Die blutige Gräfin von Günther Herbst scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Es war ein rauschendes Hochze...
22 downloads
593 Views
334KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Die blutige Gräfin von Günther Herbst scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Es war ein rauschendes Hochzeitsfest gewesen, von dem man noch lange sprechen würde. Mehr als zweihundert Gäste hatten sich auf Burg Falkenberg versammelt. Zehn Ochsen und Dutzende von Laiben edlen Weißbrots waren in hungrige Mägen gewandert, ungezählte Fuder Wein und Met durch durstige Kehlen geflossen. Zwei berühmte Troubadoure aus der Provence hatten die Feiernden mit ihrem herrlichen Gesang erfreut. Es war eine wahre Freude gewesen, wie sich alle belustigt und amüsiert hatten. Auf Helmbrecht von Falkenberg jedoch, den Burgherren,
wartete noch ein Vergnügen, das alle anderen Lustbarkeiten weit in den Schatten stellte: die Hochzeitsnacht mit seiner ihm angetrauten Gemahlin. Ungeduldig harrte er des Augenblicks, in dem er den jungfräulichen Leib der traumschönen Birgitta endlich in seine Arme schließen konnte. Dazu jedoch würde es niemals kommen, denn noch in dieser Nacht sollte Graf Helmbrecht von Falkenberg den Tod finden...
Helmbrecht lag auf dem mit feinstem Linnen ausgeschlagenen Lager des gräflichen Schlafgemachs und wartete. Aber Birgitta kam noch nicht. Sie war hinausgetreten auf den Erker und blickte hinunter auf den Burghof, von dem das Gelächter der letzten noch feiernden Festgäste nach oben drang. »Geliebte«, rief Helmbrecht, »wo bleibst du denn? Komm endlich ins Bett!« Birgitta antwortete nicht, obgleich er sich ganz sicher war, daß sie ihn gehört hatte. Leichter Unmut wallte in ihm hoch. Was stand sie da draußen herum und ließ ihn mit seinem Sehnen nach ihrer Liebe allein? Wußte sie nicht, daß sie ihm Gehorsam zu erweisen hatte, wenn er diesen von ihr verlangte? Abermals rief er ihren Namen und wiederholte sein Begehr abermals vergeblich. Helmbrechts Unmut verwandelte sich in Ärger. Ein mächtiger Markgraf wie er war es wirklich nicht gewohnt, daß man ihn mit Nichtachtung und Unbotmäßigkeit strafte. Böse Falten gruben sich auf seiner Stirn ein, als er sich vom Bett schwang und zur offenstehenden Erkertür hinüberging. Da stand Birgitta. Sie drehte sich nicht um, als sie ihn hinter sich hörte, sondern fuhr fort, auf den Hof hinunterzublicken. »Birgitta!« Jetzt erst wandte sie langsam den Kopf und sah ihn an. Der Feuerschein vom Hof tauchte ihr Gesicht und ihre Gestalt in rosiges Licht. Helmbrechts Ärger verflüchtigte sich sofort, als er sie in ihrer ganzen Schönheit so vor sich stehen sah. Das ebenmäßige, stolze Gesicht, umwallt von schulterlangem Blondhaar, das aussah wie gesponnenes Gold, der makellos gewachsene Körper, schlank und biegsam wie eine Tanne, der prächtige, hoch angesetzte Busen, das milchige Weiß ihrer Haut - dies alles machte es ihm unmöglich, ihr ernstlich böse zu sein. Ihr Blick war dazu angetan, selbst einen Stein zum Schmelzen zu bringen. Und sein Herz war nicht aus Stein. »Birgitta«, sagte er wieder und trat mit ausgestreckten Armen auf sie zu. Er versuchte, sie in seine Arme zu ziehen, aber sie wich einen
Schritt zurück. »Nicht hier, Helmbrecht«, wehrte sie ihn ab. »Die Gäste können uns von unten sehen.« Das konnten sie in der Tat. Mehrere der Feiernden blickten schon nach oben. Ritter Armbold winkte mit einer gerösteten Schinkenkeule, zwei andere Getreue hoben ihre Trinkbecher. Aber das kümmerte Helmbrecht nicht im mindesten, und auch die Tatsache, daß er sich bereits des größten Teils seiner Kleidung entledigt hatte, machte ihm überhaupt nichts aus. Ein Hundsfott und Dummkopf, wer etwas dabei fand, daß er der Jungfernschaft seiner Angetrauten ein lustvolles Ende zu bereiten gedachte. »Was scheren uns die Gäste?« fragte er deshalb. »Ich bin der Graf von Falkenberg und tue und lasse, was mir beliebt!« Wieder griff er nach ihr. Zwar versuchte Birgitta erneut, ihm auszuweichen, aber es gelang ihr nicht, weil ihr die Erkerbrüstung im Wege war. Seine Hände schlossen sich um die schwellenden Brüste seiner Gemahlin. Er fühlte ihr köstliches Gewicht und spürte, wie das Feuer in seinen Lenden erwachte. »Komm, Geliebte«, sagte er heiser. »Gehen wir ...« »Laß mich los«, zischte Birgitta und machte dabei ein Gesicht, als sei er der letzte Stallknecht, an dessen Händen noch der Mist der Schweine klebte. Helmbrecht dachte nicht daran, sie freizugeben. Lange, zu lange schon, hatte er auf diese Nacht gewartet. Und der Teufel sollte ihn holen, wenn er noch länger auf das verzichtete, was ihm nun auch rechtens zugesprochen war. Fester noch als zuvor umspannte er Birgittas Brüste und zog die herrliche Frau dichter an seinen liebesbereiten Körper. »Loslassen«, sagte Birgitta zum zweiten Mal, und ihre Stimme klang dabei scharf und schneidend wie ein Schwert. Helmbrecht von Falkenberg wußte nicht genau, ob er wütend werden oder lachen sollte. Die Situation war peinlich und lächerlich zugleich. Wenn die Feiernden merkten, daß sich ihm seine Gemahlin verweigerte ... Das trug nicht dazu bei, sein Ansehen zu erhöhen, und
wenn er dreimal der Markgraf war. Grobheit schien ihm angebracht. Einmal, um den Männern dort unten zu zeigen, wie man mit einer widerspenstigen Frau umsprang. Zum zweiten aber auch, um diese Posse zu beenden. »Mir reicht es jetzt, Weib!« herrschte er seine Angetraute halblaut an. »Du kommst jetzt sofort mit mir ins Schlaf gemach und ...« »Nein!« Helmbrecht blickte in Birgittas Augen. Und er spürte, wie ihn ein Schauder durchlief. Kein heißer Schauder der Begierde und Lust, sondern ein eisiger Schauder plötzlicher Furcht. Ein Feuer loderte in Birgittas bernsteinfarbenen Augen, ein Feuer, das ihn zu verschlingen und zu verzehren drohte. Helmbrecht wollte den Blick abwenden. Aber er spürte, daß er dazu nicht in der Lage war. Birgittas Augen hielten ihn fest, zogen ihn mit unheimlicher Macht in ihren Bann, machten ihn hilflos wie ein Reh, das die Wolfsmeute gestellt hatte. »Nimm deine Hände weg«, befahl Birgitta. Und Graf Helmbrecht von Falkenberg, der sonst niemandem gehorchte außer dem König - und diesem auch nur, wenn es sich ganz und gar nicht vermeiden ließ -, löste gehorsam die Hände von den Brüsten der Frau, die ihm auf einmal so fremd vorkam wie ein mörderisches Hunnenweib. Er nahm seine Hände nicht weg, weil er es wollte, sondern weil er es mußte, weil er einen Zwang spürte, dem er sich nicht widersetzen konnte, gegen den er nicht ankämpfen konnte. Er wollte etwas sagen, brachte jedoch kein Wort heraus. Seine Kehle war wie zugeschnürt, die Zunge wie gelähmt. Und noch immer waren Birgittas Augen auf ihn gerichtet, diese Augen, die das ewige Feuer der Hölle widerzuspiegeln schienen. Das teuflische Glühen verlor sich auch nicht, als die Gräfin jetzt lächelte und ihr Gesicht dabei engelhafte Züge annahm. »Liebst du mich, Helmbrecht?« fragte sie. Ihre Stimme klang jetzt nicht mehr scharf, sondern sanft und weich
wie ein Mooskissen, das den müden Wanderer zum Schlummer einlud. Aber Helmbrecht ließ sich dadurch nicht täuschen. Die Augen waren die wahre Birgitta, eine Birgitta, die er bisher nicht gekannt hatte, eine Birgitta, die er ganz sicherlich nicht liebte. Er wollte ihr dies sagen, aber er mußte zu seinem Entsetzen feststellen, daß er es nicht konnte. Statt dessen kamen ihm Worte über die Lippen, die ein anderer an seiner Stelle zu sagen schien. »Ja, ich liebe dich«, hörte er sich sagen. »Ich liebe dich von ganzem Herzen.« Das Lächeln seiner Gemahlin verstärkte sich. Offenkundige Belustigung kräuselte ihre Lippen. »Es freut mich, daß du mir deine Liebe gestehst, mein Gemahl«, erwiderte sie mit einem kurzen Auflachen. »Und sicher würdest du auch alles tun, um diese Liebe unter Beweis zu stellen, nicht wahr?« »Ja«, sagte Helmbrecht wider Willen, »ich würde alles tun, was du verlangst.« »Wirklich alles?« »Alles«, bestätigte der Graf. »Alles, was in meiner Macht steht.« Birgittas Augen leuchteten wie ein offenes Herdfeuer. Dunkle, alptraumhafte Gestalten schienen in den lodernden Flammen umherzutanzen, Gestalten, die Helmbrecht einen Schauder des Entsetzens nach dem anderen den Rücken hinunterjagten. »Gut«, sagte sie, »sehr gut. Du sollst Gelegenheit haben, mir deine Liebe zu beweisen. Klettere auf die Erkerbrüstung, und springe hinunter auf den Hof!« Helmbrecht glaubte, nicht recht zu hören. »Ich soll...?« Die Stimme versagte ihm. »Ja, das sollst du«, nickte Birgitta. »Und zwar sofort!« »Aber das ... Das wäre mein sicherer Tod«, stammelte der Graf. Der Burghof lag mehr als zwanzig Klafter unter dem Erker und war mit hartem Schiefergestein gepflastert. Kein Mensch konnte einen Sprung aus dieser Höhe überleben. »Ich weiß, daß du dabei den Tod finden wirst«, sagte Birgitta beinahe gleichmütig. »Dennoch bestehe ich darauf. Spring!«
Nein, wollte Helmbrecht sagen, nein, nein, nein! Aber er sagte es nicht. Sein Mund war wieder wie verschlossen, die Zunge gehorchte ihm nicht. Und er war auch nicht mehr Herr seines Körpers. Dieser machte sich selbständig, strebte wie von Geisterhand geführt zur Erkerbrüstung hinüber. Schon schnellte sein rechtes Bein hoch und schwang sich über die steinerne Schutzmauer. Verzweifelt bemühte sich Helmbrecht, gegen das wahnsinnige, selbstmörderische Geschehen anzukämpfen. Aber er stand dabei auf verlorenem Posten. Eine unheimliche Kraft beherrschte und lenkte ihn, eine Kraft, die stärker war als er und der er nichts entgegenzusetzen hatte. »Weiter«, hörte er Birgitta sagen. »Jetzt das andere Bein!« Helmbrecht stützte sich mit beiden Händen ab und zog das linke Bein nach. Im nächsten Augenblick hockte er auf der Brüstung wie die Henne auf dem Ei. Unten auf dem Hof war man auf sein ungewöhnliches Tun aufmerksam geworden. Helmbrecht sah vor Verblüffung aufgerissene Münder, spürte fassungslose Blicke auf sich ruhen. »Herr Graf, was tut Ihr?« drang die Stimme Ritter Armbolds an sein Ohr. »Seid Ihr trunken?« Nein, wollte Helmbrecht antworten, nicht der Wein ist schuld. Sie ist es, die mich treibt! Birgitta, meine engelgleiche Gemahlin, die in Wirklichkeit eine Tochter des Teufels ist. Aber natürlich sagte er nichts von alledem, denn dazu war er nicht fähig. Die unheimliche Macht hielt ihn unerbittlich in ihren Klauen, gab ihm keine Möglichkeit, das zu sagen oder zu tun, wonach sein eigenes Wollen so brennend verlangte. »Und nun ... Spring!« befahl Birgitta. Ihre Stimme war so leise, daß sie unten auf dem Hof nicht gehört werden konnte. Und doch war sie so zwingend, so unwiderstehlich, daß ihr der Graf gehorchen mußte. Er sprang ... *
Zwei Monde lang trauerte die Gräfin um den Verlust ihres heißgeliebten Gemahls. Dann war sie bereit, die Herrschaft über Falkenberg anzutreten. Und von diesem Tag an wurde alles anders im Lande ... * Seit Stunden schon ritten Roland und Volker vom Hohentwiel mit ihren Gefährten am Strom entlang, ohne einen Überweg zum anderen Ufer gefunden zu haben. Fast hatten sie den Eindruck, daß die Grafschaft Falkenberg unerreichbar war, obwohl man sie klar und deutlich dort drüben sehen konnte. Es schien, als schirmten sich die Falkenberger ganz bewußt gegen alle Fremden ab. »Letzten Endes wird uns nichts anderes übrigbleiben, als den Fluß schwimmend zu durchqueren«, stellte Ritter Volker fest und lachte dabei vergnüglich. Seine Worte riefen ungeahnten Schrecken hervor. Der dickliche Knappe Pierre fiel vor Entsetzen fast vorn Pferd. »Schwim ... men?« wiederholte er mit mehlgrauem Gesicht. »Das kann nicht Euer Ernst sein!« »Warum nicht? Oder solltest du dich fürchten, dir den dicken Hintern naß zu machen, Pierre?« »Das ist es nicht«, erwiderte der Knappe. »Aber bedenkt doch die reißende Flut des Stroms, die haushohen Wellen, die mörderischen Strudel, die eisige Kälte ...« »... die gewaltigen Flußdrachen und die teuflischen Wasserhexen«, fiel ihm Roland lachend ins Wort. »Du kannst aufhören zu jammern, Pierre. Eine halbe Meile flußaufwärts, drüben auf der anderen Seite, sehe ich etwas. Es könnte sich um eine Fährstation handeln.« Die anderen drei Männer blickten dorthin, wohin sein ausgestreckter Arm wies. Volker legte die Hand an die Stirn, um das Licht der schrägstehenden Sonne abzuwehren. »Du mußt vorzügliche Augen haben, wenn du dort etwas siehst, Freund Roland. Ich kann jedenfalls
nichts erkennen.« »Doch, doch, er hat recht«, sagte der Knappe Louis. »Auch ich kann die Station ausmachen.« Bevor Louis in die Dienste Rolands trat, war er ein Räuber gewesen, der den größten Teil seines Lebens in der Wildnis zugebracht hatte. Diese schwere Zeit hatte seine Augen geschärft. Genauso wie die seines Herrn, der ebenfalls größtenteils in der freien Natur aufgewachsen war. Volker und Pierre, die ihre früheren Jahre weniger entbehrungsreich verbracht hatten, konnten es in dieser Hinsicht nicht mit ihren Gefährten aufnehmen. Bald war für alle vier Männer ersichtlich, daß in der Tat ein Fährbetrieb aufrechterhalten wurde. Auf dieser Seite des Stroms befand sich eine Anlegestelle, die eigentliche Station am gegenüberliegenden Ufer. Und natürlich lag auch die Fähre drüben vor Anker. Gegenwärtig ließen sich weder hüben noch drüben andere Reisende blicken, die das Wassergefährt benutzen wollten. Roland und seine Freunde zügelten ihre Pferde vor der Anlegestelle und stiegen aus den Sätteln. Louis trat auf den Anlegesteg und ruderte mit den Armen. »Hol über!« ließ er seine Stimme erschallen. Seine Stimme war laut genug, um am anderen Ufer gehört zu werden. Es kam ein kurzer Bestätigungsruf, und wenig später legte die Fähre drüben ab. Es dauerte eine ganze Weile, bis das ochsenbetriebene Seilzugsystem die Fähre über den Fluß geführt hatte. Schließlich aber näherte sie sich doch dem Steg, auf dem die vier Gefährten mit ihren Pferden warteten. Mit einem gewissen Erstaunen nahm Roland zur Kenntnis, daß sich auf dem flachen, kiellosen Wassergefährt nicht nur die beiden Fährleute befanden. Auch vier Ritter fuhren auf der Fähre mit, harte, kampferprobte Recken, wie man auf den ersten Blick erkennen konnte. Der Raubvogel auf ihren Schilden wies sie als Getreue der Gräfin von Falkenberg aus. Es stand außer Zweifel, daß die vier Ritter keine Reisenden waren, die auf dieser Seite des Flusses
irgendwelche Dinge verrichten wollten. Sie hatten keine Pferde bei sich, beabsichtigten also, wieder mit der Fähre zurückzufahren. Auch Volker vom Hohentwiel war zu derselben Ansicht gelangt. »Die Falkenberger scheinen sehr höfliche Leute zu sein«, raunte er Roland zu. »Wo wird man sonst schon an der Landesgrenze von einer ritterlichen Abordnung empfangen?« Roland war sich nicht so sicher, daß es die reine Höflichkeit war, die die vier Ritter auf die Fähre geführt hatte. Erschreckende Gerüchte waren nach Camelot gedrungen, Gerüchte, in denen von Mord und Tod berichtet wurde, die in der Mark angeblich gang und gäbe sein sollten. Aus diesem Grund hatte König Artus den Ritter mit dem Löwenherzen nach Falkenberg geschickt. Er sollte nach dem Rechten sehen und die verabscheuungswürdigen Übelstände beseitigen, wenn es in seiner Macht stand. Und als Roland die Falkenberger Ritter jetzt so auf der Fähre sah, erwachte sofort das Mißtrauen in ihm. Kurz darauf machte die Fähre am Steg fest. Schweigend blickten die beiden Fährleute und die Ritter der Gräfin den Gefährten entgegen. Keiner von ihnen lächelte, keiner sagte ein freundliches Begrüßungswort, wie es eigentlich Sitte war. Volker wollte sein Pferd auf die Fähre treiben. Aber dazu ließen es die Falkenberger nicht kommen. »Gemach, Ritter!« So schnell, daß das Auge kaum zu folgen vermochte, zogen sie ihre Schwerter aus den Scheiden und bauten sich wie eine menschliche Mauer am Rand der Fähre auf. Volker vom Hohentwiel verhielt seinen Schritt. Ein Zucken des Unmuts huschte über sein olivfarbenes, männliches Gesicht. Eine Augenbraue anhebend, fragte er mit einem Blick auf die vier gezückten Klingen: »Was hat dies zu bedeuten?« »Beantwortet uns eine Frage, Ritter«, sagte der Sprecher der Falkenberger, ein vierschrötiger Mann mit einer tiefen, schlecht verheilten Narbe auf der rechten Wange. »Warum wollt Ihr über den Strom setzen?«
»Wir gedenken, der Mark einen Besuch abzustatten.« »Zu welchem Behufe?« Volker stampfte mit dem Fuß auf. »Wir sind freie Ritter und brauchen niemandem über unser Tun Rechenschaft abzulegen, sofern dieses Tun nicht gegen die Gesetze des Landes verstößt!« »Gut gesagt«, meinte der Vierschrötige. »Wenn Ihr unsere Gesetze achtet, steht dem Übersetzen in der Tat nichts im Wege. Ihr sollt gleich Gelegenheit bekommen, eine Probe Eurer Gesetzestreue abzulegen.« Die vier Falkenberger traten einen Schritt zur Seite, öffneten Volker eine Gasse. »Kommt, Ritter!« Der Vierschrötige geleitete Volker auf die Fähre, während die drei anderen Roland und den beiden Knappen weiterhin den Zutritt verwehrten. »Einer nach dem anderen«, wurde Roland beschieden, als er gegen diese Zurücksetzung Einspruch erheben wollte. Volker wurde unterdessen vor ein eigenartiges Gebilde geführt, das die Falkenberger auf der Fähre aufgebaut hatten. Es handelte sich um einen kindergroßen Findlingsblock, in den altgermanische Runen eingraviert waren. Der rechteckige Gesteinsbrocken war mit grünenden Eichenzweigen und einem grotesk geformten Wurzelgeflecht geschmückt. »Dies ist ein Heiligtum der wahren Götter«, sagte der Vierschrötige. »Huldigt ihnen, wie es Gesetz ist in unserem Land!« »Was ... soll ich?« fragte Volker erstaunt. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er auf den Findling hinunter. »Ihr hörtet, was ich sagte! Schwört dem falschen Gott ab, und erweist denen die Ehre, die des Geschickes Mächte seit Anbeginn in ihren starken Händen halten!« Am liebsten hätte Volker laut gelacht. Was ihm der Falkenberger da gesagt hatte, dünkte ihm als reine Torheit. Als Sänger und Dichter war er ein gebildeter Mann. Er kannte die alten Götter der Germanen - Wodan, Donar, Loki und wie sie alle hießen. Ihnen jetzt nach
Heidenart zu huldigen, das war Narretei. Aber bitte sehr, wenn die Falkenberger Vergnügen daran hatten ... »Ist es Euch recht, wenn ich Donar mit einer Hymne ehre?« fragte er den Vierschrötigen. Der nickte. Volker stellte sich in Positur, ließ dann seine strahlende Stimme erschallen: Ich weiß, daß ich hing am windigen Baume Neun Nächte lang, Mit dem Speer verwundet, Geweiht dem Wodan, Ich selbst mir fremd, An jenem Baum, da jedem fremd, Aus welcher Wurzel er wächst. Dieses Lied war eins der wenigen, zu denen er Text und Noten nicht selbst geschrieben hatte. Er hatte die Hymne vor einigen Jahren von einem Sänger aus dem hohen Norden gelernt, und sie gehörte gewiß nicht zu jenen, die er am liebsten vortrug. Den Falkenbergern jedoch schien sie sehr gut gefallen zu haben. Ritter und Fährleute waren sichtlich beeindruckt. »Seid willkommen in Falkenberg«, sagte der Vierschrötige. »Wir werden Euch mit Vergnügen übersetzen.« Roland entnahm diesen Worten, daß auch er und die beiden Knappen nun die Fähre betreten durften. Aber dies war ein Irrtum. »Gemach, Ritter«, wandte sich der Sprecher der Falkenberger an ihn. »Nun müßt auch ihr den wahren Göttern huldigen.« Der Ritter mit dem Löwenherzen verzog unmutig den Mund. »Mir ist die Gabe des Gesangs nicht vergönnt.« »Dann ehrt die Götter auf andere Weise!« Der Teufel soll mich holen, wenn ich zu heidnischen Göttern bete, dachte Roland wütend. Schon wollte er seiner Entrüstung Luft machen, da fiel ihm ein Spottgedicht auf den Gott Donar ein, das ihm einst in einem Wirtshaus zu Ohren gekommen war. »Nun denn, so höret«, sagte er und ließ das Gedicht vom Stapel:
Donar ist mächtig Donar ist groß Drei Klafter sechzig Und arbeitslos »Hundsfott, Elender!« brüllte der Vierschrötige. »Du wagst es, die Götter zu beleidigen?« Er hob sein Schwert, und die drei anderen Falkenberger taten es ihm nach. Roland, der seine Waffe noch in der Scheide stecken hatte, machte ein paar blitzschnelle Schritte rückwärts, griff dabei nach dem Knauf seines Eisens. Es wurde jedoch nicht erforderlich, das Schwert einzusetzen. Die vier Ritter machten keine Anstalten, ihm auf den Leib zu rücken. Sie blieben auf der Fähre. Aber es geschah etwas anderes, was Roland kaum weniger unangenehm war. Der Vierschrötige gab den beiden Fährleuten Befehl abzulegen. Und ehe es sich der Ritter mit dem Löwenherzen richtig versah, lagen bereits mehrere Klafter Wasser zwischen Fähre und Ufer. »He«, rief Roland, »ich könnt doch nicht...« »Wir können!« rief ihm der Vierschrötige mit einem breiten Grinsen zu. »Für Spötter wie Euch ist in Falkenberg kein Platz. Hebet Euch von hinnen!« Zusehends entfernte sich die Fähre, einen zornbebenden Roland und zwei verblüffte Knappen am Ufer zurücklassend. »Nimm es nicht so schwer, mein Freund«, rief Volker von der Fähre aus. »Du wirst einen anderen Überweg finden. Wir sehen uns bald wieder!« Roland war so wütend, daß er das Abschiedswinken seines Freundes nicht einmal erwiderte. * So wisset denn, Brüder und Schwestern
Schreckliches widerfährt euch allen Mißachtet ihr des Donnerers Begehr Der Sonne güldener Glanz verblaßt Der Nacht dunkler Mantel bedeckt das Land Rot vor Blut sind die Sterne Unsichtbar durchpflügt der Hammer das Dunkel Zerschmettert sinken nieder die Entleibten Ihrer Bürde wird die Erde nicht Herr Drum hütet euch, Brüder und Schwestern Und seid dem Donnerer zu Willen (Weissagung des Sehers Snorri Thorgnyr) * Nacheinander betraten die Männer, die für die Geschicke Steinmülheims Sorge trugen, die Versammlungsstube des Dorfes. Sie alle machten bedrückte, betretene Gesichter. Kein einziger von ihnen offenbarte Anzeichen von Frohsinn oder Heiterkeit, was auch wirklich nicht geziemend gewesen wäre. »Nehmt Platz«, empfing sie Karl Waldner. Schweigend ließen sich die Männer auf den Holzbänken der Stube nieder. »Du hast nach uns geschickt, Schultheiß!« brach der Müllner Rupold schließlich das Schweigen. »Was steht an?« Die Frage war überflüssig wie der Eimer Wasser während des Regens. Jeder im Raum wußte dies. Und doch hatten sie jetzt alle Mienen aufgesetzt, als würden sie etwas erfahren, das ihnen gänzlich unbekannt war. Es lag in der Natur des Menschen, sich ahnungslos zu stellen, wenn es um Dinge ging, die man am liebsten vergessen hätte. Karl Waldner konnte es den Männern nachfühlen. Auch er selbst hatte eine große Scheu vor dem Kommenden. Aber er wußte nur zu genau, daß es keine Möglichkeit gab, sich an der Sache vorbeizudrücken. Für ihn am allerwenigsten, denn er würde der erste
sein, den die Getreuen der blutigen Gräfin zur Rechenschaft zogen, sollte Steinmülheim es wagen, sich den Befehlen der Herrin zu widersetzen. Was sein mußte, mußte sein. Er räusperte sich und sagte: »Das Fest der Sonnenwende steht vor der Tür. Ihr wißt, was dies für uns bedeutet!« Ja, sie wußten es. Die stummen Blicke, die sie jetzt tauschten, sprachen eine unmißverständliche Sprache. Und ohne daß es einer sagte, stand ein Wort nun deutlich im Raum. Das Opfer! »Ich habe eine Liste der Mädchen gemacht, die in Frage kommen«, sprach Karl Waldner weiter. Er holte ein Stück Pergament hervor, daß er mit mehreren Namen beschrieben hatte. Normalerweise trafen ihn bei solcher Gelegenheit Blicke der Bewunderung, denn er war der einzige im Dorf, der lesen und schreiben konnte. Deshalb war er auch als Schultheiß eingesetzt worden. Diesmal jedoch konnte von Bewunderung wahrlich keine Rede sein. Es war eher Haß, der ihm aus den Augen der Männer entgegenleuchtete. Ein Haß allerdings, den er sicherlich nicht verdiente. Schließlich tat er nur seine Pflicht, handelte er nur im Auftrag der Herrin. Was konnte der Schmiedehammer dafür, wenn er das glühende Eisen zum Stöhnen bringen mußte? Unfroh blickte er auf das Pergament. Vier Namen nur standen darauf. Und zwei davon waren auch die Sippennamen von Männern, die sich unter den Anwesenden befanden. Wieder räusperte er sich. Mehrmals mußte er ansetzen, bevor er endlich die Sprache wiederfand. »Fangen wir an«, sagte er mit belegter Stimme. »Da wäre zunächst... Frotlina Kotbauer.« , Einige der Anwesenden nickten beifällig. Der Kotbauer war nicht beliebt im Dorf, weil er stets übel roch und roh und unflätig war. Und natürlich mußte auch seine Sippe diese Mißliebe teilen. »Eine gute Wahl«, sagte der Müllner Rupold sofort. »Eine wirklich sehr gute Wahl, Schultheiß!« Nach Zustimmung heischend blickte er sich im Kreis der anderen um.
