Mehmet Ata Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien
Mehmet Ata
Der MohammedKarikaturens...
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Mehmet Ata Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien
Mehmet Ata
Der MohammedKarikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien Eine vergleichende Diskursanalyse
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl.: Dissertation, Universität Siegen 2011
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Monika Mülhausen VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18393-0
Danksagung
Mein erster und größter Dank gilt meinem Doktorvater Clemens Knobloch. Ich danke ihm für die vielen anregenden Gespräche, für sein Vertrauen und dafür, dass er jederzeit für Fragen zur Verfügung stand. Dank seiner Unterstützung konnte ich meine Dissertation fertig stellen, ohne Lebenskrisen durchzumachen. Einen besseren Betreuer kann man sich nicht wünschen. Auch dem zu viel früh verstorbenen Georg Bollenbeck habe ich viel zu verdanken. Er war nicht nur ein brillanter Wissenschaftler, sondern auch ein hervorragender Motivator und ein Mensch, mit dem man auf Augenhöhe diskutieren konnte. Mein Dank gilt auch den weiteren BetreuerInnen des Promotionskollegs „Demokratie und Kapitalimus“ an der Universität Siegen und natürlich auch der Rosa-LuxemburgStiftung für die Förderung meines Dissertationsvorhabens. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Stephan Habscheid, der das Zweitgutachten der vorliegenden Dissertation übernommen hat und Werner Köster, der mir seit meiner Studienzeit mit freundschaftlichem Rat zur Seite steht. Birgit Jagusch und Andrea Dernbach danke ich für das Korrekturlesen und für zahlreiche Anregungen. Den Journalisten Daniel Bax, Kai Diekmann und Wolfgang Storz danke ich für ihre Bereitschaft, mir in Interviews Rede und Antwort zu stehen. Und zu guter Letzt danke ich meiner Mutter dafür, dass sie mir beigebracht hat, immer beharrlich zu sein und geduldig zu arbeiten.
Inhalt
1.
Einleitung ............................................................................................... 11
2.
Methodisches Rüstzeug ......................................................................... 15 2.1 Auswahl des Untersuchungsgegenstandes ....................................... 15 2.2 Frage der Repräsentativität ............................................................ .. 16 2.3 Interdiskursanalyse .......................................................................... 17 2.3.1 Kollektivsymbole ........................................................ 19 2.3.2 Kritische Methode ....................................................... 21 2.3.3 Sagbarkeitsfeld ............................................................ 23 2.3.4 Diskursives Ereignis .................................................... 25 2.4 Begriffsgeschichte ........................................................................... 26 2.5 Vergleichende Diskursanalyse ........................................................ 27 2.6 Konkretes Vorgehen ........................................................................ 30
3.
Forschungsstand .................................................................................... 33
4.
Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei ........................ 4.1 Pressefreiheit .................................................................................... 4.1.1 Medienkonzentration ......................................................... 4.1.2 Rechtliche Rahmenbedingungen ....................................... 4.1.3 Rezipienten-Produzenten-Beziehung ................................ 4.2 Auflagen und Binnenverhältnisse der Zeitungen .............................. 4.2.1 Deutschland ....................................................................... 4.2.2 Türkei ................................................................................
39 42 42 47 52 54 54 70
5.
Diskursiver Kontext ............................................................................... 5.1 Das Islambild in den deutschen Medien ........................................... 5.1.1 Orientalismus .................................................................... 5.1.2 Wichtige diskursive Ereignisse ......................................... 5.1.3 Einige Charakteristika des aktuellen Islambildes in Deutschland ................................................................... 5.2 Verknüpfung mit Migrationsdiskurs ................................................. 5.3 Islam- und Westbild in der Türkei ....................................................
75 75 76 78 84 86 88
8
Inhalt
6.
Chronologie des Karikaturenstreits ..................................................... 91
7.
Analyse der Karikaturen in der Jyllands Posten .............................. 101 7.1 Feindbilder ...................................................................................... 103 7.2 Bomben-Kopfkarikatur in der Jyllands Posten ............................... 103
8.
Wörterbuch des Diskurses .................................................................. 8.1 Pressefreiheit .................................................................................. 8.2 Bilderverbot .................................................................................... 8.3 Beleidigung ..................................................................................... 8.4 Respekt ........................................................................................... 8.5 Kampf der Kulturen ........................................................................ 8.6 Dialog der Kulturen ........................................................................
107 107 111 113 114 115 118
9.
Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei ................ 9.1 Der Diskurs in Deutschland ............................................................ 9.1.1 Bild und Bild am Sonntag ............................................... 9.1.2 Frankfurter Allgemeine Zeitung ...................................... 9.1.3 Süddeutsche Zeitung ....................................................... 9.1.4 Die Welt .......................................................................... 9.1.5 Frankfurter Rundschau .................................................... 9.1.6 tageszeitung ..................................................................... 9.1.7 Der Tagesspiegel ............................................................. 9.1.8 Berliner Zeitung .............................................................. 9.1.9 Mannheimer Morgen ....................................................... 9.1.10 Stern ................................................................................ 9.1.11 Focus ............................................................................... 9.1.12 Rheinischer Merkur ......................................................... 9.1.13 Die Zeit ........................................................................... 9.1.14 Der Spiegel ...................................................................... 9.1.15 Spiegel Online ................................................................. 9.1.16 der Freitag ....................................................................... 9.1.17 Neues Deutschland .......................................................... 9.1.18 junge Welt ....................................................................... 9.1.19 Junge Freiheit .................................................................. 9.1.20 National Zeitung ..............................................................
121 121 121 124 128 131 135 138 142 147 150 152 155 157 160 163 165 168 170 173 176 179
Exkurs: Interviews mit den leitenden Redakteuren Kai Diekmann (Bild), Wolfgang Storz (Frankfurter Rundschau) und Daniel Bax (taz) .................... 181
9
Inhalt
9.2 Zwischenfazit: Der Karikaturendiskurs in Deutschland .................. 9.3 Auswirkungen auf das journalistische Feld in Deutschland ........... 9.4 Der Diskurs in der Türkei ............................................................... 9.4.1 Zaman .............................................................................. 9.4.2 Hürriyet ........................................................................... 9.4.3 Cumhuriyet ...................................................................... 9.4.4 Milliyet ............................................................................ 9.4.5 Sabah ............................................................................... 9.4.6 Radikal ............................................................................ 9.4.7 Vatan ............................................................................... 9.4.8 Akúam ............................................................................. 9.4.9 Evrensel ........................................................................... 9.4.10 Milli Gazete ..................................................................... 9.5 Zwischenfazit: Der Karikaturendiskurs in der Türkei .................... 9.6 Auswirkungen auf das journalistische Feld in der Türkei ..............
196 211 212 212 215 219 222 224 227 231 233 235 237 242 252
10. Anschlussdiskurse .................................................................................. 10.1 Popetown ....................................................................................... 10.1.1 Die Zeitschriftenkampagne ............................................. 10.1.2 Parallelen und Unterschiede zum Karikaturenstreit ........ 10.1.3 Das Ende des Streits ........................................................ 10.2 Papst-Rede in Regensburg ............................................................. 10.2.1 Bezug zum Karikaturenstreit ........................................... 10.3 Idomeneo ....................................................................................... 10.3.1 Der Mediendiskurs .......................................................... 10.3.2 Gefährliches Wissen ........................................................ 10.3.3 Die Aufführung ............................................................... 10.4 Zusammenfassung .........................................................................
255 255 256 257 258 258 258 259 260 260 261 261
11. Methodische Rückschlüsse .................................................................... 11.1 Probleme bei der Analyse .............................................................. 11.2 Potenziale vergleichender Diskursanalysen ................................... 11.3 Kriterien für vergleichende Diskursanalysen ................................. 11.4 Ausblick .........................................................................................
263 263 264 265 266
12. Fazit: Der deutsche und der türkische Diskurs im Vergleich ............ 269 13. Literaturverzeichnis ............................................................................... 275
1. Einleitung
Die Affäre um die Mohammed-Karikaturen ist mit ihrer „heißen Phase“ im Februar 2006 und den daran anschließenden Diskursen zu einem medialen „Megaereignis“ geworden, das weltweite Ausmaße erreichte. Die Auseinandersetzung, die sich an zwölf Zeichnungen in der dänischen Tageszeitung Jyllands Posten entzündete, ist heute Sinnbild des Konfliktes zwischen Orient und Okzident sowie des Spannungsfeldes zwischen Presse- und Religionsfreiheit. Bis in die Gegenwart ist der Karikaturenstreit aktuell geblieben. Durch seinen großen Einfluss auf Folgediskurse, die auf ihn rekurrieren, bleibt er noch im kollektiven Bewusstsein vieler Länder präsent. Es vergehen kaum sechs Wochen, ohne dass ein Diskurs auf den Streit Bezug nimmt. In dieser Dissertation möchte ich den Karikaturen-Diskurs in Deutschland und der Türkei miteinander vergleichen. Denn die besondere Konstellation im Streit verspricht aufschlussreiche Ergebnisse. Im Konflikt scheinen sich die Pressefreiheit und die Achtung vor religiösen Gefühlen in die Quere zu kommen. In Deutschland wurde der Karikaturenstreit über weite Strecken als ein Konflikt zwischen dem demokratischen Westen und einer totalitären islamischen Welt inszeniert. Ich bin von der Hypothese ausgegangen, dass der Karikaturenstreit in den beiden Ländern eine unterschiedliche mediale Resonanz erfahren hat, vor allem wegen der differierenden zivilgesellschaftlichen Stellung des Islams. Der Diskurs in Deutschland unterscheidet sich nicht grundlegend von dem in anderen europäischen Ländern – dies kann basierend auf dem derzeitigen Forschungsstand gesagt werden. Schon ein erster Blick in die türkischen Medien verrät aber, dass die dortige Berichterstattung erheblich differiert. Der türkische Diskurs ist durch die Zwischenstellung der Türkei zwischen Ost und West und die damit verbundenen Widersprüche geprägt. Des Weiteren lag der Dissertation die Hypothese zugrunde, dass der Karikaturendiskurs durch die Thematisierung der Meinungs- und Pressefreiheit und der Achtung vor der Religion zu einer „Dynamik des Seitenwechsels“ geführt hat. Aufgrund der vermeintlichen oder echten Gefahr für die Pressefreiheit und die Demokratie haben sich viele (traditionell eher islamfreundliche) Liberale und Linke auf die Seite der Jyllands Posten geschlagen. Auf der anderen Seite zogen die Karikaturen gläubige Christen auf die „muslimische Seite“, weil auch M. Ata, Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien, DOI 10.1007/978-3-531-94091-5_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
12
1. Einleitung
sie die Verhöhnung der Religion in der Presse eingegrenzt sehen wollten. Diese Dynamik im Diskurs hat religiöse Gruppen angenähert und das linke Lager von muslimischen Gruppen entfernt. In der Türkei gab es eine andere Tendenz. Viele ehemalige Liberale sympathisierten mit dem Islam, der in Teilen der Bevölkerung als Motor für einen Gerechtigkeitskampf gesehen wird. Die Analyse von Feindbildern und medialen Selbstreflexionen bildet einen wichtigen Schwerpunkt dieser Arbeit. Weiterhin war zu fragen, welche Kommunikation es zwischen deutschen und türkischen Medien gab. Es wurde analysiert, ob und wie sich die beiden Länder gegenseitig wahrgenommen haben. Die Eskalation des Konfliktes erfolgte in Europa und in islamisch dominierten Ländern fast gleichzeitig. Dies legte die Vermutung nahe, dass sich die Diskurse gegenseitig beeinflusst haben. Der Karikaturenstreit war drei, vier Wochen lang das beherrschende Thema der Mediendiskurse. Somit verfügt der Konflikt über eine zeitliche Achse, die es erlaubt, diskursive Dynamiken in den beiden Ländern nachzuzeichnen. Und noch immer sind viele grundlegende Fragen den Karikaturenstreit betreffend ungeklärt. Besonders der Anfang des Konfliktes wirft Fragen auf. Warum haben gerade diese zwölf Karikaturen, die in einer Zeitung in einem kleinen Land abgedruckt wurden, einen globalen Konflikt ausgelöst? Eine Medienanalyse, die sich auf ein Land begrenzt, kann diese Fragen nicht beantworten. Durch eine vergleichende Analyse können sowohl neue Erkenntnisse in Bezug auf die Kommunikation von „West“ und „Ost“ als auch in Bezug auf die gesellschaftlichen Realitäten in Deutschland und der Türkei gewonnen werden. Es ist unter anderem zu fragen, ob der Karikaturenstreit zu einer Entfremdung von Teilen der türkischen Bevölkerung gegenüber der EU geführt oder diesen Prozess zumindest beschleunigt hat. Es wird in dieser Arbeit notwendig sein, zunächst meine methodischen Grundlagen darzulegen. Die Kritische Diskursanalyse, die im Anschluss an Michel Foucault entwickelt wurde, und Überlegungen zu einer Theorie der vergleichenden Diskursforschung sollen an dieser Stelle diskutiert werden. Die vorliegende Dissertation betritt mit dem Vergleich zwischen Diskursen in einem christlich und einem islamisch dominierten Land wissenschaftliches Neuland. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll der (übersichtliche) Forschungsstand zum Karikaturendiskurs aufgearbeitet werden, um im darauf folgenden Kapitel die journalistischen Felder in Deutschland und der Türkei darzulegen. Ich halte dies für unerlässlich, um eine vergleichende Diskursanalyse durchführen zu können. Darauf wird zurückzukommen sein. Vergleichsweise kurz möchte ich den diskursiven Kontext des Islambildes in beiden Ländern und des Westbildes in der Türkei abhandeln. Um den LeserInnen eine Orientierung zu geben und den Verlauf des Streits ins Gedächtnis zu rufen, wird in Kapitel 6 die Chronologie der
1. Einleitung
13
Karikaturen-Affäre dargelegt. Als weitere vorbereitende Schritte werden anschließend die in der Jyllands Posten veröffentlichten Mohammed-Karikaturen analysiert und ein Wörterbuch des Diskurses erstellt. Mit letzterem sollen zentrale Begriffe des Diskurses gesondert behandelt werden – zugleich versuche ich damit eine Verbindung von Diskursanalyse und begriffsgeschichtlicher Herangehensweise zu erzielen. In Kapitel 9 wird das deutsche und türkische Korpus einer diskursanalytischen Untersuchung unterzogen. Insgesamt werden 31 Medien betrachtet. Die Analyse erfolgt mehrstufig. Zunächst werden die Ergebnisse zu den einzelnen Medien dargelegt, danach werden zentrale Ergebnisse zum Diskurs im jeweiligen Land zusammengefasst, um im letzten Schritt einen Vergleich ziehen zu können. In Kapitel 10 werden anhand von drei Beispielen Anschlussdiskurse analysiert. In den abschließenden Kapiteln dieser Arbeit möchte ich methodische Rückschlüsse ziehen und einen Ausblick wagen.
2. Methodisches Rüstzeug
2.1 Auswahl des Untersuchungsgegenstandes Den Karikaturenstreit einer vergleichenden Diskursanalyse zu unterzie hen, ist nicht nur wegen der seiner Dichte un d Vielstimmigkeit spannend. Auch forschungspraktisch bietet sich eine A useinandersetzung mit dem KarikaturenDiskurs an. Die Mohammed-Karikaturenaffäre war ein mediales Mega-Ereignis, zu dem sich alle Medien in Europa und in islamisch geprägten Ländern positionieren mussten. Daher wird die Analyse Rück schlüsse auf die journalistischen Felder beider Länder zulassen; dies vor allem auch deshalb, weil in Konfliktsituationen Differenzlinien und Sagbarkeitsfelder besonders deutlich hervortreten. „Nur dort, wo konkurrierende Ansprüche auf Definitionsmacht erhoben werden, diskursive Prozesse vorangetrieben werden“15, heißt es bei Michael SchwabTrapp. Das heißt, der Diskursbegriff setzt sogar die Konflikthaftigkeit diskursiver Prozesse voraus. Der Schwerpunkt der vorliegenden Analyse liegt auf dem deutschen Material. Nur halb so viele türkis che Zeitungen wie deutsche wurden in das Korpus aufgenommen. Dabei war nicht nur die Tatsache, dass die vorliegende Arbeit in der Germanistik geschrieben wurde, ausschlaggebend für die Zeitungsauswahl. Das türkische Material war qualitativ sehr viel schneller erfasst als das deutsche, weil der Diskurs in Deutschland ein sehr vielstimmigerer war. Nicht zu verschweigen sind an dieser Ste lle auch die größeren Kenntnisse des For schenden über das journalistische Feld in Deutsc hland und einige sprachliche Schwierigkeiten bei de r Untersuchung türkischer Zeitungen. Dass die Analyse häufi g in einer deutschen Perspektive verhaftet bleibt, will ich nicht abstreiten. Alle überregionalen deutschen Tageszeitungen haben den Weg in das Korpus gefunden, daneben auch einige bedeutende Regionalblätter sowie die größten Wochenmedien. Mit Spiegel Online wurde auch das wic htigste Online-
15
Michael Schwab-Trapp (2001): Dis kurs als soziologisches Konzept. Bausteine für eine soziologisch orientierte Diskursanalyse, in: Keller, Reiner / Hirseland, Andreas / Schneider, Werner / Viehöver, Willy [Hrsg.]: Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 1: Theori en und Methoden. Wiesbaden: Leske+Budrich, S. 261 – 283
M. Ata, Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien, DOI 10.1007/978-3-531-94091-5_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
16
2. Methodisches Rüstzeug
Medium in das Korpus aufgenommen. Bei der Auswahl des Untersuchungsgegenstandes wurden auch Zeitungen am linken und rechten politischen Rand berücksichtigt. Dasselbe gilt auch für das türkische Korpus, wobei dort die besonderen politischen Konstellationen beachtet werden mussten. So wurden sowohl links-marxistische Zeitungen als auch li nks-kemalistische analysiert. Im türki schen Korpus sind viele Boulevardzeitungen enthalten; da die türkische Presselandschaft vor allem durch sie geprägt ist. Ich werde darauf zurückkommen. 2.2 Frage der Repräsentativität In qualitativ arbeitenden Diskursanalysen stellt sich i mmer die Frage nach der Repräsentativität des Korpus. Unterschiedliche Diskurstheorien weichen in dieser Frage stark vonei nander ab. Siegfried Jäger bet ont, dass es eine r qualitativ vollständigen Abdeckung eines Diskurses bedarf. Dies kann, so Jäger, im Extremfall anhand eines einzigen Diskurs fragments erfolgen. Seine eigenen Untersuchungen hätten ergeben, dass die Quantität der Fälle „erstaunlich“ gering sei. Er erklärt dies mit dem historischen Charakter von Dis kursen. „Die Diskursstränge stellen Bündelungen von Routinen dar, die historisch erarbeitet wurden und den Charakter von Regeln haben, denen die Menschen weitgehend routinehaft folgen.“16 Das a ndere Extrem bilden korpuslinguistisc he Diskursanalysen, wie sie von der so genannten „Düsseldorfer Schule“ um Dietrich Busse betrieben werden. Diesem Zweig der Diskursf orschung ist es wichtig, eine n Diskurs möglichst vollständig zu erfassen. Die vorliegende Untersuchung sieht die Repräsentativität des untersuc hten Materials als wünschenswert an. Dahe r wird die oben gestellte Frage ganz pragmatisch beantwortet. Es ist i m Karikaturenstreit möglich, das politische Links-Rechts-Spektrum abzudecken und dabei die veröffentlichten Artikel vollständig zu erfassen. Die Datenmenge ist im Rahmen einer Dissertation bewältigbar. Mehrere methodische Überlegungen sprechen dafür, alle Artikel der untersuchten Zeitungen zum Karikaturenstreit aufzunehmen. Zum einen geht es dieser Untersuchung um Diskursdynamiken, die sich möglicherweise auch aus einer gegenseitigen Beeinflussung der Diskurse ergeben haben. Um diese Dynamiken, die von vielen unterschiedlichen Teilaspekten geprägt sind, zu erfassen, ist eine vollständi ge Abdeckung des Materials ratsam. Zum anderen e rscheint eine Repräsentativität des Materials auch notwendig, um möglichst viele Infor-
16
Siegfried Jäger (1993): Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. Duisburg: DISS, S. 211
2.3 Interdiskursanalyse
17
mationen aus dem Diskurs selbst entnehmen zu können. Im Karikaturendiskurs hat sich gezei gt, dass für die Untersuchung relevante Informationen teilweise nur in einem einzigen Diskursfragment aufgegriffen wurden. Diese Informationen können vielfach nicht aus der Forschungsliteratur entnommen werden. Um Relevanzkriterien für de n Vergleich zu erarbeiten, ist dieses Wissen unerlässlich. Für eine vollständige Abdeckung des Diskurses spricht auch die Tatsache, dass sich die vorliegende Analyse des Diskurses nicht auf einzelne Aspekte beschränkt, sondern offen ge halten ist. Schließlich ist Repräsentativität von Nut zen, weil Diskursanalysen auch immer zu erfassen suchen, was nicht gesagt wird. Dabei kann a uch relevant sein, wa s zu welchem Zeitpunkt nicht gesagt wird. Dies wird sich weiter unten im Umgang der taz mit dem iranischen Holocaust-Wettbewerb zeigen. 2.3 Interdiskursanalyse Ich orientiere mich in dieser Arbeit an der Interdiskursa nalyse, die Jürgen Link im Anschluss an Michel Foucault entwickelt hat. Die Interdiskursanalyse konzentriert sich bei ihrer Vorgehensweise stark auf Kollektivsymbole, denen sie eine diskursordnende Funktion zuschreibt. Die Diskurstheorie Links ist bei de r Untersuchung vieler Islamdiskurse erprobt und bewährt. Zudem spielen bei Islam- sowie bei Konfliktdiskursen Kollektivsymbole eine besonders starke Rolle, weshalb sich sein Ansatz an dieser Stelle anbietet. Ich habe auch deshalb Links Ansatz gewählt, weil die Analyse des Karikaturendiskurses eine Methode erfordert, die eher breit und flach angelegt ist. Jürgen Link definiert Diskurse als „institutionalisierte, geregelte redeweisen, insofern sie an handlungen ge koppelt sind und also machtw irkungen ausüben“17. Damit unterscheidet sich sein Diskursverständnis grundlegend von dem des in de r Tradition der amerikanischen Gesprächsanalyse stehenden Jürge n Habermas, der Diskurse als herrschaftsfreies Reden ansieht.18 Ganz im Gegenteil sind für Link Diskurse historische Sprachzwänge, die ihre F unktion in herrschaftlegitimierenden und -siche rnden Techniken in der bürgerlichkapitalistischen Gesellschaft haben. Diese Definition kommt dem Ideologiebe-
17 18
Jürgen Link: kultuRRevolution Nr. 11 Einen Überblick über verschiedene Diskurstheorien bieten u.a. Jürgen Li nk und Ursula LinkHerr (Jürgen Link / Ursula Link-Herr: Diskurs/Interdiskurs/Literaturanalyse, Lili 77, S. 88-99) und Siegfried Jäger (Si egfried Jäger: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung, Münster 2004, S. 120-127)
18
2. Methodisches Rüstzeug
griff des „s päteren“ Marx na he. Anders als bei Marx schreibt Link Diskursen (respektive Ideologien) selbst materiellen Charakter zu und sie nicht als „weniger materialistisch“ ansieht.19 In einer modernen industrialisierten Gesellschaft, in der ein hoher Grad an Arbeitsteilung erreicht ist, existieren als Folge einer Wissensteilung Spezialisierungen von Wissen. Diskurse, die ei n spezielles Wissen für ein spezialisiertes Publikum bereitstellen, nennt Link Spezialdiskurse. Diese sind Diskurse, die „zu einem Maximum an im manenter Konsistenz und zu entsprechender Abschließung gegen arbeitsteilig ‚externes’ Diskursm aterial tendieren“.20 Mit seine m Modell grenzt sich Link ge gen Michel Pêcheux ab, dessen Interdiskurstheorie von einem vertikalen Modell ausgeht. Links Ausgangspunkt ist jedoch die Wissens-Spezialisierung, „von deren Nicht-Identität mit der Klassensprache“ er sich überzeugt zeigt.21 Jürgen Link unterscheidet grob drei Arten von Spezialdiskursen: naturwissenschaftliche, human- und sozialwissenschaftliche und kulturund geisteswissenschaftliche. Sie alle ve rfügen über unterschiedliche Praxen und Machteffekte. Naturwissenschaftliche Spezialdiskurse verfügen über technologische Macht, humanwissenschaftliche über Normalisierungsm acht und kulturwissenschaftliche über ethische Macht. Neben der Tendenz zur Wissensspezialisierung gibt es ei ne gegenläufige Tendenz der Reintegration und Totalisierung. von Diskursel ementen und Dis kursparzellen. Diskurse, die nicht an einen Spezialdiskurs gebunden sind, definiert Link als Interdiskurse. 22 Sie kombinieren Wissenskomplexe verschiedener spezial- und elementardiskursiver Herkunft und machen diese zugänglich für ein breites Publikum.23 Interdiskurse sind also nicht auf einen einzigen Spezialdiskurs beschränkt, sondern stimmen vielmehr zwischen mehreren Diskursen überein.24 Ihre Spezi alität besteht darin, dass sie nicht spezialisiert sind. Der Interdiskurs unterscheidet sich mit seinem fragmentarischen Charakter ganz grundlegend von Spezialdiskursen. „Die wese ntliche Funktion von Interdiskursen be19
20 21
22 23 24
Siehe dazu Jürgen Link: Wie „ideologisch“ war der Ideologiebegriff von Marx? Zur verkannten Materialität d er Diskurse und Subjektivitäten im Marxschen Materialis mus, in Rüdi ger Scholz & Klaus-Michael Bogdal [Hrsg.]: Literaturtheorie und Geschichte: Zur Diskussion materialistischer Literaturwissenschaft. Opladen 1996, S. 132-148 Jürgen Link (2006): Versuch über den Normalismus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 24 Rainer Diaz-Bone: Operative Anschlüsse: Zur Entstehung der Foucaultschen Diskursanaly se in der Bundesrepublik. Jürgen Link im Gespräch mit Rainer Diaz-Bone, in: Forum Qualitative Sozialforschung , 7(3), Art. 20. Verfügbar über: http://www.qualitative-research.net/fqstexte/3-06/06-3-20-d.htm Vgl. Jürgen Link (2006): Versuch über den Normalismus. Göttingen, S. 24 Jürgen Link (2006): Versuch über den Normalismus. Göttingen Vgl. Jürgen Link (1982): Kollektivsymbolik und Mediendiskurse, kultuRRevolution 1, S. 6-21
2.3 Interdiskursanalyse
19
steht demnach nicht in professionellen Wissenskombinaten, sondern in selektivsymbolischen, exemplarischsymbolischen, also im mer ganz fragmentarischen und stark imaginären Brückenschlägen über Spezialgrenzen hinweg für die Subjekte.“25 Um den gesellschaftlichen Gesamtdiskurs besser fassen und analysieren zu können, führt Siegfried Jäger die Term ini Diskursfragment, Diskursstrang und Diskursebenen ein. Die kleinste dieser Einheiten ist das Diskursfra gment. Jäger bezeichnet einen „Text oder Textteil, der ein bestimmtes Thema behandelt“ als Diskursfragment, weil ihm der Begriff des Textes zu ungenau ist – da es eine Homogenität des Themas impliziert.26 Fragmente gleichen Themas bilden wiederum einen Diskursstrang. Dabei ist die Einteilung von Diskursfragmenten in Diskursstränge eine i nterpretative Aufgabe, da nicht generell festlegt werden kann, was ein Thema (Haupt- und Unterthema) ist. Es hängt vom Untersuchungsziel ab, was als Diskursstrang von anderen abgegrenzt wird.27 Diskursstränge verschränken sich miteinander, sie beeinflussen sich gegenseitig und stüt zen sich, wodurch besondere diskursive Effekte zustande kom men.28 Die Analyse der Diskursverschränkungen wird in dieser Arbeit nur einen kleinen Raum einnehmen, weil ich ande re Aspekte des K arikaturen-Diskurses für interessanter halte. Diskursst ränge laufen auf ve rschiedenen diskursiven Ebenen ab. Auf wissenschaftlicher, politischer, medialer oder auf einer Alltagsebene können Diskurse existieren, wobei es eine gegenseitige Beeinflussung der Ebenen gibt. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich weitestgehend a uf die Medienebene. 2.3.1 Kollektivsymbole Wichtiges Element und Bindeglied im Interdiskurs sind die von Link so genannten „Kollektivsymbole“. Dazu schreibt er: Unter ‚Kollektivsymbolik’ verstehe ich die Gesam theit der so genannten ‚Bildlichkeit’ einer Kultur, die Gesam theit ihrer am weitesten verbreiteten A llegorien und Em bleme, Metaphern, Exempelfälle, anschauliche Modelle und orientierenden Topiken, Vergleiche und Analogien.29
25 26 27 28 29
Jürgen Link (2005): Warum Diskurse nicht von personalen Subjekten 'ausgehandelt' werden, in: Reiner Keller [Hrsg.]: Die diskursive Konstruktion von Wirklichkeit. Konstanz, S. 77-100 Vgl. Siegfried Jäger: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. Münster 2004, S. 159 Vgl. Margarete Jäger: Fatale Effekte. Die Kritik am Patriarchat im Einwanderungsdiskurs. Duisburg 1996, S. 43f. Vgl. Siegfried Jäger: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. Münster 2004, S. 160 Jürgen Link: Versuch über den Normalismus, S. 25
20
2. Methodisches Rüstzeug
Kollektivsymbole sind som it Stereotype, die jedem Mitglied der Gesellschaft unmittelbar einleuchten. Damit stellen sie eine Orientierungshilfe in einer komplexen Welt dar.
Abb. 1 Kollektivsymbolsystem
Anhand von Medien- und Literaturanalysen hat Jürgen Link das in der oberen Abbildung dargestellte Kollektivsymbolsystem gezeichnet. Dieses System gilt für praktisch alle modernen Industriestaaten. Es zeigt m ittig das eigene System mit seinen verschiedenen Grenzen, ein Gegensystem rechts oben, darum herum ein außersystematisches Chaos und unten den symbolischen Untergrund. Das eigene System ist durch drei Achsen geteilt. Zum einen gibt es die horizontale Achse, die es mit der Links -Rechts-Topik erlaubt, politische Parteien zu verorten. „Der Link-Rechts-Binarismus, der historisch der Französischen Revolution entstammt, fungiert seit langer Zeit als fundamentale symbolische Topik des Politischen in ‚modernen’ Gesellschaften.“30 Mit der A blösung des symbolischen
30
Jürgen Link (1994): Schönhuber in der Nationalelf: halbrechts, rechtsaußen oder im Abseits? Duisburg: DISS
2.3 Interdiskursanalyse
21
Bürgerkrieges und der Etablierung des „Normalitäts-Dispositivs“ ist die „Mitte“ von einem „Ort der Schande [...] zum alleinigen symbolischen Gravitationszentrum in politic is“ geworden31 – die Waage als dom inantes Symbol hat sich durchgesetzt. Auf der vertikalen Achse ist die gesellschaftliche Stratifikation kodiert. Die dritte, vertikale Achse steht für rückwärts-mitte-vorwärts. Sie wird hä ufig auch zeitlich gedeutet. Das eige ne System ist kollektivsymbolisch als Vehike l oder menschlicher Körper dargestellt. Das auße rsystematische Chaos wird als Flut, Feuer oder St urm dargestellt. Das eige ne wie das Gegensystem besitzen S ubjektstatus, sind demnach autonom und zurechnungsfähig. Das symbolische Außen hingegen besitzt keinen Subjektstatus. Diese Unterscheidung ist grundlegend für Mediendiskurse, auch für den Karikaturenstreit. Es wird zu untersuchen sein, ob die Protestierenden in Asien und Afrika einen Subjektstatus besitzen und wie die Muslime in Europa dargestellt werden. Kollektivsymbole sind nach Jürgen Link semantisch „sekundär“, visuell darstellbar – i hre erste und zweite Bedeutung ist „m otiviert“. Zudem sind sie mehrdeutig, erzählen sich weiter und erlauben Analogiebeziehungen zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem.32 Nach Siegfried Jäger treten Kollektivsymbole besonders in Konfliktdis kursen hervor. Durch i hren Einsatz können „bestimmte Zustandsdeutungen dramatisiert und denormalisiert werden“.33 Kollektivsymbole sind auch deshalb in Konfliktdiskursen wichtig, da mit ihnen die Bereiche Innen und Außen codiert werden.34 2.3.2 Kritische Methode Die Kritische Diskursanalyse ist imme r wieder dem Vorwurf de r Zirkularität ausgesetzt. Den Forschenden wird unterstellt, mit ihrer Arbeit das herauszube kommen, was sie bereits vor der empirischen Untersuchung vermuteten. Und tatsächlich gibt es die Ge fahr, dass das „Datenkorpus als eine Art Steinbruch benutzt wird, um ‚Belege’ für T hesen zu gewinnen, die bereits vor de r empirischen Untersuchung feststanden“.35
31 32 33 34 35
Ebenda Jürgen Link / Ursula Link-Herr (1994): Kollektivsymbolik und Orientierungswissen. Das Beispiel des „Technisch-medizinischen Vehikel-Körpers“, in: Der Deutschunterricht 4. S. 44 – 55 Margarete Jäger / Siegfried Jäger (2007): Deutungskämpfe. Wiesbaden: VS Verlag, S. 39 Jäger / Jäger: Deutungskämpfe, S. 42 Stephan Habscheid (2009): Text und Diskurs. Paderborn: Fink, S. 89
22
2. Methodisches Rüstzeug
Dieser Gefahr möchte ich entgehen: Zum einen dadurch, dass meine Analyse breit und flach angelegt ist. Ich werde vergleichsweise viele Artikel zur Illustration meiner Ergebnisse aufgreifen. Damit soll gezeigt werde n, dass meine Beobachtungen nicht auf einzelnen Diskursfragmenten beruhen, sondern sich auf wiederkehrende Deutungsmuster stützen. Zum anderen greift die vorliegende Dissertation auch Selbstbeschreibungen von JournalistInnen auf. In dieser Arbeit sind Interviews m it Wolfgang Storz, dem ehemaligen Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, dem Bild-Chefredakteur Kai Diekmann und Daniel Bax, dem Kommentar-Chef der taz, abgedruckt. Ich halte es für heuristisch wertvoll, Daten aus unterschiedlichen Quellen zu verarbeiten. Es wird sich zeigen, dass die S elbstbeschreibungen der Journalisten nicht meiner Analyse der Zeitungsartikel widersprechen. Ich denke, dass mit der Befragung von Journalisten Frem dzuschreibungen des Diskursanalytikers ein Stüc k weit vermieden werden können. Ich möchte eine normative Kritik der Karikaturendiskurse, oder gar moralische, vermeiden. Damit distanziere ich m ich in diesem Punkt von Siegfried Jäger, der sagt, dass die aufgedeckte Wirklichkeit letzten Endes nur unter moralisch-praktischen Gesichtspunkten zu kritisieren ist.36 Dies halte ich gera de bei meinem Untersuchungsgegenstand für unangemessen. Stattdessen halte ich es für wichtig, Sagbarkeitsregeln (siehe unten) infrage zu stellen und zu analysieren. Ich nehme diese Regeln nicht für selbstverständlich und versuche mich, so gut es geht, von ihnen zu lösen und mich auf einer Metaebene zu bewegen. Daher ist es wesentlich zu fragen, was in dem Diskurs nicht thematisiert wird. Darauf werde ich an mehreren Stellen eingehen. Natürlich bin ich als Forschender selbst Teil von Diskursen und kann nicht objektiv sein. Es ist schwierig, Kritik üben, obwohl man selbst Teil des Diskurses ist und da mit kein Zentrum für seine Kritik hat. Daher relativiert Siegfried Jäger seinen eigenen Anspruch und erklärt: „Die Kritik kritischer Diskursanalyse ist zunächst gesellschaftsspezifisch und gesellschaftsimmanent.“37 Ich werde versuchen, meine Analyseschritte und m eine Vorannahmen transparent zu machen. Dass ich in dieser Arbeit zwei Diskurse miteinander vergleiche, dürfte für die Schaffung von Distanz zum Untersuchungsgegenstand nützlich sein. Die Heterogenität der Diskurspositionen und -koalitionen ist – betrachtet m an beide Diskurse – groß. Auch existieren sehr unterschiedliche Deutungsmuster in den Diskursen.
