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Surabaja, Februar 1600. Der Name klang exotisch und verlockend, und er ver...
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Seewölfe 739 1
Fred McMason
Blutige Perlen
Surabaja, Februar 1600. Der Name klang exotisch und verlockend, und er versprach Abenteuer. Surabaja war aber alles andere als das. Seit sich herumgesprochen hatte, daß hier Gold gefunden worden war, hatten sich wie aus dem Nichts heraus überall verkrachte Existenzen niedergelassen. Beachcomber, Abschaum der Meere, Gestrandete, Händler und Spieler. Sofort waren auch die Schnapphähne da, und mit ihnen tauchten die liederlichen Frauenzimmer auf. Surabaja war ein Sumpf, der sich zusammengebraut hatte und in dem es jetzt brodelte, denn jeder wollte seinen Anteil von der vermeintlichen Goldausbeute. Bisher hatte jedoch noch niemand Gold vorweisen können, oder aber er behielt dieses Wissen lieber für sich, denn hier war man mit dem Messer schnell zur Hand. Es starb sich leicht in Surabaja Die Hauptpersonen des Romans: Bill Gordon – der Skipper eines Seelenverkäufers träumt vom schnellen Reichtum, aber andere sollen dafür arbeiten. Ireen Williams – ist zwar hübsch und wirft dem Seewolf kokette Blicke zu, aber der bleibt reserviert und zeigt kein Interesse. Edwin Carberry–futtert auf dem Markt von Surabaja Unmengen pikanter Tierchen vom Grill, doch dann vergeht ihm der Appetit. Buster – ein Monster aus Gordons Mannschaft, das mit dem Profoshammer Bekanntschaft schließt. Philip Hasard Killigrew – muß voller Grimm erkennen, daß er einem Lumpenkerl aus der Patsche geholfen hat.
1. Die Sonne war erst vor einer knappen Stunde aufgegangen, doch schon um diese frühe Zeit herrschte reges Leben in Surabaja. Der Kutscher und Mac Pellew hatten erfahren, daß es gleich hinter dem schmuddeligen Hafen noch einen weiteren Markt geben sollte, einen weitaus größeren als den, den sie gestern aufgesucht hatten. So waren die beiden Köche schon frühmorgens losgezogen, um einiges zu ordnen. Später wollten sie auf die andere Gruppe treffen, die dabei war, das verkommene Städtchen näher zu erkunden. Trotz der frühen Morgenstunde war es drückend heiß und die Luft von einem unheilvollen Miasma geschwängert. Vom nicht sichtbaren Marktflecken drang ein Duft verschiedenartiger Gewürze
herüber, der sich mit dem Brackwasser des Hafens mischte. Da roch es nach fauligem Tang, alten Hölzern, Seeund Brackwasser, nach Teer und Fischen. Für die Arwenacks war es ein seit langem vertrauter Duft, der sich da zusammenbraute und viele Häfen der Welt kennzeichnete. Sie hatten Landgang, weil der Seewolf Philip Hasard Killigrew noch einen Tag in Surabaja dranhängen wollte, was Edwin Carberry dahingehend auslegte, daß es ruhig noch ein bißchen Spektakel geben konnte. Man gönnte sich ja sonst kaum etwas, war seine Devise. Carberry reckte den gewaltigen Brustkorb. Er trug ein grobes Leinenhemd, das bis zum Bauchnabel offen war, und Leinenhosen mit Stiefeln. Die Ärmel hatte er aufgekrempelt, und so streifte manch scheuer Blick seine mächtigen Muskeln an
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den Oberarmen, die sich wie Stränge abzeichneten und unbändige Kraft verrieten. Auch Smoky, Jan Ranse und das Bürschchen Clint Wingfield waren so gekleidet. „Sehen wir uns erst mal den Hafen an“, sagte Carberry. „Später verholen wir uns dann zu dem Markt. Vielleicht gibt's da irgendwo eine Pinte. Ein kühler Schluck ist bei dieser Bullenhitze nicht zu verachten.“ Das fanden die anderen auch, und so trieben sie sich erst mal am Hafen herum. Da waren Kähne vertäut, daß es die Arwenacks grauste. Eine offenbar verlassene und aus allen Nähten platzende alte Balor befand sich am Ende einer langen Pier. Dazwischen schaukelten kleine Fischerboote im Rhythmus der winzigen Wellen. Wo die Pier rechtwinklig weiterlief, lag ein Wrack auf Grund wie ein Gerippe, das seine ausgebleichten Knochen von der Sonne verdorren ließ. Ein paar dürre und ausgemergelte Fischer hockten in ihren Kähnen oder flickten auf der Pier ihre Netze. Über ihnen kreischten Möwen, die hin und wieder blitzschnell auf das brackige Wasser niederstießen, sobald es dort silbrig aufblitzte. Die Sonne war hinter Dunstwolken verborgen und nur schwach und gelblich zu erkennen. Dennoch strahlte sie große Hitze aus. Carberry blieb stehen und deutete mit der rechten Hand nach vorn. Dort gab es eine weitere morsche Pier, und an der war ein Etwas vertäut, das sich nur mit größtem Wohlwollen als Schiff bezeichnen ließ. Die Arwenacks blieben ebenfalls stehen, um das Ding erst mal aus der Ferne zu betrachten. Irgendwann mochte es eine Galeone gewesen sein, in grauer Vorzeit vielleicht, als Noah gerade die Arche baute. Ursprünglich hatte es drei Masten gehabt. Zwei waren noch zu sehen. Der Großmast war auf ein trauriges Drittel seiner ehemaligen Höhe geschrumpft und ragte als unansehnlicher Pinsel aus dem Deck. Das laufende und stehende Gut war
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verwittert und so morsch, daß man nicht daran ziehen durfte, sollte es nicht augenblicklich zerbröseln. Der Kahn schien an allen Ecken und Enden auseinanderzufallen. Auch die Segel waren sehenswert. Sie waren unordentlich auf getucht und bestanden nur aus Flicken, die einer neben dem anderen saßen. Zwischen den Flicken konnte man den morgendlichen Himmel sehen, denn da gab es auch noch zahlreiche Löcher. „Mann, ist das ein Torfkahn“, sagte Smoky, „den sollten wir uns wirklich mal aus der Nähe ansehen. Da sind sogar welche an Bord.“ „Wundert mich, daß die noch nicht durch die Planken gefallen sind“, äußerte Carberry grinsend. Die anderen grinsten ebenfalls, denn der Torfkahn drohte wahrhaftig, jeden Augenblick auseinanderzufallen. Die Sonne, der Wind und das Wasser hatten an den Planken genagt und sie ausgebleicht. Ein bißchen Teer hätte das vielleicht überdecken können, aber der Skipper sah nicht danach aus, als würde er sein gutes Geld in stinkenden Teer anlegen. Solange ihm der Eimer noch nicht unter dem Hintern absoff, schien er ganz zufrieden zu sein. Die vier Arwenacks hatten sich jetzt dem seltsamen Schiff genähert und blieben abermals stehen, um die Eindrücke auf sich wirken zu lassen. Heiliger Antonius, war das ein Kahn! Aus unmittelbarer Nähe sah alles noch verkommener, noch verdreckter und vergammelter aus. Teilweise konnte man von außen nach innen in die Stauräume blicken. „Wenn der nur noch eine Meile segelte“, sagte der Profos ehrfürchtig, „dann freß ich die vergammelte Schiebblinde mitsamt dem Skipper.“ „Da würde nicht mal Old Nick anmustern“, meinte das Bürschchen Clint schaudernd, womit er den Teufel meinte. „Da hast du allerdings recht“, raunte Smoky, „und dem Skipper würde ich nicht mal 'ne leere Flasche borgen.“
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Dieser Skipper, von dem er gerade sprach, musterte sie bereits seit einer Weile ausgesprochen interessiert. Neben ihm stand ein schmieriger Kerl mit fetten und strähnigen Haaren, der ebenfalls Interesse bekundete. Etwa dort, wo die Kuhl zum Achterdeck führte, stand ein einäugiges Monstrum mit schlenkernden Armen. Über die leere Augenhöhle war eine schwarze Klappe gebunden, die dem Kerl ein fürchterliches und angsteinflößendes Aussehen gab. Spanier sind das nicht, dachte der Profos, Holländer und Portugiesen ebenfalls nicht. In seine Überlegungen erklang eine Stimme. Der Kerl, der offenbar der Skipper war, blickte sie an. Er hatte ein kantiges Gesicht mit hellen Augen, einer etwas zu breiten Nase und einem vorspringenden Kinn. Er war groß und muskulös und trug nichts weiter als eine zerschlissene Hose. Sein vom vielen Waschen ebenfalls graues Hemd hatte er ins Want gehängt. Der Mann erweckte einen verschlagenen und hinterhältigen Eindruck. „Hey, Tschentlemänner“, sagte er im besten Londoner Cockney-Slang. „Was treibt euch denn so früh aus den Bunks?“ Ein Engländer also, dachte Carberry. Der Kerl sah wie ein abgefiederter Beachcomber aus. Unrasiert war er auch. „Wollten uns mal ein bißchen umsehen“, erwiderte Carberry mit einem schiefen Grinsen. „Scheinen sich recht viele Engländer in Surabaja herumzutreiben.“ „Hier zieht es viele hin, Mister – äh ...“ „Carberry, einfach Carberry, Mister – äh ...“ „Bill Gordon.“ Der Unrasierte deutete auf sich. „Ich bin hier der Boss'n. Dieser hier ist mein Steuermann. Leach heißt er, und da achtern steht Buster.“ „Bißchen wenig für eine Mannschaft, was, wie?“ fragte der Profos. „Ein paar Rabauken sind noch an Land, die anderen werden sich auch bald einfinden. Und ein paar kriege ich noch, bevor es losgeht. Ihr seid von der Schebecke da drüben, eh, Tschentlemänner?“
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Ein Lauern lag in den Augen des Boss'n, als er die Frage stellte. Sein Blick wechselte von der Schebecke zu den Arwenacks. „Richtig“, sagte Smoky, „war ja nicht schwer zu erraten.“ „Was zahlt denn euer Boss'n so?“ wollte Gordon wissen. Dabei rieb er Daumen und Zeigefinger aneinander. „Englisch Geld“, sagte Carberry vieldeutig. Sollte sich der Skipper darunter vorstellen, was er wollte. „Boss'n ist gut“, meinte Smoky. „So haben wir unseren Sir noch nie angeredet.“ „Euren Sir?“ fragte Gordon langgezogen. „Läßt der sich etwa wahrhaftig mit Sir anreden?“ „Er ist ein Sir, ein echter Sir.“ Der Skipper lachte dreckig. Er schlug sich auf die Schenkel und prustete los wie ein Walroß. „Der läßt sich mit Sir anreden!“ tönte er. „Habt ihr das gehört, Männer? Da gibt's einen richtigen Sir!“ Die beiden anderen grinsten schmierig. Der Kerl, den Gordon als Leach und seinen Steuermann bezeichnet hatte, legte die Hand hinters Ohr und riß die Futterluke auf. „Hab ich nich verstann, Boss'n“, krähte er. „Der ist manchmal so taub wie ein Fisch“, erklärte Gordon geringschätzig. „Manchmal hört er auch was. Aber meistens ist er taub.“ „Dann sollte er sich mal auf den Markusplatz in Venedig verholen“, schlug Carberry vor. „Da braucht er nichts zu tun. Die ernähren die Tauben dort auf Staatskosten.“ „Mann, ist das ein uralter Witz“, murmelte Smoky. „Das kapiert der doch im Leben nicht.“ „Ja, Tschentlemänner“, sagte Gordon, nachdem er sich beruhigt hatte. „Euer Sir zahlt also englisch Geld. Tu ich auch, sogar Gold oder Silber, je nachdem. Ihr seid verdammt gut in Form, gerade die richtigen Kerle, um bei Bill Gordon anzuheuern. Sagt eurem Sir good bye und kommt zu mir. Gute Hands fehlen mir noch. Ihr werdet schneller reich sein, als ihr euch das vorstellen könnt.“
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„Wo willst du denn mit dem prachtvollen Schiffchen hinfahren?“ erkundigte sich Carberry. „Wenn das Galeönchen Wind um die Nase kriegt, dann fällt es doch auseinander.“ Der Skipper schien nicht beleidigt zu sein. Er lachte nur stoßartig und wischte die Bemerkung mit der Hand weg. „Das sieht nur so aus. Das Schiff ist gut und seetüchtig. Überlegt euch mein Angebot. Ich brauche mindestens zehn Männer. Ich zahle euch anteilmäßig in Perlen aus.“ „In Perlen?“ fragte Jan Ranse erstaunt. „Wo nehmt ihr denn die kostbaren Perlen her?“ „Von drüben.“ Gordon drehte sich halb um seine Achse und zeigte zum nördlichen Horizont. Dort war schwach der Umriß von Land zu erkennen, das noch im frühen Morgendunst lag. Es war eine größere Insel, wie sie von Dan O'Flynn wußten. „Und die liegen da einfach so herum?“ wollte Carberry wissen. „Jede Menge“, versicherte der Boss'n großspurig. „Dort gibt's Perlen wie Sand am Meer. Man hüpft ins Wasser, holt die Muscheln herauf und öffnet sie, und schon ist in jeder eine Perle.“ Der Steuermann Leach nickte bekräftigend, obwohl er kein Wort verstanden hatte. Offenbar wußte er aber, was mit der Handbewegung gemeint war. „Dann frage ich mich, warum ihr nicht längst drüben seid und die Perlen geholt habt“, sagte Smoky. „Ich kann nicht mit zwei Kerlen nach Madura segeln, Tschentlemänner, das müßt ihr doch einsehen. Mein Schiff ist zwar nicht das größte, aber ein knappes Dutzend Leute brauche ich schon. Na ja, acht Mann würden vielleicht auch reichen, oder vielleicht sechs? Notfalls würde ich auch mit euch vier Mann rübersegeln. Ist ja nicht weit.“ „Tut mir leid, Mister“, sagte Ed, „aber wir haben eine gute Heuer und ein gutes Schiff. Das läßt man nicht so einfach sausen.“
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„Bei mir verdient ihr das Hundertfache und noch mehr. Und alles ohne großen Aufwand. Man braucht nur ins Wasser zu greifen, und schon ist man ein reicher Mann. Hört zu“, beschwor er die vier Arwenacks eindringlich. „Wir sind heute abend im ,Roten Mond von Surabaja. Das ist eine ganz edle Hafenspelunke. Da kann ich vielleicht noch zusätzlich ein paar Leute press ... ich meine, äh, anheuern. Ich lade euch zu einem kräftigen Schluck ein, und wir besprechen alles noch mal gründlich.“ „Aye, aye, Sir“, sagte Carberry grinsend. „Wir sehen uns erst mal das Kaff an, und dann. überlegen wir es uns vielleicht.“ „Einverstanden. Wollt ihr einen kleinen Vorschuß? Handgeld sozusagen, aber dann müßt ihr auch andocken.“ „Wir haben noch etwas“, sagte Carberry. „Vielen Dank.“ Der Boss'n sah ihnen mit einem dreckigen Grinsen nach, als sie die altersschwache Pier verließen und Kurs auf den Markt nahmen. * „So ein optimistischer Schwachkopf“, sagte der Profos naserümpfend, als sie außer Hörweite waren. „Der hat vielleicht einen sonnigen Humor, hat der. Nur ins Wasser greifen, und schon ist man ein reicher Mann. Der spinnt doch, der Boss'n. Als ob wir nicht wüßten, wie schwer es ist, auch nur eine Handvoll Perlen zusammenzukriegen. Und dann will er mit dem Nachttopf aufs Meer hinaus.“ „Vermutlich hat ihm jemand einen Floh ins Ohr gesetzt“, sagte der Holländer Jan Ranse, „und den hört er jetzt husten. Der Kerl ist ein Beachcomber, vielleicht sogar ein Deserteur von irgendeinem englischen Schiff, der jetzt mit Gewalt reich werden will. Seine beiden Macker scheinen auch ziemlich bescheuert zu sein.“ „Na ja, wenigstens haben wir jetzt die Adresse einer Kneipe, die wir uns heute abend ja mal ansehen können.“ „Da sollten wir aber gewaltig aufpassen, daß uns keiner was ins Bier kippt“, warnte
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Smoky. „Der Boss'n scheint das Anheuern sehr großzügig auszulegen. Möglicherweise wachen wir später auf und befinden uns an Bord dieser prächtigen Galeone.“ „Der – und uns shanghaien?“ Der Profos lachte laut. „Das halte ich für einen köstlichen Witz. Wir wissen ja, wie wir dran sind und werden schon aufpassen.“ „Manchmal geht das schneller, als man denkt“, murmelte Jan. Aber da grinste der Profos nur. Sie schlenderten weiter, wobei sich Carberrys Augenmerk ganz besonders auf Kneipen richtete. Es dauerte auch nicht lange, dann standen sie vor einer verkommenen Bude mit einer „Veranda“, einem Holzzaun und Bambusstangen, die einfach in die Erde gesteckt waren. Dort konnte man tagsüber sitzen. Für den nächtlichen Betrieb empfahl sich die Kneipe durch eine luftige und windschiefe Tür. Ein in der schwachen Brise hin und her schaukelndes Brett verkündete in holländischen Schriftzügen, daß es sich hier um die Kneipe „Roter Mond von Surabaja“ handele. Der rote Mond bestand aus einem großen Lampion und war nicht zu übersehen. Nachts wurde in das Ding wahrscheinlich eine Kerze oder eine Ölfunzel gesteckt, und bei Nacht sah hier auch sicher alles ganz anders aus. In dem Anbau hockten zwei Kerle mit grauen und übernächtigten Gesichtern, die dumpf vor sich hin stierten. Sie hatten jeder eine Schale mit einer undefinierbaren Flüssigkeit vor sich stehen. Die Kneipe selbst war leer, bis auf einen schmierigen Burschen, der lustlos mit einem Reisigbesen die Dielen fegte. Carberry ging weiter, als hätte er die Pinte glatt übersehen. „Wolltest du nicht einen Schluck nehmen?“ fragte Smoky. „Später, hier ist ja nichts los. Sehen wir uns erst mal den Markt genauer an. Da gibt es sicher auch was.“ Der Markt war nicht weit entfernt. Stimmengewirr und hin und wieder auch
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mal lautes Geschrei wiesen ihnen den Weg. Sie passierten eine palmengesäumte Gasse, in der rechts und links hingeduckt schiefe Hütten standen. Ein paar streunende Köter beschnupperten sie neugierig, setzten aber schnell zur Flucht an, als Smoky sich laut räusperte. Gleich darauf tat sich vor ihren Blicken ein malerischer Marktplatz auf, viel größer und bunter als der andere, den sie flüchtig kannten. Ein unbeschreiblicher Duft umfing sie, eine Mischung aus allerlei Gewürzen, nach duftendem Reis, gebackenem Fisch und Obst, das manche Arwenacks nicht mal vom Sehen kannten. An kleinen Ständen wurde gekocht und gegrillt. Der Geruch legte sich betäubend und atemberaubend über sie wie eine Dunstwolke. Gleich am ersten Stand, einer winzigen Stellfläche, blieb Carberry neugierig stehen und schnüffelte wie ein Jagdhund. „Hm, das riecht aber fein“, äußerte er. „Was ist das eigentlich? Sieht wie winzige Kaninchen aus.“ Smoky wußte es nicht, Jan auch . nicht, und Clint Wingfield zuckte nur mit den Schultern. Auch die Befragung des Händlers ergab kein Resultat. Der alte und zahnlose Bursche erklärte zwar gestenreich, was das sei, aber er tat es in einer Sprache, die sie ebenfalls nicht verstanden. „Das kriegen wir noch raus“, sagte der Profos. „Hier gibt es noch mehr von diesen offenen Küchen.“ An einem anderen Stand löschten sie zunächst ihren Durst und tranken eine grünliche Flüssigkeit, die sehr erfrischend schmeckte. Sie wurde aus verschiedenen Früchten mit einer Handpresse hergestellt. Die Menge der Händler, Händlerinnen und Kauflustigen nahm unaufhaltsam zu. Vermutlich war der Markt nur in den frühen Morgenstunden geöffnet, wenn die Sonne noch nicht so heiß herabbrannte. In der großen Mittagshitze würde diese Stelle einsam und verlassen sein.
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„Da drüben steht der Kutscher“, sagte Clint, „und am anderen Stand hält sich Mac auf.“ „Dann gehen wir mal hinüber“, entschied Carberry. Sie hatten Mühe, sich einen Weg durch die drängende und schiebende Menge zu bahnen. Mac kehrte auch schon von seinem Stand zurück und entdeckte sie, gerade als sie den Kutscher erreichten. „Na, da seid ihr ja“, sagte er strahlend. „Wir haben hier für die Weiterfahrt eine Menge Früchte und anderes Zeug geordert. Später bringt man es in ein. paar Karren an Bord.“ „Schöne, saftige Früchte“, schwärmte der Kutscher, „mit einem undefinierbaren und köstlichen Aroma. Die Leutchen feilschen auch nicht so lange wie anderswo.“ Carberry starrte auf ein altes, runzeliges Weib, das hinter ihrem Stand auf einem Bambusschemel hockte. Vor sich hatte die Alte eine Auswahl von duftenden Früchten liegen. „Was sind das für Dinger?“ fragte er gespannt. „Mangopflaumen“, erwiderte der Kutscher. „Probier sie doch mal, sie schmecken hervorragend.“ Carberry stützte sich mit beiden Pranken auf den Stand, um die Früchte besser betrachten zu können. Da geschah es auch schon. Der Profos hatte sich entweder an seinem eigenen Gewicht verschätzt oder an der Stabilität der Platte. Gerade als er eine der Mangopflaumen aus dem Sortiment klauben wollte, gab die Platte mit einem berstenden Krachen unter ihm nach. Mit dem Kopf voraus sauste Carberry in die Früchte, alles mit sich reißend und unter sich begrabend. Da lag er nun mit ziemlich verdattertem Gesicht zwischen duftenden Mangos und anderen Köstlichkeiten, und natürlich war da auch einiges zu Matsch gegangen. Zwei Mangopflaumen fielen ihm noch auf den Kopf. Danach herrschte für Augenblicke entsetztes Schweigen.
