Grit Höppner Alt und schön
VS RESEARCH
Grit Höppner
Alt und schön Geschlecht und Körperbilder im Kontext neolibera...
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Grit Höppner Alt und schön
VS RESEARCH
Grit Höppner
Alt und schön Geschlecht und Körperbilder im Kontext neoliberaler Gesellschaften
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Druck gefördert von: Gerda-Weiler-Stiftung e. V. für feministische Frauenforschung, Mechernich www.gerda-weiler-stiftung.de ÖH – Österreichische HochschülerInnenschaft, Sonderprojekte
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Anita Wilke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Korrektorat: Ingrid Walther, Frankfurt am Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17905-6
Für meine Großeltern
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich den Menschen danken, die mich beim Schreiben der wissenschaftlichen Untersuchung unterstützt und motiviert haben. Mein Dank gilt vor allem: meiner Betreuerin MMag. Dr. Gabriele Michalitsch für ihre Zeit und anregenden Hinweise, die meinen Blick auf die Analyse immer wieder auf konstruktive Weise geschärft haben, meinen InterviewpartnerInnen für ihr Interesse am Thema, ihre Offenheit und Ausdauer während der Gespräche, meinen FreundInnen, mit denen ich mich über die wissenschaftliche Arbeit austauschen konnte und schließlich meinen Eltern für ihren Glauben an mich und meine Ideen.
Grit Höppner
Inhalt
Abbildungsverzeichnis ............................................................................. 11 1 Einleitung ................................................................................................ 13 2 Theoretische Verortung, begriffliche Annäherungen ...................... 17 2.1 Michel Foucaults Machtanalyse....................................................................... 17 2.2 Neoliberale Gesellschaften: Prinzipien, Subjektivierungsformen, Geschlechterentwürfe ....................................................................................... 20 2.3 Zusammenfassung............................................................................................. 23
3 Geschlecht, Körper, Alter(n)................................................................ 25 3.1 Kategorie: Geschlecht....................................................................................... 25 3.1.1 Begriffsbestimmung....................................................................................... 25 3.1.2 Analyse von Doing Gender hinsichtlich Körper und Alter(n) .................... 27 3.1.3 Zusammenfassung.......................................................................................... 30 3.2 Kategorie: Körper ............................................................................................. 31 3.2.1 Begriffsbestimmung....................................................................................... 31 3.2.2 Analyse von Doing Bodyfication hinsichtlich Geschlecht und Alter(n).... 32 3.2.3 Zusammenfassung.......................................................................................... 37 3.3 Kategorie: Alter(n)............................................................................................ 37 3.3.1 Begriffsbestimmung....................................................................................... 37 3.3.2 Analyse von Doing Age hinsichtlich Körper und Geschlecht .................... 40 3.3.3 Zusammenfassung.......................................................................................... 44
4 Neoliberale Körperbilder und Doing Beautyfication im Alter ....... 45 4.1 Gegenwärtige Körperbilder und Schönheitsideale: Gesellschaftliche Normbildung und „Verkörperung“ neoliberaler Transformationsprozesse .. 45 4.2 Analyse von Doing Beautyfication hinsichtlich Geschlecht und Alter(n) ... 48 4.3 Doing Beautyfication als Form neoliberaler Regierung................................. 53 4.4 Zusammenfassung............................................................................................. 55
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Inhalt
5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter ............... 57 5.1 Methode und Forschungsdesign ................................................................... 57 5.1.1 Methodologische Begründung des problemzentrierten Interviews ............ 57 5.1.2 Thematisches Codieren als Auswertungsverfahren ................................... 59 5.1.3 Sample ................................................................................................. 60 5.1.4 Ablauf der problemzentrierten Interviews ................................................. 60 5.1.5 Selbstreflexion hinsichtlich der Rolle als Forscherin................................. 61 5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung ................................................... 62 5.2.1 „Sich schön machen“ als ältere Frau.......................................................... 62 5.2.2 „Sich schön machen“ als älterer Mann ...................................................... 87 5.3 Vergleichende Zusammenfassung .............................................................. 112
6 Resümee und Ausblick ..................................................................... 119 Anhang ................................................................................................. 123 Literatur ............................................................................................... 125
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Denkmal Abbildung 2: Schneemänner Abbildung 3: Uhr mit zwei Kerzen Abbildung 4: Barbiepuppe Abbildung 5: Haar-Frisierset Abbildung 6: Kosmetikartikel Abbildung 7: Frau S. I Abbildung 8: Frau S. II Abbildung 9: See Abbildung 10: Weinregal Abbildung 11: Wiener Schnitzel Abbildung 12: Bücherregal Abbildung 13: Tal in Guizhou, Südwest-China Abbildung 14: Flechten in Kapstadt, Südafrika Abbildung 15: Treppenhaus Abbildung 16: Herr R. Abbildung 17: Herr M.
75 75 76 76 77 78 78 79 93 95 96 100 101 101 102 104 106
1 Einleitung
„Entdecken Sie die jugendliche Ausstrahlung Ihrer Haut an nur einem Tag“ (Shiseido) oder „Zum Verstecken viel zu schade. Glatte Haut in nur zwei Wochen“ (L’Oréal) lauten derzeit medial vermittelte Parolen zweier bekannter Körperpflegehersteller. In einer Zeit, in der mit solchen Botschaften neoliberale Körpernormen präsentiert und Ratschläge eines schönheitsbezogenen Selbstmanagements formuliert werden, aber auch die Gestaltbarkeit von Körpern fern altersbedingter Veränderungsprozesse hervorgehoben wird, lohnt es meines Erachtens, neoliberale Körperpolitiken aus geschlechtsspezifischer Perspektive genauer zu betrachten. Der Titel der vorliegenden Studie Alt und schön verweist auf die Betrachtung der stets mit Geschlecht verknüpften Kategorien Körper und Alter(n).1 Theoretischer Bezugspunkt bildet hierbei das Konzept der Intersektionalität. Gabriele Winker und Nina Degele (2009) verstehen Intersektionalität als „kontextspezifische, gegenstandsbezogene und an sozialen Praxen ansetzende Wechselwirkungen ungleichheitsgenerierender sozialer Strukturen (d. h. von Herrschaftsverhältnissen), symbolischer Repräsentationen und Identitätskonstruktionen“ (Winker/Degele 2009, S. 15). Laut Winker und Degele materialisieren sich Herrschaftsverhältnisse – eine besondere Form stellt hier das Patriarchat dar, das mit männlicher Dominanz verknüpft ist und geschlechtsspezifische Ungleichheitsstrukturen hervorbringt – in gesellschaftlichen Strukturen. Zugleich reproduzieren Menschen Herrschaftsverhältnisse, indem sie prozessuale und strukturelle (Ungleichheits-)Kategorien wie Geschlecht, Körper und Alter(n) repräsentieren. Simone de Beauvoir hat sich bereits 1949 in ihrem Werk Das andere Geschlecht mit dem Themenbereich Frauen und Alter auseinandergesetzt und ihre Analyse im Jahr 1970 in Das Alter spezifiziert. Mit Ausnahme von Susan Sontag, die Mitte der 1970er Jahre auf die Verknüpfung von Geschlecht, Körper und Alter hingewiesen hat (vgl. Sontag 1975), explizierten wissenschaftliche Untersuchungen im englischsprachigen Raum ab Beginn der 1990er Jahre den Bereich subjektiver Bewältigungsstrategien von Frauen und Männern mit altersbezogenen körperlichen Veränderungen (vgl. Featherstone/Hepworth 1991; vgl. Öberg/ 1 Zur Begriffsbestimmung vgl. Kapitel 3.
G. Höppner, Alt und schön, DOI 10.1007/978-3-531-93052-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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1 Einleitung
Tornstam 1999). Im deutsprachigen Raum findet erst seit wenigen Jahren eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Geschlecht, Körper und Alter(n) statt (vgl. Backes 2005, 2007, 2008a, 2008b; vgl. Maierhofer 2007; vgl. Schroeter 2007, 2008). Diese Überlegungen werden zuweilen in den Kontext Schönheit eingebunden (vgl. Maierhofer 2007; vgl. Schroeter 2008). Untersuchungen fokussieren aber auch auf die Verknüpfung von vergeschlechtlichten Darstellungsformen und Schönheit (vgl. Degele 2004) sowie auf Körperdiskurse im Kontext neoliberaler Gouvernementalität (vgl. Kreisky 2008; vgl. Michalitsch 2008; vgl. Sauer 2008; vgl. Villa 2008a, 2008b). Eine Analyse zu vergeschlechtlichten Repräsentationen älterer Menschen und Schönheit im Kontext neoliberaler Gouvernementalität steht jedoch aus. Genau an diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an. Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen ist, dass Menschen im Anschluss an Klaus R. Schroeter (2008) stets in Verbindung zu der ihnen spezifischen gesellschaftlichen Umwelt gedacht werden müssen; sie sind dabei eingebunden in eine sie selbst erst hervorbringende soziale Welt. Wirklichkeit konstituiert sich entsprechend dieser konstruktivistischen Perspektive nach Thomas Luckmann (2008) in menschlichen Bewusstseinsleistungen, deren Ursprung auf gesellschaftliches Handeln zurückweist, das sich wiederum in Bewusstseinsprozessen begründet: „Die ursprünglich erfahrene Belebtheit der gesamten Lebenswelt beruht auf einer grundlegenden Bewusstseinsleistung, nämlich der Sinnübertragung der eigenen Leiblichkeit als einer Einheit von innen und außen2 auf alles, das einem in der Welt begegnet. (...) Sinnübertragungen sind jedoch vorläufig. (...) Sie werden von den relevanten Eigenschaften der Dinge, auf welche Bedeutungen übertragen werden, bestätigt, modifiziert oder aufgehoben. Bestätigungen, Änderungen und Enttäuschungen grundlegender Sinnübertragungen lagern sich im subjektiven Wissensvorrat ab und formen Erwartungsmuster“ (Luckmann 2008, S. 35 f.). Soziale Konstruktionsleistungen sind zwar subjektiv motiviert, verfolgen bestimmte Ziele und haben (nicht-)intendierte Konsequenzen. Macht und Herrschaft bestimmen jedoch gesellschaftliche Bedingungen wie etwa die räumliche Gliederung eines Gebietes, die Verteilung sozialer Rollen im Verwandtschaftssystem und folglich auch soziale Konstruktionen von Menschen. Mit ihren subjektiven Erfahrungen reproduzieren Menschen das „Prinzip eines objektiven Klassifikationssystems“ (ebd., S. 36) und werden dabei von sozialen Institutionen gestützt, motiviert und modelliert (vgl. Luckmann 2008).
2 Vgl. dazu Kapitel 3.2.1.
1 Einleitung
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Körperdiskurse sind an gesellschaftliche Interessenlagen geknüpft und verfolgen explizite Ziele wie die Reproduktion von Schönheitsnormen und die damit verbundenen sozialen Zuschreibungen in einer Gesellschaft. Neoliberale Schönheitsideale gelten in diesem Zusammenhang als altersübergreifender Orientierungsrahmen bei der Körpergestaltung.3 Aufbauend auf diesen Überlegungen und inspiriert von Nina Degeles (2004) Analyse zu vergeschlechtlichten Repräsentationen und Schönheit stelle ich die Frage, auf welche Weise und mit welcher Motivation sich ältere4 Menschen zwischen 60 und 75 Jahren in unserer Gesellschaft heute „schön machen“.5 Dabei interessieren mich weniger individuelle Bewältigungsstrategien, um mit altersbedingten körperlichen Veränderungen vor dem Hintergrund neoliberaler Schönheitsideale in angemessener Weise umzugehen. Vielmehr fokussiere ich auf gesellschaftliche Mechanismen, die menschliches Handeln entsprechend sozialen Normensystemen im Kontext neoliberaler Postulate regieren. Ich werde zeigen, dass in westeuropäischen Gesellschaften eine Reihe solcher körperbezogener Regierungsmechanismen existiert, die in entsprechende Normensysteme eingebettet ist und aus der soziale Zuschreibungen resultieren, die letztlich zu einer Reproduktion und Bestätigung gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse führen. Im zweiten Kapitel skizziere ich zunächst Michel Foucaults Konzept der Gouvernementalität, das ich am Beispiel des Neoliberalismus spezifiziere. Das Konzept der Gouvernementalität dient im Rahmen der vorliegenden Arbeit als theoretischer Anknüpfungspunkt für die Darstellung gesellschaftlicher Regierungsmechanismen, mittels derer menschliches Verhalten gelenkt wird und aus denen die Reproduktion sozialer Normen und gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen folgt. Neoliberale Gouvernementalität verstehe ich als Ausdruck spezifischer Regierungsstrategien und der ihnen zu Grunde liegenden Rationalität. In den darauf folgenden Abschnitten knüpfe ich an die Begriffsbestimmung des zweiten Kapitels an, um zu zeigen, auf welche Weise sich neoliberale Gouvernementalität in Bezug auf Körper und Schönheitshandeln artikuliert. Im dritten Kapitel erfolgt eine Analyse zu Reproduktionsprozessen der Kategorien Geschlecht, Körper und Alter(n), bewirken und bekräftigen diese doch soziale Ungleichheitsstrukturen.6 Diese drei zentralen Kategorien werde ich zunächst begrifflich näher bestimmen. In sozialkonstruktivistischer Perspektive
3 4 5 6
Vgl. dazu Kapitel 4.2. Zur Begriffsbestimmung vgl. Kapitel 3.3.1. Zur Begriffsbestimmung vgl. Kapitel 4.2. Vgl. dazu die Ausführungen in den Kapiteln 3.1.2, 3.2.2 und 3.3.2.
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1 Einleitung
werde ich in einem zweiten Schritt Reproduktionen der einzelnen Kategorien im sozialen Miteinander und mögliche Überschneidungen nachzeichnen. Der Fokus des vierten Kapitels liegt auf neoliberalen Schönheitsidealen und deren Repräsentation im Rahmen sozialer Inszenierungen. In diesem Zusammenhang konzentriere ich mich auf „verschönernde“ Körperpraktiken unter Berücksichtigung der sich wechselseitig beeinflussenden Kategorien Geschlecht und Alter(n). In diesem Kapitel werde ich zudem die Bedeutung des Doing Beautyfication als Form neoliberaler Regierung nachzeichnen. Im fünften Kapitel stelle ich zunächst das methodische Vorgehen und anschließend die Ergebnisse meiner in Wien7 durchgeführten empirischen Untersuchung dar. Zur Klärung meiner Forschungsfrage Wie und warum machen sich ältere Frauen und ältere Männer heutzutage schön? habe ich die Erhebungsmethode des problemzentrierten Interviews nach Andreas Witzel (1982) gewählt. Diese empirische Methode scheint mir am ehesten geeignet, um in den intimen Bereich rund um individuelles Schönheitshandeln älterer Menschen „vorzudringen“. Sie ist zudem durch die Möglichkeit gekennzeichnet, ein gesellschaftliches „Problemfeld“ zu eruieren. Auch wenn die Stichprobe von sechs Personen wenig repräsentativ erscheint, konnte ich auf diese Weise mittels des Auswertungsverfahrens des thematischen Codierens neues Datenmaterial generieren, denn eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik steht bisher aus. Zur Präsentation des erhobenen Datenmaterials (vgl. Kapitel 5.2) stelle ich die Ergebnisse zu älteren Frauen denen zu älteren Männern gegenüber. In der vergleichenden Zusammenfassung resümiere ich wesentliche geschlechtsspezifische Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Ein Ausblick im sechsten Kapitel schließt die vorliegende Arbeit ab.
7 Dementsprechend gehe ich davon aus, dass Österreich ein Staat ist, dessen Gesellschaft neoliberal strukturiert ist.
2 Theoretische Verortung, begriffliche Annäherungen
In welchem theoretischen Kontext steht die vorliegende Arbeit und welche Begrifflichkeiten gehen mit diesem einher? Als theoretische Anknüpfungspunkte dienen vor allem die Arbeiten Michel Foucaults zu Macht, Gouvernementalität, Selbst- und Herrschaftstechniken, um in weiterer Folge gesellschaftliche Regierungsmechanismen zu untersuchen, mittels derer menschliches Verhalten bestimmt wird und aus denen eine Reproduktion sozialer Normen und gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen folgt. Eine Betrachtung von Subjektivierungsformen, Geschlechterentwürfen und damit verbundenen Geschlechterverhältnissen im Kontext neoliberaler Gouvernementalität stehen am Ende dieses Kapitels.
2.1 Michel Foucaults Machtanalyse Foucault entwickelte im Rahmen verschiedener Vorlesungsreihen und begleitender Seminare am Collège de France ab Mitte der 1970er Jahre und in zahlreichen Veröffentlichungen diverse Konzeptionen einer Machttheorie (vgl. Foucault 2000, 2004, 2006). Macht versteht er als ein grundlegendes, allgegenwärtiges, sich kontinuierlich veränderndes Prinzip von Gesellschaft. Machtbeziehungen artikulieren sich in sozialen Bezügen, lenken menschliches Verhalten und werden durch das Handeln von Menschen wiederum reproduziert. In seiner Analyse unterscheidet Foucault drei Formen von Macht. So grenzt er Instrumente zur Aktivierung von Machtbeziehungen (Ratschläge, Argumentationen etc.) von dauerhaften, starren, unbeweglichen, mit wirtschaftlichen, politischen und/oder militärischen Mitteln ausgeübten und institutionalisierten Machtmechanismen ab. Dazwischen verortet Foucault die begrifflich weit gefassten Regierungstechnologien (vgl. Lemke 2007). In seiner Analyse interessieren weniger Beschreibungen von Machtkonstellationen als vielmehr Reproduktionsprozesse von und Möglichkeiten der Regulierung durch Machtmechanismen. In frühen Schriften Foucaults dominiert ein juridischer, diskursiver Machtbegriff, der durch die Ausübung von Druck, Zwang oder Gewalt gekennzeichnet
G. Höppner, Alt und schön, DOI 10.1007/978-3-531-93052-7_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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2 Theoretische Verortung, begriffliche Annäherungen
ist.8 In späteren Arbeiten fokussiert Foucault eher auf einen strategischen, produktiven Machtbegriff. Unter dem Begriff der Gouvernementalität versteht Foucault „die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat“ (Foucault 2000, S. 64 f.). Gouvernementalität meint des Weiteren die Machtform, „die im gesamten Abendland unablässig und seit sehr langer Zeit zur Vorrangstellung dieses Machttypus, den man als ,Regierung’ bezeichnen kann, (...) geführt und die Entwicklung einer ganzen Reihe spezifischer Regierungsapparate einerseits und einer ganzen Reihe von Wissensformen andererseits zur Folge gehabt hat“ (ebd., S. 65). Gouvernementalität bezieht sich auf Regierungsformen im modernen Staat und die ihnen zu Grunde liegende Rationalität, mittels derer Menschen gelenkt, kontrolliert, angeleitet und politische Entscheidungen und Vorstellungen zu gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien verwirklicht werden. Foucault untersucht Regierungstechniken, die sich mit beweglichen Machtbeziehungen verbinden; er analysiert deren Zusammenspiel und Relationen zueinander (vgl. Foucault 2006). Als Regierungspraktiken konstituieren sie zugleich die jeweilige Bedeutung und Funktion des Staates, legen sie doch fest, was in die staatliche Zuständigkeit fällt, also was öffentlich und was privat ist (vgl. Foucault 2000). In Anlehnung an Foucault versteht Gundula Ludwig den Staat als einen „Effekt von Machttechniken und Regierungsrationalitäten, die sich jeweils historisch ändern“ (Ludwig 2008, S. 35). Regierungstechniken schlüsselt Foucault in verschiedene, wechselseitig miteinander verbundene Technologie-Typen auf. Hervorheben möchte ich zunächst die Selbsttechniken, die es einem Menschen ermöglichen, „aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzu8 Disziplinarmacht basiert nach Foucault auf verschiedenen Säulen, unter anderem auf der „hierarchische[n] Überwachung“ (Foucault 1994, S. 221). Bei dieser Form stehen Blicke im Mittelpunkt, die wie ein „Beziehungsnetz von oben nach unten bis zu einem gewissen Grade auch von unten nach oben und nach den Seiten“ (ebd., S. 228) wirken. Indem diejenigen, die dauernd kontrollieren, selbst pausenlos kontrolliert werden, produziert dieses ganze Netz, diese „Maschinerie, die funktioniert“ (ebd., S. 229), eine Form der Macht. Die „normierende Sanktion“ (ebd.) meint die Etablierung einer kontinuierlichen „Sub-Justiz“ (ebd., S. 230) durch die Menschen selbst. Diese wirken sanktionierend, wenn Normen nicht eingehalten werden. Sie verfolgen damit nicht konforme Verhaltensweisen, die den „großen Bestrafungssystemen entwischen“ (ebd.). Für Bestrafungen werden subtile Mechanismen eingesetzt, die – mit dem Ziel, Abweichungen zu reduzieren und zu korrigieren – „von der leichten körperlichen Züchtigung bis zu geringfügigen Entziehungen und kleinen Demütigungen“ (ebd.) reichen.
2.1 Michel Foucaults Machtanalyse
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nehmen, mit dem Ziel, sich so zu verändern, daß er einen gewissen Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt“ (Foucault 1993, S. 26). Foucault entschlüsselt mit den Selbsttechniken also Praktiken, die es Menschen ermöglichen, sich selbst als Subjekte zu konstituieren. Eng im Zusammenhang mit Selbsttechniken stehen Herrschaftstechnologien, die „das Verhalten von Individuen prägen und sie bestimmten Zwecken oder einer Herrschaft unterwerfen, die das Subjekt zum Objekt machen“ (Foucault 1993, S. 26). Das Verhalten von Menschen wird über gesellschaftliche Norm- und Kontrollsysteme geprägt und bestimmt. Diese operieren auf der Grundlage einer „anfänglich vorschreibende[n] Eigenschaft der Norm“ (Foucault 2004, S. 90), also eines Modells, „das in bezug [sic] auf ein bestimmtes Resultat konstruiert ist“ (ebd., S. 89), um damit menschliches Verhalten zu regulieren. „Denkfiguren der Selbst-Konstruktion“ (Michalitsch 2008, S. 71) werden dabei insofern begrenzt, als Subjektivierungsprozesse immer vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Normen gelesen werden müssen. So unterscheidet Foucault das „Normale“, das in der Lage ist, sich einer bestimmten Norm anzunähern vom „Anormalen“, das dazu nicht in der Lage oder willens ist (vgl. Foucault 2004). Selbst- und Herrschaftstechnologien stehen also stets in engem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Diskursen, die Verhaltensweisen von Menschen als „normal“ und „anormal“ klassifizieren. Regierungstechniken zielen dementsprechend auf eine Anerkennung und Reproduktion vermittelter Vorstellungen, Werte, Kategorisierungen und Normen durch die Menschen selbst (vgl. Ludwig 2008). Durch diesen Prozess der Verinnerlichung von Deutungsmustern ist die Überwachung ihres persönlichen Verhaltens gewährleistet. Damit werden sie zu AkteurInnen in einem Prozess, der die Funktion hat, gesellschaftliche Verhaltensnormen zu kreieren und zu wiederholen (vgl. Hutton 1993; vgl. Ludwig 2008). Thomas Lemke weist dem aufgrund des frühen Todes von Foucault zum Teil nur skizzenartig ausgearbeiteten Ansatz der Gouvernementalität eine große Bedeutung zu, denn dieser „erlaubt eine umfassende Analyse gesellschaftlicher Machtprozesse, die der politischen Bedeutung von Programmrationalitäten und Wissensformen auf der einen und Subjektivierungsformen und Selbsttechniken auf der anderen Seite Rechnung trägt“ (Lemke 2007, S. 45). Die Konzeption der Gouvernementalität ermöglicht eine Untersuchung auch aktueller gesellschaftlicher Transformationsprozesse. Eine solche Analyse anhand der spezifischen Regierungsform von Neoliberalismus und einiger ihm zu Grunde liegender Prinzipien werde ich im Folgenden kurz umreißen.
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2 Theoretische Verortung, begriffliche Annäherungen
2.2 Neoliberale Gesellschaften: Prinzipien, Subjektivierungsformen, Geschlechterentwürfe Neoliberalismus9 kann nach Gabriele Michalitsch als „gegenwärtig dominanter, auf ökonomischer Selbstregulation basierender, gesellschaftlicher Deutungs-, Ordnungs- und Entwicklungsentwurf“ verstanden werden, der „nicht nur auf Restrukturierung von Ökonomie, Staat und Gesellschaft“ abzielt, sondern auch auf „einen Wandel der ,Regierung’, die stets Zugriff auf Denkweisen und Ausrichtung des Subjekts impliziert“ (Michalitsch 2008, S. 63). Neoliberale Umbauprozesse führen zu einer Etablierung von Marktprinzipien als regulierendem Modus von Ökonomie, Staat und Gesellschaft. Als Formen der Etablierung von Neoliberalismus benennt Michalitsch staatliche Deregulierungstendenzen und einen damit einhergehenden Rückbau des Staates. Beispielhaft können hier ein unzureichender Ausbau oder gar der Rückzug des Staates aus Bereichen öffentlicher Dienstleistungsangebote und ein Abbau der administrativen Ebene genannt werden. Als weitere Form der gesellschaftlichen Entwicklung erfolgt eine Deregulierung des Arbeitsmarktes und daraus resultierend sein Zerfall in einen männlich dominierten und einen weiblichen marginalisierten Teil. Diese Spaltung reproduziert geschlechtsspezifische soziale Ungleichheiten, beispielsweise bringt sie – gerade im Kontext der Reduktion sozialer Sicherheit – insbesondere Frauen wesentliche Nachteile (vgl. Michalitsch 2008).10 Ein Hauptmerkmal des Neoliberalismus ist Individualisierung, mit der gesellschaftliche Problemlagen nun verstärkt als private Verantwortlichkeiten interpretiert werden (vgl. Michalitsch 2008). Dies wird auch anhand der Ausführungen zur sozialen Konstruktion Öffentlichkeit/Privatheit deutlich. So sieht Michalitsch (2008) in der Reformulierung der Kategorien öffentlich/privat sowie deren veränderter Relation zueinander einen grundlegenden Aspekt neoliberaler Umbauprozesse. Obwohl die Zuordnungen zum jeweiligen Bereich beweglich sind, deutet sie Öffentlichkeit und Privatheit als stets asymmetrisch miteinander verbundene Bereiche: „Wird Öffentlichkeit mit Freiheit, Demokratie, Rationalität, Universalität und Männlichkeit assoziiert, so fungiert das Private als ein mit entgegengesetzten Attributen wie irrational, freiheitsbeschränkend, undemokratisch und weiblich verknüpfter Bereich“ (Michalitsch 2008, S. 64). Diese Dicho9 Foucault unterscheidet im Rahmen der Entwicklung des Neoliberalismus verschiedene Positionen, genauer die des deutschen Ordoliberalismus, die der US-amerikanischen Humankapitaltheorie sowie die Ausführungen von Friedrich August von Hayek zur spontanen Ordnung (vgl. Foucault 2006; vgl. Bröckling 2007). Neoliberale Konzepte basieren auf ökonomischen Theorien, die Modelle menschlichen Verhaltens implizieren und zu realen Anforderungen auf individueller Ebene werden können (vgl. Michalitsch 2008). 10 Zu prekären Arbeitsverhältnissen, Altersarmut und der Feminisierung von Arbeit vgl. Michalitsch (2005, 2006b, 2008).
2.2 Neoliberale Gesellschaften
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tomie, auch wenn sie als ungenau gilt, fungiert „im feministischen Diskurs als zentraler Topos von Macht, Herrschaft und Unterdrückung. (...) Stets bildet sie ein geschlechtliches Trennungsdispositiv, an das sich Hierarchie, Exklusion und Unterordnung knüpfen“ (ebd., S. 64 f.). Grenzziehungen, die sich auf den Arbeitsmarkt sowie auf die sozialen Konstruktionen öffentlich/privat beziehen, bilden Birgit Sauer zufolge „die grundlegenden Modi und Funktionen der Herstellung und Reproduktion hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit“ (Sauer 2008, S. 38) in unserer Gesellschaft. Im Zuge neoliberaler Transformationsprozesse von Öffentlichkeit und Privatheit eröffnet sich die Möglichkeit zur Neuausrichtung von Geschlechterverhältnissen: So zeichnet Ludwig (2008) einen Prozess der Übernahme eher männlich kodierter Eigenschaften in Zeiten des Neoliberalismus durch Frauen nach, mit der Konsequenz, dass eine scheinbare Geschlechtsneutralität erreicht wird. Dennoch bleiben traditionell geschlechtsspezifische Zuschreibungen auch gegenwärtig sichtbar. Michalitsch bemerkt dazu: „Das Ideal eines unternehmerischen und konkurrenziellen Subjekts bleibt mit Markt und Männlichkeit verknüpft, während Weiblichkeit zwischen wirtschaftlicher und familiärer Ausrichtung oszilliert“ (Michalitsch 2008, S. 73). Neoliberale Transformationsprozesse zielen auf eine „Pluralisierung und Individualisierung von Zuschreibungen und Lebensweisen“ (Ludwig 2008, S. 46) sowie auf einen Umbau von Geschlechterhierarchien. Im neoliberalen Kontext gewinnt „ökonomische Definitionsmacht“ (Demirovic 2008, S. 28) an Bedeutung und bestimmt zunehmend die Reproduktion von individuellen Vorstellungswelten, Zuschreibungen, Werten und Klassifizierungen. Foucault betont hierbei die besondere Bedeutung des wissenschaftlichen Diskurses, der für ihn im Zentrum von „Wahrheitsproduktion“ steht. „Wahrheit“ ist in unserer Gesellschaft „um den wissenschaftlichen Diskurs und die diesen produzierenden Institutionen zentriert“, wobei diese „vorrangig unter Kontrolle einiger weniger großer politischer und ökonomischer Apparate wie Universität, Armee und Massenmedien produziert und verteilt, in Erziehungs- und Informationsapparaten zirkulierend verbreitet und konsumiert“ (Michalitsch 2009, S. 51) wird. Wahrheitsproduktion stellt ein wesentliches Element von Regierung dar. „Wahre“ Diskurse konstruieren Realität, reproduzieren und lenken letztlich auch Subjektivierungsprozesse (vgl. Michalitsch 2008). Bröckling führt „den neoliberalen Menschen“ auf eine humankapitalistische11 Perspektive zurück, in der „der Mensch“ „gleichermaßen als Kapita11 Der Theorie des Humankapitals des Ökonomen Gary S. Becker liegt der Gedanke zu Grunde, die Rationalität des Marktes auf bisher als traditionell nicht-ökonomisch klassifizierte (Lebens-)Bereiche auszudehnen und diese mittels ökonomischer Begriffe zu interpretieren. Dabei rückt das Prinzip des Wettbewerbs in den Mittelpunkt und damit einhergehend das Modell des homo oeconomicus. Dieser
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2 Theoretische Verortung, begriffliche Annäherungen
list[en] wie als Souverän seiner selbst“ (Bröckling 2007, S. 93) definiert wird, der mittels persönlicher Investitionen über sein Humankapital entscheidet. Solche „menschlichen Ressourcen“ bestehen aus angeborenen und erworbenen Elementen, wobei Letztere heute als individuelle Kapitalanlage gelten (vgl. Foucault 2006).12 Unter diesem Aspekt können auch Selbsttechniken gelesen werden, denn diese basieren im neoliberalen Kontext auf Postulaten wie Effektivität und Leistungsbereitschaft, die ökonomischen Prinzipien folgen. Individuelle Verantwortungsbereiche nehmen dabei zu, Eigenverantwortung und Selbstmanagement stellen Leitprinzipien dar; es gilt „das Postulat eines ,neuen Menschen’, der sich nicht als Produkt der Gesellschaft, sondern als Eigenprodukt versteht“ (Michalitsch 2006a, S. 148). Formen der Selbstregulierung dienen zugleich als Folie sozialer Ein- und Ausschlüsse, verfügen doch nicht alle Menschen über die gewünschten Eigenschaften und entsprechen kaum neoliberalen Denk- und Handlungsmustern „marktgerechte[r] Selbstregulation“ (Michalitsch 2008, S. 72). Disziplinäre Technologien der „Fremdführung“ (Kreisky 2008, S. 147) ergänzen folglich Selbsttechniken. Neoliberale Prinzipien werden hier als regulierende Steuerungsformen sichtbar, die auf eine Lenkung menschlicher Denk- und Handlungsmuster zielen und einer „Grammatik der Härte“ (Bröckling 2007, S. 93) folgen. Neoliberale Gouvernementalität drückt sich etwa in Postulaten wie Eigenverantwortung, Konkurrenz- und Leistungsbereitschaft aus. Die damit verbundenen Formen von Privatisierung und Individualisierung sowie die sie begleitenden Denkweisen und Diskurse gehen mit der Orientierung an traditionellen Geschlechterverhältnissen einher. Neben der beschriebenen vergeschlechtlichten Spaltung des Arbeitsmarktes nennt Michalitsch (2008) auch „private“ geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und damit verbundene Familienbilder, mit denen beispielsweise die Mutterschaft wieder als Alternative zur Erwerbsarbeit propagiert wird. Diese an Frauen gerichtete Botschaft steht zum einen neoliberalen Postulaten des homo oeconomicus entgegen und macht zum anderen sichtbar, dass traditionell vergeschlechtlichte Regierungsformen nach wie vor reproduziert werden. Neoliberale Regierungsformen beziehen sich insbesondere auf individuelle Wahlfreiheit, die stets von Machtstrukturen bestimmt wird (vgl. Foucault 2006). Die Spielräume individueller Lebensentwürfe verortet Mario Candeias dement„ist ein Unternehmer, und zwar ein Unternehmer seiner selbst (...), der sich selbst sein eigenes Kapital ist, sein eigener Produzent, seine eigene Einkommensquelle“ (Foucault 2004, S. 314). Der Unternehmer seiner selbst ist traditions- und beziehungslos. Im Wettbewerb sieht Bröckling (2007) ein „ideales“ Konditionierungsinstrument, um dessen Lernfähigkeit und Nutzen zu optimieren. Damit rücken Begriffe wie Aktivität, Profitmaximierung, Rationalität und Konkurrenz als zentrale Merkmale des Modells in den Mittelpunkt. 12 Vgl. dazu auch die Ausführungen zum trainierten, gesund aussehenden Körper im Kapitel 4.2.
2.3 Zusammenfassung
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sprechend in einem „Korsett der Normierung von Lebensweisen“ (Candeias 2008, S. 303). Auch Sauer fokussiert auf dieses Paradox, wenn sie schreibt: „Einerseits scheinen die Individuen frei von disziplinierenden staatlichen Vorschriften und Normvorstellungen. Andererseits werden durch Prozesse der Normalisierung neue Formen der Disziplin und Kontrolle institutionalisiert“ (Sauer 2008, S. 44). Damit sind individuelle Freiräume als künstliche Arrangements in neoliberalen Gesellschaften zu verstehen (vgl. Ludwig 2008).
2.3 Zusammenfassung In diesem Kapitel erfolgte eine Annäherung an die Konzeption der Gouvernementalität von Foucault, die ich am Beispiel Neoliberalismus spezifiziert habe. Mit der Verschiebung politischer Handlungsräume im Neoliberalismus geht die Forderung nach Verantwortungsübernahme und Selbstregulation auf individueller Ebene und daraus resultierend die Konstituierung neuer Subjektivierungsformen einher. Zunehmende Individualisierung verweist dabei aber gerade nicht auf ein Verschwinden des Staates in neoliberalen Gesellschaften, sondern auf eine Veränderung der Form des politischen Körpers: Neben der Reformulierung der sozialen Konstruktionen Öffentlichkeit/Privatheit stellen auch der Rückbau des Staates und die Neuformulierung von Verantwortungsbereichen relevante Merkmale neoliberaler Transformationsprozesse dar. Neoliberale Regierungsformen zeichnen sich auch durch neue Techniken, menschliches Verhalten zu lenken, aus, die sich auf Prinzipien wie Effizienz, Rationalität, Selbstregulierung – kurz unternehmerisches Handeln im wirtschaftlichen Sinne – stützen. Individuelle Freiräume sind dabei stets Teil von Machtstrukturen und -diskursen, wobei Definitionen von Freiheit gesellschaftlichen Reproduktionsprozessen unterliegen und im Hinblick auf Geschlechterverhältnisse mit neuen Formen sozialer Ungleichheit einhergehen. Schönheitshandeln (der Generationen) lässt sich in diesem Freiheitskontext verorten.
3 Geschlecht, Körper, Alter(n)
Im Rahmen des dritten Kapitels stehen die analytischen Kategorien Geschlecht, Körper und Alter(n)13 im Zentrum der Betrachtung. Es scheint sinnvoll, diese sozialen Konstruktionen zunächst separat zu untersuchen, um ihnen zu Grunde liegende Merkmale herauszuarbeiten. In einem zweiten Schritt erfolgt auf Basis der entsprechenden „Doing-Theorie“ eine Zusammenführung der Kategorien. Eine Rückkopplung an das zweite Kapitel erfolgt insofern, als die drei ausgewählten Technologien – Doing Gender, Doing Bodyfication, Doing Age – das Vorhandensein gesellschaftlicher Normen implizieren: Durch die Anwendung dieser drei Regierungsstrategien reproduzieren Menschen Vorstellungen von Weiblichkeit, Männlichkeit, Körper- und Altersbildern.
3.1 Kategorie: Geschlecht 3.1.1 Begriffsbestimmung Ab den 1980er Jahren setzte sich im deutsprachigen Raum die aus der amerikanisch-englischsprachigen Diskussion übernommene Unterscheidung zwischen Sex (der auf Anatomie, Morphologie, Physiologie, Hormonen basierende, biologisch zugeschriebene Status) und Gender (das im Rahmen von Sozialisationsprozessen erworbene, kulturell geprägte Geschlecht) einer Person durch (vgl. Gildemeister/Wetterer 1992). Mit dieser Unterscheidung geht jedoch eine „Naturalisierung von Geschlechterdifferenzen“ (Michalitsch 2006a, S. 36) einher: Die 13 Der prozessuale Charakter, der den Dimensionen Geschlecht, Körper und Alter(n) inhärent ist, widerspricht streng genommen der Bezeichnung einer feststehenden Kategorie. Um auf dieses Charakteristikum hinzuweisen, sollte der Ausdruck der Prozesskategorie in der vorliegenden Arbeit Verwendung finden. Mit dieser Bezeichnung würden jedoch die jeweiligen Strukturkategorien ausgeklammert, die ebenso gesellschaftliche Differenzierungen hervorrufen können (vgl. Schroeter 2008). Im Folgenden werde ich zwar den Begriff der Kategorie verwenden. Diesen verstehe ich jedoch sowohl prozessual als auch strukturell. Anhand des Begriffs Alter(n) wird der Unterschied zwischen Prozess- und Strukturkategorie besonders deutlich, bezieht sich Alter doch auf eine strukturelle Ebene, Altern dagegen auf eine prozessuale, dynamische Perspektive. In der vorliegenden Arbeit verwende ich die in der Altersforschung gängige Bezeichnung des Alter(n)s, um auf die Bedeutungsgehalte beider Positionen hinzuweisen.