36 37
Vgl. Siegfried Jäger: Kritische Diskursanalyse, 228 Siegfried Jäger: Kritische Diskursanalyse, S. 230
2.3 Interdiskursanalyse
23
Mit der Frage der Kritik ist eine weitere eng ve rknüpft: die nach dem Verhältnis von Wissen und Macht. Weil sie jeweils gültige Wahrheiten produzieren und Applikationsvorgaben für individuelles Handeln und gesam tgesellschaftliche Entwicklungen enthalten, verfügen Diskurse über Macht.38 Der MachtBegriff von Foucault unterscheidet sich von dem alltagssprachlichen Gebrauch. Im Alltag wird Macht häufi g synonym zu Herrschaft verwendet. Nach Foucault durchzieht Macht die Gesellschaft wie ein Netz, wobei jedes Gesellschaftsmitglied – wenn auch manchmal nur wenig – Macht besitzt. Diskurse können auch Anknüpfungspunkte für Gegendiskurse sein. Daher werde ich in diese r Arbeit auch nicht-hegemoniale Diskurse in das Korpus aufnehmen. Es handelt sich um ein komplexes und wechselhaftes Spiel, in dem der Diskurs gleichzeitig Machtsinstrument und -effekt se in kann, aber auch Hindernis, Gegenlager, Widerstandspunkt und Ausgangspunkt für eine entgegengesetzte Strategie.39
2.3.3 Sagbarkeitsfeld Die Erfassung des Sagbarkeitsfeldes im Gesamtdiskurs und in einzelnen Medien ist von großer Bedeutung für die Diskursforschung. Analysen sollen zeigen, ob und inwieweit ein Diskurs dazu führt, dass Sagbarkeitsgrenzen verschoben werden. Siegfried Jäger schreibt hierzu: Diskursanalyse erfaßt das jeweils Sagbare in seiner qualitativen Bandbreite und in seinen Häufungen bzw. alle Aussagen, die in einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit geäußert werden (können), aber auch die Strategien, mit denen das Feld des Sagbaren ausgeweitet oder auch eingeengt wird, etwa Verleu gnungsstrategien, Relativierungsstrategien, Enttabuisierungsstrategien etc. Der Aufweis der Beg renzung oder Entgrenzung des Sagbaren stellt demnach einen weiteren kritischen Aspekt von Diskursanalyse dar.40
Genau genommen erfasst die Diskursanalyse nur das Gesagte, nicht das Sagbare. Es ist zu schwer zu fassen, inwiew eit das theoretisch Sagbare vom tatsäch-
38 39 40
Vgl. Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und W ahrheit 1, Frankfurt a. M. 1983 Michel Foucault: Der Wille zu m Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Fr ankfurt a. M. 1983, S. 122 Siegfried Jäger (2006): Diskurs und Wissen. Theoretische und methodische Aspekte einer Kritischen Diskurs und Dispositivanalyse, in: Keller, Reiner / Hirseland, Andreas / Schneider, Werner / Viehöve r, Willy [Hrsg.]: Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 1: Theorien und Methoden. Wiesbaden: Leske+Budrich, S. 83-114
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2. Methodisches Rüstzeug
lich Gesagten in ei ner Zeitung abweicht. Bei der Austestung der Sagbarkeitsgrenzen haben Subjekte, hier Journalisten, besonderes Gewicht. Die Analyse der Sagbarkeitsgrenzen ist im Fall des Karikaturenstreits zentral. Es wurde einerseits vielfach unterstellt, dass es beim Sprechen über den Islam Tabus gibt, dass man „gewisse Wahrheiten nicht sagen darf“. Auf der anderen Seite hat man von M uslimen verlangt, alles zu akzeptieren, was gesetzlich zulässig ist. Zivilgesellschaft liche Sagbarkeitsgrenzen wurden e her selten reflektiert. Daher wussten viele Zeitungen auch nicht, wie sie auf de n iranischen Holocaust-Wettbewerb reagieren sollen. In dieser Arbeit sollen bei den jeweiligen Zeitungen nicht nur typische Artikel, sondern auch atypische Diskursfragmente aufgegriffen werden, um das Sagba rkeitsfeld zu veransc haulichen. Die Analyse arbeitet mit maximal-kontrastiven Texten, um zu zeigen, welche Diskurspositionen jeweils vorkommen. Jedoch scheinen m ir bisherige Überlegungen zum Sagbarkeitsfeld unterkomplex zu sein. Es stellt sich die Frage nach dem taktischen Verhältnis einiger Zeitungen zu den in ihnen abgedruckten Beiträgen. Ein pro-muslimischer Text kann eine Legitimationsbasis schaffen für besonders hetzende anti-muslimische Beiträge. Ich möchte diesen Gedanken anhand eines Beispiels illustrieren: In der von Thilo Sarrazin angestoßenen Debatte um muslimische Minderheiten hat die Bild-Zeitung eine massive Kampagne für Sarrazin und seine Thesen gestartet. Ohne das Boulevardblatt wäre der Erfolg Sarrazins in di eser Form unmöglich gewesen. Mitten in dieser Debatte erschien auf bild.de aber auch die Rede von Bundespräsident Christian Wulff vom 3. Okt ober 2010 in türkischer Übersetzung. Seine Ansprache beinhaltete den vieldiskutierten Satz, dass der Islam ein Teil von Deutschland ist. Auc h eine Kolumne des ehem aligen HürriyetChefredakteurs Ertu÷rul Özkök in der Bild-Zeitung war möglich. Eine Diskursanalyse, die nur feststellt, dass das Sagbarkeitsfeld in der Bild-Zeitung groß ist, könnte zu kurz greifen. Hat die Bild die türkische Übersetzung und die Kolumne von Özkök möglicherweise nur veröffentlicht, um ihre Sarrazin-Artikel rechtfertigen zu können? Es ist aus meiner Sicht zu unterscheiden zwischen einer Zulassung von Vielfalt und ei nem taktischen Verhältnis zu den eigenen Beiträgen. Diese Unterscheidung zu treffen, ist ni cht leicht. Ich möchte daher einige Kriterien vorschlagen, um sich dieser Frage nähern zu können: x x
Ist die jeweilige Zeitung auch bei anderen Diskursen für Meinungsvielfalt und für die Ermöglichung von Debatten bekannt? Bilden die Beiträg e, die sich an den Sagbarkeitsgrenzen der jeweiligen Zeitungen befin den, große Ausnahmen in der jüngeren Zeitungsgeschichte?
2.3 Interdiskursanalyse
x x
25
Wie ist das Verhältnis zwischen eska lierenden und mäßigenden Beiträgen im jeweiligen Diskurs? Sind Charakteristika eines Kampagnenjournalismus41 zu erkennen?
2.3.4 Diskursives Ereignis Dass ein Ereignis zu einem diskursiven Ereignis wird, dass es Gegenstand eines öffentlichen Diskurses wird, ist nicht selbstverständlich. Nach Siegfried Jäger hängt dies von Faktoren ab, die nichts mit dem Ereignis zu tun haben müssen. Ob ein Ereignis, e twa ein zu erwarte nder schwerer Chemieunfall, zu einem diskursiven Ereignis wird ode r nicht, das hängt von jeweiligen politischen Do minanzen und Konjunkturen ab. Diskursanalysen können ermitteln, ob solche zu erwartenden Ereignisse zu diskursiven Ereignissen werden oder nicht.42
Es war schon vor i hrer Veröffentlichung abzusehen, dass die Moha mmedKarikaturen zu einem diskursiven Ereignis mit einer großen Reichweite werden würden. Der Karikaturenstreit ist ein di skursives Ereignis geworden, weil er Eigenschaften vereinte, die ihm einen hohen Nachrichtenwert gaben und weil er eine zeitliche Dimension mit mehreren Eskalationsstufen besaß. Aber auch deshalb, weil die Jyllands Posten nicht nur mit den Mohammed-Karikaturen selbst eine Eskalation in Kauf genommen hat, sondern die Zeichnungen auch offensiv an muslimische Gemeinden geschickt und Reaktionen erwartet hat. Damit hatte der Karikaturenstreit von Beginn an einen Akteurscharakter.43 Auch im weiteren Verlauf des Konfliktes war dieser Charakter ausgeprägt. Es ist – wie im Diskurs vielfach formuliert – davon auszugehen, dass islamische Regierungen die Proteste als Anlass genom men haben, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Dies funktionierte auch deshalb, weil die integrative Kraft des Islam in den Ländern des Nahen Ostens stark ist. Zwar we rden – wie Jürgen Link sagt – Diskurse nicht von pers onalen Subjekten ausgehandelt44, doch der subjektive Faktor ist im Karikaturenstreit sicherlich stärker als bei vielen andere n Diskur-
41 42 43 44
Zum Beispiel der Bild-Zeitung sieh e: Vasco Boenisch (2007): Strategie: Stim mungsmache. Wie man Kampagnenjournalismus definiert, analy siert – u nd wie ih n die Bild-Zeitung be treibt. Köln: Halem Siegfried Jäger: Diskurs und Wissen, in Keller: Handbuch, S. 100 Mehr dazu in Kapitel 6 Jürgen Link (2005). Warum Diskurse nicht von personalen Subjekten „ausgehandelt“ werden, in Keller, Reiner / Hirseland, Andrea s / Schneider, Werner / Viehöfer, Willy [Hrsg.]: Die diskursive Konstruktion der Wirklichkeit Konstanz: UVK, S. 77-99
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2. Methodisches Rüstzeug
sen. Die vorliegende Analyse widerspricht Diskurstheorien, die den Handlungsspielraum des Einzelnen minimieren. 2.4 Begriffsgeschichte Viele diskurstheoretische Schulen sind, in der Tradition von Michel Foucault, sehr am Text bzw. am Diskursfragment orientiert. Foucaults Abkehr vom Satz als zentralem Untersuchungsgegenstand und seine Betonung des Textes war ein historischer Fortschritt. Jedoch halte ich – insbesondere im vorliegenden Fall – eine begriffsgeschichtliche Ergänzung der Analyse für sinnvoll. Im Karikaturenstreit arbeiten die Diskurse mit Fahnen- und Leitwörtern, die z ugleich einwandsimmune Ziele (Tom Karasek) bilden können. Zu ihnen gehören Begriffe wie Pressefreiheit und Demokratie. Ich betrachte diese Fahnenwörter als Kristallisationen von Narrratione n. Sie tr agen gewissermaßen einen ganzen Wissenshorizont mit sich, der aktualisier t werden (kann). Ihre narrative Unterfütterung kann man anhand von begriffsgeschichtlichen Untersuchungen nachweisen. Clemens Knobloch formuliert dies folgendermaßen: Begriffsgeschichte müßte also in ihre r Zuwendung zu vergangenen Ko mmunikationen die Kürzel und Sp uren derjenigen gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse entziffern, die von den ehedem Beteiligten in actu hergestellt, betätigt, definiert und organisiert worden sind.45
Ich verzichte in dieser Arbei t darauf, eigene begriffsgeschichtliche Analysen durchzuführen46, vielmehr stütze ich m ich auf bestehende Forschungen. Diese nutze ich unter anderem in Kapitel 8 dazu, den jeweiligen „Begriffshorizont“ nachzuzeichnen. In meinem „Wörterbuch des Karikaturen-Diskurses“ sollen Resonanzen und Verwendungszusammenhänge der ausgewählten Begriffe nachgezeichnet werden. Damit wird das Ziel verfolgt zu zeigen, welche Aspekte des Begriffes im Diskurs aktualisiert wer den. Auch für eine bessere Darstellbarkeit meiner Ergebnisse halte ich das Wörterbuch des Diskurses für sinnvoll.
45 46
Clemens Knobloch (1992): Zur Theorie der Begriffsgeschichte: Bemerkungen aus sprach- und kommunikationswissenschaftlicher Sicht, in: Archiv für Begriffsgeschichte 35/1992. S. 7-24 Deshalb gehe ich an dieser Stell e nicht weiter auf begriffsgeschi chtliche Überlegungen ein, sondern verweise auf Kosseleck (Reinhart Ko selleck (2006): Begriffsges chichten. Frankfurt am Main: Suhrkamp), Dietrich Busse (Dietrich Busse(1987): Historische Semantik. Stuttgart: Verlag Klett-Cotta) und Georg Boll enbeck (Georg Bollenbeck (1994): Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters. Frankfurt: Insel Verlag)
2.4 Begriffsgeschichte
27
2.5 Vergleichende Diskursanalyse Wie eingangs erwähnt, sind vergleichende Diskursanalysen noch im mer eine Seltenheit. Dies verwundert, weil die Diskursforschung eine große Konjunktur erlebt und inzwischen in sich stark ausd ifferenziert ist. Die einzigen deutschsprachigen Diskursforscher, die sich m it vergleichenden Analysen beschäftigt haben, sind die WissenschaftlerInnen der so genannten „Düsseldorfer Schule“. Bei ihren Arbeiten stützen sie sich auf Erfahrungen mit Diskursvergleichen zwischen den de utschsprachigen Ländern Deutschland, Schweiz und Österreich.47 Den Untersuchungsgegenstand bildeten Einwanderungsdiskurse in den jeweiligen Ländern. Bei diesen großen Diskursen standen die Forschenden vor Problemen bei der Korpuszusammenstellung (die die „Düsseldorfer Schule“ ohnehin besonders interessiert) und bei der Bewältigung der Datenmenge. Niehr fordert, für „beide Länder in sich ausgewogene und zudem gleichartige Textkorpora“48 zusammenzustellen. „Wenig sinnvoll wäre beispiel sweise ein Vergleich von Boulevardzeitungen des einen Landes m it ‚seriösen’ Zeitungen eines a nderen Landes. Ebenso wenig macht es Sinn, die eher linke n Zeitungen eines L andes mit den politisch entgegen gesetzten Zeitungen ei nes weiteren Landes zu vergleichen.“49 Die vorliegende Arbeit deckt für bei de Länder die Links-Mitte-RechtsPalette ab. Doch für diesen konkreten Fall stellt sich die Frage, ob der Vergleich von Boulevard- und Qualitätszeitungen tatsächlich so abwegig ist. Denn die türkische Medienlandschaft ist geprägt von Boulevardzeitungen. Um eine Ausge-
47
48
49
Karin Böke / Matthias Jun g / Thom as Niehr / Martin W engeler (2000): Vergleichende Diskurslinguistik. Überlegungen zur A nalyse national heterogener Textkorpora, in: Niehr, Thomas / Böke, Karin [Hrsg.]: Einwanderungsdiskurse. Vergleichende diskurslinguistische Studien. Wiesbaden, 11-36 und Niehr, Tho mas (2005): International vergleichende Diskurs- un d Argumentationsanalyse. Methodische Überlegungen und erste Ergebnisse, in: Wengeler, Martin [Hrsg.]: Sprachgeschichte als Zeitgeschic hte. Germanistische Linguistik 180-181. Hildesheim, Zürich, New York, S. 437-4 68. Darüber hi naus gibt es nur sehr wenige vergleichende Diskursanalysen. Zu ihnen zählen: Antje Glück (2008): Terror im Kopf. Terrorismusberichterstattung in der deutschen und in der arabischen Elitenpresse. In: G erald Schneiders: Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der K ritik verschwimmen. Berlin: VS Verlag und Marianne Hirschberg (2009): Behinderung im internationalen Diskurs . - Frankfurt/Main [u.a.] : Campus-Verlag Thomas Niehr (2002): International vergleichende Diskurs- und Argumentationsanalyse. Vorstellung eines Forschungsprogramms, http://www.uni-due.de/imperia/md/content/elise/ausgabe_2_2002_niehr.pdf, abgerufen am 18. Juni 2010 Ebenda
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2. Methodisches Rüstzeug
wogenheit im Sinne Niehrs herzustellen, müsste ich die weni gen Qualitätszeitungen in der Türkei überbetonen und viele Boulevardblätter außer Acht lassen. Vermutlich wird es in dieser Arbeit schwierig, einzelne Zeitungen aus beiden Ländern unmittelbar zu vergleichen. Stattdessen wird es notwendig sein, die journalistischen Felder in Deutschland und der Türkei zu beschreiben und dabei Aspekte wie die Pressefrei heit, die für de n Karikaturenstreit relevant sind, ve rgleichsweise ausführlich zu behandeln. Relativierend festgehalten werden, dass viele Boulevardzeitungen in der Türkei durchaus differenziert Bericht erstatten und auch kontroverse Meinungen zulassen. In Deutschland ist eine Annäherung von Boulevard- und Qualitätszeitungen zu beobachten. Zwar bedienen sich die Qualitätszeitungen einer deutlich elaborierteren Sprache als Boulevardmedien, jedoch ist in den ve rgangenen Jahren eine zunehmende Angleichung der Deutungsmuster zu beobachten. Auch Qualitätszeitungen unterstellen bei den LeserInnen ein großes Interesse an den Themen des Boulevards. Ich verzichte bei der Analyse auf eine Unterscheidung von Textsorten. Ähnlich wie Tom Karasek50 halte ich sie für verkürzt. Auch eine weitere thematische Eingrenzung ist nicht notwendig. Der Karikaturen-Diskurs soll umfassend analysiert werden. Die zeitliche Begrenzung ist hingegen nahe liegend. Die Korpuszusammenstellung gestaltet sich in dieser Arbeit als nicht sehr schwierig, da die Diskurse zeitlich begren zt sind und jeweils vollständig aufgegriffen werden können. Vielmehr stellen sich Fragen, die bei den oben genannten Arbeiten keine waren: Wie geht der Forsc her mit unterschiedlichen Journalismuskulturen, sprachlichen Differenzen und unterschiedlichen Traditionen die Pressefreiheit betreffend um? Denn diese Arbeit ist – der Aufteilung von Böke et al. folgend – interlingual und intrathematisch.
50
Tom Karasek (2009): Globalisierun g und Reform. Die Hegemonie des Globalisierungs- u nd Reformdiskurses am Beispiel der FAZ, in: Habs cheid, Stefan / Kn obloch, Clemens [Hrsg.]: Einigkeitsdiskurse. Zur Inszenierung von Konsens in organisationaler und öffentlicher Ko mmunikation. Wiesbaden: VS Verlag
2.4 Begriffsgeschichte
29
Abb. 2 Quelle Karin Böke / Matthias Jung / Thomas Niehr / Martin Wengeler Vergleichende Diskurslinguistik. Überlegungen zur Analyse internationaler und intralingualer Textkorpora, in Niehr, Thomas / Böke, Karin [Hrsg.] Einwanderungsdiskurse. Vergleichende diskurslinguistische Studien. Wiesbaden VS Verlag, S. 11 – 36
Bisher noch nicht reflektiert erscheint mir eine Reihe von besonderen Problemen in interna tionalen Diskursvergleichen. Zu ihnen gehört vor allem die Ermittlung des diskursiven Kontextes. Als Muttersprachler und – was noch wichtiger ist – als Diskursteilnehmer eines nationalen Diskurses hat man ein Gefühl für verbreitete „Wahrheiten“ und Wissensbestände in einem Diskurs. Entsprechend nähert man sich mit Vorannahmen seinem Untersuchungsgegenstand. In dieser Arbeit gehe ich fast ohne diese Vorannahmen an das tür kische Material. Hypothesen zu formulieren ist mir kaum möglich. Ich muss mich stärker als beim deutschen Diskurs auf die Forschung zum diskursiven Kontext – in diesem Fall zum Islam- und Westbild in der T ürkei – stützen. Die geringe Zahl an Arbeiten zu dies em Feld bringt weitere Pr obleme mit sich, wie sich noc h zeigen wird. Zudem erscheint es m it ratsam, bei vergleichenden Diskursanalysen nichtdiskursive Faktoren in de n Blick nehmen – zum Beispiel die unterschiedliche zivilgesellschaftliche Stellung der Religion in bei den Ländern. In nichtvergleichenden Arbeiten setzt man stillschweigend das Wissen über das Funktionieren des Journalismus und äußere Einflüsse als bekannt voraus. Hinzu kommt, dass bei kom paratistischen Arbeiten weitere Kriterien der Analyse gefunden werden müssen, die bei nicht-vergleichenden Arbeiten keine Rolle spielen. Das Zeitungsmaterial wird dahi ngehend überprüft werden müssen, inwieweit sich die Diskurse i n Deutschland und de r Türkei gegenseitig
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2. Methodisches Rüstzeug
wahrnehmen und beeinflussen. In Kapitel 11 werde ich versuchen, einige Kriterien für vergleichende Analysen zu formulieren. 2.6 Konkretes Vorgehen Weil der Analysierende selbst Teil des untersuchten Diskurses ist, ist es i n Diskursanalysen von besonderer Bedeutung, sein konkretes Vorgehen transparent zu machen. Dies möchte ich im Folgenden tun. Im ersten Schritt erfolgt eine weitere Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes. Nur Artikel, die den Karikaturenstreit als Hauptthema behandeln, kommen in da s Korpus. Die erste Durchsicht des Materia ls hat zeigt, da ss die Analyse von Artikel n, die den Karikaturenstreit lediglich als Nebent hema behandeln, wenig ergiebig ist. Oft gibt es in diesen Diskursfragmenten nur kurze Hinweise auf den Karikaturendiskurs. Im nächsten Schritt werde ich das Material technisch aufbereiten, d h. ordnen und mit Zeilenhinweisen versehen. Anschließend wird das Material einer Str uktur- bzw. Makroanalyse unterzogen. Autor, Genre, Diskursverknüpfungen, Erscheinungsdatum und Kollektivsymbole werden erfasst. Die Makroanalyse dien t auch dazu zu ermitteln, welche diskursiven Dynamiken es gibt. Wie sieht die Selbstpo sitionierung der Zeitungen aus in Bezug auf Pressefreiheit, Achtung religiöser Symbole, Karikaturen, etc.? Welche Rolle spielen Them en wie Rassismus und Gewalt? Oder allgemeiner gefragt: Welche Aussagen kommen in den Diskursen vor, welche Unterthemen werden behandelt, inwieweit ist der Dis kurs vielstimmig? Diese ersten Ergebnisse werden in einer sy noptischen Darstellung zusammengefasst. Besonders beim türkischen Material, zu dem ich wie beschrieben kaum Vorannahmen formulieren kann, wird es wichtig sein, Kriterien für die Analyse aus dem Material heraus zu entwickeln. Die vielgerühmte Grounded Theory muss angewandt werden. Die Makroanalyse wird mir erlauben, die Grundzüge der Berichterstattung der einzelnen Zeitungen zu ermitteln. Ich werde daraus typische und atypische Artikel heraus suchen, die ich einer Fein- bzw. Mikroanalyse unterziehen kann. In der Feinanalyse wird es unter anderem um die Darstellung der Muslime in der deutschen Presse gehen, sowohl denen im Nahen Oste n als a uch in Deutschland und E uropa. Auch Feindbilder im türkischen Diskurs werden zu ermitteln sein. Welche Rolle spielt de r Antiamerikanismus in der Türkei? Gibt es ein Feindbild De utschland? Darüber hinaus wird zu fragen sein, welche Begriffe zentral für die Dis kurse sind. Wie sieht im Karikaturenst reit die Gewichtung der sich scheinbar entgegenstehenden Werte aus, gibt es Aushandlungsprozesse? Auch wird es in beiden Diskursen um Ressourcen der Zustimmungser-
2.6 Konkretes Vorgehen
31
zwingung gehen. Welche Rolle spielen Sachzwangfiguren, Moralisierungen und Denormalisierungsängste. Es ist zu frage n, ob es sich bei den Berichterstattungen um entgegen gesetzte narrative Muster handelt. In einem dritten Schritt werd e ich versuchen, die Grundzüge und Besonderheiten der Diskurse der beiden Länder zusammenzufassen. Dabei ist unter anderem von Bedeutung, ob sich die Berichterstattungen anhand der politischen Links-Rechts-Achse ordnen lassen und welche Diskurskoalitionen im Karikaturenstreit zustande kommen. Als letztes werde ich die Diskurse direkt miteinander vergleichen. Welche gegenseitigen Wahrnehmungen und Beeinflussungen hat es gegeben? Welche Parallelen und Unterschiede weisen die Diskurse auf?
3. Forschungsstand
Der Karikaturenstreit ist zum Gegens tand kommunikationswissenschaftlicher-, politikwissenschaftlicher, juristischer und theologischer Spezialdiskurse geworden. Insgesamt ist die Zahl der Arbeiten zum Karikaturen-Diskurs aber übersichtlich. Siegfried Jäger untersucht in seinem Aufsatz „Der Ka rikaturenstreit im ‚Rechts-Mitte-Links’-Diskurs deutscher Pr intmedien“ den Konflikt diskursanalytisch. Dabei interessiert ihn, wie der deutsche Diskurs Muslime in Europa und ihren Herkunftsländern darstellt. Jäger stellt fest, dass die „Auseinandersetzungen in Verbindung mit den Moham med-Karikaturen (…) nur einen weiteren Anlass dar[stellten], den Einwanderungsdiskurs polemisch rassistisch zu be feuern.“ Zudem kritisiert Jäger den Mitte-Diskurs, weil er sich nicht für die W irkung der Berichterstattung interessiert habe. Die Pressefreiheit werde als unverhandelbares höchstes Gut da rgestellt. Während für die Integration von Muslimen im Inneren plädiert werde, sei das diskursive „Außen“ als tendenziell gefährlich dargestellt worden. Teun A. van Dijk gelangt für spanische Medien51 zu ähnlichen Ergebnissen wie Jäger für deutsche und deutet an, dass sich die Berichterstattung in der gesamten EU ähnelt. „(… ) beschwor die El Pais während der Karikaturen-Affäre im Frühjahr 2006, wie andere Zeitungen auch, die Freiheit der Presse und legitimierte damit einen anti-m uslimischen Diskurs, und übertrieb dram atisch die radikalen und gewaltförmigen Proteste in der Welt.“ 52 Die Zeitung habe weder „über Rassismus in der EU-Presse berichtet noch detaillierte Berichte über Rassismus und die Situation von Einwanderern in Dänemark“ geliefert. Dies gilt auch für einige deutsche Zeitungen, wie sich noch zeigen wird. Jürgen Link hat sich eines „übe rsehenen Aspektes des Karikaturenstreits“ angenommen und die Karikatur, die den Propheten Mohammed mit einem Bombenkopf zeigt, in eine Reihe von islamischen Feindbildern gestellt. Diese Karikatur nennt Link eine n „besonderen Typ von Feindbild“ . Bombenköpfe 51 52
Teun A. van Dijk (2007): Rassismus und die Medien in Spanien, in: Jäger, Siegfried / Halm , Dirk [Hrsg.]: Mediale Barrieren. Rassismus als Integrationshindernis, S. 105-150 Ebenda
M. Ata, Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien, DOI 10.1007/978-3-531-94091-5_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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3. Forschungsstand
bzw. Bombenleiber reproduzierten ständig das Charakterbild des orient alischislamischen Fanatikers. Bei der Zeichnung handele es sich „um den Musterfall eines extrem binär-reduktionistischen, zur Eskalation ‚ hetzenden’ Feindbilds.“ Bombenköpfe seien ein gutes Beispiel für ein bloßes Feindbild ohne jeden Humor. Darauf wird in Kapitel 7 weiter einzugehen sein. Zu nennen ist auch die Arbeit von Werner Köster zum „Bilderverbot als Diskurselement“53. Darin bezieht er versuc hsweise systemtheoretische Überlegungen über Eskalationsprozesse auf den Konflikt um die Moham medKarikaturen. Im Rückgriff auf Luhmann führt er die Es kalation auf die Berufung auf absolute Werte zurück. „Da sich beide Seiten auf absolute Werte berufen, kann es kaum verwundern, dass die Auseinandersetzungen eskalieren. Im Rückblick auf die Eskalation hat man es mit einem rekursiven, sich selbst verstärkenden Prozess (mit einem System?) zu tun, der nicht aus de n Merkmalen des auslösenden Ereignisses allein erklärt werden kann.“54 Thomas Neubner analysiert den Karikaturenstreit im Wirtschaftsteil der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ). Dabei nimmt er besonders die Diskursverknüpfung mit der Debatte um den EU-Beitritt der Türkei und die Integration von MigrantInnen in Deutschland in den Blick. Holger Behr bietet in seinem Aufsatz „Der sogenannte Karikaturenstreit – Ursachen und Verlauf“ eine Chronologie des Karikaturenstreits an und geht auf einige strittige Punkte wie das Bilderverbot ein. Sein kurzer Text geht aber nicht wesentlich über das hinaus, was bereits im Diskurs selbst diskutiert wurde. Auch das Buch „Die Kinder des Dschihad. Die neue Ge neration des islamistischen Terrors in Europa“ von Mekhennet et al. enthält eine Chronologie des Karikaturenstreits. In Heft 4 vom April 2006 der „Stimmen der Zeit“ widmen sich gleich zwei Artikel dem Karikaturenstreit. In einem zweiseitigen Text fragt Johannes Müller, ob es eine n Schutz für re ligiöse Symbole geben müsse.55 Echte Aufklärung und Meinungsfreiheit zeichneten sich durch Argumente aus, die scharfe Kritik auch an den Religionen einschließen könne. „Etwas ga nz anderes ist aber die Verletzung religiöser Gefühle nach dem Motto: ‚Alles ist erlaubt’.“ Lars Reuter versucht den Kontext, in dem der Karikaturenstreit begonnen hat, zu rekonstruieren. Er weist auf die Tatsache hin, dass Dänemark bis in die 70er Jahre hinein
53 54 55
Werner Köster (2006): Bilderverbot und Bilderstreit als Diskurselemente von Medienmentalitäten, in: Lili 2006, Jg. 36, Nr. 142, S. 159-195 Ebenda Johannes Müller (2006): Schutz für religiöse Symbole? In: Stimmen der Zeit, Heft 4 04/ 2006, S. 217-218
3. Forschungsstand
35
eine der homogensten Nationen E uropas war und dass das Land noch immer stark religiös geprägt ist. „83,1 Prozent der dänischen Bevölkerung waren zum 1. Januar 2005 Mitglied der dänischen Volkskirche.“56 Teilweise scheint Reuter jedoch seinen eigenen Vorurteilen zu unterliegen. Die Integration in die homogene dänische Gesellschaft erweise sich a ls schwierig, „gerade wegen der bewußt gewählten Selbstisolation bestimmter islamischer Gruppen“. Zudem erschwere eine Reihe „kultureller Eigenarten und Vorkommnisse“ das Verhältnis zur dänischen Bevölkerung. Zu diese n „Eigenarten“ und „Vorkommnissen“ zählt der A utor Halalschlachtungen, Zwangsbeschneidungen und -ehen, da s Tragen der Burka, „etliche Gruppenverg ewaltigungen dänischer Mädchen und ihre gängige Beschimpfung als ‚Huren’“. Reuter meint, dass der Konflikt in eine Vielzahl anderer Konflikte wie dem Irak-Krieg, dem Einsatz in Afghanistan und dem Versuch extremer islamischer Part eien und Gruppierungen, größeren religiösen Einfluss auszuüben, eingebettet ist. Felix Ekardt diskutiert den Karikaturenstreit aus juristischer Perspe ktive.57 Nachdem er feststellt, dass di e Mohammed-Karikaturen sowohl unter die Meinungs- als auc h unter die Kunstfreiheit fallen, fragt er, ob sie konkreten Einschränkungen unterliegen. „Dies ist nach dem Gesagten gena u dann der Fall, wenn die Karikaturen einen Konflikt erzeugen, der als G erechtigkeitsfrage zu qualifizieren ist und damit dann ggf. a uch Einschränkungen der Karikaturistenfreiheit nahe legen könnte.“58 Bei religionskritischen Karikat uren bestehe kein Konflikt zwisc hen verschiedenen Freiheiten, den Staat und Recht zu entscheiden hätten – „solange nicht eine „Schmähung“ dergestalt vorliegt, dass jemand mit seinem Kunstwerk oder seiner Meinungsäußerung eher das Ziel verfolgt, andere Leute in schwerwiegender Weise persönlich zu treffen“.59 2007 hat Bernhard Debatin den Sammelband „Der Karikaturenstreit und die Pressefreiheit“ herausgebracht60, der die Thematisierung verschiedener Aspekte der Pressefreiheit und des kulturellen Kontextes sowie kommunikationswissenschaftliche Betrachtungen enthält. Zwei Beiträge daraus sehe ich für die vorliegende Analyse als bes onders ergebnisreich an: Derjenige von Stephan Rosiny über die religiösen und politischen Hintergründe des Karikaturenstreits
56 57 58 59 60
Lars Reuter (2006): Hintergründe zu m dänischen Karikaturenstreit, in: Stim men der Zeit 2006(4): S. 239 – 252 Felix Ekardt (2007): Der Karikaturenstreit und da s Recht. In: Neue Justiz, 61. Jahrgang, 4/0 7, S. 145-150 Ebenda Ebenda Bernhard Debatin (2007 ) [Hrsg.]: Der Karikaturenstreit und die Pressefreiheit. Berlin: Lit
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3. Forschungsstand
und derjenige von Sabine Schiffer darüber, wie sich im Konflikt um die Zeichnungen eine „Minderheitenmeinung“ durchsetzt. Rosiny diskutiert das Abbildungsverbot Gottes und Mohammeds sowie das Bilderverbot im Isla m. Er bilanziert: „Ein Bilderverbot gilt de mnach (nur) im rituellen Kontext, in Gebetshäusern, im Koran und anderen religiösen Schriften. Illustrierend tauchen hingegen Abbildungen von Lebewesen und selbst von Muhammed in verschiedenen Chroniken und Abhandlungen auf.“61 Als den eigentlichen Kern des Karikaturenstreits bezeichnet er das Ve rbot, den islamischen Propheten zu beleidigen und zu verfluchen. Der Grund für die Eskalationen seien politische Spannungen. „Die Muhammed-Karikaturen waren der Auslöser, aber nicht die Ursache einer Gewaltwelle im Nahen und Mittleren Osten.“62 Die Erlanger Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer sieht die Moha mmed-Karikaturen nicht vom Pressekodex gedeckt, weil diese teilweise eine „verallgemeinerte Wahrnehmung aller sich zum Islam Bekennenden als potenziell gewaltbereit oder gar gewalttätig“ 63 suggerierten. Wenn die Rechtfertigung von Selbstmordattentätern mit dem Hinweis auf den Koran unkritisch übernommen wird, setze man deren Sicht pars-pro-toto dominant – „als Stellvertreter für den ganzen Islam“.64 Risto Kunelius et al. haben ei nen Sammelband mit Untersuchungen zu 14 Ländern herausgegeben.65 Leider enthält der Band kei nen Artikel zum Diskurs in der T ürkei – der Beitrag zu Deutschland beschäftigt sich mit Anschlussdiskursen an den Karikaturenstreit. Das Buch arbeitet – wie die vorliegende Untersuchung – m it Bourdieus Konzept des „journalistischen Feldes“; insbesondere fragt es nach dem Verhältnis von jo urnalistischem zum politischen Feld. „W e have to be able to look across and inside national frames and recognise the similarities and differences in the ways that journalistic fields are constructed.”66 Jytte Klausen versucht eine politikwissenschaftliche Betrachtung des Karikaturenstreits. Sie stützt sich da bei auf Interviews, deren Erhebung sie je doch nicht näher erläutert: „Many of m y sources come from confidential interviews
61 62 63 64 65 66
Stephan Rosiny (2007): Der beleidig te Prophet – Religiöse und politische Hintergründe de s Karikaturenstreits, in: Bernhard Debatin [Hrsg.]: Der Karikaturenstreit u nd die Pressefreiheit. Berlin Lit, S. 103 – 116 Ebenda Sabine Schiffer (2 007): Islam und Gewalt – Ei ne Minderheitenmeinung setzt sich durch, in: Bernhard Debatin [Hrsg.]: Der Karikaturenstreit und die Pressefreiheit, S. 161 – 172 Ebenda Risto Kunelius (2007) [Hrsg.]: Reading the Mohammed cartoons controversy: an international analysis of press discourses on free speech and political spin. Bochum: Projekt-Verlag. Ebenda
3. Forschungsstand
37
with people spoke to m e as private persons and e xpressed views contrary to their official positions .”67 Klausen schafft es, de n dänischen Kontext sehr gut darzustellen. Die Diskursposition der Jyllands Posten, Rasmussens politische Ausrichtung und der Kontext der dänischen Ausländerpolitik werden gut aufgearbeitet. In Kapitel 6 wird auf ihr Buch weiter einzugehen sein. Jytte Klausen ist übrigens auch Teil des deutschen Mediendiskurses. Am 10. Februar veröffentlicht Spiegel Online einen Gastbeitrag von ihr. Der Text gehört zu den wenigen Dänemark-kritischen Diskursfragmenten beim Onlinemagazin. In seiner Dissertation „Das Schaufenster des Schreckens in den Tagen des Zorns“ analysiert Stefan Piasecki aus religi onspolitologischer Perspektive den Karikaturenstreit. Die Inhaltsanalyse der Darstellung von Islam und Islamismus in Spiegel, Stern und Focus fragt nach den „Grundannahmen in Bezug auf Religion und Gesellschaft“ i m Diskurs.68 Piasecki kommt dabei zum Ergebnis, dass die „Öffentlichkeit religiöser Implikationen nur oberflächlich gewahr wurde“.69 „Zwar waren diese stets auch ein Thema, im Fokus stande n allerdings meistens die politischen Protagonisten und ihre Forderungen.“ Mit diesem Befund widerspricht er Rosi ny. Diese vergleichende Analyse des deuts chen und türkischen Diskurses wird zeigen müssen, inwieweit die Religion tatsächlich näher in den Fokus gerückt werden muss. Piasecki ist dafür zu kritisieren, dass ihm oft das Verständnis für diskursive Vorgänge fehlt. Insbesondere mangelt es der Arbeit an einem reflektieren Umgang mit Kollektivsymbolen. Deshalb verliert der Autor vielfach die Distanz z um Untersuchungsgegenstand. Er spricht unter anderem von einer „Einwanderungswelle“ (S. 285), „Appeasement“ (S. 295) und davon, dass Deutschland und Europa von den Ereignissen im Karikaturenstreit „überrollt“ wurden. Scherer Naab70 führt eine i nhaltsanalytische Untersuchung der Argumente zur Pressefreiheit in de r Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung und der tageszeitung durch. Sie stellt fest, dass Zeitunge n die Grenzen der Pressefreiheit ausführlich in Frage stellten, ihre Schutzwürdigkeit betonten und über Bedrohungen informierten. „[D]er Grund für ihre Notwendigkeit wurde aber kaum angesprochen. Eine solche oberflächliche Betrachtung ist dem 67 68 69 70
Jytte Klausen (2009): The cartoons that shook the world. New Haven / L ondon: Yale University Press, S. 12 Stefan Piasecki (2008): Das Schaufe nster des Schreckens in den Tagen d es Zorns. Ma rburg, Tectum Verlag, S. 27 Stefan Piasecki: Das Schaufenster des Schreckens in den Tagen des Zorns, S. 397 Scherer Naab (2009): Möglichkeiten und Gefahren der Meinungsfreiheit. Eine inhaltsanalytische Untersuchung der Diskussion i n deutschen überregionalen Tageszeitungen während des Karikaturenstreits 2006., in: Publizistik, 2009
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3. Forschungsstand
wichtigen Gegenstand nicht angem essen und leistet einer Gefährdung der Meinungsfreiheit Vorschub.“71 Es wird zu untersuchen sein, inwieweit diese Annahmen auch für andere Zei tungen – be sonders denen am „politischen Rand“ zutreffen und welche Gründe für die spezifische Betrachtung der Pressefreiheit vorliegen. Zudem ist zu fragen, ob u nd inwieweit es im Karikaturenstreit eine tatsächliche Bedrohung der Pressefreiheit gegeben hat.