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Carberry rappelte sich auf, konnte dabei aber nicht verhindern, daß er in dem Matsch ausglitt und dabei noch mehr zertrampelte. Ein erneuter Sturz in das glitschige Zeug war die Folge. „O Gottchen“, sagte Mac Pellew anklagend. „Mit diesem Mensch kann man sich wirklich nirgendwo blicken lassen. Der wird nie ein feiner Mann.“ Die Alte sah mit gefletschten Zähnen fassungslos auf den riesigen Kerl, der sich da in ihren Früchten herumwälzte und sich mit verkniffenem Gesicht mühsam aufrappelte. Dazu rollte dieses Ungetüm mit dem riesigen Kinn noch fürchterlich mit den Augen. „So ein Mist”, knurrte der Profos. „Das ist mir auch noch nie passiert. Muß wohl ausgerutscht sein.“ „Du hast dich zu stark auf den Stand gestützt“, sagte Smoky. „Oh“, setzte er im selben Atemzug hinzu, „die Mutter scheint verdammt sauer zu sein.“ Die Alte sah sich um ihren Verdienst geprellt und wurde jetzt wütend, noch bevor die Arwenacks das kleine Mißgeschick klären konnten. Zuerst stieß sie einen empörenden Schrei aus, dann begann sie zu zetern und zu keifen wie die Londoner Marktweiber und Kräuterhexen. „Ja, ja“, sagte Carberry hastig und wischte sich etwas saftiges Fruchtfleisch aus dem Gesicht. „Wir bezahlen den Schaden ja, nur keine Sorge, old Lady.“ Die alte Lady aber verstand ihn nicht. Außerdem mußte der Profos fürchterlich niesen. Sie regelte das auf ihre Art und griff in die matschigen Überreste der tropischen Kollektion. Zuerst feuerte sie eine matschige Mangofrucht ab, und die kriegte der verstörte Carberry genau ins Auge, wo sie mit einem satten Knall zerplatzte. Instinktiv hob der Profos den Arm vor das Gesicht, aber da traf ihn bereits eine ebenfalls sehr matschige klebrige Marau auf der Stirn. Es hagelte noch zwei lädierte Gurken und ein paar Bananen, dann hatte sich die Alte vom ersten Schrecken erholt.
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Inzwischen bildete sich um den zertrümmerten Stand ein Menschenauflauf. Überall waren grinsende Gesichter zu sehen. Mac Pellew, sonst ein sauertöpfischer Mensch, grinste ebenfalls bis zu den Ohren, weil er das einfach köstlich fand, wie der gute Ed völlig bematscht und unglücklich dastand. Aber die Alte legte sein Grinsen als Provokation aus. Diesmal wählte sie von dem Zeug, das noch heil geblieben war, und das waren zwei Körbe voller Seegurken. Sie waren sehr weich und sahen auch nicht besonders appetitlich aus. Dem auf der Stelle flüchtenden Zweitkoch flog eine Seegurke an den Hinterkopf, die zweite empfing er ins Kreuz. Alle beide zerbarsten mit einem satten Geräusch. Da verging auch Mac Pellew das Grinsen. Der Kutscher behielt Würde und verbiß sich das Lachen nur mühsam. Er holte ein paar Silbermünzen aus der Hosentasche, verbeugte sich vor dem Marktweib mit spanischer Grandezza und überreichte ihr die Münzen. Ganz plötzlich strahlte die Alte, nickte zufrieden vor sich hin und strich die Münzen ein. „Na also“, sagte der Kutscher er- leichtert, „jetzt scheint ja alles wieder in bester Ordnung zu sein.“ Carberry warf dem Marktweib einen galligen Blick zu. An seinem Kopf klebten noch fruchtige Reste, und auf dem einen Auge sah er so gut wie nichts. Die alte Vettel hatte besser getroffen als ein Kanonier und nicht mal halb solange Maß genommen. „Wo willst du denn hin?“ fragte Smoky, als der Profos ihnen den Rücken kehrte. „Zum Wasser, mir das klebrige Zeug aus dem Gesicht waschen. Das pappt ja schlimmer als Kleister.“ Sie verließen den zertrümmerten Stand und warteten an einer anderen Ecke, bis der Profos wieder zurückkehrte. Jetzt sah er schon wesentlich manierlicher aus. 2.
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„Vergessen wir den Zwischenfall“, brummte er, „und hört mit dem dämlichen Grinsen auf. Kann ja jedem mal passieren, was, wie?“ „Mir nicht“, sagte Mac Pellew. „Klar kann dir das auch passieren.“ „Ich pflege mich nicht auf Gemüsestände aufzustützen“, erklärte Mac hoheitsvoll. „Er nun wieder!“ tönte Carberry. „Dabei bist du ein ausgesprochener Pechvogel. An Deck latschst du auch immer in jeden Dreck.“ Mac gab keine Antwort. Er faßte nach seinem Genick und hatte ebenfalls matschige Hände. Die Seegurke hatte sich Wie eine Qualle auf `seinem Rücken ausgebreitet und war nur noch ein schmieriger Fleck. „Sauerei, elende“, knurrte er vor sich hin. Sie gelangten an Stände, wo es kaum Gemüse gab, wo aber gebraten, gebacken und gegrillt wurde. Da taten sich ungeahnte Köstlichkeiten auf. Der Duft war hier so intensiv, daß den Arwenacks das Wasser im Mund zusammenlief. „Jetzt merke ich erst, daß ich gewaltigen Hunger habe“, sagte Carberry. „Hast du eine Ahnung, Kutscher, was das hier ist?“ Sie waren vor einer kleinen Garküche stehengeblieben, und der Profos deutete auf hasenähnliche Kleintiere, die auf dünnen Bambusstöckchen steckten und vor sich hinbrutzelten. „Das könnten eventuell Vögel sein oder eine Art kleiner Hühner. So genau läßt sich das nicht erkennen.“ „Kann natürlich auch sein. Sieht aus, als hätten sie mal Flügel gehabt. Viel ist ja nicht dran an den Dingern, aber wir sollten sie doch mal probieren. Die Dinger auf den Stäbchen wurden von allen Seiten betrachtet, doch es ließ sich nicht mit absoluter Sicherheit sagen, was es für Tiere waren. Unter ihren Leibern glomm Holzkohle, die den Duft noch verstärkte, und hin und wieder goß der Mann, der die Viecher grillte, eine dunkle Brühe darüber.
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Der Mann war ebenfalls ziemlich alt. In seiner Gesellschaft befand sich ein kleiner Bengel, der winzige Holzschalen mit allerlei Soßen und geheimnisvollen Säften füllte. Mindestens zehn dieser vogelartigen Dinger waren aufgespießt, schön saftig und bereits angebräunt. Carberry sog tief die Luft ein und spürte dabei, daß sein Hunger übermächtig wurde. Viel hatte er heute morgen ja noch nicht gegessen. Allerdings verging ihm dann wieder der Appetit, wenn er in ein paar andere Kummen sah, die der kleine Junge andächtig auffüllte. „Kannst du mir vielleicht erklären, was das ist?“ fragte er, dezent auf ein paar hellbraune Kummen deutend, in denen schwabbeliges Zeug herumlag. Es sah wie dunkelgrüner Pudding aus. „Das dürfte Seetang sein, Seetang oder Algen“, erklärte der Kutscher nach einem prüfenden Blick. „Das daneben sind Seegurken, wie Mac gerade eine an den Schädel gekriegt hat.“ „Das essen die doch nicht etwa?“ fragte Carberry verstört. „Das kann man schon essen. Hier wird es jedenfalls auf eine recht delikate Art zubereitet.“ „Seeglibber“, murmelte Carberry mit scheelen Blicken. „Lieber würde ich verhungern, als den Meeresgrund abzuweiden. Da sind mir diese jungen Häschen doch lieber. Da weiß man wenigstens, was man hat.“ „Hier weiß man nie so recht, was man hat oder kriegt. Oh, da drüben gibt es Brotfrüchte. Sieht jedenfalls so aus“, murmelte der Kutscher. Und da ihn alle Neuigkeiten immer interessierten, waren er und Mac Pellew bereits einen Stand weitergegangen. Der Alte sah sie grinsend an und murmelte etwas, das keiner von ihnen verstand. Gleichzeitig holte er ein paar Tonschüsseln aus einem Bambuskorb und stellte sie auffordernd hin. „Wollt ihr auch?“ fragte der Profos. Clint, Smoky und Jan Ranse nickten sofort.
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„Wenigstens mal probieren“, meinte der Holländer. „Es sieht wirklich sehr verlockend aus.“ Carberry deutete auf die gegrillten Dinger an den kleinen Stöckchen. Mit den Fingern zeigte er vier Stück an. Der Alte grinste noch breiter und dienerte auf asiatische Art, indem er die Hände flach auf die Brust legte und sich verneigte. Gleichzeitig sagte er zu dem Jungen ein paar Worte. Der füllte erneut kleine Schälchen mit Flüssigkeiten auf. Rote, grüne und schwarze Soße tat er hinein. Ein weiteres kleines Schälchen wurde mit glasklarer Flüssigkeit gefüllt. Der Alte nahm jetzt die gegrillten und herrlich duftenden Dinger von den Bambusstöckchen, legte sie in die Tonschalen und reichte sie den vier Seewölfen. Dabei zeigte er auf die Schälchen und bedeutete ihnen, daß sie das Fleisch hineintunken müßten. Der Junge stellte gedämpften Reis vor sie hin. Dazu schlug er vier Kokosnüsse auf und reichte sie ihnen. „He, Kutscher!“ brüllte Carberry über die Schulter. „Sieh dir das mal an! Vielleicht kannst du noch was lernen.“ Der Kutscher war aber an dem anderen Stand so beschäftigt, daß er vorläufig abwinkte. „Na, dann nicht. Aber du versäumst was.“ Smoky tunkte sein gegrilltes Fleisch vorsichtig erst in die eine Soße, dann in die andere und biß herzhaft hinein. Nach dem ersten Bissen begann er wohlig zu stöhnen. „Auf mein Wort“, sagte er strahlend, „noch nie habe ich zarteres und besseres Fleisch gegessen. Da vergeht jeder Bissen auf der Zunge. Und dann diese herrlichen Gewürze! Ah, kann ich da nur sagen.“ Um sie her wurde gelacht, geschwatzt, getrunken und gegessen. Überall schmausten die anderen Leute ganz ungeniert. Carberry hatte das kleine Ding schon bis auf die Knochen abgenagt und gab Smoky in allen Punkten recht. „Das geht runter“, schwärmte er genießerisch. „Da wird man aber auch
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durstig bei all den vielen scharfen Gewürzen. Bloß mit dem Wasser ist der alte Bursche ein bißchen knauserig.“ Bei den Worten deutete er grinsend auf das kleine Schälchen mit der glasklaren Flüssigkeit. „Viel war da ja wirklich nicht dran“, ließ sich Jan Ranse vernehmen. „Ich denke, wir sollten uns gleich noch ein paar von den Dingern einverleiben. So was Gutes gibt's so schnell nicht wieder.“ „Klar, wir hauen noch rein“, versicherte Smoky aufgekratzt. „Der alte hat genug davon.“ Inzwischen füllte der Junge wieder Reis und Gewürze nach, als Smoky die nächste Runde orderte. Sie saßen mit verzückten Gesichtern und ließen sich die Köstlichkeit munden, und da an den Dingern nun wirklich nicht viel dran war, wurde immer wieder nachbestellt. Schließlich kehrten auch der Kutscher und Mac zurück und beteiligten sich an dem Essen. „Wirklich, ganz vorzüglich“, sagte auch der Kutscher fachmännisch. „Dieser Duft, dieser exotische Geschmack, einfach wundervoll. Ich werde mir das später mal genauer ansehen und dann versuchen, so etwas auch bei uns an Bord auf die Back zu bringen.“ Carberry hatte schon den sechsten „Braten“ am Wickel, doch das schien seinen Appetit nur noch zu steigern. Er gab dem Alten ein paar Silbermünzen, die er kopfschüttelnd anstarrte und dann ungläubig in einem kleinen Holzkasten verschwinden ließ, als der Profos auf Wechselgeld großzügig verzichtete. Sie lobten den Alten, der unermüdlich aus einem Bambuskorb schon vorgefertigte Dinger auf die kleinen Stäbchen steckte und sie über das Holzkohlenfeuer hing. Nach dem achten Stück Fleisch hatte Carberry genug. Aber jetzt hatte er einen gewaltigen Durst und wollte Bier haben. Damit konnte der Alte jedoch nicht dienen. Er hatte nur Säfte im Angebot und frisch aufgeschlagene Kokosnüsse.
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Carberry blickte auf das Schälchen mit der klaren Flüssigkeit und bedeutete dem Alten, noch etwas nachzufüllen, was der auch nach anfänglichem Zögern tat. „Wasser scheint hier kostbarer als alles andere zu sein“, meinte der Profos, „und eigentlich ist es gar nicht meine Sache, Wasser zu trinken. Ich muß dabei immer an die armen Schiffbrüchigen denken, die Wasser viel nötiger haben als wir. So eine arme Seele, einsam und verlassen auf dem Meer, vor Durst halb wahnsinnig – nein, ich will nicht schuld am Tod eines Schiffbrüchigen sein.“ „Du hättest wirklich Prediger werden sollen“, sagte der Kutscher. „So eine salbungsvolle und faule Ausrede habe ich noch nicht gehört. Du trinkst ganz sicher keinem was weg, und es wird auch niemand deshalb sterben.“ „Na ja, dann sei es”, sagte der Profos entsagungsvoll. Der Profos griff nach dem Schälchen und leerte den Inhalt mit einem schnellen Ruck in seinen Hals. Von da an ging eine eigenartige Verwandlung mit Carberry vor. Aber zuerst erstarrte der Alte vor Schreck, riß die Futterluke auf und blickte den Profos entgeistert an. Das runzlige Gesicht des Alten verzog sich anschließend mitleidig, als litte er heftige Schmerzen. Der Profos stand für ein paar Augenblicke wie eine Salzsäule da. Er konnte sich nicht bewegen und verzog nur das Gesicht. „Uuuaaahhhh!“ brach es dann aus ihm heraus. Er krümmte sich zusammen, während Tränen sturzbachartig aus seinen Augen schossen. Noch einmal brüllte er röhrend, daß die Leute erschreckt zusammenzuckten und schleunigst aus seiner Nähe verschwanden. Es hörte sich nach dem Urschrei eines Wilden an. „Um Gottes willen“, sagte Smoky verstört. „Hat der Alte dich etwa vergiftet?“ Carberry stöhnte zum Gotterbarmen. Er würgte und hustete, krümmte sich noch mehr zusammen und begann dann zu hüpfen. Sein Gesicht wurde mal dunkelblau, dann wieder knallrot.
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Ziemlich befremdet sahen die Arwenacks ihren Profos an, bis es dem Kutscher endlich dämmerte, daß Carberry ganz sicher kein Wasser getrunken hatte. Er hob das Schälchen hoch und roch daran. Sofort verzog sich sein Gesicht, und die Augen begannen zu tränen. „Eine ganz besonders scharfe Tunke“, sagte er halberstickt. „Das muß das reinste Teufelszeug sein.“ Jetzt reagierte auch der entsetzte Alte. Er nahm eine große Schale mit einer weißlichen Flüssigkeit, setzte sie dem Profos an die Lippen und kippte ihm das Zeug in den Hals. Von da an konnte Carberry auch wieder ein paar Worte von sich geben, wenn sie anfangs auch noch unverständlich klangen und mehr ein Lallen waren. „Ah, das brennt wie Schießpulver“, stöhnte er. „Glühende Holzkohle war das, aber kein Wasser. Warum, bei allen Teufeln, habt ihr mich nicht vor dem Zeug gewarnt?“ „Wir kannten es ja selbst. nicht“, sagte Jan. „Es sah wirklich wie ganz normales Wasser aus.“ Carberry zitterte immer noch und ließ sich zwei aufgeschlagene Kokosnüsse geben, mit deren Milch er seinen malträtierten Hals zu beruhigen versuchte. Doch das scharfe flüssige Gewürz wirkte noch lange Zeit nach. Der Alte nuschelte wieder etwas, das niemand verstand, aber wahrscheinlich sollten das tröstende Worte sein, und so schenkte er dem Profos noch eine große gelbe Frucht auf den Schreck hin. Das melonenförmige Ding unter dem Arm, wackelte der Profos weiter. Hin und wieder stand ihm noch das Wasser in den Augen, und aus seinem Mund drang ein Ächzen. * Der Kutscher und Mac orderten noch ein paar Waren, die ein Händler auf dem Karren zur Schebecke brachte, wobei ihn Mac Pellew begleitete.
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Eine halbe Stunde später war er wieder da und traf auf die anderen, die sich ziellos auf dem Markt herumtrieben. „Geht's wieder besser?“ erkundigte er sich bei Carberry, der noch etwas blaß aussah und offenbar eine riesige Qualle im Hals stecken hatte. „Ein bißchen schon, aber ich habe immer noch das lausige Gefühl, als würde ich von innen her verbrennen.“ „Dann solltest du noch was trinken. Wir können ja noch mal zu dem Alten gehen, der hat herrlich erfrischende Fruchtsäfte.“ „Vielleicht hast du recht. Ich bin ganz ausgetrocknet.“ Doch schon auf dem Weg zum Alten mußte Carberry ein paar Trinkpausen einlegen, denn sein Hals begann wieder zu brennen. Die anderen staunten nur noch, was er alles in sich hineinschüttete. Bei dem Stand des Alten blieben sie schließlich erneut stehen. Der Kerl grinste jetzt bis zu den Ohren, und Carberry gab das Grinsen etwas schwach zurück. Abermals bestellte er eine riesige Schale fruchtigen Saft und trank sie in einem Zug leer. In diesem Augenblick kehrte der Junge zurück. Er trug einen Korb aus Bambus, stellte ihn schnaufend ab, öffnete den Deckel und zeigte stolz auf den Inhalt. Die Arwenacks riskierten einen schnellen Blick und zuckten unmerklich zusammen. In dem Korb lagen mindestens ein Dutzend toter Ratten. „Teufel auch“, sagte Carberry angewidert. „Was will er denn mit den Mistviechern? Hier scheint es ja von Ratten zu wimmeln, obwohl ich noch keine einzige gesehen habe.“ Der Kutscher warf auch einen Blick in den Korb und rümpfte die Nase. „Hier gibt es viele Abfälle“, sagte er, „und das zieht die Biester naturgemäß an. Der Junge kriegt vermutlich so eine Art Belohnung dafür, daß er die Biester wegfängt.“ Der Alte grinste geschäftig, angelte eine Ratte aus dem Korb trennte ihr mit dem Messer Kopf und Schwanz ab. Das Tier wurde ebenso schnell ausgenommen.
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Während die Eingeweide in einem kleinen Korb verschwanden, wurde die Ratte abgepelzt und in einen kleinen Waschzuber getunkt. Der Alte wedelte sie ein paarmal hin und her. Dann legte er sie auf den Tisch. „Jetzt bin ich aber mächtig neugierig“, sagte Smoky mit merkwürdig heiserer Stimme. Der Alte ließ sich in seiner Beschäftigung nicht stören. Sehr eifrig arbeitete er weiter. Das kleine Biest, das jetzt einem Zwerghasen nicht unähnlich sah, wurde gewendet und regelrecht umgekrempelt. Danach reichte ihm der Junge ein paar angespitzte Bambushölzchen, die der Alte geschickt durch die Ratte stach. Die ähnelte jetzt einem Zwerghasen mit kleinen Flügeln. „Heiliger Florian”, flüsterte Carberry erschüttert. „Der wird doch nicht ... Ich meine, wir haben doch nicht etwa ...“ Hilflos starrte er seine Kameraden an. Jan Ranses Hals wurde immer länger. Clint schloß entsetzt die Augen, während Smoky vorsichtig beide Hände auf seinen Bauch preßte. Mac Pellew setzte ein Jammergesicht auf. Er sah aus, als habe er gerade ein paar faule Fische verschluckt. Der Kutscher sog hörbar die Luft ein, sagte aber nichts, sondern sah nur interessiert dem weiteren Vorgang zu. „Merkst du denn nichts?“ fragte Carberry würgend. „Das da sind –sind – äh, ganz verdammte Ratten auf dem Grill.“ Der Kutscher nickte ernsthaft. „Ja, da stimmt, ganz ordinäre Ratten, wie sie sich auch auf der Schebecke tummeln.“ Der freundlich grinsende Alte hatte schon das nächste Exemplar am Wickel und verfuhr damit genauso. Innerhalb ganz kurzer Zeit hatte er vier Ratten abgepelzt und steckte sie über das Holzkohlenfeuer zu den anderen. Wieder drang ihnen ein lieblicher Duft in die Nasen, aber jetzt hatten sie nicht mehr den geringsten Appetit. „Mehr fällt dir dazu nicht ein?“ fragte Carberry erbost. „Dieses Rübenschwein verkauft Ratten und tut so, als seien es
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ausgesprochene Delikatessen. Man sollte ihm die Faust in seinen mickrigen Bart hauen.“ „Wir sind hier in einem anderen Land“, erklärte der Kutscher gleichmütig, „und da gelten auch andere Eßsitten. In Spanien nagen sie an Kastanien herum, die Franzosen bevorzugen Frösche, die Araber Heuschrecken, und hier futtert man eben Ratten:“ „Aber die Viecher haben Flöhe, und du hast selbst mal gesagt, daß sie die Pest übertragen.“ „Stimmt, das habe ich gesagt, Das gilt jedoch nicht, wenn das Fleisch lange gebraten oder gegrillt wird. Dann erledigt sich das mit den Flöhen von selbst.“ „Mir ist kotzübel“, sagte der Profos. „Ich bin zutiefst empört und beleidigt, daß man so einen Fraß vorgesetzt kriegt. Erst serviert mir dieser Rattenmacker das scharfe Zeug, und jetzt habe ich auch noch sein Ungeziefer runter gewürgt.“ „Ich kann es nicht ändern. Allerdings schien es dir ausgezeichnet geschmeckt zu haben.“ „Aber es sind Ratten!“ brüllte Carberry. „Das muß euch doch verdammt sauer aufstoßen. Da hätten wir ja gleich an Bord bleiben und unsere eigenen Viecher auf den Grill stecken können.“ Carberry war verwundert, daß die anderen die Sache ziemlich gelassen hinnahmen, bis auf Mac Pellew, der mal zu dem Alten stierte und dann wieder auf seinen Bauch, wo die Viecher inzwischen bequem lagerten. Jan Ranse zuckte schließlich mit den Schultern und meinte: „Jetzt sind sie erst mal unten, die Biester, und das soll mich auch nicht weiter stören.“ Smoky winkte grinsend ab. „Sie waren delikat, das läßt sich nicht abstreiten. Wenn wir hier nicht noch vorbeigelaufen wären, hätten wir sowieso nichts davon gemerkt. Die anderen Leute mampfen das Zeug ebenfalls.“ Das Bürschchen Clint nahm das alles von der heiteren Seite. „In London haben sie manchmal vor Hunger Jagd auf Ratten veranstaltet und
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konnten gar nicht genug kriegen. Mir hat es nichts ausgemacht.“ „Aber mir verflucht viel“, knurrte der Profos. „In Zukunft werde ich mir alles sehr genau ansehen, was man hier serviert kriegt, und wenn mir einer noch mal so ein Ekelzeug vorsetzt oder verhökert, dann stopfe ich ihm den Bart zwischen die Zähne.“ Brüsk wandte er sich ab und ignorierte die freundlichen Blicke des alten Burschen, der ihnen gern noch mehr Delikatessen verkauft hätte. Doch besonders bei dem Profos stieß er damit auf keinerlei Gegenliebe. In diesem Augenblick kreuzten Paddy Rogers, Jack Finnegan und Luke Morgan auf, die ebenfalls einen morgendlichen Bummel unternahmen. Dem dicken Paddy stand der Hunger im Gesicht, als die vielen lieblichen Düfte auf ihn einströmten. Verzückt starrte er auf die lange Reihe von Ratten auf dem Grill und schnupperte hungrig. „Was ist das für liebliches Fleisch?“ erkundigte er sich. „Ratten“, erwiderte der Profos biestig. „Haha!“ Paddy schlug sich auf die Schenkel und lachte laut. „Der liebe Ed hat immer ein Späßchen auf Lager“, sagte er. „Die sind aber klein, die Dinger.“ „Es sind eben nur mittelgroße Ratten“, erklärte der Profos. „Ohne Kopf und Schwanz ist leider nicht viel dran.“ „Habt ihr denn schon davon gegessen?“ fragte Paddy schnuppernd. „Leider ja, die Viecher stehen mir immer noch bis hier oben.“ Carberry deutete mit der flachen Hand auf seine Unterlippe. „So – so, Ratten“, sagte Luke Morgan. „Merkt ihr nicht, daß Ed uns wieder mal verschaukeln will? Als wenn auf einem öffentlichen Markt Ratten verkauft werden! Da lachen ja die Hühner!“ Der Kutscher und die anderen grinsten still vor sich hin, als Luke, Paddy und Jack sich nach vorn drängten und sogleich etliche der Köstlichkeiten gestenreich bestellten.
