedurftige Menschen.

^^°NEXT-Studie, 141 ^^^ NEXT-Studie, 121 ^^^NEXT-Studie. 123 ^^^ Bundesamt fOr Statistik: Pflegestatistik 2001 - Pflege im Ralimen der Pflegerversicherung Deutsclilandergebnisse, 2001, 3

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Von insgesamt 674.000 Piatzen entfallen 649.000 (96%) auf die vollstationare Dauerpflege. Die Zahl der Heime ist gegenuber 1999 urn 3,5% bzw. rund 300 gestiegen. Jn den Heimen waren insgesamt 475.000 Personen beschaftigt; die Mehrzahl (85%) war weiblich."''^'^ Fast die Halfte (46%) der BeschMigten war vollzeitbeschaftigt - damit deutlich mehr als im ambulanten Bereich (30%). Der Anteil der Teilzeitkrafte betrug 48%. Auszubildenden, Praktikantinnen und Praktikanten sowie Schulerinnen und Schuler hat im stationaren Bereich eine hohere Bedeutung als im ambulanten Bereich; mit 17.000 (4%) der Beschaftigten uberwlegt dieser Anteil im Vergleich zum ambulanten Bereich (1%). Die Zahl der Zivlldienstleistenden betragt 11.000 (2%). „Zusammen hatten von den im Bereich Pflege und Betreuung Tatigen fast jeder Zweite (46%) entweder einen Abschluss als Altenpfleger/ln (30%), Krankenschwester / Krankenpfleger (15%) Oder Kinderkrankenschwester bzw. -pfleger (1%)... ."^^^ Insgesamt sind 48,2% der Beschaftigten als Fachkrafte In der Pflege und in der Betreuung anerkannt. Lediglich 0,2% aller in den stationaren Pflegeeinrichtungen beschaftigten Mitarbelter/innen verfugt uber eine pflegewissenschaftllche Ausbildung an einer Fachhochschule oder Universitat.

5.

Fazit

Aus den Daten der Primaranalyse (Befragungen) konnen im Hinblick auf die Fragestellungen dieser Arbeit folgende Feststellungen als Zwischenfazit getroffen werden: a)

Die fur die Heimaufsicht zustandigen und von uns angeschriebenen Behorden verfugen offenkundig nur partiell uber die nach dem Heimgesetz (HeimG) zu erhebenden Daten oder haben diese nicht entsprechend aufbereltet.

b)

Ebenso wenig verfugen die DachverbSnde, Interessenvertretungen, Gewerkschaften, Berufsverbande und die zustandigen MInisterien uber entsprechende Daten im Hinblick auf die Geschlechterverteilung und die Qualifikation der Leltungskrafte in den Heimen.

Die Geschlechterverteilung und das Quallfikationsniveau der Leitungskrafte in den ca. 9.200 stationaren Altenpflegeeinrlchtungen in Deutschland befinden sich damit in einem .blinden Fleck' der Ministerien, Behorden, Verbanden und Interessenvertretungen. Dem entsprechend durfte auch der Bedarf an Welterbildung im Leitungsbereich unklarsein. c)

Die Mehrzahl der Heimleitungen bzw. Geschaftsfuhrungen in den ca. 1.750 nordrhein-westfalischen Altenheimen sind Manner (58,5%). Dies steht In auffallender Diskrepanz zu den Daten der Geschlechterverteilung uber die insgesamt 475.368 Beschaftigten in der stationaren Altenpflege (15,4% Manner).

Bundesamt fur Statistik: Pflegestatistik 2001 - Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung Deutschlandergebnisse, Juni 2003, 6

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Aus den Daten der Sekundaranalyse (Auswertung der Studien) konnen folgende Feststellungen jm Hinblick auf unsere Fragestellung getroffen werden^^^: d)

Manner in der Pflege verteilen sich im Wesentlichen auf die Altersgmppe der 27 bis 39-jahrjgen. Der Anteil der weiblichen PflegekrSfte im Alter uber 40 Jahren betrSgt 95%.

e)

Mannliche Karrieren in der Altenpflege verfugen offenkundig - im Gegensatz zu weibliclien Karrieren - uber zwei Primarquellen: • aus den so genannten .ecliten' Professionen (Medizin, Jura, Theologie) und • aus verbandsinternen kaufmanniscii-ven/valtenden bzw. verbandspolitischen IVIannerdomanen.

Hier spielen offensichtlich mannerdominierte Netzwerke eine relevante Rolle, die es naher zu untersuchen gilt. f)

Es gibt Tendenzen, dass von den TrSgern leitende Funktionen eher uber Zuschreibung vergeben werden, die das ..Lebensalter der Manner und mannliche Fuhmngskompetenz" betreffen. Formelle Qualifikationen und tatsSchliche Leistungen haben nur eine sekund^re Bedeutung.

g)

Weiterbildungsangebote stellen sich haufig als eine „Spezialisierungsfalle" fur AltenpflegekrSfte heraus (mangelnde tr^gerubergreifende Generalisierung in der Nutzung der Angebotsinhalte und AbschlQsse).

h)

Leitungsweiterbildungen werden eher (und kurz nach Abschluss der Ausbildung) von MSnnern besucht - oft, wenn diese sich bereits in entsprechenden Funktionen befinden. Anieitungsweiterbildungen (Praxisanleitung) werden eher von Frauen wahrgenommen.

Hier scheint eine ..klassische Arbeitsteilung" zu bestehen: Manner fur die Leitung, Frauen fur die padagogischen (eigentlich: andragogischen) Aufgaben. i)

Zu den die Karriere von Frauen behindernden Faktoren zShlen: • der hohe Anteil an Teilzeitbesch^ftigung bei den Frauen, • mangelnde berufliche Vorbildung der Frauen, • familienbedingte Unterbrechungen der beruflichen Laufbahn (bel gleichzeitiger Nutzung dieses „Zeltkorridors" durch die Manner), • eingegrenzte Aufstiegsmoglichkeiten Im Altenpflegeberuf, • einseitig betriebs- bzw. trSgerspezifische Weiterbildungsangebote,

Hier wird im Folgenden primer Bezug auf die Studie des BiBB genommen. An den Stellen, wo auf weitere Studien Bezug genommen wird, ist dies gekennzeichnet.

34

• • • •

eine hohere Identifikationsbereitschaft der Frauen mit der Pflegetatigkeit, .familiale Arbeitsteilung' im (familiennahen) Beruf: Manner fuhren, Frauen haben bestenfalls die Fachaufsicht, fruhe Zuschreibung von Fuhrungskompetenz bei den (wenigen) Mannern, primar padagogisch ausgerichtetes Weiterbildungsinteresse bei den Frauen.

Diese Aspekte stehen h^ufig in einer Wechselwirkung zueinander. Was der Karriere von Frauen forderlich ist, wird in der BiBB-Studie leider nicht zum Ausdruck gebraclit, weil es offenkundig niciit zum Untersuchungsgegenstand gehorte. j)

IVISnner erieben den Altenpflegeberuf sehr vie! haufiger als Frauen als ,Aufstiegsfalle'.

k)

Manner enA/agen liSufiger als Frauen den Ausstieg aus dem Beruf. Dies ist bei Mannern im Alter zwischen 30 und 40 Jahren besonders haufig ausgepragt (NEXT- und BiBB-Studie).

I)

Manner attribuieren bei den Grunden fur einen (geplanten) Ausstieg eher extern („schlechte Arbeitsbedingungen, Veranderungsresistenz der Institutionen und von Leitungskraften"), Frauen steigen eher aus ..persdnlichen Grunden" (..Familienplanung, personlich empfundene Uberlastung") aus dem Beruf aus.

Uberlastungsfaktoren werden von Mannern eher an den Rahmenbedingungen und anderen externen Faktoren festgemacht, wahrend Frauen die Grunde ihrer empfundenen Uberlastung haufig an sich selbstfestmachen. m)

Im Unterschied zu anderen europaischen Landern zeigen sich in Deutschland zwei besondere Faktoren, die zum Ausstieg aus der Pflege beitragen: • Konflikte zwischen Familie und Beruf, • fehlende Entwicklungsmoglichkeiten bei der Arbeit (NEXT-Studie).

n)

Die Ausstiegsbereitschaft aus Pflegeberufen ist in Deutschland im Verhaltnis zu anderen europaischen Landern verhaltnismaflig hoch (NEXT-Studie).

o)

Der Pflegeberuf stellt fur Frauen in Relation zu anderen Berufen eine einfache Moglichkeit zum Wiedereinstieg nach Schwangerschaft und Erziehungszeiten dar (BiBB und C. BORN).

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p)

Lediglich 0,2% aller in den stationaren Pflegeeinrichtungen beschaftjgten Mitarbejter/innen verfugen uber eine pflegewissenschaftliche Hochschulausbildung (Pflegestatistik2001).

Viele der In den Studien (insbesondere der BiBB-Studie) aufgeworfenen Fragen werden nur sehr unzureichend beantwortet bzw. mit einem Ruckgriff auf Hypothesen, denen es entschejdend an entsprechender Verifizierung mangelt. So stellt der argumentative Ruckgriff auf die empirisch hinlanglich belegte Tatsache, dass Erziehungstatigkeiten primar von Frauen wahrgenommen werden, u. E. keinen abschlieHenden Erklarungsansatz fur die geringen Karrierechancen von Frauen in einem so genannten Frauenberuf dar. Dieser Ursache-Wirkungszusammenhang ermoglicht noch kein Verstandnis, weshalb die Erziehungsarbeit von Frauen nahezu axiomatisch bedeuten soil, dass diese ihre berufiiciie Laufbahn bzw. Karriere niclit weiter entwickein (konnen). Organisationale Rahmenbedingungen und die Wirkung geschleciitsstereotypischer Zuschreibungen werden hierbei ausgeblendet. Erkenntnis ist stets methodenabhangig. Vor diesem erkenntnistheoretischem Prinzip konnen wir feststellen, dass mit der Auswertung des vorliegenden empirischen Datenmaterials und unter Berucksichtigung der angefuhrten Kritikpunkte zu den einzelnen Studien unsere Fragen noch nicht hinreichend beantwortet sind. Hier bedarf es also einer vertiefenden erkenntnistheoretischen bzw. theoriegelelteten Auseinandersetzung um die Vielfalt von Zusammenhangen verstehbarer zu machen. Schlielilich bleiben u. a. die folgenden Fragen zu klaren:, • Was genau ist unter dem Begriff Karriere zu verstehen? • Was genau ist ein Frauenberuf? • Welche rollenspezifischen Zuschreibungen tauchen Im Hinblick auf Karriere prImSr auf? • (WIe) Wirkt Geschlecht als inkludlerendes bzw. exkludlerendes IVIerkmal? • Welche geschlechtsspeziflschen Selektionsmechanismen herrschen in Organisationen (des Funktionssystems Pflege) vor? • Worin unterscheiden sich die Karriereverlaufe von Frauen und MSnnern in der Altenpflege? Eine theoriegeleitete Beantwortung dieser Fragen soil nun in den nachsten Kapitein erfolgen.

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III. Biografie und Karriere als Formen des Mediums Lebenslauf 1.

Etymologie des Karrierebegriffs

Etymologisch leitet sich der Begriff Karriere von „[erfolgreiche] Laufbahn" ab. Der Begriff ist im 18. Jh. aus dem franzosischen carriere „Rennbahn; Laufbahn" entlehnt, das - vom altprovenzalisch camera - auf das spStlateinische (via) carraria zuruckgeht. Stamnnwort ist das gallisch-lateinisch carrus, der „Wagen" Oder ..Karren"''^^. Das Stilworterbuch''^^ vermerkt zum Begriff „Karren" u.a.: „ugs. oft abwertend fur „altes, schlechtes Fahrzeug"; des weiteren: „der Karren ist total verfahren"; „die Karre in den Dreck Ziehen"; „die Karre fur jmd. aus dem Dreck Ziehen", ,jmd. an den Karren fahren"; ,jmd. vor den Karren spannen"; „sich vor einen Karren spannen lassen". Zum gallisch-lateinisch carrus als Stammwort geh6ren weitere Fremdw6rter im deutschen Wortschatz, z.B.: Karlkatur, Karosse, Karosserie und Charge (Amt, Rang, Dienstgrad, Nebenrolle). Das lateinische caricatura bedeutet: ..beladen" sowie „ubertrieben komisch darstellen". Mit dem Begriff Karriere verbindet man heute primar beruflichen Aufstleg und beruflich Erfolg zu haben. Es finden sich aber auch Zuschrelbungen fur Menschen, die Karriere machen. Diese werden auch als Karrieristen, Erfolgsmenschen, Senkrechtstarter, Seiteneinsteiger, Emporkommlinge, Opportunisten bezeichnet^^^.

2.

Lebenslauf, Biografie und Karriere aus systemtheoretischer Perspel(tive

Ein soziologlscher Karrierebegrlff impliziert generell sowohl Aufwarts- als auch Abwartsbewegungen im sozialen Raum ... also so genannte .Erfolgskarrieren' (insbesondere berufliche Erfolgkarrieren) einerseits und solche Phanomene wie Krankheitskarrieren, Anstaltskarrieren, Aullenseiterkarrieren, Armutskarrleren usw. andererseits... ."""^^ Der Begriff der Karriere wird jedoch mitunter auch ideologisiert aufgegriffen. Er wird in diesem Kontext u. a. als Versuch einer ErklSrung der differenzierenden und diskriminierenden Beobachtung von weibllchen im Verhaltnis zu mannlichen Berufsverlaufen eingesetzt'"^\ Wir mochten im Weiteren auf das systemtheoretische Verstandnis des Karrierebegriffs rekurieren. Hierbei greifen wir den von N. LUHMANN und K.E. SCHORR for-

Vgl. u.a.: Kluge: Etymologisches Worterbuch der deutschen Sprache, 23. erw. Aufl., Berlin New York 1999, 183f. und Duden 7: Das Herkunftsworterbuch. Etymologie der deutschen Sprache, Mannheim 1989, 330 ^^^ Duden 2: Das Stilw6rterbuch, 7. Aufl., 1987 ^^® Duden 8: Sinn- und sachverwandte Worter, 2. Aufl., 1986 ^^° Hitzler, R. und Pfadenhauer, M.: Politiken der Karriere. In: Dies.: Karrierepolitik. BeitrSge zur Rekonstruktion erfolgsorientierten Handelns, Opiaden 2003, 9 - 26 ^'^^ vgl. zu einer solchen Perspektive beispielhaft den Beitrag von M. Schuller: Erfolg ohne Gluck? Uber den Widerspruch von Weiblichkeitsrolle und Karriere. In: Kursbuch 58. Karrieren, Berlin 1979, 101 -113

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mulierten Karrierebegriff^'^^ auf, urn auf die aufgeworfenen Forschungsfragen eine erste Antwort geben zu konnen. N. LUHMANN und K.E. SCHORR haben den Karrierebegriff in ihrem Beitrag reformuliert und prazisiert. ..Karriere gilt in dieser avancierten Lesart als eine - zwischen Individuum und institutionellen Umstanden vermittelnde autopoietische Abfolge von selel
2.1

Lebenslauf

In einem eher alltSglichen Verstandnis bezelchnet der Lebenslauf die Bewegung eines Indlviduums durch seine Lebenszeit Im Sinne eIner Individuellen Sequenz von Zustanden (Rollen, Positionen) und Ereignissen (Obergangen, Wendepunkten, Weichenstellungen, Entscheidungen). Im soziologischen Verstandnis meint Lebenslauf die allgemeinen (.regelhaften', .typischen') Sequenzmuster der Bewegung durch die Lebenszeit. Wenn vom Lebenslauf als eIner Institution gesprochen wird, llegt der Akzent auf der Lebenszeit als einer eigenstandigen gesellschaftlichen Strukturdimension."'"^'* N. LUHMANN versteht unter einem Lebenslauf eine Beschreibung, die wahrend des Lebens angefertlgt und bel Bedarf revidiert wird. Der Lebenslauf schlieflt die vergangenheitsabhangige, aber noch unbestimmte Zukunft ein,... . Die Einheit des Lebenslaufs muss also Vergangenheit und Zukunft umgreifen, ohne doch eine teleologische Struktur aufzuweisen. (...) Die Komponenten eines Lebenslaufs bestehen aus Wendepunkten, an denen etwas geschehen ist, was nicht hatte geschehen mussen."^^^ Insofern ist jeder Lebenslauf hochgradig kontingent, wenn auch sein Ende, der Tod, determiniert und damit eine „Null-Kontingenz" aufweist. Jeder Lebenslauf hatte sich prinzipiell auch anders entwickein konnen, als er sich Jewells entwickelt hat. N. LUHMANN verdeutlicht dies anschaulich am Beispiel der Geburt, die zwar ein Faktum darstellt, aber ebenso ein extrem unwahrscheinlicherZufall"'"^^ ist. Der Lebenslauf stellt eine kontinuierliche Formwerdung dar, in dem man einen Namen [erhSIt], seine Eltern kennen [lernt](oder nicht), sich durch dieses Oder jenes beeindrucken [lasst], sich spielend in die Welt hinein [arbeitet], eine Karriere mit der Erfahrung von Erfolgen und Misserfolgen [beginnt] und mit all dem eine noch nicht bestimmte Zukunft vor sich her [schiebt]."^^^ Diese Formwerdung des Lebenslaufs legt eine stSndige Wiederbeschreibung nahe mit Jewells neuen Kom-

^^^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: Karrieren. In: Dies.: Reflexionsprobleme im Erziehungssystem, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1999,277 - 282 ^^^ Hitzler, R. und Pfadenhauer, M.: a.a.O., 10 ^^^ Kohli, M.: Lebenslauf. In: SchSfers, B. (Hrsg.): Grundbegriffe der Soziologie, 6. Auf!., Opiaden 2000, 200 - 203 ^^^ Luhmann, N.: Erziehung als Formung des Lebenslaufs. In: Lenzen, D. und Luhmann, N. (Hrsg.): Bildung und Weiterbildung im Erziehungssystem. Lebenslauf und Humanontogenese als Medium und Form, Frankfurt a.M. 1997,19 ^^® Luhmann, N.: Erziehung, ebd. ^^^ Luhmann, N.: Erziehung, 19

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promissen zwischen Kontinuitat und Diskontinuitat."''^® „lm Lebenslauf prasentiert das Individuum sich selbst in seiner Individualitat, in seinem Anderssein, In seiner Unvergleichbarkeit. Obwohl alle Komponenten des Lebenslaufs auch auf andere zutreffen konnen - alle werden geboren, alle sundigen, viele gehen zur Schule,.... - ist die sequenzielle Kombination jeweils auf Einzigartigkeit hin stilisiert. (...) Jeder konkrete Lebenslauf ist also das Ergebnis eines einmaligen Formfindungsprozesses (Hervorhebung d. d. A.). (...) Der aus Wendepunkten bestehende Lebenslauf ist einerseits ein Medium im Sinne eines Kombinationsraums von Moglichkelten und andererseits eine von Moment zu Moment fortschreitende Festlegung von Formen, die den Lebenslauf vom jeweiligen Stand aus reproduzieren, indem sie ihm weitere Moglichkelten eroffnen und verschlleden."^'*® In diesem Zusammenhang spricht N. LUHMANN von den beiden Seiten der Differenz Medium und Form Medium und Form, sind nur im Bezug aufeinander zu realisieren. Der Lebenslauf ist diese Differenz."''^° Der Lebenslauf verleiht den Formen (Schule, Partnerschaften, Beruf, Karriere) die ihn durchlaufen Sinn. W.R. HEINZ geht von einem institutionalisierten Lebenslaufbegrlff aus, in dem er den Lebenslauf als ein „gesellschaftlich institutionalisiertes Muster des Obergangs von einer Lebensphase zur anderen..."''^^ betrachtet. Die Lebensphasen entsprechen dem, was N. LUHMANN „Wendepunkte" nennt. Sie legen fortschreitend die je aktuelle Formung des Lebenslaufs fest und eroffnen ihm je neue Moglichkelten der weiteren, zukunftigen Formung.

2.1.1 Institutionalisierter Lebenslauf H.-J. HOHM^^^ wenden sich den Strukturmerkmalen des institutionalisierten Lebenslaufs im Vergleich zum deinstinstitutionlisierten Lebenslauf zu. Als institutionalisierten Lebenslauf bezeichnet er jenen, der im Rahmen der Umstellung des gesellschaftlichen Differenzierungsprinzips von der startifikatorischen hin zur funktionaldifferenzierten Gesellschaftsform seit Ende des 19. Jahrhunderts (bis in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts) den gesellschaftlichen Umstellungsprozess begleitetet bzw. aus ihm hervorging^^^. Bedingt durch die Abnahme von alten Sicherheiten, die die hierarchisch gegliederte Gesellschaft lieferte und der Zunahme an Diskontinuitaten in der neuen Gesellschaftsform wurde mit dem sich allm^hlich durchsetzenden institutionalisierten Lebenslauf versucht, eben diese Prozesse der Auflbsung von eindeutigen Inklusions-/ Exklusionsmerkmalen zu reduzieren. Der institutionalisierte Lebenslauf stellt dabei „...die lebensgeschichtliche Kontinuitat des Luhmann, N.: Erziehung, 21 ^^^ Luhmann, N.: Erziehung, 20 ^^° Luhmann, N.: Erziehung, 22 ^^^ Heinz, W.R.: „Arbeit, Beruf und Lebenslauf. Eine Einfuhrung in die berufliche Sozialisation", Weinheim und Munchen 1995, 65 ^^^ Hohm, H.-J.: Lebenslauf und Formen der Individualitat. In: Ders.: Soziale Systeme, Kommunikation, Mensch. Eine Einfuhrung in sozilogische Systemtheorie, Weinheim und Munchen 2000,139 -168 ^^^ Der Beginn der Umstellung der Gesellschaftsform wird von H.-J. Hohm auf das 16. bis 18. Jahrhundert datiert

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modemen Menschen von der Kindheit uber die Jugend und das Erwachsensein bis zum Alter mittels einer sequenziellen lnl
2.1.2 Deinstitutionalisierter Lebenslauf „Seit Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts bis heute lassen sich .. Tendenzen beobachten, die das dominante Muster des institutionalisierten Lebenslaufes zunehmend unterlaufen."''^® Hierbei handelt es sich nach H.-J. HOHM um Formen der Individualitat, die dem modernen Menschen unterschiedliche gesellschaftliche Moglichkeiten zur Orlentierung an einer selbstbestimmten und einzigartigen Biographie zur Verfugung stellen."^^^ H.-J. HOHM differenziert in der ErlSuterung des Begriffs des deinstitutionalisierten Lebenslaufes nach sozialen, zeitlichen, sachlichen und r^umli-

^^^ Hohm, ^^ Hohm, ^^^ Hohm, ^^® Hohm, ^^^ Hohm,

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: Soziale Systeme, H.-J.: Soziale Systeme, H.-J.: Soziale Systeme, H.-J.: Soziale Systeme, H.-J.: Soziale Systeme, H.-J.: Soziale Systeme,

140 ebd. ebd. 141 142 ebd.

Chen Dimensionen. So verlangt die Zunahme an sozial erzeugten Erwartungen an den nnodernen Menschen, „...die lebensgeschichtliche Kontinuitat seines Lebenslaufes starker selbst her[zu]stellen..."''^°. Im raumlichen Kontext verlangt der deinstitutionalisierte Lebenslauf im Rahmen der Globalisierung und Zentralisierung von Subsystenrien der Funktionssystenfie eine „forciertere Mobilitaf von Personen. Zusamnnenfassend lasst sich festhalten, dass die funktional-differenzierte Gesellschaftsform zu einer Steigerung von „...PIuralitaten, Diskontinuitat, Komplexitat und Kontingenzen von Lebenslaufen..."^^^ fuhrt. Damit waciist zugleich die Notwendigkeit und Moglichkeit des Entwurfs einer selbstbestimmten und einzigartigen Biographle, fur dessen Erfolg/IVIifierfolg bzw. Gelingen/Mifilingen der nfioderne Mensch zunehmend verantwortlich gemacht wird und sich rechtfertigen mufi."''^^

2.2 Biografie H.-J. HOHM verwendet den Begriff der Biografie erkennbar abgrenzend zum Begriff des Lebenslaufes (s. o.). „Der Begriff Lebenslauf wird heute oft auf die aufierlich beobachtbaren (.objektiven') Zustande und Ereignisse beschrankt und dem Begriff Biographie (Lebensgeschichte) gegenubergestellt, der auf Lebenszeit als Erfahrungsund Handlungszusamnnenhang verweist."''®^ Von Biografie spricht W.R. HEINZ, wenn Individuen „...ihren Lebenslauf verantwortlich in die Hand nehmen... "^^ Soziologisch korrespondiert dieses ,in die Hand nehmen' mit dem Begriff der Individualisierung. Mit U. BECK''^^ meint W.R. HEINZ in einem handlungstheoretischen Verstandnis ,„...dass die Biographie der Menschen aus vorgegebenen Fixierungen herausgelost...und als Aufgabe in das Handein jedes einzelnen gelegt wird.' Diese Aufgabe zu bearbeiten heillt, den eigenen Lebenslauf planvoll zu entwerfen und aktiv zu verfolgen...."^^^ Eine zentrale Differenz zwischen Lebenslauf und Biographie sieht W.R. HEINZ darin, dass sich der Lebenslauf als gesellschaftlich institutionalisiertes Muster des Ubergangs von einer Lebensphase zur anderen von der Biographie als individuelle Version dieses Musters [unterscheidet]: Biographie ist das Deutungsmuster des Lebenslaufs (Hervorhebung d. d. A.),..."''^^. Systemtheoretisch kann man sagen: Eine spezifische Form der Beobachtung des Mediums Lebenslauf. N. LUHMANN spricht von Lebenslauf, der die vergangenheitsabhangige, aber noch unbestimmte Zukunft einschliefit als ..Konjunktural-Biographie"''^^. L. KRAPPMANN betont: Jede Biographie ist eine Konstruktion aus Erelgnissen, an die das Individuum sich erinnert und an die

: Soziale Systeme, 143 '*'' Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, 144 ^^^ Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, ebd. '^^Kohli, M.:a.a.O.,200 ^^ Heinz, W.R.: a.a.O, 65 ^®^ Beck, U.: Risikogesellschaft, Frankfurt a. M. 1986, 216 '^^ Heinz, W.R.: ebd. ^^^ Heinz, W.R.: ebd. ^^° Luhmann, N.: Erziehung, 18

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es durch Personen und Dinge erinnert wird. Ihr Fundament ist die gegenwartige Interaktion, von der aus das Individuum diese Ereignisse beurteilt."^^^ Im systemtheoretischen Kontext stellt eine Biografie eine Sammlung von Zufallen dar. „Biografien sind mehr eine Kette von ZufSllen, die sich zu etwas organisieren, das dann allmahlich weniger beweglich wird. (...) Das Kontinuierliche der Biografie besteht in ihrer Sensibilitat fur Zufalle."''''^ Aucii Biografien sind damit letztendlich das Ergebnis eines Formfindungsprozesses, bei dem allerdings die Handlungsverantwortung ,in die Hand des Einzelnen' gelegt ist. In der biografischen Deutung des Lebenslaufs wird der Einzelne (als Person) fur seine Biografie verantwortlich gemacht. Die durch die funktionale Differenzierung der Gesellschaft fortschreitende Deinstitutionalisierung des Lebenslaufes fiihrt insofern zu einer zunehmenden Akzentuierung von Biografie in der Beobaciitung durch psychische Systeme (Bewusstsein) und soziale Systeme (Organisationen).

2.3 Karriere Karriere kann systemtheoretisch ebenfalls verstanden werden als eine bestimmte Form des Mediums Lebenslaufs. D. KRAUSE bezeichnet den Begriff der Karriere aus systemtheoretischer Perspektive, in dem er von eIner relationierten Abfolge von personal zugerechneten positiv oder negativ bewerteten selbst- und fremdselektiven Ereignissen..."^^^ spricht, die sich insbesondere infolge von Erziehung und Sozialisation entwickelt haben. Karriere baut sich unter diskontinuierllchen sozialstrukturellen Rahmenbedingungen als ein kontingentselektiver Vorgang auf. Damit bezieht sie sich auf den Tatbestand unvorhersehbarer kontinuierlicher Lebensereignisse - im Gegensatz zu eher vorhersehbaren kontinuierlichen Ereignissen eines institutionalisierten Lebenslaufes. Karriere betrifft daneben Aspekte der Inklusion. Wobel unter Inklusion eine systembildende und systemstmkturierende Operation zu verstehen ist, die spezifische Mogiichkeiten einschlieflt und alle anderen Moglichkeiten ausschlieflt, jedoch fur kunftige Selektionen verfugbar halt^^^. Das Prinzip der Offenheit der Systeme durch Geschlossenheit wird mit dem Begriff Karriere unwelgerlich thematisiert. Systeme konnen nur offen sein, well sie geschlossen sind. Die Karriere schliefit bestimmte Moglichkeiten der Systementwicklung ein, andere werden damit zuglelch ausgeschlossen, wiederum andere fur eine weitere (spStere) Auswahl bereitgehalten. Bedingt durch die funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft (im Gegensatz zur fruheren segmentierten und hierarchlschen Ausdifferenzierung der Gesellschaft) wird der Lebensweg von Menschen synchronischen (gleichzeitigen) wie diachronischen (zeitunabhangigen) Diskontinuitaten (zeitlich wie raumlich unterbrochenen Zusammenhangen) unten/vorfen. „Das Alten^^erden der Menschen vollzieht sich Krappmann, L.: Soziologische Dimensionen der Identitat. Strukturelle Bedingungen fur die Teilnahme an Interaktionsprozessen, 9. ver^nderte Auflage, Stuttgart 2000, 51 ^^° Krause, D.: Luhmann-Lexikon, 3. Aufl., Stuttgart 2001,113 ^^^ Krause, D.: a.a.O, 149 ^^^ zum Begriffspaar der Inklusion/Exklusion vgl. Kapitel V., Pkt. 3

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nebeneinander und nacheinander in verschiedenen, nicht mehr einheitlich erfahrenen sozialen Kontexten - im Zugriff der Familien, der Schulen, der Berufe ... - und wird nicht mehr als einheitlich konditioniert erlebt"''^^. Dabei ist der Lebenslauf heute nnehr oder weniger stark bestimmten Diskontinuitaten unterworfen, die in den Funktionssystemen Familie und Erziehungssystenn ihre Begrundung finden. Das heifit, Im Wechselspiel zwischen den Funktionssystemen Erzlehung und Familie entstehen Unterbrechungen, Trennungen und Bruche. Diese Diskontinuitaten versucht das Funktionssystem Erzlehung (welches an eben diesen Diskontinuitaten selber beteiligt ist) durch Schaffung geeigneter Anschlussmoglichkeiten sinnhaft zu transformieren. Weil die Erzlehung sich nicht auf die „...in je besonderen Kontexten ungeplant ablaufende Sozialisation verlassen..."''^'^ kann, muss sie diese Anschlussmoglichkelten generieren. Es sind diese sozialstrukturellen Bedlngungen, aus denen heraus aus dem individuellen Lebensweg eine Karriere wird. N. LuHMANN und K.E. SCHORR fassen hier den Karrierebegriff in einem weiteren SInne nicht nur als ein Voranschrelten, sondern ebenso als Stagnation und Abstieg. Sie verstehen unter Karriere eIne Sequenz von selektiven Ereignissen, die Personen mit positiv oder negativ bewerteten Attributen verknupfen bzw. solche Verknupfungen losen, ... mit zugeschriebenen Kenntnissen und FSihigkelten, Rollen und Amtern, Zensuren, Beurteilungen, Reputationsmerkmalen, Mitglledschaften in sozialen Systemen, Einktinften oder sonstigen erwerbbaren Qualitaten."''^^ Karriere ist also zum einen ein ereignisabhangiges und im Hinblick auf diese Ereignisse, zum anderen ein hochst zuschreibungsabhangiges Konstrukt einer Selbst- und einer Fremdbeobachtung. In der Unterscheldung zur Biografie kommen in der Form Karriere andere Glieder einer Kette von anderen Ereignissen und Attributen zum Tragen. N. LuHMANN / K.E. SCHORR konkretisieren den Karrierebegriff anhand von funf zentralen Merkmalen wie folgt: 1.

„Die Karriere ist in ihrer Zukunft unsicher, well karriererelevante Merkmale immer solche sind, die auch fehlen konnten".

Der Karrierebegriff unterliegt damit einer Kontingenz. D. h., Karriere ist etwas, „...was weder notwendig ist, noch unmoglich ist; was also so, wie es Ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders moglich ist."''^® So kann es sein, dass Personen sich „...fur einen Aufstieg ins Pflegemanagement entschieden haben und hinterher feststellen, dass der en/vartete (und im Studienprozess von Dritten propagierte, A. d. A.) Dispositionsspielraum gar nicht so grofl ist wie vorher von ihnen angenommen."''^^

Luhmann, N. und Schorr, K.E.: a.a.O., 277 [ Luhmann, N. N. und Schorr, K.E., ^'^^ Luhmann, und Schorr, K.E.,a.a.C a.a.O., 278 175' Luhnnann, I N. und Schorr, K.E.: ebd. Gru ^^^' Luhmann, N.: Soziale Systeme. Grundrifl einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1987, 152 ^ Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, 161

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2.

„Die Karriere ist auch in ihrer Vergangenheit unsicher..."^^^.

Denn alles Vergangene kann ja nur selektiv erinnert werden und hat damit auch nur eine selektive Relevanz. Selektives Erinnern ist ein Mechanismus der Komplexitatsreduktion. „Selbst hochstrangige Staatspersonen sind, weil ihr Amt als Station einer Karriere interpretiert wird, nicht gefeit gegen die Entdeckung oder Zuschreibung neuer Vergangenheiten. Typisch wird Vergangenes nur in aggregierter, zurechtgemachter, beurteilter Form (Zensuren, Zeugnisse, fruher innegehabte Amter, Gutachten) karrierewirksam, womit Unsicherheit nicht beseitigt, sondern nur in eine Fomri gebracht ist, die Entscheidungen ermoglicht."''^^ 3.

„Karriere baut sich selbst auf.

„Sie erzeugt die Opportunitaten (und Disopportunitaten''®°), mit denen sie sich selbst fordert bzw. blockiert, zum Teil selbst. Der Erfolg bestimmt das Repertoire an nutzbaren Gelegenheiten, wenn auch nicht diese Gelegenhelten selbst. Das Erreichte ist unerlassliche Voraussetzung oder doch schwer ersetzbare Voraussetzung fur Weiteres."^®^ „Dabei generiert die Karriere .. ihre eigenen Opportunitaten. Gluckliche und ungluckliche Konstellationen sind somit nicht nur reiner Zufall, sondern auch das emergente Resultat fruherer Fremd- und Selbstselektionen. So kann man zum Belspiel von einer unen/vartet frei gewordenen Stelle profitieren, wenn man vorher die entsprechenden Kontaktsysteme geknupft und/oder durch eigene Leistungen auf sich aufmerksam gemacht hat. (...) Damit wird deutlich, dass es keinen individuellen Anspruch auf Karriere gibt da diese immer auch auf Fremdselektion und soziale Opportunitaten angewiesen ist." ^^^ „Man kann zwar einen Anspruch auf Chancengleichheit oder faire Behandlung von Karrieren artikulieren, ... man kann aber nicht einen Anspruch auf erfolgrelche Karriere sozial anerkannt bzw. garantiert bekommen, ohne durch funktionssystemspezlflsche Eigenleistungen zur Karriere belzutragen."^®^ 4.

Die Karriere erzeugt einen Bedarf an „zeitbindende Strategien"

Die primar gedachte Aufwartsbewegung der Karriere benotigt kontingente Bewegungsmuster. Hierdurch besteht eIn Bedarf fur zeitbindende Strategien. Das heiflt, dass man nach Moglichkeiten sucht, mit Erreichtem auch Zukunftiges schon zu prajudizieren, etwa dank einiger guter Zensuren ein guter Schuler zu sein oder mit der Aufnahme in die hohere Schule gute Aussichten aufs Abitur zu .besltzen'."^^

^^^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: a.a.O., 279 ^^^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: ebd. ^®° i.S.v. Gegeneigennijtzigkeiten (Nachteile) ^®^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: a.a.O., 280 ^^^ Hohm, H.-J.: Soziale Systems, 162 ^^^ Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, 164 ^^^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: a.a.O., 279

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5.

,Aufmerksamkeit" eriangt die Karriere wegen ihrer diskrjminierenden Selektivitat (ihrer aussondernden, trennenden Unterscheidung).

Karriere „..fasziniert das Bewusstsein, dessen der sie durchlauft, sowie derjenigen, die sich fur ihn interessieren, mehr als festliegende Merkmale"''®^ (Alter, Geschlecht^®^). Als Ausdruck einer Komplexitatsreduktion nelgt das Bewusstsein dann „...zur zusammenzlehenden Bewertung der Karriere als solcher und zur Blldung entsprechender Erwartungen des Kontinuierens von Erfolgen bzw. Misserfolgen. Dass die Karriere subjektiv eriebt und behandelt wird ist mithin seinerseits ein karrierewirksamer Faktor, der Anspruchsniveaus hebt oder senkt und den kein objektiver Begriff der Karriere auder Acht lassen kann."^®^ Die folgende Tabelle greift die fiinf Merkmale des Karrief-ebegriffs bei N. LUHMANN und K.E. SCHORR auf, fasst die zentralen Aussagen (in der zweiten Reihe) zusammen und benennt (in der dritten Reihe) mogliche Konsequenzen fur den Umgang mit Karriere. Die aus den vg. beiden ersten Merkmalen erkennbare .....Doppelorientierung, die jede Karriere ermogllcht, namlich Ruckblick auf das Erreichte und Vorausblick auf das Mogliche, differenziert das Verhalten angesichts Unsicherheit. (...) Familiar und schulisch belastende und demotivlerende Ereignisse reduzieren die Moglichkeiten bis hin zur Ablehnung von Karriere. Aber auch diese Null-Karriere ist in unserem Sinne noch Karriere..."^^^. Tabelle 2: Fiinf Merkmale des Karrierebegriffs 1999) sowie Ihre moglichen Konsequenzen Selektivitat Selbstaufbau Individuallsierung Unsichere Zu- Selektive Erin- Erreichtes als kunft nerung; aggre- Voraus-setzung aufgrund des gierte Formen fur Weiteres. moglichen Feh- der Vergangenlens karriere- heit. relevanter Merkmale. Morgan kann Morgan kann Schaffa mit alias ganz an- alias Vargan- dam Bisharigan dars sain. gana andars ar- naua Moglichinnart warden. keiten.

(n. N. LUHMANN und K.E. SCHORR Unsicherheit Iabsorption Bedarf an zeitbindenden Strategien; Prajudizieren von Zukunftigem.

Faszination

Zusammenziehende Bewertung der Karriere und Blldung von Erfolgserwartungen. Hautiga (Ab-) Inszaniarung Sicharung das von Baobachzukunftigan tung. Uber-/ Waitarlabans.

Karriere Ist von einer hohen Diskontinuitat der Kontexte, die sie durchlauft, und die hohe Zufalligkeit bzw. Unvorhersehbarkeit der situationsbedingten Chancen, de-

Luhmann, N. und Schorr, K.E.: ebd. ^^^ Auf den dennoch bestehenden Zusammenhang von Geschlecht und Karriere werden wir welter unten naher eingehen. ^®^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: ebd. ^®^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: ebd.

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nen sie sich verdankt, werden nicht voll ins Bewusstsein zuruckgespiegelt."^^® Der Erfolg bestimmt zwar nicht die sicii bietenden zukunftigen Gelegenheiten; erweitert jedoch den Raum neuer Moglichkeiten. Gute Noten in einem Diplomstudiengang werden von manclien als hervorragende bemfliche Aussichten interpretiert, obschon diese (auf entsprechende Fremdzuschreibung basierende) Noten nichts uber die Voriiersehbarkeit der situationsbedingten Chancen aussagen und ebenso wenig uber die zur Nutzung dieser Chancen erforderliche kairologische Kompetenz^®° der ehemals Studierenden im Berufskontext''®\ Die sich aus den Noten bietenden Chancen mussen schon im Hinblick auf sich bietende IVIoglichkeiten genutzt werden, sollen die Noten jemals relevant fur die Karrlere werden. Karriere motiviert zur Absorption von zukunftiger Unsicherheit. „Hierfur stehen eine Vielzahl von Orientierungen zur Verfugung, die das Karriereverhalten individualisieren: Risikostrategien und SIcherheitsstrategien, ubersteigerte Hoffnungen und Anspruche auf der einen, Bagatellisierungen und Fatalismus auf der anderen SeiNicht jeder eriiegt der Faszination der Karriere. Es gibt auch Oppositionshaltungen und nnan kann sich auch in eine .genehme Leistungsnische' zuruckziehen urn seine Karriere dort still zu stellen".""^^ Oppositionshaltung erfordert jedoch die Profilierung^^ mit oder gegen die SelektivltSt der Karriere. Das heillt, derjenige, der sich fur diese Leistungsnische entscheidet, wird sich mit der durch Karriere begrundeten trennenden Unterscheidung auseinanderzusetzen haben. Jnsofern ist es nicht moglich, die eigene Selbsteinschatzung dem Karrieredruck zu entziehen, well jene Moglichkeit mitsamt ihren Vergleichshorizonten nicht eliminierbar ist."^®^ „Man kann .. sozusagen nicht nicht Karriere machen."^^^ Es eroffnen sich aber fur die Beobachtung unterschiedliche Karrieremuster. Die Karriere nimmt unzweifelhaft Einfluss auf die eigenen Wahrnehmungen und Einstellungen desjenigen, der sie durchlSuft. Sie nimmt Einfluss auf die Vorstellungen, die jemand von sich selbst hat. Dies wird auch daran erkennbar, dass bei elner Reduktion der Moglichkeiten und Aussichten auf Verandemng, sich mitunter der Ehrgeiz den Fakten an[passt], die Zufriedenheit mit den erreichten Positionen nimmt zu, in dem Mafie, als die Aussichten auf Anderung schwinden."^^^ Damit wird Kontingenz reduziert und „...in lebbare Formen..." gebracht^®®. Dies wird von N.

Luhmann, N. und Schorr, K.E.: ebd Kairos (gr. Kairbs): „der rechte Zeitpunkt, das rechte Mafi", gunstiger Zeitpunkt, entscheidender Augenblick; Zeitpunkt der Entscheidung (Duden: das grofie Fremdwfirterbuch, 3. uberarb. Auflage, Mannheim - Leipzig - Wien - Zurich 2003, 673). ^®^ Den Hinweis auf die Bedeutung der kairologischen Kompetenz im manageriellen Kontext verdanken wir Herrn Prof. Dr. H.W. Gartner (KFH KOJn) ^®^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: a.a.O., 280 ^®^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: ebd. ^^^ im Sinne von scharf umrissene, markante, hervorstechende Abgrenzung bzw. Unterscheidung ^^^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: a.a.O., 279-280 196 Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, 160 '"' Luhmann, N. und Schorr, K.E.: a.a.O., 280-281 ^^® Luhmann, N. und Schorr, K.E.: a.a.O., 281 190

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LuHMANN / K.E. SCHORR zutreffend als ein ..Mechanismus der KontJngenzabsorption"^®® bezeichnet; ein Mechanismus iiber den Karriere offensichtlich verfugt. N. LuHMANN / K.E. SCHORR ven/veisen darauf, dass es neben den systemspezifischen Karrieren, auch Karrieren als eine Funktionssysteme verbindende EInhelt" glbt^°°. Karrieren bilden die Verblndung zwischen Person, Organisation und Gesellschaft" stellt dazu W. IVIAYRHOFER^^^ fest. „Dass auch dafur die Form einer Karriere mit ihren IVIerkmalen wie Selektivitat und Individuallsierung, Selbstaufbau und Faszinationskraft, Unsicherhelt und Unsicherheitsabsorption herhalten muss, lasst besondere Probleme erwarten."^°^ Denn die unterschiedlichen Funktionssysteme (z.B. Gesundheitssystem und WIrtschaftssystem oder Blldungssystem) verfugen uber unterschledllche Leitdifferenzen aus denen sich unterschledllche Rahmenbedlngungen fur Karrieren ergeben. Was in dem einen System karriereforderllch (im SInne von Voranschreiten) 1st, kann sich in einem anderen Funktionssystem als karrlereschadllch auswirken. Zwel weitere Perspektiven auf das Thema Karriere mochten wir an dieser Stelle noch kurz vorstellen: W. MAYRHOFER^°^ differenziert drel Ebenen der mSgllchen Beobachtung von Karrieren: die indlvlduelle, die organlsatlonale und die gesellschaftliche Ebene. Sie werden In der folgenden Tabelle dargestellt.

Tabelle 3: Ebenen der Beobachtung von Karriere (n. W. MAYERHOFER 2001) Organisationale Ebene Individuelle Ebene Karrieren als Ausdruck ei- Tell des Prozesses der soziner spezlfischen Sequenz alen Reproduktion von Orvon Rollenubergangen; ganisation. Ergebnis eIner getroffe- Organisationen bedienen nen Wahl unter verschie- sich der Karrieren zur Aufdenen Alternativen bzw. rechterhaltung ihrer Autopoiberuflichen Positionen. esls.

Gesellschaftliche Ebene Berufliche Karrieremuster als Ausdruck von gesellschaftlich envunschten bzw. ermoglichten Positionssequenzen.

Eine weitere Unterscheidung, ist die zwischen alien und neuen Karrieren. „Es gibt eine Reihe von Hinweisen, fur das Auftreten eines Paradlgmenwechsels zwischen ,alten' und ,neuen' Karrieren sowohl in der Praxis als auch in der Forschung (vgl. zusammenfassend und im Vergleich Arthur et al. 1987 und Arthur/Rousseau 1996; Hall 1987; Hall 1994)."^°'^ Wahrend alte Karrieren mit relativ stabiJen und langerfristigen Bindungen an .traditionelle' Organisationen..." erklart werden, sind neue Karrieren .....gekennzeichnet durch sehr wechselhafte und dynamlsche UmweltbedingunLuhmann, N. und Schorr, K.E.: ebd. ^"" Luhmann, N. und Schorr, K.E.: a.a.O., 282 ^°^ Mayerhofer, W.: Karrieren in Nonprofit Organisationen - eine theoretlsche Analyse. In: Simsa, R. (Hrsg.): Management der Nonprofit Organisation. Gesellschaftliche Herausforderungen und organisatorische Antworten. Stuttgart 2001,143-163 ^°^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: ebd. ^°^Mayrhofer,W.: a.a.O., 146 ^°^ Mayrhofer, W.: a.a.O., 162

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gen, ..., flexible Arbeitsmuster und weniger enge Bindungen zwischen dem einzelnen und der Organisation. (...) So scheint.. die Zahl der klassischen ,in-house' Karrieren deutlich zuruckzugehen. [Es] kommen Personen in diesen neuen Karrleren mit einer grGBeren Zahl von Karrlerefeldern in Beruhrung. Ihre Karrleren werden daher oft auch als .Patchwork-Karrieren' bezeichnet, bei denen aufgrund von eigener Entscheldung oder durch Umwelterfordernisse die Betroffenen nicht nur zwischen verschiedenen Positlonen in einem Karrierefeld^°^, sondern auch zwischen verschiedenen Karrlerefeldern wechsein (mussen). (...) Die neuen Karrieremuster^°® gestatten eine .. lineare und sequentielle Einteilung kaum mehr. (...) In neuen Karrleren 1st eine fruhzeitige BefSrderung kaum mehr ein guter Pradikator fur den weiteren berufllchen Erfolg."2°^

2.4

Lebenslauf, Biografie und Karriere im Kontext des Medium / Form-Begriffs

Um den Zusammenhang von Karriere, Biografie und Lebenslauf systemtheoretisch zu analysieren, bletet sich der Medium/Form Begriff an. „Jede Unterscheidung erzeugt eine Form, bestehend aus dem, was unterschieden wurde (Innenselte der Fonn) und allem anderen (Auflenseite der Form)."^°® „Die Unterscheidung von Medium und Form enthalt - wie alle Unterscheidungen vor allem drei Aspekte: Die Unterscheidung selbst, die eine und die andere Seite der Unterscheidung."^°^ Was versteht die neuere Systemtheorie unter dem Begriffspaar Medium und Form? „Das Medium ist zu verstehen als ein Bereich lose gekoppelter Elemente, der die Einschreibung von fester gekoppelten Elementen ermoglicht. Medien stehen fur die Offenheit vieler mGglicher Verbindungen. Sie ermoglichen kontingente Selektionen fester Kopplungen. Medien stehen fiir die Kontlngenz jedweder Formbildung."^^° ..Medium ist immer nur Medium in Differenz zu einer Form. Alles, was Medium sein kann, kann nur Medium sein, wenn es fomribar ist."^^^ Medien ven/velsen Immer darauf, dass auch andere Formen mSglich gewesen waren und noch mogllch sind. ,.EIne Form entsteht, wenn die Elemente eines Mediums strikter gekoppelt werden,... Formen sind quasi .Elementverklumpungen'. Die losere, lockere, weichere, plastische Struktur des Mediums ermoglicht den Formen, sich einzuschreiben, ohne, dass dadurch die Medialitat des Mediums verbraucht oder aufgehoben wurde. Jede Form hat zwei Seiten, eine Innen- und eine Aulienseite: Die Form unterscheidet sich in Ihrem So-Sein selbst (Innenselte) von alien denkbaren Moglichkeiten des ^°^ Karrierefelder sm6 nach W. Mayrhofer ..konstituierte Arenen, in denen Karriere stattfindet", die sich in verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen (wie Politik, Wirtschaft etc.) entwickeln. ^°® Karrieremuster sind nach W. Mayrhofer ..spezifische, typische und damit auch wiederkehrende Fomnen des horizontalen und/oder vertikalen Wechsels zwischen verschiedenen Positionen eines Karrierefeldes" ^°^ Mayrhofer, W.: a.a.O., 152f. ^°® Krause, D.: a.a.O., 129 ^^ Bardmann, T. und Lamprecht, A.: Medium und Form. In: Dies.: Systemtheorie verstehen. Eine multimediale Einfuhrung in systemisches Denken, CD-ROM, Heidelberg 2003,1 ^^° Bardmann, T. und Lamprecht, A.: a.a.O., 2 ^''Krause, D.: a.a.O., 171

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Auch-anders-sein-konnens, die das Medium (Aufienselte) bietet. Die Aufienseite ist dabei nicht offen, sie verweist nicht gleich in den .unmarked space', sondem auf die Limitierungen, die das Medium selbst bietet. Sie venveist auf das Arsenal von Moglichkeiten, die ein Medium verfugbar macht und lasst mithin das Medium als Fomri erkennbar werden."^^^ Form setzt eine Beobachtung zwelter Ordnung voraus, denn erst ein Beobachter, der Beobachter beobachtet, vermag Formen zu beobachten. (...) Was auch immer untersciiieden und bezeichnet werden mag, stets wird das was nicint unterschieden und bezeiclinet wird, als die andere Seite mitgefuhrt, stets gewinnt das, was unterschieden und bezeichnet wurde, nur im LIchte der dunkel bleibenden anderen Moglichkeiten von Unterscheidungen und BezeichnunGeht man nun mit N. LUHMANN und K.E. SCHNORR davon aus, dass Karriere eine Form des Mediums Lebenslaufes darstellt und fasst man den Lebenslauf als ein Medium im Sinne eines Kombinationsraums auf, in dem sich Karriere als kontingentselektiver Vorgang, als Sequenz selektiver Erelgnisse abbildet, dann markiert dies eine Differenz. Karriere ist diese Differenz, die sich als Zweiseitenform ergibt. Die Aufienseite (im weiteren Sinne der unmarked space) verweist auf einen Raum an Moglichkeiten (den der Lebenslauf bereit halt), die wie und wann auch immer fur die Karriere - momentan nicht aktualisiert - abrufbar blelben. Die Innenseite (marked space) stellt die Karriere als eine der moglichen - synchronisch und diachronisch verlaufenden Formen des Mediums Lebenslauf-dar. Ahnlich verhalt es sich mit der Relation von Biografie und Lebenslauf. Ein Beobachter entscheidet uber die von Ihm je beobachtete individuelle Version eines Deutungsmusters. Es ist der Beobachter, der eine „Kette von Zufallen" (N. LUHMANN/K.E. SCHORR) als lose gekoppelte Elemente In eine Form (ein Deutungsmuster) einer „allmahlich weniger beweglichen Biografie" (N. LUHMANN/K.E. SCHORR) bringt. Sowohl Biografie als auch Karriere unterliegen der Selbst- wie der Fremdbeobachtung. Der Form Biografie liegen dabei jedoch in der Regel andere Elemente zugrunde als der Form Karriere. Die Form der Biografie kann jedoch auf Elemente der Fomn Karriere verweisen und umgekehrt. Biografische Erelgnisse verlaufen synchron zu karrlererelevanten Ereignissen, haben diese beeinflusst oder sind von diesen gepragt (worden) und umgekehrt. „Die biographische Perspektive richtet das Interesse auf die individuellen Motive, Orientierungen und Handlungsweisen, durch die aus der Grundstruktur des Lebenslaufs eine personliche Biographle gemacht wird."^^"^ In der Beobachtung der Biografie werden zudem Identifizierungselemente akzentuiert, die sich sowohl auf Leistungsrollen (primar beruflich konnotiert) als auch auf Laienrollen (Partner, Freund, Patient etc.)^"*^ die eine Person innehaben kann, beziehen. Wahrend In der Beobachtung der Karriere vorwiegend (wenn auch nicht ausschliefilich) Leistungsrollen im Vordergrund stehen. Dies bedeutet auch, dass des Weiteren in der Beobachtung der beiden Formen Biografie und Karriere neben den Leistungs- und Laienrollen ^^^ Bardmann, T. und Lamprecht, A.: a.a.O., 2 ^^^ Krause. D.: a.a.O., 130 ^^^ Heinz, W.R.: a.a.O., 68 ^^^ Vgl. zur Differenzierung von Leistungs- und Laienrollen Kap. V. Pkt. 3

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a)

mogliche askreptive Rollen, die sich auf festliegende Eigenschaften des Organlsmus bzw. des Korpers beziehen (z.B. Geschlecht, Alter, Hautfarbe), b) mogliche sekundSre Leistungsrollen, die sich auf die Wahmehmung von Ehrenamtern beziehen und c) ggf. unitarische Rollen^^® in Form von randstSndigen Rollen (HSftling) und besonderen Leistungsrollen (Nonnen und Mdnchen im Kloster, Internatsschuler, Soldaten in Kasernen etc.) unterschledlich akzentuiert und aktualisiert werden^^^. Auch wenn in der Beobachtung der Karriere primer die diversen Leistungsrollen akzentuiert werden durften; so verbleiben Laienrollen und askreptive Rollen im Hintergrund, konnen allerdings situativ mit in den Vordergmnd der beobachteten Form geholt werden, so z. B. wenn es um EhrenSmter (als sekund^re Leistungsrollen) geht. Identlfikationsstellen fiir Kommunikation in sozialen Systemen sind im Hinblick auf beobachtbare Karrieren eher Person (als soziale Adressaten). In der Beobachtung und Deutung einer Blografie durften eher organisch-psychische Systeme (Menschen) die Adressaten sein, da hier ein anderes Spektrum von Rollen in den Fokus der Beobachtung gerat. FQr Organlsationen stehen bestimmte Verhaltensen^^artungen an die Person, resultierend aus der von Organisation beobachteten Karriere, im Vordergrund. Welche biografischen Ereignisse (z.B. als Frau, als Mann, als Sportvereinsvorsitzender, als fruherer Internatsschuler oder sp^terer Soldat) daruber hinaus noch geschehen sind, bleibt zunSchst sekundSre, spielt aber fur die Fomiulierung von Erwartungen und Zuschreibungen an die Person ggf. eine mit entscheidende Rolle. Die Karriere ist - wie N. LUHMANN und K.E. SCHORR ausfQhren - nicht gegen neue Zuschreibungen in ihre Vergangenheit sicher. Der Raum dieser mdglfchen Zuschreibungen ist jedoch ein anderer als der moglicher neuer biografischer Zuschreibungen (wenn es auch Oberschneidungen der belden FormrSume geben durfte). Wahrend in der Karriere Vergangenes vorrangig „in aggregierter, zurechtgemachter, beurteilter Form (Zensuren, Zeugnisse, frOher innegehabte Amter, Gutachten) karrierewirksam" wird (N. LUHMANN/K.E. SCHORR), werden in der Biografie stets auch askreptive u. a. Rollenanteile mit einbezogen und thematisiert. In der Karriere ist die Thematisierung dieser anderen Rollen sowie die Thematisiemng von Motiven fruherer Entscheidungen nicht ausgeschlossen, aber - mit BIndung an eine Person als Adressat sozialer Systeme - eher ungewohnllch, wenn auch nicht unmdglich. Denn auch selektiv erinnerte biografische Ereignisse kdnnen den Karriereverlauf beeintrachtigen. So kOnnen fruhere - bisher unbekannte - askreptive (oder auch unitarische) Rollen ins Bewusstsein geraten und die Karriere unter einem anderen Licht erschelnen lassen.

^^® i.S.v. einheitliche Rollen ^^^ Zu den unterschiedlichen Rollen vgl.: Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, 122ff. und in dieser Arbeit Kapitel V. Pkt. 3

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3.