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Ebenda
4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
Bislang gibt es keine vergleichenden Diskursanalysen zwischen Ländern, deren Zivilgesellschaften christlich und islamisch geprägt sind. Daher verwundert es nicht, dass die Arbeit mit noch ungelösten methodischen Problemen konfrontiert ist. Zu den konkreten Fragen, vor de nen diese Arbeit steh t, gehören folgende: Kann man die isla misch-konservative Zaman mit der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung vergleichen? Gibt es eine deutsche Zeitung, die als Pe ndant zur links-kemalistischen Tageszeitung Cumhuriyet angesehen werden kann? Die Cumhuriyet ist links und nati onalistisch zugleich. Wenn eine deutsche Boulevard-Zeitung mit einer türkischen Boulevard-Zeitung verglichen werden soll: Wie fließt die Tatsache in die Analyse ein, dass das journalistische Feld in der Türkei überwiegend aus Boulevard-Blättern gebildet wird? Um eine Vergleichbarkeit zwischen dem türkischen und deutschen Zeitungsmaterial herzustellen, muss das journalistische Feld beider Länder beschrieben werden. Ich orientiere mich in diesem Kapitel an Pierre B ourdieus Theorie des journalistischen Feldes72, weil ich mit ihr die Dichotomie zwischen akteurs- und institutionsorientierten Ansätzen umgehen kann. Zudem gelingt es m it Bourdieu, das Verhältnis des journalistischen Feldes zu anderen Feldern wie dem politischen oder dem wirtschaftlichen zu beschreiben. Dies dürfte für die Analyse des Karikaturenstreits von gr oßer Bedeutung sein. Bour dieu erklärt, dass die „spezifische Logik eines jeden Feldes jeweils fest[legt], was auf diesem Markt Kurs hat, was im betreffenden Spiel relevant und effizient ist“73. Über das journalistische Feld stellt er fest, dass dieses a utonom ist und „seinem eigenen Gesetz“ folgt. Dieses Feld sei nicht dire kt von äußere n Faktoren her zu e rschließen.74 Was im Feld zähle, sei die relative Position im Vergleich zur Konkurrenz – ändert sich die Umgebung, dann ändere sich auch die Position eines bestimm-
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Für eine Übersicht über die internationale Diskussio n um Bourdieus Theorie des journalistischen Feldes siehe: Michael Meyen (2009): Das journalistische Feld in Deutschland. Ein theoretischer und em pirischer Beitrag zur Journalismusforschung, in: Pu blizistik. Volume 54, Nummer 3 / September 2009, S. 323-345 Pierre Bourdieu (1987): Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 194 Pierre Bourdieu (1998): Über das Fernsehen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 55
M. Ata, Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien, DOI 10.1007/978-3-531-94091-5_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
ten Einzelelementes.75 „Ein Feld ist bei Bourdieu ein Mikrokosmos, zu dem alle Akteure (einzelne Pers onen oder Organis ationen) gehören, die im jeweiligen Bereich arbeiten – eine „soziale Welt“ im Kleinen, die zwar Zwänge ausübt, zugleich aber nach eigenen Gesetzen funktioniert, Anforderungen von außen bestenfalls gebrochen wirken lässt und so gar nicht die Idee erlaubt, zum Beispiel von einem bestimmten ökonomischen Kontext direkt auf den Inhalt einer Zeitung zu schließen.“76 Bei der Beschreibung des journalistischen Feldes geht es also um die Frage, wie das Kräfteverhältnis zwischen den Akteuren aussieht und was das spezifische Kapital der Zeitungen ist. Womit versuchen die einzelnen Zeitungen im Feld zu punkten?77 Zweierlei will ich mit der Beschreibung des journalistischen Feldes erreichen: Zum einen will ich die Binnenst rukturen der Zeit ungen erfassen. Man muss zu erm itteln versuchen, welche ge genseitigen Einflüsse die Zeitungen ausüben und welche von ihnen im Karikaturenstreit als so genannte „Leitmedien“ bezeichnet werden können. Zum anderen will ich bei der Beschreibung nicht-diskursive Faktoren stärker in den Blick nehmen, als es üblicherweise in Diskursanalysen getan wird. Die Frage nach den Kräften hinter den Schlagzeilen78 ist dabei wesentlich. Eine „Sozialgeschichte der Entwicklungen der Beziehungen zwischen den verschiedenen Nachrichtenmedien“79, wie sie Bourdieu fordert, ka nn an dieser Stelle nicht geleistet werden. Denn dazu müsste ich die „Gesamtheit der objektiven Kräfteverhältnisse berücksichtigen (…), aus denen die Struktur des Feldes besteht“.80 Auch kann ich m ich nicht auf um fangreiche vergleichende Arbeiten
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Pierre Bourdieu: Über das Fernsehen, S. 60 Michael Meyen / Claudia Riesmeyer (2009): Diktatur des Publikums. Journalisten in Deutschland. Konstanz: UVK, S. 17f. Meyen und Riesm eyer versuchen in ihre m Buch „Die Diktatur des Publ ikums“ anhand von Bourdieus Feldtheorie und q ualitativen Interviews das journalistische F eld zu beschreibe n. Dabei fragten sie u.a. nach der Autono mie des Feldes, nach dem Zugang zum Feld. Er beschreibt dabei aber nicht, womit einzelne Zeitungen im Feld punkten können; die Redaktionen als Einheiten im Feld werden vernachlässigt. Um die Feldtheorie für Dis kursanalysen fruchtbar zu machen, wäre aber genau dies notwendi g. Die Fr age, womit die Zeitungen im Feld punkten und wie sie Kapital (im bourdieuschen Sinne) anhäufen, kann nur ungenügend mithilfe von Interviews beantwortet werden. Stattde ssen muss vor allem der Output der Zeitungen diskursanalytisch untersucht werden. Diskursanaly tische Gesamtdarstellungen von Zeitungen sind jedoch ein Forschungsdesiderat. Vgl. Frank Esser (1998): Die Kräfte hinter den Schlagzeilen. Englischer und deutscher Journalismus im Vergleich. Freiburg: Verlag Karl Alber Vgl. Bourdieu: Über das Fernsehen S. 57 f. Vgl. Bourdieu: Über das Fernsehen S. 56
4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
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zwischen Deutschland und der Türkei stützen. Deshalb werde ich synoptisch – und oft eklektisch – die jo urnalistischen Felder beider Länder zu beschreiben versuchen.81 Neben den Profilen der Zeitungen möchte ich in diesem Kapitel auch den unterschiedlichen Grad der Pressefreiheit in Deutsc hland und der Türkei beschreiben. Der Versuch soll gemacht werden, Erkenntnisse der vergleichenden Medienforschung mit ihren Unterdisziplinen für eine vergleichende Diskursanalyse fruchtbar zu m achen. Denn Schnittstellen zwischen Diskursanalyse und vergleichender Journalismusforschung scheint es bisher keine z u geben.82 Die vorliegende Arbeit will auch Rückschl üsse auf die Journalism uskulturen der Länder ziehen. Pfetsch und Esser fordern, dass eine vergleichende Untersuchung auch Aussagen über die untersuchten Systeme treffen müsse: (...) vergleichende Forschung soll so angelegt werden, dass sie einen dop pelten Nutzen erbringt. Sie soll nicht nur darauf ab zielen, einen bestimmten Untersuchungsgegenstand zu beleuchten, s ondern auch die unterschiedlichen Systeme, in denen er untersucht wird.83
Die in Deutschland noch junge Disziplin der vergleichenden Medienforschung84 kann durch die Diskursanalyse neue Impulse erhalten. Die Diskurstheorie ist in der Lage, Aufschlüsse über Wissensbestände, Kollektivsymbole, Argumentationsmuster, Diskursstrategien, Sagbarkeitsfelder und Feindbilder zu geben, die von Inhaltsanalysen nur unzureichend behandelt werden können. Die genannten
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Meyen und Ries meyer schreiben, dass „die Forschun g zum journalistischen Feld noch ga nz am Anfang steht und in Deutschland bisher kaum darüber hinausgek ommen ist, Bourdieus Begriffe vorzustellen“ siehe Meyen, Riesmeyer: Die Diktatur des Publikums, S. 40 So zählt Kleinsteuber unter Methoden vergleichender Forschung die Dokumenten- und Literaturanalyse, die In haltsanalyse, die Auswertung statistischer Daten, die Auswertung von Reichweiten- und Zuschauererhebungen, die Auswertung v on Meinungsumfragen sowie Experteninterviews und teilneh mende Beobachtung auf. Die Diskursanalyse als Methode fehlt dabei. Vgl. Hans J. Kleinsteuber (2003): Medien und Kommunikation im internationalen Vergleich: Konzepte, Methoden und Befunde, in: Pfets ch, Barbara / Esser, Frank [Hrsg.]: Politische Kommunikation im internationalen Vergleich. Grundlagen, Anwendungen, Perspektiven. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 78-103 Barbara Pfetsch / Frank E sser (2003): Politische K ommunikation im internationalen Vergleich. Neuorientierung in einer veränderten W elt, in: Pfetsch; Barbara / Esser, Frank [Hrsg.] (2003): Politische Kommunikation im internationalen Vergleich. Grundlagen, Anwendungen, Perspektiven, S. 9-34 Zur Geschichte der Disziplin vgl. u.a. Hans J. Kleinsteuber (2002): Mediensysteme im internationalen Vergleich: Ein Überblick, in: Hafez, Kai [Hrsg.]: Die Zukunft der internationalen Kommunikationswissenschaft in Deutschland. Hamburg: GIGA Verlag, S. 13-38
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
Punkte sind gleichzeitig wichtige Relevanzkriterien für den Vergleich der Berichterstattungen über die Karikaturenkrise. 4.1 Pressefreiheit Die Pressefreiheit in beiden Ländern ist von doppelter Bedeutung für die vorliegende Arbeit: Sie beeinflusst nicht nur im Allgemeinen die Berichtersta ttung; die Pressefreiheit ist auch deshalb relevant, weil sie neben dem „Respekt vor der Religion“ zu den wichtig sten Streitfeldern des Diskurse s gehört und einen Hochwertbegriff bildet. Die folgende Darstellung richtet den Blick nicht nur auf den rechtlichen Rahmen, sondern beschreibt auch – wenn auch kurz – die länderspezifischen Traditionen der Pressefreiheit und den Umgang von PolitikerInnen mit nationalen Medien. Ich halte bei der Beschreibung der Pressefreiheit die von Czepe k vorgeschlagenen Kriterien für fruchtbar.85 x x x x x
Structural conditions (legal, political, economic, historical and cultural) Organizational prerequisites (organizational obj ectives, internal structures, self- and c oregulation) Individual journalistic freedom (influence exer cised, degree of harassm ent, censorship and self-censorship) Content pluralism as an indicator for press freedom Possibilities for participation (access to the media; active as producers and passive as consumers/recipients
Konkret greife ich folgende Punkte auf, weil sie mir für die Analyse des Karikaturenstreits wichtig erscheinen: Ökonomische Faktoren, rechtliche Situation, Rezipienten und Rollenselbstbilder der Journalisten. 4.1.1. Medienkonzentration „Welche Medien es i n einem Land gibt und wem sie gehöre n, hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie bestim mte Medieninhalte entstehen.“ 86 Der
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Vgl. Andrea Czepek (2009): Pluralism and Participation as Desired Results of Press Freedom : Measuring Media System Performance, in: Czepek; Andrea / Hellweg, Melanie / Nowak, Eva [Hrsg.]: Press Freedom and Pluralism in Europe. Concepts and Conditions. – Bristol, Chicago: Intellect, S. 37-44 Vgl. u.a. Manuel Puppis (2007): Einführung in die Medienpolitik. Konstanz: UVK, S. 26
4.1 Pressefreiheit
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genaue Zusammenhang zwischen Medienvielfalt und Me inungsvielfalt ist jedoch umstritten. So stellen Aslam a/Hellman/Sauri fest: „No doubt, industry structure does have a n effect on diversity, but the relationship may be more complicated than is usually thought.” 87 Während beispielsweise Trappel e t al. inhaltliche Homogenisierungstendenzen als Folge von Medienkonzentration sehen,88 erkennt Bourdieu in einer ausgeprägten Konkurrenzsituation zwischen den Zeitungen eine homogenisierende Wirkung.89 Bei der Beschreibung der ökonomischen Faktoren im Journalismus ist auch die wi rtschaftliche Situation der Journalisten von Bedeutung. Bourdieu sieht einen Zusammenhang zwischen Stellenunsicherheit und der Neigung zu politischem Konformismus, auch wenn er sich dabei auf keine empirischen Untersuchungen stützen kann. Und gewiß ist vor alle m in Zeiten wie der he utigen, in der eine Rese rvearmee für di e Fernseh- und Rundfunkmetiers in Bereitschaft steht und eine sehr große Stellenunsicherheit herrscht, die Neigung zu politis chen Konformismus groß. Noch bevor man sie zur Ordnung rufen muß, beugen sich die Menschen einer bewußten oder unb ewußten Form von Selbstzensur.90
Die vergleichende Forschung zur Pressekonzentration steht noch am Anfang. Es „mangelt (…) an Untersuchungen mit entsprechendem Datenmaterial, welches den methodischsystematischen Ansprüchen an komparative Forschung gerecht würde.“91 Die e inzige aktuelle Untersuchung zur „Pressekonzentration in 16 westeuropäischen Ländern (15 EU-Staaten und Türkei), die als dire kter Ländervergleich nach einem einheitlichen Kategoriensystem durchgeführt wurde“92, leide unter der Problematik der nur geringen Aussagekraft der Kategorien, die
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Minna Aslama / Heikki Hellman / Tuomo Sauri (2004): Does Market-Entry Regulation Matter? Competition in Television Broadcasting and Programme Diversity in Finland, 1993-2002, in: Gazette, Jg. 66, Nr. 2, S. 113-132 Josef Trappel / Werner Meier / Klaus Schrape (2002): Die gesellschaftlichen Folgen der Medienkonzentration. Veränderungen in den demokratischen und kulturellen Grundlagen der Gesellschaft. Opladen: Leske + Budrich Verlag, S. 113 f. „Ich habe natürlich nichts gegen Konkurrenz, ich stelle nur fest, daß sie sich auf Journalist en und Journale, die denselben Zwängen, denselben Umfragen, denselben Anzeigenkunden ausgeliefert sind, ho mogenisierend auswirkt ( man braucht nur daran zu denken, mit welcher Leichtigkeit Journalisten von einer Zeitung zur anderen wechseln). Vergleichen Sie bloß die Titelseiten der Wo chenpresse im Vierzehntagerhythmus“ (Bourdieu: Über das Fernsehen, S. 30) Bourdieu: Über das Fernsehen S. 19 Manfred Knoche (2007): Medienkonzentration, in: Thomaß, Barbara: Mediensystem im internationalen Vergleich. München: UVK, S. 122-144 Ebenda
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
als Konzentrations-Indikatoren ausgewählt sind, und der Qualität des verwendeten Datenmaterials. Deswegen kann an dieser Stelle der Vergleich zwischen den beiden Ländern nur eine Annäherung sein. Deutschland Anfang 2006 betrug der Marktanteil der fünf größten Tageszeitungsverlagsgruppen 41,3 Prozent an der Gesamtauflage aller Tageszeitungen.93 Die größten Tageszeitungsverlage waren der A xel Springer Verlag, die Westdeutsche Allgemeine Zeitungsgruppe, die Verlagsgruppe Stuttgarter Zeitung/Die Rheinpfalz/Südwestpresse Ulm, die Ippen-Verlagsgruppe und die Gruppe M. DuMont Schauberg. Pürer weist da rauf hin, dass der deutsche Tageszeitungsmarkt trotz seiner Ausgabenvielfalt „von relativ h oher (Auflagen-)Konzentration gekennzeichnet“ 94 ist. Der Gesamtbestand der Tagespresse umfasste 138 redaktionell selbstständige Tageszeitungen (publizistische Einheiten), die in 1.538 Ausgaben erscheinen und von zusammen 359 Verlagen herausgegeben werden.95 Trapel et al. machen Konzent rationstendenzen im gesamten Mediensektor aus. „Die Befunde zur Medienkonzentration in Deutschland zeigen in den etablierten Medien Fernsehen, Hörfunk und Print deutliche Konzentrationstendenzen auf.“96 Zudem stellen sie eine A usweitung ökonomischer Logiken auf Bereiche fest, die bislang einer anderen Logik gefolgt sind. Sie sprechen von einer „Ökonomisierung der Medien“.97 Dies habe einen vermehrten Autonomieverlust der Redaktionen zur Folge. Kritisch fassen sie zusammen: Verflochtene Medien sind in der Lage, den öffentlichen politischen Diskurs in einem dem Konzentrationsgrad entsprechenden Ausmaß zu bestimmen. Vor allem aus der Ausblendung oppositioneller Standpunkte resultiert eine Verarmung des politischen Diskurses.98
Die Journalismusforschung macht darauf aufmerksam, dass es klassische Verlage, die nur im Printsektor aktiv sind, kaum noch gibt. So sind große Unterneh-
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Heinz Pürer / Detlef Raabe (2007): Presse in Deutschland. Konstanz: UVK, S. 408 Heinz Pürer / Detlef Raabe: Presse in Deutschland, S. 408 Heinz Pürer / Detlef Raabe: Presse in Deutschland, S. 406 Josef Trappel / Werner Meier / Klaus Schrape (2002): Die gesellschaftlichen Folgen der Medienkonzentration. Veränderungen in den demokratischen und kulturellen Grundlagen der Gesellschaft. Opladen: Leske + Budrich Verlag, S. 11 Josef Trappel: Die gesellschaftlichen Folgen der Medienkonzentration, S. 85 Josef Trappel: Die gesellschaftlichen Folgen der Medienkonzentration, S. 120
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
Türkei Bis in die 80er Jahre wurde der türkische Pressemarkt von vier großen Tageszeitungen bestimmt: Von de r Cumhuriyet, Milliyet, Tercüman und Hürriyet, die jeweils von Familienunternehmen geführt wurden.100 Ab Ende der 70er J ahre veränderte sich diese Struktur, weil Wirtschaftsunternehmen in den Pressemarkt einstiegen und Verlage aufkauften bzw. neue Titel gründeten. 101 Die Zunahme vertikaler und horizontaler Vernetzung im Pressesektor führte zu Z usammenschlüssen von Presseunternehmen mit Unternehmen, die nicht aus dem Medienbereich stammten, wie z.B. Banken, Touristik- und Energieunternehmen.102 Die Pressekonzentration in der Türkei ist enorm. Die vier größten Verlage, die Do÷an Gruppe, die Çiner Gr uppe, die Zaman und di e Çukurova Gruppe, teilten sich 2006 rund 80 Prozent der Gesa mtauflage der türkischen Zeitungen.103 Allein die Do÷an Gruppe erreichte mit ihren Tageszeitungen Posta, Hürriyet, Milliyet, Gözcü, Radikal, Referans und Turkish Daily News eine Gesamtauflage von mehr als 1,9 Millionen Exemplaren. Damit hielt die Holdi ng 38,56 Prozent der Gesamtauflage in de r Türkei in de r Hand.104 Zur M edienholding Do÷ans gehörten auch 22 Magazine. Zudem kassierte di e Do÷an-Gruppe rund zwei Drittel der gesamten Anzeigenerlöse105 und dominierte über ihre Distributionsgesellschaft Yay-Sat DYH auch das Vertriebsnetz.106 Die Medienkonzentration hat auch Folgen für das Verhältnis des journalistischen Feldes zum politischen Feld. „In den frühen 90er Jahren stellte sich de r Besitz einer Z eitung (und auch eines Fernsehsenders) als eine sehr effektive Möglichkeit heraus, um von der Liberalisierungswelle zu profitieren. Die Politiker waren damals permanent auf der Suche nach Unterstützung seitens der Medien, um die eigene Machtposition zu stärken.“ 107
100 Zur frühen Geschichte des türkischen Journa lismus siehe u.a. Nuri Inugur (1992): Türk bas Õn tarihi, Istanbul: Erdini Basim ve Yayinevi 101 Burcu Sümer / Bülent Çapl Õ (2004): Das Mediensystem der Türkei, in: Hans-Bredow-Institut für Medienforschung [Hrsg.]: Intern ationales Handbuch Medien. Baden-Baden: No mos Verlagsgesellschaft 102 Ebenda 103 øbrahim Toruk (2007): Türkiye’deki medyanÕn sahiplik yapÕsÕndaki de÷iúimler, in: Bilal ArtÕk / Mustafa ùeker [Hrsg.]: Bir sorun olarak Gazeticilik Konya, S. 71-90 104 øbrahim Toruk (2007): Türkiye’deki medyanÕn sahiplik yapÕsÕndaki de÷iúimler, in: ArtÕk, Bilal / ùeker, Mustafa [Hrsg.]: Bir sorun olarak Gazeticilik Konya: Tablet Kitabevi YayÕnlarÕ, S. 7190 105 Dieter Sauter: Maechtiger Falke, WoZ 4/2008 106 Burcu Sümer / Bülent ÇaplÕ (2004): Das Mediensystem der Türkei 107 Ebenda
4.1 Pressefreiheit
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Das Auswärtige Amt schreibt auf sei ner Homepage, dass „grundsätzlich (…) in den letzten Jahren au ch eine häufig durch die materielle Situation der Journalisten und die Eigentumsstruktur der Medienkonzerne verursachte Selbstzensur beklagt“ wird.108 Die vorliegende Arbeit geht der F rage nach, welche Auswirkungen der unterschiedliche Grad und die unterschiedlichen Formen der Medienkonzentration in Deutschland und der Türkei auf den Diskurs haben. Dabei interessiert insbesondere, ob sich die Berichtersta ttung von Zeitungen aus gleichen Verlagshäusern ähnelt oder ob trotz (oder wegen) der Konzentration eine Meinungsvielfalt existiert. Die Arbeit versucht zu ermitteln, ob sich signifikant e Unterschiede zwischen Zeitungen, die großen Verlagshäusern angehören und Zeitungen, die im Eigenverlag erscheinen (z.B. Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung) feststellen lassen. F ür die Türkei ist die F rage von Interesse, ob die konglomerate Pressekonzentration besondere Auswirkungen auf die Berichterstattung hat. 4.1.2. Rechtliche Rahmenbedingungen Deutschland Die Presseregulierung in Deutschland ist von einer starken Zurückhaltung staatlicher Akteure geprägt. Artikel 5 Grun dgesetz enthält ei ne ausdrückliche Erwähnung des Zensurverbotes. Dies er klärt Bernd-Peter Lange aus den frühen geschichtlichen Erfahrungen in Deutschland heraus. Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 gegen die erste, aus damaliger Sicht „revolutionäre“ Studentenbewegung, aber auch die negativen Erfahrungen sowohl von Heinrich Heine als auch von Karl Marx mit dem Einschreiten des Staates gegen aus dessen Sicht missliebige Meinungsäußerungen sowie die s og. Sozialistengesetze gegen die Sozialdemokratie stellen den „Erfahrungshintergrund“ dar. 109
108 http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Tuerkei/KulturUndBildungspolitik.html, abgerufen am 8. September 2009 109 Bernd-Peter Lange (2008): Medienwettbewerb, Konzentration und Gesellschaft. Frankfurt: VS Verlag, S. 79
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
Die Medienpolitik in Deutschland kenn t eine indirekte Presseförderung durch die reduzierte Mehrwertsteuer und die Förderung von Nachrichtenagenturen.110 Die Regulierung der Presse erfolgt in Deutschland durch den Presserat. Bei ihm handelt es sich um eine von den großen deutschen Verleger- und Journalistenverbänden eingerichtete Selbstregulierungsorganisation, die zumeist auf Basis von Rezipientenbeschwerden Verstöße von Medien gegen bestimmte ethische Richtlinien untersucht und nötigenfalls sanktioniert.111 Der Presserat sieht sich als Verteidi ger der Pressefreiheit und hat sich in der Vergangenheit mehrfach in entsprechende Diskussion eingeschaltet. In der Telekommunikationsüberwachung und de r Vorratsdatenspeicherung sieht de r Presserat eine Aushöhlung des Informantenschutzes. Die Telekommunikationsüberwachung regelt, dass gespeichert wird, wer wa nn von wo aus m it wem Kontakt via Telefon, Handy oder E-Mail hat. Die Vorratsdatenspeicherung bestimmt, dass alle Daten der elektronischen Kommunikation für sechs Monate gespeichert werden. Journalisten sind von dieser Regelung nicht ausgenommen. Seit der Änderung der Strafprozessordnung 2001 gehören Journalisten bei Telefondaten nicht mehr zur besonders geschützten Gruppe der „Berufsgeheimnisträger“. Wird gegen den Inform anten wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung erm ittelt und bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, da ss ein bestimmter Journalist telefonisc h Kontakt zu ihm hält, können die Strafverfolgungsbehörden auf dessen Verbindungsdaten zugreifen, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Erm ittelung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre (§ 100g StOP i.V.m. §1002a S.2 StPO).112
Der Presserat kritisiert, dass Journalisten ihren Informanten nicht mehr garantieren können, dass sie geschützt sind. Er fordert, Journalisten von der Beihilfe zum Geheimnisverrat auszunehmen.113 2007 befand sich Deutschland auf der Rangliste der Pressefreiheit, die von den „Reportern ohne Grenzen“ jährlich veröffentlicht wird, auf Platz 20. Freedom House platzierte Deutschland im selben Jahr auf Rang 16 von 195 Pl ätzen. Der Deutsche Presserat warnte anlässlich des Rankings vor einer Gefährdung der Pressefreiheit: 110 Manuel Puppis (2007): Einführung in die Medienpolitik, S. 183 111 Manuel Puppis: Einführung in die Medienpolitik, S. 189 112 Zitiert nach: Udo Branahl (2009): Medienrecht. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag, S. 52 113 Deutscher Presserat: Deutscher Pres serat mahnt auch in Deutschland mehr Pressefreiheit an, Pressemitteilung vom 02.05.07
4.1 Pressefreiheit
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Insgesamt verdeutlicht diese i mmer noch r echt schlechte Platzierung, dass zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen Journali sten, Durchsuchungen in Redaktione n in den vergangenen Jahren s owie verschiedene Gesetzen twürfe die Pressefreiheit in Deutschland auszuhöhlen drohen.114
Zwischen 1987 und 2000 zählte der Deutsche Journalistenverband 150 Durchsuchungen und Beschlagnahmungen bei Journalisten und Redaktionen. Der Journalismus in De utschland, der nach dem Zweiten Weltkrieg von den alliierten Kräften komplett neu aufgebaut wurde, kennt juristische Grenzen der Pressefreiheit: „A clear exception to freedom of expression unique to German law is the prohibition of using or publishing Nazi propaganda and Nazi symbols.”115 Türkei In der Rangliste der Pressefreiheit (Reporter ohne Grenzen) wurde die Türkei 2007 auf Rang 101 platziert. Ein Jahr später rutschte sie einen Platz weiter ab und belegte zusammen mit Armenien Platz 102 von insgesamt 173 Plätzen. Der Schweizer Kommunikationswissenschaftler Roger Blum rechnet die T ürkei zu den „kontrolliert-ambivalenten Mediensystemen“, die durch schoc kartige Eingriffe in die Pressefreiheit und eine s tarke staatliche Kontrolle über die Medien gekennzeichnet sind.116 Türkische Journalisten sche inen sich des großen pol itischen Einflusses auf ihre Arbeit sehr bewusst zu sein. „Die Einflüsse , die von Zensur, Regierung und Politikern allgemein ausgehen, werden von Journalisten
114 Deutscher Presserat: Funktion der Medien in der Dem okratie muss gewahrt bleiben, Pressemitteilung vom 17.10.07 115 Andrea Czepek / Melanie Hellwig / Eva Nowak: Pre-Conditions for Press Freedo m in Ge rmany, in: Czepek, Andrea / Hellweg, Melanie / Nowak, Eva [Hrsg.]: Press Freedo m and Pluralism in Europe. Concepts and Conditions. – Bristol, Chicago: Intellect 2009, S. 229-249 116 Roger Blum (2005): Bausteine zu e iner Theorie der Mediensy steme, in: Medienwissenschaft Schweiz, 2 (Doppelheft 1 + 2), 2005, S. 5-11. Blums Einteilung ist eine Erweiterung der von Kopper und Manchini beschriebe nen drei Modelle: das „ mediterrane oder polarisieren dpluralistische Modell“, das in Südeuropa – Gri echenland, Italien, Spanien und Portugal – vor herrscht; das „nord-/zentraleuropäischen bzw. demokratisch-korporatistischen Modell“ in den nordischen Staaten (Niederlande, Deutschland, Österreich und Schweiz) und das „nordatlantische oder liberale Modell“ Vgl. Gerd G. Kopper und Paolo Manchini (2003) [Hrsg.]: Kulturen des Journalismus und politische Systeme, S. 15
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
in China und der Türkei – sowie zum Teil auch in Russland – m it Abstand am stärksten empfunden.“117 Die Geschichte des Landes war oftmals gekennzeichnet von autoritärem Führungsstil, Pressezensuren und Militärcoups. Daher ist die Beschnei dung der Pressefreiheit fester Teil des kollektiven Gedächtnisses. Die drei Militärputsche 1960, 1971 und 1980 waren jeweils mit Einschnitten in die Pressefreiheit verknüpft. 1997 folgte der bislang letzte Staatsstr eich des Militärs. Dieser wurde als „sanfter Putsch“ oder als „postm oderner Putsch“ bezeichnet, weil das Militär nicht direkt die Macht übernahm, sondern durch die Putsch-Drohung den Ministerpräsidenten und Anführer der islamistischen Refah Partisi (W ohlstandspartei), Necmettin Erbakan, zum Rücktritt zwang. Die Arm eeführung schloss bei dieser Gelegenheit 19 Zeitungen, 20 Fer nsehsender und 51 Radiostationen, die sie als islamis tisch ausgemacht hatte.118 Zugleich traten T eile der Presse als Unterstützer des Coups auf. Neben Po litikern wie Deniz Baykal und Mesut Yilmaz begrüßte auch die Do÷an Mediengruppe die Militär-Aktion. „During the coup, the m ilitary worked very closely with major media cartels such as the Do÷an group.“119 Auch in der Gegenwart gibt es große Defizite bei der Pressefrei heit in der Türkei. Noch im Jahr 2002 zählte die türkische Menschenrechtsvereinigung zahlreiche Bestimmungen, die die Pressefreiheit beschränkten. „The Turkish Human Rights Association says that Turkish law and re gulations (including so called Anti–Terror Laws) contain more than 300 provisions constraining freedom of expression, religion, language and association.”120 Außerdem macht der Bericht auf die vielen Journalisten aufmerksam, die in Haft sitzen. No-one knows exactly how many journalists are currently in prison because of ‘press offences’. Of those in jail, some have been sentenced for what they wrote and some for different or ‘various offences’.121
117 Thomas Hanitzsch (2009): Zur W ahrnehmung von Einflüssen im Journalismus: Komparative Befunde aus 17 Ländern, in: Medien & Kommunikationswissenschaft 57(2): S. 153-173 118 Hakan Yavuz (2003): Islamic political identity in Turkey. New York: Oxford University Press, S. 244 119 Hakan Yavuz: Islamic political identity in Turkey, S. 246 120 Journalism and The Hu man Rights Challenge to Tur key. Report of th e IFJ/EFJ Mission to Turkey 26 - 30 April 2002. 5 f. 121 Journalism and The Hu man Rights Challenge to Tur key. Report of th e IFJ/EFJ Mission to Turkey 26 - 30 April 2002 S. 6
4.1 Pressefreiheit
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Am 9. Fe bruar 2004 hat da s türkische Parlament ein liberalere s Pressegesetz verabschiedet. Haftstrafen wurden durch Geldstrafen ersetzt, das Ver bot von Publikationen aufgehoben und das Recht der Jour nalisten, ihre Inform ationsquellen geheim zu halten, eingeführt.122 Infolgedessen gab es „Freisprüche und eine Reihe von Freilassungen“ von Journalisten.123 Der EU-Fortschrittsbericht 2005 weist auf die Kritik von türkischen Journalistenverbänden hin, wonach das Stra frecht den Gerichten immer noch einen erheblichen Ermessensspielraum einräumt.124 Die EU zeigte sich insbesondere angesichts des Artikels 30 1 des Strafgesetz buches „besorgt“, der die Beleidigung des T ürkentums, der tür kischen Republik sowie ihre r Organe und Institutionen unter St rafe stellt. Dadurch werde ein Klima der Selbstzensur geschaffen.125 Der Fortschrittsbericht 2006 zi eht angesichts der Entwicklungen ein gespaltenes Fazit: „Trotz eines Vorankommens bei de n Rechtsvorschriften und des Inkrafttretens des neuen Strafgesetzbuchs wird die freie Meinungsäußerung durch den derzeitigen gesetzlich en Rahmen nicht garantiert.“ 126 Es existieren einige Unsti mmigkeiten zwischen der Türkei und der EU hinsichtlich der Medienregulierung. Dies betrifft vor alle m die Einhaltung von i nternationalen Vereinbarungen, die Reichweite der Gerichtsbarkeit, wie sie in de n türkischen Gesetzen vorgesehen ist, die Una bhängigkeit der Reguli erungsbehörden, Einschränkungen hinsichtlich ausländischen Kapitals und die schlechte Stellung der m öffentlichen Rundfunkanbieter.127 Der Deutsche Bundestag schrieb a 15.04.2009 in der Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion, dass das türkische Strafgesetzbuch (tStGB), das Anti-Terror-Gesetz sowie das Gesetz zur Bekämpfung von Verbrechen im Internet Be stimmungen enthalten, die die Meinungs- und Pressefreiheit einschränken. Dass die Frage der Pressefreiheit weit mehr als rechtliche Fragen umfasst, zeigt der Streit zwischen der AKP-Regierung und der Do÷an-YayÕn-Holding im Jahr 2009. Im Zuge der Auseinandersetzung – die mit der Berichterstattung über einen Spendenskandal um die tür kische Hilfsorganisation „Deniz F eneri“ in Deutschland begann – rie f Ministerpräsident Recep Tayyip Erdo ÷an zum Boykott der Do÷an-Medien auf. Noch im selb en Jahr wurden durch dÕe Finanzbehörden Strafen in Höhe von insgesamt mehr als drei Milliarden Dollar gegen die
122 123 124 125 126 127
Burcu Sümer / Bülent ÇaplÕ (2004): Das Mediensystem der Türkei EU-Fortschrittsbericht 2005 S. 33 EU-Fortschrittsbericht 2005 S. 134 EU-Fortschrittsbericht 2005 S. 16 EU-Fortschrittsbericht 2006 S. 49 Burcu Sümer / Bülent ÇaplÕ (2004): Das Mediensystem der Türkei
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
Firmen der Gruppe verhängt. Viele verm uteten dabei eine politisch m otivierte Strafe. Es wird zu fragen sein, ob die türkischen Medien den Karikaturenstreit als Anlass nehmen, um über Missstände in Bezug auf die Pressefreiheit im eigenen Land zu schreiben. Sehen deutsche Medien tatsächlich ihre Pressefreiheit in Gefahr und richten ihre Argumentation danach aus? Diese Fragen sind vor dem Hintergrund interessant, dass die Medien nicht nur eine Art Spiegel der außermedialen Realität, sondern Akteure mit eigenen Interessen sind. 4.1.3 Rezipienten-Produzenten-Verhältnis Bourdieu beschreibt das journalistische Feld als besonders abhä ngig von äußeren Faktoren. „Es hängt unmittelbar von der Nac hfrage ab, es unterliegt der Sanktion durch den Markt, durch das Plebiszit, vielleicht mehr noch als das politische Feld.“128 Daher lohnt sich ein allgemeiner Blick auf die Leserstrukturen, bevor wir im darauf folgenden Unterkapitel die Profile und Lesergruppen der einzelnen Zeitungen betrachten. Deutschland Zu den besonders regelmäßigen Zeitungsleserinnen und -lesern gehören in Deutschland Besserverdienende, formal gut Gebildete sowie in ge hobenen Berufspositionen Tätige.129 Bezogen auf die Sinus-Millieus spielt die Tageszeitung eine größere Rolle für die Etablierten („das selbstbewusste Establishment: Erfolgsethik, Machbarkeitsdenken und ausgeprägte Exklusivitätsansprüche“), die Konservativen („das alte deutsche B ildungsbürgertum: konservative Kulturkritik, humanistisch geprägte Pflichtauffassung und gepf legte Umgangsformen“) sowie für die Traditionsverwurzelten („die Sicherheit und Ordnung liebende Kriegsgeneration: verwurzelt in der kleinbürgerlichen Welt bzw. in der traditionellen Arbeiterkultur“).130 Fast alle Leserinnen und Leser konsumieren Zeitungen, um sich zu informieren. An zweiter Stelle der Nutzungsmo tive rangiert der Wunsch „mitreden
128 Pierre Bourdieu: Über das Fernsehen, S. 69 129 Heinz Pürer / Detlef Raabe: Presse in Deutschland, S. 314 130 Heinz Pürer / Detlef Raabe: Presse in Deutschland, S. 317
4.1 Pressefreiheit