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Während sie mit verzückten Gesichtern mampften und kräftig reinhieben, grinsten die anderen, bis ihre Ohren Besuch kriegten. „Schmeckt es?“ fragte Carberry anzüglich. Paddy nickte begeistert. „Und wie, Mister Profos! Aber um satt zu werden, brauche ich mindestens ein Dutzend oder mehr.“ „Oh, der alte Bursche hat genug davon. Der kleine Bengel versorgt ihn laufend mit den Nagern.“ Die Laune Carberrys hatte sich jetzt deutlich gebessert, und es lag auch unverkennbare Schadenfreude in seinem Blick. Schließlich hatte er den Kerlen ja nur die Wahrheit gesagt. Paddy Rogers, an Bord wegen seines Appetites oft gehänselt, vergaß die Welt um sich her und futterte hingebungsvoll weiter. Die anderen wären längst weitergegangen, oder sie amüsierten sich und sahen nur grinsend zu. Inzwischen hatten sich auch Leute aus Surabaja um den Stand geschart und aßen unbekümmert. Der Alte kam mit dem Grillen kaum noch nach. Carberry wartete fast sehnsüchtig auf den Augenblick der Wahrheit, der auch nicht mehr lange auf sich warten ließ. Auf dem Holzkohlenfeuer brutzelten jetzt nur noch ein halbes Dutzend, und das gab es wieder Nachschub, den der Junge brachte. Der Satan mochte wissen, wo er die Viecher immer so schnell besorgte. Luke Morgan blies die Wangen auf, verschluckte sich und wurde kreideweiß im Gesicht. Paddy nagte unermüdlich weiter, aber Jack hörte schlagartig auf zu kauen und runzelte die Stirn. „Das sind ja wahrhaftig Ratten“, sagte Luke entsetzt. „In der Tat“, erwiderte Carberry und blieb diesmal ernst. Der kleine und explosive Luke rülpste laut. Sein Magen drehte sich um, und er wurde noch bleicher. „So eine Schweinerei!“ fauchte er. „Das hättet ihr uns gleich sagen sollen, ihr
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Halunken! Eine Teufelei ist das, von den Kameraden so angeschissen zu werden.“ „Willst du vielleicht eine aufs Maul haben, was, wie?“ fragte Carberry und hielt Luke die Pranke unter die Nase. „Reg dich bloß nicht auf, du Schiffszwerg! Wir haben klar und deutlich gesagt, daß es Ratten sind, oder etwa nicht?“' Luke wich vor dem Monstrum von Faust etwas zurück. „Natürlich haben wir das klar und deutlich gesagt“, äußerte Smoky. „Reg dich jetzt bloß nicht auf und gib uns die Schuld.“ Luke Morgan verstand die Welt nicht mehr. Hilflos blickte er von einem zum anderen. „Ich dachte“, murmelte er kleinlaut, „ihr wolltet uns auf den Arm nehmen.“ „Wir doch nicht“, brummte Carberry etwas versöhnlicher. „Aber du bist ja mißtrauisch durch und durch, du Rattenfresser, und deshalb habe ich dir gleich die Wahrheit gesagt.“ Da war Luke platt und wußte nicht mehr, was er sagen sollte. Ziemlich hilflos starrte er auf den Rest des Bratens und warf ihn schließlich angewidert in den Korb zu den anderen. Paddy wischte sich grinsend die Hände an der Hose ab. „Mir hat's jedenfalls geschmeckt!“ tönte er. „Am liebsten würde ich noch mehr davon verdrücken.“ „Tu dir nur keinen Zwang an“, erwiderte der Profos, „auf dem Schiff kannst du auch noch ein paar Kakerlaken als Nachspeise haben.“ Da ihnen fast allen der Appetit vergangen war, zerstreuten sie sich, schlenderten noch ein bißchen herum und kehrten dann zur Schebecke zurück, wobei sie den Umweg über die alte Pier nahmen, wo die Galeone lag, die schon zu Abrahams Zeiten erbaut worden war. Bill Gordon grinste ihnen entgegen und schwenkte eine Buddel in der rechten Hand. „Da seid ihr ja wieder, Tschentlemänner“, grölte er. „Entert an Bord, wir nehmen jetzt mal einen kräftigen Schluck.“
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Mac Pellew und der Kutscher waren inzwischen weitergegangen, während sich Jack Finnegan, Paddy und Luke noch auf dem Markt herumtrieben. Aber sie wollten gleich nachkommen. Der „Boss'n“, wie ihn seine Kerle nannten, schien sich in der Zwischenzeit einen ansehnlichen Rausch zugelegt zu haben. Es schien auch nicht die erste Buddel zu sein, die er gelenzt hatte. „Auf, an Bord!“ brüllte er, jetzt etwas lauter. „Ich bin gewohnt, daß meine Befehle befolgt werden.“ Mit hochgereckter Buddel wankte er über die Stelling. Der Kerl mit der Augenklappe folgte ihm. 3. Die vier Arwenacks erwarteten die beiden Kerle gelassen. Bill Gordon trug eine Fahne vor sich her, hatte etwas rötliche Augen und wankte leicht. „Wir haben einen Vertrag geschlossen“, sagte er lallend. „Ihr habt versprochen, bei mir anzumustern.“ „Da hast du dich wohl verhört, Mister“, sagte Carberry kühl. „Niemand von uns hat eine feste Zusage gegeben, und wir haben auch nicht die Absicht, auf eurem Schlorren anzuheuern.“ „Ich habe es auch gehört“, sagte Buster, der bullige Mann mit der finsteren Augenklappe. Von oben krähte Leach herunter. „Klar, ihr habt das versprochen!“ „Schlecht hören kann er sehr gut“, sagte Carberry höhnisch. Der Boss'n kriegte schmale Augen. Sein Kinn sprang noch mehr vor, und er musterte die vier Männer so, als wolle er jeden Augenblick mit den Fäusten auf sie losgehen. Rechts von ihm stand der Bulle mit der ausdruckslosen Visage. Das eine Auge blitzte höhnisch. Er ging ein paar Schritte auf Carberry zu und blieb drohend vor ihm stehen. „Los! Der Boss'n hat befohlen, daß ihr an Bord geht. Ich wiederhole es nicht noch mal.“
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„Brauchst du auch nicht“, sagte der Profos. „Aber ich zeige dir gern mal, wer hier was zu befehlen hat.“ Der Bulle wollte zugreifen, aber der Profos konnte auf den Tod nicht ausstehen, wenn ihn ein schmieriger Kerl anpackte. Blitzschnell holte er aus und schlug kurz und trocken zu. Es war nicht der berüchtigte Profoshammer, den er da abfeuerte, aber hinter dem Schlag lag eine unbändige Kraft. Buster wirbelte einmal um seine Achse, wurde zwei, drei Yard zurückgetrieben und setzte sich mit einem Grunzen auf die Pier. Zwei morsche Bretter gaben unter seinem Gewicht nach. Sein rechtes Bein verschwand in der Lücke. Seine Augen waren glasig geworden, und er hatte alle Mühe, sich wieder aufzurappeln. Bill Gordon schluckte, als das Ungetüm so schnell abgeräumt wurde. „Beachtlich“, sagte er trocken und anscheinend halbwegs nüchtern. „Wirklich sehr beachtlich, Mister. Du hast da was in den Fäusten stecken, das mir mächtig imponiert.“ „Deshalb würde ich dir auch raten,. mich nicht anzufassen“, sagte Carberry, „und wenn dein Bulle noch was will, dann dresch ich ihn durch die Pier.“ Der Bulle wollte aber nichts mehr. Er hatte sich endlich erhoben und wackelte mit dem Schädel. Er war immer noch benommen. Doch aus seinem einen Augen starrte er den Profos haßerfüllt an. „Nur keine Feindschaft, Tschentlemänner“, sagte Bill Gordon schnell. „Seht mal, ich habe ein Problem am Hals und weiß nicht mehr weiter. Jeder Tag, den ich hier liege, kostet mich viel Geld, denn die faulen Kerle werden ja nicht von der Luft satt. Ich kann aber ohne Besatzung nicht nach Madura hinüber, wo das Gold direkt am Strand liegt. Bildlich gesprochen natürlich. Es gibt da Perlen geradezu massenhaft. Aber wie soll ich mit ein paar Kerlen dort hinübersegeln?“ „Das ist nun wirklich nicht unser Problem“, erwiderte Smoky mit einem Seitenblick zu dem einäugigen Bullen, der
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reglos und mit gesenktem Kopf auf der Pier stand. „Hier gibt's doch genügend verkrachte Beachcomber, die nur auf eine Chance war„Ihr wollt also nicht?“ Carberry schüttelte den Kopf. „Nein, wir wollen ganz sicher nicht. Außerdem würde ich dir nicht raten, mit dem Schlorren auf See zu gehen. Der läuft keine einzige Meile mehr. Beim kleinsten Kabbelwasser fällt der auseinander. Besorgt euch lieber ein Fischerboot und versucht es damit.“ „Scheiß auf die Ratschläge!“ fluchte Bill Gordon. „Hatte nicht erwartet, daß ihr einen Landsmann im Stich laßt.“ „Die Tour zieht bei uns auch nicht. Wir sind eine komplette und eingeschworene Mannschaft. Bei uns geht keiner für eine Handvoll fragwürdiger Perlen von der Fahne. Hat uns sehr gefreut, Mister.“ „Wir sprechen uns noch!“ rief Gordon den Arwenacks nach. Aber die zuckten nur gleichmütig mit den Schultern und setzten ihren Weg fort. „Bastarde, verdammte!“ knurrte Gordon. „Bring noch eine Buddel an Deck, Leach.“ Mißmutig und übellaunig ging er über die Stelling an Bord zurück und sah den Arwenacks ärgerlich nach. Leach brachte die Flasche, die Gordon sogleich ansetzte. Vor Wut und Enttäuschung trank er sie gleich halbleer, ehe er sie widerwillig an Leach weitergab. „Dieser breite Kerl, der Buster was aufs Maul gehauen hat, der hat mit einem Blick erfaßt, was mit unserem Eimer los ist. Wir müßten schon verdammt großes Glück haben, um nach Madura zu gelangen. Der hat einfach einen Blick dafür. Schade, dass die Bastarde nicht anbeißen.“ „Vielleicht sollten wir wirklich ein Fischerboot nehmen.“ Gordon tippte sich an die Stirn. „Du bist ja bescheuert. Mit einem Fischerboot können wir nichts anfangen, oder hast du schon mal kleine Fischerboote mit ein paar Kanonen an Bord gesehen?“ „Zum Perlenfischen brauchen wir nicht unbedingt Kanonen“, wandte Leach ein. „Die paar Leute auf Madura sind friedlich,
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wie ich gehört habe. Die wollen nur ihre Ruhe.“ Gordon grinste auf infame Art und lachte roh. „Du glaubst doch nicht, daß ich nach Perlen tauche, oder? Dann mußt du wirklich verrückt sein. Leach.“ Leach starrte Buster an, der sich die Beule rieb, die sich in seinem Gesicht abzuzeichnen begann, aber der stumpfsinnige Kerl stierte nur sauer auf das Hafenwasser und sagte nichts. „Wie denn?“ fragte er verunsichert. „Du hat doch gesagt, daß die Muscheln da nur so herumliegen. Man muß sie nur aufsammeln und öffnen, und schon hat man die Perlen.“ „Stimmt, daß es drüben verdammt viele Perlen gibt. Aber die liegen in mindestens acht bis zehn Yard Tiefe, und das ist entschieden zu tief für einen, der nichts davon versteht. Deshalb habe ich vor, die Maduresen danach tauchen zu lassen. Wenn sie nicht wollen, dann üben wir ein bißchen Druck mit unseren Kanonen aus, und dann wollen sie ganz sicher, wenn ihnen erst mal die Hütten um die Ohren fliegen. Kapiert, Mister Leach? Deshalb brauchen wir die Galeone und ein paar Leute ganz dringend.“ Jetzt begann auch Leach zu grinsen. Der Einäugige schloß sich mit einem breiten Lachen an. Seine schlechte Laune war wie weggeblasen. „Das ist gut“, sagte er mit seiner röhrenden Stimme. „Das ist wirklich gut, Boss'n. Wir schießen ein bißchen mit den Drehbassen auf die Leute, wenn sie nicht wollen, und dann wollen sie. Hast du doch eben gesagt, Boss'n, oder?“ „Ja, na klar. Freiwillig will keiner arbeiten, aber die Eingeborenen sind so dämlich, daß sie nicht mal mit Perlen handeln. Sonst hätten wir sie ihnen einfach abgenommen. Ich will und muß da hinüber, und der Teufel soll mich holen, wenn wir das nicht schaffen. Wir werden steinreich sein, wenn wir zurückkehren. Aber jetzt brauchen wir Leute. Ihr beide werdet euch jetzt umsehen. Hier gibt es sicher ein paar Scrimps, die Leute besorgen können. Gebt ihnen ein paar Geldstücke und laßt
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mindestens fünf Kerle an Bord bringen. Egal, was für Kerle das sind, wir werden mit denen schon fertig. Wenn die was von Perlen und Reichtum hören, ist ihr Verstand sowieso hinüber. Später servieren wir sie auf die feine englische Art ab.“ Die beiden anderen freuten sich und rieben sich die Hände. Diese Perlen, die sie noch gar nicht besaßen, hatten ihnen schon längst den Verstand vernebelt. Sie dachten auch nicht weiter. Ihre Überlegungen gingen nur bis zu den Perlen, dann folgte ein dunkler Abgrund. Als die beiden weg waren, hockte sich Gordon am Niedergang in den Schatten und trank in kleinen Schlucken von dem Fusel. Nach jedem Schluck stellte er die Flasche zwischen seine Beine und dachte nach. Hin und wieder reckte er den Hals und warf einen langen Blick zu der Schebecke, wo sich etliche Engländer an Deck tummelten. Ein feines Schiff ist das, überlegte er. Wenn ich so etwas hätte, könnte ich hier den ganz großen Mann spielen. Aber leider war die Schebecke für ihn so weit entfernt wie der Mond. Die Kerle an Bord sahen nicht so aus, als ließen sie sich auch nur schief ansehen. Diesen Sir wollte er allerdings gern mal kennenlernen. Er fragte sich auch, was die Männer hier wohl wollen. Hatten sie etwa das gleiche vor wie er, oder waren auch sie nur von dem ausgebrochenen Goldfieber angelockt worden? Nach einer Viertelstunde war die Buddel leer, und er stand schwankend auf, um eine neue zu holen. Den Korken zog er mit den Zähnen heraus und spie ihn über Bord. Die Hitze und der Alkohol setzten ihm immer mehr zu. Dennoch trank er weiter, bis alles vor seinen Augen im Nebel verschwamm. Vor ihm tauchten undeutliche und verzerrte Bilder auf, Eindrücke, die noch nicht lange zurücklagen. Da waren er, Leach und Buster noch auf einer englischen Galeone gefahren, die zur Erkundungsfahrt in Richtung der
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Molukken unterwegs war. Leider brach dann bei einer wüsten Sauferei ein Streit aus, und da hatten sie den Ersten und Zweiten Offizier angegriffen. Wegen Aufruhr, Disziplinlosigkeit und tätlichen Angriffen auf Vorgesetzte hatte es für jeden fünfzig Hiebe mit der Neunschwänzigen gegeben. Zwei Tage später hatte sie der Kapitän auf einer der vielen kleinen Inseln aussetzen lassen, weil sie noch einmal aufgemuckt hatten. Auf dem Eiland war es ihnen ziemlich dreckig ergangen, bis ein altersschwaches Galeönchen mit vier halbtoten Kerlen an die Insel gespült wurde – überlebende Beachcomber und Abenteurer, die sich hoffnungslos verirrt hatten. Der alte Kasten wurde notdürftig geflickt und schaffte es gerade noch bis Surabaja, wo er seitdem im Hafen lag und keiner sich so recht traute, mit dem Eimer auszulaufen. Dann hatten sie erfahren, daß es hier Gold geben solle, Gold und Perlen, wie ein alter Mann verraten hatte. Die Perlen aber gab es drüben auf Madura in dem Ort Sampang an der südlichen Küste. Dieses Wissen hatte inzwischen zwei Kerlen das Leben gekostet. Man fand sie erstochen in einer der schmutzigen Hafengassen auf. Der eine hatte noch ein rostiges Messer im Rücken stecken. Bill Gordons Gedanken schwammen wild und chaotisch durcheinander. Jetzt war er hier, um ebenfalls ein Stück von dem großen Kuchen zu erhaschen. Irgendwann mal, so hoffte er, würde er als reicher Mann nach London zurückkehren, um sich zur Ruhe zu setzen und das Leben zu genießen. Der Reichtum lag praktisch vor seiner Nase. Er brauchte nur zuzugreifen, und schon war er ein reicher Mann. Der Fusel nebelte ihn ein und gaukelte ihm ein Leben in Saus und Braus vor. Im Geiste sah er sich mit einer vergoldeten Kutsche durch London fahren. Irgendwann, er war längst vom Fusel so betrunken, daß er eingenickt war, hörte er die Kerle kommen. Sie schienen ebenfalls
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dem Reisschnaps kräftig zugesprochen zu haben, denn Buster stolperte über die Planken und fiel der Länge nach hin. Leach konnte sich auch nicht mehr auf den Beinen halten, und so leisteten beide Bill Gordon Gesellschaft. Die anderen Kerle waren noch nicht zurück und wahrscheinlich irgendwo versackt. Bevor ihn der Alkohol wieder umnebelte, sah er noch, daß ein paar Kerle angeschleppt wurden. Zwei braunhäutige Burschen warfen sie einfach auf die Planken und verlangten ein paar Münzen. Gordon fischte in seinen Taschen herum und bezahlte die Scrimps, die ihm wenigstens ein paar Kerle gebracht hatten. Als er wieder aufwachte, stand die Sonne hoch am Himmel, und eine drückende Hitze lag über Surabaja. An Deck lagen außer Leach und Buster fünf weitere Kerle kreuz und quer durcheinander. Bill Gordon jagte seine beiden Kumpane mit Fußtritten hoch, bis sie dösig auf den Beinen standen. „Kümmert euch mal um die Kerle“, sagte er rauh. „Die hat man vorhin gebracht, und vermutlich sind sie total besoffen. Sperrt sie in die Piek, bis sie nüchtern sind. Aber behandelt sie anständig, ich will sie schließlich an Bord behalten.“ „Für die haben wir schon bezahlt“, sagte Leach. „Da haben die Kerle also ihr Wort gehalten.“ „Verdammt, ich habe auch noch mal bezahlt!“ schrie Gordon. „Die Halunken haben also doppelt kassiert!“ Er ärgerte sich maßlos darüber, aber zumindest hatte er jetzt fünf weitere Männer an Bord, und wenn alle kräftig an den Pumpen arbeiteten, konnten sie es vielleicht nach Sampang hinüber schaffen. Jetzt mußten die Burschen aber erst auf Vordermann gebracht werden, damit sie kapierten, wer hier das Sagen hatte. Bill Gordon wischte sich über die Augen und trat näher an die reglosen Gestalten heran. Verblüfft starrte er eine von ihnen an. „Was ist das denn?“ fragte er fassungslos.
