Michael Meuser Geschlecht und Männlichkeit
Michael Meuser
Geschlecht und Männlichkeit Soziologische Theorie und kult...
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Michael Meuser Geschlecht und Männlichkeit
Michael Meuser
Geschlecht und Männlichkeit Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster 3. Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 1998 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage 2006 3. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17169-2
Inhalt
Vorwort
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Einleitung
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I.
Theorie: Geschlecht und Männlichkeit im soziologischen Diskurs
1.
Zwischen Wesensmetaphysik und soziologischer Entzauberung. Männlichkeit in den Geschlechtertheorien soziologischer Klassiker Ferdinand Tönnies: Weiblicher Wesenwille und männlicher Kürwille Georg Simmel: Männliche Differenziertheit und weibliche Einheitlichkeit Emile Durkheim: Geschlechtliche Arbeitsteilung und der Mann als Produkt der Gesellschaft Geschlecht: Soziale Rolle oder soziale Konstruktion? Geschlechtsrollentheorie: Instrumentelle Orientierung und die 'Gefahren' der männlichen GescWechtsrolle Die soziale Konstruktion von GescWecht: Männliche Dominanz und das Arrangement der GescWechter Geschlechtersoziologie: Frauenforschung und Männerstudien Patriarchat oder Gender? Mann und Männlichkeit in den Perspektiven der Frauenforschung .. Patriarchale Unterdrückung oder hegemoniale Männlichkeit? Die Diskussion der Männerstudien Geschlecht und Habitus. Überlegungen zu einer soziologischen Theorie der Männlichkeit Habitusbegriffund Geschlechterverhältnis bei Pierre Bourdieu. Geschlechtlicher Habitus - ein Entwurf Der männliche GescWechtshabitus - zugleich ein Versuch der Präzisierung des Konzepts der hegemonialen Männlichkeit
LI 1.2 1.3 2. 2.1 2.2 3. 3.1 3.2 4. 4.1 4.2 4.3
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17 21 32 41 50 51 63 78 78 91 109 112 116 121
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11.
Empirie: Geschlecht und Männlichkeit in den Diskursen der Männer
5. 6.
Multioptionale Männlichkeiten? Von Mann zu Mann. Dekonstruktionen und Rekonstruktionen von Männlichkeit in der Männerverständigungsliteratur Defizitkonstruktionen: Der Mann als Mängelwesen Maskulinismus: Die Rückbesinnung auf die gefährdete Männerherrlichkeit Differenz: Die Suche nach authentischer Mälmlichkeit .. ScWußbemerkung: Zur kulturellen Dynamik männlicher Selbstthematisierung Unter Männern. Kollektive Orientierungen und existentielle Hintergründe. Zur Methode: Wissenssoziologische Rekonstruktion kollektiver Orientierungen oder: Wie läßt sich das fraglos Gegebene zum Sprechen bringen? "Weil das immer so gewesen ist". Verankerung in der Tradition und habituelle Sicherheit "Ich brauche mich dafiir nicht entschuldigen". Prekäre Sicherheiten "Immer noch so viel Verunsicherung". Institutionalisierte Dauerreflexion und die Suche nach Authentizität - Die Sinnwelt der Männergruppen ,,Du tust es einfach, du redest nicht". Pragmatische Arrangements jenseits von Tradition und Verunsicherung ..... .... Männerwelten und Frauenbilder. Zur 'männlichen' Konstruktion der Frau Eheliche Beziehungen und homosoziale Männerwelten. Lebensweltliche Hintergründe männlicher Orientierungen Konjunktive Erfahrungsräume. Zur Bedeutung von milieu-, entwicklungs- und generationsspezifischen Besonderheiten Zusammenfassung: Habitus, männliche Hegemonie und habituelle Sicherheit
6.1 6.2 6.3 6.4 7. 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 7.8 7.9
135 135 141 147 160 168 179 186 187 196 216 236 260 276 290 304 311
Schluß: Freisetzung aus Traditionen? Krise des Mannes? Ein modernisierungstheoretisches Resümee.
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Literatur
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Anhang
351
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Vorwort
Diese Studie ist die leicht überarbeitete Version meiner vom Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Bremen angenommenen Habilitationsschrift. In ihrem empirischen Teil basiert sie auf Daten, die in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekt zusammengetragen worden sind. Der Titel des Projekts lautete: "Die Symbolik der GescWechtszugehörigkeit. Kollektive Orientierungen von Männem im Wandel des Geschlechterverhältnisses". Ich möchte an dieser Stelle den wissenschaftlichen Mitarbeiterlnnen in dem Projekt, Comelia Behnke, Rainer Hoffmann und Peter Loos, fiir ihren hohen Einsatz und ihre niemals ermüdende Diskussionsbereitschaft danken, ohne die das Projekt nicht hätte erfolgreich abgescWossen werden können. Ebenfalls gebührt mein Dank Alexander Gattig, Andreas Henkenbehrens, Martin Herberg, Eva Munz, Susanne Peter, Jutta Reichelt, Katrin Stinner und Karola Zygmunt, die als studentische Hilfskräfte und Praktikantlnnen wertvolle Unterstützung bei Datenerhebung und -auswertung geleistet haben. In gleicher Weise zu Dank verpflichtet bin ich den Studentlnnen, die in einer zweisemestrigen Lehrveranstaltung zum Verfahren der Gruppendiskussion wichtige Arbeit bei der Erprobung des Erhebungsinstruments geleistet haben. Für eine kritische Lektüre des Manuskripts und hilfreiche Hinweise zu dessen Verbesserung danke ich Rüdiger Lautmann, der das Habilitationsverfahren federfiihrend betreut hat, Comelia Behnke, Rainer Hoffmann sowie Karin Gläßer-Meuser.
Vorwort zur zweiten Auflage In den acht Jahren, die nach dem Erscheinen der ersten Auflage vergangen sind, hat sich das Feld der GescWechterforschung verändert. Vor dem Hintergrund der Weiterung der Frauenforschung zur Geschlechterforschung richtet sich der Blick in wachsendem Maße auf männliche Lebenslagen und die Konstruktion von Männlichkeit. Von einer institutionellen Etablierung sind die men 's studies in Deutschland, anders als in den USA und den skandinavischen Ländem, zwar noch weit entfemt. Insgesamt beginnt sich jedoch die Einsicht durchzusetzen, daß das Geschlechterverhältnis nur dann adäquat er7
forscht werden kann, wenn beide Seiten gleichennaßen in den Blick genommen werden. Eine Beschreibung des gegenwärtigen state 01 the art der GescWechterforschung umfaßt Frauen- und Männerforschung. Zehn Jahre zuvor, als die erste Auflage dieses Buches entstand, wurden die men 's studies mitunter mehr kritisch-abwehrend als kritisch-neugierig beobachtet. Die Veränderungen im Diskursfeld der Geschlechterforschung und die Entwicklungen im Bereich der sozial-, kultur- und geisteswissenschaftlichen Forschung zu Männlichkeit sind ein Grund, weshalb das Manuskript für die Neuauflage an einigen Stellen größere Veränderungen erfahren hat. Ein zweiter Grund ist, daß sich der Untersuchungsgegenstand selbst ebenfalls - nicht nur im Zuge des Wandels der Geschlechterverhältnisse, sondern auch bedingt durch die Transfonnation der Erwerbsarbeit - ein wenig anders darstellt als noch ein Jahrzehnt zuvor. Die erstgenannten Veränderungen sind in Kapitel 3 berücksichtigt, den anderen habe ich durch Ergänzungen im Schlußkapitel Rechnung getragen. Auch meine eigene Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand hat sich in diesem Zeitraum weiterentwickelt, nicht zuletzt in zaWreichen Diskussionen nach Vorträgen, in denen ich die in dem Buch dargestellten Forschungsergebnisse sowie meine Überlegungen zu einer soziologischen Konzeptualisierung von Männlichkeit vorgestellt habe. Die Ergebnisse dieser Reflexionen sind insbesondere in Kapitel 4.3, das eine deutliche Erweiterung erfahren hat, festgehalten. Weitgehend unmodifiziert sind die Kapitel in die Neuauflage übernommen worden, in denen einscWägige soziologische Theorien auf die in ihnen enthaltenen Konzepte von Geschlecht und Männlichkeit hin analysiert werden (Kap. I und 2). Das Gleiche gilt für die Darstellung der Ergebnisse des Forschungsprojekts, das dem empirischen Teil zugrunde liegt (Teil II). Hier sind nur geringfügige, zumeist stilistische Modifikationen und inhaltliche Ergänzungen sowie eine Aktualisierung der Zeitbezüge vorgenommen worden. Die weiterführenden Überlegungen verdanken sich in nicht geringem Maße amegenden Diskussionen und Kooperationen mit einer Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen. Mein besonderer Dank gilt Cornelia Behnke, Martin Dinges, Peter Döge, Andrea Maihofer und Sylka Scholz.
Vorwort zur dritten Auflage Die dritte Auflage entspricht der zweiten, überarbeiteten und aktualisierten Auflage von 2006. Es wurden lediglich fonnale Fehler korrigiert und bibliographische Angaben auf den aktuellen Stand gebracht. Für eine gründliche Durchsicht des Manuskripts danke ich Nicole Kirchhoff. 8
Einleitung
"Wenn man gute Gründe braucht, um soziale Probleme zu untersuchen, dann sollte man neutrale Analysen sozialer Zusammenhänge derjenigen durchführen, die mit den Privilegien institutioneller Macht ausgestattet sind - Priester, Psychiater, Lehrer, Polizisten, Generäle, Regierende, Eltern, Männer, Weiße, Staatsangehörige, Medienexperten und all die anderen etablierten Personen, die durch ihre Position in der Lage sind, ihre Version der Wirklichkeit offiziell durchzusetzen" (Goffinan I994b, S. 103f.).
Ob ein viertel Jahrhundert, nachdem Erving Goffman mit diesen Sätzen das Manuskript seiner - aus Krankeitsgründen nicht gehaltenen - Ansprache als Präsident der American Sociological Association beendet hat, den Männern die Aufnahme in den Kreis der privilegierten Wirklichkeitsgestalter noch umstandslos gebührt, sei dahingestellt. Daß sie zumindest ein gewichtiges Wort mitreden, wenn es darum geht, Lebenschancen und Handlungsspielräume von Menschen festzulegen, steht außer Frage. Insofern ist eine "neutrale", d.h. weder anklagende noch larmoyante Analyse der 'Männerwelt' eine Aufgabe, die von der Soziologie zu leisten ist. Die vorliegende Arbeit wendet sich einem Gegenstand zu, den die deutschsprachige soziologische Geschlechterforschung - anders als die angelsächsische - bislang weitgehend vernachlässigt hat. Männlichkeit, Männerwelten als ein neuer Gegenstand der Soziologie? Nach und neben der Frauenforschung nun eine Männerforschung? Hat sich die Soziologie als "männliche Wissenschaft", in einer selbstverständlich vorgenommenen Gleichsetzung des Männlichen mit dem Allgemein-Menschlichen l nicht seit jeher ausschließlich mit der sozialen Welt des Mannes befaßt? So jedenfalls lautet die Diagnose feministischer Wissenschaftskritik2. Die in dieser Art von 'Männerforschung' enthaltenen Annahmen über Männer und Männlichkeiten sind jedoch implizit geblieben, sind nicht als solche kenntlich gemacht worden. Das betonen vor allem die in den achtziger Jahren entstandenen men 's studies (s. Kap. 3.2), und das zu ändern definieren sie als ihr Ziel.
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Hierzu hat Simmel (1985, S. 20 I) bereits zu BegirUl der Jahrhundelts scharfsinnige Analysen vorgelegt. Ich komme darauf zurück (s. Kap. 1.2). Vgl. allgemein Hausen/Nowotny 1986, auf die Soziologie bezogen Bliick u.a. 1992, S. 17ff.
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Die Geschlechtsblindheit, mit der die Wissenschaft Soziologie nicht weniger 'geschlagen' gewesen ist als andere Humanwissenschaften, läßt sich als Folge ihrer 'Männlichkeit' verstehen. Claudia Honegger (1991) hat in ihrer Rekonstruktion der Diskurse der Wissenschaften vom Menschen eindrucksvoll gezeigt, wie der im späten 18. Jahrhundert erfolgten 'Erfindung' polar entgegengesetzter GescWechtscharaktere (vgl. Hausen 1976) im 19. Jahrhundert ein wissenschaftlicher Begründungsapparat an die Seite gestellt wurde, in welchem mit der Naturalisierung der Frau und der Konzeptualisierung des Mannes als 'ganzem' - und das meint vor allem kulturfähigem - Menschen die Grundlagen für die Deutungsmuster gelegt wurden, die auch heute noch weitgehend die Geschlechterwahmehmung des common sense bestimmen. Paradigmatisch geschieht dies in der institutionellen Ausdifferenzierung einer Sonderwissenschaft von der Frau: Mit der Herausbildung der Gynäkologie wird, so Honegger, die Charakterkunde des Weibes physiologisch reduziert3 . Philosophie und Geisteswissenschaften befassen sich weiterhin mit dem 'ganzen Menschen', hinter dem sich niemand anders als der Mann verbirgt. Allerdings bleibt dieser so gut verborgen, daß kaum jemand das 'Versteckspiel' bemerkt. Es ist nicht das Ziel dieser Arbeit, die kulturelle Konstruktion des Mannes, wie sie in solchen wissenschaftlichen und in sonstigen Diskursen sich vollzogen hat, historisch-genetisch zu rekonstruieren. Nur soweit die Soziologie daran einen Anteil hat, wird der Blick sich rückwärts richten. Über explizite Thematisierungen des Geschlechterverhältnisses wird nicht allzu viel zu berichten sein, denn auch fur die Soziologie gilt, daß ein universalistisches Selbstverständnis den Blick auf die geschlechtliche Segmentierung der sozialen Welt verstellt hat. Nicht nur die Modeme ist 'gescWechtlich halbiert' (vgl. Beck 1986, S. 176ff.), auch die Wissenschaft von der Modeme par excellence ist es lange gewesen. Man denke nur an die GescWechtsblindheit der Theorien sozialer Ungleichheit (vgl. Kreckel 1987, 1989; Hradil 1987a) oder an die Jugendsoziologie, die zu großen Teilen eine (implizite) 'Jungensoziologie' (gewesen) ist (vgl. Ostner 1986). Daß die Soziologie nicht die einzige Wissenschaft ist, die solche blinde Flecken aufweist4, entlastet sie nicht, Versäumtes nachzuholen.
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Eine entsprechende Sondelwissenschaft vom Mann hatte sich damals nicht ausdifferenziert. Andrologie und Männergesundheitsforschung entstehen erst in jüngster Zeit und nicht zufällig vor dem Hintergnmd des Wandels der Geschlechterverhältnisse (vgl. Wöllmalm 2004; Meuser 2007b). Wie auch ilmller man die von Carol Gilligan (1984) getroffene Unterscheidung einer weiblichen und einer männlichen Moral einschätzen mag (fiir eine k1itische Perspektive vgl. Nunner-Winkler 1994), eines hat ihre Studie "Die andere Stilmne" deutlich gezeigt: daß ein androzentlischer Bias des Sampies die Forscher nicht notwendig veranlaßt, die AussagekJ'aft der Resultate auf die mälUlliche Hälfte der Menschheit zu begrenzen.
Die vorliegende Arbeit will hierzu einen Beitrag leisten, indem sie die Seite im Geschlechterverhältnis in den Fokus rückt, die zumindest als Gegenstand empirischer Forschung bis in die zweite Hälfte der neunziger Jahre hinein wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Zwar feWt es im rezenten Geschlechterdiskurs auch hierzulande nicht an Thesen über den Mann, über sein Wesen, über seine aktuelle Befindlichkeit, über den Schaden, den er amichtet, auch über die Leiden, die er zu ertragen hat (s. Kap. 6); die AnzaW empirischsoziologischer Studien ist jedoch im Vergleich zu Untersuchungen über weibliche Lebenslagen immer noch sehr gering.. Ihre "Geschlechtssensibilisierung" (Kreckel) hat die Soziologie durch die Frauenforschung erfahren. Diese hat aus naheliegenden Gründen zunächst einmal weibliche Lebenszusarnmenhänge und die gesellschaftliche Lage der Frau zum Gegenstand gemacht, galt es doch, einem Androzentrismus von Forschung und Theoriebildung gegenzusteuern. Allerdings, auch ohne den Mann ausdrücklich zu betrachten, enthalten die Arbeiten der Frauenforschung zaWreiche mehr oder minder explizit gemachte Annahmen über den Mann und über Männlichkeits. In einer Relation von zwei 'Elementen' implizieren Aussagen über die eine Seite notwendig Annahmen über die andere. Seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre gibt es zwar nicht sehr viele empirische Untersuchungen der Frauenforschung, die den Mann zum Gegenstand haben, wohl aber eine Diskussion darüber, in welcher Weise, mit welchen Konzepten, von welchen Voraussetzungen ausgehend und in welchem wissenschaftssystematischen Rahmen Männer und Männlichkeiten erforscht werden können und sollen. Die Auseinandersetzungen gelten nicht zuletzt einer "Politics ofNaming" (Richardson/Robinson 1994; vgl. auch Hagemann-White/Rerrich 1988): Kann die Erforschung des Mannes im Rahmen von women's studies erfolgen oder übersteigt das deren Zuständigkeiten? Ist eine übergreifende Perspektive in Gestalt von gender studies notwendig oder eher eine Spezialwissenschaft vom Mann, die men 's studies6? Es ist freilich nicht allein eine wissenschaftsimmanente Entwicklung der Frauenforschung, die Ende der achtziger Jahre den Mann, wenn zunächst auch nur zögerlich, vor den Scheinwerfer der sozialwissenschaftlichen Aufmerksamkeit rückt. Frauenforschung und Soziologie befassen sich mit dem Mann in dem Moment, in dem die Fraglosigkeit seiner sozialen Existenz zu schwinden beginnt. Auf empirische Indikatoren hierfür werde ich unten eingehen. An dieser Stelle sei auf die forschungsstrategische Bedeutung des Reflexivwerdens von Selbstverständlichkeiten hingewiesen. Diese resultiert aus
5 6
Für eine Analyse feministischer Konstruktionen des Mannes vgl. Rave (1991). Rave bezieht sich freilich über die Frauenforschung i.e.S. hinaus allgemein auf den feministischen Diskurs. Das ist nicht allein ein Streit um Namen. Es geht auch um die Sicherung von Ressourcen.
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der Dialektik von Determination und Emergenz und hat grundlagen- wie modernisierungstheoretische Aspekte. Im Zuge einer Entwicklung, die Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990, S. 199) als "erlittene Emanzipation" der Männer beschrieben haben, gewährleistet die unbefragte Reproduktion des Selbstverständlichen zunehmend weniger Handlungssicherheit und -erfolg. Die durch die Frauenbewegung bewirkten Veränderungen in den Strukturen des GescWechterverhältnisses erzeugen für immer mehr Männer einen Druck, ihren Ort in den alltäglichen GescWechterbeziehungen neu bzw. zum ersten Male bewußt zu definieren. Wie generell in Umbruch- und Krisensituationen kommt es zu einer erhöhten lebensweltlichen Reflexivität, als deren Folge Deutungsmuster zumindest zeitweise manifest werden 7• Für eine synchronisch ansetzende Geschlechterforschung stellen Umbruch- und Krisensituationen ideale Forschungsgelegenheiten dar. Wie auch sonst geht mit der Herausbildung des Neuen eine von dessen 'Protagonisten' geführte Auseinandersetzung mit dem Alten einher, aus dem heraus das Neue transformatorisch entwickelt werden muß (vgl. Oevermann 1991, S. 314f.). Wir haben also die forschungsstrategisch günstige Situation, daß sich traditionelle und virtuelle neue Deutungsmuster von Männlichkeit zugleich rekonstruieren lassen8 . Zudem wird die Konstrukthaftigkeit der Geschlechtszugehörigkeit zumindest denkbar. Die Kulturproduktion hat den Mann schon längst entdeckt. In sämtlichen Medien, in allen möglichen Sparten von Trivial- und Hochkultur und als Gegenstand diverser Formen der Betrachtung ist der Mann zunehmend 'gefragt'. Die öffentliche Aufmerksamkeit hat unterschiedliche, oft kurzlebige, aber auch andauernde Ausdruckformen entwickelt: Fernsehsendungen a la "Mann-O-Mann", in der Männer als Objekt weiblicher Lust präsentiert wurden, Titelgeschichten in Print-Medien, Verlagsreihen, ein neues Genre von Männerzeitschriften, in denen Männern u.a. ein reflexives Körperwissen vermittelt wird, von Parteien veranstaltete Hearings, Ausstellungen in Museen (vgl. VölgerlWelck 1990) und von einer Frauenzeitschrift in Auftrag gegebenen Studien9 • Etablierte und profilierte Bildungs- und Tagungsstätten nehmen sich der Männer an. Auf dem evangelischen Kirchentag 1993 in München wurde erstmals in dessen Geschichte ein "Männerforum" veranstaltet, mit einer geschlechtsexklusiven Zutrittsregelung. ,,Männerarbeit" hat sich in beiden großen christlichen Kirchen als ein fester Arbeitsbereich etabliert. - Der 7 8
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Das Konzept der sozialen Deutungsmuster nimmt als eine gmndlegende Eigenschaft von Deutungsmustem deren Latenz an (vgl. Meuser/Sackmann 1992). George Herbelt Mead hat darauf hingewiesen, daß ohne einen Bmch Kontinuität nicht erkennbar ist. "Aber schiere Kontinuität wäre nicht elfahrbar. In jedem Moment der Elfahmng steckt ein Hauch von Neuem.... Ohne diesen Bmch in der Kontinuität wäre die Kontinuität unerfahrbar" (Mead 1987, S. 342). Zweimal hat die Zeitscluift "Bligitte" eine Untersuchung über den Mann in Auftrag gegeben (vgl. Pross 1978; Metz-Göckel/MülJer 1986).
Mann als öffentlich-geschlechtliches Wesen ist interessant geworden, und er macht sich selbst öffentlich, in welcher Form und in welchen Aspekten seiner Existenz auch immer. Was außer einer vor allem massenmedial produzierten Aktualität läßt 'Mann' zu einem soziologisch relevanten Gegenstand werden? Auf einer kategorialen Ebene, vorab aller empirischen Evidenz ist darauf zu verweisen, daß GescWecht nur relational zu denken ist: Frauen gibt es nur insoweit, als es Männer gibt, und vice versa lO . Eine Forschung, die nur die eine Seite des Verhältnisses fokussiert, greift mithin zu kurz. Dieses kategoriale Argument soll hier allerdings nicht weiter verfolgt werden. Ich möchte ein empirisches Argument in den Vordergrund stellen und die These begründen, daß jenseits aller modischen Erscheinungen Anzeichen eines sozialen und kulturellen Wandels männlicher Existensweisen sichtbar sind. Eine Soziologie, die sich mit Männlichkeit als geschlechtlicher Erfahrungskategorie befaßt, ergänzt nicht lediglich in theoriesystematischer Absicht feWende 'Mosaiksteine'll, sie ist wichtigen und folgenreichen gesellschaftlichen Veränderungen auf der Spur. Diese haben ihren Grund und dokumentieren sich in einer Diskursivierung von Männlichkeit, welche als Indikator fiir eine Erschütterung von Ordnungsgewißheiten zu verstehen ist. Im empirischen Teil der Arbeit werden zunächst die medienvermittelten Diskurse der Männlichkeit behandelt werden. Wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen ist das Abbröckeln vormals eherner Gewißheiten fiir eine Vielzahl von Sinnlieferanten Anlaß, Deutungsangebote und Handlungsperspektiven zu offerieren. Zunächst, in den siebziger Jahren, noch recht zögerlich, in den Achtzigern dann mit Macht und seit Beginn der Neunziger mit einer Pluralität an Orientierungen aufwartend, hat sich ein Genre auf dem Markt der Bücher zur Lebenshilfe etabliert, das ich 'Männerverständigungsliteratur' nenne. Seit Mitte der neunziger Jahre sind an Männer adressierte Lifestyle-Magazine hinzugekommen. Eine Rekonstruktion der darin enthaltenen Deutungsmuster und Leitbilder wird die interne Varietät des Männlichkeitsdiskurses aufweisen bzw. ausdifferenzierte Teildiskurse voneinander abgrenzen. In einer modernisierungstheoretischen Perspektive wird die Diskursivierung der Männlichkeit als solche, unabhängig von den jeweilig angebotenen Deutungen, als Indikator einer schwindenden Fraglosigkeit analysiert werden. Einen Diskurs über etwas zu eröffnen macht es den daran Beteiligten schwer, weiterhin in einem "Zustand des unreflektierten 'Zuhauseseins' in der sozialen Welt" (BergerlBergerlKellner 1987, S. 71) zu leben. 10
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Das ist hier nicht in einem biologischen Sinne gemeint, sondern als soziales Velweisungsverhältnis. Freilich macht die Rede von der Relationalität der Geschlechterkategorien auch in einem biologischen Bedeutungszusammenhang Sinn, wiewohl die 'Verheißungen' der Genteclmologie dies womöglich ändem werden (vgl. Treusch-Dieter 1992). Auch dies wäre für sich bereits ein nicht zu gering zu schätzendes Unterfangen.
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Medial vennittelte öffentliche Diskurse stellen kulturelle Leitbilder bereit. In welcher Weise und in welchem Ausmaß die Adressaten die Botschaft aufnehmen, steht auf einem anderen Blatt und ist mit den Mitteln einer Diskursanalyse nicht zu bestimmen. Auch ein Blick auf Auflagenhöhen und Verkaufszahlen hilft nur bedingt weiter. An die Literaturanalyse wird sich deswegen eine Rekonstruktion alltagsweltlicher kollektiver Orientierungen von Männern anschließen. Die Daten sind in Gruppendiskussionen in einer Vielzahl und vor allem in einer Vielfalt von Zusammenschlüssen von Männern gesammelt worden. In der bereits erwähnten, auf den sozialen Wandel der Geschlechterverhältnisse gerichteten Perspektive wird die Frage gestellt, in welcher Weise sich dieser Wandel in den Selbst- und Fremddeutungen von Männern niederscWägt. Ausgehend von der Prämisse, daß Deutungs- und Orientierungsmuster nicht nach Gutdünken ausgewäWt werden (können), sondern einen Bezug zu Problemen der alltäglichen Handlungspraxis haben, wird der Blick auf lebensweltliche Hintergründe gerichtet, in denen bestimmte Orientierungen einen Sinn machen. Der mediale Diskurs der Männlichkeit und die alltagsweltlichen Deutungsmuster von Männern schließen nur unter bestimmten Bedingungen bruchlos aneinander an: dort, wo 'männerbewegte Männer' sich in Männergruppen organisieren und das Vokabular zu ihrer Selbstdeutung der einschlägigen Literatur entnehmen. Ansonsten - und dies betrifft die Majorität der Männer - sind die Beziehungen zwischen öffentlichem Diskurs und lebensweltlich verfügbaren Interpretationen komplizierter, vertrackter, verborgener. Die mediale Präsenz des Diskurses ennöglicht ein Sprechen über das eigene Mannsein; dieses Sprechen macht sich allerdings nicht notwendig die Deutungen des Diskurses zu eigen. Bevor die empirischen Rekonstruktionen präsentiert werden, gilt es zu resümieren, was soziologische Theorie und Forschung zu GescWecht und Männlichkeit an Konzepten anzubieten haben. Diese werden im Sinne einer sensibilisierenden Begrifflichkeit bei der Interpretation des empirischen Materials genutzt. Dies soll jedoch keine tour d'horizon durch die kaum noch zu überblickende sozialwissenschaftliche GescWechterforschung werden. Vielmehr wird dargelegt, wie die Soziologie den Gegenstand 'Mann' (nicht) behandelt hat, wie und unter welchen Bedingungen sich das in der jüngsten Vergangenheit zu ändern begonnen hat und welche theoretischen Modelle gegenwärtig gehandelt werden. Ein besonderes Augenmerk wird hierbei auf die Probleme zu richten sein, die sich aus einer allgegenwärtigen Verknüpfung von (GescWechter-)Forschung und (Geschlechter-)Politik ergeben. In AnscWuß an das Bourdieusche Konzept des Habitus als inkorporierte soziale Praxis wird auf der Schnittstelle des theoretischen und des empirischen Teils der Begriff des männlichen Geschlechtshabitus entworfen, um anschließend zu fragen, inwieweit unter den gegenwärtigen Geschlechterver14
hältnissen noch die Anwendungsbedingungen dieses Habitus gegeben sind. Damit wird die vorliegende Studie in ihrem empirischen Teil auf eine Analyseebene orientiert, der, wie Maihofer anmerkt, von der sozialkonstruktivistischen GescWechterforschung nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuteil wird. Maihofer (1994, S. 236) kritisiert, über der Frage, "wie Geschlechter gemacht werden", werde vernacWässigt zu untersuchen, "wie Geschlechter als gewordene/werdende sind. D.h. die Rekonstruktion des Frau- oder Mannseins tritt fast völlig in den Hintergrund". Um das Mannsein, dessen alltagsweltliche Deutung und Bedeutung, geht es in dieser Arbeit. Ein Mann, der die eigenen Geschlechtsgenossen zum Gegenstand soziologischer Forschung macht, wird nicht selten mit der Frage konfrontiert, wie er es mit der 'Betroffenheit' halte. Die vorliegende Arbeit will nicht zuletzt zeigen, daß es möglich ist, auf der Basis des modemen Wissenschaftsbegriffs eine nicht-androzentrische Analyse des GescWechterverhältnisses vorzunehmen. Entgegen Simmels (1985, S. 214) Diktum, wonach das Männliche als "das schlechthin Allgemeine ... sich nicht defmieren" lasse, soll genau dies versucht werden; allerdings nicht im Sinne einer Wesensbestimmung, sondern indem gefragt wird, wie das vermeintlich Allgemeine in sozialer Praxis hergestellt wird.
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I. Theorie: Geschlecht und Männlichkeit im soziologischen Diskurs 1. Zwischen Wesensmetaphysik und soziologischer
Entzauberung. Männlichkeit in den Geschlechtertheorien soziologischer Klassiker
Die Geschlechtssensibilisierung der Soziologie ist recht jungen Datums und in der angloamerikanischen Diskussion weiter fortgeschritten als hierzulande. Dies zeigt sich, wenn man soziologische Einführungsliteratur, Handbücher und Lexika durchsieht l2 , wird aber auch anband der Rezeption deutlich, weIche die soziologischen Klassiker erfahren. Daß die Autoren des von Dirk Käsler 1976 bzw. 1978 herausgegebenen Standardwerks über die "Klassiker des soziologischen Denkens" der Geschlechterthematik keine Beachtung zukommen ließen, verwundert nicht weiter, stand doch vor 20 Jahren die Herausforderung des soziologischen mainstream durch die Frauenforschung erst bevor. Circa ein Jahrzehnt später entsteht zunächst in den Vereinigten Staaten eine Klassikerrezeption, die das Augenmerk auf die expliziten Konzeptualisierungen des GeschlechterverhäItnisses wie auf implizite Annahmen über die soziale Position von Frauen und Männern richtet (für übergreifende Abhandlungen vgl. Sydie 1987; KandaI1988)13. Angesiedelt in der Frauenforschung und der Schwerpunktsetzung der Klassiker selbst folgend, betrachtet diese Rezeption vornehmlich die Behand12
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Ln amerikanischen und englischen Einfüluungen und Handbüchem war ein Kapitel zum Geschlechterverhältnis bereits in den achtziger Jahren obligatorisch (vgl. z.B. Doob 1985; Tumer 1985; Smelser 1988; Giddens 1989). Der soziologische Mainstream in den Vereinigten Staaten und in Großblitannien hat vergleichsweise flüh erkalillt, daß dies ein Gegenstand ist, der den Kem des Faches betrifft. Bei der Lektüre deutschsprachiger soziologischer Einfliluungsliteratur erfuhr man dies seinerzeit in der Regel nicht. Selbst aktualisielte Auflagen bekannter und bewälllter Werke vel11achlässigten das Thema (vgl. Amann 1991; Bellebaum 1991, ReimarUl 1991, Wiswede 1991). Hinweise auf Geschlecht und Geschlechterverhältnisse hatten einen eher beiläufigen Charakter. Im Lndex sucht man meist vergeblich nach einem entsprechenden Eintrag. 'Sensibler' für die Bedeutung des Themas waren neuere WÖlterbücher (vgl. EndlUweitrrrommsdorff 1989; Reinhold 1991; FuchsHeimitz u.a. 1994). Ab den neunziger Jalu'en wird Geschlecht zu einem Thema, das durchgängig in Einflilllungen und Lelu'büchem veltreten ist (vgl. z.B. KOIte/Schäfers 1993; Treibel 1993; Joas 200 I). Bemerkenswelt ist allerdings, daß dies in der allgemeinen KlassikelTezeption nur wenig Niederschlag findet. Das ist zumindest der EindlUck, den der ebenfalls von Dirk Käsler (1999) herausgegebene, völlig neu konzipielte Doppelband "Klassiker der Soziologie" vermittelt.
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lung der sog. Frauenfrage in der klassischen soziologischen Theorie. Diesen Rekonstruktionen der Werke der Klassiker soll hier nicht eine weitere zur Seite gestellt werden. Dieses Kapitel konzentriert sich darauf, die Thematisierung des Mannes und von Männlichkeit in den GescWechtertheorien der Klassiker herauszuarbeiten. Die ZaW der Klassiker, die eine derartige Theorie entwickelt haben, ist gering. Von einer Geschlechtertheorie spreche ich dann, wenn ein Konzept des Verhältnisses von Männern und Frauen entwickelt wird, das dem basalen theoretischen Modell des jeweiligen Klassikers entspricht. Das ist etwa der Fall bei der von Tönnies vorgenommenen Einordnung der GescWechterrelation in sein dichotomes Grundmodell von Gemeinschaft und Gesellschaft sowie von Wesenwille und Kürwille; ebenfalls bei Simmel, wenn er die Beziehungen der GescWechter im Rahmen seiner Konzepte von Differenzierung und Wechselwirkung analysiert. Es soll hier nicht jede Randbemerkung, die ein Klassiker über (meistens) Frauen und (weniger) Männer gemacht hat, zum Anlaß genommen werden, daraus eine Geschlechtertheorie zu rekonstruieren. Neben den bereits erwähnten Klassikern Tönnies und Simmel verdient Durkheim eine genauere Beachtung. Bei Max. Weber [mden sich lediglich einige verstreute Bemerkungen zur GescWechterthematik, im Kontext seiner Analyse der Farnilie als Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. Weber 1972, S. 212ff.), zudem in seinen Ausfiihrungen zu Religions-, Rechts- und politischer Soziologie (S. 297f., 363f., 412ff., 517f.). In seinem ,,Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte" referiert Weber (1991, S. 39ff.) kulturanthropologisches Material über die gescWechtliche Arbeitsteilung, über unterschiedliche Modi der verwandtschaftlichen Organisation sowie über den Übergang vom Mutterzum Vaterrecht. In zusammenhängender Form und in theoretischer Absicht hat sich Weber mit dem Verhältnis von Frau und Mann nicht befaßt. Ob, wie Meurer (1992) vermutet, Weber die Behandlung dieser Thematik als eine den Frauen zukommende Aufgabe gesehen hat, sei dahingestellt l4 . Weder im Rahmen seiner Religionssoziologie noch innerhalb seiner modernisierungstheoretischen Analysen hat die Geschlechterfrage einen systematischen Ort. Seine Ausführungen zur patriarchalischen Herrschaft (1972, S. 580ff.) befas14
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Anders als Meurer sieht Bologh (1990, S. 55) im Werk Max Webers eine soziologische Theolie des Geschlechts enthalten. Diese Theorie entwickelt Bologh aber eher selbst auf der Basis Weberscher KategOlien, als daß sie sie aus dem Werk Webers rekonstruielte. So bildet sie beispielsweise die Gegenüberstellung von Politik und religiöser Ethik auf der Achse männlich - weiblich ab. Webers Analyse der Zweckrationalität und kulturelle Stereotype über Männlichkeit werden parallelisielt. "Instrumental, calculating rationality blings with it qualities considered masculine: smalt and decisive self-detennination of free, contident, aggressive action" (S. 127; Helvorhebung: MM). Solche Zuordnungen nimmt Weber selbst nicht vor. Indem Bologh dies tut, dekonstmielt sie den Klassiker Weber dadurch, daß sie die "masculine, masculinist and patliarchal" (S. I) Färbung seiner Theorie offenlegt. Eine Webersche Geschlechtersoziologie ist damit aber nicht rekonstmielt.
sen sich mit der Autorität des Hausherrn und den Formen der persönlichen Unterwerfung der Abhängigen, zu denen auch das "haushörige Weib" zählt, widmen der Geschlechterdimension in dieser Herrschaftsform aber keine weitere Aufmerksamkeit. Die Klassiker, denen wir grundlegende Konzepte zur Analyse elementarer sozialer Interaktion verdanken, George Herbert Mead und A1fred Schütz, vernachlässigen das Thema vollständig. Die geschlechtliche Konnotierung sozialer Interaktion, wie sie die in der Tradition von Alfred Schütz stehende Ethnomethodologie mit dem Konzept des doing gender betont (vgl. West/Zimmerman 1987; s. auch Kap. 2.2), erfahrt keine Beachtung. Bevor die in dem soziologischen Theorieerbe vorhandenen Geschlechtertheorien auf ihre Konzeptualisierungen von Männlichkeit hin befragt werden, sei vorweg kurz rekapituliert, welchen Diskussionsstand der Wissenschaften vom Menschen soziologische Theoretiker wie Tönnies, Sirnmel und Durkheim am Ende des 19. Jahrhunderts vorfinden. Wenn wir heute - nicht nur in den Sozialwissenschaften, sondern auch mehr und mehr im Alltag - mit aller Selbstverständlichkeit Begriffe wie Geschlechtsrollen, Geschlechterdifferenzen u.ä. verwenden, machen wir uns in der Regel nicht bewußt, daß die Existenz unterschiedlicher Geschlechtscharaktere ein historisch relativ junges Phänomen ist. Geschlechtscharaktere sind, wie die Historikerin Karin Hausen (1976) in einem nicht nur fur die Geschichtswissenschaft einflußreichen Aufsatz gezeigt hat, eine "Erfmdung" des 18. Jahrhunderts (vgl. auch Frevert 1995). Hausen analysiert die Entstehung und die Entwicklung des Konzepts der Geschlechtscharaktere vor dem Hintergrund des Wandels von der feudalen zur bürgerlichen, von einer argrarisch strukturierten zu einer industriellen Gesellschaft. Mit der Kategorie des Geschlechtscharakters werden den physiologischen Geschlechtsmerkmalen als naturgegeben verstandene psychologische fest zugeordnet. Damit wird eine binäre Opposition der Geschlechter konstituiert und auf diese Weise eine Differenz, die in dieser Schärfe zuvor nicht gegeben war l5 . Welche Merkmale es im einzelnen auch immer sind, die den Mann bzw. die Frau kennzeichnen sollen, sie fugen sich dem bekannten Muster von Aktivität vs. Passivität, Rationalität vs. Emotionalität. Dieses Deutungsmuster erfahrt im 19. Jahrhundert seine"wissenschaftliche Absicherung" durch Medizin, Anthropologie und Psychologie, wird erfolgreich popu15
Wie Thomas Laqueur (1992) in seiner mit der Antike beginnenden Geschichte der körperlichen Inszenierung der Geschlechter gezeigt hat, entdecken auch Biologie und Medizin in genau der gleichen Epoche, in der den Geschlechtem unterschiedliche Charaktere zugewiesen werden, daß sich die primären Geschlechtsmerkmale von Männem und Frauen wesentlich voneinander unterscheiden. Zuvor war ein Verständnis der geschlechtlichen Körper vorhen'Schend, das z.B. in der Vagina einen nach iJmen gestülpten Penis erkannte. Auch im Rahmen dieses "Ein-Geschlecht-Modells", wie Laqueur es nennt, kommt der Frau eine untergeordnete Position zu, gilt sie als die 'mindere Ausgabe' des Mannes, doch von einer wesensmäßigen Differenz ist nicht die Rede.
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larisiert und durch eine nach Geschlecht differenzierende Bildung ("Töchterbildung") institutionalisiert. Auf diese Weise erhalten die Geschlechtscharaktere eine normative Kraft, die erst im zwanzigsten Jahrhundert - nicht zuletzt in Folge der Frauenbewegung - an Wirksamkeit zu verlieren beginnt. Die Funktion der derart konstituierten, polaren Geschlechtscharaktere ist es, die Beschränkung der (bürgerlichen) Frau auf den familiären Bereich zu legitimieren I6, sie liegt mithin in der Absicherung patriarchalischer Herrschaft. Die mit den Geschlechtscharakteren verknüpften unterschiedlichen Aufgabenzuweisungen an Frauen und Männer verschafften dem bürgerlichen Mann das notwendige Fundament von häuslich-familiärer Konstanz und Stabilität, von dem aus die gravierenden Veränderungen der bürgerlich-industriellen Gesellschaft in Gang gesetzt werden konnten (vgl. Frevert 1986, S. 21ff.). Die ErfIndung des weiblichen Geschlechtscharakters sichert die Verdrängung der Frau aus der Sphäre der Öffentlichkeit ideologisch ab und trägt dazu bei, daß die Frau aus der Geschichte verschwindet (vgl. Kuhn 1983, S. 34). In einer wissenssoziologischen, diachronisch angelegten Deutungsmusteranalyse hat Claudia Honegger (1991) detailliert nachgezeichnet, wie zwischen 1750 und 1850 innerhalb der Humanwissenschaften eine in hohem Maße normativ aufgeladene Theorie der Geschlechterordnung entsteht. Anthropologie, Philosophie, Psychologie und Medizin entwerfen nicht eigentlich eine Theorie der Geschlechterverhä1tnisse, sondern eine Theorie der Frau. In dem von diesen Wissenschaften bestimmten Diskurs fIndet weniger eine Naturalisierung des Geschlechterverhältnisses als eine Naturalisierung der Frau statt. Zwar gilt der physiologische Dimorphismus generell als Basis differenter Geschlechtscharaktere, nur ist den damaligen wissenschaftlichen Überzeugungen zufolge der weibliche Geschlechtscharakter eindeutig stärker leiblich verankert als der männliche. Die Reproduktionsfähigkeit der Frau gibt den augenscheinlichen Beweis. Rousseau begründet seine These, daß die Frau "unaufhörlich an ihr Geschlecht" erinnert würde, mit dem Hinweis auf Schwangerschaft, Wochenbett, das Stillen der Kinder und deren Erziehung (vgl. Rousseau 1981, S. 389). Für die Gynäkologie des 19. Jahrhundert war es eine ausgemachte Tatsache, daß "alle die psychischen Eigenthümlichkeiten des Weibes aus dem Somatischen desselben abzuleiten" sind, so Johann Christian Gottfried Jörg, ein Ordinarius fur Geburtshilfe im Jahr 1832 (zitiert nach Honegger 1991, S. 205). Und Rudolf Virchow erkennt im Jahr 1848: ,,Alles, was wir an dem wahren Weibe Weibliches bewundern und verehren, ist nur eine Dependenz des Eierstocks" (zitiert nach Honegger 1991, S. 210). Diese Naturalisierung und Somatisierung des weiblichen Geschlechtscharak16
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In diesem Zusammenhang sind auch die im gleichen histOIischen Kontext einsetzenden Bemühungen um eine Nonnativiemng von 'Mutterliebe' zu sehen (vgl. Badinter 1981; Schütze 1986).
ters findet einen extremen Ausdruck in der berühmt-berüchtigten These (und gleichlautenden Abhandlung) des Mediziners Möbius "Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes" (vgl. Honegger 1991, S. 198). Der Mann erscheint hingegen als Träger der Kultur und als Subjekt der Geschichte. Auch dies läßt sich physiologisch begründen. Da die Genitalien des Mannes an der Außenseite des Körpers hervortreten, begrenzten sie anders als die innenliegenden der Frau jenen nicht auf "innerleibliches Dulden", sondern prädestinierten ihn fur "Weltoffenheit" (vgl. Honegger 1991, S. 206). Während der weibliche Leib die Frau in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränke, sei der männliche Körper Basis fur die Unabhängigkeit des Mannes, so die Logik dieser Analogieschlüsse. Das Deutungsmuster der physiologischen Fundiertheit der Geschlechterdifferenz ist mithin in sich geschlechtlich gebrochen, gilt fur das eine Geschlecht mehr als fur das andere. Auch wenn die Begründungen auf eine plumpe Symbolisierung der Lage der Genitalien verzichten, gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat sich dasjenige Deutungsmuster fest etabliert, das den Mann der Sphäre der Kultur, die Frau der Seite der Natur zuordnet. Es wird zu prüfen sein, welche Akzente die Soziologie in diesem Diskurs zu setzen vermag.
I.I Ferdinand Tönnies: Weiblicher Wesenwille und männlicher Kürwille Ferdinand Tönnies verdankt die Soziologie die Ausarbeitung eines dichotom konzipierten Begriffspaares, das über ihre Grenzen hinaus rezipiert worden ist: Gemeinschaft und Gesellschaft. Sowohl die fachinterne als auch die externe Wirkungsgeschichte ist, wie die neuere Tönnies-Forschung nachdrücklich betont, von Mißverständnissen geprägt (vgl. Clausen 1991; Käsler 1991). Kern des Mißverständnisses sei das Bild eines das Gemeinschaftliche mystifizierenden Tönnies. Die Versuche, Tönnies als einen fur die Soziologie der Gegenwart anschlußfahigen Theoretiker wiederzuentdecken (vgl. Bickel 1991; Clausen/Schlüter 1991 a, 1991 b), geraten immer dann in Schwierigkeiten, wenn eine Interpretation seiner Ausfuhrungen zum Geschlechterverhältnis ansteht. Nun sind allerdings genau diese alles andere als akzidentell. Ließe man die Kategorie des Geschlechts unberücksichtigt, wäre die Rezeption von "Gemeinschaft und Gesellschaft" um genau die Dimension verkürzt, an der diese Unterscheidung nicht unwesentlich gewonnen ist (vgl. Greven 1991; Meurer 1991a, S. 380). Tönnies selbst stellt an anderer Stelle, in einem Aufsatz über den "Begriff der Gemeinschaft", unmißverständlich fest: "In bezug auf das Zusammenwesen ist der tiefste Unterschied der Menschen, auch in allen psychologischen Wirkungen, der naturgegebene Unterschied des Geschlechts" 21
(1926, S. 272). Aus diesem ergebe sich zwangsläufig auch die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Die Erwartung und die Beobachtung, "daß die männliche Kraft gegen außen, kämpfend und die Söhne fuhrend sich wende, die der Frau aber an das innere Leben und an die weiblichen Kinder gehalten bleibe", veranlaßt Tönnies (1979, S. 10) zu dem Resümee: "Und von allen solchen Differenzierungen werde erkannt, daß sie sich erfullen nach Führung der Natur; so oft auch diese gesetzmäßigen Tendenzen, wie alle anderen, unterbrochen, aufgehoben, verkehrt werden mögen." Die gesellschaftliche Organisation des Zusammenlebens der Menschen und besonders der Geschlechter mag vielfältige Abweichungen von einer strikt geschlechtlich segmentierten Aufgabenzuweisung mit sich bringen - und Tönnies fuhrt selbst Beispiele hierfiir an -, an der Fundierung der Geschlechterdifferenz in einer als naturgegeben vorgestellten und in dieser Gegebenheit als Maßstab dienenden Ordnung ändert das nichts. Die Feststellung, daß die Geschlechterdifferenz ihre Basis in der Natur hat, begründet noch keine Geschlechtertheorie, zumindest keine soziologische. Und Tönnies läßt es auch nicht bei dieser Bemerkung bewenden, sondern er weist jedem Geschlecht einen klar definierten Ort in seinem grundlegenden Schema von Gemeinschaft und Gesellschaft zu. Mit diesen Begriffen sind unterschiedliche Gesellungsformen oder Formen der Verbundenheit im Zusammenleben der Menschen bezeichnet. Die "Verbindung", so der Terminus bei Tönnies, "wird entweder als reales und organisches Leben begriffen - dies ist das Wesen der Gemeinschaft, oder als ideelle und mechanische Bildung - dies ist der Begriff der Gesellschaft" (Tönnies 1979, S. 3)17. Die Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft interessiert hier nur insoweit, als sie mit der Tönniesschen GescWechtertheorie eng verwoben ist. Beiden liegt eine einheitliche und strikt durchgehaltene Systematik zugrunde, die sich ebenfalls in der Theorie der Willensforrnen dokumentiert. Um dies zu verdeutlichen, seien Bestimmungselemente von Gemeinschaft und Gesellschaft stichwortartig einander gegenübergestellt. Basierend auf der Unterscheidung von realem und organischem Leben versus ideeller und mechanischer Bildung ergeben sich weitere Dichotomien: Vertrautheit versus Öffentlichkeit, auf Verbundenheit basierendes dauerhaftes Zusammenleben versus vorübergehendes Zusammenleben voneinander unabhängiger Personen, lebendiger Organismus versus mechanischer Artefakt, Einheitlichkeit 17
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Es lolmt sich, den feinen Unterschieden in der Tönniesschen Begliffiichkeit Aufmerksamkeit zu schenken. Daß dem "Wesen" der Gemeinschaft der "Begrifr' der Gesellschaft gegenübergestellt wird, ist nicht zufallig. Datin ist der Unterschied von real und ideell reflektiett oder auch der von Natur und Kultur. Nun ist die mit diesem Kapitel velfolgte Absicht nicht eine TÖlmies-Exegese, und folglich werde ich solchen begtiffiichen Nuancen nicht systematisch nachgehen. Immerhin zeigt sich bereits an der hier zitielten Unterscheidung eine Qualifizietung, die sich in der Bestinunung des Unterschieds der Geschlechter wiederholt.
versus Differenzierung, Exklusivität versus Austauschbarkeit von Bindungen, um nur einige zu nennen (siehe auch Übersicht 1).
Übersicht 1: Gemeinschaft
Gesellschaft
reales und organisches Leben Vertrautheit, "Heimelichkeit" Heimat Miteinander verbundener Personen dauerhaftes und echtes Zusammenleben lebendiger Organismus Verband auf Basis persönlicher Beziehungen Verbundenheit trotz allen Trennendem lokale Basis Einheitlichkeit Exklusivität der Bindungen Sittlichkeit Aufrichtigkeit Formen: Verwandtschaft, Nachbarschaft Freundschaft, Familie, Dorf Medien: Eintracht, Sitte, Religion
ideelle und mechanische Bildung Öffentlichkeit, Welt Fremde Nebeneinander voneinander unabhängiger Personen vorübergehendes und scheinbares Zusammenleben mechanischer Artefakt Zweckverband Getrenntheit trotz allem Verbindendem überlokale Verflechtung Differenzierung, Individualisierung Austauschbarkeit der Bindungen Rationalismus Lüge Formen: Aktiengesellschaft, Großstadt, bürgerliche Wirtschaftsgesellschaft, Nation Medien: Konvention, Politik, Tausch
Gemeinschaft gilt Tönnies als die Form des Zusammenlebens, die im Einklang mit der natürlichen Ordnung der Dinge steht, Gesellschaft erscheint dagegen als ein artifizielles Gebilde. Das gemeinschaftliche Leben "ist nur aus sich selber erklärbar, denn sein Keim und also, in irgendwelcher Stärke, seine Wirklichkeit ist die Natur der Dinge" (Tönnies 1979, S. 21). In der Gesellschaft hingegen, in der die Menschen trotz aller Verbundenheit getrennt bleiben, finden "keine Tätigkeiten statt, welche aus einer apriori und notwendigerweise vorhandenen Einheit abgeleitet werden können". Jeder ist "für sich allein, und im Zustande der Spannungen gegen alle übrigen". Alle agieren als ,,Macht-Subjekte" (S. 34). Die sich hier andeutende Spannung zwischen natürlicher, 'unangestrengter' Selbstgegebenheit des gemeinschaftlichen Men-
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schen einerseits und kultureller Konstruiertheit des individuellen gesellschaftlichen Subjektes andererseits findet, wie sich zeigen wird, seine Fortsetzung und Entsprechung in der Charakterisierung der Unterschiede von Frau und Mann. Den sozialen Verhältnissen, in denen Menschen leben und handeln, liegen nach Tönnies Willensakte zugrunde. Dem Willen gebührt Priorität gegenüber dem Denken (vgl. Bellebaum 1976, S. 241; Bickel 1991, S. 284). Tönnies (1979, S. 73) unterscheidet zwei Formen des Willens; Differenzierungskriterium ist der Stellenwert, der dem Denken gegenüber dem Willen zukommt. "Wesenwille" ist derjenige Wille, in dem Denken enthalten ist, ,,Kürwille" meint "Denken, sofern darin der Wille enthalten ist". Jener ist für die Gemeinschaft konstitutiv, dieser für die Gesellschaft. Die Unterscheidung der beiden Willensformen folgt der gleichen dichotomen Logik wie diejenige von Gemeinschaft und Gesellschaft. Der Wesenwille ist "das psychologische Äquivalent des menschlichen Leibes", ,,Prinzip der Einheit des Lebens", der Kürwille hingegen "ein Gebilde des Denkens selber, welchem daher nur in Beziehung zu seinem Urheber - das Subjekt des Denkens - eigentliche Wirklichkeit zukommt" (S. 73). Auch hier wieder der Gegensatz von natürlicher Gegebenheit und artifizieller Konstruiertheit. Weitere Charakterisierungen der beiden Willensformen, von denen hier nur einige genannt seien 18 , bestätigen dies. Die Dichotomien lauten: Prinzip der Einheit des Lebens versus analytische Abstraktion und Zerlegung; im Vergangenen fußend versus zukunftsorientiert; passiv, aufnehmend versus aktiv, gestaltend; synthetische versus intellektuelle Klugheit; unmittelbares versus mittelbares Verhältnis zu den Dingen. Genausowenig wie Gemeinschaft und Gesellschaft als einander ausschließende Formen des Zusammenlebens konzipiert sind - vielmehr ist eine je unterschiedliche Mischung von Elementen beider der Normalfall (vgl. Bellebaum 1976, S. 239) -, wird das Handeln eines Menschen exklusiv von einer Willensform bestimmt. Wie aber verhält es sich mit dem Unterschied der Geschlechter? Mann und Frau sind exklusive Kategorien. Genau an diesem Punkt treten die oben erwähnten Schwierigkeiten der rezenten Tönnies-Forschung zu Tage. Sind die umfangreichen Ausführungen von Tönnies zum Unterschied der Geschlechter Aussagen über reale Entitäten, d.h. über Mann und Frau in ihrer leibhaftigen geschlechtlichen Existenz, oder meint Tönnies die Begriffe Mann und Frau als Chiffren für männliches und weibliches Prinzip, von denen das Handeln eines jeden Menschen in unterschiedlichem Maße bestimmt sein kann 19 ? Die zweite Lesart folgt in gewisser Hinsicht der Tönniesschen Unterscheidung von reiner, angewandter und empirischer Soziologie. Begriffe der reinen Soziologie müssen sich nicht empirisch bewähren (vgl. Jonas 1968, S. 17), 18 19
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Einen Überblick bietet Übersicht 2. Die zweite Lesalt wird von Sickel (1991, S. 158ff.) und von Weiß (1991, S. 177) veltreten.
Übersicht 2: Wesenwille
Kürwille
Wille, in dem Denken enthalten ist psychologisches Äquivalent des menschlichen Leibes Gefiihlsmotive Wanne Impulse des Herzens Prinzip der Einheit des Lebens im Vergangenen beruhend Gegenwart Raum als Orientierungsrahmen passiv, aufnehmend Moralität unmittelbares Verhältnis zu den Dingen synthetische Klugheit Natur natürlicher Mensch Bauer, Handwerker
Denken, in dem Wille enthalten ist Gebilde des Denkens Denkmotive Kalte Impulse des Kopfes analytische Abstraktion und Zerlegung auf die Zukunft gerichtet Zukunft Zeit als Orientierungsrahmen aktiv, gestaltend Zweckrationalität mittelbares, hergestelltes Verhältnis zu den Dingen intellektuelle Klugheit Kultur künstlicher Mensch Kaufinann, Händler
bedürfen mithin keines empirischen Korrelats, um als eine fruchtbare Heuristik zu fungieren. Die erste Lesart sieht einen fundamentalen Bruch in der Konzeption von "Gemeinschaft und Gesellschaft". In die kategoriale Begrifflichkeit der reinen Soziologie 'scWeichen' sich Anna1unen über die empirische Wirklichkeit ein; jene - so die These von Greven (1991, S. 358) - basiert geradezu auf einer "stilisierten GescWechtsrollendifferenz" (vgl. auch Meurer 1991a, S. 379f.)2°. Ob damit auch der Anspruch der reinen Soziologie hinfällig wird, wie Greven meint, steht hier nicht zur Debatte. Aber schauen wir zunächst, was Tönnies über den Unterschied der Geschlechter ausführt. Nachdem er seine Theorie der Willensformen entfaltet hat, fragt er nach deren empirischer Bedeutung. Diese Frage führt ihn unmittelbar, "wie durch den ersten Anblick", zu folgender Beobachtung: "Zuerst gewahren wir in großen Zügen den psychologischen Gegensatz der Geschlechter" (Tönnies 1979, S. 124). Was nun folgt, liest sich wie eine Reformulierung der in der bürgerlichen Gesellschaft entwickelten GescWechterpolaritä20
Meurer (1991, S. 379) weist darauf hin, daß TÖ1U1ies fiir den Bereich der Familie - und in diesem wird ftir ihn das Geschlechterverhältnis manifest - eine vorsoziologische Beglifflicl1keit fiir angemessen hält, handele es sich bei der Familie doch um eine vOITationale LebensfollTI.
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ten in der Tönniesschen dichotomen Begrifflichkeit. Frauen lassen sich durch ihr Gefuhl leiten, Männer folgen ihrem Verstand. Dies resultiert daraus, daß den Frauen "die wesentliche Voraussetzung des Kürwillens" (S. 124) fehlt. Männer bilden Kürwillen aus, weil sie als die fur die Nahrungssuche Verantwortlichen gezwungen sind, die Grenzen des Nahraums zu überschreiten. Weil dem Mann Führung und Leitung obliegt, muß er Fernsicht entwickeln, in die Zukunft planen. Seine Orientierung erfährt dadurch eine temporale Struktur, während die der Frau an den Raum gebunden bleibt. Diese "ist dagegen seßhaft und schwerfällig zu nennen" (S. 125). Abstraktes Denken, kombinatorische Logik, ja Logik überhaupt sind Eigenschaften des Mannes, Frauen partizipieren daran ,,nur auf mangelhafte Weise" (S. 124). Freilich wird der Frau das Denken nicht abgesprochen, weibliches und männliches Denken unterscheiden sich allerdings, jenes ist synthetisch, dieses abstrakt. Das verschafft den Frauen Vorteile, wenn es um die Empfänglichkeit fur unerwartete Eindrücke geht. Dem Wesenwillen entsprechend hat die Frau ein unmittelbares Verhältnis zu den Dingen. "Wahrhaftigkeit und Naivität, Unmittelbarkeit und Leidenschaftlichkeit" verkörpernd ist sie der "in jedem Bezug natürlichere Mensch" (S. 127). Der vom Kürwillen geprägte Mann hingegen ist in seinem planvollen Handeln der künstliche Mensch. "Temperament", "Charakter" und ,,Denkungsart" der Geschlechter vergleichend sieht Tönnies die Frau durch Gesinnung, Gemüt und Gewissen, den Mann durch Bestrebung, Berechnung und Bewußtheit geprägt. An diese grundlegende, aufWillensformen rekurrierende Unterscheidung knüpft Tönnies weitere an, die sich auf verschiedene Lebensbereiche und psychische Dimensionen beziehen. Als Folge seiner nach außen gerichteten Orientierung muß der Mann, der "ins öffentliche Leben und die Welt hinaustritt", eine gewissermaßen natürliche Scham, wie sie neben Frauen "und zumal Jungfrauen, Kindern und auch Jünglingen" (S. 132) zu eigen ist, überwinden. Das Haus ist den Frauen "natürliche Stätte des Wirkens" (S. 135). Unter den Arbeiten, welche die Subsistenz der Familie sichern, ist der hausnahe Ackerbau die den Frauen gemäße, während der mit Reisen verbundene Handel "dem weiblichen Gemüte zuwider sein muß" (S. 138). Diese Gegensätze zwischen den Geschlechtern sind eingebunden in andere und erfahren dadurch eine weitere Ausarbeitung. Tönnies diskutiert das Verhältnis von "Glauben und Unglauben"; jener sei für das Volk, dieser für die Gebildeten charakteristisch. Er fährt fort: "Und dieselbe Bedeutung hat auch der Gegensatz des weiblichen und des männlichen Geschlechts. Denn die Weiber sind gläubig, die Männer ungläubig" (S. 135). Auch die Lebensalter sind von diesem Gegensatz geprägt. Frömmigkeit ist etwas typisch kindliches und auch dem Jüngling noch nicht fremd; selbständiger Zweifel und wissenschaftliches Denken hingegen sind dem "Mannesalter" (sie!) vorbehalten. All das ist abgebildet auf
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dem Gegensatz von Gemeinschaft und Gesellschaft. Eine Auflistung der verschiedenen Dichotomien ergibt die folgende Anordnung, welche die kulturelle Semantik des GescWechtsunterschieds eindrucksvoll verdeutlicht.
Übersicht 3: Dichotomien Glaube Volk Kindesalter Frauen Wesenswille Gemeinschaft
Unglaube Gebildete Mannesalter Männer Kürwille Gesellschaft
Eine genaue Lektüre der nun folgenden Paragraphen von Gemeinschaft und Gesellschaft (§§ 39ff.) zeigt aber, daß die Zuordnung der Geschlechter zu diesen beiden Gesellungsformen nur zum Teil. so eindeutig ist, wie es in der Übersicht erscheint. Richtig ist, daß Frauen das Gemeinschaftliche repräsentieren, Männer das Gesellschaftliche. Die Geschlechter unterscheiden sich aber hinsichtlich der Ausschließlichkeit, in der sie einer der beiden Seiten zugehören. Nachdem Tönnies im AnscWuß an die Parallelisierung von Glaube, Volk, Kind usw. resümiert, daß aus all dem hervorgeht, "wie Wesenwille zu Gemeinschaft die Bedingung in sich trägt, Kürwille aber Gesellschaft hervorbringt", fahrt er fort: "Und folglich ist auch die Sphäre des gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens den Frauen vorzüglich angemessen, ja notwendig" (S. 135). Eine mit gleicher Bestimmtheit formulierte exklusive Zuweisung des Mannes zur Gesellschaft nimmt Tönnies nicht vor. Und das entspricht durchaus der Logik seines Ansatzes; transzendiert der Kürwille doch gerade das Reich der Notwendigkeit. Als "der eigentlich gesellschaftliche Mensch" gilt Tönnies nicht der Mann schlechthin, sondern der Kaufmann; er ist der "Typus des egoistisch-kürwilligen Individuums, dem auch alle Mitmenschen - wenigstens außerhalb seiner nächsten Freundschaft - nur Mittel und Werkzeuge für seine Zwecke sind" (S. 138). Der Mann erscheint bei Tönnies nicht nur als Kaufmann oder Händler, der, um seine Tätigkeit auszuüben, den sozialen Nahraum transzendieren muß, sondern - freilich nur kurz als Kontrast erwähnt - auch als an der Scholle klebender Bauer oder als solider Handwerker. Diese bleiben weitgehend dem gemeinschaftlichen Leben verhaftet und sind darin im Vergleich zum Händler "beschränkt, unreif, ungebildet". Da Tönnies der GescWechtsunter27
schied dazu dient, die Begrifflichkeit von Gemeinschaft und Gesellschaft zu entfalten, konzentriert er seine Ausführungen auf den Kaufmann und den Händler. Allerdings, und das macht der Vergleich deutlich, hat der Mann auch eine Option auf eine gemeinschaftliche Existenz, während der Frau eine Wahl in umgekehrter Richtung nicht möglich ist (vgl. Meurer 1991a, S. 381 f.). Selbst der Prototyp des "egoistisch-kürwilligen Individuums", der Kaufmann, kann außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit, im Rahmen von Freundschaften, gemeinschaftlich orientiert handeln. Nun verschließt Tönnies nicht die Augen davor, daß Ende des 19. Jahrhunderts Frauenarbeit in der Industrie in großem Umfange üblich ist. Einerseits hält er Frauen für maschinelle Fabrikarbeit, die "von Kindern nicht geleistet werden kann und doch von Männern nicht geleistet zu werden braucht" (Tönnies 1979, S. 139), sowohl in mentaler wie in körperlicher Hinsicht für geeignet. Andererseits stellt er die negativen Konsequenzen für den weiblichen Charakter heraus. "Das Weib wird aufgeklärt, wird herzenskalt, bewußt. Nichts ist ihrer ursprünglichen, trotz aller erworbenen Modifikationen immer wieder angeborenen Natur fremdartiger, ja schauderhafter" (S. 139). Mit der - eher zwangsweise aufgepfropften denn freiwillig gewählten - gesellschaftlichen Orientierung wird die Frau ihrer selbst entfremdet. Gleichwohl bleibt ihr die natürliche Bestimmung, "trotz aller Modifikationen". Diese werden nicht im Sinne eines Entwicklungspotentials begriffen; das von Tönnies gezeichnete Bild der Frau ist ein statisches. Anders das des Mannes. Als "der tüchtige gesellschaftliche Mensch" gilt ihm der "gereifte Mann". Dieser hat die Widerstände gegen gesellschaftlich geprägte Lebensweisen in dem Maße aufgegeben, je mehr jene "schon ursprünglich schwach waren und je mehr durch den Verlauf des Lebens ihre Kraft gebrochen wurde" (S. 141). So ist dann auch "der wahre Mann" "der gereifte, ältere Mann" (S. 129). Hingegen ist die jugendliche Frau "das eigentliche Weib" (S. 129). Zwar bleibt auch bei Frauen der Lebenslauf nicht wirkungslos, insofern als die alte Frau dem Mann ähnlicher wird. Allerdings sind die im Laufe des Lebens gemachten Erfahrungen und durchlaufenen Entwicklungen nicht konstitutiv für die weibliche Existenz. Für den Mann scheint eine Mixtur von angeborener Prädestiniertheit und biographisch erworbener Präferenz für eine 'kürwillige Existenz' charakteristisch zu sein. Während Frauen einfach sind, müssen Männer zu solchen reifen. Die Fundierung der Geschlechtscharaktere in der Physiologie erfährt eine geschlechtstypische Brechung: Sie gilt für Frauen in stärkerem Maße als für Männer. Dies ist gewissermaßen die geschlechtersoziologische Bedeutung der Unterscheidung von Wesenwille und Kürwille. Als Geschlechtswesen, nicht als empirisches Subjekt, ist die Frau natürlich gegeben, sie kann ihre Weiblichkeit im Lebenslauf allenfalls verlieren (das "kürwillige Weib"), nicht aber gewinnen, vergrößern. Der Mann hinge28
gen muß als Geschlechtswesen in jedem einzelnen Exemplar seiner Gattung erst konstruiert werden bzw. er muß sich selbst als ein solcher schaffen. Ein vom Wesenwillen geprägter (empirischer) Mann ist "noch vom weiblichen Geiste umfangen" (S. 128), aus dem er notwendigerweise herkommt, sind doch die Kinder beiderlei Geschlechts "von gleichem Geiste" (S. 129) wie die Frauen. Es bedarf einer Anstrengung, um sich von dieser Urnfangenheit zu lösen und in vollem Sinne Mann zu werden: "durch Kürwille macht er sich davon ledig und steht erst in seiner bloßen Mannheit da" (S. 128). Die dichotomisierende Gegenüberstellung von Gemeinschaft und Gesellschaft, Wesenwille und Kürwille, Frau und Mann kann leicht den Eindruck erwecken, als sei das Geschlechterverhältnis bei Tönnies als ein komplementäres Verhältnis gleichrangiger Akteure konzipiert. So wie der Kürwille trotz aller Verluste an gemeinschaftlicher Bindung und trotz der Angewiesenheit auf eine Fundierung im Wesenwillen diesem überlegen ist, so dominiert das männliche GescWecht das weibliche. Das wird weniger in den Passagen deutlich, in denen Tönnies den Unterschied der GescWechter entfaltet, als dort, wo er die Position des Vaters in der familialen Hausgemeinschaft behandelt. Hier zeigt sich, daß dem Mann die beherrschende Position in beiden Sphären, in der Gesellschaft wie in der Gemeinschaft, zukommt (vgl. Meurer 1991a, S. 382). Das Vatertum gilt Tönnies (1979, S. 9) als die reinste Verkörperung der "Idee der Herrschaft im gemeinschaftlichen Sinne: wo sie nicht Gebrauch und Verfügung zum Nutzen des Herrn bedeutet, sondern Erziehung und Lehre als Vollendung der Erzeugung". Eine zum WoWe der Untergebenen ausgeübte "überlegene Kraft" nennt Tönnies "Würde", von der es drei Arten gibt: "die Würde des Alters, die Würde der Stärke und die Würde der Weisheit oder des Geistes" (S. 9). Alle drei vereinigen sich in der Würde des Vaters. Das Bild des Vaters, das Tönnies hier zeichnet, ist nicht das eines autoritären Despoten, sondern eines für den gemeinschaftlichen Zusammenhang verantwortungsvoll Sorgenden. GleichwoW dokumentiert sich darin männliche Dominanz auch in dem Bereich, der den oben aufgeführten Dichotomien zufolge ureigene Sphäre der Frauen ist21 • Männliche Dominanz und paternalistische Herrschaft werden zu Naturtatsachen stilisiert. Für die Nachfolge der väterlichen Autorität "hat der erstgeborene Sohn den natürlichen Vorzug" (S. 9); auf ihn geht die väterliche Macht der Idee nach bereits mit der Geburt über. Zwar weiß auch Tönnies, daß diese Regelung weder eine transhistorische noch eine transkulturelle Gültigkeit beanspruchen kann, doch veranIaßt dies ihn nicht, die These von der Natürlichkeit männlicher Dominanz zu revidieren. Im Gegenteil: ,,Aber weil 21
Eine andere Frage ist, inwieweit hier reale Ausprägungen mälUllicher Dominanz idealisielt werden. Meurer (199Ib) und Greven (1991) halten Tönnies eine VerkJänJllg patliarchaler Henschaftsbeziehungen vor.
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die Herrschaft des Mannes in Kampf und Arbeit als die zweckmäßigere sich bewährt, und weil durch Ehe die Vaterschaft zur Gewißheit einer natürlichen Tatsache sich erhebt: so ist die väterliche Herrschaft allgemeine Form des Kultur-Zustandes" (S. 9f.). Tönnies Ausführungen zur Stellung des Mannes in der Familie, die, insoweit sie den historischen und kulturellen Vergleich als für die eigene Theoriebildung irrelevant erklären, kaum als soziologisch bezeichnet werden können, veranlassen Meurer (1991 b, S. 208), in der Tönniesschen Theorie einen "Höhepunkt soziologischer Patriarchatsverklärung" zu sehen (vgl. auch Greven 1991). Andererseits durchzieht das Tönniessche Werk eine kritische Perspektive auf gesellschaftliche Verhältnisse, welche nach Maßgabe des Kürwillens gestaltet sind. Und da dieser Wille vor allem den Männern zu eigen ist, bleibt eine nach dem männlichen Modell gestaltete Sozialwelt von dieser Kritik nicht ausgeschlossen. Freilich ist diese Kritik, wie die Ausführungen zur Stellung des Vaters zeigen, keine herrschafts- oder machtkritische, sondern eine kulturkritische. Sie gilt dem Verfall des gemeinschaftlichen Lebens. So kann Tönnies der durch Integration der Frauen in die industrielle Arbeit und andere Entwicklungen Vorschub geleisteten Tendenz der Ausbreitung des gesellschaftlichen Prinzips sogar positive Seiten abgewinnen. In dem Maße, in dem Frauen in gesellschaftliche Sphären eindringen, verschafft sich das weibliche Prinzip im Gesellschaftlichen Geltung, was zu einer "Rekonstruktion gemeinschaftlicher Lebensformen" führen könne (1979, S. 139). Gemeinschaftsformen, besonders die Familie, könnten so erneuert werden (vgl. Biekel 1991, S. 167). Die Struktur dieser gemeinschaftlichen Lebensformen, ihre paternalistische Prägung, bleibt freilich unangetastet. Eine Richtung der Tönnies-Rezeption versteht dessen Geschlechtertheorie nicht als Aussagen über Männer und Frauen als empirische Subjekte; vielmehr seien damit zwei Formen der Orientierung in der sozialen Welt gemeint: weibliches und männliches Prinzip. Zwischen diesen, die "in einem Verhältnis von ursprünglichem Lebensquell und zeitlich späteren Produktionen des konstruierenden Intellekts" zueinanderstehen, gebe es ,,Beeinflussung, Vermischung und Polemik" (Biekel 1991, S. 163). Auch seien die Ausführungen zum GescWechtsunterschied keineswegs naturalistisch gemeint (vgl. ebd., S. 159). Diese Interpretation paßt zu Versuchen, Tönnies als einen modemen Theoretiker zu rehabilitieren - die Rede vom weiblichen und männlichen Prinzip durchzieht den gesellschaftlichen Geschlechterdiskurs der letzten 20 bis 30 Jahre -, wird m.E. aber dem Text nicht gerecht. Dort ist zumeist von dem Mann und der Frau die Rede; und das sollte man ernst nehmen22 . Zwar ist eine Lesart möglich, die in den Beschreibungen des Geschlechtsunterschieds auch eine These über zwei unterschiedliche Formen 22
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Rehberg (1993, S. 34f.) spricht in diesem Zusammenhang von einem nicht intendielten Substantialismus bei Tönnies.
kognitiver und emotionaler Orientierung impliziert sieht. Dahinter steht aber eine klare Aussage über eine essentielle Differenz von Mann und Frau, die auch von einem "kürwilligen Weib", das in ihr Handeln das männliche Prinzip integriert, nicht außer Kraft gesetzt wird 23 • Der Gegensatz der Geschlechter, das stellt Tönnies (1979, S. 130) unmißverständlich klar, ist "ein beharrender und starrer". Mit seiner Geschlechtertheorie gliedert Tönnies die Soziologie in die Reihe der Humanwissenschaften ein, die im 19. Jahrhundert für eine wissenschaftliche Ausarbeitung und Legitimierung der These von den bipolar einander gegenüberstehenden, essentiell unterschiedenen Geschlechtscharakteren gesorgt haben (s.o.). Indem er den GescWechtsunterschied auf der Folie seiner dichotomen Begrifflichkeit von Gemeinschaft und Gesellschaft, Wesenwille und Kürwille essentialistisch abbildet, wird er dem von ihm selbst für die Soziologie erhobenen Anspruch nach objektiver, rationalistischer Erkenntnis in diesen Teilen seines Werkes nicht gerecht (vgl. Meurer 1992). Nun sollte man nicht verkennen, daß die Charakterisierungen weiblichen und männlichen HandeIns, wie wir sie bei Tönnies finden, durchaus mit den Beobachtungen übereinstimmen mögen, die man Ende des 19. Jahrhunderts im ländlich-kleinstädtischen Milieu Schleswig-Holsteins machen konnte. Jedoch werden beobachtbare Unterschiede nicht in ihrer historischen Genese und sozialstrukturellen Verankerung analysiert, sondern zu vorgegebenen Merkmalen hypostasiert. Das Beobachtete wird nicht konsequent auf seine soziale Genese hin befragt. Die soziologische Analyse wird von einer Wesensmetaphysik der Geschlechter überlagert. Für die Entwicklung einer Geschlechtersoziologie und einer Theorie der Männlichkeit sind die Ausführungen von Tönnies weniger unter konzeptionellem Aspekt von Interesse denn als Dokument sozialwissenschaftlichen Räsonnjerens gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Eine gegenwartsdiagnostisch ausgerichtete Geschlechtersoziologie kann an Tönnies anknüpfen, indem sie fragt, inwieweit derartige Hypostasierungen auch heute noch als spezifisch männliche Deutungsmuster des GescWechterverhältnisses wirkungsmächtig sind, inwieweit und in welchen Ausprägungen also eine Kontinuität über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren festzustellen ist24 •
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Auch die Interpretationen, die eine Entsubstantivierung vomehmen, kommen nicht olme eine Bezugnahme auf empirische Frauen und Männer aus; so z.B. Bickel (1991, S. 162): "Die Zugehörigkeit des weiblichen Plinzips zum Wesenwillen hat zur Folge, daß der gesamte Bereich des 'geistig-sittlichen' Lebens unter dem bestimmenden Einfluß der Frau steht". Der empirische Teil wird zeigen, daß eine Kontinuität zu beobachten ist und in welchen Männerwelten dies der Fall ist (s. Kap. 7.2).
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1.2 Georg Simmel: Männliche Differenziertheit und weibliche Einheitlichkeit Als den Gegenstand der Soziologie hat Georg Simmel bekanntlich den Wechselwirkungscharakter sozialer Beziehungen benannt. Durch Wechselwirkung wird "eine Anzahl von Menschen" zur Gesellschaft; "wenn eine Wirkung von einem auf das andere - unmittelbar oder durch ein Drittes vermittelt - stattfmdet, ist aus dem bloß räumlichen Nebeneinander oder auch zeitlichen Nacheinander der Menschen eine Gesellschaft geworden. Soll es also eine Wissenschaft geben, deren Gegenstand die Gesellschaft und nichts anderes ist, so kann sie nur diese Wechselwirkungen, diese Arten und Formen der Vergesellschaftung untersuchen wollen" (Simmel 1992, S. 19). Diese analytische Perspektive verschaffe der Soziologie einen eigenen Ort im Gefüge der Wissenschaften. Wie kein anderer Klassiker hat Simmel die zentrale Bedeutung der Geschlechterthematik für die Soziologie gesehen. Immer wieder, über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hinweg, hat er Aufsätze hierzu publiziert (vgl. Simmel 1985). Entsprechend häufig nimmt die neuere Frauen- und Geschlechterforschung, in deren Kontext Simmel als Geschlechtersoziologe überhaupt erst wiederentdeckt worden ist, auf seine einschlägigen Arbeiten Bezug (vgl. Coser 1977; Dahme 1986; Kandal 1988; Lichtblau 1989, 1992; Meurer 1992; Oakes 1984; Ulmi 1989; Wolfer-Melior 1985). Im Verhältnis von Mann und Frau findet Simmel ein Paradigma für seine Theorien der Wechselwirkung und der Differenzierung. Gewöhnlich steht in der Simmel-Rezeption seine Konzeption von Weiblichkeit im Vordergrund, zumal wenn die Arbeiten aus der Frauenforschung stammen. Im folgenden werde ich das Schwergewicht auf eine Rekonstruktion der Theorie der Männlichkeit legen, wie sie in Simmels Geschlechtersoziologie angelegt ist. Gemäß der Prämisse, daß Geschlecht nur als relationale Kategorie zu konzipieren ist, bleiben die Bestimmungen des Weiblichen dabei nicht unberücksichtigt; nur der Akzent ist ein anderer. Dieses prinzipielle Argument gewinnt hier, vor dem Hintergrund des Konzepts der Wechselwirkung, ein besonderes Gewicht, da - so Simmel - der Mann als differenziertes Wesen seine Geschlechtlichkeit erst in der Relation zur Frau gewinnt, während diese als das einheitlichere Wesen ihre Geschlechtlichkeit als ein "Absolutes", "Für-sich-Seiendes" hat (SimmeI1985, S. 205). Simmels Konzeption von Männlichkeit ist am deutlichsten und systematisch in dem 1911 erschienenen Aufsatz "Das Relative und das Absolute im Geschlechter-Problem" entfaltet (Simmel 1985, S. 200ff.). Simmel beginnt mit der allgemeinen Feststellung, daß in einem Verhältnis jedes Element seine Bestimmung nur in der Relation zu einem anderen erhält, daß dies aber keine Relationalität gleichgewichtiger Elemente ist, sondern eines von ihnen "wächst 32
zu einem Absoluten auf, das die Relation trägt oder normiert" (S. 200). Dies zeigt sich nicht zuletzt am Verhältnis von Männlichkeit und Weiblichkeit, das Simmel als die "Grundrelativität im Leben unserer Gattung" (ebd.) gilt. "Wir messen die Leistung und die Gesinnung, die Intensität und die Ausgestaltungsformen des männlichen und des weiblichen Wesens an bestimmten Normen solcher Werte; aber diese Normen sind nicht neutral, dem Gegensatz der GescWechter enthoben, sondern sie sind selbst männlichen Wesens" (ebd.). Freilich treten sie mit dem Anspruch objektiver Gültigkeit auf und verdecken genau damit, daß sie "männlichen Wesens" sind. Diese Analyse, die zentrale Punkte feministischer Männlichkeitskritik der letzten 30 bis 40 Jahre vorwegnirnmt25, erfahrt im folgenden eine macht- und herrschaftssoziologische Ausarbeitung. Die Objektivierung des Männlichen zum Allgemein-Menschlichen ist Folge und Ausdruck der ,,Machtstellung der Männer". Für die beiden Geschlechter resultiert hieraus eine unterschiedliche Erfahrungsmodalität der eigenen Geschlechtlichkeit. Dem Mann ist die seine in einer anderen Weise gegeben als der Frau die ihre. Simmel akzentuiert dies, indem er das Geschlechterverhältnis mit dem von Herrn und Sklaven vergleicht. Es gehört "zu den Privilegien des Herrn, daß er nicht immer daran zu denken braucht, daß er Herr ist, während die Position des Sklaven darur sorgt, daß er seine Position nie vergißt" (S. 201). Die Frau wird ständig an ihr Frausein erinnert, erlebt ihr Handeln nahezu durchweg als geschlechtlich konnotiert, sie handelt in gewisser Weise als GescWechtswesen, der Mann hingegen handelt nur in bestimmten Situationen als Mann, ansonsten aber als Mensch 26 . "Unzählige Male scheint der Mann rein Sachliches zu denken, ohne daß seine Männlichkeit gleichzeitig irgendeinen Platz in seiner Empfindung einnähme; dagegen scheint es, als würde die Frau niemals von einem deutlicheren oder dunkleren Gefuhle, daß sie Frau ist, verlassen; dieses bildet den niemals ganz verschwindenden Untergrund, auf dem alle Inhalte ihres Lebens sich abspielen" (S. 20 I).
Die kulturelle Überhöhung des Männlichen zu neutraler SacWichkeit und Gültigkeit begründet Simmel herrschaftstheoretisch. Als Herr habe der Mann kein derart vitales Interesse an seiner Beziehung zum Weiblichen, "wie die 25
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Ln Simmels geschlechtersoziologischen Arbeiten finden sich zahlreiche Stellen, die geradezu feministisch anmuten. So bemerkt er, daß fur eine Kommunikation des psychischen Erlebens der Frauen keine adäquaten symbolischen Mittel zur Verfugung stehen, da die Ausdmcksweisen, "die unsere Kultur der seelischen hmerlichkeit zur Velfugung stellt, im wesentlichen von Männem geschaffen sind und damm unvenneidlich vor allem der männlichen Wesensalt und ihren Bedürfnissen dienen" (1985, S. 195). Das ist eine Perspektive ähnlich deljenigen, die den aktuellen Diskussionen um Frauensprache, weibliche Moral, auch um feministische Wissenschaft und Methodologie zugmnde liegt. In welchen Situationen der Mann - in Eigen- wie in Fremdwahmehmung - als Mann handelt, sagt Simmel nicht. Für erotische und sexuelle Lnteraktionen dürfte die geschlechtliche KOlmotation des eigenen HandeIns gewissennaßen Ennöglichungsbedingung sein.
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Frau es an ihrer Relation zum Männlichen haben muß" (S. 201). Wie LipmanBlumen (1976) gezeigt hat, bilden sich die sozialen Orientierungen von Männern vornehmlich innerhalb der männlichen Eigenwelt aus; Männer orientieren sich an Männern. Bei Frauen ist eine solche Binnenorientierung in weitaus geringerem Maße gegeben. Das ist Ausdruck der Machtrelation und reproduziert sie, indem, was die Seite der Männer betrifft, die Irrelevanz des anderen Geschlechts fiir die eigene Orientierung das Geschlechtliche daran unsichtbar macht27 . Daß das Machtverhältnis nicht als solches wahrgenommen wird, von Männern nicht, aber auch nicht von Frauen, erfährt eine institutionelle Absicherung. Durch eine Transformation von Macht in Recht wird aus einem willkürlichen Nutznießer von Macht "der Träger einer objektiven Gesetzlichkeit" (Simmel 1985, S. 202). Aus dem Willen des pater familias wird Autorität. Recht, wie auch immer begründet, erscheint dem Gegensatz der Interessen enthoben, schon gar dem der Geschlechter. Dies ist auch dann der Fall, wenn die rechtliche Stellung von Mann und Frau nicht gleich ist, sofern diese Ungleichheit 'angemessen' begründet ist, z.B. als Vollzug einer göttlichen Ordnung oder als Ausdruck von Naturgesetzen. Simmels These von der differentiellen Bedeutung des Geschlechtlichen fiir die Geschlechter ist in gewissem Sinne keine neue Erkenntnis. 'Gewußt' haben dies bereits andere vor ihm. So heißt es im fiinften Buch von Rousseaus "Emile", im Kapitel ,,Mann und Frau": "In bezug auf die Folgen der geschlechtlichen Beziehungen gibt es zwischen den beiden Geschlechtern keine Gleichheit. Der Mann ist nur in gewissen Augenblicken Mann, die Frau aber ihr ganzes Leben lang Frau, oder wenigstens ihre ganze Jugend hindurch. Alles erinnert sie unaufhörlich an ihr Geschlecht" (Rousseau 1981, S. 389).
Für Rousseau ist dies gesichertes Wissen um die natürliche Ordnung, und es hat unbefragte normative Implikationen. Die Frage nach der sozialen Konstitution dieser Ungleichheit liegt ihm fern. Indem Simmel genau danach fragt und indem er auf die Perspektivität des Allgemeinen, Objektiven, SacWichen hinweist, trägt er zu einer soziologischen Entzauberung des Fraglosen bei. Das vermeintlich Allgemeine erscheint als Perspektive, die die eigene Perspektivität nicht sieht. Und genau dies ist Folge, Ausdruck, Mechanismus und Garant der Machtposition desjenigen Geschlechts, dessen Handeln nicht als gescWechtlich konnotiert gilt. Den Männern verbirgt sich ihr Geschlecht "hinter einer Welt von Objektivationen und Mittelbarkeiten" (Lichtblau 1989, S. 161). Aber nicht nur diesen, sonst hätte das männliche Geschlecht nicht so lange seine Dominanz behaupten können. Auch wenn Frauen, wie Simmel 27
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Wie diese lnvisibilisienmg hundelt Jalu'e, nachdem Simmel seine Analysen vorgelegt hat, und unter den Bedingungen eines Wandels des Geschlechtelverhältnisses inuner noch funktionielt, wird der empirische Teil der Arbeit zeigen (s. insb. Kap. 7.9).
(1985, S. 201) bemerkt, häufig "gewisse Urteile, Institutionen, Bestrebungen, Interessen als durchaus und charakteristisch männlich empfinden, die die Männer sozusagen naiv tur einfach sachlich halten", das fundamentale kulturelle Deutungsmuster einer objektiven Kultur und Moral haben sie mitgetragen und tun dies auch heute noch. Aufgebrochen und aufgekündigt wird dies erst in feministischen Thesen einer weiblichen Moral, einer weiblichen Wissenschaft usw. Simmel benennt die Folgen, welche die Objektivierung des Männlichen tur die Frauen zeitigt. Sie seien hier nur kurz genannt: einerseits eine "mystisierende Überschätzung der Frau", andererseits "Mißverständnisse und Unterschätzungen" (S. 202), die daraus resultieren, daß das Handeln der Frau nach Kriterien beurteilt wird, die tur das andere GescWecht geschaffen sind. Da, wie Simmel an anderer Stelle bemerkt (1985, S. 160f.)28, die Kultur nicht gescWechtslos, sondern an die männliche Leistungsfähigkeit angepaßt ist, gibt es keine nicht nach Frau und Mann fragende menscWiche Kultur, mithin auch keine Kultur, in der das Handeln der Frau nach Kriterien bemessen wird, die in einer spezifisch weiblichen Perspektive gründen29 • Simmel konstatiert einen doppelten Maßstab der Männer. Zum einen werden die Frauen den allgemeingültigen (sprich: männlichen) Kriterien unterworfen, zum anderen sind sie mit Erwartungen an das spezifisch Weibliche konfrontiert. Dem einen können sie nur ungenügend gerecht werden, das andere wird, sobald es 'geliefert' wird, abgewertet, ist keine der männlichen vergleichbare Leistung. Weder die eine noch die andere Strategie verhilft der Frau zu einer Anerkennung als Person (Schicksal des Sklaven). Das Weibliche ist das Andere, das Unbegriffene, "das einheitliche, womöglich zu gar keinem besonders betonten Inhalt zugespitzte, in dem undifferenzierten Naturgrund wurzelnde Wesen" (S. 203). Dies hat eine Funktion im Verhältnis der Geschlechter. Die Männer sind als Folge der geschlechtlichen 28
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In dem 1902 erschienenen Aufsatz "Weibliche Kultur" (1985, S. I59ff.), in dem zusammen mit seiner 1890 publizielten "Psychologie der Frauen" (1985, S. 27ff.) und der hier vOIlangig beliicksichtigten Arbeit "Das Relative und das Absolute im Geschlechter-Problem" Simmels GeschlechteltheOlie entfaltet ist. Im Gegensatz zu dem letztgenannten Aufsatz enthalten die beiden anderen mehr (explizite) AusfUhlUngen über die Frau als über den Mann. Silmnel geht in dem Aufsatz über "Weibliche Kultur" der Frage nach, wOIauf denn eine solche als eigenständige basieren und wOIin sie sich manifestieren könne. Seine Überlegungen fUhren ihn zu einer Wesensbestinunung des Weiblichen, die dessen weitgehend noch ungebrochene Nähe zur Natur betont - das "in dem undifferenzierten NaturglUnd wurzelnde Wesen" (S. 203) heißt es später (ich komme darauf zUliick) - und die in der Hauswiltschaft "die große Kulturleistung der Flau" (S. 170) erblickt. Die feministische Simmel-Rezeption sieht in diesen Bestimmungen einer weiblichen Kultur die BlUchstelle, an der Sinunels soziologisch-Iaitische Analyse in Geschlechtelmetaphysik und in eine Affinnation der bestehenden Geschlechterverhältnisse umschlägt (vgl. Bovenschen 1979, S. 39ff.; K1inger 1988; Wolfer-Melior J 985).
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Arbeitsteilung das zu Differenzierung und Individualisierung prädestinierte Geschlecht. Der dem Mann auferlegte Zwang zur Differenzierung läßt ein Bedürfnis nach Einheit entstehen, die er aber selbst nicht herstellen kann. Er sucht, erwartet und fordert sie bei der Frau als dem als einheitlich wahrgenommenen Wesen. So, wie das hier begründet ist, erscheint die Nähe der Frau zur Natur nicht naturalistisch-essentialistisch erklärt bzw. verklärt zu sein, sondern auf funktionale Erfordernisse zurückgeführt, wie sie aus der Entwicklung der Arbeitsteilung resultieren. Doch im direkten AnscWuß verquickt Simmel die soziologische Argumentation mit einer essentialistischen. ,,Die mit alledem angedeutete äußere und kulturgeschichtliche Entwicklung ist doch woW das Phänomen einer in der überhistorischen Basis des Geschlechtsunterschiedes wurzelnden Bestimmtheit" (S. 204). Sukzessive wandelt sich Simmels soziologische Analyse in eine Wesensbestimmung der Geschlechter, freilich mehr der Frau als des Mannes. Die zunächst in kritischer Perspektive formulierte, auf eine kulturelle Praxis verweisende These, daß das Handeln der Frau mehr als das des Mannes ein geschlechtliches ist, wird mehr und mehr zur nicht mehr auf ihre soziale Genese befragten Prämisse der weiteren Argumentation 30 . "Für den Mann ist die Geschlechtlichkeit sozusagen ein Tun, für die Frau ein Sein" (S. 204). Mit anderen Worten: Die Geschlechtlichkeit des Mannes gründet in sozialer Praxis, die der Frau ist schlicht gegeben. Insbesondere die Schwangerschaft dient Simmel als Beleg dafür, daß die Frau "der Relation zum anderen Geschlecht nicht bedarf', um die Identität von Sein und Frausein, die ,,Absolutheit des in sich bestimmten GescWechtlichen" (S. 205) zu erfahren. Während die Frau ein Geschlecht für sich ist, erfährt der Mann seine Geschlechtlichkeit nur in bestimmten Momenten. Diese aktualisiert sich in Relation zur Frau, ist keine unauslöschliche Charaktereigenschaft, eben ein Tun und kein Sein. Da die Beziehung zur Frau nur einen Teil des Handeins des Mannes bestimmt, ist ihm die GescWechtlichkeit nicht durchgängig gegeben. Selbst Erlebnisse, die einen Mann zu erotisch motivierter "Raserei" veranlassen, gelten Simmel nicht als Beweis des Gegenteils. Der Mann "füWt dennoch, daß sie ihn im tiefsten nichts angehen" (S. 205). Der Grund dafür, daß für den Mann seine Geschlechtlichkeit nur in der Relation zur Frau existiert und sonst nirgends, ist die Hypostasierung des Männlichen zum Objektiven. Dadurch wird sein Leben über den Geschlechtergegensatz hinweggehoben. 30
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Klingel' (1988, S. 150) weist darauf hin, daß diese "einigennaßen paradoxe Position, die Sinunel einniJmnt, indem er die Gleichsetzung von männlich und objektiv entlarvt und doch gleichzeitig auf ilu'er Gültigkeit behant", eine für die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundelt durchaus typische Erscheinung ist. Freilich dominielte damals - wie auch flüher und später - eine fraglos vorgenonunene Gleichsetzung den Geschlechterdiskurs, aus dem Simmel insofem herausragt, als er die begliffiichen Mittel fUr eine kritische Perspektive zumindest entwickelt, wenn er sie auch nicht konsequent einsetzt.
Wo dieser aber sein Handeln bestimmt, in der sexuellen Interaktion, ist seine Männlichkeit "viel durchgehender mit der Beziehung zu der Frau verbunden, als die Weiblichkeit der Frau mit der zum Manne" (S. 204). Der Einheitlichkeit der Frau stellt Simmel eine innere Zerrissenheit des Mannes gegenüber. Indem der Mann das Objektive schafft, Grenzen transzendiert, macht er sich selbst zum Mittel, verläßt er das eigene Zentrum. "Sein theoretisches wie sein praktisches Ideal enthält ein Element von Entselbstung. Er legt sich immer in eine irgendwie extensive Welt auseinander, so sehr er sie mit seiner Persönlichkeit durchdringen mag, er fügt sich mit seinem Tun in historische Ordnungen ein, innerhalb derer er bei aller Macht und Souveränität als Mittel und Glied gelten kann" (S. 207).
Während die Einheitlichkeit der Frau in einer selbstgegebenen Geschlechtlichkeit gründet, ist die Zerrissenheit des Mannes Ausdruck und Folge seiner nur in besonderen Momenten und nur relational gegebenen Geschlechtlichkeit. Nachdem aber genau dies das Bestimmungselement des Männlichen ist, fügt sich die These der "Entselbstung" bzw. der Dezentrierung des Mannes nicht mehr der Logik der Argumentation, wie sie Simmel zunächst entwickelt hat. Der Begriff des Selbst scheint ihm nur als ein essentialistischer, als Wesensbegriff, vorstellbar zu sein. Die Suche nach einer vorsozialen Basis des männlichen Selbst muß, folgt man Simmels eigener Logik, erfolglos bleiben. Simmel zieht diese Konsequenz nicht, weist aber in gewisser Weise auf die Aporien hin, die eine Suche nach dem "Wurzelgrund" des männlichen Selbst zu einem aussichtslosen Unterfangen machen. Er diskutiert die Tragik des männlichen Geschlechts, die ihm eine Folge von Objektivierung, der Aufspaltung von Mittel und Zweck ist. Die Tragik liegt darin, daß "ein zerstörendes, gegen den Lebenswillen des Subjekts gerichtetes Schicksal dennoch aus einem letzten Zuge dieses Subjekts, aus einer Tiefe dieses Lebenswillens selbst gekommen ist" (S. 210f.)31. Wenn es also eine Wesensbestimmung des Männlichen gibt, dann die, daß es dazu verdammt ist, ein einheitliches Selbst zu verfeWen. Die Zerrissenheit, der Dualismus von Subjekt und Objekt, macht den Mann zum 'geborenen' Stifter einer übergescWechtlichen, objektiven Kultur. Hat Simmel die Macht- und Herrschaftsbeziehungen zwischen den Geschlechtern zunächst in ihrer sozialen Genese und auch in ihrer Interessengebundenheit analysiert, so vollzieht er nun auch bei diesem Thema eine 'essentialistische Wende'. "Alle historischen Machtverhältnisse", die das Männliche erst zu einem Allgemein-Menschlichen objektiviert haben, "vollstrecken damit nur in den Ordnungen der Zeit den inneren charakterologischen Unterschied, den 31
Für das weibliche Geschlecht konstatiett Simmel kein eigentlich tragisches, sondem ein eher trautiges Schicksal. Dies besteht in der Objektiviemng der Frau zu einem "Mittel ftir den Malm, ftir das Haus, ftir das Kind" (S. 210), eine Objektivienmg, die allerdings die Einheitlichkeit des weiblichen Wesens nicht zeITeißt.
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das Verhältnis des Geschlechtsmomentes zur Wesenstotalität bei Männern und Frauen aufweist" (S. 213). Solches Zusammenziehen von soziologischer Analyse und essentialisierender Bestimmung hat Simmel, nicht zu Unrecht, den Vorwurf eingetragen, ein Apologet der herrschenden GescWechterordnung zu sein. Was als sozial hergestellt analysiert wird, wird zugleich als notwendige Vollstreckung einer natürlichen Ordnung behauptet. - Gleichwohl, es ist die in dieser Gleichzeitigkeit enthaltene Spannung zwischen Apologie und Soziologie, die seine Analysen aus dem zeitgenössischen GescWechterdiskurs herausheben und eine Lektüre der Sirnmelschen GescWechtertheorie auch heute noch anregend machen. Simmel thematisiert im folgenden die Konsequenzen, die aus dem erwähnten "charakterologischen Unterschied" für die soziologische Analyse resultieren. Das, was typisch männlich ist, ist viel schwieriger begrifflich zu fassen als das typisch Weibliche. "Das allgemein Menschliche, von dem die geschlechtliche Spezialität ein Sonderfall sein soll, ist mit dem männlichen derart solidarisch, daß keine spezifische Differenz gegen dieses an ihm angegeben werden kann: das schlechthin Allgemeine läßt sich nicht definieren" (S. 214).
Da die Frau ihre Geschlechtlichkeit als ein Sein hat, ist das Wesen der Frau relativ leicht zu definieren. Da der Mann seine Geschlechtlichkeit nur im Tun hat und da er differenzierter und individualisierter ist, läßt sich der individuelle Mann leichter beschreiben als die individuelle Frau, nicht aber die Gattung Mann. Diese Schlußfolgerung Simmels erscheint nicht zwingend, ließe sich doch der Typus Mann, seiner eigenen Argumentation folgend, dadurch bestimmen, daß er seine GescWechtlichkeit nur im Handeln, d.h. nur als hergestellte, hat. Allerdings scheint für Simmel der Begriff der Gattung essentialistisch konnotiert zu sein. Dies steht einer handlungstheoretischen Fassung der Kategorie GescWecht im Wege. Einmal mehr nimmt Simmel die zunächst dekonstruierte Gleichsetzung des Männlichen mit dem Allgemein-MenscWichen zur Basis weiterer Bestimmungen, wird das, was zunächst topos war, zur Ressource von Erklärungen. Daß der Mann in seiner Individualität präziser und leichter zu erfassen ist als die Frau, hat seinen Grund darin, daß eine Unterscheidung zwischen dem, was einen Mann, und dem, was einen Menschen ausmacht, nicht möglich ist. "Wo das Generelle eines Wesens so schlechthin generell ist wie beim Manne", ist für die Individualität ,,mehr Platz" vorhanden (S. 215f.). Weil der Mann das, was er tut, als Mensch tut, er als Mensch aber nicht in einer Relation zu einem Anderen steht, werden seine Verhaltensäußerungen nicht als einer (geschlechtlichen) Gattung zugehörig wahrgenommen, sondern als individuelle. Der Mann steht "über der geschlechtlichen Gegensätzlichkeit", "die Frau jenseits ihrer, weil sie ihrem Sein nach unmittelbar in und von der Quelle lebt, aus der beide Seiten des Gegensatzes fließen" (S. 217), aus der Mut-
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terschaft. ObwoW beide GescWechter mithin etwas Absolutes ausdrücken, das männliche "als übergescWechtlich Objektives", das weibliche "als übergescWechtlich Fundamentales" (S. 217), resultiert daraus keine soziale Gleichheit. Da der Mann sich durch sein Handeln über den Gegensatz der Geschlechter erhebt und das männlich Absolute herstellt, gewinnt er Macht auch über das vorsoziale Fundamentale. Die Frau ist durch ihre wesensmäßige Bestimmung geradezu prädestiniert, Objekt männlicher Herrschaft zu werden (vgl. WolferMelior 1985, S. 67). In einer Relation von zwei Elementen, hatte Simmel zu Beginn seines Aufsatzes festgestellt, wächst eines "zu einem Absoluten auf, das die Relation trägt oder normiert" (Simmel 1985, S. 200). Das gilt auch, wenn zwei Weisen des Absoluten aufeinander bezogen sind. Das (weibliche) Absolute, "das die Einheit des menschlichen Wesens, gleichsam noch vor der Trennung in Subjekt und Objekt, in substanzieller, ruhender GescWossenheit trägt" (S. 223), wird von dem (männlichen) Absoluten normiert, weil dieses sich durch Handeln über das ursprüngliche Sein erhoben hat. Resümiert man Simmels GescWechtertheorie und berücksichtigt man dabei vor allem seine Ausführungen zum männlichen Geschlecht, so zeigen sich neben dem mehrfach zu konstatierenden Bruch zwischen soziologischer Analyse und Geschlechtermetaphysik weitere Brüche und Paradoxien. Die Einsicht Simmels, daß Geschlecht und Geschlechterverhältnis als sozial konstituiert zu analysieren sind, erfährt eine gescWechtliche Halbierung, gilt zunehmend nur noch für das differenziertere Geschlecht, für das der Männer32 • Das hat theoriestrategische Konsequenzen. Einer rationalen Erklärung in soziologischen Begriffen (Wechselwirkung, Differenzierung, Individualisierung) ist das Handeln von Männern zugänglich, nicht aber das von Frauen. Schaut man genauer hin, ist es aber nicht das Handeln von Männern, sondern das männlicher Individuen, das in dieser Weise zu analysieren ist. Konsequent zu Ende gedacht, heißt das: Es ergibt sich die paradoxe Situation, daß eine Soziologie des Mannes nicht möglich ist, weil er als geschlechtliches Wesen nicht zu fassen ist, eine Soziologie der Frau nicht, weil sie in ihrer Geschlechtlichkeit nicht durch ihr Tun bestimmt ist. Das Geschlechtliche der Frau ist evident gegeben, aber nicht begrifflich zu explizieren, das Differenzierte des Mannes ist der Analyse zugänglich, aber nicht als Geschlechtliches. Wenn auch auf einem begrifflich wesentlich höheren Niveau, so wiederholt sich bei Simmel doch eine Gleichsetzung, wie sie den GescWechterdiskurs seit dem 18. Jahrhundert bestimmt hatte und wie wir sie auch bei Tön32
Beck (1986, S. 179) hat die These von einer "im GlUndliß der Industtiegesellschaft halbielten Modeme" fonnulielt, welche deren als unteilbar konzipielten Plinzipien (Freiheit, Gleichheit) dem einen Geschlecht zuerkennt, dem anderen vorenthält. An Sinllnels GeschlechteltheOlie läßt sich gut beobachten, wie diese Halbienll1g auch in der wissenschaftlichen Selbstbeschreibung der Modeme ihren Niederschlag findet. Die modeme Gesellschaft bleibt in ihrer Selbstreflexion ihrer Praxis verhaftet.
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nies vorgefunden haben, diejenige der Frau mit Natur und des Mannes mit Kultur. Indem Simmel die Gleichsetzung des Mannes mit der objektiven Kultur als soziale Praxis analysiert, trägt er zu deren Entzauberung bei (auch wenn er sie später wieder 'verzaubert'). Als völlig vorsozial erscheint hingegen die Geschlechtlichkeit der Frau. Hier kann Simmel sich nicht von zeitgenössischen Deutungsmustern lösen. Daß auch die vermeintlich natürliche Gegebenheit von Weiblichkeit kulturell erzeugt ist, erscheint zwar einmal ansatzweise als Denkmöglichkeit, wird aber nicht ausgefiihrt; vielmehr beruht die Ontologisierung der Differenz auf der Bestimmung des Weiblichen als "das Metaphysische im reinen Sinne" (Simmel 1985, S. 222). Die Differenz ist einerseits in sozialer Praxis hergestellt, in der männlich-menschlichen Schaffung einer objektiven Kultur, andererseits naturnotwendige Folge des weiblichen Wesens. "Welche Rolle in der Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen jedem zukam, war eigentlich von der Natur her nur fur die Frauen bestimmt" (S. 177), weil der Frau als Mutter notwendig die Aufzucht der Kinder obliegt. Da dem Mann ein solcher "naturgegebener Tätigkeitsinhalt" fehlt, ist er auf schöpferische Tätigkeit verwiesen, zum Träger der Arbeitsteilung bestimmt. Trotz alledem hat Simmel zumindest Bruchstücke einer Geschlechtersoziologie vorgelegt. Vier fur die aktuelle Diskussion bedeutsame Perspektiven sind in Ansätzen vorhanden: 1. 2. 3. 4.
Die Differenz der Geschlechter ist sozial konstituiert. Die Differenz ist nicht neutral, sondern in Macht- und Herrschaftsbeziehungen hergestellt. Mit der Objektivierung der Perspektivität der mächtigen Seite zum Allgemeinen wird das Herrschaftsverhältnis stabilisiert, in dem es als solches der Wahmehmung entzogen wird. Ein Geschlecht hat man nicht einfach, es ist an eine bestimmte soziale Praxis gebunden.
Den letztgenannten Aspekt, der eine handlungstheoretische Fassung der Kategorie Geschlecht nahelegt, fuhrt Simmel nur fur das männliche Geschlecht aus, das weibliche hat sein Geschlecht fur sich. Diese Spaltung, die die kulturelle Herstellung der Geschlechterdifferenz auf der Ebene der Theoriebildung nachvollzieht, verhindert eine konsequente soziologische Analyse. Selbst zu einer handlungstheoretischen Bestimmung des männlichen Geschlechts dringt Simmel nicht wirklich vor - aus den männlichen Geschlechtswesen werden männlich-menschliche Individuen. Stattdessen sucht er auch hier nach einem Wesenskern und muß dies auch tun, weil ansonsten die Einheitlichkeit der Kategorie Geschlecht zerrissen wäre. Um die andere mögliche Lösung - die soziale Konstruiertheit auch des weiblichen Geschlechts - in Erwägung zu
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ziehen33 und damit von der Suche nach dem Wesen von Frau und Mann völlig Abschied zu nehmen, ist er offensichtlich zu sehr dem GescWechterdiskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts verhaftet, der in der Mutterschaft bzw. in der Fähigkeit hierzu die nicht hintergehbare Basis des Weiblichen sah (vgl. Badinter 1981; Schütze 1986). Ein solche Naturalisierung kennzeichnet im übrigen auch Teile der damaligen bürgerlichen Frauenbewegung, die als eine "Bewegung organisierter Mütterlichkeit" ein Konzept einer spezifisch weiblichen Kulturleistung propagierte (vgl. Schenk 1980, S. 45f.), das den Simmelschen Auffassungen recht nahe steht.
1.3 Emde Durkheim: Geschlechtliche Arbeitsteilung und der Mann als Produkt der Gesellschaft Rein quantitativ gesehen, gemessen an der Anzahl der TextsteIlen, in denen Durkheim Aspekte des Geschlechterverhältnisses behandelt, wäre es nicht zu rechtfertigen, ihn unter diejenigen Klassiker einzureihen, die eine soziologische GescWechtertheorie entwickelt haben. Er hat zu diesem Thema weder Aufsätze publiziert (wie Simmel) noch widmet er ihm eigene Kapitel oder Abschnitte eines seiner großen Werke (wie Tönnies). So verwundert es nicht, daß auch in der kritischen Rezeption der Klassiker durch die Frauenforschung Durkheim verhältnismäßig wenig Beachtung erfährt (vgl. Lehmann 1991, S. 141). Das Verhältnis der GescWechter, Unterschiede der sozialen Funktionen von Frau und Mann spricht Durkheim jedoch immer wieder an, und er analysiert sie auf der Folie der von ihm entwickelten soziologischen Kategorien. Dies geschieht vor allem in zwei Werken, in den Studien über die soziale Arbeitsteilung von 1893 und über den Selbstmord von 1897, des weiteren sporadisch in seinen familiensoziologischen Abhandlungen. Aus den einscWägigen, zum Teil verstreuten TextsteIlen, läßt sich eine kohärente Geschlechtertheorie rekonstruieren, die die Entwicklung und die Funktionen der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die Position von Frauen und Männem in der Ehe sowie die konjugale Familie zum Gegenstand hat. 33
In der "Psychologie der Frauen" findet sich eine Passage, in der eine soziologische Analyse der Einheitlichkeit des weiblichen Geschlechts angelegt ist. Hier, in dieser geschlechtersoziologischen Frühscluift, rekunielt Simmel auf die Alt der Tätigkeit, welche die Frauen bei der häuslichen AJ-beit vellichten. "Vorläufig pflegt sich die Tätigkeit der Frauen noch so auf das Haus zu konzenllieren, daß man, vereinzelte Extreme ausgenOlmnen, wohl sagen kann, die Tätigkeit der höchsten und der niedrigsten Frau unterscheide sich lange nicht so selu', wie sich die des höchsten und des niedligsten Mannes unterscheidet" (Sitmnel 1985, S. 46). Die hier angedeutete Perspektive, die differenten Geschlechtscharaktere aus unterschiedlichen Praxisfonnen zu erklären, bleibt allerdings unausgearbeitet und wird in späteren A1'beiten nicht mehr aufgenOlmnen. Uhni (1989, S. 58) bemerkt, daß Simmel zunächst der Meinung gewesen sei, die Frau nicht als Gattungswesen erfassen zu können, daß er später hingegen das Gattungsmäßige als das die Frau bestitmnende verstanden habe.
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Als eine spezifisch soziologische Perspektive auf das Phänomen der Arbeitsteilung, das gewöhnlich vor allem in ökonomischen Begriffen analysiert wird, führt Durkheim den Gesichtspunkt von Moral und Solidarität ein. Er verdeutlicht dies zunächst anhand der Rollendifferenzierung, wie sie sich in einem Freundeskreis entwickelt, und resümiert: ,,[n diesem Fall sind die ökonomischen Dienste, die sie leisten kann, verglichen mit der moralischen Wirkung, die sie hervorruft, gering, und ihre wahre Funktion besteht darin, zwischen zwei oder mehreren Personen ein Geruhl der Solidarität herzustellen" (Durkheim 1988, S. 102).
Die Sichtweise bleibt nicht auf das erwähnte Beispiel der Freundschaft begrenzt, sie ist der Kern der Durkheimschen Theorie der Arbeitsteilung. Das zeigt sich in seiner Unterscheidung von mechanischer und organischer Solidarität, die als höhere, entwickeltere Form der Solidarität nur auf der Basis der Arbeitsteilung entstehen kann, "als eine Tochter der Arbeitsteilung", wie Durkheim (1981, S. 55) an anderer Stelle schreibt. Die Geschichte der Ehe ist Durkheim ein eindrucksvoller Beleg seiner grundlegenden Perspektive. Diese Geschichte ist nichts anderes als die Entwicklung der geschlechtlichen bzw. der "sexuellen Arbeitsteilung", wie es bei Durkheim heißt. Diese hat sich "parallel zur ehelichen Solidarität entwickelt" (1988, S. 103). Durch die sexuelle Arbeitsteilung wird eine Einheit, die gerade in Folge der Entwicklung der Arbeitsteilung zerbrochen ist, auf einem höheren Niveau wiederhergestellt. Solidarität zwischen Getrennten, Unterschiedenen tritt an die Stelle einer ursprünglichen Einheit. Je weiter man in prähistorische Zeiten zurückgeht, desto geringer ist die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Diese "war keineswegs das schwache Wesen, das es mit dem Fortschritt der Moralität geworden ist" (S. 103). Vielmehr sei zu Beginn der menscWichen Evolution die weibliche Form der allgemeine Typus gewesen, von dem die männliche sich erst abgespalten habe. Um diese Annahme zu stützen, verweist Durkheim auf Berichte über den Körperbau bei südamerikanischen Stämmen sowie auf vergleichende anthropologische Untersuchungen des Gehirnvolumens von Frauen und Männern bei verschiedenen Rassen und aus verschiedenen historischen Epochen. Mit zunehmender Zivilisation - so faßt er das Ergebnis dieser Untersuchungen zusammen - unterscheiden sich Gehirngewicht und "folglich" Intelligenz von Frau und Mann immer stärker34 . Nicht auf die Anatomie, sondern auf funktionale Aspekte ist Durkheims Interesse gerichtet. Jene dient ihm dazu, seine These zu untermauern, daß in den prähistorischen Gesellschaften weibliche und männliche Funktionen nicht klar voneinander geschieden waren. Eigenschaften, welche die Frau des 19. 34
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Die methodische Fragwürdigkeit solcher Vergleiche, die auf einem "kruden wissenschaftlichen Matetialismus" (Roth 1992, S. 175) beruhen, sei vennerkt, braucht hier aber nicht weiter diskutiett zu werden.
Jahrhunderts auszeichnen, etwa die Sanftmut, sind nicht als originär weiblich zu bezeichnen. So wie die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern im Zuge der gesellschaftlichen Evolution erst entstanden ist, ist auch die Ehe Ergebnis gesellschaftlicher Entwicklung und sozialer Differenzierung. Durkheim nimmt an, daß es zunächst Formen des familialen Zusammenlebens gegeben hat, die nicht auf einer dauerhaften und geregelten Beziehung von Mann und Frau basierten. Solche Gesellschaften, in denen es keine Ehe gab, sind zugleich Gesellschaften, in denen eine soziale Differenzierung zwischen den Geschlechtern nur rudimentär ausgebildet war. "Der Stand der Ehe in den Gesellschaften, in denen beide Geschlechter nur schwach differenziert sind, bezeugt demnach, daß dort die eheliche Solidarität ihrerseits sehr schwach ist" (Durkheim 1988, S. 106).
Die Entwicklung der Ehe und der sexuellen Arbeitsteilung folgt derselben Linie wie die von mechanischer zu organischer Solidarität. In Gesellschaften, die auf der Basis mechanischer Solidarität funktionieren, ähneln sich die Mitglieder bis hin zur Nichtunterscheidbarkeit. Dort, wo organische Solidarität vorherrscht, beruht das gesellschaftliche Gleichgewicht auf sozialer Differenzierung der Funktionen und auf Arbeitsteilung (vgl. Durkheim 1981, S. 55). In dem Maße, in dem sich die Institution der Ehe durchsetzt und entwickelt, schreitet auch die sexuelle Arbeitsteilung voran. Zunächst auf die sexuellen Funktionen beschränkt, wird sie zum grundlegenden Prinzip der Organisation sämtlicher sozialer Beziehungen von Frau und Mann. Diese Entwicklung kulminiert in der perfekten Differenzierung zweier polar entgegengesetzter Geschlechtscharaktere. "Man könnte sagen, daß sich die beiden großen Funktionen des psychischen Lebens getrennt haben, daß eines der Geschlechter die Gemütsfunktionen und das andere die Verstandesfunktionen übernommen hat" (Durkheim 1988, S. 106f.).
Wie immer man Durkheims Analogisierung von sozialer Differenzierung und anatomischer Entwicklung einschätzen mag, es bleibt festzustellen, daß seine Erklärung der Unterschiede der Geschlechter eine strikt soziologische Perspektive erkennen läßt. Jene werden als soziale Tatsachen präsentiert, indem ihre soziale Genese analysiert wird. Durkheim folgt hier also dem von ihm selbst in den "Regeln der soziologischen Methode" formulierten Postulat, daß Soziales nur aus Sozialem erklärt werden kann (vgl. Durkheim 1976, S. 182ff.). Zumindest verfährt er so in den referierten Passagen der Studie über die Arbeitsteilung. Wie wir noch sehen, hält er diese Perspektive nicht konsequent durch. Die Physiologie ist fiir Durkheim nicht bedeutungslos, sie gilt ihm aber zum einen selbst als abhängig von der gesellschaftlichen Evolution. Morphologische Unterschiede, wie etwa Gehirngröße und -gewicht, bilden sich erst 43
im Zuge des zivilisatorischen Fortschritts deutlich aus und stehen so in einem wechselseitigen Fundierungsverhältnis mit den funktionellen Unterschieden. "Im übrigen werden diese funktionellen Unterschiede materiell greifbar durch die morphologischen Unterschiede, die sie ausgelöst haben" (Durkheim 1988, S. 107). Zum anderen ermöglichen die physiologischen Unterschiede die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, sie erzwingen sie aber nicht. "Daraus, daß sie gegeben sind, folgt noch nicht, daß man sich ihrer bedient" (Durkheim 1988, S. 324). Durkheim wendet sich hier explizit gegen einen biologischen Determinismus. Er untermauert seine Position mit dem Hinweis auf Gesellschaften, in denen beide Geschlechter den gleichen Beschäftigungen nachgehen. Wenn freilich eine Spezialisierung stattfmdet, darm knüpft diese an die vorhandenen natürlichen Unterschiede an. Durkheim erklärt diese Tendenz gleichsam utilitaristisch: Die Anstrengung ist am geringsten, der Gewinn am höchsten. Wo die Arbeitsteilung sich entwickelt, da ist die Richtung vorgegeben, da werden die physiologischen Unterschiede immer bedeutsamer. In jeder Stufe der Differenzierung zwischen den Geschlechtern ist der Unterschied wirksam. Die in bestimmten sozialen Klassen feststellbare zunehmende Beschäftigung von Frauen mit Kunst und Literatur ist für Durkheim kein Zeichen einer Annäherung der weiblichen an die männlichen Funktionen; ganz im Gegenteil bringt die Frau selbst hier "ihre eigene Natur ein, und ihre Rolle ist sehr speziell, sehr verschieden von der des Mannes" (1988 S. 107). Statt zu einer Angleichung kommt es eher zu einer weiteren Differenzierung. Das männliche Geschlecht verzichtet auf Kunst und Literatur und schafft sich mit der Wissenschaft eine eigene Domäne. Hier mischen sich eine naturalistische und eine soziologische Argumentation auf eigentümliche Weise. Der Gegenstand der ausdifferenzierten Funktionen ist nicht an sich geschlechtlich konnotiert, sondern erfahrt diese Bedeutung erst durch eine soziale Praxis. Funktionen können mithin 'ihr Geschlecht' wechseln. Gleichwohl wird die jeweilige Funktion, ist sie einmal geschlechtlich bestimmt, nach Maßgabe der Natur des Geschlechts gestaltet. Insgesamt resultiert aus der sexuellen Arbeitsteilung mithin, daß das natürliche Potential der Geschlechter mehr und mehr für die gesellschaftliche Entwicklung genutzt wird (vgl. Sydie 1987, S. 34). Nachdem Durkheim die Entwicklung der Ausdifferenzierung von weiblichen und männlichen Sphären beschrieben hat, akzentuiert er noch einmal, unter welchem Aspekt er seine soziologische Analyse der Arbeitsteilung vornimmt. Funktionen werden voneinander abhängig gemacht, Gesellschaft wird durch Arbeitsteilung erst ermöglicht, eine "Sozial- und Moralordnung sui generis" (1988, S. 108) entsteht. Das wird am Verhältnis der Geschlechter vorgeführt, gilt aber über dieses hinaus als allgemeines Prinzip. Daß die sexuelle Arbeitsteilung, ohne die "eine ganze Form des sozialen Lebens gar nicht entstanden" wäre (ebd.), als exemplarischer Fall gewählt wird, zeigt freilich, daß 44
die Analyse der sozialen Beziehungen von Mann und Frau für die Durkheimsche Theoriekonstruktion alles andere als ephemer ist (vgl. Roth 1992). Als Folge der sexuellen Arbeitsteilung ist der Mann die treibende Kraft sozialer Differenzierung, Träger von Kultur und Protagonist gesellschaftlicher Entwicklung. "Die Frau ist weniger am Zivilisationsgetriebe beteiligt als der Mann; sie nimmt weniger daran Teil und zieht aus ihm weniger Gewinn; sie erinnert mehr an gewisse Züge primitiver Naturen" (Durkheim 1988, S. 304). Wiewohl Durkheim hier das bekannte kulturelle Deutungsmuster reproduziert, das die Frau der Seite der Natur, den Mann der Sphäre der Kultur zuordnet, bietet seine Analyse doch die Möglichkeit, diese Zuordnung als Produkt einer sozialen Praxis zu sehen. Allerdings ist zu betonen, daß diese soziologische Perspektive möglich ist. Durkheim selbst verfolgt sie nicht konsequent. Mehr noch als in dem Buch über die Arbeitsteilung thematisiert Durkheim in der Studie über den Selbstmord den Unterschied der GescWechter. Der Selbstmord ist "eine im wesentlichen maskuline Erscheinung" (1990, S. 59f.). Die Gründe dafür, daß die Frauen in den Selbstmordstatistiken unterrepräsentiert sind, sieht Durkheim in Merkmalen und Eigenschaften, die sich, folgt man seinen zuvor referierten Analysen, als Folge der sexuellen Arbeitsteilung herausgebildet haben. Die im Vergleich zu den Männern stärkere Traditionsgebundenheit, die geringere Bildung und das weitgehende Fehlen intellektueller Bedürfnisse bilden einen Schutz vor der Gefahr des Selbstmordes (vgl. Durkheim 1990, S. 179). Das sind generell, nicht nur bei Frauen, Faktoren, die präventiv wirken. Zum Beispiel ist die stark in Traditionen verhaftete Landbevölkerung weniger selbstmordanHi.1lig als die Stadtbevölkerung. Nicht das weibliche GescWecht als solches schützt also vor Selbstmord, sondern Eigenschaften, die dieses GescWecht mit anderen sozialen Gruppen teilt. Allerdings werden an dieser Stelle und generell in der Arbeit über den Selbstmord geschlechtstypische Eigenschaften und Merkmale nicht als Produkt der Arbeitsteilung dargestellt, sondern als gegeben, mithin nicht weiter erklärungsbedürftig eingeführt. Vielmehr dienen sie selber in dieser substantialisierten Form als Erklärung für unterschiedliche Selbstmordraten. Durkheim diskutiert ausführlich, welche Vorteile und Nachteile fur die GescWechter aus dem Ehestand resultieren. Der Mann - so die resümierende These - profitiert von der Ehe, der Frau gereicht sie zum Nachteil (vgl. 1990, S. 318). Durkheim erläutert dies, indem er die Selbstmordraten von verheirateten Männern und Frauen in Staaten mit und ohne Scheidungsrecht vergleicht. Wo eine Scheidung möglich ist, ist die Ehefrau mehr vor der Gefahr des Selbstmordes gefeit als in Ländern, in denen die Scheidung verwehrt wird. Umgekehrt profitiert der Mann - hinsichtlich seiner Selbstmordanfälligkeit -, wenn die Auflösung der Ehe nicht möglich ist (vgl. S. 305f.). Durkheim formuliert als "Gesetz": "Der Ehestand begünstigt die Frau unter dem 45
Aspekt des Selbstmordes um so mehr, je häufiger Scheidungen auftreten, und umgekehrt" (S. 308). Den Grund für diese unterschiedliche Auswirkung des Ehestandes auf die Geschlechter sieht Durkheim in der sozialen Funktion der Ehe. Weil, bedingt durch die Evolution, der GescWechtstrieb des Mannes nicht mehr physiologisch geregelt ist, nicht in periodischer Regelmäßigkeit wie beim Tier sich geltend macht, weil er überhaupt nicht mehr nur von körperlichen Bedürfnissen stimuliert wird, sondern auch geistig angeregt werden kann, ist eine soziale Regelung notwendig. Das leistet die Ehe. "Denn dadurch, daß sie dem Mann die Verpflichtung auferlegt, sich nur an eine Frau zu binden, immer die gleiche, weist sie dem Liebesbedürfnis ein genau bestimmtes Objekt zu und verbietet den Blick über diesen Horizont hinaus" (S. 311).
Der Schluß vom Eherecht auf die Ehewirklichkeit mag wenig überzeugen, fügt sich aber dem Durkheimschen Begriff der sozialen Tatsache, demzufolge das Recht wegen seines objektiven Charakters ein soziologisch besonders wertvolles Dokument ist (vgl. Durkheim 1981, S. 64). Außerdem ist es für eine Rekonstrukion seiner GescWechtersoziologie nicht so sehr von Belang, ob er die soziale Wirklichkeit adäquat beschreibt; zunächst ist die Logik der Argumentation nachzuvollziehen35 . Durkheim schreibt der monogamen Ehe die Funktion der sozialen Regulierung des gesamten Gefühlslebens des Mannes zu. Freilich nur des Mannes; das der Frau benötigt keine solche Regulierung. Deren sexuelle Bedürfnisse haben "einen weniger geistigen Charakter, weil allgemein gesprochen ihr geistiges Leben weniger entwickelt ist" (Durkheim 1990, S. 313). Da bei den Frauen sexuelle Bedürfnisse und Forderungen des Organismus eng aneinander gekoppelt sind, werden jene durch diese reguliert. Als instinktiveres Wesen braucht die Frau nur den "Instinkten zu folgen, um Ruhe und Frieden zu finden" (S. 313). Anders als der Mann bedarf sie dazu nicht der monogamen Ehe. Der Mann hingegen findet in der Ehe, auch wenn sie mit Zwängen und Starrheit verbunden ist, die Ruhe und den Seelenfrieden, der dem Junggesellen, der ,jede Bindung eingehen kann, die ihm gefallt" (S. 311), verwehrt sind. Die "heilsame Disziplin", die die Ehe auf den Mann ausübt, läßt ihn sein Glück in dieser fmden, während der Junggeselle durch nichts wirklich befriedigt wird. Folglich gereicht die Ehe dem Mann zum Vorteil, nicht aber der Frau. 35
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Durkheim weist selbst darauf hin, daß "im übligen" "die allgemeine Sittenauffassung" dem Malm bestimmte Plivilegien einräumt, "mit deren Hilfe er in gewissem Maße die Strenge der Vorschliften abmildem kann" (1990, S. 314). Dieser knappe Verweis auf dem MalUl offenstehende Möglichkeiten außerehelichen Geschlechtsverkehrs, der sich scheut, die Dinge beim Namen zu nennen, und der keinen Hinweis auf eine Doppelmoral beinhaltet, ist fiir Durkheim kein Anlaß, seine These zu relativieren.