Karriereplateaus

Karriere verlauft nicht kontinuierlich aufwarts und sie ist - wie N. LUHMANN und K.E. SCHORR feststellen - von einer hohen Diskontinuitat der Kontexte, die sie durchlSuft, gepragt. Sie erzeugt auch nicht nur Opportunitaten, sondern ebenso Disopportunitaten (s. o.). Wenn der Erfolg das Repertoire an nutzbaren Geiegeniieiten bestimmt (und nicht die Gelegenheiten selbst), dann bedeutet dies, dass Personen bzw. Organisationen neue Moglichkeiten schaffen (mussen), urn den Selbstaufbau von Karriere zu gewahrleisten. Aber auch durch ein Unterlassen der MGglichkeitsgenerierung setzt sich der Selbstaufbau der Karriere autopoietisch fort, in welche Richtung auch immer. Was jedoch ist, wenn der Punkt einer Karriere erreicht ist, an dem es keinen weiteren Aufstieg gibt? D. VON ECKARDSTEIN, W . ELSIK und A. NACHBAGAUER sprechen

in Aniehnung an T. FERENCE ET AL. von .Karriereplateaus' als „..den Punkt in einer Karriere, an dem die Wahrscheinllchkeit einer weiteren hierarchischen Befordemng sehr gering Ist."^^^ Damit ist in der Konkretisierung der Punkt gemeint, „...an dem die zukunftlge Karrieremobilltat, die sowohl aufWartsgerichtete als auch die laterale Bewegungen umfasst, in berechtigten Zweifein zu Ziehen ist, da die VenA^eildauer in der gegenwSrtigen Position ubermSflig verlSngert ist."^^^ Die Autor/innen unterscheiden • strukturelle Plateaus und • inhaltliche Plateaus. Erstere bezeichnen die Tatsache, dass das Plateau „...durch die Struktur der Organisation (Pyramidenform, abnehmende Zahl an Stellen auf hSheren Hierarchieebenen) hervorgerufen wird."^^° Letztere bezeichnen das Ausbleiben neuer, herausfordernder und abwechslungsreicher Tatigkeiten, sodaH die derzeitigen Arbeitsaufgaben von den Betroffenen voll beherrscht werden und sie keine weiteren Lernchancen enthalten."^^^ Mitarbeiter/innen befinden sich auf einem Karriereplateau wenn • ihre weitere Beforderung unwahrscheinlich ist, • sie zu lange auf ihrer Position verweilen und/oder • ihre Tatigkeit fur sie keine Herausforderung und Lernchance mehr darstellt."^^^ Das Erreichen eines Karriereplateaus ist durch vier Phanomene^^^ beeinflusst: Umwelt, Organisation, Position, Person.

von Eckardstein, D.; ElSik, W.; Nachbagauer, A.: Formen und Effekte von Karriereplateaus. Eine theoretische und empirische Analyse, Munchen und Meringen 1997, 5 ^^® von Eckardtstein et. al.: a.a.O, 6 ^^° von Eckardtstein et. al.: ebd. ^^^ von Eckardtstein et. al.: ebd. ^^^ von Eckardtstein et. al.: a.a.O, 7 ^^^ von Eckardstein et. al. sprechen anstelle von PhSnomenen von ..Ebenen"

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Tabelle 4: Phanomene und Einflussfaktoren des Karriereplateaus Einflussfaktoren Phanomene Umwelt Wirtschaftswachstum Bildungsniveau der Gesellschaft Demografische Faktoren Organisation Interne Hierarciiie^^^ Personalpolitik Marketingstrategien Motlvationspotential der Tatigkeit Position Anforderungsprofil Bedurfnisse und Werthaltungen Person Qualifikationen Kapitalien^^^

Karriereplateaus k6nnen durchaus zum strategischen Inventar einer Organisation gehoren. Denn 1. d. R. hat die Organisation nicht das Interesse, alien Mitarbeiter/innen den Aufstieg in hoheren Positionen zu garantieren. Die meisten Mitarbeiter/innen, unter Ihnen Spezialisten/innen, Beauftragte etc. sollen moglichst auf ihre (erreichten) Positionen gehalten werden. Hier mussen ggf. andere Anreizsysteme die Bereitschaft des Verbleibens auf einem Plateau gewShrleisten. ..Karriereplateaus kdnnen aber auch durch mangelnde Personalentwicklung entstehen."^^^ Konzentriert sich die Organisation lediglich auf die (Be-)F6rderung einer uberschaubaren Gruppe von HoffnungstrSgern (den sog. ,high potentials') dann bleibt die uben/viegende Zahl der Mitarbeiter/innen (die sog. „workhorses") im blinden Fleck der organlsationalen Beobachtung. ..Auf der Ebene der Positionen sind es Merkmale der Arbeitstatigkeit, die die Entstehung von Karriereplateaus fordern konnen. Stellen mit zu geringem Motlvationspotential, d. h. geringer TStigkeitsvielfalt, also gering wahrgenommene Bedeutung der Tatigkeit, geringer Autonomie und mangelhafter oder fehlender Ruckkopplung ijber Arbeitsergebnisse, mindern das Engagement und in weiterer Folge die Qualifikation der Stelleninhaber/innen ebenso wie die Stelle... ."^^® Nicht alle Mitarbeiter/innen (Personen) wollen unbedingt Karriere machen. Mancher verlegt sein Engagement in nicht auf den Beruf bezogene Tatigkeiten oder findet seine Leistungsnische im Beruf. Andererseits kann jedoch auch eine nicht hinreichende Qualifikation der Person eine Karriere beeintrachtigen, wenn erwartete FShigkeiten fur eine angestrebte Position nicht nachgewiesen werden konnen. Die vier genannten Phanomene und ihre Einflussfaktoren stehen interdependent zuelnander. In Zeiten des Arbeitsplatzabbaus werden sich die Anforderungen an den einzelnen erhohen. Ein hoheres Bildungsniveau fuhrt wohl auch eher zu ent-

^^ in Aniehnung an von Eckardtstein et. al, (mit entsprechend auf unser Thema bezogenen ErgSnzungen und Anderungen) ^^^ Organisationshierarchien verjungen sich nicht allmahlich in Form eines Kegels oder einer Pyramide nach oben, sondern durch grOBere Sprunge. ^^® Zum Begriff der Kapitalien s. Kap. III. Pkt. 4.3 ^^ von Eckardstein et. a!.: a.a.O., 10 ^^® von Eckardstein et. al.: ebd.

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sprechenden Erwartungen der Organisationen an den Einzelnen. Reaktionen des Unternehmens in Form von Anpassungen an eine sich verandernde Umwelt, konnen zum Abbau von - auch hierarchisch hoher angesiedelten - Stellen fuhren. Entsprechend minimieren sich Aufstiegsmogiiciikeiten im Unternehmen. Plateaued (IVIitarbeiter/innen auf einem Karrierepiateau) und non-plaetaued performers (Mitarbeiter/innen, die sich - noch - nicht auf einem Karrierepiateau befinden) konnen auf der Basis diverser Untersuchungen^^^ wir folgt unterschieden werden: • „Plateaued performers sind alter, weniger zufrieden mit ihren Vorgesetzten, berlchten uber geringere Aufstiegschancen, fehlen ofter, schatzen ihre Marktfahigkeit geringer ein und fuhlen sich weniger gesund. • In Bezug auf Leistung, Arbeitszufriedenheit, Motivation und Bedeutung von Beforderung liefern die empirischen Untersuchungen bislang entweder keine Unterschiede oder widerspruchliche Befunde."^^° Damit konnen die Mitarbeiter/innen auf einem Karrierepiateau nicht als homogene Gruppe betrachtet werden. Es kann allerdings festgehalten werden, dass das Erreichen eines Plateaus keineswegs gleichbedeutend mit Motivationsverlust und Leistungsabfall sein mu(i."^^^

4.

Karriere in Non-profit Organisationen (NPOs)

Vor dem Hintergrund des vorliegenden Themas und seinen Bezug auf die Institutionen der stationaren Altenpflege soli der Karrlerebegriff im Folgenden im Rahmen so genannter Non-profit Organisationen (NPOsp^ untersucht werden. Dabel gehen wir von der Uberlegung aus, dass Karriere sich zwar selbst aufbaut und Insofern hochst kontlngent sein kann, sie verlauft jedoch auch stets kontextabhangig. Genauer gesagt, unterliegt Karriere einer Diskontinuitat jener Kontexte, denen sie sich verdankt.

4.1 Zur Schwierigkeit der Definition und Kategorisierung von NPOs NPOs werde im allgemeinen Verstandnis als nicht gewinnorientierte Organisationen und als Zwischenglied zwischen staatlichen Einrichtungen und dem freien Markt verstanden. Im Berelch des Gesundheitswesens sind ca. 34% der Einrichtungen NPOs (50% sind offentliche Einrichtungen, 16% der Einrichtungen sind Gewinn orientiert ausgerichtetp^. Fur die weitere Expllkation des Karrierebegriffs im Kontext von NPOs kann jedoch dieses allgemeine Verstandnis von NPOs nicht ausreichen.

^^^ Vgl. von Eckardstein et. al.: a.a.O., 11ff ^^° von Eckardstein et. al.: a.a.O., 14 von Eckardstein et. a!.: a.a.O., 16 ^^^ Wir verwenden hier - der leichteren Lesbarkeit wegen im Plural - die in der Literatur uberwiegende Schreibweise in der Abkurzung mit einem „s" am Ende ^^^ Mitschrift aus der Vorlesung Betriebswirtschaftslehre (Prof. R. Allert) im Fach Pflegemanagement, KFH Koln, 7. Semester, 17.11.2003

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R. SiMSA^^^ hat sich urn eine Definition der NPOs bemOht. Sie gelangt dabei zunachst zu der Feststellung, dass bislang noch keine allgemein akzeptierte, insgesamt treffende und vollig eindeutige Bezeichnung fur die .. mit dem Terminus ,NPO' benannten Organisationen [existiert]. Der Begriff NPO hat sich seit Mitte der 80er Jahre in den von ihm bezeichneten Organisationen selbst zwar weitgehend durchgesetzt und gewinnt auch in der wissenschaftlichen Arbeit zunehmend orientiemngsstiftenden Charakter, ist aber immer noch nicht zum Allgemeingut geworden."^^^ R. SIMSA greift in einem ersten Versuch der KlSrung des Begriffs NPO eine Definition des Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Projects" (JHP) auf. Demzufolge werden unter NPOs private Organisationen gefasst, die sich durch ein Mindestmafl an Freiwilligkeit und Selbstven/\^altung auszeichnen, einen gewissen Grad an formaler Organisation aufweisen und sich einem Verzicht auf Gewinnausschuttung unten/verfen."^^® Sie ist sich dabei der Schw^chen dieser Definition bewusst, die u.a. darin liegen, dass zwar klar wird, was NPOs nicht sind (sie sind nicht gewinnorientiert), jedoch offen bleibt, was sie sind: „Wenn nicht fur Profit, wofur denn dann? (...) Angesichts der Schwierigkeit, eine positive,....Bezeichnung zu finden, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Einheit des Bereichs...gerade auf die Abgrenzung von anderen Organisationsformen grundet."^^^ NPOs werden demzufolge im deutschsprachigen Raum nicht selten gleichgesetzt mit so genannten ,Nichtregienjngsorganisationen* (NGO), weil die Bezeichnung NPO terminologisch nicht die in ihr meist mitgedachte Abgrenzung von offentlichrechtlichen Organisationen [expliziert]. (...) Die Begriffe NPO, not-for-profit und nichtgewinnorientierte Organisationen wurden neben den Rechtswissenschaften v. a. im betriebswirtschaftlichen Kontext gepragt, wo die Abgrenzung von Wirtschaftsunternehmen im Vordergrund steht. (...) Der v. a. in menschenrechts- und umweltpolitischen Kontexten angewandte Begriff der NGOs eriangte in Zusammenhang mit UNWeltkonferenzen, insbesondere der Konferenz fur Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro, groRe Popularit^t. Die dort verabschiedete Agenda 21 beschreibt NGOs als zentrale politische Akteure, der Begriff fokussiert daher konsequentenA^eise auf die Abgrenzung von Regierungsorganisationen."^^® Auch der Begriff ,Freiwilligenorganisation' (voluntary organization) wird oft als Synonym fur NPOs venA/endet. Mit seiner Betonung von „...unbezahlter Arbeit und freiwilliger Mitgliedschaft..."^^^ ven^/eist er jedoch auf einen relevanten Unterschied zu NPOs. Der Begriff ,soziale Bewegungsorganisation' kann „...fur eine Spezifikation von NPOs venA^endet werden, die umfassendere Bezeichnung NPO kann er allerdings nicht ersetzen."^^° Auch die Begriffe Jntermedi^re Organisationen', ,Zivilgesellschaftliche Organisationen' und ,Dritter Sektor-Organisationen' sind nur bedlngt mit Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen und Einflussformen von Nonprofit-Organisationen. Eine systemtheoretische Analyse, Frankfurt a.M. 2001, 67ff. Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen, 68 ^^ Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen, 71 fj Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen, ebd. ^ Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen, 73

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NPOs terminologisch gleichzusetzen^'^\ finden aber dennoch Verwendung^"^^. Wahrend beispielsweise im rechtlichen Kontext NPOs als gemeinnutzige Organisationen begriffen werden und auf steuerrechtliche Aspekte zuruckgegriffen wird, gehen betriebswirtschaftliche Definitionen eher von den relevanten Einnahmequellen der NPOs aus. ..Haufig orientieren sich Abgrenzungen und Definitionsansatze auch an dominanten organisationalen Zielen,... "^^^ In der o. g. Definition des JHP, die It. R. SIMSA „...international zunehmend rezipiert und Untersuchungen zugrunde gelegt wird,... [wird] weder von Zielen noch von Einkommensquellen ausgegangen, vielmehr werden grundlegende Strukturen und Organisationslogiken zugrunde gelegt."^"^"^ Folgende funf Merkmale kennzeichnen demnach eine NPO: 1.

Ein Mindestmali an formaler Organisation muss gegeben sein. Dies umfasst i.d.R. „...die juristische Reglstrierung. (...) Die Formalislerung kann aber auch durch formalisierte Entscheidungs- und Ablaufstrukturen, sowie festgelegte Verantwortlichkeiten ausgedriickt werden. Ad hoc organisierte, informelle und temporare Zusammenkunfte gelten demgemafl nicht als NPOs.

2.

Die Organisation muss vom Bereich staatlicher Administration institutionell abgegrenzt, d.h. in grundlegenden Strukturen privat sein.

3.

Es darf keine Gewinnausschuttung an Eigentumer oder Mitglieder erfolgen. Gewinne durfen erwirtschaftet werden, mussen aber fur den Organisationszweck, die Mission verwendet werden. NPOs sind in diesem Sinn Organisationen, die nicht primar zum Zweck der Gewinnerwirtschaftung existieren.

4.

Es muss ein Minimum an Selbstven/valtung bestehen, d.h. die wichtigsten Entscheidungen konnen zumindest formal innerhalb der Organisation getroffen werden und es existiert somit keine vollige Aufienkontrolle im juristischen Sinne.

5.

Es muss ein Mindestmali an Freiwilligkeit vorhanden sein. Dies kann in unbezahlter Arbeit realisiert werden, aber auch frelwllllge Mitglledschaft oder freiwillige Spenden konnen als Indikator gelten."^"^^

Diese Grenzziehung ist nicht ganz unproblematisch. „Die Grenzen zwischen ,privaten' und ,6ffentlichen' Organisationen sind Insbesondere in Europa sehr fliefiend und es existieren zahlreiche Mischformen."^^^ Zu Recht verweist R. SIMSA in diesem Zusammenhang in einer Fudnote auf die irrefiihrende Verwendung des Begriffs der s. hierzu Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen, 76ff. ^'^^ u.a. in der Einfuhrung des Buches .Management der Nonprofit Organisation. Gesellschaftliche Herausforderungen und organisationale Antworten', Stuttgart 2001, 1 von R. Simsa selbst werden diese Begriffe synonym verwendet ^^^ Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen, 80 ^^^ Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen, ebd. ^^^ Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen, ebd. ^^^ Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen, 81

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,Privatisierung' von Teilen der offentlichen Verwaltung. „Unter dem expliziertem Ziel der Effektivierung der Leistungserbringung werden damit latente Funktionen wie etwa die Umgehung offentlicher dienstrechtlicher Standards erfullt. Bei oft vollstandiger Finanzierung durch die offentliche Hand kann in diesen Fallen allerdlngs weniger von .Entstaatlichung' als vielmehr von .Entdemokratisierung' gesprochen werden."^^^ Letztendlich blelbt - trotz formalrechtlicher Privatisierung - in vielen dieser Einrichtungen (kommunale Altenheime etc.) der Nonproflt-Charakter erhalten (und damit auch die Aufrechterhaltung staatlicher Subventionen). Auch die Abgrenzung zu profitorientierten Organisationen ist mit der v. g. Definition des JHP nicht Immer gewahrleistet. „So ist das Verbot der Gewinnausschuttung nicht absolut trennscharf, da verdeckte Formen der Gewinnausschuttung,...nur schwer erfasst werden konnen. Teilweise herrscht de facto eine okonomische Orientierung im Rahmen von rechtlich als gemelnniitzig definierten Organisationen vor, «248

Da die Kriterien der v. g. Definition des JHP jedoch der Vielfalt der NPOs gerecht werden, als auch den wesentlichen Charakterlstika von NPOs Rechnung tragen und eben „...nicht auf spezlfische inhaltliche Zielsetzungen oder Tatigkeitsbereiche rekurriert wird"^"^^, sollen diese im folgenden gedankllch hinterlegt werden, wenn wir uns den Karrleren in NPOs zuwenden.

4.2 Einrichtungen der Altenhilfe in Deutschland als NPOs In einer weiteren Klassifizierung von NPOs greift R. SIMSA die standardisierte Differenzierungssystematik der International Classification of Nonprofit Organiszations (ICNPO) auf. In dieser Klassifizierung werden nach dem Hauptbetatigungsfeld der NPOs zwolf Gruppen unterschieden. Hierzu zahlen u. a. im Bereich des Gesundheitswesens (3. Kategorie) Krankenhauser, Pflegeheime u. a. Einrichtungen. In Kategorie 4 sind Soziale Dienste subsumiert. Hierzu gehoren u. a. Einrichtungen des Sozialwesens. In der Bundesrepublik Deutschland (BRD) waren Ende 2001 von alien 9.165 Altenund Pflegeheimen • 35,8% in privater, • 56% in frelgemeinnijtzlger und • 8,2% in kommunaler und sonstiger offentlicher TrSgerschaft^^°. W^hrend bei den kommunalen Tragern ein leichter zahlenmsifliger RQckgang zu verzeichnen ist, die Anzahl der freigemeinnutzigen Einrichtungen nahezu stagniert, verzelchnen die Einrichtungen in privater Tragerschaft eine Zunahme (von 1999 bis 2001 um 6,3%).

^^^ Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen, ebd. (Fulinote 2) ^^^ Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen, 82 ^^^ Simsa, R.: Gesellschaftliche Funktionen, ebd. ^^° Statistisches Bundesamt: Pflegestatistik 2001,15

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Unter den o. g. funf Kriterien fur NPOs konnen neben Einrichtungen in freigemeinnutziger Tragerschaft die IVIehrzahl der kommunalen Einrichtungen als NPOs begriffen werden. Dies gilt vor allem fur kommunale Einriclitungen, die in institutioneller Abgrenzung zur staatlichen Adnninistration (Kriterium 2) als Eigen- bzw. Regiebetriebe, gGmbH oder in vergleichbarer Rechtsform gefuhrt werden. Inwiefern Telle der privaten Einrichtungen die NPO-Kriterien der JHP erfullen, kann an dieser Stelle nicht abschlieliend beurteilt werden. C. BADELT kommt in einem Landervergleich zwischen Deutschland, Osterreich und der Schweiz zu dem Ergebnis, dass in der BRD 63% aller Altenwohn- und Pflegeheime NPOs sind^^\ was unserer Auffassung entsprechen wurde. Zusammenfassend konnen wir festhalten, dass mit NPOs „...all jene privaten, nichtgewinnorientierten Organlsationen angesprochen [sind], welche weder dem Markt noch dem Staat zugerechnet werden, und die damit eine Art ,dritte institutionelle Form' reprasentieren."^^^ In der BRD sind dies ca. zwei Drittel der stationaren Altenpflegeeinrichtungen.

4.3

Karriererelevante Besonderheiten von NPOs - oder: Wie wird in NPOs „der Karren durch den Dreck gezogen"?

Innerhalb der in Punkt 4.1 genannten Charakteristika von NPOs lassen sich karriererelevante Besonderheiten in NPOs identifizieren. Auf einige karriererelevante Besonderheiten werden wir im Folgenden eingehen. Wir gehen also - etymologisch ausgedruckt - der Frage nach, wie in NPOs „der Karren durch den Dreck gezogen wird".

4.3.1 Ehrenamtliche Funktionare und hauptamtliche MItarbeiter NPOs verfugen in ihrer naheren Umwelt uber Personal, das in unterschledlicher Form mit der Organisation gekoppelt ist. Wahrend zum Belspiel die Vereins- und Vorstandsmitglieder des Tragers als ehrenamtlichen Mitglieder in einem Prozess der demokratlschen Willensbildung Themen, Inhalte und Richtungen der Institution festlegen, ... [sind] die daraus resultierenden organisationsrelevanten Entscheidungen vom hauptamtlichen Personal in das Tagesgeschaft umzusetzen."^^^ Diese zentrale Differenz zwischen ehrenamtlichen und lohnabhangig Beschaftigten (Hauptamtlichen) ist fur das Thema der Karrieren in NPOs von Relevanz. Im Rahmen der funktionalen Differenzierung kommt es zu einer Spezialisierung in Form Die Rolle von NPOs im Rahmen der sozialen Sicherung. In: Simsa, R.: Management der Nonprofit Organisationen. Gesellschaftliche Herausforderungen und organisationale Antworten, Stuttgart 2001, 2 3 - 4 0 ^^^ Simsa, R. (Hrsg.): Management der Nonprofit Organisation. Gesellschaftliche Herausforderungen und organisatorische Antworten, Stuttgart 2001, 1 ^^^ Schuller, A. und Sumetzberger, W.: Und sie bewegt sich doch? Veranderungsmanagement in Nonprofit-lnstitutionen am Beispiel der Interessenvertretungen. In: Simsa, R. (Hrsg.): Management der Nonprofit Organisation. Gesellschaftliche Herausforderungen und organisationale Antworten, Stuttgart 2001,165-170

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von nebeneinander existierenden Subsystemen, die jeweils ein Eigenleben fuhren. Innerhalb dieser Subsysteme formieren sich, urn spezifische gesellschaftliche Problemstellungen herum, Organisationen. Diese Organisationen sind in ihrer Autopoiesis gepragt vom jeweiligen gesellschaftlichen Subsystem, zu dem sie primar geli6ren (vgl. Kapitel V.). ilir Personal rekrutieren die Organisationen auf der Basis ihres von iiinen selbst mitdefinierten geseilschaftiiclien Auftrags. Wenn nun eine Organisation, wie im Falle einer NPO, etwas nicht, ,um des Profit willen' tut, warum dann? ,Um Gottes Willen gar'? Solche Klangfarben liaben in besonderem IVIafl fur Organisationen von ,Freiwilligen' bzw. .Ehrenamiichen' Bedeutung. [Denn] die Ehre ist urspriinglich ein standisches PhSnomen. In einer enttraditionalisierten, funktionalistischen Gesellschaftsordnung wird die .Standesehre' zum einen durch .Berufsethik' abgelost, zum anderen bleibt sie gewissermafien als frei flottierende Gefuhlsbereitschaft verfugbar, die sich ... an andere soziale Formationen binden kann Da die traditionelle, standische Gesellschaft mit der fur sie typischen sozialen Immobilitat den Menschen auch Identitat vermittelte, entstehen mit der Moderne plotzlich .Sinnkrisen', es tauchen Fragen nach einem .sinnerfullten Leben' u. a. auf.... Man beginnt, sich gesellschaftlich zu .engagieren' (Pantoke, 1994)."^^ E.E. KRAINZ und R. SIMSA verdeutlichen in etymologischer Ableitung des Beg-

riffs ,Sinn' („sich auf ein Ziel zu bewegen" bzw. „Richtung", das „Sinnen und Trachten"), welche Dimensionen diese Sinnkrise fur die Menschen seinerzeit wie heute hat(te). Es entstand in dieser Sinnkrise ein Ethos gesellschaftlichen Engagements..., es entwickelte sich die Institution des ,Ehrenamts' (Winkler, 1994). Diese historische Ableitung macht deutlich, das Ehrenamtliche (bei Weber heilien sie noch .Honoratioren') ein besonderes Verhaltnis zur .Moral' haben, zumindest als Motiv sich ZU engagieren. Auch W. MAYRHOFER spricht von einer „hochgradigen Sinnorientierung", die ein bedeutsames Charakteristikum von NPOs darstellt. „Als Tendenzorganisationen sind sie oft einer mit normativem Anspruch auftretenden Grundungsidee und damit bestimmten Werten und auch einer organisationsspezifischen Moral verbunden (Eckardstein/Simsa 1999, 395). Der im Vordergrund stehende, inhaltlich konkret ausformulierte Sinn ist wesentlich greifbarer als das abstrakte und flexiblere Sinnmedium Geld in For-profit Organisationen. NPOs konnen daher als .forcierte Sinnsysteme' (Zauner 1999,122) bezeichnet werden."^^® Was bedeutete nun das sinnorientierte Motiv sich im „dritten Sektor" (zwischen profit-orientierten und staatlichen Organisationen) zu engagieren aus der organisationalen Perspektive der NPOs? „Dafi sich lauter Menschen ,guten Willens' in einer Organisation zusammenschliefien und nach ehrenwerten Zielen streben, sagt ... noch nichts daruber aus, wie geschickt sie die Organisation steuern und entwickein, wie sie in der Verfolgung ihrer Ziele ihr Leistungspotential nutzen und wie effektiv sie dies tun."

^^^ Krainz, E.E. und Simsa, R.: Gute Menschen. Zur Beratung von Freiwilligen-Organisationen. ln:Grossmann, R., Krainz, E.E., Oswald, M.: VerSnderung in Orgnaisationen. Management und Beratung, Wiesbaden 1995, 255-273 ^^^ Krainz, E.E. und Simsa, R.: a.a.O., 256 ^^® Mayrhofer, W.:a.a.O., 157

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Der dritte Sektor -

so E.E. KRAINZ und R. SIMSA sei gekennzeichnet von

Einsatzbereitschaft und Enthusiasmus ehrenanntlicher Mitglieder. Jn einer rundum venA/alteten und durchorganisierten Welt [ist] der fur sie charakterjstische ,funktionelle Dilettantismus' gewissermalien ein Freiheitshort, in dem man sich so verwirklichen kann, wie es ejnem in der restlichen Welt nicht gegeben [ist], uber Ineffizlenz und Inkompetenz braucht man sich daher nicht sonderlich zu erregen. Solche Romantlsierungen findet man auch bei vielen ehrenamtlichen Systemtragern."^^^ E.E. KRAINZ und R. SIMSA verweisen darauf, dass diese Romantisierungen auch ihren Preis fur die Mitglieder der Organisation haben (und zwar ehrenamtliche und hauptamtllche Mitglieder). Der Preis sind Burn-out-Phanomene, die wie die meisten burnouts nur zum Tell vom .Klientel' ausgehen, hauptsachlich jedoch von den organisatorischen Zustanden verursacht werden, unterdenen man arbeitet."^^® Zur DIfferenz zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen venA^eisen E.E. KRAINZ und R. SIMSA auf das Wachstum einer NPO. Wenn diese eine bestimmte Grofienordung erreicht hat und die ehrenamtlichen Vorstande ein hauptamtliches Management brauchen, kommen im Vergleich zum bisher Geltenden ganzlich neue Gedanken hinzu. Nun reicht es nicht mehr ,guten Willens' zu sein, die Effektivitat der Tatigkeit zahit mindestens so viel wie die Moral, es genugt nicht zu wollen, man sollte auch konnen."^^^ Dadurch wird der Unterschied zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen zu einem „... ,Wesensunterschied', ein notwendiger Widerspruch, und daher ist es kein Wunder, dali sich Konflikte in erster Linie mit den Hauptamtlichen ergeben. Denn diese reprasentieren vor allem die ,moralfreie' Organisation, zumal wenn sie, schlicht in Wahrnehmung ihrer Aufgaben, den Ehrenamtlichen (bisweilen auch sehr gem) vor die Nase halten, welche Defizite es in der Organisation gibt."^®° In der alltaglichen Praxis kommt es zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen nicht selten zur Ven^/ischung der Aufgabenteilung. Zum einen sind die zeitlichen Ressourcen der ehrenamtlich tStigen Personen in den Aufsichts- und Vorstandsgremien begrenzt. Oft werden diese Aufgaben neben weiteren Ehrenamtern (z. B. als politisch gewahlte Reprasentanten auf kommunaler und hoherer Ebene) oder einer hauptberuflichen Tatigkeit wahrgenommen. Die von den hauptamtlichen Personen (teilweise schriftllch) vorberelteten Entscheidungsgrundlagen k5nnen von den ehrenamtlich handelnden Funktionaren nicht immer nachvollzogen werden. Dies, vor allem aufgrund begrenzter zeitlicher Ressourcen und aus Grunden der nicht zur Verfugung stehenden Moglichkeiten zur Komplexitatsreduktion. „Hauptamtliche stehen durch das Tagesgeschaft dem Geschehen naher und haben den besseren Zugang zu Informatlonen, politischen Akteuren, Lobbies etc. und damit auch groflere Einflussmoglichkelten."^^'' Dadurch verfugen sie uber die Moglichkeit gegenuber ehrenamtlichen Entscheldungstragern eIne Komplexitat aufzubauen, die von diesen nicht mehr bewerkstelligt werden kann. Krainz, E.E. und Simsa, R.: a.a.O., 257 ^^® Krainz, E.E. und Simsa, R.: ebd. ^^^ Krainz, E.E. und Simsa, R.: ebd. ^®° Krainz, E.E. und Simsa, R.: ebd. ^^^ Schuller, A. und Sumetzberger, W.: ebd.

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„Die Auswirkungen auf die Arbeitsteilung (Etablierung formaler Strukturen, definierte Verantwortungsbereiche, Kompetenzabgrenzungen Regein und Vorschrlften) gehen in zwei Richtungen: Entweder ,klebt' man aneinander (aus Zuneigung oder aus Mifitrauen) oder man findet, der Machtspiele mude, eine Moglichkeit zur individuellen .Seibstverwirkiichung'. Jede noch so kluge Regelung wird umgangen, jede noch so sinnvolle Kompetenzaufteiiung schnellstmoglich wieder hinterfragt, ganz allgemein haben formale Strukturen vergleichsweise wenig Gewicht - zugunsten einer sehr grofien Bedeutung des Informellen (Patak und Simsa, 1993). (...) Die hohe Bedeutung des Informellen hangt (in NPOs, A. d. A.) mit der Schwierlgkeit zusammen, ein Erfolgmafl zu finden. Im Grunde tut man immer zu wenig. (...) Zum einen sind die Ziele zu umfassend, zum anderen eroffnet sich hier eine eigentiimliche Paradoxie. Man ,braucht' die Missstande fur die eigene Identitat, sowohl individueil wie auch als Organisation. Fast miifite man an der Aufrechterhaltung eines gewissen Mlndestausmafies von Unzufriedenheit Interesse haben, sonst wurde man sich selbst erubrlgen. Aus der relativen Unbestimmtheit der Tatigkeit in Bezug auf konkrete Ziele, Oder anders gesagt, aus der Notwendigkeit konkrete Ziele je und je zu bestimmen, resultlert bei diesbezuglichen Unklarheiten eine gewisse Beliebigkeit, was man tut, daher ist ein breiter Raum fur Machtspiele eroffnet."^®^ Und zwar auf verschiedenen Ebenen: Machtspiele zwischen Ehrenamtlichen (Wer verfiigt uber die bessere Moral?), zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen (Wer ist fur was zustandig?) und zwischen hauptamtlichen Mitarbeitern in der Selbstdarstellung gegenuber den Ehrenamtlichen (Wer ist der Kompetentere?). Die in der Praxis unklaren Kompetenzabgrenzungen bieten beide Seiten das Wahrnehmen von Freiraumen und Einflussmoglichkeiten: das Forcieren von Themen und deren konkrete politische Ausgestaltung durch Hauptamtliche, das unverblndliche .Dabeisein' mit der M5glichkeit, das .letzte Wort' zu haben fur Ehrenamtliche. (...) Charakterlstisch ... ist die Befurchtung, dass Hauptamtliche, die sich organisationslntern nicht durchsetzen konnen Verbundete unter den Ehrenamtlichen suchen und auf diese Weise muhsam gefundene gemeinsame Sichtweisen, Perspektiven und Entscheidungen wieder aushebeln."^^^ Der von A. SCHOLLER und W. SuMETZBERGER vorgeschlagene Bezug auf die Konstruktionslogik, um Klarheit und Orientierung fur beide Gmppen herzustellen (..Hauptamtliche Mitarbeiter sind starker mit der Organisation verbunden, sie verwalten die Regein, sorgen fur Kontlnuitat. Funktionare sind glelchzeitlg Reprasentanten der Institution und...Verbindungsglieder zur Aufienwelf), bleibt dabei unseres Erachtens doch eher nonnatives Wunschdenken, als dass dies sich im Organisatlonsalltag so widerspiegelt. Reprasentation und damit die Verbindung zur Aufienwelt werden i. d. R. von den ehrenamtlichen Funktionaren an die hauptamtlichen Leitungskrafte delegiert bzw. ubernehmen diese Repr^sentationsaufgaben oft selbstverstandlich, ungefragt und unhlnterfragt mit in ihr Aufgabenrepertolre. Hat die NPO eine gewisse Grofle erreicht und bedarf es aufgrund dessen eines hauptamtlichen Managements, dann sind es die ehrenamtlichen Funktionare, die

^ Krainz, E.E. und Simsa, R.: a.a.O., 264

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im Rahmen der Besetzung der Leitungsstellen (Geschaftsfuhrung, Heimleitung) in den Einrichtungen weitreichende Entscheidungen treffen. Die Rekrutierungspraxis der ehrenanntlich Tatigen unterscheidet sich dabei mitunter erheblich (hinsichtlich der Entscheidungspramissen, die diesen Personalentscheidungen zugrunde liegen) von der Rekrutierungspraxis unterhalb dieser Ebene. Da die Uberlebensinteressen der Trager bei der Auswahl der Fuhrungskrafte im Vordergmnd stehen (mussen), spielt die fachliche Kompetenz bei der Auswahl der Leitungskrafte nicht selten eine nachgeordnete Rolle. Im Sinne der ikonischen Ubereinstimmung und der Gleichformlgkeit steht die Frage der Stimmigkeit (to match) ^^ fur die entscheidungsbefugten Ehrenamtler im Vordergrund. „lm technischen Jargon heilit das .Homomorphie',..."^^^. Damit 1st eIne Strukturahnlichkeit gemeint. Homomorphie ist gegeben, wenn die Abbildung eines Originals auf ein Modell eindeutig ist. Wenn also die auszuwahlende Fuhrungskraft mit den auswahlenden ehrenamtlichen Mitgliedern des entscheidungsbefugten Gremiums ubereinstimmt. „Sagen wir andererseits, dass es ,pafit' (to fit, A. d. A.), so bedeutet das nicht mehr und nicht weniger, als dass es den Dienst leistet, den wir uns von ihm erhoffen. Ein Schlussel ,pa(it', wenn er das SchloR aufsperrt. Das Passen beschreibt die Fahlgkeit des Schlussels, nicht aber das Schlofi."^^^ Stimmigkeit erhalt bei der Auswahl von FuhrungskrSften fur stationare Pflegeeinrichtungen haufig den Vorrang vor der Passung. Insofern kommt den Biografien und den unterschiedlichen Rollen, die eine Biografie als Deutungsmuster anbietet bei sich bewerbenden Leitungskraften In den Beobachtungen der ehrenamtlichen Entscheidungstrager eine vorrangige Bedeutung zu. Karriererelevante Ereignisse und bisherige Leistungsrollen geraten demgegenuber In den Hintergrund. Auch dies kann Ausdruck des von E.E. KRAINZ und R. SIMSA bezelchneten funktionellen Dilletantismus sein, jenem Freiheitsort der SelbstvenA/irkllchung von Ehrenamtlichen. Es ist der Homomorphie immanent, dass dieser romantisierte Selbstverwirklichungswunsch sich auch in der Auswahl des einzustellenden Leitungspersonals widerspiegelt. Ehrenamtliche mochten sich insofern im Bild des anderen (Hauptamtlichen) wieder erkennen konnen. Womit nicht gesagt ist, dass diese homomorphen Entscheldungstendenzen ausschliefilich bei Ehrenamtlichen vorzufinden sind. Ein weiterer Unterschied zwischen ehrenamtlichen Funktionaren und hauptamtlichen Mitarbeitern (incl. Leitungskraften) ist von Bedeutung: „Ehrenamtliche konnen .. auch einfach gehen, und es gibt keine Machtmittel, die das verhindern konnten. Damit ergibt sich eine Abhangigkeltsumkehr, die Organisation hangt (an dieser Stelle, A. d. A.) mehr von den Mitgliedern ab als umgekehrt. Die .Erprefibarkeit' der Mitglleder durch die Organisation ist sehr gering, jedenfalls materiell, nur mit dem Appell an die Moral hat man gewisse Moglichkeiten. Jeder kann jederzeit mit AusVgl. zum Begriffspaar stimmen (match) und passen (fit): von Glaserfeld, E.: Einfuhrung in den radikalen Konstruktivismus. In: Watzlawick, P. (Hrsg.): Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beitrage zum Konstruktivismus, 12. Aufl., Munchen Zurich 2000, 1 6 - 3 8 ^^^ von Glaserfeld, E.: Einfuhrung in den radikalen Konstruktivismus. In: Watzlawick, P. (Hrsg.): Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beitrage zum Konstruktivismus, 12. Aufl., Munchen Zurich 2000, 19 .20

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stieg drohen, um personliche Interessen deutlich zu machen, was auch immer wieder versuchtwird."^^^ Bei hauptamtlichen Mitgliedem der Organisation verhalt sich dies allein sciion aufgrund der monitaren Vergutung, die sie fur ihre zu erbringende Leistung erhalten, anders. Hier kommt dem Steuerungsnnedium Geld eine besondere Bedeutung zu, uber die es bei Ehrenamtlichen in dieser Form nicht verfugt. Das verhindert, neben arbeitsrechtiichen Vorsciiriften (Kundigungsfristen etc.) einen allzu schnellen SelbstAusstieg der hauptamtlichen Mitarbeiter aus der Organisation. Aulierdem ist die Austauschbarkeit von Personen in diesem Bereich fiir die Organisation wesentlich leichter zu verkraften als im Bereich der Ehrenamtlichen. Im Fall engagierter Ehrenamtlicher sind die verfugbaren und vor allem passenden Angebote des Marktes nicht so breit gestreut, wie bei potentiellen hauptamtlichen Mitarbeitern. Beim Verhaltnis zwischen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitgliedern der NPOs geht es um die Frage, ,Wer spannt wen vor semen Karren und wer gibt die Fahrtrichtung vor?'

4.3.2 Kapitalienausstattung von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern W. MAYRHOFER hebt die Auswirkungen der o. a. Diversitat der Personalstruktur in NPOs hervor. Die Ausstattung der ehrenamtlichen und der hauptamtlichen Organisationsmitglieder mit Kapitalien wird von ihm als hochst unterschiedllch betrachtet. Mit dem Begriff der Kapitalien greift W. MAYRHOFER einen zentralen Baustein in der Sozialtheorie von P. BOURDIEU^^® auf. „Soziale Systeme sind (nach P. BOURDIEU, A. d. A.) u. a. durch eine ungleiche Verteilung von Kapitalien gekennzeichnet. Individuen streben jedoch danach, ihre jeweils indivlduell verfugbaren Kapitalien zu maximieren."^^^ P. BOURDIEU unterscheidet in seiner Sozialtheorie drei Formen von Kapitalien (als ..zentrale Machtbasen"^^°): • ..Okonomisches Kapital ist in der Form von monetaren Mittein und Eigentumsrechten sehr flexibel einsetzbar und weitergebbar. • Soziales Kapital beinhaltet gegenseitige Anerkennung und Bekanntschaft und basiert auf soziale Verbindungen und Gruppen- bzw. Klassenmitgliedschaft. Es fungiert als Multiplikator von okonomischem und kulturellem Kapital. • Kulturelles Kapital schlielilich hSngt eng mit der Erziehung zusammen und tritt in inkorporierter (d. h. dauerhaften Habitusdisposltionen), objektivlerter (d. h. in Form von Kulturprodukten wie Buchern oder Maschinen) und Institutionalisierter (d. h. uber akademische Titel und Abschlusse) Fomri auf."^^''

^®^ Krainz, E.E. und Simsa, R.: a.a.C, 266 ^^ Bourdieu, P.: Okonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel, R. (Hrsg.): Soziale Ungleichheit. Soziale Welt, Sonderband 2, 1983 zitiert nach Schwingel, M.: Kapital, Strategie und die Okonomie der Felder. In: Pierre Bourdieu zur EinfQhrung, Hamburg 2003, 82-124 ^^^ Mayrhofer, W.: a.a.C., 147 ^^° Mayrhofer. W.: ebd. ^^^ Mayrhofer, W.: ebd.

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In das kulturelle Kapital fliefit das ein, was wir hinlanglich unter Bildung verstehen. „Es umfasst zum einen .Bildung' in einenn sehr allgemeinen, nicht nur schulischen Sinn, zum anderen schulische Titel bzw. Diplome oder Abschlusszeugnisse."^^^ Der Ort an dem sich Karriere entwickelt, stellt den Kontext dar, in dem die Kapitalien ihre Bedeutungszuschreibungen erfahren. „Die in einem spezifischen sozialen Feld geltenden Regein bestimnnen, welche Kombination der drei Kapitalarten als symbolisches Kapital autorisiert wird. Symbolisches Kapital ist die in einem bestimmten Feld als legitim wahrgenommene und anerkannte Form von Kapitalien."^^^ Dies wiederum beeinflusst die Machtverteilung und ihre Reproduktion in sozialen Feldern. Soziale Felder stellen nach P. BOURDIEU den Ort der Posltionen und Beziehungen zwischen Akteuren dar und [sie] reflektieren die auf die jeweilige Kapitalausstattung zuruckgehende Machtverteilung. (...) Die Posltionen, d. h., der ,objektive' Karriereerfolg eines spezifischen Akteurs, ist das Resultat des Zusammenspiels zwischen dem akteurspezifischen Habitus und dem jeweiligen Platz In einem Feld von Posltionen wie er durch die jeweilige Verteilung der entsprechenden Kapitalien gegeben ist."^^"^ Unter einem Habitus versteht P. BOURDIEU ein System von allgemeinen generativen Schemata ..., die sowohl dauerhaft, d. h. in die soziale Konstruktion des Selbst eingeschrieben, als auch von einem sozialen Feld in ein anderes ubertragbar sind..."^^^ „Der Habitus ist .. gesellschaftlich - und damit zugleich historisch - bedingt; er ist nicht angeboren, sondern beruht auf (intellektuelle und kollektive) Erfahrungen, genauer gesagt, er gewahrleistet die aktive Prasenz fruherer Erfahrungen, die sich ... in Gestalt von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata niederschlagen."^^^ „Ein bedeutsames Merkmal des habituellen Disposltlonssystems ... liegt in seiner Determiniertheit durch die spezifische Position, die der Akteur Oder eine Gruppe von Akteuren innerhalb der Sozialstruktur einnimmt."^^^ In NPOs treffen wir auf eine hohe Diversitat^^® der Organisationsmitglieder. „Diese hohe Diversitat der Personalstruktur hat erhebliche Konsequenzen fur unterschiedliche Aspekte von Karrieren in NPOs. Zunachst ist davon auszugehen, dass die Kapitallenausstattung der Organisationsmitglieder hfichst unterschiedlich ist."^^^ Wahrend in anderen Organlsationen ebenfalls eine unterschiedliche Kapitallenausstattung unter den Mitglledern zu verzeichnen ist, unterscheiden sich NPOs von diesen jedoch dadurch, dass die diversen Kapitallenausstattung auch fur die Mitarbeiter, die glelche Oder ahnliche Positionen in den NPOs besetzen"^®°, zutrifft. „Wenn hauptamtliche, ehrenamtliche und teilbezahlte Mitarbeiter mehr oder weniger idente ^^^ Runia, P.: Soziales Kapital als Ressource der Karrierepolitik. In: Hitzler, M. und Pfadenhauer, M. (Hrsg.): Karrierepolitik. Beitrage zur Rekonstruktion erfolgreichen Handelns. Opiaden 2003,149 -158 ^^^ Mayrhofer, W.: a.a.O., ebd. ^^^Mayrhofer,W.:a.a.O., 148 ^^^ Mayrhofer, W.: a.a.O., 146 ^^^ Bourdieu, P.: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt a.M. 1987, 101 zitiert n. Schlingel, M.: Pierre Bourdieu zur Einfuhrung, Hamburg 2003, 62 ^^^ Schwingel, M.: a.a.O., 65 ^^® Diversitat: Vielfaltigkeit, Vorhandensein eines breiten Spektrums ^^^ Mayrhofer, W.: a.a.O., 154 ^^° Mayrhofer, W.: ebd.

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Aufgaben verrichten, so kGnnen die damit verbundenen Absichten und langfristigen (Karriere-)Ziele durchaus unterschiedlich sein. Wahrend fur hauptamtliche Mitarbeiter u. U. die langfristige Sicherung des Arbeitsplatzes im Vordergrund steht, kann fur die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Zuwachs an spezifischen Kompetenzen und Knowhow und damit die M6gllchkeit zu einem wiclitigen subjektiven Karriereschritt von besonderer Bedeutung sein. (...) Faktoren wie Berufsorlentiemng ... oder mikropolitische Taktiken bzw. Bildung von Netzwerken ... werden... bei hauptamtiiciien und ehrenamtliclien IVIitarbeitern durchaus unterschiedlich ausgepragt seln."^®^ Karriere motiviert zur Absorplton zukunftiger Unslcherheit und sie baut sich selbst auf. Zur Absorption der Unsicherheiten stehen eine Vielzahl von Orientierungen zur Verfugung, die das Karriereverhalten Individualisieren (N. LUHMANN, S. O.). In NPOs bedienen sich hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter hochst unterschiedlicher Strategien zur Absorption ihrer ebenfalls hochst unterschiedlichen zukunftigen Unsicherheiten. Die unterschiedliche Relevanz der Absorption zukunftiger Unsicherheiten ist gekoppelt an die unterschiedliche Kapitalienausstattung von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern der Organisation. Die Kapitalienausstattung entscheidet mit daruber, wie sich Karriere selbst aufbauen kann. Sie ist die Basis fur die Erzeugung von Opportunitaten und Disopportunitaten, mit denen sich Karriere selbst fordert oder selbst behindert. Das okonomische, das kulturelle aber vor allem das soziale Kapltal (als Multiplikator von okonomischem und kulturellen Kapltal) der ehrenamtlich Tatigen in den Tragergremien kann ausgesprochen vielfaltig angelegt sein. In gewissem Sinne verfugen die Ehrenamtlichen uber „Eigentumsrechte" an der NPO (okonomisches Kapital), uber die die Hauptamtlichen in dieser Form nicht verfugen. Ehrenamtlichen sind die naturlichen Vertreter der von ihnen getragenen juristischen Person (des Vereins, der gGmbH etc.). Sie sind TrSger (!) von Rechten und Pflichten, uber die die Hauptamtlichen nicht verfugen. Sie verfugen aufgmnd dessen auch Qber monetare M6glichkeiten, die sie von den Hauptamtlichen unterscheiden. Uber die Auflosung der juristischen Person, die Vergabe von Anteilen etc. entscheiden die Ehrenamtlichen. Diesbezuglich ist die Absorption von zukunftiger Unslcherheit primer darauf ausgerichtet, das Weiter-ZUberleben des Vereins, der gGmbH etc. abzusichern (und damit das Oberleben ihrer selbst als ehrenamtliche Tragervertreter). Im Sinne des Selbstaufbaus von Karriere sorgen Ehrenamtliche i. d. R. fur die entsprechenden Opportunitaten zur Forderung des Vereins, der gGmbH, denn „...der Erfolg bestimmt das Repertoire an nutzbaren Gelegenheiten, wenn auch nicht die Gelegenheiten selbst."^®^ Die zusammenziehende Bewertung des Vereins, der gGmbH etc. beeinflusst die Wahrnehmung auch des Ehrenamtlichen durch andere. Die Inszenierung der Beobachtung ISuft bei Ehrenamtlichen deshalb uber die Inszenierung der Beobachtung „ihres" Vereins, „ihrer" gGmbH.

^^' Mayrhofer, W.: ebd. ^®^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: a.a.O., 280

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Hauptamtliche sorgen hingegen fur andere Opportunitaten. Ihnen ist daran gelegen, ein Repertoire an Erfolg versprechenden Gelegenheiten nutzbar zu machen, welches primar der eigenen personalen Karriere unmlttelbar dienlich ist. Im Bereich des sozialen Kapitals verfugen hauptamtliche Leitungskrafte in der Regel uber andere Beziehungen bzw. soziale Verbindungen als die Ehrenamtlichen. Hier kann es auch zu Konkurrenzsituationen zwischen ehrenamtlich und hauptberuflich Tatigen kommen. Dabei geht es urn die Frage, wer welche Beziehungen zu welchen Gruppen- bzw. Klassen wie nutzt. Wobei dieser Nutzen hochst parasitar daher kommen kann. Nicht jede soziale Beziehung und Verblndung wird von Ehrenamtlichen und von Hauptamtlichen ausschliedlich fur die Interessen der Organisation genutzt, sondern - nIcht selten vorrangig (wenn auch nicht In manifester Form) - fur die eigenen Interessen, Im Sinne der Schaffung neuer Moglichkeiten. Es geht bei der Nutzung der sozialen Verbindungen, und damit die Nutzung der sozialen Kapitalien in einem sozialen Feld, um die Frage, wer im Sinne F.B. SIMONS „auf dem Zaun" sitzen darf. „Dem Zaun, der Spieler und Zuschauer trennt (d. h. die tellnehmenden und die agierenden Beobachter auf dem Spielfeld und die nicht-teilnehmenden, nlchtagierenden Beobachter auf der Tribune); und dem Zaun, der die Zeit bis jetzt von der Zeit ab, jetzt voneinander trennt."^®^ Es geht also um die Frage: Wer darf an welchen Stellen selnen Kopf fur die Organisation aus dem Fenster hangen, fur die Organisation reprasentativ auftreten und wer darf es nicht. Und es geht darum, wer darf welche zukunftigen Gegenwarten In der Organisation thematisieren und wer hat damit die grofiten Erfolgsaussichten. Im Bereich des kulturellen Kapitals spielen die dauerhaften Habituspositionen (die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata) als inkorporierte Kapitalien und die akademischen Titel und Abschlusse als institutionalisierte Kapitalien eine Rolle. Akademische Titel und Abschlusse von Leitungskraften konnen von Ehrenamtlichen durchaus als Bedrohungssignal betrachtet werden. Verstehen es hauptamtliche Leitungskrafte nicht, kooperativ mit Ehrenamtlichen zusammenzuarbeiten und ihren mogllchen fachlich begrijndeten Wissensvorsprung, sowie ihr mogliches betrlebswirtschaftliches ,Know how' nicht als Machtmittel gegen Ehrenamtliche elnzusetzen, kann dies zu Konkurrenzsituationen und zu Machtspielchen fuhren, die bei den einen (den Ehrenamtlichen) die Form des Weiterlebens der Organisationen - i. d. R. nur geringfugig - beeintrachtigt, bei den anderen (den Hauptamtlichen) jedoch das eigene berufliche Weiterleben erheblich beeintrSchtigen kann. Hauptamtliche Mitarbeiter werden eher versucht sein, ihre Kapitalien dazu einzusetzen - uber berufliche Positionen in der Organisation - zukunftige Sicherheit (z.B. uber einen grofteren Einfluss auf Entscheidungen) zu prSjudizieren. Oder sie werden zumindest damit auch die Voraussetzungen zur Eriangung lukrative Positionen in anderen Einrichtungen zu schaffen versuchen. Hier steht die Autopoiese des psychischen Systems (hauptamtllcher Mitarbeiter) im Vordergrund. Fur ehrenamtliche Mitglieder der Organisation geht es i. d. R. bei der Absorpiton zukunftiger Unsicherheiten weniger um indivlduelle berufliche Perspektiven als vielmehr um eine

Simon, F.B.: Radikale Marktwirtschaft. Grundlagen des systemischen Managements, 3. uberarb. und erw. Aufl., Heidelberg 1998, 99

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Ausdehnung des Repertoires an nutzbaren Gelegenheiten als Voraussetzung fur Weiteres. Das „Weitere" soil im Wesentllchen der Autopoiesis des sozialen Systems (Organisation) dienen. Die unterschiedlichen Formen der Absorption von Unsicherheit und die unterschiedlichen Karriereziele der haupt- und ehrenamtlichen Organisationsmitglieder, ihr unterschiedlicher Habitus kGnnen aus Sicht des sozialen Systems NPO widerspruchlich sein. Das Ziel des langfristigen Verbleibs hauptamtlicher Mitarbeiter in der NPO (zur Absicherung der eigenen wirtschaftlichen Existenz) und das sich auf die Strukturen beziehende VerSnderungs- bzw. Nicht-Veranderungsbestreben der ehrenamtlichen Mitglieder im Vorstand der NPO kGnnen sich als Ziele diametral gegenuberstehen. Wahrend z.B. Mitarbeiter und Leitungskr§fte aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz einen VerSnderungsbedarf erkennen und Routinen und Regein in der Organisation diesem Erfordernis entsprechend anpassen mochten, erkennen Vorstandmitglieder der NPO diese mitunter nicht und mochten die bisher bewahrten Routinen und Regein beibehalten. Oder die Ehrenamtlichen erkennen einen anderen Veranderungsbedarf als die Hauptamtlichen. Ebenfalls widerspruchlich dOrften unterschiedliche Indikatoren von Erfolg sein. Diese durften nicht immer kompatibel sein. Fur ehrenamtliche Mitglieder in den entscheidungsbefugten Gremien der NPOs stehen oft das offentliche Ansehen der von ihnen vertretenen Einrichtung und von ihnen gewonnene Wahlen als Erfolgsindikatoren im Vordergrund. Dafur bedarf es mitunter des Belegs, dass die von ihnen .gefuhrte' NPO als wirtschaftlich solide, aber moralisch integer, darstellbar ist. Bel hauptamtlichen Mitarbeitern geht es - je nach Position in der Organisation - um ganz andere Indikatoren. So konnen von Ihnen ein ausgeglichener Jahresabschluss, die Steigemng der Rucklagen, die Senkung der Personalkosten bei glelchzeitiger Steigerung der Zufriedenheit der so genannten „Kunden" als Erfolgslndikatoren gelesen werden. Bei der Frage der Kapitalienausstattung von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Organisationsmitgliedern in NPOs geht es um die Frage, ,Mit welchen Kapitalien - sozialen (Beziehungen) und/oder kulturellen (Bildung) - Ziehen Ehrenamtliche und/oder Hauptamtliche den Karren durch den Drecl
4.3.3 Karrlererelevante Gratwanderung zwischen formalen und informalen Strukturen Personen als Mitglieder von Organisationen befinden sich in der nSheren Umwelt der jeweiligen Organisation. Die strukturelle Kopplung der Person als sozialer Adressat der Organisation mit der Organisation wird von ihr selbst mitgestaltet. Die Intensitat und die Form der strukturellen Kopplung konnen von daher sehr unterschiedlich sein. ..Personen in Organisationen sind immer (auch) FunktionstrSger, Kostenfaktor, kurz: (Human-) Ressource. (...) Die handelnden Personen in NPOs werden als Mitstreiter, als Trsiger einer gemeinsamen Sache bzw. Idee und weniger als funktionelle Ele-

* Vgl.: Simon, F.B.: Radikale Marktwirtschaft, 41

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mente in einem grofieren Ganzen gesehen."^®^ Mitarbeiter betrachten sich aufgrund dessen weniger als Kollegen oder TrSger von beruflichen Rollen, .....sondern vielmehr als Verbundete und einer gemeinsamen Sache verpflichteten Person..."^®^. In NPOs verschwimmt die Differenz zwischen formalen und informalen Regein nicht selten, so dass es Mitarbeitern von NPOs hSufig leicht failt, Informale Regein und Strukturen gegenuber formalen Regein zu prSferieren und zu nutzen. W. MAYERHOFER macht funf Konsequenzen dieser Diffusion deutlich. Zunachst wird „...mit dem weitgehend offen gehaltenen Verhaltnis zwischen formalen und informaler Struktur eine besondere Art von Karrlerefeld geschaffen."^^^ Mit Karrierefeldern sind Bereiche gemeint, in denen Karriere stattfindet. Karrierefelder konnen als Positionsraume und Beziehungen zwischen Personen...gesehen werden. Innerhalb eines Karrierefeldes existieren Regein bezQglich der Bewertung von okonomlschem, sozialem und kulturellem Kapital sowie der Transformation dieser Kapitalien In symbolisches Kapital und in andere soziale Felder. Weiterhin gibt es Regein und Riten fur den horizontalen und vertikalen Ubergang zwischen verschiedenen Positionen eInes Karrierefeldes."^^® W. MAYRHOFER geht davon aus, dass zwei, auf das Verhaltnis der Akteure bezogene, Dimensionen die Charakteristika von Karrierefelder beeinflussen: Konflguratlon und Kopplung. „Konfiguration beschreibt das VerhSltnIs zwischen den relevanten Akteuren im Hinblick auf das Ausmad der Veranderung in der Zusammensetzung des .Akteursportfolios' uber die Zeit."^®^ Bei einer stabilen Konfiguration der Akteure ist die Fluktuation derselben gering. Die Zusammensetzung der Akteure eInes Karrierefeldes bleibt uber einen l^ngeren Zeitraum gleich. Eine variable Konfiguration verweist auf eine hohe Fluktuation der Akteure und ihrer Zusammensetzung im Feld. „Kopplung fokussiert auf die Enge der Beziehung und das AusmaR der gegenseitigen Beelnflussung zwischen den Fokalpersonen und den relevanten anderen Akteuren in einer bestimmten Akteurskonfiguration."^^° Hier geht es um die Intensitat der Beelnflussbarkeit des Handlungsspielraums eines Akteurs durch den anderen. Enge Kopplung weist auf eine hohe Irritationsmoglichkeit eines Akteurs durch einen anderen hin. ..Umgekehrt bedeutet lose Kopplung dass die Entscheldungen der einzelnen Akteure relativ wenig Bedeutung fur die anderen Akteure des Karrierefeldes besitzen."^^^ In der Kombination der belden Dimensionen entsteht ein Moglichkeitsraum fur die Auspragung des Karrierefeldes, welche den sozialen Topos fur konkret entstehende Karrieremuster darstellt."^^^ In For-ProfIt Organisationen Qe nach Branche) sind sowohl enge Kopplungen und stabile Konfigurationen zwischen den Akteuren (z.B. grolie Firmen mit Profit Center) anzutreffen als auch lose Kopplungen zwischen den Akteuren und eine instabile Akteurskonfiguration zu finden (z.B. Firmen, die sich ^®^ Mayrhofer, W.: a.a.O., 155 ^®® Mayrhofer, W.:ebd. ^®^ Mayrhofer, W.: .a.a.O., 156 ^^® Mayrhofer, W.: a.a.O., 149 ^^® Mayrhofer, W.: a.a.O., 150 ^^° Mayrhofer, W.: a.a.O., 151 ^^' Mayrhofer, W.: ebd. ^^^ Mayrhofer, W.: ebd.