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zu können“.131 Das bedeutet, dass die Leser in erster Linie informationsorientiert sind. Michael Meyen und Claudia Riesmeyer haben für ihr Buch „Die Diktatur des Publikums“132 500 J ournalisten zu ihre m Selbstverständnis befragt. Sie kommen zu de m Ergebnis, dass sich Jo urnalisten immer weni ger als Kritiker sehen, sondern vielmehr als Dienstleister, die sich an den Bedürfnissen der Leserinnen und Leser orientieren. Die Ökonomisierung der Medien, die durch die Zulass ung kommerzieller Fernseh- und Radioanbieter ab Mitte de r 1980er-Jahre und durch den Zusa mmenbruch des Ostblocks mindestens beschleunigt wurde, die technische Entwicklung, die sich un ter dem Stichwort Digitalisierung zusam menfassen lässt, und die mit beiden Prozessen verbundene enorme Ausweitung des Medienang ebots haben zu einer ‚Diktatur des Publikums’ geführt, in der sich viele Journalistinn en und Journalisten schon deshal b als Diener ihre r Leser, Hörer und Zuschauer verstehen (m üssen), weil Quoteneinbrüche oder Auflagenverluste ihren Arbeitsplatz gefährden. 133
Die Vermutung liegt nahe, dass dieses Rollenbild der Journalisten dazu führt, bei Islam-Themen gesellschaftlich verbreiteten (und tendenziell negativen) Vorstellungen über Muslime und den Islam zu reproduzieren.134 Dem steht jedoch das Selbstbild der Journalisten als eher weltoffen und tolerant entgegen.135 Türkei Bei der Betrachtung der Türkei fällt auf, dass ein nicht unerhe blicher Teil der türkischen Bevölkerung aus der Zielgruppe der Zeitungen ausscheidet. Über 20 Prozent der türkischen Frauen und knapp 5 Prozent der Männer sind Analphabeten.136 Es ist anz unehmen, dass die formalen Bildungsabschlüsse türkischer Leserinnen und Leser weit unter denen der deutschen sind. Denn in der Türkei absolvieren lediglich 10,8 Prozent eines Jahrgangs die Hoch- oder Fachhochschu-
131 Helmut Reitze / Christa-Maria Ridder (2006) [Hrsg.]: Massenkommunikation VII. Eine Langzeitstudie zur Mediennutzun g und Medienbewertung 1964-2005. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S. 67 f. 132 Michael Meyen / Claudia Riesmeyer: Die Diktatur des Publikums 133 Michael Meyen / Claudia Riesmeyer: Diktatur des Publikums, S. 14 134 Zum Islambild in Deutschland siehe Kapitel 5 135 Siegfried Weischenberg / Maja Malik /und Armin Scholl (2006): Journalismus in Deutschland 2005, in: Media Perspektiven 7/2006, S. 346 – 361 136 Hans-Bredow-Institut [Hrsg.]: Internationales Handbuch Medi en. Baden-Baden: No mos, S. 133
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le; damit liegt die Tür kei abgeschlagen hinter allen anderen O ECD-Ländern. Auch die Dominanz von Boulevard-Zeitungen im journalistischen Feld spricht für diese Annahme. Thomas Hanitzsch stellt fest, dass Journalisten in der Türkei „die Befindlichkeiten des Publikums stärker zu s püren [bekommen] als ihre Kollegen in anderen Ländern.137 Damit sehen sic h die türkischen Journal isten von mehreren Seiten in ihrer Pressefreiheit beschränkt. 4.2. Auflagen und Binnenverhältnisse der Zeitungen Zunächst gilt es, einen Überblick über die Zeitungslandschaft in Deutschland und der Türkei zu geben. Relevant sind hierbei (verkaufte) Auflagen, Profile der Zeitungen und Bin nenverhältnisse der Printmedien. Insbesondere beschäftigt uns die Frage nach den so genannten Leitmedien, die eine herausragende Wirkung auf die Meinungsbildung ausüben. 4.2.1 Deutschland In Deutschland kamen 2006 statistisch 308 Tageszeitungsexemplare pro 1000 Einwohner.138 Damit liegt Deutschland im guten Mittefeld innerhalb der europäischen Länder. Ähnlich wie Frankreich und Großbritanni en weist Deutschland einen „Printsektor mit einem starken Anteil von Regional- und Lokalzeitungen auf“.139 Regionale Abonnem entzeitungen erzielten im Untersuchungszeitraum eine Reichweite von z usammen 63,3 Prozent, die Reichweite der überre gional verbreiteten Tageszeitungen betrug dagegen nur 5,7 Prozent.140 Da sie aber eine herausragende Bedeutung für die Generierung öffentlicher Meinung habe n, werden sie bei der vor liegenden Analyse großes Gewicht erhalten. Deutschland gehörte im Jahre 2006 m it täglich 21,1 Millionen verkauften Zeitungsexemplaren zu den fünf größten Zeitungsmärkten auf der Welt.141 Die Tageszeitungen haben jedoch mit einem Auflagenrückgang zu kämp137 Thomas Hanitzsch: Zur Wahrnehmung von Einflüssen im Journalismus S. 167 138 Barbara Thomaß (2007): Westeuropa, in: Thomaß, Barbara: Mediensystem im internationalen Vergleich. München: UVK, S. 210-228 139 Barbara Thomaß: Westeuropa, in: Thomaß, Barbara: Mediensystem im internationalen Vergleich 140 Vgl. Heinz Pürer / Detlef Raabe: Presse in Deutschland, S. 314 141 World Association of Newspapers: Trends in der Weltpresse. Anzeigeneinnahmen weltweit im Aufschwung, http://www.wan-press.org/print.php3?id_article=14367 abgerufen am 27.09.09
4.2. Auflagen und Binnenverhältnisse der Zeitungen
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fen; besonders junge Leserinnen und Le ser werden immer seltener erreicht.142 Diese Zielgruppe orientiert si ch stärker am „Allroundmedium“ Internet. In den Jahren 2002 bis 2006 musste Deutschland einen Rückgang der Gesamtauflage der Zeitungen um 9,35 Prozent hinnehmen.143 „Im Jahr 2005 greife n nur noch 51 Prozent der Bundesbürger täglich zu einer Zeitung.“144 Bei der Frage des Binnenverhältnisses der Zeitungen spielen die „Leit medien“ eine herausragende Rolle. Besonde rs wichtig ist ih re Rolle aufgrund der viel diskutierten Selbstreferenzialität der Medien oder, wie es Bourdi eu ausdrückt, aufgrund der zirkulären Zirkulation der Nachrichten.145 Weischenberg nennt sechs mögliche Kriterien, um ein Leitm edium zu bestim men146: (1) Die Verbreitung und Reichweite einer Zeitung , (2) die Qualität des Publikum s, (3) die Häufigkeit, mit der eine Zeitung zitiert wird, (4) die Wertschätzung durch Journalisten, (5) ihr Einfluss auf die öffentliche Themenagenda oder (6) die Nutzungshäufigkeit durch andere Journalisten. Weischenberg legt Punkt (6) als Kriterium an147 und kommt zu folgendem Ergebnis: Unter den Tageszeitungen kann die Süddeutsche Zeitung als Leitmedium bezeichnet werden. Mit großem Abstand folgen die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Bild-Zeitung und die taz. Bei den wöchentlich erscheinenden Medien liegt der Spiegel deutlich vor der Zeit und dem Stern. Legte man Punkt (1) der Ermittlung zugrunde, müsste die Bild-Zeitung klar als wichtigstes Medium eingestuft werden. Sie erreichte 2006 täglich 11,82 Millionen Leserinnen und Leser. Dahinter folgte die Süddeutsche Zeitung als größte überregionale Abonnement-Zeitung mit 1,16 Millionen e rreichten Leserinnen und Lesern. Die FAZ kam mit 0,95 Millionen auf Platz 3. Die größte Wochenpublikation war der Stern mit 7,84 Millionen Leserinnen und Lesern. Auf Platz
142 Heinz Pürer / Detlef Raabe: Presse in Deutschland, S. 314 143 World Association of Newspapers: Trends in der Weltpresse. Anzeigeneinnahmen weltweit im Aufschwung, http://www.wan-press.org/print.php3?id_article=14367 abgerufen am 27.09.09 144 Helmut Reitze / Christa-Maria Ridder (2006) [Hrsg.]: Massenkommunikation VII. Eine Langzeitstudie zur Mediennutzun g und Medienbewertung 1964-2005. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S. 33 145 Pierre Bourdieu: Über das Fernsehen 146 Siegfried Weischenberg / Armin Scholl / Ma ja Malik (2006). Die Souffleure der Medieng esellschaft. Report über die Journalisten in Deutschland. München: UVK, S. 133 147 Weischenberg beschreibt seine Erhebung folgendermaßen: „Wenn im Folgenden von einflussreichen Medien oder „Leitm edien“ die Rede ist, geht es also u m diejenigen Medien, die von unseren Befragten überdurchschnittlich häufig genannt wurden auf die Frage hin: „ Welche journalistischen Medienangebote nut zen Sie beruflich häufig bzw. regelmäßig? Bitte nennen Sie die wichtigste n, maximal fünf.“ (Siegfried W eischenberg: Die Sou ffleure der Mediengesellschaft, S. 134)
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
zwei folgte Focus mit 6,03 Millionen und auf Platz drei war der Spiegel mit 5,96 Millionen Leserinnen und Lesern.148 Im Folgenden möchte ich einen genaueren Blick auf St ärken, politische Ausrichtungen und Traditionen der Zeitungen werfen, um das jo urnalistische Feld in Deutschland zu e rfassen.149 Ich nehme mit der Bild-Zeitung, der Süddeutschen Zeitung, der FAZ, der Welt, der Frankfurter Rundschau und der taz die bedeutenden überregionale Zeitungen in Deutschland in das Korpus auf. Darüber hinaus betrachte ich mit der Berliner Zeitung und dem Tagesspiegel zwei große Lokalzeitungen, und mit dem Mannheimer Morgen ein kleines Lokalblatt. Als wöchentlich erscheinende Medien sind Stern, Focus, Zeit, Rheinischer Merkur, Spiegel im Korpus. Spiegel Online wird als wichtiges Online -Medium ebenfalls analysiert. Zeitungen m it einem linken Profil sind der Freitag, die junge Welt und das Neue Deutschland – die National-Zeitung wird beispielhaft für den rechtsextremen Diskurs analysiert. Bild-Zeitung Die Bild ist die einzige übe rregionale Boulevard-Zeitung150 in Deutschl and. Damit verfügt sie über eine Monopolstellung. Sie ist die gr ößte Tageszeitung in Deutschland und die viertgrößte der Welt.151 Zugleich ist sie die meistzitierte Tageszeitung des Landes. Da s zum Axel Springer Verlag gehörende Blatt kann
148 Heinz Pürer / Detlef Raabe: Presse in Deutschland, S. 316 149 Ich muss mich dabei auch auf nicht -wissenschaftliche Literatur stützen und teilweise impressionistisch vorgehen. Eine diskursanalytisch orientierte politische Einordnung der Tages- u nd Wochenzeitungen existiert nicht. Auch gibt es keine inhaltsanalytischen Überblicksarbeiten, die die Zeitungen in ihren gegenseitigen Abhä ngigkeiten und politischen Präferenzen darstellen. Siegfried Jäger erklärt , dass die Er mittlung von Diskurspositionen (etwa von Zeitungen) das Resultat von Diskursanalysen ist. Es könne a llerdings „beobachtet werden, daß sie in g rober Kontur zum allgemeinen Wissen einer Bevölkerung gehören“ (Siegfried Jäger (2006): Diskurs und Wissen. Theoretische und m ethodische Aspekte einer Kritischen Diskurs u nd Dispositivanalyse, in: Keller, Reine r / Hirsel and, Andreas / Schneider, W erner / Viehöver, Willy [Hrsg.]: H andbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 1: Theorien und Methoden. Wiesbaden: Leske+Budrich, S. 83 – 114) . Ich halte dieses impressionistische Vorgehen für sehr lückenhaft und anfällig für persönliche Präferenzen des Forschenden. 150 Boulevard-Zeitungen zeichnen sic h vor allem dadurch aus, dass sie über Straßen- bzw. Kioskverkauf vertrieben werden . Der Vertriebsweg bedingt einen ök onomischen Druck, d er sich auf Gestaltung und Inhalt auswirkt. 151 Stefan Schirmer (2001): Die Titelse itenaufmacher der Bild-Zeitung im Wandel. Eine Inhaltsanalyse unter Berücksichtigung von Merkmalen journalistischer Qualität München: Fischer, S. 55
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auf ein hohes Potenzial an Stammleserinnen und -lesern zählen: 96 Prozent der Bild-Käufer erwerben die Zeitung unabhängig von ihrer Schlagzeile.152 Die meisten LeserInnen von Bild (58%) haben ein niedriges Bildungsniveau. Zu den Unternehmensgrundsätzen des Springer-Verlages gehören: Das unbedingte Eintreten für den freiheitlichen Rechtsstaat Deutschland als M itglied der westlichen Staatengemeinschaft und die Förderung der Einigungsbemühungen der Völker Europas. Das Herbeiführen einer A ussöhnung zwischen Juden und Deutschen, hierzu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes. Die Unterst ützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der frei heitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Ablehnung j eglicher Art von politischem Totalitarismus sowie die Verteidigung der freien sozialen Marktwirtschaft.153 Die Zeitung erreicht mit über drei Millionen verkauften Exemplaren täglich knapp 12 Millionen Leserinne n und Leser. Fast 100 Prozent der Auflage wird über den Einzelverkauf vertrieben.154 Die politische Ausrichtung de r Zeitung gilt als CDU-nah. Auch unter dem Che fredakteur Kai Diekmann lasse die Berichterstattung eine Nähe zu den Unionsparteien erkennen, sagen Boenisch und Kruip.155 Es gibt unterschiedliche Einschätzungen über die Entwicklung der Qualität der Bild-Zeitung. Festgehalten werden kann zumindest, dass die Bild nach wie vor mit Abstand die meisten Rügen vom Presserat erhält. Wie andere Boulevard-Zeitungen auch zeichnet sich die Bild durch Personalisierung, Intimisierung, Dramatisierung156 sowie Spekularisierung aus.157 Zudem stellt sich die Bild-Zeitung gerne als Anwalt de r „kleinen Leute“ dar. Tina Heppenstiel stellt in ihrer qualitativ en Inhaltsanalyse von 14 Bild-Ausgaben auch „Familiarisierung“ (besonders durch die Verwendung von wir), Privatisierung (Darstellung des Privatlebens von Prominenten), Mehrkanaligkeit (Texte und Textteile werden durch Grafiken und Fotos ersetzt) und eine schnelle Er152 Vasco Boenisch (2007): Strategie: Stimmungsmache. Wie man Kampagnenjournalismus definiert, analysiert – und wie ihn die Bild-Zeitung betreibt. Köln: Halem 153 http://www.axelspringer.de/artikel/Unternehmensgrundsaetze_1186997.html, abgerufen am 20. März 2011 154 http://www.axelspringer-mediapilot.de/artikel/BILD-Auflagen_736311.html, abgerufen am 13.11.2009 155 Vgl. Vasco Boenisch (2007): Strategie: Stimmungsmache und Gudrun Kruip (1999): Das „Welt“-„Bild“ des Axel Springer V erlags: Journalismus zwischen westlichen Werten und deutschen Denktraditionen. München: Oldenbourg 156 Zur Textgestaltung und zur narrativen Inszenierung der emotionsgeladenen Berichterstattung der Bild-Zeitung siehe: Cornelia Voss (1999): Textgestaltung und Verfahren der Em otionalisierung in der BILD-Zeitung. Frankfurt: Peter Lang 157 Stefan Schirmer (2001): Die Titelseitenaufmacher der Bild-Zeitung im Wandel
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fassbarkeit (besonders für selektive Leser) fest.158 Die Bild-Zeitung wird vor allem von Journalisten der privaten Fe rnseh- und Hörfunksender und von leitenden Redakteuren und den Journalisten gelesen, die sich in der Mitte oder auf der rechten Seite des politischen Spektrums sehen.159 Frankfurter Allgemeine Zeitung Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist eine 1949 gegründete überregionale Tageszeitung, die mehrheitlich der FAZ-Stiftung gehört. Die FAZ „suchte an die Tradition bürgerlich-konservativer Intelligenzblätter der Weimarer Zeit anzuknüpfen“160. Genau wie der Spiegel, der Stern und die Zeit integrierte die FAZ in ihren Anfangsjahren nationalsozialistische Journalistinnen und Journalisten und zeichnete sich in de n Anfangsjahren durch einen neo-nationalistischen Ton aus.161 Zudem galt die FAZ als Zeitung der Industrie.162 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung erreicht knapp eine Million Leserinnen und Leser täglich und richtet sich heute an die konservative Wirtschaftselite. Die Zeitung zeichnet sich durch ein starkes Feuilleton aus. Ähnlich wie ande re überregionale Tageszeitungen wird sie mehr von Männern als von Frauen gelesen. Überdurchschnittlich viele Geschäftsführer und leitende Angestellte gehören zum LeserInnenkreis der Zeitung; das durchschnittliche Alter der Leser beträgt 50,7 Jahre. Im Gegensatz zur SZ und FR ist sie nicht so stark lokal verankert, sondern weist eine große überregionale Verbreitung auf. Sie wird täglich in „rund 120 Länder der Erde geliefert und hat damit die höchste Auslandsverbreitung aller deutschen Qualitäts-Tageszeitungen.“163 Die FAZ scheint einen Hang zum Bildungsboulevardesken entwickelt zu haben. Es werden Themen aufgegriffen und teils alarmistisch aufbereitet, die ein besorgtes und gebildetes Publikum interessieren. Solche bildungsboulevar-
158 Tina Heppenstiel (2007) 'Busen-Pfusch' und 'Kampfhund-Drama'. Textgestaltung in der 'Bild'Zeitung. Textaufbau, Wortschatz, Satzbau und Darstellungsformen. Saarbrücken: Verlag Dr. Müller, S. 78 f. 159 Carsten Reinemann (2003): Medienmacher als Mediennutzer. Kommunikations- und Einflussstrukturen im politischen Journalismus der Gegenwart. Wien: Böhlau, S. 161 160 Lutz Hachmeister / Friedemann Siering (2002): Die He rren Journalisten. Die Elite der deut schen Presse nach 1945. München: C.H.Beck Verlag, S. 10 161 Vgl. Lutz Hachmeister / Friedemann Siering: Die Herren Journalisten, S. 10 162 Vgl. Lutz Hachmeister / Friedemann Siering: Die Herren Journalisten 163 http://www.faz.net/s/Rub1FABCEA051BA47C4BF043781A55B9CFD/Doc~E309F5AF58D 9B4E268FC328B9E17C01C1~ATpl~Ecommon~Scontent.html, abgerufen am 16.02.2010
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desken Diskurse sind a nschlussfähig an seriöse und an Boulevardthemen. Ein Beispiel für diese Tendenz ist die vom FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher initiierte Kampagne über die alternde Gesellschaft, die „Methusalem Gesellschaft“. Süddeutsche Zeitung Die Süddeutsche Zeitung mit Sitz in Münc hen ist die größte überregionale Tageszeitung in Deutschland. Sie wird im Süddeutsche Verlag herausgegeben. 2006 war der ehemalige Chefredakteur des Spiegel, Hans Werner Kilz, ihr Chefredakteur. Die politische Ausrichtung der Zeitung kann als linksliberal beschrieben werden. Die Süddeutsche Zeitung gilt als ein mehrstimmiges Blatt. Ein ehemaliger Chefredakteur der Zeitung, Dieter Schröder, sagte, dass die Bandbreite der Meinungen in ei nem liberalen Blatt wie d er SZ größer als b ei Zeitungen mit Links- oder Rechtssympathien sei.164 Den überwiegenden Teil der Auflage vertreibt die SZ in Bayern, also in ei nem katholisch dom inierten Milieu. Die Gesamtauflage beträgt rund 425.000, davon werden allein in München 117.000 vertrieben. Das Durchschnittsalter der Leserinnen und Leser liegt bei 48,4 Jahren. 165 Ähnlich wie die FAZ erreicht die SZ besonders viele GutverdienerInnen mit einem monatlichen Nettoeinkommen von über 3000 Euro. Die SZ konkurriert mit der FAZ um den Status des Leitmediums in Deutschland. Die oft konträre Kommentierung von E reignissen in der SZ und FAZ fällt auf. Es ist zu fragen, ob der Umgang mit dem Karikaturenstreit in den beiden Zeitungen ähnlich divergiert wie bei vielen anderen Themen oder ob die Dynamik des Karikaturendiskurses die Blätter zu einer ähnlichen Positionierung drängt. Die Welt Die Welt ist eine konservative Tageszeitung aus dem Hause Axel Springer. Die in Berlin ansässige Zeitung ist politisch weiter rechts als die Bild-Zeitung einzu-
164 Vgl. Beatrice De rnbach (2008): DDR-Berichterstattung in bundesdeutschen Qualitätszeitungen. Berlin, Münster: Lit, S. 25 165 Institut für De moskopie Allensbach ifd (2009): AW A – Allensbacher Markt- und W erbeträgeranalyse. Allensbach
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ordnen. Sie ist eine überregionale Qualitätszeitung, die aber stärker als ve rgleichbare Blätter Boulevardthemen aufgreift. 49 Prozent ihrer Leser sind zwischen 30 und 59 Jahre alt. Derselbe Anteil hat die Hochschulreife oder ein abgeschlossenes Studium als höchsten Bildungsabschluss. Der Anteil von Klein- und Großstädtern unter ihren Leserinnen und Lesern ist relativ ausgeglichen. Ihre stärkste Verbreitung hat die Welt im Norden Deutschlands (0,19 Millionen LeserInnen).166 Zum Zeitpunkt des Karikat urenstreits war Roger Koeppel Chefredakteur. Koeppel hat sich immer wieder is lamkritisch bzw. islamfeindlich geäußert. So bezeichnete er das Minarettverbot in der Schweiz als „leuchtendes Beispiel“ für Demokratie.167 Im Karikaturendiskurs war die Welt die erste deutsc he Zeitung, die die Mohammed-Karikaturen nachgedruckt hat. Die Frage stellt sich, ob di e Welt, die unter den überregionalen Abonnement-Zeitungen zu den kleinere n gehört, im Karikaturenstreit durch eine lautstarke Berichterstattung zu einem wichtigen Referenzpunkt für a ndere Zeitungen geworden ist. A uch ist zu f ragen, ob der Karikaturen-Diskurs für die konservative Zeitung besondere Potenziale für eine Profilierung als Verteidigerin der Pressefreiheit bot. Frankfurter Rundschau Nach dem „Zweiten Weltkrieg“ wurde die Frankfurter Rundschau als erste Zeitung im amerikanischen Besatzungsgebiet lizenziert. „Zu den Lizenzträgern gehörten nur Männer, die der politischen Linken angehörten, NS-Verfolgte waren und ‚mehr oder weniger aktiv im Widerstand gegen die Nazis gestande n’ hatten“.168 Mit ihrer linken Ausrichtung war die publizistische Position der Frankfurter Rundschau „eindeutig und außerordentlich“. 169 Später entwic kelte sich die FR zu einem sozialliberalen Blatt mit großer SPD-Nähe. Die FR ist eine Zeitung, die stärker als die FAZ in Frankfurt verankert ist. Dort hat sie eine höhere Auflage als die konservative Konkurrenz. Die Leserdaten ähneln der FAZ und der SZ: Das Durchschnittsalter beträgt 50,7 Jahre und der Frauenanteil 40,1 Pro-
166 Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach ifd (2009): AWA – Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse. Allensbach 167 http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/tv_kritik/2118822_TV-KritikHart-aber-fair-Propagandisten-der-Angst.html&em_comment_page = 9, abgerufen am 16.02.2010 168 Lutz Hachmeister / Friedemann Siering: Die Herren Journalisten, S. 148 169 Lutz Hachmeister / Friedemann Siering: Die Herren Journalisten, S. 153f.
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zent. Auch die FR erreicht viele Gutverdiener mit einem Nettoeinkommen von über 3000 Euro. Im Mai 2006 wurde der Chefredakteur der FR, Wolfgang Storz, wegen einer zu positiven Berichterstattung über die WASG und Linkspartei.PDS entlassen. Damals war die Zeitung noch im Besitz der SPD-Verlagsgesellschaft DDVG. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Zeitung in einer wirtschaftlich schwierigen Lage, in die sie 2003 geraten war. tageszeitung Die taz ist eine 1978 gegründ ete Tageszeitung, die von einer Verlagsgenossenschaft herausgegeben wird. Parteipolitisch steht sie de n Grünen nahe. Trotz der relativ geringen verkauften Auflage von 55.000 (ca. 270.000 LeserInnen pro Ausgabe) verfügt die Zeitung über eine große Wirkung im journalistischen Feld. Sie wird intensiv von anderen Journalisten verfolgt. „Die weitaus meisten Leser hat die taz unter den Redakteuren der überregionalen Presse und des öffentlichrechtlichen Fernsehens“.170 Die taz ist nach m einer Einschätzung adressiert an Menschen, die Kontakt zur Bildungselite haben, jedoch nicht bildungskonservativ sind. Es sind eher LeserInnen, die der Massenkultur offen gegenüber stehen. Die taz tritt mit ihren Schlagzeilen häufig frech und provoka nt auf. Die Zeitung legt einen großen Wert auf Migrationsthem en, was für die Berichterstattung über den Karikaturenstreit von Interesse sein dürfte. Ebenfalls Auswirkungen auf den untersuchten Diskurs dürfte die Tatsache haben, dass die taz oft religionskritische Positionen einnimmt und sich in der Vergangenheit mehrfach gegen BlasphemieVorwürfe wehren musste. Zuletzt hat der Fußballtrainer Jürgen Klinsmann im April 2009 gegen die Zeitung geklagt, weil er als gekreuzigter Jesus abgebildet wurde. Es ist zu ve rmuten, dass die Er fahrungen der Zei tung bei de r Karikierung christlicher Symbole Einfluss auf die Berichterstattung über den Karikaturenstreit haben werden.
170 Carsten Reinemann: Medienmacher als Mediennutzer, S. 160
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Tagesspiegel Carsten Reinemann schreibt, dass sich die beiden Hauptstadtzeitungen Tagesspiegel und Berliner Zeitung nach dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin unter Journalisten „als Blätter von nationaler Bedeutung etabliert“ haben171. Der Tagesspiegel werde von e benso vielen Journalisten wie die Frankfurter Rundschau gelesen. Das Blatt, das sich im Besitz des Holtzbrinck Verlages befindet, ist nach eigenen Angaben seit mehreren Jahren die m eistzitierte Hauptstadtzeitung. Der Tagesspiegel hat eine verkaufte Auflage von rund 130.000 Exemplaren täglich. Der Tagesspiegel wird in de r Regel als konservatives Blatt beschriebe n. Während die Chefredakteure in der Tat häufig eine konservative Position beziehen, sind viele Redakteure im Politik-Resso rt als liberal oder linksliberal einzuschätzen.172 Migrationsthemen spielen beim Tagesspiegel eine vergleichs weise große Rolle. Berliner Zeitung Die Berliner Zeitung ist mit einer ve rkauften Auflage von rund 160.000 und schätzungsweise 400.000 Leserinnen und Lesern die größte Zeitung in BerlinBrandenburg. Sie steht po litisch eher links von der Mitte. Die ehem alige OstZeitung wird vor allem in den östlichen Stadtteilen Berlins gelesen. Die Berliner Zeitung wird sowohl von politischen Journalisten in Berlin als auch aus den neuen Bundesländern intensiv genutzt.173 2005 ging die Zeitung in den Besitz der BV Deutsche Zeitungsholding über. Inzwischen gehört sie dem DuMont Verlag. Mannheimer Morgen Der Mannheimer Morgen ist eine Regionalzeitung, die von der Dr. Haas GmbH herausgegeben wird. „Als eine von wenigen Regionalzeitungen in Deutschland erscheint der Mannheimer Morgen in drei Bundesländern: Baden-Württemberg,
171 Carsten Reinemann: Medienmacher als Mediennutzer, S. 161 172 Diese Beschreibung basiert auf meinen Beobachtungen während einer vierwöchigen Redaktionshospitanz Ende 2009. 173 Carsten Reinemann: Medienmacher als Mediennutzer, S. 160
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Hessen und Rheinland-Pfalz.“174 Mit ihren Lokalausgaben erreicht die Lokalzeitung eine Auflage von rund 85.000 Exemplaren. Stern Das 1948 von Henri Nannen gegründete Wochenmagazin war anfangs eine reine Illustrierte ohne politischen Anspruch.175 Auch heute noch steht die Unterhaltung der Leserinnen und Leser im Vordergrund.176 „Charakteristisch für den Stern ist seine redaktionelle Vielfalt, die ihm den Beinamen ‚die Wundertüte des Gruner + Jahr Verlages’ einbrachte“.177 Der Stern erreicht weit über sieben Millionen LeserInnen in der Woche und ist da mit weiter verbreitet als Spiegel und Focus. Die Illustrierte Stern spielt bei politischen Debatten eine eher untergeordnete Rolle. Ich schätze sie stim mungsjournalistisch ein; sie tendiert zum Infotainment und leistet oft eine kulturalistis che Ausstrahlung von politischen Themen. Er wird zu schauen sein, inwiefern der Karikaturenstreit, der über ein großes Skandalpotenzial verfügt, im Stern verarbeitet wird. Ich vermute, dass der Karikaturendiskurs gut in die Themenauswahl des Stern passt und intensiv aufgegriffen wird. Focus Der Focus ist eine Neugründung aus dem Jahr 1993; er wird vom Burda-Verlag herausgegeben. Er hat es geschafft, das Monopol des Spiegel als einziges politisches Wochenmagazin zu brechen. Den Focus zeichnet ein starker Wirtschaftsteil aus, der (neo)liberal ausgerichtet ist. Helmut Markwort, der bis Herbst 2010 Chefredakteur des Magazins war, ist Mitglied der FDP. Obwohl der Focus mit rund 750.000 verkauften Exemplaren deutlich unter dem Spiegel liegt, erreicht er ungefähr genauso viele Leserinnen und Leser wie die ältere Konkurrenz.
174 http://www.haas-medien.de/mediengruppe/kurzportraet.html, abgerufen am 16.02.2010 175 Bettina Kaltenhäuser (2005): Absti mmung am Kiosk. Der Einfluss der Titelseitengestaltung politischer Publikumszeitschriften auf die Einzelverkaufsauflage. Deutscher Universitäts Verlag /VVA, S. 77 176 Bettina Kaltenhäuser: Abstimmung am Kiosk, S. 77 177 Wolf Schneider (2002): Die Gruner + Jahr Story. München: Piper, S. 26
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
Rheinischer Merkur Der Rheinische Merkur ist ein e 1946 gegründete christlich-konservative Wochenzeitung. Das Blatt wird getragen von der Erzdiözese Köln sowie acht weiteren Diözesen; 1976 kam die Deutsc he Bischofskonferenz als Trägerin hinzu. 1979 ging die evangelische Wochenzeitung Christ und Welt im Rheinischen Merkur auf. Die Zeitung ist eine konservative und deutlich kleinere Konkurrenz zur Zeit. Laut IVW hatte die Zeitung 2005 eine ve rkaufte Auflage von r und 98.000 Stück. Davon wurden etwa 58.000 über Abonnements vertrieben.178 Heute erscheint die Zeitung nur noch als Beilage zur Zeit. Der Rheinische Merkur wird sich vermutlich stärker als ande re Zeitungen mit den the ologischen Hintergründen des Karikaturenstreits befassen und vergleichsweise detailliert die Positionen innerhalb der Kirchen widerspiegeln. Die Zeit Bevor sich die Zeit zu einem liberalen Wochenblatt für die Bildungselite des Landes entwickelte, war sie nationalistisch geprägt. Den Ton in ihren Anfangsjahren beschreiben Mathias von der Heide und Christian Wagener folgendermaßen: „Vehement nationalistisch, taktlos und offensichtlich ganz und gar unempfindlich für das nur kurz zuvor von Deutschen angerichtete Unheil.“179 Die 1946 gegründete Zeit stand damals weiter rechts als die CDU. 180 Erst Mitte der fünfziger Jahre, nach der Abberufung des Chefredakteurs Richard Tüngel, entwickelte sich die Wochenzeitung zu ei nem liberalen Blatt. Die Zeit versteht sich selbst als „Forum für große Debatten“181 und bietet oftmals kontroversen Standpunkten eine Plattform. Zum Selbstverständnis der Zeitung ge hört auch ihre Rolle als „Hüt erin der liberal geprägten politischen Kultur de r Bundesrepublik“182. Peter Bender meint eine Abkehr von der sozialliberalen Tradition der Zeit zu beobachten. Er hält in einem Artikel für die „Blätter für deutsche und inter178 179 180 181 182
http://daten.ivw.eu/index.php?menuid=1&u=&p=&20052=ON&20022=ON&20014=ON&det ail=true&titelnrliste=969;&alle=[Details], abgerufen am 22. April 2010 Lutz Hachmeister / Friedemann Siering: Die Herren Journalisten, S. 165 Lutz Hachmeister / Friedemann Siering: Die Herren Journalisten, S. 171 Karl-Heinz Janssen / Haug v on Kuenheim / Theo Sommer (2006): Die Zeit. Geschichte einer Wochenzeitung - 1946 bis heute -. München: Siedler Verlag, S. 374 Karl-Heinz Janssen / Haug v on Kuenheim / Theo Sommer (2006): Die Zeit. Geschichte einer Wochenzeitung - 1946 bis heute -., S. 344
4.2. Auflagen und Binnenverhältnisse der Zeitungen
65
nationale Politik“ fest, dass die Zeit jahrzehntelang die „Heimstätte sozialliberalen Denkens“ war und sich dies unter dem Chefredakteur Giovanni di Lorenzo geändert habe. Das Blatt solle laut di Lorenzo „nicht mehr linksliberal sein, was sein Merkmal war, sondern von Redakteuren unterschiedli cher politischer Einstellungen geleitet werden.“183 Der Spiegel Der Spiegel ist das älteste Na chrichtenmagazin in Deutschland. Er wurde 1947 nach amerikanischem Vorbild aufge baut. Der verst orbene Herausgeber Rudolf Augstein bezeichnete das Blatt in den Anfangsjahren als „Sturmgeschütz der Demokratie“. Die politische Ausrichtung fasste er als „i m Zweifel links“ zusammen. Spätestens seit dem Bundestagswahlkampf 2005 dürfte das nicht mehr stimmen. Der Spiegel hat damals publizistisch zu ungunsten der SPD-GrüneRegierung agiert. Als Stärke des Spiegel gelten nach wie vor ihre investigativen Recherchen. Das Magazin ist das m it Abstand m eistzitierte deutsche Medium. 82 Prozent der politischen Journalisten geben an, jede oder fast jede Woche den Spiegel zu lesen.184 Mit einer Auflage von rund einer Million Exemplaren erreicht der Spiegel wöchentlich etwa sechs Millionen Leserinnen und Leser. Eigentümer der SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. K G sind di e Erbengemeinschaft Augstein (23,75%), der Verlag Gruner+Jahr AG & Co KG (25,25%), die KG Beteiligungsgesellschaft für SPIEGEL-Mitarbeiter mbH & Co. ( 50%) und die Rudolf Augstein GmbH (1%).185 Viele wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Stimmen werfen dem Spiegel vor, besonders beim Thema Islam sensationslüstern zu agieren.186 Oliver Gehrs sagt, dass die Sachpolitik zunehmend zugunsten einer „ausführlichen Berichterstattung über die Gefahren des islamischen Terrorismus“ heraus gefallen sei. „Vom Kopftuch zum Kochabschneiden ist es für den Spiegel nur ein kurzer
183 Peter Bender (2006): Ha mburger: „ZEIT“-Geist, in: Blätter für deutsche und internation ale Politik 9/2006, S. 1057-1057 184 Carsten Reinemann: Medienmacher als Mediennutzer, S. 165f. 185 http://www.spiegelgruppe.de/spiegelgruppe/home.nsf/Navigation/2B9246186F708D07C1256 F5F00350C61?OpenDocument, abgerufen am 16.02.2010 186 Vgl. Oliver Gehrs (2005): Der Spieg el-Komplex. Wie Stefan Aust das Blatt für sich wendete. München: Droemer/Knaur
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
Weg“, behauptet Gehrs scharfzüngig.187 Zwar basiert Gehrs’ Einschätzung auf seiner – journalistisch geschulten – Be obachtung und nicht auf wissenschaftlichen Untersuchungen, doch kann er anhand von Expe rteninterviews belegen, wie Spiegel-Chefs massiv in die reda ktionelle Freiheit einzelner J ournalisten eingreifen, wenn es um Islam-Themen geht.188 Ein weiterer Trend innerhalb des Spiegel ist laut Gehrs die inhaltliche Orientierung an der Bild-Zeitung. „Dort, so berichten Anwesende bei der Redaktionskonferenzen, werde schon lange zum Maßstab eige nen Schaffens gemacht, was in der Bild stehe: P olemik gegen Rentenkürzungen, gegen die Ökosteuer und gegen Hartz IV. Das heißt, die Bild-Zeitung bestimmt in gewisser Weise, was auf der Tagesordnung steht, und mitunter auch das, was der Spiegel hinterher druckt.“189 Spiegel Online Schon am 25. Okt ober 1994 ging Spiegel Online ans Netz und w ar damit das weltweit erste Nachrichtenmagazin im Internet. „Mit mehr als 48 Millionen Visits und 243 Millionen Page-Impressions im Mai 2005 war Spiegel Online das reichweitenstärkste Online-Angebot im deutschsprachigen Netz – und wo hl auch das renommierteste“190. Im Jahr 2005 verfasste n Redakteure von Spiegel Online täglich zwischen 80 und 120 Texte, wovon einer Mitarbeiterschätzung nach drei Viertel auf Agenturmaterial basierten.191 Michael Meyen zitiert einen Ressortleiter bei der Financial Times Deutschland mit den Worten: Die [Spiegel Online] haben eine Gatekeeper-Funktion, die schon erschreckend ist“.192 Spiegel Online werde von kleinen Lokalsendern bereits als Ersatz für die Deutsche Presse-Agentur herangezogen.193 Das Online-Magazin kann im journalistischen Feld vor allem mit Tempo punkten.