G. Höppner, Alt und schön, DOI 10.1007/978-3-531-93052-7_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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3 Geschlecht, Körper, Alter(n)
Differenzierung von Sex und Gender, so das Argument konstruktivistischer TheoretikerInnen14, fixiert das biologische Geschlecht als ein feststehendes, unveränderbares Element. Diese Naturalisierung des biologischen Geschlechts wird ebenso problematisiert wie Verknüpfungen von Frau und Natur und von Mann und Kultur. Mit der Vorstellung der kulturellen Erzeugung sowohl des biologischen als auch des sozialen Geschlechts im Rahmen von Zweigeschlechtlichkeit artikuliert sich somit auch eine radikale Gegenposition zu differenztheoretischen Ansätzen 15. Mit der lediglich scheinbar naturgegebenen Zweigeschlechtlichkeit verbinden Regine Gildemeister und Angelika Wetterer ein „generatives Muster der Herstellung sozialer Ordnung“, das sie als bedeutenden Aspekt im Rahmen „der interaktiven Herstellung sozialer Wirklichkeit“ verstehen (Gildemeister/Wetterer 1992, S. 230). Gerade diese Perspektive, welche „die Konstruktion auf der Ebene des Handelns, der Interaktion und der Sprache als symbolisches System von Gesellschaften ansiedelt“ und danach fragt, „wie durch Vergesellschaftungsprozesse Individuen sinnhafte, stabile (...) Strukturen zur Wahrnehmung der Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit einerseits entwickeln und andererseits diese Ordnung beständig (re-)produzieren“ (Villa 2006, S. 79), bezeichnet Paula-Irene Villa als sozialkonstruktivistischen Ansatz in Abgrenzung zu einer rein konstruktivistischen Sichtweise. Das aktive Moment des Herstellens wird hier besonders deutlich, reproduzieren Menschen doch mittels (un-)bewusster Handlungen eine scheinbar objektive, unhinterfragte Wirklichkeit dauerhaft selbst. Aus sozialkonstruktivistischer Sicht stellt nach Villa der Körper als „Basis und letzte Wahrheit des Geschlechts“ (Villa 2006, S. 78) eine konstruierte Wirklichkeit und „kulturell erzeugte Natur“ (ebd.) dar: Dieser kommt der Autorin zufolge weder in zweifacher Ausführung vor noch wird der Geschlechtskörper im Laufe eines Sozialisationsprozesses entsprechend dem jeweiligen Gender einer Person überformt. Vielmehr verweist Villa auf die von Carol Hagemann-White entwickelte „Null-Hypothese“ (Hagemann-White 1988, zit. in: Villa 2006, S. 89), die von keiner „naturgegebenen“ Zweigeschlechtlichkeit ausgeht, sondern von diversen kulturellen, historisch spezifischen Konstruktionen von Geschlecht (vgl. Villa 2006). Judith Lorber hat auf der Grundlage sozialkonstruktivistischer Annahmen untersucht, auf welche Weise Differenzen zwischen Frauen und Männern im sozialen Miteinander konstituiert und institutionalisiert werden. Gender versteht die Autorin dabei als „soziale Institution“ (Lorber 1999, S. 25), die interaktiv 14 Diese Ansicht vertraten bereits zu Beginn der 1990er Jahre Regine Gildemeister und Angelika Wetterer (1992), gegenwärtig beispielsweise Paula-Irene Villa (2006) sowie Regine Gildemeister und Günther Robert (2008). 15 Eine Vertreterin dieses Ansatzes ist zum Beispiel Antoinette Fouque.
3.1 Kategorie: Geschlecht
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hergestellt wird und die sich im subjektiven Selbst von Menschen widerspiegelt. Gleichzeitig strukturiert und formt diese soziale Institution die gesellschaftliche Ordnung mittels kultureller Muster: „Die vergeschlechtlichte Mikrostruktur und die vergeschlechtlichte Makrostruktur reproduzieren und verstärken einander wechselseitig. Die soziale Reproduktion von gender in Individuen reproduziert auch die vergeschlechtlichte Gesellschaftsstruktur, konstruieren Individuen doch, indem sie gender-Normen und -Erwartungen in der direkten Interaktion in Handeln umsetzen, die vergeschlechtlichten Herrschafts- und Machtsysteme“ (Lorber 1999, S. 47). Damit versteht die Autorin Gender als eine übergreifende Kategorie: Die miteinander verbundenen und sich wechselseitig beeinflussenden Perspektiven eröffnen den Raum, die soziale Dimension des Geschlechts als Erwartungsmuster und regulatives Moment im Rahmen sozialer Handlungen auf individueller Ebene zu denken, Gender daneben als gesellschaftliches Organisationsprinzip zu verstehen und dieses außerdem als ein eigenes Strukturelement einzuordnen (vgl. Lorber 1999). Geschlecht gilt demnach als eine „machtvolle ideologische Ressource“ (Gildemeister/Wetterer 1992, S. 237), die individuelle Handlungsspielräume sowohl eröffnet als auch einschränkt und die mittels konstruierter, klassifizierender Zuschreibungen gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen unterstützt. Im Rahmen der weiteren Betrachtung werde ich mich auf diese sozialkonstruktivistische Position stützen und den Fokus auf Strategien zur Herstellung von Geschlecht legen.16
3.1.2 Analyse von Doing Gender hinsichtlich Körper und Alter(n) Candace West und Don H. Zimmerman verstehen das Konzept des Doing Gender als „das Herstellen von Geschlecht“, das „eine gebündelte Vielfalt sozial gesteuerter Tätigkeiten auf der Ebene der Wahrnehmung, der Interaktion und der Alltagspolitik [umfasst], welche bestimmte Handlungen mit der Bedeutung versehen, Ausdruck weiblicher oder männlicher ,Natur’ zu sein“ (West/Zimmerman 1991, zit. in: Gildemeister/Wetterer 1992, S. 236). Damit verorten sie die Kategorie Geschlecht im Bereich erworbener Handlungsmerkmale in sozialen Situationen und weisen darauf hin, dass Individuen auf diese Weise ihr Gender selbst hervorbringen. Das soziale Geschlecht wird auch Regine Gildemeister und Günther Robert zufolge erst durch kommunikative soziale Prozesse reproduziert. Dabei interessieren weniger individuelle Unterschiede als vielmehr soziale Prak16 Bei der Begriffsverwendung werde ich aus Gründen der Effizienz auf die binäre Differenzierung Frau/Mann zurückgreifen, auch wenn diese Vorgangsweise aus sozialkonstruktivistischer Sicht und im Hinblick auf die Pluralität von Frauen und Männern durchaus kritisch zu werten ist.
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3 Geschlecht, Körper, Alter(n)
tiken des interaktiv hergestellten Geschlechts, die wiederum in einem spezifischen Kontext eingebettet sind (vgl. Gildemeister/Robert 2008). Subjektives Verhalten und ein „normativer Erwartungsfahrplan“ (Gildemeister/Robert 2008, S. 19) bedingen sich im Rahmen der Reproduktion von Geschlecht wechselseitig. Um Weiblichkeit oder Männlichkeit zu konstituieren, ist also auch das Wissen um situationsadäquate Verhaltensmuster notwendig. Dieses Wissen schließt unter anderem bestimmte Typisierungen und Klassifikationen ein: In einem Interaktionsprozess werden beispielsweise AkteurInnen entsprechend verschiedenen Kategorien klassifiziert wie „jung“/„alt“, „weiblich“/„männlich“. Diese Zuordnungen wirken „komplexitätsreduzierend“ (Gildemeister/Robert 2008, S. 19), meist ohne selbst thematisiert zu werden, und tragen deshalb zu einer Festschreibung sozialer Ungleichheitsstrukturen bei. Die geschlechtliche Zugehörigkeit muss nach Villa (2006) hergestellt werden und ist nicht als gegebener Fakt jenseits sozialer Interaktionen 17 zu verstehen. Villa geht von einer Existenz von Zeichen und Strategien aus, die das Geschlecht von Menschen unmittelbar und deutlich zum Ausdruck bringen. Die „eindeutige“ Geschlechtsidentität ist folglich ein wesentliches Merkmal der westlichen Gesellschaft.18 Im Anschluss an Stefan Hirschauer bezeichnet Villa den Zwang zu dieser Eindeutigkeit als „Geschlechtszuständigkeit“ (Villa 2006, S. 90), die sie mit den Attributen „unhinterfragt“, „lebenslang“, „dichotom“ und „biologisch legitimiert“ (ebd.) charakterisiert. Die Geschlechtszuständigkeit unterscheidet Villa nach den beiden Kompetenzen „Geschlechtsdarstellung“ (ebd.) und „Geschlechtsattribution“ (ebd.). Unter der Geschlechtsdarstellung versteht sie die Dimension zwischen AkteurInnen und verfügbaren Ressourcen, die Menschen zur „richtigen“ Darstellung des Geschlechts zur Verfügung stehen wie Kleidung, Gesten, die Stimme, Tätigkeiten und der Name. Eng im Zusammenhang mit dieser Möglichkeit der interaktiven Reproduktion eines Geschlechts stehen zirkulär ablaufende „Sexuierungsprozesse“ (ebd., S. 91), die vergeschlechtlichte Prozesse begünstigen. Die Zuweisung zu einem Geschlecht erfolgt vor allem auf der Grundlage des Absuchens der menschlichen Gesamterscheinung nach „eindeutigen“ Körperformen wie Busen, Beckenbreite, Körpergröße und/oder Genitalien. Mittels zirkulärer Sexuierungsprozesse kann Körperschmuck zu einem vergeschlechtlichten Zeichen werden, aus dem soziale Diffe17 Im Rahmen von Interaktionen wird Geschlecht nicht immer wieder aufs Neue konstituiert. Vielmehr werden Menschen mittels ihres Wissens daran erinnert, welches Geschlecht sie wie darstellen müssen (vgl. Villa 2006). 18 Villa (2006) nennt hier eine Reihe von Körper-Strategien, die Personen ausüben, um einer „eindeutigen“ Geschlechtsidentität zu entsprechen: Das Epilieren der Beine oder das Auszupfen möglicher Haare an der Oberlippe dienen beispielsweise als Strategien von Frauen, weil sie entsprechend dem weiblichen Geschlechtsideal lediglich über Scham- und Kopfhaare verfügen sollten. Mit solchen Praktiken gehen Naturalisierungsprozesse einher.
3.1 Kategorie: Geschlecht
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renzierungen resultieren, also eine „ungleiche Verteilung relationaler und distributiver Ressourcen“ (ebd., S. 122). Die lange Zeit als „eindeutig“ einem Geschlecht zuzuordnenden Merkmale erfahren zwar hinsichtlich ihrer Konnotationen gegenwärtig eine Aufweichung, dennoch stehen die von BetrachterInnen in einem Interaktionsprozess wahrgenommenen Körperformen und der Körperschmuck auch heute in engem Zusammenhang mit Zuschreibungen, die Menschen gesellschaftlich positionieren und welche die Norm der Zweigeschlechtlichkeit in unserer Gesellschaft festschreiben. Unter dem Begriff der Geschlechtsattribution versteht Villa die Verantwortung der InteraktionspartnerInnen zur Reproduktion des eigenen Geschlechts. Darüber hinaus haben diese die Funktion inne, als BetrachterInnen anderen Menschen ein Geschlecht zuzuweisen. Die aus der Interaktion resultierende soziale Beziehung zwischen zwei oder mehreren Personen zeichnet sich dabei entweder als Form der Unterstützung aus, ein Geschlecht mittels kultureller Deutungsmuster „richtig“ darzustellen, oder als Kontrollmaßnahme auf sozialer Ebene (vgl. Villa 2006). Mittels dieser sprachlichen Differenzierung kommt Villa nicht zuletzt der Forderung (sozial-)konstruktivistischer TheoretikerInnen nach, den alltäglich konstruierten Dualismus von Sex/Natur und Gender/Kultur aufzubrechen. Zugleich wird an dieser Stelle eine Entwicklung deutlich, die Gertrud M. Backes beschreibt, wonach Alter(n) in der Frauen- und Geschlechterforschung lange Zeit nur am Rande thematisiert wurde und auch gegenwärtig wenig konkret beforscht wird: „Nach geschlechtsspezifischen Unterschieden und Ungleichheiten im Alter und nach dem jeweiligen Alterungsprozess mit seinen individuellen und sozialen Implikationen wurde und wird dort selten gefragt. (...) [Alter(n)] blieb (...) bislang im Feld der Frauen- und Geschlechterforschung marginal und wird erst langsam entdeckt“ (Backes 2005, S. 33). Einen wichtigen Schritt in Richtung der Thematisierung einer Verschränkung der beiden Kategorien haben Backes sowie Gildemeister und Robert unternommen. Für Letztere ist sowohl Geschlecht als auch Alter(n) eine „Relationskategorie“ (Gildemeister/Robert 2008, S. 321), die durch soziale Zuschreibungen und Wertungen konstituiert wird. Bei beiden greifen binäre Konstruktionen (Männlichkeit/Weiblichkeit und Jugend/Alter), aus denen soziale Ungleichheitsstrukturen resultieren. Bereits Mitte der 1970er Jahre hat Susan Sontag (1975) sehr eindrücklich auf die Schnittpunkte von Geschlecht und Alter hingewiesen. Obwohl Frauen und Männer von körperlichen Alterungsprozessen betroffen sind, gehen mit diesen unterschiedliche soziale Bewertungen einher: So erreichen Männer in unserem Sprachgebrauch ein hohes Alter, während Frauen älter werden. Alter wird unter Berücksichtigung traditioneller Geschlechterrollen bei Frauen eher als Defizit, bei Männern jedoch durchaus als Prestigezuwachs definiert (vgl. Sontag 1975; vgl. Maierhofer 2007). Eine geschlechtsbezogene Diskrepanz in Bezug auf
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den Alterungsprozess wird auch mittels der Überlegungen von Gildemeister und Robert (2008) deutlich: Während Frauen lange Zeit als alt bezeichnet wurden, wenn ihre Reproduktionsfähigkeit endete, galten Männer als alt, wenn sie ein kalendarisches Alter ab dem 60. Lebensjahr erreichten, also einige Jahre später. Indem der Phase der Jugend Eigenschaften wie Energie und Aktivität – Assoziationen des Männlichen – zugeschrieben werden, gelten für die Zeitspanne des Alters Begriffe wie Hilflosigkeit und Passivität, also mit dem Weiblichen verknüpfte Merkmale. Insofern werden Maskulinität und Jugendlichkeit im Gegensatz zu Weiblichkeit und Alter positioniert und gängige binäre Vorstellungen unserer Gesellschaft repräsentiert (vgl. Maierhofer 2007).
3.1.3 Zusammenfassung Sozialkonstruktivistische Ansätze richten sich gegen die Annahme eines lebenslänglichen, nicht veränderbaren Geschlechtsstatus und gegen eine Norm der Zweigeschlechtlichkeit, aus der gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen resultieren. Die Kritik an gesellschaftlichen Normierungsprozessen, die dieser Perspektive inhärent ist, wird von Regula Giuliani (2001, S. 211) als „latente Überbetonung der normativen Dimension“ gewertet. Aber gerade die Betonung der normativen Ebene scheint meines Erachtens an dieser Stelle besonders fruchtbar, um vergeschlechtlichte Subjektivierungsprozesse nachzuzeichnen: Diese müssen stets in Verbindung mit dem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext und dem damit einhergehenden Normensystem gelesen werden. Mittels der sozialkonstruktivistischen Position und beispielhaft anhand der Ausführungen von Villa zum Konzept des Doing Gender konnte dieses Wechselverhältnis nachgezeichnet werden. Im Zentrum der Betrachtung stand die Frage, auf welche Weise und mit welchen Konsequenzen sich Geschlechterdifferenzen fern „naturhafter“ Eigenschaften von Menschen interaktiv konstituieren. Wie gezeigt, stellt der Körper eine relevante Ressource für die Repräsentation der Geschlechterdifferenz dar. Backes, Gildemeister und Robert, Maierhofer und nicht zuletzt Sontag haben auf die Schnittstellen von Geschlecht und Alter(n) hingewiesen: Aus dieser Verknüpfung resultieren soziale Ungleichheitsstrukturen, die Frauen auf doppelte Weise marginalisieren.
3.2 Kategorie: Körper
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3.2 Kategorie: Körper 3.2.1 Begriffsbestimmung Robert Gugutzer (2004) wertet Körperdiskurse im Rahmen der Debatten zu Postmoderne und Konstruktivismus bzw. Feminismus als relevante theoretische Diskussionen, die auch das Interesse an einer soziologischen Betrachtung des Körpers bedeutend beeinflusst haben. Den Diskussionen gemein ist die Bestrebung, Dualismen der abendländischen Kultur (männlich/weiblich, Kultur/Natur und Geist/Körper etc.) und scheinbar objektives Wissen kritisch zu hinterfragen. Folglich existieren diverse Perspektiven auf den Körper, die sich entsprechend kulturellen und historischen Kontexten ändern können. AnhängerInnen feministischer Positionen üben unter anderem Kritik an den aus abendländischen Dualismen resultierenden und wertenden Zuschreibungen (männlich/weiblich, rational/irrational etc.), sind diese doch eng mit sozialen Positionierungen verbunden und reproduzieren letztlich patriarchale Geschlechterverhältnisse. Diese feministische Kritik basiert unter anderem auf der erkenntnistheoretischen Sichtweise des Konstruktivismus. Diesen untergliedert19 Gugutzer (2004) in den radikalen Konstruktivismus 20, wonach der Körper als eine sprachlich-diskursive Konstruktion zu verstehen ist, in die Phänomenologie21, die den Fokus auf den gelebten Körper, den Leib, legt und schließlich in den Sozialkonstruktivismus, dem in der vorliegenden Arbeit eine besondere Aufmerksamkeit zukommt. Aus sozialkonstruktivistischer Sicht werden Körper durch gesellschaftliche Machtverhältnisse, durch mit diesen einhergehende Normen, Werte, durch bestimmte Institutionen, Strukturen und im sozialen Miteinander geformt. Damit sind sie nach Gugutzer „Produkt[e] von Gesellschaft“ (Gugutzer 2004, S. 6). Diesen Aspekt analysiert auch Foucault und hebt die Bedeutung von Diskursen im Rahmen der Reproduktion von Körpern hervor.22 Diskurse können demnach verstanden werden als „Materialisierung dessen, was in einer Gesellschaft oder Kultur zu einer bestimmten Zeit gesagt und gedacht wird“ (Gugutzer 2004, S. 74). Damit verbunden sind soziale Zuschreibungen, die Körper klassifizieren: „Jene soziale Gruppe, Institution oder Gesellschaft, der es gelingt, eine
19 Eine feministische Begriffsbestimmung des Körpers gestaltet sich dementsprechend schwierig: Gertrude Postl (2001) vertritt die Auffassung, dass von den sich mit dieser Frage beschäftigenden WissenschaftlerInnen bisher kein Konsens gefunden wurde, was unter einem Körper zu verstehen sei. 20 Vgl. dazu Judith Butler (1992, 1995). 21 Vgl. dazu Gesa Lindemann (1993). 22 Vgl. dazu beispielsweise Foucaults Analyse zur Sexualität (Foucault 1977).
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bestimmte Vorstellung vom Körper, ein bestimmtes Wissen oder Interpretationsmuster vom Körper als normal, üblich, natürlich oder wünschenswert durchzusetzen, besitzt (Definitions-)Macht. Diese Macht besteht immer darin, das Andere, Nicht-Normale, Nicht-Natürliche etc. auszugrenzen“ (ebd., S. 77). Nach dieser Sichtweise werden Körper als Objekte sozialer Strukturen definiert, ohne das Handlungspotenzial zu berücksichtigen, das ihnen inhärent ist. Gugutzer unterstützt diese Kritik und erweitert die Begriffsbestimmung des Körpers, indem er ihn in sozialkonstruktivistischer Perspektive ebenso als „Produzent von Gesellschaft“ (ebd.) definiert. Diese beiden Ebenen denkt Gugutzer als eine „wechselseitige Durchdringung von Körper und Gesellschaft“ (ebd., S. 7). Körper werden in sozialkonstruktivistischer Perspektive folglich als Effekte gesellschaftlicher Strukturen thematisiert, die sie gleichzeitig beeinflussen. Um das wechselseitige Durchdringen von Körper und Gesellschaft in seiner Komplexität darzustellen und um der Vielfältigkeit von Körpern gerecht zu werden, wählt Gugutzer einen „anthropologisch-phänomenologische[n] Zugang (...), der es ermöglicht, den Körper sowohl als Materialität als auch als Erfahrung, als ,körperliches Ding’ wie auch als ,meinen Leib’ begrifflich zu fassen“ (ebd., S. 146). Diese „untrennbare Einheit gegenständlicher Körperlichkeit und leiblichaffektiver Erfahrungen“ (ebd., S. 155) bezeichnet Gugutzer als „Zweiheit des Körpers“ (ebd., S. 152). Dabei nimmt er eine analytische Trennung von Körperhaben und Leibsein vor, um auf wichtige Unterscheidungsmerkmale der beiden hinzuweisen. So kann ein Körper „unbelebt“ (ebd.) sein, er verfügt über objektive Gegebenheiten wie den Kopf, die Arme und die Beine, die von außen wahrgenommen werden können. Demgegenüber charakterisiert Gugutzer das Leibsein als etwas von innen Wahrnehmbares, etwas Erlebbares. Mit Formulierungen wie leibliches Empfinden wendet er gleichzeitig den Essentialismusvorwurf ab, der Leibbegriff unterstelle eine „feststehende Substanz oder Essenz“ (ebd., S. 153). Körperliche Handlungen und leibliche Erfahrungen sind also stets aufeinander bezogen und gelten als Einheit. Dies ist im Hinblick auf eine Überwindung der Dualismen Mann/Frau, Geist/Körper und den damit einhergehenden sozialen Differenzierungen von besonderer Relevanz.
3.2.2 Analyse von Doing Bodyfication hinsichtlich Geschlecht und Alter(n) Bisher liegt keine wissenschaftliche Theorie des Doing Bodyfication vor, die über einen ähnlichen Stellenwert wie die Konzepte Doing Gender und Doing Age verfügt. Die Technologie des Doing Bodyfication dient im Rahmen der folgenden Ausführungen als Folie, um körperliche Reproduktionsprozesse sowie
3.2 Kategorie: Körper
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die Kategorien Geschlecht und Alter(n) im Rahmen interaktiver Praxis zu skizzieren. Die Entwicklung zu einer so genannten Konsumgesellschaft23 hat einen veränderten Umgang mit dem Körper hervorgebracht: Mit der Abnahme körperlicher Betätigungen am Arbeitsplatz, der Zunahme von freier Zeit und der wachsenden Bedeutung von Massenmedien 24, insbesondere dem Fernsehen und der Werbung, ging eine verstärkte Beschäftigung mit dem Körper in unserer Gesellschaft einher. Körper fungieren im Rahmen des Doing Bodyfication als Medium der Selbstdarstellung, als Projektionsfläche sozialer Inszenierungen und Positionierungen. Eng mit dieser Entwicklung ist ein Wertewandel verbunden, auf den Mike Featherstone (1991) bereits zu Beginn der 1990er Jahre hingewiesen hat und den Gugutzer gegenwärtig betont, nämlich die Entwicklung „von protestantischasketischen zu postmodernen Werten wie Genuss, Lust, Spaß, Spannung, Erlebnis und Identität“ (Gugutzer 2004, S. 37). Der „individualisierte Körper“ (ebd.) muss allerdings vor dem Hintergrund neoliberal suggerierten Freiraums bei gleichzeitiger Selbstverantwortung gelesen werden. Diese ist mit einem Zwang zur „richtigen“ Entscheidung bei einer Vielzahl von Körpergestaltungsmöglichkeiten verbunden. Gugutzer unterscheidet Körperstrategien im Sinne „radikale[r] Eingriffe in die ,Natur’ des Körpers“ (Gugutzer 2004, S. 40), zu denen er „biotechnologische Veränderungen“ (ebd.) wie die plastische Chirurgie zählt, von der „alltägliche[n] Körpermanipulation“ (ebd.) wie dem Färben der Haare, dem Nutzen von Makeup, Diäthalten, Sporttreiben und/oder dem Anbringen von Piercings und Tätowierungen am Körper. An dieser Stelle scheint eine begriffliche Spezifizierung sinnvoll, bleiben subjektiv-phänomenologische Aspekte in Gugutzers Darstellung doch weitestgehend unberücksichtigt. Chris Gilleard (2002) hat gegenwärtige Körpertechniken mit den von Foucault (1993) beschriebenen Technologien des Selbst in Verbindung gesetzt und drei Körperebenen herausgearbeitet, die auf eine Selbstpflege zielen: So versteht Gilleard den Körper als „subjektive Identitätsoberfläche“ (Gilleard 2002, zit. in: Schroeter 2008, S. 254), die mit Hilfe von Kosmetika und durch das Färben der Haare bearbeitet werden kann. Der „Körper als Instrument des Selbst“ (ebd.) kann zum Beispiel durch regelmäßige sportliche Aktivitäten gestärkt und kultiviert werden. Schließlich muss der 23 Unter dem Konstrukt einer Konsumgesellschaft kann unter anderem eine Kommerzialisierung der Körper sowie eine Entwicklung von Industriezweigen verstanden werden, deren Produkte auf bestimmte Körperideale zielen, gegenwärtig zum Beispiel auf Schlanksein, Fitness und Gesundheit (vgl. Gugutzer 2004). 24 Die Reproduktion gesellschaftlicher Körpernormen zentriert sich um wenige politische und ökonomische Apparate, gegenwärtig unter anderem um die Massenmedien (vgl. Michalitsch 2009).
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Körper als „handlungsfähige Struktur“ (ebd.) verstanden werden, die bestimmten Risiken ausgesetzt ist und mittels Diäten oder Nahrungsmittelergänzungen gepflegt werden kann. Mit seiner Interpretation des Körpers als schützenswertem Medium hebt Gilleard die Ebene leiblicher Empfindungen hervor, verharrt dabei jedoch in der Perspektive der Eigenmotivation zur Ausübung von Körperstrategien. Durch das Ausklammern der gesellschaftlichen Dimension und damit dem Nichtberücksichtigen der Funktion von Herrschaftstechnologien harmonisiert er die Komplexität sozialer Strukturprinzipien. Erst in Verbindung mit der gesellschaftskritischeren Position von Gugutzer kann an dieser Stelle von einer Konzeption des Doing Bodyfication gesprochen werden, die auf eine Reproduktion subjektiv/leiblicher und objektiv/gesellschaftlicher Perspektiven zielt. Der Körper fungiert gegenwärtig also als „Projekt, in das gezielt Arbeit investiert werden kann, womit in der Regel die Hoffnung verbunden ist, persönliche (zum Beispiel Selbstwert) und soziale (etwa Anerkennung) Gewinne zu erzielen“ (Gugutzer 2004, S. 40). Bei „verschönernden“ Praktiken25 wird der Körper zum Gestaltungsmedium. Wahrgenommen wird der Körper auch dann, wenn Störungen auftreten und/oder er in Form spürbarer Schmerzen Widerstand leistet, denn „dann wird aus dem unmittelbar erfahrenen Leib der mittelbar erlebte Körper“ (Schroeter 2008, S. 265 f.). Dies ist beispielsweise bei nachlassenden Kräften im Alter und/oder bei einer Krankheit26 der Fall. So verstanden gilt der Körper auch als „sichtbare[r] Ausdruck einer gesunden Lebensweise“ (ebd., S. 253). Bei vergeschlechtlichten Reproduktionsprozessen im Rahmen von Interaktionen spielt der visuell wahrzunehmende Körper von Personen eine wichtige Rolle. Dieser kann als „Rohstoff der Darstellungen“ (Villa 2006, S. 104) und als „wesentliches Interaktionsmedium“ (ebd., S. 263) verstanden werden, das aus handlungstheoretischer Sicht nicht als Basis oder fertiges Produkt, sondern als Resultat sozialer Prozesse zu interpretieren ist. Eine „eindeutige“ Geschlechtszugehörigkeit kann sowohl sichtbar (Kleidung, Mimik etc.) als auch hörbar (Stimme) über den Körper erfolgen. Geschlechtszeichen können dabei nur als solche erkannt werden, wenn ein bestimmter Kontext sie zu diesen Zeichen „macht“ und dieses Wissen von allen InteraktionspartnerInnen geteilt wird. Der damit verknüpfte Lernprozess von Menschen ist nach Villa eng mit deren Körpern und leiblichen Empfindungen27 verwoben: „Über soziomatische Prozesse lernt der Körper, ein Geschlecht zu sein“ (ebd., S. 109). 25 Zu „verschönernden“ Körperstrategien vgl. Kapitel 4.2. 26 Zum Bereich der Gesundheitsprävention vgl. Kapitel 4.2. 27 Lindemann (1993) diskutiert die Frage nach der leiblichen, affektiven Dimension von Geschlechterkonstruktionen.
3.2 Kategorie: Körper
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Vergeschlechtlichte Strategien formen den Körper „auf präreflexive, unbewusste Weise“ (Villa 2006, S. 123) und legen ihn auf ein „eindeutiges“ Geschlecht fest. Villa differenziert dabei zwischen „Gebrauchsanweisungen des Körpers“ (ebd., S. 109), denen sie stimmpädagogische Praktiken zuordnet, und den „direkten Eingriff in den Körper“ (ebd.), mit dem sie beispielsweise Hormonbehandlungen anspricht. Diese versteht sie als Mittel, um die „natürliche“ Geschlechterdifferenz zu konstituieren, operieren Hormone doch auf der Basis vermeintlich biologischer Differenzen: „Menstruation, Haarausfall, (Un-) Fruchtbarkeit, hormonelle Störungen – all das sind keine diskursiven oder imaginären Phänomene, ihre je spezifische materielle Realität (als Menstruation, als Menopause, als Unwohlsein oder Krankheit) ist aber das Produkt komplexer sozialer Aushandlungsprozesse. Die zyklische Frau, der stetige Mann, die Menopause, das prämenstruelle Syndrom, die Funktion der Libido: Diese ,natürlichen Tatsachen’ sind – recht junge – medizinisch-biologische Konstrukte, die den kulturellen Normen außerhalb des Labors und sozialen Praxen entsprechen, diesen Normen eine materielle Realität geben und diese Normen ihrerseits selbst aktiv gestalten und verändern“ (ebd., S. 110 f.). Solche Zuschreibungen sind eng mit Naturalisierungen 28 verbunden und zielen letztlich auf die Reproduktion eines Systems der Zweigeschlechtlichkeit in unserer Gesellschaft. Eine Auseinandersetzung mit dem Körper ist auch im Hinblick auf die gegenwärtige demografische Entwicklung und eine älter werdende Bevölkerung relevant. Dieser Prozess ist nach Turner (1991) und nach Amann und Kolland (2008) als eine Auswirkung der Industrialisierung und des damit einhergehenden technologischen Wandels zu werten, also als Konsequenz der Fortschritte im medizinischen Bereich und der verbesserten Lebensstandards von Menschen in der westlichen Kultur. Menschen erfahren im Laufe ihres Lebens eine ganze Reihe an körperlichen, gesundheitlichen und psychosomatischen Veränderungen. 29 Eine kulturelle Betrachtung dieser körperlichen Entwicklungen zeigt, dass sich Zuschreibungen und damit einhergehende Rollenerwartungen gemäß den sozial konstruierten 28 Das Alltagswissen zur Geschlechterdifferenz wird Villa (2006) entsprechend vor allem durch wissenschaftliche medizinische Diskurse gefördert. Wissenschaft und Medizin nehmen auch eine wichtige Funktion im Rahmen vergeschlechtlichter Reproduktionsprozesse ein. So kann durch chirurgische Eingriffe Frauen ein „zu kleiner“ Busen vergrößert oder können „zu schmale“ Lippen verbreitert werden. Damit spielen so genannte SchönheitschirurgInnen eine aktive Rolle im Rahmen der Pathologisierung von Körpern, die von gängigen Geschlechter- und Schönheitsidealen abweichen. 29 Die beschriebene Medikalisierung des Körpers erhält im Hinblick auf den alternden Körper eine neue Funktion: Die Einnahme von Hormonen kann hier als Kompensation des Verlusts der sexuellen Leistungsfähigkeit bei Männern und der hormonellen Veränderungen nach der Menopause bei Frauen gedeutet werden.
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3 Geschlecht, Körper, Alter(n)
Lebenslaufphasen Kindheit, Jugend, Erwerbsalter, Reproduktionsphase und nachberufliches Alter30 unterscheiden. In der westlichen Gesellschaft resultieren nach Mike Featherstone und Mike Hepworth (1991) beispielsweise aus dem Verlust kognitiver Fähigkeiten Stigmatisierungen und die Gefahr der sozialen Ausgrenzung. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass mit der Reduktion körperlicher Kontrollmechanismen ein Statusverlust als kompetente erwachsene Person und daraus resultierend ein Verlust sozialer Einflussnahme einhergeht. Das Verlangsamen körperlicher Alterungsprozesse ist derzeit eine präsente Medienbotschaft. Die Herstellung und der Verkauf einer Vielzahl entsprechender Produkte und Dienstleistungen scheint gegenwärtig ein florierender Markt zu sein, der sich der Formeln der „ewigen Jugend“ und des „langen, gesunden Lebens“ bedient (vgl. Turner 1991).31 Somit richtet sich das vielfältige Freizeitangebot für alle Altersgruppen auf ein Ziel, nämlich „auf den jungen, schlanken, schönen, fitten, gesunden Körper, den es zu hegen und zu pflegen, zu trainieren, zu formen, zu ästhetisieren und zu dekorieren gilt“, so Gugutzer (2004, S. 35). Körperstrategien zielen aus dieser Perspektive auf eine Regulierung des biologischen Alters. Die These „Mask of Ageing“ von Featherstone und Hepworth (1991) basiert auf einer Unterscheidung zwischen dem nach außen hin sichtbaren Körper und der subjektiven Identität von Menschen. Veränderungen im äußeren Erscheinungsbild gehen dabei nicht mit der Entwicklung des inneren Selbst einher, vielmehr stoppt Letztere, während die Körperhülle weiter altert. Diese Diskrepanz vergrößert sich mit zunehmendem Alter. Diese These kann auf die von Gugutzer (2004) formulierte Begriffsbestimmung des Körpers übertragen werden: Der „Zweiheit des Körpers“ (Gugutzer 2004, S. 152) liegt die Annahme zu Grunde, dass Körperhaben und Leibsein als eine Einheit zu verstehen sind. Dem gegenüber steht die These von Featherstone und Hepworth, die von einer Diskrepanz der äußeren Erscheinung von Menschen („alt“ aussehen) und deren leiblichen Empfindungen („jung“ fühlen) mit zunehmendem Alter ausgehen. Diese gedankliche Trennung von äußerer Erscheinung und innerem Selbst verweist auf eine dualistische Trennung von Körper und Geist. Gerade diesen Dualismus gilt es Gugutzer zufolge jedoch zu überwinden. Zudem kommen Peter Öberg und Lars Tornstam (1999) in ihrer 1995 durchgeführten Untersuchung in Schweden zu dem Ergebnis, dass knapp 90% der befragten Männer zwischen 20 und 85 Jahren das Gefühl haben, dass ihr Körper ihr „wahres“ Ich widerspiegele. Bei den befragten Frauen nahm die Zustimmung zur
30 Vgl. Kapitel 3.3.1. 31 Vgl. Kapitel 4.
3.3 Kategorie: Alter(n)
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Einheit von äußerem Körper und subjektivem Selbst im Laufe des Lebens sogar zu: Während lediglich 66% der jüngeren Frauen mit dem Statement „I feel that my body reflects who I really am“ (Öberg/Tornstam 1999, S. 639) übereinstimmten, lag der Anteil der älteren Frauen bei 87%. Insofern scheint die These „Mask of Ageing“ (Featherstone/Hepworth 1991) nicht nur auf inhaltlicher Ebene, sondern auch mittels repräsentativer empirischer Daten weitestgehend entkräftet.
3.2.3 Zusammenfassung Der Körper, der stets als Einheit aus Körperhaben und Leibsein zu verstehen ist, kann entsprechend gesellschaftlichen Vorstellungen geformt und präsentiert werden. Zugleich beeinflussen das ihm inhärente interaktive Handlungspotenzial und verinnerlichte Werte, Zuschreibungen etc. gängige Körperideale. Gegenwärtige Körperstrategien müssen ebenso in diesem Wechselverhältnis kontextualisiert werden. Mit Hilfe des Körpers können Symboliken vermittelt werden, die auf eine Repräsentation geschlechtsspezifischer und altersbezogener Vorstellungen zielen, bestimmte Körperstrategien verstärken zudem die Selbstpräsentation als „weiblich“/„männlich“, „alt“/„jung“.
3.3 Kategorie: Alter(n) 3.3.1 Begriffsbestimmung Alter(n) ist nach Schroeter (2008) nicht nur eine biologische, körperliche und psychologische Befindlichkeit von Menschen, sondern stellt auch einen Effekt dar, der sich im sozialen Miteinander konstituiert: „Alter und Altern als bloße bio-physische Erscheinungen zu verstehen, wäre unterkomplex und deshalb ein reduziertes Altersverständnis. Die biologische Rhythmik ist lediglich der Ausgangspunkt des Alterns. Altern und Hochaltrigkeit sind Produkte von Kultur und Zivilisation“ (Schroeter 2008, S. 243). Alter(n) ist Schroeter zufolge eingebettet in soziale Strukturen, „realisiert sich auf den unterschiedlichen Ebenen (...) in dem komplex verflochtenen Gefüge von objektiven Strukturen (Lebenslagen) und subjektiven Handlungsentwürfen (Lebensführungen, Lebensstile), von symbolischen Alternsordnungen, korporal-sozialen Performanzen, somatischen Differenzen und ,gespürten’ Realitäten“ (ebd., S. 244).
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3 Geschlecht, Körper, Alter(n)
Mit der analytischen Trennung von biologischem und sozialem Alter(n) wird der Blick in Richtung gesellschaftlich konstituierter Zuschreibungen gelenkt, werden naturwissenschaftliche Bestimmungen als soziale Konstruktionen begriffen. Biologisch Gegebenes und gesellschaftliche Konstruktionen zum Alter(n) beeinflussen sich demnach wechselseitig. Aus dieser Definition resultiert eine Vielzahl heterogener Vorstellungen zum Alter(n), die durch historische gesellschaftliche Klassifizierungen, normative Zuschreibungen und kulturelle Deutungsmuster in entsprechenden Diskursen konstituiert32 wird (vgl. Amann/Kolland 2008). Schroeter (2008) beschreibt historische Altersbilder, die ebenso vielfältig – sowohl positiv als auch negativ – sind wie die gegenwärtigen. Nicht nur negative Altersbilder, die ihren Ursprung auch in Zeichnungen wie der Lebenstreppe33 haben, sondern auch der durch Darstellungen zum Jungbrunnen vermittelte Jugendkult haben eine historische Tradition und sind Teil der Kulturgeschichte. Die Strukturkategorie Alter wird aus dieser Perspektive der Jugendphase gegenübergestellt. Damit werden sowohl Dualismen mit entsprechenden Zuschreibungen als auch soziale Differenzierungen konstituiert. Konstruktionen zum Alter(n) sind oft mit negativen Assoziationen verbunden und können in altersdiskriminierende Verhaltensweisen münden, wenn älteren Menschen gegenüber Vorurteile geäußert und damit Stereotype bestätigt werden. Diese Altersfeindlichkeit wird im Anschluss an Robert Butler als „Ageism“ (Butler 1969, zit. in: Maierhofer 2007, S. 113) bezeichnet. Ältere unverheiratete Frauen sind nach Schroeter (2008) von dieser Stereotypisierung in dreifacher Hinsicht – aufgrund von Geschlecht, Alter und Familienstand – betroffen. Die Strukturkategorie Alter, in unserer Gesellschaft verstanden als eine „Kategorie sozialer Ordnung“ (Schroeter 2008, S. 247), bringt spezifische Möglichkeiten und Verpflichtungen mit sich, aus denen wiederum bestimmte Rollen(-erwartungen) und soziale Positionierungen resultieren. Mittels gesellschaftlicher Ordnungsprinzipien wird der Lebenslauf „zu einer Art normierender Zeittafel (...) auf der Grundlage sozial konstruierter Altersgrenzen“ (ebd.). Der Lebenslauf, verstanden als „Symbol für strukturierte Lebenszeit“ (ebd.), gleicht, im Anschluss an Martin Kohlis Theorie zur Institutionalisierung des Lebenslaufs, 32 So zeichnet Caja Thimm (2000) sehr anschaulich geschlechtsspezifische Bedeutungszuschreibungen zum Alter(n) im lexikalischen Kontext, in der Kinderliteratur, im Fernsehen und in den Printmedien nach. 33 Die Lebenstreppe verbildlicht seit dem 19. Jahrhundert die Stufen des menschlichen Alter(n)s. Diese ist stets so konzipiert, dass die einzelnen Lebensstufen des Menschen – Geburt, Kindheit, Jugend, Zeit der Heirat, Ehejahre, Alter, Greisenalter, Tod – auf einem Bogen angeordnet sind. Alter(n) wird im Rahmen der Lebenstreppe defizitär dargestellt, denn die ersten vier Lebensphasen implizieren durch die Anordnung auf dem ansteigenden Bogen Wachstum, die vier weiteren dagegen einen zunehmenden körperlichen Verfall (vgl. Schroeter 2008).
