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periri futura et praesentibus frui pro solacio habebat. Eine solche Aussage htte Tacitus wohl nicht îber Silius getroffen, wenn er ihn moralisch htte bloßstellen wollen. Auch die von Keitel ins Feld gefîhrte Kuflichkeit des designierten Konsuls erweist sich bei genauerer Betrachtung als nicht recht stichhaltige Unterstellung, kçnnen die magna praemia oder die Geschenke der Kaiserin (ann. 11,12,3: illa … largiri opes honoresque) doch nicht als Hauptmotiv des Silius fîr sein flagitium in Anspruch genommen werden. Wie Tacitus unmittelbar zuvor deutlich gemacht hat, war es vor allem die Angst vor Messalinas Rache, die Silius in das Spiel der Kaiserin einwilligen ließ. Alles andere erschien ihm lediglich als Trost in einer ußerst gefhrlichen Lage. Die andere von Keitel angefîhrte Annalenstelle (ann. 11,30,2: domum servitia et ceteros fortunae paratus) liefert keinen echten Beleg fîr die Habgier des Silius! 533 Seif, 1973, 57. 534 S. u. S. 206 zu ann. 11,12,2. 535 S. Keitel, 1977, 41 f. (passim); vgl. Mehl, 1974, 42; 43; s. ann. 13,42,1: is fuit Publius Suillius, imperitante Claudio terribilis ac venalis […]. eius opprimendi gratia repetitum credebatur senatus consultum poenaque Cinciae legis adversum eos, eriri569 futura et praesentibus frui pro solacio habebat. Die Affre wird jeweils in Bezug auf Messalina und in Bezug auf Silius beleuchtet. Drastische Verben kennzeichnen die Handlungen der Kaiserin: Brennende Leidenschaft (exarserat), rigoroses Vorgehen (exturbaret) sowie der dringliche Wunsch nach Inbesitznahme des Geliebten von furor die Rede ist, wenn die rçmische Ordnung von innen her in Gefahr gert. Der furens verliert das Bewußtsein seiner Verantwortung und gefhrdet dadurch diese und implizit sich selbst.“ (Anm. 8); vgl. Keitel, 1977, 48. Diese Sichtweise bleibt unangefochten von den Bemerkungen Mehls, 1974, 52, der die Topik des furor amoris in den Vordergrund rîckt, und in Anlehnung an V. Grassmann: Die erotischen Epoden des Horaz, Zetemata 39, Mînchen 1966, 94 – 99 anfîhrt, daß furor „in der Erotik nicht schlechthin mit Wahnsinn wiedergegeben werden“ kçnne [Zitat: Grassmann 94]. Mehl kommt es dabei jedoch hauptschlich auf den Nachweis an, daß der furor amoris nicht sittlich beurteilt werden darf. Der Bericht des Tacitus aber zielt mit dem Begriff des furor weniger auf die Offenlegung einer moralischen Verfehlung der Messalina ab als vielmehr auf deren vçllige geistige Verwirrung. Grassman selbst richtet sich gegen eine Gleichsetzung des amatorius furor mit insania (vgl. ThLL VI,1, Sp. 1624, 19) und verweist 94 Anm. 21 auf die definitorische Abgrenzung des furor von insania bei Cic. Tusc, 3,11. Liest man dort nach, so wird man feststellen, daß die von Cicero gebotene Symptomatik des furor durchaus auf den Fall der Messalina bei Tacitus und die von Seif, 1973, vorgelegte Interpretation zutrifft: (…) quem nos furorem, lekacwok_am illi [sc. Graeci] vocant; quasi vero atra bili solum mens ac non saepe vel iracundia graviore vel timore vel dolore moveatur; quo genere Athamantem, Alcmaeonem, Aiacem, Orestem furere dicimus. qui ita sit adfectus, eum dominum esse rerum suarum vetant duodecim tabulae; itaque non est scriptum ‘si insanus’, sed ‘si furiosus escit’. stultitiam enim censuerunt constantia, id est sanitate, vacantem posse tamen tueri mediocritatem officiorum et vitae communem cultum atque usitatum; furorem autem esse rati sunt mentis ad omnia caecitatem. Messalinas Geisteszustand wird durch ihre Affekte beinahe vçllig verdunkelt. 569 So die von Heubner îbernommene Konjektur des Beroaldus fîr das îberlieferte operiri; operire (‘aus den Gedanken verbannen’) schlagen Nipperdey, Furneaux und Koestermann vor; vgl. insgesamt die Kommentare ad loc.; Mehl, 1974, 55 Anm. 289 sowie den textkritischen Apparat bei H. Weiskopf, WS Beiheft 4, 1973, 15. uleius consules primi in verba Tiberii Caesaris iuravere …; mox senatus milesque et populus. 831 S. Seif, 1973, 114; vgl. Keitel, 1977, 93; Mehl, 1974, 73 mit Anm. 412. 832 Vgl. Keitel, 1977, 93: „In propere agis, we see Narcissus playing on Claudius’ well-known quick temper (see also 11,26,4: ita irae properum).“ 833 Vgl. Seif, 1973, 114.
1.2 Ann. 11,5 – 7: Politische Folgen des Prozesses
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gleich mit der frîheren Annalenstelle lßt den Leser vor allem die Verteidigung des Suillius ironisch betrachten, s. insbesondere ann. 13,42,4 (Suillius sagt îber sich selbst): at sibi labore quaesitam et modicam pecuniam esse. Mit einer These ist Keitel jedoch wiederum zu weit gegangen: Ihrer Meinung nach soll ann. 11,7,1 (ne quis inopia advocatorum potentibus obnoxius sit) den Leser auf eine sptere Verwendung von obnoxius in Bezug auf Claudius (ann. 12,1,1 – mehr als 30 Kapitel spter!: Claudio caelibis vitae intoleranti et coniugum imperiis obnoxio) vorbereiten und dann folgendes deutlich werden lassen: „The emperor who has drawn all offices and laws to himself cannot render justice effectively since he is subservient to his own household.“536 Eine solche Behauptung lediglich an einer einzigen und relativ hufig verwendeten Vokabel festzumachen,537 ist ußerst gewagt und wird einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Frage nach den Absichten des Tacitus wohl kaum gerecht.
qui pretio causas oravissent; vgl. 13,43,2: … iam equitum Romanorum agmina damnata omnemque Claudii saevitiam Suillio obiectabant (wobei der Leser unwillkîrlich an den Verrat am Ritter Samius denkt). Man beachte bei ersterer Stelle, daß unter Berufung auf die çffentliche Meinung (credebatur) der in ann. 11,5 erzeugte Eindruck besttigt wird, wonach die Erneuerung der lex Cincia nicht zuletzt aufgrund der Umtriebe des Suillius beantragt wurde (zum ebenfalls erwhnten Senatsbeschluß, bei dem es sich wohl um eine Verschrfung der von Claudius in ann. 11,7,4 getroffenen Maßnahme handelte, s. ann. 13,5,1). 536 Keitel, 1977, 41. 537 Obnoxius mit Dativ ist im erhaltenen Teil der Annalen an zehn weiteren Stellen belegt; vgl. ann. 2,75,1; 3,14,1; 3,34,3; 3,58,3; 11,36,1 (nur wenige Kapitel vor 12,1,1!); 13,45,3; 14,1,1;14,40,1; 14,55,4; 16,61.
2. Ann. 11,8 – 10: Außenpolitischer Exkurs îber Ereignisse im Osten des Reiches Nach Abschluß der in ann. 11,1 – 7 dargestellten Thematik verlßt Tacitus den Schauplatz Rom, um sich in einem Exkurs den Ereignissen im Osten des Reiches zuzuwenden. Wie hufig bei derartigen Einschîben îber die Außenpolitik innerhalb der Claudiusbîcher hat er auch hier das annalistische Schema durchbrochen und in einer Art Zusammenfassung das Geschehen mehrerer Jahre (ca. 41 – 47/48 n. Chr.) resîmiert.538 Diese auffllige Kompositions- und Darstellungsform539 hat die Frage nach der narrativen Funktion solch eingeschobener Exkurse – insbesondere derer îber die Geschehnisse in Armenien und Parthien – aufgeworfen, die in der Forschung unterschiedlich beantwortet worden ist.540 Am Beispiel von ann. 11,8 – 10 soll diese Problematik exemplarisch behandelt werden. Zuvor sei zunchst ein grober berblick îber den Inhalt dieser Kapitel gegeben und mit einigen Bemerkungen versehen. Auf Veranlassung des Claudius kehrt im Jahr 47 (ann. 11,8,1: sub idem tempus)541 der bislang in Rom inhaftierte Mithridates in sein ehemaliges Kçnigreich Armenien zurîck. Die Situation hierfîr ist gînstig, nachdem ein Thronstreit die mchtigen Parther gespalten und ihre volle Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hat. Dieser Hintergrund wird von Tacitus rîckblickend beleuchtet: Der parthische Thronprtendent Gotarzes hatte seinen Bruder Artabanos und dessen Familie grausam ermorden lassen. Daraufhin war es dem Vetter und Adoptivbruder Vardanes, von den Anhngern der Getçteten herbeigerufen und in einem zweitgigen Gewaltritt herangerîckt, gelungen, den vçllig îberraschten und aufgeschreckten Gotarzes wieder zu vertreiben und sich der Herrschaft îber die nchstgelegenen Prfekturen zu bemchtigen. Allein das stark befestigte Seleukia hatte den neuen Machthaber abgelehnt und sich 538 Vgl. Seif, 1973, 59; Wille, 1983, 480; hnliche Exkurse: ann. 12,10 – 21 (Parthien); 12,31 – 40 (Britannien); ann. 12, 44 – 51 (Armenien / Parthien). 539 Vgl. Seif, 1973, 63; Koestermann ad ann. 11,8,1; Mehl, 1974, 50 Anm. 256. 540 S. hierzu die Bemerkungen in der Einleitung S. 6 f. 541 Zur chronologischen Unstimmigkeit dieser Angabe s. Seif, 1973, 62; Pfordt, 1998, 86.
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daher der Belagerung ausgesetzt gesehen. In der Zwischenzeit war wiederum Gotarzes mit verstrkten Truppen zurîckgekehrt, um den Krieg gegen seinen Rivalen wieder aufzunehmen (ann. 11,8). Die hierdurch verursachten Wirren nutzt nun Mithridates aus, um mit Hilfe rçmischer Truppen das bislang von den Parthern besetzte Armenien zurîckzugewinnen. Bei seinem erfolgreichen Kampf leistet allein Kotys, der Kçnig von Kleinarmenien, strkeren Widerstand, bis er durch ein Schreiben des Kaisers in Schranken verwiesen wird. Nachdem Mithridates sein ehemaliges Reich wieder unter seine Kontrolle gebracht und sich dabei nach Tacitus hrter erwiesen hat als es seinem Herrschaftsantritt von Nutzen gewesen ist (ann. 11,9,2 atrociorem quam novo regno conduceret), schließen die beiden rivalisierenden parthischen Machthaber angesichts einer Verschwçrung ihrer Landsleute einen Vergleich und sinnen bei einer feierlichen Versçhnungszeremonie auf Rache an ihren gemeinsamen Feinden. Gotarzes îberlßt Vardanes zunchst den Thron und zieht sich selbst tief nach Hyrkanien zurîck, um kein Anzeichen einer weiteren Rivalitt aufkommen zu lassen. Mit dem Hinweis auf die endlich gelungene Eroberung Seleukias durch Vardanes endet das Kapitel (ann. 11,9). Vardanes festigt seine Herrschaft, indem er die wichtigsten Prfekturen besichtigt, und trifft Vorbereitungen fîr eine Rîckeroberung Armeniens. Eine Kriegsdrohung des rçmischen Legaten in Syrien, Vibius Marsus, lßt ihn von diesem Vorhaben jedoch Abstand nehmen. Aus Reue îber seinen Thronverzicht und auf Betreiben des Adels sammelt Gotarzes neue Truppen und zieht erneut in den Kampf gegen Vardanes, wird in mehreren Gefechten jedoch vçllig geschlagen. Der siegreiche Vardanes unterwirft sich daraufhin weitere Volksstmme bis hin zum Sindefluß, womit er dem Einflußbereich der Parther neue Grenzen setzt. Nach Parthien zurîckgekehrt, fllt der gewaltttige Kçnig einem Komplott seiner Untertanen zum Opfer, die ihn whrend der Jagd ermorden. Durch den Tod des Vardanes entstehen im Partherreich neue Unruhen, aus denen Gotarzes als neuer Machthaber hervorgeht. Als sich dieser ebenfalls grausam und ausschweifend verhlt, schicken die Parther eine geheime Abordnung an den rçmischen Kaiser mit der Bitte, Meherdates, den Rçmern als Sproß einer parthischen Kçnigsfamilie einst als Geisel gegeben, als Kçnig einsetzen zu dîrfen (ann. 11,10). An dieser Stelle endet der Bericht îber Ereignisse im Osten des Reiches. Die am Ende erwhnte Gesandtschaft der Parther dient in ann. 12,10 als Anknîpfungspunkt fîr die Fortfîhrung des Erzhlstranges îber die Vorgnge im Orient.
196 2. Ann. 11,8 – 10: Außenpolitischer Exkurs îber Ereignisse im Osten des Reiches Bemerkenswert ist, daß innerhalb dieses außenpolitischen Exkurses die Person des Claudius an einigen Stellen auf den ersten Blick recht positiv in Erscheinung tritt.542 Entgegen der sonstigen Darstellung scheinen seine politischen Maßnahmen von Geschick, Klugheit und Entschlossenheit gekennzeichnet zu sein: Er weiß den rechten Moment fîr die Rîckfîhrung des Mithridates zu nutzen, weist entweder selbst oder durch seinen Legaten Vibius Marsus die regionalen Machthaber in Schranken und kann Armenien wieder unter rçmische Kontrolle bringen. Dabei handelt der Kaiser anscheinend vçllig eigenstndig. Die negative Tendenz des taciteischen Claudiusbildes scheint hier fîr einen Moment aufgehoben. Doch hat Tacitus auch dafîr gesorgt, daß der Kaiser nicht in allzu hellem Ruhmesglanz erstrahlt, wie in jîngster Zeit Devillers im einzelnen herausarbeiten konnte.543 Der Historiker ist bemîht, die Leistungen des Claudius in den Hintergrund zu drngen und zu relativieren. Dies geschehe laut Devillers einmal dadurch, daß Tacitus den Eindruck erwecke, als ginge die Idee zur Wiedereinsetzung des Mithridates letzten Endes nicht auf den Kaiser selbst, sondern auf den Bruder des Klientelkçnigs, Pharasmanes, zurîck (s. ann. 11,8,1: Sub idem tempus Mithridates, quem imperitasse Armeniis
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toriker gelungen, vom Erfolg des Claudius mçglichst abzulenken und trotzdem einen sachlich zutreffenden Bericht zu liefern. Wie steht es nun mit der narrativen Funktion dieses außenpolitischen Exkurses? Keitel meint: „Here is no dramatic retardation. No high point has been reached in 11.5 – 7 from which the reader needs relief nor does the narrative in 11.11 resume at the point where it ended in 11.7. Rather 11.8 – 10 foreshadow events at Rome in 11.11 – 12 and 11.26 – 38. The foreshadowing is a general one of motive and consequences, not a specific analogy between individuals in Parthia and at Rome. Tacitus draws this connection through the use of diction which makes the reader recall the earlier events of Book 11 while preparing for future conflicts.“544 Keitel hebt dabei insbesondere auf die Rivalitt zwischen (den Brîdern) Gotarzes und Vardanes ab, welche der Rivalitt zwischen Nero und Britannicus entspreche, sowie auf die intriganten Machtkmpfe am jeweiligen Herrschaftszentrum in Parthien und Rom. Da zumindest die Gegnerschaft zwischen Nero und Britannicus direkt im Anschluß an den außenpolitischen Exkurs Gegenstand der Darstellung ist, scheint eine solche These einiges Gewicht zu besitzen.545 Doch hat Pfordt berechtigte Einwnde gegen eine solche Interpretation geußert.546 Mag der Bruderzwist an dieser Stelle vielleicht tatschlich als eine inhaltliche Brîcke zwischen den außen- und innenpolitischen Vorgngen dienen,547 mîssen die von Keitel weiterhin hergestellten Bezîge zu ann. 12,26, 12,41 sowie 13,15 – 17 mit großer Skepsis betrachtet werden.548 Kein Leser dîrfte sich an einer dieser spteren Stellen noch an den Konflikt zwischen Gotarzes und Vardanes erinnert fîhlen. Noch gewagter und fast willkîrlich muten ihre ‘Parallelen’ an, die sie anhand der Diktion ziehen mçchte, um eine Analogie der Vorgnge im Partherreich zu den machtpolitischen Zustnden in Rom zu konstruieren.549 Reduziert man 544 Keitel, 1977, 43; vgl. dies., 1978, 463. 545 Dies îbersieht Seif, 1973, wenn er schreibt (63): „Ebensowenig zeigen sich innere Bezîge oder Querverbindungen zu dem nachstehenden Bericht îber die ludi saeculares (11,11)“. 546 Vgl. Pfordt, 1998, 88. 547 Vgl. Devillers, 1994, 276, der Anm. 227 (unter Verweis auf U. Kahrstedt: Artabanos III. und seine Erben, Bern 1950, 18 – 22) zustzlich darauf hinweist, daß Gotarzes und Vardanes keine leiblichen Brîder, sondern genau wie (spter) Nero und Britannicus Adoptivbrîder waren. 548 Vgl. Keitel, 1977, 43; Pfordt, 1998, 88 f. 549 Vgl. Keitel, 1977, 43 f.; dies., 1978, 464 f.; Pfordt, 1998, 89 (zu Begriffen wie saevitia, luxus, dominatio, regnum, atrox, ferox, dolus, insidiae, die von Tacitus
198 2. Ann. 11,8 – 10: Außenpolitischer Exkurs îber Ereignisse im Osten des Reiches dagegen Keitels Interpretationen auf ihren ursprînglichen Gedanken einer ganz allgemeinen Parallelitt, wird man der Intention des Tacitus wohl am nchsten kommen. Denn die Sichtweise, wonach die außenpolitischen Exkurse insbesondere der Claudiusbîcher lediglich der Zerstreuung des Lesers dienen, darf sicherlich als zu eng zurîckgewiesen werden. Sowohl ihre jeweils auffllige Position und Erzhlstruktur als auch ihr meist recht wenig erbaulicher Inhalt sprechen deutlich fîr eine tiefere Funktion, die Vessey folgendermaßen umrissen hat: „These digressions become regular in the later books and serve a definite artistic purpose. They alternate with analyses of increasing decadence at home, accentuating the trend, and illuminating, by contrast and difference in tempo, the ridiculous or macabre turns of events in the capital. […] Tacitus’ predominating interest lay in the psychology, or pathology, of despotism; his treatment of foreign affairs is directed towards this larger end. The digressions, natural to the annalistic form, serve as interludes and subsidiary episodes in the development of a tragi-comedy played out at home, at the centre of a vast and powerful empire.“550 ber solch ganz allgemeine berlegungen wird man nicht wesentlich hinauskommen kçnnen, wenn man der Darstellung des Tacitus nicht Gewalt antun mçchte.
sowohl auf die Verhltnisse in Parthien als auch auf die Situation in Rom angewendet werden, ohne jedoch zwangslufig auf konkrete Analogien hinweisen zu mîssen). Zweifelhaft ist auch Keitels Versuch, aus lediglich zwei Stellen (ann. 11,8,2: unde metus [eius] in ceteros; 11,8,3: exterritum Gotarzen proturbat) das fîr hçfische Intrigen zentrale Motiv der ‘Angst’ herauszulesen, das an dieser Stelle „the almost comic confusion of Messalina’s abortive plot against Claudius“ vorwegnehmen soll (1977, 44 mit Verweis auf ann. 11,26,2; 11,28,1 – 2; 11,29,2; 11,31,1; 11,32;1). Ebenso wagemutig ist a.a.O. ihr Vergleich zwischen der Unnachgiebigkeit (‘intransigence’) und superbia (!) des Vardanes und des Gotarzes (s. ann. 11,10,3: regreditur ingens gloria atque eo ferocior et subiectis intolerantior bzw. 11,10,4: potitusque regiam per saevitiam ac luxum adegit Parthos …) auf der einen und denselben negativen Charaktereigenschaften bei den Machthabern in Rom auf der anderen Seite, wobei sie insbesondere auf die von Tacitus ann. 1,4,3 erwhnte insita Claudiae familiae superbia abhebt, ohne daß der Begriff superbia jedoch auch nur ein einziges Mal explizit auf einen der beiden parthischen Potentaten in ann. 11,8 – 10 angewendet wîrde. 550 Vessey, 1971, 391; diese Beobachtungen hatte auch Keitel zum Ausgangspunkt ihrer Analysen gemacht und bezeichnenderweise als „apt but not specific“ charakterisiert (1977, 42).
3. Ann. 11,11 – 15: Die Skularspiele im Jahr 47, der Beginn des Messalinaskandals und die Zensur des Claudius551 3.1 Ann. 11,11: Die Skularspiele im Jahr 47 Mit dem Bericht îber die ludi saeculares des Jahres 47 kehrt Tacitus zu den stadtrçmischen Ereignissen zurîck, s. ann. 11,11,1: Isdem consulibus ludi saeculares octingentesimo post Romam conditam, quarto et sexagesimo, quam Augustus ediderat, spectati sunt. utriusque principis rationes praetermitto, satis narratas libris, quibus res imperatoris Domitiani composui. nam is quoque edidit ludos saeculares, iisque intentius adfui sacerdotio quindecimvirali praeditus ac tunc praetor. quod non iactantia refero, sed quia collegio quindecimvirum antiquitus ea cura, et magistratus potissimum exsequebantur officia caerimoniarum.
Offensichtlich gilt das Interesse des Historikers nicht den Feierlichkeiten an sich.552 Schnell gleitet er mit einem Hinweis auf die bereits abgehaltene Skularfeier des Augustus und auf die in den Historien erfolgte Behandlung der unterschiedlichen Berechnungen des Skulums îber das Ereignis hinweg, um anschließend an seine Stellung als Quindecimvir und Prtor bei den gleichen Feierlichkeiten unter Domitian zu erinnern. Insgesamt verfolgt der Historiker auch an dieser Stelle das Ziel, die Leistungen des Claudius zu schmlern. Durch die Vielzahl der hier vergebenen Informationen geht die eigentliche Leistung des Claudius nicht nur vçllig unter, sondern verliert gerade vor dem Hintergrund der beiden anderen genannten Skularfeiern auch erheblich an Bedeutung. Der Rîckbezug auf Augustus entspringt sicherlich auch hier dem Bedîrfnis nach einem ironischen Vergleich der beiden Herrscherpersçnlichkeiten.553 551 Zur Gliederung dieser Kapitelreihe, s. Wille, 1983, 481 – 484. 552 Vgl. Seif, 1973, 64. 553 Vgl. O’Gorman, 2000, 108 f.; Devillers, 1994, 166. Keitel, 1977, 45 f. legt erneut großes Gewicht auf den Gebrauch von antiquitus (vgl. o. Anm. 500), worin sie offenbar eine Art Schlîssel zum Verstndnis der etwas îberraschenden Auskunft des Tacitus îber seine eigene Karriere vermutet. Erneut weise das Zeitadverb auf einen Traditionsbruch unter Claudius hin. „The implication seems to be that the quindecimviri were quite capable of carrying out the games,
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Der beabsichtigten Relativierung der kaiserlichen Maßnahme entspricht es, daß die Skularspiele im folgenden Bericht des Historikers nicht mehr abgeben als den ußeren Rahmen fîr eine wesentlich bedeutendere Thematik, die in der (spteren) Konkurrenz zwischen Nero und Britannicus besteht und durch einen sorgfltig plazierten Fingerzeig auf kînftige Verhltnisse vorbereitet wird, s. ann. 11,11,2: sedente Claudio circensibus ludis, cum pueri nobiles equis ludicrum Troiae inirent interque eos Britannicus imperatore genitus et L. Domitius adoptione mox in imperium et cognomentum Neronis adscitus, favor plebis acrior i
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Claudio: Ablativus absolutus!). Die hier auf subtile Weise aufgenommene Thematik der ‘unrechtmßigen’ Thronfolge Neros und der dabei zutage tretenden Ohnmacht des Claudius nimmt im zwçlften Annalenbuch dann deutlichere Zîge an. Das erwhnte praesagium dient gewissermaßen als Stichwort fîr die Prsentation eines weiteren ‘Vorzeichens’ in Bezug auf Nero, das in die Form eines Gerîchtes gegossen ist, s. ann. 11,11,3: vulgabaturque adfuisse infantiae eius dracones in modum custodum, fabulosa et externis miraculis adsimilata; nam ipse, haudquaquam sui detractor, unam omnino anguem in cubiculo visam narrare solitus est. Tacitus steht diesem Gerede sichtlich distanziert gegenîber, verbannt es mit den Worten fabulosa et externis miraculis adsimilata eindeutig in den Bereich mrchenhafter Exotik. Aufmerksamkeit verdient die hierfîr angefîhrte Begrîndung, die zu einem bissigen Seitenhieb gegen den selbstgeflligen Charakter Neros gert.557 Deutlich ist der Spott des Historikers zu vernehmen, wenn er das Gerîcht von den Schlangen, die dem spteren Kaiser in seiner Kindheit als Wchter gedient htten, mit dem Hinweis auf die von Nero selbst gegebene Version der Geschichte zurîckweist, wonach lediglich eine Schlange in seinem Gemach gesehen worden sei – eine kaum andersartige Variante ein und derselben Wundergeschichte, die nicht viel glaubwîrdiger klingt als die vom Volk verbreitete Legende, doch von Tacitus durch die stark abwertende Charakterisierung Neros als haudquaquam sui detractor auf sarkastische Weise ‘gestîtzt’ wird.558 Lßt die Geschichte bereits in ironischer Weise die Heraklessage anklingen,559 erinnert gerade diese Formulierung an die von Livius vorgenommene Charakterisierung des lteren Cato als haud sane detrectator laudum suarum (Liv. 34,15,9) und verleiht der Darstellung des Tacitus hierdurch einen „pittoresken Reiz“,560 der die Figur des jungen Prinzen noch weiter ins Lcherliche 557 Vgl. Devillers, 1994, 193. 558 Vgl. Koestermann ad loc.: „Die Litotes verstrkt das Abfllige des Ausdrucks (Walker [1952] 55,2).“ 559 Laut Mythos entsandte Hera in ihrem Haß auf Herakles zwei Schlangen, um diesen noch in der Wiege zu tçten, vgl. etwa H. Hunger: Lexikon der Griechischen und Rçmischen Mythologie, Wien 81988, 201. Die Ironie liegt an unserer Stelle demnach auch in der Umkehr der mythologischen Vorlage begrîndet: Aus den Schlangen, die den kleinen Herakles vernichten sollten, sind im Falle Neros custodes geworden. 560 Koestermann ad loc.; vgl. Syme, 1958, 349 mit Anm. 12. Die Kenntnis der Liviusstelle durfte Tacitus angesichts der legendren Berîhmtheit des Cato censorius bei einer gebildeten Leserschaft sicherlich voraussetzen.
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zieht. Der Historiker lßt die Wundergeschichte îber Neros Kindheit ußerlich zwar bestehen, macht aber mehr als deutlich, wie er darîber denkt. Mit seinem Hohn verfolgt er offenbar den Zweck, den kînftigen Kaiser der îbernatîrlichen Sphre zu entrîcken und dem Eindruck entgegenzuwirken, als ob dieser „unter einem besonderen gçttlichen Schutz gestanden habe.“561 Sollte es sich in ann. 11,11 tatschlich um die erste Erwhnung des spteren Princeps in den Annalen handeln,562 kommt dieser Beobachtung zustzliche Bedeutung zu.
3.2 Ann. 11,12: Der Beginn des Messalinaskandals Im Anschluß an die spçttische Behandlung der Legende zu Neros frîhester Kindheit fîhrt Tacitus die Abstammung des kînftigen Kaisers als den eigentlichen Grund fîr dessen Popularitt an, s. ann. 11,12,1: Verum inclinatio populi supererat ex memoria Germanici, cuius illa reliqua suboles virilis … Ein adversatives verum stellt zu Beginn des neuen Kapitels einen scharfen Kontrast zu der zuvor karikierten Schlangenmr und der tatschlichen Ursache fîr Neros Beliebtheit her und bewirkt, daß Mythos und Realitt hart aufeinandertreffen. Auf diese Weise wird die eben beobachtete ‘Entzauberung’ des jungen Prinzen weiter vorangetrieben. Nero scheint nicht aufgrund seiner eigenen Persçnlichkeit oder Ausstrahlung die Sympathien des Volkes zu genießen, sondern einzig und allein deshalb, weil er der letzte mnnliche Nachfahre des beliebten Germanicus ist. Dieser Eindruck wird durch das Verb supererat gestîtzt, welches das Fortleben des Großvaters in den Kçpfen der Menschen wirkungsvoll zum Ausdruck bringt.563 Der bergang zur neuen Thematik, die das skandalçse Treiben der Messalina zum Inhalt hat, erfolgt ußerst gekonnt îber Neros Mutter Agrippina, der wegen der Feindseligkeit der Kaiserin wachsendes Mitgefîhl gegolten habe,564 s. ann. 11,12,1: … et matri Agrippinae miseratio 561 E. Aumîller: Das Prodigium bei Tacitus, Diss. Frankfurt a. M. 1948, 90. 562 Dafîr spricht die ausfîhrliche Umschreibung seiner Identitt (L. Domitius adoptione mox in imperium et cognomentum Neronis adscitus) sowie der bedeutungsvolle Kontext seiner Erwhnung (Skularfeier), vgl. Walker, 1952, 80 Anm. 1; O’Gorman, 2000, 162. 563 Vgl. Nipperdey ad loc: „supererat ‘war geblieben’, ‘noch vorhanden’.“ 564 Seif, 1973, 68 hat die strukturelle Bedeutung dieses Einschubs fîr den weiteren Bericht des Tacitus herausgearbeitet. Im Zusammenhang mit der kurz zuvor angedeuteten zukînftigen Regentschaft Neros soll die Erinnerung an die Riva-
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augebatur ob saevitiam Messalinae, quae semper infesta et tunc commotior, quo minus strueret crimina et accusatores, novo et furori proximo amore distinebatur. Schlagwortartig tauchen in nur wenigen Zeilen grundlegende Charaktereigenschaften der Messalina auf, die dem Leser zum großen Teil bereits aus anderen Zusammenhngen bekannt sind und nun gewissermaßen als Folie zu einem neuartigen Verhalten der Kaiserin benutzt werden. Der Satz scheint mit seinem auffllig vorweggenommenen Nebensatz quo minus strueret crimina et accusatores (abhngig von dem folgenden distinebatur) eigens so konstruiert zu sein, daß der fîr die folgende Thematik zentrale Begriff des novus et furori proximus amor betont am Ende steht565 und damit auch optisch als Gipfelpunkt einer charakterlichen Degeneration in Erscheinung tritt, der auf inhaltlicher Ebene dadurch zum Ausdruck gebracht wird, daß gerade diese ‘neue und an Wahnsinn grenzende Liebe’ ausdrîcklich der Grund fîr eine Abkehr von bisher gewohnten Verhaltensmustern ist.566 Dabei verleiht das Attribut novus der gesamten Aussage eine pikante Zweideutigkeit, lßt es neben der Bedeutung ‘neuartig’ oder ‘ungewçhnlich’ doch auch ein Verstndnis im Sinne einer ‘weiteren’ Affre nach zahlreichen anderen Liebschaften zu,567 birgt also bei nherer Betrachtung eine zustzliche Spitze gegen das ausschweifende Sexualleben der Kaiserin. Die zustzliche Beschreibung furori proximus deutet das Irrationale und Unheilvolle der neuen Liaison an, die Messalina schließlich ins Verderben stîrzen wird.568
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litt zwischen Messalina und ihrer Nachfolgerin der im Anschluß geschilderten Affre der Kaiserin mit Silius, die deren Untergang nach sich ziehen wird, ihre eigentliche politische Bedeutung verleihen: „Messalina schafft paradoxerweise die Voraussetzungen dafîr, daß ihre Gegnerin Agrippina minor Claudius heiraten kann und ebnet damit Nero den Weg zur Macht.“ Keitel, 1977, 46 f. hat hingegen hervorgehoben, daß Tacitus Agrippina hier nicht als Feindin, sondern als Opfer der Messalina darstelle, um die selbstzerstçrerische Tendenz im Verhalten der Kaiserin an spterer Stelle besser in Szene setzen zu kçnnen: „A potent female enemy would only undermine the climactic episode of the book (11.26 – 38) which traces the course of her [= Messalina’s] ruin through lustful selfindulgence.“ Vgl. Keitel, 1977, 48. Tacitus berichtet nichts von dem Anschlag der Messalina auf Nero, der sich bei Suet. Nero 6,4 in Zusammenhang mit der auch bei Tacitus îberlieferten Schlangenfabel (s. o.) findet; s. hierzu Mehl, 1974, 52 f., der davon ausgeht, daß Tacitus an dieser Stelle aus literarischen Grînden von der geschichtlichen berlieferung abweicht; vgl. Keitel, 1977, 75 Anm. 53. Vgl. Seif, 1973, 69. Seif, 1973, 69 f. hat eingehend den taciteischen Wortgebrauch von furor / furere untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, „daß bei Tacitus immer dann
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Auf diese Weise ist der Blickwinkel auf die Affre der Messalina zu Silius vorgegeben, noch bevor Tacitus sie îberhaupt zur Sprache gebracht hat. Denn erst im Anschluß wird das Verhltnis konkret benannt und das jeweilige Verhalten der Kaiserin und ihres Liebhabers nher beschrieben, s. ann. 11,12,2: nam in C. Silium, iuventutis Romanae pulcherrimum, ita exarserat (sc. Messalina), ut Iuniam Silanam, nobilem feminam, matrimonio eius exturbaret vacuoque adultero poteretur. neque Silius flagitii aut periculi nescius erat; sed certo, si abnueret, exitio et nonnulla fallendi spe, simul magnis praemiis, op
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(poteretur) prgen ihr Verhalten und unterstreichen den zuvor aufgebrachten Gedanken, daß ihre Liebe hart an der Grenze zum furor verlaufe.570 Silius wird eigens als iuventutis Romanae pulcherrimus beschrieben, wodurch der Eindruck entsteht, als sei dessen Schçnheit und damit sexuelle Begierde der vorrangige Grund fîr Messalinas Liebesglut.571 Im Gegenzug wird die aus der Ehe vertriebene Frau des Silius, Iunia Silana, als nobilis femina bezeichnet und damit in sozialer Hinsicht deutlich aufgewertet. Vor diesem Hintergrund gewinnt das rîcksichtslose Gebaren der Kaiserin erheblich an Brisanz. Ihre Gier kennt offenbar keine Schranken. Dieser rasend agierenden Messalina steht ein resignierendpassiver Silius gegenîber, der ußerst nîchtern seine Situation analysiert und sich aufgrund einer vçlligen Ausweglosigkeit damit zu arrangieren
570 Keitel, 1977, 48 weist zustzlich auf die Nhe des verwendeten Vokabulars (exturbare; potiri) zur ‘Militrsprache’ („language reminiscent of battle“) hin. Außerdem werde durch das Verb exardescere eine moralische øquivalenz zwischen den sexuellen Ausschweifungen der Messalina (Ehebruch) und des Claudius (Inzest) hergestellt: „Claudius anger at his wife’s excesses becomes hypocritical in view of his own behaviour after her death: haud multo post flagitia uxoris noscere ac punire adactus est ut deinde ardesceret in nuptias incestas (11,25,8 [=11,25,5; Hervorhebungen von mir]).“ Es scheint mir jedoch etwas zweifelhaft, ob Tacitus diese Parallele tatschlich erzeugen wollte. 571 S. Seif, 1973, 71; vgl. Mehl, 1974, 54, der meint, daß sich dieses erotische Verstndnis in ann. 11,28,1 als „Tuschung“ heraustelle, wenn die Freigelassenen des Kaisers dem Silius eine dignitas formae nachsagen, die ihn zu p o l i t i s c h e m Ehrgeiz befhige: iuvenem nobilem dignitate formae, vi mentis ac propinquo consulatu maiorem ad spem accingi. Sollte die dort genannte dignitas formae tatschlich das pulcherrimus der hier verhandelten Stelle widerspiegeln, so muß immerhin beachtet werden, daß das politische Potenzial des Silius noch von zwei anderen, viel wesentlicheren Punkten abhngig gemacht wird, nmlich von seiner Herkunft (nobilis!) und seiner Geisteskraft (vis mentis). øhnliches ußert Mehl, 1974, 54 in Bezug auf den Begriff flagitium, dessen vermeintlich erotische Konnotation in ann. 11,12,2 an spterer Stelle (ann. 11,26,2; 11,32,3; 11,34,1) zugunsten einer politischen Tendenz aufgegeben werde. Jedoch ist seine Annahme, daß in ann. 11,12,2 eine erotische Deutung von flagitium naheliege, rein subjektiver Natur. Auch hier kann flagitium recht zwanglos ebenso gut in politischem Sinne verstanden werden. Wenn Mehl, 1974, 55 aufgrund dieser Gedanken zu dem Ergebnis kommt: „Liebesglut und Liebesabenteuer sind nur ein schçner Schein“ so hat er m. E. die falschen Begriffe ausgewertet. Ein solches Urteil ist nach den eindringlichen Worten, mit denen Tacitus in ann. 11,12,2 die Gefîhle der Messalina beschreibt, zumindest in Bezug auf die Kaiserin zurîckzuweisen.
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scheint.572 Ausdrîcklich wird er von Tacitus moralisch in Schutz genommen, sein Verhalten psychologisch meisterhaft in Szene gesetzt.573 Er weiß sehr wohl um sein schndliches Verhalten oder seine gefhrliche Lage, hat aber keine andere Wahl, als sich auf das Spiel der Messalina einzulassen, da ihn ansonsten der sichere Untergang erwartet.574 In der Hoffnung, daß er unentdeckt bleibe (fallendi spe),575 und in Erwartung großer Belohnungen wartet er das Kommende ab und trçstet sich mit den gegenwrtigen Verhltnissen. Durch den tiefen Einblick in die Psyche des hin und her gerissenen Mannes weckt Tacitus im Leser Mitgefîhl und Verstndnis, erreicht, daß dieser in Silius nicht einen mitverantwortlichen Liebhaber, sondern ein hilfloses Opfer der Messalina sieht. Politische Ambitionen des Silius sind an dieser Stelle noch nicht konkret zu erkennen. Alle Vorteile, die sich aus der Beziehung zu Messalina fîr ihn ergeben kçnnten (etwa die magna praemia), sind fîr ihn offenbar kein echtes Motiv, sondern lediglich ein Trost (vgl. pro solacio habebat). Dieser Eindruck ist wichtig, um die folgenden Zeilen nicht mißzuverstehen, die wiederum Messalinas Verhalten in leuchtenden Farben beschreiben, s. ann. 11,12,3: illa non furtim, sed multo comitatu ventitare domum, egressibus adhaerescere, largiri opes honores; postremo, velut translata iam fortuna, servi liberti paratus principis apud adulterum visebantur. Ohne Rîcksicht auf die Folgen fîr sich oder ihren Geliebten stellt die Kaiserin ihr Verhltnis mit Silius regelrecht zur Schau und beweist mit dieser Unbesonnenheit weiterhin ihren selbstzerstçrerischen furor. Auch hierbei ist die Wortwahl des Tacitus von ußerster Bildhaftigkeit gekennzeichnet: ventitare als Intensivform zu venire, die eine effektvolle Reihung mehrerer hmmernder t-Laute abschließt (multo comitatu ventitare), drîckt eindringlich die beharrliche und stndig wiederholte Mißachtung jeglicher Vorsicht aus, die prgnante Formulierung egressibus adhaerescere (‘sie hngte sich ihm beim Verlassen um den Hals’) offenbart in konzentrierter Form den leichtsinnigen berschwang der Kaiserin. Historische Infinitive, ein „chiastischer Umschlag der Verben“576 (ventitare domum, egres572 Vgl. Mehl, 1974, 53; Keitel, 1977, 49. Beide verweisen auf die hnlich passive Silius-Figur bei Juvenal (10,330 – 345) und Cassius Dio ([Exc. Val., Xiph., Zon.] 60,31,1 – 5). 573 Vgl. Koestermann ad loc. 574 Dieses Verhalten fîgt sich gut in das Bild, das Tacitus in ann. 11,6 von dem Mann gezeichnet hat (s. o. S. 191 f.); vgl. Seif, 1973, 71. 575 Fallere hat hier die nicht seltene Bedeutung von kamh\meim ; s. Koestermann und Furneaux ad loc. 576 Koestermann ad loc.
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sibus adhaerescere, largiri opes…) und ein Asyndeton (opes honores; vgl. im folgenden servi liberti paratus) zeugen zustzlich von der leidenschaftlichen Ruhelosigkeit der Messalina.577 Die kurz zuvor geschilderte Hoffnung des Silius auf eine Geheimhaltung der Affre ist angesichts eines solchen Verhaltens zunichte gemacht,578 sein Untergang damit besiegelt. Daher nîtzt es ihm gar nichts, wenn sich seine andere hoffnungsvolle Erwartung, mit der er sich îber seine Lage hinwegzutrçsten versucht, nmlich die magna praemia, durch die opes honores erfîllt zu haben scheint.579 Vielmehr verschrfen die von Messalina gemachten Geschenke seine Lage nur, wie weiterhin deutlich wird. Ausdrîcklich sagt Tacitus im Zusammenhang mit den weiteren Gaben der Kaiserin, die schließlich einen betrchtlichen Teil des kaiserlichen Hofstaates umfaßt htten (servi liberti paratus principis), daß es schließlich so ausgesehen habe, als sei die Herrschaft bereits auf ihn îbergegangen (velut translata iam fortuna).580 Ohne sein Zutun wird er durch das unvorsichtige und selbstsîchtige Verhalten der Messalina zu einer immer grçßeren Bedrohung fîr Claudius. Da er sich gegen Messalina aus den bereits genannten Grînden nicht wehren kann, seine trçstenden Aussichten sich jedoch fast smtlich zerschlagen haben, wird ihm nichts anderes mehr îbrig bleiben, als die Flucht nach vorne anzutreten und den bisher nie beabsichtigten Kaisersturz schließlich doch ins Werk zu setzen.581 Folgerichtig tritt er ab ann. 11,26 aus seiner bisherigen Passivitt heraus.582 Mit Abschluß des zwçlften Kapitels hat Tacitus den ersten Teil seiner in ann. 11,5,3 ge577 Vgl. Keitel, 1977, 49. 578 Vgl. Seif, 1973, 71. 579 Die Frage, ob mit den honores auch die Designation des Silius zum Konsul gemeint ist, kann nicht zweifelsfrei geklrt werden (s. hierzu Seif, 1973, 72; vgl. Mehl, 1974, 57 mit Anm. 304), ist fîr das unmittelbare Verstndnis des Textes jedoch auch unerheblich. 580 Fortuna ist hier im Sinne von ‘Kaiserwîrde’ gebraucht; s. Koestermann und Furneaux ad loc. Zu weit geht Keitel, 1977, 49 mit ihrer Deutung: „The reader must wonder at this trivialization of empire. There is no mention of control of armies, provinces or legates. Dignitas and imperium have been reduced to the cosily domestic – slaves, freedman and household goods. This is appropriately the woman’s realm for it is Messalina not Claudius who controls the empire.“ Es darf doch nicht vergessen werden, daß es hier um Geschenke der Messalina an ihren Geliebten geht. Wie htte denn Messalina auch ganze Armeen oder gar Provinzen schenken kçnnen! Davon abgesehen ist es sicherlich schon bezeichnend genug, wenn sie Silius den paratus principis îberlßt. 581 Vgl. Seif, 1973, 72; Mehl, 1974, 55. 582 Dies im Unterschied zu den Silius-Darstellungen des Iuvenal und Cassius Dio; s. Mehl, 1974, 53 Anm. 273.
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machten Ankîndigung (… C. Silio consule designato, cuius de potentia et exitio in tempore memorabo) erfîllt und seinem Publikum die potentia des Silius vor Augen gefîhrt.583 Deren zweiter Teil, nmlich dessen exitium, wird auf die Fortfîhrung des Handlungsstranges an spterer Stelle verschoben. Zunchst wendet sich Tacitus anderen Themen zu.
3.3 Ann. 11,13 – 15: Die Zensur des Claudius Der Bericht îber die Zensur des Claudius teilt sich in zwei Blçcke (ann. 11,13 – 15 und 11,23 – 25) auf, die durch einen Einschub mit îberwiegend außenpolitischen Begebenheiten (ann. 11,16 – 21; erst ann. 11,22 handelt wieder von Ereignissen in Rom) getrennt werden.584 Nach der eindrucksvollen Schilderung des zîgellosen Treibens der Messalina lenkt Tacitus mit einem scharf kontrastierenden at die Augen des Lesers auf Claudius und dessen Ttigkeit als Zensor, s. ann. 11,13,1: At Claudius, matrimonii sui ignarus et munia censoria usurpans, theatralem populi lasciviam severis edictis increpuit, quod in Publium Pomponium consularem (is carmina scaenae dabat) inque feminas inlustres probra iecerat. Durch die scharfe Gegenîberstellung des ausschweifenden Lebensstils seiner Gattin und der strengen zensorischen Maßnahmen wird der Kaiser zu einer Karikatur seiner selbst.585 Obwohl Messalina alles andere als ein Hehl aus ihrer Affre zu Silius macht (man beachte, daß das auffllige und unvorsichtige Verhalten der Kaiserin unmittelbar im Satz zuvor seinen Hçhepunkt erreicht hat: servi liberti paratus principis apud adulterum visebantur), weiß der Kaiser vom Zustand seiner Ehe nichts, whrend er gleichzeitig als oberster Sittenrichter die munia censoria verrichtet. Ein kontrastierendes et lßt die vçllige Ahnungslosigkeit des 583 Die potentia des Silius geht aus ann. 11,12,3 (opes honores etc.) eindeutig hervor; vgl. Keitel, 1977, 49: „The political implications of the affair are the clearest in the climactic postremo, velut translata iam fortuna, servi liberti paratus principis apud adulterum visebantur […].“ Daher ist es nicht ganz richtig, wenn Mehl, 1974, 53 f. schreibt, daß der Leser an dieser Stelle nichts von der Macht erfahre, die Tacitus an frîherer Stelle angedeutet habe, whrend ihm die Ohnmacht des Silius um so deutlicher vor Augen gefîhrt werde. Die Ohnmacht des Silius besteht lediglich in seiner Hilflosigkeit gegenîber Messalina! 584 Zu dieser Einteilung s. Seif, 1973, 75; Wille, 1983, 487; Mehl, 1974, 58 Anm. 309. 585 Vgl. Keitel, 1977, 50; Mehl, 1974, 56.
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Claudius wirkungsvoll mit seinem Verhalten aufeinanderprallen.586 Das Verb usurpare – vordergrîndig sicherlich neutral im Sinne von ‘ausîben’ oder ‘ausfîhren’ zu verstehen – ist aufgrund seiner mehrdeutigen Semantik in der Lage, im ironischen Kontext seiner Verwendung zustzlich den Beigeschmack der widerrechtlichen Amtsanmaßung zu entfalten:587 Ein Mann, dessen Frau in aller §ffentlichkeit derart unsittlich lebt, der obendrein so blind ist, daß er von diesem hemmungslosen Treiben seiner Gattin nichts bemerkt, scheint fîr das Zensorenamt jedenfalls vçllig ungeeignet zu sein. Der ironische Kontrast wird weiter auf die Spitze getrieben, wenn Claudius mit ußerster Energie und Strenge (severis edictis increpuit) gegen die theatralis lascivia des einfachen Volkes vorgeht, die gemessen am lasziven Verhalten der Messalina eine lcherliche Lappalie ist.588 Whrend der Kaiser peinlich genau darauf achtet, daß die Ehre ‘erlauchter Damen’ nicht durch Beleidigungen beschmutzt wird, scheint seine eigene Frau jegliches Ehrempfinden verloren zu haben.589 Nach diesen einleitenden Stzen kommen die nun im Anschluß vorgebrachten und durchaus positiv zu bewertenden weiteren zensori586 Vgl. Koestermann ad loc.: „et hebt mit bedeutungsvoller Ironie den Kontrast hervor.“; vgl. Furneaux ad loc. 587 Vgl. G&G 1709 f.; unsere Stelle wird aufgefîhrt unter ‘B) i. q. in gebrauch haben, ausîben’ (1710). der gleiche Wortgebrauch findet sich – wenn auch in etwas anderer Bedeutung – wenig spter in ann. 11,16,2 auf den Cheruskerfîrsten Italicus bezogen: … modo comitatem et temperantiam, saepius vinolentiam ac libidines usurpans (s. hierzu u. S. 218 f.). Vçllig wertneutral hingegen ist die Anwendung des Wortes in ann. 11,25,1: datum id foederi antiquo, et quia soli Gallorum fraternitatis nomen cum populo Romano usurpant; Mehl, 1974, 56 verweist in Anlehnung an T. Grigull: De auctoribus a Tacito in enarranda Divi Claudii vita adhibitis, Diss. Mînster 1907, 24 auf ann. 6,11,1 und mçchte den den Ausdruck „rein technisch“ werten; vgl. zustzlich ann. 11,3,2 (îber Asiaticus): usurpatis quibus insueverat exercitationibus. 588 Vgl. Seif, 1973, 74; Mehl, 1974, 56. 589 Vgl. Keitel, 1977, 51 zum strengen Vorgehen des Kaisers gegen die theatralis populi lascivia: „The first [decree] may be a satiric joke on Claudius’ ignorance of his own wife’s indiscretions. Claudius does not realize that Messalina herself may be the object of the lampoons“; Devillers, 1994, 176; Vessey, 1971, 394, dessen zustzlicher Versuch, auch die kaiserlichen Maßnahmen gegen die creditores (s. das Folgende) symbolisch zu deuten („The glance here is to the future. Sons must be protected from unwise actions taken during their fathers’ lifetime. But the emperor was himself to fail entirely in protecting his own son from the saevitia of his stepmother. Worse still that sons should be forced to long their fathers’ death as the only way to escape from debt. Claudius’ adopted son was to gain the empire by patricide.“) hingegen allzu gezwungen erscheint; vgl. hierzu die berechtigten Einwnde Seifs, 1973, 76 Anm. 21 und Keitels, 1977, 76 Anm. 57.
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schen Maßnahmen des Claudius nicht mehr richtig zur Geltung; zu sehr stehen auch sie unter dem Eindruck des ironisch-spçttischen Kontrastes zum Verhalten der Kaiserin,590 s. ann. 11,13,2: et lege lata saevitiam creditorum coercuit, ne in morte<m> parentum pecunias filiis familiarum faenori darent; fontesque aquarum Simbruinis collibus deductos urbi intulit; ac novas litterarum formas addidit vulgavitque, comperto Graecam quoque litteraturam non simul coeptam absolutamque. Die kommentarlose Aneinanderreihung zweier ußerst sinnvoller Neuerungen, nmlich der Einschrnkung der Praktiken schamloser Geldverleiher und der Fertigstellung einer neuen Wasserleitung nach Rom, wird der eigentlichen Leistung des Claudius kaum gerecht.591 In knappen Stzen gleitet der Historiker darîber hinweg, um dann ausfîhrlich (vgl. den anschließenden Exkurs îber die Entwicklung der Schrift!) bei der Reform des Alphabets durch Claudius zu verweilen, die fîr die Belange der Stadt Rom und ihrer Geschichte jedoch von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung war, wie Tacitus im folgenden selbst erkennen lßt (s. u.). Diese merkwîrdige Gewichtung des Materials mag zum Teil auch mit dem persçnlichen Interesse des Tacitus zusammenhngen,592 erweist sich bei nherer Betrachtung jedoch auch als geschicktes Mittel, um enorm wichtige und positive Verordnungen des Claudius im Gesamtbericht 590 Seif, 1973, 74 mißachtet das Besondere der taciteischen Darstellung, wenn er die zensorischen Handlungen des Kaisers von dem Erzhlstrang rund um die Ausschweifungen der Messalina abkoppelt, fîr sich betrachtet und dabei zu dem Ergebnis kommt, „daß Tacitus […] die Leistungen des Claudius als censor im großen und ganzen frei von polemischer Verzeichnung und bçswilliger Kritik zur Darstellung gebracht hat, ja, daß dieser Komplex sogar ein durchaus positives Bild des Claudius vermittelt.“ Abgesehen davon, daß eine strikte Trennung der beiden Handlungsstrnge der Intention des Autors massiv zuwiderlaufen dîrfte, hat Seif bei seinem Urteil verschiedene andere Signale im Text des Historikers îbersehen, die im folgenden noch behandelt werden mîsssen. Wenn Tacitus, wie Seif in diesem Zusammenhang bemerkt, vor dem „Wust alberner Geschichtchen“ (a.a.O.) zurîckschreckt, mit denen Sueton (Claud. 16) die Zensur des Claudius in Verbindung bringt, so tut er dies sicherlich, um seinem Bericht mehr Ernsthaftigkeit zu verleihen. Dies hindert ihn aber keineswegs daran, die Leistungen des Kaisers auf subtile Weise zu schmlern; vgl. Wille, 1983, 482 f.; Keitel, 1977, 50 f.; Vessey, 1971, 393 f. 591 Wenn man bedenkt, daß es sich bei der hier erwhnten Wasserleitung wohl um den grçßten aller Aqudukte gehandelt hat (vgl. Plin. NH 36,122; Suet. Claud. 20,1 zhlt sie an erster Stelle zu den opera magna … ac necessaria des Kaisers), ist es erstaunlich, wie wenig Interesse Tacitus fîr dieses gewaltige und nîtzliche Bauprojekt îbrig hat; vgl. Koestermann ad loc.; Keitel, 1977, 51. 592 Vgl. Koestermann ad loc.; Seif, 1973, 77.
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untergehen zu lassen. Der Kaiser ist in seiner Ttigkeit als Zensor insgesamt von einer sonst ungewohnten Agilitt und energischer Entschlußkraft geprgt.593 Bezeichnenderweise verfolgt Tacitus dabei den Zweck, seine Maßnahmen nicht nur als recht unbedeutend, sondern auch als erfolglos erscheinen zu lassen,594 wie insbesondere das folgende Kapitel zeigt. Die Alphabetsreform des Claudius gibt dem Historiker Anlaß zu einem ausfîhrlich angelegten kulturgeschichtlichen Exkurs îber die Entwicklung und Verbreitung des Schriftwesens von den øgyptern bis hin zu den Etruskern und Italikern, s. ann. 11,14,1 – 3: Primi per figuras animalium Aegyptii sensus mentis effingebant – ea antiquissima monimenta memoriae humanae impressa saxis cernuntur –, et litterarum semet inventores perhibent; inde Phoenicas, quia mari praepollebant, intulisse Graeciae gloriamque adeptos, tamquam reppererint, quae acceperant. quippe fama est Cadmum classe Phoenicum vectum rudibus adhuc Graecorum populis artis eius auctorem fuisse. Quidam Cecropem Atheniensem vel Linum Thebanum et temporibus Troianis Palamedem Argivum memorant sedecim litterarum formas, mox alios ac praecipuum Simoniden ceteras repperisse. at in Italia Etrusci ab Corinthio Demarato, Aborigines Arcade ab Euandro didicerunt; et forma litteris Latinis quae veterrimis Graecorum. sed nobis quoque paucae primum fuere, deinde additae sunt. quo exemplo Claudius tres litteras adiecit, quae
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dîrfen wir in diesem Fall davon ausgehen, daß Tacitus seine Vorlage gekîrzt und fîr seine Zwecke bearbeitet hat. Der Schlîssel zum Verstndnis der taciteischen Darstellung dîrfte nun in der eigenen Stellungnahme des Historikers liegen, die den Exkurs beendet und rîckblickend als Satire auf das allgemein bekannte antiquarische Interesse des Claudius erscheinen lßt.596 Die Bemerkung, daß die drei von Claudius eingefîhrten Buchstaben noch heute auf çffentlichen Erztafeln zu finden seien (adspiciuntur etiam nunc in aere publico), erinnert inhaltlich an die eingangs gemachte Bemerkung îber die Hieroglyphen der øgypter, welche man als die ltesten Zeugnisse menschlicher berlieferung in Fels gehauen sehen kçnne (ea antiquissima monimenta memoriae humanae impressa saxis cernuntur). Durch diesen Rîckbezug wird die uralte und ehrwîrdige Schrifttradition der øgypter, die sich zudem als litterarum inventores rîhmen dîrfen, mit Claudius als dem ‘Erfinder’ neuer Schriftzeichen ironisierend auf eine Stufe gestellt.597 Whrend die antiquissima monimenta memoriae der øgypter offenbar îber Jahrtausende Bestand gehabt haben, scheinen die neuen Buchstaben die Regierungszeit des Claudius nicht lange îberdauert zu haben: quae in usu imperitante eo, post obliteratae.598 Man beachte, daß das hier gebrauchte Verb obliterare
ratur und die Forschungsdiskussion). Unter Voraussetzung dieser Quellenlage hat Papke den Exkurs bei Tacitus untersucht und vor dem Hintergrund der antiken ‘heurematologischen Buchstaben-Literatur’ die wissenschaftliche Leistung des Kaisers gewîrdigt: „Die Interpretation der Tacitus-Stelle zeigt: Claudius stand nicht nur auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau, er muß auch seine Gedanken in der §ffentlichkeit mit großem Anspruch vorgetragen haben: Er stellte sich als Schrifterfinder in eine Reihe mit bedeutenden Persçnlichkeiten der Vergangenheit und sah sich selbst als Vollender des lateinischen Alphabets“ (a.a.O. 191). 596 Vgl. Keitel, 1977, 51 f.; Syme, 1958, 514 f.; Vessey, 1971, 394. Walkers Urteil (1952, 46), wonach der Exkurs „no dramatic relevance“ besitze und lediglich der unterhaltsamen Zerstreuung des Lesers diene (vgl. Seif, 1973, 77: „Dieser kulturgeschichtliche Exkurs ist lose eingefîgt und trgt zum Verstndnis des Berichtes nichts bei“), muß in diesem Sinne ebenso eingeschrnkt werden wie Koestermanns ad ann. 11,13,2 (S. 52) geußerte Vermutung, daß der Historiker die Mçglichkeit genutzt habe „seiner Erzhlung lumina aufzusetzen.“ 597 Vgl. Keitel, 1977, 53 f.; O’Gorman, 2000, 110 f. 598 Zu diesem Gedanken s. O’Gorman, 2000, 114; Koestermann ad loc.: „Tacitus selbst macht sich anscheinend îber die gelehrten Einflle des Kaisers ein wenig lustig“; Wille, 1983, 484: „Gemessen an der Dauerhaftigkeit gyptischer Hieroglyphen wirkt seine ephemere Neuerung lcherlich.“
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genau auf den hier gegebenen Sachverhalt (litterae!) zugeschnitten ist.599 Die hier zugrunde liegende Paronomasie lßt ein îbertragenes Verstndnis der Vokabel im Sinne von ‘in Vergessenheit bringen’, ‘aus dem Gedchtnis streichen’ in den Hintergrund treten, indem sie den Leser vielmehr zurîck zu deren ursprînglicher Bedeutung ‘auslçschen’, ‘tilgen’ mit speziellem Bezug auf bildliche und schriftliche Darstellungen fîhrt.600 Erzeugt wird ein Bild von gewaltiger Zerstçrungskraft, welches das Aussterben der neuen Buchstaben eindrucksvoll zur Darstellung bringt. Diesem Gesamteindruck entspricht es, daß sich Tacitus trotz des langen und tiefschîrfenden Exkurses nicht die Mîhe macht, die drei neuen Buchstaben des Kaisers konkret zu benennen, und auch auf diese Weise zu verstehen gibt, von welch geringer Bedeutung die kurzlebige kaiserliche Alphabetsreform fîr die Geschichte des Schriftwesens gewesen ist. Damit hat sich gerade die Maßnahme, die im ersten Teil des Berichtes îber die Zensur des Claudius (ann. 11,13 – 15) am ausfîhrlichsten behandelt wird und deshalb dem Leser am besten im Gedchtnis bleiben wird, als totaler Fehlschlag erwiesen.601 Vor dem Hintergrund der mittlerweile staatsgefhrdenden Umtriebe und Ausschweifungen der Messalina wird die Person des Claudius an dieser Stelle zu der eines verschroben-naiven Trottels herabgewîrdigt, der sich im Rahmen seines antiquarischen Interesses um gelehrte Belanglosigkeiten kîmmert und dabei derart in seiner eigenen Welt zu leben scheint, daß er offenbar als einziger nicht wahrnimmt, wie er als Ehemann und Herrscher in aller §ffentlichkeit betrogen wird. Auch im folgenden Kapitel dient der Eindruck der weltfremden Schrulligkeit der Relativierung der kaiserlichen Zensorenttigkeit. Diesmal geht es inhaltlich um die Fîrsorge des Kaisers fîr das Kollegium der Opferschauer. Tacitus behandelt das Thema, indem er eine Senatsrede des Kaisers wiedergibt,602 s. ann. 11,15,1 – 3: Rettulit deinde ad senatum super collegio haruspicum, ne vetustissima Italiae disciplina per desidiam exolesceret. saepe adversis rei publicae temporibus accitos, quorum monitu redintegratas caerimonias et in posterum rectius habitas; primoresque Etruriae 599 Beide Wçrter lassen sich auf linere zurîckfîhren; vgl. ThLL IX,2, Sp. 104, 72 ff..; OLD s. v. littera bzw. oblittero; A. Walde/J. B. Hofmann: Lateinisches etymologisches Wçrterbuch, Bd. I (A-L), Heidelberg 1938, 814 f. s. v. littera. 600 Vgl. ThLL IX,2, Sp. 105, 76 ff. 601 Vgl. Devillers, 1994, 291: „C’est donc sur un ¤chec de l’empereur que la digression attire l’attention.“ 602 Als Quelle kommen auch hier mçglicherweise die acta senatus in Betracht; vgl. Syme, 1958, 616 Anm 4; 704 f.; Koestermann ad ann. 11,15,1.
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sponte aut patrum Romanorum impulsu retinuisse scientiam et in familias propagasse. quod nunc segnius fieri publica circa bonas artes socordia, et quia externae superstitiones valescant. et laeta quidem in praesens omnia, sed benignitati deum gratiam referendam, ne ritus sacrorum inter ambigua culti per prospera obliterarentur. factum ex eo senatus consultum, viderent pontifices quae retinenda firmandaque haruspicum. Wie der Exkurs îber die Entwicklung der Schrift, so wartet auch die Rede des Claudius super collegio haruspicum mit gelehrten antiquarischen Einzelheiten auf, die das exzentrische Interesse des Kaisers an altertîmlichen Einrichtungen (vetustissima … disciplina) belegen. Als Verfasser einer 20 Bîcher umfassenden Etruskergeschichte (Suet. Claud. 42,2) galt Claudius insbesondere in der Materie der Opferschauer den Zeitgenossen des Tacitus als ausgewiesener Experte.603 Man darf davon ausgehen, daß der Historiker mit seinen dem Kaiser in den Mund gelegten Worten (primoresque Etruriae …) genau darauf anspielen mçchte. Keitel sieht in dem Kapitel ann. 11,15 eine ‘ironische Dublette’ zu ann. 11,14: Hatte der Kaiser dort mit seiner Buchstabenreform eine nutzlose Neuerung eingefîhrt, so ist er nun bestrebt, eine fast in Vergessenheit geratene Institution wieder aufleben zu lassen, wobei die auffllige Wiederholung des Verbs obliterare (vgl. ann. 11,14,3) einen Hinweis auf den mangelnden Nutzen auch dieser Bemîhungen gibt.604 Immer noch wirkt der Kontrast zum Verhalten der Messalina sowie der diesbezîglichen Unwissenheit des Claudius nach und lßt die ehrwîrdigen und stark moralisierenden Ausfîhrungen des Kaisers grotesk erscheinen. Wçrter und Phrasen wie per desidiam, segnius, socordia wenden sich im Munde des ahnungslosen Claudius ironisch gegen ihn selbst.605 Whrend er die Vernachlssigung einer vetustissima disciplina angeblich zum Wohle des Staates bekmpft (vgl. saepe adversis rei publicae temporibus accitos [sc. haruspices]), gefhrdet gerade seine intensive Beschftigung mit solchen altertîmlichen Wissenschaften, wenig spter sogar bonae artes genannt, erst recht den Bestand der res publica, da sie ihn nicht erkennen lßt, welch ernste Bedrohung von dem Treiben seiner Gattin ausgeht.606 Der îbertriebene Traditionalismus des Kaisers erweist sich damit als eine viel schdlichere 603 604 605 606
Vgl. Seif, 1973, 77 f. S. Keitel, 1977, 54; dieser Ansicht folgt auch Wille, 1983, 484. Vgl. Vessey, 1971, 394 Anm. 31; Keitel, 1977, 55. Vgl. Keitel, 1977, 55 mit einer etwas zu schwachen Akzentuierung: „[…] bonae artes in Claudius’ case are nothing but arcane studies which do not benefit the people.“
3.3 Ann. 11,13 – 15: Die Zensur des Claudius
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Verirrung als die von ihm angeprangerten externae superstitiones.607 Diese unterschwellige Ironie erreicht schließlich ihren Gipfelpunkt, wenn der Kaiser die gegenwrtige Lage als ‘in jeder Beziehung erfreulich‘ (et laeta quidem in praesens omnia) bezeichnet.608 Eine solche Auffassung steht nicht nur in hartem Widerspruch zu der in ann. 11,12 geschilderten Situation, sondern auch zu dem Gesamtbild, das seit dem Bericht îber den Prozeß gegen Asiaticus und Poppaea Sabina vom Zustand der innerrçmischen Verhltnisse gezeichnet worden ist: Intrigen, falsche An607 Keitels Deutung (1977, 55), wonach die externae superstitiones auf die ausschweifende Bacchanalienfeier der Messalina (ann. 11,31,2) oder gar auf die sptere inzestuçse Verbindung des Claudius mit Agrippina – von Vitellius in ann. 12,6,3 mit dem Hinweis auf die Sitten anderer Vçlker dîrftig gerechtfertigt – gemînzt sein kçnnten, erscheint mir zu gezwungen, zumal sich ein solcher ‘Querverweis’ dem Leser erst im Nachhinein erçffnen kçnnte und daher an dieser Stelle keinerlei Wirkung htte. Seif, 1973, 78 hingegen weist auf die anderenorts erkennbare Abneigung des Tacitus gegenîber solchen externae superstitiones (s. ann. 15,44,3 – 5; hist. 5,13,1) hin und zieht daraus den Schluß, daß der Historiker die Bemîhungen des Claudius sicherlich positiv gesehen habe (hnlich Devillers, 1994, 234; vgl. Koestermann ad ann. 11,15,1). Dies mag durchaus richtig sein, doch lßt Tacitus an der hier verhandelten Stelle keinerlei Zustimmung oder Billigung deutlich werden. Zu Seifs Deutung der Kapitelreihe ann. 11,13 – 15 s. o. Anm. 590. 608 Womçglich liegt hier eine beabsichtigte Reminiszenz an Hor. carm. 2,16,25 ff. (laetus in praesens animus quod ultra est / oderit curare et amara lento / temperet risu. nihil est ab omni / parte beatum) vor, welche die øußerung des Kaisers zustzlich satirisch untermalen soll; vgl. Koestermann ad loc; Keitel, 1977, 55 f., die in Einzelheiten jedoch zu weit zu gehen scheint, insbesondere, wenn sie in Anlehnung an F. C. Bourne: Poetic Economy in the Annals of Tacitus, CJ 46, 1951, 174 und unter Verweis auf Tac. hist. 2,70,2 (quae laeta in praesens mox perniciem ipsis fecere) und hist. 3,6,1: (laeta ad praesens male parta mox in perniciem vertere) sich zu dem Gedanken versteigt, daß der Historiker durch die Horaz-Reminiszenz auch auf zukînftiges Unheil hinweisen wolle. Weder der Kontext der Annalenstelle noch der Inhalt der zitierten Horaz-Verse, die lediglich von der Sorge um die ungewisse Zukunft und die ‘bitteren Dinge’ des Lebens abraten, bieten fîr eine solche Vermutung irgendwelche Anhaltspunkte. Ebenso gewagt erscheint Keitels These (a.a.O. 56), daß Tacitus mit der Formulierung laeta in praesens omnia auch an seine Augustus-Chrakteristik in ann. 1,4,1 (nulla in praesens formidine, dum Augustus aetate validus seque et domum et pacem sustentavit) erinnern wollte, um durch einen Verweis auf das große Vorbild des Claudius eine zustzliche Ironie zu erzeugen, welche in der Hauptsache auf die kçrperliche und geistige Schwche des vierten Princeps abziele. Daß der Leser, mittlerweile bereits im im elften Buch der Annalen angelangt, allein aufgrund der Junktur in praesens plçtzlich an den auch im Alter noch rîstigen Augustus des ersten Annalenbuches als Kontrastfigur zu dem noch relativ jungen, doch altersschwach erscheinenden Claudius denken sollte, ist vçllig abwegig.
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3. Ann. 11,11 – 15: Die Skularspiele im Jahr 47
klagen, ungerechtfertigte Todesurteile, die sich abzeichnende Rivalitt zwischen Domitius und Britannicus – all dies lßt an dieser Stelle die optimistische Sicht des Kaisers als eklatante Fehleinschtzung erscheinen. Dieses deutliche Zeichen seiner Naivitt und Ignoranz tritt dem Leser um so schrfer vor Augen, als der Princeps sogar noch eine benignitas deum am Werke sieht,609 der man dadurch Dank erweisen mîsse, daß man die heiligen Bruche, die in Notlagen Beachtung gefunden htten, auch im Glîck nicht in Vergessenheit geraten ließe (ne ritus sacrorum inter ambigua culti per prospera obliterarentur),610 und ausgerechnet mit dieser øußerung sein Eintreten fîr den Erhalt der alten Institutionen rechtfertigt. Seine Gegenîberstellung von gefhrlichen (ambigua) und glîcklichen (prospera) Zeiten stellt eine ironisch wirkende Vertauschung der Realitten dar. Whrend er sich und den Staat offenbar in seliger Lage und fernab jeglicher Gefhrdung whnt, verhalten sich die Dinge fîr den wissenden Leser genau anders herum: Gerade jetzt sind die Verhltnisse eben nicht prospera, sondern ambigua.611 Entsprechend steht auch der feierliche Ton, mit dem zum Ende des Kapitels der in dieser Angelegenheit ergangene Senatsbeschluß wiedergegeben wird,612 in einem deutlichen Mißverhltnis zur tatschlichen Lage des Staates. Auf diese Weise macht sich Tacitus auch insgesamt lustig îber das politische Treiben in Rom.613
609 Zum Gebrauch dieser ‘konventionellen Phrase’ bei Tacitus s. Syme, 1958, 707 f; Koestermann ad loc.; Keitel, 1977, 56. 610 Zur Brachylogie des Ausdrucks (gratiam referendam, ne … obliterarentur = ‘die Dankbarkeit muß darin bestehen daß nicht …’) s. die Kommentare ad loc. 611 S. Keitel, 1977, 56. 612 Vgl. Koestermann ad loc; Seif, 1973, 78, der darin wiederum ein Zeichen der Billigung des Tacitus sehen mçchte. 613 M. Griffin: Claudius in Tacitus, CQ 40, 1990, 482 – 501 vertritt hingegen die Ansicht, daß Tacitus in ann. 11,15 kein Zeichen der Mißbilligung zeige (a.a.O. 484): „Tacitus shows no sign of disapproval when Claudius adduces arguments to persuade the Senate to strengthen the college of the haruspices (11.15), combining his enthusiasm for things Etruscan with a distrust of foreign superstition.“ Diese Meinung kann jedoch nur auf vordergrîndiger Ebene geltend gemacht werden. Die Kritik des Tacitus offenbart sich erneut zwischen den Zeilen seines Berichtes.
4. Ann. 11,16 – 21: Außenpolitische Ereignisse in Germanien Tacitus unterbricht die Thematik der kaiserlichen Zensur durch einen Einschub îber außenpolitische Ereignisse, die untereinander recht locker durch den Schauplatz Germanien und ihre Chronologie verbunden sind. Es kçnnen folgende drei Teile voneinander geschieden werden: Die Entsendung des in Rom lebenden Cheruskerfîrsten Italicus in seine Heimat (ann. 11,16 – 17), die Kmpfe Corbulos gegen die Chauken und Friesen (ann. 11,18 – 20,2) und die Aktionen des Curtius Rufus im Gebiet der Mattiaker, verbunden mit einer kurzen Biographie des Feldherrn (ann. 11,20,3 – 11,21).614
4.1 Ann. 11,16 – 17: Die Entsendung des Cheruskerfîrsten Italicus in seine Heimat Die berleitung von den Ereignissen in der Hauptstadt des Reiches zu denen in Germanien erfolgt beinahe nahtlos: Der Volksstamm der Cherusker, durch innere Kriege seines Adels beraubt, erbittet von Rom seinen dort lebenden Stammesfîrsten Italicus als neuen Kçnig. Der Kaiser gewhrt den Wunsch und entsendet den stattlichen und im Kriegshandwerk vielfltig geîbten Mann, der ein Sohn des Flavus und Neffe des Arminius ist, in seine germanische Heimat (ann. 11,16,1). Dort wird er zunchst mit viel Wohlwollen und Freude aufgenommen, erregt jedoch bald den Neid und das Mißtrauen einiger seiner Stammesangehçrigen, die sich zu den benachbarten Stmmen begeben, diese in einer Schmhrede gegen Italicus aufwiegeln und eine große Streitmacht gegen ihn zusammenbringen (ann. 11,16,2 – 11,17,1). Italicus wendet sich in einer Gegenrede gegen seine Widersacher, mobilisiert seine Anhngerschaft und vermag sich in einer Schlacht als Kçnig zu behaupten. Hierdurch zum bermut verleitet, erleidet er in der Folge 614 Zu dieser Einteilung vgl. Pfordt, 1998, 90; Seif, 1973, 85; Keitel, 1977, 57; Wille, 1983, 484 – 486.
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4. Ann. 11,16 – 21: Außenpolitische Ereignisse in Germanien
wiederum eine Niederlage, wird vertrieben und schließlich mit Hilfe der Langobarden wieder eingesetzt (ann. 11,17,1 – 3). Fortan habe er die Macht der Cherusker îber gute wie schlechte Zeiten hinweg (per laeta per adversa) zerrîttet, so das abschließende Urteil des Tacitus. Die Darstellung in ann. 11,16 – 17 verdient nicht nur aufgrund ihrer Ausgestaltung in Rede und Gegenrede das besondere Interesse unserer Analyse. Auch andere Punkte lassen sich im Hinblick auf leserlenkende Mittel untersuchen. Bemerkenswert ist etwa die Ausdrucksweise, mit der das Verhalten des Italicus nach seiner Ankunft in Germanien beschrieben wird, s. ann. 11,16,2: ac primo laetus Germanis adventus, atque eo, quod nullis discordiis imbutus pari in omnes studio ageret, celebrari coli, modo comitatem et temperantiam, nulli invisa, saepius vinolentiam ac libidines, grata barbaris, usurpans … Die hier gewhlte Diktion erinnert stark an die Wortwahl, mit der nur wenige Kapitel zuvor die zensorische Ttigkeit des Claudius umschrieben wurde (ann. 11,13,1: munia censoria usurpans), mag die semantische Bedeutung des Partizips an dieser Stelle auch eine etwas andere sein.615 Nun ist die Annahme, daß Tacitus hier Begriffe wie vinolentia und libidines mit dem Kaiser in Rom in Verbindung gebracht wissen wollte, um ihn unterschwellig als barbarische Natur (vgl. grata barbaris) erscheinen zu lassen, allerdings problematisch, da Italicus neben diesen negativen Eigenschaften ja auch ausdrîcklich comitas und temperantia zeigt, die in syntaktischer Hinsicht ebenfalls von usurpans abhngig sind, jedoch als Charaktermerkmale gar nicht in das taciteische Claudiusbild passen mçchten.616 Was jedoch ohne eine allzu starke Pressung der Darstellung festgehalten werden kann, ist der Umstand, daß der rçmische Kaiser und ein ‘barbarischer’ Stammesfîrst durch den exakt gleichen Wortgebrauch, der ihre Handlungen beschreibt, in ihrem Ver615 Vgl. die jeweilige Einordnung der beiden Stellen im Lexicon Taciteum (G&G 1709 f.). 616 Dies scheint Keitel, 1977, 57 f. (und in hnlicher Weise auch Vessey, 1971, 395) zu vergessen, wenn sie davon ausgeht, daß der Leser durch die hier gegebenen Begriffe der vinolentia und libidines (sowie an spterer Stelle superbia; ann. 11,17,3) auf die Verhltnisse am Kaiserhof und insbesondere auf den Charakter des Claudius und der Messalina verwiesen wird. Eine solche Ansicht birgt zudem die Schwierigkeit, daß sich alle Belege fîr einen Bezug von vinolentia oder libidines auf den vierten Princeps bzw. seine Gattin (s. Keitel, 1977, 77 Anm. 74) erst nach der hier verhandelten Stelle befinden, wobei freilich nicht auszuschließen ist, daß Tacitus in dem verlorenen Teil der Annalen bereits auf diese Eigenschaften der betreffenden Personen aufmerksam gemacht hat; vgl. Pfordt, 1998, 91 Anm. 314. Auf die auffllige Wiederholung des Partizips usurpans geht Keitel nicht ein.
4.1 Ann. 11,16 – 17: Die Entsendung des Cheruskerfîrsten
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halten auf eine Stufe gestellt werden. Der Leser kann dies in jedem Fall nur als Abwertung des Claudius verstehen. Kommen wir nun zu den Argumenten, welche die Gegner des Italicus in ihrer Schmhrede bei den benachbarten Stmmen ins Feld fîhren. Tacitus hat sie relativ ausfîhrlich in indirekter Rede wiedergegeben, s. ann. 11,16,2 – 3: iamque apud proximos, iam longius clarescere [sc. Italicus], cum potentiam eius suspectantes, qui factionibus floruerant, discedunt ad conterminos populos ac testificantur adimi veterem Germaniae libertatem et Romanas opes insurgere. adeo neminem isdem in terris ortum, qui principem locum impleat, nisi exploratoris Flavi progenies super cunctos attollatur? frustra Arminium praescribi: cuius si filius hostili in solo adultus in regnum venisse
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4. Ann. 11,16 – 21: Außenpolitische Ereignisse in Germanien
rekte Kritik des Tacitus an der Maßnahme des Claudius vor? Seif hat eine solche Vermutung mit dem Hinweis auf den fîr die Rçmer letzten Endes recht erfolgreichen Ausgang der gesamten Unternehmung zurîckgewiesen.618 Doch muß man m. E. eine Trennlinie ziehen zwischen ursprînglicher Absicht und tatschlicher Wirkung der kaiserlichen Entscheidung, die auch im Bericht des Tacitus deutlich zum Vorschein kommt. Als der Princeps Italicus als neuen Kçnig der Cherusker nach Germanien schickte, tat er dies in der festen berzeugung, hierfîr den richtigen Kandidaten gefunden zu haben. Seine berlegungen hinsichtlich der besonderen Eignung seines Schîtzlings erwiesen sich trotz anfnglicher Erfolge jedoch relativ rasch als vollkommen irrig. In diesem Licht betrachtet, scheint aus den Worten der Italicus-Gegner zumindest eine vçllige Fehleinschtzung der außenpolitischen Situation seitens des Kaisers hervorzuschimmern, die durch das Pathos der zuvor an Italicus ergangenen Worte des Claudius zustzlich in den Bereich des Lcherlichen gert.619 Die Gegenrede des Italicus vermag die Argumente seiner Gegner zwar weitgehend zu entkrften (s. ann. 11,17,1 – 2), ndert jedoch nichts an der eingetretenen Konfliktsituation. Offenbar hat Tacitus die halb rçmische und halb germanische Persçnlichkeitsstruktur des Cheruskerfîrsten zu einer dialektischen Behandlung des Themas in Rede und Gegenrede motiviert, welche beide Seiten mit ihren Sichtweisen zu außergewçhnlich, daß der Leser (îber mehrere Bîcher hinweg!) Querbezîge herstellen wîrde. Selbst die durch die Person des Flavus gegebene inhaltliche Parallele scheint mir hierfîr nicht ausreichend zu sein. Aus ganz hnlichen Grînden halte ich im îbrigen die von Devillers, 1994, 166 vertretene Ansicht, wonach Tacitus in ann. 11,16 ein weiteres Mal auf einen ironischen Vergleich zwischen Claudius und Augustus abhebe, fîr allzu konstruiert. Die hierfîr in Anspruch genommene Stelle ann. 2,2,1, die von einem ganz hnlichem Mißerfolg des ersten Princeps zu berichten weiß, liegt m. E. viel zu weit zurîck, um den Leser im elften Annalenbuch ohne weiteren Hinweis noch prsent zu sein, mçgen die inhaltlichen Entsprechungen auch zweifellos sehr groß sein. 618 S. Seif, 1973, 86. 619 Vgl. Devillers, 1994, 156; 278, der Bezîge zu spteren außenpolitischen Aktionen des Kaisers herstellt: „Les chapitres XI, 16 – 17 retracent la vaine tentative de Claude pour donner un roi aux Ch¤rusques. Ce passage constitue une n a r r a t i o n g ¤ m i n e ¤ avec les chapitres XII, 11 – 14, dans lesquels on voit Claude s’efforcer, ¤galement sans succºs, d’imposer un souverain aux Parthes. Notamment, dans les deux cas, Tacite insiste sur le fait que Claude adresse des conseils et des exhortations son prot¤g¤ (XI, 16,1; XII, 11, 2 – 3). Cette instance souligne le ridicule des pr¤tentions de l’empereur ¤mettre des avis en matiºre de gouvernement“ (a.a.O. 278). All dies ergibt sich freilich erst in der Rîckschau der spteren Stelle.
4.1 Ann. 11,16 – 17: Die Entsendung des Cheruskerfîrsten
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Wort kommen lßt und damit ein sehr ausgewogenes und problemorientiertes Bild vor allem der psychologischen Hintergrînde vermittelt.620 Doch im Hinblick auf den weiteren Gang der Ereignisse erweist sich die Gegenrede als fruchtlos, kann sie doch lediglich die eigenen Anhnger begeistern und den bevorstehenden Bîrgerkrieg nicht abwenden. Haften bleibt am Ende das Bild einer glîcklich gewonnenen Schlacht (s. u. secunda fortuna), daraus resultierenden bermuts (superbia) und weiterer Wirren in der Folgezeit. Der von Claudius eingesetzte Kçnig kann sich nur mit großer Mîhe und lediglich durch die Unterstîtzung anderer Volksstmme halten, s. ann. 11,17,3: et magno inter barbaros proelio victor rex, dein secunda fortuna ad superbiam prolapsus pulsusque ac rursus Langobardorum opibus refectus per laeta per adversa res Cheruscas adflictabat. Diese Aussage wird durch eine Kombination verschiedener Stilmittel besonders betont: Ein metaphorisches prolabi in Assonanz zu pulsus hebt zusammen mit der polysyndetischen Satzstruktur (pulsusque ac rursus … refectus) das Auf und Ab im weiteren Schicksal des Italicus eindringlich hervor.621 Zudem verdichtet die anaphorische Formulierung per laeta per adversa seinen wechselvollen Werdegang zu ußerster Prgnanz. Die dauerhafte Schwchung des Cheruskers und seines Stammes wird von Tacitus also sehr anschaulich prsentiert und steht in einem gewissen Gegensatz zu dem kraftvollen Bild, das Claudius zuvor von dem jungen Prinzen gezeichnet hat.622 Damit wird klar, daß der Historiker an dieser Stelle weniger das Ziel verfolgt, eine fîr die rçmische Außenpolitik gînstige Entwicklung aufzuzeigen, als die Absicht, das ganz persçnliche Scheitern des Claudius hervorzukehren. Denn daß der Kaiser durch die Entsendung des Italicus den mchtigen und gefhrlichen Stamm der Cherusker letzten Endes in bîrgerkriegshnliche Verhltnisse gestîrzt und somit nachhaltig als Gegner ausgeschaltet hat, entsprach nicht seinem eigentlichen Vorsatz und kann deshalb nicht als Ergebnis eines klugen außenpolitischen Kalkîls in Anspruch genommen werden.623 620 Vgl. Koestermann ad ann. 11,16,3 (S. 60); Devillers, 1994, 224 sieht durch die Gegenrede die Spaltung der Cherusker in zwei Lager besonders betont: „C’est cette division des Ch¤rusques en deux clans que traduit, sur le plan litt¤raire, l’insertion de discours contradictoires.“ 621 Vgl. Koestermann ad loc. 622 Vgl. Keddie, 1975, 56. 623 In diesem Punkt scheint Devillers, 1994, 182 seinen Ausfîhrungen 156; 223 f.; 278 (s. o. Anm. 617 u. 619) zu widersprechen, wenn er mit zustzlichem Blick auf ann. 11,8 – 10 (Claudius entsendet Mithridates als Herrscher nach Armenien) diese außenpolitischen Maßnahmen des Kaisers als „signe d’une activit¤ diplo-
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4. Ann. 11,16 – 21: Außenpolitische Ereignisse in Germanien
Claudius scheint vielmehr aus einem Irrtum heraus das Richtige getan zu haben – ein Eindruck, der auf ironische Weise die vçllige Inkompetenz des vierten Princeps deutlich macht.
4.2 Ann. 11,18 – 20,2: Die Kmpfe Corbulos624 gegen die Chauken und Friesen Tacitus leitet nun von den Cheruskern zu den Chauken îber und berichtet zunchst îber deren Raubzîge unter der Fîhrung eines gewissen Gannascus, s. ann. 11,18,1: Per idem tempus Chauci nulla dissensione domi et morte Sanquinii alacres, dum Corbulo adventat, inferiorem Germaniam incursavere duce Gannasco, qui natione Can
4.2 Ann. 11,18 – 20,2: Die Kmpfe Corbulos
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fîr den rçmischen Feldherrn einnimmt. Gemß dieser Konzeption leitet Tacitus den folgenden Satz, der îber die Maßnahmen des Corbulo informiert, mit einem scharf kontrastierenden at ein,626 s. ann. 11,18,2: at Corbulo provinciam ingressus magna cum cura et mox gloria, cui principium illa militia fuit, triremes alveo Rheni, ceteras navium, ut quaeque habiles, per aestuaria et fossas adegit; luntribusque hostium depressis et exturbato Gannasco, ubi praesentia satis composita sunt, legiones operum et laboris ignavas, populationibus laetantes veterem ad morem reduxit, ne quis agmine decederet nec pugnam nisi iussus iniret. Corbulos Aktionen erweisen sich als ußerst effektiv. Sein Erfolg wird durch die Bemerkung magna cum cura et mox gloria, cui principium illa militia fuit bereits zu Beginn dieses Textabschnitts vorweggenommen, wobei er auch im Glanz noch kommender Ereignisse erstrahlen darf.627 Der Sieg îber Gannascus erscheint in den locker angehngten absoluten Ablativen luntribusque depressis hostium et exturbato Gannasco wie die selbstverstndliche Folge seines umsichtigen Vorgehens und lediglich als Voraussetzung fîr weitere, viel tiefgreifendere Maßnahmen, mit denen er sich nun – als Bewahrer des vetus mos 628 – der verwahrlosten Disziplin seiner Soldaten widmet.629 Deren schndliches Treiben wird von Tacitus sehr eindringlich geschildert (operum et laboris ignavas). Der Ausdruck populationibus laetantes stellt sie sogar auf eine Stufe mit dem ruberischen Verhalten der barbarischen Chauken. Vor diesem Hintergrund sieht der Leser die im folgenden geschilderten harten Disziplinierungsmaßnahmen im Ganzen als gerechtfertigt an, s. ann. 11,18,3: stationes vigiliae, diurna nocturnaque munia in armis agitabantur; feruntque militem, quia vallum non accinctus, atque alium, quia pugione tantum accinctus foderet, morte punitos. quae nimia et incertum an falso iacta originem tamen e severitate ducis traxere; intentumque et magnis delictis inexorabilem scias, cui tantum asperitatis etiam 626 Vgl. Pfordt, 1998, 92; Geiser, 2007, 32. 627 Tacitus weist an dieser Stelle v. a. auf Corbulos Ruhmestaten unter der Regierung des Nero voraus; s. hierzu Koestermann ad ann. 11,18,1; Geiser, 2007, 32: „Durch eine kleine Zwischenbemerkung gelingt es Tacitus […], zum einen die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Figur Corbulos zu lenken und zum anderen im Leser eine positiv-erwartungsvolle Grundhaltung Corbulo gegenîber zu erzeugen.“ 628 Geiser, 2007, 33 mit Anm. 97 weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß das Adjektiv vetus bei Tacitus durchweg positiv besetzt sei. Corbulo werde damit indirekt als ein Feldherr der ‘guten alten Zeit’ charakterisiert. 629 Vgl. Pfordt, 1998, 92: „Die eigentlichen Kmpfe werden von Tacitus nur kurz – wie um die Leichtigkeit des Sieges zu belegen – beschrieben […]“; Geiser, 2007, 32 f.
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4. Ann. 11,16 – 21: Außenpolitische Ereignisse in Germanien
adversus levia credebatur. Gerîchte, wonach Corbulo bei relativ harmlosen Vergehen seiner Soldaten sogar Todesurteile ausgesprochen haben soll, weist Tacitus ausdrîcklich als îbertrieben und mçglicherweise sogar als gnzlich erfunden zurîck (incertum an falso iacta dabei an strkerer zweiter Position!). Ihren Ursprung sieht der Historiker in der Strenge des Feldherrn begrîndet, die auch im folgenden Bericht des Tacitus immer wieder als hervorstechende Charaktereigenschaft des Corbulo hervortritt.630 Sollte die literarische berlieferung Anzeichen fîr eine îberzogene Hrte des rçmischen Heerfîhrers geboten haben,631 hat Tacitus diese zwar anklingen lassen, jedoch in seinem erkennbaren Bestreben, Corbulo mçglichst positiv darzustellen, geschickt als unglaubwîrdige Folie benutzt, vor deren Hintergrund die tatschliche severitas des Feldherrn weniger grausam erscheint.632 Dies wird besonders im letzten Satz deutlich, der nach Art eines Enthymems die unerbittliche Haltung des Corbulo rhetorisch zugespitzt auf den Punkt bringt: Wenn man ihm schon bei geringeren Vergehen offenbar eine solche Hrte zutraute, wie streng muß er erst gegen grobe Delikte vorgegangen sein! Attribute wie intentus und inexorabilis sprechen an dieser Stelle zwar eine deutliche Sprache, lassen sich jedoch nur noch auf die Ahndung wirklich großer Verstçße (magna delicta) beziehen.633 Die Todesstrafe, die bei schlimmen Vergehen tatschlich Anwendung gefunden haben dîrfte, klingt an dieser Stelle, wo die real gegebene Strenge des Corbulo vor Augen gefîhrt 630 Vgl. Seif, 1973, 88; Devillers, 1994, 148 f.; 283, der außerdem auf weitere Konstanten im Charakterbild des Corbulo hinweist; zur Strenge des Feldherrn vgl. insbes. ann. 13,35. 631 Vgl. die hnliche Darstellung Corbulos bei Cassius Dio (Xiph.) 60,30,4 – 6; einen detaillierten Vergleich der beiden Texte hat insbesondere A. Mehl: Kaiser Claudius und der Feldherr Corbulo bei Tacitus und Cassius Dio, Hermes 107, 1979, 220 – 239, hier 224 – 229, vor dem Hintergrund der Quellenfrage (Plinius maior?) durchgefîhrt; vgl. Seif, 1973, 88; Koestermann ad ann. 11,18,2. 632 Vgl. Geiser, 2007, 34 mit etwas anderer Akzentuierung. 633 Daher ist die Ansicht Keitels, 1977, 58 f.: „Yet diction and word order only affirm the harshness which Tacitus takes pains to mitigate. The alliterative intentumque … inexorabilem (used in a personal sense only here by Tacitus), asperitatis, and the final credebatur all strengthen what they are intended to deny“ zurîckzuweisen. Desweiteren sind ihre Versuche (a.a.O. 59), aus einem Vergleich zu der (moderaten) Strenge des taciteischen Agricola (s. Agr. 9,3; 19,3) ein unvorteilhaftes Bild von der (îbertriebenen) Strenge des Corbulo abzuleiten, methodisch ußerst fraglich. Die von ihr angefîhrten sprachlichen Parallelen (intentus, severus / severitas) sind zu schwach und ergeben sich zwangslufig aus der Gleichartigkeit des jeweils dargestellten Sachverhalts. Sie dîrfen daher nicht als Hinweis auf eine von Tacitus beabsichtigte Reminiszenz gewertet werden.
4.2 Ann. 11,18 – 20,2: Die Kmpfe Corbulos
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werden soll, zwischen den Zeilen zwar an, findet jedoch keine explizite Erwhnung mehr. Bei seinen Bemîhungen, die strengen Disziplinierungsmaßnahmen des Corbulo in mçglichst gînstigem Licht erscheinen zu lassen, geht Tacitus im folgenden sogar noch einen Schritt weiter, wenn er deren positive Effekte aufzuzeigen versucht,634 s. ann. 11,19,1: Ceterum is terror milites hostesque in diversum adfecit: nos virtutem auximus, barbari ferociam infregere. et natio Frisiorum post rebellionem clade L. Apronii coeptam infensa aut male fida, datis obsidibus consedit apud agros a Corbulone descriptos; idem senatum magistratus leges imposuit. Das straffe Regiment Corbulos findet in der Bezeichnung terror zunchst einen ußerst drastischen Ausdruck, der die Realitt treffend und ungeschminkt beschreiben dîrfte. Doch direkt im Anschluß erfhrt dieser Begriff eine positive Aufwertung, indem der vom Feldherrn ausgehende ‘Schrecken’ als wesentliche Voraussetzung fîr den Erfolg der rçmischen Truppen gegen die germanischen Stmme dargestellt wird.635 Wirkungsvoll stellt Tacitus in einem Parallelismus die Auswirkungen des von Corbulo praktizierten terror auf die eigenen Truppen einerseits und auf die Germanen andererseits gegenîber: Whrend die Moral der rçmischen Soldaten hierdurch vergrçßert worden sei, htten die Barbaren ihren trotzigen Kampfgeist fahren lassen.636 Letzteres wird anschließend am Beispiel der Friesen besonders anschaulich gemacht, die sich entgegen ihrer bisherigen Feindseligkeit den Anweisungen des Corbulo anscheinend ohne jeglichen Widerstand fîgen und Geiseln stellen.637 Durch den Hinweis auf die Niederlage des Apronius und die ausdrîckliche Bezeichnung der Friesen als natio infensa aut male fida wird dieser Erfolg des rçmischen Heerfîhrers erheblich gesteigert.638 Mîhelos weist er dem 634 Vgl. Pfordt, 1998, 93; Seif, 1973, 88: „Die Wirkung seiner Strenge wird panegyrisch îberhçht.“ 635 Vgl. Geiser, 2007, 34 f. 636 Koestermann ad loc.: „[…] barbari ferociam [infregere] statt barbarorum ferocia (infracta) ist îberaus kîhn, gewhlt um der Antithese zu virtutem auximus willen. In beiden Fllen soll der Wille der Betroffenen bewirkender Faktor sein, nicht die ußeren Umstnde.“ 637 S. hierzu Geiser, 2007, 35 mit Anm. 105: „Es zeigt sich also wiederum Tacitus’ psychologische Deutung der Tatsachen. Denn tatschlich werden sich die Friesen kaum kampflos und freiwillig ergeben haben.“ 638 Bezeichnenderweise spricht der Historiker an dieser Stelle etwas îberspitzt und „îber den frîheren Bericht hinausgehend“ (Koestermann ad loc.) von einer clades des Apronius. Tatschlich hat es sich dabei eher um eine wenig erfolgreiche Expedition gehandelt (vgl. die Schilderung ann. 4,72 f.); vgl. Geiser, 2007, 35.
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ansonsten so rebellischen Germanenstamm Lndereien zu und sorgt zustzlich fîr geordnete Verhltnisse, indem er ihm einen øltestenrat, Behçrden und Gesetze gibt. Das Asyndeton senatum magistratus leges macht die vermeintliche Leichtigkeit der hier verordneten Maßnahmen ußerst sinnfllig.639 Als wolle Tacitus die im Kapitel zuvor (ann. 11,18,2) gepriesene magna cura des Corbulo unter Beweis stellen,640 berichtet er anschließend, wie der Feldherr das Erreichte nun sichert, s. ann. 11,19,2: ac ne iussa exuerent, praesidium immunivit, missis qui maiores Chaucos ad dedicationem pellicerent, simul Gannascum dolo aggrederentur. nec inritae aut degeneres insidiae fuere adversus transfugam et violatorem fidei. Zu den Sicherungsmaßnahmen zhlt vor allem ein hinterlistiger Anschlag auf Gannascus, der von Tacitus in aufflliger Weise gerechtfertigt wird.641 Es darf vermutet werden, daß die literarische berlieferung auch in Bezug auf dieses Ereignis deutliche Kritik an Corbulo geîbt hat. Tacitus entschuldigt das umstrittene Verhalten des Feldherren mit einem erneuten Hinweis (s. o. zu ann. 11,18,1) auf die treulose und verrterische Natur des Germanenfîrsten und vertieft damit den bisher erweckten Eindruck. Die hier gewhlten Bezeichnungen transfuga und violator fidei sollen dem Leser das unehrenhafte Verhalten des Gannascus so deutlich vor Augen fîhren, daß er die Maßnahme des Corbulo nur als gerechte Strafe fîr eine beispiellose Niedertracht verstehen kann. Der Anschlag sei erfolgreich (nec inritae) und keineswegs verwerflich (degeneres) gewesen, so die eindeutige Rechtfertigung des Historikers. Warum Tacitus das Verhalten des Corbulo so ausdrîcklich in Schutz nimmt, tritt im folgenden Bericht nun immer deutlicher zutage, s. ann. 11,19,3: sed caede eius (sc. Gannasci) motae Chaucorum mentes, et Corbulo semina rebellionis praebebat, ut laeta apud plerosque, ita apud quosdam in
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midulosum paci virum insignem et ignavo principi praegravem. igitur Claudius adeo novam in Germanias vim prohibuit, ut referri praesidia cis Rhenum iuberet. Der Tod des Gannascus versetzt die Chauken in Aufruhr. Corbulo mçchte diese Situation nutzen, um einen weiteren Krieg gegen den Germanenstamm zu provozieren (semina rebellionis praebebat). Tacitus prsentiert die (in Rom) hervorgerufenen Reaktionen auf dieses Vorgehen in zwei Gruppen, die in einem wirkungsvollen Chiasmus gegenîbergestellt werden: Die Mehrheit (apud plerosque) rechnet diese Taktik dem Feldherrn positiv an (laeta … fama), einige (quosdam) jedoch negativ (sinistra fama). Durch die Reaktion der plerique macht der Historiker deutlich, daß Corbulo bei der breiten Masse der Bevçlkerung großes Ansehen genoß. Vor diesem Hintergrund erscheinen die nun im folgenden in indirekter Rede ausgefîhrten Bedenken der Kritiker, die im Falle eines erfolgreichen Feldzuges vor einer Gefhrdung des Kaisers durch Corbulo warnen, in der Sache um so berechtigter zu sein. Corbulo wird durch seine tatkrftige Entschlossenheit systematisch als Alternative zum schwachen Claudius aufgebaut: Durch die chiastische Anordnung der Wçrter steht er hier nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch als vir insignis dem ignavus princeps diametral gegenîber, gilt als Gefahr fîr den inneren Frieden (formidolosum paci) und als schwere Belastung fîr den unttigen Kaiser (principi praegravem in effektvoller Assonanz!).643 Unter Berîcksichtigung des Umstandes, daß der Begriff pax an dieser Stelle auf die Verhltnisse unter Claudius angewendet wird, klingt diese Charakterisierung des Heerfîhrers jedoch weit weniger negativ als es bei flîchtiger Betrachtung vielleicht erscheinen mag. Der innere Zustand des Staates ist nach dem bisherigen Bericht des Tacitus îber die unrechtmßigen Prozesse und Intrigen am Kaiserhof des vierten Princeps wohl kaum als friedlich zu bezeichnen. Die „giftige Sentenz“644 im Munde des Volkes findet sodann ihre prompte Besttigung im Verhalten des Claudius, der Corbulo jede weitere militrische Aktion gegen die Germanen verbietet und den Rîckzug der rçmischen Besatzung auf das linke Rheinufer befiehlt. Ein verrterisches igitur stellt hier eine enge konklusive Verknîpfung zwischen dem Inhalt des stadtrçmischen Klatsches und der Entscheidung des Kaisers her und lßt auf diese Weise das 643 Vgl. Keitel, 1977, 59; Seif, 1973, 90; Geiser, 2007, 37, die vor dem Hintergrund der von Claudius in Angriff genommenen Eroberung Britanniens zustzlich auf die „ ungerechtfertigte Beleidigung“ des Princeps als ignavus hinweist. 644 Koestermann ad loc.