Das zeigt sich in den Selbstmordziffem. Wo die Ehe geschieden werden kann, ist die Exklusivität der Bindung nicht in dem Maße gegeben wie dort, wo eine Ehe nicht aufgelöst werden kann. Sie ist dann "nur noch ein schwaches Abbild ihrer selbst. Sie ist weniger wert. Sie kann daher ihre heilsamen Einflüsse nicht im gleichen Maß ausüben" (S. 312). Der Ehemann lebt in einem Zustand der Ruhelosigkeit, der dem des Junggesellen sich annähert. "Folglich wird die Gesamtzahl der Selbstmorde ansteigen" (S. 313). Die Frau zieht aus der Normierung, welche die Ehe bedeutet, keine Vorteile. Natürlich ist auch für sie die Monogamie eine "absolute Verpflichtung ohne Komprorniß" (S. 314), da aber ihre Begierden bereits von Natur aus begrenzt sind, kann die Ehe ihr nicht in dem Maße wie dem Mann helfen, sich einzuschränken. Die Ehe verbessert ihre Situation nicht, bringt ihr nicht mehr Ruhe und Seelenfrieden. Stattdessen verhindert sie eine Veränderung, "auch wenn sie unerträglich wird" (S. 314). Daraus folgert Durkheim, daß die Möglichkeit, sich scheiden zu lassen, für Frauen von Vorteil ist und einer geringeren Selbstmordrate korrespondiert. Durkheim konstatiert einen Antagonismus der Geschlechter, gegensätzliche Interessen: "Der eine braucht Zwang, der andere Teil Freiheit" (S. 317). Mit dieser These sieht er sich im Gegensatz zur "Iandläufigen Vorstellung von der Ehe und ihrer Funktion" (S. 318). Ob die Interpretationen und Schlußfolgerungen, zu denen Durkheim durch die vergleichende Analyse von Selbstmordstatistiken gelangt, plausibel sind, sei dahingestellt36 . Auf jeden Fall scheint darin eine Geschlechtertheorie auf, die trotz der reklamierten Abgrenzung vom common sense eng an gängige kulturelle Stereotype von Frau und Mann anknüpft. Der Mann erscheint als triebgeschütteltes Wesen, rastlos in seiner Suche nach Sexualobjekten und nach sexueller Abwechslung, jedoch in noch so vielen Sexualkontakten keine Ruhe fmdend. Die ist ihm erst durch den Zwang der Ehe gewährt, und das macht alles wett, was dieser Zwang an Unangenehmen mit sich bringt. Das Bild, das Durkheim hier von der Frau zeichnet, präsentiert diese als sowohl in ihren geistigen Fähigkeiten und Ansprüchen begrenzt als auch sexuell genügsam. Ihre sexuellen Bedürfnisse halten sich im Rahmen des vom Organismus Vorgegebenen, was immer das auch sein mag, tendieren nicht zu Grenzüberschreitungen. Folglich bringt die Ehe den Frauen keine Ruhe, die sie nicht auch schon vorher gehabt hätten. Aber der Mann ist nicht nur der sexuell und intellektuell Ruhelose, die Frau die in sich Ruhende. In der Beschreibung dessen, was die Ehe Unterschiedliches mit den Geschlechtern macht, wiederholt sich dieses Muster als Gegensatz von Entwicklung und Stagnation. Für den Mann verändert sich sein Leben fundamental, wenn er heiratet, in sexueller wie in geistiger Hinsicht, für die Frau bedeutet die Ehe, was diese Dimensionen des Lebens be36
Für eine ktitische Diskussion des von Durkheim angewandten methodischen Velfahrens vgl. Selvin 1976.
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trifft, keinen gravierenden Einschnitt. Dem Gegensatz von Entwicklung und Stagnation korrespondiert derjenige von Vielfalt und Eindimensionalität. In seinen familiensoziologischen Arbeiten bestimmt Durkheim Heim und Herd als den der Frau angemessenen Platz37 ; die Sphäre des Berufs hingegen ist den Männem vorbehalten 38 . Die öffentliche Welt des Mannes ist vielfältig strukturiert, enthält mehr als eine Option, die häusliche Welt der Frau ist eindimensional, ohne Wahlmöglichkeiten (vgl. Lehmann 1991, S. 161). Differenzierung ist in den Durkheimschen Ausführungen zum Geschlechtsunterschied männlich konnotiert. Im Zuge der Ausbildung der geschlechtlichen Arbeitsteilung entwickelt sich der Mann, die Frau stagniert. Als Folge wird die Gesellschaft selbst männlich. "Der Mann ist stark integriert, während die Frau fast nur von Feme zuschaut" (Durkheim 1990, S. 457). Motivationen, Einstellungen, Neigungen des Mannes sind kollektiven Ursprungs, die Frauen bleiben weitgehend organischen Einflüssen unterworfen. Mithin ist nicht nur die Gesellschaft männlich, umgekehrt ist der Mann "fast ganz ein Produkt der Gesellschaft", während die Frau so geblieben ist, wie sie "von der Natur geschaffen wurde" (S. 458). Allerdings hält Durkheim es für möglich, daß die Organisation der Geschlechterdifferenz auf der Folie von Kultur und Natur im Zuge der weiteren gesellschaftlichen Evolution durch eine andere ersetzt werden wird. Damit sind in gewissem Sinne Kultur und Natur als kulturelle Deutungsmuster für eine Differenz bestimmt, die selbst aber nicht aufzuheben ist. Wie immer auch das GescWechterverhältnis sich entwickeln wird, es "liegt keine Veranlassung vor zu der Annahme, die Frau könnte in der Gesellschaft je dieselben Funktionen erfüllen wie der Mann" (S. 458). Wie bereits erwähnt, sieht Durkheim die Möglichkeit, daß die Männer den Frauen Kunst und Literatur überlassen und sich selbst auf die Wissenschaft konzentrieren. "Wenn zum Beispiel der Mann mehr und mehr durch seine nutzbringenden Funktionen in Anspruch genommen ist und dadurch vor der Notwendigkeit steht, auf seine ästhetischen Funktionen zu verzichten, warum sollen diese dann nicht der Frau zufallen?" (S. 458)
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In seiner Rezension von Malianne Webers Buch "Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung" wendet er sich gegen Tendenzen, die "organische Einheit" von Familie und Ehe zu zerstören, wie sie etwa in politischen Vorstößen zu einer völligen rechtlichen Gleichstellung der Ehegatten und zu einer Liberalisierung der Scheidungsgesetzgebung gegeben seien. Durch solche Tendenzen gerät die weibliche Würde in Gefahr, denn: "The respect shown her, a respect that has increased over histOlical time, has its origin mainly in the reIigious respect which the hearth inspires" (Durkheim 1978, S. 144). Durkheim betont die Bedeutung der Einbindung des Mannes in eine BeIUfsgIUppe. "Only this group, in my view, is able to perfonn the economic and moral functions which the familiy has become increasingly incapable of pelfonning.... In the heaIts of men, professional duty must take over the place fonnerly occupied by domestic duty" (Durkheim 1965, S. 535f.).
Wenn hier auch Frauen Funktionen übernehmen, die vormals von Männern ausgefuhrt worden sind, so bleibt doch das Muster bestehen, daß die soziale Differenzierung eine männliche Angelegenheit ist. Der Mann wendet sich neuen Aufgaben zu und überläßt die alten der Frau. Das impliziert eine Hierarchie, eine Dominanzordnung, die von Durkheim aber nicht als solche thematisiert wird. Der Mann erledigt die fur das Funktionieren der Gesellschaft wichtigen Aufgaben, der Frau wird der Zugang zu marginalen bzw. marginal gewordenen Bereichen eröffnet, und zwar vom Mann39 . Die Definitionsmacht, was dem eigenen und was dem anderen Geschlecht angemessen ist, verbleibt beim Mann. Die Kategorien von Macht und Herrschaft, von Unter- und Überordnung fehlen in den Durkheimschen Analysen der GescWechterdifferenz. Die Ausdifferenzierung separater gescWechtlicher Sphären erscheint als eine neutrale Spezifizierung von Funktionen, die komplementär aufeinander bezogen sind. Es ist aber, wie wir gesehen haben, eine ungleiche Komplementarität (vgl. Roth 1992, S. 184). Lediglich an einer Stelle in der Studie über die Arbeitsteilung spricht Durkheim die dominante Position des Mannes an. Nachdem er festgestellt hat, daß Unterschiede im Körperbau Frauen und Männer zu unterschiedlichen Funktionen prädestinieren, wiewohl die soziale Praxis nicht daran anknüpfen muß (s.o.), sagt er, daß der Vater "durch sein Alter, durch die Blutsbindungen, die er mit seinen Kindern hat", ausersehen ist, "in der Familie jene Leitungsfunktionen auszufuhren, deren Summe die väterliche Gewalt ausmacht" (1988, S. 324). Das ist freilich keine soziologische Analyse und auch keine überzeugende Behauptung, denn der Altersunterschied und die "Blutsbindungen" sind im Verhältnis von Mutter und Kinder nicht weniger gegeben. An anderer Stelle bezeichnet Durkheim die Unterordnung der Frau unter den Mann als notwendige Bedingung fur die Einheit der konjugalen Familie (vgl. Lehmann 1991, S. 158). Die dominante Position des Mannes impliziert fur Durkheim aber keine Unterdrückung der Frau. Vielmehr diagnostiziert er eine Entwicklung des Familienlebens, welche die moralische Position der Ehefrau und der Mutter stärkt. Zudem wird, weil das Zentrum des männlichen Lebens immer weniger außerhalb des Hauses liegt4°, die Verbindung der Gatten untereinander stärker und konstanter. Der Mann fuhlt sich mehr und mehr als der Gefahrte der Frau, und seine Gewohnheit, seine Frau 39
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Wenn man sich vergegenwältigt, wie Durkheim in seinen Vorlesungen über Erziehung und Moral den unterschiedlichen Stellenwert von Kunst und Wissenschaft bestimmt, wird die hierarchische Ordnung noch deutlicher. Den Moralcharakter zu bilden ist Aufgabe des Unterrichts der Wissenschaften, delm: "Die Moral ist das emste Leben, sie hat das Wirkliche zum Ziel". Die Kunst hingegen "bildet keinen positiven Faktor der Moralität. Sie ist ein Mittel, das bereits gebildete Moraltemperament gegen gewisse ungesunde Einflüsse zu behüten" (Durkheim 1984, S. 307). Diese Annahme steht im Widerspmch zu der These Durklleims, daß die Bemfsgmppen für die märUlliche Ot;entiemng immer wichtiger werden (vgl. Fußnote 38).
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als minderwertig zu betrachten, schwindet. Diese Entwicklung vollzieht sich nicht gegen, sondern innerhalb und auf der Basis der patriarchalen Familie. "The result is the more marked as the patriarchal family is more strongly and more solidly organized" (Durkheim 1978, S. 143). Und hierfur ist der Mann verantwortlich. Wie bereits in der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Funktionsbereiche, so kommt auch innerhalb des Bereichs der Familie dem Mann die dominante Position zu. Daß sich die gescWechtliche Arbeitsteilung in einer Weise entwickeln könnte, die das Dominanzgefuge der GescWechter einebnet oder gar umdreht, das liegt für Durkheim außerhalb des Denkbaren. Zwar bemüht er sich anders als Tönnies und Simmel nicht um eine Bestimmung des Wesens der Geschlechter, ein Denken in essentiellen Kategorien bestimmt aber dennoch seine implizite, von ihm selbst nicht systematisch ausgearbeitete Geschlechtertheorie. Das erzeugt die mehrfach festgestellte Spannung zwischen konsequent soziologischer Analyse und Geschlechterideologie.
2. Geschlecht: Soziale Rolle oder soziale Konstruktion? Die Ansätze zu einer Soziologie des Geschlechts, die in den Werken der Klassiker Tönnies, Simmel und Durkheim enthalten sind, sind von der sich institutionalisierenden Soziologie des 20. Jahrhunderts zunächst nicht aufgenommen und weiterentwickelt worden. Erst um die Mitte des Jahrhunderts, im Rahmen der soziologischen Rollentheorie und hier insbesondere in den Arbeiten von Talcott Parsons wird der Thematik der Geschlechterbeziehungen wieder größere Aufmerksamkeit zuteil. Ein expliziter Gegenstand von Forschung und Theoriebildung wird die männliche Geschlechtsrolle. Mit dem Konzept der GescWechtsrolle verbindet sich ein Paradigma, das in der sozialwissenschaftlichen GescWechterforschung trotz aller Kritik, die es erfährt, nach wie vor seinen Platz hat, das aktuell freilich mehr in der Sozialpsychologie als in der Soziologie vertreten ist. Die rezente soziologische Diskussion wird von verschiedenen Varianten des Sozialkonstruktivismus dominiert. Hier hat ein Paradigmawechsel stattgefunden, der in der amerikanischen Soziologie weitreichender vollzogen ist als in der deutschen. Aber auch hierzulande kreisen zumindest die Theoriedebatten um die Frage, was mit dem Konzept der sozialen Konstruktion gemeint ist und wie es empirisch eingeholt werden kann.
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2.1 Geschlechtsrollentheorie: Instrumentelle Orientierung und die 'Gefahren' der männlichen Geschlechtsrolle An der Schnittstelle von soziologischer Rollentheorie und psychologischer Geschlechterdifferenzforschung hat sich in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA eine Forschung zur Entwicklung der Geschlechtsrollenorientierung entwickelt. Der Begriff der Geschlechtsrolle ist das Konzept, das den sozialwissenschaftlichen Diskurs über das Geschlechterverhältnis bis in die jüngere Vergangenheit dominiert hat. Vor allem in der psychologischen Diskussion waren Merkmale und Probleme der männlichen GescWechtsrollenidentifIkation von Beginn an ein zentrales Thema. Pleck (1987) bezeichnet das Konzept der männlichen Geschlechtsrollenidentität als das dominante Erklärungsmodell der amerikanischen Psychologie zum Verständnis männlicher Erfahrung. Die rollentheoretische Fassung des Themas Mann und Männlichkeit zeichnet sich durch zwei Aspekte aus. Erstens: Die GescWechtsrolle wird als psychologische Entsprechung des biologischen Geschlechts verstanden; eine angemessene Geschlechtsrollenidentität manifestiert sich in Erwerb und Besitz derjenigen Eigenschaften und Attitüden, die im psychologischen Sinne das biologische Geschlecht bestätigen. Zweitens: Dieser Fundierung in der Anatomie korrespondiert eine implizite Norrnativität des Konzepts der Geschlechtsrolle. Eine heterosexuelle Orientierung als - statistischen und moralischen - Normalfall voraussetzend, wird nach den Charakterzügen gefragt, die eine "gesunde" männliche Geschlechtsidentität ausmachen. Dies fuhrt zur Entwicklung der bis heute in vielfaltigen ModifIkationen verwendeten Maskulinitäts- und Femininitätsskalen, deren items die kulturellen Stereotype über männliche und weibliche Eigenschaften reproduzieren (vgl. Bierhoff-Alferrnann 1989; Sieverding/Alferrnann 1992)41. Als ein norrna41
Diese Skalen stellen die in der Sozialpsychologie vorhelTSchende Methode dar, um die Geschlechtsrollenidentifikation von Versuchspersonen zu messen. Ln die Testkonstruktion, d.h. in die Fonnuliel1Jl1g und in die Auswahl der items, gehen massive stereotypisierende Annahmen über Geschlechtscharaktere ein. Ein Vergleich der Test-items und der Eigenschaften, die der Geschlechterdiskurs des 19. Jahrhundelts als weibliche und als männliche definiert hat, ergibt verblüffende Übereinstimmungen (vgl. die Übersichten bei BierhoffAlfennann 1989, S. 30ff. und Hausen 1976, S. 368). Folgte die Testkonstruktion zunächst dem Plinzip der BipoLarität - ein item ist entweder indikator fiir Femininität oder fiir Maskulinität, nicht aber fiir beides; niedlige WeIte auf der Maskulinitätsskala indizieren ein hohes Maß an Femininität und vice versa -, so wird das heute zunehmend als ein Problem gesehen. Wer hohe Ladungen auf der Femininitätsskala aufweist, muß deswegen nicht notwendig niedlige Maskulinitätswelte haben. Gleichsam dem kulturellen Diskurs folgend, der z.B. von weiblichen Anteilen beim Mann splicht, werden zweidimensionale Konzepte und Androgynitätsskalen entwickelt. Eine Versuchsperson kann hohe Weite auf beiden Skalen haben, auf der Femininitäts- und auf der Maskulinitätsskala, und gilt dann als androgyn. Maskulin ist, wer hoch auf der M- und niedlig auf der F-Skala lädt; fiir feminine individuen gilt das umgekelute. Wer auf beiden Skalen niedlige Weite erzielt, gehölt zur
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ler Mann gilt, wer hohe, aber keine extremen Werte auf der Maskulinitätsskala und geringe Werte auf der Femininitätsskala erreicht. Als Abweichungen von der männlichen Geschlechtsrolle werden sowohl Hypermaskulinität (z.B. übersteigerte Aggressivität) als auch Effeminierung (z.B. Konfliktvermeidung) gesehen. Als extremste Form der Abweichung gilt Homosexualität. Die Differenz zwischen homosexuellen und heterosexuellen Männern gleicht derjenigen zwischen Männern und Frauen. Der Beginn des wissenschaftlichen Interesses an Problemen der männlichen GeschlechtsrollenidentifIkation datiert in einer Epoche, als die amerikanische Gesellschaft mit einer massiven wirtschaftlichen Krise zu kämpfen hatte, in der Zeit der "Großen Depression". Pleck (1987, S. 27) versteht diese Krise nicht nur als eine ökonomische, sondern zugleich als eine gravierende Unterminierung der institutionellen Basis der traditionellen Männerrolle. Der Mann als Ernährer der Familie stand in Gefahr, diese Funktion nicht mehr erfüllen zu können42 . Unter anderen Auspizien und mit einer anderen Ausrichtung wiederholt sich gegenwärtig diese reaktive Anbindung sozialwissenschaftlicher Theoriebildung an eine Situation gesellschaftlichen Umbruchs - in Gestalt der men 's studies, die ohne die feministische Infragestellung des traditionellen Geschlechterarrangements wohl kaum entstanden wären (s. Kap. 3.2). Diese explizite 'Männerforschung' hat das Konzept der männlichen Geschlechtsrolle als leitendes Paradigma einer soziologischen Konzeptualisierung von Männlichkeit abgelöst. Insgesamt hat die Geschlechtsrollentheorie seit den siebziger Jahren einen Bedeutungsverlust erfahren (vgl. Pleck 1987, S. 36), und zwar genau in dem Maße, in dem im Zuge der Frauenforschung zunächst klassentheoretische und dann konstruktivistische Perspektiven an Boden gewonnen haben. In die Soziologie hat das Konzept der Geschlechtsrolle vor allem durch die Arbeiten von Talcott Parsons Eingang gefunden. Mit der Verknüpfung von psychoanalytischer Entwicklungstheorie und strukturfunktionalistischer Soziologie hat Parsons die elaborierteste und theoretisch anspruchsvollste Version der Geschlechtsrollentheorie vorgelegt. Parsons' Bezugsrahmen ist nicht die Geschlechter-, sondern die Familiensoziologie. Die Sozialisation in
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Restkategolie der Undifferenzielten. Andere RefonnulielUngen der urspliinglichen Skalen verstehen diese nicht mehr als OperationalisielUng von Maskulinität und Femininität, sondem von instlUmentellen und expressiven Persönlichkeitsmerkmalen. - Was sich geändett hat, sind die KIiterien, nach denen die Testergebnisse interpretielt werden, weitgehend gleich geblieben sind aber die Inhalte der flir Weiblichkeit und flir Männlichkeit stehenden items. Herzlich, heiter, gefUhlsbetont, sanft, kinderlieb, launisch usw. findet man auf den Femininitätsskalen, aggressiv, besonnen, ehrgeizig, selbstsicher, stark usw. auf den MaskuIinitätsskalen. Eine soziologische KonzeptualisielUng von Männlichkeit wird man auf der Basis solcher Bestimmungen, die kulturell verankelte Stereotype wiederholen, nicht entwickeln können. Wie der empiIische Teil zeigen wird, hat die Funktion des Familienemährers in bestimmten Mälulelwelten nichts an identitätsstiftender Funktion verloren (s. Kap. 7.2).
der Kemfamilie steht im Fokus, und der Aneignung der männlichen GescWechtsrolle gilt eine besondere Aufmerksamkeit. Die strukturfunktionalistische Perspektive auf Geschlechtsrollen im allgemeinen und auf die familialen Rollen von Frau und Mann im besonderen fragt danach, welche Motivationen die Angehörigen beider GescWechter entwickeln müssen, damit die Reproduktion der Gattung gewährleistet ist (vgl. Ritzer 1983, S. 226). Institutionalisierung von Heterosexualität sowie die Tabuisierung von Homosexualität und von Inzest treten an die Stelle fehlender Instinktsteuerung. Für Parsons sind dies universell anzutreffende Muster, die im familialen Sozialisationsprozeß anzueignen sind. Normale Erwachsenensexualität zeichnet sich dadurch aus, daß die erotischen Bedürfnisse mit dem Wertsystem der Gesellschaft in Übereinstimmung stehen43 . "ln its involvement in the social system in a larger way the erotic love relationship is universally associated with marriage, reproduction, and parenthood.... The erotic love relationship itself is thus tied in with the acceptance of the parental roles and their responsibilities" (Parsons 1964a, S. 390).
Das ist der Bezugspunkt, von dem aus Parsons weibliche und männliche Geschlechtsrollen sowie deren Aneignung in der Primärsozialisation analysiert. Die Sozialisation des Mädchens muß beispielsweise gewährleisten, daß dieses fahig wird, später eine reife Bindung ("mature attachment") zu einem Mann einzugehen (S. 224). Die GescWechtsrollen erfahren ihre spezifische Ausprägung im Hinblick auf die funktionalen Anforderungen des Gesellschaftssystems. Parsons nimmt an, daß die Familie im allgemeinen in der Lage ist, die Kinder entsprechend zu sozialisieren44 . GescWechtsrollenorientierungen müssen in der Sozialisation erworben werden und sind somit Produkt sozialer Praxis, sie haben aber einen Bezugspunkt in anatomischen Unterschieden, sind mithin nicht beliebig. "Obwohl natürlich die anatomischen Unterschiede der Geschlechter fundamentale Bezugspunkte für die Entwicklung von Orientierungen abgeben, ist es für das Kind erforderlich, die Bedeutung dieser Fakten für die Verhaltenserwartungen zu erlernen, von denen die Rollendifferenzierungen der beiden Geschlechter geprägt werden" (Parsons 1968, S. 55).
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Eine anders stlUkturielte Sexualität bezeichnet Parsons (1964a, S. 225) als ,,regressiv". Die funktionalistische Perspektive bedeutet nicht, daß Parsons nicht auch die Möglichkeit von Spalmungen und Inkonsistenzen sieht. Diese sieht er vor allem in der Jugendkultur gegeben, für die er eine Alt künstlicher Isolienlllg der romantischen Liebe von Heirat und folgender Eltemschaft diagnostiziert (vgl Parsons 1964a, S. 391). Da die Jugendphase aber eine vorübergehende ist und gewölmlich in eine nonnale ElwachsenenorientielUng einmündet - in eine BelUfsolientielUng beim Mann, eine Familienolientienlllg bei der Frau (vgl. Parsons 1964b, S. 71) -, stellen solche Abweichungen kein gravierendes Problem für die Systemintegration dar.
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Die soziale Geschlechtsrollendifferenzierung macht sich den anatomischen Unterschied zu Nutzen, um die Rollen eindeutig bestimmten Kategorien von Akteuren zuzuweisen, die Inhalte der Rollen sind jedoch durch jenen Unterschied nicht präformiert. Männliche und weibliche Geschlechtsrollen sind entlang der Achse "instrumentell-adaptiv" versus "expressiv-integrativ" differenziert und folgen damit einem allgemeinen und elementaren Muster der funktionalen Differenzierung sozialer Systeme (vgl. Parsons/Bales 1955, S. 22f.)45. Instrumentelle Rollen sind vor allem auf die Verwirklichung von Systernzielen gerichtet, expressive auf die Integration der Gruppe. Parsons sieht hierin "die Hauptachse der Differenzierung von Geschlechtsrollen in allen Gesellschaften" (1968, S. 58)46. Mit dem Erwerb der eigenen Geschlechtsrolle, der zugleich eine kognitive Aneignung des Systems der Geschlechtsrollendifferenzierung ist, wird dem Kind ein Grundprinzip funktionaler Differenzierung vermittelt. Die geschlechtliche Sozialisation ist also in einem fundamentalen Sinne eine Einübung in die Gesellschaft. Die Geschlechtsrollenkategorisierung ist, "abgesehen vom Alter, die erste universalistische Kategorisierung, auf die das Kind stößt; sie ist von fundamentaler struktureller Bedeutung ftir die Gesellschaft als Ganzes" (Parsons 1968, S. 56).
Parsons betont die Bedeutung der Geschlechtsrolle für die strukturelle Differenzierung von Gesellschaften, die ohne eine deutliche Unterscheidung weiblicher und männlicher Rollen nicht möglich wäre. Wichtig sind hier die Komponenten der Geschlechtsrolle, die auf die außerfamiliäre Sphäre bezogen sind. Die männliche Rolle erweist sich für Parsons in diesem Zusammenhang als wichtiger als die weibliche, denn die außerfamiliären Komponenten treten 45
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Neuere Parsons-lntelpretationen betonen, daß Parsons - anders als populalisielte Versionen der GeschlechtsrollentheOlie - die Geschlechtsrollen nicht als eine kulturelle Ausarbeitung des biologischen DimOiphismus begreift (vgl. Connell 1995, S. 22), daß er Geschlecht ebenso wie Alter und Velwandtschaft als sozial konstruielt konzipiert, da deren Bedeutung interkulturell vaIiiert (vgl. Jolmson 1993, S. 117). Das heißt jedoch nicht, daß die Geschlechtsrollen von den anatomischen Unterschieden entkoppelt wären (s. auch Fn. 46). Parsons kJitisielt an dieser Stelle Margaret Meads These, derzufolge es Gesellschaften gibt, in denen die Zuweisung von instrumentellen und expressiven Funktionen an die Geschlechter genau umgekehrt zu der von Parsons behaupteten allgemeinen Regel geschieht. Parsons erscheint dies ,,zweifelhaft in Anbetracht der weiblichen Funktionen bei der Fürsorge für das Kind" (1968, S. 58, Fn. 2). Wenn auch die anatomischen Unterschiede keine hillalte von Geschlechtsrollen vorgeben, so stellt sich Parsons die Zuweisung der elementaren Funktionen an die Geschlechter dennoch nicht als losgelöst von kÖlperlichen Voraussetzungen dar. An anderer Stelle bemerkt er zum Symbolismus des Geschlechtsverkehrs, der Mann in seiner instrumentellen Rolle sei der Initiator, "with his penis as instrument, the main active 'gi ver of pleasure' to both paltners; ... The woman, on the other hand is not only typically more passive and receptive, but by admitting the penis and 'embracing' it in her vagina, she may be said to be symbolizing her acceptance ofthe relationship and ofher partner in it" (Parsons/Bales 1955, S. 151, Fn. 11). Anatomische Unterschiede prädestinieren zumindest für die Zuweisung differenter sozialer Funktionen.
bei jener "unvermeidlich mehr hervor" (1968, S. 61). Die Unvermeidlichkeit resultiert aus der differentiellen Zuweisung instrumenteller und expressiver Funktionen an die Geschlechter und aus der damit verbundenen Zuweisung öffentlicher und privater Rollen 47 . Die zentrale lebensgeschichtliche Aufgabe des Jungen sieht Parsons in Anlehnung an die psychoanalytische Theorie der Überwindung des Ödipuskomplexes in der Ablösung von der Mutter, in der Überwindung einer ursprünglich weiblichen Identifikation. In diesem Zusammenhang betont er die Notwendigkeit des "Vatersymbols". Die Vaterrolle stellt "zweifellos einen der Grundsteine der sozialen Struktur dar - nicht nur in der Kemfamilie, sondern in allen Verwandtschaftssystemen" (1968, S. 47). Die Bedeutung des Vatersymbols ist nicht auf die Beziehung zu den Kindern begrenzt. Über den sozialisatorischen und den familiären Aspekt hinaus ist der Vater eine symbolische Figur von allgemeiner kultureller Tragweite. Der jüdisch-christliche Gott-Vater verdeutlicht dies eindringlich (vgl. S. 68)48. Was den Vater fiir die Geschlechtsrollensozialisation bedeutsam macht, ist nicht allein seine Position innerhalb der Familie, sondern, daß seine männliche Rolle - anders als die weibliche Rolle der Mutter - über die Grenzen der Familie hinausweist. Der Vater ist "als Mann mit besonderer Beziehung zu seiner Rolle außerhalb der Familie und zu den kulturellen Werten, die er hinsichtlich extrafamiliarer Angelegenheiten vertritt, der entscheidende Mittelpunkt für das Kind" (parsons 1968, S. 62).
Aus der Verbindung familialer und öffentlicher Rollen erwächst dem Vater eine doppelte Bedeutung fiir den geschlechtlichen Sozialisationsprozeß. Insofern als seine Berufsrolle Teil der Familienrolle ist (Ernährer der Familie), wird er zum "instrumentellen Führer" des Familiensystems (vgl. Parsons/Bales 1955, S. 13). Er ist erstens die Autoritätsfigur in der Familie, die dem Kind - so Parsons in Anlehnung an die psychoanalytische Theorie - zur Ablösung von der Mutter verhilft; und ihm kommt zweitens die Funktion zu, gesellschaftliches Rollenmodell zu sein (Identifikationsfigur fiir den Jungen, Männlichkeitsideal fiir das Mädchen). Der Vater ist fiir die Kinder der ,,Prototyp der 'Männlichkeit'" (S. 56), er symbolisiert aber auch Statusdifferenzen. Eine ambivalente Haltung der Kinder gegenüber der Vatergestalt ist die Folge - zwischen Bewunderung und Angst, zwischen Respekt und Aggression. Der universalistisch orientierte Vater hat als Mittler zwischen der auf unmittelbare Gegenseitigkeit gegründeten Welt der Familie und der durch 47
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Und auch im1erhalb der Bemfssphäre wiederholt sich dieses Muster. Typische FrauenbemFe wie Lelu'elin, Sozialarbeitelin, Krankenschwester, Sekretärin haben starke expressive Komponenten und stehen zu mälU1lichen Rollen oft in einer unterstützenden Funktion (vgl. Parsons/Bales 1955, S. 15, Fn. 13). Parsons sieht die Macht dieses Symbols in Zusammenhang damit, "daß die Bindung der Kultur an das Velwandtschaftssystem als solches übelwunden wurde" (1968, S. 68).
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ökonomische Rationalität geprägten Welt des Berufs die Funktion, den Kindern die Wertorientierungen der Erwachsenenwelt zu vermitteln (vgl. Parsons 1964a, S. 224). In Gestalt des Vaters kommt das Leistungsprinzip innerhalb des familiären Raums zur Geltung. Die Mutter ist dazu wegen ihrer stärker partikularistischen Orientierung nicht in der Lage. Da ihre Rolle auf den Binnenraum der Familie bezogen ist, kann sie universalistische Prinzipien, die für strukturell differenzierte Systeme typisch sind, nicht in dem Maße repräsentieren wie der Vater. Diese Funktionsbestimmung gilt zunächst für die Beziehung des Vaters zur Tochter wie zum Sohn49 . Für den Jungen erweist sich der Vater von weitergehender Bedeutung. Die Übernahme der männlichen Geschlechtsrolle geschieht im Modus der ,,'Identifizierung' mit dem Vater" als Verinnerlichung einer allgemeinen Vaterrolle ("intrafamiliäre Komponente") und als Verschmelzung ,,mit dem allgemeinen Muster der männlichen Rolle in der jeweiligen Gesellschaft" ("extrafamiliäre Komponente") (Parsons 1968, S. 67). Eine positive Geschlechtsrollenidentifizierung sieht Parsons nicht nur als wichtig an, um Selbstvertrauen in der eigenen GescWechtsrolle zu entwickeln. Im Hinblick auf soziale Integration sind drei weitere Aspekte bedeutsam. Eine positive Identifikation ist Voraussetzung dafür, erstens, daß die Rolle adäquat ausgefüllt werden kann, vor allem in ihrem relationalen Gehalt, in ihrer Bezogenheit auf die weibliche Komplementärrolle, zweitens, daß eine Bereitschaft zur späteren eigenen Übernahme einer Vaterrolle ausgebildet wird, und drittens, daß weitere Rollenspezifizierungen entwickelt werden (vgl. S. 69)50. Wie wichtig für Parsons eine positive, d.h. den Normen von Heterosexualität und Reproduktionswilligkeit verpflichtete Geschlechtsrollenidentifikati49
SO
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In dem Aufsatz über das "Vatersymbol" (Parsons 1968, S. 46-72), in dem Parsons über dessen Bedeutung fUr die Geschlechtsrollensozialisation sclu'eibt, findet eine interessante, aber vom Autor nicht kenntlich gemachte Perspektivenverschiebung statt. Der Aufsatz befaßt sich auf den letzten Seiten nur noch mit der Vater-Sohn-Beziehung bzw. mit der Bedeutung des Vatersymbols fUr die Aneignung der mälUllichen Geschlechtsrolle. Man kÖIUlte argumentieren, daß dies die unterschiedliche Bedeutung des Vaters fUr weibliche und mäl1l1liche Geschlechtsrollensozialisation reflektielt. Dies allerdings tut Parsons nicht, er begIiindet seine Perspektivenbegrenzung nicht. Man mag das als einen impliziten 'male bias' der Parsonssehen TheOlie bezeichnen. Allerdings hebt Parsons sich von einer in den Sozialwissenschaften verbreiteten und unter dem StichwOlt von der 'MälUllichkeit der Wissenschaft' kritisierten Praxis in gewisser Weise ab. Auf mäl1l11iche Elfaluungswelten bezogene Aussagen werden nicht umstands los zu allgemeinen, geschlechtsneutralen Thesen generalisielt, die Geschlechtsbezogen.heit bleibt deutlich sichtbar. Erste weitere Rollendifferenziel1Jngen finden nach Parsons im Anschluß an die familiale Plimärsozialisation statt. Voraussetzung ist freilich eine klare Geschlechtsrollenidentität. "Das nach-ödipale Kind uitt eindeutig als Junge oder Mädchen kategOlisielt in das System der fOllllalen Erziehung ein, aber weiter ist seine Rolle noch nicht differenzielt" (Parsons 1968, S. 166). Bei Schuleintlitt ist das Geschlecht die einzige Basis einer fonnellen Statusdifferenziel1Jng. Eine stl1Jkturelle Differenziel1Jng elfolgt dalUl zunelunend nach dem !<Jitelium der Leistung.
on des Mannes ist, zeigt die Beschreibung eines Negativbeispiels für mißlungene GescWechtsrollensozialisation. "Es darf ... vennutet werden, daß die typische Haltung des sogenannten 'Wolfs' gegenüber Frauen, um ein vertrautes amerikanisches Beispiel zu nehmen, ein fundamental ambivalentes Verhältnis zur Männlichkeit einschließlich der eigenen Übernahme einer Gatten-Vater-Rolle offenbart. Die positive Seite kommt in dem Bedürfnis zum Ausdruck, Frauen zu beeindrucken und zu beherrschen; die negative in der Unfähigkeit, die normale Verantwortung zu akzeptieren, die zu einer sozial integrierten geschlechtlichen Beziehung gehören sollte, und oft in dem unbewußten Verlangen, Frauen zu verletzen, sie zu verführen und dann zu verlassen. Es dürfte wahrscheinlich sein, daß ein derartiges Muster in der Regel eine unvollständige Identifizierung mit einer stabilen Vatergestalt, vielleicht auch eine Komponente femininer Identifizierung enthält, der gegenüber die übertriebene und verzerrte Männlichkeit eine Reaktionsbildung darstellt. Mit anderen Worten, der 'Wolf dürfte häufig latent homosexuell sein" (1968, S. 69). Eine positive männliche Geschlechtsrollenidentiflkation kombiniert männliche Dominanz mit Verantwortlichkeit fur Frau und Familie. SowoW Homosexualität als auch Machismo (Frauen verfuhren und dann verlassen) stellen Abweichungen dar. Parsons entwirft ein - implizit normatives - Modell einer Einheitsmännlichität, demgegenüber andere Formen als "übertriebene und verzerrte Männlichkeit" erscheinen. Innerhalb des Rahmens dieses einheitlichen Modells sind freilich Variationen möglich. Der Inhalt der Männerrolle "wird entsprechend der Rollenstruktur der Gesellschaft stark variieren" (S. 67). Heterosexualität, Reproduktionswilligkeit und Verantwortlichkeit fiir Ehe und Familie stellen allerdings universale Grundpfeiler der männlichen GescWechtsrolle dar51 • Parsons familiensoziologisch und sozialisationstheoretisch fundierte Ausarbeitungen des Konzepts der Geschlechtsrollenorientierung lassen ein Konzept von Männlichkeit erkennen, das diej enigen Eigenschaften, die bei dem amerikanischen middle dass-Mann der f\infziger Jahre (Angestellter und Vater in einer Kleinfamilie mit nicht berufstätiger Mutter) zweifelsohne typischerweise zu beobachten gewesen sind, zu transhistorischen und transkulturellen Attributen der männlichen Geschlechtsrolle hypostasiert. Das sind im einzelnen: eine universalistische Orientierung, affektive Neutralität, instrumentelle Zielverfolgung, Betonung von Leistung. Wie bereits die Tönniesschen Dichotomien52 und wie Sirnmels These vom Mann als dem differenzierteren Geschlecht reflektieren auch die Parsonsschen Ausfuhrungen in gewis5I 52
An anderer Stelle bemerkt Parsons, der Inhalt von Männlichkeit und Weiblichkeit habe sich in der amelikanischen Familie geändelt, das Prinzip der Differenziel1Jng sei jedoch keineswegs ungültig geworden (vgl. Parsons/Bales 1955, S. 24). Den Parsonssehen pattern-variables liegt eine ähnliche Logik zugl1Jnde wie den TÖIU1iessehen Dichotomien von Gemeinschaft und Gesellschaft (vgl. Jensen 1980, S. 59).
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ser Hinsicht eine gesellschaftliche Praxis, versäumen es aber, diese Praxis als eine gesellschaftliche zu benennen, d.h. zu berücksichtigen, daß sie wie alle Praxis kontingent ist. Die Parsonssehe Geschlechtsrollentheorie faßt Männlichkeit implizit als Leistung und damit als etwas, was ein Mann, wie das Beispiel des "Wolfs" zeigt, auch verfehlen kann. Es ist nicht zufällig, daß Parsons sich explizit mit Problemen der männlichen Geschlechtsrollenidentifikation befaßt, nicht aber mit solchen der weiblichen. Wie schon bei Tönnies, bei Simmel und bei Durkheim erscheint Weiblichkeit eher als unmittelbar gegeben, von daher auch nicht zu verfehlen 53 • Auch spricht Parsons von gesellschaftlichen Variationen nur bei der männlichen Rolle. Das korrespondiert mit der Annahme, daß Differenzierung ein Prinzip instrumenteller, nicht aber expressiver Rollen ist (vgl. Zahlmann-Willenbacher 1979, S. 66). Der Rahmen der weiblichen Erwachsenenrolle ist spätestens mit der Heirat gesetzt. "Mit der Heirat ist der grundsätzliche Status der Frau festgelegt, und danach geht es in ihrem Rollenmuster nicht mehr so sehr um Statusbestimmung, als vor allem darum, entsprechend den an sie gestellten Erwartungen zu leben und dabei befriedigende Interessen und Tätigkeiten zu finden" (Parsons I 964b, S. 77).
Zwar sieht Parsons, daß auch die weibliche Erwachsenenrolle Elemente von Spannung und Unsicherheit enthält, diese manifestieren sich aber anders als beim Mann, nämlich in neurotischem Verhalten. Solches Verhalten stellt aber keine Abweichung von der Rolle dar, wie es Homosexualität oder Machismo beim Mann sind. Wie generell bei Parsons die Betonung der normativen Integration der Gesellschaft auf Kosten einer Analyse von Macht- und Herrschaftsverhältnissen geht, so auch in seiner Geschlechtsrollentheorie. Seine familiensoziologischen Arbeiten thematisieren Machtaspekte nur im Verhältnis der Generationen, nicht aber in dem der Geschlechter. Zumindest für die amerikanische Familie diagnostiziert er ein nahezu vollständiges Machtgleichgewicht von Frau und Mann. Den Grund sieht er in der hohen Bedeutung, die universalistischen Werten in dieser Gesellschaft zukommt (vgl. Parsons/Bales 1955, S. 152). Der Vater ist Familienoberhaupt nur in dem Sinne, daß er die Familie 53
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Eine feministische FOItfUhnmg dieses Denkens stellt Chodorows (1985) bekannte Selllift "Das Erbe der Mütter" dar. An Freud, aber auch an Parsons anknüpfend, besclu-eibt sie den Prozeß der Ablösung des Jungen aus der pli mären Mutterbindung als einen Iaisenhaft verlaufenden Prozeß, der dem Jungen Anstrengungen abverlangt, die das Mädchen, das das Identifikationsobjekt nicht wechseln muß, nicht auf sich nehmen muß. Überhaupt haben Parsonssehe Konzepte einen größeren Widerhall in der feministischen TheOliebildung gefunden, als man anzuneillnen geneigt ist. Gi lIigans (1984) Unterscheidung einer weiblichen Fürsorge- und einer männlichen Gerechtigkeitsmoral weist den Geschlechtem Eigenschaften zu, die sich auf der Achse expressiv/instmmentell abbilden lassen. Freilich nimmt der feministische Diskurs eine Umweltung vor. Die Gleichwertigkeit, wenn nicht Höhelwertigkeit expressiver WeIte wird betont.
repräsentiert und daß er rur deren Unterhalt zuständig ist, nicht aber in dem Sinne, daß er sie dominiert. Parsons verkennt, daß die Differenzierung der Funktionen entlang der Achse instrumentelllexpressiv dem Mann in seiner instrumentellen Rolle Macht gegenüber der Frau in ihrer expressiven Rolle verleiht, zumindest unter den Bedingungen der Kleinfamilie in einer industrialisierten Gesellschaft. Allerdings wäre eine solche Analyse auf der Basis seiner Begrifflichkeit durchaus möglich (vgl. Johnson 1993, S. 124f.). Abgesehen davon, daß Parsons Machtstrukturen hätte beobachten können, vor allem die ökonomische Abhängigkeit der Ehefrau, rallt er konzeptionell hinter die Simmelsche Einsicht zurück, daß in einem sozialen Verhältnis eine Seite sich zum Absoluten aufschwingt und in der Normierung der Relation die andere Seite dominiert (s. Kap. 1.2). Aber auch in seinem eigenen Modell kommt den expressiven Rollen eine unterstützende Funktion rur die instrumentellen zu, so daß sich schwerlich eine Gleichwertigkeit der beiden annehmen läßt, zumindest nicht unter den Bedingung einer männlich dominierten Gesellschaft (vgl. Tuana 1993, S. 284f.)54. Obwohl die Geschlechtsrollentheorie und auch Parsons - entgegen einem verbreiteten Mißverständnis - weder den Wandel von Geschlechtsrollen noch Phänomene wie Rollenkonflikt und Rollenstress ausblenden 55 , ist das funktionalistische Verständnis gleichwohl von der Annahme einer prinzipiellen Gleichgerichtetheit von sozialen Institutionen, Rollennorrnen und Persönlichkeitsstrukturen bestimmt (vgl. Connell 1995, S. 23). Erst in Folge der feministischen Kritik sowohl am Geschlechterverhältnis selbst als auch an dem theoretischen Konzept, mit dem die Sozialwissenschaften dieses Verhältnis begrifflich fassen 56 , stehen Wandel, Rollenstress, vor allem aber der Aspekt der Macht im Fokus der Diskussion über Geschlechtsrollen. Und in Reaktion auf die feministische Kritik expandiert in den siebziger Jahren des 20. Jahr54
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Luhmann (1988, S. 49) bemerkt, "daß anschlußfahige Unterscheidungen eine (wie auch immer minimale, wie immer reversible) Asynunettisierung elfordem". Eine Unterscheidung der Geschlechter nach expressiven und instrumentellen Rollen ist nicht neutral hinsichtlich der Dimensionen von Macht, HelTschaft und Ungleichheit, zumindest solange nicht, wie Geschlecht selbst ein potentiell omnirelevantes Struktunnerkmal sozialer Interaktion und Organisation ist. In seinem 1942 erschienenen Aufsatz über "Alter und Geschlecht in der Sozialsuuktur der Vereinigten Staaten" befaßt sich Parsons (1964b) eingehend mit der Modemisierung der weiblichen Rolle und geht auch auf Probleme der Männerrolle ein. - Eine andere Frage ist, inweiweit das Konzept der Geschlechtsrolle selbst das begliffliche Instrumentarium bereithält, um Prozesse sozialen Wandels erkJären zu können (s.u.). Die feministische KIitik - genausowenig wie man von K1assen- oder Rassemollen spreche, mache es Sinn, von Geschlechtsrollen zu sprechen; die Rollenbeglifflichkeit vemachlässige notwendig das Element der Unterdrückung im Geschlechterverhältnis - hat paradoxeIweise zumindest nicht zu einem quantitativen Bedeutungsverlust der Geschlechtsrollenforschung gefUlut. Auch welill das Konzept in der feministischen Theoriebildung eher das Dasein eines 'annen Velwandten' fristet, "sex role research boomed as never before with the growth of academic feminism" (Connell 1995, S. 23).
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hunderts die Forschung zur männlichen Geschlechtsrolle. Die männliche Geschlechtsrolle wird neu und in kritischer Perspektive vermessen. Große Popularität, nicht nur innerhalb der sozialwissenschaftlichen Diskussion, erlangt Brannons (1976) Bestimmung von vier normativen Dimensionen: "No sissy stuff' meint die Vermeidung alles Weiblichen. Diese Negativabgrenzung stellt die elementarste Norm dar, wichtiger als die folgenden positiv formulierten Erwartungen. "The big wheel" steht für Erfolgs- und Statusorientierung, für Überlegenheit gegenüber anderen, "the sturdy oak" für Härte, Unabhängigkeit und Selbstvertrauen und "giv 'ern hell" für Aggressions- und Risikobereitschaft, auch für Bereitschaft zu Gewalt, sollte diese 'nötig' sein. Die positiv formulierten Erwartungen verweisen auf instrumentelle Orientierung und Aktivität. Diese neue Forschung zur männlichen Geschlechtsrolle fragt des weiteren danach, welche Folgen der soziale Wandel des Geschlechterverhältnisses fur den Mann hat. Dabei gilt als empirischer Kontrolle nicht zu unterziehende Prämisse: "Sex roles are reciprocal in any society. Changes taking place among women inevitably affect men" (Harrison 1978a, S. 324). Vor diesem Hintergrund sind die popularisierten Thesen über eine weit verbreitete Krise des Mannes oder über die männliche Inexpressivität entstanden. Dem liegen oft simple Umkehrschlüsse zugrunde. Wenn die weibliche Rolle sich durch Expressivität auszeichnet, dann die männliche durch das Gegenteil. Wenn Frauen die Vorherrschaft des Mannes attackieren, dann kann dies nicht ohne Auswirkungen auf Seiten der Männer bleiben. Der empirische Teil wird zeigen, daß solche Schlüsse vielfach Kurzschlüsse sind, daß sie z.umindest unzulässig generalisieren. Daß weibliche und männliche Rollen nicht in einem Verhältnis 'kommunizierender Röhren' zueinander stehen, verdeutlicht auch eine Studie von Thompson und Pleck (1987) über männliche Rollennormen, die mit Hilfe einer Geschlechtrollenskala ermittelt werden. Als Ergebnis halten die Autoren fest, daß "modeme" Einstellungen gegenüber Frauen mit traditionellen gegenüber Männem einhergehen können, daß ein Wandel der Einstellungen zu Frauen nicht notwendig einen ebensolchen hinsichtlich des eigenen Geschlechts nach sich zieht. Die Folgen, die der Wandel des Geschlechterverhältnisses für die Männer hat, werden unter den Stichworten Rollenkonflikt und Rollenstress thematisiert. Zwang und negative Aspekte der Männerrolle werden in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt (vgl. O'Neil 1982; Solomon 1982). In einer zeitdiagnostischen Perspektive wird konstatiert, daß seit den siebziger Jahren Mannsein bedeutet, mit einer Fülle von Unsicherheiten und widersprüchlichen Anforderungen leben zu müssen. Zwar sind Männer nicht Opfer geschlechtlicher Diskriminierung, aber durch die rigide Geschlechtsrollensozialisation erfahren auch sie Unterdrückung. Trotz veränderter Geschlechterverhältnisse sind nur wenige neue Rollen entstanden, so daß ein defensives Ver-
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halten der Männer vorherrscht. Der männlichen Geschlechtsrolle werden krankmachende Eigenschaften attestiert. "Warning: the male sex role may be dangerous to your health" lautet der Titel eines im "Journal of Social Issues" erschienen Aufsatzes (Harrison 1978b). Eine hohe Übereinstimmung zwischen dem "Idealbild des traditionellen Mannes" und der "Risikopersönlichkeit des Infarktpatienten" wird entdeckt (vgl. Raisch 1986, S. 86f.). Die höhere Suizidrate des Mannes wird auf der Folie von Rollenstress interpretiert. Basis für Geschlechtsrollenstress und -konflikt sei die Angst vor Weiblichkeit; Äußerungsformen seien eine restriktive Emotionalität, Homophobie, Kontroll- und Machtstreben sowie ein restriktives Sexualverhalten (insbesondere Phallusfixierung)57. Diese Beschreibung der männlichen Geschlechtsrolle unterscheidet sich von derjenigen, wie sie etwa Parsons gibt, darin, daß sie die instrumentellen Aspekte der männlichen Rolle nicht im Hinblick auf ihre Funktionalität für ein soziales System analysiert, sondern in ihrer Wirkung auf die individuelle männliche Psyche. Die implizit positive Konnotation von Instrumentalität erfahrt dabei eine Umdeutung ins Defizitäre. Mit dieser Tendenz steht diese Forschung zur männlichen Geschlechtsrolle der populären Männerliteratur sehr nahe, die sich ebenfalls in den siebziger Jahren entwickelt hat (vgl. Kap. 6.1). Wissenschaftliche Forschung und popularisierender Diskurs sind eng miteinander verbunden, wie die zitierte Warnung vor den Gefahren der Männerrolle zeigt58 . Am deutlichsten wird diese Verwobenbeit anband der These von der Krise des Mannes. Es gilt als ausgemacht, daß es eine solche gibt und daß sie in den letzten Jahrzehnten immer größer geworden ist (vgl. Brittan 1989, S. 25)59. Trotz des seit den siebziger Jahren zu verzeichnenden immensen Anstiegs an Arbeiten, die eine kritische Perspektive auf Rollennormen beinhalten, erfahrt die GescWechtsrollentheorie unvermindert Kritik sowoW von seiten der Frauenforschung als auch von seiten der ebenfalls in den Siebzigern entstandenen men 's studies. Diese Kritik richtet sich auf Schwachstellen des grundlegenden Konzepts, das im übrigen seit den Arbeiten Parsons keine entscheidende Weiterentwicklung erfahren hat (vgl. Connell 1987, S. 49ff.; 1995, S. 24ff.; Kimme! 1987b, S. Ilff.; Stacey/Thorne 1985; WestlFenstermaker 1993, S. 153ff.): 57
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Die in jüngster Zeit entstandene Männergesundheitsforschung macht die Verknüpfung von Gesundheitstisiken, die Männer in besonderem Maße betreffen, und Merkmalen der mälUllichen Geschlechtsrolle zum Hauptargument für einen gesundheitspolitischen Lobbyismus zugunsten von Märmem (vgl. Meuser 2007b). 111 einer Literaturbesprechung zum Thema MärmelTolle und MännerIeben finden wissenschaftliche, populälwissenschaftliche und sonstige Bücher gleichennaßen Berücksichtigung (vgl. Hanison 1978a). Zur AbsicheJUng der eigenen Thesen wird häufig auf Bücher der 'Bewegungsliteratur' velwiesen. Eine rollentheoretische Beschreibung dieser Krise gibt Pleck (1981) in seinem für den sozialwissenschaftlichen Männlichkeitsdiskurs wichtigen Buch "The Myth of Masculinity".
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Die Geschlechtsrollentheorie verfügt über keine Begrifflichkeit, um Macht-, Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnisse zu analysieren. Dem steht die Idee der Komplementarität der weiblichen und der männlichen Rolle entgegen. Wenn Aspekte von Macht und Oppression thematisiert werden, dann geschieht das mit dem Tenor, daß die Geschlechtsrollen an sich und für beide Geschlechter gleichermaßen unterdrückende Effekte haben, indem sie einer freien Entfaltung des Selbst entgegenstehen60 . Eine Analyse von Macht und Herrschaft in gesellschaftstheoretischen Kategorien findet nicht statt. Biologisches Geschlecht (sex) und soziales Geschlecht (gender) werden nicht deutlich voneinander unterschieden. Indem alle Erscheinungsformen von Männlichkeit und Weiblichkeit auf einen einzigen Dualismus von zwei homogenen Kategorien reduziert werden, entsteht eine Parallelisierung der Geschlechtsrollen mit dem biologischen Dimorphismus. In Entsprechung zu diesem wird ein Modell von zwei fixierten, statischen und sich gegenseitig ausschließenden sets von Rolleninhalten formuliert. Die Statik des Konzepts macht es unfähig, einen Wandel des Geschlechterverhältnisses zu erklären. Dieser geschieht mit den Geschlechtsrollen und verändert sie, z.B. als Folge von Entwicklungen im ökonomischen oder technologischen Bereich. Der Wandel kann nicht als Ergebnis eines Prozesses erfaßt werden, der im Geschlechterverhältnis selbst abläuft. Bedingt durch die dem funktionalistischen Rollenmodell inhärente Idee einer normativen Integration der Gesellschaft beziehen sich die Forschungen allein auf die Ebene von Erwartungen und Normen. Deren Konsequentialität und Effektivität für die soziale Praxis wird angenommen, nicht aber empirisch überprüft. Zahlreiche Arbeiten innerhalb der GescWechtsrollentheorie (nicht Parsons!) tendieren dazu, Rollenattribute als individuelle Eigenschaften der Person zu begreifen; eine Perspektive, die für die allgemeine Rollentheorie nicht typisch ist. Das hängt zum einen mit der Rückbindung an das biologische Substrat zusammen, zum anderen damit, daß GescWechtsrollen, sobald sie erworben sind, lebenslang gültig sind. Der Terminus sex role, dem erst in jüngster Zeit mit demjenigen der gender role Konkurrenz erwachsen ist, reflektiert die Zuweisung von Rollenattributen ad personam auf begrifflicher Ebene. In der allgemeinen Rollentheorie ist eine soziale Rolle auf eine bestimmte Position in einer bestimmten interaktiven Konstellation bezogen und betrifft den Rollenträger nur in bestimmten Segmenten seines sozialen Handelns (Lehrerrolle, Vaterrolle). Die potentielle Omnirelevanz der Ge60
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Diesem Verständnis von Unterdliickung liegt die Konzeption eines außergesellschaftlichen Ichs zugrunde, das gegenüber der "ärgerlichen Tatsache der Gesellschaft" (Dahrendolf 1974, S. 20) von vomherein auf verlorenem Posten steht.
schlechtsrolle macht virtuell jede soziale Situation zu einem Anwendungsfall und damit das gesamte Handeln eines Akteurs zum Geschlechtsrollenhandeln. Damit verliert die Kategorie an begrifflich diskriminierender Schärfe.
2.2 Die soziale Konstruktion von Geschlecht: Männliche Dominanz und das Arrangement der Geschlechter Unter den theoretischen Ansätzen in der Soziologie sind die sozialkonstruktivistischen des Symbolischen Interaktionismus und der Ethnomethodologie diejenigen, die der GescWechterthematik die größte Aufmerksamkeit gewidmet haben. Das gilt für die Anzahl einscWägiger Arbeiten, vor allem aber hinsichtlich des Stellenwerts, den dieser Gegenstand für die Theoriebildung hat. Während die zuvor diskutierten Theorien die gesellschaftliche Tatsache, daß es zwei und nur zwei Geschlechter gibt, als selbstverständlich voraussetzen, um auf dieser Basis nach Unterschieden zu suchen, impliziert die These von der sozialen Konstruktion des Geschlechts, daß die Konstitution der Zweigeschlechtlichkeit selbst zum Topos der Forschung und der Theoriebildung gemacht wird. Das Selbstverständliche wird heuristisch in etwas Unwahrscheinliches, höchst Voraussetzungsvolles transformiert. Nicht nur das Verhältnis von Über- und Unterordnung, die Geschlechtszugehörigkeit selbst wird als soziale Konstruktion verstanden. Diese Perspektive ist vor allem von der Ethnomethodologie stark gemacht worden, zuerst von Harold Garfinkel (1967, S. l16ff.) in seiner Fallstudie über Agnes, eine Mann-zu-Frau-Transsexuelle. Für die Ethnomethodologie stellt das passing der Transsexuellen, das Überschreiten der Geschlechtsgrenzen, gleichsam ein unter Alltagsbedingungen ablaufendes Krisenexperiment dar. Durch die Rekonstruktion der Normalisierungsleistungen, welche die Transsexuellen erbringen müssen, um im angestrebten Geschlecht als kompetente und berechtigte Mitglieder akzeptiert zu werden, zeigt die Ethnomethodologie, daß GescWechtszugehörigkeit mittels bestimmter Praktiken im Alltagshandeln und in Kooperation aller Beteiligten interaktiv hergestellt wird. Die Ausgangsfrage ethnomethodologischer Geschlechterforschung lautet: "How is a social reality where there are two, and only two, genders constructed?" (KesslerlMcKenna 1978, S. 3) Gefragt wird nach den Kriterien, an denen die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern im Alltag festgemacht, nach denen GescWechtszuschreibungen in sozialen Interaktionen vorgenommen werden. Die Bedeutung der primären und der sekundären Geschlechtsmerkmale, also von biologisch fundierten Kriterien, wird insofern als eher gering dargestellt, als es nicht Informationen über diese Merkmale 63
sind, die den Handelnden in Interaktionen normalerweise zur Verfügung stehen. Dennoch ist in einem anderen Sinne Geschlechtszuschreibung wesentlich "Genitalzuschreibung", weil im Alltagswissen eine entsprechende Verknüpfung vorgenommen wird. Da die primären GescWechtsmerkmale in der MehrzaW alltäglicher Interaktionen nicht sichtbar sind, sprechen Kessler und McKenna von ,,kulturellen Genitalien" (S. 153f.). Auf der Basis einer experimentellen Studie, in der Versuchspersonen Zeichnungen von Figuren vorgelegt bekamen, denen 'eindeutige' primäre Geschlechtsmerkmale feWten oder bei denen primäre und sekundäre nicht zusammenpaßten (z.B. Penis und Busen), und in der die Versuchspersonen aufgefordert wurden, das Geschlecht der jeweiligen Figur zu benennen, kommen Kessler und McKenna zu dem Schluß, daß unter den kulturellen Genitalien dem Penis Priorität zukommt. Den ,,male response bias", nur den Penis als einen eindeutigen GescWechtsmarkierer zu sehen, bezeichnen sie als ein integrales Element der sozialen Konstruktion von Geschlecht: diese ist - zumindest in der abendländischen Kultur - zugleich die Konstruktion einer männlich dominierten Ordnung. Als generelle Devise alltäglicher Geschlechtswahrnehmung gilt: "See someone as female only when you cannot see them as male" (S. 158). Dem liegt nicht etwa eine größere Sichtbarkeit und Offensichtlichkeit männlicher Geschlechtsmerkmale zugrunde, sondern die Konstruktion von Geschlecht geschieht in einer Weise, daß männliche Körpermerkmale als die offensichtlicheren wahrgenommen werden. "In the social construction of gender 'male' is the primary construction" (S. 159)61. Wie die Ethnomethodologie allgemein den prozessualen Charakter sozialer Wirklichkeit betont ('Vollzugswirklichkeit'), so auch beim Geschlecht, indem sie von doing gender spricht62 (West/Zimmerman 1987): Ein Geschlecht hat man nur, indem man es tut. GescWecht wird als praktischmethodische Routine-Hervorbringung (accomplishment) begriffen, die auf fortdauernder Interaktionsarbeit der Handelnden beruht. In der Beherrschung der entsprechenden Praktiken erweist sich die (gescWechtsbezogenene) Handlungskompetenz der Gesellschaftsmitglieder. Gegenstand der Analyse sind nicht individuelle Handlungsvollzüge, sondern Interaktionsverhältnisse und institutionelle Arrangements. Geschlecht wird als emergierende Eigenschaft sozialer Situationen, doing gender als unvermeidliche Aufgabe in jeder Situa61
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Die von Kessler und McKenna beobachteten Versuchspersonen reproduzieren ein Wahrnelunungsmuster, das eine lange und 'eluwürdige' Tradition hat. So sclU"eibt etwa Simmel (1985, S. 28) über den körperlichen Unterschied von Mann und Frau: "Die Oberfläche des männlichen Körpers ist melu· differenzielt als die des weiblichen. Das Knochengeliist tlitt energischer hervor, macht sich durch Hebungen und Senkungen bemerkbar, wälu·end bei dem Weibe die gleichmäßigeren Fettpolster den Körper als eine mehr ebene, nur in groben Zügen gehobene und gesenkte Fläche erscheinen lassen". Der Begliff doing gender läßt sich nicht angemessen ins Deutsche übersetzen. 'GescWechtshandeln' gäbe nicht wieder, daß das Geschlecht selbst 'getan' werden muß.
tion verstanden63 (vgl. WestlZimmerman 1987; WestlFenstermaker 1993; 1995). Die ethnomethodologische Analyse löst auch die vertraute sex-genderUnterscheidung konstruktivistisch auf. Gewöhnlich wird mit sex das biologische Substrat und mit gender die soziale Zugabe, Ausarbeitung, Überformung bezeichnet. Die Differenz der Geschlechter als solche und nicht nur die Zuweisung binär codierter Eigenschaften zu vorhandenen Geschlechtern ist der ethnomethodologischen Sichtweise zufolge sozial erzeugt. Wie Hirschauer zeigt, ist der Körper immer ein 'kultureller Körper', und auch die Wissenschaft, die ihn als nicht-kulturellen erforscht und vermißt, die Biologie, schließt an kulturell etablierte Wissensbestände über die Tatsache der Zweigeschlechtlichkeit an: ,,Dem theoretischen Interesse an Unterschieden geht ein praktisches an Unterscheidungen voran" (Hirschauer 1993, S. 24). Mit ihrer konsequent konstruktivistischen Fassung des Geschlechterbegriffs will die Ethnomethodologie das Problem überwinden, daß neue Ansätze zur Analyse der Ungleichheit der Geschlechter auf alten Konzepten von Geschlecht basieren (vgl. WestlFenstermaker 1993, S. 151). Mit dem Vorschlag, Geschlecht als soziale Praxis und nicht als eine individuelle Eigenschaft zu begreifen, hofft sie, die Frage beantworten zu können, wie soziale Strukturen mitsamt den Prozessen sozialer Kontrolle, welche die Strukturen befestigen, in Interaktionen produziert und reproduziert werden. "Gender is obviously much more than a role or an individual characteristic: it is a mechanism whereby situated social action contributes to the reproduction of social structure" (WestlFenstermaker 1995, S. 21). Empirische Studien einer ethnomethodologischen bzw. an der Ethnomethodologie orientierten Geschlechtersoziologie geben zum einen Aufschluß darüber, wie, mit welchen Handlungsmechanismen und -strategien, auf der Ebene elementarer sozialer Interaktion Ungleichheitsrelationen (Machtund Abhängigkeitsverhältnisse und dazu passende geschlechtliche Identitäten) von den Akteuren "lokal" reproduziert werden. Die meisten dieser Studien arbeiten mit dem Verfahren der Konversationsanalyse. Zum anderen steht die Praxis der Geschlechterunterscheidung selbst im Fokus. Dies geschieht vor allem mittels ethnographischer Verfahren. Pamela Fishman (1978, 1984) hat unter der Fragestellung, wie männliche und weibliche Macht durch Gespräche in Szene gesetzt und ausagiert wird, Alltagskommunikationen von geschlechtsheterogenen Paaren konversationsanalytisch ausgewertet. Sie beschreibt Interaktion als Frauenarbeit in dem Sinne, daß die Frauen quantitativ mehr Beiträge beisteuern, ohne damit jedoch die Kontrolle über die Gespräche, insbesondere über deren Inhalt zu gewinnen. Diese verbleibt bei den Männern. Die Frauen lei63
Zu einer kIitischen Auseinandersetzung mit der ethnomethodologischen These, daß doing gender eine Aufgabe ist, die sich inuner und überall, in jeder sozialen Situation, stellt, vgl. Hirschauer 1994.
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sten unterstützende Arbeit, indem sie den Themen der Männer zum Erfolg verhelfen. Fishman zieht die Schlußfolgerung, daß die Handelnden sich in diesem Sinne konstant männlich oder weiblich verhalten müssen, damit das Geschlecht als selbstverständlich anerkannt wird. Bezogen auf die von Fishman betrachtete Konstruktion von Weiblichkeit bedeutet das: Durch konversationelle Arbeit für Männer kann eine Frau zeigen, daß sie weiblich ist. Darüber, welche Art von Realität so interaktiv produziert wird, hat sie eine nur geringe Kontrolle. Als Resultat einer konversationsanalytischen Untersuchung von Gesprächen zwischen Frauen und Männern, die sich zum erstenmal begegnen (in einer Laboratoriumssituation) halten Candace West und Angela Garcia (1988) fest, daß das Kontrollieren von Themen Männlichkeit zu demonstrieren vennag. Zu ähnlichen Resultaten gelangen konversationsanalytische Untersuchungen zur Funktion von Humor in gemischtgeschlechtlichen Interaktionen (vgl. Kotthoff 1988). In einer ethnographischen Studie zur Gleichaltrigenkultur in der Schulklasse analysieren Georg Breidenstein und Helga Kelle (1998), wie die Schülerinnen und Schüler im schulischen Alltag in der Interaktion miteinander die Relevanz der Geschlechterunterscheidung für die Gestaltung sozialer Beziehungen einüben und damit eine geschlechtssegregierte Welt konstituieren, in der den Geschlechtern ungleiche Positionen zugewiesen werden 64 .
Die Stärke der konversationsanalytischen und ethnographischen Untersuchungen liegt zweifelsohne darin, daß sie die interaktive Konstruktion der Geschlechterdifferenz minutiös rekonstruieren. Wie die situierten Praktiken in übergreifende sozialstrukturelle Zusammenhänge eingebunden sind, kann mit diesem Verfahren freilich nicht gezeigt werden. Es bleibt zumeist bei dem Hinweis, daß doing gender eine Eigenschaft sozialer Verhältnisse ist und daß "its idiom derives from the institutional arena in which those relationships come to life" (West/Fenstermaker 1995, S. 21). Der ethnomethodologischen Geschlechtersoziologie mangelt es an einer Begrifflichkeit, mit der die ungleichheitsrelevante Einbindung des Handeins von Frauen und Männem in die jeweilige Geschlechtslage systematisch erfaßt werden kann (Maihofer 1994: 250). Was die ethnomethodologische Geschlechtersoziologie sehr überzeugend leistet, ist gewissermaßen die Rekonstruktion der alltäglich, wenn nicht sogar allsekündlich sich neu ereignenden 'Urszene' der Konstruktion der Geschlechterdifferenz. Das aber ist noch keine hinreichende Analyse der Konstruktion der Sozialordnung der Zweigeschlechtlichkeit. Dazu müßten weitere Fragen gestellt und beantwortet werden: In welchen sozialen Strukturen ereignet sich die besagte Urszene? Was tun die in die soziale Welt entlassenen bzw. sich entlassenden Konstrukte? Wie konstruieren sie sich als Männer und als Frauen und wie stellen sie ihre geschlechtliche Existenz auf Dauer? Die Antwort der Ethnomethodologie lautet: Sie müssen in ihre Ge64
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Das doing gender in der Schulklasse ist in letzter Zeit verstärkt Gegenstand der Forschung geworden; in diesem Zusammenhang ist auch das doing masculinity in den Blick genommen worden (vgl. Budde 2005, 2006).
schlechtsdarstellungen investieren (accounting practices). So weit, so richtig. Aber wo finden die Geschlechtshandelnden die - vor allem symbolischen Ressourcen für ihre Darstellungen? Und wodurch ist garantiert, daß sie auf die ihrem GescWecht angemessenen Ressourcen zurückgreifen? Auch wenn es zutrifft, daß in einer konstruktivistischen Perspektive das "Gemachtsein" sozialer Tatbestände zu analysieren ist und nicht einfach von deren "Gegebensein" ausgegangen werden kann (Knorr-Cetina 1989: 87), entbindet das nicht von der Aufgabe zu zeigen, wie das Gemachte zu einem Gegebenen wird und als solches die Möglichkeiten des Machbaren begrenzt. Das bringt die Dimension der Sozialstruktur und den Aspekt der Historizität ins Spiel. Beides bleibt in der ethnomethodologischen Analyse unterbelichtet. Das Interesse ethnomethodologischer Theoriebildung gilt den fonnalen Mechanismen und Strukturen des Alltagshandelns, so auch bei der Analyse des doing gender. Auf der Ebene der Theorie bleibt weitgehend unberücksichtigt, in welcher Hinsicht sich das doing gender der Frauen von dem der Männer unterscheidet. Auch die ethnomethodologische Transsexualitätsforschung hat nicht systematisch untersucht, inwiefern das passing eines Frauzu-Mann-Transsexuellen anders als das einer Mann-zu-Frau-Transsexuellen verläuft. Differenzen sind durchaus zu beobachten, und diese sind dergestalt, daß sie auf strukturelle Elemente der Geschlechterordnung verweisen. Hirschauer (1993, S. 63f.) stellt fest, daß transsexuelle Frauen es schwerer als transsexuelle Männer haben, in ihrem Geschlecht in der Öffentlichkeit anerkannt zu werden. Einen Grund sieht er darin, "daß Frau-Sein in viel stärkerem Maße bedeutet, attraktives Schauobjekt ('schönes Geschlecht') zu sein und daher auch leichter enttarnt werden kann". Transsexuelle Frauen müssen folglich mehr in ihre Darstellungsarbeit investieren als transsexuelle Männer65 • Konversationsanalytische Arbeiten zur sozialen Konstruktion von Geschlecht haben - wie die Frauenforschung, in deren Kontext die meisten entstanden sind den Blick vornehmlich auf die Konstruktion von Weiblichkeit gerichtet. Dabei wird natürlich zwangsläufig deutlich, welche konversationellen Praktiken Männer einsetzen, um z.B. Gespräche zu kontrollieren. Aus einer solchen Enaktierung männlicher Dominanz zu scWießen, daß die Kontrolle der Kommunikation ein Mittel ist, um Männlichkeit in Szene zu setzen, liegt nahe, ist zunächst aber nur eine Hypothese, die auf einem Umkehrschluß beruht. Um
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Freilich sollte man von der Transsexualitätsforschung nicht mehr elwalten, als sie leisten kann. UU'e Theolierelevanz besteht dalin, gut zeigen zu können, daß Geschlecht in sozialer interaktion hergestellt wird. Weniger gut eignet sie sich dazu, ein 'lnventar' der Praktiken und Symboliken von 'nonnaler' Weiblichkeit und Männlichkeit zu erstellen. Weil die untersuchten Transsexuellen im angestrebten Geschlecht noch nicht heimisch sind, machen sie oft Fehler, nicht zuletzt solche des übersteigelten Enaktierens stereotypisielter Ausdmcksfonnen, so daß die Darstellung des Geschlechts als solche erkelUlbar ist (vgl. Hirschauer 1989).
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sie zu überprüfen, müßte auch die Perspektive der Männer empirisch rekonstruiert werden. Daß die ethnomethodologische Geschlechtertheorie den geschlechtlichen Unterschieden im doing gender nicht systematisch nachspürt, hat auch einen methodologischen Grund. Hagemann-White (1993, S. 74) macht auf die methodische Komplexität aufmerksam, "welche eine konstruktivistische Perspektive auf die Zweigeschlechtlichkeit nach sich zieht. Sie verlangt von uns, nicht bloß unseren Blickwinkel zu verlagern, sondern zugleich den alten, im Vollzug gelebter Zweigeschlechtlichkeit involvierten Blick beizubehalten, da dieser das Instrument ist, mit dem wir das Material für jenen gewinnen". Ohne den "alten" Blick, d.h. ohne den 'gesunden Menschenverstand', welcher der alltagsweltlichen Geschlechterklassifikation zugrunde liegt, wäre es unmöglich, überhaupt ein SampIe zustandezubringen. Das, was in seiner Konstruiertheit untersucht werden soll, das Geschlecht, wird in seiner weiblichen und männlichen Gestalt nicht nur vorausgesetzt, sondern von Forscherin und Forscher in Interaktion mit der Untersuchungsperson mit-hergestellt. Die Ethnomethodologie fragt einerseits, woher wir wissen, daß diese Person eine Frau oder ein Mann ist, und muß andererseits die Gültigkeit dieses Wissens voraussetzen, um überhaupt Personen zur Verfügung zu haben, angesichts derer eine solche Frage gestellt werden kann. Alles andere führte zu Peinlichkeiten 66 . In der empirischen Forschung kann auch die Ethnomethodologie gar nicht anders, als die Konstruktion von Weiblichkeit anhand des HandeIns zu untersuchen, das von als Frauen identifizierten Personen und gegenüber diesen vollzogen wird. Auch der Ethnomethodologie gelten Orte, die den Mitgliedern einer Geschlechtskategorie vorbehalten sind, z.B. Umkleideräume oder Schönheitssalons, als günstige Gelegenheiten, um typische Ausprägungen von Männlichkeit oder Weiblichkeit empirisch zu erfassen (vgl. West/Fenstermaker 1995, S. 31). Die Unvermeidbarkeit der Strategie, Weiblichkeit bei Personen zu vermuten, die in der Manier des Alltagsverstandes als Frauen identifiziert werden, und Männlichkeit bei nach der gleichen Logik als solche wahrgenommenen Männern, mag ein Grund dafür sein, daß ein großer Teil der ethnomethodologischen Geschlechterforschung, insbesondere in deren Anfängen, die geschlechtliche Grenzsituation der Transsexualität zum Gegenstand hat. Dort ist im Alltag die Eindeutigkeit der Zuordnung aufgelöst. Gegenüber der Ethnomethodologie hat die interaktionistische Geschlechtersoziologie ein weniger weitreichendes Konzept der Konstruktion von Ge66
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Der Geschlechterforscher befindet sich gewissennaßen in einer Situation, die der einer Person vergleichbar ist, die eine öffentliche Toilette aufsuchen will. In dem einen wie dem anderen Fall dürfte die ethnomethodologische Einstellung entweder zu Handlungsunfahigkeit fUlU'en (keine ErleichtelUng der Blase bzw. keine Probanden) oder zumindest zu unangenelunen Peinlichkeiten (Aufsuchen der falschen Toilette bzw. Verletzung der Integlität der Untersuchungspersonen).
schlecht. Symbolisch-interaktionistisch orientierte Konzeptualisierungen gehen gemäß den von Blumer (1973) formulierten Prämissen zwar davon aus, daß anatomische und biologische Differenzen in sich keine Bedeutung haben. Bedeutung entsteht durch die Beziehung handelnder Subjekte auf die Objekte ihrer Welt. Die biologischen Geschlechterdifferenzen werden jedoch, einem Diktum Meads folgend, als physische Dinge, die unserem Handeln Widerstand leisten, begriffen, so daß jede Kultur mindestens von zwei Geschlechtern ausgehen muß. Die Art der geschlechtlichen KlassifIkation ist allerdings durch und durch kulturell bestimmt (vgl. Cahill 1983, S. 3). Die soziale KlassifIkation bleibt der Person nicht äußerlich, ist keine bloße Rolle. Ein Geschlecht zu haben meint mehr, als weibliches oder männliches Verhalten zu lernen. Die gesamte Person ist involviert, in psychischer, aber auch in körperlicher Hinsicht. Der jeweilige geschlechtliche Code formt den weiblichen oder männlichen Körper (vgl. Deegan 1987, S. 4; Denzin 1993, S. 200). Die interaktionistische Geschlechtertheorie behandelt im wesentlichen zwei große Themenkomplexe, darin der allgemeinen Ausrichtung interaktionistischer Theorie und Forschung folgend: die Entwicklung von Geschlechtsidentität (1) und Geschlechterbeziehungen als ausgehandelte Ordnung (2). (1) Hinsichtlich des ersten Themenkomplexes sind zwei Fragestellungen zu unterscheiden: 1. Wie entsteht Geschlechtsidentität im Prozeß sozialer Interaktion? 2. Wie lernt das Kind, Geschlechtsidentität anderen und sich selbst anzuzeigen (vgl. Cahill 1987, S. 82). Die Fragestellungen sind aufeinander bezogen, denn es gilt zu analysieren, wie Individuen lernen, normale Geschlechtspersonen zu sein, für die eine entsprechende Selbstdarstellung etwas völlig Natürliches, Unhinterfragtes ist (vgl. ebd., S. 95). Entscheidend für die Entwicklung von Geschlechtsidentität sind geschlechtlich differenzierte Muster der Interaktion zwischen Bezugsperson und Kind. Ist ein rudimentärer Sinn für Geschlechtsidentität etabliert (mit ca. zwei Jahren), wird das Kind zum aktiven Agenten der eigenen Geschlechtsentwicklung. Wichtig in diesem Prozeß ist die Reaktion von signifIkanten Anderen, gleichgültig welchen Geschlechts, auf die frühen Geschlechtsdarstellungen des Kindes sowie die spielerische Interaktion in der Gleichaltrigengruppe (vgl. Cahill 1983, 1987). Die Entwicklung der Geschlechtsidentität geschieht über die Aneignung der symbolischen Realität der Geschlechterordnung, vor allem der geschlechtsklassenadäquaten Muster der Selbstpräsentation (vgl. Cahill 1989). Solche Muster variieren kulturell, und außerhalb der symbolischen Realität der Geschlechterordnung gibt es keine dem menschlichen Körper inhärente Bedeutung. Cahill grenzt das interaktionistische Modell der Entwicklung von Geschlechtsidentität strikt von psychologischen Konzepten ab, die anatomische Differenzen als unmittelbar bedeutsam für die Kinder erachten. "As Mead observed, physical things may 'resist' human action, but they do not detennine human responses to them or, by implication, their meaning. Children's con-
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ceptions of sex and gen der are not derived, therefore, from unmediated contact with brute, physical facts nor is their acquisition of a stable gender identity a product of automatic cognitive or psychosexual reactions to their own or other's bodies" (CahilI
1986, S. 306)67.
(2) Neben der sozialisationstheoretischen Perspektive richtet sich das Interesse der interaktionistischen Geschlechterforschung auf die Frage, wie die Strukturen der GescWechterverhältnisse als ausgehandelte Ordnung zustandekommen. Allgemeiner theoretischer Hintergrund ist der negotiated order approach (vgl. Strauss 1978; Fine 1984). Zumeist auf der Mesoebene von sozialen Organisationen angesiedelt, befaßt sich die Forschung vor allem mit der Aushandlung der Geschlechterordnung in männerdominierten Berufsfeldern (vgl. Fine 1987; Kanter 1987; Martin 1987; Padavic 1991). Ein weiterer Gegenstand ist die ausgehandelte Ordnung der innerfamiliären Arbeitsteilung (vgl. Hochschild 1993; PestelloNoydanoff 1991). Stärker als die ethnomethodologische Geschlechtertheorie akzentuiert der negotiated order approach Unterschiede in der Definitionsmacht der Geschlechter. Die asymmetrische Verteilung von 'Verhandlungsressourcen' wird besonders augenfällig an Arbeitsplätzen, an denen eine einzelne Frau oder einige wenige Frauen in einem Beruf arbeiten, der sowohl in quantitativer Hinsicht von Männem dominiert ist als auch hinsichtlich des Tätigkeitsprofils als ein klassischer Männerberuf gilt. Die Analyse der Interaktionen zwischen den sog. token (Kanter 1987), den wegen ihres Minderheitenstatus als Mitglieder einer Geschlechtskategorie wahrgenommenen Frauen, und den männlichen Kollegen läßt die Mechanismen der Reproduktion einer männerdominierten GescWechterordnung und einer männlich geprägten Organisationskultur sichtbar werden. Die einschlägigen Studien sind mithin im Rahmen der vorliegenden Arbeit von besonderem Interesse. Sie gehören zu den wenigen Arbeiten, die Aspekte der interaktiven Konstruktion von Männlichkeit empirisch untersuchen. Entgegen naheliegenden Annahmen - bzw. tatsächlichen Befurchtungen der 'betroffenen' Männer - stellen die in rein männlich geprägte Arbeitsplätze 'eindringenden' Frauen keine Gefahr fur den männlichen Zusammenhalt dar. Die Anwesenheit einer Frau stellt vielmehr eine Gelegenheit dar, um Männlichkeit zu bestätigen. Für die Männer ist dies zwar kein willkommener, faktisch jedoch ein genutzter Anlaß, die Geschlechterdifferenz zu betonen. Die 67
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Weitgehend ungeklä11 bzw. kontrovers diskutiet1 ist die Frage, wie sich der Widerstand, den physische Dinge menschlichem Handeln entgegensetzen, bemerkbar macht. "Ist der Körper beliebig geschlechtlich konstlUierbar ... oder gibt es Grenzen der KonstlUktion, die der Körper selbst vorgibt?" (Villa 2000: 181 f.; vgl. auch Maihofer 2002). Unstlittig ist in einer interaktionistischen Perspektive allerdings, daß sich an biologische Differenzen keineswegs zwangsläufig die sozialen Differenzen und Ungleichheiten anschließen müssen, welche die gegebene Geschlechterordnung prägen (zum geschlechtersoziologischen Diskurs über das Verhältnis von Körper und Geschlecht vgl. Meuser 2005a).
eigene Männlichkeit kann zugleich demonstriert und geklärt werden, und das nicht nur gegenüber den Frauen, sondern insbesondere auch gegenüber den männlichen Kollegen (vgl. Padavic 1991). Die Anwesenheit weniger Frauen unterminiert in keiner Weise die Interaktionskultur der Männer; diese Frauen werden vielmehr 'instrumentalisiert', um die Majoritätskultur zu unterstreichen68 . Kanter (1987) hat das in einer Studie über die Situation von Frauen in der Berufswelt von VertreterInnen gezeigt. Der Außenseiterinnenstatus der Frauen impliziert, daß sie anders als die Männer als Mitglieder einer Geschlechtskategorie wahrgenommen werden. Und das bedingt, daß alle ihre Aktivitäten spezifische symbolische Konsequenzen haben, die sich auf den geschlechtlichen Status beziehen. Sie sind Anlaß für vielfaltige Fonnen der Grenzziehung durch die Männer. Auf diese Weise wird eine Situation der potentiellen Bedrohung umgestaltet in eine Gelegenheit, die Gültigkeit der dominanten Kultur zu bekräftigen. Den Frauen bleiben nur zwei Reaktionsfonnen. Entweder sie ziehen sich zurück oder sie werden Insider, one 01 the boys, indem sie sich als Ausnahmen ihrer eigenen sozialen Kategorie definieren. In beiden Fällen bestätigen sie die dominante Geschlechterordnung. Ein zentrales Mittel der Männer, Grenzen zu ziehen, sind sexuelle Anspielungen, Scherze, Anzüglichkeiten usw. Frauen, die one olthe boys werden wollen, müssen bereit sein, sich auf diese Ebene der Kommunikation einzulassen. Fine (1987) hat auf der Basis von teilnehmender Beobachtung in Restaurantküchen verschiedene Strategien analysiert, die die Männer einsetzen, um trotz der Anwesenheit einer Frau eine homosoziale Atmosphäre aufrechtzuerhalten. Wesentlicher Teil dieser "clubby" atmosphere ist die Selbstverständlichkeit von sexual talk. In Anwesenheit einer Frau ist diese Kommunikationsfonn nicht ohne weiteres aufrechtzuerhalten. "Either the sexual joking must go, or the women must go - or must adjust" (S. 135). Die Anpassung ist die gängige Lösung. Umgekehrt sind Männer, die in typischen Frauenberufen arbeiten, nicht mit der Erwartung konfrontiert, one 01 the girls zu werden. Vergleichende Studien zu Frauen in Männer- und Männer in Frauenberufen zeigen, daß Männer ihre ,Andersartigkeit" nicht zu verbergen versuchen, wie Frauen dies typischerweise tun, sondern sie im Gegenteil akzentuieren. In der Regel ist diese Strategie erfolgreich, die Männer erfahren dadurch Anerkennung und erzielen einen Statusgewinn. Eine Studie von Bettina Heintz u.a. (1997), die als männeruntypisches Berufsfeld die Krankenpflege untersucht haben, zeigt, daß die Krankenpfleger ihren Minderheitenstatus in einer offensiven Weise bewältigen. Sie betonen ihre Andersartigkeit, indem sie z.B. ,männliche Coolness' als ein Qualifikationsmerkmal für den Umgang mit den Patienten einführen. Und sie haben Erfolg damit. Coolness wird zu einem allgemeinen Qualifikationsmerkmal, das nicht nur für die Pfleger, sondern auch für die Pflegerinnen erstrebenswert wird. Auf diese Weise gelingt es den Männern, das professionelle Selbstverständnis des Pflegeberufs in eine Richtung zu verschieben, die Eigenschaften erstrebenswert werden lässt, die - in unserer Kultur - männlich konnotiert sind. Auf diese Weise wird die Geschlechterhierarchie reproduziert. Die Männer sind "qua Ge68
Dies ist freilich weniger als ein intentional-strategisches Handeln zu verstehen, sondem eher als ein latenter Effekt.
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schlecht nicht nur auch geeignet für die Pflege, sie sind es sogar besser" (Heintz u.a. 1997, S. 231), so das Resümee der Autorinnen.
Eine weitere interaktionstheoretisch-konstruktivistische Konzeptualisierung von Geschlecht hat Erving Goffman vorgelegt. Goffmans gescWechtersoziologische Arbeiten, der Aufsatz ,,Das Arrangement der GescWechter" (1994c) und das Buch "GescWecht und Werbung" (1981), nehmen seine These, die Interaktionsordnung sei ein eigenständiges und für die soziologische Theoriebildung überaus wichtiges Forschungsgebiet (1994b), gegenstandsspezifisch vorweg 69 . Goffman wendet seine Aufmerksamkeit nicht Eigenschaften von Frauen und Männern, auch nicht Rollenerwartungen zu, er analysiert das institutionelle Arrangement der GescWechter, die Geschlechter(rnikro)politik von Identitätszuschreibungen und ritualisierten Darstellungsformen, in und mit denen die GescWechter die soziale Ordnung ihrer Beziehungen herstellen. In gewissem Sinne in Einklang mit der interaktionistischen Prämisse, derzufolge Objekte, mithin auch der anatomische Dimorphismus, ihre Bedeutung nicht in sich tragen, sondern in sozialer Interaktion erhalten, behandelt Goffman GescWecht als einen Fall sozialer Klassifikation. Mehr noch: die jede und jeden treffende und lebenslange Geltung beanspruchende Einordnung in eine von zwei "Geschlechtsklassen" stellt sich ihm als "Prototyp einer sozialen Klassifikation" dar (1994c, S. 108). Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht ist die wichtigste Quelle der Selbstidentifikation, wichtiger noch als die Altersstufe. Geschlecht ist die "Grundlage eines zentralen Codes, demgemäß soziale Interaktionen und soziale Strukturen aufgebaut sind" (S. 105). Dieser Code prägt die Vorstellungen, die wir von unserer menschlichen Natur haben. Jede soziale Situation bietet die Gelegenheit zur Geschlechtsdarstellung. Insofern ist Geschlecht eine Sozialkategorie, die virtuell ornnirelevant ist. Die Aufgabe einer soziologischen GescWechterforschung besteht nicht darin, soziale Konsequenzen angeborener Unterschiede zu erklären, sondern zu zeigen, wie der Dimorphismus als Grundlage und Rechtfertigung gescWechtsbezogener sozialer Arrangements verwendet wird, wie solche Arrangements dadurch gültig gemacht werden. Hierzu führt Goffman den Begriff der "institutionellen Reflexivität" ein. Erst diese verleiht dem angeborenen Unterschied eine Bedeutung. Ein Beispiel ist die Trennung öffentlicher Toilettenanlagen nach dem Geschlecht. Diese knüpft zwar an den Unterschied weiblicher und männlicher Organe an, doch deren Funktionsweisen verlangen keineswegs zwingend eine Trennung. 69
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Die geschlechtersoziologischen Arbeiten sind 1976 und 1977 erschienen, der Aufsatz zur Interaktionsordnung ist die von Goffman nicht gehaltene Präsidentenansprache vor der AmeIican Sociological Association von 1982, die gewissennaßen Goffmans theoretisches Vennächtnis enthält.
"Die Trennung der Toiletten wird als natürliche Folge des Unterschieds zwischen den Geschlechtskategorien hingestellt, obwohl sie tatsächlich mehr ein Mittel zur Anerkennung, wenn nicht gar zur Erschaffung dieses Unterschieds ist" (Goffinan 1994c, S. 134).
Ein weiteres Beispiel sind die Konventionen der Paarbildung, die sich auf die Körpergröße beziehen und dafür sorgen, daß gewöhnlich die Frau kleiner ist als der Mann. Zwar sind Männer im Durchschnitt etwas größer als Frauen, doch ist der Bereich der Überschneidung groß genug, daß bei der MehrzaW der Paare Frauen und Männer annähernd gleich groß sein könnten. Die soziale Praxis nutzt einen biologisch gegebenen Unterschied aus, um ein symbolisches Mittel zur Darstellung der Geschlechterordnung zu gewinnen und macht ihn erst dadurch bedeutsam sowie im Alltag sichtbar. Goffrnan stellt sich dies als ,,Paradebeispiel einer Norm" dar, "die ohne offizielle oder spezifische Sanktionen eingehalten wird" (1994c, S. 142)7°. Solche institutionelle Reflexivität sorgt für die Aufrechterhaltung von Deutungsmustem, welche die Geschlechterdifferenz als biologisch fundiert darstellen (starker Mann, schwache Frau). Wie das Beispiel zeigt, sind Geschlechtsdarstellungen nicht beliebig, sie folgen einem gesellschaftlich festgelegten Plan, "der bestimmt, warum welche Ausdrucksform wann angebracht ist" (1981, S. 35). Die Fähigkeit und Bereitschaft, einen Plan einzuhalten, und zwar den für das eigene Geschlecht vorgesehenen Plan, kennzeichnet Personen als Angehörige einer Geschlechtskategorie. Geschlechtszugehörigkeit ist also an eine soziale Praxis gebunden, an eine Praxis der Distinktion. Eine Geschlechtszugehörigkeit außerhalb oder vor dieser sozialen Praxis gibt es nicht. Der Besitz eines mit bestimmten Merkmalen ausgestatteten Körpers garantiert allein noch nicht die Mitgliedschaft in einer GescWechtsklasse. Allerdings bleibt die planbestimmte Praxis der Geschlechtsdarstellung nicht folgenlos für den Körper. Dies nicht nur in dem Sinne, daß soziales Handeln immer Bewegungen des Körpers impliziert, sondern in dem weitergehenden und für die Stabilität von Geschlechtsdarstellungen eminent wichtigen Sinne, "daß es auch durch etwas motiviert und gestaltet ist, das den einzelnen Körpern innewohnt" (1994c, S. 113). Das
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Ln Heiratsanzeigen ist die Wirksamkeit dieser Nonn augenfallig dokumentiert. Neben der Angabe des Alters gehött die der KÖtpergröße zu den Kerninfonnationen, die ein Lnserent oder eine Lnserentin über sich mitteilt. Das ist eine gewisse Garantie, daß nur größemnäßig 'passende' Personen auf die Anzeige antwOtten. Die Anzeigen, in denen zusätzlich Elwartungen über die gewünschte Größe des potentiellen Ehepaltners geäußelt werden, belegen eindeutig die Bedeutung der KÖlpergröße ftir die Konventionen der Paarbildung (vgl. Gem 1992, S. 143ff.).
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meint nicht genetische Dispositionen, sondern die Inkorporierung einer lebensgeschichtlich erworbenen Darstellungspraxis71 • Goffinans Konzeption der sozialen Konstruktion von Geschlecht unterscheidet sich sowoW vom dekonstruktivistischen Verständnis von GescWecht als Performanz als auch vom ethnomethodologischen Konzept des doing gender (vgl. Kotthoff 1994; Knoblauch 1994). Mit diesem stimmt Goffman insoweit überein, daß Geschlechtsdarstellungen die Struktur von Dominanz und Unterwerfung zum großen Teil erst konstituieren; "sie sind Schatten und Substanz zugleich" (1981, S. 29). Gegenüber der Schwerpunktsetzung auf eine lokale Produktion von GescWecht betont Goffman mit dem Begriff der institutionellen Reflexivität aber, daß die Geschlechterdifferenz nicht nur situativ erzeugt wird, sondern auch institutionell geregelt ist. Die Trennung öffentlicher Toiletten nach GescWechtem oder die Konventionen der Paarbildung sind gewiß Produkt einer sozialen Praxis, sie setzen der situativen Darstellung von Geschlechtszugehörigkeit jedoch einen Rahmen, in dem die Verbindung von Interaktionsordnung und Sozialstruktur "ikonisch" reflektiert wird. "Ähnlich wie andere Rituale, können auch die Darstellungen der Geschlechter fundamentale Merkmale der Sozialstruktur ikonisch reflektieren" (Goffman 1981, S. 38). An der Produktion der Geschlechterordnung sind Frauen wie Männer als 'intelligente' Akteure beteiligt. Über einen Plan der Darstellung und über die Fähigkeit, gemäß diesem Plan zu handeln, verfügen beide GescWechter. Darin unterscheiden sie sich nicht, wohl aber in den Inhalten der jeweiligen Darstellungen und damit in den Konsequenzen, die unterschiedliche Pläne rur die soziale Positionierung der Akteure haben72 . Wo funktionalistische Ansätze sogleich soziale Differenzierung, Arbeitsteilung und damit den Unterschied der GescWechter akzentuieren, betont Goffman gemäß dem allgemeinen Akteurskonzept des interpretativen Paradigmas, daß die soziale Konstruktion der Geschlechterwirklichkeit Produkt einer Kooperation beider Geschlechter ist, auch wenn Frauen und Männer nicht nur Verschiedenes dazu beitragen, sondern dies auch aus strukturell ungleichen Positionen heraus tun. Goffinans Analyse der Darstellungspraktiken und -rituale geschieht immer mit Blick auf die Dominanz- und Unterordnungsverhältnisse, auf die Macht- und Herr71 72
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Kotthoff (1994, S. 166) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Goffman den Körper im Unterschied zu dekonstruktivistischen Geschlechteltheorien nicht als bloßen diskursiven Effekt begreift. - Zur Bedeutung der InkorpOIierung siehe auch Kap. 4. Empilisch instruktiv ist hielfur Hochschilds (1990) Studie über die GefUhlsarbeit, die FlugbegleiterInnen und Angestellte von Inkassofinnen zu leisten haben. Für Männer und Frauen sind jeweils andere GefUhlsdarstellungen obligatOlisch, in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht, und diese Unterschiede in der GefUhlsarbeit spiegeln und reproduzieren die geschlechtliche Dominanzordnung. Die den Frauen zugescluiebene größere Kompetenz in emotionalen Angelegenheiten elfälut eine kommerzielle Nutzung, die ihnen allerdings keinen Statusgewinn beschelt (vgl. insb. S. 132ff.).
schaftsstrukturen, die sich in diesen Praktiken äußern und die mit ihnen hergestellt werden. Auch darin unterscheidet sich seine Perspektive von der funktionalistischen. Das Hauptaugenmerk richtet Goffman auf Darstellungsfonnen, die auf den ersten Blick an andere Verhältnisse als an die von Über- und Unterordnung denken lassen: Rituale der Zuvorkommenheit, der Ehrerbietung und der Höflichkeit, welche Männer Frauen gegenüber praktizieren. In diesen Fonnen der rituellen Inszenierung des Unterschieds der Geschlechter ist prosoziales Handeln eng mit Dominanz verknüpft. Diese Fonnen einer 'freundlichen' Darstellung der Asymmetrie macht die Dominanz der Männer erträglich und ist für Goffman ein Ausdruck dafür, daß die Frauen verglichen mit anderen benachteiligten Gruppen "auf der Skala der ungerecht Behandelten" "nicht sehr weit unten" zu verorten sind (1994c, S. 116). Die Herrschaft des Mannes ist "von ganz besonderer Art ... - eine Herrschaft, die sich bis in die zärtlichsten, liebevollsten Momente erstreckt, offenbar ohne Spannungen zu erzeugen" (1981, S. 41). Die Spannungen mögen heute, 30 Jahre, nachdem Goffman dies geschrieben hat, zugenommen haben, die subtile Verknüpfung von Liebe, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Beschützerhaltung und Herrschaft bleibt weiterhin ein strukturelles Merkmal des für Männer vorgesehenen Plans der Geschlechtsdarstellung 73 • Dieser Plan ist nach dem Muster des "Eltern-Kind-Komplexes" aufgebaut. Hinsichtlich der Rituale der Geschlechtsdarstellung sind Frauen untergeordneten Männern gleichgestellt und beide wiederum den Kindern. Die Rituale, welche in Eltern-Kind-Interaktionen zum Tragen kommen, weisen fundamentale Gemeinsamkeiten mit denen auf, die in der Beziehung von Mann und Frau eine Rolle spielen. In seiner Analyse von Werbefotos zeigt Goffman, daß viele Posen, die Männer gegenüber Frauen einnehmen, strukturell denen gleichen, die auf Bildern zu sehen sind, auf denen Erwachsene gemeinsam mit Kindern abgebildet sind. Mit diesem Vergleich nimmt Goffman nicht wie Tönnies eine essentialisierende Gleichsetzung von Frauen mit Kindern vor; vielmehr verdeutlicht er die soziale Asymmetrie, die im Fall der intergenerationellen familiären Beziehungsstruktur offensichtlicher ist als bei der geschlechtlichen. Die Ungleichheit der Verhältnisse und der Herrschaftscharakter der Beziehung von Mann und Frau bleiben freilich nur solange in einer 'freundlichen Atmosphäre' verborgen, wie die Frau mitspielt. Verweigert sie die Kooperation, stehen dem Mann Handlungsweisen zur Verfügung, welche die Dominanzordnung manifest werden lassen. "Bedenken wir aber, daß der geringergestellte, wie unangenehm und demütigend er solche freundlich gewährten Vorrechte empfinden mag, es sich zweimal überlegen muß, ob er offen sein Mißfallen ausdrücken will, denn derjenige, der wohlwollende 73
Das gilt insbesondere für in der Tradition verankelte Mälmer, denen ihr Geschlecht etwas fraglos Gegebenes ist (s. Kap. 7.2).
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Rücksichtnahme schenkt, kann rasch die Tonart wechseln und die andere Seite der Macht zeigen" (Goffinan 1981, S. 27f.).
Diese andere Seite der Macht erfährt allerdings keine weitere Betrachtung. Das mag dadurch motiviert sein, daß Goffman mehr an den subtilen Mechanismen der GescWechterordnung als an offensichtlichen Manifestationen derselben interessiert war74 . Es mag, zumindest was die Analysen in "Geschlecht und Werbung" betrifft, seinen Grund aber auch darin haben, daß das empirische Material, das den Ausgangspunkt der theoretischen Überlegungen bildet, keine Szenen gewaltförmiger Beziehungen enthält. Dem Image eines Produktes wäre damit ein scWechter Dienst erwiesen. Goffmans Analyse von Werbefotos zielt auf die Identifikation hyperritualisierter Darstellungsformen, die eine kulturelle "Idealvorstellung" von der sozialen Präsentation der Geschlechter sowie von deren strukturellen Beziehungen geben. Das vielfältige Bildmaterial sowie Goffmans Kommentare ergeben gewissermaßen ein Inventar geschlechtlicher Darstellungsformen75 . Die ritualisierten Darstellungen des Mannes bedienen sich sowohl physischer und räumlicher Mittel des Inszenierung als auch gestischer, mimischer, haptischer und taktiler. Viele der dargestellten Szenen lassen sich als Beispiele institutioneller Reflexivität lesen. Als wichtiges physisches Mittel wird die Körpergröße verwendet. Die Männer sind größer als die Frauen, oder sie sind so abgebildet, daß sie größer wirken. Eine Ausnahme von dieser Regel liegt dann vor, wenn die Frau offensichtlich einen höheren sozialen oder beruflichen Status als der Mann hat. Wo nicht die Körpergröße als Hierarchiemarkierer fungiert, sind die Geschlechter so positioniert, daß der Mann höher aufragt als die Frau oder daß die Frau zum Mann hinaufschaut (z.B. Mann stehend, Frau sitzend). Die räumliche Anordnung symbolisiert oft einen distanzierten Abstand des Mannes zum Geschehen. In Farnilienszenen stehen die Väter typischerweise etwas außerhalb der Runde von Mutter und Kindern. Das unterstreicht den Überblick und die Verantwortlichkeit des Mannes für die gesamte familiäre Einheit. Hinsichtlich der dargestellten Aktivitäten erscheinen die Männer als die Belehrenden, Zupackenden, zielgerichtet Handelnden, bei gemeinsamen Aktivitäten als die Leitenden, Frauen hingegen oft als verspielt und verträumt. Männer lassen den Frauen eine VielzaW von beschützenden und unterstützenden Aktivitäten angedeihen. Wenn Männer bei der Verrichtung von frauentypischen Tätigkeiten oder in abhängigen Positionen gezeigt werden, dann sorgen die Stilmittel von Ironie und Verfremdung dafür, daß 74 75
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Allerdings fulnt die Vemach1ässigung der "anderen Seite" dazu, daß Goffman emotionale Beziehungen zwischen den GescWechtem nur in ihrer prosozial-protektiven Dimension betrachtet, nicht aber hinsichtlich der Verletzbarkeit, die daraus fur den 'beschützten Teil' elwächst. Genauer: Das Matelial ist eine FundglUbe, um ein solches Inventar zu erstellen. Die Kommentare Goffmans geben dabei wichtige Hilfestellungen, sind aber nicht zu einer Systematik verdichtet.
märmliche Distanz und Souveränität betont werden. Frauen werden bisweilen in kindlichen Posen gezeigt, Märmer niemals. Märmer machen mit Frauen Dinge, die ansonsten der Interaktion von Erwachsenen mit Kindern vorbehalten sind, z.B. auf den Arm nehmen, hochheben. All dies sind Rituale männlicher Hegemonie. Allerdings bleibt eine Dimension völlig ausgespart, die der Sexualität. Dies verwundert, derm anders als die Gewalt sind Sexualität und Erotik Stilmittel, die auf vielen der Werbefotos eingesetzt werden. An anderer Stelle, im Kontext seiner Analyse der institutionellen Reflexivität verweist Goffman auf die Bedeutung dieser Dimension für die märmliche Selbstvergewisserung. Die "selektive Arbeitsplatzvergabe", die dafür sorgt, daß an vielen Arbeitsplätzen von Märmern junge und attraktive Frauen in untergeordneten Positionen zugegen sind, denen gegenüber sexuelle Anzüglichkeiten und Scherze üblich sind, versteht Goffman als eine soziale Konstruktion, die den Märmern täglich eine Form der Bestätigung ihrer Märmlichkeit ermöglicht, die sie in der ehelichen Gemeinschaft nicht erfahren. "Das Prinzip lautet hier: Wenige für viele, und infolgedessen entwickelt sich die Welt jenseits des Haushalts zu einem schummrigen Rotlichtviertel, in dem Männer schnell in Interaktionen Erfolge erzielen und in Sicherheit genießen können" (I 994c, S. 137).
In Variation eines berühmten Diktums von Kar! Marx bemerkt Goffman, das Geschlecht, nicht die Religion sei das Opium des Volkes (S. 131). Die Beispiele, die er gibt, machen deutlich, daß es woW insbesondere Opium für den märmlichen Teil des Volkes ist. Im beruflichen wie im privaten Bereich stehen den Märmern Frauen zur Seite, die dem Marm das sichere Gefühl geben, mindestens in einem sozialen Verhältnis die dominierende Position innezuhaben, gleichgültig, unter welchen Hierarchien und Zwängen er ansonsten zu leiden hat. Immer sind Frauen anwesend, "die seine zur Schau gestellte Kompetenz bestärken" (S. 131). "Wohin auch immer der Marm geht, karm er, scheint es, eine geschlechtsspezifische Teilung der Arbeit mit sich nehmen" (S. 132). Diese Arbeitsteilung analysiert Goffman - und mit ihm sämtliche Ansätze einer konstruktivistischen GescWechtersoziologie - in einer Weise, die beide Geschlechter bei ihrer Arbeit zeigt, werm auch mit unterschiedlichen Tätigkeiten. Die einer konstruktivistischen Perspektive verpflichteten Untersuchungen machen eindrucksvoll deutlich, daß und wie die sog. Passivität der Frau in kunstvollen Interaktionspraktiken hergestellt wird und in welcher Weise die Frau hierzu aktiv 'Passivitätsarbeit' leistet. Hochschild (1990, S. 135) zeigt, daß vermeintlich passive weibliche Eigenschaften wie Anpassung an die Bedürfnisse anderer in einer von Frauen geleisteten gesellschaftlichen Arbeit erzeugt werden: durch eine Steuerung ihrer Gefühle in einer Weise, daß Wohlbefinden und Status der Märmer verbessert und aufgewertet werden. Konversationsanalytische Untersuchungen von Paarkommunikation machen 77
deutlich, daß der Eindruck weiblicher Zurückhaltung eine wenig sichtbare Unterstützungsarbeit der Frau zur Grundlage hat.
3. Geschlechtersoziologie: Frauenforschung und Männerstudien Die bisherigen Kapitel standen unter der Frage, wie das Geschlechterverhältnis in der soziologischen Theorietradition thematisiert wird. In diesem Kapitel geht es um theoretische Konzepte, wie sie in einer auf das Geschlechterverhältnis fokussierten Forschung entwickelt worden sind. Nicht die Zugehörigkeit zu einem theoretischen Paradigma, sondern die Gemeinsamkeit des Gegenstandes zeichnet die im folgenden behandelten Arbeiten aus. Wie sich der Unterteilung des Kapitels in Frauenforschung und Männerstudien entnehmen läßt, spiegelt sich die Dichotomie, die der kulturellen Codierung des Gegenstandes zugrunde liegt, in der sozialwissenschaftlichen Aufbereitung desselben wider. Inwieweit mit dem Begriff 'Geschlechtersoziologie' eine Klammer gegeben ist, welche die Schwerpunktsetzungen unter einem Dach zusammenführt, ist eine Frage, die insbesondere in der Frauenforschung kontrovers diskutiert wird (dazu unten mehr). Jeder Gegenstand läßt sich unter verschiedenen theoretischen Perspektiven betrachten. Sowohl in der Frauenforschung als auch in den Männerstudien sind die kontrovers geführten Theoriedebatten auf die Frage zentriert, ob mit dem Begriff des Patriarchats eine angemessene Konzeptualisierung des GescWechterverhältnisses sowie - was hier vor allem interessiert - männlicher Dominanz geleistet werden kann, und, sollte dieser Begriff ungeeignet sein, was an dessen Stelle treten könnte. In den folgenden Ausführungen fungiert diese Diskussion als Kriterium dafür, was aus der Fülle der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung als einschlägig selektiert wird. Es geht also nicht um einen Report zum Stand der Forschung, sondern um die Rekonstruktion theoretischer Modelle.
3.1 Patriarchat oder Gender? Mann und Männlichkeit in den Perspektiven der Frauenforschung Es ist bekannt, daß es die Soziologie der Frauenforschung verdankt, daß sie 'geschlechtssensibilisiert' worden ist. Das Bemühen der Frauenforschung richtet sich nicht darauf, den vorhandenen Bindestrich-Soziologien eine weitere hinzuzufügen. Mit der These, Geschlecht sei als eine zentrale Strukturkategorie zur Analyse der (modemen) Gesellschaft zu begreifen, wird die So-
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ziologie des Geschlechterverhältnisses als Teil der allgemeinen Soziologie verstanden und als in gleicher Weise fundierend angesehen wie die Soziologie sozialer Ungleichheit in Gestalt von Klassenverhältnissen 76 . Die Frauenforschung - auch das ist bekannt - beinhaltet eine Vielfalt theoretischer Perspektiven (vgl. Krüger 1994). Die können hier nicht im einzelnen rekapituliert und im Hinblick auf ihre explizite oder implizite Konzeption von Männlichkeit rekonstruiert werden. Das erforderte ein eigenes Buch77 • Das Spektrum reicht von rollentheoretischen über interaktionstheoretische bis zu klassentheoretischen Ansätzen, von psychoanalytischen bis zu dekonstruktivistischen78 . Viele der im vorigen Kapitel rezipierten interaktionistischen und ethnomethodologischen Arbeiten sind im Kontext der warnen 's studies entstanden. Dieses Kapitel wird in groben Zügen zwei Positionen innerhalb der Frauenforschung kontrastieren und auf ihre Männlichkeitskonzeptionen hin befragen: eine explizit gesellschaftstheoretische, wie sie mit dem Begriff des Patriarchats als zentraler analytischer Kategorie verbunden ist, und eine weiter gefaßte, als gender-Perspektive bezeichnete, in der sowohl gesellschaftstheoretische als auch interaktionstheoretische Analysen integriert sind. Mit den Konzepten "Patriarchat" und "gender" sind nicht nur unterschiedliche Perspektiven benannt, sie stehen auch in einer zeitlichen Folge, mit ihnen ist ein gewisser Paradigmawechsel verbunden. Ute Gerhard (1993, S. 12f.) konstatiert, daß "das Konzept Patriarchalismus selbst in der Frauenforschung heute größtenteils als überholt, wenn nicht als wissenschaftlich unbrauchbar bezeichnet wird"79. Gender sei als der "seriösere Begriff' weitgehend akzeptiert, da mit ihm der gesellschaftliche Zusammenhang in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen kultureller und symbolischer Repräsentation zu erfassen sei: nicht nur der Zusammenhang von Beruf und Familie, auch der von Geschlecht und Sprache oder von Geschlecht und persönlicher Identität. Judith Lorber (1994, S. 3) verzichtet auf den Begriff des Patriar76
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Darüber hinaus hat die Frauenforschung auf einer die einzelnen Disziplinen übergreifenden Ebene eine Diskussion methodologischer und erketmtnistheoretischer Fragen in Gang gesetzt (vgl. Z.B. Harding 1990; List/Studer 1989; für einen Überblick: BeimkeIMeuser (999). Eine Analyse des Männerbilds in einigen populären feministischen Scluiften, wissenschaftlichen und anderen, hat Rave (1991) vorgelegt. Sie konstatiert eine Gleichsetzung der "gesellschaftlichen Kategorie patriarchaler Macht" mit der biologisch gegebenen Geschlechtlichkeit (S. 20). Gute Überblicke bieten der von England (1993) herausgegebene Sammelband sowie die Monographien von Tong (1989) und Evans (1995). Zu einer anderen Einschätzung kOlrunen Anfang der neunziger Jalu'e Gildemeister und Wetterer (1992, S. 202ff.). Sie machen darauf aufmerksam, daß die deutsche Frauenforschung die von den amerikanischen women 's sludies eingeschlagene Richtung der genderForschung nicht mitvollzieht. Das hat sich inzwischen allerdings geändelt. Einen hohen Stellenwelt hat das Patriarchatskonzept in der britischen Frauenforschung (vgl. Cockbul11 1991a; Walby 1990).
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chats als analytische Kategorie (nicht als deskriptive) und favorisiert gender, weil dies ein allgemeinerer Begriff sei, der alle sozialen Verhältnisse umfasse, welche Menschen unterschiedliche geschlechtliche Positionen zuweisen; Patriarchat und männliche Dominanz über Frauen seien nur ein Teil dieser Verhältnisse. Mit dem Paradigmawechsel geht eine Erweiterung des Gegenstandsbereichs der Frauenforschung einher. Männer, Männerwelten, Männlichkeitsmuster werden in zunehmendem Maße expliziter Gegenstand der Frauenforschung. Implizit enthält jede feministische Theorie Annahmen über das männliche Geschlecht, auch wenn weibliche Lebenszusammenhänge im Fokus stehen. Das bedingt die Relationalität der Kategorie Geschlecht. Seit Ende der achtziger Jahre nimmt aber vor allem die Anzahl empirischer Studien über männliche Lebenszusammenhänge deutlich zu. Zunächst hat sich die Frauenforschung auf die 'vernachlässigte Hälfte der Menschheit' konzentriert. In wissenschaftshistorischer Perspektive ist diese 'Einseitigkeit' der notwendige Reflex auf die androzentrische Praxis auch der Wissenschaft Soziologie. Frauen in die Geschichte und in die Wissenschaften hineinzuschreiben war das Ziel. Die für den Feminismus charakteristische enge Verzahnung von sozialer Bewegung und Wissenschaft ist eine weitere Erklärung dafür, daß weibliche Lebenswelten und Existenzweisen den Fokus der Forschung ausmachen. Wie Segal (1990, S. 206f.) ausführt, waren die Feministinnen in den siebziger Jahren damit befaßt, Kontrolle über ihr eigenes Leben zu erlangen. Männer seien nur insofern von Interesse gewesen, als sie aus der Frauenbewegung ausgeschlossen werden mußten. Zum Problem und damit zum Gegenstand feministischer Diskurse sei der Mann geworden, als Vergewaltigung und männliche Gewalt gegen Frauen und Kinder zentrale Themen der Diskussion wurden. Im Zuge dieser Diskussion sei die Unterdrückung der Frau den Männern individuell zugerechnet worden. Ein transhistorisch gegebenes, primordiales Machtstreben der Männer sei betont worden, während weniger Gewicht darauf gelegt worden sei zu erkunden, wie männliche Macht in sich wandelnden sozialen Arrangements und ihren Ideologien institutionalisiert wird. Ein wichtiges Instrument sowohl für die Analyse von als auch für die politische Auseinandersetzung mit männlicher Macht war bzw. ist der Begriff des Patriarchats. Auf dieses Konzept können sich verschiedene gesellschaftstheoretisch orientierte Richtungen der Frauenforschung verständigen. Patriarchat bezeichnet je nach theoretischer Präferenz entweder das zentrale oder - neben dem Kapitalismus - ein zentrales Prinzip der Vergesellschaftung der Geschlechter. In diesem Sinne spricht die gesellschaftstheoretisch orientierte Frauenforschung von der Strukturkategorie 'Geschlecht' (vgl. Beer 1990, S. 12). Das weitestgehende Patriarchatskonzept vertritt der sog. radikale Femi-
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nismus 80 . Dieser versteht Frauen und Männer als distinkte Klassen, die durch fundamental entgegengesetzte Interessen bestimmt sind. Männliche Macht und die männlich dominierte Kultur gelten als Quelle der Unterdrückung der Frau. Deren Unterordnung im Haushalt ist primär gegenüber derjenigen in der Sphäre der Erwerbsarbeit. Das Patriarchat, nicht der Kapitalismus ist der Mechanismus der Unterdrückung der Frau (vgI. Shelton/Agger 1993, S. 27f.). Deren Soziallage, nicht die des Proletariats, stellt die fundamentalste Form der Unterdrückung dar. Als zentrales Mittel gilt die männliche Kontrolle des weiblichen Körpers und der weiblichen Sexualität, so daß die Bedürfnisse und Interessen der Männer bedient werden, nicht aber die der Frauen. Das Patriarchat wird als eine Institution begriffen, mit der der Mann Kontrolle über die reproduktive Kraft der Frau gewinnt, gewissermaßen eine Kompensation für nicht vorhandene eigene reproduktive Fähigkeiten. Männer fürchteten diese als mysteriös wahrgenommene Kraft und seien eifersüchtig auf sie (vgI. Tong 1989, S. 71ff.). Gegenüber solchen psychologisierenden Interpretationen betont Heidi Hartmann, eine prominente Vertreterin der dual-systems theory81, die materielle Basis des Patriarchats, womit mehr gemeint ist als ökonomische Ressourcen82 . Das Patriarchat basiert in dieser Perspektive auf sozialen Beziehungsstrukturen unter Männem, die, obwohl selbst hierarchisch organisiert, eine Interdependenz und Solidarität unter Männem etablieren, die sie in die Lage versetzen, Frauen zu dominieren (vgI. Hartmann 1981 b). Homosoziale Beziehungsgeflechte der Männer sind die Voraussetzung für ein patriarchal strukturiertes GescWechterverhältnis (vgI. Dietzen 1993, S. 116). Cockbum (1991 a, S. 158) begreift männerbündische Strukturen am Arbeitsplatz, von sexual talk bis zum geselligen Zusammensein nach Feierabend, als eine wesentliche Stütze des patriarchalen Regimes. Den männlichen Zusammenhalt 80
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Die amelikanische Literatur unterscheidet folgende Richtungen des Feminismus: einen liberalen, einen marxistischen, einen sozialistischen (auch dual-systems theory), einen radikalen, einen psychoanalytischen, einen existenzialistischen und einen postmodemen Feminismus (vgl. Tong 1989). Anders als der radikale Feminismus geht dieser Ansatz nicht davon aus, daß das Patliarchat universell das plimäre Unterdrückungsverhältnis ist, und anders als der marxistische Feminismus nimmt der Zwei-Systeme-Ansatz an, daß die Stmkturen des Geschlechtelverhältnisses fundamental andere sind als die des KJassenverhältnisses und daß Patliarchat und Kapitalismus zwei interdependente Systeme sind, die sich tendenziell in einer Kontliktlage befinden (vgl. Hartmann 1979; Walby 1986) Die Logik des Kapitals wird als geschlechtsblind begliffen und kann deswegen nicht die Unterdlückung von Frauen erklären (vgl. Shelton/Agger 1993, S. 29f; Tong 1989, S. 173ft). Kennzeichnend für diese Valiante des Patliarchatskonzepts ist eine modifizierende Verwendung marxistischer Begliftlichkeit. Das Verhältnis von MalUl und Frau wird analog dem von Kapitalist und Lohnarbeiter konzipielt; der marxistische Begliff der Produktion wird elweitelt: "The concept of production ought to encompass both the production of 'things', 01' material needs, and the 'production' of people 01', more accurately, the production of people who have palticular attributes, such as gendei"' (Haltmann 1981a, S. 37\).
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potentiell bedrohende Klassenwidersprüche würden auf diese Weise stillgelegt. Je nach theoretischer Perspektive wird der Zusammenhang von Klassenund Geschlechterverhältnissen unterschiedlich begriffen (vgl. Fn. 81). Damit erfahrt auch der Patriarchatsbegriff unterschiedliche Akzentuierungen. Um herauszuarbeiten, wie im feministischen Patriarchatsdiskurs Männlichkeit konzipiert wird, können die Nuancen vernachlässigt werden 83 . Hier ist von Belang, welche Ebene der Konzeptualisierung von Männlichkeit mit dem Begriff des Patriarchats verbunden ist. Cynthia Cockburn (199la), die trotz der feministischen Kritik ausdrücklich an dem Begriff festhält 84 , versteht ihn nicht als eine Metapher, sondern als eine angemessene Bezeichnung fur eine lebendige Realität ("living reality") (S. 18). Die einfachste, gewissermaßen auch umfassendste Definition faßt Patriarchat als System sozialer Strukturen und Praktiken, in denen Männer Frauen dominieren, unterdrücken und ausbeuten. Der Begriff der Struktur impliziert fur Walby (1990, S. 20), daß jeder individuelle Mann in einer dominanten und jede individuelle Frau in einer untergeordneten Position ist. Walby (1986, S. 52ff.) begreift in Analogie zur marxistischen Klassentheorie die Hausfrauen als die produzierende Klasse, die Ehemänner als die nicht-produzierende ausbeutende. "The exploitation, or expropriation, which is taking place is the expropriation of the surplus labour of the domestic labourer by the husband" (S. 53). Der Mann gewinnt damit Kontrolle über die Arbeitskraft der Frau, über die er nach seinem Gutdünken verfugen kann. So wie der Kapitalist sich zum Lohnarbeiter verhält, so verhält sich der (Ehe-)Mann zur (Ehe-)Frau. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die Produktionsbeziehung zwischen den Ehegatten existiert als eine personalisierte Beziehung zwischen Individuen. Diese Besonderheit ist freilich kein Anlaß, die konzeptionelle Tragfahigkeit der Analogie zu überdenken. Vielmehr gilt Walby ein Ansatz wie der Symbolische Interaktionismus, der versucht, der besonderen Struktur personaler Beziehungen begrifflich und methodologisch gerecht zu werden, als nicht geeignet, patriarchale Strukturen zu erfassen (vgl. ebd., S. 67). Patriarchale Verhältnisse finden sich auf allen Ebenen sozialer Beziehungen, in der Intimität des Geschlechtsverkehrs wie in Wirtschaft und Politik. Als zentral für die Fundierung patriarchaler Herrschaft gelten Hausarbeit und Lohnarbeit (vgl. Hartmann 1979; Walby 1986). Die konkrete Ausformung des Patriarchats unterliegt sozialem Wandel, manifestiert sich mithin in unterschiedlichen Strukturen. So sei heute die im engen Sinne väterliche Gewalt von einer allgemeineren männlichen Geschlechtsmacht abgelöst (,,male sex-right") (Cockburn 1991a, S. 7; vgl. auch Metz-Göckel 1987, S. 29). 83 84
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Für eine Diskussion verschiedener PatIiarchatskonzepte vgl. Walby 1986, S. Sff. "However, 'patIiarchy' has come to be a popular shorthand tenn for systemic male dominance and for that reason I use it here" (Cockbum 1991a, S. 7f.).
Bedingt durch den systemischen Charakter ist die 'Mitgliedschaft' im Patriarchat nicht optional. Das gilt fiir Frauen wie fiir Männer. Frauen können dem System nicht entfliehen, zumindest nicht als einzelne, und Männer, mögen sie sich auch bemühen, in ihrem persönlichen Leben Frauen nicht zu unterdrücken, bleiben aufgrund ihrer GescWechtszugehörigkeit 'Benefiziare' des patriarchalen Regimes. "But being male they continue to be seen by others as members of the patriarchy, and they are bound to share, even if unwillingly, in the benefits it affords men" (Cockburn 1991a, S. 8). Geschlecht als Schicksal, auch fiir den Mann. Dem zu entrinnen kann nur gelingen, wenn Männer unter ihresgleichen eine Unterstützung des feministischen Kampfes organisieren. Und obwoW sie Nutznießer des Patriarchats sind, sieht Cockburn einen Grund, weshalb sie dies tun sollten. Das Patriarchat korrumpiert den Mann mit hohem sozialem Status und 'verstümmelt' denjenigen, der am unteren Ende der Hierarchie steht. "Men in patriarchy castrate men, literally and symbolically, in the interests of phallocracy" (Cockburn 1991a, S. 8). Ob das eine angemessene Analyse männlicher Lebenswirklichkeit und männlicher Interessen ist, steht an dieser Stelle nicht zur Debatte. Hier interessiert zunächst die Logik der Argumentation. Die mit der Zugehörigkeit zu einer biologisch gegebenen Geschlechtsklasse festgelegte Position im System bestimmt die Bedeutung des Handelns. Wie immer auch die Intentionen sein mögen, sie zäWen wenig bis gar nichts im Vergleich mit den vom System vorgezeichneten Strukturen 85 . Der Mann ist qua Geschlechtsstatus Mitglied des Patriarchats. Woher er dann die Motivation nehmen soll, die Strukturen des Systems aufzubrechen, und wie die Einsicht, daß dies notwendig ist, zustandekommen soll, ist nicht erkennbar. Die Logik, die der Formulierung der dem Mann offenstehenden Optionen zugrundeliegt, bleibt allerdings die gleiche wie zuvor. "And men today have a choice: accept the patriarchal system or work collectively to contradict it. Be part of the problem or be part of the solution" (Cockburn 1991a, S. 9). Dies ist die binäre Logik des 'entwederoder'. So wie individuelle Intentionen (der Männer) nichts bedeuten gegenüber der Macht des Systems, so gibt es zwischen einem 'dafiir' und einem 'dagegen' keine Option, keine Zwischenlösung. Sowohl auf der analytischen Ebene wie auf derjenigen der politischen Praxis tendiert das Patriarchatskonzept dazu, Handlungsspielräume und Binnendifferenzierungen zu vernachlässigen. Zumindest auf konzeptioneller Ebene verleitet das Konzept dazu, Thesen über männliche Erfahrungsmodi zu formulieren, die einer empirischen Grundlage bedürften und nicht einfach aus dem gesellschaftstheoretischen Entwurf 85
So auch Metz-Göckel (1987, S. 28): "Analytisch ist Patriarchat ein Systembegliff insofem, als es jenseits des Wollens einzelner Männer existielt. Einzelne können als Individuen persönlich von den Zumutungen und Zuschreibungen pattiarchalen Denkens und Handeins abweichen, oh.ne daß sich. am Geschlechtelverhältnis insgesamt etwas ändelt".
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abgeleitet werden können. Aus der Grundannahme, daß Männer unabhängig von ihren Intentionen "in patriarchalen Verhältnissen einen Statusvorteil aufgrund ihres GescWechts" haben, folgert Metz-Göckel (1987, S. 28): ,,Das Patriarchat verschließt der männlichen Selbstdeutung die kritische Einsicht als überlegenes Geschlecht ... Bis auf ganz wenige Ausnahmen sind Männer blind gegenüber den Privilegien und sozialen Dimensionen ihres GescWechts". Der empirische Teil der Arbeit wird zeigen, daß sich diese Schlußfolgerung nicht halten läßt (s. Kap. 7). Es gibt eine Vielzahl von Männern, die durchaus ein Wissen um die eigene Überlegenheit und um die Privilegien des männlichen Geschlechts haben, und dies auch in Milieus, in denen man es dem soziologischen common sense zufolge am wenigsten vennutete. Diese Einsicht fuhrt freilich nicht zwangsläufig zu einer Kritik an den Verhältnissen, sondern ist mit einer zustimmenden Haltung sehr gut vereinbar. Privilegien können auch bewußt genossen werden. Des weiteren wird sich zeigen, daß die wenigen Ausnahmen, die sich selbst als profeministische Männer begreifen und bei denen sich Wissen mit einer Kritik der bestehenden Geschlechterverhältnisse und der dominanten Position des Mannes verbindet, nicht zu einer verändernden Praxis finden. Nicht nur gegenüber dem Patriarchatskonzept, sondern allgemein gegenüber gesellschaftstheoretischen Entwürfen erweist sich die Notwendigkeit einer empirisch-rekonstruktiven Forschung, welche zum einen Unerwartetes zu entdecken vennag und zum anderen dessen strukturelle Verankerung zu rekonstruieren hat. Dazu bedarf es offenerer theoretischer Konzepte, die kein Präjudiz darüber enthalten, wie die empirische Wirklichkeit aussieht. Das Patriarchatskonzept läuft Gefahr, Unerwartetes nur als Zufall fassen zu können. Beispielsweise gilt Knapp (1987, S. 245) die Familie stärker von Aspekten der Ungleichheit als von egalitären Dimensionen bestimmt. "Letztere verdanken sich eher dem Zufall geglückter Beziehungen, die zwar innerhalb der Familienideologie einen Stammplatz haben, aber außerhalb der gesellschaftlichen Fonnbestimmtheit des Geschlechterverhältnisses liegen". Auch wenn egalitäre Beziehungen nicht der Nonnalfall sein mögen, so enthebt das nicht der Aufgabe, der strukturellen Verankerung des sogenannten Zufalls nachzuspüren. Das setzte einen modifizierten Strukturbegriff voraus, der nicht eindimensional konzipiert ist und der vor allem nicht im voraus, d.h. vor der empirischen Rekonstruktion, weiß, welche Struktur die entscheidende ist. Diese analytische Offenheit hat das gender-Konzept, sie findet in der Breite der Begrifflichkeit ihren Ausdruck. Was gegenüber dem Konzept des Patriarchats als ein Mangel an begrifflicher Präzision erscheinen mag, hat methodologische Vorteile. Die gender-Perspektive stellt eine Mehrdimensionalität der Strukturen des Geschlechterverhältnisses in den Bereich des Möglichen und setzt den Schwerpunkt nicht auf gesellschaftstheoretische Ableitungen, sondern auf empirische Rekonstruktion. Sie begreift Frauen wie Männer 84
als kompetente Konstrukteure von Wirklichkeit und impliziert die Forderung, Männer zum Gegenstand der Forschung zu machen. Judith Gerson und Kathy Peiss fassen das Forschungsprogramm zusammen: "This emphasis suggests that we appreciate women as the active creators of their own destinies within certain constraints, rather than as passive victims or objects. At the same time, this suggests that feminist scholars must avoid analyzing men as onedimensional, omnipotent oppressors. Male behavior and consciousness emerge from a complex interaction with women as they at times initiate and contral, while at other times, cooperate or resist the action of women. Clearly researchers need to examine men in the context of gender relations more precisely and extensively than they have at the present time" (GersoniPeiss 1985, S. 327).