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einer „sozialen Institution“ (Kohli 1985, zit. in: Backes/Clemens 2008, S. 77). Diese regelt den Ablauf des Lebens von Menschen analog ihrem chronologischen Alter. Phaseneinteilungen sind jedoch konstruierte Idealtypen und berücksichtigen als feststehende Variablen den sozialstrukturellen Kontext oder individuelle Entwicklungsprozesse von Menschen nicht (vgl. Featherstone/Hepworth 1991). Anton Amann und Franz Kolland (2008) vertreten die Auffassung, dass nicht das chronologische Alter, sondern „das System altersbasierter Pensionen (...) zu einer Transformation des Alters in eine soziale Kategorie“ (Amann/ Kolland 2008, S. 31) geführt hat. Alter wird hierzulande vor dem Hintergrund der Pensionierung bestimmt. Aus dieser zweckrationalen Perspektive resultieren an die gesellschaftliche Organisation von Erwerbsarbeit geknüpfte Ansätze, die Alter mit der nachberuflichen Phase gleichsetzen. Mit den gegenwärtigen neoliberalen Transformationsprozessen gehen Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen einher. Diese sind unter anderem gekennzeichnet durch eine Individualisierung und Pluralisierung der Lebensläufe. Daher erfahren einzelne Lebensabschnitte, zum Beispiel hinsichtlich ihrer Dauer, gegenwärtig eine Reformulierung (vgl. Schroeter 2008; vgl. Backes 2008a; vgl. Backes/Clemens 2008). Das Alter kann heute eine Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten umfassen. Der Beginn dieser Phase ist mit dem kalendarischen Alter aufgrund von Frühverrentungen schwer auszumachen und pendelt zwischen dem 55. und 65. Lebensjahr. Der Tod eines Menschen stellt das Ende der Altersphase dar. Weil die Lebenserwartung von Menschen in den letzten Jahrzehnten beträchtlich gestiegen und das Alter heterogen und vielschichtig ist, sind Differenzierungen innerhalb der Gruppe der PensionistInnen notwendig. Die vorliegende Arbeit greift auf die Begriffsbestimmung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück, wonach Frauen und Männer mit einem kalendarischen Alter zwischen 60 und 75 Jahren als älter34 definiert werden (vgl. Kolland 2000). Aus dem gegenwärtigen Strukturwandel resultiert eine Reihe gesellschaftlicher Veränderungen: Mit der „Verjüngung des Alters“35 (Tews 1993, zit. in: Backes 2008a, S. 81) gehen beispielsweise wirtschaftliche Interessen einher, die schließlich Effekte sozial strukturierter Ungleichheit reproduzieren. Auch Tho34 Menschen mit einem kalendarischen Alter zwischen 75 und 90 Jahren werden demnach als alt bezeichnet, über 90-Jährige als sehr alt oder hochbetagt und die über 100-Jährigen als langlebig. 35 Das bedeutet einerseits, dass sich ältere Menschen im Vergleich zu früheren Alterskohorten als „jünger“ einschätzen. Aus der Verjüngung des Alters resultiert jedoch auch eine Verschiebung der Grenze des Pensionseintritts nach unten, denn es erfolgt eine frühere Zuschreibung von ArbeitnehmerInnen als „zu alt“ (vgl. Backes/Clemens 2008). Eine weitere Konsequenz des gesellschaftlichen Strukturwandels stellt die „Feminisierung des Alters“ (Backes/Clemens 2008, S. 345) dar, die im folgenden Abschnitt diskutiert wird.
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3 Geschlecht, Körper, Alter(n)
mas Druyen misst wirtschaftlichen Interessen einen Stellenwert im Rahmen der Definitionen und Bedeutungszuschreibungen zum Alter zu, denn diese „führen zur Herausbildung eines riesigen Dienstleistungsmarktes gegen Alter, Krankheit, Übergewicht und Sorgen. Industrie und Medien haben Todesfurcht und Lebenshoffnung längst flächendeckend vermarktet. Gesundheitskampagnen, Nahrungsmittel, Kuren und Vitaminphilosophien aller Art werden durch Marketingund Journalistenheere lauthals beworben. Hierbei stört der natürliche Tod außerordentlich und wird deshalb schlicht entsorgt“ (Druyen 2005, S. 23). Die Kosmetik- und Nahrungsindustrie ist daran interessiert, Menschen zum Kauf von Produkten36 zu motivieren, die ihr Wohlbefinden stärken sollen (vgl. Featherstone 1991). Auf diese Weise, so Amann und Kolland (2008), können sich ältere Menschen jedoch auch jenseits ihrer ehemaligen Erwerbsarbeitsrolle definieren, drückt sich Identität doch immer auch über den Konsum aus. Ein weiteres Merkmal des Strukturwandels zeigt sich im Lebensstil von Menschen, denn dieser wird Backes zufolgen individueller und privater. Die Bedeutung von Wohnungen erfährt eine Transformation „vom Ort des Rückzugs zum Lebensmittelpunkt“ (Backes 2008a, S. 77). Backes weist in diesem Zusammenhang auf den von Hans P. Tews eingeführten Begriff der „Singularisierung“ (Tews 1993, zit. in: Backes 2008a, S. 77) hin. Von dieser ist in Deutschlands Großstädten fast die Hälfte der über 65-jährigen Personen betroffen. Mit der Singularisierung nehmen soziale Risiken zu wie Isolation und Kommunikationsarmut. Neoliberale Transformationsprozesse, die sich in einer Verschiebung öffentlicher und privater Bereiche zeigen, vollziehen sich hier auf besondere Weise.
3.3.2 Analyse von Doing Age hinsichtlich Körper und Geschlecht In Anlehnung an die Analysen von Villa (2006) zum Doing Gender sollen im Folgenden wesentliche Charakteristika des Doing Age vorgestellt werden. In sozialkonstruktivistischer Sichtweise zeigen sich Menschen mittels signifikanter Symbole (Kleidung, Frisur, Accessoires, wie Stöcke, Seh- und Hörhilfen etc.) und körperbezogener Ressourcen (Gesten, Stimme, Körperhaltung, Alterspig36 In Werbedarstellungen dominieren dementsprechend jugendlich konnotierte Lebensformen. Wenn ältere Menschen gezeigt werden, wird die Heterogenität des Alter(n)s kaum berücksichtigt. Das Zeigen der „neuen Alten“, die als aktiv, vital und konsumfreudig dargestellt werden, stellt solch ein einseitiges Bild dar (vgl. Backes/Clemens 2008). Bärbel Kühne (2007) weist darauf hin, dass alte und hochaltrige Menschen in Werbedarstellungen kaum Berücksichtigung finden. In den letzten Jahren zeigte sich jedoch ein erstes Umdenken in der Werbebranche. So präsentierten beispielsweise die Bekleidungsfirma Oui in einer Kampagne im Jahr 2001 sowie die Kosmetikfirma Dove im Jahr 2005 weibliche Alter(n)sbilder über defizitäre Vorstellungen und Klischees hinweg.
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mente, faltige Haut, graue oder weiße, ausfallende Haare) im Alltag ihre (vermeintliche) Altersgruppenzugehörigkeit wechselseitig an. Ähnlich wie beim Doing Gender setzt dies die Existenz symbolischer Zuschreibungen voraus. Das Wissen um die spezifischen Bedeutungen muss allen InteraktionspartnerInnen bekannt sein. Eng im Zusammenhang mit dieser Möglichkeit der interaktiven Reproduktion des Alter(n)s stehen zirkulär ablaufende Alterserkennungsprozesse, welche durch die Wahrnehmung signifikanter Symbole die Zuweisung zu einem kalendarischen Alter ermöglichen. Einer Altersgruppe zuzuordnende Merkmale können sich nach dem jeweiligen Kontext ändern, die entsprechenden Deutungsmuster variieren in diesem Fall. Eng mit diesen Zuschreibungen sind in unserer Gesellschaft Bewertungen verbunden, die Menschen gesellschaftlich positionieren. Unter Altersattributation verstehe ich im Anschluss an Villa (2006) die Verantwortung der InteraktionspartnerInnen zur Reproduktion des eigenen Alter(n)s. Darüber hinaus haben diese die Funktion, als BetrachterInnen anderen Menschen ein bestimmtes kalendarisches Alter zuzuweisen. Die interaktive Beziehung zwischen zwei oder mehreren Personen zeichnet sich dabei entweder als Form der Unterstützung aus, ein kalendarisches Alter mittels kultureller Deutungsmuster „richtig“ darzustellen, oder als Kontrollmaßnahme auf sozialer Ebene. Gesellschaftlich konstruierte, alterssignifikante Symboliken werden auf diese Weise Teil weiblicher und männlicher Subjektivierungsentwürfe, denen gemäß Bilder des Alter(n)s interaktiv präsentiert werden. Um Altersdifferenzierungen dauerhaft zu festigen, sind entsprechende gesellschaftliche Ordnungsstrukturen und Diskurse notwendig. Dieser Prozess, der durch leibliche Verwirklichungen des Alter(n)s, durch körperliche Repräsentationsformen im sozialen Miteinander und vor dem Hintergrund sozialer Zuschreibungen abläuft, wird als Doing Age37 bezeichnet (vgl. Schroeter 2008). Kleidung38 gilt in diesem Kontext als alterssignifikantes Symbol, das Abgrenzungen zu anderen Altersgruppen markiert. Featherstone und Hepworth (1991) weisen auf das Vorhandensein typischer Kleidung für Frauen und Männer hin, die den Eintritt in die Phase des Alters symbolisch markiert. Dabei variiert das kalendarische Alter, ab dem sich Personen alterstypisch kleiden (vgl. Twigg 2007). 37 Gildemeister und Robert beschreiben diesen interaktiven Vorgang als „Doing Old“ (Gildemeister/Robert 2008, S. 322). In der vorliegenden Arbeit werde ich jedoch den Begriff Doing Age verwenden. 38 Zur historischen Bedeutung von Kleidung in bestimmten Institutionen (Gefängnis, Schule, Krankenhaus) sowie dem Zusammenhang zu gegenwärtigen Kleidungsstilen in Pflegeeinrichtungen für Demenzkranke vgl. Twigg (o. J.).
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3 Geschlecht, Körper, Alter(n)
Featherstone und Hepworth (1991) beschreiben im Anschluss an Alison Lurie (1981) Merkmale alterstypischer Bekleidung. So werden unauffällige, ausdruckslose Farben wie beige, fliederfarben oder grau im entsprechenden sozialen Kontext mit alterstypischer Kleidung in Verbindung gebracht. Julia Twigg (2007) zufolge stand die Farbe Schwarz vor allem in der Vergangenheit für das Alter und gilt gegenwärtig als Symbol für Trauer, für „drama and display“ (Twigg 2007, S. 293) sowie – in Bezug auf Mode – für „sexuality“ (ebd.). Auch bestimmte Stoffe wie Baumwolle oder Flanell und Accessoires können als Symbole für alterstypische Bekleidung dienen. Eine weitere Besonderheit ist außerdem nicht das Betonen, sondern das Verdecken der körperlichen Figur. Twigg (o. J.) merkt in Bezug auf männliche Bekleidungsformen an, dass das regelmäßige Polieren der Schuhe, das Tragen eines Jacketts und/oder einer Krawatte auf eine gepflegte Erscheinung und damit auf eine Form traditioneller Männlichkeit hinweisen. In unserer Gesellschaft, so Twigg (2007), existieren diverse Richtlinien, welche die Art und Weise vorgeben, wie sich Personen im Alter kleiden sollten. Die Verweigerung des Tragens alterstypischer Bekleidungsformen wird nach Twigg mittels sozialer Kontrollmechanismen sanktioniert, und zwar bei Älteren strenger als bei jüngeren Frauen und Männern: „Lapses of dress, like stains, visible food marks and gaping buttons, do not just offend against the performance norms of the social space, but signal a social and moral decline that may threaten a person’s capacity to remain part of mainstream society“ (Twigg 2007, S. 295). Auf dieser moralisch sanktionierenden Ebene wird eine disziplinierende Atmosphäre installiert, die ältere Menschen hinsichtlich ihrer Bekleidungsvorstellungen begrenzt und homogenisierend wirkt. Bewertungen bei „Fehltritten“, so Featherstone und Hepworth (1991), sind jedoch abhängig vom Geschlecht der Personen, die gegen gängige Kleidungsnormen verstoßen: Während ältere Frauen in diesem Fall als eklig oder abscheulich bezeichnet werden, wirken ältere Männer eher lächerlich. Mit der Reformulierung der Lebensphasen und dem Einzug neoliberaler Postulate in unserer Gesellschaft geht eine Veränderung in der Art und Weise einher, wie sich Menschen präsentieren: Der so genannte „uni-age style“ (Featherstone/Hepworth 1991, S. 372) bezieht sich jedoch vorrangig auf Mode für Kinder und jüngere Erwachsene. Inwieweit dieser Kleidungsstil auch für ältere Menschen vorgesehen ist, wird in der Literatur nicht beschrieben. Einen Schritt in Richtung einer Auseinandersetzung mit den Themenbereichen Kleidung, Mode und Alter im wissenschaftlichen Kontext hat Twigg (2007) vollzogen. So zeichnet sie eine thematische Verbindung zwischen Mode und weiblichem Alter nach: Indem Mode in unserer Gesellschaft immer auch mit sexuellen Komponenten gepaart und mit Jugendlichkeit verbunden wird, ältere Frauen
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jedoch von öffentlichen Diskursen um Mode ausgeschlossen werden, schlussfolgert Twigg, dass ältere Frauen keine sexuelle Anziehungskraft mehr ausüben, sondern gesellschaftlich „unsichtbar“ werden sollen. Verstoßen ältere Frauen gegen diese gesellschaftliche Vorstellung der konventionellen Weiblichkeitspräsentation, werden mögliche, erotisch anmutende Darstellungsformen als „billig“ deklariert oder gar mit einem moralischen Verfall in Verbindung gebracht, der zum sozialen Ausschluss führen kann. Aus dieser Perspektive können Bekleidungsformen im Alter als eine Art neoliberaler Regierung verstanden werden, um gesellschaftliche Ein- und Ausschlüsse älterer Frauen in unserer Gesellschaft zu regeln und zu kontrollieren (vgl. Kapitel 4.2). Backes (2005) kritisiert, dass Frauen und deren spezifische Problemlagen in der Alter(n)sforschung lange Zeit ausgeblendet blieben, es dominierte der Blick auf das männliche Alter(n). Dieser Forschungsschwerpunkt hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert (vgl. Backes 2007). In der Literatur wird dies gegenwärtig mittels der häufig artikulierten Parole „Das Alter ist weiblich“ (Backes/ Clemens 2008, S. 83) deutlich. Nicht nur aufgrund kriegsbedingter Verluste seitens der Männer, sondern auch aufgrund einer höheren Lebenserwartung von Frauen leben heute in unserer Gesellschaft quantitativ mehr Frauen (vgl. Backes/Clemens 2008). Sicher führte auch dieser Aspekt des gesellschaftlichen Strukturwandels zur These einer „Feminisierung des Alters“ (Tews 1993, zit. in: Backes/Clemens 2008, S. 345). Im Rahmen dieser These wird eine auf stereotypen Zuschreibungen basierende Angleichung der Geschlechter im Alter unterstellt. Demnach gleichen sich traditionelle Modelle der Lebensführung in Paarbeziehungen an und die Reproduktion von Geschlechterdifferenz nimmt ab. Dies wird unter anderem durch eine Anpassung der Charaktere und der Persönlichkeitsmerkmale von Frauen und Männern sichtbar: Verhaltensweisen, die männlich konnotiert sind, wie dominantes Verhalten, lassen sich im Alter verstärkt an Frauen beobachten. Männer zeigen demgegenüber zunehmend als weiblich geltende Merkmale, etwa emotionale Verhaltensweisen. Darüber hinaus wird Männern im Alter eine Angleichung an weibliche Lebensweisen attestiert, die mit dem Einritt in den Ruhestand einhergehen (vgl. Backes 2005; vgl. Gildemeister/Robert 2008). „Trotz vordergründiger Plausibilität der These von der Angleichung der Lebensweisen im Alter leben Frauen und Männer auch im Alter verschieden und in ungleichen sozialen Lagen – ihre Lebenslagen und Lebensstile unterscheiden sich in sozial ungleicher Weise hierarchisch nach Geschlecht“, so Backes (2005, S. 35). Auch wenn traditionelle Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft gegenwärtig Veränderungen erfahren, verfolgen Männer im Alter doch häufiger nachberufliche Tätigkeiten, also abgewandelte Formen der ehemaligen Erwerbsarbeit, während ältere Frauen eher auf die Haus- und Familienarbeit fokussieren
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3 Geschlecht, Körper, Alter(n)
(vgl. Backes 2005). Die unterschiedlichen Aufgabenbereiche sind demnach eng mit Weiblichkeits- und Männlichkeitsidealen verknüpft: Während ein Männlichkeitsideal im Alter mit dem „Aktivsein in gesellschaftlich-öffentlichen Bezügen“ (Backes 2008a, S. 84) verbunden ist, bezieht sich das entsprechende Weiblichkeitsideal im Alter „eher [auf ein] Aktivsein in der familialen-privaten Sphäre“ 39 (ebd.). Obwohl also der quantitative Anteil der Frauen im Alter höher als der von Männern ist, bleiben weibliche Ressourcen im Alter eher im privaten, männliche dagegen eher im öffentlichen Bereich sichtbar (vgl. Backes 2007). Hinsichtlich der Kategorien Alter(n) und Geschlecht erfolgt nach Gildemeister und Robert (2008) eine Reformulierung sozialer Differenzierungsmodi: Nicht mehr allein das Männliche gilt dabei als anzustrebende Norm, sondern auch der Status der Erwerbsarbeit. Die nicht mehr dieser Norm genügenden Menschen erfahren folglich soziale Marginalisierungen. Dass ältere Frauen durch diese Differenzierungsprinzipien jedoch in zweifacher Hinsicht – aufgrund von Geschlecht und Alter – benachteiligt werden und sich dies öfter als bei gleichaltrigen Männern in sozialen Problemlagen niederschlägt, betont Backes (2005). Damit werden zugleich gesellschaftliche Reproduktionsprozesse sichtbar, die Geschlechterdifferenzen konstituieren und naturalisieren: Altern ist nicht nur ein vielschichtiger und heterogener, sondern auch ein durchaus vergeschlechtlichter Prozess.
3.3.3 Zusammenfassung Alter(n) ist eine biologisch bedingte und gesellschaftlich hergestellte Kategorie, die als vielseitig und komplex charakterisiert werden muss. Gegenwärtige Altersdefinitionen sind eng mit dem Begriff der Erwerbsarbeit und damit einhergehenden normativen Zuschreibungen verbunden. Mittels der Technologie Doing Age konnte gezeigt werden, dass Altern ein vergeschlechtlichter Prozess ist: Sowohl Bekleidungsformen als auch Tätigkeitszuschreibungen im öffentlichen und privaten Bereich reproduzieren soziale Differenzierungen in unserer Gesellschaft. Älter werden hat zwar Konsequenzen für beide Geschlechter. Wie aufgezeigt, werden Frauen im Rahmen von Alterungsprozessen jedoch in doppelter Hinsicht marginalisiert.
39 Damit verbunden ist die Ausübung der Pflege im familiären Bereich, die vor allem von Frauen geleistet wird (vgl. dazu ausführlich Backes 2008).
4 Neoliberale Körperbilder und Doing Beautyfication im Alter
In diesem Kapitel werde ich gegenwärtige Schönheitsideale in unserer Gesellschaft und deren Verbindungen zu neoliberalen Transformationsprozessen untersuchen. Aus sozialkonstruktivistischer Sicht werde ich eine Begriffsbestimmung der Technologie des Doing Beautyfication vorschlagen und diese anhand zweier gängiger Körpernormen spezifizieren. Des Weiteren werde ich überprüfen, inwieweit Praktiken des Doing Beautyfication auf eine Verkörperung von Vorstellungen konventioneller Weiblichkeit, Männlichkeit sowie auf eine Repräsentation von Altersbildern zielen und welche Rückschlüsse in diesem Zusammenhang auf gesellschaftliche Regierungsmechanismen gezogen werden können.
4.1 Gegenwärtige Körperbilder und Schönheitsideale: Gesellschaftliche Normbildung und „Verkörperung“ neoliberaler Transformationsprozesse Jugendliches Aussehen, eine straffe Haut, die Betonung der eigenen Individualität und ein schlanker, trainierter, gesund aussehender Körper: Derzeit geltende Schönheitsideale in unserer Gesellschaft40 können durch konkrete physische Merkmale definiert werden. Diesem Schönheitsideal liegt die Idee zu Grunde, Jugendlichkeit, Schlankheit und Gesundheit nicht als biologische Schicksale zu verstehen, sondern diese als individuelle Aufgabenbereiche, als persönliche Leistungsanforderungen zu reformulieren. Im Neoliberalismus werden Menschen nicht nur zu UnternehmerInnen des eigenen Selbst, sondern auch zu UnternehmerInnen ihrer Körper. Damit einhergehende, dauerhafte Optimierungsbestrebungen zielen vor allem auf eine körperbezogene Selbstmaximierung. 41 Aus
40 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit umreiße ich nicht formale Schönheitsnormen, wie harmonische Proportionen oder passende Symmetrien von Körpern, sondern Schönheitsideale im neoliberalen Kontext. 41 Dass zur Erreichung dieser Zielsetzungen gesicherte Einkommensverhältnisse notwendig sind und der Körper damit zur „Arena sozialer und ökonomischer Kämpfe erkoren“ (Kreisky 2008, S. 148) wird, verstärkt letztlich gesellschaftliche Differenzierungen: Wellness-Oasen, Fitness-Studios oder
G. Höppner, Alt und schön, DOI 10.1007/978-3-531-93052-7_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4 Neoliberale Körperbilder und Doing Beautyfication im Alter
dieser Perspektive haben Menschen ununterbrochen Entscheidungen zu treffen, die letztlich (scheinbare) Rückschlüsse auf ihre Charaktereigenschaften liefern: Denn nur die Personen, die ihre Körper gemäß gängigen Vorstellungen formen, können sich in neoliberalen Gesellschaften durchsetzen. Das eigene Leben wird damit zum privaten Kapital, das es in individueller Verantwortung zu verwalten gilt, ebenso wie den eigenen Körper, der gehütet und gepflegt werden sollte (vgl. Kreisky 2008). Damit scheint ein schönes äußeres Erscheindungsbild als Garant für ein attraktives Leben inklusive beruflichem und privatem Erfolg zu stehen: „[D]ie Schönen wirken sympathischer, ziehen an und in den Bann. Schöne Menschen haben größere Chancen bei der PartnerInnenwahl, größere Aufstiegschancen im Job und verdienen mehr. Schönheit befähigt zu sozialer Macht, dient ihrer Inszenierung und verkörpert Status“ (Degele 2008, S. 68). Die Formel des schönen Körpers avanciert zum kategorischen Imperativ und zum Bestandteil des Selbst: Freiheit und Zwang zur Selbstregulierung schreiben sich nach Schroeter (2008) in die Körper der Menschen ein und veranschaulichen die Verknüpfung von neoliberalen Selbst- und Herrschaftstechniken.42 In neoliberalen Gesellschaften wird mittels dieses Körperideals eine Differenzierung von Menschen vorgenommen: Die Gruppe derer, die ihren Körper „managen“ und entsprechend gängigen Vorstellungen zum Schönheitsideal selbst regulieren können, gilt dabei als „normal“, ist diese doch in der Lage, sich bestimmten Körpernormen zu fügen. Im Kontrast dazu wird im neoliberalen Kontext die Gruppe von Menschen gedacht, die dazu nicht in der Lage oder Willens ist und daher als Abweichung, als das „Anormale“ verstanden wird (vgl. Foucault 2004). Diese Klassifizierung in Anlehnung an normative Vorgaben in „geeignet“/„ungeeignet“, „normal“/„anormal“ ist insofern kritisch zu bewerten, als „unvollkommene“ Körper eine schwindende soziale Akzeptanz erfahren. Eva Kreisky (2008) spricht in diesem Zusammenhang gar von der Entstehung „neue[r] Körperklassen“ (Kreisky 2008, S. 155). Dabei wird zwischen jenen differenziert, die sich neoliberalen Körperidealen annähern können und denen, die daran scheitern: „Alle vom kapitalistischen Körper-Phantasma abweichenden, etwa alternden, überforderten, abgekämpften, übergewichtigen, kranken oder bloß dem allseits indoktrinierten Schönheits- und Schlankheitsideal nicht (mehr) entsprechenden Körper(-Bilder) [werden] entwertet und mehr oder der Markt rund um eine gesunde Ernährung sind aufgrund ökonomischer Bedingungen für viele Menschen nicht zugänglich. 42 In Anlehnung an die von Foucault (1993) vorgenommene Differenzierung von Selbst- und Herrschaftstechnologien schreibt Sabine Maasen (2008) der Produktions-Technologie beispielsweise den Bereich der Schönheitsindustrie, der Technologie von Zeichensystemen beispielsweise den Bereich der Diskurse und des Wissens zur Körperoptimierung und Machttechnologien beispielsweise den Bereich der geschlechtsbezogenen Asymmetrien zu.
4.1 Gegenwärtige Körperbilder und Schönheitsideale
47
minder gesellschaftlich ausgegrenzt“ (Kreisky 2008, S. 156). Der schöne, makellose, gesunde Körper wird damit als gesellschaftliches Ideal im Gegensatz zum unansehnlichen, schwachen, kranken, alten Körper gedacht, der in einer neoliberalen Gesellschaft als normative Abweichung verstanden wird. Mit diesen binären Konstruktionen gehen gesellschaftliche Bewertungen und nicht zuletzt soziale Ausgrenzungen „unerwünschter“ Körper einher. Schlanksein verweist in Anlehnung an Schroeter (2008) auf eine derzeitige Lesart des schönen Körpers, die ebenso als Metapher neoliberaler Transformationsprozesse gedeutet werden kann. So lassen sich laut Kreisky der Abbau sozialstaatlicher Leistungen und die damit einhergehende „Verschlankung“ (Metzen 1994, zit. in: Kreisky 2008, S. 149) des neoliberalen Staates auf semantischer Ebene als Anforderungen an den einzelnen Menschen lesen: Die „Kultur der Schlankheit“ (Kreisky 2008, S. 146) fungiert damit als konkrete körperbezogene Handlungsanforderung an Menschen; die staatliche Verschlankung begründet zugleich eine gesellschaftlich anerkannte Körpernorm.43 Schlankheit wird damit als Zeichen für Wohlstand und „luxuriöses Lebensgut Reicher und Mächtiger“ (Kreisky 2008, S. 156) reformuliert. Demgegenüber wird Übergewicht44 im neoliberalen Kontext als Schwäche der Selbstregulierung gedeutet: Ein dicker Körper fungiert in dieser Lesart als Symbol für Trägheit, Zügellosigkeit, Undiszipliniertheit und für minderwertige Ernährung. Diese Vorgehensweise verweist auch auf den Bereich entsprechender Verantwortungsübernahmen, wird im politischen Diskurs doch die Frage der Übernahme zusätzlich anfallender Kosten aufgrund von Übergewicht aufgeworfen (vgl. Kreisky 2008). Die Diskussion verdeutlicht die Möglichkeit des Staates, eine mangelnde Selbstregulierungsfähigkeit von Menschen zu sanktionieren und entsprechende Disziplinierungsmaßnahmen einzuleiten. Neoliberale Regierungsmechanismen bilden somit auch ein dauerhaftes staatliches Interesse am menschlichen Körper und an individuellen Verhaltensweisen ab.
43 So weisen Paula-Irene Villa und Katharina Zimmermann (2008) auf die Bestimmung eines (sozial konstruierten) Normalgewichts von Menschen (Body-Maß-Index) hin, welches mittels eines standardisierten Skalierungsverfahrens errechnet werden kann. Die errechneten Durchschnittswerte bestimmen schließlich das auf das Gewicht bezogene „Normalsein“ (Villa/Zimmermann 2008, S. 187) von Menschen. 44 Aus geschlechtsspezifischer Perspektive muss in diesem Zusammenhang die Präsentation „übergewichtiger“ Personen kritisch gewertet werden, wird zur exemplarischen medialen Darstellung doch vorrangig der Frauenkörper herangezogen (vgl. Villa/Zimmermann 2008).
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4 Neoliberale Körperbilder und Doing Beautyfication im Alter
4.2 Analyse von Doing Beautyfication hinsichtlich Geschlecht und Alter(n) Das „verschönernde“ Bodystyling gilt gegenwärtig für viele Menschen als relevanter Bestandteil der Lebensführung. Dieses umfasst Praktiken, mittels derer Körper allein oder mit Hilfe anderer gemäß gängigen Idealen geformt werden können. In unserer Gesellschaft steht für diese Form der Körperarbeit eine ganze Reihe unterschiedlicher Strategien zur Verfügung, die nach Degele (2004) im Folgenden als „Schönheitshandeln“ (Degele 2004, S. 11) bezeichnet werden. „Verschönernde“ Körperstrategien reichen Villa (2008a)45 zufolge von selbstverständlichen Praxen (wie Kleidung, Ernährung) und bewussten Projekten (wie Diäten, sportlichen Aktivitäten) über verschiedene Wellness- und/oder Gesundheitstherapien (wie Massagen, Fastenkuren) bis hin zu Manipulationen am Körper (wie plastische Chirurgie). Mit dem Begriff des Schönheitshandelns fasst Degele eine dauerhafte körperliche Verfügbarkeit, die im neoliberalen Kontext als rationaler Versuch der Selbstregulierung gedeutet werden kann. Im Anschluss an Foucault (1993) bestimmt dieser sowohl das Denken als auch das Verhalten von Menschen mit dem Ziel, Wohlbefinden und persönliches Glück zu erfahren. Schönheitshandeln konstituiert sich dabei auf der Grundlage von normativen Vorgaben bestimmter Bezugsgruppen und körperbezogenem Selbstbild. Körper fungieren beim Schönheitshandeln als Medium der Selbstdarstellung, als Projektionsfläche im Rahmen sozialer Inszenierungen und Positionierungen. Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive muss – wie auch im Rahmen des Doing Gender, Doing Bodyfication und Doing Age gezeigt – die handlungstheoretische Ebene berücksichtigt werden, welche die Präsentation eines (nicht) schönen Körpers durch soziale Interaktionen erst ermöglicht. Im Anschluss an die Begriffsbestimmung zu „verschönernden“ Körperpraktiken von Villa (2008a) gehe ich davon aus, dass die Ausübung von Formen des Schönheitshandelns sowohl auf unbewussten als auch auf bewussten Entscheidungen von Menschen beruht. Entscheidungsprozesse rund um eine Klassifizierung anderer Menschen als (nicht) schön müssen stets vor dem Hintergrund normativer Zuschreibungen gelesen werden. Im Folgenden werde ich beispielhaft die neoliberalen Schönheitsideale trainierter und gesund aussehender Körper betrachten, um anhand dieser Praktiken des Schönheitshandelns nachzuzeichnen und sie als „Arbeit am sozialen Selbst“ (Villa 2008a, S. 8) im neoliberalen Kontext zu dechiffrieren.
45 An dieser Stelle werde ich die Begriffsbestimmung von Gugutzer und Gilleard (vgl. Kapitel 3.2.2) nicht heranziehen, handelt es sich bei dieser doch um eine spezifische Definition im Rahmen des Doing Bodyfication.
4.2 Analyse von Doing Beautyfication hinsichtlich Geschlecht und Alter(n)
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In unserer „postindustriellen Leistungsgesellschaft“ (Fleig 2008, S. 91) wird physische Aktivität als „verschönernde“ Praktik zur Herstellung eines athletischen, fitten Körpers im Rahmen der freien Zeit von Menschen verstanden. Diese wird nach Schroeter (2007) durch den flexiblen, formbaren Menschen unter anderem in Fitnesscentern 46 geleistet, „in denen an modernen Körpermaschinen (...) Bindegewebe gefestigt, Muskeln auf- und Fettpolster abgebaut, Ausdauer trainiert und Körper in Form gebracht werden“ (Schroeter (2007, S. 133). Durch Training gestaltete sowie durch Ausdauer und Disziplin gekennzeichnete Körper stehen gegenwärtig auch als Symbol für ökonomische Prinzipien, die außerhalb sportlicher Bereiche vermarktet werden. Fit und erfolgreich zu sein, avanciert zur aussichtsreichen Formel, mittels der soziale Anerkennung und Einflussnahme gewährleistet zu sein scheinen: „Sportlichkeit verkörpert Gesundheit, Gelenkigkeit, Schlankheit und Attraktivität. Das sportliche Amalgam aus Fairness, Fun und Fitness entspricht den ökonomischen Markt- und Machtverhältnissen mit seinen zentralen Leitbildern von Individualismus, Konkurrenz, Teamgeist und Flexibilität“ (Schroeter 2007, S. 141). Wirtschaftliche Prinzipien wie die Optimierung und Maximierung körperlicher Leistungen weiten sich nun zunehmend auf sämtliche Lebensbereiche von Menschen aus. Folglich können Körper ausdauernder, schneller, stärker gemacht werden: Der Prozess der individuellen Perfektionierung scheint nach oben hin unbegrenzt. Die Konsumangebote der Fitnessindustrie unterstützen diesen Prozess durch die Entwicklung und Vermarktung immer modernerer „Körpermaschinen“ (Schroeter 2007, S. 133) und neuer Aktivitätsmuster. Während Fitness zum „Bestandteil erfolgreichen Selbstmanagements“ (Fleig 2008, S. 90) aufrückt, ist Unsportlichkeit in unserer Gesellschaft negativ konnotiert. An dieser Stelle werden duale Klassifikationen zu „normalen“/„erwünschten“ und „anormalen“/„unerwünschten“ Körpern im Sinne von Kreiskys (2008) Ausführungen zu Schlankheit deutlich (vgl. Kapitel 4.1). Sportliche Aktivitäten erscheinen aus dieser Perspektive auch als Synonym für visualisierte Gesundheit; sie kennzeichnen einen pflichtbewussten Umgang mit dem Körper im Rahmen der eigenen Lebensgestaltung (vgl. Schroeter 2007). Nach Lemke (2007) sind selbstverantwortliche Menschen „objektive Zeugen für (...) ihre (Un-)Fähigkeit, freie und rationale Subjekte zu sein“ (Lemke 2007, S. 56). Gesundheit in einem neoliberalen Verständnis muss somit als deutliches Zeichen von Initiative gedeutet werden: Was aus medizinischer Sicht als Risikofaktor für eine Krankheit eingeordnet wird, ist aus neoliberaler Perspektive korrekturbedürftig: „Da Selbstbeherrschung und Autonomie fundamentale Voraussetzungen der Gesundheit bilden, sind ein mangelnder Wille und eine unzurei46 So merkt Anne Fleig (2008) einen beständigen Anstieg der Mitglieder in Fitness-Studios an: Im Jahr 2006 waren Schätzungen zufolge etwa 8,5% der Deutschen Mitglied in einem Fitness-Studio.
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4 Neoliberale Körperbilder und Doing Beautyfication im Alter
chende Selbstführung erste Symptome einer Krankheit, deren Ursache letztlich im Inneren des Subjekts liegt – und die nicht auf ,äußere Faktoren’ (...) zurückgeführt werden kann“ (Lemke 2007, S. 56). Aus neoliberaler Perspektive erscheint die Optimierung des eigenen Gesundheitszustands als Ausdruck einer souveränen Selbstregulierung. Begleitet wird das damit einhergehende Leitmotiv der Selbstverantwortung auch mittels Diskursen rund um die Themenbereiche Gesundheitserziehung und -prävention. Gesundheitsfördernde Strategien werden dabei von einer zunehmenden Anzahl von Menschen im Sinne von Foucault (1993) als Selbsttechnik praktiziert. Kritik an neoliberal motiviertem Schönheitshandeln übt unter anderem Degele (2004), welche die Arbeit am Körper als „Akt der Freiheit“ (Degele 2004, S. 29) interpretiert, der die Botschaft der Erreichbarkeit scheinbar unmöglicher Körperideale suggeriert. Der Körper wird also zu einer „Fiktion der Chancen und Optionen“ (Schroeter 2008, S. 255) und die Inszenierung eines aktiven Körpers zur disziplinären Strategie hohen Wertes. Die daraus resultierende Konsequenz der „massenhafte[n] Standardisierung und Uniformierung der Körper“ (Schroeter 2007, S. 133) birgt dabei den Verlust menschlicher Heterogenität. Dieser „Zwang zur Konformität der Körper“ (Kreisky (2008, S. 154) muss, und das soll im Folgenden gezeigt werden, als vergeschlechtlichter Prozess verstanden werden. Gildemeister und Robert (2008) vertreten die Auffassung, dass insbesondere Frauen vom gesellschaftlich konstruierten Körperideal des jugendlichen Aussehens inklusive einer faltenarmen Haut und einer schlanken Figur angesprochen werden. Makellosigkeit und Reinheit unterstützen Degele (2004) zufolge die öffentliche Darstellung uniformer weiblicher Körper, während das Schönheitsideal für Männer – trainiert, athletisch, muskulös – deren Individualität betont. Mit diesen geschlechtsspezifischen Schönheitsidealen scheint eine unterschiedliche Gewichtung hinsichtlich normierender Zuschreibungen einherzugehen: So kritisiert Degele den „Schönheitskult (...), der vor allem Frauen in ein enges Korsett von Schlankheit, Jugend, Attraktivität, Sportlichkeit, Gesundheit und Leistungsfähigkeit schnürt“ (Degele 2004, S. 29). Damit verweist die Autorin auf eine stärkere kulturelle Normierung weiblicher Schönheitsideale im Vergleich zu männlichen. Diese These steht in enger Verbindung mit Ergebnissen der Studie von Öberg und Tornstam (1999). In der Untersuchung konnte gezeigt werden, dass das äußere Erscheinungsbild für Frauen im Alter zwischen 20 und 85 Jahren stets eine höhere Relevanz einnimmt als für gleichaltrige männliche Befragte. Aus dieser Perspektive kann Schönheitshandeln auch als Strategie der Geschlechterdifferenzierung entschlüsselt werden. Diese ist hinsichtlich der heterosexuellen Norm in unserer Gesellschaft bedeutend, wird weibliche Attraktivität doch immer auch mit männlichem sexuellen Begehren verknüpft. Solche
4.2 Analyse von Doing Beautyfication hinsichtlich Geschlecht und Alter(n)
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binären Positionierungen basieren auf patriarchalen Machtstrukturen, die unserer Gesellschaft inhärent sind. Dementsprechend wurden Schönheitsstrategien lange Zeit nach Geschlecht spezifiziert: Nach Winfried Menninghaus (2007) formen Frauen ihren Körper eher mittels Disziplinierungsmaßnahmen wie Diäten, Männer eher durch disziplinierende Körperarbeit in Form von Sport. Christian Schemer (2006) unterscheidet die weibliche Strategie der Gewichtsreduktion von der männlichen Praktik des Muskelaufbaus. Mit dieser geschlechtsspezifischen Differenzierung bezüglich der Formen des Schönheitshandelns reihen sich die beiden Autoren in die Argumentation von Sandra Lee Bartky (1988) ein. Sie hat vor mehr als zwanzig Jahren weibliches Schönheitshandeln in Anlehnung an Foucaults Ausführungen (1994) zur Disziplinierung der Körper beschrieben: „The woman who (...) is feeling fat, monitors everything she eats, has become, just as surely as the inmate of the Panopticon, a self-policing subject, a self committed to a relentless self-surveillances“ (Bartky 1988, S. 81). Gegenwärtig kann jedoch eine Aufweichung dieser binären Zuordnungen nachgezeichnet werden. So weist Kreisky (2008) darauf hin, dass Bodybuilding nicht mehr nur Männern vorbehalten bleibt, um ihrer Maskulinität Ausdruck zu verleihen, sondern längst zum fixen Bestandteil weiblicher Schönheitsstrategien geworden ist. Andererseits hat die Inanspruchnahme chirurgischer Eingriffe Einzug in den Bereich männlicher Körpergestaltung gehalten. Dieser Wandel der „Androgynisierung des Begehrens nach Verschönerung“ (Kreisky 2008, S. 155) ist sicher auch mit ökonomischen Motiven der Sport- und Schönheitsindustrie zu erklären. Schließlich gelten ältere Menschen gegenwärtig als bedeutender wirtschaftlicher Faktor. Mediale Botschaften suggerieren die Möglichkeit, fern jeglicher Resignation aufgrund körperlicher Alterungsprozesse die Phase der Jugend zu verlängern: Folglich sind besonders ältere Menschen angehalten, die von der Körper-, Kosmetik- und Nahrungsindustrie initiierten Wellness- und Gesundheitstrends sowie damit einhergehende Versprechungen der Gestalt- und Modellierbarkeit älter werdender Körper gemäß den gesellschaftlichen Schönheitsidealen zu repräsentieren (vgl. Schroeter 2007). Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang allerdings die gegenwärtige Darstellungspraxis älterer Menschen im medialen Kontext, die sich laut Schroeter (2008) auf die in der Öffentlichkeit sichtbaren Körperteile konzentriert wie das Gesicht und die Haare.47 Während 47 Eine Ausnahme bildet hier die Werbekampagne des Energieunternehmers Eon aus dem Jahr 2001, die als Motiv eine alte Frau in einem Badeanzug in einem Schwimmbad abbildet. Mittels der Verbindung von Konzentration und Schlichtheit (präsentiert durch die Frau) mit Reinheit und Klarheit (gezeigt durch das Farbspektrum von weiß und blau) sollte für alternative Energien, sprich für Energien aus Wasserkraft, geworben werden (vgl. Kühne 2007).