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Einen der fünf Kerle konnte er gleich vergessen, denn das war keiner. Es war nichts weiter als eine primitive Strohpuppe, der man ein löcheriges Hemd und eine schmuddelige Hose übergezogen hatte. Von weitem sah sie zwar wie ein mickriger Mann aus, und wenn man betrunken war, so wie er in der Nacht, konnte man die Vogelscheuche erst recht für einen schlafenden Menschen halten. Er fluchte laut und ordinär, hob den Strohkerl an, trat wütend nach ihm und feuerte ihn über die Planken. „Diese verdammten Bastarde!“ brüllte er, außer sich vor Wut. „Die wußten offenbar genau, daß ich etwas benebelt war und haben den richtigen Augenblick abgewartet. Kassieren einfach für eine Vogelscheuche. Purrt die anderen jetzt hoch!“ Die nächste Überraschung folgte augenblicklich. * Leach schnappte sich torkelnd eine Pütz und hievte Wasser hoch. Mit einem Ruck kippte er es über die Kerle. Ein kleiner, braunhäutiger Bursche öffnete die Augen und zwinkerte. Er war so dürr und mager, daß Gordon seine Knochen klappern hörte, als er sich bewegte. Das war kein Mann, das war nicht mal ein Halbwüchsiger. Das Kerlchen war höchstens zehn Jahre alt, wenn nicht jünger, und sie hatten ihm offenbar etwas in ein Getränk gekippt, denn er stank meilenweit nach billigem Fusel. Er versuchte aufzustehen, fiel jedoch gleich wieder mit glasigen Augen auf die Planken zurück. Gordon riß ihn hoch und gab ihm eine Ohrfeige. Der Winzling geriet nach dem harten Schlag augenblicklich in Bewegung. Er schrie laut auf, rieb sich die Wange und brüllte so wild, als würde er abgestochen. Mit ein paar schnellen Sätzen rannte er über die Stelling auf die Pier, kreischte dabei immer noch und sprang von der Pier
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aus ins Hafenwasser, das über ihm zusammenschlug. Gordon sah ihn wieder auftauchen, wie er zur anderen Seite des Hafens schwamm und dort auf das flache Ufer zuhielt. Er war jetzt stocknüchtern und preßte die Zähne zusammen. Eine unbeschreibliche Wut erfüllte ihn, daß man ihn so schmählich betrogen hatte. Er rannte zu den drei restlichen Kerlen, und als die sich trotz des Wassers nicht bewegten, trat er dem ersten von ihnen brutal in die Kehrseite. Der Kerl rollte ein Stück zur Seite und rührte sich nicht. „Stockbesoffen, der Bastard!“ brüllte Gordon. Er trat noch einmal zu — mit dem Erfolg, daß der abgefledderte Kerl abermals ein Stück weiterrollte. In merkwürdig verkrampfter Stellung blieb er dort liegen. Gordon riß in seiner Wut einen Belegnagel aus der Nagelbank und drosch ihm den Kerl hart ins Kreuz. Wieder erfolgte nicht die geringste Reaktion. „So besoffen kann gar keiner sein“, sagte Leach. „Wir hauen ja auch mal ordentlich einen drauf, aber wenn du dann einen Belegnagel ins Kreuz kriegst, dann bist du ganz schnell wach.“ „Kümmer du dich um ihn, Buster!“ herrschte Gordon den Bullen an. Der riß den Mann hart hoch und versuchte ihn auf die Beine zu stellen. Aber er ließ ihn sofort wieder los, als hätte er sich die Finger verbrannt. „Was ist los?“ schnappte Gordon heiser. „Der – der Kerl ist tot, Boss'n.“ „Tot?“ wiederholte Gordon. „Der kann doch nicht von dem kleinen Schlag gleich tot sein.“ Auch Leach betrachtete das verkrümmte Individuum etwas genauer. „Der ist schon länger tot“, sagte er. „Der Kerl verpestet die Gegend. Der stinkt schon.“ Gordon starrte den Mann fassungslos an. Er hatte die Augen halb geöffnet. Der Blick war trübe und glasig. Der Mann gab
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keinerlei Lebenszeichen von sich. Er war tatsächlich tot. „Und die beiden anderen?“ Seine Frage war wie ein Hauch. Leach und Buster untersuchten die beiden anderen. Sie waren ebenfalls mausetot. Der eine hatte eine Schußwunde im Rücken, dem anderen hatte man offenbar das Genick gebrochen, denn sein Schädel pendelte haltlos hin und her, als sie ihn schüttelten. Gordon lachte stoßartig. Er schüttelte immer wieder den Kopf, weil man ihn so hereingelegt hatte. „Fünf Kerle“, zählte er auf. „Einer ist eine Strohpuppe, der andere ein Säugling, und die drei anderen sind schon mindestens ein oder zwei Tage tot. Die haben uns aber fein angeschissen, diese Bastarde. Würdet ihr die Kerle wiedererkennen?“ „Ich glaube nicht“, sagte Leach ehrlich. „Wir haben sie in einer Kneipe am Hafen getroffen, und sie versprachen, sofort Leute zu besorgen, wenn wir etwas springen ließen.“ „Den einen würde ich erkennen“, sagte Buster. „Er hatte nämlich eine Narbe an der Nase. Da hat ihn mal ein Messer erwischt.“ Leach nickte jetzt zögernd. „Ja, das stimmt. Aber die Kerle werden sich ganz bestimmt nicht in der Kneipe sehen lassen, weil sie sich ausrechnen können, was dann mit ihnen passiert.“ Gordon starrte finster auf die drei toten Männer an Deck. Er rümpfte die Nase, denn der Verwesungsgeruch bei dem einen war bereits unverkennbar. Die tropische Hitze und die feuchte Luft taten ein übriges. „Wir werden eine Menge Ärger kriegen“, sagte er leise, „wenn die Toten hier nicht bald verschwinden. Möchte bloß' wissen, wo sie die Kerle her haben.“. Leach zeigte zum Ende des Ortes, wo es einen verwahrlosten Friedhof gab. Davor stand ein aus Backsteinen erbautes kleines Gebäude. „Von dort haben sie sie hergebracht. Da werden die abgenippelten Kerle immer
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hingelegt, um sie dann später zu beerdigen.“ Bill Gordon lachte wieder ärgerlich auf. „Überlegt euch, wo wir die Kerle abladen können, ohne daß es auffällt. Wenn die hier jemand an Bord sieht, unterstellt man uns noch, daß wir sie abgemurkst haben.“ „Über Bord schmeißen“, sagte Buster, weil das für ihn die einfachste Lösung war. „Idiot! Dann treiben sie im Hafenbecken herum. Ist ja nicht gesagt, daß sie sofort untergehen.“ Leach sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. Er blickte auch zur Schebecke hinüber, aber sie war so weit entfernt, daß man ihr Tun kaum bemerken würde. „Was glotzt du denn dauernd so?“ fuhr Gordon ihn an. „Überlege gefälligst, wie wir sie von Bord schaffen können.“ „Über Bord ist die einzige Möglichkeit“, sagte Leach. „Aber nicht so, wie Buster das vorhat. Wir beschweren die Toten jeweils mit einer Eisenkugel. Damit sind sie verschwunden, oder hast du etwa vor, sie zu der Leichenkammer zurückzutragen?“ „Natürlich nicht. Wie tief ist das Wasser hier?“ Leach beugte sich über das Schanzkleid und versuchte auf den Grund zu blicken, doch da war alles trübe und dreckig. Abfälle vom nahen Markt und anderer Unrat von Fischern und anderen Schiffen trieb herum. Buster holte eine Leine, beschwerte sie mit einem Marlspieker und warf sie über Bord. „So um die vier Yard“, sagte er, als er die Leine wieder hochzog und die Länge abschätzte. „Das würde reichen.“ „Und außerdem haben wir Ebbe“, setzte Lech hinzu. „Da steigt die Brühe nochmals um einen Yard. Später nimmt der Ebbstrom die Toten sicher mit und spült sie ins Meer hinaus.“ „Ja, das ist wahrscheinlich die beste Lösung“, sagte Bill Gordon zustimmend. „:Öffnet schon mal die Pforte im Schanzkleid, damit es von weitem so aussieht, als seien wir beschäftigt.“ Die Pforte wurde geöffnet, damit sie die Körper nicht über den Handlauf des
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Schanzkleides hieven mußten. Anschließend wurden ein paar eiserne Kanonenkugeln geholt. Gordon peilte durch seinen rostigen Kieker, aber es gab keine unliebsamen Zuschauer, wie er feststellte. Inzwischen beschwerten Leach und Buster die eine Leiche mit der Kanonenkugel und banden sie ihr ans Bein. Unter den Armen zogen sie dem Toten eine Leine durch und nahmen sie doppelt, um sie anschließend wieder heraufziehen zu können. „Diese verdammten Halunken!“ schimpfte Gordon immer wieder. „Die müssen mindestens dreimal gelaufen sein, um die Kerle hier abzuladen. Möchte mal wissen, wie die das bei helllichtem Tag geschafft haben, mit ein paar Toten durch die Stadt zu spazieren. Aber vermutlich haben sie so getan, als seien das ihre völlig bezechten Kumpane.“ „Sollen wir jetzt?“ fragte Buster rülpsend. Der Fusel stieg ihm wieder hoch. „Ja, jetzt“, sagte Gordon und blickte sich wieder um. Sie schoben den leblosen Körper vorsichtig über Bord an der Seite, die dem Ort abgewandt war. Von hier aus waren nur das Meer und ein paar kleine Fischerboote zu sehen, die am Hafeneingang an Pfählen vertäut waren. Das Gewicht der Eisenkugel zog den Toten nach unten, bis er den Grund erreichte. Buster ließ die Leine fahren, und Leach holte sie wieder ein. „Den ersten sind wir los“, sagte Gordon erleichtert. „Jetzt brauchen nur noch die beiden anderen zu verschwinden.“ Mit dem zweiten Mann verfuhren sie auf die gleiche Art. Auch er verschwand von der Bildfläche und sank auf den Grund des Hafens hinunter. Mit dem dritten gab es allerdings Schwierigkeiten, denn gerade als sie ihm die Kugel ans Bein banden, fuhr Gordon schnell herum. „Hört auf ! Da ist schon wieder dieser lausige Hafenmensch. Sieht so aus, als will er zu uns.“ „Der Hundesohn will Liegegebühren kassieren“, knurrte Leach. „Dauernd kreuzt
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er hier auf. Man sollte ihn ebenfalls gleich zu den Fischen schicken.“ „Lehnt den Toten ans Schanzkleid neben dem Niedergang“, sagte Gordon. „Ich hole inzwischen ein paar Münzen, damit der Kerl wieder verschwindet und uns in Ruhe läßt.“ Der Hafenmensch, ein kleiner hellhäutiger Mann, dessen Vater Holländer und dessen Mutter Indonesierin war, näherte sich bereits der altersschwachen Galeone. Er war ein hartgesichtiger Mann mit stechenden Blicken und von verschlagener Art. Ohne zu grüßen, ging er über die Stelling und hielt die Hand auf. „Eigentlich müßtet ihr das Doppelte zahlen“, sagte er. „Jeden Tag kann dieses mistige Ding absaufen, und dann habe ich Scherereien am Na, wie ist es?“ Gordon gab ihm widerwillig ein paar Münzen in die offene Hand. „Eine Unverschämtheit, dauernd zu kassieren“, murrte er. „In anderen Häfen zahlt man nur einmal und hat dann seine Ruhe.“ „Dann sucht euch einen anderen Hafen.“ Die Münzen verschwanden in der Hosentasche, und der Hafenmensch wollte gerade ebenso grußlos das Schiff verlassen, als ein Blick auf den Kerl am Schanzkleid fiel. Der hatte die Augen geschlossen und den Mund etwas geöffnet. Die Hände lagen auf den Planken, und er sah ein bißchen gelblich aus. „Na so was“, sagte der Hafenmensch erstaunt. „Vorgestern abend wurde dieser Kerl erstochen, und jetzt hockt er plötzlich hier an Bord herum. Könnt ihr mir das vielleicht mal erklären?“ Gordon faßte sich schnell, nur Buster stierte den Hafenmenschen an und riß das Maul auf. „Davon weiß ich nichts“, sagte Gordon schnell. „Wenn er erstochen wurde, wird er sich ja kaum bei mir an Bord einfinden. Oder hast du schon mal gehört, daß Leichen auf einem Schiff anheuern?“
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„Vielleicht auf einem Seelenverkäufer wie eurem hier. Da würde ich nicht mal als Leiche anheuern.“ Unverwandt hielt der Hafenmeister, während er sprach, den Blick auf den Toten gerichtet. Gordon und Leach warfen sich einen hilflosen Blick zu, nur Buster stand weiter mit hängenden Armen und blödem Gesichtsausdruck da. Der Hafenmensch trat näher und bückte sich. „So eine Ähnlichkeit“, staunte er. „Ich würde meinen Kopf dafür verwetten, daß er es ist.“ Gordon war schon drauf und dran, die Angelegenheit aufzuklären, doch der tückische und verschlagene Kerl würde ihnen sicher Schwierigkeiten bereiten und noch mehr Geld verlangen. Außerdem konnten sie nicht beweisen, daß man ihn gebracht und sie dabei betrogen hatte. „Vielleicht ist es ein Bruder von ihm“, sagte er. „Jedenfalls ist er so besoffen, daß er nicht stehen kann.“ „Wo hat er sich denn so besoffen?“ fragte der Hafenmensch lauernd. „Hier an Bord“, knurrte Leach. „Da drüben liegt ja noch die Buddel. Der Kerl ist randvoll abgefüllt.“ „Jedenfalls jage ich ihn wieder von Bord, sobald er aufwacht“, sagte Gordon. „Solche Säufer kann ich in der Mannschaft nicht dulden.“ Der Hafenmensch warf noch einen letzten Blick auf die Leiche, als er sich endlich abwandte. „Wenn hier was faul ist, könnt ihr was erleben“, drohte er. „Ich habe hier schon Ärger genug mit all dem Gesindel. Wie lange habt ihr noch vor, zu bleiben?“ „Ich brauche nur noch ein paar Leute. Sobald ich die habe, verschwinden wir, sonst bin ich bei dem täglichen Bezahlen bald Pleite.“ Der Hafenmensch lachte nur verächtlich. Er wandte sich grußlos ab und verschwand über die Stelling. Die drei Kerle atmeten erleichtert auf, als er endlich weg war. Sie sahen noch, daß er Kurs auf die Schebecke nahm.
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Erst viel später ließen sie den Toten unauffällig verschwinden. 4. Die Arwenacks waren inzwischen bis auf die Zwillinge, Bob Grey und Gary Andrews wieder an Bord versammelt, als Old O'Flynn den Hafenmeister entdeckte, der sich ihnen näherte. Der verschlagene Kerl grinste hart. Auf das Grüßen verzichtete er grundsätzlich. Vielleicht hielt er alle Höflichkeitsformen für überflüssig. Er wollte über die ausgebrachte Stelling an Bord, ohne zu fragen, ob es gestattet sei, aber auf der Stelling hatte sich der Profos Edwin Carberry niedergelassen, und an dem führte kein Weg vorbei. „Platz da!“ schnarrte der Kerl, der sich für den Nabel der Welt hielt. Der Seewolf lehnte beidhändig am Schanzkleid und sah den Mann an. Als der Profos sich nicht rührte, wurde er giftig. „Ich habe gesagt, du sollst die Stelling freigeben! Oder hörst du mit deinen großen Ohren schlecht?“ „Hat da 'ne Kakerlake gehustet?“ fragte Carberry. „Scheint etwas heiser zu sein, das Tierchen. Vielleicht hat es was an der Lunge.“ Carberry grinste zwar bei seinen Worten, doch es war ein Grinsen, das nichts Gutes verhieß. „Was wollen Sie?“ fragte der Seewolf grob. „Ich will an Bord, um zu kassieren“, sagte der Mann kalt. „Ihr liegt jetzt den zweiten Tag hier. Bezahlt wird für jeden Tag, sonst verschwindet ihr bei Nacht und, Nebel.“ „Wir haben gestern eine Dublone bezahlt“, sagte Hasard. „Eine ganze Dublone, Meister. Morgen früh segeln wir weiter. Das war eine großzügige Bezahlung für zwei Tage Liegezeit. Dafür können wir mehr als einen ganzen Monat hier liegen.“ „Nicht in meinem Hafen“, sagte der Kerl unverfroren. „Hier kostet es für Schiffe eurer Größe jeden Tag eine Dublone.“ „In seinem Hafen“, wiederholte Ferris Tucker. Er hielt eine überlange Axt in
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seinen Pranken und hatte damit gerade an einem Kantholz gearbeitet. „Den Hafen steckt er abends bestimmt in die Tasche, damit ihn keiner klaut. Das hier einen Hafen zu nennen, ist allein schon eine infame Frechheit. Das ist bestenfalls ein Jauchefaß.“ „Ihr bezahlt, oder ihr verschwindet!“ brüllte der Mann. Hasard blieb die Ruhe selbst. Sie hatten schon viele korrupte Hafenmeister kennengelernt, die Liegegeld in die eigene Tasche verschwinden ließen und für den Hafen keinen Handschlag taten. Er dachte nicht im Traum daran, dem Kerl noch eine Dublone zu geben, schon aus prinzipiellen Gründen nicht, denn Kerle dieser Art wurden dadurch nur noch unverschämter, frecher und arroganter. „Wir haben bezahlt“, sagte Hasard, „und wir verschwinden morgen vormittag. Sonst noch was, Meister?“ „Wenn Sie nicht bezahlen, kehre ich mit der Stadtgarde zurück und lasse das Schiff beschlagnahmen.“ Auch die Drohung zog bei Hasard nicht. „Einverstanden“, sagte er kalt. „Sie bezahlen also?“ „Absolut nichts, keinen Taler. Ich bin nur damit einverstanden, daß Sie das Schiff beschlagnahmen oder hier mit Ihrer Garde anrücken. Sie können es immerhin versuchen, doch werden Sie sich anschließend nach einer neuen Stadtgarde umsehen müssen. Diese sechs Culverinen, die Sie hier sehen, sind mit Siebzehnpfündereisenkugeln geladen, und in den Drehbassen steckt grob gehacktes Blei. Ihr Hafen wäre innerhalb kürzester Zeit ein armseliger Trümmerhaufen, von Ihrer Stadtgarde ganz abgesehen.“ Der Kerl schluckte sichtbar. Sein Adamsapfel hüpfte nach oben und blieb in der Stellung hängen, als habe er was verschluckt. „Jaja“, sagte der Profos und drehte dabei Däumchen, „die lieben Stadtgardisten. Die würden sicher mit angesengten Affenärschen herumrennen, die Ärmsten.“ Er sah den Hafenmeister an und grinste bösartig. „Du hast gerade das richtige Maß
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für unsere Culverinen. Wie wär's, wenn wir dich in so ein Rohr stecken und hinüber nach Madura feuern? Wir nehmen natürlich die doppelte Pulvermenge, damit du auch heil da drüben anlangst.“ Er stand auf und rieb sich die Hände. „Das ist überhaupt die Idee“, setzte er hinzu. „Einen so dürren Hafenmeister haben wir noch nie verfeuert. Der letzte war verdammt dick, und den mußten wir erst in die richtige Form mangeln, bis er ins Rohr paßte. Bei dir brauchen wir das nicht.“ Als Carberry seine mächtigen Pranken ausstreckte, hielt der Kerl das nicht mehr für einen Witz. Der Narbenmann sah so grimmig und unheilvoll aus, als würde er das liebend gern tun. „Piraten!“ kreischte er entsetzt. „Mörder!“ Er raste so schnell über das letzte Ende der Stelling, daß er sich fast überschlug. Wie vom Affen gebissen, sauste er über die Pier, ohne sich noch einmal umzusehen. Erst viel weiter hinten blieb er einmal schnaufend stehen, um einen Blick zurückzuwerfen. Er wollte drohend die Faust heben, unterließ es aber, als er sah, daß der Narbenmann sich anschickte, ihm nachzusetzen. Sie sahen nur noch seine Hacken, als er hinter einem Haus verschwand. Von da an sahen sie ihn nie mehr wieder. Die Arwenacks lachten hinter ihm her, und es war ein fürchterliches und schauriges Lachen, das da an Bord erklang. „So ein lausiger Mistkerl“, sagte Ferris Tucker. „Jeder versucht es eben auf seine Weise, sich zu bereichern. Dabei sind wir bestimmt nicht von der geizigen Sorte.“ „Am meisten Angst hat er wohl vor Ed“, sagte Smoky. „Unser Profos hat ja nun auch mal ein tolles Profil.“ „Stimmt“, äußerte Carberry grinsend, „aber von der anderen Seite sehe ich noch besser aus.“ Der Kutscher grinste nur, sagte diesmal aber nichts. Carberry hatte nun mal seine eigenen Sprüche. „Im Laufe des morgigen Vormittags segeln wir los“, sagte der Seewolf. „Heute abend gibt's noch mal Ausgang, und dann
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heimwärts über den Pazifik. Wie steht es mit unseren Vorräten, Kutscher?“ „Es ist alles an Bord, Sir, was wir die nächste Zeit brauchen. Die Händler haben alles angeliefert, auch frisches Fleisch. Mac und ich haben gerade besprochen, ob wir heute ein indonesisches Reisgericht auf die Back bringen sollen.“ „Wir haben dafür alle Zutaten“, versicherte Mac Pellew. „Hört sich gut an. Einverstanden, dann zaubert mal was zusammen. Wir lassen uns gern überraschen.“ Die beiden Köche verschwanden in der Pantry. Clint Wingfield schloß sich ihnen wie selbstverständlich an, um zu helfen. „Und ihr anderen Kanalratten hängt hier nicht so müde rum“, sagte Carberry. „Vielleicht habt ihr noch nicht gemerkt, daß hier eine Affenhitze herrscht und der Staub bereits yardhoch auf den Planken liegt. Der Schlorren sieht aus wie eine Wanderdüne. Wir wollen aber mit einem sauberen Schiffchen weitersegeln, damit niemand glaubt, er sei in der Wüste, wenn er uns unterwegs begegnet. Klammert eure Gichthaken um die Pützen und wässert das Schiffchen.“ Der yardhohe Staub war natürlich stark übertrieben, denn die Schebecke sah so sauber aus wie immer. Mit der Hitze hatte der Profos allerdings recht. Es war wirklich eine Affenhitze, die kaum auszuhalten war. Also schnappten sie sich Pützen, hievten Wasser und gossen es in die große Balje, wobei Carberry mit Argusaugen alles überwachte. „Gehst du heute abend mal mit auf einen kleinen Schluck, Sir?“ fragte er den Seewolf. „Da soll es eine feine Kneipe geben. Roter Mond von Surabaja oder so heißt die Pinte. Wir sind schon mal dran vorbeigelaufen. Sieht bei Tag nicht besonders einladend aus. Aber abends scheint da was los zu sein.“ „Sehr bedenklich, wenn du an einer Kneipe vorbeiläufst“, erwiderte der Seewolf. „Du willst doch nicht schon wieder auf frommen Pilger umsatteln?“ „Ich hatte das schon oft ernstlich vor, Sir“, sagte der Profos, ohne rot zu werden und