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Gerede der Leute als zutreffend erscheinen.645 Es zeigt sich, daß Tacitus Corbulos Taten deshalb so ausdrîcklich in Schutz genommen und gerechtfertigt hat, weil er ihn als positive Kontrastfigur zu Claudius darstellen wollte.646 Im îbergeordneten Rahmen der Germanienpolitik ist der Kaiser ungewollt und eher zufllig erfolgreich (s. o. zu ann. 11,17,3), Corbulo hingegen durch sorgfltiges Planen und weitsichtiges, entschlossenes Agieren. Whrend der Kaiser lediglich in antiquarischen Belanglosigkeiten îberkommene Bruche pflegt, erweist sich der strenge Traditionalismus des Feldherrn auch in der Praxis als ußerst effektiv.647 Sein tatkrftiger und energischer Charakter weist ihn gegenîber dem entscheidungsschwachen und wankelmîtigen Princeps als weitaus besseren Herrscher aus. Den vom Kaiser befohlenen Rîckzug empfindet der Leser als ungerechte, allein aus eifersîchtiger Angst getroffene Maßnahme, die Corbulo um die verdienten Frîchte seines klugen und beherzten Handelns betrîgt. Sachliche Grînde, die Claudius zur Aufgabe der rechtsrheinischen Gebiete veranlaßt haben kçnnten, wie etwa der erhçhte Truppenbedarf zur Sicherung der Eroberungen in Britannien, werden von Tacitus ausgeblendet.648 Im folgenden Kapitel berichtet Tacitus zunchst îber die Reaktion des Corbulo auf die kaiserliche Entscheidung, s. ann. 11,20,1: Iam castra in hostili solo molienti Corbuloni eae litterae redduntur. ille re subita, quamquam multa simul offunderentur, metus ex imperatore, contemptio ex barbaris, ludibrium apud socios, nihil aliud prolocutus quam ‘beatos quondam duces Romanos’, signum receptui dedit. Fîr Corbulo, der gerade sein Lager auf feindlichem Territorium aufschlgt, kommt die Nachricht aus Rom vçllig îberraschend (re subita).649 Ahnungslos wird er mitten aus seiner eifrigen Beschftigung herausgerissen (iam … molienti). Durch diese Darstellung mçchte Tacitus seinen Lesern zu verstehen geben, daß 645 Vgl. Seif, 1973, 90 f.; Keitel, 1977, 60; zu igitur im Sinne von itaque (von der auf Tatsachen beruhenden Folge) s. KSt II 138 (10 a). 646 Vgl. Keitel, 1977, 58. 647 Vgl. Pfordt, 1998, 92: „Im Gegensatz zu Claudius, der Reden îber unerhebliche Antiquitten hlt, erweist sich Corbulo, indem er mit Strenge die alte rçmische Tradition wiederherstellen will, als echter Wahrer der Tradition.“ 648 S. Pfordt, 1998, 94; vgl. Koestermann ad ann. 11,19,3: „Der Entschluß des Kaisers war wahrscheinlich dadurch ausgelçst worden, daß der Kaiser die Truppen fîr Britannien brauchte“; Seif, 1973, 91; Keitel, 1977, 60: „ […] a plan sensible enough in itself and faithful to Augustan policy, but made to seem, by context, the fearful reaction of a cowardly princeps“; Geiser, 2007, 38 f. 649 Vgl. Geiser, 2007, 39.
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Corbulo keineswegs die von manchen Leuten in Rom befîrchtete Absicht hatte, seine machtvolle Position einmal gegen den Kaiser auszuspielen. Seine Ahnungslosigkeit soll als indirekter Beweis fîr seine Unschuld gelten, indem der Eindruck erweckt wird, daß der erfolgreiche Feldherr gar nicht erst auf den Gedanken gekommen sei, fîr Claudius auf Dauer gefhrlich werden zu kçnnen. Der Rîckzugsbefehl ist fîr Corbulo ein Schock: Viele Dinge (multa), die im folgenden durch metus ex imperatore, contemptio ex barbaris und ludibrium apud socios weiter konkretisiert werden, brechen gleichzeitig îber ihn herein (offunderentur). In dieser Reihung fllt das Spiel des Tacitus mit der etwas unprzisen Wendung metus ex imperatore auf. Vordergrîndig ist metus hier sicherlich im Sinne von ‘Bedrohung’ oder ‘Strafandrohung’ zu verstehen, die von Seiten des Kaisers fîr Corbulo ausgeht.650 Diese Auffassung fîgt sich gut zu den beiden anderen Gliedern der Aufzhlung, die jeweils ein fîr Corbulo unmittelbar negatives Ergebnis der von Claudius getroffenen Entscheidung benennen. Bezieht man jedoch den Gesamtkontext der Stelle mit in die berlegungen ein und sieht die Aussage vor dem Hintergrund der von Tacitus bisher stark und entschlossen gezeichneten Persçnlichkeit des Corbulo, so dringt durchaus auch die Auflçsung von metus als ‘Furcht’ (des Kaisers vor dem tîchtigen Heerfîhrer) in das Bewußtsein des Lesers.651 Diese letztere Auffassung wird dann durch die konzessiv gefrbte Aussage des Tacitus gestîtzt, daß Corbulo trotz der plçtzlich eingetretenen Umstnde lediglich (nihil aliud) eine recht zurîckhaltende øußerung von sich gegeben habe. Mit einem Verweis auf die ‘glîcklichen Feldherren frîherer Zeiten’ kritisiert Corbulo offenbar die gegenwrtigen Zustnde des Prinzipats, die neben dem Kaiser keine machtvollen und angesehenen Persçnlichkeiten dulden.652 Der erfolgreiche Militr scheint demnach die ‘wahren’ Hintergrînde des kaiserlichen Befehls durchschaut zu haben.653 Dennoch fîgt er sich der kaiserlichen Entscheidung und gibt das Zeichen zum Rîckzug. Nach der stilistisch durchgefeilten Passage bringt der nîchtern und prosaisch anmutende 650 Zu dieser Bedeutung von metus s. ann. 1,29,3: ex duce metus; 2,38,3: nullus ex se metus; 2,72,1; metum ex Tiberio; 3,65,1: ex posteritate et infamia metus; vgl. Furneaux ad ann. 1,29,3; Zwierlein, 1986, 520 (Index s. v. metus). 651 Das umgekehrte Verstndnis ‘Furcht (des Corbulo) vor Claudius’ scheidet dabei aus sprachlichen und inhaltlichen Grînden praktisch aus, wie Mehl, 1979, 223 f. Anm. 13 îberzeugend dargelegt hat; vgl. Geiser, 2007, 39 mit Anm. 119. 652 Vgl. Geiser, 2007, 39. 653 Vgl. Keitel, 1977, 60: „Corbulo seems disturbingly well aware of the repercussions at Rome.“
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Abschluß signum receptui dedit seine Resignation gekonnt zur Darstellung.654 Trotz aller Enttuschung erweist sich Corbulo weiterhin als absolut loyal. Die ihm unterstellten politischen Ambitionen erweisen sich damit als vçllig haltlos.655 Tacitus geht bei seiner Charakterdarstellung des Corbulo jedoch noch einen Schritt weiter: Nicht nur, daß sich der enttuschte Feldherr dem kaiserlichen Willen widerstandslos fîgt. Zudem fîhlt er sich auch noch weiterhin der Aufrechterhaltung der Disziplin seiner Soldaten verpflichtet und fîhrt sie einer sinnvollen unkriegerischen Beschftigung zu, s. ann. 11,20,2: ut tamen miles otium exueret, inter Mosam Rhenumque trium et viginti milium spatio fossam perduxit, qua incerta Oceani vitarentur. insigne tamen triumphi indulsit Caesar, quamvis bellum negavisset. Corbulo erweist Rom weiterhin großen Nutzen: Sein in Auftrag gegebener 23 Meilen langer Kanal zwischen Maas und Rhein macht die gefhrliche Schiffahrt auf dem Meer nunmehr îberflîssig. Tacitus berichtet spîrbar beeindruckt von dem aufwendigen Bauprojekt und entwirft das Bild eines rastlosen und eifrigen Charakters, der auch nach persçnlichen Rîckschlgen nicht aufhçren mag, Sinnvolles zu leisten.656 Zudem ist zu beachten, daß Corbulo mit der Durchfîhrung solch çffentlicher Baumaßnahmen einen Aufgabenbereich berîhrt, der ansonsten eng mit der Person des Kaisers verbunden war.657 Auch hierin tritt er also in offensichtliche Konkurrenz zum Princeps. Die abschließend vermerkte Bewilligung der Triumphinsignien durch Claudius wirkt indessen ußerst heuchlerisch. Tacitus hat diese Aktion mit einer deutlichen Widersprîchlichkeit versehen (tamen indulsit … quamvis negavisset), die an dieser Stelle einen ganz eigenen Sinn entfaltet: Denn indem der Historiker die Auszeichnung des Corbulo erst jetzt – nach der Schilderung des Kanalbaus –, erwhnt, koppelt er sie von den glnzenden militrischen Erfolgen gegen die Chauken und Friesen in ann. 11,18 f. inhaltlich ab.658 Vor dem Hintergrund des weiterhin sichtbaren und ungebremsten Tatendrangs des Corbulo scheint der Kaiser den agilen Heerfîhrer mit dieser Auszeichnung nun lediglich abspeisen und endlich ruhigstellen zu wollen. 654 655 656 657
Vgl. Koestermann ad loc. Vgl. Geiser, 2007, 40. Vgl. Geiser, 2007, 40. Vgl. die Bauprojekte des Claudius, von denen Tacitus in ann. 11,13,2 (Wasserleitung) und ann. 12,56,1 (Kanaldurchbruch zwischen Lirisfluß und Fuciner See) berichtet; vgl. Suet. Claud. 20,1. 658 S. Keitel, 1977, 60 f.
4.3 Ann. 11,20,3 – 11,21: Die Leistungen des Curtius Rufus und seine Biographie
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4.3 Ann. 11,20,3 – 11,21: Die Leistungen des Curtius Rufus und seine Biographie Die Verleihung der Triumphabzeichen an Corbulo dient als Brîcke zu einem neuen Themenkomplex, der ebenfalls in den îbergeordneten Rahmen des Berichtes îber Germanien fllt.659 Im Mittelpunkt steht dabei die Person des Heerfîhrers Curtius Rufus, der im Gebiet der Mattiaker nach Silberadern hatte graben lassen. Auch er erhlt die Triumphinsignien, s. ann. 11,20,3: Nec multo post Curtius Rufus eundem honorem adipiscitur, qui in agro Mattiaco recluserat specus quaerendis venis argenti; unde tenuis fructus nec in longum fuit, at legionibus cum damno labor, effodere rivos, quaeque in aperto gravia, humum infra moliri. quis subactus miles, et quia plures per provincias similia tolerabantur, componit occultas litteras nomine exercituum, precantium imperatorem, ut, quibus permissurus esset exercitus, triumphalia ante tribueret. Tacitus macht aus seiner Mißbilligung der an Curtius Rufus vergebenen Auszeichnung kein Hehl. In deutlichen Worten prangert er den geringen und kurzlebigen Nutzen der durchgefîhrten Grabungen bei gleichzeitigem immensem Arbeitsaufwand an.660 Um das eklatante Mißverhltnis zwischen ‘Kosten und Nutzen’ der Silberschîrfungen mçglichst deutlich hervorzuheben, hat der Historiker neben der Verwendung der starken Adversativpartikel at auch an dieser Stelle zu einer chiastischen Satzstruktur (tenuis fructus nec in longum fuit, at legionibus cum damno labor) gegriffen, welche die große Mîhe der Legionen betont ans Ende des Kolons rîckt. Die strapaziçsen Arbeiten, die im folgenden durch die verwendeten Vokabeln effodere und moliri besonders anschaulich und eindringlich geschildert werden, sind dabei nicht nur von ußerst geringem Wert, sondern ausdrîcklich auch schdlich (cum damno labor). Die Verleihung der Triumphinsignien hat Tacitus durch die Erwhnung des geheimen Bittschreibens der Soldaten an Claudius nun in einen grotesken Zusammenhang gestellt, der den Eindruck vermittelt, als habe Curtius Rufus seine Soldaten allein deshalb so geschunden, um die begehrten Abzeichen zu erhalten.661 Ohne eine hervorragende Leistung auf militrischem Ge659 Vgl. Koestermann ad ann. 11,20,3; Wille, 1983, 485. 660 Vgl. Seif, 1973, 88 f.; Geiser, 2007, 40. 661 S. hierzu Geiser, 2007, 41, die zusammen mit Seif, 1973, 89 auf einen etwas abweichenden und weniger konkreten Bericht bei Sueton, Claud. 24,3 verweist. Dort bitten die Soldaten den Kaiser ganz allgemein, ut legatis consularibus simul cum exercitu et triumphalia darentur, ne causam belli quoquo modo quaererent.
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biet erbracht zu haben, bekommt er die Auszeichnung offenbar aufgrund seiner ußerst fragwîrdigen Silbergrabungen zuerkannt.662 Dies wird zumindest durch den Relativsatz (qui … recluserat specus) suggeriert, der direkt nach der Information îber die an Curtius Rufus ergangene Ehrung zu dessen fruchtlosem Treiben im Gebiet der Mattiaker îberleitet. Die Vergabe der Triumphabzeichen an seine Person erscheint demnach als vçllig ungerechtfertigt und steht in einem krassen Mißverhltnis zu der Verleihung derselben Abzeichen an Corbulo, der sich diese durch seine hervorragenden Leistungen redlich verdient hat, mag er auch an noch grçßeren Taten gehindert worden sein.663 Die insbesondere von Keitel und Wille vertretene Ansicht, daß Tacitus durch diese Kontrastschilderung auch die Leistungen des Corbulo nachtrglich schmlern wolle,664 ist zuletzt von Pfordt zu Recht zurîckgewiesen worden. Nach dem deutlich apologetischen Eintreten des Historikers fîr die Aktionen des strengen Feldherrn, wîrde eine solche nachgeschobene Relativierung keinen rechten Sinn ergeben.665 Vielmehr muß die Intention des Historikers aus der genau umgekehrten Perspektive betrachtet werden: Es geht ihm nicht darum, die Taten des Corbulo herabzusetzen, sondern vielmehr darum, deren ungerechte Wîrdigung durch eine Auszeichnung deutlich zu machen, die im Verlauf der frîhen rçmischen Kaiserzeit ihren ursprînglichen Wert offenbar dermaßen eingebîßt hatte, daß sie sogar an zwielichtige Personen wie Curtius Rufus verliehen wurde.666 Daß Corbulo trotz seiner glanzvollen Leistungen am Ende nicht besser abschneidet als sein vçllig erfolgloser ‘Konkurrent’, empfindet der Leser als große Ungerechtigkeit und als typisches Zeichen der Zeit. Indem Tacitus deutlich macht, daß es fîr tîchtige und fhige Mnner offenbar keine Entfaltungsmçglichkeiten mehr gab, geraten nicht zuletzt auch die politischen Rahmenbedingungen des frîhen Prinzipats ins Schußfeld der Kritik. Der soeben umrissenen Intention dient auch die nun in einem Exkurs angehngte Biographie des Curtius Rufus, welche dessen Herkunft und
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Hierzu meint Geiser a.a.O. „Whrend bei Tacitus der Brief eine Spitze gegen Curtius Rufus enthlt, kçnnte er in der Fassung Suetons mçglicherweise eher gegen Corbulo gerichtet gewesen sein.“ Vielleicht hat Tacitus die Stoßrichtung des besagten Schreibens seiner Darstellungsabsicht angepaßt. Vgl. Vessey, 1971, 396. Vgl. Devillers, 1994, 279; Geiser, 2007, 40 f. S. Keitel, 1977, 61; Wille, 1983, 485 f. S. Pfordt, 1998, 95. Vgl. Geiser, 2007, 40.
4.3 Ann. 11,20,3 – 11,21: Die Leistungen des Curtius Rufus und seine Biographie
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Werdegang ußerst kritisch beleuchtet, s. ann. 11,21,1: De origine Curtii Rufi, quem gladiatore genitum quidam prodidere, neque falsa prompserim et vera exsequi pudet. postquam adolevit, sectator quaestoris, cui Africa obtigerat, dum in oppido Adrumeto vacuis per medium diei porticibus secretus agitat, oblata ei species muliebris ultra modum humanum et audita est vox ‘tu es, Rufe, qui in hanc provinciam pro consule venies’. Die Angaben des Historikers zur Abstammung des Rufus sind fîr die taciteische Insinuationskunst geradezu mustergîltig. Einerseits mçchte er nichts Falsches ußern, andererseits aber scheut er sich, die (ihm offenbar bekannte) Wahrheit detailliert offenzulegen. Mit dieser Aussage lßt er die von ihm referierte Ansicht mancher seiner Quellen (quidam prodidere), wonach der Vater des spteren Senators ein Gladiator gewesen sei, nicht nur als unzutreffend erscheinen, sondern gibt gleichzeitig auch zu verstehen, daß dessen tatschliche Herkunft noch viel beschmender war. Durch seine geschickte Praeteritio (vera exsequi pudet) legt sich Tacitus in seiner Aussage jedoch nicht fest, und der Leser ahnt gerade deswegen Schlimmstes.667 In deutlich verchtlichem Ton schildert Tacitus anschließend den Aufstieg des Curtius Rufus und zeichnet dabei zunchst das Bild eines mîßigen Taugenichts, der sich einst als Anhnger des îber Afrika eingesetzten Qustors um die Mittagszeit allein in leeren Sulenhallen der Stadt Hadrumetum herumgetrieben und dabei das wohl zentrale Erlebnis seines Lebens gehabt haben soll, als ihm eine îbermenschlich große weibliche Gestalt erschien und ihm die Statthalterschaft îber die Provinz Afrika prophezeite. Indem Tacitus diese Vision ausgerechnet in den Rahmen einer mittglichen Faulenzerei stellt (dum … agitat), zieht er die gesamte Szenerie in den Bereich des Lcherlichen hinab.668 Insbesondere die pathetische Erhabenheit, in der die Prophezeiung der Frauengestalt geschildert wird – man beachte vor allem die direkte Rede und ihren feierlichen Ton – steht in ironischem Kontrast zur 667 Vgl. Syme, 1958, 563: „Some alleged that the consular novus homo Curtius Rufus was the son of a gladiator. The shameful truth was far worse. Tacitus refuses to disclose it“; Keitel, 1977, 61; Pfordt, 1998, 95. 668 Agitare steht hier in der Bedeutung degere, esse; s. G&G 58. Als inhaltlicher Vergleich kann die Darstellung des jîngeren Plinius herangezogen werden, der in ep. 7,27,2 dieselbe Wundergeschichte erzhlt und dabei eine leicht andere, weniger possenhafte Atmosphre schafft: Inclinato die spatiabatur in porticu [sc. Curtius Rufus]; offertur ei mulieris figura humana grandior pulchriorque. Perterrito Africam se futurorum praenuntiam dixit: iturum enim Romam honoresque gesturum, atque etiam cum summo imperio in eandem provinciam reversurum, ibique moriturum.
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4. Ann. 11,16 – 21: Außenpolitische Ereignisse in Germanien
Banalitt der ußeren Umstnde. Nichts anderes als dieses grotesk anmutende Ereignis gilt nun im folgenden als Ausgangspunkt fîr eine steile Karriere des Rufus, s. ann. 11,21,2: tali omine in spem sublatus degressusque in urbem largitione amicorum, simul acri ingenio quaesturam et mox nobiles inter candidatos praeturam principis suffragio adsequitur, cum hisce verbis Tiberius dedecus natalium eius velavisset: ‘Curtius Rufus videtur mihi ex se natus’. In nur einem Satz skizziert Tacitus in der wirkungsvollen Kîrze seines Partizipialstils den beispiellosen sozialen und politischen Aufstieg des Curtius Rufus, wobei er dessen niedere Abkunft weiterhin deutlich abwertend hervorhebt (dedecus natalium) und somit nicht mîde wird, den Finger in die Wunde der erfolgreichen Laufbahn zu legen. Ein weiterer Makel besteht fîr den Leser sicherlich darin, daß Rufus seine Karriere nicht gnzlich aus eigener Kraft gemeistert zu haben scheint.669 Zwar stellt Tacitus dessen scharfen Verstand heraus. Doch ohne die finanzielle Unterstîtzung seiner Freunde (largitione amicorum) htte er als Mann niederen Standes innerhalb der aristokratisch geprgten rçmischen Oberschicht (nobiles inter candidatos) wohl kaum Aussichten auf einen so großen Erfolg gehabt. Daß darîber hinaus ausgerechnet ein derart zwielichtiger und finsterer Charakter wie Tiberius als Fîrsprecher des Aufsteigers prsentiert wird, wirft nicht gerade ein besseres Licht auf dessen beruflichen Werdegang.670 Vor diesem Hintergrund fallen die abschließenden Worte des Historikers, vornehmlich zum Charakter des Curtius Rufus, beim Leser auf fruchtbaren Boden, s. ann. 11,21,3: longa post haec senecta, et adversus superiores tristi adulatione, adrogans minoribus, inter pares difficilis, consulare imperium, triumphi insignia ac postremo Africam obtinuit, atque ibi defunctus fatale praesagium implevit. Das hier entworfene Charakterportrt ist îberaus abstoßend: Gegenîber Vorgesetzten liebdienerisch, anmaßend gegenîber seinen Untergebenen und unter Gleichrangigen unleidlich (difficilis), erfîllt Curtius Rufus wohl die typischen Merkmale eines rîcksichtslosen Karrieristen. Die chiastisch strukturierte Beschreibung seines opportunistischen Wesens wird wirkungsvoll mit der Aufzhlung der von ihm erreichten ømter und Aus669 Vgl. Keitel, 1977, 62. 670 Zum taciteischen Tiberiusbild s. S. 36 ff. In geradezu typischer Weise versucht Tiberius seine Umgebung îber die Herkunft seines Gînstlings hinwegzutuschen. Das Verb velare paßt vorzîglich zu seiner heuchlerischen Persçnlichkeit. Mçglicherweise liegt in dem wçrtlich zitierten Ausspruch des Kaisers eine Parodie auf Cic. Phil. 6,17 vor: Quid enim non debeo vobis, Quirites, quem vos a se ortum hominibus nobilissimis omnibus honoribus praetulistis?; vgl. Keitel, 1977, 62; Koestermann ad loc.
4.3 Ann. 11,20,3 – 11,21: Die Leistungen des Curtius Rufus und seine Biographie
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zeichnungen verbunden, indem die prdikativ zu deutenden Attribute (tristi adulatione; adrogans; difficilis) eine gewisse Kausalitt suggerieren, die zu einer deutlichen Kritik an den innenpolitischen Zustnden der frîhen rçmischen Kaiserzeit gert.671 Vor allem das Stichwort der triumphi insignia schlgt den thematischen Bogen zurîck zu Corbulo und ldt den Leser erneut ein zu einem kritischen Vergleich: Whrend tîchtigen und fhigen Mnnern der verdiente abschließende Erfolg verwehrt bleibt, schaffen es kriecherische Naturen mit offensichtlicher Leichtigkeit, bis in die hçchsten ømter aufzusteigen. Taktkrftiger Mut wird anscheinend nicht besser belohnt als serviler Opportunismus.672 Daß Curtius Rufus mit seiner geistigen Haltung ein hohes Alter erreicht hat (vgl. longa post haec senecta), wundert den Leser am Ende kaum, scheint es dem Emporkçmmling doch immer gelungen zu sein, sich durch kriecherische Anpassung an die jeweiligen Verhltnisse jeglicher Gefhrdung zu entziehen. Auch in sprachlicher Hinsicht wird dieser Gedanke zum Ausdruck gebracht: „Der brachylogische Abl[ativus] qual[itatis] (Nipperdey) senecta korrespondiert mit adulatione.“673
671 Vgl. Keitel, 1977, 62. Zur Bedeutung von tristis an dieser Stelle s. Nipperdey ad loc.: „tristi adulatione: Schmeichelei unter dem Schein des Ernstes (‘ein Schmeichler mit ernstem Gesicht’).“ Pikanterweise ist diese Art der tristitia auch eines der hervorstechenden Charaktermerkmale des taciteischen Tiberius (s. Baar, 1990, 32 mit Anm. 1). 672 Vgl. Pfordt, 1998, 95: „Daß ein solcher Mensch [Curtius Rufus] von Claudius mit Corbulo auf eine Stufe gestellt wird, muß dem Leser jetzt als eine Zumutung erscheinen“; Seif, 1973, 89: „Damit erweist sich die Darstellung als Ganzes als eine Kritik am Kaiser, der die Triumphalinsignien verlieh“; Keitel, 1977, 61; 62. 673 Koestermann ad ann. 11,21,3. Ob Tacitus im Rahmen seiner kontrastierenden Darstellung auch indirekt auf das Ende des Corbulo vorausweisen wollte, wie Keitel, 1977, 63 vermutet („One suspects that Tacitus inserted Rufus’ curriculum vitae here not just to contrast it unfavorably with Corbulo’s […], but to foreshadow in part Corbulo’s eventual ruin“), erscheint mir jedoch fraglich.
5. Ann. 11,22 – 38: Die weiteren Ereignisse in Rom bis zum Tod der Messalina Mit der exkursartigen Biographie des Curtius Rufus beendet der Historiker seinen eingeschobenen Bericht îber die außenpolitischen Ereignissen in Germanien und lenkt fîr den Rest des elften Annalenbuches den Blick zurîck auf die innenpolitischen Begebenheiten in Rom. Nach kurzen Nachtrgen zum Jahr 47 (ann. 11,22) greift die Darstellung des neuen Jahres zunchst den unterbrochenen Handlungsstrang îber die Zensorenttigkeit des Claudius wieder auf (ann. 11,23 – 25) und widmet sich schließlich in relativ breiter Ausfîhrlichkeit dem dramatischen Fortgang der Messalinageschichte bis zum Untergang der Kaiserin (ann. 11,26 – 38).674
5.1 Ann. 11,22: Das mißglîckte Attentat des Nonius und der Antrag des Dolabella Tacitus kehrt zu den Ereignissen in Rom zurîck, indem er zunchst von einem mißglîckten Attentat auf den Princeps berichtet, das ein rçmischer Ritter namens Nonius in der Zwischenzeit unternommen hatte, s. ann. 11,22,1: Interea Romae, nullis palam neque cognitis mox causis, Cn. Nonius eques Romanus ferro accinctus reperitur in coetu salutantum principem. nam postquam tormentis dilaniabatur, de se non i
5.1 Ann. 11,22: Das mißglîckte Attentat des Nonius
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tigen Auge alle Mißstnde der Claudius-Regentschaft vorîberziehen, die im bisherigen Bericht des Tacitus in breiter Vielfalt dargestellt worden sind, und allesamt fîr eine Atmosphre der Unzufriedenheit und Mißstimmung gegen den Kaiser gesorgt haben kçnnten. Da der Attentter ein Angehçriger des ordo equester ist, mag man hierbei vor allem die Unrechtsprozesse gegen rçmische Ritter (s. ann. 11,4 f.) denken;676 doch auch das schamlose und intrigante Treiben der Messalina oder die innenund außenpolitischen Mißgriffe des Princeps geraten bei weiterer Suche durchaus ins Blickfeld des fragenden Lesers. Auf diese Weise wird zu Beginn des wiederaufgenommenen Erzhlstranges îber die stadtrçmischen Ereignisse subtil und unaufdringlich an die Probleme erinnert, welche den Prinzipat des Claudius bislang charakterisiert haben. Wenn Tacitus weiterhin den Umstand, daß Nonius unter grausamster Folter – man beachte hierbei die drastische Formulierung tormentis dilaniabatur, welche im Leser zustzlich Abscheu erregt677 – seine eigene Schuld zwar eingestand, aber keine Mitwisser preisgab mit dem nachgetragenen und betont ans Ende gerîckten Kolon incertum an occultans kommentiert, suggeriert er bei ußerer Objektivitt, daß der Mordversuch keineswegs nur der Plan eines verwegenen Einzelgngers war, sondern daß der Attentter in Verbindung zu oppositionellen Gruppierungen gestanden haben muß. Die Mißstimmung gegen Claudius scheint somit von anderen Menschen geteilt zu werden und innerhalb der rçmischen Bevçlkerung auf einer breiteren Basis zu beruhen. Das in diesem Sinne aussagekrftige Partizip occultans beschließt den kurzen Bericht îber den vereitelten Anschlag auf das Leben des Kaisers und vermag daher im Gedchtnis des Lesers nachzuwirken. In diese nachdenkliche und kritische Stimmung versetzt, vernimmt man nun den weiteren Bericht des Historikers, der einen Antrag des P. Dolabella zum Inhalt hat, wonach in Zukunft die neugewhlten Qustoren eines jeden Jahres auf eigene Kosten ein Gladiatorenspiel abhalten sollten, s. ann. 11,22,2: Isdem consulibus P. Dolabella censuit spectaculum gladiatorum per omnes annos celebrandum pecunia eorum, qui quaesturam adipiscerentur. Direkt im Anschluß lßt der Historiker durchblicken, was er von dem Antrag hlt. Ein Vergleich mit den Sitten der Vorfahren dient
676 Vgl. Seif, 1973, 92. 677 Vgl. Keitel, 1977, 63.
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ihm dabei als Kontrastmittel,678 s. ann. 11,22,3: apud maiores virtutis id praemium fuerat, cunctisque civium, si bonis artibus fiderent, licitum petere magistratus; ac ne aetas quidem distinguebatur, quin prima iuventa consulatum et dictaturas inirent. Indirekt erhebt Tacitus den Vorwurf, daß das Qustorenamt durch den Antrag des Dolabella kuflich geworden sei. Denn nicht mehr Tugend oder Eignung wie in frîherer Zeit, sondern das private Vermçgen rîckt nunmehr als Vorbedingung zu seiner Bekleidung in den Vordergrund. Wer sich die teuren Spiele zu Beginn der Qustur nicht leisten kann, dem ist der Einstieg in den cursus honorum kînftig von vorneherein verwehrt. Die positiv besetzten Begriffe virtus und bonae artes treten in Konkurrenz zu pecunia, wodurch ein krasser Werteverfall gekennzeichnet wird. Der Vergleich mit der Vergangenheit mîndet sodann in einen bei der Kçnigszeit ansetzenden Exkurs zur Entwicklung der Qustur, der îber mehrere Stationen luft und dabei eine schrittweise erfolgte Degeneration beschreibt, s. ann. 11,22,4 – 6: sed quaestores regibus etiam tum imperantibus instituti sunt, quod lex curiata ostendit ab L. Bruto repetita. mansitque consulibus potestas deligendi, donec eum quoque honorem populus mandaret. creatique primum Valerius Po
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tamen … gratuito concedebatur).679 Zu dieser Aussage steht, durch Assonanz besonders hervorgehoben, die auf den Antrag des Dolabella bezogene Aussage velut venundaretur in effektvollem Gegensatz, kehrt durch diesen Kontrast das Ungeheuerliche des nun ergangenen Beschlusses eindringlich hervor und bildet das betonte Ende der Ausfîhrungen.680 Auffllig ist, daß Tacitus an dieser Stelle entgegen seiner sonstigen Intention nicht auch Claudius zum Zielpunkt seiner Kritik erklrt, sondern seine Mißbilligung lediglich gegen den Antragsteller des neuen Gesetzes richtet.681 Seif hat vermutet, daß der Grund hierfîr mçglicherweise in der ablehnenden Haltung des Historikers gegenîber der Person des Dolabella zu suchen sei, der bereits unter Tiberius durch îbermßige Schmeichelei gegenîber dem Kaiser aufgefallen war (s. ann. 3,47,3; 3,69,1) und sich an der schndlichen Anklage gegen Quintilius Varus beteiligt hatte (s. ann. 4,66,2).682 Doch scheint es mir fîr Tacitus noch einen anderen triftigen Grund zu geben, den ansonsten bei jeder sich bietenden Gelegenheit geschmhten Claudius an dieser Stelle zu schonen. Wie wir noch sehen werden, ist der Historiker in den kommenden zwei bis drei Kapiteln darum bemîht, im Zusammenhang mit der von ihm gebilligten und von Claudius herbeigefîhrten Entscheidung zur Aufnahme von Galliern in den Senat (ann. 11,23 f.) ein mçglichst positives Bild des Kaisers zu entwerfen. Vermutlich htte eine unmittelbar zuvor erfolgte herbe Kritik auch an Claudius einen allzu starken Bruch bedeutet, der die Darstellungsabsicht des Tacitus empfindlich gestçrt htte.683 Hierzu fîgt sich der bereits erwhnte Umstand, 679 Vgl. Seif, 1973, 93. 680 Vgl. Koestermann ad loc. 681 Seif, 1973, 94 weist auf den Parallelbericht Suetons hin, der ausdrîcklich den Kaiser als Verantwortlichen benennt, s. Suet. Claud. 24,2: collegio quaestorum pro stratura viarum gladiatorium munus iniunxit (sc. Claudius). Außerdem geht aus dem Bericht des Biographen hervor, daß die Vergabe des Qustorenamtes bereits zuvor an eine bestimmte Gegenleistung, nmlich die Pflasterung der Straßen, gebunden war, die durch die nun beschlossene Ausrichtung von Gladiatorenspielen lediglich ersetzt wurde. „Damit wird der Kritik des Tacitus […] der Boden entzogen“ (Seif, 1973, 94); vgl. Koestermann ad ann. 11,22,2. 682 S. Seif, 1973, 94. 683 Die mehrfach vorgetragene Ansicht Keitels, 1977, 63; 64; 66 (vgl. Wille, 1983, 486), wonach der positive Eindruck, den die Kapitel ann. 11,23 f. von Claudius vermitteln, durch die vorangegangene Darstellung (ann. 11,21 f.) gewissermaßen relativiert werde [a.a.O. 64: „With perfect unawareness, Claudius fosters the fortunes of the Senate (11,24 – 25), while putting the quaestorship, the office that insured entry into the Senate, up for sale“] vermag ich nicht zu teilen.
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daß Tacitus seinen Bericht îber die Zensur des Claudius in zwei Abschnitte unterteilt hat, die durch die Darstellung der außenpolitischen Ereignisse voneinander getrennt werden. Fîr diese Komposition mag neben chronologischen Erwgungen684 auch die Absicht eine Rolle gespielt haben, den ersten Teil der Claudius-Zensur, der ein skurril-lcherliches Zerrbild des Kaisers bietet, von dem von Ernst und Entscheidungskraft des Princeps geprgten zweiten Teil (s. u.) abzusondern und auf diese Weise den hier gegebenen Gegensatz abzumildern.685 Es mag zwar sein, daß Tacitus diesen Gegensatz in einem gewissen Maße ganz bewußt erzeugt hat, um gleichsam auf indirektem Wege den ambivalenten und oft widersprîchlichen Charakter des Claudius hervorzuKeitel îbersieht bei ihrer Analyse des Kapitels ann. 11,22 – hnlich wie Devillers, 1994, 291 f. – die so wichtige Tatsache, daß im Bericht des Tacitus eben nicht Claudius, sondern allein Dolabella kritisiert wird. Htte Tacitus tatschlich einen relativierenden Effekt auf die folgenden Kapitel erzielen wollen, so htte er doch ganz bestimmt auch Claudius mit dem Antrag des Dolabella in Verbindung gebracht (vgl. dagegen ann. 13,5,1, wo das entsprechende Gesetz ausdrîcklich zu den acta Claudii gerechnet wird). Der fehlende Bezug zum Kaiser in ann. 11,22,2 – 6 ist um so aufflliger, als der Historiker fîr die gelehrten Einzelheiten des Exkurses mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit gerade auf øußerungen des Princeps selbst zurîckgegriffen hat, die dieser im Rahmen des Dolabella-Antrages gettigt haben mag; s. hierzu Koestermann ad ann. 11,22,3; Syme, 1958, 704 f.; 708 f. 684 Der erste Teil (ann. 11,13 – 15) gehçrt dem Berichtsjahr 47, der zweite Teil (ann. 11,23 – 25) hingegen dem Jahr 48 an. Doch scheint Tacitus auch hierbei die Chronologie nicht allzu streng beachtet zu haben; vgl. Koestermann ad ann. 11,13,2 (zum Bau der Wasserleitung der Jahre 47 – 52): „[…] fontes … urbi intulit ist ein Vorgriff […].“; Seif, 1973, 76. 685 Zur Komposition der hier in Frage kommenden Kapitel sowie zum teilweise widersprîchlichen Claudiusbild s. insbesondere Seif, 1973, 95 f., der die Gegenstze in der Charakterdarstellung des Claudius jedoch weniger innerhalb der Zensorenttigkeit wahrnehmen mçchte als vielmehr in der Gegenîberstellung der innen- und außenpolitischen Aktivitten (a.a.O. 95): „In den beiden Berichten îber die Censur […] erscheint er [Claudius] als der ernsthafte Reformer, der kîhne Neuerer, der selbstndig seine Entscheidungen trifft, als ein Kaiser, der sich gegenîber den Senatoren auffallend rîcksichtsvoll und mitfîhlend zeigt, dessen censorische Leistungen Anlaß zur Freude fîr den ganzen Staat sind. Dieser regen und fruchtbaren Aktivitt des Kaisers in der Innenpolitik wird in dem zentral gestellten und umfangreichsten Abschnitt des Mittelteiles […] die ignavia des Kaisers in der Außenpolitik entgegengehalten.“ Unsere Analyse der Kapitel ann. 11,13 – 15 (s. o.) hat gezeigt, daß die hier von Seif geußerte Sichtweise in Bezug auf den ersten Teil der zensorischen Maßnahmen des Claudius wenig gerechtfertigt ist.
5.1 Ann. 11,22: Das mißglîckte Attentat des Nonius
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kehren, von dem auch Sueton zu berichten weiß.686 Doch ist in den folgenden Kapiteln immer wieder auch die Absicht des Historikers zu erkennen, den ‘Riß’ im Claudiusbild nicht allzu scharf in Erscheinung treten zu lassen. Wie wir sehen konnten, sind die zwischen die beiden Blçcke îber die Zensur des Claudius positionierten Kapitel alles andere als frei von Kritik: Vieles war dort zu vernehmen vom Ungeschick und Scheitern des Kaisers im Bereich der Außenpolitik, von dessen Furcht und Neid gegenîber erfolgreichen und angesehen Heerfîhrern wie Corbulo. Und auch das gegen ihn geplante Attentat lßt den Leser an die vielen Mißstnde seiner Regentschaft denken. Doch gerade das Bild des naiven und ahnungslosen, îberwiegend in antiquarische Belanglosigkeiten verliebten Zensors wurde seit ann. 11,15 nicht mehr bemîht. Was Claudius in den nun kommenden Kapiteln an weiteren, nunmehr durchweg positiven zensorischen Maßnahmen ergreift, soll mçglichst ungetrîbt in das Bewußtsein des Lesers treten.687 Daher kritisiert er mit dem Antrag des Dolabella zwar die gegenwrtigen Zustnde, nicht jedoch – zumindest nicht in offener Form – den Kaiser selbst. Diese Art der ‘Schonfrist’ ist freilich am Ende von Kapitel ann. 11,25 wieder vorbei, wenn Tacitus den Princeps gleichsam wieder von dem Sockel stçßt, auf den er ihn fîr einen kurzen Moment selbst gehoben hat.
686 Dies meint Keitel, 1977, 54; vgl. Griffin, 1990, 483 f; Suet. Claud. 15,1: in cognoscendo autem ac decernendo mira varietate animi fuit (sc. Claudius), modo circumspectus et sagax, interdum inconsultus ac praeceps, nonnumquam frivolus amentique similis; 16,1: Gessit et censuram intermissam diu post Plancum Paulumque censores, sed hanc quoque inaequabiliter varioque et animo et eventu. Mit Bezug auf die antiquarischen Interessen des Kaisers, die bald lcherlich, bald (in ann. 11,24; s. u.) nîtzlich erscheinen, sagt Keitel a.a.O.: „Rather than telling the reader of Claudius’ own inconsistency […], Tacitus shows us the emperor applying the same methodology to matters great and small, sometimes appropriately and sometimes not“; in eine hnliche Richtung zielen ihre Aussagen a.a.O. 65 f. 687 Die Grînde hierfîr sollen gegen Ende der Analyse des folgenden Kapitels noch genauer untersucht werden.
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5. Ann. 11,22 – 38: Die weiteren Ereignisse in Rom
5.2 Ann. 11,23 – 25: Die weitere Zensorenttigkeit des Claudius Die weiteren Amtshandlungen des Kaisers als Zensor betreffen fast ausschließlich den Senat. Die sinnvollen und zum Teil historisch bedeutenden Maßnahmen stoßen dabei auf die deutliche Zustimmung des Tacitus, deren genaue Hintergrînde noch zu erçrtern sein werden. Im Mittelpunkt der drei folgenden Kapitel steht der von den fîhrenden Mnnern der sogenannten Gallia Comata gestellte Antrag zur Aufnahme in den Senat, îber den Tacitus in Form der diesbezîglichen vor dem Kaiser und in der Kurie ergangenen Debatte berichtet. Bereits die kompositorische Anordnung des Stoffes ist ein Hinweis auf die Sympathien des Tacitus: Den zuerst ausgefîhrten Argumenten der Antragsgegner (ann. 11,23) steht die etwa doppelt so lange und an die starke zweite Position gesetzte Gegenrede des Claudius gegenîber (ann. 11,24),688 die in der Forschung viel Beachtung gefunden hat, seit im Jahr 1528 das in Fragmenten erhaltene Original auf einer Bronzetafel in Lyon entdeckt worden ist.689 øhnlich wie beim ‘Totengericht’ îber 688 Vgl. Seif, 1973, 82 f. 689 CIL XIII 1668 (=Dessau 212). Hierzu immer noch grundlegend ist das Werk von P. Fabia: La table claudienne de Lyon, Lyon 1929. Zu den recht unterschiedlichen Urteilen îber Art und Grad der Benutzung durch Tacitus s. Koestermann ad ann. 11,24,1 / 11,24,7 (jeweils mit weiterfîhrender Literatur). Auf einen detaillierten Vergleich zwischen der taciteischen Claudiusrede und den erhaltenen Teilen des Originals, dessen wesentliche Punkte die bisherige Forschung bereits herausgestellt hat, muß an dieser Stelle verzichtet werden (s. hierzu in neuerer Zeit sehr ausfîhrlich Devillers, 1994, 197 – 203; vgl. M. v. Albrecht: Meister rçmischer Prosa von Cato bis Apuleius, Tîbingen, Basel 31995, 164 – 189; einen raschen vergleichenden berblick vermitteln M. Griffin: The Lyons Tablet and Tacitean Hindsight, CQ 32, 1982, 404 – 418; hier 408 – 411 sowie N. P. Miller: The Claudian Tablet and Tacitus: A Reconsideration, RhM 99, 1956, 304 – 315). Im folgenden wird auf die Inschrift lediglich insoweit Bezug genommen, als es fîr unsere Thematik der Leserlenkung von besonderem Interesse ist. Innerhalb der Literatur hervorzuheben ist die grundlegende Analyse von F. Vittinghoff: Zur Rede des Kaisers Claudius îber die Aufnahme von „Galliern“ in den rçmischen Senat, Hermes 82, 1954, 348 – 371, der auf die teilweise recht erheblichen Unterschiede zwischen den beiden Redeversionen sowie auf die generellen Schwierigkeiten hinweist, die sich einem fruchtbaren Vergleich in den Weg stellen (a.a.O. 362 ff.). Zudem betont er die Mçglichkeit, „daß Tacitus nach den damals verbindlichen historiographischen Gesetzen die Originalrede nicht nachschlug, sondern lediglich eine schon umstilisierte Rede, wie er sie bei einer historiographischen Quelle, die ihrerseits die acta [senatus]
5.2 Ann. 11,23 – 25: Die weitere Zensorenttigkeit des Claudius
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Augustus prsentiert Tacitus auf diese Weise ußerlich objektiv ‘beide Seiten der Medaille’, erçrtert das behandelte Thema in utramque partem, ohne jedoch am Ende einen Zweifel daran zu lassen, welche Argumentation in seinen Augen die ‘richtige’ ist.690 Tacitus erçffnet die neue Thematik mit einer kurzen Einleitung, welche den îbergeordneten Rahmen fîr die anschließende Darstellung in Rede und Gegenrede abgibt und gleichzeitig den Beginn des neuen Berichtsjahres markiert, s. ann. 11,23,1: A. Vitellio L. Vips
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des Kapitels ergangenen Einleitung des Tacitus tritt aus diesen Zeilen eine sentimental bestimmte Abwehrhaltung hervor, die kein einziges sachlich begrîndetes Argument gegen die debattierte Neuerung fîr sich in Anspruch nehmen kann. In larmoyantem Ton wird das Idealbild einer ruhmvollen republikanischen Vergangenheit und einer alten Verfassungstradition heraufbeschworen, das angesichts der herrschenden politischen Rahmenbedingungen des frîhen Prinzipats, an die durch das verrterische quin adhuc (‘ja sogar heute noch’) ebenso beilufig wie subtil erinnert wird, dem Leser als îberholt, illusorisch und vçllig fehl am Platze erscheinen muß. In drastischen Formulierungen wird eine eigenartige Abgrenzung vorgenommen zwischen dem als vorbildhaft geschilderten ‘Urrçmischen’ (indigenae, Romana indoles) und dem als Bedrohung angesehenen ‘Fremden’ (alienigenae), das bereits mit der Aufnahme von Insubrern und Venetern regelrecht in den Senat eingebrochen sei (curiam inruperint) und nun mit dem bevorstehenden Einzug nichtitalischer Senatoren gleichsam eine Gefangenschaft (captivitas) mit sich bringen werde.691 Das hierbei verwendete Substantiv coetus entfaltet in vollem Umfang seinen oft abwertenden Sinn, der etwa mit ‘Zusammenrottung (îbler Elemente)’ oder ‘Auflauf ’ îbersetzt werden kann.692 Es fllt dem Leser schwer, diesen rîhrseligen Ressentiments etwas Stichhaltiges abzugewinnen, zumal die eigentliche Triebfeder dieser ‘Einwnde’ nicht lange im Verborgenen bleibt: Allzu deutlich sprechen Neid und kleinmîtiges 691 Zum Verstndnis der Ausdrucksweise an parum quod … nisi s. Nipperdey ad loc.: „‘Oder sei es etwa nicht genug, daß – ? Mîßte auch noch – ?’“; vgl. Koestermann ad loc.: „Auf das schon stark metaphorische inruperint […] folgt mit affektierter Steigerung der Inhalt des nisi-Satzes.“ Die meisten Herausgeber (auch Heubner) ndern das îberlieferte coetus zu coetu (Ritter). Coetus als Subjekt verleiht dem gesamten Gedankengang der Passage durch die Parallelitt der Formulierungen Veneti et Insubres … inruperint / coetus … inferatur jedoch viel mehr Durchschlagskraft (inferri im Sinne von ‘eindringen’ ist nach inrumpere ein weiterer Begriff der Militrsprache; vgl. ann. 2,17,3: simul pedestris acies infertur…; ferner Liv. 31,37,3; 33,15,6) und lßt sich halten, wenn man im folgenden captivitas als prgnanten Ausdruck versteht: „Ursache fîr Gefangenschaft“; vgl. Furneaux ad loc., der ebenfalls an coetus festhlt und îbersetzt: „‘the condition of a captured city’ (cp. 13. 25, 2), governed by an alien race (on the supposition that the new senators would swamp the old).“ Die von Koestermann fîr den Erhalt von coetus als notwendig erachtete konkrete Auflçsung von captivitas als „fremdes Gesindel von Gefangenen, die auf uns losgelassen werden“ (vgl. Orelli – zitiert bei Furneaux ad loc.) ergibt keinen befriedigenden Sinn. 692 S. ThLL III, Sp. 1440, 33 ff. (unsere Stelle dann 1443, 33 f.); vgl. OLD s. v. coetus.
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Konkurrenzdenken aus der anschließend vorgebrachten Frage, welche Ehre denn noch fîr die verbliebenen (romstmmigen) Adligen oder einen ‘bedîrftigen’ Senator aus Latium verbleibe, wobei das Attribut pauper in Anbetracht des gewaltigen senatorischen Mindestzensus eine fîr jedermann erkennbare maßlose Verzerrung der Realitt darstellt.693 Die Animositten gegen die alienigenae erreichen schließlich ihren Hçhepunkt, wenn die Sprecher am Ende ihrer Ausfîhrungen die alte, lngst der geschichtlichen Vergangenheit angehçrende Feindschaft zwischen Rçmern und Galliern beschwçren und damit nichts anderes als ihre vçllige Hilflosigkeit verraten, s. ann. 11,23,4: oppleturos omnia divites illos, quorum avi proavique hostilium nationum duces exercitus nostros ferro vique ceciderint, divum Iulium apud Alesiam obsederint. recentia haec: quid si memoria eorum oreretur, qui
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richtet Tacitus weiter und leitet mit diesen Worten îber zu der nun in direkter Form (!) wiedergegebenen Rede des Kaisers,697 s. ann. 11,24,1: His atque talibus haud permotus princeps et statim contra disseruit et vocato senatu ita exorsus est: … In einer fîr den Leser ganz ungewohnten Art und Weise wird der ansonsten als schwach und leicht beeinflußbar geschilderte Claudius hier als selbstsicherer und entschlossener Princeps prsentiert, der sich unbeirrt und tatkrftig fîr seine berzeugungen engagiert.698 Es ist sicherlich nicht allein dem Effekt einer wirkungsvollen Assonanz geschuldet, daß der Historiker an dieser Stelle Claudius nicht namentlich erwhnt, sondern ihn unter Verwendung der ‘offiziellen’ Kaisertitulatur princeps in Aktion treten lßt, wird doch auch auf diese Weise ein allzu starker Kontrast innerhalb der Charakterdarstellung des Kaisers vermieden.699 Der gedrngte Partizipialstil (haud permotus princeps / vocato senatu) bringt zusammen mit dem gleichsam gedoppelten Auftreten des Kaisers (et statim … et vocatu senatu) dessen unverdrossene und energische Reaktion eindringlich zum Ausdruck.700 Ohne weitere Umschweife folgt nun die Gegenrede, in der sich Claudius zunchst auf seine eigenen Vorfahren bezieht, s. ann. 11,24,1: … ‘maiores mei, quorum antiquissimus Clausus origine Sabina simul in civitatem Romanam et in familias patriciorum adscitus est, hortantur uti paribus consiliis in re publica capessenda, transferendo huc quod usquam egregium fuerit. Indem der Kaiser an seinen ltesten Vorfahren Attus Clausus erinnert, der trotz seiner sabinischen Herkunft zugleich in die rçmische Bîrgergemeinschaft und unter die Familien der Patrizier aufgenommen worden sei, und sich mit dieser øußerung gerade auf die rçmische Frîhzeit bezieht, welche zuvor von der Gegenseite als Idealbild beschworen worden ist, straft er deren Argumentation ein erstes Mal Lîgen. Mit dem Beispiel des Urahns der gens Claudia ist ihre Behauptung, daß zur Zeit der alten Republik die mit Rom verwandten Stmme sich mit stadtrçmischen Senatoren zufrieden gegeben htten (s. ann. 11,23,2: suffecisse olim indigenas consan697 Es handelt sich hierbei um die einzige direkte Wiedergabe einer Rede des Claudius innerhalb der erhaltenen Annalenbîcher; s. Syme, 1958, 295; Griffin 1990, 484. 698 Vgl. Seif, 1973, 81 f.; Griffin, 1982, 418. 699 Wie befremdlich htte hingegen die Junktur haud permotus Claudius auf einen Leser des Tacitus wirken mîssen! 700 Vgl. U. Schillinger-Hfele: Claudius und Tacitus îber die Aufnahme von Galliern in den Senat, Historia 14, 1965, 443 – 454, hier 449: „Dabei ist der Szenenwechsel so beilufig erwhnt (vocato senatu), daß der Eindruck unmittelbar aufeinanderfolgender Rede und Gegenrede erhalten bleibt.“
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guineis populis, nec paenitere veteris rei publicae) offensichtlich widerlegt.701 Der Hinweis auf seine eigene Abstammung bietet dem Leser zugleich die Erklrung fîr sein eifriges Eintreten fîr die Sache der Gallier. Der Kaiser fîhlt sich durch seine Vorfahren dazu verpflichtet, denselben Prinzipien in der Staatsfîhrung zu folgen (maiores mei … hortantur). Der Grundsatz, was irgendwo ausgezeichnet gewesen ist, nach Rom in den Senat (huc) zu holen,702 ist in der Sache durch qualitative Kriterien gut begrîndet: Fhige Senatoren, gleich welcher Herkunft (vgl. quod usquam egregium), kçnnen dem Staat doch nur von Nutzen sein. Souvern îbertrgt der Kaiser nun in seiner weiteren Rede das durch seine eigene Ahnen gegebene Exempel zunchst auf andere große und altehrwîrdige Familien Roms, um dann den verhandelten Sachverhalt geographisch immer weiter auszudehnen, erst auf verschiedene Landschaften Italiens, dann auf Italien selbst und schließlich auf die Provinzen, s. ann. 11,24,2 – 3: neque enim ignoro Iulios Alba, Coruncanios Camerio, Porcios Tusculo, et ne vetera scrutemur, Etruria Lucaniaque et omni Italia in senatum adscitos, postremo ipsam ad Alpes promotam, ut non modo singuli viritim, sed terrae, gentes in nomen nostrum coalescerent. tunc solida domi quies703 et adversus externa floruimus, cum Transpadani in civitatem recepti, cum specie deductarum per orbem terrae legionum additis provincialium validissimis fesso imperio subventum est. num paenitet Balbos ex Hispania nec minus insignes viros e Gallia Narbonensi transivisse? manent posteri eorum nec amore in hanc patriam nobis concedunt. Nachdem sich Claudius insbesondere durch seinen Verweis auf die Herkunft der Iulii, Coruncanii und Porcii als sachkundiger Fachmann auf antiquarischem Gebiet ausgewiesen hat (man beachte die Litotes neque enim ignoro), behandelt er in chronologischer Reihenfolge die schrittweise erfolgte Ausweitung des rçmischen Bîrgerrechts von dem engeren Umkreis Roms bis hin zu den Alpen und darîber hinaus, betont das dadurch bewirkte Zusammenwachsen Italiens und des rçmischen Bundesgebietes nach innen sowie die durch die Einbeziehung gerade der krftigsten Elemente der 701 Vgl. Schillinger-Hfele, 1965, 451; die Zugehçrigkeit zu den Patriziern war in frîhrepublikanischer Zeit die Voraussetzung fîr die senatorische ømterlaufbahn. 702 huc steht an dieser Stelle fîr in hanc curiam, wie D. Flach: Die Rede des Claudius de iure honorum Gallis dando, Hermes 101, 1973, 313 – 320 (hier 318) gegenîber einer Deutung von Schillinger-Hfele, 1965, 451 îberzeugend dargelegt hat. 703 An dieser Stelle weiche ich von der Interpunktion Heubners (Semikolon hinter quies) ab; die Grînde wird die folgende Analyse geben.
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Provinzen in die rçmischen Legionen gewonnene Strkung des bereits erschçpften Reiches nach außen. Damit entkrftet er die von den Antragsgegnern vorgebrachten Argumente, die ja gerade eine angebliche Schwchung des Gemeinwesens durch den coetus alienigenarum (ann. 11,23,3) geltend machen wollten (velut captivitas inferatur). Dabei zeichnet sich die Darstellung des Tacitus durch eine besondere Dichte aus: In der Formulierung in nomen nostrum coalescerent kollidiert die Prposition in leicht mit dem Prfix des nachfolgenden Verbums (co-). Auf diese Weise werden ein Hinein- und ein Zusammenwachsen zugleich ausgedrîckt.704 Der folgende Satz bietet dem Verstndnis Schwierigkeiten, die manche Herausgeber zu einer starken Interpunktion hinter quies veranlaßt haben.705 Da auf den ersten Blick daß einleitende Kolon tunc solida domi quies aus inhaltlichen Grînden nicht zu dem folgenden cumSatz zu passen scheint, soll es davon abgetrennt und auf die vorhergehende Aussage bezogen werden. Dieser Eingriff scheint jedoch nicht nçtig zu sein, wenn man die gesamte Aussage tunc solida domi quies et adversus externa floruimus als zusammenfassenden Rîckbli ck auf die inneren und ußeren Verhltnisse auffaßt: ‘Damals herrschte Ruhe im Innern und Sicherheit nach Außen, nachdem die Transpadaner eingebîrgert und dem Reich in Gestalt der îber den Erdkreis entsandten Legionen, in denen nunmehr auch die krftigsten Mnner provinzialer Herkunft dienten, neue Kraft eingeflçßt worden war.’706 Das vorzeitige Partizip Perfekt deductarum (nicht deducendarum!) kann als weiteres Indiz fîr eine rîckblickende Aussage angesehen werden. Die rhetorisch zu wertende Frage, ob man sich etwa der aus Spanien stammenden Balbi707 schmen mîsse (num paenitet Balbos … transivisse) erinnert 704 S. v. Albrecht, 31995, 183, der hier von einer „berlagerung zweier Vorstellungen“ spricht. 705 So namentlich Heubner und Koestermann, die beide ein Semikolon hinter quies setzen und hierin einem von Syme, 1958, 803 geußerten Vorschlag folgen. 706 Vgl. Schillinger-Hfele, 1965, 451, die das durch tunc eingeleitete Kolon offenbar als Folge begreifen mçchte: „die Einbeziehung der Transpadana in das Bîrgerrecht hat gerade eine Epoche innerer und ußerer Stabilitt gebracht (tunc solida domi quies … recepti).“; Nipperdey und Furneaux ad loc. Die von Flach, Hermes 101, 1973, 319 f. vorgetragene Interpretation des Satzgefîges, die auf der Annahme einer chiastischen Satzstruktur beruht, scheint mir zu spitzfindig und kompliziert zu sein, als daß sie der Darstellungsabsicht des Tacitus gerecht werden kçnnte. 707 Gemeint sind an dieser Stelle L. Cornelius Balbus aus Gades, der von Pompeius das Bîrgerrecht erhalten hatte und im Jahr 40 v. Chr. als erster Auslnder Konsul war, sowie dessen Neffe, dem als ersten Nichtrçmer ein Triumph bewilligt
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sprachlich an die Formulierung der Gegenseite, die ausgesagt hatte: … nec paenitere veteris rei publicae (ann. 11,23,2).708 Die allgemeine berlegung, daß man sich vergangener Zeiten durchaus positiv erinnern dîrfe, kann offenbar von beiden Seiten fîr die jeweilige Argumentation in Anspruch genommen werden, wobei die konkreten øußerungen des Kaisers, der mit der namentlichen Nennung der Cornelii Balbi zumindest ein greifbares Beispiel fîr eine erfolgreiche Ausweitung des ius honorum anfîhren kann, mehr berzeugungskraft besitzen als der sehr abstrakte Bezug auf eine vetus res publica. Außerdem seien, so lßt der Princeps desweiteren sinngemß verlauten, auch aus anderen Provinzen wie der Gallia Narbonensis fhige Mnner nach Rom gelangt, deren Nachkommen noch lebten und in ihrer Liebe zum Vaterland den inzwischen eingefleischten Stadtrçmern (nobis) nicht nachstînden. Es besteht demnach îberhaupt kein triftiger Grund, so mag der Leser jetzt bereits folgern, das bewhrte Erfolgsrezept nicht auch auf weitere Teile des Reiches anzuwenden. Doch begnîgt sich der Kaiser nicht mit der bloßen sachlichen Widerlegung der gegnerischen Argumente. Darîber hinaus ist er bemîht, an den historischen Beispielen der Lakedaimonier und Athener aufzuzeigen, daß die konsequente Ausgrenzung auslndischer Elemente fîr einen Staat nicht einfach nur tçricht und unvorteilhaft sei, sondern trotz aller militrischer Strke sogar zu einer existenziellen Gefhrdung der gesamten politischen Ordnung geraten kçnne, s. ann. 11,24,4: quid aliud exitio Lacedaemoniis et Atheniensibus fuit, quamquam armis pollerent, nisi quod victos pro alienigenis arcebant? at conditor nostri Romulus tantum sapientia valuit, ut plerosque populos eodem die hostes, dein cives habuerit. advenae in nos regnaverunt; libertinorum filiis magistratus mandare non, ut plerique falluntur, repens, sed priori populo factitatum est. Durch das Stichwort der alienigenae wird auf sprachlicher Ebene eine nicht zu îbersehende Verbindung zu den øußerungen der Vorredner hergestellt (vgl. erneut ann. 11,23,3: coetus alienigenarum). Dem Leser soll in aller Deutlichkeit bewußt werden, daß der hier aufgezeigte historische Fehler der Lakedaimonier und Athener gleichzeitig auch der Fehler ist, den die Gegner der beantragten Neuerung nun im Begriff sind zu wiederholen. Ausgerechnet diejenigen, die sich zuvor als Beschîtzer des Gemeinwesens aufgeschwungen haben, erscheinen somit als die eigentlichen Triebkrfte eines drohenden machtpolitischen Niedergangs. Diese ironische Entlarwurde; s. Koestermann ad loc. Beide Personen tauchen im Original der Rede nicht auf; s. hierzu weiter unten Anm. 738. 708 Vgl. Schillinger-Hfele, 1965, 451.
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vung der Gegenseite wird im folgenden noch weiter getrieben, wenn Claudius dem Versagen der beiden griechischen Poleis die kluge Praxis des rçmischen Staatsgrînders entgegenhlt, der die meisten Vçlker an ein und demselben Tag zunchst als Feinde, dann als Bîrger betrachtet habe. Denn durch den Verweis auf Romulus wird die Integration fremder Vçlkerschaften in das Gemeinwesen mit den ersten Ursprîngen Roms verknîpft und somit zu einem typischen Zug gerade der ‘urrçmischen’ Sitten und Verhaltensnormen erklrt, welche die Verfechter des tugendhaften priscus mos (vgl. ann. 11,23,2) doch so sehr auf ihre Fahnen geschrieben haben. Es hat an dieser Stelle ganz den Anschein, als seien ihre diesbezîglichen øußerungen ohne eine tatschliche Kenntnis der rçmischen Frîhgeschichte erfolgt und daher schlichtweg unzutreffend gewesen. Dieser Eindruck wird im weiteren Verlauf der Rede verstrkt: Belehrend klrt sie der Kaiser darîber auf, daß Rom bereits zu Beginn von Fremden (advenae) regiert worden sei und daß es sich bei der Vergabe von ømtern an die Sçhne Freigelassener nicht erst um eine erst kîrzlich ergangene Regelung handle, wie die meisten (plerique) irrtîmlicherweise glaubten, sondern um eine bereits zur Zeit der ølteren (priori populo) îbliche Verfahrensweise.709 Die lngst gngige Praxis in der Ausweitung des ius honorum wird durch das Frequentativum factitare sinnfllig gemacht.710 Alle die von Claudius angefîhrten Details scheinen die Antragsgegner bei ihrer nunmehr oberflchlich und ignorant anmutenden Argumentation außer Acht gelassen zu haben. Fîr den Leser sind sie von nun an zu den unwissenden plerique zu zhlen, die vçllig irrigen Vorstellungen anhngen und deshalb nicht in der Lage sind, in der hier debattierten Frage ein sachgerechtes Urteil zu fllen. Anschließend wendet sich Claudius gegen das von der Gegenseite aufgebaute Feindbild der Gallier, s. ann. 11,24,5 – 6: at cum Senonibus 709 Vgl. Koestermann ad loc.: „Mit priori populo lenkt Tacitus das Augenmerk auf die alte Republik […].“ Keitel, 1977, 68 ist der Ansicht, daß der Hinweis auf die libertinorum filii, der keine Entsprechung in der Originalrede des Kaisers findet (vgl. Griffin, 1982, 410; Miller, 1956, 312), ein versteckter Seitenhieb des Tacitus auf die machtvolle Position der Freigelassenen am Hof des Claudius sei; vgl. K. Wellesley: Can you trust Tacitus?, Greece&Rome N.S. 1, 1954, 13 – 33; hier 27. Zutreffender interpretiert m. E. v. Albrecht, 31995, 184 die Stelle: „Auf diese Zuspitzung [Sçhne von Freigelassenen erhalten Staatsmter] hatte Tacitus schon zuvor hingearbeitet, als er die Verwandlung der Feinde in Bîrger sich innerhalb eines Tages vollziehen ließ. Solche Flle sollen als dunkler Hintergrund die Harmlosigkeit der augenblicklichen Maßnahme hervortreten lassen.“ 710 S. v. Albrecht, 31995, 184.
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pugnavimus: scilicet Vulsci et Aequi numquam adversam nobis aciem instruxere. capti a Gallis sumus: sed et Tuscis obsides dedimus et Samnitium iugum subiimus. ac tamen, si cuncta bella recenseas, nullum breviore spatio quam adversus Gallos confectum: continua inde ac fida pax. iam moribus artibus adfinitatibus nostris mixti aurum et opes suas inferant potius quam separati habeant. Durch den rhetorischen Kunstgriff der Occupatio greift der Kaiser zunchst die letzten noch bestehenden Einwnde seiner Gegner auf, wobei eine „unmittelbare Kontrastierung von Behauptung und Gegenargument“711 eine einprgsame, gleichsam Punkt fîr Punkt erfolgte Widerlegung erzielt: Der Bemerkung, daß man gegen den gallischen Stamm der Senonen habe kmpfen mîssen, hlt der Kaiser in beißender Ironie entgegen, daß andere, italische Vçlkerschaften wie die Volsker und Aequer ‘freilich niemals’ gegen Rom die Waffen erhoben htten.712 Jedem antiken Leser dîrften die schweren Kmpfe, die Rom whrend seiner frîhrepublikanischen Phase gerade gegen die beiden hier erwhnten Stmme durchzustehen hatte, allein schon aus der berîhmten Sage um Coriolan bestens bekannt gewesen sein.713 Danach wird durch die Formulierung capti a Gallis sumus die von den Antragsgegnern erwhnte schmachvolle Einnahme des Kapitols (vgl. ann. 11,23,4) aufgegriffen, jedoch sofort mit Beispielen großer Demîtigungen pariert, welche die Rçmer gegen die Etrusker und vor allem gegen die Samniten erlitten haben.714 Die Erinnerung an Lars Porsenna, auf dessen Wirken 711 Koestermann ad loc.; vgl. v. Albrecht, 31995, 184 f. 712 Vgl. Schillinger-Hfele, 1965, 452; v. Albrecht, 31995, 186. 713 Zu den wechselvollen und immer wieder aufflammenden Kmpfen der Rçmer gegen Volsker und øquer im 5. und 4. Jh. v. Chr. vgl. G. Radke: Volsci, RE 9, A1, 1961, Sp. 773 – 827, bes. 807 – 821; M. Buonocore: Volsci, DNP 12,2, 2002, Sp. 312 – 314; Chr. Hîlsen: Aequi/Aequiculi; RE 1,1, 1893, Sp. 597 f.: „In der Geschichte treten die A[equer] von Anfang an in enger Verbindung mit den Volskern als gefîrchtete Feinde Roms auf […].“ Fîr unseren Zusammenhang besonders aussagekrftig ist eine Stelle bei Livius, welche sich auf die Zeit unmittelbar nach der Einnahme Roms durch die Gallier im Jahre 390 v. Chr. bezieht, s. Liv. 6,2,1 f: Nec diu licuit quietis consilia erigendae ex tam gravi casu rei publicae secum agitare. Hinc Volsci, veteres hostes, ad exstinguendum nomen Romanum arma ceperant; hinc Etruriae principum ex omnibus populis coniurationem de bello ad fanum Voltumnae factam mercatores adferebant. 714 Die Einnahme Roms wird im Original der Rede von Claudius nicht erwhnt; vgl. Miller, 1956, 311; Griffin, 1982, 406; 410 vermutet in Anlehnung an Syme, 1958, 624, daß Tacitus diesen Zusatz von sich aus eingefîgt hat, um die Gegenseite zu diskreditieren, s. Syme a.a.O.: „Anger and pathos are helped out (it happens often) by the appeal to race or history, with arguments crude, feeble, or
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der Kaiser hier mit den Worten sed et Tuscis obsides dedimus anspielt,715 sowie das Trauma der Niederlage an den Caudinischen Pssen dîrften im Bewußtsein der Zeitgenossen nicht minder schwer gewogen haben als die Einnahme Roms durch die Kelten. Damit ist gleichzeitig der Boden bereitet fîr einen entwaffnenden Vergleich: Wenn man smtliche Kriege îberdenke, so sei keiner in so kurzer Zeit beendet gewesen wie der gegen die Gallier.716 Nach dieser Argumentation, die genau dem Denkmuster der Gegenseite entspricht und daher um so schlagkrftiger ist, mîßten die Gallier also noch vor allen anderen unterworfenen Vçlkern das Recht erhalten, rçmische ømter zu bekleiden und in den Senat zu ziehen. Mit der Aussage, daß seither (d. h. seit den Feldzîgen Caesars), ununterbrochener und zuverlssiger Friede (continua inde ac fida pax) mit den Galliern herrsche,717 versucht Claudius das Bild der kriegerischen und den Rçmern feindlich gesinnten Kelten endgîltig zu zerstçren, um es anschließend durch die Betonung der mittlerweile gewachsenen Gemeinsamkeiten zwischen Rçmern und Galliern gerade in sein Gegenteil umzukehren. Das dreigliedrige Asyndeton moribus artibus adfinitatibus sowie das besonders anschauliche prdikative Partizip mixti bringen die Vielfltigkeit und den hohen Grad der bereits (iam) bestehenden Verbindungen eindringlich zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund, daß die Gallier bereits durch Sitten, Bildung und Verwandtschaftsbeziehungen mit den Rçmern gleichsam ‘vermischt’ seien, scheint deren Aufnahme in den Senat nur noch die letzte Stufe einer vçllig harmonischen Entwicklung zu sein. Hierzu paßt auch die Bemerkung des Claudius, daß die auswrtigen Mnner angesichts der engen Verquickung mit dem Rçmervolk lieber ihr Gold und ihren Reichtum in die Hauptstadt einfîhren als fîr sich allein behalten sollten. Mit diesem Argument kommt er spurious. So Tacitus intended. He made them up, to refute them majestically [mit weitere Belegen fîr die Anwendung dieser Technik in Anm. 1].“ 715 Vgl. Koestermann ad loc. 716 Die Aussage bezieht sich auf den gallischen Krieg Caesars; Nipperdey ad loc. sieht an dieser Stelle gegenîber der Originalrede des Kaisers eine gewisse Glttung durch Tacitus; vgl. Wellesley, 1954, 30 f. 717 Dabei verliert der Kaiser leicht die Wahrheit aus den Augen; vgl. Koestermann ad loc.: „Auf die Erschîtterungen durch den Sacrovir-Aufstand im J. 21 n. Chr. (zu 3,40 – 46) gehen weder Claudius noch Tacitus ein, wohl ein eindeutiger Beweis, daß letzterer hier nur die Rede des Kaisers vor Augen hatte.“ Dieser ußert sich im Original tatschlich hnlich glttend, s. CIL XIII 1668 (=Dessau 212), Col. II, 32 – 36: … si quis hoc intuetur, quod bello per decem annos exercuerunt divom Iulium, idem opponat centum annorum immobilem fidem obsequiumque multis trepidis rebus nostris plusquam expertum.
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zurîck auf den von der Gegenseite unternommen Seitenhieb gegen die divites illi (s. ann. 11,23,4) und kehrt ihn durch seinen indirekt geußerten Gedanken, daß die aus Gallien stammenden Senatoren ihren Reichtum teilen und damit dem Staat zugute kommen lassen kçnnten, fîr seine Zwecke um.718 Damit ist auch der letzte noch îbrige gegnerische Einwand entkrftet. Am Ende seiner Rede zieht der Kaiser das Fazit seiner Ausfîhrungen, das die beantragte Neuerung abermals einreiht in die lange Tradition der rçmischen Verfassungsentwicklung, s. ann. 11,24,7: omnia, patres conscripti, quae nunc vetustissima creduntur, nova fuere: plebei magistratus post patricios, Latini post plebeios, ceterarum Italiae gentium post Latinos. inveterascet hoc quoque, et quod hodie exemplis tuemur, inter exempla erit.’ Indem der Kaiser aufzeigt, daß alles, was heutzutage als uralt gelte, einmal neu gewesen sei, stellt er die Aufnahme der Gallier in den Senat in die kontinuierliche Fortentwicklung des rçmischen Staates. Ein einprgsames Isokolon veranschaulicht die schrittweise erfolgte Ausweitung des ius honorum auf die einzelnen Bevçlkerungsgruppen von den Patriziern îber die Plebejer und Latiner bis hin zu den italischen Stmmen. Die Vergabe dieses Rechtes auf die Gallier erscheint vor diesem Hintergrund als der nur konsequente nchste Schritt.719 Auch dieser werde sich mit der Zeit zu etwas Altem entwickeln, und was man heute mit Beispielen verteidige, werde einst selbst zu den Beispielen gehçren. Mit diesen abschließenden Bemerkungen ist den Argumenten der Gegenseite nun vollends der Boden entzogen. Die Rede des Claudius ist insgesamt geprgt von der ihm eigenen antiquarischen Gelehrsamkeit.720 Diese typische Eigenart des Kaisers, die Tacitus an vielen anderen Stellen seiner Annalen mit beißendem Spott hervortreten lßt, kommt hier ußerst positiv zur Geltung: Als Experte kennt sich Claudius in der rçmischen Geschichte bestens aus und vermag daher seine sehr emotional agierenden Gegner mit sachlich fundierten Argumenten zu widerlegen, oft sogar bloßzustellen. Aus diesem Gegensatz von subjektiver Sentimentalitt auf der einen und objektivem Sachverstand auf der anderen Seite gewinnen die Ausfîhrungen des 718 Vgl. Schillinger-Hfele, 1965, 452; zurîckzuweisen ist der von Keitel, 1977, 68 suggerierte Zusammenhang zwischen dieser Stelle und dem Bild des Tacitus von der Kuflichkeit Roms zur Zeit des Claudius; vgl. Wellesley 1954, 31. Fîr eine solche Assoziation bietet der Text keinerlei Anhaltspunkte. 719 Vgl. Schillinger-Hfele, 1965, 453. 720 Dies mag auf die (direkte oder indirekte) Heranziehung der Originalrede als Quelle zurîkzufîhren sein; vgl. die lehrreichen detaillierten Ausfîhrungen des Claudius CIL XIII 1668 (=Dessau 212), Col. I, 9 – 27.
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Kaisers wesentlich an berzeugungskraft.721 Die Rede des Claudius widerlegt die Argumente der Gegenseite Punkt fîr Punkt. So gut wie kein einziger der zuvor genannten Einwnde bleibt am Ende des Kapitelpaares unwidersprochen stehen. Die gegenstzlichen Reden scheinen exakt aufeinander zugeschnitten zu sein,722 um einen mçglichst großen Kontrast zu erzielen, der die øußerungen des Kaisers um so îberzeugender erscheinen lßt.723 Sollte Tacitus die Originalrede des Claudius als Quelle herangezogen und die Worte der Antragsgegner nicht ebenfalls den acta senatus entnommen haben, so ist es durchaus denkbar, daß er die gegnerische Position aus der tatschlich gehaltenen Rede des Kaisers gleichsam herausgelesen und seine Version der Rede darauf abgestimmt hat.724 721 Vgl. Devillers, 1994, 207 f. 722 Vgl. Seif, 1973, 81; Schillinger-Hfele, 1965, 450 – 453. 723 Vgl. Vittinghoff, 1954, 370: „Tacitus wre in der Lage gewesen, die Gegengrînde der Opposition, wenn er sie geteilt htte, îberzeugender darzulegen, als es jene Anfîhrung von lngst îberholten antigallischen und antitranspadanischen Ressentiments vermag. […] So wie es [das Urteil des Tacitus] jetzt da steht, wirkt der Widerspruch nur reaktionr und seltsam anachronistisch, fast nur wie eine Folie, von der sich die klaren und unwiderlegbaren politischen Einsichten der großartigen Kaiserrede abheben“; Griffin, 1982, 414: „The extant portion of the inscribed speech suggests that the opposition was less narrow minded than in Tacitus […].“ Somit erîbrigt sich wohl die von Devillers, 1994, 205; 206 f. aufgeworfene Frage, warum Tacitus trotz der fîr sich allein bereits îberzeugenden Rede des Claudius die Gegenseite îberhaupt zu Wort hat kommen lassen. Seine hierzu angebotene Erklrung, daß Tacitus die Opposition deshalb in seine Darstellung aufgenommen habe, um durch die Angabe von Gegengrînden die Maßnahme des Claudius zu kritisieren und das in ann. 11,24 entworfene positive Bild des Kaisers mit einem Schatten zu belegen (a.a.O. 207: „Il [Tacite] jette une ombre sur l’ initiative du prince en montrant que, toute justifi¤e qu’elle ft, elle ne faisait pas l’unanimit¤. Comme dans le r¤cit de l’avºnement de Tibºre par exemple, il cherche minimiser une circonstance favorable a l’empereur en montrant l’existence d’une opposition. Dºs lors, le discours rapport¤ en XI, 23,2 – 4 parat mis au service d’un thºme sp¤cifique, la critique de Claude […]“), geht m. E. vçllig an der Intention des Autors vorbei. Htte Tacitus das Bild des Claudius tatschlich auf diese Weise relativieren wollen, so htte er die Position der Gegenseite doch etwas weniger absurd erscheinen lassen und zudem sicherlich als Antwort auf die Ausfîhrungen des Princeps gestaltet. Zu den relativierenden Nachtrgen in Bezug auf das taciteische Tiberiusbild s. o. S. 43 ff. 724 Vgl. Devillers, 1994, 206; Griffin, 1982, 405; 414; Miller, 1956, 313, wo die Ansicht vertreten wird, daß den Argumenten der Gegner viel mehr noch durch die Originalrede des Kaisers begegnet wird: „[…] if a careful comparison is made, it will be seen that the arguments in chapter 23 are answered much more specifically by the original speech than by A. xi, 24 [ …].“ Da Tacitus im Falle der hier angenommenen Quellenlage den Inhalt der Originalrede also offenbar
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Neben den erwhnten inhaltlichen Aspekten wirken in formaler Hinsicht die Position der kaiserlichen Gegenrede an zweiter Stelle sowie deren doppelte Lnge in die von Tacitus gewînschte Richtung.725 Die in direkter Form wiedergegebenen Worte des Kaisers muten außerdem weitaus lebhafter und eindringlicher an als die in der oratio obliqua dargestellten øußerungen der Gegenseite. Am Ende des Rededuells schließt sich der Leser bereitwillig der Seite des Claudius an. Kommen wir nun zu den mçglichen Grînden, warum Tacitus den Ausfîhrungen des ansonsten ungeliebten Kaisers an dieser Stelle so ungemein positiv gegenîbersteht. Bereits Vittinghoff hat in seiner Analyse des Kapitelpaares ann. 11,23 f. bemerkt, daß die øußerungen des Claudius zweifellos die Ansichten des Tacitus widerspiegeln, und diese Feststellung mit der provinzialen Herkunft unseres Historikers verknîpft.726 Zwar liegen deren Hintergrînde bis heute im Dunkeln, doch darf an der außeritalischen Heimat des Tacitus, dessen Geburtsort womçglich sogar in Gallien (Belgica) zu suchen ist, wohl nicht mehr gezweifelt werden.727 Tacitus hatte demnach ein außerordentliches Interesse an dem in ann. 11,23 f. behandelten Fall und konnte aufgrund seines eigenen Werdeganges den Worten des Kaisers nur beipflichten.728
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auf zwei Reden aufgeteilt hat, mîssen bei einem Vergleich mit der Inschrift von Lyon unbedingt auch die Worte der Opposition herangezogen werden. Eine isolierte Betrachtung allein der (taciteischen) Claudiusrede wre fîr diese Zwecke verfehlt, wie Schillinger-Hfele, 1965, 453 zu Recht betont. S. hierzu auch Vittinghoff, 1954, 370. S. Vittinghoff, 1954, 370; 371; vgl. Seif, 1973, 82. Der von Plin. NH 7,76 genannte Ritter und Procurator der Belgica, Cornelius Tacitus, dîrfte mit großer Wahrscheinlichkeit der Vater oder Onkel unseres Historikers gewesen sein; vgl. Vittinghoff, 1954, 371. Andere Indizien wiederum deuten auf die Transpadana oder andere Regionen außerhalb des italischen Kernlandes, etwa die Gallia Narbonensis; zur ußerst strittigen Frage nach der Herkunft des Tacitus s. ausfîhrlich Syme, 1958, 611 – 624; 797 f.; vgl. St. Borzsk: P. Cornelius Tacitus. Der Geschichtsschreiber, RE-Suppl. XI, Mînchen 21978, Sp. 376 – 385. Vgl. Griffin, 1982, 418, die zustzlich auf die Zeitumstnde verweist, in denen der Historiker selbst lebte: Zur Zeit Traians und Hadrians, beide Kaiser selbst aus Spanien stammend, hatten sich tîchtige Mnner aus den Provinzen lngst in der politischen Fîhrungsschicht Roms etabliert. Der Erfolg der auch von Claudius unternommenen Anstrengungen zur Integration außeritalischer Elemente war dabei nicht zu îbersehen und konnte von keinem Historiker ernsthaft in Zweifel gezogen werden; vgl. Syme, 1958, 624. Wohl zu Recht wendet sich Griffin 1982, a.a.O. Anm. 49 gegen die von A. de Vivo geußerte Vermutung, Tacitus wolle den Philhellenismus Traians und Hadrians an den Pranger stellen, indem er
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Doch geht die Sympathie, die Tacitus der Rede des Princeps an dieser Stelle deutlich entgegenbringt, einher mit dem bereits auf kompositorischer Ebene beobachteten Bestreben, den unvermeidbaren Kontrast zu dem ansonsten negativ gezeichneten Charakterportrt des Claudius etwas abzufedern. Das îberraschend starke Engagement des Princeps wird durch den eigens angefîhrten Hinweis auf die sabinische Abstammung seines ltesten Vorfahren (ann. 11,24,1) dem Leser auf indirekte Weise begreiflich gemacht.729 Denn als Nachfahre eines Mannes nichtstadtrçmischer Herkunft konnte auch er sich von den irrationalen und fremdenfeindlichen Ressentiments der Opposition durchaus betroffen und angegriffen fîhlen. Somit ist abseits aller sachlich begrîndeten berzeugung des Princeps, die freilich ebenfalls aus der taciteischen Claudiusrede spricht, dessen energischer Auftritt in der Darstellung des Annalenautors auch durch diesen ganz persçnlichen Aspekt motiviert. Zieht man in diesem Punkt die auf uns gekommenen Fragmente der Originalrede zum Vergleich heran, so stellt man fest, daß dort der Fingerzeig des Claudius auf die eigene Genealogie gnzlich fehlt.730 Wenn er nun weder in den verlorenen Teilen der Inschrift enthalten gewesen war noch in einer der literarischen Vorlagen des Tacitus, wird man mit der Mçglichkeit rechnen mîssen, daß der Historiker den Hinweis auf die origo Sabina des claudischen Stammvaters aus eigenem Ermessen in seine Darstellung hat einfließen lassen, um mit der Erçffnung einer ganz persçnlichen Dimension gleichsam eine psychologisch begrîndete ‘Ausnahmesituation’ zu schaffen, in der Claudius stark und entschlossen auftreten kann, ohne daß hierdurch das bisherige Bild vom schwachen und lenkbaren Kaiser allzu sehr gestçrt wîrde.731 Bezeichnend ist weiin der Rede des Claudius zum einen spanische (und gallische) homines novi lobend hervortreten lßt (ann. 11,24,3), zum anderen Kritik an der griechischen Staatenwelt îbt (ann. 11,24,4). 729 S. o. S. 247. 730 Vgl. Griffin, 1982, 409; Miller, 1956, 311 f., v. Albrecht, 31995, 173 – 175, wo jeweils weitere ‘Zustze’ des Tacitus aufgefîhrt werden. Miller verweist in diesem Zusammenhang auf Liv. 4,3,14 (aus der Rede des Canuleius), die hier als mçgliche Vorlage des Tacitus (und/oder des Claudius) in Betracht kommt: Claudiam certe gentem post reges exactos ex Sabinis non in civitatem modo accepimus, sed etiam in patriciorum numerum; vgl. Koestermann ad ann. 11,24,1; Syme, 1958, 707; 710. 731 Griffin, 1982, 411 sieht den von Tacitus dargebotenen Hinweis auf Attus Clausus in seiner argumentativen Funktion begrîndet: „Tacitus retains, if he does not add, the mention of Claudius’ ancestor because he provides a prime example of how the Roman governing class was enriched by the assimilation of
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terhin, daß der Hinweis auf Attus Clausus innerhalb der von Tacitus dargebotenen Kaiserrede den einzigen direkten Bezug zur Person des Claudius darstellt. Es ist eine bereits oft beobachtete Eigenart der taciteischen Claudiusrede, daß ihr im Vergleich zum Original so gut wie jegliche persçnliche Note fehlt.732 Dieser Umstand ist insbesondere von Devillers hervorgehoben worden, der unter der Prmisse, daß Tacitus die tatschlich gehaltene Senatsrede des Kaisers unmittelbar benutzt hat, zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Historiker offenbar bemîht war, bei seiner Wiedergabe der Rede die in der Vorlage vielfltig vorhandenen Bezîge zur Person des Claudius sowie auch zu den politischen Rahmenbedingungen des Jahres 48 in Form und Inhalt so weit wie mçglich auszublenden.733 Tatschlich enthlt die îberwiegend sachlich orientierte Redeversion des Tacitus fast ausschließlich objektive Argumente fîr eine Aufnahme von Provinzialen in den Senat, die, so Devillers, im Grunde genommen jeder andere Kaiser zu einer anderen Zeit ebenfalls htte anfîhren kçnnen.734 Hinzu kommt, daß unser Historiker entgegen seiner foreigners, the theme that Tacitus pursues single-mindedly.“ Keitel, 1977, 68 ist offenbar der Ansicht, Tacitus habe den Hinweis auf die gens Claudia deshalb in seine Darstellung aufgenommen, um den Kaiser an spterer Stelle ironisch zu entlarven, wenn er in ann. 12,25 von der Adoption des Nero berichtet und dabei erneut auf die Claudii und ihren Urahnen zu sprechen kommt; s. ann. 12,25,2: adnotabant periti nullam antehac adoptionem inter patricios Claudios reperiri, eosque ab Atto Clauso continuos duravisse. Diese und hnliche Thesen, die Keitel a.a.O. aufstellt, mîssen mit großer Skepsis betrachtet werden. So auch ihr in dieselbe Richtung zielender Hinweis auf die weniger rîhmliche Rolle des von Claudius ann. 11,24,3 (ebenfalls ohne Entsprechung im Original) hervorgehobenen Balbus in ann. 12,60,4. Zumindest in diesem zweiten Fall ist der Abstand zwischen den beiden Kapiteln so groß, daß sich kaum ein Leser allein durch die Erwhnung des Balbus an den Inhalt der Claudiusrede erinnert fîhlen dîrfte. 732 Neben dem Hinweis auf die Abstammung des Claudius mag allein noch die antiquarische Gelehrsamkeit die Handschrift des Claudius verraten. Doch selbst diese wird, wie wir sehen konnten, in ann. 11,24 auf untypische Weise positiv in Szene gesetzt. 733 S. Devillers, 1994, 197 – 205; vgl. Vittinghoff, 1954, 369; Griffin, 1982, 411. Auch in stilistischer Hinsicht ist Claudius in der Darstellung des Tacitus kaum noch wiederzuerkennen; vgl. v. Albrecht, 31995, 186 – 189; Wellesley, 1954, 26; E. Aubrion: Rh¤torique et histoire chez Tacite, Metz 1985, 575 f. 734 S. Devillers, 1994, 203: „ […] l’auteur des Annales s’efforce de faire disparatre tous les ¤l¤ments – ils sont nombreux dans l’original – qui rapellent Claude, sa famille, ses contemporains, son action politique ou le contexte de l’ann¤e 48. Il fait en sorte que le discours soit le plus impersonnel possible et qu’il paraisse avoir pu Þtre prononc¤ par n’importe quel empereur.“ Anders urteilt hingegen Miller,
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sonstigen Darstellungsabsicht mehrere, aus einigen Stellen der Originalrede sich leicht ergebende Gelegenheiten, den Kaiser zu parodieren, offenbar bewußt ungenutzt gelassen hat.735 Devillers zieht aus seinen Beobachtungen den Schluß, daß Tacitus aufgrund seiner eigenen Interessen, die auf das Verhltnis zwischen Rom und seinen Provinzen im Großen und Ganzen gerichtet waren, das dargestellte Thema auf einer mehr universellen, d. h. îber die spezielle Situation in Gallien hinausgehenden Ebene behandelt wissen wollte, und daher jeden konkreten Zeit- oder Personenbezug nach Mçglichkeit vermieden hat.736 Diese Vermutung bietet eine plausible Erklrung dafîr, daß Tacitus – sollte er tatschlich auf das Original unmittelbar zurîckgegriffen haben – neben vielen stçrenden Elementen737 auch manches gewichtige Argument des Kaisers fîr die Verleihung der Senatorenwîrde gerade an Gallier in seiner 1956, 314 in Anlehnung an E. Liechtenhan: Quelques r¤flexions sur la table Claudienne et Tac., ann. XI, 23 et 24, REL 24, 1946, 198 – 209; hier 208 f. 735 S. Devillers, 1994, 203 f.; vgl. Vittinghoff, 1954, 370; Griffin, 1982, 416 f., die aufzeigt, wie etwa Seneca die hier behandelte Rede satirisch gegen Claudius verwendet hat. 736 S. Devillers, 1994, 205; vgl. Griffin, 1982, 411; 414 : „Claudius’ discourse […] is an advocate speech in favour of a particular proposal, not, as it becomes in Tacitus, a programmatic speech in favour of novi homines.“ Eine hnliche Auffassung vertritt Keddie in seinem Aufsatz zu ann. 11,16 f. Er weist darauf hin, daß die in ann. 11,23 f. behandelte Thematik von Tacitus bereits in den Kapiteln îber den neuen, von Claudius als Kçnig der Cherusker nach Germanien entsandten Italicus entwickelt worden ist (s. o.). Neben der strukturellen Parallele, daß in ann. 11,16 f. ebenfalls zuerst anonyme Gegner zu Wort kommen (ann. 11,16,3) bevor Italicus selbst eine Gegenrede hlt (ann. 11,17,1), hat Keddie vor allem innerhalb der jeweils zuerst aufgefîhrten Redepartien auch Entsprechungen inhaltlicher Art herausarbeiten kçnnen (a.a.O. 56 f.:); vgl. ann. 11,16,3: adeo neminem isdem in terris ortum, qui principem locum impleat mit ann. 11,23,2: … non adeo aegram Italiam, ut senatum suppeditare urbi suae nequiret; ann. 11,16,3: cuius si filius hostili in solo adultus in regnum venisse
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Version weggelassen hat.738 Doch fîgt sich die von Devillers betonte Unpersçnlichkeit der Darstellung sowie der offenbar bewußte Verzicht des Tacitus auf jegliche Kritik auch gut zu der von uns herausgearbeiteten Absicht, den Bruch in der Personendarstellung des Claudius abzumildern. Denn die unpersçnliche Frbung der taciteischen Claudiusrede bewirkt, daß die damit verbundene positive Leistung des Kaisers im Bewußtsein des Lesers nicht allzu direkt mit seiner Person in Verbindung gebracht wird.739 Nach der eindrucksvollen und îberzeugenden Rede des Claudius ist die Zustimmung des Senats fîr den Leser fast selbstverstndlich. Wie beilufig erwhnt Tacitus den in der verhandelten Sache ergangenen Senatsbeschluß in einem Ablativus absolutus, um rasch zu den Haeduern zu gelangen, die als erste in den Genuß der neuen Rechtslage gekommen seien, s. ann. 11,25,1: Orationem principis secuto patrum consulto primi Aedui senatorum in urbe ius adepti sunt. datum id foederi antiquo, et quia soli Gallorum fraternitatis nomen cum populo Romano usurpant. Erneut wird der Eindruck erweckt, als sei die nun getroffene Entscheidung zur Aufnahme der Gallier bzw. der Haeduer in den Senat lngst îberfllig gewesen. Neben der Geschwindigkeit im Geschehensablauf, die Rede, Beschluß und Ausfîhrung unmittelbar aufeinander folgen lßt,740 wird dies im folgenden auch durch den Hinweis auf ein altes Bîndnis (foedus antiquum) sowie das enge Verhltnis der Rçmer gerade zu den Haeduern deutlich gemacht, das in dem Ehrentitel ‘Brîder des rçmischen Volkes’ zum Ausdruck gebracht wird. Die Aussagen des Claudius hinsichtlich der continua ac fida pax (ann. 11,24,6) finden in diesen Zeilen ihre nachdrîckliche Besttigung. Bezeichnenderweise wird der Kaiser auch an dieser Stelle nicht beim Namen genannt, sondern wiederum mit der 738 S. hierzu Vittinghoff, 1954, 366 f. Auf diese Absicht lßt sich mçglicherweise auch die Erwhnung der Cornelii Balbi aus Spanien zurîckfîhren, die in den erhaltenen Teilen der authentischen Claudiusrede nicht enthalten ist. Ich sehe daher keine Veranlassung fîr die von Wellesley 1954, 27 – 30 vorgetragene Kritik an Tacitus, auf deren Einzelheiten hier nicht weiter eingegangen werden soll, zumal sich bereits Miller, 1956, 310 f. mit îberzeugenden Argumenten dagegen ausgesprochen hat. Er vermutet, daß der Verweis auf die Balbi durch die Rede Ciceros pro Balbo inspiriert sein kçnnte. 739 Einen ganz hnlichen Gedanken scheint mir Griffin, 1990, 488 zu verfolgen, wenn sie schreibt: „[…] the transfiguration of Claudian material by Tacitus is another of his techniques […] for conveying the passivity of the Emperor“; vgl. Syme, 1958, 710. 740 Man beachte, daß das positive Ergebnis des senatus consultum sich vor allem durch die Mitteilung îber den Einzug der Haeduer in Kurie ergibt.
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offiziellen Bezeichnung princeps angefîhrt. Auch im folgenden spricht Tacitus zunchst nicht namentlich von Claudius, sondern bezeichnet ihn als Caesar oder censor. Auch hierbei mag der Historiker von der Absicht geleitet sein, die konkrete Person des Herrschers in den Hintergrund zu rîcken. Denn auch bei dessen weiteren Maßnahmen, von denen nun im Anschluß berichtet wird, handelt es sich um durchaus sinnvolle, in Vorhaben und Ausfîhrung deutlich positiv zu bewertende Reformen, s. ann. 11,25,2: Isdem diebus in numerum patriciorum adscivit Caesar vetustissimum quemque e senatu aut quibus clari parentes fuerant, paucis iam reliquis familiarum, quas Romulus maiorum et L. Brutus minorum gentium appellaverant, exhaustis etiam quas dict
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dum esse Claudium: quippe promiscum patris patriae cognomentum; nova in rem publicam merita non usitatis vocabulis honoranda. sed ipse cohibuit consulem ut nimium adsentantem. Claudius – in den Ausfîhrungen des Konsuls nun wieder namentlich erwhnt – weist den Vorschlag des Vipstanus als îbermßige Schmeichelei souvern zurîck. Der positive Eindruck vom Kaiser wird hierdurch um ein weiteres Element verstrkt.742 Anschließend gelangt Tacitus zum Abschluß seines Berichtes îber die Zensur des Claudius, s. ann. 11,25,5: condiditque lustrum, quo censa sunt civium quinquagies novies centena octoginta quattuor milia septuaginta duo. isque illi finis inscitiae erga domum suam fuit: haud multo post flagitia uxoris noscere ac punire adactus, ut deinde ardesceret in nuptias incestas. Mit einem Paukenschlag holt der Historiker den Kaiser aus der glanzvollen Sphre des souvern und umsichtig agierenden Monarchen und Zensors unvermittelt zurîck auf den harten Boden der innenpolitischen Krisen. Auf geradezu plakative Weise erinnern die Begriffe inscitia und flagitia uxoris an das schamlose Treiben der Messalina und die diesbezîgliche Ahnungslosigkeit des Claudius und versetzen den Leser schlagartig um etwa zehn Kapitel zurîck, fîhren ihm wieder das ironisch-groteske Bild des sittenstrengen und pedantischen Zensors vor Augen, der geringfîgige Vergehen hart bestraft und den enormen moralischen Verfall im eigenen Haus nicht im geringsten wahrnimmt. Bezeichnenderweise erfolgt dieser abrupte Wechsel zurîck zum negativen Claudiusbild wiederum im engeren Rahmen der cura morum des Zensors, in diesem Fall gegenîber dem Senat: Gerade im Bereich des Sittlichen bietet der Kaiser vor dem Hintergrund des Messalinaskandals nach wie vor die grçßte Angriffsflche: Die Bemîhungen, die Wîrde und das Ansehen des Senates zu erhalten, die lectio senatus, die Verrichtung des Sîhneopfers – all dies steht am Ende des Kapitels in dem bereits bekannten Kontrast zu dem Verhalten der Kaiserin.743 Dabei sollen nicht etwa die positiven Neuerungen des Kaisers nachtrglich lcherlich gemacht werden. Eine solche Absicht befnde sich in offenem Widerspruch zu der spîrbaren Zustimmung, die Tacitus den zuletzt durchgesetzten Neuerungen des Claudius entgegengebracht hat.744 Vielmehr geht es ihm bei seiner Kritik um die Person des Kaisers, genauer gesagt um dessen 742 Vgl. Seif, 1973, 83 f. 743 Vgl. Seif, 1973, 84. 744 Das in diesem Zusammenhang geußerte Urteil Keitels, 1977, 66: „Tacitus undoes all the good Claudius did in the act of describing it“ geht sicherlich zu weit.