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4 Neoliberale Körperbilder und Doing Beautyfication im Alter
also öffentlich wahrnehmbare Körperbereiche durchaus Ziel von Werbekampagnen sind, erfährt der restliche Körper älterer Menschen wenig Aufmerksamkeit und wird in Werbedarstellungen mitunter manipuliert, perfektioniert oder schlicht nicht gezeigt: Ältere Körper werden auf diese Weise „unsichtbar“ gemacht. Rücken sie dennoch ins Zentrum medialer Diskurse, dann vor allem unter der Prämisse der „ewigen Jugend“ und dem damit suggerierten Aufruf zur Korrektur des alternden Körpers. Nicht zuletzt wird dadurch die gesellschaftliche Norm vermittelt, Zeichen des Alter(n)s als Makel zu verstehen, die es zu bekämpfen gilt (vgl. Gildemeister/Robert 2008). Eng mit diesen Botschaften ist die Aufforderung verbunden, entsprechende Selbstverantwortung für den Körper zu übernehmen, um den Alterungsprozess in Eigenregie zu lenken. Weil damit sowohl körperliche Optimierungs- und Selbstregulierungsprozesse angestoßen werden als auch individuelle Selbstbestimmung im Sinne von Wahlfreiheit unterstellt wird, scheinen neoliberale Denkmuster auch für die Gruppe älterer Menschen relevant: Das Schönheitsideal des „dynamische[n] Self made-Körper[s]“ (Fleig 2008, S. 90) bleibt begehrenswert. Schroeter (2008) weist in diesem Zusammenhang auf die lange Zeit der jüngeren Generation vorbehaltenen, schönheitsbezogenen Imperative hin, die nun ebenso für ältere Menschen gelten. Backes (2008b) zufolge kristallisiert sich auf der Grundlage einer Entpluralisierung der Lebensphasen die Entwicklung heraus, dass nun das mittlere Lebensalter als „altersübergreifender Vergleichsmaßstab für körperbezogene Leistungs- und Schönheitsnormen“ (Backes 2008b, S. 192) eingeordnet wird. Körperliche Veränderungen aufgrund von Alterungsprozessen werden somit nicht länger als „naturgegeben“ akzeptiert, sondern als eine „Art pathologische Abweichung von einem quasi alterslosen Funktions- und Leistungsideal“ (Backes 2008b, S. 193) gedeutet. Diese Ideale beziehen sich neben körperlichen Attributen auch auf Charaktereigenschaften älterer Menschen wie Spontaneität und Flexibilität. Für ältere Menschen gilt darüber hinaus die Forderung eines verantwortungsbewussten Umgangs mit dem Körper im Rahmen der eigenen Lebensgestaltung, denn dieser „wird zum sichtbaren Ausdruck einer gesunden Lebensweise“ (Schroeter 2008, S. 253). Dieser Aspekt erfährt vor dem Hintergrund der steigenden Krankheitshäufigkeit mit zunehmendem Alter eine widersprüchliche Bedeutung. Backes (2008a) bewertet den Körper gar als „Ungleichheitsdimension“ (Backes 2008a, S. 68), denn trotz ausgewogener Ernährung48, dauerhafter, 48 Die deutsche Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisation fragte im Jahr 2003 Personen im Alter zwischen 50 und 80 Jahren, inwieweit sie ihre gewohnten Ernährungsstile im Alter ändern, vor allem vor dem Hintergrund altersbedingter Unverträglichkeiten, möglicher Krankheiten, privater Neuorganisationen und der Pensionszeit. Die Ergebnisse zeigen, dass die Befragten nicht als unbelehrbare, traditionsbewusste Gruppe wahrgenommen werden kann, die lediglich auf geschmacklich
4.3 Doing Beautyfication als Form neoliberaler Regierung
53
sportlicher Aktivität und individueller Prävention kann der körperliche Alterungsprozess nur begrenzt beeinflusst werden: „Was in jeder Lebensphase gilt, wandelt sich im Prozess des Älterwerdens von einem eher abstrakten Wissensgehalt zu einer leiblich erschlossenen tiefen und unabweisbaren Wahrheit, der Wahrheit nämlich, dass das Leben nur in begrenztem Rahmen gestaltbar ist“ (Bennent-Vahle 2007, S. 13). Die Konsequenzen dieser Entwicklung unterscheiden sich für ältere Menschen gemäß ihrem Geschlecht. Die These des „double-standard-of-aging“ von Sontag (1975), die auch besagt, dass Frauen ihre äußere Erscheinung wichtiger ist als Männern und sie sich mit zunehmendem Alter mehr um diese sorgen, konnte im Rahmen der Untersuchung von Öberg und Tornstam (1999) bestätigt werden. Frauen im Alter zwischen 65 und 74 Jahren scheinen besonders bewusst mit ihrem Körper und ihrer Gesundheit umzugehen, insbesondere im Hinblick auf bevorstehende altersbedingte Veränderungen der äußeren Erscheinung und mögliche körperliche Einschränkungen. Allerdings stehen wissenschaftliche Untersuchungen in diesem Zusammenhang weitestgehend aus und so fordert etwa Schroeter (2007) eine stärkere Herausarbeitung der Bedeutung des Körpers für ältere Männer im Rahmen sozialgerontologischer Forschung.
4.3 Doing Beautyfication als Form neoliberaler Regierung Die vorgestellten Theorien Doing Gender, Doing Bodyfication und Doing Age können als neoliberale Regierungsformen verstanden werden, zielen sie doch auf eine Reproduktion von Zweigeschlechtlichkeit, von neoliberalen Körper- und Altersbildern. Das Konzept Doing Beautyfication lässt sich hier ebenso einreihen. Dabei wirkt es insofern mehrdimensional, als es auf der Grundlage der Kategorien Geschlecht, Körper und Alter(n) operiert und mit diesen Kategorien einhergehende Zuschreibungen untermauert. Anhand der Bekleidung von Menschen, verstanden als selbstverständliche Praktik nach Villa (2006) und als alterssignifikantes Symbol im Rahmen des Doing Age, werde ich die Bedeutung des Doing Beautyfication als Form neoliberaler Regierung nachzeichnen, aus der eine Reproduktion sozialer Normen und gesellschaftlicher Machtverhältnisse folgt. vertraute Nahrungsmittel zurückgreift. Vielmehr gaben über drei Viertel der Befragten an, ihre Ernährung im Alter umzustellen. Cordula Kropp (2008) vertritt in Anlehnung an die Untersuchung die Auffassung, dass das Bewusstsein für Ernährung mit zunehmendem Alter keinesfalls stagniert, dass nicht kleinere, eintönige Speisen und ein unverändertes Mahlzeitenbild vorherrschend sind. Vielmehr gibt es auch im Alter eine Pluralität unterschiedlicher Ernährungsarrangements mit diversen Mahlzeitenformen und damit verbundenen Werthaltungen (vgl. Kropp 2008).
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4 Neoliberale Körperbilder und Doing Beautyfication im Alter
Bekleidung dient auch als Symbol der Markierung sozialer Gruppenzugehörigkeit. Wie im Rahmen des Doing Age beschrieben, können signifikante Symbole wie eine bestimmte Art der Bekleidung als Zeichen fungieren, um Menschen als älter zu deklarieren und sie der Gruppe Älterer zuzuordnen. Im Anschluss an Gildemeister und Robert (2008) verweisen vor allem mediale Botschaften auf Korrekturbedürftigkeiten des alternden Körpers. Damit einher geht die gesellschaftliche Norm, Zeichen des Alter(n)s als Makel zu verstehen, die es zu bekämpfen gilt. Dieser Umstand wirft die Frage auf, warum einerseits ein Bekleidungsstil produziert und vermarktet wird, der durch sein Tragen Menschen als älter markiert (Doing Age), andererseits jedoch die neoliberal motivierte Botschaft floriert, den Kampf gegen körperbezogene Alterungsprozesse aufzunehmen. Aus der gegenwärtigen Entpluralisierung der Lebensphasen resultiert ein einheitliches Schönheitsideal für das mittlere Lebensalter (vgl. Backes 2008b). Die wachsenden Gestaltungsmöglichkeiten des äußeren Erscheinungsbildes von Menschen reformulieren den alternden Körper als frei modellierbar. Zugleich wächst der Handlungsdruck zur aktiven Gestaltung älter werdender Körper. Unter Berücksichtigung der Ausführungen von Kreisky (2008) – der schöne, makellose, gesunde Körper wird als gesellschaftliches Ideal im Gegensatz zum unansehnlichen, schwachen, kranken, alten Körper gedacht – erfolgen soziale Zuschreibungen und Differenzierungsmodi, ganz im Sinne des Mottos: „Wer hier nicht mithält, wird kurzerhand zum ,Störfall’ erklärt“ (Schachtner 1988, zit. in: Schroeter 2008, S. 256). Solch einen „Störfall“ stellen folglich Körper dar, die aufgrund physischer Bedingtheiten nicht mehr ausreichend gestaltet werden können, um neoliberalen Schönheitsidealen zu entsprechen. Auf der Annahme zu sozialen Differenzierungsmodi basieren auch die Analysen von Twigg (2007) zur Bekleidung von Menschen. Der Autorin zufolge gelten in unserer Gesellschaft ungeschriebene Gesetze, welche die Art und Weise vorgeben, wie sich Menschen im Alter anzuziehen haben. Die Verweigerung des Tragens alterstypischer Bekleidungsformen wird nach Twigg mittels sozialer Kontrollmechanismen sanktioniert. In dem Moment, in dem gesellschaftliche Kontrollmechanismen greifen und normkonforme Inszenierungsmuster zu sozialen Sanktionierungen führen, werden Menschen von ihrem sozialen Umfeld als älter markiert. Wie im Kapitel 3.3.2 beschrieben, differieren die Bewertungen bei „Fehltritten“ nach dem Geschlecht der Personen, die gegen gängige Kleidungsnormen verstoßen (vgl. Featherstone/Hepworth 1991). Die Produktion und Vermarktung alterstypischer Bekleidung verweist auf eine regulierende Herrschaftstechnik der Bekleidungsindustrie, soziale Differenzierungen über die äußere Erscheinung von Menschen zu transportieren. Indem sich Menschen für das Tragen alterstypischer Bekleidung entscheiden, markieren
4.4 Zusammenfassung
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sie sich ganz im Sinne des Doing Age selbst als älter und weisen sich (un-) bewusst einen Platz außerhalb des neoliberalen Mainstreams rund um gängige Schönheitsideale zu. In Anlehnung an die von Foucault formulierten Herrschafts- und Selbsttechniken können diese Prozesse als Herrschafts- und SelbstMarkierung bezeichnet werden, reihen sie sich doch letztlich in Formen gesellschaftlicher Regierung ein und spezifizieren neoliberal geprägte Denkmuster.
4.4 Zusammenfassung In unserer Gesellschaft gelten geschlechtsspezifische Schönheitsideale in der Gruppe älterer Frauen und Männer, die eng mit neoliberal geprägten Denk- und Erwartungsmustern verbunden sind. Der Bereich rund um gesellschaftliche Schönheitsideale und -praktiken ist mit geschlechtsspezifischen Zuschreibungen verknüpft, die hinsichtlich bewusster Projekte des Schönheitshandelns gegenwärtig eine Aufweichung erfahren. Strategien der Körperverschönerung setzen eine gewisse Selbstregulierungsfähigkeit von Menschen voraus, auf deren Basis sie ihre Körper im Sinne gängiger Schönheitsideale gestalten. Dies bedingt nicht nur ein notwendiges Wissen, sondern auch die Existenz eines sozialen Normensystems, vor dessen Hintergrund Bewertungsmechanismen zum schönen Körper operieren. Doing Beautyfication als Form neoliberaler Regierung reproduziert letztlich soziale Ordnungsstrukturen.
5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
5.1 Methode und Forschungsdesign Nachdem ich in den vorhergehenden Kapiteln die theoretischen Eckpfeiler der vorliegenden Arbeit vorgestellt habe, werde ich im Folgenden die wesentlichen Punkte der empirischen Untersuchung darlegen. Die zentrale Fragestellung lautet: Wie und warum machen sich ältere Frauen und ältere Männer heutzutage schön? Dabei fokussiere ich unter Berücksichtigung sozialkonstruktivistischer Annahmen auf Praktiken des Schönheitshandelns, die ein Vorhandensein gesellschaftlicher Normen implizieren. Subjektivierungsprozesse verstehe ich als eng an die Motivation geknüpft, gesellschaftliche Ideale zu konstituieren wie die Repräsentation von Vorstellungen von Weiblichkeit, Männlichkeit, von bestimmten Körper- und Altersbildern. Des Weiteren gehe ich davon aus, dass gegenwärtige Körperideale das Schönheitshandeln älterer Personen beeinflussen und somit die Forderung zur Konstituierung eines Selbstprojekts in Zeiten neoliberaler Transformationsprozesse begrenzen. Schließlich sind mit der Reproduktion gesellschaftlicher Schönheitsideale unterschiedliche soziale Positionierungen verbunden, die letztlich patriarchale Ordnungsstrukturen stützen. Die empirische Untersuchung habe ich auf der Grundlage gesellschaftlicher Annahmen einer „naturgegebenen“ Zweigeschlechtlichkeit in unserer Kultur konzipiert. Dies erleichtert das Entschlüsseln geschlechtsspezifischer, (un-)bewusster Ansichten, Verhaltensweisen und Strategien des Schönheitshandelns der befragten Frauen und Männer.
5.1.1 Methodologische Begründung des problemzentrierten Interviews Die Durchführung von Formen der Körpergestaltung im Allgemeinen und die Diskussion des Themas Schönheit mit älteren Personen im Besonderen stellen in unserer Gesellschaft einen privaten Bereich der Auseinandersetzung dar (vgl. Backes 2008b). In der vorliegenden Untersuchung interessiert mich weniger der
G. Höppner, Alt und schön, DOI 10.1007/978-3-531-93052-7_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
Aspekt des kollektiven Erfahrungsaustauschs zum Schönheitshandeln im Alter, wie dies im Rahmen von Gruppendiskussionen erwünscht ist (vgl. Flick 2010). Hinsichtlich meiner Forschungsfrage rücken vielmehr Berichte zu individuellen Erfahrungen und Strategien der Körpergestaltung in den Mittelpunkt. Aufgrund dessen habe ich als empirische Erhebungsmethode das problemzentrierte Interview nach Witzel (1982) gewählt. Dieses ist unter anderem gekennzeichnet durch die Möglichkeit, „die tatsächlichen Probleme der Individuen im Rahmen eines gesellschaftlichen Problemfeldes systematisch zu eruieren“ (Witzel 1982, S. 67). Die gesellschaftliche Problemstellung meiner Untersuchung bezieht sich auf den Themenkomplex Geschlecht, Körper und Alter(n). Wie dargelegt, interessiert mich insbesondere die Motivation zur Ausübung von Schönheitsstrategien älterer Menschen unter Berücksichtigung gegenwärtiger neoliberaler Körperideale. Nicht zuletzt müssen diese Bestrebungen im Hinblick auf gesellschaftliche (Macht-)Strukturen gelesen werden, aus denen sozial differierende Positionierungen resultieren. Durch das problemzentrierte Interview, so Witzel (1982), besteht für die ForscherInnen auch die Chance, ein Themengebiet in seiner Komplexität zu erfassen. Stereotype oder auch widersprüchliche Darstellungen der befragten Personen können aufgrund der Kenntnis entsprechender Theorien aufgedeckt und hinterfragt werden. Dieses Vorgehen zielt auf eine adäquate Erfassung des Forschungsgegenstands. Das problemzentrierte Interview scheint besonders geeignet, um die durch Lücken gekennzeichnete Literatur zum Forschungsgegenstand zu erweitern. Das problemzentrierte Interview habe ich um das Methodenelement „Foto“ ergänzt. Fotos eröffnen nach Jürgen Flick (2010) die symbolische Welt der Befragten und verbildlichen auf diese Art ihre Sichtweisen. Dies war im Rahmen der empirischen Untersuchung bedeutend, um mich in die Anschauungen der mehrere Jahrzehnte älteren Personen einzufühlen. Flick beschreibt verschiedene Formen, um Fotos im Rahmen von Interviews anzuwenden. Seinen Ausführungen nach forderte beispielsweise James M. Dabbs (1982) bei seiner Untersuchung die zu Befragenden auf, sich selbst zu fotografieren, um zu zeigen, wer sie sind. Im Rahmen des Foto-Elicitation-Interviews nach Douglas Harper (2000) werden Fotos aus dem Leben der Befragten genommen, um von diesen ausgehend den Erzählfluss zu stimulieren. Ziel dieser Methode ist die Rekonstruktion biografischer Prozesse der Befragten. Das problemzentrierte Interview habe ich auch zur Anregung des Erzählflusses um das Methodenelement „Foto“ ergänzt, mit dem Ziel, Praktiken und Motive des Schönheitshandelns im Alter unter Berücksichtigung gegenwärtiger neoliberaler Körperideale herauszuarbeiten.
5.1 Methode und Forschungsdesign
59
5.1.2 Thematisches Codieren als Auswertungsverfahren Wie gezeigt, bezieht sich der theoretische Hintergrund der Methode des problemzentrierten Interviews auf eine Auseinandersetzung mit subjektiven Sichtweisen zu biografischen und gesellschaftlichen Fragen. Als Auswertungsverfahren dieser Interviewform schlägt Flick (2010) kodierende Verfahren vor. Diese sind insofern geeignet, als persönliches Erfahrungswissen im Rahmen eines Vergleiches anderen Fallanalysen gegenübergestellt wird, Typologien entwickelt und auf diese Weise verallgemeinernde Hypothesen generiert werden können. Relevant für die Auswertung ist also die Vergleichbarkeit der generierten Daten: Die Analyse des empirischen Materials im Hinblick auf den Forschungsgegenstand und dessen Vielschichtigkeit zielt letztlich auf die Entwicklung von Theorie. Dies ist, wie bereits erwähnt, hinsichtlich der bisher unzureichenden theoretischen Problemdiskussion von großer Bedeutung. Da in den problemzentrierten Interviews ein „Gesprächsfaden“ (Witzel 1982, S. 90) verwendet wurde, macht es außerdem wenig Sinn, die Einzelgespräche beispielsweise mittels hermeneutischer Verfahren sequenziell hinsichtlich der Entwicklung von Struktur und Darstellung des Erzählflusses zu analysieren. Das von Anselm L. Strauss (1991) entwickelte und von Flick (2010) modifizierte mehrstufige Verfahren basiert auf der Analyse von Texten im Sinne der thematischen Kodierung von Erzählungen der Befragten. Im Anschluss an die Interpretation eines Einzelfalls wird ein „Kategoriensystem“ (Flick 2010, S. 404) mit unterschiedlichen Kernkategorien und thematischen Bereichen entwickelt. Damit erfolgt die Herausarbeitung einer inhaltlichen Struktur, auf der die Untersuchung der Einzelfälle basiert und die kontinuierlich überprüft und modifiziert werden muss. Eine Feinanalyse ausgewählter Inhalte anhand einzelner Textpassagen ermöglicht daneben eine detaillierte Interpretation. Das Verfahren des thematischen Codierens unterstützt in einem zweiten Schritt die Identifikation gruppenspezifischer Gemeinsamkeiten und Unterschiede (vgl. ausführlicher Flick 2010). Diese Zielsetzung fügt sich insofern in den theoretischen Kontext der vorliegenden Arbeit, als der gewählte sozialkonstruktivistische Zugang die Unterschiedlichkeit sozialer Wirklichkeiten betont. Auch in den einzelnen Falldarstellungen sind variierende soziale Konstruktionen der Wirklichkeit enthalten, beschreiben die Befragten im Rahmen der Interviews doch unter Berücksichtigung lebensweltlicher Besonderheiten ihre Sicht auf den Forschungsgegenstand Schönheit im Alter. Unter Berücksichtigung differierender geschlechtsspezifischer Perspektiven zum Doing Beautyfication im Alter scheint die Anwendung dieses Verfahrens für die empirische Auswertung, die gruppenspezifische Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten hat, besonders gut geeignet.
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
5.1.3 Sample Das Sample der Interviewten habe ich über meinen erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis49 zusammengestellt. Den drei Frauen und drei Männern ist gemein, dass sie ein kalendarisches Alter zwischen 60 und 75 Jahren haben und damit der Generation derer angehören, die zur Zeit des Zweiten Weltkrieges (Klein-)Kinder waren. Alle Personen sind pensioniert und leben in oder in der Umgebung von Wien. Die Interviewten besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft und stammen damit aus einem mitteleuropäischen Industrieland. Ihr Bildungshintergrund variiert. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Einstellungen zum Schönheitshandeln im Allgemeinen und hinsichtlich ihrer Motivation bzw. ihrer Erfahrungen in der Ausübung von Schönheitsstrategien im Besonderen. Auf diese Weise konnte ich die Breite an Variation und Vielschichtigkeit des Feldes erschließen (vgl. auch Flick 2010).
5.1.4 Ablauf der problemzentrierten Interviews Die Interviews fanden im Zeitraum von Mitte Dezember 2009 bis Anfang März 2010 statt. Bis auf eine Ausnahme50 besuchte ich die InterviewpartnerInnen51 zu Hause. Nach der Begrüßung habe ich das Thema meiner Analyse und den Ablauf des Einzelgesprächs erklärt. Im Sinne der Ausführungen von Witzel (1982) und nach Zustimmung der zu Befragenden habe ich alle Gespräche mittels Aufnahmegerät aufgezeichnet. Damit war es möglich, den Gesprächskontext und die Rollenverteilungen im Interview auf besondere Weise zu erfassen. Zudem konnte ich mich auf die Unterhaltung konzentrieren und nonverbale Elemente beobachten. Als Voraussetzung für eine adäquate Analyse der Gespräche habe ich alle Interviews transkribiert. Die Interviews habe ich mit der Frage nach den vorab angefertigten Fotos52 eröffnet. Interessant war dabei, dass zwar alle Perso-
49 Bei der Auswahl habe ich darauf geachtet, dass mir die Befragten nicht bekannt waren. Dies hätte sich sowohl auf das Antwortverhalten der Interviewten als auch auf meinen Blick im Rahmen der Analyse beeinflussend auswirken können. Die Kontaktaufnahme erfolgte in vier Fällen telefonisch, ein Mal per E-Mail und über eine dritte Person. 50 Die Befragte wohnt außerhalb von Wien. Daher fand das Interview in einem Café in der Wiener Innenstadt statt. 51 Zu den Besonderheiten, Schwierigkeiten und methodischen Konsequenzen im Rahmen der Befragung alter und sehr alter Menschen vgl. Kühn und Porst (1999). 52 Eine Frau hat Fotos mittels einer Einwegkamera angefertigt, die ich ihr dafür zur Verfügung gestellt hatte. Drei Personen haben ihre eigene (Digital-)Kamera benutzt, um Situationen zu fotografieren, die sie schön finden und bei denen sie sich schön machen. Zwei Männer haben vor den Interviews keine neuen Fotos gemacht, sondern einige aus ihrem eigenen Bilderrepertoire ausgewählt.
5.1 Methode und Forschungsdesign
61
nen Gegenstände bzw. Situationen fotografiert haben, die sie schön finden. Nur einige Befragte bildeten sich jedoch selbst ab (vgl. die Fotografien der Frauen und Männer im Folgenden). Zur Verstärkung von Aussagen wurde in einigen Fällen während des Interviews auf die Fotos der Befragten zurückgegriffen. Während des Interviews habe ich einen „Gesprächsfaden“ (Witzel 1982, S. 90) verwendet, den ich im Hinblick auf die theoretische Analyse entworfen hatte. Dieser, verstanden als Orientierungsrahmen, hat laut Witzel die Aufgabe „das Hintergrundwissen des Forschers/Interviewers thematisch [zu] organisieren, um zu einer kontrollierten und vergleichbaren Herangehensweise an den Forschungsgegenstand zu kommen“ (ebd.). Der Gesprächsfaden ist durch einzelne thematische Felder strukturiert; die Inhalte wurden in Form von Fragen formuliert (vgl. Anhang 8.1). Dieser bot Raum für Erzählungen, insbesondere hinsichtlich persönlicher Erfahrungen und Einstellungen zum Schönheitshandeln. Gelegentlich erfolgte eine Ausdifferenzierung thematischer Felder, unergiebige Erzählbereiche konnten dagegen mittels inhaltlicher Anregungen aus dem Gesprächsfaden umgelenkt werden. Im Anschluss an jedes Interview habe ich ein „Postskriptum“ (Witzel 1982, S. 91) angefertigt, um die Gesprächssituation einzuschätzen und um besondere Beobachtungen, Vermutungen oder Zweifel zu notieren. Um die wissenschaftliche Qualität meiner empirischen Erhebung zu sichern, habe ich auch die von Flick (2010) formulierten ethischen Prinzipien berücksichtigt: So habe ich potenzielle InterviewpartnerInnen zunächst ausreichend über mein Vorhaben informiert. Die Gleichbehandlung der Befragten war dabei ein wichtiges Ziel. Relevant war ebenso, dass die Befragten keine Nachteile durch das Interview erfahren sollten und ihre Anonymität konsequent gewahrt bleibt.
5.1.5 Selbstreflexion hinsichtlich der Rolle als Forscherin Laut Flick (2010, S. 149) war ich „Besucherin“ in einem Forschungsfeld, die für ein einmaliges Interview kurz in diesem auftaucht. Es hätte den Rahmen der vorliegenden Arbeit gesprengt, die Innenperspektive der Befragten kennen zu lernen; weitere Forschungen dazu könnten jedoch an meine Analyse anschließen. Die Haltung des Nicht-Wissens ist im Rahmen qualitativer Forschung ebenso relevant wie die Bedeutung kommunikativer Fähigkeiten. Diese entscheiden auch über die Art des generierten Datenmaterials und stellen nicht zuletzt ein wichtiges Instrument einer empirischen Untersuchung dar (vgl. Flick 2010).
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
Eine besondere Herausforderung bei der Durchführung der Interviews war die Tatsache, dass ich einige Jahrzehnte jünger als die Gruppe der Befragten bin. Gerade unter Berücksichtigung körperlicher Alterungsprozesse und gegenwärtiger Forderungen zur Erreichbarkeit neoliberaler Schönheitsideale bewege ich mich mit meiner Forschung in einem Spannungsfeld: Als junge Frau repräsentiere ich nicht zuletzt normative Vorstellungen zum weiblichen Körper. Dieser Aspekt ist dann kritisch zu werten, wenn Schönheit im Alter von den Befragten als schmerzliches, neidvolles Thema bewertet wird. Schon zu Beginn meiner Arbeit war mir bewusst, dass ich im Hinblick auf die Forschungsfrage mein soziales Geschlecht mitdenken muss. Demzufolge ist davon auszugehen, dass mein soziales Geschlecht das Antwortverhalten und den Grad an Offenheit sowohl der weiblichen als auch der männlichen Befragten beeinflusst hat. Möglicherweise hätte ein männlicher Forscher oder eine ältere Forscherin quantitativ und/oder qualitativ andere Informationen erhalten. In der Mehrzahl der Interviews wurden jedoch seitens der Befragten persönliche Einstellungen in einer offenen, selbstreflexiven Weise angesprochen, die ich nicht erwartet hatte.
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Im Rahmen dieses Kapitels erfolgt eine Darstellung des mittels der problemzentrierten Interviews generierten Datenmaterials. Der Fokus der Analyse liegt dabei auf dem Herausarbeiten von Schönheitsstrategien, die ich analog zu den theoretischen Ausführungen im dritten und vierten Kapitel hinsichtlich der Dimensionen Geschlecht, Körper und Alter(n) sowie in Bezug auf neoliberale Besonderheiten diskutieren werde. Zunächst bilde ich die Ergebnisse der befragten Frauen, im zweiten Teil die der befragten Männer ab, um die Ergebnisse in einem dritten Schritt vergleichend zusammenzufassen.
5.2.1
„Sich schön machen“ als ältere Frau
Doing Beautyfication: Auswertung hinsichtlich Geschlecht Weibliche Schönheitsideale können in unserer Gesellschaft durch konkrete, physische Merkmale definiert werden wie jugendliches Aussehen, eine straffe Haut und einen schlanken, gesund aussehenden Körper. Doch welche Einstellungen haben ältere Frauen zum gegenwärtigen Schönheitskult, vor allem unter Berücksichtigung neoliberaler Körpernormen sowie bevorzugter Formen des Schönheitshandelns? Auf welche Weise konstituieren die befragten Frauen mit-
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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tels ihres Schönheitshandelns vergeschlechtlichte Prozesse hinsichtlich Vorstellungen „normaler“ Weiblichkeit und welche Rückschlüsse können in diesem Zusammenhang auf gesellschaftliche Ordnungsprinzipien gezogen werden? Diese Fragen werde ich anhand der Analyse dreier Interviews älterer Frauen diskutieren. Dafür ziehe ich das neoliberale Körperideal Schlankheit exemplarisch heran, um dieses hinsichtlich Kleidungssymboliken und Ernährungsgewohnheiten der Befragten zu untersuchen. Daneben interessiert mich der Aspekt geschlechtsspezifischer Tätigkeitszuschreibungen und dessen Bedeutung im Rahmen des Schönheitshandelns der Befragten. Frau S.53 ist zum Zeitpunkt des Interviews 70 Jahre alt und verheiratet. Bis 1991 hat Frau S. in Vollzeit bei einer österreichischen Bank gearbeitet, aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen ist sie vorzeitig in Pension gegangen. Ihr Leben lang hat Frau S. sehr großen Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild und einen schlanken Körper gelegt. Mit zunehmendem Alter bemerkt sie physische Veränderungen, die sich vor allem auf ihre Figur nachteilig auswirken: „[D]ie Figur verändert [sich], das komischerweise. Zum Beispiel bei mir nicht das Gewicht aber die Figur wird nachteiliger. (...) [D]as ist halt der normale biologische Prozess, den man in einer Weise zwar akzeptieren muss, aber in anderer Weise doch versucht, so gut als möglich damit umzugehen“ (I 2, Z. 223-227)54. Eine Möglichkeit, auf körperliche Veränderungen zu reagieren, sieht Frau S. in einer anderen Art des Kleidens, die ihre Figur mehr verdeckt: „[B]ei der Kleidung, (...) dass das nicht mehr so tailliert geht oder wo immer man halt Schwachstellen hat, die man eben ein bisschen kaschieren muss“ (I 2, Z. 368-370). Auch nimmt sie Veränderungen in Bezug auf die Verwendung von Accessoires und Haarclips wahr, mittels derer sie früher ihre weibliche Repräsentation unterstrich. Frau S. trägt zwar heute noch Accessoires und Schmuck, früher hat sie allerdings großen Modeschmuck bevorzugt (vgl. I 2, Z. 470 f.). Außerdem hat sie vor Jahren ihre Haare mittels Clips verschönert. Dies ist heute aufgrund Veränderungen ihrer Haardichte nur noch eingeschränkt möglich (vgl. I 2, Z. 468 f.). Frau S. bemerkt zu ihrem eigenen Ärger einen Unterschied in der Auswahl ihrer Kleidung dahingehend, als sie nun verstärkt Hosen trägt. Für sie spielt der funktionale Aspekt dabei eine Rolle, aber auch die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz zum Tragen von Bekleidung, die früher Männern vorbehalten war: „[I]ch [gehe] eigentlich jetzt fast nur in Hosen (...), was ich sogar manchmal sehr bedauere. Aber, komischerweise der Rock, die Chose hängt im Kasten und man zieht wieder die Hose an, (...) vielleicht weil’s auch praktisch [ist], es ist auch üblicher 53 Die Namen der Befragten wurden anonymisiert. 54 Die Quellenangabe bezieht sich auf die Nummer des Interviews und die Zeile/n des jeweiligen Zitats. Auslassungen werden durch (...) gekennzeichnet, eingefügte Satzteile durch [Wort]. Alle Zitate wurden sprachlich bereinigt.