187 188 189 190
Oliver Gehrs: Der Spiegel-Komplex, S. 261 Oliver Gehrs: Der Spiegel-Komplex, S. 262f. Oliver Gehrs: Der Spiegel-Komplex, S. 292 Julia Bönisch (20 05): Meinungsführer oder Populär medium. Das journ alistische Profil vo n Spiegel Online. In: Netzwerk Recherche e.V. [Hrsg.]: Online-Journalismus. Chancen, Risiken und Nebenwirkungen der Internet-Kommunikation, S. 50 - 58 191 Vgl. Robin Mey er-Lucht (2004): Fa llstudie Spiegel Online, in: Goltz, P eter / Meyer-Lucht, Robin [Hrsg.]: Print gegen Online – Zeitung und Zeitschrift im Wandel. Konstanz: UVK, S. 218 192 Michael Meyen: Journalistisches Feld in Deutschland 193 Michael Meyen: Journalistisches Feld in Deutschland, S. 55
4.2. Auflagen und Binnenverhältnisse der Zeitungen
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Die Artikel bei Spiegel Online sind plakativer geschrieben als die beim gedruckten Schwesterblatt. Auch sind sie kürzer und damit besser geeignet für den flüchtigen Blick eines Online-Nutzers. Eine Affinität zum Boulevard lässt sich unter anderem an den vielen Fotostrecken und an der Anordnung der Rubriken ablesen. Nach den Top-Meldungen im oberen Teil der Hauptseite erscheint als erste Rubrik „Panorama“. der Freitag Der Freitag ist eine linke bi s linksliberale Wochenzeitung. Das Blatt is t nach der Wende aus dem Zusammenschluss der 1946 gegründeten Ost-Berliner Zeitung Sonntag und der DK P-nahen Volkszeitung hervorgegangen. Der Freitag wendet sich vorne hmlich an eine urba ne, gebildete, linksbürgerliche Leserschaft. Eine B efragung im Jahr 2006 ergab, dass etwa ein Drittel der FreitagLeserInnen aus den ne uen Bundesländern stammt. Politisch verorten sich viele Freitag-Leser links. 70 Prozent hätten der Linkspartei/WASG ihre Stimme gegeben. Der Freitag erreichte Anfang 2006 eine verkaufte Auflage von 13.000 Stück; 9.500 Abonnenten zählte die Ze itung zu diesem Zeitpunkt (IVW). Am 26. Mai 2008 kaufte der Ver leger und Journalist Jakob A ugstein den Freitag und übernahm formell am 1. Juni des Jahres die Zeitung. Neues Deutschland Das Neue Deutschland ist das ehemalige Parteiblatt de r Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Es ersetzte am 23. April 1946 die KPD-nahe Deutsche Volkszeitung und die SPD-nahe Das Volk.194 Das Neue Deutschland sollte Parteizeitung und Masse nblatt zugleich sein. Heute steht die „soz ialistische Tageszeitung“ der Partei DIE LINK E nahe. Als „kritisch solidarisch“ bezeichnet das Blatt sein Verhältnis zur Partei. „Mit ca. 45.000 verkauften Exemplaren und rund 150.000 Leserinnen und Lesern ist ND in den östlichen Bundesländern die am meisten verbreitete und gelesene überregionale Tageszeitung.“195
194 Kristen Benning (1997): Geschichte des SED- Zentralorgans „Neues Deutschland“ von 1946 bis 1949. Münster: LIT, S. 34 195 http://www.neues-deutschland.de/kontakt/9, abgerufen am 29. Januar 2010
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
Junge Welt Die junge Welt war von 1947 bis zum Untergang der DDR die Zeitung der Freien Deutschen Jugend (FDJ), der Jugendorganisation der SED. Die Zeitung stand in der Tradition der Jungen Garde, des einstigen Zentralorgans des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands (KJVD).196 Ab dem Ende der Siebziger Jahre war sie die auflagenstärkste Zeitung in der DDR. Norm an Bock führt die steigende Resonanz auf die zunehmende Themenvielfalt im Blatt zurück.197 Nach mehreren finanziellen Krisen nach der Wiedervereinigung folgte 1997 ein redaktionsinterner Streit um den Nahostkonflikt und um Antisemitismus in der Zeitung. Mehre re RedakteurInnen warfen der Zeitung Israelfeindlichkeit vor und gründeten die Wochenzeitung Jungle World. Die junge Welt bezeichnet si ch als m arxistische Tageszeitung. In ihrem Selbstverständnis heißt es, dass „der Kapitalismus nach 1990 in eine Phase der Zuspitzung wirtschaftlicher und sozialer Widersprüche eingetreten“ 198 sei. Deshalb unterstütze die Zeitung den „ Kampf für Alternativen, den Dialog und die Vernetzung zwischen den verschiedenen Strömungen der Linken“. Bock sieht den antiimperialistischen Flügel der politischen Linken in einer dominanten Stellung innerhalb der Redaktion.199 Die Zeitung wird heute vom Verlag 8. Mai GmbH herausgegeben, die mehrheitlich der Geno ssenschaft von LeserInnen und MitarbeiterInnen gehört. Die junge Welt werde von rund 50.000 Menschen täglich gelesen, so die Zeitung selbst. Das Blatt wird vermutlich von vielen Journalistinnen und Journalisten verfolgt, die sich mit der Linkspartei beschäftigen. Denn die junge Welt setzt sich ausführlich mit der Entwicklung der LINKEN auseinander und lässt häufig Angehörige des linken Parteiflügels zu Wort kommen.
196 Norman Bock: Zeitschriftenporträt: junge W elt, in: Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie 2009, S. 235 – 250 197 Norman Bock: Zeitschriftenporträt: junge Welt 198 http://www.jungewelt.de/ueber_uns/diese_zeitung.php#Das, abgerufen am 29.01.10 199 Norman Bock: Zeitschriftenporträt: junge Welt 199 Stefan Kubon (2006): Die bundesdeutsche Zeitung „Junge Freiheit“ und das Erbe der „konservativen Revolution“ der Weimarer Republik. Eine Untersuchung zur Erfassung der Kontin uität „konservativ- revolutionärer“ politischer Idee. Würzburg: Ergon, S. 44
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Junge Freiheit Nach Stefan Kubon steht die Junge Freiheit in der Tradition der „konservativen Revolution“ der Weimarer Republik. Insbesondere mit der Kritik der M oderne, des Liberalismus, der 68er, von Medien und Parteien und a m Zustand der deutschen Nation füge sie sich in diese Tradition ein. 200 Die erste Ausgabe der Zeitung erschien im Mai 1986 mit einer Auflage von 400 Exemplaren. Seit der Gründung wird sie von C hefredakteur Dieter Stein geführt. Zur Zeit der späten 80er und frühen 90er Jahre sympathisierte die Zeitung parteipolitisch vor allem mit den Republikanern201, löste sich abe r später von der Partei. Kubon hält die Zeitung für demokratietheoretisch schwer einordbar. Die Junge Freiheit veröffentliche sowohl dem okratische als auch antidemokratische Beiträge.202 Er macht eine ideologische Nähe zu den Republikanern, aber auch zum rechten Flügel der CDU und CSU, aus. Dabei versuche die Zeitung, eine „gewisse Distanz zur NPD zu bewahren“.203 Die Junge Freiheit übernimmt vielfach eine Sc harnierfunktion zwischen rechtsextremen und Mitte-Positionen. National-Zeitung Die National-Zeitung, die von Gerhard Frey herausgegeben wird, steht der Deutschen Volksunion (DVU) nahe. Mit einer geschätzten Auflage von 44.000 ist die Wochenzeitung das größte rechtsextremistische Blatt in Deutschland. Der Verfassungsschutz sieht die Zeitung von den gleichen Themen dominiert wie die DVU. „Wesentliche Themen der verfassungsfeindlichen Agitation der Partei sind geprägt von A ntisemitismus, Revisionismus und Ausländerhetze. Dies zeigt besonders die ei nseitig negative und verzerrende Berichterstattung i n der parteinahen ‚National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung’“.204
200 Zur Jungen Freiheit siehe auch: Martin Dietzsch / Siegfried Jäger/ Helm ut Kellershohn / Alfred Schobert (2003): Nation statt Dem okratie – Sein und Design der» Jungen Freiheit«. Duisburg: DISS und St ephan Braun (2007): Die Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 201 Stefan Kubon (2006): Die bundesdeutsche Zeitung „Junge Freiheit“, S. 44 202 Stefan Kubon: Die bundesdeutsche Zeitung „Junge Freiheit“, S. 52 203 Stefan Kubon: Die bundesdeutsche Zeitung „Junge Freiheit“, S. 54 204 Bundesministerium des Innern [Hrsg.]: Verfa ssungsschutzbericht 2007. Berlin. W ie sich die inhaltliche Ausrichtung der Zeitung nach de m Rücktritt von Frey vo m Vorsitz der DVU en twickeln wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
4.2.2 Türkei Im Jahr 2005 gab es i n der Türkei laut dem staatlichen Generaldirektorat Presse 3.450 Periodika; fast die Hälfte mit wöchentlicher Erscheinungsweise.205 Nach einer Phase der Krise stieg die Gesamtauflage der Zeitungen wieder. In den ersten neun Monaten in 2007 wurden insgesamt 5,2 Millionen Tageszeitungen und 37,9 Millionen Zeitschriften verkauft.206 Auf 1000 Erwachsene kamen im Jahr 2007 96,7 Tageszeitungstitel,207 die tägliche Reichweite betrug 30 Prozent. Von 2002 bis 2006 haben türkische Zeitungen einen Auflagenzuwachs von 55,57 Prozent verzeichnet. Die Anzeigeneinnahmen konnten im selben Zeitraum sogar um 152 Prozent gesteigert werden.208 Die größte Tageszeitung des Landes ist die islamisch-konservative Zaman, gefolgt von den Boulevardzeitungen Posta und Hürriyet. Dominiert wird die Zeitungslandschaft von der Boulevardpresse. Unter den 10 größten Zeitungen der Türkei gibt es nur die Zaman, die unstrittig als Qualitätszeitung 209 bezeichnet werden kann. Jedoch muss hinzugefügt werden, dass viele Zeitungen zwar durch eine Boulevard-Aufmachung auffallen, jedoch oft eine umfassende Ber ichterstattung zu den Themen Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport enthalten.210Dennoch stellen B eobachter, ähnlich wie in europäischen Ländern, insgesamt eine Boulevarisierung der Presselandschaft fest.211 Zaman Mit über 750.000 verkauften Zeitungen täglich ist die is lamisch-konservative Zaman (Zeit) die größte Tageszeitung in der Türkei. Die 1986 gegründete Qualitätszeitung konnte ihre Auflage, die 2001 noch rund 200.000 betrug, rasant
205 206 207 208
Burcu Sümer / Bülent ÇaplÕ (2004): Das Mediensystem der Türkei Ebenda World Association of Newspapers (2008): World Press Trends. Edition Paris World Association of Newspapers: Trends in der Weltpresse. Anzeigeneinnahmen weltweit im Aufschwung, http://www.wan-press.org/print.php3?id_article=14367 abgerufen am 27.09.09 209 Zur Forschung über Qualitätsjournalismus siehe Klaus Arnold (2009): Qualitätsjournalis mus. Die Zeitung und ihr Publikum. Konstanz: UVK 210 Deutsche Botschaft Ankara (2002) [Hrsg.]: Medien in der Türkei, Ankara 211 Vgl. Hakan Ergül (2001): S ÕnÕrlar kaybolurken: Haberde magazinleúme, melezleúme ve infotainment fenomeni, in: ArtÕk, Bilal / ùeker, Mustafa [Hrsg.]: Bir sorun olarak Gazeti cilik Konya 2007, 1 77-213 und Karahan. “Yaz ÕlÕ ve Görsel Medy ada Magazinleúmenin Tarihsel ve Sosyolojik Dinamikleri.” øletiúim, 12 (KÕú 2001), S. 1-23
4.2. Auflagen und Binnenverhältnisse der Zeitungen
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steigern. Die Zaman steht der islamischen Bewegung von Fethullah Gülen, der größten religiösen Strömung innerhalb der AKP, nahe. Gülen ist ein i n den USA lebender islamischer Gelehrter, der überall auf der Welt Bildungseinrichtungen unterhält. In de r Türkei wird ihm von politischen Gegnern vorgeworfen, den Laizism us untergraben zu w ollen. Andere wiederum, auch viele im Westen, sehen in seiner religiösen Strömung einen dialogorientierten Islam.212 In der Selbstdarstellung der Zaman heißt es: „Die Zaman setzt sich für eine Verstärkung der demokratischen und laizistischen Türkischen Republik ein. Sie verteidigt Menschenrechte und Freiheiten.“213 Die Zeitung verstoße nicht gegen religiöse Verbote, heißt es w eiter. Die Zaman wird nach eigenen Aussagen in 35 Ländern und 10 Sprachen vertrieben. Hürriyet Die Hürriyet (Freiheit) ist nach der Posta die zweitgrößte Zeitung aus dem Hause Do÷an und die drittgrößte in der Türkei. Die Boulevard-Zeitung ist zugleich die türkische Zeitung mit der höchsten Auflage in Deutschland. Das Blatt, das bereits 1948 gegründet wurde, positioniert sich traditionell regierungsnah. Sie hat sich in der Vergangenheit immer wieder den häufig wechselnden Mehrheiten im türkischen Parlament angepasst. Die Hürriyet erreicht eine Auflage von 500.000 Exemplaren. Die Zeitung beschreibt sich selbst als demokratisch, freiheitsliebend, laizistisch, respektvoll gegenüber Vielfalt und der Pressethik sowie als gesellschaftlich verantwortungsvoll.214 Die Hürriyet wolle ein Teil und Akteur der Modernisierung der Türkei sein. Die Do÷an Holding ist ein Konzern, der in unterschiedlichen Sektoren tätig ist. Seit de n 80er Jahren ist si e auch im Versicherungs- und Bankenwesen und in der Tourismusbranche aktiv.215 Seit November 2008 hält der Axel -Springer-Verlag etwa 10 Pr ozent an der Do ÷an Medienholding.
212 Siehe Beiträge de r Konferenz „ Muslims between Tradition and Mode rnity - The Güle n Movement as a Bridge Between Cultures“ vom 26. - 27. Mai 2009 an der Universität Potsdam. http://uni-potsdam-guelen-konferenz.de/, abgerufen am 22. April 2010 213 http://ik.zaman.com.tr/index.php?option= com_content&task= view&id= 24&Itemid= 50, abgerufen am 20. April 2010 214 http://www.hurriyetkurumsal.com/tr/degerler_hurriyet_yayin_ilkeleri.asp, abgerufen a m 20. April 2010 215 Emin Karaca (2003): PlazalarÕn efendisi AydÕn Do÷an. Istanbul: Karakutu YayÕncÕlÕk, S. 102
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
Cumhuriyet Die Cumhuriyet216 (Republik) ist die älteste Tageszeitung in der Türkei, sie wurde bereits 1924 ge gründet. „Sie galt in den Anfangsjahren und auch später noch als die Zeitung Ata türks und se iner Republikanischen Volkspartei (CHP).“217 Wie die gesamte kemalistische Bewegung ist die Cumhuriyet nationalistisch geprägt. Hinter der Politik der EU und der USA vermutet die Zeitung oftmals „imperialistische“ Machenschaften. Zugleich vertritt sie sozialpolitisch einen eher linken Kurs. Die Zeitung ist mehrheitlich im Besitz e iner Stiftung der Mitarbeiter. Der Unternehmer Turgay Çiner hält 40 Prozent an der Cumhuriyet.218 Ihre Auflage beträgt etwa 110.000. Die Cumhuriyet richtet sich vor allem an das kemalistisch und städtisch geprägte Milieu. Milliyet Die Milliyet (Nationalbewusstsein bzw. Nationalität) ge hört wie die Hürriyet zur Do÷an-Gruppe. Sie gilt als eine liberal e Boulevard-Zeitung. Das 1949 gegründete Blatt erreicht eine verkaufte Auflage von rund 250.000. Zum Zeitpunkt des Karikaturenstreits war Sedat Ergin Chefredakteur der Zeitung. Unter ihm ist das Blatt politisch wieder ein Stück nach links gerückt. Für die Milliyet schreiben auch ei nige Linksintellektuelle wie der Künstler und Politiker Zülfü Livaneli. Sabah Die Sabah (Der Morgen) ist eine Bouleva rd-Zeitung, die seit April 2008 zur ÇalÕk-Gruppe gehört. Die M ediengruppe, die auch im Textil-, Bau-, Energieund Finanzsektor aktiv ist, gilt als AKP-nah. Zuvor gehörte die Sabah zur Ciner-Mediengruppe. Die Zeitung wurde 1985 gegründet und ist heute m it über
216 Für eine aus führliche Darstellung d er Zeitungsgeschichte siehe Ay sun Köktener (2004): Bir gazetenin tarihi C umhuriyet. Istanbul: YapÕ Kredi Kült ür Sanat Ya yÕncÕlÕk Ticaret ve Sanay i A.ù. 217 Deutsche Botschaft Ankara (2002) [Hrsg.]: Medien in der Türkei, Ankara 218 Tülay Bektaú ùeker (2007):Tekelleúme sorunu, in: Art Õk, Bilal / ùeker, Mustafa [Hrsg.]: Bir sorun olarak Gazeticilik Konya: Tablet Kitabevi YayÕnlarÕ, S. 91-114
4.2. Auflagen und Binnenverhältnisse der Zeitungen
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400.000 verkauften Exemplaren pro Tag die viertgrößte Tageszeitung der Türkei. Die Sabah positioniert sich häufi g AKP-nah und eher konservativ. Jedoch distanziert sie sich sehr deutlich von einem politischen Islam. Die Zeitung wird auch in Deutschland vertrieben. Radikal „Radikal fällt als liberales Qualitätsblatt mit starker EU-Orientierung auf. “219 Sie wurde 1997 von der Do÷an-Gruppe als Konkurrenz zur Cumhuriyet aufgebaut. Die Radikal (Radikal) ist als linksliber al einzuschätzen; in ihr kommen viele türkische Intellektuelle zu Wort. Zudem kann sie als vielstimmig bezeichnet werden. Nach meiner Einschätzung erreicht die Zeitung überdurchschnittlich viele akademisch gebildete LeserInnen. Trotzdem ist die optische Aufmachung der Zeitung sehr boulevardesk. Ihre politis che Ausrichtung weist Parallelen zur taz in Deutschland auf. Sie erreicht eine verkaufte Auflage von knapp 50.000. Vatan Die Vatan (Vaterland) wurde im Jahr 2002 gegründet und gehört zur Do÷anGruppe. Sie gilt als eine linksliberale Boulevard-Zeitung. Die Vatan nimmt häufig eine AKP-kritische Positionen ein. Mit über 200.000 verkauften Exemplaren täglich ist sie die siebtgrößte Zeitung der Türkei. Akúam Die Boulevard-Zeitung Akúam (Abend) ist eine Gründung aus dem Jahr 1994. Sie erreicht e ine Auflage von knapp 200.000. Die Akúam wird von der Çukurova Holding herausgegeben. Zur Holding gehören neben der Akúam auch die Güneú und die Tercüman, mit denen sie mehr als 7 Prozent der Gesamtauflage türkischer Zeitungen erreicht. Die Diskursposition der Akúam ist tendenziell nationalistisch.
219 Deutsche Botschaft Ankara (2002) [Hrsg.]: Medien in der Türkei, Ankara
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4. Journalistisches Feld in Deutschland und der Türkei
Yeni Evrensel Die Yeni Evrensel (Neue Universell) ist eine linke Tageszeitung, die der EMEP (Partei der Arbeit) nahe steht. Sie ist Nachfolgerin der verbotenen Evrensel. Das Blatt versteht sich als Arbeiter-Zeitung; es vertritt marxistische Standpunkte und positioniert sich kurdennah. Es berichtet häufiger als andere Zeitungen aus den kurdisch dominierten Gebieten im Osten der Türkei. Die Yeni Evrensel verkauft etwa 7000 E xemplare täglich. Im Februar 2006 gab es die Zeitung auch i n Deutschland zu kaufen. Inzwischen wurde die Europa-Ausgabe der Zeitung aber eingestellt. Milli Gazete Die Milli Gazete (National-Zeitung) steht der islam istischen Saadet Partei, der Nachfolgerin der Fazilet Partei, nahe. Die 1973 gegründete Zeitung erreicht eine Auflage von etwa 50.000. Partei und Zeitung vertreten einen islamistischen Nationalismus. Die Berichterstattung der Milli Gazete beinhaltet antiwestliche und antisemitische Beiträge. Im isla mistischen Spektrum der Türkei ist die Milli Gazete die mit Abstand bedeutendste Zeitung. Es wird zu klären sein, ob es mit dem Mega-Ereignis Karikaturenstreit, zu dem sich alle Zeitungen positionieren mussten, zu eine r Verschiebung der Binnenverhältnisse gekommen ist. Welche Zeitungen haben den Verlauf des Diskurses maßgeblich beeinflusst? Wird beispielsweise die Welt, die in Deutschland als erste die um strittenen Mohammed-Karikaturen nachgedruckt hat, als meinnugsbildend zu bezeichnen sein? Im Falle der Türkei ist zu fra gen, ob das Feld durc h einen „symbolischen Bürgerkrieg“ gekennzeichnet ist, bei dem sich Zeitungen schon aus Prinzi p oppositionell zum anderen Lager verhalten oder ob Überschneidungen in der Berichterstattung möglich sind. Auch ist der Frage nachzugehen, welche Auswirkungen die Positionierung der Zeitungen auf der symbolischen links-rechts-Achse haben. Lässt si ch die Berichterstattung in ei n linkes und rec htes bzw. i n ein kem alistisches und ein islamisches „Lager“ einteilen?
5. Diskursiver Kontext
5.1 Das Islambild in den deutschen Medien Der Karikaturenstreit fügt sich in eine n übergeordneten Diskurs über den Islam ein. In der Karikaturenaffäre wurde verhandelt, wie viel Rücksicht m an Muslimen zubilligen kann und wo die Grenzen der juristischen und nicht-juristischen Pressefreiheit liegen. Der Kontext des Islamdiskurses soll im Folgenden dargestellt werden. Ziel dieses Kapitels ist es, kollektiv geteiltes „Wissen“ über den Islam aufzuzeigen, damit er in der Analyse des Kari katurendiskurses berücksichtigt werden kann. Es geht um das „historische Apriori“220 des Diskurses. Die Darstellung des Kontextes stellt den Forschenden vor umfangreiche methodische Probleme. Ihn in sei ner Gesamtheit aufzuarbeiten, ist forschungspraktisch unmöglich. An dieser Stelle k ann nur eine Annäherung anhand von „Bohrungen“ (Michel Foucault) erfolgen. Ich folge dem Vorschlag von Siegfried Jäger, mithilfe von Bes chreibungen diskursiver Ereignisse den Islam diskurs zu erklären. „Die Er mittlung diskursiver Ereignisse kann für die Analyse von Diskurssträngen auch deshalb sehr wichtig sein, weil ihre Nachzeichnung den diskursiven Kontext markiert bzw. konturiert, auf den sich ein a ktueller Diskursstrang bezieht.“221 Diese Arbeit beschränkt sich auf die Aufarbeitung des Islambildes in den Medien. Der Forschende unterstellt aber nicht, dass das Islambild ausschließlich medial produziert wird. Vielmehr sind die Medien – nach Kai Hafez – nur ein Teil eines Syste ms, zu dem auch Literatur, Schulbücher etc. gehören.222 Den-
220 Michel Foucault (1981): Archäologi e des W issens. Frankfurt: Suhrkam p, S. 185. Foucault schreibt zum historischen Apriori, d ass es di e Gesamtheit aller Regeln, die eine diskursiv e Praxis charakterisieren ist. Er wendet Kants Apriori nicht formal, sondern historisch an. 221 Siegfried Jäger: Diskurs und Wissen, in Keller: Handbuch, S. 98 222 Kai Hafez (2010): Mediengesellschaft – W issensgesellschaft? Gesellschaftliche Entstehungsbedingungen des Islambildes deutscher Medien, in: Thorsten Gerald Schneiders [Hrsg.]: Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen. Wiesbaden: VS Verlag, S. 101 – 120
M. Ata, Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien, DOI 10.1007/978-3-531-94091-5_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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5. Diskursiver Kontext
noch kann ich mich mit Berechtigung auf das Medienbild beschränken. Denn es ist nicht anzunehm en, dass sich das Islambild in de n Medien wesentlich von dem, beispielsweise, in der Literatur unterscheidet. Iman Attia hat Entsprechendes zum Islambild in de r Malerei, Literatur und in religiösen Diskursen be schrieben. Zu den über die Jahrhunderte populä ren und wirkmächtigen kulturellen Werken gehören neben Musik und Malerei besonders auch die Märchen aus 10 01 Nacht und der Orientzyklus von Karl May sowie religiöse Diskurse. Obwohl sie sich i n ihrem Tonfall unterscheiden (exotistisch, paternalistisch, vereinnah mend, feindselig), schöp fen sie aus dem gleichen Set an Orient- und Islambildern und trugen und tragen noch wesentlich zu seiner Ausstattung und Verbreitung bei.223
Dieses Islambild kann auf ei ne Tradition des Orientalismus aufbauen – eine jahrhundertelange Tradition des hauptsächlich negativen Orient- und Islambildes in Europa. Edwa rd Said hat in seinem 1978 e rschienenen Klassiker „Orientalism“224 diese Wurzeln nachgezeichnet und analysiert. 5.1.1 Orientalismus Der Islam, so Said, ist aufgrund der langen Geschichte seiner Hegemonie ein dauerhaftes Trauma für Europa. Dabei gehen die Wurzeln des heutigen Feindbildes auf die Gründung des Islams und seine, vor allem militärische, Ausbreitung in christlichen Gebieten zurück. Der aktuelle Orientdiskurs müsse vor dem Hintergrund der europäischen, genauer der französischen und britischen, Dominanz betrachtet werden. There is in addition the hegemony of European ideas about the Orient, themselves reiterating European superiority over Oriental backwardness, usually overriding the possibility that a more independent, or more skeptical, thinker might have had different views on the matter.225
Dieses Überlegenheitsgefühl, das sich auf ein verm eintlich freieres Denken stützt, wird uns im Karikaturenstreit begegnen. Dort kommt es als „Stärke durch Selbstreflexion“ daher. Grundlegend für den Orientalismus ist die Entgegensetzung von westlich-europäisch und östlich-nichteuropäisch. Während das „Okzi-
223 Iman Attia (2009): Die „westliche Kultur“ und ihr Anderes. Bielefeld: transcript, S. 57 224 Edward Said (1978): Orientalism. London: Routledge & Kegan Paul 225 Edward Said (1978): Orientalism. London: Routledge & Kegan Paul, S. 7
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dentale“ die Gültigkeit des Normalen erhält, wird das „Orientalische“ zur Abweichung, zu dem „Anderen“.226 Zudem ist das Verhältnis von Orient und Okzident eines der Macht und westlichen Dominanz. Said sagt, dass es im Westen seit dem Mittelalter nie eine Periode gegeben habe, in der das Reden über den Orient nicht durch Vorurteile und politische Interessen bedingt war. „I have not been able to discover any period in Eu ropean or American history sinc e the Middle Ages in which Islam was generally discussed or thought about outside a framework created by passion, prejudice, and political interests.“227 Deutschland spielt in den Arbeiten von Edward Said praktisch keine Rolle, weil es hier keinen Kolonialismus ähnlich wie in Frankreich und England gegeben hat. “Unlike the Americans, the French and the British – less the Germans, Russians, Spanish, Portugese, Italians, and Swiss – have had a l ong tradition of what I shall be calling Orientalism, a way of coming to terms with the Orient that is based on the Orient’s special place in Europe.”228 Zwar gibt es in Frankreich, Großbritannien und den USA auf der einen Seite und in Deutschland auf der anderen Seite unterschiedliche Traditionen des Islambildes, doch es ist davon auszugehen, dass sich die Islambilder in den westlichen Ländern gegenseitig beeinflusst haben und beeinflussen.229 Trotz der Kritik an Said230, die vor allem an der fehlende n zeitlichen Eingrenzung und der dadurch bedingten Unschärfe seiner Analyse zu üben ist, halte ich seine Untersuchung für sehr fruchtbar. Insbesondere die Erklärung des Orientbildes aus einem Dominanzverhältnis heraus ist für meine Arbeit von Bedeutung, wie sich noch herausstellen wird. 226 Vgl. Ute Gerhard / Jürgen Link (1993): Der Orient im Mediendiskurs í aktuelle Feindbilder und Kollektivsymbolik, in: Lüders, Michael [Hrsg.]: Der Islam im Aufbruch? Perspektiven der arabischen Welt, München/Zürich: Piper, S. 277-297 227 Edward Said: Covering Islam, S. 23 228 Edward Said (1979): Orientalism. London: Routledge & Kegan Paul, S. 1 229 Wenn wir mit Kai Hafez davon ausg ehen, dass das Islambild vor allem in den Auslandsnachrichten generiert wird (siehe Kai Hafez (2002): Die politische Dimension der Auslandsberichterstattung, Bd. 2. München: Nomos), muss in Rechnung gestellt werden, dass die USA als Kriegsbeteiligter im Nahen Osten viele Deutungsmuster vorgeben. Mir ist keine systematische Arbeit über die gegenseitige Beeinflussung der Islambilder in einzelnen Ländern bekannt. Eine solche Untersuchung wäre sicherlich auch deshalb i nteressant, weil er Erkenntnisse über den Einfluss der unterschiedlichen Orientalis mus-Traditionen auf das akt uelle Islambild hervorbringen würde. Ich verm ute, dass der Einfluss tendenziell überschätzt wird. Zu m deutschen Orientalismus siehe: Andrea Polaschegg (200 5): Der andere Orientalis mus. Regeln deutsc hmorgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert. Berlin: de Gruy ter und Roman Loimeier (2001): Edward Said und der deutsc hsprachige Orientalismus: Eine kritische W ürdigung, in: Stichproben. Wiener Zeitschrift für Afrikastudien 2/2001 Jg. 1, S. 63 – 85 230 Siehe hierzu u.a. Ibn Warraq (2007) Defending the West. Amherst, NY: Prometheus Books
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Almut Höfert sieht innerhalb des Orient- und Islamdiskurses eine besondere Stellung der Türken, die er mit „Türkengefahr“ beschreibt.231 Als Ausgangspunkt dieses Diskurses bezeichnet er die türkische E roberung Konstantinopels. An diesem Tag wurden „traditionelle Mo tive der christlichen Heilsgeschichte mit den Deutungen dieses Datums“ vermengt und mithilfe der Druckerpresse zu einem „mächtigen Diskurs der Türkeigefahr“232 verdichtet. Es wird zu prüfen sein, ob es im Karikaturenstreit ein spezifisches Feinbild Türkei gibt. 5.1.2 Wichtige diskursive Ereignisse Im 20. Jahrhundert haben eine Reihe von diskursiven Ereignissen den Islamdiskurs geprägt. Neben dem Sechs-Tage-Krieg und dem Ölembargo 1973 war es die iranische Revolution 1979, die maßgeblich für die Form ung des Islam- und Muslimbildes in de r BRD war. Die westlichen Medien haben in der Folgezeit das Kopftuch zum zentralen Symbol der Revolution und der Feindschaft gegen den Westen gemacht. Die Wahrnehmung der Kopftücher von Migrantinnen i n Deutschland änderte sich radikal, sodass sie von da an als starke Be drohung empfunden wurden. Jürgen Link sieht einen direkten Zusammenhang zwischen wachsender Ausländerfeindlichkeit und der iranischen Revolution: „Ich vertrete also die These , daß de r Zusammenhang zwischen iranischer Revolution und Ausländerfeindlichkeit nicht indirekt (über die Stärkung islamischen Selbstbewußtseins der Türken bei uns, wie Mommsen es sieht), s ondern direkt über die Medienbilder von der Revolution und ihre Wirkung auf die deutsche Be völkerung zu begründen ist.“233 Ein weiteres Ereignis, das einen dauerhaften Einfluss auf den Islamdiskurs gehabt hat und auf das während des Karikaturenstreits häufig Bezug genommen wird, ist die so genannte „Rushdie-Affäre“. Rushdies „Satanische Verse“ Salman Rushdie ist ein indisch-britischer Autor, der zu den wichtigsten Schriftstellern der Gegenwart gezählt wird. Er studierte Geschichte an der Cambridge
231 Almut Höfert (2003): Den Feind beschreiben. Frankfurt [u.a.]: Campus-Verlag 232 Ebenda 233 Jürgen Link (1 988): Medien und „Asylanten“, in: Thränhardt, Dietrich [Hrsg.]: Flucht und Asyl. Freiburg im Breisgau, S. 50-61
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Universität und feierte 1981 mit „Mitternachtskinder“ seinen ersten großen Romanerfolg. Salman Rushdie löste 1988 mit der Veröffentlichung des Werkes „Die satanischen Verse“234 weltweite Proteste von Muslimen aus und sah sich infolge einer Todesfatwa Ayatollah Chomeinis vom 14. Februar 1989 gezwungen „abzutauchen“. Das Buch z og den Zorn vieler Muslime auf sich, weil es als Diffamierung des Korans interpretiert wurde. Die sechs Monate andauernden Proteste gegen Rushdies Buch nahmen im September des Ja hres 1988 in I ndien ihren Anfang. Noch vor Druck seines Buches lösten Rezensionen in zwei Zeitschriften den „Proteststurm“ aus, der im Folgemonat in Indien zu einem Verbot des Buches führte.235 Der Konflikt nahm globale Züge an, als S audi-Arabien eine Kampagne gegen Rushdie startete. Auch in Rushdies Heimatland Großbritannien folgten Proteste und Todesdrohungen gegen den Autor. Im Zuge der Aktionen kam es zu ö ffentliche Bücherverbrennungen und Gewaltausbrüchen insbesondere in Pakistan. Salm an Rushdie sah sich dazu genötigt zu betonen, das s sein Buch nicht antireligiös sei, sondern das Thema Migration behandele. Der iranische Staatsführer Ayatollah Chomeini erließ im Februar 1989 eine Fatwa236, die zumindest für Schiiten bindend war. Darin forderte er die Muslime auf, Rushdie zu erm orden. Eine Fatwa ist ein religiöses Rechtsgutachten, das von einem Gelehrten angefertigt wird. Chomeini warf R ushdie vor, sein Buch „in opposition to Islam, the Prophet, and the Qur’an“ 237 veröffentlicht zu haben. Die so genannte Rushdie-Affäre wurde auch auf diplomatischer Ebene ausgetragen. Es kam zum zwischenzeitlichen Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen England und dem Iran. Der Tod von Chomeini im Juni 1989 war nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Gültigkeit der Fatwa. Sie wurde aufrecht gehalten, bis der iranische Präs ident Mohammad Chatami sie offiziell zurücknahm. Damit verbesserten sich die Lebensumstände des verfolgten Autors. Aufgrund der gewaltsamen Proteste tr aute sich in De utschland zunächst kein Verlag, „Die satanische n Verse“ zu verlegen. Deshalb wurde eige ns der „Verlag Artikel 19“ gegründet, der das Buch 1989 in deutscher Sprache verlegte. Zu de n Gesellschaftern und Herausgebern gehörten Hans Magnus E nzens234 Salman Rushdie (2006): Die satanischen Verse. Reinbek bei Hamburg 235 Vgl. dazu Daniel Pipes (2003): The Rushdie Affair: The Novel, the Ay atollah, and the West. New Brunswick, NJ [u.a.], S. 20 236 Eine Fatwa ist ein islamisches Rechtsgutachten, das von einem Mufti erstellt wird. Im Gegensatz zum Sunnitentum kennt das Sch iitentum einen Klerus, sodass die Fra ge, wer eine F atwa erstellen darf, nic ht strittig ist. So mit erhält ein Rechtsgutachten wie das von Cho meini eine hohe Verbindlichkeit. 237 Daniel Pipes: The Rushdie Affair, S. 27
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berger, Günter Wallraff, Günter Grass und Oskar Lafontaine.238 1997 folgte der Droemer Verlag mit dem Druck des Buches; 2006 dann der Rowohlt Verlag. Der Name Rushdie wurde in der „westlichen Welt“ zum Synonym für den Kampf um Pressefreiheit; die Affäre wurde zum Inbegriff des Konfliktes zwischen dem Westen und dem Islam. Dass Rushdie noch immer eine persona non grata in großen Teilen Asiens ist, wurde deutlich, als er im Januar 2007 in England zum Ritter gesc hlagen wurde: Hef tige Proteste fol gten unter anderem in Pakistan. Neben der Rushdie-Affäre sind zwei Ereignisse der vergangenen Jahre für den Diskurs um die Mohammed-Karikaturen von besonderem Interesse: die Anschläge vom 11. Se ptember und der Mord an dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh. Beide Ereignisse haben massiv zur Verschärfung des Migrations- und Islam diskurses beigetragen. Der Karikaturen-Diskurs nimmt immer wieder explizit auf beide diskursiven Ereignisse Bezug. Die Anschläge vom 11. September 2001 Mit direktem Bezug auf die Anschläge wurden zwei Kriege (in Afghanistan und im Irak) geführt und der weltweite „Kampf gegen Terror“ als Kreuzzug gegen das Böse ausgerufen, dessen Ende nicht abzusehen ist. Die Anschläge selbst haben ihre Schockwirkung nicht „nur“ durch die rund 3000 Opfer erzielt, die die Anschläge gefordert haben, sondern auch durch den symbolischen Gehalt der Zerstörung. Die beiden Türme des Ne w Yorker World Trade Centers st anden wie kein anderes Gebilde für den Kapitalismus US-amerikanischer Prägung. Ihr Zusammenbrechen zeigte die Verwundbarkeit der größten Weltmacht der Erde. Deutet man die Anschläge als kriegerischen Akt, wie es vielfach in der Presse getan wurde,239 war es das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass die USA auf eigenem Boden angegriffen wurden.