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inscitia gegenîber dem Treiben seiner Gattin (erga domum suam). Rîckblickend hat es den Anschein, als habe Tacitus in ann. 11,25 mit dem immer weiter vorangetriebenen positiven Eindruck von Claudius vor allem auch eine enorme Fallhçhe aufbauen wollen. Mit dem Schlußsatz stîrzt der Kaiser ins Bodenlose hinab. Durch diesen drastischen Schnitt in der Darstellung werden seine positiven Leistungen – sofern sie îberhaupt mit dessen Person in enge Verbindung gebracht worden sind – zwar nicht relativiert, aber schnell wieder vergessen gemacht. Der ironische Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit hat seine Vorherrschaft zurîckgewonnen, blendet mit seinem îberaus grellen Licht das Vorhergehende nahezu vçllig aus. Um diesen Effekt zu erreichen, hat Tacitus den Bericht îber die Zensur des Claudius virtuos mit der Schilderung der Messalina-Affre umrahmt.745 Diese sorgfltig gewhlte Anordnung des Stoffes erlaubt es dem Historiker, die sinnvollen zensorischen Maßnahmen des Claudius objektiv zu wîrdigen, ohne dabei jedoch von der allgemeinen Tendenz seiner Darstellung abweichen zu mîssen.746 Doch dient der Schluß des Kapitels nicht nur der Rîckkehr zum alten Claudiusbild. In groben Zîgen nimmt er auch die zukînftige Entwicklung am Kaiserhof vorweg und prgt auf diese Weise die Sichtweise des Lesers auf das kommende Geschehen entscheidend vor:747 Der Kaiser wird nicht etwa aus eigener Kraft die flagitia seiner Gattin erkennen und bestrafen. Wieder ganz im Sinne des frîheren Charakterportrts wird er erst von außen dazu gezwungen werden mîssen (noscere ac punire adactus).748 Seine kînftige inzestuçse Verbindung mit der jîngeren Agrippina, seiner Nichte, wird mit unmißverstndlichen und eindringlichen Worten an den Pranger gestellt: Whrend das Verb ardescere die von Claudius spter begangene Verfehlung als leidenschaftliche Raserei hervorgekehrt,749 schließt incestas das Kapitel effektvoll ab: Der sittenstrenge Zensor wird einst Inzest begehen.750
745 Vgl. Mehl, 1974, 56; Keitel, 1977, 50; O’Gorman, 2000, 115. 746 Vgl. Griffin, 1990, 485: „Tacitus could afford to be generous […] because the whole censorship is carefully framed by his account of Messalina’s marital intrigue […].“ 747 Vgl. Keitel, 1977, 83. 748 Vgl. Mehl, 1974, 58; Keitel, 1977, 82. 749 S. G&G 95b; vgl. ThLL II, Sp. 488, 72 ff. 750 S. Koestermann ad loc.; vgl. Mehl, 1974, 58, der darauf verweist, daß Tacitus „die inzestuçse Ehe des Claudius an wesentlichen Stellen des Geschehens [erwhnt]: hier, 11,25,5 vor Messalinas Ende als Vorverweis, in 12,5,1 whrend der
5.3 Ann. 11,26 – 38: Der Fortgang des Messalinaskandals
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5.3 Ann. 11,26 – 38: Der Fortgang des Messalinaskandals und das Ende der Kaiserin Mit dem Ende von Kapitel ann. 11,25 ist nun der Boden bereitet fîr die Fortfîhrung des nach ann. 11,12 abgebrochenen Erzhlstranges rund um Messalina.751 Die von Koestermann konstatierte „erstaunliche Breite“, in der nun ihr weiteres Schicksal bis zum Ende des elften Annalenbuches verfolgt wird, hngt zu einem nicht unerheblichen Teil mit der Absicht des Historikers zusammen, „den îbermchtigen Einfluß der Hofkamarilla auf den ‘schwachen und gemîtsblçden Claudius’ gleichsam paradigmatisch herauszustellen.“752 Tacitus kehrt zunchst zum ehebrecherischen Verhltnis der Kaiserin zu Silius zurîck. Ein einleitendes iam gibt dem Leser zu verstehen, daß die skandalçse Liebesgeschichte in der Zwischenzeit immer weitere Ausmaße angenommen hat,753 s. ann. 11,26,1: Iam Messalina facilitate adulterorum in fastidium versa ad incognitas libidines profluebat, cum abrumpi dissimulationem etiam Silius, [sive]754 fatali vaecordia an imminentium periculorum remedium ipsa pericula ratus, urguebat … Messalina ist offenbar sîchtig nach immer weiteren erotischen Exzessen. Sie hat die Leichtigkeit ihrer zahllosen Ehebrîche (man beachte den Plural: adulteriorum), die schlichtweg aus der Blindheit ihres Gatten resultiert,755 offenkundig satt und ist auf der Suche nach neuen, bisher unbekannten Ausschweifungen (incognitas libidines). Das Verb profluere macht deutlich, daß sie sich nunmehr ungehemmt von ihren Begierden leiten lßt.756 Nach diesem kurzen Blick auf das ungezîgelte Triebleben der Kaiserin lenkt Tacitus durch ein inversives cum alle Aufmerksamkeit auf Silius. Hatte er sich in
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Intrige, die zu der Heirat Claudius – Agrippina fîhrt, und in 13,2,2 nach Claudius’ Tod […].“ Zu den teilweise recht unterschiedlichen Gliederungsversuchen dieses Abschnittes durch Seif, Mehl und Keitel s. Wille, 1983, 489 – 495. Koestermann ad ann. 11,26,1 unter Verweis auf die Knappheit der Darstellung bei Suet. Claud. 26,2; 29,3; 36; vgl. Syme, 1958, 375; Devillers, 1994, 67, der im îbrigen darauf verweist, daß Tacitus in ann. 11,26 – 38 das Motiv der Angst auf Seiten der handelnden Personen besonders in den Vordergrund rîckt (von den Freigelassenen: 11,28,2; 11,29,2; von Silius: 11,32,1; vom Kaiser: 11,31,1); vgl. hierzu Mehl, 1974, 68. Vgl. Nipperdey ad loc.: „Iam bezeichnet, wie spt die Erkenntnis des Claudius [s. ann. 11,25,5] eintrat.“ Zur Tilgung des sive durch Acidalius s. Koestermann ad loc. Vgl. Seif, 1973, 100. Vgl. Koestermann ad loc.; Keitel, 1977, 85.
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ann. 11,12,2 noch seinem Schicksal ergeben und gehofft, sein Verhltnis mit der Kaiserin werde mçglicherweise unentdeckt bleiben, tritt er nun aus seiner Passivitt heraus und drngt auch seinerseits darauf, der Heimlichkeit ein plçtzliches Ende (vgl. abrumpi) zu bereiten.757 Besondere Beachtung verdient an dieser Stelle das etiam, das zu verstehen gibt, daß vor Silius bereits Messalina eine ganz hnliche Forderung erhoben haben muß.758 Waren die einleitend erwhnten incognitae libidines etwa in diesem Sinne zu verstehen? Die Antwort auf diese Frage wird erst das Ende des Kapitels geben. Der Leser weiß nur, daß seit dem ungenierten Auftreten der Messalina in ann. 11,12,3 ohnehin nicht mehr von einer dissimulatio gesprochen werden kann. Das Verhltnis der Kaiserin zu Silius ist lngst kein Geheimnis mehr. Jegliches Bemîhen um Diskretion ist damit fîr den Geliebten sinnlos geworden. Doch warum drngt er nun geradezu in die entgegengesetzte Richtung? Dem Leser werden zwei alternative Erklrungen angeboten: fatali vaecordia an imminentium periculorum remedium ipsa pericula ratus. Rasch wird klar, daß auch an dieser Stelle die zuletzt genannte Alternative von Tacitus bevorzugt wird:759 Sie steht an der strkeren Position, ist etwa dreimal so lang wie die erste Deutungsmçglichkeit und sticht inhaltlich durch ihren epigrammatischen Charakter760 hervor. Der geistreiche Gedanke, ‘daß gegen drohende Gefahren das Heilmittel in den Gefahren selbst liege’, lßt die erste Erklrung, die ziemlich vage eine fatalis vaecordia anfîhrt, vçllig verblassen. Hinzu kommt, daß die Annahme eines ‘verhngnisvollen Wahns’ îberhaupt nicht zu dem Bild passen will, das Tacitus in ann. 11,12,2 von Silius entworfen hat. Trotz aller Resignation hat der Geliebte der Messalina dort recht nîchtern und sachlich seine Lage analysiert.761 Am wichtigsten aber ist, daß sich die zweite Erklrungsmçglichkeit mit den nun in indirekter Rede vorgetragenen øußerungen des Silius selbst voll und ganz deckt, s. ann. 11,26,2: quippe non eo ventum, ut senecta<m> principis opperire
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praevenirent Claudium, ut insidiis incautum, ita irae properum. Silius mçchte die Flucht nach vorne antreten. Mit der Aussage, daß man ja nicht an einen Punkt gelangt sei, an dem man das natîrliche, altersbedingte Ableben des Princeps abwarten kçnne, gibt er klar zu verstehen, daß er den Kaiser gewaltsam stîrzen mçchte.762 Er ist sich im klaren darîber, daß sich seine anfngliche Hoffnung, unentdeckt zu bleiben, mittlerweile zerschlagen hat, und daß der einzige Ausweg nunmehr im wagemutigen Handeln liegt (flagitii manifestis subsidium ab audacia petendum). An dieser Stelle wird der enge Rîckbezug des Kapitels zu ann. 11,12,3 besonders deutlich.763 Denn gerade vor dem Hintergrund, daß die von Messalina bereits schamlos zur Schau gestellte Affre auch dem Kaiser nicht mehr lange verborgen bleiben kann, ergeben seine Gedanken einen guten Sinn.764 Um des eigenen berlebens willen muß er Claudius mçglichst rasch beseitigen. Daß nicht persçnlicher Ehrgeiz, sondern die Angst vor der Entdeckung sein Motiv ist, verrt weiterhin die Erwhnung der angeblichen Mitwisser, die Gleiches zu befîrchten htten (adesse conscios paria metuentes). Indem er sagt, er sei unvermhlt, kinderlos und zur Eheschließung mit Messalina sowie zur Adoption des Britannicus bereit, prsentiert er sich ganz offen als geeigneten Nachfolger des Claudius. Da die Kaiserin in der §ffentlichkeit ohnehin den Anschein erweckt hat, daß die Herrschaft bereits auf ihn îbergegangen sei,765 ergibt sich auch diese Geste des Silius als logische Konsequenz aus dem vorangegangenen Bericht. Um die unabdingbare Unterstîtzung der Messalina zu erreichen, verspricht Silius fîr den Fall seiner Machtîbernahme, daß sie ihre potentia behalten und zustzlich an Sicherheit gewinnen wîrde, wenn sie Claudius nur zuvorkmen, der zwar gegenîber Anschlgen sorglos sei, aber rasch zum Zorn neige (ut insidiis incautum, ita irae properum).766 Whrend das Verb praevenire suggeriert, daß der Kaiser bereits um die Verschwçrung weiß und schon im Begriff zu handeln ist, lßt die antithetisch angeordnete Charakterisierung des 762 Zu der konsekutiven Auffassung des ut-Satzes s. Seif, 1973, 100 f. 763 Vgl. Seif, 1973, 101: „Mit manifestis flagitiis [sic! – Seif folgt einer geringfîgig anderen Lesart] wird das 11,12,3 angeschlagene Thema des in ganz Rom bekannten Ehebruches der Messalina mit Silius wieder aufgenommen und fortgefîhrt.“ 764 S. Mehl, 1974, 59 f. 765 Vgl. ann. 11,12,3: postremo, velut translata iam fortuna, servi liberti paratus principis apud adulterum visebantur. 766 Vgl. hierzu Seif, 1973, 102: „Das Komplott wird hingestellt als gewinntrchtiger Coup fîr Messalina.“
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Kaisers einen Anschlag auf dessen Leben noch einmal als die einzige Mçglichkeit des Silius erscheinen, seiner heiklen Lage lebend zu entkommen.767 Insgesamt gesehen sind die Worte des Silius von einer besonderen Dichte und Dramatik geprgt. Kurze einprgsame Stze, die konsequente Ellipse von esse sowie eine Hufung verbalnominaler Wendungen machen auf stilistischer Ebene den enormen Zeitdruck sinnfllig, der auf dem Geliebten der Messalina lastet.768 Trotz der Tatsache, daß eindeutig Silius die Initiative zum Kaisersturz ergreift, wirkt er mehr als Opfer denn als Tter.769 Sein Sinneswandel gegenîber ann. 11,12,2 erscheint als konsequente Reaktion (s. etiam) auf das zîgellose und indiskrete Treiben der Messalina. Er hat am Ende keine andere Wahl, als den Kaiser zu ermorden und selbst die Herrschaft zu îbernehmen.770 Nachdem Silius seinen Standpunkt klar gemacht hat, berichtet Tacitus von der Reaktion der Messalina, s. ann. 11,26,3: segniter eae voces acceptae, non amore in maritum, sed ne Silius summa adeptus sperneret adulteram scelusque inter ancipitia probatum veris mox pretiis aestimaret. Die Kaiserin nimmt die Worte des Silius mit deutlicher Zurîckhaltung auf. Nicht etwa, weil sie ihren Gatten liebt, wie Tacitus mit deutlichem Sarkasmus glossiert, sondern weil sie Sorge hat, daß Silius sie nach vollbrachter Tat als Ehebrecherin mçglicherweise verstoßen werde. Ihre Gedanken lassen erkennen, daß sich die Kaiserin der gefhrlichen Lage ihres Liebhabers (inter ancipitia) bewußt ist. Was die Aussage scelus …
767 S. Seif, 1973, 102 f. 768 Vgl. Keitel, 1977, 85 f., die freilich in manchen Einzelheiten ihrer stilistischen Analyse ein wenig zu îbertreiben scheint. Vollkommen richtig ist jedoch ihre abschließende Feststellung (a.a.O. 86): „The speech ends on a note of urgency and danger.“ 769 Vgl. hierzu die hnliche Darstellung Juvenals (10,329 – 345) und den diesbezîglichen Kommentar von J. E. B. Mayor (Thirteen Satires of Juvenal, Bd. II, Hildesheim 1966). 770 Vgl. Seif, 1973, 103: „Tacitus zeigt detailliert auf, wie die zunchst gnzlich unpolitisch motivierte Beziehung zwischen der Kaiserin und einem prominenten Vertreter der Senatsaristokratie sich ins Politische wendet.“ Der in ann. 11,26 zum Vorschein kommende politische Aspekt der Affre wird insbesondere auch von Mehl, 1974, 61 f. betont. Whrend Silius von nun an eindeutig politische Ziele verfolgt (s. Mehl, 1974, 63), steht bei Messalina – wie im folgenden noch deutlich werden wird – die Befriedigung ihrer Triebe an erster Stelle; vgl. Keitel, 1977, 84; 85; 86.
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veris … pretiis aestimare konkret bedeutet, wird nicht ganz klar.771 Fest steht jedoch, daß sie auf ein Wissen des Silius um die ‘wahren’ Hintergrînde des geplanten Verbrechens verweist, die fîr den Leser wiederum in der treibenden Rolle der Messalina bestehen. Damit besttigt sich der zuvor erzeugte Eindruck, daß Silius im Grunde nur ein Opfer der Kaiserin ist, auch aus Sicht der Messalina selbst. Fîr einen kurzen Moment scheint ihr zçgerliches Verhalten in einem gewissen Widerspruch zu dem zuvor erzeugten Eindruck zu stehen, daß auch sie – noch vor Silius – auf eine Beendigung der Heimlichkeit, womit eigentlich nur die Eheschließung gemeint sein kann, gedrngt habe. Doch nun fhrt Tacitus fort, s. ann. 11,26,3: nomen tamen matrimonii concupivit ob magnitudinem infamiae, cuius apud prodigos novissima voluptas est. nec ultra exspectato, quam dum sacrificii gratia Claudius Ostiam proficisceretur, cuncta nuptiarum sollemnia celebrat. In eindringlichem Ton schildert Tacitus, weshalb die Kaiserin trotz aller Bedenken auch ihrerseits die formelle Eheschließung (nomen matrimonii) gewînscht habe, und entwirft dabei das Bild einer moralisch vollkommen degenerierten Person: Wegen der Grçße der Schndlichkeit, an der Leute, die alle Scham von sich werfen (prodigos),772 ihr letztes Vergnîgen (novissima voluptas) fnden,773 willigt Messalina in die Hochzeitsplne des Silius ein. Die gewichtige Sentenz am Ende des Satzes verleiht der Argumentation des Tacitus die nçtige Durchschlagskraft, da sie das zunchst etwas schwer verstndliche Motiv der Messalina (ob magnitudinem infamiae) psychologisch einleuchtend erklrt.774 Zudem deckt sich ihr Inhalt exakt mit der zu Beginn des Kapitels erfolgten seelischen Zustandsbeschreibung der Kaiserin, die aus berdruß nach noch nie dagewesenen Ausschweifungen sucht und damit das Bild einer prodiga voll und ganz erfîllt. Die incognitae libidines sind in ihrem Wunsch nach einer Eheschließung mit Silius nunmehr konkret geworden. Es scheint, als habe Tacitus die zuerst erwhnten, durchaus berechtigten Bedenken der Messalina allein deshalb in seine Darstellung aufgenommen, um vor deren Hintergrund deutlich machen zu kçnnen, 771 Vgl. Mehl, 1974, 63 f. Anm. 343: „Messalina fîrchtet wohl Silius’ Erkenntnis, daß die Belastung der neuen Herrschaft durch die vorangegangenen Verbrechen zu groß sei.“ 772 Zur bersetzung von prodigus s. Nipperdey ad loc. 773 Keitel, 1977, 84 weist auf die an dieser Stelle gegebene Doppeldeutigkeit des Superlativs hin: „[…] novissima has an epigrammatic ambiguity: infamy is the last pleasure of the abandoned or their latest pleasure. In Messalina’s case, this ultimate pleasure will also be her final one.“ 774 S. Kirchner, 2001, 121; 165 f.
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wie sehr die Kaiserin inzwischen von ihren Trieben und Leidenschaften beherrscht wird.775 Hat sie im Prozeß gegen Valerius Asiaticus ihre Gefîhle noch ihrer Berechnung unterordnen kçnnen,776 wird ihr rationales Wesen nunmehr vçllig von ihren Begierden îberlagert. Dies muß nicht zwangslufig bedeuten, daß der Charakter der Messalina bei Tacitus nicht einheitlich gezeichnet ist.777 Vielleicht kam es dem Historiker darauf an, durch die Beschreibung unterschiedlicher Verhaltensweisen der Kaiserin in Situationen, wo Gefîhl und Verstand in gegenstzliche Richtungen streben, eine fortschreitende geistige und moralische Degeneration zum Ausdruck zu bringen, die in immer strkerem Maße zu einer vçlligen Hingabe an die Emotionen neigt.778 Diese Tendenz spiegelt sich zumindest auch in der Eile wider, in der Messalina nun darauf bedacht ist, ihre neuen Begierden in die Tat umzusetzen (nec ultra exspectato, quam …). Eine Reise des Claudius nach Ostia nutzt sie offenbar als die erste sich bietende Gelegenheit, in aller Festlichkeit (cuncta … sollemnia) – auch dies ein Zeichen ihrer schamlosen Zîgellosigkeit – die Hochzeit zu begehen. In diesem Zusammenhang entbehrt es nicht der Ironie, daß Claudius ausgerechnet einer Opferhandlung wegen (sacrificii causa) aus Rom fortgeht. Der dem Leser bereits wohlbekannte Kontrast zwischen der naiven Frçmmigkeit des Kaisers und der Lasterhaftigkeit der Messalina kommt hier erneut zur Geltung.779 Fîr die Darstellung des Tacitus ist es außerdem bezeichnend, daß am Ende des Kapitels die Person des Silius wieder vollstndig in den Hintergrund tritt. Im Singular des Prdikats (celebrat) erscheint allein Messalina als agierende Kraft.780 Die anschließende Schilderung der Hochzeitsfeier selbst verbindet Tacitus mit einer Wahrheitsbeteuerung, s. ann. 11,27: Haud sum ignarus fabulosum visum iri tantum ullis mortalium securitatis fuisse in civitate omnium gnara et nihil reticente, nedum consulem designatum cum uxore 775 776 777 778
Vgl. Seif, 1973, 104 f. S. o. S. 160. So Mehl, 1974, 64 f. Wenn Messalina wenige Kapitel spter in ann. 11,32,2 den Entschluß faßt, Claudius durch ihr Erscheinen zu umgarnen, bedeutet das meiner Ansicht nach nicht, daß sie wieder ‘zur Vernunft’ gekommen ist (vgl. die gegenteilige Meinung Mehls, 1974, 65). Zwar handelt sie dort wieder ußerst berechnend, doch befindet sie sich dabei nicht in einem Konflikt zu ihren leidenschaftlichen Gefîhlen, s. u. S. 286 f. 779 S. Keitel, 1977, 87: „The ironic collocation recalls 11,13,1 [At Claudius, matrimonii sui ignarus et munia censoria usurpans …]“; vgl. Mehl, 1974, 64 Anm. 347. 780 Vgl. Koestermann ad loc.; Keitel, 1977, 86.
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principis praedicta die, adhibitis qui obsignarent, velut suscipiendorum liberorum causa convenisse, atque illam audisse auspicum verba, subisse
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vor allem in ihrer politischen Dimension hervorgekehrt.788 Auch die Betonung des formal-juristischen Charakters der Eheschließung tendiert in diese Richtung: adhibitis, qui obsignarent, velut suscipiendorum liberorum causa convenisse.789 Ob Tacitus hier zustzlich auf die geplante Adoption des Britannicus durch Silius anspielen mçchte, sei dahingestellt.790 In jedem Fall aber kehrt die Hervorhebung juristisch-ritueller Einzelheiten die Perversitt der hier geschilderten feierlichen Szenerie auf ironische Weise hervor.791 Dies gilt insbesondere fîr die von Messalina vorgenommenen, zuletzt sogar religiçs motivierten Handlungen: audisse auspicum verba, subisse
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actam licentia coniugali kommt die in der ‘Freiheit von Eheleuten’ verbrachte Hochzeitsnacht effektvoll als End- und Zielpunkt (s. zustzlich denique) der Zeremonie zur Geltung, und gibt dem Leser noch einmal zu verstehen, worin – zumindest im Hinblick auf Messalina, die hier im Mittelpunkt der Betrachtung steht – die wahren Motive der Hochzeit bestanden haben.795 Im Anschluß an die lebhafte Schilderung der Hochzeitsfeier berichtet Tacitus îber die diesbezîgliche Reaktion am Hof des Princeps, s. ann. 11,28,1: Igitur domus principis inhorruerat, maximeque quos penes potentia et, si res verterentur, formido, non iam secretis colloquiis, sed aperte fremere, dum histrio cubiculum principis insultaverit,796 dedecus quidem inlatum, sed excidium procul afuisse: nunc iuvenem nobilem dignitate forma<e>, vi mentis ac propinquo consulatu maiorem ad spem accingi; nec enim occultum, quid post tale matrimonium superesset. Ein igitur am Satzanfang bewirkt eine enge konklusive Verknîpfung zum vorangegangenen Bericht, die vor allem eines zum Ausdruck bringt: Nicht der Ehebruch der Kaiserin an sich, sondern offenbar erst ihre Hochzeit lßt die hçfische Umgebung des Kaisers vor Entsetzen erstarren (inhorruerat).797 Dieser in drastischen Worten erzeugte Eindruck wird im weiteren Verlauf des Kapitels noch weiter verstrkt werden. Fîr die Darstellung des Tacitus ist es bezeichnend, daß es der kaiserliche Hof (domus) – und nicht etwa Claudius – ist, der von den neuen Entwicklungen im Messalinaskandal als erster alarmiert zu werden scheint. Nach der kurzen Notiz îber die Reaktion am Kaiserhof im allgemeinen konzentriert sich die Darstellung rasch und mit besonderer Intensitt (maximeque) auf den Kreis derjenigen, die im Besitz einer machtvollen Stellung sind. Gedacht ist hierbei an die Freigelassenen, deren berîchtigter Einfluß von nun an in den Mittelpunkt der Darstellung rîckt und auch an spteren Stellen immer wieder eine zentrale Rolle spielen wird.798 Die auffllige Anastrophe (quos penes potentia) bewirkt eine Alliteration, welche den Begriff 795 Vgl. Keitel, 1977, 88; Seif, 1973, 108 f.; Koestermann ad loc. 796 Zu der hier wiedergegebenen Lesart des dum-Satzes (nach der Editio Bipontina, der auch Heubner folgt) s. Mehl, 1974, 68 Anm. 378; vgl. Koestermann ad loc. 797 Vgl. Seif, 1973, 109: „Igitur domus principis inhorruerat (11,28,1) wirkt wie eine spontane Reaktion auf das vorher geschilderte Geschehen.“ 798 Vgl. Koestermann ad loc.; vgl. ann. 11,29,2; 11,38,4; 12,1,1. Da der taciteische Bericht îber den Anfang der Claudius-Regentschaft verlorengegangen ist, kann freilich nicht gesagt werden, ob und inwieweit der Historiker bereits zuvor auf diese Thematik eingegangen ist.
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der potentia stark akzentuiert.799 Dieser ‘Macht’ gegenîber steht – angehngt durch ein adversatives et800 – die ‘Furcht’ (formido), die im Falle eines Machtwechsels (si res verterentur) am engsten Hofe um sich greifen wîrde. Aus diesem Spannungsverhltnis zwischen potentia und formido erklrt sich die helle Aufregung, die Tacitus mit der Vokabel fremere unter zustzlicher Verwendung des historischen Infinitivs sehr eindringlich zum Ausdruck bringt. Der Inhalt dieses ‘Murrens’ wird unmittelbar in indirekter Rede angeschlossen, wobei der Hinweis, daß diese øußerungen nicht mehr in geheimen Unterredungen (secretis colloquiis), sondern ganz offen (aperte) gettigt worden seien, impliziert, daß es im engeren Kreis der hçfischen Umgebung immer schon einen gewissen Unmut gegen die bestehenden Verhltnisse gegeben hat, der nunmehr unter dem Druck der drohenden Ereignisse offen zum Ausbruch kommt. Zudem entsteht der Eindruck, als seien die hier in den Blick genommenen Personen stndig in irgendeiner Weise im Hintergrund aktiv. In ihren Aussagen wird die aktuelle Liebe der Messalina zu Silius ihrer frîheren Affre mit dem Schauspieler Mnester gegenîbergestellt: Solange ein histrio801 das Schlafgemach des Princeps verhçhnt habe, sei diesem zwar Schande zugefîgt worden, doch ein Untergang sehr weit entfernt gewesen. Nun aber werfe sich ein junger Mann von Adel und wîrdevoller Erscheinung aufgrund seiner geistigen Kraft und des bevorstehenden Konsulats zu hçherer Hoffnung auf. Vor dem Hintergrund der zwar schndlichen, doch politisch relativ harmlosen Beziehung zu einem Schauspieler wird die besondere Bedrohung, die seit der Skandalhochzeit von Silius ausgeht, in aller Deutlichkeit vor Augen gefîhrt. Wie bereits zu Beginn des Kapitels durch das igitur angedeutet worden ist, geht es den Freigelassenen weniger um die angegriffene Wîrde und Ehre des Princeps als vielmehr um die Sicherung ihrer eigenen politischen und sicher auch physischen Existenz, die nun nach der Eheschließung zwischen Messalina und ihrem Geliebten massiv bedroht wird (vgl. excidium). Besondere Beachtung verdient die Tatsache, daß der designierte Konsul an dieser Stelle nicht nur im Kontrast zur niedrigen Abkunft und politischen Bedeutungslosigkeit des Mnester steht.802 Durch die ihm nachgesagten Eigenschaften 799 Vgl. Keitel, 1977, 89. 800 S. Koestermann ad loc. 801 Daß Mnester hier nicht namentlich genannt wird, mag als Zeichen der Geringschtzung gegenîber dem frîheren Liebhaber der Messalina gedeutet werden. 802 S. hierzu Seif, 1973, 110.
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(iuvenis, dignitas formae, vis mentis) steht er fîr den Leser vielmehr noch in direktem Gegensatz zu der Person des Claudius, ja erscheint diesem gegenîber als die eindeutig bessere Alternative.803 Mit der anschließenden Aussage, daß es kein Geheimnis sei, was nach einer solchen Eheschließung (post tale matrimonium) îbrig bleibe, wird indirekt auf den Kaisersturz als die logische Konsequenz der zwischen Messalina und Silius geschlossenen Ehe verwiesen.804 Der bereits angedeutete Gegensatz zwischen Silius und Claudius tritt im folgenden dann noch deutlicher zutage, s. ann. 11,28,2: subibat sine dubio metus reputantes hebetem Claudium et uxori devinctum multasque mortes iussu Messalinae patratas. rursus ipsa facilitas imperatoris fiduciam dabat, si atrocitate criminis praevaluissent, posse opprimi, damnatam ante quam ream; sed in eo discrimen verti, si defensio audiretur, utque clausae aures etiam confitenti forent. In deutlichen Worten bringt Tacitus die wohl wesentlichen Charakterzîge des Claudius zur Sprache, die auch seiner bisherigen Darstellung immer wieder zu entnehmen waren, nmlich Stumpfsinn und vçllige Hçrigkeit (vgl. devinctus) gegenîber seiner Gattin, deren schrecklicher Einfluß an dieser Stelle durch die vielen Todesurteile veranschaulicht wird, die auf ihren Befehl hin vollstreckt worden seien. Der Ausdruck iussu Messalinae vermittelt ein kraftvolles Bild von den tatschlichen Machtverhltnissen am Hof des Claudius. Der Kaiser selbst erscheint im Hinblick auf seine geistigen Fhigkeiten durch das ihm zugeordnete Attribut hebes als das genaue Gegenteil zu Silius, dessen vis mentis wenige Zeilen zuvor Erwhnung gefunden hat. Bei dem Gedanken an den stumpfen und hçrigen Charakter des Princeps sowie die Skrupellosigkeit der Messalina beschleicht die Sprecher zunchst Furcht. Doch im nchsten Moment schçpfen sie aus eben dieser Lenkbarkeit des Kaisers wiederum Zuversicht. Die Ironie des Tacitus ist an dieser Stelle deutlich zu vernehmen.805 Offenbar wollen die Freigelassenen nun ihrerseits die genannte Schwche 803 Vgl. Mehl, 1974, 70 mit Anm. 387. Die vis mentis stimmt im îbrigen mit dem klaren und berechnenden Verstand des Silius îberein, wie wir ihn in den Kapiteln zuvor kennengelernt haben. 804 Vgl. Mehl, 1974, 69 mit Anm. 383, der in diesem Zusammenhang auf die bei Tacitus auch an anderer Stelle zu beobachtende Technik verweist, „eine steigernde Reihe vor der Spitze abzubrechen, so daß der Endpunkt insinuiert wird, ohne ausgesprochen zu sein“; Mehl verweist u. a. auf ann. 12,64,1. Dort deutet eine aufsteigende Reihung verschiedener innerhalb weniger Monate verstorbener Beamter (… quaestore, aedili, tribuno ac praetore et consule paucos intra menses defunctis) den baldigen Tod des Kaisers an, s. u. S. 415 zu ann. 12,64,1. 805 Vgl. Keitel, 1977, 90.
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des Kaisers ausnutzen, um ihn durch die Scheußlichkeit des von Silius beabsichtigten Verbrechens (atrocitate criminis) auf ihre Seite zu ziehen und Messalina zu verurteilen, noch bevor sie Gelegenheit haben wird, vor Gericht Rechenschaft abzulegen (damnatam ante quam ream). Denn genau darauf kommt es an. Wenn die Kaiserin erst einmal bei Claudius Gehçr finden wird, besteht die Gefahr, daß dieser sich sogar im Falle eines Gestndnisses erweichen lßt (utque clausae aures etiam confitenti forent). Beachtung verdient hierbei die ungewçhnliche Ausdrucksweise des Tacitus: Taube Ohren (clausae aures) in Bezug auf eine defensio zu haben, verbindet der Leser natîrlicherweise mit unnachgiebiger Hrte gegenîber einem Schuldigen. Hier jedoch bedeutet es in ironischer Verkehrung der Erwartungshaltung das genaue Gegenteil: Es besteht die Gefahr, daß Claudius von seiner Gattin derart umstrickt wird, daß er von ihren Verbrechen einfach nichts mehr wissen will! Das Verb praevalere (‘die Oberhand behalten’) zeigt in diesem Zusammenhang an, daß die Messalina-Clique freilich ebenso versuchen wird, die facilitas des Kaisers auszunutzen – genau wie sie es in der Vergangenheit ja schon getan hat.806 Claudius selbst erscheint als willenloses Instrument in den Hnden der jeweiligen Interessengruppen. Am Hof des Princeps werden nunmehr zwei gegenstzliche Pole der Macht deutlich: Mit ihrer in ann. 11,28,1 ausdrîcklich genannten potentia treten die Freigelassenen in Konkurrenz zu Messalina, deren potentia wiederum nur wenige Zeilen zuvor in den Ausfîhrungen des Silius Erwhnung gefunden hat.807 Im Spannungsverhltnis dieser beiden Pole wird Claudius zu einem vçllig passiven Spielball. Abschließend sei noch einmal auf den Umstand verwiesen, daß Tacitus den großen Teil der in diesem Kapitel geußerten Ansichten in 806 Man erinnere sich an eben diese Vorgehensweise in der Intrige gegen Valerius Asiaticus (s. insbes. ann. 11,1). Insofern versuchen die Freigelassenen, Messalina mit ihren eigenen Waffen zu schlagen; vgl. Keitel, 1977, 90. 807 S. ann. 11,26,2: … mansuram eandem Messalinae potentiam; vgl. Mehl, 1974, 67, der zustzlich auf ann. 11,5,3 hinweist, wo die potentia des Silius genannt wird. Insgesamt kommt Mehl a.a.O. zu dem Ergebnis, daß der Begriff der potentia „nunmehr auf die wesentlichen Handlungstrger des Buchschlusses von annales 11 angewendet [ist]: Silius, Messalina und jetzt auf die Freigelassenen, nur nicht auf Claudius – und darin zeigt sich beißender Spott auf den Kaiser –, der als Princeps das Zentrum der Macht darstellen mîßte.“ Wenn Tacitus in ann. 11,31,1 Claudius ngstlich fragen lßt, ob er der Herrschaft noch mchtig sei (an ipse imperii potens … esset), ist es die Absicht des Historikers, den Kaiser durch eine ihm in den Mund gelegte, vçllig falsche Selbsteinschtzung lcherlich zu machen, so als glaube dieser tatschlich, îberhaupt jemals imperii potens gewesen zu sein (s. u. S. 282).
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indirekter Rede vorgebracht hat, die ihm als Historiker eine gewisse Distanz erlaubt. Selbst seine streng genommen eigene Aussage vom stumpfen und hçrigen Claudius (hebetem Claudium et uxori devinctum) lßt er als Gedanken der Freigelassenen (reputantes) erscheinen. Der hier von Claudius vermittelte Eindruck ist vernichtend.808 Sind die Freigelassenen bisher nicht namentlich erwhnt und lediglich als Gruppe dargestellt worden, treten nun deren einzelne Persçnlichkeiten mit jeweils unterschiedlichen Charakterzîgen in den Vordergrund, s. ann. 11,29,1: Ac primo Callistus, iam mihi circa necem
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Freigelassenen zunchst ins Auge gefaßte Geheimhaltung (dissimulantes) der ganzen Angelegenheit ist fîr den Leser eine indirekte Besttigung fîr die vçllige Ahnungslosigkeit und Blindheit des Princeps, erscheint sie doch angesichts der mittlerweile stadtbekannten Ausschweifungen der Messalina nur unter der Voraussetzung, daß Claudius darîber immer noch nichts erfahren hat, îberhaupt sinnvoll zu sein. Aus Furcht, mit in das Verderben gerissen zu werden nehmen Pallas und Callistus jedoch wieder Abstand von dem ursprînglichen Plan. Ein Tempuswechsel hin zum historischen Prsens verleiht der Darstellung dabei zustzliche Lebhaftigkeit,812 s. ann. 11,29,2: dein metu, ne ad perniciem ultro traherentur, desistunt, Pallas per ignaviam, Callistus prioris quoque regiae peritus et potentiam cautis quam acribus consiliis tutius haberi: perstitit Narcissus, id solum immutans, ne quo sermone praesciam criminis et accusatoris faceret. Whrend Pallas, der Gînstling am Kaiserhof, aus Feigheit zurîckweicht, spielt bei Callistus seine unter Caligula gewonnene Erfahrung eine Rolle, wonach man seine Macht – erneut taucht wie ein Schlagwort der Begriff der potentia auf – eher mit vorsichtigen als tatkrftigen Plnen sichere.813 Sein Verhalten erscheint demnach weniger feige denn taktierend. Als rîcksichtslosem Opportunisten kommt es Callistus offenbar lediglich auf den Erhalt seiner persçnlichen Macht an.814 Vor diesem dunklen Hintergrund kann nun Narcissus als der einzig Mutige und zum Handeln Entschlossene um so deutlicher in Aktion treten.815 Er bleibt standhaft, ndert sein geplantes Vorgehen allein dahingehend ab, Messalina nicht durch irgendein Gesprch noch im Vorfeld der Anklage zu warnen. Diese ønderung erklrt sich fîr den Leser durch die in ann. 11,28,2 geußerte Furcht vor dem Einfluß der Messalina auf Claudius.816 Tacitus beendet das Kapitel mit dem Bericht îber die weiteren Schritte des Narcissus, s. ann. 11,29,3: ipse ad occasiones intentus, longa apud Ostiam Caesaris mora, duas paelices, quarum is corpori maxime insueverat, largitione ac promissis et uxore deiecta plus potentiae ostentando perpulit delationem subire. Da sich Claudius lnger in Ostia aufhlt, bringt Narcissus, auf eine gînstige 812 Vgl. Keitel, 1977, 91. 813 Zur weiteren stilistischen Ausgestaltung der Aussage als Sentenz s. Koestermann ad loc. 814 Vgl. Mehl, 1974, 71. 815 Vgl. Keitel, 1977, 91, die in diesem Zusammenhang zustzlich auf die Satzkonstruktion verweist: „desistunt, Pallas … Callistus is met by perstitit Narcissus“; vgl. Koestermann ad loc. 816 Vgl. Seif, 1973, 112: „Sein Plan nimmt nunmehr die Form an, deren Konturen bereits 11,28,2 sichtbar wurden.“
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Gelegenheit wartend,817 zwei Mtressen des Kaisers dazu, die Anzeige gegen Messalina vorzutragen. Wirkt bereits der Umstand, daß Claudius, der ja noch wenige Kapitel zuvor als sittenstrenger Zensor in Erscheinung getreten ist und gerade zu diesem Zeitpunkt ‘einer Opferhandlung wegen’ (s. ann. 11,26,3) aus Rom abgereist ist, sich îberhaupt mit paelices umgibt, besonders pikant, verstrkt Tacitus das hier gebotene Zerrbild durch einige kleine Zustze: In der Junktur maxime insueverat deutet das Adverb (‘am meisten’) darauf hin, daß es neben den beiden hier konkret genannten Konkubinen noch etliche weitere paelices gab, whrend das Verb (‘sich gewçhnen’) auf die lange Dauer der außerehelichen Verhltnisse des Kaisers verweist.818 Durch die im Grunde unnçtige Angabe corpori wird indessen deren kçrperlich-sexuelle Ebene besonders stark betont. Unter den Versprechungen, mit denen Narcissus die beiden paelices fîr seine Plne gewinnt, fllt vor allem wiederum die potentia ins Auge, zumal ihre Erwhnung neben dem knappen largitione ac promissis erheblich mehr Raum einnimmt (et uxore deiecta plus potentiae ostentando) und gewissermaßen als Klimax die Aufzhlung abschließt.819 Dabei ist es jedoch nicht etwa so, daß die Mtressen erst nach dem Sturz der Messalina îberhaupt zu Einfluß gelangen wîrden. Das plus gibt an dieser Stelle zu verstehen, daß es lediglich um eine Steigerung ihrer Macht geht. Auch sie gehçren demnach lngst zu dem Kreis der potentes in der nchsten Umgebung des Princeps. Claudius, der eigentliche Herrscher, scheint tatschlich der einzige zu sein, der am Kaiserhof keine Macht besitzt.820 In der hier erweckten Vorstellung, daß selbst Mtressen ihm gegenîber potentia besitzen, liegt beißender Spott.821 Im nchsten Kapitel gelangt der Plan des Narcissus dann zur Ausfîhrung, s. ann. 11,30,1 – 2: Exim Calpurnia (id paelici nomen), ubi 817 S. hierzu Mehl, 1974, 72 Anm. 401: „Narcissus’ sorgfltige Planung und Vorbereitung der Gegenintrige und das Warten auf den richtigen Zeitpunkt setzen ihn in Kontrast zu Messalina und Silius […] und parallelisieren ihn mit Agrippina, deren einziger ebenbîrtiger Gegenspieler er bei Tacitus ist.“ 818 Die von Keitel, 1977, 91 f. in Anlehnung an Syme, 1958, 725 vorgetragene Vermutung, daß durch insueverat mçglicherweise in ironischer Absicht auf das Ende des Asiaticus (ann. 11,3,2: et usurpatis quibus insueverat exercitationibus …) verwiesen werde („Claudius’ indulgence in base physical pleasures is set against the elegantly self-controlled mode of Asiaticus.“), erscheint mir angesichts der Zahl von 25 Kapiteln, die beide Stellen voneinander trennen, etwas zu weit hergeholt. 819 Vgl. Mehl, 1974, 72 mit Anm. 402.; Keitel, 1977, 91. 820 Vgl. o. S. 274 mit Anm. 807. 821 S. Seif, 1973, 113.
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datum secretum, genibus Caesaris provoluta nupsisse Messalinam Silio exclamat; simul Cleopatram, quae [idem] opperiens adstabat, an idem comperisset interrogat, atque illa adnuente cieri Narcissum postulat. is veniam in praeteritum petens, quod Titios, Vettios, Plautios di<ssi>mulavisset, nec nunc adulteria obiecturum ait, ne domum servitia et ceteros fortunae paratus reposceret: frueretur immo his, <s>ed redderet uxorem rumperetque tabulas nuptiales. ‘an discidium’ inquit ‘tuum nosti? nam matrimonium Silii vidit populus et senatus et miles; ac ni propere agis, tenet urbem maritus.’ Es ist bezeichnend, wie passiv Tacitus den Kaiser an dieser doch wichtigen Stelle seines Berichts in Erscheinung treten lßt. Die gesamte Szenerie wird zunchst von der Mtresse Calpurnia, dann von Narcissus beherrscht. Sie sind die beiden Handlungstrger, die mit ußerster Agilitt auf Claudius einwirken, ohne daß dieser selbst in irgendeiner Weise in Aktion tritt.822 Die Theatralik, die insbesondere den Auftritt der Calpurnia umgibt (genibus Caesaris provoluta … exclamat), ist fîr den Leser Ausdruck einer sorgfltigen Inszenierung.823 Auch die flîssige Abfolge der einzelnen Ttigkeiten (exclamat; … simul … interrogat, atque … postulat) sowie die zunchst abwartende, dann besttigende Haltung der zweiten Mtresse Cleopatra deuten auf einen genau geplanten Ablauf hin.824 Dabei mag die Tatsache, daß Narcissus eine zweite paelex mit in seine Berechnungen einbezogen hat, als ein weiteres, indirektes Zeichen fîr die vçllige Ahnungslosigkeit des Claudius in Bezug auf das Treiben der Messalina gewertet werden: Offenbar wußte der Kaiser so wenig davon, daß es gleich 822 Vgl. Seif, 1973, 113. Die Passivitt des Claudius ist an dieser Stelle derart auffllig, daß Fuchs in seiner Ausgabe Caesar als Subjekt zu interrogat und postulat ergnzt hat; s. hierzu die richtige Beurteilung durch H. Heubner: Umstrittene Tacitusstellen, WS 77, 1964, 138 – 143, hier 142 Anm. 6: „Vom Anfang bis zum Ende des ersten Paragraphen ist Calpurnia Subjekt – daß sie es auch in dessen zweitem Teil ist, soll der Leser an dem einleitenden simul, aber auch aus dem abschließenden postulat erkennen […]. Im zweiten Paragraphen ist Narcissus Subjekt, und zwar bis reposceret. Daß Claudius dem Verlangen der Calpurnia stattgibt und Narcissus holen lßt, ist bezeichnenderweise îbergangen: Das Zusammenspiel zwischen Calpurnia und Narcissus luft programmgemß ab, der Kaiser ist nur Objekt“; vgl. Koestermann ad ann. 11,30,1. 823 Dies gilt trotz der Tatsache, daß der ‘Kniefall’ innerhalb der rçmischen Geschichtsschreibung bei bewegten Szenen nahezu topisch ist, vgl. hierzu Mehl, 1974, 72 Anm. 404 unter Verweis auf Liv. 6,3,4; 34,11,5; 36,35,3; Curt. 3,12,11; Tac. ann. 12,18,2; Iust. 11,9,14. 824 Vgl. Keitel, 1977, 92: „The intensity of the scene conveyed by the details secretum, genibus Caesaris provoluta, the use of the present tense […] and the call for corroboration from Cleopatra, is laced with irony since the reader knows what calculation lay behind it […].“
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mehrerer Personen bedurfte, um ihn von der schockierenden Realitt îberzeugen zu kçnnen. Schließlich kommt der Freigelassene selbst zunchst in indirekter, schließlich auch in direkter Form zu Wort. Seine Ausfîhrungen geraten zu einer deutlichen Parodie auf den betrogenen Ehemann und Princeps.825 Seine Bitte um Vergebung, daß er in der Vergangenheit die heimlichen Liebschaften der Messalina mit Leuten wie Titius, Vettius oder Plautius verschwiegen habe, vermittelt durch den Plural der Eigennamen sowie deren asyndetische Reihung den Eindruck zahlloser zustzlicher Ehebrîche, von denen Claudius allesamt nichts erfahren hat.826 Nach diesem Rundumschlag gegen die sexuellen Ausschweifungen der Messalina geht Narcissus dann konkret auf deren Verhltnis zu Silius ein, nennt die vielen Geschenke aus dem kaiserlichen Haushalt (domum, servitia et ceteros fortunae paratus), die an das schamlos indiskrete Verhalten der Kaiserin in ann. 11,12,3 (postremo, velut translata iam fortuna, servi liberti paratus principis apud adulterum visebantur) erinnern827 und somit einerseits die bisherige Blindheit des Kaisers um so schrfer vor Augen fîhren, andererseits aber auch noch einmal deutlich die Gefahr anklingen lassen, die von dem neuen Gatten der Messalina fîr Claudius ausgeht, und auf die Narcissus im weiteren Verlauf seiner Ausfîhrungen zu sprechen kommt. Seine Forderung, daß Silius sich der îppigen Geschenke ruhig weiterhin erfreuen solle,828 sofern er nur die Gattin zurîckgebe und den Ehevertrag lçse, mîndet in eine ironische Scheinfrage, die wohl den Gipfelpunkt aller Bemîhungen darstellt, den Princeps in seiner Ahnungslosigkeit der vçlligen Lcherlichkeit preiszugeben: ‘Oder hast Du etwa von deiner eigenen Scheidung erfahren?’ Der Wechsel in die direkte Rede verleiht der Darstellung zustzliche Lebhaftigkeit.829 Abschließend verweist der Freigelassene auf die breite §ffentlichkeit, welche die Hochzeit des Silius mit angesehen habe, und nennt ausdrîcklich Volk, Senat und Militr als vermeintliche Augen825 Vgl. Seif, 1973, 114. 826 Zu dieser Technik vgl. ann. 1,10,4, wo die Augustusgegner behaupten: … interfectos Romae Varrones, Egnatios, Iullos (s. o. S. 28). 827 Vgl. Koestermann ad loc.; Mehl, 1974, 73 Anm. 409. Zum umstrittenen Verstndnis des ne-Satzes s. Heubner, 1964, 141 – 143; vgl. Koestermann ad loc. 828 Keitel, 1977, 92 sieht in frueretur einen ironischen Anklang auf ann. 11,12,2, wo îber Silius ausgesagt wurde: … praesentibus frui pro solacio habebat. Da das vorliegende Kapitel – wie soeben festgestellt – auch sonst in engem Bezug zu ann. 11,12 steht, ist diese Annahme nicht leicht von der Hand zu weisen. 829 Vgl. Seif, 1973, 114.
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zeugen. Vordergrîndig zielt diese øußerung darauf ab, die gefhrliche Situation fîr Claudius deutlich werden zu lassen: populus et senatus nimmt die beiden zentralen Verfassungsorgane des rçmischen Staates in den Blick, miles verweist auf die rçmische Armee, deren Loyalitt fîr jeden rçmischen Kaiser unabdingbar war.830 Wenn diese drei Gruppen nun mit angesehen haben, wie Silius durch die Eheschließung mit Messalina gewissermaßen als neuer Princeps legitimiert worden ist, so befindet sich Claudius nun in einer sehr brisanten Lage. Er muß schnellstens handeln, bevor sein Konkurrent die Macht vollstndig îbernommen hat. Entsprechend lautet die dringende Forderung des Narcissus am Ende des Kapitels, das durch das entscheidende Wort maritus seinen wirkungsvollen Abschluß findet.831 Das Drngen des Freigelassenen nach einer raschen Entscheidung, verbunden mit der Demîtigung des Princeps, entspricht dem ursprînglichen Plan, Claudius auf die eigene Seite zu ziehen und Messalina zur Strecke zu bringen, noch bevor sie Gelegenheit zu ihrer Verteidigung erhalte (s. ann. 11,28,2).832 Auf einer mehr hintergrîndigen Ebene lßt der Hinweis auf die çffentliche Anteilnahme an der Hochzeit der Messalina aber auch die Person des Kaisers erneut in sehr ungînstigem Licht erscheinen: Mit Senat, Volk und Armee weiß offenbar die gesamte res publica bereits îber das Ereignis Bescheid; Claudius, deren hçchster Reprsentant, scheint nunmehr der letzte zu sein, der davon erfhrt.833 Im Anschluß berichtet Tacitus von der Reaktion des Kaisers auf die soeben îberbrachte Kunde, s. ann. 11,31,1: Tum potissimos amicorum vocat, primumque rei frumentariae praefectum Turranium, post Lusium Getam praetorianis impositum percunctatur. quis fatentibus cer
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identidem interrogaret, an ipse imperii potens, an Silius privatus esset. Da zunchst nichts auf einen Subjektswechsel hindeutet (vocat; percunctatur), scheint nach ann. 11,30,2 weiterhin Narcissus als Hauptakteur im Mittelpunkt der Erzhlung zu stehen. Erst allmhlich wird dem Leser bewußt, daß nunmehr offenbar Claudius in den Blick genommen wird. Denn die Forderung, vor die Prtorianerkohorten zu treten und sich ihrer Unterstîtzung zu versichern, kann im Grunde nur an den Kaiser selbst gerichtet sein. Daher wird er es wohl auch gewesen sein, der seine besten Freunde zu sich gerufen und befragt hat. Durch diese Art der Darstellung tritt Claudius nur sehr indirekt als aktiver Handlungstrger in den Vordergrund.834 Doch erscheint er auch hierbei in einem nicht sehr gînstigen Licht: Offenbar ist er so begriffsstutzig, daß er immer noch nicht glauben kann, was ihm mit Calpurnia, Cleopatra und Narcissus im Kapitel zuvor gleich drei Leute erçffnet haben, und nach weiterer Besttigung sucht (percunctatur). Und natîrlich wissen auch die Freunde des Kaisers, allen voran die Prfekten Turranius und Lusius Geta, îber die Skandalgeschichte der Messalina Bescheid, wie Tacitus in dem kurzen Ablativus absolutus quis fatentibus ebenso lapidar wie eindrucksvoll zum Ausdruck bringt.835 Daneben besttigt der Umstand, daß der frumentariae praefectus und insbesondere auch der Befehlshaber der Prtorianer îber dieses Wissen verfîgen, in gewisser Weise die von Narcissus in ann. 11,30,2 aufgestellte Behauptung, daß die politisch zentralen Gruppen des rçmischen Volkes die Eheschließung zwischen Silius und Messalina mit angesehen htten: nam matrimonium Silii vidit populus et senatus et miles. Eindringlich und wetteifernd stîrmt die Umgebung auf Claudius ein, der anscheinend vçllig îberfordert ist und nicht selber weiß, was er in seiner gefhrlichen Lage zu tun hat.836 Zu Taten muß er regelrecht gedrngt werden. Dieser Eindruck wird durch das krftige Verb circumstrepere erzeugt, das sich mit certatim ceteri zu einer effektvollen Alliteration verbindet.837 Die dem Kaiser erteilten Anweisungen sind in asyndetischer 834 Vgl. Keitel, 1977, 93: „Although Claudius seeks advice (vocat; percunctatur), his ministers dominate the first sentence through the imposing chiasmus of their names and titles and the solemn opening phrase tum potissimos quemque [sic! – Keitel folgt an dieser Stelle einer anderen Lesart].“ 835 Vgl. Mehl, 1974, 73 f.: „Der Getreideprfekt C. Turranius und Lusius Geta sind Mitwisser der Verschwçrung, die damit bis in die unmittelbare Umgebung des Kaisers reicht.“ 836 Vgl. Seif, 1973, 115, der in diesem Zusammenhang sogar von einem „Tumult“ spricht. 837 Vgl. Seif, 1973, 115; Keitel, 1977, 93.
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Reihung knapp und przise formuliert (iret…, firmaret,… consuleret). In ihrer Klarheit stehen sie in erheblichem Kontrast zu der panischen Kopflosigkeit des Claudius, von der direkt im Anschluß die Rede ist und die Tacitus als allgemein bekannte Tatsache (satis constat) glaubwîrdig darzustellen weiß.838 Erst an dieser Stelle, wo der Kaiser vor Angst vçllig aufgelçst (pavore offusum) und verwirrt (identidem interrogaret) erscheint, tritt Claudius als namentlich genanntes Subjekt in Erscheinung.839 Vor dem hier entfalteten Hintergrund seiner absoluten Hilflosigkeit spricht aus seiner bangen Frage, ob er denn noch der Herrschaft mchtig (imperii potens) bzw. Silius noch Privatmann sei,840 fîr den Leser nichts als Ironie: Hatte der Kaiser dem Bericht des Tacitus zufolge ohnehin nie wirkliche Macht besessen, so hlt er sie gerade in diesem Augenblick doch am allerwenigsten in den Hnden.841 Andere entscheiden fîr ihn, was von nun an zu tun ist. Der Bestîrzung und Panik des Princeps wird sodann das ausgelassene Verhalten der Messalina kontrastierend entgegengehalten,842 s. ann. 11,31,2: At Messalina non alias solutior luxu, adulto autumno simulacrum vindemiae per domum celebrabat. Urgeri prela, fluere lacus; et feminae pellibus accinctae adsultabant ut sacrificantes vel insanientes Bacchae; ipsa crine fluxo thyrsum quatiens, iuxtaque Silius hedera vinctus, gerere cothurnos, iacere caput, strepente circum procaci choro. In leuchtenden Farben malt Tacitus hier das Bild ungezîgelter Ausschweifungen im Rahmen eines Weinlesefestes, auf dessen genaue Einzelheiten hier nicht nher eingegangen werden muß.843 Fest steht, daß der Leser auch diese ungeheuerlich klingende Erzhlung nach der Wahrheitsbeteuerung des Tacitus in ann. 11,27 fîr glaubhaft hlt. Die Beschreibung der Messalina selbst als non alias solutior luxu paßt zudem vorzîglich zu dem Psychogramm, das der Historiker von der Kaiserin vor allem in den Kapiteln ann. 11,26 ff. entworfen hat: Sie ist sîchtig nach immer weitergehenden Vergnîgungen, findet einfach kein Maß und scheint sich tatschlich nunmehr ganz ihren libidines hinzugeben. Zustzlich mag der Hinweis 838 Vgl. Keitel, 1977, 94. 839 Vgl. Keitel, 1977, 93 f. 840 Seif, 1973, 115 weist auf die anaphorische Ausgestaltung (an … an) des Satzes hin, wodurch das „ngstliche Fragen des Kaisers“ nachdrîcklich herausgestellt werde; vgl. Keitel, 1977, 94. 841 Vgl. o. S. 274 mit Anm. 807; Keitel, 1977, 94. 842 Vgl. Seif, 1973, 116; Mehl, 1974, 74; Keitel, 1977, 94. 843 Zur stilistischen Ausgestaltung der Szene s. bes. Keitel, 1977, 96 f.
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auf das Haus des Silius (per domum)844 das Verhalten der Messalina in Erinnerung rufen, mit dem sie ihr Verhltnis zu Silius ungeniert in die §ffentlichkeit getragen hat.845 Hierzu stellt das hemmungslose Feiern der Kaiserin – allein sie ist Subjekt zu celebrabat – nun eine deutliche Fortentwicklung und Steigerung dar. Auch dies besttigt das in ann. 11,26 gezeichnete Charakterportrt einer nach immer weiteren, noch nie dagewesenen Ausschweifungen suchenden Frau. Wenn zustzlich auch Silius als rasender Dionysos-Bacchus auftritt (hedera vinctus, gerere cothurnos, iacere caput)846 und damit den Rahmen seines bisherigen, von berechnendem Kalkîl geprgten Charakterportrts verlßt, so mag das mit der Absicht des Historikers verbunden sein, das frisch vermhlte Paar durch die Einbindung in ein Bacchanal auf politischer Ebene zu diskreditieren.847 Die Formulierung strepente circum procaci choro lehnt sich sprachlich und stilistisch (c-Alliteration!) eng an die zuvor beschriebene Szene in der Umgebung des Claudius (ann. 11,31,1: certatim ceteri circumstrepunt) an und verschrft auf diese Weise den bereits erwhnten 844 S. Koestermann und Furneaux ad loc.; die gelegentlich vetretene Auffassung, es sei hier an das Haus der Messalina gedacht, ist zurîckzuweisen. Zum rçmischen Hochzeitsritus gehçrte die deductio der Braut in das Haus des Brutigams, s. hierzu neuerdings I. Kçnig: Vita Romana. Vom tglichen Leben im alten Rom, Darmstadt 2004, 38 – 40; vgl. C. Paulus: Deductio, DNP 3, 1997, Sp. 361. Seit der Eheschließung (ann. 11,27) befindet sich Messalina also bei Silius; vgl. zudem ann. 11,30,2: … ne domum servitia et ceteros fortunae paratus reposceret: frueretur immo his, sed redderet uxorem (sc. Silius): ‘Alles andere mag der Ehebrecher behalten, nur die Frau soll er zurîckgeben.’ 845 S. Keitel, 1977, 96; ann. 11,12,3: illa (sc. Messalina) non furtim, sed multo comitatu ventitare domum, egressibus adhaerescere, largiri opes honores. Die domus des Ehebrechers steht zudem im Kontrast zur domus principis in ann. 11,28,1. 846 S. Koestermann ad loc. 847 So Mehl, 1974, 74 – 76: „Seit dem Bacchanalienskandal des Jahres 186 vor Christi Geburt stellt der Vorwurf des bacchari eine eindeutig moralisch-politische Kritik von grçßter Schrfe dar“ (a.a.O. 75). øhnlich und mit zustzlichem Bezug auf Claudius urteilt Keitel, 1977, 94 („Neither of the major political figures, the princeps or his wife, is in control of himself or the government“), gibt a.a.O. 97 jedoch zu bedenken, daß im Falle der Messalina an dieser Stelle keine eindeutige Trennung zwischen politischer und erotischer Sphre mçglich ist: „Political enemies were commonly charged with furor, insania and luxus. All these qualities are ascribed to Messalina in Book 11, yet how can one confidently separate the political from the erotic here or in 11.12?“ Fîgt sich das ausschweifende Verhalten der Kaiserin tatschlich in das bisherige (erotische) Schema, so steht jedoch der Auftritt des Silius in so deutlichem Gegensatz zu dessen bisherigem Portrt, daß die von Mehl vertretene politische Interpretation mehr als gerechtfertigt erscheint; vgl. insgesamt Seif, 1973, 116 f.; 308 – 310.
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Kontrast zwischen kopfloser Panik auf der einen und orgiastischer Ausgelassenheit auf der anderen Seite.848 Die Schilderung der Festlichkeit wird abgeschlossen durch eine Anekdote, die Tacitus in Form eines Gerîchtes (s. im folgenden ferunt) wiedergibt und zu einem Ausblick auf die kommenden Ereignisse nutzt. Dabei lßt er es an schwarzem Humor nicht fehlen, s. ann. 11,31,3: ferunt Vettium Valentem, lascivia in praealtam arborem conisum, interrogantibus quid adspiceret, respondisse tempestatem ab Ostia atrocem, sive coeperat ea species, seu forte lapsa vox in praesagium vertit.849 Da der Leser weiß, daß Claudius sich gerade in Ostia aufhlt (s. ann. 11,26,3; 11,29,3), bezieht er das von dort heranziehende schwere Unwetter gerne auf dessen Rîckkehr nach Rom und gibt der geistreichen Interpretation, die in der Aussage des Vettius Valens eine unbeabsichtigte Weissagung zum Vorschein kommen lßt, den Vorzug vor der ersten angebotenen Erklrung (sive coeperat ea species).850 Durch die hier nacherzhlte Episode wird das baldige Ende der Messalina ahnungsvoll vorweggenommen.851 Die durch das vermeintliche praesagium des Valens angedeutete Wiederkehr des Claudius aus Ostia bildet auf kunstvolle Weise die in848 S. Seif, 1973, 116; vgl. Keitel, 1977, 95: „We are meant to infer a moral equivalence between the two scenes of abandon“; 98 f. 849 Die Szene scheint den Bacchae des Euripides (1080 ff.) verpflichtet zu sein, s. hierzu A. La Penna: I Baccanali di Messaline e le Baccanti di Euripide, Maia 27, 1975, 121 – 123; vgl. Keitel, 1977, 97 f., die zu dem Ergebnis kommt: „Whatever the source of this incident or its original purpose, we can conclude that Tacitus has inserted it to underline his picture of Messalina’s moral abandonment.“ 850 Vgl. Keitel, 1977, 97; Whitehead, 1979, 484. Der hier erzeugte Eindruck der Absichtslosigkeit (forte lapsa vox) eines praesagium spricht im îbrigen gegen die von E. Aumîller, 1948, 92 f. vorgelegte Deutung, welche auf der vermeintlichen Mutwilligkeit der Anwesenden basiert: „Der Vorfall stellt als Detail den Hçhepunkt der Ausgelassenheit dar, indem die Beteiligten mit dem Einzigen, was ihnen noch Anlaß zur Besonnenheit geben mîßte, nmlich ihrer Zukunft, noch ein mutwilliges Spiel treiben. Die Ironie liegt darin, daß, was als Spiel und im Scherz gesagt und gedacht war, Ernst und Wirklichkeit wird [Hervorhebungen von mir].“ 851 Keitel, 1977, 98 geht in ihrer Vermutung, daß durch den Ausdruck in praesagium vertit mçglicherweise an ann. 11,11,2: … favor plebis acrior in Domitium loco praesagii acceptus est erinnert und auf diese Weise nicht nur das Ende der Messalina, sondern auch der Aufstieg der Agrippina und des Nero antizipiert werden soll, sicherlich zu weit. Gleiches gilt fîr eine weitere von Keitel a.a.O. 95 gezogene Parallele zum Traum einer der Petra-Brîder (ann. 11,4,2), die hier nicht weiter ausgefîhrt werden soll.
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haltliche Brîcke zum nchsten Kapitel,852 s. ann. 11,32,1: non rumor interea, sed undique nuntii incedunt, qui gnara Claudio cuncta et venire promptum ultioni adferrent. igitur Messalina Lucullanos in hortos, Silius dissimulando metum ad munia fori digrediuntur. ceteris passim dilabentibus adfuere centuriones, inditaque sunt vincla, ut quis reperiebatur in publico aut per latebras. Auf die Schilderung der ausgelassenen Feierlichkeiten im vorangegangenen Kapitel folgt nun ein scharfer Kontrast: Die Rîckkehr des Kaisers ist kein Gerîcht mehr, sondern Realitt. Die eben noch so frçhlich gestimmte Gesellschaft lçst sich fluchtartig auf, Furcht und Bestrafung beherrschen die Szene. Indessen wirkt die von Boten gemeldete Nachricht, daß Claudius alles wisse und nun zur Rache entschlossen sei (gnara Claudio cuncta et venire promptum ultioni), in ihrer Aussage allenfalls ironisch, hat der Leser doch noch bestens im Gedchtnis, wie unwissend, ngstlich und hilflos der Princeps nur ein Kapitel zuvor (ann. 11,31,1) in Erscheinung getreten ist.853 Ironisch gefrbt ist auch der Umstand, daß Messalina sich ausgerechnet in die Grten des Lukull zurîckzieht, die sie von Asiaticus, einem Opfer ihrer Intrigen, nach dessen erzwungenen Selbstmord erhalten hatte.854 Nun ist sie selbst zum Opfer hçfischer Machtinteressen gewor852 Vgl. Seif, 1973, 118. 853 Vgl. Seif, 1973, 118: „Die angefîhrte Meldung, Claudius komme promptus ultioni, steht in einem geradezu grotesken Kontrast zu dem wirklichen Verhalten, das der Kaiser whrend des gesamten Verlaufs der Aktion gegen Messalina an den Tag legt. Nicht Claudius, sondern der libertus Narcissus ist der eigentliche Rcher dieser Schmach.“ Keitel, 1977, 99 fîhlt sich durch die hier gebotene Kombination von „knowledge with angry punishment“ hingegen an die Charakterisierung des Claudius in ann. 11,25,5 (isque illi finis inscitiae erga domum suam fuit: haud multo post flagitia uxoris noscere ac punire adactus …) sowie an die Einschtzung des Kaisers durch Silius in ann. 11,26,2 (ut insidiis incautum, ita irae properum; vgl. Mehl, 1974, 77 mit Anm. 444) bzw. durch die Freigelassenen in ann. 11,28,2 (wobei mir der konkrete Bezug zu unserer Stelle nicht recht klar werden will) erinnert. Gnara Claudio cuncta ist in ihren Augen vor allem eine ironische Reminiszenz zu ann. 11,27,1 (in civitate omnium gnara …), welche die lange Dauer der Unwissenheit auf Seiten des Claudius hervorkehren solle; vgl. Mehl, 1974, 77 Anm. 443: „Dieser Ausdruck kontrastiert mit 11,13,1 Claudius matrimonii sui ignarus […].“ 854 Mehl, 1974, 77 Anm. 446 weist darauf hin, daß Cassius Dio (Exc. Val., Xiph., Zon.) 60,31,5 durch die Erwhnung der horti Luculliani einen direkten Bezug zwischen dem Ende des Asiaticus und dem der Messalina herstellt: „Ein hnlicher Gedanke mag auch hinter Tacitus’ øußerung stehen“; vgl. Keitel, 1977, 100; 101, die unter Einbeziehung weiterer Beobachtungen (s. weiter unten ann. 11,32,3: purgamenta hortorum) in den Grten geradezu ein Symbol fîr den
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den. Das Verhalten des Silius hingegen trgt fatalistische Zîge: Inmitten der bedrohlichen Situation geht er seinen normalen Tagesgeschften auf dem Forum nach, um seine Furcht zu verbergen.855 Erneut wird ihm von Tacitus metus attestiert (vgl. ann. 11,26,2). Der Eindruck, daß Silius nicht aus Machtgier, sondern aus Furcht die Initiative zum Kaisersturz ergriffen hat, mag sich hierdurch verfestigen. Bezeichnenderweise bleibt das frisch vermhlte Paar im Augenblick der Gefahr nicht beisammen, was Tacitus durch das Verb digrediuntur besonders hervorhebt. Die îbrigen Teilnehmer des Bacchus-Festes werden auf der Flucht von Zenturionen bereits verhaftet. Durch diese Information erfahren die dargestellten Ereignisse eine dramatische Beschleunigung. Die ersten Gegenmaßnahmen des Kaisers (bzw. des Narcissus) sind bereits in vollem Gang. Es scheint jetzt nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis auch Messalina und Silius ihre Strafe erhalten werden. Die Darstellung konzentriert sich anschließend ganz auf Messalina, s. ann. 11,32,2: Messalina tamen, quamquam res adversae consilium eximerent, ire obviam et aspici a marito, quod saepe subsidium habuerat, haud segniter intendit, misitque ut Britannicus et Octavia in complexum patris pergerent. et Vibidiam, virginum Vestalium vetustissimam, oravit pontifici<s> maximi aures adire, clementiam expetere. Messalina verhlt sich genau so, wie es die Freigelassenen in ann. 11,28,2 befîrchtet haben: Sie versucht, den leicht beeinflußbaren Princeps durch eine persçnliche Begegnung zu erweichen. Die eingeschobene Bemerkung quod saepe subsidium habuerat ist fîr das Charakterbild des Claudius bezeichnend: Seine Lenkbarkeit scheint derart typisch fîr ihn zu sein, daß sich seine Gattin bisher immer darauf verlassen konnte. Unter Berufung auf den vorangestellten quamquam-Satz, der gefhrliche Situationen als hinderlich fîr kluge berlegung erklrt, ist verschiedentlich die Ansicht geußert worden, Messalina handle an dieser Stelle instinktiv.856 Wie berechnend und kalkuliert ihr Verhalten jedoch ist, zeigt die unmittelbar Aufstieg und Fall der Messalina im elften Annalenbuch erblickt. Keitel meint a.a.O. 100 zudem, daß bereits der Ausdruck inditaque sunt vincla den Fall des Asiaticus ins Gedchtnis zurîckrufe (vgl. ann. 11,1,3: vinclis inditis) und schreibt vor diesem Hintergrund: „The whole paragraph [ann. 11,32,1] suggests the reversal of Messalina’s position at the opening of the extant Book 11“; vgl. Wille, 1983, 492. 855 Vgl. Mehl, 1974, 78 Anm. 447 gegen den Kommentar Koestermanns ad loc., der unpassend von „noch ungebrochener Entschlußkraft“ spricht, die Silius „bis zum Schluß nicht verließ.“ 856 So urteilen Seif, 1973, 120 und Koestermann ad loc.
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folgende Darstellung. Um ihr Vorhaben erfolgreich umzusetzen, agiert die erfahrene Intrigantin psychologisch ußerst geschickt auf drei unterschiedlichen Ebenen: Der Kaiser soll zunchst als Ehemann (maritus),857 dann als Vater (pater) und schließlich als ranghçchster Priester (pontifex maximus) emotional unter Druck gesetzt werden. Es zeigt sich, daß das Verhalten der Messalina gerade von dem, was durch den konzessiven Einschub quamquam … eximerent als allgemeine Regel formuliert wird, abgehoben werden soll: Trotz ihrer kritischen Lage verliert sie nicht den Kopf, sondern handelt unverdrossen (vgl. die Litotes haud segniter) und absichtsvoll (vgl. intendit).858 Doch ihr Vorgehen zeugt nicht nur von kîhler Berechnung und besonderer Raffinesse,859 sondern auch von vçlliger Skrupellosigkeit, da sie offenbar keinerlei Scheu besitzt, selbst die eigenen Kinder sowie den Bereich des Sakralen fîr ihre Zwecke zu instrumentalisieren.860 Die gesamte Aussage wird durch Assonanzen (complexum patris pergerent) und die sehr feierlich wirkende v-Alliteration Vibidiam, virginum Vestalium vetustissimam besonders eindringlich hervorgehoben.861 Daß sich die fîr ihre sexuellen Ausschweifungen bekannte
857 Keitel, 1977, 100 glaubt, daß maritus hier an ann. 11,30,2 erinnern soll, wo es in Bezug auf Silius geheißen hat: tenet urbem maritus. Auf dieser Grundlage argumentiert sie dann etwas unklar: „By the implications of this parallel, Messalina, not Silius is the threat to the throne […].“ Mçglich ist immerhin, daß Tacitus hier sein Spiel mit der Doppelehe der Messalina treibt. 858 Vgl. Mehl, 1974, 78: „Es ist glaubhaft, daß Messalina aus Instinkt ihren Charme (oder, wenn man so will, ihren ‘Sex-Appeal’) gegenîber Claudius ausspielen will. Aber fîr den Auftrag an die Kinder oder gar an die Vestalin reicht das nicht als Erklrung. Vor allem die Ausdrîcke complexus patris und pontifex maximus sprechen so genau spezifische Verhaltensweisen des Claudius an, daß sie nur von berechnendem Verstand diktiert sein kçnnen.“ 859 Vgl. Keitel, 1977, 100 f. 860 Seif, 1973, 119 ist der Ansicht, Messalinas „Verhalten und all das, was sie ins Werk setzt“, sei „typisch fîr einen Rçmer, der in Ungnade gefallen ist und sich bedroht weiß“ und verweist insbesondere auf den Fall des Serv. Sulpicius Galba, der 149 v. Chr. als Angeklagter vor Gericht seine noch nicht erwachsenen Kinder vor das Volk fîhren ließ, um Mitleid zu erregen (a.a.O. Anm. 26 mit Belegstellen u. a. bei Cicero, Livius und Quintilian). Doch bleibt der bloße Eindruck, den Messalina hier erweckt, von dieser Feststellung weitgehend unberîhrt, zumal die Kaiserin bereits zuvor als moralisch vçllig verkommene Person sowie als rîcksichtslose und gerissene Intrigantin (etwa im Asiaticus-Prozeß) eindrucksvoll in Erscheinung getreten ist. 861 Vgl. Koestermann ad loc.
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Kaiserin ausgerechnet der Hilfe der ltesten Vestalin (einer virgo!) bedient, ist in den Augen des Lesers blanke Ironie.862 Nachdem Tacitus die Verschlagenheit der Messalina eindrucksvoll hat deutlich werden lassen, wendet er sich ebenso anschaulich ihrem tiefen Fall zu,863 der sich plçtzlich ereignet hat und wiederum in scharfem Kontrast zu der Schilderung des ausgelassenen Bacchus-Festes (ann. 11,31,2 – 3) steht, s. ann. 11,32,3: atque interim tribus omnino comitantibus – id repente solitudinis erat – spatium urbis pedibus emensa, vehiculo, quo purgamenta hortorum e<x>cipiuntur,864 Ostiensem viam intrat, nulla cuiusquam misericordia, quia flagitiorum deformitas praevalebat. Nur noch drei Begleiter sind der Kaiserin geblieben. Zunchst zu Fuß, dann auf einem Wagen, mit dem sonst Unrat aus den Grten geschafft wird, macht sich Messalina auf, um Claudius entgegenzugehen.865 Bildhafter htte Tacitus den sozialen Absturz der Kaisergattin wohl kaum darstellen kçnnen.866 Doch das Mitleid ihrer Umgebung erregt sie nicht, wie Tacitus in einem nachgetragenen Ablativus absolutus (nulla cuiusquam misericordia) einprgsam zum Ausdruck bringt: Zu schwerwiegend sei die Hßlichkeit ihrer Schandtaten gewesen. Durch diese abschließende Erinnerung an die Untaten der Kaiserin kommt auch beim Leser kein Mitgefîhl auf. Das Verb praevalere erinnert indessen an die Worte der Freigelassenen in ann. 11,28,2, als sie die Hoffnung 862 Vgl. Keitel, 1977, 101 unter Verweis auf Vessey, 1971, 399. 863 Vgl. Mehl, 1974, 79; Keitel, 1977, 101. 864 So die Korrektur des Heinsius fîr das îberlieferte eripiuntur, an dem Furneaux und Fisher festhalten mçchten; s. Koestermann ad loc. 865 Mehl, 1974, 79 und Keitel, 1977, 101 weisen darauf hin, daß Messalina nach Cassius Dio 60,22,2 und Suet. Claud. 17,3 das Recht besaß, auf einem carpentum zu fahren. Sollte auch Tacitus dies zuvor in den verlorenen Teilen der Annalen erwhnt haben, so ergbe sich fîr den Leser an dieser Stelle zweifellos ein weiterer Kontrast zum bisherigen sozialen Status der Kaiserin. 866 Seif, 1973, 120 ist offenbar der Ansicht, daß der „jmmerliche Aufzug“ der Kaiserin ein Teil ihres Planes ist, der auf das Mitleid des Claudius abzielt. Doch spricht vor allem der parenthetische, pointierte (s. Koestermann ad loc.) Kommentar des Tacitus id repente solitudinis erat gegen eine entsprechende Aussageabsicht des Historikers. Einsamkeit und Elend sind keineswegs von Messalina in berechnender Weise frei gewhlt, sondern plçtzlich und unwillkîrlich îber sie hereingebrochen. Seif vergleicht a.a.O. darîber hinaus die gesamte Szene mit dem von Tacitus geschilderten Ende des Vitellius (hist. 3,84 f.) und kommt zu dem Ergebnis: „Das Schmutzige hat in beiden Schilderungen Symbolcharakter. Es deutet auf die moralische Verkommenheit Messalinas und des Vitellius hin. Mitleid regt sich fîr keinen von beiden“; vgl. Keitel, 1977, 101 f.
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ußerten, den lenkbaren Claudius durch die Scheußlichkeit des geplanten Verbrechens auf ihre Seite ziehen zu kçnnen: si atrocitate criminis praevaluissent. Zumindest die einfachen Leute auf den Straßen Roms scheinen diesem Gedanken entsprechend gestimmt und daher immun gegen die Machenschaften der Messalina zu sein.867 Claudius hingegen muß wenig spter in ann. 11,34,2 offenbar erneut an die flagitia seiner Gattin erinnert werden, um nicht in Mitleid zu verfallen. Im folgenden Kapitel wird der Blick wieder zurîck auf das Umfeld des Claudius gelenkt, s. ann. 11,33: Trepidabatur nihilo minus a Caesare: quippe Getae praetorii praefecto haud satis fidebant, ad honesta seu prava iuxta levi. ergo Narcissus adsumptis quibus idem metus, non aliam spem incolumitatis Caesari adfirmat, quam si ius militum uno illo die in aliquem libertorum transferret, seque offert suscepturum. ac ne, dum in urbem vehitur, ad paenitentiam a L. Vitellio et Largo Caecina mutaretur, in eodem gestamine sedem poscit adsumit
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mando îber die Prtorianer îbertragen zu lassen. Zweck dieser Darstellungsweise ist eine dramatische Zuspitzung des Geschehens, welche die konsequente Entschlossenheit des Freigelassenen – man beachte insbesondere das folgernde ergo – selbst in ußerst kritischen Situationen anschaulich vor Augen fîhrt. Die ihm in den Mund gelegten øußerungen tragen weiterhin die Zîge von großer Umsicht und berechnendem Kalkîl: Whrend Narcissus einerseits die vorgeschlagene bertragung des ius militum an einen der Freigelassenen als einzig noch verbliebene Rettung (non aliam spem incolumitatis) darstellt, versteht er es andererseits, seine eigene Person dabei so weit wie mçglich zurîckzunehmen, um seinerseits kein Mißtrauen zu erregen. Ausdrîcklich bezieht er Gleichgesinnte in seine Planungen ein (adsumptis quibus idem metus) und spricht zunchst von irgendeinem der Freigelassenen (aliquem libertorum), dem das Kommando îber die Prtorianer zukommen sollte, bevor er sich schließlich in einem Nachsatz (seque offert suscepturum) eilig selbst ins Spiel bringt und bei aller ußerer Zurîckhaltung die Entscheidung des Kaisers damit erheblich beeinflußt.871 Indem die Gesinnungsgenossen an dieser Stelle unerwhnt bleiben, kann Narcissus als Handlungstrger um so strker in den Vordergrund treten. Aus seiner Sorge um das Wohlergehen des Claudius spricht derweil ein weiteres Mal die feine Ironie des Tacitus. Wie der Leser seit ann. 11,28 weiß, bangen die Freigelassenen in erster Linie nicht um das Leben des Kaisers, sondern um ihren eigenen Machterhalt und ihre bloße Existenz, sollten sich die Dinge zugunsten der Messalina wenden.872 Claudius erscheint wiederum als Marionette und Werkzeug seiner hçfischen Umgebung. Wie sehr Narcissus seinen Einfluß auf den Kaiser geltend macht, zeigen auch die weiteren Zeilen des Kapitels: Aus Angst, Claudius kçnne beim Einzug in Rom durch Vitellius und Caecina doch noch zur ‘Reue’ bewegt werden, nimmt er wie ein Aufpasser Platz auf dem Wagen des Kaisers, der somit als geistig unmîndige Person erscheint, die man offenbar vor sich selber schîtzen 871 Vgl. Keitel, 1977, 103: „The enclitic –que hardly gives Claudius a chance to catch his breath before he is enmeshed in another of the freedman’s intrigues“; Seif, 1973, 121; Koestermann ad loc. Die Entscheidung des Kaisers zugunsten des Narcissus wird in diesem Kapitel bezeichnenderweise nicht erwhnt. Hierzu Mehl, 1974, 80: „Und so geschieht das noch nie Dagewesene mit einer solchen Selbstverstndlichkeit, daß Tacitus die Gewhrung des Vorschlags nicht mehr erwhnt.“ Daß der Freigelassene tatschlich den Oberbefehl îber die cohortes pratoriae erhalten hat, geht dann aus ann. 11,35,2 hervor, wo dieser zu den Prtorianern spricht; s. Seif, 1973, 120. 872 Vgl. Keitel, 1977, 102.
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muß.873 Daß der Freigelassene in der Kutsche des Princeps fhrt, steht in grellem Kontrast zu der kurz zuvor in ann. 11,32,3 geschilderten Szene, die Messalina zunchst zu Fuß, dann auf einem Mistkarren unterwegs zeigte, und bringt auf diese Weise zum Ausdruck, wie sehr sich die Machtverhltnisse in der Umgebung des Princeps nunmehr gendert haben.874 Das lapidare poscit adsumit
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die Formulierung a Caesare). Weder wird er namentlich erwhnt noch tritt er ausdrîcklich als Subjekt in Erscheinung. In aufflliger Weise muß seine Person zu den Prdikaten transferret, vehitur und mutaretur immer erst ergnzt werden.876 Im Anschluß schildert Tacitus Begebenheiten, die sich auf der Reise des Kaisers nach Rom ereignet haben sollen, s. ann. 11,34,1: Crebra posthac fama fuit, inter diversas principis voces, cum modo incusaret flagitia uxoris, aliquando ad memoriam coniugii et infantiam liberorum revolveretur, non aliud prolocutum Vitellium quam ‘o facinus! o scelus!’. instabat quidem Narcissus aperire ambages et veri copiam facere; sed non ideo pervicit, quin suspensa et quo ducerentur inclinatura responderet exemploque eius Largus Caecina uteretur. In der bezeichnenden Form eines Gerîchtes877 nimmt Tacitus zunchst die zwielichtige Person des Vitellius schrfer in den Blick. Dieser erscheint hier in der Rolle des typischen Opportunisten, der sich abwartend in keine Richtung festlegen mçchte. Seine zweideutige Bemerkung ‘o facinus! o scelus!’, die sowohl gegen Messalina als auch gegen ihre Anklger gerichtet sein kann, steht sicherlich beispielhaft fîr eine von Tacitus verachtete geistige Haltung der frîhen Kaiserzeit, gegen die selbst der nun so einflußreich gewordene Narcissus nichts ausrichten kann.878 Die Szene gert mit ihrem sarkastischem Unterton879 somit vordergrîndig zu einer allgemeinen Kritik des Historikers an den symptomatischen Zustnden des frîhen Prinzipats.880 Daß Vitellius kein Einzelfall gewesen ist, wird dadurch deutlich, daß 876 Dies ist insofern auffllig, als in allen drei Fllen immer ein Subjektswechsel gegenîber dem Hauptsatz (mit Narcissus als Subjekt) vorliegt. 877 S. hierzu Keitel, 1977, 104: „In crebra post haec fama fuit the strong initial position of crebra and the alliteration of fama fuit lend the story credence without committing Tacitus to his validity.“ 878 Man beachte hierbei den Wechsel zurîck in die direkte Rede: instabat quidem Narcissus. Die Reaktion des Freigelassenen auf die ausweichende Haltung des Vitellius ist damit aus dem bloßen Gerîcht ausgeklammert. Tacitus lßt die nacherzhlte crebra fama somit fast unmerklich als wahr erscheinen. 879 Vgl. Koestermann ad loc.; Seif, 1973, 123: „Die Szenen, die sich whrend der Fahrt nach Rom abspielen, entbehren nicht der Komik […]“; Keitel, 1977, 104. 880 Vgl. Keitel, 1977, 104: „Vitellius proves himself a shrewd student of imperial power. Like Tiberius […], he has learned the knack of suspensa verba.“ Ob jedoch – wie Keitel a.a.O. gewissermaßen suggeriert – eine direkte Reminiszenz an ann. 1,11,2 (Tiberioque etiam in rebus, quas non occuleret, seu natura sive adsuetudine, suspensa semper et obscura verba) beabsichtigt ist, wage ich aufgrund der großen Distanz zum ersten Annalenbuch zu bezweifeln.
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Caecina seinem Beispiel folgt.881 Doch dient die kurze Episode îber das feige und abwartende Gebaren der beiden Mnner mehr noch der dramatischen Zuspitzung des Geschehens. Ausgangspunkt dieser Beobachtung ist die enge Verknîpfung dieser Szenerie mit den Gemîtsschwankungen des Claudius, der sich genau so verhlt, wie es von den Freigelassenen befîrchtet und von Messalina berechnet worden ist, und damit deren Einschtzungen als zutreffend erweist.882 Tatschlich kann sich der Princeps offenbar nicht zu einer festen Haltung seiner Gattin gegenîber durchringen. Insbesondere das Verb revolveretur entfaltet hier eine hohe suggestive Kraft, indem es gleichsam ein unwillkîrliches ‘Hinund Herrollen’ des Princeps zwischen gegenstzlichen Gefîhlen (vgl. zustzlich: inter diversas principis voces) sehr bildhaft zum Ausdruck bringt.883 Da der Leser bereits um die von Messalina verfolgte Taktik weiß (s. ann. 11,32,2: … ire obviam et aspici a marito, quod saepe subsidium habuerat, haud segniter intendit misitque ut Britannicus et Octavia in complexum patris pergerent), unterstreichen die dem Kaiser weiterhin unterstellten Motive der Liebe zu seiner Gemahlin und den gemeinsamen, kleinen Kindern (vgl. memoriam coniugii et infantiam liberorum) die besondere Gefahr, die von den geplanten Aktionen der Kaiserin ausgeht, und belegen, wie gut Messalina ihren Gatten einzuschtzen und entsprechend zu manipulieren versteht.884 In diesem Zusammenhang verdeutlicht der Blick auf das abwartende Verhalten des Vitellius und des 881 Man beachte zustzlich, daß auch die Freigelassenen Pallas und Callistus in ann. 11,29,2 eine ganz hnliche Haltung an den Tag gelegt haben, worauf Keitel, 1977, 104 hinweist und zu Recht vermerkt: „As in 11,29, there is a contrast between two cowards and the bold Narcissus.“ In beiden Fllen sticht Narcissus unmittelbar nach der Schilderung îber das feige Verhalten der jeweiligen Personen durch sein energisches und entschlossenes Vorgehen hervor; vgl. ann. 11,29,2: perstitit Narcissus …; ann. 11,34,1: instabat quidem Narcissus ... 882 S. Mehl, 1974, 80 f.; vgl. ann. 11,28,2 bzw. 11,32,2. 883 Koestermann ad loc. deutet die Form medial (revolvi ad = ‘zurîckkommen auf ’). Das Passiv scheint mir an dieser Stelle jedoch ein echtes zu sein, impliziert es doch einen Kontrollverlust des Claudius îber seine Empfindungen, der gut in den hier gegebenen Kontext paßt. Der Kaiser ist ein Spielball seiner widerstreitenden Emotionen. Seif, 1973, 123 weist zudem auf die chiastische Anordnung des cum-Satzes hin, wodurch die inhaltlichen Gegenstze auch auf sprachlicher Ebene zur Geltung kommen: „[…] incusaret (a1) flagitia … (b1), … ad memoriam (b2) … revolveretur (a2).“ 884 Vgl. Keitel, 1977, 103 f.; Seif, 1973, 123, der in diesem Zusammnenhang zustzlich darauf aufmerksam macht, daß auf dem zweiten Kolon des cum-Satzes (aliquando … revolveretur) – aufgrund seiner Lnge und der strkeren zweiten Position – ein im Verhltnis zum ersten Kolon ungleich grçßeres Gewicht liegt.
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Caecina eindringlich, wie kritisch und ungewiß der Ausgang des Machtkampfes zwischen Narcissus und Messalina um die Gefîhle des Kaisers ist.885 Mit um so grçßerer Spannung erwartet der Leser deshalb das direkte Aufeinandertreffen zwischen Claudius und seiner Gattin, das im Anschluß an diese Szene geschildert wird, s. ann. 11,34,2 – 3: et iam erat in adspectu Messalina clamitabatque audiret Octaviae et Britannici matrem, cum obstrepere accusator, Silium et nuptias referens; simul codicillos libidinum indices tradidit, quis visus averteret. nec multo post urbem ingredienti offerebantur communes liberi, nisi Narcissus amoveri eos iussisset. Vibidiam depellere nequivit, quin multa cum invidia flagitaret, ne indefensa coniux exitio daretur. Igitur auditurum principem et fore diluendi criminis facultatem respondit: iret interim virgo et sacra capesseret. Mit Mîhe und Not kann Narcissus den theatralischen Auftritt der Messalina und ihre weiteren Maßnahmen abwehren. Aktion und Reaktion wechseln dabei jeweils in so dichter Folge, daß der Eindruck eines regelrechten Abwehrkampfes des Freigelassenen entsteht. Das Krfteverhltnis zwischen den beiden Kontrahenten erscheint an dieser Stelle nahezu ausgeglichen, wodurch die Spannung weiter erhçht wird.886 Dem emphatischen clamitabat, welches das Verhalten der Kaiserin umschreibt, steht das energische obstrepere des Freigelassenen entgegen, der durch ein inversives cum nunmehr als Anklger (accusator) pointiert in den Mittelpunkt des Geschehens rîckt.887 Der historische Infinitiv macht zustzlich die hektische Eile deutlich, in der er auf Messalinas ersten Ansturm reagiert. Den Appell der Messalina an die Gefîhle des Claudius als Ehemann und Vater (audiret Octaviae et Britannici matrem)888 pariert der Freigelassene, indem er an Silius und die Skandalhochzeit erinnert sowie mit einem Verzeichnis îber die Schandtaten der Messalina die Blicke des Kaisers ablenkt. Dabei wird ein ironischer Kontrast erzeugt, der Claudius als unverbesserlichen emotionalen Schwchling zeigt und ihn in seiner Funktion als Herrscher in Verruf bringt: Whrend das einfache Volk auf den Straßen Roms ausdrîcklich durch die deformitas flagitiorum am Mitleid mit der Kaiserin gehindert wird (ann. 11,32,3), muß das Staatsoberhaupt offenbar immer 885 Vgl. Seif, 1973, 123. 886 Vgl. Keitel, 1977, 104: „Here Tacitus dwells at length on the ploys and counteroffensives of his two adversaries to show that the match at this point is nearly even.“ 887 Zur sprachlich-stilistischen Ausgestaltung der Szene s. insbesondere Seif, 1973, 124; vgl. Keitel, 1977, 104 f. 888 Keitel, 1977, 105 sieht dabei matrem als „highly ironic“ an. Eine solche Ironie kann ich hier nicht feststellen.
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wieder an diese hßlichen Vergehen seiner Gattin erinnert werden, um nicht weich zu werden.889 Narcissus verhindert auch das von Messalina in die Wege geleitete Treffen mit den Kindern Octavia und Britannicus. Das zu liberi gehçrende Attribut communes unterstreicht das gemeinsame Element, das Messalina und Claudius bei allen sonstigen Gegenstzen doch noch verbindet, und hebt somit deutlich die Gefahr hervor, welche von dem raffinierten Vorgehen der Kaiserin fîr die Plne des Narcissus ausgeht.890 Der verneinte Konditionalsatz betont wiederum die Person des Freigelassenen besonders stark (nisi Narcissus amoveri eos iussisset) und lßt ihn als Retter im letzten Augenblick erscheinen. Seine machtvolle Position wird durch das ausdrucksstarke Verb iubere zustzlich unterstrichen.891 Weniger Erfolg hat Narcissus bei dem Versuch, Vibidia abzuwehren. Nach den nunmehr gescheiterten Versuchen der Messalina, Claudius emotional unter Druck zu setzen, stellt der Einsatz der Vestalin die dritte und letzte Anstrengung der Kaiserin dar, ihren Gatten doch noch zur Gnade umzustimmen.892 Daß gerade dieser letzte Versuch am fruchtbarsten ausfllt, ist eine Weiterfîhrung der in ann. 11,32,2 zum Vorschein gekommenen Ironie: Ausgerechnet eine sittenreine Vestalin tritt hartnckig (multa cum invidia) und mit einigem Erfolg fîr die moralisch verkommene Kaiserin ein.893 Freilich weiß der Leser, wie es um das vermeintliche Zugestndnis des Narcissus (auditurum principem et fore diluendi criminis facultatem) bestellt ist. Die Angst, Messalina kçnne noch vor ihrer Verurteilung die Mçglichkeit erhalten, sich vor Claudius zu rechtfertigen, war die Hauptsorge der Freigelassenen in ann. 11,28,2. Das Versprechen des Narcissus, daß der Kaiser seine Frau noch einmal zu den Vorwîrfen hçren werde, ist somit von vorneherein als notgedrungene Beschwichtigung entlarvt.894 Seine Aufforderung, die Vestalin solle gehen und sich ihren heiligen Diensten zuwenden, ist Ausdruck seines gestiegenen Selbstbewußtseins: Der Freigelassene scheut sich nicht, der 889 Vgl. o. S. 289. 890 S. Mehl, 1974, 81 Anm. 468. Der Kommentar Koestermanns ad loc.: „communes liberi dient zur Unterscheidung der Octavia und des Britannicus von ihrer Halbschwester Antonia […]“ geht an der Aussageabsicht des Tacitus vorbei. 891 Vgl. Seif, 1973, 124 : „Der libertus teilt nunmehr sogar Befehle aus.“ 892 Vgl. o. S. 287. 893 Vgl. o. S. 287 f.; Mehl, 1974, 81. Hingegen sieht Keitel, 1977, 105 eine Ironie vielmehr in der konkreten Forderung der Vibidia (ne indefensa coniux exitio daretur): „The Vestal’s remarks […] are highly ironic, since Messalina is twice coniunx and hardly indefensa.“ 894 Vgl. Seif, 1973, 125.
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obersten Vestalin Anweisungen zu erteilen. Es scheint, als habe er die Kompetenzen des Claudius, dessen Funktion als Pontifex maximus in ann. 11,32,2 ausdrîcklich hervorgehoben worden ist, nun auch im sakralen Bereich vollstndig an sich gezogen.895 Die Worte virgo und sacra erinnern hingegen erneut an die wîrdevolle sanctitas der Vibidia und stehen an dieser Stelle in Kontrast zur gemeinen Herkunft des Freigelassenen. Narcissus ist auf dem Hçhepunkt seiner Macht angelangt, agiert eigenmchtig und durchaus einfallsreich. Dessen îberragende Stellung aufzuzeigen, ist eine wesentliche Intention des Kapitels ann. 11,34. Vor dieser leuchtenden und kraftvoll gezeichneten Figur bleibt Claudius als der eigentliche Herrscher vçllig im Hintergrund zurîck. Was bisher durch die Darstellung des Tacitus bereits implizit deutlich zum Ausdruck gekommen ist, wird im folgenden auch explizit ausgesprochen, s. ann. 11,35,1 –2: Mirum inter haec silentium Claudi,
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meinernde omnia der Aussage den Eindruck uneingeschrnkter Gîltigkeit, whrend die geschickt plazierte Standesbezeichnung libertus die Ungeheuerlichkeit umgekehrter Machtverhltnisse am Kaiserhof in drastischer Weise deutlich werden lßt: An der Spitze des rçmischen Imperiums steht ein gewçhnlicher Freigelassener! Dieser agiert offenbar nach Belieben, erteilt wiederum Befehle (iubet; in ironischer Weise hier direkt hinter dem Objekt imperatorem positioniert)897 und ist Subjekt zu fast allen weiteren Prdikaten (demonstrat, infert), so daß der Subjektswechsel zu Claudius (pauca verba fecit) lediglich durch den wirkungsmchtigen Ablativus absolutus praemonente Narcisso zu erkennen ist.898 Zusammen mit dem zweiten absoluten Ablativ parata contione militum bringt er die sorgfltige Vorbereitung der einzelnen Schritte durch den Freigelassenen zum Ausdruck.899 Ohne ihn scheint der Kaiser zu keiner eigenstndigen Handlung mehr fhig zu sein, ist vielmehr ein willenloses Instrument in dessen Hand. Narcissus versteht es vorzîglich die Gefîhle des Kaisers fîr seine Zwecke zu manipulieren.900 War Claudius in ann. 11,34,1 noch zwischen widerstreitenden Gefîhlen hin- und hergerissen, bricht er nach der von Narcissus geschickt inszenierten Besichtigung der domus adulteri901 zornentbrannt in Drohungen aus. In diese wîtende Stimmung versetzt, wird er von dem Freigelassenen dann vor die Soldaten gebracht, wo er jedoch erst nach dem libertus sprechen darf. Implizit wird hierbei deutlich, daß Claudius der Bitte des Narcissus nachgekommen ist und diesem tatschlich den Oberbefehl îber die Prtorianer îbertragen hat (vgl. ann. 11,33). Die pauca verba des Kaisers kçnnen symbolisch fîr den immer weiter schwindenden Einfluß des Princeps angesehen werden, auch wenn Tacitus die wenigen Worte auf
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verwendet wird: … cuncta feminae oboediebant. „Mit dieser Parallele charakterisiert Tacitus Narcissus und Agrippina als gleichwertig. Das ußere Bild der verkehrten Machtverteilung bleibt gleich, lediglich die Personen werden ausgetauscht wie Figuren oder Darsteller in Theaterrollen“; vgl. Keitel, 1977, 106; Devillers, 1994, 156. S. Seif, 1973, 125; Keitel, 1977, 106. Vgl. Keitel, 1977, 107: „Claudius’ name only appears once in this paragraph, ironically enough in connection with his silence. Any forcefulness he may have shown is undercut by the omission of his name in the command of 11,35,6 [=11,35,2].“ S. Keitel, 1977, 107. S. Keitel, 1977, 106: „Narcissus manipulates Claudius’ anger to secure the loyalty of the praetorians.“ S. hierzu Seif, 1973, 126 f.; Mehl, 1974, 82 mit Anm. 479.
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dessen Scham zurîckfîhrt.902 Narcissus hat sein Ziel erreicht: Lauthals fordern die Kohorten die Namen der Verschwçrer und deren Bestrafung. Ihre andauernde, hektisch-lrmende Aufregung, die durch die Assonanzen continuus dehinc cohortium clamor effektvoll zur Darstellung gebracht wird, steht ganz im Gegensatz zu dem zurîckhaltenden Gebaren des Claudius, der whrend der letzten Entwicklungen – von vereinzelten Wutausbrîchen abgesehen – entweder ganz geschwiegen oder nur wenige Worte von sich gegeben hat.903 Wenn nun Silius als erster der Angeklagten vor das Tribunal gefîhrt wird, so hat es ganz den Anschein, als sei dies in erster Linie nicht auf den festen Willen des Princeps, sondern auf die dringlichen Forderungen der Prtorianer hin geschehen. Dieser Eindruck wird auch dadurch gefestigt, daß Tacitus den Bericht îber die Verurteilung der Schuldigen unmittelbar an die lebhafte Schilderung der zornigen Soldaten folgen lßt (admotusque Silius): Offenbar findet in aller Eile ein Standgericht statt.904 Silius weiß, daß es fîr ihn keinen Ausweg gibt und fîgt sich in sein Schicksal. Ohne sich zu verteidigen, bittet er lediglich um eine schnelle Hinrichtung. Sein Verhalten kommt einem indirekten Schuldeinge-
902 Im Gegensatz zu Suet. Claud. 26,2 – 3 gibt Tacitus den Inhalt der Rede nicht wieder und lßt sich damit die Gelegenheit entgehen, den Kaiser an spterer Stelle lcherlich zu machen. Denn laut Sueton soll Claudius vor den Prtorianern geußert haben, daß er nach den bitteren Erfahrungen mit Messalina fîr den Rest seines Lebens Junggeselle bleiben wolle; anderenfalls sollte es den Prtorianern erlaubt sein, ihn zu tçten. Die Wiedergabe dieser Worte htte dem Historiker die einzigartige Mçglichkeit zu einem Angriff auf den ungeliebten Kaiser geboten, der bereits wenige Kapitel spter seine Nichte Agrippina heiratet; s. Mehl, 1974, 83 Anm. 481. Mçglicherweise war es Tacitus an dieser Stelle wichtiger, den alles beherrschenden Kontrast zwischen der Aktivitt des Narcissus und der Passivitt des Claudius durch eine breitere Darstellung nicht zu gefhrden; vgl. auch Keitel, 1977, 107 f. mit weiteren Erklrungsversuchen. Erstaunlich ist auch, daß Tacitus durch seinen Verweis auf den pudor den Gefîhlen des Kaisers offenbar ehrlich Rechnung trgt und Verstndnis fîr die nur kurze Ansprache aufbringt; s. Mehl, 1974, 83 Anm. 482; vgl. Keitel, 1977, 107 deren vorgebrachte Deutung jedoch unsinnig ist: „One hears the emperor stumbling over his own words in the alliteration of ‘p’ and ‘d’ in nam etsi iustum dolorem pudor impediebat.“ Keitel scheint fîr einen Moment vergessen zu haben, daß hier nicht Claudius, sondern Tacitus spricht. 903 Vgl. Keitel, 1977, 108. 904 Vgl. Mehl, 1974, 83.