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zur Erledigung ihrer Auftrage regelmafiig unterschiedllcher Leiharbeiter oder Zulieferfirmen bedienen). In diesen Karrierefeldern unterliegen Skonomisches, soziales und kulturelles Kapital einer i. d. R. eindeutigen Bewertung. In NPOs lassen sich demgegenuber keine derart eindeutig zuzuordnenden Karrierefelder ausmachen. Das offen gehaltene Verhaltnis zwischen formalen und informalen Strukturen schafft eine besondere Art von Karrierefeld... . Die Regein dieses Karrierefelds sind relativ unklar(er) und auslegungsfahig(er) als in anderen Arten von Organisationen. Zwar ist auch dort niemals alles formalisiert und manifest. Allerdings deuten die oben en^/Shnten Besonderheiten von NPOs darauf hin, dass es hier eine besondere Gemengelage fur die Bewertung und Akkumulierung von okonomischem, sozialem und kulturellem Kapital und dessen Transfonnation in symbolisches Kapital gibt."^®^ Eine weitere - zweite - Unterscheidung zu For-Profit Organisationen ist in der Hervorhebung des Informalen in NPOs zu sehen. Diese .....Betonung des Informalen [schafft] ein Karrierefeld mit sehr viel mehr Positionen als in For-ProfitOrganisationen."^^^ Neben den formalen Positionen gibt es in NPOs Immer auch eIn weiteres Positionenset. Dadurch erhohen sich potenziell die MQglichkeiten fur unterschiedliche Karrieremuster."^^^ „Karrieremuster sind spezifische, typische und damit auch wiederkehrbare Formen des horizontalen und/oder vertikalen Wechsels zwischen verschiedenen Positionen eines Karrierefeldes."^^^ Die EInnahme einer formalen Position kann somit gleichzeitig zum Verlust von bis dahin eingenommenen informalen Positionen fuhren. Nicht selten gibt es z.B. in Altenpflegeeinrichtungen so genannte ,graue Eminenzen', die zwar keine formale Fuhrungsrolle innehaben, aber aufgrund der Dauer ihrer Zugehorigkeit zur Organisation auf der informalen Ebene einen Karriereweg ,sui generis' durchlaufen haben. Hieraus lelten diejenigen, die diese Karrierewege durchlaufen besondere Anspruche (auf Mitsprache und Entscheidung) ab. Auch k6nnen langjahrige Stellvertreter trotz (bzw. oft wegen) beharrlicher Ablehnung der Primarverantwortung, Entscheidungen und Regein auf der informalen Ebene effektiver beeinflussen, als dies von ihren Vorgesetzen m6gllch ware. Drittens kSnnen die sozialen Dimensionen des Karrlerehabitus angesichts des verringerten Stellenwerts formaler Strukturen und der starken Wichtigkeit von Beziehungsnetzwerken an Bedeutung"^^^ gewlnnen (D)as Durchlaufen bestimmter Sozialisationseinrichtungen bzw. vorheriger Positionen [ist] von besonderer Bedeutung. Wenn aufgrund der haufig hohen Werthaltigkeit der organisationalen Zielsetzungen neben den fachlichen Qualifikationen die Verfugbarkeit von auch weltanschaulich-ldeologischen passenden Einstellungen als wichtiges Kriterium fur berufliche Karrieren tritt, dann kommt der individuellen Karrierebiographie besondere Bedeutung zu."^^®

*Mayrhofer,W.:156 [ Mayrhofer, W.: ebd. ' Mayrhofer, W.: ebd. ^ Mayrhofer, W.: 149 ^ Mayrhofer, W.: ebd. * Mayrhofer, W.: ebd.

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Viertens wird in NPOs .....Sozialkapital im internen Bereich zur Durchsetzung der eigenen Karriereinteressen besonders wichtig. Wenn neben den fachlichen Qualifikationen die Passung in das soziale Netzwerk ein wichtiges Karrierekriterium wird, dann ist spezifisches Sozialkapital eine kritische Ressource. (...) Die Zugehorigkeit zu bestimmten Gruppen - die beispielsweise der l\^ission der NPO besonders nahe stehen bzw. kompatibel mit ihrer Zielsetzung ist - kann als wichtiger Indikator fur die Eignung fur bestimmte Karriereschritte gesehen werden. Die geringe Grofie vieler NPOs in Verbindung mit einer Aversion ihrer Akteure gegenuber ausgepragten hierarchischen Strukturen stellt den funften Unterschied zwischen NPOs und For-profit Organisationen dar. Aufgrund der oft geringen Grofie von NPOs „...ist es im Hinblick auf Karriereverlaufe nicht einfach, diese im objektiven Sinn als Sequenz von formalen Positionen in der Organisation zu verstehen."^^® W. MAYRHOFER geht davon aus, dass deswegen zum einen funktionale Aquivalente zu formalen Positionen geschaffen werden mijssen und zum anderen die Individuelle Interpretation der eigenen Karriere zunimmt. „Als funktionale Aquivalente zu fest definierten fomnalen Positionen bietet sich die Stellung in der informalen Organisation oderetwa im Rahmen einer Projektorganisation [an]..."^°°. Fur stationare Altenpflegeeinrichtungen bieten sich hier im Rahmen der inflationar ausufernden Qualitatsmanagement-Kommunikation eine Reihe von Moglichkeiten an: Qualitats(management)beauftragten-Posltionen, die Grundung von Qualitatszirkeln mit entsprechenden Moderator/innen, interne wie externe Auditor/innen u. v. m. bieten ein breites Spektrum an alternativen (nicht primar vertikalen) Karrierenverlaufen. Ebenso begehrt und moglich scheint in diesem Kontext die Vergabe der Position der Praxisanleitung nach Paragraph 2 des Altonpflegegesetzes; unzweifelhaft bedeutsame Positionen, jedoch ohne entsprechendes monitSres Aquivalent. Die folgende Tabelle stellt die von W. Mayrhofer zusammen gefassten fiinf karriererelevanten Merkmale mit ihren jeweiligen Konsequenzen anhand von Beispielen dar.

Mayrhofer, W.: a.a.O., 157 ^ Mayrhofer, W.: ebd.

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Tabelle 5: Konsequenzen der Diffusion von formalen und informalen Strultturen in NPOs Merlcmate der NPOs 1. Keine klaren Grenzen zwischen formalen und informalen Strukturen.

Beispiele Unklare und unbezahlte Funktionen, wie die der Praxisanleitung von Auszubildenden.

2.

PrimSrverantwortung ablehnende langjdhrige Mitarbeiter

3.

4.

5.

Konsequenzen Keine eindeutigen Karrierefelder. Unklare, auslegungsfdhige Regeln. Betonung des Infomria- Einnahme fomrialer Posilen. tionen fuhrt zum Verlust informaler Positionen. Betonung der weltan- Besondere Bedeutung sozialer Kapitalien. schaulichideologischen Einstellungen. Bedeutung der sozia- Soziale Netzwerke (Zulen Kapitalien zur gehorigkeit zu bestimmDurchsetzung eigener ten Gruppen) ais wichtlKarriereinteressen. ges Kan-ierekriterium. Geringe Gr5(ie der Zunahme der individuelNPO und Aversion der len Interpretation der eiAkteure gegenuber genen Karriere; funktionaler hierarchischen Struktu- Schaffung Aquivalente zu formalen ren. Positionen.

Geschiedene LeitungskrSfte in kirchlichen Einrichtungen, die nicht wieder heiraten durfen. Bevorzugte Beforderung von Mitgliedern, die der ,Mission der NPO' besonders nahe stehen. Beauftragtenwesen in stationSren Altenpflegeeinrichtungen: QM-Beauftragter, Dekubitusbeauftragter, Projektieiter etc.

Bei der Gratwanderung zwischen formalen und informalen Strukturen geht es u. a. um die Frage, wo kann die Organisation fur einen Tell ihrer Mitglieder aufgrund ihrer geringen Grolie und der unklaren, auslegungsfahigen Regeln funktionale Aquivalente zu formalen Positionen schaffen? Wo kann sie ihren haupt- und ehrenamtlichen Mitgliedern einen passenden Karren anbieten, den diese dann eine Zeit lang Ziehen konnen? Es geht um die Initiierung von Beobachtungen: Mit welchem Karren konnen sich Mitglieder entsprechend beobachten lassen, so dass sie selber und andere den faszinierenden Eindruck erhalten, sie wurden Karriere machen. Die Erfindung der so genannten .Fachkarrieren' in der offentlichen Verwaltung stellt ein solches funktionales Aquivalent dar. Mitarbeiter erhalten hieruber anstelle der typischen Laufbahnkarrlere (durch Beforderungen) einen .spezlflschen Fachauftrag'. Ihr (Fach-)Karren gibt ihnen die Moglichkeit der (temporaren) Unsicherheitsabsorption und der Identifikation und anderen Mitgliedern eine Moglichkeit der Identifizlerung.

4.3.4 Die Auswirkung der Intermediaritat von NPOs auf Karrieren „NPOs sind typlscherweise an der Schnlttstelle zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsystemen wie etwa dem politischen, wirtschaftlichen oder rechtlichen System abgesledelt. Die Intemnediarit^t von NPOs wird damit zu einem charakteristischen Merkmal von NPOs. Um allerdings mit verschiedenen, mit je eigenen Codes ausgestatteten Systemen kommunizieren zu konnen, mussen NPOs dafur auch je-

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weils anschlussfahig bleiben. Damit ergibt sich eine erhohte interne Varietat; da nicht nur eine dominante Leitdifferenz fur die Kommunikation von Bedeutung ist. So ist etwa in einem Pflegeheim als einer an der Schnittstelle von Medizin und Wirtschaft angesiedelten Einrichtung nicht ohne weiteres klar, ob eher medizinisch-pflegerische Oder eher okonomisch-wirtschaftliche Kategorien als gultige Bezugspunkte von Kommunikationen gesehen werden (mussen). Damit ist klar: In NPOs existieren mehrere Leitdifferenzen/Sprachen nebeneinander (Heimerl-Wagner/Meyer, 1999, Aufgrund der IntermediaritSt von NPOs und ihrer Sinnorientierung (s. o.) kommt es im Zusammenhang mit der Notwendigkeit bestimmter okonomischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Bedingungen wie etwa ein Mindestmafi an Legitimitat.. regelmadig zu konfliktaren Situationen."^°^ Dies ergibt sich aus den unterschiedlichen Erwartungen und Anforderungen der unterschiedlichen Systeme, die fur die NPOs ihre Umwelt darstellen. Die hohe Sinnorientierung steht In statlonaren Altenpflegeeinrichtungen bspw. dem wirtschaftlichen Erfordernis zum Uberleben der Organisation dort entgegen, wo einer adaquate Pflege dementer Menschen durch die Refinanzlerungsmoglichkelten des SGB XI nur bedingt entsprochen werden kann und mit den begrenzt abrufbaren Mittein aus der Pflegeversicherung und von den Sozialhilfetragern das wirtschaftliche Weiterleben der Organisation gesichert werden muss. Fur Karrieren In NPOs bedeutet dies, dass die unterschiedlichen Leitdifferenzen eine eindeutige Bewertung der individuell jeweils akkumulierten Kapitalien und damit auch die mit diesen Kapitalien verbundenen Einflussmoglichkeiten auf den Karriereverlauf"^°^ nicht zulassen. Es ist z.B. nicht klar, welchen Stellenwert eine hohe Pflegefachkompetenz (als spezifisches kulturelles Kapital) im Pflegemanagement von Pflegeeinrichtungen de facto hat. Die Bewertung dieser Kapitalien und der auf sie basierenden Karriere ist im hohen Mafie beobachterabhangig. Fur die Beobachtung aus Sicht des wirtschaftlichen Systems spielt die Pflegefachkompetenz eine gerlngere Rolle als die betriebswirtschaftliche Kompetenz. Fur ehrenamtllche Funktionare wiederum kann die Frage der weltanschaulichen, ideologlschen Qberzeugungen einen hoheren Stellenwert besitzen als betriebswirtschaftliche oder pflegefachliche Kompetenz des Managements. Umgekehrt kann aber auch davon ausgegangen werden, dass „...ln einem mit derart unterschiedlichen Regein ausgestatteten Karrierefeld auch sehr unterschiedliche Formen des Karrierehabitus existieren, die jeweils in Bezug auf ein bestimmtes, mit den verschiedenen Leitdifferenzen in Verbindung stehendes Regelgeflecht des Karrierefeldes erfolgversprechend scheinen.''^^"^ Hierdurch haben wiederum sehr unterschiedliche Personen einen Zugang zu KarrieremGglichkeiten in NPOs. Beim Thema Intermediaritat geht es um die Frage: ,Wem gelingt es den Karren durch den schwer durchschaubaren Dreck der unterschiedlichen Logiken der

'"'Mayrhofer,W.:a.a.O., 157 ^°^Mayrhofer,W.:a.a.O., 158 ^°^Mayrhofer,W.:a.a.O.,ebd. ^°^Mayrhofer,W.:a.a.O., 158

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Funktionssysteme und den daraus resultierenden Erwartungen an die Organisation zu steuern?

4.3.5 Das spezifische Organisation-Umwelt-Verhaltnis der NPOs und seine Auswirkung auf Karrieren Wie oben bereits ausgefiihrt, sind NPOs intermediar zwischen den verschiedenen Funktjonssystemen angesiedelt. „Eine Konsequenz dieser Tatsache ist, dass es eine relativ groBe Zahl von extemen Stakeholdern^°^ gibt, die seitens der NPO in ihre 0berlegungen mit einzogen werden mussen und die von der NPO wenigstens ein Mindestmad an Erfullung ihrer Interessen enA/arten."^°^ Fur Pflegeeinrichtungen ergibt sich z. B. aus der Trennung von Bedarfstrager (Heimbewohner/in), Bedarfsbestimmer (Arzt/Arztin) und Kaufkrafttrager (Pflegekasse, ggf. Sozialhilfetrager) eine fehlende Identitat von Geldgebern und Leistungsempfangern. Hieraus entsteiien - im Gegensatz zu For-profit Organisationen - eine Reiiie von Besonderheiten im Hinblick auf die Notwendigkeit der gegenseitigen Ubersetzungsleistungen oder des sinnultanen Operierens mit unterschiediiciien Logiken und Sprachen."^°^ Aus der moglichen Abhangigkeit von weiteren Geldgebern (Spendern, subventionsvergebende staatliclie Stellen etc.) ergibt sich zudem „...eine deutliche Maciitasymmetrie im Hinblick auf die Beeinflussbarkeit interner Prozesse."^°® Dies bedeutet fur die NPO eine Gemengelage an unterschiedlichen EnA^artungen und Anforderungen aus ihrer unmittelbaren Umwelt. Die Interessen der Stakholder muss die NPO in der Erreichung ihrer Ziele mit berucksichtigen, will sie nicht ihr Uberleben aufs Spiel setzen. Fur Karrieren innerhalb der NPOs ergeben sich daraus entsprechende Konsequenzen. „Die Vielzahl der vorhandenen Stakeholder und die hohe Abhangigkeit insbesondere im finanziellen Bereich von ausgewahlten Stakeholder machen den Aufbau und Erhalt eines bestimmten Beziehungsnetzwerks zu einer zentralen strategischen Aufgabe. Daher sind Personen mit einem entsprechenden Sozialkapital fur NPOs von besonderer Bedeutung. Personen mit hohem Sozialkapital - en^^orben im Laufe der Primarsozialisatlon oder durch die bisherige berufliche Laufbahn - verfugen damit uber eine fur Organisation zentrale Ressource und erhohen damit auch die Chancen zur Durchsetzung einer von ihnen gewunschten Karriere."^°® Daruber hinaus haben Personen mit einem entsprechenden Sozialkapital und mit einem fur die jeweiligen Stakeholder passenden Karrierehabitus erhohte Chancen Schlijsselpositionen einzunehmen. Das Interesse hieran muss nicht unbedingt von den Stakeholdern ausgehen. Es kann ebenso von den NPOs selber ausgehen, wenn diese beispielsweise gegenuber den Stakeholdern mit der Besetzung bestimm^°® Nach dem Stakeholder-Prinzip soil das Unternehmensmanagement die Interessen der verschiedenen Gruppen angemessen berucksichtigen und bei Konflikten einen Ausgleich herbeifuhren (aus: Muhlbradt, F.W.: Wirtschafts-Lexikon. Daten, Fakten und ZusammenhSlnge, 6. env. Aufl., Berlin 1999, 292) ^^ Mayrhofer, W.: ebd. ^°^ Mayrhofer, W.: ebd. ^°^ Mayrhofer. W.: ebd. ^°^ Mayrhofer, W.ia.a.O., 159

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ter Positioner! mit entsprechend qualifiziertem Personal dokumentieren wollen, dass sie mit den ihnen uberlassenen finanziellen Mittein verantwortlich umgehen. Hierbei taucht erneut der innere Konfllkt fur die NPO auf, dass es sich hierbei nicht immer urn Personen handein muss (oder kann), die ausschliefllich oder vorrangig den weltanschaulichen Werten der NPO verpflichtet sind. Personen In den entsprechenden Schlusselpositionen mussen als soziale Adressaten von organlsationalen und von Umwelt-Erwartungen diese Amblgultat ausbalancieren konnen. Im Rahmen des spezlfischen Organisation-Umwelt-Verhaltnisses von NPOs geht es also um die Frage: ,Wer lasst sich vor den Karren spannen, urn mit welchen Beziehungen den ambiguosen En^/artungen der Organisation und der Stakeholder gerecht zu werden?'

4.4 Fazit Karrieren in NPOs verlaufen in vieler Hinsicht anders als in For-Profit-Organisationen. Dies haben wir aufzuzeigen versucht. Die bedeutsamen Einflussfaktoren der Karrieren in NPOs lassen sich zusammenfassend anhand der aufgefiihrten funf Bereiche verdeutlichen. Die Kernaussagen aus den vorgenannten Bereichen werden im Folgenden nochmals tabellarisch zusammengefasst. Karrieren sind in NPOs wahrscheinlich weniger vorhersehbar und planbar und mehr dem Zufall uberlassen als In For-profit Organlsationen. W. MAYRHOFER gelangt zu folgendem Fazit: „Die Frage nach einer systematischen Handhabung von Karriere- und Laufbahnplanung, die Gestaltung von Insbesondere nicht-monetaren Anreizsystemen zur Forderung der personlichen Entwicklung, die Entwicklung von alternativen, nicht auf formalisierten Positionen und hierarchischen Positionssystemen aufbauende Karrieresystemen, welche fur die Mitglleder von NPOs entsprechende Orientierungsleistungen und Anreizwirkungen bieten oder die Handhabung vieler Kapltalienausstattungen von NPO-Mltgliedern etc. ist nach wie vor ein kaum durch befriedigende praktische Losungsansatze gekennzeichnetes Problembundel - auch oder manchmal gerade in NPOs."^^° Es zelgt sich dabei, dass die unterschledlichen Funktionen von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitgliedern in den hochgradig sinnorientierten NPOs unterschiedliche Kapitalien voraussetzen, die von den Mitgliedern der Organisation enA/artet werden. Nicht zuletzt die starke Betonung des Informalen in NPOs fuhrt dazu, dass soziale Kapitalien (Beziehungen, Gruppenmitgliedschaften etc. ) einen besonderen Stellenwert haben, die in den Karrierefelden der NPOs - zu symbolischem Kapital generiert - als durchaus legitim und anerkannt wahrgenommen werden. Ehrenamtliche und hauptamtliche Mitglieder verfolgen i. d. R. unterschiedliche Karriereziele, die zu Konflikten zwischen beiden Gruppen fuhren konnen. Ebenfalls bedingt durch den hohen Stellenwert informaler Strukturen in NPOs, kann die Einnahme einer formalen (Leitungs-)Position zum gleichzeitigen Verlust einer informalen Position fuhren. Aufgrund der oft geringen Grode der NPOs und der Aversion ihrer Mitglieder gegenuber hierarchischen Strukturen, kommt es zu einer Zunahme der in^'° Mayrhofer, W.:a.a.O., 161

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dividuellen Interpretation der eigenen Karriere durch die IVIitglieder der Organisation und zum Aufbau funktionaler Aquivalente zu formalen Posltionen. Tabelle 6: Zusammenfassung der karriererelevanten Besonderheiten in NPOs 1. Unterschiedliche Funktionen von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitgliedern a) Hochgradige Sinnorientierung in NPOs (..forcierte Sinnsysteme"); b) „Funktioneller Dilettantismus" der Ehrenamtlichen c) Reprasentation der „moralfreien" Organisation durch die Hauptamtlichen; d) Unterschiedliche Kompetenzen zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen; e) Ven/vlschung In der Arbeltsteilung von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen; f) Unterschiedliche Wahrnehmung von Freiraumen und Einflussmoglichkeiten; g) Unterschiedliche zeitliche Ressourcen von Haupt- und Ehrenamtlichen; h) Unterschiedliche Moglichkeiten von Komplexitatsaufbau und -abbau; i) Hang zur Homomorphie bel vorzunehmenden Einstellungen j) Unterschiedliche AbhSngigkeiten von der Organisation. 2. Kapitalienausstattung a) Unterschiedliche Kapitalienausstattung der Mitglieder der NPO, auch bel Mitgliedern mit gleichen oder ahnlichen Posltionen; b) Unterschiedliche Kan^iereziele von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen; c) Soziale Netzwerke (Gruppenzugehorigkeit) als wichtiges Karrierekriterium; d) Unterschiedliche Netzwerkbildungen bei Haupt- und Ehrenamtlichen; e) Unterschiedliches mikrotaktisches Vorgehen f) Unterschiedliche Erfolgsindikatoren bei Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen. 3. Formale und informale Strukturen a) Mitglieder der Organisation als „Trager einer gemeinsamen Sache"; b) Betonung des Infomnalen; c) Betonung der weltanschaulich-ideologischen Einstellungen; d) Besondere Bedeutung sozlaler Kapitalien; e) Einnahme formaler Posltionen fuhrt zum Verlust informaler Posltionen; f) Schaffung funktionaler Aquivalente zu formalen Posltionen; g) Zunahme der individuellen Interpretation der eigenen Karriere. 4. Intermediaritat der NPOs a) NPOs als Organisationen zwischen den verschiedenen Funktionssystemen b) Gemengelage an unterschiedlichen En^/artungen und Anforderungen; c) Folge: Erforderlichkeit einer erhohten internen Varietat; d) Vielfaitigere Zugangsm6glichkeiten aufgrund der intern hohen Varietat; e) Unterschiedliche externe Bewertung von Fachkompetenz; f) Notwendigkeit der gegenseitigen Obersetzungsleistungen und des simultanen Operierens mit unterschiedlichen Logiken. 5. Organisation-Umwelt-Verhaltnis a) Notwendigkeit des Aufbaus und des Erhalts eines entsprechenden Beziehungsnetzwerks zu den unterschiedlichen Stakeholdern; b) Konflikt fur die NPOs: weltanschauliches Verpfllchtung (Jnnere Mission") vs. Stakeholderinteressen; c) Personen mit passenden sozialen Kapitalien verfugen uber entsprechend gute Karrierechancen; d) Aufgabe der Personen in Schlusselpositionen: Ausbalancleren der amblguosen Erwartungen.

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Die Intermediaritat der NPOs fuhrt zum einen zur Notwendigkeit sprachlicher Ubersetzungsleistungen und zum anderen zum Erfordemis des simultanen Operierens mit - je nach Funktionssystem - unterschiedlichen Logiken. NPOs konnen dies nur durch den Aufbau einer entsprechend hohen intemen Varietat gewahrleisten. Andererseits ermoglicht diese hohe inteme Varitat vielfaltige Zugangs- und AnschludmOgiichkeiten fur potentielle Mitglieder zur Organisation. Fachkompetenz (z. B. pflegemanagerielle Kompetenz) unterliegt als Teil des kulturellen Kapitals einer unterschiedlichen Bewertung in Abhangigkeit von der Perspektive des beobachtenden Systems. NPOs sind als Organisationen ..Treffraum"^^'' und „Multireferenz"^^^ fur unterschiedllche Funktionssysteme (z.B. WIrtschaft und Gesundheitswesen). Sie treten hier als „Vermittler von strukturellen Kopplungen"^*"^ auf. Sie sInd zwar in ihren Entscheidungen autonom, nicht jedoch autark. Bedingt durch dieses spezifische Organisatlons-Umwelt-Verhaltnis von NPOs kann es zu Abhanglgkeiten von bestimmten Stakeholdern kommen, ohne das letztere ein asymmetrisches Machtverhaltnis bewusst forcieren (miissen). Die NPO kann dabei in einen Konflikt zwischen ihrer Jnneren Mission" (den weltanschaulich-ideologischen Verpflichtungen) und (unartikulierten) Stakeholderinteressen gelangen. Die NPO bedient sich Personen, die mit passenden sozialen Kapitalien ausgestattet sInd, um die internen Verpflichtungen und die externen Erwartungen entsprechend auszubalancieren. Dies eroffnet Personen mit passenden sozialen Kapitalien entsprechende Zugangs- und Karrierechancen. In der Gesamtschau wird die hohe Relevanz sozialer Kapitalien, in Relation zu okonomischen und kulturellen Kapitalien fur NPOs deutlich. P. BouRDiEUs Auffassung, wonach die soziale Position einer Person (P. BouRDiEU spricht anstelle von Personen von ..Akteuren"^^"*) durch ihre individuelle Kapitalienstruktur determinlert ist, verdeutlicht aus systemtheoretischer Perspektive die Bedeutung der Person als sozialen Adressaten organisatlonaler En/vartungen. Okonomisches Kapital (monitare Mittel und Eigentumsrechte) treten fur hauptamtliche Mitarbelter/lnnen in den Hintergrund. Wohingegen bei ehrenamtlichen Mitgliedem durchaus erkennbar ist, dass sie die qua ihrer in der NPO ausgeiibten Funktion, die NPO Oder Teile derselben durchaus als Teil ihres „Eigentums" betrachten. Dies wollen wir hier jedoch nicht weiter vertiefen. Kulturelles Kapital ist vielschichtig und umfasst neben den beschriebenen Habitusdispositlonen Bildung, die sIch durch entsprechende Schulabschlusse und Titel ausdruckt. Soziale Kapitalien, d.h. die „Gesamtheit der aktuellen und potenziellen Ressourcen, die mit der Teilhabe an einem dauerhaften Netz von mehr Oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind..."^''^, eroffnen jedoch erst die Luhmann, N.: Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 2000, 398 ^^^ Lieckweg, T.: Strukturelle Kopplung von Funktionssystemen „uber" Organisation, in: Soziale Systeme2001,Heft2. 267-289 ' ' ' Lieckweg, T.: a.a.O., 278ff. ^^^ Die Erdrterung der unterschiediiciien Terminologien im iiandlungstheoretischen und systemtheoretischen Ansatz wurde an dieser Stelle den Rahmen der Arbeit uberschreiten. Infolge dessen mussen wir hier auf eine wissenschaftstheoretische Diskussion dieser AnsStze und ihrer zentralen Begrifflichkeiten (leider) verzichten. ^^^ Bourdieu, P.: Okonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel, R. (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt, Sonderband 2, Gottingen 19983, 183 - 198; zitiert nach: Runia, P.: Soziales Kapital als Ressource der Karrierepolitik, a.a.O., 149-158

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Chance fur Personen, ihr kulturelles und ihr okonomisches Kapital einzubringen. Diese Multiplikatorenfunktion des sozialen Kapitals ist evident. Die Wirkung von sozialen Beziehungen, ist dort besonders sichtbar, „...wo verschiedene Individuen aus einem gleichwertigen okonomisclien und kulturellen Kapital ungleiche Ertrage erzielen. (...) Soziales Kapital meint also Ressourcen aus sozialen Beziehungen und die daraus abgeleiteten Unterstutzungs-, Solidaritats- und Protektionsverpflichtungen."^^® Die soziale Legierung aus einer Betonung Informaler Strukturen und hochgradig weltanschaulich-ideologlscher Orientierung lassen fur (hochgradig sinnforcierte) NPOs die sozialen Kapitalien von Personen als besonders relevant erscheinen. Dadurch geraten kulturelle Kapitalien (Ausbildung, formale Qualifikationen etc.) In den blinden Fleck der NPOs, der erst wieder durch soziale Kapitalien aufgehoben werden kann. Die Charakteristika sozialer Netzwerke sind ausschlaggebend fur den Karriereerfolg: „Hier spielt zunachst die Grofie des Netzwerks eine Rolle, denn je groRer das Netzwerk, desto grofier die Chance, Unterstutzung fur die Karriere zu erhalten. Ein entscheidender Faktor ist der Status der Netzwerkmitglieder: Je mehr Einfluss und Macht von den Kontakten ausgeht, desto besser fur die Karriere des Sozialkapitalisten. (...) Einschrankend muss jedoch hinzugefugt werden, dass das soziale Kapital als alleinige Determinante nicht ausreicht, urn einen beruflichen Aufstieg zu erreichen. (...) Das soziale Kapital fungiert vielmehr als .Verstarker' von Leistungs- und Fahigkeitsmerkmalen; Leistung und Qualifikation .. stellen nach wie vor die Basis fur einen beruflichen Aufstieg dar."^^'^ Diese Auffassung wird auch von R. HITZLER und von M. PFADENHAUER geteilt: „Soziale Beziehungen und Netzwerke, durchaus auch im Sinne von Cliquen und Seilschaften, fungieren .. als .Verstarker' von fiir Karriere nach wie vor essentlellen indlviduellen Leistungs- und Fahigkeitsmerkmalen."^^^ Ehrenamtliche und hauptamtliche Mitglieder in NPOs verfugen uber unterschiedliche Bezlehungsnetzwerke und damit uber unterschiedliche Ressourcen. Konfliktar wird die Bezlehung zwischen beiden Gruppen dort, wo sich hauptamtliche Mitglieder auf ihre Fachkompetenz (kulturelles Kapital) berufen, urn Veranderungen von Routinen und Reaktionen zu bewirken und ehrenamtliche Mitglieder eher auf das, was E.E. KRAINZ und R. SIMSA Junktionellen Dilettantismus" nennen, „ein Freiheitsort zur Selbstverwirklichung, der in der restlichen Welt nicht gegeben ist". Zur Aufrechterhaltung dieses Freiheitsortes bedienen sich ehrenamtliche Mitglieder nicht selten ihrer Bezlehungsnetzwerke auflerhalb der NPO. Hierfur hilfreich sind sowohl weitere ehrenamtliche Funktionen, die sle in anderen Organisationen innehaben, als auch hauptbemfliche Funktionen. Paradoxerweise verdanken die hauptamtlichen Leitungspersonen nicht selten ihre Position eben diesem funktionellen Dilettantismus. Dieser kann fur sie spater dann zum Problem werden, wenn sie mit Bezug auf eine andere Logik ..moralfrel" Entscheidungen herbeifuhren m6chten, die bspw. nicht der weltanschaulichen Orientierung der ehrenamtlichen Mitglieder entsprechen. Sie lassen sich - mit Bezug auf die etymologische Bedeutung des Begriffs ,Karriere' - zunSchst vor einen Karren 'Rudina, P.: a.a.O., 153 ' Rudina, P., a.a.O., 156 ' Hitzler, R. und Pfadenhauer, M.: a.a.O., 16

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spanner), den sie durch den alltaglichen Dreck der unterschiedlichen Erwartungen und Erfordernisse Ziehen und stellen dann fest, dass die von ihnen betretene „Rennbahn" mitunter einen anderen Verlauf nimmt, als den, den sie zum Zeitpunl^t ihres Einstiegs in die Organisation antizipierten. Ob sie sich dann noch vom Karren abspannen konnen oder vom Karren abgespannt werden, hSngt nicht selten von der Intensitat der bis dahin erfolgten Koppelung zwischen Bewusstsein und Organisation durch die (Leitungs-)Person ab.

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IV.

Geschlecht und Sozialisation im Beruf

Urn Karriereverlaufe von Frauen und Mannern vergleichen zu konnen erscheint es uns sinnvoll der Frage nachzugehen, ob und wie das Geschlecht den Beruf typisiert, wie die Geschlechterrollen und Zuschreibungen im Berufsfeld Altenpflege aussehen und ob das Geschlecht die berufliche Sozialisation determiniert.

1.

Geschlechtertypisierung der Berufe

Die Differenz Frauenberuf versus Msinnerberuf taucht In der Fachliteratur ubiquitar auf. Ebenso regelmaflig wird das Differenzierende dieser Zweiseitenform nicht naher definiert. Ansatze einer Klarung liefern bestenfalls VenA^eise auf die (unterschiedliche) statistische Verteilungen von Frauen und Mannern in den jeweiligen Berufen und die unterschiedllchen Einkommen von Frauen und Mannern in geschlechtsspezifischen Beoifen. Letzteres kann als das eigentlich Differenzierende nur bedingt herangezogen werden, da unterschiedliche hohe Einkommen von Frauen und Mannern bei genauerer Betrachtung auch in Berufen vorzufinden sind, in denen der prozentuale Anteil zwischen beiden Geschlechtern annahernd gleich ist. „Als Frauenberuf definleren die Forscher... Arbeitsbereiche, in denen mehr als 80 Prozent der Beschaftigten weiblich sind, belspielsweise Arzthelferin (99 Prozent), Floristin (96 Prozent) oder Friseurin (95 Prozent)"^''^. In den typischen Frauenberufen wird schlecht bezahit, ..."^^°. Frauenberufe bzw. Mannerberufe werden soziologisch als solche Berufe benannt, in denen ein grodes Fehlverhaltnis zwischen den Geschlechtern besteht. Melst wird 30% als Grenze gesetzt. Alle Menschen in geschlechtsuntypischen Berufen tragen somit ein gemeinsames Merkmal: Sie befinden sich ausgesprochen in der Minderheit."^^^ MIt Menschen in geschlechtsuntypischen Berufen sind Menschen gemeint, die einem fur ihr Geschlecht untypischen Beruf nachgehen. Hierzu zahlen u. a. Manner in Pflegeberufen. R. M. KANTER hat dieses Phanomen der Minderhelt in einem geschlechtsuntypischen Beruf als ro/ce/is/m-Theorie beschrieben. Als tokens bezeichnet sie Personen, die einen Prozentsatz von maximal 15 Prozent der gesamten Gruppe ausmachen^^^. Die Angehorigen der uberwiegenden Teilgruppe innerhalb der Gesamtgruppe bezeichnet R.M. KANTER als Dominants. Dieses Verhaltnis von 85 Prozent Frauen und 15 Prozent Mannern findet sich im Beruf der Altenpflege wieder. T. KuHRT hat in seiner Diplomarbeit uber .Manner in der Altenpflege zwischen Fremdheit und Familiarltat Im weiblich dominierten Berufsfeld'^^^ dargelegt, dass sich

^^® Pilgram, J.: Einkommen. Geld hat ein Geschlecht. In: Suddeutsche Zeitung 10.01.2003 ^^° Pilgram, J.: a.a.O. ^^^ Schmid, S.: Frauen in MSnnerberufen und Manner in Frauenberufen, Seminararbeit am Soziologischen Institut der Universitat Zurich. www.hmi.de/gleichstellunq/Archiv/berufe.html. 2 ^^^ Kanter, M.R.: Men and Women of the Corporation, New York 1977, 209 ^^^ Kuhrt, T.: Unterschieds-Los. Manner in der Altenpflege zwischen Fremdheit und Familiaritat im weiblich dominierten Berufsfeld. Eine qualitative Untersuchung. Dipl. Arb., Zwickau 2003, 24

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der Anteil von ca. 15 Prozent Mannern im Wesentlichen auf die staatlich anerkannten Altenpfleger in den Pfiegeiieimen bezieht. Unter Hinzuziehung anderer in diesem Berufsfeld tatigen Gruppen, wie Krankenpflegehelfer/innen und sonstigen pflegerischen Berufen, relativiert sich der Anteil der IVI^nner in der stationaren Altenpflege auf 10,5 Prozent. Nach unseren Recherchen (vgl. Kapitel II.) sind in Leitungsfunktionen allerdings zu ca. 40 Prozent Frauen und 60 Prozent Manner anzutreffen. B. HEINTZ und E. NADEI betonen, dass die tokens aufgrund ihrer zahlenmSfiigen Unterlegenheit besonders auffallig sind und dadurch Polarisierungstendenzen auf der .Gegenseite' bewirken wurden^^"^. Als typische Frauenberufe wird neben der Altenpflege und der Krankenpflege der Beruf der Erzieherin bezeichnet. U. NISSEN ven/veist darauf, dass diese Bemfe in der Statistik als „weiblich dominierte Berufe" bezeichnet werden, well hier der Anteil der weiblichen Auszubildenden zwischen 80 und 100 Prozent betrSgt^^^. Erganzt werden diese statistlschen Angaben haufig mit Versuchen, die Differenz anhand bestimmter Merkmale bzw. Eigenschaften zu verdeutlichen. Frauenberufe gelten demnach als familiennah, well man hier soziale Kompetenzen einsetzen kann, die man auch in der Familie braucht. Sie weisen haufig ein entsprechend diffuses Tatigkeitsfeld auf."^^^ Konnotative Erklarungsansatze finden sich eher in Artikein periodisch veroffentlichter Printmedien. So wird ein Mannerberuf definiert als ein Beruf der in den K6pfen der Menschen stark mit Mannlichkeit assoziiert wird."^^^ Diese Feststellungen gehen nicht selten einher mit einer bestimmten historischen Variabilitat dessen, was gesellschaftlich als Frauen- bzw. Mannerberuf anerkannt wird: „Es sind heute vielfach andere Berufe, Branchen oder Arbeitsplatze, die aufgrund der quantitativen Dominanz des einen oder anderen Geschlechts als .typisch weiblich' bzw. ,typisch mannlich' gelten, als zu Beginn der Industrialisierung."^^® Allerdings kann man gerade mit Blick auf die sozialpflegerischen Berufe feststellen, dass diese uber einen Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert kontinuierlich uber einen entsprechend hohen Frauenanteil verfugen. „Bei den qualifizierten, aber nicht-akademischen Dienstleistungsberufen wie Krankenschwestern, bei sozialpflegerischen und medizinischen Hilfsberufen, die von ihrer Entwicklung her auf der (ehrenamtlichen) Arbeit der Frauen im 19. Jahrhundert aufbauen und bereits damals als spezifisch weiblich konstituiert wurden, finden wir bereits 1925 ein sehr hohe Frauenquote von uber 70 Prozent, die sich nur unwesentlich geandert hat."^^^ A. WETTERER benennt eine weitere Differenz zwischen ..typischen" Frauenberufen und „typlschen" Mannerberufen: „Unverandert gilt auch, dass Frauen sich auf

^^^ Heintz, B. und Nadei, E.: Geschlecht und Kontext. -De-institutionalisierungsprozesse und geschlechtliche Differenzierung. In: Zeitschrift fur Soziologie, 27. Jg., Heft 2, Stuttgart 1998, 75 - 93 ^^^ www.sueddeutsche.de/...karriere/berufsstudium/artikel: Berufswahl: ..MSIdchen sollten dahin kommen, sich jeden Beruf zuzutrauen" - Interview mit U. Nissen. In: Suddeutsche Zeltung 29.01.2004 ^^® www.sueddeutsche.de/...karriere/berufsstudium/artikel. a.a.O. ^^^ www.sueddeutsche.de/...karriere/berufsstudium/artikel. a.a.O. ^^® Wetterer, A.: Arbeitsteilung und Geschlechterkonstruktion. .Gender at Work' in theoretischer und historischer Perspektive, Konstanz 2002,65 ^^ Rabe-Kleberg, U.: Verantwortlichkeit und Macht. Ein Beitrag zum VerhSltnis von Geschlecht und Beruf angeslchts der Krise traditioneller Frauenberufe, Bielefeld 1993,128

80

deutlich weniger Berufe und Branchen konzentrieren als Manner und dass Frauen weniger stark als Manner ausschliefilich in hochgradig geschlechtstypisierten Berufen arbeiten."^^° Und wahrend knapp zwei Drittel der erwerbstatigen Manner in reinen Mannerberufen tatig sind, gilt dies heute nur fur 28 Prozent der Frauen, in so genannten Frauendomanen arbeitet nur eine kleine Zahl von Frauen."^^^ D.h., die Mehrzahl der Frauen arbeitet (im Gegensatz zur Mehrzahl der Manner) nicht in so genannte geschlechtstypischen Berufen. Interessant erscheint an dieser Stelle auch die Beobachtung, dass der uberwiegende Teil der „typischen Frauenberufe" aus Tatigkeiten besteht, die aus der (Groli-) Familie .herausgerutscht' sind. Erziehung von Kindern, hauswirtschaftliche Arbelten, Pflege von Familienmitgliedern bei Krankheit, im Alter und weitere personennahe Dienstleistungen wurden aus der Familie ausgelagert, wurden zu (Frauen-) berufen. Manner arbelten eher in Berufen, in denen uben/viegend Manner arbelten. Das Berufsspektrum von Mannern ist wesentlich grofier als das der Frauen. „Die Geschlechtergrenzen von Mannerberufen sind In jedem Fall deutlicher markiert, sie sind ... starker gegenuber dem anderen Geschlecht abgeschottet."^^^ U. RABE-KLEBERG vertritt die Auffassung, dass sich Frauenberufe von Mannerberufen im wesentllchen dadurch unterscheiden, dass Frauen Arbelten ubernehmen, die Manner nicht tun wollen, also ubrig lassen." Die Bezeichnung „ubrig lassen" sel dabei different zu gebrauchen, namlich, • wenn Manner an neue Arbeitsplatze wandern und ihre alten Arbeitsplatze den Frauen uberlassen, dies in der Regel aberdie schlechteren Arbeitsplatze sind, die so den Frauen zukommen; • wenn durch Rationalisierung Arbeitsplatze unterhalb der mannlichen Hierarchie geschaffen werden, auf denen Frauen zugelassen werden; • wenn ein ganzes Spektrum von gesellschaftllch zu erbringenden Arbelten von Mannern nicht abgedeckt wird,..."^^^. Fur die Altenpflege trifft das hier letztgenannte Phanomen zu. Die Pflege alter Menschen wird in diesem Kontext nicht von den Mannern abgedeckt, sondern primar den Frauen ..uberlassen". Diese Einschatzung von U. RABE-KLEBERG betont eine Hierarchisierung zwischen Frauenarbeit und Mannerarbeit. Sie hebt hervor, „...dass Frauen mehrheitlich in Berufsfeldern arbeiten, die aufgrund ihres vergleichsweise geringen Status fur Manner nicht attraktiv genug sind;..."^^"^. Nach A. WETTERER geht es dabei aber nicht nur um eine Zuordnung bzw. Klassifikation, „...sondern auch um die Anmeldung eines Besitzanspruchs: Welchem Geschlecht .gehort' ein Beruf?"^^^.

^^^ Rabe-Kleberg, U.: a.a.O., 124 ^^^Wetterer, A.:a.a.O., 73 ^^^ Rabe-Kleberg, U.: Frauenberufe. Zur Segmentierung der Berufswelt, Hannover 1987, 47 ^^^ Wetterer, A.: a.a.O., 87 ^^^ Wetterer, A.: ebd.

81

U. RABE-KLEBERG unterscheidet zwei Formen der geschlechtsbedingten beruflichen Segregation: die horizontale Verschiedenheit in der Berufsstruktur und die vertikale DisparitSt: „Eine horizontale Verschiedenheit in der Berufsstruktur entsteht dadurch, dass bestimmte Personen bestimmte Leistungen innerhalb der Gesellschaft erbringen. In der Regel haben Manner und Frauen in diesem Kontext verschiedene Funktionen. Vertikale DisparitSt entsteht dadurch, dass berufliche Aufgaben in einer Rangreihe nach Wertschatzung, Einkommen und anderen Kategorien, welche die Reallsierung von Lebenschancen kennzeichnen, gesetzt werden."^^® A. WETTERER verweist allerdings darauf, dass die vorgenannte Differenzierung zwischen horlzontaler und vertikaler Segregation kritisch zu sehen ist, da Forschungsergebnisse zur historischen Entwicklung der Geschlechtersegregation ... zeigen ..., dass auch die horizontale Segregation im Kern eine hierarchische oder - wenn man so will - eine .vertikale' ist, und zwar nicht nur, was die Beziehung zwischen Frauen- und Mannerberufen oder der Relation zwischen Frauen- und Mannerbranchen, sondern auch, was die Binnendifferenzierung einzelner Berufe anbelangt."^^^ Die o. a. Beobachtung, dass ubenA/iegende Telle der „typischen Frauenberufe" aus frijheren familialen Tatigkeiten besteht, die sich aus dem Funktionssystem Famine in andere gesellschaftliche Funktionssysteme verlagert haben, muss dahingehend ergSnzt werden, dass diese Tatigkeiten einer spezifischen Bewertung (Beobachtung) durch die Gesellschaft (als gr6(itm6gliche en^eichbare Kommunikationen) unterliegt. Denn „...die Klassifikation einer Arbeit als Frauenarbeit (oder als MSnnerarbeit) orientiert sich durchgangig und in erster Linie an der gesellschaftlichen Bewertung dieser Arbeit. Sie orientiert sich jedoch nicht an den Arbeitsinhalten oder deren moglicher Kompatibilitat mit spezifisch .weiblichen' oder .mannlichen' FShigkeiten, Orientierungen und PrSferenzen."^^® Vertikale und horizontale Segregation sei somit als Ergebnis der Reproduktion geschlechtshierarchischer Stmkturen zu begreifen und nicht die Voraussetzung hierarchisch strukturierter Zuordnungsverfahren. Damit erteilt A. WETTERER eigenschaftstheoretischen AnsStzen, die davon ausgehen, dass bestimmte weibliche Fahigkeiten fur bestimmte berufliche Aufgabenstellungen besser geeignet seien, als mdnnliche Eigenschaften, eine klare Absage. Sie geht davon aus, dass jede Arbeit zur Frauen- bzw. Mannerarbeit werden kann. „So gesehen erweist sich gerade das als Inbegriff der Variabilitdt, was gemeinhin als Hort der Stabilitat gilt: die Differenz der Geschlechter, die sich - von Fall zu Fall je verschieden - mal an diesen, mal an jenen Arbeitsinhalt heftet. Dass die Vergeschlechtlichung der Arbeitsinhalte den VerSnderungen in der gesellschaftlichen Bewertung einer Arbeit mit der Ven/vandlungsfShigkeit eines Chameleons nachfolgt, heidt auch, dass sich die Geschlechterdifferenz - nicht weniger chamaleongleich mal in jenem und dann wieder in dessen Gegenteil ,zeigt' und konkretisiert."^^^

^^® Wetterer, A.: a.a.O., 49 ^^^Wetterer.A., a.a.O., 81 ^^^ Wetterer, A.: ebd. ^^® Wetterer, A.: a.a.O., 84

82

Auch in gemischt geschlechtlichen Berufen zeigt sich, dass die Geschlechtersegregation hierarchisch angelegt ist - und zwar auch in der vorgenannten horizontalen Differenzierung. Diese Hierarchie manifestiert sich - so A. WETTERER in Anlehnung an F. MAIER (1990, 60-67) - an vier IVIerkmalen: • Jn der niedrigeren Entlohnung der Frauenerwerbstatigkeit • in den geringeren Chancen auf Fort- und Weiterbildung • im Ausschluss der Frauen aus betrieblichen Leitungs- und Gestaltungsfunktionen und der betrieblichen Interessenvertretung • und schliedlich in den hoheren Arbeitsmarktrisiken und den erhohten sozialen Risiken."^'^^ „Die konkreten Vorstellungen aber,... wer also welche Arbeit In der Gesellschaft tun muss Oder darf, wo also die Trennungslinien sind, wechseln. Sie werden durch die jewellige Gesellschaftsordnung bestimmt, sind in Phasen von Gesellschaftsveranderung im Fluss, sind aber letztlich Ergebnis von Auseinandersetzungen um Einfluss und Macht zwischen Gruppen innerhalb der Gesellschaft, auch zwischen den Geschlechtern."^"^^ Nach diesen Ausfuhrungen ware festzustellen, Altenpflege ist ein Frauenberuf, ebenso sind Manner in diesem Beruf untypisch. Der Beruf ist weiblich dominiert, gilt als „familiennah" und weist ein diffuses Tatigkeitsfeld auf. Im Berufsfeld Altenpflege ubernehmen Frauen Arbeiten, die Manner nicht tun wollen. Die Pflege alter Menschen wird von den Mannern nicht abgedeckt und wird somit primar den Frauen uberlassen. Die Klassifikation der Pflege als Frauenarbelt orlentiert sich an der gesellschaftlichen Bewertung der Tatigkeiten in dieser Arbeit, jedoch nicht an den Arbeitsinhalten oder deren moglicher Kompatibilitat mit spezifisch weiblichen Oder mannlichen Fahigkeiten.

2.

Zuschreibungen an die Geschlechterrolle im beruflichen Kontext

Wissenschaftstheoretisch lassen sich im Hinblick auf die Analyse von Geschlechtsunterschieden drei Erklarungsansatze unterscheiden: a) der sozialpsychologische Ansatz, b) der entwicklungspsychologische Ansatz, c) der evolutionspsychologische (psychobiologische) Ansatz. Alle drei Ansatze verdeutlichen die Komplexitat des Zusammenspiels diverser Faktoren im Hinblick auf Geschlechtsunterscheidungen. Im sozialpsychologischen Ansatz stellen die Konzepte „sozialer Status", „soziale Rolle" und „geschlechtsbezogene Erwartungen" den zentralen Gegenstand der Auseinandersetzung dar. ^° Wetterer, A.: a.a.O., 74-75 ^^^ Rabe-Kleberg, U.: Verantwortlichkeit und Macht, a.a.O., 117

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Entwicklungspsychologische Ansatze wenden sich u. a. Theorlen des Lernens, der kognitiven Entwicklung, aber auch der Geschlechterschemata zu. Von evolutionspsychologische Ansatzen „...werden Prinzipien der Evolution, speziell Mechanismen der sexuellen Selektion ... bemuht, urn Geschlechtsunterschiede zu erkiaren."^^ Im Folgenden werden wir die Auseinandersetzung auf der Basis des sozialpsychologischen Ansatzes fortfuhren, da uns dieser mit den v. g. Konzepten der Rolle, des sozialen Status' und geschlechtsbezogener En/vartungen am ehesten geeignet erscheint, die aufgeworfenen Fragestellungen (adaquat) zu beantworten. Dies vor allem deshalb, weil sich u. a. die geschlechtsbezogene Arbeitsteilung sowohl anhand unterschiedlicher Rollen als auch mit Hilfe des unterschiedllchen Status' verstehen lasst.

2.1

Rollentheorie

Rollentheoretische Zugange gehen davon aus, dass jede Gesellschaft ihren IVIitgliedern auf einer Reihe von Dimensionen (z.B. Alter, Geschlecht, sozialer Status) bestimmte Positionen zuweist: Z.B. Kind, Jugendlicher, En/vachsener auf der Altersdimension Oder Junge - MSdchen bzw. Mann - Frau auf der Geschlechterdimension. Derartige Positionen sind entweder fest zugeschrieben (z.B. mannlich - weiblich) Oder en/vorben (z.B. der soziale Status). O. NEUBERGER stellt drei rollentheoretische Zugange vor, den strukturalistischen, den funktionalistischen und den symbol-interaktionistischen Ansatz^^^.

Strukturalistischer Ansatz In diesem Ansatz wird die Position (nach dieser Theorie „...eine Leerstelle in einem sozialen System, der Ort, der durch eine Person zu besetzen und auszufullen ist"^'*) ins Zentmm gestellt. Die En^/artungen der unterschiedllchen Bezugssysteme (z.B. Familie, Gesellschaft, Kollegium, etc. ) richten sich auf dieses Zentrum. (siehe Abb. 1) und schreiben damit der Positionsinhaberin / dem Positionsinhaber nach „...Art eines Drehbuchs Oder Skripts"^^ das en^/artete Handein vor. Nach der Idee dieses Zugangs charakterisiert die Rolle nicht so sehr eine Person, als vielmehr eine Position. Das strukturalistische Rollenverstandnis legt das Sender-Empfanger-Modell zugmnde. Die Person (Empfanger) ist passives Objekt, die Position und mit ihr die Person wird durch die (bestimmten oder diffusen) Anderen (Sender) definiert. Die En^/artungen der einzelnen Sender sind nicht aufeinander abgestimmt.

^^ Eckes, T.: Geschlechterstereotype: Frau und Mann aus sozialpsychoiogischer Sicht, Pfaffenweiler 1997, 63f. ^^ Neuberger, 0.: Rolle und Identitat. In: Ders.: Fuhren und fuhren lassen", 6. vOllig neu bearb. und erw. Auflage, Stuttgart 2002, 318 ^^ Neuberger, 0.: ebd. ^^ Neuberger, O.: ebd.

84

„Entscheidend ist, dass jedes Bezugssystem (Sender, A. d. A.) definierte Anforderungen stellt, deren Vereinigung die Person auf dieser Stelle leisten muss. (...) Ein und derselben Person konnen in verschiedenen sozialen Bezugen gleichzeitig verschiedene En/vartungstrager gegenuberstehen, wie in der folgenden Abbildung veranschaulicht wird."^"^® Abb. 1: Pie Person im Zentrum von Rollenerwartungert'347 aul^erinnerorganisatorisch organisatorisch die (hOheren) Vorgesetzten

gesellschaftliche Werte, Normen, Gesetze usw.

die Kolleglnnen

Organisation, Stabe, Spezialisten, Gremien, Ausschusse, Regein, Vorschriften, Technologische und raumliche Bedingungen, Prozeduren, Gewohnheiten, Normen, Klima

Nebenhierarchie Betriebsrat

Rollenerwartungen an eine Position

I I I I

die Untersteilten

Arbeitskontakte mit externen Stellen: BehOrden, Kunden, Lieferanten, Banken, Presse Familie, Ehepartnerln, Kinder, nalie Verwandte

Freizeit, Hobby, Kirche, Vereine, soziale Aktivitat

Im strukturalistischen Ansatz werden also Rollen als positions- und lagespezlflsche Festlegungen definiert. In der Grafik wird deutlich, dass die Person (von NEUBERGER auch als Fokalperson bezeichnet), welche den Platz im Zentrum einnehmen soil, in eine Schablone gepresst oder als Marionette bewegt werden soil und die Position falschllcherweise als Maske verstanden werden konnte, welche abgesetzt und ausgetauscht werden kann.

Funktionalistisclier Ansatz ..Funktionalismus wird jenes Theorieprogramm genannt, das die Existenz eines sozialen Phanomens (z.B. eine soziale Gruppe, eine Praxis, eine Institution) durch die

' Neuberger.O.: ebd. ' Neuberger, O.: a.a.O., 320 (Abb. 5.1)

85

Wirkungen oder Funktionen erklart, die es fur ein ubergeordnetes System hat."^"*® Im vorliegenden Zusammenhang ist das soziologische Funktionsverstandnis gemeint: Funktion ist Wirkung, Folge oder Leistung. Nach der Idee dieses Ansatzes ist es .....weitgehend egal, ivereine bestimmte Funktion wahrnimmt, Hauptsache ist, dass sie erfullt wird."^^® Im Mittelpunkt stehen das ubergeordnete System und die Funktionen, welche dem System Bestand gewahrleisten und nicht Person, Position oder Rolle. Vorrangig sind nicht die Rollen sondern die Systemerfordernisse relevant. Rolle wird verstanden als Funktionsbundel, „... das mit anderen GestaltungsbeitrSgen konkurriert, sie ersetzt oder erganzt."^^° Bestandteil der Rolle kann alles werden, was fur den Systembestand notwendig ist.