238 http://de.wikipedia.org/wiki/Artikel_19_Verlag 239 Michael Schwab-Trapp schreibt hierzu: „Die Rahmung der Terroranschläge als Kriegserklärung ist dam it tragender Bestandteil des diskursiven Kontexts der Auseinandersetzung ü ber den 11. September“. Schwab-Trapp, Michael (2007): Kampf dem Terror. Vom Anschlag gegen das World Trade Center bis zu m Beginn des Irakkrieges. Eine em pirische Studie über die politische Kultur Deutschlands i m zweiten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung. Köln: Rüdiger Köppe Verlag, S. 40
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Die Analyse der Bild-Zeitung als wichtiges Meinungsmedium zeigt, welch große Angst bei den Menschen i n der westlichen W elt erzeugt wurde.240 Die Herzsymbolik spielte bei der Berichter stattung eine außerordentlich wichtige Rolle. „Um 8:48 Uhr attackierten Terroristen das Herz der Welt“ hieß es in der Bild-Zeitung unmittelbar nach den Anschlägen. Diese Sy mbolik drückt einen absoluten Notstand aus, auf den reagier t werden muss. Die freie, zivilisierte Welt steht vor dem Zusammenbruch, die Gefahr des Ausblute ns, des Tods ist vorhanden. Eine binäre Reduktion in ein „Wir“ und ein „Sie“ ist ein weiteres wichtiges Element der Berichterstattung. „Steh uns bei“, hieß es im Boulevardblatt, wobei das „Wir“ die „freie, zivilisierte W elt“ meint. George W. Bush selbst hat sich der Diskursstrategie des binären Reduktionismus bedient, als er ve rkündete, „entweder man ist für uns oder gegen uns“. Seine demokratische Gegenspielerin Hillary Clinton war ihm mit dieser Aussage noch am Abend des 11. Sept ember zwar zuvorgekommen, doch das hinderte den amerikanischen Präsidenten nicht daran, die binäre Reduktion zur Grundlage des „War on Terror“ zu machen.241 Eine religiöse Konnotation spielt in diesen Satz hinein, denn die Ähnl ichkeit zum biblischen Satz: „W er nicht für mich ist, der ist gegen m ich“ (Lukas, 11, 23) ist unübersehbar. Verschärfter Diskurs Zwar kam es nach den Anschlägen in Deutschland kurzzeitig zu einer „ paradoxen Entschärfung“ des Einwanderungsdiskurses242, als eine befürc htete Verschränkung des Einwanderungsdiskurses mit dem Diskurs um den Islam ausblieb, doch mittelfristig entwickelte sich ein verschärfter Isla m- und Einwanderungsdiskurs in Deutschland. Die Be richterstattung zum Thema Islam und die
240 Diese Analyse stützt sich ganz wesentlich auf die Analyse von Iris Bünger: Iris Bünger (2001): Apocalypse Now? Kritische Diskursanalyse der Beri chterstattung der BILD-Zeitung. In: Vereinigung zur Kritik der politischen Ökonomie [Hrsg.]: Prokla 125. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft. Globalisierung des Terrors. Münster, S. 603 – 624 241 Vgl. Jürgen Link: Ein übersehener Aspekt de s Karikaturenstreits, in: Siegfried Jäger [Hrsg.]: Mediale Barrieren. Rassismus als Integrationshindernis, Münster 2007, S. 151-166 242 Siegfried Jäger (2 004): Paradoxe En tschärfung im Interesse der Nation, in: DISS-Journal 1 2 (2004)
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über Muslime erfolgte häufig in Verbindung mit den Themen Terrorismus, was zu einem negativeren Islambild in der Öffentlichkeit geführt hat.243 Einen negativen Beitrag zum Isla mbild hat auch da s Bild des terrori stischen Schläfers geleistet. Denn die Konstruktion des gut integrierten, unauffälligen Schläfers, der jederzeit aktiviert werden kann, verbreitet ein Gefühl der omnipräsenten und unsichtbaren Gefahr, die prinzipiell von jedem vermeintlichen Muslimen ausgehen kann. Das Bild bedeutet eine Verunsicherung der Normalität; der Te rrorist kommt als sc heinbarer „Normalbürger“ daher. Ein Beispiel für die Berichterstattung aus dem Mannheimer Morgen: Viele Millionen Mosle ms leben in den USA un d in Europa. Müssen wir also fürchten, dass sich hinter jedem Bartträger, der in Deutschland wohnt, ein Terrorist vo m Schlage Mohamed Attas verbirgt, der, als „Schläfer“ getarnt, nur auf seinen groß en Tag wartet? (Mannheimer Morgen: Die islamischen Fundamentalisten missbrauchen den Koran un d führen ihren Terror-Krieg aus religiösem Wahn, 25.10.2001)
Der Mord an Theo van Gogh Am 2. November 2004 richtete der junge Islamist Mohammed B. den holländischen Filmemacher Theo van Gogh mit sieben Schusswunden, zwei Stichwunden und zwei Schnitten am Hals auf offener Straße hin. Der Mord löste eine europaweite Debatte um die Integration von muslimischen Einwanderern aus. Besondere Brisanz gewann der „Fall van Gogh“ dadurch, dass der Mord i n dem vermeintlichen Vorzeigeland der Toleranz stattfand.244 Als Motiv für das Verbrechen gab der später zu einer lebenslangen Strafe verurteilte Mohammed B. den für Muslime sehr provozierenden Film „Submission Part 1“ an. De r Film „Submission“ ist eine verfilmte Streitschrift, in dem misshandelte Frauen über ihr Leid klagen. Den Frauen sind in dem Film Koran-
243 Vgl. dazu ZfT-Studie: Dirk Hal m (2006): Zur Wahrneh mung des Islam s und zur soziokulturellen Teilhabe der Muslime in Deutschland, Studie des Zentrums für Türkeistudien, Essen, in der es heißt: „Dennoch hat die massive Zunahme der Auseinandersetzung mit dem Islam und den Muslimen im Kontext von Terrorismus das Bild des Islams in der deutschen Öffentlichkeit deutlich ins Negative verkehrt, währ end zuvor ein eher aus gewogenes Bild vorherrschte, das all erdings immer auch mit der historisc hen Hypothek eines deutlichen Fre mdheitsempfindens gegenüber den Muslimen belastet blieb.“ 244 Die Liste der Ereignisse, bei denen der Islam- und der Integrationsdiskurs verschränkt wurden, ist deutlich länger. Zu nennen wären u.a. die Kopftuchdebatte, Vorgänge an der Rütli-Schule , die Unruhen in den Pariser Banlieus, Zwangsverheiratungen und Ehrenmorde.
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verse auf den Körper projiziert.245 Den K urzfilm hatte van Gogh nac h einem Drehbuch von Ayaan Hirsi Ali, einer somalischstämmigen Parlamentarierin, gedreht. Dass sie das eigentliche Ziel des Mörders war, geht aus einem Brief am Körper van Goghs hervor. Ausgelöst durch das Verbrechen wurden zahlreiche religiös bzw. rassistisch m otivierte Anschläge auf Moscheen und Kirc hen. Im November kam es zu 174 Gewalttaten, be i denen zu 60 Prozent Muslime Opfer werden.246 Dem niederländischen Diskurs über den Fall van G ogh gingen mehrere diskursive Ereignisse voraus, die die Integrationsdebatte verschärften. Neben den Anschlägen vom 11. Septem ber ist es der Aufstieg des rechten Politikers Pim Fortuyn und seine Ermordung.247 Der Mord a n van Gogh löste in den Niederlanden eine hysterische Debatte u.a. über die nationale Identität aus. Der Leitkulturbegriff gewann an Bedeutung und eine ve rmeintliche Emanzipation von der political correct ness wurde vollzogen, indem „mutige Sprecher“ sich den jahrelangen Repressionen linker Intellektueller widersetzten.248 Albrecht von Luc ke bezeichnet den Mord an Theo van Gogh im bundesdeutschen Diskurs als „missing link“, der zum Durchschlagen aller außenpolitischen Themen auf die Innenpolitik geführt habe. „In irrer Beschleunigung kulminierten [...] sämtliche seit dem 11. September 2001 geführten Debatten: Terrorismus und Fundamentalismus, EU-Verfassung und Türkei Aufnahme, multikulturelle Gesellschaft oder deutsche Leitkultur.“249 Der Fall van Gogh ist auch das Ereignis, das zum interdiskursiven Durchbruch des Begriffs der Parallelge-
245 Sehr unglücklich ist die Verwendung desselben Schemas, das auch Joseph Goebbels 1940 im Film Der Ewige Jude benutzte. Goeb bels hat damals Bilder vom Judentum zusammen mit fingierten Zitaten aus dem Talmud gezeigt. 246 Carolin Ködel (2007): „Unheimliche Gäste. Die Gegenwelt der Muslime in Deutschland“, in: Jäger, Siegfried / Halm, Dirk [Hrsg.]: Mediale Barrieren. Rassismus als Integrationshindernis. Münster, S. 201-228 247 Ineke van der Valk (2006): Van Gogh und die Folgen: Die soziopolitischen Folgen eines Mordes, in: Jäger, Margarete / Link, Jürg en [Hrsg.]: Macht – Religion – Politi k. Zur Renaissance religiöser Praktiken und Mentalitäten, Münster, S . 231 – 241 – Pim Fortuyn wurde kurz nac h dem Mord an van Gogh zum größten Niederländer aller Zeiten gewählt. Zu m Diskurs in der Niederlande, insbesondere zur Berich terstattung des De Volkskrant siehe: Scharathow, Wiebke (2007): Diskur s, Macht, Fremdheit. Oldenburg: BIS-Verl. der Carl-v on-Ossietzky-Univ. Oldenburg 248 Vgl. Geert van der Mak (2005): Der Mord an Theo van Gogh. Geschicht e einer moralischen Panik. Frankfurt, S. 74 S. 11, 53 und 63 – Die Parallelen zur PC-Debatte werden auch im Karikaturenstreit eine wichtige Rolle spielen 249 Albrecht von Lucke (2005): Diskursiver Dammbruch, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1 (2005), S. 9 – 11
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sellschaft250 führte, der a us der Wissenschaft stammt und von Wilhelm Heitmeyer geprägt wurde. Eine Tendenz, Islam und Islamismus gleichzusetzen und die Gesellschaft nach einer binären Kodierung in Freund und Feind aufzuteilen, ist ebenfalls im Diskurs erkennba r.251 Wie in den Nie derlanden erlebte die Debatte um Patriotismus und Leitkultur in Deutschland eine Wiederbelebung. Typische Äußerungen waren auch die Warnungen vor einer drohenden Islamisierung Deutschlands und Vorwürfe an di e falsche Toleranz de r „Multi-KultiLinken“.252 Die Verliere r der Debatte wa ren vor allem Linke, die f ür die gescheiterte Integration von Muslimen verantwortlich gemacht wurden. Viele der Argumentationen werden später beim Karikaturenstreit reproduziert werden. 5.1.3 Einige Charakteristika des aktuellen Islambildes in Deutschland Kai Hafez beschreibt vier Entwicklungstendenzen deutscher Islambilder253: (1) In der deutschen Öffentlichkeit wird der Islam mit repressiven, modernitäts- und frauenfeindlichen Anschauungen gleichgesetzt. Ähnliches stellt auch Margarete Jäger fest, wenn sie von einer Ethnisierung von Sexismus spricht.254 (2) Fehlende Unterscheidung zwischen extremistischen und moderaten Formen des islamischen Fundamentalismus. Auch diese Tendenz wird uns im Karikaturenstreit erneut begegnen. Vielfach wird behauptet, dass der Islam per se totalitär wäre, weil er keine Unterscheidung zwischen religiöser und weltlicher Macht kenne. Besonders radikale islamische Gruppierungen stehen – auch im Karikaturen250 Zum Begriff der Parallelgesellschaft vgl. Werner Köster (2009 ) [Hrsg.]: „Parallelgesellschaften“ – Diskursana lysen zur Dra matisierung von Migration. Essen Klartext Verlag. Werner Köster schreibt in der Einleitung über den Pa rallelgesellschafts-Diskurs, dass einiges für die These spricht, dass „der Begr iff primär auf muslimische Migranten und auf deren kulturelleigentätige, gewissermaßen absichtsvolle Hervorbringung parallelgesellschaftlicher Strukturen bezogen war.“ 251 Vgl. Albrecht von Lucke: Diskursiv er Dammbruch und Ködel, Carolin: „Unheimliche Gäste. Die Gegenwelt der Muslime in Deutschland“, in: Jäger, Siegfried / Halm, Dirk (2007) [Hrsg.]: Mediale Barrieren. Rassismus als Integrationshindernis. Duisburg, S. 201 – 228 252 Zum Beispiel von Alice Schwarzer siehe Daniela Marx (2006): Vo m ‚feministischen Schreckgespenst’ zur gefragten Expertin, in: Margarete Jäger / Jürgen Link [Hrsg.]: Macht – Religion – Politik. Zur Renaissance religiöser Praktiken und Mentalitäten, Münster, S. 209 – 230 253 Kai Hafez (2004): Öffentlich keitsbilder des Isla m. Kultur- und rassis mustheoretische Grundlagen ihrer politikwissenschaftlichen Erforschung, in: Disselnkötter, Andreas / Jäger, Siegfried / Kellershohn, Helmut / Slobodzian, Susanne [Hrsg.]: Evidenzen im Fluss. Demokratieverluste in Deutschland. Duisburg: DISS, S. 188-204 254 Margarete Jäger (1996): Fatale Effekte. Die K ritik am Patriarchat im Einwanderungsdiskurs. Duisburg: DISS
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streit – im Mittelpunkt der Berichterstattung. Sie werden tendenziell dadurch als „eigentliche“ oder „wahre“ Moslems betrachtet.255 Es wird im weiteren Verlauf auch zu schauen sein, wie die Un terscheidung zwischen extremistischen und moderaten Formen des islam ischen Fundamentalismus und Islams im Allgemeinen in der Türkei aussieht. Ist die Kodierung ähnlich wie in Deutschland und anderen europäischen Ländern ? (3) Die öffentliche Meinung tendiert zur Dekontextualisierung des Fundam entalismus. Man könnte die Au ssage von Hafez auch weiter fassen und von einer Dekontextualisierung des gesamten Islams sprechen. Auch Hippler und Lueg beschreiben diese Tendenz: „Viele Autoren bedienen sich bei ihren Ausführungen über den Islam der A rgumentationsmuster der ‚Fundamentalisten’. Sie bill igen dem Islam keinen historischen Entwicklungsprozeß zu, sondern definieren ihn entweder auf der Basis seiner frühsten Geschichte oder ausschließlich durch den Koran und die Prophetentradition.“256 Damit einhergehend muss von einer Essentialisierung des Islams gesprochen werden.257 (4) Der Islam erscheint i n der Öffentlichkeit in wachsendem Maß als eine Form der Politik statt als Religion. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass eine Studie des Allensbacher Instituts von 2006 ergeben hat, dass 80 Prozent der Befragten der Meinung sind, der Islam sei eine fanatische und gewalttätige Religion.258259 255 Sabine Schiffer spricht von einem pars-pro-toto. „Ein Medienpublikum hält die dargebotenen Informationen immer pars-pro-toto für eine Schilderung der Gesamtsituation.“ (Sabine Schiffer (2005): Die Darstellung des Islam in der Presse. Sprache, Bilder, Suggestionen. Eine Aus wahl von Techniken und Beispielen. Würzburg: Ergon, S. 39) 256 Jochen Hippler / Andrea Lueg (1993): Feindbild Islam. Hamburg: Konkret-Literatur, S. 21 257 Siehe hierzu auch Heiner Bielefeldt (2007): Das Isla mbild in Deutschland. Zum öffentlichen Umgang mit der Angst vor dem Islam. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte 258 Zitiert nach: Thomas Naumann (2009): Feindbild Islam – Historische und theologische Gründe einer europäischen Angst, in Schneiders: Islamfeindlichkeit, in Schneiders, Thorsten Gerald [Hrsg.]: Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen. Wiesbaden: VS Verlag, S. 19-38 259 Für weitere Überblicksdarstellunge n zum Islambild in Deutschland und Europa: Elisabeth Beck Gernsheim (2007): Wir und die Anderen. Kopftuch, Zwangsheirat und andere Mißverständnisse. Frankfurt am Main: Suhrkamp; Franco Cardini (2004): Europa und der Islam. Geschichte eines Mißverständnisses. München: C.H.Beck; Ludwig Hagemann (1999): Christentum contra Isla m. Eine Geschichte g escheiterter Beziehungen, Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, Peter Heine (2002): Kon flikt der Kulturen oder Feindbild Islam. Alte Vorurteile, neue Klischees, reale Gefahren, Freiburg: Herder; Karin Hörner (1993): Das Islam -Bild der Deutschen. Von G oethe bis Karl May , in: Rotter, Gernot [Hrsg.]: Die Welten des Islam. Neunundzwanzig Vorschläge, das Unvertraute zu verstehen, Frankfurt: Fischer, S. 206 – 210; Jean Jacques Waardenburg (2003): Musli ms and others. Berlin [u.a.] : de Gru yter; Orell Witthuhn (2007) [Hrsg.]: Bilder des Or ients. Marburg: Universitätsbibliothek Marburg; Ruth W odak / Bernd Matouschek (1993): Wir und die anderen: Diskurse über Fremde, in: Journal für Sozial-
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5.2 Verknüpfung mit Migrationsdiskurs Der Migrationsdiskurs ist seit Beginn der Arbeitsmigration aus islamischen Ländern immer schon zugleich auc h Islamdiskurs gewesen. Jedoch spielte die Verknüpfung von Islam - und Migrationsdiskurs anfänglich eine e her untergeordnete Rolle, wie die folgende Darstellung zeigen soll. Eine stärkere Betonung der Religion der eingewanderten M uslime erfolgte in den zurückliegenden 30 Jahren. Spätestens seit dem 11. September 2011 scheinen sich der politische Islamdiskurs und der Integrationsdiskurs in Deutschland immer deutlicher zu überlappen.260 Seit Beginn der Migration von ausländischen Arbeitskräften sind die Zugewanderten mit Vorbehalten der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert. Die Einstellung ihnen gegenüber manifestiert sich im Begriff de s „Gastarbeiters“, der eine soziale Klassifizierung i mpliziert. Der typische Ga starbeiter kommt aus rückschrittlichen Mittelmeerländern und verrichtet einfache Arbeiten. Weil ihre Arbeitskraft aber zum sozialen Aufstieg der Deutschen führte, hielten sich V orurteile und Ressentim ents gegenüber Mi granten zunächst insgesamt in Grenzen.261 Nach Berechnungen von Friedrich Heckmann gelang in den zehn Jahren von 1960 bis 1970 2,3 Millionen Deutschen der „Aufstieg von Arbeiter- in Angestelltenpositionen, vor allem wegen der Ausländerbeschäftigung“.262 Mit der Rezession von 19 66/67 verschlechterte sich d ie Einstellung der Deutschen gegenüber den „Gastarbeitern“. Der Ausdruck des Gastarbeiters bekam ab diesem Zeitpunkt einen zunehmend negativeren Klang. Sprachlichen Ausdruck fand die gesellschaftliche Veränderung auch im Aufkommen des Begriffes de r Ausländerfeindlichkeit als Synonym zu Fremdenhass.263 Ab den Achtziger Jahren, auch mit der sich aufdrä ngenden „Asylfrage“, war der Disk urs um Zuwanderung zunehmend gekennzeichnet durch ra ssisti-
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forschung 33, H.3, S. 293 – 302; Susan Schenk (2009): Das Islambild im internationalen Fernsehen. Berlin: Frank & Timme; Iver B. Neu mann (1999): Uses of the Other. `The East´ in European Identity Formation. Minneapolis: University of Minnesota Press Vgl. Siegfried Jäger / Dirk Hal m [Hrsg.] (2007): Mediale Barrieren. Ras sismus als Integrationshindernis. Münster Vgl. dazu Margarete Jäger (1996): Fatale Effe kte, S. 72f. – Jäger verweist auch auf R olf Meinhardt (1984) [Hrsg.]: Türken raus ? oder Verteidigt den sozialen Frieden, Reinbeck bei Hamburg Karl-Heinz Meier-Braun (2002): Deutschland, Einwanderungsland. Frankfurt: Suhrkamp, S. 35 Matthias Jung / Thomas Niehr / Kari n Böke (2000): Ausländer und Migranten im Spiegel der Presse, S. 94
5.2 Verknüpfung mit Migrationsdiskurs
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sche Vorbehalte. Dabei erfolgte die negative Beurteilung von Mensc hen nicht nur aufgrund ihrer biologischen Andersartigkeit.264 Zunehmend entwickelte sich der hegemoniale Diskurs weg vom „alten“ Rassism us hin zu einem kulturdifferenzialisten.265 Hierbei wird von einer Rassenkonstruktion ausgegangen, deren Hauptmerkmal die Zuweisung einer Kultur als etwas Starres, Ahistorisches ist und das maßgeblich die nationale Identität ausmacht. Nicht die biologische Vererbung wird in der Argum entation vorangestellt, sondern die vermeintlich unaufhebbare Differenz der Kulturen.266 Sprachlich fand der Rassismus der 80er Jahre unter anderem Ausdruck in dem neuen Begriff des „Asylanten“, dessen Karriere Jürgen Link e rforscht hat.267 Das Wort tauchte bereits in den 60er Jahren in juristischen Kommentaren auf, wo er noch neutral verwandt wurde. 1977/78 sind erste Verwendungen im mediopolitischen Diskurs nachweisbar und scho n 1980 hatte sich der Begriff durchgesetzt. Dass der Begriff „verhängnisvolle Bilder“ wie „Asylantenströme“ oder „Asylantenfluten“ hervorruft, verstärkt seine negative Aufladung. Heute ist a ngesichts der verschwindend geringen Asylbewerberzahlen infolge des „Asylkompromisses“ der Diskurs um Asyl in de n Hintergrund gerückt. Stattdessen hat er sich dahingehend gewandelt, dass zumindest weitgehend Konsens ist, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. S eit dem Zuwanderungsgesetz von 2000 wird auch von staatlicher Seite dieses Faktum anerkannt. Einigkeit besteht auch in der Notwendig einer entsprechenden Integrationspolitik. Nur noch wenige werden nicht müde zu betonen, dass Deutschland kein „Einwanderungsland im klassischen Sinne“268 ist. Gemeinsam mit der Ein264 Vgl. dazu Margarete Jäger: Fatale Ef fekte, S. 74f.; Jürg en Link: Schönhuber in der Nationalelf: Halbrechts, rechtsaußen, oder im Abseits?, S. 5; Jürgen Link spricht von einem Neorassismus statt von Kulturdifferenzialism us, Siegfried Jäger in älteren Publikationen auch (siehe Siegfried Jäger / P aul Jobst (1991): Von Menschen und Schweinen. Der Singer-Diskurs u nd seine Funktion für den Neo-Rassismus. Duisburg: DISS) 265 Zum Begriff des Kulturdifferenzia lismus siehe Etienne Balibar / Im manuel Wallerstein (1990): Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten. Hamburg [u.a.] 266 Zum Verhältnis von Rassism us und Einwander ungsdiskurs siehe: Sieg fried Jäger / Jürge n Link (1993) [Hrsg.]: Die vierte Gewalt. Duisbur g: DISS; Jäger, Margarete (1997): Von deu tschen Einzeltätern und ausländischen Banden. Medien und Straftaten; Scheffer, Bernd [Hrsg.]: Medien und Fremdenfeindlichkeit. Opladen; Jäger, Margarete: Fatale Effekte; Jäger, Siegfried: BrandSätze. Duisburg 1996; Butterwegge, Chris toph [Hrsg.]: Massenmedien, Migration und Integration. Wiesbaden 2006 267 Vgl. Jürgen Link (1988): Medien u nd „Asylanten“, in: Thränhardt, Dietrich [Hrsg.]: Flucht und Asyl. Freiburg im Breisgau, S. 50-61 268 Damit ist weitgeh end gemeint, dass Deutschland überhaupt kein Einwanderungsland ist. Die Rhetorik stammt aus den frühen 1970er Jahren. Vgl. dazu Matthias Jung / Thomas Niehr / Karin Böke (2000): Ausländer und Migranten im Spiegel der Presse, S. 156ff.
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5. Diskursiver Kontext
sicht, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, verlangt die Ausländerpolitik aber von den Migranten eine „Integration bei hohen Auflagen mit dem Ziel der Assimilation“.269 5.3 Islam- und Westbild in der Türkei Das Islambild in der Türkei kann an dieser Stelle nicht vollständig, ja nicht einmal annähernd hinreichend, dargestellt werden. Dem Forschenden ist keine umfassende Arbeit zum Islam- und/oder zum Westbild in der Türkei bekannt.270 Der ambivalente Charakter des türkischen Islambildes ist offensichtlich. Obwohl die Türkei ein m uslimisch dominiertes Land ist, gi bt sich die kemalistische Staatsdoktrin s ehr distanziert gegenüber dem Islam. Die Republikgründung 1923 war eng verbunden mit einer Ablösung religiöser Macht gewesen, unter dem Staatsgründer Mustaf a Kemal Atatürk wurden das Sultanat und das Kalifat abgeschafft. Der Islam wurde gemäß einer islamfeindlichen laizistischen Ideologie aus dem öffentlichen Leben zurückgedrängt. 1934 wurde das Tragen religiöser Trachten wie Pluderhosen und T urbane verboten. Das Verhältnis des Kemalismus zum Islam änderte sich aber in den f olgenden Jahrzehnten mehrfach. Seit 1946 unterstehen religiöse Einrichtungen dem Staat. „Durch die staatliche Übernahme religiöser Aufgaben sollte die Religion entpolitisiert und i n das Zi vilisationsprojekt integriert werden.“271 Die letzte große Zäsur in der Religionspolitik gab es m it dem Militärputsch 1980 und der Türkisch-Islamischen Synthese (TIS).272 Der Staat übernahm selbst religiöse Dienstleistungen, führte Religion als Pflicht fach in der Schule ein und schaffte eine staatliche Religionsbehörde. Es kam nicht nur zu einer Nationalisierung des Islams, sondern auch zur Islamisierung der Nation.273 Die Religion steht seitdem 269 Siegfried Jäger: Der Karikaturenstreit im „Rechts-Mitte-Links“-Diskurs deutscher Printmedien, in: Jäger, Siegfried / Halm, Dirk (2007 ) [Hrsg.]: Mediale Barrieren. Rassismus als Integrationshindernis. Münster, S. 51 – 104 270 Dies verwundert nur im ersten Augenblick. Vielmehr belegt diese Tatsache, dass die Persone n sehr tief in ihren jeweiligen Di skursen gefangen sind. Der Islam ist in d er Türkei selbstve rständlich. Aus demselben Grund gibt es auch keine systematische Arbeit zum Christenbild in Deutschland. 271 Bekim Agai (2004): Islam und Kemalismus in der Türkei Aus Politik und Zeitgeschichte B 33 - 34/ 2004 272 Cemal Karakas (2007): Türkei: Islam und Laiz ismus zwischen Staats-, Politik- und Gesellschaftsinteressen, HSFK-Report 1/2007 273 Cemal Karakas (2007): Türkei: Islam und Laiz ismus zwischen Staats-, Politik- und Gesellschaftsinteressen, HSFK-Report 1/2007
5.3 Islam- und Westbild in der Türkei
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immer stärker unter der Kontrolle des Staates. Diese Entwicklung ist Folge von fehlgeschlagenen Versuchen, den Islam aus dem öffentlichen Lebe n herauszudrängen. Der Islam gehört noch immer zu den großen Differenzlinien in der türkischen Politik. Initiativen der regierenden AKP, das Kopftuchverbot an Universitäten aufzuheben, wurden 2007 vom Militär mit Putschdrohungen beantwortet. Dabei ist interessa nt, dass sowohl von dem Militär als auch von der kemalistischen CHP der islamistische Fundamentalismus, der kurdische Separatismus und der „europäische Imperialismus“ zu einem Feindbild verknüpft wurden. Auch das Westbild in der Türkei ist höchst widersprüchlich. Einerseits gibt es im Alltag unübersehbare Einflüsse besonders der USA, andererseits wird die westliche Lebensweise hä ufig abgelehnt. Ismail Erma÷an erklärt das Westbild aus den Gründerjahren der türkischen Republik heraus. Die Eliten der „ neuen“ Türkei kä mpften sowohl gegen die os manische Monarchie als auch gegen den mit der Entente geschlossenen Vertrag von Sèvres (1920). Dieser sah vor, dass das Osmanische Reich, das den Ersten Weltkrieg verloren hatte, unter den westlichen Großmächten aufgeteilt wird.274
In keinem anderen Land ist der Antiamerikanismus stärker verbreitet als in der Türkei. Eine vergleichende Untersuchung von 47 Ländern hat ergeben, dass in der Türkei die höchste Zustimmungsrate zu a ntiamerikanischen Aussagen herrscht.275 Nur 9 Prozent der Bevölkerung sehen die USA positiv, 83 dagegen negativ. 81 Prozent der Türken mögen die amerikanischen Ideen über Demokratie nicht. Die Studie hält fest, dass die antiamerikanischen Einstellungen zwischen 2002 und 2007 deutlich angestiegen sind. Zudem hat sich nach Rückschlägen bei den EU-Beitrittsverhandlungen ein EU-Skeptizis mus breit gemacht. Dieser schlägt sich auch in der offizi ellen Außenpolitik des Lande s nieder. Sie ist weniger EU-fixiert, sondern breiter aufgestellt.276
274 Ismail Ermagan (2009): EU-Skeptizismus in der türkischen Po litik. Aus Politik und Zeitgeschichte 39 – 40/2009 275 Pew Global Attitudes Project (2007): Global unease wit h major world powers. 47-Nation Pew Global Attitudes Survey. Washington 276 Mir sind keine sy stematischen Analysen des W estbildes in der Türkei be kannt. Das türkische Westbild dürfte aber Parallelen zu dem in arabischen Ländern aufweisen, ohne sich mit ihm zu decken. Zum Westbild arabischer Medien siehe u.a.: Abdo Abboud / Ulrike Stehli-W erbeck (2008) [Hrsg.]: Die W ahrnehmung des Anderen in der arabischen W elt und i n Deutschland. Münster: Lit; Ale xander Geiger (2008): Das Bild vom Westen in der arabisch-islamischen Welt. Eine Diskursanalyse englischsprachiger Zeitungen aus dem arabisch-islamischen Raum.
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5. Diskursiver Kontext
Gernot Rotter stellt fest: „Während unser Feindbild von der angeblichen islamischen Bedrohung jahrhundertealte Wurzeln hat, ist das Feindbild ‚Westen’ in der arabischen Welt relativ jungen Datums.“277 Ähnliches dürfte auch für die Türkei gelten, denn T ürken und A raber haben durch das Osmanische Reich auch eine gemeinsame Geschichte. Rotte r fährt fort: „Da s Gefühl, durch den Westen in der eigenen kultur ellen Identität bedroht zu sei n, beginnt erst im 19. Jahrhundert mit der wachsende n Einflußnahme europäischer Staaten auf den Vorderen Orient um sich zu greifen – aber auch dann nur langsam und stets begleitet von einer m ehr oder weniger großen Bewunderung für die tec hnischen und naturwissenschaftlichen Leistungen des Westens und dem vor allem in gebildeten Kreisen weitverbreiteten Versuch, den Westen zu imitieren.“278 Im Karikaturenstreit werden wir sehen, dass die türkischen Medien eine lange Ge schichte der Unterdrückung durch den Westen erzählen.