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geworden. (...) [I]ch ärger mich. Ich denk mir oft, du verlierst deine Figur mit der [Hose], weil man sich viel mehr anstrengen muss, wenn man in Komplettkleidung geht und nicht in Hosen“ (I 2, Z. 452-461). Auch Frau L. bevorzugt heute aus praktischen Aspekten eher Hosen als Röcke. Die befragte Wienerin ist zum Zeitpunkt des Interviews 68 Jahre alt, Mutter, Großmutter und seit einigen Jahren verwitwet. Bis zu ihrer Pension ist sie, mit Ausnahme der Karenzjahre, zunächst als Angestellte im kaufmännischen Bereich, später als Heimpflegerin einer Erwerbsarbeit nachgegangen. Ihrer Aussage nach hat sie sich selten schön gemacht, auch während ihrer Ehejahre spielte das Schönheitshandeln eine untergeordnete Rolle. Frau L. erwähnt wiederholt finanzielle Aspekte, die ihr Schönheitshandeln beeinflussen. Ihre Bekleidung hat sich auch hinsichtlich Transparenz und Auffälligkeit verändert: „[E]s ist komischerweise oder weil es vielleicht mehr durchsichtig ist. (...) Also zu auffallend soll es nicht sein“ (I 1, Z. 659-661). Zudem bemerkt sie eine Veränderung bezüglich der Form ihrer Schuhe: Während sie früher öfter Schuhe mit Absatz getragen hat, favorisiert sie heute eher flache (vgl. I 1, Z. 397 f.). Unter dem Begriff der Geschlechtsdarstellung versteht Villa (2006) auch Ressourcen, die Menschen zur „richtigen“ Darstellung von Geschlecht zur Verfügung stehen. Wie gezeigt, weisen die Befragten auf Veränderungen ihrer Darstellungsformen „als Frauen“ hin, die sich nun weniger an Vorstellungen konventioneller Weiblichkeit orientieren: Indem das Tragen von Figur betonender Bekleidung abnimmt und der funktionale Aspekt die Oberhand gewinnt, erfahren die von Villa beschriebenen, zirkulär ablaufenden „Sexuierungsprozesse“ (Villa 2006, S. 91) eine Einschränkung. Die Geschlechterdarstellung wird aufgrund einer veränderten Verwendung vergeschlechtlichter Zeichen (Kleidung, Accessoires etc.) in alltäglichen Repräsentationspraktiken weniger eindeutig. Klar wird zudem ein stetiger Vergleich mit Zeiten, in denen sich die befragten Frauen verstärkt an Vorstellungen „idealer“ Weiblichkeit orientierten. Dieser Aspekt wird auch anhand der Aussage von Frau M. deutlich. Sie ist wie Frau L. zum Zeitpunkt des Interviews 68 Jahre alt, Mutter, Großmutter und seit mehreren Jahren verwitwet. Im Gegensatz zu Frau L. hat sie jedoch ihr Leben lang großen Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild gelegt, die Pflege ihres Körpers war und ist ihr stets wichtig. Frau M. bemerkt in Bezug auf ihren Kleidungsstil dahingehend eine Veränderung, als dieser heute etwas konservativer als früher ist: „Ich war vielleicht nicht ganz so a Konservative aber [auch] nicht so eine Ausgeflippte“ (I 3, Z. 329 f.). Die von den Frauen beschriebenen Veränderungen verweisen jedoch weniger auf eine bewusste Ablehnung gesellschaftlicher Körpernormen im Sinne einer Selbstermächtigung. Vielmehr wirken hier unbewusste Reproduktionsprozesse, die sich am Maßstab gesellschaftlicher
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Schönheitsideale orientieren und die wiederum mit sozialen Ordnungsprinzipien eng verwoben sind. Frau S. hält heute häufiger Diät als früher, vor allem aus gesundheitlichen Gründen. Eine Veränderung der Ernährung hat sie dahingehend festgestellt, dass sie heute mehr auf diese achtet. Den Grund hierfür sieht Frau S. jedoch nicht in einer veränderten Einstellung zu gesundem Essen, sondern in einer Zunahme von freier Zeit während des Pensionsalltags. Heute nutzt sie verstärkt Nahrungsergänzungsmittel, da diese angeblich gut für die Gesundheit sind: „[J]a diese Nahrungsergänzungsmittel. Die sind vielleicht mehr geworden (...). Aber auf das habe ich immer geschaut. Soweit es damals schon vorhanden war“ (I 2, Z. 392394). An dieser Stelle wird die enge Verbindung von Ernährungsstrategien deutlich, die zwar auch auf eine schlanke Figur zielen, vor allem aber auf einen gesundheitsbewussten Umgang mit dem Körper. Frau L. fühlt sich zu dick und spürt dies im Alltag leibhaftig: „Mir gefallen schlanke Frauen extrem gut, aber ich schaffe es halt nicht. (...) [F]ür mein[e] [Größe] bin ich sicher viel zu stark, ich merke es beim Stiegensteigen, bei allem, ich tue mir schon schwer beim Schuhe Zubinden“ (I 1, Z. 206 f., 209-211). Bei ihrer Hochzeit wog Frau L. weniger, sie hat erst im Laufe der Zeit zugenommen. Abnehmen ist für sie ein schwieriger, langwieriger Prozess: „[I]ch war schon auf Kuren. Ja, ich nehme vielleicht in 3 Wochen 2 Kilo ab, des höchste war mal glaub ich 3 Kilo“ (I 1, Z. 205 f.). Als Gründe für ihr Übergewicht gibt Frau L. körperbezogene Ursachen an, darüber hinaus aber auch die Art ihrer Ernährung. Diese ist wiederum mit dem Gefühl des eigenen Wohlbefindens eng verbunden. Auf die Frage, was sie für ihr Wohlbefinden tut, antwortet Frau L.: „Für mein Wohlbefinden? (...) Nicht viel, ein bisschen ungesund essen“ (I 1, Z. 493 f.). Mit dieser Einstellung reiht sie sich in Beschreibungen zum postmodernen Körper ein, der Genuss üben „darf“, jedoch in kalkulierten Maßen. An dieser Stelle wird das Spannungsfeld zwischen individueller Wahlfreiheit und Eigenverantwortung von Menschen deutlich, das für neoliberale Gesellschaften charakteristisch und mit einem Zwang zur „richtigen“ Entscheidung bei einer Vielzahl von Körpergestaltungsmöglichkeiten verbunden ist (vgl. Gugutzer 2004; vgl. Kapitel 3.2). Wie gezeigt, grenzt sich Frau L. vom ungeschriebenen Gesetz der Schlankheit von Frauen in unserer Gesellschaft ab. Und obwohl sie aufgrund ihrer Figur Nachteile im Alltag verspürt, will sie auf den Genuss kalorienhaltiger Lebensmittel und das dabei empfundene Wohlbefinden nicht verzichten. Frau M. definiert sich selbst als eine „kleine Esserin“ (I 3, Z. 259). Diese Ernährungsstrategie erübrigt zusätzliche Diäten, ihr Körper hat sich ihren Essgewohnheiten angepasst: „[I]ch bin mehr dafür alles, aber eher wenig. (...) [S]tatt so einer Portion esse ich halt die Hälfte. Das ist Gewohnheit oder ist der Magen so drauf eingestellt“ (I 3, Z. 258 f., 265-267). Frau M. bemerkt keine Verände-
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rungen bezüglich ihrer Essgewohnheiten mit zunehmendem Alter, seit mehreren Jahren verfolgt sie ein gleich bleibendes Ernährungsritual (vgl. I 3, Z. 269-275). Manchmal hat sie Appetit auf herzhafte, kalorienhaltige Speisen und gönnt sich diese dann (vgl. I 3, Z. 259 f.). Mit dieser Ernährungsstrategie lässt sie sich in die Beschreibungen von Gugutzer zum postmodernen Körper einordnen. Damit verfolgt sie eine ähnliche Strategie wie Frau L., allerdings mit einem genussbezogenen quantitativen Unterschied. Mittels dieser Darstellung wird nicht nur Frau M.s Fähigkeit zur neoliberal erwünschten Selbstregulierung in Bezug auf Ernährungspraktiken deutlich. Vielmehr kann ihre Art der Ernährung als eine verinnerlichte, vergeschlechtlichte Strategie entschlüsselt werden (vgl. Menninghaus 2007; vgl. Kapitel 4.2), die sich an Vorstellungen „normaler“ Weiblichkeit und dem damit einhergehenden Schönheitsideal Schlankheit orientiert. Mittels dieser Betrachtung können sowohl unterschiedliche Strategien bezüglich des neoliberalen Körperideals Schlankheit im Alter entschlüsselt als auch eine Verbindung zwischen dem Umgang mit altersbedingten, körperlichen Veränderungen und biografischen Aspekten gezogen werden. Die von den Frauen beschriebenen Formen des Schönheitshandelns spiegeln dabei mögliche Dimensionen weiblicher Subjektivierungsprozesse wider. Diese sind im Sinne eines Vergleichsmaßstabs eng mit gesellschaftlichen Vorstellungen von Weiblichkeit verknüpft, auch wenn die Bewertungen und praktischen Umsetzungen der Frauen voneinander abweichen. Die Variabilität deutet auf die Vielfalt möglicher Formen des Umgangs mit Alterungsprozessen „als Frau“ hin, wobei die Befragten diese gemäß Foucault (1993) als Selbsttechniken praktizieren. Mittels der Reproduktion differierender verinnerlichter Schönheitsstrategien erfolgt die Formierung weiblicher Subjekte, die im Kontext gesellschaftlicher Ordnungsprinzipien verstanden werden muss. Dieses Spektrum umfasst in Bezug auf das Schönheitsideal Schlankheit die Anerkennung und Repräsentation dieser gesellschaftlichen Körpernorm (gezeigt durch Frau M.), die stetige Orientierung inklusive dem Praktizieren optischer Täuschungen zur Annäherung an eben diese (gezeigt durch Frau S.) sowie die klare Abgrenzung des von Frau L. nicht zu erreichenden Schönheitsideals. In Anlehnung an die Beschreibungen zur Normalisierung gesellschaftlicher Idealvorstellungen von Foucault (2004) und die Ausführungen von Kreisky (2008, S. 146) zur „Kultur der Schlankheit“ sowie damit einhergehenden sozialen Konstruktionen zum „normalen“, „dünnen“ bzw. „anormalen“, „dicken“ Körper im neoliberalen Kontext können folgende Rückschlüsse hinsichtlich gesellschaftlicher Machtstrukturen gezogen werden: Frau M. und Frau S. gehören eher der Gruppe von Menschen an, die ihren Körper „managen“ und entsprechend gängigen Vorstellungen zum Körperideal selbst regulieren kann, sei es durch das Praktizieren bestimmter Ernährungsstrategien und/oder durch optische Täuschungen. Mit der Orientierung am gängigen
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Schönheitsideal Schlankheit repräsentieren sie zugleich Formen normierter Weiblichkeit in unserer Gesellschaft. Frau L. muss aus dieser Perspektive der Gruppe zugeordnet werden, die nicht in der Lage oder Willens ist, sich dem Schönheitsideal Schlankheit anzunähern und damit Gefahr läuft, eine schwindende soziale Akzeptanz zu erfahren. Diese Analyse konzentriert sich auf vergeschlechtlichte Subjektivierungsprozesse. Dadurch konnte gezeigt werden, dass die im vierten Kapitel herangezogenen theoretischen Ausführungen zum neoliberalen Schönheitsideal Schlankheit für ältere Frauen relevant sind und sei es lediglich auf der Grundlage eines Vergleichsmaßstabs: Schlank zu sein und das Erfahren der damit einhergehenden Wirkungen bleibt in dieser Frauengruppe ein begehrenswertes Ziel. Anhand der Interviews können zudem strukturelle Aspekte von Geschlecht beleuchtet werden, insbesondere im Hinblick auf deren Funktion und Relevanz bezüglich des Schönheitshandelns der befragten Frauen. Folgende These soll in diesem Rahmen leitend sein: Geschlechtsbezogene Arbeitsaufteilungen und insbesondere die Hausarbeit, verstanden als traditionell dem Weiblichen zugeschriebener Tätigkeitsbereich,55 beeinflussen das Schönheitshandeln der befragten Frauen. So bemerken sowohl Frau S. als auch Frau M. Veränderungen ihrer Bekleidung in Bezug auf die zu leistende Hausarbeit. Frau S. wählt an dieser Stelle das ehemalige Berufsleben als Vergleichsmaßstab zum Pensionsalltag: „[D]as ist der Jammer in Pension, man muss sich dauernd umziehen (...). In der Früh bin ich normal in meiner üblichen Business-Kleidung gegangen aber mit der kann ich nicht am Herd stehen (...). Da ändert sich leider, leider etliches in Pension“ (I 2, Z. 345-348). Frau M. bemerkt einen Unterschied in der Art ihrer Bekleidung, die im Privaten eine andere als in der Öffentlichkeit ist: „Ist bei mir sicher ein Unterschied. (...) [I]n der Kleidung auch etwas, weil wenn ich, was weiß ich, Geschirr abwasche oder Geschirr einräume in den Geschirrspüler, dann werde ich nicht mein schönstes Dings anhaben“ (I 3, Z. 118-122). Frau L. steht derzeitigen Modetrends, wie künstlichen Fingernägeln, kritisch gegenüber, wobei sie ihre Bedenken im Kontext von Hausarbeit formuliert: „[W]as jetzt modern ist mit den aufgesteckten Nägeln, (...) also ich glaube, die können in ein Wasser gar nicht greifen oder irgendwas, Wäsche waschen“ (I 1, Z. 428 f.). Interessant ist an dieser Stelle die von den Befragten formulierte Selbstverständlichkeit, das eigene Schönheitshandeln hinter die notwendig erscheinende, von Frauen zu leistende Hausarbeit zu stellen: Der Aspekt der Funktionalität wiegt hier höher als „verschönernde“ Körperstrategien. Alle drei verweisen mit ihren Aus55 Da zwei der Befragten allein leben, kann hier nicht im klassischen Sinne von geschlechtsspezifischer Arbeitsverteilung gesprochen werden. Theoretische Ausführungen von Backes (2005; vgl. Kapitel 3.3.2) verweisen jedoch auf traditionelle Aufgabenverteilungen im Alter, bei denen Frauen eher die Arbeit im Privaten leisten und Männer vorrangig im öffentlichen Bereich aktiv sind.
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sagen auf verinnerlichte Taktiken, die sich an gesellschaftlichen Vorstellungen traditionell weiblicher Tätigkeitsbereiche gemäß der Technologie Doing Gender orientieren und die sie nicht zuletzt durch ihr eigenes Verhalten repräsentieren. Es kann festgehalten werden, dass weibliche Subjektivierungsprozesse älterer Frauen eng mit gesellschaftlichen Normvorstellungen von Weiblichkeit verknüpft sind und damit vergeschlechtlichte Entwicklungen begünstigen: So sind gängige Körperideale Teil weiblicher Identitätsentwürfe, konstituiert sich das körperbezogene Selbstbild doch auch auf der Grundlage normativer Vorgaben, die als Vergleichsfolie herangezogen werden. Die Ausübung von traditionell dem Weiblichen zugeschriebenen Tätigkeiten beeinflussen daneben vergeschlechtlichte Reproduktionsprozesse. Diese müssen im Rahmen gesellschaftlicher Ordnungsprinzipien kontextualisiert werden, die soziale Ungleichheitsstrukturen nicht nur repräsentieren, sondern auch festigen.
Doing Beautyfication: Auswertung hinsichtlich Körper Bei „verschönernden“ Praktiken rückt der Körper – verstanden als Einheit aus Körperhaben und Leibsein – ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Wahrgenommen wird der Körper darüber hinaus, wenn Störungen auftreten und/oder er Widerstand leistet, wie bei nachlassenden Kräften im Alter und/oder bei einer Krankheit. Stets spielen phänomenologische Aspekte eine zentrale Rolle, also leibliche Empfindungen wie Gefühle und das Wohlbefinden. Entsprechend der Definition von Gugutzer sollen Körper sowohl als „Produkt[e] von Gesellschaft“ (Gugutzer 2004, S. 6) als auch als „Produzent[en] von Gesellschaft“ (ebd.) verstanden werden, die sich wechselseitig durchdringen. In diesem Abschnitt untersuche ich Einstellungen älterer Frauen zum eigenen Körper sowie ihre Wahrnehmungen zu körperlichen Veränderungen unter Berücksichtigung der Begriffsbestimmung zum Alter(n) und den damit verbundenen sozialen Zuschreibungen. Am Beispiel gesundheitsfördernder und „verschönernder“ Praktiken werde ich Strategien nachzeichnen, mittels derer die Befragten Einfluss auf körperliche Alterungsprozesse und – damit einhergehend – auf eigene Empfindungen nehmen. Auf die Frage, welche Rolle ihr Gesundheitszustand im Rahmen gegenwärtiger Aktivitäten spielt, weist Frau L. auf die ihr verbleibende Zeit hin, die sie intensiv nutzen möchte: „[W]ir sagen eh, wir wollen jetzt so viel als möglich unternehmen und reisen, weil man weiß ja nicht, in einigen Jahren kann dann schnell irgendwas sein“ (I 1, Z. 282-284). Damit deutet Frau L. auf mögliche Krankheiten hin, die ihr bevorstehen und bisher gern ausgeübte Aktivitäten beschränken könnten. Um ihr Wohlbefinden zu verbessern, verfolgt sie verschie-
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dene Rituale: So fährt sie beispielsweise ein Mal pro Jahr nach Ungarn in ein Thermalbad und treibt regelmäßig Sport. Neben der Teilnahme an einer wöchentlichen Gymnastikgruppe für die Wirbelsäule geht Frau L. auch Nordic Walking nach. Externe Faktoren, wie Freundinnen, verstärken dabei ihr Interesse an sportlichen Aktivitäten: „[A]llein macht’s keinen Spaß (...) alleine rummarschieren (...) da komm ich mir komisch vor“ (I 1, Z. 569-572). Frau L. bemerkt einen Anstieg von Ängstlichkeit in Bezug auf bestimmte Sportarten mit zunehmendem Alter, welche die Auswahl diesbezüglicher Aktivitäten beschränkt: „Ich schwimm nicht sehr gut und nicht sehr weit raus. Ängstlicher bin ich geworden auf jeden Fall gegen früher. (...) Skifahren war ich früher auch (...) oder Eislaufen, da bin ich jetzt ängstlich“ (I 1, Z. 548, 555 f.). Gefühle wie das eigene Wohlbefinden beim Thermenbesuch, die wachsende Motivation bei sportlichen Betätigungen in der Gruppe sowie die Angst vor bestimmten Sportarten beeinflussen derzeitige Freizeitaktivitäten von Frau L. Diese begrenzen letztlich die Auswahl der Strategien, die sie im Rahmen gesundheitlicher Prävention in Anspruch nehmen kann. Obwohl ihre sportlichen Fähigkeiten eingeschränkt sind, bringt Frau S. die nötige Motivation zur Ausübung eben dieser auf. Als Grund benennt sie eine Steigerung ihres Wohlbefindens durch körperliche Bewegung: „[J]e mehr ich die Möglichkeit hab, mich zu bewegen (...) Ob das jetzt Gymnastik in der Früh ist oder dann eine Stunde herumlaufen (...). Ich sag, so, jetzt muss ich eine halbe Stunde gehen. Na, das ist wichtig. (...) Oder im Sommer mit dem Rad fahren, nicht in Wien, aber draußen eben. (...) Die Bewegung, Bewegung, ja“ (I 2, Z. 422-428). Auch mittels Nordic Walking steigert Frau S. ihr Wohlbefinden (vgl. I 2, Z. 394-398). Frau S. hat sich verschiedene Merkmale neoliberal motivierter Körperarbeit angeeignet: Unabhängig von externen Faktoren bringt sie die nötige Motivation zur Ausübung sportlicher Aktivitäten auf und steigert mit eben diesen ihr persönliches Wohlbefinden. Die Umsetzung gesundheitsfördernder Praktiken beeinflusst die Gefühle von Frau S. auf positive Weise und wirkt dabei als verinnerlichte Strategien im Rahmen der Gesundheitsprävention. Körperliche Aktivitäten und Bewegung sind auch Frau M. bezüglich ihrer Gesundheit wichtig. So besucht sie eine regelmäßige Turngruppe: „[Bewegung, die Aktivität] [i]st sicher ganz wichtig. Und auch turnen. Alle Woche gehe ich turnen. (...) Manchmal bin ich ein bissl zu faul aber großteils bin ich beim Turnen dabei. (...) Die [Turnübungen] sind sehr, sehr gut. Also, ich mach sie sehr, sehr gern“ (I 3, Z. 242-256). Darüber hinaus spielt der Kontakt zu den TeilnehmerInnen der Turngruppe für Frau M. eine zentrale Rolle; sportliche Aktivitäten verbinden sich dort mit sozialem Austausch und münden in Wohlbefinden von Frau M.: „Da kenne ich alle, die sind in meinem Alter. [D]as muss ich ganz einfach sagen, das tut einem gut. Man kann ein bissl plaudern, man kann ein bissl
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tratschen (...) Und Bewegung und Bewegung“ (I 3, Z. 247-251). Neben regelmäßigem Gruppensport, der ihren Vorlieben entgegenkommt, ist Frau M. mit ihrem Garten und ihrem Haus beschäftigt (vgl. I 3, Z. 240 f.). Sie bemerkt einen Anstieg körperlicher Aktivitäten mit zunehmendem Alter. Für sie spielt es daneben eine große Rolle, regelmäßig an der frischen Luft zu sein: „[M]ehr spazieren und walken und so was. Muss man schon mehr. Vor allem halt spazieren [gehen], schauen, dass ich jeden Tag draußen bin“ (I 3, Z. 234-235). Frau M. zeigt in Bezug auf sportliche Aktivitäten Selbstmotivation, die durch externe Faktoren zusätzlich begünstigt wird. Daneben sind die tägliche Gartenarbeit und Aktivitäten an der frischen Luft für sie eine Selbstverständlichkeit. Diese bewegungsintensiven Praktiken können als verinnerlichte Strategien im Rahmen gesundheitlicher Prävention gedeutet werden. Alle drei Frauen verfolgen aus neoliberaler Perspektive gesundheitliche Präventionspraktiken: Indem sie sportlichen Aktivitäten nachgehen, die laut Villa (2008a) als bewusste Projekte im Rahmen „verschönernder“ Körperstrategien bezeichnet werden können, zielen sie nach Lemke (2007) auf eine Optimierung des eigenen Gesundheitszustands. So ist das Walken für alle drei prinzipiell eine beliebte Sportart, die ihr Wohlbefinden steigert. Das Gefühl des Wohlbefindens ist ein wichtiger Beweggrund, der die Frauen zur Ausübung sportlicher Tätigkeiten motiviert. Hier wird auch die enge Verbindung zu Diskursen rund um die Themenbereiche Gesundheitserziehung und -prävention deutlich: Das Wissen um Formen der Körperoptimierung mündet bei den befragten Frauen, ganz im Sinne der von Foucault (1993) beschriebenen Selbsttechniken, in die Verinnerlichung gesundheitsfördernder Praktiken. Lediglich eigene Gefühle, wie Bequemlichkeit oder Angst, hindern einige Frauen manchmal an der regelmäßigen Ausübung sportlicher Aktivitäten. Die Schilderungen der drei befragten Frauen decken sich allerdings nicht mit den theoretischen Ausführungen von Schroeter (2007) zu flexiblen, formbaren Menschen, die unter anderem in Fitnesscentern ihre Ausdauer trainieren. Damit erfährt der neoliberale Schönheitskult bei den drei Frauen in Bezug auf disziplinierende Körperarbeit Einschränkungen: Wohlbefinden, Gesundheit und gelegentlich Bequemlichkeit avancieren unter dem Motto „Für mich selbst“ zum Leitgedanken. Die Frauen benennen diverse physische Veränderungen, die sie eher als „Verfallsprozesse“ wahrnehmen und aus denen ein anderer Umgang mit dem Körper in Bezug auf Schönheitshandlungen resultiert. So findet Frau L. beispielsweise längere Haare schön. Aufgrund von Kopfbedeckungen, die für sie wegen wiederkehrender Kopfschmerzen notwendig sind, bewertet sie diese jedoch eher als störend (vgl. I 1, Z. 311-318). Frau L. bemerkt nun eine Veränderung der Form ihrer Füße. Daraus resultiert der Kauf ausschließlich bequemer Schuhe. Dies ist umso wichtiger, als Frau L. jetzt verstärkt über Hornhaut an den
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Füßen klagt, aus denen eine veränderte Gangart resultiert. Angesichts dieser körperlichen Veränderung nimmt sie jetzt häufiger externe Unterstützung in Form von Pedikürebesuchen in Anspruch (vgl. I 1, Z. 726-743). Wegen ihrer Augenkrankheit ist die Verwendung von Augen-Make-up heute nicht mehr möglich. Ihre Haut reagiert nun sensibler, zuweilen mit Ausschlägen auf Duschgel und bestimmte Cremes. Wegen ihrer Hautsensibilität verwendet Frau L. keine Haartönungen mehr: „Früher, so eine Tönung, die hab ich schon machen lassen. Aber dann hab ich so Ekzeme gekriegt und da habe ich gesagt: Nie mehr färben! Jetzt bin ich halt ein Grauschimmel“ (I 1, Z. 774-777). Dieses Zitat spiegelt sehr anschaulich ihre Motivation zum Schönheitshandeln wider: Das Berücksichtigen ihres Gesundheitszustands wiegt für Frau L. mehr als das Ausüben „verschönernder“ Körperstrategien, die auf eine Reproduktion von Vorstellungen „normaler“ Weiblichkeit zielen. Frau S. verfolgt diesbezüglich eine andere Strategie: Für sie spielt die Pflege im Rahmen des Schönheitshandelns auch gegenwärtig eine wichtige Rolle, ebenso im Falle einer Krankheit. Auch dann ist die Erhaltung des äußeren Erscheindungsbildes relevant, obwohl dies gelegentlich persönliche Stärke, Ausdauer und Beherrschung erfordert: „Na ja, da bin ich natürlich schon der Meinung, dass man so lang es geht eben durchhält und nicht unbedingt alles zeigt (...) Und, dass es kein Hindernis sein darf, um sich nicht zu pflegen (...). Wobei es natürlich schwierig wird, wenn man zum Beispiel eine Krebserkrankung hat. Dann wird’s sicher sehr schwer und gehört sicher sehr viel Stärke dazu, sich weiter zu pflegen. (...) Ich habe auch einige schwere Krankheiten gehabt, die aber nicht so, also ich mein, zumindest hat man’s nicht äußerlich gesehen. Da bin ich der Meinung, das so gut als möglich zu beherrschen“ (I 2, Z. 300-310). Sie versucht krankheitsbedingte, körperbezogene Veränderungen durch persönliche Stärke und Beherrschung nach außen hin zu kaschieren. Mit zunehmendem Alter erfordert dies einen quantitativen Mehraufwand hinsichtlich der Häufigkeit der Verwendung von Pflegeprodukten (vgl. I 2, Z. 430 f.). Aus körperlichen Veränderungen im Bereich ihres Gesichts resultiert ein veränderter Umgang mit Augen-Make-up: „[Das] ganz normale Augen Make-up ist ein bissl anders, weil (...) wenn man sich nicht der kosmetischen Chirurgie unterwirft, dann hat man natürlich schon Probleme gewisse Dinge so aufzutragen, wie man es halt gemacht hat, wie früher. Das funktioniert nicht (...) Falten kriegt man einfach (...), auf das muss man dann halt Rücksicht nehmen“ (I 2, Z. 358-368). Externe Unterstützung im Rahmen des Schönheitshandelns nimmt Frau S. nicht regelmäßig in Anspruch (vgl. I 2, Z. 436), manchmal jedoch Massagebehandlungen (vgl. I 2, Z. 179). Schönheitsoperationen steht sie kritisch gegenüber. Die Ausnahme bilden hier unfall- und krankheitsbedingte, notwendig erscheinende Operationen, die sie in einem solchen Fall eventuell vornehmen lassen würde: „Abgesehen
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davon, dass ich (...) froh [bin], wenn ich keine Spritze sehe. (...) Und da würde ich mich nicht freiwillig unterwerfen. (...) Natürlich, wenn sie unfallbedingt ist (...) Oder auch die, mit der Brust (...), wie heute bei Krebsoperationen. Also da hätte ich schon Verständnis und (...) würde es vielleicht auch selber machen [lassen]“ (I 2, Z. 439-448). Deutlich wird, dass sich Frau S. weniger auf fremde Unterstützung als vielmehr auf ihre eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen im Rahmen ihres Schönheitshandelns verlässt. So weiß sie, welche Strategien ihr Wohlbefinden steigern würden und bewertet in diesem Zusammenhang derzeitige Ruhephasen durchaus kritisch: „Ich würde gerne mehr schlafen, aber ich tue es nicht“ (I 2, Z. 420 f.). Frau S. zeigt in Bezug auf „verschönernde“ Körperpraktiken Ausdauer und Erfahrungsreichtum. Sie agiert dabei selbst regulierend und auf der Basis gegenwärtiger Körpernormen für Frauen, die sie als Vergleichsmaßstab heranzieht. Ihr Schönheitshandeln passt sie beispielsweise in quantitativer Hinsicht körperlichen Veränderungen an und würde dieses nur bei der Erfüllung bestimmter Ausnahmen in fremde Hände legen. Auch Frau M. bemerkt eine Zunahme der Pflegeintensität mit steigendem Alter: „Es ist ganz egal, ob ich fünfzehn bin oder zwanzig bin oder ob ich siebzig bin oder mehr. Ja, vielleicht muss man sich dann noch mehr pflegen. Das wird schon sein, das wird schon stimmen“ (I 3, Z. 371-373). Frau M. zählt die Punkte auf, die für sie im Rahmen der Pflege relevant sind: „Duschen, Zähne, Frisur. Das gehört schon natürlich dazu. (...) [H]hat sich sicher nicht geändert bei mir (...). Und so lange ich so gesund bin und so lange ich das machen kann, werde ich’s machen. Das ist mir schon wichtig“ (I 3, Z. 168-175). An dieser Stelle verweist Frau M. auf die Kontinuität von Pflegehandlungen, darüber hinaus aber auch auf die Stabilität in Bezug auf die von ihr verwendeten Produkte, die sie in den letzten Jahren nicht gewechselt hat: „Verwende ich täglich, ja. Und auch den Tresor, den ich da benutze von Lancôme [Parfum], den Tresor, nach jedem Duschen. (...) Glaub zwanzig Jahre sicher. (...) Und seitdem möchte ich auch gar nicht wechseln“ (I 3, Z. 289, 295 f.). Sie verschönert sich nicht nur auf einer sinnlich wahrnehmbaren Ebene mittels Parfum, sondern betont auch den öffentlich sichtbaren Körperbereich Gesicht mittels Make-up und bestimmter Cremes (vgl. I 3, Z. 309-314). Frau M. setzt darüber hinaus auf körperliche Bewegung und gesunde Ernährung, um mit zunehmendem Alter schön zu sein (vgl. I 3, Z. 314-317). Hier werden sowohl die Relevanz und die Stabilität in Bezug auf Abfolgen von Pflegehandlungen und auf die Produktauswahl deutlich. Daneben spielt die eigene Erfahrung für Frau M. eine relevante Rolle, durch die sie ihr Schönsein im Alter unterstreicht. Auch das Gefühl des Wohlbefindens ist mit dem Schönsein im Alter eng verbunden, entsteht es doch dann, wenn Frau M. auf ihre Ernährung achtet, gut schläft, sich bewegt und sich regelmäßig pflegt (I 3, Z. 279-283, 196-200). Diese Strategie erübrigt letztlich Überlegungen bezüg-
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lich externer Eingriffe in den Körper. Auf die Frage, welche Einstellung sie zu Schönheitsoperationen hat, antwortet Frau M.: „Brauch ich nicht, sehen Sie das nicht? [lacht] (...). [W]er es möchte und wer sich damit wohl fühlt, warum nicht (...) wenn es mir damit psychisch besser geht oder sonst was, warum nicht. (...) Aber, ich hab über das noch nie nachgedacht, weil (...) ich brauche sie nicht oder ich habe nicht das Gefühl“ (I 3, Z. 319-326). Ihr Erfahrungsschatz hinsichtlich der Verbindung aus körperlicher Bewegung, ausreichendem Schlaf, gesunder Ernährung und der langjährigen Verwendung bestimmter Pflegeprodukte steigert das Wohlbefinden von Frau M. und macht eine externe Unterstützung „verschönernder“ Körperstrategien in Form von Operationen überflüssig. Schönheitshandeln ist für sie dabei ein Prozess der Gewohnheit, der darauf zielt, etwas Besonderes für sich selbst zu tun (vgl. I 3, Z. 128-141). Keine der drei befragten Frauen äußerte Überlegungen zur These „Mask of Ageing“, die Featherstone und Hepworth (1991) zu Beginn der 1990er Jahre aufstellten. Diese basiert auf der Annahme, dass Veränderungen im äußeren Erscheinungsbild einer Person mit steigendem Alter nicht mit der Entwicklung der subjektiven Identität einhergehen, vielmehr stoppt Letztere, während der nach außen hin sichtbare Körper weiter altert. Weder auf theoretischer Ebene (vgl. Kapitel 3.2.2) noch den Aussagen der drei befragten Frauen zufolge kann diese These bestätigt werden. Keine der Befragten erwähnte vergeschlechtlichte Praktiken nach Villa (2006) wie stimmpädagogische Übungen und Hormonbehandlungen. Frau S. und Frau M. orientieren sich an Vorstellungen weiblicher Körpernormen und repräsentieren diese zugleich mittels der beschriebenen Kontinuität im Rahmen ihres Schönheitshandelns. Mit zunehmendem Alter nimmt die Pflegehäufigkeit allerdings zu. Sie vertrauen jedoch auf ihre eigenen Erfahrungen und würden externe Unterstützung nur unter bestimmten Voraussetzungen in Anspruch nehmen. Frau L. agiert zwar ebenso auf der Grundlage gesellschaftlicher Schönheitsideale im Sinne eines Vergleichsmaßstabs. Die Aufrechterhaltung weiblicher Körpernormen ist für sie aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen aber nur eingeschränkt möglich. Altern wird von den drei Frauen eher als körperlicher Verfall wahrgenommen, dem sie durch die Anwendung unterschiedlicher Schönheitspraktiken entgegentreten. Damit betonen sie zugleich einen Altersbegriff, der negativ konnotiert ist. Leibliche Empfindungen haben Einfluss auf das Schönheitshandeln aller Frauen, beispielsweise in Bezug auf das erlebte Wohlbefinden im Rahmen „verschönernder“ Körperpraktiken bzw. im Hinblick auf sportliche Aktivitäten, die allein oder in der Gruppe ausgeübt werden. Die Ängstlichkeit, die Frau L. betont, wirkt sich ebenso auf das Repertoire sportlicher Aktivitäten aus.
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
Letztlich sind die beschriebenen „verschönernden“ Körperstrategien der Frauen als Faktoren zu werten, die Vorstellungen von Weiblichkeit in unserer Gesellschaft repräsentieren.
Doing Beautyfication: Auswertung hinsichtlich Alter(n) In diesem Abschnitt werde ich in Anlehnung an die Befragten zunächst definieren, welche Merkmale für eine schöne ältere Person charakteristisch sind und welche „verschönernden“ Praktiken die Frauen selbst anwenden, um ihren Auslegungen gerecht zu werden. Daneben werde ich anhand der Bekleidung soziale Inszenierungen der befragten Frauen diskutieren, die im Neoliberalismus eng mit gesellschaftlichen Positionierungen verbunden sind. Auf die Frage, wann eine Person für sie schön sei, hebt Frau L. die Ausstrahlung hervor, die auch durch ein freundliches Gesicht betont wird: „[D]ie muss irgendwas schon ausstrahlen, (...) entweder ein freundliches Gesicht, [sie] muss nicht besonders schön sein“ (I 1, Z. 149-151). Damit Frau L. eine Person schön findet, muss sie auch Natürlichkeit vermitteln. Sie lehnt Verschönerungen mittels der Strategie Make-up nicht ab, jedoch bevorzugt sie eine dezente Verwendung (vgl. I 1, Z. 421 f.). Sie selbst greift am Wochenende auf Lippenstift und Parfum (vgl. I 1, Z. 251) zurück. Wie bereits beschrieben, kann die Befragte aufgrund einer Augenerkrankung heute kein Augen-Make-up mehr verwenden. Interessanterweise weist sie auf einen Anstieg von Attraktivität mit zunehmendem Alter hin: „Ich habe Freundinnen, die sind nicht besonders schön, die waren früher als Kind, [ich] kann nicht sagen hässlich, aber die waren nicht schön und jetzt (...) mit zunehmendem Alter werden die irgendwie attraktiver“ (I 1, Z. 153155). Gründe dafür sieht Frau L. auch in einer vermehrten Inanspruchnahme externer Unterstützung in Form von Kosmetik- und Friseurbesuchen seitens der Freundinnen. Sie selbst nimmt ebenso externe Unterstützung zum Schönheitshandeln in Anspruch, die im Vergleich zu früher jedoch abgenommen hat. So hat sie einen „Hausfrisör“ (I 1, Z. 516), die/der ihr zu Hause nun alle zwei Monate die Haare schneidet. Zuweilen geht Frau L. außerdem zur Kosmetik (vgl. I 1, Z. 162). Auf die Bitte zu fotografieren, wie sie sich schön macht und was sie als schön empfindet, hat Frau L. nicht ihr eigenes Schönheitshandeln abgebildet, sondern Gegenstände, die sich mit einer Ausnahme (vgl. Abb. 1)56 in ihrer Wohnung befinden (vgl. Abb. 2-4). Diese Fotografieauswahl deckt sich mit ihren Aussagen, dass das Schönheitshandeln für sie eine untergeordnete Rolle spiele. Schönheit im Alter bezieht sich Frau L. folgend weniger auf eigene Äußerlich56 Hier hat Frau L. ein Denkmal fotografiert, bei dem ein Mann eine Frau trägt; dieses repräsentiert auch die heterosexuelle Norm.
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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keiten, sondern auf eine für sie als schön empfundene Umgebung (vgl. I 1, Z. 859 ff.).
Abbildung 1: Denkmal
Abbildung 2: Schneemänner
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Abbildung 3: Uhr mit zwei Kerzen
Abbildung 4: Barbiepuppe
5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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Für Frau S. bedeutet Schönheit im Alter einen gepflegten Umgang mit Körper und Geist. Daher pflegt sie sich regelmäßig (I 2, Z. 187, vgl. Abb. 5, 6), liest sehr viel (I 2, Z. 139 f., vgl. Abb. 7), besucht einen Englischkurs (vgl. I 2, Z. 200 f.) und interessiert sich für Kunst (I 2, Z. 122 ff., vgl. Abb. 7, 8). Sie weist auf die Vergänglichkeit äußerer Schönheit hin. Dennoch könne eine Person ihr Leben lang eine bestimmte Ausstrahlung, eine Aura haben, die sie verschönert und die Frau S. besonders interessant findet: „Schönheit ist es eigentlich nicht, sondern für mich ist wesentlich: gepflegt, äußerlich, und gepflegter Umgang und mit einem entsprechendem geistigen Niveau (...) Schönheit, mein Gott, Schönheit vergeht. (...) Und natürlich [ist] auch die Ausstrahlung [wichtig]. Es gibt natürlich Menschen, die keine Ausstrahlung haben. Sie können vielleicht nichts dafür, aber das interessiert mich dann weniger (...) Diese Aura [ist wichtig]“ (I 2, Z. 177-199).
Abbildung 5: Haar-Frisierset
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Abbildung 6: Kosmetikartikel
Abbildung 7: Frau S. I
5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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Abbildung 8: Frau S. II
Schönheit bedeutet für Frau M. Pflege, persönliches Wohlbefinden, Gesundheit und Selbständigkeit: Werden diese Bedingungen erfüllt, kehrt sich die Schönheit im Alter ihrer Meinung zufolgen nach außen: „[W]as ich zur Schönheit hab, (...) man soll ein bissl gepflegt ausschauen, das ist wichtig, man soll sich wohl fühlen. Wenn ich gesund bin und wenn ich mir alles selbst machen kann, dann kommt auch die Schönheit heraus“ (I 3, Z. 39-41). Um diese Bedingungen zu erfüllen, achtet Frau M. auf die im letzten Abschnitt beschriebenen Strategien, eine Verbindung aus regelmäßiger Bewegung und Pflege, gesunder Ernährung und genügend Schlaf. Die Einschätzung, ob eine Person schön sei, variiert entsprechend dem persönlichen Geschmack von Menschen. Eine Ableitung allgemeiner Prinzipien, wann eine Person schön ist, ist ihrer Meinung nach nicht möglich (vgl. I 3, Z. 45-48). Der Schönheit von Stars aus der Medienbranche steht Frau M. skeptisch gegenüber und sie kritisiert den Aspekt der Inszenierung von Schönheit: „Und diese ganzen Filmstars (...) das ist ja gemacht. (...) Das sind ja Menschen wie du und ich. (...) Die werden so hergerichtet, die werden so auffrisiert, die werden so hingesetzt“ (I 3, Z. 63-66). An dieser Stelle betont sie die Gestaltbarkeit von Körpern, die besonders im Rahmen medialer Darstellun-
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
gen häufig gezeigt wird und die sie wegen mangelnder Natürlichkeit ablehnt. Aus dieser Beschreibung kann geschlussfolgert werden, dass die Ausstrahlung als wesentliches Charakteristikum einer schönen Frau ihres Alters gilt und Äußerlichkeiten an Relevanz verlieren. Für die Frauen selbst stellen neoliberale Körperpraktiken jedoch durchaus wirksame Mechanismen dar, die auf äußere Verschönerungen im Sinne gängiger Ideale zielen. So habe ich gezeigt, dass Schlankheit ein Merkmal ist, das eine schöne ältere Frau im Sinne ungeschriebener Gesetze in unserer Gesellschaft erfüllen sollte, ebenso wie das der Gesundheit. Die Körpernorm des jugendlichen Aussehens inklusive einer glatten, faltenarmen Haut wird medial als erreichbares Ziel beworben (vgl. Schroeter 2008). Die Annährung an dieses Schönheitsideal erfolgt bei Frau S. und Frau M. mittels der Verwendung bestimmter Cremes (vgl. I 2, Z. 432 ff., vgl. Abb. 6; vgl. I 3, Z. 307 ff.). Frau L. (vgl. I 1, Z. 474 f.) steht der Wirkung verjüngender Creme skeptisch gegenüber, wobei der finanzielle Aspekt in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt. Alle drei Frauen sprechen sich gegen eine Inanspruchnahme so genannter Schönheitsoperationen aus, die lediglich auf eine Annährung an gängige Körperideale zielt (vgl. I 1, Z. 745 f.; vgl. I 2, Z. 444 ff.; vgl. I 3, Z. 319 ff.). Hier greift zwar der Aspekt der Gestaltbarkeit von Körpern im neoliberalen Sinn, wobei jedoch externe Eingriffe in Form von Schönheitsoperationen ausgeschlossen werden. Frau L. bestätigt in verschiedenen Punkten das Tragen alterstypischer Bekleidung: So bemerkt sie Veränderungen der nun bevorzugten Muster und der Art, wie Pullover bestickt sein sollen. Mit auffälligen Mustern auf Pullovern fühlt sich Frau L. nicht wohl: „Komischerweise. Zu viel Glitzer, nein (...). [D]as ist eben auffälliger und ich weiß nicht, ich fühle mich halt nicht richtig wohl drinnen. Ist eigentümlich“ (I 1, Z. 864-869). Daneben bemerkt sie auch Veränderungen der bevorzugten Farben ihrer Kleidung: „Kräftige Farben also (...) rot trage ich jetzt sehr gern in letzter Zeit, rot und ebenso ein bissl violett“ (I 1, Z. 629 f.). Ihre Kleidung soll heute weniger durchsichtig und nicht auffallend sein: „Ich weiß nicht, warum, aber früher hab ich so etwas getragen, die Unterwäsche (...) Und jetzt trage ich (...) Baumwollhemden. (...) [I]ch weiß es ist komischerweise oder weil es vielleicht mehr durchsichtig ist. (...) Also zu auffallend soll es nicht sein“ (I 1, Z. 648-661). Ebenso haben sich die Stoffe der Kleidung in den letzten Jahren verändert: Heute wählt sie eher Baumwollstoffe und leichtere Materialien: „[F]rüher mehr (...) Perlonsachen, aber da schwitzt man so stark (...). Mehr Baumwollsachen [heute], (...) eher was Leichteres“ (I 1, Z. 611-613). Diese Veränderungen bezüglich der Bekleidung sind zum Teil auf körperliche Ursachen zurückzuführen, ebenso wie im Fall der nun von ihr bevorzugten flachen Schuhe (vgl. 5.2.1). Mit der Entscheidung für diese Form der Schuhe sowie dem verstärkten Tragen von Hosen grenzt sich Frau L. zugleich von Vorstellun-
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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gen „normaler“ Weiblichkeit ab. Diese Tendenz geht mit einer verringerten Motivation zum Schönheitshandeln einher: Während sie früher beispielsweise extra Schuhe zum Theaterbesuch mitgenommen hat, um während des Theaterbesuchs schön zu sein, bringt sie diese Motivation heute nicht mehr auf (vgl. I 1, Z. 398401). Auch Accessoires haben sich in den letzten Jahren verändert, insbesondere hinsichtlich der Schnitte von Kopfbedeckungen: „Früher mehr Hüte mit so Krempen und jetzt habe ich halt mehr Oldies-Kapperln“ (I 1, Z. 682 f.). Der Aspekt der Funktionalität ist wie beim verstärkten Tragen von Hosen auch hier relevant: Frau L. bevorzugt praktische Kopfbedeckungen, die warm halten: „Das ist ein praktischer Deckel, [den] setzt man auf und es ist warm“ (I 1, Z. 687 f.). Dabei ist es Frau L. wichtig, dass sie sich mit der Kopfbedeckung wohl fühlt: „[M]it so einem Ding fühle ich mich halt irgendwie wohler wie mit einem Hut“ (I 1, Z. 703 f.). Letztlich haben sich auch bei den Kopfbedeckungen die Farben geändert: „[J]etzt nicht mehr alles was schwarz ist (...) nein, da kann es schon ein bissl rot sein“ (I 1, Z. 711-713). Mit ihrer veränderten Einstellung bezüglich der Bekleidung lässt sich Frau L. weitestgehend in die Ausführungen zur alterstypischen Kleidung in den Kapiteln 3.3.2 bzw. 4.2 einreihen. Damit bestätigt sie die theoretischen Ausführungen von Schroeter (2008) zur Verwendung alterssignifikanter Symbole sowie der damit einhergehenden Repräsentation von Altersdifferenz im Sinne des Doing Age. Daneben grenzt sie sich von gesellschaftlichen Vorstellungen konventioneller Weiblichkeitsdarstellungen ab und bekräftigt letztlich die theoretischen Ausführungen von Twigg (2007). Sie geht davon aus, dass Frauen mit zunehmendem Alter „unsichtbar“ und damit aus dem neoliberalen Mainstream ausgeschlossen werden. Aus dieser Perspektive folgt Frau L. gesellschaftlichen Erwartungen, wie sich Personen in ihrem Alter laut ungeschriebenen Gesetzen anzuziehen haben. Mit dem Akzeptieren dieser Richtlinien erübrigen sich soziale Sanktionen: Die Befragte ordnet sich (un-)bewusst in altersspezifische Repräsentationsformen ein und konstituiert mittels verinnerlichter Schönheitsstrategien soziale Altersdifferenzierungen in unserer Gesellschaft. Dieser Adaptionsprozess der Selbst-Markierung spiegelt letztlich eine Form neoliberaler Regierung in unserer Gesellschaft wider. Frau S. und Frau M. zeigen Symboliken dieser Altersdifferenzierung lediglich in beschränktem Maße. So weist Frau S. beispielsweise auf eine veränderte Form der Kleidung in Bezug auf Figur betonende Stücke hin. Wie bereits gezeigt, hat der funktionale Aspekt Einfluss auf das verstärkte Tragen von Hosen, ebenso wirken sich nun körperliche Veränderungen auf das Tragen von Haaraccessoires aus. An dieser Stelle wird deutlich, dass sich Frau S. zwar nach und nach von Vorstellungen konventioneller Weiblichkeit abwendet, dieser Prozess jedoch längst nicht abgeschlossen ist (vgl. auch Abb. 7, 8).