Mit der gender-Perspektive ist keine einzelne Theorie bezeichnet, sondern ein Forschungsprogramm bzw. ein Paradigma, das den zitierten Linien folgt. Es hat deutlich sozialkonstruktivistische Konturen, ist aber nicht auf ethnomethodologische und interaktionistische Ansätze begrenzt. Kern der genderPerspektive ist die Absage an eine Konzeption des GescWechterverhältnisses, in der Frauen und Männer einander in binärer Opposition gegenüberstehen. Das impliziert, daß keines der beiden Geschlechter als monolithisch begriffen wird (vgl. Lorber 1994, S. 4f.). Ein zentrales Bemühen und ein wichtiges Ergebnis der Frauenforschung besteht darin zu zeigen, in welcher Weise Weiblichkeit als ein vieldimensionales Phänomen zu begreifen ist, auf die Vielfalt weiblicher Lebenslagen und weiblicher Lebensentwürfe hinzuweisen. In dem Maße, in dem dies akzentuiert worden ist, sind Unterschiede in männlichen Lebenslagen konzeptionell eingeebnet worden (vgl. Connell 1985, S. 266). Der Fokus auf männliche Macht in einem patriarchalen Unterdrückungsverhältnis hat eine Befassung mit männlicher Ohnmacht als unwichtig erscheinen lassen. Die gender-Perspektive postuliert einen differenzierenden Blick auch auf männliche Lebenszusammenhänge, ohne allerdings die Machtrelation aus dem Auge zu verlieren. In die Beziehung der Geschlechter ist die Asymmetrie notwendig eingebaut, wie Ruth Seifert (1992, S. 861) unter Rekurs auf Luhmann ausführt, wie dies aber auch Simmel bereits deutlich herausgestellt hat (s. Kap. 1.2). Von einer kulturellen, sozialen und politischen Dominanz des Mannes auszugehen impliziert jedoch nicht, in allen gesellschaftlichen Bereichen, am Arbeitsplatz wie in der Familie, eine einheitliche, nach dem gleichen Muster funktionierende Machtstruktur anzunehmen. Patriarchatskonzept und gender-Perspektive unterscheiden sich hinsichtlich der begrifflichen Fassung der Asymmetrie zwischen den Geschlechtern dahingehend, daß letztere Macht als eine formale Kategorie begreift, während das Konzept des Patriarchats eine inhaltliche spezifizierte Ausprägung von Macht begrifflich festschreibt. Lynne Segal (1990, S. 205f.) fordert, nachdem der Feminismus das Bild einer einheitlichen Weiblichkeit aufgegeben hat, nun in gleicher Weise die Vorstellung einer essentiellen Männlichkeit in Frage zu stellen, freilich ohne 85
dabei die Probleme zu nivellieren, die aus der männlichen Dominanz resultieren. Vielfalt und wechselnde Bedeutungen von Männlichkeit würden ansonsten übersehen, und damit auch Ansatzpunkte fiir Veränderungsstrategien. Die simple Gleichsetzung von Männlichkeit und männlicher Dominanz verhindere ein adäquates Verständnis beider (vgl. Segal 1993, S. 638). In ihrer Studie über den Wandel der Männlichkeit zeigt Segal, daß die Familie immer weniger eine stabile Basis männlicher Autorität und Macht ist. Die überlegene Position des Mannes löst sich zwar nur langsam auf, aber: "The dominant idea of a fixed and pure heterosexual maseulinity, to whieh women and ehildren are ineseapably subordinated, onee so seeurely grounded in the nuclear family, is, if not in erisis (as is often glibly c1aimed), at least a little less hegemonie than it has ever been before" (Segal 1990, S. 100).
Nicht nur hinsichtlich Männlichkeit, sondern insgesamt steht die genderPerspektive gegenüber dem Konzept des Patriarchats fiir eine Erweiterung des Blickfeldes. Die Forschungsgegenstände erstrecken sich von der gescWechtlichen Arbeitsteilung über gescWechtliche sexual scripts und geschlechtliche Persönlichkeitsmerkmale bis hin zu Geschlechtsidentität und Geschlechtsdarstellung (vgl. Lorber 1994, S. 30f.). Diese beispielhaft herausgegriffenen Dimensionen86 machen deutlich, daß das Konzept des Patriarchats wenig geeignet ist, die Forschung auf all diesen Gebieten anzuleiten. Für die Dimension der geschlechtlichen Arbeitsteilung mag es eine logisch angemessene Begrifflichkeit sein, nicht unbedingt eine empirisch angemessene, fiir eine Rekonstruktion weiblicher und männlicher Gefiihlsnormen oder der Modi der Selbstdarstellung der Geschlechter im Alltag dürfte dieses Konzept jedoch wenig nützlich sein. Mit der Absage an ein Verständnis des GescWechterverhältnisses, in dem Männer und Frauen monolithische Einheiten sind, die in binärer Opposition zueinander stehen, geht eine Kritik an Ansätzen einher, welche die Differenz positivieren (vgl. GildemeisterlWetterer 1992). Untersuchungen, denen die Perspektive des Patriarchats zugrundeliegt, fragen typsicherweise nach der sozialen Konstitution des GescWechterverhältnisses (vgl. Beer 1990, S. 12). Die Existenz von zwei Geschlechtern wird vorausgesetzt, die soziale Konstruktion der Differenz ist kein Gegenstand von Forschung und Theoriebildung. Der "latente Biologismus" (GildemeisterlWetterer 1992, S. 207) der sex-gender Unterscheidung, derzufolge gender, das soziale Geschlecht, die gesellschaftliche Ausarbeitung von sex, der biologisch gegebenen Differenz, 86
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Lorber (1994, S. 30f) unterscheidet a) die Ebene sozialer Institutionen, b) die des individuums und fiilut folgende Dimensionen auf: a) "Gender statuses", "Gendered division of labor", "Gendered kinship", "Gendered sexual sCliplS", "Gendered personalilies", "Gendered social control", "Gender ideology", "Gender imageIY"; b) "Sex calegOlY", "Gender identitiy", "Gendered maIital and procreative status", "Gendered sexual olientation", "Gendered personality", "Gendered processes", "Gender beliefs", "Gender display".
ist, kommt voll zum Tragen. Anders als beim Klassenverhältnis gebe es beim GescWechterverhältnis, d.h. bei dem System von sex und gender, "einen biologischen Faktor, der zwar nicht absolut, so doch stark prädisponierend ist" (Cockburn 1991b, S. 83). Dieser Faktor ist die Gebärfähigkeit der Frau. Demgegenüber betont die gender-Perspektive die soziale Konstruktion von Geschlecht und thematisiert diese auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Dimensionen: von der Konstruktion der Differenz bzw. der Sozialordnung der Zweigeschlechtlichkeit bis zur Reproduktion kultureller Muster von Weiblichkeit und Männlichkeit, von der Analyse elementarer sozialer Interaktion bis zur Rekonstruktion kultureller Deutungsmuster. Im Patriarchatskonzept sind die Geschlechtskategorien den geschlechtlichen Praktiken vorgängig, in der gender-Perspektive werden die GescWechtskategorien durch die Praktiken hervorgebracht, sind gewissermaßen gleichursprünglich. Grosso modo läßt sich sagen, daß die methodologische Orientierung der gender-Perspektive den Maximen einer interpretativen Soziologie folgt. Damit gewinnt die verstehende Rekonstruktion von Eigen- wie Fremdwahmehmung, von Deutungsmustern des GescWechterverhältnisses und der eigenen Position in diesem, wie sie dem Denken und Handeln von Frauen und Männern zugrundeliegen, an Bedeutung. Hinsichtlich der Untersuchung von Männerwelten und Männlichkeitsmustern hat das zur Folge, daß Orte, an denen die Konstruktion von Männlichkeit geschieht, zum Gegenstand der Forschung gemacht werden und daß diese Forschung sich bemüht, die Perspektive der dort agierenden Männer ohne Rekurs auf vorgegebene inhaltliche Kategorien zu erfassen. Während das Patriarchatskonszept vornehmlich die Auswirkungen des Handelns von Männern auf Frauen thematisiert, versucht die genderPerspektive männliches Handeln auch aus der männlichen Binnenperspektive heraus zu verstehen, fragt nicht nur danach, in welcher Weise es zur Aufrechterhaltung der geschlechtlichen Dominanzstruktur beiträgt. Segal (1990, S. 207ff.) kritisiert, daß der Feminismus der ausgehenden siebziger Jahre bei der Suche nach einer fundamentalen transhistorischen Basis männlicher Dominanz die männliche Sexualität in einer Weise fokussiert hat, die der sexuellen Wirklichkeit, wie sie von Männern erfahren wird, nicht gerecht wird. Die These von der männlichen 'Phallokratie' bringt diese Position nicht nur metaphorisch auf den Punkt. Zwar kann der Phallus, so Segal, als ein kulturelles Symbol männlicher Macht verstanden werden, irreführend ist es allerdings, dieses Symbol mit der gelebten Erfahrung männlicher sexueller Dominanz gleichzusetzen. Segal macht auf die Diskrepanz aufmerksam, die zwischen den Präpotenz akzentuierenden kulturellen Bildern männlicher Sexualität und den alltäglichen Erfahrungen von Männern besteht. "Heterosexual performance may be viewed as the mainstay of masculine identity, but its enactment does not in itself give men power over women" (S. 211). Autobiographische Berichte sowie wissenschaftliche Untersuchungen zur männli87
chen Sexualität zeigen gleichennaßen, daß fur viele Männer die Sexualität der Bereich ist, in dem sie die größte Unsicherheit gegenüber Frauen erleben, und dies in starkem Kontrast zu Erfahrungen von Autorität und Unabhängigkeit in der öffentlichen Welt. Der Alltag heterosexueller geschlechtlicher Beziehungen scheint eher durch eine komplexe Aushandlung von Macht zwischen Mann und Frau als durch ein stabiles und einseitiges Dominanzverhältnis bestimmt zu sein. Segals Beschreibung männlicher sexueller Erfahrungen zeigt beispielhaft, wie die gen der-Perspektive eine Analyse ennöglicht, in der die Eindimensionalität vieler Darstellung männlicher Machtstrukturen aufgebrochen wird. Die generelle gesellschaftliche Dominanz des männlichen Geschlechts setzt sich nicht bruchlos in sämtliche Lebensbereiche fort. Macht als exklusiv dem einen Geschlecht vorbehalten und als einen einseitigen, topdown-Prozeß zu begreifen fuhrt zudem dazu, die Partizipation der Frauen bei der Aufrechterhaltung männlicher Dominanz unberücksichtigt zu lassen (S. 261). Ein weiteres Beispiel fur eine die Vielschichtigkeit der geschlechtlichen Wirklichkeit betonende Analyse sind die Arbeiten von Francesca Cancian (1985, 1986) über weibliche und männliche Ausdrucksfonnen von Liebe. Cancian untersucht, welche Folgen die kulturelle Codierung von Liebe dafur hat, wie Frauen und Männer ein unterstützendes und Zuwendung ausdrückendes Handeln wahrnehmen. Ihre These ist, daß unterstützendes Handeln, das Männer selbst als Ausdruck von Liebe begreifen, weder von den Frauen noch im allgemeinen gesellschaftlichen Verständnis als solches wahrgenommen wird, weil als Folge einer 'Femininisierung der Liebe' (1986) nur emotional expressives Verhalten, nicht aber instrumentelle Unterstützung mit Liebe konnotiert werden. Als Ergebnis empirischer Generalisierung hält Cancian (1985, S. 253) fest: "Women prefer emotional closeness and verbal expression; men prefer giving instrumental help and sex". Cancian rekonstruiert die Perspektiven beider Geschlechter und gelangt so zu einer Analyse des Verhältnisses von Liebe, Abhängigkeit und Macht, die ein komplexes Wechselverhältnis von männlicher Macht und männlicher Abhängigkeit aufzeigt. Liebe in Gestalt von instrumenteller Hilfe auszudrücken impliziert eine überlegene Position gegenüber der Person, der man hilft, die man schützt, die man versorgt usw. Die Abhängigkeit von der Zuwendung der unterlegenen Person kann somit unbemerkt bleiben. Beim Wunsch nach emotionaler Nähe ist hingegen die Abhängigkeit nicht zu leugnen. Mit den unterschiedlichen Stilen von Frauen und Männem, Liebe zu zeigen, ist eine Machtrelation unausweichlich verbunden, sie knüpft an der kulturellen Codierung der Differenz von expressiv und instrumentell an. Daß in die Liebesbeziehung die Machtrelation eingelassen ist, ist im Rahmen des feministischen Diskurses keine neue Einsicht. Cancian zeigt darüber hinaus, daß das, was in systemischer Perspektive als Ausdruck von 88
Macht erscheint, zugleich ein zumeist verkannter Ausdruck von Liebe sein kann und daß dieser männlichen Sicht nicht weniger Wirklichkeit zukommt als den Abhängigkeitserfahrungen der Frauen. Des weiteren macht Cancian deutlich, daß im Zuge dessen, was sie Femininisierung der Liebe nennt, der männliche Stil der Liebe eine öffentliche Entwertung erfährt, während die Legitimität des weiblichen Wunsches nach emotionaler Expression zunehmend anerkannt wird. Daß die gender-Perspektive gegenüber Machtstrukturen nicht blind ist, zeigt auch eine Analyse der Institution des Militärs von Ruth Seifert (1992). Seifert beschreibt das Militär als einen Ort, an dem Männlichkeit und männliche Macht gleichsam in hypertropher Form gelebt werden. Diese Macht richtet sich extern, d.h. im Kriegsfall, gegen die Soldaten der gegnerischen Armee, aber immer auch und in zunehmendem Maße gegen die Zivilbevölkerung, die in Kriegssituationen überwiegend aus Frauen und aus Kindern besteht. In der internen Organisation des Militärs betreffen die Machtstrukturen vornehmlich das Verhältnis von Männern untereinander. Auch heute noch, in Zeiten hochtechnisierter Kriegsfiihrung, gelten sog. klassische männliche Tugenden wie "Tapferkeit, Zähigkeit und körperliche Ausdauer, eine gewisse Aggressivität und eine bestimmte Ausprägung von Rationalität" (S. 863) als wichtige Eigenschaften. "In vielen Einheiten gehören exzessives Trinken und eine mit sexuellen Metaphern durchsetzte Sprache ebenfalls zum Alltag" (ebd.). Eine unmittelbare Funktionalität fiir die Realisierung militärischer Ziele ist bei vielen dieser Merkmale nicht gegeben, sie scheinen vielmehr dazu zu dienen, die Identifikation mit einer männlichen Gemeinschaft zu ermöglichen und ein "Bewußtsein von hegemonialer, heterosexueller Männlichkeit" zu nähren. ,,Dies mag wiederum militärisch nutzbar sein; aus militärischen Anforderungen allein allerdings ist es nicht ableitbar" (S. 863f.). Mit der Betonung dieser 'Tugenden' wird das Militär als männliche Institution bewahrt. Das zeigt sich zum einen an den Reaktionen auf Frauen, die in militärischen Führungspositionen ein 'männliches' Verhalten an den Tag legen. Untergebene Männer nehmen dies als weibliche Entwertung ihrer Männlichkeit wahr. Ein auf männliche Autorität aufgebautes Wertesystern wird untergraben. Die Bedeutung der bezeichneten 'Tugenden' manifestiert sich zum anderen in Reaktionen auf männliche Soldaten, die es an der geforderten Tapferkeit mangeln lassen. Solche Soldaten, und seien es auch wenige, stellen eine Gefährdung der ,,Bastion der symbolischen Konstruktion von Männlichkeit" dar (S. 866). Diese Soldaten die Macht der Institution spüren zu lassen ist nicht nur als ein Ausdruck der fiir jede Institution typischen Hierarchie zu begreifen, gleichgültig, was der Zweck der Institution ist, sondern dient auch der Reproduktion einer bestimmten Geschlechterordnung. Es ist gewissermaßen eine 'Erinnerung' daran, die geschlechtlichen Grenzen nicht zu überschreiten. Die "strikte Trennung von männlich und weiblich", die das Militär vornimmt, läßt
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sich, so Seifert, unter Berufung auf militärische Forderungen nicht rechtfertigen. Sie erfüllt "vielmehr eine Ordnungsfunktion im Gendersystem" (S. 869). Ob Männer und Männlichkeiten zum Gegenstand der Forschung gemacht werden sollen, und wenn ja, in welcher Weise, ist in der deutschen Frauenforschung kontrovers diskutiert worden (vgl. Hagemann-White/Rerrich 1988). Strittig ist vor allem, ob eine verstehende Perspektive gegenüber Männem angebracht ist bzw. wie weit ein solches Verstehen gehen sollte. Ist eine solche Perspektive auch gegenüber männlicher Gewalt vertretbar? Der engen Verzahnung von Frauenforschung und Frauenbewegung gemäß werden solche Fragen sowohl in ihrer gescWechterpolitischen als auch in ihrer wissenschaftlichen Bedeutung diskutiert. Ende der achtziger Jahre mehren sich die Stimmen, welche die VemacWässigung der Eigenheiten männlicher Welten als ein Defizit begreifen87 • Plakativ postuliert Ursula G.T. Müller (1988): "Neue Männerforschung braucht das Land". Eine feministische Analyse von Männlichkeit kann, so Maria Rerrich und Carol Hagemann-White (1988, S. 3), Phänomene aufdecken, die trotz - oder gerade wegen - des Androzentrismus der Wissenschaft bislang nicht gesehen werden konnten. Lerke Gravenhorst (1988, S. 13) macht darauf aufmerksam, daß sowohl Frauenforschung als auch Frauenbewegung ohne ein Männerbild nicht auskommen, daß sie geradezu davon leben, sich ein solches zu machen. Sie plädiert dafür, die zumeist impliziten Bilder explizit zu machen. Die bekannteste Arbeit der deutschen Frauenforschung über den Mann ist zweifellos die von der Zeitschrift "Brigitte" in Auftrag gegebene, von Siegrid Metz-Göckel und Ursula Müller (1986) durchgeführte repräsentative Umfrage unter Männem. Zentrales Ergebnis dieser Folgestudie zu der Untersuchung von Helge Pross (1978) aus den siebziger Jahren ist, daß sich in dem Jahrzehnt, das zwischen den beiden Erhebungen vergangen ist, ein Wandel männlicher Einstellungen gegenüber Frauen vollzogen hat, daß dieser Einstellungsänderung aber keine entsprechende Veränderung in der alltäglichen Praxis des GescWechterarrangements, sprich: in der Organisation der gescWechtlichen Arbeitsteilung, korrespondiert. Diese Diskrepanz wird von den Männem freilich kaum wahrgenommen. Vielmehr bemühen sie sich, ,,mit Hilfe einer immer obsoleter werdenden Ideologie die brüchige Wirklichkeit zu übersehen und noch einmal in falscher Harmonie die tendenzielle Überein-
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Das gilt nicht nur fUr die Soziologie, auch in anderen Sozial- und Geisteswissenschaften wird eine Ausdehnung des Gegenstandsbereiches der Frauenforschung gefordert. Für die deutsche Geschichtswissenschaft diagnostizielt Ute Frevelt (1991 b, S. 268) einen ausgesprochenen "Forschungsnotstand". "In der Frauengeschichte nimmt man 'den Mann' und 'das Männliche' hauptsächlich als das genera Iisielte Andere wahr, ohne ein Gespür fUr seine enonne Vatiationsbreite zu entwickeln". Hanna SchissleI' (1992, S. 220) zu folge karU1 "das feministische Projekt, die Überbetonung und nonnative Überhöhung des Männlichen aufzubrechen", nur gelingen, wenn "Männer als Männer" elforscht werden.
stimmung von Lebenswünschen und Wirklichkeit bei sich wie bei den Frauen zu behaupten" (Metz-GöckeVMüller 1987, S. 26f.). Ein Schwerpunkt der von deutschen Frauenforscherinnen durchgeführten empirischen Untersuchungen zur Männlichkeit liegt im Bereich der Jungenforschung und hat die Sozialisation von Jungen zum Gegenstand (für einen Überblick vgl. Metz-Göckel 1993). Dabei kommen Frauen als Mütter in ihrer Funktion als Mitbeteiligte an der sozialen Konstruktion der Geschlechterwirklichkeit in den Blick. Metz-Göckel (1993, S. 103) führt aus, unter welchen Bedingungen eine "feministische Jungenforschung" ,,kein Widerspruch" ist; "wenn sie den kritischen Blick in zwei Richtungen wendet: Wie wirken Jungen auf Mädchen und welchen Anteil haben Frauen an der Sozialisation von Jungen. Der feministische Blick sensibilisiert für Dominanz, Konkurrenz und Verdrängung im Verhalten von Jungen, führt dann aber auch zu einer Kritik an Frauen, insbesondere Müttern". Die Befassung mit Jungen begreift MetzGöckel als Konsequenz des Konzeptes des doing gender. Es fällt auf, daß in der deutschen Frauenforschung ein Verständnis der "Geschlechterbeziehungen als interaktive Konstruktion beider Geschlechter" (S. 107) zunächst in der Forschung über heranwachsende Männer wirksam wurde, während der allgemeine Diskurs der Frauenforschung - der Diagnose von Gildemeister und Wetterer (1992) zufolge - gegenüber einer solchen Perspektive noch von einer weitgehenden "Rezeptionssperre" bestimmt war. Ein Grund mag sein, daß die Mütter als die im Generationsverhältnis überlegenen Akteurinnen eine Position innehaben, in der ihnen eine Definitionsmacht zukommt, die sie dort, wo Frauen und Männer als Erwachsene aufeinander treffen, nicht in dem Maße haben. Der Sozialisationsprozeß von Jungen erscheint als eine SchlüsselsteIle für Frauen, auf eine Veränderung des Arrangements der Geschlechter hinzuwirken.
3.2 Patriarchale Unterdrückung oder hegemoniale Männlichkeit? Die Diskussion der Männerstudien Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre erscheinen in Großbritannien und in den USA erste Arbeiten, die eine kritische Theorie der Männlichkeit anstreben und dies unter dem Etikett men 's studies betreiben (vgl. Tolson 1977; Pleck 1981). Diese Forschungsrichtung entwickelt sich in den achtziger Jahren in einem an Spannungen nicht annen Verhältnis zum Diskurs der Frauenbewegung und hat in den USA, Großbritannien und den skandinavischen Ländern einige institutionelle Erfolge im akademischen Bereich erzielt. Hierzulande hat die sozialwissenschaftliche Thematisierung des Mannes in seiner Geschlechtlichkeit mit deutlicher Verzögerung erst ab Mitte der neunziger Jahre eingesetzt. 91
Zwar hat es in der Geschichte der Soziologie und der empirischen Sozialforschung hier und da Studien gegeben, welche soziale Aspekte des Mannseins zum Thema hatten, doch geschah dies vereinzelt und vor allem nicht unter dem Dach einer konsistenten Forschungsperspektive. Am bekanntesten sind die Untersuchungen von Mirra Komarovsky über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf den familialen Status des Mannes (1971) und über die Orientierungen männlicher College-Studenten angesichts sich wandelnder GescWechtsrollen (1976). Ebenfalls in der Tradition der Geschlechtsrollenforschung steht die von Helge Pross (1978) durchgefuhrte Studie ,,Die Männer". Mit der in den siebziger Jahren vollzogenen Umorientierung der Forschung zur männlichen GescWechtsrolle von einer strukturfunktionalistischen zu einer kulturkritischen Perspektive (s. Kap. 2.1) werden die men 's studies vorbereitet, mit deren Etablierung vollzieht sich jedoch ein Paradigmawechsel. Die Kritik richtet sich nicht mehr nur auf die Deformationen, die der Mann durch seine Geschlechtsrolle erfährt, sie richtet sich auf die Machtposition des Mannes im Geschlechterverhältnis. Auf theoretischer Ebene gerät die rollentheoretische Position in Mißkredit88 ; sie wird von konstruktivistischen Ansätzen abgelöst. Das findet seinen Niederschlag in der Begrifflichkeit. Der Plural ersetzt den Singular, an die Stelle einer einheitlichen Männlichkeit treten multiple Männlichkeiten. Mannsein wird als kontingent konzipiert. Eine weitere entscheidende Differenz zur Theorie der männlichen Geschlechtsrolle ist die Politisierung der Männerstudien. Diese werden eingebunden in den Kampf um eine Veränderung der Geschlechterverhältnisse, und die feministische Devise, derzufolge das Private politisch ist, wird übernommen. Für Morgan (1992) ist Männerforschung keine neutrale Wissenschaft, bei der die eigene Involviertheit in den Forschungsgegenstand geleugnet und die politische Relevanz ausgeblendet wird: "not adesinterested search far knowledge or insight" (S. 2). Für Hearn (1987, S. 182) gilt es, nicht das 'Patriarchat eines desinteressierten Positivismus' zu reproduzieren, als das er die 'normale Wissenschaft' begreift. Diese sei in ihrem impliziten Androzentrismus selbst eine Institution des Patriarchats. Brod und Kaufman (1994, S. 2) plädieren fur einen "simultaneous focus on both scholarship and activism". "Kritische Männerforschung" zielt, so Böhnisch und Winter (1993, S. 9), darauf, "die anthropologischen, psychischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen fur ein anderes Mannsein, eine andere Würde des Mannes zu analysieren und zu formulieren". Die Verknüpfung von Forschung und sozialer Praxis ist weitgehend Konsens 89 , weniger Einmütigkeit herrscht dar88 89
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Die KIitikpunkte sind in Kap. 2.1 aufgelistet. Manche Positionsbestinunungen elinnem an die (AnHinge der) Frauenforschung. So postulieren die Herausgeber eines deutschsprachigen Sammelbandes zur Männelforschung: "KIitische Männelforschung ist nach unserer Auffassung allerdings nicht nur ein neuer
über, wie sich die Männerstudien zu Frauenforschung und Feminismus verhalten sollen und ob die Unterdrückung der Frau durch den Mann der zentrale Gegenstand sein soll oder die männliche Binnenwelt. Ein großer Teil der Männerforscher, insbesondere der britischen und diejenigen, die das Patriarchatskonzept vertreten, plädiert für eine 'nichtursupatorische' Haltung gegenüber der Frauenforschung. Das betrifft zunächst die Bezeichnung der eigenen Forschung. Das Etikett Männerforschung bzw. men's studies gilt als problematisch, weil es insinuiere, ein notwendiges Äquivalent zur Frauenforschung zu sein; so als solle diese um etwas komplementiert werden, was sie selbst nicht leistet. Um den Eindruck einer "unwarranted syrrunetry between men's and women's studies" zu vermeiden, schlägt Hearn (1987, S. 182) den Begriff 'Kritik des Mannes' ("critique of men") vor90 . Heam und Morgan (1990) formulieren sechs Regeln, nach denen sich Männer, die Geschlechterforschung betreiben, richten sollen: 1. Sie sollen feministische Forschung unterstützen. 2. Der Gegenstand sind Männer. 3. Es gibt keine Parität zwischen Frauenforschung und der Kritik des Mannes. Während Frauenforschung eine exklusive Angelegenheit von Frauen ist, steht die Beschäftigung mit dem Mann beiden Geschlechtern offen. 4. Die Kritik des Mannes ist im Licht des Feminismus zu entwickeln. 5. Deren Ziel ist die Veränderung des Mannes. 6. Männer müssen Gleichstellungspolitik unterstützen und sollten nicht versuchen, Forschungsmittel aus Fonds einzuwerben, die für Geschlechter- und Frauenforschung vorgesehen sind. Das Verhältnis von Männer- und Frauenforschung ist zumindest in den Anfangen der men 's studies prekär, und das von beiden Seiten. Auch ein solcher profeministischer Verhaltens- bzw. 'Ethikkodex', der jeder Kritik an feministischen Positionen von vornherein entsagt, und eine Anbindung der eigenen Forschung an feministische Forschungspolitik91 bewahren nicht davor, daß die Berechtigung von Männerstudien von Frauenforscherinnen in Frage gestellt wird. Im direkten Anschluß an Heams und Morgans Katalog von Verhaltensregeln artikulieren Canaan und GrifEn (1990) fundamentale Vorbehalte gegen eine Männerforschung. Sie fürchten eine Entwertung der Erfah-
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Wissenschaftsbereich. Sie ist histOlisch, personell und politisch sehr stark mit der antisexistischen MälU1erbewegung verknüpft und versteht sich als politisch-emanzipative Theolie" (BauSteineMälU1er 1996, S. 7). Wobei natürlich auch hier die Frage gestellt werden könnte, ob diese Klitik nicht bereits von der Frauenforschung geleistet wird. Heam und Morgan (1990) beobachten skeptisch die Tendenz zu einer lnstitutionalisienmg von gender studies, fügen dann aber hinzu: "We say this with some caution, aware that some feminists SUPPOlt the tenn 'gender studies' as an umbrella tenn" (S. 204). Der Frauenforschung gebührt die 'Meinungsführerschaft' . Sollte diese sich entschließen, sich in gender sludies umzubenelUlen, hätte die Männelforschung dem zu folgen. Keinesfalls aber dürfte diese eine VOITeiten'Olle spielen.
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rungen, die Frauen mit Männern und Männlichkeit gemacht haben. Sie halten es für möglich, daß Männerstudien nichts weiter sind als ein neuer Versuch, männliche Dominanz zu legitimieren. Schließlich sehen sie das Problem der Konkurrenz um Forschungsmittel. Weniger fundamental ist die Kritik, die Stein-Hilbers (1994) an der neuen Männerforschung übt. Deren Berechtigung stellt sie nicht prinzipiell in Frage, wohl aber fürchtet sie, daß der Fokus von den Lebenslagen der Frauen auf die der Männer wechselt, sowie "eine weitere Stärkung männlicher Vormachtstellung im Wissenschaftssystem" (S. 76), die dadurch zustandekomme, daß Männer ein Forschungsgebiet entdecken, das von Frauen mühsam aufgebaut werden mußte. Das Mitte der neunziger Jahre noch recht spannungsreiche Verhältnis zwischen wamen's und men 's studies hat sich zehn Jahr später sichtbar entspannt. Die ,Berechtigung' einer Männerforschung steht nicht mehr zur Debatte, und auch der Zugang zu einschlägigen Forschungsgeldern wird nicht mehr in Frage gestellt. Im Zuge der Erweiterung der Frauenforschung zu Geschlechterforschung, die in der deutschen Soziologie auch nominell, durch eine Umbenennung der Sektion Frauenforschung in Frauen- und Geschlechterforschung, vollzogen wurde, findet die Erforschung von Männlichkeit gegenwärtig ihren Platz im Rahmen von Geschlechterforschung bzw. gender studies (vgl. Maihofer 2004, 2006; Meuser 2005b)92. Von einer institutionellen Etablierung kann allerdings, anders als vor allem in den skandinavischen Ländern, noch nicht die Rede sein. Wie in der Einleitung bereits ausgeführt, läßt sich in gewissem Sinne der überwiegende Teil der bisherigen sozialwissenschaftlichen Forschung als Männerforschung begreifen, insofern als die Forschung von Männern betrieben worden ist, als sie die Besonderheiten weiblicher Lebenslagen nicht berücksichtigt hat, als sie das Männliche mit dem Allgemein-Menschlichen gleichgesetzt hat. Daß die in dieser Art von 'Männerforschung' enthaltenen Annahmen über Männer implizit geblieben sind, hat, wie die Protagonisten der neuen Männerforschung betonen (vgl. Hearn/Morgan 1990b; Brod 1987b, S. 400, nachgerade verhindert, daß Männlichkeit als geschlechtliche Kategorie thematisiert worden ist. "Studies whieh are routinely about men, in that men eonstitute the aeknowledged or unaeknowledged subjeets, are not neeessarily about men in a more eomplex, more problematized, soeiologieal sense. They tend to be resouree rather than topie" (Heam/ Morgan 1990b, S. 7).
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Deutlicher Ausdruck dessen ist ein in der von der Sektion Frauen- und Geschlechtelforschung herausgegebenen Buchreihe erscheinender Band mit dem Titel "FrauenMälmerGeschlechtelforschung. State of the Alt" (Aulenbacher u.a. 2006), der die Jahrestagung 2005 der Sektion dokumentielt.
Hier setzt die Männerforschung im Sinne von men 's studies an; sie macht Mannsein und Männlichkeit zum topos. "The most general definition of men's studies is that it is the study of masculinities and male experiences as specific and varying social-historical-cultural fonnations. Such studies situate masculinities as objects of study on a par with femininities, instead of elevating them to universal nonns" (Brod I987b, S. 40).
Bis auf wenige Ausnahmen mangelt es den Männerstudien der achtziger und neunziger Jahre sowohl an theoretischer wie an empirischer Substanz. Zwar gibt es zahlreiche Arbeiten, die den Anspruch auf Theoriebildung erheben (theorizing masculinities), doch kommen die meisten über ad hoc-Erklärungen, die sich nur wenig vom populärwissenschaftlichen Diskurs abheben, nicht hinaus. Probleme des methodischen Vorgehens werden kaum angesprochen; wichtiger als eine Erörterung der Gütekriterien der Forschung erscheint allemal die Diskussion der geschlechterpolitischen Orientierung im Verhältnis zum Feminismus (s.o.). Coltrane (1994), der selbst moniert, daß über der Kritik an den 'maskulinistischen' Sozialwissenschaften die Frage, wie man denn nun selbst vorgehen solle, vernachlässigt wird (S. 42f.), kritisiert nicht näher benannte Forscher, die mittels interpretativer und ethnographischer Verfahren Leben und Erfahrungen von Männern und Frauen miteinander vergleichen. Anlaß der Kritik sind weder methodische FeWer noch durch die Daten nicht verbürgte Interpretationen. Sondern: "The findings of difference that emerge from these studies tend to legitimate taken-for-granted assumptions about dissimilarity and reinforce the importance of gender in everyday life" (S. 44). Die Möglichkeit, daß solche Resultate eine angemessene Beschreibung der untersuchten Wirklichkeit sein könnten, wird nicht erwogen; politische Kriterien ersetzen methodische, sind zumindest vorrangig: "Nevertheless, it is useful to consider the political implications of adopting research methods or embracing theories that stress gender differences" (ebd.). Die Versuche, eine soziologische Theorie der Männlichkeit zu entwikkein, sind auf eine machttheoretische Analyse der Position des Mannes im GescWechterverhältnis gerichtet. Über diese Fokussierung sind sich alle Vertreter einer kritischen Männerforschung einig (vgl. Brittan 1989; Connell 1987; Hearn 1987; Kaufman 1994). Stärker als in der Frauenforschung werden Machtverhältnisse in zwei Dimensionen untersucht: Nicht nur die systematische Unterdrückung der Frau durch den Mann, sondern auch Dominanzverhältnisse unter Männern gilt es zu erklären. Die soziale Situation des Mannes wird als eine eigenartige Kombination von Macht und Machtlosigkeit beschrieben; eine Gleichzeitigkeit von Privileg und Leid macht für Kaufman (1994, S. 142) die 'verborgene Geschichte' des Mannes aus. Die beiden Dimensionen der Macht im Geschlechterverhältnis sind freilich nicht gleichrangig. Die partielle Ohnmachtserfahrung des Mannes ist nicht mit der systematischen Unterdrückung der Frau durch den Mann gleich zu setzen. 95
In der Theoriediskussion der Männerforschung lassen sich zwei Modelle unterscheiden, mit denen das doppelte Machtverhältnis konzeptionell zu fassen versucht wird: zum einen das der feministischen Theorie entnommene Konzept des Patriarchats, erweitert um den Binnenaspekt männlicher Macht, zum anderen das Konzept der hegemonialen Männlichkeit, das deutlich der gender-Perspektive verpflichtet ist. Die Männerstudien wiederholen damit den Paradigmastreit der Frauenforschung. Zumindest mit dem zweiten Konzept gehen sie aber über eine Adaptation feministischer Theorie hinaus und leisten einen eigenen Beitrag zu einer Soziologie der Geschlechterverhältnisse, der inzwischen auch in der Frauenforschung rezipiert wird. Der Begriff der hegemonialen Männlichkeit ist von dem australischen Soziologen RW. Connell geprägt und in die Diskussion eingebracht worden. Das Programm einer Patriarchatsanalyse wird in den men 's studies am entschiedensten von dem britischen Soziologen Jeff Hearn vertreten und in seiner Bedeutung fur eine Theorie der Männlichkeit entfaltet. Ähnlich wie die Vertreterinnen des Zwei-Systeme-Ansatzes in der Frauenforschung (s. Kap. 3.1) begreift Hearn Kapitalismus und Patriarchat als ineinander verwobene, jedoch nicht aufeinander reduzierbare Systeme der Unterdrückung. "Capitalism operates by conversion of wage labour to value and profit; patriarchy by the appropriation of the unwaged labour and energy of women to produce male power. 80th are concemed with the control and accumulation of the creativity, labour and energy of women by men" (Heam 1987, S. 121).
Gegenüber dem feministischen Patriarchatsdiskurs ist insofern ein neuer Akzent gesetzt, als Hearn nicht nur den Kapitalismus, sondern auch das Patriarchat als ein System begreift, dessen oppressive Kraft sich auch gegen Männer richtet, d.h. gegen diejenigen, die die Akteure und Agenten der Unterdrückung sind. Auf diesen Aspekt des Patriarchats weisen die feministischen Theoretikerinnen zwar gelegentlich hin, gehen dem aber nicht systematisch nach. Hearn thematisiert Männlichkeiten als Machtbeziehungen gegenüber folgenden Kategorien von Akteuren: Frauen, Kinder, junge Menschen und andere Männer (vgl. Hearn/Collinson 1994, S. 98). Die alle anderen Unterdrückungen fundierende sowie am weitesten verbreitete Form männlicher Suprematie ist die gegenüber der Frau. Männer gehören, ob sie es wollen oder nicht, dem gender 0/ oppression an, so der Titel des breit rezipierten Buches von Hearn (1987). Als Unterdrückung versteht er Praktiken der Diskriminierung, Ignorierung, Vernachlässigung und Verletzung, mit denen Menschen auf einen subhumanen Status degradiert werden (S. XIII). Die Quelle männlicher Macht ist die Aneignung der reproduktiven Kapazitäten der Frau. Ähnlich wie Walby (s. Kap. 3.1) konzipiert Hearn die Männer als die ausbeutende Klasse, die sich in der patriarchalen Ordnung des Spätkapitalismus die menschlichen Werte von Frauen und Kindern aneignen.
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Von der kapitalistischen Ausbeutung unterscheidet sich die patriarchale darin, daß sie eine Aneignung von Ressourcen ohne eine Entschädigungsleistung und daß Gewalt ihre ultima ratio ist. Die Strukturen des Geschlechterverhältnisses sind die einer feudalen Ordnung. Die sexuelle Position von Ehefrauen gleicht der ökonomischen von Bauern im Feudalismus (vgl. Hearn 1987, S. 68ff.). Hearn befaßt sich ausfuhriich mit den Institutionen des patriarchalen Regimes. Sowohl in den Institutionen der Privatwelt als auch in öffentlichen wird die reproduktive Kraft der Frauen von Männern kontrolliert93 . Durch die männlich definierten Institutionen wird die Unterdrückung der Frau zu einer systematischen und damit unabhängig von den Intentionen der Akteure. Heam begreift Männer nicht als von Natur aus unterdrückend ("inherently oppressive"), sondern als Agenten der Unterdrückung (vgl. Hearn 1987, S. 89). Er benennt vier Institutionen, in denen solches organisiert wird; 'hierarchische Heterosexualität' und Vaterschaft sind Institutionen der privaten Welt, Professionen und der Staat solche der öffentlichen. Alle vier sind männlich konnotiert, dienen der Durchsetzung männlicher Suprematie, auch wenn Männer innerhalb der Institutionen in Konkurrenz zueinander stehen und sich wechselseitig unterdrücken, z.B. in Gestalt von Machtkämpfen um Einfluß und Ressourcen.
1. Hierarchische Heterosexualität: Sexualität ist im Patriarchat hierarchisch organisiert, in Gestalt einer 'Zwangsheterosexualität'94. Egalitäre heterosexuelle Beziehungen sind erst in dem Maße möglich, wie die kulturelle Norm der Heterosexualität an Gewicht verliert. Solange dies nicht geschieht, ist die sexuelle Dominanz des Mannes festgeschrieben, kontrolliert der Mann die Sexualität und den Körper der Frau (vgl. S. 90ff.). 2. Vaterschaft: Da nur die Frau, nicht aber der Mann Gewißheit hat, wer das Kind gezeugt hat, ist die Institution der Vaterschaft ein Mittel zur Kontrolle der reproduktiven Kapazitäten der Frau. Hearn begreift Vaterschaft als eine Institution, die ihre Existenz rechtlichen und sonstigen Arrangements zwischen Männern verdankt (vgl. S. 92). 3. Die Professionen: Die sog. klassischen Professionen der Medizin, des Rechts und der Kirche versteht Heam als Instanzen zur Kontrolle der Reproduktion: Kontrolle der Sexualität, der Geburt, der Erziehung. Vormals private Erfahrungen werden nach Maßgabe männlicher Kontrollinteressen vergesellschaftet. Die direkte, in der persönlichen Beziehung der Ehegatten fundierte patriarchale Kontrolle der Frau in der Familie wird
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Ln einer späteren Arbeit unterscheidet Heam (1992, S. 53) explizit zwischen einem p,ivaten und einem öffentlichen Patliarchat. Heam rekunielt auf die Thesen von Ad,ie1111e Rich (1980).
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zunehmend ergänzt durch die unpersönliche Kontrolle männlicher Professionsvertreter (Ärzte, Therapeuten) (vgl. S. 92f., 135ff.). Der Staat: Der Staat gilt Heam als die größte Konzentration patriarchaler Macht und Gewalt. Was das Monopolkapital fur das Klassenverhältnis ist, ist der Staat fur das Geschlechterverhältnis: "the concrete consolidation of men's appropriation of violent labour-power" (S. 93), korporiertes Destruktionspotential. Hinter der Neutralität des Staates verbirgt sich männliche Dominanz. Der Staat ist ein entscheidendes Mittel, durch das die männlich bestimmte öffentliche Sphäre die Privatsphäre dominiert (vgl. S. 93ff., 115ff.).
Die Unterdrückung der Frau durch den Mann ist das zentrale Merkmal dieser Institutionen; gleichwohl richtet sich die männliche Unterdrückung auch gegen das eigene GescWecht, gegen die eigene Person wie gegen andere Männer. Handlungen, welche die Macht des männlichen Geschlechts stärken, können fur den Einzelnen schädliche bis tödliche Folgen haben. Heam erwähnt die aus der kulturkritischen Betrachtung der Männerrolle bekannten Phänomene von Stress und erhöhtem Gesundheitsrisiko, das Z.B. Spitzenmanager eingehen, aber auch militärische Aktionen. Wettbewerbs- und Konkurrenzsituationen lassen Männer zu Objekten männlichen Dominanzstrebens werden. Die Professionen kontrollieren nicht nur die reproduktiven Kapazitäten der Frau, sie wirken gleichfalls als Kontrolleure von Emotionen. Davon sind auch Männer betroffen; eine wichtige Erfahrungsmodalität bleibt ihnen verwehrt. Heam gelangt zu dem Resümee: " We men are formed and broken by our own power" (S. 98; Hervorhebung im Original). Heams Konzept des männlichen GescWechts als gender ofoppression ist von einem starken Determinismus geprägt. Männer können nicht NichtUnterdrücker sein (vgl. S. 167). Wie bei der feministischen Patriarchatsanalyse gelten die Intentionen der Handelnden wenig gegenüber der strukturellen Macht der Institutionen. Was immer auch einzelne Männer oder Frauen tun mögen, "the 'terms of trade' are to a large extent structurally determined. Men may become soft fathers, liberal professionals, or kind policemen but the institution remains intact as a potential or actual means of oppression" (S. 96). Wegen der gesellschaftlichen Formbestimmtheit der Heterosexualität als Zwangsheterosexualität besorgt beispielsweise die bloße Existenz heterosexueller Männer die Aufrechterhaltung der hierarchischen Heterosexualität, auch wenn einzelne Männer ihre Partnerinnen nicht sexuell unterdrücken. Eine oppresive Praxis scheint der Mann ohnehin kaum vermeiden zu können, gilt doch bereits die bloße Anwesenheit im öffentlichen Raum als Form der Unterdrückung: "More obviously oppressive heterosexual men reinforce this process just by being, by standing in the street, by the use of cultural signs and symbols, even without harassing, speaking or moving" (S. 108). 98
Gegenüber Hearns Patriarchatskonzept lassen sich die gleichen Einwände formulieren wie gegenüber dem feministischen (s. Kap. 3.1). Heams Determinismus verstellt den unvoreingenommenen Blick auf die Empirie sogar noch stärker. Gender 0/ oppression - der Titel gibt die Richtung der Interpretation vor, und - am Rande notiert - er fuhrt eine stark moralische Komponente ein: die Schuldfrage ist geklärt. Die deterministische Perspektive ist nicht nur fur die empirische Forschung problematisch, sie ist - konsequent verfolgt - auch fur die geschlechterpolitische Praxis fatal. Hearns Vorschläge verlassen dann auch den in der Analyse gesetzten engen Rahmen. In einer Diskussion der Möglichkeiten einer antisexistischen Praxis von Männern schlägt er Initiativen und Handlungsweisen vor, die seiner Analyse zufolge an der Macht der Institutionen scheitern müssen. Auch wenn Hearn sein Patriarchatskonzept weniger deterministisch fassen würde, bliebe eine konzeptionelle Schwäche, die angesichts dessen, daß ihm wie der Männerforschung insgesamt auch daran gelegen ist, die männliche Binnenwelt zu erfassen, besonders schwer wiegt. Um die Machtbeziehung des Mannes zur Frau zu charakterisieren, auch die zu Kindern und zu jungen Menschen, kann der Begriff des Patriarchats als logisch angemessen gelten. Wenn es aber um die Vielfalt der Beziehungen geht, die Männer untereinander haben, und seien es nur solche, die machtfOrmig strukturiert sind, verfehlt der Begriff die Eigenheiten der dort gegebenen Verhältnisse. Das Verhältnis eines Meisters zu seinem Gesellen mag vielleicht hier und da noch nach dem Modell des pater familias strukturiert sein, um aber das Geschehen in Männerbünden oder die Beziehungen zu erklären, die männliche Manager untereinander pflegen, bedarf es anderer analytischer Mittel95 . Ein Ansatz, der sowohl den Determinismus des Patriarchatskonzepts vermeidet als auch Dominanzverhältnisse unter Männern systematisch berücksichtigt, ist mit dem von R.W. Connell entwickelten Begriff der hegemonialen Männlichkeit gegeben. Diese nicht nur in den men's studies breit rezipierte Theorie der Männlichkeit ist eingebunden in eine allgemeine soziologische Theorie des Geschlechts. In Abgrenzung sowohl von voluntaristischen als auch von deterministischen Ansätzen betont Connell (1987, S. 61ff.) die Notwendigkeit einer 'Theorie der Praxis' ("practice-based theory"). Eine Theorie, die die These von Geschlecht als zentraler sozialer Strukturkategorie ernst nimmt, kann seiner Einschätzung nach ihre logische Form weder aus natürlichen Differenzen noch aus den Prozessen der biologischen Reproduktion gewinnen. Aber auch die funktionalen Erfordernisse der Gesellschaft, von denen die GescWechtsrollentheorie ausgeht, sind kein geeigneter Anknüpfungspunkt, ebensowenig die Imperative der sozialen Reproduktion, die in Patriar95
Heam (1992, S. 67) elwähnt in diesem Zusammenhang den Beglifffratriarchy, entfaltet ihn aber nicht, sondem bestimmt die 'Bruderschaft' als Element des öffentlichen Patliarchats.
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chatstheorien zugrundegelegt werden. Eine GescWechtertheorie muß ihre eigene Begrifflichkeit entwickeln und darin autonom sein (vgl. 1987, S. 91). Connell verortet seinen Entwurf in der soziologischen Theoriediskussion über das Verhältnis von Handlung und Struktur. Zu berücksichtigen seien sowoW die konstituierenden Leistungen der handelnden Subjekte als auch die Strukturen sozialer Beziehungen, die eine Bedingung einer jeden Praxis seien (vgl. 1987, S. 62). Die Form der angestrebten Theoriebildung sieht Connell in den Ansätzen von Bourdieu und Giddens verwirklicht, am deutlichsten in dem von Giddens entwickelten Konzept der Dualität der Struktur96 . Connells Position gegenüber Patriarchatstheorien ist nicht ganz eindeutig. In seinem geschlechtersoziologischen Hauptwerk "Gender and Power" (1987) erwähnt er kurz begriffliche Schwierigkeiten des "Zwei-Systeme-Ansatzes" (vgl. S. 43ff.). In einem fünf Jahre später erschienenen Aufsatz (1992, S. 736) kritisiert er die Ahistorizität des Patriarchatskonzepts. Männlichkeit sei kein simpler Reflex patriarchaler Macht, und Männer generell als die Inhaber von Macht zu bezeichnen impliziere einen Begriff von GescWecht, der Männer als undifferenzierte Klasse behandelt. In seinem Buch ,,Masculinities" (1995) ist hingegen recht häufig von patriarchaler Macht die Rede 97 • Allerdings enthält auch dieses Buch keine Patriarchatstheorie. Dieses Konzept hat keinen systematischen Stellenwert, weder für seine allgemeine Geschlechtertheorie noch für die der hegemonialen Männlichkeit. Connell unterscheidet drei fundamentale Strukturen, in denen Geschlechterverhältnisse organisiert sind: Arbeit bzw. Produktion98 , Macht und libidinöse Besetzung ("cathexis") (vgl. 1987, S. 96ff., 1995, S. 73ff.). Diesen Strukturen liegen unterschiedliche Organisationsprinzipien zugrunde: Trennung (Arbeitsteilung), ungleiche Integration (Über- und Unterordnung) und emotionale Bindung. Die Unterscheidung dieser drei Strukturen ist empirisch gewonnen. Connell nimmt nicht an, daß es notwendige Strukturen sind, sie sind historisch und kulturell kontingent. Diese 'Trias' ist m.E. als eine Form tentativer Theoriebildung zu begreifen. Statt nach einer 'Einheitsformel' zu suchen, aus der heraus sämtliche Erscheinungsformen des Geschlechterverhältnisses zu erklären sind, weist Connell auf Strukturen hin, in denen sich das GescWechterverhältnis reproduziert und manifestiert. Die additive Behandlung der Strukturen läßt allerdings außer Betracht, daß die Struktur der Macht die beiden anderen überlagert. Insofern ist Macht die prirnordiale Kategorie in einer Geschlechtertheorie. 96 97 98
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An Bourdieu kJitisielt er eine gewisse 'Strukturlastigkeit', die eine angemessene Konzeptualisierung des Akteurs und der histolischen Dynamik verhindere. In dieses Buch ist der 1992 erschienene Aufsatz als ein Kapitel aufgenommen, in dem aber genau die Passagen fehlen, in denen er das Paltiarchatskonzept kJitisielt. In "Masculinities" (1995), auf dessen Übersetzung ins Deutsche (Connell 1999) sich die Connell-Rezeption hierzulande weitestgehend bezieht, ist der Begliff der Arbeit durch den der Produktion ersetzt.
Connell berücksichtigt das auf konzeptioneller Ebene nicht; seine Theorie der Männlichkeit basiert jedoch auf der Kategorie der Macht. Männliche Suprematie äußert sich sowoW in den Strukturen der Produktion als auch in den kulturellen Mustern der emotionalen Anziehung. Den Kern seiner Männlichkeitstheorie bildet der Begriff der Hegemonie. Die Hauptachse der Machtstruktur ist die Verknüpfung von Autorität mit Männlichkeit. In diesem Sinne ist Männlichkeit im Verhältnis von Mann zu Frau bestimmt. Männlichkeit erfährt ihre Bestimmung jedoch nicht nur aus der Relation der Geschlechter zueinander, sondern auch aus den Beziehungen, die Männer zu anderen Männem haben. Insofern wird die Hauptachse durch eine zweite überlagert, von einer Hierarchie von Autoritäten innerhalb der dominanten Geschlechterkategorie (vgl. 1987, S. 109). Das manifestiert sich in Gestalt von Ausgrenzungen (z.B. von homosexuellen Männern) oder in Subordinationsverhältnissen, wie sie für bestimmte Männerbünde charakteristisch sind (z.B. im Verhältnis von 'Fuchs' und 'Bursche' in studentischen Verbindungen). Die doppelte Relation, in der die Männlichkeit ihre Kontur gewinnt - zum anderen und zum eigenen Geschlecht - faßt Connell mit dem Begriff der hegemonialen Männlichkeit. Damit ist eine Konfiguration von Geschlechtspraktiken gemeint, welche insgesamt die dominante Position des Mannes im Geschlechterverhältnis garantieren. Hegemoniale Männlichkeit ist keine feste Charaktereigenschaft, sondern kulturelles Ideal, Orientierungsmuster, das dem doing gender der meisten Männer zugrunde liegt. ,,'Hegemonic masculinity' is always constructed in relation to various subordinated masculinities as well as in relation to women" (Connell 1987, S. 183). Im doing gender der Frauen entspricht der hegemonialen Männlichkeit keine ebensolche Weiblichkeit. Wegen der globalen Dominanz des männlichen Geschlechts kann es eine hegemoniale Weiblichkeit nicht geben. Das heißt nicht, daß es unter Frauen keine Dominanz- und Machtbeziehungen gibt; die sind jedoch nicht der männlichen Hegemonie vergleichbar, erstrekken sich vor allem nicht auf das andere GescWecht. Die der hegemonialen Männlichkeit komplementäre Form der Weiblichkeit bezeichnet Connell als 'betonte Weiblichkeit' (emphazisedjemininity). Das meint das Einverständnis mit der eigenen Unterordnung und die Orientierung an Interessen und Wünschen des Mannes. Die Betonung des Einverständnisses mit der eigenen Position innerhalb der GescWechterordnung, sei es die der Frau oder die eines untergeordneten Mannes (hierzu unten mehr), ist der Kern des Begriffs der Hegemonie, den Connell von Gramsei übernimmt. Der über Ideologien und kulturelle Deutungsmuster erzeugten Einwilligung in Verhältnisse, welche die eigene Unterlegenheit festschreiben, kommt mindestens soviel, wenn nicht mehr Gewicht zu als einer Erzwingung der Unterordnung durch Androhung oder gar Anwendung von Gewalt. Gewalt ist die ultima ratio, wenn kulturelle Hegemonie 101
versagt, damit aber auch ein Indikator für die Unvollkommenheit des Systems, ein Zeichen für Legitimationsprobleme. Connell (1995, S. 84) zufolge verweist das gegenwärtig hohe Ausmaß an Gewalt auf Krisentendenzen der modemen Geschlechterordnung99 . Eine zentrale symbolische Stütze hegemonialer Männlichkeit ist dasjenige kulturelle Deutungsmuster, das das physiologische Fundiertsein der Geschlechterdifferenz betont. Die Naturalisierung der Ungleichheitsordnung entzieht diese dem legitimen Feld politischer Auseinandersetzungen. Das funktioniert heute immer weniger, hat aber ganz entscheidend zur Etablierung und über weite Strecken der bürgerlichen Gesellschaft zur fraglosen Akzeptanz der männlichen Hegemonie beigetragen. Besonders wirksam ist die geschlechtsspezifische Fassung dieses Deutungsmusters, welche die Geschlechter nach der Nähe bzw. Feme zur Natur bzw. zur Kultur differenziert (vgl. Ortner 1974; Sauer 1994). Als Gestalter der Kultur gebührt dem Mann die Vorherrschaft gegenüber der der Diktatur ihrer Körperlichkeit unterworfenen Frau. Als zentrales Merkmal hegemonialer Männlichkeit sieht Connell eine heterosexuelle Orientierung, sichtbar zum Ausdruck gebracht in der Institution der Ehe. Hier besteht eine gewisse Übereinstimmung mit der Bestimmung der männlichen Geschlechtsrolle durch Parsons, der zusätzlich den Aspekt der Reproduktionswilligkeit betont (s. Kap. 2.1). Allerdings ist die Bestimmung der Elemente des dominanten männlichen Orientierungsmusters bei Parsons nicht in eine Theorie von Macht und Herrschaft eingebunden. Zudem kann Parsons Abweichungen nur als Pathologie fassen, wie das Beispiel des "Wolfs" gezeigt hat, während Connell von untergeordneten und marginalisierten Männlichkeiten spricht (s.u.). Den bezeichneten Stellenwert kann die Ehe nur haben, wenn sie als eine Institution begriffen wird, die durch ein Ungleichheitsverhältnis bestimmt ist. Das ist sie in der bürgerlichen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts und bis in die jüngste Vergangenheit ohne Zweifel gewesen, aber auch unter den Bedingungen einer massiv angestiegenen Erwerbsquote von Frauen bleibt ein Dominanzgefälle bestehen, das Ausdruck der globalen Machtrelation im Geschlechterverhältnis ist lOO . Am deutlichsten zeigen dies Untersuchungen, die 99
Connell diskutielt allerdings nicht, ob die Zunahme der registrielten Gewalttaten nicht auch auf eine erhöhte Bereitschaft, Gewalt qua Anzeige öffentlich zu machen, zUliickgeht. Freilich wäre auch das ein KJisenindikator, jedoch in einem anderen Sinne. Ein höheres Konfliktpotential von Frauen velweist darauf, daß eine märUllich dominielte und definielte Geschlechterordnung bröckelt. Venl1utlich wirkt beides zusammen, eine aus mälUllicher VelUnsichelUng geborene erhöhte Gewaltbereitschaft und eine stärkere Konfliktbereitschaft von Frauen. 100 Im empiIischen Teil der Arbeit wird deutlich werden, daß und in welcher Weise das Muster der hegemonialen MärUllichkeit eine symbolische Ressource ist, um männliche Dominanz auch dOlt zu behaupten, wo deren ökonomische Basis wegblicht (s. Kap. 7.2).
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in Ehe und Familien durchgeführt worden sind, in denen beide Partner erwerbstätig sind (vgl. Hochschild 1993). Die Tatsache, daß die Dominanzordnung ausgehandelt ist und oft beide Seiten starke Kompromisse eingehen, macht die eheliche Beziehung zu einem dynamischen Prozeß, nicht aber unbedingt zu einem Austausch von Gleichen. Vielmehr dürfte der Aushandlungscharakter eine entscheidende Stütze der hegemonialen Ordnung sein, da er ein Einverständnis der untergeordneten 'Partei' mit der Ordnung erleichtert. Die Beschreibungen, die Hochschild (1993) von den vielfältigen Aushandlungsprozessen im ehelichen Alltag gibt, zeigen eindrucksvoll, wie Frauen Selbst- und BeziehungsdefInitionen entwickeln, mit denen sie sich in der ausgehandelten Ordnung einrichten und z.B. das Bild einer gerechten Verteilung der im Haushalt anfallenden Arbeiten aufrechterhalten, für sich und für den Partner (vgl. auch KoppetschJBurkart 1999)101. In Anschluß an Goffman (s. Kap. 2.2) läßt sich verdeutlichen, weshalb der Institution der Ehe eine hervorgehobene Bedeutung zukommt. Die Ehe ist der Ort, an dem dem Mann die dominante Position zugewiesen ist, so daß er - idealiter - zumindest in einem Lebensbereich die Suprematie erfährt, die dem Ideal der hegemonialen Männlichkeit zufolge seine kulturelle Bestimmung ist. Nicht jeder Mann in jeder Ehe erfährt diese Dominanz, aber wie der empirische Teil zeigen wird, ist die Struktur der Beziehung zum (Ehe-)Partner ein entscheidender lebensweltlicher Hintergrund dafür, ob das Mannsein eine fraglose Gegebenheit ist oder ob es zum lebensgeschichtlichen Problem wird (s. Kap. 7.7). Hegemoniale Männlichkeit strukturiert nicht nur die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern, sondern auch die von Männern untereinander: als Abwertung und Ausgrenzung anderer Formen von Männlichkeit sowie in Abhängigkeits- und Unterordnungsrelationen in männlichen Subkulturen. Sie impliziert eine Normalitätsorientierung, auf deren Basis in Eigen- und Fremdtypsierungen Grenzziehungen vorgenommen werden. Sie wirkt mithin auch im Sinne einer Strategie der AusscWießung, deren Merkmal allgemein ist, daß der oder die Andere als völlig anders definiert wird. Im Fall des männlichen GescWechts heißt das mitunter: als weiblich, als effeminiert. Connell be101 Eine eigene Studie zu sog. Doppelkaniepaaren, d.h. zu einer Paarkonstellation, in der beide Paltner nicht nur berufstätig sind, sondern konsequent eine berufliche Kaniere verfolgen, zeigt, daß selbst in diesen hinsichtlich der lnkJusion in die Berufswelt hochgradig enttraditionalisielten Partnerschaftsarrangements eine erstaunliche Persistenz ungleicher Arbeitsteilung zu beobachten ist. Das ,Vereinbarkeitsmanagement', das notwendig ist, um zwei berufliche Kanieren unter dem Dach einer Ehe bzw. Pmtnerschaft zu organisieren, wird nahezu ausschließlich von den Frauen geleistet. "Bezeichnende IW eise ist die Zuständigkeit der Frauen ftir das notwendige Vereinbarkeitsmanagement gerade nicht das Ergebnis von langwieligen Aushandlungsprozessen zwischen den Paltnern oder Ausdruck einer Resignation nach nicht zufliedenstellend ausgetragenen Divergenzen, sondem sie ,ergibt sich' gleichsam wie von selbst" (Behnke/Meuser 2005, S. 137).
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zeichnet die abgewerteten, ausgegrenzten, nicht 'fiir voll genommenen' Männlichkeiten als untergeordnete und marginalisierte (vgl. Connell 1987, S. 186; 1995, S. 78ff.). Homosexualität ist die am stärksten ausgegrenzte Form von Männlichkeit. Homophobie gehört zum Kernbestand der hegemonialen Männlichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft lO2 • In soziologischer Perspektive ist Homophobie nicht als psychische Abwehrreaktion verdrängter Impulse zu verstehen, sondern als Verteidigung der zentralen Institution der hegemonialen Männlichkeit. Wie keine andere Form des Mannseins wird Homosexualität als Angriff auf die Norm der Heterosexualität wahrgenommen, mithin auf die Basis der Geschlechterordnung. Ausschließung, wenngleich in einer anderen Form, die die Männlichkeit des Ausgeschlossenen nicht grundsätzlich in Frage stellt, ist auch das Prinzip, auf dem der Fraternalismus beruht, wie er fiir zahlreiche Männerbünde charakteristisch ist (vgl. Clawson 1989, S. 11). Der Ausschluß trifft nicht nur Frauen, sondern auch 'andere' Männer, z.B. solche, die keinen angemessenen sozialen Status haben (z.B. in Herrenclubs wie Rotary oder Lions), und/oder solche, denen es an bestimmten Fähigkeiten, Tugenden oder auch an Mut fehlt (z.B. sich eine Mensur schlagen zu lassen). Über den Ausschluß der 'Anderen' erfolgt eine implizite Bestimmung dessen, was Mannsein bedeutet: z.B. verantwortungsbewußter Umgang mit finanziellen Ressourcen und mit Abhängigen oder Ertragen von Initiationsschmerzen, 'ohne mit der Wimper zu zucken' 103. Von Marginalisierung sind heterosexuelle männliche Lebensweisen betroffen, die sich dem hegemonialen Muster explizit entziehen oder die dagegen opponieren. Eine typische Reaktion gegenüber diesen Formen einer 'alternativen' Männlichkeit ist die Karikatur. Der 'Hausmann', der 'bewegte Mann' sind bevorzugte Objekte. Die im Vergleich zur Homophobie 'sanfte' Form der Abwertung zeigt, daß die Majoritätskultur hierin kaum eine ernsthafte Bedrohung sieht. Wie die Analyse der Subkultur der Männergruppen zeigen wird, stehen solche Alternativen in einem höchst ambivalenten Verhältnis zur hegemonialen Form der Männlichkeit. Die Probleme, die diese 'Dissidenten' mit dem gewählten Lebensentwurf haben, belegen eindrucksvoll die weithin ungebrochene Macht des vorherrschenden Leitbildes. Hegemoniale Männlichkeit ist ein Orientierungsmuster, ein Modell, das nur von den wenigsten Männern in vollem Umfang realisiert werden kann, 102 In fiüheren Epochen (z.B. Athen) und in anderen Kulturen gelten hingegen institutionalisierte und zeitlich limitierte sexuelle Kontakte zwischen (älteren und jüngeren) Männem als notwendiger Schlitt der Mannwerdung (vgl. GiJmore 1991, S. 16\ ff.; Winterling 1990; Bohle 1990). 103 Instruktive ethnographische Beschreibungen verschiedener Männerbünde und ilu'er Praktiken und Riten finden sich in dem zweibändigen Sanunelband von Völger/Welck 1990.
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das aber von den meisten gestützt wird, da es ein effektives symbolisches Mittel zur Reproduktion gegebener Machtrelationen zwischen den GescWechtern darstellt (vgl. Donaldson 1993, S. 645f.). Auch wer nicht in der Lage ist, durch sein Einkommen Frau und Kindern ein von finanziellen Sorgen freies Leben zu ermöglichen, verteidigt das Leitbild des Mannes als Familienernährer bzw. begreift sich sogar als ein solcher und trägt damit zur Reproduktion der Geschlechterordnung bei (vgl. Kap. 7.2). Connell (1995, S. 79f.) nennt dies 'komplizenhafte' Männlichkeit. Er differenziert damit - anders als das Patriarchatskonzept - zwischen kulturellem Ideal und der alltäglichen Realität des Zusammenlebens von Mann und Frau, setzt das eine nicht mit dem anderen gleich, kann aber gleichwohl erklären, weshalb das von nur wenigen realisierte Ideal kulturmächtig bleibt. Eine entscheidende institutionelle Stütze solcher Wirklichkeitskonstruktionen sind homosoziale, männerbündische ZusammenscWüsse, wie sie in Gestalt von Burschenschaften, Herrenclubs, Stammtischen, Vereinen u.v.m. existieren. Das sind soziale und nicht selten auch physikalische Räume, in die man sich temporär zurückzieht. Angesichts sich verändernder Geschlechterverhältnisse kommt diesen Refugien vor allem die Funktion zu, sich wechselseitig der Normalität und vor allem auch der - im moralischen Sinne zu verstehenden - Angemessenheit der eigenen Überzeugungen und Alltagspraktiken zu vergewissern. Männerbünde sind nach wie vor eine wichtige institutionelle Stütze männlicher Solidargemeinschaft (s. Kap. 7.7). Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit begreift Männlichkeit nicht als eine Eigenschaft der individuellen Person, sondern als in sozialer Interaktion - zwischen Männern und Frauen und von Männern untereinander - (re-) produzierte und in Institutionen verfestigte Handlungspraxis (vgl. Connell 1993, S. 602). An der für die frühe bürgerliche Gesellschaft und deren Begriff der Ehre wichtigen Institution des Duells sei dies paradigmatisch erläutert (vgl. Frevert 1991, S. 214ff.). Der EhrenzweikampfMann gegen Mann hatte immer auch, wenn nicht sogar primär die Funktion eines Männlichkeitsbeweises. Was auf dem Spiel stand, war die "Manneswürde", der "Mannesstolz" u.ä.. Einer Ehrverletzung durch eine satisfaktionsfähige Person nicht mit einer Duellforderung zu begegnen bzw. einer solchen sich zu entziehen kam einem Männlichkeitsverlust gleich. In den Regeln des Duells war freilich festgelegt, wer in diesem Sinne seine Männlichkeit zu beweisen hatte: der adelige und der bürgerliche Mann. Nicht 'Jedermann' war privilegiert, in dieser Weise einen Ehrenhandel auszutragen. Und Frauen schon gar nicht. In diesem doppelten Ausschluß, des anderen Geschlechts - wurde die Ehre einer bürgerlichen Frau verletzt, hatte deren Mann stellvertretend und als Mit-Beleidigter zu handeln - und von untergeordneten Angehörigen des eigenen Geschlechts, zeigt sich die komplexe Ordnungsstruktur der hegemonialen Männlichkeit.
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Die Distinktion im Klassenverhältnis und der Vollzug der Geschlechterdifferenz sind eng miteinander verknüpft. Worin sich die hegemoniale Männlichkeit manifestiert, ist den Prozessen des sozialen Wandels unterworfen. Das Duell hat ausgedient, und auch das Militär scheint seine Bedeutung als eine zentrale Institution hegemonialer Männlichkeit zumindest in DeutscWand seit 1945 verloren zu haben (vgl. Seifert 1992). Einer These Connells (1993, S. 613ff.) zufolge kommt gegenwärtig dem technokratischen Milieu des Managements und den Professionen eine hervorgehobene Bedeutung zu. In dem einen Fall basiert hegemoniale Männlichkeit auf interpersoneller Dominanz, in dem anderen auf Wissen und Expertise. Vermutlich korrespondiert der Differenzierung der Zentren gesellschaftlicher und politischer Macht in der Gegenwartsgesellschaft eine Pluralität hegemonialer Männlichkeiten, welche um Institutionen wie Wirtschaft, Politik, Militär, Profession, Kirche u.a. organisiert sind. EinscWägige Forschungen fehlen weitgehend 104. Auch ist es eine empirisch offene und in den men 's studies kontrovers diskutierte Frage, ob hegemoniale Männlichkeit an höhere soziale Milieus gebunden ist, bzw. an den Besitz ökonomischen, sozialen oder kulturellen Kapitals im Sinne Bourdieus. Eine ungeklärte Frage ist auch, welche Bedeutung einer körperbetonten Virilität, wie sie z.B. durch die Figur des Rambo symbolisiert wird, zukommt im Vergleich mit einer Männlichkeit, wie sie etwa der 'smarte' und 'jung-dynamische' Börsenmakler repräsentiert 105 • Wenn man das Konzept so faßt, daß damit nicht eine Charaktereigenschaft bestimmter Männer aus höheren sozialen Schichten gemeint ist, sondern ein kulturelles Modell mit hoher Breitenwirkung, als Ideologie der Männlichkeit, dann wäre zu fragen, welche Praxen der Distinktion hegemoniale Männlichkeit in unterschiedlichen sozialen Milieus generiert. In diesem Zusammenhang ist eine Studie von Cockbum (1991 b) über Ausgrenzungsstrategien instruktiv, die Facharbeiter im englischen Druckgewerbe gegenüber ungelernten männlichen Arbeitern wie gegenüber Frauen einsetzen. Die traditionelle Form des Druckens erforderte neben manuellem Geschick und einer gewissen körperlichen Kraft eine qualifizierte Ausbildung. Mit der Einführung des Computersatzes war im Prinzip jeder und jede, die eine konventionelle Schreibmaschinentastatur bedienen können, in der Lage, im Druckge104 Zum Militär als gendered organisation sind in jüngster Zeit einige Studien erschienen, die einerseits zeigen, daß selbst dann, welUl Frauen Zugang zu den kämpfenden Einheiten haben, d.h. zum Status- und Prestigerelevanten Kem dieser Institution, das Militär ein Olt der Reproduktion von Männlichkeit bleibt, die andererseits jedoch zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen, welchen Stellenwelt das Militär gegenwärtig [ur die Konstmktion hegemonialer Männlichkeit hat (vgl. Apelt 2006; Klein 200 I; Seifert 2002; Scholz 2005). 105 In einer ausführlichen Diskussion des COlUlellschen Ansatzes stellt Annbmster (1993, S. 83) die Frage, "ob nicht an verschiedenen Olten oder in verschiedenen Diskursen jeweils andere Versionen von Männlichkeit hegemonial sind".
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werbe zu arbeiten, also auch ungelernte Arbeiter und die bis dahin weitgehend ausgescWossenen Frauen. Deren fortgesetzte Ausgrenzung durch die gewerkschaftlich gut organisierten Drucker läßt sich zutreffend als Prozeß der sozialen Schließung begreifen. Man kann aber auch mit Cockburn annehmen, "daß die bewußte Abgrenzung der gelernten von den ungelernten Arbeitern gleichzeitig ein Schritt zur Konstruktion von Geschlechtsidentität ist" (S. 76). Da der Computersatz manuelle Abläufe beinhaltet, die sich nicht mehr von typischer 'Frauenarbeit' unterscheiden, kommt der symbolischen Grenzziehung, die durch unterschiedliche Lohnniveaus abgestützt wird, eine erhöhte Bedeutung zu. Dadurch, daß die Facharbeiter bestimmte Tätigkeiten fur sich reservieren und mit gewerkschaftlicher Unterstützung als qualifizierte defmieren, betonen sie ihre Position männlicher Dominanz sowoW gegenüber Frauen als auch gegenüber den ungelernten Männern, die 'Frauentätigkeiten' ausüben. Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit ist ein Ansatz zu einer soziologischen Theorie der Männlichkeit, eine ausformulierte Theorie ist es noch nicht. Der tentative Charakter der Theoriebildung wird aber m.B. der Komplexität des Gegenstandes eher gerecht als das Patriarchatskonzept, das die sich überlagernden Dominanzstrukturen nicht berücksichtigt. Das impliziert eine größere methodologische Offenheit, die einer empirischen Rekonstruktion und damit einer Sozialforschung als Entdeckungsstrategie Perspektiven eröffnet. Der Begriff der hegemonialen Männlichkeit läßt sich im Sinne einer interpretativen Methodologie als sensitizing concept begreifen (vgl. Blumer 1954; Denzin 1970). Connells Ansatz ist eine machttheoretische Analyse der Männlichkeit, welche es vermeidet, Macht nur als top-down-Prozeß und nur als Instrument zur Regulierung des Verhältnisses von Männem und Frauen zu konzipieren. Mit dem von Gramsci entlehnten Begriff der Hegemonie gewinnt eine kultursoziologische Analyse der Ungleichheit der Geschlechter an Bedeutung. Das Verständnis von hegemonialer Männlichkeit als praktizierte Ideologie verweist auf ein wissenssoziologisches Verständnis, fur das die Frage nach den lebensweltlichen Fundierungen kultureller Deutungsmuster naheliegt: "It does irnply that ideology has to be seen as things people do, and that ideological practice has to be seen as occuring in, and responding to, definite contexts" (Connell 1987, S. 244). Trotz seiner begrifflichen Unschärfe ist das Konzept der hegemonialen Männlichkeit rasch zur Leitkategorie der men 's studies avanciert. Die gesamte sozial- und geisteswissenschaftliche Männerforschung ist von diesem Konzept mehr oder minder geprägt. 106 Des weiteren ist die Rezeption der men 's studies in der Geschlechterforschung im wesentlichen an der Connellschen Begrifflichkeit festgemacht. Das lässt sich feststellen, ohne die Arbeiten ande106 Für die Geschichtsforschung zeigt dies ein unlängst erschienener Band, der sich mit der Bedeutung des Connellschen Konzept für die Männergeschichtsschreibung befaßt (Dinges 2005).
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rer bekannter Vertreter der men 's studies abzuwerten. Die breite Rezeption ist von Beginn an von einer Klage über die begriffliche Unschärfe begleitet. Donaldson (1993) hat schon Anfang der neunziger Jahre bemerkt, es sei schwierig zu bestimmen, welcher Typus von Männlichkeit hegemoniale Männlichkeit verkörpert. Hearn hat unlängst herausgestellt, die Konfusion der Begriffsverwendung verdanke sich u.a. dem Umstand, daß Unklarheit darüber herrscht, in welcher Dimension sozialer Wirklichkeit hegemoniale Männlichkeit zu verorten ist. Geht es um kulturelle Repräsentationen, um Alltagspraktiken oder um institutionelle Strukturen? "There are [...] persistent question marks around what is actually to count as hegemonic masculinity." (Hearn 2004, S. 58) Die Fragezeichen verdanken sich zu nicht geringen Teilen dem Umstand, daß sich die Diskussion darauf konzentriert, nach "Materialisierungen" hegemonialer Männlichkeit zu suchen, nach einer inhaltlichen Bestimmung derjenigen Eigenschaften und Merkmale, welche hegemoniale Männlichkeit ausmachen - bzw. die hegemoniale Männlichkeit der gegenwärtigen Geschlechterordnung (spät-)moderner westlicher Gesellschaften 107. Für eine Präzisierung des Konzepts scheint es mir nicht aussichtsreich zu sein, an diese Suche anzuschließen. Stattdessen schlage ich vor, hegemoniale Männlichkeit als generatives Prinzip der Konstruktion von Männlichkeit zu begreifen, das sich gleichermaßen, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen, sowohl in perfekten Verkörperungen hegemonialer Männlichkeit (so es diese überhaupt gibt) als auch in den sehr viel häufiger verbreiteten untergeordneten Männlichkeiten auffmden läßt. Um diese Perspektive zu entfalten, werde ich zunächst auf Bourdieus Konzept des Habitus sowie seine Ausführungen zur männlichen Herrschaft und zum männlichen Habitus eingehen und dann Connells Bestimmung hegemonialer Männlichkeit auf die Ausführungen Bourdieus beziehen (s. Kap. 4.3). Ich bin der Auffassung, dass Connells Konzept dadurch an theoretischer Substanz gewinnt. Auch wenn Connell sich dezidiert kritisch gegenüber der Bourdieuschen Sozialtheorie äußert (allerdings nicht bezogen auf Bourdieus Arbeit zur männlichen Herrschaft), weil sie seiner Ansicht nach die Bedeutung von agency verkennt (Connell 1983), erscheint mir eine Vermittlung der Ansätze möglich und ertragreich. Hierfür sprechen zwei Gründe: beide sind einem praxeologischen Ansatz verpflichtet, und beide präsentieren ein Konzept von Männlichkeit, dessen Kern eine doppelte, die hetero- wie die homosoziale Dimension umfassende, Distinktionsund Dominanzlogik ist.
107 In einem gemeinsam mit James Messerschmidt velfaßten Aufsatz ist COlmell unlängst auf die vielfältigen KJitiken und Kommentare eingegangen, die das Konzept der hegemonialen Männlichkeit elfalu'en hat (vgl. Connell/Messersclunidt 2005).
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4. Geschlecht und Habitus. Überlegungen zu einer soziologischen Theorie der Männlichkeit Das Geschlecht der Untersuchungspersonen ist eine Variable, die in nahezu jeder empirisch-soziologischen Untersuchung erhoben und in der Regel auch in Auswertung und Interpretation berücksichtigt wird. Die Weise, in der die gängige soziologische Forschungspraxis 'Geschlecht' verwendet, als unabhängige Variable, die zur Erklärung von Merkmalsverteilungen herangezogen wird, macht Geschlecht zu einer Ressource, deren soziologischer Gehalt zumeist ungeklärt bleibt. Nur selten wird Geschlecht zum Topos. Andere Standardvariablen, vor allem die soziale Schichtzugehörigkeit, sind Gegenstand umfassender Theoriebildung und Streitobjekt zwischen verschiedenen soziologischen 'Schulen'. Eine prima facie dem Geschlecht in ihrer biologischen Dimension verwandte Variable, das Alter der Untersuchungspersonen, erfährt in der Umformung zur Kohorte und noch stärker als Indikator für Generationszugehörigkeit eine Verwendung, die an soziologischen Kriterien orientiert ist. Im Falle des Geschlechts appelliert ein großer Teil der soziologischen Forschung nach wie vor implizit an Selbstverständlichkeiten des Alltagsbewußtseins und übernimmt damit ein naiv biologistisches Verständnis. Das erklärt den Mangel an genuin soziologischen Konzeptualisierungen von Geschlecht. Trotz aller institutionellen Erfolge der Frauen- und Geschlechterforschung ist eine soziologische Geschlechtertheorie in der allgemeinen Soziologie allenfalls in Ansätzen vorzufinden. "Man kommt ... nicht umhin festzustellen, dass es der Frauen- und Geschlechterforschung bislang nicht wirklich gelungen ist, ihren Status als Bindestrich-Soziologie zu überwinden und ,Geschlecht' als zentrale Kategorie für das Verständnis der modemen Gesellschaft in der Soziologie zu verankern" (Krais 2001, S. 317)108. Zumal die deutsche Soziologie befindet sich gegenüber der amerikanischen und auch der britischen Forschung in einem Reflexionsrückstand. Vorhandene Ansätze zu einer soziologischen Konzeptualisierung von Geschlecht lassen sich danach unterscheiden, ob sie den Aspekt der sozialen 108 Hirschauer (1994, S. 669) sieht zwei Gründe für die "soziologische Indifferenz gegenüber dem sozialen Phänomen der Geschlechtenmterscheidung": die implizite Naturalisierung des Phänomens und eine Arbeitsteilung mit der Frauenforschung. Dieser Arbeitsteilung sei die Frage ,,nach dem sozialen Charakter der Geschlechterdifferenz" zum Opfer gefallen. "Denn auch die Frauenforschung gliff diese Fragestellung über Jalm:elmte nicht auf, sondern velwendete die GeschlechtskategOlisierung einfach zur Organisation ihrer Themen, TheOlien und ihres Personals". Ähnlich U1teilen Gildemeister und Wetterer (1992), die in der "PositivielUng der Differenz" (S. 203), wie sie von einem Teil der deutschen Frauenforschung behieben werde, einen GlUnd dafür sehen, daß "die Frauenforschung in einem sehr grundlegenden Bereich an Selbstverständlichkeiten des Alltagshandelns (paltizipielt), statt sie zum Gegenstand kritischer Analyse zu machen" (S. 204). (Vgl. auch Nunner-Winkler 1994).
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Ungleichheit im Geschlechterverhältnis betonen oder ob sie die situierte Darstellung der GescWechterdifferenz im alltäglichen Handeln fokussieren. Die erste Perspektive entspricht einer sozialstrukturellen Betrachtung, die zweite einer interaktionstheoretischen. Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit (s. Kap. 3.2) versucht beides miteinander zu verknüpfen. Daß mit Geschlecht eine zentrale Dimension sozialer Ungleichheit benannt ist, darüber besteht in der soziologischen Ungleichheitsforschung inzwischen ein weitgehender Konsens. Neuere Arbeiten versuchen, die gescWechtsspezifischen Disparitäten in ein allgemeines Modell sozialer Ungleichheit zu integrieren (vgl. Beck 1986; Hradil 1987a, 1987b; Kreckel 1987, 1992). In der Frauenforschung gibt es eine intensive Diskussion darüber, ob GescWecht analog zu der Dimension sozialer Ungleichheit konzipiert werden kann, die Basis der traditionellen Theorien sozialer Stratifikation ist: Geschlecht als Klasse oder "Klasse Geschlecht" (Beer 1987) - die Begrifflichkeit verweist darauf, daß hier explizit ein "Anschluß an die marxistische Theorietradition" (Kreckel 1989, S. 305) gesucht wird bzw. worden ist (vgl. auch Cyba 1994). Die Probleme einer solchen Strategie der Theoriebildung sind recht bald erkannt worden. Geschlecht verliert bzw. gewinnt erst gar nicht den Status einer primären sozialen Kategorie (vgl. GersoniPeiss 1985). Geschlechtliche Ungleichheit ist etwas qualitativ anderes als klassenspezifische Ungleichheit, weil die Differenz, an die die soziale Ungleichbehandlung anknüpft und die als Legitimationsbasis bemüht wird, sich in mindestens zwei Punkten fundamental unterscheidet. Erstens ist die geschlechtliche Differenz binär codiert. Auf- und Abstieg sind nicht möglich, auch kein mehr oder weniger. Ein Mensch ist entweder Mann oder Frau, und das lebenslänglich. Die vermeintliche Ausnahme der Transsexualität bestätigt nur die selbstverständliche Gültigkeit dieser Ordnung. SowoW in der Selbstwahrnehmung der Transsexuellen als auch an der Weise, wie Fälle von Transsexualität gesellschaftlich prozediert werden, wird dies deutlich. Die transsexuelle Person füWt sich immer schon dem GescWecht zugehörig, als das sie (an-)erkannt werden möchte, und genau diese biographische Kontinuität wird von den begutachtenden (Psychologen) und entscheidenden (Gericht) Instanzen als Voraussetzung für eine operative und personenstandsrechtliche 'Geschlechtsumwandlung' gefordert (vgl. Hirschauer 1993). Zweitens erfahren Frauen eine soziale Behandlung, die sich von derjenigen untergeordneter Gruppen in anderen Ungleichheitsverhältnissen deutlich unterscheidet. Goffman (l994c, S. I 15ff.) hat darauf hingewiesen, daß sich das Geschlechterverhältnis durch eine spezifische Nähe in der Distanz auszeichnet, eine Nähe, die die Grenzen immer wieder transzendiert. Diese Nähe hat räumliche, soziale und emotionale Dimensionen. Anders als die Angehörigen verschiedener sozialer Klassen sind Frauen und Männer (zumindest in 110
industrialisierten Gesellschaften) nicht räumlich voneinander getrennt; sie wohnen nicht nur in denselben Stadtvierteln, sondern auch in denselben Wohnungen, teilen Tisch und Bett. Frauen gegenüber gibt es eine Vielzahl von Ritualen der Ehrerbietung und der Höflichkeit, für die es in der Interaktion von Statushöheren mit Statusniedriegeren im Klassenverhältnis kein Äquivalent gibt 109 • Und scWießlich gründen intime Beziehungen von Frauen und Männem in unserer Kultur gewöhnlich auf Liebe 11o • Das Verhältnis von "intimate strangers" (Rubin 1983) verleiht der Ungleichheit der Geschlechter eine Dimension, die eine einfache Analogisierung zum Klassenverhältnis als wenig aussichtsreiche Strategie der Theoriebildung erscheinen läßt. Die in Kapitel 2.2 dargestellten interaktionstheoretischen Ansätze, welche den Aspekt der situierten Produktion und die Darstellung der Geschlechtszugehörigkeit, also die Dimension der Performanz in den Vordergrund stellen, markieren den Gegenpol zu der klassentheoretischen Konzeptualisierung 111. Dem klassentheoretischen Verständnis gilt GescWecht in seiner dichotomen Gestalt als gegeben; erklärungsbedürftig ist allein die Ungleichbehandlung, die sich daran knüpft. Die sozialkonstruktivistische Perspektive, am konsequentesten die Ethnomethodologie, sieht die Zweigeschlechtlichkeit selbst als soziale Praxis, als ,,generatives Muster der Herstellung sozialer Ordnung" (Gildemeister/Wetterer 1992, S. 230). Dabei wird nicht nur einfach Differenz hergestellt, sondern zugleich eine Dominanzordnung: der Primat des Männlichen. Ethnomethodologisch orientierte Frauenund Geschlechterforscherinnen ziehen daraus die Konsequenz, daß eine "Enthierarchisierung der Differenz" nicht gelingen kann, "ohne das binäre Grundmuster in Frage zu stellen" (Gildemeister/Wetterer 1992, S. 248)112. Die Pole, zwischen denen der gescWechtersoziologische Diskurs osziliert, sind aus der allgemeinen soziologischen Theoriediskussion bekannt: Mikro und Makro, Handlung und Struktur. Deutlich wird, welche Dimensionen eine soziologische Theorie des Geschlechts zu berücksichtigen hätte: die sozialstruktureIl verankerte Ungleichheit der Geschlechter in gleicher Weise wie die situierte oder lokale Produktion der Sozialordnung der Zweige109 Daß solche Rituale ein Element der geschlechtlichen Dominanzordnung sind, relativiert deren Bedeutung für die Bestimmung der Besonderheiten der geschlechtlichen Ungleichheitsrelation keineswegs. Vielmelu' ist dies ein weiterer Hinweis darauf, daß Geschlecht eine pli märe soziale KategOlie ist, die einer eigenen KonzeptualisielUng bedalf. 110 Zum Verhältnis von Liebe und Dominanz vgl. Dröge-Modelmog 1987. Il I Diskurstheoretische Ansätze wie z. B. den von ludith Butler (1991) lasse ich hier außer Betracht. Ich beschränke mich auf explizit soziologische Ansätze. 112 Die geschlechter- und wissenschaftspolitischen Konsequenzen einer solchen Perspektive sind weitreichend. Sie betreffen die Frage, inwieweit FrauenfordelUng und Frauenforschung die unintendielte Folge einer DramatisielUng und ReifizielUng der Geschlechterdifferenz haben, statt sie abzubauen (vgl. Gildemeister/Wetterer 1992, S. 247f.). Zur Zeit ist die Diskussion dieser Frage vomelunlich auf die EU-weit gültige Politik des Gender Mainstreaming bezogen (vgl. Meuser 2004).
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scWechtlichkeit. Des weiteren erscheint es mir sinnvoll und wichtig, die im Konzept von Geschlecht als Klasse enthaltene Intention aufzunehmen, die Konzeptualisierung von gescWechtlicher Disparität an die allgemeine soziologische Diskussion über soziale Ungleichheit anzubinden. In dieser Diskussion stellt m.B. Bourdieus kultursoziologisch gefaßter Begriff des Habitus den anspruchvollsten Versuch dar, die Dimensionen von Sozialstruktur und sozialem Handeln miteinander zu vermitteln. Eine Übertragung des bei Bourdieu vornehmlich auf die Klassenlage bezogenen Habitusbegriff auf die GescWechtslage erscheint mir als eine fruchtbare Strategie, um eine soziologische Geschlechtertheorie zu entwickeln, die nicht nur zu rekonstruieren erlaubt, wie Zweigeschlechtlichkeit als soziale Tatsache konstruiert wird, sondern auch, wie - in diesem Fall - Mannsein sich in einer distinkten sozialen Praxis reproduziert113.
4.1 Habitusbegriff und Geschlechterverhältnis bei Pierre Bourdieu Der Begriff des geschlechtlichen Habitus, der im folgenden näher erläutert wird, entstammt nicht einfach einer theoretischen Übertragung der Bourdieuschen Kategorien auf das Geschlechterverhältnis. Vielmehr hat sich im Zuge der Interpretation des Datenmaterials, vor allem desjenigen aus den Gruppendiskussionen (s. Kap. 7), gezeigt, daß sich Lebenslagen von Männern vor allem danach unterscheiden, inwieweit sie durch eine geschlechtsbezogene habituelle Sicherheit gekennzeichnet sind. Im Sinne des grounded theory approach stellt die Bezugnahme auf Bourdieu den Versuch dar, eine gegenstandsbezogene Theoriebildung an eine formale Theorie anzubinden (vgl. Strauss 1987, S. 241ff.)114. Das ermöglicht, wie noch zu zeigen sein wird, in umgekehrter Richtung ein tieferes Verständnis des Datenmaterials. Das Bourdieusche Konzept des Habitus ist bekannt genug, daß es ausreicht, dessen Logik kurz zu skizzieren. Habitus meint ein System dauerhafter 113 Maihofer (1994) bemerkt, daß die zweite Fragestellung in den sozialkonstl1lktivistischen Ansätzen zu kurz kommt. Sie fordelt eine Perspektive ein, die beliicksichtigt, daß ungeachtet der Tatsache, daß Geschlecht sozial konstl1lielt ist, Frauen und Männer in den geschlechtsbezogenen Praxen "tatsächlich existieren" (S. 258). 114 Die Etikettiel1lng des Habituskonzepts als fonnale TheOlie gibt diesem Konzept einen Status, den es der Lntention Bourdieus zufolge nicht hat, den es aber im Zuge der Theoriediskussion in der Soziologie mein und mehr erhält. Bourdieu versteht seine Arbeiten eher nicht als 'große Theorie', vielmehr kritisiert er die Tendenz zu einer "theoretizistischen Deutung" seiner empilischen Studien (1989, S. 396) und grenzt seine Alt der Theoriebildung als "Wahmehmungs- und Aktionsprogramm", "das sich nur aus der empirischen A1"beit, in der es realisielt wird, erschließt", von einem Stil der Theoliediskussion ab, die er "theoretische Theorie" nennt: "ein prophetischer oder programmatischer Diskurs, der sich selbst Zweck ist und aus der Konfrontation mit anderen Theorien erwächst und von ilu" lebt" (1997a, S. 59).
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Dispositionen, ein "Erzeugungsprinzip von Strategien, die es ermöglichen, unvorhergesehenen und fortwährend neuartigen Situationen entgegenzutreten" (Bourdieu 1979, S. 165). Basis eines Habitus ist eine spezifische Soziallage. Akteure, die sich durch die Gemeinsamkeit einer Soziallage auszeichnen, tendieren dazu, soziale Situationen in ähnlicher Weise wahrzunehmen und ähnlich zu handeln: weil sie einen ihrer Soziallage korrespondierenden Habitus ausgebildet haben, der, als ,,Handlungs-, Wahrnehmungs- und Denkmatrix" (Bourdieu 1979, S. 169) wirkend, typische Muster der Problembewältigung generiert. Der Habitus fungiert als ein "gesellschaftlicher Orientierungssinn" (Bourdieu 1987, S. 728). Da jeder Soziallage ein und nur ein Habitus eignet, bedeutet die durch ihn ermöglichte soziale Orientierung immer auch soziale Differenzierung, "ein praktisches Vermögen des Umgangs mit sozialen Differenzen" (Bordieu 1987, S. 728). Insofern ist der Habitus nicht neutrales Mittel der Orientierung in der sozialen Welt, sondern Mechanismus der Reproduktion sozialer Ungleichheit. Wie immer auch die Intentionen des individuellen Akteurs sein mögen; in dem Maße, in dem sein Handeln durch den Habitus bestimmt ist, gibt es ein 'unschuldiges' Handeln nicht I 15. Ein Soziallage ist bei Bourdieu durch eine bestimmte Kapitalkonfiguration bestimmt, d.h. durch ein bestimmtes Verhältnis von ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital. Welche Kapitalsorten in welchem Maße besessen werden oder auch nicht, das bestimmt letztlich, welcher Habitus ausgebildet wird. Erworben bzw. "inkorporiert", in den Leib eingeschrieben, wird der Habitus in der Primärsozialisation, und manifest wird er in distinkten Lebensstilen (vgl. Bourdieu 1987). Bei Bourdieu wird die Soziallage vornehmlich als Klassenlage gefaßt, und wenn er von Habitus spricht, dann meint er zumeist den Klassenhabitus. Diese Engführung ist aber keinesfalls zwingend. Der Habitusbegriff läßt sich zur Analyse sozialen Handelns im Rahmen anderer Soziallagen als der durch Klassenzugehörigkeit bestimmten verwenden, ohne die Logik des Begriffs aufzubrechen. In den Arbeiten Bourdieus selbst, vor allem in den früheren, finden sich einige Hinweise auf ein breiteres Verständnis des Habitusbegriffs. So erklärt er z.B. den Generationskonflikt dadurch, daß "unterschiedliche Habitusformen aufeinanderprallen ..., die gemäß unterschiedlichen generativen Modi erzeugt wurden" (Bourdieu 1979, S. 168). An anderer Stelle spricht er vom Habitus einer Kultur, "im Sinne einer in einer homogenen Gruppe erworbenen kulturellen Kompetenz" (ebd., S. 181). Das freilich sind beiläufige Bemerkungen, denen keine weiteren Erläuterungen folgen. Einen größeren Raum 115 Hier ist selbstverständlich nicht von ad personam zurechenbarer Schuld die Rede. Das Handeln ist insofem nicht unschuldig, als jedes individuelle Handeln eingebunden ist in die Mallix der auf spezifische Soziallagen bezogenen Habitus und die in diese Maliix eingelassenen Ungleichheitsrelationen reproduzielt.
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beanspruchen Ausführungen zum Geschlechterverhältnis. Die "Arbeitsteilung zwischen den sozialen Klassen, Altersgruppen und Geschlechtern" (Bourdieu 1987, S. 727) wird in den Schemata des Habitus wiedergegeben, diesen sozialen Unterschieden korrespondieren "geschichtlich ausgebildete Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata" (ebd., S. 730). Eine soziale Klasse ist für Bourdieu (1987, S. 185) nicht zuletzt dadurch bestimmt, welche Stellung und welchen Wert sie "den beiden Geschlechtern und deren gesellschaftlich ausgebildeten Einstellungen einräumt". In den zumeist recht umfangreichen Arbeiten, in denen Bourdieu das Habituskonzept entwickelt und weitergeführt hat (1970, 1979, 1987, 1993, 2001), behandelt er GescWecht nicht in einer systematischen Weise und auch nicht als ein grundlegendes organisierendes Prinzip. Begriff und Theorie des geschlechtlichen Habitus findet man hier nicht. Erst in jüngerer Zeit, in einem umfangreichen Artikel und einem Buch über die ,,männliche Herrschaft" (1997b, 2005) hat sich Bourdieu schwerpunktmäßig mit dem Geschlechterverhältnis befaßt. Hier spricht er an einer Stelle von einem "vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus" (S. 167). Dieser Habitus fungiert in gleicher Weise wie der Klassenhabitus als gesellschaftlicher Orientierungssinn: "Der Habitus erzeugt gesellschaftlich vergescWechtlichte Konstruktionen der Welt und des Körpers, die zwar keine geistigen Repräsentationen, doch darum nicht weniger aktiv sind. Desgleichen bringt er synthetische und passende Antworten hervor" (S. 167). Bourdieu entwickelt eine Vorstellung von der "gesellschaftlichen Konstruktion des Geschlechts", die der Goffmanschen nahekommt (s.o.): ,,Der männliche und der weibliche Körper, und ganz speziell die GescWechtsorgane, die, weil sie den GescWechtsunterschied verdichten, prädestiniert sind, ihn zu symbolisieren, werden gemäß den praktischen Schemata des Habitus wahrgenommen und konstruiert" (S. 174). Der Artikel und das Buch sind - neben Connells Begriff der hegemonialen Männlichkeit - sicherlich der theoretisch anspruchvollste und soziologisch ertragreichste Beitrag zu einer Analyse männlicher Herrschaft. Der Begriff des GescWechtshabitus wird allerdings mehr angedeutet als systematisch entfaltet. In einem Interview äußert Bourdieu sich zu den Möglichkeiten eines solchen Begriffs ambivalent. Zwar bezeichnet er das GescWecht als "eine ganz fundamentale Dimension des Habitus" (1997c, S. 222), meldet aber wenig später Zweifel an, ob es Sinn mache, von einem Geschlechtshabitus in gleicher Weise zu sprechen wie vom Klassenhabitus. Die Klassensozialisation erscheint ihm als grundlegend, "selbst wenn sie zutiefst von der Geschlechtssozialisation beeinflußt wird" (S. 224). Bourdieu hält die Entscheidung explizit offen: "Aber vielleicht müssen wir dieses Problem schlicht und einfach fallenlassen, weil wir nicht die Mittel haben, es zu entscheiden: Was wir beobachten, das sind immer gesellschaftlich und geschlechtlich konstruierte Habitus" (S. 225). 114
Die Ausführungen zur männlichen Herrschaft haben als empirische Basis die ethnologische Feldforschung, die Bourdieu Ende der fünfziger Jahre in der kabylischen Gesellschaft in Algerien durchgeführt hat. Diese Forschungen sind ebenfalls der empirische Hintergrund gewesen, auf dem er den Begriff des Habitus als inkorporierte soziale Struktur entwickelt hat (vgl. Bourdieu 1979). Die kabylische Gesellschaft kennt nur ein Prinzip sozialer Differenzierung: das Geschlecht. Die Ordnung sowoW des privaten als auch des öffentlichen Raums sowie die Organisation der Zeit basieren auf der geschlechtlichen Matrix. Soziale Unterschiede sind nach der Unterscheidung männlich/weiblich codiert (vgl. Krais 1993, S. 2130. ,,Die Polarität der Geschlechter ... kommt in der Aufteilung des Vorstellungs- und Wertsystems in zwei komplementäre und zugleich antagonistische Prinzipien zum Ausdruck" (Bourdieu 1979, S. 35). Der weiblichen Welt des Innen und des Passiven steht die männliche des Außen und des Aktiven gegenüber. Diesem Prinzip gehorcht auch die Organisation des Binnenraums des Hauses, der in sich "nach einem Gefüge homologer Gegensätze aufgebaut" ist (ebd., S. 53), eben den gleichen, die das Haus und die Außenwelt voneinander trennen. Alle sozialen Beziehungen werden im geschlechtlichen Code erfaßt, nicht zuletzt die verwandtschaftlichen: "Die parallele patrilineare Kusine steht als kultivierte, 'geradegerichtete' Frau der parallelen matrilinearen Kusine, d.h. der natürlichen, 'krummen', unheilbringenden und unreinen Frau, gegenüber wie das Weiblich-Männliche dem Weiblich-Weiblichen" (Bourdieu 1979, S. 97).
Das ethnologische Material nutzt Bourdieu, um sein Konzept des Habitus als inkorporierte soziale Struktur zu entwickeln 116. Die weibliche Tugend "orientiert den gesamten weiblichen Körper nach unten, zur Erde, zum Haus, nach Innen hin, während die männliche Vorbildlichkeit ihre Bestätigung in der Bewegung nach oben, nach draußen, zu den anderen Männem hin findet" (Bourdieu 1979, S. 196).
Die männliche Körperorientierung wird als zentrifugal, die weibliche als zentripetal beschrieben. Die Unterschiede in der Einverleibung sozialer Strukturen, die hier die des GescWechterverhältnisses sind, manifestieren sich, so Bourdieu, noch in der Wabrnehmung des Geschlechtsaktes. Die sozialen Gelegenheiten, in denen die Strukturen der gescWechtlichen Teilung der sozialen Welt angeeignet werden, sind die Beziehungen zu Vater und Mutter (vgl. Bourdieu 1979, S. 193) und das kindliche Spiel (vgl. ebd., S. 1900 117 . 116
[m "EntwUIf einer Theolie der Praxis" beziehen sich die Beispiele in dem Kapitel über die "Einverleibung der Stl1Jkturen" (Bourdieu 1979, S. 189-202) vomelunlich auf die Geschlechtszugehöligkeit und das Geschlechterverhältnis. 1[7 Auf die Bedeutung des kindlichen Spiels für die Aneignung der dem eigenen Geschlecht sozial angemessenen Dispositionen velweisen aus der Perspektive der kognitiven Entwick-
115
Das Geschlechterverhältnis hat bei Bourdieu gewissermaßen den Status eines heuristischen Hilfsmittels, um zentrale Elemente des Habitusbegriffs zu entwickeln. Wie noch zu zeigen sein wird, ist es nicht zuf
4.2 Geschlechtlicher Habitus - ein Entwurf "Denn als solche, das heißt als etwas über die Summe der einzelnen Mitglieder Hinausgehendes, existiert eine Gruppe dauerhaft ja nur, insofern jedes einzelne Mitglied die dazu erforderliche Einstellung mitbringt, daß es durch und für die Gruppe existiert, oder genauer, gemäß den ihrer Existenz zugrunde liegenden Prinzipien existiert" (Bourdieu 1988, S. I IOf.).
Gleichgültig, wie man die biologische Basis der GescWechterdifferenz einschätzt, ob man im Sinne der sex-gender-Unterscheidung ein vorsoziales biologisches Substrat annimmt oder ob man auch dieses ethnomethodologisch dekonstruiert, ein soziologischer Begriff von Geschlecht meint notwendig mehr bzw. anderes als den Besitz bestimmter biologischer Merkmale. In einem handlungstheoretisch-soziologischen Sinne besteht ein Geschlecht aus lungspsychologie Piaget (1973, S. 80ft) und Gilligan (1984). Diese Übereinstimmung ist nicht zuHillig. Piagets Modell der Adaptation von Handlungs- und Wahmehmungsschemata an eine widerständige Umwelt hat starke Affinitäten zu Bourdieus Verständnis des Körpers als "Analogien-Operator" (vgl. Raphael 1991, S. 250f.) 118 An Bourdieus Theorie ist häufig Iaitisiert worden, daß sie mit ihrem Klassenbegriff der Vielfalt ausdifferenziel1er Lebenslagen in der modemen postindustriellen Gesellschaft nicht gerecht wird. Zu belücksichtigen sei auch, in welcher Weise sich "die kollektiven Erfaluungen der einzelnen Generationen (... ), Nationalitäten, Geschlechter, Altersgtuppen in FonTI spezifischer Habitus" (Hradil 1989, S. 126) niederschlagen. Wiewohl es nicht das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, die Bourdieusche Theolie fOl1zuentwickeln - der Rekurs auf Bourdieu ist, wie elwähnt, durch die Elwartung eines besseren Gegenstandsverständnisses motiviel1 -, so mag die Entwicklung eines Begliffs des geschlechtlichen Habitus doch vielleicht auch dazu beitragen, daß die Engfuhmng des Habitus als Klassenhabitus ein wenig aufgebrochen wird.
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einer und eXistiert in einer distinkten Handlungspraxis. Sozial ist ein Geschlecht mehr als die Summe derjenigen Personen, denen aufgrund einer nach der Geburt vorgenommenen Inspektion ("Hebammengeschlecht") oder sonstiger Kriterien (Chromosomen, Gonaden, Hormone) ein bestimmtes Geschlecht zugewiesen worden ist. Die auf Berufsgruppen gemünzte Feststellung Bourdieus übertragend, läßt sich sagen, daß ein Geschlecht nur dadurch (sozial) existiert, daß die Angehörigen einer GescWechtskategorie gemäß einem Prinzip handeln, das für diese, nicht aber für die andere GescWechtskategorie Gültigkeit hat. Mit anderen Worten: Die soziale Existenz eines Geschlechts ist an einen spezifischen Habitus gebunden, der bestimmte Praxen generiert und andere verhindert 119. In einer vergleichbaren Perspektive bemerkt Goffman (1981, S. 40), Angehörige einer GescWechtskategorie seien dadurch gekennzeichnet, daß sie fähig und bereit sind, bei ihren GescWechtsdarstellungen einen bestimmten Plan einzuhalten. An anderer Stelle führt Goffman (1994c, S. 113) den Begriff "Genderismus" ein, um zu bezeichnen, daß das Handeln der Mitglieder einer GescWechtsklasse nicht "bloß als eine Reaktion der Individuen auf eine formal festgesetzte Regel angesehen werden kann", sondern "durch etwas motiviert und gestaltet ist, das den einzelnen Körpern innewohnt". In diesem Zusammenhang läßt sich das ethnomethodologische Konzept des doing gender aufnehmen. Der geschlechtliche Habitus ist Basis von doing gender, garantiert als ,,modus operandi" dessen Geordnetheit. Für das Individuum bedeutet das: Im Habitus hat es ein GescWecht ("opus operatum"), indem es ein GescWecht 'tut' ("modus operandi"). Insofern als dieses Tun nicht voluntaristisch beliebig ist, sondern im Rahmen des Habitus geschieht, ist GescWecht - obwoW dem Individuum als Merkmal zugeschrieben - keine individuelle Eigenschaftl20. Andererseits reproduziert sich der Habitus nur im Handeln, so daß GescWecht nicht etwas dem Handeln der Akteure Externes ist. Mit dieser intersubjektivitäts- und handlungstheoretischen Bestimmung läßt sich das ethnomethodologische Konzept des doing gender begrifflich differenzieren: "Gender is obviously much more than a role or an individual characteristic: it is a mechanism whereby situated social action contributes to the reproduction of social structure" (West/Fenstermaker 1995, S. 21).
119 Allgemein heißt es bei Bourdieu (1993, S. 111): "Die Soziologie behandelt alle biologischen Individuen als identisch, die als Erzeugnisse derselben objektiven Bedingungen mit denselben Habitusfonnen ausgestattet sind". 120 Hirschauer (1994, S. 673) sieht - unter Rekurs auf Bourdieu - auch den geschlechtlichen Körper in dieser Weise vergesellschaftet: "Daß Individuen nicht autonom über ihren Körper verfUgen, fUlut hier nicht auf den phänomenologischen Gedanken, daß sie ihr Leib sind, sondem auf den, daß er ihnen nicht allein gehört. Wem] Individuen ilu Leib sind, dann nicht ihr eigener. Der Habitus ist ein gesellschaftlicher Körper: mit Haut und Haaren gehölt er der Gesellschaft".
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Bourdieu bestimmt den Habitus als "einverleibte, zur Natur gewordene und damit als solche vergessene Geschichte" (1993, S. 105). Der gescWechtliehe Habitus ist verkörperte und naturalisierte Praxis par excellence. Hirschauer (1993, S. 60) bezeichnet den Körper als "fleischliches Gedächtnis von Darstellungen". Der Körper 'weiß', wie man sich darstellen muß, um als Frau bzw. als Mann anerkannt zu werden; im Körper ist die Geschlechtlichkeit habitualisiert. Stärker bzw. buchstäblicher als der Klassenhabitus scheint der geschlechtliche verkörpert zu sein. In den dominanten kulturellen Deutungsmustern über Geschlechtszugehörigkeit und GescWechterverhältnisse sind Kultur und Natur zu einer unauflösbaren Einheit verbunden '21 . Das Deutungsmuster des physiologischen Fundiertseins der GescWechterdifferenz bestimmt den cornmon sense, aber nicht nur diesen. Geschlechtscharaktere gelten als natürliche Folge des Dimorphismus 122 . Soziale Differenzierung kann sich auf die physiologische Differenz der Körper als unhintergehbare Basis berufen (vgl. Meuser 2005a). Eine Naturalisierung von sozialer Praxis und von historisch gewordenen Verhältnissen ist nirgendwo leichter zu bewerkstelligen als dort, wo der Rekurs auf ein körperliches Substrat möglich ist l23 • "Denn in diesem Fall findet die Transformation eines willkürlichen Produktes der Geschichte in Natur eine scheinbare Grundlage ... in den Erscheinungsformen des Körpers" (Bourdieu 1997b, S. 169). Die als zweite Natur realisierte Geschichte erscheint als erste, der geschlechtliche Habitus als von der Natur diktiertes Schicksal 124 . Mehr als beim Klassenhabitus ist beim geschlechtlichen verdeckt, daß eine soziale Praxis in Gestalt von Habitualisierungen in den Körper eingeschrieben worden ist. Das Unsichtbarmachen der Tatsache, daß der gescWechtliche Körper ein kulturell erzeugter ist, macht nachgerade die Kompetenz des doing gender aus. Ein Blick auf die gescWechtlichen 'Grenzgänger', 121 Auch Goffman (1981, S. 39) betont, daß das Verhältnis zur Natur ein Moment ist, hinsichtlich dessen sich Geschlechtslage und Klassenlage unterscheiden. ,,zusalmnenfassend können wir sagen, daß das Geschlecht, zusalmnen mit dem Lebensalter - vielleicht mehr als soziale Klassen und andere gesellschaftliche Unterteilungen -, ein Verständnis dafür ennöglicht, wie wir unsere Natur letztlich begreifen und wie oder wo wir diese atur zeigen sollen". 122 Dieses Deutungsmuster findet sich in einer Vielzahl der Gruppendiskussionen wieder, auf die im empirischen Teil der Arbeit eingegangen werden wird. 123 Daß dieses Substrat selbst kulturell erzeugt ist, hat Laqueur (1992) in seiner Sozialgeschichte des geschlechtlichen Körpers eindrucksvoll gezeigt. Dies kann hier jedoch vernachlässigt werden, weil die soziale Praxis den Körper als vorsozial wahmirrunt. 124 Wie diese Naturalisierung sozialgeschichtlieh entstanden ist, in welchen gesellschaftlichen Konstellationen, das zeigen Studien zur "Erfindung" der Geschlechtscharaktere in der bürgerlichen Gesellschaft (vgl. Hausen 1976; Honegger 1991; Frevelt 1995). Erst gegen Ende des 18. Jahrhundelts, mit der Etablierung der vergleichenden Anatomie konstituielt sich, so Honegger (1991, S. 8), "der Körper auf modeme Weise als erzeugungsmächtiger 'Analogien-Operator' (PielTe Bourdieu), der es vor allem gestattet, die Geschlechterdifferenz zu regulieren".
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auf die Transsexuellen, hilft, dies zu verdeutlichen. Der neue, ein dem angestrebten Geschlecht angemessener Körper muß mittels kunstvoller Praktiken gezielt erzeugt werden. Aber erst in dem Maße, in dem Transsexuelle die erlernten körperlichen Mittel der Geschlechtsdarstellung (Gesten, Tonlage beim Sprechen, Positionierung im Raum usw.) als erlernte vergessen, d.h. habitualisieren, entsteht ein geschlechtlicher Körper, der den Eindruck vermittelt, als sei er die Basis der geschlechtlichen Performanz, als seien die Darstellungen "nur sein natürlicher 'Verhaltensausdruck'" (Hirschauer 1993, S. 48). Erst wenn dies gelingt, wenn sich ein geschlechtlicher Habitus als selbstverständliche verkörperte Praxis entwickelt, ist eine Anerkennung im gewäWten Geschlecht gewährleistet. Das passing der Transsexuellen (Garfmkel 1967) läßt sich folglich begreifen als Tilgung von in den Körper eingeschriebenen Dispositionen, nämlich derjenigen, in die sie sozialisiert worden sind, und als gleichzeitiges Einschreiben angemessener neuer Dispositionen. Dieser Prozeß impliziert, daß Habitusformen erworben werden, die sich auf die Semantik der Ungleichheit der Geschlechter beziehen. Die symbolischen Ressourcen, deren sich die Unterscheidung von zwei Geschlechtern bedient, sind gewonnen aus den Unterschieden der Geschlechterordnung. Mit der Aneignung einer typisch weiblichen Art, sich zu kleiden, zu schminken, zu sprechen usw., wird auch eine bestimmte Position in einem sozialen Ordnungsgefiige eingenommen. Was Transsexuelle sich in mühsamen Lernprozessen intentional aneignen und dann als Angeeignetes wieder vergessen müssen, wird ansonsten im Sozialisationsprozeß eher beiläufig erworben. Dort wird "der Körper zu einer Art Analogien-Operator ausgebildet ... , der praktische Äquivalenzen zwischen diversen Teilungen der sozialen Welt stiftet - Teilung der Geschlechter, der Alters- und Gesellschaftsklassen ... Geleistet wird dies durch Integration der Symbolik sozialer Herrschaft und Unterwerfung mit der Symbolik sexueller Herrschaft und Unterwerfung im Rahmen ein-und-derselben Körpersprache" (Bourdieu 1987, S. 740f., Fn. 13). Untersuchungen über nonverbale Kommunikation haben gezeigt, daß die ,,Körperstrategien", mit denen Dominanz zwischen Statushohen und Statusniedrigen hergestellt und ausgedrückt wird, denen gleichen, die in der Interaktion von Männern und Frauen zum Tragen kommen (vgl. Henley 1988; Bourdieu 1993, S. 132f.). Auf die sozialisatorische Aneignung des geschlechtlichen Habitus durch das Individuum kann hier ebensowenig eingegangen werden 125 wie auf die 125 Eine sozialisationstheoretische Analyse der Ausbildung des Habitus fehlt bislang nicht nur bezogen auf den geschlechtlichen Habitus (vgl. Maihofer 2002). Bourdieu selbst weist zwar gelegentlich auf die Bedeutung der Sozialisation fiir die Herausbildung des Habitus hin (vgl. z.B. Bourdieu 1987: 739ff.) - und man kann mit Liebau (1993: 264) das HabitusKonzept "als eine implizite SozialisationstheOlie verstehen" -, ein darauf gelichtetes Forschungsprogramm entwickelt Bourdieu jedoch nicht. Sein Untersuchungsgegenstand sind die Sozialisationsergebnisse, nicht der Sozialisationsprozeß (vgl. Bauer 2002: 137). Bour-
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Sozialgeschichte der gesellschaftlichen und kulturellen Genese des weiblichen und des männlichen Habitus. Hier soll eine andere Frage behandelt werden, deren Beantwortung wichtig ist für die Interpretation der im empirischen Teil präsentierten Daten. Gibt es pro Geschlecht einen Habitus oder mehrere? Gibt es jeweils eine geschlechtliche Soziallage oder mehrere? In der Bourdieuschen Konzeption des Klassenhabitus eignet einer sozialen Klasse ein und nur ein Habitus. Soziologische Modernisierungstheorien betonen das Aufbrechen von tradierten Bindungen und Zugehörigkeiten. "Jenseits von Stand und Klasse", heißt es bei Beck (1983). Auch von GescWecht? Die Frauenforschung thematisiert im Zuge einer Abkehr von einer auf weiße Frauen der Mittelschicht zentrierten Perspektive (vgl. WestlFenstermaker 1995, S. 10ff.) mehr und mehr die Vielfalt von weiblichen Lebenswelten und weiblichen Lebensentwürfen. In den men 's studies ist es üblich geworden, von Männlichkeiten zu sprechen und den Singular zu vermeiden. All dies wird gewöhnlich mit dem vorsorglichen Hinweis versehen, eine postmoderne Beliebigkeit sei damit nicht verbunden. Im Hinblick auf Weiblichkeit und Männlichkeit den Plural zu verwenden steht einem Konzept von jeweils einem geschlechtlichen Habitus nicht entgegen. Hier sind unterschiedliche Dimensionen angesprochen: zum einen Ausdrucksformen (Männlichkeiten), zum anderen ein generierendes Prinzip (Habitus). Dies führt zu folgender These: Es gibt pro Geschlecht einen Habitus, also einen männlichen und einen weiblichen. Der jeweilige Habitus manifestiert sich nicht in einer Uniformität von Handlungen, Einstellungen, Attributen; es gibt vielmehr unterschiedliche Ausprägungen von Weiblichkeit und Männlichkeit, wobei soziales Milieu, Generationszugehörigkeit, Entwicklungsphase und familiäre Situation sich als lebensweltliche Erfahrungshintergründe erweisen, deren Relevanzstrukturen Einfluß auf die Muster haben, in denen sich der geschlechtliche Habitus manifestiert. Selbst dort, wo der gescWechtliche Habitus intentional geleugnet bzw. abgelehnt wird, erweist sich - im Sinne der Dialektik von Determination und Emergenz - seine strukturelle Macht. Der Begriff des geschlechtlichen Habitus unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von dem verbreiteten Konzept der GescWechtsrolle: Habitus meint nicht, daß man eine Geschlechtsrolle hat, sondern daß man alles Handeln, gleichgültig, welche spezifische Rolle jeweils aktualisiert ist, nach einem bestimmten erzeugenden Prinzip gestaltet. Soziale Rollen sind an bestimmte Positionen in bestimmten sozialen Situationen gebunden (Lehrerrolle, Vaterrolle usw.). Daraus ergibt sich ein dieu begnügt sich mit dem Hinweis, dass die GlUndlagen des Habitus in der pli mären Sozialisation gelegt werden. - An anderer Stelle habe ich den Bourdieuschen Begliff der "StlUkturübung" für eine Analyse der Aneignung einer elwachsenen Männlichkeit während der Adoleszenz flUchtbar zu machen versucht (vgl. Meuser 2006a).
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fundamentales konzeptionelles Problem des Geschlechtsrollenbegriffs, ist doing gender doch virtuell in jeder sozialen Situation gefordert. Dieses Problem vermeidet der Begriff des Geschlechtshabitus. Er stellt damit Geschlecht konzeptionell, hinsichtlich des Stellenwertes als soziologische Kategorie, dem Begriff der Klasse gleich, bestimmt Geschlecht mithin als Gegenstand der allgemeinen Soziologie, während die Kategorie der Geschlechtsrolle eher auf eine spezielle Soziologie verweist. Auch wenn ein Individuum in einer sozialen Rolle aufgehen mag, der Rollenbegr!ff faßt die Rolle als eine gesellschaftlich organisierte Erwartungshaltung, die dem Akteur äußerlich bleibt, und nicht als inkorporierte soziale Struktur. Von Rollen kann man sich distanzieren, der Habitus als 'fleischliches Gedächtnis' zeugt beständig von der Macht der Struktur. Geschlechtsrolle ist ein komplementär konzipierter Begriff. Komplementarität kann sowohl symmetrisch als auch asymmetrisch gedacht werden. Habitus faßt das Geschlechterverhältnis als Ungleichheitsrelation. Die Überlegungen zum geschlechtlichen Habitus sind Ergebnis zum einen der Adaptation der Bourdieuschen Theorie auf die Geschlechterlage, zum anderen der Interpretation der Daten. Da diese Daten einem Forschungsprojekt über "kollektive Orientierungen von Männern" entstanunen, soll die These im folgenden anband des männlichen Geschlechtshabitus erläutert werden. Damit ist zugleich eine Überleitung zum empirischen Teil der Arbeit verbunden. Diese thematische Spezifizierung macht eine Einschränkung notwendig. Die Ausfuhrungen zum männlichen Geschlechtshabitus beruhen auf datenbasierter Theoriebildung (grounded theory). Inwieweit der weibliche Geschlechtshabitus ähnlich strukturiert ist, bedürfte einer empirischen Prüfung, die entweder in einer vergleichbaren empirischen Studie vorgenommen werden könnte oder die vorhandenen Untersuchungen über weibliche Lebenswelten, Weiblichkeitsmuster u.ä. entsprechend rekonstruieren müßte. Beides steht außerhalb des Fokus der vorliegenden Arbeit.
4.3 Der männliche Geschlechtshabitus - zugleich ein Versuch der Präzisierung des Konzepts der hegemonialen Männlichkeit/ 26 Im geschlechtlichen Habitus ist inuner zweierlei ausgedrückt: eine Strategie der Differenz und eine Position im Gefuge der Geschlechterordnung. An die Unterscheidung von Männem und Frauen knüpfen sich Unterschiede. Eine Konzeption des männlichen Geschlechtshabitus muß mithin sowohl berücksichtigen, wie Mannsein in Abgrenzung von Frausein sich konstituiert (Di126 Dieses Kapitel ist gegenüber der Erstauflage stark elweitelt worden. Die Elweitenmg basielt auf einem Aufsatz, aus dem zentrale Passagen übemommen worden sind (vgl. Meuser 2006b).
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mension der Differenz), als auch, wie in der Herstellung der Differenz männliche Dominanz entsteht (Dimension der Ungleichheit). Die beiden Dimensionen können allenfalls analytisch voneinander geschieden werden, und auch das nur schwierig. Auch dort, wo scheinbar neutral weibliche und männliche Eigenschaften gegenübergestellt (etwa in sozialpsychologischen Studien der Geschlechterdifferenzforschung) oder wo Muster der Handlungs- und Weltorientierung (z.B. die Parsonsschen pattern variables) gescWechtlich konnotiert werden, folgt die Ungleichheit gleichsam auf dem Fuße. Die kulturelle Wertigkeit von Orientierungsalternativen wie aktiv versus passiv oder universalistisch versus partikularistisch ist immer mitpräsent und immer mitgedacht. Noch in der feministischen Aufwertung des Duldenden, der Weltverbundenheit usw. (z.B. bei Chodorow oder bei Gilligan) - in Bourdieuscher Terminologie: des weiblichen kulturellen Kapitals - kommt die kulturell dominierende Werteordnung zum Tragen und zum Ausdruck. In den vorliegenden soziologischen Versuchen von Simmel bis Connell, ein Konzept von Männlichkeit zu entwerfen, wird allemal deutlich, daß doing gender doing difJerence ist und daß die Herstellung der Differenz sich der gesellschaftlichen Semantik sozialer Ungleichheit bedient. Es wird aber auch deutlich - und dies wiederum bereits bei Simmel -, daß die Invisibilisierung des Geschlechtlichen im Handeln von Männern ein entscheidendes Merkmal und die zentrale 'Strategie' des männlichen doing gender ist, mithin Bestimmungselement des männlichen Habitus. Die Transformation von Macht in Recht ist für Simmel Ausdruck und Mittel dieser Invisibilisierung. Aus dem willkürlichen "Ausnutzer der Macht" wird "der Träger einer objektiven Gesetzlichkeit" (Simmel 1985, S. 202). Schon bei Simmel wird der Zusammenhang von Differenz und Dominanz deutlich, wird sichtbar, wie Differenz sich in und durch Dominanz herstellt. Dominanz, Über- und Unterordnung, Abhängigkeiten und Ungleichheiten gibt es nicht nur im Verhältnis der GescWechter zueinander, sondern auch in binnengescWechtlichen Beziehungen. In Connells Begriff der ,,hegemonialen Männlichkeit" ist dies festgehalten. Ausgangspunkt der Connellschen Theorie von Männlichkeit ist die gesellschaftliche Dominanz von Männem über Frauen. Die soziale Konstruktion von Männlichkeit kann nur adäquat begriffen werden, wenn zugleich die Qualität der Konstruktion der GescWechterdifferenz berücksichtigt wird. Die Relationalität der Kategorie GescWecht ist unaufhebbar. Insofern als das Konzept der hegemonialen Männlichkeit Männlichkeit nicht als eine Eigenschaft der individuellen Person begreift, sondern als in sozialer Interaktion - zwischen Männem und Frauen und von Männern untereinander - (re-)produzierte und in Institutionen verfestigte Handlungspraxis, liegt diesem Konzept eine Logik zugrunde, die der des Habitusbegriffs kompatibel ist.
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Der Begriff der hegemonialen Männlichkeit stellt das kulturell erzeugte Einverständnis der Unterprivilegierten heraus. Dieses, nicht so sehr physische Gewalt, garantiert das Funktionieren der Geschlechterordnung. Bourdieu spricht im Zusammenhang mit männlicher Dominanz von symbolischer Gewalt. " Symbolische Gewalt übt einen Zwang aus, der durch eine abgepreßte Anerkennung vermittelt ist, die der Beherrschte dem Herrschenden zu zollen nicht umhin kann" (Bourdieu 1997b, S. 164). Diese Gewalt funktioniert nur solange, wie sie nicht als solche erkannt wird. Das kulturell erzeugte Einverständnis begründet eine gewisse 'Komplizenschaft' zwischen 'Opfer' und 'Täter' (vgl. Krais 1993, S. 232f.)127. In privaten Beziehungen zwischen Frauen und Männern unterstützen die Erotisierung der Dominanz und die Tatsache, daß solche Beziehungen nicht selten auf Liebe gründen, die 'Komplizenschaft' (vgl. Dröge-Modelmog 1987). Gesellschaftlich wird sie abgesichert durch einen kulturellen Moralkonsens sowie durch einen Rekurs auf allgemeingültige Deutungsmuster l28 . Feministische Diskurse versuchen die Allgemeinheit, d.h. Geschlechtsneutralität solcher Deutungsmuster als geschlechtlich konnotiert zu dekonstruieren. Ein prominentes Beispiel ist Gilligans (1984) These, die herrschende Gerechtigkeitsmoral sei keine universelle, sondern eine spezifisch männliche Moral. Hegemoniale Männlichkeit ist der Kern des männlichen Habitus, ist das Erzeugungsprinzip eines vom männlichen Habitus bestimmten doing gender bzw. doing masculinity, Erzeugungsprinzip und nicht die Praxis selbst. Als Grundlage bzw. generierendes Prinzip des männlichen Habitus benennt Bourdieu eine "libido dominandi", die das Handeln des Mannes sowohl gegenüber anderen Männern als auch gegenüber Frauen strukturiert. '29 Damit 127 Umgekehrt implizielt ein Aufkündigen der Komplizenschaft, symbolische Gewalt als Gewalt zu thematisieren. Das ist die Strategie des Feminismus. "Im ideologischen Kampf zwischen Gl1Ippen (z.B. Alters- oder Geschlechtsklassen) oder gesellschaftlichen Klassen um die Definition der Wirklichkeit wird der symbolischen Gewalt als verkannter und anerkalUller, also legitimer Gewalt das Bewußtmachen der Willkür gegenübergestellt, das den HelTschenden einen Teil ihrer symbolischen Stärke nimmt, indem es Verkennung beseitigt" (Bourdieu 1993, S. 244, Fn. I). 128 An der besagten 'Komplizenschaft' scheitem u.a. immer wieder Versuche, Maßnahmen positiver Diskriminierung zugunsten von FIauen zu implementieren (vgl. Meuser 1992). 129 Der aus der Psychoanalyse übemOlllinene Begliff der libido suggelielt ein essentialistisches Verständnis männlicher HelTschaft, so als gäbe es einen natürlichen Tlieb des Malmes zu heITSchen. lnsofem ist der Begliff nicht glücklich gewählt, delm ein solches Verständnis mälmlicher Hen'Schaft ist bei Bourdieu nicht angelegt. Er nilllillt vielmehr an, daß die Ausbildung einer libido dominandi das Resultat männlicher Sozialisation ist, in der "die Männer dazu erzogen werden, die gesellschaftlichen Spiele anzuerkennen, deren Einsatz irgendeine Fonn von HelTschaft ist" (Bourdieu 2005, S. 133), und er begreift die mälmliche HeITSchaft trotz ilu'er nahezu ubiqitären Verbreitung nicht als eine ahistolische Tatsache. Vielmelu' bezeichnet er es als die Aufgabe historischer FOI'Schung zu erfassen, auf welche Weise es gelingt, "die mätmlichen Hen'Schaftsverhältnisse mehr oder weniger vollständig der Geschichte zu entziehen" (ebd., S. 146; Hervorhebung im Original).