Symbolisch - interaktionistischer Ansatz Das Handein der Subjekte bezieht sich in diesem Ansatz nicht auf irgendeine objektive Wirklichkeit, sondern [auf] die in konkreten Interaktionen erfahrene und ausgehandelte symbolvermittelte Bedeutung..."^^"" von Rollenen/vartungen und zuschreibungen. (Obermittlung durch das Medium Sprache) „Es geht... nicht um die Aufpragung einer En/vartung auf eine unbeteiligte Person, sondern um die Obermittlung sprachlicher Infomiation, die das Subjekt zur Stellungnahme und Verarbeitung veranlasst."^^^ Interaktionismus versteht sich hier als aktive Mitwirkung des EmpfSngers an der Formulierung und am Inhalt der Rollenen/vartungen..."^^^. Bel der Rollentragerin / dem Rollentr^ger wird unterschieden „...zwischen ,Rolle' und ,lch' (Personenkern und Identitat)... . Das ,lch' kann sich reflexiv auf seine Rolle beziehen, Rolle und Identitat konnen sich voneinander abkoppein oder in Konflikt miteinander geraten."^^ Der interaktive Prozess zwischen Person und Rollenenvartung ermoglicht das aktive Gestagen von Rolle, in der Reflexion dessen, was der Rollentrager .beantwortet' und was nicht. „Die Rolle ist auch(!) eine Eigenleistung..."^^^ und folgt nicht nur einem ,Drehbuch' das von den .Sendern' geschrieben ist (s.o. strukturalistischer Ansatz). Die verschiedenen Rollen werden entwickelt, ausgehandelt, angeboten oder zuruckgewiesen. Diesem Ansatz liegt also kein starres Bild des Begriffs Rolle zugrunde. Rolle wird hier als standige Kommunikation und Interaktion mit daraus resultierenden kontingenten Ergebnissen verstanden.

Neuberger, O.: a.a.O, 327 ^^ Neuberger.O.: ebd. ^^ Neuberger.O.: ebd. ^^^ Neuberger.O.: a.a.O., 332 ^" Neuberger.O.: a.a.O., 333 ^^^ Neuberger.O.: a.a.O. 332 ^^ Neuberger.O.: a.a.O., 333 ^^® Neuberger.O.: a.a.O.. 332

86

2.2

Soziale Rolle

R. PEUKERT rekurriert in seiner Definition von sozialer Rolle auf die oben ausgefuhrten Ansatze zu Rollentheorien. Er definiert Rolle als regelmafliges, vorhersagbares Verhalten als Voraussetzung fiir kontinuierlich planbare Interaktionen, [welche]... fur eine allgemeine soziale Orientierungsfunktion..."^^^ sorgen und diese somit erfullen. Das traditionelle Rollen-Konzept ist nach R. PEUKERT eng mit der strukturfunktionalen Theorie verbunden. Aus dieser Theorie-Herleitung haben sich bis heute folgende Begriffsdefinitionen akzentuiert: „Rollen sind analog den sozialen Positionen entweder zugeschrieben (ascribed) oder en^/orben (achieved),... . Unter einem Rollen-Satz (role set) wird in Aniehnung an Robert K. Merton die Gesamtheit aller sich erganzenden Teil-Rollen (Komplementar-Rollen) verstanden, die mit einer bestimmten Position verbunden sind (z.B. im Falle des Lehrers die Rollen-En/vartungen der Schuler, Kollegen u. a.)."^^^ Die Fahigkeit, sich in den anderen hineinversetzen zu konnen, urn dessen Verhalten antizipieren und In den eigenen Handlungsentwurfen berucksichtigen zu konnen wird von R. PEUKERT als Prozess der Rollen-Obernahme (role takmg) beschrieben. Den Begriff der Rollen-Gestaltung (role-making) erklart er als „..auf das individuelle, spontane, kreative Moment im Rollen-Handein verwiesen."^^® Welter fuhrt er aus, dass „der Anwendungsbereich der traditionellen, dem Strukturfunktionalismus von Talcott Parsons verpfllchteten Rollen-Theorie ... uberall dort zu finden [ist], wo es differenzierte, institutionalisierte soziale Strukturen mit vielen unterschiedlichen Positionen und Funktionen gibt."^^^ Aus dem Sozialisationsprozess heraus entwickein sich Grundqualifikationen des Rollenhandelns. Die Fahigkeit zur Rollendistanz 6as heifit, „..die Fahigkeit, belm Rollen-Handein die eigene Rolle distanzierend und reflektierend zu betrachten"^^° gehort ebenso dazu wie die Ausbildung von Empathie (Einfijhlungsvermogen) und Ambiguitatstoleranz, letztere „...die Fahigkeit, Uneindeutigkeiten einer Situation zu ertragen."^^^ „Seit Ende der 70er ... wird verstarkt auf den instrumentalen Charakter des Rollen-Begriffs hingewlesen. Das herkommliche Rolle-Konzept ist dann am fruchtbarsten, wenn es sich um im hohen Made institutionalisierte und formalisierte Situationen handelt, so dass fur die Entfaltung der interpretativen Komponenten des Rollen-Handelns wenig Raum bleibt."^^^ Was wiederum erklaren wurde, warum in Institution mit stark normatlven Strukturen (aus systemtheorischer Sicht: hohe Redundanz) der strukturalistische Ansatz der Rollentheorie nicht uberholt erscheint. Warum sonst wird weiterhin fleiflig versucht Positionen In Stellenbeschreibungen zu

: Soziale Rolle, in: Schafer, B. (Hrsg.)" Grundbegriffe der Soziologie, 6. Auf!., Opiaden 2000,290

, 291 :ebd. : a.a.C ,292 ' Peul<ert, R.: ebd. ' Peukert, R.: ebd. : a.a.O., 294

87

manifestieren und Rolleninhaberinnen und Rolleninhaber mit rollenkonformem Verhalten zu bevorzugen.

2.3

Geschlechterrollen und Geschlechterstereotype

Fur die allgemeine, pauschale Rollenzuschreibung im gesellschaftlichen und somit auch im beruflichen Kontext bedarf es eines Blickes auf die Gesciiieciiterstereotypen. Das in der Kernfamilie verinnerliciite Selbstbild in Bezug auf die Geschlechterroiie kann sich durchaus von den RollenenA^artungen an den Geschlechterstereotyp unterscheiden. Normen und Konventionen andern sich von Generation zu Generation. Die Erwartungen an ein spezifisclies Rollenverhalten von Frauen und IVIannern unterliegen dem geselischaftiiciien Wandel. Was als angemessen postuliert wird, definiert sich am entsprechenden Kontext, ebenso bleibt das Spannungsfeld des nonkonformen Rollenverhaltens bestehen. Um die geschlechterspezifische Veranderung in der Rollenzuschreibung einer bestimmten Position zu beschreiben, bedarf es einer Klarung dieser Begrifflichkelten. Den Unterschied zwischen Geschlechterrollen und Geschlechterstereotypen verdeutlicht T. ECKES wie folgt: Geschlechterrollen „...lassen sich als die praskriptive Komponente von Geschlechterstereotypen bestlmmen. Sie (die Geschlechterrollen, A. d. A.) bilden Systeme kulturell geteilter En/vartungen bezuglich des Verhaltens von Frauen bzw. Mannern. Hier geht es um das Muster von Verhaltenswelsen, die innerhalb einer Kultur fur Manner bzw. Frauen als angemessen oder als unangemessen betrachtet werden. Anders ausgedruckt, Geschlechterrollen sind Muster von geschlechtsbezogenen Verhaltensvorschriften."^^^ Geschlechterstereotypen sind demgegenuber konzipiert als .....kognitive Strukturen, die sozial geteiltes WIssen uber die charakteristlschen Merkmale von Frauen bzw. MSnnern enthalten. Eine zentrale Frage zielt auf das Muster der Merkmale, die innerhalb einer Kultur dem .typischen Mann' bzw. der ,typischen Frau' zugeschrleben werden."^^ „Eine Vielzahl von Untersuchungen hat weitgehend ubereinstimmende Mengen von Merkmalen, die hauflger mit Frauen als mit Mannern bzw. haufiger mit Mannern als mit Frauen in Verbindung gebracht werden identiflziert... . Diese Merkmale (es handelt sich uben/viegend um Listen von Personlichkeitseigenschaften) lassen sich statistisch reliabel in zwei Kategorien oder Bundel einteilen: Das erste Merkmalsbundel beschreibt den Kern des kulturellen MSnnerstereotyps: Hierzu zahlen Merkmale wie .unabhSngig', .dominant', .selbstsicher', ,ehrgeizig', ,zielstrebig', .rational', und .willensstark'. Das zweite Bundel gibt den Kern des kulturellen Frauenstereotyps wieder. Es umfasst Merkmale wie .abhangig', .verstandnisvoll', ,e-

Eckes, T.: a.a.O, 57

88

motional', ,sanft', .warmherzig', .gesprachig' und ,anlehnungsbedurftig'."^^^Beide Merkmalsbundel sind uber die Zeit liinweg stabil."^®® T. ECKES unterscheldet im Anschluss an T. PARSONS und R. BALES (1955) die beiden Merkmalbundel auch mit der Bezeichnung Instrumentalitat (fur die mannlichen Merkmale) bzw. Expressivitat (fur die weiblichen Merkmale). .Alternative Ausdrijcke lauten (im Anschlufi an Bakan, 1966) agency (deutsch etwa .Zielorientierung', .Selbstbehauptung') bzw. communion (.Gemeinschaftsorientierung', .Fursorglichkeit') Oder auch Maskulinitat bzw. Feminitat (Bem, 1974; Deaux & Lewis, 1984)."^^^ Die instrumentellen und die expressiven Stereotypinhalte stehen uberwiegend bipolar zu einander. Eine Entsprechung finden wir in der Dichotomie der Rolle im funktionalistischen Ansatz der Rollentheorien. Bei der Frage danach, was denn bestandssichernde Systemfunktionen seien, verhalfen Autor/innen wie BALES UND SLATER (1969) der Dichotomisierung zwischen expressiven und instrumentellen Rollen [Kohasion (i. S. v. Zusammenhalt) und Lokomotion (i. S. v. Bewegung); sozioemotionalen und aufgabenorientierten Rollen; Mitarbeiterorientierung und Leistungsorientierung] zum Durchbruch..."^^^ Die Verhaltenserwartungen bzw. Verhaltensvorschriften, die sich auf das Geschlecht einer Person im Sinne der Geschlechterrolle beziehen bilden den praskreptiven Aspekt^^^ von Geschlechterstereotypen. Sie spezifizieren, welches Verhalten von Frauen und Mannern als angemessen oder als unangemessen zu gelten hat."^^°

^^^ Eckes, T.: a.a.O.,, 57f. ^'^ Eckes, T.: a.a.O.,,58 '"' Eckes, T.: a.a.O.,, ebd. ^^® Neuberger.O.: ebd. ^®^ Praskriptiv: auf Vorschriften beruhend (lat. : praescribere ==vorschreiben) ''° Eckes. T.: a.a.O.,,66

89

Abb. 2: Unterscheidung von Geschlechterstereotypen und -rollen GESCHLECHTERSTEREOTYPEN

GESCHLECHTERROLLEN

JZL

^CL

Zeitlich stabile Muster/Bundel von Merkmalen eines/einer typischen Manns/Frau innerhalb einer Kultur.

Muster von geschlechtsbezogenen Verhaltensvorschriften bzw. Verhaltenserwartungen.

JZL

JUL

Kultureller M^nnerstereotyp: • unabhangig, dominant, selbstbewusst, ehrgeizig, zielstrebig, rational.... Instrumentell

Spezifizierung, welches Verhalten als Frau Oder Mann angemessen bzw. unangemessen ist.

Kultureller Frauenstereotyp: • abhangig, verstandnisvoll, emotional, sanft, warmherzig expressiv

XT Akzentuierung und Veranderung der Rollenen/vartungen unter dem Fokus des jeweiligen Geschlechterstereotyps.

Naturaiiisiiscner t-en scniuss Der naturalistische Fehlschluss (s. Abb. 3) resultiert daraus, dass Menschen dazu neigen aus dem, was ist, zu folgern, was sein soil oder nicht sein darf. Logisch betrachtet folgen aber aus Fakten keine Nomien, k6nnen aus dem, was innerhalb einer Gesellschaft typisch ist, keine Gebote oder Verbote abgeleitet werden."^^'' Dem naturallstischen Fehlschluss liegt demnach die Tendenz zugrunde, soziale Ungleichbehandlung von Menschen bestimmter sozialer Kategorien mit den bestehenden Verhaltnissen zu rechtfertigen, was einem tautologischen Schluss gleich kame. „Menschen unterschatzen im allgemeinen den Einflud von Rollenanforderungen auf das Verhalten von Frauen und Mannern und kommen so zu dem SchluR, dad es ,im Wesen des Mannes' liege, aufgabenorientiert, rational oder zielstrebig zu sein, bzw. dass es die ,naturliche Bestimmung der Frau' sei, personenorlentiert, geEckes, T.: ebd.

90

fuhlsbetont Oder empfindsam zu sein. In der Unterschatzung von Rollenfaktoren und der Oberschatzung von Personenfaktoren liegt nach dieser Theorie der primare Mechanismus der Entstehung von Geschlechterstereotypen."^^^ Ob und wie Menschen auf die ihnen zugeschriebene Geschlechterrolle angemessen reagieren, gesellschaftliche Erwartungen erfullen und den von der Umwelt zugeschriebenen Eigenschaften entsprechen, bleibt bei der z. T. sehr unklaren Erwartungshaltung jedoch offen. Die Geschlechtsrollenidentifikation entsteht vor allem durch .... die Identiflkation mit den Rollenmustern der Kernfamilie, das Lernen am aktuellen Modell des glelchgeschlechtllchen Elternteil und die Identiflkation mit Ihm und das Lernen aus der Bezlehung zum andersgeschlechtlichen Elternteil und die Identiflkation mit ihm."^^^ „Die sozialpsychologlsch primar Interesslerenden Klassen von Stereotypmerkmalen sind die identlflzlerenden und die zugeschriebenen Merkmale. Identifizierende Merkmale eriauben das Erkennen einer Person als weiblich Oder mannlich auf der Basis physischer Hinwelsreize wie Kleidung, Frisur oder das Tragen von Makeup. Zugeschriebene Merkmale sind dagegen solche, die aus der wahrgenommenen GeschlechtszugehOrigkeit gefolgert werden; sie betreffen Eigenschaften, Elnstellungen, Interessen, Verhaltenspraferenzen, Stimmungslagen usw. Diese Merkmale bilden glelchsam den „Stoff", aus dem Geschlechterstereotype hauptsachlich bestehen."^^^ Nun erschlieUt sich die Erkenntnis, warum die Zuschrelbung an eine Positlonsinhaberin / einen Positlonsinhaber sich bei gleichem Kontext so unterschledlich darstellen kann. Dies wird durch die Erganzung der Neuberger-Grafik in Abb. 3 deutlich:

''^ Eckes, T.: a.a.O., 69 ^^^ Degenhardt, A. und Trautner, H.M. (Hrsg.): Geschlechtstypisches Verhalten - Mann und Frau in psychologischer Sicht, Munchen 1979, 88 ^^^ Eckes, T.: a.a.O., 63f.

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Abb. 3: Die Person im Zentrum von Rollenerwartungen erganzt urn die „Brilie" der Geschiechterstereotypen aullerinnerorganisatorisch organisatorisch gesellschaftliche Werte, Normen, Gesetze usw.

Organisation, Stdbe, Spezialisten, Gremien, Ausschiisse, Regein, Vorschriften, Technologische und rSumliche Bedingungen, Prozeduren, Gewohn-heiten, Normen,

Arbeitskontakte mit externen Stellen: Beh5rden, Kunden, Lieferanten, Banken, Presse Familie, Ehepartnerln, Kinder, nahe Verwandte Freizeit, Hobby, Kirche, Vereine, soziale Aktivitat

Das Bundel an Erwartungen aus den diversen Bezugsrahmen richtet sich hier z.B. auf die Position einer Heimleitung in der station^ren Altenpflege. Unter der Annahme, die En/vartungen an diese Rolle sind en^/eitert urn die En/vartungen aus dem Gesclilechterstereotyp ,die typische Frau' Oder ,der typische Mann' akzentuiert sich die Rolienzusciireibung entsprechend. Je nach Bezugsraiimen werden unterschiedliche Stereotypen zu dieser Position aufgerufen. Bekleidet eine Frau dieses Amt, wird eher das Stereotyp ,die Karrierefrau' (elegant gekleidet, Beruf an erster Stelle, selbstbewusst, unabhangig, distanziert, dominant, besitzt Ausstrahlung) oder ,die Selbstbewusste' (modisch gekleidet, gepflegtes Aulieres, emanzipiert, nicht oberflachlich, offen, vertritt eigenen Standpunkt, kann sich durchsetzen) bemuht. 1st die Position mit einem Mann besetzt, werden die Stereotypen ,der Karrleremann' (modisch gekleidet, treibt Sport, konservativ, Beruf an erster Stelle, egoistisch, starker Durchsetzungswille, materialistlsch), der Managertyp (modisch gekleidet, tragt Anzug, viel auf Reisen, materialistlsch, dynamisch, extrovertiert, fahrt grofles Autof ^^, etc. herangezogen. ' Eckes, T.: a.a.O., 222 - 226

92

Die Unterstellten erwarten bei einer vorgesetzten Frau z.B. Gemeinschaftsorientierung und Fursorglichkeit, von einem Mann an gleicher Position eher Zielorientierung und Selbstbehauptung. Bei gleichen Parametem des Konstrukts vom strukturalistischen Ansatz verschiebt sich die EnA^artungshaltung an das Rollenverhalten der Positionsinhaber nur und das aber sehr entscheidend anhand des Geschlechts.

2.4

Rollenerwartungen im beruflichen Umfeld Altenpflege

Zu Beginn dieses Kapitels haben wir festgestellt, dass Altenpflege ein Frauenberuf ist, die Inhalte gehoren weitgehend zu den „familiennahen" Aufgaben, das Tatigkeitsfeld ist diffus (s. o.). Der Bedarf an pflegerischer Professionalitat gepaart mit ,hausfraulichen' Begabungen kennzeichnet dieses Arbeitsfeld. Die Rollenen/vartungen akzentuieren und verandern sich unter dem Fokus des jeweiligen Geschlechterstereotyps. Welche RollenenA^artungen lassen sich in diesem Kontext darstellen? In der Sozialpsychologle, die sich mit den Einflussen des sozialen Kontextes auf die Menschen befasst, wird dieser Kontext weit gefasst. „Er schliedt nicht nur die Anwesenheit anderer Individuen (...) ein, sondern auch die Interaktionen zwischen Individuen, die aktuelle Umgebung (Setting), in dem diese Interaktionen stattfinden, die Aktivitaten, die in diesen Settings auftreten und den Bestand ungeschriebener RegeIn und En/vartungen, die bestimmen, wie Menschen sich zueinander verhalten."^^^ Richten wir unseren Blick also auf das .Setting' Altenheim. Hier leben Menschen, welche freiwillig oder unfreiwillig Wohnraum benotigen, der an Dienstleistungen gekoppelt ist. Alle Tatigkeiten, die selbst nicht mehr oder nur mit Unterstutzung durchgefuhrt werden konnen, werden hier (gegen Entgelt) angeboten. Gegliedert in Pflege, Sozialbetreuung, Hauswirtschaft und technische Dienste bletet das Altenheim einen Lebensraum fur diese Menschen an. Fur die meisten Bewohner/innen bedeutet der Umzug in ein Altenheim die Herauslosung aus Ihrem bisherigen Leben, eine Entwurzelung, welche besonders fur Menschen mit dementiellen Erkrankungen sehr problematisch ist und einen langen Integrationsprozess braucht. Soweit die kurze Skizze des Settings. Folgende Positionen gestalten diesen Kontext mit: die Pflegekraft, die Wohnbereichsleitung, die Pflegedienstleitung, die Heimleitung, die Geschaftsfuhrung, die Tragergemeinschaft, der Hausmeister, der Koch, die Ven/valtungsangestellte u. v. m. Auch hier sind die Geschlechterrollen stereotyp verteilt: Pflege - Frauen, technischer Dienst - Manner, Leitung - ? Auf der Ebene Wohnbereichsleitung ist die Frau noch gefragt (wenn sie eine Vollzeitstelle ausfullen kann und will), im Alltag verbleibt sie zumeist zusatzlich zu ihrer Leitungsfunktion in den dienstleistungsbezogenen Tatigkeiten und in der bedarfsgerechten Arbeitszeit (Schichtdienst). Auf der nachstubergeordneten Leitungsebene sieht das schon anders aus, die Tatigkeiten verlagern sich in Richtung .Buroarbeit', pflegepraxisentfernte Aufgaben,

^^® Zimbardo, P. G.: Psychologie, 6. neu bearb. und ew. Aufl., Berlin, Heidelberg, 85

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die Arbeitszeit ist weniger bedarfsorientiert an den auszufuhrenden Dienstleistungen der Einrichtung (Vollzeit, Regelarbeitszelt ohne Wochenende). Die bereits bekannte Grafik von O. NEUBERGER, en/veitert urn T. ECKES stereotype ..Briile" ist hier noch einmal exemplarisch im Berufsfeld fur die Person der Pflegekraft von den Autor/innen entwickelt worden. Abb. 4: Die Pflegekraft im Altenheim im Zentrum der Rollenerwartungen innerorqanisatorisch die nicht exam. KoUeglnnen die exam. KoUeglnnen Organisation, Qualitatsmanagement, MDK, Regein, Vorschriften, raumliche Bedingungen, Prozeduren, Gewohn-heiten, Normen,

die Vorgesetzten

aullerorganisatorisch gesellschaftliche Werte, Normen, Gesetze usw. TrSgerinteressen Bes. in Tendenzbetrieben, Berufsverbdnde, Ausbildungsstatten Famine, Ehepartnerin, Kinder, nahe Verwandte

Freizeit, Hobby, Kirche, Vereine, soziale Aktivitat

An dieser Stelle wird deutlich, in welcher Mehrdeutigkeit En/vartungen an diese Position gestellt werden. Besonders die En/vartungshaltung der Altersgruppe der Bewohner/innen ist an die traditionellen Gescliiechterstereotypen gebunden. Die intimen Aufgaben fur die Frauen, alles, was etwas korperferner stattfindet, kann auch mit dem Mannerstereotyp vereinbart werden (vgl. Kapitel VIII.). Eine Vermischung der RollenenA/artungen geschieht auch auf einer ganz anderen Ebene. Im Lebensraum Heim entstehen zwischen Bewohner/innen und Pflegekraften Beziehungen, die oftmals besonders von Seiten der Bewohner/innen familiaren Strukturen ahneln. Daher wird der Versuch gestartet, entsprechend auf diese Personen einzuwirken und vermeintlich rollenadaquate En/vartungen an sie zu stel-

94

len. Die Auszubildende und der Zivildienstleistende als Enkelkinder, die hauswirtschaftliche Hilfe als Tochter, der GeschSftsfuhrer als Familienoberhaupt usw.. Auch Kolleglnnen untereinander konnen sich besonders bei langerer Zusammenarbeit in diesen Strukturen wiederfinden. Je nach Pragung aus der jeweiligen Kernfamilie entstehen Konfliktsituationen, die den familiaren ahnein, z.B. die Eifersucht unter Geschwlstem, wenn die .Mutter' Pflegedienstleitung dem ,Bruder' Altenpfleger an seinem Wunschtermin freigegeben hat und der .Schwester' nicht. Die Rollenerwartungen an Manner im Berufsfeld Altenpflege verandern sich auch mit entsprechendem Alter, wahrend der junge Mann die Zuschreibungen seiner Bezugsgruppen als Berufsanfanger tolerieren kann, da er sich (noch) gesellschaftlichen EnA/artungen gegenuber non-konform verhalt, wird es fur den Mann in der beruflichen Lebensmitte (Manner urn die 40 und alter) schwieriger, die stereotypen Zuschreibungen an seine gesellschaftliche Rolle mit den Rollenen/vartungen an die Rolle des Pflegenden uber einzubringen. Die Entstehung der Stereotypen funktionlert auch in die andere Richtung: Die Zuschreibungen an die Position Pflegenden kongruiert eher mit dem Stereotyp ,typisch weiblich' (gepflegtes Aufieres, unentschlossen, Wunsch nach Famille, empfindlich, Bedurfnis nach Sicherheit, zeigt Gefuhle, verstandnisvoll, abhangig). Bekleidet ein Mann diese Position, werden ihm die stereotypen Eigenschaften der Position zugeschrieben. Im Abgleich mit dem Stereotyp .typisch mannlich' (stark, selbstbewusst, zeigt kelne Gefuhle, entscheidungsfreudig, aggresslv, rational, dominant, unabhangig) entsteht der Eindruck des nicht rollenkonformen Verhaltens des Mannes. Zuschreibungen wie Unmannlichkeit, Homosexualitat, Softie, Schwachling, u. a. entstehen. Inwieweit die (Fremd-)Zuschreibungen das Selbstbild der Manner in Frauenberufen tangieren ist eine weitere Frage, die in Kapitel VIII beantwortet werden soil.

3.

Berufliche Sozialisation

„Wenn wir von beruflicher Sozialisation sprechen, meinen wir die Lern- und Entwicklungserfahrungen, durch die die Menschen fur die Arbeitstatigkeit vorbereitet werden und die sie im Verlauf ihres Berufslebens machen."^^^, so W. R. HEINZ in seiner Einfuhrung in die berufliche Sozialisation. Er beschreibt die Stationen beruflicher Sozialisation entlang beruflicher Statuspassagen im Lebensverlauf. Die Abhandlung von W.R. HEINZ erortert nicht im besonderen geschlechtspezifische Unterschiede in den Statuspassagen. Er geht von einer kontinulerlich von En/verbstatigkeit oder dem Umgang mit potentieller Erwerbstatigkeit gekennzeichneten Sozialisation aus. Eine weitere Auseinandersetzung mit geschlechtspezifischen Unterschieden Im Verlauf der beruflichen Sozialisation erfolgt in den Kapitein zu weiblichen und mSnnlichen Karriereverlaufen (Kapitel VII. und VIII.). In der ersten beschriebenen Passage geht es um die Einflussfaktoren von Famille und Schule, ebenso um den Einfluss des allerersten Kontaktes mit der Arbeitswelt in Form von Jobs" neben der Schule. Da die Relevanz fur unser Thema

95

und die Fragestellungen sich in dieser Statuspassage nicht pregnant widerspiegelt, wird sie nur der Vollstandigkeit lialber erwahnt und nicht nSher ausgefuhrt.

3.1

Sozialisation fur den Beruf - Berufsausbildung

Als prSgend fur das weitere Berufsleben sieht W.R. HEINZ die Berufsausbildung. „Die Statuspassage in die Berufsausbildung bedeutet den Eintritt in ein Ausbildungsverhaltnis, das die Lebensfuhrung der Jugendlichen stark verdndert. Ihre Sozialisation fur den Beruf ist in die Lernorte Betrieb und Berufsschule eingebunden und gewinnt Bedeutung fur die Enveiterung der personlichen Handlungsfahigkeit und Lebensplanung."^^® Hinzu kommen der Einfluss des dualen Ausbildungssystems und die Entwicklungserfahrungen wahrend der Bemfsausbildung. Der ..Status als Auszubildende ist zwiespaitig: nicht mehr Schuler oder Schulerin, aber noch nicht En/verbsperson."^^^ An dieser Stelle ist anzumerken, dass im Pflegeberuf nach wie vor von Schulerlnnen und Schulern gesprochen wird^®°. Dies ist in der Altenpflege besonders unpassend, da ca. 50% der .Auszubildenden' nicht direkt aus allgemeinbildenden Schulen kommen, sondern bereits andere Berufs- und/oder Familienphasen durchlaufen haben (vgl. Kapitel II.).

3.2

Ubergang in Arbeitsmarkt und Betrieb - Berufsstart

Viele Ausbildungsabsolventen geraten zu einem Zeitpunkt, an dem ihr Lebenslauf beginnt den Charakter einer auf sich gestellten Erwerbsbiografie anzunehmen in eine Krisensituation. Der reibungslose und direkte Obergang nach der Ausbildung In ein Beschaftigungsverhaitnis ist nur fur solche Lehrabsolventen moglich, die von ihrem Betrieb eine Obernahmezusage bekommen haben. Dies beschrankt sich meist auf Grodbetriebe, Banken und offentliche Trager. Die Anderen machen im Berufsstart eine Diskontinuitatserfahmng. Langere Bewerbungswarteschleifen schlieden sich an die Ausbildung an, ein Wechsel zwischen Arbeitsplatzen mit unter der Qualifikation liegenden TStigkeiten und Arbeitslosigkeit scheint vorprogrammiert. ..Hinter den unterschiedlichen Mustern der Berufsstartverlaufe werden Zusammenhange zwischen der Ausblldungsentscheidung und dem weiteren Berufsweg sichtbar. Wer ausgeprSgte Berufsvorstellungen entwickein, verfolgen und realisieren konnte, hat anscheinend bessere Chancen, unbeschSdigt durch die krisenhaften Etappen auf dem Weg in das Beschaftigungssystem zu kommen, als jener, der sich ohne ein Wares Berufsziel mit Notlosungen zufrieden geben

' Vgl. u. a. § 2 der Altenpflege-Ausbildungs- und Prufungsverordnung vom 26.11.2002

96

musste."^^^ Dabei ist der Selbstreproduktionsmechanismus der beruflichen Negativkarriere offensichtlich zwingender als der der Positivkarriere^^^. Nach einer Studie von U. TEICHLER und H. WINKLER^®^ haben sich seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die BeschSftigungschancen von Hochschulabsolventen im Vergleich zu denen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung relativ verschlechtert, wobei die Akademiker aber immer noch deutlich geringere Risiken haben. Unterschiedlich lang sind die ..Suclibewegungen" nach Studienabschluss je nach Fachrichtung. Okonome oder Maschinenbauer haben kurzere Zeiten der Beschaftigungsfindung als z.B. Hochschulabsolventen mit einem Abschluss im sozialen Bereich. Die Ubergangssituation in das Beschaftigungssystem ist nach wie vor fiir Akademiker gunstiger als fiir Fachangestellte und -arbeiter, vorausgesetzt, das Studium findet in dieser Statuspassage statt. Hat der Berufsanfanger die Obergangsphase durchlaufen, ist ein weiterer Aspekt der beruflichen Sozialisation, die Sozialisation durch die Organisation. „Der Prozed, durch den neue Organisationsmitglleder In die Kultur und Sozialstruktur des Betriebes integriert werden,..."^®^ soil hier im Drei-Phasen-Modell der betrieblichen Sozialisation der nordamerikanischen Organisationsforscher VAN MAANEN; JABLIN, und

ScHEiN (1988) kurz skizziert werden. Entsprechend der interaktionsorientierten Rollentheorie konzipierten sie das Modell als Prozess der wechselseitigen Anpassung von Rollenubernahme und Rollengestaltung durch die Berufsanfanger. Die erste Phase liegt noch vor Berufsantritt und dient der .....Antizipation von Anforderungen und Beschaftigungskonditionen in den in Frage kommenden Unternehmen"^^^(Bewerbungen, Personalauswahl). Die zweite Phase ist die Eintrlttsphase in deren Verlauf die verschiedenen Mitgliedschaftsentwurfe der Organisation ubernommen werden."^®^ Diese Phase wird von den Unternehmen unterschiedlich gestaltet. Manche fuhren eine EInarbeitung an dem zugewiesenen Arbeitsplatz durch, ggf. auch mit Einarbeitungskonzepten (z.B. in der Pflege) Andere, meist bei Stellen, die von Hochschulabsolventen ubernommen werden, entwickein Trainee -Programme, welche die Identifikation mit dem Unternehmen gewahrleisten sollen und ggf. laufbahnsteuernd sind. In der dritten Phase geht es dann um die vollstandige Ubernahme der MItgliedsschaftsrolle in der Organisation, das Gestalten der Rolle, die zugeschrieben wird.

3.3

Sozialisation durch den Beruf

In der weiteren Betrachtung der Soziallsationssequenzen wird immer deutlicher, dass sich alle Erkenntnisse immer nur vielschichtig verstehen lassen. Die berufliche Sozia'^'Heinz, W. R.: a.a.O., 154-155 ^°^ These aus einer Studie zur Jugendforschung von Baethge M. verOffentJicht in: Baethge.M.; Hantsche.B.; Pellull, W.; Voskamp, U.: Jugend: Arbeit und Identitm, Opiaden 1988 ^^^ Teiciiler, U.; Winkler, H.: Der Berufsstart von Hochschulabsolventen, Bonn 1990 ^^'Heinz, W.R.:a.a.O. 161 ^®^ Heinz, W.R.:ebd. ^^^ Heinz, W.R.:ebd.

97

lisatjon pr^gt die Berufsbiographie, diese wiederum hat EInfluss auf und wird beeinflusst von dem pers5nlichen Lebensplan. Diese Wechselwirl
^^ Brose, H.-G. (Hrsg.): Berufsbiographien im Wandel, Opiaden 1986, 6 ^®Heinz,W. R.ia.a.O., 182

98

Abb. 5: Typisierte Handlungsmuster der Berufsbiografie und Personlichkeitsmerkmale Erstellung von Handlungsmustern nach Auswertung von Interviews mit jungen Facharbeitern

V E R H A L T E N R E A K T I O N F O L G E

TYP3

TYP4

TYP1

TYP2

Identifikation mit den Arbeitsaufgaben und Karrieremoglichkeiten im Betrieb

Belastung durch DIskrepanzen zwischen den eigenen arbeitsinhaltlichen Erwartungen und den begrenzten Realisierungschancen im Betrieb

Keine Obemahme nach der Ausbildung, kein Bewerbungserfolg

Aktive Anpassung an Berufswegmuster im erlernten Beruf

Aktive Distanzierung vom dominanten Laufbahnmuster

Relativierung von Karriereanforderungen bzw. -restriktionen

Passive Haltung zur Dequalifizierung z.B. durch .Nicht-ubernahme' nach der Ausbildung

vorerst ,glatter' Verlauf des Berufsweges mit Optionen auf ,Weiterkommen'

Versuch, die drohende Dequalifizierung durch Weiterbildung oder Bewerbung bei anderen Betrieben zu verhindern

Verlagerung der Lebensinteressen auf private Bindungen, kurzfristige Berufsplanung

Durch Instabilitat gekennzeichneter Berufsverlauf, fremdgesetzten Weichenstellungen unterworfen

„Diese Tatigkeitsfelder ... beziehen sich auf die Symbolisierung gesellschaftlicher Wertvorstellungen, die mit der Berufsarbeit verknupft sind."^®^ Nicht auszublenden ist auch der Faktor finanzieller Notwendigkeit von EnA/erbstatigkeiten in dieser biographischen Phase. „Die Identitatswahrung im Ruhestand tragt... deutlich die Konturen der beruflichen Sozialisationsprozesse, die den Lebenslauf in der Arbeitsgesellschaft begleitet haben."^^°

'^^ Heinz, W. R.: ebd. ^®° Heinz, W. R.: ebd.

99

V.

Geschlechterdifferenz - systemisch beobachtet

1.

Systemtheoretische Analysemoglichkeiten zu den aufgeworfenen Fragen

Die Darstellung der Situation anhand der primar- und sekundSranalytischen Daten verdeutlicht, dass im Berufsfeld der stationaren Altenpflege Mannern in der Pflege mit einem Anteil zwischen 10,5 Prozent^^'' und 15 Prozent^®^ die Rolle der token (R.IVI. KANTER) zukommt. Demgegenuber sind die Leitungsfunktionen (Heimleitung, Geschaftsfijhrung) vonA/iegend mit IVIannern besetzt. Im Folgenden soil dieses Problem aus systemtheoretischer Perspektive betrachtet werden. Der insbesondere von N. LUHMANN ausgearbeitete strukturfunktionale Ansatz einer Systemtheorie „...setzt Systeme mit bestlmmten Strukturen voraus und fragt nach den funktionalen Leistungen, die erbracht werden mussen, um den Fortbestand des sozialen Gebildes zu gewahrleisten"^^^ und damit ihre jeweilige Relation zur Umwelt verstehbar zu machen. „Am Anfang steht also nicht Identitat, sondern Dlfferenz"^^"^. Dabei ist zunachst aus wissenschaftstheoretischer Sicht dennoch die Frage zu klaren, inwiefern der differenztheoretischer Ansatz der Systemtheorie, der sich eher auf elner abstrakten theoretischen Ebene bewegt und damit eine makrosoziologische Perspektive einnimmt, geeignet erscheint, eine solche - sich aus empirischer Beobachtung ergebende (eher mikropolitisch relevante) Fragestellung zu beantworten. Ist also die Systemtheorie ein geeigneter wissenschaftstheoretischer Ansatz, um auf die aufgeworfenen Fragen adaquate Antworten zu finden? Wir stimmen in der Beantwortung dieser Frage A. NASSEHI in seiner Feststellung zu, dass es ein Fehler ware „..., die Zustandigkelt einer systemtheoretischen Perspektive allein auf eine gesellschaftstheoretische Perspektive zu limltieren." ^^^ Denn die Systemtheorie „...lst nicht im SInne einer bloR intervenierten Insuffizienz zu lesen, als arbeite sie mit einer komplementaren Selbstbeschrankung zu Interaktionlstischen Theorien."^^® Bei einem differenztheoretischen Thema, wie dem Vergleich von weiblichen und mannlichen Karriereverlaufen in einem Beruf, bletet sich die Systemtheorie als eine Theorie, die von der Differenz und nicht von einer (wie auch immer gelagerten) Einheit ausgeht, an, um ubergreifende Systemzusammenhange zu analysieren. Die Systemtheorie eignet sich weiterhin als differenztheoretischer Ansatz zur Analyse der aufgeworfenen Fragestellung, well sie auf der strukturellen Ebene Gesellschaft. Organisation und Interaktion als Systemformen thematisiert und well sie das Verhaltnis der Individuen zu diesen Systemformen - uber die Begriffe Inklusion

' Kuhrt, T.: a.a.O., 24 Kneer, G. und Nassehi, A: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, 3. Auf!., Munchen 1997, 36 ^^^ Luhmann, N.: Soziale Systeme. Grundrili einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1987,112 ^^^ Nassehi, A.: ..Geschlecht im System. Die Ontologisierung des KOrpers und die Asymmetrie der Geschlechter". In: Pasero, U. und Weinbach, C : ..Frauen, Manner, Gender Trouble. Systemtheoretische Essays",Frankfurt a.M. 2003, 84 : ebd.

101

und Exklusion (s. u.) - erfasst. Interaktion ist dabei aus der Perspektive der Systemtheorie nur eine Form sozialer Systeme, neben Organisationen und Gesellschaft^^^.

2.

Die funktionale Differenzierung der Gesellschaft

Soziale Systeme bestehen aus Kommunikationen, die als ihre Elemente angesehen werden kSnnen. „Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass Kommunikation nicht als Handlung und der Kommunikationsprozefi nIcht als Kette von Handlungen begriffen werden kann."^^® „Die Gesellschaft .besteht' danach aus der Gesamtheit aller Kommunikationen (nicht etwa: Handlungen)."^^^ N. LuHMANN^°° unterscheidet vier verschiedene Differenzierungsformen von gesellschaftlichen Systemen hinsichtlich ihrer Entwicklung: • die segmentar differenzierte Gesellschaft • Differenzierung nach Zentmm und Peripherie • die stratifikatorische Gesellschaft • die funktional differenzierte Gesellschaft. In segment^ren Gesellschaftsformen (M. BEETZ'^^^ und T. BARDMANN'*^^ sprechen von „archaischen Gesellschaften") ist die Gesellschaft in gleiche Teilsysteme gegliedert. Den Indlviduen ist in der sozialen Ordnung eine feste Position zugewiesen, die „...nicht durch Leistung verandert wird."'*^^ Da sie regional bzw. nach VenA^andtschaftsbeziehungen in annahernd gleichartige Segmente differenziert [sind], spricht [man] deshalb auch von segmentarer Differenzierung."^°^ Die Teilsysteme der Gesellschaft werden „...auf Grund von Abstammung oder auf Grund von Wohngemeinschaften Oder mit einer Kombination bolder Kriterien unterschieden.. ."^°^ „Die archaische Gesellschaft nutzt die Form der segmentSren Differenzierung, d.h., sie differenziert sich in gleiche Teilsysteme, etwa Stamme, Dorfer, Familien usw. aus."'*°^ Die segmentare Gesellschaft wird dann in Frage gestellt, wenn die dominlerende Stellung [eines] Zentrums benutzt wird, um hier andere Formen der Differenzierung und vor allem starkere Rollendifferenzieaingen (.Arbeitsteilung') einzurichten. Die Zentrum/Peripherie-Differenzierung ergibt sich aus der Ausdifferenzierung von Zentren. Sie ist gleichsam Im Zentrum zu Hause. Mehr als das Zentrum hangt deshalb das Zentrum mit seinen eigenen Errungenschaften und Differenzie^^^ Luhamnn, N.: Soziale Systeme, 16 Luhmann, N.: Soziale Systeme, 225 ^^ Beetz, M.: Organisation und Gesellschaft. Eine systemtheoretische Analyse des Verhaitnisses von Organisationen zu gesellschaftlichen Funktionssystemen, Hamburg 2003, 34 ^°° Luhmann, N.: Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bd., Frankfurt a.M. 1997, 613 ^°^ Beetz, M.: Organisation und Gesellschaft. Eine systemtheoretische Analyse des Verhaitnisses von Organisationen zu gesellschaftlichen Funktionssystemen, Hamburg 2003, 34 *°^ Bardmann, T. und Lamprecht, A.: Differenzierung. In: dies.: Systemtheorie verstehen. Eine multimediale Einfuhrung in systemtisches Denken, CD-ROM, Heidelberg 2003 '"" Dieckmann, J.: Luhmj *°^ Luhmann-Lehrbuch, Paderborn 2004,194 Beetz, M.: a.a.O., 34 *°® Bardmann, T. und Lamprecht, A.: Differenz, a.a.O.

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rungen von dieser Differenzierungsform ab. Die Peripherie beiialt die segmentare Differenzierung von Familienhaushalten bei und i^onnte daher auch oiine Zentrunfi uberleben."'^^^ Wahrend in der segmentierten Gesellschaft Gleichheit unter den gesellschaftiichen Teilsystennen gegeben ist, wird in der Differenzierung nach Zentrum und Peripherie ein Fall von Ungleichheit zugelassen, der zugleich das Prinzip der Segmentierung transzendiert, also eine Mehrheit von Segmenten (Haushalten) auf beiden Selten der neuen Form vorsieht."'^^^ Davon zu unterschieden ist die stratifizierte Gesellschaftsform. „Die hochkulturelle Gesellschaft nutzt die Form der stratifikatorischen Differenzierung, d.h., sie differenziert sich in ungleiche Schichten Oder Klassen aus, die nach dem Oben/UntenSchema verortet werden."'^^^ „Stratifikation liegt dann vor, wenn die Gesellschaft ohne Rangdifferenzen unvorstellbar geworden ist. (...) Stratlfikation bezieht sich auf die interne Systemdifferenzierung der Gesellschaft. Sie entsteht durch Ausdifferenzierung und Schliefiung der Oberschicht. Die SchlleRung erfolgt vor allem durch Endogamie'^^^. Die Stratlfikation legt Inklusion und Exklusion fest. Haushalte, nicht Individuen, sind die Einheiten, auf die sich die Stratlfikation bezieht."'^'''' „Die moderne Gesellschaft schliefilich ist funktional differenziert..., das heifit sie ist differenziert in Subsysteme, die jeweils auf die Erfullung einer bestlmmten gesellschaftlichen Funktion spezialisiert sind.""^^^ In der funktional differenzierten Gesellschaft ubernehmen die ungleichen Funktionssysteme (Erziehung, Recht, Politik, Wirtschaft, Gesundheitswesen etc.) je unterschiedliche gesellschaftliche Funktionen. Jedes der Funktionssysteme ist.. fureinander gesellschaftsinterne Umwelt mit Ausnahme seiner selbst und reproduzlert als Teilsystem die moderne Gesellschaft kommunikativ auf je spezifische Weise.'"*^^ „Die UngewGhnlichkeit funktionaler Differenzierung besteht u.a. darin, dass besondere Funktionen auf ein Teilsystem mit Universalzustandigkelt konzentriert werden mijssen."'*''^ „Die In der Gesellschaft ausdifferenzierten sozialen Systeme unterscheiden sich hinsichtlich der Art der durch sie ,verwalteten' Kommunikationen.""^^^ Die gesellschaftlichen Funktionssysteme verfugen uber einen hohen Grad an Unabhangigkeit im Hinblick darauf, wie sie ihre eigenen Funktionen erfullen. Dennoch sind sie nicht als autark"^^^ - im Sinne von unabhangig von ihrer Umwelt - anzusehen. ..Funktionale Differenziertheit steigert wechselseltige Unabhangigkeit und Abhalngigkeit der Funktionssysteme miteinander, also zugleich; denn jedes Funktlonssystem ist in der Erfullung der eigenen Funktion autonom, aber zugleich davon ab-

^°^ Luhmann, N.: Gesellschaft, 663 '*°® Luhmann, N.: Gesellschaft, ebd. ^^^ Bardmann, T. und Lamprecht, A.: Differenz, a.a.O. ^^° Endogamie: Heirat innerhalb einer Gruppe Oder eines Stammes ^^^ Dieckmann, J.: a.a.O., 195 ^^^ Beetz, M.: a.a.O., 35 ^^] Hohm, J.-J.: „Soziale Systeme, 43 : a.a.O., 195 .32 ^^^ Autarkie: grch. Autarkeia, autos „selbst" + arkein „genugen"

103

hangig, dass die anderen Funktionssysteme ihre Funktionen auf adaquatem Leistungsniveau erfullen."'^^^

3.

Inklusion und Exklusion

Bei der Frage der Unterscheidung von Inklusion und Exklusion geht es urn das Verhaltnls von Individuum und Gesellschaft bzw. Individuum und Organisation und damit auch urn das VerhSltnis psychischer Systeme zu sozialen Systemen. Dieses Verhaltnis gestaltet sich - je nach gesellschaftlicher Differenzierungsfomri - unterschiedlich. ..Abhangig von der Form der primaren Differenzierung nimmt die Gesellschaft unterschiedlich Bezug auf ihr Personal."^^® „ln der segmentaren Gesellschaft ergibt sich die Inklusion aus der Zugehorigkeit zu einem der Segmente. (...) Die Inklusion war folglich segmentar differenziert und schlofl Exklusion mehr oder weniger aus.'"*^^ Da man bereits durch seine Geburt inkludiert war, konnte Exklusion im Verlauf eines Lebens nur durch z.B. wirtschaftliche Not entstehen (Bettler). Kloster und Armeen rekrutierten ihr Personal aus Menschen, die exkludiert waren. „Der Exklusionsbereich ist vor allem an der Unterbrechung von Reziprozitatsen/vartungen zu erkennen."^^° Das heilit, zwischen inkludierten und exkludierten Individuen gab es keine auf Symmetrie oder auf Komplementaritat gerichtete Wechselseitigkeit der Envartungen. „Die Solidaritat mit den Ausgeschlossenen konnte nur artifiziell, namlich uber religiose Pflichten und Seelenheilchancen, erreicht werden... ."^^^ Im Extremfalle konnte Exklusion die Freigabe zur Totung bedeuten oder zumindest die Untersagung jedweden sozialen Kontakts mit inkludierten Menschen. Wahrend in der segmentierten Gesellschaft das Individuum den Segmenten wie Familie oder Stammen zugeordnet ist, gehort es in der stratlflkatorischen Gesellschaft zu einer bestimmten Schicht oder einem Stand. „Die Differenz Inklusion/Exklusion wird jetzt innergesellschaftlich rekonstruiert. Fur soziale Kohasion bieibt man auf Sesshaftigkeit, auf regulare Interaktion zur Bildung verlasslicher En/vartungen angewiesen;... "^^^. „ln der funktional differenzierten Gesellschaft werden Menschen .sozlal ortlos' und gehoren keinem Segment, keiner Schicht und auch keinem Funktionssystem mehr per se an. Sle werden vielmehr auf Grund ihrer Teilnahme an der Kommunikation bestimmter Funktionssysteme inkludiert. Grundsatzlich sollte sich jeder an alien Funktionssystemen beteiligen konnen (Postulat der Generalinklusion)."^^^ „Wie bei der Form der Differenzierung wird die Regelung der Inklusion den Teilsystemen u^^^ Luhmann, N.: Organisation und Gesellschaft. In: Ders.: Organisation und Entscheidung, Opladen/Wiesbaden 2000, 396 ^^^ Bardmann, T. und Lampreclit A.:, Differenzierung, a.a.O. ^^^ Luhmann, N.: Gesellschaft, 622 ^^° Luhmann, N.: Gesellschaft, ebd. ^^^ Luhmann, N.: Gesellschaft, 623 ^^^ Luhmann, N.: Gesellschaft, 624 ^^^ Bardmann, T. und Lamprecht, A.: Differenzierung, a.a.O.

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berlassen."'^^'^ Die Individuen konnen jetzt prinzipiell an alien Teilsystemen und an den dort vorherrschenden Kommunikationen teilnehmen. „Und wenn jemand, seine Chancen, an Inklusion teilzunehmen, nicht nutzt, wird ihm das Individuell zugerechnet. Auf diese Weise erspart sich die moderne Gesellschaft, zunachst jedenfalls, die andere Seite der Form, die Exklusion, als sozialstrukturelles Phanomen wahrzunehmen. (...) Innerhalb der totalltaren Inklusionslogik machen sich Exklusionen als .Restprobleme bemerkbar, die so kategorisiert sind, dass sie die totalitare Logik nicht in Frage stellen.'"^^^ Inklusionsbedingungen sind also abhangig von der gesellschaftlichen Differenzierung. Die vorgenommene Unterscheidung von Inklusion und Exklusion erfolgt in der funktional differenzierten Gesellschaft aus der Beobachterperspektive des fokalen Systems. Wahrend sich also der Begriff der Differenzierung auf die Systemebene bezieht, beziehen sich Inklusion/Exklusion auf die Teilnahmemoglichkeiten von Personen an den jeweillgen Teilsystemen. Fur das Verhaltnis der Geschlechter sind unseres Erachtens beide Ebenen relevant. ..Phanomene der Arbeitsteilung, d.h. der Separierung von Zustandigkeitsbereichen lassen sich in Termini sozialer Differenzierung, die differenziellen Zugangschancen in Termini von Inklusion und Exklusion beschreiben."^^^ Mit Bezug auf R. STICHWEH"*^^ differenziert H.-J. HOHM"^^® Leistungsrollen und

Laienrollen. R. STICHWEH spricht anstelle von Laienrollen von Publikumsrollen. Daruber hinaus unterscheidet H.-J. HOHM Formen primarer Inklusion und primarer Exklusion sowie sekundarer Inklusion und sekundarer Exklusion. Im Folgenden soil diese Unterscheidung kurz erortert werden. Inklusion erfolgt als Teilhabe an den Funktionssystemen der Gesellschaft „...in Form der rechtlichen Verpflichtung, sozialen Notwendlgkeit oder frelen Moglichkeit zur Ubernahme sozialer Rollen durch die Person.""^^^ Personen sind nie dauerhafter oder fester Bestandteil eines Systems (wie in der segmentaren Gesellschaft). Die Verbindung zwischen System und Person erfolgt uber Erwartungen des sozialen Systems an die Rolle, die von der Person eingenommen werden kann und eingenommen werden soil. H.-J. HOHM unterscheidet zwischen a) Primarinklusion, die durch die Inklusion der Person an einem Funktionssystem gekennzeichnet 1st, also die Ermoglichung „funktionsspezifischer Teilhabechancen" und b) Sekundahnklusion als Inklusion der Person an Organisation, in Form „organisationsspezifischer Partizipationschancen".

'^^ Luhmann, N.: Gesellschaft, 625, 626 ^^^ Heintz, B. und Nadai, E.: Geschlecht und Kontext. De-lnstitutionalisierungsprozesse und geschlechtliche Differenzierung. In: Zeitschrift fur Soziologle, 27. Jg., Heft 2,1998, 77 ^^^ Stichweh, R.: Inklusion in Funktionssystemen der modernen Gesellschaft. In: Mayntz, B., Schimank, U., Stichweh, R.: Differenzierung und VerselbstSndigung. Zur Entwicklung gesellschaftlicher Teilsysteme, Frankfurt, New York 1988, 261 - 293 J.: Soziale Systeme, 99 -125 429 Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, 100

105

N. LuHMANN begreift Inklusion als eine Form, deren Inklusionsselte (Inklusion) als Chance der sozlalen Berucksichtigung von Personen bezeichnet ist und deren Au(ienseite unbezeichnet bleibt. Also gibt es Inklusion nur, wenn Exklusion maglich jg^ .430 Durch die Sichtbarkeit nicht integrierter Personen (oder Personengruppen) wird nach N. LUHMANN soziale Kohasion sichtbar. Dadurch erst konnen Bedlngungen fur Inklusion spezifiziert werden. Inklusion Ist also eine Zweiseitenform, deren andere Seite auf den funktionssystem- und organisationsspezlflschen Ausschlufi von Personen""^^^ venA/eist. Also kann komplementar zur PrimSr- und zur Sekundarinklusion auch die PrimSr- und Sekundarexklusion von Personen unterschieden werden. Eine Person kann zum Beispiel aus dem Funktionssystem Wirtschaft ausgeschlossen sein, aus dem Rechtssystem jedoch nicht. Sie kann als arbeitslose (fruhere) Pflegekraft (Leistungsrolle) aus dem Funktionssystem Pflege ausgeschlossen sein, aber als pflegebedurftige Person (Laienrolle) primar wiederum inkludiert sein Oder als Heimbewohner/in ihre organisationsspezlflschen Partizipationschancen nutzen und damit sekundSr inkludiert sein. Inklusion und Exklusion beziehen sich dabei immer nur auf Ausschnitte einer Person, nicht aber auf die ganze Person. WShrend die Person inkludiert sein kann, bleibt der Mensch als organisches und psychisches System stets Umwelt der Funktionssysteme und ihrer Organisationen.

3.1 Formen der Inklusion H.-J. Hohm unterscheidet bei den Fonnen der Primer- und der Sekundarinklusion zwischen a) funktionssystemspeziflscher Partizipation (Primarinkluslon) aa) Laienrollen (Wahler, Fahrgast, Patient, Pflegebedurftiger etc.), bb) Leistungsrollen (Politiker, Busfahrer, Arzt, Pflegekraft etc.), b) organisationsspezifischer Partizipation (Sekundarinklusion) aa) Laienrollen (Fahrgast 1. und 2. Klasse, Privat- und Kassenpatient, professionell betreuter und nicht betreuter Pflegebedurftiger etc.), bb) Leistungsrollen (Spltzenpolitiker und Hinterbankler, Pflegefachkraft und Pflegehilfskraft etc.). Die Leistungsrollen unterscheiden sich von den Laienrollen durch je unterschiedllche AusprSgung sachlicher, zeitlicher, okonomischer und sozialer Merkmale.

3.1.1

Primarinkluslon

Sachllch setzen die Laienrollen in der Primarinkluslon (funktionssystemspezifische Partizipation) geringere Kompetenz voraus, ..."^^^. In der Kegel bedarf es keiner Ausbildung. Zeitlich bedingen sie einen grolien Tell des jeweiligen Lebens, „...wobei : Gesellschaft, 620 *^^ Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, ebd. ^^^ Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, 101

106

das durch sie erwartete personliche Engagement kurzer ist;...""^^^, als das in einer Leistungsrolle. Okonomisch erbringt das fokale Funktionssystem keine monitare Gegenleistung fur eine von „Laien" erbrachte Leistung. Das politische System bezahit seine Wahler nicht und selbst das Pflegesystem „bezahlt" seine Pflegebedurftigen nicht dafur, dass sie pflegebedurftig sind oder es bleiben. „Sozial ist ihr Einfluss und aktives Engagement geringer..."'*^'*, als der Einfluss bzw. das Engagement von Leistungsrollentragern. In den Leistungsrollen wird den RollentrSgem eine bestimmte funktionsspezifische Kompetenz abverlangt. Dies ist i. d. R. eine Berufsausbildung (z. B. zur Pflegefachkraft). Zeitlich nimmt die Leistungsrolle den uben/vlegenden Tell der zur Verfugung stehenden Zeit in Anspruch und es gibt - 6konomisch - eine Bindung an ein monltares Aqulvalent (Gehalt, Lohn, Honorar etc.) fur die Bereltstellung der funktionssystemspezifischen Kompetenz. Der Einfluss auf das Funktionssystem der Lelstungsrollentrager ist grofler als jener der Lalenrollentrager.

3.1.2

Sekundarinklusion

„Die Sekundarinklusion durch Laienrollen (Fahrgast 1. und 2. Klasse,... Kassen- und Privatpatient,...) bezieht sich auf die mesostrukturelle Ebene der Funktionssysteme, die sich durch Binnendifferenzierung in formale Organlsationen ... charakterisieren.""^^^ Auch im Hinblick auf diese organisationsspezifische Partizipation unterscheidet H.-J. HoHM ebenfalls nach sachlichen, zeitlichen, Gkonomischen und sozialen Merkmalen. Sachlich sind mit der Laienrolle im Sinne der sekundaren Inklusion anspruchsvoller bewertete En/vartungen verbunden; und zwar sowohl seitens der Personen an das Funktionssystem (Privatpatienten stellen andere Envartungen als Kassenpatlenten an das System), als auch von Seiten des Funktionssystems (Privatpatienten haben hohere Beltrage an das System zu lelsten). Zeitlich ist die Sekundarinklusion „...mit tendenziell intensiverem Engagement...verbunden."^^^ Dieses zeitliche Engagement kann vom Funktionssystem abverlangt werden oder vom Trager der Laienrolle erbracht werden (i. d. R. durch eine entsprechende monitare Leistung). Okonomisch setzt die sekundare Inklusion in der Laienrolle eine hohere Zahlungsfahigkeit voraus. Sozial werden ambitioniertere personliche Anspruche und groRere Einflussmoglichkeiten angezeigt. In der Leistungsrolle wird sachlich die Unterscheidung von hoherer im Vergleich zu niedrlgerer funktions- und organisationsspezifischer Berufskompetenz relevant (Pflegedienstleitung gegenuber Pflegefachkraft etc.). Je hoherrangiger die ubernommene Leistungsrolle ist, desto mehr Zeit wird i. d. R. durch das berufliche Engagement absorbiert. Das monitSre Aqulvalent stelgt in Abhangigkeit zur sachlichen Kompetenz und zum zeitlichen Engagement. Die Organisationsmacht und der perHohm, H.-J.: Soziale Systeme, ebd. ^^^ Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, ebd. ^^^ Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, 106 ^^^ Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, 107

107

sonliche Dispositionsspielraum wachsen in Relation zur Position in der jeweiligen Organisation.