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mit weltentrücktem Blick. „Aber es ist ein unglaubliches Handicap dabei. Verlange ich in einer Pinte freundlich Buttermilch und Apfelkuchen, werde ich dämlich angeglotzt. Hat natürlich kein Wirt, bei meiner Ehre.“ „Stimmt“, erwiderte Hasard mit unbewegtem Gesicht. „Findet man nur selten in den Hafenkneipen.“ „So ist es. Da bleibt einem denn wahrhaftig nichts anderes übrig, als wieder Bier und Rum zu schlucken. Ein ewiger Kreislauf, bei dem man fast verrückt werden könnte.“ Hasard nickte tiefsinnig. „Wirklich eine Schande, Ed. Da hat man nun den guten und ehrlichen Willen, aber die Welt ist verdorben und läßt keine Selbstbescheidung zu. Ich glaube, auch in dieser Kneipe wirst du weder Buttermilch noch Apfelkuchen kriegen.“ „Oder Honigplätzchen mit warmer Milch“, sagte Carberry. „Auch das kaum. Aber um deine Frage zu beantworten: Ich gehe heute abend selbstverständlich mal mit. Notfalls wirst du eben wieder mit einem Schluck Bier und Rum vorlieb nehmen müssen.“ Der Profos seufzte tief, weil die Welt so verdorben war, und weil man ihm weder Milch noch Apfelkuchen anbieten wollte. Inzwischen dampften die Planken der Schebecke, als immer mehr Wasser ausgeleert wurde, bis nichts mehr an eine Wanderdüne erinnerte. Danach, es war jetzt später Nachmittag und die Sonne neigte.. sich dem westlichen Horizont zu, gab es das vom Kutscher versprochene indonesische Reisgericht. Es wurde an Deck serviert, und es sah so einladend aus und duftete so verführerisch, daß den Seewölfen das Wasser im Mund zusammenlief. Unzählige Kummen wurden an Deck gebracht, die alle mit Köstlichkeiten gefüllt waren. Es gab gekochtes Hühnerfleisch mit Reis, Krabben und Krebsen, scharf gewürzt mit Coriander, Kümmel und Chilischoten. Lammfleisch war in kleine Würfel geschnitten worden, Fisch, halbierte Eier in
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scharfer Sambalsoße. Als Beilage gab es winzige Gurken, Zwiebeln, Maiskolben, Sojabohnen und Mangopflaumen in kalter Soße. Auch die anderen Gemüsesorten hatten der Kutscher und Mac nicht vergessen. Dazu gab es Kokosmilch mit Arrak. Kaum war das Essen beendet, als der Kutscher und Mac sich empfahlen. Sie wollten schnell zum großen Markt, der jetzt noch einmal nach der größten Hitze für zwei oder drei Stunden geöffnet war. Der Kutscher murmelte etwas von hervorragenden Köstlichkeiten, die er entdeckt hatte und unbedingt noch besorgen wollte. „Ein rühriges Kerlchen unser Kutscher“, lobte Carberry, nachdem er gesättigt war. „Das muß man ihm lassen und neidlos anerkennen. Er reißt sich für die Mannschaft glatt ein Bein aus, und er versteht es, Gerichte zu zaubern, daß man gar nicht genug kriegen kann. Jetzt ist er schon wieder unterwegs. Nicht zu fassen. Ich werde ihn später zu einem kräftigen Schluck einladen. So was muß mal belohnt werden.“ Hasard räusperte sich dezent. Er schob die Kumme von sich und setzte sich auf die Kuhlgräting. „Ich dachte, du hast dich auf Milch und Kuchen umgestellt, Ed. So ähnlich habe ich das wohl verstanden. Oder sagtest du nicht, du wolltest in der Pinte so etwas verlangen?“ Carberry grinste ganz infam. „Aber sicher doch, Sir. Ich selbst halte mich zurück, das werde ich euch beweisen und mit gutem Beispiel vorangehen. Das andere gilt nur für den Kutscher; Der kann sich an Rum und Bier oder Arrak laben, während ich mich bescheiden werde.“ Etliche andere hatten das Gespräch vorhin ebenfalls mitgekriegt und grinsten jetzt. „Das ist doch ein ausgekochtes Schlitzohr“, sagte Big Old Shane. „Der weiß ganz genau, daß er weder Milch noch Kuchen in einer Hafenkneipe kriegt, aber er schindet damit mächtig Eindruck. Hinterher muß er dann bedauerlicherweise
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wieder Bier und Schnäpse schlürfen, der Arme.“ Die anderen grinsten nun ebenfalls, denn Carberry stolzierte an Deck herum wie ein armer Wanderasket, der allen Verlockungen dieser Welt abgeschworen hat. Später kehrten dann auch der Kutscher und Mac zurück. Jeder schleppte einen Sack auf dem Rücken, in dem sich ganz ausgefallene Früchte befanden. Auch besonders scharfe Gewürze hatten die beiden noch ergattert. 5. Am Abend, im Hafenviertel von Surabaja brannten Ölfunzeln in den Hütten und Häusern, war ein Trupp Arwenacks unterwegs. Hasard blieb vor dem Holzschild stehen und sah es sich an. Der rote Lampion daneben wurde von einem warmen Südwind bewegt und schaukelte hin und her. Gelächter war zu hören, dazwischen das schrille Kreischen eines liederlichen Frauenzimmers. „Sehen wir uns den Laden mal an“, sagte Don Juan, der neben dem Seewolf stand. Er stieß die windschiefe Tür auf und trat ein. Die Kneipe war größer, als sie von außen vermutet hatten. Um diese Zeit war sie etwa zur Hälfte besetzt. Hinter der Theke stand ein blondhaariger Bulle mit kurzen Haaren. Die Ellenbogen hatte er behäbig aufgestützt und blickte in die Pinte. Kein Zweifel, daß es ein Holländer war, wie Hasard mit einem Blick feststellte. Auch die zwei Schankknechte waren zweifelsfrei Holländer, gescheiterte Existenzen, die auf den Molukken nicht Fuß gefaßt und jetzt das Beste aus ihrer Situation gemacht hatten. Etwa zwei Dutzend Leute bevölkerten die Pinte. Etliche Nischen waren durch Glasperlenvorhänge voneinander getrennt. Hasard steuerte einen langen noch freien Tisch an, nachdem ihn der Wirt schnell,
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aber sorgfältig gemustert hatte. Auch die anderen Seewölfe sah er interessiert an. Gerade als Hasard sich setzen wollte, stieß ihn Don Juan an. „Sieh mal dort drüben“, raunte er. „Das ist doch die nette Lady, die wir vorgestern angekettet in einer Jolle gefunden haben. Und die beiden Kerle sind ihre italienischen Begleiter.“ „Tatsächlich“, sagte Hasard. „Ireen Williams hieß sie. Wie man sich wiedersieht.“ Die Frau, ihr Alter mochte zwischen zwanzig und dreißig Jahren liegen, war hellblond mit schulterlangen Haaren, die jetzt sorgfältig gekämmt waren. Sie trug auch noch ihren knöchellangen roten Rock. Ireen Williams hatte die Arwenacks offenbar nicht bemerkt, die ihr und ihren beiden Begleitern das Leben gerettet hatten. Vielleicht tat sie aber auch nur so. Sie waren aus dieser Frau ohnehin nicht so recht schlau geworden. Jetzt war sie eifrig in ein Gespräch mit Bill Gordon vertieft, der ihr immer wieder die Hand auf ihren Handrücken legte und eindringlich auf sie einredete. „Der Tschentlemän von der antiken Galeone“, sagte Carberry. „Na, da haben sich ja die richtigen Glücksritter eingefunden.“ „Du kennst die Kerle?“ fragte Hasard. „Wir hatten heute früh das Vergnügen. Dem Kerl mit der Augenklappe habe ich eine gelangt, als er frech wurde. Die gehören alle zu dem Eimer, der jeden Augenblick auseinanderfallen kann.“ „Ach, das alte Ding“, sagte Hasard. „Einen der Kerle habe ich auch schon mal gesehen.“ „Sie suchen Leute und wollten uns unbedingt anheuern“, sagte Jan Ranse grinsend. „Sie wollen rüber nach Sampang auf Madura, um dort Perlen oder Gold zu suchen.“ „Dann viel Vergnügen“, meinte Hasard. Einer der holländischen Schankknechte näherte sich dem Tisch und fragte nach ihren Wünschen. „Ein paar Humpen Bier und ein paar Krüge kühlen Arrak“, sagte der Seewolf.
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„Für alle?“ fragte der Holländer. „Für mich nicht“, sagte er. „Ich hätte lieber eine große Muck voll Milch und ein paar Stücke Kuchen.“ Der Kerl sah ihn an, als hätte der Profos den Verstand verloren. „Ah, ich verstehe“, sagte er feixend. „Milch und Kuchen.“ „Ganz recht, mein Sohn. Wie es einem frommen Pilger zusteht, der den Sünden der Welt abgeschworen hat.“ Dabei grinste der Profos so hinterhältig wie zuvor an Bord. „Die Welt ist schlecht“, resümierte er anklagend. „Nichts wird getan, um einen auf den rechten Weg zu führen. Die Welt ist wahrhaftig eine Lasterhöhle.“ „Und wenn sie keinen Kuchen und keine Milch haben?“ fragte Matt Davies. „Was dann?“ Carberry seufzte entsagungsvoll. „Dann? Ja, dann muß ich eben mit euch Rabauken trinken und mich wieder an Bier und Arrak halten.“ „Was dir sicher sauer aufstößt.“ „So ist es.“ Ireen Williams warf immer noch keinen Blick zu ihnen. Lediglich einer der Italiener ließ ein kurzes Erkennen in seinen Augen aufblitzen. Er hob kurz die Hand und grinste schwach. Ein paarmal waren Wörter wie „Gold“ und „Perlen“ deutlich zu verstehen. Bill Gordon versuchte anscheinend, die drei davon zu überzeugen, daß sie bald reich sein würden. „Da ist die Lady wirklich in bester Gesellschaft“, meinte der Kutscher, der immerhin dafür gesorgt hatte, daß die drei kräftig aufgepäppelt worden waren. „Sie wollte ja anfangs nicht mit der Wahrheit herausrücken, bis es die beiden Männer verrieten. Irgendwo haben sie offenbar Gold entdeckt, und das hat ihnen ein bißchen den Verstand vernebelt.“ Hasard winkte lässig ab. „Ein undankbares Völkchen“, sagte er, „kaum noch der Rede wert. Wir haben sie hergebracht, und es interessiert mich verdammt wenig, was aus ihnen wird. Schließlich sind sie erwachsen.“
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Gordon spendierte auch immer wieder ein Getränk. Die Frau hing buchstäblich an seinen Lippen und sog jedes Wort begierig auf. Die beiden Italiener verstanden zwar nichts, dennoch nickten sie hin und wieder. Mitunter übersetzte Ireen Williams auch ein paar Sätze, wenn sie es für richtig hielt. Beide Schankknechte brachten jetzt große und vollgefüllte Humpen mit erstaunlich kühlem Bier. Sie knallten die Humpen auf den Tisch und wünschten einen guten und großen Durst. Carberrys Pranke zuckte unwillkürlich vor, um nach einem Humpen zu greifen, doch den schnappte sich bereits Mac Pellew, um ihn genüßlich anzusetzen. Inzwischen wurde der Arrak gebracht, der ebenfalls kühl war und seinen angenehmen Duft verbreitete. Der Profos stellte fest, daß sie ihn offenbar vergessen hatten, denn vor seinem Platz stand kein Humpen. Er räusperte sich unangenehm berührt, aber niemand beachtete seinen heimlichen Protest. Schluckend sah er zu, wie die anderen tranken, seufzend absetzten und sich genußvoll den Schaum vom Mund wischten. Hätte er auch verdammt gern getan, aber da war leider nichts zu wischen, weil er immer noch nichts hatte, was auch zu seinem Ärger niemand zur Kenntnis nahm. Als die anderen erneut ansetzten, wurde es ihm zu bunt. Mit blitzenden Augen starrte er den einen Schankknecht an. „He, du abgewrackter Geuse“, knurrte er. „Soll ich hier vielleicht verdursten, was, wie? Oder hast du Grachtenkacker mich absichtlich übersehen?“ „Sofort, Mijnheer, Verzeihung. Viel zu tun, Sir.“ „Höflich sind sie ja hier, das muß man ihnen lassen“, meinte der Kutscher, „aber sie haben wirklich viel zu tun.“ Der Schankknecht flitzte mit einem Humpen heran, schaumgefüllt bis oben an den Rand, den Carberry ihm fast entriß. Er setzte an, und durstig, wie er war, schaffte er die Hälfte des Humpens immerhin in einem schnellen Zug.
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Dabei ging eine merkwürdige Veränderung mit dem Profos vor. Sein Mund wurde schmal und dünn, und die Augen kriegten einen etwas verschleierten Ausdruck. Er hielt die Luft an wie am Morgen, als er auf dem Markt die Schale mit dem flüssigen Gewürz erwischt hatte. Außerdem schien er zu schrumpfen, denn er sackte deutlich auf seiner Bank in sich zusammen. Im nächsten Augenblick würgte ihn ein kurzer, trockener Husten. Die anderen schienen die Veränderung nicht bemerkt zu haben, denn sie gaben sich fröhlich und ungezwungen. Nur hin und wieder hatte er das Gefühl, als streife ihn ein kurzer Seitenblick. Mißtrauisch blickte er den Kutscher an, doch der sah an ihm vorbei zum anderen Tisch. Auch Mac Pellew schien nichts zu bemerken. Der pumpte gerade seine Hühnerbrust auf, um einer zweifelhaften Lady zu imponieren. „Und hier ist der Kuchen“, sagte eine Stimme neben Carberry, die ihn zusammenfahren ließ. Eine große Platte mit Kuchen wurde neben ihn auf den Tisch gestellt. Der Mijnheer wünschte freundlich einen guten Appetit und fragte höflich, ob die Milch so recht sei, oder ob er noch einen weiteren Humpen wünsche. Carberry hatte das Gefühl, als habe man ihm einen Hammer über den Schädel geschlagen. Das gab es doch gar nicht! Das durfte einfach nicht wahr sein, daß man in einer miesen Hafenkneipe wie selbstverständlich Milch und Kuchen erhielt. Hilflos und kleinlaut starrte er auf die Kuchenplatte, dann wieder in seinen Humpen,. der kühle Milch enthielt, auf der noch der weiße Schaum zu sehen war. „Recht so, Ed“, sagte der Kutscher anerkennend. „Ein Mann, ein Wort. Auf dich ist wenigstens Verlaß. Da können sich die anderen Helden mal ein Beispiel an dir nehmen.“ „Milch und Kuchen“, sagte auch Mac Pellew andächtig. „Das werde ich in der
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nächsten, Pinte auch mal versuchen. Schmeckt es denn?“ Die allgemeine Aufmerksamkeit wandte sich jetzt dem Profos zu. Auch an den Nebentischen wurden etliche Kerle hellhörig und schielten ungläubig auf die Kuchenplatte und den Humpen voller Milch. „Natürlich schmeckt es“, sagte der Profos trotzig und unheimlich verärgert. „Sonst hätte ich es doch nicht bestellt, oder?“ Er langte ein Stück Kuchen vom Teller und biß hinein. „Sogar mit Rosinen“, sagte Mac, „oder sind das Kakerlaken? Weiß man ja nie so genau.“ „Prost, Ed“, sagte auch der Seewolf, und all die anderen Kerle hoben mit ernsten Gesichtern ihre Humpen, um auf die Reinkarnation des Edwin Carberry anzustoßen. „Auf das Wort eines eisernen Mannes.“ „Prost“, sagte der Profos kläglich und todunglücklich. Am liebsten hätte er diesen verdammten Mijnheer erwürgt, der es wagte, einem ausgewachsenen Mann diesen Kinderkram vorzusetzen. Er trank in einem Akt der Verzweiflung die Milch aus, bis er auf den Boden des Humpens sehen konnte. Der Schankknecht stand schon wieder neben ihm. „Darf's noch etwas Milch sein, Mijnheer?“ fragte er höflich. „Die war sauer'', behauptete der Profos. „Eine Frechheit, einem saure Milch vorzusetzen. Damit könnt ihr eure Affen tränken, außerdem war sie nicht nur sauer, sondern auch noch angebrannt.“. „Es war Ziegenmilch, Mijnheer“, entschuldigte sich der ausgesprochen höfliche Schankknecht. „Die hat einen etwas schärferen Geschmack.“ „Ziegenmilch“, ächzte der Profos entsetzt. „Auch das noch.“ „Hoffentlich wächst dir später kein Ziegenbart“, murmelte der Kutscher besorgt. „Ich kannte mal einen Kerl in Plymouth bei Doc Freemont, der hatte auch Ziegenmilch getrunken. Ein paar Wochen später wuchs ihm ein richtiger
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Ziegenbart. Der Kerl sah schrecklich aus, richtig lächerlich, und wenn er lachte, dann klang es wie das Gemecker eines alten Ziegenbocks.“ Der Profos sah den Schankknecht äußerst mißtrauisch an. „Du bist so was von scheißfreundlich, wie ich es noch nie in einer miesen Kneipe erlebt habe“, sagte er. „Und ich kenne verdammt viele miese Spelunken, wo die Schankknechte grob und unhöflich sind. Aber jetzt kriege ich ein Bier, und den Kuchen kannst du auch wieder mitnehmen. Da sind nämlich keine Rosinen drin, sondern Kakerlaken.“ „Wie Mijnheer wünschen.“ Der Mann zog grinsend ab, und das entging dem Profos nicht. Er stand auf und stemmte die Fäuste in die Seiten. * „Jetzt fängt er gleich an zu meckern“, sagte Mac Pellew kichernd. Und dann prusteten auch die anderen los. „Ihr habt mich behumst“, knurrte Carberry. „Auf wessen Mist ist das gewachsen?“ „Was meinst du eigentlich?“ fragte der Kutscher. „Ich meine, daß ihr mich veräppelt habt, das meine ich. Ich wußte doch gleich, daß hier was nicht mit rechten Dingen zugeht. Aber da steckt natürlich wieder der Kutscher dahinter, dieser kalfaterte Lateiner mit seiner wichtigen Ausdrucksweise. Ich sehe doch euren grinsenden Visagen an, daß das alles abgesprochen war.“ „Nun beruhige dich mal und setz dich wieder“, sagte der Seewolf lachend. „Wie – wie, zum Teufel, habt ihr das geschafft?“ Hasard wartete, bis Carberry seinen Humpen voller Bier auf dem Tisch stehen hatte. Er schob ihm auch noch ein Gläschen mit Arrak hinüber. „Das war ganz einfach. Wir wollten dich nur mal so richtig beim Wort nehmen, denn du hast doch immer groß mit Milch und Kuchen rumgetönt, daß es das nirgendwo gäbe und du daher gezwungen
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seist, immer Bier und Rum zu trinken. Nun, da haben wir eben ein bißchen nachgeholfen. Ich habe den Kutscher und Mac zum Markt geschickt, wobei sie der Kneipe hier einen Besuch abstatteten. Für ein Goldstück ließen sich diese netten Leute überreden, deine Wünsche zu erfüllen. Sie haben extra für dich einen Kuchen gebacken, und Milch haben sie auch besorgt, was dir. allerdings nicht so sehr bekommen ist, wie ich sehe.“ „Hoffentlich bist du jetzt von deiner Scheinheiligkeit geheilt“, sagte der Kutscher lachend. Der Profos wollte erst aufbrausen, doch als er all die lachenden Gesichter um sich herum erblickte, konnte er sich das Grinsen ebenfalls nicht verkneifen. „Na gut, der Witz ging diesmal auf meine Kosten. Ich werde mich hüten, noch mal groß herumzutönen. Aber wie ist das, Kutscher – stimmt das wirklich mit dem Ziegenbart?“ „Na ja, das schlägt nicht unbedingt bei jedem an, Ed. Das liegt wohl an der Veranlagung. Aber sollte dir ein Ziegenbart wachsen, dann rasieren wir ihn einfach wieder ab.“ „Davor habe ich am meisten Angst“, bekannte der Profos. „Wie würde ich wohl mit einem Ziegenbart aussehen?“ „Wie Schwester Prudencia“, sagte Mac, „das war eine Nonne, und der wuchs ein richtiger Bart.“ „Und wenn du Ochsenmilch trinkst, dann wachsen dir Hörner wie dem Wikinger“, versicherte Smoky ernst. Auf die Hörner und den Ziegenbart trank Edwin Carberry erst mal einen kräftigen Schluck, damit ihm dieses Mißgeschick nicht widerfuhr. Und dann legten sie nach alter Tradition erst richtig los. * Die Kneipe füllte sich langsam. Fischer kreuzten auf, ein paar abgerissene Beachcomber, Seeleute und Glücksritter. Auch weitere Frauenzimmer hatten sich
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inzwischen eingefunden, und so war alles vom Lärm der Zecher erfüllt. Bill Gordon hatte die blonde Frau und ihre Begleiter offenbar von dem künftigen Reichtum überzeugt, denn Hasard sah aus den Augenwinkeln, wie sie sich gegenseitig die Hand gaben und einen Pakt besiegelten. Da schaute Ireen Williams zu ihnen und blickte genau in die eisblauen Augen des Seewolfs. „Ah, meine Retter“, sagte sie lächelnd. Bill Gordon und seine Begleiter hatten den Arwenacks die ganze Zeit die Rücken zugewandt. Jetzt drehte sich Gordon um, erkannte Carberry und die anderen und stand unsicher auf. Er hatte schon einen Kleinen geladen, schwankte ein bißchen hin und her und lachte plötzlich. „Ah, das ist ganz sicher der Sir“, sagte er. „Hab schon viel von Ihnen gehört, Sir. Ist es gestattet, daß man sich an Ihren Tisch setzt, Sir? Ich hoffe, Sie fühlen sich nicht belästigt, Sir.“ Hasard musterte den Mann kurz. Es war kein ehrliches Gesicht, das ihn da anblickte. Der Kerl gab sich zwar freundlich, und seine Begleiter ebenfalls, aber er konnte in Gesichtern lesen und wußte, daß er einen abgefeimten Burschen vor sich hatte, der sich anders gab, als er in Wirklichkeit war. „Wenn Sie unbedingt wollen, Mister“, sagte er ruhig. „Platz ist noch genügend vorhanden.“ „Gordon, Bill Gordon, Sir, wenn es gestattet ist.“ „Killigrew“, sagte Hasard knapp. „Und Sie sind wirklich ein richtiger Sir?“ fragte Gordon neugierig und taktlos. „Ich hoffe, daß Ihre Majestät, die Königin von England, es absolut ernst meinte, als sie mich zum Ritter schlug“, sagte Hasard. Gordon griff sich ans unrasierte Kinn, stierte den Seewolf an und riß die Futterluke auf. „Oh, mein Gott“, sagte er ächzend. „Sie müssen der Seewolf sein. Sie haben mit Drake gegen die Armada gekämpft, mit Sir Francis Drake. Das ist aber eine gelungene Überraschung, Sir.“
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„Hauptsächlich für die Spanier“, sagte Hasard. Er blieb kühl und unverbindlich und wartete ab. Der Kerl wollte etwas von ihm, denn das war keine bloße Bewunderung. Sicher würde er bald damit herausrücken. „So nennt man mich“, sagte er.“ Aber Sie sollten den ‚Sir’ nicht überbetonen, Mister Gordon. Ich liebe es nicht, hinter jedem zweiten Wort Sir genannt zu werden.“ „Natürlich nicht, Sir, äh – Verzeihung.“ Gordon stellte auch noch seine Leute vor, die genauso abgerissen und verludert aussahen wie er selbst. Hasard sah, daß der Einäugige eine mächtige Beule im Gesicht hatte, die jetzt in bunten Farben schillerte. Da hatte der Profos wohl kräftig hingelangt. Der Kerl druckste ein bißchen herum und fragte dann, ob er die ehrenwerten „Tschentlemänner“ auf eine Runde einladen dürfe. Ireen Williams kokettierte inzwischen ein bißchen mit dem Seewolf, doch dessen Blicke blieben kühl und abwartend. Er tat, als bemerke er es nicht. „Wohin geht denn die Reise?“ fragte sie. Hasard zeigte mit der Hand über den Tisch. „Immer nach Osten, Madam, bis es nicht mehr weitergeht.“ „Sie haben mir noch gar nicht gesagt, was Sie da wollen.“ „Nun, Sie haben sich mit Informationen auch sehr zurückgehalten“, erwiderte Hasard, „obwohl ich der Ansicht war, daß Sie uns getrost ein paar Fragen hätten beantworten können.“ „Ich hielt Sie für Piraten. Deshalb sagte ich nichts.“ „Und jetzt suchen Sie Ihre Goldader?“ Gordon und Ireen wechselten einen schnellen Blick. „Goldader?“ fragte Gordon lauernd. „Davon weiß ich ja gar nichts.“ „Es gibt auch keine Goldader“, sagte sie schnell. „Wir hatten nur davon gehört, aber es war nichts weiter als ein Gerücht, wie sie zur Zeit massenweise in Surabaja kursieren.“ „Es bleibt aber bei unserer Vereinbarung?“