Aber ihm wurde keine allgemeine Zustimmung zuteil. »Die Kotbauer Frotlina kommt nicht in Betracht«, sagte der Stellmacher Heiner. »Warum nicht?« stieß Rupold Müllner fragend hervor und bedachte den Stellmacher mit einem bösen Blick. Dieser zuckte die Achseln. »Ich sah des Kotbauern Tochter auf der Fähre bei den Drei Steinen. Sie hat die Mark Falkenberg verlassen.« »Wann?« bellte der Müllner. »Drei Tage mag es her sein.« Rupold Müllner hämmerte erbittert mit der Faust auf die Bank. »Geflüchtet ist das Luder - gewiß auf Geheiß ihres Vaters! Dafür muß der Kotbauer zur Rechenschaft gezogen werden!« Karl Waldner machte eine abwehrende Handbewegung. »Was hilft es uns? In jedem Fall ist Frotlina nicht mehr da. Wir müssen sie von der Liste streichen.« »Wen haben wir noch?« wollte Friedrich Imthal wissen. Der Schultheiß blickte auf sein Pergament. »Hedwig Einhäuser«, las er vor, obgleich er recht wohl wußte, daß auch dieses Mädchen kaum in Frage kommen konnte. Der Stellmacher war es, der dies auch gleich bestätigte. »Hedwig Einhäuser hat den Aussatz«, stellte er fest. »Ist einer unter uns, der sie berühren möchte?« Heftiges Kopfschütteln der Anwesenden war die Antwort. Einige schüttelten sich, als würde sie es bereits bei dem bloßen Gedanken jucken und kratzen. »Du sprachst von vier Namen, Schultheiß«, sagte Friedrich Imthal. »Wer wäre der nächste?« Am liebsten hätte Karl Waldner den Kopf gar nicht mehr von seinem Pergament gehoben. Es fiel ihm ungeheuer schwer, den Namen zu nennen, den er jetzt nennen mußte. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Er konnte nicht verhindern, daß seine Mundwinkel zuckten, als er den Feldner Christian anblickte. »Die nächste wäre deine Tochter Berthe, Christian!« Schweigen folgte diesen Worten. Alle Anwesenden blickten
stumm auf den Bauern Feldner. Der aber blieb ganz ruhig, zuckte keineswegs zusammen. Zur Überraschung aller lachte er sogar kurz auf. »Es dauert mich zutiefst, euch enttäuschen zu müssen, meine Freunde«, sagte er. »Aber die Berthe steht nicht zur Wahl.« »Warum nicht?« begehrte Friedrich Imthal auf. »Glaubst du, deine Tochter hätte einen Freibrief, nur weil du der Dorfversammlung angehörst, Christian?« »Dies ist gewiß nicht der Grund«, antwortete der Feldner. »Wohl weiß ich, daß die Gräfin nicht nach Stand und Würden fragt. Aber es gibt einen anderen Grund, aus dem Berthe nicht in Frage kommt.« »Und der wäre?« »Meine Berthe ist keine Jungfrau mehr!« »Was?« »Sie ist im dritten Monat schwanger«, erklärte Christian Feldner wie beiläufig. Der Schultheiß runzelte die Stirn. »Das ist die Wahrheit, Christian? Du versuchst nicht, uns einen Bären aufzubinden, um deine Tochter zu retten?« »Dies kann ich schwören«, erwiderte der Feldner und hob auch bereitwillig die Finger der rechten Hand. »Wer war es?« rief der Müllner mit hochrotem Kopf. »Wer hat sie geschwängert - du selbst etwa?« Christian Feldner sprang auf, ging mit geballten Fäusten auf den Müllner los. »Nimm das zurück, du Lump, sonst...« »Setz dich«, sagte Karl Waldner scharf. Immer noch vor Zorn bebend nahm der Feldner wieder auf der Bank Platz. Das Wort des Schultheiß hatte Gewicht in Steinmülheim. »Des Müllners Frage ist nicht unberechtigt«, fuhr er fort. »Wer hat Hand an deine jungfräuliche Tochter gelegt, Christian?« »Mein Knecht Ceslin war es«, gab der Feldner zur Antwort. »Und wenn ihr es ganz genau wissen wollt - ich hatte nicht einmal etwas dagegen einzuwenden!«
»Pfui, Teufel!« rief Rupold Müllner und spuckte auf die rohen Bretter des Bodens. »Ein Kind von fünfzehn Jahren ... Und der eigene Vater läßt zu, daß ein Knecht seine Lust daran befriedigt!« »Besser mit fünfzehn geschwängert, als mit sechzehn den Opfertod gestorben«, sagte Christian Feldner trotzig. Wild blickte er sich in der Runde um. Niemand sagte mehr etwas. Auch Rupold Müllner nicht, der jetzt düster auf seine Schuhe hinunterblickte. Sein düsterer Blick war nur allzu berechtigt. Denn der vierte und letzte Name auf Karl Waldners Liste ... »Luitgart Müllner«, las der Schultheiß vor. Wiederum sagte niemand etwas. Es war eine Stille in die Versammlungsstube eingekehrt, wie sie nicht einmal auf dem nächtlichen Gottesacker herrschte. Rupold Müllner selbst war es, der die Stille brach. Ein tiefes, herzzerreißendes Schluchzen kam aus seiner Kehle, ein Schluchzen, das wenig später in ein haltloses Weinen überging. Niemand im Raum verübelte ihm seine Tränen. Das galt auch für Christian Feldner, der dem Müllner kurz zuvor beinahe an die Kehle gesprungen wäre. Alle Anwesenden hatten volles Verständnis für den jetzt gramgebeugten Mann. Seine Tochter war nicht schwanger, litt nicht an Aussatz und hatte sich auch nicht über den Strom geflüchtet. Sie würde es sein, die sich dem grausamen Willen der Gräfin von Falkenberg zu unterwerfen hatte. Luitgart Müllner war dem Opfertod geweiht... * Mehrere Meilen noch waren Roland und seine beiden Knappen am Ufer des Stroms entlanggezogen. Eine Brücke oder eine andere Fähre hatten sie jedoch nicht gefunden. Langsam war die Geduld des Ritters mit dem Löwenherzen erschöpft. Beinahe ruckartig brachte er seinen Schimmel zum Stehen.
»Wir kehren um«, sagte er entschieden. Fragend blickten ihn Pierre und Louis an. »Zurück nach Camelot?« erkundigte sich Pierre hoffnungsvoll. Der dickliche Knappe liebte das gemütliche, geruhsame Leben. Und dies ließ sich am Königshof eher führen als in den rauhen deutschen Landen. Roland bereitete ihm eine bittere Enttäuschung. »Zurück nach Camelot geht es erst, wenn ich meinen Auftrag ausgeführt habe«, machte er Pierre klar. »Mit Umkehren meinte ich, daß wir uns wieder zu der Fähre begeben werden, mit der Volker vom Hohentwiel über den Fluß gelangt ist.« »Aha«, machte Pierre unfroh. Louis runzelte die Stirn. »Wollt Ihr klein beigeben und den unchristlichen Forderungen der Falkenberger nachgeben, Ritter Roland?« wollte er wissen. »Keineswegs! Donar müßte mich schon mit seinem Hammer zu Boden schlagen, bevor ich mich vor seinem Götzenaltar verneige.« »Diese Worte vernehme ich gerne«, sagte Louis befriedigt. »Andererseits ... Die Falkenberger werden sich weigern, uns überzusetzen, fürchte ich.« »Das dürfte gewiß sein«, nickte Roland. »Aber ich beabsichtige auch nicht, die Fähre zu benutzen.« »Aber Ihr sagtet doch ...« »Ich sagte, wir kehren zur Fähre zurück. Ich sagte nicht, daß wir sie auch benutzen werden.« »Das ist mir zu hoch«, warf Pierre kopfschüttelnd ein. »Dabei ist es ganz einfach«, erklärte Roland. »Wir werden den Fluß tatsächlich schwimmend überqueren.« »Nein!« rief Pierre entsetzt. »Doch! An der Stelle, wo die Fährstation liegt, ist der Fluß am schmalsten. Außerdem können wir uns am Fährseil festhalten.« »Die Falkenberger werden uns sehen«, gab Louis zu bedenken. »Nicht, wenn wir warten, bis es dunkel geworden ist. Nachts ruht der Fährbetrieb.«
Louis dachte kurz nach, machte dann eine zustimmende Kopfbewegung. »Ja, so könnte es gehen. Findest du nicht auch, Pierre?« Der dickliche Knappe hockte wie ein Häufchen Unglück im Sattel seines Pferdes. »Wir werden den Tod dabei finden«, murmelte er. »Unsere Leichname werden den Fluß entlangtreiben und ...« »Hör auf mit dem Gejammer«, fiel ihm Louis ins Wort. »Außerdem hast gerade du nichts zu befürchten, Pierre. Du kannst gar nicht im Fluß untergehen.« »Wieso nicht?« fragte der dickliche Knappe verblüfft. »Weil Fett bekanntlich oben schwimmt!« Pierre fand den derben Scherz gar nicht zum Lachen. Ihm war eher weinerlich zumute. Aber was sollte er machen - die Gefährten im Stich lassen? Nein, das kam für ihn nicht in Frage. Bei aller Hasenfüßigkeit war er doch ein unbedingt treuer Diener seines Herrn. Tatsächlich würde er sich eher in Stücke hauen lassen, als sich von Roland zu trennen. Ihm blieb also gar nichts anderes übrig, als sich Roland und Louis wieder zuzugesellen, die ihre Pferde bereits gewendet hatten und zurückritten. Die Sonne schickte sich an, hinter den Bergen im Westen unterzugehen. Der Himmel hatte eine rosarote Färbung angenommen. Ein kühler Wind kam auf und kündigte den Abend an. Die drei Gefährten ließen sich jetzt Zeit. So lange es noch hell war, durften sie sich nicht am Anlegesteg blicken lassen. Sie konnten es sich deshalb sogar leisten, eine einstündige Rast einzulegen. Diese Rast brauchten sie auch, denn die Überquerung des Flusses würde Kraft kosten. Und das galt für die Männer genauso wie für die Reittiere. Dann verschwand die Sonne ganz. Der Himmel wurde dunkler und dunkler, und bald konnte man nur noch wenige Klafter weit sehen. Roland und die beiden Knappen brachten das letzte Stück Weg hinter sich und erreichten die Anlegestelle. Tiefe Ruhe herrschte ringsum. Zu hören waren nur der
Wellenschlag des Flusses und das gelegentliche heisere Krächzen eines beutehungrigen Nachtvogels. Angestrengt blickten die drei Männer zum anderen Ufer hinüber. Schwacher, flackernder Lichtschein drang an ihre Augen. Die Fährleute hatten ganz offensichtlich ein Feuer angezündet. Pierre nahm dies mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis. »Wir müssen warten, bis sie das Feuer löschen«, meinte er. »Sonst sehen sie uns unweigerlich.« Roland schüttelte den Kopf. »Da können wir wahrscheinlich ewig warten. Ich könnte mir vorstellen, daß das Feuer die ganze Nacht brennt. Das ist bei Wachfeuern so üblich.« Pierre druckste. »Das bedeutet also, daß ..., daß wir sofort...« »Ja!« Roland selbst machte den Anfang. Es war nicht ratsam, vom Anlegesteg aus in den Fluß zu gehen. Hier würde das Wasser bestimmt schon so tief sein, daß die Pferde sofort den Boden unter den Füßen verloren. Roland wählte deshalb eine Stelle neben dem Steg, an der das Ufer gemächlich abfiel. Sein edler Hengst scheute nicht im mindesten, ließ sich willig in den Strom führen. Als ihm das Wasser bis zu den Oberschenkeln reichte, machte Roland noch einmal halt. Louis war schon unmittelbar hinter ihm, während Pierres Pferd noch am Ufer stand. »Nun, Pierre, hast du dich entschlossen hierzubleiben?« rief Roland dem dicklichen Knappen zu. »Nein, nein, ich komme ja schon«, antwortete Pierre hastig und lenkte auch sein Reittier ins Wasser. Er stöhnte tief auf, als seine Beine naß wurden. Nicht von ungefähr klapperte er mit den Zähnen. »Eisige Kälte schleicht mir ins Gebein«, verkündete er. »Wir werden als Eisklumpen drüben ankommen. Falls wir überhaupt ankommen!« Er übertrieb maßlos. Das Wasser war kühl und alles andere als angenehm, ja. Aber von eisiger Kälte konnte ganz bestimmt keine Rede sein. In jedem Fall ließ es sich aushalten. »Damit wir uns unterwegs nicht verlieren, werden wir unsere
Pferde durch die Zügel miteinander verbinden«, gab der Ritter mit dem Löwenherzen Anweisung. Dies war schnell geschehen. Nun stand dem feuchten Abenteuer nichts mehr im Wege. Roland hatte inzwischen mit einer Hand das Fährseil gepackt, das den Fluß ein paar Handbreit über der Wasseroberfläche überspannte. Pierre und Louis taten es ihm nach. »Seid ihr bereit?« »Ja«, sagte Louis mit fester Stimme. Pierres Bestätigung fiel um einiges kläglicher aus. Einwände hatte jedoch auch er nicht mehr zu erheben. Roland bewegte seinen Schimmel mit einem Fersendruck vorwärts. Das brave Tier leistete keinen Widerstand, obwohl Wasser wahrlich nicht sein Element war. Nach wenigen Schritten war es dann so tief, daß Samun keinen Boden mehr unter den Hufen fand. Sofort begann er mit natürlichen Schwimmbewegungen, so, als sei das Überqueren eines Flusses für ihn eine alltägliche Angelegenheit. Roland mußte ihn bald sogar etwas bremsen, da sich die Zügelleine zu den beiden folgenden Pferden spannte - ein Zeichen dafür, daß Pierre und Louis kaum mitkommen konnten. Alles ließ sich recht gut an. Nach kurzer Zeit war das zurückbleibende Ufer in der Dunkelheit nicht mehr zu erkennen. Viel wollte das allerdings noch nicht besagen. In Ufernähe war die Strömung ziemlich schwach und stellte keine großen Anforderungen an die Kräfte der Pferde. Als es jedoch weiter hinausging, fingen die Schwierigkeiten bald an. Die Strömung wurde stärker und stärker, versuchte, Pferde und Reiter stromabwärts zu ziehen. Roland klammerte sich mit starker Faust am Fährseil fest und schloß beide Beine um den Leib seines Reittiers, um ein Abtreiben zu verhindern. Es gelang ihm ... Knapp. Wie aber sah es mit den beiden Knappen aus? Auch Louis war es bisher gelungen, die immer größer werdenden Probleme zu meistern. Pierre jedoch war in einer unangenehmen
Lage. Mit aller Kraft, die in ihm steckte, hielt er das Fährseil umklammert. Aber seine etwas zu kurzen Beine waren nicht in der Lage, seinem Pferd ausreichende Unterstützung zu geben. Mehr und mehr geriet er in die Gefahr, aus den Steigbügeln zu rutschen. Dies konnte er eigentlich nur verhindern, wenn er das Fährseil losließ. Und genau das tat er dann schließlich auch. Die Folgen bekamen Roland und Louis schon im nächsten Augenblick zu spüren. Pierres Pferd wurde sofort von der Strömung erfaßt und trieb ab. Durch die Zügelverbindung mit den anderen beiden Reittieren traten dadurch zusätzliche Zugkräfte auf, die auf Rolands und Louis' Pferde einwirkten. Dazu kam jetzt auch noch ein starker Wellengang, der gegen Mensch und Tier klatschte und das ganze Unternehmen zu einer einzigen Tortur machte. »Ich ... kann das Seil nicht länger festhalten!« stieß Louis hervor und spuckte Wasser aus, das ihm in den Mund gedrungen war. Auch Roland spürte, wie seine Kraft nachließ. Er hatte das Gefühl, daß ihm der Arm langsam, aber sicher aus dem Schultergelenk gerissen wurde. Es hatte keinen Zweck, sich noch länger an das Seil zu klammern. Da war es schon besser, sich den Wellen und der Strömung zu überlassen und dagegen anzukämpfen. »Sei's drum«, rief er Louis zu. »Laß das Seil los!« Der Knappe kam der Aufforderung unverzüglich nach. Und auch Roland selbst nahm seine Hand von dem Fährseil. Sofort zog die Strömung sie in ihren Bann. Selbst Roland hatte einige Mühe, sich im Sattel zu halten. Für den Augenblick verlor er beinahe die Gewalt über seinen Schimmel. Innerhalb weniger Sekunden trieben die drei Gefährten weit ab, unkontrolliert, ziellos, Spielbälle des Zufalls. Ohne die Zügel, die sie miteinander verbanden, hätten sie sich jetzt bereits verloren. Und bei den herrschenden Lichtverhältnissen wäre es mehr als zweifelhaft gewesen, ob sie sich wiedergefunden hätten - in dieser Nacht gewiß nicht mehr. Fast hatte Roland seinen Schimmel wieder voll unter Kontrolle, als er Pierres Schrei hörte.