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
Frau M. empfindet ihre Kleidung heute als konservativer, keine Veränderungen nimmt sie jedoch bezüglich der Farbwahl und der Stoffe wahr. Auch heute hat die aktuelle Mode Einfluss auf ihre Kleidung: „Ich liebe sehr blau, hab sehr viele blaue Sachen, ab und zu was Rotes, aber rosa schon auch (...). Nein, das hat sich nicht geändert. Ja, was halt jetzt sehr aktuell ist, das ist ganz schön, ganz nett, das passt zu mir“ (I 3, Z. 329-337). Damit scheint sie beinah unbeeinflusst von altersspezifischen Repräsentationspraxen und orientiert sich auch weiterhin an Vorstellungen konventioneller Weiblichkeit. Aus dieser Analyse kann geschlussfolgert werden, dass Bekleidung von Frauen entweder eher deren Weiblichkeit oder deren Alter unterstreicht, wobei sich diese Repräsentationsformen durchaus verändern können (gezeigt durch Frau S.). Im Gegensatz zu Frau M. markiert sich Frau L. selbst als alt und grenzt sich von gesellschaftlichen Vorstellungen von Weiblichkeit ab. Damit erfolgt zugleich eine soziale Positionierung der Frauen: Diese reichen von Subjektivierungsprozessen, die sich auf der Grundlage normativer Vorstellungen des Weiblichen konstituieren, damit auch die heterosexuelle Norm in unserer Gesellschaft repräsentieren und mit gesellschaftlichem Einschluss belohnt werden. Der andere Pol umfasst demgegenüber eine Abkehr von vergeschlechtlichten Reproduktionsprozessen, die mit Ausschluss aus dem neoliberalen Mainstream aufgrund von Abweichungen der erwünschten Körpernorm einhergehen. Hier bestätigt sich zudem die These von Twigg (2007), die davon ausgeht, dass nicht das kalendarische Alter von Personen den Zeitpunkt zum Eintritt in die Phase des Alters markiert, sondern Alterungsprozesse stets auf eine Heterogenität und Vielfältigkeit verweisen.
Doing Beautyfication: Auswertung hinsichtlich neoliberaler Spezifika Im Folgenden zeichne ich nach, welche Instanzen und Diskurse die befragten Frauen hinsichtlich ihres Schönheitshandelns lenken. Daneben werde ich zeigen, inwieweit gesellschaftliche Konstruktionen zum Öffentlichen und Privaten das Schönheitshandeln der Frauen beeinflussen. Zwar haben Medien Einfluss auf die Meinungsbildung von Frau L. bezüglich ihrer Schönheitsideale. Sie haben jedoch keine Wirkung auf ihr Schönheitshandeln selbst. Schlanke Frauen gefallen ihr extrem gut, wie gezeigt, grenzt sie sich jedoch von dem auch medial transportierten, ungeschriebenen Gesetz der Schlankheit ab. Kritisch steht sie medialen Präsentationen von Frauen gegenüber, die sich „kasteien“ (I 1, Z. 328) müssen, um das neoliberale Schönheitsideal Schlankheit zu erreichen.
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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Frau M. kritisiert die Schönheit von Stars aus der Medienbranche, vor allem im Hinblick auf den Aspekt der Inszenierung von Schönheit und der damit einhergehenden Unnatürlichkeit der MediendarstellerInnen (vgl. I 3, Z. 63-66). Lediglich Frau S. verweist in diesem Zusammenhang auf Altersdarstellungen im medialen Kontext, die mit Stereotypen besetzt sind und ihrer Meinung nach ein inkorrektes Bild zum Alter(n) konstituieren. Deren Überwindung seitens medialer AkteurInnen steht Frau S. skeptisch gegenüber, auch wenn sie durchaus reflektiert die Rolle älterer Menschen hinsichtlich ihres Konsumverhaltens in unserer Gesellschaft beschreibt: „Obwohl es natürlich nicht so faszinierend ist, wenn (...) sie die alten Leute immer bringen, immer nur mit einem Stock, (...) das ist ja ein Schmarrn. (...) [I]n meinem Alter, natürlich ist das nicht mehr so anziehend und werbewirksam, wie wenn man junge Leute zeigt. Andererseits, grad die Alten sind es, die einerseits fast schon überwiegend sind in der Anzahl und auch das Geld haben. (...) Also, das ist, glaub ich, ein Spagat, den die Werbung noch nicht geschafft hat, zwischen (...) Werbung für (...) junge, fesche Leute und den Älteren. Das (...) ist auch vielleicht nicht ganz zu überwinden“ (I 2, Z. 234-245). Ihre Überlegungen fügen sich in die theoretischen Ausführungen von Öberg und Tornstam (1999), die das in unserer Gesellschaft weit verbreitete Bild zum Alter(n) als Synonym für Unattraktivität, Krankheit, Schwäche und Inkompetenz kritisieren. Mittels ihrer binären Unterscheidung jung, anziehend, werbewirksam/alt, wenig anziehend, wenig werbewirksam reproduziert Frau S. jedoch zugleich neoliberale Körpernormen. Die damit einhergehenden, sozial differenzierenden Bewertungen werden in negativer Hinsicht noch verstärkt, wenn sie älteren Menschen die Attribute „quantitative Mehrheit in unserer Gesellschaft“ und „ökonomische Ressource“ zuschreibt. Mittels dieser Beschreibung kontrastiert sie die Gruppe älterer Menschen als differente Norm zu einer jüngeren Gruppe und entspricht dabei medialen Botschaften, die Zeichen des Alter(n)s als abweichende Makel verstehen (vgl. dazu die Kritik von Schroeter 2008; vgl. Gildemeister/Robert 2008). Dieser Aspekt kann nicht zuletzt als Zeichen der Wirksamkeit medialer Botschaften gedeutet werden, die in Form verinnerlichter „Wahrheiten“ von Frau S. ihren Ausdruck findet. Mediale Präsentationen stellen eine wichtige Inspirationsquelle hinsichtlich des Kleidungsgeschmacks von Frau S. und Frau M. dar. Dabei wirken ungeschriebene Gesetze, die mittels Werbung im Fernsehen (vgl. I 3, Z. 80) und in Frauenzeitschriften (vgl. I 2, Z. 218), daneben auch in Form von Auslagen in Schaufenstern von Bekleidungsgeschäften (vgl. I 3, Z. 81) vermittelt werden. Über den Einfluss medialer Darstellungen auf ihr Schönheitshandeln ist sich Frau S. bewusst, wobei der Prozess der Verinnerlichung medialer Präsentationen instinktiv geschieht: „[D]ie Medien natürlich, weil man sich das ja anschaut, also automatisch wird man da irgendwie beeinflusst. (...) [W]arum soll man auch
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
immer wegschauen und sagen, das interessiert mich nicht“ (I 2, Z. 312-314). Auch Frau M. lässt sich von ungeschriebenen Gesetzen der Medien hinsichtlich der Mode beeinflussen: „Die Werbung beeinflusst alle. (...) [D]adurch ist man auch selber so aufgeputscht irgendwie, weil ja, das möchte ich auch“ (I 3, Z. 9092). Damit betont sie auch den starken Einfluss, den Werbung auf ihr eigenes Konsumverhalten hat und dem sie sich kaum entziehen kann. Die Funktion medialer Botschaften, die eigene Meinungsbildung und das persönliche Konsumverhalten zu lenken, wird an dieser Stelle besonders deutlich. Neben medialen Einflussfaktoren misst Frau S. der „Schicki-Micki-Gesellschaft“ (I 2, Z. 249) und ihrem früheren Arbeitgeber eine große Bedeutung im Rahmen der Reproduktion ungeschriebener Gesetze zum Schönheitshandeln bei (vgl. I 2, Z. 262-264). Die äußere Pflege war in ihrer beruflichen Karriere wichtig, denn je höher sie beruflich aufstieg, desto mehr übernahm sie eine Vorbildfunktion, an der sich andere MitarbeiterInnen orientierten (vgl. I 2, Z. 268-272). Die befragten Frauen verweisen zudem auf die von ihnen erfahrene Erziehung, die noch heute Effekte auf ihr eigenes Schönheitshandeln hat. So erklärt Frau L. ihre Einstellung zum seltenen Schönheitshandeln mit Gründen, die aus ihrer familiären Sozialisation resultieren: „Ich bin da wahrscheinlich (...) erblich belastet, dass ich nix mache. (...) [B]ei uns zu Hause (...) hat es nichts gegeben. Weil wir auch kein Bad [hatten]. Bei uns war Wasser auf dem Gang und ein Mal in der Woche [gab es] ein Tröpferlbad, ein allgemeines Bad. Und das war’s“ (I 1, Z. 767, 812-814). Auch laut Frau S. wurden ungeschriebene Gesetze des Schönheitshandelns im Rahmen der Erziehung vermittelt (vgl. I 2, Z. 250 f.). Diese wirken bei ihr auch heute im Alter noch nach: „[I]ch muss sagen, ich habe das eigentlich von klein auf. Meine Mutter (...) hat sehr viel Wert gelegt auf immer viel und gut angezogen sein. (...) Und ich bin auch im Kloster [gewesen], (...) mit zehn Jahren schon ins Internat gekommen und (...) da war Haltung von vornherein gefragt. Das hat mich geprägt. [A]lso, dass ich da nicht erst überlegen muss, kann ich mich jetzt gehen lassen (...). Das geht einfach nicht“ (I 2, Z. 489-496). Diese konträren Positionen liefern mögliche Erklärungen zu den bereits beschriebenen Einstellungen der beiden Frauen bezüglich ihres Schönheitshandelns: Biografische Aspekte stellen hier einen durchaus relevanten Einflussfaktor dar. Dies wird auch anhand der folgenden Darstellung deutlich, die sich auf die Wirkung des Ehemanns hinsichtlich des Schönheitshandelns der befragten Frauen bezieht: Legt/e der jeweilige Partner Wert auf sein äußeres Erscheinungsbild, wirkt/e sich dies auf die Schönheitshandlungen von Frau M. und Frau S. aus (vgl. I 3, Z. 375 f.; vgl. I 2, Z. 350-353); umgekehrt mach(t)en sie sich ebenso für ihren Ehemann schön (vgl. I 3, Z. 137; vgl. I 2, Z. 350-353). Demgegenüber spielte das Schönheitshandeln für den Ehemann von Frau L. keine wichtige Rol-
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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le (vgl. I 1, Z. 378-381). Dies bestätigt die These, dass biografische Aspekte und solche der Sozialisation durchaus die Relevanz von Schönheitshandlungen beeinflussen. Frau M. hat ihren eigenen Stil, lässt sich diesbezüglich kaum von anderen Personen beeinflussen und kauft meistens allein ein (vgl. I 3, Z. 210-215). Frau S. bespricht ihr Schönheitshandeln selten mit anderen Personen, Ausnahmen bilden hier ihre Cousine und ehemalige Schulfreundinnen (vgl. I 2, Z. 376-382). Frau L. geht demgegenüber gern mit Freundinnen einkaufen, gegenseitige Ratschläge sind ihr dabei wichtig (vgl. I 1, Z. 850-855). Die Peergroup hat für Frau L. eine große Bedeutung, denn diese nimmt eine beratende Funktion im Rahmen ihres selten praktizierten Schönheitshandelns ein. Anhand dieser Darstellung konnte gezeigt werden, dass in unserer Gesellschaft auf unterschiedlichen Ebenen Faktoren verankert sind, welche Vorstellungen von Körpernormen und Schönheitshandeln beeinflussen können. Allerdings variieren die Effekte der Einflussfaktoren je nach biografischen Erfahrungen: Bei Frau L., die ihr Leben lang wenig Wert auf Schönheitshandlungen gelegt hat, greift heute eher eine Lenkung des Verhaltens auf sozialer Ebene, etwa durch Freundinnen. Für Frau M. und Frau S. hatte das Schönheitshandeln immer eine große Bedeutung; Einfluss haben hier besonders mediale Botschaften. Dennoch fühlen sich die beiden Befragten in ihren Vorstellungen zum Schönheitshandeln nicht durch extern auferlegte Zwänge beschränkt. Vielmehr handeln sie in diesem Zusammenhang gemäß ihren Erfahrungen und eigenen Vorlieben (vgl. I 2, Z. 474-479, 504-506, 511-515; vgl. I 3, Z. 357 f., 373 f.). Ein Grund dafür liegt sicher auch in der Akzeptanz gegenwärtiger Körpernormen, die ihren Ausdruck nicht zuletzt in der kontinuierlichen Repräsentation derselben findet. Öffentlichkeit und Privatheit gelten trotz neoliberaler Umbauprozesse, den damit verbundenen Redefinitionen und daraus resultierenden veränderten Relationen zueinander laut Michalitsch (2008) auch gegenwärtig als asymmetrisch miteinander verbundene Bereiche, die aus feministischer Sicht im Kontext von Macht, Hierarchien und Unterdrückung gelesen werden müssen. Frau L. nimmt einen Unterschied bezüglich der Bekleidung wahr, die sie in ihrer Wohnung trägt und jener, die sie in der Öffentlichkeit bevorzugt: „[Z]uhause habe ich irgend so eine Jogginghose und auch irgendeinen Pullover [an] (...) wenn ich weggehe, dann tue ich schon zumindest was anders anziehen. Aber herrichten unter der Woche, wenn ich nicht weggehe, nix (...) Da wird nichts, nichts hergerichtet. (...) So, ich bin so. (...) Na da kommt nicht einmal Lippenstift drauf, nichts“ (I 1, Z. 360-367). Die Trennung privater Raum (Wohnung)/öffentlicher Raum (Nicht-Wohnung) beeinflusst Frau L. zwar bezüglich ihrer Kleidung, nicht jedoch in Bezug auf die Verwendung von Make-up. Rituale (Schönheitshandeln am Wochenende) und besondere Anlässe (zum Beispiel
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
Restaurantbesuch mit Bekannten, Theaterbesuch) haben in diesem Zusammenhang einen anderen Stellenwert: Dann verschönert Frau L. öffentlich sichtbare Körperteile mittels Accessoires am Hals, an den Ohren (vgl. I 1, Z. 354 f.) und auf dem Kopf (I 1, Z. 704-706), darüber hinaus aber auch mittels Make-up und Parfum (vgl. I 1, Z. 251). Ein besonderer Anlass hat somit Auswirkungen auf das Schönheitshandeln von Frau L. Im Vorfeld eines großen Festes etwa entwickelt sie eine besondere Motivation zum Schönheitshandeln; dann nimmt sie externe Unterstützung in Form von Kosmetik- und Friseurbesuchen in Anspruch (vgl. I 1, Z. 232 f., 235). Die von Frau L. angewandten Schönheitsstrategien vor besonderen Anlässen zielen letztlich auf eine Repräsentation gesellschaftlicher Vorstellungen von Weiblichkeit im öffentlichen Bereich. Besondere Anlässe haben auch heute, in der Zeit des Ruhestands, noch Einfluss auf das Schönheitshandeln von Frau S. (I 2, Z. 261), früher kam ihrer Erwerbsarbeit ein ähnlicher Stellenwert zu (I 2, Z. 261-264). Dass ihre (beruflichen) Erfahrungen bis heute ihr Schönheitshandeln beeinflussen, wurde bereits gezeigt und kann auch durch folgendes Zitat belegt werden: „Also nie irgendwie außer Haus zu gehen ohne ein bissl hergerichtet zu sein, auf das lege ich Wert (...), weil ich war es gewohnt, nie ganz ungeschminkt außer Haus zu gehen und das habe ich beibehalten. Und wenn ich mir nur die Augenbrauen nachziehe“ (I 2, Z. 337-339, 324 f.). Damit betont Frau S. die Variabilität ihres Schönheitshandelns aufgrund der sozialen Konstruktionen privater/öffentlicher Bereich. Diese Differenziertheit zielt nicht zuletzt auf die tägliche Reproduktion von Weiblichkeitsvorstellungen in der Öffentlichkeit. Auch Frau M. verfolgt solch eine Strategie, wobei sie diesbezüglich vor allem Veränderungen ihrer Kleidung und ihrer Frisur wahrnimmt. Als einzige der Befragten verweist sie auf das Gefühl des Wohlbefindens, das ihr Schönheitshandeln „als Frau“ begleitet: „Aber, man fühlt sich wohler, glaube ich. Meine, wenn ich so schlampig von dort daher komme, kann man sich nicht so wohl fühlen“ (I 3, Z. 178-180). Auf diese Weise reproduziert sie zugleich ein ungeschriebenes Gesetz unserer Gesellschaft, das sie selbst verinnerlicht hat: Frauen sollten in der Öffentlichkeit ordentlich und gepflegt aussehen, ganz im Sinne konventioneller Vorstellungen von Weiblichkeit. Öffentlichkeit und Privatheit dienen darüber hinaus als Folie geschlechtsspezifischer Repräsentationsformen bestimmter Tätigkeitszuschreibungen. Durch die Anwendung ausgewählter „verschönernder“ Körperpraktiken entsprechend dem jeweiligen Gesellschaftsbereich erfolgt eine Verstärkung der sozialen Konstruktion zum Privaten und Öffentlichen. Gleichzeitig erfährt das gesellschaftliche Konstrukt des Weiblichen mittels eines gesteigerten Schönheitshandelns für die Öffentlichkeit eine Komprimierung: Die Repräsentation von Vorstellungen konventioneller Weiblichkeit im öffentlichen Bereich bestätigt dabei traditionell
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
87
geschlechtsspezifische Verteilungen, die laut Ludwig (2008, S. 46) fern einer „Pluralisierung und Individualisierung von Zuschreibungen und Lebensweisen“ operieren.
5.2.2
„Sich schön machen“ als älterer Mann
Doing Beautyfication: Auswertung hinsichtlich Geschlecht Nach Degele (2004) bezieht sich das männliche Ideal auf einen Körper, der die Individualität im Sinne der Betonung von körperlichen Besonderheiten und subjektivem Selbst unterstreicht. Gegenwärtige Forderungen bedingen zugleich – in entsprechend begrenzten Freiräumen – den Anspruch auf die Reproduktion eines neoliberalen Eigenproduktes. Welche Einstellung haben nun ältere Männer zu diesem neoliberalen Ideal? Und auf welche Weise konstituieren die befragten Männer mittels ihres Schönheitshandelns vergeschlechtlichte Prozesse hinsichtlich Vorstellungen konventioneller Männlichkeit, welche Rückschlüsse können in diesem Zusammenhang auf gesellschaftliche Ordnungsprinzipien gezogen werden? Herr F. ist zum Zeitpunkt der Befragung 65 Jahre alt, seit vielen Jahren verheiratet, Vater und Großvater. Er war unter anderem Beamter auf Zeit in der Europäischen Kommission (vgl. I 5, Z. 249 f.), Universitätsprofessor (vgl. I 5, Z. 497), UNO-Beamter (vgl. I 5, Z. 32), Wahlbeobachter in Venezuela (vgl. I 5, Z. 26) und arbeitete am MIT in Boston/USA (vgl. I 5, Z. 547). Seine Einstellung zum Schönheitshandeln ist seit vielen Jahren vom Prinzip der „Funktionalität des Jugendstils“ (I 5, Z. 186) geleitet, das sich in einem pflegeleichten Äußeren ausdrückt (kurze Haare, kein Bart). Für Herrn F. „als Mann“ sind „verschönernde“ Körperpraktiken wenig relevant (vgl. I 5, Z. 317). Eher ergreift er Formen des Schönheitshandelns „nur im Notfall“ (I 5, Z. 242-244). Seine Einstellung begründet er mit gegenwärtigen Schönheitsidealen, die für Frauen und Männer gelten und an denen er sich selbst orientiert: „[B]ei der Frau [gilt] der Einheitstypus, [der] die Schönheit ausmacht und beim Mann eher die Individualität. (...) Und, insofern würde ich sagen, es gibt eben verschiedene Formen, wie man sich stylen kann (...). Aber bei den Männern ist dieses Einheitsding weniger stark schlagend als bei den Frauen. (...) Das mach ich dann sozusagen, dreh ich es zur Norm um (...) und von daher ist es nicht so wichtig, mich selber zu stylen“ (I 5, Z. 325-332). Anders als früher verfügt Herr F. heute über keine besonderen Markenzeichen (Accessoires wie Hüte etc.), anhand derer er wiedererkannt werden könnte (vgl. I 5, Z. 189 f.). Die Maxime der Minimierung, auch im Hinblick auf ökonomische Aspekte (Kosten für bestimmte Produkte, Zeit zur Gestaltung sei-
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
nes Äußeren; vgl. I 5, Z. 231-232), wiegt diesbezüglich mehr als Strategien, welche die Individualität von Herrn F. mittels bestimmter Accessoires betonen würden. Herr M. ist zum Zeitpunkt des Interviews 65 Jahre alt. Er hat eine Ausbildung in der Baufachschule durchlaufen, als Bautechniker gearbeitet und später die Baufachprüfung absolviert (vgl. I 4, Z. 267-271). Nach seiner Erwerbsarbeit als Baumeister 2001/2002 war er noch einige Jahre als Aushilfe tätig und ist erst vor wenigen Monaten endgültig in Pension gegangen (vgl. I 4, Z. 287-289). Er ist verheiratet, Vater und Großvater. Der Grundsatz des möglichst einfachen Gestaltens seines Lebens gilt auch im Rahmen des Schönheitshandelns; aufwendige Praktiken des Doing Beautyfication liegen ihm fern. Bezüglich der Art und Weise des Schönheitshandelns „als Mann“ mit zunehmendem Alter bemerkt er keine Unterschiede: „Ich tue mich in der Früh rasieren und dazwischen noch frisieren und dann ist es eigentlich erledigt. (...) Ja, ich versuch halt auch, dass ich das Leben möglichst einfach gestalte. Das habe ich früher schon“ (I 4, Z. 244-248). Die Maxime der Minimierung bzw. die möglichst einfache Handhabung „verschönernder“ Körperarbeit ist ein wichtiger Grundsatz, den beide Männer verfolgen. Damit reihen sie sich insofern in gängige Vorstellungen von Männlichkeit ein, als sie, bis auf wenige Ausnahmen, ihr äußeres Erscheinungsbild nicht verändern: Der Fokus alltäglicher Aktivitäten liegt nicht im Praktizieren ausschweifender Schönheitsstrategien. Mit dieser Einstellung unterstreichen sie zugleich ihre körperbezogene Individualität, die nach Degele (2004) gegenwärtig Teil männlicher Subjektivitätsentwürfe ist. Ein weiteres Beispiel zur Veranschaulichung dieser These liefert Herr M. Er weist auf die Veränderung ungeschriebener Gesetze in Bezug auf geltende Schönheitsideale in den letzten Jahrzehnten hin. Während vor dreißig Jahren Körperhaare durchaus eine sexuelle Anziehungskraft ausüben konnten, gilt dies heute als unästhetisch: „[Z]um Beispiel vor 30 Jahren war das ganz normal, dass man eben Körperhaare gehabt hat und heute wird man so gezwungen, das ist angeblich unästhetisch. (...) Früher war des eigentlich eher ein bissl sexy vielleicht, wenn es nicht zu übertrieben war“ (I 4, Z. 148-153). Allerdings wird nicht klar, ob dies ein ungeschriebenes Gesetz ist, das ausschließlich für Männer gilt. Indes kann unterstellt werden, dass die Behaarung die körperbezogene Individualität eines Menschen betont. Diese Erfahrung von Herrn M. kann also im Rahmen der Vorstellungen konventioneller männlicher Körperideale gelesen werden. Die Schönheitsstrategie Haarentfernung verstärkt demgegenüber körperbezogene Vereinheitlichungstendenzen. Herr R. ist zum Zeitpunkt des Interviews 67 Jahre alt, Vater und Großvater und seit 4 Jahren in Pension. Er ist ausgebildeter Speditionskaufmann und hat sich im Laufe seiner Erwerbstätigkeit bis zum Geschäftsführer einer Autofirma und schließlich zum Berater bei der Wirtschaftskammer „hinaufgearbeitet“ (I 6,
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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Z. 16). Bei Letzterer war er für 400 Angestellte verantwortlich (vgl. I 6, Z. 20). Er war 42 Jahre lang verheiratet, seine Frau ist vor einigen Jahren gestorben. Er ist heute unabhängig und selbständig und möchte keine feste Bindung mehr mit einer Frau eingehen. Auch im Rahmen seines Schönheitshandelns verfolgt er eigene Vorstellungen und einen Stil, der ihn der Meinung seiner Bekannten zufolge jünger als sein kalendarisches Alter aussehen lässt. Im Gegensatz zu den beiden anderen Befragten verfolgt er nicht die Maxime der Minimierung im Rahmen des Schönheitshandelns im Allgemeinen und bezüglich der Kosten für Bekleidung im Besonderen. Herr R. bevorzugt teure Kleidung aufgrund der Qualität: „[I]ch kauf immer das Teuerste (...) in der Qualität. Also, ich bin nicht markenbewusst, das brauche ich nicht“ (I 6, Z. 107 f.). Er begründet seine Position auch mit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung während seiner Ehejahre: „Mir geht’s gut (...). Ich habe schön verdient, hab auch eine schöne Pension, vom Geld hätten [wir] zu zweit auskommen [sollen], also mir geht’s nicht schlecht“ (I 6, Z. 254-256). Herr R. verfolgt im Rahmen seines Schönheitshandelns den Grundsatz der Maximierung, der sich nicht nur im ökonomischen Faktor der Kosten für bestimmte Produkte, sondern auch in seiner Einstellung zur zeitlichen Komponente des Doing Beautyfication ausdrückt: „[D]ie Zeit muss man sich nehmen. Also das ist erstmal das Wichtigste“ (I 3, Z. 124 f.). Mit dieser Einstellung verweist Herr R. auf den Stellenwert „verschönernder“ Körperpraktiken im Rahmen alltäglicher Abläufe. Daneben motiviert ihn aber auch das Resultat seiner Bemühungen, das sich in anerkennenden Kommentaren des sozialen Umfeldes zeigt (vgl. I 6, Z. 372-374). Diese konträren Positionen deuten auf die Spannbreite männlicher Subjektivitätsentwürfe bezüglich der Umsetzung individueller Vorstellungen zum Schönheitshandeln im jeweiligen Lebenskontext. In diesem Sinn bestätigen die Befragten auch neoliberale Forderungen zur Reproduktion eines Selbstprojektes, das durch Individualität gekennzeichnet ist. Trotz dieser unterschiedlichen Einstellungen gelten in unserer Gesellschaft jedoch auch generelle Gesetze bezüglich der Bekleidung, die alle Befragten auf eine bestimmte Art und Weise berühren. Die Krawatte ist demnach ein vergeschlechtlichtes Zeichen für Männlichkeit, das nach Villa (2006; vgl. Kapitel 3.1.2) die Geschlechterdarstellung in alltäglichen Repräsentationspraktiken in unserer Gesellschaft unterstützt. Die befragten Männer befolgten diese Bekleidungsordnung während ihrer Berufstätigkeit zum Teil, lehnen diese jedoch heute als Pensionisten im Alltag aus verschiedenen Gründen ab. Als Motiv gibt Herr M. ein heute bevorzugtes Tragen bequemer Kleidung an (vgl. I 4, Z. 247-251), Herr F. verweist auf den Grundsatz der Einfachheit im Rahmen seines Bekleidungsstils (vgl. I 5, Z. 313-315) und Herr R. äußert Überlegungen, wonach eine Krawatte nicht zu seinem momentan bevorzugten sportlichen Kleidungsstil passe
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
(vgl. I 6, Z. 231-241). Ausnahmen bilden bestimmte Anlässe wie Feste (I 4, Z. 201 f.) oder Theaterbesuche (vgl. I 6, Z. 229 f.). Durch das Tragen dieses Bekleidungssymbol im Rahmen bestimmter Anlässe repräsentieren Herr M. und Herr R. nicht zuletzt übliche Vorstellungen von Männlichkeit im öffentlichen Raum. Dagegen setzt Herr F. – im Sinne eines politisierten Handelns – die Krawatte als bewusstes Symbol ein, um in der Öffentlichkeit bestimmte Reaktionen hervorzurufen: „[F]ür mich hat Kleidung immer auch eine gewisse Signalwirkung, dessen bin ich mir bewusst. (...) [A]us Trotzreaktion gegen die Gesellschaft, habe ich (...) über lange Jahrzehnte nie Krawatte getragen zum Beispiel. Weil das für mich signalisiert hat, wenn ich Krawatte trage, dann gehöre ich zu dieser Gesellschaft im negativen Sinn, zu dieser Bagage dazu (...) und das will ich nicht. Das war einer der Punkte. Und das andere ist aber, wenn ich jetzt also zum Beispiel zu Gewerkschaft[streffen] einen Vortrag halten gehe, dass ich dann extra die Krawatte mir umhänge, (...) damit man dann sozusagen signalisiert: Sie können sich von mir irgendwelche Wissensteile aneignen. Wenn ich das nämlich nicht tun würde, weiß ich, kommt das schlecht an“ (I 5, Z. 206-216). Mit dieser Position verdeutlicht Herr F. nicht nur die Wirkungsmacht vergeschlechtlichter Zeichen im Hinblick auf eigene Vorstellungen und Interessen. Ebenso verweist er auf Konnotationen, die mit dem Bekleidungsstück Krawatte in unserer Gesellschaft verbunden sind wie Wissen, Vertrauen, Macht. Die Krawatte stellt nicht zuletzt ein Symbol konventioneller Männlichkeit dar, das Frauen üblicherweise vorenthalten ist. Indem die befragten Männer heute ein regelmäßiges Tragen der Krawatte ablehnen, signalisieren sie eine Abkehr von vereinheitlichten Bekleidungssymboliken, die auf vergeschlechtlichte Repräsentationsprozesse zielen. Damit unterstreichen sie auch ihre veränderte Haltung zu gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien und deuten einen Wechsel ihrer sozialen Positionierung an. Gleichzeitig verzichten sie bewusst und manchmal aus Gründen der Bequemlichkeit auf dieses wirkungsvolle Instrument, das ihnen allein durch das Tragen eine gewisse Machtkomponente im gesellschaftlichen Ordnungsgefüge zuspricht. Ein Grund hierfür könnte in der Definition des Männlichen liegen: Maierhofer (2007; vgl. Kapitel 3.1.2) hat im Anschluss an Sontag (1975) darauf hingewiesen, dass Männern mit zunehmendem Alter zuweilen ein Prestigezuwachs zuteil wird. Aus dieser Perspektive erübrigt sich das Tragen einer Krawatte, gelten ältere Männer auch ohne dieses Symbol als wissend, vertrauenswürdig und machtvoll. Allein durch das Innehaben des „männlichen“ und „älteren“ Status ist allerdings nicht gewährleistet, dass eigene Erfahrungen in bestimmten Situationen ausreichend Anerkennung erfahren. Wie beschrieben, greift Herr F. in solchen Momenten auch heute bewusst auf das Männlichkeitssymbol Krawatte zurück, wenn dies
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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einen öffentlichen Auftritt hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit unterstreicht (vgl. I 5, Z. 212-216). Ungeschriebene Gesetze bezüglich der Bekleidung von Männern auch im Alter begründen also deren Überzeugungskraft und unterstreichen ihre soziale Positionierung in bestimmten Kontexten. Die These, dass geschlechtsbezogene Arbeitsteilung und insbesondere Hausarbeit das Schönheitshandeln der befragten Männer ebenso beeinflussen wie das der befragten Frauen, kann hier nicht bestätigt werden. Keiner der befragten Männer wies auf den Bereich der von ihnen zu erledigenden Hausarbeit hin, deren Erfüllung Einfluss auf das eigene Schönheitshandeln hat. Dies ist nicht verwunderlich, gilt diese Tätigkeit doch als traditionell dem Weiblichen zugeschriebener Arbeitsbereich (vgl. Backes 2005; vgl. Kapitel 3.3.2). Herr R. benennt eben diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung während seiner Ehejahre, welche die obige These bestätigt: „[M]eine Frau ist zu Hause geblieben, das wollte ich, [wir] haben nur ein Kind gehabt“ (I 6, Z. 135 f.). Als männlich konnotierte Tätigkeiten können hier jedoch Aktivitäten der Befragten im öffentlichen Bereich genannt werden, welche sie bis vor kurzem ausübten bzw. denen sie gegenwärtig nachgehen. So war Herr M. bis vor einem halben Jahr im Rahmen einer aushelfenden Anstellung in seinem ehemaligen Berufsfeld beschäftigt (vgl. I 4, Z. 288), Herr F. hat heute mehr Zeit für politische Arbeit (vgl. I 5, Z. 474) und Herr R. ist gegenwärtig bei der Innung tätig (vgl. I 6, Z. 356). Diese Tätigkeiten haben insofern Einfluss auf das Schönheitshandeln der befragten Männer, als sie dabei bestimmten Bekleidungsordnungen nachkommen (vgl. I 5, Z. 311-313; vgl. I 6, Z. 356-358) bzw. diese – im Fall von Herrn F. – bewusst ablehnen: „[W]enn ich in irgendeinem Kuratorium zum Beispiel bin, geh ich immer noch ohne Krawatte. Als einziger, wie ich dann sehe“ (I 5, Z. 448 f.). Das von Backes beschriebene Männlichkeitsideal im Alter bezieht sich folglich auf das „Aktivsein in gesellschaftlich-öffentlichen Bezügen“ (Backes 2008a, S. 84). Die von der Autorin genannte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als verinnerlichte Subjektivierungsstrategie (vgl. Backes 2005; vgl. Kapitel 3.3.2) greift hier ebenso wie die Reproduktion sozialer Konstruktionen zum Öffentlichen und Privaten. Es kann festgehalten werden, dass Subjektivierungsprozesse älterer Männer eng mit gesellschaftlichen Normvorstellungen verknüpft sind. Dies ist nicht nur hinsichtlich der Akzeptanz gängiger Bekleidungsordnungen durch die Befragten relevant, sondern auch im Fall von deren bewusster Ablehnung. Vorstellungen konventioneller Männlichkeit dienen in beiden Varianten als Vergleichsfolie. Wie gezeigt, ist das Schönheitsideal „Individualität“ Teil männlicher Identitätsentwürfe auch im Alter. Dies wird an Einstellungen deutlich, die eine Minimierung jeglichen Schönheitshandelns favorisieren und dadurch körperbezogenen Besonderheiten ausreichend Raum geben. Der Grundsatz der Maximierung un-
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
terstreicht individuelle Besonderheiten insofern, als er Rückschlüsse auf den Stellenwert des Doing Beautyfication und auf materielle Gegebenheiten ermöglicht. In beiden Varianten greift die neoliberale Forderung der Reproduktion eines individualisierten Selbst in entsprechend begrenzten Freiräumen. Daneben beeinflussen vergeschlechtlichte Prozesse die Ausübung von traditionell dem Männlichen zugeschriebenen Tätigkeiten, die letztlich soziale Ungleichheitsstrukturen repräsentieren und bestätigen.