3.2

Former) der Exklusion

Auch bei den Exklusionsformen unterscheidet H.-J. Hohm nach primSrer und sekundarer Exklusion und zwar a) funktionssystemspezifischer Partizipation (Primarexklusion) aa) Laienrollen (Nichtwahler, Schulaussteiger, Analphabeten etc.), bb) Leistungsrollen (Sozialhilfeempfanger, Arbeitslose etc.), b) organisationsspezifischer Partizipation (Sekundarexklusion) aa) Laienrollen (Fahrgast 2. statt 1. Klasse, Kassen- statt Privatpatient etc.), bb) Leistungsrollen (weitergebildete Pflegedlenstleitung statt diplomierter Pflegewirt etc.). Auch hier unterschelden sich die Leistungsrollen von den Laienrollen durch je unterschiedliche Auspragung sachlicher, zeitlicher, okonomischer und sozialer Merkmale.

3.2.1

Primarexklusion

Sachlich zeichnen sich die Laienrollentrager (in der funktionssystemspezifischen Partizipation) dadurch aus, dass sie entweder die geringfugigen funktionsspezifischen Kompetenzen nicht ubernehmen konnen, diirfen oder wollen (z.B. arbeitslose Pflegekrafte, die auf Grund korperlicher Beeintrachtigungen keine Stelle mehr finden). Zeitlich kann es sich dabei um eine voriibergehende Episode handein oder urn eine dauerhafte ..Negativkarriere" (H.-J. HOHM). Die Nichtubernahme der Laienrolle kann durch Zahlungsunfahigkeit bedingt sein. Sozial kann der Rollenverzicht bzw. Rollenverlust eine nicht anschlussfahige oder abweichende Durchfuhrung der Laienrolle Oder eine zukunftig alternative anschlussfahige Laienrolle indizieren. In der Leistungsrolle wird den Rollentragern (Arbeltslosen, Sozialhilfeempfangern) die kompetente Beantragung der erforderlichen Mittel abverlangt. Zeitlich dauert die Rolle an bis zur Zahlungsfahigkeit auf Grund selbst en/vorbenen Geldes. Okonomisch ist die Rolle gepragt durch eine Abwesenheit von Erwerbstatigkeit bis hin zur Zahlungsunfahigkeit der Person. Sozial mussen bestimmte okonomische Voraussetzungen (durch Arbeitslosengeld etc.) gegeben sein, um zumindest eine Chance zur Teilhabe an anderen Funktionssystemen zu sichern.

3.2.2

Sekundarexklusion

Die Exklusion im Rahmen der organisationsspezifischen Partizipation bedeutet fur die Ubernahme der Laienrolle, dass die fokale Person die je anspruchsvolleren Erwartungen - hinsichtlich der funktionssystemspezifischen und organistionsspezifischen Kompetenzen - nicht ubernehmen darf, kann oder will. Zeitlich kann diese

108

Nichtubemahme diskontinuierlich oder kontinuierlich verlaufen. Okonomisch kann die Nichtubernahme durch geringere ZahlungsfShigkeit bedingt sein (zum Beispiel die mangelnde Aufbringung eines hoheren Versicherungsbeitrags zur Sozialversicherung). Die Nichtubernahme einer anspruchsvolleren Laienrolle kann einen freiwilligen Verzicht oder einen erzwungenen Verzicht indizieren. Im HInblick auf die Sekundarexklusion in der Leistungsrolle ist auf der sachlichen Ebene die IVIoglichkeit gegeben, dass die anspruchsvolleren EnA/artungen an die funktionssystem- und organisationsspezifischen Berufskompetenzen der jeweils hoheren Berufsposition nicht erfijllt sind, weil der Leistungsrollentrager dies nicht darf, kann oder nicht mochte. Die Nichtubernahme der jeweils hoherrangigen Leistungsrolle kann auf Dauer oder nur phasenweise erfolgen. Sie wird okonomisch meistens ein geringeres monetares Aquivalent fur den Rollentrager bedeuten. Sozial steht ihm ein geringeres Mali an Organisationsmacht und Dispositionsfreiheit zur Verfugung. In Abbildung 6 (nachste Seite) sind die unterschiedlichen Formen der Inklusion und Exklusion anhand der Leistungs- und der Laienrollen im Funktionssystem Pflege dargestellt. Die Tabellen 7.1 und 7.2 (ubernachste Seite) kennzeichnen die sachlichen, zeitlichen, okonomischen und sozialen Merkmale der Inklusions- und Exklusionsformen im Funktionssystem Pflege.

109

Abb. 6: Formen der Inklusion und Exklusion im Funktionssystem Pflege (in Aniehnung an das Inklusions-ZExklusionsmodell von H.-J. Hohm 2000*^^) PRIMARE EXKLUSION

PRIMARE EXKLUSION

Arbeitslose Pflegekrafte

/

Leistunqsroilen

/

/

\

\ \

Pflegekrafte und Pflegemanager/innen in EInrlchtungen und Diensten

Teilzeitbeschaftigte Pflegefachkrafte Pflegehilfskrafte SEKUNDARE

EXKLUSION

Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, 100

110

\ \

Pflegende Angehorige

SEKUNDARE

\

Laienrollen

PRIMARE INKLUSION

Pflegekrafte

\

NIcht betreute Pflegebedurfl

INKLUSION

Pflegebedurftige Heimbewohner/in

1 /

Sozialhllfeabhangige Heimbewohner/in Demente Heimbewohner/in SEKUNDARE EXKLUSION

Tab. 7.1: Inklusion in der Leistungsrolle innerhalb des Funktionssystems Pflege

Beispiele: Merkmale: sachlich

zeitlich

okonomisch

sozial

Primare Inklusion Pflegekrafte

Sekundare Inklusion Leitungskrafte in der Pflege

funktionsspezifische Kompetenz: hohere funktions- und organisatiAusbildung und berufliche Erfah- onsspezifische Berufskompetenz bzw. langere Berufstatigkeit rung (Anciennitatsprinzip) nimmt hohen Anteil der zur Verfu- hohere Zeitabsorbtion durch berufliche Position gung stehenden Zeit in Anspruch {Verfugbarkeit) Bindung an monitares Aquivalent Hoheres monitares Aquivalent (In fur die Bereitstellung berufsspezi- Abhangigkeit von sachlichen und zeitlichen Merkmalen) fischer Tatigkeiten Einnahme einer Berufsrolle mit Organisations- bzw. Berelchsentsprechendem Engagement macht; hoherer personlicher DIspositionsspielraum in Abhangigkeit zur Position {hohere Loyalilat)

Tab. 7.2: Exklusion in der Leistungsrolle innerhalb des Funktionssystems Pflege

Beispiele:

Merkmale: sachlich

zeitlich

okonomisch

sozial

Primare Exklusion Arbeitslose Pflegekrafte

Sekundare Exklusion Teilzeitbeschaftigte Pflegekrafte und PHK statt vollzeitbeschSftigte Pflegefachkraft

Kompetenzen zur Beantragung durfen, k5nnen oder wollen die entsprechender MIttel aus den anspruchsvolleren Erwartungen Sozialversicherungssystemen an die funktionsspezifischen Berufskompetenzen der Jewells hoheren Berufsposition nicht erfullen kontinuierliche und diskontinu- Nichtubernahme der Jewells hoierliche Verlaufe (in Abhangigkeit herrangigen Leistungsrolle kann von Quallfikation u.a.) auf Dauer oder fur eine bestimmte Phase erfolgen Kompensation von Zahlungs- Nichtubernahme der Jewells hoheunfahigkeit durch sozialstaatllche ren Leistungsrolle implizlert ein Transferleistungen (ALG, ALH, geringeres monitSres Aquivalent SH) soil die okonomischen u.a. Vor- Geringere Organisationsmacht aussetzungen fur die Primar- und geringere personliche Dispoinklusion ermoglichen; geringere sitionsfreihelt berufsbezogene Kontakte

111

3.3

Inklusion und Exklusion in weiteren Roller)

Neben diesen unterschiedlichen Laien- und Leistungsrolien, die fur Inklusion und Exklusion relevant sind, unterscheidet H.-J. HOHM noch drei weltere Rollen: sekundSre Leistungsrolien, unitarische Rollen und askriptive Rollen^^®. Sekundare Leistungsrolien bezeichnen Rollen, in denen RollentrSger ein Ehrenamt ubernommen haben. „Unitarische'^^® Rollen bzw. Insassenrollen lassen sich in randstSndlge Rollen (...Haftling des Strafvollzuges,....) und besondere Leistungsrolien (Nonnen und Monche im Kloster..,.), denen oft Elitestatus zugeschrieben wird, unterscheiden. (...) Sie werden durch Monoinklusion der Personen in nur einer Organisation rSumlich an einem Ort gebunden, welche die Sonderform der totalen Institution annimmt."'*^^ H.-J. HOHM rechnet hierzu - mit Bezug auf E. GOFFMAN^^^ - auch pflegebedurftige Personen im Altenheim. Legt man die raumliche Ortsgebundenheit als zentrales Merkmal zur Klassiflkation unitarischer Rolle zugrunde, so kann man der Einschatzung von H.-J. HOHM im HInblick auf pfledebedurftige Menschen folgen. Ebenso lasst sich aber auch, die von uns vorgenommene Orientlerung an den vier o. g. Merkmalen der funktionssystemspeziflschen und der organisationsspezifischen Inkluslon/Exklusion auf die besagte Personengruppe anwenden. Werden pflegebedurftige Personen ausschliefilich ortsgebunden betrachtet (und damit als Inhaber ..randstandiger Rollen") fuhrt dies unseres Erachtens zu einer geringeren Differenzierungsscharfe, als die Zuordnung zu Laienrollen. Letztere ermoglicht eine differenzierte Betrachtung im Hinblick auf die unterschiedlichen Inklusions- und Exklusionsbedingungen (s.o.). Fur unser Thema von Relevanz sind jedoch an dieser Stelle die askriptiven Rollen. „Sie beziehen sich auf Eigenschaften des Organismus bzw. Korpers der Person, z.B. Geschlecht, Alter, Hautfarbe, familiare Herkunft, angeborene Behinderung ; sie konnen folglich weder frei en/vorben noch freiwillig aufgegeben werden, sondern begleiten die Person die ganze Lebenskarrlere hindurch als notwendige organisch-kSrperliche Fremd- und Selbstzuschreibung;..."^^^. Die dadurch bedingten „Varietatsspielraume" (H.-J. HOHM) sind abhangig von den Inklusions- und Exklusionsbedingungen, die wiederum abhangig sind von den normativen und kognitiven EnA^artungen der Funktionssysteme und ihrer Organisationen. Wahrend normative VerhaltensenA/artungen zur Immunisierung gegen EnA^artungsenttSuschungen beitragen, sorgen kognitive Verhaltensen^/artungen fur die Konfrontationsbereitschaft der Organisation mit abwelchenden Erfahrungen und bieten damit die Chance zur Oberprufung des eigenen organisationalen Wissens^^^.

: Soziale Systeme, 123ff. "^"^ unitar = einheitlich ^^ Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, ebd. ^^ Goffman, E.: Asyle. Ober die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen, Frankfurt a.M. 1977 ^^ Hohm, H.-J., Soziale Systeme, 123 ^^ Vgl.: Baecker, D.: Die verlernende Organisation. In: Ders.: Organisation und Management, Frankfurt a.M. 2003,179-197

112

Werden die askriptiven Rollen anhand einer Leitdifferenz (z.B.: mannlich/weiblich oder jung/alt) beobachtet, so failt auf, dass - trotz normativer Verankerung der Gleichhejt und Gleichberechtigung In der Verfassung - die erstgenannten Werte der Leitdifferenzen zum Teil heute als PrSferenzwerte und die zweitgenannten Werte als Negativwerte kommunikativ fungleren; .. diese Praferenzorientierung fuhrt in den Funktionssystemen und Organisationen der modernen Gesellschaft zur Primar- und SekundSrexklusion eines Teils der betroffenen Personen von bestimmten Leistungs- und Laienrollen;..."^^.

3.4

Zusammenfassung im Kontext der station^ren Altenpflege

Mit Bezug auf die Daten aus der Sekundaranalyse (Bundesamt fur Statistik 2003) lasst sich feststellen, dass mehr als die Haifte (52%) aller weiblichen Pflegekrafte In stationaren Einrichtungen der Altenhilfe teilzeitbeschaftigt sind. Von alien (mannlichen und weiblichen) Pflegekraften sind uber 92% der teilzeitbeschaftlgten KrSfte Frauen. Insgesamt 27,5% der teilzeitbeschaftlgten weiblichen Pflegekrafte arbeiten unterhalb der 50%-Grenze der durchschnittlichen wochentlichen Arbeitszeit (weniger als 19,25 Std./Wo.) und weitere 18,4% arbeiten als geringfugig BeschSftigte. Teilzeitbeschaftigung bedeutet im Hinblick auf die Obernahme einer Leistungsrolle im Rahmen der sekundaren Inklusion/Exklusion (organisationsspezifischen Partizipation), dass bei den betroffenen Personen a) sachlich zwar eine durchaus adaquate Kompetenz zur Obernahme hoherrangiger Positionen vorhanden sein kann, b) zeitlich jedoch die normativ enA/artete hohere Absorption von Zeit zugunsten der bemflichen Leistungsrolle nicht moglich ist, c) okonomisch ein entsprechendes monitares Aquivalent fur eine hoherrangige Position nicht zur Zahlung gelangt (nicht mangels sachllcher Kompetenz, sondern mangels zeitlichem Engagement!), d) entsprechende Organisationsmacht und entsprechende personliche Dispositionsspielraume nicht gegeben sind. Kommt es nun zu einer Vermischung von Leistungsrollen und askriptiven Rollen bzw. zu einer Uberlagerung der askriptiven Rolle gegenuber der jeweiligen Leistungsrolle, so dominieren Praferenzwertorientierungen, die (neben den zeitlichen, okonomlschen und sozialen Merkmalen) zu einem weiteren Exklusionsmerkmal fijhren (Eigenschaften des Korpers der Person), die eine sekundare Exklusion verstarken bzw. die sekundare Inklusionschancen reduzieren. Die zeitlichen, okonomlschen, sozialen Merkmale und die Merkmale des Korpers (und damit einhergehende .organlsch-korperllche Selbst- und Fremdzuschreibungen') bilden in Organisationen auf unterschiedlichen Ebenen, die in Kapitel VI. beschriebenen, glass walls- und .glass ceiling-effects'. Die „Uberlagerung" der askriptiven Rolle gegenuber den (zudem eingeschrankt wahrnehmbaren) Leis^'^'^ Hohm, H.-J.: Soziale Systeme, ebd.

113

tungsrollen sorgen fur, die von D. BAECKER beschriebenen, .ambiguity failures', dem Mehrdeutigkeitsversagen (vgl. Kapitel VI.).

4.

Codes und Programme

Geht man systemtheoretisch von der gesellschaftsinternen Perspektive aus, dann ist festzustellen, dass Funktionssysteme weder Handlungen vollziehen (s.o.) noch Entscheidungen treffen konnen. Sie verfugen uber eine ihnen jeweils innewohnende Codierung (z.B. im Falle des Gesundheitssystems gesund/krank bzw. im Wissenschaftssystem wahr/unwahr etc.). Die Codes der Funktionssysteme haben sich co-evolution^r zu ihren Systemen herausgebildet. Der jeweillge Code ermoglicht es den Funktionssystemen sich selbst in eine Differenz zur ihrer Umwelt zu beobachten. Die Codierung der Funktionssysteme verlSuft stets binSr (wahr/unwahr; zahlen/nicht zahlen; Recht/Unrecht etc.). Codes bzw. Leitdifferenzen ermdglichen den Funktionssystemen die Bildung ihrer sinnhaften Systemgrenzen und damit die Moglichkeit der operativen Schlief^ung; sie sind quasi die Voraussetzung fur diese operative Schliedung. „Die Codierung regelt das Oszillieren zwischen positivem und negativem Wert.'"^^ „Die eine Seite der Leitdlfferenz verkSrpert ... den Pr^ferenzwert, wahrend die andere Seite ihre Kontingenz indiziert und als Negativwert gleichzeitig zum Aniass der Reflexion im Funktionssystem wird, weshalb er auch als Reflexionswert bezeichnet werden kann. Der Vorteil des PrSferenzwertes besteht darin, dass er sich besser als der Negativwert zur Anschlusskommunikation und zum selbstreferentiellen Strukturaufbau eignet."^® „Der Code schlielit dritte Moglichkeiten aus."^^ ..VenA/irrend mogen die h^ufig von Luhmann zu findenden sprachlichen Gleichsetzungen in Bezug auf Medien und Codes sein. Geld ist ein Medium, das binar codiert ist. Das Medium he\Q>{ Geld und sein Code Zahlen/Nichtzahlen. Das ist eindeutig. Wahrheit ist das bindr codierte Medium des wissenschaftlichen Systems. Das Medium heiflt Wahrheit und der Code Wahrheit/Unwahrheit bzw. wahr/unwahr. Der Begriff des Mediums bezeichnet hier die positive Seite des Codes."^® H. WILLKE spricht von den Codierungen auch als eine „Spezialsprache\ die sich fur die ausdifferenzierten gesellschaftlichen Tellsysteme ausgebildet hat und die es eriaubt, sehr viel schneller, effizienter und kompakter zu kommunizieren als In der [allgemeinen] Sprache der Lebenswelt."^^^ Programme hingegen „...versorgen z.B. sozlale Systeme, damnter besonders funktional ausdifferenzierte Tellsysteme, mit Regein zulSssigen Kommunizierens; sie sind inhaltliche Vorgaben fur codegefuhrte .. Operationen. Programme verwandein Codes in Medien, denn sie dienen der Zuweisung sinnhafter Ereignisse zu positiven Codewerten. Programme und Codes stehen hierbei in einem komplementaren statt hierarchischen Verh^ltnis. Programme wie z.B. Gesetze im Be-

^^"^ Dieckmann, J.: a.a.O., 195 *^® Krause, D.: a.a.O.. 46 '^^^ Willke. H.: Systemtheorie II: Interventionstheorie, 3. Auflage. Stuttgart 1999. 59

114

rejch des Rechts, Budgets im Bereich der Wirtschaft ... sind ihrerseits kontingent."^^°

5.

Geschlecht in der funktional differenzierten Gesellschaft

Wie verhalten sich nun Codiemngen und Programme zur sozialen Konstruktion von Geschlecht bzw. zur Geschlechterdifferenzierung? In Abgrenzung zur segmentierten und zur stratiflkatorisch differenzierten Gesellschaft durften in der funktional differenzierten Gesellschaft funktionssystemexterne Merkmale wie soziale Schicht, Geschlecht und Alter.. normalerweise nicht mehr als Inklusions- und Exklusionskriterien fungieren, es sel denn, sie korrelieren systematisch mit bestimmten funktionssystemelgenen Gesichtspunkten.""^^^ Als Ausnahmen (..normalerweise") benennen C. WEINBACH und R. STICHWEH, mit Bezug auf das Alter, die Frage der Einschulung von Kindern und die altersabhangige Eriangung von Biirgerrechten. Jedoch gilt auch, dass „die Inklusion in ein Funktionssystem bzw. die Exklusion aus Ihm .. nIcht selbstlaufig Inklusion Oder Exklusion mit Bezug auf andere Funktionssysteme bedeutet: So kann z.B. jemand, der reich ist, sich nicht einfach einen akademischen Titel kaufen (was im fruhneuzeitlichen Europa In gewissem Umfang moglich war), der als wlssenschaftliche Qualifikation akzeptiert wurde."^^2 453 Funktionssysteme differenzieren also nicht nach dem Geschlecht. Allerdings kommt den Funktionssystemen eine bedeutsame Rolle fur die Entscheidung uber Inklusion/Exklusion zu. „Faktisch ist .. die Entscheidung uber Inklusion/Exklusion auf die Funktionssysteme delegiert. (...) Welche konkreten Rechte man hat und welches Schulbildungsniveau man erreicht, wie man sich politisch beteiligt oder welches Wissen man fur gesichert halt, ist eine Frage der Indlviduellen Karriere in den Funktionssystemen, also der Selektionsgeschichte, in der Individuen und soziale Systeme zusammenwirken. Dabei wirken die Inklusionsmechanismen der Funktionssysteme unkoordiniert oder allenfalls mit losen Kopplungen, die keine Aussage uber Einzelschicksale gestatten. (...) Die Funktionssysteme gehen von Inklusion aus und lassen Exklusion gleichsam nur geschehen.""^^ Die Codierungen der Funktionssysteme sind nach A. NASSEHI „...letztlich unsensibel und indifferent fur geschlechtliche Unterscheidungen: Weder wlssenschaftliche Wahrheit noch okonomische Potenz, weder kunstlerlsche Gestaltung noch politische Macht, weder erzieherische Absichten noch religioser Glaube sind ^^° Krause, D.: a.a.O., 186f. ^^^ Weinbach, C. und Stichweh, R.: „Die Geschlechterdifferenz in der funktional differenzierten Gesellschaft". In: Heintz, B. (Hrsg.): ..Geschlechtersozioiogie", Sonderheft der KOIner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie, Wiesbaden 2001, 34 "^^^ Weinbach C. und Stichweh, R.: a.a.O., 34 ^^^ Auf die damit einhergehende Problematik fur manche LeitungskrSfte (in der Pflege) hat W. Bilser in seinem Beitrag „Die Leiden der Leitenden" hingewiesen (erschienen in: Pflegemanagement 1/98, o.Jg., 11-23) ^^^ Luhmann, N.: Organisation und Entscheidung, 391

115

auf der Ebene der Codes irgendwie geschlechtsspezifisch gebaut - auf der Ebene der Programme und auf der Ebene etwa organisatorischer Praxis freilich schon.'"*^^ Denn in Gesetzen finden sich durchaus mehr oder weniger eindeutige Aussagen zur Geschlechterdifferenz (nicht nur im Gleichstellungsgesetz). In einigen politischen Parteien spielt die Quotierung (qua Programm vorgegeben) eine relevante Rolle; Lehr- und Lernplane weisen durciiaus gesclileclitsbezogenen und nacli Geschleclitern getrennten Unterricht aus. C. WEINBACH und R. STICHWEH"*^^ weisen demgegeniiber darauf liin, dass selbst in den Funktionssystemen der funl^tional differenzierten Gesellschaft u. a. gesclilechtsspezifische Exklusionskriterien aufzufinden sind. Beispielhaft nennen sie (in der Unterscheidung von Leistungs- und Publikumsrollen in den Funktionssystemen) mit Bezug auf die Leistungsrollen Frauen, die in der katholisciien Kirche keine solchen Rollen als Geistliche ubernehmen durfen. ..Differenzen und Diskriminierungen dauern fort und werden teilweise aufwendig verteidigt; aber die Nivellierung und Aufhebung einzelner dieser Differenzen ist weit wahrscheinlicher als die Neuentstehung von Differenzen, sodass sich im Resultat eine eindeutige Entwicklungsrlchtung zugunsten einer gesellschaftlichen ZuruckdrSngung der Geschlechterdifferenz (in den Funktionssystemen, A. d. A.) abzeichnet.'"^^^ Im Folgenden soil vor dem Hintergrund unserer Fragestellung die Differenz zwischen Funktionssystemen und Organisationen Im HInblick auf die Geschlechterdifferenz naher untersucht werden.

6.

Geschlecht und Organisation

N. LuHMANN unterscheidet neben Gesellschaften als weitere Arten sozialer Systeme Interaktionen und Organisationen. Jnteraktionssysteme sInd Kontakte unter Anwesenden. (...) Es sieht so aus, dass die moderne Gesellschaft Interaktion gegen Organisation auswechselt. Organisation ist eine evolutionare Errungenschaft, die ein relativ hohes Entwicklungsniveau voraussetzt."^^® Organisationen gehoren zwar Funktionssystemen an, sind selber aber keine Funktionssysteme. A. NASSEHI weist auf eine entscheidende Differenz zur unterschiedlichen Geschlechtersensibilitat der Funktionssysteme im VerhSltnis zu ihren Organisationen hin. Organisationen konnen als organisierte Sozialsysteme verstanden werden, als Systeme, die aus Entscheidungen bestehen und die Entscheidungen, aus denen sie bestetien, durch die Entsctieidungen, aus denen sie bestetien, selbst anfertigen"^^^ N. LuHMANN begreift Entscheidungen als Elemente des Sozialsystems Organisation nicht als ein psychisches Ereignis, sondern spricht von einem „sozialen ^^^ Nassehi, A.: a.a.O., 84 "^^^ Weinbach, C. und Stichweh, R.: a.a.O., 35 ^^^ Luhmann, N.: Gesellschaft, 814; zit. n. Dieckmann, J.: a.a.O., 283 ^^^ Luhmann, N.: Organisation. In: Kupper, W. und Ortmann, G. (Hrsg,): Mil
116

Ereignis". „Deshalb kann man auch nicht sagen, dass Entscheidungen, nachdem sie getroffen sind, noch kommuniziert werden mussen. Entscheidungen sind Kommunikationen - was naturlich nicht ausschlielit, dass man uber Entscheidungen kommunizieren kann."'^®^ Die Autopoiesis der Organisationen setzt voraus, dass Organisationen Entscheidungen aus Entscheidungen reproduzieren und „...Entscheldungstatigkeit uberhaupt von Moment zu l\/Ioment fortgesetzt wird;..."^^^ Inklusion und Exklusion sind Entscheidungen einer Organisation, die sie selbst produziert. Fur Organisationen gilt im Gegensatz zu Funktionssystemen: „Hier werden alle ausgeschlossen, es gibt kein Naturrecht auf IVIitgliedschaft, weil die Inklusion (in Organisationen, A. d. A.) hochselektiv erfolgen muss. (...) Die paradoxe Einheit dieser Differenz (von Inklusion und Exklusion, A. d. A.) wird so aufgelost, dass die Gesellschaft in Ihren Funktionssystemen fur Inklusion aller optlert, die Organisationen dagegen fur Exklusion aller.""^^^ Organisationen sichern sich mit ihrer Praferenz fur Exklusion ihre Autonomie und damit ihre Uberlebensfahigkeit im Sinne der organisationalen Autopoiese (i. S. V. Selbst-Reproduktion). Um eine Entscheidung uber Mitgliedschaften zu treffen, gehen Organisationen von Exklusion aus. Dies 1st fur die Aufrechterhaltung ihrer Autonomie entscheidend. Wahrend nun die Leitdifferenzen bzw. Godierungen der Funktionssysteme keine geschlechtlichen Unterscheidungen treffen (konnen), ist dies in Organisationen (und ebenso in Interaktionen) anders. „Es ist nicht in Zweifel zu Ziehen, dass in Organisationen, in Interaktionen, in Familien, man konnte sagen: uberall wo sich Personen begegnen, Frauen und Manner auftreten und sowohl als solche ansprechbar gemacht werden als auch sich selbst als Frauen und Manner ansprechbar machen - mit alien Konsequenzen, die das fur die ungleichen Bedingungen von Mannern und Frauen in alien moglichen Bereichen der Gesellschaft hat - von der Unterreprasentation von Frauen in Spitzenpositionen bis zur Oberreprasentation von Frauen in speziellen Berufen mit entsprechendem Prestige ..." ^^^. Dort also, wo Organisationen Erwartungen person ifizieren, kommt die Geschlechterdifferenz als Inklusions- bzw. Exklusionskriterium mehr oder weniger kalkuliert ins Spiel. „Durch die Organisationen ist die Gesellschaft mit Diskriminierungsfahigkeit ausgestattet. Sie behandelt alle gleich und jeden verschieden. Ihr Prozessieren von Kommunikation geht von Unlversalprinzipien (Frelheit, Gleichheit, Partizipation etc., A. d. A.) aus und referiert zugleich auf die jeweils gegebene historische Situatlon."^^^ Es lasst sich festhalten, „...dass das Operieren innerhalb der gesellschaftlichen Funktionssysteme nicht unabhangig von Organisationen moglich ist. Der Zugang zu den gesellschaftlichen Funktionssystemen wird durch Organisationen geregelt. Deshalb hangt der Bewegungsspielraum der Funktionssysteme auch von ^^° Luhmann, N.: Organisation 168 ^^^ Luhmann, N.: Organisation, ebd. ^^^ Luhmann, N.: Soziale Systeme, 392 ^®^ Nassehi, A.: a.a.O., 84 ^^ Luhmann, N.: Soziale Systeme, 393

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Bedingungen ab, die auf der Ebene der Organisationen angesiedelt sind. Organisationen konnen einen beschrankenden Einfluss auf die Funktionssysteme der Gesellschaft ausuben."^^^ Dies wird an geschJeclitsspezifischen Inklusions-/ Exklusionsentscheidungen erkennbar, die eine Organisation treffen kann. Walirend es zwar in den Funktionssystemen .....keinen Grund mehr [gabe], den Zugang zu den Leistungsbereichen der Funktionssysteme an geschiechtiiciie Zugehorigkeit zu binden..."^®® tun genau dies Organisationen entsprechend iiirem Programm. Und dieses Programm ist - co-evolutionar zur Organisation selbst stets iiistorisch gepragt. Ihre eigene programmatische Historizitat kann eine Organisation nicht verleugnen. T. GROTH bezeichnet einer Unterscheidung von H. VON FOERSTER folgend - in Abgrenzung zu einem rationalen bzw. trivialen und einem organischem Organisationsverstandnis die nicht-triviale Organisation aucli als „liistorische IVIaschine"^®^. Demzufolge greifen Organisationen in ihren Operationen auf ihr „Gedaclitnis" (T. GROTH) zuruck. Es stellt sich, mit Blick auf die Entwicklung der funktional differenzierten aus der stratifikatorisciien Geseilsciiaft, die Frage, inwiefern Organisationen Raume fur eine historisierte Sedimentablagerung dargestellt haben und immer nocii darstellen. Es scheint so zu sein, dass sicli Organisationen immer nocli (und immer wieder) - aus den Funktionssystemen heraus geloster - iiistorizierter Exklusionskriterien bedienen, um iiire geschleciitsspezifischen Entsciieidungen zu begrunden. Walirend sie auf der Ebene der Funktionssysteme sozialstrukturell fraglich geworden sind, fuhren diese arcliaischen Exklusionskriterien dann auf der Ebene der Organisationen ein - wenn auch moglichenA^eise instabiles - Leben. T. BARDMANN und A. I-AMPRECHT stellen fest, dass komplexe Systeme in aller Regel niciit nur eine Form der Differenzierung [nutzen]. So wie in modernen Arbeitsorganisationen neben dem hierarchisclien Strukturmuster funktionsorientierte Arbeitsteilung benutzt wird, so tradiert auch die moderne Geseliscliaft neben der funktionalen Differenzierung altere Differenzierungsformen. Die primSre Differenzierungsform eines Gesellschaftssystems bezeichnet lediglich die Bildung einer .ersten Schicht' der Differenzierung, die es keineswegs ausschliefit, dass daneben weltere Differenzierungsformen bestehen bleiben.""^^® So ist es durchaus moglich und gegeben, dass das Funktionssystem Pflege nach dem Prinzip der funktionalen Differenzierung ausdifferenziert ist. Die Organisationen des Funktionssystems (Altenheime etc.) in sich jedoch nach dem Prinzip der segmentaren Differenziemng (Abteilungen) gegliedert sind, die In sich wiederum funktional und stratifikatorisch differenziert sind. Auch das Entscheidungsverhalten von Organisationen selbst kann diese nIcht loslosen von historischen Abhangigkeiten. Da Organisationen aus Entscheidungen bestehen und weil Organisationen je aktuelle Entscheidungen aus friiheren

^®^ Beetz, M.: a.a.O.. 43 ^^ Nassehi, A.: a.a.O., 82 ^^^ Groth, T.: Der Entscheidungsbegriff in Luhmanns Systemtheorie - Oberlegungen zu den Feldern Organisation, Innovation und Beratung, Witten/Herdecke 2003, 8 www.forumsystenriischeberatung.de/systenriisch/systenriisch_anwendung/syst_anw_konz-groth.pdf ^^ Bardmann, T. und Lamprecht, A.: Differenzierung, a.a.O.

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Entscheidungen konstituieren, sind auch organisationale Entscheidungen nie losgekoppelt von der Geschichte, die fruhere Entscheidungen der Organisationen bzw. ihrer jeweiligen Vorganger hinterlassen haben. IVI. WOLLNIK spriciit von Interpretationstendenzen, die ermoglichen, von einer Entscheidung zur nachsten Coder allgemein: von einem Komnnunikationsbeitrag zum nachsten) zu kommen. Sie gewahrleisten, dass immer nur Entscheidungen konstituiert werden. Sie sichern, dass bei Wiederholung von Entscheidungssituationen, Entscheidungen nach gleichen Grundsatzen (nicht etwa: gleiche Entscheidungen) getroffen werden. In ihnen akkumulieren sich Entscheidungserfahrungen, die fur Folgeentscheidungen kursbestimnnend sind.'"^®® Diese Interpretationstendenzen basieren auf einer bestimmten Gleichformigkeit, sowohl im Hinblick auf die von IVI. WOLLNIK bezeichneten kategorialen Interpretationen, als auch auf die von ihm bezeichneten substanziellen Interpretationen. Erstere bezeichnen eine organisationale Operation, die etwas als Entscheidung deutet Oder eben nicht. Wird etwas nicht als Entscheidung in der Organisation Oder in ihrer Unnwelt von der Organisation gedeutet, so bleibt es ,Rauschen' und findet in der Organisation keinen Eingang."'*^^ Die zweite Form der Interpretationen versteht Entscheidungen als Entscheidungen bestimmten Inhalts, getroffen nach bestimmten Prinzipien..."'^^\ Die Entscheidungserfahrungen der Organisation, ihr gewachsenes kategoriales Interpretationsvermogen, sowie die auf den jeweiligen Inhalt sich beziehenden substanziellen Interpretationstendenzen basieren auf ein Organisationsgedachtnis, das sich in den Regelsystemen der Organisation ablesen und in ihnen wieder finden lasst.

7.

Personen im Mikrokosmos Stella

Bezogen die Relevanz des funktionssystemexternen Merkmals Geschlecht im Entscheidungsverhalten von Organisationen, muss im Folgenden auf den fur unsere Thematik unverzichtbaren Begriff der Person und in diesem Kontext des Weiteren auf den Begriff der Stelle eingegangen werden. C. WEINBACH und R. STICHWEH gehen davon aus, dass sich die Geschlechterdifferenz immer wieder neu in gesellschaftliche Systeme und damit auch in Organisationen verankert, „...wenn in sozialen Systemen Grunde vorliegen und an Bedeutung gewinnen, die diese dazu veranlassen, ihre psychische Umwelt personalisiert zu denken. Personen aber sind Bundel systeminterner und systemexterner Rollenverpflichtungen, uber die Geschlechtsdifferenzen, die in einem System relevant sind, in andere Systeme transferiert werden konnen. Dieser Mechanismus sorgt dafur, dass gesellschaftliche Residuen der strukturellen Relevanz von Ge"^^^ Wollnik, M.: Jnterventionschancen bei autopoietischen Systemen". In: Gotz, K. (Hrsg.): Theoretische Zumutungen. Vom Nutzen der systemischen Theorie fur die Managementpraxis", 2. Aufl., Heildeberg, 1998, 118-159 , 133 :ebd.

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schlecht immer wieder andere Systeme Jnfizieren' konnen. In den Systemen kommt es dann zur Ausbildung von Erwartungen, die, weil sie sich an als geschlechtljch verstandenen Personen orientjeren, geschlechtsdifferenzjerende Erwartungen sind.'"*^^ „Die Beobachtung von Individuen durch die Organisation erfolgt.. unter rein funktionalen Gesichtspunkten. Diese Art der Beobachtung wird in der Systemtheorie mit dem Konzept der .Form Person' beschrieben. Individuen werden nur in dem fur die Organisation funktional relevanten Ausschnitt als .Person' erfasst."^^^ Die Form Person findet sich als ein Teil einer Trilogie in der Stelle wieder. Die Stelle bildet nach N. LUHMANN"^^^ den Mikrokosmos einer Trilogie von Entscheidungsprogrammen, Kommunikationswegen und der Person. Sie soil als Kombination dieser drei Entscheidungspramissen Redundanz^^^ und Varietat"*^^ in Organisationen zusammenbringen und auspendeln. Die drel Entscheidungspramissen sind stets interdependent zu sehen. Entscheidungsprogramme (Zweckund Kondltionalprogramme) sind Regelwerke, Arbeltsplane oder Verfahrensanweisungen. Auf Kommunikationswegen zirkulieren Informationen u.a. in Form von z.B. Mitzelchnungsbefugnissen und Ruckspracheregelungen mit Bindungswirkung im System. Sie regein die Kommunikation der Organisationsmitglieder untereinander und nach auHen. Personen stellen als dritte Komponente der Stelle dem Entscheidungsbetrleb Korper und Geist, Reputation und personliche Kontakte zur Verfugung..."^^^. Hierdurch kommt es - je nach Person - zur Ausweitung oder Einschrankung dessen, was in einer Organisation entschieden wIrd und entschleden werden kann. Personen sind im Gegensatz zu Programmen kaum veranderbar. ..Wenn man eine Person kennt, kann man sich leicht eine Vorstellung davon machen, wie sie entscheiden wird und man kann im Hinblick auf eine solche Vorstellung auswahlen, was man ihr sagt und was man ihr verschweigf ."^^^ Zwar lassen sich Personen - im Unterschied zu Programmen als ein festgeschnurtes Paket von Entscheidungspramissen im System von einer Position auf andere versetzen, aber auch diese interne Mobilitat ist nicht sehr hoch, weil sie sehr rasch mit fachlicher und mit personaler Spezifikation, mit .Transaktionskosten' und mit personllchen Praferenzen kollidiert."'^^®

"^^^ Welnbach, C. und Stichweh, R.: a.a.O.: 35f. ^^^ Ohiendieck, L.: Gender Trouble in Organisationen und Netzwerken. In: Pasero, U. und Weinbach, C : Frauen, IVIanner, Gender Trouble. Systemtheoretische Essays. Frankfurt a.M. 2003, 1 7 1 - 1 8 5 ^^^ Luhmann, N.: Organisation, 176 ^^^ im Sinne von zu Struktur geronnen Informationen und damit strukturellen EinschrSnkungen von Entscheidungszusammenhangen; dass, worauf sich ein autopoietisches System angesichts uberraschender Umweltereignisse zunSchst einmal zuruckziehen kann ^'^^ im Sinne von Verschiedenartigkeit von Entscheidungen, die ein System als eigene Entscheidungen produziert (und damit zu verkraften hat) Luhmann, N.: Organisation, 177 '*^^ Luhmann, N.: Organisation, 177f. ^^^ Luhmann, N.: Organisation, 178

120

Durch die Bundelung dieser drei Formen von Entscheidungspramissen: Entscheidungsprogrammen, Kommunikationswegen und Personen, die je als kontingent zu betrachten sind (sie konnen so, oder auch ganz anders sein), kann man eben diese Entscheidungspramissen durchaus als selektiv veranderbar auffassen. „Alles konnte geandert werden und alios konnte anders sein."'^®^ Es ist mithin eine gewisse VarlabilitSt in dor Praferierung dor drei Entscheidungsprogramme moglich. Wenn ein Altenheim als Organisation wenig wort auf qualifiziertes Personal legt, mussen sicherlich die Anforderungen an die Kommunikationswege (Dienstanweisungen etc.) oder die Qualitat der Entscheidungsprogramme (Arbeitsplane etc.) hoher sein. Urn innerhalb der Organisation ein gewisses Mafi an Redundanz slcherzustellen und um Redundanz mit Varietat ...zu rekombinieren, hat man die Vorstellung der .Stelle' (Positionen, Planstellen o.a.) erfunden."'^®'' Im alltagllchen Verstandnis signalisiert die Anzahl der Stellen, wie grofl eine Organisation ist. „Daruber hinaus macht eine Stellenstruktur jedoch die Redundanz des Systems transparent. Man kann jede Stelle als eine Komblnation aus programmatischen, netzwerkartigen und personalen Entscheidungspramissen ansehen: Die Stelle hat eine Aufgabe, gehort zu einer bestimmten Abteilung und ist mit einer Person besetzt.""^®^ In der Kombination der vorgenannten drei Entscheidungspramissen stellt N. LuHMANN test: Jewells festgelegte Bestimmungen llmitieren .. den Spielraum fur die Anderungen der anderen.'"*®^ D. h., die Stelle ist stets ein interdependentes Konstrukt aus den drei Entscheidungspramissen. Werden Entscheidungsprogramme bzw. Kommunikationswege verandert, so verandern sich auch die Anforderungen an die Person. N. LUHMANN sieht hierbei gewisse Einschrankungen: „Man kann besetzte Stellen nur dann verlegen, wenn die Person sich in einen anderen Aufgabenkontext einfugen lasst. Bel freien Stellen hat man groflere Beweglichkeit, aber auch dann konnen zum Beispiel Unterstellungsverhaltnisse nicht ohne Rucksicht auf Aufgaben entschieden werden und nicht ohne Prajudizlerung der dann zu treffenden Personalentscheidungen.'"*^ Personen kommt also im Mikrokosmos Stelle eine entscheidende Bedeutung zu. Personen sind aber weder psychische noch soziale Systeme. Sie stellen vielmehr als kommunikative Wirklichkeiten soziale Adressen fur Kommunikation dar. Jn der Form Person kann das psychische System die sozial an es gerichteten Erwartungen erkennen, umgekehrt signalisiert die Form Person die soziale Relevanz des psychischen Systems.""^^^ Zudem dienen Personen der strukturellen Kopplung von psychischen und sozlalen Systemen.

Luhmann, N.: Organisation, [ Luhmann, N.: Organisation, : Organisation, : Organisation, Organisation, ,a.a.O., 184

ebd. ebd. ebd. ebd. ebd

121

8.

Organisationstauglichkeit als personaler Selektionsmechanismus

Wie oben bereits ausgefuhrt, werden die Operationen der gesellschaftlichen Funktionssysteme durch Organisationen eingeschrankt. Dies geschieht nach M. BEETZ durch drei Restriktionsm6glichkeiten uber die Organisationen verfugen: a) organisationsabhangige Komplexitatsgrenzen b) personelle Selektion c) Beschrankungen der Perspektive der Organisationsmitglieder Im ersten Fall (a) legen die Organisationen aufgrund Ihrer jeweiligen Komplexltat dem Funktionssystemen Grenzen im Hinblick auf ihre Operationen auf. Die Operationen eines Funktionssystems miissen sich stets „...in organisatorisch handhabbare Formen iibersetzen lassen.""^®® Pflege muss durch Pflegeorganisationen bearbeitbar sein, Krankheit durch Arztpraxen und Krankenhauser etc. Fur den hier thematisierten Kontext interessieren aber vor allem die nachsten beiden Restriktlonsformen. Im zweiten Fall (b) kann festgestellt werden, dass einer Person, die sich „...als nicht organisationstauglich erweist, ... die ZugSnge zu den zentralen Kommunikatlonsprozessen versperrt [sind]", denn funktionsspezifische Karrieren [sind] nur uber ein Arrangement mit den entsprechenden Organisationen m5glich. (...) Dies wird noch einmal verscharft dadurch, dass selbst geborene Fuhrungspersonlichkeiten sich allererst innerhalb der Organisationshierarchien hocharbeiten mussen, sich also zunachst in den niedrigeren DIenstgraden zu bewShren haben.""^®^ Die Organisation regelt bereits uber Zugangsberechtigungen (mit Hilfe je eigener Passungskriterien) wer wohin aufsteigen darf, kann oder soil. M. BEETZ verdeutlicht die hohe Relevanz der Kommunikationsprozesse und damit die Bindungswlrkung von Kommunikationswegen (i. S. N. LUHMANNS). Das ..Arrangement mit den Organisationen" (M. BEETZ) lauft quasi uber die Beachtung der organisationsspezifischen Kommunikationswege. Das setzt auch fur (neue) Fuhrungskrafte zunachst eine intensive Analyse des Kommunikatlonsnetzes voraus, um die entsprechenden Kommunikationswege verstehen und nutzen zu konnen. Im dritten Fall (c) ist festzustellen, dass Organisationsmitglieder .....oftmals keinen Einblick in die funktionssystemspezifischen SinnvenA^eise haben, sondern sich statt dessen an dem orientieren, was die Organisation von ihnen verlangt. Nicht alle MItglieder einer Organisation sind Experten im entsprechenden Funktionssystem (...) und deshalb auf eine Orientierung an organisationsinternen Kriterien angewiesen, die sich nicht immer mit dem decken konnen, was aus Sicht des Funktionssystems rational ware.'"^®® Man kann also von einer organisationalen Kurzsichtigkeit der Organisationsmitglieder sprechen, die ihnen in der Organisation selbst eine genauere Orientierung vermittelt, als eine funktionssystemspezifische Weitsicht dies zu lelsten im Stande ist. Ein organisationsinternes Kriterium, welches den Blick auf funktionssystemspezifische SinnvenA^eise verstellen kann, stellt ^'' Beetz, M.: a.a.O., 43 ^®® Beetz. M.: a.a.O., 44

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in der Altenpflege zunehmend die Prasentation eines Qualitatsmanagementsystems als Marketingeffekt dar. Ein Qualitatsmanagementsystem verbessert jedoch nicht unbedingt - funktionssystem-relevante - Qualitat der (auf einer SubjektSubjekt-Beziehung basierenden) pflegerischen Interaktion. M. BEETZ hat parasitare Effekte von Organisationen auf Funktionssystenne hin untersucht. „lm Gegensatz zu einer symbiotischen Verbindung zweier Parteien mit gegenseitigem Nutzen kann von einer parasitaren Bezieiiung .. nur gesprochen werden, wenn diese den Wirt auch in irgendeiner Weise in seinen Operationen beeintrachtigt.'"^®^ M. BEETZ kommt zu der Erkenntnis, dass hiervon immer dann gesprochen werden kann wenn der legitimatorische Schutz funktionssystemischer Strukturen unter Verletzung der Synchronizitat von Funktionssystem und Organisation von organisatorischer Seite ausgenutzt wird zur Verfolgung eigener (Selbsterhaltungs-) Interessen, wenn es also eine (offene) Diskrepanz gibt zwischen organisationsgerechten Optionen und Rationalitaten im SInne des offiziellen funktionssystemspezifischen Selbstbildes."'^^^ Urn im o. a. Beispiel zu bleiben, lasst sich auch dies anhand der Einfuhrung von Qualitatsmanagementsystemen veranschaulichen. Wenn bei der Einfuhrung eines Qualitatsmanagementsystems in den Heimen Marketingaspekte Vorrang genlefien vor der Entwicklung der Pflegequalitat, dann kann dies Einfluss auf das Funktionssystem Pflege haben und seine funktionssystemspezifischen Strukturen tangieren. Dies, well die Eigeninteressen der Organisationen nicht synchron zu den primaren Aniiegen des Funktionssystems (gesellschaftliche Sicherstellung einer akzeptablen Pflege) gehen. M. BEETZ differenziert drei Formen dieses parasitaren Verhaltnisses zwischen Funktionssystemen und Organisationen, von denen wir - in Replik auf die vg. „personelle Selektion" als Einschrankung der Funktionssysteme durch die Organisationen - eine im Folgenden aufgreifen wollen'^^\ Karrieren erfordern eine gewisse Organisationstauglichkeit (s. o.). „Aufgrund der Unscharfe und Zerbrechlichkeit funktionssystemspezifischer Kriterien dienen organisationsbezogene Kriterien (Positionen in Organisationen, Karriereverlaufe) als Ersatz fur andere Statusindikatoren. (...) Dies fuhrt aber dazu, dass die Orientierung an solchen Organisationskriterien erfolgversprechender sein kann als das haltlose Schwimmen in den unsicheren Gewassern der Funktionssystemlogik. Die Gesellschaft scheint denn auch einen speziellen, auf diesen Effekt spezialisierten Typus des Organisationsmenschen hervorzubringen, der just soviel vom entsprechenden Fach versteht, als notig 1st, um nicht grob formale Kriterien zu verletzen, dessen handlungsleitende Kriterien sich aber an der Anhaufung von Organisationsmacht und -wissen orientieren. Die dafur relevanten Fahigkeiten sind offenbar gegenuber einer Auswechslung der Betatigungsfelder innerhalb gewisser Grenzen resistent.""^^^ Wer also einen gewerkschaftlichen Protest organisieren kann, der ^''' Beetz, M.: a.a.O., 91 ^®° Beetz, M.: ebd. ^^^ Die beiden anderen Formen betreffen die „weiten Freiraume fur Entscheidungen", die formal den Kriterien des ubergeordneten Funktionssystems nicht immer entsprechen und gewisse ..Refiexionsnegierungen" (Reflexionsblockaden), die den Sinn des ubergeordneten Funktionssystems konterkarieren (93) : a.a.O., 92ff.

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k5nnte auch andere Organisationsaufgaben in Wirtschaftsuntemehmen bzw. in Wirtschaftsverbanden ubernehmen. „Wenn die Orientierung an solchen organisationsbezogenen Indikatoren bei der Logik der personellen Selektion offensichtlich an Dominanz gewinnt gegenuber einer Orientierung an den Sinnstrukturen der Funktionssysteme und dies sclilieBlich dazu fuhrt, dass eine Selektion anhand von Ideenpotentialen, Kompetenzen und Talent kaum mehr mOglich ist, dann kann mit Recht von einem parasitaren Verhaltnis die Rede seln.'"^®^

' Beetz, M.: ebd.

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VI. Geschlechtsbezogene Selektionsmechanismen in Organisationen 1.

Die ,glaserne Decke' als vertikaler geschlechtsbezogener Selektionsmechanismus

Betrachtet man die Geschlechterverteilung auf den Positionen innerhalb der Hierarchie in stationaren Pflegeeinrichtungen, so kehrt sich der prozentuaie Anteil der Frauen von der Basis zur Spitze hin urn (vgl. Kapitel II.). Auf der Ebene der Geschaftsfuhrung der Heimtrager durfte die komplette Umkehrung des FrauenManner-Anteils anzutreffen sein, denn „...mehr als 90 Prozent der hoheren hierarchischen Positionen in Wirtschaft, offentlicher Verwaltung und Politik sind von Mannern besetzt.""^^ Urn aus systemtheoretischer Perspektive dem Versuch einer Klarung dieses Phanomens nachzugehen, greifen wir im folgenden die Auseinandersetzung urn den .glass ceiling effect' auf, die in der jungeren Zeit vor allem von D. BAECKER (2003), C. WEINBACH (2003) und L. OHLENDIECK (2003)"^®^ gefuhrt wurde. Der Begrlff .glass ceiling effect' geht auf A. M. MORRISON et. a\^^ zuruck, den diese als glaserne Decke bzw. als Glasdach beschrieben haben, welche(s) verhindert, dass Frauen in das obere Management aufsteigen konnen. N. LUHMANN greift in seinem ein Jahr spater erschienen Aufsatz ..Frauen, Manner und George Spencer Brown""^^^ den glass ceiling effect nicht auf. Deshalb soil dieser Beitrag an dieser Stelle auch unberucksichtigt bleiben"*^^. ..Der glass ceiling ist ein Arbeitsbegriff fiir ein empirisch als Erwartungsdifferenz beobachtbares, zunachst aber noch unverstandenes Phanomen.... (...) Unterhalb bestimmter Ebenen in einer Organisationspyramide kommen Frauen anteilig in groRerer Zahl vor als oberhalb dieser Ebene.'"^^^ ,.Es scheint so, als ware das organisatorische Milieu, in dem sich hohere Fuhrungspositionen befinden, irgendwie mit dem im weitesten Sinne Kommunikations- und Verhaltensstil und der berufsblographischen Entwicklung von Frauen unvereinbar, avers, stolie sie ab bzw. halte sie unter dem oft zitierten .Glasdach' zuruck, das verhindert, dass sie bis zu der jeweiligen Spitzenposition aufsteigen, auch wenn immer wieder auf ihre positiSimon, F.B.: Radikale Marktwirtschaft, 151 ^^^ Die zentralen Beitrage der genannten Autor/innen hierzu finden sich in: Pasero, U. und Weinbach, C : Frauen, Manner, Gender trouble. Systemtheoretische Essays, Frankfurt a.M. 2003 (D. Baecker 125 - 143; 0. Weinbach 144 - 170; L. Ohlendieck 171-185) ^^^ Morrison, A.M., White, R.P., Van Velsor, E.: "Breaking the Glass Ceiling: Can Women Reach the Top of America's Largest Corpotations?, 2. Aufl., 2000, Reading, Mass. (USA) ^^'^ zunSchst veroffentlicht in: Luhmann, N.: Protest. Systemtheorie und soziale Bewegungen, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1997, 107 - 155; spater wieder veroffentlicht in: Pasero, U. und Weinbach, C : Frauen, Manner, Gender Trouble, 15-62 ^^^ Im genannten Beitrag ging es N. Luhmann auch nicht um die Diskussion der Geschlechterdifferenz in Organisationen, sondern um eine kritische (und in Teilen ironische) Auseinandersetzung mit den zu jener Zeit aktiven Frauenbewegungen vor dem Hintergrund des Formkalkuls nach G. Spencer Brown. ^^^ Ohlendieck, L.: Gender Trouble in Organisationen und Netzwerken. In: Pasero, U. und Weinbach, C : Frauen, Manner, Gender trouble. Systemtheoretische Essays, Frankfurt a.M. 2003, 171 185

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ven Beitrage zur Organisation durch ihre besondere Sozialkompetenzen hingewiesen wird."^°° D. BAECKER geht der Frage nach, warum es diese Differenz an der Spitze organisationaler Hierarchien gibt, wahrend „...es niciit nur semantisch, sondern vielfach aucii strukturell gelungen ist, diesen Unterschied auf vielen Ebenen zu minimieren? Wie kommt es, dass man in einer aufgeklarten Gesellschaft eingesehen hat, dass Frauen auf Spitzenpositionen ebenso selbstverstandlich vorkommen konnen sollten wie Manner, eine Umsetzung dieser Einsicht in eine entsprechende Praxis aber fast nirgendwo gelingt?"^^'' In einem ersten Schritt distanziert sich D. BAECKER von der rein bipolaren Differenz IVIanner - Frauen und geht in seiner Analyse davon aus, dass es sich urn ein mindestens vierstelliges Phanomen..."^°^ handelt und „...dass jederder vier genannten Stellen (oder jedes der vier Elemente) unseres Phanomens seine ,1dentitat' nicht nur aus der eigenen Qualitat, sondern auch aus dem Bezug auf alle anderen Stellen, genauer: aus der Moglichkeit, diesen Bezug von beiden Seiten her zu ,kontrollieren', bezieht."^°^ Das heifit, es kommt zu Emergenzen, die nIcht aus dem einzelnen Element heraus erklarbar sind, sondern aus der spezifischen Beziehung der Elemente untereinander. „Elne Frau ist nur eine ,Frau', wenn es ihr gelingt, den Mann dazu zu bringen, sich als einen ,Mann' Ins Spiel zu bringen, der eine Ahnung davon hat, was eine Frau ist und sein kann und von einem Mann erwartet - und umgekehrt. Eine Organisation, ..., ist nur eine Organisation, wenn sie sich In der Gesellschaft von der Gesellschaft unterscheidet, auf die sie sich im Rahmen dieser Unterscheidung bezieht - und umgekehrt muss die Gesellschaft immer wieder Mittel und Wege finden, sich als eine .Gesellschaft' zu erweisen. In der es zwar Organisationen gibt, die sich jedoch mit diesen nicht venA/echselt."^°^ In einer rein bipolaren Betrachtung (Frauen - Manner bzw. Organisationen Gesellschaft) konnen bestehende Asymmetrien leicht zugunsten einer ,vernachiassigten' Seite ausbalanciert werden. Das gilt fur die Geschlechterdifferenz Frauen Manner, wie fur die Differenz zwischen Gesellschaft und Organisationen. In einem netzwerktheoretischen Verstandnis, das von D. BAECKER hier zur Analyse herangezogen wird, ist diese eindimensionale Balance nicht so ohne weiteres leistbar. In dem Moment, wo es im Rahmen einer prinzipiellen Resymmetrisierbarkeit von Asymmetrien zu stabllen Verhaltnissen kommt, rufen die Asymmetrien (zwischen Mann und Frau oder auch zwischen Organisation und Gesellschaft) „...lm Bezug der beiden Seiten aufeinander... dritte und vierte Referenzen..."^°^ auf, die dann die Asymmetrie (erneut) unterstreichen. Das heiflt, dort wo ein Ausgleich im Sinne von Gleichberechtigung zwischen Frauen und Mannern angestrebt wird, kommt es zu einem Rekurs auf weitere Elemente des Netzwerks (z.B. der or^°° Wolf, M.: Frauen und Manner in Organisationen und Leitungsfunktionen. Unbewusste Prozesse und die Dynamik von Macht und Geschlecht", Frankfurt a.M. 2002,11 ^^ Baecker, D.: ..MSnner und Frauen im Netzwerk der Hierarchie". In: Pasero, U. und Weinbach, C : ..Frauen, Manner, Gender trouble. Systemtheoretische Essays", Frankfurt a.M. 2003,12 ®°^ Baecker, D.: Manner und Frauen, 126 ^^ Baecker, D.: Manner und Frauen, 130 ^""^ Baecker, D.: Manner und Frauen, ebd. ^^ Baecker, D.: Manner und Frauen, 130

126

ganisationalen Hierarchie) der verhindert, dass es zu einer Symmetrie zwischen den Geschlechtern kommt. Umgekehrt konnen - so D. BAECKER - bestimmte Referenzen, wenn sie aufgerufen werden, auch dort wo die Asymmetrie unversOhnlich wird, eine Symmetrie in Reichweite rucken."^°® Das gilt in Organisationen z.B. Im Hinblick auf das rechtliche Gebot der geschlechtsneutralen Ausschreibung von Stellen gemaft § 611a BGB. Solche Programme (Gesetze) aus dem Funktionssystem Recht versorgen die Organisation mit egalitaren Orientierungen ihres ansonsten durchaus asymmetrischen Entscheidungsverhaltens. D. BAECKER lasst offen, inwiefern dieser Rekurs auf weitere Elemente des Netzwerks inneriiaib einer Organisation ein Entscheidungsprogramm der Organisation selbst darstellt und ob die Entscheidungen, die nach diesem Programm getroffen werden, Ausdruck bestimmter Redundanzen sind (im Sinne von zu Strukturen geronnenen Informationen, auf die sich die Organisation als autopoietisches System zurijck Ziehen kann). Eben dies ist jedoch zumindest dort zu vermuten, wo aus Sicht eines Beobaciiters der vorgenannte Rekurs auf bzw. der Aufruf weiterer Referenzen als strukturelle Einschrankung von Entscheidungszusammenhangen erkennbar wird. Es ist unseres Erachtens somit nicht auszuschliefien, dass bestimmte Entscheidungsprogramme in Organisationen Asymmetrien zwischen den Geschlechtern verstarken bzw. reduzieren. Es ist weiterhin nicht auszuschlieden, dass Organisationen sich auf diese Programme beizeiten zuruckziehen (vgl. Kapitel V. Pkt. 4). Vor dem Hintergrund dieser netzwerktheoretischen Argumentation versucht D. BAECKER nun die Aufmerksamkeit des Beobachters auf die Wirkungsweise des ,glass-ceiling-effects' zu lenken. Seine These lautet, „...dass es einen Mechanismus gibt, der Manner wie Frauen jede hierarchlsche Stellung zueinander akzeptieren lasst, solange der Frau mindestens ein Mann vorgeordnet ist, diese Akzeptanz jedoch in genau dem Moment venA^eigert, in dem die Frau eine Position zu erreichen .droht', in der ihr kein Mann mehr vorgeordnet ist."^°^ Damit „ubersetzt" er den .glass ceilling effect' in eine Netzwerkstruktur von Hierarchie und Kommunikation. „ln einer Hierarchie ist nahezu jede Verteilung von Mannern und Frauen auf ihren Positionen moglich, solange ein Mann an der Spitze steht."^°® Das ermoglicht die Feststellung, dass es Mannern wesentlich leichter fallt, sich im beruflichen Kontext einer Frau unterzuordnen, wenn dieser Frau wiederum ein Mann vorgeordnet ist. „Sowohl das Akzeptieren von Anwelsungen als auch das Arrangieren innerhalb einer Hierarchie und das Steuern ihrer Reichweite fallt offensichtlich leichter, wenn sie sich im wesentlichen, unter Einschlufi von Frauen, zwischen Mannern abspielt. Selbst Frauen, das ist der Sinn dieser These, fallt dies leichter. Auch sie markieren die hierarchischen Eckpunkte mannlich..."^°^. Auch R. LANGE verweist darauf, dass Frauen und Manner haufig in ahnlicher Weise aufgrund bestimmter, sich wechselseitig erganzender Interessen bei 506

Baecker, D.: Manner und Frauen, 131

^°^ Baecker, D.: Manner und Frauen, 131 ^°® Baecker, D.: Manner und Frauen, ebd. ^°® Baecker, D.: Manner und Frauen, 132

127

der Verteidigung geltender Herrschaftsverhaltnisse mit(wirken), denn neben materiellen Interessen, die sie so befriedigen konnen, fuhrt insbesondere die heterosexuelle Orientierung und die damit verbundenen (Liebes-)Vorstellungen an ein geschlechtsgerechtes Verhalten dazu, dass viele Frauen und Manner sich weiter an bipolaren VerhaltensenA/artungen aufgrund von geselischaftiiciien Zuschreibungen orientieren und an tradierten Geschlechterbildern festhalten. Das ist ein fur die Herrschaftssicherung (der Manner, A. d. A.) zentraler Zusammenhang."^''^ Hier sei auch auf die in Kapitel VIII. beschriebene Funktionsweise von mannerbundischen Stmkturen zur Stabilisierung dieser Herrschaftsverhaltnisse ven/viesen. In der Fortfuhrung dieser Logik kommt D. BAECKER ZU der Erkenntnis, dass Frauen „...in ihren Bemuhungen urn Karriere einen wesentlich grolleren Ehrgeiz an den Tag legen [mussen], solange es noch Manner uber [ihnen] gibt, als wenn dies nicht der Fall ist..."^^\ D. BAECKERS Auffassung deckt sich mit der von C. WEINBACH aus der Attributionsforschung abgeleiteten These, dass „...die Managerinnen und Managern zugeschriebenen Fuhrungsqualitaten auf unterschiedliche Attributionsmuster basieren."^''^ Wahrend Manner scheinbar selbstverstandlich immer schon Fuhrungsqualitaten besalien, mussen Frauen ,kampfen', urn tatsachlich ihre Arbeit zu meistern."^^^ Ihre Leistung wird auf die variable Bedingung „Anstrengung" zuruckgefuhrt, „...mit der daraus folgenden Annahme, dass sie nicht so gut wie Manner zur gerade in Entscheidungspositionen notwendigen Absorption von Unsicherheit tauggi^ ..514 515 vvahrend sich Manner als Fuhrungskrafte eignen, bis das Gegenteil zutage tritt, mussen Frauen ihre Fuhrungskompetenz erst unter Beweis stellen, ehe man sie ihnen zubilligt."^^^ C. WEINBACH gelangt zu der Feststellung, dass die geschlechtstypischen Attribuierungen auf .Anstrengung' und .Fahlgkeit', hinter denen sich die Schematismenkombinationen internal/variabel und internal/konstant verbergen, .. die ,eigentlichen' Mechanismen fiir die soziale Inklusion und Exklusion in geschlechtsbezogener Hinsicht (sind): Weibliches Entscheidungshandein gilt aufgrund des entsprechend strukturierten Stereotyps Managerin als riskant, well weniger stabil."^^^ Wobei die Kategorie .Fahlgkeit' (internal und konstant) eher Mannern, die Kategorie .Anstrengung' (internal und variabel) eher Frauen zugeschrieben wird.