»Hilfe, ich ...« Weiter kam der dickliche Knappe nicht. Roland, der sich unmittelbar neben ihm befand, sah, wie sich sein Pferd plötzlich wie wild im Kreis drehte. Offenbar war es in die Gewalt eines Strudels geraten. Pierre, darauf nicht vorbereitet, kippte aus dem Sattel, ging genau vor Rolands Augen in den Wellen unter. Blitzschnell packte der Ritter mit dem Löwenherzen zu. Gerade noch rechtzeitig. Er bekam Pierres Haarschopf zu fassen und krallte seine Hand hinein. Mit einem kräftigen Ruck zog er den Kopf des Knappen wieder nach oben. Prustend und spuckend tauchte Pierre auf. »Ich habe gewußt, daß es unser Tod sein wird«, blubberte er keuchend. »Ich habe gewußt...« Eine Welle klatschte ihm ins Gesicht und verschloß seinen Mund. Das Pferd Pierres drehte sich noch immer wie verrückt im Kreise. Die Zügel, die mit Louis' Reittier verbunden waren, lösten sich. Im nächsten Augenblick war die Mähre des dicklichen Knappen in der Dunkelheit verschwunden. Derweil hatte Roland seine liebe Not, Pierre über Wasser zu halten. Der Knappe war kein sehr guter Schwimmer. Auf sich allein gestellt wäre er vermutlich jetzt bereits ein Opfer des Flusses geworden. »Halte dich an Samuns Sattel fest«, rief ihm der Ritter mit dem Löwenherzen zu. Pierres Hand tauchte aus dem Wasser, fuhrwerkte zuerst blind in der Luft herum, fand dann am Sattelhorn des Schimmels festen Halt. Roland konnte nun den Haarschopf loslassen. Die Gefahr, daß Pierre verlorenging, war fürs erste gebannt. Jetzt konnte sich der Ritter mit dem Löwenherzen wieder darum kümmern, die beiden noch verbliebenen Pferde auf den richtigen Kurs zu bringen. Mit hartem Schenkeleinsatz übte er entsprechenden Druck auf seinen Schimmel aus. Und er hatte Erfolg damit. Samun, der zwischendurch die Orientierung ziemlich verloren hatte, schlug jetzt wieder die Richtung zum gegenüberliegenden Ufer ein und zog Louis' Pferd in
sein Kielwasser. Pierres Reittier mußte wohl als verloren betrachtet werden. Von ihm war nichts zu sehen und nichts zu hören. Der dickliche Knappe selbst jedoch, der sich krampfhaft an Samuns Sattel festhielt, verlor die Verbindung mit seinen Gefährten nicht. Schließlich war mehr als die Hälfte des Flusses überquert. Langsam verlor die Strömung an Kraft. Das Ufer auf Falkenberger Seite kam näher. Die beiden braven Tiere wurden zusehends müder, konnten ihre Beine kaum noch bewegen. Aber sie hielten wacker durch, obwohl Samun auch noch das zusätzliche Gewicht Pierres mitzuschleppen hatte. Und endlich war das Wasser wieder so flach, daß die zitternden Beine Boden unter den Hufen fanden. Die drei Männer und die beiden Tiere wankten an Land, durchgefroren, erschöpft und nur noch von dem Verlangen beseelt, sich irgendwo lang ausstrecken und erholen zu können. Aber dazu bekamen sie keine Gelegenheit, denn am Ufer warteten bereits die Falkenberger Ritter ... * Volker vom Hohentwiel ließ sich keine grauen Haare wachsen, weil er Roland und die beiden Knappen auf der anderen Seite des Stroms zurückgelassen hatte. Sein ritterlicher Freund war ein Mann, der es verstand, mit allen Situationen fertig zu werden. Er würde schon einen Weg über den Fluß finden, daran hatte Volker nicht den geringsten Zweifel. Und er war sich auch ganz sicher, daß sie sich in absehbarer Zeit wiedersehen würden. Ihr gemeinsames Ziel war Burg Falkenberg gewesen. Es lag deshalb kein Grund vor, warum er sich nicht schon einmal auf den Weg zur Burg machen sollte. Von der Fährstation führte ein gut begehbarer Weg landeinwärts. Wagenräder und zahllose Pferdehufe hatten dem Boden ihren Stempel aufgedrückt und machten das Vorwärtskommen zu einem Kinderspiel. Nach gut zwei Stunden eines nicht allzu scharfen Ritts verspürte
Volker Hunger und Durst. Er beschloß, dem nächsten Gasthaus einen Besuch abzustatten. Eine gute Meile weiter tauchte am Wegesrand ein Gebäude auf. Es war kein Gasthaus, sondern eine Schmiede, wo die Reisenden bei Bedarf die Hufeisen ihrer Zug- oder Reitpferde erneuern lassen konnten. Volkers Pferd brauchte keine neuen Hufeisen. Trotzdem machte er halt, denn üblicherweise gab es in solchen Häusern auch etwas zu trinken und zu essen. Als Volker aus dem Sattel kletterte, trat ein Mann aus dem Haus. Nicht nur seine Größe und kräftige Statur ließen erkennen, daß er das Schmiedehandwerk ausübte. Die rußgeschwärzte Arbeitsschürze und die schwieligen, mit Brandnarben übersäten Hände waren sozusagen ein Wahrzeichen seiner Profession. Dienernd kam der Mann näher. »Der Herr Ritter wünschen? Beschläge für das edle Reittier?« Volker erklärte dem Schmied, daß ihm mehr an einer kräftigen Mahlzeit und einem guten Schluck gelegen war. »Gewiß«, sagte der Schmied. »Wenn der Herr Ritter belieben, sich mit einem Brei zufriedenzugeben ...« Natürlich wäre Volker ein saftiger Wildbraten oder ein gut geräucherter Schinken lieber gewesen. Aber das konnte er schlechterdings nicht erwarten. Fleisch stand nie oder höchst selten auf der Speisekarte der einfachen Leute. Man mußte mit dem vorliebnehmen, was zur Verfügung stand. Ein fahrender Ritter wie Volker war in dieser Beziehung nicht wählerisch. Der Schmied führte ihn in eine kleine und einfach eingerichtete Gaststube. Ein Mädchen, dicklich und nicht sehr anziehend wirkend offenbar die Tochter des Schmieds - brachte einen Krug Wein nebst Becher. »Bring noch einen Becher, mein Kind«, sagte Volker. Er wandte sich an den Schmied: »Trinkt einen Schluck mit mir, guter Mann. Einverstanden?« »Wenn der Herr Ritter es wünschen ...« Der Hausherr machte einen artigen Diener und setzte sich zu seinem Gast an den Tisch.
Der Wein, den das Mädchen brachte, war nicht sonderlich gut. Er schmeckte viel zu süß, war ganz offenbar mit Zuckerknollensaft gepanscht worden. Wenn man zuviel davon trank, bekam man einen Kopf, der unter keinen Helm mehr paßte. »Erzählt mir etwas über die Mark Falkenberg, mein Freund«, sagte Volker. Der Schmied blinzelte. »Ich verstehe nicht, was ihr meint, Herr Ritter.« »Nicht? Nun ...« Volker trank einen Schluck Wein. »Man hört Gerüchte. Gewalt und Tod sollen das Land regieren. Und verrückter Aberglaube, wie mir scheint.« Der Schmied blickte vor sich auf die Tischplatte, gab keine Antwort. Er hatte die Lippen aufeinandergepreßt, so, als wollte er gewaltsam verhindern, daß ihm ein unbedachtes Wort entschlüpfte. »Nun redet schon, mein Freund«, drängte Volker. Der Schmied blickte hoch. Unverhohlene Furcht blinkte in seinen Augen. Volker senkte seine Stimme auf Flüsterniveau herab. »Ihr braucht keine Angst vor mir zu haben. Ich bin ein Fremder, kein Falkenberger. Zu niemandem werde ich von dem sprechen, was Ihr mir sagt.« »Das ... gelobt Ihr bei Eurer Ehre?« stieß der Schmied hervor und fuhr sich über die Stirn. »Ich gelobe es«, nickte Volker. Es gab eine kurze Unterbrechung, als die Tochter des Hauses an den Tisch trat und Volker das Essen brachte. Haferbrei mit Pflaumen - keine Speise für den verwöhnten Gaumen, aber der Hunger trieb es hinein. Volker aß und spülte mit Wein nach. Dann erzählte der Schmied. »Vor einem guten Jahr noch«, begann er, »war die Mark Falkenberg ein halbwegs glückliches Land. Graf Helmbrecht war ein gerechter Herrscher und verlangte nicht mehr Dienstleistungen und Abgaben, als Land und Leute hergeben konnten. An dem Tag jedoch, an dem der Graf die Nordländerin Birgitta zur Frau nahm, begann
unser Unglück. In der Hochzeitsnacht entleibte sich der Graf selbst, indem er in einem Anflug von Trunkenheit aus dem Fenster sprang. Nun war die Nordländerin die neue Herrin Falkenbergs. Alles wurde anders. Feld- und Fuhrdienste beanspruchen nun mehr Zeit, als der Tag Stunden hat, die Abgaben in Geld und Naturalien sind selbst von den Fleißigsten kaum zu erbringen. Dies ist die eine Seite. Aber es gibt noch eine andere, die viel schlimmer ist. Die neue Herrin von Falkenberg verlangt von uns, daß wir dem wahren christlichen Glauben entsagen und uns statt dessen verfluchtem Götzendienst hingeben!« »Ich verstehe schon«, warf Volker ein. »Ihr sollt die alten Götter unserer Vorfahren verehren - Wodan, Donar, Loki ...« »Ja, so ist es«, bestätigte der Schmied unglücklich. »Wir müssen den falschen Göttern sogar Opfer darbringen. Menschenopfer!« »Menschenopfer?« Volker konnte es kaum fassen. Verständnislos schüttelte er den Kopf. »Und was geschieht, wenn ihr euch weigert?« »Schreckliches geschieht! Die Ritter der blutigen Gräfin kommen und machen jeden nieder, der nicht gehorcht.« »Ungeheuerlich«, murmelte Volker. »Wie ist es nur möglich, daß sich Ritter von Ehre zu Handlangern solcher Verbrechen machen?« Der Schmied beugte sich über den Tisch und flüsterte: »Die Gräfin ist mit finsteren Mächten im Bunde. Alle Ritter sind ihr hörig und können gar nicht anders, als ihr unbedingten Gehorsam zu leisten. Auch Euch würde es genauso ergehen!« »Mir?« »Ja, Herr Ritter, auch Euch! Niemand ist imstande, sich der unheiligen Macht der Nordländerin zu entziehen.« »Ihr irrt, mein Freund«, sagte Volker selbstsicher. Beinahe traurig sah der Schmied jetzt aus. »Das hat schon so mancher Ritter gesagt, der des Weges kam und bei mir einkehrte. Sobald die edlen Herren jedoch erst einmal auf Burg Falkenberg waren ...« Er seufzte tief. »Ihr wollt doch auch zur Burg, nicht wahr?«
»Wie kommt Ihr darauf, mein Freund?« »Jeder Ritter will zur Burg, um sein Glück bei der Gräfin zu versuchen.« Volker runzelte die Stirn. »Was meint Ihr damit?« »Ihr wißt nicht Bescheid?« »Über was weiß ich nicht Bescheid?« Langsam wurde Volker ein bißchen ärgerlich. »Daß die Gräfin sich wieder vermählen will und ihr jeder adlige Herr willkommen ist, der um sie freit?« »Nein, das wußte ich nicht«, erwiderte Volker nachdenklich. »Aber das bringt mich auf einen Gedanken. Vielleicht ist es auf diesem Wege möglich, die Herrin von Falkenberg von ihrem bösen Treiben abzubringen!« Bitter lachte der Schmied auf. »Mit Verlaub gefragt, Herr Ritter glaubt Ihr, Ihr seid der erste, der diesen Plan faßte? Das hat schon so mancher getan!« »Ich bin nicht >so mancher<«, sagte Volker. »Ich bin Volker vom Hohentwiel. Und dies ist ein himmelweiter Unterschied!« Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Was bin ich Euch schuldig?« »Nichts«, sagte der Schmied. »Wenn Ihr der blutigen Gräfin wirklich Herr werdet... Ich wünsche Euch alles Glück der Welt, Herr Ritter. Und uns einfachen Leuten auch!« Volker verabschiedete sich. * Mit düsterer Miene saß Rupold Müllner am Tisch seiner Wohnstube und starrte leeren Blicks vor sich hin. Der Kopf war ihm schwer. Aber diese Schwere kam weniger von dem vielen Bier, das er getrunken hatte, um sich zu betäuben. Der Schmerz fraß in ihm wie ein wildes Tier und machte ihn krank. Müllners Frau betrat das Zimmer und blieb vor dem Tisch stehen. Sie hatte verweinte Augen und schien während des letzten Tages um
Jahre gealtert zu sein. »Der Hellenthaler Friedbert ist da«, sagte sie. »Er will mit dir sprechen, Mann.« Rupold Müllner blickte nicht einmal hoch. »Ich bin jetzt für niemanden zu sprechen.« »Es sei wichtig, sagt er.« »Nichts kann angesichts des bevorstehenden Opfertodes unserer Tochter wichtig sein«, sagte Müllner müde. »Der Hellenthaler soll sich zum Teufel scheren. Sag ihm das!« »Nicht nötig«, erklang eine Stimme von der Tür her. »Ich habe schon alles gehört.« Unaufgefordert betrat Friedbert Hellenthaler die Stube. Normalerweise sah Rupold Müllner seinen Nachbarn nicht ungern. Nach der harten Tagesarbeit hatten die beiden Männer schon so manchen Humpen Bier gemeinsam geleert. Jetzt aber hatte Müllner nur das Bedürfnis, mit sich und seinem Kummer allein zu sein. Er konnte die Gegenwart anderer Leute nicht ertragen. »Was fällt dir ein, hier so einfach hereinzuplatzen?« fuhr er den Nachbarn unwirsch an. »Verschwinde!« Friedbert Hellenthaler ließ sich nicht beirren. »Du solltest mich nicht wegschicken, ohne mich anzuhören, Rupold. Ich habe dir etwas zu berichten, was dich nicht gleichgültig lassen wird.« »Außer dem Leben meiner Tochter ist mir alles gleichgültig«, antwortete Müllner. »Verstehst du das nicht?« »Oh, das verstehe ich sogar sehr gut. Und genau aus diesem Grunde bin ich gekommen.« »Was willst du damit sagen?« »Es gibt vielleicht eine Möglichkeit, das Leben deiner Tochter zu retten!« Sofort war es mit Rupold Müllners ablehnender Haltung vorbei. Voller innerer Spannung blickte er seinen Nachbarn an. Ein Hoffnungsfunke flackerte in ihm hoch. »Erzähle!« »Eine Gruppe von Spielleuten und Gauklern ist auf dem Wege
nach Steinmülheim«, sagte Hellenthaler. Rupold Müllner spürte, wie der Hoffnungsfunke in ihm erlosch, als sei ein Bottich Wasser darüber entleert worden. »Na und?« stieß er hervor. »Glaubst du, der Sinn steht mir nach Lustbarkeiten dieser Art? Du mußt wahnsinnig geworden sein, mich auf diese Weise trösten zu wollen!« »Ich rede nicht davon, daß die Gauklertruppe dir Vergnügen bringt, das in der Tat nicht ziemlich wäre.« »Sondern?« »Ich habe das fahrende Volk gesehen«, sagte Friedbert Hellenthaler. »Es handelt sich um etwa fünfzehn, sechzehn Leute. Und darunter befinden sich auch drei Mädchen, die ungefähr im Alter deiner Tochter Luitgart sind!« Müllner verstand noch nicht, auf was sein Nachbar hinauswollte. »Was kümmern mich anderer Leute Töchter?« erwiderte er. »Es geht um meine Tochter.« »Eben!« Müllners Frau schlug plötzlich die Hand vor den Mund. Sie hatte begriffen, was der Hellenthaler meinte. »Es ist schrecklich«, murmelte sie. »Aber wenn wir unsere eigene Tochter auf diesem Wege retten können ...« Jetzt hatte es auch Rupold Müllner selbst gedämmert. Ein Zucken ging über sein Gesicht. »Du willst sagen, daß eine der Gauklerdirnen an die Stelle meiner Tochter treten könnte, Friedbert?« »Genau das wollte ich sagen, ja«, bestätigte Hellenthaler. »Welcher Hahn kräht schon nach einer, die zum fahrenden Volk gehört?« Rupold Müllner stieß seinen Schemel so heftig zurück, daß er umstürzte. »Das muß sofort mit dem Schultheiß besprochen werden!« Friedbert Hellenthaler nickte. »Ich begleite dich, mein Freund«, sagte er.
* »Ei, ei, wen haben wir denn da?« Breit grinsend stand der vierschrötige Ritter der Gräfin Falkenberg wenige Schritte vom Uferrand entfernt. Er und seine drei Gefährten hielten ihre Schwerter in der Hand. Im Licht der Fackeln, die zwei der Männer trugen, blinkten die Klingen kalt und tödlich. Pierre gab einen unterdrückten Überraschungsschrei von sich, dem man deutlich anhörte, daß die Furcht in ihm hochkroch. Auch Roland und Louis fühlten sich nicht all zu wohl in ihrer Haut. Aber sie ließen sich davon nicht das geringste anmerken. »Gebt den Weg frei«, verlangte Roland. »Wir haben Eure Fähre nicht benutzt. Was wollt Ihr also noch?« Die vier Männer wichen keine Elle zur Seite. Roland und seinen Gefährten blieb nichts anderes übrig, als stehenzubleiben, wenn sie nicht geradewegs in den blinkenden Stahl hineinlaufen wollten. Der Vierschrötige grinste noch breiter. »Es geht nicht um die Fähre«, erklärte er. »Es geht darum, daß Ihr unerlaubt unser Land betreten habt. Und wir sind nicht gewillt, dies hinzunehmen!« »Warum nicht?« fragte Roland. »Ist Falkenberg kein freies Land?« Er stellte die Frage nicht, weil er glaubte, daß ein Gespräch die Männer anderen Sinnes werden lassen könnte. Ihm ging es einzig und allein darum, Zeit zu gewinnen. Diese Zeit brauchten er und die beiden Knappen, um neue Kräfte zu sammeln, da die Flußüberquerung sie bis an den Rand der Erschöpfung gebracht hatte. »Falkenberg ist ein freies Land«, antwortete der Vierschrötige. »Aber nur für diejenigen, die die Gesetze achten. Diese Gewähr ist bei euch nicht gegeben. Oder habt Ihr Eure Meinung unterdessen geändert?« »Welche Meinung? Ich habe keinerlei Ahnung, wovon Ihr sprecht, Ritter.« »Wollt Ihr uns foppen?« erwiderte der Vierschrötige, während das
Grinsen aus seinen grobschlächtigen Zügen wich und unübersehbarem Ärger Platz machte. »Ihr wißt recht gut, was ich meine!« Roland schüttelte sich, um Flußwasser aus Haar und Kettenhemd zu vertreiben. Daß die Falkenberger von einer Anzahl Tropfen getroffen wurden, schien er gar nicht zu bemerken. »Tut mir leid«, sagte er, »aber mein Kopf hat offenbar unter der Kälte des Wassers gelitten. »Ich weiß wirklich nicht...« »Seid Ihr nun bereit, den alten Göttern die gebührende Ehre zu erweisen?« fuhr der Vierschrötige dazwischen. Bevor der Ritter mit dem Löwenherzen antworten konnte, tat es der Knappe Pierre. »Ja, ja, ja«, erklärte er übereifrig, »wir sind dazu bereit!« Im nächsten Augenblick warf er sich auf die Knie und berührte mit der Stirn den Erdboden. »Ich, Pierre, der Knappe, sprechend auch im Namen meines Herrn und meines Gefährten, versinke in Demut und Andacht. Oh, ihr Götter des Donners und der Fruchtbarkeit...« Das war zuviel für Louis. Hitzig, wie es seiner Natur entsprach, schwang er den rechten Fuß zurück und trat dem dicklichen Knappen dann mit aller Kraft in den Hintern. »Verdammter Feigling, hast du überhaupt keine Ehre in deinem feisten Leib? Was fällt dir ein, in meinem Namen zu irgendwelchen Götzen zu beten?« Die Wucht des Trittes hatte Pierre vollends zu Boden gebracht. Auf dem Rücken liegend bedachte er seine Gefährten mit einem kläglichen Blick. Ich wollte doch nur erreichen, daß wir unseres Weges gehen können«, erklärte er weinerlich. »Steh auf«, sagte Roland energisch. Mühsam rappelte sich Pierre hoch. Er machte keine Anstalten mehr, den falschen Göttern zu huldigen. »Das klärt die Dinge wohl«, sagte der vierschrötige Falkenberger grimmig. »Ihr seid also nicht bereit, unseren Landesgesetzen zu
gehorchen?« »Sofern diese Gesetze Götzendienst von uns verlangen, habt Ihr vollkommen recht«, bestätigte Roland. »Dann gibt es für Euch nur eins!« »Und das wäre?« »Ihr verlaßt Falkenberg auf demselben Weg, auf dem Ihr gekommen seid«, sagte der Vierschrötige mit satter Genugtuung in der Stimme. »Ihr meint...?« »Zurück ins Wasser, ja!« Pierre stöhnte tief auf. Aber die Maßregelung, die er soeben erfahren hatte, ließ ihn die Worte zurückhalten, die ihm mit Sicherheit auf der Zunge lagen. Louis tauschte einen schnellen Blick mit seinem Herrn. Roland nickte ihm kaum merklich zu. Die beiden Männer verstanden sich auch ohne Worte. Seit sie aus dem Wasser gekommen waren, hatten sie ein paar Minuten Zeit gehabt, sich zu erholen. Es lag also nicht mehr der geringste Grund vor, sich der Willkür der Falkenberger kampflos zu beugen. »Ich zähle jetzt bis drei«, sagte der Vierschrötige. »Wenn Ihr dann immer noch nicht den Rückzug angetreten habt...« »Jetzt!« stieß Roland hervor. Ruckartig riß er am Zaumzeug seines Schimmels. Und Samun tat genau das, was er tun sollte: Er ging auf der Hinterhand hoch und fuhrwerkte mit den Vorderhufen in der Luft herum. Die vier Ritter wichen instinktiv ein paar Schritte zurück, um nicht getroffen zu werden. Darauf hatte Roland gehofft. Er bekam die Bewegungsfreiheit, die er brauchte, um sein Schwert zu zücken. Auch Louis fand Zeit und Gelegenheit, nach seinem Hirschfänger zu greifen, mit dem er ganz vorzüglich umzugehen verstand. Sogleich startete der Ritter mit dem Löwenherzen seinen Angriff. Er nahm sich dabei nicht den Vierschrötigen vor, sondern einen der beiden, die in ihrer linken Hand eine Fackel hielten.