Magdeburg: Fachschaftsrat der FGSE der Otto -von-Guericke-Universität Magdeburg; Jochen Hippler und Andrea Lueg sprechen von einem Feindbild Abendland, jedoch ohne sich erkennbar auf eigene Untersuchungen zu s tützen. „Das ‚Feindbild Abendland’ weist also ganz erstaunliche Ähnlichkeiten zu m „Feindbild Islam“ auf (Jochen Hippler / A ndrea Lueg (1993): Feindbild Islam. Hamburg: Konkret-Literatur, S. 41) 277 Gernot Rotter (1993): Wurzeln der Angst – das Feindbild der anderen Seite, in: Rotter, Gern ot [Hrsg.]: Die Welten des I slam. Neunundzwanzig Vorschläge, das Unvertraute zu verstehen. Frankfurt: Fischer, S. 219 – 222 278 Ebenda
6. Chronologie des Karikaturenstreits
Am 30. Se ptember veröffentlicht die gr ößte dänische Zeitung Jyllands Posten unter der Überschrift „Muhammeds ansigt“ (Das Gesicht Mohammeds) zwölf Karikaturen über den islamischen Religions stifter. Vorausgegangen ist die Suche des dä nischen Kinderbuchautors Klare Bluitgen nac h einem Illustrator für seine Mohammed-Biographie. Bluitgen habe, so erklärt er, im Sommer 2005, Absagen von drei Zeichnern erhalten. Niemand traue sich, gegen das Bilderverbot im Islam zu verstoßen und Mohammed zu zeichnen. Ein Redakteur der Nachrichtenagentur Ritzau, dem Bluitgen von sei nen Erlebnissen berichtet, schreibt am 16. September eine Meldung hierüber. „Dänische Künstler haben Angst vor Islam-Kritik”, lautet die Überschrift des Artikels. Bluitgens Buch erscheint schließlich mit Zeichnungen eines anonymen Illustrators. Warum die besagten drei Zeichne r abgesagt haben, lässt sich nicht überprüfen, weil ihre Identität unbekannt bleibt. Einige Journalisten vermuten daher, dass es sich um einen PR-Trick Bluitgens gehandelt habe. Die Jyllands Posten aber sieht nach eigener Auskunft eine Selbstzensur in Dänemark und bittet 40 Karikaturisten zu zeichnen, wie sie Mohammed sehen. Zwölf Zeichnungen gehen bei der Redaktion ein, die alle veröffentlicht werden. Im deutschen Mitte-Diskurs wird die vermeintlich geringe Quote an Rückläufen als Beleg für Selbstzensur und Angst vor Muslimen gewertet. Die Frankfurter Rundschau widerspricht aber. 15 der 40 Angeschriebenen waren nicht mehr aktiv, andere lehnten ab, weil sie bei anderen Zeitungen unter Vertrag standen oder keine Zeit hatten, einige, weil ihnen das Thema nicht lag. Zwölf Zeichner schickten i hre Entwürfe, für die sie je 8 00 Kronen (108 Euro) erhielten. (FR: Chronik eines erhofften Streits, 25. Februar)
Viele deutsche Zeitungen, besonders sich politisch links verortende, machen auch auf einen anderen Kontext aufmerksam. Die dänische Ausländerpolitik sei nach dem Antritt der Regierung Rasm ussen die restriktivste in ganz Europa ge worden. So dürfen beispielsweise MigrantInnen keine Partner in ihren Herkunftsländern heiraten, um sie anschließend nach Dänemark nachzuholen. Auch der Diskurs um Migranten sei – besonders aufgrund der harten Rhetorik der Dänischen Volkspartei (die die Minderheitsregierung von Fogh Rasmussen tole-
M. Ata, Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien, DOI 10.1007/978-3-531-94091-5_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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rierte) – besonders scharf. Am 25. September 2005 erklärt der konservative Kulturminister Brian Mikkelsen in einer Rede auf einem Parteitag: Mitten in unsere m Land, in unserem eigenen Land ent wickelt sich eine Parallelgesellschaft279, in der Minderheiten ihre mittelalterliche Werte und undemokratische Weltanschauung praktizieren. Das können und dürfen wir nicht akzeptieren. Genau hier liegt die neue Front unseres Kulturka mpfes. Eine mittelalterliche moslemische Kultur wird niemals gleichberechtigt neben der dänischen stehen, die sich hier auf u nserem Boden entwickelt hat.
Und wenige Tage später vergleicht die Kandidatin der Dänischen Volkspartei für den Kopenhagener Oberbürgermeisterposten, Louise Frevert, Moslems mit Krebsgeschwüren (Rheinischer Merkur: Rutschbahn des Rassismus, 23. Februar). Nur selten erwähnen türkische Zeitungen den Kontext der Ausländerfeindlichkeit in Dänemark. Auch die Vorgeschichte mit Bluitgen spielt nur ausnahmsweise eine Rolle in der Berichterstattung der türkischen Zeitungen. Die Mohammed-Karikaturen werden im Kul turteil der Jyllands Posten abgedruckt. In dem Artikel da zu schreibt der Ressortleiter Flemming Rose, dass die Jyllands Posten einen Schlag für Pressefreiheit und gegen eine durch political correctness verursachte Selbstzensur setze. Jytte Klausen hält fest: „The aggressive tone taken by the newspaper’s editorial was commonplace in contemporary Danish discourse. Indeed, several commentators observed later that the editorial simply repeated what some Danish politicians and commentators had been saying for years.”280 Die Karikaturen führen nicht unmittelbar zu heftigen Reaktionen. „Größere Aufmerksamkeit findet die Affäre erst, als die Zeitung am 9. Oktober den für seine ra dikalen Haltungen bekannten Imam Raed Hlay hel befragt.” (FR: Chronik eines erhofften Streits, 25. Februar) Die Reaktionen scheint die Jyllands Posten somit gleich in zweifac her Hinsicht provoziert zu haben: Zum einen durch die Karikaturen selbst, zum anderen a ber durch das Nachfragen bei Imamen. Es ist also anzune hmen, dass die Jyllands Posten eine bewusste Provokation herbeiführen wollte. Am 14. Okt ober kommt es zur er sten Demonstration gegen die Mohammed-Karikaturen. 3.500 bis 5.000 Menschen protestieren friedlich in Kopenhagen. In diesen Zeitraum fallen aber auch die ersten Morddrohungen gegen Karikaturisten. Die dänische Polizei rät zwei Zeichnern unterzutauchen. Drei Tage
279 Vgl. Werner Köster (2009 ) [Hrsg.]: „Parallelgesellschaften“ – Diskursanalysen zur Dramatisierung von Migration. Essen Klartext Verlag. 280 Jytte Klausen (2009): The cartoons that shook the world. New Haven / L ondon: Yale University Press, S. 14
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später druckt die ägyptische Zeitung al-Fagr sechs der umstrittenen Karikaturen nach und beschreibt sie als „rassistisch e Bombe”. Der Abdruck führt zu keinen Protesten, auch gibt es keine Konsequenzen für den Chefredakteur der Zeitung. Der Streit eskaliert weiter und erreicht internationale diplomatische Kreise. Am 19. Oktober 2005 beschweren sich elf Bo tschafter von islamischen Ländern, darunter Bosnien und die Tür kei, beim dänischen Ministerpräsidenten Fogh Anders Rasmussen und bitten ihn um ein Gespräch. Dieser lehnt die Gesprächsanfrage ab. Z ugleich wertet er das Ersuchen der Botschafter als Beleg dafür, dass die Türkei nicht bereit sei fü r eine EU-Mitgliedschaft. In de m Brief an Rasmussen erklären die Botschafter, über „on-going smearing campaign in Danish public circles and m edia against Islam and Muslims” reden zu wollen. Den Diplomaten ging es also nicht nur um die Karikaturen, sondern auch um die öffentlichen Äußerungen vom Kulturminister Mikkelsen und de r VolksparteiPolitikerin Frevert. Der Brief endet m it folgendem Satz: „We deplore these statements and publications and urge Your Excellency’s government to take all those responsible to task under law of the l and in the interest of i nter-faith harmony, better integration and Denmark's overall relations with the Muslim world.” „Take all those responsible to task under law of the land“ kann als Aufforderung, unter Berücksichtigung der Gesetze des Landes alle m öglichen Schritte zu ergreifen verstanden werden oder als Aufforderung, die Verantwortlichen juristisch zu belangen. Der Streit um die Deutung der Textpassage spiegelt sich stellenweise im deutschen Diskurs wider. Am 28. Oktober erstatten dä nische Muslime Anzeige gegen die Jyllands Posten. Die Strafanzeige wird später von der Staatsanwaltschaft fallen gelassen. Vom 3. bis zum 11. Dezember reist die erste Delegation dänischer Imame nach Ägypten. Die dortige Regierung nimmt daraufhin Kontakt mit der A rabischen Liga und dem Islamischen Weltkongress auf. In Pakistan streiken am 7. Dezember Menschen als Reaktion auf die Mohammed-Zeichnungen. Vom 17. bis 31. Dezember folgt die Reise einer zweiten Delegation dänischer Imame. Sie bereist Libanon, Türkei, Suden, Marokko, Algerien und Katar, um auf die Ka rikaturen aufmerksam zu machen. Beide Delegationen haben ein 42-seitiges Dossier dabei, das neben den Mohammed-Karikaturen und Zeitungsberichten drei zusätzliche Zeichnungen enthält. Eines diese r Bilder zeigt einen Mann m it einer Schweinenase. Das A genturfoto sei de n Muslimen anonym als Moham medDarstellung zugesandt worden, erklären dänische Imame später. Jyllands Posten wirft den Muslimen hingegen vor, m it dem Foto entscheidend zur Eskalation beigetragen zu haben. Am 19. Dezember kritisieren 22 ehem alige dänische Bot schafter den Ministerpräsidenten Rasmussen wegen seiner Abweisung von Botschaftern aus is-
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lamischen Ländern. A uch der Europarat be anstandet das Verhalten der dänischen Regierung. Zehn Tage später folgt Kritik der Arabischen Liga an der Untätigkeit der dänischen Regierung im Karikaturenstreit. Jytte Klausen betont in ihrem Buch, dass die muslimischen Diplomaten keine Entschuldigung gefordert haben, wie später behauptet wurde. „The Muslim diplomats and the letters and diplomatic communiqués from Egypt, the Organization of the Islamic Conference, and the Arab League did not state that an apology was require d.”281 Bei seiner Neujahrsansprache am 1. Ja nuar 2006 verteidigt Rasmussen die Pressefreiheit, erklärt aber auch, er verurteile „jede Aussage oder Handlung, die versucht, Gruppen von Menschen auf grund ihrer Religion oder ethnischen Herkunft zu däm onisieren.” Am 10. Januar druckt die nor wegische Zeitschrift Magazinet die Mohammed-Karikaturen nach. Die norwegische Regierung verurteilt sehr schnell die Aktion der christlichen Zeitschrift, trotzdem führt der Nachdruck zu einer Eskalation des K onfliktes. Am 26. Januar ruft Saudi Arabien seinen Botschafter aus Dänemark zurück. Ägypten, Syrien, Pakistan, Indonesien, Bosnien-Herzegowina und Iran richten formelle Beschwerden an die dänische Regierung, auch machen erste Boykott-Aufrufe die Runde. Drei Tage später schließt Libyen seine Botschaft in Kopenhagen und droht Dänemark mit einem Wirtschaftsboykott. Eine weitere Es kalation erfolgt am 30. Ja nuar: Bewaffnete Kämpfer der paläst inensischen Al-Aksa-Brigaden überfallen das EUBüro in Gaza und fordern eine Entschuldigung von Dänemark und Norwegen. Das Außenministerium in Kopenhagen spricht Reisewarnungen für viele islamische Länder aus. In Mekka werden zwei Mitarbeiter des dänisch-schwedischen Molkereikonzerns Arla überfallen. Jyllands Posten veröffentlicht eine Entschuldigung auf ihrer Homepage. Dabei entschuldigt sich die Z eitung für die Verletzung der Gefühle der Musli me, nicht aber für den Abdr uck der Karikaturen selbst. Zugleich erklärt Rasmussen, dass er als Privat person niemals Mohammed, Jesus auf eine Art darstellen würde, die andere Menschen kränken könnte. 17 Außenminister von islamischen Ländern fordern am selben Tag die Bestrafung der „Verantwortlichen” für die Kari katuren. Muslimische Organisationen in Dänemark nehmen die Entschuldigung der Jyllands Posten zunächst positiv auf; damit scheint der Streit zu Ende zu gehen. Doch zur selben Zeit ge hen bei der Jyllands Posten in Aarhaus Bombendrohungen ein. Ein Tag später erklären die muslimischen Verbände in Dänemark, dass die Entschuldigung nicht weit genug gehe. Auch Protestierende in islamischen Ländern zeigen sich unbeeindruckt. Magazinet bedauert die Verletzung religiöser Gefühle.
281 Jytte Klausen (2009): The cartoons that shook the world, S. 32 f.
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Mit der Entschuldigung der Jyllands Posten und der gewalttätigen Eskalation des Konfliktes beginnt die Berichterstattung in den meisten deutschen und türkischen Zeitungen. Dabei betonen die deutschen Zeitungen eher die Gewalt im Nahen Ost en, die tür kischen Zeitungen hingegen die Entschuldigung der Jyllands Posten sowie die Distanzierung von Ministerpräsident Rasmussen. Am 1. Februar drucken mehrere Zeitungen in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien die Karikaturen ganz oder teilweise nach. Der Verlagsleiter der französischen Zeitung France Soir, Jacques Lefranc, wird vom ägyptischen Zeitungsbesitzer Raymond Lakah wegen des Nachdrucks entlassen. In Deutschland veröffentlicht die Welt alle zwölf Kari katuren. Die Zeit, FAZ, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Der Spiegel, der Focus und die taz drucken im Laufe des Februar 2006 einige der Karikaturen nach. In den türkischen Zeitungen wird vor allem der Nachdruck in der Welt und – noch stärker – in der France Soir thematisiert. Einige türkische Zeitungen, unter ihnen die Sabah und die Akúam, sehen in ihnen den Hauptgrund für die Eskalation des Konfliktes. Noch am 1. Februa r geht die Sabah, als sie vom Nachdruck in europäischen Zeitungen nichts wusste, von einem Ende des Konfliktes aus. Keine türkische Zeitung druckt die Mohammed-Karikaturen nach. Auch werden in kei ner Zeitung alle zwölf Ka rikaturen ausführlich beschrieben. Das hat zur Folge, dass wohl nur die wenigsten türkischen LeserInnen die Karikaturen kennen. Auch wenige türkische Politiker haben die Karikaturen zu Gesicht bekommen. In der Vatan-Ausgabe vom 9. Februa r betont eine Meldung, dass Ministerpräsident Tayyip Erdo÷an und Außenminister Abdullah Gül die Karikaturen kennen. Die Vorsitzenden der liberalkonservativen ANAP, der konservativen DYP und der kemalistischen CHP hätten die Karikaturen hingegen nicht gesehen (bzw. nicht sehe n wollen). Zudem heißt es in de r Nachricht, dass die meisten Parlamentarier in der Türkei angegeben hätten, die Karikaturen nicht gesehen zu haben. Am 2. Februa r druckt auch die jordanische Zeitung Shihan MohammedZeichnungen nach und fragt, was dem Islam mehr schadet: die Karikaturen oder Enthauptungen im Namen der Religion. Der Chefredakteur des Blattes wird daraufhin entlassen. Jytte Klausen schreibt, dass bis Ende Fe bruar 143 Zeitungen in 56 Lä ndern mindestens eine Karikatur abgedruckt haben.282 Dabei verläuft die Grenze zwischen abdruckenden und nicht-abdruckenden Zeitungen nicht zwischen links- und rechtsgerichteten Blättern. Sie verläuft regional: „The important difference was instead regional: papers from Germany, the Netherlands,
282 Jytte Klausen (2009): The cartoons that shook the world, S. 49
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Italy, and Fra nce were pa rticularly inclined to declare sol idarity with Jyllands Posten, whereas American und British editors hesitated and were more likely to decide that the cartoons had crossed the line of decent criticism.”283 Die EU-Kommission bemüht sich in den Folgetagen um Beruhigung. Der Innen- und Justizkom missar Franco Frattini erklärt am 2. Februar, er verstehe den Ärger der Moslems. Am gleichen Tag m acht der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble in de r Welt klar, dass er eine Entschul digung für den Abdruck der Karikaturen in deutschen Zeitungen ablehne. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes sagt am nächsten Tag in der Frankfurter Rundschau, er halte es für richtig, dass Zeitungen die Karikaturen nachdrucken (FR: „Zeitungen haben die Pflicht zur Dokumentation”, 3. Februar) Muslimische Spitzenverbände wie DITIB und der Zentralrat der Muslim e distanzieren sich derweil von Gewalt. Der dänische Ministerpräsident Rasmussen sagt vor Botschaftern von 75 Ländern, dass er sich nicht für die Karikaturen entschuldigen werde. Bei einem bei einem Treffen mit dem französischen Außenminister Philippe Douste Blazy beklagt sich Erdo ÷an, dass die Mohammed-Karikaturen ein Angriff auf „unsere“ geistigen Werte sind. Zugleich fordert er Grenzen für die Pressefreiheit. An diesem Tag und an den Folgetagen demonstrieren zehntausende Menschen im Nahen Osten, Nord-Afrika und Asien gegen die Karikaturen. In Syrien greifen Demonstranten die dänische und nor wegische Botschaft a n. UNGeneralsekretär Kofi Annan ruft zur Ruhe auf und fordert, die E ntschuldigung der Jyllands Posten zu akze ptieren. Libanesische Demonstranten stecken die dänische Botschaft in Beirut in Brand und verwüsten ei n christliches Viertel. Innenminister Hassan Sabeh tritt infolge der gewalttätigen Proteste zurück. Am 5. Februar wird der italienische Priester Andrea Santoro in der türkischen Stadt Trabzon getötet. Türkisch e Zeitungen spekulieren, dass die Tat im Zusammenhang mit dem Karikaturenstreit stehen könne. Als der jugendliche Mörder zwei Tage nach der Tat gesc hnappt wird, gibt er tatsächlich die Wut über die M ohammed-Karikaturen als Mo tiv an. Am selben Tag zitiert die Milliyet zwei Oppositionsführer, die Entschuldigungen von europäischen Ländern verlangen. Der Vorsitzende der kemalistischen CHP, Deniz Baykal, fordert sogar, dass sich Rasm ussen und andere Staatenlenker bei der ganzen Welt für die Karikaturen entschuldigen müssten. Dabei hat er die Karikaturen gar nicht gesehen.
283 Jytte Klausen (2009): The cartoons that shook the world, S. 51
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Am 6. Februa r werden mindestens fünf Menschen in Afghanistan von Sicherheitskräften getötet, ei n Mensch s tirbt in Som alia. Mehrere hundert Demonstranten greifen die österreichische und dänische Botschaft in Te heran an. In der Türkei bilden drei Minister eine Kommission, um im Karikaturenstreit mäßigend zu agieren. Außenminister Gül fordert ein gemeinsames Treffen der Organisation der Islamischen Konferenz und der Europäischen Union. Am selben Tag erscheint im International Herald Tribune ein gemeinsamer Appell des türkischen Ministerpräsidenten Erdo÷an und seines sp anischen Amtskollegen José Luis R odríguez Zapatero. „Wir werden alle Verlierer sein, wenn es uns nicht gelingt, die Situation sofort zu entschärfen, die in ihrem Sog nur einen Pfad von Misstraue n und Missverständnis zwischen beiden Seiten hinterlassen kann“, schreiben die Minist erpräsidenten. In fast allen türkische n Zeitungen wird der Brief positiv bis euphorisch aufgenommen. Afghanische Polizisten schießen am 7. Februar in eine Demonstration, die versucht, eine norwegische Nato-Station zu stürmen. Die iranische Zeitung Hamshahri, die im Besitz der Tehe raner Stadtverwaltung ist, ruft eine n „Holocaust-Karikaturenwettbewerb” aus, um – wie sie erklärt – die Grenzen der westlichen Pressefreiheit auszutesten. Während deutsche Zeitungen den Wettbewerb verurteilen, nehmen türkische Zeitungen sie kaum zur Kenntnis. In einigen türkischen Blättern ersc heint nicht m al eine eigene Meldung z um Wettbewerb. Später wird der Kulturchef der Jyllands Posten, Flemming Rose, ankündigen, im Rahmen des Wettbewerbs entstandene Karikaturen nachzudrucken. Sein Chefredakteur dementiert jedoch und schickt Rose in den Zwangsurlaub. Erneut wird die dänische Botschaft in Teheran angegriffen. Der Iran erklärt, alle Wirtschaftskontakte mit Dänemark abzubrechen. Bis dato betrug das Handelsvolumen jährlich rund 235 Millionen Euro. Die Mohammed-Karikaturen werden am 8. Februa r im französischen Magazin Charlie Hebdo abgedruckt, was Ministerpräsident Chacque Chirac umgehend kritisiert. Die Orga nisation der Islamischen Konferenz, die Vereinten Nationen und die Europäische Union rufen an diesem Tag Muslime zur Ruhe auf. In Deutschland sagt Harald Schmidt der taz, dass er von Islam-Witzen die Finger lasse. „Sie brauchen die nötige Portion Feigheit”, erklärt er im Interview (taz: „Man braucht die nötige Portion Feigheit”, 8. Februar) Diese Aussage wird in vielen anderen Zeitungen aufgegriffen. In der türkischen Hauptstadt Ankara demonstrieren 500 Anhänger der rechtsextremen MHP vor der dänischen Botschaft. 16 türkische Verbände in Deutschland, darunter auch DITIB und Milli Görüs, verurteilen in einer gemeinsamen Erklärung die gewaltsamen Reaktionen auf die Mohammed-Karikaturen. Der Generalsekretär der Milli Görü ú, O÷uz
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Üçüncü, sagt bei der Vorstellung der Erklärung: „Die Bilder brenne nder Botschaften stürzen uns in tief e Sorge.” Den Holocaust-Wettbewerb im Iran bezeichnet Üçüncü als „ makaber“. Die türkis chen Verbände fordern auch einen sensiblen Umgang mit den Gefühlen gläubiger Muslime. Rund 700.000 Schiiten demonstrieren am 9. Februar anlässlich des Aschura-Festes gegen die Karikaturen. Nach Ansicht des CSU-Landes gruppenchefs Peter Ramsauer führt der Aufruhr in der islamischen Welt vor Augen, wie wenig berechenbar der „islamische Bereich” sei. Deshalb lehne er einen EU-Beitritt der Türkei ab. Nachde m sich die USA mit Erklärungen zurückgehalten hatten, wirft di e Außenministerin Condoleezza Rice Syrien und Iran vor, gezielt anti-westliche Emotionen zu schüren. In Paris rufen etwa 100 arabische und französis che Intellektuelle zu „Mäß igung und Weisheit” auf. In der Bild-Zeitung und der Hürriyet erscheint ein gem einsamer Brief der beiden Chefredakteure Kai Diekmann und Ertugrul Özkök; die Idee zur gem einsamen Aktion hatte laut Özkök Kai Diekmann (Hürriyet: Kuzey HoyratlÕ÷Õ, 8. Februar). Im Text mit der Überschrift „W ir sind Freunde” lehnen die Autoren „jegliche Form der Gewalt” ab und betonen die gemeinsamen Werte der christlichen und islamischen Welt. Das Gebot der Stunde sei , die F reundschaft zwischen Muslimen und Christen zu vertiefen. Die Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali gibt in Berlin eine Pressekonferenz, bei der sie von allen Zeitungen den Nachdruck der Karikaturen fordert. Sie verteidige das „Recht auf Beleidigung”. Am 10. Februar protestieren Zehntausende in Malaysia und ande ren asiatischen Ländern gegen die Mohammed-Zeich nungen. Die ägyptische Regi erung verbietet den Spiegel und den Focus, weil die Nachric htenmagazine Mohammed-Karikaturen nachgedruckt haben. Zugleich erscheint im Tagesspiegel eine Zeichnung von Klaus Stuttmann, mit der er den geplanten Einsatz der Bundeswehr im Inneren während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 kritisiert. Zu sehen sind vier iranische Fußballspieler mit Bomben-Gürteln und vier bewaffnete Soldaten. Die Karikatur hat keinen Bezug zu den Mohammed-Zeichnungen oder anderen religiösen Themen. Trotzdem protestieren Iraner aus de r ganzen Welt per Email. Der Generalsekretär der iranischen Sportpressegemeinschaft fordert eine Entschuldigung vom Tagesspiegel, auch die iranische Botschaft protestiert gegen die Ka rikaturen. Stuttmann erhält drei Mor ddrohungen und tauc ht aus Angst unter. In den Folgetagen äußern sich die Chefredakteure des Tagesspiegels zum Konflikt und weise n die Vorwürfe aus dem Iran zurück. Viele andere Zeichner solidarisieren sich mit Stuttmann. Am 10. Februar findet eine Aktuelle Stunde im Bundestag zum Karikaturenstreit statt, die von den Grünen beantragt wurde. In der schlecht besuchten Sitzung preisen praktisch alle Rednerinnen und Redner einen „Dialog der Kulturen” und verurteilten die Gewalt in islam ischen
6. Chronologie des Karikaturenstreits
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Ländern. Der Linke-Abgeordnete Norman Paech weicht von den übri gen RednerInnen ab und erklärt: „Der Hass m uss vorher da sein, bevor er z u einem Instrument der Gewalt gemacht werden kann.” Als Deeskalations-Maßnahme fordert er einen „Abzug aller Besatzungstruppen aus dem Irak“. 4000 Menschen demonstrieren in Berlin und anderen deutschen Städten friedlich gegen die Ka rikaturen. In der Bild-Zeitung und in de r Hürriyet erscheint ein gemeinsamer Brief der Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Abdullah Gül, mit de m sie für Freiheit, Toleranz und Respekt plädieren (Bild: Gemeinsam für Freiheit, Toleranz und Respekt!, 11. Fe bruar) Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdo÷an appelliert in ei nem Brief an die UNMitglieder, im Karikat urenstreit vernünftig und m it gesundem Menschenverstand zu agieren. Er fordert, den globalen Frieden und die gemeinsamen Werte zu schützen. Währenddessen protestieren erneut Menschen in der Türkei gegen die Veröffentlichung der Kari katuren. Im anatolischen Kayseri beteiligen sich rund 10.000 Menschen an einer Kundgebung, in Van 1000 Menschen. Kleinere Protestaktionen finden in weiteren türkischen Städten statt. Aus Angst vor Übergriffen ruft Dänemarks Regierung am 12. Februar ihre Staatsbürger auf, Indonesien zu verlassen. Zugleich ziehen die Dänen ihre Botschafter aus Syrien und Iran zurüc k. Steinmeier fliegt an diesem Tag zu Antrittsbesuchen in den Nahen Osten. Im Mittelpunkt der Gespräche steht laut Medienberichten der Karikaturenstreit. Im osttürkischen DiyarbakÕr protestieren etwa 50.000 Menschen gegen die Veröffentlichung der MohammedKarikaturen, während in Istanbul Demonstranten das französische Konsulat mit Eiern bewerfen. Zwei Tage später t öten pakistanische Sicherheitskräfte zwei Protestierende. Die britische und die deutsche Botschaft in Te heran werden angegriffen. Am 15. Fe bruar protestieren tausende Menschen in Pakistan, es kommt zu Ausschreitunge n. Mindestens drei Menschen werden in Pes chawar und Lahore getötet. Am nächsten Tag gehen im pakistanischen Karachi 50.000 Menschen auf die Straße. Mindestens 10 Personen sterben am 17. Februar bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften in der libyschen Stadt Benghazi, als Menschen vor dem italienischen Konsulat demonstrieren. Pakistan nimmt rund 100 Mensc hen fest, um die Proteste einzudäm men, während Dänemark wegen Sicherheitsbedenken zw ischenzeitlich seine Botschaft in Islamabad schließt. Am 18. Februar sterben bei Angriffen auf christliche Kirchen und Geschäfte im nordnigerianischen Maiduguri mindestens 16 Menschen. Im Zuge der gegenseitigen Gewalt kommen ru nd 200 Mens chen in Nigeria ums Leben. Der italienische Reformminister Roberto Calderoli, Mitglied der rechtsgerichteten Lega-Nord, tritt nach Protesten gegen seine Tshirt-Provokation zu-
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6. Chronologie des Karikaturenstreits
rück. Einen Tag später demonstrieren über 50.000 Menschen284 in Istanbul gegen die Karikaturen. Aufgerufen hatten die islamistische Saadet Partei und 32 Vorfeldorganisationen. Nach einer erneuten Eskalation in Ni geria ruft de r Papst am 20. Februar Christen und Muslime zum Ende der Gewalt auf. Am 26. Fe bruar findet eine weitere Großdemonstration in Karachi, Pakistan, statt. Diesm al protestieren mehr als 25.000 Menschen gegen die Karikaturen. Am 1. März veröffentlicht die französische Zeitung Charlie Hebdo ein „Manifest gegen isla mischen Totalitarismus”, das von Salm an Rushdie, Ayaan Hirsi Ali und anderen unterzeichnet ist. Es wir d in Deutschland von Spiegel Online veröffentlicht. Der deutsche Presserat erklärt am 3. März den Nachdruck der Karikaturen in der Welt für vereinbar mit dem Pressekodex. Am 4. März protestierenden wieder Menschen in Karachi gegen die Moham med-Zeichnungen. Die Ka rikaturen-Gegner bringen diesmal etwa 50.000 Menschen auf die Straße. 20.000 Menschen demonstrieren derweil im osttürkischen Erzurum. Jytte Klausen hat errechnet, dass infolge des Karikaturenstreits 241 bis 248 Menschen gestorben sind. Mit mehr als 200 Tote n kommt der überwiegende Teil der Opfe r aus Ni geria.285 Die Kari katurenkrise führt für Dä nemark zu einem Verlust von Ansehen und zu wirtschaftlichen Nachteilen. Infolge des Boykotts halbiert sich das Ha ndelsvolumen mit Iran und Saudi Ara bien. Im April 2008 erklärt ein Sprecher des Molkerei-Konzerns Arla, dass die Absätze im Nahen Osten in 2006 zum Erliegen kamen. 2007 hatte der Konzern weniger als die Hälfte des Umsatzes aus der Zeit vor der Karikaturenkrise erreicht. 286 Politisch gehört die Dänische Volkspartei zu den Gewinnerinnen des Streits: Ende Februar 2006 steigt sie in U mfragen auf 17,8 Prozent und w ird unangefochten auf Platz drei geführt.
284 Die Zahlenangaben in türkisc hen Zeitungen weichen stark voneinander ab. Einige Zeitunge n sprechen von einigen zehntausend Demonstranten. Die Milli Gazete, die der Saadet Partei nahe steht, behauptet 1,5 Millionen Teilnehmer der Demonstration. 285 Jytte Klausen (20 09): The cartoons that shook th e world, S. 107. Meh r als bei Protesten in anderen Ländern stellt sich jedoch im Falle Nigerias die Frage, inwiew eit die gewalttätig en Auseinandersetzungen ihren Grund i n den M ohammed-Karikaturen hatten. Die Gewalt zwischen Muslimen und Christen in Ni geria hat eine längere Tradition und wird von Expert en nicht als rein religiöser Konflikt betrachtet. 286 Jytte Klausen: The cartoons that shook the world, S. 33
7. Analyse der Karikaturen in der Jyllands Posten
Ein Blick in die türkischen Zeitungen zeigt, dass viele Politiker und Leser in der Türkei die Mohammed-Karikaturen nicht gesehen haben. Ähnliches dürfte – wahrscheinlich in verschärfter Form – für arabische Länder gelten. Dies relativiert die Bedeutung der Karikaturen für den Konflikt. Jedoch waren die Karikaturen den dänischen Muslimen bekannt. Mit den Dele gationsreisen dänischer Imame und dem Dossier, das sie dabei ha tten, wurden die Karikat uren auch maßgeblichen Entscheidungsträgern in der islamischen Welt bekannt. Die Aufmerksamkeit, die die einzelne n Karikaturen im deutschen und türkischen Diskurs erhalten haben, variierte sehr stark. Mit Abstand am häufigsten Erwähnung fand die Karikatur, auf dem Mohammed mit einer Bombe im Turban, dessen Zündschnur brennt, abgebildet ist. Der Bo mbenkopf scheint auch diejenige Karikatur gewesen zu sei n, die die Muslime am meisten provoziert hat. Denn in den türkischen Zeitungen war sie oft die einzige Karikatur, die beschrieben wurde. Ein interessantes Detail an der Karikatur ist der Schriftzug auf dem Turban Mohammeds. Übersetzt heißt der arabische Text: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist der Gesandte Gottes“ (arab.: „aschhadu an la ilaha illa llah, aschhadu anna Muhammadan rasulu llah“). Das m uslimische Glaubensbekenntnis (arab. schahada) bildet die erste der f ünf Säulen des Islams. Es drückt den strengen Monotheismus im Islam aus, der auc h der historische Grund für das Bilderverbot ist.
M. Ata, Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien, DOI 10.1007/978-3-531-94091-5_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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7. Analyse der Karikaturen in der Jyllands Posten
Abb. 4: Die Bombenkopf-Zeichnung
Die Analyse der türkischen Zeitungen – soviel kann vorab gesagt werden – legt die Vermutung nahe, dass weniger der Verstoß gegen das islamische Bilderverbot provoziert hat, als vielmehr die „Beleidigung Mohammeds“ und die Darstellung der Muslime als Terroristen. Auch die große Konzentration auf die Bombenkopf-Karikatur scheint für diese These zu sprechen. Im deutschen Diskurs wurde darüber gestritten, ob die Bom benkopfKarikatur pauschal den ganzen Islam diffamiert oder nur extremistische Varianten. Zugleich wurde ein Disput ausgetragen, ob die Moham med-Karikaturen Tabubrecher sind oder stereotype Feindbilder darstellen. Um diese Fragen z u beantworten, stellt Jürgen Link die Bombenkopf-Zeichnung in eine Rei he von orientalischen Feindbildern. Er erstellt damit eine Ar chäologie von Mohammed als Bombenkopf.287 Link kommt dabei zu dem Ergebnis, dass Bombenköpfe ein „gutes Beispiel für ein bloßes Feindbild ohne jeden Humor“ sind und dass sich das Feindbild „durch Reproduktion und Erweiterung mit der Zeit verschärft und akkumuliert.“288 Um die Bombenkopf-Karikatur verstehen zu können, ist ein näherer Blick auf das Funktionieren von Feindbildern notwendig.
287 Jürgen Link (2007): Ein übersehen er Aspekt des Ka rikaturenstreits: Zur Archäologie d er „Bombenköpfe“, in: Jäger, Siegfried / Hal m, Dirk [Hrsg.]: Mediale Ba rrieren. Rassismus als Integrationshindernis, S. 151-166 288 Ebenda
7.1 Feindbilder
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7.1 Feindbilder Die Diskursanalyse betrachtet Feindbilder im Kern als wirkliche Bilder wie Karikaturen oder Fotos; als Kollektivsymbole (Kapitel 2) . Wie Jürgen Li nk feststellt, lassen sich für orientali sche Feindbilder einige allgemeine Aussagen treffen. Sie setzen sich im Wesentlichen aus drei Komponenten zusammen. Zentral ist eine menschliche oder anthropomorphe Figur, ein „Charakter-Bild“. Bei orientalischen Feindbildern ist dies nicht selten das Bild des Fanatikers. Das Feindbild ist zudem kollektivsymbolisch aufgeladen. Kollektiv verankerte Symbole im Orientdiskurs sind beispielsweise der Krummsäbel, die Wüste, die Palme, das Feuer, die Nacht. Die dritte wichtige Komponente der Feindbilder besteht in einer spezifischen Subjektsituation. Durch die symbolische Schaffung von Identifikation und Gegenidentifikation wird Handlungsbedarf konnotiert. Feindbilder schaffen Su bjektivitäten, die meist nach einem binären Reduktionismus „Wir“ gegen „Sie“ funktionieren. Das „Wir“, das eigene System, besitzt Subjektstatus. Es ist also als eine autonome, zurechnungsfähige Person kodifiziert. Die „Sie“-Gruppe kann ein Gegen-System sein, das a uch Subjekt-Status hat, oder ein außersystematisches Chaos ohne Subjekt-Status.289 7.2 Bombenkopf-Karikatur in der Jyllands Posten Link ordnet die Bombenkopfkarikatur in ei ne „mittlere Geschichte“ des Konflikts zwischen „dem Westen“ und dem „Bogen des islamischen Fundamentalismus“ ein.290 Als „mittlere Geschichte“ bezeichnet Link „Konflikte mit gl eich bleibenden Kontrahenten.“291 Durch Feindbilder wird Kontinuität geschaffen. Das Bild des orientalisch-isl amischen Fanatikers wird in der Reihe von Bombenköpfen und Bombenleibern reproduziert und verschärft.
289 Vgl. Ute Gerhard / Jürgen Link (19 93): Der Orient im Mediendiskurs – aktuelle Feindbilder und Kollektivsymbolik, in: Lüders, Michael [Hrsg.]: Der Islam im Aufbruch? Perspektiven der arabischen Welt, S. 277-297 290 Jürgen Link: Ein übersehener Aspekt des Karikaturenstreits 291 Ebenda
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7. Analyse der Karikaturen in der Jyllands Posten
Abb. 5: W. 01.09.81
Die oben abgebildete Zeichnung von 1981 zeigt den islamischen Führer Ayatollah Ruhollah Musavi Chomeini. Die Zeichnung wurde zwei Jahre nach der Islamischen Revolution im Iran veröffentlicht. Zu sehen ist Chomeini, wie er an einem Fenster steht (das stereotyp orientalisch geformt ist) und sich an eine Menschenmasse wendet. Sein Körper ist eine große Bom be, deren Zünder brennt. Die Masse ka nn den Bombenkörper jedoch nur in A nsätze sehen. Der Zünder entzieht sich de n Blicken der Menschen. Chomeini erscheint verdinglicht und gefährlich.