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stndnis gleich,905 paßt jedoch auch zu dem bisherigen Charakterportrt, das Tacitus von Silius gezeichnet hat: Sein nîchterner Realittssinn906 weiß die Situation richtig einzuschtzen und verbietet ihm jegliche Hoffnung auf Rettung. Tacitus sieht darin nicht ohne Bewunderung ein Zeichen der Standhaftigkeit. Entsprechend leitet er die folgende Schilderung, die eine ausfîhrliche Liste mit Namen weiterer zum Tode Verurteilter bietet, mit diesem Gedanken ein, s. ann. 11,35,3: eadem constantia et inlustres equites Romani, <eadem>907 cupido maturae necis fuit. et Titium Proculum, custodem a Silio Messalinae datum et indicium offerentem, Vettium Valentem confessum et Pompeium Urbicum ac Saufeium Trogum ex consciis tradi ad supplicium iubet. Decrius quoque Calpurnianus vigilum praefectus, Sulpicius Rufus ludi procurator, Iuncus Vergilianus senator eadem poena adfecti. In nur wenigen Zeilen werden sieben weitere Todesurteile genannt. Durch die lange Aufzhlung der einzelnen Hinrichtungen entsteht der Eindruck einer rigorosen Bestrafung der Schuldigen.908 Aus der ausdrîcklichen Angabe inlustres equites schimmert mçglicherweise die Kritik des Tacitus an der harten Verfolgung gerade dieses Personenkreises hervor.909 Bemerkenswert ist, daß sich der Leser das Subjekt zu iubet in Gedanken selbst ergnzen muß. Freilich kommt hierfîr nur Claudius in Frage, da allein dem Kaiser das ius vitae et necis vorbehalten war.910 Doch bleibt seine Person weiterhin sehr im Hintergrund.911 905 So Mehl, 1974, 83 Anm. 483 unter Verweis auf E. Meise: Untersuchungen zur Geschichte der Julisch-Claudischen Dynastie (Vestigia, Beitrge zur Alten Geschichte, Bd. 10), Mînchen 1969, 132; vgl. Keitel 1977, 108. 906 Vgl. hierzu obige Analyse zu ann. 11,26,1 – 2 (ab S. 263). 907 Cupido maturae necis fuit wurde von Nipperdey als Glosse getilgt (dem folgt Heubner). Doch erscheint es sehr unwahrscheinlich, daß ein Interpolator einen solche Bemerkung in den Text eingefîgt hat. Wellesley setzt ea vor cupido ein, da er von einer Haplographie ea/cu ausgeht (s. die Appendix critica seiner Ausgabe; dort auch andere, weniger îberzeugende Lçsungsversuche). Stattdessen schlgt Zwierlein mit Rîcksicht auf eine parallele Satzstruktur ein zweites eadem vor; vgl. hierzu Tac. Germ. 20,2: inter eadem pecora, in eadem humo degunt; hist. 2,38,2: eadem illos deum ira, eadem hominum rabies, eaedem scelerum causae in discordiam egere; 4,57,2: eadem rursus numina, eadem fata ruptores foederum exspectarent. 908 Vgl. Seif, 1973, 132: „Mit ihnen [den Angeklagten] wird kurzer Prozeß gemacht, dem entspricht die knappe Katalogform.“ 909 Vgl. ann. 11,4,1 (der Prozeß gegen die Petra-Brîder). 910 Vgl. die im folgenden Kapitel dargestellte Verurteilung des Mnester, wo es allein Claudius in der Hand zu haben scheint, ob der Schauspieler ebenfalls getçtet wird oder verschont bleibt (ann. 11,36,1 – 2). Entsprechend dringen die Freige-
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Das nachfolgende Kapitel wartet mit weiteren Verurteilungen im Rahmen der vereitelten Verschwçrung auf. Nach den zweifelhaften Prozessen gegen offenbar unschuldige Opfer intriganter Machenschaften am Kaiserhof, die den Beginn des îberlieferten Teils des elften Annalenbuches markieren (Asiaticus; Petra-Brîder), rîckt es erneut das Rechtssystem unter der Regentschaft des Claudius in ein ußerst fragwîrdiges Licht. Zielpunkt der Kritik sind diesmal die Maßstbe, an denen geltendes Recht gemessen wird. Zunchst geht es um die Frage, was mit dem Pantomimen Mnester zu geschehen habe, der einst der Geliebte der Messalina gewesen ist, s. ann. 11,36,1: Solus Mnester cunctationem attulit, dilaniata veste clamitans, adspiceret verberum notas, reminisceretur vocis, qua se obnoxium iussis Messalinae dedisset: aliis largitione aut spei magnitudine, sibi ex necessitate culpam; nec cuiquam ante pereundum fuisse, si Silius rerum poteretur.912 Nach der langen Reihung der rasch ergangenen Todesurteile gegen ranghohe Persçnlichkeiten (ann. 11,35,3) erscheint die Aussage, daß nun Mnester als einziger eine Verzçgerung im Prozeßgeschehen verursacht habe, îberraschend und bildet einen scharfen Gegensatz zum vorangegangenen Bericht. Vor diesem Hintergrund fllt sein ohnehin sehr theatralischer Auftritt (dilaniata veste clamitans) noch mehr ins Gewicht.913 Mit Interesse verfolgt der Leser die verzweifelte Verteidigung des Schauspielers, die sich direkt an die Adresse des Kaisers wendet (adspiceret; reminisceretur). Dieser wird wiederum nicht eigens erwhnt. Allein der Inhalt des Gesagten, insbesondere der Verweis auf einen Ausspruch des Princeps, mit dem er den Pantomimen den Befehlen der Messalina ausgeliefert habe,914 gibt dem Leser
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lassenen auf den Kaiser ein; in ann. 11,37,2 beruft sich Narcissus auf einen kaiserlichen Befehl, um die Hinrichtung der Messalina zu beschleunigen: ita imperatorem iubere. Daher glaube ich nicht, daß Tacitus hier vornehmlich die Hinrichtungswut des Claudius geißeln will, wie Keitel, 1977, 108 unter Verweis auf den langen Namenskatalog der Verurteilten meint (hnlich Devillers, 1994, 149). Eine recht eigenwillige und fîr meine Begriffe viel zu îberspitzte Interpretation dieses Textabschnitts bietet O’Gorman, 2000, 120 f., auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Vgl. Seif, 1973, 133; Keitel, 1977, 109. Die Theatralik kontrastiert vor allem mit der gefaßten Haltung, die Silius und die anderen equites illustres zuvor an den Tag gelegt haben. Laut Cassius Dio 60,22,5 soll Claudius angeordnet haben, daß Mnester der Kaiserin in allen Dingen zu gehorchen habe. Dies sei geschehen, nachdem Messalina bei dem Schauspieler zunchst keinen Erfolg gehabt habe; vgl.
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Aufschluß darîber, wer an dieser Stelle angesprochen wird. Die Argumente des Mnester haben durchaus Gewicht. Tatschlich scheint er mehr Opfer als Tter zu sein (vgl. iussis; ex necessitate culpam). Nicht nur, daß Claudius offenbar eine erhebliche Mitschuld an der unheilvollen Beziehung des Schauspielers zu Messalina trifft. Mnester hatte auch îberhaupt kein Interesse an einem Sturz des Claudius, wie er îberzeugend ausfîhrt, wre er doch einer der ersten gewesen, die nach der Machtergreifung des Silius htten sterben mîssen. Es gibt fîr den Leser keinen ersichtlichen Grund, warum nun auch der Schauspieler hingerichtet werden sollte. Auch der Kaiser lßt sich von den Worten Mnesters beeindrucken, was den Leser freilich nicht allzu sehr îberraschen mag. Allein die Freigelassenen zeigen sich unbarmherzig, s. ann. 11,36,2: commotum his et pronum ad misericordiam Caesarem perpulere liberti, ne tot inlustribus viris interfectis histrioni consuleretur: sponte an coactus tam magna peccavisset, nihil referre. Bezeichnenderweise sind die liberti das Subjekt des Satzes, whrend der Kaiser von vorneherein lediglich als Objekt in Erscheinung tritt.915 Die Freigelassenen îbernehmen erneut die vçllige Kontrolle îber die Handlungen des Princeps und drngen ihn, den Schauspieler nicht zu verschonen. Ihre Argumentation entbehrt jeglicher Rechtsnorm: Nachdem man soviele erlauchte Mnner getçtet habe, kçnne man doch nicht einem einfachen histrio das Leben schenken.916 Hinzu kommt, daß solch herablassende Worte im Munde von Freigelassenen, die selbst nicht zu den viri illustres zhlen, ungemein arrogant erscheinen.917 Gegen das natîrliche Rechtsempfinden des Lesers verstçßt auch ihre Ansicht, daß es keinen Unterschied mache, ob Mnester freiwillig oder gezwungenermaßen solch ‘schlimme Vergehen’ verîbt habe. Gemessen an der tatschlich gegebenen Schuld des Mnester klingen diese Ausfîhrungen unverhltnismßig hart (vgl. tam magna; peccavisset). Das scharfe Urteil der liberti steht in vollem Kontrast zu der gut begrîndeten Verteidigung des Schauspielers, dessen Schicksal nun endgîltig besiegelt scheint. Tacitus Koestermann und Nipperdey ad loc. Tacitus wird hierîber in dem verlorenen Teil der Annalen berichtet haben. 915 Vgl. Keitel, 1977, 109: „Claudius, in the accusative case, the object of others’ manipulations […].“ Insgesamt erinnert die Ausdrucksweise an den AsiaticusProzeß in ann. 11,2,1: … commoto maiorem in modum Claudio …; vgl. Koestermann ad loc. 916 Vgl. Mehl, 1974, 84. Seif, 1973, 133: „Nicht nach moralischer Schuld oder Unschuld wird gefragt, sondern der soziale Stand als entscheidende Grçße in die Waagschale geworfen.“ 917 S. Seif, 1973, 133.
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geht nicht weiter darauf ein. Indem er kein abschließendes Urteil von Seiten des Kaisers nennt, gibt er indirekt zu verstehen, wie einflußreich die Freigelassenen am Hof des Claudius auch im Bereich der Rechtsprechung waren: Ihr Wort war offenbar Gesetz. øhnlich ungerecht wie die Behandlung Mnesters erscheint eine weitere Verurteilung, von der im Anschluß berichtet wird, s. ann. 11,36,3: ne Trauli quidem Montani equitis Romani defensio recepta est. is modesta iuventa, sed corpore insigni, accitus ultro noctemque intra unam a Messalina proturbatus erat, paribus lasciviis ad cupidinem et fastidia. Auch Traulus Montanus scheint wie Mnester ein harmloses Opfer der Messalina zu sein. Daß er im Grunde noch weniger Schuld auf sich geladen hatte als der Pantomime drîckt Tacitus durch das einleitende ne … quidem aus.918 Die kurze Kennzeichnung des Ritters durch modesta iuventa, sed corpore insigni verrt, was den Ritter îberhaupt in die Nhe der triebgeleiteten Kaiserin gebracht hat. Ohne sein eigenes Zutun (ultro)919 war er von der launischen Kaiserin innerhalb einer einzigen Nacht gerufen und dann wieder fortgejagt worden. Dafîr soll er jetzt hingerichtet werden! Der Zweck dieser Darstellung liegt weniger darin, ein negatives Licht auf das Triebleben der Kaiserin zu werfen.920 Dieses ist bereits deutlich genug behandelt worden. Vielmehr geht es darum, zusammen mit dem Bericht îber die Verurteilung des Mnester eine mçglichst breite Kontrastfolie fîr die folgende Darstellung zu gewinnen. Denn nach den beiden vçllig ungerecht wirkenden Todesurteilen folgen nun zwei Freisprîche, die in ihrer Begrîndung jetzt vçllig bizarr wirken mîssen, s. ann. 11,36,4: Suillio Caesonino et Plautio Laterano mors remittitur, huic ob patrui egregium meritum; Caesoninus vitiis protectus est, tamquam in illo foedissimo coetu passus muliebria. Nachdem Mnester und Traulus Montanus trotz erheblicher Zweifel an ihrer tatschlichen Schuld zum Tode verurteilt worden sind, werden zwei ußerst zwielichtige Personen begnadigt. Tacitus nennt die konkreten Vergehen des Suillius Caesoninus und des Plautius Lateranus nicht. Doch indem er anders als bei dem Schauspieler und dem Ritter keine Einwnde gegen deren Schuld erkennbar werden lßt und lediglich von ihrer Begnadigung berichtet, erscheinen sie fast automatisch als Mittter der aufgedeckten Verschwçrung. Trotzdem bleiben sie verschont. 918 Vgl. Seif, 1973, 133 f. 919 S. hierzu Koestermann ad loc. 920 S. Koestermann ad loc.: „Tacitus hlt es fîr nicht unter seiner Wîrde, die Klatschgeschichte zu erzhlen, weil sie zur Charakterisierung der perversen Sinnlichkeit der Messalina dient.“
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Die Begrîndung hierfîr ist jeweils ußerst zweifelhaft. Im Fall des Plautius Lateranus gaben nicht etwa eigene Verdienste des Angeklagten den Ausschlag fîr den Erlaß der Todesstrafe, sondern die seines Onkels A. Plautius, der sich bei der Eroberung Britanniens ausgezeichnet hatte.921 Viel schndlicher und geradezu paradox mutet der Freispruch des Suillius Caesoninus an: Der Sohn des berîchtigten Delators P. Suillius sei ausgerechnet durch seine Laster geschîtzt worden, da er sich in jener verruchten Clique (illo foedissimo coetu) nur als Weib habe mißbrauchen lassen. Deutlich ist hier der Spott des Tacitus îber eine derartige Urteilsbegrîndung zu vernehmen.922 Htte man da nicht auch Mnester und Traulus Montanus verschonen kçnnen, die offenbar um vieles schuldloser gewesen sind? Der Leser kann sich am Ende des Kapitels des Eindrucks nicht erwehren, daß man Unschuldige in blinder Rachsucht verurteilt, Schuldige jedoch nicht zuletzt auch aus Rîcksicht gegenîber ihren mchtigen und einflußreichen Familienangehçrigen verschont hat. Im îbrigen besttigt Tacitus an dieser Stelle nachtrglich den bissigen Seitenhieb gegen Suillius im Munde des angeklagten Asiaticus (ann. 11,2,1): …‘interroga’, inquit, ‘Suilli, filios tuos: virum me esse fatebuntur’.923 Nach dem Bericht îber die Urteile gegen Silius und weitere Angeklagte wendet sich Tacitus schließlich dem weiteren Schicksal der Messalina zu.924 Am Ende des elften Annalenbuches erhlt ihr Tod ein besonderes Gewicht, s. ann. 11,37,1: Interim Messalina Lucullanis in hortis prolatare vitam, componere preces, nonnulla spe et aliquando ira: tantum inter extrema superbiae ge
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auf dem Hçhepunkt ihrer Macht von Asiaticus, einem ihrer vielen Opfer, erhalten hatte (vgl. ann. 11,1,1), ein derart erbrmliches Bild abgibt und nunmehr ihr Ende erwartet, ist voller Ironie.926 Ihre bald hoffnungsvolle, bald zornige Haltung zeigt trotz der schwierigen Lage weder Einsicht noch Reue, ist vielmehr ein Zeichen von besonderem Hochmut, wie Tacitus deutlich kommentiert. Damit sticht Messalinas Verhalten in negativer Weise von der Standhaftigkeit des Silius ab, der sich kurz zuvor ohne ein Wort der Verteidigung oder Rechtfertigung in sein Schicksal gefîgt hat (ann. 11,35,2).927 Whrend die Kaiserin offenbar immer noch um Schonung ihres Lebens bittet (componere preces), hat jener als einzige Bitte vorgebracht, daß seine Hinrichtung schnell vonstatten ginge (…precatus ut mors adceleraretur). Der Hinweis auf die superbia verhindert, daß der Leser Mitgefîhl empfindet. Tatschlich scheint die Kaiserin noch nicht ganz verloren, ihr raffiniertes Taktieren immer noch nicht gnzlich gescheitert. Wieder ist es Narcissus, der eine entscheidende Rolle îbernimmt: Htte er Messalinas Tçtung nicht beschleunigt, htte sich das Verderben doch noch gegen den Anklger selbst gekehrt.928 Den Hintergrund fîr diese Aussage lßt Tacitus unmittelbar folgen, s. ann. 11,37,2: nam Claudius domum regressus et tempestivis epulis delenitus, ubi vino incaluit, iri iubet nuntiarique miserae (hoc enim verbo usum ferunt) dicendam ad causam postera die adesset. quod ubi auditum et languescere ira, redire amor ac, si cunctarentur, propinqua nox et uxorii cubiculi memoria timebantur, prorumpit Narcissus denuntiatque centurionibus et tribuno, qui aderat, exsequi caedem: ita imperatorem iubere. custos et exactor e libertis Euodus datur. Ein nam zu Beginn des Satzes stellt eine enge kausale Verknîpfung der vorangegangenen Aussage zu dem Verhalten des Claudius her. Dieser erscheint in einem ußerst ungînstigen Licht: Von einem frîhen Mal besnftigt und trunken von Wein befiehlt er, man solle zu Messalina gehen und der ‘Unglîcklichen’ verkînden, daß sie am nchsten Tag zu ihrer Rechtfertigung erscheinen mçge. Spçttisch 926 Vgl. Keitel, 1977, 111, deren Versuch, diesen Gedanken weiter zu treiben und einen Kontrast auch zur Sterbesszene des Asiaticus herzustellen, mçglicherweise etwas zu weit geht. 927 S. Seif, 1973, 135; vgl. Mehl, 1974, 83 Anm. 483. 928 Vgl. die ganz hnliche Aussage in ann. 11,34,3: … offerebantur communes liberi, nisi Narcissus amoveri eos iussisset. Man beachte in beiden Fllen zustzlich den Indikativ im Hauptsatz der irrealen Periode (offerebantur bzw. verterat); s. hierzu Koestermann ad ann. 11,37,1,: „Der Indikativ besagt, daß ihn das Verderben mit Sicherheit erwartet htte […]“; vgl. Seif, 1973, 135; Keitel, 1977, 111; s. insgesamt KSt II 404.
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macht Tacitus in Form eines Gerîchtes (ferunt) auf den angeblichen Wortlaut der kaiserlichen øußerung aufmerksam.929 Claudius scheint in seiner Haltung gegenîber seiner gefhrlichen Gattin tatschlich wieder umzukippen und wird dadurch zum unverbesserlichen, weinseligen Gefîhlstrottel gestempelt, der blind in sein Verderben rennt. Es ist fîr die Darstellung des Tacitus bezeichnend, daß mit iubet die einzige vçllig eindeutige eigenstndige Aktion des Claudius in den Kapiteln ann. 11,26 ff. ausgerechnet in diesen Rahmen fllt.930 Vor dem Hintergrund der zu Beginn des Kapitels beschriebenen Gefîhlslage der Messalina, die geprgt ist von Hoffnung und gelegentlichem Zorn (nonnulla spe et aliquando ira), wirken gerade das Schwinden seiner Wut und das Erstarken seiner Liebe (languescere ira, redire amor …) um so dîmmlicher.931 Die Berechnungen der Messalina sowie die Befîrchtungen der Freigelassenen erweisen sich abermals als zutreffend. Das von ihnen ausgemalte Schreckensszenario, Messalina kçnne im Falle einer ihr zugestandenen Rechtfertigung sowie unter Einsatz ihrer weiblichen Reize (vgl. propinqua nox et uxorii cubiculi memoria) den Kaiser doch noch auf ihre Seite ziehen (s. ann. 11,28,2), droht jetzt doch noch Realitt zu werden. In dieser ußerst kritischen Lage schreitet Narcissus ein weiteres Mal entschlossen und eigenmchtig zur Tat. Durch die Satzstruktur, in welcher der Hauptsatz mit dem Freigelassenen als Subjekt erst am Ende zu stehen kommt, sticht sein Handeln als sofortige Reaktion (s. prorumpit)932 auf die bedrohlichen Entwicklungen in besonderer Weise hervor. Zudem fîhrt der plçtzliche Umschlag in das historische Prsens (prorumpit, denuntiatque) die Dramatik der Situation eindringlich vor 929 Vgl. Keitel, 1977, 111; O’Gorman, 2000, 118. 930 S. Mehl, 1974, 85, der zustzlich den tendenziçsen Charakter des taciteischen Berichtes hervorhebt: „Daß Claudius Messalina vor Gericht ldt, entspricht dem Recht und obendrein Narcissus’ Versprechen gegenîber der Vestalin [s. ann. 11,34,3]. Tacitus’ Begrîndung lßt aber Claudius’ Absicht als Folge seiner wechselnden Gefîhle erscheinen, die hier sogar durch Sachen wie Essen und Trinken beeinflußt werden […]. Der Beschluß des Kaisers wird psychologisch motiviert und von der Ebene des Verstandes auf die der Gefîhle abgeschoben“; vgl. Keitel, 1977, 112. 931 S. Keitel, 1977, 112, die darîber hinaus noch weitere ironische Querbezîge zum vorangegangenen Bericht des Tacitus herstellt, ohne jedoch îberzeugen zu kçnnen. 932 Vgl. Koestermann ad loc.: „prorumpit in eigentlicher Bedeutung: Der Freigelassene stîrzt mit leidenschaftlichem Ungestîm, von der Angst beflîgelt, aus dem Raum.“
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Augen.933 Das anschauliche Verb denuntiare lßt den Freigelassenen erneut in seiner Eigenschaft als Befehlshaber îber die kaiserlichen Truppen auftreten (vgl. ann. 11,33; 11,35,2). Er gibt die Anweisung, die Tçtung der Messalina zu vollziehen. Von besonderer Ironie ist dabei die von Tacitus in indirekter Rede wiedergegebene Behauptung des Freigelassenen, daß dies der Kaiser selbst befehle: ita imperatorem iubere.934 Unter Verwendung desselben Verbs hat Tacitus nur wenige Zeilen zuvor den tatschlichen Befehl des Claudius beschrieben, mit dem er seiner Gattin eine letzte Chance geben wollte (iri iubet nuntiarique …). Unmißverstndlich wird klar, wer die eigentliche Befehlsgewalt am Kaiserhof innehat. Die Anweisungen des Claudius werden einfach îbergangen und in ihr genaues Gegenteil gekehrt. Ein Freigelassener ist es auch, der dem Todeskommando als Aufseher und Vollstrecker (custos et exactor) mitgegeben wird. Tacitus schildert nun die letzten Augenblicke im Leben der Messalina, s. ann. 11,37,3 – 4: isque (sc. Euodus) raptim in hortos praegressus repperit fusam humi, adsidente matre Lepida, quae florenti filiae haud concors, supremis eius necessitatibus ad miserationem evicta erat suadebatque, ne percussorem opperiretur: transisse vitam neque aliud quam morti decus quaerendum. sed animo per libidines corrupto nihil honestum inerat; lacrimaeque et questus inriti ducebantur, cum impetu venientium pulsae fores adstititque tribunus per silentium, at libertus increpans multis et servilibus probris. Auch Euodus handelt ohne Verzug. Durch raptim wird die Dramatik weiter erhçht: In großer Beschleunigung wird das Ende der Messalina vorangetrieben. Offenbar muß man dem gefhrlichen Mitleid des Claudius zuvorkommen und vollendete Tatsachen schaffen. Euodus findet die Kaiserin, die nun sinnfllig fîr den Verlust ihres Einflusses als Objekt (fusam) dargestellt wird,935 auf dem Boden kauernd, einzig begleitet von ihrer Mutter Lepida. Obwohl Lepida zu der Zeit, als Messalinas Macht noch ungebrochen gewesen ist, nicht in Eintracht mit ihrer Tochter gelebt hat,936 lßt sie sich nun in der schweren Stunde ihres 933 Vgl. Mehl, 1974, 86; Keitel, 1977, 112. 934 Unhaltbar ist die hierzu von Keitel, 1977, 112 aufgestellte These: „The freedman’s decisive energy recalls Messalina’s exit from Asiaticus’ trial in 11,2 when she orders Vitellius to take care of Asiaticus.“ Worauf sich eine solche Parallele stîtzen soll, bleibt mir vçllig rtselhaft. 935 S. Mehl, 1974, 86. 936 Zu den Hintergrînden s. Koestermann ad loc. bzw. ad ann. 11,29,1; Messalina hatte im Jahr 42 Appius Iunius Silanus, ihren Stiefvater und zweiten Gemahl der Lepida, ausgerechnet unter tatkrftiger Mitwirkung des Narcissus (s.
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Kindes zum Mitleid erweichen. Der hierbei verwendete Ausdruck ad miserationem evinci gibt unverhohlen zu verstehen, daß selbst die Mutter nicht ohne innere Widerstnde Mitgefîhl mit Messalina empfinden kann. Wie steht nun Claudius da, der sich ohne besonderen Anlaß bereits durch ein frîhes Essen und Weingenuß zur misericordia stimmen lßt! Was erst wre geschehen, wenn er entsprechend seiner Anordnung Messalina ein letztes Mal leibhaftig zu Gesicht bekommen htte? Die gespaltenen Gefîhle der Lepida geraten somit zu einer unausgesprochenen Anklage gegen den stumpfsinnigen Kaiser sowie zu einer versteckten Rechtfertigung des von Narcissus eingeschlagenen Weges. Jedenfalls findet die Aussage, wonach nur dessen Eingreifen das eigene Verderben noch verhindert habe (ann. 11,37,1), hier ihre indirekte Besttigung. Der bereits festgestellte Gegensatz zwischen der festen Haltung des todgeweihten Silius und dem Verhalten der Messalina setzt sich weiter fort: Die Kaiserin ist alles andere als standhaft, weint und klagt vergebens (lacrimae et questus inriti ducebantur). Dem Rat ihrer Mutter, angesichts des unvermeidlichen Endes der Hand des Mçrders zuvorzukommen und auf diese Weise einen wîrdevollen Tod zu finden, kommt sie nicht nach.937 Bissig fîhrt Tacitus die Erklrung an, daß in Messalinas verdorbenem Wesen kein Ehrgefîhl mehr vorhanden gewesen sei. Seit dem eindrucksvollen Einblick in ihre Psyche einige Kapitel zuvor (ann. 11,26) fllt eine solche Betrachtungsweise in der Wahrnehmung des Lesers auf fruchtbaren Boden.938 Mit einiger Genugtuung nimmt er hier zur Kenntnis, daß Messalinas Laster jetzt – und vielleicht zum ersten Mal – in negativer Weise auf sie zurîckfallen.939 Ein inversives cum bringt schließlich den Umschlag vom vergeblichen Klagen hin zum Eintreffen des Hinrichtungskommandos effektvoll zur Geltung. In dîsteren Farben malt Tacitus aus, wie die Tîr aufgestoßen wird und schweigend der ann. 11,29,1) in den Tod getrieben. Daß Tacitus sich hier lediglich mit einer dunklen Andeutung dieser skandaltrchtigen Vorgnge begnîgt, ist ein weiteres Indiz dafîr, daß er darîber in den verlorenen Annalenbîchern berichtet hat. 937 Durch ihre wîrdevolle Haltung fungiert neben Silius nun auch Lepida als Kontrastperson zu Messalina; vgl. Keitel, 1977, 113; Mehl, 1974, 86 Anm. 504. 938 Vgl. ann. 11,26,1: Iam Messalina … in fastidium versa ad incognitas libidines profluebat; 11,26,3: nomen matrimonii tamen concupivit (sc. Messalina) ob magnitudinem infamiae, cuius apud prodigos novissima voluptas est. 939 S. Seif, 1973, 136: „Mit der diagnostizierenden Feststellung sed animo per libidines corrupto nihil honestum inerat […] deutet Tacitus darauf hin, daß sich Messalinas Lebenswandel in dem Augenblick, als sie mit der Notwendigkeit des Todes konfrontiert wird, an ihr rcht.“
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Tribun erscheint, whrend der Freigelassene derbe Beschimpfungen von sich gibt, deren bloße Erwhnung den Leser an die vielen Schandtaten der Messalina erinnern mag und der Todesszene der Kaiserin endgîltig jeden Anflug von Wîrde nimmt.940 Erst als die Henker vor ihr stehen, begreift Messalina, daß ihr Ende gekommen ist. Doch ist sie immer noch nicht imstande, sich in Wîrde selbst zu tçten.941 Die Bemerkung des Tacitus hinsichtlich der vçlligen Verdorbenheit der Kaiserin (ann. 11,37,4: sed animo per libidines corrupto nihil honestum inerat) scheint sich weiterhin zu besttigen. Schließlich bereitet der Tribun dem zaghaften Treiben ein Ende, s. ann. 11,38,1: Tunc primum fortunam suam introspexit ferrumque accepit, quod frustra iugulo aut pectori per trepidationem admovens ictu tribuni transigitur. corpus matri concessum. Es ist bezeichnend, daß Messalinas Leichnam der Mutter îberlassen und nicht zu Claudius gebracht wird. Durch die lapidare Bemerkung corpus matri concessum942 bringt Tacitus zum Ausdruck, daß Messalina nicht als Kaiserin, sondern als gewçhnliche Frau gestorben ist. Diesem Eindruck entspricht es, daß der Historiker mit seinen Gedanken nicht lnger bei Messalina verweilt, sondern sich unmittelbar wieder dem Kaiser zuwendet,943 s. ann. 11,38,2: nuntiatumque Claudio epulanti perisse Messalinam, non distincto sua an aliena manu; nec ille quaesivit, poposcitque poculum et solita convivio celebravit. Die Nachricht vom Tode seiner Frau wird Claudius ausgerechnet whrend des Essens îberbracht. Die Sterbeszene der Messalina wird somit von zwei Tafelszenen des Kaisers umrahmt, die beide auf jeweils unterschiedliche Weise ein sehr negatives Bild des Princeps vermitteln. Ist er kurz vor dem Tod der Messalina durch ein frîhzeitiges Mahl und Weingenuß milde gestimmt und von seinen Gefîhlen zu Messalina îberwltigt worden (ann. 11,37,2), zeigt er sich nun erstaunlich teilnahmslos, fragt nicht einmal nach den nheren Umstnden, unter denen seine Gattin zu Tode gekommen ist. Stattdessen verlangt er nach dem Becher und hlt die îblichen Bruche des Trinkgelages ein – als wre nichts Besonderes ge940 Vgl. Seif, 1973, 136; Koestermann ad loc. bzw. ad ann. 11,37,2: „Das impertinente Verhalten des Euodus lßt auch die Todesszene ins Ordinre absinken.“ 941 Vgl. Keitel, 1977, 114. 942 S. hierzu Koestermann ad loc.: „Die drei Worte mit schwerem Rhythmus […] ziehen in abrupter Kîrze den Schlußstrich unter die Tragçdie im Kaiserhaus.“; vgl. Keitel, 1977, 114. 943 Vgl. Keitel, 1977, 114 f.: „Power has passed from Messalina, and her life, like Claudius’, has rendered her unworthy of an obituary.“
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schehen.944 Die Aussage nec ille quaesivit poposcitque poculum et solita convivio celebravit ist in ihrer knappen Nîchternheit von schneidender Schrfe und sticht zustzlich durch ihre Assonanzen in besonderer Weise hervor.945 Ferner ist die durch celebrare umschriebene Ttigkeit des Kaisers der Situation vçllig unangemessen. Claudius scheint mehr Interesse an seinem festlichen Gelage zu haben als am Schicksal seiner Frau. Auch an den folgenden Tagen zeigt der Kaiser keine einzige menschliche Gefîhlsregung, s. ann. 11,38,3: ne secutis quidem diebus odii gaudii, irae tristitiae, ullius denique humani adfectus signa dedit, non cum laetantes accusatores adspiceret, non cum filios maerentes. iuvitque oblivionem eius senatus censendo nomen et effigies privatis ac publicis locis demovendas. Es hat ganz den Anschein, als sei Claudius emotional derart von Messalina abhngig gewesen, daß mit ihrem Tode gleichzeitig auch sein Gefîhlsleben gnzlich erloschen ist.946 Er zeigt weder Haß noch Freude, weder Trauer noch Zorn – alles Gefîhle, die man bei Claudius durchaus htte erwarten kçnnen. Doch selbst der Anblick seiner trauernden Kinder lßt ihn offenbar kalt.947 Whrend der Kaiser in vçllige Lethargie verfllt, beschließt der Senat gegen Messalina die damnatio memoriae.948 Bereits hier wird ihr Name von Tacitus nicht mehr genannt (vgl. eius). Wenn er den Senatsbeschluß insbesondere hinsichtlich seiner psychologischen Wirkung auf Claudius darstellt (iuvitque oblivionem), macht der Histo944 Zur Glaubwîrdigkeit und Historizitt des hier von Tacitus vermittelten Eindrucks s. Mehl, 1974, 87 f. 945 Vgl. Koestermann ad loc. 946 Entsprechend kann Tacitus wenige Kapitel spter in ann. 12,3,2 îber Claudius sagen: sed nihil arduum videbatur in animo principis, cui non iudicium, non odium erat nisi indita et iussa; vgl. Mehl, 1974, 88 mit Anm. 517. 947 Vgl. hierzu Seif, 1973, 137, der auf die kunstvolle sprachliche Ausgestaltung des Textabschnittes hinweist: „Die vier asyndetisch aneinandergereihten Genitive odii, gaudii, irae, tristitiae mînden in die sie zusammenfassende allgemeine Formulierung ullius denique humani adfectus. Die darauffolgenden beiden Nebenstze sind durch die Anapher non cum … non cum und durch die chiastische Entsprechung der inhaltlich gegenlufigen Wortfîgungen laetantis (a1) accusatores (b1), filios (b2) maerentis (a2) kunstvoll stilisiert und verdeutlichen mit Nachdruck, was die Gefîhle des Claudius eigentlich htte wecken mîssen“; vgl. Keitel, 1977, 115. Ob jedoch Seifs weitere Beobachtung zutrifft, wonach der Umstand, daß Claudius nicht einmal durch seine Kinder gerîhrt wird, auf konkrete Entwicklungen im 12. Annalenbuch vorausweise (z. B. die Adoption des Domitius und Zurîckstellung des Britannicus), scheint mir fraglich zu sein. 948 Keitel, 1977, 116 mçchte hier eine (weitere) Parallele zum Schicksal des Asiaticus sehen. Dort kam der Senat ebenfalls erst nach dem Tod des Angeklagten zusammen (ann. 11,4,1: Vocantur post haec patres).
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riker deutlich, daß der Kaiser aus der Skandalgeschichte der Messalina keine Lehren fîr die Zukunft gezogen hat: Schnell hat er seine Gattin vergessen und mit der Vergangenheit abgeschlossen.949 Schließlich steht Narcissus noch einmal im Mittelpunkt der Betrachtung. Ihm werden die Insignien eines Qustors zuerkannt, s. ann. 11,38,4: decreta Narcisso quaestoria insignia, levissimum fastidio eius, cum super Pallantem et Callistum ageret. ð honesta quidem, sed ex quis deterrima orerentur tristitiae multis.950 Die Auszeichnung wird von Tacitus hçhnisch kommentiert, wodurch er deutlich zu verstehen gibt, was er von Narcissus hlt: Eine allzu leichte Ehrung sei sie gewesen fîr seinen Hochmut, da er sich îber Pallas und Callistus gestellt habe. Die Ironie der Aussage liegt vor allem in dem cum-Satz begrîndet. Freilich hat sich Narcissus auch îber die beiden anderen Freigelassenen erhoben, doch ist gerade in den letzten Kapiteln die eigentliche berschreitung seiner Kompetenzen viel mehr noch in seinem eigenmchtigen Verhalten gegenîber den Anweisungen des Claudius greifbar geworden. Durch die von ihm in die Wege geleitete schnelle Tçtung der Messalina hat er sich eindeutig îber den ausdrîcklichen Befehl des Kaisers hinweggesetzt, der seiner Frau eine letzte Chance geben wollte (ann. 11,37,2). Doch davon liest man hier kein Wort. Indem Tacitus den Kaiser unerwhnt lßt und nur die berheblichkeit des Narcissus gegenîber seinen gleichrangigen Kollegen hervorhebt, erscheint Claudius im Bewußtsein des Lesers erneut als vçllig unwichtige Randfigur. Es sind die Freigelassenen, die am Hof die Macht besitzen.951 Das elfte Annalenbuch endet offenbar mit einer Sentenz, die 949 S. Seif, 1973, 137 f.; O’Gorman, 2000, 119 stellt in diesem Zusammenhang eine recht kînstliche Verbindung zu der Zensur des Claudius her: „The senate’s decree recalls the censorship which, as we have seen, distracted Claudius for so long from awareness of his wife’s activities. The removal of her name and statues is the equivalent of the censorial ignominia, loss of (good) name, but also of damnatio memoriae, a condemnation, but also a loss (damnum) of memory“; vgl. zustzlich ihre ebenso zweifelhaften Bemerkungen a.a.O. 121 mit Anm. 19. 950 An dieser Stelle weiche ich von der Textfassung Heubners ab, der das îberlieferte tristitiis multis athetiert. Stattdessen greife ich einen Vorschlag Zwierleins auf, der einen prdikativen Dativ tristitiae konjiziert. Zur Bedeutung s. die folgende Analyse. 951 Vgl. Koestermann ad loc.: „Das Ende des 11. Buches zeigt Narcissus auf dem Hçhepunkt seiner Karriere, im 12. Buch folgt sein allmhlicher Niedergang, und das 13. wird mit seinem erzwungenen Tod erçffnet (13,1,3). Es ist bezeichnend, daß Tacitus seine Erzhlung der Epoche des Claudius in dieser Weise durch das Auf und Ab im Schicksal der Freigelassenen akzentuieren konnte [Hervorhebungen von mir].“
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auf die unheilvollen kînftigen Entwicklungen vorausweist. Der Text ist an dieser Stelle stark verderbt. Vor allem der Bezug von honesta bereitet Schwierigkeiten,952 weshalb mit einem vorangehenden Textausfall gerechnet werden muß. Doch das folgende Kolon erhlt einen treffenden Sinn, wenn man den ungebruchlichen Plural tristitiis in tristitiae ndert und als einen prdikativen Dativ zu (absolut gesetztem) multis auffaßt: Schlimme Folgen werden angekîndigt als Grund ‘zur Trauer fîr viele’.953 In jedem Fall kann festgehalten werden, daß Tacitus hier die Sinne des Lesers fîr die folgende Darstellung schrfen und dessen Wahrnehmung der folgenden Ereignisse bereits im Vorfeld entscheidend prgen mçchte.954
952 Ein Bezug zu den quaestoria insigna scheint aus inhaltlichen Grînden nicht recht angemessen zu sein; s. jedoch Mehl, 1974, 88 f.; vgl. die Bemerkungen Wellesleys in der Appendix critica seiner Ausgabe. 953 Ein frîher Abschreiber kçnnte den Dativ in seiner Funktion nicht erkannt und an multis angeglichen haben. Zu prdikativem Dativ s. LHSz II 99. 954 Vgl. Mehl, 1974, 89; Keitel, 1977, 116; generell Devillers, 1994, 110.
6. Ann. 12,1 – 9: Die Wahl einer neuen Gemahlin fîr Claudius, die Hochzeit des Kaisers mit Agrippina sowie das erste Wirken der neuen Kaiserin Das zwçlfte Buch beginnt Tacitus mit dem Bericht îber die „kaiserliche Brautschau“955 (ann. 12,1 – 3) und lßt es dabei an beißender Ironie und Humor nicht fehlen, um Claudius entsprechend seiner bisherigen Darstellung wie ein unmîndiges Kind in der Obhut seiner Freigelassenen erscheinen zu lassen.956 Nach dem Tod der Messalina ist der Kaiser offenbar nicht in der der Lage, in eigener Verantwortung eine neue Gemahlin zu erwhlen. Die Wahl fllt schließlich auf Agrippina minor, die Tochter des Germanicus und Nichte des Princeps. In ann. 12,4 werden die unheilvollen Auswirkungen dieser Wahl ein erstes Mal spîrbar: Um sich die Gunst der Agrippina zu verschaffen, schaltet Vitellius angesichts der sich abzeichnenden kînftigen Machtverhltnisse eine Intrige gegen L. Iunius Silanus, dem Verlobten der Claudiustochter Octavia. Die Hochzeit des Claudius und der Agrippina ist das Thema der nchsten drei Kapitel (ann. 12,5 – 7). Der Selbstmord des Silanus, die Rîckkehr Senecas aus dem Exil und die Verlobung des Domitius, des Sohnes der Agrippina, mit Octavia (ann. 12,8 f.) lassen sich als erste Ereignisse, die auf das Wirken der neuen Kaiserin zurîckgehen, zusammenfassen.957
955 Koestermann ad ann. 12,1,1. 956 Vgl. Koestermann ad ann. 12,1,1; Syme, 1958, 539; Borzsk, 1978, Sp. 475 f. 957 Zur Gliederung der Kapitelreihe ann. 12,1 – 9 vgl. Seif, 1973, 146 – 148; ausfîhrlicher sowie mit tiefgehenden, jedoch oft zu îberspitzten Interpretationen verbunden ist der berblick bei Keitel, 1977, 135 – 140; vgl. Wille, 1983, 498 – 503. Eine grobe bersicht îber die Struktur und die Aussageabsicht des 12. Annalenbuches insgesamt findet sich mit jeweils unterschiedlicher Akzentuierung bei Seif, 1973, 140 – 145 und Keitel, 1977, 133 f.
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6.1 Ann. 12,1 – 3: Die kaiserliche Brautschau Im ersten Satz des neuen Buches berichtet Tacitus von einer Erschîtterung, der das kaiserliche Haus nach dem Tod der Messalina befallen habe, s. ann. 12,1,1: Caede Messalinae convulsa principis domus orto apud libertos certamine, quis deligeret uxorem Claudio, caelibis vitae into
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um nichts anderes als um die Sicherung der eigenen Machtstellung. Die Ehefrau des lenkbaren Claudius ist gleichsam der Schlîssel zur Ausîbung der Macht: Wer die neue Gattin auswhlt, bestimmt die zukînftigen Machtverhltnisse und damit das eigene Schicksal entscheidend mit.964 Man beachte zudem, daß die Freigelassenen die Wahl der neuen Ehefrau des Claudius offenbar ganz selbstverstndlich als ihre Angelegenheit betrachten (orto apud libertos certamine, quis deligeret uxorem). Der Kaiser selbst scheint in dieser fîr ihn so wichtigen Frage nur am Rande eine Rolle zu spielen. Die kurze Charakterisierung des Claudius als caelibis vitae intolerans et coniugum imperiis obnoxius paßt ferner genau auf die im letzten Kapitel des elften Annalenbuches beschriebene Apathie des Kaisers nach dem Tod der Messalina (ann. 11,38,2 – 3). Ohne eine Frau an seiner Seite, die ihm sagt, was er tun oder lassen soll, scheint er tatschlich hilflos zu sein. Die bissige Bemerkung des Historikers klingt daher nicht parteiisch, sondern beschreibt im Bewußtsein des Lesers einen objektiv gegebenen Sachverhalt. Neben den Freigelassenen sind nun auch die Frauen in nicht minderem Eifer entbrannt.965 In diesem Zusammenhang ist die Formulierung digna tanto matrimonio ironisch gefrbt „durch die Diskrepanz zwischen dem politischen Gewinn, den diese Heirat mit sich brachte, und der menschlichen Bindung an einen Mann wie Claudius.“966 Tacitus stellt schließlich den engeren Kreis der Kandidatinnen vor, s. ann. 12,1,2: sed maxime ambigebatur inter Lolliam Paulinam M. Lollii consularis et Iuliam Agrippinam Germanico genitam: huic Pallas, illi Callistus fautores aderant; at Aelia Paetina e familia Tuberonum Narcisso fovebatur. ipse huc modo, modo illuc, ut quemque suadentium audierat, promptus, discordantes in consilium vocat ac promere sententiam et adicere rationes iubet. Jeder der drei mchtigen Freigelassen favorisiert jeweils eine eigene Dame vornehmer Herkunft als neue Gattin des Kaisers. Mit der Aussage, daß man innerhalb dieser drei Kandidatinnen am meisten zwischen der von Callistus bevorzugten Lollia Paulina und der von Pallas unterstîtzten Iulia Agrippina geschwankt habe, wird bereits deutlich, daß der Vorschlag des Narcissus, Aelia Paetina, die zustzlich durch ein at von den beiden Rivalinnen abgesetzt wird,967 keine Aussicht auf Erfolg hat.
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ander geprgt ist. Zusammen mit ihrer betonten Position am Satzende gewinne sie hierdurch an „Ausstrahlung und Eindringlichkeit“; vgl. Keitel, 1977, 141. Vgl. Mehl, 1974, 97. Zu exardescere an dieser Stelle s. Keitel, 1977, 141, wo der Begriff in seiner Aussagekraft jedoch îberbewertet wird. Seif, 1973, 153. S. Seif, 1973, 154.
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Der Einfluß des Narcissus, der in den letzten Kapiteln des elften Annalenbuches noch îbermchtig gewesen ist, scheint hier ein erstes Mal im Schwinden begriffen zu sein. Claudius selbst – an dieser Stelle lediglich durch ipse eingefîhrt – ist in gewohnter Manier vçllig unentschlossen und ohne eigene Meinung. In seiner Lenkbarkeit neigt er je nachdem, wer gerade das Wort fîhrt, bald zu der einen, bald zu der anderen Kandidatin. Die chiastische Wortfîgung huc modo, modo illuc fîhrt diese Unentschlossenheit und Wankelmîtigkeit des Princeps auf stilistischer Ebene wirkungsvoll vor Augen.968 Anstatt nun dem unwîrdigen Treiben durch eine eigene Entscheidung ein Ende zu bereiten, lßt sich Claudius vielmehr darauf ein, indem er die widerstreitenden Parteien zu einer Beratung zusammenruft und ‘befiehlt’, die einzelnen Vorschlge zu erçrtern. Vor dem eindrucksvoll ausgemalten Hintergrund mangelnder Selbststndigkeit und Entscheidungskraft erhlt insbesondere das Prdikat iubet, das ja gerade einen festen Willen und autokratischen Fîhrungsstil impliziert, einen hçhnischen Unterton.969 Schließlich ist der hier verwendete Begriff des consilium, bei dem gewçhnliche Freigelassene die entscheidende Rolle spielen, als Parodie auf den sogenannten Kronrat (consilium principis) zu verstehen, in dem enge Freunde sowie hochrangige Ritter und Senatoren den Princeps berieten.970 Auf der von Claudius einberufenen Beratung tragen nun die drei Freigelassenen Narcissus, Callistus und Pallas ihre Argumente fîr die jeweils favorisierte Kandidatin der Reihe nach vor. Tacitus lßt sie in 968 S. Seif, 1973, 154; Koestermann ad loc.; Keitel, 1977, 141. 969 Vgl. Seif, 1973, 154 f.: „Die Entschlußschwche des Claudius ist der großartigen Herrschergebrde, der durch die Formulierng promere sententiam et adicere rationes i u b e t salbungsvoll Ausdruck gegeben wird, entgegengesetzt. Durch diese Kontrastierung wirkt die ganze Situation lcherlich […]“; vgl. Koestermann ad loc.; anderer Ansicht ist Mehl, 1974, 98 f. mit Anm. 17. Sein Argument, „daß Claudius’ Unschlîssigkeit bei der Wahl (huc modo, modo illuc, ut quemque suadentium audierat promptus) als prdikatives Attribut dem zitierten Befehl untergeordnet ist und daher nur im beschrnktem Maße dazu dienen kann Claudius lcherlich zu machen […]“, hat jedoch wenig berzeugungskraft. Zu Recht – doch mit falscher Zielsetzung – weist Mehl a.a.O. 99 darauf hin, daß Tacitus den Befehl des Claudius hervorhebe, „indem er mit iubere eine Vokabel gebraucht, die kurz zuvor [ann. 11,35,1] die ‘verkehrte Welt’, in der Narcissus den Kaiser kommandiert, gekennzeichnet hat […].“ Gerade hierdurch kann die von Mehl abgelehnte Ironie der Stelle um so schrfer wirken. 970 S. Koestermann ad ann. 12,1,1; Syme, 1958, 539; Devillers, 1994, 68; Mehl, 1974, 99; J. A.Crook: Consilium Principis. Imperial Councils and Counsellors from Augustus to Diocletian, Cambridge 1955, 42.
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indirekter Rede zu Wort kommen. Fîr die folgende Analyse ist es von Vorteil, wenn die einzelnen Ausfîhrungen zunchst kurz ihrem Inhalt nach wiedergegeben werden. Zuerst stellt Narcissus die Vorzîge der Aelia Paetina vor. Diese sei bereits einmal die Gattin des Claudius (in dessen zweiter Ehe) gewesen und habe mit ihm in Antonia ein gemeinsames Kind. Mit dem Hinweis auf diese alte Eheverbindung argumentiert der Freigelassene nun, daß fîr das Kaiserhaus im Falle einer erneuten Eheschließung mit der sueta coniux keine wesentliche ønderung eintrete (Koestermann ad loc. spricht von einer „Rîckkehr des alten Zustandes“). Auch werde Paetina nicht mit stiefmîtterlichen Haßgefîhlen auf Britannicus und Octavia sehen, stînden diese beiden Kinder als Verwandte ihren eigenen doch am nchsten, s. ann. 12,2,1: Narcissus vetus matrimonium, filiam communem (nam Antonia ex Paetina erat), nihil in penatibus eius novum disserebat, si sueta coniux rediret, haudquaquam novercalibus odiis visura Britannicum Octaviam, proxima suis pignora. Anschließend ist Callistus an der Reihe. Bevor er jedoch auf seine eigene Favoritin zu sprechen kommt, macht er zunchst Einwnde gegen Paetina geltend: Durch die lange Zeit der Trennung sei sie nicht mehr als Ehefrau fîr Claudius geeignet, und wîrde gerade durch eine erneute Ehe mit dem Kaiser hochmîtig werden. Weitaus richtiger sei es, wenn Lollia Paulina die neue Gemahlin werde. Diese habe keine eigenen Kinder, sei frei von Eifersucht und werde den Stiefkindern so die Mutter ersetzen, s. ann. 12,2,2: Callistus improbatam longo discidio, ac si rursum adsumeretur, eo ipso superbam; longeque rectius Lolliam induci, quando nullos liberos genuisset, vacuam aemulatione et privignis parentis loco futuram. Schließlich schlgt Pallas Agrippina vor und lobt besonders die Tatsache, daß sie einen Enkel des Germanicus – gemeint ist Domitius, der sptere Kaiser Nero – mit in die Ehe brchte, der des kaiserlichen Hauses wîrdig sei. Durch seine Aufnahme in das Kaiserhaus solle Claudius die Nachkommen des julischen und claudischen Geschlechtes vereinen und verhindern, daß Agrippina als Frau von erwiesener Fruchtbarkeit und uneingeschrnkter Jugendkraft den Glanz der Caesaren in ein anderes Haus trage, s. ann. 12,2,3: at Pallas id maxime in Agrippina laudare, quod Germanici nepotem secum traheret, dignum prorsus imperatoria fortuna: stirpem nobilem et familiae Iuliae Claudiaeque posteros coniungeret, ne femina expertae fecunditatis, integra iuventa, claritudinem Caesarum aliam in domum ferret.971 971 An dieser Stelle weiche ich von der bei Heubner (und Koestermann) gegebe-
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Soweit die jeweiligen Ausfîhrungen der einzelnen Freigelassenen. Die Reihenfolge ihrer Auftritte ist von Tacitus geschickt gewhlt.972 Narcissus erhlt die schwchste Position. Sein Vorschlag hatte ohnehin wenig Aussicht auf Erfolg: Bereits in ann. 12,1,2 hatte Tacitus erwhnt, daß man bei den Freigelassenen in der Wahl der neuen Kaiserin am meisten zwischen Lollia und Agrippina geschwankt habe. Entsprechend tritt seine Argumentation gegenîber den nachfolgenden Ausfîhrungen der beiden anderen Freigelassenen weitgehend in den Hintergrund zurîck, zumal ihr von Callistus teilweise widersprochen wird. Doch hat Tacitus den Vortrag des Narcissus genutzt, um einen Hinweis einzustreuen, der kurze Zeit spter in der Wahrnehmung des Lesers noch eine wichtige Rolle spielen wird. Gemeint ist das Argument, daß bei Paetina das Aufkommen stiefmîtterlicher Haßgefîhle (novercalia odia) gegenîber Britannicus und Octavia nicht zu befîrchten sei. Betrachten wir nun auch die Worte des Callistus etwas eingehender, so fllt auf, daß sich dessen Einwand gegen Paetina lediglich auf das von Narcissus ins Feld gefîhrte vetus matrimonium, nicht aber auf die filia communis und die damit verbundene Unwahrscheinlichkeit der erwhnten novercalia odia bezieht. Dieses Argument lßt Callistus offenbar gelten, ja zielt mit seinen Ausfîhrungen zu Paulina sogar in eine ganz hnliche Richtung: Aufgrund ihrer Kinderlosigkeit werde sie keine Eifersuchtsgefîhle (aemulatio) hegen und somit am besten die Mutterrolle fîr die Kinder des Kaisers îbernehmen kçnnen. Nach diesen Ausfîhrungen vernimmt der Leser nun die Worte des Pallas, der sich fîr Agrippina stark macht. Durch ein kontrastierendes at werden sie deutlich von den beiden vorangegangenen Pldoyers abge-
nen Textfassung (at Pallas id maxime in Agrippina laudare, quod Germanici nepotem secum traheret: dignum prorsus imperatoria stirpem nobilem et familiae Iuliae Claudiaeque posteros coniungere; et ne …; vgl. hierzu Mîller, 1875, 7 – 9) ab und folge dem zuletzt von Wellesley edierten Wortlaut, fîr den insbesondere Seif, 1973, 157 – 160 îberzeugende Argumente vorgetragen hat; zum textkritischen Problem vgl. Furneaux und Koestermann ad loc. 972 Koestermann ad ann. 12,2,2 verweist auf die bereinstimmung in der Abfolge der Rivalinnen bei Suet. Claud. 26,3. Diese bereinstimmung bezieht sich aber lediglich auf die Reihenfolge der Erwhnung der einzelnen Kandidatinnen, nmlich zuerst Paetina, dann Lollia und schließlich Agrippina. Bei Sueton treten aber weder die Freigelassenen als Fîrsprecher der einzelnen Damen auf, noch werden diese mit ihren Vor- und Nachteilen gegenîbergestellt wie bei Tacitus.
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hoben.973 Fîr sich genommen ist seine Argumentation îberaus schlîssig und îberzeugend.974 Sieht man sie jedoch vor dem Hintergrund der eben wiedergegebenen Ausfîhrungen der beiden Rivalen, ergibt sich eine Doppelbçdigkeit, die dem Leser einen unheilvollen Ausblick in die Zukunft gewhrt. Denn die von Pallas am meisten (maxime) angepriesenen Vorzîge der Agrippina sind genau jene Umstnde, die durch die beiden Vorredner als entscheidende Nachteile einer neuen Kaiserin entlarvt worden sind: Agrippina ist nicht wie Lollia Paulina kinderlos, sondern hat einen Sohn. Anders als Paetinas Tochter Antonia ist dieser Sohn kein leibliches Kind des Claudius, gleichwohl aber von so vornehmer Abstammung – man beachte die besondere Betonung dieses Sachverhalts durch Germanici nepotem, stirpem nobilem, claritudinem Caesarum –, daß er durchaus Ansprîche auf die Kaiserwîrde geltend machen kann.975 Den Aussagen des Narcissus und des Callistus zufolge sind durch diese Gegebenheiten gerade bei Agrippina stiefmîtterliche Haß- und Eifersuchtsgefîhle gegenîber Britannicus und Octavia zu befîrchten.976 Angesichts der schwachen und lenkbaren Persçnlichkeit des Claudius, der gerade von seinen Frauen maßgeblich bestimmt wird (vgl. ann. 12,1,1), mag der Leser erahnen, wie sich die Verhltnisse am Kaiserhof nun weiter entwickeln werden.977 Bereits die folgenden Kapitel geben in dieser Hinsicht eine eindeutige Richtung vor. 973 Vgl. Seif, 1973, 156; Mehl, 1974, 100; Keitel, 1977, 142 und Koestermann ad loc. sind der Ansicht, daß durch die scharfe Abgrenzung der Erfolg des Pallas bereits angedeutet werde. 974 S. hierzu Seif, 1973, 161 f; Mehl, 1974, 100 f., der insbesondere die politische Dimension der Argumentation hervorhebt. 975 Vgl. Koestermann ad loc.: „Mit claritudinem Caesarum (poinierte Assonanz) wird auf die direkte Deszendenz von Augustus angespielt“; Seif, 1973, 161 hebt vor allem auf die Formulierung Germanici nepotem ab und betont die „magische Wirkung“, die der Name des Germanicus auf das Volk gehabt habe; vgl. Mehl, 1974, 100. 976 Vgl. Keitel, 1977, 142: „Pallas avoids the main issue raised by Narcissus and Callistus, whether the new wife would be a hostile stepmother to Britannicus, the heir-apparent. Instead Pallas’ negative formulation, that Claudius cannot afford to allow Agrippina to marry outside the family, glides over the obvious danger of her bringing her own son, the last male heir of Germanicus […], into competition with Britannicus. The arguments advanced in this chapter take on an ironic coloring in view of later developments in Book 12. Agrippina will prove to be guilty of all the faults ascribed to her rivals.“ Zum Motiv der novercalia odia s. o. S. 68 (Darstellung der Livia). 977 Vgl. hierzu Seif, 1973, 159 f., der in dem Ausdruck imperatoria fortuna eine Doppeldeutigkeit sieht, die den Leser auf die kommenden Geschehnisse gewis-
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Die Argumente des Pallas in Bezug auf Agrippina gewinnen schließlich die Oberhand.978 Doch auch andere Grînde haben zu diesem Ergebnis gefîhrt, wie Tacitus im Anschluß berichtet, s. ann. 12,3,1: Praevaluere haec adiuta Agrippinae inlecebris, etenim per speciem necessitudinis crebro ventitando pellicit patruum, ut praelata ceteris et nondum uxor potentia uxoria iam uteretur. Der Blick verengt sich nunmehr auf Agrippina, die Siegerin der Brautschau.979 Tacitus hat ihr erfolgreiches Abschneiden bei der Wahl der neuen Gemahlin mit dunklen Schatten versehen. Die sachlichen Argumente, die Pallas fîr seine Kandidatin ins Feld gefîhrt hat, treten in den Hintergrund. Stattdessen scheinen nun vor allem auch unzîchtige Verfîhrungskînste der Agrippina den Ausschlag fîr ihre Wahl gegeben zu haben.980 Die erotisch-sexuelle Bezugsebene ihrer Handlungen wird zwar nicht explizit zur Sprache gebracht, doch durch die Worte inlecebra und pellicere suggeriert, die in Kombination mit der Formulierung per speciem necessitudinis crebro ventitando, welche die Verwandtschaft zwischen ihr und dem Kaiser lediglich als vorgeschobenen Scheingrund (per speciem) fîr zahlreiche Besuche der Agrippina bei Claudius zu erkennen gibt, der nun angeregten Phantasie des Lesers freien Lauf lassen. In diesem Zusammenhang wird durch necessitudo und ganz besonders durch patruus – in wirkungsvoller Alliteration zu pellicit – zudem auf das inzestuçse Element des angedeuteten Sachverhalts verwiesen. Ironischerweise verschafft gerade die Verwandtschaft zu Claudius, die sich bereits hier als gewaltiges Hindernis fîr eine Eheschließung abzuzeichnen beginnt, Agrippina gegenîber ihren Rivalinnen den offenbar entscheidenden Vorteil: Problemlos kann sie beim Kaiser als sermaßen vorbereitet: „Pallas […] meint mit imperatoria fortuna natîrlich: Nero ist wîrdig ins Kaiserhaus aufgenommen zu werden. Gleichzeitig muß diese Formulierung vom Leser, der die sptere Entwicklung bereits kennt, als eine Anspielung auf Neros spteres Kaisertum verstanden werden“; hnlich urteilt Keitel, 1977, 142. 978 Im Zusammenhang mit seiner Analyse der Stelle ann. 11,29,2 ußert Seif, 1973, 112: „Pallas wird Feigheit unterstellt, Callistus ist aus Erfahrung vorsichtig. Um so grotesker muß es wirken, daß gerade der ignavus spter den grçßten Einfluß hat und nach Messalinas Tod die entscheidende Rolle spielt.“ Ob dem Leser bei der Lektîre der einleitenden Kapitel des 12. Annalenbuches dies tatschlich zu Bewußtsein kommt, bleibt jedoch fraglich. 979 Vgl. Koestermann mit zustzlichem Bezug auf den stilistischen Gehalt des Satzes: „praevaluere (5 signifikante Assonanzen von mit p beginnenden Worten!) leitet wie mit einem Trompetenstoß den Bericht îber den Triumph der Agrippina ein.“ 980 Vgl. Seif, 1973, 163; Mehl, 1974, 101.
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dessen Nichte ein- und ausgehen. Erst hierdurch erhlt sie die Gelegenheit, ihre weiblichen Reize immer wieder auszuspielen.981 Schamloser Ehrgeiz spricht hingegen aus dem Paradoxon nondum uxor potentia uxoria iam uteretur.982 Agrippina scheint den unbedingten Willen zu besitzen, an die Spitze des Staates zu gelangen. Auf dem Weg dorthin ist ihr offenbar jedes Mittel recht. Dieser Eindruck wird im folgenden weiter gefestigt, wenn Tacitus die soeben gettigte Aussage exemplifiziert, s. ann. 12,3,2: nam ubi sui matrimonii certa fuit, struere maiora nuptiasque Domitii, quem ex Cn. Ahenobarbo genuerat, et Octaviae Caesaris filiae moliri; quod sine scelere perpetrari non poterat, quia L. Silano desponderat Octaviam Caesar iuvenemque et alia clarum insigni triumphalium et gladiatorii muneris magnificentia protulerat ad studia vulgi. sed nihil arduum videbatur in animo principis, cui non iudicium, non odium erat nisi indita et iussa. Um ihre Machtstellung weiter auszubauen, setzt Agrippina alles daran, ihren Sohn Domitius mit Octavia zu verheiraten. An dieser Stelle wird das Leitmotiv des 12. Annalenbuches, der von Agrippina forcierte, stetige Aufstieg ihres Sohnes ein erstes Mal berîhrt. Die langfristigen Ziele der zukînftigen Kaiserin treten nun hervor und stimmen den Leser auf die weiteren Entwicklungen ein.983 Tacitus hebt deutlich die Schwierigkeiten der von Agrippina verfolgten Absicht hervor, indem er auf Silanus verweist, der bereits mit der Tochter des Kaisers verlobt und zudem durch diverse Auszeichnungen beim Volk ein hohes Maß an Ansehen und Beliebtheit erreicht hat.984 Ausdrîcklich wird das Vorhaben der Agrippina sogar in den Bereich des Verbrechens gestellt. All dies besttigt den zuvor erzeugten Eindruck von der skrupellosen Entschlossenheit der designierten Kaiserin, deren fieberhaftes Treiben an dieser Stelle vor allem in 981 Vgl. Seif, 1973, 163; O’Gorman, 2000, 139. 982 Wiederum taucht das Stichwort der potentia auf, das am Ende des elften Annalenbuches entweder auf die Freigelassenen oder auf Messalina bezogen worden ist und den prgenden Einfluß der hçfischen Umgebung auf Claudius umschrieben hat; vgl. Cogitore, 1991,160; 165 f.; jetzt mag der Leser ahnen, wer in Zukunft diesen Einfluß ausîben wird; vgl. Mehl, 1974, 102: „Das Wort potentia fîhrt den Leser in die harte Wirklichkeit: War schon die Vernichtung Messalinas ein Kampf um die Macht, so erleben wir dessen Fortsetzung im Streit der Freigelassenen und ihrer Damen, den Agrippina mit der Erringung der uxoria potentia fîr sich entschieden hat.“ 983 Vgl. Keitel, 1977, 143 f.: „The whole paragraph [ann. 12,3] foreshadows the events of Book 12 by suggesting Agrippina’s true goal – installing her son as emperor – and the means she must employ to achieve it.“ 984 S. Seif, 1973, 166 f.
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den Verben struere und moliri eindringlichen Ausdruck findet.985 Mehl weist darauf hin, daß „die Steigerung ihrer Macht […] mit einer Vermehrung des Bçsen verknîpft“ ist.986 Doch etwas Entscheidendes kommt hinzu: Hauptverantwortlich fîr die verbrecherischen Plne der Agrippina ist wiederum die schwache Persçnlichkeit des Kaisers. Wre dieser zu einem eigenstndigen Urteil fhig, kme die Intrigantin womçglich gar nicht erst auf die Idee, ihr Vorhaben tatschlich in die Tat umzusetzen. Doch bei einem solchen Princeps scheint nichts zu gewagt oder zu schwierig (nihil arduum videbatur)! Durch den nachfolgenden, auf Claudius bezogenen Relativsatz cui non iudicium, non odium erat nisi indita et iussa, der wie die kurz zuvor in ann. 12,1,1 erfolgte Charakterisierung des Princeps als caelibis vitae intolerans et coniugum imperiis obnoxius konform geht mit der im Schlußkapitel des elften Annalenbuches beschriebenen Gefîhllosigkeit des Kaisers nach dem Tod der Messalina,987 klingt auch diese Aussage trotz aller offenen Polemik glaubwîrdig. Nicht zuletzt darf sie sich auch auf zahlreiche Begebenheiten stîtzen, welche die mangelnde Urteilskraft und Lenkbarkeit des Kaisers bereits einprgsam vor Augen gefîhrt haben.988 Es bleibt zu betonen, daß nach ann. 12,1,1 an dieser Stelle erneut pointiert zur Darstellung gebracht wird, worin das eigentliche Problem besteht, das dem Prinzipat des Claudius durchgngig anzuhaften scheint: Es ist die Person des Kaisers selbst.989
985 Vgl. Koestermann ad loc.: „Die Verben struere und moliri sowie ihre Aktionsform (verbunden mit Chiasmus) unterstreichen energisch das geschftige und entschlossene Treiben der machthungrigen Frau.“ Zu struere, das bei Tacitus hufig in Bezug auf intrigante Machenschaften verwendet wird, s. Walker, 1952, 159; Seif, 1973, 166: „Struere maiora deutet auf den von ihr [Agrippina] geplanten Aufstieg Neros hin.“ 986 Mehl, 1974, 102. 987 Vgl. ann. 11,38,3: ne secutis quidem diebus odii gaudii, irae tristitiae, ullius denique humani adfectus signa dedit … (sc. Claudius). 988 Vgl. Keitel, 1977, 143: „The final sententia [nihil arduum videbatur …] combines, not particulary convincingly, the oblivio described in 11,38,3 with the malleability of 11,1 – 4 and 11,26 – 38.“ Warum Keitel die Kombination dieser beiden Motive nicht sonderlich îberzeugend findet, bleibt mir unklar. Der sarkastische Schlußsatz des Kapitels deckt sich jedenfalls mit den bisherigen Erfahrungen des Lesers und klingt daher weniger tendenziçs. 989 S. o. S. 313 zu ann. 12,1,1.
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6. Ann. 12,1 – 9: Die Wahl einer neuen Gemahlin fîr Claudius
6.2 Ann. 12,4: Die Intrige gegen Lucius Silanus Das von Agrippina geplante Vorgehen gegen Silanus wird im Bericht des Tacitus unverzîglich in die Tat umgesetzt. Unterstîtzt wird die Intrigantin dabei bezeichnenderweise von Vitellius, der sich bereits als Komplize der Messalina im Unrechtsprozeß gegen Valerius Asiaticus unrîhmlich hervorgetan hat.990 In kîhler Voraussicht der kînftigen Machtverhltnisse biedert er sich nun der Agrippina an, s. ann. 12,4,1: Igitur Vitellius, nomine censoris serviles fallacias obtegens ingruentiumque dominationum provisor, quo gratiam Agrippinae pararet, consiliis eius implicari, ferre crimina in Silanum, cui<us> sane decora ac procax soror, Iunia Calvina, haud multum ante Vitellii nurus fuerat. Durch igitur wird das im Kapitel zuvor ausgebreitete Vorhaben der Agrippina eng mit dessen Ausfîhrung verknîpft, wodurch der bisher gewonnene Eindruck von der zielstrebigen Entschlossenheit der zukînftigen Kaiserin und ihrer Gehilfen weiter gefestigt wird.991 Fîr das widerwrtige Verhalten des Vitellius hat Tacitus deutliche Worte gefunden, denen es an Sarkasmus nicht fehlt. Ausgerechnet als Zensor (nomine censoris), dem die Oberaufsicht îber die Sitten obliegt, lßt sich dieser aus servilem Opportunismus (vgl. serviles fallaciae) dazu hinreißen, Agrippinas verbrecherischen Absichten zu dienen und falsche Beschuldigungen gegen Silanus auszustreuen.992 Er will sich damit die Gunst der zukînftigen Machthaberin verschaffen. Dieses Motiv wird durch den Satzbau besonders betont: Durch seine auffllige Prolepse kommt der Finalsatz quo gratiam Agrippinae pararet direkt neben die Bezeichnung ingruentiumque dominationum provisor zu stehen. Die moralische Bedenkenlosigkeit des Vitellius schwingt hingegen in den historischen Infinitiven implicari und ferre mit. Man mag es wie Koestermann einfach nur „erstaunlich“ fin990 S. bes. ann. 11,2 – 3; vgl. Mehl, 1974, 103: „So, wie Messalina die endgîltige Vernichtung des Asiaticus ihrem Freund Vitellius îbertragen hat, lßt Agrippina jetzt den gleichen Hçfling, der sofort den bergang zur neuen Herrin gefunden hat, fîr sich arbeiten. Ein Verhltnis gegenseitiger Hilfe in Intrigen entsteht, das erst mit Vitellius’ Tod enden wird.“ Weitere Parallelen zwischen Agrippina und Messalina im Bericht des Tacitus insgesamt bietet Devillers, 1994, 157 f. 991 Vgl. Mehl, 1974, 102 mit Anm. 46. 992 Vgl. Seif, 1973, 167; Mehl, 1974, 103 mit zustzlichem Hinweis auf die Wortstellung: „[…] die Worte censor und serviles fallaciae prallen hart aufeinander“; Keitel, 1977, 144, die außerdem meint, daß der hier geschilderte Mißbrauch des Zensorenamtes negativ auf Claudius zurîckfallen mîsse, der dieses Amt besonders in Ehren gehalten habe (vgl. ann. 11,25,2 – 4).
6.2 Ann. 12,4: Die Intrige gegen Lucius Silanus
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den, „wie derselbe Mann, der noch vor kurzem beim Vorgehen gegen Messalina eine so zweideutige Haltung eingenommen“ hat (ann. 11,34,1), „mit großer Behendigkeit den bergang zu dem neu aufgehenden Gestirn“ vollzieht „und sich von nun an als ein treuer Gehilfe der Agrippina“ erweist.993 Oder aber man vermutet, daß Tacitus den von Koestermann konstatierten Bruch im Verhalten des Vitellius ganz bewußt zur Darstellung gebracht hat, um deutlich zu machen, wie sehr die zukînftigen Machtverhltnisse noch vor der eigentlichen Hochzeit der Agrippina mit Claudius bereits erkennbar waren. War das ausweichende und feige Taktieren des Vitellius wenige Kapitel zuvor gerade auf die Unsicherheit îber den Ausgang des Machtkampfes zwischen Narcissus und Messalina zurîckzufîhren,994 scheint jetzt die kînftige Herrschaft der Agrippina derart sicher zu sein, daß selbst der sonst so vorsichtig abwartende Opportunist ohne weiteres Zçgern auf ihre Seite tritt. Agrippina lßt offenbar keinen Zweifel daran, daß sie in Kîrze das Zentrum der Macht darstellen wird. Das Verhalten des Vitellius wird somit zu einem indirekten Beweis fîr das entschlossene und selbstbewußte Vorgehen der machtbesessenen Intrigantin.995 Das im Kapitel zuvor auf sie bezogene Paradoxon nondum uxor potentia uxoria iam uteretur (ann. 12,3,1) findet dadurch seine nachdrîckliche Besttigung. Das abstoßende Bild des rîcksichtslosen Denunzianten gewinnt indessen immer mehr an Kontur. Indem Tacitus darauf verweist, daß Iunia Calvina, die Schwester des Silanus, vor nicht allzu langer Zeit noch die Schwiegertochter des Vitellius gewesen ist, erscheint dessen Vorgehen gegen den Verlobten der Octavia um so gewissenloser. Doch damit nicht genug! Vitellius schreckt auch nicht davor zurîck, seine ehemalige Schwiegertochter mit in die Intrige gegen Silanus zu verstricken und ihre etwas naive Ausgelassenheit (vgl. procax)996 sogar zum Ausgangspunkt seiner falschen Anklage zu machen, s. ann. 12,4,2: hinc initium accusationis; fratrumque non incestum, sed incustoditum amorem ad infamiam traxit. et praebebat Caesar aures, accipiendis adversus generum suspicionibus caritate filiae promptior. Die von Vitellius vorgebrachte Anschuldigung 993 Koestermann ad loc. 994 S. o. S. 292 zu ann. 11,34,1. 995 Daß Vitellius der erste gewesen ist, der Agrippinas Herrschaft vorausgesehen hat, wie Mehl, 1974, 104 vermutet, geht aus dem Text des Tacitus nicht hervor. Die von Mehl a.a.O. Anm. 60 in diesem Zusammenhang festgestellte Betonung der gesamten Aussage durch die seltene Vokabel provisor (s. dazu Walker, 1952, 60) stellt vielmehr den Opportunismus des Vitellius besonders heraus. 996 S. hierzu Koestermann ad loc.: „[…] procax nicht im negativen Sinn […].“
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6. Ann. 12,1 – 9: Die Wahl einer neuen Gemahlin fîr Claudius
gegen Silanus ist in der hier prsentierten Form ein Musterbeispiel unterschwelliger Leserlenkung. Ausgerechnet Inzest lautet der Vorwurf, den Tacitus als solchen ausdrîcklich zurîckweist (non incestum).997 Er selbst spricht lediglich von einer unvorsichtigen Zuneigung (amor incustoditus) zwischen Silanus und seiner Schwester, die von Vitellius dann in Verruf gebracht worden sei. Nachdem nur ein Kapitel zuvor das tatschlich inzestuçse Verhltnis zwischen Agrippina und Claudius angedeutet worden ist, steckt der von Vitellius zu Unrecht erhobene Vorwurf der Inzucht fîr den Leser voller doppelbçdiger Ironie, die dem intriganten Treiben der Agrippina und ihres servilen Gehilfen den Spiegel vorhlt. Dem non incestus amor des Silanus und seiner Schwester stehen die incestae nuptiae (s. ann. 11,25,5) gegenîber, die bald im Kaiserhaus stattfinden werden.998 Trotz dieser offensichtlichen Doppelmoral schenkt Claudius der Anklage gegen Silanus anscheinend ohne weiteres Zçgern Gehçr (et praebebat aures Caesar).999 Offenbar merkt er nicht, daß der Vorwurf gegen den Verlobten seiner Tochter im Begriff ist, auf ihn selbst zurîckzufallen. Auch der von Tacitus eigens angefîhrte Grund fîr die bereitwillige Hinnahme der Anklage ist ironisch aufgeladen. Aus sorgender Liebe zu seiner Tochter (caritate filiae) sei Claudius fîr die Vorhaltungen gegen seinen (zukînftigen) Schwiegersohn besonders empfnglich gewesen. Im Bewußtsein des Lesers gefhrdet jedoch gerade diese Art der Vaterliebe die Kinder des Kaisers am meisten, da sie ganz im Sinne der Agrippina den Weg bereitet fîr den Aufstieg des Domitius.1000 Claudius beweist keinerlei Gespîr fîr die zukînftigen Entwicklungen. Er wirkt erneut wie eine stumpfsinnige Marionette seiner Umgebung. Im Anschluß wendet sich Tacitus dem Angeklagten zu, s. ann. 12,4,3: at Silanus, insidiarum nescius ac forte eo anno praetor, repente per edictum Vitellii ordine senatorio movetur, quamquam lecto pridem senatu lustroque 997 Vgl. Seif, 1973, 168 mit Anm. 31. Seif verweist auf Sen. apocol. 8,2, wonach der Inzest des Silanus offenbar erwiesen war. 998 S. Seif, 1973, 168: „In der Anklage gegen Silanus zeichnet sich der wirkliche Inzest des Claudius wie auf einer Kontrastfolie ab“; vgl. Keitel, 1977, 144; Devillers, 1994, 177. 999 Die leichtfertige Hinnahme der Anklage durch Claudius wird durch das einleitende et suggeriert. Inhaltlich zu vergleichen ist die Reaktion des Kaisers auf die Anklage gegen Asiaticus in ann. 11,1,3: at Claudius nihil ultra scrutatus est ( …); vgl. Mehl, 1974, 104 mit Anm. 67; Keitel, 1977, 144. 1000 Aus diesem Grund vermag ich die von Mehl, 1974, 104 vorgetragene Ansicht, daß die caritas filiae den Kaiser an dieser Stelle positiv von Messalina abhebe (vgl. Keitel, 1977, 144; 145; Koestermann ad loc.), nicht zu teilen.
6.2 Ann. 12,4: Die Intrige gegen Lucius Silanus
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condito. simul adfinitatem Claudius diremit, adactusque Silanus eiurare magistratum, et reliquus praeturae dies in Eprium Marcellum conlatus est. Ein adversatives at zu Beginn des neuen Satzes grenzt die Person des Silanus scharf von dem ihm entgegengebrachten Mißtrauen des Kaisers ab und macht auf diese Weise deutlich, wie unbegrîndet die gegen ihn erhobenen Vorwîrfe sind.1001 Fîr seine Unschuld spricht auch seine vçllige Ahnungslosigkeit: Die Intrige trifft Silanus offenbar vçllig unvermutet (insidiarum nescius).1002 Urplçtzlich (repente) wird er durch ein Edikt des Vitellius aus dem Senat entfernt.1003 In diesem Zusammenhang entfaltet die zustzliche Information, daß Silanus zu diesem Zeitpunkt zufllig Prtor gewesen ist, eine ironische Wirkung, welche die pervertierten Rechtszustnde unter dem Prinzipat des Claudius an den Pranger stellt. Ein Prtor, der zustndig ist fîr die Wahrung des Rechts, wird unschuldig von einem Mann aus dem Senatorenstand gestoßen, der als Zensor Recht und Gesetz mit Fîßen tritt. Die nachgetragenen absoluten Ablative quamquam lecto pridem senatu lustroque condito bringen die Rechtlosigkeit und Falschheit der Anklage eindringlich auf den Punkt, indem sie die außerordentliche Verfahrensweise des Senatsausschlusses betonen.1004 Claudius selbst verhlt sich genau so, wie von Agrippina und Vitellius gewînscht und vorausberechnet: Er lçst die Verlobung zwischen Silanus und seiner Tochter auf und macht damit den Weg frei fîr Domitius (vgl. ann. 12,3,2). Erneut hat sich der Kaiser manipulieren lassen. Daß fîr den einzig noch verbleibenden Tag der Prtur des Silanus noch ein Nachfolger eingesetzt wird, rundet das empçrende Bild einer willkîrlichen und falschen Anklage gegen ein unschuldiges Opfer auf zy1001 Vgl. hierzu Mehl, 1974, 104 mit Anm. 66. 1002 Ob der Leser sich hierbei tatschlich an die Ahnungslosigkeit des Claudius in ann. 11,13,1 (At Claudius, matrimonii sui ignarus et munia censoris usurpans …) oder gar an die Situation des Silius in ann. 11,12,2 (neque Silius flagitii aut periculi nescius erat) erinnert fîhlt (so Keitel, 1977, 145; vgl. Mehl, 1974, 104), scheint mir angesichts der gegebenen Distanz der jeweiligen Stellen sehr fraglich. berhaupt muß gefragt werden, was derlei Reminiszenzen an dieser Stelle konkret bewirken sollten. 1003 Vgl. Keitel, 1977, 145: „Tacitus focusses on the shocking suddenness (repente … quamquam … simul … adactus) with which Silanus is stripped of his fianc¤e and his praetorship.“ 1004 Vgl. Keitel, 1977, 144; zur Bedeutung der Aussage lustroque condito s. Koestermann ad loc.: „Mit der Zeremomie des lustrum war das Amt des Zensors eigentlich erloschen.“ Somit hatte Vitellius keine Befugnis mehr, Silanus aus dem Senat zu stoßen.
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nisch-lcherliche Weise ab.1005 Zudem steht diese kleinlich anmutende Beachtung verfassungsrechtlicher Normen in ironischem Kontrast zu dem leichtfertig verhngten Senatsausschluß, der bei ebenso genauer Beachtung geltender Vorschriften nach Abschluß des lustrum nicht mehr htte erfolgen dîrfen.
6.3 Ann. 12,5 – 7: Die Vermhlung des Claudius mit Agrippina Nach dem Bericht îber den Sturz des Silanus, der eindrucksvoll die faktische Macht der Agrippina bereits vor ihrer Vermhlung mit dem Kaiser belegt hat, kommt Tacitus nun auf die nheren Umstnde der Hochzeit selbst zu sprechen, s. ann. 12,5,1: C. Pompeio Q. Veranio consulibus pactum inter Claudium et Agrippinam matrimonium iam fama, iam amore inlicito firmabatur; necdum celebrare sollemnia nuptiarum audebant, nullo exemplo deductae in domum patrui fratris filiae: quin et incestum, ac si sperneretur, ne in malum publicum erumperet, metuebatur. Von Beginn an hebt Tacitus das Verwerfliche der ehelichen Verbindung in mehrfacher Hinsicht deutlich hervor. Bereits im Vorfeld der Vermhlung ist die Liebe zwischen Claudius und seiner Nichte Stadtgesprch (iam fama). Die Formulierung amor inlicitus, die nicht nur auf den unsittlichen vorehelichen Verkehr des Paares, sondern insbesondere auch auf die inzestuçse Verbindung abhebt,1006 beflîgelt in Kombination mit dem Verweis auf die klatschsîchtige Masse die Phantasie des Lesers, da sie ansatzweise erahnen lßt, was der genaue Inhalt des Geredes gewesen ist. Die nachfolgende Aussage necdum … audebant kehrt sodann die Zweifel und Bedenken hervor, welche offenbar selbst die sonst skrupellos gezeichnete Agrippina befallen haben: Sie und ihr kînftiger Gatte wagen es
1005 S. Seif, 1973, 169 mit Anm. 33; dort Verweis auf Cic. epist. [ad fam.] 7,30; Suet. Iul. 76,2 und Nero 15,2; vgl. Mehl, 1974, 105; Keitel, 1977, 145; Koestermann ad loc. verweist auf Tac. hist. 3,37,2, „wo ein Kandidat magno cum inrisu tribuentis sich fîr den letzten Tag des Jahres das Konsulat erschmeichelte […].“ 1006 S. Seif, 1973, 169 f.; vgl. Mehl, 1974, 108, der mit Koestermann ad loc. auf den Kontrast zu dem unschuldig wegen Inzest verurteilten Geschwisterpaar Silanus-Calvina hinweist, der in der Formulierung amor inlicitus „in grotesker Schrfe“ zum Audruck kommt.
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noch nicht, die Hochzeitsfeierlichkeiten zu begehen.1007 Der feierliche Ton in den Worten celebrare sollemnia nuptiarum steht dabei im krassen Mißverhltnis zu ihrem sittenwidrigen Vorhaben.1008 Zudem erinnert die hier gewhlte Ausdrucksweise frappant an eine andere illegitime Eheschließung im Kaiserhaus, nmlich diejenige, die seinerzeit zwischen Messalina und Silius stattgefunden hat (vgl. ann. 11,26,3: … cuncta nuptiarum sollemnia celebrat [sc. Messalina]).1009 Ein nachgetragener Ablativus absolutus benennt den Grund fîr das Hinauszçgern der Zeremonie: Die geplante Ehe zwischen Onkel und Nichte ist in der rçmischen Geschichte ohne Beispiel (nullo exemplo).1010 Durch diesen Hinweis wird dem Leser in aller Schrfe vor Augen gefîhrt, welch großes Tabu gebrochen werden soll. Gleichzeitig bringt die Nennung gleich dreier Verwandtschaftsbezeichnungen (patrui fratris filiae) die besondere Schwere der hier gegebenen Problematik eindringlich auf den Punkt.1011 Der ironische Kontrast zu dem Bericht îber den unschuldig wegen Inzests verurteilten Silanus im Kapitel zuvor hat damit seinen Hçhepunkt erreicht. In indirekter Rede wird der Vorwurf der Blutschande nunmehr direkt benannt (quin et incestum) und obendrein mit der Befîrchtung verknîpft, daß die ganze Angelegenheit allgemeines Unheil bringen kçnnte. Die an dieser Stelle formulierte Angst vor einer Strafe der Gçtter1012 impliziert, daß die geplante Hochzeit zwischen Claudius und Agrippina nicht nur gegen menschliches Recht verstçßt, sondern auch gçttliche Gebote in grober Weise verletzt. Unter diesem Eindruck nimmt 1007 Da Claudius und Agrippina unmittelbar zuvor die beiden zuletzt genannten Personen sind, wird man den Plural audebant wohl auf sie beziehen und nicht etwa verallgemeinernd verstehen wollen. 1008 Vgl. Koestermann ad loc.; Keitel, 1977, 145 weist zudem auf die ironische Note hin, welche diese Phrase durch das Verb audebant erhlt. 1009 S. Seif, 1973, 170; Mehl, 1974, 108. 1010 Zu der formal-juristischen Bedeutung von Przedenzfllen fîr das rçmische Denken s. Mehl, 1974, 109. 1011 Vgl. Koestermann ad loc.: „Die drei Genitive patrui etc. stehen zur drastischen Verdeutlichung (verstrkt durch Assonanz) nebeneinander.“ 1012 S. Koestermann, Nipperdey und Furneaux ad loc.; vgl. Mehl, 1974, 108 mit Anm. 100. Allein Seif, 1973, 170 scheint die Wendung in malum publicum erumpere anders zu deuten: „Man fîrchtet also eine negative Reaktion der §ffentlichkeit. Daß nur dies gemeint sein kann und nicht […] die Furcht vor einem gçttlichen Strafgericht, zeigt die ganze folgende Szene: Nicht die Gçtter werden den Absichten des Kaisers gndig gestimmt, sondern die Zustimmung der §ffentlichkeit wird gewonnen.“ Mçglicherweise treibt Tacitus hier sein Spiel mit einer nicht eindeutig zu verstehenden Formulierung.
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der Leser nun im folgenden die trickreichen Bemîhungen des Vitellius, die geplante Eheverbindung trotz aller Bedenken durchzusetzen und zu legitimieren, von vorneherein als bloße Farce wahr, s. ann. 12,5,2: nec ante omissa cunctatio, quam Vitellius suis artibus id perpetrandum sumpsit. percunctatusque Caesarem, an iussis populi, an auctoritati senatus cederet, ubi ille unum se civium et consensui imparem respondit, opperiri intra Palatium iubet. Vitellius ist zunchst darum bemîht, die Vorbehalte des Claudius zu zerstreuen. In seiner gewohnt listigen Manier (suis artibus) stellt er dem Kaiser eine Fangfrage, die wohlberechnet an dessen Respekt vor den traditionellen Verfassungsorganen des Staates appelliert.1013 Prompt tappt Claudius mit seiner Antwort dem eifrigen Helfer der Agrippina in die Falle, wie aus dem folgenden Bericht des Tacitus noch hervorgehen wird.1014 Die Verben sumpsit und iubet vermitteln einen guten Eindruck von dem selbstherrlichen und eigenmchtigen Vorgehen des Vitellius, wobei letzteres dessen scheinhafte Argumentationsweise in ironischer Weise entlarvt: Claudius fîgt sich eben nicht den iussa populi, sondern den Befehlen des Vitellius.1015 Offenbar ist es erneut sein serviler Opportunismus (s. o. zu ann. 12,4,1), der ihn dazu treibt, sich fîr die Sache der Agrippina einzusetzen. Der Fortgang der von ihm ins Werk gesetzten Machenschaften schließt sich unmittelbar an. Vitellius tritt mit der Angelegenheit vor den Senat, s. ann. 12,5,3: ipse curiam ingreditur, summamque rem publicam agi obtestans veniam dicendi ante alios exposcit orditurque: gravissimos principis labores, quis orbem terrae capessat, egere adminiculis, ut domestica cura vacuus in commune consulat. quod porro honestius censoriae mentis levamen
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Darstellung an die Senatoren richtet, eine doppelbçdige Ironie, welche die gesamte Szenerie zu einem theatralisch-lcherlichen Zerrbild werden lßt.1016 Bereits die beschwçrende Ankîndigung, es handle sich um eine Angelegenheit von grçßter Bedeutung fîr den Staat (summam rem publicam agi), die vordergrîndig allein auf die bevorstehende Heirat des Kaisers verweisen soll, entfaltet fîr den Leser einen sehr viel tieferen Sinn, wenn er nur an die hochfahrenden Plne der Agrippina denkt, die ihm kurz zuvor im Zusammenhang mit der Silanusaffre deutlich vor Augen getreten sind.1017 Nebenbei wird das nach außen hin demîtige Auftreten des Vitellius (s. veniam dicendi) durch das nachfolgende Verb exposcit als reine Heuchelei entlarvt. Wie energisch und selbstbewußt er in Wahrheit ist, verrt außerdem die enge Verknîpfung mit dem zweiten Prdikat: orditurque. Vitellius scheint die Erlaubnis des Senates gar nicht erst abzuwarten, sondern gleich mit seiner Rede anzufangen.1018 Die Aussage, daß die schwierigen Aufgaben des Princeps eine Unterstîtzung erforderten (egere adminiculis), wirkt angesichts der tatschlichen Machtverhltnisse am Kaiserhof, in denen Claudius lediglich als unselbstndige Marionette in Erscheinung tritt und bereits in seinen Freigelassenen eher zu viele als zu wenige ‘Helfer’ besitzt, geradezu lcherlich. Bezogen auf die kînftig zu erwartenden Entwicklungen, die dem Leser sptestens seit ann. 12,3 dîster vor Augen schweben, klingen die sich anschließenden øußerungen hçchst sarkastisch. Denkt man an das bisher geschilderte Verhalten der Agrippina zurîck, erscheint nicht nur die Formulierung domestica cura vacuus vçllig unangemessen, sondern insbesondere auch die rîhrseligen Worte, die fîr die kînftige Kaiserin gefunden werden. Der Leser weiß bereits jetzt, daß Agrippina fîr Claudius alles andere sein wird als eine prosperis dubiisque socia, daß es fîr den Kaiser desweiteren hçchst riskant sein wird, gerade eine derart machtbesessene Intrigantin in seine cogitationes intimae einzuweihen, und daß dessen Kinder gerade in der ‘Obhut’ der ehrgeizigen Stiefmutter wohl am meisten gefhrdet sind.1019 Die an diese Worte gebundene rhetorische Frage, welche ehren1016 Vgl. Mehl, 1974, 110 – 117; Seif, 1973, 177 – 179; Devillers, 1994, 246 – 248. 1017 S. Seif, 1973, 172; vgl. Mehl, 1974, 110 f.; hnlich Keitel, 1977, 146. 1018 Vgl. Mehl, 1974, 111: „Vitellius bittet nicht, er fordert das Recht der Rede und nimmt es als selbstversndlich in Anspruch […]“ – unter Verweis auf die hnliche Stelle ann. 11,33, wo es in Bezug auf Narcissus heißt: … in eodem gestamine sedem poscit adsumit
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haftere Erleichterung es fîr die Gesinnung eines ehemaligen Zensors gebe (quod honestius censoriae mentis levamentum), als eine solche Frau zur Gemahlin zu nehmen, treibt die ironische Ambivalenz dieses Abschnittes auf die Spitze, indem sie subtil an die verkehrte Welt erinnert, in der ein Censorius, der vor nicht allzu langer Zeit noch als oberster Sittenrichter aufgetreten ist, sich nicht scheuen wird, eine sittenwidrige Verbindung mit seiner Nichte einzugehen.1020 Die abschließende Bemerkung, Claudius sei non luxui et voluptatibus adsuefactus und habe von Kindesbeinen an den Gesetzen gehorcht, steht ebenfalls in einem drastischen Gegensatz zu der bisherigen Darstellung des Tacitus, die den Kaiser als genußsîchtiges Wesen gezeigt hat,1021 das vor allem demgegenîber Gehorsam îbt, was seine nchste Umgebung ihm eingibt. Die vermeintliche Gesetzestreue des Claudius steht wiederum in Kontrast zu den zahlreichen Unrechtsprozessen, îber die Tacitus insbesondere im 11. Annalenbuch berichtet hat, und wird insbesondere vor dem aktuellen Hintergrund der beabsichtigten illegalen Heirat zur Farce.1022 Tacitus unterbricht die Rede, um in einem Nebensatz auf die lebhafte Zustimmung der Senatoren hinzuweisen, auf die Vitellius mit seinen bisherigen Ausfîhrungen gestoßen sei. Dann lßt er den Parteignger der Agrippina fortfahren, s. ann. 12,6,1: Postquam haec favorabili oratione (sc. Claudius) erweist sich im weiteren Verlauf des geschilderten Geschehens als bittere Ironie: Agrippina lßt Claudius vergiften (12,66 – 67), Britannicus, der leibliche Sohn des Kaisers, wird durch ihre Machenschaften Nero hintangesetzt“; hnlich ußert sich Keitel, 1977, 146 f. Wie unsere Analyse der Eingangskapitel des zwçlften Annalenbuches (insbes. ann. 12,2) ergeben hat, werden bereits dort die kînftigen Entwicklungen in ihren Grundzîgen subtil vorweggenommen (s. o. S. 315 ff. zu ann. 12,2); Mehl, 1974, 112 mit Anm. 131 verweist auf ann 11,4,1, wo die kînftige dominatio der Agrippina ausdrîcklich angekîndigt wird (Vitellius ist ingruentium dominationum provisor). 1020 S. Keitel, 1977, 146. 1021 Vgl. die ann. 11,29,3 suggerierte Vielzahl an Mtressen des Claudius sowie dessen îppige Eß- und Trinkgelage in ann. 11,37,2 bzw. 11,38,2. Von der Genußsucht des Claudius berichtet auch Sueton Claud. 32 f.; s. Mehl, 1974, 113; Devillers, 1994, 247; Seif, 1973, 178; Keitel, 1977, 147 macht außerdem auch auf sprachliche Anklnge aufmerksam: „The diction of non luxui aut voluptatibus adsuefactus evokes Messalina (11.26.2 [= 11,26,3]: novissima voluptas) and 11.31.5 [=11,31,2] for luxus) and Claudius with his concubines (11.29.3: quarum is corpori maxime insueverat).“ 1022 Vgl. Keitel, 1977, 147; Seif, 1973, 178; Mehl, 1974, 113, der unter Hinweis auf Koestermanns Kommentar den Begriff leges wohl zu eng faßt, wenn er ihn mit ‘Sittengesetze’ wiedergibt. Koestermann ad loc. spricht sehr viel treffender von „Sitte und Gesetz“, um den Gegensatz zu luxus besser herauslesen zu kçnnen.
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praemisit multaque patrum adsentatio sequebatur, capto rursus initio, quando maritandum principem cuncti suaderent, deligi oportere feminam nobilitate puerperiis sanctimonia insignem. nec diu anquirendum quin Agrippina claritudine generis anteiret; datum ab ea fecunditatis experimentum et congruere artes honestas. Durch den postquam-Satz, der wie eine Art Zwischenbilanz den bisherigen Erfolg des Vitellius konstatiert, wird dessen listiges Taktieren einprgsam vor Augen gefîhrt. Schritt fîr Schritt setzt er sein Vorhaben in die Tat um: Erst als der Senat seinen allgemein gehaltenen Worten eindringlich zugestimmt hat (multaque patrum adsentatio sequebatur), bringt er nun speziell Agrippina ins Spiel,1023 die dem Leser freilich schon bei seinen bisherigen øußerungen die ganze Zeit vor Augen geschwebt hat. Dieser Umschlag in der Betrachtungsweise wird durch den Ablativus absolutus capto rursus initio wie durch ein Scharnier unmittelbar angefîgt.1024 Auch auf diese Weise wird das sorgfltig geplante Vorgehen des Vitellius sinnfllig gemacht. øhnlich wie Claudius in ann. 12,5,2 lßt sich nun auch der Senat manipulieren, was insbesondere durch den zweiten Nebensatz der Periode quando maritandum principem cuncti suaderent deutlich wird, mit der Vitellius die Senatoren nunmehr in die Pflicht nimmt. Agrippina wird wegen ihrer edlen Abkunft und erwiesenen Fruchtbarkeit als die einzig wîrdige Gemahlin fîr Claudius prsentiert (nec diu anquirendum).1025 Auch hierbei tragen die øußerungen des Vitellius fîr den Leser den Beigeschmack ironischer Doppelbçdigkeit, ist doch gerade die Abstammung der Germanicustochter das entscheidende Problem an der geplanten Hochzeit. Das hier verwendete Verb maritare ist offenbar ganz bewußt der Gesetzessprache entnommen und ruft nicht zuletzt auch durch die Gerundivform dem Leser die lex Iulia de maritandis ordinibus ins Gedchtnis, mit der Au-
1023 Vgl. Koestermann ad loc.: „Erst jetzt beginnt Vitellius geschickt seine Karten aufzudecken.“ 1024 Vgl. Seif, 1973, 173. 1025 Zur Bedeutung der von Vitelllius hier auf Agrippina projizierten einzelnen Eigenschaften, s. Seif, 1973, 175 f. øhnliche Argumente hatte schon Pallas fîr die Germanicustochter in die Waagschale geworfen (s. ann. 12,2,3: femina expertae fecunditatis; claritudinem Caesarum); vgl. Mehl, 1974, 113; Keitel, 1977, 147 ; hierzu bemerkt Devillers, 1994, 247: „La similitude du discours de Vitellius avec l’argumentation de Pallas indique que les s¤nateurs sont mis devant le fait accompli: ils n’ont d’autre choix que d’ent¤riner une d¤cision qui s’est impos¤e au terme d’un certamen (XII, 1, 1) entre hommes d’origine servile.“
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gustus bereits ‘standeswidrige’ Ehen verbieten ließ.1026 Da sptestens seit ann. 12,5,1 bekannt ist, daß die sexuelle Vereinigung zwischen Claudius und Agrippina schon lngst vollzogen worden ist (pactum inter Claudium et Agrippina iam fama, iam amore inlicito firmabatur), wirkt insbesondere auch der feierliche Begriff der sanctimonia, der einen besonders hohen Grad der Keuschheit zum Ausdruck bringt, vçllig deplaziert.1027 Wenn darîber hinaus noch die Fruchtbarkeit der Agrippina gepriesen wird (puerperiis; fecunditatis experimentum), fîhlt sich der Leser in noch drastischerer Weise an die blutschnderische Verbindung erinnert. Die von Vitellius ins Feld gefîhrten artes honestae erscheinen nach den bereits geschilderten Machenschaften der Agrippina in ann. 12,3 als blanker Hohn. Wie man den Begriff artes auffassen kann, hat Tacitus erst wenige Zeilen zuvor am Beispiel des Vitellius selbst deutlich werden lassen (ann. 12,5,2: suis artibus).1028 Auch die Fortfîhrung der indirekt wiedergegebenen Rede strotzt vor salbungsvollen Worten, die in ironischer Diskrepanz zur bisherigen Darstellung stehen, s. ann. 12,6,2: id vero egregium, quod provisu deum vidua iungeretur principi sua tantum matrimonia experto. audivisse a parentibus, vidisse ipsos abripi coniuges ad libita Caesarum: procul id a praesenti modestia. statueretur immo documentum, quo uxorem imperator 1029 acciperet. Die Vorstellung, daß die Vorsehung der Gçtter (provisu deum) die neue Verbindung in die Wege geleitet habe, mutet geradezu grotesk an, zumal wenige Stze zuvor befîrchtet worden ist, daß die Hochzeit zwischen Claudius und Agrippina allgemeines Unheil nach sich ziehen kçnnte (s. o. zu ann. 12,5,1: … ne in malum publicum erumperet, metuebatur).1030 Zu 1026 Vgl. Syme, 1958, 331 Anm. 3; Koestermann ad loc. Beide weisen zustzlich darauf hin, daß maritare bei Tacitus nur an dieser Stelle belegt ist. Zur lex Iulia s. U. Manthe: Lex Iulia et Papia, DNP 7, 1999, Sp. 121. 1027 S. Seif, 1973, 176; 178; Keitel, 1977, 147. Tacitus verwendet sanctimonia ansonsten nur in Bezug auf Vestalinnen (ann. 2,86,1; 3,69,6); vgl. Syme, 1958, 331 Anm. 3; Koestermann ad loc. 1028 Vgl. hierzu insbesondere Mehl, 1974, 109 mit Anm. 107; 114. 1029 So die Konjektur, die Ritter und andere fîr eine etwa sechs Buchstaben umfassende Lîcke in M in den Text gesetzt haben; Baiter konjiziert a re publica. Furneaux ad loc. meint dagegen, daß der Gegensatz zwischen abripi und acciperet zum Verstndnis ausreiche, und zweifelt deshalb den vermuteten Textausfall an; vgl. Koestermann ad loc. 1030 Ob an dieser Stelle durch vidua in ironischer Weise auch auf den angeblichen Giftmord der Agrippina an ihrem letzten Ehemann Crispus Passienus angespielt werden soll (s. Keitel, 1977, 148: „In fact, Agrippina may have aided in her providential widowhood by poisoning her previous husband […]“; vgl. Mehl,
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der von Vitellius erneut vorgegebenen sittenreinen Lebensweise des Claudius, der nur seine eigenen Ehefrauen kennengelernt habe (sua tantum matrimonia experto),1031 ist bereits im Zusammenhang mit der Analyse des vorangegangenen Kapitels das Passende gesagt worden (s. o. zu ann. 12,5,3: non luxui aut voluptatibus adsuefactus). Der sich anschließende Verweis auf Frauen, die in der Vergangenheit nach Belieben der Caesaren entfîhrt worden seien, ist eine Anspielung auf Livia, die von ihrem Ehemann Tiberius Nero dem Augustus îberlassen worden war, sowie auf das schamlose Treiben des Caligula.1032 Beide Flle waren den Senatoren vom Hçrensagen (audivisse a parentibus) oder aus eigener Erfahrung (vidisse ipsos) bekannt. Vor diesem dunklen Hintergrund soll das leuchtende Beispiel der nun geplanten Heirat positiv abgehoben werden.1033 Doch auch hier klingen die Worte des Vitellius maßlos îberzogen, insbesondere wenn er von der ‘Ehrbarkeit’ (modestia) des gegenwrtigen Princeps spricht,1034 die weit entfernt von der vage angedeuteten Praxis frîherer Zeiten sei. Jeder Leser dîrfte die blutschnderische Ehe doch als weitaus grçßeren Skandal empfinden als die ‘Entfîhrung’ von Ehefrauen. Schließlich kommt Vitellius zum Abschluß seiner Ausfîhrungen auf das eigentliche Problem zu sprechen, s. ann. 12,6,3: at enim nova nobis in fratrum filias coniugia: sed aliis gentibus sollemnia neque lege ulla prohibita; et sobrinarum diu ignorata tempore addito percrebuisse. morem accomodari, prout conducat, et fore hoc quoque in iis quae mox usurpentur. Mit einem einleitenden at enim greift Vitellius den zu erwartenden Einwand auf.1035 Nach seinem Loblied auf Agrippina und Claudius klingen seine Worte nun fast so, als sei das gravierende Problem der Verwandtenehe lediglich ein bedauerlicher ‘Schçnheitsfehler’.1036 Ausgerechnet Vitellius, der kurz zuvor Silanus wegen angeblicher 1974, 114), kann nicht mit letzter Sicherheit behauptet werden; vgl. Syme, 1958, 331 Anm. 3; Koestermann ad loc.; Nipperdey ad ann. 6,20. Mehl, 1974, 114 ist darîber hinaus der Ansicht, daß der Anklang der erlesenen Wendung provisu deum an die Bezeichnung des Vitellius als ingruentium dominationum provisor bedeute, daß „fîr Tacitus […] Vitellius selbst der ‘Gott’ [ist], der die Ehe Claudius–Agrippina zustande bringt.“ 1031 Matrimonia ist hier offenbar im Sinne von ‘Ehefrauen’ gebraucht; vgl. Koestermann ad loc. Nipperdey lçst den gesamten Ausdruck folgendermaßen auf: „[…] der nie die Frauen anderer begehrt habe.“ 1032 S. Koestermann ad loc. 1033 Vgl. Seif, 1973, 176. 1034 Zur Bedeutung des Ausdrucks praesenti modestia s. Koestermann ad loc. 1035 S. Koestermann ad loc. 1036 Vgl. Mehl, 1974, 111.