Seine Attacke war von Erfolg gekrönt. Zwar gelang es dem Falkenberger, Rolands Schwerthieb zu parieren. Dem gleichzeitigen Fußtritt gegen seinen linken Arm jedoch konnte er nicht entgehen. Aufstöhnend ließ der Mann die Fackel fallen. Jetzt hatten sich die übrigen drei von ihrer Überraschung erholt. Samun, dessen Zügel Roland indessen losgelassen hatte, stellte keine Gefahr mehr für sie dar. Der Vierschrötige kam dem Mann zu Hilfe, den Roland angegriffen hatte. Die anderen beiden stürzten sich auf den Knappen Louis. Rolands Absicht war es gewesen, die zu Boden gefallene Fackel zu löschen. Bei Dunkelheit würde sich die zahlenmäßige Überlegenheit der Falkenberger nicht so auswirken, hoffte er. Aber er mußte sich jetzt seiner Haut wehren, kam nicht dazu, das Feuer auszutreten, das auch auf dem Boden weiterbrannte und die Szenerie mit Licht erfüllte. Zu zweit drangen die Ritter der Gräfin auf ihn ein. Ein wuchtiger Schlag, den der Vierschrötige führte, verfehlte nur deshalb sein Ziel, weil Roland blitzschnell zur Seite sprang. Gleichzeitig zuckte sein Schwert nach vorne, um dem zweiten Mann eine Lektion zu erteilen. Der Aktion war ein voller Erfolg beschieden. Tief bohrte sich die Klinge unterhalb des schützenden Kettenhemds in den Oberschenkel des Falkenbergers. Der Ritter stöhnte zum Steinerweichen auf und brach in die Knie. Er würde in den Kampf nicht mehr eingreifen können. Aber da war immer noch der Vierschrötige, mit dem sich Roland auseinandersetzen mußte. Louis hatte unterdessen größte Mühe, sich der Attacken der beiden übrigen Falkenberger zu erwehren. Nur seiner Schnelligkeit und Geschicklichkeit konnte er es verdanken, daß er noch lebte. Mit der Geschmeidigkeit einer Katze wich er den wuchtigen Schwerthieben seiner Gegner aus. Aber er beschränkte sich nicht nur auf Rückzugsgefechte, er griff auch seinerseits an. Sein Hirschfänger zuckte nach vorne wie eine hochschnellende Feuerzunge und traf den einen Ritter an der Schwerthand. Der Falkenberger stieß eine böse Verwünschung aus. Er sah sich gezwungen, das Schwert in die
andere Hand zu nehmen, um weiterkämpfen zu können. Ganz klar, daß dadurch seine Kampfkraft stark gemindert wurde. Dennoch war er nach wie vor ein tödlicher Gegner für den Knappen. Auch Roland war sich dessen bewußt. Er setzte alles daran, schnell mit dem Vierschrötigen fertig zu werden, um Louis beispringen zu können. Der Anführer der Falkenberger Ritter erwies sich jedoch als hervorragender Kämpfer. Immer wieder gelang es ihm, Rolands Angriffe abzuwehren. Und er ließ sich auch durch Finten nicht ins Bockshorn jagen. Andererseits mußte der Ritter mit dem Löwenherzen selbst höllisch aufpassen, um nicht ernstlich ins Hintertreffen zu geraten. Louis ging es jetzt an den Kragen. Gleichzeitig stürmten seine beiden Gegner auf ihn ein, der eine von vorne, der andere von hinten. Es gab keine Möglichkeit mehr für den Knappen, sich durch einen schnellen Sprung in Sicherheit zu bringen. Schon hob der eine das Schwert, um den entscheidenden Hieb anzubringen. Da griff Pierre ein ... Der dickliche Knappe hatte sich bis jetzt zurückgehalten, hatte sich ganz still verhalten, um ja nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nun aber, da sein Freund in höchster Gefahr war, überwand er seine Angst vor dem gewalttätigen Geschehen und stürzte sich ebenfalls ins wilde Kampfgetümmel. Niemand hatte bislang auf ihn geachtet, niemand hatte ihn ernst genommen. Das nutzte Pierre jetzt aus. Mit einer Behendigkeit, die man seinem dicklichen Körper kaum zutrauen konnte, warf er sich auf den Falkenberger, der Louis gerade den Garaus machen wollte. Der gräfliche Ritter verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Pierre wälzte sich auf ihn und hielt ihn im feuchten Gras fest. Louis fand so wieder Zeit, sich gegen seinen zweiten Gegner zu wenden. Derweil gewann Roland langsam, aber sicher doch die Oberhand über den Vierschrötigen. Er war beweglicher als sein Gegner, schneller und auch listenreicher. Und vor allem war er jünger und hatte den längeren Atem. Der Falkenberger begann zu keuchen, seine Schritte wurden schwerfälliger, seine Abwehrbewegungen
mühevoller. Roland deckte ihn mit einer Serie von Schwertstreichen ein - links, rechts, links, rechts. Dann schloß er den Angriff mit einem Stoß ab, der genau auf die Brust des Falkenbergers zielte. Der Vierschrötige war nicht mehr in der Lage, diesen Stoß zu parieren. Rolands Klinge kam voll durch und setzte dem Kampf ein Ende. Sofort wirbelte der Ritter mit dem Löwenherzen herum, um Louis und Pierre zu unterstützen. Es wurde höchste Zeit... Dem Ritter, den Pierre zu Fall gebracht hatte, war es gelungen, den auf ihm lastenden Körper des dicklichen Knappen abzuschütteln. In diesem Augenblick hob er seinen Schwertarm, um dem wehrlosen Pierre den Schädel zu spalten. Aber Roland gab ihm keine Gelegenheit, seine Absicht in die Tat umzusetzen. Ein Schwerthieb genügte, um dem Falkenberger ein für allemal das Ritterhandwerk zu legen. Nun war von den vier Gegnern nur noch ein einziger kampffähig. Nicht mehr lange jedoch. Wahrscheinlich wäre Louis allein mit ihm fertig geworden. Aber Roland wollte kein Risiko eingehen. Er griff, ohne zu zögern, in das Duell ein. Der Falkenberger erkannte, daß er der gefährlichere Gegner war, wandte sich augenblicklich von Louis ab und stellte sich Roland zum Kampf. Auf diese Gelegenheit hatte Louis nur gewartet. Bevor der Falkenberger den ersten Hieb gegen Roland führen konnte, war der Knappe schon bei ihm. Sein Hirschfänger zuckte nach vorne, und Roland konnte es sich sparen, von seinem Schwert Gebrauch zu machen. Der Kampf war beendet. Und der Weg nach Burg Falkenberg lag frei vor Roland und seinen beiden Gefährten. *
Es waren mehr als fünfzig Männer, die Steinmülheim in dieser Nacht verließen. Sie alle hatten sich bewaffnet, so gut es ging - mit Dreschflegeln, Mistgabeln, Sensen und Messern. Und. es waren auch ein paar dabei, die mit ungeübter Hand ein altes Schwert umklammerten. Die Männer waren ungewöhnlich schweigsam. Fast schien es so, als scheue sich jeder einzelne von ihnen, seinem Nebenmann ins Gesicht zu sehen. Aber dies änderte nichts an der eisernen Entschlossenheit aller, den gefaßten Plan in die Tat umzusetzen. Der Beschluß der Dorfversammlung war einstimmig gewesen. Zwar wußte jeder einzelne, daß es bitter unrecht war, was sie zu tun gedachten. Aber es hatte keinen einzigen gegeben, der auf den Gedanken gekommen wäre, sich dagegen auszusprechen. Karl Waldner war natürlich ebenfalls unter den Männern. Er trug kein Hieb- oder Stichinstrument bei sich. Nicht, weil es unter seiner Würde als Schultheiß gewesen wäre. Es war mehr sein schon etwas gesetztes Alter, das es ihm gebot, sich nicht auf Handgreiflichkeiten einzulassen. Dennoch oblag ihm so etwas wie eine Führungsrolle. Normalerweise hätte er dagegen nichts einzuwenden gehabt. In der gegenwärtigen Situation jedoch wäre er am liebsten im Dorf geblieben und hätte das verantwortliche Handeln anderen überlassen. Dem Müllner Rupold zum Beispiel, der den Anstoß zu diesem nächtlichen Unternehmen gegeben hatte. Aber was half es? Ein Schultheiß mußte auch Dinge tun, die er aus tiefstem Herzen verabscheute, die er haßte. Wenn diese Dinge im Interesse des Dorfes und seiner Menschen lagen, mußte man die Stimme des Gewissens überhören. Das fahrende Volk hatte seinen Lagerplatz ungefähr zwei Meilen von Steinmülheim entfernt aufgeschlagen. Aller Wahrscheinlichkeit nach beabsichtigten die Gaukler und Spielleute, morgen ins Dorf zu kommen und um die Spielerlaubnis nachzusuchen. Nun, wenn die Nacht vorüber war, würden sie wohl anderen Sinnes geworden sein. Den Weg zum Lagerplatz zu finden, bereitete selbst in der Dunkelheit keinerlei Schwierigkeiten. Die Steinmülheimer brauchten
nur immer dem Mühlbach zu folgen. Dort, wo sich dieser in das Flüßchen Foller ergoß, hatten sich die Fremden zur Nachtruhe niedergelassen. Karl Waldner war einer der Männer, die sich an der Spitze der schwerbewaffneten Gruppe befanden. Neben ihm gingen Christian Feldner und natürlich der Müllner Rupold. Feldner war es, der plötzlich seinen Schritt verhielt. »Dort, seht ihr es?« Er deutete mit dem ausgestreckten Arm nach vorne. Der Schultheiß hatte nicht mehr die besten Augen. Rupold Müllner hingegen nahm sofort wahr, was der Feldner meinte. »Feuerschein!« Ja, jetzt, wo er wußte, wonach er Ausschau halten mußte, sah Karl Waldner es ebenfalls. Das schwache Leuchten dort vorne konnte nur von dem Lagerfeuer kommen, das die Spielleute entzündet hatten. Fragend blickten ihn die Männer an. Sie erwarteten, daß er das weitere Vorgehen bestimmte. Karl Waldner entzog sich seiner Pflicht nicht. »Wir teilen uns in mehrere Gruppen«, ordnete er an. »Rupold, du nimmst dir zwanzig Leute und überschreitest den Mühlbach. Ihr teilt euch auf und nähert euch dem Lager in einem großen Bogen. Wir anderen tun dasselbe auf dieser Seite des Baches. Auf diese Weise können wir die Spielleute einkreisen und verhindern, daß sie die Flucht ergreifen. Sind noch Fragen?« Rupold Müllner hatte keine Fragen. Er wählte seine Männer aus und durchwatete dann mit ihnen den Mühlbach. Das Wasser war nur hüfthoch und bereitete keinerlei Schwierigkeiten. In kürzester Zeit standen Müllners Leute drüben. »Wenn ihr den Schrei des Eichelhähers hört, stürmen wir auf das Lager los«, rief Karl Waldner halblaut hinüber. »Verstanden«, bestätigte der Müllner. Im nächsten Augenblick waren er und seine Männer in der Dunkelheit untergetaucht. Auch die Steinmülheimer auf dieser Seite des Mühlbachs setzten
sich wieder in Bewegung. So lautlos wie möglich näherten sie sich dem Lagerfeuer, dessen Schein immer deutlicher hervortrat. Als die Entfernung kaum mehr als fünfzig Ruten betrug, ließ der Schultheiß die Männer ausschwärmen. Im Schutz der überall stehenden Weidenbäume und Haselnußsträucher schoben sie sich immer näher an das Lager heran. Es war offenbar, daß die Spielleute noch nicht bemerkt hatten, daß sie ungebetenen Besuch bekamen. Vom Lager drangen Fideltöne und Gesang herüber. Ohne Zweifel saßen die Fremden noch in fröhlicher Runde beisammen und ahnten nicht das geringste. Karl Waldner winkte den jungen Hirten Ingo Stallacher an seine Seite. »Du kannst den Schrei des Eichelhähers nachahmen, nicht wahr, Ingo?« »Ich kann alle Vogelstimmen nachmachen«, sagte der junge Bursche stolz. »Dann tu es!« Ingo Stallacher legte beide Hände vor den Mund. Und schon ertönte der Ruf des Eichelhähers so echt, daß sich selbst das Weibchen des Vogels hätte täuschen lassen. Der Ruf wurde von allen Steinmülheimern gehört. Wie ein Mann sprangen sie aus ihren Verstecken hervor und stürmten auf das Lager der Spielleute zu. In Sekundenschnelle waren die Fremden von sämtlichen Seiten umstellt. Keine Maus hätte entkommen können, so lückenlos hatten Karl Waldners Männer das Lager abgeriegelt. Alles war so rasch gegangen, daß nicht einmal die Schindmähren, die die Wagen der Gaukler zogen, etwas von der Annäherung der Einheimischen bemerkt hatten. Die Fremden waren vollkommen überrascht. Es mochten zehn, zwölf Menschen sein, die sich rings um das Lagerfeuer versammelt hatten - Männer, Frauen und Kinder. Ob das alle waren, ließ sich auf Anhieb nicht sagen. Möglicherweise befanden sich auf den drei Planwagen noch weitere Angehörige der Gauklersippe. Erschrocken sprangen die Überraschten hoch und blickten mit fassungslosen Mienen um sich.
Karl Waldner, geschützt von zwei Steinmülheimern mit zum Schlag bereiten Sensen, ergriff das Wort. »Bleibt, wo ihr seid!« rief er den Spielleuten zu. »Wer Widerstand leistet oder zu fliehen versucht, wird es bereuen!« Es fiel ihm nicht leicht, solche Drohungen auszustoßen. Von Natur aus war er ein friedlicher Mensch, der am liebsten niemandem etwas zuleide getan hätte. Aber es half nichts. Die Situation, in die sie alle durch die blutige Gräfin gebracht worden waren, ließ kein anderes Handeln zu. Der Anblick der schwerbewaffneten Steinmülheimer brachte die Spielleute zum Zittern. Keiner von ihnen wagte, sich vom Fleck zu rühren. Ein weißhaariger Mann, dem ein hartes, entbehrungsreiches Leben die Schultern gebeugt hatte, nahm seinen ganzen Mut zusammen. Er machte einen Schritt auf den Schultheiß zu, den er als Anführer der nächtlichen Besucher erkannt hatte. »Was ... wollt Ihr von uns?« fragte er stockend. Karl Waldner antwortete nicht sofort. Er ließ seine Blicke über die Fremden streichen, hielt dabei Ausschau nach einem Mädchen, das den Anforderungen der verabscheuungswürdigen Opferzeremonie gerecht werden konnte. Er hatte große Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Unter den Anwesenden befand sich niemand, der in Frage kam. Neben den Personen männlichen Geschlechts, deren Alter von zehn bis über siebzig reichen mochte, waren auch ein paar Frauen dabei. Abgesehen von zwei kleinen Mädchen um die zwölf hatten diese Frauen ein Alter erreicht, bei dem von Jungfernschaft längst keine Rede mehr sein konnte. »Wollt Ihr mir nicht antworten?« machte sich der alte Mann mit dem gebeugten Rücken abermals bemerkbar. Karl Waldner räusperte sich. »Ihr braucht keine Angst vor uns zu haben«, sagte er und spürte dabei, wie falsch und unaufrichtig seine Worte klangen. Und natürlich konnte er die Spielleute auch nicht überzeugen. Angesichts der drohenden Haltung seiner Leute war das auch kein
Wunder. Selbst der Einfältigste hätte wohl kaum an friedliche Absichten der Steinmülheimer geglaubt. »Wenn Ihr unsere Besitztümer wollt...«, sagte der Weißhaarige mit verkniffenem Mund. »Wir sind arm wie die Kirchenmäuse. Wir besitzen nur das, was wir am Leibe tragen, unsere Pferde, unsere Wagen ...« »Schon gut«, unterbrach ihn der Schultheiß. »Wir sehen selbst, daß ihr nicht mit Reichtümern gesegnet seid. Und ihr solltet auch nicht denken, daß wir ehrlose Straßenräuber sind, die es auf eure armselige Habe abgesehen haben. Wir sind ..., äh ..., gesetzestreue Untertanen unserer Landesherrin.« »Wir auch«, antwortete der alte Mann sofort. »In welchem Lande wir auch sind - wir halten uns an die dort herrschenden Gesetze!« »Um das festzustellen, sind wir hier«, sagte Karl Waldner. Wieder ließ er seine Blicke durch das Lager der Spielleute schweifen. Und dabei sah er im Schein des hell aufleuchtenden Feuers, daß sich die Plane eines Wagens bewegte. Ganz offensichtlich saßen also nicht alle Angehörigen der Sippe am Feuer. Zumindest auf diesem einen Wagen befand sich noch jemand. Waldner beschloß, jetzt sofort zur Sache zu kommen. Langes Hinund Hergerede führte zu nichts, machte die ganze Situation nur noch viel unerfreulicher. »Ist das eure ganze Truppe?« fragte er und machte eine Handbewegung, die alle Männer, Frauen und Kinder am Feuer umfaßte. Der alte Mann zögerte, warf seinen Leuten einen schnellen, fragenden Blick zu. »Ja«, sagte er dann, »das sind alle.« »Der Kerl lügt!« brüllte Rupold Müllner und fuchtelte mit einem Dreschflegel in der Luft herum. »Da im Wagen... Es beobachtet uns jemand durch ein Loch in der Plane!« Das deckte sich mit Karl Waldners eigenen Feststellungen. Keine Frage, der Alte sagte ganz bewußt die Unwahrheit. Und der alte Mann gab das nach abermaligem kurzem Zögern auch
gleich zu. »Entschuldigt, ich habe nicht so genau hingesehen. Ein paar von uns haben sich bereits zum Schlafen niedergelegt und ... « »Sie sollen rauskommen!« bellte der Müllner. »Sonst machen wir ihnen Beine!« Drohend trat er auf den Weißhaarigen zu, den Flegen zum Schlag erhoben. »Laß das, Rupold«, sagte der Schultheiß scharf. Der Müllner verhielt seinen Schritt, verlor aber nichts von seiner drohenden Haltung. Waldner wandte sich wieder an den Alten. »Alle, die sich noch in den Wagen befinden, sollen ans Feuer treten.« »Auch die Säuglinge?« erkundigte sich dieser mit zuckenden Mundwinkeln. »Nein, das ist nicht nötig.« Der Weißhaarige beriet sich kurz mit den Angehörigen seiner Sippe. Er tat dies in einer Sprache, die die Steinmülheimer nicht verstanden. Dennoch hatte niemand den Eindruck, daß die Spielleute einen Plan zur Gegenwehr ausheckten. Die Fremden hatten erkannt, daß sie hoffnungslos in der Minderzahl waren, daß es nur gut für sie sein konnte, wenn sie alles taten, was man von ihnen verlangte. Und so geschah es dann auch. Der alte Mann rief etwas in seiner Sprache, und schon wenige Augenblicke später kletterten weitere Sippenangehörige von den Wagen. Es waren fünf, sechs, sieben Personen. Und darunter ... Karl Waldner atmete etwas schneller, als er unter den sieben zwei junge Mädchen sah, die im richtigen Alter waren. Wenn sie nun auch noch ihre Jungfernschaft besaßen ... Den übrigen Steinmülheimern gingen dieselben Gedanken durch den Kopf. Sie flüsterten miteinander, so leise allerdings, daß die Gaukler noch nicht ahnen konnten, um was es ging. »Laß diese beiden vortreten«, forderte Karl Waldner den Weißhaarigen auf und deutete auf die beiden Mädchen. »Was ... wollt Ihr von ihnen?« »Laß sie vortreten!«
Der Alte rief die beiden. Sie kamen sogleich, scheu, zögernd, aber gehorsam. Mit angstvollen Gesichtern blieben sie neben dem Weißhaarigen stehen. Der Schultheiß sprach die erste der beiden an, ein derbes, junges Frauenzimmer, das der Herrgott mit wenig Anmut und Liebreiz gesegnet hatte. »Wie alt bist du, mein Kind?« fragte er und bemühte sich dabei um einen freundlichen Tonfall. »Vierzehn«, antwortete das Mädchen. Beinahe hätte Waldner laut geflucht. Erst vierzehn Jahre alt? Damit war das Mädchen noch ein Kind und kam nicht in Frage. Ein Grund, an der Lauterkeit ihrer Antwort zu zweifeln, lag nicht vor. Die Dirn konnte nicht wissen, daß sie das jugendliche Alter vor dem Verderben schützte. Waldner wandte sich an die andere, stellte auch ihr die Frage, wie alt sie sei. Auch das zweite Mädchen antwortete bereitwillig. Und es war genau die Antwort, die die Steinmülheimer hören wollten. »Ich werde in einem Mond siebzehn.« Der Schultheiß triumphierte innerlich. Jetzt brauchte das Mädchen nur noch eine Voraussetzung mitzubringen, und dann ... Prüfend blickte er das junge Frauenzimmer an. Die Kleine war hübsch, sehr hübsch sogar. Sie hatte ebenmäßige Gesichtszüge und einen Körper, der es mit dem jeder voll erblühten Frau aufnehmen konnte. Ihr lockiges Schwarzhaar glänzte im Feuerschein wie byzantinische Seide. Es würde eine wahre Schande sein, dieses bildschöne Menschenkind den grausamen Launen der blutigen Gräfin zu opfern, aber... Karl Waldner rang die in ihm aufkeimenden Gewissensbisse nieder und stellte die entscheidende Frage. »Bist du noch Jungfrau, mein Kind?« Furcht trat in die Augen des Mädchens. »Was ... habt ihr mit mir vor?« »Nicht, was du denkst«, erwiderte Karl Waldner. »Wir haben
keineswegs vor, über dich herzufallen wie die wilden Tiere und dir die Unschuld zu rauben.« »Warum fragt Ihr dann?« »Die Gesetze des Landes verlangen es!« Der Weißhaarige legte einen Arm um die Schulter seiner Sippentochter. »Von einem solchen Gesetz haben wir noch nie gehört«, stellte er fest. »Willst du mir unterstellen, daß ich lügnerische Worte im Munde führe?« entrüstete sich Waldner. »Nein, nein, natürlich nicht«, beeilte sich der alte Mann zu sagen. »Na also, dann beantworte meine Frage, Dirn!« Das Mädchen nickte. »Ja, ich bin noch Jungfrau. Auch wir Frauen des fahrenden Volkes wissen unsere Ehre hochzuhalten!« Karl Waldner überlegte, welchen Vorwand er nennen sollte, um das Mädchen zum freiwilligen Mitkommen nach Steinmülheim zu veranlassen. Aber er konnte sich seine Überlegungen sparen. »Das genügt«, stieß Rupold Müllner hervor. »Kommt, Freunde!« Mit ein paar schnellen Schritten war er bei dem alten Mann und der Jungfrau. Mehrere andere Steinmülheimer folgten ihm auf dem Fuß. Schon griff er nach dem Mädchen. Aber die junge Dirn war schnell auf den Beinen. Geschickt wich sie dem Zugriff des Mannes aus und sprang zurück. Müllners Arm ging ins Leere. »Warte, du Metze«, rief er wütend und wollte dem Mädchen nachsetzen. Der Weißhaarige stellte sich ihm in den Weg. »Laßt sie in Ruhe! Sie hat euch nichts ...« Weiter kam er nicht. Die Sorge um seine eigene Tochter ließ den Müllner alle Bedenken vergessen. Er wollte die jungfräuliche Sippenangehörige, koste es, was es wolle. Mit einem kräftigen Hieb seines Dreschflegels fegte er den alten Mann aus dem Weg. Dann warf er sich mit einem mächtigen Sprung auf das junge Frauenzimmer.