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meint er ein Bestreben, "die anderen Männer zu dominieren, und sekundär, als Instrument des symbolischen Kampfes, die Frauen". Wie im Konzept der hegemonialen Männlichkeit wird männliche Dominanz sowohl in der heteroals auch in der homosozialen Dimension betrachtet. Allerdings unterscheiden sich die Akzentuierungen. Connell rückt die heterosoziale Dimension in den Vordergrund. "The main axis ofpower in the contemporary European/American gender order is the overall subordination of women and dominance of men" (Connell 1995, S. 74). Bourdieu hingegen scheint der homosozialen Dimension ein stärkeres Gewicht beizumessen l30 . Ihm zufolge wird der männliche Habitus "konstruiert und vollendet ... nur in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen" (Bourdieu 1997b, S. 203). Die Spiele, die Bourdieu anführt, werden in all den Handlungsfeldern gespielt, welche die GescWechterordnung der bürgerlichen Gesellschaft als die Domänen männlichen Gestaltungswillens vorgesehen hat: in der Ökonomie, der Politik, der Wissenschaft, den religiösen Institutionen, im Militär, aber auch in semi- und nichtöffentlichen Handlungsfeldern, in denen Männer unter sich sind: in Vereinen, Clubs, Freundeskreisen. Den Frauen ist in diesen Feldern eine marginale, für die Her- und Darstellung von Männlichkeit gleichwoW nicht unwichtige Position zugewiesen: Sie seien "auf die Rolle von Zuschauerinnen oder, wie Virginia Woolfsagt, von schmeichelnden Spiegeln verwiesen, die dem Mann das vergrößerte Bild seiner selbst zurückwerfen, dem er sich angleichen soll und will" (Bourdieu 1997b, S. 203). Bourdieu streicht zwei miteinander verbundene Aspekte heraus: die kompetitive Struktur von Männlichkeit und den homosozialen Charakter der sozialen Felder, in denen der Wettbewerb stattfmdet 13l • Dieser wird unter Männern ausgetragen, die einander als ,,PartnerGegner" (Bourdieu 2005, S. 83) gegenüberstehen. Der Wettbewerb trennt die Beteiligten nicht (oder nicht nur), er resultiert nicht nur in Hierarchien der Männer untereinander, er ist zugleich, in ein- und derselben Bewegung, ein Mittel märmlicher Vergemeinschaftung. Wettbewerb und Solidarität gehören untrennbar zusammen (vgl. hierzu ausführlicher Meuser 2003a).132 130 Ähnlich heißt es bei Kimmel (1996, S. 7): "Masculinity is largely a homosocial enactment." 131 Ähnlich wie Bourdieu argumentielt Steinelt (1997: 122), ausgehend von kJiminologischen Forschungen, MälUllichkeit sei ,,zuerst eine Sache zwischen Männem, die Frauen nur in unterstützenden Rollen braucht. Es ist die KonkulTenz zwischen Männem, die Männlichkeit bestimmt." 132 Reichhaltiges Anschauungsmatelial bieten sowohl historische Studien zu Männerbünden (Dinges 1994; Frevelt 1991; Objaltel1984) als auch Ethnographien mälUllich domini elter Jugendsubkulturen (Teltilt 1996; Klein/Friedrich 2003). Eine äußerst prägnante FonnulieIlJng findet Norbelt Elias (1989, S. 132) in seinen "Studien über die Deutschen" mit Blick auf die von Verbindungsstudenten praktizielten Trinlaituale: "man trank mit- und gegeneinander um die Wette" (Hervorhebung: MM).
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Zum Zusammenhang von homo- und heterosozialer Konstitution von Männlichkeit bemerkt Bourdieu (2005, S. 96): Männlichkeit ist "ein eminent relationaler Begriff, der vor und für die anderen Männer und gegen die Weiblichkeit konstruiert ist, aus einer Art Angst vor dem Weiblichen" (Hervorhebungen im Original). Hegemonie ist die kulturell vorgegebene Form, in der Männlichkeit "gegen Weiblichkeit konstruiert ist", und sie ist ,Spieleinsatz' im Wettbewerb der Männer untereinander, d.h. in der Konstruktion von Männlichkeit "vor und für die anderen Männer". Aus dieser habituellen Basis der Konstruktion von Männlichkeit resultiert allerdings keine GleichfOrmigkeit des doing masculinity. Der männliche Habitus äußert sich in einer Vielzahl von Formen: in der homosozialen Dimension in allen möglichen Formen des Wettbewerbs: vom verbalen, vielfach scherzhaften Wettstreit über berufliche Konkurrenzen bis hin zu mannmännlichem Gewalthandeln; in der heterosozialen Dimension in einer Verantwortlichkeit für Wohl und Wehe der Familie (Mann als Ernährer und Oberhaupt der Familie), in Formen prosozialen Handelns (Beschützer), aber auch in physischer Gewalt gegen Frauen. In der einen wie in der anderen Dimension ist die hypermaskuline Ausprägung (symbolisiert in den Figuren des Rambo und des Macho) die Ausnahme und nicht die Regel. Ein habitustheoretisches Verständnis von Männlichkeit fragt nach der Einheit in der Differenz, d.h. nach strukturellen Homologien, die erklären, in welcher Hinsicht z.B. solche prima facie disparaten Handlungsweisen wie eine prosoziale Zuvorkommenkeit einerseits und eine verletzende Gewaltanwendung andererseits gleichermaßen Ausdruck oder Dokument des männlichen Habitus sind. Man kann Connell darin zustimmen, daß in der gegebenen westlichen GescWechterordnung die Unterordnung von Frauen und die Dominanz von Männern die wichtigste Achse der Macht ist, und gleichwohl Bourdieu darin folgen, daß Männlichkeit sich in den ernsten Spielen des Wettbewerbs konstituiert, den die Männer untereinander austragen. Dazu bedarf es allerdings einer Revision des Begriffs der hegemonialen Männlichkeit bzw. einer begrifflichen Unterscheidung einer gesellschaftlichen Suprematie des männlichen Geschlechts einerseits und von hegemonialer Männlichkeit als generativem Prinzip der Konstruktion von Männlichkeit andererseits. Beides wird in der Rezeption des Konzepts der hegemonialen Männlichkeit allzu oft konfundiert, aber auch bei Connell selbst nicht hinlänglich differenziert. Nicht jede Dominanz von Männern über Frauen konstituiert hegemoniale Männlichkeit. Hegemoniale Männlichkeit ist ein relationaler Begriff, dessen Vergleichshorizonte auf der homosozialen Achse zu suchen sind. Von hegemonialer Männlichkeit zu sprechen macht nur Sinn, wenn man die hegemoniale zu nicht-hegemonialen Männlichkeiten in Relation setzt. Auch Connell benennt andere, nicht-hegemoniale Männlichkeiten; aber er zieht daraus nicht die theoriestrategische Konsequenz, daß Männlichkeit sich auch und mindestens so 125
sehr wie in Relation zu Weiblichkeit entlang der homosozialen Achse sozialer Differenzierung formt. Nicht-hegemonial sind Connell (1995, S. 78ff.) zufolge die "untergeordnete", die "komplizenhafte" und die "marginalisierte" Männlichkeit (s. Kap. 3.2). Als untergeordnet bezeichnet er die homosexuelle Männlichkeit. Komplizenhaft ist seinem Verständnis zufolge die - vermutlich den Regelfall darstellende - Männlichkeit derjenigen Männer, die die hegemoniale Männlichkeit nicht verkörpern (können), diese aber unterstützen, so daß sie an der "patriarchalen Dividende" teilhaben. Als marginalisiert versteht er die Männlichkeiten untergeordneter Klassen oder ethnischer Gruppen. An dieser Unterscheidung könnte man ihre beträchtliche begriffliche Unschärfe kritisieren 133 ; untergeordnet sind all diese Männlichkeiten, und marginalsiert ist eher die homosexuelle Männlichkeit als diejenige der Arbeiterklasse, welche sich im Sinne Connells durchaus als "komplizenhaft" verstehen ließe. Eine Präzisierung der Connellschen Unterscheidung soll hier jedoch nicht versucht werden. Stattdessen werde ich die Relation von Männlichkeiten in den Fokus rücken, die sich der Verankerung in unterschiedlichen sozialen Strata verdanken, wie sie durch Klassen-, Milieu- oder ethnische Zugehörigkeit bestimmt sind. In deren Betrachtung liegt m.E. der ScWüssel für eine begriffliche Präzisierung des Konzepts der hegemonialen Männlichkeit. Das theoriestrategische Problem wird von Connell (1995, S. 79) selber folgendermaßen formuliert: "If a large number of men have some connection with the hegemonic project but do not embody hegemonic masculinity, we need a way of theorizing their specific situation" (Hervorhebung: M.M.). Connells Begriff der komplizenhaften Männlichkeit vermag dies m.E. nicht zu leisten. Die in der Figur des Komplizen enthaltene Vorstellung einer intentional erfolgenden Unterstützung einer,Tat' wird dem komplexen Gefüge der Konstruktion von Männlichkeit nicht gerecht. Stattdessen - und gegen eine voluntaristische Lesart hegemonialer Männlichkeit - soll hier, anknüpfend an Bourdieus (1987, S. 279) Bestimmung des Habitus als "System generativer Schemata von Praxis" ein habitustheoretische Verständnis von hegemonialer Männlichkeit als generativem Prinzip entfaltet werden. Das meint: Männlichkeit wird im Modus der Hegemonie hergestellt, hegemoniale Männlichkeit ist die Orientierungsfolie des doing masculinity, die ernsten Spiele des Wettbewerbs sind immer Spiele um Macht, Dominanz und Überlegenheit. Das Ergebnis dieses Herstellungsprozesses ist aber nicht notwendigerweise und nicht einmal überwiegend die Konstitution einer hegemonialen Männlichkeit. Diese wird als institutionalisierte Praxis in aller Regel eher verfehlt. Doch liegt auch der Herstellung untergeordneter Männlichkeiten das gleiche generative Prinzip zugrunde. Auch diejenigen, die in diesen Machtspielen unterliegen, agieren dadurch, daß sie sich auf diese Spiele einlassen - und sich ein133 Die nicht-hegemonialen Männlichkeiten werden von Connell eher vage, zum Teil nur mittels einer Benennung von Beispielen bescluieben (vgl. auch Budde 2006).
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lassen heißt vor allem, die Spielregeln zu akzeptieren -, gemäß der Logik des generativen Prinzips der hegemonialen Männlichkeit. Ihr ,Spielsinn' ist nicht weniger als derjenige der Überlegenen von diesem Prinzip durchdrungen. Dies läßt sich besonders gut an den Spielen des Wettbewerbs beobachten, den männliche Jugendliche und junge Männer untereinander austragen, da hier die Wettbewerbslogik vielfach in übersteigerter Form enaktiert wird - als Strukturübung zur Aneignung einer erwachsenen Männlichkeit (vgl. Meuser 2006a) In einer ethnographischen Studie über eine Gruppe adoleszenter türkischer Migranten der zweiten Einwanderungsgeneration, die Turkish Power Boys, beschreibt Tertilt (1996, S. 198ff.), wie in ritualisierten Rededuellen unter den Gruppenmitgliedem auf spielerische Weise die männliche Ehre verteidigt wird. In diesen Duellen beleidigen sich die Akteure wechselseitig, aber diese Wortgefechte sind gewöhnlich kein Ausdruck von Feindseligkeiten. Die Rededuelle werden in Reimform ausgetragen, und jeder versucht, den anderen an verbaler Virtuosität zu überbieten. "Derjenige, der die Reimform nicht beherrschte oder dessen Antworten zu harmlos ausfielen, gerät in die Position des Schwächeren. Schlimmer aber noch als fonnale und inhaltliche Mängel in der Erwiderung waren Wiederholungen oder gar keine Antwort." (Ebd., S. 201) Fatal ist es also, sich dem Wettbewerb nicht zu stellen. Aber, die Mitglieder dieser Gruppe wissen genau, was sie tun müssen 134. Der Wettbewerb innerhalb der Gruppe findet seine Fortsetzung in Auseinandersetzungen mit anderen männlichen Jugendlichen und jungen Männern. Bei den Turkish Power Boys sind dies autochthone männliche Jugendliche, denen Jacken und andere Kleidungsstücke, Geld sowie sonstige Gegenstände (Walkman, Fahrrad) meist unter Androhung und/oder Anwendung von Gewalt entwendet werden. Das Motiv ist weniger finanzieller Art, sondern "die Demütigung des Opfers" (ebd., S. 32), für dessen Auswahl die ethnische Zugehörigkeit von zentraler Bedeutung ist. "Kennzeichnend für diese Delikte war das Prinzip: ,Nur Deutsche! Wir haben es immer von Deutschen abgerippt. '" (Ebd., S. 33).
Durch die gewaltsame Erniedrigung des ethnisch markierten Opfers entsteht eine situative Dominanz und Überlegenheit der jungen türkischen Männer über Angehörige der hegemonialen Kultur, die als ausgrenzend erfahren wird. Gleichwohl wird damit, auch wenn die Aktion der Herstellungslogik hegemonialer Männlichkeit folgt, keine hegemoniale Männlichkeit konstituiert, viel134 Homologe Fonnen verbalen Wettstreits finden sich auch in anderen männlich geprägten Jugendkulturen, z.B. in der HipHop-Szene in Gestalt des sog. dissen. Dissen meint das Zeigen von dis-respect (Klein/Friedlich 2003, S. 38ff.). Es ist eine ritualisierte Fonn des Beschimpfens oder Beleidigens eines anderen Hiphoppers, dem z.B. vorgeworfen wird, sein Stil sei ein Plagiat. Klein und Fliedrich führen hierzu aus: "Dissen hat Wettbewerbscharakter: Wird jemand gedisst, dann reagielt dieser, indem er noch beleidigter zuliickdisst. Eine Kette von Beschimpfungen ist vorprogrammielt: Dissen provoziert Streit und Dissen ist das Mittel, einen Streit auszutragen." (Ebd., S. 41) Wie bei den Turkish Power Boys ist der verbale Wettstreit auch hier Teil des litualisielten Verhaltensrepeltoires. Er wird nicht gemieden, er wird eher gesucht. Und damit wird auch der Druck gesucht, der einem jeden Wettstreit inhärent ist.
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mehr eine untergeordnete und marginalisierte Männlichkeit. Connell und Messerschmidt (2005, S. 847ff.) bezeichnen die Männlichkeit marginalisierter ethnischer Gruppen als eine "Protest-Männlichkeit", die den Anspruch auf Macht verkörpert, der für hegemoniale Männlichkeit typisch ist, der es aber an den ökonomischen Ressourcen und der institutionellen Autorität feWt, mit denen der Anspruch auf Hegemonie eingelöst werden kann. Anhand einer weiteren empirischen Studie zum Verhältnis von Ethnizität und Männlichkeit läßt sich zeigen, daß die herausfordernde (Protest-)Männlichkeit und die herausgeforderte ("legitime") Männlichkeit gemäß dem gleichen generativen Prinzip konstruiert sind. Bohnsack (2001) hat anhand von Gruppendiksussionen und Interviews mit jugendlichen türkischen Migranten der zweiten und dritten Generation analysiert, in welcher Weise der gescWechtliche und der ethnische Habitus bei diesen männlichen Jugendlichen eng ineinander verwoben sind. Seine Ausführungen zum Komplex der männlichen Ehre bei einer Teilpopulation l35 dieser Jugendlichen sind instruktiv zum Verständnis der Art und Weise, wie hegemoniale Männlichkeit als generatives Prinzip funktioniert und dabei soziale Praxen generiert, die keine hegemoniale, sondern eine untergeordnete Männlichkeit konstituieren. Diesen jungen Männern, die vergleichsweise fest (in Relation zu anderen Teilpopulationen männlicher Jugendlicher türkischer Herkunft) in einer von traditionellen Werten bestimmten ,türkischen' Kultur verankert sind, ist die Wahrung der männlichen Ehre eine durch nichts zu erschütternde Selbstverständlichkeit. Die Ehre zu wahren verlangt von ihnen u.a., Kontrolle über ihre Frauen, ihre Freundinnen, auch über ihre Schwestern auszuüben, und das vor allem in Situationen zu tun, in denen die Frauen sich in der Öffentlichkeit bewegen. "Das bedeutet auch, daß diese Kontrolle nicht durch ein persönliches und auf das Individuum bezogenes Mißtrauen (im Sinne einer ,Eifersucht') motiviert ist. Es ist vielmehr Element der habituellen Disposition des Mannes, des männlichen Habitus schlechthin" (Bohnsack 2001, S. 57). Diesen Männern ist es beispielsweise unverständlich, daß deutsche Männer ihren Frauen gestatten, ohne ihr Beisein mit Arbeitskollegen ein Restaurant aufzusuchen. Sie selbst würden so etwas niemals erlauben: "Man hat doch seinen Stolz und seine Ehre", begründet einer der Männer diese Haltung. Unverständlich ist diesen Männern auch, daß deutsche Männer nicht sofort - verbal und auch handgreiflich - intervenieren, wenn ein anderer Mann der eigenen Freundin oder Frau nachschaut. Diese ,Laschheit' erweckt Zweifel an der Männlichkeit der deutschen Männer; in den Augen dieser männlichen Jugendlichen türkischer Herkunft sind sie keine ,richtigen Männer', weil sie die männliche Ehre nicht verteidigen bzw. weil ihnen diese Ehre kein zu verteidigender Wert ist.
135 Das hier geschilderte Beispiel ist ebenso wenig wie das der Turkish Power Boys als exem· plarisch rur die kollektive Orientienmg der mälmlichen Jugendlichen türkischer Herkunft in Deutschland zu verstehen, die es als homogene Einheit ebenso wenig gibt wie die Männer oder die Frauen. Die Beispiele sind allein wegen ilu'es heutistischen Potentials gewählt.
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Dieses Beispiel dokumentiert eine spezifische Konfiguration von geschlechtlichem und ethnischem Habitus. Die GescWechterdifferenz wird genutzt, um die ethnische Differenz zu akzentuieren, und umgekehrt macht es die ethnische Zugehörigkeit notwendig, die rigiden Vorstellungen, was ein geschlechtsadäquates Verhalten ausmacht, durchzusetzen. Doing gender und doing ethnicity sind gewissermaßen wechselseitig genutzte Ressourcen l36 • Die - aus der Perspektive der deutschen Majoritätskultur - übersteigerte Markierung männlicher Hegemonieansprüche verschärft die ethnische Abgrenzung. Umgekehrt dürfte die ethnische Rahmung dieser Ansprüche einer Akzeptanz unter deutschen Männern nicht förderlich sein. Auf diese Weise erzeugen diese jungen Männer türkischer Herkunft, obwoW ihrer Konstruktion von Männlichkeit hegemoniale Männlichkeit als generatives Prinzip zugrunde liegt (nämlich Streben nach Dominanz gegenüber Frauen und gegenüber anderen Männern), eine "untergeordnete Männlichkeit", untergeordnet in Bezug auf die in DeutscWand üblichen Standards der Performanz hegemonialer Männlichkeit. Diese sehen keine derart umfassende Kontrolle und Verfügung über die Freundin oder die Ehefrau vor. Die Verteidigung der Ehre mittels umfassender Kontrolle, Verfügung über, aber auch Schutz von Frauen kann zugleich als milieuspezifisches Männlichkeitsideal verstanden werden, das in diesem, aber eben nur in diesem sozialen Milieu dominant ist. Hegemoniale Männlichkeit wird in diesem Beispiel sichtbar als generatives Prinzip des doing masculinity. Es ist in dieser Hinsicht bestimmt durch ein doppeltes, die hetero- wie die homosoziale Dimension umfassendes Hegemoniebestreben. Die (beanspruchte) Hegemonie in der heterosozialen Dimension ist immer auch (symbolischer) ,Spieleinsatz' in den ernsten Spielen des Wettbewerbs, den die Männer unter sich austragen. In diesem Sinne spricht Bourdieu (2005, S. 95) von der "Heteronomie aller Männlichkeitsbekundungen, ihre(r) Abhängigkeit vom Urteil der Männergruppe." Was hier beispielhaft anband der Relation von gescWechtlicher und ethnischer Dimension erläutert wurde, ist gleichermaßen mit Blick auf andere Dimensionen sozialer Stratifikation zu leisten. Im empirischen Teil der Arbeit ist eine Sequenz aus einer Gruppendiskussion mit Facharbeitern (s. Kap. 7.2) wiedergegeben, in der die beteiligten Männer vehement den Anspruch männlicher Dominanz in Ehe und Familie behaupten: der Mann als Ernährer und Oberhaupt der Familie. Anders als ihre GescWechtsgenossen aus einem höheren sozialen Milieu sind sie allerdings nicht (mehr) in der Lage, eine diesem Anspruch entsprechende ökonomische Basis zu erwirtschaften. Obwohl sie selbst sehen und es auch thematisieren, daß der Mann (in ihrem sozialen Mi136 IIse Lenz (1996, 219) velwendet den Begliff der Konfiguration, um - gegen ein additives Verständnis - zu betonen, daß die Handelnden "einzelne Elemente der Geschlechtsrollen, ih.res ethnischen Hintergmnds usw. auswählen, kombinieren oder aber hemnterspielen und venneiden".
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lieu) nicht mehr derjenige ist, der allein oder überwiegend das Familieneinkommen sichert, halten sie an der hegemonialen Selbstdefinition als Ernährer der Familie fest. Ein anderes Vokabular als das hegemoniale ist ihnen nicht zuhanden. Auch bei ihnen ist wie bei den jungen Männer türkischer Herkunft hegemoniale Männlichkeit das generative Prinzip des doing masculinity, aber auch sie verkörpern keine hegemoniale Männlichkeit, auch ihre Männlichkeit ist eine untergeordnete - im Unterschied zu der Männlichkeit der jungen Männer türkischer Herkunft allerdings keine marginalisierte. Der Bestimmung von hegemonialer Männlichkeit als generativem Prinzip des doing masculinity in beiden Dimensionen (der hetero- wie der homosozialen) wird von Connell zu wenig Beachtung geschenkt. Wenn er hegemoniale Männlichkeit als Orientierungsmuster beschreibt, das, da es von den meisten Männern gestützt wird, ein effektives Mittel zur Reproduktion der Machtrelationen zwischen den Geschlechtern darstellt (s.o.), dann ist ein Verständnis von hegemonialer Männlichkeit als generativem Prinzip zwar angelegt, es wird jedoch nicht elaboriert. Connells Bemühungen sind stärker darauf gerichtet, hegemoniale Männlichkeit inhaltlich zu explizieren: als "the masculinity that occupies the hegemonie position in a given pattern of gender relations" bzw. als "the configuration of gender practice which embodies the currently accepted answer to the problem of the legitimacy of patriarchy, which guarantees (or is taken to guarantee) the dominant position of men and the subordination ofwomen" (ConneIl1995, S. 76f.). Ein derartige inhaltliche Bestimmung der historisch, kulturell, gesellschaftlich variablen hegemonialen Männlichkeit, also die Rekonstruktion derjenigen sozialen Praktiken, in denen hegemoniale Männlichkeit jeweils institutionalisiert ist, ist gewiß eine zentrale Aufgabe von Männlichkeitsforschung. Sie ist u.a. notwendig, um untergeordnete Männlichkeiten von hegemonialer Männlichkeit unterscheiden und um erfassen zu können, in welcher Hinsicht jene untergeordnet sind. Anknüpfend an Bourdieus These der Konstruktion von Männlichkeit in den ernsten Spielen des Wettbewerbs läßt sich so etwas wie eine ,Suchanleitung' formulieren. Hegemoniale Männlichkeit wird als institutionalisierte Praxis in den sozialen Feldern konstituiert, in denen, historisch variabel und von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich, die zentralen Machtkämpfe ausgetragen und gesellschaftliche Einflußzonen festgelegt werden. Das war im imperialen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts das Militär, und das sind in den gegenwärtigen globalisierten neoliberalen Gesellschaften des Informationszeitalters vermutlich das technokratische Milieu des Top-Managements und die Massenmedien (Connell 1993). Hegemoniale Männlichkeit wird durch die soziale Praxis der gesellschaftlichen Elite bzw. gesellschaftlicher Eliten definiert, also durch die Praxis einer zahlenmäßigen Minderheit der Bevölkerung; genauer durch die dort üblichen Standards des Wettbewerbs. In der sozialen Praxis der Elite bildet sich ein Muster von 130
Männlichkeit aus, das kraft der sozialen Position der Elite hegemonial wird. Hegemoniale Männlichkeit ist an gesellschaftliche Macht und Herrschaft gebunden. Und - das ist entscheidend - diese Macht erschöpft sich nicht in der Macht der Männer gegenüber den Frauen, sie ist vor allem auch eine Macht über Männer. Der enge Nexus von hegemonialer Männlichkeit als institutionalisierte Praxis und gesellschaftlicher Macht impliziert nicht zwingend, daß es in einer Gesellschaft nur eine hegemoniale Männlichkeit geben kann. Die Bestimmung einer hegemonialen Männlichkeit mag möglich (gewesen) sein für die industriegesellschaftliche Modeme, insbesondere für Gesellschaften und Epochen, in denen zivile und militärische Macht eng miteinander verknüpft waren. Die Existenz einer hegemonialen Männlichkeit setzt ein Zentrum gesellschaftlicher und politischer Macht voraus, das es in der postindustriellen, spät-, hoch-, postmodernen (oder wie immer auch zu bezeichnenden) Gesellschaft des Informationszeitalters nicht mehr gibt. Möglicherweise korrespondiert der gegenwärtigen Differenzierung der Zentren gesellschaftlicher und politischer Macht eine gewisse Pluralisierung hegemonialer Männlichkeiten. Dies anzunehmen bedeutet allerdings nicht, einer Inflation x-beliebiger hegemonialer Männlichkeiten das Wort zu reden. Nicht jedes soziale Milieu und jede Subkultur formt eine eigene hegemoniale Männlichkeit. Der Begriff hegemonial macht nur Sinn, wenn die in dieser Weise bezeichnete Männlichkeit eine normierende Wirkung über das jeweilige soziale Feld hinaus hat. Eine solche Wirkung ist einer subkultur- und milieuspezifischen Männlichkeit nicht notwendigerweise zu eigen. Eine in einem bestimmten sozialen Milieu vorherrschende Männlichkeit ist noch keine hegemoniale. Sie ist es nur dann, wenn sie erfolgreich mit dem Anspruch milieuübergreifender Gültigkeit auftritt. Die im traditionellen Arbeitermilieu vorherrschende, körperliche Stärke akzentuierende Männlichkeit setzt zwar Standards für Männer, die diesem Milieu angehören, vermag aber nicht über Milieugrenzen hinweg das gesellschaftliche Männlichkeitsideal zu bestimmen. Sie ist zwar keine marginalisierte (wie es eine homosexuelle Männlichkeit bis in die Gegenwart hinein ist), aber eine untergeordnete Männlichkeit. Die Einheit von hegemonialer und untergeordneter Männlichkeiten besteht, wie gezeigt, darin, daß beiden eine homologe Strukturlogik eignet: sie formen sich beide in den ernsten Spielen des Wettbewerbs, den die Männer unter sich austragen. Bourdieu bezeichnet den Habitus als eine "Erfmderkunst", mit der "unendlich viele und (wie die jeweiligen Situationen) relativ unvorhersehbare Praktiken von dennoch begrenzter Verschiedenheit erzeugt werden können" (1993, S. 104). Auch der männliche Habitus, dessen generatives Prinzip eine in der skizzierten Weise zu verstehende hegemoniale Männlichkeit ist, ermöglicht eine Vielzahl von Ausdrucksformen bzw. Männlichkeiten. Diese sind freilich nicht im Sinne einer Multioptionalität zu verstehen. Differenz 131
entsteht weniger als Folge intentionaler Strategien; sie ergibt sich vor allem aus der Verschränkung der GescWechtslage mit anderen Soziallagen und ist von daher selbst habituell vermittelt (vgl. Meuser 1999a)137. Mit Rekurs auf Bourdieu läßt sich ferner verstehen, daß hegemoniale Männlichkeit ihre Wirksamkeit als "generative Hintergrundstruktur" (Alheit 1994, S. 111) auch dann noch behält, wenn die sozialen, ökonomischen und politischen Bedingungen des Geschlechterarrangements sich mehr oder minder deutlich verändern, wie es z.B. im Milieu der Facharbeiter zu beobachten ist, wo die ökonomische Basis der Position des Familienernährers in zunehmendem Maße schwindet. Die strukturierende Macht des generativen Prinzips der hegemonialen Männlichkeit macht sich auch dann und für die Betroffenen mitunter recht schmerzhaft deutlich, wenn einzelne Männer sich dem Imperativ des Prinzips zu entziehen versuchen. Wer sich außerhalb des habituellen Rahmens zu bewegen versucht, wird von den anderen an dessen Gültigkeit erinnert, und sei es nur derart, daß ein verheirateter Arbeiter, der regelmäßig ohne Pausenbrote zur Arbeit kommt, von seinen Kollegen gefragt wird, ob seine Frau ihm denn keine Brote schmiere. Massivere Formen der 'Erinnerung' sind Etikettierungen wie 'Weichei' oder 'Männerheulverein' für Männer, die als 'bewegte' Männer den männlichen Habitus offensiv angreifen 138 • Also nicht nur die Erzeugung des eigenen, sondern auch die Bewertung des fremden Handeins geschieht im Rahmen der vom Habitus vorgesehen Parameter. Ein Leben gemäß dem (männlichen) Habitus erzeugt habituelle Sicherheit. Dieser Begriff hat einen spezifischeren Sinn als derjenige der "ontologischen Sicherheit", wie Anthony Giddens (1991, S. 92ff.) ihn im Rahmen seiner modernisierungstheoretischen Analyse verwendet. Gleichwohl knüpfen sich, wie wir noch sehen werden, auch an den Begriff der habituellen Sicherheit modernisierungstheoretische Folgerungen. Ontologische Sicherheit meint eine Art Urvertrauen sowoW in die Kontinuität von Selbstidentität als auch in die Konstanz der Strukturen der umgebenden Sozialwelt. Das erinnert an die von Alfred Schütz (1971, S. 257f.) in AnscWuß an Husserl als Basis des Alltagshandelns benannten Konstanzidealisierungen des "und so weiter" und des "immer wieder". Mit habitueller Sicherheit ist eine Sicherheit gemeint, die ein Handeln betrifft, das unter den Geltungsbereich eines bestimmten Habitus und in den Rahmen einer bestimmten Sozialordnung fällt, hier derjenigen der Zweigeschlechtlichkeit. Habituelle Sicherheit impliziert eine "selbstbewußte Zustimmung zum habituellen Schicksal" (Janning 1991, S. 31), ist positiv angenommener Zwang. Sie erweist sich in einer indexikal vollzogenen Veror-
137 Elforderlich ist mithin eine intersektionale Betrachtungsweise (vgl. zum Konzept der Intersektionalität und zu dessen Stellenwelt in der Geschlechterforschung Knapp 2005). 138 Diese Beispiele sind dem empirischen Material entnommen.
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tung im Beziehungsgeflecht der GescWechter 139 (im Gegensatz zu einer diskursiv vorgenommenen Positionsbestimmung), und sie hat zu Folge, daß man seine Männlichkeit nicht als Ergebnis von (intentional gesteuertem) Handeln begreift. Damit, d.h. mit einem intendierten Darstellen, hätte man die habituelle Sicherheit vielmehr bereits verloren. Habituelle Sicherheit kommt dem gleich, was Bourdieu ,,Doxa" nennt, beruht auf einer "gewohnheitsmäßigen Verwurzelung mit der alltäglichen Ordnung des Ungefragten und Selbstverständlichen" (Bourdieu 1987, S. 668). Diese Verwurzelung ist umso eher möglich, je stabiler die Ordnung ist und je vollständiger die Dispositionen der Akteure, d.h. ihr Habitus, die Strukturen der Ordnung reproduzieren (vgl. Bourdieu 1979, S. 327). Die Ordnung der Geschlechter ist am Übergang des 20. zum 21. Jahrhundert alles andere als stabil. Das müßte Auswirkungen auf Ausmaß und Äußerungsformen habitueller Sicherheit haben. Hierauf wird im empirischen Teil der Arbeit näher eingegangen. Er ist unter die Leitfrage gestellt, ob angesichts der zunehmenden Instabilität der Geschlechterordnung die Lebenspraxis noch die Anwendungsbedingungen des männlichen Geschlechtshabitus erffillt. Inwieweit repräsentieren die Anwendungsbedingungen in einer Epoche deutlichen sozialen Wandels des Geschlechterverhältnisses noch "einen partikularen Zustand" (Bourdieu 1979, S. 171) derjenigen Struktur, die - historischgenetisch - der Entwicklung des männlichen Geschlechtshabitus zugrundeliegen? Diese Leitfrage läßt sich milieu- und generationsspezifisch differenzieren. Sind die Anwendungsbedingungen beispielsweise in höheren sozialen Milieus mit einem hohen Einkommen des Mannes eher gegeben als in Arbeitermilieus, in denen das Familieneinkommen in einem hohen Maße von der Erwerbstätigkeit der Frau abhängt? Veränderungen in den Strukturen der Sozialordnung ziehen nicht automatisch einen Wandel der Habitusformen nach sich. Bourdieu bezeichnet das 139 Joachim Matthes (1985, S. 370) hat den ethnomethodologischen Begliffder Indexikalität gewählt, um den Modus zu charakterisieren, in dem Generationen sich selbst thematisieren. Dies geschehe nicht in Fonn eines "GlUppenbewußtseins", sondem "solche SelbstthematisielUngen (werden) inuner im Wechselspiel der generationellen Verhältnisse indexikal getroffen". Setzt man an die Stelle von generationellen Verhältnissen Geschlechterverhältnisse, dann kann für ein mälmliches 'Geschlechtsbewußtsein', das von Selbstzweifeln und IdentitätskIisen nicht affiziert ist, gleiches gesagt werden. Die Ethnomethodologie verwendet den Begliff der Indexikalität, um das rekursive Verhältnis von singulärer Erscheinung (eine ÄußelUng, eine Handlung) und übergreifendem Muster (eine Regel, ein OtientieIUngsmuster, ein Deutungsmuster) zu bezeiclmen. Die wechselseitige Bezugnalune geschieht in der Routine des Alltagshandelns nicht explizit bzw. nicht qua Reflexion, sondem eben als vOITeflexive Routinepraxis in der Manier des "praktischen Bewußtseins" (Giddens). Nur dalU1, welU1 die Routinebasis des Handeins gestölt wird, wie es in den bekam1ten KJisenexpelimenten Garfinkeis der Fall ist, sehen sich die Handelnden gezwungen, ilu' Handeln bzw. ihre ÄußelUngen zu "fonnulieren" bzw. zu "entindexikalisieren", d.h. sich und den anderen explizit zu machen, was ilu Handeln bedeutet.
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Beharrungsvermögen des Habitus bzw. dessen relative Autonomie als ,,Hysteresiseffekt". Hieran knüpft sich die Frage, mit welchen Strategien die Akteure eine habituelle Sicherheit aufrechterhalten, wenn die Strukturen, denen die Anwendungsbedingungen des Habitus korrespondieren, in Auflösung begriffen sind. Normalisierung und Nihilierung sind hier probate (kognitive) Mittel. Die Strukturen der Geschlechterordnung werden nicht alle zugleich brüchig, und nicht alle Männer sind in gleichem Maße davon betroffen. Eine Gleichzeitigkeit von Umbruch und Routine kennzeichnet die Lebenslage der meisten Männer. Ein Personalchef in einem großen Unternehmen beispielsweise erfährt in seinem beruflichen Alltag den Wandel der Geschlechterverhältnisse unmittelbar in Gestalt von Forderungen der Frauenbeauftragten des Betriebs, lebt aber in traditionellen familiären Verhältnissen, die auch von seiner Ehefrau nicht problematisiert werden. Solche Ungleichzeitigkeiten werfen die Frage auf, welche Bereiche der alltäglichen Lebenswelt besonders sensibel sind fur habituelle Verunsicherungen. Im Geschlechterdiskurs, wie er von den Medien vermittelt wird, spielt die These von einer Krise des Mannes oder einer Krise der Männlichkeit eine große Rolle. Ob die so verbreitet ist wie behauptet, mag man zu Recht bezweifeln. Allerdings läßt sich nicht übersehen, daß es Männer gibt, die ihre geschlechtliche Existenz als krisengeschüttelt begreifen. Wenn man sich den Erfahrungen, Selbstdeutungen und Sehnsüchten dieser Männer in einer analytischen Perspektive zuwendet, wie sie den Garfinkelschen Krisenexperirnenten zugrundeliegt, dann läßt sich an den Bruchstellen der Geschlechterordnung viel über deren Funktionieren erfahren. Diesen Männern ist der gescWechtliche Habitus von einer Vorgabe zu einer Aufgabe geworden. Vor allem zeigt sich an den Reaktionen dieser habituell tief verunsicherten Männer, welche fundamentale Bedeutung den leibgebundenen Expressionen zukommt. Tendenziell schreibt sich eine habituelle Verunsicherung in den Körper ein. Die Mittel der körpergebundenen gescWechtlichen Selbstpräsentation werden nicht mehr oder nur unzureichend beherrscht. Der Körper versagt als fleischliches Gedächtnis. Dem Beobachter teilt sich dies als Stilbruch mit, als nicht authentische Selbstpräsentation. Umgekehrt tauchen in den Sehnsüchten verunsicherter Männer immer wieder Bilder einer ostentativ körperlichen Virilität auf; diese Männer sehnen sich nach einer am Körper eindeutig ablesbaren Männlichkeit. Einmal mehr macht sich die Dialektik von Determination und Emergenz geltend.
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11. Empirie: Geschlecht und Männlichkeit in den Diskursen der Männer 5. Multioptionale Männlichkeiten? "Noch vor nicht allzulanger Zeit war die Frau der dunkle und unerschlossene Kontinent der Menschheit, und niemand wäre auf die Idee gekommen, den Mann in Frage zu stellen. Männlichkeit erschien als etwas Selbstverständliches: strahlend, naturgegeben und der Weiblichkeit entgegengesetzt. [n den letzten drei Jahrzehnten sind diese jahrtausendealten Selbstverständlichkeiten in sich zusammengebrochen. Indem die Frauen sich neu definierten, zwangen sie die Männer, das gleiche zu tun." (Elisabeth Badinter: XY. Die Identität des Mannes, 1993, S. 11 f.) "In den hochtechnisierten Nationen haben die Partnerschaftsbeziehungen in den vergangenen 30 Jahren erhebliche Verfallserscheinungen gezeigt. Archaische Strukturen, die sich seit Tausenden von Jahren bewährt hatten, wurden durch die Wandlung zur arbeitsteiligen Gesellschaft und den gewaltigen Infonnationstransfer gravierend verändert." (Joachim H. Bürger: Mann, bist Du gut! 1990, S. 7) "Was eine richtige Frau ist, kann ich sehr viel leichter beantworten, als was ein richtiger Mann ist, und das hängt genau mit diesen scheiß letzten 30 Jahren zusammen. Ich sehe für mich immer noch so viel Verunsicherung, was die Beantwortung dieser Frage angeht." (Mitglied einer Männergruppe, 1993)
Die das Ideal der Androgynie lobende Philosophin, der medienerprobte Restaurateur einer gefährdeten Männerherrlichkeit, der 'neue' Mann - sie sind sich einig in der Diagnose, daß im Verhältnis von Frauen und Männern seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts fundamentale Veränderungen stattgefunden haben. Auch wenn heute - insbesondere in Hinblick auf die Reaktion von Männern, aber nicht nur von diesen - vor einem backlash gewarnt wird, in dessen Folge Verbesserungen der gesellschaftlichen Situation von Frauen zurückgeschraubt werden (vgl. Faludi 1993), verliert die Diagnose nicht an Gültigkeit. Auf einen backlash hinzuweisen impliziert, daß sich zuvor etwas geändert hat. Und es impliziert, daß bestimmte Akteure und gesellschaftliche Gruppierungen auf die veränderte Lage reagieren, mit welchem Ergebnis auch immer. Dieser Teil der Arbeit befaßt sich mit den Reaktionen derjenigen, gegen deren Willen das Geschlechterverhältnis zu einem sozial konflikthaften ge135
macht worden ist. Jedenfalls sind die Prozesse des sozialen Wandels des Geschlechterverhältnisses nicht auf ein intentionales politisches Handeln (der Mehrheit) der Männer zurückzuführen. Beck und Beck-Gernsheim (1990) sprechen zutreffend von der "erlittenen Emanzipation" der Männer, so sie denn überhaupt stattfmdet l40 . Das Erkenntnisinteresse richtet sich auf Folgendes: Wie reagieren Männer auf den erwähnten und in seinen lebensweltlichen Manifestationen noch näher zu beschreibenden Wandel des Geschlechterverhältnisses? Kommen Selbstverständlichkeiten abhanden? Werden sie Gegenstand eines Diskurses und somit reflexiv eingeholt? Welche (geschlechterpolitischen) Orientierungen werden entwickelt und wie werden sie handlungspraktisch realisiert? Den Theoretikerinnen einer reflexiven Modernisierung gilt der ,,zerfallsprozeß stabiler sozialer Zusammenhänge" als eine ausgemachte Sache und die "Frauenemanzipation" als ein wichtiger Erosionsfaktor (Keupp 1994, S. 338). Fraglosigkeiten (ver-)schwinden, eine Vielfalt von Sinnlieferanten versucht die Leerstellen auszufüllen, die brüchig gewordene Traditionen und Ligaturen hinterlassen haben. Für manche kündigt sich eine "Multioptionsgesellschaft" (Gross 1994) an, in der der Mensch zum "homo optionis" wird, dem "Leben, Tod, Geschlecht, Körperlichkeit ..." (Beck/Beck-Gernsheim 1994b, S. 16) und vieles mehr zur Entscheidung aufgegeben sind. Diese Tendenzen der Enttraditionalisierung machen vor dem Geschlechterverhältnis nicht halt, und sie machen sich, folgt man der Diagnose von Beck und Beck-Gernsheim (1990), insbesondere in den privaten Beziehungen von Frau und Mann bemerkbar. Mit der Freisetzung der Frauen aus quasi-ständischen Bindungen verflüchtigen sich traditionell verbürgte Sicherheiten. Das potenziert das Konfliktpotential zwischen den Geschlechtern und läßt Frau und Mann in einen Beziehungsdauerdiskurs eintreten. Die Gemeinsamkeiten des ehelichen bzw. partnerschaftlichen Zusammenlebens sind nicht mehr durch ökonomische und schon gar nicht durch ständische Zwänge vorgegeben, die Partner müssen sie in immer neuen Aushandlungen selbst konstituieren. Die Ehe verliert den Charakter des Selbstverständlichen, stattdessen wird der Begründungszwang institutionalisiert und auf Dauer gestellt. Die Akteure, die diese Prozesse gesellschaftlicher Modernisierung vorantreiben, gehören nicht dem Geschlecht an, das die Modeme auf den Weg gebracht hat. Die Männer sperren sich eher gegen diesen Modernisierungsschub, als daß sie sich zu dessen Protagonisten 140 Ln den (polemischen) WOIten einer der Palteien im 'KJieg der Geschlechter', aus der Sicht der sog. "Maskulinisten" (zu diesem Typus männlicher Olientierung s. Kap. 6.2) stellt sich das, was den Männem widelfälut, folgendennaßen dar. Gegen die feministische These vom "KJ'ieg der Männer gegen die Frauen" wird argumentiert: "Nach üblichem Sprachgebrauch fängt - privat oder von Staats wegen - einen 'KJieg' an, wer an einem realen Zustand gegen den Willen des anderen etwas mit Gewalt verändem will. Es sind die Feministinnen, die Frauen, die am status quo etwas verändem wollen, nicht die Männer. Diese lassen den Frauenkrieg stillschweigend über sich ergehen" (Walz 1993, S. 8).
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machen. Es sind die Frauen, die das letzte Relikt aus vormoderner Zeit, "das geschlechtsständische Binnengefüge der Kleinfamilie" (Beck/Beck-Gernsheim 1990, S. 8) in Frage stellen - und damit den Grundwiderspruch der Modeme, deren gescWechtliche Halbierung. Die TheoretikerInnen der sozialen Konstruktion von GescWecht betrachten die Prozesse der Erosion geschlechtlicher Selbstverständlichkeiten aus einer anderen und radikaleren Perspektive. Eine umfassende Veränderung der Geschlechterverhältnisse im Sinne einer "Enthierarchisierung der Differenz" erscheint Gildemeister und Wetterer (1992, S. 248) nur möglich, wenn das binäre Grundmuster selbst in Frage gestellt wird, und sie werfen die Frage auf, "ob gegenwärtig Brüche und Widersprüche in der Codierung der GescWechterverhältnisse zu beobachten sind, die sich als Ansatzpunkte einer 'realen Dekonstruktion' der Differenz interpretieren lassen" (ebd., S. 246, Fn. 32). Hirschauer sieht (1993, S. 351) Anzeichen einer realen Dekonstruktion. Er stellt zum AbscWuß seiner Studie über Transsexualität fest, "daß ein großer Teil der Angehörigen der westlichen Kultur selbst zu GescWechtsmigranten geworden ist". Als Indikator nennt er die von den TheoretikerInnen der reflexiven Modernisierung betonten Tendenzen zu Emanzipation, Individualisierung, Nivellierung der Geschlechtsrollen. Wie jene sieht er freilich auch eine ,,'Rückseite' aus verschwundenen Orientierungen und verlorenen Sicherheiten, aus zögernden Suchbewegungen nach neuen oder ängstlicher Rückkehr zu alten Lebensstilen und aus hastigen Reaffirmationen 'der' Differenz" (ebd.). Diese andere Seite der Modeme beleuchtet Ulrich Beck (1993, S. 99ff.) unter dem Stichwort "Gegenmodeme". Sie wird von der reflexiven Modernisierung selbst provoziert. Das Schwinden von Fraglosigkeiten läßt Sehnsüchte nach neuen oder alten Sicherheiten entstehen. "Wieviel Auflösung verträgt der Mensch?" - In dieser Frage drückt sich nach Beck (1993, S. 143) ein zentrales Dilemma reflexiver Modernisierung aus. Das GescWechterverhältnis, insbesondere die Reaktionen der Männer auf die Veränderungen, die dieses Verhältnis in den letzten 30 bis 40 Jahren erfahren hat, sind ein 'Anschauungsobjekt' par excellence, an dem sich die Ungleichzeitigkeiten von Modernisierungsprozessen und Widerstände gegen eine Auflösung von Sicherheiten deutlich beobachten lassen. Wenn man den Blick auf den öffentlichen Diskurs über den Mann richtet, dann erscheint die These von der Multioptionsgesellschaft auch für das GescWechterverhältnis als plausibel. Diverse Sinnlieferanten, von den Kirchen über Therapeuten bis hin zu selbst ernannten Gurus, offerieren eine bunte Vielfalt von Deutungen und Männlichkeitsentwürfen. In der Angebotspalette ist vom unbeirrten Macho über den mittlerweile als Auslaufmodell gehandelten Softie bis zum neuen 'wilden' Mann einiges zu finden. In den Buchhandlungen kann der nach Orientierung suchende Mann oder die Frau, die ihrem 137
Partner auf die Sprünge helfen will, die Sinnofferten käuflich erwerben. Schaut man sich die Optionen im einzelnen an, so entdeckt man Anregungen zu einer auf Dauer gestellten reflexiven Identitätsarbeit in gleicher Weise wie eindeutige Aufforderungen, die alte 'Männerherrlichkeit' wieder herzustellen und den Frauen zu zeigen, 'was Sache ist'. Das folgende Kapitel (6) wird der Diskursivierung des Mannseins in ihren Konsequenzen fur die Habitualisierung von Männlichkeit nachgehen, und es wird dazu die Diskurse, in denen das geschieht, in Hinblick auf Deutungsmuster und geschlechterpolitische Orientierungen analysieren l41 • In der einscWägigen Literatur lassen sich drei Teildiskurse unterscheiden: ein Defizitdiskurs, ein Maskulinismusdiskurs und ein Differenzdiskurs. Der Defizitdiskurs, der den Beginn des Schreibens über Männlichkeit markiert und bis heute fortgefuhrt wird, macht die GescWechtszugehörigkeit des Mannes zum Problem und zum Gegenstand einer reflexiven Therapeutisierung. Die beiden anderen Diskurse sind Reaktionen auf den ersten und treten mit dem Versprechen auf, die mit der Reflexivierung verbundenen Unsicherheiten aufzulösen; der Maskulinismusdiskurs durch eine Rückkehr zu alter 'Männerherrlichkeit', der Differenzdiskurs durch eine Wiedergewinnung einer ursprünglichen 'Männerenergie'. In beiden ist die reflexive Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtsidentität tendenziell stillgelegt. Hat man sich allerdings einmal auf den Diskurs eingelassen, ist eine Rückkehr zu einem Zustand 'vorreflexiver Unschuld' nicht mehr oder zumindest nicht unmittelbar möglich. Das zeigt sich, wenn man den Blick von dem medial vermittelten Diskurs löst und sich lebensweltlich verankerten kollektiven Orientierungen zuwendet. Dies wird im übernächsten Kapitel (7) geschehen. Einschlägige Daten sind in Gruppendiskussionen mit real existierenden Gruppen von Männern unterschiedlicher Art gewonnen worden. Der Blick auf diese Empirie bewahrt zum einen davor, die Bedeutung des medialen Diskurses in quantitativer Hinsicht zu überschätzen, also was seine Rezeptionsbreite betrifft. Einem großen Teil der Männer, möglicherweise der Majorität ist die eigene Geschlechtlichkeit nach wie vor etwas fraglos Gegebenes. Zwar werden Veränderungen im Verhältnis von Männern und Frauen nicht ignoriert, doch resultieren daraus keine fundamentalen Irritationen. Kognitive Normalisierungsstrategien und die homosoziale Atmosphäre männerbündischer Zusammenschlüsse leisten hier Entscheidendes zur Bewahrung tradierter Sinnwelten. Darin liegt eine zentrale Funktion von Stammtischen, Fußballmannschaften, Männerwohngemeinschaften und Herrenclubs. Eine habituelle Sicherheit kennzeichnet die geschlechtliche Lebenslage dieser Männer. 141 Die beiden nachfolgenden Kapitel (6 und 7) basieren auf Daten, die in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördelten Forschungsprojekt mit dem Titel "Die Symbolik der Geschlechtszugehöligkeit. Kollektive OlientielUngen von Männem im Wandel des Geschlechtelverhältnisses" gewonnen wurden.
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Zum anderen zeigen die Gruppendiskussionen, daß innerhalb der Szene männerbewegter Männer und an deren Rändern der mediale Männlichkeitsdiskurs starke lebensweltliche Entsprechungen und Verankerungen hat. Diejenigen, die ihr Mannsein in den von dem Defizitdiskurs vorgegebenen Deutungsmustern begreifen, haben nahezu jede habituelle Sicherheit verloren, wenn es um den eigenen Geschlechtsstatus geht. Sie sind gewissermaßen 'heimatlos' im eigenen Geschlecht geworden. Da dies in einer Kultur, in der Geschlecht ein major status ist, nur schwer über längere Zeit auszuhalten ist, verwundert es nicht, daß die Sicherheitsverheißungen des Differenzdiskurses in jüngster Zeit in der Männergruppenszene einen wahren Boom der Aufmerksamkeit erfahren. Beide Analysen - die des medial vermittelten Diskurses und die der lebensweltlich verankerten Orientierungen - ergeben ein Bild einer in sich brüchigen Modernisierung der Männlichkeit. In der These von der Krise des Mannes fmdet dies seinen popularisierten Ausdruck. Im Schlußkapitel wird diskutiert werden, ob diese These auch dann Bestand hat, wenn man einen soziologischen Krisenbegriff zugrundelegt. Die Erörterung dieser Fragen kann nur wenige empirische Untersuchungen zum Vergleich heranziehen. Wie oben (Kap. 3.2) erwähnt, bewegt sich die empirische Männerforschung in Deutschland weitgehend auf unvermessenem Neuland 142 . Die bereits zaWreicheren Untersuchungen aus den USA und aus Großbritannien lassen sich nicht umstandslos als Vergleichshorizont heranziehen. Zwar dürfte es unstrittig sein, daß die Prinzipien und Mechanismen der geschlechtlichen Differenzierung in westlichen Industriegesellschaften gewisse grundlegende Gemeinsamkeiten aufweisen. Dennoch enthebt dies nicht der Notwendigkeit einer eigenständigen Forschung, in der kulturelle Besonderheiten zu Tage gefördert werden, welche die Konstruktion von Geschlecht hierzulande von derjenigen in den USA unterscheiden. Gerade auf der Ebene der Inhalte kultureller gescWechtlicher Leitbilder sind - nicht zuletzt in Folge verschiedener historischer Bedingungen - nicht unerhebliche Differenzen zu erwarten. Als Beispiel sei auf die unterschiedliche Bedeutung hingewiesen, die sportlicher Aktivität bei der Konstruktion von Männlichkeit zukommt. In den USA in einer bestimmten Altersphase und in bestimmten institutionellen Kontexten (College, Universität) von hoher Relevanz (vgl. Messner 1987; Whitson 1990), spielt sie hierzulande eine geringere Rolle. 142 Ln der Zeit, die nach dem Ersterscheinen dieses Buches verstlichen ist, hat sich in den Sozial-, Geistes- und KultUlwissenschaften im deutschsprachigen Raum eine solche forschung zu entwickeln begOlUlen. I.nsbesondere in jüngster Zeit sind zahlreiche einschlägige Publikationen zu verzeichnen. Vgl. z.B. Böhnisch 2003; BosselJ(jng 2000; Brandes 2001, 2002; Budde 2005; Dinges 2005; Döge 1999; Döge/Meuser 2001; Fthenakis/Minsel 2002; Hanisch 2005; Helffelich/KlindwOIth/K.lUse 2005; Jösting 2005; J(jng/Flaake 2005; Matzner 2004; Reulecke 2001; Scholz 2004; Tölke/Hank 2005; Walter 2002; WinterlNeubauer 1998; ZulehnerIVolz 1998.
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Gerade werm man die soziokulturelle Variabilität der Konstruktion von Geschlechtszugehörigkeit in Rechnung stellt, karm man solche kulturellen Unterschieden nicht außer acht lassen. Die empirischen Forschungen, die den Ausfuhrungen der folgenden Kapitel zugrundeliegen, sind in der Perspektive der Wissenssoziologie durchgefuhrt worden. Kapitel sechs basiert auf einer Deutungsmusteranalyse kultureller Leitbilder, wie sie in der Männerverständigungsliteratur offeriert werden. In Kapitel sieben werden alltägliche Diskurse von Märmem in Hinblick auf die darin enthaltenen Deutungs- und Orientierungsmuster rekonstruiert. Die Einzelheiten der methodischen Verfahren werden zu Beginn der jeweiligen Kapitel erläutert. In beiden Analysen geht es um die Rekonstruktion kollektiver Sirmgehalte, zunächst auf der Ebene der Kulturproduktion, dann auf der alltäglicher Lebenswelten. Ein Text der Männerverständigungsliteratur wird ebenso wie ein Beitrag in einer Gruppendiskussion als Dokument fur eine symbolische Sirmwelt verstanden, die sich in dem Dokument ausdrückt, aber über dieses hinausweist. Das Konzept des Deutungsmusters wird hier in einem wissenssoziologischen Sirme verwendet l43 . Mit dem Begriff des Deutungsmusters sind typisierende Problemlösungen mit intersubjektiver Relevanz bezeichnet. Wie Typisierungen stehen sie in einem Verweisungszusammenhang auf gesellschaftlich gültige Normen und Regeln. Sie sind problembezogen in dem Sirme, daß sie in einem funktionalen Bezug zu objektiven Handlungsproblemen stehen. Sie verweisen auf Problemkonstellationen, die - je nach Fokus fur eine soziale Gruppe, eine soziale Organisation oder fur die Gesellschaft insgesamt von zentraler Bedeutung sind. Deutungsmuster haben den Status "relativer Autonomie". Trotz des funktionalen Bezugs auf objektive Handlungsprobleme sind sie hinsichtlich der Konstruktionsprinzipien und Gültigkeitskriterien autonom und konstituieren so eine eigene Dimension sozialer Wirklichkeit. Das erklärt die beträchtliche Stabilität von Deutungsmustem, die allerdings prinzipiell als entwicklungsoffen konzipiert sind. In den männlichen Selbstdeutungen läßt sich beides, Konstanz und Wandel, beobachten. Deren Ausprägungen sollen in den beiden folgenden Kapiteln nicht nur beschrieben werden, es wird auch gefragt werden, unter welchen lebensweltlichen Bedingungen das eine oder das andere typischerweise 'gedeiht'.
143 Neben dem wissenssoziologischen Ansatz der Deutungsmusteranalyse gibt es einen struktUltheoretischen, der von Ultich Oevellllalul entwickelt worden und eng mit dem Velfahren der objektiven Henneneutik verbunden ist. Zur Entstehung des Deutungsmusteransatzes, seinen Valianten und den methodischen VelfalU'en der Deutungsl11ustell1alyse vgl. Lüders/Meuser 1996 und Meuser/Sackmann 1992b.
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6. Von Mann zu Mann. Dekonstruktionen und Rekonstruktionen von Männlichkeit in der Männerverständigungsliteratur l44 Es ist unübersehbar, daß der Mann Gegenstand eines öffentlichen Diskurses geworden ist. Kaum eine Bildungsinstitution, die nicht Foren und Gesprächskreise über die Rolle des Mannes, den Wandel der Männlichkeit, über Wege zur männlichen Identität u.v.m anbietet. Die Beiträge über die gesellschaftliche Situation des Mannes und über immer neue Formen von Männerbewegungen (immer noch aktuell sind die sog. 'wilden Männer') in Radio, TV und Printmedien sind kaum noch zu überblicken. Die Kirchen haben die Probleme, die (manche) Männer mit ihrer Männlichkeit haben, als Gegenstand seelsorgerischer Arbeit entdeckt. Selbst bis in das Zentrum institutionalisierter Politik, zumindest bis in den Vorhof der Macht - in Gestalt der Parteien SPD und Grüne - hat es die Männerthematik gebracht, eine erstaunliche Karriere in kurzer Zeit 145 • ,,Männlichkeit" hat Konjunktur l46 , und wie auch immer die Diagnosen lauten - ob der Mann in einer Krise ist oder nur verunsichert, vielleicht auch von den Frauen unterdrückt - sicher ist: Der Mann ist ins Gerede gekommen. Ich lasse zunächst außer Betracht, was die verschiedenen 'Geschichten' über die Situation des Mannes erzählen, und betrachte das Phänomen der Diskursivierung als solches. Eine 'elaborierte' Form finden wir in dem Genre der Männerverständigungsliteratur, das sich seit Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts recht erfolgreich auf dem Buchmarkt zu etablieren vermocht hat. Die Titel gehen in die Hunderte l47 und führen bisweilen die Bestsellerliste der Rubrik "Sachbücher" an. Der Terminus 'Verständigungsliteratur' meint Texte, in denen Männer über sich und für sich sprechen, als Betroffene zu Be-
144 Dieses Kapitel ist eine überarbeitete und elweitelte Version von zwei zuvor publizielten Aufsätzen (Meuser 1995a und 1995b). 145 Im ovember 2004 erschien die Zeitung "Das Parlament" mit dem Themenschwerpunkt "Männer in der Gesellschaft". Das läßt sich als Indikator eines allmählichen Vordlingens der Männelthematik in die Organe der etablierten Politik verstehen. 146 Die hier notielten Beobachtungen beziehen sich auf Diskurse über Männlichkeit, auf verschiedene Weisen einer reflexiven Vergewisserung von bislang fraglos Gegebenem. Parallel dazu läßt sich eine andere Fonn der medialen lnszenielUng von Männlichkeit konstatieren. Eine Sendung wie "Mann-oh-Mann" (SAT I) präsentiert den Mann als Objekt weiblicher Begierde, und in der Werbung häufen sich Anzeigen, die auf die erotische Ausstrahlung des männlichen Körpers setzen. Wie beides, Diskursivienmg des Malillseins und öffentliche lnszenielUng des männlichen KÖlpers, zusanunenhängt, ob hier mehr als nur zeitliche Parallelitäten zu entdecken sind, ist eine kultursoziologisch interessante Frage, auf die hier nur hingewiesen werden kam1 (vgl. hierzu Meuser 2003b). 147 1993 offelielte der Buchhandel knapp 200 einschlägige Bücher (vgl. Köhler 1993, S. 67).
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troffenen. In Verständigungstexten 148 schreibt potentiell 'jedermann', wenngleich auch hier Experten den Markt dominieren. In jüngster Zeit werden die allgegenwärtigen Psycho-Experten von Experten für Mythisches und Spirituelles abgelöst. Einige Beispiele besonders auflagenstarker Bücher: "Männer lassen lieben" von Wilfried Wieck (1990), "Mann, bist Du gut!" von Joachim Bürger (1990), "Feuer im Bauch" von Sam Keen (1992) und "Eisenhans" von Robert Bly (1991). Diese Literatur bietet Orientierungshilfen an, symbolische Ressourcen, die in einer Epoche der Individualisierung, in der die Menschen unter den Zwang des Entscheidens gestellt sind, offenkundig breit nachgefragt werden. Geschlechtersoziologisch interessant ist daran, daß es nunmehr - eine vergleichbare Frauenliteratur existiert bekanntlich schon länger - Männer sind, deren Geschlechtlichkeit Gegenstand einer öffentlichen Kommunikation geworden ist. Meine These ist, daß diese Diskursivierung als solche, d.h. unabhängig von den Inhalten der jeweiligen Teildiskurse, am Bestand des fraglos Gegebenen rüttelt, eben indem ein explizites bzw. diskursiv verfügbares Wissen von Männlichkeit erzeugt wird. Männer haben schon immer gewußt, was ein 'ganzer Kerl' ist, wer dazugehört und wer nicht, woran man seinesgleichen erkennt, ob jemand ein Mann ist oder eine 'Memme'. Nur, wenn man Männer auffordert zu beschreiben, was Männlichkeit ist, stellt man sie vor große Schwierigkeiten. Sie können das, was sie darüber wissen, in der Regel nicht benennen. Die Form dieses Wissens läßt sich in Anschluß an Anthony Giddens (1988, S. 55ff.) als praktisches Bewußtsein begreifen. Es ist ein implizites, diskursiv nur begrenzt verfügbares Wissen, zentriert um ein normatives Modell und auf eine entsprechende moralische Ordnung verweisend. In dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit ist dies auf den Begriff gebracht (s. Kap. 3.2). Die traditionell verbürgte Männlichkeit ist eine fraglos gegebene. Männliches 'GescWechtsbewußtsein' äußert sich gewissermaßen en passant. Männlichkeitsrituale sind eine Ausdrucksform auf symbolisch-expressiver Ebene. Werden sie exzessiv praktiziert, 'springt' die gescWechtliche Konnotation gleichsam 'ins Auge'. Beim 'Kampftrinken' bis zum Umfallen zeigt man sich gegenseitig an, daß man ein 'ganzer Mann' ist - sofern man nicht vorzeitig aufgibt. Prügelorgien von Hooligans dienen nicht nur der Aggressionsabfuhr, sondern auch der Selbstvergewisserung und der Darstellung der eigenen Männlichkeit (vgl. Becker 1990; Matthesius 1992, S. 191ff.). Die unter Hoo148 Der Telminus "Verständigungstexte" bezeiclmet eine in den siebziger Jahren entstandene LiteratUlfonn, die, emanzipatOlisch Olientielt, weniger auf professionelle litelalische Kompetenz der Autoren und Autorilmen als auf eine aus Betroffenheit resultierende Authentizität setzte. Der Suhrkamp-Verlag hat eine so bezeichnete Reihe hemusgegeben, in der neben Verständigungstexten von z.B. Schülern und Lelu'ern, von Fmuen und Männem mit Kindem, von Gefangenen, von Flauen auch ein Band mit dem Titel "MäIUlersachen" (MüllerSchwefe 1979) erschienen ist.
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ligans verstärkt zu beobachtende Tendenz, auch ohne einen besonderen, sichtbaren Anlaß (z.B. in Reaktion auf die Verletzung territorialer Rechte) körperlich gewaltsam zu agieren, verdeutlicht dies (vgl. Matthesius 1992, S. 191)149. Die alltägliche Normalität des fraglos gegebenen männlichen 'Geschlechtsbewußtseins' ist freilich weniger leicht zu entscWüsseln; in Kapitel 7 soll dies zumindest ansatzweise versucht werden. Zunächst aber geht es um die auf der Ebene der Kulturproduktion angesiedelten Bemühungen, das Selbstverständliche diskursiv anzueignen, Bemühungen, die zwar nicht den Alltag des sprichwörtlichen Mannes auf der Straße ausmachen, die aber in ihrer kulturellen Bedeutsamkeit, männliches Geschlechtshandeln in der und aus der männlichen Binnenperspektive zu fokussieren, näher zu betrachten sind. In modernisierungstheoretischer Perspektive ist die Diskursivierung von Männlichkeit als ein Reflexivwerden von Selbstverständlichkeiten zu begreifen. Fraglosigkeiten kommen zumindest tendenziell abhanden. Traditionelle Ordnungsgewißheiten werden ausgehöhlt. Der wissenssoziologischen Modernisierungstheorie gilt als entscheidendes Merkmal der Modeme, daß der "Zustand des unreflektierten 'Zuhauseseins' in der sozialen Welt" (Berger/Berger/Kellner 1987, S. 71) verlassen wird. Insofern steht hier auch eine Modernisierung von Männlichkeit zur Debatte. Inwieweit mit all dem eine 'Krise des Mannes' einhergeht oder ob die Männerrolle zum Risikofaktor wird, wie vielfach behauptet, wird im abschließenden Kapitel diskutiert werden. An dieser Stelle sei hervorgehoben, daß die Verunsicherung weiter reicht, als dies gemeinhin gesehen wird. Wenn von einem Männlichkeitsdiskurs gesprochen wird, dann richtet sich der Blick auf die sog. 'neuen Männer', neuerdings auch auf die 'wilden Männer' und auf die Männerbewegung '5o . Solche das traditionelle Männerbild kritisch beleuchtende Formen männlicher Selbstthematisierung sind ohne Zweifel wichtige Indikatoren. Bedeutsamer - gerade unter modernisierungstheoretischen Aspekten - scheint mir aber zu sein, daß auch andere Männer beginnen, öffentlich über den Mann zu reden. Wenn Männer, die an traditionellen Mustern von Männlichkeit festhalten bzw. die diese revitalisieren wollen, Bücher 149 Zur Frage, welche Bedeutung eine von Mäm1em gegen Mäill1er gelichteten Gewalt für die
Her- und Darstellung von Männlichkeit hat, vgl. Meuser 2002. 150 Die in der geschlechterpolitischen Auseinandersetzung heftig umsttittene Frage, ob es eine Mäill1erbewegung, analog zur Frauenbewegung oder wie auch iJruner OIientielt, überhaupt gibt, kann im Ralunen der hier velfolgten Forschungsinteressen unbeantwoltet bleiben. Die einschlägigen Diskussionen daliiber, ob Angehölige des plivilegielten Geschlechts in der Lage sind, eine soziale Bewegung zu fonnieren, deren Progralrun der Entzug der eigenen Plivilegien ist, sollen hier nicht replizielt werden. Als Datum ist viehnelu' zu registtieren, daß ein entsprechendes Selbstverständnis weit verbreitet ist. Das beliilunte Diktum von William I. Thomas zugrundelegend, demzufolge etwas real ist, wenn Menschen es als real definieren, muß man also von der Existenz einer Mälmerbewegung ausgehen, vielleicht nicht in gesamtgesellschaftlicher Perspektive, wohl aber hinsichtlich bestiJrunter SubsilU1welten.
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schreiben und die Medienöffentlichkeit suchen, um ihre Thesen 'unters Volk zu bringen', dann zeigt dies, daß die Basis traditioneller Männlichkeit brüchig zu werden beginnt bzw. daß es keine allgemeingültige Defmition von Mannsein mehr gibt. Offensichtlich können Autoren wie Joachim Bürger, der nicht müde wird zu verkünden: ,,Mann bist du gut", oder Felix Stern mit seinem Hilferuf "Und wer befreit die Männer", offensichtlich können solche deutlich nicht männerbewegten Männer nicht mehr umhin, sich in ihrer Geschlechtlichkeit zu defInieren und ihre Position Frauen gegenüber zu legitimieren. Die kulturelle Bedeutsamkeit solcher Entwicklungen erscWießt sich, wenn man sie der von Georg Sirnmel analysierten Konstitution des Männlichen als eines Allgemein-MenscWichen, mithin der kulturellen 'Entgeschlechtlichung' des Mannes kontrastiert (s. Kap. 1.2). Wenn Männer, die in der von Simmel beschriebenen Welt das Ideal einer männlichen Existenz sehen, die traditionelle Männerherrlichkeit explizit beschwören und in einen Diskurs darüber eintreten, was Mannsein bedeutet, dann ist dies in soziologischer Perspektive ein gravierenderer Indikator für einen Wandel männlicher Existenzweisen, als es die kritischen Thesen veränderungswilliger Männer sind. Daß die verschiedenen Diskurse unterschiedliche Lösungen propagieren, daß sie z.T. diametral entgegengesetzte geschlechterpolitische Perspektiven verfolgen, ist ein relevantes Datum, wenn man die einzelnen Diskurse analysiert. Und es ist natürlich vor allem dann ein relevantes Datum, wenn man sich mit den Bedingungen des Mannseins in politischer Absicht auseinandersetzt, also Perspektiven der Veränderung formulieren will. In gegenwartsdiagnostischer Perspektive ist aber bereits die Diskursivierung von Männlichkeit als solche ein soziologisch bedeutsames Phänomen. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt ist diskursive Verständigung der Tod des fraglos Gültigen. Sie befördert eine Erosion von Selbstverständlichkeiten gewissermaßen von innen, auch wenn sie eine Reaktion auf die Herausforderungen des Feminismus ist. In diesem Rahmen ist auch die Etablierung eines neuen Genres von Männerzeitschriften auf dem Zeitschriftenmarkt zu sehen, von denen ,,Men's Health" die bekannteste ist (vgl. hierzu Meuser 200la). Die folgende Darstellung der Teildiskurse konzentriert sich auf einige in zweifacher Hinsicht besonders exponierte Bücher der Männerverständigungsliteratur. Es handelt sich um Titel, die erstens sehr hohe Auflagen erreicht haben (bis zu 250000)151 und die zweitens von anderen Autoren sowie in der Medienöffentlichkeit zitiert, diskutiert, kritisiert, also in der einen oder der anderen Form beachtet werden. Die Auswahl umfaßt mithin die den Diskurs dominierenden und prägenden Bücher. Zugleich ist auf diese Weise das Spektrum der Deutungsmuster und geschlechterpolitischen Orientierungen, 151 Die Auflagenhöhe konnte durch Anfragen bei den Verlagen ennittelt werden. Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 1994. Inzwischen haben einige Titel, insbesondere die Bestseller, höhere Auflagen elTeicht.
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die den Männlichkeitsdiskurs bestimmen, repräsentiert. Dieser Einschätzung liegt eine inhaltsanalytische Auswertung von insgesamt 50 Büchern zugrunde, die in dem eingangs erwähnten Forschungsprojekt durchgeführt wurde 152 . Deutungsmusteranalysen kultureller Diskurse, die große Textmengen produzieren, sind vor das Problem gestellt, eine immense Fülle an Material zu bewältigen (vgl. Lüders/Meuser 1996). Öffentliche Diskurse, so auch die Männerverständigungsliteratur, zeichnen sich durch ein hohes Maß an Redundanz aus. Nicht nur variieren verschiedene Autoren ein bestimmtes Thema in durchaus nicht immer origineller Weise, auch bei dem einzelnen Text rechtfertigt der Gehalt in den seltensten Fällen den Umfang. Ein Verfahren, das sich als methodisch kontrolliert bewährt hat, besteht darin, zunächst die Einleitung eines jeden Buches zum Gegenstand einer gründlichen hermeneutischen Interpretation zu machen. Nicht nur bei wissenschaftlichen Texten fungiert die Einleitung als "Ort der Relevanz-Inszenierung" (Knorr-Cetina 1984, S. 207). Gerade bei populären Texten dient die Einleitung dazu, das Interesse einer potentiellen Leserschaft zu wecken; in ihr wird gezeigt, was mit dem Text vermittelt werden soll. Es hat sich herausgestellt, daß sämtliche Einleitungen einem bestimmten formalen Muster der Relevanzinszenierung folgen. Dieses besteht aus den folgenden Elementen: 1. Benennung des für den Text zentralen Themas (z.B. Liebesunfahigkeit des Mannes, Unterdrückung des Mannes durch die Frau); 2. Bezugnahme auf einen Diskurs, in dessen Horizont das Thema abgehandelt wird (Feminismus, Männerbewegung); 3. Benenung eines in diesem Diskurs bislang vernachlässigten Aspektes (die psychischen Leiden des Mannes, die spirituelle Energie des Mannes); 4. Formulierung einer Perspektive (Kampf dem Feminismus, Gründung einer Männergruppe); 5. Demonstration der Kompetenz des Autors, dem Diskurs etwas Relevantes hinzufügen zu können (Erfahrung in der Männerarbeit, Mut zur Provokation); 6. Benennung des Adressatenkreises, an den sich das Buch wendet (nur Männer oder Männer und Frauen). Zentrale Deutungsmuster sowie die darin erkennbaren geschlechterpolitischen Orientierungen lassen sich durch eine Interpretation der Einleitung rekonstruieren. Das Ergebnis einer sequentiell verfahrenden Analyse ist jeweils als eine Strukturhypothese zu verstehen, die dann auf ihre Stimmigkeit am Gesamttext zu überprüfen ist. Dabei gilt ein besonderes Augenmerk möglichen Gegenevidenzen (Falsifikationskriterium). Ein weiterer Nutzen dieses 152 Die Stichprobenbildung erfolgte in zwei Schlitten. Zunächst wurden all die Titel ausgewählt, deren Auflagenhöhe über 15000 Exemplaren liegt. Damit ist sichergestellt, daß die den Diskurs dominierenden Bücher, 21 an der Zahl, ohne Ausnahme im Sampie veltreten sind. Ln einem zweiten Schritt wurden die restlichen 29 Bücher nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Sie haben eine Auflagenhöhe zwischen 5000 und 10000 Exemplaren. Die meisten der 50 Bücher befassen sich allgemein mit dem Thema MälUllichkeit, einige setzen Schwerpunkte, z.B. der MalU1 als Hausmann oder - in jüngster Zeit vennemt - der MalUl als Vater. Ich beziehe mich hier nur auf die allgemeinen Texte.
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zweiten Interpretationsschrittes ist, daß die Deutungsmuster eine empirische Verdichtung oder Anreicherung erfahren. So läßt sich beispielsweise bei dem Deutungsmuster des Mannes als Defizitwesen herausarbeiten, in welchen alltäglichen Handlungsfeldern sich die defizitäre Lage in welcher Weise manifestiert: von intimen Beziehungen zu Frauen (in Gestalt männlicher Liebesunfähigkeit) über die Berufstätigkeit (Kooperationsunfähigkeit) bis zum Umgang mit dem eigenen Körper (starke gesundheitliche Gefährdungen). Ein zentrales Prinzip interpretativer Verfahren der Sozialforschung besteht bekanntlich darin, im kontrastiven Vergleich Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten und auf diese Weise grundlegende Muster und Typen zu rekonstruieren. Die objektive Hermeneutik gewinnt die Kontraste zum jeweiligen Fall gedankenexperimentell, andere Verfahren wie die Narrationsanalyse oder die dokumentarische Methode der Interpretation aus dem empirischen Material. Bei der Analyse der Männerverständigungsliteratur wurde der zweite Weg gewählt. Der Vergleich der Texte schärft nicht nur die Bestimmung des jeweiligen zentralen Deutungsmusters, er zeigt auch, wie sich die Unterschiede in der Deutung der Situation des Mannes in unterschiedlichen thematischen Präferenzen niederschlagen. Resultat des kontrastiven Vergleichs der Bücher ist die Unterscheidung von drei Teildiskursen, denen fundamental verschiedene Deutungsmuster und geschlechterpolitische Orientierungen zugrunde liegen: ein Defizitdiskurs, ein Maskulinismusdiskurs und ein Differenzdiskurs. Die Rekonstruktion dieser Diskurse in Gestalt einer Deutungsmusteranalyse klammert jegliche Frage nach der Gültigkeit des Behaupteten aus. Ob die jeweilige Beschreibung der GescWechterwirklichkeit und der Situation des Mannes zutrifft oder nicht, ist hier ebensowenig Gegenstand der Analyse wie die Frage, ob die Ursachen richtig identifiziert und ob die VorscWäge zur Realisierung einer wie auch immer gestalteten neuen Männlichkeit sinnvoll sind. Die Texte interessieren hier allein als Dokumente für wissensf6rrnige Konstruktionen von (GescWechter-)Wirklichkeit, als Ausdruck symbolischer Sinnwelten. Ob beispielsweise die im Defizitdiskurs behaupteten Zusammenhänge zwischen einer rationalen Lebensführung und Impotenz oder Suizidneigung so tatsäcWich gegeben, d.h. empirisch nachweisbar sind, ist eine für die Rekonstruktion der Diskurse unerhebliche Frage. Nicht die ätiologische Perspektive wird angelegt, sondern eine wissenssoziologische: Welche symbolischen Voraussetzungen sind notwendig, um die gesellschaftlich privilegierte Situation des Mannes als eine defizitäre darzustellen? Solches Darstellen - das hat die Ethnomethodologie gezeigt - ist freilich nicht lediglich ein folgenloses "sotun-als-ob". Wenn ich von der Konstruktion einer Defizitlage spreche, behaupte ich damit nicht, Männer, die ihre Existenz als schmerzhaft erleben und an der Männerrolle leiden, gäbe es gar nicht. Beobachtungen und Gruppendiskussionen in männerbewegten Kreisen zeigen deutlich, daß es solche Lei146
denserfahrungen gibt (s. Kap. 7.4). Es ist also nicht intendiert, den Defizitdiskurs unter einen irgendwie gearteten Ideologieverdacht zu stellen. Allerdings ist dieser Diskurs die Folie, auf der die spezifischen Leidenserfahrungen erst möglich werden. Auch Schmerz - und psychischer allemal - ist ein Sinnsystem, das einer entsprechenden symbolischen Referenz bedarf. Das Leiden an der Unfähigkeit, zuhören zu können, das Leiden daran, "nicht eigentlich kommunikativ" zu sein, wie es in einem Text von Wilfried Wieck (1990, S. 14) heißt, ist ein äußerst voraussetzungsvolles. Und in gesteigertem Maße voraussetzungsvoll ist es, diese Unfähigkeit als Ausdruck einer generell defizitären Existenz zu begreifen.
6.1 Dejizitkonstruktionen: Der Mann als Mängelwesen Der Beginn des Schreibens und Redens über Männlichkeit in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ist gekennzeichnet durch oft drastische Defizitkonstruktionen. Tradierte Selbstverständlichkeiten werden systematisch in Frage gestellt. In sämtlichen Lebenslagen werden defizitäre Aspekte der männlichen Normalexistenz entdeckt. All das, was im tradierten männlichen Selbstverständnis positiv konnotiert ist, weil es männliche Souveränität garantiert, wird zum Anlaß von Leiden. Eine starke sexuelle Appetenz beispielsweise, gewöhnlich ein Zeichen ungebrochener Virilität, wird zur Sucht nach der Frau. An drastischen Worten und pessimistischen Prognosen herrscht in der frühen Phase dieses Diskurses kein Mangel. Rodrigo Jokisch (1982, S. 242) vergleicht die heutige Männerwelt mit der "evolutionären Sackgasse", in welche vor Urzeiten die Dinosaurier geraten sind - der Mann als Dinosaurier der Weltgeschichte. Jochen Schirnmang (1979, S. 17) erfährt während der Arbeit an einem Beitrag für den bereits erwähnten Band ,,Männersachen" aus der Reihe "Verständigungstexte", "wie sehr ich, ungeachtet ich einzelne Männer sehr gern habe, mein Geschlecht, das Geschlecht der Männer insgesamt hasse. ... Nein, es ist nicht einzusehen, warum dieses Geschlecht der Männer nicht durch und durch hassenswert sein soll. Es ist nicht einzusehen, warum man von ihm noch irgend etwas Positives erwarten soll". VoLker Elis Pilgrim begreift in seinem ,,Manifest für den freien Mann", einem der einflußreichsten Texte der Männerverständigungsliteratur, Mannsein als einen Zustand der Erkrankung. Mit "Schauern" auf "Werke und Taten" von Männern wie Luther, Beethoven, Bismarck, Nietzsche, Freud, Einstein, Hitler u. v.m. 153 blickend, sinniert er, "ob die Genesung des (deutschen) Mannes, dieser erschütternden 153 Die durch die AneinandelTeihung erfolgte Gleichsetzung so unterschiedlicher Männer wie Freud und Hitler (d.h. auch von Opfer und Täter) soll hier nicht weiter kommentielt und interpretielt werden. Freilich handelt es sich dabei um eine Idiosynkrasie des Autors Pilglim. Typisch hingegen sind Diagnose und Prognose.
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Erkrankung Mensch, uns allen Lebenden noch gelingen kann" (Pilgrim 1979, S. 133). Hinsichtlich der Aussichten auf Veränderung ähnlich skeptisch sieht Jokisch (1982, S. 241) bei sich "eine beinahe unüberwindliche Schwäche, die Schwäche, Mann sein zu müssen", mit der er sein "Leben lang werde hadern müssen". Dieser Defizitdiskurs, der in vielfältigen Variationen bis heute fortlebt, offeriert als Remedur eine reflexive Identitätsarbeit und setzt auf eine zumindest partielle Feminisierung des Mannes (vgl. Wieck 1993, S. 141). Wilfried Wieck (1993, S. 147) postuliert beispielsweise im Jahr 1990: "Unser Weg führt über die Arbeit an der Person des männlichen Individuums, an seinen Beziehungen, Gefühlen, Stimmungen, Haltungen, seinen Charakterzügen, Werten und seinem männlichen Lebensstil". Solche reflexive Therapeutisierung von Männlichkeit ist zuvörderst innerhalb der Männergruppe zu leisten. Als nicht minder wichtig gelten kommunikative und kooperative Beziehungen zu Frauen. Das Verhältnis der GescWechter ist in einer Weise konzipiert, die einer Logik der Gleichheit folgt. Die beobachtbaren Unterschiede im Handeln und Denken von Frauen und Männern werden nicht als Ausdruck einer wesensmäßigen Differenz verstanden, sie gelten vielmehr als sozial und kulturell produziert. Nur auf der Basis einer solchen Gleichheitslogik kann einer Feminisierung des Mannes das Wort geredet werden. Die zentralen Merkmale des Defizitdiskurses sind ein psychologischer Erklärungsrahrnen - die Defizite des Mannes sind solche einer psychischen FeWanpassung, und die Perspektiven der Veränderung setzen auf therapeutische Reflexion und Kommunikation -, eine Idealisierung der Frau - als positiver Gegenhorizont der defizitären männlichen Existenz - und eine Würdigung der Leistungen des Feminismus - Profeminismus. Die Darstellungsform dokumentiert die persönliche Involviertheit und Betroffenheit des Autors durch eine Vielzahl autobiographischer Erzählungen und Berichte. - Im folgenden wird anband des Buches "Männer lassen lieben" von Wilfried Wieck (1990) in exemplarischer Weise rekonstruiert, wie die Defizitkonstruktion funktioniert. Dieses Buch ist mit einer Auflage von einer viertel Million nicht nur das meist verkaufte des Defizitdiskurses, sondern ein Bestseller der gesamten Männerverständigungsliteratur l54 . In diesem Buch ist der Defizitdiskurs in Form und Inhalt geradezu idealtypisch entfaltet. Die Defizitlage des Mannes ist ubiquitär. Sie betrifft Psyche und Körper, und sie ist nicht auf eine bestimmte Phase des Lebens begrenzt. Kein Mann ist ausgenommen; es gibt höchstens weniger und mehr 'defizitäre Männer'. Wieck konstatiert auf der Grundlage seiner Erfahrung, die er in langen Jahren der therapeutischen Arbeit mit Männern gewonnen hat, eine Krise des Man154 Ein zweites Buch des gleichen Autors (Wieck 1993), das nicht nur zeitlich dem ersten folgt, sondem auch im Titel ("Wenn Männer lieben lemen") einen FOItscluitt gegenüber dem ersten versplicht, ist mit einer Auflage von 30.000 ebenfalls recht erfolgreich.
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nes, die mit der gängigen These einer midlife-crisis bagatellisiert wäre; die Krise dauere ein Leben lang (S. 163). Diese Einsicht sei den meisten Männem freilich verstellt; sie wehrten sich dagegen, sich ihre Unzulänglichkeit einzugestehen. Die Abwehr ist selbst Teil der Defizitlage; sie zu durchbrechen, versteht Wieck als seine Aufgabe. Die Defizitlage äußert sich - dem 'aufgeklärten Beobachter' - als kognitiver Verblendungszusammenhang, als psychische Umeife und als körperliche Krankheit. Wieck begreift den Mann als unwissend und als inkompetent hinsichtlich der eigenen Befindlichkeit und der eigenen Bedürfuisse. Die Männer hielten sich fur stark und kräftig, seien aber in Wirklichkeit kraftlos. Sie wüßten weniger von sich, als Frauen es täten. Aber genau dies einzusehen sei ihnen verwehrt, sie hielten sich vielmehr fur allwissend. Die Einsicht in diesen Verblendungszusammenhang gewinnt Wieck aus folgender 'Beobachtung': "Daran, daß er keine Zusammenhänge begreift und nicht die entsprechenden Konsequenzen zieht, erkennen wir, daß er das Falsche weiß" (S. 77). Wieck gelangt zu dieser Diagnose auf der Folie seiner Analysen, welche die defizitäre Lage des Mannes betonen. Die meisten der von Wieck identifizierten Defizite sind Ausdruck einer psychischen Umeife des Mannes. Dieser sei gefuhlsgehemmt, unfähig zu Empathie, im psychischen Sinne kraftlos. Seine Beziehung zu den Frauen habe Suchtcharakter, und er regrediere in die falschen Gefuhle. Er furchte sich vor der Freiheit und habe Angst vor Nähe. Hinzu komme die Angst vor seiner Angst, die er sich nicht zugestehe. Auch hier potenziert die fehlende Bereitschaft, sich den eigenen Defiziten zu stellen, die Defizitlage. Und die manifestiert sich schließlich in somatischen Symptomen wie Herzinfarkt und Bluthochdruck sowie in der höheren Suizidalität von Männem. "Der nonnal schweigende Mann hat Angst vor seiner Angst und hält sie verzweifelt nieder. ... Statt die eigene Angst wahrzunehmen, werden Männer wütend. Sie fühlen sich angegriffen, mißverstanden oder ungerecht behandelt. Es wäre also ein Fehler anzunehmen, daß Männer keine Gefühle haben. Sie haben nur andere als Frauen, kaum solche, die hilfreiche Verbindungen stiften.... Das zerstörerische Schweigen führt zu psychosomatischen Männerkrankheiten. Vom Herzinfarkt weiß die Psychosomatik, daß er durch Unversöhnlichkeit und Hartherzigkeit hervorgerufen wird" (S. 147).
Von der Hartherzigkeit zum Herzinfarkt - sowohl die direkte Kausalverknüpfung als auch die stilistische Form, den Zusammenhang durch gleichlautende Wortbestandteile zu symbolisieren, ist typisch fur die Argumentationsweise Wiecks. Hinsichtlich der Angst des Mannes vor Nähe bestimmt er "Sehnsucht als Sucht, sich nur noch zu sehnen, die Distanz nicht zu überbrücken" (S. 140). Hieran zeigt sich paradigmatisch, wie die Defizitkonstruktion funktioniert. Ein Gefuhlszustand, den jeder Mensch zumindest temporär immer wieder einmal erlebt, der zwar nicht unbedingt gewünscht wird, der aber auch 149
nicht als Zeichen einer Unzulänglichkeit gilt, erfahrt in zweifacher Weise eine negative Konnotierung: Zum einen wird der Aspekt der Sucht dramatisch hervorgehoben, zum anderen wird der Prozeß des Sehnens selbst als Objekt der Sucht bestimmt. Indem Wieck eine Bedeutungsverschiebung gegenüber dem üblichen Sprachverständnis vornimmt, pathologisiert er eine emotionale Lage, die, wenn sie nicht zum Dauerzustand wird, allgemein als wenig problematisch gilt und von der üblicherweise keine negativen Auswirkungen auf die Beziehung der Geschlechter befurchtet werden. Defizitkonstruktionen brechen gängige Deutungen und Wertungen auf. Ein probates Mittel ist, ein Verhalten in einen Rahmen zu stellen, der fur ganz andere Bereiche erstellt worden ist '55 . Eine Metapher, die über mehrere Kapitel des Buches hinweg bemüht wird, ist die der Sucht. Wieck diagnostiziert eine "Frauensucht" des Mannes. Zur Beschreibung dieser Sucht bedient er sich nicht nur des Vokabulars, das wir aus der Literatur und aus Presseberichten über Drogensucht kennen - er fragt danach, wer die ,,Dealer" sind und wo die "Szene" zu finden ist -, er fuhrt die ernsthafte Bedrohung, welche die Frauensucht darstellt, drastisch vor Augen, indem er in dramatischer Steigerung diese 'Sucht' als "die Ursucht, das Modell aller Süchte und die schlimmste aller Abhängigkeiten" (S. 81) bezeichnet. Mehr als andere Süchte fördere sie Gewalttätigkeit und mache hemmungslos, weil der süchtige Mann "sich dabei total im Recht fuhlt". Auch hier wirkt der Verblendungszusammenhang: "Sie bleibt am verborgensten, weil sie am nächsten liegt". "Frauensucht" ist die Metapher, mit der Wieck ein Grundmotiv des Defizitdiskurses faßt: die (psychische) Erkrankung der 'Gattung' Mann. Indem sie als die "Ursucht" und als Modell begriffen wird, erscheint der Mann als verantwortlich auch fur solche Süchte, von der nicht nur Männer 'befallen' sind. Alles Elend auf der Welt hat in seinem Handeln seinen Ursprung, nicht nur die Ausbeutung der Frau, auch Krieg und Umweltzerstörung. ,,Menschen leiden unter Männern" (S. 199). Allerdings: So, wie die Anklage formuliert ist, entlastet sie den Mann zugleich. Süchtige sind nur begrenzt fur das verantwortlich zu machen, was sie unter 'Drogeneirrfluß' anrichten. In einem modemen, aufgeklärten, nicht-stigmatisierenden Umgang mit dem Problem des Drogenkonsums gilt nicht der User als Objekt der Strafverfolgung - dem muß therapeutisch geholfen werden -, sondern der Dealer l56 . Mit der Suchtmetapher wird das Geschlechterverhältnis nicht mittels gesellschaftlichstruktureller Kategorien von Macht, Dominanz und Herrschaft gefaßt, son155 In der Tenninologie der Goffmanschen Ralunenanalyse ist dies eine "Modulation". Dabei wird "eine bestimmte Tätigkeit, die bereits im Ralunen eines primären Rahmens sinnvoll ist, in etwas transfonnielt ... , das dieser Tätigkeit nachgebildet ist, von den Beteiligten aber als etwas ganz anderes gesehen wird" (Goffman 1977, S. 55). Das "Modul", das hier zur Anwendung gelangt, ist das des "ln-anderen-Zusammenhang-Stellen" (S. 87ff.). 156 Freilich stellt sich hier das Problem, daß User und Dealer identisch sind.
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dem in Kategorien individueller Pathologie und Krankheit. Es erfahrt eine psychologische Rahmung. Frauensucht äußert sich zunächst einmal in sexueller Abhängigkeit. "Alle Männer wissen, daß sie im sexuellen Drang auf die Frau angewiesen sind. Sie begehren fast jede Frau auf der Straße" (S. 77). Die Sucht ist aber nicht auf den Körper der Frau begrenzt, sie ist umfassender, weitreichender. "Sie hat den Menschen Mann als ganzen erfaßt" (S. 80). Es ist eine Sucht nach Bewunderung, nach Verwöhnung, nach emotionaler Bestätigung durch die Frau. "Der Mann braucht die Frau in fast jeder vorstellbaren zwischenmenscWichen Verknüpfung" (S. 78). Die Frauensucht ist Ausdruck einer grundlegenden "männlichen Unselbständigkeit". Ähnlich wie der Alkoholiker seine Frustrationen 'hinunterspült' , greife der Mann zur Droge Frau, wenn er eine emotionale Leere spürt. In diesem Sinne ist der Titel des Buches zu verstehen: "Männer lassen lieben". Unfahig, selber Liebe zu geben, sind sie auf die Liebe der Frau angewiesen. In der Sucht versucht der Mann, den pathogenen gesellschaftlichen Strukturen zu entfliehen, die seinem eigenen Handeln entspringen. "Er flüchtet vor dem Streß und der Gewalt der patriarchalen Welt, die er selber herstellt" (S. 80). Aber, wie wir alle wissen, ist Sucht keine Problemlösung, sondern wirkt problemverstärkend. Der Mann erscheint so auch als Opfer der von ihm zu verantwortenden Verhältnisse. Wie bei anderen Süchten, so fuhrt auch bei der Frauensucht ständiger Drogenkonsum zu Abstumpfung, ,,Dosissteigerung" und 'Beschaffungskriminalität'. Der Individualität der jeweils als Droge benutzten Frau komme keine Bedeutung zu. Vor allem in sexueller Hinsicht sei potentiell jede Frau gleichermaßen geeignet, die Symptome der Sucht kurzfristig zu lindern. Der Seitensprung sei eine "weitverbreitete Form der Dosissteigerung" (S. 103). Andere Formen seien Prostitution, sexuelle Perversionen, Gewalt gegen Frauen und sexueller Kindesmißbrauch (S. 105ff.). "Die Menschenwürde der Frau muß pennanent verletzt werden, weil es dem Mann nicht um die unverwechselbare lebendige Person geht und nicht um ihre faktischen Bedürfnisse" (S. 81). Der Genuß der Droge beseitigt die Krankheitssymptome, "aber nicht nachhaltig. Da bei konstanter Drogendosis deren Wirkung allmählich nachläßt, fühlt sich der Konsument zur Dosissteigerung ... veranlaßt ... Ist es dem Konsument unmöglich, sich die Droge auf legalem Weg zu verschaffen, dann wendet er Gewalt an, die manchmal zur Kriminalität führt" (S. 90f.).
Wie bei anderen Süchten gibt es Dealer und eine Drogenszene. Allerdings scheint es nicht ganz einfach zu sein, diese exakt zu identifizieren. Zunächst erscheint der Staat als Dealer, der mit der Frau als Männerdroge 'handelt', weil selbständige Männer eine Gefahr darstellen und sie mit der Droge "einigennaßen still und brav" gehalten werden können (S. 88). Hier dokumentiert sich ein Impetus, der typisch fur den Defizitdiskurs ist und der verständlich wird, wenn man berücksichtigt, daß ein großer Teil der Autoren der Generati151
on der Achtundsechziger angehört. So auch Wieck, der in den autobiographischen Teilen des Buches u.a. über seine Erfahrungen in und mit der Studentenbewegung schreibt. In der Metaphorik von Frauensucht und Staat als Dealer kommen kritische Distanz zur Studentenbewegung und nachhaltige Prägung durch sie gleichennaßen zum Ausdruck. Die Kritik des Mannes geht über die sozialistische Gesellschaftskritik hinaus, macht diese selbst zum Gegenstand der Kritik. In der Studentenbewegung kann Wieck in der Retrospektive lediglich ein oberflächliches Interesse an den Menschen feststellen. "Die Studentenideologie war nicht menschenfreundlicher als die Familienwirklichkeit" (S. 45). Die Autoritätsverhältnisse zwischen den GescWechtern blieben unangefochten. In der Bestimmung des Staates als Dealer wirkt andererseits die "Studentenideologie" nach. An anderen Stellen, an denen Wieck die Sozialisation in die Abhängigkeit fokussiert, weist er dem Vater die Rolle des Dealers und der Gesellschaft die Funktion der Drogenszene zu. Weil die Väter selber süchtig seien, gönnten sie ihren Söhnen keine Befreiung (S. 88). Auch wenn diese Kausalität nicht zwingend ist, Motive der Mißgunst sind nicht unüblich und nachvollziehbar. Der 'Verkauf der Droge an den Sohn geschieht in einem familiären Szenario, das durch die sozialisatorische Abwesenheit des Vaters geprägt ist. "Der Vater entzieht sich seinem Sohn und bietet ihm statt dessen die Mutter an" (S. 114). Der Sohn gerät in ein eindimensionales Abhängigkeitsverhältnis zur Mutter und hat so "keine andere Wabl, als sich durch Verwöhnung drogensüchtig machen zu lassen". Die Frauensucht des Mannes wird also schon in der primären Sozialisation angelegt. Die Entlastung des Mannes von der Verantwortung für das, was er 'anrichtet', die bereits in dem Begriff der Sucht enthalten ist, wird durch die 'Analyse' der sozialisatorischen Genese der Sucht fundiert und plausibilisiert. Alle Akteure scheinen in einem circulus vitiosus gefangen. Der Vater war auch einmal Sohn und hat sich somit seine Rolle als Dealer nicht ausgesucht, und die Mutter hält den Sohn in Abhängigkeit, weil er das einzige männliche Liebesobjekt ist, das ihr angesichts eines sich der Familie entziehenden Vaters zugänglich ist. ,,Die einsame, entkräftete und unzufriedene Mutter bietet sich ihrem Sohn als Droge an, weil sie ihn braucht. Und so lernt der Sohn seine Mutter als Droge zu benutzen" (S. 93). Innerhalb des skizzierten familiären Arrangements stehen die Aussichten auf eine erfolgversprechende 'Drogentherapie' äußerst schlecht. Die einzige Abhilfe sieht Wieck in der Auflösung des Monopols der Frauen in der Kindererziehung. Wie das angesichts des Zirkels sich wechselseitig verstärkender Abhängigkeiten gelingen soll, vor allem, wer als Protagonist einer Veränderung in Frage kommt, bleibt unklar. Und so ist die folgende Fonnulierung nicht zufällig: "Institutionalisierte Machtstrukturen müßten sich ändern, damit die Macht der Väter im Staat und die der Mütter über die Kinder gerecht verteilt würde (S. 116; Hervorhebung: M.M.). Die anschließende Prognose, daß 152
damit der Staat und die bisherige Kindererziehung überflüssig werden, verweist noch einmal auf die Zugehörigkeit des Autors zur Generation der Achtundsechziger. Kein Genuß ohne Reue, kein exzessiver Drogenkosum ohne Spätfolgen. "Es gibt keine harmlosen Drogen. Jeder Drogenkonsum, auch der der Frau, ist im Grunde eine allmähliche Selbsttötung" (S. 116). Der Mann wird kraftlos, auch wenn er sich stark und kräftig wähnt. Die Männer über ihre Defizitlage aufzuklären ist bei Wieck nicht nur durch den Impetus motiviert, den GescWechtsgenossen einen Weg aus ihrer - nicht erkannten - Misere zu weisen. Anders als im Maskulinismus und im Differenzdiskurs geht die Perspektive über den männlichen Binnenraum hinaus. Wieck diagnostiziert die männliche Kraftlosigkeit als einen "gesellschaftlichen Mißstand", unter dem die Frauen leiden (S. 171). Das Leiden der Frauen ist ein unmittelbares, das sich in Klagen über den sich entziehenden Partner äußert, während die Männer ihr eigenes Leiden verdrängen. Weiblichkeit erscheint als positiver Gegenhorizont einer miserablen Männlichkeit. Zu männlichen Kindheitserfahrungen notiert Wieck: "Es war traumatisch für Männer, daß sie daran gehindert wurden, wie Mädchen zu sein, friedlich wie Mädchen zu spielen, anstatt mit Jungen zu wetteifern und sich gegenseitig zu bekämpfen" (S. 134). Der defizitären Männlichkeit wird eine idealisierte Weiblichkeit kontrastiert. Frauen seien "gefühlsgegenwärtig", sie hätten eine "fundamentale Kraft", die ,,Kraft zur Anwesenheit". Ihr Interesse am anderen Menschen sei echt, es "fließt natürlicher". "Weibliches Interesse spiegelt den Menschen, weil es auf Beeinflussung weitgehend verzichtet". Es "baut den Menschen auf und stabilisiert ihn, unmittelbar, während das männliche bemüht erscheint, sacWich und rational" (S. 68). Die Frau "verkörpert den Halt, den der Mensch als Mensch haben kann, den Halt am anderen Menschen, als Bollwerk gegen das Nichts" (S. 72). In dieser Gegenüberstellung und in der Idealisierung des Weiblichen dokumentiert sich deutlich ein Nachwirken der Dichotomien und Deutungsmuster, wie sie den GescWechterdiskurs der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert geprägt haben und wie sie für die Soziologie am deutlichsten von Tönnies formuliert worden sind (s. Kap. 1.1). Eine Unterscheidung, die sich durch den gesamten Text hindurchzieht, ist die von echt und unecht, von richtigen und falschen Gefühlen, von eigentlicher Kommunikation und bloßem Reden. All diese Kontraste sind entlang der Achse weiblich-männlich abgebildet. Männer mögen zwar unaufhörlich reden, seien aber nicht "eigentlich" kommunikativ, sabotierten vielmehr jede echte Kommunikation. "Paradoxerweise zeigt sich männliches Schweigen vor allem beim Reden, eine Sabotage echter Kommunikation" (S. 150). Männer scheuten die "Anstrengungen eines verbindlichen Dialogs" (S. 139). Die Männer redeten, um anderen Angst zu machen, verbärgen in ihrem ,,Rede153
zwang" aber eigene AngstgefiiWe hinter Worten und verweigerten sich in ihrem bloßen Gerede einem ernsthaften Sprechen über Gefiihle und Betroffenheiten. In einer Kontrastierung von (unechtem) Reden und (echtem) Sprechen bestimmt Wieck die Frauen als das "sprechende Geschlecht" (S. 156). In der Verweigerung von eigentlicher Kommunikation äußert sich fiir Wieck eine regressive Männlichkeit, die auf falschen Gefiihlen beruht und die auch dort, wo der Mann die Distanz zur Frau körperlich zu überbrücken versucht, nur zu einer unechten Nähe fahig ist. In diesen Kontrastierungen erscheint die Frau als das positive Andere des Mannes. Mit der Metapher von der Frauensucht verdeutlicht Wieck, daß jeder Mann auf die Frau angewiesen ist, daß er nur in der Beziehung zur Frau an dem teilhat, was den 'ganzen', den 'eigentlichen' Menschen ausmacht. "Ohne die Frau ist er heimatlos. Ihre Anwesenheit ist seine Heimat" (S. 74). Wieck bestimmt die Frau als die "private Therapeutin" des Mannes (S. 57), die durch ihr Zuhören und ihre Empathie ständig die Defizite ausgleicht, die mit der regressiven Männlichkeit notwendig verbunden sind. Eine solche in die Struktur der üblichen Geschlechterbeziehung eingelassene Therapie erzeugt freilich Abhängigkeiten. Die Hilfe ist einseitig, "ohne tiefgreifende Besserung und ohne Entwicklungsanstöße. Solange diese Frau da ist, leben Männer gedankenlos dahin und übernehmen keine Verantwortung fiir sich". Die Männer "haben die Hilfe, die ihnen erlaubt, nicht an sich zu arbeiten" (S. 56). Von der Mutter über die Ehefrau bis zur Prostituierten reicht das Spektrum der in dieser Weise 'therapeutisch' wirkenden Frauen. Ein Kennzeichen eines jeden Textes der Männerverständigungsliteratur ist es, daß ein Problem nicht nur benannt wird, sondern daß Perspektiven offeriert werden, wie der Mann seinem wie auch immer gearteten Dilemma entkommen kann (s.o.). Die Lösung, die Wieck skizziert, besteht nicht, wie man vielleicht erwartet, darin, den Männern eine Separierung von den Frauen nahezulegen, um sich so aus der einseitigen Abhängigkeit zu lösen. Nicht der völlige Entzug der Droge wird empfoWen, sondern ein erschwerter Zugang. Der besteht in Frauen, die sich einer einseitigen 'Therapie' verweigern, die ihre Hilfe an Bedingungen knüpfen und Forderungen stellen. Wieck formuliert Erwartungen an den Mann und an die Frau. Den Mann fordert er auf, "harte Arbeit an der eigenen Person" (S. 51) zu leisten, sich seiner Sucht zu stellen, seine Ängste anzuerkennen. Dazu soll jeder Mann mit Hilfe der Instrumente der Tiefenpsychologie sein eigenes Unbewußtes und dessen frühkindliche Genese geduldig und konsequent erforschen (S. 159). Bei dieser reflexiven Therapeutisierung von Männlichkeit will Wieck den Mann nicht sich selbst oder seinesgleichen überlassen, er nimmt die Frau gleichsam mit in die Verantwortung. Ohne eine Hilfestellung durch die Frau sieht Wieck den Mann auf verlorenem Posten. Eine "Humanisierung der Geschlechterbeziehungen" könne ohne die "Gefahrtenschaft der Frau" nicht gelingen (S. 174). 154
Die avisierte Gefahrtenschaft unterscheidet sich von der oben skizzierten einseitigen Therapie. Freilich, sich der Frauensucht des Mannes zu verweigern müßten die (meisten) Frauen erst lernen. Insofern muß nicht allein der Mann 'an der eigenen Person arbeiten', an die Frauen ergeht gleichermaßen der Aufruf: "Eigene Inkonsequenzen durcharbeiten" (S. 189). Wieck formuliert einen umfangreichen Katalog von Eigenschaften und Haltungen, die die Frau besitzen bzw. erwerben muß, um dem Mann aus seiner einseitigen Abhängigkeit herauszuhelfen: "Nicht verwöhnen, nicht schonen", "Die Fehler des Mannes benennen", "Affekte gemeinsam durcharbeiten", "Unsicherheit ertragen", "Führung übernehmen", "Tabus des Mannes durchbrechen", "Eigene Inkonsequenzen durcharbeiten", "Um die eigene Selbstachtung ringen", "Fordern, daß der Mann von ihr lernt" (S. 182ff.).
Die Perspektive, die Wieck offeriert, bestimmt die Beziehung von Mann und Frau als therapeutische Praxis. Zu der Aufforderung, daß die Partner ,,Affekte gemeinsam durcharbeiten (S. 185)", notiert er: "Wenn ich Durcharbeiten empfehle, dann meine ich durchaus das intensive Gespräch über Erinnerungen, Wiederholungen und Übertragungen, welches das über Konflikte, Krisen und Situationen begleiten sollte. Ein Gespräch ist ein Kunstwerk, kein Pfusch."
Die Dauerreflexion bestimmt den partnerschaftlichen Alltag, wird gleichsam institutionalisiert. Die verbal vermittelte Verständigung der Partner erscheint als höchstes Gut und als Allheilmittel. Sämtliche Bereiche des Zusammenlebens werden dem 'Sprechgebot' unterstellt, bis hin zur Erotik. Wenn der Mann auf diesem Gebiet 'versagt', dann ist der Grund der, daß er nicht angemessen darüber zu sprechen weiß. "Exhibitionisten, Voyeure und Sadomasochisten sind keine Getriebenen, sondern Männer, die nicht gelernt haben, durch spracWichen Austausch auf zarte Weise eine erotische Atmosphäre zu schaffen" (S. 171)157. Die Lösung, die Wieck vorscWägt, reproduziert in modifizierter Form das Muster, welches das zu bewältigende Problem ausmacht. Die Abhängigkeit von der Frau wird durch die Verantwortung der Frau für das Gelingen des therapeutischen Prozesses ersetzt. Möglichkeiten einer männlichen 'Selbstbefreiung' zeigt Wieck nicht auf. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, die sich u.a. darin äußert, daß Frauen 'Beziehungsarbeit' für Männer lei157 Dieses Zitat ist ein weiteres Dokument für die Vorgehensweise Wiecks, Echtes von Unechtem zu unterscheiden. Auch weml er diese Qualifikationen hier nicht velwendet, wird deutlich, daß er nur bestinunte Fonnen von Erotik als würdig erachtet, Erotik genannt zu werden. Diese - hier implizit vorgenommene - Eingrenzung läßt ilm wohl auch übersehen, daß gerade eine sadomasochistische Erotik unabdingbar auf sprachlichen Austausch angewiesen ist, in dem die Modalitäten zwischen den Akteuren ausgehandelt und festgelegt werden (vgl. Hitzier 1993).
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sten, wird nicht in Frage gestellt. Gefordert wird eine Verbesserung der Beziehungsarbeit. Die Traditionalität des Wieckschen Lösungsvorschlags, die sich hinter der begriffiichen Radikalität der Defizitdiagnose verbirgt, wird noch deutlicher, wenn man schaut, wo das therapeutische Gespräch typischerweise stattfindet. Der ideale Ort ist die stabile heterosexuelle Partnerschaft, nicht unbedingt durch einen Trauschein legalisiert, aber auf der Treue der Partner basierend. Wieck kritisiert männliche Psychologen, die ihren Geschlechtsgenossen den Wert von Treue und fester Bindung auszureden versuchen (S. 103). Mit tiefer Skepsis betrachtet er feministische Positionen, die den Frauen empfehlen, ihre Kinder alleine groß zu ziehen. "Eine Mutter, die ohne Mann lebt, sich quasi bedürfnislos fiir ihre Söhne aufopfert, muß diese auch mißbrauchen" (S. 97). Ein gesellschaftliches Phänomen, demgegenüber jeder Diskurs innerhalb der Männerverständigungsliteratur seine Position bestimmen muß, ist der Feminismus. Ohne die 'feministische Herausforderung' rande eine Selbstproblematisierung von Männlichkeit kaum statt. Der Defizitdiskurs stellt sich als profeministisch dar, behält sich aber eine differenzierende Sicht auf unterschiedliche feministische Richtungen vor. Wieck unterscheidet zwischen einem "radikalen" und einem "freiheitlichen" Feminismus. Er warnt vor den negativen Folgen eines radikalen Feminismus, in dem Frauen sich "in kleinen spirituellen Kreisen (Still-, Mütter-, Hexen-, Lesbengruppen)" von den Männern absonderten und sich männerfeindlich gebärdeten (S. 203). Solchen Feministinnen, die stolz drauf seien, keine Männer zu brauchen, attestiert Wieck eine pathologische Persönlichkeitsstruktur, die der der Männer nicht unähnlich ist. "Manchmal denke ich, daß die eigensinnigen Schwestern sich stärker geben, als sie sind. Man spürt Verbitterung und doch auch Anklammerungstendenzen mit Anzeichen eines Hasses, der nicht loslassen kann" (S. 180)158.
Daß Wieck den Radikalfeminismus kritisiert, verwundert nicht. Dieser verweigert sich zu offensichtlich der therapeutischen Praxis, die Wieck den Frauen als ihre Aufgabe zuweist. Den Radikalfeministinnen fehlen seiner Diagnose zufolge die weiblichen Qualitäten, die fiir eine therapeutische Beziehung notwendig sind. Die Variante des Feminismus, die Wieck die freiheitliche nennt, erfährt hingegen uneingeschränkte Zustimmung. Sie wird zum Rettungsanker der Menschheit stilisiert. Wieck betont die Notwendigkeit "einer feministisch erweiterten Menschenkenntnis" (S. 82) und bezeichnet den Feminismus als den "Humanismus des 20. Jahrhunderts" (S. 195). Das Humanistische besteht in
158 Allerdings blingt Wieck auch diesen Fmuen das 'Verständnis' des Tiefenpsychologen entgegen: "Wer in der Kindheit gewalttätig mißbraucht wurde, muß wohl so reagieren" (S. 180).
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einer androgynen Perspektive. Der freiheitliche Feminismus wird als das totale Gegenteil der Männerwelt konstruiert. "Die Frauenbewegung war anfangs und ist großenteils noch heute eine Bewegung, in der persönliche und politische Verantwortung nicht getrennt wurde. Sie wird freiwillig von einzelnen Frauen getragen, die keine politische Macht beanspruchen und keine generellen Regelungen verlangen. Frauen gehen politisch so miteinander um, wie sie im Alltag mit Kindern und anderen Frauen umgehen, den Werten der Freiheit, Gleichberechtigung und Selbständigkeit verpflichtet. Sie haben ein positives Menschenbild, vertrauen auf gegenseitige Hilfe und organisieren sich nur locker, nie auf Dauer und nur in kleinen, überschaubaren Gruppen. Dadurch erhalten sie sich Begeisterung für die Sache und entwickeln Kräfte, die wir in großen, langfristig strukturierten und hierarchischen männlichen Gruppen nicht mehr antreffen .... Niemand macht von den Schwächen der anderen strategisch Gebrauch" (S. 201 f).
Dieses Idealbild der Frauenbewegung ist Ende der achtziger Jahre gezeichnet, zu einem Zeitpunkt also, zu dem Organisationsbildungen und Institutionalisierungen im politischen Feld (Frauenbeauftragte, Gleichstellungsstellen und -gesetzgebung u.v.m.) längst in hohem Maße eingesetzt hatten. Im Rahmen der Bestimmung der Frau als das positive Andere (s.o.) ist diese Idealisierung freilich konsequent. Zwar konzediert Wieck, daß die Wirklichkeit dem Ideal nicht immer gerecht zu werden vermag, die Schuld dafür weist er aber nicht den Frauen selbst, sondern den "mächtigen und gewalttätigen Männern" zu, mit denen die Frauen zusammenleben (S. 202). Wiecks Verständnis des Geschlechterverhältnisses und des Feminismus ist ein in hohem Maße apolitisches. Im Fokus stehen im einen wie im anderen Fall nicht gesellschaftliche und organisatorische Strukturen, sondern interpersonelle Beziehungen, die von den sozialen Kontexten, in die sie eingebettet sind, weitgehend abgelöst sind. Das Verdienst der Frauenbewegung besteht für Wieck darin, daß sie eine "personelle Revolution" initiiert hat (S. 135). Nach alledem ist es nur konsequent, daß in der Beschreibung der häuslichen kommunikativen therapeutischen Praxis eine Dimension des GescWechterverhältnisses unerwähnt bleibt: die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Diese strukturelle Basis des Geschlechterarrangements erscheint als unwichtig gegenüber dem metakommunikativen Beziehungsgespräch. In der Selektivität, mit der ein zentraler Topos des feministischen Diskurses ausgeblendet wird, dokumentiert sich ex negativo, was in den Ausführungen über die Modalitäten der therapeutischen Praxis positiv formuliert wird: die psychologische Rahmung des Defizitdiskurses. In einer Verknüpfung von ("freiheitlicher") feministischer Männlichkeitskritik und tiefenpsychologischer Einsicht in Abwehrmechanismen sieht Wieck den Weg zu einer humanistischen Erneuerung der (Männer-)Welt. Ohne den Rekurs auf die Tiefenpsychologie sei weder eine angemessene Diagnose zu stellen noch eine befreiende Perspektive zu formulieren. Selbst der Widerstand der Männer gegen die Frau157
enbewegung ist nur in diesem Rahmen zu verstehen. Nicht die Verteidigung handfester Privilegien und Interessen ist das Motiv, sondern "Abwehr gegen die Wiederkehr des Verdrängten" und "Angst vor Neuem" (S. 48). Diagnosen stehen unter Beweislast, Lösungsvorschläge sind begründungspflichtig. Beiden Anforderungen wird Wieck in der Form einer autobiographischen Validierung gerecht. Die ersten Kapitel des Buches sind als autobiographische ErzäWung angelegt, in der er über das problematische Verhältnis zu seiner Mutter ("Mutter-Sohn-Komplott"), die Kraftlosigkeit seines Vaters, die nicht überwundene Fremdheit in der Beziehung zu seiner ersten Frau, seine ständige Suche "nach der magischen Helferin, die mich verwöhnen sollte" (S. 46), und schließlich die 'Erlösung' durch seine zweite Frau berichtet, durch deren Initiative er sich mit dem Feminismus befaßte und die ihm eine solidarische Gesprächspartnerin ist, mit der er seine Ängste und Abwehrmechanismen aufarbeiten kann. Diese autobiographische Validierung erhöht die Glaubwürdigkeit des Geschriebenen. Ein allgemeines Merkmal des Defizitdiskurses besteht darin, daß die Kompetenz, etwas für ein größeres Publikum Relevantes beizutragen, durch den Hinweis auf die persönliche Betroffenheit des Autors dokumentiert wird l59 . Wichtig ist ferner, daß der Autor zumindest einen Schritt weiter als seine Leserschaft ist, daß er also nicht nur betroffen ist, sondern einen Ausweg aus seiner eigenen Misere gefunden hat. Ein Autor mag außerdem professionelle Kompetenzen haben '60 ; die zäWen wenig, wenn er nicht eine persönliche Involviertheit vorweisen kann. Inhalt und Form des Wieckschen Textes stehen in einem Verhältnis perfekter Homologie. Beide verweisen darauf, daß der Defizitdiskurs Teil eines 'therapeutischen Offenbarungsmilieus' ist, das über den Kreis selbstreflexiver bzw. 'bewegter' Männer hinausreicht. Hier findet sich vieles von dem wieder, was Sennet (1983) als Merkmale einer "Tyrannei der Intimität" beschreibt: ein Authentizitätsgebot, eine durchgängige Psychologisierung sozialer Verhältnisse, eine Verwandlung von politischen Kategorien in psychologische '61 . Wieck praktiziert all dies in paradigmatischer Form. Die Dimension, in der in einer Umdeutung tradierter symbolischer Sinnwelten die Defizite der männlichen Existenz verortet werden, ist die Psyche. Schaden nimmt der Mann, der den tradierten Orientierungen folgt, nicht im öffentlichen Leben von Politik und Beruf, Schaden nimmt er an seiner Seele. Diese Diagnose läßt letztlich auch den Mann als ein Opfer der von ihm selbst erzeugten Verhältnisse erscheinen, als einen Leidenden. Das Leiden wird als 159 Das Betroffenheitsklitelium hat einen hohen Stellenwett auch in Männet-gJuppen (s. Kap. 7.4). 160 Wieck z.B. ist laut Autoreninfonnation klinischer Psychologe und in psychologischer Beratung und Psychotherapie tätig. 161 Selmetl (1983, S. 425) zufolge behelTscht diese Tyrannei heute das Alltagsleben. "Sie besteht datin, daß sich in den Köpfen der Menschen ein einziges Wahrheitsklitelium als glaubwürdig festsetzt, mit dem die gesamte soziale Wirklichkeit in ihrer Komplexität beulteilt wird. Die Gesellschaft wird heutzutage einzig in psychologischen Kategorien gemessen".
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eine spezifische Form der Unterdrückung gedeutet, wie Männer sie erfahren und wie sie aus der rigiden Durchsetzung der Normen der Männlichkeit resultiert. Freilich - die Unterdrücker gehören dem eigenen Geschlecht an. Im "Männerkalender '92"162 heißt es, daß "der Mann Unterdrückung (benutzt), um seine HeITSchaft zu zementieren. Ich könnte aber auch sagen, der Mann wird durch seine selbst erlebte Unterdrückung zum Herrscher und Unterdrücker. Weil er seine Geftihle nicht ausleben kann, wird er zum Demütiger. Die Unterdrückung einer lustvollen Sexualität, die Unterdrückung seiner Geftihlsregungen, die Unterdrückung seiner körperlichen Bedürfnisse und die Behinderung der Entwicklung einer Individualität verhindern die Entwicklung des Mannes zu einem liebesfahigen Subjekt und lassen ihn zu einem Machtmenschen verkommen" (Schlautmann 1992, S. 36).
Die Defizitlage wird hier ins Uferlose gesteigert. Selbst der Status der Individualität ist in Gefahr. Diese Passage, der gegenüber das Buch von Wieck geradezu als theoretisch reflektiert erscheint, soll nicht zum Gegenstand einer tiefgehenden Interpretation gemacht werden. Festzuhalten bleibt aber - gerade im Hinblick auf den Diskurs des Maskulinismus -, daß die Unterdrückung sich auf die eigene Psyche richtet und daß Opfer und Täter identisch sind. "Männer sind Opfer ihrer Täterschaft" (ebd.). Löst man den Blick von den Texten selbst und wendet sich der Einbettung der Männerverständigungsliteratur in den übergreifenden Zusammenhang einer 'männerbewegten' Szene zu l6 3, dann wird die Funktionalität der Defizitkonstruktionen für die Konstitution einer 'Männerbewegung' deutlich. Anders als bei der Frauenbewegung, die mehr oder minder ausgesprochen Patin gestanden hat, fehlt es den männerbewegten Männern an einer Unterdrükkungserfahrung und einer Diskriminierung, die an der Geschlechtszugehörigkeit als askriptivem Status festgemacht ist. Die Konstruktion einer Defizitlage fungiert als funktionales Äquivalent für fehlende Diskriminierungserfahrungen. Die Umdeutung von Privilegien in Nachteile, von gesellschaftlicher Macht in psychische Ohnmacht ist der Versuch, eine motivationale Basis für eine kollektive Selbstorganisation des herrschenden Geschlechts mit dem Ziel der Selbstentprivilegierung bereitzustellen. Die Erfolgsaussichten einer solchen Strategie scheinen freilich begrenzt zu sein. Den männlichen Adressaten werden existentielle Verunsicherungen zugemutet. Es ist fraglich, ob jemand sich ohne Not darauf einläßt, seine von ihm nicht zu verantwortende Geschlechtszugehörigkeit zum therapiebedürftigen Problem zu machen. 162 Der Männerkalender ist im Fonnat und in der inhaltlichen Gestaltung dem Frauenkalender nachempfunden. Neben dem Kalendalium enthält er kurze Texte zur Männerverständigung und einen Serviceteil mit Adressen von Mäm1erbüros u.ä. 163 Wie die Diskussion, die mit MännerglUppen gefUlut wurden, zeigen, Iiefelt die Mäm1erverständigungsliteratur eine wichtige symbolische Ressource für die kollektive OlientielUngsbildung in diesen GlUppen (s. Kap. 7.4).
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Angesichts des Dilemmas, in dem eine Strategie gefangen ist, die dem Mann jeglichen positiven Bezug auf einen fundamentalen Aspekt seiner Identität verstellt, verwundert es nicht, daß sich weitere Diskurse ausdifferenziert haben, die die mit der Reflexivierung verbundenen Verunsicherungen aufzulösen versprechen. Einer dieser Diskurse gibt sich dezidiert antifeministisch in seinem Bestreben, verloren gegangene Fraglosigkeiten wiederherzustellen (Maskulinismus), der andere kommt im Gewand eines aufgeklärten Essentia!ismus daher (Differenzdiskurs).
6.2 Maskulinismus: Die Rückbesinnung aufdie gefährdete Männerherrlichkeit "Maskulinismus" nennt Joachim Bürger (1992), medienerprobter Verteidiger einer unter den Attacken des Feminismus und dem 'Defätismus' der neuen Männer brüchig gewordenen Männerherrlichkeit, eine Ende der achtziger Jahre populär gewordene Position im Männlichkeitsdiskurs, die dem Profeminismus des Defizitdiskurses einen pointierten Antifeminismus entgegensetzt. In einer schlichten 'Geschlechtsverkehrung' feministischer Thesen werden die Männer als das unterdrückte Geschlecht bezeichnet, Täter werden zu Opfern, Opfer zu Täterinnen. So verwundert es nicht, daß ein populärer Buchtitel fragt "Und wer befreit die Männer?" (Stern 1991). Dem "echten Mann" wird der Rücken gestärkt im tagtäglichen Kleinkrieg mit dem weiblichen Geschlecht. Plakativen Buchtiteln wie "Mann, bist Du gut!" (Bürger 1990) oder "Mann, leb Dich aus!" (Bürger 1991), jeweils mit Ausrufezeichen versehen, folgen Inhalte, die einlösen, was die Titel versprechen: keine argumentative Auseinandersetzung mit feministischen Positionen, schon gar nicht eine Reflexion über die soziale Situation des Mannes, über Männerrolle und Männlichkeitsmuster, sondern 'Munition' für den Geschlechterkampf. Der Untertitel des maskulinistischen Bestsellers lautet nicht zu Unrecht: "Was Männer den Frauen immer schon sagen wollten". Die Diktion der Texte entspricht dem, was in intellektuellen Kreisen gerne als Stammtischparolen bezeichnet wird l64 . "Ich meine: Irgendwann muß auch mal Schluß sein mit dem ganzen schwachsinnigen Geschwätz über das Wesen und Unwesen des Mannes", heißt es bei Bürger (1990, S. 12). Insbesondere Bürger versäumt es nicht, keines der gängigen Klischees über Frauen, über Feministinnen, über Lesben und über Schwule auszulassen. Feministinnen werden beispielsweise als Frauen beschrieben, die wegen ihrer Häßlich164 GlUppendiskussionen mit Mälmem, die sich regelmäßig in ilu'er Stammkneipe treffen, geben Anlaß zu der VenTIutung, daß viele Stammtischgespräche sich durch einen höheren DifferenzielUngsgrad und durch eine gelingeres Maß an klischeehafter Wirklichkeitsbeschreibung auszeiclmen als die Texte der Maskulinisten.