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„Ja, natürlich.“ Sie warf mit einer aufreizenden Geste die langen blonden Haare in den Nacken und lächelte. Die Williams war eine schöne Frau, ohne Zweifel, aber dennoch wurde keiner so richtig schlau aus ihr, auch der Seewolf nicht. Sie war berechnend und auf irgendeine Art eine Abenteurerin. Auf jeden Fall wollte sie schnell reich werden und suchte sich auch eifrig die Leute aus, die ihr schnellen Reichtum versprachen. Die nächste Runde wurde gebracht. Sie tranken sich zu, und Gordon setzte seufzend den Humpen ab. „Ich werde Ihnen ganz ehrlich sagen, was wir wollen, Sir, oder was wir vorhaben. Ich biete Ihnen sogar an, sich mir anzuschließen. Wir wollen Perlen suchen.“ „Eine aufwendige und zeitraubende Arbeit“, sagte Hasard. „Für Europäer nicht unbedingt empfehlenswert.“ „Es gibt drüben auf Madura riesige Bänke im Meer“, erklärte Gordon mit glitzernden Augen. „Sie liegen vor Sampang in ein paar Yards Tiefe und end ziemlich mühelos nach oben zu bringen. Ich biete Ihnen an, mein Teilhaber zu werden.“ Hasards Mundwinkel verzogen sich ein wenig. Das kurze Lächeln verschwand schnell wieder von seinem Gesicht. „Vielen Dank für das Angebot, Mister Gordon. Aber unsere Zeit ist sehr knapp bemessen. Morgen früh segeln wir weiter.“ „Das werden Sie bedauern, Sir. Ungeahnter Reichtum entgeht Ihnen. Ich habe absolut zuverlässige Informationen.“ „Warum brauchen Sie einen Teilhaber?“ fragte Hasard. „Sie bieten doch nicht jedem Dahergelaufenen an, Ihr Teilhaber zu werden.“ „Oh, Sie sind gewiß kein Dahergelaufener, Sir. Ich würde mich freuen, mit einem so berühmten Mann nach Perlen tauchen zu dürfen.“ „Aber Sie haben leider ein Problem, wie ich annehme:“ „Ach, das wissen Sie? Nun, nur ein kleines Problem, eigentlich nicht der Rede wert.“ Carberry grinste dünn vor sich hin, griff nach seinem Humpen und trank genüßlich
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einen Zug. So langsam verschwand auch der Milchgeschmack aus seinem Mund, wie er ohne Bedauern feststellte. „Wenn es nicht der Rede wert ist“, sagte er, „dann sollten wir auch nicht darüber reden.“ Gordon hakte schnell nach, um sich nicht ganz den Wind aus den Segeln nehmen zu lassen. „Ich habe nur eine Bitte an Sie, Sir. Meine Galeone ist ein bißchen schwach auf der Brust und könnte bei der Überfahrt vielleicht Schaden nehmen. Sie zieht ständig Wasser.“ Carberry nickte beipflichtend. „Du müßtest sie mindestens alle hundert Jahre mal kalfatern, Mister“, sagte er. „Die Schiffe brauchen das.“ Gordon schluckte seine Wut hinunter, weil dieses narbige Monstrum mal wieder dazwischenquatschte und ihm alles verdarb. „Da hilft nichts mehr“, sagte er säuerlich, „sie ist eben schon sehr alt, die kleine Lady.“ „Sie segelte schon unter der Königin von Saba“, äußerte Carberry mit einem treuherzigen Blick, was Gordon wieder auf die Palme brachte, weil jetzt auch die anderen amüsiert grinsten. „Schön und gut“, sagte Hasard, „aber was habe ich damit zu tun?“ „Wir brauchen Ihre Hilfe, Seewolf“, säuselte Ireen Williams und legte ihre schlanke Hand auf Hasards Finger. Aber auch der heiße Blick brachte den Seewolf nicht zum Schmelzen. Die Tour zog überhaupt nicht bei ihm. „Bringen Sie uns bitte hinüber nach Sampang“, bat sie mit betörender Stimme. „Unser Schicksal hängt davon ab.“ „Unser Leben“, sagte Gordon pathetisch. „Sie würden ein paar Landsleuten damit eine große Freude bereiten. Sie sagten, sie wollten ostwärts segeln, Sir. Sie segeln also zwangsläufig an Sampang vorbei und brauchen uns dort nur abzusetzen. Wir sind jetzt insgesamt siebzehn Leute, Sir. Sie werden uns diese kleine Bitte doch nicht abschlagen.“
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Hasard wechselte einen unmerklichen Blick mit dem Spanier Don Juan, dessen Miene Ablehnung ausdrückte, ohne daß er sich dessen bewußt war. Aber Hasard hatte seinen Entschluß längst gefaßt. Er traute diesen Kerlen nicht über den Weg, ganz besonders dem verschlagenen Gordon und dem Kerl mit der Augenklappe nicht. Zudem hatten sie gerade üble Erfahrungen mit etlichen Holländern hinter sich, die sich sehr für die Schebecke interessiert hatten. „Ich muß leider ablehnen, Mister Gordon“, sagte er kühl. „Wie wollen Sie übrigens von Sampang aus wieder zurückkehren?“ Plötzlich war die Atmosphäre frostig und feindselig. Haß schlich sich in die Blicke der Kerle, und auch Ireen Williams verzog ärgerlich den Mund. „Vorerst wollen wir nur hinüber“, sagte sie gepreßt. „Die Überfahrt dauert nicht länger als einen Tag, höchstens zwei Tage.“ „Tut mir leid“, sagte Hasard, als er den Haß in den Augen der anderen sah. „Es geht nicht. Unser Schiff ist nicht groß genug, um siebzehn Personen aufzunehmen.“ Er wollte aufstehen, doch da legte ihm Ireen Williams erneut die Hand auf den Arm. 6. „Sie werden uns doch nicht hier unserem Schicksal überlassen, Sir“, sagte sie eindringlich. „Vielleicht verhielten wir uns etwas merkwürdig, als Sie uns aus der Jolle befreiten, und vielleicht waren wir auch etwas undankbar. Aber ich flehe Sie an, Sir: Nehmen Sie uns mit nach Sampang. Dort trennen sich unsere Wege endgültig. Ich möchte irgendwann nach England zurück, Sir, aber nicht als arme Bittstellerin. Hier bietet sich uns eine einmalige Chance.“ Sie deutete mit der Hand zu einem anderen Tisch weiter hinten in einer Nische, wo sechs Kerle mit einer dunkelhaarigen Frau saßen.
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„Die gehören auch zu uns. Die Frau ist eine Freundin von mir, die ebenfalls aus England stammt.“ Hasard musterte die Kerle nur flüchtig. Es waren unrasierte Gestalten mit hungrigen Gesichtern, in denen die Gier nach Reichtum stand. Er bemerkte auch Gordons lauernden Blick, aber er konnte sich nicht dazu entschließen, diese ganze Bande an Bord zu nehmen. Die Erinnerung an die hinterlistigen Holländer war noch zu frisch. Außerdem – was hatten diese Glücksritter noch zu verlieren? Sie waren Gestrandete, die nach jedem Strohhalm griffen, .und sie waren ganz gewiß nicht zimperlich, wenn sie sich einen Vorteil versprachen. Das ließ sich an den harten Gesichtern ablesen. Der Seewolf schob die Hand sachte von sich und griff nach seinem Bierhumpen. Als er ihn absetzte, sagte er: „Ich bleibe dabei, aber ich will nicht schuld an Ihrem Unglück sein, Madam. Wenn Sie morgen mit der Galeone auslaufen, werden wir Sie begleiten, bis sie Ihr Ziel erreicht haben. Es kann Ihnen unterwegs also nichts passieren, falls der Kasten auf Tiefe geht.“ „Und wenn er auf Tiefe geht?“ fragte Gordon gespannt. „Es ist gut möglich, daß wir unterwegs absaufen.“ „Ich werde Sie nicht im Stich lassen, keine Sorge.“ In Gordons Augen blitzte es kurz auf, und er konnte sich nur mühsam das Grinsen verkneifen. Er hatte eigentlich anders disponiert und gehofft, mit seinen neunangeworbenen Kerlen an Bord genommen zu werden. Dabei hatte er vor, die Schebecke in einer Blitzaktion an sich zu reißen und die Männer des Seewolfs zu überrumpeln. Aber der schwarzhaarige Riese mit den seltsam blauen Augen war mißtrauisch und hatte seinen Plan schon über den Haufen geworfen, bevor er überhaupt feststand. Nun, er würde trotzdem an Bord gelangen. Mit dem Absaufen konnte man ja ein bißchen nachhelfen. Er zuckte heftig zusammen und fühlte sich durchschaut, als der schwarzhaarige Riese wieder sprach. „Ich stelle allerdings eine
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Bedingung, Mister Gordon. Wenn Sie die nicht annehmen, vergessen wir das Ganze.“ „Ich höre, Sir.“ „Um niemanden in Versuchung zu bringen, werden zwei meiner Männer an Bord der Galeone bleiben, bis wir Sampang erreicht haben.“ „Warum das denn?“ fragte Gordon verlegen. Carberry grinste ihn von der Seite her an. „Na, das ist doch ganz einfach, Mister. Es könnte ja einer auf die Idee verfallen, die alte Krücke ein bißchen anzubohren, wodurch dann alle siebzehn Leute an Bord der Schebecke wären.“ „Sie unterstellen mir aber verdammt viel.“ „Das ist meine Bedingung“, sagte Hasard. „Sie können ablehnen oder annehmen, ganz wie Sie wollen.“ „Nehmen Sie an, Mister Gordon“, sagte Ireen Williams mit heiserer Stimme. „Es ist ein gutes Angebot.“ Gordon hatte sich das anders vorgestellt, aber seine Pläne waren schnell durchschaut worden. Andererseits zog es ihn mit aller Gewalt zu den Muschelbänken mit ihrem unermeßlichen Reichtum. „Einverstanden“, sagte er ohne große Begeisterung. „Dann segeln wir morgen vormittag“, sagte Hasard. Er konnte allerdings keine sehr große Freude in den Gesichtern der Männer erkennen. „Undankbares Gesindel“, sagte Don Juan später, als sie auf dem Heimweg waren. „Da hast du offenbar ein paar Pläne durchkreuzt, Sir. Sehr begeistert sind die Burschen nicht.“ „Ich bin nicht für sie verantwortlich“, sagte Hasard. „Aber ich gehe nach den üblen Erfahrungen nicht mehr das Risiko ein, daß man uns hinterrücks überfällt, wie es die Mijnheers getan haben. Diese Kerle hier sind in einer ähnlichen Situation, und ich traue ihnen alles zu.“ „Kann ich verstehen. Ich hätte auch nicht anders gehandelt.“ Als sie die Schebecke erreicht hatten, hockte Gordon mit seinen Kerlen und den
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beiden Frauen immer noch im Roten Mond von Surabaja. Die Burschen würden morgen vermutlich dicke Brummschädel haben, wenn sie die ganze Nacht durchsoffen. * Als an Bord der Schebecke das Frühstück beendet war, erschien Bill Gordon. Er sah noch reichlich verkatert aus und grinste schief. „Wenn Sie fertig sind, Sir, können wir segeln. Soll ich die beiden Männer gleich mitnehmen?“ „Ja. Mister Tucker und Mister Davies gehen mit. Kennen Sie den Kurs nach Sampang?“ „Ja, ich kenne ihn, aber ich kann nicht schnell segeln, obwohl wir günstigen Wind haben.“ „Dann segeln Sie vor uns her. Ich bleibe direkt hinter Ihnen. Kurz vor Sampang übernehme ich meine Männer dann wieder. Im übrigen wünsche ich Ihnen viel Erfolg.” „Kann ich brauchen, Sir, und vielen Dank auch.“ Ferris Tucker und Matt Davies, der grauhaarige Mann mit der Hakenprothese, verließen die Schebecke und marschierten mit Bill Gordon zu der altersschwachen Galeone hinüber. Der Wind wehte nur mäßig von Westen her. Sie hatten also Schiebewind mit ruhiger See und kleiner Dünung, die die Galeone .wohl überstehen würde. Allerdings, so schätzte Hasard, würden die Burschen da drüben wohl kräftig lenzen müssen, diesmal aber keinen billigen Fusel, sondern eingedrungenes Seewasser. Die Flicken, die sie Segel nannten, wurden drüben gesetzt. Unmerklich füllte sie der Wind, und als endlich die Leinen gelöst waren, nahm die uralte Galeone nur langsam Fahrt auf. Hasard ließ sie erst mal voraussegeln, ehe auch auf der Schebecke Segel gesetzt und Leinen gelöst wurden. Von dem korrupten Hafenmenschen war nichts zu sehen, als sie hinaussegelten und das offene Meer erreichten. Nur vom
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großen Marktplatz drang das Geschrei der Händler herüber. Carberry warf einen letzten Blick zurück und dachte mit Schaudern daran, was sie ihm auf dem Markt serviert hatten. Als die alte Galeone von der schwachen Dünung erfaßt wurde, krängte sie von einer Seite zur anderen. Ihren Vorsprung hätte die Schebecke in wenigen Minuten aufgeholt, und so waren immer wieder Segelmanöver erforderlich, um die schlanke Lady nicht so schnell rennen zu lassen. Der Tag verlief ereignislos. Hin und wieder waren Ferris Tucker oder Matt Davies zu sehen. Ihren scharfen Augen würde nicht entgehen, wenn die Kerle etwas manipulieren sollten. Die Arwenacks hielten knapp zwei Kabellängen Abstand, um jederzeit eingreifen zu können. Unterdessen wurden aus dem Bauch der Galeone ungeheure Mengen Wasser gelenzt. „Die werden sich ihre Perlen allein durch die Überfahrt schon sauer verdienen müssen“, meinte Ben Brighton mit einem kurzen Auflachen. „Mit dem Eimer würde ich mich keine zehn Meilen auf bewegte See hinaustrauen. Ist dir übrigens aufgefallen, Sir, daß die Kerle ihre Herkunft schamhaft verschwiegen haben?“ „Sicher, aber es interessiert mich auch nicht. Vermutlich sind sie von einem englischen Schiff desertiert und haben später irgendwo diese Nußschale ergattert. Ich bin froh, wenn wir sie endlich aus den Augen verloren haben.“ „Besser, sie suchen Perlen, als daß sie andere überfallen“, sagte Ben nachdenklich. Diesmal lachte Hasard kurz auf. „Mit dem Schiffchen dürften ihre Aussichten, Piraterie zu betreiben, wohl nicht besonders groß sein.“ Schon am späten Nachmittag, als sich die Sonne dem westlichen Land zuneigte, wurden auf der kleinen Galeone zwei Hecklaternen entzündet und außerdem zwei weitere Laternen in die Wanten gehängt.
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Gordon hatte wohl Angst, seinen Beschützer zu verlieren. Mühsam quälte sich der alte Kahn durch das Wasser. Hasard schätzte, daß sie Sampang bestenfalls in der Frühe des nächsten Morgens erreichen würden. Für die Schebecke war es nur eine Tagesreise, ein kurzer Törn, für die anderen dauerte es wesentlich länger. Vor Sonnenuntergang tauchte die Küste der Insel Madura auf. Gordon ging dicht unter Land und segelte in einem Abstand von drei Kabellängen an Mangrovenwäldern und Palmenhainen vorbei. Mitunter war der Strand mehrere hundert Yards lang und setzte sich lagunenförmig ins Landesinnere fort. Aber es gab auch hin und wieder steil ansteigende Felsen ohne Strand, die unvermittelt aus dem Meer aufragten. Sie segelten die ganze Nacht durch bis zum frühen Morgen. Als sich der Sonnenball kupferfarben und rötlich funkelnd im Osten aus dem Meer schob, erkannte Dan O'Flynn eine kleine Ansiedlung. Dort standen ein paar Hütten, am Strand lagen kleine Fischerboote. Braunhäutige Gestalten waren zu erkennen, die am Strand standen und ihnen nachblickten. Dem kleinen Dorf schloß sich gleich darauf ein weiteres an. „Das müßte Sampang sein“, sagte Dan. „Auf der Karte habe ich nur zwei Orte eingezeichnet. Ich denke, die wollen hierbleiben?“ „Dachte ich auch“, sagte Hasard. „Anscheinend wollen sie etwas weiter nach Osten, wo sie ungestört sind.“ Weit voraus tauchte jetzt ein Inselgewirr auf, das aus Atollen, kleinen Riffen, Eilanden und größeren Inseln bestand. Auch dem Landstrich waren jetzt überall kleine Inseln vorgelagert. Hier gab es zahllose Korallenbänke und Riff e, die für Perlentaucher eine gute Ausbeute versprachen. Die alte Galeone hielt auf eine kleine Bucht zu, deren östliches Ende von Mangroven gesäumt und sumpfig war. Vor
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der Bucht war das Wasser glasklar. Schon von Deck aus waren überall Korallengärten zu erkennen. Bill Gordon winkte ihnen zu, daß ihr Ziel erreicht sei. Auf der Galeone nahmen sie ihre altersschwachen Segelfetzen weg. An den Lenzpumpen arbeiteten immer noch ein paar Kerle, denen der Schweiß in Strömen von den Gesichtern lief. „Wir segeln so dicht an ihnen vorbei, daß Ferris und Matt überspringen können“, sagte Hasard zu Pete Ballie. „Danach setzen wir gleich unsere Fahrt fort.“ „Aye, Sir. Der Wind ist übrigens ziemlich mickrig geworden. Sieht fast so aus, als schliefe er bald ein.“ „Habe ich schon bemerkt. Deshalb wollen wir ja auch nicht länger unter Land bleiben. Weiter südlich weht er noch. Hier gibt es auch zu viele tückische Riffe.“ Pete Ballie nahm Maß und segelte die Schebecke dicht an den alten Kahn heran, bis Ferris und Matt mit einem Satz hinüberspringen konnten. An Deck standen die Kerle und sahen ihnen nach. Die Galeone trieb jetzt vor der Bucht, hatte aber noch keinen Anker gesetzt. Sie dümpelte nur leicht von einer Seite zur anderen. „Vielen Dank, Sir!“ rief Gordon. „Sie haben uns wirklich einen großen Dienst erwiesen. Sollten wir uns wieder mal begegnen, werde ich mich mit ein paar Perlen revanchieren.“ „Gern geschehen“, sagte Hasard im Absegeln. Ireen Williams hob kaum den Kopf. Sie sprach mit der anderen Frau und schien die Seewölfe nicht mehr zu sehen. Jetzt hatte sie die erste Etappe ihres Ziels erreicht, und damit war alles andere für sie gegenstandslos und uninteressant geworden. Hasard tat es mit einem verächtlichen Achselzucken ab. Die Frau interessierte ihn nicht. Sollte sie bei den Abenteurern, den Vagabunden und mit ihren Perlen glücklich werden. Sie hielten jetzt etwas mehr nach Süden, um aus dem Inselgewirr zu gelangen. Sie wollten nicht unbedingt noch aufbrummen.
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„Merkwürdig“, sagte Dan O'Flynn, als die Galeone achteraus immer kleiner wurde. „Die laufen die Bucht nicht an, setzen auch keinen Anker und treiben nur so vor sich hin. Findest du das nicht eigenartig, Sir?“ „Ich finde einiges eigenartig“, erwiderte der Seewolf. „Möglicherweise suchen sie sich aber auch nur einen anderen Platz und lassen sich mit dem Westwind weitertreiben. Mag ja sein, daß sie sich noch nicht entschieden haben und hier zu den kleinen Inseln wollen.“ „Irgendetwas gefällt mir an der Geschichte nicht“, murmelte Dan in Gedanken versunken. „Da ist sicher was faul.“ Achteraus verschwand langsam das Land. 7. Als die Schebecke aus der Ferne nur noch eine schmale Silhouette bot, grinste Bill Gordon hinterhältig. „Der Teufel soll die mißtrauischen Knechte holen. Die Schebecke wäre mir ja lieber gewesen, aber es geht auch so ganz gut. Sind die Kerle außer Sichtweite, wechseln wir unsere Position. Wir verholen zu den beiden Dörfern und setzen uns dort in der kleinen Bucht fest. Aber wir werden gleich hier und jetzt feststellen, was es mit den Muscheln auf sich hat. Einer wird ein paar Proben heraufholen. Das Wasser ist hier nicht sehr tief, und die großen Muscheln gibt es massenweise.“ Sie ließen wirklich nichts anbrennen und versuchten es gleich darauf. Vier Männer sprangen über Bord, doch sie waren klägliche Anfänger und hatten vom anstrengenden Tauchen nicht die geringste Ahnung. Erschöpft und mit leeren Händen kehrten sie an Deck zurück. „Das Wasser ist zu tief“, sagte einer enttäuscht. „Außerdem sieht man da unten nichts mehr.“ Gordon ließ die Tiefe ausloten. Sie betrug siebeneinhalb Faden. „Das ist doch nicht tief, verdammt noch mal!“ schrie er. „Glaubt ihr etwa, die Muscheln steigen zu uns nach oben? Ich brauche unbedingt ein paar von ihnen.“
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„Du hast doch gesagt, Boss'n, wir würden die Madureser, oder wie die Kerle heißen, einspannen“, sagte Leach. „Das habe ich auch vor, aber das müssen wir ihnen erst mal verklaren, damit sie begreifen, was wir wollen. Also, versucht es noch mal und holt ein paar Muscheln.“ Nach etlichen Versuchen schaffte es endlich einer, eine Handvoll Muscheln nach oben zu bringen. Gordon öffnete eine mit dem Messer, in der Erwartung, gleich eine Perle zu finden. Die Muschel enthielt jedoch keine. „Ich denke, in jeder Muschel ist eine Perle“, sagte Leach enttäuscht. „Nicht in jeder“, äußerte Ireen Williams. „Man muß schon sehr viele öffnen, tim eine Perle zu finden. Dazu braucht man Geduld.“ „Die habe ich aber nicht“, knurrte Leach. „Meine Geduld ist immer schnell erschöpft.“ Gordon ließ wieder Segel setzen, und sie mußten gegen die schwache Brise ankreuzen. Daher dauerte es fast drei Stunden, bis sie die Bucht von Sampang erreichten, wo die Maduresen ihre Hütten und Fischerboote hatten. Am Strand liefen die Insulaner aufgeregt zusammen und schnatterten in einer unverständlichen Sprache durcheinander, als die alte Galeone in die Bucht einlief. „Genau das richtige Plätzchen“, sagte. Gordon zufrieden. „In der Bucht gibt es sogar Korallenbänke. Besser können wir es gar nicht haben.“ Der Platz war wirklich ideal, Der Mangrovenwald befand sich auf der anderen Seite, wo das Wasser sumpfig und flach war. Hier jedoch waren Schatten und ein Stück Strand, der dicht mit hohen Kokospalmen bewachsen war. Dahinter ging es durch lichtes Grün weiter ins Innere der Insel. Beim Ankern gab es allerdings ein kleines Mißgeschick. Einer der Kerle hielt sich für besonders schlau, denn als der Anker gesetzt werden sollte, hieb er mit einem Beil einfach die Trosse durch.