Doing Beautyfication: Auswertung hinsichtlich Körper Analog den theoretischen Ausführungen im Kapitel 5.2.1 interessieren mich in diesem Abschnitt die Einstellungen älterer Männer zum eigenen Körper und ihre Wahrnehmungen zu körperlichen Veränderungen. Am Beispiel gesundheitsfördernder und „verschönernder“ Praktiken werde ich Strategien nachzeichnen, mittels derer die Befragten Einfluss auf körperliche Alterungsprozesse und – damit einhergehend – auf eigene Empfindungen nehmen. Auf die Frage, welche Aktivitäten er regelmäßig ausübe, die angeblich gut für die Gesundheit sind, nennt Herr M. die Sportarten Schwimmen und Radfahren (vgl. I 4, Z. 308, 312). Daneben arbeitet er regelmäßig im Garten, was ihn gelegentlich ins Schwitzen bringt (vgl. I 4, Z. 315 f.). Körperliche Fitness wird von Herrn M. nicht durch regelmäßige Besuche in einem Fitnessstudio oder Ähnlichem erreicht, sondern zum Beispiel im Rahmen eines Hausumbaus (vgl. I 4, Z. 81 f.). Dadurch ist er nicht nur beschäftigt, sondern kann sich auch körperlich betätigen: „[D]as ist also sehr schön, wenn man was macht oder sich a bissl anstrengt“ (I 4, Z. 61 f.). Gesundheitsfördernde Praktiken scheinen für Herrn M. Nebenprodukt vielseitiger Beschäftigungen zu sein, die mit körperlichen Anstrengungen gepaart sind. Herr F. war früher mit seinen Kindern häufig „an der frischen Luft“, wanderte, joggte, schwamm und fuhr Rad. Damit hat er sein Wohlbefinden gesteigert, wobei die Motivation nicht auf ästhetischen Gründen basierte (vgl. I 5, Z. 366-376). Allerdings kann Herr F. aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen frühere gesundheitsfördernde Praktiken nun nicht mehr ausüben (vgl. I 5, Z. 405408). Das Gefühl des Wohlbefindens entsteht bei ihm heute beispielsweise, wenn er Gymnastikübungen für seinen Rücken macht (vgl. I 5, Z. 387 f.). Auch Herr R. bemerkt nun körperliche Einschränkungen, wobei diese noch nicht stark ausgeprägt sind: „[I]ch bin noch gesund, verhältnismäßig, im Großen und Ganzen. Kleinigkeiten kommen jetzt schon“ (I 6, Z. 261 f.), wie Probleme mit den Gelenken und den Knien (vgl. I 6, Z. 111 f.). Heute spielt er immer noch regelmäßig Tennis, geht jedoch bewusster spazieren. Neben diesen Aktivitäten
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ist ihm auch die Gartenarbeit wichtig; auf diese Weise ist er regelmäßig beschäftigt (vgl. I 6, Z. 426-434). Insgesamt schätzt sich Herr R. im Vergleich zu früher nun als ruhiger ein, verspürt beispielsweise nicht das Bedürfnis, regelmäßig auszugehen (vgl. I 6, Z. 403 f.). Einen Grund hierfür sieht er in seiner ehemaligen Erwerbsarbeit, während der er wenig Zeit zum Entspannen und für sich selbst hatte. Damals verbrachte er gern einen ganzen Tag mit einem Freund an einem Fischteich zum Angeln und Erholen (I 6, Z. 410-413). Heute genießt er die Ruhe im Rahmen von Spaziergängen (vgl. Abb. 9) und das Alleinsein, beispielsweise bei mehrtägigen Wanderungen. So ist Herr R. vor einigen Jahren den Jakobsweg in Nordspanien gegangen (vgl. I 6, Z. 196 f.).
Abbildung 9: See
Das Gefühl des Wohlbefindens entsteht bei Herrn M. dann, wenn er sich (auch an der frischen Luft) bewegt, aktiv und allein ist: „Die Aktivität ja und auch wahrscheinlich, wenn nicht so viele Leute da sind, weil wenn man irgendwie eine Wanderung macht und da kommt eine Kolonne entgegen oder man geht selbst in der Kolonne, dann ist das auch nicht so angenehm. (...) Also ich bin auch ganz gern allein, also mir macht das nix“ (I 4, Z. 338-343). Auch Herr M. hat allein eine mehrtägige Wanderung unternommen. Er schildert eine Situation
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
während seines achttägigen Ausflugs in Österreich, bei dem er beinah keine Unterkunft gefunden hätte (vgl. I 4, Z. 76-80). Das Gefühl, ein Abenteuer zu erleben, scheint dabei ebenso ein Anreiz für solche Wanderungen zu sein, wie das Erfahren von Ruhe und Einsamkeit. Interessant ist, dass zwei der drei befragten Männer angaben, in letzter Zeit mehrtägige Ausflüge allein durchgeführt zu haben, mit dem Ziel, Ruhe zu erleben. Da Herr F. unter starken körperlichen Beeinträchtigungen leidet, entsteht das Gefühl des Wohlbefindens für ihn auch dann, wenn er am Computer arbeiten kann: „[M]eine einzige oder Haupttätigkeit ist, dass ich vorm Computer sitz den ganzen Tag. Da geht’s mir gut“ (I 5, Z. 410 f.). Insofern kann diese Beschäftigung als Strategie gedeutet werden, mittels derer auch Herr F. Ruhe erlebt. Keiner der Befragten äußerte eine dauerhafte „Arbeit am sozialen Selbst“ (Villa 2008a, S. 8), die im neoliberalen Kontext als körperbezogene Selbsttechnik zur Herstellung eines athletischen, fitten Körpers zu deuten ist und die nach Schroeter (2007) mittels disziplinierender Arbeit unter anderem in Fitnesscentern geleistet wird. Bewusste Projekte, zu denen Villa (2008a) sportliche Aktivitäten zählt, gelten in der Gruppe älterer Männer zwar als Bestandteil der Gesundheitsprävention bzw. der Schmerzlinderung. Die von den Männern ausgeübten Praktiken zielen jedoch weniger auf eine bewusste Annäherung an gängige Schönheitsnormen oder gar auf eine erwünschte Abgrenzung zu weiblichen Körperidealen, wie dies Menninghaus (2007) und Schemer (2006) beschreiben. Vielmehr formulieren die Befragten als wichtiges Motiv das Erleben von Wohlbefinden, das dann entsteht, wenn sie Ruhe erfahren. Diese verinnerlichten Strategien im Rahmen der Gesundheitsprävention bzw. der Schmerzlinderung deuten insofern auf neoliberal motivierte Körperarbeit, als alle drei Männer unabhängig von externen Faktoren die nötige Motivation zur Ausübung sportlicher Aktivitäten aufbringen und mit eben diesen ihr persönliches Wohlbefinden steigern. Alle drei Männer achten auf ausgewogene Ernährung, die auf einen gesunden Körper zielt. Allerdings variieren diesbezüglich ihre Konstanz und ihr Durchhaltevermögen: Während Herr M. mittels externer Faktoren, sprich nach einer Gesundheitsvorsorgeuntersuchung bei seiner Ärztin, eine besondere Motivation verspürt, seine Schwächen hinsichtlich Ess- und Trinkgewohnheiten zu überwinden (vgl. I 4, Z. 319-326; vgl. Abb. 10, 11), achtet Herr R. dauerhaft auf eine gesunde Ernährung (vgl. I 6, Z. 417 f.), macht aber keine Diäten. Herr F. gönnt sich manchmal den Genuss ungesunder Speisen. Mit seiner Haltung bestätigt er die theoretischen Ausführungen von Gugutzer (2004) zum postmodernen Körper, der Genuss üben „darf“, jedoch in kalkulierten Maßen. Hauptsächlich isst Herr F. demnach Obst und Gemüse: „[B]ei uns ist der Heurige weit verbreitet (...) und da gibt’s die Möglichkeit, dass man Schmalzbrote isst, die sicher nicht gesund sind oder einen Schweinsbraten. Und ich würde sagen, ab und zu
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schadet das nicht. Aber es ist nicht mein dauerndes Essen. Also, die Ernährung ist schon, also, eher auf (...) Obst und Gemüse, das ist schon die Hauptrichtung. Aber das heißt jetzt nicht, dass ich ein Vegetarier bin“ (I 5, Z. 379-385). Diese Ernährungsstrategie zielt weniger auf eine schlanke Figur als auf einen gesundheitsbewussten Umgang mit dem Körper. Ein besonderes Erlebnis schildert Herr F., als er kurz vor der Pension erstmalig eine Kur in Anspruch genommen und zehn Kilo abgenommen hat. Gepaart mit sportlichen Aktivitäten und WellnessAngeboten steigerte dies damals sein Wohlbefinden (vgl. I 5, Z. 395-405). Herr R. geht regelmäßig in die Sauna, um zu entspannen (vgl. I 6, Z. 444). Lediglich Herr M. steht solchen Praktiken kritisch gegenüber: „Das taugt mir nicht, das Wellnesshotel. Also, ich fühl mich wahrscheinlich wohler, wenn ich bissl aktiver bin. Im Wellnesshotel, da nur mit den anderen Leuten herumzuwuseln, das stell ich mir nicht so toll vor“ (I 4, Z. 334-336). Das Wissen um geeignete Strategien zur Steigerung seines eigenen Wohlbefindens bzw. seiner Gesundheit wiegt für ihn mehr: „[D]as hängt halt davon ab, was ich esse und trinke, ob ich Stress habe und ob ich mich bewege“ (I 4, Z. 208 f.). Der kritische Blick auf die Vielzahl von Angeboten, die angeblich gut für die Gesundheit sind, gepaart mit dem Kennen und Anwenden von Praktiken, die ihm selbst gut tun, münden für Herrn M. schließlich in Wohlbefinden.
Abbildung 10: Weinregal
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
Abbildung 11: Wiener Schnitzel
Das Berücksichtigen eigener Interessen ist heute auch für Herrn R. ein wichtiger Grundsatz. So reist er nun öfter (vgl. I 6, Z. 141) und ist kritischer bezüglich seiner Zeiteinteilung. Er bevorzugt jetzt einen Spaziergang vor der Pflege sozialer Kontakte mit immer wiederkehrenden Gesprächsinhalten (vgl. I 6, Z. 264268). Herr F. fühlt sich heute fern gesellschaftlicher Zwänge und verfolgt beispielsweise Aktivitäten, für die ihm früher die Zeit fehlte, wie politische und wissenschaftliche Arbeit (vgl. I 5, Z. 474). Es kann festgehalten werden, dass disziplinierende Strukturen, die durch eine Annährung an bestimmte Körperideale gekennzeichnet sind, für ältere Männer weniger greifen. Vielmehr avanciert das eigene Wohlbefinden unter dem Motto „Für mich selbst“ zum Leitgedanken. Die Frage, ob sie mit zunehmendem Alter Veränderungen hinsichtlich der Verwendung von Pflegeprodukten und Parfum wahrgenommen haben, verneinen alle drei Männer (vgl. I 4, Z. 299; vgl. I 5, Z. 413; vgl. I 6, Z. 480). Niemand der Befragten benutzt eine Anti-Aging-Creme (vgl. I 4, Z. 351-353; vgl. I 5, Z. 415; vgl. I 6, Z. 483). Das männliche Schönheitsideal des individualisierten Körpers lässt sich durch das Nichtverdecken von Zeichen des Alter(n)s charakterisieren.
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Herr M. veranschaulicht dies anhand des folgenden Beispiels von Haarausfall: „[W]enn einer mit (...) einem Toupet (...) einen kleinen körperlichen Schaden unbedingt überdecken will, dann ist das auch ein bissl lächerlich. Wahrscheinlich sind das ähnliche Bestrebungen bei den Damen. (...) Toupet, also wenn man es merkt, dann schaut es ein bissl eigenartig aus meistens, das ist ja offensichtlich; wenn man es nicht merkt, dann ist eh egal. Aber wenn man den kennt und auf einmal hat der eine tolle Haarpracht, dann ist es schon eigenartig. Vor allem ist das dann auch a bissl lustig, wenn man sich vorstellt, was will er damit, will er jungen Mädchen imponieren oder gibt er sich dort nicht, wie er wirklich ist. (...) Aber wem will er imponieren? Irgendwelchen alten Bekannten braucht er so nicht“ (I 4, Z. 127-141). Formen des Schönheitshandelns, die auf ein Verdecken körperlicher Alterserscheinungen zielen, gelten für ihn eher als lustig oder lächerlich denn als schön. Die Motivation zur Ausübung solcher Praktiken interpretiert Herr M. gar als Täuschungsmanöver. Ebenso nimmt er eine Abgrenzung zu jüngeren Generationen vor, die das Schönheitsideal „volles Haar“ vermutlich favorisieren. Interessant ist an dieser Stelle auch der Vergleich zu von Frauen ausgeübten Schönheitsstrategien, die Herr M. ebenso als lächerlich bewertet. Als weiteres Beispiel nennt er hier eine alte Bekannte, die Zeichen des Alter(n)s mittels externer Unterstützung beseitigen ließ: „Bei einer alten Bekannten, die ist um die Augen ganz faltenlos, dann war sie wahrscheinlich beim Chirurgen oder hat sich spritzen lassen, gut das ist dann auch vielleicht ein bissl eigenartig“ (I 4, Z. 118-120). Obwohl Herr M. hier auf das Befremdliche einer Schönheitsoperation hindeutet, befürwortet er solche Eingriffe bestimmter Personen an anderer Stelle, lehnt diese für sich selbst jedoch ab: „Ja, bei manchen wäre es nicht schlecht (...) [I]ch kann mir es nicht vorstellen“ (I 4, Z. 356-360). Menschen, die seines Erachtens gegen gängige Körpernormen verstoßen, „dürfen“ sich externer Unterstützung in Form von Schönheitsoperationen bedienen. Hier schwingen verinnerlichte Vorstellungen von Herrn M. zum „normalen“/„anormalen“ Körper mit, wie sie Foucault (2004) expliziert. Deutlich wird jedoch nicht, in welchem Umfang körperliche Anormalitäten vorliegen „sollten“, um sich eines externen Eingriffs unterziehen zu „dürfen“. Die beiden anderen Männer sind hier klarer: Sie lehnen Schönheitsoperationen ab, die lediglich auf eine Annäherung an neoliberale Körperideale zielen und befürworten solche, die mit einem starken, persönlichen Leidensdruck verbunden sind (vgl. I 5, Z. 429-434; vgl. I 6, Z. 488 f.). Allerdings, darauf weist Herr F. hin, ist solch eine Bewertung immer eine Gratwanderung zwischen einer Unterwerfung unter gesellschaftliche Normvorstellungen und persönlicher Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, die gleichzeitig kulturell geformt ist (vgl. I 5, Z. 436 f.). Für sich selbst lehnt Herr F. Schönheitsoperationen ab. Auch im Falle einer Krankheit oder beim Empfinden körperlichen Unwohlseins wendet er keine Schönheitsstrategien an, die seine Ge-
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
fühle verdecken würden (vgl. I 5, Z. 270 f.). Damit einher geht die Überzeugung, dass eine Annäherung an gängige Schönheitsideale für ihn irrelevant ist. Wichtiger ist ihm die Funktionstüchtigkeit seines Körpers: „Ich glaube, ich muss irgendwie gut funktionieren, das ist wichtig. Aber Schönheit, glaub ich, ist auch schwer mit den üblichen Schönheitsidealen zu konkurrieren und will ich auch nicht“ (I 5, Z. 340-342). Diese Einstellung könnte meines Erachtens auch in körperlichen Beeinträchtigungen begründet sein, die er heute verstärkt wahrnimmt. Während also sein Körper Verfallserscheinungen zeigt, bleibt sein Inneres gleich, wird lediglich mit mehr Erfahrungen angereichert: „[W]ir haben öfter im Freundeskreis Diskussionen über das Altern (...) generell, und meine Position ist: Ich altere nicht. Wobei, die Betonung liegt auf ich, ja. Sozusagen der innere Wesenskern oder so, der bleibt eigentlich invariant, mit mehr Erfahrung angereichert. Das finde ich, lässt gar kein Altern zu. Denn da werde ich immer reifer (...) und krieg mehr Einsichten in die Dinge und insofern altere ich nicht, wenn auch der Körper Verfallserscheinungen zeigt. Aber mit denen muss man halt, soweit es halt geht, was soll man denn machen. Das muss man aushalten“ (I 5, Z. 460468). Hier beschreibt Herr F. körperliche Veränderungen als „Verfallsprozess“ und betont negative Konnotationen des Altersbegriffs. Damit nimmt er zudem eine Trennung von subjektiver Identität und äußerem Erscheinungsbild vor. Auch wenn er auf Abbauprozesse des Körpers mit steigendem Alter verweist, bleibt sein Wesenskern im Großen und Ganzen unverändert. Mit dieser Trennung von Körper und Geist bekräftigt Herr F. letztlich die These „Mask of Ageing“ von Featherstone und Hepworth (1991), die von einer wachsenden Diskrepanz von subjektivem Selbst und der körperlichen, nach außen hin sichtbaren Erscheinung mit zunehmendem Alter ausgehen. Mit dieser Ansicht grenzt sich Herr F. von den beiden anderen Befragten ab, die solch eine dualistische Trennung nicht erwähnen. Damit ähnelt Herr F. jenen zehn Prozent der Männer zwischen 20 und 85 Jahren, die in der von Öberg und Tornstam (1999) in Schweden im Jahr 1995 durchgeführten Studie angaben, ihr Körper spiegele nicht ihr „wahres“ Ich wider. Solch eine Einstellung kann als persönliche Strategie gedeutet werden, um mit physischen Einschränkungen umzugehen. Insofern gilt die These „Mask of Ageing“ dann als zutreffend, wenn Männer über starke körperliche Beeinträchtigungen berichten, die im Hinblick auf ihr Alter unverhältnismäßig erscheinen. Alle drei Männer verfolgen gesundheitsfördernde Strategien, die aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen für einige heute nur noch begrenzt möglich sind. Das Gefühl des Wohlbefindens und das Erleben von Ruhe, in einem Fall auch des Abenteuers, gelten als Motive zur Ausübung sportlicher Aktivitäten. Ernährungspraktiken können im Rahmen gesundheitlicher Präventionsbestrebungen eingeordnet werden. „Verschönernde“ Körperpraktiken wie die Verwen-
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dung von Anti-Aging-Creme haben mit steigendem Alter nicht zugenommen. Vielmehr verändern die befragten Männer ihr äußeres Erscheinungsbild nicht mittels solcher Strategien. Insofern gilt auch an dieser Stelle das Leitmotiv des individualisierten Körpers, der Teil männlicher Subjektivierungsprozesse ist.
Doing Beautyfication: Auswertung hinsichtlich Alter(n) In diesem Abschnitt werde ich in Anlehnung an die Befragten zunächst definieren, welche Merkmale für eine schöne ältere Person charakteristisch sind und welche Formen des Doing Beautyfication die Männer selbst anwenden, um ihren Auslegungen gerecht zu werden. Daneben werde ich anhand der Bekleidung soziale Inszenierungen der befragten Männer diskutieren, die im Neoliberalismus eng mit gesellschaftlichen Positionierungen verbunden sind. Auf die Frage, wann eine Person in seinem Alter schön sei, weist Herr M. auf die Relevanz einer angenehmen Ausstrahlung hin, die sich im Verhalten, im Gang und in einer angemessenen Kommunikationsweise äußere. Den Intellekt fördernde Aktivitäten gewinnen (vgl. Abb. 12), körperliche Merkmale verlieren an Bedeutung. Allerdings schließt Herr M. eine Kontaktaufnahme mit Menschen weitestgehend aus, die nach Foucault (2004) „anormal“ erscheinen: „[W]enn sie einem sympathisch sind (...) bei älteren Personen hängt die Schönheit eigentlich vom, ja wie sie reagieren, wie sie gehen, wie sie sprechen. (...) Die Ausstrahlung, die Aura, wie man mit denen sprechen kann. (...) Wahrscheinlich, vermutlich untergeordnete [körperliche Merkmale]. (...) Sicher, wenn einer zum Beispiel körperlich extrem aus der Reihe schlägt, dann ist man wahrscheinlich von Haus aus skeptisch und dann kommt man gar nicht in einen näheren Kontakt, dass man das andere [wie Eigenschaften einer Person etc.] beurteilen kann“ (I 4, Z. 98-109). Auch an dieser Stelle schwingen verinnerlichte Vorstellungen des Befragten zum „normalen“/„anormalen“ Körper mit, die sich an konkreten Äußerlichkeiten festmachen lassen. So weist Herr M. im Rahmen der Frage nach ungeschriebenen Gesetzen auf das Lächerliche älterer Frauen in Amerika hin, die sich ihre Haare rosa färben (vgl. I 4, Z. 113-118). Wie bereits beschrieben, empfindet Herr M. ein faltenloses Gesicht im Alter ebenso befremdlich und töricht wie das Tragen sichtbarer Toupets. Damit verweist er letztlich auf die Bedeutung einer „natürlichen“ Erscheinung von Menschen, die im Alter einen besonderen Stellenwert erhält. Das Verdecken von Alterszeichen stellt demnach eine Täuschungsstrategie dar, welche individuelle Besonderheiten untergräbt und die er für sich selbst ablehnt.
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
Abbildung 12: Bücherregal
Äußerlichkeiten verlieren für Herrn F. mit zunehmendem Alter an Relevanz. Dies gilt nicht nur für ihn selbst, sondern auch für andere Menschen: „[E]s hat sich geändert im Laufe der Zeit. Ich glaube früher, also in der Pubertät mit Pickeln und so, das war schrecklich. Da war mir schon wichtig, mich einem gewissen Erscheinungsbild anzunähern. (...) Also insofern finde ich, bin ich [heute] auf der sicheren Seite, dass sich die Äußerlichkeiten (...) zurücknehmen“ (I 5, Z. 107-114). Für ihn gelten nun Menschen als schön, welche die Merkmale „menschliche Reife“ (I 5, Z. 117) und „inhaltliche Stimmigkeit“ (I 5, Z. 121) erfüllen; diese wiegen mehr als die äußere Erscheinung einer Person (vgl. I 5, Z. 116-121). Dementsprechend ist Schönheit für Herrn F. weniger mit reiner Ästhetik verbunden (vgl. I 5, Z. 14 f.), mit Ausnahme von Kulturlandschaften (vgl. Abb. 13, 14) und durch Menschen erzeugte Artefakte (vgl. Abb. 15).
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Abbildung 13: Tal in Guizhou, Südwest-China
Abbildung 14: Flechten in Kapstadt, Südafrika
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
Abbildung 15: Treppenhaus
Als weiteres Beispiel beschreibt er ein Foto, auf dem zwei ältere Wissenschaftler zu sehen sind: „[Bezüglich] Schönheit im Alter (...) ist der wichtige Punkt meiner Meinung nach wieder der Inhalt. (...) Das sind zwei Ökonomen (...) aus Israel, er ist Palästinenser und er ist Israeli (...) Und deswegen dieses Bild, weil ich finde, die haben natürlich auch ein bewegtes Leben und noch dazu leben sie in einer permanenten Spannung und sie sind trotzdem Freunde. (...) Solche Dinge, das find ich schön. (...) Und irgendwie ist das also nicht mit den üblichen ästhetischen Kategorien wahrscheinlich einzufangen, weil die ja an der Äußerlichkeit ansetzen und das ist hier nicht so“ (I 5, Z. 38-54). Dieses Beispiel veranschaulicht auf besondere Weise Herrn F.s Maxime des „innere[n] Wesen[s]“ (I 5, Z. 127), das nun an Bedeutung gewinnt. Er begründet diese Ansicht mit körperlichen Veränderungen, die mit zunehmendem Alter eintreten und den gängigen Vorstellungen zum schönen Körper immer weniger entsprechen: „Mir ist dann aufgefallen beim Durchsehen (...), um das zu reflektieren, was ich selber gemacht habe, da ist immer eine ganze Menge an unbewussten Dingen drinnen, ich habe kein Bild von mir (...) und ich glaube (...), dass die Äußerlichkeiten in bestimmter Weise an Bedeutung verlieren. Also, der äußere Ausdruck und das hängt natürlich damit zusammen, dass wenn man sich selber in den Spiegel schaut, dass man eben ein älteres Kaliber wird und die Abnutzung merkt (...),
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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dass dann die inhaltlichen Fragenstellungen (...) wichtiger [werden]. (...) Und daher kann man, also mit meiner eigenen Schönheit kann ich nicht und will ich nicht prunken (...). Und das ist irgendwie (...) kein wesentliches Ding, mit dem ich in irgendeiner Weise aktiv und kreativ umgehen wollte, das ist mir mehr oder weniger egal“ (I 5, Z. 92-105). Folglich verlieren seiner Meinung nach auch Strategien des Schönheitshandelns im Alter an Bedeutung (vgl. I 5, Z. 337 f.). Damit einher geht die Möglichkeit, eigenen körperlichen Besonderheiten Raum zu geben, was gleichzeitig dem männlichen Schönheitsideal der Individualität entgegenkommt. So verstanden scheint diese Körpernorm besonders geeignet, um Zeichen des Alter(n)s als annehmbar zu deklarieren. Schönheitshandeln „als Mann“ heißt für Herrn R., sich ordentlich anzuziehen, regelmäßig die Kleidung zu wechseln und sich stets zu pflegen, auch im Falle einer Krankheit (vgl. I 6, Z. 120-124, 330 f.). Wie beschrieben, sind dies wichtige Leitprinzipien im Rahmen seiner alltäglichen Abläufe (vgl. Abb. 16). „Verschönernde“ Körperpraktiken, die auf eine Verdeckung von Alterszeichen zielen, lehnt er jedoch ab: „Man muss zum Alter stehen“ (I 6, Z. 491). Dieser Grundsatz ist insofern männlich konnotiert, als für Frauen gesellschaftliche Schönheitsideale gelten, die sich unter anderem an einem jugendlichen Erscheinungsbild orientieren. Dies bestätigt auch Herr R.: „Ich glaube, ein Mann muss gar nicht schön sein“ (I 6, Z. 292). An dieser Stelle unterstreicht der Befragte gängige Vorstellungen konventioneller Männlichkeit, grenzt diese von gesellschaftlichen Schönheitsidealen des Weiblichen ab und bekräftigt letztlich die Norm der Zweigeschlechtlichkeit in unserer Gesellschaft. Diese bezieht er nicht nur auf binäre Schönheitsideale, sondern auch auf geschlechtsspezifische Rollenverteilungen, die mit gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien eng verknüpft sind: „[E]ine Frau muss auf den Mann hinaufschauen. Es ist, obwohl die Gleichberechtigung ist, aber ein Mann, wenn der (...) zu schwach ist für eine Frau, ist das schlecht. Nur ein Mann will auch nicht ein Gschrappel haben, die immer ja und Amen sagt, (...) also, sie soll eine eigene Meinung haben“ (I 6, Z. 292-301). Herr R. hat klare Vorstellungen, wann eine ältere Frau für ihn schön ist, reproduziert mit seiner Einstellung allerdings auch geschlechtsspezifische Zuschreibungen: „Sie muss auch eine Persönlichkeit sein, sie darf nicht eine Dumme sein (...), ich bin nie eifersüchtig gewesen und umgekehrt soll sie das auch nicht sein. Und nicht klammern. Das Klammern ist das schlechteste, was [es] gibt“ (I 6, Z. 162-165). Darüber hinaus soll sie sich pflegen (vgl. I 6, Z. 365-367) und angemessen kommunizieren können (vgl. I 6, Z. 132 f.).
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
Abbildung 16: Herr R.
Neben diesen geschlechtsspezifischen Besonderheiten benennen zwei der Befragten auch Abgrenzungen gegenüber jüngeren Personen. Herr F. weist auf soziale Konstruktionen des Alter(n)s hin, die entweder mit positiven oder mit negativen Assoziationen verbunden sind. Letztere zeigen sich durch altersdiskriminierende Verhaltensweisen, indem älteren Menschen gegenüber (auch unbewusst) Vorurteile geäußert und Stereotype reproduziert werden: „[D]a kann natürlich das Alter eine problematische Rolle spielen. Und, [es] gibt verschiedene Formen, wie sich andere dem Alter gegenüber verhalten: Das eine ist so irgendwie eher ehrfürchtig und das andere ist ,du alter Trottel’, (...) beides gibt es
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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und mit dem muss man halt leben. (...) [D]a würde ich sagen, ist das Alter schon eine gewisse Barriere“ (I 5, Z. 515-520). Diese Altersfeindlichkeit beruht auf binären Konstruktionen, wird die Strukturkategorie Alter in dieser Perspektive doch der Jugendphase gegenübergestellt (vgl. Maierhofer 2007). So nimmt auch Herr F. große Unterschiede zur jüngeren Generation wahr, die sich nicht nur in differierenden Sozialisationsweisen mit entsprechenden Unterschieden der äußeren Erscheinung niederschlagen, sondern auch in Subjektivierungsprozessen (vgl. I 5, Z. 508-513). Herr R. bevorzugt heute ebenso das Zusammensein mit älteren Personen (vgl. I 6, Z. 405 f.). Insofern grenzen sich die beiden Befragten von jüngeren Generationen ab und konstituieren damit selbst Barrieren zwischen diesen Altersgruppen, die kaum überwindbar erscheinen. Die Einstellungen der befragten Männer zur Bekleidung unterscheiden sich lediglich in wenigen Punkten. Der Aspekt der Bequemlichkeit wird sowohl von Herrn M. genannt, für den Hüte, Accessoires und Materialien angenehm zu tragen sein sollten (vgl. I 4, Z. 362-369), als auch von Herrn R., der nun bequeme Schuhe favorisiert (vgl. I 6, Z. 514). Die Kleidung von Herrn M. und Herrn F. soll dezent sein (vgl. I 4, Z. 369 f.; vgl. I 5, Z. 222), der praktische Aspekt spielt darüber hinaus für Herrn M. eine Rolle (vgl. I 4, Z. 370). Herr R. nimmt gegenüber früher kaum Veränderungen bezüglich der Farben und Stoffe seiner Bekleidung wahr (vgl. I 6, Z. 510-516), Herr F. bemerkt keine Unterschiede in Bezug auf seinen Kleidungsstil und Accessoires in den vergangenen Jahren (vgl. I 5, Z. 442). Keiner der Befragten benennt gravierende Unterschiede seiner Bekleidung in der letzten Zeit. Lediglich Herr F. bevorzugt – im Gegensatz zu früher – heute Kleidungsstücke, die bequem, praktisch und dezent sein sollten. Damit weist er am ehesten in Richtung einer Favorisierung signifikanter Bekleidung im Rahmen der Altersdarstellung (Doing Age), der Adaptionsprozess der Selbst-Markierung ist jedoch längst noch nicht abgeschlossen (vgl. Abb. 17). Herr R. verfolgt mit seiner Bekleidungsstrategie eine konträre Absicht, zielt sein Schönheitshandeln doch auf das Erfahren positiven Feedbacks: „[D]ie Leute, die mich jetzt kennen und ich komme jetzt mal mit einem Anzug oder was, die sagen, oh, heute schaust gut aus. Ja, ist man irgendwo stolz“ (I 6, Z. 372374). Der Effekt, „jünger“ auszusehen, ist für Herrn R. ebenso ein wichtiges Motiv im Rahmen des Doing Beautyfication: „[W]enn ich weggehe, dann geh ich gezielt weg. Dann gehe ich entweder konservativ weg, aber nicht hipper oder auf jugendlich spiel ich auch nicht. [J]eder sagt, ich schaue jünger aus, als ich bin“ (I 6, Z. 108-111). Nur Herr R. benennt diesen Effekt des „guten, jüngeren“ Aussehens als Konsequenz seines Schönheitshandelns. Dies ist insofern interessant, als er die Meinung vertritt, dass eine Person zu ihrem Alter stehen sollte
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
(vgl. I 6, Z. 491). Herr R. gibt an, sich für sich selbst schön zu machen (vgl. I 6, Z. 421). Diese Strategie in Verbindung mit dem Erfahren positiven Feedbacks steigert letztlich sein persönliches Wohlbefinden.
Abbildung 17: Herr M.
Wie bereits beschrieben, tragen die befragten Männer heute in Pension nur noch selten eine Krawatte (vgl. I 4, Z. 247-251; vgl. I 5, Z. 444-449; vgl. I 6, Z. 4 f., 234 f.) und markieren damit eine Abkehr von Vorstellungen konventioneller Männlichkeit. Weitere nennenswerte Unterschiede in der Bekleidung hat jedoch keiner der Befragten in den letzten Jahren wahrgenommen. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass sich die Dimensionen Altsein und Männlichkeit in Bezug auf Bekleidung der Befragten nicht gegenseitig ausschließen; Kleidungs-
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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stücke für ältere Männer können sowohl Tendenzen des Altseins – bequeme Materialen, praktische Handhabung, dezente Farben – aufweisen als auch solche, welche die männliche Individualität betonen. Durch das Tragen solch einer Bekleidung repräsentieren die Befragten im Großen und Ganzen auch weiterhin gesellschaftliche Vorstellungen von Männlichkeit, ihre Subjektivierungsprozesse laufen entlang ähnlicher Auffassungen zu gängigen Bekleidungsordnungen. Die These von Twigg (2007), die auf eine Variabilität von Alterungsprozessen verweist, greift an dieser Stelle nur bedingt: Hier gilt weniger die Schönheitsnorm des individualisierten Körpers als vielmehr eine Tendenz der Vereinheitlichung bezüglich männlicher Bekleidungsformen im Alter.
Doing Beautyfication: Auswertung hinsichtlich neoliberaler Spezifika Analog den theoretischen Annahmen im Kapitel 5.2.1 werde ich im Folgenden zeigen, welche Instanzen und Diskurse die Befragten hinsichtlich ihres Schönheitshandelns beeinflussen. Der Fokus der Analyse liegt dabei auf Bekleidung, die Formen von Männlichkeitsinszenierungen unterstützt. Auch werde ich skizzieren, inwieweit soziale Konstruktionen zur Trennung unserer Gesellschaft in einen öffentlichen und einen privaten Bereich Auswirkungen auf das Schönheitshandeln der Befragten haben. Alle drei Männer bezeichnen ihre frühere Erwerbstätigkeit, Herr F. darüber hinaus auch das Innehaben offizieller Funktionen (vgl. I 5, Z. 568-570), als Einflussfaktoren auf ihre Bekleidung. Wie gezeigt, trugen alle Befragten im Rahmen ihrer Berufstätigkeit eine Krawatte. Dies ist Herrn F. zufolge ein ungeschriebenes Gesetz im Rahmen der beruflichen Repräsentation in den „oberen Rängen“ (I 5, Z. 248). Dessen Berücksichtigung ist im Hinblick auf die Erhaltung eines „guten“ Namens in der jeweiligen Berufsbranche von Bedeutung (vgl. I 5, Z. 450 f.; vgl. I 6, Z. 36). Gerade weil die Erwerbsarbeit einen wichtigen Einflussfaktor im Hinblick auf die Bekleidung von Herrn F. darstellte und frühere Erfahrungen auch heute noch wirken, erscheint eine Balance zwischen eigenen Vorstellungen und den in einem Bereich geltenden Normvorgaben umso wesentlicher (vgl. I 5, Z. 259262). In Pension fühlt er sich befreit von Zwängen der Erwerbsarbeit, auch hinsichtlich der Abgabe ehemaliger Machtpositionen: „[A]lso viele Leute, die in Pension gehen, die haben so einen Machtverlust. Ich war froh, wenn ich nie Macht haben musste. (...) Und ich fühl mich da wirklich befreit, [das] ist wirklich sehr, sehr angenehm (...) so viel Freiheit hab ich noch nie gehabt“ (I 5, Z. 469-475). Herr F. fühlt sich heute nicht benachteiligt, sondern genießt die Pensionszeit aufgrund seiner Unabhängigkeit: „[I]ch glaube, es ist fast die beste Zeit
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
meines Lebens, weil die Pflicht ist minimiert und die Kür ist maximiert. Also, ich kann wirklich alles das tun, was ich will, und das ist (...) unglaublich fein. Ich habe sozusagen ein (...) noch garantiertes Grundeinkommen mit meiner Pension und (...) ich kann machen, was ich will, bin völlig unabhängig. Und das ist sehr schön“ (I 5, Z. 455-460). Auch Herr M. und Herr R. fühlen sich nicht benachteilgt, weil sie heute älter sind (vgl. I 4, Z. 386; vgl. I 6, Z. 525). Insofern kann die Pensionszeit als neu erlebte Freiheit interpretiert werden, fern von den Zwängen der ehemaligen Erwerbsarbeit. Der Verlust des Erwerbsarbeitsstatus führt nach Gildemeister und Robert (2008; vgl. Kapitel 3.3.2) zu einer Reformulierung sozialer Differenzierungsmodi. Die Abkehr von der gesellschaftlichen Norm des erwerbstätigen Mannes wird von den Befragten jedoch nicht als Einschnitt in individuelle Subjektivierungsprozesse erlebt, der mit gesellschaftlichen Marginalisierungsprozessen einhergeht. Vielmehr beschreiben die Männer neue Möglichkeiten, die sich bei Herrn M. beispielsweise in einer Wiederaufnahme sportlicher Betätigungen (vgl. I 4, Z. 308), im Falle von Herrn F. in einer Aktivierung wissenschaftlicher sowie politischer Arbeit (I 5, Z. 474) und bei Herrn R. in Form von Theaterbesuchen mit intellektueller Herausforderung niederschlagen (vgl. I 6, Z. 444-451). Die Ehefrau übernimmt bzw. übernahm bei allen drei Männern eine beratende Funktion in Bezug auf deren Kleidung (vgl. I 4, Z. 219-223; vgl. I 5, Z. 347 f., 286-289; vgl. I 6, Z. 382), indem sie beispielsweise Vorschläge bezüglich der Farbwahl von Kleidungsstücken macht/e und die Männer beim Einkauf begleitet/e. Herr R. weist sogar darauf hin, dass er den guten Geschmack seiner Frau geerbt haben könnte (vgl. I 6, Z. 375 f.). Heute wählt er selbständig seine Kleidung aus und verfolgt dabei seinen eigenen Stil: „Ich kaufe mir alles selber, ich brauche niemand“ (I 6, Z. 106 f.). Auch von Freunden und Bekannten holt sich Herr R. hinsichtlich seines Schönheitshandelns keinen Rat ein: „Ich habe da meine eigene Meinung, da lass ich mich nicht beeinflussen. Ich bin ein sturer Hund“ (I 6, Z. 271-274). Auch Herr M. spricht wenig mit anderen Personen über sein Schönheitshandeln (vgl. I 4, Z. 302). Gruppendynamische und kulturelle Aspekte bzw. die Angehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht haben in jüngeren Jahren das Schönheitshandeln der befragten Männer sowie für sie geltende ungeschriebene Gesetze mit geprägt. Diese wirken auch heute (vgl. I 4, Z. 112 f., 390-392; vgl. I 5, Z. 485-489). Interessanterweise bemerkt Herr M. mit steigendem Alter eine zunehmende Auflösung gesellschaftlicher Zwänge in Bezug auf Schönheitspraktiken. Gründe hierfür sieht er in einer gefestigten eigenen Meinung und einem daher geringen Einfluss äußerer Faktoren: „[V]iele können sich da eben nicht heraushalten, das ist schon verständlich und das ist eben der Vorteil, wenn man schon ein gewisses Alter hat, dass man ein bissl eine Narrenfreiheit genießt. (...) Ja sicher, weil (...)