Gellend schrie das Mädchen auf. Ihr Schrei war wie ein Signal für die anderen Spielleute. Auch sie erhoben jetzt voller Entsetzen ihre Stimmen und brüllten und kreischten laut los. Nicht alle jedoch ließen sich so vom Entsetzen übermannen, daß sie tatenlos zusahen, wie ihrer Sippenschwester Böses angetan wurde. Einige von ihnen eilten der von Rupold Müllner zu Boden gerissenen Jungfrau zu Hilfe. Dieses Tun wiederum ließ nun alle anderen Steinmülheimer eingreifen. Von allen Seiten stürmten sie auf das Lager los, Sensen, Knüppel und Schwerter in den erhobenen Fäusten. Innerhalb weniger Augenblicke war das Handgemenge entschieden. Die Steinmülheimer konnten in ihr Dorf zurückkehren. An der Spitze der Sieger schritt der Müllner Rupold. Mit zufriedener Miene schleppte er die wimmernde Jungfrau mit sich fort. Ganz am Schluß der Truppe ging Karl Waldner. Er schämte sich. * Volker vom Hohentwiel zügelte sein Pferd vor dem mehrere Klafter breiten Burggraben. Die Brücke war hochgezogen und gestattete es ihm zunächst nicht, auf den Burghof zu reiten. Ein recht beschwerlicher Weg lag hinter ihm. Burg Falkenberg war auf dem Gipfel eines Berges erbaut worden, der besonders im letzten Drittel steil anstieg. Sein Pferd hatte Mühe gehabt, den schmalen Pfad zu bewältigen, der sich der Bergspitze entgegenwand. Jetzt aber war er endlich am Ziel. Oben auf der Burgmauer standen zwei Torwächter, die zu ihm hinabblickten. »Wer seid Ihr?« rief ihn der eine der beiden Männer an. »Und was wollt Ihr?« »Ich bin der Ritter Volker vom Hohentwiel. Und es ist mein
Begehr, Eurer Herrin meine Aufwartung zu machen.« »Volker vom Hohentwiel - der hochgerühmte Minnesänger?« »Nämlicher!« »Geduldet Euch einen Augenblick. Ich werde nachhören, ob Ihr willkommen seid.« Der Sprecher verließ die Burgmauer, und für Volker hieß es zu warten. Lange brauchte er sich jedoch nicht mit Geduld zu wappnen. Schon nach wenigen Minuten verriet ihm ein knarrendes Geräusch, daß seinem Einlaßbegehren stattgegeben werden sollte. Die Zugbrücke wurde hinuntergelassen. Kurz darauf überquerte Volker den Burggraben und ritt auf den Hof der gräflichen Burg. Zwei Ritter nahmen ihn in Empfang. Es waren nicht gerade freundliche Blicke, mit denen sie ihn bedachten. Aber Volker konnte in ihren Augen auch keine echte Feindschaft lesen. »Seid willkommen, Volker vom Hohentwiel.« Volker erwiderte den Gruß und schwang sich vom Rücken seines Reittiers. Der eine Ritter winkte einen der Knechte herbei, die sich im Hintergrund aufhielten. »Versorge das Pferd unseres Gastes«, befahl er. Dienernd kam der Knecht der Aufforderung nach und entfernte sich mit Volkers Pferd. »Die Gräfin erwartet Euch, Volker vom Hohentwiel. Habt die Güte, uns zu folgen.« »Es ist mir ein Vergnügen und eine hohe Ehre«, erklärte Volker lächelnd und nickte den Falkenbergern zu. Die beiden Ritter geleiteten ihn zum Portal des Hauptgebäudes der Burg und betraten dann gemeinsam mit ihm die Eingangshalle. Mehrere andere Ritter und auch einige Burgfräulein standen dort umher und sahen herüber. Die Blicke der Männer waren genauso zwiespältig wie die der beiden, die ihn in Empfang genommen hatten. Die Frauen jedoch betrachteten ihn mit offenem, unverhohlenem Interesse, und ein paar von ihnen lächelten ihn auch
vielversprechend an. Volker fand dies nicht ungewöhnlich. Er war es gewohnt, von der holden Weiblichkeit umschwärmt und bewundert zu werden. Normalerweise hatte er nichts dagegen und ging gerne darauf ein. Diesmal jedoch nicht. Diesmal konzentrierte sich sein ganzes Sinnen und Trachten auf die Burgherrin selbst. Die beiden Ritter führten ihn durch die Halle und beschritten dann mit ihm einen Säulengang, an dessen Ende eine reichverzierte Eichentür lag. Rechts und links davon standen zwei Bewaffnete, die wie steinerne Statuen wirkten, so starr und unbeweglich nahmen sie ihre Wächteraufgabe wahr. Die Morgensterne in ihren Fäusten waren eine einzige nicht ausgesprochene Drohung. »Öffnet«, sagte einer der Begleiter Volkers. Jetzt kam Bewegung in die Wächter. Beinahe ruckartig rissen sie die massive Flügeltür auf. Einer von Volkers Begleitern trat in den Raum, der hinter der Eichentür lag. »Der Ritter Volker vom Hohentwiel«, meldete er. »Der Ritter möge eintreten«, antwortete eine weibliche Stimme, die wie Musik in Volkers Ohren klang. »Kommt«, wurde Volker aufgefordert. Das ließ sich Volker nicht zweimal sagen. Unverzüglich schritt er durch die geöffnete Tür, die hinter ihm sofort wieder geschlossen wurde. Er blieb stehen und ließ seine Blicke durch den Raum schweifen. Zwei Menschen befanden sich in dem Raum, ein Mann und eine Frau. Volker hatte in seinem Leben schon viele Frauen gekannt und ließ sich nicht mehr so schnell durch weibliche Reize gefangennehmen. Diese Frau jedoch schlug ihn sofort in ihren Bann. Sie war schön, wunderschön im wahrsten Sinne des Wortes klassisch geschnittene Gesichtszüge, der Körper einer Gestalt gewordenen Liebesgöttin, schulterlange Haare, die ihr Gesicht und ihren Oberkörper wie ein Goldflor umrahmten. Das war sie also - Birgitta, die Herrin der Mark Falkenberg, der man soviel Böses nachsagte!
Sie saß in einem aufwendig mit Gold- und Silberfiligran versehenen Sessel. Nein, sie saß nicht, sie thronte vielmehr, ganz wie eine geborene Fürstin, obwohl sie dies, wie Volker mittlerweile erfahren hatte, keineswegs war. Der Mann, der neben ihrem Sessel stand, war ebenfalls eine imposante Erscheinung. Groß und mächtig wie ein Baum, mit Armen und Beinen, die an Säulen denken ließen. Sein kantiges Gesicht, von einem dichten roten Bart überwuchert, der unwillkürlich an eine Feuerlohe erinnerte, verriet Härte und Willensstärke. Volker scheute so leicht vor niemandem zurück. Diesem Mann jedoch hätte er nur höchst ungerne im Kampf gegenübergestanden. »Tretet näher, Volker vom Hohentwiel«, sagte die Gräfin und machte eine einladende Handbewegung. Volker kam der Aufforderung nach. »Seid gegrüßt, Gräfin«, sagte er mit einer ritterlichen Verbeugung. Ganz dicht stand er jetzt vor der herrlichen Frau. Er blickte ihr in die Augen. Und versank regelrecht darin ... Ihm war, als würde er in einen klaren Bergsee stürzen. Auf dem Grunde dieses Bergsees war etwas, das ihn lockte, das ihn mit unwiderstehlicher Kraft an sich zog. Volker fühlte sich gefangen, gefangen mit Haut und Haaren. Und obwohl er ein Mensch war, der seine Freiheit über alles liebte, hatte er gegen diese Gefangenschaft nicht das geringste einzuwenden. Ja, es schien ihm geradezu erstrebenswert zu sein, zum Sklaven der Gräfin zu werden. Er verspürte den brennenden Wunsch, alles zu tun, was sie von ihm verlangte, auch wenn er dabei gezwungen wurde, sich selbst aufzugeben. »... seid Ihr nach Burg Falkenberg gekommen?« drang die Stimme Birgittas wie aus weiter Ferne an sein Ohr. Die Worte rissen Volker in die Wirklichkeit zurück. Er hatte das Gefühl, aus einem Traum zu erwachen. »Ich ...« Er brauchte ein paar Augenblicke, um sich zu sammeln, um wieder
klar denken zu können. »Ich bin gekommen, um Eure Hand anzuhalten«, steuerte er dann geradewegs auf sein Ziel zu. Die Gräfin lächelte, während der .Mann an ihrer Seite eine finstere Miene aufsetzte und den Besucher mit bösen, unheilverkündenden Blicken maß. »Es freut mich sehr, daß mir ein so berühmter Mann wie Ihr die Ehre antut, um mich zu werben«, sagte Birgitta. »Aber Ihr solltet wissen, daß es nicht ausreicht, eine schöne Stimme zu besitzen, wenn Ihr der Mann an der Seite der Gräfin zu werden gedenkt«, warf der Rotbärtige mit grollender Stimme ein. Volker tat so, als würde er den Mann erst in diesem Augenblick bemerken. »Wer ist er?« erkundigte er sich bei der Gräfin, ohne den anderen dabei anzusehen. Dennoch war es der Rotbärtige selbst, der ihm eine Antwort auf seine Frage gab. »Mein Name ist Fridjof von der Heide«, ließ er Volker wissen. »Vielleicht habt Ihr schon einmal von mir gehört.« Und ob Volker schon einmal von ihm gehört hatte! Fridjof von der Heide war ein Ritter, von dessen Heldentaten man an so manchem Fürstenhof und in zahllosen Gasthäusern wahre Wunderdinge berichtete. Sein Mut, seine beispiellose Kampfkraft waren weithin hochgerühmt. Volker hatte sich schon lange gewünscht, diesem Mann einmal persönlich zu begegnen. Daß es nun unter solchen Umständen geschah, da er Fridjof von der Heide ohne jeden Zweifel als Nebenbuhler um die Gunst der Gräfin ansehen mußte, hatte er sich allerdings mitnichten erträumt. »Fridjof spricht Wahres«, sagte die Gräfin jetzt. »Derjenige, dem ich mein Herz und meine Hand schenke, muß mehr zu bieten haben als schönen Gesang und die Kunst des Reimens. Ich erwarte an meiner Seite einen Mann, der jederzeit in der Lage ist, allen meinen Feinden Trotz zu bieten, und seien sie auch noch so stark und mächtig!«
»Ein solcher Mann bin ich«, antwortete Volker im Brustton der Überzeugung. Fridjof von der Heide ließ ein polterndes Lachen erschallen. »Ihr sprecht große Worte gelassen aus, Sänger«, sagte er mit unverhohlenem Spott. »Wenn ich Euch so höre, so schließe ich beinahe daraus, daß Ihr auch bereit wärt, Euch im Zweikampf mit jederman zu messen. Oder sollte ich mich irren?« »Ihr irrt Euch nicht«, erwiderte Volker, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. »Auch mit mir würdet Ihr des Schwertes Klinge kreuzen?« fragte Fridjof mit lauerndem Unterton. Volker sah die Gräfin an, sah den Ritter an. »Gewiß«, sagte er dann, »auch Euch würde ich mitnichten aus dem Wege gehen!« Birgitta von Falkenberg lächelte. »So sei es«, sagte sie. »Euer Zweikampf soll stattfinden, noch bevor die nächste Nacht beginnt!« »Ja«, nickte Volker. Und Fridjof von der Heide lachte triumphierend. * Pierre hatte ein neues Pferd bekommen, nachdem das seine im Fluß untergegangen war. Der Einfachheit halber hatte Roland eins der Reittiere genommen, die den Falkenberger Rittern gehörten. Nicht umsonst, verstand sich, denn er war schließlich kein Pferdedieb. Er hatte den Fährleuten, in deren Obhut sich die Pferde befanden, einen Silberdenar dafür gegeben. Dies erschien ihm ein angemessener Preis, zumal wenn er bedachte, daß die Falkenberger indirekt die Schuld am Verlust von Pierres Pferd trugen. Die drei Gefährten waren in dieser Nacht nicht mehr allzu weit geritten. Nach ein paar Meilen hatten sie ein Gasthaus gefunden und waren dort eingekehrt, um bis zum neuen Tag zu schlafen. Nach einem kräftigen Frühstück befanden sie sich nun wieder auf dem
Weg. Es war ein prächtiger Morgen. Die Sonne tauchte das Land in goldenes Licht, die Vögel zwitscherten und jubilierten, Felder und Wiesen zeigten ihr üppiges Grün. Die Natur hatte die Mark Falkenberg reichlich aus ihrem Füllhorn bedacht, und man sollte meinen, daß die Bewohner ein zufriedenes Leben führten. Daß dem tatsächlich nicht so war, wußte Roland inzwischen. Und er sollte es alsbald noch einmal nachdrücklich bestätigt bekommen. Die Gefährten folgten dem Lauf eines kleinen Flüßchens, das sich auf verschlungenem Weg durch die liebliche Landschaft wand. Gegen Mittag, als ihre Mägen wieder zu knurren begannen, sahen sie vor sich ein paar Planwagen, die an einer Biegung des Flüßchens standen. »Fahrendes Volk, wie mir scheint«, sagte der Ritter mit dem Löwenherzen. Pierre zog die Mundwinkel nach unten. »Fahrendes Volk! Das sind alles Hungerleider, die nicht einmal einen Bissen Brot für uns übrig haben werden. Wie schön wäre es doch gewesen, wenn wir eine ritterliche Jagdgesellschaft getroffen hätten!« »Mußt du immer ans Essen denken?« entrüstete sich Louis. »Du tust ja gerade so, als ob du am Verhungern bist!« »Ein gutes Essen hält Leib und Seele zusammen«, verteidigte sich der dickliche Knappe. »Oder?« Louis gab ihm keine Antwort mehr, sondern ließ nur ein verächtliches Grunzen hören. Er gab seinem Reittier die Hacken, um wieder zu Roland aufzuschließen, der schon ein Stück vorgeritten war. Die Planwagen kamen näher. Mehrere Leute zeigten sich Männer, Frauen und Kinder. Ja, es waren tatsächlich Gaukler und Spielleute, wie ihre bunte Kleidung zweifelsfrei erkennen ließ. Von der unbeschwerten Heiterkeit allerdings, die Angehörige des fahrenden Volkes oft auszeichnete, war allerdings nichts zu spüren. Im Gegenteil, die Spielleute blickten den Ankömmlingen geradezu feindselig entgegen.
Roland ließ sich dadurch jedoch nicht abschrecken. Unbeirrt ritt er auf die Menschengruppe zu. Und die beiden Knappen folgten seinem Pferd auf den Hufen. Jetzt aus nächster Entfernung sah er, daß irgend jemand den Spielleuten übel mitgespielt haben mußte. Fast alle, die älteren Kinder und die Frauen nicht ausgenommen, machten einen mitgenommenen und lädierten Eindruck. Beulen, blaue Flecken und Schlimmeres überall. Einige hatten sich Tücher um die verletzten Glieder geschlungen, durch die das Blut hindurchsickerte. Eine Horde von Barbaren schien über die Gaukler hergefallen zu sein. Roland zügelte sein Pferd und hob grüßend die rechte Hand. »Ihr braucht keine Furcht vor uns zu haben«, sagte er. »Wir kommen als Freunde.« Ein älterer Mann mit weißem Haar trat vor. Er hatte den rechten Arm in einer Schlinge und hinkte leicht. »Wer seid Ihr?« fragte er, während das Mißtrauen in seinen Augen glänzte. »Mein Name ist Roland. Und dies sind meine beiden Knappen Louis und Pierre.« »Ihr steht im Sold der Gräfin von Falkenberg?« »Ich stehe in niemandes Sold!« Die Stirn des alten Mannes legte sich in grüblerische Falten. »Roland, Roland«, murmelte er. »Seid Ihr der, den man den Ritter mit dem Löwenherzen nennt?« Roland nickte stumm. »Derjenige, der den letzten Lindwurm tötete?« »Nämlicher«, bestätigte Roland. Jetzt lächelte der alte Mann. »Dann haben wir in der Tat nichts von Euch zu befürchten. Seid uns willkommen!« Der Bann war gebrochen. Feindseligkeit und Mißtrauen wichen aus den Gesichtern der Spielleute. Allgemeine Freundlichkeit schlug den drei Ankömmlingen jetzt entgegen. Sie wurden zum Essen eingeladen, und Pierre hatte dabei sogar die Freude, einen frisch erlegten Hasen verzehren zu können.
Roland erfuhr von dem alten Mann, was der Sippe Böses widerfahren war. Verständnislos schüttelte er den Kopf. »Aber warum? Einfache Dorfbewohner, die sich wie eine Rotte gemeiner Straßenräuber aufführen? So etwas habe ich noch nie gehört.« »Und doch ist es wahr«, sagte der Alte. »Sie haben unsere Ilona mit sich fortgeschleppt. Was sie mit ihr vorhaben ... Ich wage gar nicht, es mir vorzustellen!« »Wie weit ist das Dorf entfernt?« erkundigte sich Roland. »Wenige Meilen nur.« »Und habt ihr nicht versucht, Ilona wieder zu befreien?« Hilflos hob der alte Mann die Arme. »Was könnten wir schon ausrichten? Wir sind wenige, die Steinmülheimer aber viele. Sie hätten uns abermals zusammengeschlagen. Sonst wäre nicht das geringste dabei herausgekommen.« Entschlossen schob Roland das Kinn nach vorne. »Wir werden sehen, ob sie es schaffen, auch mich zusammenzuschlagen«, sagte er. »Was ... meint Ihr?« »Ich werde Ilona befreien!« »Das wollt Ihr wirklich tun, edler Ritter?« »Ja«, bekräftigte Roland. »Ich habe es mir zum Lebensziel gesetzt, den Schwachen und Hilflosen beizustehen, wann immer es in meiner Macht steht. Wenn eure Ilona noch zu retten ist, dann werde ich sie retten. Seid unbesorgt.« Der alte Mann war außer sich vor Freude. Und seine Sippenbrüder und - Schwestern konnten ihre Begeisterung ebenfalls kaum zügeln. Weniger erfreut war Pierre. Der dickliche Knappe wäre viel lieber am Lagerfeuer sitzengeblieben und hätte sich an einer weiteren Hasenkeule gütlich getan. Aber als Roland zum Aufbruch mahnte, war er doch gleich bereit, der Gemütlichkeit zu entsagen. Von den besten Wünschen des fahrenden Volks begleitet, machten sich Roland und seine Gefährten auf den Weg nach Steinmülheim. *
Volker vom Hohentwiel wußte, daß ihm wahrscheinlich der schwerste Kampf seines Lebens bevorstand. Fridjof von der Heide war ein Gegner, mit dem es kaum jemand aufgenommen hätte, der ganz bei Tröste war. Dennoch hatte Volker nicht eine einzige Sekunde gezögert, die Herausforderung anzunehmen. Die schöne Birgitta hatte ihn so tief beeindruckt, daß er bereit war, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Er wollte sie besitzen, wollte den Platz an ihrer Seite einnehmen. Und wenn er dieses Ziel nur erreichen konnte, indem er den rotbärtigen Ritter besiegte ... Alle Vorbereitungen zum Duell waren getroffen. Der Burghof war mit einer Lage Sand bedeckt worden, um zu vermeiden, daß sich einer der beiden Kämpfenden beim Sturz vom Pferd den Hals brach. Die Burgbewohner, Hochgeborene und Gesinde gleichermaßen, hatten ihre Plätze eingenommen, um Zeuge des kämpferischen Schauspiels zu werden. Auch die Gräfin war zugegen. Sie saß in ihrem Thronsessel und ließ sich von einer Zofe frische Luft zufächern. Volker vom Hohentwiel und Fridjof von der Heide hatten bereits ihre Kampfpositionen bezogen. Sie saßen auf ihren Pferden, hundert Ellen voneinander getrennt, die Lanzen in der Faust und tödliche Entschlossenheit im Herzen. Beide blickten zur Gräfin hinüber, die das Signal zum Kampfbeginn geben würde. »Seid Ihr bereit, edler Ritter?« fragte Birgitta. »Ja, Herrin«, bestätigte Fridjof von der Heide. »Meine Lanze wartet schon darauf, dem Sänger die goldene Kehle zu durchbohren!« Er begleitete seine derben Worte mit einem rauhen Lachen, in das mehrere der Falkenberger einfielen. Die Ritter hielten Volker für einen Mann, dessen Talente ausschließlich auf dem Gebiet der Sangeskunst und des Reimeschmiedens lagen. Daß er auch ein außerordentlicher Kämpfer war, wußten sie nicht. Volker machte dies nichts aus. Im Gegenteil, er begrüßte es sogar, daß man ihn unterschätzte, was besonders für Fridjof galt. Ein Mann, der seinen Gegner zu leicht nahm, neigte zur Überheblichkeit und
war deshalb fehleranfällig. »Seid auch Ihr bereit, Volker vom Hohentwiel?« erklang abermals die Stimme der Gräfin. Sie bedachte ihn dabei mit einem Lächeln, das sein Herz schmelzen ließ wie den Tau in der Morgensonne. Volker fühlte regelrecht, wie sich sein Blut erhitzte. Er konnte es kaum noch erwarten, daß der Kampf begann. Er hob die linke Hand zum Zeichen seiner Bereitschaft. »So sei es denn«, sagte Birgitta. »Möge der Bessere von Euch den Sieg davontragen. Fangt... an!« Kaum waren die Worte der Gräfin verklungen, da hielt es die beiden Ritter nicht mehr. Sie gaben ihren Pferden die Hacken und jagten im Galopp aufeinander los. Rasend schnell verkürzte sich der Abstand zwischen ihnen. Achtzig Ellen, fünfzig, vierzig ... Volker hatte die Zügel losgelassen, lenkte sein Reittier nur mit der Kraft seiner Schenkel. Mit beiden Fäusten hielt er die Lanze umklammert, zum wuchtigen Stoß bereit. Zwanzig Ellen trennten ihn jetzt noch von seinem Gegner. Fridjof hatte das Visier seines Helms geschlossen, aber hinter den Sehschlitzen konnte Volker das mörderische Funkeln seiner Augen erkennen. Zehn Ellen noch, fünf, drei... Volker stieß mit der Lanze zu und wurde im selben Augenblick von der Waffe seines Gegners getroffen. Ihm war so, als würde ihm das Herz aus dem Leibe gepreßt. Seine Brust war auf einmal wie zugeschnürt. Er bekam kaum noch Luft, und alles drehte sich vor seinen Augen. Nur mit allergrößter Mühe gelang es ihm, sich im Sattel zu halten. Dann war Fridjof von der Heide an ihm vorbei. Nach wie vor saß der rotbärtige Ritter aufrecht und stolz auf dem Rücken seines Pferdes. Volkers Lanzenstoß hatte ihn nicht erschüttert, war offenbar harmlos von seiner Rüstung abgeglitten. Volker hatte nicht viel Zeit, sich zu erholen. Er mußte sein Pferd
wenden und sich seinem Gegner zum zweiten Mal stellen. Wieder jagten die beiden Ritter aufeinander los. Schon zuckte die Lanze des Rotbärtigen nach vorne, so schnell wie der Kopf einer zuschnappenden Kreuzotter. Diesmal jedoch wandte Volker eine andere Taktik an. Er stieß seinerseits nicht zu, wehrte statt dessen mit seiner Lanze lediglich die Attacke des Gegners ab. Und mit dieser Taktik fuhr er gut. Während er selbst nicht erschüttert wurde, riß der Schwung des fehlgegangenen Stoßes den Rotbärtigen beinahe aus dem Sattel. Die beiden Kämpfer waren wieder aneinander vorbei. Da jedoch tat Fridjof von der Heide etwas, worauf Volker in keiner Weise vorbereitet war. Gänzlich unerwartet drehte er sich im Sattel um und schlug seinem Gegner von hinten die Lanze über den Schädel. Volker hatte das Gefühl, als sei ein Felsblock auf ihn herabgestürzt. Ein dunkler Schleier legte sich vor seine Augen, machte ihn für den Moment beinahe blind. Er schwankte im Sattel hin und her wie jemand, der zuviel Met getrunken hat. Das Grölen der Zuschauer drang wie aus weiter Ferne an sein Ohr. Der Zorn jedoch, der in ihm tobte, gab ihm die Kraft, sich auf dem Rücken seines Pferdes zu halten. Was der Rotbärtige getan hatte, war ein eindeutiger Verstoß gegen die Regeln des ritterlichen Reiterduells. Die Lanze durfte nur zum Parieren der gegnerischen Attacke oder zum eigenen Stoß verwandt werden, keineswegs aber war es erlaubt, sie als Schlaginstrument zu mißbrauchen. Hier auf Falkenberg schien man dies nicht zu wissen oder aber nicht wissen zu wollen. Kein Wort des Protestes erhob sich, niemand untersagte Fridjof sein heimtückisches Tun. Nun gut, mein Freund, dachte Volker vom Hohentwiel, wenn du mit falschen Würfeln spielst, dann wundere dich gefälligst nicht, wenn ich zu denselben Mitteln greife! Er tat so, als habe ihn der Schlag auf den Helm so mitgenommen,
daß er vor Schwäche aus dem Sattel rutschte und sich mit einer Hand auf dem Boden abstützen mußte. Daß er dabei seine Hand mit Sand füllte, konnte niemand ahnen. Das Gelächter der Zuschauer machte Volker nicht das geringste aus. Er wußte, daß stets derjenige am besten lacht, der zuletzt lacht. Im nächsten Augenblick saß er wieder aufrecht im Sattel und wendete sein Pferd. Er war bereit zum nächsten Zusammentreffen mit dem Rotbärtigen. Wieder sprengten die beiden Ritter aufeinander zu. Schnell verkürzte sich der Abstand zwischen ihnen. Als sie noch eine Pferdelänge voneinander entfernt waren, schleuderte Volker seinem Gegner die Handvoll Sand entgegen. Und er traf gut... Die feinen Sandkörner drangen mit Leichtigkeit durch die Helmschlitze und setzten sich in den Augen Fridjofs fest. Der Rotbart war geblendet. Volker hatte keine Mühe, Fridjofs unkontrolliertem Lanzenstoß durch eine blitzschnelle Körperverlagerung auszuweichen. Gleichzeitig nahm er selbst Maß, ganz ruhig und ohne Hast, peinlich darauf bedacht, seinen Gegner genau dort zu erwischen, wo es zählte. Als Fridjof fast schon an ihm vorbei war, stieß er pfeilschnell zu. Und er hatte richtig Maß genommen ... Die Lanzenspitze verhakte sich in der Rille, die Fridjofs Helm mit seinem Brustharnisch verband. Sie saß so fest, als sei sie angeschmiedet worden. Das, was geschehen mußte, geschah. Die Pferde galoppierten in entgegengesetzter Richtung davon. Volker brauchte den Lanzenschaft nur mit aller Kraft festzuhalten, alles andere ergab sich von selbst. Fridjof von der Heide, von den Sandkörnern noch geblendet, hatte keine Möglichkeit, sich dem Verhängnis entgegenzustemmen, denn natürlich konnte es selbst ein so bärenstarker Mann wie er nicht mit der gemeinsamen Kraft der Pferde aufnehmen. Er wurde aus dem Sattel gerissen und klatschte auf den Boden wie ein Sack Mehl.