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Der Anker sauste auf Grund, und der Rest der Trosse flog dem Kerl um die Ohren. Er brüllte laut auf, und er brüllte noch lauter, als Gordon mit ein paar Sätzen bei ihm war und ihm die Faust in die Zähne schlug. Dadurch trieb die Galeone unaufhaltsam auf den flachen Strand zu, und es dauerte auch nicht lange, bis sie mit einem leichten Ruck festsaß. „Du wirst den Anker später wieder mit der Trosse verbinden“, sagte Gordon bissig zu dem Kerl, der fassungslos auf ein paar Zähne in seiner rechten Hand blickte. „Und zwar wirst du sie unter Wasser wieder anstecken. Wenn nicht, erlebst du die Hölle, das verspreche ich dir.“ Gordon fand allerdings, daß die Galeone richtig lag. Sie hatte kaum Schräglage und die kleinen Zweipfünderrohre zeigten genau auf die Hütten der Eingeborenen. Da konnten sie später gleich ein wenig Druck ausüben. Die Maduresen störten ihn nicht, die aufgeregt durcheinanderredeten. Sie konnten sich nicht vorstellen, was die Fremden hier wollten, die sich einfach in der Bucht eingenistet hatten. Sie näherten sich aber auch nicht, sie hatten Angst vor diesen Fremden, die sich so benahmen, als seien sie hier heimisch. Ireen Williams blickte versonnen ins Wasser, dann sah sie Gordon an. „Welche Rolle ist mir hier eigentlich zugedacht worden?“ fragte sie. „Ihr beiden Weiber werdet euch um die Verpflegung kümmern“, sagte Gordon. „Das muß ja schließlich auch getan werden. Euer Platz ist also künftig in der Kombüse.“ „In der Kombüse“, wiederholte Ireen verächtlich. „Hast du dir schon mal überlegt, was wir da kochen sollen? Statt Vorräte einzukaufen, habt ihr Kerle das Geld versoffen. Die Verpflegung reicht bestenfalls für einen oder zwei Tage.“ „Na und?“ sagte Gordon grinsend. „Ich gebe doch kein Geld für etwas aus, das wir umsonst kriegen. Die da drüben haben alles, was wir für unseren Unterhalt brauchen. Sie werden uns mit frischen Fischen und Gemüse versorgen. Ich
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schicke nachher gleich eine Abordnung hinüber, die sich ein bißchen umsehen wird.“ Zunächst aber kümmerte sich Gordon darum, daß auch die Drehbassen nach oben geholt und in die Halterungen gesetzt wurden. Sollten die Maduresen aufmucken oder frech werden, dann hatte er den gesamten Strand und alle Hütten unter Kontrolle. Noch an diesem Tag begann für die Eingeborenen ein Martyrium, das sie so schnell nicht vergessen würden. Gordon und Leach zogen los. Beide waren mit Pistolen bewaffnet, die sie in Bandeliers trugen. Sie marschierten über den Sand, bis sie vor den Hütten standen. Die Maduresen standen ängstlich in Gruppen zusammen und sahen den Männern furchtsam entgegen. Gordon tippte einem älteren Mann, den er für den Stammesführer hielt, mit dem Finger auf die Brust, griff in die Tasche und holte drei Muscheln hervor. Er hielt sie dem Alten unter die Nase. „Hier“, sagte er, „von den Dingern brauchen wir jede Menge. Ihr werdet sie für uns heraufholen. Kapiert?“ Mit der anderen Hand zeigte er ins Wasser. Natürlich verstand ihn keiner. Die Leute sahen sich ratlos an. Gordon wiederholte seine Aufforderung, diesmal wesentlich lauter, und schnappte sich einen jungen Kerl, dem er die Muscheln in die Hand drückte und wieder ins Wasser zeigte. Seine Gesten waren so eindeutig, daß der junge Mann begriff, was er von ihm wollte. Ein kurzes Palaver zwischen den Maduresen folgte. Der Junge lief zum Wasser, schwamm ein Stück hinaus, wo die Korallenbänke waren, und tauchte dort. „Der ist abgesoffen“, sagte Leach nach einer Weile. „So lange kann doch keiner unter Wasser bleiben.“ „Die schon, die sind am Meer aufgewachsen. Für die ist das nichts weiter als ein Kinderspiel.“
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Der Junge tauchte auf und kehrte zurück. In der Hand hielt er ein ganzes Bündel der großen Muscheln, die er Gordon mit fragendem Gesichtsausdruck überreichte. Der riß ihm die Dinger aus der Hand, setzte sich in den Sand, nahm sein Messer und hieb eine Muschel auseinander. In der achten fand er eine winzige Perle, die er erregt betrachtete. „Tatsächlich“, sagte er staunend. „Ein Winzling nur, aber hier gibt es noch mehr davon. Also war der Tip goldrichtig. Mann, Leach, wir haben die erste Perle, der Anfang vom Reichtum!“ Sie schlugen sich gegenseitig auf die Schultern und führten einen kleinen Freudentanz auf. „So, jetzt aber nichts wie ran“, sagte Gordon. „Wir werden alle einspannen, die tauchen können. Wir öffnen nur die Muscheln und sehen uns den Inhalt an.“ Auf der Galeone hatten sie offenbar etwas bemerkt. Sie reckten neugierig die Hälse, und Buster setzte sich in Marsch. Vor dem Ungeheuer wichen die Maduresen entsetzt zurück, als er sie mit dem einen Auge bösartig anstarrte. „Die erste Perle“, sagte Gordon zu Buster, der das winzige Ding neugierig und dümmlich anstarrte. „So klein?“ „Die werden noch größer, noch viel größer. Du schnappst dir jetzt ein paar Kerle und sorgst dafür, daß die Leute etwas herausrücken. Gemüse, ein paar Hühner oder was hier so rumliegt und angebaut wird. Wenn sie nicht parieren, dann zupfst du sie ein bißchen an den Ohren. Und bring mir die Neunschwänzige mit, damit die Kerle schneller kapieren, was ich von ihnen will.“ Gordon zeigte jetzt auf mehrere junge Männer und auch auf ein paar Frauen und verklarte ihnen unmißverständlich, daß sie weitere Perlen heraufzuholen hätten. Sie zögerten ein wenig und tuschelten aufgeregt miteinander. Als es Gordon zu lange dauerte, holte er aus und versetzte einem der Burschen einen harten Faustschlag, der ihn der Länge nach in den Sand warf.
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Zwei Maduresen wollten sich auf Gordon stürzen, doch der war mit den Fäusten schnell und hart und drosch sofort drauflos. Leach schlug ebenfalls erbarmungslos zu. Sie sahen Entsetzen in den Gesichtern, Angst und Panik. Und da gehorchten sie widerstrebend und tauchten. Als Buster mit ein paar Männern und der Peitsche zurückkehrte, begriffen die Maduresen, daß sich von heute an viel ändern würde und sie nicht mehr das tun konnten, was sie wollten. Gordon fackelte nicht lange, wenn er nicht verstanden wurde. Er zog einem Mann die Neunschwänzige über und trieb ihn ins Wasser. Und er drohte auch damit, die Kinder zu verprügeln, wenn die Älteren nicht parierten. Muscheln wurden nach oben gebracht. Der Muschelreichtum war unerschöpflich. Die Maduresen mußten die Muscheln bis vors Schiff bringen und sie dort in den Sand legen. „Das geht besser, als ich dachte“, sagte Leach zufrieden. „Die Kerle haben schnell begriffen.“ „Bei denen erreicht man nur etwas mit Gewalt. Das ist die einzige Sprache, die sie genau verstehen. Also immer kräftig drauf, wenn einer nicht will oder das Maul aufreißt.“ Inzwischen hatten Buster und andere Kerle Gemüse besorgt und spannten ein paar ältere Männer zum Fischfang ein. Sie mußten mit ihren kleinen Booten hinausfahren und die Netze auslegen. Der Fang wurde ihnen abgenommen. Sie ließen ihnen nur ein paar kleine Fische übrig. Die Maduresen mußten alles zum Schiff bringen und dort abladen. Gordon bemerkte am späten Nachmittag so etwas wie Verachtung und Haß in den Augen eines Maduresen. Es war ein kräftiger junger Mann mit glatten Haaren, der nur widerwillig ins Wasser ging. Gordon glaubte, daß er die anderen aufhetzte, denn sie tuschelten ständig miteinander. „Den werde ich mir gleich mal vorknöpfen, damit es hier erst gar keinen
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Ärger gibt“, sagte er. „Aber erst soll er noch Muscheln nach oben bringen.“ Inzwischen türmten sich ein ganzer Muschelberg am Strand. Gordons Kerle taten nichts anderes, als Muscheln zu öffnen, und das war das einzige, was sie mit Begeisterung taten. In dem Muschelberg wurden drei mittelgroße Perlen gefunden, und da dröhnte ein Gebrüll über die Insel, daß die armseligen Hütten wackelten und die Maduresen sich vor Angst verkrochen. Die geöffneten Muscheln wurden auf einen Haufen geworfen und verbreiteten bald einen üblen fauligen Geruch. Doch das störte die Kerle nicht. Immer mehr Muscheln mußten die Maduresen nach oben bringen. Gordon wurde unersättlich und gönnte den Maduresen keine Pause. In jeder Muschel sah er bereits eine Perle, und er wollte davon so viele haben, wie er nur ergattern konnte. Aber der kräftige junge Bursche zog ihm einen Strich durch die Rechnung und redete auf die anderen ein. Seiner Ansicht nach hatten sie genug für die aufdringlichen Fremden getan, die sie nicht nur zur Arbeit zwangen, sondern ihnen auch noch ihre Lebensmittel wegnahmen.. Bill Gordon sah das ganz anders und stand auf. Mit einer. Lässigen Handbewegung entrollte er die Peitsche. * Der junge Mann, sein Alter ließ sich schwer schätzen, schüttelte nur den Kopf, als Gordon ihm befahl, weiterzutauchen. „Los, du verdammter Bastard!“ zischte Gordon. „Ins Wasser mit dir und den anderen. Ihr hört erst auf, wenn ich es euch sage.“ Wieder das Kopfschütteln. Das Gesicht des Jungen wurde kantig. Er antwortete etwas, das Gordon nicht verstand. Aber er glaubte, eine Beleidigung herauszuhören. Blitzschnell schlug er zu, zweimal hintereinander.
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Der Junge krümmte sich unter den Schlägen und stöhnte tief auf. Im nächsten Augenblick stürzte er sich wutentbrannt auf Gordon, um ihm die Peitsche zu entreißen. „Leach, Buster!“ schrie Gordon. Die beiden waren heran und schlugen den Jungen mit ein paar Fausthieben zusammen, bis er sich im Sand krümmte. „Bindet ihn da drüben an die Palme!“ befahl Gordon. Der Junge wurde mit ein paar Stricken festgebunden. Gordon blickte auf die schweigende Menge der Eingeborenen, die ihn fassungslos anstarrten. „Seht euch das genau an!“ schrie er wild. „So ergeht es jedem, der mir den Gehorsam verweigert. Aber das versteht ihr verdammten Bastarde ja doch nicht.“ „Die werden schon noch begreifen“, sagte Leach hämisch. „Notfalls peitschen wir die ganze Bande aus, bis sie es kapiert haben.“ Die beiden Frauen an Bord sahen ungerührt zu, wie Gordon in Aktion trat und mit der Neunschwänzigen hart zuschlug. Er legte alle Kraft in die Hiebe und keuchte vor Anstrengung. Die Haut des Jungen platzte am Rücken an. Blutige Striemen zogen sich über sein Kreuz wie aufblühende Feuermale. Er schrie ein paarmal heiser und röchelnd. Keiner der Eingeborenen rührte sich. Mit entsetzt aufgerissenen Augen starrten sie auf das unbegreifliche Geschehen. Sie hatten noch nie eine Peitsche gesehen und auch noch nie, daß einer von ihnen so mißhandelt wurde von Fremden, denen sie zu Willen sein mußten. Nach dem achten Schlag sackte der Junge in seinen Fesseln zusammen und wurde ohnmächtig. Gordon warf die Peitsche in den Sand und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. „Tauchen – ihr anderen!“ brüllte er. „Oder wollt ihr auch mit der Katze Bekanntschaft schließen? Los, dort hinunter!“ Angst und Grauen unter den Maduresen wurden noch größer. Gordon ließ den Jungen losbinden, versetzte ihm aber nochmals einen harten
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Schlag über den Körper. Anschließend wurde sein Rücken „behandelt“, indem sie ihm Salzwasser übers Kreuz gossen, bis der Junge schreiend wieder zu sich kam. „Siehst du, jetzt sind sie willig und gehorsam“, sagte Gordon zu Leach. „Man muß ihnen nur gut zureden. Die werden jetzt so lange tauchen, bis die Dunkelheit hereinbricht. Und morgen früh bei Sonnenaufgang geht es weiter.“ „Wir sollten uns aber höllisch in acht nehmen“, warnte Leach. „Die Kerle werden sich an uns rächen wollen, denn das bleibt ganz sicher nicht aus. Irgendwann fallen sie über uns her, und das wahrscheinlich bei Nacht. Dann geht es uns dreckig. Sie sind uns zahlenmäßig mindestens zehnfach überlegen.“ „Weiß ich, aber wir stellen nachts Wachen auf, und zwar direkt neben den Kanonen, die immer feuerbereit sein müssen. Verklar das auch den anderen, daß sie sofort feuern, sobald sie nur den geringsten Verdacht haben, es könnte etwas nicht in Ordnung sein.“ „Wir werden schon aufpassen.“ Der Junge, jetzt von der ungewohnten Behandlung an Leib und Seele gebrochen, fügte sich schweigend in sein Schicksal. Trotz seines blutigen Rückens tauchte er wieder, als Gordon ihm das befahl und mit dem Daumen ins Wasser zeigte. Dieser erste Tag brachte insgesamt sieben Perlen ein, die immer wieder gierig betrachtet wurden. Gordon tat sie in einen Lederbeutel, den er sich um den Hals hängte. „Wann wird geteilt?“ wollte Ireen Williams wissen. „Vorerst wird überhaupt nicht geteilt“, erwiderte Gordon scharf. „Die Perlen bleiben in dem Beutel. Wenn wir die ersten zwei Dutzend zusammenhaben, erhält jeder einen Anteil. Und so halten wir es auch in Zukunft, Madam. Wenn dir das nicht paßt, brauchst du es nur zu sagen. Bei mir geht alles gerecht zu.“ Bevor die Dunkelheit hereinbrach, wurde am Strand vor der Galeone ein Feuer entzündet.
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Gordon scheuchte die letzten Perlentaucher aus dem Wasser und deutete mit Gesten an, daß sie morgen, sobald die Sonne aufging, wieder tauchen müßten. Er sah in leere, apathische und erschöpfte Gesichter, doch das berührte ihn nicht. Sie brutzelten am Strand gestohlene Fische, die sie den Leuten abgenommen hatten, und hieben sich die Bäuche voll. Nachts wurden jeweils vier Wachen aufgestellt, die sich alle zwei Stunden ablösten. Aber kein Madurese wagte einen Angriff. Der erfolgte erst ganz überraschend am anderen Tag nach Sonnenaufgang. Als Gordon wieder mit der Peitsche nach einem schlug, der seiner Meinung nach nicht schnell genug war, fielen plötzlich sieben junge Männer über ihn her und entrissen ihm die Peitsche. Leach, der das aus der Ferne sah, zögerte keinen Augenblick. Er sprang zu einer Drehbasse, hielt die Lunte an das Zündloch und jagte die grobgehackte Bleiladung mitten zwischen die Hütten. Da flogen nur so die Fetzen. Zwei Männer wurden getroffen und wälzten sich schreiend im Sand. Eine Frau wurde schwer verletzt, und von zwei Hütten blieben nur noch die Eckpfosten stehen. Gordon konnte sich befreien. Sein Gesicht war blutig und verschrammt, und alle Knochen taten ihm weh. Dann jagten sie gemeinsam den Mann, von dem Gordon glaubte, er habe den Überfall angezettelt. Mit vor Angst und Grauen verzerrten Gesichtern sahen die Maduresen zu, wie sie ihn schnappten, zusammenschlugen und fesselten. „Wir haben offenbar nicht hart genug durchgegriffen“, sagte Gordon. „Diese Bastarde werden immer wieder aufsässig. Wir werden ihnen jetzt demonstrieren, wie wir mit solchen Aufrührern umgehen. Ich halte jede Wette, daß sie danach friedlich wie die Lämmer sind.“ „Was willst du mit dem Kerl tun?“ fragte Leach. Gordon deutete zu einer Palme, die schief gewachsen war und zwei Yard vom Boden
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fast waagerecht verlief, wobei ihre Wipfeln noch das Wasser berührten. „Aufhängen“, sagte Gordon. „Wir hängen den Kerl an die Palme und lassen ihn zappeln. Da bleibt er zur Abschreckung so lange hängen, bis ihm das Fleisch von den Knochen fällt.“ „Sollen wir das wirklich tun?“ „Was denn sonst! Nimm dir ein Beispiel an den Spaniern, wie die mit Anführern umgegangen sind. Die haben sich nicht mal gescheut, einen Inkaherrscher abzumurksen, und danach herrschte Ruhe im Land. Genauso werden wir es auch halten.“ Eine halbe Stunde später hing der Mann mit einem Strick um den Hals an der Palme und schwang hin und her. Danach muckte niemand mehr auf. Sie unterwarfen sich ängstlich und taten alles, was ihre Folterknechte von ihnen verlangten. Seitdem lief Gordon nur noch mit einem höhnischen Grinsen herum und behandelte die friedlichen Maduresen wie Vieh. 8. Seit eineinhalb Tagen war der Wind eingeschlafen, und jetzt hingen die Arwenacks noch immer in der Kalme. Die See war spiegelglatt, kein noch so kleiner Lufthauch kräuselte das Wasser. Vor ihnen lag eine langgestreckte Insel mit Dschungelvegetation, in der auch Affen hausten, die meist abends mit ihrem Krach begannen. Wenn der Schimpanse Arwenack das hörte, begann er ebenfalls zu zetern. „Eine Tagesreise haben wir geschafft, dann war Schluß“, sagte Hasard. „Es sieht auch ganz so aus, als müßten wir noch ein paar Tage warten, bis sich die Luft wieder rührt. Wir verholen in Ufernähe zu der Insel und gehen dort vor Anker.“ Die Worte wurden mit Erleichterung aufgenommen. Dort konnten sie wenigstens ein bißchen an Land herumstöbern, damit keine Langeweile aufkam. Außerdem war es an Deck
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unglaublich heiß, wenn die Sonne herab brannte und kein Lüftchen wehte. Die Schebecke wurde mit Hilfe der Langriemen gepullt, bis sie vor einer flachen Lagune lagen. Von hier aus konnte man bequem mit der abgefierten Jolle hinüberpullen. Es waren nicht mehr als fünfzig Yards. Sie badeten, angelten oder fingen große Krebse, die es hier in Massen gab. Einmal unternahmen sie auch eine kleine Exkursion weiter ins Landesinnere, doch die wurden nach zwei Stunden abgebrochen, weil sich Mangrovendickichte und undurchdringlicher Dschungel vor ihnen ausbreitete. Am späten Nachmittag war aus weiter Ferne ein leises Grollen zu vernehmen, das sich über die See fortpflanzte. „Hört sich nach einem fernen Gewitter an“, meinte Smoky. „Da ist kein Gewitter in Sicht“, widersprach Old O'Flynn. „Meiner Meinung nach war das eine Kanone, die abgefeuert wurde.“ Sie lauschten, doch das Grummeln wiederholte sich vorerst nicht. „Das kam aus Westen“, sagte der Seewolf, „einwandfrei aus Westen und war ganz sicher ein Kanonenschuß.“ „Da sitzen ja unsere lieben Freunde, die Perlentaucher“, sagte Don Juan nachdenklich. „Ob die Ärger mit den Eingeborenen haben? Möglicherweise hat man sie angegriffen und will sie auf der Insel nicht haben.“ „Die Maduresen sollen friedliche Leute sein, wie ich gehört habe. Ich kann mir eher das Gegenteil vorstellen, wenn ich an die Kerle zurückdenke.“ „Wie meinst du das?“ „Vielleicht haben sie Ärger provoziert, was weiß ich! Gordon und seine Kumpane möchte ich nicht gerade als friedliche Leute bezeichnen.“ Es wurde noch eine Weile darüber diskutiert, doch dann war das Thema uninteressant, zumal sich das Geräusch auch nicht wiederholte.