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keit keinen Mann abbekommen haben. Einschlägige Beispiele ließen sich zu einer nahezu endlosen Liste zusammenstellen. Die Redundanz der Texte erreicht bei diesem Typus von Männerverständigungsliteratur l65 einen Höhepunkt, und das nicht nur in der Anhäufung von Klischees. Es ist auch kaum möglich, eine Argumentation zu rekonstruieren, scWicht, weil statt einer solchen eine Aneinanderreihung von Parolen dominiert. Das trifft in besonderem Maße auf die Texte von Bürger zu, der nichtsdestoweniger oder vielleicht gerade deshalb der Bestsellerautor des Maskulinismusdiskurses ist l66 . Ergänzend werde ich anhand des Textes von Stern darlegen, welche Perspektiven den Männern offeriert werden, wie sie sich aus der Unterdrückung durch die Frauen befreien können l67 . Die Thesen Bürgers (1990) basieren auf dem naturalistischen Deutungsmuster des physiologischen Fundiertseins der Geschlechterdifferenz. Ihm stellt sich diese Differenz dergestalt dar, daß der Mann ein triebgesteuertes Wesen ist, während die Frau sich durch eine angeborene Bequemlichkeit auszeichnet. Schon der pubertierende "Jüngling steht ständig unter Strom. Das ändert sich auch im restlichen Leben nicht mehr allzusehr, wenngleich sich die Triebhaftigkeit mit steigendem Alter auch eher auf verbaler Ebene äußert" (S. 22). "Veränderung setzt voraus, daß man den Menschen verändert, gentechnisch umpolt. Solange aber das Weib immer noch auf die gleiche alte Weise gezeugt wird, solange sie von der Mutter Erbgut und Lebensweisheiten bekommt, bleibt sie zunächst einmal das, was sie schon seit Urzeiten war: Eine auf Sicherheit und Bequemlichkeit ausgerichtete Person, die die Arbeit nicht erfunden hat!" (S. 61)
Auf dieser Folie unterschiedlicher Naturelle, unterschiedlicher angeborener Begierden und Bedürfnisse entwirft Bürger ein Bild der Geschlechterbeziehungen, in dem Metaphern von Konflikt, Krieg und Ausbeutung dominieren 165 Diejenigen, die den Tenninus "Verständigungsliteratur" geprägt haben (s. Fn. 148) würden vennutlich heftigst dagegen protestieren, die Texte des Maskulinismusdiskurses diesem Genre zuzuordnen. Desgleichen würden mälmerbewegte Autoren wie Wieck oder Bly (s. Kap. 6.3) sich dagegen verwahren, daß die Texte der Maskulinisten und ihre eigenen unter ein und derselben Rubrik abgehandelt werden. Aus der bereits erläutelten soziologischen, model11isierungstheoretischen Perspektive zielt aber auch der Maskulinismusdiskurs auf eine Verständigung unter MälUlel11, wenn auch mit völlig anderer Ziehichtung. 166 Bürgers 1990 erschienenes erstes Buch "Mann, bist Du gut!" hat eine Auflage von 100000 elTeicht. Diese Auflagenhöhe sowie die starke Präsenz des Autors in den Medien (u.a. auf dem "heißen Stuhl" von RTL) haben den Verlag vennutlich bewogen, im Abstand von jeweils einem Jahr zwei weitere Bücher von Bürger (1991; 1992) zu publizieren. Bürger gehÖlt damit in den Kreis der vier auflagenstärksten Mälmerbücher-Autoren (neben Wieck 1991, Lauster 1989 und Bly 1991). 167 Die Auflagenhöhe dieses Buches konnte wegen fehlender Auskunftsbereitschaft des Verlages nicht ennittelt werden. Für eine hohe Verbreitung splicht, daß es über einen längeren Zeitraum hinweg in großen Stückzahlen auf den 'Aktionstischen' der Buchhandlungen auslag.
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und das von einer essentiellen Fremdheit von Mann und Frau kündet. Für den Mann sei die Frau ein Mysterium. Jeder Versuch, weibliches Denken zu verstehen, müsse scheitern, da das Einzige, was das Denken aller Frauen kennzeichnet, "Unlogik und Unberechenbarkeit" sei (S. 81)168. Die Rollenverteilung im Kampf der Geschlechter wird schnell deutlich: Dem normalerweise friedfertigen Mann werde das Leben von machthungrigen Feministinnen zunehmend schwer gemacht. Die auf ihre eigene Bequemlichkeit fixierte Frau lasse ihren Mann bis zur Erschöpfung arbeiten, damit der ihren Luxus fmanziert. Bei alldem bleiben die Geschlechter einander derart fremd, daß auch ein kommunikativer Austausch zwischen Mann und Frau nicht hilft, Konflikte aus dem Weg zu räumen. Erstens gebe es keine gemeinsamen Interessen, über die man sich verständigen könnte. Und zweitens seien Frauen zu einem vernünftigen Dialog nicht fähig. Eine Diskussion mit Frauen stellt sich Bürger als ein "unmögliches Unterfangen" dar (S. 101). "Diskussionen mit Frauen sind ein gewaltiger Verschleiß von Energie" (S. 104). Wenn eine Verständigung mit Frauen überhaupt gelingt, dann auf keinen Fall auf verbal-kommunikative Weise. Als positiven Gegenhorizont präsentiert Bürger die Männerrunde des Stammtischs. Hier seien konstruktiver Dialog, Akzeptanz der Meinung des Anderen und wechselseitiges Überzeugen möglich und üblich. In diametralem Gegensatz zu Wieck verteidigt Bürger den Wert traditioneller männlicher Gesellungsformen und erteilt allen Verständigungsversuchen über die GescWechtergrenze hinweg eine Absage. Ehe und Familie sind das HauptscWachtfeld im Krieg der Geschlechter, und sie sind ein Machtinstrument in der Hand der Frauen. Mit der Heirat begebe sich der Mann in eine "lebenslange Knechtschaft" (S. 126). Konsequent rät Bürger dem Ehemann, sich, so oft er die Gelegenheit dazu hat, dem familiären Alltag zu entziehen. In diesem Zusammenhang erfährt ein Phänomen, das in der sonstigen Männerverständigungsliteratur einhellig kritisiert wird, der abwesende Vater, eine positive Wertung: ,,Bewundernswürdig ist es, daß er es wieder geschafft hat, sich den ganzen Tag der Befehlsgewalt der Frauen zu entziehen. Recht schnell erfährt der kleine Junge eins: Arbeiten ist keine Pein, sondern die vergnügsame Chance, dem Einfluß der Frauen zu entfliehen" (S. 16). Die Abwesenheit des Vaters hat eine Kehrseite. Der kleine Junge "sieht sich eingekreist von weiblicher Indoktrination" (S. 15). Dieses 'Schicksal' ereile den Jungen nicht nur in der Familie in Gestalt von Mutter und Großmutter, es finde im Kindergarten seine Fortsetzung. Doch all dies könne den Selbstbehauptungswillen des Jungen nicht brechen, er überstehe diese Phase seines Lebens in der Regel "unbeschadet". Auch hier vertraut Bürger auf die Kraft der 'Männergemeinschaft'; in der Peer Group der Jungenbande werde 168 Ob die Fremdheit der Geschlechter wechselseitig ist, interessielt Bürger nicht, der anders als Wieck sich nicht darum bemüht, die Perspektive der Frauen zu elfassen.
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das 'Widerstandspotential' gegen weibliche Indoktrinationsversuche aufgebaut. Zumindest die Großmütter und die Erzieherinnen resignierten irgendwann und "versuchen erst gar nicht mehr, dem heranwachsenden Burschen weibliches Wesen aufzupfropfen" (S. 17). All dies vollziehe sich im Einklang mit der natürlichen Bestimmung der Geschlechter, müsse auch gar nicht forciert werden, fiir diese Entwicklung "sorgen die Chromosomen schon von ganz allein" (S. 14). Das Leben des Jungen schildert Bürger als eine 'mädchenfreie' Idylle. Die Probleme begännen, wenn in der Pubertät der Sexualtrieb 'erwacht'. ,,Die einzige Schwäche des männlichen Geschlechts wird zur größten Herausforderung auf dem Lebensweg" (S. 18). Der Mann entwickle sich zu einem triebgesteuerten Wesen. Das daraus resultierende Problem beschreibt Bürger freilich völlig anders als Wieck. Nicht Frauensucht im Sinne einer psychischen Abhängigkeit ist das Problem, sondern daß von diesem Zeitpunkt an der Mann zumindest partiell auf die Frauen verwiesen ist, sich also aus einer homosozialen Männerwelt herausbegeben muß. Eine dramatische Steigerung erfährt dieses Problem, wenn der Mann seine sexuellen Bedürfnisse in der Institution der Ehe befriedigen muß. Dann werde er zum 'Knecht' der nur auf ihre Bequemlichkeit bedachten Frau. Die Abhängigkeit des Ehemannes von seiner Frau ist keine psychische, sondern eine ökonomisch vermittelte. Er müsse arbeiten und zahlen, damit sie ihm Zugang zu ihrem Körper gewährt. Die Triebsteuerung begreift Bürger als das Schicksal des Mannes, die skizzierten Folgen als nahezu unvermeidlich. "Gegen den Trieb anzukämpfen, funktioniert nicht. Früher oder später landet man unweigerlich in der ersten festen Zweierkiste" (S. 33). Ein Eheleben, das den Mann zufriedenstellt, ist fur Bürger undenkbar. Eine glückliche Ehe könnten allein solche Männer fuhren, deren Trieb nur schwach ausgeprägt ist und deren Frauen "eine Menge männlicher Aktivitätshormone" (S. 91) aufweisen. Die Begründung ist, wie meistens in diesem Text, nicht zwingend, aber aufschlußreich. Diese Paare könnten gemeinsame Interessen entwickeln, allerdings solche, bei denen fur Bürger die Männlichkeit in Frage steht, z.B. Töpfern und Kindererziehung. Für karriereorientierte Männer - und das sind in den Augen Bürgers 'echte' Männer - sei eine gute Ehe hingegen hinderlich. Zuviel Energie würde vom Beruf abgezogen und in die Familie geleitet. Als Ideal erscheint der autonome Mann, der nicht nur den Beruf an die erste Stelle stellt, sondern der sich hinsichtlich seiner sexuellen Bedürfuisse wie seiner Interessen an sozialen Kontakten außerehelich orientiert. Folgt man Bürgers Schilderungen, so sind die Geschlechterbeziehungen schon immer schwierig gewesen, haben Männer sich schon immer mit irrationalen Erwartungen von Frauen auseinandersetzen müssen. Richtig 'ungemütlich' ist es fur die Männer aber anscheinend in den letzten 30 Jahren ge163
worden. In dieser Zeit seien die seit Jahrtausenden bewährten "archaischen Strukturen" des Geschlechterverhältnisses von Frauen, die ihr "Energiepotential" widernatürlich nutzten, aufgebrochen worden (S. 7f.). Auf der Anklagebank sitzt der Feminismus. Über den weiß Bürger nicht nur zu sagen, daß es einen "kausale(n) Zusammenhang zwischen Häßlichkeit und Emanzipation" (S. 94) gebe, er kennt auch das Motiv: "Rache am Mann" (S. 97). Quotenregelungen und Gleichstellungspolitik werden kritisiert, solchen Maßnahmen ist aber auch - gleichsam im Sinne einer 'dialektischen Vernunft' - ein positiver Aspekt abzugewinnen: "Es ist gelungen, den Wildwuchs von der Straße in die politische Szene einzubinden" (S. 98). "Querulanten" würden damit kalkulierbar. Bürger präsentiert sich seinen Lesern als jemand, der unter die Oberfläche zu schauen und die 'wirklichen' Motive feministischer Gleichstellungsforderungen zu entschlüsseln vermag. Gleichberechtigung biete den Frauen eine "erstklassige Möglichkeit ..., ihre Bequemlichkeit zu intensivieren" (S. 99). Der Mann, der ohnehin mehr arbeite als die Frau, könne nun auch noch zur Hausarbeit verpflichtet werden. Bürgers zentrale These einer angeborenen weiblichen Bequemlichkeit liefert aber auch den Hintergrund zur Entwarnung. Die männliche Leserschaft wird beruhigt. Der Gleichberechtigungsgedanke werde sich nicht durchsetzen, denn es sei "ein unglaublicher Gedanke, daß eine Frau auch so hart arbeiten muß wie ein Mann" (S. 78). Ein häufiger Wechsel zwischen Schreckensgemälden und 'frohen Botschaften' durchzieht den gesamten Text. Beklagt Bürger zunächst den Zerfall archaischer Strukturen, versichert er später: "Mann zu sein ist besonders in den neunziger Jahren ein überaus glücklicher Umstand" (S. 79), stünden dem Mann doch in Gestalt von Prostitution, Gruppensex, Pornographie und Peepshows vieWiItige Möglichkeiten offen, seinen sexuellen Vorlieben außerhalb der Ehe nachzugehen. Die zahlreichen Widersprüchlichkeiten mögen kalkuliert sein oder sich unbemerkt 'eingeschlichen' haben, das Muster, dem sie folgen - Empörung über die Frauen einerseits, Bekräftigung des männlichen Selbstwertgefiihls und der männlichen Stärke andererseits -, dient der Funktion, die die Texte des Maskulinismusdiskurses haben: den Männern 'argumentative Munition' fiir den GescWechterkampf zu liefern und ihnen den Rükken zu stärken. Wem nichts als sein Versagen vor Augen gefiihrt würde, wäre kaum zu einer kämpferischen Haltung zu motivieren. Die Perspektive, die Bürger einer geneigten Leserschaft offeriert, ist nicht schwer zu erraten. Eine Veränderung des Mannes, gar eine Aufarbeitung psychischer Fehlreaktionen und Defizite steht nicht an. Die Frauen in ihre Schranken weisen, sie auf ihre tradierte und von der Natur vorgesehene Position verpflichten, ist die Devise. "Besserung ist nur zu erwarten, wenn wir die gesellschaftliche Position der Frauen wieder dort etablieren, wo sie ja Jahrhunderte gut aufgehoben war" (S. 204), durchaus nicht zum Nachteil der Frauen, wie Bürger meint. Er unterstreicht, daß auch die Männer den fiir sie 164
vorgesehenen Part zu spielen bereit sind, wenn die Geschlechterverhältnisse wieder so geordnet sind, wie es den natürlichen Bestimmungen angemessen sei. ,,Männer übernehmen die Rolle des Ernährers gerne, wenn ihnen dafür Akzeptanz und Kompetenz zugebilligt werden" (S. 204). Die Aufforderung Bürgers an die Männer lautet: Kampf um die Vorherrschaft. Jedem Versuch, sich um die Verbesserung bestehender Beziehungen zu bemühen, erteilt er eine klare Absage. Autoren wie Wieck ordnete Bürger vermutlich der Kategorie der "Heilsprediger" zu, die "Allheilmittel gegen kaputte Beziehungen" (S. 204) anpreisen, obwohl es dagegen kein einziges Mittel gebe. In Bürgers Perspektive erscheinen die Geschlechterbeziehungen als ein Machtkampf. Das ist ihm aber kein Anlaß zur Kritik, die seiner Sicht zufolge ohnehin fruchtlos wäre, weil die Beziehungen von Mann und Frau gar nicht anders organisiert werden könnten. Es kommt vielmehr einzig und allein darauf an, daß die richtige Seite die Oberhand behält bzw. zurückgewinnt. Angesichts der geradezu stupiden Häufung von Klischees und extrem provozierenden Formulierungen liegt die Überlegung nahe, ob es sich bei dem Text Bürgers vielleicht um eine - allerdings schlecht gemachte - Satire handelt. Diese Vermutung erhält weitere Nahrung, nachdem Bürger sich selbst als Spaßvogel 'geoutet' hat, der nur mal testen wollte, was man dem Publikum alles zumuten könne. Das mag stimmen oder nicht, entscheidend für eine Analyse sozialer Deutungsmuster sind nicht die Intentionen der Autoren, entscheidend ist die Resonanz beim Publikum. Vor allem das große Medieninteresse zeigt, daß die von Bürger offerierten Deutungen und Orientierungen breit nachgefragt werden. Dabei mag durchaus die eine oder andere These Bürgers als überzogen bewertet werden, aufjeden Fall scheint die zentrale Botschaft, der Mann solle sich dem Kampf um die Vorherrschaft im GescWechterverhältnis stellen, auf Widerhall zu stoßen. Bürger formuliert in pointierter und oft 'unverschämter' Form Überzeugungen, die man allesamt schon einmal gehört hat, freilich nicht in derart massiver Häufung und zumeist 'moderater' vorgetragen. Damit dokumentiert er zugleich, daß er den Kampf mit den Frauen und insbesondere mit den Feministinnen nicht scheut. Er präsentiert sich seinen Lesern als ein aufrechter und ungebrochener Mann, der mutig gegen feministische Tabus 'anstänkert'. Die Fülle von diskriminierenden Witzen und Zoten, die nicht nur auf Kosten von Frauen, sondern auch von Schwulen gehen, paßt in diesen Rahmen. Der Text liest sich als eine Folge von Meinungsbekundungen, die in der dramaturgischen Form des 'Jetzt rede ich!' verfaßt sind. Während Wieck seine Kompetenz zu schreiben durch Betroffenheitsbekundungen unter Beweis stellt, leistet Bürger dies, indem er den Mut zur Provokation für sich reklamiert. In dem einen wie dem anderen Fall folgen Inhalt und Form einem homologen Muster. Der kommerzielle Erfolg, den Bürger vor allem mit seinem ersten Buch erzielt hat, ist vermutlich darin begründet, daß er allen Bemühungen um Dif165
ferenzierung eine klare Absage erteilt. Die Fronten sind klar abgesteckt, der Feind ist leicht auszumachen, es gibt nur ein 'dafür' oder ein 'dagegen', nichts dazwischen. Das kennzeichnet den gesamten Maskulinismusdiskurs, auch solche Texte, die weniger 'zotig' geschrieben sind als die Bürgers. Das Buch von Felix Stern "Und wer befreit die Männer?" enthält gleichsam die 'intellektuelle' Variante des Maskulinismus. Wo Bürger nur plump gegen den Feminismus polemisiert, setzt sich Stern mit feministischen Thesen (und auch mit solchen der bewegten Männer) auseinander und 'widerlegt' sie der Reihe nach, indem er aufzeigt, daß die feministische Kritik in die falsche Richtung geht: Nicht die Frauen sind unterdrückt, die Frauen unterdrücken die Männer. Auch wenn Stern sich von dem "Neo-Machoismus" Bürgers distanziert (Stern 1991, S. 284), seine Thesen gehen in die gleiche Richtung. Der Mann wird als "Frauenknecht" bezeichnet, gefangen im ,,Mütter-Patriarchat". Das sexuelle Begehren der Männer geschickt ausnutzend, beuteten Frauen die Männer systematisch aus. Dies geschehe nach der Devise ,,Frauenkörper gegen Männerversorgung" (S. 86). Sex werde als Mittel der Belohnung eingesetzt, mit Sexentzug werde gestraft. So entstehe die "Sex-Macht der Frauen" (S. 90). Stern geht mit seinen Geschlechtsgenossen ein wenig härter ins Gericht als Bürger. Er konstatiert durchaus eine Krise der Männlichkeit, in die hineingeraten zu sein sich die Männer allerdings selbst zuzuschreiben hätten. Sie hätten sich dem Feminismus gegenüber zu nachgiebig verhalten, sich der Frauenbewegung angebiedert (S. 281). Sie könnten sich aber aus dem selbst erzeugten 'Schlamassel' befreien, wenn sie sich an seine Ratschläge hielten. Zunächst zeigt Stern in Abgrenzung vom Defizitdiskurs auf, was keine Abhilfe schafft: die Betonung und Propagierung des Weiblichen. "Warum in aller Welt muß der Mann denn seine 'weiblichen Persönlichkeitsanteile' wiederentdecken? Ist er nicht im Mütter-Patriarchat ohnehin ein praktisch durch und durch weibliches Produkt?" (S. 281) Wer hier neben den Frauen, von deren Unterdrückung - einer Unterdrückung, die quasi mit der Geburt beginnt - es sich zu befreien gilt, der Gegner ist, ist unschwer auszumachen. Es sind die 'neuen Männer', deren oben aufgezeigte Defizitkonstruktionen von Stern gleich mit angeprangert werden. "Wo die Männerfrage um Herz und Schmerz und um die Entdeckung des Mit-Mannes als wahren Freund und Mitleidenden kreist, kann außer einer weinerlichen Gefühlssuppe kaum neues männliches Identitätswachstum entstehen" (S. 282). Immerhin konzediert Stern den neuen "Männerheulvereinen" beste soziale Absichten, womit er sie von dem ebenfalls kritisierten Macho-Kult abgrenzt. Allerdings laufe die Politik der neuen Männer auf eine Entmaskulinisierung der Kultur hinaus. Soweit die Irrwege, die es zu vermeiden gilt. Und was kann positiv getan werden? Wofür sollten Männer, "den Mut aufbringen, ihre (Gegen-)Stimme zu erheben, wenn ihnen die frauenbewegten Umtriebe gegen den Strich laufen" (S. 286)? Die Botschaft, die Stern seinen Lesern vermitteln will, läßt sich 166
in gescWechtersoziologischer Perspektive als 'Wiedergewinnung des Universalismus' durch den Mann bezeichnen: "aus Frauenpolitik endlich Menschenrechtspolitik ... machen" (S. 289). Denn die Welt leide nicht am Mann, "sondern am Egoismus, an der Korruption, am Neid und an den Wahnideen hochneurotischer Ideologen/innen" (S. 296). All das, was in der Kritik des Feminismus und auch unter den bewegten Männern als gescWechtsspezifisch verteilte und entsprechend unterschiedlich bewertete Eigenschaften gilt, sind für Stern nichts als allgemein menscWiche Eigenschaften, "die mehr oder weniger in jedem Menschen angelegt sind und in unterschiedlichen Situationen und Lebenslagen helfen oder zuscWagen können" (S. 296). Der Maskulinismusdiskurs zielt auf eine Wiedergewinnung des Universalismus, wie ihn Simmel als typisch für eine fraglos gegebene Männlichkeit analysiert hat (s. Kap. 1.2); das allerdings in einer Zeit, in der der Gleichsetzung des Männlichen mit dem Allgemein-Menschlichen der Schein des Selbstverständlichen entzogen wird. Davon zeugt nicht zuletzt der Maskulinismusdiskurs selbst (s.o.). Der Universalismus, der den Männern - aber nicht nur diesen - zu Simmels Zeiten und vielen bis in die Gegenwart hinein derart selbstverständlich gewesen ist, daß eine Diskursivierung niemandem in den Sinn gekommen ist, muß begründet werden. Dazu wird, wie das bei Stern sehr gut zu verfolgen ist, die Bedeutung von Geschlechtlichkeit für soziales Handeln bzw. der Diskurs darüber thematisiert, um dann - aber erst dann und zudem ausdrücklich - als gegenstandslos weg-definiert zu werden. Dies geschieht gewissermaßen in Abwandlung eines bekannten Mottos: 'Ich kenne keine Geschlechter, ich kenne nur noch Menschen'169. Von der Tendenz der Universalisierung ist auch die Beschreibung von Unterdrückungsprozessen nicht ausgenommen. Folgt man Stern, werden nicht die Frauen unterdrückt, sondern "das 'Schwache' scWechthin ..., worunter gleichsam Frauen, Männer, Behinderte, Senioren und insbesondere Kinder fallen" (S. 297). Nur so läßt sich begründen, daß das, was manen) vertritt, weiterhin für beide Geschlechter gilt. Der Maskulinismusdiskurs versucht, gefährdete bzw. bereits verlorengegangene Fraglosigkeiten zu restaurieren. Ulrich Beck (1993, S. lOOff.) versteht "hergestellte Fraglosigkeit" als ein Signum der Gegenmodeme. Der Diskurs der 'unterdrückten Männer' liest sich als eine empirische Exemplifizie169 Selbstverständlich darf diese Parole nicht mit dem Konzept der Androgynität verwechselt werden. Androgynität meint die 'Versöhnung' von Männlichem und Weiblichem, die I.ntegration von maskulinen und femininen Anteilen in einer Person. Die Idee einer Übelwindung der Geschlechterdifferenz und damit die Utopie der sozialen Bedeutungslosigkeit von Geschlechtszugehörigkeit fehlen zwar auch hier nicht, sie sind aber auf eine eher feme Zukunft gelichtet und bedürfen zu ilu'er RealisielUng einer intensiven Auseinandersetzung mit der soziokulturellen Fonnbestimmtheit der Geschlechter (zum geschlechterpolitischen Gehalt von Androgynie vgl. Badinter 1987; Bock 1992; zum wissenschaftlich-sozialpsychologisehen Konzept vgl. Bem 1987; Bierhoff-Alfennann 1989).
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rung der Beckschen Argumentation. Gegenmodeme bedeute "Tilgung, Entsorgung der Frage, in die die Modeme zerfallt" (Beck 1993, S. 102). Das ist intendiert, wenn empfohlen wird, aus Frauenpolitik Menschenrechtspolitik zu machen. Der Maskulinismusdiskurs steht freilich vor einem Dilemma. Daß eine Rückgewinnung von Selbstverständlichkeiten auf diskursivem Wege gelingen soll, ist schwer vorstellbar. Nicht ohne Grund kennzeichnet ein beschwörender Ton die MehrzaW der Texte. Was da beschworen wird, hat in einem anderen Zusammenhang Pierre Bourdieu treffend beschrieben: eine "gewohnheitsmäßige Verwurzelung mit der alltäglichen Ordnung des Unbefragten und Selbstverständlichen" (1987, S. 668). Bourdieu nennt dies ,,00xa". Was der Maskulinismusdiskurs zu bieten hat, ist freilich nur deren imperfektes Substitut, die "Orthodoxie", die ,,zurechtgebogene Meinung, die, was immer sie auch tun mag, den ursprünglichen Zustand der Doxa nicht zu restaurieren vermag" (Bourdieu 1979, S. 332).
6.3 Differenz: Die Suche nach authentischer Männlichkeit Anders als der Maskulinismus- ist der Differenzdiskurs innerhalb der Männerbewegung verortet. Während den Maskulinisten der Defizitdiskurs als Ausdruck eines männlichen Defatismus gilt und eine wohlfeile Zielscheibe für Spott und Hohn abgibt - von "Männerheulvereinen" und einer "weinerlichen GefüWssuppe" (Stern) ist die Rede - , würdigen die Autoren des Differenzdiskurses durchaus die historische Bedeutung des Defizitdiskurses für die Konstitution einer Männerbewegung, sehen nun aber die Zeit reif für eine Umorientierung hin zu einer originären, authentischen und vor allem positiv verstandenen Männlichkeit. Dieser Diskurs gibt sich auch nicht plump antifeministisch, kritisiert aber einen profeministischen Männlichkeitsdiskurs, der sich bloß reaktiv auf die Themen der Frauenbewegung bezieht (vgl. KirnmellKaufman 1994, S. 260f.). Feministische Thesen werden nicht einfach 'von den Füßen auf den Kopf gestellt, woW aber relativiert. Für Sam Keen (1992) ist die Unterdrückung der Frau nicht vergleichbar mit derjenigen von Klassen oder ethnischen Minderheiten. Nur letztere erführen eine "wirkliche Unterdrückung" (S. 277). Viel schlimmer als die Gewalt, die Männer Frauen antun, sei "die Gewalt, die wir zusammen der Erde angetan haben" (S. 315). Eine geläufige Bezeichnung für diesen Diskurs ist 'mythopoetisch'. Das verweist auf die symbolischen Ressourcen, auf denen dieser gegenwärtig äußerst populäre Diskurs aufruht: Sagen, Märchen, Parabeln. Insbesondere der Bestseller "Eisenhans" von Robert Bly (1991), schöpft aus diesen Quellen. Protagonisten wie Epigonen bezeichnen sich selbst gerne auch als 'wilde Männer'. Das von den Mythopoeten propagierte Ziel ist die Wiedergewinnung einer ursprünglichen 'Männerenergie'. Der abendländisch zivilisierte Mann des 168
ausgehenden 20. Jahrhunderts verfüge nicht mehr über diese Energie, sei von deren Quellen abgetrennt. Die profeministische Männerbewegung trage daran die geringste Schuld, die Männerenergie sei vielmehr im gesamten Prozeß der industriellen Modeme verlorengegangenen. Andererseits sei sie in jedem Mann als Potential angelegt, müsse aber in lang andauernden und schmerzhaften Initiationsprozessen entdeckt und angeeignet werden. Dazu bedarf es nicht so sehr einer reflexiven Identitätsarbeit, sondern vielmehr einer präreflexiven Orientierung an starken väterlichen Autoritätsfiguren sowie einer körperlichen Auseinandersetzung mit Gefahren und wilder Natur. Ein dezidiert antiintellektueller Impuls paart sich mit antimodernen Attitüden. Wie zuvor bei den beiden anderen Diskursen werde ich auch den Differenzdiskurs anhand des auflagenstärksten Buches rekonstruieren. Mit einer Auflage von ca. 250000 Exemplaren hat das aus dem Amerikanischen übersetzte Buch "Eisenhans" von Robert Bly (1991) eine gleiche Verbreitung wie Wiecks ,,Männer lassen lieben"'70. Es ist der derzeit am häufigsten diskutierte Titel der Männerverständigungsliteratur, nicht nur hierzulande, sondern auch in anderen Ländern l71 . Wenn in der geschlechterpolitischen Debatte vor den Gefahren eines backlash gewarnt wird, dann ist Blys "Eisenbans" einer der wichtigsten Referenztitel (vgl. Connell 1995, S. 207ff.; Faludi 1993, S. 409ff.; Kimmel/Kaufman 1994). Im Unterschied zu den zuvor behandelten Texten des Maskulinismusund insbesondere des Defizitdiskurses fehlt bei Bly eine klare Diagnose der gegenwärtigen Situation des Mannes. Zwar wird unmißverständlich deutlich, daß der Beginn der industriellen Revolution zugleich der Beginn eines Leidens der Männer sei und daß mittlerweile "dieses Leiden eine Dimension erreicht (hat), die man nicht länger ignorieren darf' (Bly 1991, S. 10), doch anders als bei Wieck wird dieses Leiden nur wenig beschrieben. Über den amerikanischen Mann der fiinfziger Jahre erfahren wir, daß sich hinter seiner optimistischen Haltung "eine große Isolation, Deprivation und Passivität" verbargen (S. 15). Der Mann der sechziger Jahre habe seine "weibliche Seite" entdeckt, sei "nachdenklicher und freundlicher" geworden, doch habe ihn das "nicht freier gemacht. Er ist ein netter Kerl, der es nicht nur seiner Mutter recht machen will, sondern auch der jungen Frau, mit der er zusammenlebt" (S. 16f.). Der freundliche, sanfte Mann der siebziger und achtziger Jahre, der 170 Im Vergleich zu den anderen Diskursen flillt auf, daß der Differenzdiskurs, soweit er 'literatisch' gefiihrt wird, bislang ein aus den USA impOItierter Diskurs ist. Deutschsprachige 'Mythopoeten' gibt es zumindest auf dem Buchmarkt bis Mitte der neunziger Jahre nicht, wohl aber eine Reihe von Übersetzungen (Bly 1991; Keen 1992; Monick 1990; Moore/Gillette 1992). 171 In den USA war das Buch in den Jahren 1990 und 1991 ein "runaway best-seiler" (Connell 1995, S. 207). Gemessen an den Einträgen in den PersonelU'egistem aktueller Publikationen der men's studies ist Bly der meistdiskutiette Autor der aktuellen 'bewegten' MälU1erszene (vgl. Connell 1995; Brod/Kaufman 1994).
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Softie, sei liebenswert, aber nicht glücklich. Ihm fehle es an Energie und Vitalität. "Ironischerweise" lebten diese Männer oftmals mit Frauen zusammen, "die spürbar Energie ausstrahlen" (S. 17). Diese "Neuverteilung der 'YinYang'-Energie" habe fur eine gewisse Zeit den Anschein erweckt zu funktionieren, doch inzwischen - konstatiert Bly - "haben wir lange genug damit gelebt, um sagen zu können, daß es nicht funktioniert" (S. 18). Anders als die Maskulinisten überzieht Bly diesen Prozeß nicht mit Hohn und Spott, vielmehr versteht er die "Entwicklung der weiblichen Seite" (S. 19) als einen nützlichen Schritt. Das Ziel könne dies aber nicht sein. Er diagnostiziert ein hohes Maß an Kummer und Angst gerade auch bei den weichen Männern sowie einen Verlust des "Wilden" und einen Mangel an "Entschlossenheit". Die Diagnose gelangt über diese Vagheiten nicht hinaus; letztlich ist über den modemen Mann nicht viel mehr zu erfahren, als daß er seiner eigenen Energie entfremdet ist. Worin diese besteht, bleibt zunächst im Dunkeln und wird auch später, wenn Bly Perspektiven aufzeigt, nur annähernd deutlich 172 . Nachdem Bly auf viereinhalb Seiten die Malaise des amerikanischen Mannes von den funfziger Jahren bis heute beschrieben hat, handeln die nachfolgenden 320 Seiten darüber, wie der Mann Zugang zu seiner Energie fmden kann. Anband einer Interpretation des Grimmschen Märchens vom "Eisenhans" versucht Bly seinen Geschlechtsgenossen zu zeigen, auf welchem Weg sie zu einer authentischen Männlichkeit gelangen können. Im Märchen ist "Eisenhans" der wilde Mann, der von einem König in einem Käfig gefangen gehalten wird. Es gelingt ihm, den Sohn des Königs zu bewegen, den unter dem Kopfkissen der Königin versteckten Schlüssel zu stehlen und ihn zu befreien. Beide fliehen in einen finsteren Wald, und Eisenhans überträgt dem Jungen die Aufgabe, einen goldenen Brunnen vor Verschmutzung zu bewahren. Der Junge kommt aus Unachtsamkeit dreimal mit dem Wasser in Berührung; jedesmal werden die entsprechenden Körperteile vergoldet, beim dritten Mal das Haar. Darauf schickt Eisenhans ihn fort, der Junge soll die Armut kennenlemen. Allerdings sichert er ihm seine Hilfe zu, wenn er in Not geraten sollte. Der Junge verdingt sich an einem Könighof und verrichtet dort niedere Arbeiten. Als ein Krieg ausbricht, schlägt der Junge mit Hilfe von Eisenhans die feindliche Annee. Schließlich heiratet er die Tochter des Königs. Zur Hochzeit erscheinen auch seine Eltern, die froh sind, den verloren geglaubten Sohn wiedergefunden zu haben. Und es erscheint ein weiterer König. Der ist niemand anderer als Eisenhans, der durch den Königssohn davon erlöst worden ist, in einen wilden Mann verwünscht zu sein. Bei der Interpretation des Märchens bedient Bly sich symbolischer Versatzstücke aus einer Vielzahl von Kulturen und Epochen. Das Gilgamesch-Epos, indianische Erzählungen über die Jagd, die Zeichnungen in den Dordogne172 Die Verschwommenheit der Diagnose und die Vagheit der offelielten Olientienmgen
kennzeichnen den gesamten Text. 'Mythopoetisch' sind nicht nur die symbolischen Ressourcen, deren Bly sich bedient, 'mythopoetisch' ist auch sein eigener Stil. Ob es sich dabei um gute Poesie handelt, wie der Klappentext des Buches suggelielt, sei dahingestellt.
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Höhlen, die indische Shiva-Religion, keltische Sagen und vieles mehr liefern ihm Interpretamente, aus denen er nach Belieben auswählt, ohne deren kulturellen Kontext zu berücksichtigen und ohne darauf zu achten, inwieweit diese höchst unterschiedlichen Sinnwelten miteinander kompatibel sind '73 . In all diesen Kulturen sieht er das Erbe des wilden Mannes bewahrt 174 . Der negative Gegenhorizont ist das christlich geprägte Abendland. Hier sei "der Wilde Mann zu seiner rituellen Hinrichtung geführt" worden (S. 342). "Als die Kirche all die Götter dem Vergessen anheimgab, die für das göttliche Element in der männlichen Sexualität standen, Pan, Dionysos, Hennes, der Wilde Mann, haben wir als Männer sehr viel verloren. Die mittelalterlich-abendländische VorstellungsweIt hat den Gebieter der Tiere oder Wilden Mann nicht zum hochentwickelten Shiva oder Dionysos gemacht, und die erotische Energie der Männer verlor ihre Fähigkeit, die nächste Oktave zu erreichen, um es in der Sprache der Musik auszudrükken" (ebd.)I75.
In anderen Kulturen gebe es und in früheren, vorchristlichen Epochen habe es einen unverstellten Zugang der Männer zu einer positiven Männerenergie gegeben, wie sie in der Figur des "Wilden Mannes" symbolisiert ist. Bly zufolge kann der Mann der industriellen Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts diese Männerenergie nur erlangen, wenn er sich auf die Lehren besinnt, die jene Kulturen und Epochen bereithalten. Die wichtigste Voraussetzung einer authentischen Männlichkeit ist eine zumindest zeitweise Separation von der Welt der Frauen, insbesondere eine radikale Ablösung von der Mutter, sowie eine Initiation durch ältere und starke Männer. "ln den sechziger Jahren bezogen manche jungen Männer ihre Kraft von Frauen, die wiederum einen Teil ihrer Kraft aus der Frauenbewegung gezogen hatten. Man könnte fast sagen, daß viele junge Männer in den sechziger Jahren versuchten, ihre Initiation über Frauen zu erhalten. Doch Männer können nur von Männern initiiert werden, ebenso wie Frauen nur von Frauen initiiert werden können" (S. 34).
Die kommunikative Bearbeitung männlicher Probleme in Kooperation mit der Frau, wie Wieck sie postuliert, ist für Bly der falsche Weg. Ebenso das Schie173 Kimmel und Kaufman (1994, S. 273) bemerken hierzu: "Bly and others wandel' through anthropological literature like postmodem tOUIists, as if the world's cultures were an enormous shopping mall filled with litual boutiques. After tIying them on, they take several home to make an interesting outfit - palt Asian, palt African, palt Native Ametican". 174 In der nachfolgenden Darstellung des Blyschen Textes klammere ich die Frage aus, inwieweit seine 1J1terpretation des Grimmschen Märchens angemessen ist und seine Bezugnalune auf die diversen Silillwelten wissenschaftlichen Kiitelien standhält. Wie auch die anderen Texte der Männerverständigungsliteratur ist das Buch von Bly hier als Dokument eines spezifischen Deutungsmusters von Männlichkeit von mteresse. 175 Diese Passage verdeutlicht exemplalisch die dekontextualisierende Vennischung unterschiedlicher symbolischer Simlwelten.
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len nach der Frauenbewegung. Zwar bestreitet Bly weder die Notwendigkeit der Frauenbewegung noch sucht er eine Konfrontation; er versichert explizit, daß es ihm nicht darum geht, "die Frauenbewegung herauszufordern" (S. 10). Insoweit unterscheidet er sich deutlich von den Maskulinisten l76 . Doch hält er es für notwendig, daß die Befreiungsbewegung der Männer autonom operiert. Mit Wieck teilt Bly die Skepsis gegenüber alleinerziehenden Müttern; allerdings fällt seine Begründung weitaus radikaler aus. "Wenn Frauen, selbst Frauen mit den besten Absichten, einen Jungen allein großziehen, dann kann es sein, daß er in gewisser Hinsicht kein männliches Gesicht hat, oder sogar überhaupt kein Gesicht" (S. 35).
An anderer Stelle spricht er von einem "psychischen Inzest zwischen Mutter und Sohn" (S. 259) und beklagt die Ignoranz der Gesellschaft gegenüber dem "gravierenden Schaden", den nicht nur die alleinerziehenden Mütter damit anrichteten 177 . Der Radikalität der Diagnose steht diejenige des Weges, den der Sohn einschlagen muß, in nichts nach. Die entsprechende Szene des Grimmschen Märchens aufnehmend postuliert Bly, daß der Schlüssel zur Befreiung des Mannes unter dem Kopfkissen der Mutter liegt. Um den Schlüssel könne man die Mutter nicht bitten, man könne keinen Konsens herbeiführen, "der Schlüssel muß gestohlen werden" (S. 28). "Wenn ein Sohn den Schlüssel nicht stehlen kann, hat er ihn nicht verdient" (S. 28). Je länger der Sohn zögert, diesen radikalen Ablösungsprozeß zu vollziehen - und Bly zufolge handeln die amerikanischen Männer allesamt zu spät -, desto gewaltsamer müsse er als erwachsener Mann vorgehen: "Wir wissen, daß viele amerikanische Männer heute ein Schwert brauchen, um ihre erwachsene Seele von der an die Mutter gebundenen Seele loszuschneiden" (S. 230).
Mannwerdung setzt für Bly einen radikalen Bruch mit der Welt der Frauen voraus. Das allein reicht jedoch nicht aus. Hinzukommen muß eine Initiation durch andere Männer: reife, erfahrene, ältere Männer.
176 Das schließt natürlich nicht aus, daß die Frauenbewegung sich auch von Bly herausgefordelt fühlt (vgl. Faludi 1993, S. 409ff.). 177 WOI;n dieser psychische Inzest besteht, elfahren wir nicht. Die Vagheit der FonnulielUngen - übl;gens ein durchgängig velwendetes 'Stilmittel' - schafft hier wie anderswo vielfaltige Anschlußmöglichkeiten. Die Bedeutung wird mehr, als dies bei jedweder Lektüre eines Textes im Sinne alltagsweltlicher Henneneutik üblich und notwendig ist, vom Leser hergestellt, mit eigenen Sinngehalten aufgefüllt. Allerdings läßt Bly seine Leserschaft nicht im gel;ngsten dalüber im Unklaren, wie dramatisch sie sich die Angelegenheit vorzustellen hat. Der psychische Inzest wird mit dem körperlichen zwischen Vater und Tochter und mit dem sexuellen Mißbrauch der Söhne "durch ihre Mütter, ebenso wie durch Väter, Onkel und ältere Blüder" parallelisielt (S. 259).
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"Das aktive Eingreifen der älteren Männer bedeutet, daß ältere Männer den jüngeren Mann in die uralte, mythologisch aufgeladene, instinktive männliche Welt aufnehmen" (S. 32).
Eine solche Initiation verleihe den Jungen "eine Sicherheit, die nicht zu sehen und auch nicht durch Sprache vermittelbar ist", den Jungen aber "ihr wirkliches Gesicht oder Wesen" zugänglich mache (S. 35). Dies wird als "zweite Geburt" verstanden (S. 34). Die Bedingungen hierzu seien in den modemen industrialisierten Gesellschaften Nordamerikas und Europas freilich alles andere als günstig. In kulturkritischer Perspektive beklagt Bly das Versagen der Generation der Väter gegenüber den Söhnen, der alten gegenüber den jungen Männem. Bis ins 19. Jahrhundert habe es Reste männlicher Initiation gegeben, etwa wenn alte Männer die jungen bei Jagdausflügen oder Sportveranstaltungen "mit dem männlichen Geist oder der männlichen Seele bekannt" machten (S. 33). Inzwischen jedoch "sind Herrenclubs und Männergesellschaften von der Bildfläche verschwunden" (S. 34). Die Wurzel allen Übels liegt für Bly in der durch die modeme Büro- und Fabrikarbeit erzwungenen Abtrennung der Erfahrungswelten von Vätern und Söhnen. Dem Initiationsmangel der Industriegesellschaft werden die Mannbarkeitsriten sog. Naturvölker als positiver Gegenhorizont gegenübergestellt. Dort ist die (männliche) Welt noch 'in Ordnung'. In solchen "traditionellen Kulturen" findet, folgt man der Interpretation Blys, gewissermaßen ein physikalischer Austausch zwischen Vater und Sohn statt. "Wenn Vater und Sohn wirklich viele Stunden gemeinsam verbringen, was manche Väter und Söhne heute noch tun, könnte man sagen, daß eine Substanz, die fast wie Nahrung ist, von dem älteren Körper auf den jüngeren übergeht" (S. 136).
Männerinitiation wird als ein durch und durch körperlicher Prozeß beschrieben, als Aneignung eines Habitus im Sinne einer verkörperten sozialen Praxis. Daß die "zweite Geburt" des Mannes nicht durch Sprache zu vernlitteln sei, haben wir bereits gesehen. Die reflexive Therapeutisierung, die der Defizitdiskurs vorscWägt, ist kontraindiziert. Der Körper des Mannes ist gefragt. Das freilich nicht im Sinne einer Macho- oder Rambo-förrnigen körperlichen Männlichkeitspräsentation, nicht als Hypermaskulinität, sondern als Inkorporierung von kulturellen Symbolgehalten. Die mythologischen Bilder müßten, so postuliert Bly zu Beginn seines Buches, "allmäWich vom Körper aufgenommen" werden (S. 9). In BelegerzäWungen, die über erfolgte Ablösungen des Sohnes von der Mutter berichten, agieren Körper losgelöst von willentlicher Steuerung: "Sie berührte ihn am Ann, und er explodierte, und sie flog gegen die Wand". Hier "wußte die Psyche oder der Körper etwas, was der Geist nicht wußte" (S. 37). Da die rationalisierte Welt der modemen Industriegesellschaft der Diagnose Blys zufolge wenig Raum für Initiation bietet, müssen die Gelegenheiten 173
anderswo gesucht werden. Als ein probates Mittel wird ein zumindest partieller Rückzug in die wilde Natur anempfohlen. "Initiiert zu werden bedeutet in Wahrheit, mit offenen Annen die Herrlichkeit der Eichen, Berge, Gletscher, Pferde, Löwen, Gräser, Wasserfalle, Hirsche zu empfangen. Wir brauchen die Wildnis und die Ausschweifung. Alles, was ein menschliches Wesen von dem Wasserfall und dem Tiger trennt, tötet es" (S. 84)178.
Auch hier ist die körperliche Aneignung von hoher Bedeutung. Die Bewährung in der Natur fordert Geist und Körper und stärkt beide. Körperliche Kraft ist für Bly ein wichtiges Element von Männlichkeit, allerdings nicht in Gestalt roher Gewalt. Eine wichtige Figur in Blys Buch ist die des disziplinierten Kriegers, der, strategisch denkend, keineswegs gewaltfixiert ist, dessen Körper "ein hart arbeitender Diener" ist, "von dem er verlangt, daß er Kälte, Hitze, Schmerz, Wunden, Narben, Hunger, wenig Schlaf, Strapazen aller Art erträgt" (S. 213). Wieder schließt sich eine Klage über den Verfall männlicher Kultur in der modemen Gesellschaft an. Die mechanisierte Kriegsführung habe den Krieger "auf den Soldaten reduziert" (S. 218). Dagegen singt Bly das hohe Lied der mittelalterlichen Form der Kriegsführung. Die habe "eine Vermischung des Liebenden mit dem Krieger" (ebd.) ermöglicht. Der modeme Krieg hingegen "scheint die hitzige Aggression in Verruf gebracht zu haben" (S. 219). Worin das Ziel männlicher Initiation besteht, wie diese unter den Bedingungen der modemen Industriegesellschaft zu vollziehen ist, was die zu gewinnende Männerenergie ausmacht, all das bleibt weitgehend unexpliziert. Das ist freilich keine Nachlässigkeit des Autors, sondern entspricht seinem Programm. "Letztlich muß ein Mann alles, was ihm eingetrichtert wurde, über Bord werfen und selbst herausfinden, was der Vater ist und was Männlichkeit bedeutet" (S. 45). Was Bly seinen Lesern offeriert, sind vielfältige Hinweise auf Sinnwelten, in denen Orientierungen gefunden werden können: die Mythologien dieser Welt sowie die Riten und Rituale von Stammesgesellschaften. Welche Perspektive der Leser sich daraus zusammenbastelt, ob er in fernöstlichen Philosophien Anhaltspunkte findet oder eher im indianischen Schamanenkult, das bleibt jedem selbst überlassen. Klar und deutlich ist Bly hingegen, wenn Abgrenzungen vorzunehmen sind. Bly argumentiert dezidiert antimodem und antiintellektuell. Das eine ist bereits mehrfach deutlich geworden. Das anderen, die Antiintellektualität zieht sich ebenfalls durch den gesamten Text. 178 Bei solchen FonTIulienmgen handelt es sich keineswegs um eine Idiosynkrasie des Autors Bly. Fast gleichlautend sclu·eibt Keen (1992, S. 252): "Wildheit hat ihren UrsplUng aber in allererster Linie in der Identifikation mit der echten Wildnis - den sclu'offen Bergen, Urwäldem, öden Tundren, die der Lebensraum von ungezähmten Glizzlybären, nicht domestizielten Wölfen und wilden Pumas sind".
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"Im Abendland haben mächtige gesellschaftliche Kräfte daran gearbeitet, den Gestutzten, den Gepflegten, den Vergeistigten, den Instinktentbundenen und Kahlköpfigen zu fordern" (S. 340).
Die Furcht vor Irrationalität, Instinkt, Intuition und Emotionalität müsse überwunden werden. Auch hier bleibt der positive Gegenhorizont im Vagen. Bei der Initiation gehe es nicht um "einen 'höheren Bewußtseinsstand' , sondern um etwas Nasses, Dunkles, Tiefes" (S. 24). Der Mann müsse bereit sein, "die nährende Dunkelheit" der männlichen Psyche zu akzeptieren (S. 21). Der Kern der Männlichkeit ist einer reflexiven Durchdringung nicht zugänglich. Da ist nichts zu verstehen, schon gar nicht in Frage zu stellen, die Alternative lautet: Akzeptanz des Nicht-Faßbaren oder Orientierungslosigkeit. Die "tiefste Männlichkeit" "wird von dem Instinktiven behütet" (S. 23). Die Sprache des Textes entspricht der Botschaft; sie ist mystisch und eröffnet dem Leser damit einen großen Interpretationshorizont. Jeder kann sich seinen eigenen Reim darauf machen, was eine "hitzige Aggression" ausmacht oder worin die "nährende Dunkelheit" besteht l79 . Der Text stellt eine Beziehung zwischen Autor und Leser her, in der jener in der Rolle des Guru auftritt oder des Propheten, der zu seinem Publikum in Gleichnissen spricht. Die Kompetenz hierzu dokumentiert Bly dadurch, daß er sich als ein 'Weiser' präsentiert, der bereits in die mythologische Welt eingedrungen ist, die er seiner Leserschaft eröffnen will. Bly stellt sich als Initiierter dar, der zum Kern seiner Männerenergie vorgedrungen ist. Nicht nur bei Bly, sondern insgesamt ist der mythopoetische Differenzdiskurs gekennzeichnet durch ein Konglomerat aus romantisierender Vergangenheitsverklärung, Sehnsucht nach ursprünglichen Lebensformen, Mythologie, Spiritualismus, Körperkult und Naturmystik. Letztere spielt bei Sam Keen eine noch größere Rolle als bei Robert Bly. "Es gibt immer noch Lektionen, die man am besten lernt, wenn man sich einem Bären auf einem schmalen Pfad gegenüber sieht oder in einem kleinen Boot einen Stunn auf dem Meer überstehen muß" (Keen 1992, S. 253).
Dieser Naturmystik wird als Negativfolie das Leben im Moloch der modemen Großstadt kontrastiert. Eine neue Art des Zusammenlebens wird propagiert, die Keen mit den folgenden Begriffen umreißt: ,,Herd", "Gastlichkeit", "Nächstenliebe", "Feiern", "Gemeinschaft" (S. 312). Hier könnte Tönnies Pate gestanden haben. Hundert Jahre nach dem Erscheinen von "Gemeinschaft und Gesellschaft" werden genau die Dichotomien aufgegriffen, die rur Tönnies die gemeinschaftliche und die gesellschaftliche Organisationsform des Zusammenlebens unterscheiden. Eine durchaus romantische Sehnsucht nach dem Gemeinschaftlichen kennzeichnet diesen Diskurs, nach einem organischen Verankertsein in traditionalen Bindungen, demgegenüber eine freige179 Das mag nicht unwesentlich zu dem kommerziellen Erfolg des Buches beitragen.
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setzte Rationalität als bedroWich erscheint. Verklärt werden jedoch nicht allein vormoderne Epochen der europäisch-abendländischen Zivilisation, in gleicher Weise idealisiert werden Initiationspraktiken sog. Naturvölker. An diesen faszinieren die Eindeutigkeit und die Endgültigkeit, die mit der Initiation hergestellt werden. Die vielfaltigen Anleihen bei durchaus nicht immer homologen Sinnsystemen bündeln sich in einem Deutungsmuster, das die essentielle Differenz der Geschlechter betont. Männer und Frauen sind einander wesensfremd. Was die essentielle Differenz ausmacht, darüber sagen die Texte genauso wenig Konkretes wie über die Merkmale der viel beschworenen Männerenergie, die der Differenz woW zugrundeliegt. Allerdings gibt Sam Keen einen Hinweis, wo das Zentrum der Männerenergie zu suchen ist. Keen (1992, S. 19) hält dem Defizitdiskurs als Mangel vor, daß es dort wenig gebe, "das Kopf, Herz und Hoden anspricht". Diese Trinität ist neu. Die Verbindung von Kopf (gleich Rationalität) und Herz (gleich Emotionalität) ist ein zentrales Anliegen des Defizitdiskurses. Beide Körperteile sind Männern wie Frauen zu eigen, die damit symbolisierten Fähigkeiten gelten prinzipiell als geschlechtlich unteilbar, wenn auch in der gegenwärtigen Geschlechterordnung ungleich verteilt. Anders verhält es sich bei den Hoden. Hiermit wird der Bezug auf einen männerexklusiven Erfahrungsbereich eingefordert. Der ist konnotiert mit sexueller Potenz, mit männlicher sexueller Kraft oder Energie. Mit diesem Bezug auf die männliche Physiologie wird zugleich eine sozial nicht auflösbare Differenz der Geschlechter postuliert. Die Männerenergie ist im Mann als Potential vorhanden, sie muß aber freigelegt und freigesetzt werden. In einer Beschreibung des Freisetzungsprozesses, wie sie lohn Bellicchi, einer der in Deutschland führenden Protagonisten der mythopoetischen Bewegung gibt, wird die 'phallische Basis' der Differenz eindrucksvoll deutlich: "Es gelang mir, mit dem wilden Mann in mir in Verbindung zu kommen. Unter Bergen von Bettdecken einer elan-erstickenden Verweiblichung entdeckte ich ein haariges Biest, von dem ich meine phallische Natur zurückgewinnen konnte" (zit. nach Diggelmann 1992, S. 94).
Die Differenz ist essentiell, d.h. nicht sozial konstruiert, sondern unhintergehbar, und sie ist physiologisch fundiert (vgl. auch Scheskat 1994, S. 152f.). "Hinter der Fassade gesellschaftlich konstruierter Unterschiede zwischen Männem und Frauen gibt es wirklich geheimnisvolle biologische und ontologische Unterschiede" (Keen 1992, S. 296).
Das Wirkliche ist das Nicht-Kulturelle. Keen begreift das Geschlechterverhältnis als "Mysterium", an dem sozialwissenschaftliche Versuche, es zu entzaubern, zwangsläufig scheiterten. Was den Unterschied zwischen Mann und Frau ausmacht, das könne er zwar nicht benennen, wohl aber erkennen. Er 176
plädiert für die Beibehaltung des Mysteriums und sieht in der Geschlechtlichkeit, "ein verehrungswürdiges Geheimnis" (S. 297). Die Betonung wesensmäßiger Unterschiede zwischen den Geschlechtern kennzeichnet auch den Diskurs der Maskulinisten. Auch dort spielt der Begriff der Energie eine wichtige Rolle. Dennoch unterscheiden sich die Essentialismen der beiden Diskurse. Zum einen ist Männlichkeit im mythopoetischen Diskurs nicht eine Selbstverständlichkeit, sondern etwas, das, obwoW in der Biologie als Essenz verankert, von jedem Mann erworben werden muß. Mannsein wird zum "Wagnis" (vgl. Weilbach/Kiessling 1992), zu einer Mutprobe. Männlichkeit weist mithin ein Doppelgesicht von askriptivem und erworbenem Status auf, eine Komplexität, die im Maskulinismusdiskurs nicht gegeben ist. Zum anderen argumentiert der mythopoetische Diskurs differenztheoretisch in einer Weise, die feministischen Differenzdiskursen nicht unähnlich ist. Männliche und weibliche Welten gelten als wechselseitig wesensfremd, eine Vermittlung bzw. eine Auflösung der Differenz ist weder möglich noch beabsichtigt. Die symbolische Sinnwelt der Männer wird jedoch nicht zum Maßstab erhoben, an dem auch das Handeln der Frauen zu messen ist; männlich wird nicht mit allgemein-menschlich gleichgesetzt und auch nicht mit Überlegenheit (vgl. Keen 1992, S. 17f.; Bly 1991, S. 242f.). Genau das kennzeichnet aber den Maskulinismusdiskurs. Das Fehlen des ursupatorischen Elements im mythopoetischen Diskurs läßt diesen in gewissem Sinne als aufgeklärten Essentialismus erscheinen. Die Autoren haben sich, anders als die Maskulinisten, den Irritationen gestellt, die der Defizitdiskurs verbreitet. Sie haben sie überwunden und sind auch in diesem Sinne 'aufgeklärt', während die Maskulinisten vergleichsweise vorreflexiv in traditionellen Mustern verharren. Den mythopoetischen Differenzdiskurs interessiert die Welt der Frauen nicht. Zwischen den Geschlechtern herrscht - zumindest vorerst - 'Funkstille'. Der Defizitdiskurs hofft, in der Kommunikation mit dem anderen GescWecht die Probleme des Mannes zu lösen; die Frau wird zum positiven Gegenhorizont, die Femininisierung der Gesellschaft zum "letzten Ausweg" (Garaudy 1982). Insofern besteht ein vitales Interesse, weibliche Wahrnehmungsund Denkweisen zu verstehen. Den Maskulinisten ist die Frau "negativer Gegenhorizont", eine Perspektivenübernahme gilt nicht nur als unnötig, sondern sogar als gefährlich für ein ungebrochenes männliches Selbstbewußtsein. Dennoch befassen sich die Maskulinisten auffallend intensiv mit dem, was Frauen angeblich tun und denken. Das Motiv ist jedoch ein anderes; es gilt, die Frauen in ihre Schranken zu weisen, den Männern argumentative Munition für den Geschlechterkampf zu liefern. Kommunikation mit den Frauen hat mithin einen völlig anderen Stellenwert als für den Defizitdiskurs. Den Mythopoeten ist die Kommunikation mit den Frauen nichts, über das sich zu schreiben lohnt. Die weibliche Welt ist weder positiver noch negativer Ge177
genhorizont, sie ist schlicht kein Thema. Männliche Initiation kann nur in der gleichgeschlechtlichen Gruppe stattfinden. Die Frauen sollen tun und lassen, was sie wollen, die Männer müssen erst einmal für sich selbst einen Weg finden. Auch in diesem Sinne geben die zentralen Werte männlicher Autonomie und Authentizität eine Orientierung. Eine reaktive Strategie, wie sie in unterschiedlicher Weise jeden der anderen Diskurse kennzeichnet, gilt als Grundübel. Das bedeutete, die eigene Mannwerdung von Entwicklungen abhängig zu machen, über die der Mann keine Kontrolle hat - oder in den Worten Robert Blys: die Mutter um den ScWüssel zu bitten, statt ihn zu entwenden. Konsequenterweise gibt sich der Differenzdiskurs weder pro- noch antifeministisch. Die ,,Befreiungsbewegungen" der Frauen und der Männer sind, so Bly (1991, S. 10), "miteinander verknüpft, aber jede bewegt sich nach einem anderen zeitlichen Rhythmus". Beschreibungen von erlebter Initiation heben den Aspekt männlicher Autonomie deutlich hervor. Dies ist freilich weniger die Autonomie des isolierten männlichen Individuums, sondern die Autonomie der Männerrunde. Scheskat und Speyer (1994, S. 203f.) berichten von einem Sommercamp in der Toskana, in dem sich eine Männergruppe von den anderen Teilnehmerinnen separierte. Einer der Autoren protokolliert die Empfindungen, die er bei und nach einem Boxkampf mit einem anderen Mann aus der Gruppe gehabt hatte. Nachdem er vernichtend getroffen worden war, sorgten die anderen Männer dafür, daß der Gegner ihn "in seine überlegenen Arme nahm". Der Kommentar des Autors lautet: "Das war nicht 'Mama', die mich tröstete, 'ER' war es, der Täter". Resümierend halten die Autoren fest: "Wir lernten staunend, daß es möglich war, unter Männern tiefgreifende Erlebnisse zu haben, und uns ohne Frauen emotionale und körperliche Unterstützung zu geben". In diesen und anderen Initiationsbeschreibungen dokumentieren sich die zentralen Deutungsmuster des Differenzdiskurses, wie er anband des Blyschen Textes dargestellt worden ist: Separierung von der Welt der Frauen, körperliche Aneignung von Männlichkeit, Abwendung von intellektueller Rationalität und Reflexivität. "Es liegt in der Natur eines solchen Rituals, daß es nicht beschrieben wird. Nicht weil es ein großes Geheimnis wäre, das nur eine eingeschworene Gemeinde kennen darf.... Aber der Ablauf, die eigentliche Komposition der Elemente ist etwas, das dem Erlebten vorbehalten ist, um die Essenz der Erfahrung zu bewahren. Wenn darüber Worte, getrennt von der Erfahrung, verloren werden, dann 'tropft das Gefäß' möglicherweise und läuft leer" (ScheskatJSpeyer 1994, S. 21 I).
Trotz dieser Aufforderung zur Schweigsamkeit produziert der Differenzdiskurs Texte über Texte, in denen über das Unsagbare geschrieben wird. Anders als in Stammeskulturen, in denen die Rituale der Initiation ein anerkanntes und selbstverständliches Element der Kultur sind und in denen das Schweigen darüber, was während des Rituals geschieht, nicht nur Ehrensache, 178
sondern auch sanktionsbewehrt ist, muß in der modernen Gesellschaft das Bewußtseins fur die Notwendigkeit von Initiationsritualen erst erzeugt werden. Und dazu gibt es keine anderen als kommunikative Mittel. Wer in der zivilisierten Gesellschaft dafür plädiert, "das 'Wilde', das Nicht-Zivilisierte Nicht-Zivilisierbare in sich Gestalt gewinnen zu lassen" (Scheskat 1994, S. 152), muß gute Gründe dafur anfuhren. Die symbolische Sinnwelt, die der Differenzdiskurs entfaltet, hat Vorbilder. Spiritualismus, Naturmystilc usw., all das hat enge Bezüge zur Welt des New Age (vgl. KimmellKaufman 1994, S. 280). Die Verbindungen sind nicht nur auf symbolischer Ebene zu suchen, sondern auch personell und institutionell gegeben (vgl. Faludi 1993, S. 409ff.). Vieles von dem, was über regressive Tendenzen im New Age ausgefuhrt worden ist, trifft bruchlos auf den mythopoetischen Diskurs zu (vgl. Keupp 1994, S. 339ff.). Auch hier finden ,,Fluchtbewegungen aus der Verunsicherung" statt. Wie die Protagonisten des New Age bemühen sich die Mythopoeten, die vermeintlich pessimistische Perspektive einer kritischen Analyse zu überwinden und einen Rahmen zu entwickeln, der positive Identifikationen ermöglicht. Darin steckt ein tiefes Mißtrauen gegenüber einer individualistischen Vergesellschaftung. Der Rückzug auf gemeinschaftliche Formen des Zusammenlebens entlastet von Autonomieansprüchen, blendet widersprüchliche Erfahrungen aus und verspricht Schutz vor Orientierungs- und Sinnkrisen (vgl. Körber 1989, S. 78).
6.4 Schlußbemerkung: Zur kulturellen Dynamik männlicher Selbstthematisierung Der Befassung mit der Männerverständigungsliteratur liegt eine wissenssoziologische Perspektive zugrunde. Gegenstand der Analyse ist die kulturelle Produktion männlichen Geschlechtswissens. Eine 'Evaluation' der konkurrierenden Deutungsmuster ist nicht intendiert. Ein soziologisch fundiertes Urteil darüber, welcher der Diskurse eine angemessene Beschreibung der aktuellen Geschlechterwirklichkeit liefert, sofern überhaupt einer dies leistet, setzte eine Rekonstruktion des alltäglichen männlichen doing gender voraus. Das nächste Kapitel versucht dies in der Dimension des Alltagswissens. Von medialen Diskursen läßt sich nicht einfach auf die lebensweltliche Praxis schließen. Die abschließenden Bemerkungen verbleiben deshalb auf der Ebene des empirischen Untersuchungsgegenstandes; sie befassen sich mit der kulturellen Dynamik männlicher Selbstthematisierung. In Übersicht 4 sind die drei Diskurse hinsichtlich der zentralen Analysekategorien vergleichend gegenübergestellt.
179
Übersicht 4: Diskurse Differenz
Defizit
Maskulinismus
Erklärungsrahmen
Psychologie
Politik
Mythologie
Unterdrückung
Mann zu Frau, Mann zu Mann
Frau zu Mann
Kultur zu Männerenergie
Beziehung von Mann und Frau
Abhängigkeit des Mannes
Gegnerschaft
Anathema
Reaktion auf Feminismus
Profeminismus
Antifeminismus
weder pro noch anti
Perspektive
Therapeutische Kommunikation mit der Frau
Rückeroberung der Macht
Initiation in der Männergruppe
Rolle des Autors
Therapeut
Ketzer
Prophet
Kompetenz des Autors
Betroffenheit
Mut
Vollzogene Initiation, Erleuchtung
Stilmittel
Biographische Erzählung
Polemik
Gleichnis
Metapher
Frauensucht
Frauenknecht
Männerenergie
Kategorien
Die Unterscheidung der drei Diskurse ist eine typologische. Wie bei allen Typologien läßt sich nicht jeder Fall bruchlos einem der abstrahierten Typen zuordnen. Eine Reihe von Titeln der Männerverständigungsliteratur steht 'zwischen' den Typen. Das macht jedoch eine Erweiterung der Typologie nicht notwendig. Das 'Zwischen' spiegelt die zeitliche Dynamik des Männlichkeitsdiskurses. Es gibt Übergänge von einem zum anderen Teildiskurs, wie ja die späteren Diskurse des Maskulinismus und der Differenz Reaktionen auf den initialen Defizitdiskurs sind. Die Texte, die in einer Zwischenposition stehen, artikulieren zumeist Fortbewegungen vom Defizitdiskurs, sind aber (noch) nicht bei einem der anderen angekommen. Bisweilen läßt sich diese Bewegung an zwei Texten eines Autors nachzeichnen. Warren Farrell ist ein solcher 'Reisender' zwischen den Diskursen. In den siebziger Jahren leistet er mit dem Buch "The Liberated Man" (1974) einen viel beachteten Beitrag zum Defizitdiskurs, in den achtziger Jahren bemüht er sich mit dem Buch "Warum Männer so sind, wie sie sind" (dt. 1989) um eine Stärkung des unter den Defizitzuschreibungen beschädigten männli180
chen Selbstbewußtseins, freilich ohne die diesen Diskurs bestimmenden Deutungsmuster gänzlich aufzugeben. Dieser Text modifiziert die profeministische Perspektive, nicht indem eine maskulinistische dagegen gesetzt, sondern indem gewissermaßen eine 'ganzheitliche' Sicht eingeführt wird, in der weibliche und männliche Erfahrungen gleichermaßen zu ihrem Recht kommen l80 . Farrell (1989, S. 12) entwickelt eine Matrix, die er "Wahrnehmungsmuster" nennt. Auf deren Grundlage vermag er, wie er bekundet, die Einseitigkeiten und Problemverkürzungen des Defizitdiskurses zu überwinden und die erwähnte ganzheitliche Perspektive zu entwickeln. Die Matrix hat folgende Gestalt:
Übersicht 5: Wahrnehinungsmuster Weibliche Erfahrung von Machtlosigkeit
Männliche Erfahrung von Machtlosigkeit
Weibliche Erfahrung von Macht
Männliche Erfahrung von Macht
Mit der Form der Matrix macht Farrell Leserinnen und Lesern seine zentrale Aussage optisch sinnfällig: daß die Wahrnehmungen der Geschlechterwirklichkeit perspektivisch, nämlich gescWechtlich, gebunden sind und daß keiner der Perspektiven eine Vorrangstellung zukommt. Macht und Machtlosigkeit sind nicht exklusiv männliche bzw. weibliche Erfahrungen, jedes GescWecht partizipiert an beiden. Die feministische These, die Frau sei das Opfer männlicher Macht, wird nicht dadurch aufgehoben, daß die Möglichkeit eines solchen Verhältnisses geleugnet wird, wie dies die Maskulinisten tun; die These wird relativiert, indem sie durch den Hinweis auf andere Konstellationen von Macht und Ohnmacht ergänzt und indem eine Gleichwertigkeit von Machtlosigkeiten behauptet wird. Farrells Anliegen ist eine Blickverschiebung und -erweiterung. Dabei hilft ihm, so bekundet er, die abgebildete Matrix. "Bei näherer Betrachtung dieses Wahrnehmungsmusters erkannte ich, daß wir in den . letzten zwanzig Jahren das erste der vier Felder mit einem Vergrößerungsglas betrach180 Unlängst ist ein dl;ttes Buch von Fan'ell erschienen, mit dem Titel "Mythos Männennacht" (1995). Einer Notiz COIU1ells (1995, S. 208) zufolge ist dieses Buch gekelmzeichnet durch "increased bittemess against feminism, more emphasis on the biological base of sex difference, and a new respect for ... Robelt Bly and male rituals". Selbst welU1 hier ein Autor, in ökonomischem Kalkül, dem Zeitgeist hinterherlaufen mag, so dokumentielt doch auch dies die Trends und Tendenzen des kulturellen Diskurses über Männlichkeit.
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tet haben, nämlich die weibliche Erfahrung von Machtlosigkeit. Ich entdeckte, daß ich unbewußt von einer falschen Annahme ausging: Je tiefer ich die weibliche Erfahnmg der Machtlosigkeit verstand, umso mehr ging ich davon aus, daß Männer die Macht haben, die Frauen nicht besitzen. Was ich in Wahrheit verstand, war die weibliche Erfahrung männlicher Macht" (Farre11 1989, S. 12).
Empathie mit dem anderen Geschlecht ist gut, bloß darf dabei nicht die mit dem eigenen zu kurz kommen. ,,Das Ungleichgewicht wird erst dann korrigiert, wenn wir das gleiche Vergrößerungsglas über das zweite Feld halten" (S. 13). Erfahrungen männlicher Machtlosigkeit entstehen Farrell zufolge in anderen Lebensbereichen und aufgrund anderer Anforderungen, als dies bei Frauen der Fall ist, bei den einen typischerweise im beruflichen Bereich, bei den anderen im häuslichen. Farrell kontrastiert beispielhaft und stereotyp die geschiedene Frau, deren Mann keinen Unterhalt fiir die Kinder leistet und die keine Arbeit findet, mit dem Mann, der sich einer Herzoperation unterziehen muß, weil er völlig überlastet ist durch die zwei Jobs, die er benötigt, um seiner geschiedenen Frau und den gemeinsamen Kindern, zu denen sie ihm obendrein den Zugang verwehrt, Unterhalt zu leisten. Farrell akzentuiert das Leiden der Männer, das seiner Ansicht nach im Geschlechterdiskurs nahezu unerwähnt bleibt. Es ist aber nicht ein Leiden, das durch ungerechtfertigte Ansprüche der Frauen verursacht wird, sondern es ist wie deren Leiden durch eine Orientierung an gesellschaftlichen Stereotypen verursacht. Die Geschlechtsrollen erzeugen fiir beide Geschlechter jeweils verschiedene, aber gleichwertige Erfahrungen von Macht und Machtlosigkeit. Männer wie Frauen seien "in einem komplexen Geschlechtsrollen-Tanz befangen" (S. 13). Farrells Text steht fiir Tendenzen einer männlichen Selbstbehauptung, die allerdings nicht die Rückkehr zu einer verlorenen Männerherrlichkeit propagiert. Nicht ,,Mann, bist du gut" lautet die Losung, sondern "Mann erkenne, daß auch du machtlos bist". Darin noch deutlich vom Defizitdiskurs geprägt, werden Handlungen von Männern, die traditionell mit männlicher Stärke konnotiert sind (Bewährung in der Natur und im Krieg), als Beispiele männlicher Machtlosigkeit interpretiert, so etwa der zig-tausendfache Tod im Vietnamkrieg. Freilich, in diesem Szenario des 'Geschlechtsrollentanzes' gibt es keine Akteure mehr, die man zur Verantwortung ziehen könnte. Der Mann als Unterdrücker der Frau ist exkulpiert, die Frau als Unterdrückerin des Mannes (noch) nicht entdeckt. Macht und Machtlosigkeit haben sich in den Horizont gesellschaftlicher Stereotype verflüchtigt. Dieses Deutungsmuster kennzeichnet auch einen weiteren Text des Übergangs, verfaßt von einem Bestsellerautor nicht nur der Männerverständigungsliteratur, sondern des populärpsychologischen Genres überhaupt. In "Die sieben Irrtümer der Männer" reklamiert Peter Lauster (1989; zuerst 1987)181, daß es, nachdem in den 15 Jahren zuvor die Perspektive der Frau im 181 Die Auflagenhöhe beträgt 137000 Exemplare.
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Vordergrund gestanden habe, ,jetzt aber an der Zeit (ist), ein Buch über die Psyche des Mannes zu schreiben" (S. 11). Lauster wendet sich nicht gegen den feministischen Diskurs, wertet die Tatsache, daß er stattgefunden hat, sogar als positiv, konstatiert aber auch, daß die feministische Kritik dem Mann "keineswegs geholfen (hat), sich selbst zu finden" (S. 13). Gegenüber dem feministischen Diskurs ist Lausters Text höchst ambivalent. Zu einer klaren Kritik kann er sich nicht durchringen. Vielmehr bekundet Lauster deutlich, seine Beschäftigung mit den psychischen Problemen des Mannes und seine Parteilichkeit fii.r diesen seien keineswegs als ein Affront gegen die Frauen zu verstehen. Lauster versucht den Männlichkeitsdiskurs von dem feministischen zu entkoppeln. Das gelingt ihm aber nicht mit der 'Souveränität', mit der Bly dies tut. Statt diesen Punkt einfach unerwähnt zu lassen, betont Lauster mehrfach, daß er keine Konfrontation beabsichtige. Die Parteilichkeit für den Mann ist nicht die der Maskulinisten. So, wie die Position zum Feminismus ambivalent ist, so wird die Parteilichkeit mit Einschränkungen versehen: "Ich schätze den Mann sehr, er ist ein wunderbares Wesen, und das Buch ist deshalb auch eine Hymne auf den Mann - wie er sein könnte" (S. 11). Sein Buch versteht Lauster als Hilfestellung, auf daß der Mann seine Potentiale voll entfalte. Und das meint: "zu sich selbst zu fmden und dadurch freier und seelisch gesünder zu werden" (S. 12). Die Empfehlung an den Mann lautet 'Identitätsarbeit', Abbau von Angst, Schuldgefühlen, Verdrängungen. Die psychologische Rahmung ist unübersehbar, und sie ist stärker akzentuiert als beispielsweise bei Wieck. Die Defizite des Mannes werden allein in dieser Dimension thematisiert. Die männliche Fixierung auf Stärke und Leistung wird als ,,Flucht vor dem schlichten So-Sein, vor dem inneren Selbst" beschrieben (S. 112). Unterdrückung und Freiheit werden einzig als seelische Phänomene thematisiert, und die defizitäre Situation des Mannes besteht darin, daß er "von innerer, also echter Freiheit, weit entfernt" ist (S. 140). "Innerlichkeit" sei die "wahre Revolution" (S. 83), nur sie könne die Welt verbessern. Gesellschaftliche Veränderungen sind nicht nur nicht notwendig, solches zu fordern erscheint Lauster hingegen als typisch männlich (S. 191). Was zählt, ist allein die "Liebe zu sich selbst, zur Frau und zur Natur" (S. 194). Wenn der Mann nur einen unverstellten Zugang zu seiner Psyche findet, dann erledigen sich die Spannungen und Konflikte im Verhältnis der Geschlechter wie von selbst. "Das Paradies ist ständig gegenwärtig, wir müssen uns nur öffnen, und es ereignet sich. Das beseelte Erleben ist das Paradies" (S. 81). Der Innerlichkeitsjargon bleibt äußerst vage, und das hat vermutlich System. Potentiell jedermann kann sich angesprochen fühlen, und er kann das Akzeptieren der je eigenen psychischen Verfaßtheit als Akt positiver Identitätsarbeit verstehen.
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Ähnlich wie Farrell zeichnet Lauster ein doppeigesichtiges Bild des Mannes als "unterdrückter Unterdrücker". Wenn er dies im direkten Anschluß mit der Wendung "ein neurotischer Pantoffelheld" (S. 12) exemplifiziert, dann ist das ein wenig versteckter Hinweis auf eine (Mit-)Schuld der Frauen an der psychischen Malaise des Mannes. Die Mitschuldigen, "die geglaubt hatten, den Mann domestiziert zu haben" (ebd.) werden auch sogleich in die Pflicht genommen, dem Mann bei seiner Selbstwerdung zu helfen. Lauster trägt einerseits zu einer Konstruktion des Mannes als Defizitwesen bei - immerhin identifiziert er "sieben Irrtümer" -, andererseits fordert er keine grundlegende Umorientierung des Mannes, sondern ein radikale Öffnung fur die eigene Psyche - was auch immer da zu finden sein mag -, denn dort liegen seiner Einschätzung nach die Potentiale einer positiven Männlichkeit verborgen - worin auch immer die bestehen mögen. Die Betonung eines in jedem Mann angelegten Potentials zu einem "wunderbaren Wesen" begründet eine gewisse Nähe zu dem Differenzdiskurs, die sich u.a. auch in einer Belegerzählung dokumentiert, in der ein Mann seine Freiheit in der Natur entdeckt hat, indem er "Energie aus der Natur empfangen" hat (S. 145). Hier zeigt sich eine Naturmystik, die der von Bly und Keen sehr nahekommt. Anders als diese plädiert Lauster aber nicht fur eine Absonderung von der Welt der Frauen, sondern wie Wieck fur eine Kooperation mit diesen. Schließlich ist neben solchen Beispielen eines Übergangs vom Defizitdiskurs zu einem anderen, insbesondere zum Differenzdiskurs, ein interessantes Randphänomen zu notieren: christlich-religiös geprägte Männerbücher, die sich die Popularität des Männlichkeitsdiskurses zu Nutzen machen, um auf diesem Weg ihre 'frohe Botschaft' zu verkünden. Der Einschätzung Coles (1992)182 zufolge entspricht der Zustand der Welt nicht mehr dem Willen Gottes. Das Grundübel sei eine "Innenweltverschmutzung" der Gesellschaft, und diese habe eine Auflösung des Mannseins zur Folge. Deshalb würden Männer gebraucht, "die verstehen, was vor sich geht, und etwas dagegen unternehmen" (S. 11). In der Heiligen Schrift findet Cole die Gründe fur diese Fehlentwicklungen benannt; die größte Gefahr ginge von der Sünde der Unzucht aus. Die Aufforderung an die Männer, "total" Mann zu sein, hat weniger männliche Selbstfindung als Ziel denn eine christliche Reorientierung der Gesellschaft. Eine Rückbesinnung auf traditionale Formen des Zusammenlebens - die Familie steht hierbei ausdrücklich im Mittelpunkt - stärkt allerdings die gesellschaftliche Position des Mannes. - Rohr (1992) präsentiert ebenfalls in einer Auslegung der Heiligen Schrift Jesus als den Prototyp einer souveränen Männlichkeit und die von Jesus begründete Gemeinschaft der zwölf Aposteln gleichsam als Vorbild einer Männergruppe, die sich um alter-
182 Sein Buch "Total Mann sein" hat eine Auflage von I0000 Exemplaren elTeicht.
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native Perspektiven in einer veränderungsunflihigen Gesellschaft bemüht l83 . Johannes der Täufer wird als ein "wilder Mann" präsentiert, dessen Beispiel dazu zwinge, "sich mit dieser männlichen Energie auseinanderzusetzen" (S. 43). Wie Bly und Keen setzt Rohr auf Naturmystik: ,,Die Reise des Täufers ist ein einsamer Weg. Wie wird er dargestellt? Allein in der Wüste, außerhalb der Gesellschaft" (S. 41). Rohr plädiert tUr ein Christentum, das sich "der wilden Seite Gottes" stellt und damit den "wilden, echten und geistlichen" Seiten des männlichen Selbst wieder Geltung verschaffe. Betrachtet man die Entwicklung des Männlichkeitsdiskurses, wie er sich in der Männerverständigungsliteratur spiegelt, so läßt sich die Tendenz ausmachen, die zunächst vorgenommenen Dekonstruktionen durch Versuche zur Rekonstruktion einer intakten Männlichkeit zu ersetzen. In diesem Prozeß findet eine Entwertung feministischer Problemdiagnosen statt, entweder in Form einer harschen Negierung der Gültigkeit solcher Diagnosen - das ist die vom Maskulinismus verfolgte Strategie der Nihilierung - oder in Gestalt einer Entkopplung des Männlichkeitsdiskurses vom allgemeinen, feministisch geprägten Geschlechterdiskurs - das ist die Orientierung des Differenzdiskurses. Defizit- und Differenzdiskurs verstehen sich als Positionen innerhalb der Männerbewegung, der Maskulinismus explizit als Gegengewicht. In dieser Gegnerschaft, vor allem aber in der Opposition zur Frauenbewegung ist der Diskurs des Maskulinismus ein ausgeprägt politischer. Er formuliert politische Parolen tUr den Geschlechterkampf. Die beiden anderen Teildiskurse sind in der Problemdiagnose, vor allem aber in der Bestimmung von Perspektiven deutlich unpolitisch. Ob der Weg zu einer Männerveränderung in der Konzentration auf die Psyche oder auf ein körpergebundenes energetisches Potential gesucht wird, immer steht die Auseinandersetzung des Mannes mit sich selbst im Vordergrund. Gesellschaftspolitische Überlegungen oder gar Entwürfe findet man weder im Defizit- noch im Differenzdiskurs. GleichwoW markieren auch diese beiden Teildiskurse Positionen in der aktuellen geschlechterpolitischen Auseinandersetzung. Begreift man mit Connell (1987, S. 263) Geschlechterpolitik als Artikulation von Interessen in einem kollektiven Projekt, dann ist nicht nur die offene Frontstellung der Maskulinisten hierzu zu rechnen, sondern auch der Rückzug ins Private, den der Defizitdiskurs nahelegt, und ebenso das Geltendmachen einer essentiellen Differenz. Während der Defizitdiskurs seinen Profeminismus dadurch 'entschärft', daß er die Forderungen nach einer Neustrukturierung der geschlechtlichen Arbeitsteilung unthematisiert läßt, begründet der Differenzdiskurs in seinem homosozialen 'Eskapismus' eine neue Position männlicher Stärke, 183 Der deutsche Verlag ist auf den Zug des Zeitgeistes aufgesprungen und hat den Oliginaltitel "A Man's Approach to God" abgeändel1 in: "Der wilde Mann. Geistliche Reden zur Männerbefreiung". Das Buch hat (dadurch?) eine Auflage von 65000 Exemplaren erzielt.
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von der aus feministische Schuldzuschreibungen souverän zurückgewiesen werden können. Wie Nunner-Winkler (1994) in ihrer Analyse des feministischen Differenzdiskurses zeigt, impliziert jeglicher Essentialismus, daß askriptive Zugehörigkeiten eine hohe politische Bedeutung erlangen.
7. Unter Männern. Kollektive Orientierungen und existentielle Hintergründe l84 Die in der Männerverständigungsliteratur und in sonstigen öffentlichen Selbstthematisierungen betriebene Diskursivierung von Männlichkeit läßt das fraglos Gegebene zum Fragwürdigen werden, auch dann, wenn jenes auf diesem Wege wiederhergestellt werden soll. Nun sollte die Beschäftigung mit solchen Indikatoren einer 'Krise der Männlichkeit' nicht dazu verleiten zu verkennen, daß neben diskursiv vorgenommenen Positionsbestimmungen immer noch das Muster einer indexikal vollzogenen Verortung im Beziehungsgeflecht der Geschlechter Bestand hat, Formen einer in fragloser Gültigkeit gelebten Männlichkeit, wie sie im theoretischen Teil der Arbeit mit dem Begriff des geschlechtlichen Habitus konzipiert worden ist. Diese Männlichkeit läßt sich nicht irgendwo zwischen Profeminismus und Maskulinismus, zwischen Gleichheits- und Differenzbestimmungen verorten, schon gar nicht in der Mitte. Sie liegt völlig außerhalb solcher Kontinuen. Auch wenn nur die 'Fraktion' der bewegten Männer für sich das Etikett 'neuer Mann' reklamiert, steht in einer wissenssoziologischen Perspektive die gesamte Männerverständigungsliteratur für neue Männlichkeiten und reflektieren alle Teildiskurse - in je eigener Weise - deren Dilemmata. Eine habituell ihrer selbst sichere Männlichkeit hat und sucht in der Verständigungsliteratur kein Forum. Täte sie dies, hörte sie auf zu existieren. Diskursive Verständigung ist der Tod des fraglos Gültigen. In welchem Ausmaß dieses (immer noch) verbreitet und in welchen Handlungsräumen es vornehmlich zu Hause ist, ist eine empirisch offene Frage. Dieses Kapitel soll zumindest ansatzweise eine Antwort darauf geben, wie weit die von der Theorie der reflexiven Modemisierung behaupteten Tendenzen einer Enttraditionalisierung auch der Beziehungen der Geschlechter in den alltäglichen Lebenswelten von Männem aufzufinden sind. Welche Männer 'erleiden' überhaupt ihre eigene Emanzipation und in welchen Formen äußert sich ein solches Leiden? Anders herum gefragt: Unter welchen lebensweltlichen Umständen läßt es sich als Mann trotz aller Umbrüche im Geschlechterverhältnis 184 Teile dieses Kapitels (7.2 bis 7.6) sind in einer erheblich kürzeren Fonn bereits publizielt worden (Meuser 1995c; BeilIlke/Meuser 1997).
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in habitueller Sicherheit leben und worauf gründet eine solche Sicherheit? Das sind die Leitfragen dieses Kapitels. Die Beantwortung dieser Fragen erfordert ein anderes methodisches Verfahren als eine Literaturanalyse. Die Daten, auf die sich das Folgende stützt, sind in Gruppendiskussionen gewonnen worden, die in real existierenden Zusammenschlüssen von Männem durchgeführt worden sind. Ich werde zunächst die methodische Frage diskutieren, wie sich das fraglos Gegebene empirisch erfassen läßt und auf welche Sinndimension das Verfahren der Gruppendiskussion abzielt. Anschließend werde ich in einer typologischen Unterscheidung verschiedener Formen der Bewältigung der Umbrüche im Geschlechterverhältnis zeigen, inwieweit die Lebenspraxis noch die Anwendungsbedingungen des männlichen Geschlechtshabitus erfüllt und wo sie dies nicht mehr tut.
7.1 Zur Methode: Wissenssoziologische Rekonstruktion kollektiver Orientierungen oder: Wie läßt sich das fraglos Gegebene zum Sprechen bringen? Wenn, wie Carol Hagemann-White (1988, S. 233) ausführt, Geschlecht ein Code ist, "der nicht ausdrücklich thematisiert werden darf, und der in nichts 'übersetzt' werden darf, weil nur innerhalb dieses Codes Identitäten existieren", dann verweist das auf die Schwierigkeiten eines Unterfangens, die Geschlechtlichkeit des Handeins dort zu thematisieren, wo dies gewöhnlich nicht geschieht: in der Lebenswelt des Alltags. Auch Bourdieu (1979, S. 327) benennt - in einem anderen Kontext und allgemeiner formuliert - die Probleme, die sich stellen, will man das Fraglose 'zur Sprache' bringen. "Es fällt nicht leicht, jene subjektive Erfahrung in Worte zu kleiden, die an eine solche Welt des verwirklichten 'Es muß sein' gebunden ist, wo Dinge, die kaum anders sein könnten, doch nur sind, was sie sind, weil sie so zu sein haben; wo man zur gleichen Zeit das Gefühl haben kann, daß nichts anderes zu tun sei als das, was man tut, und man nur tut, was man tun muß."
Das fraglos Gegebene ist nicht nur darin selbstverständlich, daß es routinisierte, in tausendfacher Interaktion eingeschliffene, sprich habitualisierte Handlungspraxis ist, es hat zudem normative Kraft. So auch beim Geschlecht. Wenn es dennoch zum Sprechen gebracht werden kann, dann in Situationen oder in historischen Konstellationen, in denen es aufbricht. In den Garfmkelschen Krisenexperimenten haben die Forscher den Bruch systematisch und planvoll in eine sich entfaltende Interaktion eingeführt. Auf diese Weise können tiefenstruktureIl verankerte formale Strukturen des Alltagshandelns erfaßt werden. In ähnlicher Weise nutzt die ethnomethodologische Geschlechterforschung die reale Krisensituation des transsexuellen passing, um Funktions187
prinzipien des doing gender zu rekonstruieren (s. Kap. 2.2). Eine wissenssoziologische Analyse von kulturellen Deutungsmustern und kollektiven Orientierungen ist auf gesellschaftliche Umbrüche verwiesen. Kar! Mannheim (1980, S. 276f.) zufolge ist ein immanentes Verstehen, das die Binnenperspektive eines Erfahrungsraumes nicht transzendieren kann, weil der Interpret Mitglied der zu analysierenden Kultur ist, ,,nur in historisch sensibel gewordenen Zeitaltern" , d.h. "nur in einer Epoche möglich, die differenziert genug ist, um innerhalb ihres Erfahrungsraumes mehrere spezielle Erfahrungsräume zu enthalten". Bourdieu (1979, S. 327f.) macht dies anhand einer Erzählung einer älteren kabylischen Frau deutlich. Diese Frau berichtet, wie sich der Status des Krankseins und des Sterbens in einer Weise verändert hat, daß man ihn nun begrifflich präzisieren kann. Die Frau, die noch gelernt hatte, Kranksein im Modus des Fraglosen und nicht Befragbaren zu erfahren, bekommt durch den Kontakt mit der europäischen Kultur ein Vokabular an die Hand, mit dem sie ansatzweise das Fraglose benennen kann, ein Vokabular, das ihr überhaupt erst ermöglicht, über Krankheit zu sprechen. Die Erzählung dieser Frau macht aber auch deutlich, daß ihr das Benennen und damit das 'Entzaubern' fremd sind und Unbehagen bereiten. Ein vergleichbares Unbehagen läßt sich bei einer Reihe der im Sampie vertretenen Gruppen beobachten, wenn sie aufgefordert werden, über ihr Mannsein zu sprechen. Gleichwohl, die Zeitgenossenschaft in einer Phase der Umstrukturierung des Geschlechterverhältnisses gibt auch ihnen ein Vokabular an die Hand, mit dem sich über Männlichkeit und über die Situation des Mannes reden läßt. Daraus läßt sich methodisch Nutzen ziehen. In einem Herrenclub beispielsweise artikulieren die Diskussionsteilnehmer sehr massiv ihr Unbehagen, stellen aber in der Art, wie sie das tun, einen Bezug zum aktuellen kulturellen Diskurs über das Geschlechterverhältnis her l85 . Fm:
Ich äh bin also ausgesprochen allergisch gegen diese ich kann mich kann mich also so kann mich gut erinnem ich hab mal irgendwo eine äh Femsehdiskussion gesehn mit dem Marcel Reich-Ranicki und da wurde er
LHm
?m: Fm: ?m: Fm:
gefragt was halten sie von ähm von äh den von der Frauenliteratur oder (.)
Lkenn ich auch
von der Frauenliteratur von äh von der Frauenschriftstellerin soundso (.) und da hat er gesagt äh oder irgendwie brachte er in diesem Gespräch aber die Definition es gibt keine Frauenliteratur und es gibt keine Männerliteratur es gibt gute Literatur und es gibt schlechte Literatur (.) und diejenigen die
185 Die Notationsregeln der Translaiption sind im Anhang aufgelistet.
188
Em: Fm:
YI: Fm:
L Das war n guter
Ausspruch
Frauen gute Literatur schreiben bringen (.) die würden sich mit Händen und Füßen dagegen wehm äh wehren äh das das als Frauenliteratur bestimmt das is einfach das is gute Literatur LHmhm und diese Polarisierung is mir persönlich ziemlich zuwider und es wird viel Schaden angerichtet mein ich damit (.)
Auch wenn diese Männer über Geschlechterfragen am liebsten schwiegen, weil sie entsprechende Diskussionen als irrelevant einschätzen, das Beispiel, das sie wählen, um dies auszudrücken, läßt den Geschlechterkonflikt in seiner ganzen Schärfe aufscheinen. Mit dem Verweis auf die Argumentation des Literaturkritikers, die zur Absicherung der eigenen Kritik zitiert wird, wird zugleich ein Wissen darum aktualisiert, daß es in der Gegenwartsgesellschaft eine Entwicklung gibt, die immer mehr Bereiche einer gescWechtlichen Konnotierung unterzieht. Auch wenn dies in den Augen der Gruppe - wie in denen des Literaturkritikers - eine Fehlentwicklung ist, verschafft ihnen der mißtrauisch wahrgenommene kulturelle Diskurs ein Vokabular, um diesem gegenüber die eigene Position zu markieren. Als Erhebungsmethode wurde das Verfahren der Gruppendiskussion gewählt, weil es einen direkten Zugang zu kollektiv geteilten Sinngehalten eröffnet (vgl. Mangold 1960, Nießen 1977; Bohnsack 1989, 1991; Lamnek 1989; Loos/Schäffer 2001). Wie bereits Mangold herausgestellt hat, wird in Gruppendiskussionen nicht lediglich eine Summe von Einzelmeinungen zu Tage gefördert; wenn wie bei der vorliegenden Studie die Diskussionen in Gruppen geführt werden, die unabhängig von der Forschungssituation existieren, werden die Resultate vorgängiger Gruppeninteraktionen reproduziert. Da die Gruppe dies gegenüber Fremden, den Forschern, tut, wird - in wechselseitiger Bezugnahme der Gruppenmitglieder aufeinander - vieles stärker expliziert, als dies bei sonstigen, 'normalen' Zusammenkünften geschieht. Dabei werden auch Selbstverständlichkeiten thematisiert, aber immer in einer Weise, daß deren Einbindung in den Sinnhorizont der Gruppe deutlich wird. Die Gefahr, daß lediglich für die Untersuchungssituation gültige Ergebnisse erzielt werden, ist nicht gegeben, weil es sich bei den im SampIe vertretenen Gruppen um 'natürliche' Gruppen handelt. Die Mitglieder haben eine gemeinsame Interaktionsgeschichte. Insofern kann davon ausgegangen werden, daß die in der Forschungssituation sich manifestierenden kollektiven Sinngehalte auch außerhalb dieser handlungsrelevant sind. Untersuchungs- und Aussageeinheit sind nicht die einzelnen Gruppenmitglieder, es ist die jeweilige Gruppe als ganze. Für die Durchführung der Diskussionen folgt daraus, daß es unerheblich ist, ob eine gleichmäßige Betei189
ligung aller Teilnehmer an der Diskussion erreicht wird oder nicht. Anders als bei einer Orientierung am Modell der Einstellungsuntersuchung stellen Anpassungseffekte an die 'Mehrheitsmeinung' und eine Monopolisierung der Diskussion durch 'Meinungsführer', sofern sie auftreten sollten, kein Validitätsproblem dar. Vielmehr werden damit in den Gruppen ohnehin vorhandene Effekte in der Erhebungssituation aktualisiert. Gruppendynamische Effekte sind nicht als Quelle der Erzeugung von Artefakten zu sehen (in dem Sinne, daß sie das Thema überlagerten), sondern sind Ausdruck des gruppenspezifischen Erfahrungshintergrundes, der dem unter Forschungsbedingungen zustandekommenden Diskurs zugrunde liegt. Konflikthafte Steigerungen der Diskussion sind geradezu SchlüsselsteIlen für die interpretative Rekonstruktion der symbolischen Sinnwelt einer Gruppe (vgl. exemplarisch MatthesNagel/Meuser 1987). Die Auswahl der Gruppen erfolgte nach einem zweistufigen, am Modell des theorelical sampling orientierten Verfahrens (vgl. Strauss 1987, S. 16ff.; Strauss/Corbin 1990, S. 176ff.). Ein erstes Selektionskriterium war die vermutete Fraglosigkeit bzw. Reflexivität der Orientierungen. Auf dieser Folie wurden als typische Formen einer gruppenförmig organisierten männlichen Kultur männerbündisch strukturierte Zusammenschlüsse und explizite Männergruppen unterschieden. Unter dem Begriff 'Männerbund' sind solche Zusammenschlüsse subsumiert, die im Selbstverständnis der Mitglieder nicht oder nicht ausschließlich geschlechtlich fokussiert, sondern über den gemeinsam betriebenen Sport, das gesellige Beisammensein, das soziale oder politische Engagement vennittelt sind: Fußballmannschaften, Stammtische, Herrenclubs und ähnliche homosoziale Welten, in denen sich die Mitglieder mehr oder minder ausschließlich aneinander orientieren 186. Lipman-Blumen (1976) zufolge ist dies bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen (vgl. auch Lautmann 1990, S. 268ff.). Obwohl augenscheinlich Männer unter sich sind, betonen in den Gruppendiskussionen nicht wenige männerbündisch strukturierte Gruppen, daß nicht die Geschlechtszugehörigkeit das Kriterium für die Gruppenzugehörigkeit ist. Gleichwohl entfaltet die Gemeinsamkeit des Geschlechts gruppenbildende Wirkung (vgl. Lautmann 1988, S. ll ff.). Obwohl hinsichtlich ihrer Verbreitung in keiner Weise mit den zuvor genannten Männersubkulturen zu vergleichen, sind die sich selbst so bezeichnenden 'neuen Männergruppen' zu berücksichtigen. Dies geschieht, um Aspekte des Wandels zu thematisieren, die durch Männer induziert werden könnten, und um die kognitiven sowie ideologischen Aspekte einer Neucodierung von Männlichkeit zu erfassen. Die 186 Der Begriff des Männerbundes hat in den deutschen Sozialwissenschaften eine nicht unbelastete Tradition. Zu BegirU1 des Jahrhundelts ein populäres Thema in der soziologischen Diskussion, war der Begliffnach der bündisch organisielten NS-Diktatur diskreditielt (vgl. König 1990; Reulecke 1990). Angesichts der Ubiquität der OrganisationsfOl1TI Männerbund (vgl. Schweizer 1990) scheint eine emeute, von völkischen und märUllich-chauvinistischen Unteltönen befreite Diskussion über Männerbünde als Quelle und Stütze männlicher Hegemonie auf der Tagesordnung zu stehen (vgl. Völger/Welck 1990).
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Männergruppen sind interessant als potentielle Träger einer alternativen Wirklichkeitsbestimmung in einer historischen Konstellation, in der die traditionelle symbolische Sinnwelt problematisch wird (vgl. hierzu allg. Berger/Luckmann 1980, S. 113f.).
Weitere Selektionskriterien waren die Merkmale Alter und soziales Milieu. Die Altersspanne reicht von Anfang 20 bis Anfang 60. Es ist mithin möglich, die Bedeutung von Lebensphasen und auch von Generationslagerungen für die Ausbildung männlicher Orientierungen zu erfassen. Die sozialen Milieus, in denen die Gruppen zu Hause sind, reichen vom proletarischen des Facharbeiters bis zum bürgerlichen des Freiberuflers und des Managers. Damit kann einem Mittelschicht-Bias gegengesteuert werden, der die soziologische Geschlechtertheorie und -forschung von Parsons über Goffman bis Beck prägt. Und auch die Frauenforschung hatte sich lange Zeit auf die Lebenslagen weißer Mittelschichtfrauen konzentriert (vgl. West/Fenstermaker 1995, S. 1Off.). Die Soziologie betrachtet in der Regel die "Mittelschicht-Idealversion" (Goffman 1981, S. 20) des Geschlechterverhältnisses. Im Zuge der Interpretation der Daten wurde das Sampie um Gruppen erweitert, die nach Maßgabe der Kriterien des minimalen und des maximalen Kontrastes ausgewählt wurden. Das ermöglicht - im Vergleich der Daten eine Rekonstruktion von Gemeinsamkeiten und Unterschieden und verschafft so die Basis für theoretische Generalisierungen (vgl. Wiedemann 1991). Die Gruppen wurden an ihren üblichen Treffpunkten aufgesucht, die Diskussionen dort durchgeführt I87. Die Gesprächsführung war an dem Prinzip einer möglichst weitgehenden 'Selbstläujigkeit' des Diskurses orientiert, um der Gruppe die Gelegenheit zu geben, gemäß ihren eigenen Relevanzstrukturen zu interagieren und zu einer hohen kommunikativen Dichte zu gelangen (vgl. Bohnsack 1989, S. 24). Während der Diskussion verhielten sich die Diskussionsleiter neutral; die Gruppenmitglieder sollten untereinander und nicht mit den Forschern diskutieren. Dadurch, daß den Untersuchungspersonen die thematische Steuerung überlassen wurde, dokumentieren sich in den Diskussionen die Relevanzen, in denen das jeweilige Thema für die Teilnehmer bedeutsam ist. Eine solche Form der Gesprächsgestaltung wird dem gerecht, was Knorr-Cetina (1984, S. 43ff.) als das Kennzeichen einer "sensiblen Methodologie" - im Unterschied zu einer "frigiden" - beschrieben hat. Die unvermeidbare Konstruktivität der Erhebung ist von den theoretischen Kon187 Der Stichprobenumfang liegt bei n = 30. Die Gestaltung des Feldzugangs vmiielte belI"iichtlich sowohl hinsichtlich der Att der Kommunikationsmedien als auch hinsichtlich der aufgewendeten Zeit. Eher selten war der Fall, daß nach einem bis zwei Telefonaten eine verbindliche Tenninabsprache getroffen werden konnte. Wesentlich häufiger war der andere Extremfall, daß bei mehreren, oft über Wochen sich erstreckenden Treffen mit der Gmppe deren Vertrauen elworben werden mußte, bevor diese einer GlUppendiskussion zustimmte. Die erste FonD ist der typische Zugang zu hoch-organisietten HelTenclubs aus höheren sozialen Schichten, der zweite Weg muß typischeiweise beschlitten werden, weml man Kontakt zu infonnellen Gmppen aus dem Arbeitelmilieu herstellen will.
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strukten der Wissenschaft dezentriert, so daß die notwendigen Selektionen "möglichst weitgehend von den Phänomenen selbst bestimmt werden" (ebd., S.47). Eine Strukturierung muß allerdings notwendigerweise von den Diskussionsleitern vorgenommen werden; sie müssen einen Anfangsimpuls setzen, eine Eingangsfrage vorgeben. Die Frage lautete: "Was heißt es oder was bedeutet es für Sie/Euch, ein Mann zu sein?". Das ist, wie uns mehrfach versichert wurde, eine "saudumme Frage". Dies ist eine richtige Einschätzung, wenn man die Perspektive einer traditionellen männlichen Orientierung zugrunde legt (s.u.). In forschungsstrategischer Hinsicht hat sich die Frage, die bei einer kollektiven Erfahrung, bei der Zugehörigkeit zum männlichen GescWecht, ansetzt, hingegen als sehr fruchtbar erwiesen. Sie ermöglicht es jeder Gruppe und zwingt sie wegen ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit dazu, gemäß den eigenen Relevanzen thematische Schwerpunkte zu setzen und den Stil der Diskussion zu bestimmen. Ob eine Gruppe mit dem Thema der Sexualität in die Diskussion einsteigt oder mit dem der Verantwortung des Mannes für die Familie, zeigt bereits, worauf die männliche Orientierung jeweils fokussiert ist. Ob man meint, zur Beantwortung der Frage die eigene Sozialisationsgeschichte und darin die Beziehung zum Vater aufarbeiten zu müssen, oder ob die Frage in der Weise (miß-)verstanden wird, daß sie darauf ziele, ob man stolz sei, ein Mann zu sein, ist ebenfalls aufscWußreich. Die Eingangsfrage ist dem vergleichbar, was Bourdieu (1979: 212) als "die gelehrten Fragen des Ethnologen" bezeichnet hat. Diese evozieren Antworten, "die, selbst wenn sie die Wahrheit der Praxis verfeWen sollten, dennoch gemäß den in der Praxis selbst vorhandenen Schemata organisiert sein können". Indem die Interpretation das, was die Gruppenmitglieder sagen, nicht wörtlich nimmt, sondern rekonstruiert, was sich darin dokumentiert, zielt sie auf die "Wahrheit der Praxis". Das ist möglich, weil der Diskurs in der Forschungssituation immer auf etwas ihm Vorgelagertes, ihn Fundierendes verweist, das ihn mitstrukturiert und das nicht zuletzt im spezifischen Diskursstil der Gruppe zum Ausdruck gelangt, welcher insbesondere durch den Vergleich mit anderen Gruppen erkennbar wird (zur Auswertung der Diskussionstranskripte unten mehr). GleichwoW ist festzuhalten: Das, was in den Daten aufscheint, sind Darstellungen einer Praxis, die auf Handlungen verweisen, diese aber notwendig in perspektivisch gebrochener Form repräsentieren. Allerdings geschieht, wie sich zeigen wird, auch in solchen Darstellungen ein doing gender. Die Eingangsfrage zielt auf eine reflexive Durchdringung der eigenen Praxis, fragt danach, was daran geschlechtlich ist. Den meisten Gruppen ist eine solche Perspektive fremd. Ohne eine solche Aufforderung blieben sie freilich 'sprachlos' (vgl. auch Coltrane 1994, S. 55). Die inhaltliche Offenheit der Frage bedingt, daß die Gruppe, nachdem sie ihren thematischen Fokus ge192
funden hat, anhand von Berichten, Erzählungen, Anekdoten, Beispielen aus ihrer Lebenspraxis die Sinndimensionen entfaltet, in denen die GescWechtszugehörigkeit für ihr Handeln relevant ist. Bei jungen Männern, die (noch) nicht in einer festen Partnerschaft leben, steht die Sexualität im Vordergrund. Eine Gruppe von Freizeitsportlern im Alter von Mitte zwanzig beispielsweise verdeutlicht sich den Unterschied zwischen Frauen und Männern u.a dadurch, daß sie (bedauernd) feststellen, daß sie, die Männer, immer den ersten Schritt tun müßten, um eine Frau kennenzulernen, daß aber niemals die Frauen "den Aufriß tätigen". Aus solchen Unterhaltungen läßt sich rekonstruieren, in welchen Dimensionen die Zugehörigkeit zum männlichen GescWecht für die Gruppe relevant ist. Akzentuiert werden in dem Beispiel sowohl das vertraute Muster von männlicher Aktivität und weiblicher Passivität als auch ein weniger bekannter Wunsch nach 'Bequemlichkeit' und 'Erobertwerden'. Die Eingangsfrage spricht die Gruppenmitglieder nicht als Experten an, die uns quasi deftnitorisch mitteilen können, was Männlichkeit denn nun ist. Insofern unterscheidet sie sich von entsprechenden Fragen, wie sie in der sozialpsychologischen Geschlechterdifferenzforschung üblich sind und deren Problematik hinreichend dokumentiert und diskutiert ist (vgl. Spence 1985; Sieverding/Alfermann 1992). Zwei Argumente - ein theoretisches und ein empirisches - sprechen dagegen, Deutungsmuster von Männlichkeit mittels Fragen zu erfassen, die direkt Z.B. auf Eigenschaften wie aktiv, stark usw. abheben. Erstens trifft auf solche Deutungsmuster zu, was in der Literatur allgemein als Merkmal kultureller Deutungsmuster hervorgehoben wird: Sie sind auf einer latenten Ebene des praktischen Bewußtseins bzw. des impliziten Wissens angesiedelt (vgl. Lüders/Meuser 1996; Meuser/Sackmann 1992b). Zweitens sind bestimmte Deutungen des GescWechterverhältnisses - und der Position des Mannes darin - zumindest in bestimmten sozialen Milieus verpönt. Es gibt als Folge der feministischen Herausforderung inzwischen so etwas wie 'Anstandsregeln der Geschlechtsrhetorik' , die manches nicht nur nicht auszusprechen, sondern auch nicht zu denken erlauben. Die Regeln sind weitgehend bekannt und werden, sofern sie als exterior, aufgezwungen erlebt werden, strategisch befolgt, wo es angezeigt ist; sind sie hingegen internalisiert, resultieren aus ihrer Befolgung nicht seiten gravierende Konflikte. Für beide Weisen des Umgangs mit den Regeln ftnden sich in den Gruppendiskussionen Beispiele. Die weite Verbreitung von Regeln der Geschlechtsrhetorik spricht dagegen, Untersuchungspersonen direkt nach gescWechtstypischen Merkmalen und Eigenschaften zu fragen. Eine Gruppe gezielt in eine Diskussion über die Frage zu verwickeln, ob und inwieweit Männer und Frauen sich hinsichtlich der Eigenschaften Aktivität und Passivität unterscheiden, ist eine wenig aussichtsreiche Strategie. Gibt man einer Gruppe jedoch die Gelegenheit, über ihre eigenen Angelegenheiten zu reden, dann zeigt sich, inwieweit und an 193
welche lebensweltliche Erfahrungen gebunden ein solches Deutungsmuster Bestand hat. In der dann häufig sich einstellenden 'Selbstvergessenheit', verbunden mit und gespeist aus einem erhöhten Engagement, dokumentiert sich ein Deutungsmuster im Reden über eine andere Sache 188 • Eine Sportgruppe beispielsweise redet über ihren Sport und ihre Erfahrungen, die sie dort mit unterschiedlichen Verhaltensweisen von Frauen und Männern gemacht hat. Cm:
me: Cm:
Ich hab zwölf Jahre lang ne Frauenmannschaft trainiert da warn die alt von was weiß ich von von siebzehn bis vierzig rauf und die warn froh wenn ich sie ausgewechselt hab das hab ich nie verstanden so L(lachen) aus meiner eigenen Sozialisation und meinem meinem Verhältnis zum Sport und Volleyball ich konnt das nich fassen die warn haah nimm mich raus so gings dann immer und ich dann ich wollt euch eigentlich spielen lassen du spielst jetzt ich mußte die echt und bei Männern is es genau umgekehrt da mußt du die bremsen die auf der Bank sitzen nein du kommst jetzt nicht aufs Feld
Im Horizont einer (männlichen) Perspektive, für die aktive Betätigung der höchste Wert im Sport ist, kann die Haltung der Frauen nur als unerklärliche Passivität beschrieben werden. Mögliche andere Erklärungen der Motivationslage werden von dem Aktivitäts-Passivitäts-Schema überlagert, das sich so als eine Wahrnehmungsmatrix geschlechtstypischen Verhaltens geltend macht. Die Auswertung der transkribierten Gruppendiskussionen orientiert sich an dem Verfahren der dokumentarischen Methode der Interpretation, wie es von Ralf Bohnsack (1983, 1989, 1991) in Anschluß an Karl Mannheims (1970, S. 104ff.) wissenssoziologische Unterscheidung der drei Sinnschichten objektiver Sinn, intendierter Ausdruckssinn und Dokumentensinn entwickelt worden ist. Gegenstand der Interpretation sind nicht subjektive Intentionen und Motive, sondern kollektive Bedeutungszusammenhänge. Die einzelnen Beiträge in den Gruppendiskussionen werden nicht Individuum-bezogen interpretiert, sondern als Ausprägungen und Repräsentanten einer kollektiven Sinnstruktur. Die dokumentarische Sinnschicht bezeichnet Mannheim (1970, S. 108f.) auch als "gesamtgeistigen 'Habitus"', sie sei "nur vom Rezeptiven aus erfaßbar" (ebd., S. 118) und für den Schöpfer eines kulturellen Gebildes
188 Eine ähnliche Beobachtung notiel1 Spence (1985). In einer Studie, in der die Untersuchungspersonen angeben sollten, was ilu'er Ansicht nach die Bedeutung von Männlichkeit und Weiblichkeit ist, bestritten viele, daß die gängigen Geschlechterstereotype von Bedeutung seien für 'wirkliche' Männlichkeit und Weiblichkeit. Im weiteren Verlauf des Interviews benutzten dieselben Befragten die zuvor kritisiel1en stereotypen BegIiffe aber in selbstverständlicher Manier, um sich und andere zu beschreiben.
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der Intention nach nicht gegeben '89 . In diesem Sinne wird das Auswertungsverfahren der dokumentarischen Methode der Interpretation eingesetzt, um Deutungsmuster von Männlichkeit als Elemente eines männlichen Habitus zu rekonstruieren 190. Das Hauptprinzip der Dateninterpretation ist neben der immanenten sequentiellen Rekonstruktion des Sinngehalts eines jeden Textes die komparative Analyse. Der Vergleich erweitert das Verständnis der symbolischen Sinnwelt einer Gruppe. Komparation ist ein Grundprinzip sämtlicher Verfahren einer soziologischen Textinterpretation, in Konversations- und Narrationsanalyse ebenso praktiziert wie in der objektiven Hermeneutik. Während letztere den Vergleich gedankenexperimentell durch die Produktion möglichst vieler Lesarten organisiert, gewinnt die dokumentarische Methode die Vergleichsfälle, darin den beiden anderen Verfahren ähnlich, auf empirischem Wege. Von der interpretierten symbolischen Sinnwelt der einen Gruppe wird gleichsam auf diejenige der anderen geschaut und vice versa. Beispielsweise werden die massiven Probleme einer habituellen Verunsicherung, wie sie bei den neuen Männergruppen zu beobachten sind, in ihrem Ausmaß und in ihren Bedeutungsnuancen erst voll verständlich, wenn man sie auf der Folie einer ihrer selbst gewissen Männlichkeit betrachtet, wie sie in männerbündisch strukturierten Gruppen zu finden ist (s.u.). Die Komparation zielt aber nicht nur auf maximale Kontraste. Ein Vergleich von Gruppen mit ähnlichen Orientierungen (minimaler Kontrast) erlaubt eine interne Differenzierung homologer Muster. Ein weiterer Nutzen dieses komparativen Verfahrens ist bei einem Gegenstand, der auf der Tagesordnung politischer Auseinandersetzungen steht, sehr hoch zu veranscWagen: die methodische Erzeugung von Distanz. Indem die Sinnwelt der einen Gruppe bzw. eines Typus von Gruppen als Folie zum Verständnis derjenigen des anderen dient, kann vor allem vermieden werden, daß politisch aufgeladene theoretische Kategorien (z.B. gender ofoppression) oder auch subjektive Präferenzen des Forschers bzw. 'Betroffenheiten' die 189 Obwohl Mannheim den Begliff des Habitus nur beiläufig velwendet, ohne ihn systematisch zu entfalten, lassen sich Gemeinsamkeiten mit dem Bourdieuschen Verständnis des Begriffs konstatieren (vgl. Meuser 1999b, 200Ib). Beide, Mannheim wie Bourdieu, beziehen sich auf Arbeiten des KunsthistOlikers Elwin Panofsky. Mannheim (1970, S. 122f., 128) verdeutlicht anhand von Panofskys Begriff des "Kunstwollens" sein Konzept des dokumentarischen Sinngehalts. Bourdieu (1970, S. I27ff.) übeminunt den Begliff des Habitus von Panofsky, der damit, so Bourdieu, den "modus operandi" einer kulturellen Epoche bezeichnet. Dieser sorge daftir, daß z.B. "die Gedanken des Theologen und die Baufonnen des Architekten" des 13. Jalu·hundelts einem homologen Muster folgen (S. 143f.). 190 Zur tecl111ischen Seite der Velfahrensschlitte vgl. Bol111sack 1991. Ln zwei breit angelegten Untersuchungen zu kollektiven OlientielUngen von Jugendlichen hat Bohnsack das Verfahren zur AusweItung von GlUppendiskussionen eingesetzt (vgl. Bohnsack 1989; Bol111sack u.a. 1995).
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Textinterpretation bestimmen 191 • Genau dies ist ein Problem vieler Studien der men 's studies. Studien, deren empirische Basis mit offenen Erhebungsverfahren gewonnen ist, sind einem stilistischen Problem konfrontiert. Die im Interesse einer intersubjektiven Überprüfbarkeit sinnvolle Präsentation von Originaltranskripten ist der Lesbarkeit des Textes eher abträglich. Das gilt in gesteigertem Maße für Transkripte von Gruppendiskussionen mit ihren vielfachen Markierungen von Sprecherwechseln, Unterbrechungen, Überlappungen usw. Im folgenden werden Originaltranskripte dann zitiert, wenn sich eine ausführliche Interpretation der jeweiligen Sequenz anschließt. Die Transkripte sind lediglich um Nebengespräche (z.B. Bestellung von Getränken) bereinigt. Wo der Rekurs auf die Daten mehr in illustrativer Absicht erfolgt, treten Paraphrasen und schriftsprachlich geglättete Zitate an die Stelle von Originaltranskripten.
7.2 "Weil das immer so gewesen ist". Verankerung in der Tradition
und habituelle Sicherheit
Alle, die eine Sozialisation zur Frau oder zum Mann durchlaufen haben, besitzen eine - nicht notwendig klar artikulierte - Vorstellung davon, was typisch weiblich und was typisch männlich ist, nicht unbedingt die gleiche. Und wie es in einem der dem empirischen Teil vorangestellten Zitate anklingt, können wir oft besser artikulieren, was dem anderen Geschlecht zu eigen ist, als was das eigene auszeichnet. Dies gilt zumindest für Männer, und wie sich zeigen wird, nicht nur für solche, die durch die Entwicklungen der vergangenen drei Jahrzehnte verunsichert sind. Eine Erklärung hierfür bietet Georg Simmels Hinweis, daß ein unsere Kultur prägendes Deutungsmuster die fraglos vorgenommene Gleichsetzung des Männlichen mit dem AllgemeinMenschlichen ist (s. Kap. 1.2). Der Rekurs auf Simmel stellt einen soziologisch fundierten Bezugspunkt bereit, von dem aus Deutungs- und Orientierungsmuster von Männlichkeit danach unterschieden werden können, ob sie dem traditionellen kulturellen Verständnis verhaftet bleiben oder ob sie in irgendeiner Form dessen Fraglosigkeiten verloren haben. Wenn ich die in diesem Kapitel behandelten Deutungsmuster und Orientierungen als traditionell bezeichne, dann geschieht dies aber auch, weil die Mitglieder derjenigen Gruppen, in denen diese Muster zu finden sind, sich selbst positiv auf ,,Althergebrachtes" beziehen. 191 Auf die methodologische Problematik einer am Plinzip der Betroffenheit oder auch der Empathie mit den Beforschten olientielten Forschung hat Wohlrab-Salu' (1993) in einer Diskussion der methodischen Postulate der Frauenforschung hingewiesen. Vgl. auch BelUlke/Meuser 1999.
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Frag/ase Gegebenheiten Trotz der Diagnosen einer 'Krise des Mannes' ist für eine Vielzahl von Männem, vennutlich für die Mehrheit, ihre Existenz als Mann etwas fraglos Gegebenes. Fraglos in dem Sinne, daß sie sich bislang nicht veranlaßt sahen, die Geschlechtlichkeit ihres Handelns zum Gegenstand einer Reflexion zu machen, geschweige denn, sich neu zu definieren, und fraglos in dem Sinne, daß die ihnen überlieferten Ausdrucksfonnen des männlichen Habitus als etwas Selbstverständliches praktiziert werden. Ein Diskussionsausschnitt über ein vor allem im Arbeitennilieu praktiziertes Ritual, den täglichen Kneipenbesuch, verdeutlicht die fraglose Gegebenheit der Tradition l92 : Cm:
YI: Cm: Am: Y2:
Männer gehen eher in ne Kneipe n- ich sach mal jeden Tach oder jeden zweiten Tach und trinken da noch son Bier weil se eben ( )
LJa aber warum is des
eigentlich so Ja dat weiß ich auch nich
LNaja ich mach es zum Beispiel das is ganz einfach so weil äh das fff dass is ne gute Frage (lacht) warum is das eigentlich so jetzt wo ich L(lacht)
Am:
das beantworten soll da fällt mir eigentlich da fallt mir eigentlich auf daß äh das macht einfach Spaß laiS Mann (.) ne
Cm:
Ja (weil du) weil dat immer so gewesen is nehm ich mal an Frauen sind noch nie abends in ne Kneipe ge- also jetzt schon mehr
Weshalb sie jeden Abend den in diesem Fall männlich-homosozial strukturierten Ort der Kneipe aufsuchen, vennögen sie nur schwer zu begründen. Sie tun es, ohne über Sinn und Zweck nachzudenken (,ja dat weiß ich auch nich"). Die Frage nach dem Grund ist in ihrem Sinnhorizont nicht verankert. Der Versuch der Begründung führt zunächst ins Leere ("das is ganz einfach so weil äh das fff ..."). Das anfängliche Unvennögen einer rationalen Begründung ist innerhalb der Relevanzstruktur dieser Gruppe freilich völlig unproblematisch. Darin dokumentiert sich, daß diese Männer gewöhnlich nicht genötigt sind, ihre Gepflogenheiten in diesem Bereich des Alltagshandelns zu be-
192 Die Sequenz entstammt einer Diskussion mit einer Gruppe von Facharbeitem, die sich allabendlich nach getaner Arbeit in ilu'er Stammkneipe treffen. Das Alter der Mäl1l1er liegt zwischen 39 und 52 Jahren. - Die Angaben zu den Gruppen beziehen sich auf den Erhebungszeitraum 1993 bis 1995.
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gründen. Der tägliche Kneipenbesuch ist völlig in ihren Geschlechtshabitus integriert l93 . In dem Bemühen, die Frage dennoch nicht unbeantwortet zu lassen, werden zwei Aspekte akzentuiert: das Vergnügen, das die homosoziale Gemeinschaft ermöglicht ("Spaß als Mann")194, und die Selbstverständlichkeit der Tradition ("weil dat immer so gewesen is"). Einmal auf diese 'Fährte' gesetzt, spüren sie in der nachfolgenden Sequenz der Tradition weiter nach und berichten davon, wie der Vater sie ihnen vermittelt hat l95 . Nicht nur der Kneipenbesuch geschieht vor dem Hintergrund selbstverständlicher Traditionen, auch ansonsten ist die Bezugnahme auf ,,Althergebrachtes" ein probates Erklärungsmuster. Wenn es um die Position des Mannes im Gefüge der Geschlechterordnung geht, gerät das traditionell Verbürgte tendenziell zu 'ehernen' Verhältnissen, die zu ändern weder die Notwendigkeit noch die Motivation besteht. In einer Diskussion über die Stellung des Mannes in der Familie bestimmt dieselbe Gruppe den Mann als Familienoberhaupt und führt als Begründung an: "So ist es immer gewesen, und wieso soll ich das ändern". Das durch Tradition Verbürgte wird zugleich als das Normale begriffen. Normalität ist in diesem Verständnis vor allem im Sinne einer moralischen Ordnung definiert. In einem Herrenclub aus bürgerlichem Milieu l96 kündigt ein Mitglied an, die Frage nach der Bedeutung des Mannseins "vom normalen Rollenverständnis" her zu beantworten, und das impliziert für ihn, daß er all die Veränderungen, die sich in Folge der emanzipatorischen Bestrebungen von Frauen ergeben haben, unberücksichtigt läßt. Unter 'normalen' Bedingungen, wie sie traditionell gegeben waren, müsse der Mann sich nicht mit Forderungen nach Gleichstellung und ähnlichen neuen Ansprüchen von Frauen auseinandersetzen. Wie sich im Verlauf der Diskussion mehrfach zeigt, erleben die Männer dieses Herrenclubs ihre alltägliche Lebenswelt noch weitgehend als eine nach dem traditionellen Muster strukturierte. Dies gilt insbesondere für die familiäre Situation l97 . Die Verweise auf das traditionell Verbürgte lassen sich lesen als Dokument für einen ,,zustand des unreflektierten 'Zuhauseseins' in der sozialen 193 Der weiteren dürfte sich hier der Klassenhabitus geltend machen. Der tägliche Kneipenbesuch der Arbeiter ist vennutlich ein Beispiel dafür, daß, wie Bourdieu (1997c, S. 225) betont, "immer gesellschaftlich und geschlechtlich konstl1lielte Habitus" ilu'e Wirkung entfalten. 194 Dieser Aspekt wird unten ausflihrIich behandelt werden (s. Kap. 7.7). Vgl. auch DrögelKrämer-Badoni 1987, S. 264 195 Diese Fonn märU1licher 'Initiation' ist in diesem Milieu offensichtlich immer noch bedeutsam, wie sich bei die Gl1lppendiskussionen flankierenden Beobachtungen herausstellte. 196 Die Altersspanne der Mitglieder liegt zwischen Mitte dreißig und Ende flinfzig. Bel1lflich sind sie als Freibel1lfler, Geschäftsftilu'er und Manager tätig. 197 Auf die Bedeutung der Familie als lebensweltlichen Hintergl1lnd wird unten genauer eingegangen werden (s. Kap. 7.7).
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Welt" (Berger/Berger/Ke11ner 1987:71)198. Die Lebenslage derjenigen, die in dieser Weise 'zu Hause' sind, ist die einer habituellen Sicherheit. Wie man sich als Mann gibt, wie man redet und was man redet, wie man seine Position in Ehe und Familie gestaltet, wie man sich Frauen gegenüber in der Öffentlichkeit verhält - a11 das weiß man, ohne es sich reflexiv verfügbar machen zu müssen; all das praktiziert man selbstverständlich. Dem korrespondiert ein Selbstbewußtsein, das einen angemessenen Ausdruck in der iterativ-redundanten Formel hat: 'Ein Mann ist ein Mann ist ein Mann' - oder, wie es in einer Gruppendiskussion heißt: "Mensch, ja wie soll ich das sagen, ein Mann ist einfach ein Mann". Mehr gibt es, würde man nicht mit den merkwürdigen Fragen der Soziologen konfrontiert, zur Definition des Mannes nicht zu sagen; und die Frage, was es bedeutet, ein Mann zu sein, erzeugt nicht selten Reaktionen der Verwunderung, der Verwirrung und Bemerkungen, daß diese Frage keinen Sinn mache. Die Frage kommt einer Aufforderung zur Entindexikalisierung gleich, die als dem eigenen Sinnhorizont exmanent wahrgenommen wird, weil sie ohne jeden Bezug zu lebenspraktischen Notwendigkeiten ist. "Wir sind so in die Diskussion reingezogen worden, in die Tiefe, was wir normalerweise gar nicht machen", so artikuliert ein Mann die Diskrepanz zwischen den gewöhnlichen Zusammenkünften und der Gruppendiskussion. Die Routinen des doing gender bewähren sich offensichtlich in der lebensweltlichen Praxis, so daß diese Männer dort nicht genötigt sind, sich und anderen explizit zu machen, daß ihr Handeln eine geschlechtliche Dimension hat und welche Bedeutung dieser zukommt. Das machen die in einigen Gruppen beobachteten verwunderten bis verärgerten Reaktionen deutlich. Und am Ende der Bemühungen, sich dennoch auf den exmanent eingeführten Sinnhorizont einzulassen, wird konstatiert, daß die Frage sich eigentlich nicht beantworten lasse. Die Männer aus dem Herrenclub artikulieren dies folgendermaßen: Bm:
Na die Frage is einfach nich provozierend genug
Dm:
Die Frage is im Grunde genommen identisch man kann sagen wie fühlst du dich als Mann oder wie fühlst du dich als Mensch das kommt aufs vom Ergebnis kommt das gleiche raus (.) ich kann mich nur als Mann fühlen
YI: Dm:
LHmhm
(.) weil ich n Mann bin
198 Berger, Berger und Kellner (1987, S. 71) beschreiben diesen Zustand folgendennaßen: "Wellli man in einer integl;el1en und intakten Welt lebt, kann man mit einem Minimum an Reflexionen auskommen. In solchen Fällen werden die GlUndvoraussetzungen der sozialen Welt fur selbstverständlich genommen und bleiben das in der Regel auch innerhalb des lebenslaufes des einzelnen, jedenfalls der 'n0ll11alen' Individuen". AuffOl'delUngen zur Reflexion werden, wie wir noch sehen werden, nicht selten als Zumutung empfunden.