^^° Lange, R.: GeschJechterverhaitnisse im Management von Organisationen, Munchen und Mering

1998,71 ^^^ Baecker, D.: Manner und Frauen, 132 ^^^ Weinbach, C : Die systemtheoretische Alternative zum Sex-und-Gender-Kozept: Gender als geschelchtsstereotypisierte Form .Person'. In: Pasero, U. und Weinbach. C : Frauen, Manner, Gender trouble. Systemtheoretische Essays. Frankfurt a.M. 2003.144-170 ^^^Weinbach.C.:a.a.O., 155 ^^^ Weinbach, C.:ebd. ^^^ Vgl. hierzu die Unterscheidung von identifizierenden und zugeschhebenen Merkmalen in Kapitel IV ^^® Simon. F.B.: Radikale Marktwirtschaft. 150 ^^^Weinbach, C.:a.a.O.. 157

128

2.

Systematisches Mehrdeutigkeitsversagen und daraus resultierende Zuschreibungen

Urn jedoch die Frage beantworten zu konnen, weshalb es nicht zu einer dauerhaften Veranderung der mannlich-hegemonjalen Verhaltnlsse kommt und um zu klaren, weshalb Frauen nur als Zufalle, Unfalle Oder Musterfalle an der Spitze ertragen werden, also mit Ven/veis auf ein Versagen der Kommunikation, eine Unaufmerksamkeit der Organisation oder einem Kotau vor der Gesellschaft"^^® bedarf es einer genaueren Auseinandersetzung mit einem weiteren „Mechanismus", der dafur sorgt, dass Frauen die vorherrschenden Kommunlkations- und Entscheidungsbedingungen akzeptieren - und Manner diese aufrecht erhalten. Zur Klarung dieser Frage greift D. BAECKER auf einen Begriff von E.M. LEIFER zuruck, mit dem dieser „..im Rahmen einer interaktionstheoretischen und netzwerktheoretischen Uberlegung auf den Punkt gebracht [hat], dass die Identitatsrollen, die individuelle Akteure zum Beispiel als .Manner' oder .Frauen' ubernehmen, keine Determinanten der sozialen Situation sind, in denen diese sich mit einer mehr oder minder bereitwilligen Ubernahme dieser Rollen bewegen"^^®. E.M. LEIFER spricht von so genannten .ambiguity failures' (i. S. v. .Mehrdeutigkeitsversagen', A. d. A.). Bevor man eine eindeutige Rolle ubernimmt, versucht man „..sich und den anderen nicht festzulegen, das heifit, so mehrdeutig (inklusive zweideutig) miteinander umzugehen wie irgend m6glich."^^° Man versucht somit ein gewisses Mad an Kontingenz in der Interaktion aufrecht zu erhalten, um damit die Komplexltatsdifferenz zwischen sich und seiner Umwelt (und ihren moglichen En/vartungen) zunachst so gering wie moglich zu halten. Das kann zu Beginn von Bewerbungsgesprachen ebenso beobachtet werden wie in anderen beginnenden Geschaftsbeziehungen. Dieses Verhalten sichert verschiedene abrufbare Passungsmogllchkeiten. Im vorliegenden Kontext bedeutet dies jedoch, .....die und den anderen gerade nicht als Mann oder Frau, als Vorgesetzte oder Vorgesetzten, als Untergebene Oder Untergebenen anzusprechen, sondern alle diese Identitatszuschreibungen offenzulassen."^^"" Damit ist nicht gemeint, dass man sich von seinem Geschlecht distanziert bzw. versucht, geschlechtslos behandelt zu werden. Es bedeutet vielmehr, dass der Versuch unternommen wird, die geschlechtlichen Identitaten nicht in den Vordergrund zu rucken. ..Denn diese Identitaten vermittein nichts, sondern sind ihrerseits bereits Rollenzuschreibungen und damit .ambiguity failures'".^^^ Damit wird die Geschlechterkategorie als solche nicht in Abrede gestellt, jedoch bedeutet die Kategorie .Geschlecht' ja nicht, dass sich alle Personen ihr primar zuordnen mijssen. Allerdings fuhrt der Zusammenbruch von Mehrdeutigkeit in der Kommunikation zu Festlegungen im Hinblick auf die weiteren Kommunikationen, die moglicherweise nicht von den an der Kommunikation beteiligten Personen intendiert wa-

: Manner und Frauen, ebd. ' Baecker, D.: Manner und Frauen, ebd. • Baecker, D.: ebd.

129

ren: „Kommt es zu .ambiguity failures', ist die Kommunikatlon nur noch damit besciiaftigt, die Folgen der daraus resultierenden Rollenerwartungen, Identitatsanspruche und Handlungszuweisungen zu bedienen."^^^ Das hel(it, das Versagen von IVIehrdeutigkeit und die daraus resultierende Hinterlassensciiaft geschlechtsspezifischer Eindeutigl<eit fuhren mitunter dazu, dass dort entsprechend geschlechtsbezogen (weiter) l
^^^ Baecker, D.: a.a.O., 134 ^^^ Baecker, D.: ebd. ^^^ Baecker, D.: Manner und Frauen, a.a.O., 138

130

CKER - vor allem dort auf, wo Frauen sich auf Leitungspositionen bewerben bzw. Trager (im seltenen Fall) beabsichtigen, Frauen in Leitungspositionen zu berufen. Damit ist der 'glass ceiling effect' „...das Ergebnis von .ambiguity failures' auf breiter Front. Weder Mannern noch Frauen gelingt es, In dem Moment, in dem eine Frau einen Anspruch auf eine Spitzenposition in einer Hierarchie erhebt oder nahegelegt bekommt, auf die Attribution der geschlechtlichen Identitat zu verzichten."^^^ Aber was ist mit den Fallen, in denen sich Frauen in Spitzenpositionen befinden, in polltischen Organisationen, wie in Wirtschaftsorganisationen, in Pflegeeinrichtungen und ihnen kein Mann (im Vorstand etc.) mehr vorgesetzt ist? „Die wenigen Falle, in denen der Glashlmmel durchbrochen wird, mussen nach dieser Uberlegung Falle sein, in denen es gelungen ist, die Mehrdeutigkeit der Identitatszuschreibungen aufrechtzuerhalten und somit klarzumachen, dass die Kommunikation unbestlmmt (oder multioptional) bleiben wird, obwohl sie auf eindeutige Weise durch eine Frau an der Spitze bestimmt ist. (...) Man bewaltigt eine Karriere, ohne die Tatsache zu akzentuieren, also folgenrelch werden zu lassen, dass man eine Frau ist - und im letzten Moment akzentuiert man, also frau, genau dieses. Man ist eine Frau, und niemand kann daruber hinwegsehen."^^^ „Den Glashimmel durchbricht, wem es gelingt, bestimmte Identitatszuschreibungen und die damit einhergehenden Rollenzuschreibungen zu vermelden und darin die Mehrdeutigkeit an den Tag zu legen, die als Fuhmngsqualifikation ausgelegt werden kann."^^^ Wem es also gelingt, trotz Akzentuierung der Rollenen/vartungen unter dem Fokus des jeweiligen Geschlechtsstereotyps, kelne Spezifizierung Im jeweiligen Verhalten als Frau bzw. als Mann („angemessen" / „unangemessen") zuzulassen und damit Mehrdeutigkeit aufrecht zu erhalten, hat eine Chance, die ,glass ceilings' zu durchdringen (vgl. Kapitel IV. Abb. 2). Damit steht fur D. BAECKER fest: „Der Mechanismus, nach dem wir suchen, besteht in der Auflosung einer Identitatszuschreibung in dem Moment, in dem es darauf ankame, auf diese Zuschreibung zu verzichten, um auch in der Spitzenposition einer Hierarchie jene Unbestimmtheit an den Tag legen zu konnen, die als laufende Bedingung der Reproduktion bestimmter durch unbestimmter Kommunikation sozial unerl^ssllch Ist."^^^

3.

Netzwerke und ,glass walls' als horlzontale geschlechtsbezogene Selektionsmechanismen

Organisationen verfugen durchaus uber geschlechtsbezogene Selektionsmechanismen, die Wirkung auf ihre Mitglleder entfalten. Das Geschlecht ist in Organisationen - anders als In Funktionssystemen - ein Inklusions- und Exklusionskriterium (vgl. Kapitel V.). Findet die Exklusion von Frauen aber nur dort statt, wo diese Im Laufe ihrer Karriere einen Anspruch auf Leitungsfunktionen anmelden? Und kommt

^^^ Baecker, D.: Manner und Frauen, 140 ^^® Baecker, D.: Manner und Frauen, ebd. ^^^ Baecker, D.: Manner und Frauen, ebd.

131

es nur dann zu den von D. BAECKER beschriebenen .ambiguity failures'? Was passiert auf den so genannten unteren Ebenen in der Hierarchie, in den Arbeitsfeldem und Arbeitsbereichen? 1st davon auszugehen, dass dort keine geschlechtsbezogenen Selektionsmechanismen wirken? L. OHLENDIECK hat sicii diesen Fragen in seinem Essay „Gender Trouble in Organisationen und Netzwerken"^^° zugewandt. Er konstatiert, dass die Geschlechter erst in der Gegenwart in einen Wettbewerb urn dieselben Positionen eingetreten"^^^ sind. Hierbei betrachtet er das Phanomen der geschlechtlichen Trennung in der segmentierten und in der stratifikatorlschen Gesellschaftsform im Verhaltnis zu seiner Bedeutung in der modemen funktional differenzierten Gesellschaft. „Wahrend die geschlechtliche Trennung fruher zu einem groflen Teil uber formale Zulassungskriterien geregelt wurde - Ausschlufi der Frauen aus der hoheren Bildung, Aberkennung von politischen Rechten (in der Schweiz noch bis 1971), keine allgemeine Rechts- und Geschaftsfahigkeit, Berufsverbote und Sonderschutzgesetzgebung ... und die Exklusion entsprechend eine direkte institutionelle Basis hatte, mud sie heute vermehrt von den Handelnden aktiv hergestellt und symbolisch bekraftigt bzw. indirekt reguliert werden. Damit wird die Geschlechterdifferenz zunehmend abhSngig von spezifischen Kontextbedingungen und verliert gleichzeltig an Stabilitat."^^^ „Die Arbeitsbereiche von Frauen und Mannern waren somit (in fruheren Gesellschaftsformen, A. d. A.) strong segmentiert - die Geschlechter besetzten zum einen unterschiedliche Aufgabenfelder und zum anderen unterschiedliche hierarchische Positionen. (...) Entscheidend ist jedoch, dass die Segmentierung keinerlei Konkurrenz zwischen den Geschlechtern zulieH. Denn durch die strikte Trennung der Aufgabenbereiche und die klaren Subordinationsverhaltnisse zwischen Mannern und Frauen eroffneten sich In den traditionellen Organisationen fur Frauen fast keine Karrlerechancen."^^^ Frauen besa(len keinen Zugang zu den zentralen Bereichen des Unternehmens .. und [waren] auch in ihren Tatigkeitsbereichen zumeist in untergeordneter Stellung tatig..."^^^. Durch die spatere .....starkere Binnendifferenzierung der Organisationen [wird] die rigide Gesamtstruktur der Organisation aufgelost in vergleichsweise autonome Arbeitsbereiche, die durch ihre relative Eigenstandigkeit der Bewaltigung von Aufgaben besser gewachsen sind."^^^ Die Leitung dieser autonomen Betriebsbereiche wird auf professionelle Mitarbeiter ubertragen. „So entsteht ein neuer Typus der Betriebsleitung: Dies ist die Geburtsstunde des Managements (Hughes 1991)."^^® Fur diese Funktionen haben Frauen uber gleiche Qualifikationen wie Manner dieselben Zugangsberechtigungen en/vorben."^^^ Bedingt durch die Offnung der Universitaten fiir Frauen, erhalten diese die Moglichkeit, ein Studlum anf^° Ohlendieck, L: a.a.O., 171 ' Ohlendieck, L.: a.a.O., ebd. ^^^ Heintz, B. und Nadai, E.: Geschlecht und Kontext. De-lnstituionalisierungsprozesse schlechtliche Differenzierungen. Zeitschrift fur Soziologie, Jg. 27, April 1998, Heft 2, 78 ^^^ Ohlendieck, L.: a.a.O., 172-173 ^^^ Kanter, R.M. (1977), zit. n. Ohlendieck, L.: a.a.O., 173 ^^^ Ohlendieck, L.: ebd. ^^® Ohlendieck, L.: ebd. ^^^ Ohlendieck, L.: ebd.

132

und ge-

zutreten und „...eine Berufsqualifikation zu erwerben (durch die sie) mit dem Eintritt in eine Profession erstmalig den Mannern gleichgestellt..."^^® sind. Konkurrenz zwischen Frauen und Mannern entsteht dort wo Professionen in Organisationen eintreten, wie z.B. Mediziner und IVIedizinerinnen im Krankenhaus oder Richter und Richterinnen in der Justiz...".^^^ L. OHLENDIECK unterscheidet iiinsiciitJich der Relevanz der Geschleciiterdifferenz in Organisationen zwischen formalen und informalen Ebenen. Dabei interessiert vor allem die informale Ebene von Organisationen, weil hier in Netzwerken ein „Konkurrenzunterbreclier" wirksam werden kann, der fur die Karriereentwicklung von Frauen und IViannern von entscheidender Bedeutung ist. Im Gegensatz zu D. BAECKER und C. WEINBACH halt L. OHLENDIECK Organi-

sationen fur „geschlechtsblind". Hierbei bezieht er sich auf N. LUHMANNS Unterscheidung von Organisation in ..offiziell" und „privat"^°. „Die Organisation rekrutiert und selektiert das personale Inventar ihren funktionalen Erfordernissen entsprechend. Die Beobachtung von Indivlduen durch die Organisation erfolgt somit unter rein funktionalen Gesichtspunkten. Diese Art der Beobachtung wird in der Systemtheorie mit dem Konzept der ,Form Person' beschrieben. Indivlduen werden nur In dem fur die Organisation funktional relevanten Ausschnitt als .Person' erfasst."^^ Aber auch eine rein funktional ausgerlchtete Rekrutieaing und Selektierung des personalen Inventars geschleht durch die Organisation u. E. nicht geschlechtsbllnd. Vielmehr Ist davon auszugehen, dass Organisationen in der Gesellschaft .....keine Jnsein der Geschlechtsneutralitat' darstellen konnen, sondern vielmehr einer von vielen sozlalen Orten des kontinuierlichen Herstellens von Geschlechterdifferenzen ... und ein Funktionieren von Organisation ohne den Bezug auf Geschlecht nicht denkbar"^^ ist. Entscheidend Ist jedoch, auf welcher Ebene in Organisationen Geschlechterdifferenz relevant wird. Zunachst - so L. OHLENDIECK in Aniehnung an N. LUHMANN - seien individuelle Elgenschaften wie Geschlecht, Hautfarbe, Alter etc. der Organisation gleichgCiltlg. Fur die Organisation ist an der Form Person „...nur das Offizielle relevant, das Private wird ausgeschlossen (Luhmann 1995)."^"^^ Wie 0 . WEINBACH verdeutlicht hat, gilt dies nicht in Interaktionen (s.o.). Hier sind beide Seiten - das Offizielle und das Private - als koprasente Mogllchkeiten von Relevanz. Dort, wo es in Organisationen zu Interaktionen kommt, kann demzufolge das Geschlecht nur bedingt ausgeblendet werden bzw. wird dieses als ein Aspekt von Mehrdeutigkeit zu betrachten seln. L. OHLENDIECK geht davon aus, dass in modernen Organisationen bel abnehmender Erwartungssicherheit und gleichzeitlger Zunahme der Entscheidungsdichte relevante Entscheldungen In Intra- und interorganisationale Netzwerke ^^^ Ohlendieck, L:a.a.O., 143 ^^^ Ohlendieck, L.: ebd. ^^° Luhmann, N.; Organisation und Entscheidung, 96 ^^Ohlendieck, L:a.a.O., 175 ^^^ Wilz, S.M.: Organisation und Geschlecht. Strukturelle Bindungen und kontingente Kopplungen. Opladen2002,12ff. ^"^ Ohlendieck, L.: ebd.. Siehe auch: Luhmann, N.: Die Form ..Person". In: Soziologische Aufklarung 6. Die Soziologie und der Mensch. Opiaden 1995,142-154

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verlagert"^^ werden. Diese informalen Netzwerke, wie Karrierenetzwerke Oder andere Zweckbundnisse...bilden sich vollkommen unabh^ngig von den Organisationszielen heraus."^^ Wo aber liegt der relevante Unterschied zwischen den En/vartungen, die Organisationen herausbilden und den En/vartungen in Netzwerken? IVIit Bezug auf V. TACKE^^ und P. FucHS^^ geht L. OHNEDIECK davon aus, dass Organisationen ihre Mitglieder in der anonymen Form Person beobacliten,...[aber] Netzwerke ihre Angehorigen in der Form der sozialen Adresse wahr[nehmen]."^® V. TACKE entwickelt den Begriff der Netzwerke uber das Konzept der sozialen Adressen „...als eine sekundare Form der Ordnungsbildung in der modernen Gesellschaft.... Im Unterschied zu Systemen, deren Konstitution einem Primat der Problemstellung folgen, bilden sich (personale und organisationale) Netzwerke uber den Primaten der Adresse. Sie konstituieren sich durch eine reflexive Kombination von Moglichkeiten, die mit .polykontexturalen Adressen' - ihrem spezifischen Profil der Inklusion und Exklusion - verbunden sind."^^ „Fur Netzwerke spielen auch individuelle Merkmale eine wichtige Rolle, so dass im Netzwerk die scharfe Trennung der Organisation zwischen offiziell und privat unterlaufen wird. (...) Fur die Funktionstuchtigkeit von Netzwerken besteht geradezu ein Zwang zur Kooperation der Angehorigen, so dass Vertrauen, Bekanntschaft und ein hoher Grad an Kohasion erforderllch sind."^^° Netzwerke bedienen sich der Kooptation^^^ als Auswahlverfahren. „Charakteristisch fur Kooptationsmechanismen ist die Neigung zur Homosozialitat^^^. NetzwerkangehOrige werden aufgrund stereotyper SelbstShnlichkeit - z.B. in Bezug auf Geschlecht - ausgewahlt. So wird Unsicherheit absorbiert, da die Illusion einer zuverlassigen Einschatzbarkeit entsteht. Die zentrale Funktion infomrialer Netzwerke besteht darin, Unsicherheiten im System zu vermindern. Homosozialitat ist die vertrauensbildende Maflnahme schlechthin: Selbstahnliche Individuen erhalten einen VertrauensvorschuR - w i e einen noch nichtgedeckten idiosynkratischen^^^ Kredit."^^ Und noch ein weiterer Unterschied zwischen Organisationen und Netzwerken Ist entscheidend: Wahrend sich Netzwerke „...auf der Basis von konditionierter Vertrauenswurdigkeit..''^^^ bilden und sich somit En/vartbarkeit durch Vertrauen ver^ Ohiendeick, L.: a.a.O., 176 ^^Ohlendieck, L:ebd. ^® Tacke, V.: Netzwerk und Adresse. In: Soziale Systeme 6, 2000, Heft 2, 291 - 320 ^^ Fuchs, P.: Adressibilitat als Grundbegriff der soziologischen Systemtheorie. In: Soziale Systeme

3, 1997, Heft 1,57-79 ^® Ohiendieck, L.: ebd. ^^ Tacke, V.: a.a.O., 291 ^^ Ohiendieck, L.: ebd. ^^^ i.S.v. Wahl neuer Mitglieder einer KSrperschaft durch die alten Mitglieder (vom lat. Cooptatio „Erg^nzungswahl") i.S.v. gleicher Gemeinschaft angehGrend (von grch. homos: gemeinsam, gleich und sozial: dazu gehorend) Idiosynkrasle: angeborene Oberempfindlichkeit gegen bestimmte Stoffe; (fig.) heftige Abneigung, Widen/ville; vom grch: Idio abgl. von grch. idea: Erscheinung, Gestalt, Beschaffenheit, Form + grch. synkrasis: Mischung (Wahrig Fremdw6rterlexikon 1999, 382 u. 383) ^^Ohlendieck,L.: a.a.O., 177 ^^^ Luhmann, N.: Organisation und Entscheidung, 408

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schaffen, stellen Organisationen Erwartbarkeit durch Formalisierung her..."^^^. Diese informellen Netzwerke und ihre Vertrauensmuster .....spjelen eine grofle Rolle bei Personalrekrutierung und Karriereverlaufen. Die Zugehorigkeit zu Netzwerken kann bereits fur den Eintritt in die Organisation entscheidend sein. Fur den Karriereverlauf ist sie in der Regel unerlasslich. Fast alle entscheidungsrelevanten Informationen werden - fur die Organisation nicht sichtbar - in Informalen Netzwerken kommuniziert, sind also nicht als Vorgang in den Akten der Organisation dokumentiert. Im Netzwerk werden Kontakte zu Vorgesetzten geknupft, aber auch zu anderen Netzwerken inner- und aufierhalb der Organisation."^^^ Da Organisationen historisch „...in der Fuhrung und den karriererelevanten Bereichen mannlich besetzt (sind),.. sind auch die informalen Netzwerke lange eingeubte Mannerdomanen. (...) Da solche Mannerbunde sich durch Homosozialitat auszeichnen, sind Frauen nicht kooptationsfShig."^^^ Frauen werden im Sinne der token (R.M. KANTER 1977) als Jremd" und stereotyp wahrgenommen. Hierdurch werden sie vor allem mit familialen und hauslichen Aufgaben assoziiert, so dass sie als berufliche Konkurrenz entwertet werden."^^^ L. OHLENDIECK bewertet die historisch relativ neue Situation der Konkurrenz von Mannern und Frauen auf einer Ebene als die zentrale Ursache fur den ..gender trouble". Mit Bezug auf U. PASERO ^^° kommt er zu folgender Feststellung: ..Nur dort, wo Manner und Frauen in direkter Konkurrenz zueinander stehen, kann das archaische Dual Mann/Frau uberhaupt als Konkurrenzunterbrecher mobilisiert werden. Die Konkurrenzsituation der Geschlechter ist eine unmittelbare Folge der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft..."^®^ Diese Konkurrenzsituation spitzt sich in Situationen des Stellenabbaus bzw. bei knapper werdenden Stellen ebenso zu wie an einer dunnen Spitze..."^®^. In diesen Situationen bzw. an diesen Stellen wird die Benachteiligung von Frauen besonders markant. ..Obwohl Geschlecht in diesem Zusammenhang eigentlich keine Rolle spielen sollte, kommt es hier zu einer besonderen Betonung von Geschlecht... . Durch .semantische Aufrustung' werden konkurrierende Frauen verstarkt nicht linger als Individuen, sondern als Vertreterinnen ihres Geschlechts wahrgenommen."^^^ Die Ursachen .....fur die eigentliche Behindemng von Frauen in Organisationen (liegen) bereits auf den unteren Ebenen, sind aber nicht ohne weiteres sichtbar". da die formale Ebene der Organisationen hierfur kaum Anhaltspunkte bietet. Von der Ausschreibung bis zur Kundigung bzw. dem Austritt eines ihrer Mitglieder bemuhen sich Organisationen auf ihren erkennbaren, manifesten Ebenen um Geschlechtsneutralitat, „...da moderne Organisationen auf Egalltat hin angelegt und

:ebd. :ebd. :ebd. ^^^ Ohlendieck, L.: ebd. ^^° Paero, U.: Dethematislemng von Geschlecht. In: Pasero, U. und Braun, F. (Hg.): Konstruktion von Geschlecht, Paffenweiler 1995, 50 - 66 ., 178 :ebd. :a.a.O., 179

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Diskriminierungen nicht zu rechtfertigen sind."^^ Die Konstruktion der Geschlechtsneutralitat gelingt Organisationen offenkundig solange, wie diese - den Funktionssystemen geschuldete - Geschlechtsneutralitat die informalen Netzwerke (als Interaktionssysteme sui generis) nicht in deren eigendynamischer Autopoiesis behindert. „Frauen stehen oftmals unverstandlichen/veise, trotz entspreciiender Qualifikation und Leistung, in der Organisation vor versciilossenen Turen."^^^ Die iVIechanismen ihrer Exklusion bleiben in der Organisation im Verborgenen. Es gilt allerdings dabei mit H. WILLKE genau zu unterscheiden, welchen Anteil an der Konstruktion der Wirklichkeit von Organisationen Personen haben konnen und welchen Anteil Regelsysteme, etablierte Routinen, Erwartungen und andere Formen anonymisierter Kommunikationsstrukturen haben."^^^ In Bezug auf die von H. WILLKE en^/ahnten Regein, die die WIrklichkeitskonstruktion einer Organisation ausmachen, stellt H.W. GARTNER fest: „Werden Regein allerdings langerfristig nicht mehr von den Mitglledern eines Systems geteilt, fuhrt dies zu Einbruchen. Oftmals werden dann Personen ausgewechselt, ohne dass sich Strukturen andern. Es ist erstaunlich, systemtheoretisch jedoch durchschaubar, wie oft dieses Spiel wiederholt und berufliche Karrleren der Systemstabilitat geopfert werden, bis es zu Veranderungen kommt."^^^ Der .galls ceiling effect' ist Ausdruck eines unsichtbaren (informellen) Regelsystems in Organisationen, welches auf unterschiedlichen Ebenen seine Wirkungen im System zeigen kann. L. OHLENDIECK sieht zwei .glass ceilings' in Form stratifikatorischer Hindernisse. Der erste .glass ceiling' ist als Aufstiegsschwelle zwischen der Ebene des middle management und des general management angesiedelt.. . Der zweite .glass ceiling' ... als Aufstiegsschwelle zwischen der Ebene des general management und des senior management..."^^®. Neben den .glass ceilings' tauchen jedoch bereits auf den unteren hierarchischen Ebenen in Organisationen so genannte .glass walls' auf. ..Als .glass walls' werden die unsichtbaren Zugangshemmnisse fur Frauen zu den fur die Organisation strategisch zentralen und damit entsprechend aufstiegsrelevanten Bereiche bezeichnet."^^^ Diese ..segmentaren Barrieren" halt L. OHLENDIECK fur die entscheidenden Hemmnisse, .....da sie sich als unsichtbare Grenzen informaler Netzwerke mit den Grenzen der einzelnen Organisationsbereiche weitgehend decken."^^° Mit den .glass ceilings' als stratifikatorische und den .glass walls' als segmentare Differenzierungen werden zwei unterschiedliche Selektionsmechanismen auf unterschiedlichen Ebenen in Organisationen beschrieben. Beide Selektionsmechanismen sind jedoch keine Strukturmerkmale von Organisationen. „Denn werden Organisationen als Kondensat verstanden, das heifit als geronnene EnA/artungsstrukturen wiederholter erfolgreicher Kommunikation, dann orientieren sich diese struk:ebd. ^^^ Ohlendieck.,L.: ebd. ^®® Willke, H.: Systemtheorie II: Interventionstheorie, 3. Auflage, Stuttgart 1999,153 ^^^ Gartner, H.W.: Das Krankenhaus als System. In: E. Zwierlein: Klinikmanagement. Erfolgsstrategien fur die Zukunft, Munchen, Wien, Balitmore 1997, 119-138 ^^® Ohlendieck, L.:a.a.O., 180 ^^ Ohlendieck, L.: ebd. :ebd.

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turellen Erwartungen in der modemen, funktional-differenzierten Gesellschaft an Qualifikation und Leistung - und eben nicht an Alter, Kraft, Verwandtschaft, Schonheit oder Geschlecht." Auf der informalen Ebene uber netzwerkartige Kooptationsregein entfalten .glass ceilings' ebenso wie .glass walls' jedoch ihre Wirkungen. ,.Denn es spricht vieles dafur, dass bereits im Berelch des lower und middle management die glass walls den Frauen den Weg zum glass lift versperren, der uberhaupt erst zur glass ceiling fuhrt. Um in den Aufzugschacht zu gelangen, bedarf es eines Zugangs zu den zentralen Sparten. Doch dazu mussen erst nicht-sichtbare Kooptationshindernisse in Form von .glass walls' durchbrochen werden. Solche Kooptatlonsmechanismen, die durch Mentoring^^^ und informale Netzwerke gekennzeichnet sind, werden durch die formalen Strukturen der Funktionssysteme und ihrer Organisationen nicht gedeckt. Sie werden toleriert und sind teilweise notwendig oder funktional, da sie uber lange Zeitraume Vertrauensverhaltnisse aufbauen und so das Risiko bel Personalentscheidungen zu absorbieren helfen. Gerade (Karriere-) Netzwerke und das Mentoring begunstigen Manner, da die ubenA/iegend oder ausschliefllich mannlichen Fuhrungspersonen oftmals durch einen patriarchalischen Fuhrungsstil, der ein homosoziales Vater-Sohn-Verhaltnis oder Adoptionsverhaltnis praferiert, die Organisatlonsstrukturen parasitar unterlaufen."^^^ Dabel ist nicht zu verkennen, dass die ..Sichtbarkelt" und die ..Platzierung" von Personen In zentralen oder peripheren Bereichen der Organisation von hoher Relevanz Ist. ..Manner positionieren sich eher in den mit hohem Prestige ausgestatteten, strategisch wichtigen zentralen Sparten der Organisation. Diese Sparten gehen melst auch mit einer Aufienreprasentation der Organisation einher. Dadurch werden Manner innerhalb und aufterhalb des Unternehmens leichter sichtbar. Frauen sind dagegen eher in den peripheren, also weniger sichtbaren und prestigearmen, damit aber funktional nicht minder wichtigen Sparten zu finden (Morrison/WhiteA/an Velsor 1987)."^^^ Es sind also vorwiegend die Manner, die im Sinne F.B. SIMONS ..auf dem Zaun sitzen"^^"^, dem Zaun der Spieler und Zuschauer in teilnehmende und nicht-teilnehmende Beobachter trennt. Und im Hinblick auf ihre Aufstiegsmoglichkeiten eben auch auf dem Zaun sitzen, der die Zeit bis jetzt von der Zeit ab jetzt voneinander trennt."^^^ „Die glass walls geben .. den entscheidenden Ausschlag fur den strategischen Zugang zu unternehmensinternen und unternehmensexternen Aufstiegsnetzwerken, da diese im Zentrum angesiedelt sind. Auch bei einem Wechsel in ein anderes Unternehmen, insbesondere derselben Branche, um die Karriereleiter schneller hinaufzukommen, sind Manner als Auflenreprasentanten ihrer Firma im Vorteil."^^^ Die .glass walls' scheinen damit das schwenA/iegendere Problem fur Frauen zu sein, da diese ihnen den Zugang zum .glass elevator'^^^, der ins Top^^^ Mentor grc/?.: Erzieher, Berater, Lehrer ^^^Ohlendieck, L.:a.a.O., 181f. ^^^ Ohiendieck, L.: a.a.O., 182 ^^"^ Simon, F.B.: Radikale Marktwirtschaft, 99 ^^^ Simon, F.B.: Radikale Marktwirtschaft, ebd. ^^^Ohlendieck, L.:a.a.O., 183 ^^^ Glass elevator: glaserner Fahrstuhl

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management fuhrt, verstellen. „Frauen stoflen so gesehen gar nicht erst bis zum zweiten .glass ceiling' vor, da sle bereits an den .glass walls' im general management scheitern."^^® Der Zugang zum Fahrstuhl befindet sich i. d. R nur im Zentrum der Organisation, wahrend man an der Peripherie nur Zugang zur glSsernen Rolltreppe erhalt. Die Rolltreppen enden meist im Gescholi unterhalb des senior management, und nur wer es auf dem Weg nach oben quer durch hinuber zum Fahrstuhl geschafft hat, kann es mit dem Lift bis in die Chefetage schaffen. Der Vergleich von peripherer Rolltreppe und zentralem Fahrstuhl entspricht auch dem typischen geschlechtsspezifischen Befordemngstempo innerhalb von Organlsatlonen."^^^ Beforderungen laufen zwar vordergrundig formal ab, der Organisation entzieht sich jedoch auch hier der Blick fur die nicht selten dahinter stehenden informalen Netzwerke. Abschlleliend darf nicht verkannt werden, dass bereits die Berufswahl und damit der Einstieg in eine Karriere entscheidend ist. Denn der Einstieg in die karriere-strategisch .falsche' Sparte [stellt] von Beginn an ein Handicap [dar], das spater kaum noch zu kompensieren ist."^®° Wie in Kapitel IV. ausgefuhrt, ist der Berufseinstieg heutzutage stark arbeitsmarktpolitischen Einflussfaktoren untenA/orfen. Die Entscheidungsfrelheit des Einzelnen Ist dementsprechend eingeschrankt. .Glass walls' in den Organisationen erzeugen somit offenkundig Entscheidungstendenzen, die uberdie Organisation hinaus, sich auf Studien- und Berufsberatung in Form von Echos auswirken.

4.

,Glass ceilings' und ,glass walls' in NPOs

Der von D. BAECKER et al. thematisierte .glass ceiling effect' und die .ambiguity failures' beschrelben das Auftreten dieser Phanome im Kontext von For-profit Organisationen (FPOs). Im Folgenden wollen wir der Frage nachgehen, ob, und wenn ja, welche Abweichungen, Verst^rkungen und sonstige Besonderheiten sich im Auftreten der .glass ceilings', der .glass walls' und der .ambiguity failures' innerhalb von NPOs finden lassen. Dabei wollen wir zunachst klaren, ob sich die von L. OHLENDiECK beschrlebene Unterscheidung der Ebenen .middle management', general management' und .senior management' in vergleichbarer Form in NPOs wieder finden lassen. NPOs sind u. a. gekennzeichnet durch eine starke Vermischung von formalen und informalen Strukturen. Eine Differenzierung, wie sie fur den For-profit Bereich gilt, ist in NPOs nicht moglich. Bezogen auf unsere fokalen Organisationen, den stationaren Altenpflegeeinrichtungen, ISsst sich nur eine bedingte Obertragung vornehmen. Das .middle management' wiirde demnach der Ebene der Wohnbereichsleitungen entsprechen, das .general management' der Pflegedienst- bzw. Heimleitung und das .senior management' dem (ehrenamtlichen) Vorstand des jeweiligen Tragers der Einrichtung. NPOs sind im Verhaltnis zu For-Profit Organisati'Ohlendieck, L:a.a.O., 183 ' Ohiendieck, L: a.a.O., 182

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onen weniger hierarchisiert. Dies muss nicht unbedingt einen Nachteil darstellen, denn vjeles von dem, was fur den Grofiteil der For-Profit Organisationen als neue Entwicklung prognostiziert und teilweise bereits beobachtet wird, [ist] im Nonprofit Bereich durchaus altbekannt. Das, was fur viele For-Profit Organisationen als Neuland gilt, ist fur NPOs vertrautes Terrain. (...) Vertrautes Terrain helflt allerdings nicht: unproblematisch."^®^ Fur Karrieren in NPOs bedeutet dies, dass „(d)er Mangel an hierarchischen Aufstiegsnnoglichkeiten,... der Mangel an linearen, langfristigen Stellenperspektiven u. a. .. als bekannter und integraler Bestandteil vieler Non-profit Organisationen [angesehen werden kann]."^^^ Durch die in vielen NPOs verbreitete losere Kopplung zwischen den verschiedenen Akteuren werden auch Fragen des organisatlonalen Commitments^^^ ... deutlich komplizierter. Eine losere Kopplung bedeutet vermutlich in NPOs ein sinkendes Commitment, da die Verbindung zwischen den Einzelnen und der Organisation weniger eng wird... . Lose Kopplung und/oder instabilere Konfigurationen stellen starkere Anspruche an die Ambiguitats- und Unslcherheitstoleranz der Einzelpersonen. Damit sind zwar einerseits Chancen wie etwa eine starkere Gestaltbarkeit der Individuellen Karriere aufgrund verringerter externer Restrlktionen verbunden. Gleichzeitig bindet aber eine solche Situation ein hohes Mali an Energie des Einzelnen, der fur die kurz- und mittelfrlstige Interpretierbarkeit seiner Karriere verstarkt selber sorgen muss - Energie, die an anderer Stelle wiederum abgeht."^^ Wenn wir den von D. BAECKER entwickelten Netzwerkgedanken des „mindestens vierstelllgen Phanomens" aufgreifen, und von einer rein bipolaren Betrachtung (Mann - Frau) absehen, dann mussen wir die beiden weiteren Elemente, Hierarchie und Kommunikation, in unsere Betrachtung mit aufnehmen. D. BAECKER ubersetzt den .glass ceiling effect' damit in eine Netzwerkstruktur von Hierarchie und Kommunikation. Denn sie wirken verstarkend bzw. hemmend zugleich. W. MAYERHOFER beschreibt in seiner Analyse von Karriere in Nonprofit Organisationen eine Aversion der Akteure gegenuber ausgepragten hierarchischen Strukturen, als Merkmal der karriererelevanten Gratwanderung zwischen formalen und informalen Strukturen in NPOs. Diese Diffusion, zwischen formalen und informalen Strukturen in NPOs, weicht die Eindeutigkeit wahrnehmbarer Hierarchie in NPOs auf. Die nicht sonderlich ausgepragte bzw. unklare Hierarchie fehit somit als regulative Referenz im von D. BAECKER beschrlebenen Netzwerk. Zumindest ist ihre Steuerungsreichweite eingeschrankter als in For-Profit Organisationen, wenn es auch nicht zu einer Neutralisierung von Hierarchie in NPOs kommt. Die Tatsache der nur reduziert ausgepragten Hierarchie in NPOs fuhrt jedoch noch nicht dazu, dass nunmehr Frauen in NPOs grofiere Chancen hatten, Leitungsfunktionen einzunehmen. Die Schwachung einer der vier Referenzen fuhrt noch nicht dazu, dass es nun statt Asymmetrie mehr geschlechtsspezifisches ^^^Mayrhofer,W.:a.a.O., 160 ^®^Mayrhofer,W.:a.a.O., 160 ^^^ i.S.v. (innere) Verpflichtung, Bindung ^®^Mayrhofer,W.:a.a.O., 161

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Symmetriebestreben gibt. .Ambiguity failures' treten namlich auch in NPOs regelmaflig dort auf, wo Frauen den Anspruch auf Leitungspositionen anmelden. Die IdentitSts- und Rollenzuschreibungen sind gerade In weltanschaulich gepragten NPOs von besonderem Interesse. Geschlechterrollen als ..System kulturell geteilter En^/artungen bezuglicii des Verhaltens von Frauen und Mannern" (vgl. Kapitel IV.) sowie identifizierende und zugeschriebene Stereotypmerkmale treten hier oft, mangels anderer Orientiemngsparameter, als relevante Entscheidungspramissen auf. Kommt es zum Zusammenbruch von Mehrdeutigkeiten, dann ist auch die vierte Referenz, die Kommunikation nur noch damit beschaftigt, die Folgen der daraus resultierenden RollenenA/artungen, Identitatsanspruchen und Handlungsanweisungen zu bedienen."^^^ Es kommt also auch in NPOs letztendlich weder zu einer Neutralislerung von Hierarchie, noch zu einer Neutralisierung von Geschlecht. Denn die Hierarchie ist in NPOs nicht aufgehoben und sie ist auch nicht durch Heterarchie^®^ ersetzt. Der Glashimmel kann also auch in NPOs von Frauen durchbrochen werden, wenn es gelingt, bestimmte Identitatszuschreibungen und die damit einhergehenden Rollezuschreibungen zu vermeiden und darin die Mehrdeutigkeit an den Tag zu legen, die als Fuhrungsqualifikation ausgelegt werden kann."^®^ Und, wenn es Frau gelingt, sich als mitverantwortlicher ..Trager einer gemeinsamen Sache" darzustellen. Hierzu wird sie mitunter eine hohere Anstrengung aufbringen mussen, als Frauen in vergleichbaren Situationen und Positionen in For-profit Organisatlonen. Dies vor allem deshalb, well von ihr als (zukunftige) Leitungskraft jene Stabilitat und Konstanz enA/artet wird, die das - i. d. R. primar mit Mannern besetzte ehrenamtllche Entscheidungsgremium (Vorstand etc.) - nicht aufzubrlngen vermag. Deshalb stehen auch weniger kulturelle Kapitalien (Bildungsabschlusse), sondern vor allem die sozialen Kapitalien der zukunftigen Leitungsfrau im Vordergrund des Interesses der einstellenden Ehrenamtlichen. In wie welt mikrotaktisches Vorgehen (als soziales Kapital) von Ehrenamtlichen bei Einstellungsentscheidungen auch weiblich konnotiert wird, kann hier nicht abschlieliend beantwortet werden. Nicht zu unterschatzen ist - neben der Betonung von weltanschaulichen Einstellungen - der von E.E. KRAINZ und R. SIMSA beschriebene ..funktionelie Dilettantismus" in Kombination mit einem ausgepragten Hang zur Homomorphie. Der hierbei von den ehrenamtlichen Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmitgliedern empfundene ..Frelheitsort der Selbstven/vlrklichung" fuhrt in NPOs bei der Rekrutlerung von Leitungspersonal systematisch zu .ambiguity failures'. Die ..Freiheit" der ehrenamtlichen Entscheider besteht mit unter darin, im entscheidenden Moment von geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen Gebrauch zu machen und damit : Manner und Frauen, 134 ^®^ „Der Begriff geht auf die griechischen W6rter heteros (der andere) und archein (herrschen) zuruck, Heterarchie bedeutet: die Herrschaft des anderen. Es ist nicht mehr der Heilige, der von oben herab regiert, es hat keinen Sinn mehr, von absoluten Werten zu sprechen; jeder ist an der Herrschaft beteiligt, die Herrschaft wird zirkulSr."(aus: von Foerster, H. und PSrksen, B.: Wahrheit ist die Erfindung eines Lugners. Gesprache fur Skeptiker, 5. Aufl., Heidelberg 2003, 87) ^^^ Baecker, D.: IVIanner und Frauen, 140

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.glass ceilings' aufzubauen bzw. zu stabilisieren, der es Frauen schwer macht, in Leitungsfunktionen zu gelangen. Der von L. OHLENDIECK angesprochene ..Konkurrenzunterbrecher" resuliert aus Netzwerken in Organisationen, die auf informalen Ebenen wirksam werden. Durch ihre Betonung des Informalen und der weltanschaulich-ideologischen Einstellungen bieten NPOs einen besonderen Nahrboden fur diese Form von Netzwerken. Frauen bleibt der Zugang zu diesen Netzwerken oft verwehrt. Kooptatlon (die Wahl neuer Mitglieder durch die alten Mitglieder) und Homosozialitat (die Zugehorigkeit zur Gemeinschaft Gleicher) fuhren zur Auswahl neuer Mitglieder aufgrund von Selbstahnlichkeit. Dabei stehen die identifizierenden und die zugeschriebenen Merkmale des welblichen Geschlechts einer Aufnahme von Frauen im Wege. Durch den Mangel an hierarchischen Aufstiegsmoglichkeiten und an Stellenperspektiven in vielen NPOs kommt es zu einer Zunahme individueller Interpretation der eigenen Karriere und zur Schaffung von funktionalen Aquivalenten zu formalen Positionen. Die von L. OHLENDIECK beschriebenen .glass walls' werden an diesen funktionalen Aquivalenten anschaubar. Frauen erhalten keinen direkten Zugang zum .glass lift', sie werden vielmehr auf ..Beauftragtenstellen" yer\N'\esen. Dort verfugen sie aber i. d. R. weder uber unmittelbare Entscheidungsbefugnisse noch erhalten sie eine auch nur annahernd mit Leitungspositionen vergleichbare monitare Vergijtung. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu erstaunlich - systemtheoretisch aber verstehbar - dass Frauen diese Beauftragtenpositionen (Frauenbeauftragte, Qualitatsbeauftragte etc.) anstreben. Sie bewegen sich damit geradewegs in den Schacht ohne Aufzug, sie hangen im Schacht, umgeben von .glass walls'. Systemtheoretisch verstehbar ist dies nur vor dem Hintergrund, dass auch Schachte ohne Aufzug zur Organisation gehoren. In Aniehnung an L. OHLENDIECK konnen wir feststellen, dass auch in NPOs Manner sich eher in den mit hohem Prestige ausgestatteten, strategisch wichtigen zentralen Sparten der Organisation" positionieren.

5.

,Glass walls' und ,glass ceilings' in stationaren Altenpflegeeinrichtungen

Um die .glass walls' in Einrichtungen der stationaren Altenpflege auszumachen, rekurrieren wir zunachst nochmals auf die von W. BECKER / B. MEIFORT erstellten Inhalte der Studie uber den Altenpflegeberuf (vgl. Kapitel II.). W. BECKER / B. MEIFORT heben u. a. hervor, dass Manner einen anderen Einstieg in die Altenpflege wahlen als Frauen. Manner gehen i. d. R. nicht den Umweg uber Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten in der Pflege; sie wechsein wenn man so will: statuskonform - aus dem eriernten in einen eriernten Beruf."^®® Auch der weitere Verlauf der beruflichen Karriere, nach der Ausbildung, verlauft zwischen Mannern und Frauen unterschiedlich. Manner haben bereits friih (z. T. bereits in der Ausbildung) Leitungsfunktionen im Visier. Alle Teilnehmer, welche ^^^ Becker, W. und Meifort, B.: a.a.O., Tell 1, 96

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bereits im drjtten Jahr nach der Ausbildung an Heimleitungsweiterbildungen tellnahmen, waren Manner. Die Teilnehmer/innenzahlen in PraxisanleitungsWeiterbildungen sind gegenlaufig zu den Zahlen in der PDL-Weiterbildungen. In den Praxisanleitungskursen sind es zu 70 Prozent Frauen, die sich fur eine Anleitungsweiterbildung entscheiden. Und wahrend - die wenigen - Manner eiier Pflegemanagement studieren, entscheiden sich - die ebenfalls wenige - Frauen fur ein pflegepadagogisches Studium. Karrieren erfordern eine gewisse Organisationstaugllchl<eit (s. o.). Die Orientierung an Organisationsl
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grund des beschriebenen Effekts primar mannlich besetzt. Sie werden es solange bleiben, wie Organisationen die Geschlechtsneutralitat ihrer jeweiligen Funktionssysteme nicht in entsprechende Programme ubersetzen (kdnnen). Und sie werden es solange bleiben, wie die von L. OHNDIECK beschriebenen Netzwerkstrukturen (u.a. Mannerbunde) nicht in Form einer Kommunikatlon zweiter Ordnung (Kommunikation uber die formale und Informale organisationale Kommunikatlon) in Organisationen thematisiert werden. Die organisationale Hierarchie - als ein Element des von D. BAECKER beschriebenen Netzwerkansatzes - scheint sich jedenfalls nicht von einem hohen Frauenanteil in einem Beruf beeintrachtlgen zu lassen und arbeitet entsprechend ihrer inneren Logik selbstreferenziell an der Aufrechterhaltung der Glasdecke. Dies tut sie selbst dann, wenn sie durch eine Ven/vischung der Grenzen zwischen fomnalen und informalen Stmkturen beeintrachtigt ist. Es scheint so zu sein, dass die innere Logik in Organisationen, die uber einen hohen Frauenanteil unter ihren Mitgliedern verfugen, zum Aufbau eines entsprechendes ,Fruhwarnsystem' fuhrt, welches die .ambiguity failures' im Bedarfsfall fruher und deutlicher hervorruft. Denn die Geschlechterrolle „... ist tiefer ven/vurzelt als die berufliche Identitat"^^^; auch die Geschlechterrolle derjenigen, die Einstellungsentscheidungen herbeifuhren (mijssen). Dieses Fruhwarnsystem arbeitet mit Hilfe des Indikators „Dazupassen". Wenn es darum geht FuhrungskrSfte auszuwahlen, ist das Kriterium des .Dazupassens' neben fachlicher Qualifikatlon und Kompetenz mindestens ebenso wichtig..."^^^. Wobei die fachliche Kompetenz nicht selten in den Hintergrund der Entscheidungskriterien ruckt, denn, es reicht ja aus, wenn bei der Entscheidung uber die Besetzung von Leitungsfunktionen, die auserkorene Person just soviel vom entsprechenden Fach versteht, als notig ist, um nicht grob formale Kriterien zu verletzen..."^^. Soziale Kapitalien sind da offenkundig relevanter. Gerade weil die Altenpflege als Frauenberuf daher kommt, weil Pflege weiblich konnotiert wird, kann die Mehrdeutigkeit der Identitatszuschreibung im entscheidenden Moment nicht aufrecht erhalten werden. .Ambiguity failures' sind sozusagen vorhersehbar. Sie dienen in Organisationen, deren Mitglieder von/viegend Frauen sind als geschlechtsselektierendes Fruhwarnsystem. Es verhindert, dass die grofie Zahl der weiblichen Berufsinhaberinnen zur potentiellen Gefahr fur (den fur Manner vorbehaltenen) Fuhrungspositionen wird. Der .glass elevator' (der glaserne Fahrstuhl) im Zentrum der Organisation soil den Mannern auch in Frauenberufen vorbehalten bleiben. Die Frauen werden auf den .glass escalator' (die glaserne Rolltreppe) venA/iesen und damit auf weibllch konnotierte - und unbezahlte - Zusatztatigkeiten, wie Praxisanleitung u.a. . Mannlichkeit wirkt sich somit auch hier vorteilhaft aus, weil ..Rationalitat, Mannlichkeit und Management... [als] ...eng miteinander verflochtene und aufeinander bezogene Kategorien"^^^ begriffen werden.