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Blutschande vor Gericht gebracht hat, unternimmt nun den Versuch, einen tatschlichen Inzest zu bagatellisieren:1037 Beschçnigend spricht er von in fratrum filias coniugia, eine Umschreibung, die den skandalçsen Sachverhalt nur vage zum Ausdruck bringt. Fîr den Leser sind seine Bemîhungen freilich nicht mehr als ein hilfloser Versuch. Dem Verweis auf die Sitten und Gebruche anderer Vçlker haftet die indirekt ausgesprochene Besttigung an, daß die ‘Ehe mit Tçchtern von Brîdern’ in Rom vollkommen verpçnt und gesetzeswidrig gewesen ist. Es ist sicherlich kein Zufall, daß Tacitus mit sollemnia dem Vitellius ein Wort in den Mund legt, das zu Beginn des vorangegangenen Kapitels – wenn auch in anderer Bedeutung gebraucht – eng mit der Scheu des Claudius und der Agrippina verbunden war, ihre Hochzeit çffentlich zu vollziehen (ann. 12,5,1: necdum celebrare sollemnia nuptiarum audebant). Am Beispiel der Ehe zwischen Geschwisterkindern (sobrinarum [sc. coniugia]), die in Rom zunchst ebenfalls unîblich gewesen sei, sich mit der Zeit aber zu etwas Normalem entwickelt habe, versucht Vitellius die Neuartigkeit einer Heirat von Onkel und Nichte herunterzuspielen. Die sich daran anschließende Sentenz, wonach sich die Sitte je nach Zweckmßigkeit anpasse und auch der hier verhandelte Gegenstand einst allgemeiner Brauch sein werde (morem accomodari, prout conducat, et fore hoc quoque in iis quae mox usurpentur) ist eine Parodie auf die ganz hnlichen Worte des Claudius, mit denen er seine berîhmte Rede zur Aufnahme von Galliern in den Senat beendet hatte (s. ann. 11,24,7: inveterascet hoc quoque, et quod hodie exemplis tuemur, inter exempla erit).1038 Hierdurch wird der Leser zu einem Vergleich der jeweils befîrworteten Neuerungen angeregt, der nur die Dîrftigkeit der von Vitellius vorgebrachten Argumente offenbaren kann: Konnte sich Claudius bei seinen Worten auf eine îber mehrere Jahrhunderte gewachsene rçmische Tradition berufen, vor deren Hintergrund die Vergabe des ius honorum an die Gallier als konsequente Weiterentwicklung angesehen werden durfte, ist das nun von Vitellius unterstîtzte Vorhaben in der rçmischen Geschichte ohne jegliches Beispiel (vgl. ann. 12,5,1: nullo exemplo).1039 Um so lcherlicher und geradezu hilflos mutet nun die Rechtfertigung der Ehe zwischen Onkel und Nichte an. Die in dem Schlußsatz ebenfalls zutage tretende Relativierung fester Wert- und Moralvorstellungen (morem accomodari, prout 1037 Vgl. Seif, 1973, 170; 179. 1038 S. Syme, 1958, 331; Mehl, 1974, 116; Keitel, 1977, 148; Seif, 1973, 177; Devillers, 1994, 247. 1039 S. hierzu ausfîhrlich Mehl, 1974, 116 f.
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conducat) paßt indessen glnzend zu dem bisher von Tacitus gezeichneten Charakterbild des schamlosen Opportunisten und rundet auf diese Weise den negativen Eindruck der gesamten Szenerie wirkungsvoll ab.1040 Durch die deutliche Diskrepanz zwischen dem von Vitellius vorgegebenen Anspruch und der durch den Kontext dargestellten Wirklichkeit lßt Tacitus den Auftritt des Hçflings als freche Verdrehung der Tatsachen erscheinen.1041 Der Historiker mçchte zu erkennen geben, auf welch dreiste Weise der Senat manipuliert und als gesetzgebende Instanz dazu mißbraucht wird, einer ganz bestimmten Clique am Kaiserhof den Weg zur Macht zu ebnen.1042 Das perfide Treiben des Vitellius ist am Ende von Erfolg gekrçnt. In einer Schilderung, die nun vollends die Zîge einer possenhaften Komçdie trgt, berichtet Tacitus îber die Reaktion des Senats,1043 s. ann. 12,7,1: Haud defuere qui certatim, si cunctaretur Caesar, vi acturos testificantes erumperent curia. conglobatur promisca multitudo populumque Romanum eadem orare clamitat. Die Kurie gleicht einem Tollhaus: Zahlreiche c- und t-Assonanzen untermauern den Eindruck tumultartiger Zustnde. Nach den fadenscheinigen und verlogenen Argumenten des Vitellius kann der Leser îber die îberschwengliche und bis ins Groteske gesteigerte Zustimmung der Senatoren nur lachen. Die hier geschilderte Szene gestaltet sich als Parodie auf die zuvor in ann. 12,5,2 beschworenen iussa populi und die auctoritas senatus.1044 Zu den hochtrabenden Worten, mit denen dort die alte republikanische Verfassungstradition emporgehalten worden ist, tut sich nun ein greller Kontrast auf: Hysterischkriecherische Senatoren und eine bunt gemischte, zusammengerottete Menschenmenge (s. conglobatur promisca multitudo), die sich als ‘Volk von Rom’ ausgibt und lauthals dessen angeblichen Willen verkîndet (orare eadem clamitat),1045 vertreten hier die beiden Gewalten, deren 1040 Vgl. Mehl, 1974, 117. 1041 Vgl. die hnliche Technik des Tacitus im Zusammenhang mit der Debatte um die Erneuerung der lex Cincia im elften Annalenbuch. Die Argumente der advocati in ann. 11,7 gewinnen ebenfalls durch den rahmenden Kontext der Erzhlung eine deutlich ironische Frbung (s. o. S. 184 ff.) 1042 Vgl. Seif, 1973, 172; 179; Devillers, 1994, 246 f. 1043 Vgl. Koestermann ad loc.: „Tacitus lßt der an sich schon grotesken Szene ein Satyrspiel folgen.“ 1044 Vgl. Seif, 1973, 172; 179 f.; Mehl, 1974, 117 mit Anm. 178; 118 mit Anm. 179. 1045 Vgl Mehl, 1974, 117 f.: „Das unmittelbare Nebeneinander der Begriffe promisca multitudo und populus Romanus zeigt, wie Tacitus îber dieses „Volk“ denkt“; Keitel, 1977, 149; Seif, 1973, 180.
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consensus sich der Kaiser nach eigener Aussage fîgen mçchte (s. ann. 12,5,2). Die offizielle Legitimation der geplanten inzestuçsen Ehe hat somit jeglichen Anflug von Ernsthaftigkeit und Wîrde verloren. Das nun im Anschluß geschilderte Verhalten des Claudius ist in den Augen des Lesers typisch, s. ann. 12,7,2: nec Claudius ultra exspectato obvius apud forum praebet se gratantibus, senatumque ingressus decretum postulat, quo iustae inter patruos fratrumque filias nuptiae etiam in posterum statuerentur. nec tamen repertus est nisi unus talis matrimonii cupitor, Alledius Severus eques Romanus, quem plerique Agrippinae gratia impulsum ferebant. Die anfnglichen Bedenken des Kaisers (s. ann. 12,5,1) scheinen nun schlagartig zerstreut zu sein. Nachdem Senat und Volk die Ehe mit Agrippina auf so lcherliche Weise eingefordert haben, geht er ohne weiteres Zçgern1046 in die §ffentlichkeit und fordert in der Kurie ein Dekret, das die Ehe zwischen Onkeln und Brîdertçchtern (man beachte auch hier die Abfolge dreier Verwandtschaftsbezeichnungen; s. o. zu ann. 12,5,1) auch fîr die Zukunft gesetzlich erlauben soll. Da der Senat seine Zustimmung zur geplanten Hochzeit bereits gegeben und damit das nun beantragte Gesetz im Grunde schon gebilligt hat, wirkt der Auftritt des Kaisers wie der krampfhaft-lcherliche Versuch, die republikanische Fassade weiterhin aufrecht zu erhalten.1047 Indessen macht der betonte Hinweis auf den Ritter Alledius Severus deutlich, wie es mit der von Vitellius vorhergesagten ‘Einbîrgerung’ der Verwandtenehe (ann. 12,6,3: et fore hoc quoque in iis quae mox usurpentur) in Wahrheit bestellt ist: Nur einen einzigen Nachahmer hat Claudius gefunden. Außerdem sei dies nur der Agrippina wegen geschehen, wie Tacitus unter Berufung auf eine weit verbreitete Ansicht (plerique … ferebant) verlauten lßt. Damit ist klar, daß inzestuçse Eheverbindungen in Rom nach wie vor nicht gesellschaftsfhig gewesen sind.1048 Im Anschluß wendet sich Tacitus den politischen Folgen der neuen Entwicklungen zu und findet dafîr eindringliche Worte, s. ann. 12,7,3: Versa ex eo civitas, et cuncta feminae oboediebant, non per lasciviam, ut Messalina, rebus Romanis inludenti. adductum et quasi virile servitium: 1046 Keitel, 1977, 149 sieht an dieser Stelle einen Bezug zu ann. 11,26,3 (îber Messalina: nec ultra exspectato, quam dum sacrificii causa Claudius Ostiam proficisceretur, cuncta nuptiarum sollemnia celebrat): „The reminiscence of nec ultra exspectato reveals Tacitus’ point of view: Claudius even though manipulated, is morally responsible for his choice of Agrippina just as Messalina was for her choice of Silius“; vgl. Devillers, 1994, 157 f. 1047 Vgl. Mehl, 1974, 118. 1048 Vgl. Seif, 1973, 179; Mehl, 1974, 118.
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palam severitas ac saepius superbia; nihil domi impudicum, nisi dominationi expediret. cupido auri immensa obtentum habebat, quasi subsidium regno pararetur. Die neue Eheverbindung des Claudius stellt Tacitus als drastische Zsur fîr das politische Gemeinwesen dar. Die neue Kaiserin ist verantwortlich fîr eine radikale (vgl. versa) Umgestaltung des Staates.1049 Ihr hier skizzierter Charakter steht in grellem Widerspruch zu dem idealisierten Bild einer zîchtigen und mustergîltigen Ehefrau, das im Kapitel zuvor von Vitellius beschworen worden ist: Unumschrnkte Machtfîlle (cuncta … oboediebant) und ein straffes Regiment (quasi virile servitium) charakterisieren das allgemeine Walten der Agrippina.1050 Hinzu kommen Strenge (severitas) und Hochmut (superbia). Ihre vermeintliche sanctimonia (s. ann. 12,6,1) wird durch eine maliziçse Einschrnkung wiederum ins ‘rechte’ Licht gerîckt: In ihrem Haus habe es keine Sittenlosigkeit gegeben – es sei denn, sie habe der eigenen Machtstellung genîtzt.1051 Außerdem erfîllt die Aussage nihil domi impudicum, nisi dominationi expediret die von Vitellius geußerte Sentenz, wonach sich die Sitte dem Nutzen anpasse (ann. 11,6,3: morem accomodari, prout conducat), auf ironische Weise mit neuem Sinn und entlarvt die eigentlichen Absichten der Agrippina. Die Begriffe servitium, dominatio und regnum sprechen in diesem Zusammenhang eine deutliche Sprache.1052 Der kurze Vergleich mit Messalina bringt implizit zum 1049 Vgl. ann. 1,4,1 (îber die Herrschaft des Augustus): Igitur verso civitatis statu …; Seif, 1973, 180; ob man jedoch soweit gehen darf wie Keitel, 1977, 149, die aufgrund dieser und anderer sprachlicher Entsprechungen offenbar von einer beabsichtigten Gleichsetzung der Agrippina mit Augustus ausgeht, scheint mir aufgrund des großen Abstandes zum ersten Annalenbuch ußerst zweifelhaft. 1050 Vgl. ann. 11,35,1 (îber Narcissus): omnia liberto oboediebant; hierzu Mehl, 1974, 82: „Mit dieser Parallele charakterisiert Tacitus Narcissus und Agrippina als gleichwertig. Das ußere Bild der verkehrten Machtverteilung bleibt gleich, lediglich die Personen werden ausgetauscht wie Figuren oder Darsteller in Theaterrollen“; ebda. 122; Devillers, 1994, 156; Keitel, 1977, 149 konstatiert „a change from bad to worse, from the rule of a freedman to the rule of a woman.“ 1051 Vgl. hierzu Seif, 1973, 181 f., der die hier gegebene kurze Charakterisierung der Agrippina minor mit dem taciteischen Charakterportrt ihrer Mutter vergleicht; hnlich Mehl, 1974, 125; vgl. Koestermann ad loc. Zur Parallelitt der Charakterbilder der jîngeren und der lteren Agrippina in der Darstellung des Tacitus s. ausfîhrlich Devillers, 1994, 150. 1052 Vgl. Mehl, 1974, 124 f. der auf das „Leitmotiv“ der dominatio aufmerksam macht, das von nun an die Handlungen der Agrippina begleitet (vgl. weiter unten ann. 12,8,2; 13,2,2; 14,11,2); vgl. außerdem Koestermann ad loc.: „Der Begriff regnum, der bereits 4,1,3. 3,3 in Beziehung auf Sejan aufgetaucht war, als ungeschminkte Bezeichnung der wahren Machtverhltnisse irrlichtert durch das
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Ausdruck, daß die Regentschaft des Claudius maßgeblich von dessen Ehefrauen geprgt worden ist. Doch Agrippina scheint sehr viel gefhrlicher zu sein als ihre Vorgngerin: Ist diese hauptschlich durch ihre ausschweifende Lebensweise (lascivia) zu einer Gefahr fîr die res Romanae geworden, macht sich die neue Kaiserin ganz zielstrebig und berechnend daran, den Staat unter ihre Kontrolle zu bringen.1053 Die Sicht des Lesers auf die kommenden Ereignisse wird damit entscheidend vorbestimmt. Der Hinweis auf die unermeßliche Goldgier der Agrippina rundet das negative Charakterportrt ab.1054
6.4 Ann. 12,8 f.: Der Selbstmord des Silanus, die Rîckkehr Senecas aus dem Exil und die Verlobung des Domitius mit Octavia Tacitus beendet seinen Bericht îber die Hochzeit des Claudius mit dem Selbstmord des Iunius Silanus und schlgt damit den Bogen zurîck zu Kapitel ann. 12,4, welches von der infamen Intrige gegen den einstigen Verlobten der Octavia gehandelt hat. Durch diese Kompositionsstruktur umrahmt der Bericht îber das Schicksal des vçllig zu Unrecht wegen Blutschande verurteilten Mannes wirkungsvoll die Darstellung des legalisierten Inzests am Kaiserhof,1055 s. ann. 12,8,1: Die nuptiarum Silanus mortem sibi conscivit, sive eo usque spem vitae produxerat, seu delecto die augendam ad invidiam. Calvina soror eius Italia pulsa est. addidit Claudius sacra ex legibus Tulli regis piaculaque apud lucum Dianae per pontifices danda, inridentibus cunctis, quod poenae procurationesque incesti id temporis exquirerentur. Mit der betont an den Anfang des neuen Kapitels gerîckten Datumsangabe die nuptiarum verweist der Historiker ausdrîcklich auf die zeitliche Koinzidenz von Hochzeit und Freitod, die den Gegensatz zwischen dem tatschlich begangenen, aber straflos gebliebeganze 12. Buch […]“; Devillers, 1994, 131: „On observe l’emploi de trois mots antith¤tiques la notion de libert¤ (servitium, dominatio, regnum) dans les lignes dans lequelles est d¤crit le pouvoir d’Agrippine II aprºs son mariage avec Claude (XII,7,3).“ 1053 Vgl. Seif, 1973, 182: „Messalina nutzte politische Macht zu immer grçßerer sexueller Freizîgigkeit, Agrippina bediente sich der Sexualitt, um politische Macht zu gewinnen“; Mehl, 1974, 122; Keitel, 1977, 139; Koestermann ad loc. 1054 Vgl. Seif, 1973, 182. 1055 Vgl. Seif, 1973, 183.
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nen Inzest auf der einen und der nur vorgegebenen, doch geahndeten Blutschande auf der anderen Seite weiter verschrft. Daß Silanus den Tag fîr seinen Selbstmord ganz bewußt gewhlt hat, wird innerhalb der alternativen Motivangabe (sive … seu) durch die zuletzt genannte Deutungsmçglichkeit suggeriert: delecto die augendam ad invidiam. Denn im Bewußtsein des Lesers paßt das darin enthaltene Motiv der Rache deutlich besser in den von Unrecht und Doppelmoral geprgten Kontext als die etwas blasse Erklrung, Silanus habe bis zu diesem Tag noch Hoffnung fîr sein Leben gehabt.1056 Außerdem birgt die Aussage augendam ad invidiam einen zustzlichen Reiz in sich, indem sie implizit zum Ausdruck bringt, daß die Hochzeit des Claudius mit Agrippina auch ohne den Selbstmord bereits eine Art von invidia hervorgerufen habe, die durch die symboltrchtige Tat nur noch gesteig ert werden konnte. Dieses wiederum fîgt sich gut ein in den zuvor erzeugten Eindruck, daß die neue Ehe des Claudius auf allgemeine Ablehnung gestoßen ist (vgl. ann. 12,7,2: Alledius als einziger Nachahmer des Kaisers). Nach einem kurzen Hinweis auf das ungerechte Schicksal des zweiten Opfers der Silanus-Affre, Calvina, stellt Tacitus den Kaiser nun auch ganz unverhohlen bloß: Ausgerechnet Claudius, der soeben eine blutschnderische Verbindung mit seiner Nichte eingegangen ist, verrichtet altehrwîrdige Opfer und Sîhnehandlungen fîr den vermeintlichen Inzest des Silanus. Daß die heiligen Handlungen sich konkret darauf beziehen, geht inhaltlich aus dem Prdikat addidit hervor. In einem nachgetragenen Ablativus absolutus (inridentibus cunctis) mit angehngtem quod-Satz macht der Historiker kein Hehl daraus, was der Leser von dem Gehabe des Kaisers halten soll: Alle Welt habe îber den Umstand gespottet, daß gerade zu dieser Zeit nach Strafen und Sîhnemitteln fîr ein incestum gesucht worden sei. Die Zustze ex legibus Tulli regis 1057 und ad lucum 1056 Vgl. Whitehead, 1979, 491 (C 36). Keitel, 1977, 150: „Tacitus gives two possible reasons, and as usual, the second, more sinister one, is made more persuasive. Alliteration and heavy liquids give the clause gravity […].“ Bezeichnenderweise berichten Sueton, Claud. 29,2 und Cassius Dio (Exc. Val. 227) 60,31,7, daß der Selbstmord des Silanus ein erzwungener war (s. Koestermann ad loc.). Tacitus hingegen erweckt den Eindruck, Silanus habe sich absichtlich selbst getçtet, und schafft damit erst die Grundlage fîr seine alternativ angebotenen Grînde. berhaupt ist die Reflektion îber die Motive des Silanus eine Eigenheit des taciteischen Berichtes; vgl. Mehl, 1974, 126; Seif, 1973, 184. 1057 Ob hierbei auf Servius Tullius (so Seif, 1973, 183 mit Anm. 53; Koestermann ad loc.) oder auf Tullus Hostilius (so Mehl, 1974, 126 mit Anm. 254; Keitel, 1977, 151; Furneaux ad loc.) Bezug genommen wird, ist in der Literatur umstritten.
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Dianae zielen in diesem Zusammenhang auf die bekannte antiquarische Gelehrsamkeit des Claudius ab und lassen den Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Selbstbild des Pontifex maximus noch drastischer erscheinen.1058 Im Anschluß kommt Tacitus wiederum auf Agrippina zu sprechen. Ihr zielgerichtetes Handeln wird durch ein einleitendes at scharf abgehoben von dem „sinnentleerten religiçsen Formalismus“ des Kaisers,1059 s. ann. 12,8,2: at Agrippina, ne malis tantum facinoribus notesceret, veniam exilii pro Annaeo Seneca, simul praeturam impetrat, laetum in publicum rata ob claritudinem studiorum eius, utque Domitii pueritia tali magistro adolesceret et consiliis eiusdem ad spem dominationis uterentur, quia Seneca fidus in Agrippinam memoria beneficii et infensus Claudio dolore iniuriae credebatur. Die von der neuen Kaiserin durchgesetzte Rîckberufung Senecas aus dem Exil wird von Tacitus offensichtlich begrîßt. Doch stellt er diese positiv zu bewertende Leistung als seltene Ausnahme von der Regel hin, wonach Agrippina vor allem durch mala facinora bekannt geworden sei, und verhindert durch diese Relativierung einen strkeren Bruch mit seinem bisherigen Charakterbild der machtbesessenen und skrupellosen Herrscherin. Daß diese nicht nur die Aufhebung der Verbannung, sondern zugleich auch die Prtur fîr Seneca erwirken kann, ist ein deutliches Zeichen fîr ihren mchtigen Einfluß am Kaiserhof.1060 Durch die Prolepse des einschrnkenden ne-Satzes wird die Sicht des Lesers auf die folgende Darstellung entscheidend beeinflußt: Offenbar ging es der Kaiserin bei ihrem Eintreten fîr Seneca nicht so sehr um dessen Person als vielmehr um ihr çffentliches Prestige (vgl. im folgenden laetum in publicum).1061 Von solch berechnendem Kalkîl (vgl. rata) zeugen denn auch die anderen Motive, die Tacitus im folgenden zustzlich hervortreten lßt: Agrippina mçchte Seneca die Erziehung ihres Sohnes îbertragen. Doch entspringt dieser Wunsch im wesentlichen ihren hochfahrenden Plnen. Der berîhmte Philosoph soll lediglich dazu dienen, Domitius mit seinen Ratschlgen den Weg zur Macht zu ebnen (ad spem dominationis). Daß Agrippina die ‘gute Tat’ aus reinem Eigennutz und in kîhler Berechnung begangen hat, geht am deutlichsten aus 1058 Vgl. Mehl, 1974, 126; Keitel, 1977, 151; Syme, 1958, 315. 1059 S. Mehl, 1974, 126; vgl. Keitel, 1977, 151. 1060 Vgl. Mehl, 1974, 126: „Zwischen Senecas Rîckkehr und dem Beginn seines Amtes dîrfte in Wirklichkeit einige Zeit gelegen haben, etwa ein Jahr. Tacitus rafft beides zusammen: In dem îberschnellen Aufstieg ihres Schîtzlings manifestiert sich Agrippinas Macht“; Keitel, 1977, 150. 1061 Vgl. Seif, 1973, 184 f.
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der abschließend geußerten Spekulation hervor, Seneca werde aus Dankbarkeit (memoria beneficii) der Kaiserin gegenîber treu, Claudius gegenîber jedoch feindlich gesinnt sein aufgrund des erlittenen Unrechts (des Exils). Fast unmerklich wird der Leser dabei gewahr, daß Agrippina kurz nach ihrer Hochzeit mit Claudius bereits eine eindeutige Frontstellung gegen den Kaiser bezogen hat. Erneut wird klar, welche Ziele sie von Beginn ihrer neuen Ehe an verfolgt hat (vgl. ann. 12,3,2).1062 Der Kaiserhof ist durch das Ehebîndnis nicht etwa vereint, sondern in zwei gegenstzliche Lager gespalten worden. Denn daß Agrippina keineswegs allein agiert, sondern sich bereits auf eine breitere Anhngerschaft am Kaiserhof stîtzen kann, verraten die allgemein formulierten Prdikate uterentur und credebatur.1063 Wie der Leser aus den vorangegangenen Kapiteln ahnt, stellt die Rîckberufung Senecas nicht die einzige oder hauptschliche Maßnahme dar, welche die neue Kaiserin zur langfristigen Verwirklichung ihrer herrschsîchtigen Absichten trifft, s. ann. 12,9,1 – 2: Placitum dehinc non ultra cunctari, sed designatum consulem Mammium Pollionem ingentibus promissis inducunt sententiam expromere, qua oraretur Claudius despondere Octaviam Domitio, quod aetati utriusque non absurdum et maiora patefacturum erat. Pollio haud disparibus verbis ac nuper Vitellius censet; despondeturque Octavia, ac super priorem necessitudinem sponsus iam et gener Domitius aequari Britannico studiis matris, arte eorum, quis ob accusatam Messalinam ultio ex filio timebatur. Nahtlos (dehinc) reiht sich der nchste Schachzug der Agrippina-Clique an: Nach der Vernichtung des Silanus ist der Weg nunmehr frei fîr die Verlobung der Octavia mit Domitius. Die in ann. 12,3,2 genannten verbrecherischen Plne der Kaiserin, an die sprachlich durch den Ausdruck maiora patefacturum (vgl. ann. 12,3,2: struere maiora) erinnert wird, gelangen nun zu ihrer unverzîglichen Ausfîhrung.1064 Beharrliche Zielstrebigkeit und Konsequenz kennzeich1062 Vgl. Seif, 1973, 185 f., der zustzlich auf die Reihenfolge in der Angabe der einzelnen Motive hinweist. Schrittweise kommen die politischen Ambitionen als der hauptschliche Beweggrund fîr Agrippinas Eintreten fîr Seneca zum Vorschein; Mehl, 1974, 127; O’Gorman, 2000, 147. 1063 Vgl. zustzlich zu Beginn des folgenden Kapitels placitum; inducunt; s. hierzu insbesondere Mehl, 1974, 127 f; vgl. Nipperdey und Koestermann ad loc. 1064 S. hierzu Seif, 1973, 187: „Mit dieser Formlierung [maiora patefacere] wird die frîhere Wendung maiora struere (12,3,1[=2]) aufgenommen und weitergefîhrt.[…]. Durch die Verkettung mit einem scelus ist dem Aufstieg Neros von Anfang an ein negatives Signum aufgedrîckt worden“; vgl. Mehl, 1974, 128; Keitel, 1977, 151.
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nen somit das Wirken der Kaiserin und bringen deren offenbar unstillbaren Machthunger ußerst sinnfllig zum Ausdruck. Daß Agrippina und ihre Helfer zudem andere Personen wie den designierten Konsul Mammius Pollio korrumpieren (ingentibus promissis inducunt) und zur Durchsetzung der eigenen Ziele in den Vordergrund schieben, weist sie als gerissene Intriganten aus, die unauffllig und im Hintergrund agieren und gerade deshalb um so erfolgreicher sind. Es genîgt ein kurzer Verweis auf den Inhalt der von Pollio gehaltenen Rede, um dem Leser zu bedeuten, auf welch schamlose und unwîrdige Weise nun offenbar auch die Verlobung der Octavia mit Domitius in die Wege geleitet worden ist: Der designierte Konsul habe ganz hnliche (haud disparibus) Worte gebraucht wie neulich Vitellius. Mit dieser kurzen Bemerkung rîckt Tacitus das geschilderte Ereignis in ein ebenso moralisch fragwîrdiges Licht wie die zuvor dargestellte Hochzeit des Kaisers mit Agrippina, ohne auf weitere Einzelheiten eingehen zu mîssen. Die Ereignisse scheinen sich tatschlich in gewisser Weise zu wiederholen;1065 erneut lassen sich die Senatoren bedenkenlos manipulieren und mißbrauchen. Auf den geschilderten Antrag des Pollio, wonach Claudius gebeten werden solle, seine leibliche Tochter mit dem Sohn der Agrippina zu verloben (qua oraretur Claudius despondere), folgt wenige Zeilen spter dessen direkter Vollzug (despondeturque Octavia). Die Annahme der von Pollio eingebrachten sententia wird somit zwischen den Zeilen als selbstverstndlich vorausgesetzt. Und erneut widersetzt sich Claudius nicht. Ahnungslos geht er den Intrigen seiner hçfischen Umgebung weiterhin ins Netz. Wie blind der Kaiser gegenîber dem Treiben seiner neuen Gemahlin ist, verrt nicht zuletzt auch die zustzlich erwirkte Gleichstellung des Domitius mit Britannicus. Deutlich hebt Tacitus hervor, welch gefhrlicher Rivale dem leiblichen Sohn des Kaisers in Domitius nunmehr erwachsen ist, und gewhrt damit einen unheilvollen Ausblick auf die kînftigen Entwicklungen: Der Enkel des Germanicus ist nicht mehr nur eng mit dem Kaiserhaus verwandt, sondern darîber hinaus (super priorem necessitudinem) nunmehr auch Verlobter und Schwiegersohn (sponsus iam et 1065 S. hierzu Devillers, 1994, 156 f., der auf weitere Parallelen hinweist: „[…] dans les deux cas, la d¤cision ne s’impose qu’aprºs une cunctatio (XII,5,2 nec ante omissa cunctatio quam Vitellius suis artibus; 7,1 : Haud defuere qui certatim, si cunctaretur Caesar, vi acturos testificantes; 9,1: Placitum dehinc non ultra cunctari) et qu’aprºs que s’est manifest¤e l’ars de conseillers de l’empereur, de Vitellius d’une part (XII,5,2), des affranchis de l’autre (XII,9,2). ÷ travers cette narration gemin¤e, Tacite souligne quel point, au moment de prendre des d¤cisions importantes, Claude est accessible aux arguments des membres de sa cour.“
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gener).1066 Agrippina wird bei ihren Machenschaften (vgl. studiis matris) unterstîtzt von denjenigen, die maßgeblich an der Beseitigung der Messalina beteiligt gewesen sind und daher kein Interesse daran haben kçnnen, daß Britannicus einst die Nachfolge seines Vaters antreten und dann mçglicherweise Rache fîr den Tod seiner Mutter nehmen wird.1067 Dieser Auskunft kann entnommen werden, daß die Helfer der Kaiserin erkannt haben, was hinter der Gleichstellung des Domitius mit dem Sohn des Claudius steckt. Im Gegensatz zum Princeps selbst, scheinen sie Agrippinas Plne und die sich daraus ergebenden Implikationen voll und ganz durchschaut zu haben und tragen um des eigenen Vorteils willen aktiv (arte) zu deren Verwirklichung bei. Die Aussichten fîr das Schicksal des Britannicus werden damit immer dîsterer, zumal auf seiner Seite keinerlei Anhnger zu erkennen sind.
1066 Vgl. Seif, 1973, 187. 1067 Hierbei ist offenkundig an die Freigelassenen gedacht; s. hierzu Seif, 1973, 188: „Durch die Hinwendung aller liberti zu Agrippina ist ihre Herrschaft nahezu perfekt.“
7. Ann. 12,22 – 27,1: Weitere Schritte der Agrippina zur Absicherung ihrer Herrschaft und zur Vorbereitung der Herrschaft ihres Sohnes 7.1 Ann. 12,22: Agrippina schaltet vermeintliche Rivalinnen aus Nachdem Tacitus in einem Exkurs ausfîhrlich îber Kmpfe bei den Parthern berichtet hat,1068 kommt er in Kapitel ann. 12,22 auf die inneren Verhltnisse Roms zurîck und schildert zunchst das Vorgehen der Agrippina gegen die ihr verhaßte Lollia Paulina. Aus Wut darîber, daß diese ihr die Hochzeit mit dem Princeps streitig gemacht habe (Lollia ist eine der drei Hauptfavoritinnen der Brautschau gewesen, s. ann. 12,1 – 2), verstrickt Agrippina sie in eine falsche Anklage, s. ann. 12,22,1: Isdem consulibus atrox odii Agrippina ac Lolliae infensa, quod secum de matrimonio principis certavisset, molitur crimina et accusatorem, qui obiceret Chaldaeos, magos interrogatumque Apollinis Clarii oraculum super nuptiis imperatoris. Die Art und Weise, in der Agrippina gegen ihre ehemalige Rivalin vorgeht, entspricht dem îblichen Schema einer hinterlistigen Intrige und ist dem Leser bereits aus anderen Zusammenhngen bestens bekannt:1069 Die Kaiserin bedient sich der Hilfe eines vorgeschobenen Anklgers, der falsche Beschuldigungen gegen das Opfer vorbringt. Zusammen mit der Charakterisierung der Agrippina als atrox odii ac … infensa, die zweifellos auch eine echte emotionale Triebfeder im Handeln der Kaiserin zu erkennen gibt,1070 lßt dieses 1068 Zu den Kapiteln ann. 12,10 – 21 s. Pfordt, 1998, 96 – 102; Seif, 1973, 237 – 244. 1069 S. Mehl, 1974, 128; vgl. die Intrigen gegen Valerius Asiaticus (ann. 11,1), die Petra-Brîder (ann. 11,4) und gegen Iunius Silanus (ann. 12,4); Seif, 1973, 190 mit Anm. 2. 1070 S. hierzu Mehl, 1974, 129 f. und Keitel, 1977, 160, die beide eine Parallelisierung der Agrippina mit Messalina sehen (vgl. ann. 11,12,1 et matri Agrippinae miseratio augebatur ob saevitiam Messalinae, quae semper infesta et tunc commotior, quo minus strueret crimina et accusatores); zu weiteren Parallelen zwischen den Charakterbildern der beiden Kaiserinnen in den Annalen des Tacitus s. ausfîhrlich Devillers, 1994, 157 f.
7.1 Ann. 12,22: Agrippina schaltet vermeintliche Rivalinnen aus
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gewohnte Verhaltensmuster keinen Zweifel daran aufkommen, daß es sich bei den gegen Lollia erhobenen Vorwîrfen lediglich um eine Scheinanklage handelt.1071 Das hauptschliche Motiv der Agrippina liegt jedoch nicht in ihrem persçnlichen Haß, sondern in der weiteren Absicherung ihrer erworbenen Machtstellung begrîndet. Lollia Paulina ist die einzige Kandidatin gewesen, die ihr bei der Brautwahl des Claudius ernsthaft gefhrlich geworden ist.1072 Offenbar fîrchtet sie selbst nach ihrer Hochzeit mit dem Kaiser noch potenzielle Konkurrentinnen.1073 Ebenso typisch wie der Ablauf der Intrige ist fîr den Leser erneut die Reaktion des Claudius, s. ann. 12,22,2: exim Claudius inaudita rea multa de claritudine eius apud senatum praefatus, sorore L. Volusii genitam, maiorem ei patruum Cottam Messalinum esse, Memmio quondam Regulo nuptam (nam de C. Caesaris nuptiis consulto reticebat), addidit perniciosa in rem publicam consilia, et materiem sceleri detrahendam: proin publicatis bonis cederet Italia. ita quinquagies sestertium ex opibus immensis exuli relictum. Voreingenommen nimmt der Kaiser die Vorwîrfe gegen Lollia ohne weitere berprîfung (inaudita rea) als gerechtfertigt hin1074 und tritt mit der Angelegenheit vor den Senat.1075 Seine breiten Ausfîhrungen (vgl. multa) îber die edle Abkunft der Angeklagten haben rein gar nichts mit der verhandelten Angelegenheit zu tun und sind fîr den Leser lediglich Ausdruck eines verschrobenen weltfremden Wesens.1076 Doch zeugt sein absichtliches Verschweigen (consulto reticebat) der Ehe, die Lollia Paulina seinerzeit mit Caligula eingegangen ist, von einer erstaunlichen Geistesgegenwart.1077 Offenbar ist er sich der îbertriebenen Eifersuchtsgefîhle seiner Gattin bewußt und mçchte die Situation nicht zustzlich verschrfen. Man muß daher feststellen, daß das taciteische Charakterbild des Claudius bei aller negativer Tendenz nicht immer 1071 Die von Keitel, 1977, 160 aufgezeigte Ironie, daß Agrippina an spteren Stellen selbst die Astrologen (Chaldaei) zu zentralen Angelegenheiten im Kaiserhaus befragt (s. ann. 12,68,3; 14,9,3) kann dem Leser an dieser Stelle freilich noch nicht aufgehen. 1072 S. ann. 12,1,2: sed maxime ambigebatur inter Lolliam Paulinam M. Lollii consularis et Iuliam Agrippinam Germanico genitam. 1073 Vgl. Seif, 1973, 190. 1074 Vgl. ann. 11,1,3: at Claudius nihil ultra scrutatus; 12,4,2: et praebebat Caesar aures ; Seif, 1973, 190. 1075 Mçglicherweise hat Tacitus auch an dieser Stelle die acta senatus fîr seine Darstellung herangezogen, vgl. Koestermann ad ann. 12,22,2; Syme, 1958, 295; 461. 1076 Vgl. Mehl, 1974, 128, Keitel, 1977, 161. 1077 Vgl. Mehl, 1974, 130 mit Anm. 288.
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7. Ann. 12,22 – 27,1: Weitere Schritte der Agrippina
einheitlich gezeichnet ist. Das Urteil gegen Lollia Paulina beweist wiederum die geistige Unselbstndigkeit des Kaisers. Gegenîber den weitschweifigen Bemerkungen îber die claritudo der Angeklagten erscheint der entscheidende Teil seiner Rede als bloßes Anhngsel (addidit). In aller Kîrze und Allgemeinheit nimmt er leichtglubig die falsche Anklage auf und unterstellt der unschuldigen Frau perniciosa consilia, spricht sogar von einem mçglichen scelus, das verhindert werden mîsse, und verbannt die Angeklagte aus Italien. Dieses Verhalten steht in ironischem Kontrast zu dem Umstand, daß er die tatschlich gegebenen Verbrechen (vgl. ann. 12,3,2) und gefhrlichen Absichten seiner eigenen Ehefrau offensichtlich nicht erkennt. Neben Lollia Paulina wird sodann eine weitere Frau von Agrippina ins Verderben gestîrzt, angeblich weil der Kaiser beilufig ihre Schçnheit gerîhmt hatte, s. ann. 12,22,3: et Calpurnia inlustris femina pervertitur, quia formam eius laudaverat princeps, nulla libidine, sed fortuito sermone, unde ira Agrippinae citra ultima stetit. in Lolliam mittitur tribunus, a quo ad mortem adigeretur. damnatus et lege repetundarum Cadius Rufus accusantibus Bithynis. Die Kaiserin duldet offenbar keine Konkurrentin und geht selbst aus vçllig nichtigem Anlaß gegen vermeintliche Nebenbuhlerinnen vor. Die Bezeichnung inlustris femina gibt dem Leser an dieser Stelle die entscheidende Interpretationshilfe an die Hand: Agrippina fîrchtet sich vor allem um angesehene und gesellschaftlich hochgestellte Rivalinnen.1078 Ihre îbertriebene Eifersucht beruht auch in diesem Fall nicht auf ihrer Liebe zu Claudius, sondern auf ihrer Sorge um den eigenen Machterhalt.1079 Angesichts der Bedeutungslosigkeit des geschilderten Ereignisses klingt es geradezu hçhnisch, daß sie gerade deshalb in ihrem Zorn gegen Calpurnia nicht bis zum øußersten gegangen sei. Um so schockierender ist dann die Nachricht, daß die nicht minder unschuldige Lollia Paulina von einem Tribun zum Selbstmord gezwungen 1078 Der Kommentar Koestermanns ad loc., wonach die Bezeichnung illustris femina hier der Unterscheidung von der meretrix Calpurnia (ann. 11,30,1) diene, wird der Aussageabsicht des Tacitus nicht hinreichend gerecht. 1079 Daher ist die von Mehl, 1974, 129 vorgetragenen Ansicht, wonach der Kaiserin hier kein politisches Motiv unterstellt werde (vgl. Keitel, 1977, 160 f.), unzutreffend. Hinter dem Zorn (ira) der Agrippina steckt zwar die Furcht, daß Claudius sich wegen seiner berîchtigten libidines zu einer anderen Frau hingezogen fîhlen kçnnte, doch fîrchtet sie dies hauptschlich deshalb, weil sie ihre Macht nicht teilen mçchte. Dies geht m. E. aus dem Kontext und der bisherigen Charakterzeichnung der Agrippina hervor und muß von Tacitus nicht eigens erwhnt werden.
7.2 Ann. 12,23 – 24: Weitere Senatsverhandlungen
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werden sollte. Eine kurze Notiz îber die Verurteilung des Cadius Rufus schließt das Kapitel ab, doch kommt das politisch bedeutende Ereignis in Bezug auf den Prokonsul von Bithynien vor dem Hintergrund der von Agrippina betriebenen Machenschaften kaum zur Geltung.1080 Es entsteht der Eindruck, als wîrden die Geschicke Roms fast ausschließlich von der neuen Kaiserin und ihren Intrigen bestimmt. Das rigorose Vorgehen gegen die zwei vermeintlichen Rivalinnen verdeutlicht im Bericht des Tacitus das maß- und skrupellose Machtstreben der Agrippina, die es glnzend versteht, Claudius fîr ihre Zwecke zu instrumentalisieren.1081 Im Hinblick auf die bereits zum Vorschein gekommene Problematik der kînftigen Thronfolge verheißt dies dem Leser nichts Gutes.
7.2 Ann. 12,23 – 24: Weitere Senatsverhandlungen und die Erweiterung des pomerium Tacitus unterbricht die Darstellung îber die weiteren Schritte der Agrippina zur Sicherung ihrer Macht, um in aller Kîrze auf einige Senatsbeschlîsse hinzuweisen, die keinen Zusammenhang mit dem Geschehen am Kaiserhof aufweisen (ann. 12,23). Der zuletzt genannte Senatsbeschluß betrifft die Erweiterung des pomerium durch Claudius. Tacitus nimmt dies zum Anlaß, um in einem Exkurs die schrittweise erfolgte Ausdehnung der rçmischen Stadtgrenze von der Kçnigszeit an zu beleuchten (ann. 12,24). Die beiden eingeschobenen Kapitel wirken hauptschlich als retardierendes Moment, weshalb auf deren detaillierte Analyse verzichtet werden kann.1082 Es sei lediglich darauf hingewiesen, daß es Tacitus auch hierbei nicht versumt, Claudius durch einen ironischen Kontrast der Lcherlichkeit preiszugeben, s. ann. 12,23,2: et pomerium urbis auxit Caesar, more prisco, quo iis, qui protulere imperium, etiam terminos urbis propagare datur. nec tamen duces Romani, quamquam magnis nationibus subactis, usurpaverunt nisi L. Sulla et divus Augustus. Nachdem sich Claudius im Kapitel zuvor bei der Verurteilung der Lollia Paulina als ahnungsloses Werkzeug der Agrippina hat mißbrauchen lassen und sich damit als unfhig erwiesen hat, auch nur seinen engsten per1080 Vgl. Devillers, 1994, 70; Keitel, 1977, 161: „The only authentic charge in the chapter is tacked on to the end of the false, but more significant ones.“ 1081 Vgl. Seif, 1973, 191; 262. 1082 S. hierfîr Keitel, 1977, 161 – 163.
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7. Ann. 12,22 – 27,1: Weitere Schritte der Agrippina
sçnlichen Bereich zu kontrollieren, wird er nun in eine Reihe gestellt mit großen Persçnlichkeiten und Eroberern wie Sulla und Augustus.1083 Diese hatten als einzige der duces Romani von dem Privileg Gebrauch gemacht, nach großen Feldzîgen die rçmische Stadtgrenze erweitern zu dîrfen. Whrend es heißt, daß andere Feldherren trotz hervorragender Siege gegen auswrtige Vçlker darauf verzichtet htten, werden die Erfolge des Claudius in Britannien, die den Hintergrund fîr seine Erweiterung des pomerium abgeben, an dieser Stelle verschwiegen. Um so anmaßender und îberheblicher erscheint daher seine Maßnahme.1084
7.3 Ann. 12,25 f.: Die Adoption des Domitius In den Kapiteln 25 und 26 des 12. Annalenbuches berichtet Tacitus von der Adoption des Domitius durch Claudius. In der Darstellung des Historikers ist sie der nchste und wohl entscheidende Schritt der Agrippina hin zu dem skrupellos verfolgten Ziel, ihren Sohn auf den Kaiserthron zu setzen. Wirkungsvoll hat Tacitus dieses folgenschwere Ereignis an den Anfang des neuen Jahresberichtes gesetzt,1085 s. ann. 12,25,1: C. Antistio M. Suillio 1086 consulibus adoptio in Domitium auctoritate Pallantis festinatur, qui obstrictus Agrippinae ut conciliator nuptiarum et mox stupro eius inligatus stimulabat Claudium, consuleret rei publicae, Britannici pueritiam robore circumdaret. sic apud divum Augustum, quamquam nepotibus subnixum, viguisse privignos; a Tiberio super propriam stirpem Germanicum adsumptum: se quoque accingeret iuvene partem curarum capessituro. Wiederum tritt Agrippina nicht selbst in Aktion, sondern nutzt die Dienste ihrer Anhnger: Es ist Pallas, der die Adoption des Domitius durch Claudius in die Wege leitet. Dem Leser 1083 S. Seif, 1973, 192; vgl. Devillers, 1994, 70; 292 1084 Vgl. Vessey, 1971, 404. 1085 Mehl, 1974, 108 Anm. 94 weist darauf hin, daß im 12. Annalenbuch die Jahresanfnge mit Ausnahme des Jahres 52 jeweils mit einem weiteren Aufstieg der Agrippina und ihres Sohnes verknîpft sind: Das Jahr 49 mit ihrer Hochzeit (ann. 12,5); das Jahr 50 mit der Adoption Neros (ann. 12,25); das Jahr 51 mit der Verleihung der toga virilis an Nero (ann. 12,41); das Jahr 53 mit der Hochzeit zwischen Nero und Octavia (ann. 12,58); das Jahr 54 mit den Prodigien, die den Tod des Claudius ankîndigen (ann. 12,64); vgl. Keitel, 1977, 164. 1086 Hierbei handelt es sich um den Sohn des berîchtigten Anklgers P. Suillius Rufus (s. ann. 11,1 f.; 4 – 6) und den Bruder des Suillius Caesoninus (s. ann. 11,36,4); s. Koestermann ad loc.
7.3 Ann. 12,25 f.: Die Adoption des Domitius
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ebenfalls vertraut ist die Eile, in der verfahren wird (festinatur). Weiterhin zielstrebig und konsequent verfolgt die Kaiserin ihre Absichten mithilfe einer Intrige nach bewhrtem Muster,1087 und Claudius bleibt vçllig ahnungslos. Daß dem Freigelassenen Pallas an dieser Stelle auctoritas zugeschrieben wird, zeigt deutlich dessen hohen Einfluß und bringt die umgekehrten Machtverhltnisse am Kaiserhof sinnfllig zum Ausdruck.1088 Mit der Aussage, der Freigelassene sei der Agrippina als Vermittler ihrer Ehe eng verbunden und mit der Kaiserin bald auch in ein ehebrecherisches Verhltnis verstrickt gewesen, weiß Tacitus sein vernichtendes Urteil îber die Kaiserin in ann. 12,7,3, wonach es in ihrem Haus keine Sittenlosigkeit gegeben habe, außer wenn es ihrer Herrschaft von Nutzen gewesen sei (nihil domi impudicum, nisi dominationi expediret), nachtrglich zu besttigen.1089 Pallas treibt Claudius nun dazu an (stimulabat), er solle fîr das Wohlergehen des Staates sorgen und dem Knaben Britannicus eine starke Stîtze beigeben. Mîssen bereits diese Worte in Anbetracht der unheilvollen Absichten der Agrippina ußerst ironisch klingen, nutzt Tacitus – wie so oft – auch im folgenden die indirekte Rede zu einer doppelbçdigen Darstellung, welche die gegebenen Zustnde entlarvt und bedrohlich in die Zukunft weist.1090 Um sein Anliegen mit schlagkrftigen Beispielen aus der Vergangenheit zu untermauern, fîhrt Pallas die jeweilige Nachfolgepolitik des Augustus und des Tiberius an. Obwohl sich Augustus auf Enkel hatte stîtzen kçnnen, htten bei ihm die Stiefsçhne in hohem Ansehen gestanden. Und von Tiberius sei neben seinem leiblichen Sohn noch Germanicus adoptiert worden. Beide Exempla sind jedoch fîr den wissenden Leser vçllig fehl am Platz. Betrachten wir zunchst das von Pallas angefîhrte Beispiel des Augustus. Nur zu gut ist aus den Anfangskapiteln der Annalen bekannt, wie es um die schwierige Nachfolgeregelung des ersten Princeps wirklich bestellt gewesen ist: Die Stiefsçhne Tiberius und Drusus wurden zwar mit Ehren îberhuft und von Augustus als potentielle Nachfolger in Betracht gezogen (s. ann. 1,3,1). Doch zumindest im Falle des Tiberius ist in aller Deutlichkeit her1087 Vgl. Keitel, 1977, 164. 1088 Vgl. Koestermann ad loc.: „Tacitus macht in den Annalen nur sparsamen Gebrauch von auctoritas. Wenn er den Begriff hier auf die Person des Freigelassenen îbertrgt, steckt natîrlich bittere Ironie dahinter“; Syme, 1958, 413; Seif, 1973, 194; Mehl, 1974, 131. 1089 Vgl. Mehl, 1974, 131. 1090 Vgl. Seif, 1973, 194 – 196 (bes. 195); Mehl, 1974, 133 f.; Keitel, 1977, 165; Devillers, 1994, 248; O’Gorman, 2000, 109.
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7. Ann. 12,22 – 27,1: Weitere Schritte der Agrippina
vorgetreten, daß dieser keineswegs der ‘Wunschkandidat’ des Augustus fîr seine Nachfolge gewesen ist. Erst in Ermangelung weiterer Alternativen und aus durchaus zwiespltigen Motiven heraus hat er ihn notgedrungen zu seinem Nachfolger erkoren (vgl. ann. 1,3,3; 1,10,7; 6,51,1).1091 Doch nicht nur, daß dieser Vergleich insgesamt vçllig trîgerisch ist.1092 Mit dem Hinweis auf die nepotes Augusti beschwçrt Tacitus im Gedchtnis des Lesers zudem das zu Beginn der Annalen eindrucksvoll gemalte Schreckensbild der ‘bçsen Stiefmutter’ Livia herauf, die ihrem Sohn durch Ausschaltung der anderen Thronprtendenten den Weg zur Macht geebnet haben soll (s. bes. ann. 1,3,3).1093 Die Parallele zur ‘Stiefmutter’ Agrippina ist nicht zu îbersehen: Das Schicksal der in jungen Jahren verstorbenen Caesaren Gaius und Lucius droht im Falle einer Adoption des Domitius seitens des Kaisers auch dem Britannicus. Mag dessen sptere Ermordung auch ohne Agrippinas Wissen oder Zutun erfolgen (s. bes. ann. 13,16,4), so ist sie dennoch mittelbar auf das Wirken der noverca zurîckzufîhren. øhnlich unpassend ist das Beispiel des Tiberius, hat dieser seinen Neffen Germanicus doch keineswegs freiwillig, sondern nur auf ausdrîcklichen Befehl des Augustus hin adoptiert – und dies, obwohl er wie Claudius einen eigenen Sohn gehabt hat (s. ann. 1,3,5). Die von Pallas geforderte Adoption des Domitius wird durch die Beispiele des Augustus und des Tiberius somit keineswegs legitimiert, sondern erscheint im Gegenteil vor ihrem Hintergrund um so ungeheuerlicher: Ohne jeglichen ußeren Zwang soll Claudius durch die Adoption des Domitius seinem eigenen Sohn einen gefhrlichen Konkurrenten zur Seite stellen.1094 Der abschließende Rat des Pallas, Claudius solle sich mit einem jungen Mann umgeben, der einen Teil seiner Sorgen îbernehmen werde (accingeret iuvene partem curarum capessituro), impliziert die von der Agrippina-Partei beabsichtigte Teilhabe des Domitius an der Ausîbung der Macht und lßt somit die politischen Konsequenzen der Adoption hervorschimmern.1095 Doch Claudius ahnt von all dem nichts und willigt bedenkenlos ein, s. ann. 12,25,2: his evictus triennio maiorem natu Domitium filio anteponit, habita apud senatum oratione
7.3 Ann. 12,25 f.: Die Adoption des Domitius
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perat modum. adnotabant periti nullam antehac adoptionem inter patricios Claudios reperiri, eosque ab Atto Clauso continuos duravisse. Unter dem Deckmantel der Fîrsorge um das allgemeine Wohlergehen des Staates hat sich der Kaiser erneut fîr die rein persçnlichen Interessen seiner Gattin instrumentalisieren lassen (vgl. evictus).1096 Entsprechend dieser Darstellung hat Tacitus die schwache Persçnlichkeit des Claudius auch dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er dessen Namen nicht erwhnt: Der Princeps muß als Subjekt zu anteponit in Gedanken ergnzt werden. Schrittweise vollzieht sich vor den Augen des Lesers der von Agrippina eifrig betriebene Aufstieg des Domitius: Ist in ann. 12,9 noch ausdrîcklich von dessen Gleichstellung mit Britannicus die Rede gewesen (s. dort aequari), wird er nun dem leiblichen Sohn des Kaisers sogar vorangestellt.1097 Es entsteht der Eindruck, als seien die einmal eingeleiteten Entwicklungen kaum noch aufzuhalten, zumal sich Claudius offenbar nach Belieben formen, lenken und mißbrauchen lßt. Nicht einmal vterliche Zuneigung vermag der Hçrigkeit und Naivitt des Princeps Einhalt zu gebieten. Vor dem Senat redet er dann genau so, wie es ihm von seinem Freigelassenen eingegeben worden ist. Ein eigenstndiges Urteil scheint ihm erneut gnzlich abzugehen.1098 Die in 1096 Vgl. die hnliche Argumentation des Vitellius in ann. 12,5,3; s. Koestermann ad ann. 12,25,1; Seif, 1973, 194; Mehl, 1974, 132 f.; Keitel, 1977, 166; Devillers, 1994, 248. Ob Tacitus mit evictus eine zustzliche Parallele zum greisen Augustus herstellen mçchte (s. ann. 4,57,3 … precibus uxoris evictus Tiberio Germanicum, sibi Tiberium adscivit [sc. Augustus]; vgl. Mehl, 1974, 131 mit Anm. 297; Keitel, 1977, 166; Devillers, 1994, 151; O’Gorman, 2000, 135) scheint mir zweifelhaft. Whrend die anderen Reminiszenzen an den ersten Princeps inhaltlicher Art leicht in das Bewußtsein des Lesers dringen kçnnen, scheint mir die Wiederholung eines einzigen Wortes nach mehreren Bîchern fîr einen Rîckbezug nicht auszureichen. 1097 Vgl. Seif, 1973, 196; Mehl, 1974, 132: „Durch die Adoption wird Domitius ‘Kronprinz’, weil er lter ist – und mçgen es nur wenige Jahre sein.“ Die Altersangabe triennio maior natu erklrt, warum Domitius den Vorrang vor Britannicus erhalten hat (vgl. anteponit). Mehl (a.a.O.) und Devillers, 1994, 248 meinen, daß Tacitus damit zustzlich auch das Argument des Pallas, wonach der Kaiser durch die Adoption seinem Sohn eine Stîtze geben solle (ann. 12,25,1: … Britannici pueritiam robore circumdaret), als absurd erscheinen lassen mçchte. Diese Ansicht teile ich nicht. Der Altersunterschied von drei Jahren ist gemessen an dem noch jungen Alter der beiden Prinzen nicht so unerheblich, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag: Domitius ist zum Zeitpunkt der Adoption 12, Britannicus 9 Jahre alt (s. Koestermann ad ann. 12,25,2). 1098 Vgl. Seif, 1973, 199; Mehl, 1974, 131 f.; Koestermann ad loc.: „Die Absicht, Domitius enger an die Dynastie zu binden, mag bei Claudius von Anfang an
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7. Ann. 12,22 – 27,1: Weitere Schritte der Agrippina
indirekter Rede prsentierte Bemerkung der nicht nher bekannten periti hebt zum Abschluß des Kapitels die Ungeheuerlichkeit der von Claudius vorgenommenen Adoption des Domitius hervor, indem sie diese als einzigartigen Vorfall innerhalb der langen Geschichte der patrizischen gens Claudia markiert: Von Beginn ihres Urahnen Attus Clausus an habe es in der Familie bislang keinen einzigen Fall einer Adoption gegeben. An dieser Stelle erçffnet sich erneut ein ironischer Kontrast: Whrend Claudius durch die Aufnahme des Domitius in seine Familie also ohne Not mit einer uralten Tradition bricht und damit ehrwîrdige exempla grundlos mißachtet, beruft er sich bei seinem Schritt – die Worte des Pallas nachsprechend – auf die zwiespltigen ‘Vorbilder’ des Augustus und des Tiberius. Dieses absurde Verhalten fllt um so mehr ins Gewicht, als Claudius in antiquarischen Angelegenheiten und insbesondere der eigenen Familiengeschichte als ein ausgewiesener Experte gilt. In seiner berîhmten Rede zum ius honorum der Gallier, hat er sich selbst auf seine ltesten Vorfahren, unter ihnen auch Attus Clausus, berufen (s. ann. 11,24,1).1099 vorhanden gewesen sein (s. zu 12,2,3). Tacitus freilich stellt es so hin, als ob erst die tçnenden Argumente des Freigelassenen, die jener sich dann unbesehen zu eigen machte, den Ausschlag gegeben htten […].“ Syme, 1958, 707 ußert die Vermutung, Tacitus habe in ann. 12,25,1 Material aus der Originalrede des Claudius dem Pallas in den Mund gelegt: „It can be suspected that the historian quietly transferred material from the orations, several times. The freedman Pallas urges Claudius to adopt Nero, for the sake of the ‘res publica’, and for the protection of the young Britannicus; and he cites precedents from the history of the dynasty (XII. 25. 1). Claudius complies, and reproduces the arguments of his mentor […]. Tacitus could easily have invented the arguments and precedents he attributes to Pallas, had it been necessary. But they were presumably ready to hand, in the oration of Claudius [Hervorhebungen von mir].“ Wenn Syme mit seiner Vermutung richtig liegt, darf angenommen werden, daß Tacitus die Worte des Claudius absichtlich dem Pallas zugeschoben hat, um den Kaiser anschließend als willfhrige Marionette des Freigelassenen erscheinen zu lassen (vgl. Mehl, 1974, 132 mit Anm. 298). 1099 Angesichts einer entscheidenden Abweichung im Parallelbericht Suetons (Claud. 39,2: … identidem divulgavit [sc. Claudius] neminem umquam per adoptionem familiae Claudium insertum) vermutet Syme, 1958, 707 erneut eine absichtliche Verschiebung des Tacitus: „This episode reveals another type of transference. According to Suetonius it was Claudius himself who affirmed (repeatedly) that nobody had hitherto entered the Claudian House by adoption. In Tacitus, however, this is the comment of the audience – ‘adnotabant periti […]’ (XII. 25.2)“; vgl. a.a.O. 316 (ebenfalls unter Bezug auf die Sueton-Stelle): „Claudius, when about to adopt Nero although he already had a son, proclaimed more than once that nobody hitherto had secured admission to the house of the
7.3 Ann. 12,25 f.: Die Adoption des Domitius
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Das nchste Kapitel berichtet zunchst von der Reaktion des Senates auf die Rede des Claudius, s. ann. 12,26,1: Ceterum actae principi grates, quaesitiore in Domitium adulatione; rogataque lex, qua in familiam Claudiam et nomen Neronis transiret. augetur et Agrippina cognomento Augustae. Die Worte des Kaisers stoßen in der Kurie auf die gewohnte servile Ergebenheit.1100 Fîr den ahnenden Leser stecken diese Zeilen wiederum voller Ironie: Ausgerechnet fîr eine Maßnahme, die ihn und seinen Sohn ins Verderben stîrzen wird, erntet der Kaiser den Dank der Senatoren. Daß diese – ganz im Gegensatz zum Princeps – die sich abzeichnenden Machtverhltnisse der Zukunft in vollem Umfang erfaßt haben, verrt ihre erlesene adulatio gegenîber Domitius, die Tacitus durch einen nachgetragenen Ablativus absolutus in besonderer Weise hervorhebt.1101 Offenbar mçchte man sich bei dem kînftigen Herrscher ein erstes Mal beliebt machen. Indem das Satzgefîge den Princeps und Domitius eng nebeneinander stehen lßt, hat es ganz den Anschein, als werde in der Sympathiebekundung des Senats der Sohn der Agrippina bereits mit dem Kaiser auf eine Stufe gestellt.1102 Sogleich (vgl. die enge Verknîpfung durch das angehngte -que) wird ein Gesetz auf den Weg gebracht, wonach jener unter dem Namen Nero in die Familie der Claudier aufgenommen werden solle. Damit ist der entscheidende Schritt auf dem Weg zum Kaiserthron getan. Doch auch der Aufstieg (vgl. augetur) der Kaiserin selbst wird betont: Sie erhlt den ehrenden Beinamen patrician Claudii in this manner. On the lips of Claudius the remark was damaging and inept. Tacitus takes it from the Emperor and serves the dignity of history by assigning it to well-informed contemporaries […].“ Es lge demnach dasselbe Phnomen vor wie kurz zuvor in der von Syme vermuteten bertragung des Inhalts der Claudiusrede in den Mund des Pallas (s. o. Anm. 1098). Koestermann ad loc. steht dieser These Symes jedoch ußerst kritisch gegenîber: „Von seinem [=Tacitus] Bedîrfnis, um der Wîrde der Geschichtswerkes willen dem Princeps keine tçrichten und entlarvenden Aussprîche in den Mund zu legen, ist bei ihm sonst nicht viel zu spîren“; vgl. Seif, 1973, 199 f., der Koestermann beipflichtet; Keitel, 1977, 167 versteht die Anmerkung der periti vor allem als „ominous of coming ruin for Claudius and his son […]“ und bietet folgende Lçsung an: „The use of a generalized spectator (adnotabant periti) intensifies the foreshadowing while ridiculing Claudius’ own pretentions to learning and reverence for tradition.“ 1100 Vgl. Mehl, 1974, 134 f. 1101 Koestermann ad loc. sieht in der quaesitior adulatio vielmehr ein Zeichen der „Anhnglichkeit von Senat und Volk an die Familie des Germanicus [mit Verweis auf ann. 11,12,1; 14,7,4].“ 1102 Vgl. Seif, 1973, 196.
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7. Ann. 12,22 – 27,1: Weitere Schritte der Agrippina
Augusta, der sie insbesondere mit Livia gleichsetzt und in gewisser Weise sogar îber diese stellt.1103 Der steile Aufstieg des Domitius und der Agrippina wird nun wirkungsvoll mit der nunmehr hoffnungslos erscheinenden Situation des Britannicus kontrastiert,1104 s. ann. 12,26,2: quibus patratis nemo adeo expers misericordiae fuit, quem non Britannici fortuna maeror<e> adficeret. desolatus paulatim etiam servilibus ministeriis per1105 intempestiva novercae officia in ludibria vertebat, intellegens falsi. neque enim segnem ei fuisse indolem ferunt, sive verum, seu periculis commendatus retinuit famam sine experimento. Die Kombination von relativischem Satzanschluß und Ablativus absolutus (quibus patratis) macht in ihrer prgnanten Kîrze die Mîhelosigkeit deutlich, mit der die Antrge vom Senat angenommen worden sind. Die blitzartig geschaffenen Fakten sind fîr den leiblichen Sohn des Kaisers ein schwerer Schlag. Daß diese Auffassung der consensus omnium gewesen ist, suggeriert Tacitus durch seinen Hinweis auf die gemeinhin empfundene misericordia: Niemanden habe es gegeben, den das Schicksal des Britannicus nicht mit Mitgefîhl und Trauer erfîllt habe. Demnach scheint es eine weithin anerkannte Tatsache gewesen zu sein, daß durch die Adoption des Domitius großes Unrecht begangen worden ist. Darîber hinaus ist die einmîtige misericordia Ausdruck des allgemeinen Wissens um die kînftigen Machtverhltnisse, die allein Claudius nicht wahrhaben mçchte: Obwohl Domitius den Thron noch nicht bestiegen hat, ist Britannicus bereits jetzt um seine Herrschaftsansprîche betrogen. Das erkennt allmhlich auch seine Dienerschaft und wendet sich von ihm ab, um – dem Beispiel des Senats folgend (s. o.) – bei der Machtîbernahme des kaiserlichen Adoptivsohnes auf der 1103 Im Unterschied zu Livia erhlt Agrippina den Titel noch zu Lebzeiten ihres Gatten; vgl. Mehl, 1974, 135; O’Gorman, 2000, 132; Seif, 1973, 198. Ob Tacitus vor diesem Hintergrund zustzlich zum Ausdruck bringen mçchte, daß Claudius mit dem Aufstieg der Agrippina zumindest in politischem Sinne bereits ‘tot’ ist, kann nicht sicher behauptet werden; vgl. Vessey, 1971, 404; Keitel, 1977, 167. 1104 S. Mehl, 1974, 137 f. 1105 So der Vorschlag Sirkers und Nipperdeys fîr das îberlieferte per intempestiva, was von Fisher zu perintempestiva zusammengezogen worden ist (s. hierzu Walker, 1952, 61; vgl. Furneaux ad loc.). Die von Koestermann ad loc. vertretene Ansicht, daß puer gegenîber der Verstrkung des Adjektivs durch per eine Abschwchung des Sinngehaltes“ bedeute, muß jedoch zurîckgewiesen werden: puer erhlt als Gegenbegriff zu noverca einen guten Sinn und lßt dem Kontext der Stelle entsprechend die Schutzlosigkeit des Britannicus noch strker hervortreten.
7.3 Ann. 12,25 f.: Die Adoption des Domitius
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‘richtigen’ Seite zu stehen.1106 In der Darstellung des Tacitus drîcken neben der Lenkbarkeit des Kaisers somit auch Opportunismus und Feigheit dem raschen Aufstieg des Nero ihren Stempel auf: Trotz der weithin herrschenden Betroffenheit wagt es niemand, sich den ungerechten Entwicklungen in den Weg zu stellen. Schutzlos (vgl. desolatus) ist der junge Prinz den Umtrieben der Agrippina ausgesetzt. Bedrohlich taucht auch hier das Schlagwort der noverca auf, welches die intempestiva officia1107 in ironisch-dîsterem Licht erscheinen lßt.1108 Zu diesem Eindruck paßt es, daß auch Britannicus die Bemîhungen seiner Stiefmutter ausdrîcklich als Hohn empfindet (in ludibria vertebat). Vor diesem Hintergrund entfaltet die nachgeschobene Partizipialkonstruktion intellegens falsi eine kausale Semantik, welche den vermittelten Anschein von Trug und Heuchelei indirekt als zutreffend charakterisiert: Weil der Prinz generell ein Gespîr fîr Falschheit besitzt,1109 faßt er die officia als Spott auf. Mit dieser Fhigkeit steht der neunjhrige Knabe in einem aufflligen Gegensatz zu dem Stumpfsinn seines erwachsenen Vaters.1110 Als Erklrung fîr seine Aussage (vgl. neque enim) fîgt Tacitus im Anschluß die weit verbreitete Ansicht (vgl. ferunt) an, wonach Britannicus von seiner geistigen Veranlagung her nicht stumpf gewesen sei. Durch die 1106 Vgl. Nipperdey ad loc.; Koestermann ad loc.: „Die Isolierung des Britannicus machte naturgemß stndig weitere Fortschritte im gleichen Ausmaß, wie die neuen Machttendenzen am Hof erkennbar wurden […].“ Seif, 1973, 197 weist zustzlich auf den hier zum Vorschein kommenden Kontrast zwischen Domitius und Britannicus hin: „In dem Bericht îber die Adoption ist deutlich geworden, daß der einflußreiche Freigelassene Pallas auf seiten der Agrippina und ihres Sohnes stand und fîr sie agierte. Als eine gegenlufige thematische Entsprechung hierzu wirkt nun die Nachricht, daß selbst die untersten Chargen des Palastes, die ‘servi’, sich von Britannicus abwandten. Gerade durch diesen Wechselbezug wird die sich auftuende Kluft zwischen den beiden Prinzen wirkungsvoll herausgearbeitet.“ 1107 Zur Bedeutung dieses Ausdrucks s. Nipperdey ad loc.: „die mit ihrem sonstigem Verhalten nicht im Einklang stehenden Liebesbeweise der Stiefmutter.“ 1108 Vgl. Koestermann ad loc.: „Die officia der Agrippina kçnnen zunchst ernst gemeint gewesen sein (bei Tacitus liegt freilich der Nachdruck auf novercae). Da sie ihres Erfolges sicher war, hatte sie vielleicht das menschliche Bedîrfnis, ihrem Stiefsohn die Lage zu erleichtern.“ Eine solche menschliche Rîhrung bei Agrippina lßt sich dem Bericht des Tacitus m. E. jedoch nicht entnehmen. 1109 Das Partizip Prsens mit Genitiv drîckt eine dauernde Eigenschaft aus, s. KSt I 450 f. Die Wendung intellegens falsi beschreibt somit einen allgemeinen Wesenszug des Britannicus und darf daher nicht bloß auf die konkrete Situation bezogen werden. 1110 Vgl. Seif, 1973, 197; Vessey, 1971, 405; Keitel, 1977, 168.
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7. Ann. 12,22 – 27,1: Weitere Schritte der Agrippina
alternative Deutungsmçglichkeit am Ende des Kapitels wird der Wahrheitsgehalt dieser Meinung jedoch erheblich in Zweifel gezogen. Denn dem kurzen sive verum folgt an strkerer zweiter Position eine lange und inhaltlich reizvolle Alternative, die sich auf eine allgemeine Erfahrung stîtzt:1111 Nachdem Gefahren den Sohn des Kaisers beliebt gemacht htten, habe dieser den guten Ruf behalten, ohne ihn je unter Beweis gestellt zu haben (sine experimento). Somit endet das Kapitel mit einer unpersçnlichen Note, was unmittelbar nach der mitleiderregenden Schilderung etwas îberrascht. Syme sieht die Auflçsung des Sachverhalts im Charakter des Tacitus begrîndet: „Tacitus wears a grim impersonal mask. He will not relent even for the innocent Britannicus […]. A proud reserve was congenial to his nature – or had become so.“1112 Eine plausiblere Erklrung bietet Seif. Seiner Ansicht nach zeigt die Schlußbemerkung, daß Tacitus sich bemîhe, „sachlich zu bleiben und nicht in eine klischeehafte Darstellung abzugleiten, mit der er vielleicht das Mitleid des Lesers fîr Britannicus noch htte steigern kçnnen.“1113 Zum Abschluß der Analyse dieses Kapitels sei noch hervorgehoben, daß Tacitus hier ausdrîcklich von pericula spricht, denen der Prinz ausgesetzt gewesen sei. Diese Information deckt sich mit dem bisherigen Eindruck des Lesers und verfestigt ihn: Der Aufstieg des Domitius bringt Britannicus in eine gefahrvolle Lage. In der Aussage sine experimento steckt zudem ein Vorverweis auf dessen frîhen Tod.1114
7.4 Ann. 12,27,1: Die Grîndung einer Veteranenkolonie (Kçln) als Symbol fîr Agrippinas Macht Als kunstvolle berleitung zu einer Kapitelreihe îber die Ereignisse in Obergermanien berichtet Tacitus îber die von Agrippina durchgesetzte Grîndung einer Kolonie im heutigen Kçln, s. ann. 12,27,1: Sed Agrippina, quo vim suam sociis quoque nationibus ostentaret, in oppidum 1111 Vgl. Whitehead, 1979, 491 f.; 492: „This second idea amounts to a general theory (of sympathetic reputations which are never put to the test).“ 1112 Syme, 1958, 540 mit Bezug auf unsere Stelle. 1113 Seif, 1973, 196; hnlich Keitel, 1977, 168: „Tacitus avoids judging Britannicus or, should we say, he gives the appearance of impartiality (with the generalizing ferunt) and the apparent alternatives (seu …sive) since we have just seen his judgment.“ 1114 Vgl. Vessey, 1971, 405: „Britannicus did not survive long enough to put the claim to the test.“
7.4 Ann. 12,27,1: Die Grîndung einer Veteranenkolonie
357
Ubiorum, in quo genita erat, veteranos coloniamque deduci impetrat, cui nomen inditum e vocabulo ipsius. ac forte acciderat, ut eam gentem Rhenum transgressam avus Agrippa in fidem acciperet. Die Anlage der Veteranenkolonie wird allein mit dem Ehrgeiz der Kaiserin motiviert, die ihre Macht (vim suam) auch den verbîndeten Vçlkern demonstrieren will. Damit scheint sich ihr Machtanspruch weit îber Rom hinaus bis zu den ußeren Grenzen des Reiches zu erstrecken. Sie ist die eigentliche Herrscherin (vgl. impetrat) îber das Imperium. Claudius wird bei diesem Ereignis gar nicht erst erwhnt. Der bisherige Bericht îber den steilen Aufstieg der Agrippina wird somit wirkungsvoll abgerundet,1115 bevor fîr etliche Kapitel nunmehr außenpolitische Ereignisse in den Mittelpunkt der Darstellung treten.1116
1115 Vgl. Koestermann ad loc. 1116 Zu den Kapiteln ann. 12,27,2 – 40 (Germanien und Britannien) s. Pfordt, 1998, 103 – 114; Seif, 1973, 245 – 250. Es sei darauf hingewiesen, daß in ann. 12,37,4 im Zusammenhang mit der Begnadigung des Britannierfîrsten Caratacus eine weitere Machtdemonstration der Agrippina dargestellt wird; s. hierzu Mehl, 1974, 136 f.
8. Ann. 12,41 – 43: Die Ereignisse am Kaiserhof des Jahres 51 n. Chr. Die Kapitelreihe ann. 12,41 – 43 dient innerhalb der breit ausgefîhrten Thematik der rçmischen Außenpolitik als eine Art Zwischenbericht îber die Ereignisse am Kaiserhof im Jahr 51 n. Chr. Jedes der drei Kapitel ist jeweils einem der Hauptakteure des 12. Annalenbuches gewidmet und bringt eine weitere Zuspitzung und Beschleunigung der bisher geschilderten Entwicklungen:1117 Zunchst wird der weitere Aufstieg Neros und seine Rivalitt zu Britannicus behandelt (ann. 12,41), dann weitere Maßnahmen der Agrippina zur Vorbereitung der Machtîbernahme ihres Sohnes sowie die erneute Steigerung ihres Einflusses (ann. 12,42), bevor nach einem dîsteren Prodigienkatalog Claudius im Mittelpunkt des Geschehens steht (ann. 12,43). Insgesamt gesehen scheinen dessen Ende und der Triumph der Agrippina immer deutlicher absehbar.1118
8.1 Ann. 12,41: Der weitere Aufstieg Neros und seine Rivalitt zu Britannicus Wie bereits erwhnt, setzt der Bericht îber die weiteren Ereignisse in Rom mit dem Jahr 51 n. Chr. ein. Der Anfang des neuen Jahresberichtes ist erneut mit einem weiteren wichtigen Schritt im politischen Aufstieg des Nero verknîpft, s. ann. 12,41,1: Ti. Claudio quintum Servio Cornelio [Orfito] consulibus virilis toga Neroni maturata, quo capessendae rei publicae habilis videretur. et Caesar adulationibus senatus libens cessit, ut vicesimo aetatis anno consulatum Nero iniret atque interim designatus proconsulare imperium extra urbem haberet ac princeps iuventutis appellaretur. additum nomine eius donativum militi, congiarium plebei. Die Verleihung der toga virilis wird durch das passivische maturata als ungewçhnlich
1117 Vgl. Keitel, 1977, 180; Wille, 1983, 513 f. 1118 Vgl. Devillers, 1994, 72.
8.1 Ann. 12,41: Der weitere Aufstieg Neros
359
frîhe Maßnahme besonders betont.1119 Der Leser sieht darin ein weiteres Zeichen fîr die energisch drngenden Krfte hinter dem Aufstieg Neros (vgl. ann. 12,9,1), zumal der nachfolgende quo-Satz keinen Zweifel an dem Zweck dieses Schrittes lßt:1120 Durch die Mnnertoga soll Nero als kînftiger Regent (vgl. capessendae rei publicae) in Erscheinung treten. Vor dem Hintergrund der Britannicus-Problematik erscheint dem Leser das Ereignis nur als weitere Ungeheuerlichkeit, die im folgenden weiter verschrft wird: Mit 20 Jahren soll der Sproß der Agrippina in Zukunft das Konsulat bekleiden, inzwischen als designatus die prokonsularische Gewalt außerhalb der Stadt besitzen und den Titel princeps iuventutis erhalten. Deutlicher kann der dreizehnjhrige Nero wohl kaum zum Nachfolger des Claudius erklrt werden.1121 Durch den Verweis in die Zukunft (vicesimo aetatis anno) scheint seine Laufbahn von nun an programmiert zu sein. Zu diesem Eindruck passen auch die in Neros Namen verteilten Geschenke an Militr und Volk, mit denen offensichtlich die fîr eine reibungslose Thronnachfolge entscheidenden Gruppen auf Neros Seite gezogen werden sollen.1122 Und wiederum ist es der Kaiser selbst, der in vçlliger Verblendung die Verantwortung fîr die ungerechte Zurîckstellung seines eigenen Sohnes trgt (vgl. ann. 12,25,2). Sogar bereitwillig (libens) lßt er sich auf die kriecherischen Forderungen des Senates ein, die sich nahtlos einreihen in die wîrdelosen Szenen vorangegangener Senatssitzungen (vgl. ann. 12,6 f.; 12,9,1 – 2; 12,26,1). Im Zeichen der kînftigen Machtîbernahme Neros stehen auch die folgenden Zeilen, die außerdem den damit verbundenen Gegensatz zu Britannicus eindringlich zur Sprache bringen. Der bisher in diesem Zusammenhang gewonnene Eindruck der skandalçsen Unrechtmßigkeit wird dadurch erheblich gefestigt und verstrkt, s. ann. 12,41,2 – 3: et 1119 Vgl. Koestermann ad loc.: „Es existiert kein Beispiel vor Commodus und Caracalla, daß die toga virilis vor Erreichung des 14. Lebensjahres vergeben wurde“; vgl. Mehl, 1974, 140. 1120 Vgl. Keitel, 1977, 180. 1121 Vgl. Koestermann ad ann. 12,41,1: „Eine solche Kumulation in Hinsicht auf den prsumptiven Thronfolger hatte es bislang noch nicht gegeben“; Seif, 1973, 202 mit Verweis auf ann. 1,3,5: „Die Tatsache, daß fast die gleichen Vorrechte den designierten Nachfolgern des Augustus, Gaius und Lucius Caesar, gewhrt worden waren, deutet auf den tieferen Sinn hin: Die Verleihung all dieser Privilegien, von denen Tacitus nur die wichtigsten nennt, kommt praktisch der Designation Neros zum Nachfolger des Claudius gleich.“ Zustzlich hebt Seif a.a.O. darauf ab, daß auch die Bezeichnung der entsprechenden Antrge als adulationes Nero als den kînftigen Princeps ausweisen. 1122 Vgl. Seif, 1973, 202.
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8. Ann. 12,41 – 43: Die Ereignisse am Kaiserhof des Jahres 51 n. Chr.
ludicro circensium, quod adquirendis vulgi studiis edebatur, Britannicus in praetexta, Nero triumphali veste travecti sunt: spectaret populus hunc decore imperatorio, illum puerili habitu, ac perinde fortunam utriusque praesumeret. simul qui centurionum tribunorumque sortem Britannici miserabantur, remoti fictis causis et alii per speciem honoris; etiam libertorum si quis incorrupta fide, depellitur tali occasione. obvii inter se Nero Britannicum nomine, ille Domitium salutavere. quod ut discordiae initium Agrippina multo questu ad maritum defert: sperni quippe adoptionem, quaeque censuerint patres, iusserit populus, intra penates abrogari; ac nisi pravitas tam infensa docentium arceatur, eruptura in publicam perniciem. commotus his quasi criminibus optimum quemque educatorem filii exilio aut morte adficit datosque a noverca custodiae eius imponit. Die Beschreibung des Auftritts der beiden Prinzen bei einem Zirkusspiel spricht fîr sich selbst: Whrend Britannicus in der Toga praetexta eines Knaben (puerili habitu) bekleidet erscheint, wird Nero im Triumphgewand eines Imperators (decore imperatorio) gleichsam als strahlender Sieger in der Frage der Thronfolge prsentiert. Die Machtverhltnisse der Zukunft, die auf staatsrechtlicher Ebene bereits in feste Bahnen gelenkt worden sind, sollen nun dem Volk in aller Deutlichkeit vor Augen gefîhrt werden (spectaret populus … ac perinde fortunam utriusque cognosceret). Nachdem der Senat seine Zustimmung gegeben hat, ist nun also das Volk (populus!) als zweite tragende Sule des rçmischen Staates aufgefordert, Nero als kînftigen Herrscher anzuerkennen. Nicht ohne tieferen Sinn verfolgen die veranstalteten Spiele daher den ausdrîcklich genannten Zweck, die Gunst der §ffentlichkeit zu gewinnen (adquirendis vulgi studiis). Der gesamte Textabschnitt des ersten Paragraphen ist sprachlich und stilistisch ußerst kunstvoll ausgestaltet, wie insbesondere Seif herausgearbeitet hat: „Die vier Glieder Britannicus (a1) in praetexta (b1), Nero (a2) triumphali veste (b2), hunc (a2) decore imperatorio (b2), illum (a1) puerili habitu (b1), sind ihrem Inhalt nach chiastisch aufeinander bezogen. Zugleich herrscht aber auch ein strenger Parallelismus, insofern jeweils auf die Erwhnung der Prinzen eine nhere Angabe îber ihre Bekleidung folgt. Doch wird diese Parallelitt aufgelockert durch die sprachliche Inkonzinnitt im ersten Paar – dem Prpositionalausdruck in praetexta entspricht der Ablativ triumphali veste – und im zweiten durch den chiastischen Bezug der ablativischen Wortfîgungen decore (a) imperatorio (b) und puerili (b) habitu (a).“1123 Durch diesen Wechselbezug zwischen paralleler und chiastischer Satzstruktur werden in stilistisch 1123 Seif, 1973, 203.
8.1 Ann. 12,41: Der weitere Aufstieg Neros
361
brillanter Art und Weise beide Prinzen einerseits als prinzipiell gleichberechtigt, andererseits aber als schon lngst nicht mehr gleichrangig gegenîbergestellt. Fîr den Leser wird wiederum deutlich: Britannicus ist bereits vor dem eigentlichen Regierungsantritt Neros um seinen rechtmßigen Anspruch auf den Thron betrogen. Nero triumphiert in dazu passender Kleidung als zukînftiger Kaiser. Sein immer weiter vorangetriebener Aufstieg geht zudem einher (simul) mit einer zunehmenden Isolation und Zurîckdrngung seines Stiefbruders. Tribunen und Zenturionen, die Mitleid mit dem Schicksal des Britannicus haben, werden kurzerhand aus frei erfundenen Grînden (fictis causis) oder unter dem Vorwand der Befçrderung (per speciem honoris) willkîrlich entfernt. Ebenso vertrieben werden Freigelassene, deren Treue zu dem leiblichen Sohn des Claudius weiterhin ungebrochen ist (incorrupta fide).1124 Die Ausdrucksweise des Tacitus macht deutlich, wie diese Vorgnge moralisch zu bewerten sind. Durch eine passivische Diktion (remoti / depellitur) vermeidet er eine direkte Beschuldigung der Agrippina und ihrer Clique. Doch aus der im Anschluß vorgetragenen Anekdote, welche die allgemeine Aussage an einem konkreten Beispiel (tali occasione) anschaulich macht, geht eindeutig hervor, daß die Frau des Claudius die Urheberin dieser fadenscheinigen und perfiden Maßnahmen ist. Sie enthîllt weiterhin, wie es die Kaiserin versteht, selbst nichtige Ereignisse fîr ihre Absichten fruchtbar zu machen (ut discordiae initium). Die geschilderte Lappalie, daß der junge Britannicus Nero mit dessen frîheren Namen Domitius begrîßt hat, wird von ihr auf theatralische Weise (multo questu) zur gefhrlichen Staatsaffre (vgl. in publicam perniciem) erhoben, indem sie den bei aller Provokation1125 doch immer noch recht harmlosen Vorfall als schwerwiegende Mißachtung der Adoption und der durch Senat und Volk getroffenen Entscheidungen hinstellt (quaeque censuerint 1124 Keitel, 1977, 181 weist in diesem Zusammenhang auf die Gleichartigkeit der Motive in der Beschreibung des Britannicus in ann. 12,26 und 12,41 hin: „The same motifs surround the portrayal of Britannicus in 12.41 and 12.26. Again his situation and destiny are only too clear and pitiable […]. Again he is separated from attendants […]. Again there is a reference to his stepmother’s intrigues […]“; vgl. Devillers, 1994, 154. 1125 Seif, 1973, 204 f. meint aufgrund des Berichtes îber die „oppositionelle Haltung des Britannicus Agrippina gegenîber“ (ann. 12,26,2), daß Tacitus „die Szene so verstanden wissen wollte, daß Britannicus Nero und dessen wachsame Mutter absichtlich brîskierte, um damit seinen Unwillen îber die Adoption kundzutun“; vgl. Mehl, 1974, 138 f.; Keitel, 1977, 181.
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8. Ann. 12,41 – 43: Die Ereignisse am Kaiserhof des Jahres 51 n. Chr.
patres, iusserit populus).1126 Ihre Klagen werden von Tacitus in indirekter Rede vorgebracht. Im Munde der dreisten Intrigantin entfaltet der Vorwurf der pravitas tam infensa eine Ironie, welche die Scheinheiligkeit und Heuchelei der Agrippina nach außen kehrt.1127 Um so lcherlicher muß es wirken, daß Claudius sich von solchen ‘Verbrechen’ (man beachte das einschrnkende quasi) tatschlich beeindrucken lßt (commotus). Bezeichnenderweise wird der Kaiser auch an dieser Stelle namentlich nicht erwhnt, sondern muß inhaltlich ergnzt werden. Gemessen an dem nichtigen Anlaß und der betont hervorragenden Eignung der beschuldigten Erzieher (optimum quemque educatorem) sind seine harten Strafen vçllig îberzogen (exilio aut morte adficit) und kurzsichtig. In vçlliger Abhngigkeit von Agrippina setzt er ausgerechnet von ihr, der Stiefmutter, bestellte Mnner zur berwachung seines Sohnes ein. Die bedrohlich wirkende Zusammenstellung der Begriffe noverca und custodia lßt die gefhrliche Situation des Britannicus deutlich anklingen: Der junge Prinz wird zunehmend der Kontrolle seiner Gegner unterworfen.
8.2 Ann. 12,42: Weitere Maßnahmen der Agrippina zur Vorbereitung der Machtîbernahme ihres Sohnes sowie die Steigerung ihres Einflusses Wie in den vorangegangenen Passagen des taciteischen Berichtes deutlich geworden ist, baut Agrippina ihre Machtstellung immer weiter aus. Sie steht nun vçllig im Mittelpunkt der Darstellung.1128 Nachdem sie am Kaiserhof die Weichen fîr die politische Zukunft ihres Sohnes weitgehend gestellt und auch die Kontrolle îber die Erziehung des Britannicus erlangt hat, geht sie nun daran, den vielleicht wichtigsten Schritt zur endgîltigen Sicherung ihrer Machtposition zu unternehmen: Durch die Einbindung der Prtorianergarde in ihre machtpolitischen Ambitionen mçchte sie die Rahmenbedingungen fîr einen reibungslosen Macht1126 Vgl. Seif, 1973, 204 f.; Mehl, 1974, 139: „Agrippina mißbraucht hier die alte geheiligte Formel genauso wie Vitellius, als er fîr die Ehe Claudius–Agrippina intrigierte [ann. 12,5,2].“; Koestermann ad loc. 1127 Vgl. Devillers, 1994, 249; Mehl, 1974, 139, der zustzlich darauf hinweist, daß auch der Verweis auf das drohende Unheil fîr den Staat (eruptura in publicam perniciem) ironisch auf Agrippina zurîckfllt: In ann. 12,5,1 wurde eine ganz hnliche Befîrchtung in Bezug auf ihre Inzest-Ehe mit Claudius geußert (ne in malum publicum erumperet, metuebatur); Keitel, 1977, 182. 1128 Vgl. Seif, 1973, 206; Devillers, 1994, 72.
8.2 Ann. 12,42: Weitere Maßnahmen der Agrippina
363
wechsel zugunsten Neros bereiten.1129 Weil sie jedoch fîrchten muß, daß die bisherigen Befehlshaber îber die prtorischen Kohorten, Lusius Geta und Rufrius Crispinus, im Gedenken an Messalina zu deren Kindern Britannicus und Octavia halten, muß sie zur Erlangung ihrer Ziele fîr deren Abberufung sorgen, s. ann. 12,42,1: Nondum tamen summa moliri Agrippina audebat, ni praetoriarum cohortium cura exsolverentur Lusius Geta et Rufrius Crispinus, quos Messalinae memores et liberis eius devinctos credebat. Der Ausdruck summa moliri lßt keinen Zweifel mehr an den tatschlichen Absichten der Agrippina aufkommen: Sie mçchte Claudius stîrzen, um zusammen mit ihrem Sohn die Herrschaft îbernehmen zu kçnnen.1130 Agrippina handelt in gewohnter Manier berechnend und wohlîberlegt. Sie îberstîrzt nichts, sondern plant langfristig und nimmt ihre Ziele behutsam in Angriff. Dies wird an dieser Stelle nicht zuletzt auch durch den adversativen Anschluß des Kapitels (nondum tamen …), der dem 1129 Vgl. Syme, 1958, 591 (mit inhaltlichem Bezug auf die hier behandelte Stelle): „The control of dominant positions safeguarded the transmission of the power when Claudius died.“ 1130 Vgl. Keitel, 1977, 182: „In 12,42 Tacitus states frankly what he has been building toward for some time: Agrippina is seeking the throne itself.“ Keitel (a.a.O.) verweist zudem in Hinblick auf den Ausdruck summa auf den gleichen Sprachgebrauch des Tacitus in ann. 11,26,5 (=11,26,3); s. auch Seif, 1973, 206 mit Verweis auf ann. 12,8,2, wo die hier zum Vorschein kommenden Absichten der Kaisergattin ein erstes Mal angedeutet werden, als Seneca aus dem Exil zurîckgerufen und zum Erzieher des Nero ernannt wird: utque … consiliis eiusdem (sc. Senecae) ad spem dominationis uterentur, quia Seneca … infensus Claudio dolore iniuriae credebatur. Zum Ausdruck summa moliri vgl. die ersten Maßnahmen der Agrippina zur Vorbereitung der Machtîbernahme ihres Sohnes in ann. 12,3,2: struere maiora nuptiasque Domitii … et Octaviae … moliri (sc. Agrippina). Die sprachliche Parallelitt der beiden Stellen verdeutlicht nicht nur das schrittweise erfolgende und planmßige Vorgehen der Kaiserin, sondern bringt auch eine Steigerung bezîglich ihrer Ambitionen sinnfllig zum Ausdruck: Aus den angestrebten maiora (so auch ann. 12,9,1) ist nun ein summa geworden, wie Keitel, 1977, 182 treffend bemerkt; zu den Verben moliri und struere im Hinblick auf Agrippina s. Mehl, 1974, 142 und insbesondere 102, Anm. 44 (im Zusammenhang mit ann. 12,3): „Die Verben struere und moliri kennzeichnen Agrippinas skrupellosen Weg zur Macht […], parallelisieren aber auch Agrippina mit Messalina (vgl. ann. 12,22,1 mit 11,12,1 […]) und mit ihrem kînftigen Gegenspieler Narcissus, der 11,29,1 als Appianae caedis molitor vorgestellt worden ist, wie Agrippina 13,1,1 als L. Silano necem molita bezeichnet wird (zu struere und moliri bei Agrippina vgl. noch 12,42,1; 14,7,6; [14],11,1; hnlich 12,64,1 [flschlich fîr 12,64,2]: agere et celerare). Tacitus hat mit diesen Verben ein Leitmotiv fîr Agrippina geschaffen […].“
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8. Ann. 12,41 – 43: Die Ereignisse am Kaiserhof des Jahres 51 n. Chr.
Leser nach den vorangegangenen Schilderungen zunchst wie ein retardierendes Moment erscheinen mçchte,1131 deutlich. Daß aber diese scheinbare Verzçgerung bei weitem keinen Stillstand im Machtstreben der Kaisergattin darstellt, sondern lediglich Ausdruck ihres taktierenden Vorgehens ist, zeigen die nun folgenden Stze, in denen geschildert wird, wie sie die Prtorianer unter ihren Einfluß bringt: s. ann. 12,42,1: igitur distrahi cohortes ambitu duorum et, si ab uno regerentur, intentiorem fore disciplinam adseverante uxore, transfertur regimen cohortium ad Burrum Afranium, egregiae militaris famae, gnarum tamen cuius sponte praeficeretur. Mit der Behauptung, daß die Prtorianerkohorten durch die Rivalitt zweier Befehlshaber auseinandergerissen wîrden und die Disziplin unter dem Kommando eines einzigen Mannes strenger sein werde, verschafft sich Agrippina bei ihrem Gatten Gehçr. Keitel hat auf den ironischen Charakter dieser Begrîndung verwiesen: „Of course the royal house, not the praetorian guard, is torn apart by the rivalry of Nero and Britannicus, or more accurately, of Claudius and Agrippina.“1132 Hierdurch wird dem Leser auch an dieser Stelle das Scheinhafte der Argumentation bewußt.1133 Indem sich Agrippina durch ihre vorgegebene Sorge um die Disziplin der Soldaten als Vertreterin des vetus mos prsentiert, wird in ihrem Verhalten ein deutlicher Kontrast zwischen Schein und Wirklichkeit offenkundig, hatte Tacitus doch wenige Kapitel zuvor ihre Stellung – immerhin bezîglich ihres Auftretens vor dem Heer – als novum sane et moribus veterum insolitum (ann. 12,37,4) beurteilt.1134 Agrippina erreicht die gewînschte Ablçsung der beiden bisherigen Prtorianerprfekten durch Afranius Burrus, der zwar nach der Aussage des Tacitus ein ausgezeichneter Militr war, aber genau wußte, wem er diese neue Machtstellung zu verdanken hatte, und deshalb – so die sich hinter dieser Formulierung verbergende Hoffnung der Agrippina – in Zukunft ein treuer Gefolgsmann der Kaiserin sein werde.1135 Agrippina hat ihr Ziel 1131 Vgl. Seif, 1973, 206: „Die Aussage des Hauptsatzes scheint zunchst auf eine Fermate oder zumindest auf ein Ritardando in der von Agrippina gefçrderten Entwicklung hinzudeuten […].“ 1132 Keitel, 1977, 183. 1133 Im Kapitel zuvor waren ja bereits die der Agrippina unliebsamen Tribunen und Zenturionen fictis causis bzw. per speciem honoris entfernt worden (ann. 12,41,2); vgl. Mehl, 1974, 141. 1134 S. Mehl, 1974, 142. 1135 „Tacitus entlarvt hier Agrippina wieder durch eine der handelnden Personen wie schon ann. 12,26,2 durch Britannicus […]“ (Mehl, 1974, 143 Anm. 408). Zu der etwas aufflligen Zurîckhaltung der taciteischen Formulierung gnarum tamen
8.2 Ann. 12,42: Weitere Maßnahmen der Agrippina
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erreicht, indem sie erneut die leichte Lenkbarkeit und Hçrigkeit des Claudius fîr ihre Interessen ausgenutzt hat. Das Wissen des Prfekten um die ‘wahren’ Hintergrînde seiner Befçrderung steht indessen im Kontrast zur Unwissenheit des Princeps. Am Kaiserhof scheint er der einzige zu sein, der die Machenschaften seiner Gattin nicht durchschaut. Man beachte zustzlich, daß Tacitus den Kaiser in diesem Textabschnitt zum wiederholten Mal namentlich nicht erwhnt. Daß letzten Endes er es war, der auf Betreiben der Agrippina die Einsetzung des Afranius Burrus zum neuen praefectus praetorii vornahm, wird lediglich aus dem absoluten Ablativ adseverante uxore deutlich, der auf indirekte Weise die Diskrepanz zwischen den tatschlichen und vorgeschîtzten Grînden der Kaiserin erneut zum Ausdruck bringt,1136 und auf dem daher wohl nicht zufllig zusammen mit dem Verb transfertur syntaktisch und inhaltlich das volle Gewicht des Satzes zu ruhen scheint. Durch diese Darstellungsweise scheint die Person des Kaisers îberhaupt keine Rolle mehr zu spielen. Er lßt sich nach dem Willen seiner Gattin beliebig formen. Seine Aufgabe besteht anscheinend nur noch darin, die Befehle zu geben, die ihm Agrippina zuvor eingegeben hat.1137 Die Hçrigkeit des Claudius gegenîber seinen Frauen war îberdies in diesem Kapitel bereits durch die Reminiszenz an Messalina zwischen den Zeilen spîrbar angeklungen: Die beiden bisherigen Prtorianerprfekten sollten nicht etwa aus Loyalitt zu ihrem Kaiser auf der Seite seiner Kinder stehen.1138 In der Darstellung des Tacitus htte sie allein die Erinnerung an deren Mutter Messalina zu einer solchen Parteinahme bewogen, was dem Leser wiederum signalisiert, wie cuius sponte praeficeretur, die Burrus eben nicht als willfhrigen Parteignger der Agrippina charakterisiert, s. Seif, 1973, 207. Burrus unterstîtzt zwar spter zusammen mit Seneca die Herrschaft des Nero, versucht gleichzeitig aber auch, den Einfluß seiner Mutter immer strker zu beschneiden. Den Prtorianerprfekten an dieser Stelle als einen ergebenen Anhnger der Kaiserin zu schildern, wre daher der Darstellung in den spteren Annalenbîchern zuwidergelaufen. 1136 Vgl. Mehl, 1974, 142 Anm. 403: „Diese Worte beziehen sich auf den vorgeschîtzten Grund Agrippinas, der mit dem tatschlichen (credebat) nicht îbereinstimmt.“ Uxore scheint zudem mit besonderer Bitterkeit gesagt zu sein, „da der Gegenstand außerhalb ihrer [sc. Agrippinas] Sphre sich befand“ (Koestermann ad loc.). 1137 Vgl. Koestermann ad loc.: „Erstaunlich ist, daß der Name des Claudius im Zusammenhang mit der einschneidenden Neuerung nicht einmal fllt: Drastischer htte Tacitus die Allgewalt der Agrippina nicht verdeutlichen kçnnen“; vgl. Seif, 1973, 207: „Sie [sc. Agrippina] erweist sich […] als wirkliche ‘socia imperii’, die in wichtigen Angelegenheiten das entscheidende Wort spricht.“ 1138 Vgl. hierzu auch O’Gorman, 2000, 121.