Volker hätte nicht übel Lust gehabt, den heimtückischen Gegner noch ein Stück hinter sich herzuziehen. Aber seine ritterliche Gesinnung hieß ihn, diesen Gedanken nicht weiterzufolgen. Er ließ den Lanzenschaft los und ersparte dem Rotbärtigen damit die Schande, durch den Dreck des Burghofs geschleift zu werden. Sein Triumph war auch so vollkommen. Die Zuschauer, Edelleute und Gesinde gleichermaßen, jubelten ihm zu. Sie klatschten in die Hände, bedachten ihn mit Hochrufen, sahen ihn mit offener Bewunderung an. Er war der Sieger, der Mann, der den als unbezwingbar geltenden Fridjof von der Heide in den Staub gezwungen und gedemütigt hatte. Volker zügelte sein Pferd und schlug die Klappe seines Helms hoch. Er blickte zu seinem Gegner hinüber. Der Sturz aus dem Sattel war dem Rotbärtigen nicht gut bekommen. Offenbar war er auf den Kopf gefallen oder hatte sich ein Bein verstaucht. Mühsam versuchte er, wieder auf die Füße zu gelangen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Immer wieder wurden seine Knie schwach. Er kippte zurück in den Sand. Die Zuschauer hatten keinen Blick für den Geschlagenen. Keiner trat vor, um ihm behilflich zu sein. Man beachtete ihn gar nicht, tat so, als würde er überhaupt nicht existieren. Alle hatten nur Augen für den stolzen Sieger. Birgitta von Falkenberg bildete keine Ausnahme. Vergessen war der Mann, der bisher an ihrer Seite gestanden hatte. Ihr strahlendes Lächeln galt nur noch Volker. Volker kletterte aus dem Sattel und schritt auf die Gräfin zu, um seinen Siegeslohn zu kassieren. * Roland und seine beiden Gefährten brauchten nicht lange, um Steinmülheim zu erreichen. Eine knappe halbe Stunde nachdem sie das Lager der Spielleute verlassen hatten, passierten sie die ersten Häuser und ritten in das Dorf ein.
Sogleich machte sich Überraschung in ihnen breit. In keiner Weise machte Steinmülheim auf sie den Eindruck, als würden hier Menschen hausen, die das Benehmen von Straßenräubern oder sonstigen Gewalttätern an den Tag legten. Das Dorf sah ganz alltäglich aus, sauber, ordentlich und ... friedlich. Besonders überraschend aber war die Tatsache, daß sich Steinmülheim bar jeden Lebens erwies. Kein Mensch zeigte sich auf der Straße, niemand lugte hinter den Fenstern hervor. Nur ein räudiger Hund tauchte auf und rannte bellend und zähnefletschend neben den Pferden der Gefährten her. Langsam ritten Roland, Pierre und Louis die Dorfstraße entlang. Das ungewohnte Bild änderte sich nicht. Weder Mann noch Weib noch Kind ließen sich blicken. »Seltsam«, sagte Louis. »Es sieht fast so aus, als hätte die Pest die Bewohner hinweggerafft.« »Wohl kaum«, widersprach ihm Roland. »Noch in der vergangenen Nacht haben die Steinmülheimer das Lager der Gaukler überfallen. Und so schnell schlägt selbst der Schwarze Tod nicht zu. »Aber wo sind sie alle?« »Das werden wir herausfinden!« Daß sich alle Dorfbewohner auf den Äckern und Weiden befanden, zog Roland gar nicht in Betracht. Er hatte noch nie erlebt, daß ein ganzes Dorf gleichzeitig auf den Feldern arbeitete. Vor einem Haus, das durch ein handgemaltes Schild als Gasthof ausgewiesen wurde, machten die drei Männer halt. Roland stieg vom Rücken seines Pferdes. »Seid vorsichtig«, sagte Pierre mahnend. »Vielleicht haben sich die Mädchenentführer versteckt und fallen ganz überraschend über Euch her. Und über uns natürlich auch!« »Keine Bange«, erwiderte der Ritter mit dem Löwenherzen. »Ich passe schon auf. Die rechte Hand am Knauf seines Schwerts schritt er auf die Tür des Gasthauses zu. Sie war verschlossen. Rolands energisches Klopfen nutzte nichts. Niemand kam, um zu öffnen. »Hm«, machte Roland. Wenn sogar das dörfliche Gasthaus menschenleer war ... Seltsam,
sehr seltsam. Er wandte der Gasthaustür den Rücken zu und schritt auf das Nachbarhaus zu. Auch hier klopfte er gegen Tür und Fenster vergeblich. Und auch als er die Prozedur bei einigen weiteren Häusern wiederholte, kam nichts dabei heraus. Dann aber erspähten Louis' scharfe Augen doch etwas. Er beugte sich im Sattel vor und deutete auf eine Kate, die auf der anderen Straßenseite stand. »Dort ist jemand!« »Bist du sicher?« fragte Roland. Für ihn selbst sah die Kate so leer und unbewohnt aus wie alle anderen Häuser auch. »Ganz sicher«, blieb der Knappe bei dem, was er gesagt hatte. »Ich habe ein Gesicht gesehen. Das Gesicht eines alten Mannes!« »Nun, das werden wir gleich haben.« Roland überquerte die Straße und trat auf die Katentür zu. Sie war nicht abgeschlossen. Der Ritter hatte keine Mühe, in das kleine Haus einzutreten. Er fand sich in einem düsteren Flur wieder, in dem es unangenehm nach Kohl roch. »Hallo, ist hier jemand?« rief er. Er bekam keine Antwort, auch nicht, als er seine Stimme zum zweiten Mal erschallen ließ. Jetzt reichte es Roland. Er war es müde, hier sinnlos seine Zeit zu vertun. Ohne anzuklopfen, stieß er eine der beiden Türen auf, die von dem Flur abgingen. Dabei ließ er die Vorsicht nicht außer acht. Nach wie vor lag seine rechte Hand am Knauf des Schwertes. Seine Vorsicht war gänzlich unbegründet. Niemand tauchte auf, um ihn hinterrücks zu überfallen. Er fand sich in einem winkligen Zimmer wieder, das genauso düster war wie der Flur. Der Kohlgeruch war allgegenwärtig. Gewaltsam mußte der Ritter einen Brechreiz unterdrücken. Es vergingen ein paar Augenblicke, bis er sich an die schummrigen Lichtverhältnisse gewöhnt hatte. Dann sah er den Mann ... Ein alter, genau wie es Louis beschrieben hatte. Zahnlos,
glatzköpfig und ausgemergelt hockte er auf einem Stuhl und blickte Roland mit angstvollem Gesichtsausdruck entgegen. »Aha«, sagte der Ritter mit dem Löwenherzen und trat auf den Mann zu. »Warum meldest du dich nicht auf mein Rufen, Alter?« »Ich ... Ich ...« Der alte Mann zitterte, kroch fast in die Lehne seines Stuhls hinein. Solche Angst hatte er. »Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten«, sagte Roland. »Ich habe nur ein paar Fragen an dich.« Stumm nickte der Steinmülheimer. »Was ist hier passiert?« wollte Roland wissen. »Wo sind die Dorfbewohner alle?« Noch immer schwieg der Alte. Roland wurde immer ungeduldiger. Stumm war der alte Mann nicht, dessen war er sich sicher. Warum, bei allen Elfen des Waldes, antwortete er also nicht?« »Fragen wir anders«, sagte er. »Weißt du etwas von einem Mädchen, das entführt wurde?« Die Lippen des Steinmülheimers bebten. »Ich ... weiß von nichts. Ganz bestimmt nicht.« Er log, da gab es für Roland gar keine Frage. Das schlechte Gewissen stand ihm im Gesicht geschrieben. Wenn er wahrscheinlich wegen seines Alters und seiner Gebrechlichkeit bei dem Überfall auf das Lager der Spielleute nicht dabeigewesen war, so wußte er ganz bestimmt doch darüber Bescheid. Es .widerstrebte Roland, rauh mit einem so alten Mann umzugehen. Aber wenn es gar nicht anders ging ... Drohend trat er noch näher an den alten Mann heran und zog sein Schwert halb aus der Scheide. »Paß auf, Alter«, sagte er. »Wenn du jetzt nicht den Mund aufmachst, geht es dir schlecht. Ist das klar?« Der Blick des alten Mannes saugte sich regelrecht an Rolands Waffe fest. Offenbar glaubte er, daß der Ritter wirklich sein Schwert zücken und ihn einen Kopf kürzer machen würde. »Ich ... Ich habe nichts damit zu tun«, stammelte er. »Niemand hat
mich gefragt. Der Schultheiß und der Müllner Rupold ...« »Wo ist das Mädchen?« »Ich ... Ich will alles sagen!« Und das tat der Alte dann auch. Wenig später wußte Roland, welches schreckliche Schicksal die Steinmülheimer der schönen Ilona zugedacht hatten. Und er wußte auch, wo sich sämtliche Dorfbewohner gegenwärtig aufhielten. Im Opferhain ... * Die Gräfin hatte geruht, Volker vom Hohentwiel zu einem Mahl in ihren Privatgemächern zu laden. Es verstand sich von selbst, daß der Ritter nicht eine einzige Sekunde zögerte, der höchst willkommenen Einladung zu folgen. Birgitta ließ das Feinste auftragen, was Falkenberg zu i>ieten hatte. Saftiger Rehrücken in einer köstlichen Sauce, verschiedene Gemüse, appetitlich geröstete Grundbirnen. Dazu gab es Wein von einer Erlesenheit, wie ihn Volker lange nicht mehr gekostet hatte. Dennoch schenkte er dem Mahl weniger Aufmerksamkeit, als dieses verdient hätte. Er hatte nur Augen für die herrliche Frau, die ihm am Tisch gegenübersaß. Aus allernächster Nähe kam sie ihm noch schöner vor. Das goldene Haar, die vollendeten Linien ihres Gesichts, die prächtigen Rundungen ihres Körpers - er konnte sich gar nicht satt an ihr sehen. Birgitta genoß die Bewunderung, die Volker ihr zollte. Und sie bedankte sich mit einem Lächeln, das dem Ritter den Himmel auf Erden versprach. Volker beherrschte sich jedoch. Er wußte, was sich geziemte. Es wäre höchst unschicklich gewesen, sich ihr bereits jetzt zu nähern. Dazu war nach dem Essen immer noch Zeit. In gewisser Weise fand Volker das Warten auf den Augenblick, in dem er ihren Körper endlich genießen konnte, höchst anregend. Die prickelnde Erwartung, die ihn erfüllte, erfuhr dadurch eine ungeahnte
Steigerung. Statt dessen plauderte er mit der Gräfin. Zunächst über ganz allgemeine Themen, dann aber über das, was ihm ganz besonders am Herzen lag, über das, was ihn eigentlich überhaupt erst in die Mark geführt hatte. »Man hört ungewöhnliche Dinge über Falkenberg in den anderen Landen«, sagte er wie von ungefähr. »Ungewöhnliche Dinge?« wiederholte die Gräfin, während sie eine Weintraube verzehrte. »Man sagt, daß Ihr dem wahren Gott abgeschworen habt und statt dessen dem Aberglauben unserer heidnischen Vorfahren anhängt.« Ein Zug des Unwillens huschte über Birgittas schönes Gesicht. »Ich mag es ganz und gar nicht, wenn Ihr solche Töne im Munde führt, Ritter Volker! Von heidnischem Aberglauben kann überhaupt keine Rede sein. Die alten Götter leben!« »Das glaubt Ihr wirklich?« »Ich glaube es nicht nur, ich weiß es! Schließlich haben mich die Götter auserwählt, ihre Hohepriesterin zu sein, deren Aufgabe es ist, die alten Sitten wieder einzuführen.« »Menschenopfer«, murmelte Volker. Der unwillige Zug um Birgittas Mundwinkel verstärkte sich. Beinahe böse sah sie ihn an. »Ihr sagt dies in einem Tonfall, der mich glauben läßt, daß Ihr die Opfer für ein Verbrechen haltet.« »In der Tat, das tue ich!« Der unwillige Zug verschwand aus dem Gesicht der Gräfin, machte einem Ausdruck Platz, der fast an Mitleid gemahnte. »Ihr seid ein Narr, Ritter Volker«, sagte sie. »Was Ihr ein Verbrechen nennt, ist in Wahrheit ein unabdingbares Gesetz. Wehe dem, der gegen dieses Gesetz verstößt!« »Für mich ist und bleibt es Mord«, blieb Volker beharrlich bei seiner Meinung. »Mord?« Birgitta lachte. »Den Opfertod zu Ehren der Götter zu sterben, ist eine Auszeichnung, nach der sich jede Jungfrau von
ganzem Herzen sehnen sollte. Auch Ihr werdet bald zu dieser Überzeugung kommen, Ritter Volker!« »Niemals!« »Oh, doch!« »Nun denn, Gräfin, wenn Ihr wirklich meint...« Volker verfolgte diesen Gesprächsfaden nicht weiter. Er war sich ganz sicher, daß es ihm gelingen würde, dem abergläubischen Opferspuk in der Mark ein Ende zu bereiten, wenn er erst einmal seinen Platz an der Seite der Gräfin eingenommen hatte. Noch ahnte er nicht, wie sehr er sich irrte ... * Roland und seine beiden Knappen waren wieder unterwegs. Steinmülheim blieb hinter ihnen zurück. Das Waldstück, in dem sich der sogenannte »Heilige Hain« befand, kam näher und näher. Aufrechter Zorn kochte in Roland wie siedendes Wasser. Er verspürte einen regelrechten Haß auf die Gräfin von Falkenberg. Das Weib zwang ihre ehrsamen und gesetzestreuen Untertanen, zu Mädchenentführern und Mördern zu werden. Er war froh, daß König Artus ausgerechnet ihn in die Mark geschickt hatte. Er würde alles tun, um die Verbrecherin auf dem Grafenthron für ihre blutigen Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Zunächst aber gab es etwas anderes für ihn zu tun. Zunächst mußte er das Mädchen Ilona retten. Er konnte nur hoffen, daß die Steinmülheimer Bauern noch nicht damit begonnen hatten, die grausame Opferzeremonie zu vollziehen. »Schneller«, forderte er Louis und Pierre auf. Gleichzeitig gab er Samun die Hacken zu spüren. Sofort ging das brave Tier in einen gestreckten Galopp über. So schnell flog das edle Pferd dahin, daß die beiden Knappen kaum zu folgen vermochten. Wenig später hatten die drei Gefährten den Waldesrand erreicht. Ja, da war der Karrenweg, den der alte Mann in Steinmülheim Roland beschrieben hatte. Über diesen Weg pflegten die Dörfler das
Holz abzutransportieren, das sie im Wald geschlagen hatten. »Kommt!« Das strahlende Licht der Sonne verschwand, als die drei Männer in den Wald hineinritten. Die dichtstehenden Nadel- und Laubbäume tauchten den Waldweg in ein diffuses Halbdunkel. Außerdem war der Boden von tiefen Furchen durchzogen, die von den Karrenrädern stammten. Unter diesen Umständen war es nicht möglich, weiterhin im Galopp zu reiten. Wohl oder übel mußte Roland auf Schrittempo zurückgehen. Nachdem etwa zweihundert Ruten zurückgelegt waren, hielt Roland sein Pferd an. Nach der Beschreibung des alten Mannes mußte irgendwo an dieser Stelle ein schmaler Pfad von dem Karrenweg abgehen, der geradewegs zum Opferhain führte. Wie so oft war es wieder einmal Louis, dessen scharfe Augen den Pfad erspähten. Er lag noch ein Stück voraus und wurde links und rechts von wucherndem Unterholz gesäumt. »Es scheint mir nicht ratsam zu sein, die Pferde mitzunehmen«, sagte Roland. »Sicher kommen wir auf unseren eigenen Füßen beträchtlich schneller vorwärts.« Zum großen Mißfallen Pierres, dem Fußmärsche nicht weniger zuwider waren als das Durchschwimmen eines kalten Flusses. Er maulte wie gewohnt. Aber sein Herr brauchte ihn nur einmal scharf anzublicken, um ihn zum Schweigen zu bringen. Hundert Ruten etwa, dann müßte der Pfad auf den Hain stoßen. Das jedenfalls hatte der alte Mann gesagt. Und da sich seine bisherigen Angaben als richtig erwiesen hatten, würde er wohl auch in diesem Punkt die Wahrheit gesagt haben. Roland zückte sein Schwert, während die beiden Knappen nach ihren Hirschfängern griffen. Diese Übung erfüllte einen doppelten Zweck. Einmal konnten sich die Männer damit besser einen Weg durch das Gestrüpp und Wurzelwerk bahnen. Und zum zweiten wollten sie sofort kampfbereit sein, wenn sie mit den Steinmühlheimern zusammentrafen. Anfänglich legten die Gefährten wenig Wert darauf, sich lautlos
vorwärts zu bewegen. Je näher sie dem Ziel jedoch kamen, desto vorsichtiger wurden sie. Es konnte wichtig sein, daß die Dorfbewohner ihre Annäherung erst im letzten Augenblick bemerkten. Schließlich waren sie viele, während Roland, Louis und Pierre nur zu dritt waren. Ungefähr die Hälfte des Wegs war zurückgelegt, als Roland plötzlich stehenblieb. Eigenartige Geräusche drangen an sein Ohr. Geräusche, die Roland erst nach wenigen Sekunden als Gesang deuten konnte. Es war ein eigenartiger Gesang, dumpf, monoton und fremdartig. Pierre schüttelte sich. »Das ist ja ... unheimlich.« Roland kam nicht umhin, ihm recht zu geben. Dieser eigenartige Singsang, der so ganz anders klang als die gewohnten Minne- und Heldengesänge Volkers vom Hohentwiel, ließ sogar ihn leicht frösteln. »Ganz leise«, flüsterte er. »Wir schleichen uns an und versuchen, so nahe wie möglich heranzukommen, ohne daß uns die Bauern sehen.« Louis nickte und umspannte seinen Hirschfänger mit fester Hand. Auch Pierre gelobte, sich so leise zu verhalten wie ein beutesuchender Raubvogel im Flug. Mit Roland an der Spitze bewegten sich die drei Männer vorwärts. Und es gelang ihnen tatsächlich, jedweden Lärm zu vermeiden. Nur gelegentlich knackte es unter ihren Füßen, wenn einer von ihnen auf einen umherliegenden Zweig trat. Lauter und lauter drang der Gesang der Steinmülheimer auf sie ein. Und das nicht nur, weil sie den Sängern immer näher kamen. Roland konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Zeremonie dort einem Höhepunkt entgegenstrebte, der sich in der Intensität des Gesangs ankündigte. Dann waren die drei so nahe heran, daß sie nicht nur etwas hören, sondern auch etwas sehen konnten. Aus der Deckung des Unterholzes konnten sie auf eine von Eichen gesäumte Lichtung blicken, auf der sich eine gespenstische Szene abspielte.