199
Yl: Am: Dm:
Hmhm
LEben du (.) kannst gar nich als Frau fühlen nech (.) eben
Läh Lja also könnte die Frage auch heißen wie fühlst du dich als Mensch (.) im Grunde genommen (lacht)
Die Frage ist in den Augen dieser Männer nicht geeignet, eine Diskussion in Gang zu halten (,,nich provozierend genug"). Der Grund ist, daß sie, betrachte man sie in Hinblick auf mögliche Antworten ("vom Ergebnis"), identisch sei mit der Frage, wie sie sich als Mensch fühlten. In dieser Gleichsetzung kommt zum Ausdruck, daß die Unmöglichkeit einer Antwort in dem Fehlen einer Differenzerfahrung begründet liegt. Ein Gedankenexperiment macht dies deutlich. Fragen der Art, 'wie fühlst du dich als frisch Verheirateter, Geschiedener, Haftentlassener, Pensionierter' u.ä., lassen sich beantworten, weil sie aus der Perspektive einer anderen Erfahrung (des Junggesellen, des Verheirateten, des Inhaftierten, des Berufstätigen) betrachtet werden können, mithin aus der Erfahrung der Differenz zwischen zwei 'Zuständen'. Eine zum Menschsein differente Perspektive, aus der dieses beobachtet werden könnte, gibt es nicht. Folglich ist eine Frage, die das Gefühl, ein Mensch zu sein, zum Gegenstand hat, keine sinnvolle Frage. Zum Menschsein gibt es keine Alternative. In gleicher Weise sehen diese Männer den eigenen Geschlechtsstatus. Dieser ist unhintergehbar ("kann mich nur als Mann fühlen (.) weil ich n Mann bin"). Insofern steht das Mannsein in keiner Weise zur Disposition, auch nicht auf einer begrifflichen Ebene l99 . Anders als bei der Zugehörigkeit zur Gattung Mensch kennt die Geschlechtszugehörigkeit jedoch zwei Ausprägungen. Mithin gibt es eine differente Perspektive, von der aus die eigene Geschlechtlichkeit beobachtet werden könnte. Diese Perspektive, die weibliche, ist den Männern der eigenen Einschätzung nach jedoch nicht zugänglich ("du kannst gar nich als Frau fühlen"). Folglich macht für sie die Frage nach dem Gefühl, ein Mann zu sein, genausowenig Sinn wie die offensichtlich unsinnige nach dem Gefühl des Menschseins 2°O. Die Möglichkeit einer virtuellen Perspektivenübernahme wird nicht gesehen. Daß ein Mann nicht Frau sein
199 Die der Argumentation dieser MälUler zugnmde liegende Logik entspricht auf verblüffende Weise der These Simmels, das Männliche als das schlechthin Allgemeine lasse sich nicht definieren (s. Kap. 1.2). 200 Auf die gleiche Frage gibt ein MalUl aus dem gleichen sozialen Milieu (ein JUlist) in einer Untersuchung von Hochschild (1993, S. 145) eine ähnliche AntwOlt. "Mit der Frage, was es fiir ihn bedeute, 'ein Mann zu sein', oder was er sich unter 'Männlichkeit' vorstelle, konnte er wenig anfangen. 'Menschen sind Menschen', war sein einziger Konunentar, 'melu' kalUl ich dazu nicht sagen.'" Offensichtlich gibt es bestimmte homologe Muster auch über nationale Grenzen hinweg.
200
muß, um sich 'mit den Augen einer Frau' zu betrachten, ist ihrem Sinnhorizont nicht kompatibep°J>202. Die eigene Geschlechtlichkeit ist in einem fundamentalen Sinne fraglos gegeben, sie ist innerhalb des lebensweltlichen Horizontes prinzipiell nicht befragbar. In der folgenden Sequenz aus einer Diskussion mit einer anderen Gruppe aus bürgerlichem Milieu 203 wird paradigmatisch sichtbar, welche Irritation eine 'Befragung' evoziert. Fm:
Allein Ihre Fragestellung find ich schon nich in Ordnung (.) warum muß ich überhaupt nachdenken (.) daß ich Mann bin ich existiere äh ich bin in
LHm
YI: Fm:
meinem Beruf erfolgreich (.) ich hab noch nie darüber nachgedacht ob ich überhaupt Stolz haben muß n Mann zu sein (.) die Frage hat sich mir überhaupt noch nich gestellt
Am:
Hast noch nie drüber nachgedacht?
Fm:
Nö warum
Neben der bemerkenswerten Interpretation der Frage nach der Bedeutung des Mannseins als Frage nach dem damit verbundenen Stolz (s. Kap. 7.1) zeigt sich in dieser Sequenz vor allem eine heftige Abwehrreaktion gegen die Aufforderung, über den eigenen Geschlechtsstatus nachzudenken. Die Frage macht offensichtlich keinen Sinn, sie ist in den Relevanzstrukturen dieses Mannes (und der gesamten Gruppe) nicht repräsentiert. Das simple Statement "ich existiere" ist ein deutliches Dokument des fraglos in der sozialen Welt zu Hause Seins. Sein Handeln ist für ihn nicht geschlechtlich konnotiert. Dennoch artikuliert er mit dem folgenden Statement "ich bin in meinem Beruf erfolgreich" implizit, worauf seine selbstgewisse Existenz als Mann beruht: auf beruflicher Karriere. Diese implizite SelbstdefInition ist freilich kein Resultat von Selbstreflexion, aber sie ist ein eindrucksvolles Dokument für die zentrale Bedeutung, die Beruf und Karriere für den traditionellen männlichen Habitus haben.
201 Falls sie die Möglichkeit doch sehen, ist ihnen eine Rollenübemahme gewissennaßen 'verboten', weil damit die eigene hegemoniale Position geflihrdet wäre. 202 Hier zeigt sich in Ansätzen ein wesentliches Merkmal traditioneller Männlichkeit, eine essentielle Fremdheit des anderen Geschlechts. Dieser Aspekt wird noch ausfUhrlicher behandelt werden (s. Kap. 7.6). - Für einen anderen Typus von Männem, fUr diejenigen, die sich in expliziten Männergruppen zusammenfinden, ist die Selbstbeobachtung aus einer weiblichen Perspektive charaktelistisch. 203 Es handelt sich um eine FreizeitfußballmalUlschaft, deren Mitglieder übelwiegend in freien Berufen oder im höheren Management tätig sind. Einige sind zudem in der Lokalpolitik engagielt. Das Alter liegt zwischen Mitte dreißig und Mitte fUnfzig.
201
Nicht eine diskursiv vorgenommene Positionsbestimmung kennzeichnet also die Lebenslage traditioneller Männlichkeit204 , sondern eine indexikal vollzogene Verortung im Beziehungsgeflecht der GescWechter. Dies garantiert habituelle Sicherheit, und es impliziert, daß man seine Männlichkeit nicht intentional darstellen muß. Entscheidend ist die selbstverständliche Akzeptanz der beanspruchten männlichen Position durch andere, insbesondere durch Frauen. Das verweist auf den relationalen Charakter der Kategorie GescWecht. In der Diskussion mit den Facharbeitern wird dies folgendermaßen ausgedrückt: Bm:
Aber wo es auch nich unbedingt heißt daß ich n Mann rauskehren muß um zu Hause zu beweisen daß ich n Mann bin ne
LHm
YI:
Bm: me:
Lachen)
Ldas sehn sie ja näch L(leises
Am:
Nä da hast du was ganz äh Vernünftiges gesagt da äh das seh ich auch so Mann (1) also wenn einer wirklich (1) äh n gewisses Selbstbewußtsein eben von Haus hat (.) dann äh hat der das gar nich nötig n Mann rauszukehren er is der Mann
Y2:
Hm
Am:
Lso is das und die Frau is die Frau (.) so is das und nich anners und äh das wird immer so sein
Die Figur des Mannes, der sein Mannsein zu Hause "rauskehm muß", der es auf diese Weise "beweisen" muß, stellt den negativen Gegenhorizont dar, von dem die Gruppe sich abgrenzt. In der Akzeptanz der Beweispflicht hat er die fraglose Gegebenheit des traditionellen männlichen Habitus bereits verloren. Man könnte auch pointierter formulieren: er hat seine Männlichkeit bereits ein Stück weit verloren. Mit der offensichtlichen Gegebenheit des Geschlechtsstatus Mann ("das sehn sie ja näch") ist die selbstverständliche An204 Das ist natürlich genau der Gnmd für die verärgel1en Reaktionen auf die Frage nach der Bedeutung des Mannseins. Um auf diese Frage eine Antw0l1 zu finden, muß man sich zumindest ein Stück weit auf einen Diskurs dalüber einlassen. Freilich ist nicht zu elwal1en (zu hoffen oder zu befürchten - je nach geschlechterpolitischer Perspektive), daß die Forschungssituation einen folgenreichen 'Eingliff in die lebensweltlichen Selbstverständlichkeiten bedeutet. Daß es sich um einen unliebsamen Eingliff handelt, macht die Gruppe allerdings unmißverständlich klar. Ein Mitglied fragt in rhetOlischer Manier, "ob das nicht geradezu von Übel ist, wenn man sich also pausenlos solche Fragen stellt", und kommt zu einem Schluß, in dem eine Attacke auf die situationalen VerUl"Sacher nicht fehlt: "Und es wird viel Schaden angelichtet, mein ich damit, dadurch, daß man vieles hochstilisiel1, vielleicht sogar durch das, was Sie da machen. Sie machen ja auch, irgendwo sind Sie ja auch in dem Bereich im Gange".
202
erkennung der damit beanspruchten sozialen Position verbunden. Männern, denen die bloße 'Inspektion' nicht eine entsprechende Anerkennung verschafft, ist vennutlich 'nicht mehr zu helfen'. Das Selbstbewußtsein, das ein solches intendiertes Darstellen überflüssig macht, hat man "von Haus aus" - oder man hat es nicht. Wenn man es hat, sind besondere Anstrengungen nicht nötig. Als positiv bewertete Folge resultiert daraus, daß - aus der Perspektive der Männer - sowohl der Mann als auch die Frau sich in ihrem jeweiligen geschlechtlichen Habitus sicher sind und damit auch die relativen Positionen von Mann und Frau in einer Beziehung: "er is der Mann ... so is das und die Frau is die Frau (.) so is das und nich anners und äh das wird immer so sein". Die traditionelle Geschlechterordnung garantiert gewissennaßen eine 'prästabilisierte Hannonie' zwischen Mann und Frau, die beiden Geschlechtern nicht nur Sicherheit verschafft, sondern auch Zufriedenheit mit der eigenen Geschlechtlichkeit. Von der Gruppe der Freizeitfußballer wird dies geradezu plakativ herausgestellt. Hinsichtlich des eigenen Geschlechtsstatus führt ein Mitglied aus: Bm:
Also ich also ich muß Ihnen sagen (.) ich bin richtig glücklich darüber (.) ich hab auch drei Söhne hab mir immer ne Tochter gewünscht (.) aber (.)
LAber du hast se nich gekriegt
?m: Bm:
Vielleicht hab ichja demnächst ne Enkelin n
Em: Bm:
sehr glücklich
LWie heißt die denn LAls Mädchen wär ich auch
Jedes Geschlecht kann, und - wie eine spätere Sequenz zeigt - jedes Geschlecht soll mit der auferlegten Geschlechtlichkeit zufrieden sein. Strategien der Normalisierung und Nihilierung Doing gender ist - so das Verständnis der Ethnomethodologie - insofern ein ubiquitäres Phänomen, als jedes soziale Handeln zumindest virtuell sexuiert ist. In seinen konkreten Ausprägungen ist das geschlechtliche Tun jedoch notwendig durch gesellschaftlich, kulturell und historisch bestimmte Bedingungen geprägt. Die sozialen Verhältnisse, in denen ein deutscher Mann am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts seinen Geschäften und Beschäftigungen nachgeht, sind andere als diejenigen, die seine Urgroßväter ein Jahrhundert zuvor erfahren haben. Vennehrte Erwerbstätigkeit von Frauen, Diskussionen um Frauenforderung und Quoten, Frauenministerinnen und -beauftragte, Frauenparkplätze in öffentlichen Garagen sind Indikatoren für einen Wandel des Geschlechterverhältnisses, die im Alltag wahrnehmbar sind. Auch wer die 203
Diskurse des Feminismus oder gar der Männerbewegung nicht kennt, auch wer im eigenen sozialen Nahbereich, in der Familie, im Betrieb, nichts von einem Geschlechterkonflikt erfährt, auch der stößt allenthalben auf Zeichen der Veränderung. Daran knüpft sich die Frage, wie diejenigen Männer, die in habitueller Sicherheit leben, auf die sich wandelnden Geschlechterverhältnisse reagieren. Die Art der Reaktion ist davon abhängig, welche Aspekte dieses Wandels, welche Veränderungen überhaupt wahrgenommen werden. Das hängt offensichtlich damit zusammen, was vor dem je eigenen lebensweltlichen Hintergrund als besonders gravierend erlebt wird. Im Arbeitermilieu sind dies vor allem Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und deren Auswirkung im familiären Bereich, wie in der folgenden Sequenz aus der Diskussion mit der Facharbeitergruppe deutlich wird. Bm:
Und als Ernährer bezeichnet man sich auch, Franz hat ja eben schon gesacht er bezeichnet sich als Ernährer selbst wenn seine Frau mehr verdient, ist es eben so. Sagn wer mal vielleicht auch es war immer schon so, der Mann war der Ernährer der Familie daß sich im Laufe der Zeit gewandelt hat, daß heute
Yl: Bm:
LHm die Frauen mitverdienen und teilweise sogar mehr verdienen als wir Männer, ändert meines Erachtens nichts an der Sachlage, daß die Männer eben nach wie vor eben Familienoberhaupt sin nä (.) das is (wohl)
Y2:
LHm
LHm
YI: Bm:
immer so gewesen wird sich auch nich ändern
Cm:
LNaja ob Oberhaupt da is nun noch nich bei jedem raus aber auf alle Fälle kinnerkriegen
Bm: Cm:
LNö
kann ja nun noch keen Mann nich und in der Zeit muß er wahrscheinlich
LNö
Bm: Cm:
(wohl) zur Arbeit gehn und weiter Geld verdienen (
Bm:
L Ja. Und wenn die Kinder da sin muß die Frau entsprechend n-n-n ja so wohl zu Hause bleiben nich also bleibt der Mann als-s Ernährer wieder über nich, der Mann, der kriegt
Yl: Bm:
) und dadurch
LHm ja keine Kinder nich, klar
Fokus der Selbstidentifikation ist die Funktion des Ernährers der Familie. Allerdings entgeht es der Gruppe nicht, daß in einer zunehmenden Zahl von Familien das Einkommen der Frau höher ist als das des Mannes. Diese Anzeichen eines sozialen Wandels werden keineswegs ignoriert. Sie werden aber
204
auch nicht zum Anlaß genommen, an der fraglosen Gegebenheit der Ernährerrolle zu zweifeln. Diese ist durch die Tradition verbürgt. Die Veränderungen im Geschlechterverhältnis werden auf der soliden Basis eines unzweifelhaften Hintergrundwissens interpretiert. Diese Männer 'wissen', daß die Arbeitsteilung zwischen den GescWechtern in biologisch gegebenen Differenzen fundiert ist. Es gibt nicht nur keinen Zweifel, wer die Kinder bekommt, es steht auch völlig außer Frage, wer für die Kindererziehung verantwortlich ist. Das fest etablierte Wissen um die physiologische Fundiertheit der GescWechterdifferenz ist die Basis der Sicherheit, daß der Mann der Ernährer der Familie ist. Das ist die kognitive Seite der habituellen Sicherheit. Trotz einer Vielzahl von Gegenevidenzen, die symbolische Realität, welche die Lebenswelt dieser Männer kennzeichnet, ist stärker als die sog. ökonomischen Fakten. Insofern können sie ungebrochen im traditionellen männlichen Habitus weiterleben. Die Ethnomethodologie verwendet den Begriff der Normalisierung, um zu bezeichnen, wie Handelnde auf Störungen der 'normalen' und erwarteten Ordnung reagieren. Normalisierungsstrategien verhindern, daß ungewöhnliche Ereignisse die Routinen eines eingespielten Interaktionsgefüges zerstören. Daß Frauen mehr als ihre Ehemänner verdienen, wird, wie die voranstehende Sequenz zeigt, als ein ungewöhnliches Ereignis erfahren. Mit dem Verweis auf die familiären Pflichten, die ihrer Ansicht nach mit der Gebärfähigkeit der Frau verbunden sind, gelingt es den Männern, das sie Irritierende zu normalisieren. Und das ist nicht die Tatsache, daß die Frau das Familieneinkommen zum größten Teil bzw. zur Gänze sichert, sondern die potentielle Gefährdung der hegemonialen Position des Mannes. Vergleichbar den Reaktionen der Versuchspersonen in den Garfinkelschen Krisenexperimenten (vgl. Garfmkel 1963, S. 198) ist es die Bedrohung der normativen Ordnung, welche die Normalisierungsstrategien evoziert. Indem die Männer sich wechselseitig explizieren, welche Ordnung durch die physiologische Fundiertheit der GescWechterdifferenz vorgegeben ist, behaupten sie die hegemoniale Position des Mannes in einem doppelten Sinne: Das Reden darüber ist Teil der alltäglichen Reproduktion der hegemonialen Männlichkeit, eine praktische Erklärung (account) im ethnomethodologischen Sinne205 . Das homosoziale setting der Gruppe hat entscheidenden Anteil an der Aufrechterhaltung der etablierten Geschlechterordnung (s. Kap 7.7). Hegemoniale Männlichkeit fungiert in dieser traditionellen Männerwelt als ein Deutungsmuster, in dem die eigene Position als Mann bestimmt wird. Das gilt auch für solche Männer, die in ihrem Alltag nur unzureichend eine hegemoniale Position verkörpern. Selbstwahmehmung und tatsächliche Position brauchen, wie man weiß, nicht zu korrespondieren. In der Diskussion mit der Gruppe der Facharbeiter gibt es eine Reihe von Hinweisen, daß der fami205 Zur Funktion von accounls im Zuge der interaktiven Konstruktion von Wirklichkeit vgl. Hetitage 1987.
205
liäre Alltag weitgehend auf der Basis von Aushandlungen zwischen Mann und Frau abläuft. Daraus folgt freilich nicht, daß die Selbstwahrnehmung im Deutungsmuster der hegemonialen Männlichkeit bloße Selbsttäuschung ohne Folgen für die soziale Praxis ist. Vielmehr ist diese Perzeption Teil der Reproduktion einer kulturellen Ordnung, ist wirkungsmächtige Ideologie. So bemerkt auch Connell (1987, S. 243), daß "in some ways ideology is able to override the logic of other practices". Und er führt als Beispiel an: "The belief that husbands are breadwinners is sustained in families where the wife earns a wage. Even when she earns more than he does, the ideology is not criticized but the couple's situation is - 'it's degrading for a man"'. Die Selbstwahrnehmung und -beschreibung als Ernährer und Oberhaupt der Familie hat einen hohen Stellenwert. Das zeigt sich an der Häufigkeit, mit der dieser Aspekt angesprochen wird. Dies geschieht immer mit dem Hinweis auf den Ausnahmecharakter derjenigen Fälle, in denen die Frau den Lebensunterhalt der Familie sichert. Bm:
Aber es gibt ja auch nun äh ich sach mal Familien (.) ich sach mal bedingt durch die Arbeitslosigkeit die wir jetz haben (.) wo die Frau n guten Job hat (.)
YI:
Ja
Bm:
und der Mann den Beruf eben seinen Job sach ich mal verloren hat (.) und wo die Frau nun (.) jetz das Geld nach Hause bringt (.) und trotzdem jo und trotzdem würd ich sagen
Am:
passieren
LKann passieren in der heutigen Zeit kann das durchaus
Bm:
Lis is trotzdem nach wie vor auch wenn der Mann die Hausarbeit macht (.) der Mann is trotzdem (.) das Familienoberhaupt so seh ich das
Am:
is trotzdem der Mann
Bm:
eben und so is es äh immer gewesen und wieso soll ich das ändern ne
Am:
LJo
Selbst wenn der Mann die Hausarbeit erledigt, also eine Tätigkeit ausübt, die im Verständnis der Gruppe eindeutig die Domäne der Frau ist und über welche die Frau als Frau definiert ist, selbst dann bleibt er ("trotzdem") Familienoberhaupt. Eine solche Konstellation wird aber als eine Ausnahme gekennzeichnet, die besonderen gesellschaftlich-historischen Bedingungen geschuldet ist ("in der heutigen Zeit kann das durchaus passieren"). Gegenüber den ehernen Verhältnissen ("so is es immer gewesen") handelt es sich gleichsam um eine historische Zufälligkeit; die Ausnahme kann also an der traditionell verbürgten Position des Mannes nichts ändern. Dies gilt umso mehr, als die Umkehrung der üblichen Verhältnisse von dem Mann nicht intentional her-
206
beigefiihrt worden ist ("kann passieren") - und vermutlich auch nicht von seiner Frau. 'Ohne Not' die Hausarbeit zu übernehmen, freiwillig als 'Hausmann' zu agieren, gefährdete hingegen die hegemoniale Position des Mannes. Normalisierung ist eine Strategie, die nicht nur die tradierte Wahrnehmung der häuslichen Ordnung 'rettet', sie wird auch angesichts sonstiger irritierender Beobachtungen praktiziert. Veränderungen, wenn auch in geringem Ausmaß, werden von den Facharbeitern ebenfalls im beruflichen Bereich beobachtet: Frauen in Männerberufen, z.B. im Baugewerbe. Da es aber nur sehr wenige Frauen sind, hält sich die Irritation in Grenzen. Die Männer 'wissen' und explizieren, daß Frauen nicht fähig sind, die gleiche Leistung wie sie selbst zu erbringen. Sie plausibilisieren dies anhand eines Beispiels, das prima faci das Gegenteil beweist: Am:
Und äh so gesehn ich hab das wohl gehört jetzt grade wo (da) die aus dem Osten gekommen sind, daß da also viele Frauen in Männerberufen gearbeitet haben nur ich meine daß kann man (eigentlich) gar nich vergleichen weil das hier ne ganz andere äh Struktur is von ner-vom Berufsleben her hier mußt du deine Arbeit eben äh innerhalb einer gewissen Zeit mußt du diese Arbeit gemacht haben und das war wohl im Osten nich so der Fall (.) nä
Y2:
Bm: Am: Bm:
LHm meistens auf Material warten nä
l
Die mußten ja
LEben nicht nur das, meistens hatten se ja gomix (.) und äh dann war die Zeit da drüben nicht so entscheidend wies hier is L(Nö)
Frauen können, entschlüsselt man die Logik der Beweisfiihrung, nur dann die gleiche Leistung wie Männer erbringen, wenn die Arbeitsbedingungen nicht normal sind; als normal gelten die in den alten Bundesländern gegebenen. Nur weil die Arbeitenden im Osten unendlich viel Zeit gehabt hätten, ihre Aufgaben zu erfiillen, sei es auch den Frauen möglich gewesen, in einem Beruf zu arbeiten, fiir den sie 'eigentlich' nicht die nötigen physischen Voraussetzungen mitbringen. Die Männerdomäne Baugewerbe wird gerettet, so wie die hegemoniale Position des Mannes in der Familie gerettet wird: Normalisierungsstrategien fungieren gewissermaßen als ein 'Immunschutz' , der verhindert, daß die tradierte Position des Mannes durch veränderte Verhältnisse - in der Familie, im Berufsleben - geschwächt wird. Der Wandel der Geschlechterverhältnisse läßt sich unterschiedlich wahrnehmen. Welche Dimension jeweils im Fokus steht, ist durch den lebensweltlichen Erfahrungshintergrund bestimmt. In höheren sozialen Milieus (Freiberufler, Geschäftsfiihrer, Manager), in denen der Ehemann nach wie vor in der Lage ist, das Familieneinkommen alleine zu sichern, gehen Irritationen von
207
anderen Aspekten als von Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt aus. Als Arbeitgeber, Geschäftsführer, Personalreferenten, auch als in der Politik Aktive sind solche Männer - anders als die Facharbeiter - in ihrem beruflichen Alltag mit frauenpolitischen Programmen und Forderungen konfrontiert. Damit müssen sie sich auseinandersetzen, und das bedingt eine andere Form der 'Immunisierung'. Während die Facharbeiter die Position des Mannes in der Familie für unverändert erklären, wird in höheren sozialen Milieus die legitimatorische Basis für frauenpolitische Forderungen bestritten. Die folgende Sequenz aus der Diskussion in dem Herrenclub zeigt dies sehr deutlich. Bm:
~: Bm:
Ja wird denn da nich auch sehr viel hineinredet auch äh in die Unterdrückung der Frau (.) den Eindruck hab ich (.) im Grunde genommen das mag im Beruflichen äh sicherlich so sein (I) da gibt es aber (1) ganz äh vernünftige Erklärungen dafür daß die Frau also dort nich diese Aufstiegschancen hat und so weiter (.) hat aber nichts damit zu tun daß sie eine Frau is sondern aus einer Situation (.) die sich daraus ergeben kann daß sie ne Frau is (.) das muß man vom Unternehmen (.) vom Wirtschaftsstandpunkt aus mal ganz
L~ klar so sehn (I) ich hab es also mehrfach durchexerziert und weiß daß eine Frau grade wenn sie jung is eine ganz ganz teure Arbeitskraft sein kann (.) äh das ist der eine Pakt aber rein von der Gesellschaft her gesehen (.) bin ich der Meinung das auch alles ein unsinniges Gerede ist (.) so sympathisch mir diese Alice Schwarzer auch is in ihrer Art find ich es aber unsinnig was sie
Y I:
L(lacht)
Bm:
erzählt (.) weil die Frau ihren ihre Position in dieser Gesellschaft eigentlich hat und auch immer hatte (2)
Feministische Thesen sind nicht nur nicht unbekannt, man kann nicht umhin, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dies geschieht mit Hilfe einer Strategie, die Berger und Luckmann (1980, S. 123f.) als "Nihilierung" bezeichnen. "Nihilierung leugnet die Wirklichkeit von Phänomenen (beziehungsweise ihrer Interpretationen), die nicht in die betreffende Sinnwelt hineinpassen" (ebd., S. 123). Das Problem, auf das Feministinnen wie Alice Schwarzer hinweisen, die Unterdrückung der Frau, wird als nicht 'wirklich' existent dargestellt. Es gilt diesen Männem als ein künstlich erzeugtes, von interessierter Seite hochgepushtes ("viel hineinredet")206. Genausowenig, wie die Facharbeiter leug206 Aus einer diskurstheoretischen Perspektive läßt sich argumentieren, daß ohne die öffentliche ThematisielUng der DiskIiminielUng der Frau, daß ohne den feministischen Diskurs das Geschlechterverhältnis nicht zu einem gesellschaftlich relevanten Problem geworden wäre. Dies ist allerdings nicht die Perspektive der Männer aus dem HelTenclub. Sie argumentieren nicht konsttuktivistisch, sondem essentialistisch. 'Diskurs' und 'Wirklichkeit' werden sorgfaltig unterschieden, und etwas 'Herbeigeredetes' kann nicht zugleich wirklich sein.
208
nen, daß es Familien gibt, in denen die Frau den Unterhalt sichert, bestreiten die Männer aus dem Herrenclub, daß Frauen eingeschränkte Aufstiegschancen haben. Den unvernünftigen, "unsinnigen" Erklärungen, welche die Feministinnen hierfur haben, werden aber die eigenen, vernünftigen kontrastiert. Diese basierten auf einem reichhaltigen Erfahrungsschatz ("mehrfach durchexerziert") sowie auf ökonomischen Rationalitäts- und Effizienzkriterien ("vom Wirtschaftsstandpunkt aus"). Die geringeren Aufstiegschancen seien keineswegs ein Ausdruck einer systematischen gescWechtlichen Diskriminierung ("hat aber nichts damit zu tun daß sie eine Frau is"), schon gar nicht eine Folge misogyner Intentionen, vielmehr handele es sich um eine zufällige Auswirkung, die aus der notwendigen Anwendung des Prinzips ökonomischer Rationalität resultiere ("Situation die sich daraus ergeben kann daß sie ne Frau is"). Frauen trifft es öfter als Männer, daß sie nicht aufsteigen, aber nicht, weil sie Frauen sind - so die Argumentation. Wer anderes behauptet, erzeuge künstlich ein nicht vorhandenes gesellschaftliches Problem 207 . Noch einmal Berger und Luckrnann (1980, S. 123f.): "Mit der Nihilierung entsteht ... der Ehrgeiz, alle abweichenden Wirklichkeitsbestimmungen mit Begriffen aus der eigenen Sinnwelt angehen zu können .... Die abweichenden Auffassungen werden nicht nur mit einem negativen Status versehen, sondern es wird im einzelnen theoretisch mit ihnen gerungen. Das Endziel dieses Vorgehens ist, sie der eigenen Sinnwelt einzuverleiben und so endgültig zu liquidieren."
Durch den Verweis darauf, daß die Frau einen angestammten Platz in der Gesellschaft hatte und auch immer noch hat, einen Platz, der ihr angemessen ist, der ihr von niemandem streitig gemacht wird und den sie akzeptieren sollte, wird die Zurückweisung der These, die Frau sei unterdrückt, moralisch legitimiert. Die Feministinnen hätten nur dann eine Berechtigung fur ihre Forderungen, wenn der Frau kein eigener Platz im Gefuge der GescWechterordnung zugewiesen wäre. Die traditionelle Ordnung ist der Beurteilungsmaßstab. "Wenn man's vom normalen Rollenverständnis mal sieht", wie es an einer anderen Stelle der Diskussion heißt, kann das, was Alice Schwarzer und andere Feministinnen sagen, nur als nicht nachvollziehbares "unsinniges Gerede" wahrgenommen werden. Nihilierung ist die kognitive Strategie, mit der die in der Tradition verhafteten Männer aus dem bürgerlichen Milieu sich gegen Irritationen zu immunisieren versuchen. Die GruJ2pe der Freizeitfußballer argumentiert nahezu identisch wie der Herrenclub. Ober den Geschlechterkonflikt sagen sie, daß "vieles auseinandergeredet" und daß "etwas hineininterpretiert" wird, das 207 Im Vergleich mit anderen Gruppen fällt die höfliche Behandlung detjenigen Frau auf, deren Thesen auf das Heftigste Iaitisielt werden. Dies entspIicht dem Habitus der Mitglieder dieses HelTenclubs, die sich als 'Kavaliere der alten Schule' verstehen. Zuvorkommenheitslituale gegenüber Frauen sind ihnen eine Selbstverständlichkeit, so daß auch in der politischen Gegnelin immer noch die Frau 'geehlt' wird.
209
"überhaupt nicht vorhanden ist". Die Ursache fiir solche Entwicklungen sehen sie darin, daß die Frauen ihren 'angestammten Platz' verlassen haben. "Und dann fingen die Frauen bei uns an mit Quotenregelung, und also für mich ist alles das ein Zeitvertreib, weil diese Leute nichts mehr zu tun haben. Für mich gibt es keine Quotenregelung, überhaupt nicht. Für mich sind Frauen so wichtig wie die Männer."
Emanzipatorische Bestrebungen von Frauen kann es nur geben, wenn die Frauen von ihren 'eigentlichen Aufgaben' freigesetzt sind. Frauenpolitik hat keine Berechtigung, sie ist ein Produkt nicht ausgefiillter Zeit, ist spielerischer "Zeitvertreib" angesichts von Langeweile, nicht aber eine Antwort auf gesellschaftliche Diskriminierung. Mit der apodiktischen Bemerkung, fiir ihn gebe es keine Quotenregelung, und in der nachfolgenden Begründung wird sowohl die Berechtigung frauenpolitischer Maßnahmen bestritten als auch demonstriert, daß eine (geforderte) Akzeptanz der traditionell zugewiesenen Aufgaben durch beide Geschlechter jedem seinen eigenen Wert sichert und daß, als Folge, korrigierende Eingriffe in die Geschlechterordnung zugunsten des weiblichen Geschlechts unnötig wären.
Generalverantwortlichkeit des Mannes Normalisierungs- und Nihilierungsstrategien sind symbolische Konstruktionen zur Stützung der gegebenen normativen Ordnung. Sie sorgen dafiir, daß die habituelle Sicherheit trotz wahrgenommener Veränderungen der materiellen Lebenslage bzw. trotz Konfrontation mit feministischen Forderungen nicht verlorengeht. Anzeichen einer Krise des Mannes sind bei diesen Männern nicht zu erkennen. Die Kontinuität der tradierten Geschlechterordnung ist weitgehend ungebrochen, die hegemoniale Position des Mannes die fraglos gegebene Folie, die der Wahrnehmung der relativen Positionen von Mann und Frau im GescWechterverhältnis zugrundeliegt. Fokus des männlichen Selbstbewußtseins ist sowoW bei den Facharbeitern als auch bei den Männern aus dem bürgerlichen Milieu die eigene Stellung in Ehe und Familie. Bei den Arbeitern zeigt sich das nicht zuletzt an den 'geschickten' und erfolgreichen Bemühungen, den Status des Familienoberhauptes auch angesichts von Gegenevidenzen zu behaupten. Die Bürgerlichen, die aufgrund einer anderen beruflichen Situation in dieser Dimension nichts normalisieren müssen, legen nichtsdestoweniger eine starke Betonung auf die Verantwortung, die sie fiir die Familie zu tragen hätten. Von dem bereits erwähnten "normalen Rollenverständnis" ausgehend, d.h. die tradierte Geschlechterordnung als den Normalfall setzend, argumentiert ein Mitglied des Herrenclubs: Am:
210
Daß dort wo ich (.) als männliches Wesen (I) geboren werde und dort wo man in reifen Jahren eine Verbindung mit m weiblichen Wesen eingeht daß man
im Grunde genommen sehr viel mehr Verantwortung trägt als die Frau und damit von Hause aus von der Geburt derjenige ist der verantwortlich ist für (2) Bm: Y I: Am:
a? (.) jetzt kommts aber (auf n Beweis an)
L(lachen) Lüberleben oder leben oder dort wo ich Familie
gründe verantwortlich zu sein für die Familie
Du bist eigentlich derjenige wenn du nachher deinen Beruf hast du bist dazu verdonnert (.) Geld verdienen zu müssen und wenn du dem andem Geschlecht nicht abhold bist und du willst ne Familie gründen dann bist du für die Frau verantwortlich dann bist du für wenn Kinder kommen für die Kinder verantwortlich du bist eigentlich derjenige der von Abis Z wenn du deine schulische Ausbildung genossen hast (.) immer arbeiten gehen mußt nich ich mein heute hat sich das Rollenverständnis ja n bißchen gedreht da gibt es den sogenannten Hausmann dann geht die Frau arbeiten aber das ist ja nun noch gar nicht so lange her daß eigentlich der Mann immer derjenige war wenn er denn eine Familie gegründet hat und damit wieder auf die Ursprungsfrage zurück was bedeutet es denn Mann zu sein oder was heißt es denn Mann (.) eigentlich der verantwortliche Part (.) in einer Lebensgemeinschaft für die Lebensgemeinschaft
Das hier skizzierte Rollenverständnis entspricht der Parsonsschen Beschreibung einer positiven männlichen Geschlechtsrollenidentifikation (s. Kap. 2.1). Die Verantwortung des Mannes für die Familie ist keine Angelegenheit der freien Wahl, der Mann ist dazu "verdonnert". Dies ergibt sich als natürliche Folge aus dem biologischen GescWecht ("dort wo ich als männliches Wesen geboren werde") und muß von dem Mann in dem Moment wahrgenommen werden, in dem er sich entschließt zu heiraten. Die Verantwortung des Mannes ist nicht einfach eine andere als diejenige, welche der Frau zukommt, sie ist größer in einem quantitativen Sinne. In den Verantwortungsbereich des Mannes fallen alle Familienmitglieder, die Frau eingeschlossen. Insofern kommt dem Mann ein hervorgehobener Status innerhalb der Familie zu. Er ist "der verantwortliche Part in einer Lebensgemeinschaft für die Lebensgemeinschaft". Die besondere, exklusive Bedeutung des Mannes erfährt eine dramatische Steigerung. Das "Überleben" der Familie hängt von ihm ab, und es gibt keinen Bereich des gemeinschaftlichen Lebens, auf den sich seine Verantwortung nicht erstreckt; sie reicht "von Abis Z". Im Rahmen der geschlechtlichen Arbeitsteilung gibt es selbstverständlich Tätigkeitsfelder, die im Verantwortungsbereich der Frau liegen (Haushalt, Kindererziehung usw.), dennoch bleibt die Generalverantwortlichkeit des Mannes. Diese ist im bürgerlichen Milieu vor allem ökonomisch defmiert. Die Berufstätigkeit ist dem Mann eine Pflicht, und er hat sie so zu gestalten, 211
daß er der Familie einen finanziellen Rahmen bietet, in dem die Frau ihren Part in Haushalt und Erziehung erfüllen kann. Auch die Arbeiter betonen die Generalverantwortlichkeit des Mannes, definieren diese allerdings nicht in ökonomischen Kategorien, sondern im Sinne einer 'Richtlinienkompetenz' und einer 'Letztzuständigkeit' bei Entscheidungen, die eigentlich von der Frau zu treffen sind. Die Gruppe der Facharbeiter präsentiert in ihrer Beschreibung der familiären Arbeitsteilung das Bild einer komplementären und harmonischen Partnerschaft, in der Mann und Frau selbstgewiß und in wechselseitiger Akzeptanz ihre je spezifischen Aufgaben erfüllen. Aushandlungen sind möglich, freilich innerhalb des Rahmens, den der Mann setzt. Die Sphären des Mannes und der Frau werden zwar nicht derart strikt voneinander getrennt, wie dies die Bürgerlichen tun; dennoch werden deutliche Prioritäten gesetzt. Auch wenn die Arbeiter den Mann in der Pflicht sehen, bei der Haushaltsführung und der Erziehung der Kinder mitzuwirken208 , weisen sie diese Aufgaben eindeutig dem Zuständigkeitsbereich der Frau zu. Der Mann ist insbesondere dann gefordert, Verantwortung zu übernehmen, wenn die Frau ihre Aufgaben nicht voll erfüllen kann, wenn sie keine Lösung mehr weiß, wenn sie "überfordert", die Entscheidungssituation zu komplex ist: Bm:
Cm:
Bm:
Cm: Bm:
Cm: Am:
Als Mann hat man doch auch schon Aufgaben und Pflichten wenn Kinder da sind sich um die Kinder zu kümmern
LJa das is ja auch schon wieder näh ne männliche Sache näch denn n Kind wird vom Mann (garantiert) anners erzogen als von ner Frau (I) das würdst nnh äh wirst du überall zu Hause hörn daß die Frau dann schon sagt (.) nu laß mal dein Vater nach Hause komm LJa LAlso da is doch schon wieder der Unterschied (das männlichere weil LGenau (.) nee nee is
richtig das seh ich auch so
Iman doch eher)
LGibts das gibts das heute noch so viel daß das so gesagt wird
208 Daß diese Männer ihre eigenen Aufgaben in der Familie in dieser Weise definieren, heißt
nicht, daß sie diese Aufgaben auch elftillen. Wenn man in Betracht zieht, daß diese Männer sich allabendlich nach getaner Arbeit für melu'ere Stunden in ilu'er Stammkneipe treffen und erst dann nach Hause gehen, liegt es nahe, eine große Diskrepanz zwischen Darstellung und familiärer Praxis zu vennuten. Nichtsdestoweniger ist es aufschlußreich, die Unterschiede in den Darstellungen zwischen den verschiedenen GlUppen zu beachten. Die größere Rigidität, mit der die bürgerlichen Männer zwischen den Aufgaben von Mälmem und von Frauen unterscheiden, velweist nicht nur auf Unterschiede mälUllicher Selbstwalllnelunung, sondem legt auch die Annalllne nahe, daß die plivaten Beziehungen weniger Aushandlungen ennöglichen, als dies im Arbeitennilieu der Fall ist.
212
em: Am:
LJa nun vielleicht äh also (.) das wird sicherlich genug noch geben wo die Frau überfordert is bei der Erziehung das kommt ja immer drauf an näch
LJa
ja klar
In der Selbstwahrnehmung der Männer ist die familiäre Arbeitsteilung als ein kooperatives Verhältnis gestaltet, in dem der Mann die Frau unterstützt. Diese kooperative Unterstützung, die auf Annahmen über geschlechtsspezifische Fähigkeiten fußt, ist gleichwohl Ausdruck und Enaktierung einer hegemonialen Struktur. Mehr noch als aus dem zitierten Beispiel wird dies aus dem Fehlen jeglicher Reversibilität solcher Kooperation deutlich. Ein umgekehrter Fall, bei dem die Frau den Mann in einem Bereich unterstützt, der im Sinne der gescWechtlichen Arbeitsteilung ureigene Domäne des Mannes ist, wird nicht erwähnt. Wo dies de facto dennoch geschieht, nämlich dann, wenn die Frau den Unterhalt der Familie sichert, rettet, wie wir gesehen haben, die Strategie der Normalisierung den Hegemonialitätsanspruch des Mannes. Die Generalverantwortlichkeit des Mannes läßt sich als Dokument einer doppelt strukturierten hegemonialen Männlichkeit begreifen. Zunächst ist die geschlechtliche Arbeitsteilung Ausdruck männlicher Hegemonie, sind doch mit dieser Arbeitsteilung - unter den Bedingungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Bewertungen der Tätigkeiten und wegen der unterschiedlichen Teilhabechancen am öffentlichen Leben - soziale Hierarchien verknüpft. Auf einer zweiten Ebene kommt die hegemoniale Männlichkeit auch innerhalb der Handlungssphäre zum Tragen, die der Frau auf der ersten Ebene als die ihre zugewiesen wird: in Gestalt einer - freilich nur in Ausnahmefällen aktualisierten - Letztzuständigkeit und Generalverantwortlichkeit des Mannes. Die mit der Position des Familienoberhauptes auferlegte Verantwortung tur die gesamte familiäre Lebensgemeinschaft verlangt vom Mann eine Perspektive, welche die Auswirkungen des eigenen HandeIns auf den familiären Zusammenhalt mitberücksichtigt. Ein Mitglied des Herrenclubs expliziert dies sich und den anderen, indem er das Verhalten des Mannes in einem ehelichen Streit dem der Frau kontrastiert: Am:
Ja gut was was du grade angesprochen hast mit dem privaten Bereich (.) sicherlich liegt es immer am unterschiedlichen Naturell aber mir gehts genauso daß ich natürlich auch (.) wenn es mal um Diskussionen in der Ehe geht (.) eigentlich zu feige bin gewisse Dinge anzusprechen weil ich einfach
Bm:
LHmhm
Am:
keinen Streit mag daher kommt es nech aber daß ich es schon sehr häufig
Bm:
LHmhm
213
Am:
beobachtet habe also nich nur in der eigenen Ehe (.) daß die Frauen da also sehr viel forscher sind oder vielleicht auch emotionsgeladener und auch eher bereit sind Porzellan kaputtzuschlagen wobei der Mann doch eher (.) sehr
L(lacht)
?m: Am: Bm:
Am:
YI:
gedämpft und schon in dem Moment über mögliche Folgen nachdenkt nech
LDas
is richtig das is richtig
Ich hab das hier und da auch schon mal meiner Frau gesagt wenn ich so rumpoltern würde wie du (.) dann wärn wir jetzt vielleicht schon in der
L(lacht)
Am:
dritten oder vierten Ehe nech wenn ich mich so verhalten würde wie du wenn wir mal in irgendeiner ernsthaften Diskussion sind nech (.) weil die Frau fur sich dann (.) ich kann jetzt nur von meiner sprechen für sich in Anspruch nimmt (.) ähm
em:
Ja emotional die Sau rauslassen zu können
?m: Am:
I LHmhm l Einfach das so rauszulassen nech egal
ob da n Kahlschlag draus wird oder nich
Die Zurückhaltung des Mannes in einem ehelichen Streit erfahrt im Zuge der Entfaltung des Arguments eine eigentümliche Bedeutungsverschiebung. Aus einer negativ konnotierten Bewertung des eigenen Verhaltens als "feige" wird eine positive Wertung, welche die Weitsicht des Mannes betont. Es scheint, als bereite die zunächst erfolgte Einschätzung eine gewisse Irritation; Defizitbeschreibungen sind dem Selbstbild dieser Männer nicht kompatibel. Dessen Bedrohung wird geschickt aufgefangen, indem die Zurückhaltung des Mannes als Resultat einer höheren Einsicht, die aus der Verantwortung für das Fortbestehen der ehelichen Gemeinschaft entspringt, dargestellt wird. Allein dem vernunftorientierten Handeln des Mannes, der die Kosten eines emotionalen Ausbruchs berücksichtigt, sei es zu verdanken, daß die Ehe noch Bestand hat. In der Bedeutungsverschiebung von Feigheit zu Weitblick wird der Mann gleichsam zu einem 'rational-choice-Akteur' stilisiert, während der Frau die Fähigkeit hierzu abgesprochen wird209 . Die Hegemonie des Mannes bedarf keiner demonstrativen Machtausübung, keiner autoritären Beziehung zur Frau, um sich Geltung zu verschaffen. Auch im Zurückstecken kann sie sich äußern, wenn es denn aus der Perspektive der Generalverantwortlichkeit motiviert ist. 'Feigheit vor der Frau' hingegen gefahrdete die hegemoniale Position. 209 Auf das Frauenbild, das in dieser Sequenz sichtbar wird, gehe ich an dieser Stelle nicht näher ein. Dies wird in einem gesondelten Kapitel (7.6) geschehen.
214
Die Beziehung des Mannes zur Frau wird von den traditionell orientierten Männern vorwiegend in Kategorien prosozialen Verhaltens beschrieben. Für den familiären Bereich bedeutet dies, daß der Status des Familienoberhauptes neben seiner ökonomischen Fundierung (Ernährer) durch die Rolle des Beschützers definiert ist. Dies wird vor allem im Arbeitermilieu, in dem die ökonomische Basis gefährdet ist, akzentuiert: ,,Männlichkeit oder Familienoberhaupt ist ja nicht nur, daß der die KoWe verdient, ist auch der Beschützer der Familie". Die prosoziale Dimension der hegemonialen Männlichkeit erstreckt sich aber nicht nur auf den familiären Bereich. Beschreibungen von außerehelichen Interaktionen mit Frauen betonen vor allem die Bedeutung von Zuvorkommenheitsritualen. Mit der Leistung von Hilfe kann zugleich (physische) männliche Überlegenheit demonstriert werden - z.B. wenn Bauarbeiter Kolleginnen beim Tragen schwerer Lasten helfen21O • Für die Männer aus bürgerlichem Milieu ist die Attitüde des Kavaliers ein wichtiges Mittel zur Distinktion, dies sowohl in der Dimension des gescWechtlichen als auch des Klassenhabitus. Die Kavaliershaltung bedeutet ihnen viel; auch die Einsicht in den inszenierten Charakter entsprechender Rituale tut dem keinen Abbruch. Bm:
Y I: Bm: em:
Mir macht es wiederum Freude so zu tun als wenn meine Frau schwächer is dann kann ich auch n bißchen den Kavalier spielen sonst wär es ja (.) albern nich und das macht mir wiedrum bißchen Spaß und ich glaube das ham die Frauen letzten Endes auch ganz gerne (.) und das sollte man einfach so akzeptieren (.) und wenn ich einer Frau die Tür aufhalte (.) dann is das (.) äh deswegen diskreditiere ich sie ja nich die kann die selbstverständlich alleine aufmachen
L(lacht)
und auch aufhalten nech (.) aber es zu tun find ich also in Ordnung
LHmhm
In den Augen dieses Mannes gibt es zwar keine durch die weibliche Physiologie
begründete Notwendigkeit, das beschriebene Zuvorkommenheitsritual zu praktizieren - die Frau könnte die Tür auch selbst öffnen -, aber mit diesem Ritual wird ein Beziehungsmuster enaktiert, in dem allein dem Mann der Part des Zuvorkommenden zusteht. Indem auch die Frau - in der Perspektive des Mannesdas Ritual goutiert, bestätigt sie die rituellen Vorrechte des Mannes 211 •
210 Diese wenigen Kolleginnen erhalten den Status von "token" (Kanter 1987); sie verschaffen den Männern die Gelegenheit, den eigenen Hegemonieanspl1lch 'auf nette Alt' zu bekräftigen (s. auch Kap. 2.2). Die mälUllichen Kollegen, so belichtet ein Facharbeiter, "sind dalUJ natürlich auch besonders nett", nutzen die Situation aber auch, wie ein anderer zu belichten weiß, um ,,zu zeigen, daß man mehr in den Muskeln hat". 211 Zur prosozialen Dimension männlicher Hegemonie vgl. auch Goffman 1994c (s. Kap. 2.2).
215
Die in der Tradition verwurzelten Männer fühlen sich in ihrer Haut offensichtlich wohl. Die Rituale, die sie praktizieren - sei es der allabendliche Kneipenbesuch, sei es die Zuvorkommenheit gegenüber dem anderen Geschlecht -, erfahren sie nicht als eine Fremdbestimmung; sie bereiten ihnen Spaß und Freude. Anzeichen einer krisenhaften Wahrnehmung der eigenen geschlechtlichen Situation sind nicht zu erkennen. Das schließt freilich nicht aus, daß auch diese Männer zuweilen über die Last klagen, die mit den dem Mann auferlegten Pflichten verbunden ist; die aus höheren sozialen Milieus übrigens mehr als die aus niedrigeren. Man sei "dazu verdonnert, Geld verdienen zu müssen". Trotz solcher Klagen leiden diese Männer nicht an ihrer Verantwortung. Dazu sind mit ihr zu viele Vorteile verbunden. Das Zwanghafte kann durchaus gesehen werden ("verdonnert" sein), ohne daß daraus Ablehnung erwächst. Im Sinne Bourdieus kann als ein Merkmal des Habitus die "selbstbewußte Zustimmung zum habituellen Schicksal" (Janning 1991, S. 31) gelten. Genau das kennzeichnet auch die traditionelle Männlichkeit212 • Mit Goffinan (l971a, S. 15) läßt sich sagen: "Anerkannte Eigenschaften und ihre Beziehung zum Image machen aus jedem Menschen seinen eigenen Gefängniswärter; dies ist ein fundamentaler sozialer Zwang, auch wenn jeder Mensch seine Zelle gerne mag".
7.3 "Ich brauche mich dafür nicht entschuldigen Sicherheiten
H.
Prekäre
Eine selbstbewußte Zustimmung zum habituellen Schicksal ist nicht auf solche Männer begrenzt, die - heute vierzig Jahre und älter - ihre primäre und sekundäre Sozialisation zu einer Zeit erfahren haben, in der die Forderungen der Frauenbewegung noch nicht auf der Agenda gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen gestanden haben. Auch jüngere Männer - im Alter von Anfang bis Mitte zwanzig - , die gleichsam zusammen mit der zweiten Frauenbewegung groß geworden sind, gehören zu denjenigen, die das Unabänderliche, das geschlechtliche 'Schicksal', bereitwillig akzeptieren2l3 . Allerdings geschieht dies nicht derart bruchlos wie bei den Männern, deren Verankerung in der Tradition im Modus der Fraglosigkeit erfolgt. Die habituelle Sicherheit ist prekär, sie ist in einigen Feldern des Alltagshandelns gefährdet, und sie muß verteidigt werden. Der eigene Geschlechtsstatus ist in einer ambivalenten Weise gegeben: zwischen Fraglosigkeit und Reflexion. 212 Bei Bourdieu (1997b, S. 187) heißt es: ,,(S)o sind auch die Männer Gefangene und auf versteckte Weise Opfer der hem;chenden Vorstellung, die gleichwohl so pelfekt ihren interessen entsplicht". 213 Umgekelut ist, wie das nächste Kapitel zeigen wird, ein höheres Alter keine Garantie gegen eine laisenhafte Elfaluung des eigenen Geschlechtsstatus.
216
Zwischen Fraglosigkeit und Legitimationsdruck
In gleicher Weise wie zuvor von den traditionell orientierten Männern wird auch hier die Unhintergehbarkeit des Geschlechts betont. Eine Gruppe von Footballspielern, überwiegend Studenten, entfaltet dies in wechselseitiger Bezugnahme aufeinander214 : Em:
Aber (3) tja pff (lacht) (I) ( eigentlich nich viel.
) soll man ( ) sagen? (.) also es bedeutet mir
LHmm
YI: Dm:
L Findet sich damit ab L Kann ja nix dran ändern
Fm:
LEben.
Em: Bm:
Was-was meinst du mit sich (abfinden)?
Dm:
L Ja es gibt Mann und Frau und du bist halt n Mann aber man denkt nicht drüber nach (.) das L Ja genau (.)
Bm: Dm: Em:
mein ich
LJa
Bm:
Aber du denkst nich drüber nach du nimmst es einfach so hin (.)
Dm:
Bist einer und feddich.
Bm:
Und bist ganz froh drüber
me:
L (Lachen)
Eine Reflexion über die Bedeutung des Mannseins ist nicht in den lebensweltlichen Relevanzen dieser Gruppe verankert. Die Geschlechtszugehörigkeit ist ein Kennzeichen der Person, keine Eigenschaft, die einem verändernden Eingreifen zugänglich ist. Weil sie keinen Einfluß darauf haben, erscheint das Mannsein ihnen bedeutungslos. Es besteht keine Notwendigkeit, kein Bedarf, und es macht auch keinen Sinn, an diese unabänderliche Tatsache eine Reflexion anzuschließen. Eine andere Haltung als die des Akzeptierens erscheint ihnen unmöglich. Das ist aber nicht resignativ formuliert. Ganz im Gegenteil ist ihnen das eigene geschlechtliche Schicksal ein Anlaß positiver Selbstwahrnehmung ("bist ganz froh drüber"). Sie fühlen sich wohl in ihrer 'geschlechtlichen Haut'. - Was in dieser Sequenz als Dokument einer fraglos gegebenen Geschlechtlichkeit erscheint, erweist sich, vergleicht man es mit 2 J4 Die nicht studierenden Mitglieder der Gl1Jppe leisten Zivildienst, streben aber auch einen akademischen Abschluß an. Die StudielU1chtung der meisten liegt im Bereich angewandter Technologie. Die Altersspalme reicht von Anfang bis Mitte zwanzig.
217
der gesamten Diskussion, eher als ein Plädoyer fiir die Beibehaltung des Fraglosen. Weitere Passagen zeigen, daß die feministische Kritik des Mannes dieser Gruppe nicht nur nicht unbekannt ist, sondern daß die Mitglieder sich auch in ihrem Alltag damit auseinandersetzen müssen. Prekäre Sicherheiten sind typischerweise im studentischen Milieu zu beobachten. Studenten sind mehr als andere Männer alltäglich an ihrem Arbeitsplatz - in der Universität, in der Fachhochschule - mit den Herausforderungen des Feminismus konfrontiert. Das zeigt sich sehr deutlich auch in den Gruppendiskussionen. Es ist aber nicht allein diese Erfahrung, die den lebensweltlichen Hintergrund der erwähnten Ambivalenzen ausmacht. In den Institutionen der Bildung sind diesen jungen Männem offensichtlich sozialwissenschaftliche Deutungsmuster gesellschaftlicher Zusammenhänge vermittelt worden, und das hat Auswirkungen auch auf die Wahrnehmung des Geschlechterverhältnisses. Die Akzeptanz des eigenen Geschlechtsstatus hat die 'Naivität' verloren, die bei den in der Tradition verankerten Männem noch gegeben ist. Ein Mitglied einer studentischen Männerwohngemeinschaft erklärt, welche Bedeutung das Mannsein fiir ihn hat 215 : Bm:
Du ich kanns einfach so hinnehmen (.) ich brauch mich dafür nich entschuldigen ich brauch mich dafür nich verstecken (.)
Yl:
Hm
Bm:
und ja daß ich denk ich bin einfach geprägt und jetzt durch die (.) ich hab ja Soziologie schon in der Schule gehabt ne (.) ich hab die jetzt an der Uni (.) so, man is einfach geprägt davon, daß ähm dem (.) daß ja eigentlich es gibt n schlechtes Männerbild (.) ne (.) aber es gibt eigentlich kein gutes so ich sag mal einfach Menschen die sich schämen (.) äh das zu sein was sie sind, tun mir leid (.) mehr kann ich dazu nich sagen also
Yl: Bm:
was ( )
LMenschen oder Männer
LMenschen
Y I:
Menschen
Bm:
ja also n Mann der nich dazu stehen kann daß er n Mann is ang- er is halt einer
Die Akzeptanz des Vorgegebenen, des eigenen Geschlechts, wird als eine besondere Fähigkeit dargestellt ("ich kanns einfach so hinnehmen"). Offensichtlich sind nicht alle Männer dazu in der Lage. Von solchen Männem, die mei215 Bei dieser Wohngemeinschaft handelt es sich nicht um eine G11lppe 'bewegter' MälUler. Del1ut ol;entielte MälUler sind vielmehr der explizite negative Gegenhorizont, von dem man sich heftigst abgrenzt. Die Mitglieder der Wohngemeinschaft sind zwischen 24 und 28 lalu'en alt. Sie studieren geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer.
218
nen, sich dafür entschuldigen zu müssen, daß sie ein Mann sind, die sich ihres Geschlechts schämen, grenzt er sich ab. Mit dieser expliziten Abgrenzung dokumentiert er aber zugleich, daß die Akzeptanz des Geschlechtsstatus in dem Milieu, in dem er sich bewegt, keine Selbstverständlichkeit (mehr) ist. Sie erscheint im folgenden als eine besondere Leistung, die er erbringen muß gegenüber einer Öffentlichkeit, die den Mann nur mehr negativ etikettiert, und gegenüber dem, was ihm selbst in der schulischen Sozialisation vermittelt worden ist. Das negative Männerbild wird nun aber nicht argumentativ widerlegt, sondern diesem wird eine Art Glaubensbekenntnis, ein Leitmotiv der eigenen Lebensführung gegenübergestellt, das geschlechtsübergreifend formuliert ist. Wer nicht zu dem steht, was ihm qua Geburt auferlegt ist, verdient keine Achtung, sondern ist bedauernswert. Daran, daß es ihm nicht möglich ist, dieses Plädoyer für die Akzeptanz des nicht Veränderbaren näher zu begründen ("mehr kann ich dazu nich sagen"), zeigt sich, daß er den Geschlechtsstatus im Modus des Selbstverständlichen erfährt. In der konkludierenden Feststellung "er is halt einer", insbesondere in der Betonung des unausweichlichen Seins wird dies noch einmal deutlich. Die Konklusion gleicht den Formulierungen, welche die in der Tradition verankerten Männer gebrauchen. Die vorangehenden Abgrenzungen weisen aber auf Gefährdungen der Fraglosigkeit hin. Der Einwand mag naheliegen, ein Soziologiestudent sei nicht gerade ein typischer Vertreter männlicher Studenten, da die Soziologie eine Wissenschaft ist, die ihre Studenten mehr als andere Fächer 'geschlechtssensibilisiert' . Doch auch Studenten naturwissenschaftlich-technischer Fächer tendieren dazu, das Geschlechterverhältnis 'sozialwissenschaftlieh informiert' zu betrachten. Sie wissen z.B., daß Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen weniger Anerkennung erfahren als Männer, daß dies aber die Frauen nicht zu "Menschen zweiter Klasse" macht, sondern der geschlechtlichen "Rollenverteilung" geschuldet ist. Auch wissen sie um die historische Dynamik der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Die folgende Sequenz entstammt der Diskussion mit den Footballern. Gm:
Is ja auch so, daß die die Gesellschaft wie sie jetzt da is von den Männern aufgebaut wurde (.) die Frauen warn früher zu Hause ham die Kinder gehütet und das Heim schön gestaltet oder sowas und die Männer warn arbeiten und
L(lachen)
?m: Gm:
das wandelt sich aber momentan (.)
Das Wissen um die gesellschaftliche Konstitution des Geschlechterverhältnisses ist freilich nicht in kritischer Perspektive formuliert. Benachteiligungen von Frauen, z.B. in Gestalt niedrigerer Löhne, werden deutlich gesehen, ohne daß sich daran eine moralische Empörung knüpft, wie dies etwa in Gruppen 219
junger Arbeiter geschieht (s. Kap. 7.5). Die Ungleichbehandlung wird konstatiert, nicht mehr, nicht weniger. Das impliziert freilich auch, daß anders als bei den 'Traditionalisten' weder eine Normalisierung noch eine Nihilierung erfolgt. Die Vorteile, die dem Mann aus der gegebenen Geschlechterordnung erwachsen, werden durchaus genossen, wie die folgende Sequenz aus der Diskussion mit der Football-Gruppe zeigt: Dm:
Beim Mann ( ) man halt als als Mann das Gefühl, daß man irgendwie n bißchen einfacher hat in der Gesellschaft oder so weil die Frau die (.) is (.)
LHm
YI: Dm:
weiß nich die wird (.)
Bm: Dm:
YI: Dm:
genau
Lminderwertig behandelt Lja minderwertig behandelt
LHm
Als Mann is es hat man so das Gefühl daß es irgendwie n bißchen einfacher
LEs is so
?m: Dm: Em:
is (.) ne
LJa man is eben wer
'Aufgeklärte' Doppelmoral Die Einsicht in die Benachteiligungen, die den Frauen aus der tradierten GescWechterordnung erwachsen, verhindert nicht, daß man es sich in dieser Ordnung kommod macht. Die Männer wissen auch sehr woW um die vielfältige Existenz doppelter Standards, die ein gleiches Verhalten einer unterschiedlichen Bewertung unterziehen, je nachdem, ob es eine Frau oder ein Mann praktiziert. Aber selbst die 'aufgeklärte' Einsicht in die sozialen Bedingungszusanunenhänge solcher doppelten Standards hindert sie nicht daran, diese dem eigenen Urteil zugrunde zu legen. Das wird in der folgenden Sequenz recht drastisch sichtbar. Am:
Oder zum Beispiel (.) pröllem is auch ne Sache vom Mann (.) Frauen die
L(lachen)
me: Am: Em: Am:
220
pröllem sind asig (.) genauso wie FrauMänner Männer die pröllem sind geil drauf du
L(lacht)
?m: Em:
Ja oder Frauen die saufen sind asig
Am: Fm:
Genau
Gm:
Das is eben wieder genau das Rollendenken was ich meine (0)
LJa so siehts auch aus das stimmt
LJa LDes isss LJa genau LJa genau LDaß man daß man
?m: ?m: Bm: Am: Gm: Am:
damit aufwächst, damit da wird man reingeboren die Erziehung da angesehen wird
LDaß bei Männem was bei Männem als-als Stärke
Gm:
geht man durch (0) und (0) das bleibt haften ganz einfach ne auch wenn auch wenn man versucht sich davon zu lösen
Bm:
Ja aber ich kann mich tierisch drüber aufregen wenn (0) wenn zum Beispiel meine Freundin besoffen ist
LIch kanns auch nich ab (0) weil die denn immer LDa (die) da kann ich
Gm: Bm: Gm: ?m: Bm:
al: ?m: Bm: me: Bm: Em:
ganz anders is du
L(lacht)
auf die Barrikaden gehn nä weil die ( ) so breit is, daß sie kaum noch geradeaus laufen kann nä (0) und das kommt halt vor (I) und von daher ja weiß ich auch nich find ich halt nich so gut (I) und wenn Em besoffen ist, dann is mir das eigentlich ziemlich scheißegal (2)
L(lachen) LJa eben Lund wenn Wemer mir aufn Schoß kotzt an meinem (0) L(lachen)
an meinem Geburtstag das is mir auch egal, dann is es halt passiert auch völlig egal (lacht)
LJa da war es dir
221
Bm:
Ja bei Frauen da gibts das halt irgendwie da gib- da gibts halt gewisse Grenzen, die man so im Kopfhat.
"Pröllem", d.h. proletenhaftes Benehmen, dient ihnen als ein Beispiel, um zu verdeutlichen, in welcher Weise das Handeln von Frauen nach anderen Kriterien bewertet wird als das der Männer. Das Beispiel ist nicht zufällig gewäWt. In den Passagen, in denen die Gruppe ihr gemeinsames Auftreten in der Öffentlichkeit beschreibt, berichten die Mitglieder zahlreiche Szenen, in denen sie sich in dieser Weise benommen haben, und auch während der Gruppendiskussion bekunden sie - etwa in Gestalt häufigen hörbaren Aufstoßens und abgehender Blähungen (vulgo: Rülpsen und Furzen) -, daß ein solches Verhalten Teil ihrer habituellen Selbstdarstellung ist. Frauen, die sich proletenhaft benehmen oder die Alkohol in großen Mengen konsumieren, gelten sowohl im allgemeinen gesellschaftlichen Urteil als auch in den Augen der Gruppe als asozial ("asig"). Bei Männem hingegen wird ein solches Verhalten akzeptiert, es gereicht ihnen zum Vorteil, verschafft Anerkennung ("sind geil drauf'), zumindest innerhalb der männlichen Binnenwelt der Gruppe 216 . In verallgemeinernder Perspektive wird konstatiert, das Denken in Kategorien von Geschlechtsrollen und die geschlechtsspezifische Sozialisation seien dafür verantwortlich, bei Männem ein Verhalten als Ausdruck von Stärke zu bewerten, das, würde es von Frauen praktiziert, einer anderen Wertung unterläge. Wie diese genau beschaffen wäre, erfahren wir leider nicht, weil der Sprecher seinen Satz nicht fortsetzen kann. Die in der Sozialisation vermittelten Einstellungen werden als prägend und derart übermächtig erlebt, daß Versuche, sie aufzugeben, zum Scheitern verurteilt seien. Die sich anschließende Konkretisierung, mit der die zunächst abstrakt erörterte Frage auf die eigene Lebenspraxis bezogen wird, macht deutlich, daß sie die doppelten Standards selbst praktizieren. Und dies tun sie nicht distanziert, sondern mit einem hohen 'moralischen' Engagement. Sie regen sich "tierisch" auf oder gehen "auf die Barrikaden", wenn die eigene Freundin sich proletenhaft benimmt, d.h. betrunken ist. Verhält sich ein Freund in dieser Weise, ist dies hingegen kein Anlaß, sich zu empören, selbst dann nicht, wenn die Folgen höchst unangenehm sind. In dieser drastischen Kontrastierung dokumentiert sich sehr deutlich, daß sie in ihrem alltäglichen Handeln doppelte Standards ohne reflexive Distanz praktizieren. Und dies tun sie, obwohl sie - zumindest dann, wenn sie 'handlungsentlastet' sind, also darüber nachdenken - wissen, daß sie prinzipiell auch anders handeln könnten. Die "Grenzen", mit denen man das Verhalten von Frauen umstellt, sind
216 Daß ein proletenhaftes Verhalten auf Frauen abstoßend wirkt, wissen diese Männer; sie vennögen aber aus Gliinden, auf die noch einzugehen sein wird, daraus nicht die Konsequenz zu ziehen, dieses Verhalten aufzugeben.
222
"im Kopf', entsprechen also nicht irgendwelchen mit der Biologie der Geschlechterdifferenz gegebenen Notwendigkeiten. Das nämliche Muster von 'aufgeklärter' Einsicht bei gleichzeitigem Praktizieren doppelter Standards läßt sich in einer Passage beobachten, in der sie über Sexualität sprechen. Zunächst konstatieren sie, daß an das Sexualverhalten von Männern und Frauen unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. Häufig wechselnder Geschlechtsverkehr lasse den Mann als einen "tollen Kerl" erscheinen, die Frau aber als "alte Schlampe". Der Mann wird mithin in seiner Männlichkeit bestätigt oder gar aufgewertet, die Frau erfährt eine Stigmatisierung. Die zunächst als beobachtet referierte Haltung erweist sich schnell als die eigene: Dm:
Letztens hat mir auch eine erzählt sie hat vierzig Männer schon gehabt da dacht ich auch hubba was is das für ne Schlampe
L(lacht) LHubba
?m: Gm: Bm:
Hau ma ab geh ma wech geh ma ganz weit weg
Auch bei diesem Thema verweisen sie darauf, daß das in der Sozialisation eingeübte "Rollendenken" der differenten Bewertung weiblichen und männlichen Sexualverhaltens zugrundeliegt. Aber auch hier verhilft diese Einsicht nicht dazu, neue Bewertungsmaßstäbe zu entwickeln. Wie unten noch ausfiihrlicher zu zeigen sein wird, liegt dies in der Bedeutung begründet, die ein solches Handeln für die Aufrechterhaltung des homosozialen Zusammenhaltes hat. In ähnlicher Weise beziehen sich die Mitglieder der studentischen Männerwohngemeinschaft auf Stereotype und Klischees von Männlichkeit. Allerdings tun sie das ein wenig reflexiver als die Footballspieler: Bm:
Nee ich denke daß es (.) kein Männerb- also es gibt (.) für mich kein positives Männerbild (.) so wie mans jetzt hinstellen könnte aber es gibt natürlich das alte Klischee vom Mann (.) was man zum teilweise auch erfüllt ganz klar wenn ich mich genau anguck dann merk ich schon daß ich irgendwelche Verhaltensweisen drauf hab äh die in dieses Klischee reinpassen (.) keine Frage aber die kann ich eben auch nich von heut auf morgen will ich auch gar nich unbedingt abstellen
Y 1:
Hm und was is das (?) (hustet)
Bm:
?m:
LHm wenn du zum Beispiel nimmst daß du ffmit n paar Leuten zusammensitzt einen trinkst erstmal is das männennäßig ne schön ordentlich Bier zechen (.) ne (lacht) und äh was weiß ich dann kommen irgendwo auch Sprüche aufn Tisch äh oder es wird geplant L(
223
Sm:
LJa oder es wird ganz einfach geplant was machen wir heut abend (.) ne ja gehn wir mal dahin da sind nette Frauen oder ne Püppis oder wie mans auch immer sagt dann (.) ne das sind ganz klar männliche Verhaltensweisen ich glaube nich daß ne Frau das nich machen würde ähnlich (.) ne also die Frauen gucken auch schon wo se hingehn (I)
So wie das nicht vorhandene positive Männerbild und "das alte Klischee vom Mann" kontrastiert werden, erscheint das Klischee als negativ besetzt. Von wem und in welchem Kontext diese Wertung vorgenommen wird, läßt sich dieser Sequenz nicht entnehmen. Aus der Diskussion insgesamt wird aber ersichtlich, daß hier das universitäre Milieu gemeint ist. Die Männer berichten mehrfach von Situationen, in denen sie sich für ihr - dem Klischee entsprechendes - Verhalten gegenüber Kommilitoninnen und auch gegenüber männerbewegten Kommilitonen rechtfertigen mußten. Eine kritische Selbstprüfung ("wenn ich mich genau anguck") mündet in die Einsicht, daß man sich selbst - zumindest in bestimmten Handlungsfeldern - dem Klischee entsprechend verhält. Die Unfähigkeit, dies kurzfristig zu verändern, gerät aber nicht zum Problem. Im Rahmen des Klischees zu handeln scheint attraktiv genug zu sein, um es bewußt weiter zu praktizieren. Der positive Bezug auf "alte Klischees" von Männlichkeit ist reflexiv eingeholt. Das läßt sich als ein 'aufgeklärter Traditionalismus' begreifen. Verhaltensweisen, die als typisch männlich angesehen werden, können recht genau benannt werden. Das geschieht nicht in distanzierender Weise, wie es unter 'bewegten' Männern üblich ist, sondern in einer Form, die zeigt, daß solche Verhaltensweisen goutiert werden. Hierzu gehört, das Zusammensein in der homosozialen Gemeinschaft zu genießen, ein nicht geringer Konsum von Bier, ein bestimmter Sprachgebrauch ("Sprüche"), der, wie aus anderen Passagen deutlich wird, nur innerhalb der Männerrunde möglich ist, weil er ein Vokabular zur Bezeichnung von Frauen beinhaltet, für das sie von diesen angegriffen würden ("Püppis"), und scWießlich das Planen gemeinsamer Aktivitäten mit dem Ziel, Frauen kennenzulernen. Der abschließende Hinweis, Frauen verhielten sich ähnlich, würden ebenfalls gezielt ihr Auftreten in der Öffentlichkeit vorbereiten ("gucken auch schon wo se hingehen"), rechtfertigt das eigene Verhalten. Der Student vermutet offensichtlich, daß Frauen die geschilderten männlichen Praktiken kritisieren, und er nimmt der Kritik die Spitze, indem er den Frauen die Berechtigung abspricht, etwas zu monieren, was diese selbst praktizierten. Feministische Irritationen Im Unterschied zu den bruchlos in der Tradition verankerten Männern und stärker auch als bei den studentischen Footballspielern geht bei den Männern aus der Wohngemeinschaft die angenommene oder gewußte Perspektive der 224
Frauen in die Wahrnehmung des eigenen Handeins ein. Lebensweltlicher Hintergrund sind die Studienfächer, die sozial- und geisteswissenschaftlicher Art sind. Im universitären Alltag sind die Mitglieder der Wohngemeinschaft ständig mit Ansprüchen, Forderungen und Kritik von Frauen und Feministinnen konfrontiert. In einer Sequenz, in der sie über Sexualität sprechen, greifen sie feministische Thesen über männliche Sexualität ironisierend auf und dokumentieren damit sowoW Distanz zum Feminismus als auch dessen Bedeutsamkeit für die eigene Lebenswelt: Cm:
Sind wir nich alles Triebtäter ey
Am:
Oach do
Cm:
Potentiell?
Am:
Potentiell?
Bm:
Warte mal da muß ich mal eben meinen Zettel mit der Frauenfront holen
me:
(lachen)
Cm:
HABEN WIR NICH ALLE DIESE VORRICHTUNG () ZUM
L(lachen)
me: Cm:
VERGEWALTIGEN
Cm:
Ja ja den Witz aber den erzähl ich jetzt nich
Am:
Ich hab das immer als ne Vorrichtung zum Beglücken (J) empfunden ey na ja
Cm:
Is das nich dasselbe? (I) Nein is es nich war n scheij3frauenfeindlicher Spruch
Am: Cm:
L(lacht)
aber in unsrer WO is auch sowas erlaubt wir können darüber reden
Offensichtlich gelten außerhalb des 'Schutzraumes' der Männerwohngemeinschaft andere Regeln als innerhalb; und offensichtlich wissen diese Studenten, wie sie sich dort - und das ist, wie aus weiteren Passagen der Diskussion deutlich wird, insbesondere die Universität - verhalten müssen, um sich nicht zum Gegenstand öffentlicher Kritik zu machen. Der feministische Diskurs, den sie im Binnenraum der Gruppe lächerlich machen - dies geschieht vor allem in der dramatisch-deklamierenden Sentenz ,,Haben wir nicht alle diese Vorrichtung zum Vergewaltigen" - hat andererseits eine solche Relevanz, daß sie sich beständig an ihm reiben. Einer berichtet, daß eine frühere Freundin, mit der er nur äußerst wenig Geschlechtsverkehr gehabt habe ("zwei- oder dreimal mit ihr zusammen geschlafen"), ihn als "Triebtäter" bezeichnet und daß er zumindest kurzfristig und unsinnigerweise diese Etikettierung in sein Selbstbild übernommen habe ("und ich habe mir das auch noch angezogen, das war das Dumme dabei"). Die Übernahme feministischer Deutungsmuster durch Männer wird kritisiert, es wird aber auch deutlich, daß sie selbst nicht frei davon sind. Der feministische Diskurs ist Teil des eigenen Interpretati225
onsrahmens geworden. So erwägen sie selbst, ob die Fonn, in der sie Frauen ansprechen und in der sie über Frauen reden, als "sexistisch" zu bezeichnen ist. Allerdings bestehen Zweifel, ob das eine richtige Wertung ist: Sm:
Ich glaub die das Spezielle is äh diese äh sexistisch auffallende Art eigentlich so daß man sagt ey komm her
Cm:
L Was isn des ey (.)
Sm:
Ja ich würde sagen so (.) wir gehn heute abend in ne Kneipe was weiß ich gehn gehn ins W-Disco oder oder sonst wo hin ne laß mal gucken was da für
Am:
LHm
Sm:
Püppis rum laufen so
?m:
(hustet)
Cm:
Und was is daran sexistisch? also ff
Sm:
Na also ich denke du willst ja nich nur gucken (.)
Cm:
Nö absolut nich ey ich will daß was passiert daß was abgeht ey ja logisch
Am:
L Aber da sind wir vielleicht da da unterscheiden wir uns vielleicht von den in Anführung-schlechten n äh -sprüchen äh in Anführungsstrichen schlechten Männern (.) die gehn da hin und baggern eine Frau nach der andern sehr auf der derbsten Weise an was echt zum Kotzen is was echt widerlich is
Cm:
L Komischerweise kommen die an ne (lacht)
LJa aber echt,
Am: Am: Bm: Am: Cm: Am:
Ich geh nie hin und frag Mensch na und wie heißt denn und so darf ich dir n Bier ausgeben und L Iihh so ich denk denk das sind die fLir mich speziell typischen Männersachen die L büäh
L Ja gut
mir auch den Frauen aufn Geist gehen aber die einfach denk ich, da würd ich mich als guter Mann bezeichnen die einfach bei mir nich ablaufen
Cm teilt den Interpretationsrahmen von Bm nicht. Das Interesse, Frauen ken-
nenzulernen, ist ihm etwas Selbstverständliches ("ich will daß was passiert daß was abgeht ey ja logisch"), ist Sinn und Zweck eines Disco-Besuches. Bm hingegen, der das gleiche Interesse hat, problematisiert dieses in einer Begrifflichkeit, die der feministischen Kritik des Mannes entstammt ("sexistisch auffallende Art"). Während er zuvor, als er die männlichen Verhaltensweisen aufzählte, die sie praktizieren, wenn sie unter sich sind (s.o.), sich als 226
ein selbstbewußtes Mitglied einer homosozialen Männergemeinschaft präsentierte, macht er nun deutlich, daß das eigene Handeln in Situationen einer heterosozialen Interaktion auf weniger sicheren Beinen steht. Die Kontaktaufnahme zu Frauen ist ein prekärer Bereich, in dem man ein Menge FeWer machen kann. Die eigentümlicherweise erfolgreiche Praxis einer Art von Männern, von denen sie sich einerseits heftig abgrenzen ("echt zum Kotzen"), die sie aber anderseits um ihre ihnen unverständlichen Erfolge beneiden, steht ihnen offensichtlich nicht zur Verfügung. Derbe oder plumpe Formen der Kontaktanbahnung, die durchaus als typisch männlich eingeschätzt werden, lehnen sie ab, weil sie annehmen, damit den Erwartungen der Frauen nicht gerecht zu werden. Solches Verhalten würde "den Frauen auf den Geist gehen". Seine Fähigkeit zu Empathie und Rollenübernahme macht Am in seiner Selbstwahmehmung zu einem "guten Mann", der sich strikt an die selbst auferlegte Regel hält, Frauen nicht zu belästigen ("einfach bei mir nich ablaufen"). Die feministische Kritik der Männlichkeit erfahren diese Männer nicht nur vermittelt über die Medien, sondern 'hautnah' im universitären Alltag. Das erzeugt besondere Empfindlichkeiten und neben einer ironischen Distanzierung auch heftigere Formen der Abgrenzung. Die Footballer etikettieren "Emanzen" folgendermaßen: Yl:
Ja naja ihr habt vorhin amal mal emanz- emanzipierte Frauen angesprochen (.) so nebenher
Gm:
LJa was sagst du denn dazu
Dm:
Zu Emanze?
Gm:
zu emanzipierten Frauen?
Dm:
Dreck
Gm:
(lacht) Dreck (.) laß dich jetzt nich beeinflussen
Fm:
LDreck
Die erste Reaktion auf die Frage des Diskussionsleiters, der auf eine zuvor erfolgte beiläufige Erwähnung des Themas durch die Gruppe Bezug nimmt, ist eine pauschale, interaktiv vollzogene Abwertung emanzipierter Frauen. In der degradierenden Bewertung ist sich die Gruppe einig. Im weiteren Verlauf der Diskussion über dieses Thema nehmen die Männer eine Unterscheidung vor zwischen "Emanzen" und "emanzipierten Frauen"217. Diese werden akzeptiert, jene aber heftigst attackiert.
217 Eine solche Unterscheidung machen auch etwa gleichaltrige Männer aus dem Facharbeitennilieu (5. Kap. 7.5).
227
Em: Fm: Em: Fm: Gm: me: Em:
Also es gibt für mich n Unterschied zwischen Emanzen und emanzipierten Frauen und ich hab da schon mal ich hab ich hab da schon mal iner iner
L(lacht) ja auf jeden Fall ey
Uni erlebt ne sone Vollversammlung wo man als Mann
Louh ja aner Uni is (
Nie wieder Frauenwoche (lacht)
L(lachen)
wo man als Mann (I) ich meine ihr kennt das ja wahrscheinlich auch ne, wo man als Mann ja kaum das Recht hat überhaupt irgendwas zu sagen ne an der Uni is das ja extrem (.) nech und Cl) wenn dann einmal n Spruch also nur (I) ohne völlig ohne Wertung n Spruch und einfach nur dagegen is weil man von dem was eine da vom v- äh da vorne sagt die vom Frauenasta ich war damals zu der Zeit als der Frauenasta grade so hip war (.) nech ähm (.) was die (.) wenn die (.) wenn der da irgendwie gegen spricht, dann wird der so derbe niedergebfÜllt ne und das (I) das war eben der ähm also der völlig falsche Weg meiner Meinung nach
Die Sequenz scWießt an eine Diskussion darüber an, daß die meisten "Emanzen" nur die Rechte der Männer einforderten, nicht aber deren Pflichten. Solange die Frauen nicht auch die Pflichten der Männer akzeptierten, seien sie nicht wirklich emanzipiert. Die Frage, ob Frauen Militärdienst leisten sollen, dient ihnen zur Exemplifizierung. Vor dem Hintergrund einer pazifistischen Einstellung fordern sie dies zwar nicht, gleichwohl stellen sie Frauen, die z.B. in Israel oder in den USA Wehrdienst leisten, positiv als "emanzipierte Frauen" dar. Die erwähnte Degradierung betrifft also nur die sog. "Emanzen", und das sind, wie das dem Universitätsalltag entnommene Beispiel zeigt, Feministinnen. Diese werden abgelehnt, weil sie anders als die "emanzipierten Frauen" den GescWechterkonflikt verschärften und den Männem das Recht auf freie Meinungsäußerung absprächen. Sie erleben Feministinnen als intolerante Frauen, die unHihig sind, abweichende Meinungen und Widerspruch zu ertragen. Sie plädieren dafür, solche 'Auswüchse' abzustellen, indem z.B. autonome Organisationsformen von Frauen verhindert werden ("Nie wieder Frauenwoche"). Im weiteren Verlauf der Diskussion wird in diesem Sinne die Einrichtung von eigenen Frauenräumen kritisiert. Mittels des Stilmittels der Ironie ("Lilapausenraum") wird die Berechtigung einer solchen Institution bestritten. Diese Orte feministischer Selbstorganisation erscheinen ihnen vergleichbar mit männerbündischen Institutionen, in welchen hypermaskuline Formen männlicher Selbstinszenierung betrieben werden: "Das ist echt das gleiche, als ob irgendwo irgendein Chauviclub - aber sowas gibt es an der Uni nie - irgendwo aufmacht". Die Tatsache, daß - ihrer Meinung nach - ein
228
männliches Pendant zu den feministischen Institutionen gar nicht existiert, erhöht in ihren Augen die Verwerflichkeit der letzteren. Die Unterscheidung zwischen "Emanzen" und "emanzipierten Frauen" macht deutlich, daß diese Männer sich nicht unbedingt von selbstbewußten und selbständigen Frauen verunsichert fühlen, daß sie aber eine Politisierung des Geschlechterverhältnisses als eine Bedrohung erfahren. Auf Küche und Kinder wollen sie die Frauen ausdrücklich nicht verpflichten, und sie fordern auch nicht die unterwürfige Frau. Problematisch ist ihnen allerdings eine 'feministische Rahmung' der Veränderung der Arbeitsteilung von Mann und Frau, und erst recht sind es - tatsächliche oder vermeintliche - Forderungen nach einer strikten Rollenumkehrung zwischen den Geschlechtern: Em:
Ne also ich kann mir durchaus vorstellen mit Frauen nebeneinander zu leben
LEs is eben die
Am: Em:
auf ner vernünftigen Basis( I) aber dann müssen die eben nich nur (.)fordern
LOder die
Fm: Em:
(.) sondern auch bereit sein zu kämpfen ne
YI:
Ja
Fm:
Das sind eben die Radikalen die versuchens eben sofort umzudrehn das is anner N-Städter Uni
Em: Fm:
LJa die versuchens eben um 180 Grad zu drehn (.) daß die Fra- die LJa
Em:
Männer dann die Frauenrolle übernehmen und das Maul halten (.) und machen was ihnen gesagt wird und die Frauen das Sagen haben, aber das is nich der Sinn der Sache
Fm:
Nein auf keinen Fall ne
Eine "auf einer vernünftigen Basis" gestaltete Koexistenz mit Frauen (,,nebeneinander zu leben"), die - wie immer sie auch aussehen mag - zumindest vorstellbar ist, erscheint ihnen mit Feministinnen nicht möglich. Sie halten es für müßig, überhaupt den Versuch zu machen, zu einer kommunikativen Verständigung zu gelangen. Mit "Hardcoreemanzen" hätten sie nie einen Kontakt gesucht. Als Beleg dafür, daß mit solchen Frauen ,,keine vernünftige Diskussion" möglich sei, berichtet einer von Bestrebungen, die Alltagssprache feministisch zu verändern: "Die wollten zu meiner Zeit an der Uni bei Rechtswissenschaft, wollten sie doch die Erde in Siede umtaufen". In der Wahrnehmung dieser Männer - und das dokumentiert das extrem gewählte Beispielscheitert eine Verständigung mit Feministinnen daran, daß diese das gesamte Alltagshandeln zu ideologisieren versuchten.
229
Die Abgrenzung gegenüber Feministinnen und - auf symbolischer Ebene gegenüber der Sinnwelt des Feminismus funktioniert anscheinend in Form einer strikten Abschottung. Anders als bei der Männerwohngemeinschaft sind in der Diskussion mit den Footballern keine Indikatoren zu fmden, die auf eine latente Übernahme feministischer Deutungsmuster hinweisen. Als Studenten naturwissenschaftlich-technischer Fächer und als Zivildienstleistende sind diese Männer in weitaus geringerem Ausmaß 'feministisch herausgefordert' als die anderen. Situationen, in denen das geschieht, haben Ausnahmecharakter. Der universitäre Alltag der studentischen Mitglieder findet weitgehend in einer männlich geprägten Welt statt. Sie bezeichnen das Gebäude, in dem sie studieren, als "eine ziemliche Männerbastion". Die Männer beider Gruppen sind, wie erwähnt, in genau der Zeit aufgewachsen, in der die zweite Frauenbewegung sich gebildet hat und stark geworden ist. Frauen, die Familien- und Berufsorientierung miteinander vereinen, und Frauenpolitik stellen fur sie keine neuartigen Erfahrungen dar, wie das bei den älteren Männern der Fall ist. Den Wandel des Geschlechterverhältnisses erfahren sie und thematisieren sie vornehmlich in Gestalt von "emanzipierten Frauen" und von "Emanzen". Mit jenen können sie sich arrangieren, weil sie sich von diesen Frauen nicht in ihrer Geschlechtlichkeit problematisiert sehen. Von Feministinnen hingegen fuhlen sie sich wegen der Geschlechtszugehörigkeit, d.h. als Mann und nicht wegen bestimmter, individuell zu verantwortender Handlungen, attackiert. Eine fundamentale Verunsicherung vermag dies aber nicht zu bewirken. Rückzug in die homosoziale Männergemeinschaft
Gleichwohl ist die habituelle Sicherheit dieser jungen Männer prekär, denn sie ist nur in bestimmten sozialen Räumen gegeben, innerhalb der homosozialen Männergemeinschaft. Für die eine Gruppe ist die Männerwohngemeinschaft der Ort, an dem sie ohne SelbstzensUf, nur ihren eigenen Bedürfnissen und Launen folgend, das tun können, wozu sie Lust haben. Immer wieder betonen sie, das Leben in der Wohngemeinschaft laufe locker, ohne Zwänge ab. Das reiche von der Regelung fmanzieller Angelegenheiten bis zur Bewältigung von Konflikten und impliziere ganz generell ein offenes Kommunikationsklima. Auch sei ihr Benehmen meistens "nicht ladylike". Die lockere Atmosphäre wäre gefährdet, wenn Frauen anwesend wären. Es entstünden "Reibereien". Die bloße Anwesenheit einer Frau erzeuge, unabhängig davon, was diese tue oder sage, einen Druck, sich zu kontrollieren und zurückzuhalten: "Da hätte man schon irgendwie so eine Bremse drin, also rein so vom Gefuhl her". Im übrigen mache es keinen prinzipiellen Unterschied, ob sie ein sexuelles Interesse an der Frau hätten oder nicht. Auch wenn die Frau "einfach eine Kumpelin" sei, wäre die lockere Atmosphäre zerstört. 230
Frauen erfänden Probleme, die sich ansonsten nicht stellten, und nötigten die Männer, sich mit ihnen darüber auseinanderzusetzen. Zeigten sie sich unwillig, machten die Frauen dies zum Gegenstand einer psychologisierenden Kommunikation und den Männern den Vorwurf, konfliktunfähig zu sein. Die einzig adäquate Reaktion darauf sei, den Frauen deutlich und drastisch zu zeigen, daß man ihr Ansinnen für unsinnig hält, und sich zu verweigern: ,,Da gibt es echt nur noch den Stinkefmger, und ist gut". Gegenüber solchen und anderen Ansprüchen von Frauen wird die Männerwohngemeinschaft als ein Ort erfahren, an dem eine unproblematisierte und authentische männliche Lebensweise möglich ist. In all den Handlungsfeldern, in denen Frauen kopräsent sind, ist Vorsicht geboten und strategisches Handeln notwendig. In der geschützten Welt der Wohngemeinschaft können die Männer in einer Weise kommunizieren, die außerhalb den von Frauen errichteten rhetorischen Verbotstafeln zum Opfer fällt. Vor allem können sie dort die Verunsicherungen auffangen, die sie andernorts, z.B. in der Universität, erfahren. Insofern als diesen Männern ein authentisch gestaltetes Leben und Handeln nur innerhalb 'frauenfreier Zonen' möglich ist, ist ihre geschlechtliche habituelle Sicherheit prekär zu nennen. Das Selbstbewußtsein, das den in der Tradition verankerten Männern gerade auch gegenüber Frauen zu eigen ist, fehlt diesen jungen Männem. Sie selbst sind sich ihrer Männlichkeit gewiß, sie haben aber erhebliche Zweifel, ob die Frauen, mit denen sie zu tun haben, sie in genau dieser Männlichkeit vorbehaltlos akzeptieren. Auch den Footballspielern ist ihre Gruppe, ihr ,,Rudel", wie sie sagen, ein Schutzraum gegenüber den Irritationen, die von Frauen ausgehen. Auch diese Gruppe hat ein explizites Wissen darum, daß sie miteinander in einer männertypischen Weise kommunizieren und daß eine solche Form der Kommunikation mit Frauen nicht möglich wäre. Dies betrifft insbesondere das Reden über Sexualität, ein Bereich, der für diese Gruppe wie auch für die Männer aus der Wohngemeinschaft eine sehr hohe Bedeutung hat218 • Nachdem die Footballer in sehr anschaulicher Weise darüber diskutiert haben, was "guten Sex" von "schlechtem Sex" unterscheidet, kommentiert einer das Gespräch folgendermaßen: "Siehste, so wie wir jetzt reden, ist doch typisch irgendwie Mann oder; so ein Gespräch wie hier kannst du niemals mit einer Frau haben". 218 Im Vergleich mit den anderen Diskussionen widmen diese GlUppen dem Thema Sexualität die meiste Zeit. Die MälUler aus der Wolmgemeinschaft bezeichnen Sexualität explizit als "das Wichtigste", und die Footballer bekunden, sie dächten ständig an Sex, zumindest immer dalm, "wenn man ein hübsches Mädchen sieht". Die hervorgehobene Bedeutung dieses Themas resultiel1 aus der lebensgeschichtlichen Phase, in der beide GlUppen sich befinden. Die meisten sind ohne feste Pat1netin und ständig auf der Suche nach Sexualkontakten. Auf den lebensgeschichtlichen Aspekt werde ich in Kap. 7.8 genauer eingehen.
231
Die Gruppe vermittelt ihren Mitgliedern eine habituelle Sicherheit, freilich um den Preis, daß das Bestreben, Kontakt zu Frauen zu knüpfen, konterkariert wird. Die häufigen gemeinsamen (nicht sportlichen) Auftritte der Footballer in der Öffentlichkeit tragen den Auskünften der Männer zufolge den bereits erwähnten "pröllernden", d.h. proletenhaften Charakter. Die Gruppe inszeniert - schenkt man ihren Darstellungen Glauben, und es gibt an dieser Stelle keinen Grund, das nicht zu tun - ihr Auftreten auf 'martialische' Weise, lärmend, unangenehm für andere; sie präsentiert sich als "Horde". Und sie weiß um den inszenierten Charakter: "Ja das ist nämlich mehr Getue das Ganze". Desgleichen sind die Männer sich der negativen, abschreckenden Wirkung auf Frauen bewußt: ,,Da wird keine Frau auftauchen, aber gar nix". Trotz dieses Wissens halten sie an ihrem Frauen vor den Kopf stoßenden Benehmen fest, selbst dann, wenn wider Erwarten doch einmal eine Frau sich mit ihnen einläßt: Em: Bm: me:
Wenns mal n guter Abend is nech dann (.) kommt ne Frau vorbei und die wird dann erstmal hart angepröllert ne oder oder Hause
LJa und die geht dann wieder nach
L(lachen)
Wenn ein explizites Wissen um die negativen Wirkungen des Gruppenauftretens vorhanden ist und wenn sogar bewußt eine günstige Gelegenheit, eine Frau kennenzulernen, sofort zerstört wird, dann muß das Auftreten in der ,,Horde" eine wichtige Funktion haben. Zunächst einmal wird es als lustvoll erlebt; es macht ihnen Spaß, gemeinsam loszuziehen und die Regeln des Anstands und des guten Geschmacks zu ignorieren. Zweitens dient ein solches Verhalten der Stärkung der Gruppenkohäsion; sie fallen, nicht nur bei Frauen, unangenehm auf und sind somit um so mehr aufeinander verwiesen. Die Grenzziehung gegenüber Frauen, die damit ebenfalls vorgenommen wird, ermöglicht es drittens, sich der eigenen Männlichkeit zu vergewissern, auch wenn dies nur darin besteht, die Differenz herauszustellen. In Anwesenheit der Freunde eine Frau nicht "pröllernd" anzusprechen machte den Betreffenden zu einem Außenseiter in der Gruppe. Das proletenhafte Benehmen ist im Binnenraum der Gruppe ein zentrales Stilmittel männlicher Selbstinszenierung und damit keine Angelegenheit des individuellen Geschmacks, sondern gefordert im Sinne der normativen Ordnung der Gruppe. Das zeigt sich auch daran, daß alle Mitglieder berichten, bei Interaktionen, die nicht im Gruppenkontext stattfinden, auf ein solches Benehmen zu verzichten. Die Selbstinszenierung der Gruppe in der Öffentlichkeit ist ebensosehr an die eigenen Mitglieder adressiert wie an andere Männer und an Frauen.
232
Obwohl die Gruppe wenig hilfreich bei dem Unterfangen ist, eine Frau kennenzulernen, versuchen die Männer es dennoch auf diese Weise. Ohne die Gruppe im Hintergrund feWt ihnen der Mut, auf Frauen zuzugehen. Das Dilemma sehen sie deutlich: Fm:
Im Rudel sind wir unerträglich wahrscheinlich
Gm: Em: Gm: Bm: Dm:
fu: Gm: Bm:
jeder is inner Gruppe unerträglich
LJa natürlich LJa wir sind wir sind wir sind LAber ich glaub
LJa aber alleine machste das Maul auch nich auf LAm stimmt wenn du alleine L~
Da prall ich keine Frauen an (.) meistens jedenfalls
LNee wenn ich alleine bin prall ich keine Frauen an wenn ich alleine bin (.) also ich sprech wenn ich all eine bin nich unbedingt ne Frau an
Wenn sie alleine auf eine Frau zugehen sollen, dann legen sie nicht nur das proletenhafte Benehmen ab, dann entziehen sie sich vielmehr der Situation, verzichten ganz auf eine Kontaktaufnahme. Nur die Gruppe vermittelt ihnen die nötige Sicherheit, sie ist aber zugleich kontraproduktiv, verhindert, daß das Ziel erreicht wird. Die Gruppe scheint ebenso wie die Männerwohngemeinschaft ein Schutzraum zu sein, in dem ein sicheres Auftreten möglich ist, freilich im Rahmen selbst gesetzter Konventionen und Rituale. Die Freiheit von bürgerlichen Konventionen, die sich auch in der 'zwanglosen' Kommunikation über sexuelle Themen äußert, ist gewissermaßen von dem Zwang begleitet, "pröllernde" und provozierende Formulierungen zu gebrauchen. Die Sicherheit, welche die Gruppe den Mitgliedern vermittelt, ist ebenso prekär wie bei der Männerwohngemeinschaft. Sie wird brüchig, sobald der einzelne Mann die schützende Sphäre der Gruppe bzw. sonstiger homosozialer Männerwelten verläßt. Bei beiden Gruppen ist die homosoziale Männerwelt der Fokus männlicher Selbstdefinition. Dort - nicht in der Ehe oder in der Partnerschaft, die sie noch nicht eingegangen sind, nicht in der Familie, die sie noch nicht gegründet haben - haben sie sich als Mann zu beweisen. Dies mag ein Ausdruck einer lebensgeschichtlichen Übergangsphase sein. Deutlich liegt dem aber auch eine Abwehr von Forderungen und Ansprüchen zugrunde, wie sie Frauen in Folge des feministisch induzierten Wandels des Geschlechterverhältnisses an Männer stellen. Der geschlechtliche Habitus des Mannes wird gegen Tendenzen verteidigt, den Mann nur noch negativ zu sehen. Primäres Objekt der Kri233
tik ist der Feminismus, aber auch profeministisch orientierte Männer werden attackiert. Beide Gruppen wehren sich gegen eine stereotypisierende Etikettierung des Mannes durch Frauen. Bloß weil man ein Mann sei, wolle man sich pauschalisierende Vorwürfe nicht anhören und Degradierungen nicht bieten lassen. So sei es beispielsweise nicht richtig, wenn man, wie es einem Mann aus der Wohngemeinschaft passiert sei, nur deswegen als "scheiß Macho" etikettiert werde, weil man eine Frau, mit der man nicht näher bekannt gewesen sei, mit "Kleine" angesprochen habe. Sie fiiWen sich in ihren Intentionen von den Frauen mißverstanden, wobei das Mißverständnis allerdings von vielen Frauen absichtlich herbeigefiihrt werde. Wie oben gezeigt, erwehren sie sich der feministischen Kritik u.a. mit dem Stilmittel der Ironie. Das allerdings ist ihnen nur im männlichen Binnenraum möglich, nicht aber gegenüber Frauen. Heftigste Ablehnung erfahren Männer, die sich über Frauen identifizierten und den Frauen alles "nachplappern" und die ihrerseits Männer wie sie kritisierten. Männer, die einem nahelegen, daß man sich "über sein Bewußtsein mal ein paar Gedanken machen sollte", sind der negative Gegenhorizont. Die Form, in der die Grenzziehung erfolgt, verdeutlicht, daß hier ein Anspruch auf reflexionsfreie Geschlechtlichkeit verteidigt wird. Der imaginierte Kontrast zur den Verhältnissen in der eigenen Wohngemeinschaft ist ein Zusammenleben mit einem Mann, der bereits beim Frühstück von seiner Männergruppe erzählt und damit auch in den homosozialen männlichen Binnenraum die Konflikte hineinträgt, die sie nur außerhalb zu bewältigen haben.
Hegemonieansprüche und -erwartungen Als Postadoleszente und als Studenten, die ein verlängertes Moratorium zwischen Jugend und Übernahme der Erwachsenenrolle erfahren 219 , sind sie noch 'auf der Suche' nach ihnen angemessenen habituellen Stilen und Ausdrucksformen. Das proletenhafte Benehmen der Footballer, das auf den gemeinsamen Gruppenauftritt beschränkt bleibt, ist auch als Ausdruck einer Stilunsicherheit zu verstehen. Zum 'Ausprobieren', welche Formen männlicher Selbstinszenierung ihnen adäquat sind, gehört ebenfalls ein derbes Auftreten gegenüber Frauen, das diese herabsetzt. Die Mitglieder der Wohngemeinschaft meinen, sie bräuchten es ab und an einfach mal, einer Frau etwas "Hartes" zu sagen, z.B. ,,Halt's Maul". Das sei aber nichts Schlimmes, sondern habe sich einfach eingebürgert. Die habituelle Sicherheit dieser Männer ist in vielfacher Hinsicht prekär. Die Unsicherheit, die sie vor allem dann erfahren, wenn sie alleine, ohne die Gruppe im Rücken, eine Interaktion mit Frauen aufnehmen (müssen), fiihrt zu 219 Die Moratoriumssituation wird deutlich im Vergleich mit gleichalttigen Arbeitem (s. Kap. 7.5).
234
stark widersprüchlichen Darstellungen des eigenen Verhaltens. Es schwankt zwischen einer völligen Zurücknahme der eigenen Person, die sich z.B. in der Unfähigkeit äußert, eine Frau in der Discothek anzusprechen, und einer hypennaskulin stilisierten Hegemonie (den Frauen den Mund verbieten). Da sie bis auf eine Ausnahme nicht in einer festen Partnerschaft leben, können sie die Frage, wem in einer Beziehung welche Position zukommt, nur stellvertretend, am Beispiel dieser einen Beziehung, erörtern. Diese Erörterung verweist allerdings darauf, daß das Deutungsmuster der hegemonialen Männlichkeit ein wichtiges Leitbild auch in der Welt dieser Männer ist. Während der Diskussion mit den Footballern versucht das Mitglied, das als einziges in einer festen Partnerschaft lebt, seine Freundin anzurufen. Das wird von den anderen mit der Bemerkung kommentiert, daran zeige sich, daß manchmal auch die Frauen die Hosen anhätten. Der Angesprochene widerspricht: Bm:
Naja ich meine (.) nach nach außen siehts so aus (als) wenn sie die Hosen
L(Was?)
?m: Em: Bm:
I
LJa
anhätte, aber es is (.) nach na im Inneren (.) (sozusagen) im Internen hab ich
LJa na
Em: Bm:
die Hosen an das is einfach so
LJa
Em: Dm:
Am?
Bm:
Wenn ich sage es läuft nich dann läuft es nich
LDas sagen se alle Bm
Am: me: Bm:
(lachen)
LNein es is aber so (.) es is schlicht und ergreifend so
Bm versteht den Kommentar offensichtlich als Kritik an seiner Person und füWt sich in Zugzwang, die Behauptung zu widerlegen, seine Freundin dominiere die Beziehung. Er tut dies, indem er eine Unterscheidung zwischen äußerem Schein und dem einführt, was intern, den Augen der anderen verborgen, stattfindet. Nur letzterem kommt der Wirklichkeitsakzent zu. Den Zweifeln der anderen begegnet er auf apodiktische Weise ("es is schlicht und ergreifend so"). Es ist an dieser Stelle nicht von Belang, ob Bm die in seiner Beziehung obwaltenden Verhältnisse angemessen wiedergibt. Auf jeden Fall ist es ihm wichtig, vor der Gruppe die eigene Position als die dominante darzustellen. Hegemoniale Männlichkeit ist zumindest das Leitbild, das gegen die Zweifel der anderen behauptet wird. Indem die anderen Bm gleichsam 'vorführen', zeigen auch sie, daß die hegemoniale Position des Mannes ihnen 235
wichtig ist. Der weitere Verlauf dieser Passage enthält einige Hinweise, daß die Beziehung von Bm und seiner Freundin partnerschaftlich-egalitär strukturiert ist und einem Aushandlungsmodell folgt. Im Gruppenkontext muß jedoch die Selbstverpflichtung auf das Modell der hegemonialen Männlichkeit dokumentiert werden. Die Gruppe treibt Bm immer mehr in die Ecke, zwingt ihn, Stück für Stück zuzugeben, daß er sich den Wünschen seiner Freundin fügt, doch er beharrt weiterhin darauf, das Heft in der Hand zu haben, und sei es auch nur virtuell: "Rein theoretisch könnte ich meinen Willen durchsetzen". Gleichsam im Sinne einer letzten 'Auffanglinie' betont er, daß, auch wenn seine Freundin sich durchsetze, sie damit keineswegs in der dominanten Position sei: "Ja aber das heißt noch lange nicht, daß sie die Peitsche in der Hand hat". Die Ambivalenz zwischen vermutlich egalitären Verhältnissen in der Partnerschaft einerseits und einer vehementen Verteidigung männlicher Hegemonie andererseits verweist ein weiteres Mal darauf, daß diese Männer keineswegs im Modus einer ungefährdeten habituellen Sicherheit leben. Wo die Suche nach habituellen Ausdrucksformen hinführen wird, ist nicht prognostizierbar.
7.4 "Immer noch so viel Verunsicherung". Institutionalisierte Dauerreflexion und die Suche nach Authentizität Die Sinnwelt der Männergruppen Dieses Kapitel befaßt sich mit den Deutungsmustern und Orientierungen derjenigen Männer, denen das eigene Geschlecht explizit zu einem Problem geworden ist und die versuchen, in Selbsthilfe Verunsicherungen zu bewältigen. Gegenstand der folgenden Ausführungen ist die Sinnwelt von "Männergruppen". Dieser Terminus bezeichnet nicht jede beliebige Form männlicher ZusammenscWüsse, sondern meint eine spezifische Organisationsform, wie sie in der Szene der sog. 'neuen' oder 'bewegten' Männer entwickelt worden ist. Männergruppen heißen sowoW im Sprachgebrauch ihrer Mitglieder als auch in der Medienöffentlichkeit so, nicht weil die Mitglieder im Paß unter der Rubrik Geschlecht ein ,,M" stehen haben, sondern weil das Mannsein den thematischen Fokus der Gruppenkommunikation bildet. Diese Männergruppen sind eingebunden in eine mehr oder minder vernetzte Szene von Männerzentren, Männerbüros, Männerworkshops, Männergesprächskreisen, Männerinformationsdiensten und Männerzeitschriften220 .
220 Männerzentren und Männerbüros existieren in den meisten deutschen Großstädten. Sie geben z.T. regionale lnfollnationsdienste heraus. Daneben gibt es eine bundesweit veltliebene, allmonatlich (auch online) erscheinende ,,zeitscluift für Mälmer und Jungenarbeit"
236
Etablierte Institutionen der Erwachsenenbildung (Volkshochschulen, Angestellten- und Arbeiterakademien), des Gesundheitswesens (Rotes Kreuz, Pro Familia) und die beiden großen Kirchen bieten in den letzten Jahren vermehrt Kurse und Gesprächskreise an, in denen Männer sich unter ihresgleichen über ihr Mannsein verständigen können und sollen. Selbst eine stark männerbündisch ausgerichtete Organisation wie die Gewerkschaft öffnet sich, wenn auch noch sehr zaghaft und widerstrebend, 'männerbewegten' Weiterbildungsinitiativen. Wie die Analyse der Männerverständigungsliteratur gezeigt hat, können Männergruppen auf einen reichhaltigen Fundus an symbolischen Ressourcen zurückgreifen. Angesichts des akademischen Hintergrundes der meisten Mitglieder sind hierzu auch die Arbeiten der men's studies zu rechnen, darüber hinaus die klassischen Texte von humanistischer Psychologie und Psychoanalyse. Ohne die Frauenbewegung gäbe es keine Männergruppen. Diese folgen jener nicht nur in zeitlicher Hinsicht, sie sind ganz und gar eine Reaktion auf den Feminismus und auf die von der Frauenbewegung angestoßenen Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter. Die vom feministischen Diskurs vorgegebenen Themen und Thesen bilden den Rahmen, in dem in Männergruppen die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtlichkeit stattfindet. In jüngster Zeit wird diese reaktive Haltung zunehmend um eher offensive Bemühungen ergänzt, der Männerbewegung 'originär maskuline' Orientierungen und Perspektiven zu verschaffen. Das zeigt sich sowohl in der Männerverständigungsliteratur (s. Kap. 6.3) als auch in den Diskussionen, die in den Männergruppen gefiihrt werden. Die folgende Darstellung folgt dieser Entwicklung, bei der die Deutungsmuster nicht nur zeitlich, sondern auch in einem inhaltlichen Bezug aufeinander folgen. Für einige Männer hat das Aufbegehren der Frauen und insbesondere ihrer Partnerinnen gegen männliche Dominanz die 'Zelle', in der die traditionell orientierten Männer sich bequem eingerichtet haben (s. Kap. 7.2), ungemütlich werden lassen. Sie wollen nicht mehr der eigene Gefängniswärter sein. Der Ausbruch hat freilich seine Kosten: Die Sicherheit, die eine 'schicksalsergebene' Haltung vermittelt, schwindet. "Das Ausziehen aus einem vertrauten 'Gehäuse', auch wenn es ein 'stahlhartes Gehäuse der Hörigkeit' ist, schafft Identitätsprobleme, die nicht so schnell zu 'heilen' sind" (Keupp 1994, S. 336). Diskussionen in Männergruppen offenbaren vor allem eins: eine fundamentale Verunsicherung darüber, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Ein Mitglied einer Gruppe junger Väter artikuliert das sehr deutlich, und es weist auch daraufhin, wo die Gründe zu suchen sind 221 : namens "Switchboard" und einen online veltretenen Infonnationsdienst "MaennelTat.de", der zwei- bis viennal pro Monat einen Newsletter per Email verschickt. 221 Die Mitglieder dieser GlUppe sind entweder gerade Vater geworden oder werden dies in Kürze. Sie sind zwischen 30 und 40 lalu'e alt und überwiegend nicht verheiratet.
237
Cm:
Was ne richtige Frau ist, kann ich sehr viel leichter beantworten als was en richtiger Mann is (3) und das hängt genau mit diesen scheiß letzten 30 Jahren zusammen ehm (2) ich seh fiir mich immer noch so viel (.) Verunsicherung (.)
LHm (lacht)
?m: Cm:
was die Beantwortung dieser Frage angeht
Die "scheiß letzten dreißig Jahre", das sind die durch den Feminismus in Gang gebrachten gesellschaftlichen Veränderungen. Der Mann erscheint als Verlierer, die Frau als Gewinnerin dieses Prozesses. Auf die damit verbundenen Enttäuschungen sowie auf Versuche, diese Enttäuschungen zu verarbeiten, werde ich weiter unten eingehen. Zunächst aber gilt es, die Form der Verunsicherung und die Bemühungen, zu neuen Sicherheiten zu gelangen, zu skizzieren. Reflexive Männlichkeit Die eigene GescWechtlichkeit ist in Männergruppen der explizite Grund des Zusammenkommens. Die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht ist Fundament und Fokus zugleich. Das unterscheidet Männergruppen von traditionell männerbündischen Zusammenschlüssen. Diese haben zwar ebenfalls die Geschlechtszugehörigkeit als Mitgliedschaftskriterium, wenn auch nicht immer explizit; Männlichkeit ist aber nicht der Gegenstand der Kommunikation (s. Kap. 7.2). Für Männergruppen ist hingegen eine selbstreflexive Sicht auf die eigene GescWechtlichkeit charakteristisch. Das dokumentiert sich in einer im Vergleich zu traditionellen Gruppen völlig anderen Reaktion auf das Ansinnen, darüber zu sprechen, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Die folgende Sequenz entstammt einer Diskussion in einem Männergesprächskreis 222 : YI:
Als Einstieg in die Diskussion vielleicht eh einfach mal eh was heißt es fiir euch oder was bedeutet es fiir euch en Mann zu sein
?m:
Hm
?m:
(lacht leise)
?m:
Hm(l)
Bm:
Haben wir uns das nicht schon mal gefragt (lacht)
Am:
Schwierige Frage
?m:
Ja (6)
222 Die Männer sind übelwiegend Akademiker und in einem der Ausbildung angemessenen Semf tätig, zwischen Mitte 30 und Mitte 40 alt; ein Teil ist verheiratet, der andere olme PaI1nel;n.
238
?m:
He
Dm:
(lacht) (.) stöhn (2) hmhm (6)
me:
(lachen)
Am: ?m: Dm:
LWas
bedeutet es für euch ein Mann zu sein
L(lacht)
L(lacht) (5)
Als ich heute da auf meinem Schreibtisch gewühlt habe da habe ich (.) einen Aufsatz durchgelesen einmal von Sigmund Freud über die Psyche des Gymnasiasten wo er sich so ehm sich so sieht als Gymnasiast selber diese Sozialisation eh von Männlichja von Männlichkeit ...
Auf den ersten Blick scheinen diese Männer die Frage nicht viel anders aufzunehmen als die sonstigen Gruppen. Daß es eine schwierig zu beantwortende Frage ist, wird in männerbündischen Gruppen ebenfalls betont. Damit enden aber bereits die Gemeinsamkeiten. Die Frage ist zwar schwierig zu beantworten, sie ist aber keineswegs "saudumm". Der Grund für die Schwierigkeiten ist also nicht, daß die Frage außerhalb des Relevanzsystems der Gruppe liegt und deshalb als sinnlos empfunden wird. Es handelt sich vielmehr um eine Frage, welche die Gruppe unabhängig von der Forschungssituation beschäftigt. Dies jedoch erleichtert es keineswegs, eine Antwort zu finden. Die Frage verweist auf ein Problem, für das diese Männer bislang keine befriedigende Lösung gefunden haben. Der geradezu existentielle Charakter des Problems macht sie zunächst 'sprachlos'. Die Lösung des Problems verlangt eine Auseinandersetzung mit der eigenen Person, vor allem mit der eigenen Sozialisationsgeschichte. Dm artikuliert in seinem Beitrag, der sich zu einem längeren Monolog entwickelt, bereits zu Beginn, wie das geschehen kann: als psychoanalytisch gerahmte biographische Reflexion. Die Beschäftigung mit der eigenen Person ist ein lang andauernder Prozeß, wie ein Mitglied einer anderen, bereits seit zehn Jahren existierenden Männergruppe verdeutlicht223 : "Ich habe ja ein bißchen gegrübelt eben, was bedeutet es für mich Mann zu sein. Ich will mal so sagen, ich habe eigentlich relativ spät damit angefangen, mir darüber überhaupt Gedanken zu machen, muß ich sagen, ... oder ich hab es verdrängt. Ich weiß nicht, jedenfalls bewußt Gedanken gemacht über mein Mannsein, habe ich mir vielleicht so seit fünfzehn Jahren."
Die eigene Geschlechtlichkeit zu thematisieren ist offensichtlich nicht einfach. Sperren müssen überwunden, Verdrängungen aufgearbeitet werden. Das wird gleichsam als Entschuldigung dafür angeführt, daß der Reflexi223 Das Alter der Mitglieder liegt zwischen Anfang und Ende vierzig. Bis auf einen sind sie verheiratet, alle haben Kinder. Alle haben eine akademische Ausbildung und bis auf einen einen der Ausbildung angemessenen BelUf.
239
onsprozeß, so die Selbsteinschätzung dieses Mannes, später eingesetzt hat, als es seiner Ansicht nach nötig gewesen wäre: im Alter von 30 Jahren etwa. Auch wenn in den traditionell orientierten Gruppen vor und außerhalb der Gruppendiskussion eine Reflexion über die Bedeutung des Mannseins nicht stattgefunden hat, haben diese Gruppen kein Problem zu artikulieren, was für sie zum gesicherten Wissensbestand gehört: daß der Mann der Ernährer der Familie ist, daß er die Verantwortung trägt. Solche Sicherheiten sind den Mitgliedern von Männergruppen abhanden gekommen, sofern sie überhaupt jemals gegeben waren. Tendenziell - für den einen mehr, für den anderen weniger224 - ist der gesamte Bestand des an die Geschlechtszugehörigkeit gebundenen fraglos Gegebenen von Auflösung bedroht. Die eigene Geschlechtlichkeit ist zu einer Quelle existentieller Unsicherheit geworden. Die Gruppendiskussionen handeln über weite Strecken von den Schwierigkeiten männlicher Selbstidentifikation, eine Erfahrung, welche die Mitglieder als eine kollektiv geteilte thematisieren. Ein Mitglied des Männergesprächskreises verweist auf diese Schwierigkeiten, um zu begründen, weshalb es ihm schwer fallt, die Frage nach der Bedeutung des Mannseins zu beantworten: Am:
Dm: Am:
Also ich kann die Frage auch gar nicht so richtig beantworten muß ich sagen (.) weil ich ja einfach eigentlich ja auch auf der Suche nach diesen nach dieser Frage so ich kann ich hab auch dafür noch LHm kein (.) kein Rezept eigentlich gefunden das zu beantworten weil ich ja auch selber so an son son son Defizit so habe an männlicher Identifikation so das ist eigentlich auch das was ich auch hier so in der Gruppe auch pennanent erlebe
Dieser Mann weiß keine Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des Mannseins, weil er nicht nur im Kontext der Männergruppe, sondern auch außerhalb nach dem sucht, was in der Frage angesprochen ist. Ihm ist nicht nur die allgemeine kulturelle Definition von Männlichkeit unklar, ihm mangelt es zudem an persönlicher Identifikation. Das erscheint ihm freilich ein Problem zu sein, das nicht nur ihn, sondern alle in der Gruppe betrifft. Daß die geschlechtliche Identifikation zum expliziten Problem und zum Fokus der Gruppenkommunikation wird, verweist auf ein Fehlen habitueller Sicherheit. Von Unsicherheit geprägt ist das Handeln sowohl in hetero- als auch in homosozialer Interaktion. Bei all den Problemen, welche die im vorigen Kapitel vorgestellten jüngeren Männer im Umgang mit Frauen haben, die gleichgeschlechtliche Männerwelt ist für sie ein Ort der Sicherheit. Diese Stütze männlicher Selbstidentifikation feWt den Mitgliedern von Männer224 Die VelUnsichenmg greift unterschiedlich weit. In keiner der im Sampie veltretenen MännerglUppen ist die Position des Mamles in Paltnerschaft und Familie etwas, das den Männern habituelle Sicherheit vennittelt. Die berufliche Position hingegen vennag dies bei einigen durchaus zu leisten.
240
gruppen, und das nicht erst, seit sie in einer solchen Gruppe sind. Der Bericht, den ein Mann aus dem Gesprächskreis über seine Zeit bei der Bundeswehr gibt, verdeutlicht das. In einer Zeit, in der es in den Kreisen, in denen er verkehrte, verpönt war, Soldat zu werden - es war die Zeit der Studentenbewegung -, hat er sich freiwillig für zwei Jahre verpflichtet. Er erzählt, es sei während dieser Zeit sein "größter Wunsch" gewesen, in die Männerwelt des Unteroffizierkorps aufgenommen zu werden. Allerdings sei er von diesen Männem niemals akzeptiert worden; sie hätten ihn nicht als ihresgleichen wahrgenommen: Cm:
Die ham son Instinkt dafür gehabt, daß ich Muttersöhnchen war hab ich den Eindruck gehabt, die Kumpels, die dann da so ausm Ruhrpott kronen in in in R-Stadt in der Kaserne, das war sowas, die, so als wenn ich son Stallgeruch
?m: Cm:
LHmhm gehabt hätte, und den hab ich immer gehabt ne, wie son son Stallgeruch, daß ich nich nich richtig äh ne Mann bin, so ne, und da hab ich wahnsinnig lange dran (.) is aber eigentlich immer noch so, wenn ich so jetzt grade erzähle, ich hab noch nie drüber nachgedacht, immer noch dran zu knacken, immer wieder
Die letzte Bemerkung verweist darauf, daß die Episode aus der Bundeswehrzeit typisch ist für seine Schwierigkeiten, Zugang zu einer homosozialen Männergemeinschaft zu bekommen. Zwar distanziert er sich von der männerbündischen Welt des Militärs, sagt aber zugleich, sie übe eine gewisse Faszination auf ihn aus. 'Ideologisch' unbelastet im Vergleich zur Bundeswehr ist seine aktuelle Mitgliedschaft in einer Fußballmannschaft. Aber auch hier erlebt er ähnliche Reaktionen wie in seiner Soldatenzeit. Wenn er beispielsweise nach dem Spiel nicht "mitsaufe", sondern nach Hause gehe, reagierten die anderen etwa mit der Bemerkung, ob seine Frau auf ihn warte. Er erlebt das als Abwertung seiner Männlichkeit: Cm:
Des äh aber das is eben halt immer son Geruch, der mir so immer uhh so den Rücken so runtergeht, wo ich denk oah Mann ne, immer, dann ham se dich schon, dann biste wieder der der Schlapp der Schlappheini der der von
?m: Cm: ?m:
L (Wer isn da nich so) seiner der ne, der äh den die Frau wieder (.) äh in der Knute hat
LJa
Die Mitgliedschaft in traditionellen homosozialen Männergemeinschaften ist diesem Mann keine Stütze der Selbstidentifikation, sie wirkt vielmehr problemverschärfend. Die Geschlechtsgenossen behandeln ihn, so wie er es wahrnimmt, als Außenseiter. Und das löst bei ihm eine Selbststigmatisierung aus ("biste wieder der Schlappheini") und veranlaßt ihn, an seiner Männlichkeit 241
zu zweifeln. "Du bist doch kein richtiger Mann", sage er sich in solchen Situationen. Beziehungen zu Frauen sind in einer anderen Hinsicht eine Quelle von Unsicherheit. Ursache ist hier zumeist eine Diskrepanz zwischen eigenen Bedürfnissen und den vermuteten Erwartungen der Frauen. Der Bericht eines anderen Mitglieds des Gesprächskreises über ein Entscheidungsdilemma verdeutlicht, wie das Zusammenspiel von Wünschen, Erwartungserwartungen und verinnerlichter, aber als einengend erlebter Moral eine Konstellation erzeugt, in der jegliche Gewißheit verlorengeht, an welchen Kriterien die eigene Entscheidung sich festmachen soll: Dm:
Vor kurzem war mal son Angebot von som alten Freund der sagt Mensch laß uns nach Thailand fliegen (.) dann ähm (.) der hätte mich also überreden können aber (.) der hatte dann (.) und irgendwie dacht ich (.) was denkt meine Freundin dann ne so schon leicht so (.) äh äh kipp ich dann um
Am: Bm:
Bumsbomber oder Bangkokmäßig oder (lacht)
LJa ja so die so Sextourismus oder was L(lachen)
Dm: me: Dm: Bm: Dm:
L( ) LIn diesem
da alles so in in vorkommt und so
LJa
und muß ich jetzt standhalten oder äh is das jetzt nur sone ne Fassade die ich aufrechterhalten will (.) äh um besser (.) jetzt in der Gesellschaft durchzukommen und würd ich sonst eigentlich g- ganz anders wenn ich (.) äh wirklich dürfte (lacht) (.) un (.) also das is schon n Stück (.) also auch
Das Angebot eines Freundes, gemeinsam einen Urlaub zu verbringen, hat eine hohe Wertigkeit. Das zeigt die Passage, der diese Sequenz entnommen ist. Nicht nur dieser Mann, alle in der Gruppe sehnen sich danach, im Kreis von Freunden einen Urlaub zu verbringen. Dadurch, daß das prospektive Ziel der Reise ein Land ist, das von Sextouristen aufgesucht wird, erfahren die Annahmen über die Erwartungen der Freundin eine moralische Konnotation. In Gestalt der vermuteten Erwartungen der Freundin sieht er sich mit generalisierten Ansprüchen konfrontiert, die ihn nicht nur als individuellen Partner, sondern sowoW als Mitglied einer GescWechtskategorie wie auch als jemanden betreffen, der sich von traditionell orientierten Männern unterscheiden will 225 . Das Entscheidungsdilemma, das er beschreibt - sich mit seinen Bedürfnissen durchsetzen; sich, den nicht genau gewußten Erwartungen anpas225 Letzteres läßt sich nicht nur aus der Mitgliedschaft in einer Mälmergruppe pauschal schließen, dieser MaIU1 erhebt in einer anderen Passage der Diskussion explizit diesen Anspruch.
242
send, verstellen ("ne Fassade aufrechterhalten"); einem moralischen Druck ausgesetzt sein ("wenn ich wirklich dürfte") - ist Dokument einer habituellen Unsicherheit: Die Entscheidung, die, wie implizit deutlich wird, gegen die Reise ausfällt, ist auf der Folie der Geschlechtszugehörigkeit zu treffen. Diese ist das entscheidende Kriterium und nicht Z.B. die Frage, ob seine Freundin ihn während der Zeit der Reise vermißt. In den Diskussionen geben die Männer aus den Männergruppen immer wieder Beispiele fiir Situationen, in denen sie ihr Handeln an den angenommenen Erwartungen der Frauen orientiert haben. Die Schilderungen zeigen, daß auf diese Weise keine Sicherheit zu gewinnen ist. Die Mitglieder einer weiteren Männergruppe, deren Alter zwischen Ende zwanzig und Mitte dreißig liegt 226 , berichten davon, daß sie - mit der Frauenbewegung aufgewachsen - versucht hätten, eine "bessere emanzipierte Frau" zu sein. Den Erwartungen der Frauen seien sie damit aber anscheinend nicht gerecht geworden: Em:
Komischerweise (.) äh mußt ich aber auch feststellen daß das anders aufer andem Seite für Frauen nich attraktiv is son Mann
Dm:
Hmhm
Ern:
absolut nich (.) da bin ich also richtig mit auf die Schnauze gefallen (.) (lacht)
Bm: da bist du nich alleine mit me:
L(lacht)
(lachen)
Diese Männer haben fiir sich entschieden, zukünftig die Strategie einer Anpassung an Erwartungen, über die sie keine sichere Kenntnis haben, nicht mehr zu verfolgen. Was an deren Stelle treten soll, ist ihnen freilich noch unklar. Bevor ich mich der Frage zuwende, in welche Richtung ein Ausweg aus der habituellen Verunsicherung gesucht wird, soll zunächst dargestellt werden, in welcher Form in den Männergruppen die Probleme männlicher Identifikation bearbeitet werden. Während bei den in der Tradition verwurzelten Männem die eigene Geschlechtlichkeit Teil des fraglos Gegebenen ist, wird sie in den Männergruppen zum Gegenstand einer - in Gestalt der Gruppe institutionalisierten Dauerreflexion227 • Das verschärft aber - zumindest zunächst - das Problem. 226 Bis auf einen haben sie einen akademischen Abschluß. Sie sind übelwiegend in pädagogischen BelUfen tätig. Alle sind ledig, zwei haben ein Kind. 227 Der Begriff der "institutionalisierten Dauenetlexion" ist von Schelsky (1965; zuerst 1957) vor ca. 50 Jahren in einer religionssoziologischen Arbeit geprägt worden, um Entwicklungen religiöser Kommunikation in der Modeme zu analysieren: von einer "unreflektielten AnerkelU1Ung kultureller Selbstverständlichkeiten" (S. 256) in der vOlindustriellen Gesellschaft zur "GesprächspaJtnerschaft" (S. 286). Doch ist dieses Phänomen nicht auf den kirchlichen Bereich begrenzt. Schelsky selbst bemerkt, die "InstitutionalisielUng der Dauerreflexion" sei "eine GlUndlage der modemen Sozialstmktur schlechthin" (S. 263).