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8. Ann. 12,41 – 43: Die Ereignisse am Kaiserhof des Jahres 51 n. Chr.
wenig wirkliche Macht der Kaiser bereits zu Lebzeiten der Messalina gehabt hatte. Betrachten wir die Aussagen der Agrippina an dieser Stelle noch etwas genauer, wird schlagartig eine inhaltliche Parallele klar, die von Tacitus sicherlich nicht ohne Bedacht gezogen worden ist: Mit ganz hnlichen Argumenten und vergleichbaren Motiven hatte zu Beginn des vierten Annalenbuches der Prtorianerprfekt Seian bei Tiberius die Zusammenlegung der îber die Stadt verteilten Prtorianerkohorten in eine Kaserne unter seinem Oberbefehl durchgesetzt.1139 Daß Seian seine dadurch gewonnene Macht dazu benutzen wollte, den Kaiser zu stîrzen, ist dem Leser bekannt. Nach dem eingangs erwhnten Ausdruck summa moliri gibt auch dieser inhaltliche Rîckbezug auf die Umsturzplne des Seian dem Leser klar zu verstehen, welche Absichten Agrippina mit ihrem Treiben verfolgt. Die Situation fîr Claudius bzw. fîr Britannicus erfhrt hierdurch eine dramatische Zuspitzung, die zu einer baldigen Entscheidung in der Thronfrage drngt. Wenn Tacitus nun im Anschluß zu berichten weiß, daß Agrippina ihren eigenen Rang um ein Weiteres erhçhte, indem sie mit einem carpentum das Kapitol hinauffuhr, so tut der Historiker dies nicht, ohne ausdrîcklich auf das (vermeintlich) vollkommen Neuartige dieser Tat hinzuweisen, s. ann. 12,42,2: suum quoque fastigium Agrippina extollere altius: carpento Capitolium ingredi, qui
8.2 Ann. 12,42: Weitere Maßnahmen der Agrippina
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schers1141 noch weiter erhçhen zu kçnnen. Dieses Motiv der Kaiserin drîckt Tacitus freilich nicht aus. Doch durch seine Darstellung, welche das geschilderte Einzelereignis einem îbergeordneten Zusammenhang zuweist, vermittelt er den Eindruck einer von unstillbarer Geltungssucht getriebenen Agrippina, die nach immer weiter reichenden Ehrungen auch fîr ihre eigene Person giert.1142 Denn im Bewußtsein des Lesers ergibt sich aus dem vorgegebenen Rahmen fast automatisch die Triebfeder im Handeln der Kaiserin, zumal sich keine anderen plausiblen Grînde fîr deren Verhalten anzubieten scheinen. Außerdem scheint der hier von Tacitus erweckte Eindruck sehr gut in das bisherige Gesamtbild der Agrippina zu passen, hatte sie doch bereits mehrfach aus hnlichen Motiven heraus nach Ehrungen fîr ihre Person verlangt.1143 Dieser Eindruck hat nun weitreichende Konsequenzen fîr die Interpretation des gesamten Textabschnitts. Denn zu dem Zeitpunkt, als Agrippina das Kapitol hinauffuhr, war ihr Sohn noch nicht der neue Kaiser. Demnach konnte sie sich auch noch nicht damit brîsten, die Mutter eines Herrschers zu sein. Auch wenn Tacitus seine diesbezîgliche Aussage aus der Rîckschau spterer Jahre trifft, ‘beweist’ ihre Fahrt im carpentum an dieser Stelle gewissermaßen ihr Vorhaben, den eigenen Sohn mit aller Gewalt auf den Kaiserthron zu heben. Denn nur unter diesen Voraussetzungen erhlt ihr momentanes Tun fîr den Leser îberhaupt einen tieferen Sinn: Schritt fîr Schritt erfîllt sie sich ihre ehrgeizigen Wînsche, von denen der Kaisersturz zugunsten ihres Sohnes der wohl grçßte ist. Die hier zum Vorschein gebrachte Gier der Agrippina nach immer weiteren Ehrungen lßt nach ihrer denkwîrdigen Fahrt auf das Kapitol den Sturz des Claudius in immer greifbarere Nhe rîcken, erscheint doch dieses Ziel als letzter ihrer Wînsche noch unerfîllt zu sein. Die von Tacitus hier gebotene Zusammenstellung der verschiedenen von Agrippina erlangten Ehrungen ist somit m. E. mehr als bloß eine respektvolle Wîrdigung der „îberragen1141 Sie war die Tochter des Germanicus, Schwester des Caligula, Gattin des Claudius und Mutter des Nero. 1142 Man beachte die direkt am Satzanfang besonders betonende Stellung des Possessivpronomens suum, vgl. Seif, 1973, 207. 1143 So der von Tacitus erweckte Eindruck bei der Verleihung des Augustatitels (ann. 12,26,1), bei der von Agrippina veranlaßten Grîndung der Colonia Agrippinensis (ann. 12,27,1) und bei ihrem Auftreten bei der Begnadigung des Caratacus (ann. 12,37,4), vgl. Seif, 1973, 207 f.; Keitel, 1977, 183 weist darauf hin, daß dieses ehrgeizige Streben der Agrippina nach eigenem Ruhm die Grundvoraussetzung fîr das sptere Zerwîrfnis mit Nero in Buch 13 abgibt.
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8. Ann. 12,41 – 43: Die Ereignisse am Kaiserhof des Jahres 51 n. Chr.
den Position dieser Frau“, die Seif darin erblicken mçchte.1144 Sollte Tacitus eine solche Wîrdigung tatschlich beabsichtigt haben – und dies ist doch sehr fraglich –,1145 so htte er sie jedenfalls gleichzeitig mit einer hintergrîndigen Botschaft an den Leser versehen. Bezeichnenderweise hat es Tacitus unterlassen, darauf hinzuweisen, daß bereits der Messalina whrend des kaiserlichen Triumphes îber Britannien gleiche Ehrungen zuteil geworden waren, wie Sueton und Cassius Dio berichten.1146 Letzterer weiß zudem mitzuteilen, daß der Agrippina das Sonderrecht, zumindest bei Feierlichkeiten das carpentum zu benutzen, vom Senat eingerumt worden war.1147 Auch davon finden wir nichts im Bericht des Tacitus, dem es sichtlich darauf ankam, die Einzigartigkeit der Ruhmund Herrschsucht der Agrippina zu betonen (unicum ad hunc diem exemplum), die hier und im folgenden auf dem Hçhepunkt ihrer Machtfîlle unter Claudius dargestellt werden soll.1148 Wie groß der Einfluß der Agrippina mittlerweile ist, beweist eindrucksvoll das Ende des Kapitels. Vitellius, der treue Gefolgsmann der Kaiserin, wird vom Senator Iunius Lupus des Majesttsverbrechens beschuldigt und angeklagt. Doch Agrippina greift ein, s. ann. 12,42,3: inter quae praecipuus propugnator eius (sc. Agrippinae) Vitellius, validissima gratia, aetate extrema (adeo incertae sunt potentium res)1149 accusatione corripitur, deferente Iunio Lupo senatore. is crimina maiestatis et cupidinem imperii obiectabat; praebuissetque aures Caesar, nisi Agrippinae minis magis quam precibus mutatus esset, ut accusatori aqua et igni interdiceret. hactenus Vitellius voluerat. Agrippina stellt sich schîtzend vor ihren praecipuus propugnator. Ihre Position ist dabei inzwischen offenbar so stark geworden, daß sie dem 1144 S. Seif, 1973, 208. 1145 Vgl. Keitel, 1977, 184. 1146 S. Suet. Claud. 17,3: currum eius (sc. Claudii) Messalina uxor carpento secuta est; Cassius Dio 60,22,2 (man beachte hierbei, daß der Triumphzug traditionsgemß auf dem Kapitol endete); freilich ist es mçglich, daß Tacitus hierîber im nicht mehr erhaltenen Teil der Annalen ebenfalls berichtet hat. Doch auch in diesem Falle wre es sehr auffllig, daß ein entsprechender Hinweis auf diese Parallele in ann. 12,42 gnzlich fehlt und stattdessen so getan wird, als sei Agrippinas Wagenfahrt eine absolute Ausnahme gewesen; vgl. insgesamt auch Mehl, 1974, 143 f. 1147 S. Cassius Dio (Xiph.) 61,33,21, der gerade dieses Vorrecht zum Anlaß nimmt, Agrippina als ‘zweite Messalina’ zu bezeichnen! 1148 Vgl. Mehl, 1974, 144. 1149 Zur Verwendung dieser und hnlicher Sentenzen s. Kirchner, 2001, 154.
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Kaiser jetzt sogar drohen kann.1150 Sie ist nicht mehr auf Bitten angewiesen. Sie hat Claudius nun vçllig unter Kontrolle und macht daraus kein Hehl. Anstatt nun den Angeklagten weiter zu behelligen – was er nach der Aussage des Tacitus auch getan htte, wenn seine Gattin nicht gewesen wre –, bestraft der Kaiser auf Betreiben der Agrippina den Anklger und lßt ihn chten. Durch diesen ironischen Kontrast1151 sind die Verhltnisse fîr den Leser vollkommen auf den Kopf gestellt. Recht und Ordnung sind als Begriffe wertlos geworden und der Willkîr der Agrippina untergeordnet. Nach all den widerwrtigen Schandtaten des dreisten Denunzianten im bisherigen Bericht des Tacitus htte der Leser dessen Verurteilung als große Genugtuung empfunden. Doch er kommt davon und darf sogar noch bei der Bestrafung seines Anklgers entscheidend mitwirken. Denn daß Iunius Lupus nicht noch hrter bestraft wurde, lag angeblich einzig an Vitellius, dessen Wille nicht weiter gegangen war.1152 Deutlicher als in diesen Schlußstzen dieses Kapitels htte Tacitus die nun absolut beherrschende Stellung der Agrippina und ihrer Anhnger am Kaiserhof wohl nicht mehr zum Ausdruck bringen kçnnen. Claudius ist praktisch bereits entmachtet, sein Sturz besiegelt und in Blde zu erwarten. Zu Recht hat Seif in der Anklage gegen Vitellius ein Zeichen der Senatsopposition gegen die zunehmende Macht der Agrippina erblickt und îberzeugend dargelegt, wie im taciteischen Bericht vor diesem Hintergrund die inzwischen fast unumschrnkte Macht der Kaiserin um so deutlicher zutage tritt.1153 Alle Angriffe auf ihre Position kann sie erfolgreich und souvern abwehren und scheint aus derlei Auseinandersetzungen eher gestrkt als geschwcht hervorzugehen. Da der Leser nach der Lektîre des bisherigen Berichts von der Schuld des 1150 „Der Ton zwischen den Ehegatten verschrft sich, Agrippina konnte nur durch Drohungen ihr Ziel erreichen“ (Koestermann ad loc.); vgl. Keitel, 1977, 185. Derlei Drohungen gehçren von nun an mit zu den Mitteln der Agrippina, ihren Willen beim Kaiser durchzusetzen – auch spter bei ihrem Sohn Nero, vgl. ann. 12,64,3; 13,14,2; 13,15,3; vgl. Mehl, 1974, 143 mit Anm. 413; O’Gorman, 2000, 136 Anm. 27, die im Rahmen einer vergleichenden Gegenîberstellung von Livia und Agrippina in den Drohungen letzterer ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal im Verhalten beider Frauen sieht. Zuvor hatte Agrippina beim Kaiser ihren Willen mit Hilfe des Pallas (ann. 12,25,1), durch Klagen (ann. 12,41,3) oder – wie noch vor kurzem – durch Argumentieren (ann. 12,42,1) durchgesetzt, wie Seif, 1973, 208 dokumentiert. Die Drohungen stellen somit eine eindeutige Steigerung in den Mitteln ihrer Einflußnahme dar. 1151 Vgl. Nipperdey und Koestermann ad loc. 1152 S. Nipperdey ad loc. 1153 S. Seif, 1973, 208 f.
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Vitellius îberzeugt ist, macht sich Agrippina durch ihr Verhalten sozusagen der Mittterschaft schuldig. Das gegen Vitellius gerichtete crimen maiestatis paßt somit ebenso gut zu Agrippina,1154 deren herrschsîchtige Ambitionen hierdurch eine weitere Besttigung erfahren.
8.3 Ann. 12,43: Der Prodigienkatalog und Claudius Nachdem Tacitus auf anschauliche und eindrucksvolle Weise dem Leser die faktische Macht der Agrippina vor Augen gefîhrt hat, deutet er durch einen Prodigienkatalog auf ein kommendes Unheil hin.1155 Zwar wird dieses Unheil nicht konkret genannt. Doch durch den unmittelbaren Anschluß dieses Berichtes an die Darstellung der beiden vorangegangenen Kapitel wird ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den Zeichen und dem dîsteren Treiben der Agrippina nahegelegt, deren Macht immer weiter um sich greift. Das durch die prodigia angekîndigte Verhngnis besteht fîr den Leser damit in dem Ende der Regierungszeit des Claudius, zumal die Vorzeichen auch darauf hindeuten, daß die Situation fîr den Kaiser immer finsterer wird.1156 Wie wir im folgenden noch sehen werden, lassen sich die Prodigien zudem in einzigartiger Weise mit den kommenden Ereignissen am Kaiserhof in Verbindung bringen. Seif hat in seiner Analyse des Vorzeichenkatalogs auf die von Tacitus wohlîber1154 Vgl. Keitel, 1977, 185: „The charges against Vitellius apply equally well to his patron Agrippina.“ 1155 Es handelt sich dabei um den ersten Prodigienkatalog im erhaltenen Teil der Annalen; s. Seif, 1973, 209; Keitel, 1977, 185; Syme, 1958, 312; vgl. Koestermann ad loc. Whrend in der ersten Annalenhexade prodigia oder ostenta eine nur untergeordnete Rolle spielen, scheinen sie von nun an eine wichtige Funktion innerhalb der Erzhlstruktur des Werkes zu îbernehmen, indem sie zukînftige Ereignisse andeuten (s. ann. 12,64,1); vgl. Seif, 1973, 211 mit Anm. 28; Devillers, 1994, 306 f., 309 f.; Keitel, 1977, 186; zur generellen Haltung des Tacitus gegenîber der Bedeutung von prodigia und portenta vgl. Syme, 1958, 522 f.; Walker, 1952, 246 f. 1156 Vgl. Seif, 1973, 209: „[Der Prodigienkatalog] korrespondiert in einer Hinsicht den voraufgehenden Ausfîhrungen: Whrend in den Kapiteln 41 – 42 von letztlich gegen Claudius gerichteten Aktivitten berichtet wurde, deuten die hier aufgereihten Prodigien darauf hin, daß selbst außermenschliche Krfte auf kommendes Unheil hinwirken. Die gesamte Stimmung verfinstert sich fîr den Kaiser“; vgl. Koestermann ad loc., der sicherlich zu Recht die von Furneaux geußerte Ansicht, die Prodigien bezçgen sich mçglicherweise auf die im folgenden dargestellten Verwicklungen im Osten des Reiches (ann. 12,44 ff.) verwirft.
8.3 Ann. 12,43: Der Prodigienkatalog und Claudius
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legte Reihenfolge der insgesamt drei Prodigien hingewiesen und dabei eine Steigerung herausgearbeitet.1157 Als erstes Zeichen lassen sich Unheilvçgel auf dem Kapitol nieder, s. ann. 12,43,1: insessum diris avibus Capitolium, … Wenn dieses Zeichen innerhalb des Kataloges auch ohne direkte Folgen bleibt, so ist dennoch die Tatsache, daß die dirae aves gerade das kultische Zentrum der Stadt befallen, von großer symbolischer Bedeutung und weist zweifellos auf dîstere Entwicklungen in der Zukunft voraus.1158 Nach der Lektîre des vorangegangenen Kapitels erahnt der Leser nun sehr rasch, welche Entwicklungen hier konkret gemeint sind. Denn nicht zufllig lassen sich die Unglîcksboten genau an der Stelle nieder, welche Agrippina kurz zuvor in religiçs frevelhafter Weise durch ihre anmaßende Fahrt im carpentum entweiht zu haben scheint: auf dem Kapitol, dem sakralen Brennpunkt Roms. Im Bewußtsein des Lesers vermag sich so der Eindruck, daß die Kaiserin in engem Zusammenhang mit dem durch die Prodigien angekîndigten bel steht, ein erstes Mal festzusetzen.1159 Im Katalog folgen dann eine Hufung von Erdbeben und eine Hungersnot als weitere unheilvolle Vorzeichen. Im Unterschied zu den Unglîcksvçgeln haben diese beiden Naturkatastrophen nun jedoch unmittelbar schwerwiegende Auswirkungen auf die Bevçlkerung Roms und stiften große Verwirrung, s. ann. 12,43,1: … crebris terrae motibus prorutae domus, ac, dum latius metuitur, trepidatione vulgi invalidus quisque obtriti; frugum quoque egestas et orta ex eo fames in prodigium 1157 S. Seif, 1973, 209 f.; vgl. Devillers, 1994, 309. 1158 Vgl. Koestermann ad loc., der die einschlgigen Parallelstellen zum Erscheinen solcher Vçgel in der lateinischen Literatur gibt; s. u. a. Lucan. 1,558: dirasque diem foedasse volucres; Verg. georg. 1,470 f.: obscenaeque canes importunaeque volucres / signa dabant; Hor. carm. 3,27,1 – 16 (passim); Ov. met. 15,791: tristia mille locis Stygius dedit omina bubo und bei Tacitus selbst hist. 3,56,1: Contionanti – prodigiosum dictu – tantum foedarum volucrum supervolitavit, ut nube atra diem obtenderent; vgl. Mehl, 1974, 144 f., der zudem darauf aufmerksam macht, daß besonders das Erscheinen solcher Vçgel an heiligen Sttten als Staatsprodigium aufgefaßt wurde (mit Verweis auf L. Wîlker: Die geschichtliche Entwicklung des Prodigienwesens bei den Rçmern, Diss. Leipzig 1903, 16 f.). 1159 Vgl. Keitel, 1977, 186: „The agent of ruin is Agrippina, who in the chapter before ascended to the Capitol in the carpentum“; Mehl, 1974, 145; Aumîller, 1948, 95. Im Rîckblick scheint es nun um so verstndlicher zu sein, warum Tacitus in ann. 12,42,2 einen mçglichen Vergleich der Agrippina mit Messalina oder Livia unerwhnt gelassen hat. Das ehrgeizige Streben der Agrippina soll als einzigartiger Frevel in Erscheinung treten, der mit schlimmen Konsequenzen fîr die Zukunft verbunden ist. Das Aufzeigen von parallelen Geschehnissen der Vergangenheit htte diesen Eindruck nahezu zerstçrt.
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accipiebatur. Das Erdbeben, welches Huser zum Einsturz bringt, kann wiederum symbolisch fîr die kînftigen politischen Erschîtterungen gedeutet werden, welche das bereits jetzt schwankende Kaiserhaus – der sprachliche Anklang von prorutae domus an die domus Caesaris lßt diese Assoziation durchaus zu – bald zusammenstîrzen lassen.1160 Die Opfer der Erdbebenkatastrophe sind nach der Aussage des Tacitus nun gerade die Schwchsten (invalidus quisque obtriti) – oder îbertragen auf die Verhltnisse am Hof: Der altersschwache und leicht zu beeinflussende Claudius und der inzwischen so gut wie entmachtete Britannicus.1161 Die Getreideknappheit îbertrifft nun als drittes prodigium die Erdbeben insofern, als dadurch der Kaiser selbst in arge Bedrngnis gert, s. ann. 12,43,1: nec occulti tantum questus; sed iura reddentem Claudium circumvasere clamoribus turbidis, pulsumque in extremam fori partem vi urguebant, donec militum globo infensos perrupit. „In diesem unheilvollen Zeichen, das den Eintritt des kommenden Verhngnisses fîr Claudius scharf markiert, gipfelt der Katalog.“1162 Die Wut und Verzweiflung der stadtrçmischen Bevçlkerung entldt sich gegen den Kaiser, der offenbar in vçlliger Unkenntnis der dramatischen Versorgungslage nichts Besseres zu tun hat, als einer seiner Leidenschaften, nmlich dem ius reddere, nachzugehen.1163 Das adversative sed markiert den Umschwung von heimlichen Klagen der Bevçlkerung hin zu handgreiflichen Maßnahmen und lßt so das erneut verschroben wirkende Verhalten des Kaisers deutlich als den Stein des Anstoßes erscheinen, der den Volkszorn end1160 Vgl. Keitel, 1977, 186; Aumîller, 1948, 95 f.; man beachte dabei auch die von Tacitus gewhlte Ausdrucksweise in ann. 12,1,1, wo nach dem Tod der Messalina ebenfalls eine Vernderung der Machtverhltnisse am Hof stattfand: caede Messalinae convulsa principis domus. In ann. 12,65,2 wird das Kaiserhaus nach Aussage des Narcissus durch die Intrigen der Agrippina schwer erschîttert: … novercae (sc. Agrippinae) insidiis domum omnem convelli. Der Ausdruck prorutae domus gibt demnach „Hinweise nach vorn und nach hinten“ (Mehl, 1974, 145); vgl. Devillers, 1994, 310. 1161 Vgl. Keitel, 1977, 186 mit Verweis auf ann. 13,6,3: invalidus senecta et ignavia Claudius; Mehl, 1974, 145; Devillers, 1994, 310. 1162 Seif, 1973, 210. 1163 Vgl. Mehl, 1974, 145 f.: „øhnlich wie Claudius gegenîber Messalinas Treiben unwissend gewesen und, whrend Messalina und Silius seine Vernichtung planten, seiner Lieblingsbeschftigung als Censor nachgegangen ist, widmet er sich hier weltfremd seiner Passion der Rechtsprechung und erkennt nicht die Situation des Volkes“; vgl. Keitel, 1977, 186. Zur Vorliebe des Claudius fîr die Rechtsprechung s. insbesondere Suet. Claud. 14: ius et consul et extra honorem laboriosissime dixit (sc. Claudius), etiam suis suorumque diebus sollemnibus, nonnumquam festis quoque antiquitus et religiosis.
8.3 Ann. 12,43: Der Prodigienkatalog und Claudius
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gîltig zum berkochen brachte. Die drastisch und eindringlich geschilderte Reaktion der Bevçlkerung lßt den Kaiser in den Augen des Lesers als indirekt verantwortlich fîr die gesamte Misere erscheinen, ohne daß Tacitus eine solche Schuldzuweisung offen zum Ausdruck brchte. Er selbst hat ja ausdrîcklich eine egestas frugum als Ursache des Getreidemangels angegeben.1164 Doch deuten bereits die occulti questus der Menschen in die Richtung einer wie auch immer gearteten Schuld des Princeps. Daß trotz der geringen Getreidevorrte eine regelrechte Katastrophe ausblieb, lag nun nach dem weiteren Bericht des Tacitus allein an der Gîte der Gçtter und der Milde des Winters, s. ann. 12,43,2: quindecim dierum alimenta urbi, non amplius, superfuisse constitit, magnaque deum benignitate et modestia hiemis rebus extremis subventum. Kein Wort lßt der Historiker von den z. T. recht einschneidenden Gegenmaßnahmen des Kaisers verlauten, îber die Sueton im Zusammenhang mit wohl derselben Hungersnot berichtet.1165 Somit bleibt der Eindruck haften, als sei Claudius nicht nur auf irgendeine Weise verantwortlich fîr 1164 Nach Sueton, Claud. 18,2 waren assiduae sterilitates die Ursache fîr die Getreideknappheit. Den Kaiser traf somit wohl kaum eine Schuld, wenngleich die Situation auch durch den Umstand verschrft worden sein mag, daß die von ihm aufgrund einer frîheren Hungersnot in Auftrag gegebenen Hafenanlagen in Ostia (s. hierzu Cassius Dio 60,11,1 ff.) noch nicht fertiggestellt waren, wie Koestermann ad loc. vermerkt. 1165 S. Suet. Claud. 18,2, wo zunchst auch von der hungerleidenden Menschenmenge berichtet wird, die Claudius auf dem Forum massiv bedrngt haben soll, dann jedoch in direktem Anschluß von den Maßnahmen des Kaisers die Rede ist: … nihil non ex[eo]cogitavit [sc. Claudius] ad invehendos etiam tempore hiberno commeatus. nam et negotiatoribus certa lucra proposuit suscepto in se damno, si cui quid per tempestates accidisset, et naves mercaturae causa fabricantibus magna commoda constituit pro condicione cuiusque: civi[s] vacationem legis Papiae Poppaeae, Latino ius Quiritium, feminis ius IIII liberorum; quae constituta hodieque servantur; vgl. Keitel, 1977, 186 und Koestermann ad loc. (bezogen auf die noch folgende Textpassage at hercule …): „Tacitus htte hier eine gute Gelegenheit gehabt, die Verdienste des Claudius hervorzuheben (vgl. dessen grundlegenden Bemîhungen, fîr Abhilfe zu sorgen, von denen Dio 60,11 ausfîhrlich berichtet). Aber seine Abneigung gegen den Kaiser lßt ihn davon absehen.“ Mehls Einwand (1974, 147 Anm. 453), daß Tacitus „der gçttlichen Sphre eines Prodigiums gemß“ die Gçtter und nicht einen Menschen die Getreideknappheit beenden lasse, weshalb man nicht die Abneigung des Historikers gegen Claudius als Grund fîr das Verschweigen der Leistungen des Kaisers annehmen mîsse, reicht in meinen Augen nicht aus, um die Darstellung des Tacitus zu rechtfertigen. In Anbetracht der Grçße der von Claudius unternommenen Anstrengungen wre ein diesbezîglicher Hinweis des Historikers sicherlich mehr als angemessen gewesen.
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die Getreideknappheit gewesen, sondern auch noch unttig oder mit deren Behebung vçllig îberfordert. Und um die Empçrung des Lesers noch zu steigern, lßt Tacitus dann in Form eines scharfen Kontrastes den Blick in die einst ‘ruhmvolle Vergangenheit’ schweifen, als Rom seinen Legionen bis in die entferntesten Provinzen Nachschub an Getreide habe liefern kçnnen, und endet – wiederum kontrastierend – mit einer bissigen øußerung seines Unmuts îber die gegenwrtigen Zustnde, s. ann. 12,43,2: at hercule olim Italia legionibus longinquas in provincias commeatus portabat, nec nunc infecunditate laboratur, sed Africam potius et Aegyptum exercemus, navibusque et casibus vita populi Romani permissa est. Zum Abschluß der Analyse des Kapitels sei noch auf die Feststellung Seifs verwiesen, daß die hierin beschriebenen Wunderzeichen aufgrund der noch relativ milden Konsequenzen der Hungersnot noch einen „Ausweg“ îbrig ließen, wohingegen der sptere Prodigienkatalog in ann. 12,64 dies nicht mehr tue. Dieser wirke dann „wie ein Fanfarenstoß, der das unentrinnbare Verhngnis mit letzter Bestimmtheit ankîndigt.“1166 Mit Bedacht hat Tacitus in seiner Darstellung die prodigia seinem Bericht îber den Machtzuwachs der Agrippina unmittelbar folgen lassen. Der Leser verbindet so das angekîndigte Unheil mit der Person der Kaiserin und wird auf den kînftigen Machtwechsel im Kaiserhaus vorbereitet. Von nun an wartet er gespannt auf den Eintritt des verhngnisvollen Ereignisses.1167 Doch zunchst wendet sich Tacitus in einem lngeren Einschub außenpolitischen Begebenheiten zu.1168
1166 Seif, 1973, 210. 1167 Vgl. Seif, 1973, 211. 1168 Zu ann. 12,44 – 51 (Armenien und Parthien) s. Pfordt, 1998, 108 – 114; Seif, 1973, 251 – 258.
9. Ann. 12,52 – 69 9.0 Vorbemerkungen Die letzten 18 Kapitel des zwçlften Annalenbuches (ann. 12,52 – 69 îber die Jahre 52 – 54) zerfallen in drei Abschnitte mit jeweils 6 Kapiteln pro Jahr, von denen der erste insbesondere den weiteren Werdegang einiger Freigelassenen (v. a. des Pallas und des Narcissus) unter die Lupe nimmt1169 und ebenfalls in drei etwa gleichgroße Segmente unterteilt werden kann: Zunchst werden diverse Vorgnge im rçmischen Senat (ann. 12,52 – 53), dann Unruhen in Iudaea und Kilikien (ann. 12,54 – 55) und schließlich die Feierlichkeiten zur Trockenlegung des Fuciner Sees (ann. 12,56 – 57) behandelt.1170
9.1 Ann. 12,52 – 53: Vorgnge im rçmischen Senat Auch nach dem außenpolitischen Exkurs der Kapitel ann. 12,44 – 51 reißen die Hinweise auf den baldigen Tod des Claudius nicht ab. Tacitus wendet sich wieder den Ereignissen in Rom zu und beginnt seinen Bericht îber das Jahr 52 mit der Verbannung des Furius Scribonianus, dessen Vater Camillus zehn Jahre zuvor einen Putschversuch gegen Claudius unternommen hatte.1171 Gegen den Angeklagten wird ausgerechnet der Vorwurf erhoben, er habe sich bei den fîr ihre astrologischen Kenntnisse berîhmten Chaldern nach dem Ende des Princeps erkundigt, s. ann. 12,52,1: Fausto Sulla Salvio Othone consulibus Furius Scribonianus in exilium agitur, quasi finem principis per Chaldeos scrutaretur. 1169 Vgl. Keitel, 1977, 194. 1170 Vgl. Seif, 1973, 212; Wille, 1983, 517. 1171 Im Jahr 42 wurde der Legat und Statthalter der Provinz Dalmatien L. Arruntius Camillus Scribonianus von seinen Truppen zum Imperator ausgerufen. Nach bereits fînf Tagen von diesen wieder verlassen, wurde der Gegenkaiser auf der Flucht ermordet (Suet. Claud. 13,2), vgl. D. Kienast: Rçmische Kaisertabelle. Grundzîge einer rçmischen Kaiserchronologie (Studienausgabe), Darmstadt 2 1996, 95. Der Bericht des Tacitus îber die Verschwçrung des Scribonianus muß in dem verlorenen Teil seiner Annalen enthalten gewesen sein; vgl. Syme, 1958, 385.
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Die Anklage erweckt den Anschein, als sei das Ende des Kaisers nur noch eine Frage der Zeit, und Scribonianus habe nun mit Hilfe der Astrologie den genauen Zeitpunkt hierfîr erfahren wollen.1172 Der baldige Tod des Claudius bleibt als Thema weiterhin im Bewußtsein des Lesers prsent. Wenn Tacitus nun auch Vibia, die Mutter des Scribonianus, erwhnt, die ebenfalls in die Anklage verstrickt wurde, weil sie mit ihrem bisherigen Schicksal der Verbannung unzufrieden war, tut er dies offenbar auch deshalb, um durch den Grund fîr ihre Relegation gleichzeitig an den einstigen Hochverrat des Camillus Scribonianus erinnern zu kçnnen.1173 Denn das Verbrechen des Vaters dient dem Historiker nun als Hintergrund fîr die Bemerkung, der Kaiser habe es sich als Milde angerechnet, den Sohn eines Staatsfeindes ein zweites Mal am Leben zu lassen,1174 s. ann. 12,52,1 – 2: adnectebatur crimini Vibia mater eius, ut casus prioris (nam relegata erat) impatiens. pater Scriboniani Camillus arma per Dalmatiam moverat; idque ad clementiam trahebat Caesar, quod stirpem hostilem iterum conservaret. Die vermeintliche clementia des Claudius erfhrt direkt im Anschluß eine nachtrgliche Relativierung, welche mit der fîr Tacitus typischen Form einer alternativen Deutungsmçglichkeit gekoppelt ist: Furius Scribonianus stirbt kurze Zeit nach seiner Verbannung – ob er eines natîrlichen Todes gestorben oder einem Giftanschlag zum Opfer gefallen sei, darîber habe man je nach Ansicht unterschiedlich befunden, s. ann. 12,52,2: neque tamen exuli longa posthac vita fuit: morte fortuita an per venenum extinctus esset, ut quisque credidit, vulgavere. Wie so oft ist der Leser geneigt, an die zweite Deutungsmçglichkeit zu glauben und den Giftmord als Todesursache des Scribonianus anzunehmen. Zwar mçchte Whitehead an unserer Stelle keiner der beiden Alternativen einen erkennbaren Vorzug einrumen.1175 Und auch Seif ußert sich in dieser Hinsicht vorsichtig, wenn er bemerkt, daß Tacitus sich „auf keine der ihm vorliegenden Versionen îber das Ende des Scribonianus“ festlege, und auch sprachlich und strukturell „keine eindeutige Akzentuierung“ auszumachen sei. Doch er kommt vçllig zu Recht zu dem 1172 Vgl. Keitel, 1977, 195: „This charge, as the first event of the year, functions as an omen no less than did the prodigia at 12,43 and 12,64“; Seif, 1973, 212; Wille, 1983, 517. 1173 Vgl. Seif, 1973, 212. 1174 Claudius htte Furius Scribonianus als Sohn des Verschwçrers bereits damals hinrichten lassen kçnnen (vgl. Nipperdey ad loc.). Und auch jetzt drohte dem Angeklagten die Todesstrafe; Tacitus scheint hier auf eine Senatsrede des Princeps Bezug zu nehmen; vgl. Koestermann ad ann. 12,52,2. 1175 S. Whitehead, 1979, 484 (B68 = ‘no discernible emphasis’).
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Ergebnis, daß schon durch das Offenbleiben der Alternative die clementia principis „ins Zwielicht“ gerate, und daß mçglicherweise „durch die von Claudius so nachdrîcklich herausgestellte clementia die bereis beschlossene Beseitigung des Scribonianus kaschiert werden“ sollte.1176 Ich denke, daß Seif damit genau den Eindruck ausgesprochen hat, den Tacitus an dieser Stelle seinen Lesern tatschlich vermitteln wollte. Immerhin steht die fîr Claudius mißgînstige Alternative an der strkeren zweiten Position. Daß es dem Historiker darauf ankam, den Kaiser und seine angebliche Milde mit dem Hinweis auf den baldigen Tod des Angeklagten zu demaskieren, scheint mir vçllig unzweifelhaft.1177 Der Giftmord an Scribonianus rîckt damit zumindest in die Nhe des von Tacitus wahrscheinlich beabsichtigten Geschichtsbildes. ber den konkreten Sachverhalt der Anklage gegen Scribonianus hinaus hat Keitel die scharfe Beobachtung gemacht, daß in der von Claudius angefîhrten Begrîndung fîr seine angebliche Milde (quod stirpem hostilem iterum conservaret) noch eine andere, sehr tiefgrîndige Ironie und Doppelbçdigkeit zum Vorschein kommt, wenn man bedenkt, daß der Kaiser in seinem engsten Umfeld Nero als den ‘feindlichen Sprçßling’ seiner Gegnerin Agrippina ebenfalls schont und dadurch sich und seinen eigenen Sohn in große Gefahr bringt.1178 Seine vermeintliche Milde kehrt sich gegen ihn selbst. Nicht ohne ein gehçriges Maß an Sarkasmus berichtet Tacitus dann kurz und knapp îber die vom Senat beschlossene Ausweisung der Astrologen aus Italien, eine Maßnahme, die ebenso hart wie wirkungslos gewesen sei (ann. 12,52,3: de mathematicis Italia pellendis factum senatus consultum atrox et inritum), und zieht somit die Autoritt des rçmischen Senats in Lcherliche. ber diese Feststellung hinaus hat die lapidare Bemerkung des Tacitus in der Forschung bislang wenig Beachtung gefunden. Wenn man sich jedoch vor Augen fîhrt, daß das senatus consultum îber die Ausweisung der Astrologen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verbannung des Scribonianus steht, dessen Vergehen ja 1176 Seif, 1973, 213; vgl. Keitel, 1977, 195. 1177 Vgl. Seif, 1973, 213: „Tacitus hebt also die Kardinaltugend des Prinzipats deshalb hervor, um ihre Pervertierung zu entlarven“; Koestermann ad loc. (S. 197): „clementia im Munde des Kaisers ist fîr Tacitus natîrlich reiner Hohn (wie hnlich 11,3,1)“; S. 198 zur alternativen Deutungsmçglichkeit: „Daß der Historiker dem Kaiser wenig wohlgesinnt ist, kann man auch aus diesem innuendo ersehen“ (mit Verweis auf J. S. Reid: Tacitus as a historian, JRS 11, 1921, 191 – 199, hier 194); vgl. Keitel, 1977, 195; Vessey, 1971, 406 Anm. 65. 1178 S. Keitel, 1977, 195.
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darin bestand, bei solchen mathematici nach dem Ende des Kaisers gefragt zu haben,1179 kann der deutliche Hinweis des Historikers auf die vçllige Erfolglosigkeit dieses Senatsbeschlusses als Fingerzeig auf das nunmehr unabwendbare Ende des Claudius gedeutet werden. Fîr den Princeps gibt es kein Entrinnen mehr aus seiner vorgezeichneten Bahn. Sein Schicksal steht fest, alle Maßnahmen, die zu seiner Rettung getroffen werden, erweisen sich als wirkungslos. Wenn das Kapitel dann mit einem Bericht îber zensorische Maßnahmen des Kaisers endet,1180 so kommt darin gerade auch vor diesem Hintergrund erneut der weltfremde Charakter des Princeps, der in vçlliger Verkennung seiner zunehmend gefhrlichen Situation seinen altvterlichen Neigungen nachgeht,1181 deutlich zum Vorschein, s. ann. 12,52,3: laudati dehinc oratione principis, qui ob angustias familiares ordine senatorio sponte cederent, motique, qui remanendo impudentiam paupertati adicerent. Im Rahmen seines Berichtes îber das Geschehen im Senat fîgt Tacitus in Kapitel ann. 12,53 zunchst einen Antrag des Kaisers an, wonach freie Frauen bestraft werden sollten, die eine Verbindung mit einem Sklaven eingingen, s. ann. 12,53,1: Inter quae refert (sc. Claudius) ad patres de poena feminarum, quae servis coniungerentur; statuiturque, ut ignaro domino ad id prolapsa<e> in servitute, sin consensisset, pro libertis haberentur. Vor dem Hintergrund des in ann. 12,25,1 erwhnten ehebrecherischen Verhltnisses zwischen Agrippina und dem Freigelassenen Pallas haben bisherige Analysen diesen Worten eine ironische Doppelbçdigkeit zugesprochen.1182 Jedoch ist die dabei beanspruchte Parallelitt nur sehr indirekt und nicht ohne Schwierigkeiten herzustellen. Denn Pallas besaß als libertus und aufgrund seiner machtvollen Stellung am Kaiserhof doch einen weitaus hçheren sozialen Status als ein gewçhnlicher servus, auf den das von Claudius beantragte Gesetz abzielt.1183 Auch das vermeintliche Stichwort des ‘ignarus dominus’, das nach Keitel iro1179 Vgl. Seif, 1973, 213. 1180 Zwar hatte Claudius nicht mehr wie im Jahr 47/48 das Amt des Zensors tatschlich inne, doch war es ihm als Kaiser natîrlich weiterhin erlaubt, als Zensor in Erscheinung zu treten; vgl. Koestermann ad ann. 12,52,3; vgl. ann. 2,48,3 (zu hnlichen zensorischen Maßnahmen des Tiberius). 1181 Vgl. Koestermann ad loc., der hier von einer spîrbaren prisca severitas spricht. 1182 Vgl. Seif, 1973, 214; Mehl, 1974, 148; Keitel, 1977, 196; Devillers, 1994, 177. 1183 Wenn der jîngere Plinius den Freigelassenen in einem seiner Briefe servus oder mancipium nennt (epist. 8,6,4 bzw. 8,6,14), ist dies als deutliches Zeichen der Geringschtzung und Abwertung zu verstehen.
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nisch auf den gehçrnten Claudius zurîckfallen soll,1184 ist im gegebenen Kontext nicht ungewçhnlich genug, um die Annahme einer doppelbçdigen Darstellung zu stîtzen. Wenn der Kaiser somit an dieser Stelle nicht als Zielpunkt taciteischer Kritik in Frage kommt, fllt gleichwohl auf Pallas ein negatives Licht, der im weiteren Bericht als vermeintlicher Urheber des Antrags mit Ehren îberhuft wird, s. ann. 12,53,2: Pallanti, quem repertorem eius relationis ediderat Caesar, praetoria insignia et centies quinquagies sestertium censuit consul designatus Barea Soranus. additum a Scipione Cornelio grates publice agendas, quod regibus Arcadiae ortus veterrimam nobilitatem usui publico postponeret seque inter ministros principis haberi sineret. Der dem Kaiser in den Mund gelegten Bezeichnung ‘repertor relationis’ ist die negative Grundhaltung des Historikers gegenîber Pallas zu entnehmen.1185 Die von Barea Soranus beantragten Belohnungen wirken angesichts der tatschlichen Leistung des Freigelassenen auf den Leser maßlos îberzogen. Merkwîrdig mutet auch die Forderung des Scipio Cornelius nach einem çffentlichen Dank fîr Pallas an: Derselbe Scipio, der in ann. 11,4,3 klug und elegant ausweichend geantwortet hatte, lßt sich hier zu einer kriecherischen Bemerkung hinreißen.1186 Sein begrîndender Hinweis auf die vermeintliche Abstammung des Pallas vom arkadischen Kçnigsgeschlecht ist sehr bedenkenswert, kommt in ihr doch der indirekt ausgesprochene Gedanke zum Ausdruck, Pallas habe es eigentlich gar nicht nçtig gehabt, als ein Diener des Princeps aufzutreten. Ihm gebîhre çffentlicher Dank, daß er sich diese offenkundige Erniedrigung trotzdem gefallen lasse. Man merkt an dieser Ausdeutung der von Tacitus gemalten Szenerie, wie îberspitzt die Worte des Scipio sind. Sie kçnnen nicht wirklich ernst gemeint sein und ergeben im Munde des Sprechers nur dann einen rechten Sinn, wenn man sie als ironische Spitze gegen die Verhltnisse am Kaiserhof auffaßt, an dem der Kaiser gegenîber seinen Freigelassenen als der faktisch 1184 S. Keitel, 1977, 196; zu ignarus als Attribut des Claudius s. ann. 11,2,2 und 11,13,1. 1185 Vgl. Mehl, 1974, 148 mit Anm. 459; der Ausdruck repertor wird in dem erhaltenen Teil der Annalen von Tacitus nur im negativen Sinne benutzt, s. ann. 2,30,3 (îber Tiberius): callidus et novi iuris repertor; 4,11,2 (îber Seian): facinorum omnium repertor; 4,71,1 (îber verschiedene Delatoren): ceterique flagitii eius repertores. 1186 Vgl. Koestermann ad loc.; Seif, 1973, 214, der hier von einem „Musterbeispiel der adulatio“ spricht; Keitel, 1977, 197. Auch in ann. 11,2,2 hatte sich Scipio als kluger Antwortgeber erwiesen.
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Untergebene erscheint.1187 Bereits die Tatsache, daß Tacitus den Princeps deutlich darauf hinweisen lßt, daß Pallas fîr seinen Antrag verantwortlich war, deutet in diese Richtung. Claudius ist damit erneut als unselbstndige Marionette seiner hçfischen Umgebung entlarvt. Darîber hinaus ist die hier demonstrierte Abhngigkeit des Kaisers gerade von Pallas fîr den Leser besonders pikant, weil sich der Freigelassene immer wieder als Parteignger der Agrippina erwiesen hat.1188 Daß der Kaiser sich bei seinen Entscheidungen vertrauensvoll auf Pallas verlßt, ist ein weiteres Zeichen fîr seine gutglubige Naivitt und Ignoranz. Claudius scheint in dem weiteren Bericht des Historikers die Antrge der beiden Senatoren trotz ihrer offensichtlichen Schmeichelei tatschlich ernst zu nehmen – man beachte im folgenden das Verb adseveravit! – und lehnt die von Soranus beantragte Geldsumme mit dem Hinweis ab, Pallas sei mit einer Ehrung zufrieden und wolle in seiner ‘bisherigen Armut’ verbleiben, s. ann. 12,53,3: adseveravit Claudius contentum honore Pallantem intra priorem paupertatem subsistere. Durch den nun unmittelbar folgenden Hinweis des Tacitus auf den immensen Reichtum des Pallas wird diese Reaktion des Kaisers zusammen mit der Entscheidung, in einer Verçffentlichung des Senatsbeschlusses den Freigelassenen wegen seiner ‘Sparsamkeit’ mit Lob zu îberschîtten, in vçllige Absurditt gezogen und ins Lcherliche verzerrt:1189 s. ann. 12,53,3: et fixum est
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Ehrungen fîr Pallas seiner kurzen Darstellung îber die zensorischen Entscheidungen des Claudius und des Senates unmittelbar folgen lassen. Seif hat festgestellt, daß „im Gesamtgefîge des Referates îber die Senatsverhandlungen die wirkliche Armut dieser Mnner [= der aus dem Senat entfernten Senatoren] von der kurz darauf erwhnten angeblichen paupertas des Pallas“ absteche.1191 Daß es dem Historiker an dieser Stelle ein besonderes Anliegen ist, den mchtigen Freigelassenen in Verruf zu bringen, zeigen auch die einleitenden Stze des nchsten Kapitels, das von dessen Bruder mit dem Beinamen Felix handelt, der offenbar als Prokurator îber Iudaea nicht die ‘gleiche Bescheidenheit’ gezeigt und aufgrund der starken Position des Pallas gemeint habe, smtliche Schandtaten ungestraft begehen zu kçnnen, s. ann. 12,54,1: At non frater eius, cognomento Felix, pari moderatione agebat, iam pridem Iudaeae impositus et cuncta malefacta sibi impune ratus tanta potentia subnixo. Der ironischsarkastische Unterton der Worte pari moderatione ist nicht zu îberhçren. Zudem unterstreichen diese Zeilen aus der Sicht des Bruders mit allem Nachdruck die einflußreiche Position des Pallas (tanta potentia!) am Hof des rçmischen Kaisers: Wer ihn auf seiner Seite whnt, darf sich als besonders geschîtzt ansehen. Bevor wir jedoch zu einer genaueren Betrachtung des Kapitels ann. 12,54 îbergehen, mîssen wir noch einmal auf die Antrge des Barea Soranus und des Cornelius Scipio zu sprechen kommen, deren eigentliche Aussageabsicht in der bisherigen Forschung sehr umstritten zu sein scheint. Auf den vermeintlichen Bruch in der taciteischen Personendarstellung des Cornelius Scipio haben wir bereits hingewiesen.1192 Im Gegensatz zu Koestermann erklrt Seif dieses Phnomen nicht durch das Vorliegen von Ironie und Sarkasmus, sondern meint, daß sich an der hier verhandelten Stelle ein weiteres Mal die „oftmals bis ans Paradoxe grenzende Gegenstzlichkeit in den Personen“ als „Grundzug der Taciteischen Darstellung“ bemerkbar mache.1193 Zur Unterstîtzung seiner hierdurch 1191 Seif, 1973, 213; vgl. Devillers, 1994, 174: „Le fait que certains s¤nateurs sont exclus en raison de leur indigence est mis en contraste avec la richesse du puissant affranchi Pallas (XII, 53,2 – 3)“; Wille, 1983, 517; Keitel, 1977, 196. 1192 Es sei zustzlich noch darauf aufmerksam gemacht, daß auch das servile Verhalten des designierten Konsuls Barea Soranus nicht zu dessen spterem Auftreten (ann. 16,21,1; 23,1) passen will; vgl. Koestermann ad ann. 12,53,2; Keitel, 1977, 197; Oost, 1958, 131; Syme, 1958, 544. 1193 Seif, 1973, 214 f. mit Anm. 35 unter Verweis auf V. Pçschl (Das Bild der politischen Welt bei Tacitus, in: Tacitus, Historien, îbers. von W. Sontheimer, Stuttgart 1959, VII-XXXVII, bes. XVIII-XXII). øhnlich Syme, 1958, 543: „[…]
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zum Ausdruck gebrachten Vermutung, Tacitus kçnnte in nicht-ironischer Weise das tatschliche Geschehen im Senat dargestellt haben, fîhrt er an, daß sich in dem Parallelbericht des jîngeren Plinius îber diese Vorgnge (epist. 8,6) der Verfasser gerade îber die humilitas senatus und die patientia Caesaris entrîstet zeigt.1194 Trotz dieser nicht unberechtigten Einwnde gegen eine ironische Ausdeutung der Stelle scheinen mir die Beobachtungen Mehls und Keitels zu dieser Stelle deutlich mehr Gewicht zu besitzen. Mehl meint, daß insbesondere Scipios Verweis auf die kçnigliche Abstammung des Pallas „zu dick aufgetragen“ sei, „als daß man ihn unbedingt ernst nehmen mîßte“, und es sei „auffllig, daß im Gegensatz etwa zu ann. 12,26,1 Tacitus den Senat nicht wegen Servilitt tadelt“.1195 Keitel hebt zu Recht hervor, daß die ausgefallene Genealogie des Pallas außerdem eine Parodie auf das allgemein bekannte antiquarische Interesse des Kaisers vermuten lasse.1196 Beide Beobachtungen fîgen sich sehr gut in ein Kapitel, das insgesamt in deutliche Ironie getaucht ist.1197 Was den Hinweis auf den Bericht des Plinius betrifft, so dîrfen wir es Tacitus m. E. durchaus zutrauen, daß er die in seinen Quellen erwhnte und mçglicherweise historisch auch zutreffende adulatio des Senats in eigener Regie zu wirkungsvoller Ironie umgemînzt hat, indem er sie keinen anderem als Cornelius Scipio und Barea Soranus in den Mund gelegt hat.1198
the historian is not averse from chronicling the unedifying origins of fortune and the moral lapses of good men.“ (Als Beispiele hierfîr werden a.a.O. 544 u. a. angefîhrt: Domitius Corbulo, Barea Soranus, Helvidius Priscus.) 1194 a.a.O. mit Anm. 36. 1195 Mehl, 1974, 149. 1196 S. Keitel, 1977, 197. 1197 S. Syme, 1958, 539 mit Anm. 5; vgl. Mehl, 1974, 148. 1198 Zur Abhngigkeit des taciteischen Berichtes von den Darstellungen sowohl des jîngeren als auch des lteren Plinius (NH 35,201) s. ausfîhrlich Mehl, 1974, 149 – 152, der zu dem Ergebnis kommt, daß Tacitus Plinius maior nicht durchgehend und so intensiv benutzt habe, wie vielfach angenommen.
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9.2 Ann. 12,54 – 55: Unruhen in Iudaea und Kilikien øußerst kunstvoll und sehr kurzweilig gestaltet Tacitus nun den bergang zur nchsten Thematik, die den Leser erneut in den Osten des Reiches fîhrt.1199 Als Anknîpfungspunkt zur eindrucksvollen PallasEpisode dient dabei die Figur des Bruders des Freigelassenen, Antonius Felix, der Gouverneur der rçmischen Provinz Iudaea gewesen ist. Dieser habe, so der Historiker in immer noch deutlich bissig-ironischem Ton, nicht die gleiche ‘Bescheidenheit’ an den Tag gelegt wie Pallas und im Vertrauen auf die einflußreiche Stellung seines Bruders gemeint, alle beltaten ungestraft begehen zu dîrfen, s. ann. 12,54,1: At non frater eius, cognomento Felix, pari moderatione agebat, iam pridem Iudaeae impositus et cuncta malefacta sibi impune ratus tanta potentia subnixo. Wie wir bereits festgestellt haben, heben diese sarkastischen Worte des Tacitus die mchtige Position des Pallas noch einmal nachdrîcklich hervor.1200 So runden sie einerseits das vorangegangene Kapitel ab, in dem der Leser den Freigelassenen auf dem Hçhepunkt seiner Karriere sehen konnte, und schlagen andererseits die Brîcke zum Geschehen in Iudaea,1201 und zwar mit einer verheerenden Wirkung. Denn noch ehe das erste Wort îber die eigentlichen Ereignisse in der Provinz gesprochen wird, scheint nun eines bereits klar zu sein: Die Schuld fîr die im folgenden geschilderten Unruhen ist im wesentlichen bei Felix und seinen malefacta zu suchen. Der Leser wartet nach dieser Einleitung geradezu darauf, daß dessen unverschmtes Fehlverhalten schlimme Konsequenzen nach sich zieht. Die einleitenden Stze legen sich somit wie ein dunkler Filter îber die folgenden Ereignisse, lassen den Leser bereits im Vorfeld Partei ergreifen. Das so gewonnene Vorurteil wird dann im folgenden weiter besttigt. Zwar wird zunchst die kaiserliche Politik als Ursache fîr den Ausbruch des jîdischen Aufstandes genannt, s. ann. 12,54,2: sane praebuerant Iudaei speciem motus orta seditione, postquam
1199 Vgl. die Urteile Koestermanns (ad ann. 12,54,1: „hçchst artifiziell“), Willes (1983, 517: „elegant“), Seifs (1973, 216: „virtuos“) und Keitels (1977, 198: „flimsy at best“). 1200 S. die Bemerkungen auf S. 381. 1201 Hierzu bemerkt Keitel, 1977, 198 vçllig zu Recht: „These transitions […] point out that Rome and the provinces are inextricably bound together. Decadence in the domus Caesaris will inevitably infect the provinces as well.“
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figiem eius in templo locare; et quamquam>1202 cognita caede eius haud obtemperatum esset, manebat metus, ne quis principum eadem imperitaret. Doch bereits der nchste Satz îbertrgt die Verantwortung fîr das Ausbreiten der neuerlichen seditio eindeutig auf die unangemessenen Maßnahmen des Felix und seines Kollegen Ventidius Cumanus: s. ann. 12,54,2: atque interim Felix intempestivis remediis delicta accendebat, aemulo ad deterrima Ventidio
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dem Rauben und Morden der verfeindeten Stmme, indem sie Beuteund Raubgut erhalten.1205 In vçlliger Verantwortungslosigkeit gegenîber ihrer Pflicht, die Ruhe und Ordnung in der Provinz zu gewhrleisten, freuen sie sich deshalb sogar îber den gegenwrtigen Zustand, bis sie endlich mit Waffengewalt einschreiten mîssen und dabei rçmische Soldaten getçtet werden, s. ann. 12,54,3: hique (sc. procuratores) primo laetari, mox gliscente pernicie cum arma [militum] interiecissent, caesi milites; arsissetque bello provincia, ni Quadratus Syriae rector subvenisset. Ein solch widerwrtiges, von Eigennutz, Habgier und menschenverachtender Schadenfreude geprgtes Verhalten kann im Leser nur Empçrung hervorrufen. Ein regelrechter Krieg kann nur noch durch Ummidius Quadratus abgewendet werden. Mit dem Verb ardere hat Tacitus die kurz zuvor mit accendere eingeleitete Feuermetaphorik wirkungsvoll erweitert, die insbesondere Felix wie einen Brandstifter erscheinen lßt.1206 Der Statthalter von Syrien ist dem Leser indessen noch sehr gut im Gedchtnis, hatte er doch wenige Kapitel zuvor eine hnlich unrîhmliche Rolle wie Felix und Cumanus gespielt, als er sich nicht fîr ein beherztes Vorgehen gegen den frevelhaften Eroberungszug des Radamistus in Armenien entschließen konnte und in seinem Beraterstab ausgerechnet die Meinung gelten ließ, daß jedes auswrtige Verbrechen mit Freude aufgenommen und obendrein Saaten des Hasses ausgestreut werden mîßten, um den eigenen Vorteil zu sichern1207 – eine Verhaltensregel, die auch in den Maßnahmen der beiden Machthaber in Iudaea ihre Anwendung gefunden zu haben scheint! Dabei fîhrt das auf dieser Grundlage beruhende kurzsichtige Fehlverhalten rçmischer Magistrate erneut an den Rand eines großen Krieges.1208 Nach Iulius Paelignus (s. ann. 12,49,1) ist Felix zudem ein weiteres Beispiel fîr einen inkompetenten Provinzstatthalter, der offenbar nur wegen persçnlicher Beziehungen zum Kaiserhof auf seinen machtvollen Posten gelangt ist, fîr den er sich dann durch schndliches Versagen als vçllig ungeeignet erweist. Sptestens jetzt hat 1205 Koestermann ad loc. verweist zustzlich auf die effektvolle Ausgestaltung des Satzes mit raptare am Anfang und referre am Ende, „wodurch das Komplott mit den Prokuratoren akzentuiert wird.“ 1206 Vgl. Keitel, 1977, 198: „Tacitus describes his behaviour [= the behaviour of Felix] with violent metaphors.“ 1207 S. ann. 12,48,2: omne scelus externum cum laetitia habendum; semina etiam odiorum iacienda, ut saepe principes Romani eandem Armeniam specie largitionis turbandis barbarorum animis praebuerint. poteretur Radamistus male partis, dum invisus infamis, quando id magis ex usu … 1208 Vgl. ann. 12,49,2.
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das Ansehen der rçmischen Außen- und Personalpolitik unter Claudius durch die Darstellung des Tacitus einen vernichtenden Schlag erlitten.1209 Der Rest des Kapitels ist den Konsequenzen des Aufstandes auf jîdischer wie auf rçmischer Seite gewidmet. Whrend man die Juden, welche rçmische Soldaten getçtet hatten, kurzerhand mit dem Tod bestrafte, verfuhr man bei der Ahndung der Vergehen des Felix und des Cumanus weitaus differenzierter. Der Bericht hierîber stellt nun abschließend in aller Deutlichkeit die Richtigkeit der von Felix angeblich gehegten Ansicht unter Beweis, daß er aufgrund der einflußreichen Stellung seines Bruders alle Schandtaten ungestraft begehen dîrfe, und schlgt somit den Bogen zurîck zum Anfang des Kapitels.1210 Denn Quadratus, dem von Claudius auch die Befugnis erteilt worden war, îber die beiden Prokuratoren zu urteilen,1211 weist dem Bruder des Pallas einen Platz auf dem Tribunal zu und nimmt ihn unter die Schar der Richter auf, um alle Anklagen gegen ihn verstummen zu lassen. Whrend Felix so seiner gerechten Strafe entgeht, wird allein Cumanus fîr die gemeinsam begangenen Schandtaten verurteilt, s. ann. 12,54,4: sed Quadratus Felicem inter iudices ostentavit, receptum in tribunal, quo studia accusantium deterrerentur; damnatusque flagitiorum, quae duo deliquerant, Cumanus, et quies provinciae reddita. Die Empçrung des Historikers îber die ungleiche Behandlung der beiden Mnner ist in diesen Zeilen nicht zu îbersehen, und auch der Leser muß den ungerechten Ausgang des Ereignisses als Skandal empfinden, zumal in der Darstellung des Tacitus der Eindruck entstanden ist, daß im Grunde genommen Felix der Hauptverantwortliche fîr die Vergehen war. Cumanus hingegen war als aemulus nur dem von seinem Kollegen bereits eingeschlagenen Weg gefolgt.1212 Der lapidare Schlußsatz et quies provinciae reddita hebt eindringlich hervor, daß die flagitia des Felix auch in der Folgezeit tatschlich ungesîhnt blieben: Die Ruhe in der Provinz war wiederhergestellt, und die Sache somit erledigt. Insgesamt soll durch das Kapitel ann. 12,54 aufgezeigt werden, welche unheilvollen Konsequenzen das fast unumschrnkte Walten der Freigelassenen am Hof des Claudius auch fîr die außenpolitischen Entwicklungen mit sich brachte. Der mchtige Arm des 1209 Vgl. Pfordt, 1998, 116; Keitel, 1977, 198. 1210 Vgl. Devillers, 1994, 281. 1211 S. ann. 12,54,4: … Claudius causis rebellionis auditis ius statuendi etiam de procuratoribus dederat. 1212 Vgl. Seif, 1973, 217 f.; Koestermann ad ann. 12,54,2: „Anscheinend trug Felix die Hauptschuld an den schweren Zwischenfllen.“
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Pallas reichte Tacitus zufolge offenbar weit îber die Hauptstadt hinaus bis in die entferntesten Provinzen des Reiches.1213 Zur taciteischen Darstellung der Unruhen in Iudaea liegt uns der ausfîhrliche Parallelbericht des Flavius Iosephus (ant. Iud. 20,118 – 137; bell. Iud. 2,232 – 247 vor, der in einigen Punkten entscheidend von der Version des Tacitus abweicht. Es ist hier nicht der Ort, die Frage zu behandeln, welcher der beiden Autoren nun historisch zuverlssig ist.1214 Vielmehr soll im Anschluß an die Untersuchungen Seifs aufgezeigt werden, wie eng das bei Tacitus Dargelegte mit der Darstellungsabsicht des Historikers verknîpft sein dîrfte.1215 Laut Iosephus war Ventidius Cumanus der alleinige Statthalter îber die gesamte Provinz Iudaea, wurde nach heftigen Auseinandersetzungen zwischen Juden und Samaritern bei Ummidius Quadratus der Bestechung beschuldigt und nach Rom vor das kaiserliche Gericht zitiert, wo Agrippina erfolgreich seine Anhnger bekmpfte und bei Claudius seine Verbannung erwirken konnte. Antonius Felix wird daraufhin der Nachfolger des Cumanus in Iudaea. Tacitus hat hingegen das kaiserliche Gerichtsverfahren gegen Cumanus in Rom nicht erwhnt, ja die Bestrafung des Schuldigen îberhaupt in die Hnde des Quadratus gelegt. Lediglich der Hinweis, daß der syrische Statthalter im Auftrag des Claudius handelte, deutet auf die Rolle des Kaisers bei der Verurteilung der Verantwortlichen hin. Diese sicherlich bewußte Beschrnkung allein auf die Ereignisse in Iudaea dîrfte auf die Intention des Tacitus zurîckzufîhren sein, den schdlichen Einfluß des Pallas auch in außenpolitischen Angelegenheiten zu demonstrieren.1216 Jede Verlagerung des Geschehens nach Rom htte den beabsichtigten Eindruck einer weit îber die Hauptstadt hinaus reichenden Macht des Freigelassenen empfindlich gestçrt. Zudem entsteht in der Darstellung des Tacitus der sicherlich nicht unerwînschte Nebeneffekt, daß zwischen den Zeilen erneut die mangelnde Entschlußkraft des Claudius anklingt: Der Kaiser schiebt die ungeliebte Verantwortung von sich und bringt Quadratus dadurch in arge Verlegenheit. Es kommt der Verdacht auf, daß Claudius nicht die Kraft aufbringen konnte, in eigener Person gegen den Bruder 1213 Vgl. Pfordt, 1998, 115; 116; Seif, 1973, 216. 1214 S. hierzu Koestermann ad ann. 12,54,1 und Seif, 1973, 217 Anm. 43 – jeweils mit weiterfîhrender Literatur. Bei der Diskussion dieses Problems ist in der Forschung die Tendenz spîrbar, dem Bericht des Iosephus den Vorzug zu geben. Syme, 1958, 747 mçchte mit Verweis auf PIR2 A 828 an der Darstellung des Tacitus festhalten: „His account can probably stand.“ 1215 Vgl. zu den folgenden Ausfîhrungen Seif, 1973, 216 – 218. 1216 Vgl. Seif, 1973, 218.
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des Pallas vorzugehen. Ob die îbrigen Abweichungen der taciteischen Version von der Darstellung des Iosephus auch der Darstellungsabsicht unseres Historikers zugeschrieben werden kçnnen, bleibt fraglich. Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß Tacitus die historischen Fakten zugunsten seines Vorhabens bewußt verdreht hat. Mçglicherweise liegt auch ein Irrtum bei Iosephus vor. Denn in der deutlichen Bezeichnung des Felix als „iam pridem Iudaeae impositus“ schwingt vielleicht die Kritik des Tacitus an einer ihm bekannten Version anderer Gewhrsmnner mit, die wie Iosephus (flschlich) berichteten, daß Felix erst der Nachfolger des Cumanus gewesen sei.1217 An das Kapitel îber die Unruhen in Iudaea locker angebunden ist nun der Bericht îber Unruhen in Kilikien (ann. 12,55), der lange als bloßer annalistischer Nachtrag von geringem Informationswert galt.1218 Pfordt hat in einer etwas tiefer dringenden Analyse des Kapitels dagegen aufzeigen kçnnen, daß es sich hierbei um mehr als nur einen ergnzenden Zusatz zum vorherigen Kapitel handelt.1219 Inhaltlich geht es um Raubzîge der Cieten, die bereits oft fîr Unruhe gesorgt hatten und nun unter der Fîhrung eines gewissen Troxoboros von den Bergen aus die Kîsten und Stdte der Region unsicher machten. Als sie die Stadt Anemurion belagern, wird aus Syrien eine rçmische Reitertruppe unter dem Kommando des Prfekten Curtius Severus zu Hilfe geschickt, die aufgrund des schwierigen, fîr den Einsatz von Reitern ungeeigneten Gelndes jedoch wenig ausrichten kann und schließlich von den Barbaren sogar vertrieben wird. Erst der Klientelkçnig Antiochus kann die Ordnung in der Region wiederherstellen, indem er auf listige Weise die Truppen der Cieten spaltet und anschließend Troxoboros und andere Anfîhrer hinrichten lßt. øhnlich dieser knappen Inhaltsangabe berichtet Tacitus das Vorgefallene in drei Stzen. Was am Ende des Kapitels bleibt, ist ein deutlich bitterer Beigeschmack: Zwar konnten die Unruhen in Kilikien letzten Endes erfolgreich bekmpft werden. Doch deren Zerschlagung ist bei weitem nicht das Verdienst kompetent eingreifender rçmischer Truppen. Im Gegenteil! Taktisches Fehlverhalten fîhrt zu einem schmachvollen Scheitern ihrer militrischen Intervention, die sich am Ende als so wirkungslos erweist, als htte sie gar nicht erst stattgefunden. Der Wirkungslosigkeit ihres Auftretens gemß finden sie in der Darstellung des 1217 S. Seif, 1973, 217. 1218 S. Pfordt, 1998, 116 mit Anm. 436, der auf entsprechende øußerungen Seifs (1973, 218) und Keitels (1977, 199) verweist. 1219 S. Pfordt, 1998, 116 f.
9.3 Ann. 12,56 – 57: Feierlichkeiten zur Trockenlegung des Fuciner Sees
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Tacitus denn auch kaum Erwhnung: Ein kurzer gedrngter Hauptsatz berichtet gleichzeitig von ihrem Anrîcken und ihrer Vertreibung, gefolgt von einem kausalen Nebensatz, der dann allerdings in voller Breite den Grund fîr den klglichen Ausgang des Unternehmens ausmalt, s. ann. 12,55,2: … et missi e Syria in subsidium equites cum praefecto Curtio Severo turbantur, quod duri circum loci peditibusque ad pugnam idonei equestre proelium haud patiebantur. Man beachte dabei, daß in dem Hauptsatz turbantur das eigentliche Verb ist, whrend die zweite Verbalhandlung (missi) lediglich durch ein Participium coniunctum ausgedrîckt wird. Der Ton liegt damit eindeutig auf der Vertreibung der Rçmer. Der Nebensatz hingegen drîckt das Scheitern der Militraktion gleich auf zweifache Weise aus, indem der (richtige) Einsatz von Fußtruppen dem (falschen) der Reiterei gewissermaßen gegenîbergestellt und somit der taktische Fehler der Rçmer besonders eindringlich vor Augen gefîhrt wird. Nach diesem Versagen muß dann der weitaus weniger mchtige Antiochus den Rçmern vormachen, wie man mit den unruhestiftenden Cieten zu verfahren hat. Sein listig-kluges und wohlîberlegtes Vorgehen, das sogar die Anwendung von Gewalt auf ein Minimum reduziert (s. ann. 12,55,2: … Antiochus blandimentis adversum plebem, fraude in ducem cum barbarorum copias dissociasset, Troxoboro paucisque primoribus interfectis ceteros clementia composuit), steht dabei in direktem Kontrast zu der allem Anschein nach vorschnell und hastig erfolgten sowie einseitig und unîberlegt ausgefîhrten Aktion der rçmischen Truppen.1220 Genauer betrachtet birgt der ußerliche Erfolg in Kilikien somit eine deutliche Blamage fîr Rom in sich, welche die negative Tendenz in der taciteischen Darstellung der rçmischen Außenpolitik unter Claudius weiter verstrkt.
9.3 Ann. 12,56 – 57: Feierlichkeiten zur Trockenlegung des Fuciner Sees Die beiden restlichen Kapitel des Berichtes îber das Jahr 52 fîhren den Leser zurîck nach Rom und Italien, genauer gesagt zum Fuciner See, der durch die Fertigstellung eines Kanaldurchbruches durch den heutigen Monte Salviano zum Lirisfluß einen eigenen Abfluß bekommen hatte. Um recht vielen Leuten die Mçglichkeit zu geben, die Großartigkeit des 1220 Man beachte zustzlich den wirkungsvollen Abschluß des Berichtes durch die „pointierten Assonanzen“ (Koestermann ad loc.) ceteras clementia composuit.
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Werkes zu bewundern, hatte man in Anlehnung an Augustus vor der §ffnung der Kanalschleusen auf dem See einen pompçsen Schiffskampf veranstalten lassen, s. ann. 12,56,1: Sub idem tempus inter lacum Fucinum amnemque Lirim perrupto monte, quo magnificentia operis a pluribus viseretur, lacu in ipso navale proelium adornatur, ut quondam Augustus structo cir
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kennend von der magnificentia operis, lßt die von Claudius gegebene Naumachie die Vorlage des Augustus noch îbertreffen und breitet vor den Augen des Lesers ein imposantes und glanzvolles Gemlde des Schiffskampfes aus, das nicht einmal dadurch getrîbt werden soll, daß es sich bei den Kmpfern um Strflinge handelt.1225 Ja es hat sogar den Anschein, als htte Tacitus in seiner Darstellung des Schaukampfes ganz bewußt peinliche Zwischenflle ausgespart, von denen Sueton und Cassius Dio offenbar auf der Grundlage einer gemeinsamen Tradition berichten.1226 Warum Tacitus an dieser Stelle den Kaiser ganz entgegen
gigantische militrische Schauspiel ein Organ hat, dem er nebst den îbrigen Begleitumstnden in seiner Schilderung breiten Raum gewhrt.“ Koestermann zieht aus dieser Beobachtung dann allerdings einen m. E. recht zweifelhaften Schluß (a.a.O.): „Diese Tatsache verrt doch wohl, daß auch in ihm [Tacitus] der ‘Rçmer’ steckte, der solche ‘Spiele’ jederzeit begierig verfolgte.“ Diese ‘psychologische Erklrung’ Koestermanns hat bereits Seif, 1973, 222 mit dem Hinweis zurîckgewiesen, daß sich die Begrîndung fîr die groß angelegte Darstellung des Tacitus aus den einleitenden Worten seines Berichtes (quo magnificentia operis a pluribus viseretur) selbst ergebe. Sicherlich îbergeht der Historiker den praktischen Nutzen des vollendeten Werkes aber auch deshalb mit Stillschweigen, weil er dem Kaiser eine solche Ehrenbezeugung nicht zukommen lassen mçchte. Immerhin zhlt Sueton den Kanaldurchbruch am Fuciner See zu den drei wichtigsten çffentlichen Bauten des Claudius (Claud. 20,1), vgl. Keitel, 1977, 199. In vergleichbarer Weise hatte Tacitus den Kaiser im Zusammenhang mit der Getreideknappheit durch das Verschweigen seiner Gegenmaßnahmen in Verruf gebracht (s. o. S. 373 zu ann. 12,43,2). 1225 Vgl. Seif, 1973, 221. 1226 Vgl. Keitel, 1977, 200; s. Suet. Claud. 21,6; Cassius Dio (Xiph.) 60,33,4. Vor allem Sueton gibt den Kaiser mit ußerst gehssigen Worten der Lcherlichkeit preis. Seiner Darstellung zufolge antwortete Claudius auf den Zuruf der Kmpfer „have imperator, morituri te salutant!“ mit der albernen Bemerkung „aut non“ und stiftete dadurch ungewollt vçllige Verwirrung, da die Strflinge meinten, soeben vom Kaiser begnadigt worden zu sein, und den Kampf daraufhin zunchst unterließen. Der Biograph beschreibt dann in hmischer Weise die vçllige berforderung des Claudius mit dieser Situation, wobei er das ußere Erscheinungsbild des Princeps nicht verschont (a.a.O.): … diu cunctatus an omnes igni ferroque absumeret (sc. Claudius), tandem e sede sua prosiluit ac per ambitum lacus non sine foeda vacillatione discurrens partim minando partim adhortando ad pugnam compulit. Da Dio (a.a.O.) dem Zuruf der Kmpfer ein grundlegend anderes Geschehen folgen lßt (s. hierzu insbesondere Seif, 1973, 220) kann man von einer unterschiedlichen Verarbeitung der gemeinsamen Tradition ausgehen, die sicherlich auch Tacitus gekannt hat. Wenn nun Sueton darin Anhaltspunkte fîr eine spçttische Darstellung des Kaisers gefunden hat, so darf angenommen werden, daß auch sein Zeitgenosse einen Weg gefunden htte, aus dem vorge-
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seiner sonstigen Gewohnheit verschont und auch sonst ein prchtiges Bild des Schauspiels entwirft, erhellt nun ganz aus dem Inhalt des nchsten Kapitels. Nach dem großartigen Schaukampf wird der neue Abflußkanal schließlich geçffnet – wobei es offenbar zu erheblichen Problemen kommt. Ohne diese konkret zu benennen, bemerkt Tacitus lediglich, daß nun die Nachlssigkeit zutage getreten sei, mit welcher man den Kanal angelegt habe, da dieser nicht genîgend tief ausgehoben worden sei, s. ann. 12,57,1: Sed perfecto spectaculo <cum>1227 apertum aquarum iter, incuria operis manifesta fuit, haud satis depressi ad lacus ima vel media.1228 Effektvoll wird die im Kapitel zuvor einleitend genannte magnificentia operis hier durch die incuria operis konterkariert.1229 Tacitus unternimmt den Versuch, seiner großartigen und glanzvollen Schilderung in ann. 12,56 etwas entgegenzusetzen, das sehr viel mehr ist als nur ein ausgleichendes Gegengewicht. Im weiteren Verlauf seiner Darstellung wird das beeindruckende Spektakel nicht einfach nur relativiert, sondern rîckwirkend als vçllig îberzogenes und unangemessenes Blendwerk eines ebenso anmaßenden wie inkompetenten ‘Mçchtegern-Augustus’ enttarnt.1230 So schildert der Historiker direkt im Anschluß an die Information îber das einstweilige Scheitern des Kanalprojekts dessen wiederholtes Mißlingen. Erneut wird mit großem Aufwand ein Kampfspiel in Szene gesetzt, und erneut mißglîckt das Vorhaben der Kanalçffnung, wobei das Geschehen nun eine dramatische Steigerung erfhrt,1231 indem es diesmal katastrophale Ausmaße annimmt, s. ann. 12,57,1 – 2: eoque tempore interiecto altius effossi specus, et contrahendae rursum multitudini gladiatorum spectaculum editur, inditis pontibus pedestrem ad pugnam. quin et convivium effluvio lacus adpositum magna formidine cunctos adfecit, quia fundenen Quellenmaterial eine hnlich verunglimpfende Darstellung zu entwerfen. 1227 Die Konjektur von Fuchs sorgt fîr einen gleitenden Textfluß; der Ausfall von cum ist nach dem vorangehenden spectaculo durch Haplographie zu erklren. Koestermann ad loc. denkt daran, vor incuria ein tum in den Text zu setzen. 1228 Die weithin (auch von Heubner) akzeptierte Athetese des îberlieferten vel media (s. Nipperdey ad loc; vgl. Koestermann ad loc. mit anderen Lçsungsvorschlgen) ist unnçtig, wenn man den Gedanken zugrunde legt, daß durch vel eine Steigerung des vorangehenden ima ausgedrîckt wird (s. hierzu KSt II 109) und die Stelle in Anlehnung an Pfitzner interpretiert: ‘bis zum Grund des Sees oder auch nur bis zur mittleren Tiefe’ (vel = saltem). 1229 S. Seif, 1973, 222. 1230 Vgl. Keitel, 1977, 199. 1231 Vgl. Seif, 1973, 223.
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vis aquarum prorumpens proxima trahebat, convulsis ulterioribus aut fragore et sonitu exterriti<s>. Nachdem man den Graben tiefer ausgehoben und fîr einen Kampf zu Fuß eigens Brîcken in den See gebaut hat, kommt es zu einer Wiederholung (rursum!) des gesamten Spektakels, das dann wieder nicht das zu halten vermag, was es den Zuschauern versprochen hat. Im Gegenteil! Wieder scheint den Verantwortlichen beim Bau des Kanals ein gravierender Fehler unterlaufen zu sein. Panik bricht aus, weil die Wucht hervorstîrzender Wassermassen alles in Ufernhe mit sich fortreißt, sogar das weiter entfernte Land unterspîlt und durch Getçse und Lrm weithin Schrecken verbreitet. Genauso eindringlich und anschaulich, wie er zuvor den Schiffskampf dargestellt hat (s. ann. 12,56,2), beschreibt Tacitus hier das Desaster, das allgemeine Angst und Bestîrzung verursacht, mit ußerster Plastizitt (man beachte hierbei insbesondere die gedrngte Abfolge der Worte formidine, vis aquarum, prorumpens, convulsis, fragore et sonitu exterritis).1232 Man mag nun verstehen, warum der Historiker den Kaiser im Kapitel zuvor so auffllig geschont und eben nicht wie etwa Sueton von der Mçglichkeit Gebrauch gemacht hat, Claudius durch einen Hinweis auf sein unmçgliches Verhalten als lcherlich-hilflose Figur erscheinen zu lassen. Er hat auf diesen Seitenhieb sicherlich ganz bewußt verzichtet, um das Ansehen des Kaisers anschließend durch einen mçglichst drastischen Kontrast sehr viel mehr beschdigen zu kçnnen, als es durch das Einstreuen einer (weiteren) lcherlich-banalen Posse mçglich gewesen wre. Es wird deutlich, daß Tacitus durch seinen auffallend gleißenden Bericht in ann. 12,56 lediglich eine Fallhçhe fîr Claudius aufbauen wollte, von der aus er den unliebsamen Kaiser anschließend ins nahezu Bodenlose herabstoßen konnte.1233 Das Ergebnis der taciteischen Darstellung ist fîr Claudius vernichtend: Unter seiner Aegide wird offenbar zweimal ein schwerer Fehler begangen. Als Kaiser erscheint er îberfordert und inkompetent. Der in ann. 12,56,1 angeklungene Vergleich mit Augustus bereichert diesen Eindruck dann um eine weitere Nuance: Claudius mçchte ein 1232 Vgl. Koestermann ad loc.: „Dies scheint neben 15,74,2 auspicium et praesagium die einzige Stelle zu sein, wo zwei Synonyma fragore et sonitu zur Verstrkung des Ausdrucks aneinander gekoppelt sind […].“ Seif, 1973, 223 weist auf die enge syntaktische Verfugung des Satzes hin, wodurch „das unvermittelte Hereinbrechen der Katastrophe in das convivium“ veranschaulicht wird. 1233 Vgl. Seif, 1973, 222: „Das großartige Schauspiel steht in keinem Verhltnis zu seinem Anlaß. Gerade durch die bewußt glanzvolle Darstellung des Seegefechtes wird dies verdeutlicht, und der Fehlschlag, den Claudius verbuchen muß, wird dadurch umso eklatanter.“
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weiteres Mal in die Fußstapfen des ersten Princeps treten und erweist sich dafîr als vçllig ungeeignet. Sein Versuch, ein wîrdiger Nachfolger des Augustus zu sein, ist erneut deutlich fehlgeschlagen. Gerade jetzt entfaltet die Tatsache, daß Tacitus den wirtschaftlichen Nutzen des bereits von Caesar geplanten1234 und nun endlich durchgefîhrten Kanalprojektes îberhaupt nicht erwhnt hat, ihre verheerende Wirkung. So bleibt am Ende der Eindruck haften, als sei das gesamte Vorhaben eine genauso unnçtige wie verschwenderische Spielerei zum Zwecke der Volksbelustigung gewesen.1235 Vor diesem Hintergrund muß das große und nîtzliche Werk des Claudius seine eigentliche Bedeutung verlieren und als gnzlich gescheitert angesehen werden, zumal die erfolgreiche Beendigung des Projektes nicht mehr erwhnt wird.1236 Wie sehr es Tacitus darauf ankam, dem Ansehen des Kaisers durch den inhaltlichen Kontrast des Kapitels ann. 12,57 zu schaden, zeigt schließlich der Umstand, daß der Historiker darin erneut das annalistische Ordnungsprinzip durchbrochen und die Ereignisse wohl mehrerer Jahre in geraffter Kîrze zusammengefaßt hat.1237 Zwar weist er in seinem Bericht darauf hin, daß zwischen dem ersten und dem zweiten Schaukampf am Fuciner See eine gewisse Zeitspanne lag. Doch seine diesbezîgliche Angabe tempore interiecto (ann. 12,57,1) ist dermaßen vage und unprzise formuliert, daß dadurch die tatschlich gegebene Zwischenzeit vçllig verschleiert wird. Erst diese thematisch geordnete Darstellungsweise hat es dem Historiker ermçg1234 S. Suet. Iul. 44,3; Claud. 20,1; vgl. Koestermann ad ann. 12,56,1. 1235 Vgl. Keitel, 1977, 199: „The juxtaposition of two spectacles makes the whole project seem wasteful and inane.“ 1236 Immerhin muß der Kanal fîr eine gewisse Zeit seinen Zweck erfîllt haben, wenn der lacus Fucinus sich in spterer Zeit auch wieder mit Wasser fîllte, nachdem Nero das Vorhaben wieder fallen gelassen hatte. Erst im 19. Jahrhundert gelang die endgîltige Trockenlegung des Sees; vgl. Koestermann und Nipperdey ad loc. 1237 Vgl. hierzu Koestermann ad ann. 12,56,1: „Da die Fertigstellung des riesigen Werkes nach Suet. Claud. 20,2 nicht weniger als 11 Jahre bençtigte (sc. 41 – 52 n. Chr.) und da sich bei der §ffnung des Kanales unvorhergesehene Schwierigkeiten ergaben, die eine Wiederaufnahme der Arbeiten erforderlich machten, muß ein grçßerer zeitlicher Zwischenraum zwischen den cap. 56 geschilderten Vorgngen und der endgîltigen Einweihung nach Behebung jener Unzulnglichkeiten gelegen haben. Wahrscheinlich ist daher cap. 57 chronologisch richtig eingeordnet, whrend cap. 56 in ein frîheres Jahr gehçrt (s. Nipperdey z. St.)“; vgl. Keitel, 1977, 199; Seif, 1973, 219 mit Anm. 44, wo letzte Zweifel an der von Koestermann und Nipperdey vorgeschlagenen Chronologie geußert werden, da unbekannt ist, wann das Kanalprojekt tatschlich begonnen wurde.
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licht, den gedoppelten Kontrast zu entfalten, der die Leistungen des Claudius deutlich schmlert.1238 Verbunden mit dem Bericht îber den vorerst gescheiterten Kanalbau am lacus Fucinus ist nun eine Thematik, die den Leser wieder in den engeren Kreis der Ereignisse am Kaiserhof zieht. Agrippina, deren herausragende Machtposition auch in dem Bericht îber den Schiffswettkampf noch einmal deutlich hervorgehoben worden war, als sie in goldenen Kleidern direkt neben dem Kaiser saß (s. o. Anm. 1221), nutzt in gewohnt raffinierter Weise das unglîckliche Geschehen fîr ihre machtpolitischen Zwecke aus, indem sie den Freigelassenen Narcissus, der einer ihrer letzten Widersacher zu sein scheint, in seiner Eigenschaft als ‘minister operis’ fîr die Katastrophe verantwortlich macht und ihn der Habsucht und Unterschlagung beschuldigt, s. ann. 12,57,2: simul Agrippina trepidatione principis usa ministrum operis Narcissum incusat cupidinis ac praedarum … Durch das Zeitadverb simul wird das sofortige, blitzschnelle Handeln der Agrippina gekennzeichnet, das im Bewußtsein des Lesers durch den gedrngten Satzbau, hervorgerufen durch die Partizipialkonstruktion usa, zustzlich an Agilitt gewinnt. Kein Zçgern oder Zweifeln befllt die Kaisergattin bei ihrem Tun. Sie handelt sofort, bleibt dabei kîhl und berechnend.1239 Im Gegensatz dazu zeichnet sich Claudius an dieser Stelle durch lhmende trepidatio aus, die erst die Grundlage fîr die Machenschaften seiner Gattin abgibt (vgl. usa). Damit ist deutlich vorgegeben, wer am Kaiserhof das Heft des Handelns in der Hand hlt. Der Leser erfhrt nun nicht viel îber die Konsequenzen der gegen Narcissus mçglicherweise sogar zu Recht erhobenen Vorwîrfe.1240 Tacitus 1238 Vgl. Seif, 1973, 223. Sueton berichtet dagegen von den beiden bei Tacitus zu einer Einheit zusammengefaßten Ereignissen getrennt, s. Claud. 20,2 (zu den langwierigen und mîhevollen Bauarbeiten); 21,6 (zur Naumachie), 32 (zur Katastrophe); vgl. Keitel, 1977, 227 Anm 148. 1239 Vgl. Keitel, 1977, 200: „In the midst of confusion and panic she [Agrippina] is coolheaded.“ 1240 Der Darstellung des Cassius Dio ([Exc. Val. 232] 60,33,6) zufolge stand der Freigelassene tatschlich in dem allgemeinen Verdacht, den Zusammenbruch der Kanalbauten herbeigefîhrt zu haben, um die Unterschlagung von Geldern zu vertuschen, vgl. Seif, 1973, 224. Daß Tacitus die Vorwîrfe nicht weiter verfolgt, mag – wie Koestermann ad loc. vermutet – in seinem Bestreben begrîndet sein, die Gegenstze zwischen Agrippina und Narcissus herauszuarbeiten. Sicherlich kommt es dem Historiker aber auch darauf an, Narcissus als Opfer einer ungerechtfertigten Anklage erscheinen zu lassen, um so das ungehemmte und skrupellose Machtstreben der Kaiserin ein weiteres Mal unter Beweis zu stellen. Zudem htte bereits der bloße Eindruck einer Schuld des Freigelasssenen an dem
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erwhnt lediglich, daß der Freigelassene sich gegen die Anschuldigungen wehrte, indem er seinerseits Agrippina angriff und ihr weibliche Maßlosigkeit und allzu hohe Erwartungen vorwarf, s. ann. 12,57,2: … nec ille (sc. Narcissus) reticet, impotentiam muliebrem nimiasque spes eius arguens. Die mutigen und frechen Worte des Narcissus besttigen die bisherigen Eindrîcke des Lesers von Agrippina als einer ehrgeizigen und machthungrigen Frau. Die ihr vorgeworfene impotentia muliebris stellt sie zudem auf eine Stufe mit Livia, deren herrschsîchtiger Charakter in den Tiberiusbîchern eine nicht unbedeutende Rolle spielt.1241 Diese Gleichsetzung der beiden Kaiserinnen lßt die kînftigen Ereignisse bereits dunkel erahnen: Wie Livia einst durch ihre dunklen Machenschaften ihrem Sohn Tiberius auf den Kaiserthron verholfen hatte, so wird auch Agrippina mit Hilfe von Intrigen und Heimtîcke ihren Sohn Nero an die Macht bringen.1242 Die der Kaisergattin zum Vorwurf gemachten nimiae spes hingegen sind in ihrer Bedeutung zunchst nicht klar zu fassen,1243 wobei die Ambivalenz dieser Worte von Tacitus sicherlich beabsichtigt ist, machen sie doch die Situation des Freigelassenen fîr den Leser offenkundig. Fîr den wissenden Leser trifft Narcissus mit seiner Behauptung genau ins Schwarze. Fîr ihn besteht kein Zweifel daran, daß mit den ‘allzu großen Erwartungen’ die machtpolitischen Ambitionen der Agrippina gemeint sind.1244 Doch gerade diesen zentralen Vorwurf durfte Narcissus nicht in aller Klarheit ußern, wollte er sich nicht in ernste Gefahr fîr Leib und
Unglîck den Kaiser im Hinblick auf seine eigene Verantwortung erheblich entlastet, was der taciteischen Darstellungsabsicht zuwider gelaufen wre. Keitel, 1977, 200 hebt hervor, daß Agrippina ironischerweise gerade solche Vorwîrfe gegen Narcissus erhebt, deren sie sich selbst bereits schuldig gemacht (mit Verweis auf ann. 12,7,3 als Beleg fîr die Habgier der Kaiserin); vgl. in diesem Zusammenhang auch die Bemerkungen zu ann. 12,59,1 (s. u. S. 402). 1241 Vgl. Keitel, 1977, 200; Mehl, 1974, 166 mit Anm. 602; zu entsprechenden Bezeichnungen der Livia s. ann. 1,4,5; 4,57,3; 5,1,3. Diese relativ hufige Charakterisierung der Livia als impotens mag dazu beitragen daß sich der Leser auch an der hier verhandelten Stelle noch daran erinnern kann. 1242 Vgl. Keitel, 1977, 200 f.: „Tiberius and Nero both come to power with their mother’s aid (specifically, with the mother’s murder of their stepfather), yet neither can rule unhindered while his mother lives.“ 1243 Vgl. Mehl, 1974, 166. 1244 Vgl. Keitel, 1977, 200 mit Verweis auf das „leit-motif“ der spes dominationis zu Beginn des 12. Annalenbuches (s. ann. 12,8,2; vgl. 12,4,1; 12,7,3).
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Leben begeben.1245 Freilich dîrfte auch seine zweideutige Anspielung auf das Machtstreben der Kaiserin deutlich genug gewesen sein, um dem Kaiser eine letzte Warnung und Mahnung zu sein. Doch Claudius bleibt gegenîber seiner Gattin weiterhin blind, wie das nchste Kapitel eindrucksvoll unter Beweis stellt.
9.4 Ann. 12,58: Neros Vermhlung mit Octavia Den Bericht îber das Jahr 53 beginnt Tacitus mit einem Ereignis, das fîr Agrippina und Nero auf ihrem Weg zur Macht einen weiteren Schritt nach vorn darstellt: Der sechzehnjhrige Sohn der Kaiserin heiratet Octavia, die Tochter des Claudius, s. ann. 12,58,1: D. Iunio Q. Haterio consulibus sedecim annos natus Nero Octaviam Caesaris filiam in matrimonium accepit. Die Angabe des Tacitus ist trotz des wichtigen Anlasses nur sehr kurz.1246 So entsteht der Eindruck, als sei die Frage der Thronfolge bereits im Vorfeld der Hochzeit restlos geklrt worden. Denn daß Nero durch diese Eheverbindung endgîltig den Vorrang vor Britannicus errungen hat, steht vçllig außer Frage. Um dies noch zu verdeutlichen, hebt Tacitus die bestehenden Verhltnisse noch einmal eindringlich hervor, apostrophiert Octavia als Caesaris filia und nennt das jugendliche Alter des Brutigams, gerade so, als sei sich der Leser dieser Tatsachen nicht bewußt. Nicht zufllig hat der Historiker die Nachricht îber diese Hochzeit direkt an die Auseinandersetzung zwischen Agrippina und Narcissus (ann. 12,57,2) angefîgt. Im Zusammenhang mit der hierdurch erzielten Tragik im Geschehensablauf 1247 suggeriert diese enge Verfugung einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen, der die zuvor hervorgerufene Ansicht hinsichtlich der nimiae spes (s. o.) nur besttigen kann. Daß Narcissus mit seinen vorwurfsvollen Worten nur auf das Machtstreben der Agrippina anspielen konnte, 1245 Vgl. wenig spter ann. 12,65, wo Narcissus die Kaiserin lediglich im Kreis seiner engsten Vertrauten (inter proximos) offen kritisiert. 1246 Zu dieser Feststellung s. Seif, 1973, 226. Das fîr die weiteren Geschehnisse am Hof wichtige Ereignis wird durch seine Plazierung an den Anfang des Jahresberichtes besonders betont. 1247 Vgl. Koestermann ad ann. 12,58,1: „Die tragische Kunst des Tacitus erweist sich hier wieder in îberzeugender Weise: Den bitteren Vorwîrfen des Narcissus, die auf den Kern der Sache zielen, folgt im unmittelbaren Anschluß der neue Triumph der Agrippina, durch den die Nachfolge Neros endgîltig gesichert war“; vgl. Keitel, 1977, 201.
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scheint nun ganz offenkundig zu sein. Auf dieser sorgfltig vorbereiteten Grundlage kann Tacitus ein weiteres Mal die Blindheit und Naivitt des Claudius demonstrieren. Was fîr den Leser offensichtlich ist, das ist fîr den einfltigen Kaiser offenbar nicht zu erkennen. Claudius scheint die Anklagen des Narcissus gegen Agrippina nicht zu verstehen oder zumindest nicht als Warnung aufzufassen. Die mahnenden Worte des Freigelassenen verpuffen ohne jegliche Wirkung: Anstatt endlich die Augen zu çffnen und zu handeln, gibt der Princeps seine Tochter gerade dem Mann zur Frau, der ihn in seiner Stellung als Herrscher am meisten bedroht. Claudius besiegelt vçllig ahnungslos seinen eigenen Untergang.1248 Es scheint nur allzu konsequent zu sein, wenn Tacitus anschließend von dem persçnlichen Einsatz berichtet, den Nero plçtzlich fîr die Bewohner von Ilion an den Tag legt, s. ann. 12,58,1: utque studiis honestis <et> eloquentiae gloria enitesceret (sc. Nero), causa Iliensium suscepta Romanum Troia demissum et Iuliae stirpis auctorem Aeneam aliaque haud procul fabulis ve
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sichtlich bereits als kînftiger Herrscher profilieren und tritt entsprechend auf. Seine Bemerkungen îber die sagenhafte Abstammung der Rçmer von Troia und des julischen Geschlechtes von Aeneas sowie îber andere alte Sagenstoffe zielen mçglicherweise in kluger Berechnung darauf ab, das Wohlwollen des antiquarisch interessierten Claudius zu gewinnen.1250 Daß er mit seinen 16 Jahren bereits bedeutenden Einfluß auf die Regierungsgeschfte hat, belegen die nchsten Zeilen. Auf seine Fîrsprache hin wird außerdem der durch Feuer zerstçrten Kolonie Bononia eine Schenkung von 10 Millionen Sesterzen gewhrt und den Rhodiern die Freiheit wiedergegeben. Den Bewohnern der von einem Erdbeben heimgesuchten Stadt Apameia werden die Abgaben fîr fînf Jahre erlassen, s. ann. 12,58,2: eodem oratore Bononiensi coloniae igni haustae subventum centies sestertii largitione. redditur Rhodiis libertas, adempta saepe aut firmata, prout bellis externis meruerant aut domi seditione deliquerant; tributumque Apamensibus terrae motu convulsis in quinquennium remissum. Der gedrngte, telegrammartige Stil dieser Textpassage macht die vermeintliche Leichtigkeit sinnfllig, mit der Nero als junger Prinz bereits Entscheidungen herbeifîhren kann, die von grçßter Wichtigkeit sind und deshalb normalerweise allein dem Kaiser obliegen.1251 Jedoch kommt Claudius, der in diesen Zeilen îberhaupt keine Erwhnung findet und so îberhaupt keine ernste Rolle zu spielen scheint, allenfalls im Hintergrund zum Vorschein – und zwar als Instrument in der Hand des kînftigen Kaisers bzw. der Agrippina.1252 ‘unehrenhaften’ Verhalten des Claudius in ann. 12,59 absetzen mçchte (s. hierzu die noch folgenden Ausfîhrungen), seinen vollen Sinn. 1250 Vgl. Keitel, 1977, 201: „Nero’s reversion to the mythic antecedents of Rome is well calculated to appeal to Claudius’ learned interests“ – mit Verweis auf den Rîckbezug des Kaisers auf die ‘trojanische Zeit’ in ann. 11,14,2 und das anlßlich der Skularfeier veranstaltete Troiaspiel ann. 11,11,2. In der Formulierung Romanum Troia demissum hat Keitel (a.a.O. 227 Anm. 154) außerdem zu Recht eine sprachliche und inhaltliche Anlehnung an Verg. Aen. 1,288: Iulius, a magno demissum nomen Iulo festgestellt, vgl. Koestermann ad loc. Tacitus macht indes durch seinen Zusatz aliaque haud procul fabulis vetera kein Hehl aus seiner Geringschtzung solch mythischer Abstammungslegenden, insbesondere im Hinblick auf das julisch-claudische Geschlecht; vgl. Koestermann ad ann. 12,58,1 mit Verweis auf Paratore und Syme, 1958, 515; Mehl, 1974, 156 und Keitel (a.a.O. 201) fîhlen sich durch die Formulierung des Tacitus zustzlich an ann. 11,11,3 (‘Nero und die Schlangen’) erinnert. 1251 Vgl. hierzu die hnlich gelagerten Flle ann. 2,47,2; 4,13,1; 12,63,3, die Koestermann ad ann. 12,58,2 (tributumque Apamensibus …) anfîhrt. 1252 Aus dem Bericht des Sueton (Claud. 25,3) geht hervor, daß sich auch Claudius zum Immunittsbeschluß fîr die Einwohner von Ilion geußert hat; vgl.