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Sie brieten Fische am Strand und vertrieben durch das Feuer die lästigen Plagegeister, die in Scharen über sie herfielen. Aus dem Dschungel waren jetzt undefinierbare Geräusche zu hören. Das abendliche Konzert nahm seinen Anfang, und da begann sich Arwenack wieder aufgeregt an Deck hin und her zu bewegen. Hasard teilte zwei Wachen ein, obwohl nicht zu befürchten war, daß bei dieser Kalme ein Schiff auftauchte, es sei denn, es konnte ebenso gepullt werden wie die Schebecke. Das Spektakel aus dem Dschungel setzte sich fort und wurde mit fortschreitender Dunkelheit noch wilder. Old O'Flynn erbot sich, die Wache nach drei Uhr morgens zu übernehmen. „Um die Zeit kann ich sowieso nicht schlafen“, behauptete er. „Da hocke ich lieber herum und denke über Gott und die Welt nach.“ Wobei dann wieder Spinnereien herauskommen, wollte Carberry sagen, unterließ es dann aber, um den Admiral nicht unnötig zu reizen. Die meisten schliefen in dieser Nacht an Deck. Unten herrschte trotz der Grätings eine drückende Hitze, die kein noch so kleiner Windhauch vertrieb. Dann übernahm Old O'Flynn die Wache, und Blacky und Stenmark legten sich unter den Niedergang an Deck, um zu schlafen. Der Alte hockte unbeweglich da und starrte in die Nacht hinaus. Über ihm war sternklarer Himmel, der Mond nur eine schmale Sichel. Im Dschungel kreischten ein paar Viecher, und so dachte Old Donegal in aller Ruhe „über Gott und die Welt“ nach und philosophierte ein bißchen vor sich hin. Er vergaß auch nicht, sich hin und wieder umzudrehen und alles zu mustern, doch es rührte sich nichts. Das Meer sah aus wie eine riesige Bleiplatte, die blank poliert war. Einmal, da begann schon fast die Dämmerung, zuckte er ein bißchen zusammen, denn da war ein ungewohntes
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Geräusch. Es hörte sich so an, als wate jemand durch die Lagune. Old Donegal kniff die Augen schmal und fixierte einen ganz bestimmten Punkt. Er glaubte auch, eine schemenhafte Gestalt zu erkennen, die etwas gebückt durch das flache Wasser schlich. Da war das Geräusch wieder und auch der undeutliche Schatten, der nur schwach vom Sternenlicht angestrahlt wurde. Der Admiral spielte mit der Pistole in seinen Händen und lauerte. Unbeweglich hockte er da. Nur ein paar Minuten später konnte er die Gestalt einwandfrei erkennen. Er zuckte ein bißchen zusammen bei dem Anblick. Der Kerl stand im Wasser der Lagune, hatte sich gebückt und fischte mit den Händen herum. Als Donegal sein Profil sah, wäre er fast von den Stufen des Niederganges gefallen. Der Kerl hatte eine unheimlich lange Nase, die ihn verteufelt an eine große Gurke erinnerte. So eine Nase hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Der Kerl trug auch merkwürdig enganliegende Kleidung, die tropfnaß war. Jetzt drehte die Gestalt sich um, als Donegal ein unterdrücktes Räuspern ausstieß, und sah ihn direkt an. Wieder fiel die lächerlich große Nase auf und die hellen Augen, die Old Donegal mißtrauisch musterten. Der Schreck fuhr dem Alten so in die Knochen, daß er mit einem Satz aufsprang und die Pistole auf den merkwürdigen Kerl anschlug. „Stehenbleiben!“ brüllte Old Donegal mit einer Stimme, die schlagartig alle Schläfer hochriß. „Bleib stehen, du Bastard, oder ich brenne dir eins auf den Pelz!“ Der Nasenträger zuckte zusammen, schien aber unschlüssig, ob er nicht doch davonlaufen solle. Er entschied sich jedoch dafür, stehenzubleiben. „Was ist denn los?“ fragte der Kutscher, der mit einem Satz neben Old Donegal war. Auch Carberry, Ferris, Blacky, Hasard und etliche andere waren schlagartig hellwach und blickten zu Old Donegal, der mit der Pistole in der Hand über das Schanzkleid zielte.
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„Ein Kerl hat sich angeschlichen“, sagte Old Donegal, „aber ich habe ihn gerade noch bemerkt. Vielleicht ist es diesmal ein richtiger Meermann. Dort vorn steht er.“ Sie sahen zu der Stelle und erkannten die reglose Gestalt im flachen Wasser, die immer noch ausdruckslos herüberstarrte. . „Seht euch mal die Gurke in seinem Gesicht an!“ schrie Old Donegal. „Der Kerl ist bestimmt 'ne Mißgeburt!“ Die Gestalt drehte sich jetzt langsam und tat ein paar Schritte zum Land hin. In der rechten Hand hielt sie einen großen Krebs, der wild zappelte und zu entkommen versuchte. „Halt!“ brüllte Old Donegal. „Bleib stehen, du Halunke!“ „Er versteht dich nicht“, sagte der Kutscher grinsend. „Er kann überhaupt kein Wort Englisch. Nasenaffen haben nämlich ihre eigene Sprache und kapieren absolut nicht, was du sagst.“ „Nasenaffen?“ fragte Old Donegal verdattert. „Ja, das ist ein Nasenaffe“, erklärte der Kutscher. „Eigentlich gibt's die nur auf Borneo, aber der hier hat sich vielleicht mal auf ein Schiff geschlichen oder ist sonst wie hierher gelangt. Weiß der Teufel wie. Aber es ist ein Nasenaffe, und die waten oft im seichten Wasser herum und fangen Fische oder Krebse.“ Old Donegal ließ die Pistole sinken und räusperte sich, als die anderen zu lachen anfingen. „Verdammt, ein Nasenaffe“, murmelte er, „dabei sah er aus wie ein Mensch mit seiner langen Gurke. Ich kannte nämlich mal einen spanischen Kapitän, der hatte auch so einen gewaltigen Riechkolben und sah genauso dämlich aus wie der hier. Mann, habe ich einen Schreck gekriegt.“ Der Nasenaffe warf noch einen Blick zurück und sprang plötzlich hoch. Offenbar hatte ihn der Krebs heftig gezwickt. Mit ein paar wilden Sätzen verschwand er im Dickicht. Die Seewölfe lachten hinter ihm her. Der Affe sah wirklich dämlich aus mit seiner langen Nase, und so wurde das Gelächter noch eine Weile fortgesetzt, auch über Old
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Donegal, der sich wieder Mal eine Menge anhören mußte. Ferner Donner schreckte sie hoch. Es war nicht der Donner von Culverinen, der lauter klang, es hörte sich eher nach kleinen Geschützen an, die zweimal hintereinander abgefeuert wurden. Etwas später folgte noch ein dritter Schuß. Hasard blickte besorgt über die ruhige See. „Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht Gordon und seine Kerle sind“, sagte er erbittert. „Da scheint wirklich die Hölle los zu sein. Die Kerle haben etwas angestellt, da bin ich mir ganz sicher. Und wir Blödmänner haben ihnen noch dazu verholfen.“ „Wieder aus Westen – wie gestern“, sagte Ferris. „Auf jeden Fall sind sie mit den Eingeborenen aneinandergeraten, denn sie feuern bestimmt nicht aus lauter Spaß herum.“ „Sobald Wind aufkommt, segeln wir zurück und sehen nach“, sagte Hasard grimmig. „Für uns ist das nicht mal ein Tagestörn.“ Aber sie mußten sich noch bis zum Mittag gedulden. Solange blieb das Meer glatt wie ein Spiegel. Dann erst huschte ein zarter Hauch über das Wasser. * Aus dem Lufthauch wurde eine Brise, die aus nördlicher Richtung einfiel und das Meer kräuselte. Die ersten kleinen Wellen begannen sich zu bilden. Sie setzten die Segel und hievten den Anker. Die Arwenacks segelten zurück, diesmal über Backbordbug liegend mit Steuerbordhalsen. Immer wieder lauschten sie auf das dumpfe Grollen, das sich meilenweit über das Meer fortpflanzte. „Nichts mehr zu hören“, sagte Batuti, der aufmerksam lauschte und ein vorzügliches Gehör hatte. „Schon seit Stunden nicht.“ Hasard wurde das dumpfe Gefühl nicht los, sie könnten zu spät eintreffen. Er hätte sich
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jetzt achtern einfallenden Wind gewünscht, der sie, schneller über das Wasser schob. „Hast du dir überlegt, was wir tun werden?“ fragte Don Juan. „Das hängt von der jeweiligen Situation ab. Wenn die Kerle dort für blutigen Aufruhr gesorgt haben, werden wir sie zwingen, den Ort zu verlassen und ihnen eine harte Lektion erteilen.“ „Dafür bin ich auch. Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß sie sich gegen Übergriffe der Maduresen zur Wehr gesetzt haben.“ „Glaubst du das wirklich?“ fragte der Seewolf. „Nein“, erwiderte Don Juan ehrlich. „Ich traue den Kerlen absolut nicht und habe das Gefühl, daß die Eingeborenen von ihnen terrorisiert werden.“ Hasard preßte die Lippen zusammen, bis sie einen schmalen Strich bildeten. „Hoffentlich haben wir nicht die Pest auf die friedliche Insel gebracht“, murmelte der Spanier besorgt. „Dann werden wir die Pest auch wieder ausmerzen“, versprach der Seewolf. Al Conroy und die Zwillinge überprüften inzwischen die Culverinen. Sie waren geladen und in einem einwandfreien Zustand. Sie segelten die ganze Nacht durch, denn zwischendurch legte sich der Wind und begann anschließend leicht zu schralen. „Dort vorn sind die Inseln, wo wir uns von den Kerlen getrennt haben“, sagte Dan O'Flynn. „Der Ort Sampang befindet sich aber noch weiter westlich.“ Er suchte mit dem Spektiv die See ab, doch die altersschwache Galeone war nirgends zu sehen. Allerdings konnte sie in einer der zahlreichen Buchten versteckt liegen. „Nichts zu sehen?“ fragte Hasard. „Nein, nichts. Ich nehme an, daß sie wieder nach Sampang zurückgesegelt sind.“ Hasard und Don Juan warfen sich einen schnellen Blick zu. „Mir geht langsam ein Licht auf“, sagte der Seewolf. „Ich vermute, daß sich Gordon und seine Schnapphähne der Maduresen bedienen, um die Muscheln vom Meeresgrund zu holen. Die Vermutung
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liegt auf der Hand. Sie selbst sind keine Taucher, und das Tauchen ist nun mal eine anstrengende Sache. Was liegt da näher, als Gewalt auszuüben und sich selbst faul in den Schatten zu setzen. Wenn die Leute nicht spuren, dann hilft man eben nach.“ Don Juan blickte scharf voraus. „Man sollte jedem, der uns bittet, ihn mitzunehmen, gleich die Faust aufs Auge hauen. Bisher haben wir nur üble Erfahrungen in dieser Richtung hinter uns.“ „Das stimmt allerdings“, sagte Hasard erbittert. „Die Erfahrung hat es später immer wieder gelehrt.“ „Dort vorn ist es“, sagte Dan O'Flynn, „noch eine halbe Meile. Das ist der Ort, wo die Hütten stehen.“ Zu sehen war nichts, auch Geräusche vernahmen sie nicht. Der Ort Sampang lag ihren Blicken noch verborgen. Vorspringende Landzungen und Mangrovenwälder verwehrten den Blick. Etwas später sahen sie die Bescherung, und es traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. 9. Mit schwacher Fahrt liefen sie auf die Bucht zu. Hasard stockte der Atem, und es verschlug ihm für lange Augenblicke glatt die Sprache. In der Bucht tauchten Maduresen nach Muscheln – ganz so, wie er dunkel geahnt hatte. Die Galeone lag bewegungslos auf dem Sand fest, davor hockten Gordons Kerle vor riesigen Muschelbergen. Der ganze Sandstreifen war über und über davon bedeckt. An einer Palme aber, das war von hier aus deutlich zu sehen, hingen zwei Männer, Maduresen mit nackten Oberkörpern und einem Strick um den Hals. Ihre Körper pendelten im sanften Wind langsam von einer Seite zur anderen. Das kleine Dorf war zu einem großen Teil verstört. Hütten waren hinweggefegt worden, zerfetzt und zertrümmert. Auch
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ein paar Kokospalmen hatte das Feuer aus den Kanonen gefällt. Wo vor kurzem noch eine friedliche Idylle gewesen war, herrschten jetzt Chaos, Tod und Verwüstung. „Mein Gott“, sagte Ben Brighton. „Da haben wir wirklich eine höllische Saat gesät. Das ist ja unglaublich.“ Hasard gab Pete Ballie verbissen Anweisung, die Schebecke so am Wind zu halten, daß sie keine Fahrt mehr lief. Er starrte immer noch düster und nichtbegreifend auf das Bild des Schreckens. Genauso überrascht waren aber auch Gordon und seine mörderischen Kumpane, als die Schebecke unvermittelt in ihrem Blickfeld auftauchte. Sie hatten nicht im Traum daran gedacht, Wachen aufzustellen. Die Gier nach den Perlen hatte sie blind werden lassen. Gordon sah schluckend zu den Arwenacks. Er stand nicht weit von der Galeone entfernt und hielt eine Peitsche in der Faust. Im Wasser der Bucht tauchten Köpfe auf, Männer und Frauen, die Muscheln nach oben brachten und sie auf den Strand warfen. „Ihr verfluchten Bastarde“, sagte Hasard mit mühsam unterdrückter Wut. „Was habt ihr hier angestellt?“ Bill Gordon lachte höhnisch. „Na und?“ rief er. „Wir suchen Perlen, und diese Affen helfen uns dabei. Möchte wissen, was euch das angeht! Verschwindet lieber und laßt uns in Ruhe.“ Hasards Narbe im Gesicht lief dunkelrot an, ein Zeichen äußerster Erregung bei ihm. „Wer hat die Männer aufhängen lassen und die Hütten zerstört?“ fragte er mit lauter Stimme. Gordon wischte mit der Peitsche durch die Luft. „Aufsässige“, sagte er lässig und verächtlich. „Sie haben sich gegen uns erhoben, und ich habe dafür gesorgt, daß wieder Ruhe herrscht.“ Hasard gab ein paar kurze Anweisungen.
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Die Schebecke glitt weiter in die Bucht. Der Anker wurde gesetzt. Hasard, Don Juan, Carberry und ein paar andere enterten in die nachgeschleppte Jolle ab. Sie waren bis zum Bersten von Wut erfüllt. Noch während sie zum Strand pullten, sah Hasard Ireen Williams. Auffallend schnell verschwand sie von Bord und hastete durch das Dickicht ins Inselinnere, wo sie gleich darauf verschwand. Gordon, Leach und Buster blieben reglos stehen, als die Seewölfe vor ihnen aus der Jolle sprangen. Aber in Gordons Augen flackerte es unsicher, als er die harten, erbarmungslosen Gesichter sah, Gesichter, in denen keine Gnade stand. Hasard zog mit einer blitzschnellen Bewegung seinen Degen und setzte die Spitze dem zurückweichenden Gordon an die Kehle. „Du mieser Halunke“, sagte er angewidert. „Ich hätte euch unterwegs versenken sollen, wenn ich nur etwas geahnt hätte. Ihr habt mein Vertrauen gründlich mißbraucht, wegen ein paar lumpiger Perlen ein friedliches Dorf zerstört und Tod und Vernichtung über die Leute gebracht, die hier jahrelang in Frieden lebten. Seht euch diese Leute an! Sie sind an Leib und Seele gebrochen.“ Gordon starrte ihn haßerfüllt, aber auch ängstlich zugleich an. „Das sind doch nur Affen“, sagte er frech, „die zufällig sprechen können, aber selbst dann versteht man sie nicht.“ Ich weiß gar nicht was ihr wollt. In ein oder zwei Wochen haben wir so viele Perlen zusammen, daß wir von hier verschwinden.“ „Ihr werdet nicht mehr von hier verschwinden“, sagte Hasard hart. „Nie mehr, damit ihr keinen Schaden mehr anrichten könnt.“ Gordon zeigte vorsichtig mit der Hand zu den Hütten. „Da drüben“, sagte er, „da hat ...“ Hasard wandte nur ganz kurz den Blick. Aber da drüben war niemand. Es war nur eine Ablenkung gewesen. Bill Gordon nutzte den winzigen Augenblick. Mit der Peitsche schlug er aus
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dem Handgelenk zu. Die dünnen Lederriemen pfiffen durch die Luft. Zwei erwischten Hasard an der Schulter. Er sprang zur Seite und stieß gleichzeitig den Degen vor. Bill Gordons Augen wurden groß und starr. Die Peitsche entglitt seiner Hand und fiel zu Boden. Er selbst stierte ungläubig auf die Klinge, die tief in seiner Brust steckte. Hasard zog sie mit einem Ruck heraus. Bill Gordon stand noch einen Augenblick reglos da. Dann kippte er schweigend vornüber in den Sand, der sich unter seiner Brust dunkelrot färbte. Leach war vor Entsetzen einen Schritt zurückgewichen. „Ihr könnt uns nicht umbringen“, stieß er heiser hervor. „Wir haben uns nur zur Wehr gesetzt, weil uns die Kerle überfielen.“ Hasard sah, daß die Leute, die nach Perlen tauchten, einer nach dem anderen aus dem Wasser stiegen. Sie konnten sich offenbar nicht erklären, was hier passierte, und so zogen. sie sich unauffällig zu ihren teilweise zerstörten Hütten zurück. Sie hatten Angst, das war deutlich in ihren Gesichtern zu lesen. Etliche von ihnen verschwanden in dem dunklen Grün des Dickichts. Ein paar blieben stehen und sahen aus -respektvoller Entfernung zu. Leach begann plötzlich über den Strand zu rennen. Er nahm Kurs auf die alte Galeone. „Schießt doch endlich, ihr Idioten!“ brüllte er verzweifelt. „Los, feuert auf das Schiff!“ An Bord waren ungefähr acht oder neun Kerle, die sich um die kleinen Zweipfünder scharten. Sie versuchten zu retten, was noch zu retten war. Zwei Blitze zuckten gleichzeitig aus den Rohren, zwei Feuerlanzen stachen hervor. Ein Zweipfünder durchschlug das Focksegel der Schebecke. Die andere Kugel sauste scharf am Bug vorbei. Die Kerle hasteten zu den anderen Drehbassen. Auch Leach rannte rasend schnell zu der Galeone, während Buster in die entgegengesetzte Richtung zu fliehen versuchte.
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Zweierlei geschah gleichzeitig. Hasard hörte etwas durch die Luft schwirren und sah, wie Leach mitten im Lauf gestoppt wurde, als hielte ihn eine unsichtbare Faust an. Danach taumelte er noch zwei Schritte weiter, überschlug sich im Sand und blieb auf der Seite liegen. Zwischen seinen Schulterblättern steckte ein langer, gefiederter Pfeil, den Batuti mit seinem Langbogen verschossen hatte. Gleichzeitig brüllte es auf der Schebecke wild auf. Ben Brighton hatte das Kommando zum Feuern gegeben, als er sah, daß die Kerle jetzt auch ihre Drehbassen abfeuern wollten. Zwei Siebzehnpfünder krachten in die Galeone. Das Ziel war bei diesem ruhigen Wasser und der kurzen Distanz nicht zu verfehlen. Die erste Kugel fetzte den Bug der Galeone auseinander und riß einen Trümmerregen aus Holzsplittern mit sich. Zwei brüllende Männer verschwanden in dem wirbelnden Chaos und wurden über Bord gefegt. Die zweite Eisenkugel schmetterte mittschiffs hinein. Es gab einen donnernden und berstenden Knall, der den Rest buchstäblich auseinanderriß. Das Deck fiel in sich zusammen, und die beiden morschen Masten wurden wie altersschwache Bäume gefällt. Eine riesige Staubwolke stieg nach den beiden Treffern zum Himmel wie dunkles Mehl, das der Wind auseinandertrieb. Nach den zwei Schüssen war der alte Kasten nur noch ein wüster Trümmerhaufen, der keine Ähnlichkeit mehr mit einer Galeone hatte. Die Staubwolke stand immer noch über der Bucht und wurde vom Wind zerblasen. Trümmer waren bis weit in das Dickicht geflogen. Hasard glaubte, eine weitere Frau davonrennen zu sehen, die sich aus dem Trümmerhaufen noch gerettet hatte. Er konnte aber nichts Genaueres mehr erkennen, denn der Staub nahm ihm die Sicht.
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Einige von Gordons Kerlen waren getötet worden. Zwei weiteren gelang ebenfalls die Flucht. Jetzt war nur noch Buster zu sehen, das einäugige Monstrum, das laut brüllend einen Fluch weg suchte. Aber Carberry hatte ihm bereits den Weg abgeschnitten und ihn mit ein paar schnellen Sätzen erreicht. Buster zog sein Entermesser und stellte sich zum Kampf. Wie mit einer Sense ging er auf den Profos los, der ihn erst dicht heran ließ und dann schnell zur Seite auswich. Busters erster Hieb, von einem urweltlichen Brüllen begleitet, ging in' die Luft. Er drehte sich herum, trat mit dem Fuß in den Sand, um Carberry die Sicht zu nehmen und stürzte sich abermals auf ihn. Carberry hielt sein eigenes Messer in der Faust und ließ den Bullen einfach hineinrennen. Buster kroch noch bis zum Wasser, da verließen ihn die Kräfte und er sackte zusammen. „Ein paar sind, entwischt“, sagte Hasard, „auch die beiden Frauen. Aber sie werden sich ihrer Freiheit nicht lange erfreuen und immer in Angst vor der Rache der
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Eingeborenen leben. Ich schlage vor, daß wir den Maduresen beim Aufbau der Hütten helfen, denn ich habe ein verdammt schlechtes Gewissen.“ „Haben wir alle, Sir“, sagte Ben Brighton. „Diese Satansbrut hätte es ohne unsere Hilfe wahrscheinlich nicht bis hierher geschafft. Also beginnen wir mit dem, was man Wiedergutmachung nennt.“ Es dauerte auch nicht lange, dann hatten die Maduresen begriffen, daß diese Fremden keineswegs als Ausbeuter oder als Unterdrücker erschienen waren, für die sie arbeiten mußten und dafür noch bestraft wurden. Zwei Tage lang blieben die Arwenacks da und setzten die Hütten wieder instand. Der Strand wurde gesäubert, und auch das unansehnliche Trümmerfeld verschwand nach und nach, bis von der Galeone nichts mehr übrig war. In den beiden Tagen gewannen die Arwenacks ein paar neue Freunde, ehe sie wieder auf Ostkurs gingen und weitersegelten. Ihr Ziel, die Karibik, war noch weit entfernt. Ein riesiger Ozean lag dazwischen, den es zu überqueren galt...
ENDE