Mehr als hundert Menschen, Männer, Frauen und auch Kinder, hatten sich an den Händen gefaßt und einen großen Kreis gebildet. Im Mittelpunkt dieses Kreises hatten sie einen Stapel aus Eichenscheiten aufgebaut. Und auf diesem Stapel, an Händen und Füßen gebunden wie ein Stück Schlachtvieh, ein schwarzhaariges junges Mädchen. Ilona! Die Steinmülheimer umtanzten den Scheiterhaufen, in seltsam anmutenden, schaukelnden Bewegungen, und ließen dabei jenen monotonen Gesang ertönen, den Roland und seine beiden Knappen schon von weitem gehört hatten. Louis stieß hörbar die Luft aus. »Was tun wir?« raunte er Roland zu und hatte dabei Mühe, seine helle Empörung zu unterdrücken. »Wenn wir uns nicht beeilen, könnte es zu spät sein. Jeden Augenblick wird einer dieser Wahnsinnigen den Holzstapel anzünden.« Damit rechnete Roland auch. Aber noch schien das nicht der Fall zu sein. Er konnte kein Feuer erkennen. Im Augenblick drohte dem Opfer also noch keine akute Gefahr. Roland überlegte noch, wie der Situation am besten beizukommen war, als etwas Ungewöhnliches geschah. Gerade noch stand die Sonne schräg am Himmel und badete die Lichtung in ihrem goldenen Licht. Im nächsten Moment jedoch änderte sich das schlagartig. Dunkle Wolken, schwarz wie Holzkohle, zogen am Himmel auf und verdeckten das Gesicht der Sonne vollständig. Augenblicklich wurde es so dunkel, daß man meinen konnte, die Abenddämmerung sei vorzeitig angebrochen. Zusätzlich kam ein Wind auf, obwohl sich Sekunden zuvor nicht ein Lüftchen geregt hatte. Einen derartig krassen Wetterumschwung hatte Roland noch nie in seinem Leben erlebt. Pierres Gesicht war so bleich geworden, als habe man es in einen Sack Mehl getaucht. »Das ... geht nicht mit rechten Dingen zu«, flüsterte er.
Fast war Roland geneigt, ihm beizupflichten. Auch ihm kam das Geschehen äußerst unheimlich vor. Der verrückte Gedanke, daß die Steinmülheimer den Wetterumschwung durch ihren immer eindringlicher werdenden Singsang bewirkt hatten, wollte ihm nicht aus dem Kopf. Schneller umtanzten sie jetzt den Scheiterhaufen, zuckend wie die Holzfiguren eines Puppenspielers. Und ihr Gesang wurde lauter und ekstatischer. Schärfer blies der Wind. Die Zweige der Bäume wurden hin und her gepeitscht. Die Kronen schwankten, als würden sie von einer Riesenfaust geschüttelt. Der Himmel war noch dunkler geworden, so, als stünde der Weltuntergang bevor. Und dann glaubte Roland, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Rollender Donner erschütterte die Szenerie. Gleichzeitig flammte ein greller Blitz auf, der den Himmel in Flammen zu setzen schien. Das Licht des Blitzes verflüchtigte sich jedoch nicht, sondern nahm plötzlich Form an. Eine Gestalt bildete sich heran, die auf den dunklen Regenwolken zu stehen schien. Es war die Gestalt eines riesigen Mannes, eines Recken, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Der Hüne hielt einen gewaltigen Hammer in der Hand und schwenkte ihn über dem Kopf. Ein Stöhnen entrang sich Rolands Brust, als ihm klarwurde, was er da am Himmel sah. Donar! Der Gott der alten Germanen war also nicht nur ein Hirngespinst abergläubischer Tröpfe. So unvorstellbar es auch war, er mußte sich mit der Wirklichkeit abfinden. Donar existierte wirklich! Gebannt sah Roland zum Himmel empor. Wenn er es auch gewollt hätte, er wäre jetzt beim besten Willen nicht in der Lage gewesen, die Augen niederzuschlagen. Wie ihm ging es auch seinen beiden Knappen. Auch sie waren außerstande, den Blick von dem unglaublichen Geschehen am Himmel abzuwenden. Und dieses Geschehen hatte seinen schrecklichen Höhepunkt noch
nicht erreicht. Dieser kam erst jetzt. Der gewaltige Arm des Germanengottes ließ den Hammer in seiner Hand los, schleuderte ihn auf die Erde hinunter. Schneller als ein Pfeil fliegen konnte, jagte der Lichthammer heran. Und schlug auf dem Holzstapel ein, an den das Gauklermädchen Ilona gefesselt war! Ein dröhnendes Lachen, das von allen Seiten, von oben und unten gleichzeitig, zu kommen schien, klang auf, brach dann ab. Im gleichen Augenblick fing die unheimliche Lichtgestalt am Himmel an, sich aufzulösen, sich zu verflüchtigen. Eine Sekunde später war nichts mehr von ihr zu sehen. War der Spuk damit vorbei? Nein! Lodernde Flammen schossen von dem Holzstapel hoch. Der Lichthammer hatte den Scheiterhaufen in Brand gesetzt! Roland war noch immer wie gebannt. Er konnte nicht fassen, was er hier erlebt hatte. Seine Glieder waren wie gelähmt, und in seinem Kopf jagte ein wirrer Gedanke den anderen. Der gellende Entsetzensschrei einer schmerzgequälten Mädchenstimme riß ihn aus seiner Erstarrung. Erst jetzt wurde er sich richtig bewußt, daß der Holzstapel echtes Feuer gefangen hatte, daß die hochzüngelnden Flammen Wirklichkeit waren. Die junge Ilona war einem schrecklichen Tod geweiht, wenn nicht sofort etwas geschah! Noch immer sangen die Leute aus Steinmülheim und tanzten um den brennenden Scheiterhaufen herum. Roland hielt es nun nicht mehr in seinem Versteck. Er konnte und durfte nicht mitansehen, wie die Tochter des fahrendes Volkes elendig verbrannte. Er mußte ihr helfen. Sofort! Wie ein Pfeil, der von der Bogensehne schnellte, schoß er aus dem Gebüsch hoch und stürmte auf den Kreis der Tänzer los. Während des Laufens riß er sein Schwert aus der Scheide. Die Steinmülheimer bemerkten ihn erst, als er bereits bei ihnen
war. Wie ein Rammbock durchbrach er die Menschenkette, die den Scheiterhaufen abschirmte. Die Bauern waren so überrascht, daß sie zunächst gar nicht auf den Gedanken kamen, Widerstand zu leisten. Roland brauchte sein Schwert nicht einzusetzen, um sich den Weg zu dem brennenden Holzstapel zu bahnen. Die sengenden Flammen gar nicht beachtend, die wie gierige Hände nach ihm griffen, sprang Roland auf den Holzstoß. Seine Augen begannen zu tränen, und er hatte Mühe, das Mädchen auf Anhieb auszumachen. Da war es, hilflos auf dem Rücken liegend und von den zuckenden Flammen umzüngelt! Roland beugte sich über die Tochter des fahrendes Volkes. Im Nu hatte er mit Hilfe seines Schwerts ihre Arm- und Fußfesseln durchtrennt. Ilona war frei... Aber natürlich war sie nicht in der Lage, aus eigener Kraft auf die Füße zu kommen. Die Fesseln hatten das Blut gestaut, verurteilten sie auch jetzt noch zur Bewegungsunfähigkeit. Roland erkannte dies sofort und sorgte für Abhilfe. Er schob den linken Arm unter ihre Achseln und hob sie hoch. Dann sprang er mit einem mächtigen Satz von dem Scheiterhaufen hinunter, das Mädchen mit sich nehmend. Im nächsten Augenblick stand er mit gezücktem Schwert den Opferdienern des Germanengottes gegenüber. Auf seiner und des Mädchens Kleidung glomm hier und dort noch ein Funken, und an einigen Stellen schmerzte ihn die versengte Haut. Ernsthaft aber waren weder er noch die junge Ilona in Mitleidenschaft gezogen worden. Er hatte zu schnell gehandelt, um dem Feuer eine Chance zu geben, bleibenden Schaden anzurichten. Die Leute aus Steinmülheim hatten inzwischen aufgehört zu singen und zu tanzen. Sie starrten ihn an wie ein Gespenst, begriffen offenbar noch gar nicht so recht, wo er eigentlich hergekommen war. Niemand machte Anstalten, etwas gegen ihn zu unternehmen. Nach einigen Sekunden allseitigen Schweigens trat ein älterer
Mann zögernd auf ihn zu. »Was habt Ihr getan, Ritter?« fragte er gepreßt. »Ihr habt das Opfer entweiht!« »So, habe ich das?« erwiderte Roland. »Mich deucht eher, ich habe ein grausames Verbrechen verhindert!« »Der Gott und seine Hohepriesterin, die Gräfin von Falkenberg, werden außer sich vor Zorn sein. Gleich wird Donar wieder erscheinen und uns alle bestrafen.« Roland blickte zum Himmel empor. Dort waren die dunklen Wolken längst wieder im Begriff, sich aufzulösen. Schon lugte hier und dort die Sonne hervor. Auch der scharfe Wind hatte sich gelegt und sich in ein lindes Lüftchen verwandelt. Die Erinnerung an das Erscheinen des Germanengottes verblaßte bereits in Roland. Er fragte sich, ob das Unglaubliche wirklich geschehen war. Konnte es sein, daß er und alle anderen Anwesenden nur einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen waren? War nicht nur ein ebenso kurzes wie heftiges Unwetter niedergegangen? Auch daß sich der Scheiterhaufen entzündet hatte, kam ihm auf einmal gar nicht mehr so wundersam vor. Ein Blitz hatte das aufgetürmte Holz getroffen und das Feuer entfacht! Auch bei dem Lichthammer, den er gesehen zu haben glaubte, mochte es sich lediglich um ein Trugbild handeln, das einzig und allein der Einbildung entsprungen war. Ja, je länger er darüber nachdachte, desto glaubhafter erschienen ihm die Erklärungen, die er sich selbst gegeben hatte. Trugbilder! Trugbilder, hervorgerufen durch den sinnesverwirrenden Singsang der Dorfbewohner. Ja, so mußte es gewesen sein. Die Tatsache, daß der vorgebliche Germanengott gar nicht daran dachte, wieder am Himmel zu erscheinen, bestärkte Roland in seiner gewonnenen Überzeugung. Alles Humbug, alles Täuschung, alles pure Einbildung ... Die Steinmülheimer, wie arme Sünder standen sie da, verstrickt in ihrem Aberglauben und den verderblichen Einflüsterungen der blutigen Gräfin.
Die Gräfin war an allem schuld. Ihr mußte das finstere Handwerk gelegt werden, je eher, desto besser. »Macht Platz«, forderte Roland die Dorfbewohner auf. »Ich habe Wichtigeres zu tun, als mich mit euch aufzuhalten.« Und die Leute aus Steinmülheim waren noch so geschockt, daß sie ergeben zur Seite traten und ihn mit dem befreiten Gauklermädchen passieren ließen. * Das Mahl war beendet. Jetzt hielt Volker vom Hohentwiel den Augenblick für gekommen, in dem er den Preis für seinen Sieg über seinen rotbärtigen Nebenbuhler zu kassieren gedachte. Er erhob sich von seinem Stuhl, ging um den Tisch herum und blieb vor der schönen Birgitta stehen. »Komm«, sagte er mit belegter Stimme. »Du hast mir versprochen, die Meine zu werden, wenn ich das Duell siegreich bestehe. Nun löse dein Versprechen ein.« Eine kleine Falte erschien auf der Stirn der Herrin von Falkenberg. »Wie meint Ihr das, Ritter Volker?« Volker lachte. »Ist das so schwer zu verstehen, meine Liebe? Ich muß einer Frau wie dir doch nicht erst auf die Sprünge helfen, oder?« Und als Birgitta immer noch keine Anstalten machte, auf ihn einzugehen, wurde Volker deutlich. Er beugte sich nieder und legte der herrlichen Frau die Arme um die Schulter. Mit sanfter Gewalt versuchte er, sie hochzuziehen. »Komm, führe mich in dein Schlafgemach«, sagte er mit jener schmeichelnden Stimme, der so leicht keine Frau widerstehen konnte, wie Volker aus Erfahrung nur allzu gut wußte. »Mach mich glücklich, Geliebte, und laß mich dich glücklich machen.« Seine schmelzenden Worte konnten Birgitta von Falkenberg jedoch in keiner Weise beeindrucken. Eher war das Gegenteil der Fall. Die Gräfin versteifte sich, schien plötzlich aus Stein geworden
zu sein. »Laß mich los«, zischte sie. Verwundert hob Volker die Brauen. »Was sagst du da? Das kannst du nicht im Ernst meinen!« »Und ob ich es im Ernst meine! Nimm sofort deine schmutzigen Finger von mir!« Schmutzige Finger? Das hatte noch niemand zu Volker gesagt. Im ersten Augenblick war er voller Zorn. Eine Ader schwoll auf seiner Stirn. Schmutzige Finger! Wen glaubte diese Frau vor sich zu haben? Schon ein paar Herzschläge später aber schwand sein Ärger wieder dahin. Er begehrte diese Frau, begehrte sie mit allen Fasern seines Herzens und seines Körpers. Er konnte ihr nicht böse sein, war bereit, ihr ihre unfreundlichen Worte zu verzeihen. Sie kam ihm vor wie ein schlafender Vulkan, dessen Feuer erst geweckt werden mußte, bevor es ausbrach. Und er war ein Mann, der es bestens verstand, die Liebesglut in einer Frau zu entfachen. Seine Hände lösten sich von ihren Schultern, glitten zärtlich tiefer, berührten die Apfelbrüste unter dem weitgeschnittenen Gewand, das sie trug. Birgitta reagierte so, als würde eine widerwärtige Spinne über ihren Körper wandern. Sie stieß einen Zischlaut aus, der jeder Schlange Ehre bereitet hätte. Und wie eine giftige Otter schoß sie dann auch von ihrem Sitz hoch und schüttelte Volkers Hände ab. »Haderlump, du wagst es, mich zu betasten wie eine Dirne, die sich mit den Schweinen suhlt? Keinem Manne ist es gestattet, mich zu berühren, denn ich habe mich dem Donar geweiht!« Volker blinzelte. »Was sagst du da? Du hast dich dem ... Donar geweiht?« »So ist es!« »Soll das bedeuten, daß du noch ... Jungfrau, bist?« Volker wollte es gar nicht glauben. »Wie kannst du daran zweifeln, Erbärmlicher?« gab die Gräfin zurück. »Glaubst du wirklich, ich würde mir von einem elenden
Sterblichen die Unschuld rauben lassen? Diese Ehre gebührt allein dem hehren Gott, dessen überirdische Macht mich stets beschützt.« »Ich verstehe es nicht«, sagte Volker kopfschüttelnd. »Hast du dich nicht dem Mann versprochen ...?« Silberhell lachte Birgitta auf. »Ich habe mich vielen Männern versprochen, denn ich weiß sehr wohl, daß mein Körper ein Köder ist, dem ihr lächerlichen Mannsbilder nicht widerstehen könnt.« »Aber warum? Warum nur? Wenn du uns ... sterbliche Männer so sehr verabscheust ...« »Ja, ich verabscheue euch und eure niederen, gemeinen Triebe«, unterbrach ihn die Gräfin. »Aber ich brauche euch auch.« »Du brauchst uns - wozu?« »Trotz der Macht, die mir der hehre Gott als Dank für die Jungfräulichkeit verliehen hat, bin ich nur ein schwaches Weib. Niemals würde es mir allein gelingen, das große Ziel zu erreichen, das ich mir gesetzt habe.« »Welches große Ziel?« »Du bist dumm, Volker vom Hohentwiel, dumm wie Bohnenstroh. Hast du noch immer nicht begriffen, daß es mir darum geht, den alten Göttern wieder den Platz in den Herzen der Menschen zu verschaffen, der ihnen gebührt? Leider sind fast alle Menschen so dumm und einfältig wie du. Deshalb muß man sie zwingen, zum wahren Glauben zurückzukehren. Wie all die anderen Ritter, die ich zu meinen gehorsamen Dienern gemacht habe, wirst auch du in meinem Namen diesen Zwang ausüben, bis der letzte im Lande überzeugt und bekehrt ist. Weißt du nun, warum ich dich in mein Gemach gelockt habe?« Eine Falle, dachte Volker. Sie hat mich und sämtliche Ritter, die in ihren Diensten stehen, in eine Falle gelockt! Nur eins verstand er nicht. Warum blieben die Männer alle ergeben in der Falle sitzen, anstatt aufzustehen und dem tollen Weib zu zeigen, wer die Hosen anhatte? Nun, wie dem auch war, er würde gewiß nicht in der Falle sitzen bleiben wie ein Hanswurst. Er würde die Falle sprengen und der
Fallenstellerin ihre Grenzen zeigen. Und das würde ihm sogar höchstes Vergnügen bereiten. Birgitta mochte sein, was sie wollte, dies änderte jedoch nicht das geringste daran, daß sie eine begehrenswerte Frau von makelloser Schönheit war. Und mochten auch ihre Seele verrucht und ihre Gedanken böse sein, es war ein erstrebenswertes Ziel, ihren jungfräulichen Körper zu besitzen. Und eben die Tatsache, daß niemals zuvor die Liebe eines Mannes in sie eingedrungen war, verlieh dem Ganzen einen ganz besonderen Reiz. »Na warte, mein Täubchen«, sagte Volker, »ich werde dich lehren, wer von uns beiden der Herr und wer der Sklave ist!« Mit diesen Worten machte er einen Satz nach vorne, um nach Birgitta zu greifen. In diesem Augenblick sah er in ihre Augen... Ihm war, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen, die sich plötzlich zwischen ihm und der Gräfin aufgebaut hatte. Stocksteif stand er da, nicht mehr fähig, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Diese Augen! Ein unheimliches Feuer glomm auf einmal darin, ein Feuer, das alles zu zerschmelzen drohte, was den ritterlichen Mann Volker vom Hohentwiel ausmachte. Seine Zuversicht, sein Eroberungswille, sein Stolz - nichts blieb mehr davon übrig. Jetzt fühlte er sich wirklich wie in einer Falle, aus der es kein Entkommen gab. Verzweifelt versuchte er, dagegen anzugehen. Er versuchte, sich der unheimlichen Kraft zu widersetzen, die Macht über ihn gewonnen hatte. Er wollte den Blick von ihren Augen abwenden, denn er spürte, daß es diese Augen waren, die ihn unterjochten und versklavten. Aber er war ganz einfach nicht in der Lage, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er konnte den Blick nicht abwenden, mußte vielmehr fortfahren, in das lodernde Feuer in Birgittas Augen zu sehen, das mehr und mehr von seinem Ich verschlang. Die Gräfin lächelte jetzt. Das Lächeln adelte ihr schönes Gesicht, und doch hatte Volker den Eindruck, geradewegs mit dem Antlitz der Hölle konfrontiert zu werden. Alles Böse, alles Schlechte, alles
Verderbte drückte sich in Birgittas Miene aus. Sie war der gefallene Engel, von dem die Schrift kündete und vor dem sie warnte. Diese Erkenntnis kam zu spät. Volker verlor sich selbst, verfiel der Gräfin mit Haut und Haaren, mit Herz und Seele. Und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Birgitta kostete ihren Triumph voll aus. Es genügte ihr nicht, ihn macht- und willenlos zu sehen. Sie wollte ihn auch demütigen, wollte ihm ein für allemal vor Augen führen, daß seine Sklaverei eine vollendete war. »Tritt näher, Volker vom Hohentwiel«, kommandierte sie. Jetzt konnte sich Volker wieder bewegen. Aber er war nicht der Herr seiner Glieder. Die wahre Befehlsgewalt darüber übte die Gräfin aus. Er war nur die Puppe, an deren Fäden sie zog. Gehorsam trat er näher, bis er unmittelbar vor seiner Herrin stand. »Knie nieder!« Volker kniete nieder. »Küsse meine Füße!« Volker beugte sich nach unten, bis seine Stirn fast den Fußboden berührte. Er spitzte die Lippen und drückte einen Kuß auf die Schuhe der Gräfin. Um das Maß der Demütigung vollzumachen, versetzte Birgitta ihm jetzt einen Tritt, der ihn rücklings zu Boden streckte. Seit langen, langen Jahren hatte Volker keine Träne mehr vergossen. Jetzt hätte er es am liebsten getan. Aber nicht einmal dazu war er in der Lage. * Ohne von den Steinmülheimern belästigt oder gar aufgehalten zu werden, verließen Roland, die beiden Knappen und das befreite Mädchen den Opferhain, Die junge Ilona stand noch so unter der Wirkung des Schrecklichen, das sie durchgemacht hatte, daß sie kaum Worte fand, sich für die Rettung zu bedanken. Aber darauf kam es dem Ritter mit dem Löwenherzen auch gar nicht an. Ihm
genügte es, daß das Mädchen seine Freiheit wiedergewonnen hatte. Die Pferde standen noch dort, wo die drei Gefährten sie zurückgelassen hatten. Roland stieg in den Sattel und hob die Kleine dann zu sich herauf. Dem Abmarsch stand nichts mehr im Wege, denn von den Steinmülheimern ließ sich nach wie vor niemand blicken. Bald erreichten die vier das Dorf, in dem es noch genauso totenstill war wie zuvor. Es lag kein Grund zum Verweilen vor. Deshalb setzten sie ihren Ritt ohne Aufenthalt fort. Wenig später kamen sie im Lager der Spielleute an. Die Freude und die Begeisterung des fahrenden Volks kannte keine Grenzen. Roland wurde gefeiert und bejubelt, als hätte er das große Turnier von Xanten zum dritten Mal hintereinander gewonnen. Roland gab den Spielleuten noch den Rat mit auf den Weg, die Mark Falkenberg auf dem schnellsten Weg zu verlassen. Mit diesem Vorschlag rannte er nur offene Türen ein. »Keine Minute länger bleiben wir in diesem gottlosen Land«, sagte der Sippenälteste. »Möge es verflucht sein bis ans Ende der Zeiten!« Roland schüttelte den Kopf. »Das solltest du nicht sagen, mein Freund. Im Grunde genommen sind die Menschen schuldlos an den furchtbaren Dingen, die sie tun. Und das gilt auch für die Bauern von Steinmülheim. Die wahre Schuldige sitzt auf dem Fürstenthron. Aber seid guten Mutes. Vielleicht könnt ihr schon bald zurückkehren, ohne um Leib und Leben fürchten zu müssen.« »Wie wollt Ihr das erreichen, edler Ritter?« »Indem ich die blutige Gräfin ganz einfach von ihrem Thron stoße«, sagte Roland. Daß dies allerdings nicht so einfach werden würde, wie er es sagte, ahnte er bereits jetzt. * Eine weitere Nacht lag hinter Roland und seinen beiden Knappen, die sie in einem Gasthaus verbracht hatten. Jetzt saßen sie wieder auf
ihren Pferden, um das letzte Wegstück zurückzulegen. Gegen Mittag hatten sie ihr Ziel vor Augen. Aus dem Tal konnten sie Burg Falkenberg auf dem Gipfel des Berges liegen sehen. »Vielleicht solltet ihr hierbleiben«, sagte Roland sinnend. »Es ist möglich, daß mir der schwerste Kampf meines Lebens bevorsteht. Wenn die Gräfin wirklich mit den alten Göttern im Bunde ist ... Ich kann nicht erwarten, daß ihr euer Leben aufs Spiel setzt.« »Wohin Ihr geht, dahin gehen auch wir«, sagte Louis beinahe feierlich. »Außerdem sind sechs Arme stärker als zwei.« Pierre sagte zwar nichts, aber er nickte beifällig. Ausnahmsweise hatte er einmal nichts zu maulen. »Wohlan denn«, erwiderte Roland. Dann lenkte er Samun auf den vielfach gewundenen Weg, der zur Burg hinaufführte. Eine Weile später standen die drei vor dem Burggraben. Die beiden Wächter, die oben auf der Mauer hin und her patrouillierten, blickten auf die Ankömmlinge hinunter. »Ein Ritter mit zwei Knappen?« rief er Roland an. »Ihr müßt ein bedeutender Mann sein. Wie ist Euer Name?« »Roland.« »Roland, der Drachentöter?« Bald konnte es Roland nicht mehr ertragen, ständig an seinen siegreichen Kampf mit dem letzten Lindwurm erinnert zu werden. Aber natürlich konnte er sich nicht dagegen wehren. Von allen Heldentaten, die er in jüngster Zeit vollbracht hatte, war es vor allem der Drachenkampf gewesen, der ihm landesweiten Ruhm eingetragen hatte. »Seid Ihr gekommen, um unsere Herrin zu freien?« wurde er anschließend gefragt. Freien um eine Frau, an deren Händen das Blut zahlloser Unschuldiger klebte? Dies lag gewiß nicht in Rolands Absicht. Aber wenn er mit einem solchen Vorsatz das Tor öffnen konnte... »Deshalb bin ich hier, ja«, erwiderte er. »Wartet einen Augenblick, Ritter Roland!«
Der Augenblick währte ziemlich lange. Endlich wurde dann die Zugbrücke hinuntergelassen. Roland und seine beiden Gefährten konnten auf den Burghof reiten. Mehrere Ritter nahmen die Ankömmlinge in Empfang. Während Pierre und Louis ein Quartier im Gesindeteil der Burg zugewiesen wurde, tat man Roland die Ehre an, gleich bei der Landesherrin vorgelassen zu werden. Bald stand er der Gräfin gegenüber. Und ob er wollte oder nicht, er war beeindruckt von ihrer strahlenden Schönheit. Ganz entgegen seinen Absichten verspürte er den dringenden Wunsch, mit dieser Frau das Lager zu teilen und dabei alles zu vergessen, was zwischen ihm und ihr stand. Birgitta schien ähnliche Gedanken zu haben. Das Lächeln, das sie ihm schenkte, war schon mehr als ein Versprechen. Ein kühner Gedanke keimte in Roland auf. Wenn er sich wirklich darum bemühte, der Mann an ihrer Seite zu werden, hatte er da nicht die besten Chancen, ihren Umtrieben ein schnelles Ende zu bereiten? Ja, dies war ohne jeden Zweifel ein Weg, der es wert war, begangen zu werden. Ohne lange zu überlegen, machte Roland der Gräfin einen Antrag. Er verwendete dabei nicht die gesetztesten Worte, denn er war kein Mann der schönen Rede. Dennoch nahm Birgitta seinen Antrag mit sichtlichem Wohlwollen auf. »Der Ruhm Eures Namens ist auch nach Falkenberg gedrungen, Ritter Roland«, sagte sie mit einem holdseligen Lächeln, das so gar nicht dem düsteren Bild entsprach, das sich Roland bisher von ihr gemacht hatte. »Es wäre mir ein Vergnügen und eine große Freude, meinen Thron mit Euch teilen zu dürfen. Aber ich muß auf das Wohl meines Landes bedacht sein. Meine treuen Untertanen würden es mir niemals verzeihen, wenn ich einen Mann erwählen würde, der meiner nicht wirklich würdig ist.« »Was muß ich tun, um mich als würdig zu erweisen?« wollte Roland wissen. »Ihr müßt unter Beweis stellen, daß Ihr wirklich ein solcher Held
seid, wie man Euch nachsagt. Denn woher sollte ich sonst wissen, daß der Edle, den ich bisher auserkoren habe, nicht doch würdiger ist, als Ihr es seid?« »Und wer ist der Mann, mit dem Ihr meine Tugenden vergleicht?« fragte Roland. Die Antwort gab nicht die Gräfin, sondern der Ritter, der unvermutet hinter einem Vorhang hervortrat. »Ich bin der Mann«, sagte Volker vom Hohentwiel. * Selten zuvor hatte sich Roland so unwohl in seiner Haut gefühlt. Alles in ihm sträubte sich dagegen, den Kampf auszufechten, zu dem inzwischen alle Vorbereitungen getroffen waren: der Kampf gegen seinen besten Freund Volker. Es ist verrückt, sagte er immer wieder zu sich selbst, vollkommen verrückt! Aber er war sich dabei ziemlich sicher, daß die Verrücktheit nicht von ihm, sondern von Volker ausging. Von Anfang an hatte ihn sein ehemaliger Gefährte nicht mehr als Freund angesehen. In seinen düsteren Augen, die das Lachen verlernt zu haben schienen, hatte nichts als offenkundige Feindschaft gestanden. Ja, Volker war geradezu versessen darauf gewesen, das Duell um die Gunst der Gräfin mit ihm auszutragen. Roland wäre kein Mann gewesen wenn er sich geweigert hätte, die Herausforderung anzunehmen. Sein Gefühl sagte ihm jedoch, daß irgend etwas nicht mit Volker stimmte. Irgend etwas war ihm widerfahren, das sein ganzes Wesen verändert hatte. So, wie sich Volker jetzt gab, hatte Roland ihn in der Vergangenheit niemals erlebt. Was war schuld an der Verwandlung des Freundes? Roland wußte es nicht mit Sicherheit zu sagen. Er ahnte allerdings, daß die schöne Birgitta irgendwie ihre Finger mit im Spiel haben mußte. Wie dem auch war - der Kampf würde stattfinden. Es gab kein Zurück mehr.