^^^ Beetz. M.: a.a.O., 92 ^^^ Lange, R.: a.a.O., 61

143

Die vorwiegend mannlichen Tragervertreter schaffen sich so, die ihnen nach geordneten, LeitungskrSiften nach ihrem eigenen Bild. F.B. SIMON bezeichnet dies als ..Klonungseffekte". „Sie vervielfaitigen sich gleichsam, urn in ihrer Arbeitsumgebung eher auf BestStigung als auf Kritik zu stolien."^^^ Den Vorteil dieser Klonungseffekte sehen die Entscheidungsverantwortlichen in der damit erwarteten ..Sicherheit und Berechenbarkeif, aber der dafur zu zahlende Preis kann mangelnde Innovation sein."^®^ Nach der Devise, ,Es kann nicht sein, was nicht sein darf' werden sinnhafte Mehrdeutigkeiten zugunsten einer folgenreichen (mannlichen) .Eindeutigkeit' aufgegeben. Die von F.B. SIMON thematisierte Klonung ist insofern der Versuch einer Unsicherheitsabsorption von MSnnern zur Aufrechterhaltung der bestehenden Hegemonien. Im entscheidenden Moment wird nicht auf geschlechtsspezifische Zuschreibungen verzichtet, sondern diese werden geradezu hervorgehoben. Man versucht im Sinne einer Unsicherheitsreduktion bereits vorher die spStere Kommunikation entsprechend eigener En/vartungen zu beeinflussen. Damit ist aber die von D. BAECKER thematisierte, fur Fuhrungspositionen unerlassllche (geschlechtliche) Unbestimmtheit nicht gewahrleistet. Da Kommunikation sich durchaus selber kommuniziert und in ihrem Verlauf nicht antizipierbar ist, kann der Versuch uber Zuschreibungen im entscheidenden Moment das Geschlecht zu thematisieren durchaus aber auch scheitern. Dieses Scheitem zeigt sich mitunter dann an einer (sich selbst erfullenden) „mangelnden Innovation" (F.B. SIMON), die - wie T. GROTH es ausdruckt - langfristig zum „Tod durch Erstarren"^^® fiihrt. Was nach Feststellung des Scheiterns (als Zuschreibung eines Beobachters) folgt, ist dann ein sinnloses ..Herumwerkein am Menschen" (H. W. GARTNER), der nach mannlichen En/vartungsmustern ausgesucht wurde, aber dennoch erforderliche weibliche Attributionen (Intuition, Empathie etc.) vermissen lasst. Der daraus folgende Versuch, der sozialen Geschlechtsumwandlung bzw. anpassung ist ebenfalls zum Scheitern verurteilt. Er beendet mitunter antizipierte Karrieren vorzeitig bzw. verSndert ihren Verlauf. Dies wiedemm ven/veist auf die „in Ihrer Zukunft" liegenden Unslcherheit von Karriere well karriererelevante Merkmale immer solche sind, die auch fehlen konnten."^®^

^®® Simon, F.B.: Radikale Marktwirtschaft, 152 ^^^ Simon, F.B.: Radikale Marktwirtschaft, ebd. ^®® Groth, T.: a.a.O., 22 ®®^ Luhmann, N. und Schorr, K.E.: a.a.O., 277

144

VII. Karriere von Frauen In der statlonaren Altenpflege Unter Nutzung der Erklarungsansatze, die in der vorangegangenen Abhandlung erarbeitet und vorgestellt wurden, soil in diesem Kapitel dargelegt werden, welche Einflussfaktoren auf den Karrlereverlauf von Frauen in der Altenpflege wirken und die aus der Datenlage rekurierten Aussagen erklaren.

1.

Die berufliche Situation der Frauen in der Altenpflege

Die empirischen Daten liefern fur den Altenpflegeberuf als so genannten Frauenberuf ein Abbild der Strukturen in den Organisationen der Gesellschaft: Selbst in einem Beruf, in dem zu 85% Frauen beschaftigt sind, haben Manner in der Mehrzahl die Leitungsfunktionen inne. D. h., dass eine quantitativ einseitige Geschlechterverteilung in einem Beruf zugunsten der Frauen, keine Garantie fur eine egalitare Aufteilung von Fuhrungspositionen zwischen den Geschlechtern darstellt. Zwei Studien haben wir zum Thema ,Frauen in der Altenpflege' herangezogen. Zunn einen die Langzeituntersuchung des Bundeslnstituts fur Bildung (W. BECKER/B. MEIFORT, Berlin 1997/1998), zum anderen die noch laufende NEXT- Studie.^°° W. BECKER/B. MEIFORT Ziehen den Schluss, dass berufsorientierte, weiterbildungsmotivierte und karrierebewusste Frauen aus dem Altenpflegeberuf aussteigen mussten. Verantwortlich dafur seien sowohl die sehr unterschiedliche Ausbildungs- und Berufsstruktur und die fehlende Durchlassigkeit, der in verschiedenen Berufsbereichen angesiedelten Ausbildungsgange, als auch ein Mangel an systematisch aufeinander aufbauenden und gegenseitig anrechnungsfahigen Weiterbildungswegen und betrieblichen Karrieremustern. Die beruflichen Karrierechancen von Frauen in der Altenpflege werden auf einzelberufstypische „betrlebs- bzw. tragerspezifische Karrieren" verengt. Aus der Auswertung der Studien konnen folgende Feststellungen zur IST-Situation von Frauen Im Altenpflegeberuf in Bezug auf Karriere getroffen werden^^"": Fur 73% aller Befragten fuhrt der Weg in die Altenpflegeausbildung uber Hilfsarbeiten, in der gewerblichen Wirtschaft - meist aber in der Altenhllfe. Die der Ausbildung vorausgehende Wahrnehmung von Hilfstatigkeiten in der Altenpflege kapriziert sich im Wesentlichen auf Frauen. Der Anteil der weiblichen Pflegekrafte im Alter uber 40 Jahren betragt 95%, weil „...Frauen in der Zeitspanne zwischen 27 und 42 Jahren traditionell familienbedingt ihre Berufsbiografie unterbrechen... ."^°^ Zum Vergleich: Manner in der Pflege verteilen sich Im Wesentlichen auf die Altersgruppe der 27 bis 39-jahrigen.

Beide Studien sind in Kapitel II. dargelegt ®°^ Hier wird im Folgenden primSr Bezug auf die Studie des BiBB genommen. An den Stellen, wo auf weitere Studien Bezug genommen wird, ist dies gekennzeichnet.

145

Frauen steigen eher aus „personliche Grunden" (Familienplanung, pers6nlich empfundene Oberiastung) aus dem Bemf aus und machen die Grunde ihrer empfundenen Oberiastung hSufig an sich selbst test. Im Unterschied zu anderen europSischen Landern zeigen sich in Deutschland zwei besondere Faktoren, die zum Ausstleg aus der Pflege beltragen: Zum einen, Konflikte zwischen Familie und Beruf, zum anderenfehlende Entwicklungsmoglichkelten bei der Arbeit (NEXT-Studie). Weiterblldungsangebote stellen sich haufig als eine „Speziallsierungsfalle" fur AltenpflegekrMe heraus (mangelnde trSgerubergrelfende Generallsierung In der Nutzung der Angebotslnhalte und Abschlusse). Leitungsweiterblldungen werden eher (und kurz nach Abschluss der Ausbildung) von Mannern besucht - oft, wenn diese sich bereits In entsprechenden Funktionen befinden, AnIeitungsweiterbildungen (Praxisanleitung) werden eher von Frauen wahrgenommen. Es scheint eine ..kiassische Arbeltstellung" zu bestehen: Manner fur die Leitung, Frauen fur die pSdagogischen (eigentlich: andragogischen) Aufgaben. Ein Spiegelbild der segmentdr orlentierten Familie (Manner als Haushaltsvorstand, Frauen als Erzleherinnen). Der Altenpflegebemf stellt aber fur Frauen in Relation zu anderen Berufen auch eine einfache M6gllchkelt zum Wiederelnstieg nach Schwangerschaft und Erziehungszeiten (BIBB und C. BORN) berelt. LediglJch 0,2% aller in den stationaren Pflegeeinrichtungen beschaftigten Mltarbeiter/lnnen verfugen uber eine pflegewissenschaftliche Hochschulausblldung (Pflegestatistik2001).

2.

Einflussfaktoren auf die Karriere von Frauen

Abblldung 7 (nSchste Selte) verschafft einen Uberblick uber die uns hier Interessierenden und In den vorangegangenen Kapitein ausfOhrlich beschrlebenen Einflussfaktoren. Die Einflussfaktoren der Ebene 1 sind dem gesellschaftlichen und organisationalen Bezugsrahmen zuzuordnen, die Faktoren der Ebene 2 beziehen sich auf die individuellen (blograflschen) Entwicklungen im Lebensverlauf einer Frau. Der Altenpflegebemf bietet unter Berucksichtigung der Ebene 2 eInen horizontalen Karriereverlauf auf der Ebene der Position Pflegekraft an. Frauen betrachten (Alten)Pflege als eine .Karrierechance', weshalb sie Familienplanung und entstehende Belastungen aus Ihrem ,Doppelleben' zwischen Haushaltsfuhrung und Beruf versuchen, in Einklang zu bringen. Der vertikale Verlauf unterliegt jedoch diversen ,Hinderungsgrunden', die zum Tell der individuellen Ebene zugeschrieben werden. Die Beschrelbungen der Einflussfaktoren der Ebene 1 zeigen jedoch deutlich eIn anderes Bild. Der Einflussfaktor ,Geschlechterdifferenz' in den Organisationen der funktional differenzierten Gesellschaft (Mechanismen der Inklusion und Exklusion) wird In der folgenden Abhandlung nicht noch einmal spezifisch aufgegriffen, gehort aber der Vollstandigkeit halber zur Ebene 1 (vertiefende Auseinandersetzung hierzu findet sich in Kapitel

v.).

146

Abb. 7: Einflussfaktoren auf den Karriereverlauf Ebene 1 Zuschreibung an die Geschlechterrolle

Karriererelevante Besonderheiten in NPOs

berufliche Sozialisation

formale und informale Strukturen

Geschlechterdifferenz in den Organisationender funktional differenzierten Gesellschaft iVIechanismen der Inklusion und Exklusion

Geschlechtsbezogene Selektionsnnechanismen glass ceiling /glass wall effect .annbiguity failures'

Karriereverlauf in der Pflege

Schulbildung Berufswahl

Weiterbildungswunsche und -moglichkeiten

Famillenstruktur

Teilzeitbeschaftigung

Ebene 2

147

Aus der Datenlage ergeben sich folgende .hindernde' Einflussfaktoren: eingegrenzte Aufstiegsmoglichkeiten im Altenpflegeberuf einseitig betriebs- bzw. tragerspezifische Weiterbildungsangebote der hohe Anteil an Teilzeitbeschaftigung bei den Frauen 92% der Teilzeitbeschaftigten sind weiblich, somjt arbeiten 52% aller in der stationaren Altenpflege beschaftigten Frauen in Teilzeit mangelnde berufiiciie Vorbildung der Frauen familienbedingte Unterbrecliungen der beruflichen Laufbahn (bei gleiciizeitiger Nutzung dieses „Zeitl
®°^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 238 ^^ Becker. W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 303

148

Frauen .qualifizieren' sich offenbar zuerst durch langjahrige Arbeit im Pflegebereich, bevor sie in die Konkurrenz urn Fuhrungspositionen eintreten."^°^ Aus Sicht der weibliciien Leitungskrafte ergibt sich ein entsprechendes Bild: Alle weiblichen PDL hatten vor iiirer Ausbildung zum Teil langjahrige Erfahrungen im Pflegebereich gesammelt. Was der Karriere von Frauen forderlich ist, wird in der BiBB-Studie leider nicht zum Ausdruck gebracht, weil es offenkundig nicht zum Untersuchungsgegenstand gehorte.

3.

Der Einfluss von Rollenzuschreibungen

Im Ruckgriff auf Kapitel IV. kann aus sozialpsychologischer Sicht Folgendes festgestellt werden: Frauen konzentrieren sich auf deutlich wenlger Berufe und Branchen als Manner (A. WETTERER). Frauen, welche den Altenpflegeberuf wahlen, arbeiten in einem hochgradig geschlechtstypisierten Beruf. Damit ubernehmen sle eine gesellschaftskonforme Rolle, die dem zugeschriebenen Geschlechterstereotyp der Frau entspricht. Dieses gilt innerhalb der Organisation als auch aufierhalb. Die Klassifikation der Pflege als Frauenarbeit orientiert sich an der gesellschaftlichen Bewertung dieser Arbeit, jedoch nicht an den Arbeitsinhalten oder deren moglicher Kompatibilitat mit spezifisch weiblichen oder mannlichen FShigkeiten. Die Ubernahme der aus der (Gro(l-)Familie herausgenommenen Dienstleistungen entspricht auf der Ebene .Pflegekraft' der geschlechterstereotypen Rollenzuschreibung. Eine Veranderung entsteht erst dann, wenn die Position in der Organisation dem Abgleich mit dem Geschlechterstereotyp nicht mehr standhalt und das geschieht, wenn die Aufgaben innerhalb des Berufs von den stereotypen Zuschreibungen differieren. Die Ebene der Wohnbereichsleitung, und ggf. auch die der Pflegedienstleitung, entspricht je nach GroRe der Einrichtung noch der stereotypen Zuschreibung. Jedoch, sobald eine pflegepraxisferne Aufgabe, wie Heimleitung oder GeschSftsfuhrung ubernommen werden soil, entfallen die Entsprechungen und andere Zuschreibungen gelten (besonders aus der Perspektive derer, die fur die Besetzung einer solchen Stelle zustandig sind). Aus dieser These konnte abgeleitet werden: Frauen scheuen den Rollenkonflikt und blenden die vertikalen Karrieremoglichkeiten zugunsten der horizontalen aus. Das wurde unter anderem erklaren, warum Frauen tendenzlell eher Weiterbildungen zur Praxisanleitung bzw. zu Fachthemen (Fachweiterbildungen) besuchen als Weiterbildungen fur Leitungsfunktionen (Leitungsweiterbildungen).

®°^ Becker. W. und Meifort. B.: Teil 1, ebd.

149

4.

Organisationale Einflussfaktoren

Da ca. 60% der station^ren Altenpflegeeinrlchtungen Non-Profit Organlsationen sind, soil hier der besondere Einfluss einer solchen Organisation auf die Karriere von Frauen aufgezeigt werden - als ein Faktor unter mehreren. Ab einer gewissen GroRe haben NPOs ein hauptamtliches Management, aber ehrenamtllche FunktlonSre (TrSger), die im Rahmen der Besetzung besonders von Leitungsstellen (Geschaftsfuhrung, Heimleitung, Pflegedienstleitung) in den Einrichtungen weitreichende Entscheidungen treffen. Ehrenamtlich Tatige haben andere Entscheidungspramissen bei einer Personalentscheidung, da fur sie die Passung von anderen Merkmalen (des jeweiligen Tendenzbetriebs) abhangt, als hauptamtliche Mitarbeiter. Da die Uberlebensinteressen der Trager bei der Auswahl der FuhmngskrSfte im Vordergrund stehen (mussen), spielt die fachliche Kompetenz bei der Auswahl der Leitungskrafte nicht selten eine nachgeordnete Rolle. Die Organlsationen rekrutieren ihr Personal auf der Basis ihres von Ihnen selbst mitdefinierten gesellschaftlichen Auftrags. Ein wichtiges Merkmal von NPOs ist die Dominanz von Informalen Strukturen, und dass diese besonders durch historisch gewachsene Netzwerke unter Mannern gefordert werden. Diese Netzwerke wShlen neue Mitglieder ihrer K6rperschaft durch alte Mitglieder (Koptation). Das damit einhergehende Bedurfnis nach Homosozialitat veranlasst sie Netzwerkangehorige aufgrund stereotyper Selbstahnlichkeit - z.B. in Bezug auf Geschlecht - auszuwahlen. Frauen haben an dieser Stelle so gut wie keine Chance bei glelcher oder besserer Qualifikation als MItglied akzeptiert zu werden. Unseres Erachtens ist genau hier die Ursache der .glasernen Decke' in Einrichtungen der Altenpflege festzumachen. D. BAECKERS Frage, wie es kommt, dass man in einer aufgeklarten Gesellschaft eingesehen hat, dass Frauen auf Spitzenposltionen ebenso selbstverstandlich vorkommen sollten, wie Manner, eine Umsetzung dieser Einsicht in eine entsprechende Praxis aber fast nirgendwo gellngt (siehe Kapitel VI.), korrespondiert fur Ihn mit dem beobachteten Phanomen des glassceiling-effects. Zwar wurde dieser Effekt bezogen auf Managerpositionen in der Industrie beschrieben, dennoch scheint er durchaus - entsprechend modifiziert - auf dlenstleistungsorientierte Einrichtung der Altenpflege ubertragbar zu sein. Die These, dass in einer Hierarchie nahezu jede Verteilung von Mannern und Frauen auf ihren Positionen moglich ist, solange ein Mann an der Spitze steht, passt zu der Beobachtung der Lebenswirklichkeit in stationaren Einrichtungen der Altenpflege. Die Hierarchie in diesen oft tendenzgebundenen Organlsationen (z.B. unter konfessioneller TrSgerschaft) ist pregnant mSnnlich dominiert. Gehort also die Gleichstellung von Mann und Frau zwar zum Entscheidungsprogramm der Organlsationen, kann dennoch auf der Achse von Hierarchie und Kommunikation eine Schieflage entstehen, die sich aus der Dominanz der Tragerverbunde ergibt und die Gleichstellung der Geschlechter verhindert. Folgende Erkenntnisse sind nun aus der vorgenommenen Analyse fur die Karriereverlaufe von Frauen zu Ziehen:

150

•

Frauenkarriere scheitert auf der vertikalen Ebene am .glass ceilingeffect'.

•

Weiterbildung wird im Wesentlichen auf der Ebene der horizontaien Karriere wahrgenommen.

•

Frauenkarriere definiert sich an der Rollenzuschreibung aus dem gesellschaftlichen Kontext, der als Umwelt von Organisatlonen diese determiniert. Die Bereitschaft der Frauen, Familienarbeit und Berufstatlgkeit zu verbinden, mundet in der Teilzeitbeschaftigung, welche das leitungsspezifische Erwartungsprogramm einer Organisation in der Regel nicht beantwortet.

•

•

Netzwerkstrukturen in den Tragerschaften von NPOs lassen den Aufstieg in die (l\/lanner-)Riege der Mitglleder nicht zu.

Eigentlich ist es ein Wunder, dass 40% der Leitungsfunktionen in der Altenpflege doch noch von Frauen besetzt sind. Interessant ware hier die Frage, in welchem Alter Frauen diese Positionen ubernommen haben und welche Bemfs- und Familienbiografie vorausgegangen ist. Zu fragen ware auch, ob in der nSchsthoheren Hierarchieebene nicht auch wieder ein Mann sitzt. Dies durfte wohl anzunehmen sein...

151

VIII. Manner und mannliche Karriereverlaufe In der stationaren Altenpflege Bereits in den vorangegangenen Kapitein haben wir in interimistischen Fazits die jeweiligen Auswirkungen der angesprochenen Themen auf Frauen und Manner hervorzuheben (vgl. Kapitel II. 5; III. 4.4; VI. 5). Deshalb sollen in diesem Kapitel lediglich hierauf aufbauende bzw. bislang noch nicht erorterte Fragestellungen im Hinblick auf Manner In der Pflege thematisiert werden.

1.

Der mannliche Weg in den Frauenberuf der Altenpflege

H. UMMEL hat sich in einer qualitativen Untersuchung^°^ u. a. der Fragestellung gewidmet, wie Manner in den Pflegeberuf finden. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es insgesamt „...kaum HInweise auf gravierende strukturelle Hurden [gibt], welche Mannern auf der Ebene der Zugangsbedingungen, In der Ausbildung selbst und bei der Stellensuche den Eintritt in den Beruf erschweren oder unmoglich machen wurden."^°^ Wie W. BECKER/B. MEIFORT feststellen, gehen Manner - im Gegensatz zu weiblichen Pflegekraften - nicht den Umweg uber Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten; sie wechsein ... aus dem eriernten in einen eriernten Beruf."^°® Die belden Autor/innen sprechen von einem statuskonformen Wechsel bei den Mannern^°^. Von den durch das BIBB befragten Auszubildenden, die bereits eine andere Ausbildung begonnen hatten, diese dann aber abgebrochen haben, sind mehr als drei Viertel Manner. D.h., ein Grossteil der Manner macht vor dem Wechsel in den Altenpflegeberuf Scheiterungserfahrungen in anderen Berufen. Auffallig ist, so auch H. UMMEL, dass Zweitberufler in der Pflege haufig als Gemeinsamkeit das Scheitern an oder in einem Wunschberuf als Einstiegsmuster erkennen [lassen]."^^° Was die Griinde des Scheiterns waren und ob sich dieses Scheitern u. a. auf mangelnde berufliche Karriereperspektiven im Erstberuf bezieh,t bleibt allerdings offen. H. UMMEL unterscheidet zwischen intrinsischen Orientierungen bei der Berufswahl der Manner fur die Pflege und nennt hierzu folgende Parameter: •

„starke Pragung durch das Elternhaus, das Vorbild naher Angehorlger Oder das Aufwachsen im Pflegemilieu einer Anstalt;

®°^ Feldbeobachtung und Durchfuhrung narrativer Interviews ^°^ Ummel, H.: Kran ken pflege. Mannliche Professional itat zwischen Handchenhalten und Patientenhandling. In: Heintz, B., Nadei, E., Fischer, R., Ummel, H.: Ungleich unter Gleichen. Studien zurgeschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes, Frankfurt a. M. 1997, 67-121 ^°® Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 93 ^°® Die Zahl der mSnnlichen Auszubildenden in der Altenpflege und in der Krankenpflege ist zwischen 1997 und 2002 um 3,6% bzw. 3,9% gesunken. Quelle: www.vincentz.net/altenpfleqe/nachrichten.cfm. 07.06.04 (vgl. auch www.destatis.de ) : Mannliche Professional itat, 83

153

•

existenzielle MotJvierung durch Kindheitserfahrungen mit Krankhejt und Tod in der eigenen Biographie oder der von nahen Angehorigen;

•

Frommigkeit oder humanistische Orientierung."^^^

Zum anderen nennt er so genannte ,sekundare' Orientierungen: •

..Moglichkeiten zur Realisierung von Neuem/Aufstiegsorientierung;

•

Arbeit im Team;

•

Gescheiterte berufliche Alternativen."^^^

H. UMMEL: Jm untersuchten Feld lassen sich Manner mit einem Erstberuf (im folgenden Zweitberufler genannt) von soiciien unterscheiden, die direkt nach der obligatorischen Schulzeit oder nach einer abgebrochenen Lehre in die Pfiege gewechselt iiaben. Es lasst sich die Vermutung formulieren, dass es sich bei den Zweitberufiern eher urn Leute handelt, die ohne intrinsische Pflegeorientierung zum Beispiel aus Karrieregrunden, ... in diesen Beruf hinein wechseln."^^^ Diese von H. UMMEL dargestellte IVIotivlage bei mannlichen Krankenpflegern lasst sich u. E. weitestgehend auf die Situation der mannlichen Altenpfleger ubertragen.®^^ Ob allerdings die so genannten mannlichen Erstberufler (Direkteinsteiger) primer intrinsisch motiviert den Pflegeberuf wShlen, bleibt eine offene Frage. Insgesamt sind die Motive der Manner heterogen. Die Spannweite dieser Motive geht von nicht bestandenen Prufungen im Erstberuf bis hin zu traumatischen Kindheitserlebnissen. „ln keinem Fall aber ist ein deutliches Obergewicht berufsferner Orientierungen zu eruieren. (...) Die Tatsache, dass jemand sich erst im zweiten Aniauf fur den Beruf entschieden hat, kann also nicht ohne weiteres als Hinweis fur eine schwachere Motivation gelesen werden."^^^ Fur Manner hat die Arbeit in der Pfiege i. d. R. eine temporare Relevanz. Es gibt deutliche HInweise darauf, dass sie „... - ob nun intrinsisch oder .sekundSr' motiviert, ob Direkteinsteiger oder Zweitberufler ~ starker als ihre Geschlechtsgenossinnen (gemeint sind wohl Bertyfsgenossinnen, also weibliche Pflegekrafte, A. d. A.) die Pfiege als transitorische Phase ihrer Berufsbiographie betrachten."^^^ Anders als Frauen, entsteht das Primarinteresse am Pflegeberuf bei Mannern vorrangig erst im direkten Kontakt mit Pflegeeinrichtungen bzw. mit Pflegesituationen. Dies gilt auch fur Manner, die starke intrinsische Motive (Vorbilder, hu^" Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, 82 ^^^ Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, 83 ®^^ Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, 82 ®^^ Auch in Deutschland gelangen Manner entweder als Direkteinsteiger (unmittelbar nach der Schulzeit) oder als sog. Zweitberufler im Wege der Umschulung in die Altenpflegeausbildung (vgl. hierzu Datenlage, Kapitel II.) ^^^ Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, 84 ®^^ Ummel. H.: MSnnliche Professionalitat, 84

154

manistische Orientierung etc.) zur Berufwahl vorweisen. Haufig erfolgt der Erstkontakt der Manner uber den Zivildienst bzw. uber ein Praktikum in einer Pflegeeinrichtung. Geschlechtsbezogene Realisierung von weiblich konnotierten Anteilen bei Mannern spielen bei der Frage des Berufseinstiegs und des Verbleibs im Beruf offensichtlicii kaum eine Rolle. H. UMMEL^^^ zeigt auf, „...dass die Pflege (fur IVIanner, A. d. A.) eher nicht eine geschlechtliche Selbstverwirkiicliungswahl darstellt. In keinem der untersuchten Falle wird die Pflege als Ort zur Realisierung von Personlichkeitsanteilen gewahit, die in der traditionellen nnannlichen Sozialisation nicht vorgesehen sind (...)."^''® Im Vordergrund stehen demnach bei Mannern eher familienbiografische und sozialisationsbezogene Erfahrungen sowie tief „...in der Personlichkeit verankerte Dispositionen..."^''^, die eine Entscheidung fur den Pflegeberuf beeinflussen. Es braucht „...Scheiterns- und Widerstandserfahrungen in klassischen Mannerdomanen, urn Manner auf die Idee zu bringen, in die Pflege zu gehen. Sogar wo der Beruf schon inn Jugendalter gewunscht wird, braucht es bemfsbiografische Umwege, urn die Pflege als realistische Option erscheinen zu lassen. Der Geschlechtsvorbehalt ist latent und deswegen umso wirkungsmachtlger."®^° „Auffallig nach Geschlecht variieren .. die Perspektivierungen in den biographischen Erzahlungen. Frauen betonen die heteronomen Aspekte in den beruflichen Schaltstellen starker als Manner. (...) Manner schildern ihre Bemfsbiographien eher als Abfolge autonomer Entscheidungen und - so scheint es - sehen planvolles Handein und kampferisches Durchsetzungsvermogen auch dort, wo durch situationelle Umstande (.Palastrevolution', Betriebspolitik) die wesentlichen Weichen schon gestellt sind. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede in der beruflichen Selbstdarstellung sind kontextunabhangig - sie finden sich auch in der Informatik und in der Sachbearbeitung"^^\ also in anderen Berufsfeldern. Mannern ohne nachweisbare intrinsische Motivation wird allerdings der Zugang zum Pflegeberuf erschwert: ..Manner mit instrumentellen Arbeitshaltungen (Jobhaltungen) oder mit ausgepragtem Interesse an positionsbezogenem Ansehen werden wohl nicht nur durch das Geschlecht, sondern auch durch diese strukturellen Bedingungen .ausgesiebt'."^^^

®^^ H. Ummel hat in einem qualitativen Forschungsdesign in narrativen Interviews mit Mannern aus der Pflege, die nach den Regein des theoretical samplings ausgewahit wurden, zunachst deren Berufsbiografien und erst in einem zweiten Schritt die Bedeutung des Geschlechts untersucht. So sollte verhindert werden, dass vorschnell der Blick auf Geschlechterfragen eingeengt wird. ^^® Ummel, H.: Was sind das fur Manner? In: NOVA. Zeitschrift des Schweitzer Berufs- und Fachverband der Geriatrie-, Rehabilitations- und Langzeitpflege, o. Jg., 5/2004, 28 - 30 ®^^ Ummel, H.: Was sind das fur Manner?, 29 ^^° Ummel, H.: Was sind das fur Manner?, 29 ^^^ Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, 85 ®^^ Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, 85

155

2.

Manner, die aus der Pflege aussteigen und der Mythos der Fluktuation

Der Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber bzw. in sine andere Einrichtung der Altenpflege (z.B. zwischen stationarer und ambulanter Einrichtung) ist bislang in Deutschland nicht iiinreichend untersuciit worden. Diese Form der Fluktuation wird vor allem in der vorliegenden Untersuciiungen des BiBB gleiciigesetzt mit einem Berufsausstieg. Auch hier ware - dem Hinweis des Bundesverfassungsgericlits in seinem Beschluss zum bundeseinheitiiciien Ausbildungsgesetz folgend - eine Aktualisierung bzw. wissenschaftliche Fundierung des Datenmaterials dringend erforderlich. Der Mythos der Fluktuation wurde durch die Untersuchung von W. BECKER/B. MEIFORT in seiner Entwicklung intensivlert. Er ist jedoch - wie die genauere Analyse der Daten aus der BiBB-Studie zeigt - auf eine mathematische Spielart zurijckzufuhren, die die Wirkllchkeit nur sehr bedingt abbildet. Fluktuation in der Pflege ist ein vielschichtiges Problem, das sich mit einer auf funf Jahre begrenzten Studie (und einer in dieser Laufzeit erfolgten Selbstreduktionsquote der Befragten von 91%) nur edingt erfassen lasst. In einer aktuellen Untersuchung des Deutschen Krankenhausinstituts e.V. uber den Wiedereinstieg ehemals berufstatiger Pflegekrafte in den Pflegeberuf ^^^ stellen die Autor/innen fest, dass, bezogen auf die Gesamtzahl der beteiligten Pflegekrafte in stationaren Pflegeeinrichtungen, der Anteil der ausgeschiedenen Pflegekrafte bei etwa 3 - 5% liegt. „Wenn man nur examinierte Pflegekrafte berucksichtigt, dann liegen die korrespondierenden Anteilswerte zwischen 6 - 11%."^^"^ Leider sind diese Daten nicht geschlechtsspezlfisch aufbereitet worden. Fluktuation®^^, d. h. der Wechsel des Arbeitsplatzes, ist integraler Bestandteil einer sich selbstaufbauenden Karriere. Fur einen Beruf und die fokalen Organisationen eines Funktionssystems mag dies von Nachteil sein; fur den Einzelnen kann Fluktuation durchaus eine zeitbindende Strategie im Sinne von Unsicherheitsabsorption sein (vgl. Kapltel III.). In den von den Autor/innen der vorliegenden Arbeit analysierten Studien (s. Kapitel II.) wird Fluktuation in der Altenpflege jedoch von/viegend nachteilig konnotlert. Dies wird bereits an der mangelnden Differenziertheit in der Ven^^endung des Begriffs deutlich. So differenziert die BiBB-Studie nicht zwischen einem Ausstieg aus dem Beruf oder einem Ausstieg aus einem bestimmten Sefr/e/) (Altenheim, ambulanter Dienst). Ubergange der Pflegekrafte von stationarer Pflege zu ambulanter Pflege (Wanderbewegungen) - die ebenfalls Ausdruck von Fluktuation sind wurden nicht untersucht.

®^^ Deutsches Krankenhausinstitut e.V. (Blum, K., Muller, U., Schilz, P.): Wiedereinstieg ehemals berufstatiger Pflegekrafte in den Pflegeberuf, Forschungsprojekt des Deutschen Krankenhausinstituts im Auftrag der Katholischen Fachhochschule Freiburg mit Unterstutzung der Krankenhausgesellschaft Baden-Wurttemberg, Dusseldorf 2004 ^^^ Deutsches Krankenhausinstitut e.V.: Wiedereinstieg 76 - 77 ^^^ Fluktuation (lat. fluctuatioYdas Hin- und Herfluten, Schwanken, der Wechsel des Arbeitsplatzes (aus: Wahrig Fremdwdrterlexikon, 1999, S. 297)

156

Die Dauer der Anstellung in einem Beruf wird haufig als ein Hinweis auf Arbeitszufriedenheit gedeutet. Ebenso kann ein langerer Aufenthalt in einem Berufszweig jedoch auch als ein Mangel an Altemativen fur die konkrete Pflegekraft betrachtetwerden. M. FLIEDER verdeutlicht die Vielschichtigkeit des Themas im Hinblick auf Manner (und Frauen) wie folgt: „Was in der Diskussion fehit ist, dass Arbeitsplatzwechsel auch etwas mit Verbesserung zu tun haben konnen. (...) Mehrere Wechsel des Arbeitplatzes gehoren in mannerdomlnierten Branchen dazu, wenn man(n) beruflich weiterkommen will. Karriereratgeber sprechen von riskantem Ven^/eilen und empfehlen offensive Bewerbungen und Stellenwechsel zur Erhohung des elgenen Marktwertes, wenn man langer als drei bis funf Jahre an einem Arbeitsplatz bleibt. In der Pflege ist das anders, Wechsel gelten als Zeichen eines Problems. Bei einer Quote von 85 Prozent liegt es nahe, dass Ven/veildauer und Fluktuation weiblich dominiert sind. Hier handelt es sich um ein Phanomen der Uberlagerung mit dem Resultat der Schieflage. Das Eingebundensein in mehrere Zusammenhange mit den frauentypischen Restrlktionen lasst sIch weder anhand von Fluktuationsraten noch an der durchschnittlichen Verweildauer erkennen, sondern eher mit einer Analyse von Arbeitsteilung und damit verbundenen Belastungen bei Berufs-, Alltags- und Familienarbeit beleuchten"®^®. Bei Mannern, die beruflich fluktuleren, ist anzunehmen, dass dies dem Selbstaufbau ihrer Karriere - im Gegensatz zu fluktuierenden Frauen - eher forderlich ist. Umgekehrt wird eine (allzu) lange Verweildauer in einer Einrichtung bei Mannern eher nachteilig bewertet, im Sinne von zu geringer Flexibilitat bzw. mangelnder Bereitschaft sich „auf Neues einzulassen". Zumindest kann ein gewlsses Mali an vollzogenen Wechsein - im Lebenslauf ablesbar - Faszinationswirkungen auslosen, die die Karriere in ein positives Licht stellen. Der mannliche Wechsel dient damIt der Inszenierung von Beobachtung im Rahmen sekundarer Inklusion. Umgekehrt deutet jedoch ein (zu) hohes Mali an Fluktuation auf entsprechende ..Reibungsverluste" und auf ein moglicherweise geringes Mali an Loyalitatsbereitschaft hin. Eine genauere Analyse der Fluktuation im Pflegeberuf konnte im Ubrigen auch Aufschluss daruber geben, inwiefern die haufigen horlzontalen Wechsel vielleicht auch auf .vertikale Beschranktheit' des Feldes zuruckzufuhren ist."®^^

3.

Manner, die in der Pflege bleiben

Es konnte herausgearbeitet werden, dass die Manner in der Altenpflege sich primar auf die Altersgruppe der 27 bis 39-jahrigen verteilen. Wahrend ihr Anteil in der Pflege uber alle beruflichen Altersgruppen - je nach Berechnungsgrundlage - zwischen 10,5% und 15% betragt, liegt der Anteil der Manner bei den uber 40-jahrigen ^^^ Flieder, M.: Schnell weg? - Verbleib und Fluktuation im Pflegeberuf. In: Dr. med. Mabuse, 26. Jg., Nr. 134, 2001,29-32 ®^ Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, 106

157

Pflegekraften bei nur noch knapp 5%. Gibt es an dieser Altersschwelle keine Aufstiegsmoglichkeiten fur Manner in Leitungsfunktionen, steigen die meisten offenkundig eher aus dem Beruf aus, als das sie als non-plateau performers welter Pflegearbeit verrichten Oder als plateau performers auf einem Karrlereplateau verweilen, dass ihnen nicht die en/vunschten Perspektiven bietet. VerantwortJicii fur den Ausstieg werden dann haufig „schiechte Arbeitsbedingungen", ..VerSnderungsresistenz der Institutionen und von Vorgesetzten" gemacht. Interne Formen der Attribution finden sich bei MSnnern eher seltener. Pflegende Manner uber 40 Jahre stellen also vordergrundig - im Gegensatz zu mannlichen Leitungskraften - die token der token dar; eine Randgruppe innerhalb einer Randgruppe^^®. Sie werden mitunter kritisch beaugt, well sie den zugeschriebenen geschlechtsstereotypisch mannlichen Merkmalen (vgl. Kapitel IV.) nicht entsprechen. Aber, bedeutet dieser Randgruppenstatus auch automatische eine Diskriminierung fur diese Manner? Von H. UMMEL^^® und ebenso von B. HEINTZ und E. NADAI®^° wird (mit Bezug

auf Arbeiten von Floge/Merrll 1986 u.a.) darauf hingewiesen, dass die von R.M. KANTER herausgearbeiteten Merkmale der token (Visibilitat, Polarisierung, Assimilation) nicht auf Manner in der Pflege zutreffen. Manner uber 40 Jahre sind zwar sichtbar (visibel), sind aber deshalb noch nicht standiger Aufmerksamkeit ausgesetzt. Insofern stehen sie auch nicht unter dem von R.M. KANTER beschriebenen hoheren Leistungsdmck. „Die Leistung der Pfleger wird nicht grundsStzlich angezweifelt - Manner konnen im Gegenteil von einem generellen .Geschlechtsbonus' profitieren..."^^^ Die sich in der Mehrheit befindenden Frauen schliefien auch nicht - im Gegensatz zu Mannern in der Mehrheit - ihre Reihen, „...indem sie mit symbolischen Mittein die HomogenitSt der eigenen Gruppe betonen und gleichzeltig die Unterschiede zur Minderheit hervorheben"^^^ {fehlende Polarisierung). Manner werden also nicht durch Frauen in der Pflege ausgegrenzt. Einrichtungen des Gesundheitswesens, wie Krankenhauser und Altenheime stellen „...auch In erotischer und beziehungsmSfiiger Hinsicht durchaus ein integriertes Milieu dar. (...) Scherze und Neckereien weisen .. auf affektive Nahe hin. Sie sind zwischen token und Geschlechtsmehrheit durchaus gebr^uchlich, zum Tell mit erotlschem Unterton bis hin zu sexuellen Anspielungen, die ... von Anwesenden beiderlel Geschlecht nicht negativ sanktioniert werden."^^^ Dennoch tauchen auch hier Grenzzlehungen auf, die aber anders als von R.M. KANTER beschrleben nicht von der Mehrheit, sondern von der Geschlechtsminderheit aus[gehen]."^^'* H. UMMEL ven/veist hier auf kllnikweite MSnnerraucherpausen, einem Stammtisch fur mannliche OP-Pfleger, Probleme wurden ^^® (engl.) token bedeutet ins Deutsche ubersetzt nicht nur ..Symbol", .Anzeichen" bzw. kontextbezogen: ..Vorzeigefigur", sondern in der Wendung Jn token of bezeichnenderweise auch ^ndenken" 629 Ummel. H.: Mannliche Professionalitat, 93f. ,75-93 631 Ummel, H.: Mannliche Professionaiitat, 93 ®^^ Heintz, B. und Nadai, E.: a.a.O., 81 ®^^ Ummel, H.: Professionelle Mannlichkeit, 94 ^^ Ummel, H.: Professionelle Mannlichkeit, ebd.

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.mannerspezifisch' dadurch gelost, dass man „..ein paar Flaschen Wein leeren gegangen sei."^^^ In der stationSren Altenpflege durfte dies nicht viel anders sein. Wobei hier zu berucksichtigen ist, dass es keine direkt vergleichbaren, von Mannern praferierten Tatigkeitsfelder gibt, wie den OP im Krankenhaus, wo die Interaktion mit dem Patienten auf ein zeitliches Minimum beschrankt ist. Dafur suchen IVIanner in der Altenpflege nicht selten Arbeitsfelder mit einem gewissen administrativen Anteil. Auch diese Felder sichem Distanz zum Klienten (Heimbewohner/in). Im Bereich des Merkmals der Assimilation^^^ zeigen sich mitunter deutliche Tendenzen zur Schaffung von Differenzen auf der Ebene der GeschlechterStereotypisierung. Manner und Frauen konstruieren die Unterschlede zwischen der Geschlechtsmehrheit und den token im Ruckgriff auf kulturelle Schablonen von Mannllchkeit und Weibllchkeit. Am deutlichsten tritt das in der Metaphor vom .Abteilungskran' hervor. An Manner denkt man immer dann zuerst, wenn es darum geht, dad etwas Schweres bewegt werden soil. (...) Informelle Vater- und Chefrollen ein weiteres Beispiel fur Assimilation - werden von MSnnern in emotional belastenden Situatlonen ubernommen,.. . (...) Dabei kommt der Impuls zur Rollenubernahme durchaus von Krankenschwestern und Krankenpflegern."®^^ Bei alteren Mannern kann es haufiger zu stereotyp weiblichen Eigenschaftszuschreibungen kommen, die im Abgleich mit den mannlichen Stereotypen zu einem Eindruck der mangelnden Rollenkonformitat fuhren. Diese Manner sehen sich entsprechenden pejoratlven Zuschreibungen wie unmannlich, homosexuell, schwach etc. ausgesetzt (vgl. Kapitel IV). Jungere Pflegekrafte bleiben hiervon oft „verschont", well bei ihnen von beiden Geschlechtern eine Transition bzw. ein nur temporarer Aufenthalt in der Pflege unterstellt bzw. konstruiert werden kann. Frauen wie Manner erwarten, dass junge mannllche Pflegende sich „auf der Durchreise befinden", um sich entweder fachlich zu spezialisieren oder Leitungsfunktionen zu ubernehmen. Die zahlenmaRige Marginalitat der Manner in der Altenpflege fuhrt also fur sich noch nicht zur Diskriminierung. Jm Gegensatz zu Kanter, fur die die Probleme, die aus einem Aufienseiterstatus resultieren, geschlechtsunspeziflsch sind, weisen Floge und Merrill nach, dass sich die Minderheitenposition fur die mannlichen tokens (Pfleger) vorteilhaft, fur die weiblichen tokens (Arztinnnen) hingegen nachteilig auswirken."^^® Dies gilt u. E. jedoch vorrangig (wenn auch nicht ausschliefllich) fur jungere mannllche Pflegekrafte. Was aber halt die wenigen Manner uber 40 Jahre im Altenpflegeberuf? Oder anders gefragt: Was fuhrt dazu, dass sie (immer noch) in einem Frauenberuf arbeiten? Ihre Erwartungen an einen Aufstieg auf ein inhaltllches Karriereplateau (Spezialisierung) oder auf ein strategisches Karriereplateau (Aufstieg in eine Leitungsposition) erfullen sich nicht, wenn sie allzu lange auf ihrer Position als Pflege®^^ Ummel, H.: Professionelle Mannlichkeit, ebd. ®^® Auf eine kritische Reflexion des hier verwendeten Assimilationsbegriffs im Kontext des Adaptionskonzepts von J. Piaget muss an dieser Stelle verzichtet werden. ®^^ Ummel. H.: Mannllche Professionalitat, 95 ^^® Ummel, H.: Mannllche Professionalitat, 93

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kraft verweilen (vgl. hierzu Pkt. 2) und/oder ihre TStigkeit ihnen keine Herausforderung mehr bietet. Es ist davon auszugehen, dass auch in der stationaren Altenpflege die mannlichen non-plateau perfonriers eher SIter sind und sie ihre Marktchancen selber eher gering einschatzen. Sie gehoren nicht zu den Hoffnungstragern (den high potentials) der Einrichtung, sondern sehen sich eher mit der Rolle der workhorses konfrontiert. Mit zunehmendem Alter entsteht an dieser Stelle fur pflegende l\/ianner ein Konflikt zwischen gesellschaftlichen Rollenen/vartungen (im Sinne eines regelmaliigen, vorhersagbaren Verhaltens bzw. eines Systems kulturell geteilter En/vartungen), das fur Manner angemessen erscheint; (vgl. Kapitel IV.) und ihrer personlichen Identitdt entspricht. Zur Verdeutlichung des Spannungsfeldes soil deshalb auf die Bedeutung des Identitatsbegriffs naher eingegangen werden. Hierbei beziehen wir uns im Wesentlichen auf die von E. GOFFMAN gepr^gten Begriffe der personalen und der sozialen Identitat und auf J. HABERMAS' Gedanken zur BalanceIdentit^t. Dabei wird deutlich, dass IdentitSt nicht unbedingt und nicht primSr mit synchroner Einheitlichkeit bzw. diachronischer Kontinuitat konnotiert werden mud...."^^^ „Die Identitat, die das Individuum aufrechtzuerhalten gezwungen ist, geht aus der Auseinandersetzung mit sozialen Envartungen aufgrund .eigener' En/vartungen hervor. Aber auch dieser Begriff der .eigenen' En/vartungen sollte nicht missverstanden werden: Auch sie haben ihre Auspragung in einer sozialen Biographie des Individuums gewonnen. Auf diese Weise gehen sowohl uber die EnA^artungen der anderen als auch uber die .eigenen' EnA/artungen die Faktoren, die das gesamte soziale System bestlmmen, als konstitutive Bestandteile in die Identitatsbildung ein."^° „Am alter ego, insbesondere den signifikanten Anderen, arbeite ,ich' mich mit meiner Identitatsarbeit ab und finde zugleich nurdort die Bestatigung meinerldentitatskonstruktion."^'' L. KRAPPMANN greift zur differenzierteren Klarung des Identitatsbegriffs zunSchst die o. a. Unterscheidung von E. GOFFMAN auf: „'Pers6nliche Identitat' bezieht sich nach E. Goffman auf die Einzigartigkeit des Indidivuums. (...) 'Personal identity' Im Sinne Goffmans ist... nicht eine freie Leistung des Individuums, sondern der Begriff bezieht sich auf eine dem Individuum durch seine Interaktionspartner zugeschriebene Biographie. Diese Biographie betont die Einzigartigkeit des Individuums, denn seine Lebensgeschichte wird als eine andere angesehen als die aller anderen Individuen."^^ Kontinuitat setzt Einzigartigkeit voraus, „...weil nur dann das Individuum zu verschledenen Zeitpunkten als dasselbe identifizierbar ist."^^ Damit ist verdeutlicht, dass die personale Identitat des Individuums eine uber einen je aktuellen Interaktionsprozess hinausreichende Relevanz besitzt und ohne BioJOrlssen, B.: Identitat und Selbst. Systematische begriffsgeschichtliche und kritische Aspekte, Berlin 2000,11 ®^° Krappmann, L.: Soziologische Dimensionen der Identitat. Strukturelle Bedingungen fur die Teilnahme an Interaktionsprozessen, 9. Aufl., Stuttgart 2000,11 ^^ Keupp, H. u.a.: Identitats-Konstruktionen. Das Patchwork der Identitaten in der Spatmoderne, 2. Aufl., Reinbek be! Hamburg 2002, 201 ^^ Krappmann, L.: a.a.O., 76 ^^ Krappmann, L.: ebd.

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grafie nicht denkbar ware (vgl. Kapitel III.). Personale Identitat betont also die von Anderen erwartete (bjografische) Einzigartigkeit des Individuums. ..Soziale Identitat bezieht sich im Sprachgebrauch E. Goffmans auf die Erwartungen der anderen, die sie gegenuber einem Individuum Im Interaktionsprozeli hegen. (...) Oft wird interaglerenden Individuen erst dann uberhaupt bewusst, dad sie derartige En/vartungen besitzen, wenn sie merken, dafi diese EnA/artungen nicht erfullt werden."^"^ In der sozialen Identitat wird deutlich, dass Identitat nicht eine individuelle Eigenschaft darstellt. „Deshalb ist die Identltatsfrage nicht wer bin ich?, sondern wer bin ich im Verhaltnis zu den anderen, wer sind die anderen im Verhaltnis zu mir?"^^ Soziale Identitat betont mithin die En/vartungen der Anderen an die unterschiedlichen Rollen des Individuums. Jede Identitat ist jedoch im HInblick auf soziale En^^artungen problematisch, well diese prinzlpiell unerfullbar sind."^^ Die Grunde hierfur liegen u. a. in den bestehenden Ambivalenzen sozialer Erwartungen (in Interaktionen, wie in Organisationen, wie in den Funktionssystemen der Gesellschaft). E. GOFFMAN beantwortet das Problem des Versuchs, diesen divergierenden Erwartungen zu entsprechen, mit dem Begriff der „phantom normalc/, der ScheinNormalitat. Die Schein-Normalitat ist die ,L6sung' des Identitatsproblems im Hinblick auf die gleichzeitig relevanten EnA/artungen aus samtlichen Interaktionssystemen, an denen ein Individuum zur Zeit beteiligt ist und die mehr verlangen, als erfullbar Ist."^^ Die Schein-Normalitat besteht darin, „...da(l das Individuum durch seine ,als-ob'-Ubernahme angesonnener Erwartungen mehr von sich ausdruckt, als die gerade aktuelle Interaktionssituation verlangt,..."^® Hierdurch wird das Individuum - als ein Einzlgartiges - in unterschiedlichen Interaktionen wieder erkennbar. ./Phantom normalcy' ist folglich eine Mittel, Individualitat zu gewinnen. (...) Es bewahrt eine individuelle Identitat, well es die sozialen Identitatsnormen nIcht voll ubernimmt, sondern nur respektiert,... . (...) Diese Balance des Individuums zwischen Akzeptierung angesonnener sozialer Identitat und gleichzeitigem Widerstand gegen sie ist... ein Element im Aufbau einer Ich-ldentitat."^^ Fur J. HABERMAS entsteht hier im Goffman'schen Theorieansatz eine Lucke, well personale Identitat durchaus zu einer Stigmatisierung fuhren kann. Die auf Grund der Biografie zugeschriebene Einzigartigkeit {personal identitiy) kann namlich zum Problem fur das Individuum werden. Dies ist dann der Fall, wenn fur die Interaktionspartner fraglich wird, ob das Individuum - aufgrund seiner Biografie uberhaupt in der Lage ist den herangetragenen EnA/artungen zu entsprechen. Die in der personalen Identitat geforderte und konstruierte Einzigartigkeit wird dem Individuum dann in der sozialen Identitat zum Verhangnis. J. HABERMAS schlagt deshalb in Analogie zum Begriff der phantom normalcy (der Als-ob-Obernahme ange-

^^ Krappmann, L.::a.a.O.,,73 ^^^ Keupp, H. u. a. : a.a.O.,95 ^^^ Krappmann, L.: :a.a.O.,,74 ^'^ Krappmann, L.:: a.a.O.,,74 ^^ Krappmann, L.::ebd. ^° Krappmann, L.;: a.a.O.,,75

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tragener Erwartungen) den Begriff der phantom uniqueness (der scheinbaren 0bernahme zugeschriebener Einzigartigkeit und KontinuitSt) vor^^°. „Wie die .phantom normalcy' das Individuum in die Lage versetzt, in den verscliiedenen Interaktionssystemen jeweils als ein und dasselbe aufzutreten und docli auf die verschiedenen En^/artungen (in der sozialen IdentitSt, A. d. A.) einzugehen, so ermoglicht die .phantom uniqueness', Einzigartigkeit und Kontinuitat zu wahren und doch wandlungsfShig zu sein."®^^ Beide Begriffe bewegen sich also auf einer .AIs-ob-Basis'. Im Falle der phantom uniqueness agiert das Individuum, als ob es die Gemeinsamkeiten mit anderen Interaktionspartnern aufrecht erhalt, obschon es einzigartig ist. Dies setzt WandlungsfShigkeit voraus. Im systemischen VerstSndnis bemuht sich das Individuum um eine geringe Differenz in der Komplexitat des (psychischen) System und seiner Umwelt, in dem es die eigene VarietSt dazu nutzt anschlussfahig zu bleiben, ohne dabei jedoch die vorhandene Redundanz aufzugeben. Im Falle der phantom normalcy bemuht sich das Individuum ebenfalls um die Herstellung von Anschlussfahigkeit. Hier versucht es, den vielfSltigen En/vartungen durch eine Als-ob-Obernahme gerecht zu werden, um trotz der Vielfalt der En/vartungen, seine Einzigartigkeit zu wahren. Es versucht das Problem der Mehrdeutigkeiten und Widerspruchlichkeiten der En/vartungen zu IGsen und dabei ein und derselbe/dieselbe zu bleiben (Sicherung der Wiedererkennbarkeit). Es geht um die Aufrechterhaltung der Einheit der Person in einer Vielfalt von Rollen. Wir k6nnen systemisch von einer Form der Komplexitatsreduktion sprechen, mit dem Ziel, die sich aus einer Vielzahl von En/vartungen ergebende Kontingenz zu reduzieren bzw. ..handhabbar" zu machen. Beide Mechanismen dienen dem Individuum dazu, seine Ich-ldentitdt aufrechtzuerhalten. ,.Der vom Individuum verlangte Balanceakt ist also eine Leistung, die zwei Dimensionen der Handlungsorientieaing zu berucksichtigen hat: ein Ausgleich zwischen den divergierenden En/vartungen der Beteiligten mud sowohl in der gleichsam horizontalen Dimsension der .social identity' und .phantom normalcy' als auch in der vertikalen Zeitdimension von .personal identity' und .phantom uniqueness' erreicht werden, wobei die Balance in jeder der Dimensionen durch die, die in der anderen eingenommen werden mufi, mitbestimmt wird. Diese Balance aufrecht zu erhalten, ist die Bedingung fur Ich-ldentitat."^^^ E.H. ERIKSON druckt dies wie folgt aus: ..Das Gefuhl der Ich-ldentitat ist also das angesammelte Vertrauen darauf, dass der Einheitlichkeit und KontinuitSt, die man in den Augen anderer hat, eine FShigkeit entspricht, eine innere Einheitlichkeit und Kontinuitat (also das Ich im Sinne der Psychologie) aufrechtzuerhalten."®^^ ..Ich-ldentitat bedarf einer sicheren Rollenidentitat. Das Individuum ist auf Auseinandersetzung mit seiner Umwelt angewiesen, um sich als etwas Bestimmtes ®^° L. Krappmann bezieht sich hier auf unverOffentlichte Notizen von J. Habermas aus 1967; vgl. Krappmann, L.: a.a.O., 77 (Fuflnote 17) ®^^ Krappmann, L.: a.a.O., 78 ^^^ Krappmann, L.: a.a.O., 79 ®^^ Erikson, E.H.: Identitat und Lebenszyklus, Frankfurt a.M. 2004,107

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fijr sich selbst und fur andere zu konstituieren. Die Qberwindung von Selbstanonymitat und die Suche nach einem Selbstkonzept sind wichtige Antriebskrafte fur Berufswahl, fur Berufswechsel und fur die Identifikation mit anspruchsvollen Aufgaben und Leistungsnormen."®^ Altere Manner in der Pflege sind trotz ihrer geschlechtsspezifischen Einzigartigkeit (als IVIann) gefordert, auf von dieser personalen identitSt abweichende Erwartungen einzugehen, urn damit Gemeinsannkeiten mit anderen (weiblichen Kolleginnen) aufrecht zu erhalten. Dies leisten sie durch eine Als-ob-Ubernahme zugeschriebener Einzigartigkeit. In der vertikalen Achse kommt dieser Balanceversuch zum Ausdruck. IVIannliche Pflegende agieren, als ob sie unven/vechselbar mannlich waren. Sie mijssen dabei dennoch, urn die Gemeinsamkeiten mit ihren weiblichen Kolleginnen in der Pflege aufrecht zu erhalten, beizeiten ihr Geschlecht verleugnen („AItenpfleger wie Altenpflegerin"). Der hierbei entstehende mogliche Konflikt wird von H. UMMEL am Beispiel eines Krankenpflegers veranschaulicht, der eine altere Patientin katheterisieren musste. Dm eine Vertrauensbasis zur Patientin herzustellen, sagt er dieser, er sei „Krankenpfleger wie eine Krankenschwester", eine „mannliche Krankenschwester, so ein wenig" und es handele sich bei vorzunehmenden Eingriff „um nichts Aufiergewohnliches". „ln der Formulierung .Krankenpfleger wie eine Krankenschwester auch' verbirgt sich die Vorstellung vom .falschen Geschlecht': das normale, damit zugleich .professioneller' Geschlecht ist das weibliche. (...) Auch Routine (.nichts Auliergewohnliches') wird als Erkennungszeichen von professioneller Sachlichkeit und Distanz aktiviert. Erst der dezidierte Ruckzug in die Berufsrolle zerstreut mogliche eigene und fremde Zweifel und ven^/andelt den obszonen und Schmerz bereitenden Ubergriff zum medizinisch, heilenden Eingriff. Dabei steht der ,mannlichen Krankenschwester'itir Gesclilectit im Wege (Hervorhebung d. d. A.)."^^^ Aus einer anderen Perspektive sind sie gefordert, bestimmten beruflichen En/vartungen in der aktuellen Interaktion zu entsprechen, ohne sich dabei einer dauerhaften sozialen Geschlechtsumwandlung zu unterziehen. Sie mussen ihre Einzigartigkeit und Kontinuitat (als Mann) aufrechterhalten und gleichzeitig wandlungsbereit sein. Die vertikale Achse verdeutlicht diese ambivalente Anforderung. Sie versuchen durch eine Als-ob-Ubernahme herangetragener beruflicher Erwartungen die eigene Identitat aufrecht zu erhalten. Aber, sie bewahren ihre Identitat nur, well sie bestimmte soziale Identitatsnormen in der Pflege nicht voll ubernehmen, sondern nur respektieren. Sie switctien quasi zwischen der Respektierung der beruflichen Erwartungen und dem Widerstand dagegen hin und her.