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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wenn ich jetzt 20 wäre, dann habe ich [eine] ganz andere Sichtweise der Dinge, von den Bekannten her, von der Gesellschaft“ (I 4, Z. 400-406). Zwar empfindet Herr M. das Schönheitshandeln im Alter mit weniger Vorschriften besetzt als in jüngeren Jahren. Doch auch in der Gruppe älterer Menschen zeichnet sich eine steigende Tendenz bezüglich gesellschaftlicher Zwänge zum Schönheitshandeln ab: „[E]s ist wird schon ein bissl so gebracht, dass eigentlich alle damit leben sollen, da ist so ein gewisser Zwang da“ (I 4, Z. 158-179). Als Beispiel nennt er hier die Kosmetikindustrie mit ihrer Vielfalt an Pflegeprodukten, die in gewisser Weise solche ungeschriebenen Gesetze reproduziert (vgl. I 4, Z. 145 f.). Indem Werbebotschaften die Unentbehrlichkeit bestimmter Cremes suggerieren, werden zugleich gesellschaftliche Erwartungshaltungen vermittelt: „[D]iese Vorschriften für gewisse Pflegeprodukte und so weiter, für die andern ist wahrscheinlich mehr Zwang da drin wie früher“ (I 4, Z. 377 f.). Indem er sich hier „als Mann“ selbst ausschließt, kann geschlussfolgert werden, dass Herr M. an dieser Stelle vor allem ältere Frauen meint, die zunehmend mit gesellschaftlichen Zwängen bezüglich ihres Schönheitshandelns konfrontiert werden. Ungeschriebene Gesetze zum Schönheitshandeln und zu gesellschaftlichen Körpernormen werden nach Herrn F. über kulturelle Vorgaben rekonstruiert und modifiziert, genauer über sämtliche Medienformate und mittels diverser technischer Möglichkeiten: „[K]ulturell ist die allgemeine Antwort, aber dass das dann auch über die Medien produziert wird und dass das auch über schöpferische Persönlichkeiten ebenfalls mitgestaltet wird. Aber es ist ein laufender Kochtopf, der über die Medien, über die Massenmedien, über das Internet, über die individuellen Möglichkeiten der Technik für die Fotografie oder für die Wiedergabe in Videos oder im Fernsehen, wodurch das laufend aufgekocht wird und wodurch sich gewisse Stile verändern“ (I 5, Z. 147-153). Kritik übt Herr F. an medial vermittelten Schönheitsidealen, die weniger auf das „innere Wesen“ (I 5, Z. 127) einer Person zielen als auf ökonomische Motive: „Leider würde ich meinen, dass die Massenmedien (...) Schönheitsideale kreieren und reproduzieren, was nicht unbedingt auf die innere Schönheit abzielt, sondern ja, auf Profitmotive. Rascher Verkauf, großer Umsatz, hohe Einschaltquoten, ich glaube, das sind Richtlinien, die da eine Rolle spielen. (...) Zumindest bei uns heute“ (I 5, Z. 153-159). In diesem Zusammenhang bewertet Herr F. derzeitige Medienformate als äußerst fragwürdig, die auf künstliche Reproduktionen menschlicher Individualität zielen: „[W]enn ich jetzt sehe im Fernsehen, diese Casting-Shows, wie die Leute sich selber zurichten müssen, und das tun, freiwillig, das ist ja Wahnsinn“ (I 5, Z. 109-111). Der Aspekt der Natürlichkeit ist in solchen Medienformaten kaum erkennbar, ebenso wie jener der menschlichen Individualität. Diese FernsehShows stehen im Gegensatz zu Herrn F.s Einstellung des reduzierten Schönheitshandelns, das er auch durch religiöse Motive erklärt: „[I]ch bin sehr katho-
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
lisch aufgewachsen und ich glaube, da ist die Selbstverleugnung ein besonderer Punkt und (...) ich denke, dass sich das dann so transformiert hat und immer noch irgendwie herrscht. (...) Ich habe das [den religiösen Einfluss] natürlich mit der Zeit dann abgestreift aber so ganz geht das nie [vorbei]“ (I 5, Z. 194-201). Damit sieht Herr F. in der Sozialisation eine Größe, die auch heute noch seine Einstellung zum Schönheitshandeln beeinflusst. Es wurde deutlich, dass in unserer Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen Faktoren verankert sind, welche Vorstellungen zu Körperidealen, Schönheitshandlungen und vor allem männlichen Bekleidungsordnungen beeinflussen können: Die Befragten weisen in Bezug auf Letztere vor allem der Ehefrau eine wichtige Funktion zu, gilt/galt sie diesbezüglich doch als beratende Instanz. Der frühere Arbeitgeber beeinflusste zudem Bekleidungsordnungen während der Berufstätigkeit. Auch religiöse Motive, die einem Mann im Rahmen seiner Erziehung vermittelt wurden, prägen noch heute seine Einstellungen zum Schönheitshandeln. Nach Ansicht der Befragten lenken mediale Botschaften ihre Einstellungen und Schönheitshandlungen jedoch kaum. Wie in Kapitel 2.2 und 5.2.1 dargestellt, gelten die sozialen Konstruktionen von Öffentlichem und Privatem trotz neoliberaler Umbauprozesse, damit verbundener Redefinitionen und daraus resultierender veränderter Relationen zueinander laut Michalitsch (2008) auch gegenwärtig als asymmetrisch miteinander verbundene Bereiche. Im Folgenden untersuche ich den Einfluss dieser sozialen Konstruktionen und der damit einhergehenden Zuschreibungen auf das Schönheitshandeln der befragten Männer. Von den drei Männern nimmt lediglich Herr R. einen Unterschied bezüglich der Bekleidung wahr, die er in seiner Wohnung trägt und der, die er in der Öffentlichkeit favorisiert. So bevorzugt er zu Hause das Tragen eines bequemen Hausanzugs (vgl. I 6, Z. 282-284). Wenn er in die Öffentlichkeit geht, kleidet er sich bewusst ein. Wie beschrieben, sieht er seinen Bekannten zufolge „jünger“ als sein kalendarisches Alter aus, was sein Wohlbefinden steigert (vgl. I 6, Z. 108-111): „Wenn ich fortgehe, dann mache ich mich schön (...) [M]an wird, wenn ich weggehe, [nicht sagen:] wie schaut der aus, schmutzig oder was, das mache ich nicht“ (I 6, Z. 519-522). Sauberkeit und ein gepflegtes Äußeres sind folglich bedeutende Richtlinien seines Schönheitshandelns. Der Eintritt in die Pension ging für Herrn F. mit einer neu erlebten Freiheit einher, die auch Einfluss auf seine Bekleidung im Öffentlichen und im Privaten hat: „[I]ch glaube, nachdem ich in keinen offiziellen Funktionen drinnen bin, habe ich mehr Freiheit. Und ich kann mich [auch draußen] so anziehen, wie ich mich privat anziehe“ (I 5, Z. 445-447). Seine Bekleidung im öffentlichen und im privaten Bereich unterscheidet sich heute kaum, in beiden Fällen dominiert das Prinzip der Einfachheit (vgl. I 5, Z. 311-315).
5.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
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Während also Herr R. über verschiedene Kleidungsstücke für den privaten Wohnbereich und für die Öffentlichkeit verfügt, unterschied Herr F. früher zwischen Erwerbsarbeits- und Freizeitkleidung. Letztere trägt er heute sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum. Dieser Umstand könnte auch darin begründet sein, dass Wohnungen im Alter einen Bedeutungswechsel „vom Ort des Rückzugs zum Lebensmittelpunkt“ (Backes 2008a, S. 77) erfahren. Dies scheint ebenso für Herrn M. zu gelten, denn eine bewusste Differenzierung der Bekleidung in öffentlich und privat ist für ihn eher außergewöhnlich. Den einzigen Unterschied, den er diesbezüglich wahrnimmt, ist das Tragen einer wärmeren Kleidung, wenn er seine Wohnung verlässt: „[I]ch kenn halt das Beispiel, dass manche in der Wohnung einen Trainingsanzug anhaben, aber das ist bei mir nicht der Fall. Und die haben echt in der Wohnung eine andere Kleidung. Ich glaube, wenn ich rausgehe, habe ich vielleicht eine Spur mehr an, dass man die Jacke grob überzieht“ (I 4, Z. 230-234). Der Bereich des Öffentlichen muss jedoch insofern spezifiziert werden, als die Bekleidung im Falle von Herrn F. je nach Kontext variiert. So passt er beispielsweise seinen Kleidungsstil den Familien an, die er besucht (vgl. I 5, Z. 553564): Als Gast der Arbeiterfamilie kleidet er sich „abgerissener“ (I 5, Z. 561), als Gast der Architektenfamilie „gediegener“ (I 5, Z. 562). Anhand der Darstellung von Herrn F. können Rückschlüsse auf die Abhängigkeit der Bekleidungsstile von der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht gezogen werden.57 Mittels Kleidung situieren sich Menschen in unserer Gesellschaft und können als RepräsentantInnen sozialer Schichten erkannt werden. Herr F. greift dieses ungeschriebene Gesetz in Bezug auf geltende Bekleidungsordnungen auf und erhöht auf diese Weise das „Gemeinschaftsgefühl“ beim Treffen mit der jeweiligen Familie. Das Kennen gängiger Bekleidungsordnungen des jeweiligen Kontextes ist auch für Herrn M. bedeutend. Das Tragen unpassender Kleidung in bestimmten Situationen beeinflusst sein Wohlbefinden: „[W]enn man in eine Situation kommt, wo man absolut nicht passend gekleidet ist, das könnte passieren, dass man da ein schlechtes Gefühl hat, dass man sich nicht wohl fühlt (...). Aber das muss man versuchen, dass man das vorher vermeidet“ (I 4, Z. 213-216). Diese beiden Aussagen verweisen auf das Vorhandensein ungeschriebener Gesetze, die je nach Kontext des öffentlichen Bereichs variieren. Neben dem gesellschaftlichen Kontext beeinflussen auch bestimmte Anlässe das Schönheitshandeln der Befragten. So achtet Herr F. vor einer Hochzeitsfeier darauf, ob seine Frisur in Ordnung ist und seine Kleidung zusammenpasst (vgl. I 4, Z. 190-193). Herr F. greift zuweilen auf eine Krawatte zurück (vgl. I 5, Z. 311-313), schneidet vor einem Geburtstag im familiären Kreis zu lang ge57 Vgl. dazu auch das Werk Die feinen Unterschiede von Pierre Bourdieu (1982).
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
wachsene Augenbrauen (vgl. I 5, Z. 274-278) und ändert vor einer Party sein Rasierritual, indem er sich nicht nur morgens, sondern zusätzlich vor dem Weggehen rasiert (vgl. I 5, Z. 302-307). Herr R. zieht sich „anständig“ (I 6, Z. 279) an, wenn er eingeladen ist, und trägt eine Krawatte zu besonderen Anlässen wie einem Theaterbesuch, zu dem er nicht in Jeans und Pullover erscheinen würde (vgl. I 6, Z. 229 f.). Auf diese Weise reproduzieren die Befragten ein ungeschriebenes Gesetz unserer Gesellschaft: Männer sollten trotz individueller Merkmale zu bestimmten Anlässen in der Öffentlichkeit ordentlich und gepflegt aussehen. Alle drei Männer widmen sich vor bestimmten Anlässen „verschönernden“ Körperpraktiken wie dem Schneiden der Augenbrauen oder dem Frisieren der Haare. Externe Unterstützung zur Verschönerung ihres Äußeren nehmen sie nicht in Anspruch, möglicherweise übernimmt die Ehefrau jedoch eine beratende Funktion bezüglich der Bekleidung. Diese variiert im Vergleich zum Alltag insofern, als die Männer eine Krawatte, eventuell einen Anzug tragen. Diese verinnerlichten Formen des Doing Beautyfication unterstützen eher vereinheitlichte Männlichkeitsinszenierungen zu besonderen Anlässen im öffentlichen Raum. Mittels ihres gesteigerten Schönheitshandelns für besondere Anlässe konstituieren die Befragten soziale Konstruktionen von Öffentlichem und Privatem, durch ihre eher homogene Darstellung im öffentlichen Raum erfolgt zugleich eine Abgrenzung von Vorstellungen konventioneller Weiblichkeit. Daraus resultiert letztlich eine Reproduktion geschlechtsspezifischer Präsentationsweisen und Ordnungsprinzipien, die unserer Gesellschaft inhärent sind.
5.3 Vergleichende Zusammenfassung In diesem Fazit werde ich die Ergebnisse der empirischen Erhebung unter dem Vorzeichen je einer leitenden These zusammenfassen und die Kategorien Geschlecht, Körper und Alter(n) im Kontext neoliberaler Gouvernementalität vergleichend gegenüberstellen. 1.a) Gegenwärtige neoliberale Schönheitsideale sind Bestandteil von Subjektivierungsprozessen älterer Menschen: Die Erfüllung der weiblichen Körpernorm Schlankheit und das Erfahren damit einhergehender Effekte ist für ältere Frauen ein begehrenswertes Ziel. Auch wenn diese Körpernorm nicht erreicht werden kann, gilt sie dennoch als Vergleichsfolie im Rahmen weiblicher Subjektivierungsprozesse. Körperliche Zeichen des Alter(n)s gilt es bestmöglich zu verdecken, sei es durch das Tragen geeigneter Kleidung oder durch die Verwendung bestimmter Cremes. Durch die
5.3 Vergleichende Zusammenfassung
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Orientierung an gängigen Schönheitsidealen wie Schlankheit und Jugendlichkeit unterstützen die Frauen den Prozess der Reproduktion uniformer weiblicher Körper. Die neoliberale Schönheitsnorm des individualisierten Körpers im Sinne der Betonung körperlicher Besonderheiten, der Nichtverdeckung von Alterszeichen und einer intellektuellen Repräsentation ist Teil männlicher Subjektivierungsprozesse. Regelmäßiges Sporttraining, das auf die Präzisierung körperlicher Besonderheiten zielt, wird von den befragten Männern nicht als Form des Schönheitshandelns praktiziert. Die Erfüllung der Norm des individualisierten Körpers ist für ältere Männer ein begehrenswertes Ziel. Damit einher geht die Möglichkeit der Konstitution eines Selbstprojektes gemäß neoliberalen Forderungen, das sich fern gängiger, auf Vereinheitlichung zielender Körpernomen und Bekleidungsordnungen selbst repräsentiert. Körperliche Zeichen des Alter(n)s gelten damit als Ausdruck von Individualität und kommen der gegenwärtigen Forderung zur Reproduktion eines neoliberalen Eigenproduktes auf besondere Weise entgegen. Männliche Subjektivierungsprozesse implizieren im Vergleich zu weiblichen Subjektivierungsprozessen deutlich größere Freiräume. Definitionen solcher Freiräume werden in gesellschaftlichen Diskursen kreiert, bestätigt und von den Subjekten aufgenommen. Anhand der Aussagen der Befragten sind Rückschlüsse auf (un-)bewusste vergeschlechtlichte Reproduktionsprozesse möglich, die auf eine solche Aufnahme gesellschaftlicher Vorstellungen konventioneller Weiblichkeit und Männlichkeit beruhen. Eng mit diesen sind unterschiedliche soziale Bewertungen verbunden, die das Älter-Sein bei Frauen eher als Defizit, bei Männern eher als Prestigezuwachs deklarieren. Diese Darstellung verweist auf geschlechtsspezifische neoliberale Regierung. 1.b) Aus traditioneller geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung resultieren unterschiedliche Formen des Schönheitshandelns älterer Menschen: Im Rahmen von Hausarbeit als traditionell dem Weiblichen zugeschriebener Tätigkeitsbereich wiegt der Aspekt der Funktionalität für ältere Frauen mehr als „verschönernde“ Körperstrategien. Das Aktivsein in gesellschaftlich-öffentlichen Bezügen gilt als eher dem Männlichen zugeschriebene Tätigkeit. Diese Zuschreibung beeinflusst das Schönheitshandeln älterer Männer vor allem bezüglich Bekleidungsformen wie dem Tragen einer Krawatte oder eines Anzugs. Geschlechtsspezifischen Zuordnungen – Frauen leisten eher die Arbeit im Privaten, Männer sind vorrangig im öffentlichen Bereich aktiv – verweisen weniger auf eine Angleichung der Lebensweisen im Alter, denn auf eine Weiterführung klassischer Modelle der Lebensführung. Neoliberale Gouvernementalität artikuliert sich hier tendenziell als Traditionalisierung von Geschlechterverhältnissen im Alter und damit verbundenen sozialen Zuschreibungen.
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
2. Der eigene Körper beeinflusst den Prozess des Doing Beautyfication älterer Menschen: Im Rahmen von Schönheitshandlungen avanciert das Erleben von Wohlbefinden unter dem Motto „Für mich selbst“ sowohl bei älteren Frauen als auch bei älteren Männern zum Leitgedanken. Körperliche Veränderungen werden von den befragten Frauen und Männern eher als „Verfallserscheinungen“ wahrgenommen. Strategien des Doing Beautyfication scheinen dann erfolgreich, wenn körperliche Veränderungen auf positive Weise beeinflusst werden bzw. das eigene Wohlbefinden verbessert werden kann. „Verschönernde“ Körperstrategien, die auf eine Reproduktion von Vorstellungen konventioneller Weiblichkeit zielen, sollten, so die Ansicht von zwei der drei befragten Frauen, auch im Falle einer Krankheit praktiziert werden. Ein Mann spricht sich ebenfalls dafür aus. Frauen und Männer führen mit zunehmendem Alter eine ganze Reihe „verschönernder“ Körperpraktiken durch. Bestimmte Formen des Schönheitshandelns, die auf eine scheinbare Verjüngung des äußeren Erscheinungsbildes zielen wie, das Färben der Haare oder die Inanspruchnahme chirurgischer Eingriffe, werden von einigen Männern eher als lächerliche Täuschungsstrategien wahrgenommen. Im Rahmen des Doing Beautyfication vertrauen die befragten Frauen und tendenziell auch die befragten Männer eher eigenen Erfahrungen und Fähigkeiten. Schönheitsoperationen, die auf eine Annäherung an neoliberale Körperideale und damit auf eine Repräsentation des Systems der Zweigeschlechtlichkeit zielen, lehnen alle Befragten ab. Keine/r der Befragten äußerte eine Vorliebe für Sportarten, die auf eine körperliche Disziplinierung oder eine Abgrenzung zum gegengeschlechtlichen Körperideal zielen. Sportliche Aktivitäten verfolgen die Steigerung des eigenen Wohlbefindens (Schmerzlinderung, Erfahren von Ruhe oder eines Abenteuers, Erleben positiver Effekte – Endorphinausschüttung, Schwitzen – sowie das Zusammensein mit anderen Personen). Externe Faktoren, welche eine zur Ausübung sportlicher Aktivitäten notwendige Motivation unterstützen, sind nur selten nötig. Alle Befragten zeigen einen (mehr oder weniger ausgeprägten) verantwortungsbewussten Umgang im Rahmen sportlicher Aktivitäten und kommen damit entsprechenden neoliberalen Forderungen entgegen. Gefühle wie das eigene Wohlbefinden, Ängstlichkeit, Bequemlichkeit oder Abenteuerlust beeinflussen in diesem Zusammenhang die Auswahl sportlicher Aktivitäten. In Bezug auf Ernährungspraktiken verfolgt ein Großteil der Befragten die Einstellung, sich den Genuss auch kalorienhaltiger Speisen in begrenzten Maßen zu gestatten. Körper werden im Kontext neoliberaler Gouvernementalität als private Verantwortungsbereiche definiert: So müssen sowohl Frauen als auch Männer – vor dem Hintergrund eines damit verbundenen sozialen Normensystems und ent-
5.3 Vergleichende Zusammenfassung
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sprechender Diskurse – über die Erhaltung bzw. die Verbesserung ihres eigenen Wohlbefindens selbst entscheiden, die Ausübung „verschönernder“ Körperstrategien liegt ebenso in ihren Händen. In diesem Zusammenhang unterscheiden sich die Körpernormen, die für Frauen und Männer in unserer Gesellschaft gelten und an denen das persönliche Schönheitshandeln ausgerichtet ist. Formen des Doing Beautyfication können folglich in eher weiblich und eher männlich konnotierte Schönheitsstrategien aufgeschlüsselt werden. Körperliche Veränderungsprozesse bei älteren Frauen gilt es zu kaschieren, greift bei ihnen doch die Schönheitsnorm der Jugendlichkeit inklusive einer faltenarmen Haut und einer schlanken Figur. Körperliche Veränderungsprozesse werden zwar auch von den befragten Frauen, tendenziell jedoch eher von den befragten Männern als physische Einschränkungen aufgrund von Schmerzen definiert. Die These „Mask of Ageing“ von Featherstone und Hepworth (1991) wurde lediglich von einem Mann bestätigt, der über starke körperliche Beeinträchtigungen berichtet. Meines Erachtens greift die These dann, wenn körperliche Beeinträchtigungen im Hinblick auf das eigene Alter unverhältnismäßig erscheinen. 3.a) Das Schönheitsideal im Alter ist durch die Merkmale „Ausstrahlung“ und „inhaltliche Stimmigkeit“ gekennzeichnet, körperliche Merkmale verlieren an Relevanz: Die Ausstrahlung (gepflegtes Äußeres, „natürliche“ Erscheinung, persönliches Wohlbefinden) gilt für alle Frauen als wesentliches Charakteristikum einer schönen älteren Person, für eine Frau auch ein entsprechender Intellekt. Körperlichkeiten und damit verknüpfte neoliberale Schönheitsnormen verlieren an Relevanz. Eine Orientierung an neoliberalen Schönheitsidealen ist aber auch weiterhin wichtig und sei es nur als Vergleichsfolie. Für zwei der drei Frauen stellen Schönheitspraktiken im Alltag wirksame Mechanismen dar, die auf äußere Verschönerungen im Sinne einer Annäherung an gängige Ideale zielen bzw. auf das Verdecken von Zeichen des Alter(n)s. Auch finanzielle Aspekte hindern eine Frau an der Ausübung solcher Schönheitspraktiken. Körperliche Merkmale („natürliche“ Erscheinung, gepflegte, ordentliche, angenehme Ausstrahlung, die sich im Verhalten und im Gang zeigt) sind zwar für die befragten Männer relevant, verlieren im Vergleich zum Wunsch nach intellektuellen Auseinandersetzungen mit anderen Personen jedoch an Bedeutung. Damit einher geht die Möglichkeit, körperlichen Besonderheiten – ganz im Sinne des von einem Mann geäußerten Begriffs der „Narrenfreiheit“ – Raum zu geben, was gleichzeitig dem männlichen Schönheitsideal des individualisierten Körpers entgegenkommt. So verstanden scheint diese Körpernorm besonders geeignet, um Zeichen des Alter(n)s als annehmbar zu deklarieren und das neoliberale Postulat der Konstituierung eines Selbstprojektes zu unterstützen. „Ver-
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
schönernde“ Körperpraktiken, die auf eine Verdeckung von Alterszeichen zielen, lehnen die Befragten ab. Zwei der befragten Männer ziehen im Rahmen der Frage, wann eine gleichaltrige Person in ihrem Alter schön sei, Frauen als Vergleichsfolie heran. Ihre Ausführungen bekräftigen geschlechtsspezifische Stereotypisierungen und die Kultur der Zweigeschlechtlichkeit in unserer Gesellschaft. 3.b) In unserer Gesellschaft existieren Normen bezüglich der Bekleidung älterer Menschen: Tendenziell kann Bekleidung für Frauen in zwei Stile unterschieden werden: Ein Figur betonender, eher durchsichtiger, auffälliger Bekleidungsstil unterstützt – Doing Gender entsprechend – die Repräsentationsweise als Frau, während ein Figur bedeckender und unauffälliger Bekleidungsstil – Doing Age entsprechend – als alterssignifikantes Symbol gilt. Mit zunehmendem Alter orientieren sich Frauen verstärkt an letzterem Bekleidungsstil. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass ein steigendes Alter die Entfeminisierung im Rahmen von Bekleidung unterstützt. Präsent ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit Zeiten, in denen sich zwei der befragten Frauen verstärkt an Vorstellungen konventioneller Weiblichkeit orientierten. Teilweise repräsentieren die Frauen diese Vorstellungen auch heute oder ziehen sie als Vergleichsmaßstab heran. Die SelbstMarkierung als dem Weiblichen (Doing Gender) oder dem Alten (Doing Age) zugehörig scheint eindeutiger als bei älteren Männern zu sein, bei denen sich die beiden Regierungsstrategien Doing Gender und Doing Age nicht gegenseitig ausschließen. Die befragten Männer nehmen in den letzten Jahren kaum Veränderungen im Rahmen ihrer Bekleidung wahr und repräsentieren im Großen und Ganzen auch weiterhin gesellschaftliche Vorstellungen von Männlichkeit. Die Krawatte gilt als vergeschlechtlichtes Zeichen, das Männlichkeitsdarstellungen in unserer Gesellschaft unterstützt. Sie ist ein wirkungsvolles Instrument, das Männern allein durch das Tragen eine gewisse Machtkomponente im gesellschaftlichen Ordnungsgefüge zuspricht. Das Tragen einer Krawatte verstärkt die Überzeugungskraft und das Ansehen älterer Männer und unterstreicht auf diese Weise ihre soziale Positionierung in bestimmten Kontexten. Keine der befragten Frauen wies auf ein ähnlich wirkungsvolles Bekleidungsstück hin, mit dem sie sich in der Öffentlichkeit präsentiert. 4.a) Die sozial konstruierte Trennung unserer Gesellschaft in einen öffentlichen und einen privaten Bereich hat Auswirkungen auf das Schönheitshandeln älterer Menschen und verstärkt geschlechtsspezifische Präsentationen in der Öffentlichkeit: Im privaten Bereich ist das Prinzip der Funktionalität für die befragten Frauen und Männer leitend. Bevor sie in die Öffentlichkeit treten, greifen alle Frauen
5.3 Vergleichende Zusammenfassung
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und ein Teil der Männer in unterschiedlichem Ausmaß auf Formen des Schönheitshandelns zurück. Alle befragten Frauen und Männer benennen das Ausüben einer Reihe „verschönernder“ Körperpraktiken vor einem besonderen Anlass. Durch die Verwendung von Make-up, dem Herrichten der Haare etc. reproduzieren die befragten Frauen Weiblichkeitsvorstellungen, die Männer verstärken durch das Tragen eines Anzuges und/oder einer Krawatte Männlichkeitsinszenierungen in der Öffentlichkeit. Dadurch erfolgt zugleich eine geschlechtsspezifische Kontrastierung, mittels derer die Kultur der Zweigeschlechtlichkeit in unserer Gesellschaft untermauert wird. 4.b) Die Einstellungen älterer Menschen zum Schönheitshandeln variieren nach biografischen und geschlechtsspezifischen Faktoren im jeweiligen Lebenskontext, ebenso wie die Einflussfaktoren, die Schönheitsideale vermitteln: Es konnte gezeigt werden, dass in unserer Gesellschaft auf unterschiedlichen Ebenen Faktoren verankert sind, welche Vorstellungen zu Körpernormen und zum Schönheitshandeln vermitteln. Dabei variieren die Effekte der jeweiligen Instanz gemäß den subjektiven Erfahrungen der Befragten. Während sich ältere Frauen eher durch massenmediale Formen bzw. den Zweig der Bekleidungsindustrie (Werbung, Fernsehen, Frauenzeitschriften aber auch in Form von Auslagen in Schaufenstern von Bekleidungsgeschäften) und über Freundinnen hinsichtlich Mode inspirieren lassen, kommt bei älteren Männern in diesem Zusammenhang der Ehefrau eine besondere Funktion zu. Diese kann als Vermittlungsinstanz zwischen dem massenmedialen System und ihrem Ehemann verstanden werden. Ihre Funktion als Vermittlerin ungeschriebener, auf normierenden Zuschreibungen beruhenden Gesetzen kann im Rahmen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung eingeordnet werden. Das Zusammenleben in einer Ehe stellt einen weiteren Einflussfaktor im Rahmen des Schönheitshandelns älterer Menschen dar: Legt/e ein/e EhepartnerIn Wert auf das äußere Erscheinungsbild, wirkt/e sich dies auf das Schönheitshandeln der/des anderen aus und umgekehrt. Die Ehefrau gilt für alle drei Männer als bedeutsame Instanz im Rahmen der Bekleidungsberatung. Keine der drei Frauen erwähnt ausdrücklich die Funktion ihres Ehemannes als beratende Instanz bezüglich ihrer Bekleidung. Dies könnte auf einen weiteren Aspekt im Rahmen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung hindeuten. Möglicherweise sind die Frauen mit den Vorlieben ihrer Männer hinsichtlich ihrer Bekleidung vertraut, so dass sich die aktive Rolle der männlichen beratenden Instanz erübrigt. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass zwei der drei befragten Frauen seit mehreren Jahren Witwen sind.
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5 Empirische Untersuchung: Schönheitshandeln im Alter
Alle drei Männer bezeichnen ihre frühere Erwerbstätigkeit, einer darüber hinaus auch das Innehaben offizieller Funktionen als Einflussfaktoren auf Bekleidung. Nur eine Frau benennt ihren früheren Arbeitgeber als Einflussgröße im Rahmen der Reproduktion ungeschriebener Gesetze zum Schönheitshandeln. Drei der sechs Befragten heben den Einfluss der Erziehung (kein Praktizieren von Formen des Schönheitshandelns sowie religiöse Einflüsse in Kindheit und Jugend) explizit hervor, der auch heute noch ihre Einstellungen zum Schönheitshandeln prägt. Gruppendynamische und kulturelle Aspekte bzw. die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht nennen zwei der drei befragten Männer als Faktoren, die in jüngeren Jahren ihr Schönheitshandeln mit geprägt haben. Diese wirken noch heute. Im Rahmen des Forschungsdesigns und bei der Auswertung des Datenmaterials blieb der Einfluss der Bildung und der sozialen Schichten auf Einstellungen und Formen des Schönheitshandelns der Befragten unberücksichtigt. Es kann jedoch vermutet werden, dass Bildung und soziale Schicht in diesem Zusammenhang einen großen Einfluss besitzen. Solch eine Betrachtung könnte das Thema einer zukünftigen wissenschaftlichen Arbeit sein. Es kann festgehalten werden, dass Schönheitshandlungen der befragten Frauen und Männer eng mit gesellschaftlichen Normvorstellungen einer Kultur der Zweigeschlechtlichkeit verknüpft sind. Ältere Frauen und ältere Männer begünstigen durch eigene (un-)bewusste Reproduktionen vergeschlechtlichte Entwicklungen und tragen – in unterschiedlichem Ausmaß – zu einer Repräsentation von Geschlechterunterschieden bei. Villa (2006) beschreibt, auf welche Weise gesellschaftliche Konstruktionen auf der Handlungsebene, im Rahmen der Interaktion und der Sprache als Symbolsystem entstehen und „wie durch Vergesellschaftungsprozesse Individuen sinnhafte, stabile (...) Strukturen zur Wahrnehmung der Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit einerseits entwickeln und andererseits diese Ordnung beständig (re-)produzieren“ (Villa 2006, S. 79). Mit ihren auf gesellschaftlichen Normen beruhenden Einstellungen zu „verschönernden“ Körperstrategien, mittels (un-)bewusster Schönheitshandlungen und den damit verbundenen sozialen Zuschreibungen des Weiblichen bzw. des Männlichen reproduzieren ältere Menschen eine scheinbar objektive Wirklichkeit. Auf diese Weise unterstützen sie indirekt eine Naturalisierung des Systems der Zweigeschlechtlichkeit.
6 Resümee und Ausblick
„Wie und warum machen sich ältere Frauen und ältere Männer heutzutage schön?“ – Die Antwort auf das „Wie“ dieser zu Beginn der vorliegenden Arbeit gestellten Frage lässt sich am ehesten in den Begriff „vielfältig“ fassen. Die Antwort auf das „Warum“ ergibt sich aus einem komplexen Wechselverhältnis zwischen älteren Menschen und gesellschaftlichen Strukturen. Unabhängig davon, welche der vorgestellten Regierungstechnologien – Doing Gender, Doing Bodyfication, Doing Age, Doing Beautyfication – ältere Frauen und ältere Männer verfolgen: Letztlich reproduzieren sie durch ihre sozialen Inszenierungen Vorstellungen von Weiblichkeit, Männlichkeit, Körper- und/oder Altersbildern und bestätigen damit einhergehende soziale Ungleichheitsstrukturen. Diese vier Regierungstechniken operieren damit als konsequente Strategien im Kontext neoliberaler Gouvernementalität, um menschliches Verhalten entsprechend sozialen Normensystemen zu lenken und zu kontrollieren. Allerdings – das konnte durch die jeweiligen kategorischen Verknüpfungen gezeigt werden – gehen mit gesellschaftlichen Körper- und Altersbildern normative Zuschreibungen einher, die sich geschlechtsspezifisch unterscheiden. Diese Differenzierung im Sinne scheinbar naturgegebener Geschlechterunterschiede unterstützt soziale Ungleichheitsmechanismen, die eng mit Macht- und Herrschaftsstrukturen verbunden sind: Frauen werden mit zunehmendem Alter auf besondere Weise marginalisiert. So gelten für ältere Frauen eher an Jugendlichkeit geknüpfte Schönheitsideale, die altersbedingten körperlichen Veränderungen entgegenstehen. Das Schönheitsideal des männlichen individualisierten Körpers scheint dagegen auf besondere Weise geeignet, um Zeichen des Alter(n)s als Ausdruck von Persönlichkeit zu deklarieren. Soziale Bewertungsmechanismen sind im Rahmen des Doing Beautyfication älterer Frauen eng an die Attribute „eindeutig“ und „streng“ geknüpft, während diese bei älteren Männern eher mit den Begriffen „individuell“ und „nachgiebig“ umschrieben werden können. Neoliberale Schönheitsideale gelten in der Gruppe älterer Frauen und älterer Männer und werden durch die (un-)bewusste Orientierung an diesen und/oder durch deren Repräsentation von Frauen und Männern selbst untermauert. Subjektivierungsprozesse älterer Menschen sind unter sozialkonstruktivistischen Vorzeichen zugleich an die Möglichkeit des Wandels gebunden und verwirk-
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lichen sich heute auch durch die Maxime „Für mich selbst“. Damit eröffnen sie auch ein positives Moment jenseits neoliberaler Beschränkungsmechanismen und richten den Blick auf die Ebene sozialer Interaktionen und Inszenierungen, um asymmetrische Geschlechterverhältnisse neu auszurichten. Das Potenzial dieser Haltung schlägt sich in einer Zunahme von Freiräumen im Alter nieder, welche sowohl durch ältere Frauen als auch durch ältere Männer mit Strategien der Selbstsorge gefüllt werden. Allerdings muss, wie im Rahmen der vorliegenden Arbeit deutlich wurde, die Maxime „Für mich selbst“ als Resultat gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse gewertet werden. Die Diskussion einer Verknüpfung von subjektiven Bewältigungsstrategien mit altersbedingten körperlichen Veränderungen und neoliberalen Konzeptionen zu Schönheitsidealen fehlt in der gegenwärtigen Literatur. Angesichts dieser Bestandsaufnahme von sozialen Funktionsmodi der Reproduktion neoliberaler Körperbilder sollte sich der Blick von WissenschafterInnen, AdressatInnen von Werbung etc. auf eine beständige Kritik an gesellschaftlich suggerierten Botschaften zu Körperpolitiken, auf die Infragestellung „verschönernder“ Normalitätskonzeptionen sowie der daraus folgenden kulturellen Zuschreibungen und gesellschaftlichen Ungleichheitsstrukturen richten. Lorber zufolge kann Geschlecht in unserer Gesellschaft als „soziale Institution“ (Lorber 1999, S. 25) verstanden werden, die interaktiv hergestellt wird und Teil weiblicher und männlicher Subjektivierungsentwürfe ist. Diese soziale Institution prägt zugleich gesellschaftliche Ordnungsstrukturen und kulturelle Muster. Frauen und Männer, die sich geschlechtsspezifischen „verschönernden“ Normalitätskonzeptionen bedienen, reproduzieren vergeschlechtlichte Werturteile, die das gegenwärtige gesellschaftliche Normensystem und soziale Ungleichheitsstrukturen stärken. Alter(n) kann nicht nur als biologische, körperliche und psychologische Befindlichkeit von Menschen verstanden werden, sondern ebenso als kulturelles Konstrukt, aus dem eine Vielzahl heterogener Vorstellungen zum Alter(n) resultiert. Damit verbunden sind – ebenso wie bei Geschlecht – gesellschaftlich konstruierte Zuschreibungen, mit denen soziale Klassifizierungen und kulturelle Deutungsmuster einhergehen. So werden beispielsweise körperliche Veränderungen unter Berücksichtigung gegenwärtiger neoliberaler Körperbilder von älteren Frauen und älteren Männern eher als „Verfallserscheinungen“ wahrgenommen, die negativ konnotiert sind. Vergeschlechtlichte Zuschreibungen und die Betonung negativer Altersbilder in unserer Gesellschaft bilden daher Ansatzpunkte für Kritik an neoliberalen Körperpolitiken. Im Rahmen wissenschaftlicher Diskurse sollten zudem Potentiale des Alter(n)s stärker hervorgehoben werden. Die Frage „Warum machen Sie
6 Resümee und Ausblick
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sich schön?“ sollte gleichermaßen selbstreflexiv wie gesellschaftskritisch beantwortet und dabei durch soziale Inszenierungsformen unterstützt werden, ganz im Sinne einer Politisierung des eigenen Schönheitshandelns.
Anhang
Gesprächsfaden für die Interviews
Einstieg: Danke, dass Sie sich die Zeit für das Interview nehmen. Das Interview besteht aus drei Bereichen: Was verstehen Sie unter Schönheitshandeln? Gibt es bestimmte Schönheitsideale für Personen in Ihrem Alter? Welche Einstellungen haben Sie zum „sich schön machen“? Das Interview dauert etwa eine halbe Stunde. Darf ich das Interview aufnehmen, damit ich mich besser auf das konzentrieren kann, was Sie mir erzählen? Ich werde das Interview transkribieren und Ihre Aussagen anonymisieren. Das sind interessante Bilder: Können Sie mir kurz erzählen, was Sie hier fotografiert haben? Definition des Begriffs Schönheitshandeln: Warum sind die Situationen, die Sie mir eben beschrieben haben, für Sie Momente, in denen etwas schön ist und Sie sich schön machen? Gesellschaftlich anerkannte Körperideale für ältere Personen: Wann ist für Sie eine Person in Ihrem Alter schön? Welche Merkmale weist die Person (noch) auf? Haben Sie das Gefühl, es gibt „ungeschriebene Gesetze“, wie sich eine Frau/ein Mann in Ihrem Alter schön zu machen hat? Wer macht diese Gesetze? Einstellungen zum eigenen Schönheitshandeln: Jetzt interessieren mich verschiedene Aspekte und welchen Einfluss diese darauf haben, ob und wie Sie sich schön machen: Der erste Punkt sind besondere Anlässe und Situationen – Haben die Einfluss darauf, ob und wie Sie sich schön machen? Spielt es eine Rolle, wie teuer etwas ist, und welchen Einfluss hat die Zeit, die Sie brauchen, um sich schön zu machen?
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Anhang
Haben Ihre Gesundheit und Ihr Befinden einen Einfluss darauf, ob und wie Sie sich schön machen? Welche Rolle spielen Bekannte, Verwandte und die Medien? Gibt es bestimmte Rituale, wann und wie Sie sich schön machen? Haben Sie Unterschiede bemerkt, ob und wie Sie sich für zu Hause schön machen und dafür, wenn Sie rausgehen? Was bedeutet es für Sie, schön zu sein/sich schön zu machen ... als Frau/Mann? ... als Person im Alter zwischen 65-75 Jahren? ... im Hinblick auf Ihren Körper? Sprechen Sie mit anderen Personen darüber, ob und wie Sie sich schön machen? Als Letztes interessiert mich noch, ob Sie Veränderungen darin bemerken, ob und wie Sie sich heute schön machen und wie Sie das vor etwa 20 Jahren getan haben: Nehmen Sie jetzt bestimmte Aktivitäten in Anspruch, die (angeblich) gut für die Gesundheit sind? Welche Einstellung haben Sie zu gesunder Ernährung und Diäten? Was tun Sie für Ihr Wohlbefinden? Wie verwenden Sie Pflegeprodukte/Parfum heute? Verwenden Sie spezielle („verjüngende“) (Gesichts-)Cremes oder Make-up? Welche Einstellung haben Sie zu Schönheitsoperationen? Haben sich Ihr Kleidungsstil und Accessoires im Vergleich zu früher verändert? Haben Sie das Gefühl, heute mehr Freiheit zu haben bzw. mehr Zwängen ausgesetzt zu sein, was das „sich schön machen“ betrifft? (Wenn ja: Weil Sie älter sind oder weil sich die gesellschaftlichen Strukturen/Anforderungen geändert haben?) Sie sind jetzt ... Jahre alt. Haben Sie heute das Gefühl, dass Sie deswegen eher bevorzugt/benachteiligt sind, wenn Sie sich schön machen (wollen)? Fallen Ihnen noch weitere Aspekte ein, über die wir bisher nicht gesprochen haben?
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