243
Als Folge läßt sich Männlichkeit nicht (mehr) einfach habituell enaktieren, sondern muß qua Diskurs reflexiv erworben werden. Männlichkeit wird nicht im Routinehandeln (mit-)hergestellt, sie wird zur Aufgabe explizit konstruktiven Bemühens. Durchgängiges Mittel ist eine retrospektiv gewendete biographische Selbstvergewisserung. In einer reflexiven Durchdringung der eigenen Sozialisationsgeschichte wird der Schlüssel zur Bewältigung der Identifikationsprobleme gesucht. Die Diskussionen enthalten eine Reihe von biographischen Kurzerzählungen, vor allem aber eine Fülle an lebensgeschichtlicher Theorieproduktion. Thematischer Fokus ist die Vater-Sohn-Beziehung, genauer: das Fehlen des Vaters als Identifikationsfigur. Die Psychoanalyse bzw. generell psychologische Deutungsmuster sind ein wichtiges Interpretationsschema228 . Die biographischen Berichte handeln von starken Frauenfiguren (Mütter, Tanten, Schwestern) und schwachen oder sich entziehenden Vätern. Einem Mitglied des Gesprächskreises wurde "von zu Hause mitgegeben": "Werde nicht so wie dein Vater". Als Folge habe er niemals ein Bild von seinem Vater gehabt, "und deswegen ist keine Identifikation da". Ein anderer führt seine Fähigkeit, sich besser mit Frauen als mit Männern identifizieren zu können, darauf zurück, daß er "unter Frauen groß geworden" ist. Schwestern, Tante, Großmutter, "das waren eigentlich meine Erzieher, mein Vater, der ging seinen männlichen Tugenden nach, würde ich sagen, hat mich aber so außen vor gelassen". Ein Mann aus der Gruppe der jungen Väter berichtet von den Kämpfen, die er mit seinem Vater ausgetragen hat, von einer lange andauernden Verweigerung gegenüber dem Vater und daß er erst nach dessen Tod begriffen habe, "daß ich teilweise genau die gleichen Strukturen gelebt habe oder leben konnte, wie er sie gelebt hat, solange er noch lebte, und das war ziemlich heftig". Ambivalenzen und Sehnsüchte
Die biographische Retrospektive ist Teil des Bemühens, reflexiv die Probleme zu bewältigen, die diese Männer mit ihrem Geschlechtsstatus haben 229 • 228 Der Rückgriff auf psychologische TheOIien ist freilich keine Besonderheit von Mälmergmppen, sondem im Selbsthilfesektor weit verbreitet. Insofern lassen sich Männergmppen als eine weitere Ausprägung einer "versozialwissenschaftlichen Identitätsfonnation" (Oevennann 1985) begreifen. 229 Auf den Inhalt der biographischen Belichte gehe ich nicht näher ein. Von Interesse sind sie hinsichtlich der Funktion, die sie innerhalb des Kontextes der Gmppenaktivitäten haben. Zudem eignen sie sich aus methodischen Gliinden nicht für eine biographietheoretische Rekonstmktion, die etwa nach der lebensgeschichtlichen Konstitution der Identifikationsprobleme fragen würde. Der Erzählmodus wird nicht nur ständig von verallgemeinernden Sentenzen überlagelt, er ist voll und ganz von einer autobiographischen TheOIieproduktion
244
Dabei verfolgen sie das Ziel, Mannsein jenseits der überlieferten Traditionen und Klischees neu zu definieren. Hierbei werden sie allerdings gleichsam von der Dialektik von Determination und Emergenz eingeholt. Sie sind einem schwerwiegenden Dilemma konfrontiert. Um sich selber als Mann definieren zu können, können sie es nicht vermeiden, sich auf die gegebene kulturelle Ordnung und deren symbolische Ressourcen zu beziehen. Andererseits leiden sie genau an den Erwartungen und Normen, die ihnen von dieser Ordnung vorgegeben sind. Ein Mitglied des Gesprächskreises präsentiert sich die gesamte Diskussion hindurch als ein sehr 'weicher' Mann, beladen mit einer Fülle von Versagensängsten und Problemen der Selbstidentifikation. Er betont, daß er sich unter Männern nicht wohlfühle und daß er zu Frauen ein besseres Verhältnis habe. Die symbolische Sinnwelt von Frauen scheint ihm zugänglicher zu sein als die von Männern. "Im Extremfall", sagt er, "stelle ich fest, ich könnte im Prinzip auch eine Frau sein". Diese 'GrellZÜberschreitung' wird nicht positiv als Ausdehnung von Handlungsspielräumen erfahren, sondern erzeugt starke Ängste. Die Geschichten, die er erzählt, berichten durchweg von Mißerfolgen - mit einer Ausnahme. Im Zuge einer Diskussion über Sexualität bemerkt er, nachdem er über seine Angst gesprochen hat, "überhaupt als Mann akzeptiert zu werden": "Und ich denke mal, wenn es dann wirklich dazu kommt, also mit der Frau zum Beispiel ins Bett zu gehen oder so, dann ist der Druck auf einmal weg irgendwie, dann fiihle ich mich irgendwo auch, dann fiihle ich mich schon so irgendwo als Mann und auch schon überlegen oft."
Obwohl sich diesem Mann die tradierte symbolische Ordnung der Männlichkeit als Ursache enormer Konflikte und vielfältigen Leidens darstellt, sieht er den einzigen Weg, männliche Identität zu behaupten, darin, auf den Kern der traditionellen Geschlechterordnung zurückzugreifen: auf die Überlegenheit des Mannes über die Frau. Daß diese im sexuellen Handeln virulent wird, verweist auf die Bedeutung der heterosexuellen Matrix für die Konstitution hegemonialer Männlichkeit230 . Die Identifikationsschwierigkeiten dieses Mannes sind außergewöhnlich groß. Darin ist er nicht typisch; wohl aber ist die in seinem Fall zum Ausdruck kommende Ambivalenz, das Schwanken zwischen Ablehnung tradierter Stereotype von Männlichkeit und Fasziniertsein von diesen, typisch für diese Männer. Die Reflexionskultur der Männergruppenszene trägt dazu bei, daß die alten Selbstverständlichkeiten obsolet werden. Resultat ist ein dopgerahmt. Interessant ist hinsichtlich der Perspektive auf Deutungsmuster von Mälmlichkeit, daß und wie die eigene Situation im Modus der Biographie wahrgenonunen und bescluieben wird (s.u.). 230 Methodisch gewendet: Es zeigt sich, daß sich an der Alt, wie die Männer mit den BlUchstellen ihrer Identität umgehen, einiges über die Funktionsplinzipien der 'alten Ordnung' ablesen läßt.
245
peltes Leiden: an den alten Männlichkeitsmustem, mit denen die Männer trotz aller reflexiven Distanz immer noch konfrontiert sind - in Gestalt von Erwartungen signifikanter Anderer und in Gestalt internalisierter Dispositionen -, aber auch am Verlust der habituellen Sicherheit, die ein Leben nach den alten Mustern mit sich bringt. Ein distanzierter Umgang mit den Erwartungen gelingt nicht, ein als-ob-Handeln ist weder gegenüber den traditionellen Mustern noch hinsichtlich der in der Szene gültigen Standards möglich. Das fuhrt zu einer gewissen Zerrissenheit. In der folgenden, der Diskussion mit dem Gesprächskreis entnommenen Sequenz wird die Ambivalenz exemplarisch deutlich. Cm:
Bei bei mir is das immer so mit eh Mannsein oder Männlichkeit ist eigentlich das was ich nicht bin (I) ehm so Konfrontation Klarheit eh Abgrenzung (.) ohne Konflikte nach draußen gehen (.) ... das ist das die Sehnsucht danach das zu da das was ich nicht bin was eh was Dm vorhin sagte so mit den mit diesen diesen eh Machos und diesen diesen Rambo und diesen ganzen das trifft mich überhaupt nich ne da hab ich da denk ich das geht so an mir
Dm:
LHm
Cm:
vorbei da hab ich überhaupt nichts mit zu tun das ne wenn die reden über
Bm: Cm:
Dm: Cm:
L Mhmh jemand der ich gar nicht bin die reden über Männer die ich gar nicht bin die die reden in der Zeitung über Männer die die es überhaupt nicht gibt oder die ich nicht kenne ne (.) eh und das das is irgendwas was eh und und das ist L Hm hm sowas wo wo ich denke das möcht ich lernen (.) quasi das Negative so ungefahr in Anführungsstrichen also das ne diese Konfrontation oder dieses
~:
Cm:
L~
Machomäßige zu können oder so was das möcht ich lernen (.)
In eindrucksvoller Weise werden die Identitätsprobleme und die Dilemmata angesprochen, denen Versuche zur Bewältigung von Unsicherheit und Ambivalenz konfrontiert sind. Weil dieser Mann die mit dem Status des Mannseins gewöhnlich gegebenen, Selbstbewußtsein und Selbstsicherheit vermittelnden Eigenschaften ("ohne Konflikte nach draußen gehen") nicht besitzt, ist ihm, wie er meint, eine positive Bestimmung seiner Männlichkeit nicht möglich. Das Defizit an männlicher Identifikation läßt eine Sehnsucht nach Sicherheit entstehen, die Ausdrucksformen von Hypermaskulinität (Rambo, Macho) attraktiv werden läßt. Das erklärt den Sprung in der Argumentation: zunächst eine klar artikulierte Opposition gegen und Abgrenzung von Hypermaskulinität, die ihm ohnehin nur als von den Medien verbreitetes Stereotyp zu existieren scheint, dann der Wunsch, teilzuhaben an einer sol246
chen Männlichkeit. Am Abgelehnten werden positive Aspekte entdeckt, "das Negative" verliert durch das Hinzufügen von "Anführungsstrichen" an Verwerflichkeit. Konfrontiert mit den eigenen Sehnsüchten, werden die in der Szene der Männergruppen (rhetorisch) gültigen Wertestandards durcheinandergewirbelt. Die Intention dieses Mannes ist es nun nicht, ein Macho zu werden, "das Negative" gleichsam zu verkörpern. Was er sich anzueignen anstrebt, ist das, was das Bild des Macho symbolisiert, das "Machomäßige": Sicherheit, offensives Auftreten, Durchsetzungsvermögen usw. Es ist die habituelle Sicherheit, welche die abgelehnten Formen von Männlichkeit attraktiv werden läßt. Die Männergruppenszene hat es nicht geschafft, ihren Mitgliedern eine funktionale Alternative bereitzustellen. Die institutionalisierte Dauerreflexion vermag dies nicht zu leisten. Die Ambivalenz ist in allen Männergruppen zu beobachten. Ein Mitglied einer anderen Gruppe berichtet von seiner Zeit als Lehrling. Auf der Arbeitsstelle "ging es sehr heftig ab", über Frauen sei "in herbester Weise" geredet worden. Er habe das einerseits mit Spannung verfolgt, andererseits "sehr ekelig" gefunden. Obwohl er nunmehr in Kreisen verkehre, in denen ein solches Verhalten verpönt sei, und obwohl er sich den neuen Gepflogenheiten entsprechend benehme, bereite es ihm immer noch Vergnügen, in Gegenwart von Freunden, denen er vertraut, sexistische Sprüche "abzulassen". Es gibt eine starke Sehnsucht, zumindest zeitweise reflexionsfrei 'einfach Mann zu sein'. Das dokumentiert sich in Berichten darüber, wie angenehm Urlaube mit einem oder mehreren Freunden seien, auf jeden Fall ohne Frauen. Man habe es z.B. "unheimlich genossen", einfach am Hafen zu sitzen, auf die Schiffe zu schauen und "nichts sagen zu müssen". Diese Berichte betonen vor allem das harmonische Einverständnis, das 'einfach', 'von selbst', ohne daß es einer Anstrengung bedürfte, da sei. Der zeitweilige Rückzug in eine Männerwelt der Fraglosigkeit bzw. der Wunsch danach wird in der Weise als Urlaub begriffen, wie man gewöhnlich vom Urlaub spricht: als Zeit der Regeneration der Kräfte und Energien, die man benötigt, um die 'Belastungen des Alltags' durchzustehen. Diese Sehnsucht nach dem Gegenteil einer reflexiven Durchdringung der eigenen Lebenslage entwertet jene allerdings nicht. Worauf sich das Sehnen richtet, ist vielmehr die Verbindung von Selbstreflexivität und habitueller Sicherheit; man will über die eigene Männlichkeit nachdenken und zugleich Männlichkeit überzeugend verkörpern können. Freilich, so weit ist man noch nicht, aber man kennt Männer, die sowohl den empirischen Beweis liefern, daß so etwas machbar ist, als auch als lebende Vorbilder den Weg weisen. Nicht zufällig ist es in der Erzählung eines Mannes aus dem Gesprächskreis ein Therapeut, dem diese Funktion zukommt. Die folgende Sequenz steht in einem Kontext, in dem die Gruppe über die bereits erwähnten Identifikationsprobleme spricht. 247
Am:
Dm: Bm: Dm:
Am:
Ich bin als Mann einfach nie bestätigt worden
LSo wie du das gesagt hast so so wie du so gesagt hast eigentlich wie ich hier sitze bin ich doch Mann genug so und ich habe
LJa find
ich ( )
auch ganz lange oder irgendwie (.) ja denk ich nicht mehr so stark aber doch intensiv auch durch Therapie (.) ehm bin ich gegangen oder so in Gruppen und hab dann auch so ne Situation gehabt (.) wo mir das dann richtig da von dem (.) Therapeuten der also en Mannsbild auch darstellt so in (dieser) ( ) der kommt da an wie son Ski lehrer oder sowas pffBart und sowas ne son denk mir Mann ne ganz klar ne so wär
LHab ich Iauch gehabt
LHm
l Ja die gleiche Situation
Bm: Dm:
em:
doch (.) und eh (.) ich fands irgendwie immer noch finds immer noch angenehm daß ich wenigstens diese geringe Bestätigung so gekriegt habe (.) als ich so über meine gebrochenes Verhältnis zu mir selber als Mann oder diesen Mangel an Männlichkeit oder was so gesprochen hab (.) da da sitzt ne ganze Menge Mann das ist einfach so und daß ich diesen Spiegel so LHm
Dm:
gebraucht hab ne daß dajem- ein Mann da ist und sagt (.) bist doch en Mann ist doch gut (.) soja (I) (lacht) (I) eben (.) ne (.) eine Art von Mann (1) gibt so viele (.) um zu aus verschiedenen Hölzern geschnitzt (.) und die sind ja auch so verschieden (I)
Am:
Ja aber alle verschieden (lacht)
Dm:
LDas erstmal so langsam mitzukriegen das hat das hat für mich sehr lange gedauert eigentlich so bis heute also (.) ja 45 Jahre
In der Figur des Therapeuten, der als Spiegel notwendig war, um sich der eigenen Männlichkeit zu vergewissern, und in dem assoziierten Bild des bärtigen Skilehrers kommt zum Ausdruck, worauf sich das Sehnen richtet. Der Therapeut, Angehöriger einer auf reflexive Durchdringung gerichteten Profession, zudem ein Mann, der sich mit Identitätsproblemen von Männern befaßt, ist bei aller Reflexivität jemand, der männliche Selbstgewißheit unzweifelhaft verkörpert (',Mann ne ganz klar"). Der 'Therapeut-Skilehrer' verhilft zu der Erkenntnis, daß eine Sensibilität rur Probleme des Mannseins und ein selbstsicheres, mit den traditionellen körperlichen Attributen von Männlichkeit verbundenes Auftreten einander nicht ausschließen. Das Bild des Skilehrers steht rur körperliche Aktion und symbolisiert das Verlangen, als Mann auch anders als reflexiv zu leben und zu handeln. Mit der Erkenntnis, daß ein über sich nachdenkender Mann problemlos ein Mann sein kann, daß Reflexivität nicht notwendig den Verlust von Identität impliziert, verbindet sich ein 248
Anspruch auf Pluralität, die Verabschiedung eines Einheitsmodells Mann. Daß man, um dies zu begreifen, eine intensive Therapie benötigt und daß der Erkenntnisprozeß sich über das gesamte bisherige Leben hinzieht und wenn überhaupt, dann gerade eben erst abgescWossen ist, verweist darauf, daß sich auf diese Erkenntnis (noch) keine habituelle Sicherheit gründet. Die institutionalisierte Dauerreflexion, in die sich traditionell verbürgte Gewißheiten aufgelöst haben, zeichnet sich durch zwei Merkmale aus: durch einen Rekurs auf im weiten Sinne sozialwissenschaftliche Deutungsmuster und durch ein Betroffenheitspostulat. Das läßt sich auf die Formel bringen: Intellektualität plus Betroffenheit. Der Diskurs der Männergruppen ist in einem hohen Maße versozialwissenschaftlicht. Dies wird zunächst dadurch begünstigt, daß die meisten Mitglieder geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer studiert haben. AusscWaggebend dürfte aber sein, daß die Kommunikation in den Männergruppen in einen öffentlichen Diskurs eingebunden ist, der ohne sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze nicht existierte. Das ist vor allem der feministische Diskurs. Dessen Begrifflichkeiten und Theorien sind Teil des Rahmens, in dem die Männer das Geschlechterverhältnis und ihre Stellung darin wahrnehmen und beschreiben. Die biographische Reflexion der eigenen Sozialisation ist in einer Gruppe beispielsweise deutlich von der Sozialisationstheorie Chodorows geprägt231 . Häufiger als ein Rekurs auf komplexe Theorien ist die Verwendung von Begriffen wie ,,Reproduktionsarbeit", "Patriarchat" u.ä. Das Betroffenheitspostulat dient gewissermaßen der Korrektur der Theorielastigkeit. Wiewohl ständig theoretisiert wird, wird immer auch eingefordert, über die eigene Person zu sprechen, genauer: zu explizieren, in welcher Weise man mit seiner eigenen Biographie in die Zusammenhänge involviert ist, die in den theoretischen Erläuterungen als rur das Mannsein bedeutsam herausgestrichen werden. Abstraktion und Konkretisierung sollen in einem geleistet werden. Einen längeren, theoretisierenden Monolog eines Mitglieds des Gesprächskreises, der vor allem auf psychoanalytische Erklärungen verweist, kommentieren die anderen mit Bemerkungen wie "Aber sind wir das denn?", "Wer ist denn überhaupt die dritte Person nun eigentlich?" und - sehr deutlich - "Eigentlich war ja die Frage an dich gerichtet, aber du hast die Frage im Prinzip gar nicht beantwortet". Biographie wird zum fundamentalen Deutungsmuster, mit dessen Hilfe das 'Rätsel Mann' entschlüsselt werden soll. Damit sind die Männergruppen gewissermaßen 'auf der Höhe der Modeme'232. Das nutzt ihnen freilich we231 Viele Männergruppen kOlrunen nicht zu 'zwangloser' Konununikation zusammen, sondem bereiten die Treffen durch Lektüre von Texten vor, über die dalm diskutielt wird. Es gibt allerdings auch Gruppen, die sich von solch einer 'Belesenheitskultur' explizit distanzieren. 232 Zur Frage, in welcher Hinsicht 'Biographie' als ein "modemes Deutungsmustel"' gelten karlll vgl. Alheit/Dausien 1992.
249
nig. Aus den Schwierigkeiten einer reflexiven Therapeutisierung von Männlichkeit weist auch die Besinnung auf die Biographie keinen Ausweg. Die Grenzen von Selbstreflexivität und damit des Mediums Kommunikation zeigen sich da, wo sich Identitäten und Inszenierungspraktiken an etwas knüpfen, das dem common sense zufolge nicht kommunikativ verhandelbar ist. Solange GescWecht Schicksal ist, dürfen GescWechtsdarstellungen bei Strafe der Aberkennung des Status eines vollwertigen Gesellschaftsmitglieds nicht als Leistung erkennbar sein (vgl. Hirschauer 1993, S. 38ff.). In diesem strukturellen Dilemma sind die Bemühungen von Männergruppen gefangen, sich als Mann reflexiv neu zu erfinden und zu inszenieren. Angesichts des zentralen Stellenwerts, der dem Geschlecht als einem major status für die soziale Selbstverortung des Individuums zukommt, und angesichts der Unvermeidbarkeit von doing gender in sozialer Interaktion ist es schwer vorstellbar, daß jemand über längere Zeit hinweg in der Lage ist, die eigene Geschlechtlichkeit als Fokus habitueller Unsicherheit zu erfahren, gleichsam 'heimatlos' im eigenen Geschlecht zu leben. Im folgenden sollen Bemühungen, einen Ausweg aus dieser Lage zu finden, dargestellt werden, wie sie innerhalb der Männergruppenszene entwickelt werden. Zunächst wird es um Versuche gehen, die im Rahmen der geschilderten Reflexionskultur verbleiben, sodann um aktuelle Trends einer aktions- und körperorientierten Aneignung von Männlichkeit. Abgrenzungen vom Feminismus Nicht nur in der Männerverständigungsliteratur, auch in der Szene der Männergruppen lassen sich in jüngster Zeit vermehrt kritische Auseinandersetzungen mit feministischen Thesen und das Bemühen, eine vom Feminismus unabhängige Symbolwelt zu etablieren, beobachten. Männergruppen sind nicht allein in zeitlicher Hinsicht eine Folgeerscheinung der Frauenbewegung; die Verunsicherungen, von denen die Gruppendiskussionen zeugen, sind nicht nur sozialisatorisch bedingt, sondern zu einem nicht geringen Teil 'feministisch induziert'. Der oben zitierte Verweis auf die "scheiß letzten dreißig Jahre" benennt diesen Zusammenhang in recht pauschaler Weise. Ein genauerer Blick auf eine - bereits erwähnte - Männergruppe, deren Mitglieder zwischen Ende zwanzig und Mitte dreißig Jahre alt sind (s. Fn. 226), vermag einerseits diesen Konstitutionszusammenhang näher zu erhellen, zum anderen macht er sichtbar, daß der neue Trend auch eine Reaktion auf Erwartungsenttäuschungen ist. Die Mitglieder dieser Gruppe berichten, daß sie in einer für die Ausbildung biographischer Orientierungen entscheidenden Phase, in Adoleszenz und Postadoleszenz, in hohem Maße von der Frauenbewegung beeinflußt gewesen seien: 250
Am:
Mir fiel das grade a- auf weil du gesagt hast viel von Frauenbewegung ne und das war auch meine Phase wo ich überhaupt erst angefangen hab über die männliche Iden- Identität nachzudenken (.) indem ich nämlich nich so sein wollte wie die andem Männer (I) einfach weil damals bin ich auch in diese Diskussion reingeraten wo es dann immer hieß Männer wollen nur das eine und Männer sind brutal und Männer können nicht weinen (.) und diese ganze
Dm:
Hmhm
Am:
Ende der siebziger Jahre war das so (.) die entsprechende Literatur gabs da auch dieser Märchenprinz Tod des Märchenprinzen das war dieses (.) ganz
Bm: Am:
LHm üble Werk da und (lacht) da kam die männliche Identität eigentlich eher
Bm:
L(lacht)
Am:
durch sone Negation zustande ne
Die Beeinflussung durch die Frauenbewegung wird weniger als Konsequenz intendierter Selbstreflexion denn als unbeabsichtigte Handlungsfolge dargestellt. Diesem Mann stellt sich in der Retrospektive die damalige Situation dar, als sei er "in diese Diskussion reingeraten". Ein anderer bemerkt wenig später in gleichem Sinn: "Wieso auch immer ich da so reingekommen bin, weiß ich nicht". Wie dem auch sei, die Frauenbewegung gab den Anlaß, "über die männliche Identität nachzudenken". Das Nachdenken gestaltete sich weitgehend als Übernahme feministischer Thesen. Da in diesen "männliche Identität eigentlich eher durch sone Negation zustande" gekommen sei, war und ist das eigene Selbstbild durch Defizitdiagnosen bestimmt. In der Qualifizierung eines seinerzeit populären feministischen Romans als "ganz übles Werk" deutet sich bereits eine Distanzierung von feministischen Deutungsmustern an. Bei ihrem Bemühen, sich vom feministischen Diskurs zu lösen, bleiben diese Männer allerdings noch weitgehend in ihm gefangen. Und nach wie vor herrscht eine große Unsicherheit, was man als Mann sagen darf und was nicht. Sie verdeutlichen das, indem sie auf eine Episode aus einem Film Bezug nehmen, der zur Zeit der Diskussion mit großem Erfolg in den deutschen Kinos lief. Dm: me: Dm:
Wie das so schon in dem "Bewegten Mann" war (lacht) in dem Film wo er da L (lachen) mit Titten diesem Wort Titten dann um sich geworfen hat und äh (.) was für mich ja auch zum Beispiel auch sone Sache is das sag ich nich im jeden Kreis (.) hat die geile Titten oder so oder hat die schöne Titten (.) dann verschöner ich das schon auch wenn ich so denken würde (.) so und wo ich meiner Rolle dann auch unsicher bin weil das sagt man nich in unsem Kreisen (.)
251
Em:
Hm
?m:
Hm (3)
Am:
Warum eigentlich nich (5)
Dm:
Weiß ich nich (.) intellektuelle Kreise wo man so viel von der
Em: Dm: Em:
LIs tabu (.) is einfach sch-
Frauenbewegung auch mitgekriegt hat und äh (.) wo man so angepaßt auch is
LHmhm
Dieser Sequenz geht eine Diskussion über männliche und weibliche Anteile im Mann voraus. Für Dm heißt seine männlichen Anteile zu leben auch, bestimmte Begriffe zur Bezeichnung des weiblichen Busens verwenden zu können, die in dem sozialen Milieu, in dem er sich bewegt ("unsere Kreise"), verpönt sind 233 . Er formuliert eine Diskrepanz zwischen privatem Denken und öffentlicher Rhetorik, und diese Diskrepanz erzeugt Unsicherheit. Die Nachfrage von Am, weshalb er denn eigentlich die verpönte Sprache nicht verwendet, ist zugleich eine Aufforderung, die rhetorischen Standards nicht einfach zu akzeptieren, sondern sich kritisch dazu zu verhalten. Dm's Verweis auf das Nichtwissen verdeutlicht, daß es sich um eine eingeschliffene Praxis handelt, die zu einer gewissen Selbstverständlichkeit geworden ist. Der Einwurf, es handele sich um ein Tabu, zeigt, daß es nicht nur um eine simple Alltagsroutine geht, sondern um eine durch massive soziale Zwänge gestützte Praxis. Als tabusetzende Instanz wird die Frauenbewegung benannt. Das Bemühen der Gruppe ist darauf gerichtet, eine "Verleugnung männlicher Anteile" rückgängig zu machen. Dazu setzen sie sich nicht nur mit 'rhetorischen Verbotstafeln' auseinander, sie halten dem Feminismus auch eine Doppelmoral vor, die den Männern Verhaltensweisen untersage, die den Frauen zugestanden würden. Im direkten Anschluß an die eben zitierte Sequenz tun sie das anband eines Beispiels: Am:
me: Am:
Ja zum Beispiel bei uns inner Arbeitsgruppe hat eine Frau gesagt (.) die nun eigentlich sehr engas- gagiert so grade in Frauenfragen ne (.) so den Typen soundso den würd ich aber auch nich vonner Bettkante stoßen (I) und da saß ich dann auch ja und hab mich gefragt ja warum geb ich mir n hier soviel Mühe (lacht) denk über alles nach was ich sage und werde eventuell noch
L(lachen)
von dieser Frau angemacht für irgendnen blöden Spruch den ich bringe (.) und bei bester Gelegenheit bringt sie dann so einen
233 In den im vOIigen Kapitel vorgestellten studentischen Gruppen (Cliquen) sind solche Begliffe selbstverständlicher Bestandteil der Konununikation. Statt inkriminiel1 zu sein, wird deren Velwendung dort eher gefordert - als Mitgliedschaftsbeweis.
252
Cm:
Hm
Dm:
Ja
Mit dem Beispiel, das Am gibt, vollzieht er die Kritik, die er zuvor eingefordert hat. Mit dem Verweis darauf, daß eine Frau, die selbst eine MitVerursacherin des auf den Männern lastenden Anpassungsdrucks ist ("engagiert in Frauenfragen"), sich Männern gegenüber ein Verhalten ('Degradierung' der Person zum Lustobjekt) erlaubt, das sie diesen umgekehrt nicht zugestände (doppelter Standard), kündigt Am die Angepaßtheit auf. Er kritisiert ein Mitglied der tabusetzenden Instanz. Daß es sich bei der besagten Frau um ein Mitglied einer gemeinsamen Arbeitsgruppe handelt, zeigt, daß die Forderungen der Frauenbewegung nicht nur vermittelt über öffentliche Diskurse an Am herangetragen werden, sondern 'hautnah' in alltäglichen Lebens- und Arbeitszusammenhängen. Die geschilderte Situation wird als ein Schlüsselerlebnis dargestellt, das zu einer grundlegenden Reflexion darüber veranlaßt habe, ob die Anstrengungen, sich nicht unbedacht zu äußern, der Mühe wert sind. Einer Frau, die selbst die für andere formulierten Standards nicht einhält, wird das Recht abgesprochen, jemand anderen wegen Verletzung ähnlicher Standards zu kritisieren. Am fordert eine Reziprozitätsnorm ein, der Männer und Frauen in gleicher Weise unterliegen. Die kritische Distanzierung vom Feminismus ist allerdings deutlich mehr Programm denn selbstverständliche Praxis. Immer wieder werden feministische Deutungsmuster unkommentiert in die Diskussion eingeführt, und selbst in einer Sequenz, in der vehement dagegen argumentiert wird, sich 'feministischen Verboten' zu unterwerfen, zeigt sich, wie stark die Gruppe sich noch immer an diesen orientiert: Em:
me:
Ja (.) und ähm (I) irgend- irgendwann is noch nich so sehr lange her hab (.) angefangen irgendwie (.) mich da zu versuchen davon abzugrenzen und und äh bin auf das Thema gekommen oder oder einfach drauf gekommen mal zu gucken ja was (.) äh (.) was macht mich als Mann denn nun aus im Gegensatz zu ner Frau und warum müssen all diese Sachen verboten sein zum Beispiel äh (I) ja (.) bestimmte Sachen zu sagen oder in ge- oder einfach n auch mal sich durchzusetzen oder energisch zu sein als Mann (I) warum beschneide ich mich pennanent selber in meinen ganzen Möglichkeiten (.) aus Angst irgendwo von ne- ner Emanze sag ich jetzt mal nich böse gemeint aber (.) ne von ner emanzipierten Frau äh da irgendwie abgedeckelt zu werden
L(lachen)
Am:
Abge- was
Em:
Abgedeckelt
Cm:
Kastriert
Em:
Kastriert (.) vielen Dank (lacht)
253
me: Cm: me: Cm: Ern:
L(lachen) LJa du hast das mit dem Beschneiden gesagt ich L(lachen)
hab dich da nur zitiert oder also es lag ja in der Luft ne (lacht) LJa ja genau (.)
Die kritisierten Verbote beziehen sich auf das Reden, auf das, was zu sagen erlaubt ist, und auf das Handeln, auf Verhaltensweisen, die von Feministinnen als Ausdruck männlicher Dominanz kritisiert würden ("sich durchzusetzen oder energisch zu sein"). Die Unterwerfung unter diese Verbote wird als umfassende ("permanent") Einschränkung eigener Handlungsautonomie erfahren. Dies geschieht zwar nicht aufgrund eines unmittelbar von außen ausgeübten Zwangs, aber auch nicht im Sinne einer autonomen Moral, sondern aus Angst vor Sanktionen durch eine emanzipierte Frau. Die Angst, von einer Frau degradiert ("abgedeckelt") zu werden, ist derart verinnerlicht, daß man sich selbst in einer Situation, in der keine Frau anwesend ist, für einen Sprachgebrauch entschuldigt, der offensichtlich nicht korrekt ist. Die Interpretation, die Cm anscWießt, verschärft die Beschreibung der Ängste auf drastische Weise. Kastrationsängste beziehen sich nicht mehr 'nur' auf Verletzungen der Würde der Person, sondern auf diejenige physische Verletzung, mit der das ultimative Beweisstück von Männlichkeit abhanden kommt. Obwohl diese Dramatisierung von Ern nicht intendiert gewesen war, stimmt er der Einschätzung zu, damit sei lediglich einer unausgesprochenen, aber latent vorhandenen 'Stimmung' Ausdruck gegeben worden ("es lag ja in der Luft"). Diese Gruppe steht am Anfang eines Ablösungsprozesses. Der Gruppenkontext soll den Mitgliedern helfen, ein neues männliches Selbstbewußtsein jenseits von SchuldgefüWen und Defizitkonstruktionen zu entwickeln. Eine andere Männergruppe, die bereits seit zehn Jahren existiert (s. Fn. 223), funktioniert genau in diesem Sinne. Das erklärt auch, weshalb diese Gruppe auf eine ungewöhnlich lange Geschichte zurückblicken kann. Die Männer rekapitulieren die Entwicklung: von Phasen, in denen es "schwieriger war, da offen zu zu stehen, zu dem, was es heißt, Mann zu sein", Zeiten, in denen sie als Kriegführende und potentielle Vergewaltiger etikettiert worden seien und in denen sie immer "mit dem Rücken an der Wand" gestanden hätten, hin zu einer positiven Selbstidentifikation, die bewirke, nun auch gegenüber Frauen "etwas offensiver und selbstbewußter" auftreten zu können. Diese Entwicklung wurde möglich, weil sie gewissermaßen eine fatalistische Haltung eingenommen haben. Aus der Erfahrung heraus, daß sie - unabhängig von dem, was sie tun und lassen, bloß weil sie als Männer geboren worden sind - von Frauen z.B. als potentielle Gewalttäter bezeichnet würden, haben sie sich entschlossen, nicht mehr das Gegenteil zu beweisen, sondern zu fragen, ob das Inkriminierte nicht auch Basis spezifisch männlicher Qualitäten sein könnte: 254
Bm:
So diese diese Unvollkommenheit (.) die seh ich wohl auch und die sind ja auch jahrelang speziell von Frauen mir (.) mehr eingeredet worden und ich
LJa
Am: Bm:
würde heute sagen es is auch so beispielsweise was so Umgang mitnandem angeht (.) auch was äh Stellenwert von Sprache und Austausch betrifft glaub ich daß es n Unterschied gibt zwischen Mann und Frauen nur ich kann heute mit diesen (.) mit diesen Schwächen besser leben weil ich denk ich ich nehm se an ich leugne sie nich mehr es is einfach so daß ich (.) ja in vielen Punkten anders bin (.) als die F- Frauen insbesondere die bewegten Frauen aber ich kanns heute annehmen und kann auch akzeptieren obwohl (.) ham mich (.) kann sehen daß es auch einen Ausgleich gibt daß es eben sehr wohl (.) Eigenschaften gibt (.) auf die ich stolz bin von denen ich weiß daß sie bei Frauen seltener verbreitet sind (lacht)
me:
L(lachen)
Neben einer Tendenz zu einem neuen, offensiv vertretenen männlichen Selbstbewußtsein nach langen Phasen von defensiv gewendeten Negatividentifikationen deutet sich hier ein Übergang bzw. die Rückkehr zu einem Deutungsmuster an, das das Verhältnis der Geschlechter im Modus einer unhintergehbaren, essentiellen Differenz wahrnimmt. Abschließend soll auf eine aktuelle Richtung in der Männergruppenszene eingegangen werden, in der dieses Deutungsmuster, wie es in der Männerverständigungsliteratur durch die Texte von Robert Bly und Sam Keen verbreitet wird (s. Kap. 6.3), ein Fundament der Gruppeninteraktion ist. Bemühen um Differenz
Im Rahmen der Symbolwelt, die durch diese Texte transportiert wird, haben sich in den letzten Jahren Männergruppen konstituiert, die in bewußter Abkehr von der zuvor beschriebenen Reflexionskultur stärker auf Aktion setzen und die auf diesem Wege Zugang zu ihrer ,,Männerenergie" suchen. Dieser Begriff ist gleichsam die szeneeigene Chiffre fiir männliche Authentizität. Ziel ist eine von keinen in Gestalt des anderen Geschlechts gegebenen 'Fremdeinflüssen' gestörte 'Wiedergeburt' des Mannes. In der Gruppe soll nicht bloß ein neues Verständnis der Männerrolle erarbeitet werden, vielmehr geht es ganz fundamental darum, das Mannsein zu lernen. Der Selbstetikettierung dieser Gruppen folgend nenne ich sie 'Wilde Männer'. Wenngleich die 'Wilden Männer' in Deutschland noch nicht derart weit verbreitet sind wie in den Vereinigten Staaten (vgl. KimmellKaufman 1994), gibt es deutliche Anzeichen dafiir, daß diese Variante der Männergruppenszene an Attraktivität gewinnt und an Gewicht zunehmen wird. Männerbüros als institutionelle Zentren von Männerbewegung und -gruppen propagieren in zunehmenden Maße diese Richtung; in Ankündigungstexten fiir Männerver255
anstaltungen diverser Trägereinrichtungen - von den Kirchen über die Volkshochschulen bis zu den Universitäten - häufen sich Verweise auf die Bücher der 'Gurus' dieser neuen Männerszene als Basislektüre. Diejenigen Männer, die den Botschaften dieser Gurus in der Weise folgen, daß sie eine entsprechende Männergruppe gründen, blicken zumeist auf eine Phase reflexiver Infragestellung der traditionellen Männerrolle zurück, die als leidvoll und von tiefen Verunsicherungen geprägt beschrieben wird 234 . Sie sehen eine starke Frauenbewegung als Grund darur, daß Männer und insbesondere sie selbst nicht mehr unproblematisiert gemäß der traditionellen Männerrolle leben können. Allerdings hat sich rur sie das mit dem Klischee des 'Softie' umrissene Gegenmodell als ein Irrweg erwiesen, den sie selbst eine Zeit lang beschritten haben. Ein Mitglied einer 'Schwitzhüttengruppe'235 formuliert dies im Rahmen eines Berichtes über eine Veranstaltung mit einem der in Deutschland ruhrenden 'Gurus' folgendermaßen: Dm:
Und hab war ich auch sehr gespannt weil ich äh N-Stadt so erstmal einschätze (2) daß da (.) sag ich mal so einschätze ne starke Frauenbewegung (.) is und
LHmhm
?m: Dm:
?m: Dm:
mich hats eben also (.) und dann wollt ich mal sehn wies is wenn in N-Stadt nur Männer zusammen sind was für was die N-Stadt-Männer für ne (.) Ausstrahlung haben (I) und es hat mich zum Teil n bißchen ähh (I) in meinem Vorurteil oder ebent auch der Weg auf dem ich bin auch witzigerweise genau da getroffen ich dacht da sitzen ziemlich viele aggressionsgehemmte Männer rum (I) also ziemlich (I) so wie aus dieser Softiegeschichte äh oder aus dieser Irritation von Männerrolle (.) und des des hat mich gleichzeitig auch (.) bestätigt oder Vorurteil aber gleichzeitig ich zähl mich daja auch irgendwo dazu (.) zu sagen das das is ja interessant also also daß es ja wirklich
LHmhm
n Problem is von Männem (2) ähh ihre Rolle zu finden äh ihre Rollejetzt noauch jetzt noch mal neu zu definieren
Der negative Gegenhorizont, die symbolische Sinnwelt, von der diese Männer sich abgrenzen und mit der sie sich auseinandersetzen, ist nicht mehr mit 234 Solche Männer sind freilich nicht der von den Protagonisten der 'Wildmannbewegung' plimär ins Auge gefaßte Adressatenkreis. Man würde "lieber nicht mit dem überintellektualisielten Mann der siebziger, achtziger arbeiten", so ein Mitarbeiter eines Männerbüros auf einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung. 235 Die Mitglieder dieser GlUppe sind zwischen 40 und 50 Jahre alt; die meisten verfugen über einen akademischen Abschluß. Ein Teil von ihnen ist zum Zeitpunkt der Erhebung ohne feste Elwerbsarbeit. - Ein Merkmal dieser Gruppen ist die Aneignung von Ritualen indianischen UrsplUngs. Der eigenhändige Bau von Schwitzhütten in freier Natur gehölt dazu. Generell ist die Auseinandersetzung mit der - 'wilden', 'unberülliten' - Natur ein wichtiges Element männlicher 'Initiation'. Die sinnstiftenden Vorlagen finden sich vor allem in den Büchem von Robelt Bly und Sam Keen.
256
den Bildern von Rambo und Macho beschrieben, es ist der 'aggressionsgehemmte Softie'. Über lange Strecken der Gruppendiskussion hinweg reden sie darüber, wie sie in ihrem Handeln Macht, Aggression und Liebe miteinander verbinden können. Der Guru, über dessen Veranstaltung sie sprechen, ist fiir sie eine positive Identifikationsfigur, weil er genau diese Kombination verkörpert und "positive Härte" statt "ätzender Härte" zeigt: "Er hat den Ausdruck von Power und Aggression und dahinter Liebe". Ihr Ziel ist es zu lernen, ihre Aggressionen auszuleben, allerdings ohne dabei die Kontrolle über ihr Handeln zu verlieren. Dazu sei eine "Aggressionserfahrung" notwendig, die es aufzubauen gelte. Wieder dient die Figur des 'Softie' als negativer Gegenhorizont, an der verdeutlicht wird, welche schlimmen Folgen mangelnde Aggressionserfahrung haben kann: "Also es gibt Leute, die Softies, die Leute totgeschlagen haben, weil die haben keine Aggressionserfahrung.... Von Schlägern hörst du das nie, von Boxern hörst du das auch nie, die haben so viel noch Bewußtsein oder Erfahrung in der Aggression, daß sie den anderen so verletzen, daß er umfallt, aber nicht tot ist. Also die Totschlägereien passieren oft von Leuten, die gar nicht so viel Erfahrung haben." Dem gesamten Sprechen über Aggressionserfahrung liegt als selbstverständliche, nicht thematisierte Annahme zugrunde, daß es ein natürliches Aggressionspotential gibt. Aggression wird als Teil männlicher Energie begriffen. Quasi im Sinne eines Nullsummenspiels wird davon ausgegangen, daß unterdrückte Energie an einer anderen, nicht vorhersehbaren Steile wieder auftaucht, mit dann nicht mehr kontrollierbaren Konsequenzen. Die Aggressionsthematik und die Abgrenzung von der eigenen 'Softie'Vergangenheit sind die dominierenden Merkmale der Gruppendiskussion. Auch das Thema der Sexualität wird auf dieser Folie abgehandelt. Nicht "Kuschelsex" wird angestrebt, sondern Sex, bei dem "die Luzi abgeht", "gewaltige Sexualität". Daß sie mit einer solchen Perspektive im aktuellen GescWechterdiskurs eine Position beziehen, die heftiger Kritik ausgesetzt ist, ist diesen Männem durchaus bewußt: "daß mir sofort, wenn ich jetzt männliche Energie habe, daß mir sofort Härte gegen, Gewalt gegen Frauen unterstellt wird". Das wird allerdings nicht zum Anlaß von kritischer Selbstreflexion oder gar Revision genommen. Vielmehr läßt sich das unbeirrte Behaupten der eigenen Position als Teil der 'Mannwerdung' begreifen. Von großer Bedeutung ist insbesondere den Protagonisten der 'Wildmann'-Bewegung, sich bei der Bestimmung der eigenen Perspektiven und Ziele vom feministischen Diskurs abzukoppeln. Zwar wird nicht geleugnet, daß der Feminismus gleichsam die Initialzündung fiir die Beschäftigung von Männern mit der eigenen Männlichkeit gegeben hat, die Impulse fiir die Arbeit mit Männern werden jedoch nicht in der Frauenbewegung gesehen und gesucht. Stattdessen gelte es, auf der Basis von Akzeptanz - statt von Veränderung - gekappte emotionale und spirituel257
le Verbindungen unter Männern wiederherzustellen. Bei den 'wilden Männern' findet anders als bei den selbstreflexiven keine Auseinandersetzung mit Forderungen von Frauen (mehr) statt. Insofern ist diese Form von Männergruppen nicht nur räumlich, sondern auch symbolisch von der Welt der Frauen abgetrennt. In dem Maße, in dem diese Trennung gelingt, wird nicht nur der Feminismus, sondern auch der Diskurs der Gleichheit 'überwunden'. Gegenüber als kulturell dominant wahrgenommenen Tendenzen zu einer Nivellierung der Geschlechtergrenzen wird eine essentielle Differenz von Frauen und Männern betont. Die manifestiere sich sowoW in Unterschieden des Körperbaus als auch auf geistiger Ebene. Frauen hätten "keinen Begriff, wie Männer funktionieren". Auf der Folie der Jungsehen Theorie von Animus und Anima wird die Differenz auf unterschiedliche energetische Potentiale zurückgeführt. Diese essentielle Differenz soll eine sichere und irreduzible Basis gescWechtlicher Selbstidentifikation garantieren. Die Sicherheit, die in der reflexiven Auseinandersetzung mit den sozialen Verhältnissen von Frauen und Männern und mit der Funktion, die Männer darin haben, verloren gegangen ist, kann - so die Erwartung - wiedergewonnen werden, sofern es gelingt, sich die 'Männerenergie' anzueignen. Was diese Energie ausmacht, vermögen die 'wilden Männer' erklärtermaßen nur schlecht zu beschreiben. Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, daß die Programmatik dieser Gruppen der Aktion mehr Gewicht beimißt als der Reflexion. Richtet man den Fokus der Interpretation nicht nur auf den Inhalt der Gruppendiskussion, sondern auch und in erster Linie auf den Diskursstil, wird freilich erkennbar, in welcher Weise Männerenergie praktisch manifest wird. Hierzu eine letzte Sequenz aus einer Passage, in der die Gruppe das eigene Diskussionsverhalten thematisiert. Cm: Dm:
Cm: Dm:
Es kann ja auch sein daß durch deinen deinen Redefluß einfach auch die Diskussion kontrollieren möchtest (.) das sag ich einfach mal so
LKann auch sein (.) aber äh ich möchte mir also ich möchte mir nicht nur diese Richtung unterstellen selber sondern ich möchte und das möchte ich auch lernen da bin ich jetzt LNee nee
LMhm
momentan dabei dann mach ich das Risiko eben daß ich rausknalle und wenn
LJa
Cm: Dm:
ich rausknalle dann knall ich auch gefühlsmäßig raus
Cm:
Ja genau
LJa
Dm:
und dann wirds auch länger (.) und dann soll mim anderer die Grenze setzen
Cm:
Genau
258
Dm:
Und das Vertrauen zu haben daß jemand anders sagt: "Jetzt will ich mal" C.) früher war das so C.) daß ich C.) daß nämlich keener was C.) also da wurde: "Oh ich habe dich verletzt?" oder "Hab ich jetzt zu lang geredet?"
Cm:
Mhm mhm
Dm:
LVerstehst? Also ich kann euch vertrauen daß ihr sagt: "Jetzt will ich was sagen" C.) des mach des mach das mein ich mit Männerenergie zum Beispiel
me:
Mhm
Cm:
Ja
Dm:
Das ist ne Fonn eventuell die die die Männerenergie ist: "Näh halt mal jetzt die Schnauze du hast jetzt lang genug geredet"
In einer perfekten Homologie von Form und Inhalt spricht Dm nicht nur über Männerenergie, er praktiziert sie gegenüber Cm. Mit dem metakommunikativen, kritischen Einwurf Cm's setzt Dm sich nicht auseinander, er formuliert vielmehr, was ihm wichtig erscheint: spontan "gefühlsmäßig rausknallen". In der Begrifflichkeit wie im Stil der Kommunikation dokumentiert sich das erwähnte Ausleben von Aggressionen. Empathie, Perspektivenübernahme sind Handlungsformen, die einer überwundenen Phase der eigenen Biographie angehören. An deren Stelle tritt ein zumindest für die Gruppe generalisiertes, nicht auf Einschätzung der aktuellen Befindlichkeit der anderen Person gegründetes Vertrauen, daß jeder andere in gleicher Weise handeln, d.h. auf der Basis seiner Männerenergie die eigenen Interessen behaupten und den anderen die Grenzen setzen wird. Ein reichlich rauer Stil der Kommunikation ist die Konsequenz. In dem Maße, in dem nicht nur das Besinnen auf die Männerenergie gelingt, sondern entsprechend 'energisch' und 'energetisch' gehandelt wird, ist ein authentisches Leben als Mann möglich. Ersehnt wird also eine habituelle Sicherheit, die auf selbstverständlicher Praxis basiert. Die habituelle Sicherheit, so sie denn erreicht werden sollte, hat Fundierungen, die sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten mit der Welt der traditionellen Männlichkeit aufweisen. Eine Sinnwelt, die für die traditionelle Männlichkeit ohne jeden Belang ist, ist die des Spiritualismus, der Esoterik, des Schamanismus. Sinnbezüge zur newage-Philosophie sind unübersehbar. Sicherheit versprechende Orientierungen werden in Symbolwelten gesucht, die sich deutlich von abendländisch-westlicher Rationalität unterscheiden. Die Hinwendung zu Mystik und Spiritualismus wird als Teil männlicher Initiation begriffen. Das Fehlen solcher Initiation sei ein entscheidender Mangel unserer Gesellschaft und bedinge die Probleme, die Männer mit ihrer Männlichkeit hätten. In den Mannbarkeitsriten sog. Naturvölker, die ihnen als Vorbild dienen, sehen sie die angestrebte männliche Authentizität verbürgt.
259
7.5 "Du tust es einfach, du redest nicht". Pragmatische Arrangements jenseits von Tradition und Verunsicherung Nach der bisherigen Darstellung verschiedener männlicher Subsinnwelten drängt sich unweigerlich der Eindruck auf, eine Ablösung von traditionellen Männlichkeitsmustern sei nur um den Preis einer fundamentalen Verunsicherung möglich und ein Wiedererlangen von habitueller Sicherheit nur in Gestalt eines 'backlash', einer Revitalisierung vermeintlich abgelegter Orientierungen. Die Frage liegt also nahe, ob eine habituelle Sicherheit nicht auch ohne Kontinuität in der oder Rückkehr zur Tradition zu erlangen ist. Dieses Kapitel befaßt sich mit einer männlichen Sinnwelt, in der weder Traditionalismus noch Verunsicherung das Denken und Handeln der Männer bestimmen. Es stellt eine Form 'modernisierter Männlichkeit' vor, die nicht auf einer reflexiven Vergewisserung der eigenen Rolle beruht. Soziologische Erklärungen sozialen Wandels und Theorien gesellschaftlicher Modemisierung vermuten das Potential für Veränderungsprozesse in den nicht mehr vom Klassenantagonismus geprägten Industriegesellschaften der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem in den Mittelschichten. Die Szenarien individualisierter Lebensformen, wie sie beispielsweise Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (vgl. Beck 1986; BeckiBeck-Gernsheim 1990) zeichnen, spielen typischerweise in einem Milieu großstädtischbürgerlicher Prägung. Die überwiegend diesem Milieu angehörenden Mitglieder der Männergruppen mögen zwar insofern Modernisierer von Männlichkeit sein, als sie die eigene GescWechtlichkeit der Reflexion zuführen. Dabei lassen sie es aber in der Regel auch bewenden. "Wir kommen über das Reden nicht hinaus", stellt in selbstkritischer Einschätzung eine Männergruppe fest. Dem Reden folgt meist kein Handeln, und wenn doch, dann im Sinne der zuletzt vorgestellten, in Initiationsriten vollzogenen Aneignung einer vermeintlich ursprünglichen 'Männerenergie'236. Eine handlungspraktisch folgenreiche Modernisierung von Männlichkeit findet eher in einem Milieu statt, in dem man sie dem soziologischen common sense zufolge am wenigsten vermutet: unter jungen Facharbeitern 237 . Die mit Gruppen aus diesem Milieu und dieser Generation geführten Diskussionen lassen eine Form der habituellen Aneignung der eigenen Geschlechtlichkeit erkennen, die, ohne viel Aufheben davon zu machen, die eigene Position im Verhältnis der GescWechter egalitär zu derjenigen der Frau bestimmt. Die
236 Zur Einschätzung des Veränderungspotentials von Mälmergruppen vgl. BehnkeiLoos/MeuseI' 1995. 237 Vgl. auch COlmell (1995, S. 93): "Recent discussion of change in masculinity has focused on middle-class professional men. In much of this discussion working-class 01' 'blue-collar' men are presumed to be conselvative in sexual politics, if not reactionalY".
260
Lebensfiihrung dieser Männer gehorcht einem pragmatischen Motiv, und das bestimmt auch ihre geschlechtliche Selbstverortung. Die jungen Facharbeiter gehören der gleichen Generation an wie die Studenten, deren prekäre Sicherheiten im vorletzten Kapitel dargestellt wurden. Auch sie sind zeitgleich mit der zweiten Frauenbewegung groß geworden. Allerdings ist der feministische Diskurs kein Teil ihres lebensweltlichen Erfahrungshorizontes. Weder im beruflichen noch im familiären Alltag haben sie sich mit feministischen Thesen und Forderungen auseinanderzusetzen. Auch ihre Ehefrauen und Partnerinnen - anders als die Studenten leben sie in festen Beziehungen oder sind verheiratet - konfrontieren sie anscheinend nicht mit feministischen Ansprüchen, was aber nicht heißt, daß jene sich mit der traditionellen Frauenrolle begnügen. Die Irrelevanz der Differenz Der auffalligste Unterschied zu allen anderen Gruppen, die bislang vorgestellt worden sind, ist, daß diese jungen Männer dem Unterschied der Geschlechter nahezu jegliche Bedeutung absprechen. Sowohl den Männem, die sich im "stahlharten Gehäuse der Hörigkeit" bequem eingerichtet haben, als auch denen, die jenem Gehäuse entfliehen wollen, ist die Differenz der Geschlechter von höchster Relevanz; den einen als selbstverständliche Basis der eigenen Hegemonie, den anderen als ein ständiges Ärgernis. Folglich akzentuiert der Diskurs in diesen Gruppen die Bedeutung der Differenz. Die jungen Facharbeiter hingegen betonen deren Irrelevanz. An dieser Stelle ist eine methodische Notiz angezeigt. Wie oben bereits ausgeführt, hat die Interpretation der Gruppendiskussionen Darstellungen zum Gegenstand. Diese verweisen zwar auf Handlungen, letztere sind aber nur in von den Gruppenmitgliedern gedeuteter, d.h. perspektivisch gebrochener Fonn präsent. Wenn die jungen Facharbeiter in der Diskussion die handlungspraktische Irrelevanz der Geschlechterdifferenz betonen, folgt daraus nicht unbedingt, daß sie in deren Alltagshandeln tatsächlich keine Rolle spielt. Genausowenig wie die Selbstwahmehmung als Ernährer der Familie dem finanziellen Anteil entsprechen muß, den der Mann zum Familieneinkommen beisteuert. Gleichwohl sind die Darstellungen und Deutungen, die in der Gruppendiskussion entfaltet werden, kein weniger relevantes Datum als die nicht beobachteten Handlungen. Die Aussagekraft jener erschließt sich vor allem im Vergleich. Und in der komparativen Perspektive sind erhebliche Unterschiede zwischen den Darstellungen der jungen Facharbeiter und denen der anderen Gruppen festzustellen. Das betrifft nicht allein die Sinngebung, die sich allgemein an die Geschlechterdifferenz knüpft, sondern zeigt sich auch bei der Betrachtung einzelner Handlungsfelder.
In der Perspektive dieser Männer ist die soziale Welt nicht von Männern und Frauen bewohnt, sondern von Individuen, deren Geschlechtszugehörigkeit keinen Einfluß auf ihr Handeln hat - oder dort, wo Menschen faktisch wegen 261
ihres Geschlechts unterschiedlich behandelt werden, zumindest keinen Einfluß haben sollte. Ob die Irrelevanz des Geschlechts als Realität dargestellt oder als Postulat aufgestellt wird, entscheidet sich daran, ob der jeweilige Handlungsbereich der eigenen Gestaltung zugänglich ist (Privatsphäre) oder ob das eigene Handeln weitgehend als fremdbestimmt erlebt wird (Beruf). Eine Gruppe von Zeitsoldaten begründet die Irrelevanz zunächst einmal auf abstrakter, gleichsam 'sprachphilosophischer' Ebene 238 : Cm:
Und zwar Mann is n Ausdruck genauso man man könnte uns auch Frau nennen (.) sach ich mal und die Frauen Männer sach ich jetz mal so was
L(lachen)
Bm: Cm:
w-was is da für ein Unterscheidungsmerkmal ja (4) also von daher is das
LHm
YI: Cm:
irgendwo der Ausdruck wie zum Beispiel das Haus oder der Stuhl in meinen Augen mehr is das nich (.) aber es kommt auf den Menschen drauf
YI: Cm:
YI: Cm:
LHm an (.) das is wichtiger ob das jetz n Mann is oder ne Frau das spielt LHm eigentlich gar keine Rolle in meinen Augen
Mann und Frau werden als beliebige Etiketten verstanden, die auch umgekehrt verwendet werden könnten. Sie stehen, wie der Vergleich mit den Begriffen Haus und StuW deutlich machen soll, in keiner notwendigen Beziehung zu dem, was sie bezeichnen. Beliebigkeit impliziert, daß den Etiketten keine Differenz zugrundeliegt, die in irgendeiner Weise das Handeln derjenigen Personen bestimmt, die auf diese Weise bezeichnet werden. Statt Menschen geschlechtskategorisiert und damit stereotypisiert wahrzunehmen, sollte das individuelle Handeln die Basis sein, auf der man eine Person beurteilt ("es kommt auf den Menschen drauf an"). Auch die unterschiedliche Physiologie der Geschlechter gilt diesen Männem nicht als ein Merkmal, an das sich eine soziale Bedeutung anscWießen ließe. Der Penis wird als ein "körperliches Anhängsel" begriffen, aus dessen Besitz sich nichts weiteres, schon gar nicht eine soziale Differenz, ableiten läßt: "Das ist alles, was mich von einer Frau unterscheidet, mehr ist es rur mich nicht". Mit der Bezeichnung "Anhängsel" wird die Bedeutung dieses körperlichen Unterscheidungsmerkmals betont 'heruntergespielt'. Das Irrelevantsetzen des Dimorphismus hat freilich nicht zur Folge, daß diese Männer die Augen davor verschließen, daß sich in der gesellschaftli238 Die Männer sind zwischen 22 und 28 Jahre alt und haben niedrige bis mittlere Bildungsabschlüsse. Sie kommen aus dem Arbeitennilieu. Sie sind entweder verheiratet oder leben in einer langjäluigen festen Pattnerschaft. Zwei haben Kinder. Alle Paltnerinnen sind berufstätig.
262
chen Praxis genau daran Unterscheidungen und Ungleichbehandlungen knüpfen. Ob auf der Basis der physiologischen Differenz soziale Unterschiede gemacht werden oder nicht, ist ihrer Ansicht nach gesellschaftlich und weltanschaulich bedingt. Sie erläutern dies, indem sie die Verhältnisse in Deutschland und in der Türkei einander kontrastieren. An die oben zitierte Sequenz schließt sich die folgende Argumentation unmittelbar an: Cm: Bm: Cm: Am:
Ob das jetz n Mann is oder ne Frau das spielt eigentlich gar keine Rolle in meinen Augen (2) ne
LHam die gleichen Rechte und alles LJa
In Deutschland (I) sach ichjetz mal
Cm:
LJa in Deutschland LJaja
Am:
Ja es kommt immer aufs Land und die Religion drauf an
Bm:
Y2:
Die Reli-Religion?
Am:
Ja Religion sach ich mal auch zum Beispiel bei den Türken is es halt nich so daß die Frau da den Standard hat wie in Deutschland is ja mehr so die
LJa
?m: Am:
Zurückgestellte die nur (schmatzt) (Füße still halten muß) und das machen was der Mann sagt (8)
Bm:
(lacht) (I) Ja was soll ich da zu sagen
Am:
LJa in Deutschland is is nonnal es gibt da nich so den Standard sach ich mal daß es jetzt heißt ich bin der Mann du machst den Abwasch oder du bist Frau oder so
Sieht man davon ab, daß die Situation in Deutschland idealisiert dargestellt wird - sie formulieren hier mehr die eigenen Wertvorstellungen, als daß sie unvoreingenommen beobachten - und daß die türkischen Verhältnisse in umgekehrter Richtung überzeichnet sein mögen, enthüllt die Logik des Arguments, daß ihnen patriarchale Strukturen der negative Gegenhorizont zu den eigenen Auffassungen vom Zusammenleben der GescWechter sind. Gegenstand der Kritik sind sowohl die Autoritätsstruktur von Befehl und Gehorsam als auch die dieser zugrundeliegende geschlechtliche Arbeitsteilung. Beides kollidiert mit ihrem fundamentalen Prinzip, die Geschlechtszugehörigkeit solle keine Basis einer differenten Behandlung von Menschen sein. Daß sich in dieser Einstellung eine Distanz zum Modell der hegemonialen Männlichkeit dokumentiert, wird besonders deutlich, wenn man eine Sequenz aus der Diskussion mit den gleichaltrigen studentischen Footballspielern dagegenhält, also mit Männern, die ihren Geschlechtsstatus im Modus
263
einer prekären Sicherheit erfahren. Einer berichtet von einem Paar, das im gleichen Haus wie er wohnt. Dm: me: Gm: ?m: Dm: ?m: Fm: Bm: Em: Dm:
me:
Die streiten sich andauernd, dann kriegst n paar in de Fresse und dann is Ruhe
L(lachen) L(lacht) Aah ne LAber wer macht das? LDer unter uns dieser Müller L(lacht) L(lacht) Disch disch (ahmt
Schläge nach)
auch das is aber auch Kacke das is Nnnaja
l
Häja das is aber
LUnd das hörst auch inzwischen dann schrein se rum und dann kriegt se was an die Fresse sie heult und dann is Ruhe dann mußte se bestimmt in die Kiste oder so (.) (das is so n ding) ja so ist das da unter uns (da) L(leises Lachen)
Der Bericht sowie die Kommentare der anderen lassen eine ambivalente Wertung des gewalttätigen Handeins des Mannes erkennen: zwischen Ablehnung ("das is aber auch Kacke") und Faszination darüber, wie simpel dieser Mann die Probleme löst, die er mit seiner Frau hat. Nichts in der Gruppendiskussion deutet darauf hin, daß diese Männer selbst in ähnlicher Weise handeln noch daß sie eine gewaltförmige Erledigung von Konflikten anstreben. Verglichen mit der Gruppe der Zeitsoldaten zeigen sie sich aber dort unentschlossen, wo diese eindeutig eine Verletzung der Menschenwürde monieren. Beispielsweise kommentieren die Zeitsoldaten in einem anderen Kontext die schlechtere Entlohnung von Frauen in bestimmten Berufen mit dem Ausdruck moralischer Empörung. Auf die Frage des Diskussionsleiters, ob es Bereiche gibt, in denen sie Unterschiede zwischen den GescWechtem feststellen, fuhrt einer aus: Cm: YI:
Cm:
264
Sach mal wo es ganz stark deutlich wird wird eigentlich im Beruf (.) ne ich LHm
komm eigentlich aus em Lebensmitteleinzelhandel das hab ich gelernt da hab ich auch meine Frau kennen gelernt und die is dann da immer noch weiter dabei geblieben hat also Assistentin gemacht von so em Markt da hat sie wesentlich weniger gekriegt wie im wie im Prinzip der Mann (.) obwohl sie die gleich Arbeit gemacht hat und das kann irgendwo nicht richtig sein (.) ne
Yl: Cm:
LHm
ich sach mal deshalb viele Frauen sagen ja also wir stellen uns jetzt mal auf die Hinterbeine und sagen da mal was gegen das kann ich vollkommen verstehen wenn ich die gleiche Arbeit mache (.) ja dann kann es nicht sein daß-daß nur weil er da was zwischen de Beine hängen hat sach ich jetz mal
LHm
Yl: Cm:
und Bart hat daß sie dann weniger kriecht das haut irgendwo nich hin ne (I)
YI: Cm: Yl:
LHm
LHm
L Hm
L Hm
und das hat auch mit meinen in meinen Augen nichts mit E-Emanzipation zu tun das is ganz nonnal (.) ne L Hm
L Hm
Protest gegen die scWechtere Entlohnung von Frauen und Irrelevantsetzen der GescWechterdifferenz scWießen einander nicht aus. Den Unmut der Frauen kann dieser Mann voll und ganz nachvollziehen. Daß seine Frau unter den Betroffenen ist, ist der Perspektivenübernahme sicher förderlich, scheint aber keine notwendige Voraussetzung zu sein, wie sich an der nachfolgenden Generalisierung zeigt. Grund der Empörung ist nicht so sehr die Diskriminierung von Angehörigen eines Geschlechts - das ist sekundär -, sondern die Verletzung des Prinzips der Leistungsgerechtigkeit. Gleiche Arbeit verdient gleiche Entlohnung, und kein Kriterium vermag es zu rechtfertigen, von diesem Prinzip abzugehen. Unterstellend, daß die protestierenden Frauen dies in gleicher Weise sehen wie er, gelangt er zu der Schlußfolgerung, der Protest gegen ungerechte Tarife sei keineswegs ein Teil weiblicher Emanzipationsbestrebungen. Die Beschwerden der Frauen sind für ihn etwas völlig Normales; jeder Mensch, der sich ungerecht behandelt sieht, dessen individuelle Leistung nicht angemessen honoriert wird, handelte so wie die Frauen. Eine feministische Begründung, d.h. eine emanzipatorische Rahmung des Unmuts der Frauen, sagt ihm nicht zu; denn damit wäre die Geschlechtszugehörigkeit das entscheidende Kriterium, nicht aber die individuelle Leistung.
Der Primat der Leistung Die Leistung, die der einzelne Mensch erbringt, ist fiir diese Männer das fundamentale Deutungsmuster, das ihre Wahrnehmung der Geschlechterwirklichkeit strukturiert und deren Bewertung zugrundeliegt. In der folgenden Sequenz wird nach dem gleichen Muster wie in der vorherigen Leistung gegen Emanzipation' ausgespielt': Am:
Und dann wenn wenn angenommen man du suchst dir jetzt n Job (.) sag ich mal, in irgendner riesen Versicherung und du bist da Vizepräsidentin (.) dann bist dus, weil dus drauf hast und nich weil du emanzipiert sondern nur, weil
265
Lh
Sm:
Am:
dus drauf hast
Cm:
Ja
Am:
und wenn das n Mann macht, is das genauso gut (.) wie wenn das ne Frau macht, es kommt nur drauf an, was du selber erreichen willst und wie du geistig dazu stehst
Frauen, die eine hohe Berufsposition erreichen239 , schaffen das, weil sie die nötige Leistung erbringen, die geforderten Kompetenzen besitzen und weil sie die richtige Motivation und Einstellung mitbringen, nicht aber weil sie - feministisch orientiert - den beruflichen Aufstieg als einen Akt geschlechtlicher Emanzipation begreifen. Sollte ein Mann den Posten erhalten, dann geschieht dies, weil er genau die gleichen Kriterien erfiillt. Eine gezielte Frauenförderung wäre der Leistungsethik dieser Männer nicht kompatibeF40. Hochachtung haben sie jedoch vor jedem Menschen, der zielstrebig und fleißig das erreicht, was er sich als Ziel gesetzt hat. Insofern erleben sie Frauen in fiihrenden Positionen nicht als Bedrohung, auch dann nicht, wenn es sich um direkte Vorgesetzte handelt. Das Irrelevantsetzen der Geschlechtszugehörigkeit hat zur Folge, daß eine solche Konstellation sie nicht in ihrem Geschlechtsstatus affiziert. In ihrer Wahmehmung, die durch das Deutungsmuster der individuellen Leistung strukturiert ist, interagieren in diesem hierarchischen Verhältnis nicht eine Frau und ein Mann, sondern zwei Menschen mit individuell zurechenbaren unterschiedlichen Kompetenzen. Die Gruppe der Zeitsoldaten geht in ihrem Bestreben, Geschlecht als ein sozial bedeutsames Merkmal aus den Beziehungen zwischen Menschen zu eliminieren, mit geradezu radikaler Konsequenz zu Werke. Eine andere Gruppe junger Facharbeiter, die über den gemeinsam betriebenen Sport (Football) zusammengefunden hat241 , beschreitet einen ähnlichen Weg, formuliert dies aber nicht mit der gleichen Deutlichkeit. Die Geschlechterdiffe239 Die in dem Beispiel von der Frau eingenommene Position rangielt weit über dem, was ein Mitglied der Gmppe jemals wird erreichen können. Allerdings ist es nicht der höchste Rang, den das Unternelunen keimt, sondern der zweithöchste. Möglicheiweise dokumentielt sich darin ein latenter Geschlechtsbias. Der Text bietet aber keine sichere Grundlage, um darauf eine klare Antwort zu geben. 240 Auf die Einstellung dieser Märuler zu Frauenpolitik und Frauenemanzipation werde ich unten noch näher eingehen. 241 Die Mitglieder sind zwischen 24 und 29 Jahre alt. Sie haben mittlere Bildungsabschlüsse und arbeiten in handwerklich-technischen Bemfen. Alle haben eine feste Freundin, und bis auf einen leben sie mit dieser zusammen. - Diese Gmppe ist fur eine vergleichende Analyse insofern von besonderem Interesse, als sie nicht nur der gleichen Generation angehört wie eine der Gruppen mit einer prekären Sicherheit, sondern ebenfalls einen Sport betreibt, der gemeinhin als Prototyp einer mälmlichen SpOltmt gilt. Wie sich zeigen wird, hat die Gemeinsamkeit im spOltlichen Bereich wenig Einfluß auf die Ausbildung der kollektiven Otientierungen. Entscheidend sind vielmehr die Unterschiede im ptivaten Bereich.
266
renz stellt sich ilmen dar wie der anderen Gruppe: als ein biologischer Unterschied, auf dem eine soziale Unterscheidung nicht fundiert werden kann: "Ja der einzige Unterschied, das ist dieses Y-Chromosom, das wir mehr haben oder weniger haben". Sie führen dies weiter aus - in Gestalt eines offenen Nachdenkens, das Argumente gegeneinander abwägt. Am:
YI: Am:
Wir unterscheiden uns vielleicht körperlich von den Frauen aber ich weiß nicht man unbedingt sich gefühlsmäßig oder verhaltensmäßig von Frauen unbedingt okay klar äh das männliche Verhalten is bestimmt anders als bei Frauen aber grundlegend sach ich mal unterscheiden wir uns nich unbedingt von Frauen es gibt genauso Frauen die stark sind es gibt auch Männer die schw- die ich sach jetzt mal die in den Augen der Gesellschaft schwach sind (.) ne das kommt immer drauf an was man wie man sich gibt und was man
LHm
tut durch seine Handlungsweise wird man vielleicht zum Mann (.) oder äh ich sach mal in Anführungsstrichen zum Mann gestempelt
Überlegend, in welcher Hinsicht sich die Geschlechter unterscheiden, benennt dieser Mann zunächst den Körper als ein relativ ("vielleicht") sicheres Differenzierungsmerkmal. Höchst zweifelhaft erscheint es ihm, prinzipielle Unterschiede in Emotionalität und Verhalten anzunehmen. Beobachtbare Unterschiede sind ihm kein Anlaß, daraus eine essentielle Differenz abzuleiten. Eine jede Verhaltensweise steht beiden Geschlechtern offen, auch wenn dadurch das stereotype Muster geschlechtlicher Angemessenheit aufgebrochen wird. Wie man sich verhält, unterliegt der individuellen Entscheidung. Im Unterschied zu der Gruppe der Zeitsoldaten ist die Bedeutung des Geschlechts aber nicht völlig eliminiert. Allerdings ist das Geschlecht einer Person nicht von sich aus bedeutsam, sondern die gesellschaftliche Definition eines Verhaltens unterzieht dieses einer geschlechtlichen Etikettierung. Obschon auch diese Gruppe in ihrem Wertehorizont vor allem die individuelle Leistung akzentuiert, beleuchtet sie stärker die gesellschaftlichen Zwänge, die sozialen Zugehörigkeiten ein größeres Gewicht verschaffen als jenem fundamentalen Prinzip. Beide Gruppen plädieren vehement dafür, Menschen nicht geschlechtsstereotypisiert wahrzunehmen und zu behandeln, sondern sie in ihren individuellen Fähigkeiten anzuerkennen. Im direkten Anschluß an die eben zitierte Sequenz berichtet ein anderes Mitglied der Footballgruppe von den Kompetenzen seiner Freundin und davon, wie er sich ihr gegenüber verhält. Cm: Am: Cm:
Aber was was is denn rein männlich (I) das das is doch ne Frage frag ich
LJa genau was is rein männlich
jetzt zum Beispiel von meiner Beziehung her mit meiner Freundin hat Lkw gefahren sie is Tischlerin ich sach mal da brech ich mir zuhause auch
267
YI: Cm:
LHm keinen Zacken aus der Krone wenn irgend was zu machen is sach mal waswas-was Technik äh irgend wie angeht wir ham die Wohnung umgebaut da teil ich mir das von wegen mit-mit ihr die Arbeit da guck ich zu ich sach von wegen wenn sie meint von wegen irgendwo ne Sache is wo ich mit anfassen soll oder mach ich denn selber ich sach mir das weiß sie besser da sach ich nich du das is jetz meine Rolle oder sowas äh ich bin hier der Mann im Haus dann laß ich se machen dann setz ich mich irgendwo aufs Sofa und sag ja is dein Ding da hab ich absolut kein Problem mit
In Kenntnis gesellschaftlich üblicher Vorstellungen über gescWechtsrollenangemessenes Verhalten artikuliert dieser Mann deutlich seine Distanz gegenüber solchen Erwartungen. Insbesondere betont er, daß ihn seine Weigerung, darauf zu beharren, die Arbeit selber auszuführen, nur weil dies den Rollenerwartungen entspricht, nicht als Person herabsetzt ("brech ich mir zuhause auch keinen Zacken aus der Krone"). In der Orientierung an den individuellen Fähigkeiten einer Person sind beide Gruppen konsistent. Das bestätigt sich auch in den Handlungsfeldern, die den Fokus der Gruppenaktivitäten ausmachen, der Football bei den einen, das Militär bei den anderen. Beide Bereiche sind üblicherweise in hohem Maße männlich konnotiert, gelten als prototypische Betätigungsfelder des Mannes. Die Footballer haben eine Frau im Team, die Zeitsoldaten betonen, daß Kameradschaft nicht an das Geschlecht gebunden ist. Entscheidend sei, daß man sich "hundertprozentig" auf die Person verlassen können muß, mit der man zusammen Dienst hat. Verallgemeinernd halten sie fest: Bm: Cm: Bm:
Cm:
Ja es kommt mal wieder drauf an, wenn ich da auf einer Wellenlänge bin mit der ne (.) wenn das n Mädchen is oder n Junge, is mir scheißegal is mir das
LJa
LDas is Wurst
ne (.) das kann Superkumpel sein, das kann ne Frau oder kann n Mann sein ne, is mir ganz egal (.) da denk ich auch nich dran, daß ich mit ihr ins Bett geh, mit der unterhalt ich mich genauso gut wie mit Hugo zum Beispiel ne
LJa
Lgenau
Wieder werden die persönlichen Qualitäten jenseits der Zugehörigkeit zu einer sozialen Kategorie betont. Mit der Versicherung, sexuelle Interessen hätten in einer solchen Situation kein Gewicht, wird die Irrelevanz des GescWechts der beteiligten Akteure noch einmal deutlich akzentuiert242 .
242 Auch hier ist ein Vergleich mit den gleichaltJigen studentischen Gruppen aufschlußreich. Deren Mitglieder betonen mit Nachdruck, daß sie Frauen jederzeit als potentielle Sexualpal1nelinnen walunelunen.
268
Radikaler Egalitarismus
Soziale Beziehungen zwischen Männem und Frauen zu desexuieren kann eine wirksame Strategie sein, um eine etablierte GescWechterordnung aufrechtzuerhalten. Die Männer, die sich brucWos in der Tradition verorten, betonen - vor allem wenn sie dem bürgerlichen Milieu angehören -, sie seien stolz auf das, was sie sich erarbeitet hätten, nicht aber auf ihr Mannsein. Diese Desexuierung betrifft freilich nur das eigene GescWecht, Frauen werden in hohem Maße stereotypisiert wahrgenommen243 . In dieser gescWechtlichen Halbierung hat die These von der Irrelevanz des GescWechts deutlich apologetischen Charakter. Indem die jungen Facharbeiter das Handeln von Frauen und Männern gleichermaßen desexuieren, resultiert daraus eine egalitäre Haltung derjenigen, die vom GescWecht nicht viel wissen wollen. Die oben dokumentierte Empörung über ungleiche Entlohnung ist ein gutes Beispiel hierfür. Die egalitäre Einstellung wird des weiteren deutlich, wenn es um die Integration von Frauen in Männerdomänen geht, sei es im Sport, sei es im Beruf. Die Zeitsoldaten plädieren entschieden dafür, Frauen zu allen Diensten in der Bundeswehr zuzulassen, nicht nur zu solchen, die aufgrund ihres pflegerischen oder helfenden Charakters (Sanitätsdienst) den gängigen Vorstellungen von spezifisch weiblichen Fähigkeiten entsprechen. Frauen könnten nicht nur, sie wollten auch die gleichen Aufgaben erfüllen wie die Männer, z.B. Panzerfahren. Schließlich führen Frauen auch in zivilen Berufen Lastkraftwagen. Auch sei es ein Vorurteil anzunehmen, Frauen könnten nicht mit Waffen umgehen oder seien nicht fähig, "Kriegsarbeit" zu leisten. Die egalitäre Haltung wird konsequent verfolgt. Der Logik der Desexuierung entsprechend gibt es keine Aktivität, die eine Frau prinzipiell, wegen etwaiger Besonderheiten ihres Geschlechts, weder leisten kann noch will. Weder im Positiven noch im Negativen unterscheiden sich Frauen von Männem. Folglich gibt es auch keine besonderen Rücksichten, werden Frauen nicht zuvorkommender behandelt als Männer. In der Welt der traditionellen Männlichkeit ist ein prosoziales Handeln gegenüber der Frau (Kavalier sein) eine Frage männlicher Ehre (s. Kap. 7.2). Bei den jungen Facharbeitern entfallen Rücksichtnahmen, die an das GescWecht gebunden sind. Die Footballspieler stellen dies klar heraus, indem sie beschreiben, wie sie sich gegenüber dem weiblichen Mitglied im Team verhalten. Wie jedes andere Mitglied würde sie "schonungslos über den Haufen gelaufen". Durch den Verzicht auf eine am GescWecht der Person festgemachte Sonderbehandlung wird sie zum gleichwertigen Mitglied. Außerdem komme das den Erwartungen der Frauen entgegen: 243 Siehe auch Kap. 7.6
269
"Wenn eine Frau Football spielt, dann will sie Football spielen.... Die heutige Mentalität bei den Frauen ist ja so, sie wollen akzeptiert werden. Also nehme ich sie auch so, wie sie sind."
Die Autkündigung des geschlechtlichen 'Komments' mündet allerdings nicht in Rücksichtslosigkeit. Rücksicht verdient aber nicht die Frau, sondern eine mögliche Schwäche der individuellen Person: Wenn man mit einer Frau trainiert, wüßte man um ihre individuellen Schwächen und ginge deshalb "nicht mit voll Power rein". Das geschehe aber "nicht aus dem Denken heraus, von wegen das ist eben eine Frau, und ich nehme die nicht ernst". Die Rücksichtnahme gilt dem schwächeren Teammitglied, nicht der Frau, ist also auf eine individuelle Besonderheit bezogen, die auch bei einem Mann gegeben sein kann. So wird die Argumentation auch fortgesetzt: ,,Denn wenn man einen Schwächeren immer nur unterbuttert, kann er nichts lernen". - Die zwanzig Jahre älteren Facharbeiter des Stammtisches leisten den wenigen Frauen, die auf einer Baustelle arbeiten, hingegen Hilfe, weil sie die Frau in dieser Männerwelt prinzipiell, d.h. geschlechtsstereotypisiert als hilfebedürftig wahrnehmen (s. Kap. 7.2). Die Gültigkeit des egalitären Prinzips erweist sich nicht zuletzt in der Absage an jegliche geschlechtliche Sondermoral. Doppelte Standards werden nicht kritisiert, um dann, wie bei den studentischen Gruppen doch wieder die Wahrnehmung von Frauen zu strukturieren (s. Kap. 7.3); zumindest in den Darstellungen sind keine Anzeichen einer Doppelmoral zu erkennen. Das zeigt sich insbesondere in dem Bereich, in dem diese Doppelmoral gewöhnlich am deutlichsten ausgeprägt ist, im Bereich des Sexuellen 244 . Die Zeitsoldaten verdeutlichen das in einer Passage, in der Berichte über eigene Erfahrungen mit einer Diskussion über das Sexualleben von Prinz Charles und Lady Diana verwoben sind: Am:
Damals so mit fuffzehn sechzehn sagen wir mal, da warst du der tolle Hecht wenn du wenn du fiinf oder sechs Frauen hattest, sag ich mal so äh innerhalb von zwei drei Wochen oder so ja oder von nem Monat warst du der tolle Hecht, hat ne Frau das gemacht
Y!:
Hmhm
Am:
Lwar es gleich die Hure die Schlampe die Nutte hieß es da immer gleich (.) joa (.) und dann erzähin se ja der der geht ins Bordell oder so und (.) wenn er da Spaß dran hat soll ers machen es kann, Di kann sich auch n Callboy bestellen (.) das hat keinen zu interessieren solange sie (.) solange ihr das Spaß macht und dadurch sag ich mal keine andem Leute belästigt oder so sag
YI:
LHm ich mal oder (I) das is völlig egal sag ich mal, also so seh ich das ey n ich
Am:
244 Wie dies ja auch bei den studentischen Gruppen zu beobachten ist.
270
LHmhm
YI: Am:
hab daja geh jetzt (.) ah wenn ne Frau jetzt zum Beispiel fuffzig Männer vor mir hatte und ich erst eine Frau dann is das ihre Sache
YI:
Hm
Am:
muß sie selber wissen, was sie brauch oder (.) nich brauch(.)
An das Sexualverhalten von Frau und Mann unterschiedliche Standards anzu-
legen wird entschieden verurteilt. Hier wie auch sonst wird eine Reziprozitätsnorm eingefordert. Was Charles recht ist, kann Diana nur billig sein. Erneut verschafft sich das individualistische Prinzip Geltung. Solange keine andere Person dadurch Schaden erleidet, soll jeder Mensch die Sexualität leben dürfen, die seiner persönlichen Lust und seinen Bedürfnissen entspricht. Auch eine Frau, deren Bedarf an sexuellen Kontakten erheblich größer ist als der eigene, wird nicht nur toleriert, sie kommt durchaus als potentielle Partnerin in Frage ("fuffzig Männer vor mir hatte"). Der Gedanke an eine solche Konstellation löst bei den studentischen Gruppen hingegen heftige Abwehrreaktionen aus. Wie der Fortgang der Diskussion zeigt, sind die Grenzen des Erlaubten sehr weit gesteckt; sexueller Verkehr mit Tieren wird toleriert: "Und wenn einer das braucht, sag ich mal, das mit irgendwelchen Tieren zu machen, soll er das machen". Nicht mehr im Bereich des Akzeptablen sind Sexualkontakte von erwachsenen Männern mit Kindern. Da fordern sie radikale Maßnahmen, die sich in ihrer Rigidität (Pranger, Kastration) deutlich von ihrer sonstigen Liberalität unterscheiden: "Ist das Thema durch, ab hier an den Roland, Hose runter, Ding ab". Die Desexuierung und das individualistische Prinzip, die dem Gleichheitspostulat zugrundeliegen, haben des weiteren zur Folge, daß das egalitäre Denken jeder (geschlechter-)politischen Fundierung entbehrt. Dies zeigt sich sehr deutlich an der Abgrenzung gegenüber dem Feminismus. Die Art, wie die Empörung über ungleiche Entlohnung für gleiche Arbeit begründet wird, hat bereits deutlich gemacht, daß eine feministische oder emanzipatorische Rahmung des Gleichheitspostulats abgelehnt wird (s.o.). Der Feminismus erscheint als negativer Gegenhorizont, weil er aus Individuen, die 'zufällig' dem einen oder dem anderen Geschlecht angehören, Mitglieder einer Geschlechtskategorie macht. Die Männer sehen sich pauschal stigmatisiert, der Chance beraubt, in ihren individuellen Besonderheiten, die sie als Person zu verantworten haben, wahrgenommen zu werden. Das führt bei der Gruppe der Zeitsoldaten zu einer sehr scharfen Auseinandersetzung mit dem Feminismus: Am:
Cm: Am:
Hm dieses dieses Wort ich weiß nich ich hasse dieses Wort, zum Beispiel (.)
LJa
weißt du diese Alice Schwarzer oder wie se heißt (.) die erzählt immer hier,
271
LJa
Cm: Am:
Männer sind, sag ich mal, die Schweine schlechthin und LHm
Y\:
?m: Am:
Cm: YI:
Joa
LSo ne (.) das sind die Frauen, sag ich mal, die irgendwo geistig schon abgeschaltet haben, die kennen nix andres aber das (.) das hat nix mit Emanzen zu tun oder mit Emanzipi-, wenn du geistig oder körperlich (.) gut bist, sag ich mal oder echt gut drauf bist (.) dann brauchst du nich sagen, ich bin ne Emanze oder so (.) ich bügle jetzt nich, sondern ich such mir jetzt n Job, wo ich anfassen kann, sondern du tust es einfach, du redest nich (.) du machst es einfach ftir dich und nich für die Gesellschaft (.) LJa LHmhm
Diese Sequenz verdeutlicht prägnant, wie der Antifeminismus auf der fur die jungen Facharbeiter typischen individualistischen Leistungsethik basiert. Eine in welcher Hinsicht auch immer leistungsfähige und -willige Frau ("geistig oder körperlich ... gut drauf') begründet ihre Absage an die traditionelle Arbeitsteilung nicht politisch-feministisch, sie praktiziert das, was sie will, als etwas Selbstverständliches ("du tust es einfach"), und sie tut dies allein in Verfolgung der eigenen Interessen, nicht aber als einen Beitrag zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse. Frauen hingegen, die wie die Feministin Alice Schwarzer das Handeln der Männer wie das eigene gescWechtskategorisiert rahmen, gelten als geistig borniert. Die Bornierung erscheint als selbstverschuldet, die Frauen hätten "geistig schon abgeschaltet". Und deshalb seien sie zu einer 'wirklichen', d.h. individuellen Emanzipation nicht fähig. Eine Welt der Praxis
Neben der individualistischen Leistungsethik ist in der Sequenz eine weitere zentrale Orientierung dokumentiert: ein pragmatisches Motiv. Entscheidend ist, was eine Person tut, nicht das, was sie sagt oder ankündigt. Eine "Emanze", so heißt es an anderer Stelle, "gibt es eigentlich gar nicht. Das ist ganz einfach eine Frau, die genauso ihre Arbeit macht wie alle anderen auch". Die Welt dieser Männer ist eine der Praxis, des 'Anpackens' und 'Erledigens', ohne viel Worte darüber zu verlieren. Daß gesellschaftliche Strukturen in hohem Maße veränderungsresistent sind, resultiert ihrer Ansicht nach aus einem Mangel an 'zupackender' Praxis. Sie explizieren das am Beispiel der Vorurteile, denen homosexuelle Männer konfrontiert sind, und der Hindernisse, die schwulen Lebensgemeinschaften entgegengestellt werden. 272
Cm: Am: Cm:
Na dann müßt man ja was ändern und das Ändern hier L Ja das is immer schwierig L Das dauert ja alles so lange, man muß ja erstmal reden, bevor man was tut (.) und dann wird irgenden Thema totgeredet und dann hat sich das Th- im Prinzip schon erledigt (.) ne (.) wenn die einfach mal sagen würden, okay warum sollen Homosexuelle nich heiraten, ist doch humpe, is doch egal (.) also können ses doch machen (.) ne
Das pragmatische Motiv macht sich auch in der Darstellung des partnerschaftlichen Zusammenlebens als ein egalitär strukturiertes geltend. In welchem Maße der Alltag der Beziehungen als ein Verhältnis von Gleichen organisiert ist, kann dahingestellt bleiben, entscheidend ist die in den Schilderungen sich dokumentierende Logik der Begründung. Danach ergibt sich eine Aufteilung der Arbeiten im Haushalt gleichsam von selbst, als eine Notwendigkeit, die aus der Berufstätigkeit von Mann und Frau resultiert. Die folgende Sequenz aus der Diskussion mit den Footballern zeigt dies. Am:
Und zuhause bei mir is das genauso meine Freundin is genauso berufstätig wie ich und wenn ich Spätschicht hab ja dann werde ich dazu äh ich sach mal mehr oder wenich verdonnert wei ichs nicht so gerne mach (I) abzuwaschen
Y2:
L (lacht)
Am:
und staubzusaugen egal wir teilen uns die Hausarbeit meine Sachen muß ich
YI: Am:
Yl: Am:
LHm auch selbst bügeln das sind so ganz nonnale Sachen als ich damals bei ihr eingezogen bin da hat sie klipp und klar gesacht so deine Hemden bügelst du selbst hab ich keine Lust zu ferdich ja damit muß ich leben ich mein gut das LHm kannt ich weil ich vier Jahre bei er beim Bund war und damit hab ich keine
Yl: Am:
LHm Probleme meine Sachen selbst zu bügeln oder so
Das Arrangement, das dieser Mann und seine Freundin getroffen haben, erscheint als ein durch und durch pragmatisches. Die Berufstätigkeit von beiden ist ihm Grund genug, in eine Aufteilung der Hausarbeit einzuwilligen. Die Gleichheit der beruflichen Belastung bestimmt die Argumentation. Da seine Freundin im Beruf genauso viel leistet wie er, akzeptiert er es, im Haushalt auch unangenehme Arbeiten zu übernehmen. Wie auch sonst werden hier individuelle Leistungen und Ansprüche miteinander verrechnet. Eine denkbare emanzipatorische, geschlechterpolitische Rahmung fehlt vollkommen. Die Freundin artikuliert 'einfach' und 'direkt' ihre Unlust, handelt also 273
pragmatisch und nicht politisch. Das kann der Mann akzeptieren, eine feministische Rahmung der Unlust provozierte hingegen eine Abwehr der von seiner Freundin geltend gemachten Ansprüche. Der Mann schildert die Freundin als eine selbstbewußte Person, die ihre Interessen offensiv vertritt. Auch wenn er die ihm übertragenen Hausarbeiten nicht unbedingt gerne erledigt, sehnt er sich nicht danach, zu einer traditionellen Arbeitsteilung zurückzukehren245 . Frauen, die sich darauf einließen, erscheinen den jungen Facharbeitern nicht als attraktive Partnerinnen. Mit einem ,,Hausmütterchen", die nur der Haushalt und die Erziehung der Kinder interessieren, "würde ich nicht zurecht kommen", bekundet einer aus der Gruppe der Zeitsoldaten. In ihrem Plädoyer für egalitäre Verhältnisse und in der Akzeptanz, wenn nicht gar Erwartung einer selbstbewußten Partnerin repräsentieren die jungen Facharbeiter eine modernisierte Form von Männlichkeit, die sich freilich weder der Reflexion über den eigenen GescWechtsstatus verdankt noch unmittelbare Reaktion auf lebensweltlich wirksame feministische Forderungen ist. Die - im Vergleich zu den älteren Männern wie zu den gleichaltrigen aus dem studentischen Milieu - modernisierte Männlichkeit ist eine unbeabsichtigte Folge innerhalb pragmatischer Arrangements, für deren Gestaltung ganz andere Motive als geschlechterpolitische bedeutsam sind. Die als selbstverständlich wahrgenommene Berufstätigkeit der Partnerin und deren ebenfalls nicht in Rede stehendes Anmelden eigener Interessen verlangen den Männern eine egalitäre Orientierung ab, die auf der Folie einer individualistischen Leistungsethik auch problemlos entwickelt werden kann. Ihr Geschlechtsstatus, den sie ohnehin als irrelevant betrachten, ist davon nicht tangiert. Wenn einer dieser Männer im Rahmen eines solchen pragmatischen Arrangements putzt, bügelt oder sonstige, traditionell der Frau zugewiesene Arbeiten erledigt, dann bedeutet das für ihn nicht, daß er sich "als Mann heruntergesetzt" fühlt. Weil die Partnerin ihre Forderungen an den Mann nicht feministisch motiviert, sieht dieser sich nicht als Mitglied einer Geschlechtskategorie vor die Aufgabe gestellt, gescWechtsuntypische Tätigkeiten auszuüben, sondern als Individuum angesprochen, das seine Leistung zu erbringen hat. Müßte er sein Bügeln geschlechtlich konnotieren, dann bestünde die Gefahr, daß er sich als Mann degradiert wahrnähme. In einer Perspektive, welche die in den Gruppendiskussionen gewonnenen Daten transzendieren, lassen sich freilich die von den Männern geschilderten egalitären pragmatischen Arrangements auch als eine Folge des Wandels begreifen, den die Frauenbewegung für das GescWechterverhältnis er245 Ob die jungen Facharbeiter bereit wären, deren Allliehmlichkeiten zu 'genießen', weilli ihre Paltnel;nnen ihnen dies ennöglichten, läßt sich anhand der Daten nicht beUlteilen. Niemand von ihnen hat offensichtlich eine Frau oder freundin, die bereit ist, die traditionelle Frauenrolle zu übelllehmen.
274
zielt hat. Das Selbstbewußtsein, mit dem die Partnerinnen der jungen Facharbeiter offensichtlich auftreten, wäre woW nicht möglich ohne die Veränderungen, die das Frauenbild in den letzten vierzig Jahren erfahren hat. Die Berücksichtigung dieser den Kontext des Gruppendiskurses übergreifenden gesellschaftlichen Entwicklungen ändert jedoch nichts an der Einschätzung, daß die pragmatisch modernisierte Männlichkeit keine Folge eines intentionalen Handeins der Männer ist. Mithin sind die jungen Facharbeiter auch nicht als Protagonisten eines neuen Männerbildes zu begreifen. Das unterscheidet sie fundamental von den im vorigen Kapitel vorgestellten 'bewegten' Männern, deren Intentionalität sie den Widerspruch zwischen (intellektuellem) Anspruch und dem, was sie an Veränderung realisieren können, schmerzhaft erleben läßt. Die feste Einbindung in die Welt des Pragmatischen und die Desexuierung der egalitären Einstellung bewahren die jungen Facharbeiter davor, eine habituelle Verunsicherung zu erfahren. Wollten sie das, was sie tun (Bügeln, Waschen usw.), geschlechterpolitisch intendieren, gerieten sie wahrscheinlich in ähnliche Dilemmata wie die 'bewegten' Männer. Weil sie aber keinen geschlechterpolitischen Anspruch haben, kann eine unzureichende Erfüllung von Haushaltspflichten nicht zur Quelle von SchuldgefüWen werden, die sich auf den Mann als Geschlechtswesen richten. Die vermutlich anstehenden Auseinandersetzungen mit der Partnerin tangieren nicht den GescWechtsstatus. Mögliche Selbstvorwürfe betreffen allein ein individuelles Leistungsversagen. . Angesichts der in mehrfacher Hinsicht gegebenen Tendenz zur Desexuierung des Handelns des eigenen wie des anderen Geschlechts stellt sich die Frage, inwieweit bei diesen Männern überhaupt noch von einem männlichen GescWechtshabitus gesprochen werden kann. Zumindest die Darstellungen erwecken den Eindruck, als sei das Handeln dieser Männer enthabitualisiert, als hätten sie sich aus dem "staWharten Gehäuse der Hörigkeit" zwar nicht befreit - das setzte Intentionalität voraus - aber doch irgendwie 'davongestoWen'. Anders als bei den 'bewegten' Männer dokumentiert sich an keiner Stelle der Diskussionen eine Sehnsucht nach den Symbolen hegemonialer Männlichkeit, weder manifest noch latent. Folgt man dem Verständnis sowohl konstruktivistischer als auch dekonstruktivistischer Geschlechtertheorien, dann setzt eine Aufhebung der geschlechtlichen Ungleichheit eine Auflösung bzw. Dekonstruktion der Differenz voraus. Als eine mögliche politische Strategie erfahrt die auf die Arbeiten Judith Butlers (1991, 1997) sich beziehende queer-politics gegenwärtig eine gewisse Aufmerksamkeit. Auch wenn man von der Unsichtbarkeit eines geschlechtlichen Habitus in den Gruppendiskussionen nicht darauf schließen kann, daß er im alltäglichen Handeln ebenfalls verschwunden ist, so geben die Diskussionen mit den jungen Facharbeitern vielleicht doch einen Hinweis, wie anders als durch eine bewußte Identitätspolitik die Differenz lebensweltlich dekonstruiert werden könnte: im Rahmen pragmatischer Arran275
gements, in denen die Geschlechtszugehörigkeit praktisch bedeutungslos wird, weil sich keine soziale Differenzierung von Aufgaben und Arbeiten mehr daran knüpft. Demgegenüber bestätigen alle Versuche der 'bewegten' Männer, "weibliche Anteile" in die eigene Persönlichkeit zu integrieren, trotz aller Bemühungen um Grenzüberschreitungen die Bedeutsarnkeit der Differenz. Die 'Anteile' bleiben geschlechtlich konnotiert. Die jungen Facharbeiter hingegen weinen, wenn ihnen danach zumute ist, laden dies aber nicht mit einer geschlechtlichen Bedeutung auf. Möglicherweise trägt dies mehr zu einer Auflösung von Grenzen und von Standards geschlechtsangemessenen Verhaltens durch Männer bei als jedwede intendierte Politik zur Veränderung von Männern 246 .
7.6 Männerwelten und Frauenbilder. Zur 'männlichen' Konstruktion der Frau Daß Geschlecht eine Kategorie ist, die notwendigerweise relational zu bestimmen ist, ist auf der Ebene theoretischer Konzeptualisierung leicht plausibel zu machen. Frauen gibt es nur, insoweit es Männer gibt, und vice versa. Wenn diese These mehr als ein theoretischer Gemeinplatz und nicht nur in einem biologischen, sondern vor allem in einem sozialen Sinne bedeutsam sein soll, dann muß gezeigt werden, wie jede Konstruktion von Männlichkeit eine Konstruktion von Weiblichkeit zumindest implizit beinhaltet. Ich werde im folgenden skizzieren, welche Frauenbilder den zuvor rekonstruierten Typen kollektiver Orientierungen von Männern entsprechen 247 . Die Analyse des Frauenbildes der Männer zeigt deutlich, daß Relationalität der Kategorie Geschlecht nicht heißt, daß das Fremdbild einfach das 'Negativ' des Selbstbildes ist. Ein Denken in binären Polaritäten liefe Gefahr, der alltagsweltlichen Vorstellung von 'Geschlechtscharakteren' aufzusitzen. Wenn z.B. die 'wilden Männer' die eigene Aggressionsentfaltung in den Vordergrund stellen, heißt das nicht notwendig, daß sie Frauen als aggressi246 Amelikanische Studien zu einer ganz anderen Paarkonstellation in einem ganz anderen sozialen Milieu, zu sog. dual career coup/es - das sind Paare, in denen Frau und Mann eine professionelle KalTIere velfolgen - zeigen, daß egalitäre Beziehungsarrangements nicht auf das Arbeitellnilieu beschränkt sind, daß die Tendenz zu einer Gleichvelteilung der im Haushalt anfallenden Arbeiten aber auch bei den Kanierepaaren weniger ein Ergebnis intentionaler Bemühungen als unbeabsichtigte Folge der Vereinigung zweier Kallieren unter dem Dach einer Ehe ist. Geschlechterpolitische Absichten scheinen nicht im Spiel zu sein. "Far from being the avant-garde of a social movement, with an alticulate vision of what they want to create, these couples are notable for their lack of ideological prescliptions about the equality ofmalital roles. lnstead, combining two equally demanding (and rewarding) careers, they simply practice such equality." (Heltz 1986, S. 33) 247 Hierbei beschränke ich mich auf einige wenige zentrale Punkte. Zur RekonstlUktion der männlichen KonstlUktion der Frau vgl. auch Behnke 1997.
276
onsarm begreifen. Binäre Codierung ist vielmehr ein Prinzip der Konstruktion der Geschlechterdifferenz, das für bestimmte männliche Subsinnwelten typisch ist. Für die habituelle Sicherheit vermittelnde traditionelle Männlichkeit ist eine Trennung von Männerwelten und Frauenwelten konstitutiv. Dieser Trennung korrespondiert eine stark ausgeprägte Tendenz zu einer Konstruktion von Weiblichkeit als binäre Opposition zu Männlichkeit. Diese Tendenz ist bei den Männem aus höheren sozialen Strata stärker ausgeprägt als bei denen aus unteren Schichten. Eine Auflistung der über die Gruppendiskussionen verstreuten Äußerungen über Frauen ergäbe zunächst eine Ansammlung bekannter Klischees und Stereotype. Die 'tratschende Frau' fehlt ebensowenig wie die 'Intrigantin' , die 'stärkere Emotionalität der Frau' wird ebenso betont, wie die 'liebevolle, häusliche Mutter' beschworen wird. Solche Attribuierungen und Etikettierungen lassen jedoch nicht den Kern der traditionellen männlichen Konstruktion der Frau sichtbar werden. Der Vergleich zwischen den verschiedenen sozialen Milieus macht deutlich, daß die zugeschriebenen Attribute negativer oder positiver, mehr oder minder stereotyp ausfallen können, daß aber unabhängig davon und in einem fundamentalen Sinne die Definition der Frau über die Hausarbeit geschieht. Ein Facharbeiter: "lch will, daß eine Frau eine Frau bleibt, daß ganz einfach, ja und für mich eine Frau, die hat sich darum zu kümmern - das ist nun mal ganz einfach so, so seh ich das - ja um Kinder, die dann eventuell mal kommen - ich habe keine, aber kann ja mal sein -, und hat den Haushalt zu machen, ist ganz einfach, so seh ich das."
Die Definition der Frau über die Hausarbeit geschieht u.a. vor dem Hintergrund des Interesses, daß Geschlechtergrenzen nicht verwischt werden. Damit wird die Hausarbeit zu dem Bereich, in dem die Frauen sich - den Männem gegenüber - als Frau zu beweisen haben. Frauen, die die Hausarbeit nicht als ihre Aufgabe und Domäne begreifen, stehen in Gefahr, ihre Weiblichkeit zu verlieren 248 • Wie generell das Geschlechterverhältnis nicht als ein Machtverhältnis begriffen wird, so gründet die Verpflichtung der Frau auf die Hausarbeit auch nicht auf Zwang. Freiwillige und freudvolle Akzeptanz der 'weiblichen Bestimmung' durch die Frau ist ein für diese männliche Konstruktion fundamentales Deutungsmuster, wie die folgende Sequenz aus der Gruppendiskussion mit den Freizeitfußballern zeigt.
248 Die so legitimielte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ist im übligen eine notwendige Voraussetzung, daß die Männer sich allabendlich in die homosoziale Welt der Kneipe begeben können. lnsofem, als der Rückzug in reine Mälmelwelten habituelle Sicherheit vermittelt bzw. stützt, trägt die Verpflichtung der Frau auf die Hausalbeit zur Stärkung dieser Sicherheit bei.
277
Cm:
Also ich würde es nie nie erlauben was heißt erlauben wir würden es nich so
LJa
?m: Cm: Bm: Cm:
durchdiskutieren meine Frau und ich (.) daß sie jetzt nun voll berufstätig is
LIn
Teilzeit
und stattdessen als äh stattdessen eine äh Haushaltsgehilfin und Erzieherin einstellen würden (.) weil das is die die Mutter-Kind-Beziehung das is ja Familencharakter Familiencharakter geht für mich dabei verloren (I) und meine Frau fühlt sich also in dieser Aufgabe wohl (.) is also nich so daß daß sie sich nun in diese Aufgabe hineingedrängt gezwängt fühlt (.) und lieber was ganz andres machen würde sie nimmt die Aufgabe als solche an
LDie is glücklich die is glücklich
Bm:
Dieser wie andere Berichte über die familiäre Situation lassen den Schluß zu, daß in der Welt der traditionellen Männlichkeit eine weitgehende Kongruenz zwischen der den Frauen angesonnenen Rolle und deren Rollenperformanz gegeben ist. Die Ehefrauen dieser Männer handeln, was den zentralen Bereich der Arbeitsteilung betrifft, anscheinend so, wie es die von den Männem verfaßten Skripten vorsehen. Ob die Frauen ihre Situation so wahrnehmen, wie es die Männer interpretieren, ob sie also glücklich in ihrer Tätigkeit aufgehen, läßt sich auf der Basis des vorliegenden Datenmaterials nicht entscheiden. Wohl aber besteht kein Anlaß zu zweifeln, daß sie die Rolle der Hausfrau praktisch und offensichtlich zur Zufriedenheit der Männer ausfüllen. Wie wichtig diesen Männer die Identifikation der Frauen mit der Hausfrauenrolle ist, wird an der empörten Reaktion auf die Tatsache deutlich, daß heute immer mehr Frauen den Wert des Hausfrauendaseins in Frage stellen. Em:
Cm: Em:
Ich hab zu meiner Frau gesagt (.) und dazu steh ich auch absolut (.) daß der qualifizierteste Beruf (.) den eine Frau haben kann vom Spektrum der Vielfältigkeit her (.) der der Hausfrau is (.) und mich ärgert es jedesmal wenn ich im Femsehn (.) ein eine ein Quiz oder ne Talkshow sehe und man fragt eine Frau was sind sie von Beruf und dann sagt sie nur Hausfrau (.) ich habe
LJa das is
schlimm
gesagt zu meiner Frau wenn ich ne Frau wär würd ich sagen ich bin
LNur ja
?m: Em: ?m:
278
Hausfrau (.)
LJa stolz muß man sein
Die überhöhende Stilisierung der Hausfrauentätigkeit und die begriffliche Gleichsetzung mit (männlicher) Berufstätigkeit ("qualifizierteste Beruf') soll den Frauen die Selbstverpflichtung in einer Epoche erleichtern, in denen sie damit Gefahr laufen, aus dem öffentlichen Konsens, wie er vor allem von den Medien präsentiert wird, herauszufallen. Die positive Identifikation der Frauen mit der Hausarbeit ist kein bloßes 'schmückendes Beiwerk', das das Eheund Familienleben 'netter' macht, sie ist notwendig, damit die Männer in der Familie die emotionale Entlastung finden, die diese Institution tur sie zu einer Quelle habitueller Sicherheit macht (s. Kap. 7.7)249. Die Definition der Frau als Hausfrau findet eine legitimatorische Basis in dem tur diese Sinnwelt grundlegenden Deutungsmuster der physiologischen Fundiertheit der Geschlechterdifferenz. In den Worten eines Mitglieds des Herrenclubs: "Ich kann es einfach nicht verstehen, daß die Frau sich irgendwie diskriminiert ftihlt. Es gibt Unterschiede, die sind biologisch bedingt, die sollte man akzeptieren. Man kann von der Frau keinen Mann machen und umgekehrt nicht, und ich finde es auch gut so. Und ich finde auch es sehr gut als Mann, daß die Frau etwas anders ist."
Mit diesem Verweis auf die biologisch vorgegebenen Imperative wird der eigene Beitrag zur Aufrechterhaltung tradierter Verhältnisse bzw. die eigene Konstruktionsleistung unkenntlich gemacht. Die selbstbewußte Zustimmung zum eigenen habituellen Schicksal impliziert einen Beitrag zur Perpetuierung des habituellen Schicksals der Frau. Auch in dieser Hinsicht erweist sich die These von der Relationalität der Kategorie Geschlecht als zutreffend. Das Anderssein der Frau schafft eine unüberbrückbare Differenz, welche die Frau in einem existentiellen Sinne als fremd erscheinen läßt. Zwar hilft das 'Wissen' darum, daß Frauen sich über die Hausarbeit definieren, einige 'merkwürdige' Verhaltensweisen und Ansichten von Frauen zu begreifen (z.B. deren "Eitelkeit", deren geringe Toleranzschwelle gegenüber Staub oder daß sie sich durch farblich nicht aufeinander abgestimmte Kleidungsstücke in ihrem ästhetischen Empfinden gestört tuhlen); verstehen läßt sich die Sinnwelt der Frauen letztlich nicht. Wie sehr diese den Männern fremd ist, dokumentiert sich in der Bemerkung eines Mannes, er habe zur Vorbereitung auf die Gruppendiskussion seine Frau "heimlich beobachtet"25o. Die Fremdheit 249 Eine freudvolle Akzeptanz der auferlegten Pflichten kennzeichnet auch ein anderes Deutungsmuster, das zum Grundinventar der bürgerlichen Konstruktion der Frau gehÖlt: das der "Mutterliebe". Noch in den fünfziger Jahren dieses Jahrhundelts postulielten bekannte und einflußreiche Psychologen wie Bowlby und Winnicott, daß die Mutter "aus der Hingebung an das Kind persönliche Bereichenmg und Freude zu gewinnen hat. ... Die Mutter der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundelts kann ilu'e Pflichten bis zur Erschöpfung ausüben, trotzdem macht sie sich schuldig, wenn das Geruhl persönlicher Bereicherung ausbleibt oder gar unbewußte negative Empfindungen existieren" (Schütze 1992, S. 45). 250 Die Fremdheit geht offensichtlich auch nach zwanzig und melu' Jalu'en des Zusalrunenlebens mit einer Frau nicht verloren.
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mag auch erklären, weshalb diese Männer besonders häufig in Form von Stereotypen über Frauen sprechen. Obschon die Frauen als Fremde wahrgenommen werden, sind sie definierbar - als Gattungswesen. Darin unterscheidet sich die männliche Konstruktion der Frau entscheidend von der maskulinen Selbstwahrnehmung. Sich selbst begreifen diese Männer, vor allem die aus dem bürgerlichen Milieu, als Individuen, die derart verschieden sind, daß man sie nicht unter eine gescWechtliche Kategorie subsumieren kann: "Also im Prinzip kann ich nicht sagen, ich bin stolz ein Mann zu sein, ich bin nur stolz oder froh, daß ich der bin, der ich bin". Der Wert eines Mannes bestimmt sich nach dem, was er leistet, der Wert der Frau hingegen ist unabhängig von dem, was sie tut, an ihre Reproduktionsfähigkeit geknüpft. Derselbe Mann (aus der Gruppe der Freizeitfußballer), der die Selbstidentifikation jenseits von gescWechtlichen Kategorien vornimmt, sagt über Frauen: Cm:
Zum Beispiel hab ich zwei Töchter und ich lege auch Wert drauf und sags denen immer wieder den der der Wert von von Frauen is also äh äh äh sehr erheblich ne (.) das is
l
Bm: me:
Cm:
unbezahlbar
(lachen)
Lnatürlich ne also zur Arterhaltung is es also den Frauen durchaus wichtiger als die Männer im Prinzip
Anders als über Männer sind über Frauen generalisierende Aussagen möglich; sie werden als Gattungswesen begriffen. Damit sind die Frauen über ihre biologische Ausstattung definiert. Hier zeigt sich, wie das Deutungsmuster des physiologischen Fundiertseins der Geschlechterdifferenz in sich geschlechtlich differenziert ist und wie das bekannte Muster Kultur versus Natur fortlebt: der Mann als Kulturwesen, das in seinen individuellen Schöpfungen zu begreifen ist, und die Frau als Naturwesen. Stolz können beide GescWechter sein, freilich auf Unterschiedliches: Männer auf das, was sie leisten, Frauen auf das, was ihnen von der Natur zudiktiert wird251 . Als von der Natur auferlegt gilt diesen Männern auch die Hausfrauentätigkeit, auf die Frauen, wie gesehen, ebenfalls stolz sein könnten. Männer hingegen können stolz darauf sein, daß sie durch ihre Leistung ihren Ehefrauen ermöglichen, die Tätigkeiten auszuüben, aus denen allein diese ihr Selbstbewußtsein schöpfen sollten: Em:
Und ich will Ihnen ganz ehrlich sagen meine Frau hat es Gott sei Dank wirtschaftlich nicht nötig zu arbeiten und ich bin stolz darauf daß ich ne
251 Hier zeigt sich, daß und wie die Geschlechtennetaphysik eines TÖIUlies und auch die eines Simmel (s. Kap. 1.1 u. 1.2) hundelt Jahre, nachdem sie verfaßt worden sind, Bestand haben.
280
Superhausfrau habe neben ner Ehefrau nech das das ist der Punkt und das solln sich manche mal vor Augen fiihm je- ja die fragen Sie heute mal was sind Sie ja ich bin äh Ärztin ich bin Biologin ich bin dies oder bin jenes (.) fiim Arsch is das (.) is alles gut das is aber im
L(lachen)
me: Em: ?m:
Vergleich Entschuldigung ich sag das mal so wie ichs denk
LJa
LJa wirklich da haste recht
Eine Frau, die ihr Selbstwertgefuhl auf eine berufliche Leistung gründet, also auf etwas, das sie als Individuum von anderen Frauen (und von Männern) unterscheidet, verfehlt nach Meinung dieser Männer ihre 'Bestimmung' und bedroht damit die prästabilisierte Harmonie der tradierten Geschlechterordnung. Diese Bedrohung erklärt die heftigen Reaktionen ("furn Arsch"). Die habituelle Sicherheit dieser Männer lebt ganz entscheidend davon, daß ihre Ehefrauen sich den mit der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht auferlegten Pflichten nicht verweigern. Während den in der Tradition verhafteten Männern die Sinnwelt der Frau fremd bleibt, obwohl sie in 20 und mehr Jahren des ehelichen Zusammenlebens genug Möglichkeiten gehabt hätten, diese Welt näher kennenzulernen, erfahren diejenigen jungen Männer, deren habituelle Sicherheit prekär ist, die Frauen als fremde Wesen eher deswegen, weil sie noch kaum Gelegenheit gehabt haben, in einer partnerschaftlichen Gemeinschaft Denken und Fühlen einer Angehörigen des anderen Geschlechts unmittelbar zu erfahren. Ihr Reden über Frauen beinhaltet vor allem Spekulationen und Vermutungen. Sie reden viel über Frauen, und sie bedienen sich dabei häufig und gerne einer 'zotigen' Ausdrucksweise. Das korrespondiert dem proletenhaften Benehmen, das sie - den eigenen Berichten zufolge - auch dann an den Tag legen, wenn sie im Gruppenkontext Frauen ansprechen (s. Kap. 7.3). Daran zeigt sich zweierlei: Frauen in ihrer Eigenschaft als potentielle Sexualpartnerinnen sind das Thema, das sie am meisten beschäftigt, andererseits sehen sie sich genötigt, sich von dem primären 'Objekt der Begierde' deutlich zu unterscheiden, sich abzugrenzen. Diese Ambivalenz setzt sich fort in einer gleichzeitig vorgenommenen Abwertung und Überhöhung der Frau. Auf diese Weise dokumentiert sich die prekäre Sicherheit dieser jungen Männer auch in deren Beziehung zum anderen Geschlecht. Die Gruppe der Footballer bemerkt, nachdem sie bereits ungeHihr 25 Minuten diskutiert haben, daß sie immer wieder auf das "leidige Frauenthema" zu sprechen kommen. Das freilich "bleibt nicht aus beim Thema Männer, weil das ist halt eigentlich der, ja der größte Faktor irgendwie". Ein Mann denke "ständig und immer" an Frauen, und insofern seien Frauen "das bestimmende Thema". Die Dominanz dieses Themas hat freilich nicht zur Folge, daß die Männer wissen, wie Frauen denken und welche Interessen sie ha281
ben. Darüber haben sie nur Vermutungen; allerdings nehmen sie an, daß Frauen andere Interessen und Präferenzen als Männer haben. Die Gruppe expliziert das anhand des Bereiches, in dem die Frauen ihr Denken und Reden beherrschen: anhand sexueller Bedürfuisse: Am:
Was mich interessieren würde is äh (.) wenn ne Frau jetzt das erste Mal nen Mann sieht und den attraktiv findet also ob die dann auch gleich ans Knallen denkt oder
Ern:
Bestimmt nich
Bm:
Nein das is tatsächlich so daß viele F- also was ich so gehört hab bisher mitgehört hab (2) so da gehts nich gleich ob oh wie groß is sein Schwanz
LJa oder auch
Ern: Bm:
oder so wir reden ja gleich oah hat sie geilen großen Titten
me: Bm: Am: Bm:
so
L(lachen) LJa is doch
LJa is so LJa aber Frauen denken nich darüber nach wie groß dein Schwanz is
oder so
Obwohl die Sinnwelt der Frauen ihnen fremd ist, vermuten sie, daß diese die Männer anders wahrnehmen als sie die Frauen. Vor allem nehmen sie an, Frauen sähen Männer nicht primär als potentielle Sexualpartner und urteilten über die Attraktivität eines Angehörigen des anderen GescWechts nach anderen Kriterien als sie selbst. In einer anderen Passage der Diskussion spekulieren sie darüber, daß Frauen auch anders über das Thema Sexualität redeten als sie: "lange nicht so ordinär" und "nicht so heftig". Insgesamt vermuten sie, Frauen hätten eine andere Einstellung zur Sexualität als Männer. Frauensexualität sei "mehr psychisch bedingt", das meint: an eine emotionale Zuneigung zum Partner gebunden; Männer hingegen seien stärker triebgesteuert: ,,Bei uns ist es einfach, ja eben kurz den Trieb stillen und dann Tschüß"252. Solche Bekundungen referieren freilich weniger die sexuelle Praxis dieser Männer, als daß sie Ausdruck ihrer kognitiven Konstruktion der GescWechterdifferenz sind. Sie stellen sich den Unterschied von Mann und Frau in dieser Weise vor. 252 Wenn es um die Unterschiede der Geschlechter hinsichtlich des Sexuellen geht, läßt sich eine eigentümliche Umkeluung des Deutungsmusters Kultur versus Natur beobachten. Hier, aber auch nur hier, folgt der Mann ulUnittelbar einem natürlichen Trieb, wälu'end die Bedürfnisse der Frau kulturell übelfonnt sind. Es scheint, als müsse ein möglicher Kontrollverlust des MalUles durch den Verweis auf den Trieb als zuweilen unvenneidbar und vom Mann nicht verantwOltbar gerechtfeltigt werden.
282
Die prekäre Sicherheit, in der diese Männer leben, bringt es mit sich, daß das Anderssein der Frau nicht einfach als hinzunehmende Fremdheit wahrgenommen wird, wie dies bei den traditionell orientierten Männern geschieht. Die Frau ist anders auch in dem Sinne, daß sie eine 'Reinheit' symbolisiert, die in der 'ordinären' Welt der Männergemeinschaft nicht zu finden ist. Sie ist "der saubere Teil im Leben", "die helle Seite der Macht". In der Idealisierung wird die Fremdheit freilich umso größer. Das dokumentiert sich in geradezu grotesk anmutenden Überlegungen: Em:
Sozusagen (.) nä trinkt nich raucht nich
Bm: me: (Dm):
Cm: Em: Dm:
genau
Lfurzt nich rülpst nich L(lachen) LJa LJa genau
LGenau LJa
Cm:
Find ich eklig wenn Frauen das machen aber
Bm:
(Nur) kann ich mir zum Beispiel nich vorstellen, daß ne Frau scheißt (.)
me:
(lachen)
(Dm):
LJa stimmt ey
Man kann wohl unterstellen, daß diese Männer wissen, daß gewisse Körperausscheidungen nicht geschlechtsexklusiv sind, und daß sie schon rauchende und Alkohol konsumierende Frauen gesehen haben. Was sich hier dokumentiert, ist eine Form der Idealisierung, die bei dem anderen Geschlecht all das nicht wahrnehmen möchte, was im Kontext der Gruppe zum symbolischen Inventar der proletenhaften Selbstinszenierung gehört. Hier wird nicht nur - wieder einmal - ein doppelter Standard sichtbar, der den Frauen nicht zugesteht, was man sich selbst erlaubt, es zeigt sich, daß diese 'Doppelmoral' notwendig ist, um die Idealisierung der Frau aufrecht erhalten zu können. Ein Verzicht auf den doppelten Standard gefährdete den Status der Frau als 'Heilige'. Eine Frau, die sich in gleicher Weise wie sie proletenhaft benähme, verlöre ihre Achtung, evozierte Reaktionen des Ekels 253 . Sie könnte vor allem nicht die ordinäre Welt der Männer aufhellen, wäre nicht mehr "die helle Seite der Macht", deren dunkle Seite wohl nur der Mann repräsentieren kann. 253 Nicht nur hinsichtlich der Konstruktion der Frau ist diese Sequenz aufschlußreich; sie enthüllt ein weiteres Mal, wie prekär das Selbstbild ist. Wenn das eigene Verhalten ein höherwertiges Wesen emiedligt, haftet diesem Verhalten wohl etwas Minderwertiges an.
283
Die andere Seite des doppelten Standards besteht in einer Abwertung von Frauen, die nicht dem Idealbild der Reinheit entsprechen. Wo die 'Heilige' nah ist, ist die 'Hure' nicht fern. Wie oben dargestellt (Kap. 7.3), gelten Frauen, die sich proletenhaft benehmen, als asozial und sexuell aktive Frauen als "ScWampen". Auch folgt aus der Idealisierung nicht, daß Frauen mit Hochachtung behandelt werden. Gerade weil das Ideal überzogen grotesk formuliert ist, ist nicht zu erwarten, daß eine lebendige Frau jemals diesem Ideal wird entsprechen können. Das Ideal kann nur verfehlt werden, so daß alle Frauen gemessen daran als defizitär erscheinen. Auch dort, wo das Bild, das sich diese Männer von Frauen machen, nicht nur auf Vermutungen und Spekulationen beruht, wo sie auf eigene Erfahrungen rekurrieren können, bleibt das Handeln der Frau letztlich unverstehbar. Einer aus der Gruppe der Footballer lebt mit seiner Freundin zusammen. Er berichtet, diese habe sich erst in dem Moment ernsthaft fur ihn interessiert, als sie gesehen hat, daß er "völlig verwahrlost" lebte. Das sei fur die Freundin wichtig gewesen, weil sie zunächst angenommen habe, er käme aus wohlsituierten familiären Verhältnissen - eine Konstellation, die der Freundin anscheinend nicht behagt. Zunächst habe sie ihn als "Oberarsch" wahrgenommen, dann aber, als sie gesehen habe, in welchen Verhältnissen er tatsächlich lebt, habe sie ihn anders eingeschätzt. Dieser Sinneswandel ist ihm nicht nachvollziehbar, und den anderen ebenfalls nicht: Bm:
Und da war ich nämlich der Oberarsch und nachdem sich herausstellte daß ich daß meine Küche schon lebt (I)
me:
(lachen)
Bm:
war ich halt n toller Kerl, ey ich meine was das das das Denken begreif ich auch nich
Em:
Nee das kann man auch nich (.) das kann man auch glaub ich nich
Gm: Bm:
Gm: me: Bm:
als Männer
LFrauen denken eben anders
Ja da hab ich ja äh erst Pluspunkte gesammelt nachdem es sich herausgestellt hat, daß mein K- meine Küche lebt und daß mein meine mein Badezimmer mich morgens grüßt
LDein Klo springt dich an (lacht) L(lachen) LJa is abgefahm und auch irgendwie
paradox aber das is (.) weiß ich auch nich
Die geschilderte Episode dient der Gruppe dazu, einander wechselseitig zu versichern, daß das Handeln von Frauen prinzipiell nicht zu verstehen ist. Der Grund ist ihrer Ansicht nach, daß jedem Geschlecht eine spezifische Logik 284
eignet, wodurch eine nicht aufhebbare Differenz konstituiert wird ("Frauen denken eben anders als Männer"). Die dramatisierende Beschreibung der miserablen hygienischen Zustände akzentuiert die - in der Perspektive der männlichen Logik gegebene - Irrationalität des weiblichen Handelns besonders drastisch. Weiterhin zeigt sich, daß auch ein alltägliches Zusammenleben mit einer Frau deren Motivationen keineswegs verständlicher werden läßt. Der Kommentar von Bm ("is abgefahren und auch irgendwie paradox", "weiß ich auch nich") dokumentiert noch einmal deutlich eine nicht überbrückbare Differenz der Perspektiven. Diese Differenz der Logiken verurteilt alle Versuche einer Perspektivenübernahme zum Scheitern. Das gilt wechselseitig. Frauen sind nicht fähig, das derbe Verhalten von Männer angemessen einzuschätzen; Versuche von Männern, den Erwartungen von Frauen gerecht zu werden, führen zwangsläufig in eine Sackgasse. Die Studenten aus der Männerwohngemeinschaft beschreiben das gleichsam als eine double-bind-Situation. Einerseits kritisierten die Frauen an ihnen, sie könnten nicht über ihre GefüWe reden; täten sie dies aber einmal, dann sei dies auch nicht richtig: "Redest du endlich mal über deine Gefühle, macht es bumms, dann wirst du gleich an die Wand gestellt". In der Sphäre, in der die Frauen Zuständigkeit und Kompetenz für sich reklamierten, werden diese als gnadenlose Zensorinnen, Richterinnen und Exekutorinnen wahrgenommen. Die Inkompatibilität der Logiken hat zur Folge, daß ein und dieselbe Handlung unterschiedlich interpretiert wird, je nachdem, ob sie an einen Mann oder an eine Frau gerichtet ist, wie ein Mitglied der Wohngemeinschaft expliziert: "Ja ich denke, der ganze blöde Unterschied dabei ist, wenn ich zu Rolf sage, hey komm, das paßt mir nicht, daß du heute nicht abgewaschen hast, als Beispiel nur mal, wenn ich das zu ihm sage, ist das okay, wenn ich das zu meiner Freundin sage, kann das heißen, ich liebe dich nicht mehr."