^^^ Bisler, W.: Die Leiden der Leitenden. In: Pflegemanagement, o. Jg., 1998,11-23 ®^^ Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, a.a.O., 114

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Abb. 8: Das Ausbalancieren der Ich-ldentitat Personale identitSt {personal identy)

Durch Interaktionspartner zugeschriebene biografische Einzigartigkeit 1

Soziale Identity

phantom normalcy. Als-ob-Ubernahme angetragener Erwartungen

(social identy) Erwartungen gegenijber einem Individuum in aktuellen Interaktionen

-1

Ich-ldentitat

j -

Versuch, Identit^t trotz divergierender Erwartungen aufrecht zu erhaiten (Einzigartigkeit trotz Wandlungserfordernis)

phantom uniqueness: Als-ob-Ubernahme zugeschriebener Einzigartigkeit und Kontinuitat

Versuch, Gemeinsamkeiten mit anderen aufrecht zu erhaiten (WandiungsfMhigkeit trotz Einzigartigkeit)

H. UMMEL differenziert im Sinne eines handlungsorientierten Professionalitatsverstandnisses zwischen Anspriiche diffuser und Anspruche spezifischer Art^^®. „Einerseits ist dieses (professionelle, A. d. A.) Handein als rollenformiges an universalen Standards orientiert, andererseits als diffuses auf das Gegenuber als ganze Person bezogen."®^^ Diffuses Handein ist demnach nicht rollenmSliig organisiert, aber im Sinne der Verbindung einander widersprechender Handlungsmodi fur professionelles Handein unabdingbar. Genau dieses auf das Gegenuber (auf vgl. hierzu: Oevermann, U.: Theoretische Skizze einer revidierten Theorie des professionalisierten Handelns. In: Combe, A. und Helsper, W.: PSdagogische Professionalltat, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1997, 70 - 182; sowie: Weidner, F.: Professionelle Pflegepraxis und GesundheitsfSrderung. Eine empirische Untersuchung uber Voraussetzungen und Perspektiven des beruflichen Handelns in der Krankenpflege, Frankfurt a.M. 1995, 4 8 - 5 0 ®^^ Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, 68

164

den konkreten Fall) bezogene Handein, wird von alteren MSnnem zur Aufrechterhaltung ihrer mannlichen (personalen wie sozialen) IdentJtat - ausgeblendet. Sie verlagern ihr Primarhandein auf die spezifischen Rollenanteile, die eine hohere Distanz zum/zur Heimbewohner/in versprechen. Eine andere Moglichkeit des Ausbalancierens zwischen sozialer Identitat und Als-Ob-Obernahme angetragener En^/artungen (phantom normaly) bei alteren Mannern, ist der Riickgriff auf kulturelle Schablonen in der Pflegearbeit. Bedienen sich altere Manner kultureller Schablonen zur Herstellung ihrer IchIdentitat, so wird dies daran erkennbar, dass sie sich in eine informale Chef- Oder Vaterrolle begeben. Die Einnahme dieser informalen Rolle geschieht nicht selten vor dem Hintergrund einer nicht ausfiillbaren formalen Rolle (z.B. als Wohnbereichs- oder Pflegedienstleiter etc.). Sie assimilieren quasi auf der informalen Ebene, indem sie als (vaterlicher) Ansprechpartner jederzeit zur Verfugung stehen. Der Impuls zur Obernahme dieser Rollenerwartungen kommt durchaus von weiblichen wie von mannlichen Pflegekraften. Das Rollenset der Manner „...ist recht breit, es reicht von vaterlichen Beratungen bis zu erotischen En^^artungen. (...) Die Festlegung der Manner auf klischierte Geschlechterstereotypen wird fur sie ... nicht zur Rollenfalle, denn das geforderte .mannliche' Rollenverhalten steht nicht im Widerspruch zu beruflichen Leistungsanforderungen."^^® Verfijgen sie uber die entsprechende Wandlungsfahigkeit (im Sinne der phantom uniqueness) und vermogen sie zwischen unterschiedlichen Respektierung und Ablehnung angetragener Rollen hin und her zu switchen (im Sinne der phantom normalcy), so dient dies der Kompensation (bislang) nicht erreichter formaler Positionen bzw. nicht erreichter Karriereplateaus. Weitere Formen des Ausbalancierens unterschiedlicher En/vartungen verdeutlicht H. UMMEL anhand der mannlichen Variante des „balancierten Typs", der „Beruf und Leben ...als grundsatzlich getrennt miteinander zu vermitteln"^^^ versucht. „Die Lebensbereiche stehen nicht gleichwertig nebeneinander, sondern sind funktional komplementar aufeinander bezogen, wobei der famlliare Bereich strukturell abhangig bleibt. Er erhebt aber auch nicht das Bedurfnis nach beruflicher Sinnstiftung zu Norm. Diese Typ mannlicher Pfleger macht seine Arbeit (und diese nicht unbedingt schlecht) und geht auflerhalb des Pflegeberufs T^tigkeiten nach, die ihm - als Mann - Sinn geben. Ein weiterer Typ mannlicher Pfleger wird von H. UMMEL im Typ „Beruf Oder Leben" thematisiert. Dieser Typ trennt die Lebensbereiche, ohne eine Vermittlung anzustreben. Eine starke Identifikation mit der Organisation oder dem Beruf ist dabei durchaus moglich. In der Regel respektieren diese Manner „...die burokratischen Regein und administrativen Moglichkeiten und schopfen sie im Rahmen ihrer Moglichkeiten aus. Berufsstandisches Engagement, Kampf fur die Professionallsierung der Pflege wird grofl geschrieben. Trotz grofien beruflichen Engagements geraten sie kaum in Gefahr eines burn-outs, well sie Anspruche diffuser Art nicht als Teil ihrer Alltagsarbeit interpretieren."^^° Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, 95 ' Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, a.a.O., 89f. ^ Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, a.a.O., 91

165

Abb. 9: Das Ausbalancieren der Ich-ldentitat alterer Manner in der Pflege

Personale Identitat: Geschlechtsstereotypischer l\/lann

Soziale Identity:

Pliantom normaicy:

Identitat als Pflegekraft Handlungsbereitschaft und -fahigkeit wie weibliche Pflegekrafte

Switclien zwisclien Respektierung und Ablehnung berufliclier Envartungen und Ruckgriff auf „kulturelle Schablonen": Informale Vater- Chefrolle

Phantom uniqueness: Mannlich in „weibliclien Rollen" bleiben: „Altenpfleger wie Aitenpflegerin"

In den von H. UMMEL durchgefuhrten Beobachtungen und Interviews liefi sich ein umfangreicher Komplex an Zuschreibungen im Hinblick auf Mannern in der Pflege identifizieren die sich unter dem Etikett coolness zusammenfassen und die den Geschlechtemnterschied fiir Manner zu einer in mehrfacher Hinsicht vorteilhaften Unterscheidung werden lassen."®®'' „Der Zuschreibungskomplex der coolness ISsst Manner als .wesensmafiig' kompetent erscheinen."^®^ Es scheint letztendlich sogar so zu sein, dass Frauen die Manner... vor dem Konflikt mit

®®^ Ummel, H.: Mannliche ProfessionalitSt, ebd. ®®^ Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, 119

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dem [weiblichen] Berufs/abe/ und dem Vorurteil vom .schwulen Urinkellner' schutzen. Jedenfalls ubernimmt die Geschlechtermehrheit die Seibstdefinition der Minderheit und macht sie so zur allgemeinen und donninanten."^^^ Karriere beeinflusst die eigene Wahmehmung. Und beizeiten passt sich der „Ehrgeiz den Fakten an und die Zufriedenheit mit dem Erreichten nimmt zu." (N. LUHMANN, vgl. Kap. III.). Fur altere Manner in der Pflegearbeit kann das Verbleiben ein Mechanismus zur Unsicherheitsabsorptlon bedeuten, der ihnen gleichzeitig zur Reduktion von zu bearbeitender kontingenter Komplexitat dient. Sie bleiben, weil ihnen das Verbleiben Sicherheit suggeriert und sie qua Obernahnrie informaler Rollen assimilieren konnten bzw. in ihren „Leistungsnischen" zurecht gefunden haben. Frauen unterstiitzen dies, weil sie hiervon in mehrfacher Hinslcht profltieren. Und sei es vielleicht auch nur deshalb, weil sie den Mann als „Abteilungskran" (ge)brauchen. Dieser hilft gerne. Denn wer hilft, stellt seine Starke unter Bewels; die Frau bedankt sich."^^"^ ®^^

4.

Manner, die aufsteigen

Fur Manner sind die im Altenpflegeberuf moglichen Aufstlegschancen hoch relevant. Mehr als ein Drittel (37%) der Manner machen die Frage des dauerhaften Verbleibs im Beruf hiervon abhangig. Bereits in der Ausbildung streben Manner nicht selten Fuhmngspositionen an. In der Wahrnehmung von Weiterbildungsmoglichkeiten konkretisiert sich dieses Ziel. Leitungsweiterbildungen werden eher von Mannern besucht. 60% der Teilnehmer/innen an PDL-Weiterbildungsmaflnahmen sind Manner. Die Halfte von ihnen in der Altersgruppe uber 40 Jahre. Manner beginnen jedoch fruh nach Abschluss ihrer Ausbildung mit Weiterbildungen. Alle Teilnehmer an PDL-Weiterbildungsmafinahmen aus der BiBB-Studie haben bereits im ersten Berufsjahr nach ihrer Ausbildung mit der weiterfuhrenden Bildungsmalinahme begonnen. Dabei - so W. BECKER/B. MEIFORT - kann keiner dieser Manner auf qualifikatorische Vorteile oder adaquate Berufserfahrungen im Berufsfeld des Gesundheitswesens verweisen. Wie weiter oben bereits festgestellt wurde, sind drei VIertel der mannlichen Zweitberufler vorher in einer anderen Ausbildung gescheitert. In ihren Karrieren scheint die relativ geringe Zahl der Manner deutlich von den Karriere hindernden Faktoren der Frauen zu profltieren. Hier ist vor allem der hohe Anteil an Teilzeitbeschaftigung unter Frauen zu nennen (vgl. hierzu Kapitel VII.). Die Auswertung des zur Verfugung stehenden Materials macht deutlich, dass es Mannern in einem klassischen Frauenberuf, wie dem Altenpflegeberuf, nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Rolle als token gelingt, die zur Verfugung

Baecker, D.: Manner und Frauen, a.a.O., 140 (Fuflnote 25) ®®^ E. Goffman geht davon aus, dass die Hilfe, die Manner Frauen angedeihen lassen „die zivilisierte Form der Bedrohung mit physischer Gewalt" darstellt (s. vorherige FuRnote)

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stehenden Leitungspositionen zu besetzen. Die Daten aus der Sekundaranalyse geben einige Hinweise darauf, wie der Weg dieser Manner in die Leitungspositionen aussieht. Die insbesondere vom BIBB gelieferten Erklamngen und Begrundungen dazu konnen von uns niciit uberall geteilt werden. Das Autor/innenteam hat sich in der Analyse der Karriereverlaufe von Frauen und MSnnern bewusst fur eine systemtheoretische und (sozial-)psychologische Analyse des Sachverhalts entschieden, urn sich nicht von den vorliegenden statistischen Daten zu einem (vorschnellen) Ergebnis verleiten zu lassen. Fur die erste von W. BECKER/B. MEIFORT genannte Primarquelle zur Rekrutierung (mannlicher) Leitungskrafte in der Altenpflege, den „echten Professionen" fanden sich keine weiteren Hinweise in der untersuchten Literatur bzw. in den anderen ausgewerteten Untersuchungen. Im Hinblick auf die zweite in der BiBB-Studie erwahnten Primarquelle, den ..verbandsinternen kaufmannisch-ven/valtenden oder verbandspolitischen Mannerdomanen" gibt es hingegen deutlich bestatigende Hinweise. Korrelierend zur Dimension des Alters erfolgende Merkmalszuschreibungen („mannliche Fuhrungskompetenz") erieichtern Mannern den Zugriff auf Leitungspositionen im Frauenberuf Altenpflege. Denn: ..Entscheidungen zur Obergabe von leitenden Funktionsstellen fallen eher In Wurdigung des Lebensalters und mannlicher Fuhrungskompetenz als unter Berucksichtigung qualifikatorischer Leistungen und beruflich-professioneller Kompetenz und Erfahrung."®^® Bereits nach kurzer Berufszugehorigkeit gelingt es deshalb Mannern lohnende Aufstiegspositionen zu besetzen. Die Funktion der Wohnbereichsleitung dient dabei haufig als ein erstes Sprungbrett. Es kann in der Praxis beobachtet werden, dass Manner sich fur diese Funktionen gar nicht erst bewerben mussen: Sie werden von ihren unmittelbaren Vorgesetzten gefragt, ob sie die Funktion wahrnehmen mochten. „Dies und die Tatsache, dad die Leitungskurse oft erst im nach hinein absolviert werden, lasst darauf schlieden, dass Beziehungen zu den .entscheidenden' Stellen sowie informelle .FuhrungsquaJitaten' wichtiger sind als formalisierte Ausbildungen und pflegerisches Wissen, das quasi als selbstverstandliche Grundbedingung vorausgesetzt wird. Es fehlen auch Hinweise, dad sich langjahrige Berufspraxis ... positiv auf die Chance auswirkt, in der organisationellen Hierarchie aufzustelgen. Insgesamt kommen die formalen (Betriebstreue) wie auch die informellen Kriterien fur einen Aufstieg (raumliche Mobilitat wahrend der Ausbildung, zeitliche Flexibilitat...) Mannern eherentgegen als Frauen."^^^ Die aufsteigenden Manner berufen sich darauf, dass sie ihre personlichen Oder in der Ausblldung enA/orbenen Vorstellungen im Berufsalltag nicht umsetzen konnen (externe Attribution). Die Vereinbarkeit von Famllie und Beruf spielt hierbei lediglich in finanzieller Hinsicht eine Rolle (mogliches hoheres Einkommen). Manner profitieren in Frauenberufen von der patriarchalen Dividende. Der Begriff geht auf R.W. CONNEL zuruck^^®. Er beschreibt allgemein die materiellen und immateriellen Vorteile, welche Manner aus der vorherrschenden hierarchi^^ Becker, W. und Meifort, B.: Teil 1, a.a.O., 145 ^®^ Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, 104 ®®® Connel, R.W.: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Mannlichkeit, 2. Auf!., Opiaden, 2000, lOOf.

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schen Geschlechterordnung ziehen."^^® Die v. g. fur Manner forderlichen EnA/artungskriterien (Flexibilitat, Mobilitat) sind Teil dieser patriarchalen Dividende in dem sie sich an „...einen auf Kontinuitat gegrundeten Lebensentwurf und auf Vollzeiterwerbstatigkeit [orientieren], was bei l\4annern auch im geschlechtsuntypischen Beruf wolii der Normalfall zu sein scheint,..."^^°. Die karriererelevanten Besonderlieiten in NPOs kommen den Mannern als ein weiteres Element der patriarchalen Dividende zugute. Vom Hang der eiirenamtliciien - vorwiegend mannlichen - Vorstandsmitglieder zur Homosozialitat und zur Kooptation bei vorzunehmenden Einstellungen, profitieren IVIanner im Besonderen. Aus der Homosozialitat der Entscheidungstrager und moglicher weiterer Beteiligter (Stakeholder, Unterstutzer etc.) entwickelt sich ein emergentes (homosoziales) Regelwerk, auf das in Netzwerken zuruckgegriffen wird. Die Betonung des Informalen in NPOs ist der Netzwerkbildung und -aufrechterhaltung hochgradig forderlich. Informale Netzwerke wiederum sind gekennzeichnet durch eine hohe Affinitat und Anschlussbereitschaft fur die sozialen Kapitalien, die ihnen Personen als soziale Adressen in ihrer naheren Umwelt zur Verfugung stellen. Personen stellen die strukturelle Kopplung zwischen Bewusstsein mit seinen sozialen Kapitalien und Organisationen (NPOs, Altenheime etc.) her. Die NPOs bzw. Altenheime als Organisationen wiederum stellen sich als Multireferenz- bzw. Treffraum fur unterschiedliche Netzwerke zur Verfugung. Die Bedeutung der Netzwerke fur die Transformation okonomischer, kultureller und sozialer Kapitalien im Rahmen der Identitatsbildung haben H. KEUPP u.a. herausgestellt. Denn die Identitatsentwicklung ist weniger auf den Besitz der mehr Oder weniger ausgepragten Kapitalien zuruckzufiihren, sondern vielmehr auf der Art, „...wie diese im Rahmen einer Identitatsentwicklung fur die jeweiligen Prozesse in identatsrelevante Ablaufe ubersetzt werden."®^^ Optionsraume, soziale Relevanzstrukturen und Bewaltigungsressourcen dienen als Katalysator zur Ubersetzung der Kapitalien in identitatsrelevante Ressourcen. Optionsraume eroffnen Personen Moglichkeitsraume fur Identitatsentwurfe. „Die in meinem Netzwerk versammelten Personen bilden zugleich ein Netzwerk an moglichen Identitatsentwurfen und -projekten. Sie enthalten Vorbilder bzw. Spielvarianten biographischer Ablaufe, die unter verschiedenen Aspekten eingeordnet werden konnen."^^^ Relevanzstrulduren beeinflussen die identitatspragende Perspektive. „Die Entscheidung, welche identitatsrelevanten Perspektiven ich fur meine Person zulasse, erfolgt stets in einem - oft impliziten - Aushandlungsprozess im sozialen Netzwerk."®''^ „Was ich zu einem Identitatsentwurf oder -projekt mache, hangt stark von der Bewertung durch signifikante Andere meines Netzwerkes ab...."^^^ Doge, P.: Mannerforschung als Beitrag zur Geschlechterdemokratie. Ans^tze kritischer Mannerforschung im Uberblick. Literaturstudie im Auftrag des Bundesministeriums fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin 1999,16 ®^° Ummel, H.: Mannliche Professionalitat, 104 ®^^ Keupp, H. u.a.: a.a.O., 201 ®^^ Keupp, H. u.a.: a.a.O., 202 ®^^ Keupp, H. u.a.: a.a.O., 203 ®^' Keupp, H. u.a.: ebd.

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Soziale Netzwerke stellen als drittes Bewaltigungsressourcen zur Verfugung. Sie fungieren in OrientJemngskrisen als Ruckhalt und emotionale Stutze."®^^ Abb. 10: Katalysierende Wirkung sozialer Netzwerke auf die IdentitStsentwicklung von Personen

NETZWERKE

dkonomische Kapitalien

als

\

Optionsraume

^

Soziale Kapitalien

Kulturelle Kapitalien

^

^

Identitdts^ bildung

Soziale Relevanzstrukturen Bewaltigungsressourcen

NPOs Mitarbeiter/innen mit gleichen oder ahnljchen Positionen uber hochst unterschiedliche Kapitalien verfugen. Es sind nicht die Kapitalien an sich bzw. deren Akkumulation entscheldend. Vielmehr ist die Nutzung von Netzwerken als Optionsraume, soziale Relevanzstrukturen und Bewaltigungsstrukturen zur Identitatsbildung hoch relevant. Manner in der Pflege konnen mangelnde fachliche bzw. managerielle Kompetenz durch entsprechende Nutzung der Netzwerke eher kompensieren als Frauen. Der hohe Grad an InformalitSt In Altenheimen als Organisationen und im Funktionssystem Pflege bietet ihnen den entsprechenden Nahrboden hierzu. Sie erhalten aufgrund ihrer Position im Netzwerk schnellen Zugang zu den .glass elevators' bzw. erreichen uber .glass escalators' entsprechende Karriereplateaus, die ihnen weitere Perspektiven oder zumindest eine genehme Leistungsnische bleten, in der es sich aushalten lasst. Von Mannern wird eher en/vartet, dass sie den Karren aufgrund ihrer Netzwerkeinbindung durch das Gefilde ambiguoser Erwartungen und unterschiedlicher (Funktionssystem-)Logiken Ziehen konnen. Eine besondere Form der Netzwerke stellen m^nnerbundische Organisationsformen dar. „Kennzeichnend fur Mannerbunde sind die raumlichen und sozialen Absonderung der Manner in exklusiven und abgeschirmten Gruppen und Orten, die Kultivierung von mannllchen Ritualen, mit denen der Zusammenhalt des M^nnerbundes gefordert wird, die Leugnung der schopferischen Kraft von Frauen, die Zelebratlon von HSrte und Verantwortung, die Ablehnung bis hin zur Verfemung von Homosexualitat und schliefllich die Oberbetonung der schopferischen Rolle des Mannes. (...) Fasst man die Ergebnisse der kulturgeschichtlichen und ethnologi-

' Keupp, H. u.a.: ebd.

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schen Forschung zusammen, so entstehen Mannerbunde mit der Ausweitung und Aufiendifferenzierung der vorher auf die Familien zentrierten Stammesgesellschaft."®^^ Mannerbunde sind, systemisch ausgedruckt, ein Residuum der segmentierten Gesellschaftsform, das sich in organisationsinternen und transorganisationalen Strukturen wie in einem Reservat niedergelassen hat. Organisationen sind keine zweckrationalen Gebilde, sondern jene Raume, in denen sich Manner mit und an hegemonialen IVIannlichkeiten abarbeiten konnen/sollen/mussen und sich die Mannlichkeit des einzelnen bewahren kann/ muss."^^^ ..Organisation bedeutet immer Trennung, weil Arbeitsteilung realisiert werden muli. E.E. KRAINZ spricht diesbezuglich Frauen in Organisationen eine hohere Bindungsorientierung (Kohasionsfahigkeit) und IVIannern eine groflere Trennungsbereitschaft zu. „Was die Frauen an Trennungsangst ins organisatorische Feld einbringen, trifft dort auf ein mannliches Gegenstuck, die Bindungsangst."^^^ H. UMMEL hat in seinem oben zitierten Beitrag diese Formen mannlicher Netzwerkbildung auch im Frauenberuf der Pflege und seinen Institutionen entdeckt. Grenzbildung erfolgt auch hier von Mannern. Sie inkludieren sich in besonderer Weise bzw. exkludieren Frauen durch bestimmte Rituale (l\/lannerstammtisch etc.). E.E. KRAINZ entwirft drei Hauptmotive, weshalb sich Manner untereinander und ohne Frauen gruppieren und damit eine Exklusion von Frauen in Organisationen bewirken (wollen): Homophilie, Heterophobie und narzilitische Kompensation^''^. Homophilie ist ein .Bindemittei' auf Gruppenebene,..."®®° und von der Homosexualitat insofern abzugrenzen als letztere zur Zweierbeziehung tendiert, was von Mannerbunden als gruppenfeindlich gesehen wird. ..Heterophobie nahert Manner automatlsch einander an (soweit die Homophobie sie lasst)."®®^ Es handelt sich um eine angstmotivierte Geschlechterseparation. Denn, „dem Mannerbundischen ist das Weibliche in alien Aspekten unheimlich oder zumindest mysteries..."^^^ In der narzisstischen Kompensation geht es um die Kompensation von Selbstwertdeflzlten, die bei Mannern auftreten, weil es die Frauen sind, die gebaren (ein schopferischer Akt, der ihnen versagt bleibt). Diese drei Motive bilden ein Konglomerat mit je unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, das in seiner Tendenz zur Exklusion von Frauen fuhrt. Dabei ist nicht zu verkennen, dass ein Mannerbund niemals nur das [ist], was sich auch als solches deklariert. Mannerbunde aufiern sich vor allem in modernen Gesellschaften auf vielfaltige informelle und latente Weisen, ,die oftmals nur faktisch mannerbundisch wirken' (Kresiky, 1995, 109). Das .Mannerbundsyndrom', das Ni-

®^® Bruckner, M. und Bohnisch, L. (Hrsg.): Geschlechterverhaltnisse. Gesellschaftliche Konstruktionen und Perspektiven ihrer Veranderung, Weinheim und Munchen 2001, 69 ®^^ Lehner, E.: Die Organisation als Mannerbund. In: Wolf, M. (Hrsg.): Frauen und Manner in Organisationen und Leitungsfunktionen. Unbewusste Prozesse und die Dynamik von Macht und Geschlecht, Frankfurt a.M. 2002,19-36 Krainz, E.E.: Kooperation und Geschlecht. In: Gruppendynamik, 22. Jg., 1991, 415 - 441 Krainz, E.E.: Mannerbundische Organisation, lOff. ®®° Krainz, E.E.: Mannerbundische Organisation, 11 ^^^ Krainz, E.E.: Mannerbundische Organisation, 12 ®®^ Krainz, E.E.: Mannerbundische Organisation, ebd.

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colaus Sombart vom .Mannerbund' als soziologischen Idealtypus unterscheidet, wirkt als .psychisches Verhaltensmuster und als Mentalitatsraster' auch dort, wo es keine spezifische Bildung eines Mannerbundes gibt. Denn es wurzelt in einer psychischen Disposition..."®®^ Mannerbundische Netzwerke sind von einer hierarchischen Binnenstruktur gepragt mit einer oft zentralen Person des .Mannerhelden' im Zentrum. Urn ihn „...scharen sich die libidinos gebundenen .Bruder', ,Freunde', .Kameraden'. Mannerbijnde haben eigene Verkehrsformen, WertmaBstabe und Denkfiguren: Treue, Ehre, Gefolgschaft, Gehorsam, Unterwerfung,..."®®^ E. LEHNER benennt (in Aniehnung an Hoyng/Pruchert 1996, 165 - 175) funf Elemente nnannerbundischer Strukturen, die wir im Folgenden auf die Merkmale der sekundSren Inklusion nach H.-J. HOHM (vgl. Kapitel V. Pkt. 3) beziehen werden und des Weiteren auf Altonpflegeeinrichtungen ubertragen werden.

Hierarchie und Anciennitatsprinzip^^^: Jm Element der Hierarchie verdichtet sich die von hegemonialer Mannlichkeit gepragte Lebenswelt. (...) Das Anciennitatsprinzip bezeichnet das in hierarchischen Gebilden besonders wichtige Vorrucken nach Dienstalter und nicht nach Leistung."®®®

Als sachliches Merkmal sekundarer Inklusion haben wir in Kapital VI. auf die langere Berufstatigkeit verwiesen. Diese kommt Mannern in der Pflege aufgrund des hohen Anteils an teilzeitbeschaftigten Frauen und an Frauen, die wegen der Erziehung ihrer Kinder die berufliche Karriere unterbrechen, zugute. Auch H. UMMEL verweist darauf, dass Beziehungen und informell zugeschriebene mannliche Fuhrungsqualitaten, unter Ausblendung von tatsachlich erbrachten Lelstungsnachweisen, entscheidend sind, fur die Besetzung von Leitungspositionen mIt Mannern. Haben diese eine zeitlang bestimmte Positionen inne gehabt (.informaie Probezeit'), sorgt das mannerbundische Netzwerk und seine informaie Hierarchie fur die .Beforderung' auf ein hoheres Karriereplateau. Fachlichen Qualifikationen kommt dabei eine ledigllch marginale Bedeutung zu (im Sinne der Erfullung gesetzlicher Mindstanforderungen).

Verfugbarkeit und Loyalitat: „Gerade in den oberen hierarchischen Ebenen wird sehr oft eine Verfugbarkeit uber die Dienstzeit hinaus erwartet, die als Gradmesser dafur genommen wird, wie wichtig einem die Organisation ist. Notwendigen/veise mussen auch den hlerarchisch hoher Gestellten Loyalitatsbeweise dargebracht werden, die darin bestehen. ' Lehner, E.: a.a.O., 29 [ Lehner, E.: a.a.O., ebd. ' Anciennitat: (frz.) anciennete: Dienst-, Altersfolge

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dass man die Entscheidungen und Einschatzungen des Vorgesetzten wichtiger ansieht als die eigenen. (...) Man muss jedocli auch liier Prufungen und Probezeiten bestehen, ehe man zum ,Club' gehort."^^'' Hier lasst sich unschwer auf das zeitliche Merkmal der sekundaren Inklusion rekurrieren. Verftigbarkeit bedeutet demzufolge wiederum eine hohere Zeitabsorption, die von Frauen in der Pflege niclit (immer) zu gewahrleisten ist.

Absonderung von Mannern durch Zugangsbeschrankungen fur Frauen: „Frauen werden naturlicli nicht mehr explizit ausgeschlossen. Dennoch: Mitglieder der Gruppe der Manner sind okonomiscli machtiger, sie sind mit den Spielregein vertrauter und damit potenziell wichtiger, Manner erscheinen Manner aktiver und effektiver, sind insgesamt fur Manner gleicher....(...) Schliefilich aufiert sich dieses Element ganz deutlich in der geschlechtsspezifischen Aufteilung zwischen Zentrum und Rand der Organisation, in der Manner sehr oft im Zentrum der Organisation leiten und fuhren und Frauen an der .Front' im Kontakt mit den Klient/innen fur die Organisation arbeiten,..."^®^. In den Organisationen der stationaren Altenpflege bildet sich eben dieses Bild ab. Die Mehrzahl der Leitungskrafte im Zentrum sind Manner. Hierfur erhalten sie - als weiteres Zeichen der sekundaren Inklusion - ein monitares Aquivalent (okonomisches Merkmal der sekundaren Inklusion). An dieser Stelle entfalten die von D. BAECKER und L. OHLENDIECK beschriebenen .glass ceilings' und .glass walls' ihre vorteilhafte Wirkung fur Manner.

Mannergemeinschaft - Mannerfreundschaft: Hierauf wurde bereits anhand der Beispiele von H. UMMEL naher eingegangen (Mannerstammtische etc.; s. o.).

Konkurrenzkampfe: ..Konkurrenz ist ein allgegenwartiges Kennzeichen mannlicher Sozialformen. Beliebtes Feld, derartige Konkurrenz auszutragen, sind sehr oft Sachfragen, die als Vehikel fur den Kampf um Macht und Ressourcen dienen. Informationen und Informationsweitergabe^^^ spielen hier eine grofle Rolle, genauso wie die Frage, wer zu wem halt. (...) Eine spezifisch mannliche Form, diese Konkurrenz auszutragen ist die mittels Sexualitat. Witze uber Frauen, aber auch uber Homosexuelle, haben hier beispielsweise die Funktion, sich einerseits der eigenen Mannlichkeit zu vergewisLehner, E.: ebd. * Lehner, E.: a.a.O., 32 ^ vgl. hierzu: Popitz, H.: Phanomene der Macht, 2. stark erw. Aufl., Tubingen 1999, 31ff.

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sern, aber auch in der Konkurrenz mit anderen Mannern zu bestehen."®^° Dabei laufen Manner Gefahr, dass sie bestimmte Grenzen uberschreiten, wenn der Konkurrenzkampf eskaliert. Dies ist eindeutig dort der Fall wo sie in Gewalt umschlagen oder aber mit kriminellen Mittein ausgetragen werden. Riskante, die Grenze der Legalitat uberschreitende wirtschaftliche Transaktionen, sind auch verstehbar aus dem Zwang zum Erfolg innerhalb mannlicher Lebenszusammenhange (Messerschmidt 1993. 85)."®®^ Im Hinblick auf die Konkurrenzkampfe der Manner konnen wir auf soziale Merkmale der sekundaren Inklusion rekurrieren. Es geht urn die personlichen Dispositlonsspielraume, urn die Bereichsmacht, die die Position ermoglicht. Das Spannungsfeld von Loyalitat und Konkurrenzkampf, im Sinne der trivialen Dichotomie ,Wer nicht zu mirgehort ist gegen mich!' ist unter mannlichen Leitungskraften von Pflegeeinrichtungen weit verbreitet und lasst sich insbesondere dort beobachten, wo diese - freiwillig oder uber ihre Funktion -- aufeinander treffen: In Pflegekonferenzen, auf politischen oder berufspolitischen Veranstaltungen etc., die zu Buhnen mannlicher Eitelkeiten werden konnen. „Wesentliche Momente, die das Funktionieren von Organisation sicherstellen und fur die komplexen dynamischen Prozesse in Organisationen sorgen - Hierarchie, Hierarchiekrise, Systemabwehr, die Funktionalisierung von Gefuhlen durch die Organisation -, lassen Eitelkeit als emergentes Phanomen ebendleser Dynamik erscheinen."^^^ Eitelkeit erscheint als entfesselter Egoismus, sobald ,der Mensch' nicht gebunden oder eingebunden ist. Je mehr Individualitat also, desto mehr Eitelkeit."®®^,,..(D)ie organisatorischen Rahmenbedingungen, also der NShrboden, in dem sich dieses Phanomen (der Eitelkeit, A. d. A.) entwickein kann, wie auch die individuellen Auswirkungen auf die personliche Befindlichkeit, unter Umstanden sogar auf die Gesundheit der Beteiligten und Betroffenen, werden zumeist nicht hinterfragt."®^ Es ist nicht ausgeschlossen, dass einen Konkurrenz und Eitelkeit in Distinktionszwange treiben kann, im Zwang sich abzuheben von anderen und sich auszuzeichnen. Diese Zwanghaftigkelt verbirgt sich nicht selten hinter dem kosten- und personalintensivem Bemuhen um Zertifizierung oder dem Versuch, Qualitatspreise zu gewinnen: Auszeichnungen, die dann leicht Personen zugeschrieben werden konnen. Auch dies durfte Ausdruck m^nnlichen Konkurrenzgebarens sein.

^^° Lehner, E.: a.a.O., 33 ^^' Lehner, E.: ebd. ®®^ Krainz, E.E. und Groli, H. (Hrsg.): Eitelkeit im Management - Kosten und Chancen. In: Dies.: Eitelkeit im Management. Kosten und Cliancen eines verdeckten Phanomens, Wiesbaden 1998, 9 16 ®^^ Krainz, E.E. und GroR, H. (Hrsg.): a.a.O., 15 ^^^ Krainz, E.E. und GroB, H. (Hrsg.): ebd.

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Schlussbemerkung In Ruckschau auf unsere Diplomarbeit sei uns folgende Schlussbemerkung eriaubt: Die vorliegende Abhandlung hat uns tief in ganz unterschiedliche und doch eng zusannmenspielende Theoriefelder gefuhrt. Die Erkenntnis, In welcher VIelfalt Einflussfaktoren auf das Phanomen Karriere einwirken und sich gleiche Einflussfaktoren durch das Geschlecht divers auswirken, begleitet uns und wird unser Beobachten und Handein im Berufsfeld verandem. Wir haben versucht, unsere diversen Beobachtungen und die von uns entwickelten Theoriefolien zueinander in Beziehung zu setzen, und daraus unsere Schlusse zu Ziehen. Im Bewusstsein der Interdependenz aller angesprochenen Faktoren und Phanomene, kann der Frage nach Geschlechterdifferenzierung eine neue fur uns erganzende Fragestellung hinzugefugt werden. Konnen Karriereverlaufe, nach unserem erv\/eiterten (Vor-)Verstandnls uberhaupt miteinander verglichen werden? Die Frage ist aus unserer Sicht zu bejahen. Die Karriere von Frauen und Mannern lasst sich u. E. im SInne einer Konfrontation (Gegenuberstellung) sozialpsychologisch und systemtheoretisch durchaus vergleichen. Mit diesem wissenschaftstheoretisch begrundeten Vergleich lasst sich u. E. die Anschaulichkeit des Phanomens erhohen. Ein Kernpunkt der von uns vorgenommenen Unterscheidung der weiblichen und der mannlichen Karriereverlaufe in der Altenpflege stellten Inklusions- bzw. Exklusionsbedingungen dar, die durch die geschlechtsbezogenen Spezifizierungen von Erwartungen hervorgerufen werden. Wir konnten feststellen, dass sowohl soziale als auch psychische Systeme in ihren operativen Beobachtungen aufgrund ihrer nicht gegebenen Autarkie (trotz gegebener Autonomie) von den zeitlich stabilen Mustern der Merkmale ..typischer" Frauen und „typischer" Manner hochgradig infizierbar sind. Denn die Erwartungen von psychlschen und sozialen Systemen werden durch die Brille der Geschlechterstereotypen an die Personen in ihrer Umwelt gerichtet. Uber Personen als Bundel systeminterner und systemexterner Rollenverpflichtungen, transferiert die Geschlechterdifferenzen, die in einem System (Familie) relevant ist, in andere Systeme. Durch diesen Mechanismus werden immer wieder andere Systeme mit dem gesellschaftlichen Residuum der Geschlechterdifferenz infiziert. Es kommt so zur Ausbildung von En/vartungen, die, well sich diese an als geschlechtlich verstandene Personen orientieren, geschlechtsdifferenzierende und geschlechtstypisierende Erwartungen sind. Dementsprechend kann das Geschlecht der Person zum „heimlichen Exklusionskriterium" (C. WEINBACH/R. STICHWEH, 2001) werden.

Dem kommt im Altonpflegeberuf, in dem es im Alltag um die Konkretisierung einer abstrakt erfassten Rolle durch eine geschlechtliche Person geht, eine besondere Bedeutung zu. Die unterschiedlichen geschlechtsstereotypen Erwartungen an Frauen und Mannern in der Altenpflege scheinen nicht nur zeitlich stabil, sondern ebenso in ihrer Positionsgebundenheit residual gepragt. Offen bleibt die Frage, wie sich die Unterschiede im Karriereverlauf von Frauen und Mannern auf die Wahrnehmung von Leitungspositionen durch Frauen

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und Mannern in der Altenpflege auswirkt. Diese - weiterfuhrende - Fragestellung war nicht Thema dieser Arbeit und dennoch bleibt sie (fur uns) interessant.

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Anhang: 1. Anschreiben an die Verbande, Organisationen etc. 2. Liste der Verbande und Organisationen 3. Anschreiben an die Heimaufsichtsbehorden in acht Bundeslander 4. Angescliriebene kreisfreien Stadte und Landkreise in NRW 5. Tabellarische Zusammenstellung der Antworten der VerbSnde etc. 6. Tabellarische Zusammenstellung der Antworten der Heimaufsichtsbehorden 7. Auswertung der Daten des Bundesamtes fur Statistik zum Beschaftigungsumfang von Frauen und Mannern in der Altenpflege 8. Auswertung der von der Stadt Gelsenkirchen zur Verfugung gestellten Daten

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Aniage 1

MANFRED BORUTTA Kroitzheider Weg 55 52076 Aachen [email protected]

An die Verb^nde, Organisationen, Ministerien etc Aachen,

Sehr geehrte Daman und Herren, zur Erstellung einer Diplomarbeit, die ich gemeinsam mit meiner Kommilitonin Frau Christiana Giaslar (Wuppartal) im Fach Pflagamanagement an der Katholischen FachiiochsciiuJe in Koln anfertiga, benotigen wir Daten ubar die Qualifikation und die Geschlechterverteilung von Heimleiter/innen bzw. Geschaftsfuhrer/innen in den uber 9.000 Alten- und Pflegeheimen in Deutschland. Sofern Sie uber Datenmaterial verfiigen, mociiten wir Sie bitten, uns zu folgenden Fragen Informationen zukommen zu lassen: 1. Wie ist die Gesciileciiterverteiiung zwischen Frauen und l\/lannern (in Prozent) auf der vg. Leitungsebene (Heimleiter/innen; Geschaftsfuhrer/innen) in den Altenheimen? 2. Wie sieht die Altersverteiiung bei den Heimleiter/innen und Geschaftsfiihrer/innen aus? 3. Ober welche grundstandige Ausbildung verfugen die Heimleitungen (Pflegeausbildung, kaufmannische Ausbildung, VenA/altungsausbildung etc.)? 4. Ober welche Zusatzqualifikationen verfugen die derzeit tatigen Heimleiter/innen und Geschaftsfiihrer/innen von Aitenpflegeeinrichtungen? 5. Wie viele der Heimleitungen bzw. Geschaftsfuhrer/innen (in Prozent) verfiigen derzeit uber eine Qualifikation mit akademischen Grad im Bereich Pflegemanagement / Pflegewirt o.a.? 6. Wie bewertet Ihre Behorde das derzeitige Qualifikationsniveau der Heimleitungen bzw. Geschaftsfuhrungen und den Qualifizierungsbedarf dieser Berufsgruppe? Wir waren Ihnen fur eine Beantwortung bis zum 31. MSrz 2004 sehr dankbar.

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Aniage 2 Liste der angeschriebene Einrichtungen: Behorden: o Bundesministerium fur Gesundheit und Soziale Sicherung (Abteilung 2 - Pflegeversicherung), Berlin; o Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Abteilung 3 - Altere Menschen), Berlin; o Statistisches Bundesamt, Wiesbaden; o Landschaftsverband Rheinland, Koln. Interessenverbande, Berufsverbande und Gewerkschaft: o Deutscher Verband der Leitungskrafte von Alten- und Behinderteneinrichtungen e.V. (DVLAB), Berlin; o Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e.V. (VDAB), Essen; o Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (BPA), Berlin; o Deutscher Berufsverband fur Altenpflegerinnen und Altenpflege (DBVA), Duisburg; o Deutscher Berufsverband fur Pflegeberufe (DBfK), Berlin; o Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e.V. (Ver.di), Berlin; o Deutscher Verein fur Pflegewissenschaft e.V., Duisburg; o Deutscher Pflegerat (DPR), Berlin. WohlfahrtsverbSnde, Pflegekassen u.a. Einrichtungen o Bundsarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. (BAG FW). Berlin; o AOK-Bundesverband, Bonn; o Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA), Koln; o Deutscher Verein fur offentliche und private Fursorge (DV), Frankfurt a.M.. Zur Form der Antworten: Funf der angeschriebenen Einrichtungen (DVLAB, KDA, Ver.di, BAG FW, Statistisches Bundesamt) antworteten mit einem kurzen Brief. Die BAG FW bat uns zur Beantwortung unserer Fragen darum, die sechs Mitgliedsverbande der BAG FW anzuschreiben. Daraufhin haben wir die sechs Wohlfahrtsverbande im Einzelnen angeschrieben. Sieben Einrichtungen haben uns per E-Mail geantwortet (BM fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BPA, DBfK, DBVA, DV, LVR, AOKBundesverband). Drei Einrichtungen haben sich per Telefon gemeldet (BM fiir Gesundheit und Soziale Sicherung, Deutscher Verein fur Pflegewissenschaft, VDAB). Der DPR hat sich - trotz Erinnerung per E-Mail - nicht auf unsere Anfrage gemeldet. Ebenso Die ArbeitenA^ohlfahrt, das Diakonische Werk und das Deutsche Rote Kreuz.

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Aniage 3

MANFRED BORUTTA Kroitzheider Weg 55 52076 Aachen [email protected]

An die Heimaufsichtsbehorden Aachen ,

Sehr geehrte Damen und Herren, zur Erstellung einer Diplomarbeit, die ich gemeinsam mit meiner Kommilitonin Frau Christiane Giesler (Wuppertal) im Fach Pflegemanagement an der Katholischen Fachhochschule in Koln anfertige, benStigen wir Daten uber die Qualifikation und die Geschiechterverteiiung von Heimleiter/innen bzw. Geschaftsfijhrer/innen in den uber 9.000 Alten- und Pflegeheimen in Deutschland. Sofern Sie uber Datenmaterial verfugen, mochten wir Sie bitten, uns zu folgenden Fragen Informationen zukommen zu lassen: 1. Wie ist die Geschiechterverteiiung zwischen Frauen und M^nnern (in Prozent) auf der vg. Leitungsebene (Heimleiter/innen; Geschaftsfuhrer/innen) in den Altenheimen? 2. Wie sieht die Altersverteilung bei den Heimleiter/innen und Gesch^ftsfijhrer/innen aus? 3. Uber welche grundstandige Ausbildung verfugen die Heimleitungen (Pflegeausbildung, kaufmannische Ausbildung, Ven/valtungsausbildung etc.)? 4. Uber welche Zusatzqualifikationen verfugen die derzeit tatigen Heimleiter/innen und Geschaftsfuhrer/innen von Altenpflegeeinrlchtungen? 5. Wie viele der Heimleitungen bzw. GeschSftsfuhrer/innen (in Prozent) verfugen derzeit uber eine Qualifikation mit akademischen Grad im Bereich Pflegemanagement / Pflegewirt o.a.? 6. Wie bewertet Ihre Behorde das derzeitige Qualifikationsniveau der Heimleitungen bzw. Geschaftsfuhrungen und den Qualifizierungsbedarf dieser Berufsgruppe? Wir waren Ihnen fur eine Beantwortung bis zum 31. MSrz 2004 sehr dankbar.

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Aniage 4 Angeschriebene Heimaufsichtsbehorden in NRW Regierungsbezirk

Grollte kreisfreie Stadt (EW in 1000)

Kleinster Landkreis (EW In 1000)

Arnsberg (3.80 Mio. EW)

Dortmund (590,8)

OIpe (142,1)

Detmold (2,07 Mio. EW)

Bielefeld (324,8)

Hoxter (155.4)

Dusseldorf (5,25 Mio. EW) Essen (585,5)

Viersen (304.0)

Koln (4,33 Mio. EW)

Koln (968.6)

Euskirchen (191.6)

Munster (2,63 Mio. EW)

Gelsenkirchen (274,9)

Coesfeld (218.6)

Gesamt: 18,08 Mio. EW

Gesamt: 2,745 Mio. EW

Gesamt: 1.012 Mio. EW

Insgesamt leben in den in NRW angeschriebenen kreisfreien StSdten und Landkreisen 3,76 Mio. Einwohner (20,8% der Gesamteinwohner in NRW).

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Aniage 5 Antworten der Ministerien, VerbMnde und Vereine BM fur Gesundheit und Soziale Sicherung Abteilung 2 - Pflegeversicherung Wilhelmstr. 49,11017 Berlin Tel.: 01888-4410 E-mail: Doststelle0jbmas.bund.de BM fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend Abteilung 3 - Altere Menschen 10117 Berlin Tel.: 030-206550 E-mail: poststeiletSJbmfsfi.bund.de DVLAB - Deutscher Verband der LeitungskrSfte von Alten- und Behlnderteneinrichtungen e.V. Heinlckeweg 15,13627 Berlin Tel.: 030-38303830 E-mail: [email protected] Kuratorium Deutsche Altershilfe An der Pauluskirche 3, 50677 Koln Tel.: 0221-9318470 E-mail: [email protected] Deutscher Verein fur Pflegewissenschaft e.V. Burgerstr. 47, 47057 Duisburg Tel.: 0203-356793 E-mail: info^dv-ofleaewissenschaft.de Ver.di - Vereinte Dienstlelstungsgewerkschaft e.V. Bundesvorstand Potsdamer Platz 10,10785 Berlin Tel.: 030-69560 E-mail: infoOverdi.de VDAB -Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e.V. Im Teelbruch 132,45219 Essen Tel.: 02054-95780 E-mail: [email protected] DPR - Deutscher Pflegerat 1 Postfach 310380 10633 Berlin BPA - Bundesverband privater Anbleter sozialer Dienste e.V. Bundesgeschaftsstelle Hannoversche Strafle 19,10115 Berlin Tel.: 030-30878860 E-mail: [email protected] DBfK - Deutscher Bemfsverband fiir Pflegeberufe Geisbergstr. 39,10777 Berlin Tel.: 030-2191570 E-mail: [email protected]

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Tel. RuckrufvonHr. K.: „Es liegen keine Informationen vor"

E-Mail: „Keine Informationen oder Statistiken" - Hinweis auf Pflegestatistik

Brief: „Kein Datenmaterial"

Brief: ..Keine Daten vorhanden" Publikationskatalog zugesandt. Keine Beantwortung der Fragen! Anruf von Frau M: „Keine Daten" Empfehlung: Erhebung selber durchfuhren Brief: „Keine Daten" Frage 6 jedoch beantwortet!

Tel. Anruf von Hr. F.: „Keine Daten"

Keine Antwort Per E-Mail erinnert: Weiterhin keine Antwort! Antwort per E-Mail: „Keine Daten"

E-Mail: „Keine Daten

1

DBVA - Deutscher Berufsverband fur Altenpfleger/innen Sonnenwall 15,47051 Duisburg Tel.: 0203-299427 E-mail: infotajdbva.de Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. Oranienburger Str. 1 3 - 1 4 , 10178 Berlin Tel.: 030-24089-0 E-mail: info(S).baa-wohlfahrt.de DV - Deutscher Verein fur offentliche und private Fursorge Am Stockborn 1 - 3, 60439 Frankfurt a.M Tel.: 069-95807-01 E-mail: kontakt(QJdeutscher-vereln.de LVR - Landschaftsverband Rheinland 50663 Koln Tel.: 0221-8090 E-mail: Post(®lvr.de AOK-Bundesverband Kortrijker Str. 1, 53177 Bonn Tel.: 0228-8430 E-mail: [email protected] Statistisches Bundesamt Statistischer Informationsservice Gustav-Stresemann-Ring 11, 65189 Wiesbaden Tel.: 0611-752405 E-mail: info(S)destatls.de Zentralwohlfahrtsverband der Juden 60318 Frankfurt a.M. E-Mail: von bassewltzcSJzwst.ora Deutscher Caritasverband e.V. Abteilung Soziales und Gesundheit Referat Altenhilfe Karlstr. 40, 79104 Freiburg E-Mai: Elisabeth.Fix(a)caritas.de DPWV-Gesamtverband Heinrich-Hoffmann-Str. 3, 60528 Frankfurt a.M. E-Mail: altenhilfe(QjDaritaet.orq ArbeitenA/ohlfahrt Bundesverband e.V. OppelnerStr. 130, 53119 Bonn Tel.: 0228-6685-209 Deutsches Rotes Kreuz Carstenstr. 59,12205 Berlin Tel.: 030-854040 Diakonisches Werk Der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. Stafflenbergstr. 76, 70184 Stuttgart, Tel.: 0711-21590

Keine Antwort Per E-Mail erinnert: Weiterhin keine Antwort

1

Brief: „Keine Daten" Hinweis auf die Mitgliedsorganisationen

Antwort per E-Mail: ..Keine Daten"

1

Keine Antwort Per E-Mail erinnert: Weiterhin keine Antwort Antwort per E-Mail: ..Keine Daten" Hinweis auf: www.destatis.de www.bmfsfi.de ZunSchst keine Antwort. Erinnerung per E-Mail: Ausfuhrliches Antwortschreiben erhalten

Obersendet Liste der sieben judischen Altenheime in Deutschland Antwort per E-Mail: Keine Daten vorhanden. Unsicher, Ob es solche Daten generell gibt. Hinweis auf Pflegestatistik und Altenheim-Adressbuch Form-Schreiben Keine nahere Beantwortung unserer Fragen Keine Antwort

Keine Antwort

Keine Antwort

183

Aniage 6 Antworten der angeschriebenen Heimaufsichtsbehdrden aus den acht BL: Bundesland BadenWurttemberg

Datum /Form der Antworten 23.04.04 Brief

Berlin

10.03.2004 Brief

Brandenburg

10.03.2004 Brief

Bremen

03.03.2004 E-Mail

Niedersachen

01.03.2004 Brief und 15.03.2004 Brief

RheinlandPfalz

18.03.2004 E-Mail

Saarland

02.03.2004 Brief

SachsenAnhalt

24.03.2004 Brief

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Inhalt der Antworten Es liegen keine Daten vor. Die Beschaffung der Daten ware mit unverhaktnism^fiigenri Aufwand verbunden." Auf § 2 der HeimPersV wird verwiesen. Die zust^ndige Behdrde kann kein Datenmaterial liefern. Entsprechende Statistiken werden nicht erhoben. Hinweis auf Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend und auf das Statistische Landesamt Berlin. Man geht davon aus dass viele der von Ihnen erhofften Informationen tatsSchlich vorliegen." Es ist jedoch ausgeschlossen, „.. .den zur Bedienung Ihrer Anfrage erheblichen Aufwand zur Aufbereitung der Informationen vorzunehmen." Behdrde verfugt uber keine Qualifikationsubersicht bei den Heimleitungen. Die Qualifikation wird aber im Rahmen des Anzeigeverfahrens nach HeimG ubrpruft. „Zu grofier Zeitaufwand fur das Sichten der Akten." Heimverzeichnis (Excell-Tabelle) liegt dem E-Mail bei. Das Niedersachsische Landesamt fur Zentrale Soziale Aufgaben ist nur fur „die Betreuung von Einrichtungen der Eingliederungshilfe" zustSndig. Das NiedersSchsische Ministerium fur Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit teilt mit, dass „die Daten liegen nicht vor". Die Heimpersonalverordnung wird als Kopie dem Schreiben beigefugt (1). Der Arbeits- und Zeitaufwand zur Erhebung der Daten ist zu hoch. Hinweis darauf, dass das Heimgesetz fur GeschSftsfuhrungen, die nicht gleichzeitig Heimleitung sind, keine gesetzlichen Anzeige- und Mitteilungspflichten vorsieht. Hinweis auf einen Internet-Link der Hompage des zustcindigen Ministeriums, um alle stationaren Einrichtungen in RP anzeigen zu lassen. Es „existieren keine landesweiten Aufzeichnungen. Statistiken werden auch nicht gefuhrt." Erhebungen mussten erst noch durchgefuhrt werden. Die momentane Personalausstattung der Beh6rde lasst dies nicht zu. Eine Erhebung der angefragten Daten wurde bisher nicht durchgefuhrt. Hinweis auf die Internetseite der Altenheime in Sachsen-Anhalt.

1

Aniage 7 Beschaftigte in stationaren Einrichtungen (Pflegeheime) Ende 2001 (Quelle der Daten: Statistisches Bundesamt, 2003) Personal insgesamt 475.368

Vollzeit

VZ in %

Teilzeit

TZ in %

218.898

226.432

mannlich

73.728 (15,5%)

42.324 (19,3%)

weiblich

401.640 (84,5%)

176.574 (80,7%)

46,0% d. Ges.Pers. 57% des mannl. Pers. 44% des weibl. Pers.

47,6% d. Ges.Pers. 23,6% des mannl. Pers. 52,0% des weibl. Pers.

Personal insgesamt

Personal insgesamt mannlich weiblich

Personal insgesamt 475.368

Auszubildende Prakt.; ZDL 30.038

73.728 (15,5%) 401.640 (84,5%)

14.029 (46,7%) 16.009 (53,3%)

17.375 (7,7%) 209.057 (92,3%)

Auszubildende Prakt, ZDL in % 6,3% d. Ges.-Pers. 19,0% des mannl. Pers. 39,9% des weibl. Pers.

Genauere Analyse der TZ-Beschaftigten uber 50%Anteil in Prozent 53,1%

unter 50%Anteil

226.432

uber 50%Anteil 120.218

17.375 (7,7%) 209.057 (92,3%)

7.127 (5.9%) 113.091 (94,1%)

41,0%

4.282 (6,9%) 57.561 (93,1%)

TZ gesamt TZgesamt mannlich Weiblich

TZ gesamt mannlich Weiblich

54,1%

TZ gesamt

Geringfugig Beschaftigte

226.432 17.375 (7,7%) 209.057 (92,3%)

44.371 5.966 (13,5%) 38.405 (86,6%)

61.843

unter 50%Anteil in Prozent 27,3% 24,7% 27,5%

Geringfugig Beschaftigte in Prozent 19,6% 34,3% 18,4%

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Sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter/innen in den stationSren Einrichtungen (2001)

svBeschSftigte mannlich welbiich

SVBeschiftigte minnlich weiblich

SVBeschSftigte 406.825'*^^ 55.426 (13.6%) 351.299 (86.4%) SVBeschSftiate 406.825''^'' 55.426 (13,6%) 351.299 (86.4%)

Volks-,Haupt-, Realschulabschluss 347.386 85.4%allerSV-B. keine Angaben

12.979 3.2% aller SV-B. keine Angaben

keine Angaben

keine Angaben

FHS, HS 8 199 2.0% aller SV-B. keine Angaben

unbekannter Abschluss 38.261 9,4% aller SV-B. keine Angaben

keine Angaben

keine Angaben

^ 85,6% aller Beschaftigten (475.368) sind sozialverslchert ^ 85,6% aller BeschSftigten (475.368) sind sozialversichert

186

Abitur

Aniage 8 Auswertung der von der Stadt Gelsenkirchen zur Verfugung gestellten Daten: In Gelsenkirchen sind in 20 Senioren- und Pflegeheimen in Gelsenkirchen 11 Leiter und neun Leiterinnen beschaftigt. Bei den MSnnern betr^gt die Spannweite des Alters 36 bis 59 Jahre (Mittelwert: 48,7 Jahre). Bei den Frauen liegt die Altersspannweite zwischen 35 und 54 Jahren (Mittelwert: 42,0 Jahre). Die Ausbildungsabschlusse reichen bei den Mannern von Altenpfleger (1), Krankenpfleger (2), Dipl.-Padagoge (2), Dipl.-Sozialarbeiter (3) bis hin zu Groflhandelskaufnriann (3). Bei den Frauen sind es Krankenschwestern (4), Altenpflegerin (1), Dipl.-Sozialarbeiterinnen (1), und Dipl.-Sozialpadagoginnen (3). Damit verfugen neun der LeitungskrSfte uber einen akademischen Abschluss in sozialen bzw. pSdagogischen Berufsfeldern. Acht uber eine pflegerische Grundausbildung und drei uber eine kaufmannische Ausbildung. Die Manner verfugen uber folgende Zusatzqualifikationen (Mehrfachnennungen): Heimleiter (7), , Qualitatsmanager (5), Pflegedienstleiter (1), Sozialtherapeut (1), Bilanzbuchhalter (1). Bei einem der Krankenpfleger ist „Qualitatsprufungen, Leitbild/Pflegeleitbild, Pflegeplanung" angegeben, was nicht als Weiterbildung im engeren Sinne gewertet werden kann, sondern eher als eine Akkumullerung von Fortbildungen®^^ verstanden werden muss. Der mannliche Altenpfleger verfugt uber insgesamt drei Zusatzqualifikationen, einer der Dipl.-PSdagogen verfugt ebenso wie ein Krankenpfleger und ein GroRhandelskaufmann uber zwei, sechs weitere Heimleiter verfugen uber je eine Zusatzqualifikation. Eine Leitungskraft (Krankenpfleger) verfugt uber keine Zusatzqualifikation im Sinne einer Weiterbildung. Bei den Frauen sind als Zusatzqualifikationen angegeben (Mehrfachnennungen): Heimleiterin (7), Qualitatsmanagerin (5), Pflegedienstleiterin (3). Eine Krankenschwester gab „Einfuhrung ins QualitStsmanagement, Mitarbeiterfuhrung" als Zusatzqualifikation an. Zwei der Krankenschwestern und die Altenpflegerin verfugen demnach uber drei Zusatzqualifikationen, eine Dipl.-Sozialpadagogin uber zwei, die beiden anderen Dipl.-SozialpSdagoginnen, die Dipl.-Sozialarbeiterin und eine Krankenschwester uber je eine Zusatzqualifikation. Eine Krankenschwester uber keine Zusatzqualifikation im Sinne einer Weiterbildung. Das Qualifikationsniveau wurde von der Stadt Gelsenkirchen als insgesamt „positiv bewertet". Fort- und Weiterbildungsangebote wurden regelmadig von den Leitungskr^ften in Anspruch genommen.

697

Zum Unterschied von Fortbildung und Weiterbildung siehe u.a. Kuhnert, S.: Qualifizierung und Professionalisierung in der Altenarbeit (Reihe: Dortmunder BeitrSge zur angewandten Gerontologie, Band 3), Hannover 1995, 101 (in Aniehnung an die Definition des Deutschen Vereins fur Offentliche und Private Fursorge aus 1986)

187

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Verhalten - Mann

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