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Von besonderer Bedeutung fîr die Analyse des folgenden Kapitels (ann. 12,59) ist die Tatsache, daß das Bemîhen Neros um die verschiedenen hier genannten Gemeinden und Kolonien einen durchaus positiven Effekt aufweist, indem der Prinz gerade dort zu helfen versucht, wo durch schlimme Naturkatastrophen (Feuer/Erdbeben) eine echte Notlage eingetreten ist. Im Rahmen des Engagements fîr die Rhodier wird ein solches positives Element aus der von Tacitus eigens hinzugefîgten Bemerkung deutlich, daß den Inselbewohnern die Freiheit ansonsten nur aufgrund besonderer Verdienste in auswrtigen Kriegen Roms gewhrt bzw. nach schweren Vergehen wieder genommen worden war. Da ein derartiges Verdienst an dieser Stelle aber weder genannt wird noch aus dem vergangenen Bericht des Historikers zu entnehmen ist, scheint die von Nero veranlaßte Maßnahme von besonderer Großzîgigkeit geleitet zu sein. Tacitus ruft diese Eindrîcke bewußt hervor, um sie im nchsten Kapitel als Kontrast zu vermeintlich strengen Handlungen des Claudius wirken zu lassen.1253
Koestermann ad ann. 12,58,1. Bezeichnenderweise fehlt in der Darstellung des Tacitus ein Hinweis auf eine entsprechende Rede des Kaisers, der deshalb als unbeteiligte Randfigur erscheint. Ein weiterer Vergleich mit der Darstellung des Biographen liefert ein chronologisches Problem: Nach Suet. Nero 7,2 hielt Nero sein Pldoyer fîr die Ilienses, Rhodii und Bononienses ausdrîcklich in einem Konsulatsjahr des Claudius, was nicht im Einklang mit der zeitlichen Einordnung des Ereignisses bei Tacitus steht. Dagegen fehlt bei Sueton das Eintreten des Prinzen fîr die Bewohner von Apameia. Koestermann ad ann. 12,58,2 hlt es daher fîr mçglich, „daß der Historiker alle Reden, die mçglicherweise auf verschiedene Jahre zu verteilen sind, hier vereinigt hat, um einen wirkungsvollen Hintergrund fîr den weiteren Aufstieg Neros zu gewinnen.“ øhnliches meint Keitel, 1977, 227 Anm. 152. Sollte die Vermutung Koestermanns richtig sein, so htte Tacitus also auch hier die Chronologie zugunsten eines von ihm gewînschten Effektes bewußt vernachlssigt. 1253 Seif, 1973, 227 weist darauf hin, daß von nun an nicht mehr Britannicus das zu vergleichende Gegenstîck zu Nero darstellt, sondern Claudius selbst: „Nach der berflîgelung des Stiefbruders tritt Nero jetzt neben Claudius – beide stellen Antrge im Senat – und hebt sich außerdem positiv von diesem ab“. So spitzt sich die Thematik rund um den zu erwartenden Machtwechsel am Kaiserhof weiter zu.
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9.5 Ann. 12,59: Die Intrige gegen Statilius Taurus Nach dem bemerkenswerten Auftritt des Nero wendet sich Tacitus wieder dem engeren Geschehen um Claudius zu. In seinem Bericht steht der Kaiser nunmehr ganz unter dem schdlichen Einfluß seiner Gattin, s. ann. 12,59,1: At Claudius saevissima quaeque promere adigebatur eiusdem Agrippinae artibus, quae Statilium Taurum opibus inlustrem hortis eius inhians pervertit accusante Tarquitio Prisco. Claudius, dessen Erscheinen durch ein scharfes at deutlich von dem vorhergehenden Bericht abgesetzt wird,1254 scheint ein weiteres Mal zu keiner selbstndigen Aktion fhig zu sein. Ohne erkennbaren eigenen Willen wird er getrieben (man beachte das Passiv adigebatur!), ist weiterhin die Marionette seiner Gattin, die nach dessen kurzer Erwhnung demnach folgerichtig in den Mittelpunkt der Darstellung rîckt.1255 Daß sie fîr den Historiker auch in dem vorangegangenen Kapitel – obwohl namentlich dort nicht erwhnt! – als treibende Kraft und Strippenzieherin im Rîcken Neros wirkte, wird aus dem Pronomen eiusdem (=‘ebenfalls’, ‘gleichfalls’) deutlich, mit dem 1254 Vgl. Seif, 1973, 227; Keitel, 1977, 201 f. und 227 Anm. 156, wo sie unter Verweis auf ann. 11,1,3 und 11,13,1 die Beobachtung macht: „At is used of Claudius in Books 11 and 12 when he is dangerously ignorant of the present situation and carries on heedlessly.“ 1255 Keitel, 1977, 202 spricht hier von einer „escalation of the hostility between husband and wife“ und nimmt Bezug auf ann. 12,42,3, wo Agrippina dem Kaiser durch Drohungen (minis) ihren Willen aufgezwungen hatte. Eine solche von Tacitus beabsichtigte Steigerung gegenîber der frîheren Stelle kann ich jedoch nicht feststellen. Es scheint mir zweifelhaft zu sein, ob der Historiker hier îberhaupt eine Entwicklung im Verhltnis zwischen Claudius und Agrippina zum Ausdruck bringen mçchte, da artibus adigere gegenîber minis mutare dann gerade einen merkwîrdigen Schritt zurîck in Richtung einer mehr subtilen als offenen Beeinflussung des Kaisers durch seine Gattin darstellen wîrde. Darîber hinaus meint Keitel a.a.O., daß in dem Verb adigere eine Reminiszenz an ann. 11,25,5: haud multo post flagitia uxoris noscere ac punire adactus, ut deinde ardesceret in nuptias incestas (sc. Claudius) zu erblicken sei, zieht aber außer der Bemerkung, daß in beiden Fllen der Kaiser das Subjekt eines passiven Verbums ist, aus ihrer Vermutung keine konkreten Schlußfolgerungen. Mçchte man eine aussagekrftige Stelle aus dem frîheren Bericht des Tacitus als Hintergrund fîr den Einfluß der Agrippina auf Claudius heranziehen, so bietet sich ann. 12,3,2 an: sed nihil arduum videbatur in animo principis, cui non iudicium, non odium erat nisi indita et iussa. Daß Claudius in ann. 12,59,1 durch seine Gattin dazu gebracht wird, seine ganze Grausamkeit an den Tag zu legen, scheint gewissermaßen ein nachtrglicher Beleg dafîr zu sein, daß der Princeps nur auf Geheiß zu Haßgefîhlen fhig war. Diese Stelle wird in hnlicher Weise dann auch von Keitel (a.a.O.) angefîhrt.
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Tacitus ihren Namen an dieser Stelle in aufflliger Weise versieht.1256 In gewohnter Skrupellosigkeit verstrickt sie nun den fîr seinen Reichtum berîhmten Statilius Taurus mithilfe des Tarquitius Priscus in eine Anklage, offenbar nur aus purer Gier nach dessen Grten. Aus genau demselben Grund hatte seinerzeit Messalina dem Valerius Asiaticus den Prozeß machen lassen. Tacitus hebt diese Parallele sprachlich unîbersehbar hervor (vgl. ann. 11,1,1: hortis inhians [sc. Messalina]).1257 So wird kein Zweifel daran gelassen, daß wie zuvor Valerius Asiaticus nun auch Statilius Taurus vçllig unschuldig einer Intrige der Kaisergattin zum Opfer fllt. Die Habgier als Motiv fîr die falsche Anklage sticht zudem in ironischer Weise von dem Vorwurf der Habsucht ab, den Agrippina wenige Kapitel zuvor gegen Narcissus erhoben hat. Noch bevor ihr eigentlicher Gegenstand zur Sprache gebracht wird, ist die gesamte Anklage fîr den Leser somit deutlich als ein schamloses Konstrukt aus Lîgen und falschen Anschuldigungen enttarnt. Doch auch die eigentlichen Vorwîrfe gegen Statilius Taurus erscheinen in ihrer Allgemeinheit vçllig unglaubwîrdig und fingiert zu sein, s. ann. 12,59,1: legatus is (sc. Priscus) Tauri Africam imperio proconsulari regentis, postquam revenerant, pauca repetundarum crimina, ceterum magicas superstitiones obiectabat. Der Angeklagte sollte sich also weniger Erpressungsdelikte und darîber hinaus noch aberglubischer Zauberei schuldig gemacht haben. Indem Tacitus gleich zwei vermeintliche Vergehen benennt, von denen das erste jedoch ausdrîcklich durch den Zusatz pauca als geringfîgig gekennzeichnet wird, entsteht der Eindruck, als habe eben dieser erste Anklagepunkt nicht fîr eine Verurteilung im Sinne der Anklger ausgereicht, weshalb diese nun ein zweites Vergehen hinzuerfunden htten, das so wenig konkret und kaum îberprîfbar gewesen ist, daß der Beweis des Gegenteils kaum mçglich erschien. In diesem Licht betrachtet wirken nun wiederum auch die vorgebrachten pauca repetundarum crimina als zu typisch fîr eine Anklage gegen einen ehemaligen Statthalter, als daß sie fîr den Leser glaubwîrdig sein kçnnten. Die etwas îberraschende Hervorhebung des imperium proconsulare des Taurus1258 hat ihren tieferen Sinn sicherlich in dem Gewicht, welches der Autoritt des Angeklagten 1256 Vgl. Seif, 1973, 228 (mit Verweis auf KSt I 627 zum Gebrauch von idem); Keitel, 1977, 201; Koestermann ad loc. 1257 Vgl. Koestermann ad loc.; Seif, 1973, 228; Keitel, 1977, 202 f; Mehl, 1974, 158; Devillers, 1994, 157. 1258 So urteilt Koestermann ad loc. mit dem Hinweis, daß das imperium proconsulare das fîr Afrika „normale Kommando“ war.
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hierdurch verliehen wird.1259 Wenn Tacitus anschließend mit deutlichen Worten von einer falschen Anklage und der Erniedrigung spricht, welche Taurus schließlich noch vor dem Urteil des Senats zum Selbstmord getrieben htten, so spricht er nun lediglich das aus, was der Leser bereits lngst unterbewußt gedacht hat. Somit kann der Historiker eine subjektive Stellungnahme abgeben und trotzdem dem Ruf der Parteilichkeit entgehen, s. ann. 12,59,2: nec ille (sc. Taurus) diutius falsum accusatorem, indigna<s> sordes perpessus vim vitae suae attulit ante sententiam senatus. Daß der Selbstmord des Angeklagten, der im îbrigen eine weitere Parallele zum Prozeß gegen Asiaticus darstellt, nun nicht als Eingestndnis seiner eventuellen Schuld gedeutet wird, sondern im Gegenteil das sorgfltig gemalte Bild einer gemeinen und widerwrtigen Verleumdung gegen einen unschuldigen und ehrbaren Mann um so mehr verschrft, liegt auf der Hand.1260 Fîr den Leser klingt die Darstellung des Tacitus, wonach Statilius Taurus sich das Leben nahm, weil er die gegen ihn gesponnene Intrige nicht mehr lnger ertrug, nur allzu einleuchtend. Die das Kapitel abschließende Notiz, daß die Senatoren aus Haß gegen den Denunzianten es entgegen den Machenschaften Agrippinas dennoch1261 durchsetzen konnten, Tarquitius aus dem Senat zu stoßen, s. ann. 12,59,2: Tarquitius tamen curia exactus est, quod patres odio delatoris contra ambitum Agrippinae pervicere, rundet den gewonnenen Eindruck wirkungsvoll ab, indem auch hier die Unrechtmßigkeit der Anklage gegen Taurus durch die ablehnende Haltung der Senatoren gegenîber dem Anklger deutlich wird. Darîber hinaus lßt sie den Tod des Angeklagten besonders tragisch erscheinen, darf doch aus dem Verhalten der patres geschlossen werden, daß sie die intrigante Verleumdung durchschauten und demgemß eine Verurteilung des Taurus nicht ohne weiteres beschlossen htten. Daß Claudius hingegen den Prozeß îberhaupt zugelassen hat, kann nur als ein weiteres Zeichen seiner absoluten Blindheit gegenîber den Machenschaften seiner Gattin gewertet werden.1262 Indem er der Anklage nicht bereits im Vorfeld entgegenwirkte, trifft ihn in den Augen des Lesers eine erhebliche Mitschuld am tragi1259 Mit ganz hnlicher Zielsetzung hatte Tacitus in ann. 11,1,1 den zweimaligen Konsulat des Asiaticus besonders betont. 1260 Man beachte hierbei insbesondere die von Scramuzza (zitiert bei Seif, 1973, 228 Anm. 49) aufgrund archologischer Zeugnisse in Erwgung gezogene Mçglichkeit, daß die gegen Taurus erhobenen Vorwîrfe sogar berechtigt waren. 1261 Das folgende tamen erklrt sich aus dem Selbstmord des Taurus, der eben nicht als Schuldeingestndis gewertet wurde; vgl. Koestermann ad loc. 1262 Vgl. Seif, 1973, 228.
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schen Ende des Statilius Taurus. Der einleitende Satz, wonach Claudius durch die Rnke seiner Gattin seine ganzen Grausamkeit offenbarte, findet somit seine indirekte Besttigung; die zum Vorschein kommenden saevissima quaeque zielen demnach auf die Unttigkeit des Kaisers oder – prziser formuliert – auf dessen lenkbaren Charakter. Er ist nicht kraft eigener Natur grausam, sondern lßt sich erst durch das Wirken seiner Gattin dazu verleiten. Auch in dieser Hinsicht besteht eine Parallele zu dem Prozeß gegen Valerius Asiaticus.1263 Agrippina ist offenbar die einzige, die aus der Intrige ungestraft und gestrkt hervorgeht. Sie hat mit einem weiteren Vorhaben auf verbrecherische und skrupellose Weise Erfolg. Daß sie auch ihr hçchstes Ziel, den Thronwechsel zugunsten ihres Sohnes, mit ganz hnlichen Mitteln erreichen wird, mag sich hierin fîr den Leser bereits andeuten. Durch die genannten Parallelen zum Asiaticus-Prozeß und die dadurch gewissermaßen hergestellte Gleichsetzung Agrippinas mit Messalina macht Tacitus jedoch auch darauf aufmerksam, daß die Macht der Kaiserin nicht von unbegrenzter Dauer sein wird. Wie Messalina ihren schdlichen Einfluß schließlich eingebîßt und mit ihrem Leben bezahlt hat, so wird auch Agrippina nach dem Tod des Claudius in zunehmenden Maße ihre machtvolle Position verlieren und im Kampf mit Nero um die Vorrangstellung im Staat letzten Endes untergehen.1264
9.6 Ann. 12,60 f.: Claudius îbertrgt den kaiserlichen Prokuratoren richterliche Befugnisse und beantragt Steuerfreiheit fîr die Insel Kos In den Kapiteln 60 und 61 des zwçlften Annalenbuches geht Tacitus auf zwei dem Senat vorgelegte Antrge des Claudius ein: Der erste îbertrgt den kaiserlichen Prokuratoren richterliche Befugnisse, der zweite gewhrt den Bewohnern der Insel Kos Steuerfreiheit. Obwohl beide Antrge fîr den Kaiser sicherlich nicht unpopulr waren, wirken sie durch die Darstellungsweise des Historikers wie ein negativer Kontrast zu den vorher genannten Antrgen des Nero, wie insbesondere Seif im einzelnen herausgearbeitet hat.1265 Behalten wir die Reihenfolge des taciteischen Berichtes bei und betrachten zunchst den ersten Antrag des Claudius 1263 Vgl. Mehl, 1974, 157 f.; Keitel, 1977, 202 f. 1264 Vgl. Keitel, 1977, 203. 1265 Vgl. Seif, 1973, 229 – 235.
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hinsichtlich der kaiserlichen Prokuratoren (ann.12,60), wobei ein kurzer Abriß des Inhalts zunchst genîgen kann. Nachdem Tacitus das Anliegen des Kaisers dargelegt und die ausfîhrliche Behandlung des Gegenstandes im Senat kurz notiert hat (ann. 12,60,1), streut er einen historischen Rîckblick ein, der die schrittweise erfolgte Ausweitung der richterlichen Kompetenzen auf die Bediensteten des Kaisers verfolgt und dabei zunchst auf die Verordnung des Augustus Bezug nimmt, wonach in øgypten die richterlichen Entscheidungen des Praefekten die gleiche Geltung fîr sich in Anspruch nehmen konnten, als seien sie von Beamten in Rom getroffen worden. Dann seien den Prokuratoren auch in anderen Provinzen und in Rom sehr viele Flle îbertragen worden, mit denen sich in frîherer Zeit noch Prtoren beschftigt htten. Schließlich habe Claudius ihnen die gesamte Gerichtsbarkeit îbertragen. Diese letzte Bemerkung nimmt Tacitus zum Anlaß, um einen „etwas konfusen Diskurs îber die Geschichte des Ritterstandes“1266 und dessen Rolle im Gerichtswesen einzufîgen, der zeitlich gesehen bei den Reformen der Gracchen beginnt und u. a. îber Marius, Sulla und Caesar hinweg bis in die frîhe Kaiserzeit reicht.1267 Diese Rîckblende ist insgesamt von einer starken Vereinfachung und Verkîrzung des Sachverhalts geprgt.1268 Tacitus wirft hier erwiesenermaßen nicht nur historische Fakten durcheinander, sondern îbertreibt auch maßlos, insbesondere bei seiner Behauptung, daß der Grund fîr die schweren Auseinandersetzungen zwischen Marius und Sulla die Besetzung der Gerichtshçfe gewesen sei (ann. 12,60,3).1269 Die von Syme geußerte Vermutung, daß Tacitus derlei Ungenauigkeiten mçglicherweise aufgrund einer mangelnden 1266 Wille, 1983, 519; vgl. Koestermann ad ann. 12,60,3. 1267 Es ist unwahrscheinlich, daß Tacitus diesen historischen Exkurs, îber dessen Einzelheiten im folgenden noch zu sprechen sein wird, aus der betreffenden Rede des Claudius îbernommen hat. Diese von Syme, 1958, 705 und E. Hahn: Die Exkurse in den Annalen des Tacitus, Diss. Mînchen 1933, 48 vertretene Ansicht ist von Koestermann ad ann. 12,60,3 zu Recht zurîckgewiesen worden: „Man versteht nicht, welche Grînde der Kaiser gehabt haben sollte, diese Vorgnge breit auszuwalzen, an die die Erinnerung doch seinen eigenem Vorhaben wenig dienlich sein konnte“; vgl. Keitel, 1977, 204: „It seems unlikely, given the partisan tone and bitter conclusion, that this digression comes from a speech of Claudius“; 228 Anm. 161. 1268 Diese Vereinfachung geht dabei so weit, daß Nipperdey in ann. 12,60,3 (nach iudicia redderent) eine (kurze) berlieferungslîcke ansetzen mçchte, obwohl die Handschriften hierfîr keinerlei Indiz bieten. 1269 Vgl. Koestermann ad ann. 12,60,3; Seif, 1973, 231 f. (232 Anm. 52 mit weiterfîhrender Literatur).
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Kenntnis des ersten vorchristlichen Jahrhunderts bietet, ist bereits von Koestermann mit einem leichten Zweifel îberzogen worden.1270 Es spricht im Gegenteil einiges dafîr, daß unser Historiker, wie Seif annimmt, mit Blick auf seine Darstellungsabsicht die starke Vereinfachung der historischen Fakten ganz bewußt vollzogen hat, îberhçht er doch hierdurch die Bedeutung der richterlichen Befugnisse fîr die einzelnen sozialen Gruppierungen und den Gang der Geschichte îberhaupt. So lßt er der Maßnahme des Claudius eine Brisanz zukommen, die sie in Wirklichkeit gar nicht hatte, und tuscht den Leser so îber die tatschlich gegebene (geringe) Tragweite der kaiserlichen Entscheidung hinweg.1271 Tacitus mçchte unbedingt den Eindruck erwecken, daß Claudius den Prokuratoren îberaus wichtige, staatstragende Vollmachten îbertrug, um auf dieser Grundlage den Schritt des Kaisers um so schwerwiegender und um so verheerender erscheinen zu lassen. Denn sein Bericht lßt unzweifelhaft durchblicken, daß der Princeps eine schwere Fehlentscheidung getroffen hat. Nachdem zunchst nur von den Interessen der im Staatsgefîge widerstreitenden Stnde der Ritter und Senatoren die Rede war (ann. 12,60,3), konzentriert sich die Darstellung des Tacitus rasch auf einzelne Personen des Ritterstandes, welche durch die bertragung weitreichender Befugnisse in einflußreiche Positionen gelangt waren. Dieser Wechsel in der Perspektive wird im Text deutlich markiert, s. ann. 12,60,4: sed tunc ordinum diversa studia, et quae vicerant publice valebant. C. Oppius et Cornelius Balbus primi Caesaris opibus potuere condiciones pacis et arbitria belli tractare. 1272 Beachtet man die von Tacitus gesetzten Betonungen genau, so drngt sich folgendes Verstndnis auf: Nachdem die Stnde damals im Ringen um die widerstreitenden Interessen staatsbildend wirkten und somit allgemeingîltige Rechtsverhltnisse schufen (quae publice valebant), fîhrte die zunehmende Abgabe weitreichender Befugnisse an bestimmte Personengruppen unter Caesar zu einer gefhrlichen Anhufung politischer Macht in den Hnden Einzelner, die nun unter vçlliger Mißachtung des çffentlichen Gemeinwohles eben auch ihre ganz persçnlichen und privaten Interessen 1270 S. Syme, 1958, 378; vgl. Koestermann ad ann. 12,60,3 zur Ansicht Symes: „Eine Feststellung, die richtig sein mag, aber auf den Historiker Tacitus kein gînstiges Licht wirft.“ 1271 Vgl. Seif, 1973, 232. 1272 Vgl. Keitel, 1977, 204. Der Blickwinkel auf die Vergangenheit ndert sich dabei so sehr, daß Seif, 1973, 233 sogar von einem „zweiten Gang des Exkurses“ spricht.
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durchsetzen konnten.1273 Dieser Eindruck wird nicht zuletzt durch die Wortwahl des Tacitus erzeugt: Der Begriff opes bringt die ungeheure Machtfîlle zum Ausdruck, îber die Caesar als Politiker verfîgte, und durch die Mnner wie Oppius und Balbus nach eigenem Gutdînken îber so bedeutende Dinge wie Krieg und Frieden entscheiden konnten.1274 Die ihnen zugeordneten arbitria tragen als Ausdruck deutlich den Beigeschmack von Willkîr und ungebundener Willensentscheidung in sich, und dies in Fragen, die den Staat in seiner gesamten Existenz betreffen. Durch diese Gegenîberstellung der lteren und neueren Verhltnisse soll dem Leser unmißverstndlich klar gemacht werden, daß die hierbei umrissene Gesamtentwicklung dem Wohl der Allgemeinheit immer mehr zuwiderlief. Diese negative Tendenz des taciteischen Berichtes verschrft sich zunehmend, wenn dann mit der Nennung von Mnnern wie Matius und Vedius auch zu berîhmten Beispielen aus der Regierungszeit des Augustus gegriffen wird (ann. 12,60,4 s. u.), hatte sich doch gerade der hier erwhnte Vedius Pollio durch seine allgemein bekannten Ausschweifungen und seine menschenverachtende Grausamkeit gegenîber seinen Sklaven ußerst zweifelhaften Ruhm erworben.1275 Die Namen erscheinen dabei im Plural (Matios bzw. Vedios; s. u.), wodurch der Eindruck entsteht, als seien derlei unerfreuliche Gestalten unter den Prokuratoren keineswegs eine Ausnahme gewesen.1276 In dem nun ausgebreiteten historischen Zusammenhang erscheint die Maßnahme des Claudius als unrîhmlicher Hçhepunkt der verderblichen Entwicklung.1277 Tacitus hebt dies am Ende noch einmal eindringlich hervor, s. ann. 12,60,4: Matios posthac et Vedios et cetera equitum Romanorum praevalida nomina referre nihil attinuerit, cum Claudius libertos, quos rei familiari praefecerat, sibique et legibus adaequaverit. Die abschließenden Worte des cum-Nebensatzes sind durch ihr Polysyndeton besonders be1273 Vgl. Seif, 1973, 233 f.; Nipperdey und Koestermann ad ann. 12,60,4. 1274 Vgl. G&G s. v. opes; 1031B zu unserer Stelle: i. q. a Caes., penes quem omnium rerum arbitrium erat, habuere potestatem. 1275 Zu Vedius Pollio vgl. ann. 1,10,5 mit den Kommentaren insbesondere Nipperdeys und Koestermanns. 1276 Zu dieser Technik vgl. ann. 1,10,4: Lollianas Varianasque clades, interfectos Romae Varrones Egnatios Iullos sowie ann. 11,30,2 (Narcissus offenbart Claudius die Liebschaften der Messalina): is (sc. Narcissus) veniam in praeteritum petens, quod Titios, Vettios, Plautios di<ssi>mulavisset … 1277 Vgl. Seif, 1973, 233.
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tont.1278 Nachdem Claudius sogar solche Freigelassene, die eigentlich nur fîr die Verwaltung des kaiserlichen Privatbesitzes zustndig waren,1279 sich und den Gesetzen gleichgestellt hatte,1280 war die Nennung weiterer berîhmter Namen aus dem Ritterstand im Grunde îberflîssig und belanglos geworden. Damit ist îber die Personalpolitik des Claudius ein vernichtendes Urteil gefllt, dem sich der Leser kaum zu entziehen vermag. Daß aus diesen abflligen Worten ein weiteres Mal auch die Unselbstndigkeit des Kaisers deutlich hervorschimmert, der infolge seiner entscheidungsschwachen Persçnlichkeit seine richterlichen Befugnisse selbst einer Schar ganz gewçhnlicher liberti îbertrgt, ist allzu offensichtlich.1281 Bereits die spçttischen Worte, mit denen Tacitus zu Beginn 1278 Vgl. Koestermann ad loc.; Keitel, 1977, 205. 1279 Diese Eingrenzung hinsichtlich der liberti geht aus der Formulierung quos rei familiari praefecerat eindeutig hervor. Gedacht ist hier also nicht – wie Koestermann ad loc. annimmt – an die mchtigen Sekretre des Kaisers, Pallas, Narcissus und Callistus, sondern an gewçhnliche Freigelassene, die nun durch die Entgegennahme richterlicher Befugnisse einen erheblichen Machtzuwachs verzeichnen konnten, wie Seif, 1973, 234 f. îberzeugend darlegt. Diese Sichtweise lßt sich zudem durch den Hinweis stîtzen, daß die Kritik des Tacitus gerade auch aus dem Kontrast zwischen den praevalida nomina und den fast unbedeutenden liberti, die nun zu mchtigen Prokuratoren aufsteigen, ihre volle Wucht bezieht, vgl. Keitel, 1977, 204 f. 1280 Auch hier îbertreibt der Historiker, um die Entscheidung des Kaisers in Mißkredit zu bringen. Claudius hatte den Prokuratoren lediglich die Rechtsprechung innerhalb der kaiserlichen Besitzungen îbertragen, s. Seif, 1973, 235 mit weiterfîhrender Literatur. 1281 Insofern scheint mir Seif, 1973, 230 zu irren, wenn er in Bezug auf ann. 12,60 die Meinung vertritt, daß „dieses Mal nicht eine Schwche der Persçnlichkeit des Claudius angeprangert, sondern der Inhalt seines Antrages kritisiert“ werde. Keitel, 1977, 205 meint in dem Verb adaequare eine Reminiszenz an ann. 12,11,1 zu erblicken, wo Claudius sich mit Augustus auf eine Stufe stellt (seque divo Augusto adaequabat [sc. Claudius]), und zieht aus ihrer Vermutung den Schluß: „The present instance provides an ironic contrast: far from making himself the equal of Augustus, Claudius has put himself upon a level with mere freedmen, and this is the actual situation behind the rhetorical facade.“ Eine gewisse Stîtze findet dieser Gedanke in dem Umstand, daß nach Ausweis des Lexicon Taciteum (G&G 29) die beiden betreffenden Stellen die einzigen sind, in denen Tacitus das Verb adaequo im Sinne von parem facio gebraucht. Aufgrund des relativ großen Abstandes zwischen den beiden Passagen (rund 50 Kapitel), mçchte man vielleicht trotzdem etwas zçgern, hier eine von Tacitus absichtlich hergestellte Parallele zu vermuten, die von einem einzigen Wort abhinge. Sollte Tacitus in ann.12,60 tatschlich einen ironischen Kontrast zu Augustus beabsichtigt haben, so kçnnte er ihn allenfalls durch den Bezug auf dessen øgyptenpolitik wenige Stze zuvor hergestellt haben; vgl. Devillers, 1994, 167;
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des Kapitels den Antrag des Claudius kommentiert (s. ann. 12,60,1: ac ne fortuito prolapsus videretur [sc. Claudius], senatus quoque consulto cautum plenius quam antea et uberius) enthalten deutliche Kritik an der Person des Kaisers, heben sie doch in sarkastischer Form auf dessen wankelmîtiges Wesen ab. Keitel hat durch einen Vergleich mit Sueton herausarbeiten kçnnen, daß Tacitus die positiven Maßnahmen, die Claudius fîr den Ritterstand und die Rechte der rçmischen Bîrger ergriffen hat und von denen der Biograph in seiner Claudiusvita (Kap. 25) berichtet, mit Stillschweigen îbergangen hat.1282 Man kann dabei kaum einwenden, daß die bei Sueton geschilderten Verordnungen des Kaisers nichts oder nur wenig mit der in Kapitel ann. 12,60 behandelten Thematik zu tun htten, betreffen sie doch u. a. nicht nur die Neuregelung der militrischen Laufbahn rçmischer Ritter oder die Bestrafung solcher Personen, die sich widerrechtlich das rçmische Bîrgerrecht anmaßten (Claud. 25,1,3), sondern auch die Einziehung des Vermçgens von Freigelassenen, die sich wie rçmische Ritter auffîhrten. Freigelassene, die sich undankbar zeigten und îber die sich ihre Patrone beklagten, sollten nach dem Willen des Princeps wieder in den Sklavenstand hinabsinken.1283 Gerade die beiden zuletzt genannten Punkte wren fîr die in ann. 12,60 verfolgte Thematik, die ja letzten Endes um den weiteren Aufstieg der Freigelassenen unter Claudius kreist, besonders aufschlußreich gewesen und htten deshalb bei objektiver Betrachtungsweise des Gegenstandes unbedingt auch Eingang in den taciteischen Bericht finden mîssen. Man wird wohl kaum mit der Mçglichkeit rechnen mîssen, daß Tacitus all diese Fakten nicht kannte. Er wollte die Maßnahme des Claudius bewußt ins Negative verzerren und hat deshalb alles ausgeblendet, was der Kaiser in gleichen inhaltlichen Zusammenhngen an positiven Dingen geleistet hat. Im nchsten Kapitel behandelt Tacitus dann den zweiten Antrag des Kaisers, wonach den Einwohnern der Insel Kos Abgabenfreiheit gewhrt werden sollte, s. ann. 12,61,1: Rettulit dein de immunitate Cois tribuenda, multaque super antiquitate eorum memoravit: Argivos vel C
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singulorum referens et quibus quisque aetatibus viguissent. quin etiam dixit Xenophontem, cuius scientia ipse uteretur, eadem familia ortum, precibusque eius dandum, ut omni tributo vacui in posterum Coi sacram et tantum dei ministram insulam colerent. Der Inhalt dieser Stze erinnert den Leser auffallend an das Engagement Neros fîr die Einwohner Ilions wenige Kapitel zuvor. Denn der Kaiser berîhrt in seinem Antrag nicht nur dieselbe Thematik wie Nero (Abgabenfreiheit fîr gewisse Reichsteile), sondern greift dabei auch – ebenfalls wie sein Adoptivsohn – weit zurîck in die sagenhaft-mythische Vergangenheit.1284 Doch whrend Tacitus in ann. 12,58,1 Neros Exkurs in die sagenumwobene Frîhzeit relativ kurz abgetan hatte, indem er den Prinzen lediglich die Ursprungssage der Rçmer als einzigen konkreten Gegenstand vorbringen ließ, um dann mit dem Hinweis aliaque haud procul fabulis vetera facunde exsecutus dessen Erçrterungen gewissermaßen abzukîrzen, lßt er nun den Kaiser in voller Breite mythische Einzelheiten îber die Insel Kos wiedergeben. Hatte Nero mit der Aeneas-Sage noch einen allgemein bekannten und weithin akzeptierten Topos innerhalb der rçmischen Frîhgeschichte berîhrt, sind die sogar mit einer Variante (Argivos vel Coum) versehenen Ausfîhrungen des Claudius îber die ersten Bewohner der Insel, îber øskulap und dessen Nachkommen, deren einzelne Namen er nicht nur kund tut, sondern auch zeitlich genau einzuordnen weiß, getragen von einer eitlen und exklusiven Gelehrsamkeit,1285 deren Sinn nur in der Befriedigung der verschrobenen Bedîrfnisse des Kaisers zu liegen scheint, und die in der vçllig albern anmutenden Erklrung gipfeln, daß auch der kaiserliche Leibarzt Xenophon ein Nachfahre des berîhmten Heilgottes sei. Tacitus hat der Ungeheuerlichkeit einer solchen Behauptung durch deren Anschluß mit quin etiam besonderen Nachdruck verliehen. Die ungewçhnliche Stellung der Partizipialkonstruktion nomina singulorum referens hingegen, die mitten in der indirekten Rede auf das weit zurîckliegende memoravit zurîckzubeziehen ist und das durch den Plural des Verbs ebenfalls auffllige Kolon quibus quisque aetatibus viguissent 1284 Vgl. Seif, 1973, 229. Ein weiterer, rein formaler Vergleichspunkt liegt in der von Tacitus jeweils gewhlten Darstellungsart. Beide Antrge werden wie eine Art Zusammenfassung in indirekter Rede vorgetragen; vgl Syme, 1958, 295. Die Frage, ob Tacitus auf die Originalrede des Claudius zurîckgegriffen hat, wie Syme, 1958, 704 vermutet, kann an dieser Stelle vernachlssigt werden. 1285 „Die Legende vom persçnlichen Erscheinen des Gottes in Kos begegnet nur hier. Anscheinend hat Claudius wieder einmal eine entlegene Version herangeholt […]. Nach aller sonstigen Tradition wurde der Gottesdienst aus Epidauros eingefîhrt“, so Koestermann ad ann. 12,61,1; vgl. Keitel, 1977, 205.
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(constructio ad sensum!) nach sich zieht,1286 lenkt dabei auf grammatischer Ebene das Augenmerk genau auf die geradezu lcherliche Pedanterie in den Worten des Kaisers. Im Vergleich zu Nero wirkt das Auftreten des Claudius nicht nur vçllig unseriçs, sondern auch peinlich belehrend, insgesamt grotesk. Sein Rîckgriff auf die mythische Vergangenheit scheint in keinem Verhltnis mehr zu dem eigentlichen Anlaß seiner Rede zu stehen. Hat der Leser in dem Kommentar des Tacitus zu den øußerungen Neros ‘aliaque haud procul fabulis vetera’ die leise Kritik des Historikers an solch mrchenhaften Erzhlungen vernommen (s. o. Anm. 1250), so weiß er nun die ungleich geschwolleneren Worte des Claudius ‘richtig’ zu deuten. Daß der Kaiser auch ganz anders, ja sehr viel sinnvoller htte argumentieren kçnnen, geht schließlich aus der sarkastischen Schlußbemerkung des Tacitus hervor, durch die zustzlich der Verdacht genhrt wird, daß das Eintreten des Kaisers fîr die Belange der Coi trotz vieler ihrer Verdienste um das rçmische Volk aus rein persçnlichen Motiven erfolgt sei, s. ann. 12,61,2: neque dubium habetur multa eorundem (sc. Coorum) in populum Romanum merita sociasque victorias potuisse tradi: sed Claudius, facilitate solita quod uni concesserat, nullis extrinsecus adiumentis velavit. Die das Kapitel abschließende Bemerkung des Tacitus, wonach Claudius das, was er in seiner gewohnten facilitas einem einzelnen zugestanden hatte, nicht durch von außen herbeigeholte Grînde verschleierte,1287 gewinnt vor allem vor dem Hintergrund der zuvor wiedergegebenen Worte des Kaisers (s. o.: precibusque eius [sc. Xenophontis] dandum, ut omni tributo vacui in posterum Coi sacram et tantum dei ministram insulam colerent) ihre volle berzeugungskraft und rundet somit die Vorstellung, daß Claudius den Antrag auf Steuerfreiheit fîr die Einwohner von Kos nur seinem Leibarzt zuliebe stellte, wirkungsvoll ab. Sie lßt die Steuerpolitik des Claudius als vçllig willkîrlich erscheinen. Es drngt sich sogar fast der Eindruck auf, als bekomme der Leser in der Person des Xenophon nun auch den Grund fîr den abstrusen und ausschweifenden Exkurs des Claudius îber die mythische Vergangenheit der Insel Kos nachgereicht.1288 Im Gegensatz 1286 Vgl. hierzu Koestermann, Nipperdey und Furneaux ad loc. 1287 Mehl, 1974, 154 f. weist zu Recht darauf hin, daß der Kaiser an dieser Stelle „mit seiner Aufrichtigkeit aus dem Tyrannenschema“ fllt: „Tiberius, Caligula, Nero, schon Augustus und auch die domina Agrippina, sie alle arbeiteten mit Vorwnden, mit falschem Schein – nur der ‘Trottel’ Claudius nicht.“ (a.a.O. mit Belegstellen, weiteren Bemerkungen und Literaturangaben in Anm. 511). 1288 Vgl. Keitel, 1977, 205: „After a pedantic history of the Asclepiads (12,61,1), he [Claudius] reveals his real motives for the request: Xenophon, his physician and a
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dazu ist die von Nero beantragte Steuerbefreiung fîr die Ilienses zwar nicht gerade nach sehr viel seriçseren Gesichtspunkten, aber doch auf der Grundlage der im Staat und Volk allgemein anerkannten und fest verankerten Ursprungssage der Rçmer in die Wege geleitet worden. Ferner sei darauf hingewiesen, daß der Erfolg des kaiserlichen Antrages in ann. 12,61 vçllig offen bleibt. Whrend das Engagement Neros von mehreren konkret genannten Senatsbeschlîssen begleitet wird (s. ann. 12,58,1 – 2: … perpetrat [sc. Nero], ut Ilienses omni publico munere solverentur. eodem oratore Bononiensi coloniae … subventum centies sestertii largitione. redditur Rhodiis libertas …; tributumque Apamensibus … in quinquennium remissum), bleibt die Reaktion der Senatoren auf die Bitte des Claudius gnzlich unerwhnt. So mag allein Neros Auftritt im Senat dem Leser als wirklich erfolgreich und wichtig erscheinen. Neben der deutlichen Kritik am Regierungsstil des Claudius ist es natîrlich besonders pikant, daß der Kaiser sich an dieser Stelle ausgerechnet fîr den Mann stark macht, der wenige Kapitel spter an seiner Ermordung maßgeblichen Anteil haben wird (s. ann. 12,67,2). Die feine Ironie, die insbesondere in der Meinung des Kaisers liegt, daß er die Kînste des Xenophon, die ihn spter tçten werden, zu seinem Nutzen gebrauche (cuius [sc. Xenophontis] scientia ipse uteretur), kann sich dem Leser freilich erst im Rîckblick erçffnen.1289 Darîber hinaus darf die von Tacitus an den Pranger gestellte ‘facilitas’ des Kaisers eine gewisse Signalwirkung fîr sich in Anspruch nehmen. In dem erhaltenen Teil der Annalen findet sich der hier gewhlte Ausdruck insgesamt zweimal auf Claudius bezogen: Neben der hier verhandelten Stelle ist er in ann. 11,28,2 gebraucht, wo die Freigelassenen angesichts des von Silius und Messalina geplanten Putsches ihre Hoffnung gerade auf die facilitas imperatoris setzen. Konnte der Kaiser damals durch das Eingreifen des Narcissus noch gerettet werden, so steht er nun kurz vor seinem Ende. Damit sind in der politischen Laufbahn des Claudius zwei ganz entscheidende Ereignisse mit dessen Lenkbarkeit unmittelbar verknîpft, wodurch îberdeutlich zum Ausdruck gebracht wird, welch große Bedeutung dem leicht beeinflußbaren Wesen des Kaisers zukam.1290
Coan, had asked this favor from him (12,62,2)“; 206; Koestermann ad ann. 12,61,2. 1289 Vgl. Koestermann ad ann. 12,61,2; Seif, 1973, 229 f.; Keitel, 1977, 206; Mehl, 1974, 154; Syme, 1958, 515 mit Anm. 4. 1290 Vgl. Mehl, 1974, 155 f.; Keitel, 1977, 206.
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9.7 Ann. 12,62/63: Abgabenfreiheit fîr Byzanz Nach dem Bericht îber die von Claudius beantragte Steuerbefreiung fîr die Insel Kos wird die îbergeordnete ‘Abgaben-Thematik’ beibehalten, indem nun der Fall der Byzantii behandelt wird. Auch diese bitten vor dem rçmischen Senat um Steuererlaß. Ihre von Tacitus ebenfalls in indirekter Rede wiedergegebene Argumentation steht dabei in bewußtem Gegensatz zu den Ausfîhrungen des Kaisers im Kapitel zuvor. Entsprechend wird ihr Erscheinen durch ein scharfes at eingeleitet, s. ann. 12,62,1: At Byzantii data dicendi copia, cum magnitudinem onerum apud senatum deprecarentur, cuncta repetivere. 1291 Um ihre Bitte durchzusetzen, berufen sich die Byzantiner im weiteren Bericht auf ihre gesamte Vergangenheit, erinnern an alte Bîndnisse mit Rom, an ihre Unterstîtzung gegen Antiochos, Perseus, Aristonicus und die Piraten, an Angebote, die sie Sulla, Lucullus und Pompeius gemacht htten, und schließlich an jîngste Verdienste um die Caesaren. Damit fîhren sie in aller Ausfîhrlichkeit genau solche Dinge ins Feld, die Claudius ohne weiteres auch fîr die Koer htte anfîhren kçnnen, wre er nicht seiner facilitas erlegen. Der Vortrag der Byzantiner wirkt demnach wie eine positive Kontrastfolie, vor deren Hintergrund noch einmal in aller Schrfe deutlich wird, wie ungeschickt der Kaiser in ann. 12,61 argumentiert hat.1292 Zwar wird der Princeps am Ende von ann. 12,63 den Antrag der Byzantiner unterstîtzen und dabei ebenfalls auf deren jîngste Vergangenheit verweisen (s. ann. 12,63,3: post magnitudine onerum urgente finem aut modum orabant (sc. Byzantii), adnitente principe, qui Thraecio Bosporanoque bello recens fessos iuvandosque rettulit). Doch wird dies erst ganz am Ende nach einem eingeschobenen Exkurs îber Byzanz (ann. 12,63,1 – 2) kurz notiert, so daß die zuvor erfolgte Kritik an der Unbedarftheit des Claudius nur wenig von ihrer Schrfe verliert.1293 Vielleicht darf in diesem nachgetragenen Hinweis auf die Unterstîtzung des Kaisers sogar ein indirekter Beweis fîr seine in ann. 12,61 nachdrîcklich hervorgehobene facilitas erblickt werden. Denn indem der 1291 Der Kommentar Koestermanns (ad ann. 12,62): „Da sie [die Byzantiner] selbst ihre Sache vertreten mußten, wird der Kontrast mit at hervorgehoben“ wird der eigentlichen Aussageabsicht des Tacitus wohl nicht gerecht. 1292 Vgl. Seif, 1973, 230; Devillers, 1994, 174, 292; Keitel, 1977, 206, die zustzlich auf sprachliche Berîhrungspunkte der beiden Antrge hinweist: Vgl. ann. 12,61,1: memoravit / 12,62: memorabant; 12,61,2: in populum Romanum merita / 12,62: in Caesares merita. 1293 Vgl. Seif, 1973, 230.
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Princeps die Vergangenheit der Byzantiner erst ins Spiel bringt, nachdem diese bereits von den Antragstellern in aller Breite ins Feld gefîhrt worden ist, mag der Eindruck entstehen, als wre er – hnlich wie bei seinem Antrag hinsichtlich der Insel Kos – aufgrund seines naiven Wesens nicht von selbst auf diese naheliegende Argumentation gekommen, htten ihn seine Vorredner nicht zufllig darauf gestoßen.
9.8 Ann. 12,64 – 69: Das Jahr 54 und das Ende des Claudius Die letzten sechs Kapitel des 12. Annalenbuches behandeln die Ereignisse des Jahres 54 bis zum Tod des Claudius. Sie stellen wie der Bericht rund um die Wahl der neuen Gattin des Kaisers zu Beginn des Buches (ann. 12,1 – 9) eine in sich geschlossene dramatische Szenenfolge dar, welche die leitthematischen Entwicklungen vom Aufstieg der Agrippina und dem damit verbundenen Ende des vierten Princeps ihrem Hçhepunkt entgegenfîhrt.1294 Der Jahresbericht wird gewichtig erçffnet durch einen weiteren Prodigienkatalog (vgl. ann. 12,43), der eine Entwicklung der Dinge in deterius ankîndigt und damit auch, aber nicht ausschließlich auf das Ende des Claudius hindeutet, s. ann. 12,64,1: M. Asinio M’. Acilio consulibus mutationem rerum in deterius portendi cognitum est crebris prodigiis. signa ac tentoria militum igne caelesti arsere; fastigium Capitolii examen apium insedit; biformes hominum partus, et suis fetum editum, cui accipitrum ungues inessent. numerabatur inter ostenta deminutus omnium magistratuum numerus, quaestore, aedili, tribuno ac praetore et consule paucos intra menses defunctis. Insgesamt werden folgende fînf prodigia aufgefîhrt, wobei in den Bereichen die steigernde Abfolge von Sachen – Tieren – ‘Monstern’ – Menschen beobachtet werden kann:1295 1. Ein Himmelsfeuer, das Zelte und Lanzen der Soldaten zum Glîhen brachte;1296 2. ein Bienenschwarm, der sich auf dem Kapitol niederließ; 3. die Geburt zweigeschlechtlicher Menschen;1297 4. die Geburt eines Schwe1294 Vgl. Wille, 1983, 520; Seif, 1973, 263; Keitel, 1977, 207. 1295 So Devillers, 1994, 310 zutreffender als Mehl, 1974, 160, der die Reihenfolge Sachen – Tiere – Menschen feststellt. 1296 Hierbei handelte es sich offenbar um das Phnomen des sog. Elmsfeuers; vgl. die Kommentare ad loc. 1297 Mit dem Ausdruck biformes partus sind hier sicherlich Hermaphroditen gemeint, die in Prodigien hufig genannt werden; s. Mehl, 1974, 159 Anm. 550 unter Verweis auf die einschlgige Literatur. Fîr Koestermann ad loc. ist es dagegen
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inefetus mit Habichtsklauen; 5. der Tod mehrerer Beamter aller Rangstufen innerhalb weniger Monate. Seif hat bei seiner Behandlung der Stelle insbesondere das zuletzt genannte Prodigium untersucht und darauf hingewiesen, daß innerhalb der Aufzhlung der Todesflle unter den rçmischen Magistraten „die einzelnen honores zu einer stetig steigenden Klimax angeordnet sind“, wobei zwei magistratus maiores (Prtor, Konsul) durch ihre polysyndetische Aufzhlung von drei in asyndetischer Reihung vorgetragenen magistratus minores sprachlich abgesetzt wîrden.1298 Es werde der Eindruck erweckt, „als strebe die Lawine von Todesfllen auf den hçchsten Herrn im Staat, den Kaiser, zu.“1299 Insgesamt gesehen lehnt Seif aber den Versuch ab, in den hier aufgefîhrten Vorzeichen einen „detaillierten Vorgriff auf kommende Ereignisse“ oder gar eine „Ouverture, in der sich das Drama der folgenden Annalenbîcher hinter Symbolen“ verberge, zu sehen und weist – sicherlich zu Recht – die von Aumîller aufgestellte These, daß durch die Mißgeburten v. a. auf die charakterliche Entwicklung Neros und dessen kînftige Regentschaft hingedeutet werde, als zu gewagt zurîck.1300 Seiner Ansicht nach handelt es sich bei den Prodigien vielmehr um Zeichen, „welche den Tod des Claudius und den damit verbundenen Wandel zum Schlechteren ganz ungewiß, „ob wie 15,47,1 bicipites partus gemeint sind, oder ob an Zweigeschlechtlichkeit gedacht ist […].“ 1298 Es wird also suggeriert, daß ein weiterer Todesfall als drittes Glied in der Kette der magistratus maiores noch fehlt. 1299 Seif, 1973, 264; diese dramatisierende Anordnung der Rangstufen der verstorbenen Magistrate ist wohl dem Gestaltungswillen des Tacitus zuzuschreiben, vgl. Mehl, 1974, 160, der vor dem Hintergrund der Parallelîberlieferung außerdem auf die Verdichtung der taciteischen Darstellung durch die nur hier anzutreffende Betonung der geringen Zeitspanne (paucos intra menses) hinweist; E. Aumîller, 1948, 100; Devillers, 1994, 310. 1300 S. Seif, 1973, 264 f.; vgl. Aumîller, 1948, 99. Was die Prodigien der biformes partus und des klauentragenden Schweinefetus angeht, so mçchte Aumîller hierin „einen Hinweis auf die Zerstçrung des Menschenbildes, das Rom im Verlauf seiner Geschichte immer von neuem als vorbildlich erlebt und anerkannt“ habe, sehen und versucht, diese als Zeichen fîr die charakterliche Degeneration der Agrippina und ihres Sohnes zu deuten: „In der Gestalt Agrippinas mischen sich wie in den biformes partus die weiblichen Zîge in einer fîr rçmisches Empfinden unnatîrlichen Weise mit den mnnlichen und in Nero wird der Abfall von der rçmischen Lebensweise noch offenkundiger. Das fîr ihn Charakteristische, das Aufgehen in tierischer Triebhaftigkeit, und das Gefhrliche, die auf keine Sittlichkeit, sondern das Recht des Strkeren gestîtzte Gewalt, scheint in dem letzgenannten Prodigium: suis fetum editum, cui accipitrum ungues inessent vorweggenommen.“
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allgemein ansagen, ohne konkreten Bezug auf die sptere Entwicklung zu nehmen.“1301 Fast zeitgleich konnte jedoch Mehl in dem Vorzeichen des Bienenschwarms eine solche konkrete Bezugnahme auf die kînftigen Ereignisse erblicken: „Auf dem Gipfel des Kapitols lassen sich Bienen nieder wie im Jahr 51 die Unglîcksvçgel, als Agrippina sich angemaßt hatte, in das Kapitol im Wagen einzufahren. Dieser Zusammenhang wird auf die Usurpierung des Principats durch Agrippina und ihren Sohn hinweisen. Denn Bienen kçnnen wegen ihrer monarchischen Staatsordnung als Prodigium auf einen neuen rex hinweisen, der sich des Kapitols, und das heißt Roms, bemchtigt.“1302 Werden durch die einzelnen Prodigien also doch ganz konkrete Ereignisse in der Zukunft angedeutet? Da die Parallelberichte des Sueton und Cassius Dio z. T. von ganz anderen Prodigien berichten, welche den Tod des Claudius vorhergesagt htten, darf man mit einiger Berechtigung davon ausgehen, daß Tacitus mit der Erwhnung seiner Art von Vorzeichen eine ganz bestimmte Darstellungsabsicht verfolgt.1303 Doch verbietet es sich, auch bei den 1301 S. Seif, 1973, 265. øhnlich urteilt Heinrichs, 1976, 136; 142. 1302 Mehl, 1974, 159 unter Verweis auf B. Grassmann-Fischer: Die Prodigien in Vergils Aeneis. (Studia et testimonia antiqua Bd. 3), Mînchen 1966 (Diss. Gießen 1965), 64 f. (zu Verg. Aen. 7,64 ff.), wo sich in Anm. 6 weitere Literaturangaben insbesondere zum Bienenprodigium in der Kaiserzeit finden: L. Koep: Biene, RAC 2, 1954, Sp. 274 – 282; hier 278; R. Bloch: Les prodiges dans l’antiquit¤ classique, Paris 1963, 66. 1303 S. Suet. Claud. 46; Cassius Dio (Xiph.) 60,35,1. Einigkeit zwischen allen drei Autoren besteht lediglich in der Erwhnung der Todesflle rçmischer Beamter jeweils am Ende der Prodigienreihe, vgl. Mehl, 1974, 160. Sueton, der wie Dio den Prodigienkatalog erst nach dem Bericht îber das Ende des Claudius folgen lßt, erwhnt nach eigenem Bekunden lediglich die hervorstechendsten Zeichen (praesagia mortis eius [sc. Claudii] praecipua), nmlich an erster Stelle einen Kometen, dann einen Blitz, der in das Grabmal des Drusus gefahren sei (tactumque de caelo monumentum Drusi patris), und schließlich den Tod der Magistrate. Auch Dio fîhrt zuerst einen Kometen auf, erzhlt dann aber von einem Blitz, der in die Zeichen der Leibwache geschlagen sei, von dem Tempel des Jupiter Victor, der sich von selbst geçffnet habe, einem Bienenschwarm (!), der auf ein Heerlager niedergegangen sei, und zuletzt eben von den verstorbenen Beamten. Angesichts der beiden bereinstimmungen zwischen Sueton und Dio in der Nennung des Kometen und der Todesserie rçmischer Wîrdentrger – der Blitz mag sogar als dritter Vergleichspunkt hinzugefîgt werden – darf man schließen, daß Dio gerade auch die Zeichen erwhnt, die Sueton absichtlich ausgespart hat. Geht man nun auch an dieser Stelle davon aus, daß Tacitus, Sueton und Dio auf eine oder mehrere gemeinsame Quellen zurîckgehen (hierfîr spricht an dieser Stelle insbesondere die zustzliche Gemeinsamkeit zumindest zwischen Dio und Tacitus in der Erwhnung des Bienenschwarms), so
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anderen drei Prodigien eine konkretere Ausdeutung vorzunehmen, da diese zwangslufig rein spekulativer Natur wre und Gefahr liefe, die Darstellung des Tacitus in ein allzu kînstliches Deutungsmuster zu zwngen. Man wird bei aller gebotenen Vorsicht wohl nicht îber die Feststellung hinauskommen, daß Tacitus durch den Prodigienkatalog dem Leser in erster Linie ganz allgemein eine negative Zukunftsprognose vermitteln will, wobei sich einzelne Prodigien eindeutig auf den Tod des Princeps (Todesserie rçmischer Beamter, Bienenschwarm) beziehen, andere jedoch nur recht vage die zukînftigen Entwicklungen in dîsterer Weise andeuten und dabei durchaus auch die lngerfristigen Ereignisse îber den eigentlichen Machtwechsel am Kaiserhof hinaus in den Blick nehmen.1304 In diesem Zusammenhang hat Devillers die Vermutung geußert, daß Tacitus durch die in den Vorzeichen versteckten Hinweise auf die unheilvolle Zeit nach dem Ende des Claudius eine eventuelle ‘Erleichterung’ des Lesers îber dessen erwarteten Tod unterbinden wolle.1305 Unmittelbar an den Prodigienkatalog hat Tacitus die Bemerkung angeschlossen, daß Agrippina aufgrund einer gewissen øußerung des trunkenen Claudius in besonderer Furcht geschwebt und daher rasches Handeln beschlossen habe, s. ann. 12,64,2: sed in praecipuo pavore Agrippina, vocem Claudii, quam temulentus iecerat, fatale sibi ut coniugum flagitia ferret, dein puniret, metuens, agere et celerare statuit … Auf der Grundlage von Koestermanns Kommentar hat Heinrichs die Junktur praecipuus pavor als ‘Furcht der Agrippina îber die allgemeine Wirkung der Prodigien hinaus’ verstanden und als ein sicheres Indiz dafîr gewertet, darf man vorsichtig vermuten, daß Tacitus die prodigia der biformes partus und der Schweinemißgeburt aus eigenem Antrieb in seinen Bericht hat einfließen lassen. Vielleicht hat unser Historiker sogar auch das Kapitol als Ort fîr das Erscheinen des examen apium in eigener Regie gewhlt, um dem Prodigium um so mehr Gewicht zu verleihen. 1304 Vgl. Mehl, 1974, 160, der zu dem Ergebnis kommt, „daß von den Prodigien in ann. 12,64,1 ein Teil nur allgemein Unheil anzeigt (das Elmsfeuer und wohl auch die Mißgeburten), ein anderer Teil jedoch (der Bienenschwarm und die sterbenden Beamten) Bezîge zum bevorstehenden Tod des Claudius herstellt.“ Bei dieser Einschtzung bezieht Mehl, 1974, allerdings zu eng smtliche Prodigien des Katalogs allein auf das Ende des Kaisers. 1305 S. Devillers, 1994, 311: „[…] ce n’est pas sur une simple anticipation que d¤bouchent les prodiges rapport¤s en XII,64,1, mais sur une anticipation qui joue un rúle dans la mise en condition du lecteur: c’est pour empÞcher que ce dernier ¤prouve du soulagement la mort de Claude que Tacite laisse apparatre que la situation se d¤t¤riorera encore aprºs ce d¤cºs.“
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daß sich der zuvor dargestellte Prodigienkatalog nicht ausschließlich auf den Tod des Claudius bezieht, der von Agrippina ja keineswegs gefîrchtet, sondern herbeigesehnt wurde: „Nur dann, wenn es sich um eine im îbrigen nicht nher gedeutete mutatio in deterius handelte, von der jeder, also auch Agrippina bedroht sein konnte, ist zu verstehen, daß sie im Verein derer, die Furcht bekamen, einen besonderen Platz einnahm.“1306 Allerdings bin ich der Ansicht, daß Agrippina in der Darstellung des Tacitus in keiner Weise von den Prodigien beeindruckt ist oder sich durch sie bedroht fîhlt. Durch das Adjektiv praecipuus und durch den adversativen Anschluß sed soll vielmehr zum Ausdruck gebracht werden, daß Agrippina sich durch eine ‘besondere’, nmlich ganz anders motivierte Furcht von der durch die Prodigien ausgelçsten allgemeinen Unruhe abgehoben habe. Ihre Furcht liegt gerade nicht in den Vorzeichen begrîndet, sondern – und dies wird von Tacitus ausdrîcklich hervorgehoben – allein durch die øußerung des trunkenen Claudius (vocem Claudii … metuens).1307 Man mag sich ohnehin die Frage stellen, warum ausgerechnet eine Frau wie Agrippina, die im Bericht des Tacitus doch immer wieder kîhl berechnend in Erscheinung getreten ist und 1306 Heinrichs, 1976, 142, der weiterhin folgert, daß Tacitus gerade deshalb die Prodigien anders als Sueton und Cassius Dio nicht „vorwiegend als Ankîndigungen des Todes des Prinzeps gedeutet“ habe, weil es ihm auch darauf ankam, die Wirkung der Prodigien auf Agrippina herauszustellen. Aus demselben Grund sei der von Dio und Sueton îbereinstimmend erwhnte Komet als ein besonders deutliches Zeichen fîr einen bevorstehenden Herrschertod nicht in die taciteische Darstellung eingeflossen (a.a.O. 142 f.). Dabei scheint Heinrichs jedoch aus den Augen zu verlieren, daß der Tod des Claudius, wenn er auch nicht im Mittelpunkt der durch die Prodigien angekîndigten Ereignisse stehen mag, so doch deren fester und wohl eindeutigster Bestandteil ist. Der Komet wre neben der Todesserie rçmischer Beamter lediglich ein weiteres Zeichen fîr denselben Sachverhalt gewesen. Da Tacitus aber mit den Prodigien nicht nur den Tod des Kaisers, sondern die zukînftige Entwicklung als Ganzes angedeutet wissen wollte, ist es sehr gut denkbar, daß er sich aus Grînden der §konomie fîr den Herrschertod auf das prodigium beschrnkte, das neben der eigentlichen Ankîndigung des Ereignisses seinem Bericht zum Jahr 54 wohl am meisten Informationsgehalt (Tod mehrerer hoher Beamter) bot. Die Erwhnung des Kometen htte im Bericht des Tacitus bewirkt, daß der Tod des Claudius als einziges Ereignis durch zwei Prodigien angekîndigt und somit gegenîber den anderen Zeichen etwas îberbetont worden wre; vgl. insgesamt Devillers, 1994, 310 f. 1307 Vgl. Mehl, 1974, 162: „Unmittelbar an die Prodigien, die Claudius’ Tod ankîndigen, schließt Tacitus die Angst Agrippinas an. Diese hat freilich nichts mit den Prodigien zu tun, sondern mit der eben besprochenen øußerung des Kaisers […]“; Keitel, 1977, 207: „Agrippina, however, fears a different omen, a chance remark of Claudius which bodes ill for her.“
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nicht zuletzt auch ihre Gleichgîltigkeit gegenîber der religiçs-sakralen Sphre eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat,1308 auf einmal an solch îbernatîrliche Phnomene wie prodigia glauben sollte. Abschließend sei auf den besonderen Umstand hingewiesen, daß Tacitus in seiner Darstellung ganz bewußt den Prodigienkatalog nicht wie Sueton und Cassius Dio erst nach dem Ende des Claudius positioniert, sondern im Verlangen nach einer dramatischen Ausgestaltung der Schlußkapitel des zwçlften Annalenbuches dem Ereignis vorangestellt hat. Damit hat er fîr eine unheimliche und spannungsgeladene Atmosphre gesorgt, die den Leser dîster in die Zukunft blicken lßt und auf die kînftigen Ereignisse einstimmt.1309 Im Rahmen unserer Analyse des Prodigienkataloges sind wir bereits auf das Motiv des praecipuus pavor zu sprechen gekommen, der ‘besonderen Furcht’, die Agrippina aufgrund einer Bemerkung des trunkenen Claudius befallen habe. Unmittelbar an die Vorzeichen angeschlossen, dient es der weiteren Dramatisierung des Stoffes, indem es ein beschleunigendes Element in die leitthematische Entwicklung einfîgt,1310 s. ann. 12,64,2: sed in praecipuo pavore Agrippina, vocem Claudii, quam temulentus iecerat, fatale sibi ut coniugum flagitia ferret, dein puniret, metuens, agere et celerare statuit, perdita prius Domitia Lepida muliebribus causis, qua Lepida, minore Antonia genita, avunculo Augusto, Agrippinae sobrina pr
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Claudius ernsthafte berlegungen anstellte, die Thronfolge zugunsten seines eigenen Sohnes Britannicus zu ndern.1313 Von einer Trunkenheit des Kaisers ist in diesen Parallelberichten jedoch nichts zu lesen. Vielmehr ist der Princeps dort bei vçllig klarem Verstand.1314 Sueton zitiert ebenfalls die øußerung des Claudius und stimmt dabei im Wortlaut mit der Version des Tacitus fast îberein.1315 Aufgrund der grundstzlichen bereinstimmung Suetons mit Dio auf der einen sowie der aufflligen Parallele im Ausspruch des Kaisers bei Sueton und Tacitus auf der anderen Seite hat Mehl sicherlich nicht ohne Berechtigung die Vermutung geußert, „daß Tacitus die Trunkenheit des Claudius in ann. 12,64,2 aus abwertender Tendenz eingefîgt hat […].“1316 Der Leser fîhlt sich deutlich erinnert an ann. 11,37,2, wo Claudius nach îbermßigem Weingenuß kurz davor war, im letzten Augenblick seine Meinung îber die Bestrafung der Messalina zu ndern.1317 Freilich war es an dieser Stelle genau umgekehrt gewesen, insofern als der Wein den Verstand des Kaisers dort offenbar in Nebel hîllte. Indem Tacitus jedoch an zwei pointierten Stellen seines Berichtes, die beide auf das Verhltnis des Claudius zu seinen Gattinnen Bezug nehmen, auf die Trunkenheit des Kaisers abhebt, bleibt der negative Eindruck haften, als sei der vierte Princeps ein unverbesserlicher Trunkenbold gewesen. In ann. 12,64,2 hat der Verweis auf die vinolentia des Claudius allerdings noch eine andere Funktion. Er soll zusammen mit dem durch das Prdikat iecerat erzeugten Anschein der Zuflligkeit die øußerung des Kaisers gewissermaßen abschwchen. Eine solche, in klarer geistiger Verfassung gewonnene Erkenntnis des Claudius am Ende seiner Regierung htte nur schlecht in das Bild gepaßt, das Tacitus von dem Kaiser insgesamt gezeichnet hat. Bezeichnenderweise ist 1313 Suet. Claud. 43; Cassius Dio (Xiph., Zon.) 60,34,1. 1314 Der Biograph berichtet von diesem Ereignis im Zusammenhang mit einem Prozeß gegen eine Ehebrecherin, auf den der Kaiser im Kreise seiner liberti am Tag nach der Urteilsverkîndung Bezug nimmt. Nach der Darstellung Dios war Claudius îber die Machenschaften der Agrippina in Zorn geraten, vgl. Seif, 1973, 266. 1315 Suet. Claud. 43: sibi quoque in fatis esse iactavit [sc. Claudius] omnia impudica, sed non impunita matrimonia. 1316 Mehl, 1974, 162; vgl. Keitel, 1977, 208. Freilich ist die von Questa (Studi sulle Fonti degli Annali di Tacito, Rom 21963, 99 Anm. 19) geußerte Mçglichkeit, daß die geringen Unterschiede zwischen Sueton und Tacitus im Wortlaut des zitierten Ausspruchs auf der Benutzung unterschiedlicher Quellen beruhen, zu bedenken. Somit kçnnte Tacitus das Motiv der Trunkenheit in seiner Vorlage bereits vorgefunden haben (s. hierzu Mehl a.a.O. Anm. 566). 1317 Vgl. Mehl, 1974, 161.
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es in ann. 12,65 dann Narcissus, der die Thronfolge des Britannicus wieder ins Spiel bringt, und nicht – wie bei Sueton und Cassius Dio – der Kaiser selbst.1318 Doch zurîck zu Agrippina. Sie nimmt die ‘Drohung’ des Claudius trotz seines angetrunkenen Zustandes durchaus ernst und gert – wie bereits dargelegt – darîber in besondere Furcht.1319 Diese Furcht dient in der Darstellung des Tacitus als Motiv fîr ihre nchsten Schritte. Sie beschließt schleunigst zu handeln: agere et celerare statuit. Daß ihr hastiges Bemîhen auf den Mord am Kaiser hinausluft, ist insbesondere durch die kurz zuvor erwhnten Prodigien dem Leser vçllig klar.1320 Doch noch vor diesem Verbrechen geht die Kaisergattin muliebribus causis gegen ihre nahe Verwandte Domitia Lepida vor.1321 Der bergang zu dieser neuen Thematik wirkt auffallend schroff. Er erfolgt vçllig unvermittelt durch den nachgetragenen Ablativus absolutus perdita prius Domitia Lepida, der in ungewçhnlicher Weise „hier nicht auf den erledigten Punkt zurîck-, sondern auf eine erst zu schaffende Voraussetzung vorausblickt.“1322 Hierdurch wird der Leser îberrascht und aufgerîttelt – und somit empfnglicher gemacht fîr die nun dargestellte Intrige der Agrippina. Das Motiv der muliebres causae wird nun durch einen kau1318 Vgl. Mehl, 1974, 161; Keitel, 1977, 207 f. 1319 Mehl, 1974, 162 sieht in der gesteigerten Angst der Agrippina entweder eine „nachtrgliche Aufwertung des kaiserlichen Ausspruches (also entgegen der in der Vokabel temulentus steckenden Tendenz)“ oder eine „durch nichts vorbereitete Abwertung Agrippinas (indem sie leere Worte fîrchtet)“ oder ein „bloßes Funktionselement, das den Leser auf Agrippinas weiteres Handeln hinweisen soll.“ Mit letzterem hat Mehl sicherlich Recht. Die beiden zuerst genannten, sich einander ausschließenden Deutungsmçglichkeiten des praecipuus pavor ergeben sich m. E. jedoch nicht zwingend. Agrippinas Furcht vor einem Sinneswandel des Claudius ist fîr meine Begriffe nach dessen øußerung trotz der erwhnten Trunkenheit hinreichend motiviert. Denn immerhin scheint der fîr seine Wankelmîtigkeit bekannte Kaiser, ob nun betrunken oder nicht, die Intrigen seiner Gattin allmhlich zu begreifen. Mehls Folgerung, daß der taciteische Bericht in jedem Fall „nicht konsequent und logisch“ (162 f.) sei, was er als „weiteres Zeichen dafîr, daß unser Historiker in 12,64,2 irgendwie die berlieferung manipuliert“ habe, deutet, vermag ich daher nicht zu teilen. 1320 Vgl. Mehl, 1974, 163, der zustzlich die Verben agere et celerare als eine Steigerung von struere und moliri auffassen mçchte. 1321 Zu Domitia Lepida und ihrem Verwandtschaftsverhltnis zu Agrippina und Nero s. Koestermann ad ann. 11,37,3. 1322 Wille, 1983, 520; vgl. Mehl, 1974, 163 mit Anm. 573; Seif, 1973, 267. Zu solchen Ablativkonstruktionen bei Tacitus s. Enghofer, 1961, 130 – 132 sowie Kohl, 1959, 99 – 102.
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salen Nebensatz (quia … credebat) weiter ausgefîhrt, wobei jedoch deutlich wird, daß es bei der Affre um sehr viel mehr ging als nur um weibliche Eifersuchtsgefîhle.1323 Lepida fîhlte sich hinsichtlich ihrer claritudo der Agrippina durchaus ebenbîrtig. Die Berechtigung dieser Annahme hat Tacitus durch die deutliche Betonung ihrer hohen Abkunft (minore Antonia genita,1324 avunculo Augusto) unter Beweis gestellt. Besonders ihre nahe Verwandtschaft zu Augustus, der ihr (Groß-)onkel war, zeichnet sie als ußerst gefhrliche Rivalin der Agrippina auch in machtpolitischer Hinsicht aus. Aufschlußreich sind auch die anschließenden Bemerkungen des Tacitus, mit denen er das Motiv der weiblichen aemulatio weiter ausfîhrt, s. ann. 12,64,3: nec forma aetas opes multum distabant; et utraque impudica infamis violenta haud minus vitiis aemulabantur, quam si qua ex fortuna prospera acceperant. Die beiden Frauen werden nicht nur ußerlich in ihrer Schçnheit, ihrem Alter und ihrem Reichtum, sondern auch in charakterlicher Hinsicht als sehr hnlich beschrieben. Beide seien sittenlos, verrufen und gewaltbereit gewesen, htten nicht weniger in ihren Lastern als in ihren vermeintlichen Glîcksgîtern1325 im Wettstreit gelegen.1326 Die erwhnten Merkmale opes, forma und claritudo (s. ann. 12,64,2) sind dem Leser als besondere Vorzîge der Agrippina bestens bekannt. Gerade sie hatten den Ausschlag fîr ihre Wahl zur neuen Gemahlin des Claudius gegeben.1327 Indem Tacitus der Domitia Lepida diese Vorzîge in gleicher Weise zukommen lßt wie der Agrippina und sie darîber hinaus mit denselben charakterlichen Grundzîgen ausstattet, welche zur Durchsetzung ehrgeiziger Ziele notwendig sind, bietet er dem Leser ein plausibles Motiv fîr das rigorose Vorgehen der Kaisergattin gegen ihre nahe Verwandte. Vor diesem Hintergrund scheint sich der nun vorgebrachte heftigste Streitpunkt der 1323 Vgl. Seif, 1973, 268. 1324 Tacitus verwechselt an dieser Stelle die jîngere mit der lteren Antonia, s. Koestermann ad loc. 1325 „Durch si qua drîckt Tac. einen Zweifel aus, ob bei der Art, wie sie die ihnen zugefallenen Gaben verwendeten, diese als solche anzusehen seien.“ (Nipperdey ad loc.). 1326 Vgl. Koestermann ad loc. „Die beiden Rivalinnen werden mit ihren ußeren Vorzîgen, aber wenig anziehenden inneren Eigenschaften glnzend charakterisiert.“ 1327 Vgl. Mehl, 1974, 164; Keitel, 1977, 208 f.; s. ann. 12,1,1 (von den rivalisierenden Kandidatinnen): suam quoque nobilitatem formam opes contendere ac digna tanto matrimonio ostentare; 12,2,3 (Pallas pldiert fîr Agrippina): et ne feminae expertae fecunditatis, integra iuventa, claritudinem Caesarum aliam in domum ferret.
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beiden Rivalinnen wie von selbst zu ergeben, s. ann. 12,64,3: enimvero certamen acerrimum, amita potius an mater apud Neronem praevaleret: nam Lepida blandimentis ac largitionibus iuvenilem animum devinciebat, truci contra ac minaci Agrippina, quae filio dare imperium, tolerare imperitantem nequibat. Bei dem Streit geht es also um die bedeutende Frage, ob nun Lepida als Tante oder Agrippina als Mutter Neros den grçßeren Einfluß auf den jungen Prinzen habe.1328 Im Ringen um die Gunst des Thronprtendenten spielen die beiden Frauen ihre jeweiligen ‘Trumpfkarten’ aus: Lepida versucht Nero durch schmeichelnde Liebkosungen (blandimenta) und Geschenke an sich zu binden, Agrippina durch Drohungen.1329 Die Art und Weise, wie Lepida ihren Neffen aus machtpolitischen Erwgungen heraus zu umgarnen versucht, stellt sie gewissermaßen erneut auf eine Stufe mit Agrippina, die seinerzeit in schamloser Weise ihre weiblichen Reize einsetzte, um ihren Onkel Claudius zu betçren.1330 Diesen Eindruck gewinnt der Leser um so mehr, als sich die hier jeweils vorliegenden verwandtschaftlichen Beziehungen in genau umgekehrter Weise entsprechen (Agrippina:Claudius = Nichte:Onkel; Lepida:Nero = Tante:Neffe). Es dîrfte demnach kein Zufall sein, daß Tacitus die Domitia Lepida hier ausdrîcklich als amita Neros bezeichnet. Ihr Verhalten besttigt das, was Tacitus îber deren Charakter und ihre øhnlichkeit zu Agrippina zuvor gesagt hat. An dieser Stelle dîrfte dem Leser hinreichend klar geworden sein, welch gefhrliche Rivalin Lepida fîr die ehrgeizige Kaisergattin war. Die Konsequenz dieser Rivalitt ergibt sich nahezu zwingend: Um ihr ehrgeiziges Ziel nicht zu gefhrden, muß Agrippina ihre aemula zu Fall bringen. Mit einer zugespitzten Sentenz, die eindringlich das grimmig drohende Gebaren der Kaiserin psychologisch erklrt und aufgrund ihrer eigenwilligen Struktur 1328 Keitel, 1977, 209 zieht eine Parallele zu dem certamen der Freigelassenen um die neue Gattin des Claudius direkt zu Beginn des 12. Annalenbuches (ann. 12,1,1: … orto apud libertos certamine, quis deligeret uxorem Claudio.) Hier wie dort geht Agrippina gewissermaßen als Siegerin aus dem Wettstreit hervor. 1329 Vgl. ann. 12,42,3. 1330 S. ann. 12,3,1; vgl. ann. 13,13,2, wo Agrippina (!) im Kampf um ihren Einfluß auf Nero die Taktik ndert: tum Agrippina versis artibus per blandimenta iuvenem adgredi. Insofern besteht der von Seif, 1973, 269 betonte Gegensatz zwischen den beiden Frauen („hier die weiblich lockende Lepida, dort die mnnlich strenge Agrippina“) nur an dieser konkreten Stelle. Seifs Feststellung, „daß sie bei aller Gleichartigkeit dennoch zwei vollkommen verschiedene Frauentypen reprsentierten“ (a.a.O.), bedarf in dieser Hinsicht einer Einschrnkung.
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die gesteigerte Aufmerksamkeit des Lesers auf sich zieht,1331 beendet Tacitus das Kapitel und gibt damit zweifellos bereits einen Ausblick auf die zukînftigen Entwicklungen:1332 Agrippina vermochte zwar ihrem Sohn die Herrschaft zu verschaffen, ihn als Regierenden jedoch nicht zu ertragen. Doch nicht nur die spter aufbrechenden Konflikte zwischen Nero und seiner Mutter scheinen in dieser øußerung in gewisser Weise bereits vorweggenommen. Indem Agrippina eindeutig als diejenige benannt wird, die Nero auf den Thron verhalf, erscheint sie als Tterin. Kurz vor dem Mord am Kaiser hat diese Vorstellung erhebliche Auswirkungen auf die Interpretation der unmittelbar folgenden Ereignisse. Domitia Lepida wird nun der Prozeß gemacht. Daß die gegen sie erhobenen Anklagepunkte vçllig aus der Luft gegriffen sind, weiß der Leser nach der Lektîre des vorangegangenen Kapitels nur zu genau. Zudem scheinen die Vorwîrfe fîr eine falsche Anklage geradezu maßgeschneidert zu sein, s. ann. 12,65,1: Ceterum obiecta sunt, quod coniugem principis devotionibus petivisset quodque parum coercitis per Calabriam servorum agminibus pacem Italiae turbaret. ob haec mors indicta … Der Vorwurf der Zauberei war ebenso leicht zu behaupten wie schwer zu entkrften. Auch das Argument hinsichtlich der ‘zu wenig im Zaum gehaltenen Sklavenhorden’ „ließ sich unschwer jederzeit beschaffen.“1333 Lepida wird zum Tode verurteilt. Diese ungemein harte und fîr den Leser schockierende Strafe wird nur vor dem Hintergrund der zuvor geschilderten Rivalitt zwischen Lepida und Agrippina verstndlich. Die Augusta hat ihre gefhrliche Konkurrentin rigoros aus dem Weg gerumt. Der Bericht îber den Sturz der Domitia Lepida ist von Tacitus sicherlich ganz bewußt in die Haupthandlung eingeschoben worden.1334 Kurz vor dem Ende des Claudius stellt er noch einmal die wilde Entschlossenheit der Agrippina eindrucksvoll unter Beweis.1335 Sie hat kei1331 Sie sticht durch die Paronomasie imperium / imperitantem und die zeugmatische Satzfîgung (zu dare imperium ist gedanklich ein quibat aus dem folgenden nequibat zu ziehen) besonders hervor, s. Voss, 1963, 15; vgl. Koestermann und Nipperdey ad loc. 1332 Vgl. Seif, 1973, 269; Keitel, 1977, 209. 1333 Koestermann ad loc. 1334 Weder Sueton noch Cassius Dio berichten im Zusammenhang mit dem Tod des Claudius davon, vgl. Mehl, 1974, 163. 1335 Vgl. Seif, 1973, 267; 269. Bei Sueton lesen wir, daß der junge Nero aus Geflligkeit gegenîber seiner Mutter als Zeuge gegen seine eigene Tante ausgesagt und sie dadurch ins Verderben gestîrzt habe, s. Suet. Nero 7,1: amitam autem Lepidam ream testimonio coram afflixit (sc. Nero) gratificans matri, a qua rea premebatur. Mçglicherweise hat Tacitus in seinem Bemîhen, Agrippina als
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nerlei Skrupel, selbst nahe Angehçrige der kaiserlichen Familie aus purer Machtgier ins Verderben zu stîrzen.1336 Der Mord an Claudius scheint fîr den Leser somit auch von dieser Warte aus programmiert zu sein: Denn von der hemmungslosen Beseitigung der Großtante hin zur Ermordung des Onkels und Gatten ist es kein großer Schritt mehr. Wenn zwei Kapitel spter dann ganz offen von den Vorbereitungen der Agrippina zum Giftmord an Claudius die Rede ist (ann. 12,66,1 – 2), klingen diese Anschuldigungen gegen die Kaiserin nunmehr durchaus glaubwîrdig. Die Rîckkehr zur leitenden Thematik des Kaisersturzes erfolgt im Bericht des Tacitus im engen Anschluß an das Vorhergehende, indem Narcissus der Verurteilung der Lepida seinen energischen Widerstand entgegensetzt. Auch dieser bergang wird durch einen nachgetragenen Ablativus absolutus wirkungsvoll in Szene gesetzt, s. ann. 12,65,1: ob haec mors indicta, multum adversante Narcisso, qui Agrippinam magis magisque suspectans prompsisse inter proximos ferebatur certam sibi perniciem, seu Britannicus rerum seu Nero poteretur; verum ita de se meritum Caesarem, ut vitam usui eius impenderet. Bezeichnenderweise ist es wiederum nicht Claudius, sondern Narcissus, der Agrippina mehr und mehr mißtraut. Whrend der Kaiser also weiterhin entweder nahezu blind oder gar machtlos gegenîber den Intrigen seiner Gattin zu sein scheint, ist sein Freigelassener der einzige, der sich der Agrippina noch in den Weg zu stellen wagt.1337 Sein mutiges Auftreten gegen die intrigante Kaiserin hat Tacitus in der fîr ihn typischen Weise psychologisch erklrt. Sein Verderben soll er als besiegelt angesehen haben, unabhngig von der Frage, ob nun Britannicus oder Nero die Nachfolge des Claudius antreten sollte. Die Grînde fîr eine solche Annahme bleiben an dieser Stelle unerwhnt und mîssen vom Leser erschlossen werden. Der Gedanke, daß Narcissus in dem einen Fall die Rache des Britannicus fîr die von ihm ins Werk gesetzte Ermordung der Messalina zu fîrchten hatte, in dem anderen Fall den Zorn der Agrippina, deren Hochzeit mit Claudius auf seinen erbitterten Widerstand gestoßen war, mag die Ursache fîr diese Einschtzung moralisch verkommene Intrigantin in den Vordergrund zu schieben, den Hinweis auf die Mitschuld Neros am Untergang der Lepida bewußt ausgespart. 1336 Vgl. die Feindseligkeiten zwischen Agrippina und Domitia Silana, einer weiteren Tante Neros in ann. 13,19 ff. 1337 Vgl. Koestermann ad loc.: „Wenn es eines Beweises fîr die Schwche des Claudius bedîrfte, der seiner Gattin willensmßig hoffnungslos unterlegen war, so htten wir ihn hier.“
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sein.1338 Tacitus kam es vor allem darauf an, Narcissus durch einen Hinweis auf dessen vermeintlich aussichtslose Lage als ‘unverdchtigen Zeugen’ in Erscheinung treten zu lassen, der nichts mehr zu verlieren hat und deshalb ganz unbefangen das Wort erheben kann. Da sein Schicksal ohnehin festzustehen scheint, besteht fîr ihn kein Grund mehr zur Lîge oder Heuchelei. Es muß nicht eigens erwhnt werden, welchen Effekt ein solcher Eindruck hat, wenn Narcissus im folgenden mit Agrippina hart ins Gericht geht und dabei die Kernpunkte der bisher in der Darstellung des Tacitus gegen sie erhobenen Vorwîrfe wiederholt,1339 s. ann. 12,65,2: convictam Messalinam et Silium: pares iterum accusandi causas esse, si Nero imperitaret; Britannico successore nullum principi metum. at novercae insidiis omnem domum convelli, maiore flagitio, quam si impudicitiam prioris coniugis retinuisset.1340 quamquam ne impudicitiam quidem nunc abesse Pallante adultero, ne quis ambigat decus pudorem corpus, cuncta regno viliora habere. Der Sinn dieser Textstelle, deren Interpretation durch die zweifelhafte berlieferung erschwert wird,1341 ist – wie Zwierlein mir nahegelegt hat – vermutlich folgender: Sollte Nero der zukînftige Herrscher sein, dann werde er zusammen mit Agrippina sicherlich den Versuch unternehmen, Claudius zu beseitigen. Diese Deutung geht aus dem Hauptsatz des Bedingungsgefîges hervor, wonach dann (gegen Agrippina und Nero) die gleiche Anklage zu erheben sei (pares iterum accusandi causas esse) wie seinerzeit gegen Messalina und Silius, als diese versuchten, Claudius zu ermorden (convictam Messalinam et Silium). Sollte aber Britannicus zum Nachfolger des Claudius auserkoren sein, so bestehe fîr diesen kein unmittelbarer Grund zur Furcht (nullum principi metum). Denn Agrippina, so mag man diese Aussage nher erlutern, htte wohl kaum den Kaiser aus dem Weg gerumt, um damit ihrem verhaßten Stiefsohn Britannicus vorzeitig auf den Thron zu verhelfen und sich damit ihres Einflusses eigenhndig zu berauben. Somit schimmert in den Worten des Narcissus das dem Leser vertraute Bild der 1338 Vgl. Koestermann u. Nipperdey ad loc. 1339 Vgl. Mehl, 1974, 167 f., der zu Recht mit dem Gedanken spielt, daß die Worte des Freigelassenen das Urteil des Tacitus wiederspiegeln; Keitel, 1977, 210. 1340 An dieser Stelle weiche ich von der Textfassung Heubners ab und greife das von O. Zwierlein: Agrippinas maius flagitium in den Annalen des Tacitus (ann. 12,65,2), Philologus 152, 2008, 171 – 175 vorgeschlagene retinuisset (statt reticuisset) auf. 1341 Zur umstrittenen berlieferung vgl. die Appendix critica der von Wellesley besorgten Ausgabe (S. 148); Koestermann ad loc. und Zwierlein, 2008, 171 – 175.
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machtbesessenen und kîhl berechnenden Intrigantin hervor, auf das offenbar auch die folgenden Aussagen des Freigelassenen abheben. Wieder blitzt darin das Stichwort der noverca auf, das hier zusammen mit den insidiae und dem Verb convellere im Bewußtsein des Lesers eine gleich mehrfach negative Wirkung entfaltet. Agrippina wird als eine grçßere Gefahr fîr das Kaiserhaus bezeichnet als Messalina (maiore flagitio, quam si impudicitiam prioris coniugis retinuisset).1342 Durch ihre Machenschaften begehe sie nmlich einen grçßeren Frevel, „als wenn sie (lediglich) die sittenlose Verderbtheit ihrer Vorgngerin als Ehefrau des Claudius beibehalten htte.“1343 Dieser Auffassung entsprechend werden dann die moralischen Verfehlungen der Agrippina (Pallante adultero) wirkungsvoll mit der eindringlichen Warnung verknîpft, daß die ehrgeizige Frau ihrem Machtwillen alles andere unterordne (cuncta regno viliora habere).1344 Insgesamt gesehen wird dem Leser kurz vor dem Ende des Claudius noch einmal in aller Deutlichkeit die gefhrliche Entschlossenheit der Agrippina vor Augen gefîhrt. Tacitus nutzt dabei auch an dieser Stelle den Vorteil der indirekten Rede: Die Wiedergabe der Gedanken des Freigelassenen beruhen auf nicht îberprîfbarem Hçrensagen. Durch die auf Narcissus bezogene NcI-Konstruktion qui … prompsisse … ferebatur hat Tacitus dies direkt zu Beginn der Episode hervorgehoben, und sich auf diese Weise als Historiker davon distanziert. Nach seinen mahnenden Worten wendet sich Narcissus in einer dramatischen Szene Britannicus zu,1345 s. ann. 12,65,3: haec atque talia dictitans amplecti Britannicum, robur aetatis quam maturrimum precari, modo ad deos, modo ad ipsum tendere manus, adolesceret, patris inimicos depelleret, matris etiam interfectores ulcisceretur. Die eindringlichen Worte des Freigelassenen lassen deutlich erkennen, daß er sich Britannicus als Nachfolger des Claudius wînscht. Daß er den Prinzen sogar auffordert, sich an den Mçrdern seiner Mutter zu rchen, kann nur als weiteres Indiz fîr seine hoffnungslose Situation angesehen werden und besttigt damit den zuvor gewonnenen Eindruck, daß Narcissus fest mit seinem eigenen 1342 Vgl. Seif, 1973, 273 f., der freilich an dieser Stelle reticuisset liest. 1343 Zwierlein, 2008, 174. Denn die Schamlosigkeit einer Ehebrecherin htte – wie damals im Falle der Messalina – allein Claudius bedroht; Agrippina aber rottet nach Ansicht des Narcissus durch ihre Machenschaften den ganzen Stamm des claudischen Hauses aus (domum omnem convelli), gefhrdet also nicht nur Claudius, sondern auch seine potentiellen Nachfolger. Zu domus in der Bedeutung „Geschlecht“, „Stamm“ s. Zwierlein a.a.O. 174 mit Anm. 7. 1344 Vgl. Seif, 1973, 274. 1345 S. hierzu insbesondere Devillers, 1994, 249 f.
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Tod rechnet und daher nichts mehr zu verlieren hat.1346 Wenn er zu Beginn des dreizehnten Annalenbuches (von Agrippina) in den Tod getrieben wird (ann. 13,1,3), wirkt dies wie ein nachtrglicher Beweis fîr die Richtigkeit seiner deutlichen Worte. Nach dem beherzten Auftritt des Narcissus berichtet Tacitus weiter, daß der Freigelassene unter einer so großen Sorgenlast krank geworden und daher zu den Bdern Sinuessas gereist sei, s. ann. 12,66,1: In tanta mole curarum valetudine adversa corripitur, refovendisque viribus mollitia caeli et salubritate aquarum Sinuessam pergit (sc. Narcissus). Der Tempuswechsel ins historische Prsens (corripitur / pergit) vergegenwrtigt dem Leser die hier geschilderte Situation und lßt sie ihm plastisch vor Augen treten. Indem Tacitus den mutigen Worten des Narcissus eindrucksvoll die tanta moles curarum folgen lßt, stellt er einen Zusammenhang her, der die als Gerîcht wiedergegebenen Aussagen des Freigelassenen im Kapitel zuvor nicht nur um so eindringlicher und glaubhafter erscheinen lßt, sondern auch stillschweigend als Realitt anerkennt. Nach Cassius Dio (Xiph.) 60,34,4 ist der Freigelassene von Agrippina absichtsvoll nach Sinuessa geschickt worden, weil er unter pod²cqa litt – ein Hinweis, der sich gut mit der Abreise des Kranken nach Kampanien vertrgt, galten die dortigen Heilquellen doch als spezifisches Heilmittel gegen ein solches Leiden.1347 Bei Tacitus hingegen wird durch die Angabe in tanta mole curarum der Eindruck erweckt, als seien es die îbergroßen Sorgen gewesen, die den Ausschlag fîr eine Erkrankung des Narcissus gegeben htten. Vor diesem Hintergrund wirken seine in ann. 12,65 geußerten Gefîhle, Bedenken und øngste als tief empfunden und echt. Erst sie scheinen die eigentliche Ursache fîr die Reise des Freigelassenen nach Sinuessa abzugeben. Dieser von Tacitus suggerierte Kausalzusammenhang lßt aus dem, was wenige Zeilen zuvor noch nicht mehr war als ein glaubhaftes Gerîcht, im Bewußtsein des Lesers ein handfestes Faktum werden. Nach der Abreise des Narcissus scheint der Weg fîr die verbrecherischen Absichten der Agrippina endgîltig frei zu sein. Die Kaiserin trifft die letzten Vorbereitungen fîr den Mord an Claudius, s. ann. 12,66,1: tum Agrippina, sceleris olim certa et oblatae occasionis propera 1346 Vgl. Seif, 1973, 275. 1347 Vgl. Koestermann ad loc.; Mehl, 1974, 170 sieht in der knappen Beschreibung des Kurortes mit seiner weichen Luft und den heilenden Quellen îbrigens einen „Kontrast zu der gewitterschwîlen Situation am Kaiserhof“; vgl. Keitel, 1977, 211.
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nec ministrorum egens, de genere veneni consultavit. Das tum, das den bergang von der Narcissus-Episode zum Handeln der Agrippina markiert, bringt zum Ausdruck, daß erst der Fortgang des Freigelassenen der Kaiserin den nçtigen Spielraum fîr die Durchfîhrung des geplanten Giftmordes ermçglichte, und zeigt, wie stçrend der Widerstand des Narcissus tatschlich gewesen sein muß. Dem entspricht die Aussage, daß Agrippina schon lange zu dem Verbrechen entschlossen war und nun die dargebotene Gelegenheit rasch ergreifen wollte.1348 Auch an Helfern hatte sie keinen Mangel. Auch dies lßt Narcissus als den einzig noch verbliebenen Widersacher in Erscheinung treten: Ohne seine Opposition htte der Giftmord an Claudius wahrscheinlich schon lngst verîbt werden kçnnen.1349 Der Leser ist durch die Offenheit, mit der Tacitus hier die Kaiserin des geplanten Giftmordes bezichtigt, keineswegs îberrascht. Nicht zuletzt die mahnenden Worte des Narcissus im Kapitel zuvor (s. o.) haben fîr eine solche Behauptung den Boden bereitet. Es klingt nach allem, was der Leser bisher îber Agrippina erfahren hat, nur konsequent, wenn sie nun die Gelegenheit beim Schopfe packt und sich Gedanken îber die Art des Giftes macht, das Claudius tçten soll. Diese berlegungen stehen ganz im Zeichen ihres wohlbekannten kîhl berechnenden Wesens und wirken deshalb absolut echt, s. ann. 12,66,1 – 2: ne repentino et praecipiti facinus proderetur; si lentum et tabidum delegisset, ne admotus supremis Claudius et dolo intellecto ad amorem filii rediret. exquisitum aliquid placebat, quod turbaret mentem et mortem differret. deligitur artifex talium vocabulo Locusta, nuper veneficii damnata et diu inter instrumenta regni habita. Auf eindrucksvolle Weise gewhrt Tacitus hier einen tiefen Einblick in die dunkle Seele der Agrippina und schildert aus ihrer Perspektive ein vermeintliches Dilemma: Ein zu schnell wirkendes Gift htte das Verbrechen verraten kçnnen. Ein schleichend tçtendes Mittel hingegen barg die Gefahr, daß Claudius die Vergiftung erkannte und deshalb vor seinem Tod doch noch Britannicus zu seinem Nachfolger bestimmte.1350 Daher mußte ein Gift her, das einerseits langsam wirkte, andererseits jedoch den Verstand des Opfers verwirrte. Der Relativsatz, der diese Lçsung fîr das Problem anfîhrt (quod turbaret 1348 Vgl. Keitel, 1977, 211: „Agrippina moves swiftly and decisively once she is resolved to crime.“ 1349 Vgl. Mehl, 1974, 170 mit Anm. 638. 1350 Dieser Sinn wird in den Worten ad amorem filii rediret (sc. Claudius) angedeutet; vgl. Mehl, 1974, 170. Tacitus hat diese Formulierung m. E. mit Bedacht gewhlt, wie noch im folgenden auszufîhren sein wird.
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mentem et mortem differret), wird durch die sprachlich ußerst kunstvolle Ausgestaltung besonders hervorgehoben, wie Seif im einzelnen ausgefîhrt hat. Insbesondere die chiastische Anordnung der Satzteile lßt mortem und mentem effektvoll aufeinanderprallen. Hinzu treten seine Aufteilung in zwei Hlften mit exakt gleicher Wort- und Silbenzahl sowie die ‘m’-Alliteration und die Homoioteleuta (-tem).1351 Die syntaktische Ausgewogenheit des Satzes versinnbildlicht geradezu das handwerkliche Kçnnen der Giftmischerin Locusta, die direkt im folgenden Satz denn auch als eine artifex eingefîhrt wird: Sie muß die Zutaten ihrer Mixtur genau aufeinander abstimmen, um den gewînschten Effekt des Giftes hervorzurufen. Die Sorge der Agrippina vor einem Sinneswandel des Kaisers kurz vor seinem Ende und vor einer Aufdeckung ihrer verbrecherischen Machenschaften steht dabei ganz im Einklang mit ihrer Furcht, die sie beim Ausspruch des trunkenen Princeps in ann. 12,64,2 befallen hatte, und rundet somit das dramatische Geschehen der letzten Kapitel des 12. Annalenbuches gelungen ab: Claudius muß aus ihrer Sicht beseitigt werden, bevor sie kurz vor ihrem Ziel noch scheitern sollte. Wie bereits erwhnt, macht sich Agrippina nun die Kînste einer gewissen Locusta zunutze, deren kîrzliche Verurteilung wegen Giftmischerei sie als erfahrene Expertin auf diesem Gebiet ausweist. Die Bezeichnung der Frau als artifex talium ist einerseits voller Hohn,1352 deutet aber andererseits auf deren Professionalitt hin. Der zustzliche Hinweis, daß ihre Dienste schon lange dem Herrscherhaus zur Verfîgung gestanden htten, lßt keinerlei Zweifel an ihrer Zuverlssigkeit aufkommen und wirft zudem ein ungînstiges Licht auf die Verhltnisse am rçmischen Kaiserhof. Auf dîstere Weise findet die kurz zuvor aufgestellte Behauptung, Agrippina habe es bei der Ausfîhrung ihrer Plne nicht an Helfern gefehlt (nec ministrorum egens), ihre Besttigung. Neben Locusta steht ihr auch der Eunuch Halotus zu Diensten, der gewçhnlich die Speisen auftischte und vorzukosten pflegte, s. ann. 12,66,2: eius mulieris ingenio paratum virus, cuius minister e spadonibus fuit Halotus, inferre epulas et explorare gustu solitus. Nachdem mit dem Verrat des Vorkosters auch die letzte Rîckversicherung des Kaisers hinfllig geworden ist, scheint Claudius dem Giftmord schutzlos ausgeliefert zu sein. Der Leser ist nun bestens auf das Kommende eingestimmt. Nachdem Tacitus die von Agrippina getroffenen Maßnahmen zur Vorbereitung des Giftmordes genauestens beschrieben hat, kommt er nun 1351 S. Seif, 1973, 280. 1352 S. Koestermann ad loc.
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auf die Durchfîhrung des Verbrechens selbst zu sprechen, s. ann. 12,67,1: Adeoque cuncta mox pernotuere, ut temporum illorum scriptores prodiderint infusum delectabili boleto venenum, nec vim medicaminis statim intellectam, socordiane an Claudii vinolentia … Tacitus stîtzt seinen Bericht durch einen Verweis auf die Gewhrsmnner der damaligen Zeit: Die Einzelheiten der Tat (cuncta) seien bald so genau bekannt geworden, daß jene îberlieferten, das Gift sei in ein kçstliches Pilzgericht getrufelt worden, dessen sofortige Wirkung jedoch nicht festgestellt werden konnte. Dieser Verweis auf eine vermeintlich allgemein bekannte Tatsache soll den Wahrheitsgehalt der taciteischen Darstellung bekrftigen.1353 Fîr das Ausbleiben erkennbarer Vergiftungssymptome bei Claudius bietet Tacitus zwei Alternativen an: socordiane an Claudii vinolentia. Hlt man an der hier gegebenen und von den meisten modernen Herausgebern abgedruckten Textfassung fest,1354 ist der inhaltliche Bezug der socordia nicht auf Anhieb zu klren. Koestermanns Vermutung, sie kçnne auf die Helfershelfer bezogen sein,1355 ist sicherlich abzulehnen. Als Eingeweihten in das Verbrechen kann man ihnen bestimmt nicht ‘geistige Beschrnktheit’ oder gar ‘Unachtsamkeit’ zuschreiben,1356 die ihnen die Kenntnisnahme irgendwelcher Vergiftungssymptome bei Claudius verwehrt htte. Agrippina und ihre Helfer scheiden damit als Bezugspunkt der socordia aus.1357 Indessen spricht die Formulierung nec vim medicaminis statim intellectam dafîr, daß der erwînschte Effekt des sorgfltig ausgesuchten Giftes, nmlich dessen nur langsam und unauffllig tçtende Wirkung (s. ann. 12,66,1), von den Attenttern tatschlich erreicht worden ist. øhnlich urteilt Seif, der mit inhaltlichen Argumenten îberzeugend darlegt, daß der Genitiv Claudii !p¹ joimoO auf beide Ablative (socordia / vinolentia) zu beziehen ist: „Agrippina hatte ein Gift 1353 S. Seif, 1973, 281 f.; vgl. ann. 11,27. 1354 Auch an dieser Stelle ist die berlieferung umstritten; socordiane an Claudii vinolentia ist der gemeinsame Text mehrerer Codices des 15. Jh.; der Mediceus liest hingegen socordiane an claudii vi an vinolentia, was Ritter zu socordiane Claudii
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ausgewhlt, das anfangs nur den Geist des Claudius verwirren und erst spter den Tod herbeifîhren sollte […]. Daß das Gift wirkte, wird von Tacitus îberhaupt nicht in Frage gestellt. Er berichtet lediglich, daß diese Wirkung nicht erkannt wurde. Dies wiederum ist von der Art des Giftes und der Verfassung des Claudius her erklrbar: Agrippina konnte die Wirkung des Giftes bei Claudius deshalb nicht ausmachen, weil eine Geistesverwirrung nicht vom Gift herrîhren mußte, sondern aus der allgemeinen geistigen Stumpfheit des Kaisers (socordia) oder einer momentanen Trunkenheit (vinolentia) resultieren konnte.“1358 Socordia und vinolentia stehen somit als mçgliche Ursachen fîr die nicht auszumachende Wirkung des Giftes offenbar gleichberechtigt nebeneinander, besitzen vor dem Hintergrund des bisherigen Berichtes beide die gleiche berzeugungskraft.1359 Offenbar hat Tacitus an dieser Stelle deshalb zu der Angabe zweier Alternativen gegriffen, weil sie ihm die gînstige Gelegenheit bot, in nur einem Zusammenhang mit gleich zwei verchtlichen Seitenhieben dem Leser sowohl den trotteligen als auch den weinseligen Charakter des Claudius noch einmal deutlich vor Augen zu fîhren.1360 Der nun folgende Bericht des Tacitus bringt eine weitere Dramatisierung des Geschehens: s. ann. 12,67,1 – 2: simul soluta alvus subvenisse videbatur. igitur exterrita Agrippina, et, quando ultima timebantur, spreta praesentium invidia provisam iam sibi Xenophontis medici conscientiam adhibet. ille tamquam nisus evomentis adiuvaret, pinnam rapido veneno inlitam faucibus eius demisisse creditur, haud ignarus summa scelera incipi cum periculo, peragi cum praemio. Neben die ußerlich nicht zu erkennenden Anzeichen der Vergiftung tritt nun zustzlich ein Durchfall, der dem Kaiser geholfen zu haben schien. Hierîber gert Agrippina in Panik. Weil sie nun das ‘øußerste’, nmlich die Aufdeckung ihres Verbrechens und damit ihren eigenen Untergang befîrchten muß, zieht sie nun den kaiserlichen Leibarzt Xenophon hinzu. Daß sie dies ausdrîcklich ohne 1358 Seif, 1973, 283. Zur Konstruktion s. F. Leo: Ausgewhlte Kleine Schriften (hrsg. von E. Fraenkel) I, Rom 1960, 71 – 122; ferner O. Zwierlein: APO JOIMO£-Konstruktionen in Senecas Prosaschriften. Zu nat. 2,14,2 und de ira 2,28,4, RhM 150, 2007, 110 – 112. Sen. nat. 2,14,2 bietet dabei einen hnlich gelagerten Fall wie unsere Tacitusstelle: […] ita ut dubitare possis aer an hic iam aether sit. 1359 Von dem trunkenen Claudius war ja erst vor kurzem in ann.12,64,2 zu lesen. Daß sich die socordia des Princeps wie ein roter Faden durch die gesamte taciteische Darstellung seiner Regierungszeit zieht, muß kaum erwhnt werden. 1360 Vgl. den hnlich gelagertern Fall in ann. 1,80, wo Tacitus durch die Angabe mehrerer Erklrungen gleich drei Kritikpunkte an Tiberius verteilt (s. o. S. 63 ff.).