Roland saß bereits auf seinem Samun. Er hatte seine volle Rüstung angelegt und hielt die Lanze in der Hand. Auch Volker vom Hohentwiel hatte seine Kampfposition auf der anderen Seite des Burghofs bezogen. Die beiden Ritter warteten nur noch auf das Zeichen der Gräfin, um mit dem Duell zu beginnen. Dann kam das Signal... Unverzüglich preschte Roland los, die Lanze zum Stoß erhoben. Er hatte gewiß nicht vor, den Mann, den er im stillen noch immer als seinen Freund ansah, ernstlich zu verletzen. Aber er beabsichtigte auch nicht, den Kampf zu verlieren. Zwei Gründe waren es, die ihn nach dem Sieg streben ließen. Einmal ging es um Birgitta. Und zum zweiten vertrug es sich nicht mit seiner Ritterehre, daß eine Niederlage an sein Banner geheftet wurde. Auch Volker hatte sein Reittier angespornt und jagte der Mitte des Burghofs entgegen. Die Zuschauer links und rechts von der Kampfbahn hielten den Atem an, als die beiden Kämpfer nur noch zwei, drei Pferdelängen voneinander getrennt waren. Noch wenige Herzschläge, dann ... Gänzlich unerwartet sah sich Roland einer Attacke ausgesetzt, mit der er ganz bestimmt nicht gerechnet hatte. Irgend etwas klatschte gegen sein Visier - Sand oder kleine Steine, dem Geräusch nach zu urteilen. Volker, was tust du? schoß es ihm verblüfft und voller Abscheu durch den Kopf. Daß der ehemalige Freund zu solchen hinterhältigen Mitteln greifen würde, hätte er sich niemals träumen lassen. Die Wirkung der Attacke blieb nicht aus. Durch die Sichtschlitze waren zahllose Sandkörner in den Helm eingedrungen, die sich sofort in den Augen festsetzten. Roland konnte nichts dagegen tun, er mußte die Augen zumachen. Genau darauf war es Volker vom Hohentwiel natürlich angekommen. In dem Moment, in dem die beiden Reiter auf einer Höhe waren, konnte Roland nichts sehen. Es war sinnlos, in dieser Situation mit der Lanze zuzustoßen. Kein blinder Jäger war in der
Lage, eine Flugente vom Himmel zu holen. Ganz anders hingegen Volker. Seine Lanze schnellte wuchtig und zielbewußt auf Roland zu. Und der ehemalige Freund traf gut. Der Lanzenstoß erwischte Roland zwischen Harnisch und Helm, hakte sich dort irgendwo fest. Es war nicht allein die Wucht des Stoßes, die Roland zu schaffen machte. Viel schwerwiegender war die Tatsache, daß er durch die festsitzende Lanzenspitze beinahe aus dem Sattel gerissen wurde. Roland glaubte sich bereits verloren, da rutschte Volkers Lanze doch noch ab und gab ihn frei. Schweratmend erreichte Roland die gegenüberliegende Seite des Burghofs. Es konnte noch keine Rede davon sein, daß sich seine Sehschwierigkeiten entscheidend verbessert hatten. Der Sand saß noch immer in seinen Augen, und da er wegen des Helms nicht die Möglichkeit hatte, ihn herauszureiben, würden die Schwierigkeiten auch noch während der nächsten Kampfrunde andauern. Roland konnte nur blinzeln und sich dabei lediglich ein ungefähres Bild von seiner Umgebung machen. Dennoch, es half nichts. Der Ritter mit dem Löwenherzen mußte seinen Samun wenden und sich Volker zum zweiten Vorbeiritt stellen. Wieder jagten die beiden Kämpfer aufeinander los, Roland stark in seiner Kampfkraft behindert, Volker siegesbewußt und im Vollbesitz seiner Kräfte. Und abermals war Roland nicht in der Lage, einen kontrollierten Stoß anzubringen. Er sah Volker und sein Pferd nur als einen Schemen, der in diesem Moment da war, im nächsten aber wieder verschwand. Die Attacke, die Volker diesmal startete, war kaum weniger hinterlistig als beim ersten Mal. Jetzt zielte er mit der Lanzenspitze auf Rolands Augenschlitz. Erst im allerletzten Sekundenbruchteil erkannte Roland die tödliche Gefahr. Gerade noch rechtzeitig ...
Blitzschnell machte er eine seitliche Kopfbewegung, so daß die Lanzenspitze nicht in den Visierschlitz eindringen konnte, sondern nur eine geschützte Stelle traf. Gleichzeitig ging er zur Gegenattakke über. Er ließ seine eigene, unter den obwaltenden Umständen recht nutzlose Lanze los und griff statt dessen nach Volkers Waffe. Trotz seiner beschränkten Sichtmöglichkeiten gelang es ihm, die Lanze mit fester Hand zu packen. Wilder Zorn wallte in ihm. Volker hatte hemmungslos versucht, ihn zu töten, hatte die Gesetze des ritterlichen Duells abermals auf das schwerste mißachtet. Und das gegen einen Mann, den auch er einst als seinen Freund angesehen hatte. Mit aller Kraft, die in ihm steckte, riß Roland an der Lanze. Volker reagierte ein bißchen zu langsam, ließ die Lanze ein bißchen zu spät los. Die Zugkräfte, die durch die wieder auseinanderstrebenden Pferde hervorgerufen wurden, wirkten sich verhängnisvoll für ihn aus. Ruckartig wurde er aus dem Sattel gerissen und schlug schwer auf dem Boden des Burghofs aus. Der vielstimmige Aufschrei der Zuschauer sagte Roland, daß er den Kampf trotz aller Widrigkeiten siegreich beendet hatte. Aber es war ein Sieg, über den er sich nicht freuen konnte. Er hatte den Mann in den Staub gezwungen, mit dem er schon so manches gefahrvolle Abenteuer bestanden hatte, der ihm stets ein guter, ja, sein bester Freund gewesen war. Und er sah Volker auch jetzt noch als Freund! Die Zurufe der Zuschauer nicht beachtend, hielt er sein Pferd an und schwang sich aus dem Sattel. Statt sich von Birgitta, der Schirmherrin des Duells, Glückwünsche aussprechen zu lassen, ging er dorthin, wo Volker auf dem Boden lag, und beugte sich über ihn. Blinzelnd blickte er auf den Freund hinunter. »Volker, kannst du mich hören?« Der gefallene Ritter war von dem Sturz noch ganz benommen. Mühevoll hob er den Kopf.
»Roland!« Der Ritter mit dem Löwenherzen sah noch immer nicht sonderlich gut, aber sein Gehör hatte nicht gelitten. Ihm entging nicht, daß Volkers Anrede nicht feindselig und haßerfüllt klang. Er hatte vielmehr den Eindruck, daß eine gewisse Traurigkeit angeklungen war. Und in dieser Überzeugung sah er sich nicht getäuscht. »Es tut mir unendlich leid, mein Freund«, sprach Volker weiter. »Ich weiß gar nicht...« »Geht es dir gut?« unterbrach ihn Roland. »Bist du ernstlich verletzt?« »Nein, ich glaube nicht. Aber das spielt jetzt auch keine Rolle. Ich muß dir etwas erklären, Roland.« »Nicht jetzt. Wir können später ...« »Nein, es ist zu wichtig«, widersprach Volker. »Du mußt sofort Bescheid wissen, damit es dir nicht ebenso ergeht wie mir. Birgitta ist eine Teufelin, der unbedingt das Handwerk gelegt werden muß. Sie hatte mich regelrecht... verhext, hatte mich zu einem willenlosen Sklaven gemacht. Ich war nicht mehr ich selbst und tat Dinge, die mir sonst niemals eingefallen wären. Erst als ich vom Pferd stürzte und auf dem Boden aufschlug, fand ich wieder zu mir selbst zurück. Der Schlag gegen den Kopf muß etwas in meinem Gehirn bewirkt haben, was es mir ermöglichte, den unheimlichen Bann der Gräfin abzuschütteln. Paß auf, mein Freund. Um mit der Teufelin fertig zu werden, mußt du folgendes tun ...« Mit äußerster Aufmerksamkeit hörte Roland zu. * Und wieder gab die Gräfin von Falkenberg ein festliches Mahl zu Ehren des Siegers. Es war genauso köstlich, wie es Roland nach der Schilderung seines Freundes erwartet hatte. Und der Ritter mit dem Löwenherzen langte ordentlich zu. Der Kampf mit Volker hatte ihn einiges an
Kraft gekostet, und er war rechtschaffen hungrig. Außerdem war er einem guten Bissen und einem prächtigen Tropfen niemals abgeneigt gewesen. Wenn ihm nicht allzu gut bekannt gewesen wäre, daß Birgitta ein böses Weib war, das ihre teuflische Natur hinter einer schönen Larve verbarg, hätte er dem Beisammensein mit ihr durchaus einiges Vergnügen abgewinnen können. Er wäre kein richtiger Mann gewesen, wenn ihn die fraulichen Reize Birgittas unbeeindruckt gelassen hätten. Von einem Körper wie dem ihren mußte ganz einfach ein jeder träumen, dessen Lenden noch nicht erkaltet waren. Auch die Art und Weise, in der sie plauderte und dabei eine ungeahnte Schärfe des Geistes offenbarte, gefiel ihm. Ja, sie war von ihrer Natur her die geborene Fürstin, auch wenn sie den Gerüchten nach in einer nordländischen Holzfällerhütte das Licht der Welt erblickt haben sollte. Schade war nur, daß ihr Bestreben, der Macht des Bösen zum Sieg zu verhelfen, ihre unbestreitbaren Vorzüge null und nichtig machte. Eine Frau wie sie hatte ganz einfach nicht das Recht, ein Land zu regieren und dem Volk ihren unheiligen Willen aufzuzwingen. Nicht eine einzige Sekunde wurde Roland in seinem Beschluß schwankend, ihrer Herrschaft ein Ende zu bereiten. Ahnte sie bereits, daß er etwas plante, was ihr zum Verhängnis werden würde? Nein, es sah nicht so aus. Sie fühlte sich ganz als Fürstin, die sich huldvoll dazu herabgelassen hatte, mit einem zukünftigen Sklaven zu plaudern und sich dabei ein Bild über seine Nützlichkeit zu machen. Nun, sie sollte ihr blaues Wunder erleben ... Das Mahl neigte sich seinem Ende entgegen. Der Augenblick des Handelns kam näher und näher. Es lag Roland viel daran, daß er diesen Augenblick bestimmen konnte. Wenn Birgitta ihrerseits die Initiative ergriff und ihn überraschte, war alles verloren. Dazu wollte es der Ritter mit dem Löwenherzen nicht kommen lassen. Es wurde Zeit... Wie unbeabsichtigt stieß er mit einer scheinbar ungeschickten
Handbewegung seinen Weinbecher vom Tisch. Mit erschrockenem Gesichtsausdruck sprang er auf. »Ich bitte um Vergebung, Gräfin. Denkt bitte nicht, daß ich ein geborener Tölpel bin.« Er ging in die Knie, scheinbar mit der Absicht, den Pokal vom Boden aufzuheben. Auf diese Weise kam er höchst unauffällig bis auf zwei Ellen an Birgitta heran. Und er nutzte die Gelegenheit gut. Ehe es sich die Gräfin versah, hatte er sich wieder aufgerichtet und stand im nächsten Moment hinter ihrem Stuhl. Die Gräfin zuckte leicht zusammen. »Was soll das bedeuten, Ritter Roland?« fragte sie nicht ohne eine gewisse Schärfe. Sie wollte den Kopf wenden, aber dazu ließ es Roland gar nicht erst kommen. Er hatte eine Hand in ihr goldfarbenes Haar geschoben und hielt ihren Kopf so fest, daß sie ihn lediglich um wenige Zoll bewegen konnte. »Was tut Ihr, Ritter?« Roland lachte leise. Mit Leichtigkeit hinderte er sie daran, sich seinem Griff zu entziehen. »Was ich tue?« sagte er. »Nun, ich sorge dafür, daß du mich nicht mit deinen teuflischen Augen ansehen kannst, um mich wie alle anderen zu deinem ergebenen Diener zu machen, meine kleine Hexe!« Er gab sich nicht mehr die Mühe, die Form zu wahren und sie als Fürstin anzusprechen. Er hatte den Würfelbecher hochgehoben. Die Augenzahlen lagen auf dem Tisch. Das erkannte auch Birgitta. Ein leichtes Beben ging durch ihren schönen Körper. »Nun gut, Bube«, stieß sie hervor. »Du kennst also das Geheimnis meiner Macht. Was gedenkst du jetzt zu tun? Auf ewig wird es dir kaum gelingen, meinem Blick auszuweichen.« »Ich könnte dich töten, kleine Hexe!« »Das wagst du nicht! Meine Getreuen würden dich in Stücke
reißen. Und außerdem ...«, sie ließ ein überhebliches Lachen ertönen, »... verträgt es sich nicht mit deiner albernen Ritterehre, eine wehrlose Frau umzubringen.« Roland hatte es schon gewußt: Birgitta war sehr scharfsinnig. Sie kannte ihn kaum, und doch war es ihr bereits gelungen, ihn ziemlich richtig einzuschätzen. Nein, es würde ihm in der Tat niemals einfallen, eine Angehörige des schönen Geschlechts zu töten. Frauen waren nicht für den Tod, sondern für etwas ganz anderes bestimmt ... »Sei unbesorgt«, sagte er, ohne seinen Griff zu lockern, »dein Leben ist nicht in Gefahr. Ich werde deine Macht auf andere Weise brechen!« »Und wie?« »Indem ich dir deine jungfräuliche Unschuld raube, die du deinem Gott geweiht hast!« Ein unterdrückter Aufschrei entrang sich Birgittas Kehle. Dieser Aufschrei bestätigte Roland, daß er genau ins Schwarze getroffen hatte. Nur ihre Jungfräulichkeit sicherte ihr die Gunst des Donnergottes mit dem Hammer. Wenn sie erst einmal eine Frau wie tausend andere war, würde sie die unheimliche Macht ihrer Augen verlieren. So hatte es Volker jedenfalls verstanden. Und so schien es auch zu sein. »Laß mich los«, keuchte die Gräfin, die ihre offenkundige Angst jetzt nicht mehr verbergen konnte. »Du weißt nicht, wen du vor dir hast!« »Und ob ich das weiß«, erwiderte Roland leichthin. »In meinen Augen bist du eine Hexe - noch! Aber das wird sich gleich ändern. Mit der freien Hand zog er ein Tüchlein aus undurchsichtigem Leinen hervor und schlang es der Frau um die Augen. Im Handumdrehen hatte er es so fest verknotet, daß es nicht rutschen konnte. Natürlich wollte Birgitta sofort nach dem Tuch greifen. Aber Roland war wachsam und band mit einem anderen Tuch auch noch ihre Hände zusammen. Er zog die Gräfin von ihrem Stuhl hoch. Sie schrie und strampelte und versuchte auch, ihn zu beißen. Es war alles vergebliche Mühe. Roland gab ihr keine Chance. Kurz darauf hatte
er sie in das benachbarte Schlafgemach gezogen und auf das breite Bett gelegt. Mit kundiger Hand entkleidete er sie, bis sie in ihrer ganzen unvergleichlichen Schönheit nackt vor ihm lag. Anschließend legte er seine eigenen Kleider ab und schlüpfte zu ihr auf das Bett. Noch einmal versuchte Birgitta, sich zu wehren. Dann aber, als sie die Aussichtslosigkeit ihrer Bemühungen einsah, gab sie auf. Ganz still lag sie da, und als Roland anfing, sie mit Lippen und Händen zu liebkosen, entspannte sich ihr verkrampftes Gesicht sogar. Bisher hatte sie niemals die Köstlichkeit der Liebe erfahren. Fast schien es Roland so, als habe sie insgeheim schon lange auf den Augenblick gewartet, in dem ihr Jungfrauendasein enden sollte. Roland ließ sich Zeit, ihre Lust und seine eigene zu steigern. Dann, als er das Gefühl hatte, daß Birgitta bereit war, ihn zu empfangen, legte er sich auf sie und drang behutsam in sie ein. Die Gräfin stöhnte leise auf, als seine Männlichkeit ihre Unschuld zerstörte. Aber Roland war sich nicht ganz sicher, ob es ein Stöhnen der Entsagung oder der Erleichterung war. Als der erste Akt des für Birgitta so neuen Spiels zu Ende war, wagte es Roland, ihr Augentuch zu lösen. Unwillkürlich hielt er den Atem an, als sie ihn ansah. Aber da war nichts zu sehen von dem unheiligen Feuer, das ihm Volker mit so warnender Eindringlichkeit beschrieben hatte. Es bestand kein Zweifel mehr: Die unheimliche Macht, die Birgitta über die Menschen besessen hatte, war dahingeschwunden. Irgendwo in weiter Ferne glaubte Roland, ein polterndes Lachen zu hören. Er kannte dieses Lachen. Zuletzt hatte er es gehört, als der Scheiterhaufen des Gauklermädchens Ilona Feuer fing.
ENDE
Im Westen brodelte Unruhe. Wehte der Wind von See, roch es nach Brand. Am Tage hingen leichte Rauchschleier zwischen Himmel und Erde. Nachts ging der Mond auf wie gelber Hauch. In Camelot, Schloß und Land, bereiteten sie das Jubiläum vor. Sie hatten für nichts anderes Interesse als für König Artus' Ehrentag. Bis zu jenem Abend. Da erreichte ein Läufer mit dem letzten Licht die Waldringe vor dem Schloß. Der große, kräftige Mann war bis auf ein Fell um die Lenden nackt. Er wankte und kam mehr taumelnd als laufend voran. Der Stumpf eines Pfeiles ragte aus seinem Rücken. Keuchend rief er:
Camelot in Piratenhand Liebe Ritter-Freunde, diesen packenden Abenteuer-Roman von Götz Altenburg bekommen Sie in 14 Tagen bei Ihrem Zeitschriftenhändler. DM 1,60