Besonders gegenüber der Welt der homosozialen Männergemeinschaft werden Frauen als Verursacherinnen von Störungen und Unfrieden wahrgenommen. Auch hier ist es die nicht verstehbare weibliche Logik, die Frauen in dieser Weise handeln läßt. Die Liste der störenden Verhaltensweisen, die den Frauen angelastet werden, ist lang. Sie sprächen Probleme nicht direkt an, seien also zu einer offenen Kommunikation, wie sie unter Männern möglich sei, nicht fähig; sie wollten das Leben der Männer verplanen; sie eröffueten wegen Nichtigkeiten Konflikte; sie suchten gezielt nach Konfliktpunkten, wobei jeder Anlaß gelegen käme (wenn etwa "die Zahnbürste falschherum ins Glas" gestellt worden sei); sie erfänden Probleme ("daß da Probleme an die Wand geworfen werden, die da überhaupt nie da sind"), psychologisierten den Unwillen der Männer, über die erfundenen Probleme zu reden, und hielten ihnen vor, sie seien nicht "konfliktfähig". Hier wird ein Frauenbild sicht-
285
bar, das den Frauen einerseits Irrationalität (Reden über imaginierte Probleme), andererseits strategisches Handeln gegen die Männer vorwirft (gezielte Suche nach Konfliktpunkten). Altbekannte Stereotype (Intriganz) mischen sich mit Deutungen, wie sie für ein akademisches Milieu typisch sind (Psychologisierung von Konflikten). Wie für die in der Tradition verankerten älteren Männer ist auch für die jungen Männer aus dem studentischen Milieu das Frauenbild durch eine binäre Opposition gegenüber der Welt der Männer bestimmt. Der offenen Kommunikation unter Männern wird eine intrigante Strategie von Frauen kontrastiert, dem lockeren Umgang in der homosozialen Männerwelt die gezwungene Atmosphäre gegenübergestellt, wie sie von Frauen erzeugt werde, usw. Mit der Tendenz zur Idealisierung der Frau als das positive Andere des Mannes ("helle Seite der Macht") gehen die jungen Männer weiter als ihre älteren GescWechtsgenossen. Sie radikalisieren die Opposition, freilich in einer Weise, die von einer latenten negativen Selbstwahrnehmung zeugt. Das korrespondiert dem Status der prekären Sicherheit, der für diese Männer typisch ist. Zwar keine Stereotype, aber doch typisiertes Wissen über Frauen findet sich auch bei den selbstreflexiven 'bewegten' Männern aus den Männergruppen, freilich anderen Inhalts und mit anderen Konsequenzen für die Konstruktion von Weiblichkeit. UmgangsspracWich formuliert: Die Frauen kommen besser dabei weg. Mehr noch: Die Art und Weise, wie Frauen denken, handeln, mit sich und mit anderen umgehen, gilt als positiver Gegenhorizont zum männlichen Habitus, die Integration 'weiblicher Anteile' als erstrebenswert. Das diskursive Wissen dieser Männer über Frauen mag zu einem großen Teil ein angelesenes sein, der Literatur zum Geschlechterverhältnis entnommen. Frauen dächten eher prozeß- statt zielorientiert, sie seien nicht von Natur aus, sondern qua Sozialisation auf Emotionalität festgelegt, seien achtsamer gegenüber dem eigenen Körper und der eigenen Psyche was davon auf eigenen Erfahrungen beruht und was 'nur' theoretisch präsent ist, läßt sich schwer unterscheiden; zumal in dieser Szene mehr als anderswo Erfahrungen auf der Folie des theoretischen Wissens gemacht werden. Dessen Verfügbarkeit macht verständlich, weshalb ein Männergruppenmitglied sagen kann, er könne viel leichter sagen, was eine richtige Frau als was ein richtiger Mann ist. Da der Geschlechterdiskurs zunächst von feministischen Texten geprägt gewesen war, verfügt der diesen Diskurs aufmerksam verfolgende Mann über eine reiche Begrifflichkeit zur Bezeichnung der Situation von Frauen. Da die Frauen der positive Gegenhorizont zur eigenen als defizitär wahrgenommenen Situation sind, ist das Verhältnis von Weiblichkeit und Männlichkeit nicht in Kategorien einer binären Opposition konzipiert. Vielmehr werden Kontinuen konstruiert: Jede Eigenschaft findet sich bei Frauen wie bei Männern, allerdings geschlechtstypisch mehr oder weniger ausgeprägt (die Frau kann besser mit Emotionen umgehen, der Mann vertraut zu sehr der Rationalität usw.). Eine solche Konstruktion ist notwendig, um Ziel-
286
setzungen wie die Aneignung 'weiblicher Anteile' verfolgen zu können. Dächte man in binären Oppositionen, wäre das Weibliche unerreichbar. Jenseits des typisierten Wissens über Frauen, d.h. wenn die Männer von den Beziehungen zu ihren Frauen berichten, dominiert in der Beschreibung der häuslichen Situation der Begriff des Stresses. Die Männer sehen sich durch ihre Frauen nicht als diejenigen akzeptiert, die sie der eigenen Ansicht nach sind. Die Frauen forderten ihnen "schon ganz harte Auseinandersetzungen" ab, Konflikte ließen sich nicht "locker" regeln. Wenn man eine Auseinandersetzung zu vermeiden versuche, werde man "in eine Schublade gesteckt", als an der Beziehung desinteressiert hingestellt. Die Folge sei ein "Eiertanz", und das seien "wirkliche Streßsituationen". In all dem dokumentiert sich eine Verunsicherung durch die Frauen und eine Unsicherheit, wie man sich verhalten will und darf. Eine Konsequenz hieraus ist, daß diese Männer anders als die zuvor behandelten keine explizite Definition der Frau vornehmen. Die oben beschriebene habituelle Verunsicherung manifestiert sich in einer 'Unflihigkeit', klare kognitive Konstruktionen vorzunehmen. Das alte legitime Wissen ist fragwürdig geworden, ein neues noch nicht in Sicht. Trotz aller Beschlagenheit und Belesenheit im Geschlechterdiskurs ist diesen Männern die Sinnwelt der Frauen in gewissen Momenten fremder als den traditionellen Männern. Denen war zumindest noch der gesellschaftliche Ort der Frau selbstverständlich. Die folgende Sequenz entstammt der Diskussion mit dem Männergesprächskreis. Dm: Am: Dm:
Ja also da fällt mir ein das is für mich so in den letzten Jahren so
L(lacht)
Männlichkeit beweisen auch geworden also mit (.) daß ich überhaupt in der Lage bin (.) mit ner Frau die so ganz anders is so (.) wo ich (.) äh n wirklich manchmal wie son andrer Planet oder ja so irgendwie doch noch auskomme oder irgendwie noch so Kontakt kriege
Obwohl in drastischer Weise fremd, wie die Metapher vom "fremden Planeten" verdeutlicht, wird die Frau zu einer Validierungsinstanz von Männlichkeit. Verglichen mit der Konstruktion der Frau in der Sinnwelt der traditionellen Männlichkeit bedeutet dies eine Aufwertung ihrer Position. WiewoW die hegemoniale Position des traditionellen Mannes zu ihrer Aufrechterhaltung einer Akzeptanz durch die Frau bedarf, die Männlichkeit des traditionellen Mannes also in einem handlungspraktischen Sinne durch die Frau bestätigt wird, würde dieser im Modus des diskursiven Bewußtseins seine Männlichkeit niemals an das Gelingen einer Beziehung knüpfen. Das vertrüge sich nicht mit dem Muster der Hegemonialität. Das typisierte Wissen, das die selbstreflexiven Männer über Frauen haben, konnotiert Weiblichkeit mit positiv bewerteten Eigenschaften. Ohne eine
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solche Valuierung könnten Frauen kaum den Status einer Validierungsinstanz von Männlichkeit haben. Es muß sich schon lohnen, mit ihnen auszukommen. Auch ist die Hoffnung vorhanden, daß trotz aller Fremdheit Verständigung möglich ist (,,Kontakt kriegen"). Die Ambivalenz, die oben als typisch fiir diese Subsinnwelt herausgearbeitet worden ist, setzt sich in dem Reden über Frauen fort. Die Frau ist ein "anderer Planet", aber nur manchmal; man muß, wie es ein anderes Gruppenmitglied formuliert, den "Widerspruch zwischen der Frau und sich aushalten", kann sich also nicht von der Sinnwelt der Frau absentieren. Die Rede vom Widerspruch und die Beschreibung der Beziehung als ein spannungsreiches Handlungsfeld verweisen darauf, daß eine Menge an Erwartungen, Ansprüchen und Bedürfnjssen gegeneinander stehen und miteinander vermittelt werden muß, aber auch darauf, daß Erwartungen von Frauen und von Männern als gleichgewichtig und gleichberechtigt verstanden werden. Dem Widerspruch muß man sich stellen254 . Damit werden Frauen als den Männern ebenbürtig wahrgenommen. Ob dem eine entsprechende Praxis korrespondiert, ist eine Frage, die auf der Basis des vorliegenden Datenmaterials nicht zu beantworten ist. Die Szene der Männergruppen ist, wie wir oben gesehen haben (Kap. 7.4), in sich differenziert. Die Besonderheiten, welche die sog. 'wilden Männer' von den selbstreflexiven unterscheiden, machen sich auch hinsichtlich der männlichen Konstruktion der Frau geltend. Die 'wilden Männer' reden vergleichsweise wenig über Frauen. Entsprechend ihrem Ziel, sich auf Männerenergie zurückzubesinnen, sind die Frauen nicht nur in einem räumlichen Sinne von den Treffen der Männer ausgeschlossen, die Welt der Frau bleibt auch symbolisch außen vor. Das mag sich, sollte sich diese männliche Subsinnwelt konsolidieren, dereinst ändern; gegenwärtig, in der Phase der Konstitution, erfordert die explizite Konstruktion einer essentiellen Differenz zwischen Männern und Frauen offensichtlich den Ausschluß der Frau auch aus dem männlichen Denken. Die oben zitierte Bemerkung, Frauen hätten "keinen Begriff, wie Männer funktionieren", attestiert den Frauen keine mindere Intelligenz, sondern gilt offensichtlich auch im Gegenschluß. Das freilich wäre ein entscheidender Unterschied zu der Welt der traditionellen Männlichkeit, die ebenfalls von einer nicht-mntergehbaren, physiologisch fundierten Differenz der Geschlechter ausgeht: der Verzicht auf ein stereotypisierendes 'Begreifen' und Etikettieren von Frauen. Möglicherweise wirkt hierin die Verunsicherung durch die Frauenbewegung fort. 'Überwunden' hat man den Feminismus insoweit, daß man sich bei der Besinnung auf die eigene Männerenergie von dessen Diskurs abkoppelt, nicht aber in der Weise, daß 254 In einer mäl111lichen Welt hingegen, in der es eine klare Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtem gibt, in der die Welten der Frauen und der Männer nicht nur räumlich, sondem auch symbolisch voneinander sepaliel1 sind, werden solche Widersprüche nicht erfahren.
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man die 'rhetorischen Verbotstafeln', die das Reden über Frauen betreffen, beiseite gelegt hat. Eine andere, nicht notwendig alternative Deutung knüpft daran an, daß die essentielle Differenz der GescWechter den 'wilden Männern' nicht selbstverständlich ist, sondern 'erarbeitet' werden muß. Die männliche Binnenwelt rückt hierbei so sehr in den Fokus der Aufmerksamkeit, daß zumindest zeitweise Frauen uninteressant werden. Die wenigen Äußerungen über Frauen lassen zumindest erkennen, daß hier keine binäre Codierung im traditionellen Sinne (Verstand vs. Gefühl, aggressiv vs. defensiv usw.) stattfindet. Die Differenzen betreffen eher unterschiedliche Formen, in denen sich eine Eigenschaft weiblich oder männlich äußert. SowoW beim Mann wie bei der Frau gebe es eine "Seele-Körper-Einheit", im Körper des Mannes sei jedoch ein anderer Geist als im Körper der Frau. Gewalttätigkeit kennzeichne nicht nur den Mann, verschieden seien jedoch die Gewaltformen: Der Mann erschieße lieber jemanden, die Frau vergifte. Auch wenn es keine geschlechtsexklusiven Ansprüche auf bestimmte Eigenschaften, Kompetenzen und Handlungsmodalitäten gibt, löst sich nicht alles in Unübersichtlichkeit auf, sind Distinktionen vielmehr ohne Mühe möglich. Es gibt "ganz klar männliche Prinzipien" und ebensolche weibliche. Nicht was sie tun, unterscheidet Frauen und Männer, sondern wie sie es tun. Ohne jegliche Geschlechtstypisierung reden die jungen Facharbeiter über Frauen. Entsprechend der desexuierenden Beschreibung des Handeins von Menschen werden Frauen - wie Männer - als Individuen dargestellt, die sich von anderen Individuen egal welchen Geschlechts allein durch das unterscheiden, was sie leisten. Da die physiologische Differenz als sozial bedeutungslos erachtet wird, ist 'Frau' nichts weiter als ein beliebiges Etikett, mithin kein Objekt einer typisierenden Konstruktion. Jeglicher Stereotypisierung wird explizit eine Absage erteilt. Einzig eine bestimmte Gruppe von Frauen, nämlich Feministinnen, sind Gegenstand pauschalierender Aussagen und negativer Etikettierungen. Dies ist freilich der individualistischen Logik dieser Männer kompatibel, da sie die Feministinnen für das kritisieren, was diese durch eigenes Handeln zu verantworten hätten. Eine Generalisierung auf sämtliche Frauen wird nicht vollzogen. Mit Ausnahme der Feministinnen sind die Frauen, die in den Berichten und Erzählungen dieser Männer vorkommen, konkrete Personen aus der alltäglichen Erfahrungswelt: die Partnerin, die Freundin, die Kollegin. Und die Aussagen, die über eine solche Frau gemacht werden, haben nicht den Anspruch, verallgemeinerbar zu sein. Insofern läßt sich über die männliche Konstruktion der Frau nur sagen, daß sie in den Darstellungen dieser Männer nicht stattfindet. An dieser Stelle sei nochmals daran erinnert, daß die Analyse sich auf Darstellungen von Handlungen richtet, nicht aber die Handlungen unmittelbar zum Gegenstand hat. Die voranstehenden Ausführungen gelten mithin dem Frauenbild, das die Männer in ihren Köpfen haben. Gegenstand ist die kognitive Konstruktion der Frau in Gestalt von kulturellen Deutungsmustern.
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Davon läßt sich analytisch ein anderer, in den Daten allerdings nicht repräsentierter Modus unterscheiden: die in der Handlungspraxis vollzogene interaktive Konstruktion der Frau. Eine bestimmte Form der Arbeitsteilung, die Zuweisung spezifischer Tätigkeiten, kommunikative Praktiken, wie sie die Konversationsanalyse untersucht (Unterbrechungen, Redeanteile u.ä.) rechnen hierzu. Die handlungspraktische und die kognitive Konstruktion müssen nicht kongruent sein. So ist es möglich, daß die Weigerung, Frauen gescWechtstypisiert wahrzunehmen, mit einer alltäglichen Arbeitsteilung einhergeht, bei der die Frauen praktisch die Tätigkeiten leisten, die tradierten Geschlechtsrollenerwartungen entsprechen255 • Umgekehrt muß ein Mann, dessen Orientierung im kognitiven Modus und innerhalb einer homosozial strukturierten Männerwelt durch das Deutungsmuster der hegemonialen Männlichkeit bestimmt ist, im ehelichen Alltag nicht unbedingt hegemonial handeln. Eine solche Inkongruenz entwertet freilich nicht die kognitive Konstruktion. Die Kulturmächtigkeit der hegemonialen Männlichkeit lebt, wie wir gesehen haben, gerade davon, daß sie auch von den Männem symbolisch gestützt wird, die sie in ihrem Handeln nicht oder nur unzureichend realisieren können. Auch wenn das dieser Untersuchung zugrunde liegende Datenmaterial den kognitiven Modus repräsentiert, wird in dem Maße, in dem das Reden nicht nur in Gestalt von Statements, Thesen und Theoretisieren geschieht, sondern als Berichten und Erzählen von Erlebtem, die Praxis zumindest mittelbar sichtbar, werden insbesondere im Reden über die Praxis Differenzen zwischen der praktischen und der kognitiven Konstruktion rekonstruierbar. In den vorigen Kapiteln ist mehrfach auf solche Diskrepanzen hingewiesen worden.
7. 7 Eheliche Beziehungen und homosoziale Männerwelten. Lebensweltliche Hintergründe männlicher Orientierungen Die zuvor analysierten Deutungsmuster von Männlichkeit, die Frauenbilder der Männer, ihre Orientierungen und Perspektiven stehen zum Teil ungebrochen in einer Tradition, die in der bürgerlichen Neuordnung des Geschlechterverhältnisses und der diese stützenden "Erfindung" von polar entgegengesetzten GescWechtscharakteren ihren Ursprung hat (vgl. Hausen 1976). Die 255 Koppetsch und Burkalt (1999) zeigen in einem Milieuvergleich eindrücklich, daß im individualisielten intellektuell-akademischen Milieu einerseits Egalität als nonnative OlientieI1mg fiir beide Paltner einen hohen Stellenwelt hat. Anderseits ist dieser hohe Stellenwelt dafiir verantwOltlich, daß reale Ungleichheiten der geschlechtlichen Arbeitsteilung systematisch verkannt werden. Die strategische Bedeutung, die dem Egalitätsideal als ideelle Basis der Paltnerschaft zukommt, hat zur Folge, daß die reale Ungleichheit einzugestehen die Paltnerschaft gefahrden würde.
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Rekonstruktion der in den Gruppendiskussionen dokumentierten kollektiven Sinngehalte hat einerseits gezeigt, daß und in welcher Weise die besagte Tradition nicht nur weiteriebt, sondern für viele Männer höchst attraktiv ist. Es sind aber auch Bruchstellen deutlich geworden und ansatzweise Silhouetten eines neuen Arrangements der GescWechter. Die wissenssoziologische Forschung in der Tradition Karl Mannheims fragt gemäß der Idee der "Seinsverbundenheit" des Wissens (vgl. Mannheim 1970, S. 373) nach lebensweltlichen Erfahrungshintergründen, um die Genese bestimmter Wissensforrnen nachzeichnen zu können (vgl. Bohnsack 1991 )256. Der habituellen Sicherheit der in der Tradition verankerten Männer müssen andere lebensweltliche Handlungsbedingungen und Erfahrungsräume zugrunde liegen als der fundamentalen Verunsicherung der Männer, die in Männergruppen ihren GescWechtsstatus zum Gegenstand einer institutionalisierten Dauerreflexion machen. Zwei alltagsweltliche Handlungsfelder haben sich als entscheidend herausgestellt: die Privatsphäre von Ehe bzw. Partnerschaft und der gescWechtshomogene ZusammenscWuß von Männern in Clubs, Vereinen, Stammtischen und Männergruppen. In beiden Handlungsfeldern sind die Akteure im Modus der Kopräsenz aufeinander bezogen. Goffman (1971 b, S. 28) nennt als "Bedingungen von gemeinsamer Präsenz": "die Einzelnen müssen deutlich das GefüW haben, daß sie einander nahe genug sind, um sich gegenseitig wahrzunehmen bei allem, was sie tun, einschließlich ihrer Erfahrungen der anderen, und nahe genug auch, um wahrgenommen zu werden als solche, die fiiWen, daß sie wahrgenommen werden". Beides ist sowohl in der Ehe als auch im geschlechtshomogenen Club, Stammtisch usw. gegeben. Neben diesen lebensweltlichen Erfahrungsräumen ist eine zweite Dimension zu berücksichtigen, in der das Wissen seinsverbunden ist: die durch die Zugehörigkeit zu einem sozialen Milieu, einer Generation, einem Lebensalter konstituierten "konjunktiven Erfahrungsräume" (vgl. Mannheim 1980; Bohnsack 1991). Auf deren Bedeutung werde ich im nachfolgenden Kapitel eingehen. Ehe und Partnerschaft
Eine vergleichende Betrachtung der Berichte, die die Männer über das Zusammenleben mit ihren Frauen bzw. Partnerinnen geben, zeigt, daß die Erfahrungen, welche die Männer in diesem Handlungsfeld machen, ausschlaggebend dafiir sind, ob ihnen ihr Geschlechtsstatus im Modus der habituellen Sicherheit gegeben oder ob er eine Quelle fundamentaler Verunsicherung ist. Besonders aufscWußreich ist der Vergleich zwischen den in der Tradition 256 Mit der Weiterentwicklung des Mannheimschen Konzeptes der dokumentarischen Methode der Interpretation zu einem Velfaluen der qualitativen Sozialforschung wird die These der Seinsverbundenheit allen Wissens zu einer Leitfrage der empirischen Forschung.
291
verankerten Männern und denjenigen aus den Männergruppen: eingespielte Verhältnisse bei den einen, ein Beziehungsdauerdiskurs bei den anderen. Von Belang ist weniger, ob die Beziehung konfliktreich ist oder nicht, entscheidend ist der Gegenstand des Konflikts bzw. die Rahmung von Konflikten. Eine geschlechtliche Rahmung, welche Auseinandersetzungen über eine Sache zugleich zu Auseinandersetzungen über die Beziehung und vor allem über die Position des Mannes darin werden läßt, ist ein günstiger Nährboden für eine habituelle Verunsicherung. Die habituelle Sicherheit des in der Tradition verankerten Mannes ist darauf angewiesen, daß seine Frau die von ihm beanspruchte Position innerhalb des ehelichen Gefüges anerkennt. Diese 'Abhängigkeit' ist den Männern als solche nicht bewußt, sie dokumentiert sich aber in Bekundungen, daß man weder mit sich selbst noch mit den Ehefrauen Probleme habe. Wie im vorangehenden Kapitel gezeigt worden ist, nehmen diese Männer die eheliche Konstellation derart wahr, daß ihre Frauen die ihnen im Rahmen der geschlechtlichen Arbeitsteilung zugewiesenen Aufgaben bereitwillig und gerne erfüllen. Damit sehen diese Männer sich zugleich als Oberhaupt der Familie akzeptiert und respektiert. Die bei einigen durchaus vorhandene Einsicht, daß die Frau, wenn sie berufstätig ist, mehr zu leisten hat als der Mann, veranlaßt sie nicht zu zweifeln, ob die gegebene Arbeitsteilung gerechtfertigt ist. Schon gar nicht resultiert hieraus eine Bereitschaft, die Arbeit umzuverteilen, wie die folgende Sequenz aus der Diskussion in dem Herrenc1ub zeigt. Am:
Aber es gibt doch (.) gewisse Segmente (.) äh die die Frau dann noch alleine bewältigen muß und wenn ich das so beobachte in der Summe an der Perlenschnur aufgezogen (.) dann hat schon die Frau den schwierigeren Part äh in einer (.) äh Gemeinschaft abzuleisten so daß wenn ich also ganz ehrlich bin und ich brauch da auch gegenüber meiner Frau da nicht äh (Atemholen) hinterm Licht halten also ich möchte mit ihr nicht tauschen wollen
YI: Dm:
Cm: Dm: Am: me:
292
LHm
LJa wenn man das so schon
erkannt hat dann müßte man ja eigentlich die Frage stellen warum teilt man sich nicht den Rest (I) nich macht
L Ja (.) das machst du einfach weil das kein Spaß
LJa (.) genau
Ich habs ja mal versucht aber da hat hat Lisa mich aus der aus der Küche rausgetrieben hat gesagt du bist zu dumm als ich den die Kelle da durch die
L(lachen)
Am: Cm:
Bratpfanne zu rühren (lachen)
LJa (.) das ist das erste aber sicherlich weil du dich auch geschickterweise von Anfang an so dumm angestellt hast daß sie (das in die
me:
LJa (lachen) ja L(lachen)
Cm:
Hand nehm wollte) das ist ganz klar
Am:
Wichtiger als das Festhalten an der für den Mann günstigen Arbeitsteilung ist die Bekundung, er müsse seiner Frau nicht verhehlen ("nicht hinterm Licht halten"), daß er dies wolle. Dem liegt die Einschätzung zugrunde, die ungleiche Belastung werde von der Frau akzeptiert. Selbst die Einsicht, daß er durch eigenes Handeln, welches eine Unfähigkeit, bestimmte Arbeiten im Haushalt zu erledigen, geschickt inszeniert, zur Aufrechterhaltung der gegebenen Arbeitsteilung beiträgt, erzeugt keinen moralischen Druck, etwas zu ändern, und begründet keinen Selbstzweifel an der eigenen Position im Beziehungsgefüge. Vielmehr beschreiben diese Männer auch hier die eheliche Konstellation derart, daß die Frau selber kein Interesse an einer Mitarbeit des Mannes hat. Ihrer Wahrnehmung zufolge stützen ihre Frauen die tradierte Position des Mannes freiwillig. Nur unter diesen Bedingungen können diese Männer die Ehe als den "ruhenden Pol" erfahren, in dem die eigene Stellung sicher gegeben ist, in dem sie sich nicht mit einer Kritik auseinandersetzen müssen, die sie als Angehörige einer Geschlechtskategorie träfe. Die Bedeutung, die der ehelichen bzw. partnerschaftlichen Beziehung als lebensweltliches Fundament habitueller Sicherheit (aber auch fundamentaler Verunsicherung) zukommt, entscWüsselt sich voll und ganz, wenn man betrachtet, was in den Männergruppen über diesen Bereich berichtet wird. Bei all diesen Gruppen läßt sich feststellen, daß deren Mitglieder die Herausforderungen des Feminismus quasi 'hautnah', in Gestalt ihrer Partnerinnen und Ehefrauen, erfahren. Das heißt nicht, daß sie alle mit Feministinnen zusammenleben, woW aber mit Frauen, die gestärkt durch den Feminismus, ihre Männer mit Forderungen konfrontieren, welche die traditionellen Männer allenfalls vom Hörensagen kennen. Vor allem ältere Mitglieder von Männergruppen (Mitte 40) haben das als zum Teil durchaus drastische Veränderung ihrer Beziehung und der eigenen Position darin erfahren. Einer dieser 'älteren' Männer berichtet, daß zu Beginn der Ehe vor ca. 20 Jahren er selbst noch "ganz Patriarch" gewesen sei und seine Frau "selbstverständlich" und "ohne Diskussion" ihren Beruf aufgegeben habe. Später habe sie dann von der Frauenbewegung "Wind bekommen", die Berufstätigkeit wieder aufgenommen und ihn unter Druck gesetzt. Das erzeugt eine Kommunikationskultur, die sich drastisch von der unterscheidet, die in den Ehen der traditionell orientierten Männer vorherrscht. Während diese mit ihren Frauen über etwas Drittes reden, spielen in der häus293
lichen Kommunikation der 'bewegten' Männer immer auch Beziehungsfragen eine Rolle. Beziehung und Familie werden weniger als Ort der Geborgenheit denn als Stress erzeugend wahrgenommen. Die Männer fühlen sich von ihren Frauen "unter Druck" gesetzt. Die Frauen versuchten, ihnen ein "schlechtes Gewissen" zu machen. Wenn die Diskussion auf die häusliche Situation eingeht, dann wird viel über Auseinandersetzungen und Konflikte berichtet, ganz im Unterschied zu den traditionellen Männern, die von gelungenen Absprachen und eingespielten Verhältnissen erzählen 257 . Als ein besonders prekärer Bereich erweist sich die Sexualität. In den Männergruppen ist viel von dem "Frust mit der Lust" die Rede. Die Bedürfnisse der Frau und die des Mannes sind nicht aufeinander 'eingespielt', und das ist Anlaß zum Klagen. Sexualität, zumindest wenn sie mit der Ehefrau oder der Partnerin ausgeübt wird, ist etwas, das mit "unheimlichem Stress" verbunden ist. Die Ursachen des Stresses sind unterschiedlich und vielfältig. Den einen ist eine Verweigerung der Frau das zentrale Problem, so daß sie von "Bettelsex" sprechen, bei dem "der Mann wie der Hund hinter der Wurst" her ist. Den Frauen wird ein strategischer Umgang mit Sexualität unterstellt, mit einem Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen, der sich der Ansicht der Männer zufolge durch Spontaneität auszeichnen sollte: "Ich wollte damit eigentlich sagen, Frauen gehen auch insofern anders damit um, daß sie die Abhängigkeit der Männer oder die venneintliche Abhängigkeit der Männer natürlich spüren und daß sie diese Abhängigkeit - das würde das wieder treffen: Bettelsex - ich nenn es mal gezielt dosiert einsetzen, wann immer etwas als Belohnung notwendig ist. Das hört sich jetzt ein bißchen fies an, ich überzeichne aber absichtlich. ... Und das ist für mich absolut wenig oder überhaupt nicht spontan, und das hasse ich."
Anderen Männern erwächst der Stress aus einer umgekehrten Konstellation. Sie sehen sich unter dem Druck, den angenommenen Ansprüchen der Frau an die Quantität sexueller Interaktion nicht gerecht zu werden und "in der Hinsicht also funktionieren zu müssen und da bestimmte Dinge erfüllen zu müssen". Das Problem verschärft sich insofern, als der Druck zu einem großen Teil selbst erzeugt ist:
257 Ein 'Beziehungsdauerdiskurs' scheint die Paltnerschaft zu bestimmen. Für Beck und BeckGemsheim (1990, S. 122) ist dies ein Kennzeichen einer modemen Beziehung: ,,Jetzt bedali' es eines ständigen Dialogs, um die gemeinsame Sache herzustellen und zu erhalten, splich: den Freiraum der Plivatheit mit übereinstinunenden Definitionen von Liebe, Ehe, Paltnerschaft zu füllen. Das kostet endlose Anstrengungen, viel Zeit, Nerven, Geduld, kurzum das, was in der neueren Diskussion unter dem StichwOlt 'Beziehungsarbeit' bekannt ist". Wie oben (Kap. 7.4) deutlich geworden ist, machen sich in einer solchen Beziehungsfonn aber auch die Ambivalenzen der Modeme geltend.
294
"Ich sag ja, der muß ja nun gar nicht unbedingt auch direkt von der Anna kommen, daß sie jetzt die Forderung stellt. ... Nee, ich mach mir den Druck schon auch selber, daß ich also meine, ich müßte."
Offensichtlich sind die Erwartungen der Ehefrau das Kriterium, an dem dieser Mann sich orientiert. In hohem Maße Stress erzeugend wird dies aber erst dadurch, daß er keine sichere Informationsgrundlage hat, wie diese Erwartungen genau beschaffen sind. Anscheinend ist es nicht möglich, darüber auf kommunikativem Wege Klarheit herzustellen. Schließlich gibt es eine dritte Konstellation, in der Sexualität Stress impliziert. Hier setzt der Mann Sexualität instrumentell ein, um Beziehungsprobleme zu lösen. Über Sexualität versucht er, "Nähe herzustellen, und das ist fiir mich der Stress". Gleichgültig, welcher Art die Probleme sind, die diese Männer mit der Sexualität haben, Sexualität mit der Ehefrau oder der Partnerin258 ist kein Bereich, den sie als befriedigend beschreiben, in dem ihnen die Beziehung zu dem "ruhenden Pol" wird, der sie fiir die traditionellen Männer ist. Ganz anders reden die Facharbeiter: "Wir kommen ganz gut aufeinander und kommen auch ganz gut wieder voneinander runter". Das verweist auf eingespielte Verhältnisse, bei denen, "wenn's normal läuft", "alles hinzukriegen" ist. Eingespielte Verhältnisse, freilich auf einer anderen Basis als bei den traditionell orientierten Männern, gibt es auch in den Ehen und Beziehungen der jungen Facharbeiter. Wie gesehen, sind diese Männer durchaus mit Forderungen seitens ihrer Frauen konfrontiert, sich egalitär an der Erledigung der Hausarbeit zu beteiligen. Daraus erwächst aber keine habituelle Verunsicherung, weil solche Forderungen nicht geschlechtsbezogen gestellt werden. Von ihnen wird Mitarbeit, aber kein neues Handeln als Mann verlangt259 • Das Fehlen einer festen Beziehung bei den jungen Männern aus studentischem Milieu impliziert, daß ihnen dieser Bereich weder Quelle von Sicherheit noch von Verunsicherung ist. Eher erklärt sich hieraus das grotesk anmutende Frauenbild dieser Männer. Umso wichtiger ist ihnen die homosoziale Männergemeinschaft. Dort agieren sie auf einer sicheren Basis, nicht aber in Interaktionen mit Frauen.
258 Der DlUck wird deutlich nur für die eheliche oder die feste partnerschaftliche Beziehung belichtet. Sexualität ist nicht als solche mit Stress belastet. Der Mann, der sich von seiner Frau unter DlUck gesetzt fühlt, stellt fest: "Das ist schon bei der Partnerin, also der DlUck zumindest. Daß es auch eine Menge andere Frauen ist, mit denen ich geme mal ins Bett hüpfen möchte, das ist ja klar, natürlich." 259 Die von den Frauen gestellten Forderungen lauten offensichtlich nicht: ,Du als Mann mußt auch spülen, putzen, bügeln usw.', sondem: ,Ich arbeite im BelUf genausoviel wie du, also mußt du im Haushalt genausoviel tun wie ich'. Die Frauen scheinen die individualistische Logik der Männer zu teilen.
295
Homosoziale Räume
Die Trennung von Männer- und Frauenwelten bzw. genauer: die Bewahrung von homosozialen Männerwelten, von sozialen (und nicht selten auch physikalischen) Räumen, in denen die Männer unter sich sind, in denen sie die autonome Kontrolle darüber haben, wem zu welchen Gelegenheiten Zutritt gewährt wird, ist ein zweiter lebensweltlicher Hintergrund der habituellen Sicherheit. Im Arbeitermilieu ist dies vor allem die Kneipe, speziell der Tresen (vgl. Dröge/Krämer-Badoni 1987, S. 230ff.; Laermann 1978, S. 426ff.), in höheren sozialen Schichten der Herrenclub. Ansonsten haben Stammtische, Sportrnannschaften, Vereine u.v.m., in jüngeren Generationen auch Männerwohngemeinschaften diese Funktion. Die Facharbeiter, die sich allabendlich in ihrer Stammkneipe treffen, bleiben während der Arbeitswoche unter sich, nur am Wochenende werden sie von ihren Frauen in die Kneipe begleitet. Damit ist die Anwesenheit der Frauen als etwas Außeralltägliches markiert und als etwas, über das die Männer die Kontrolle haben: Sie nehmen ihre Frauen mit. Mit dieser strikten Grenzziehung verbinden sie keine Abwertung der Frauen. Einer bemerkt z.B., seine Freundin könne ihn gerne von der Kneipe abholen, "darum geht es ja gar nicht, wir kommen ja bombig miteinander aus, nur ich möchte sie nicht die ganze Zeit daneben haben, um Gottes willen". Eine Trennung von Männerwelten und Frauenwelten wird aber nicht nur räumlich vollzogen, sondern auch symbolisch. Sie erstreckt sich auf die Accessoires und Attribute der Geschlechtsdarstellung. Eine Frau soll z.B. "um Gottes willen" kein Rasierwasser benutzen, sondern eine Frau soll riechen wie eine Frau, sich kleiden wie eine Frau und sich benehmen wie eine Frau, "wie es nach dem Altherkömmlichen so gedacht ist". Die homosoziale Männerwelt der Kneipe, des Clubs ist den Männern ein Refugium, das die Gelegenheit bietet, sich in ein entspanntes Klima zurückzuziehen. Das betonen sowohl die Männer aus dem Arbeitermilieu als auch die aus dem bürgerlichen. Die Männerrunde ist der Ort eines ungetrübten Vergnügens, unbelastet von den Anstrengungen des Berufs wie von den Spannungen, welche die Anwesenheit von Frauen anscheinend zwangsläufig mit sich bringt. Auf die homosoziale Dimension des Vergnügens weisen die Arbeiter explizit hin; in der Kneipe habe man "einfach Spaß als Mann". Voraussetzung des Vergnügens ist eine lockere Kommunikation. Man wolle keine "hochtrabenden Gespräche" führen, sondern "auch mal ein bißchen Blödsinn reden können". Das betonen auch die Männer aus dem bürgerlichen Milieu. In der Diskussion mit den Fußballern heißt es: "Wir gehen hier her, weil wir Spaß haben wollen und blödes Zeug reden". Dieses Vergnügen, da sind sich alle einig, ist nur in Abwesenheit von Frauen möglich. "Aus Anstandsgründen" würden sie im Beisein einer Frau manches nicht sagen, was sie untereinander problemlos äußern könnten. Die Regeln des Anstands erfordern 296
ein angestrengtes Handeln nicht nur in der Hinsicht, daß man kontrolliert redet, sondern auch in dem Sinne, daß man sich verpflichtet sieht, Frauen gegenüber gewisse Zuvorkommenheitsrituale zu praktizieren, z.B. "Türaufhalten oder Aufstehen, wenn eine Dame aufsteht". Dagegen sei es "sehr angenehm", daß man sich "in einer Männergesellschaft ... mal so ein bißchen gehen lassen kann, man kann mal zuhören, man muß nicht immer agieren". Gleichgültig, in welchem Maße die homosoziale Männergemeinschaft als Ort der Freiheit von Zwängen und Konventionen erlebt wird, ob man sich total oder nur "ein bißchen gehen lassen kann", immer wird deren Atmosphäre als entspannt erlebt, verglichen mit heterosozialen Interaktionen. Es sind jedoch nicht nur die Konventionen von Anstand und Sitte, die eine Anwesenheit von Frauen zu einem störenden Einfluß machen. Dem für diese traditionelle Männerwelt charakteristischen Deutungsmuster einer essentiellen Differenz der Geschlechter entsprechend begreifen die Männer den vergnüglichen Aspekt des homosozialen Zusammenschlusses als typisch männlich, als etwas, zu dem nur Männer in der Lage sind. So meinen die Facharbeiter: Bm:
Ich ich kann mir also bei Frauen das nich vorstellen ne du daß die Frauen abends auch so in die Kneipe gehn (.) sie gehn vielleicht mal mit mit dem Mann und gehn vielleicht auch mal alleine so aber ich sach mal so wie es
LHmhm
Y2: Bm: em:
der Mann macht nachm Feierabend noch mal eben (.) Kumpel holn Bier Stunden
Bm:
trinken bischen dummes Zeug reden
Am:
Nö
Yl:
Hm
Bm:
L
YI:
Ja
LStunde zwei
ö das is also ich sag mal an sich fur mich (.) fur mich
Bm:
L(natürlich) aber auch typisch männlich
Y2:
Hmhm
Am:
Da hast du sogar sehr recht da da äh stimm ich dir auch zu (.) weil Frauen machen sowas in dem so nich (.) nech
Da Frauen als unfahig eingeschätzt werden, spontan, locker und vor allem zweckfrei Spaß zu haben ("mal eben Kumpel holn"), gefahrdete ihre Anwesenheit unabhängig davon, daß man sich genötigt sähe, die eigenen Äußerungen aus Gründen des Anstandes zu kontrollieren, grundsätzlich eine zentrale Funktion der Männerrunde.
297
Homolog zu der oben erwähnten stärker stereotypisierenden Darstellung der Frau formulieren die Männer aus bürgerlichem Milieu den störenden Einfluß von Frauen wesentlich schärfer. "Frauen können töten", zumindest die Stimmung, meinen die Fußballer, und sie exemplifizieren das anhand einer Situation, in der die "Jakob Sisters"26o in die Gaststätte kamen, in der sie sich nach dem Fußballspiel treffen: Bm: ?m: Bm: me:
Frauen können töten (.) ich denke nur an die Jakobs Sisters wenn die zu
L(lacht)
dritt oder zu viert hier rein kommen mit den Pudeln (.) die hatten innerhalb einer halben Stunden den Laden leer (.)
L(lachen)
Der Spannung, die von Frauen in soziale Interaktion hineingetragen würde, kontrastieren die Männer die Harmonie, welche die Männerrunde bestimmte. Diese sei durch "sehr viel mehr Harmonieverständnis und auch Rücksichtnahme" charakterisiert. Insofern wird sie als ein Zusammenhang erlebt, in den man sich "hineinfallenlassen" könne. Die Kommunikation unter Männem wird als "offener und ehrlicher" wahrgenommen als die unter Frauen. Ein Mitglied des Herrenclubs begründet das anhand der Erzählungen seiner Frau über das, was sie in ihrem Rommeeclub erlebt habe: "Wenn meine Frau so alle vier Wochen in ihrem Rommeeclub, sechs Frauen, und dann die Erlebnisse zu Hause berichtet werden, dann muß ich immer wieder feststellen, irgendwie geht man doch nicht so ehrlich miteinander um. Und ich glaube dann, wenn wir hier jede Woche zusammen sind, daß es keinem von uns einfallen würde, zu Hause in irgendeiner Form gegenüber seiner Frau falsches Zeugnis zu reden gegen seinen Clubfreund. Ich meine, daß wir einfach offener und ehrlicher miteinander umgehen."
Die Männerrunde wird hier gleichsam als 'verschworene' Gemeinschaft porträtiert, die - anders als die Frauen - strikt darauf achtet, die gescWechtlichen Grenzen auch insoweit aufrecht zu erhalten, als man das, was man untereinander beredet, nicht dem anderen Geschlecht zu Ohren kommen läßt. Das ist die Voraussetzung dafür, sich fallenlassen zu können. Daß man bei manch einer Organisationsform in einen höchst strikten Rahmen fällt, in eine formalisierte und ritualisierte Interaktionskultur, macht die Bedeutung der homosozialen Gemeinschaft umso deutlicher. Homosozialität als solche entlastet von Ansprüchen, denen man sich konfrontiert sieht, wenn Frauen anwesend sind.
260 So extrem wie die FOn11Ulierung ist auch das Beispiel gewählt. Bei den Jakob Sisters handelt es sich um eine Frauenband, die deutsche Schlager singt und deren Erkennungszeichen hellblonde, hochtoupielte Haare, eine Schleife im Haar sowie ein Pudel auf dem Ann sind.
298
Das wird als befreiend erfahren, auch wenn ein strenges Clubreglement eine Reihe von Pflichten auferlegt. Die als offen und ehrlich wahrgenommene homosoziale Männergemeinschaft wird als Ort erfahren, an dem ein authentisches Handeln möglich ist, als ein Interaktionszusammenhang, der einem keine Verstellung abverlangt. Diese Authentizität sei durch eine Anwesenheit von Frauen gefährdet: In "gemischtgeschlechtlichen Gruppierungen ... gibt man sich nicht so, wie man eigentlich ist". Dies gelte für Frauen freilich in gleicher Weise. Hier dokumentiert sich erneut das Deutungsmuster einer essentiellen Differenz. SowoW Mann als auch Frau sind nur dann 'bei sich', wenn sie unter ihresgleichen sind. Jeder Austausch über die Geschlechtergrenzen hinweg wird mit dem Verlust von Authentizität bezaWt. Die homosoziale Gemeinschaft fundiert habituelle Sicherheit in vielfältiger Weise. Sie stiftet Solidarität unter den Männern, versorgt sie mit symbolischen Ressourcen261 , verstärkt die Grenzen zwischen den Geschlechtern, denen sie ihre Existenz andererseits verdankt (vgl. auch Lipman-Blumen 1976; GersonlPeiss 1985). Indem sie den Männern Gelegenheiten verschafft, sich wechselseitig der Differenz zu vergewissern, ist sie ein kollektiver' Akteur' der Konstruktion der Differenz262 • In einer Epoche, in der die gesellschaftliche Vormachtstellung des Mannes verstärkt in Frage gestellt wird, dient die wechselseitige Vergewisserung der eigenen Normalität der Sicherung männlicher Hegemonie. Wie das geschieht, zeigen paradigmatisch die Normalisierungsstrategien, mit denen die Facharbeiter den Anspruch, Oberhaupt der Familie zu sein, gegen anderslautende Evidenzen aufrechterhalten (s. Kap. 7.2). Diese Funktionen der homosozialen Männergemeinschaft werden gleichsam wie in einem Brennglas überdeutlich, wenn man rekapituliert, in welch hohem Maße die jungen Männer aus studentischem Milieu, deren habituelle Sicherheit äußerst prekär ist, auf die Männerclique angewiesen sind (s. Kap. 7.3). Mit der Wohngemeinschaft hat sich die eine Gruppe sowohl einen Fluchtpunkt als auch eine Bastion geschaffen, in dem und von der aus sie den 'Zumutungen' feministisch gesinnter Kommilitoninnen trotzt. Die andere Gruppe (die Footballer), die von ihrem proletenhaften Auftreten in der Öffentlichkeit berichtet, nimmt mit ihren "Horden"-Auftritten in massiver Weise und durchaus um die Wirkung wissend Grenzziehungen gegenüber dem 261 Die Zugehörigkeit zu einem Verein oder einem Hen'enclub mag den Mitgliedem auch ökonomische Ressourcen verschaffen, indem sie deren soziales Kapital (in Gestalt von vorteilhaften Beziehungen) erhöht - was vor allem auf höhere soziale Schichten zullifft -, hinsichtlich der Reproduktion des männlichen Geschlechtshabitus sind die symbolischen Ressourcen entscheidend. 262 Sei feIt (1992) hat den Männerbund Militär unter dieser Perspektive analysielt. Die Interpretation der GlUppendiskussionen zeigt, daß es sich um ein generelles Merkmal homosozialer Mälmergemeinschaften handelt.
299
anderen GescWecht vor. In der folgenden Sequenz, die durch die Frage des Diskussionsleiters, was geschehe, wenn sie gemeinsam ausgehen, eingeleitet wird, kommen sowohl die Erlebnisdimension der homosozialen Gemeinschaft als auch deren Funktion zum Ausdruck: Y I:
Was passiert denn da so (lacht)
Dm:
Was da passiert
YI:
LJa
Bm:
Lichts
Dm:
L Gut wir sind betrunken
me:
L (lachen) L Gar nichts ich sags
Bm: Gm: Bm:
L Da wird es auch (lacht) L dir im Grunde
genommen (.) gar nichts
Em:
Nee im Prinzip passiert gar nichts, wir stehn
Bm:
L Wir reißen ungefähr zehn Minuten oder ne viertel Stunde das Maul auf und dann
Fm:
L Aber es macht trotzdem Spaß (lacht)
me:
(lachen)
Bm:
L passiert gar nichts (.) Null gar nix passiert (.) (nein)
Dm:
L Wir sind betrunken wolln Spaß haben aber leider verstehn das die andem nich so und dann isssss
Em:
stehn in ner Disco oder sonst irgendwo oder in ner (
(Bm:) Em: (Fm:)
LN~nwir ) oder so
L Ja kriegen die Augen nich mehr auf Stehen völlig stehn anner Theke manche mehr oder m- oder nein alle mehr oder weniger zu ne (.) und (.) machen uns da alle noch L (lacht)
L (hustet)
Em:
weiter mehr oder weniger zu und
Fm:
Je nach Geldbeutel oder so
me:
(lachen)
Em:
L (lacht) Ja natürlich je nach Geldbeutel und und wenn wenn wenns mal n guter Abend is nech dann (.) kommt ne Frau vorbei und die wird dann erstmal hart angepröllert ne oder oder
Bm: me:
300
L Ja und die geht dann wieder nach Hause L (lachen)
Obwohl die gemeinsamen Auftritte in der Öffentlichkeit sich durch eine erlebnismäßige Leere auszeichnen (es passiert nichts), werden diese Situationen als lustvoll erfahren ("aber es macht trotzdem Spaß"). Der Spaß wird vor allem durch den starken Alkoholkonsum vermittelt ("wir sind betrunken wolln Spaß haben"). Dieser bedingt aber zugleich, daß die Gruppe auf sich selbst verwiesen ist, grenzt die Gruppe von anderen anwesenden Personen ab ("aber leider verstehn das die andern nich so"). Obschon sie wissen und wahrnehmen, daß die anderen ihre Art, sich zu vergnügen, nicht nachvollziehen können, 'arbeiten' sie gezielt daran, den Zustand zu intensivieren, mit dem sie sich selbst aus einer weiteren Gemeinschaft ausgrenzen ("machen uns da alle noch weiter mehr oder weniger zu"). In massiver Weise abstoßend inszenieren sie ihr Auftreten gegenüber Frauen; die werden ,,hart angepröllert". Als unausweicWiche Folge wird eine Kommunikation über die GescWechtergrenzen hinweg systematisch verhindert, womit diese verstärkt werden. Die martialische und alkoholreiche Gruppeninszenierung verweist die Mitglieder in extremer Weise aufeinander, läßt somit die Gruppensolidarität noch wichtiger werden als bei den in der Tradition verwurzelten älteren Geschlechtsgenossen. Solcherart auf die Gemeinschaft der Clique zurückgeworfen, verbauen sich diese jungen Männer freilich auch selbst jede Möglichkeit, auf souveräne Weise mit Frauen zu interagieren. Genau in dieser Hinsicht ist ihre habituelle Sicherheit prekär und nicht umfassend wie bei den traditionellen Männem. Die Kopräsenz von Männern konstituiert als solche noch keine homosoziale Gemeinschaft. Homosozialität meint, daß die Geschlechtsgenossen diejenigen signifikanten und generalisierten Anderen sind, deren Werte, Einstellungen, Präferenzen usw. ausscWaggebend sind für die Entwicklung sozialer Orientierungen. Wichtig ist mithin nicht das physische Beisammensein, sondern die Gemeinsamkeit der symbolischen Sinnwelt. Dies berücksichtigend, lassen sich weder die Gruppen der jungen Facharbeiter noch die expliziten Männergruppen als homosoziale Gemeinschaften begreifen. Den jungen Facharbeitern, die ein desexuiertes Egalitätsdenken jenseits von Tradition und Verunsicherung erkennen lassen, ist zwar kameradschaftliche Solidarität ein hoher Wert, diese ist aber nicht geschlechtsexklusiv definiert. Ein 'Kamerad' kann auch eine Frau sein. Die Gruppe der Zeitsoldaten plädiert in exakt diesem Sinne dafür, das Militär nicht als Männerbund zu organisieren. Und auf die Frage des Diskussionsleiters, ob man Kameradschaft mit Männerfreundschaft gleichsetzen könne, antworten sie sehr bestimmt: Bm:
Nee, das muß doch gar nich so (sein)
em:
LNee also Männerfreundschaft streichen wir mal, sagen wir ganz einfach Freundschaften
Yl:
Ja
301
Cm: Yl: Cm:
Ob ich das ob ich da jetzt ne Frau neben mir habe (.)
LHmhm
auf die ich mich hundertprozentig verlassen muß (.) oder jetzt nen Mann, das is doch wohl egal (.) ne
Anders als die älteren Facharbeiter, die sich jeden Abend in der Kneipe treffen, berichten diese Männer, es käme nur äußerst selten vor, daß sie ihre Freizeit nicht gemeinsam mit ihren Frauen oder Freundinnen verbringen. Aufschlußreich ist in diesem Kontext auch der Vergleich zwischen den jungen Arbeitern, die Football spielen, und den Studenten, die den gleichen Sport betreiben. Beide Gruppen kommen auf die Rolle der weiblichen Cheerleader zu sprechen. Die Facharbeiter berichten, diese Frauen seien voll in die Mannschaft integriert, und fordern, sie müßten "genauso akzeptiert werden" wie die Spieler. Die Studenten nehmen die Cheerleader, die sie als "Hupfdohlen" bezeichnen, als potentielle Sexualpartnerinnen wahr, allerdings als solche, die "schlechten Sex" machen. Den 'bewegten' Männern ist die Männergruppe nicht das Refugium, wie es die männerbündisch-homosoziale Welt in Form von Kneipe oder Herrenclub bereitstellt. Diese Welt, in der man sich nur "über Bier, Autos und nicht über Männerthemen unterhalten" kann, ist ihnen fremd und nicht geheuer, allerdings auch Objekt ambivalenter Sehnsüchte. "Männerthemen" meint hier die Reflexivierung von Männlichkeit, das Reden über die Männerrolle. Die Männergruppe ist zwar auch ein von der Welt der Frauen getrennter Bereich, dies aber nur in einem räumlichen Sinne. Symbolisch sind die Frauen ständig präsent. Insgesamt eine Reaktion auf die 'feministische Herausforderung', findet in der Reflexionskultur der Männergruppen eine Auseinandersetzung mit Forderungen und Ansprüchen von Frauen statt (s. Kap. 7.4). Die Männergruppe ist nicht der Ort, an dem man unbelastet 'sich fallen lassen' kann. Statt Fundament habitueller Sicherheit zu sein, trägt sie eher zu einer Steigerung der Verunsicherung bei. Mannsein als solches wird zum Problem. Statt eine neue Identität zu stiften, befördert sie qua Defizitkonstruktionen eine Identitätsdiffusion 263 . Nicht nur in der ehelichen Beziehung und im Beruf, auch in der Männergruppe ist das Leben anstrengend. Die ,,Freudlosigkeit" und das "Zwanghafte" der Zusammenkünfte werden von einigen explizit beklagt. Das wird jedoch nicht den Mitgliedern persönlich angelastet, sondern auf die Interakti263 Obwohl feministisch orientielte FrauenglUppen als Vorbild dienen, erzielen MännerglUppen nicht den gleichen Effekt wie diese. Für die Frauenbewegung sind nicht Frauen als solche das Problem, sondem die gesellschaftliche DiskIiminielUng und Unterdrückung der Frau. Indem sie ein Bewußtsein darüber fOrdem, stiften FrauenglUppen progressiv gewendete Identität. Frauen werden motiviert, ihre Stärke zu entdecken, während die 'bewegten' Mälmer zunächst einmal die 'Schwäche männlicher Stärke' erkelmen.
302
onskultur von Männergruppen zurückgeführt: "Das ist zwar ein ernstes Thema, aber deswegen muß ich nicht furchtbar verkniffen und leidvoll in die Gegend schauen ... Das ist typisch Männergruppe". Der Anstrengung, die die Männergruppe erfordert, steht eine Sehnsucht nach homosozialen Formen des Zusammenseins gegenüber, die eine von Ansprüchen unbelastete Atmosphäre ermöglichen. Das dokumentiert sich z.B. in dem in einigen Gruppen heftig geäußerten Wunsch, nur mit Männern Urlaub zu machen. Das können durchaus die aus der eigenen Männergruppe sein. Indem aber der Rahmen ein anderer, nämlich ein vom Zwang reflexiver Selbstthematisierung befreiter ist, verändert sich auch - so wird zumindest erwartet die Interaktionskultur. Die Szene der Männergruppen ist kein monolithischer Block. Die beschriebenen Tendenzen einer Abkehr von Defizitkonstruktionen gehen einher mit einem Bemühen, Elemente einer homosozialen Interaktionskultur zu revitalisieren. Am deutlichsten zeigt sich das in der kritischen Auseinandersetzung mit feministischen Deutungsmustern. Mit der zum Teil mehr propagierten als praktizierten Abwendung vom feministischen Diskurs geht eine stärkere Orientierung an traditionellen männlichen Deutungen des Geschlechterverhältnisses einher. Auch wird derjenige Aspekt der homosozialen Männerkultur wieder hervorgehoben, der von den in der Tradition verankerten Männern in den Vordergrund gestellt wird: das Vergnügen. ,,Durch die Gegend dödeln" und "Quatsch machen" gewinnen an Bedeutung. Die radikalsten Versuche, eine homosoziale Männergemeinschaft aufzubauen, unternehmen die 'wilden' Männer. Sie haben sich, wie wir gesehen haben, zumindest auf rhetorischer Ebene vollends vom feministischen Diskurs abgekoppelt und bemühen sich, indem sie auf in Stammeskulturen praktizierte Rituale der Männerinitiation rekurrieren, eine autonome Männerwelt zu etablieren, die über die traditionell praktizierte Trennung von Frauen- und Männerwelten noch hinausgeht. Solche Bemühungen von Männergruppen verweisen ex negativo auf die hohe Bedeutung, welche die homosoziale Gemeinschaft für die Fundierung von habitueller Sicherheit hat. Diesen Männern geht es insbesondere auch darum, sich ein Refugium zu schaffen, in dem sie sich - anders als in Ehe und Beziehung - nicht mit Forderungen und Ansprüchen von Frauen auseinandersetzen müssen, in dem sie sich, sollte das (noch) nicht gelingen, zumindest wechselseitig explizieren, weshalb solche Forderungen unberechtigt sind.
303
7.8 Konjunktive Erfahrungsräume. Zur Bedeutung von milieu-, entwicklungs- und generationsspezijischen Besonderheiten Ohne daß dies zum Gegenstand expliziter Erörterung gemacht worden ist, hat die in den voranstehenden Kapiteln entfaltete Rekonstruktion der kollektiven Orientierungen von Männern verschiedentlich gleichsam 'nebenbei' gezeigt, daß die Zugehörigkeit zu einem sozialen Milieu, zu einer Generation und die lebensgeschichtliche Entwicklungsphase Einfluß auf die Ausprägung männlicher Orientierungen haben. Zwischen den jungen Facharbeitern und den gleichaltrigen Studenten bestehen beispielsweise erhebliche Unterschiede. Mit den genannten Einflußgrößen ist eine Dimension der Seinsverbundenheit des Wissens angesprochen, zu der gewöhnlich auch die 'Variable' zählt, die hier Gegenstand der Analyse ist: das GescWecht (vgl. Bohnsack 1989). Im Unterschied zu den im vorigen Kapitel behandelten lebensweltlichen Erfahrungshintergründen, welche sich durch eine Kopräsenz der Akteure auszeichnen, ist hier die Gemeinsamkeit eines "konjunktiven Erfahrungsraumes" gegeben. Die Gemeinsamkeit der Erfahrungsbasis ist weniger kommunikativ vermittelt als dadurch, daß die Handelnden unter ähnlichen Bedingungen leben (Milieu) oder aufgewachsen sind (Generation), daß sie derselben "sozialen Lagerung" angehören, wie es bei Mannheim (1970, S. 524ff.) im Hinblick auf Generation heißt. Mit dieser Konzeptualisierung von Seinsverbundenheit faßt die Wissenssoziologie die "Abhängigkeit allen menschlichen Bewußtseins von der sozialen Struktur" (Meja/Stehr 1982, S. 897). Die Verankerung in diesen konjunktiven Erfahrungsräumen hat allerdings im Unterschied zu den zuvor behandelten lebensweltlichen Einbindungen keinen unmittelbaren Einfluß auf die Herausbildung von habitueller Sicherheit bzw. die Entwicklung einer fundamentalen Verunsicherung. Habituelle Sicherheit ist kein 'Privileg' eines bestimmten sozialen Milieus, sie ist bei Arbeitern wie bei Managern zu finden. - In den Männergruppen organisieren sich sowohl Angehörige der achtundsechziger Generation als auch solche, deren Adoleszenz in die Aufbruchphase der zweiten Frauenbewegung fallt. Die sinngenetische Wirksamkeit der bezeichneten konjunktiven Erfahrungsräume erfahrt insofern eine gewisse Brechung, als GescWecht selbst dieser Dimension angehört, was sich in der Ausbildung eines geschlechtlichen Habitus manifestiert (s. Kap. 4). Das schafft Gemeinsamkeiten über die Grenzen von Generation, Milieu, Lebensalter hinweg. Die Unterschiede zeigen sich mehr in den Ausprägungen, weniger darin, ob die eigene geschlechtliche Existenz im Modus der habituellen Sicherheit erfahren wird oder nicht. - Die folgenden Ausfiihrungen formulieren in Gestalt von Thesen einige Annahmen über die sinngenetische Bedeutsamkeit der genannten konjunktiven Erfahrungsräume.
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(1) Ein deutlicher Einfluß der Milieuzugehörigkeit ist insofern festzustellen 264, als eine fundamentale Verunsicherung nur im bürgerlichen Milieu zu finden ist. Die Mitglieder der Männergruppen gehören typischerweise diesem Milieu an. Als Lehrer, Sozialpädagogen, Psychologen haben sie die Zugehörigkeit durch den Erwerb kulturellen Kapitals (Bildungstitel) erreicht. Die Art des verfügbaren Kapitals ist insofern bedeutsam, als Männern, deren Status vor allem durch ein hohes ökonomisches Kapital bestimmt ist (Geschäftsführer, Manager, Freiberufler), ihr GescWecht im Modus einer habituellen Sicherheit gegeben ist. Es ist also zu präzisieren: Die Fundierung des sozialen Status auf dem Besitz kulturellen Kapitals scheint eine Voraussetzung für habituelle Verunsicherung zu sein. Nur vor diesem Hintergrund kann sich die Reflexionskultur entwickeln, welche die Szene der Männergruppen prägt. Damit ist freilich nur eine notwendige, nicht aber einer hinreichende Bedingung benannt. Hier obwalten keine deterministischen Kräfte; nicht jeder Lehrer oder Sozialpädagoge findet sich in einer Männergruppe wieder. Entscheidend sind auch hier die im vorigen Kapitel aufgeführten lebensweltlichen Hintergründe. Diejenigen jungen Männer, deren habituelle Sicherheit in hohem Maße prekär ist, erwerben qua Studium die Bildungstitel, die ihnen die Mitgliedschaft im bürgerlichen Milieu garantieren bzw. den Zutritt zu diesem gewähren sollen. In der Universität haben sie Gelegenheit, die feministische Kritik der Geschlechterverhältnisse und des Mannes gleichsam 'hautnah am eigenen Leib' zu erfahren. Sie müssen sich nicht nur theoretisch mit dem Geschlechterdiskurs auseinandersetzen, sie sehen sich Vorwürfen an die eigene Person konfrontiert. Ihren gleichaltrigen GescWechtsgenossen aus dem Arbeiterrnilieu fehlen solche Erfahrungen. - Die Lebenslage der Studenten und der jungen Arbeiter unterscheidet sich in einer zweiten Dimension: hinsichtlich der lebensgeschichtlichen Entwicklungsphasen, in denen sie sich befinden (dazu unten mehr). Die dem Arbeitermilieu angehörenden Männer zeichnen sich im Vergleich zu den bürgerlichen durch eine stärker pragmatische Orientierung aus. Die jungen Facharbeiter lassen dies in geradezu exemplarischer Weise erkennen. Dieser 'Pragmatismus' bewirkt eine enttypisierende Deutung des Ge264 Vor dem Hintergrund des vorliegenden empirischen Materials und zum Zwecke der kontrastiven Gegenüberstellung kann hier ein grob umrissener Milieubegliff zugnmde gelegt werden. Eine Feindifferenzierung wie bei Hradil (1987b) oder bei Schulze (1995) ist nicht notwendig, könnte durch die Daten auch nicht eingelöst werden. Ich unterscheide ein bürgerliches von einem Arbeitel1nilieu; bei jenem noch einmal - den Kapitalbegliff von Bourdieu (1983) aufnehmend - zwischen bürgerlichen Männem, deren Milieuzugehöligkeit im wesentlichen auf dem Besitz ökonomischen Kapitals gründet, und solchen Männem, die über ein hohes kulturelles Kapital verfügen. Damit sind - im Rahmen der Frage nach der sinngenetischen Bedeutung konjunktiver Erfaluungsräume - die entscheidenden Differenzen eifaßt.
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schlechterverhältnisses. Ansatzweise läßt sich das auch in der Sinnwelt der traditionell orientierten Männer erkennen. Wie oben ausgeführt, finden sich in den Vorstellungen, welche die älteren bürgerlichen Männer über Frauen äußern, deutlich mehr stereotypisierende Beschreibungen als in den Darstellungen der älteren Facharbeiter. Den bürgerlichen Männern scheint die Frau in höherem Maße ein fremdes Wesen zu sein als den Arbeitern. Auch argumentieren sie politisch-moralisch und ganz im Sinne der Polarität von GescWechtscharakteren, wie sie von Karin Hausen (1976) und anderen Frevert 1995; Honegger 1991) als typisch für die GescWechterordnung der bürgerlichen Gesellschaft herausgearbeitet worden ist (indem etwa die eigene 'männliche Besonnenheit' einer 'weiblichen Emotionalität' kontrastiert wird). ObwoW die Älteren unter den Arbeitern genauso deutlich wie die bürgerlichen Männer an der geschlechtlichen Arbeitsteilung festhalten, können sie, wie es ein Arbeiter formuliert, "einen gravierenden Unterschied zwischen männlich und weiblich nicht sehen". Die bürgerlichen Männer verstehen Emanzipationsbestrebungen von Frauen - durchaus realistisch - als politische Aktionen und sehen die tradierte Werteordnung in Gefahr. Das wird insbesondere am Beispiel der Familie expliziert. Die älteren Arbeiter, die z.B. genausowenig wie ihre bürgerlichen Geschlechtsgenossen der Vorstellung eines Eindringens von Frauen in männlich dominierte Berufsfelder etwas Positives abgewinnen können, begründen ihre Vorbehalte anders. Sie sehen darin weniger eine gescWechterpolitisch motivierte Aktivität, sondern - ausgehend von ihrer Erfahrungswelt manueller Berufe - ein Unterfangen, das zwangsläufig an fehlenden physischen Fähigkeiten der Frauen scheitern wird. Das Überschreiten tradierter Grenzen zwischen den Geschlechtern ist nicht unmoralisch, es scheitert nach Ansicht der Arbeiter an praktischen Fähigkeiten, die sie in Unterschieden der physischen Konstitution verankert sehen (vgl. Behnke/Loos/Meuser 1998). Die unterschiedlichen Begründungen einer gleichgerichteten Orientierung verweisen auf die Verschränkung des gescWechtlichen mit dem Klassenhabitus. Die Differenz, die hier sichtbar wird, läßt sich mit Mannheim im Sinne der Seinsverbundenheit des Wissens fassen. Die Überschneidung von zwei verschiedenen sozialen Lagerungen, der des Geschlechts und der des sozialen Milieus, ist der Hintergrund einer Gleichzeitigkeit von Einheit (hegemoniale Männlichkeit als Orientierungsfolie) und Differenz (moralischer versus pragmatischer Rahmen). Eine Überschneidung sozialer Lagerungen bzw. eine Verschränkung von Geschlechts- und Klassenhabitus zu konstatieren impliziert, nicht eine Primordialität des einen Habitus anzunehmen. Es ist eine empirisch offene Frage, welcher Habitus dominiert bzw. welche Diffe-
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renz die Leitdifferenz ist. Und die Antwort muß nicht immer und überall die gleiche sein 265 • Aus den Studien zur Geschlechtergeschichte wissen wir, daß die Erfindung polar entgegengesetzter Geschlechtscharaktere ein wesentliches Fundament der bürgerlichen Gesellschaft gewesen ist. Die damit verbundene Akzentuierung der GescWechterdifferenz scheint aber auch insofern ein typisch bürgerliches Phänomen zu sein, als das Bürgertum diese Akzentuierung in stärkerem Maße betrieben hat als die Arbeiterschaft (genauer: als große Teile der Arbeiterschaft). Die eigenen Daten legen die Vermutung nahe, daß dies immer noch so ist. Dem pragmatischen Habitus der Arbeiter stellt sich die GescWechterdifferenz weniger als eine die Werteordnung der Gesellschaft tangierende Grundsatzfrage dar als dem moralischen des Bürgertums266 . (2) Betrachtet man die Bedeutung des konjunktiven Erfahrungsraumes Generation 267 , dann erweist sich hinsichtlich der Frage nach kollektiven Orientierungen von Männem als entscheidend, ob und in welchem Maße die Sozialisationsgeschichte eines Mannes mit der Geschichte der Frauenbewegung verknüpft ist, inwieweit - mit Mannheim gesprochen - die "intellektuelle Kultur" und die "gesellschaftlich-politischen Zustände" "in den Jahren der größten Aufnahrnebereitschaft" von den Diskursen des Feminismus und den Debatten um Frauemechte und -chancen geprägt gewesen ist. Die in der Tradition verankerten Männer - die Arbeiter wie die Bürgerlichen - sind mit den Forderungen und den Wirkungen des Feminismus wenn überhaupt, dann erst in einem Lebensalter konfrontiert worden, in dem politische Orientierung und geschlechtliche Identität gewöhnlich eine gewisse stabile Ausformung erfahren haben. Die Männer aus dem bürgerlichen Milieu immunisieren sich gegen potentiell irritierende Effekte von Frauenförderungs- und Gleichstellungspolitik, indem sie deren Notwendigkeit und Berechtigung bestreiten. Mittels Nihilierung leugnen sie, daß Frauen diskriminiert und benachteiligt sind; das 265 In älmlicher Weise gehen Frerichs und Steiruücke (1997, S. 39), die ebenfalls auf das Habitus-Konzept rekunieren, davon aus, daß "verschiedene Struktulierungen (qua Herkunft, Klasse, Geschlecht, potentiell aber auch qua Ethnie oder Region oder Generation) inkorponett sind und sich amalgamieren, wobei es zusätzlich je nach Situation einer noch genaueren Situationsanalyse bedürfte, um jeweilige Dominanzen feststellen und unterscheiden zu können". 266 Vgl. hierzu ausfuhrlich Behnke 1997; Loos 1999. 267 Den Begtiff der Generation velWende ich in Anschluß an Kar! Mannheim (1970, S. 509ff.): "Gleichzeitig aufwachsende Individuen etfalu'en in den Jahren der größten Aufnalunebereitschaft, aber auch später dieselben leitenden Einwirkungen sowohl von seiten der sie beeindmckenden intellektuellen Kultur als auch von seiten der gesellschaftlich-politischen Zustände. Sie bilden eine Generation, eine Gleichzeitigkeit, weil diese Wirkungen einheitlich sind" (S. 516). Der Begliff der Generation verweist auf sozialen Wandel, olme den keine Ungleichzeitigkeiten entstünden und mithin Generationen nicht zu unterscheiden wären (vgl. Sackmann 1992, S. 201f.)
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Problem sei "herbeigeredet". Die Facharbeiter normalisieren eine irritierende Situation, die sich weniger den Forderungen der Frauenbewegung als einer ökonomischen Krisenentwicklung verdankt: die Tatsache, daß in ihrem Milieu Frauen heutzutage mitunter mehr als die Männer verdienen oder gar allein den Familienunterhalt bestreiten. Sie akzeptieren also, daß sich etwas verändert hat, bestreiten aber, daß der Wandel die angestammte hegemoniale Position des Mannes affiziert (s. Kap. 7.2). Beides, Frauenförderungspolitik und die ökonomische Existenzsicherung der Familie durch die Frau, sind Erscheinungen der letzten zehn bis fünfzehn Jahre. Die Männer haben diese Veränderungen in einem Alter von durchschnittlich 40 Jahren erfahren. Sie gehören damit nicht zu den Erfahrungen, die ihre Generation geprägt haben. Das macht es leicht, einen kognitiven 'Immunschutz' der geschilderten Art aufzubauen. Den jungen Männern aus dem studentischen Milieu, die zeitgleich mit der zweiten Frauenbewegung aufgewachsen sind, fallt es wesentlich schwerer, sich gegen Kritik und Ansprüche seitens feministisch orientierter Frauen zu immunisieren. Es gelingt ihnen nur partiell, nämlich dann, wenn sie sich in den Schutzraum der homosozialen Männerclique zurückziehen. In diesem Sinne ist ihnen ihr Geschlechtsstatus allenfalls im Modus einer prekären Sicherheit gegeben (s. Kap. 7.3). Die gleichaltrigen jungen Facharbeiter erfahren den Wandel des Geschlechterverhältnisses nicht wie die Studenten als feministische Herausforderung, sondern eher 'undramatisch' in Gestalt selbstbewußter Partnerinnen, die pragmatisch motiviert eine egalitäre Arbeitsteilung einfordern (s. Kap 7.5.). Von der Generation ihrer älteren 'Milieugenossen' unterscheidet sie, daß sie eine Konstellation als selbstverständlich erleben, welche die Älteren als eine dramatische Veränderung tradierter Verhältnisse thematisieren. Folglich brauchen die Jungen nicht zu normalisieren; die ökonomische und arbeitsteilige Egalität von Mann und Frau ist ihnen das Normale. Die älteren Männer sowoW aus dem bürgerlichen als auch aus dem Arbeitermilieu akzentuieren deutlich und wiederholt die hegemoniale Position des Mannes in der Familie. Sie sehen den Mann als Ernährer, Oberhaupt, Verantwortlichen. Mit dieser Perspektive verankern sie sich in der Tradition des pater familias, wie sie für ihre Herkunftsfamilien selbstverständlich gewesen sein dürfte. Ihre jüngeren Geschlechtsgenossen, die mit der zweiten Frauenbewegung aufgewachsen sind, können und wollen an diese Tradition nicht anknüpfen. Aufschlußreich ist hier vor allem der Vergleich der älteren mit den jüngeren Facharbeitern, die anders als die gleichaltrigen Studenten, verheiratet sind und teilweise auch schon Kinder haben. Das offensichtlich selbstbewußte Bestehen ihrer Partnerinnen auf eine egalitäre Teilung der Arbeit ließe jeglichen Anspruch auf Hegemonie ins Leere laufen. (3) Eine dritter konjunktiver Erfahrungsraum, in dem die Gruppen sich unterscheiden, ist die lebensgeschichtliche Entwicklungsphase, in der die Mitglieder sich befinden. Dies korrespondiert grob, aber nicht hundertprozen308
tig mit dem Lebensalter. Der Vergleich der Gruppen junger Männer (der Studenten mit den Facharbeitern) verweist auf die Bedeutung der Statuspassage Heirat bzw. feste Beziehung. Von keiner anderen Gruppe wird derart stark das Thema Sexualität in den Vordergrund gestellt wie von den beiden studentischen Gruppen, deren Mitglieder bis auf einen nicht in einer festen Beziehung leben. Sexualität ist diesen Männern "das Wichtigste". Das Thema "Mann-Frau-Beziehungen" sei fast auf die Frage, ob es sich um "mögliche GescWechtspartner" handele, zu reduzieren. Gegenüber den gleichaltrigen verheirateten Facharbeitern befinden sich die Studenten gewissermaßen in einem 'Entwicklungsrückstand'. Ständig auf der Suche nach einer Sexualpartnerin gewinnt die Sexualitätsthematik einen Stellenwert, den sie bei den Facharbeitern bereits verloren hat. Diese datieren Erlebnisse und Verhaltensweisen, von denen die Studenten als gegenwärtig bedeutsamen berichten, auf eine vergangene, überwundene Phase: "Nach zweieinhalb Jahren hat man genug Hörner abgestoßen". Die Beschreibung des eigenen Verhaltens zu dieser Zeit mutet wie ein Kommentar zu den Berichten der Studenten über ihre alkoholreichen Zusammenkünfte an: "Diese Phase hat immer viel mit Alkohol zu tun, bei den meisten Jungs, weil sie irgendwann in den Konflikt kommen, Mann, das dauert jetzt aber echt lange, bis ich mal was Festes kriege oder bis ich das Richtige finde. Dann fangen sie an zu trinken." Die Sexualitätsthematik verliert rur die jungen Facharbeiter in dem Moment an Gewicht, in dem sie sich "die Hörner abgestoßen" haben und eine feste Bindung eingegangen sind. Einer berichtet davon, wie er "von Freundin zu Freundin gereicht" worden sei und wie dies sich schlagartig geändert habe, als er seine derzeitige Freundin kennengelemt hat: "Irgendwann hab ich Britta kennengelernt, da war die Sache rur mich auch gegessen." Neben der Einbindung in eine Partnerschaft bzw. deren Fehlen ist eine weitere lebensgeschichtliche Ungleichzeitigkeit zwischen den Studenten und den jungen Facharbeitern von Bedeutung. Die Erwerbstätigkeit dieser schafft einen Rahmen von Verpflichtung und Anspruch, der die Befriedigung sexueller Bedürfnisse zweitrangig werden läßt. Wenn es passiere, daß er früh morgens ein sexuelles Begehren verspüre, berichtet einer der Facharbeiter, "dann stell ich meinen Sexualtrieb zurück, und dann denk ich erstmal rur mich, noch einigermaßen pünktlich zur Arbeit zu kommen". Es ist jedoch nicht nur die Pflicht, bzw. es sind nicht nur die Sanktionen, die drohen, wenn man unpünktlich zur Arbeit erscheint, auch selbst auferlegte Ziele und eigene Ansprüche an die berufliche Karriere relativieren den Stellenwert des Sexuellen. So bemerkt ein anderer: "Wenn ich zum Beispiel denke, ... ich habe jetzt in der letzten Woche Prüfung gehabt, da bin ich auf ganz andere Sachen konzentriert, als hier meine Triebhaftigkeit auszuleben". Gegenüber der partnerschaftlichen und beruflichen Einbindung der jungen Facharbeiter, die mithin mit den Anforderungen von zwei Erwachsenenrollen konfrontiert sind, leben die gleichaltrigen Studenten in einem psycho309
sozialen Moratorium, das ihnen ein Verhalten erlaubt, das auf den Beobachter teilweise eher spätpubertär denn erwachsen wirkt. Das proletenhafte ("pröllernde") Benehmen könnten sich die Facharbeiter nicht (mehr) leisten; die Beanspruchung durch die Erwerbstätigkeit läßt weniger Raum, verringert die ZaW der Gelegenheiten, und bei ihren Partnerinnen wären sie mit einem solchen Verhalten diskreditiert. Die Zugehörigkeit zu einem der konjunktiven Erfahrungsräume hat Einfluß auf Form und Inhalt männlicher Selbstverortung, allerdings nicht unmittelbar und nicht in einem deterministischen Sinne. So finden wir einen Anspruch auf männliche Hegemonie nicht nur unter den in der Tradition verwurzelten älteren Männern, sondern auch bei 20 bis 30 Jahre jüngeren Studenten. Die Zugehörigkeit zu einer Generation, die durch das Erstarken der zweiten Frauenbewegung entscheidend geprägt ist268 , impliziert keineswegs notwendig eine egalitäre Haltung, wohl aber erzwingt sie eine Auseinandersetzung mit den Deutungsmustern und den Wirkungen des Feminismus, welche von den älteren Geschlechtsgenossen nicht geleistet werden muß. Die Generationszugehörigkeit gibt gleichsam ein Problem vor, nicht aber dessen Lösung. Ein anderes Beispiel: Männliche Orientierungen machen nicht an Milieugrenzen Halt. Hegemoniale Männlichkeit ist für Industriearbeiter wie für Manager ein zentrales Element der gescWechtlichen Selbstverortung. Freilich ist eine Ausnahme festzustellen, bei der das Milieu eingrenzend wirkt. Eine fundamentale habituelle Verunsicherung greift offensichtlich nicht über den Kreis deIjenigen Männer hinaus, die über ein hohes kulturelles Kapital verfügen. Gleichwohl ist auch hier kein Determinismus am Werke. Eine bestimmte (geistes- und sozialwissenschaftliche) akademische Bildung macht vielleicht anfcillig für Verunsicherungen, ist aber keinesfalls eine hinreichende Bedingung. In der lebensgeschichtlichen Entwicklung verändert sich der Fokus männlicher Selbstidentifikation, nicht aber unbedingt die grundlegende Orientierung. Junge Männer, die ständig auf der Suche nach einer Sexualpartnerin sind, rücken den Bereich des Sexuellen in den Vordergrund, die Generation ihrer Väter die Verantwortung für die Familie. In den Beschreibungen, die die einen wie die anderen über das sie jeweils am meisten beschäftigende Handlungsfeld geben, erweist sich aber das Muster der männlichen Hegemonie als die zentrale Perspektive. Wer wie die Studenten weder Frau noch Kinder hat, denkt noch nicht in Kategorien der Verantwortung für andere. Ein Gemeinsames - hegemoniale Männlichkeit - kann sich also unterschiedlich manifestieren und dokumentieren. In dieser Hinsicht sind die Einflüsse von Milieu, Generation und lebensgeschichtlicher Entwicklungsphase 268 Dies ist nicht eine Annalune, die angesichts der clu·onologischen Gleichzeitigkeit naheliegt, dies zeigt sich in den Daten selbst.
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zu berücksichtigen. Es bleibt aber der Geschlechtshabitus, den die älteren, in der Tradition lebenden Männer ungebrochen darstellen, den die jüngeren Männer aus bürgerlichem Milieu, die Studenten, noch nicht perfekt beherrschen, nach dessen 'Komfort' die Verunsicherten aus den Männergruppen sich sehnen und den die jungen, in festen Beziehungen lebenden Facharbeiter zu transzendieren scheinen. Geschlecht ist mithin nach wie vor ein konjunktiver Erfahrungsraum, der für die, die in ihm leben und handeln - trotz aller Trennlinien und Unterschiede - fundamentale Gemeinsamkeiten schafft. Man muß nicht unter den gleichen sozialstrukturellen Bedingungen aufgewachsen sein, um das Geschlechterverhältnis und die eigene Position darin in homologer Weise wahrzunehmen. Männer können sich in unterschiedlichen lebensgeschichtlichen Entwicklungsphasen befinden und gleichwohl in ähnlicher Weise die Frau als ein fremdes Wesen erfahren. Heirat per se macht die Frau dem Mann nicht vertrauter. In dem folgenden, die Interpretation der Gruppendiskussionen beschließenden Kapitel, wird den Merkmalen des männlichen Geschlechtshabitus, so wie sie sich aus dem empirischen Material rekonstruieren lassen, systematisch nachgegangen werden. Nachdem die voranstehenden Kapitel eher die Vielfalt männlicher Erfahrungen herausgearbeitet haben, stehen nun die Gemeinsamkeiten im Vordergrund.
7.9 Zusammenfassung: Habitus, männliche Hegemonie und habituelle Sicherheit Hier soll nicht wiederholt werden, was im vierten Kapitel allgemein über den männlichen GescWechtshabitus ausgeführt worden ist. Dessen Merkmale und Voraussetzungen sind, wie dort ausgeführt, in der Perspektive der grounded theory aus dem empirischen Material entwickelt worden. Insofern hat jenes Kapitel einiges von dem vorweg genommen, was in den voranstehenden Kapiteln ausführlich entfaltet worden ist. Die folgenden Ausführungen beschränken sich darauf, die Resultate der empirischen Rekonstruktion unter der Leitfrage zu bündeln, in welcher Weise sich hegemoniale Männlichkeit als generatives Prinzip des männlichen Geschlechtshabitus geltend macht und dies das doing gender der Männer bestimmt. Die "selbstbewußte Zustimmung zum habituellen Schicksal", von Janning (1991, S. 31) als ein entscheidendes Merkmal des Habitus benannt, erzeugt eine habituelle Sicherheit, welche die eigene Position im Geschlechtergefüge als fraglos gegeben erfahren läßt. Diese Sicherheit ist in mehreren Dimensionen gegeben:
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als Sicherheit über die eigene Position in der Familie; als Sicherheit hinsichtlich dessen, was in Interaktionen zwischen Männern und Frauen erlaubt ist, und erst recht darüber, was ein angemessenes Verhalten unter Männern ist; als Sicherheit hinsichtlich der Strategien und Formen der Selbstpräsentation. Diese Sicherheit kann nur dann entwickelt werden, wenn das eigene Handeln nicht als ein gescWechtlich konnotiertes wahrgenommen wird. Das zeigt der Vergleich zwischen den in der Tradition verankerten und den 'bewegten' Männern, denen die Tradition fragwürdig geworden ist. Die Ausblendung des Geschlechtlichen ist eine Leistung, die von den Akteuren nicht bewußt erbracht wird. Die Art, wie die homosoziale Männergemeinschaft organisiert ist, ist bereits ein Beitrag hierzu. Selbst wenn die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht als Eintrittsberechtigung explizit gefordert wird, wie dies z.B. in Herrenclubs geschieht, ist das Geschlecht kein Topos der Gruppenkommunikation, eher eine selbstverständliche Ressource. Man redet zwar über 'Männerthemen' (von der Politik bis zum Auto), nicht aber über das Thema Mann. Das Geschlecht ist insofern eine Ressource, als unterstellt wird, mit diesem seien bestimmte Kompetenzen und Präferenzen zwangsläufig verbunden. Weil alter ein Mann ist, kann ego sich mit ihm über Automodelle, Pferdestärken und Hubraumgrößen unterhalten. Die bewegten Männer sehen darin eine Inszenierung von Männlichkeit, den traditionellen Männern stellt sich die Situation als eine Kommunikation zwischen zwei an einem spezifischen Thema interessierten Menschen dar, die zufaIlig dem gleichen GescWecht angehören. Bei einem Herrenclub ist die Geschlechtsexklusivität der Mitgliedschaft offen dokumentiert. Viele homosoziale Männergemeinschaften haben hingegen ein Selbstverständnis, das die GescWechtshomogenität der Mitglieder als ein Zufallsprodukt begreift. Damit erfährt die Invisibilisierung des GescWechtlichen eine Steigerung; die gruppenkonstituierende Bedeutung der GescWechtszugehörigkeit wird ausgeblendet. Eine Fußballmannschaft betont, sie seien nicht zusammen, weil sie Männer sind, sondern um über den gemeinsam betriebenen Sport "eine größere Beziehung zu anderen zu finden", und diese seien ,,nun zufällig gerade Männer". "Theoretisch" könnten auch Frauen mitspielen. Der Fußballsport ist ein möglicher Anlaß unter vielen, um einen Zusammenschluß von Männern zu initiieren. Aber er ist trotz der anderslautenden Bekundung kein zufällig gewäWter. Mit der WaW einer Männersportart (die Fußball zumindest für die Alterskohorte der Vierzig- bis Fünfzigjährigen immer noch ist) ergibt es sich 'von selbst', daß im Club nur Männer sind. Die selbst wahrgenommene Intention ist also nicht die, einen
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Männerclub zu gründen269 , man findet aber einen Rahmen, der es mit sich bringt, daß das Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Nähe unter und mit Geschlechtsgenossen realisiert wird. Am eigenen Handeln wird nichts GescWechtliches wahrgenommen. Die Desexuierung ist freilich gescWechtsexklusiv. Frauen werden als 'Gattungswesen' beschrieben, Männer als Individuen (s. Kap. 7.6). Auch wenn bzw. gerade weil GescWecht auferlegtes Schicksal ist, ist entscheidend, was der Mann als Individuum macht, was er durch eigene Leistung schafft. Das Schicksal entzieht sich intentionaler Steuerung, nicht aber das eigene Leben. Die Desexuierung 'macht' den Mann einerseits zum Menschen, andererseits zum Individuum. Dies ist exakt in dem Sinne zu verstehen, wie Simmel es vor hundert Jahren beschrieben hat (s. Kap. 1.2). Gegenüber dem Gattungswesen Frau zeichnet sich der Mann durch individuelle Differenzierung aus, generalisierende Aussagen über ihn sind nicht möglich. Damit ist er nur noch in einem übergeordneten, allgemeinen Sinne Gattungswesen: als Mensch. Hierzu noch einmal Simmel (1985, S. 214): "Das allgemein Menschliche, von dem die geschlechtliche Spezialität ein Sonderfall sein soll, ist mit dem männlichen derart solidarisch, daß keine spezifische Differenz gegen dieses an ihm angegeben werden kann: das schlechthin Allgemeine läßt sich nicht definieren".
Ganz in der Tradition des von Simmel analysierten Deutungsmusters heißt es in einer Gruppendiskussion, die Frage nach der Bedeutung des Mannseins könnte "auch heißen: Wie fühlst du dich als Mensch" (s. Kap. 7.2). Die Hypostasierung des Männlichen zum Allgemein-MenscWichen, die sich vor allem bei den in der Tradition verankerten Männern aus dem Bürgertum findet, darf nicht derart verstanden werden, als handelten diese Männer intentional, als schwängen sie sich gleichsam planvoll zum desexuierten Menschen auf. Dies geschieht nicht im Modus des diskursiven Bewußtseins, es ist ein implizites Wissen, das sich in den Darstellungen der Männer dokumentiert, vor allem in den Abgrenzungen gegenüber Frauen27o • Insofern ist es verständlich, daß die mit der Gruppendiskussion von außen herangetragene Aufforderung, sich diskursiv auf das eigene GescWecht zu beziehen, als befremdlich, wenn nicht gar als bedroWich perzipiert wird. Zieht man in Betracht, daß mit dem Wandel des Geschlechterverhältnisses die Anwendungsbedingungen des männlichen GescWechtshabitus, wie sie zur Zeit Simmels gegeben waren, wegzubrechen beginnen, erweisen sich die Mechanismen von Normalisierung und Nihilierung als wichtige Stützen der habituellen Ordnung. Bourdieu bezeichnet die Beharrungstendenz einer Ha269 Diese Männer fänden es "furchtbar", und "würden sich mit Händen und Füßen dagegen sträuben, wenn jemand sagen würde, ich gehe jetzt in meine Mämlergruppe". 270 In deutlichem Kontrast dazu steht die bewußt vorgenommene Desexuienmg des HandeIns beider Geschlechter, welche die jungen Facharbeiter praktizieren (s. Kap. 7.5).
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bitusformation als ,,Hysteresis-Effekt". Was er über diesen Effekt anband des Werteverlustes von Bildungstiteln ausführt, läßt sich mutatis mutandis auf die Machtverschiebungen im Geschlechterverhältnis übertragen: "Die Hysteresis der Wahmehmungs- und Bewertungskategorien (bewirkt), daß die Inhaber entwerteter Titel sich gleichsam zum Komplizen ihrer eigenen Mystifikationen machen, indem sie kraft eines typischen Effekts der Allodoxia den ihnen zuerkannten Titeln einen Wert beimessen, der objektiver Anerkennung entbehrt" (Bourdieu 1987, S. 238).
So weit sind die Veränderungen der Geschlechterordnung freilich noch nicht gediehen. Die Ansprüche von Männern auf Dominanz sind noch nicht entwertet, die Mystifikationen männlicher Hegemonie tragen eher dazu bei, jene aufrecht zu erhalten. Gleichwohl sind Tendenzen zu einer Komplizenschaft mit den eigenen Mystifikationen zu beobachten, etwa dort, wo mit dem Verlust der Allein- oder Haupternährerposition die materielle Basis des Dominanzanspruchs wegzubrechen beginnt. Eine ungebrochene Geltung kann der Habitus im bürgerlichen Milieu und dort vor allem bei sowohl beruflich als auch familiär etablierten Männern beanspruchen. Hier findet sich das Muster der hegemonialen Männlichkeit in geradezu idealtypischer Ausprägung. Es ist nicht nur Orientierungsfolie, es ist gelebte Praxis. Der Anspruch auf Hegemonie kann durch einen ausreichenden Kapitalbesitz eingelöst werden. Connell (1993, S. 613ff.) sieht- Geschlechter- und Klassentheorie verknüpfend - hegemoniale Männlichkeit vornehmlich bei den Männern der funktionalen Eliten der herrschenden Klasse verwirklicht. Die eigenen Daten lassen vermuten, daß insbesondere hohes ökonomisches und soziales Kapital der Durchsetzung des hegemonialen Anspruchs fOrderlich ist. Die homosoziale Männergemeinschaft leistet dabei zweierlei. Zum einen vergewissern sich die Männer wechselseitig der Normalität ihrer Ansichten und der Berechtigung ihrer Ansprüche, zum anderen vermehrt die Mitgliedschaft in einem Herrenclub das vorhandene soziale Kapital. Den Männern, denen ihr Geschlecht im Modus der habituellen Sicherheit gegeben ist, sind Ausdrucksformen von Hypermaskulinität, wie sie in der Figur des Rambo oder des Macho symbolisiert sind, fremd. Der Hegemonieanspruch bedarf auch keines Verweises auf körperliche Stärke und Überlegenheit, um sich Geltung zu verschaffen. Das gilt auch für das Arbeitermilieu. Weder will man auf sexuellem Gebiet ein "Zuchtbulle" sein, noch gibt ein J ohn Wayne ein Vorbild ab, an dem man sich orientiert. Man hat es nicht nötig, "den Mann rauszukehren", muß nicht beweisen, daß man einer ist271 . 271 Das schließt allerdings nicht aus, daß körperliche Stärke eingesetzt wird, um tatsächlich oder venneintlich schwächeren Frauen Hilfe zu leisten. Dies geschieht aber ohne einen demonstrativen Velweis auf die körperliche Überlegenheit.
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Eine gewisse Faszination üben hypennaskuline Figuren hingegen auf die verunsicherten Männer in den Männergruppen aus. Diese Männer, deren Alltagswirklichkeit zu wenig den Anwendungsbedingungen des männlichen Habitus entspricht, als daß dieser über Nonnalisierungs- und Nihilierungsstrategien zu retten wäre, fasziniert an der Hypennaskulinität deren eindeutige und offensive Verkörperung des Mannseins. Sie beneiden die Machos und Rambos und lohn Waynes darum, wie selbstverständlich und stolz diese sich als Mann präsentieren, während ihnen selbst das eigene GescWecht zum Problem und z.T. auch zum Anlaß von Scham geworden ist. Scham, so Neckel (1991, S. 251) "ist die gelebte Erfahrung von sozialer Mißachtung, defizitärer Selbstbewertung und selbstempfundener Inferiorität. ... Sie lagert sich in die Selbstwahrnehmung der Individuen ein, trägt zur Begrenzung biographischer Entwürfe wie zur Venneidung von Handlungsalternativen bei". Auf der Folie einer defizitären Selbstdefinition entsteht die Sehnsucht nach einer für alle sichtbaren, zweifelsfreien Verkörperung des Geschlechtsstatus. Der Körper gewinnt eine Wichtigkeit als demonstratives Geschlechtszeichen, die er für die habituell sicheren Männer nicht hat. Die in der Teilszene der 'wilden' Männer propagierten und praktizierten Initiationsrituale lassen 'Mannwerdung' nicht nur als spirituellen, sondern auch als körperlichen Prozeß erscheinen (vgl. Meuser 2003b). In diesem Kontext wird das Boxen als initiationsfördernd entdeckt. Das Bild auf dem Umschlag eines im Göttinger Männerbüroverlag erschienenen Buches zeigt zwei Männer mit nacktem Oberkörper und Boxhandschuhen, die sich innig umannen (Scheskat 1994). Solche "körperorientierte Therapie" bemüht sich auf der Basis des kulturellen Geschlechtssymbolismus um die Vennittlung von symbolischem Kapital, auf dessen Basis - so die Erwartung - sich der männliche Habitus zurückgewinnen läßt. Die Strategie der Aneignung 'weiblicher Anteile', von der die Männergruppenszene sich abzuwenden beginnt, setzt gewissennaßen auf das falsche symbolische Kapital. Der Geschlechtssymbolismus läßt Männer, die das tun, als illegitime Kapitaleigner erscheinen. Dies hat zur Folge, daß das neu erworbene Kapital keine Zinsen trägt, daß die eigenen Anstrengungen als Fehlinvestitionen und die aufgebrachte Zeit als vergeudete Zeit erfahren werden. Sehr deutlich läßt sich das bei denjenigen Männergruppen beobachten, die sich um eine Distanz zu den von ihnen verinnerlichten feministischen Deutungsmustern bemühen. Als besonders schmerzhaft erleben sie, daß auch diejenigen Frauen, welche die Geschlechterordnung verändern wollen, ihre Anstrengungen nicht honorieren. Daß das weibliche symbolische Kapital in der traditionellen Männerwelt keine Zinsen trägt, haben sie erwartet. In den Ambivalenzen, die sich in den Orientierungen der 'bewegten' Männer beobachten lassen, dokumentiert sich die Macht des Habitus, dem man nicht auf reflexivem Wege entrinnen kann, indem man die Einsicht entwickelt, daß der Habitus angesichts einer veränderten Geschlechterwirklich315
keit nur noch veraltete Konzepte bereitstellt. Die Spannung von Determination und Emergenz läßt sich nicht kognitiv auflösen (vgl. auch Bourdieu 1997b, S. 171). In den Sehnsüchten der 'bewegten' Männer und in ihrem doppelten Leiden - an den Ansprüchen der Gesellschaft und an dem Verlust von Sicherheit, der aus der Verweigerung gegenüber diesen Ansprüchen resultiertmacht der Habitus sich noch in dessen Ablehnung geltend. Dem eigenen Selbstverständnis zufolge wollen die Männergruppen die Grenzen der männlichen Geschlechtsrolle transzendieren. Sie scheitern jedoch nicht an der Geschlechtsrolle, sondern am Habitus als inkorporierte 'zweite Natur'. GescWecht ist mehr als eine Rolle, deren Attribute abgestreift werden können. TatsäcWich stellen diese Männer nicht die Männerrolle in Frage, sondern den männlichen Habitus. Das erklärt das hohe Maß an Konfusion, an existentieller Verunsicherung, den teilweise festzustellenden Orientierungsverlust. Wenn, wie Goffman (l994c, S. 110) ausführt, Geschlecht die wichtigste Quelle der Selbstidentifikation ist, steht zu erwarten, daß eine fundamentale Unsicherheit über den eigenen Geschlechtsstatus Auswirkungen hat, die auf die gesamte Existenz der Person übergreifen. Den verunsicherten Männern wird die eigene Biographie nicht nur retrospektiv zum Problem, auch prospektiv gerät sie in Gefahr, zum Anlaß von Sorgen und Unwägbarkeiten zu werden. Das geht weit über den üblichen Grad der Offenheit biographischer Entwürfe hinaus. Die entscheidende Differenz besteht darin, daß die Unwägbarkeiten nicht auf Entwicklungen beruhen, über die man selbst keine Kontrolle hat (volkswirtschaftliche Prozesse, die Solidität des Arbeitgebers u.ä.), sondern daß man sich des eigenen Wollens und der eigenen Bedürfnisse nicht sicher ist. Soll man die berufliche Belastung reduzieren, eine Teilzeitstelle anstreben, um mehr 'Zeit für sich' und Frau und Kind zu haben? Soll man gar ganz zu arbeiten aufhören, um als 'Hausmann' den Kindern ein neues Modell der Männerrolle vorzuleben? Welche Konsequenzen wird eine dann gegebene ökonomische Abhängigkeit von der Ehefrau auf das eigene Selbstwertgefühl haben? Das sind Fragen, denen sich die in der Tradition verankerten älteren Männer nicht konfrontiert sehen, weil sie die eigene Berufstätigkeit nicht als zur Disposition gestellt erfahren. Indem die habituellen Routinen des doing gender nicht nur unzureichend beherrscht, sondern explizit fragwürdig werden, doing gender aber virtuell omnirelevant ist, gerät die habituelle Verunsicherung tendenziell zu einer Gefährdung ontologischer Sicherheit. "Ontological security and routine are intimately connected, via the pervasive influence of habit" (Giddens 1991, S. 98). Die Ungewißheit über die eigene Position in der Geschlechterordnung greift auf andere soziale Zusammenhänge über. Unsicherheit wird zu einer sozialen Basiserfahrung. Das markiert den entscheidenden Unterschied der fundamental verunsicherten Männer zu denen, die im Modus einer prekären Sicherheit leben. In deren übersteigerten Präsentationsformen männlichen Zusammenhaltes dokumentiert sich eine unzureichende Aneignung des Habi316
tus, nicht aber eine Distanz zu diesem. Das begrenzt die Unsicherheiten zeitlich und auf bestimmte situative Konstellationen. Diesen jungen Männem fehlt es an der Souveränität der Älteren, nicht aber an ontologischer Sicherheit.
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Schluß Freisetzung aus Traditionen? Krise des Mannes? Ein modernisierungstheoretisches Resümee Die soziologischen Theorien der reflexiven Modemisierung beschreiben die abendländische Gesellschaft des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts als eine mit sich selbst konfrontierte Modeme, die sich mit den eigenen Grundprinzipien auseinandersetzt. Giddens (1991, S. 3) sieht die modeme Gesellschaft in einer Entwicklungsphase, "in which the consequences of modemity are becoming more radicalized and universalized than before". Die Enttraditionalisierung erfaßt alle Lebensbereiche, keine Selbstverständlichkeit bleibt von reflexiver Entzauberung ausgenommen. Die Optionen und Weltdeutungsangebote sind bis zur Unübersichtlichkeit gesteigert, Sicherheiten zerbrechen. Der Alltag wird entroutinisiert, kollektive Habitualisierungen werden mürbe. Soweit die einschlägigen Diagnosen, die aber nicht versäumen, zugleich auf die Rückseite der Freisetzung aus Traditionen hinzuweisen, auf die Ambivalenzen der Modeme - auf "riskante Freiheiten" und "riskante Chancen", auf die "Tyrannei der Möglichkeiten" (vgl. Beck/Beck-Gemsheim 1994; Giddens 1991; Gross 1994; Hitzler/Honer 1994; Keupp 1994). Die - vor allem durch die Medien - verbreitete These von der Krise des Mannes sieht diesen voll und ganz in die skizzierten Entwicklungen involviert: von seiner angestammten hegemonialen Position mehr und mehr verdrängt, als 'Auslaufmodell' einer längst zu Ende gegangenen Epoche karikiert, verstrickt er sich in ein Gewirr von Zweifeln, Verunsicherungen und Ängsten, denen nur wenige Hoffnungen entgegenstehen272 . Der Mann steht, folgt man dieser Perspektive, mehr auf der Schattenseite der voll durchgesetzten Modeme, als daß er deren Promotor wäre. 272 So fragt ein Special des Spiegels im Jahr 1997, ob der deutsche Mann auf dem Weg "vom Macho zur Memme" sei (Spiegel special Nr. 7/1997). In einem Special der Zeitschtift Brigitte zum Thema Männer w1d iht'e GefiiWe aus dem Jaht· 1999 diagnostiziel1 Klaus Hun'elmalm: "Dem Mann steht das Wasser bis zum Hals"; eine NeuolientieIUng weg von einer einseitigen BerufsfixieIUng und hin zu mehr FamilienOlientienmg sei dlingend elforderlich (Bligitte special SH 3/99). Ein Special von Geo Wissen über "Frau und Mann" stellt im Jaht· 2000 fest, Matmsein sei zu einer "hocht'iskanten Lebensfonn" geworden. In jüngster Zeit berichtet der Spiegel mit Blick auf die deutlich schlechteren schulischen Leistungen des männlichen Nachwuchses von "angeknacksten Helden" (Spiegel 21/2004, S. 82ff.). Susan Faludi, die 1993 noch in Vel1eidigung feministischer Erfolge vor dem backlash, dem ,,zurückschlagen" der Männer, gewamt hatte, hat acht Jaht'e später eher Mitleid mit iht1en, die sie nun als "das betrogene Geschlecht" bezeiclmet (Faludi 1993,200 I).
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Die empirische Rekonstruktion der kulturellen Diskurse über Männlichkeit und der verschiedenen Subsinnwelten der Männer ergibt ein weniger eindeutiges Bild, verlangt eine differenzierte und differenzierende Sichtweise. Neben einer entwickelten modemen Identitätsformation (mit all ihren Ambivalenzen) beobachten wir den Fortbestand vormoderner Orientierungen. Das Geschlechterverhältnis scheint wie keine andere Organisationsform sozialer Beziehungen resistent zu sein gegen eine allgegenwärtige Individualisierung. Trotz eines wachsenden Bedeutungsverlustes der sozialen Ordnungsfunktion der GescWechterunterscheidung läßt sich eine "verblüffende Persistenz" der GescWechterdifferenz in vielen sozialen Feldern beobachten, die Heintz und Nadai (1998: 77) zufolge "über modernisierungstheoretische Argumente nicht zu erklären ist". Die Mitglieder der modemen Gesellschaft mögen ihre Beziehungen zwar ,jenseits von Stand und Klasse" (Beck 1983) gestalten, nicht aber jenseits von Geschlecht. Zumindest auf der das Geschlechterverhältnis dominierenden Seite gibt es ein beachtliches Beharrungsvermögen, das tradierten Ligaturen zu immer wieder neuem Leben verhilft. Ligaturen sind, so Dahrendorf(1994, S. 423) "tiefe kulturelle Bindungen, die Menschen in die Lage versetzen, ihren Weg durch die Welt der Optionen zu finden". Die These von der Krise des Mannes sieht diese Ligaturen zerbrechen. So wie die These auf den kulturellen Podien, in den Zeitgeistmagazinen und den Talkshows des Fernsehens präsentiert wird, scheint der Krisendiagnose oft mehr wishful thinking zugrunde zu liegen als eine genaue Analyse, zumindest aber eine vorschnelle Verallgemeinerung von Eindrücken, wie man sie in bestimmten großstädtischen, akademischen Kreisen gewinnen kann. Schauen wir uns an, was die Rede von der Krise meint, und fragen wir, ob dies eine Krise in soziologischem Sinne ist. Walter Hollstein (1988, S. 16ff.), ein bewegungsorientierter Männerforscher, sieht zum einen eine vom Mann selbst herbeigeführte, wenn auch nicht intendierte "Entmännlichung". Die Technisierung der Welt richte sich gegen deren Urheber. ,,Mit der Erfindung der Technik hat sich der Mann sukzessive selbst entmännlicht. Er hat Kraft, Stärke, Persönlichkeit, Autorität, Unverwechselbarkeit und Pioniergeist an immer effizientere Geräte und Instrumente delegiert" (S. 25). Zum anderen erzwinge die Relationalität des GescWechterverhältnisses eine Antwort der Männer auf die Veränderungen auf der Seite der Frauen. Gemäß der Logik eines Nullsummenspiels konstatiert Hollstein: ,,Dementsprechend bedeutet der historische Aufstieg der Frauen erst einmal den historischen Abstieg der Männer" (S. 23). Von den Konsequenzen des eigenen Strebens nach Naturbeherrschung eingeholt und dem von den Frauen erzeugten Druck ausgesetzt erfahre der Mann eine "Identitätskrise", zeige sich das Männerbild "brüchig, unklar und defensiv" (S. 27). Die Krise des Mannes kulminiert Hollstein zufolge in einer Erfahrung von Unterdrückung, die den Unterdrücker nicht dingfest machen kann, weil dieser sich in abstrakte Strukturen verflüchtigt. "So stehen wir denn einer gesellschaftli320
chen Superstruktur gegenüber, die auch die Männer bestimmt und letztendlich unterdrückt" (S. 30). - In einem anderen Buch befaßt Hollstein (1992, S. 39ff.) sich mit den "Risiken der männlichen Rolle", der zu folgen ausschließe, "humane Grundbedürfnisse" zu befriedigen. Elisabeth Badinter (1993) schreibt über den "kranken Mann der achtziger Jahre" (S. 155f.), die feministische Kritik habe "die Aufspaltung des Selbst unerträglich" gemacht. Auch sie diagnostiziert einen "Identitätsverlust", hervorgerufen durch die "neue Gleichung männlich = mißlich". Als Manifestationen der problematisch gewordenen Identität begreift sie "Impotenz, Fetischismus oder Homosexualität". Die sozialpsychologische Rollentheorie sieht die Krise darin begründet, daß Männer wie Frauen von den gesellschaftlich gültigen Geschlechtsstereotypen abweichen. Ausschlaggebend sei eine Erosion männlicher Macht sowoW am Arbeitsplatz als auch in der Privatsphäre der Familie. Alle Versuche, den Macht- und Autoritätsverlust zu kompensieren, verstärkten die Gefühle von Unsicherheit und Angst. In sozialisationstheoretischer Perspektive gilt der Niedergang des Vatersymbols, die Schwierigkeit des Sohnes, eine stabile Identifikation zu einer Vaterfigur aufzubauen, als die Ursache männlicher Identitätsprobleme (vgl. Brittan 1989, S. 25ff.). Gemeinsam ist den populären wie den wissenschaftlichen Diagnosen ein psychologisches Verständnis des Krisenbegriffs, wie es sich in der Konzentration auf Identitätsprobleme dokumentiert. Brittan (1989, S. 27) bemerkt zurecht, "that the dominant orthodoxy in the discussion of masculinity has been heavily overladen by psychology". Die populären Diagnosen sind deutlich von dem Komplementaritätstheorem der GescWechtsrollentheorie geprägt. Die Daten der eigenen Studie geben aber Anlaß zu zweifeln, ob ein Wandel der Frauenrolle notwendig einen ebensolchen der Männerrolle zur Folge hat. Es ist eine Frage der empirischen Prüfung und nicht der Theoriekonstruktion, ob "changes taking place among women inevitably affect men" (Harrison 1978a, S. 324). In einem anderen als auf das Individuum zentrierten Sinne spricht Connell (1987, S. 158ff.; 1995, S. 84ff.) von Krisentendenzen in der modernen GescWechterordnung. Zwar handele es sich (noch) nicht um eine voll entwickelte ("full-blown") Krise, entsprechende Tendenzen seien jedoch unübersehbar und in mehreren Dimensionen zu beobachten: Der institutionellen Ordnung ,,Familie plus Staat" gelänge es immer weniger, männliche Macht zu legitimieren. Die fraglose Gegebenheit patriarchaler Autorität sei in Auflösung. Daraus folge nicht automatisch ein Zusammenbruch der institutionalisierten Machtordnung, wohl aber eine wachsende Verwundbarkeit für Herausforderungen. In der Produktionssphäre beeinträchtige die steigende Erwerbsquote von Frauen die Chancen der Männer in der Konkurrenz um Arbeitsplätze. 321
Als Folge der Stabilisierung von lesbischer und schwuler Sexualität als öffentliche Alternativen sei hegemoniale Heterosexualität nicht länger die stabile Basis für Begehren (libidinöse Objektwahl, "cathexis") und Motivation. Es entstünden neue Formen und Netzwerke der Interessenformation, um gescWechterpolitische Interessen zu organisieren. Diese vor allem von Frauen ins Leben gerufenen Aktionen, Institutionen und Bündnisse seien mit der tradierten Geschlechterordnung nicht kompatibel. Diese Krisentendenzen lassen, so Connell (1995, S. 84), die Welt der Männer nicht unberührt, zerstören sie aber nicht notwendig. Das Fragwürdigwerden eines auf Autorität basierenden Männerbildes begründet nicht zwangsläufig eine Krise des Mannes. Ein möglicher Effekt seien Bemühungen, dominante Muster von Männlichkeit zu restaurieren. Der gegenmoderne Teildiskurs in der Männerverständigungsliteratur, der sog. "Maskulinismus", ist hierzu zu rechnen (s. Kap 6.2). Aber auch die Normalisierungs- und Nihilierungsstrategien der in der Tradition fest verwurzelten Männer sind als Reaktionen auf Krisenerscheinungen der Geschlechterordnung zu verstehen (s. Kap. 7.2). Der Blick auf die Subsinnwelt dieser Männer zeigt aber auch sehr deutlich, daß eine Krise der Geschlechterordnung noch lange keine Krise des Mannes ist. Die Relationalität der Kategorie Geschlecht bedingt, daß Veränderungen auf der einen Seite des Verhältnisses eine 'Zustandsveränderung' des gesamten Ordnungsgeruges nach sich ziehen, nicht aber notwendig 'spiegelverkehrte' Reaktionen auf der anderen Seite. Das Geschlechterverhältnis läßt sich nicht nach dem Muster kommunizierender Röhren konzeptualisieren, bei denen ein Ansteigen des Pegels in der einen Röhre ein Sinken in der anderen bedingt - oder, wie Hollstein schreibt, der historische Aufstieg der Frauen den historischen Abstieg der Männer. Eine ,,Krise vernichtet erwartbare Zukunft" (Rammstedt 1978, S. 139)so läßt sich der soziologische Begriff der Krise fassen. Eingespielte Problemlösungsstrategien versagen, sie gewährleisten nicht mehr den erwarteten Effekt. Connells Diagnose von Krisentendenzen der Geschlechterordnung wird diesem soziologischen Verständnis gerecht. Die Daten aus den Gruppendiskussionen zeigen, daß so verstandene Krisentendenzen je nach Subsinnwelt, in der die Männer leben, unterschiedlich stark ausgeprägt sind, daß aber eine Krise des Mannes oder der Männlichkeit nur bei wenigen auszumachen ist. In geringem Maße ist erwartbare Zukunft auch rur die in der Tradition verankerten Männer vernichtet. Es ist nicht mehr sicher, daß auf dem Bau nur Männer arbeiten und daß der Mann das Familieneinkommen sichert. Manager und Geschäftsruhrer vermögen vielleicht nicht abzusehen, in welcher Weise künftige Programme und Maßnahmen der Gleichstellungspolitik ihre Entscheidungsspielräume begrenzen werden; die oben analysierten lebensweltlichen Einbindungen (s. Kap. 7.7) sichern jedoch das Vertrauen in die Effektivität 322
tradierter Habitualisierungen. Solange der 'kognitive Immunschutz' von Normalisierung und Nihilierung funktioniert, kann von einer Krise des Mannes in dieser an der Tradition orientierten Sinnwelt nicht die Rede sein. Die Diagnose von der Krise des Mannes ist auf die Mitglieder der Männergruppen zu begrenzen. Diese erfahren, indem ihnen ihr Geschlecht zur grundlegenden Interpretationsfolie wird, auf der sie ihre Probleme verstehen, eine 'Vernichtung' geschlechtlicher Habitualisierungen. Wie gesehen, wird ihnen die eigene Biographie in nahezu jeder Hinsicht unsicher. Nur diesen Männern wird der geschlechtliche Habitus von einer Vorgabe zu einer Aufgabe, nämlich, sich als Mann neu zu erfinden. Der mediale Männlichkeitsdiskurs, der u.a. die Krisendiagnose gestellt und verbreitet hat, formuliert diese Aufgabe und stellt zugleich die Deutungsmuster bereit, die es ermöglichen, biographische Ungewißheiten als Krise der Geschlechtsidentität zu erfahren. Mit der Diskursivierung von Männlichkeit, wie sie durch die Männerverständigungsliteratur und in den Männergruppen betrieben wird, erfolgt für diejenigen, die sich auf den Diskurs einlassen (müssen), eine Modernisierung von Männlichkeit. Der "Zustand des unreflektierten 'Zuhauseseins'" (Berger/ Berger/Kellner) wird für eine weitere - und nicht beliebige, sondern zentrale Dimension der sozialen Welt verhindert. Die Literatur fungiert als Medium reflexiver Selbstkontrolle 273 , verbaut aber allein schon durch die Vielfalt der offerierten Orientierungen den Weg zu einer neuen Eindeutigkeit. Wie man als Mann leben will, ist der Entscheidung überantwortet, aber nicht ein für allemal, sondern immer wieder aufs Neue zu beantworten. In der Dauerreflexion, welche die Männergruppen betreiben, findet das seinen institutionalisierten Ausdruck. Die Optionensteigerung wird freilich weniger positiv als Erweiterung von Handlungsspielräumen wahrgenommen, eher dominiert die Erfahrung eines Handlungsverlustes. Die Ambivalenzen der Moderne machen sich hier deutlich geltend (vgl. Zijderveld 1986). Für diese Männer wird die Gesellschaft auch hinsichtlich des eigenen doing gender zu einer "Risikogesellschaft", denn Erwartungen können sich nicht mehr auf Erfahrungen stützen (vgl. Bonß 1991, S. 271; Luhmann 1990, S. 158). So, auf eine bestimmte Subsinnwelt eingegrenzt, macht die populäre Rede von den Risiken der Männerrolle, die eng mit der These einer Krise des Mannes verknüpft ist, einen soziologischen Sinn. In der Männerverständigungsliteratur gelten allerdings die höhere Suizidrate von Männern, deren häufigere Erkrankungen u.ä. 273 Lash (1992, S. 266) nennt populälwissenschaftliche Ratgeber als ein Beispiel für "reflexive Selbstkontrolle (self-monitOIing) mit Hilfe von Expertensystemen". Die Männerverständigungsliteratur dient, auch weml sie nicht voll dem Genre der Ratgeberliteratur entsplicht, ebenfalls einer Selbstbeobachtung zwar nicht der gesamten Gesellschaft, aber doch einer spezifischen Subsinnwelt.
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als Risiken der Männerrolle. Dem liegt kein soziologischer Risikobegriff zugrunde. Der erfolgreiche Manager, der bis an die Grenze seiner physischen und psychischen Belastbarkeit und darüber hinaus arbeitet, der workaholic, mag insofern 'riskant' handeln, als er das Risiko eines Herzinfarktes als Potentialität in Kauf nimmt - in der Hoffnung, das Schicksal möge ihn verschonen, und mit der Aussicht auf Karrieregewinn. Er tut dies aber nicht in dem Bewußtsein, als Mann ein Risiko einzugehen. Im Sinne der populären Kritik an der Männerrolle wäre dies ein Beispiel dafür, daß die Rollenerwartungen "verhindern, daß der Mann bewußt wahrnimmt, was er eigentlich tut oder zu tun gezwungen wird" (Hol1stein 1992, S. 40). Das kann durchaus zu einem Leben voll von Gefahren führen - am Ende einer Existenz als 'Kampftrinker' steht meistens die Leberzirrhose -, unsicher und ungewiß hinsichtlich dessen, was eine angemessene Rollenperformanz ausmacht, ist ein solches Leben nicht. Riskant wird die Rolle des Mannes erst in dem Maße, in dem über die Diskursivierung des vormals fraglos Gegebenen die Gefahren bekannt gemacht werden. Die daraus folgende "Ausweitung von Entscheidungsmöglichkeiten durch Zunahme von Wissen" führt "zu einer Problemverschiebung aus dem Gefahrenbereich in den Risikobereich" (Luhmann 1990, S. 150)274. Der fiktive Manager wäre, sofern ihm angesichts seiner Arbeitssucht Zeit dazu bliebe, in einem Herrenclub oder einer anderen homosozialen Männergemeinschaft zu finden, nicht aber in einer Männergruppe. Die Männlichkeitsmuster jener männerbündisch strukturierten homosozialen Gemeinschaften erfüllen nicht die Kriterien, denen den einscWägigen soziologischen Theorien zufolge eine Lebensform genügen muß, um modem genannt zu werden. Beck und Beck-Gernsheim (1994, S. 17) nehmen an, daß die "Ebene von vorbewußten 'kollektiven Habitualisierungen', von Selbstverständlichkeiten ... ins Denken und Verhandeltwerdenmüssen zerstaubt". Gross (1994, S. 16f.) bezeichnet die "Obligations- und Gewißheitsgesellschaften" als "die ungute Alte Zeit. Wenn sie sich innerhalb der realisierten Multioptionsgesellschaften als Fundamentalismen hervorwagen, werden sie mit Feuer und Schwert bekämpft". Und Giddens (1991, S. 38) versteht Reflexivität als fundamentale Basis der Systemreproduktion. "The routinisation of daily life has no intrinsie connections with the past at all ... To sanction a practice because it is traditional will not do; tradition can be justified, but only in the light of knowledge which is not itse1f authenticated by tradition". Die Rekonstruktion der Sinnwelt der in der Tradition verankerten Männer hat deutlich gezeigt, welche Kraft kollektive Habitualisierungen nach wie vor haben, wie sie immun sind und immun machen gegen allgegenwärtige Irritationen. Die Selbstverständlichkeiten haben sich keineswegs in einen 'Verhandlungsmarathon' verflüchtigt. Die Gewißheiten sind keine Relikte einer 274 Zur weiteren begliffiichen Unterscheidung von Risiko und Gefahr vgl. Bonß 1991, S. 264; Lulunann 1990, passim.
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negativ etikettierten vergangenen Epoche. Die Fundamentalismen eines essentialistischen Biologismus bleiben zwar nicht ohne Kritik, unter den GescWechtsgenossen ist es aber nur eine Minderheit, die vehement ("mit Feuer und Schwert") dagegen ankämpft. Traditionen genügen weiterhin sich selbst, müssen nicht rational, mit Verweis auf Gründe, die außerhalb ihrer liegen, gerechtfertigt werden. "Weil das immer so gewesen ist", "weil das nach dem Alterhergebrachten so gedacht ist" reicht als Legitimation des eigenen Handelns voll und ganz aus. Der Versuch, die Tradition zu begründen, endet in einem zirkulären Verweis auf die Tradition. Im Lichte soziologischer Modemisierungstheorien erscheinen Männer als eigentümlich paradoxe Akteure. Mit der These einer gescWechtlich halbierten Modeme verweist Beck darauf, daß die klassische Modeme ein von Männern vorangetriebenes Projekt (gewesen) ist, welches die Frauen von seinen 'Segnungen' ausgescWossen hat. Die Männer haben den Frauen für lange Zeit die volle Teilhabe an den Bürgerrechten verweigert, der Universalismus der Moderne war einer von Brüdern, nicht von Brüdern und Schwestern. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit proklamierten die Revolutionäre von 1789. Die Männer der französischen Revolution scheuten sich nicht, Frauen, die die geschlechtliche Unteilbarkeit der universalistischen Prinzipien einforderten, unter die Guillotine zu schicken (vgI. Honegger 1991, S. 72ff.). Die Hypostasierung des Männlichen zum Allgemein-MenscWichen besorgte die ideologische Basis der geschlechtlichen Teilung der Prinzipien der Modeme. Eine Halbierung, die Beck nicht thematisiert, betrifft die Männer selbst. Deren Teilhabe an der Modeme basiert gleichsam auf einer vormodemen Identitätsformation. Mit der Naturalisierung des Geschlechterverhältnisses haben sie sich selbst in ihrer GescWechtlichkeit von jeder Entzauberung ausgenommen. Einerseits sind Männer die Akteure der gesellschaftlichen Modernisierung, andererseits handeln sie auf der Basis einer reflexiv nicht eingeholten GescWechtlichkeit. In einem Sozialverhältnis, in dem die Positionen mit der Geburt zugewiesen werden, das gewissermaßen ständischen Charakter hat (vgl. Beck 1986, S. 177), besteht für die herrschende Seite keinerlei Notwendigkeit zur Selbstreflexivität. Der Mann befreit sich aus vielfältigen traditionellen Bindungen, in seiner GescWechtIichkeit wird er aus der bequemen Einbindung in Traditionen und habituelle Sicherheiten, wenn überhaupt, dann von außen, von den Frauen herausgerissen. Soweit er sich selbst zum Akteur der eigenen Modernisierung zu machen versucht, erfährt er die Aporien von habitueller Verunsicherung und Handlungsverlust. Die in den letzten Jahren an Popularität gewinnende Orientierung an starken Vaterfiguren, Gurus und mythopoetischen Sinnwelten läßt sich als Reflex hierauf verstehen, als Versuch, den Ambivalenzen der Modemisierung durch eine vorreflexive Eindeutigkeit zu entkommen (vgI. Meuser 1995a). Eine Modernisierung von Männlichkeit, die Bestand hat, weil sie nicht mit dem Preis einer habituellen Verunsicherung bezahlt werden muß, stellt 325
sich vielleicht nur als nicht intendierte Nebenfolge innerhalb eines pragmatischen Beziehungsarrangements her, in dem der Mann nicht als Mann gefordert ist, traditionell verbürgter männlicher Privilegien zu entsagen. Die Berichte der jungen Facharbeiter über die häusliche Arbeitsteilung und ihre desexuierende Deutung des Handelns beider GescWechter lassen die Konturen eines Arrangements der GescWechter ,jenseits von Frauen- und Männerrollen" erkennen. Die Soziologie vermutet Modernisierungspotentiale gewöhnlich im bildungsbürgerlichen Milieu der Mittelschicht. Da mit der Auseinandersetzung über die 'Codierung' des Geschlechts zugleich fundamentale Identitäten verhandelt werden, mag die bürgerliche Reflexionskultur hier vielleicht weniger innovativ wirken als anderswo. Der Diskurs einer Krise des Mannes, vor allem der mediale, ist auf die Herausforderungen fokussiert, vor die sich tradierte männliche Lebensweisen und Männerbilder im Zuge der feministischen Kritik der männlichen Herrschaft sowie die in deren Folge entwickelten gescWechterpolitischen Initiativen und Maßnahmen zugunsten von Frauen gestellt sehen. Dieser Wirkungszusammenhang steht gewöhnlich im Fokus, wenn in gegenwartsdiagnostischer Absicht nach dem Wandel männlicher Lebenslagen gefragt wird. Deutlich seltener gerät eine zweite Herausforderung in den Blick: der Strukturwandel der Erwerbsarbeit, der sich mit dem Übergang von der Industriegesellschaft zu einer Informations- bzw. "Netzwerkgesellschaft" (Castells 200 I) vollzieht. Die Erwerbsarbeit ist ein Bereich, der für die Entstehung und die Reproduktion gescWechtlicher Ungleichheit von zentraler Bedeutung ist. Wenn es dort Umbrüche zu verzeichnen gibt, wirft dies die Frage nach möglichen Konsequenzen für die GescWechterverhältnisse auf. Diese Konsequenzen betreffen nicht zuletzt die Rahmenbedingungen der Konstruktion von Männlichkeit. Dies wird ersichtlich, wenn man sich vergegenwärtigt, was die Basis von Männlichkeitskonstruktion unter industriegesellschaftlichen Bedingungen kennzeichnet. Kern der industriegesellschaftlichen GescWechterordnung sind die Trennung und die Hierarchisierung der Sphären von Produktion und Reproduktion sowie die mehr oder minder stringent vollzogene Zuweisung der GescWechter zu einer der beiden Sphären. Zumindest in dem ideologischen Überbau der bürgerlichen Gesellschaft geschieht die Zuweisung gescWechtsexklusiv, wie zahlreiche sozialhistorische Studien gezeigt haben. In der Praxis hat die strikte Trennung der Sphären bekanntlich nur im Bürgertum so funktioniert, wie die Ideologie es vorsah. GleichwoW, als hegemoniale Klasse hat das Bürgertum auch den hegemonialen Geschlechterdiskurs bestimmt. Insofern trifft es zu, daß die Männlichkeitskonstruktionen unter industriegesellschaftlichen Bedingungen von der Trennung und Hierarchisierung der Sphären von Produktion und Reproduktion bestimmt sind. Berufs- statt Familienorientierung und Vollerwerbstätigkeit im Rahmen des sog. Normalarbeitsverhältnisses machen den Kern der industriegesellschaftlichen Männlichkeitskonstruktion aus. Sie bilden die
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Nonnalitätsfolie männlicher Lebenslagen, und sie sind die Basis männlicher Suprematie. Mit dem Strukturwandel der Erwerbsarbeit, wie wir ihn in Deutschland spätestens seit den neunziger Jahren beobachten können, beginnt die industriegesellschaftliche Basis männlicher Lebenslagen wegzubrechen. Die meisten soziologischen Zeitdiagnosen stellen eine weitreichende Transfonnation von Arbeit und Beschäftigung fest. Die Stichworte lauten: Flexibilisierung der Arbeit, Entgrenzung von Arbeit und Leben, Feminisierung der Arbeit. Die Konsequenzen, die sich daraus für die Konstruktion von Männlichkeit ergeben, sind noch kaum soziologisch thematisiert, geschweige denn empirisch untersucht. Das gilt gleichennaßen für die GescWechtersoziologie, die sich vornehmlich mit den Folgen des Strukturwandels der Erwerbsarbeit für weibliche Lebenslagen befaßt, wie für die Arbeits- und Industriesoziologie (vgl. Lohr/Nickel 2005). Eine auf den Zusammenhang von Wandel der Erwerbsarbeit und Männlichkeitskonstruktionen gerichtete Forschung müßte den Blick auf zwei Dimensionen richten: Sowohl die zunehmende Diskontinuität männlicher Erwerbsbiographien als auch der Zerfall homosozialer Männerwelten in der Berufssphäre dürften nicht ohne Konsequenzen für die Konstruktion von Männlichkeit sein. Mangels empirischer Forschung kann hier nur angedeutet werden, was genauer zu untersuchen wäre 275 . In dem Maße, in dem eine Diskontinuität der Erwerbsbiographie zu einer Basiserfahrung von Männern wird, ist die berufszentrierte männliche ,Nonnalbiographie' von Auflösung bedroht. Das industriegesellschaftliche Nonnalarbeitsverhältnis macht den selbstverständlichen Kern bisheriger Männlichkeitskonstruktionen aus. Wenn dieser Kern sich zersetzt, ist eine zentrale Basis männlicher Geschlechtsidentität und auch männlicher Hegemonie gefährdet. Die wachsende Inklusion von Frauen in die Erwerbsarbeit und auch in vonnals von Männern dominierte Berufe und Hierarchieebenen hat gemeinsam mit einer Männer wie Frauen betreffenden "Individualisierung im Arbeitsprozeß" (Castells 200 I, S. 298) vennutlich zur Folge, daß männlich-homosoziale Räume in der Berufswelt sich auflösen werden. Wie aus der Forschung zu gendered organizations (Acker 1990) bekannt ist, sind solche homosozialen Räume eine entscheidende Stütze männlicher Führungs- und Dominanzansprüche sowie die Basis einer männlich geprägten Arbeitskultur (vgl. Höyng 1999). Inwieweit beides aufrechterhalten werden kann, wenn die männlich homosoziale Prägung der Berufswelt an Gewicht verliert, ist ebenfalls eine Frage, die mangels empirischer Forschung unbeantwortet stehen bleiben muß. Die Umbrüche in der Arbeitswelt scheinen jedoch mit sich zu bringen, daß Männlichkeit an einem ihrer traditionellen institutionellen Orte mit Herausforderungen konfrontiert ist, auf welche die Antworten noch gefunden 275 Für eine ausführlichere Darstellung vgl. Meuser 2007a.
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werden müssen. Diese Herausforderungen sind möglicherweise gravierender als diejenigen, die von Feminismus, Frauenbewegung und geschlechterpolitisch motivierten Veränderungsbemühungen ausgehen. Da sie den Kern tradierter Männlichkeitskonstruktionen berühren, lassen sie sich vermutlich nicht mit Nihilierungsstrategien bewältigen, wie sie gegenüber einer feministisch informierten Kritik an der traditionellen Position des Mannes im Geschlechterverhältnis möglich sind (s. Kap. 7.2). Und ob die Normalisierungsstrategien, wie sie die älteren Facharbeiter einsetzen, um die Erfahrung einer beginnenden Gefährdung des Normalarbeitsverhältnisses zu bewältigen, auch dann noch ihre Funktion erfüllen, wenn die Prekarität von der Ausnahme zur Regel wird und gesicherte Arbeitsverhältnisse überhaupt nicht mehr im Horizont berufsbiographischer Erwartungen auftauchen, kann als fraglich gelten. Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses betrifft beide GescWechter, aber sie trifft angesichts der historisch konstituierten unterschiedlichen Bedeutung der Erwerbsarbeit für geschlechtliche Identitätsbildungen Männer anders als Frauen. Künftige Forschungen zur Konstruktion von Männlichkeit und zu deren Wandel müßten, so läßt sich resümieren, die Transformation der Geschlechterordnung und den Strukturwandel der Erwerbsarbeit gemeinsam in den Blick nehmen.
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Literatur
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Anhang Transkriptionsregeln 247
L
nein-nein (3) (.)
jaaa
kursiv GROSS ?.
,
viellei(doch) )
(Lachen)
Yl; Y2 Amusw. me al ?m
Überlappung schneller Anschluß, Zusammenziehung Pause; Dauer in Sekunden kurzes Absetzen; kleine Pause (unter I Sek.) Dehnung; je mehr Vokale aneinandergereiht werden, desto länger ist die Dehnung. Betonung Lautstärke stark bzw. schwach sinkende Intonation stark bzw. schwach steigende Intonation Abbruch Unsicherheit bei der Transkription, z.B. wegen schwer verständlicher Äußerungen Äußerung ist unverständlich, die Länge der Klammer entspricht ungefähr der Dauer der unverständlichen Äußerung. Kommentar bzw. Anmerkung zu parasprachlichen, nonverbalen oder gesprächsextemen Ereignissen Auslassung im Transskript Diskussionsleiter Gruppenmitglieder gleichzeitiges Sprechen mehrerer Gruppenmitglieder gleichzeitiges Sprechen aller Gruppenmitglieder Sprecher nicht identifizierbar
Eigennamen von Personen, Orten, Institutionen usw. sind zum Zwecke der Anonymisierung maskiert.
247 In Anlehnung an Bohnsack 1991, S. 193f.
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