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Rîcksicht auf eine eventuelle Verdchtigung seitens der Anwesenden (spreta praesentium invidia) tat, ist Ausdruck ihrer verzweifelten Lage (exterrita) und Skrupellosigkeit zugleich. Xenophon hingegen hatte sie bereits in ihre Absichten eingeweiht (provisam iam sibi … conscientiam), was erneut die sorgfltige Vorbereitung des Verbrechens verrt. Die kurz zuvor in ann. 12,67,1 gemachte Aussage, der Kaiserin habe es bei ihren Plnen nicht an Helfern gefehlt, ist damit erneut durch ein weiteres und sehr prominentes Beispiel besttigt worden. Xenophon soll nun dem Kaiser unter dem Vorwand, er wolle ihm die Anstrengungen beim Erbrechen erleichtern, eine mit schnell wirkendem Gift bestrichene Feder in den Rachen eingefîhrt haben. Wieder beruft sich Tacitus auf eine allgemeine Vermutung (creditur), die ihm eine Festlegung des Geschehens seinerseits erspart. Indessen lßt sich an dieser Stelle erneut deutliche Kritik an der (verhngnisvollen) Genußsucht des Claudius ablesen. Anscheinend hatte er so maßlos gegessen, daß er seinen Magen vçllig îberlastet hatte und nun im Erbrechen Erleichterung suchen mußte. Der Leser mçchte sich eher angewidert abwenden als Mitleid mit dem todgeweihten Opfer empfinden. Die Tatsache, daß Claudius gerade durch seinen Leibarzt Xenophon ums Leben kommt, wird vor dem Hintergrund des taciteischen Berichtes in ann. 12,61 in bittere Ironie getaucht,1361 welche die leichtglubige Naivitt und mangelnde Menschenkenntnis des Claudius deutlich zum Vorschein bringt. Wie sehr sich der Kaiser in seinem Leibarzt getuscht hatte, unterstreicht schließlich die wirkungsvoll ans Ende des Kapitels plazierte Sentenz, welche die vermeintlichen Gedanken des Xenophon bei der Ausfîhrung der Tat anfîhrt und dabei skrupellosen Opportunismus versprîht: Der Arzt habe sehr wohl gewußt, daß die grçßten Verbrechen zwar mit Gefahr begonnen, jedoch mit Belohnung vollendet wîrden (haud ignarus summa scelera incipi cum periculo, peragi cum praemio). „In der Formulierung, die von antithetischer Kîrze, Parallelismus und Alliteration geprgt ist, kommt die Entschlossenheit des Tters auch auf einer stilistischen Ebene zum Ausdruck.“1362 Auch an dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf die Parallelîberlieferung, insbesondere auf den Bericht Suetons, um vor diesem Hintergrund die taciteische Darstellung in ihrer Tendenz besser greifen zu kçnnen. Der Giftmord an Claudius wird in der antiken berlieferung fast einhellig als 1361 Zu ann. 12,61 s. o. S. 409 ff. (bes. S. 412). 1362 Kirchner, 2001, 91 (zu ann. 12,67,2); vgl. Voss, 1963, 93.
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erwiesen angesehen.1363 Und so berichtet auch Sueton, daß der Kaiser nach allgemeiner Ansicht mit Gift getçtet worden sei. ber die nheren Umstnde der Tat vermag er jedoch nichts Sicheres zu sagen, ja weist sogar ausdrîcklich darauf hin, daß besonders in der Frage, wo und durch wen das Gift verabreicht worden sei, Uneinigkeit herrsche, und nennt die ihm bekannten Alternativen.1364 Tacitus hingegen liefert einen eindeutigen Bericht, ‘weiß’ um die Hintergrînde des Verbrechens und schiebt der Agrippina die Hauptverantwortung hierfîr zu. Halotus und Locusta erscheinen als ihre willigen Helfer.1365 Auch er stellt nicht den Giftmord als solchen, sondern lediglich dessen nheren Umstnde (Pilzgericht?) in Frage, wenn er einleitend zu ann. 12,67 auf die temporum illorum scriptores verweist. Dadurch wird das Verbrechen der Agrippina stillschweigend als Tatsache anerkannt. Der Tod des Claudius wird von Tacitus nicht eigens mitgeteilt. Nachdem er anschaulich îber die Durchfîhrung des Giftanschlags berichtet hat, kommt er auf die Vorbereitungen zur Inthronisation Neros zu sprechen. In der Zwischenzeit scheint der Kaiser bereits verstorben zu sein, s. ann. 12,68,1: Vocabatur interim senatus votaque pro incolumitate principis consules et sacerdotes nuncupabant, cum iam exanimis vestibus fomentis obtegeretur, dum que res forent firmando Neronis imperio componuntur. Daß dem Historiker das Ableben des Kaisers offenbar keine eigenstndige Meldung wert war, mag ein Zeichen seiner Geringschtzung gegenîber Claudius sein. Das fîr sich genommen so wichtige Ereignis wird bezeichnenderweise nur indirekt und außerdem in einem Nebensatz zur Sprache gebracht (cum iam exanimis … obtegeretur), der wirkungsvoll gerahmt wird von dem einleitenden Hauptsatz, der mit der Einberufung des Senats die letzten Stunden der Regierungszeit des alten Princeps beschreibt, und einem nachfolgendem dum-Satz, der bereits von den ersten Vorbereitungen zur Nachfolge des neuen Princeps handelt. Auf diese Weise entsteht der Eindruck eines ußerst rasch in die 1363 S. Koestermann ad loc. (unter Verweis auf die Stellenangaben bei Groag, RE 3,2, 1899, Sp. 2815); lediglich Flavius Iosephus (Ant. 20,148) fîhrt die Vergiftung als Gerîcht an. 1364 Suet. Claud, 44,2: Et veneno quidem occisum convenit (sc. Claudium); ubi autem et per quem dato, discrepat. quidam tradunt epulanti in arce cum sacerdotibus per Halotum spadonem praegustatorem; alii domestici convivio per ipsam Agrippinam, quae boletum medicatum avidissimo ciborum talium optulerat. 1365 Vgl. Seif, 1973, 279; 281. Whrend im Bericht des Sueton (Claud. 44,2) zwar Halotus, nicht aber Locusta erwhnt wird, taucht bei Cassius Dio ([Xiph., Zon.] 60,34,2) in umgekehrter Weise die Giftmischerin, nicht aber der Vorkoster auf.
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Wege geleiteten Machtwechsels, bei dem der sterbende bzw. tote Kaiser bereits keine entscheidende Rolle mehr spielt.1366 Lediglich zum Schein wird vorgetuscht, er sei noch am Leben,1367 um den Regierungsantritt des Nero mçglichst reibungslos zu gestalten. Die Gelîbde der Konsuln und Priester fîr das Leben (incolumitas) des Claudius werden zu einer bloßen Farce, einem rein formellen Akt, der ohne echte Anteilnahme vonstatten geht. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen vielmehr die Machenschaften der Agrippina, die ihrem Sohn die Thronnachfolge sichern sollen, s. ann. 12,68,2 – 3: iam primum Agrippina, velut dolore victa et solacia conquirens, tenere amplexu Britannicum, veram paterni oris effigiem appellare ac variis artibus demorari, ne cubiculo egrederetur. Antoniam quoque et Octaviam sorores eius attinuit, et cunctos aditus custodiis clauserat, crebroque vulgabat ire in melius valitudinem principis, quo miles bona in spe ageret tempusque prosperum ex monitis Chaldaeorum adventaret.1368 Die vermeintliche Betroffenheit und Trauer der Kaiserin (dolore victa et solacia conquirens) hat Tacitus durch ein entlarvendes velut deutlich als heuchlerisch beschrieben. Auch ihre Zuwendung zu Britannicus ist keineswegs echt, sondern Teil ihres raffinierten Vorgehens (vgl. artes): Durch ihre Umarmungen und trçstenden Worte mçchte sie den jungen Prinzen lediglich aufhalten und daran hindern, das Zimmer zu verlassen.1369 Die historischen Infinitive tenere, appellare, demorari erzeugen dabei den Eindruck von großer Entschlossenheit: Agrippina scheint nicht mehr lange îberlegen zu mîssen, sondern handelt gemß ihren Plnen zielsicher und schnell. Wenn sie weiterhin auch die Schwestern des Britannicus abschirmt, alle Zugnge durch Wachen absperren lßt und falsche Meldungen îber den Gesundheitszustand des Kaisers verbreiten lßt, um den gînstigen Zeitpunkt fîr die Ausrufung des neuen Herrschers abzuwarten, 1366 Vgl. Keitel, 1977, 213, die darîber hinaus meint, daß dieser Satz das gesamte zwçlfte Annalenbuch gewissermaßen zusammenfasse: „the Senate involved in useless decrees; Claudius totally ineffectual while those really in power are feverishly making preparations“; Koestermann ad loc. 1367 Diesem Zweck diente die Abdeckung des Leichnams mit Tîchern und Umschlgen, s. Koestermann ad loc. 1368 Zur stilistischen Ausgestaltung dieses polysyndetischen Satzgefîges s. Seif, 1973, 288 f.: „In seinem Verlauf wird fast unmerklich zur Szene außerhalb des Palastes umgeschwenkt und bis unmittelbar vor den Moment der Machtîbernahme Neros hingefîhrt“ (a.a.O. 288). 1369 Vgl. Seif, 1973, 287 f.; Mehl, 1974, 173; Keitel, 1977, 214, deren fernerhin vertretene Auffassung, wonach diese Szene eine grausige Parodie („grim parody“) auf ann. 12,65,3 (Narcissus umarmt Britannicus: haec atque talia dictitans amplecti Britannicum) sei, mir jedoch zu weit zu gehen scheint.
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erinnert dieses Verhalten wohl nicht zufllig an die prominente Stelle zu Beginn des ersten Annalenbuches, an der von den Aktionen der Livia nach dem Tod des Augustus die Rede ist (vgl. ann. 1,5,4: acribus namque custodiis domum et vias saepserat Livia, laetique interdum nuntii vulgabantur, donec provisis quae tempus monebat simul excessisse Augustum et rerum potiri Neronem fama eadem tulit).1370 Der von Tacitus gegen Agrippina ganz offen erhobene Vorwurf des Giftmordes, der seinerzeit auch Livia gerîchteweise anhing (s. ann. 1,5,1), wird durch diese Parallele im Bewußtsein des Lesers auf subtile Weise besttigt. Ausdrîcklich weist Tacitus darauf hin, daß Agrippina sich bei der Wahl des rechten Augenblicks an die Vorhersagen der Chalder gehalten habe. Dies ist insofern pikant, als die Kaiserin gerade die Befragung dieser Chaldaei zuvor als zentralen Anklagepunkt gegen ihre Rivalin Lollia benutzt hatte, um diese ins Verderben zu stîrzen (s. ann. 12,22,1). Der Eindruck der Heuchelei und Scheinheiligkeit der skrupellosen Intrigantin wird vor diesem Hintergrund um eine weitere Nuance bereichert. Mit ann. 12,68 eng verzahnt ist das letzte Kapitel des zwçlften Annalenbuches, das von der Kaiserproklamation Neros berichtet. Der Anschluß wird hergestellt durch ein tunc, das sich auf das iam primum in ann. 12,68,2 zu stîtzen scheint. Nach den dort geschilderten Vorbereitungen der Agrippina erfolgt nun die eigentliche Machtîbernahme durch ihren Sohn, s. ann. 12,69,1: Tunc medio diei tertium ante Idus Octobres, foribus Palatii repente diductis, comitante Burro Nero egreditur ad cohortem, quae more militiae excubiis adest. ibi monente praefecto faustis vocibus exceptus inditur lecticae. dubitavisse quosdam ferunt, respectantes rogitantesque ubi Britannicus esset: mox, nullo in diversum auctore, quae offerebantur secuti sunt. Schließlich tritt Nero in Begleitung des Burrus vor die wachhabenden Kohorten. Tacitus verwendet hier das Verb egredi, das er kurz zuvor noch in Bezug auf Britannicus benutzt hat, als dieser von Agrippina am Verlassen der kaiserlichen Gemcher gehindert wurde (ann. 12,68,2: ne cubiculo egrederetur). Es entsteht der Eindruck, als mache Nero sich das Recht zu eigen, das eigentlich dem leiblichen Sohn des Claudius zugestanden htte. In diesem Sinne verluft auch die weitere Schilderung des Tacitus: Beim Empfang des neuen Kaisers sollen angeblich einige gezçgert und nach Britannicus gefragt haben. Erst als niemand ein anderes Verhalten veranlaßt habe (nullo in diversum auctore), htten sie sich in die augenblickliche Lage gefîgt (quae offerebantur secuti 1370 S. Koestermann ad loc.; Seif, 1973, 288; vgl. Mehl, 1974, 173 f.; Keitel, 1977, 215; Devillers, 1994, 151; vgl. o. S. 72 mit Anm. 235.
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sunt).1371 Durch dieses Gerîcht (vgl. ferunt) bringt Tacitus zum Ausdruck, wie unsicher die Thronnachfolge Neros im letzten Augenblick doch noch gewesen ist und wie erfolgreich und berechnend Agrippina in den entscheidenden Momenten agiert hat: Im vorangegangenen Kapitel hatte sie Britannicus variis artibus aufgehalten. Nun wird nach dem jungen Prinzen gefragt, und weil er nicht erscheint, geht die Machtîbernahme Neros von nun an reibungslos vonstatten. Auch die Erwhnung des Burrus an der Seite des neuen Kaisers macht deutlich, daß die Plne der Agrippina aufgegangen sind. Durch ihn hatte die Kaiserin die beiden Prtorianerprfekten Lusius Geta und Rufrius Crispinus, die ihrer Meinung nach den leiblichen Kindern des Claudius verbunden waren, in kluger Voraussicht ersetzen lassen (ann. 12,42,1). Nachdem Britannicus nicht aufgetaucht ist, scheint alles îbrige nur noch reine Formsache zu sein, s. ann. 12,69,2: inlatusque castris Nero et congruentia tempori praefatus, promisso donativo ad exemplum paternae largitionis, imperator consalutatur, sententiam militum secuta patrum consulta, nec dubitatum est apud provincias. In nur einem Satz beschreibt Tacitus die Anerkennung Neros durch das Heer, den Senat und die Provinzen und erweckt dabei durch seinen gedrngten Partizipialstil (inlatusque, praefatus, promisso donativo) und seine elliptische Ausdrucksweise (secuta patrum consulta) den Anschein, als sei all dies wie selbstverstndlich schnell und glatt verlaufen (vgl. nec dubitatum est).1372 Die nchsten Zeilen berichten dann schon îber die Ehren, die der Senat fîr Claudius beschlossen hat, und îber die Trauerfeierlichkeiten, s. ann. 12,69,3: caelestesque honores Claudio decernuntur et funeris sollemne perinde ac divo Augusto celebratur, aemulante Agrippina proaviae Liviae magnificentiam. testamentum tamen 1371 Man beachte zustzlich, daß Tacitus in diesem Nachsatz (mox … secuti sunt) anstelle einer Infinitivkonstruktion (AcI) die finite Verbform verwendet und damit aus der indirekten Nacherzhlung des Geredes (ferunt quosdam dubitavisse) herausfllt. Rîckwirkend wird die angefîhrte Meinung damit als historisch zutreffend anerkannt. Zur dramatischen Gestaltung des Satzes durch die pointierte Anfangsstellung des Infinitivs dubitavisse und die Intensivformen respectantes und rogitantes s. Seif, 1973, 290 mit Anm. 34. 1372 Vgl. Seif, 1973, 291, der auf die Darstellung des Senats und seiner Rolle bei der Machtîbernahme Neros abhebt: „Tacitus kommt es […] darauf an, mit Nachdruck zu verdeutlichen, daß der Senat wieder einmal zum Vollzugsorgan der Plne Agrippinas wurde, die die Prtorianer auf ihrer Seite hatte. Der Machtlosigkeit des Senates gegenîber der Soldateska wird mit der lapidaren Feststellung sententiam militum secuta patrum consulta wirkungsvoll Ausdruck gegeben“; hnlich urteilt Mehl 1974, 180, der hier von einem „neuen Hçhepunkt“ spricht, den „die Servilitt des rçmischen Parlamentes“ erreiche.
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haud recitatum, ne antepositus filio privignus iniuria et invidia animos vulgi turbaret. Schnell eilt Tacitus îber die beschlossene Vergçttlichung des Claudius hinweg,1373 dessen Name vor den anderen genannten Personen Augustus, Agrippina und Livia in den Hintergrund tritt.1374 Es ist bezeichnend fîr die Einstellung des Historikers gegenîber Claudius, daß er diesem keinen eigenen Nachruf gewidmet hat.1375 Vielmehr steht wiederum Agrippina im Vordergrund, deren einzige Sorge es offenbar gewesen ist, ihrer Urgroßmutter Livia nicht an ußerer Pracht nachzustehen. Im Zusammenhang mit dem Tod des Claudius ist das hier dargestellte Wetteifern der Kaiserin mit der Frau des Augustus fîr den Leser ironisch aufgeladen, weiß er doch zu gut, daß deren Name nicht nur mit dem Begriff der magnificentia verbunden ist, sondern auch mit dem Vorwurf, ihren greisen Ehegatten vergiftet zu haben.1376 Tacitus beendet das zwçlfte Annalenbuch, indem er im Rahmen der absichtlich nicht vollzogenen Testamentsverlesung noch einmal an die unrechtmßige Zurîckstellung des Britannicus in der Frage der Thronnachfolge erinnert und damit ganz deutlich den Finger in die Wunde der gesamten Nachfolgeregelung legt.1377 Aus der Sicht des einfachen Volkes (vulgus) sollte wohl der leibliche Sohn, und nicht der privignus der neue Princeps sein. Nero ist damit gegen den Willen der Massen zum Kaiser erhoben worden und bleibt mit iniuria und invidia behaftet. Dies ist die Botschaft, die in dem letzten Satz dieses Kapitels steckt und die Sichtweise des Lesers auf die zukînftigen Ereignisse nachhaltig prgt.1378 1373 Seif, 1973, 292 ist der Ansicht, daß bereits der Gegensatz dieser ‘îberschwenglichen’ Auszeichnung zu dem von Tacitus gezeichneten Portrt des Claudius wie „barer Hohn“ wirke; vgl. Koestermann ad loc. 1374 Keitel, 1977, 216 sieht in der Erwhnung des Augustus an dieser Stelle „a last macabre joke on Claudius’ reverence and emulation of the divine Augustus. The only thing they seem to have in common in life is the leaving of it“; vgl. Mehl, 1974, 180 mit Anm. 710; Devillers, 1994, 151. 1375 S. Koestermann ad loc. Eine abschließende, kurze ‘Wîrdigung’ des verstorbenen Kaisers ist allenfalls in der von Tacitus wiedergegebenen laudatio funebris des Nero (ann. 13,3,1) gegeben; s. hierzu Seif, 1973, 295 – 298. 1376 Vgl. Mehl, 1974, 180: „An dieser Stelle [ann. 12,69,3] parallelisiert Tacitus ausdrîcklich den ersten und den vierten Princeps, die erste und die zweite (lebende) Augusta: Dies berechtigt um so mehr, auch in den vorangegangenen Kapiteln îber den Mord [an Claudius] die gleichen Parallelen zu ziehen.“ 1377 S. hierzu ausfîhrlich Seif, 1973, 292 – 294; vgl. Mehl, 1974, 180; Koestermann ad loc. 1378 Vgl. Keitel, 1977, 216. Ob durch diesen Schlußsatz tatschlich auch der Untergang des Britannicus angedeutet wird, wie Keitel a.a.O. meint, scheint mir allerdings fraglich zu sein.
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E. Keitel hat îberdies aufzuzeigen versucht, daß die Darstellung des Tacitus îber das Ende des vierten Princeps in bewußtem ironischen Kontrast zu der Schilderung des Tiberius-Todes steht.1379 Jeder der beiden Kaiser sei so gestorben, wie er gelebt habe: Tiberius „sentient and hypocritical“, Claudius, der immer blind gegenîber dem Treiben seiner Gattinnen Messalina und Agrippina gewesen ist, „in ignorance“.1380 Durch diese ironische Gegenîberstellung, die eine abnehmende Qualitt der Herrscherpersçnlichkeiten zutage treten lasse, habe Tacitus auf den fortschreitenden Verfall des frîhen Prinzipats abheben wollen: „It is one more piece of Tacitus’ picture of the progressive decay of the early principate, attributable in part to the declining quality of its rulers.“1381
1379 E. Keitel: Tacitus on the deaths of Tiberius and Claudius, Hermes 109 (1981), 206 – 214. 1380 Keitel, 1981, 213 mit Verweis auf ann. 6,50,1 und 6,50,4 sowie 12,67,1. 1381 S. Keitel, 1981, 214.
Schlußbemerkungen Wie wir sehen konnten, finden die im Rahmen unserer Analyse der Tiberiusbîcher herausgearbeiteten Techniken der Leserlenkung1382 auch in den Claudiusbîchern breite und vielfltige Anwendung. Insbesondere die suggestive Kraft der stereotypen Charakterdarstellung wirkt darin unvermindert weiter: Claudius wird fast durchgngig als unselbstndiger und einfltiger ‘Trottel’ gezeichnet, der seiner gesamten hçfischen Umgebung – insbesondere seinen Frauen – absolut hçrig ist, kein eigenes Urteil besitzt und entsprechend leicht zu lenken und zu manipulieren ist. Messalina ist die triebgeleitete, Agrippina die machtbesessene Intrigantin, die wiederum in manchen Charakterzîgen (Stichwort: noverca) der Livia aus der ersten Annalenhexade gleicht. In ihren Machenschaften werden die Ehefrauen des Claudius unterstîtzt durch dreiste Opportunisten (Vitellius) oder skrupellose Denunzianten (Suillius). Hinzu treten die anmaßenden Freigelassenen, die ebenfalls einen prgenden Einfluss auf den Princeps ausîben. Durch das bestndig wiederholte Motiv der Wankelmîtigkeit und Hçrigkeit des Claudius entsteht langfristig der nahezu paradox wirkende Eindruck, daß der einzige, der am Kaiserhof keine Macht besitzt, der Kaiser selbst ist. Dabei wird klar, daß die Schwche des Claudius gleichzeitig die Strke der anderen Gruppierungen in seiner Umgebung ist und somit die eigentliche Ursache fîr die vielen unheilvollen Geschehnisse, die von den verschiedenen potentes aus reinem Eigennutz in die Wege geleitet werden. Denn es ist ja gerade sein lenkbares Wesen, das bei den widerstreitenden Lagern am Kaiserhof îberhaupt erst die Hoffnung aufkeimen lßt, mit dem Princeps als Werkzeug eigene Interessen durchsetzen zu kçnnen. Das grçßte Problem an der Herrschaft des Claudius ist somit Claudius selbst, der es nicht versteht, zwischen den verschiedenen Machtinteressen zu vermitteln, sondern deren Vertreter îberhaupt erst wirklich mchtig werden lßt und selbst zu ihrem Spielball wird. Dieser Eindruck wiederum kann auf allgemeiner Ebene auch als Kritik des Tacitus an der Herrschaftsform des Prinzipats insgesamt aufgefaßt werden: Ist ein schwacher Kaiser an der Macht, so gert das ge1382 S. hierzu die Zusammenfassung des ersten Teiles dieser Arbeit ab S. 142 ff.
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samte Gemeinwesen rasch aus den Fugen, da es keine ausgleichenden Krfte mehr gibt. Ein Mittel der Leserlenkung, das insbesondere in den Claudiusbîchern sehr hufig zur Anwendung kommt, ist der ironische Kontrast – oft in Verbindung mit einer durch den Kontext erzeugten doppelbçdigen Darstellungsweise. Er dient dazu, hauptschlich das Bild des Claudius, aber auch das anderer Charaktere negativ zu verzerren bzw. einen Widerspruch zwischen Schein und Sein auf subtile Art zu entlarven. Besonders deutlich konnten wir diesen Kunstgriff im Bericht des Tacitus îber die Zensur des Claudius beobachten, der insgesamt umrahmt wird durch die Darstellung des zîgellosen, unsittlichen Treibens seiner Gattin Messalina. Whrend der Kaiser hierîber nicht die geringste Kenntnis zu haben scheint, widmet er sich leidenschaftlich den Aufgaben des obersten Sittenrichters und wird durch diesen Gegensatz zu einer lcherlichen Figur (s. bes. ann. 11,12 f.). Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel fîr diese Technik ist der Auftritt des Vitellius vor dem Senat zu Beginn des zwçlften Annalenbuches (ann. 12,5 f.): Seine eifrig vorgetragene Rechtfertigung der Verwandtenehe zwischen Claudius und Agrippina gert vor dem Hintergrund der kurz zuvor geschilderten Intrige gegen den unschuldig wegen Inzests verurteilten Silanus fîr den Leser zu einer ironischen Demaskierung einer scheinheiligen Doppelmoral. Trotz der deutlich negativen Tendenz des taciteischen Claudiusbildes ist es dem Historiker durch eine geschickte Kompositions- und Erzhltechnik gelungen, den Kaiser bei seiner Rede zur Aufnahme der Gallier in den Senat (ann. 11,24) stark und positiv in Erscheinung treten zu lassen, ohne daß dies im Bewußtsein des Lesers zu einem allzu spîrbaren Bruch in der Charakterdarstellung des vierten Princeps gefîhrt htte. Typisch fîr die Claudiusbîcher scheint außerdem die Art und Weise zu sein, wie Tacitus je nach Darstellungsabsicht mit der namentlichen Erwhnung des Kaisers umgeht: Oft nennt er ihn gar nicht und bringt offenbar gerade dadurch seine Verachtung gegenîber der schwachen Persçnlichkeit des vierten Princeps zum Ausdruck. Wenn er ihn hingegen mit Namen anfîhrt, dann hufig an Stellen, wo der Kaiser in einem ungînstigen Licht erscheint. In diesen Zusammenhang gehçrt auch die Beobachtung, daß der namentlich erwhnte Claudius in der Darstellung des Tacitus selten das Subjekt einer aktivischen Handlung ist. Bei den in der bisherigen Forschungsliteratur immer wieder angenommenen ‘Querverweisen’ des Tacitus auf frîhere Stellen der Annalen, ist m. E. besondere Vorsicht geboten. Durch den Zufall der berlieferung folgen die Claudiusbîcher unmittelbar auf die erste Annalenhexade, in
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der die Regentschaft des Tiberius dargestellt wird. Dadurch sind dem heutigen Leser bei der Lektîre der Bîcher XI und XII viele Stellen dieser frîheren Bîcher in noch recht frischer Erinnerung, so daß sich viele Reminiszenzen sowohl sprachlicher als auch inhaltlicher Art ergeben mçgen (s. hierzu Keitel, 1977, 230 – 248). Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß zwischen den Tiberius- und den Claudiusbîchern ursprînglich noch vier ganze Bîcher gelegen haben, welche das Erinnerungsvermçgen des damaligen Lesers doch stark beeintrchtigt haben dîrften. Daher reichen z. B. sprachliche Anklnge an eine frîhere Stelle, die sich nur aus einem gleichen Wort ergeben, nicht aus, um von beabsichtigten Rîckbezîgen sprechen zu dîrfen. Diese sind nur dann angemessen begrîndet, wenn sie sich auf inhaltlich besonders prominente Stellen oder auf in anderer Weise auffllige Passagen stîtzen kçnnen, an die sich der Leser auch an sehr viel spterer Stelle noch gut erinnern kann. Es mag freilich sein, daß Tacitus in seine Darstellung auch viele versteckte ‘Hinweise’ eingestreut hat, die erst bei zwei- oder dreimaliger Lektîre seines Werkes zur Geltung kommen. Um jedoch nicht in die Gefahr willkîrlicher Spekulationen zu geraten, hat unsere Analyse diese Mçglichkeit ausgeklammert und sich allein auf die unmittelbar zum Tragen kommenden Techniken der Leserlenkung konzentriert.
10. Literaturverzeichnis 10.1 Textausgaben und Kommentare 10.1.1 Tacitus Dieser Arbeit zugrunde liegende Textausgabe der Annalen: P. Cornelii Taciti libri qui supersunt, Tom. I: Ab excessu Divi Augusti, ed. H. Heubner, editio correctior, Stuttgart/Leipzig 1994.
Weitere benutzte Textausgaben und Kommentare: Cornelii Taciti libri qui supersunt, edd. Borzsk, St. et Wellesley, K.: – Tom. I,1: Ab excessu divi Augusti libri I–VI, ed. Borzsk, St., Stuttgart/ Leipzig 1992. – Tom. I,2: Ab excessu divi Augusti libri X–XVI, ed. Wellesley, K., Leipzig 1986. – Tom. II,1: Historiae, ed. Wellesley, K., Leipzig 1989. Draeger, A.: Die Annalen des Tacitus. Schulausgabe, Bd. I (Buch 1 – 6), Leipzig 4 1882; Bd. 2, Heft 1 (Buch 11 – 13), Leipzig 41899. Furneaux, H.: The Annals of Tacitus, Vol. I (Books I-VI), Oxford 21896. Goodyear, F. R. D.: The Annals of Tacitus, Books 1 – 6, Vol. I: Annals 1.1 – 54, Cambridge 1972, Vol. II: Annals 1.55 – 81 and Annals 2, Cambridge 1981. P. Cornelius Tacitus, Annalen. Lateinisch-deutsch, hrsg. v. E. Heller, Dîsseldorf/Zîrich 31997. Koestermann, E.: Cornelius Tacitus, Annalen. Erlutert und mit einer Einleitung versehen (4 Bde.), Bd. I (Buch 1 – 3), Heidelberg 1963; Bd. II. (Buch 4 – 6), Heidelberg 1965; Bd. III (Buch 11 – 13), Heidelberg 1967. Martin, R. H./Woodman, A. J.: Tacitus, Annals, Book IV, Cambridge 1989. Nipperdey, K./Andresen, G.: P. Cornelius Tacitus, Annalen (2 Bde.), Bd. I: Bîcher 1 – 6, Berlin 111915; Bd. II: Bîcher 11 – 16, Berlin 61908. P. Corneli Taciti Annalium libri XI-XII, Adnotationibus criticis ex omnibus codicibus qui exstant haustis instruxit H. Weiskopf, WS Beiheft 4, 1973. Woodman, A. J./Martin, R. H.: The Annals of Tacitus, Book 3, Cambridge 1996.
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Namensregister Aelia Paetina 314, 316–318 Aeneas 399, 410 Aeserninus ! (M.) Claudius Marcellus Aeserninus (Sex.) Afranius Burrus 364f., 436f. (Iulius) Agricola 174, 224 (M.) Agrippa 67f., 77, 138, 357 Agrippa Postumus 34, 66, 69–75, 77–79, 99, 104 138 Agrippina (maior) 52f., 55, 76, 81f., 85f., 119, 122, 135, 138, 151, 337 Agrippina (minor) 11, 72, 150, 202f., 215, 262f., 277, 296–298, 312, 314, 316–334, 336–351, 353–372, 374, 377f., 384, 387, 390, 395–399, 401–404, 411, 414–432, 434–441 Alledius Severus 336, 339 (L.) Annaeus Seneca 164f., 167, 169, 258, 312, 338, 340f., 363, 365, 432 Annius Vinicianus 154 Antiochus (Antiochos III. „der Große“) 413 Antiochus (IV.; Kçnig von Kilikien) 388f. Antonia (minor; Mutter des Germanicus)) 55–58, 419, 422 Antonia (Tochter des Claudius) 295, 316, 318, 435 (M.) Antonius 18, 20, Antonius Felix (Bruder des Pallas) 381, 383-388 Apicata 104 Apronius 225 Aristonicus 413 Arminius 217, 226 (L.) Arruntius 38f., 167, 182, 187f.
(L.) Arruntius Camillus Scribonianus 154, 375f. Artabanos 194, 197 Asiaticus ! Valerius Asiaticus (C.) Asinius Gallus 60–62 (C.) Asinius (Pollio) 182, 187f. Atilius 183 Attus Clausus 246, 256f., 352 Augustus 4, 7, 12–35, 38, 40f., 46, 48, 51f., 58, 66–74, 76–79, 93–95, 97, 109, 128, 138, 143, 166, 176–181, 199, 215, 220, 243, 260, 315, 318, 332f., 337, 347–352, 390f., 393f., 407f., 411, 436, 438 – Oktavian (Octavian) 17, 19–21, 23f., 26f. Balbus / Balbi 248, 257, 406f. Barea Soranus 379–382 Britannicus 151, 197, 200, 216, 265, 270, 293, 295, 309, 317f., 330, 342f., 349–352, 354–356, 358–364, 366, 372, 384, 400, 420f., 425–427, 435–438 (L. Iunius) Brutus 18, 260 (M. Iunius) Brutus 20 Cadius Rufus 346f. (C.) Caecina Largus 289–294 Caligula 153f., 166, 275f., 345, 367, 411 Callistus 275f., 293, 310, 313–319, 408 Calpurnia (Mtresse des Claudius) 277f., 281 Calpurnia (inlustris femina) 346 (Cn.) Calpurnius Piso 54, 118–126, 128–136, 140–142 Calusidius 84
452
Namensregister
Canuleius 243, 256 Caratacus 357, 367 Caesar (C. Iulius Caesar) 19, 245, 252, 394, 405-407 Cassius 7, 20, 32, 98, 180, 206f., 224, 285, 288, 300, 339, 368, 373, 390f., 395, 416, 418–421, 424, 428, 434, 444 Catilina 100f. Cato maior 201 Cato minor 165 Claudius (der Kaiser) 5, 7f., 35, 58, 72, 106, 149, 151–154, 157–159, 161–167, 171, 174, 176–178, 180, 184f., 188–194, 196–201, 203, 205, 207–216, 218–222, 224, 227–231, 235–237, 239–243, 245–247, 250–263, 265, 267–271, 273–285, 287–291, 293–302, 304–310, 312–316, 318–334, 336–343, 345–354, 357–359, 361–370, 372f., 375–381, 386f., 389–391, 393–395, 397–401, 404–441 (M. ) Claudius Marcellus Aeserninus 188 Cleopatra (Mtresse des Claudius) 278, 281 (P.) Clodius 187f. Corbulo !Domitius Corbulo (P.) Cornelius Scipio (Gatte der Poppaea) 159, 161f., 173f., 379, 381f. (P.) Cornelius Scipio Africanus (maior) 96 Cremutius Cordus 20 Creticus Silanus 118 Crispinus 171, 173 Crispus Passienus 332 (C.) Curio 187f. Curtius Rufus 150, 217, 231–236, 299 Curtius Severus 388 Dolabella 237–241 Domitia Lepida 306f., 419, 421–425 Domitia Silana 425
Domitian 2, 50, 199 Domitius (der sptere Kaiser Nero) ! Nero Domitius Celer 54, 129 (Cn.) Domitius Corbulo 11, 217, 222–232, 235, 382 Drusus (Sohn des Tiberius) 34, 36, 38, 42, 48, 58, 88f., 92f., 98, 102–112, 116f., 127, 138 Drusus (Bruder des Tiberius) 69, 78, 82-84, 86, 96f., 114f. (M.) Egnatius Rufus / Egnatii Euodus 304, 306, 308
28
Fabius Maximus 70f. Flavus 217, 219f. Furius Scribonianus 375–377 Gaius Caesar (Sohn des M. Agrippa und Enkel des Augustus) 66–69, 71, 75–77, 79, 85, 138, 350, 359 Gannascus 222f., 226f. Germanicus 4, 11, 35, 38, 42, 52–56, 58f., 78–97, 99, 103, 110, 112–142, 145, 154, 157, 202, 312, 316, 342, 349f., 353, 367 Gotarzes 194f., 197f. Hadrian 255 Halotus 430, 434 (C.) Helvidius Priscus (A.) Hirtius 26f.
382
Italicus 209, 217–222, 258 Iulia (Tochter des M. Agrippa und Enkelin des Augustus) 77 Iulius Paelignus 385 Iullus / Iulli 28 Iunia Calvina 322, 326, 338f. Iunia Silana 204f. Iunius Lupus 369 Appius Iunius Silanus 50, 275, 306 (L.) (Iunius) Silanus 50, 312, 320, 322–327, 333, 338f., 341, 344, 441 Kotys
195
Namensregister
Lepida ! Domitia Lepida Livia (Augusta) 4, 8, 12, 29, 38, 42, 47, 52, 55–60, 66–80, 82f., 85f., 109f., 119, 126, 128–130, 135, 138, 140f., 143, 145, 318, 333, 350, 354, 369, 371, 396, 436, 438, 440 Livia (Gattin des Drusus) 103f.; 108 Locusta 429f., 434 Lollia Paulina 314, 316–318, 344–347, 436 (M.) Lollius 28, 143 Lucius Caesar (Sohn des M. Agrippa und Enkel des Augustus) 66–69, 71, 75–77, 85, 138, 350, 359 Lusius Geta 222, 274, 280f., 289, 353, 363, 368f., 437 Lygdus 107f. Mammius Pollio 341f. Marcellus 67, 114 Marcia 70 (C.) Marius 405 Martina 128–131, 133, 140f. Maternus 190f. (C.) Matius 407 (M.) Messala Corvinus 187f. Messalina 149–151, 153, 155–163, 165–167, 169–173, 175, 180, 186, 191f., 198, 202–210, 213–215, 218, 236f., 261–295, 298–310, 312–314, 319–324, 330, 336–338, 341, 343f., 363, 365f., 368, 371f., 402, 404, 407, 412, 420, 425–427, 439f. Mithridates 194–196, 221 Mnester 149, 156, 169f., 272, 299–303 Narcissus 275–281, 285f., 289–298, 300, 304–307, 310, 314–318, 323, 329, 337, 372, 375, 395–398, 402, 407f., 412, 421, 425–429, 435 Nero (der Kaiser) 11, 72, 116, 150, 197, 200–203, 223, 257, 284, 316, 319, 321, 326, 330, 341, 348, 352f., 355, 358–361,
453
363–365, 367, 369, 377, 394, 396–401, 404, 410–412, 415, 421, 423–426, 434–438 – Domitius 200, 202, 216, 309, 312, 316, 320, 325, 338, 341–343, 348, 350–356, 361 (Cn.) Nonius 236f. Octavia 20, 116, 286, 293–295, 312, 316–318, 320, 323, 338, 341f., 348, 363, 397, 435 Oktavian ! Augustus (C.) Oppius 406f. Pallas 275f., 293, 310, 313–319, 331, 348–353, 355, 369, 375, 378–383, 386–388, 408, 422 Pansa 24, 26f., 52 Perseus 413 Petra-Brîder 168f., 170, 172f., 175, 178, 183, 284, 299 Petron 165 Pharasmanes 196 Piso ! Calpurnius Piso Plancina 118f., 121f., 125, 127–131, 133, 135, 137f., 140 (A.) Plautius 303 Plautius Lateranus 279, 302f. Pompeius 19, 50, 248, 280, 413 Poppaea Sabina 116, 149f., 155f., 158f., 161f., 168–171, 173, 215, 373 (P.) Quintilius Varus 28, 143 Quintilius Varus (Sohn des vorigen) 239 Radamistus 385 Rufrius Crispinus 363, 437 Samius 175, 178f., 182f. Sanquinius Maximus 222 Scipio ! (P.) Cornelius Scipio (C.) Silius 171, 179–182, 184–189, 191f., 203–208, 238, 263–270, 272–275, 277, 279–283, 285–287, 294, 296, 298–301,
454
Namensregister
303f., 307, 325, 327, 336, 372, 412, 426 Seian 4, 11f., 35, 38, 42, 48f., 97–112, 136, 145, 151, 337, 366, 379 Seneca ! (L.) Annaeus Seneca (Cn.) Sentius 128 Servius Tullius 72, 339 Silanus ! Iunius Silanus Sosibius 151–156, 173 Statilius Taurus 150, 401–404 (P.) Suillius Rufus 150f., 156f., 161, 168, 175, 177–179, 182, 184–189, 192f., 303, 348 Suillius Caesoninus 302, 348 Sulla 100, 238, 347f., 375, 405, 413 Tanaquil 72 Tarquinius Priscus 72 Tarquitius Priscus 402f. (A.) Terentius Varro / Varrones 25, 28, 407 Thrasea Paetus 165 Tiberius (der Kaiser) 3f., 11–13, 29, 31–75, 77–99, 102–105, 108f., 112–123, 126, 128–130, 132–134, 136–138, 140f., 143, 145, 150f., 154, 166f., 177, 226, 234f., 239, 280, 292, 328, 349f., 352, 366, 378f., 396, 411, 432, 439, 442 Tiberius Nero (frîherer Gatte der Livia) 333
Titius 279 Traian 255 Traulus Montanus 302f. Troxoboros 388 Tullus Hostilius 339 (C.) Turranius 281 Ummidius Quadratus
385–387
Valerius Asiaticus 149–158, 160–171, 173, 177, 183, 209, 215, 258, 268, 274, 277, 285–287, 291, 301, 303f., 306, 309, 322, 324, 344, 402–404 Vardanes 194–198 Varus !Quintilius Varus Varro / Varrones !Terentius Varro Vedius Pollio 407 Ventidius Cumanus 384–387 Vettius Valens 279, 284 Vibia 376 Vibidia 286f., 294–296 Vibius Marsus 195f. Vipsania 61, 77, 138 Vipstanus 261 Vitellius 116, 158, 162–164, 166–168, 173f., 215, 288, 290–293, 296, 306, 312, 322–325, 328–337, 342, 351, 362, 368–370, 440 Xenophon (Leibarzt des Claudius) 410–412, 432f.
Sachregister Ablativus absolutus 22, 67, 69, 157, 161, 201, 259, 288, 297, 339, 353f., 365, 421, 425 adversativ (s. auch !Antithese, ! Gegensatz, !Kontrast) 15, 23, 82, 96, 118, 169, 325, 363, 418 Alternative Deutungsmçglichkeiten 18, 26, 34, 43, 51f., 55–61, 63–66, 74, 89f., 142f., 159, 264, 284, 339, 356, 376f., 421, 431 Ambivalenz 88, 330, 396 – Doppeldeutigkeit 173, 176, 178, 267, 318 – Zweideutigkeit 203 Andeutung 15, 41, 98, 105, 120, 145, 171, 200, 202, 208, 270, 272f., 284, 307, 319, 324, 363, 416, 418, 429, 439 Antithese (s. auch !adversativ, ! Gegensatz, !Kontrast) 22, 88, 99, 225, 433 Antizipation 30, 145, 192, 200, 223, 417 – Vorverweis 151, 180, 192, 200, 262, 356 Assoziation 19, 68, 372 Besttigung 15, 31, 35, 41, 45, 62, 66, 71, 77, 86, 90, 106, 109, 119, 126, 130, 145, 157, 179, 184, 193, 227f., 259, 267, 276, 283, 303, 308, 320, 323, 334, 349, 370, 383, 396f., 423, 427, 430, 433 Direkte Rede 173, 233, 246, 255, 279, 292 Doppelbçdige Darstellung 95, 188, 324, 329, 331, 349, 377–379
Emotionaler Appell 80, 124, 143
19, 50, 68, 75f.,
Folie (s. auch !Kontrastfolie) 16, 32, 80f., 145, 180, 224, 238, 254 Gegensatz (s. auch !adversativ, ! Antithese, !Kontrast) 14f., 17, 20, 28, 34, 53, 79, 81, 87, 91, 96, 103, 112, 145, 166, 168–170, 174, 221, 228, 240, 254, 273, 283, 298, 300, 307, 330, 332, 343, 353, 355, 359, 381, 395, 411, 413, 423, 438 Gerede (s. auch !Gerîcht, !§ffentliche Meinung) 14, 16, 40, 46, 108–111, 130, 136, 139, 141, 201, 227f., 243, 326, 437 Gerîcht (s. auch !Gerede, !§ffentliche Meinung) 1, 26, 40, 60, 66, 70–72, 76f., 80, 108–111, 119–122, 129, 134–136, 139f., 144, 153f., 201, 284f., 292, 305, 428, 434, 437 – Hçrensagen 110, 333 Glaubwîrdigkeit (s. auch !Unglaubwîrdigkeit) 1, 16, 59, 64, 73f., 76, 99, 106, 110f., 116, 133, 155, 224, 269, 282, 287, 309, 321, 402, 425, 428 Heuchelei 20, 23f., 26f., 31, 33, 37, 40f., 43f., 51, 55–57, 59, 61, 67, 88, 92f., 96, 101, 103, 113, 117, 145, 158, 160, 163, 188, 230, 234, 329, 362, 426, 435f. Hohn (s. auch !Spott, !Sarkasmus) 22, 163, 172, 189, 202, 310, 315, 332, 346, 355, 377, 390, 430, 438
456
Sachregister
Indikativ 26f., 64, 144, 150, 304 Indirekte Rede 27, 46, 153, 180f., 185, 219, 227, 243, 255, 264, 272, 275, 279, 306, 316, 362, 410, 413, 427 Ironie 2, 21, 44, 56, 61, 138, 152f., 156, 159, 164, 171–173, 176, 180f., 185, 188f., 191–193, 201, 209, 212, 214–216, 220, 249, 257, 261, 268, 270, 273f., 277–279, 282, 284f., 290, 294f., 297, 303–306, 310, 312, 314f., 318f., 324f., 327–332, 335, 337, 345, 349, 353, 355, 362, 364, 369, 377–382, 398, 402, 408, 412, 433, 438f. – ironischer Kontrast 209, 262, 294, 326f., 346f., 352, 408, 439, 441 Kollektives / Allgemeines Wissen 3, 27, 51, 53f., 56, 60, 83, 92, 114, 119, 129, 282, 336, 355, 433 Konjunktiv 27, 94, 97, 144, 169, 172 Kontext 43, 52, 57f., 66, 74, 94, 111, 122, 143, 158, 177, 189, 202, 209, 215, 219, 228f., 257, 293, 328, 335, 339, 346, 354, 379, 441 Kontrast (s. auch !adversativ, !Antithese, !Gegensatz) 19, 23, 31, 33, 35, 47, 63, 81, 86, 95f., 154f., 158–161, 164f., 174, 198, 202, 208–210, 214, 233, 235, 239, 246, 251, 254, 256, 261, 269f., 277, 282f., 285, 288, 291, 293, 296, 298, 300f., 315, 317, 330, 335, 340, 355, 364f., 374, 381, 389, 393–395, 400, 408, 413, 428 – – ironischer Kontrast 209, 262, 294, 326f., 346f., 352, 408, 439, 441 Kontrastfigur 35, 80f., 215, 228, 307 Kontrastfolie 87, 302, 324, 413 Kontrastmittel 87, 238 Kontrastschilderung 232
Mehrheitsmeinung (s. auch !§ffentliche Meinung) 40, 144 – communis opinio 184 Narrative Funktion
6, 194, 197
Objektivitt (s. auch !Parteilichkeit, !Unparteilichkeit) 2, 14, 16, 24, 27, 30, 45, 51, 58, 63f., 66, 83f., 92, 94, 107, 110–112, 128, 130f., 139f., 142f., 185, 237, 257, 262, 314, 409 §ffentliche Meinung (s. auch !Gerede, !Gerîcht, !Mehrheitsmeinung) 77, 83, 131, 137f. Parodie 234, 279, 315, 334f., 382, 435 Parteilichkeit (s. auch !Objektivitt, !Unparteilichkeit) 30, 73 Prgnanz 20, 25, 60, 66, 125, 144, 162, 185, 244, 260, 354 Rede und Gegenrede 14, 16, 157, 181, 217f., 220f., 255, 258 Relativierung 28, 43, 45, 47, 51, 64, 116, 118, 143, 196, 200, 213, 232, 239f., 262, 340, 376, 392 Reminiszenz 24, 151, 167, 176, 215, 243, 285, 292, 328, 336, 398, 401, 408 Retrospektive Darstellungskunst 18, 29f., 35, 40, 144f., 192 Sarkasmus (s. auch !Hohn, ! Spott) 152, 266, 321, 377, 381, 383, 409, 411 Sentenz 50, 227, 267, 276, 334, 337, 368, 423, 433 Spott (s. auch !Hohn, !Sarkasmus) 181, 201f., 210, 253, 274, 277, 303f., 355, 391, 408 Stereotype Charakterdarstellung 4, 11f., 41, 104, 145, 440 Subjektive Meinung 88, 97, 124, 126, 150, 169, 172
457
Sachregister
Unglaubwîrdigkeit (s. auch !Glaubwîrdigkeit) 74, 108f., 133, 269 Unparteilichkeit (s. auch !Objektivitt, !Parteilichkeit) 2f., 16, 36, 62, 104, 111, 141f., 181, 269, 314
Wahrheitsbeteuerung Zynismus
268f., 282
18, 59, 162f.
Stellenindex* Caesar bell. civ. 1,1,4
164 Anm. 452
Cassius Dio 54,18,2 180 Anm. 498 56,43-44 14 Anm. 34 56,45,3 32 Anm. 101 60,11 373 Anm. 1165 60,11,1ff. 373 Anm. 1164 60,11,5 390 Anm. 1223 60,22,2 288 Anm. 865; 368 Anm. 1146 60,22,5 300 Anm. 914 60,30,4-6 [Xiph.] 224 Anm. 631 60,31,1-5 [Exc. Val., Xiph., Zon.] 206 Anm. 572 60,31,5 [Exc. Val., Xiph., Zon.] 285 Anm. 854 60,31,7 [Exc. Val.] 339 Anm. 1056 60,33,4 [Xiph.] 391 Anm. 1226 60,33,6 [Exc. Val.] 395 Anm. 1240 60,34,1 [Xiph., Zon.] 420 Anm. 1313 60,34,2 [Xiph., Zon.] 434 Anm. 1365 60,34,4 [Xiph.] 428 60,35,1 [Xiph.] 416 Anm. 1303 61,33,21 [Xiph.] 368 Anm. 1147 Cicero Deiot. 15 127 Anm. 372 de orat. 2,62 2 Anm. 7 epist. ad fam. 7,30 326 Anm. 1005 inv. 1,15,20 1 nat. deor. 2,14 127 Anm. 372 *
Phil. 6,17 234 Anm. 670 post redit. ad Quir. 17 164 Anm. 452 Tusc. 3,11 204 Anm. 568 CIL XIII 1668 (= Dessau 212) Anm. 689 CIL XIII 1668 (= Dessau 212), II, 9-27 253 Anm. 720 CIL XIII 1668 (= Dessau 212), II, 9-18 152 Anm. 411 CIL XIII 1668 (= Dessau 212), II, 32-36 252 Anm. 717
242 Col. Col. Col.
Curtius Rufus 3,12,11 278 Anm. 823 Euripides Bacch. 1080ff. 284 Anm. 849 Flavius Iosephus ant. Iud. 20,118-137 387 ant. Iud. 20,148 434 Anm. 1363 bell. Iud. 2,232-247 387 Horaz carm. 2,16,25ff. 215 Anm. 608 carm. 3,27,1-16 371 Anm. 1158 Juvenal 10,329-345 10,330-345
266 Anm. 769 206 Anm. 572
Livius 1,32,12 164 Anm. 452 1,41,1-7 72 Anm. 235 3,63,11 164 Anm. 452
Hinweis: Seitenangaben in Fettdruck weisen in Bezug auf die Annalen des Tacitus auf eine ausfîhrlichere Behandlung der jeweiligen Stelle hin.
460
Stellenindex
4,3-5 243 Anm. 689 4,3,14 256 Anm. 730 6,2,1f. 251 Anm. 713 6,3,4 278 Anm. 823 31,37,3 244 Anm. 691 33,15,6 244 Anm. 691 34,11,5 278 Anm. 823 34,15,9 201 36,35,3 278 Anm. 823 Lucan 1,558
371 Anm. 1158
Monumentum Ancyranum 1,1 24 Anm. 75 26,2 23 Anm. 70 Ovid met. 1,147 68 Anm. 225 met. 15,791 371 Anm. 1158 Platon Gorg. 524e-525a 40 Anm. 132 Pol. 8,566d-e 40 Anm. 131 Plinius (maior) NH 7,76 255 Anm. 727 NH 35,201 382 Anm. 1198 NH 36,122 210 Anm. 591 NH 36,124 390 Anm. 1222 Plinius (minor) epist. 1,20,6 164 Anm. 452 epist. 3,1,5 291 Anm. 875 epist. 7,27,2 233 Anm. 668 epist. 8,6 382 epist. 8,6,4 378 Anm. 1183 epist. 8,6,14 378 Anm. 1183 Plutarch Cato min. 67-70
165 Anm. 456
Polybius 6,9,11 2 Anm. 7 Quintilian inst. 2,10,5 inst. 6,2,33
68 Anm. 225 49 Anm. 164
Sallust Cat. 5,3-6 100 Cat. 10,1 100 Anm. 305 hist. 1,12 38 Anm. 126 Seneca apocol. 8,2 324 Anm. 997 de provid. 2,9-12 165 Anm. 456 epist. 66,41 164 Anm. 452 nat. 2,14,2 432 Anm. 1358 Phaedr. 558 68 Anm. 225 Statius silv. 2,1,49
68 Anm. 225
Sueton Aug. 11 26 Anm. 83 Claud. 13,2 375 Anm. 1171 Claud. 14 372 Anm. 1163 Claud. 15,1 241 Anm. 686 Claud. 16 210 Anm. 590 Claud. 16,1 241 Anm. 686 Claud. 17,3 288 Anm. 865; 368 Anm. 1146 Claud. 18,2 373 Anm. 1164 u. 1165 Claud. 20,1 210 Anm. 591; 230 Anm. 657; 391 Anm. 1224; 394 Anm. 1234 Claud. 20,2 390 Anm. 1222; 394 Anm. 1237; 395 Anm. 1238 Claud. 21,2 200 Anm. 553 Claud. 21,6 391 Anm. 1226; 395 Anm. 1238 Claud. 24,2 239 Anm. 681 Claud. 24,3 231 Anm. 661 Claud. 25 409 Claud. 25,1 409 Anm. 1283 Claud. 25,3 399 Anm. 1252 Claud. 26,2-3 298 Anm. 902 Claud. 26,2 263 Anm. 752 Claud. 26,3 317 Anm. 972 Claud. 29,2 339 Anm. 1056 Claud. 29,3 263 Anm. 752 Claud. 32f. 330 Anm. 1021 Claud. 32 395 Anm. 1238 Claud. 36 263 Anm. 752 Claud. 39,2 352 Anm. 1099
Stellenindex
Claud. 41,3 211 Claud. 42,2 214 Claud. 43 420 Anm. 1313 Claud. 44,2 434 Anm. 1364 u. 1365 Claud. 46 416 Anm. 1303 Iul. 44,3 Iul. 76,2 Nero Nero Nero Nero
394 Anm. 1234 326 Anm. 1005
6,4 203 Anm. 566 7,1 424 Anm. 1335 7,2 400 Anm. 1252 15,2 326 Anm. 1005
Tib. 42,1 39 Anm. 130 Tib. 57,1 39 Anm. 130 Tib. 61f. 39 Anm. 130 Tacitus Agr. 9,3 224 Anm. 633 Agr. 19,3 224 Anm. 633 ann. 1,1-10 13 Anm. 33 ann. 1,1-3 ann. 1,1,1 18 mit Anm. 50 ann. 1,1,3 2 ann. 1,2 23; 178 Anm. 492 ann. 1,2,1 20; 44 Anm. 149; 176 mit Anm. 488; 178 Anm. 492 ann. 1,3 29; 66; 67; 68 Anm. 226; 69 Anm. 227; 70; 75; 76 Anm. 251; 78; 83 ann. 1,3,1 67; 349 ann. 1,3,2 67 mit Anm. 221 ann. 1,3,3-5 69 ann. 1,3,3 35 Anm. 111; 66 Anm. 219; 68; 69; 75; 77; 78 Anm. 258; 85 Anm. 272; 350 ann. 1,3,4 69; 70 ann. 1,3,5 78 Anm. 256; 82 Anm. 268; 350; 359 Anm. 1121 ann. 1,4 41 Anm. 137; 46 ann. 1,4,1 215 Anm. 608; 337 Anm. 1049 ann. 1,4,2 40 Anm. 133 ann. 1,4,3-5 46
461
ann. 1,4,3 40; 41; 138; 198 Anm. 549 ann. 1,4,5 396 Anm. 1241 ann. 1,5 66; 70; 71; 75; 76; 85 ann. 1,5,1-2 70 ann. 1,5,1 71 Anm. 230; 72; 436 ann. 1,5,3 71 ann. 1,5,4 72; 436 ann. 1,6 67; 71; 72; 74; 75 ann. 1,6,1 34 Anm. 108; 73; 104 Anm. 315 ann. 1,6,2-3 73 ann. 1,6,2 73 ann. 1,7 78; 79; 83 ann. 1,7,2 280 Anm. 830 ann. 1,7,6 54 Anm. 180; 78 Anm. 259; 82 Anm. 268; 154 Anm. 416 ann. 1,7,10 35 ann. 1,9f. 14; 109 Anm. 324; 243 Anm. 690 ann. 1,9 24 Anm. 76; 25; 27 Anm. 88 ann. 1,9,1 14 mit Anm. 36 ann. 1,9,2 15 Anm. 37 ann. 1,9,3-5 14; 16 Anm. 45; 17; 22 ann. 1,9,3 14; 16; 23 mit Anm. 71 ann. 1,9,5 18 mit Anm. 50; 22; 23 Anm. 70; 25; 28 ann. 1,10 14; 23; 24 Anm. 76; 76 Anm. 251; 97 Anm. 300 ann. 1,10,1-7 16 Anm. 45 ann. 1,10,1-4 25 ann. 1,10,1-2 25 ann. 1,10,2f. 27 Anm. 88 ann. 1,10,2 26 Anm. 83; 28; 52 Anm. 174 ann. 1,10,3 27 ann. 1,10,4 28; 143; 279 Anm. 826; 407 Anm. 1276 ann. 1,10,5-8 29 ann. 1,10,5 66; 76 mit Anm. 251; 77 Anm. 252; 138; 407 Anm. 1275 ann. 1,10,7 27 Anm. 88; 32; 40 Anm. 135; 350 ann. 1,10,8 16 Anm. 45
462
Stellenindex
ann. 1,11-14 34 ann. 1,11 64 Anm. 215 ann. 1,11,1 34 ann. 1,11,2 292 Anm. 880 ann. 1,12,1 34; 328 Anm. 1014 ann. 1,12,2-4 61 Anm. 203 ann. 1,13,2 71 Anm. 233 ann. 1,14 37 Anm. 122; 59 ann. 1,14,2 60 ann. 1,24-30 117 ann. 1,24,2 98 ann. 1,29,3 229 Anm. 650 ann. 1,31 78; 83; 90 ann. 1,31,1 78 Anm. 260; 82 Anm. 268; 83 Anm. 269; 84 Anm. 271; 86 Anm. 273 ann. 1,33 81; 82; 83 Anm. 270; 84 mit Anm. 271; 85; 86; 87; 91; 97; 115; 119; 120 Anm. 355 ann. 1,33,1 54 Anm. 180 ann. 1,33,2 87 Anm. 278 u. 279; 96; 115 Anm. 337; 126 ann. 1,33,3 76 Anm. 247; 85 Anm. 272; 119 ann. 1,34,1 84 ann. 1,35,3f. 84 Anm. 271 ann. 1,35,4 84 Anm. 271 ann. 1,35,5 84 Anm. 271 ann. 1,46 34 ann. 1,46,3 34 Anm. 109 ann. 1,51,1 87 Anm. 277 ann. 1,52 37 Anm. 122; 88 mit Anm. 282 u. 285 ann. 1,52,1-3 88 ann. 1,52,1 54 Anm. 180; 94; 97 ann. 1,52,2 92 ann. 1,53 77 Anm. 254 ann. 1,53,2 74 Anm. 243 ann. 1,54,2 34 Anm. 109 u. 110; 35 Anm. 110; 59 Anm. 198 ann. 1,58,5 86 Anm. 276 ann. 1,60,3 87 Anm. 277 ann. 1,61,3f. 87 Anm. 277 ann. 1,62 89 mit Anm. 287; 94 Anm. 295 ann. 1,62,2 54 Anm. 180; 89 ann. 1,69,5 59 Anm. 196; 97 ann. 1,71,3 86 Anm. 275
ann. 1,72 33; 37 Anm. 122; 47 ann. 1,72,1 47 ann. 1,72,2 47 mit Anm. 159; 48 ann. 1,72,3 33 ann. 1,72,4 59 ann. 1,75 37 Anm. 122; 45 ann. 1,75,2 45; 46; 144 ann. 1,76,1 61 Anm. 203; 62 Anm. 203 ann. 1,76,4 34; 35 Anm. 110 ann. 1,77 37 Anm. 122; 43; 44 Anm. 148; 96 Anm. 299 ann. 1,77,3 43; 44 ann. 1,80 63 mit Anm. 208; 64 Anm. 209; 65 Anm. 218; 432 Anm. 1360 ann. 1,80,1 63 ann. 1,81 37 Anm. 122; 44; 96 Anm. 299 ann. 1,81,1 45 ann. 1,81,2 44 ann. 2,1-4 91; 117 Anm. 345 ann. 2,2,1 220 Anm. 617 ann. 2,5 37 Anm. 122; 91 mit Anm. 290; 92 ann. 2,5,1f. 91 ann. 2,5,1 54 Anm. 180; 91; 92; 113; 114; 116; 119 ann. 2,5,2 92; 97 ann. 2,8,4 87 Anm. 277 ann. 2,9-10 219 Anm. 617 ann. 2,9,3 219 Anm. 617 ann. 2,10,1 219 Anm. 617 ann. 2,13,1 86 Anm. 275 ann. 2,17,3 244 Anm. 691 ann. 2,26 91; 93 Anm. 294; 112; 113 ann. 2,26,1f. 91 ann. 2,26,2f. 92 ann. 2,26,2 93; 97 ann. 2,26,4 92; 117 mit Anm. 349 ann. 2,26,5 93; 113; 114 ann. 2,28 37 Anm. 122 ann. 2,30 37 Anm. 122 ann. 2,30,3 379 Anm. 1185 ann. 2,32f. 62 Anm. 203 ann. 2,36 37 Anm. 122
Stellenindex
ann. 2,37,1 127 Anm. 372 ann. 2,38,3 229 Anm. 650 ann. 2,39f. 74 Anm. 243 ann. 2,41 114; 115 ann. 2,41,3 114; 115 Anm. 337; 120 mit Anm. 355; 143 ann. 2,42 37 Anm. 122; 115; 116 Anm. 342 ann. 2,42,1f. 115 ann. 2,42,1 54 Anm. 180; 91; 116; 117; 119 ann. 2,42,2-5 116 ann. 2,43 116; 119 ann. 2,43,1 117 ann. 2,43,2f. 118 ann. 2,43,2 54 Anm. 180 ann. 2,43,4 54 Anm. 180; 119 mit Anm. 354; 122; 135 ann. 2,43,5 54 Anm. 180 ann. 2,47 45 ann. 2,47,2 399 Anm. 1251 ann. 2,48,1 46 ann. 2,48,3 378 Anm. 1180 ann. 2,53 35 ann. 2,53,2 87 Anm. 278 ann. 2,53,3 120 ann. 2,54 120; 122 ann. 2,54,4 120; 143 ann. 2,55 35; 121 ann. 2,55,1 86 Anm. 275; 121; 143 ann. 2,55,3 121 ann. 2,55,4f. 122 Anm. 358 ann. 2,55,5 121 ann. 2,55,6 121; 122 Anm 358 ann. 2,57 122 ann. 2,57,2 86 Anm. 276 ann. 2,57,4 123 ann. 2,58 123 ann. 2,59-61 123 ann. 2,59 93; 94 mit Anm. 295; 97 ann. 2,59,1 87 Anm. 278 ann. 2,59,2 97 ann. 2,60,1 95 Anm. 297 ann. 2,63 37 Anm. 122 ann. 2,64,1 117 Anm. 346 ann. 2,65,1 134 Anm. 383
463
ann. 2,69-83 140 Anm. 394 ann. 2,69 123; 144 ann. 2,69,1-3 123 ann. 2,69,1 122 Anm. 358 ann. 2,70 124 ann. 2,70,1 125 ann. 2,70,2 125 mit Anm. 366 ann. 2,71 125 ann. 2,71,1f. 126 ann. 2,71,1 125 ann. 2,72f. 86 ann. 2,72 86; 127 ann. 2,72,1 137 Anm. 388; 229 Anm. 650 ann. 2,72,2 86 mit Anm. 274 u. 277; 127 ann. 2,73 80 Anm. 265; 128 ann. 2,73,1f. 128 ann. 2,73,3 86 Anm. 276 ann. 2,73,4 128 Anm. 375; 131 ann. 2,74 128 ann. 2,74,2 128 ann. 2,75,1 193 Anm. 537 ann. 2,76-81 125 Anm. 366 ann. 2,77 129 ann. 2,77,3 54 Anm. 180; 129 ann. 2,82 129; 130 Anm. 378 ann. 2,82,1f. 130 ann. 2,82,2 87 Anm. 278 ann. 2,84 37 Anm. 122 ann. 2,86,1 332 Anm. 1027 ann. 2,87 37 Anm. 122; 47 ann. 2,88,1 226 Anm. 641 ann. 3,1f. 52 ann. 3,1,4 53 ann. 3,2 37 Anm. 122 ann. 3,2,2f. 53 ann. 3,2,3 53; 57; 60 Anm. 201; 83 Anm. 269 ann. 3,3 52; 126 Anm. 367 ann. 3,3,1 52; 54; 56; 57 ann. 3,3,2-3 55; 56; 57 ann. 3,3,2f. 65 Anm. 218 ann. 3,3,2 55 Anm. 184 ann. 3,3,3 57 ann. 3,7 130 ann. 3,7,1 130
464
Stellenindex
ann. 3,7,2 130 ann. 3,11 130 ann. 3,11,2 131; 132 ann. 3,14f. 130 ann. 3,14 132 ann. 3,14,1 133; 193 Anm. 537 ann. 3,14,2 133 ann. 3,14,3 133; 134; 136 ann. 3,14,4f. 134 ann. 3,15 135 ann. 3,15,1 135 ann. 3,15,2f. 135 ann. 3,15,2 132 ann. 3,15,3 135; 136 ann. 3,16 98 Anm. 302; 136 ann. 3,16,1 136 ann. 3,17 137 ann. 3,17,2 137; 138 Anm. 390 ann. 3,19 77; 98; 139 ann. 3,19,2 139 ann. 3,19,3 77; 138 Anm. 389 ann. 3,24,3 13 Anm. 31 ann. 3,28,2 51 Anm. 169 ann. 3,29 98 Anm. 302 ann. 3,30,3 74 Anm. 243 ann. 3,31,2 58 Anm. 195 ann. 3,34,3 193 Anm. 537 ann. 3,35 98 Anm. 302 ann. 3,36-38 33 Anm. 103 ann. 3,40-46 252 Anm. 717 ann. 3,47,3 239 ann. 3,49-51 33 Anm. 103 ann. 3,51 37 Anm. 122 ann. 3,56,2 21 Anm. 63 ann. 3,58,3 193 Anm. 537 ann. 3,60 37 Anm. 122; 44; 96 Anm. 299 ann. 3,60,1 44 ann. 3,64 58 ann. 3,64,1 58; 59 Anm. 197 u. 199; 60; 83 Anm. 269 ann. 3,64,2 58 ann. 3,65-70 177 Anm. 491 ann. 3,65 3 Anm. 9 ann. 3,65,1 229 Anm. 650 ann. 3,66-70 33 Anm. 103 ann. 3,66 98 Anm. 302 ann. 3,69 45
ann. ann. ann. ann. ann.
3,69,1 239 3,69,5 45 3,69,6 332 Anm. 1027 3,72 98 Anm. 302 3,72,3 172 Anm. 473
ann. 4,1f. 97 Anm. 300 ann. 4,1 98 ann. 4,1,1 42; 99; 101; 105; 107 Anm. 320 ann. 4,1,2 97 Anm. 301; 102 ann. 4,1,3 100; 101; 143; 337 Anm. 1052 ann. 4,2 101 ann. 4,2,1 101; 366 Anm. 1139 ann. 4,2,2f. 102 Anm. 310 ann. 4,2,3 103 Anm. 313 ann. 4,3 102; 103 ann. 4,3,1f. 102; 107 Anm. 320 ann. 4,3,2 103 Anm. 313; 105 ann. 4,3,3 103; 337 Anm. 1052 ann. 4,3,5 104; 107 Anm. 320 ann. 4,4-6 104 ann. 4,4 37 Anm. 122 ann. 4,4,1 152 Anm. 409 ann. 4,6f. 48 ann. 4,6 48; 65 Anm. 218; 104 Anm. 316 ann. 4,6,1 42 ann. 4,6,2f. 65 Anm. 218 ann. 4,6,2 65 Anm. 218 ann. 4,7 103; 104 ann. 4,7,1 48; 104 ann. 4,7,2f. 105 ann. 4,8 106 ann. 4,8,1 107 mit Anm. 320 ann. 4,9 37 Anm. 122 ann. 4,10f. 107; 110 ann. 4,10,1-3 108 ann. 4,10,1 107; 110 ann. 4,11 108 ann. 4,11,1f. 108 ann. 4,11,2 379 Anm. 1185 ann. 4,11,3 109 ann. 4,13,1 399 Anm. 1251 ann. 4,19 37 Anm. 122 ann. 4,19,1 151 Anm. 407 ann. 4,20 37 Anm. 122
Stellenindex
ann. 4,21-22 33 Anm. 103 ann. 4,22,3 167 Anm. 459 ann. 4,28-32 177 Anm. 491 ann. 4,28-31 33 Anm. 103 ann. 4,31 37 Anm. 122 ann. 4,31,3 150 Anm. 406 ann. 4,32 177 Anm. 491 ann. 4,33,4 60 Anm. 202 ann. 4,34,1 20 Anm. 58 ann. 4,36 33 Anm. 103; 177 Anm. 491 ann. 4,36,1 177 Anm. 491 ann. 4,38,4 65 Anm. 218 ann. 4,39,2 152 Anm. 409 ann. 4,42 33 Anm. 103 ann. 4,54,1 151 Anm. 407 ann. 4,57 37 Anm. 122 ann. 4,57,3 351 Anm. 1096; 396 Anm. 1241 ann. 4,62,1 183 Anm. 507 ann. 4,66 33 Anm. 103; 46 ann. 4,66,1 46 ann. 4,66,2 239 ann. 4,67 37 Anm. 122 ann. 4,68-70 33 Anm. 103 ann. 4,71 37 Anm. 122; 77 ann. 4,71,1 379 Anm. 1185 ann. 4,71,2 62 Anm. 203 ann. 4,71,4 77 mit Anm. 254 ann. 4,72f. 225 Anm. 638 ann. 4,74 37 Anm. 122 ann. ann. ann. ann. ann.
5,1 79 mit Anm. 262 5,1,1 169 Anm. 465 5,1,3 396 Anm. 1241 5,2 37 Anm. 122 5,2,1 59 mit Anm. 199
ann. 6,1 37 Anm. 122 ann. 6,2,4 152 Anm. 409 ann. 6,5,1 50 Anm. 167 ann. 6,6 37 Anm. 122; 40 Anm. 132 ann. 6,6,1f. 40 Anm. 132 ann. 6,7,2 50 Anm. 167 ann. 6,9,2 167 Anm. 459 ann. 6,9,3 50 Anm. 167 ann. 6,10,1 50 Anm. 167
465
ann. 6,11,1 209 Anm. 587 ann. 6,14,1 50 Anm. 167 ann. 6,16,1 50 Anm. 167 ann. 6,17/18f. 49 ann. 6,17 49; 50 ann. 6,17,3 49 mit Anm. 162 ann. 6,18f. 144 ann. 6,18 50 Anm. 167 ann. 6,18,1 49; 50; ann. 6,19 50 mit Anm. 164 ann. 6,19,2 49 ann. 6,19,3 49 ann. 6,20 333 Anm. 1030 ann. 6,23 60; 62 Anm. 203; 63 Anm. 207 ann. 6,23,1 60; 62 mit Anm. 204 ann. 6,23,2 127 Anm. 371 ann. 6,29,1 167 Anm. 459 ann. 6,38-39 177 Anm. 491 ann. 6,46 37 Anm. 122; ann. 6,48 167 Anm. 459 ann. 6,48,2-3 167 Anm. 459 ann. 6,48,2 38; 39 ann. 6,50 37 Anm. 122 ann. 6,50,1 439 Anm. 1380 ann. 6,50,4 439 Anm. 1380 ann. 6,51 36; 39; 41 Anm. 137; 48; 79 Anm. 262 ann. 6,51,1 350 ann. 6,51,3 36; 37; 38; 39 mit Anm. 129; 40; 41 mit Anm. 136; 48; 97 Anm. 301 ann. 11,1-7 6 Anm. 18; 149; 175 Anm. 484; 194 ann. 11,1-4 149; 321 Anm. 988 ann. 11,1-3 152 Anm. 411; 258 Anm. 737 ann. 11,1f. 348 Anm. 1086 ann. 11,1 274 Anm. 806; 344 Anm. 1069 ann. 11,1,1-2 151 ann. 11,1,1 149; 151 Anm. 407; 152 Anm. 409; 165 Anm. 456; 169 Anm. 467; 177 Anm. 490; 304; 402; 403 Anm. 1259 ann. 11,1,2 156
466
Stellenindex
ann. 11,1,3 154; 163; 173 Anm. 476; 177 Anm. 490; 286 Anm. 854; 324 Anm. 999; 345 Anm. 1074; 401 Anm. 1254 ann. 11,2-3 322 Anm. 990 ann. 11,2 160 Anm. 441; 165 Anm. 456; 306 Anm. 934 ann. 11,2,1 155; 157; 163; 168; 177 Anm. 490; 301 Anm. 915; 303 ann. 11,2,2 157 Anm. 432; 158; 159; 161; 173; 177 Anm. 490; 379 Anm. 1184 u. 1186 ann. 11,3 158 Anm. 434; 159 Anm. 437; 163; 176 ann. 11,3,1 158 Anm. 434; 162; 163; 377 Anm. 1177 ann. 11,3,2 152 Anm. 411; 163; 164; 167 Anm. 459; 209 Anm. 587; 277 Anm. 818 ann. 11,4-6 348 Anm. 1086 ann. 11,4f. 237 ann. 11,4 168; 171 Anm. 472; 178; 344 Anm. 1069 ann. 11,4,1 168; 169 mit Anm. 467; 178 Anm. 494; 299 Anm. 909; 309 Anm. 948; 330 Anm. 1019 ann. 11,4,2 170 mit Anm. 470; 171 Anm. 471; 177 Anm. 490; 284 Anm. 851 ann. 11,4,3 171 Anm. 471; 173; 177 Anm. 490; 379 ann. 11,5-7 149; 175 mit Anm. 484; 191; 197 ann. 11,5 177 Anm. 491; 178 Anm. 492; 193 Anm. 535 ann. 11,5,1-2 175 ann. 11,5,1 176 ann. 11,5,2 182 mit Anm. 505 u. 506; 187 ann. 11,5,3 179; 191; 207; 274 Anm. 807 ann. 11,6 181; 190; 206 Anm. 574; 238 Anm. 678 ann. 11,6,1 181 mit Anm. 502; 182 Anm. 506; 187; 188; 190 Anm. 524
ann. 11,6,2 182; 186 Anm. 515; 189 ann. 11,6,3 184; 185 Anm. 513; 191; 337 ann. 11,7 180 Anm. 500; 181; 182; 197; 335 Anm. 1041 ann. 11,7,1 183 Anm. 507; 184; 185; 190 Anm. 524; 193 ann. 11,7,2-3 187 ann. 11,7,3 179 mit Anm. 495; 191 ann. 11,7,4 177 Anm. 490; 180 Anm. 500; 190; 193 Anm. 535 ann. 11,8-10 6 Anm. 18; 7 mit Anm. 20; 194; 197; 198 Anm. 549; 221 Anm. 623 ann. 11,8 195 ann. 11,8,1 7 Anm. 19; 194 mit Anm. 539; 196 ann. 11,8,2-4 196 ann. 11,8,2 198 Anm. 549 ann. 11,8,3 198 Anm. 549 ann. 11,9 195 ann. 11,9,1 196 ann. 11,9,2 195; 196 ann. 11,10 195 ann. 11,10,2 196 ann. 11,10,3 198 Anm. 549 ann. 11,10,4 198 Anm. 549 ann. 11,11-25 258 Anm. 736 ann. 11,11-15 199 ann. 11,11-12 197 ann. 11,11 197 mit Anm. 545; 199; 202 ann. 11,11,1 180 Anm. 500; 199 ann. 11,11,2 157 Anm. 432; 200; 284 Anm. 851; 399 Anm. 1250 ann. 11,11,3 201; 399 Anm. 1250 ann. 11,12f. 441 ann. 11,12 202; 207; 215; 263; 279 Anm. 828; 283 Anm. 847 ann. 11,12,1 200 Anm. 554; 202; 344 Anm. 1070; 353 Anm. 1101; 363 Anm. 1130 ann. 11,12,2 192 Anm. 532; 192 Anm. 534; 204; 205 Anm. 571; 264; 266; 279 Anm. 828; 325 Anm. 1002
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ann. 11,12,3 191 Anm. 530; 192 Anm. 532; 206; 208 Anm. 583; 264; 265 mit Anm. 763 und 765; 279; 283 Anm. 845 ann. 11,13-15 208; 211 Anm. 594; 213; 215 Anm. 607; 240 Anm. 684 u. 685 ann. 11,13 159 Anm. 437 ann. 11,13,1 208; 218; 268 Anm. 779; 285 Anm. 853; 325 Anm. 1002; 379 Anm. 1184; 401 Anm. 1254 ann. 11,13,2 210; 212 Anm. 596; 230 Anm. 657; 240 Anm. 684 ann. 11,14 214 ann. 11,14,1-3 211 ann. 11,14,2 399 Anm. 1250 ann. 11,14,3 214 ann. 11,15 214; 216 Anm. 613; 241 ann. 11,15,1-3 213 ann. 11,15,1 213 Anm. 602; 215 Anm. 607 ann. 11,16-21 208; 217 ann. 11,16-17 217; 218; 220 Anm. 619; 258 Anm. 736 ann. 11,16 220 Anm. 617 ann. 11,16,1 217; 219 mit Anm. 617; 220 Anm. 619 ann. 11,16,2-11,17,1 217 ann. 11,16,2-3 219 ann. 11,16,2 209 Anm. 587; 218; 219 Anm. 617 ann. 11,16,3 219 Anm. 617; 221 Anm. 620; 258 Anm. 736 ann. 11,17,1-3 218 ann. 11,17,1-2 220 ann. 11,17,1 258 Anm. 736 ann. 11,17,3 218 Anm. 616; 221; 228 ann. 11,18-20 222 Anm. 624 ann. 11,18-20,2 217; 222 ann. 11,18f. 230 ann. 11,18,1 222; 223 Anm. 627; 226 ann. 11,18,2 223; 224 Anm. 631; 226 ann. 11,18,3 223
467
ann. 11,19,1 225 ann. 11,19,2 226 ann. 11,19,3 226; 228 Anm. 648 ann. 11,20,1 228 ann. 11,20,2 230 ann. 11,20,3-11,21 217; 231 ann. 11,20,3 231 mit Anm. 659 ann. 11,21f. 239 Anm. 683 ann. 11,21,1 233 ann. 11,21,2 234 ann. 11,21,3 234; 235 Anm. 673 ann. 11,22-38 236 ann. 11,22 208; 236; 240 Anm. 683 ann. 11,22,1 236 ann. 11,22,2-6 240 Anm. 683 ann. 11,22,2 237; 239 Anm. 681 ann. 11,22,3 238; 240 Anm. 683 ann. 11,22,4-6 238 ann. 11,23-25 208; 236; 240 Anm. 684; 242 ann. 11,23f. 152 Anm. 410; 239 mit Anm. 683; 255; 258 Anm. 736 ann. 11,23 242; 254 Anm. 724 ann. 11,23,1 243 ann. 11,23,2-4 254 Anm. 723 ann. 11,23,2-3 242 ann. 11,23,2 246; 249; 250; 258 Anm. 736 ann. 11,23,3 248; 249; 258 Anm. 736 ann. 11,23,4 245; 251; 253; 258 Anm. 736 ann. 11,24-25 239 Anm. 683 ann. 11,24 241 Anm. 686; 242; 254 Anm. 723 u. 724; 257 Anm. 732; 441 ann. 11,24,1 242 Anm. 689; 243 Anm. 689; 246; 256 mit Anm. 730; 352 ann. 11,24,2-3 247 ann. 11,24,3 256 Anm. 728; 257 Anm. 731 ann. 11,24,4 249; 256 Anm. 728 ann. 11,24,5-6 250 ann. 11,24,6 259
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ann. 11,24,7 242 Anm. 689; 253; 334 ann. 11,25 241; 262; 263 ann. 11,25,1 209 Anm. 587; 259 ann. 11,25,2-4 322 Anm. 992 ann. 11,25,2 260 ann. 11,25,3 260 ann. 11,25,4 260 ann. 11,25,5 205 Anm. 570; 261; 262 Anm. 750; 263 Anm. 753; 285 Anm. 853; 324; 401 Anm. 1255 ann. 11,26-38 197; 203 Anm. 564; 236; 263 mit Anm. 752; 321 Anm. 988 ann. 11,26ff. 282; 305 ann. 11,26 207; 266 Anm. 770; 283; 307 ann. 11,26,1-2 299 Anm. 906 ann. 11,26,1 263 Anm. 752; 307 Anm. 938 ann. 11,26,2 198 Anm. 549; 205 Anm. 571; 264; 270 Anm. 790; 274 Anm. 807; 285 Anm. 853; 286 ann. 11,26,3 191 Anm. 530; 266; 267; 270 mit Anm. 792; 277; 284; 307 Anm. 938; 327; 330 Anm. 1021; 336 Anm. 1046; 363 Anm. 1130 ann. 11,26,4 280 Anm. 832 ann. 11,27 268; 282; 283 Anm. 844; 431 Anm. 1353 ann. 11,27,1 285 Anm. 853 ann. 11,28f. 313 ann. 11,28 290 ann. 11,28,1-2 198 Anm. 549 ann. 11,28,1 156 Anm. 425; 205 Anm. 571; 271 mit Anm. 797; 274; 283 Anm. 845; 313 Anm. 959 ann. 11,28,2 263 Anm. 752; 273; 275 Anm. 811; 276 mit Anm. 816; 280; 285 Anm. 853; 286; 288; 293 Anm. 882; 295; 305; 412 ann. 11,29 291 Anm. 875; 293 Anm. 881
ann. 11,29,1 275; 306 Anm. 936; 307 Anm. 936; 363 Anm. 1130 ann. 11,29,2 198 Anm. 549; 263 Anm. 752; 271 Anm. 798; 276; 293 Anm. 881; 319 Anm. 978 ann. 11,29,3 276; 284; 330 Anm. 1021 ann. 11,30,1-2 277 ann. 11,30,1 278 Anm. 822; 346 Anm. 1078 ann. 11,30,2 191 Anm. 530; 192 Anm. 532; 281; 283 Anm. 844; 287 Anm. 857; 407 Anm. 1276 ann. 11,31,1 198 Anm. 549; 263 Anm. 752; 274 Anm. 807; 280; 283; 285 ann. 11,31,2-3 288 ann. 11,31,2 215 Anm. 607; 282; 330 Anm. 1021 ann. 11,31,3 284 ann. 11,32,1 198 Anm. 549; 263 Anm. 752; 285; 286 Anm. 854 ann. 11,32,2 268 Anm. 778; 286; 293 mit Anm. 882; 295; 296 ann. 11,32,3 205 Anm. 571; 285 Anm. 854; 288; 291; 294; 303 ann. 11,33 289; 297; 306 ann. 11,34 296 ann. 11,34,1 205 Anm. 571; 292; 293 Anm. 881; 297; 323 mit Anm. 994 ann. 11,34,2-3 294 ann. 11,34,2 289 ann. 11,34,3 304 Anm. 928; 305 Anm. 930 ann. 11,35,1-2 296 ann. 11,35,1 315 Anm. 969; 337 Anm. 1050 ann. 11,35,2 290 Anm. 871; 297 Anm. 898; 304; 306 ann. 11,35,3 299; 300 ann. 11,36,1-2 299 Anm. 910 ann. 11,36,1 193 Anm. 537; 300 ann. 11,36,2 301 ann. 11,36,3 302 ann. 11,36,4 157 Anm. 429; 302; 348 Anm. 1086
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ann. 11,37,1 303; 304 Anm. 928; 307 ann. 11,37,2 300 Anm. 910; 304; 308 mit Anm. 940; 310; 330 Anm. 1021; 420 ann. 11,37,3-4 306 ann. 11,37,3 421 Anm. 1321 ann. 11,37,4 308 ann. 11,38 165 Anm. 456 ann. 11,38,1 308 ann. 11,38,2-3 314 ann. 11,38,2 308; 330 Anm. 1021 ann. 11,38,3 309; 321 Anm. 987 u. 988 ann. 11,38,4 271 Anm. 798; 310 ann. 12,1-9 312 mit Anm. 957; 414 ann. 12,1-3 312; 313 ann. 12,1-2 344 ann. 12,1,1 193 mit Anm. 537; 271 Anm. 798; 312 Anm. 955 u. 956; 313; 318; 321 mit Anm. 989; 331 Anm. 1025; 372 Anm. 1160; 422 Anm. 1327; 423 Anm. 1328 ann. 12,1,2 314; 317; 345 Anm. 1072 ann. 12,2 330 Anm. 1019 ann. 12,2,1 316 ann. 12,2,2 316; 317 Anm. 972 ann. 12,2,3 316; 331 Anm. 1025; 352 Anm. 1098; 422 Anm. 1327 ann. 12,3 320 Anm. 983; 329; 332; 363 Anm. 1130 ann. 12,3,1 319; 323; 423 Anm. 1330 ann. 12,3,2 309 Anm. 946; 320; 325; 341 mit Anm. 1064; 346; 363 Anm. 1130; 401 Anm. 1255 ann. 12,4 312; 322; 338; 344 Anm. 1069 ann. 12,4,1 322; 328; 396 Anm. 1244 ann. 12,4,2 323; 345 Anm. 1074 ann. 12,4,3 324 ann. 12,5-7 312; 326 ann. 12,5f. 441
469
ann. 12,5 348 Anm. 1085 ann. 12,5,1 262 Anm. 750; 326; 332; 334; 336; 362 Anm. 1127 ann. 12,5,2 328; 331; 332; 335; 336; 342 Anm. 1065; 362 Anm. 1126 ann. 12,5,3 328; 333; 351 Anm. 1096 ann. 12,6f. 359 ann. 12,6,1 330; 337; 398 Anm. 1249 ann. 12,6,2 332 ann. 12,6,3 215 Anm. 607; 333; 336 ann. 12,7,1 335; 342 Anm. 1065 ann. 12,7,2 336; 339 ann. 12,7,3 296 Anm. 896; 336; 338 Anm. 1052; 349; 396 Anm. 1240; 396 Anm. 1244 ann. 12,8f. 312; 338 ann. 12,8,1 338 ann. 12,8,2 337 Anm. 1052; 340; 363 Anm. 1130; 396 Anm. 1244 ann. 12,9 351 ann. 12,9,1-2 341; 359 ann. 12,9,1 342 Anm. 1065; 359; 363 Anm. 1130 ann. 12,9,2 342 Anm. 1065; 398 Anm. 1249 ann. 12,10-21 6; 7 Anm. 19 u. 20; 194 Anm. 538; 344 Anm. 1068 ann. 12,10 195 ann. 12,11-14 220 Anm. 619 ann. 12,11,1 408 Anm. 1281 ann. 12,11,2-3 220 Anm. 619 ann. 12,18,2 278 Anm. 823 ann. 12,22-27,1 344 ann. 12,22 344 ann. 12,22,1 344; 363 Anm. 1130; 436 ann. 12,22,2 345 mit Anm. 1075 ann. 12,22,3 346 ann. 12,23-24 347 ann. 12,23,2 347 ann. 12,25f. 348 ann. 12,25 257 Anm. 731; 348 Anm. 1085
470
Stellenindex
ann. 12,25,1 348; 351 Anm. 1096 u. 1097; 352 Anm. 1098; 369 Anm. 1150; 378 ann. 12,25,2 257 Anm. 731; 350; 351 Anm. 1097; 352 Anm. 1099; 359 ann. 12,26 197; 361 Anm. 1124 ann. 12,26,1 353; 359; 367 Anm. 1143; 382 ann. 12,26,2 354; 361 Anm. 1125; 364 Anm. 1135; 384 Anm. 1203 ann. 12,27-40 6 ann. 12,27,1 356; 367 Anm. 1143 ann. 12,27,2-40 357 Anm. 1116 ann. 12,31-40 194 Anm. 538 ann. 12,37,4 357 Anm. 1116; 364; 367 Anm. 1143; 390 Anm. 1221 ann. 12,41-43 358 ann. 12,41-42 370 Anm. 1156 ann. 12,41 197; 348 Anm. 1085; 358; 361 Anm. 1124 ann. 12,41,1 358; 359 Anm. 1121 ann. 12,41,2-3 359 ann. 12,41,2 364 Anm. 1133 ann. 12,41,3 369 Anm. 1150 ann. 12,42 159 Anm. 437; 358; 362; 363 Anm. 1130; 368 Anm. 1146 ann. 12,42,1 363; 363 Anm. 1130; 364; 369 Anm. 1150; 437 ann. 12,42,2 180 Anm. 500; 366; 371 Anm. 1159; 419 Anm. 1308 ann. 12,42,3 368; 401 Anm. 1255; 423 Anm. 1329 ann. 12,43 358; 370; 376 Anm. 1172; 414 ann. 12,43,1 171 Anm. 472; 371; 372 ann. 12,43,2 373; 374; 391 Anm. 1224 ann. 12,44-51 6; 7 Anm. 19 u. 20; 194 Anm. 538; 374 Anm. 1168; 375 ann. 12,44ff. 370 Anm. 1156 ann. 12,48,2 385 Anm. 1207 ann. 12,49,1 385
ann. 12,49,2 385 Anm. 1208 ann. 12,52-69 375 ann. 12,52-53 375 ann. 12,52,1-2 376 ann. 12,52,1 375 ann. 12,52,2 376 mit Anm. 1174 ann. 12,52,3 377; 378 mit Anm. 1180 ann. 12,53 378 ann. 12,53,1 378 ann. 12,53,2-3 381 Anm. 1191 ann. 12,53,2 379; 381 Anm. 1192 ann. 12,53,3 380 ann. 12,54-55 375; 383 ann. 12,54 159 Anm. 437; 381; 386 ann. 12,54,1 381; 383; 387 Anm. 1214 ann. 12,54,2 383; 384; 386 Anm. 1212 ann. 12,54,3 384; 385 ann. 12,54,4 386 mit Anm. 1211 ann. 12,55 388 ann. 12,55,1 169 Anm. 465 ann. 12,55,2 389 ann. 12,56-57 375; 389 ann. 12,56 392; 393; 394 Anm. 1237 ann. 12,56,1 230 Anm. 657; 390; 393; 394 Anm. 1234 u. 1237 ann. 12,56,2 390; 393 ann. 12,56,3 390 ann. 12,57 394 mit Anm. 1237 ann. 12,57,1-2 392 ann. 12,57,1 392; 394 ann. 12,57,2 395; 396; 397; 398 Anm. 1248 ann. 12,58 348 Anm. 1085; 397; 398 Anm. 1248 ann. 12, 58,1-2 412 ann. 12,58,1 397 mit Anm. 1247; 398; 399 Anm. 1250; 400 Anm. 1252; 410 ann. 12,58,2 399; 399 Anm. 1251; 400 Anm. 1252 ann. 12,59 399 Anm. 1249; 400; 401
471
Stellenindex
ann. 12,59,1 150 Anm. 405; 396 Anm. 1240; 401 mit Anm. 1255; 402 ann. 12,59,2 403 ann. 12,60f. 404 ann. 12,60 404; 405; 408 Anm. 1281; 409 ann. 12,60,1 405; 409 ann. 12,60,3 405 mit Anm. 12661269; 406 mit Anm. 1270 ann. 12,60,4 257 Anm. 731; 406; 407 mit Anm. 1273 ann. 12,61 404; 412; 413; 433 mit Anm. 1361 ann. 12,61,1 409; 410 Anm. 1285; 411 Anm. 1288 ann. 12,61,2 411; 412 Anm. 1288 u.1289 ann. 12,62/63 413 ann. 12,62 413 Anm. 1291 ann. 12,62,1 413 ann. 12,62,2 412 Anm. 1288 ann. 12,63 413 ann. 12,63,1-2 413 ann. 12,63,3 399 Anm. 1251; 413 ann. 12,64-69 414 ann. 12,64 348 Anm. 1085; 374; 376 Anm. 1172 ann. 12,64,1 273 Anm. 804; 370 Anm. 1155; 414; 417 Anm. 1304 u. 1305 ann. 12,64,2 363 Anm. 1130; 398 Anm. 1248; 417; 419; 420; 421 Anm. 1319; 422; 430; 432 Anm. 1359 ann. 12,64,3 369 Anm. 1150; 422; 423 ann. 12,65 397 Anm. 1245; 421; 428 ann. 12,65,1 424; 425 ann. 12,65,2 372 Anm. 1160; 426 ann. 12,65,3 427; 435 Anm. 1369 ann. 12,66-67 330 Anm. 1019 ann. 12,66,1-2 425; 429 ann. 12,66,1 428; 431 ann. 12,66,2 430 ann. 12,67 165 Anm. 456; 434 ann. 12,67,1-2 432
ann. 12,67,1 431; 433; 439 Anm. 1380 ann. 12,67,2 412; 433 Anm. 1362 ann. 12,68f. 72 Anm. 235 ann. 12,68 436 ann. 12,68,1 434 ann. 12,68,2-3 435 ann. 12,68,2 436 ann. 12,68,3 345 Anm. 1071 ann. 12,69,1 436 ann. 12,69,2 437 ann. 12,69,3 437; 438 Anm. 1376 ann. 13,1,1 363 Anm. 1130 ann. 13,1,3 310 Anm. 951; 428 ann. 13,2,2 263 Anm. 750; 337 Anm. 1052 ann. 13,3,1 438 Anm. 1375 ann. 13,3,2 398 Anm. 1249 ann. 13,5,1 193 Anm. 535; 240 Anm. 683 ann. 13,6,3 372 Anm. 1161 ann. 13,13 18 Anm. 51 ann. 13,13,2 423 Anm. 1330 ann. 13,14,2 369 Anm. 1150 ann. 13,15-17 197 ann. 13,15,3 369 Anm. 1150 ann. 13,16,4 350 ann. 13,19ff. 425 Anm. 1336 ann. 13,21,3 152 Anm. 409 ann. 13,25,2 244 Anm. 691 ann. 13,30,2 167 Anm. 459 ann. 13,35 224 Anm. 630 ann. 13,42 192 ann. 13,42,1 151 Anm. 406; 192 Anm. 535 ann. 13,42,4 193 ann. 13,43 192 ann. 13,43,2 193 Anm. 535 ann. 13,45,3 193 Anm. 537 ann. ann. ann. ann. ann. ann.
14,1,1 193 Anm. 537 14,2 18 Anm. 51 14,3,2 60 Anm. 202 14,7,4 353 Anm. 1101 14,7,6 363 Anm. 1130 14,9,3 345 Anm. 1071
472
Stellenindex
ann. ann. ann. ann. ann. ann.
14,11,1 14,11,2 14,40,1 14,51,1 14,55,4 14,59,3
363 Anm. 1130 337 Anm. 1052 193 Anm. 537 60 Anm. 202 193 Anm. 537 116 Anm. 344
ann. ann. ann. ann. ann. ann.
15,35,3 167 Anm. 459 15,44,3-5 215 Anm. 607 15,47,1 415 Anm. 1297 15,60-64 165 Anm. 456 15,63,3 167 Anm. 459 15,74,2 393 Anm. 1232
ann. ann. ann. ann. ann. ann. ann. ann. ann. ann.
16,9,2 167 Anm. 459 16,11,2 167 Anm. 459 16,17,4 150 Anm. 405 16,17,5 167 Anm. 459 16,19 165 Anm. 456 16,19,2 167 Anm. 459 16,21,1 381 Anm. 1192 16,23,1 381 Anm. 1192 16,34-35 165 Anm. 456 16,61 193 Anm. 537
dial. dial. dial. dial. dial. dial. dial. dial. dial.
5,4-6 190 Anm. 524 7,3f. 190 Anm. 524 8,4 190 Anm. 524 10,7f. 190 Anm. 524 13,6 190 Anm. 524 36-41 190 Anm. 525 36,2 191 Anm. 527 36,4 190 Anm. 524 36,8-37,1 190 Anm. 524
dial. dial. dial. dial. dial.
37,6f. 38,2 40,2 40,4 41,5
191 Anm. 527 191 Anm. 527 191 Anm. 527 191 Anm. 526 u. 527 191
Germ. 20,2 hist. hist. hist. hist. hist. hist. hist. hist. hist. hist. hist. hist. hist. hist.
1,1,3 1,13,3 2,38,2 2,41,2 2,70,2 3,6,1 3,31,2 3,37,2 3,56,1 3,75,3 3,84f. 4,57,2 5,9,2 5,13,1
299 Anm. 907 2 Anm. 5 116 Anm. 344 299 Anm. 907 60 Anm. 202 215 Anm. 608 215 Anm. 608 116 Anm. 344 326 Anm. 1005 371 Anm. 1158 116 Anm. 344 288 Anm. 866 299 Anm. 907 384 Anm. 1202 215 Anm. 607
Vergil Aen. 1,288 399 Anm. 1250 Aen. 7,64ff. 416 Anm. 1302 ecl. 3,33 georg. georg. georg. georg.
68 Anm. 225
1,466-468 127 Anm. 372 1,470f. 371 Anm. 1158 2,128 68 Anm. 225 3,281ff. 68 Anm. 225