Abb. 6: WAZ. 22.11.2003
7.2 Bombenkopf-Karikatur in der Jyllands Posten
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Die Abbildung 6 zeigt eine Kari katur aus dem Jahr 2003. Rechts unte n steht Osama bin Laden, der im Verhältnis zur Erde übergroß ist. Auf seiner Kleidung steht „El Kaida“. In der Hand hält Bin Laden Feuer und blickt in Richtung Zündschnur der Bombe. Diese wiederum ist der Erd-Planet, der in die Luft zu gehen droht. „Es gilt uns allen“, steht li nks unten. Al Kaida wird in der Zeichnung zu einer Bedrohung für die gesamte Welt. Das erfolgreiche Handeln von bin Laden hätte endzeitliche Folgen für die Erde. Die Mohammed-Karikatur bildet ei nen neuen Höhepunkt der Bom benZeichnungen, weil es mit ihr erstens ei ne Steigerung de r Bombe vom Bauch zum Kopf und zweitens „eine Ausweitung der Feinde von einzelnen Führern zu ganzen Bevölkerungen“ gibt.292 Mohammed ist das Kollektivsym bol für alle Muslime. Das haben Muslime offensichtlich auch so wahrgenommen, da mehrfach von einer „Beleidigung aller Muslime“ bzw. von eine m „Angriff auf alle Muslime“293 gesprochen wurde. Mohammed wird durch den Bombenkopf extrem verdinglicht und verliert seinen Subj ektstatus. Zugleich symbolisiert die Karikatur Lebensgefahr und erzwingt eine Gegenidentifikation. Link sieht daher in der Karikatur ein extrem binär-reduktionistisches Feindbild, das besonders eskalierend wirkt.294 Die Karikatur enthält wichtige Elemente, die auch im Diskurs um den Karikaturenstreit eine wichtige Rolle spielen werden. Die übrigen Mohammed-Karikaturen erhalten im Karikaturendiskurs eine weit geringere Aufmerksamkeit als die Bombenkopf-Zeichnung. Die meisten von ihnen werden an keiner Stelle erwähnt oder beschrieben. Die einzige Zeichnung, die im deutsche n Diskurs stellenweise positive Erwähnung fi ndet, ist die Jungfrauen-Karikatur. Auch Jürgen Link nimmt diese K arikatur – zumindest teilweise – von seiner Kritik heraus. „Eine der dä nischen Zeichnungen besitzt ansatzweise Witz, wenn er auch im Stereotyp und neben den anderen, völlig witzlosen, untergeht.“295 Die Zeichnung zeigt noch qualmende Selbstmordattentäter im Himmel. Mohammed steht mit ausgebreiteten Armen vor ihnen, um sie aufzuhalten. Mit besorgtem Blick ruft er: „Stop Stop we ran out of virgins“ Die Karikatur ironisiert das Versprechen an Selbstm ordattentäter, im Himmel mit Jungfrauen belohnt zu werden.
292 Ebenda 293 Vgl. Süddeutsche Zeitung: W ütende Muslime schwören heiligen Krieg, 04. Februar 200 6: „[...]Ali Haschend Raf sandschani bezeichnete die Ka rikaturen als „ organisierte Strategie gegen die Muslime“ und Beleidigung von 1,6 Milliarden Muslimen.“ 294 Ich halte, Jürgen Link folgend, die eskalie rende bzw. deeskalierende Wirkung von Diskursfragmenten für ein wesentliches Kriterium bei ihrer Bewertung. 295 Jürgen Link: Ein übersehener Aspekt des Karikaturenstreits
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7. Analyse der Karikaturen in der Jyllands Posten
Abb. 7: Die Jungfrauen-Karikatur
Die übrigen zehn Karikaturen zeugen von wenig Witz. Sie reproduzieren das stereotype Bild der Muslim e, indem sie Mohammed als Bauern zeigen, m it Krummsäbel in der Hand abbilden und ihn als Verbrecher und als Teuf el darstellen. Zwei Karikaturen arbeiten mit dem Kollektivsymbol des Halbmondes. Drei Karikaturen sind auf der Metaebene abgesiedelt. Auf einer Zeichnung ist ein Siebenklässler namens Mohammed zu sehen, de r auf eine Tafel zeigt. Auf ihr steht geschrieben: „Die Journalisten der Jyllands Posten sind ein Haufen von reaktionären Provokateuren.“ Eine we itere Karikatur zeigt einen Karikaturisten beim Zeichnen von Moham med. Schließlich nimmt eine Zeichnung die gewaltsamen Reaktionen von Muslimen vorweg. Zu sehen ist Mohammed, wie er zwei Männer mit gezückten Krummsäbeln aufhält. Er sagt ihne n, sie sollten sich entspannen, weil die Zeichnung nur eine von einem Dänen aus dem Südwesten Dänemarks ist.
8. Wörterbuch des Diskurses
In diesem Kapitel erstelle ich in m ethodischer Anlehnung an Arbeite n der s o genannten „Düsseldorfer Schule“ ein kleines Wörterbuch des Karikaturenstreits. Sechs (Schlüssel-) Begriffe haben den Weg in dieses Wörterbuch gefunden. Die Pressefreiheit, das Bilderverbot, die Beleidigung, der Respekt, der Kampf de r Kulturen und der Dialog der Kulturen sind Begriffe, die im Diskurs um die Mohammed-Karikaturen an ze ntraler Stelle verha ndelt werden. Im Wörterbuch wird neben der Vorgeschichte des jeweiligen Wortes auch aufgegriffen, sondern auch seine Ve rwendung im Karikaturendiskurs der Mitte-Zeitungen. Wovon wird der Begriff abgegrenzt, wer verwendet ihn und welche Aspekte des Begriffes werden im Diskurs aktualisiert? Dieses Wörterbuch soll zweierlei Nutzen haben: Zum einen s oll es das Verständnis der Karikaturen-Diskurses erleichtern, indem der Verwendungszusammenhang wichtiger Begriffe aufgezeigt wird. Zum anderen soll es eine Momentaufnahme sein, die für begriffsgeschi chtlich Interessierte über de n Karikaturendiskurs hinaus von Bedeutung sein kann. 8.1 Pressefreiheit Vorgeschichte des Begriffs Der Begriff der „Preßfreiheit“ hat seinen Ursprung in der Aufklärung, wo er in seiner Funktion als Reiz- und Schlagwort „dem Freiheitsanliegen“ […] neue Wirkungsimpulse296 gab. Die B egriffe Denkfreiheit, Gedankenfreiheit, Gewissensfreiheit und P reßfreiheit sind dabei häufig als Kom plementärbegriffe verwendet worden. Im (deutschen) Vormärz hat sich – anders als in Frankreich, wo
296 Franz Schneider (1978): Presse, Pressefreiheit, Zensur, in: Brunner, Otto u. a. [Hrsg.]: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischen Sprache in Deutschland, Bd. 4, Stuttgart, S. 899-927
M. Ata, Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien, DOI 10.1007/978-3-531-94091-5_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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8. Wörterbuch des Diskurses
viel mehr die Forderung nach allgemeinem Wahlrecht im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand – der Begriff zum erstrangigen Schlagwort297 entwickelt. Zwei wesentliche Argumentationsmuster Bei der Diskussion um das Spannungsverhältnis zwischen den M ohammedKarikaturen und der Pressefreiheit lassen sich zwei wesentliche Argumentationsmuster nachweisen. Da die P ressefreiheit in De utschland – gerade in e her konservativen Zeitungen – pauschal in Gefahr gesehe n wird (Beleg 1), wird vielfach je de Kritik an ihnen als „Einknicken“ vor dem Bilderverbot des Islams bzw. vor den Protesten der Muslime gedeutet. Das zweite, seltener vorkommende Argumentationsmuster versucht den binären Reduktionismus aufzubrechen und betont die große Bedeutung der Pressefreiheit, aber au ch, dass die veröffentlichten Karikaturen „zu weit gehen“ (Beleg 2). Einige Journalisten gehen sogar noch eine n Schritt weiter und trennen den Abdruck der Karikaturen gänzlich von der Pressefreiheit (Beleg 3). Konsens besteht weitestgehend da rin, dass die Pressefreiheit „unverhandelbar“ ist und nic ht zu einem „Gnadenrecht“ verkommen dürfe (Beleg 4 und 5). Mit dem Verweis auf die Pressefreiheit als Gnadenrecht wird auf historische Wissensbestände angespielt. Bei den Kämpfen um die Pressefreiheit in der Aufklärung existierten im Groben drei Aspekte der Begründung und Zielsetzung: Freiheit als Gna denerweis, als Z weckmäßigkeitsprinzip und als Menschenrecht.298 Zusätzliche Kraft erhält der Begriff durch die Metapher der Pressefreiheit als „Grundsäule“ bzw. „Grundpfeiler“ der Demokratie. Sollte es ein Aufweichen der Pressefreiheit aufgrund des Konfliktes mit der „islamischen Welt“ geben, drohe die Demokratie zu zerbrechen (Beleg 5). Die kollektivsym bolische
297 Bei Schlagwörtern handelt es sich gemäß Theodor Ickler um einen kurzen Ausdruck unterhalb des Satzformates, im typischen Fall ein einziges Substantiv, mit agitatorischer Funktion. Ein Schlagwort ist in der Lage, einen komplexen Sachverhalt zu verkürzen. Aufgrund des emotionalen Gehalts kann ein Schlagwort Fahnen- oder Stigmawort sein (Theodor Ickler (2000): Zur Semantik des politischen Schlagwortes (und anderer Wörter). I. Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 65. 2000, S-11-26) 298 Franz Schneider (1972): Pre sse, Pressefreiheit, Zensur, in: Otto Brun ner / W erner Conze / Reinhart Koselleck [Hrsg.]: Geschichtliche Grundbegriffe: Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland. Stuttgart: Klett-Cotta
8.1 Pressefreiheit
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Aufladung gibt der „Pressefreiheit“ als zu verteidi gendes Gut eine große Kraft im Diskurs. Zudem zeigt sich, dass am Hochwertbegriff der Pressefreiheit weitere Hochwerte wie die Demokratie hängen. Im Diskurs um die Mohammed-Karikaturen ist „Pressefreiheit“ zum Fahnenwort299 des „aufgeklärten Westens“ geworden (Beleg 1 und 7). Jyllands Posten selbst hat als Begründung für den Abdruck der Karikaturen auf eine angebliche Einschränkung der Pressefreiheit durch den Druck von Muslimen verwiesen und sich folglich zum Vorreiter des Westens stilisiert. Diese argumentative Konstellation ist bestens geei gnet für die Strategie de r binären Re duktion, bei der eine Seite gegen die andere kämpft. Muslime hingegen warfen dem Westen wiederholt vor, dass die Pressefreiheit nur einen Vorwand dafür liefere, um den Islam angreifen zu können. Die türkischen Medien sprachen den Karikaturen die Legitimität ab, weil sie der Demokratie schadeten (Beleg 8), unvernünftig (Beleg 9) und rechtlich n icht gedeckt seien (B eleg 10). Dabe i ist be merkenswert, dass die Pressefreiheit auch in der Türk ei ein Hochwertbegriff ist. Keine Zeitung und kein Politiker trauen sich, offen gegen die Pressefreiheit Stellung zu beziehen. Faktischen Angriffen auf die Pressefreiheit geht immer ein Bekenntnis zu dieser voraus. In Deutschland hat das Reden über die „ Unverhandelbarkeit“ der Pressefreiheit suggeriert, dass dieses Recht ke iner Einschränkung unterliegt. Tatsächlich aber wird der Pressefreiheit durch Paragraph 166 Strafgesetzbuch, der die Beschimpfung von Beke nntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen unter Strafe stellt, Grenzen gesetzt. In dem Paragraphen heißt es: (1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschim pft, die geeignet ist, den öffe ntlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirch e oder andere Re ligionsgesellschaft oder W eltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
299 Zum Begriff des Fahnenwortes siehe Fritz Hermanns (1994): Schlüssel-, Schlag- und Fahne nwörter. Zu Begrifflichkeit und The orie der lexikalischen „politischen Se mantik“ Heidelberg/Mannheim. Hermanns sieht Schlagworte, die einen em otionalaffektiven Gehalt vergleichbar mit nichtsprachlichen Gruppensymbolen wie Fahnen und Hymnen besitzen und von der eigenen Grupp e als Identifikatio nssymbol in Anspruch genom men werden, als „Fahne nworte“
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8. Wörterbuch des Diskurses
Auch unter Strafe steht der Tatbestand der Volksverhetzung, der in Paragraph 130 StGB geregelt ist. Seit 1994 ist die Leugnung des Holocaust als eigenständiger Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufgenommen. In Absatz 3 lautet: Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 220a Abs. 1 bezeichneten Art, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich ode r in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost. (§ 130 StGB)
Diesen Widerspruch zwischen scheinbar absoluter Pressefreiheit und dem Verbot der Leugnung des Holocaust aufn ehmend, hat die iranische Zeitung Hamshahri einen Holocaust-Wettbewerb ausgerufen. Die beschriebenen Einschränkungen der Pressefreiheit in Deutschland werden im Diskurs zwar thematisiert, dennoch suggerieren andere Diskursfragmente in den jeweiligen Zeitungen wieder, dass die Pressefreiheit absolut sei. Beleg 1: „Journalisten wollen und müssen mitkämpfen, wenn es darum geht, die Pressefreiheit gegen totalitäre Ideologien zu verteidigen. Die Überzeugungskraft ihrer Werte wird dabei auch von der Qualität ihrer Arbeit abhängen.“ FAZ: Harte Hand 06.02.2006 Beleg 2: Ercan Alagöz: „Wir wollen gegen die Schmähung des Propheten demonstrieren“, sagte er, „und gleichzeitig für die Pressefreihe it“. SPON: Muslime demonstrieren in Berlin und Düsseldorf 10.02.2006 Beleg 3: „Zahlreiche Redner nannten die Darstellungen respektlos, sie bekräftigten aber zugleich die Pressefreiheit.“ SZ: Bundestag ruft zur Mäßigung auf 11.02.2006 Beleg 4: „Der Westen dürfe keine „Diskussion der Selbstzensur“ führen, denn Pressefreiheit sei „ein Grundrecht und kein Gnadenrecht“. SPON: Freie Rede, krude These 10.02.2006 Beleg 5: „Und der dänische Ministerpräsident, der eine Entschuldigung ablehnt, sagt, die Veröffentlichung der Zeichnung sei ein „nicht verhandelbarer“ Ausdruck der Meinungs freiheit in seinem Land. Bravo, so viel – zumindest rhetorische – Wehrhaftigkeit haben die europäischen Demokratien selten bewiesen.“ Tagesspiegel: Nicht alles ist verhandelbar 31.01.2006 Beleg 6: „Wer im gegenwärtigen Konflikt borniert auf die Pressefreiheit poche, übersehe leicht, dass diese auch im Westen ihre Grenzen habe.“ SZ: Besser nicht den Chef karikieren 10.02. 2006 Beleg 7: „Bei einer aktuellen Stunde im Bundestag riefen unterdessen alle Parteien zur Verteidigung der Pressefreiheit auf.“ SPON: Islamischer Dschihad droht mit blutiger Rache 10.02.2006 Beleg 8: „O karikatürlerle ba yÕlarÕnÕn sahiden inan dÕ÷Õ üzere Ort ado÷u demokratlaútÕrÕlamaz, anca ani-demokratlaútÕrÕlÕr. Radikal: Karikatürlerle demokrasi gelmez.” 10.02.2006 Beleg 9: „Ancak akÕlcÕlÕk, ifade özgürlü÷üne indirgenemez. Tam da bu y üzden, ifade özgürlü÷üne indirgenemez. Radikal: Mizah ciddi bir iútir.” 10.02.2006 Beleg 10: „A øHM’nin kararlarÕ, Hz. Muham med karikatürlerinin yasaklanmasÕ ve davan Õn Strasbourg’a ulaúmasÕ halinde, yasaklayan ülkenin ‚haklÕ’ çÕkaca÷ÕnÕ gösteriyor.“ Hürriyet: Dine hakaret fikir degil, 4.02.2006
8.2 Bilderverbot
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8.2 Bilderverbot Dass die M ohammed-Karikaturen zu P rotesten von M uslimen führen würden, konnten die Redakteure der Jyllands Posten bereits vor der Veröffentlichung absehen. Nicht erst eine he rabwürdigende Darstellung Mohammeds stößt auf Widerstand von vielen Muslimen; jegliche Abbildung des Propheten ist auf grund des islamischen Bilderverbotes ein Tabu. „Entscheidend ist nicht erst die sekundäre modellbildende Funktion, die ‚Aussage’ der Karikaturen, sondern bereits die primäre semiotische Qualität, das Ikonische als solches.“300 Das Bilderverbot in den monotheistischen Religionen Das Bilderverbot ist alttestamentarisch begründet und somit nicht allein dem Islam eigen. Es ist Teil al ler drei großen monotheistischen Religionen und entstanden, um eine Abgrenzung gegen ältere Religionen vorzunehmen – Jan Assmann spricht dabei von einer „mosaischen Unterscheidung“.301 Im (biblischen) zweiten Gebot heißt es: Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten a uf Erden, noch von dem, was i m Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Bar mherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.302
Die neuere christliche Religions-Forschung stellt fest, dass nicht jegliche Abbildung verboten ist, sonde rn nur materiale Kultbilder; die im Hebräischen mit „päsäl“ ausgedrückt werden.303 Doch weder die katholische noch die protestantische Kirche haben bis heute die Geltung des Bilderverbots zurückgenommen. Gott wird im Christentum nicht personal dargestellt. Außer das, was die Chris-
300 Werner Köster (2006): Bilderverbot und Bilderstreit als Diskurselemente von Medienmentalitäten, in: Lili 2006, Jg. 36, Nr. 142, S. 159-195 301 Die Unterscheidung in wahr un d unwahr im Bereich der Religionen ne nnt Assmann Mosaische Unterscheidung. Vgl. Jan Ass mann (1998): Moses der Ägy pter. Entzifferung einer Gedächtnisspur. München: Hanser 302 2. Mose 20:1-17 (Lutherbibel, Standardausgabe 1984) 303 Vgl. Andreas W agner (2005): Alttesta mentlicher Monotheismus und s eine Bindung an das Wort, in: Wagner, Andreas [Hrsg.]: Gott im Wort, Gott im Bild. Bilderlosigkeit als Bedingung des Monotheismus? Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1-23
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8. Wörterbuch des Diskurses
ten in den Offenbarungen lesen können, gibt es kein Wissen über die Attribute von Gott. Abgebildet wird im Christentum lediglich Jesus als menschliche Inkarnation. Das Bilderverbot wird jedoch bei weitem nicht so streng ausgelegt wie im Islam.304 Im Koran sel bst ist an keine r Stelle explizit von ei nem Bilderverbot die Rede. Das Verbot leitet sich aus Ü berlieferungen des Propheten (Hadith) und der gesetzlichen Literatur ab. 305 Es lässt sich nachweise n, dass die Abbildung animalischer Wesen oder das Aufhängen solcher Abbildungen an die Wand eines Wohnraumes verboten ist. Die Angst vor Götzenbildern steckt hinter diesen Verboten. Verzerrte Darstellung im Diskurs Obwohl das Bilderverbot häufig als Diskurs-Element präsent ist, werden die Parallelen zwischen den monotheistischen Religionen und ihr Verhältnis zum Bilderverbot nicht the matisiert (nicht einmal in Beleg 1, in dem es ausschließlich um das Thema Bilderverbot geht). Doch gerade die Thematisierung des monotheistischen Bilderverbotes wäre ein M ittel, um die Ei nteilung in imaginäre Räume des Orients und Okzi dents zu irritieren. Stattdessen wird ausschließlich vom „islamischen Bilderverbot“ (Beleg 2 und 3) oder von einer altorientalischen Tradition (Beleg 4) gesprochen. Hinweise darauf, dass das Abbildungsverbot Mohammeds in der Geschichte vielfach gebrochen wurde, sind zu finden. Sicherlich hätte eine intensive re Auseinandersetzung m it dem islamischen Bilderverbot dees kalierend wirken können und dazu beiget ragen, die Sicht der M uslime besser da rzustellen. Insbesondere die Analogien zwischen dem islamischen und dem christlichen B ilderverbot, die hier erläutert wurden, hätten sich gelohnt, behandelt zu werden. Türkische Zeitungen thematisieren höchst selten das islamische Bilderverbot. Einige Diskursfragmente erklären explizit, dass der Streit um die Karikaturen nichts mit dem Bilderverbot zu tun habe (Beleg 5 und 6). Selbst die islamistische Milli Gazete interessiert sich nur am Rande für das Bilderverbot.
304 Ebenda 305 Josef van Ess (1981) [Hrsg.]: Rudi Paret: Studien zum Islam, Stuttgart: Kohlhammer, S. 214
8.3 Beleidigung
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Beleg 1: „Zum Bilderverbot im Koran“, SZ: 03.02.2006 Beleg 2: „Für strenggläubige Muslime ist jede bildliche Darstellung Mohammeds verboten.“ SPON: Regierung ruft Dänen zur Ruhe auf 01.02.2006 Beleg 3: „Jegliche Darstellung des Propheten Moham med ist von Anfan g an im Islam sehr rigoros verboten worden, um auf keinen Fall einen Götzenkult aufko mmen zu lassen.“ BILD: Respekt vor der Religion! 02.02.2006 Beleg 4: „Es ist eine alt-orientalische Tradition, sich kein Bildnis von Gott zu machen. Wenn früher Bilder vom Propheten gemalt wurden, wurde sein Gesicht als weißer Fleck dargestellt!“ Bild: Müssen wir uns vor dem Islam fürchten? 06.02.2006 Beleg 5: „Hz. Muhammed’in karikatürü konusuna gelince, bunun MüslümanlarÕn resim veya heykele muhalif tavrÕyla bir ilgisi yok.“ Radikal: Islam’a bakisin gecmisi, 5. Februar Beleg 6: „Amerikan gazetelerinin yazd Õ÷Õ gibi y ayÕnlanan karikatürde ‚suret’ problem i de÷il, yüklenen imaj önemli.“ Zaman: Kültürler savaúÕ çÕkarmak isteyenler
8.3 Beleidigung Einiges lässt vermuten, dass bei den Protesten der Muslime im Februar 2006 nicht der Verstoß gegen das Bilderverbot Grund für die Heftigkeit der Reaktionen war, sondern vielmehr die „Beleidi gung“ des Prophe ten. Dies zeigt unter anderem der Vorstoß von Moham med Sayyed Tantaw i von der Al-AzharUniversität in Kairo, de r ein weltweites Verbot von Beleid igungen religiöser Empfindungen vorschlug, und nicht ein Verbot der Abbildung des Islamstifters (Beleg 1). Als „Beleidigung“ wird in der Forschung überwiegend die Verletzung der Ehre eines anderen durch Kundgabe von Missachtung verstanden. Unterschiedliche Auffassungen gibt es jedoch in der Frage, ob er an aristokratische oder archaische Gesellschaften gebunden ist.306 Erstaunlicherweise taucht der Ehrbegriff im Diskurs praktisch nicht auf, obwohl „Beleidigung“ eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Wer wurde beleidigt? Verschiedene Auslegungen darüber existieren, wer der Adressat der Beleidigungen ist. Oftmals geht es „nur“ um die Beleidigung M ohammeds (Beleg 2), andere sprechen von der Beleidigung aller Muslime (Beleg 3 und 4) oder allgemein von der Beleidigung des Islams (Beleg 5).
306 Vgl. Simon Meier (2007): Beleidigungen. Eine Untersuchung über Ehre und Ehrverletzung in der Alltagskommunikation. Aachen: Shaker, S. 25ff.
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8. Wörterbuch des Diskurses
Beleg 1: „40 islamische Gelehrte riefen in einer in Kairo veröffentlichten Mitteilung zu einer Beendigung der Protes te auf. Der Großim am der einflußreichen Al-Aschar-Universität in Ka iro, Mohammed Sajjed Tantawi, schlug ein weltweit gültiges Verbot von Beleidigungen religiöser Empfindungen vor.“ Die Welt: Tödliche Angriffe auf Christen in Nigeria 20.02.2006 Beleg 2: „Angesichts der Beleidigungen des Propheten in dänischen Zeitungen werden 'Danish Pastries' mit sofortiger Wirkung 'Rose von Moha mmed'-Gebäck heißen“ SPON: Dänische Kekse heißen jetzt „Rosen von Mohammed“ 17.02.2006 Beleg 3: „Eine von tschetschenischen Rebellen mehrfach als Sprachrohr genutzte Website soll heute eine dem tschetschenischen Rebellenführer Schamil Bassajew zugeschriebene Erklärung v eröffentlicht haben, in der dieser die in Jy llands-Posten veröffentlichten Zeichnungen als „Beleidigung von Muslimen in der ganzen Welt“ bezeichnete.“ SPON: Regierung ruft Dänen zur Ruhe auf 01.02.2006 Beleg 4: „Der frühere Präsident Ali Haschend Rafsandschani bezeichnete die Karikaturen als „organisierte Strategie gegen die Muslime“ und Beleidigung von 1,6 Milliarden Muslimen.“ SZ: Wütende Muslime schwören „heiligen Krieg“ 04.02.2006 Beleg 5: „Zum anderen sind das die autokratischen Herrschercliquen in Ländern wie Iran oder Sy rien, für die die Beleidigung des Islam ein Himmelsgeschenk ist, um von ihren wachsenden inneren Schwierigkeiten abzulenken und die Menschen gegen den Erzfeind im Westen zu mobilisieren.“ FR: Totentanz der Brandstifter 11.02.2006
8.4 Respekt „Mangelnder Respekt mag zwar weniger aggressiv erscheinen als eine direkte Beleidigung, kann aber ebenso verletzend sein.“307 Bei der Analyse der Verwendung des Respekt-Begriffes wird deutlich, dass er einen Gegenbegriff zu „Beleidigung“ da rstellt; es lassen sich Parallelen zu de n Argumentationsmustern in Verbindung mit dem Begriff „Beleidigung“ festmachen. Das Verhältnis des Respekts z ur Pressefreiheit wurde mehrfach thematisiert. Zur Meinungsfreiheit gehöre de r Respekt vor de n Religionen, so beispielsweise Horst Köhler (Beleg 1). Ebenso wird von Seiten des Papstes Respekt als Bedi ngung zum Dialog genannt (Beleg 2). Es ist nicht zu übersehen, dass „Respekt“ mit dem Begriff des Dialogs verknüpft ist (Beleg 3) und darüber hinaus mit weiteren Werten wie Toleranz, Demokratie und Fr eiheit (Beleg 4). Der Respekt sei Voraussetzung für Frieden (Beleg 5). Auch dieser Begriff löst also eine Assoziationskette aus und erhält damit seine Wirkkraft. Die Gegenseitigkeit des Respekts, der zunächst von den Muslimen gegenüber der eigenen Religion eingefordert wurde, wird i n mehreren Erklärungen und Artikel betont (Beleg 4 und 6). Einige Be iträge fordern explizit von m uslimischer Seite den
307 Richard Sennett (2002): Respekt im Zeitalter der Ungleichheit. Berlin: B erliner Taschenbuch Verlag, S. 15
8.5 Kampf der Kulturen
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Respekt, den sie für sich fordern (Beleg 7), bis hin zu Kommentaren, Respekt sei keine Einbahnstraße (Beleg 8). Dies suggeriert, als gebe es den Respekt schon von „unserer“ Seite und er werde lediglich von de r anderen missachtet. Allgemein lässt sich aber sagen, dass der Respekt-Begriff von den Befürwortern der Karikaturen eher gemieden wird. Beleg 1: „Ähnlich wie Me rkel äußerte sich Bundespr äsident Horst Köhler: Zur Meinungsfreiheit, die ein unverzichtbarer Bestandteil europäischer Demokratie sei, gehöre auch Respekt vor religiösen Gefühlen.“ SZ: Furcht vor einem „Kampf der Kulturen“ 06.02.2006 Beleg 2: „Es sei von entscheidender Bedeutung für den Frieden und die Verständigung unter den Völkern, dass Religionen und deren Symbole respektiert würden, sagte d as Oberhaupt der katholischen Kirche.“ SZ: Aufgebrachte Muslime setzen Kirchen in Pakistan in Brand 21.02.2006 Beleg 3: „Er wolle den Dialog fördern und die „freundschaftlichen Beziehungen und den gegenseitigen Respekt zwischen Europa und der islamischen Welt wiederherstellen“, ließ Solana mitteilen.“ SZ: Irans Präsident schürt Streit mit dem Westen 13.02.2006 Beleg 4: „Gemeinsam sind wir in der Pflicht, die uns einenden Werte der Toleranz, des Respekts vor der Kultur und Religion des anderen und die Grundwerte der Demokratie und der Freiheit zu verteidigen.“ BILD Gemeinsam für Freiheit, Toleranz und Respekt! 10.02.2006 Beleg 5: „Im Fall der Karikaturen geht es aber, wie di e Reaktionen zeigen, u m mehr. Es geht u m den Frieden, nicht nur in der Welt, sondern im Lande. Dazu gehört auch ei n Mindestmaß an gegenseitigem Respekt und Toleranz.“ FAZ: Der öffentliche Frieden 08.02.2006 Beleg 6: „Beide Blätter hatten am Donnerstag in einem gemeinsamen Kommentar („Wir sind Freunde!“) zu Freundschaft und gegenseitigem Respekt zwischen Christen und Muslimen aufgerufen.“ BILD: Bundestag lobt BILD 10.02.2006 Beleg 7: „Den Respekt, den radikale Moslems für ihre eigene Religion zu Recht einfordern, lassen sie gegenüber anderen Glaubensrichtungen vermissen, insbesondere gegenüber Juden.“ BILD „Der Westen muss cool bleiben“ 04.02.2006 Beleg 8: „Toleranz und Respekt vor religiösen Sy mbolen, Gefühlen und Einrichtungen sind keine Einbahnstraße“, sagte Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CSU). SPON: Freie Rede, krude These 10.02.2006
8.5 Kampf der Kulturen Der Begriff „Clash of Civilisations“ stammt vom amerikanischen Politikwissenschaftler Samuel Huntington, der 1993 den gleichna migen Aufsatz in der „Foreign Affairs“ veröffentlichte. Drei Jahre später kam sein Buch „Clash of Civilisations“ auf den Markt.308 Der Harvard-Professor behauptet, dass in der Zeit nach dem Kalten K rieg nicht mehr die Ideologien, sondern Kulturen ausschlaggebend für Konfli kte seien. Die Nationalstaaten verlören an Bedeutung
308 Samuel P. Huntington (1997): Der Kampf der Kulturen. München [u.a.]: Europa-Verlag
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8. Wörterbuch des Diskurses
bei den großen Konflikten uns erer Zeit, glaubt Huntington. „Nationalstaaten werden zwar die mächtigsten Akteure auf dem Globus bleiben, aber die grundsätzlichen Konflikte der Weltpolitik werden zwischen Nationen und Gruppierungen aus unterschiedlichen Kulturen auftreten. Der Zusammenprall der Kulturen wird die Weltpolitik beherrschen.“309 Kritisiert wurde das Buch, weil nur schwer nachvollziehbar ist, warum die Welt gerade in sieben respektive acht Kulturbereiche mit ihren Zentren eingeteilt wird, weil nicht ersichtlich wird, warum es zu einem Zusammenprall dieser kommen muss und weil äußerst wenig über die beschriebenen Kulturen, insbesondere über den Islam, zu erfahren ist.310 Der Karikaturenstreit bestätigt nach Ansicht von Stephan Rosiny nicht die These vom Kampf der Kulturen. „Auffälligerweise liegen die Brennpunkte de r Eskalation nicht etwa an den ‚blutigen Grenzen des Islam’, wie dies Sam uel Huntington prophezeite, sondern an den Frontlinien politischer Machtkämpfe, in denen ‚der Westen’ eine bedeutende Rolle spielt“.311 Diese Angriffe auf Huntington konnten die Karriere des Begriffes im Interdiskurs jedoch nicht aufhalten. Wurde di e These anfä nglich noch vielfach vehement bestritten, fand sie angesichts der existierenden globalen Konflikte zunehmend Anhänger.312 Besonders die Anschläge vom 11. September 2001 führten zu einer großen Resonanz für das Kulturkampf-Konzept.
„Kampf der Kulturen“ als Zustandsbeschreibung Im Diskurs wird der Begriff des Kampfes der Kulturen als konkrete Zustandsbeschreibung (z.B. „haben wir noch nicht“) verwandt, der eintreten könnte oder 309 Samuel P. Huntington: The Clash of Civilisations?, in Foreign Affairs, 72 3, S. 22-49 310 Vgl. dazu Martin Riesebrodt (2000) Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der 'Kampf der Kulturen'. München: C.H. Beck ; Dieter Senghaas (1997): Die fixe Idee vom Kampf der Kulturen, in: Blätter für Deutsche und Internationale Politik, 42, 2, S. 215ff.; Gazi Ça÷lar (1997): Der Mythos vo m Krieg der Zivilisationen. Münster: Unra st; eine Auswahl an kritischen Bewertungen ist außerdem zu finden in Harald Müller (2001): Das Zusammenleben der Kulturen. Ein Gegenentwurf zu Huntington, Frankfurt: Fischer, S. 16ff. 311 Stephan Rosiny (2007): Der beleidig te Prophet – Religiöse und politische Hintergründe de s Karikaturenstreits, in: Bernhard Debatin [Hrsg.]: Der Karikaturenstreit u nd die Pressefreiheit. Berlin Lit, 103-116 312 Eine Untersuchung des Mediendiskurses, jedoch vor dem 11. September geschrieben: Udo M. Metzinger (2000): Die Huntingt on-Debatte. Die Auseinandersetzung mit Huntingtons "Clash of Civilizations" in der Publizistik. Köln: S.H. Verlag
8.5 Kampf der Kulturen
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schon eingetreten ist. Einigkeit besteht unter Politikerinnen darin, dass es keinen Kampf der Kulturen gebe, aber dass e r drohe (Belege 1, 2 und 3). Angesichts dieses, angeblich möglichen, Szenarios rufen sie zu Mäßigung und Deeskalation313 auf. Einige Arti kel werfen den westlichen Politikern und Intellektuellen deshalb Blauäugigkeit bzw. Naivität vor, weil diese vor einem Kampf der Kulturen warnen, während die andere Seite ihn längst führt (Belege 4, 5 und 6). Andere Artikel versuchen sich von dem Schema des Kampfes der Kulturen zu lösen und zeichnen neue Linien, entlang derer der Konflikt verläuft. Die Einteilung wird nicht mehr nach islamischer und westlicher Welt vorgenommen (Beleg 7 und 8). Ganz selten wird im Diskurs über die binäre Reduktion, die auch die Bezeichnung des Karikaturenstreits als Kampf der Kulturen verursacht, explizit reflektiert (Beleg 10). Im türkischen Diskurs kom mt „Kampf der Kulturen“ seltener vor als in deutschen Zeitungen. Lediglich die Milli Gazete behauptet, dass es einen Kampf der Kulturen gebe (Beleg 11). Die Evrensel weicht in ihrer Begriffverwendung von anderen Zeitungen ab, indem sie vom Kampf der Kulturen als Strategie „der Imperialisten“ spricht (Beleg 12). Werner Köster stellt fest, dass „der Begriff (...) in der Ausblendung ‚harter’ Realitäten ebenso ideologisch [ist] wie de r ihm in seiner ku lturalistischen Engführung symmetrisch entsprechende des ‚Dialogs’“314. Beleg 1: „Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU): „Ein EU-Beitritt der Türkei wäre der entscheidende Schlag gegen den drohenden Kampf der Kulturen.“ BILD: Bundestag l obt BILD 10.02.2006 Beleg 2: „Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Gloser (SPD), warnte davor, einen „Kampf der Kulturen“ herbeizureden.“ SZ: Bundestag ruft zur Mäßigung auf 11.02.2006 Beleg 3: „Der SPD-Politiker (Steinmeier, Anm. M.A.) appellierte „ an alle Kräfte der Ve rnunft, falschen Propheten des Kulturkampfes entgegenzutreten“. Einen „Kampf der Kulturen“ sehe er zwar noch nicht, „a ber wir sind vo m angestrebten Dial og weiter entfernt als gewünscht“ SZ: W ütende Muslime schwören heiligen Krieg 06.02.2006 Beleg 4: „Während wohlmeinende, multikulturell geprägte Intellektuelle i m Westen vor eine m „Kampf der Kulturen“ warnen, sin d die radikalen Isla misten schon mittendrin und voll dabei.“ SPON: Das Feindbild als Neidbild 17.02.2006 Beleg 5: „Das treuherzige Bekenntnis westlicher Politiker, man wolle keinen Ka mpf der Kulturen, hilft leider nicht weiter. Was tun, wenn die islamistische Seite genau das will?“ SPON: Das Leben des Brian mit dänischen Untertiteln 08.02.2006
313 Zum Begriff der k ommunikativen Eskalation, wie er fü r unsere Zusam menhänge interessant ist, siehe Peter Fuchs (2004): Das System Terror. Bielefeld: transcript 314 Werner Köster (2006): Bilderverbot und Bilderstreit als Diskurselemente von Medienmentalitäten, in: Lili 2006, Jg. 36, Nr. 142, S. 159-195
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8. Wörterbuch des Diskurses
Beleg 6: „Kommt es zu m viel beschworenen Kampf der Kulturen ? Den führen die radikalfundamentalistischen Moslems bereits seit der M achtübernahme Khomeinis im Irak im Jahr 1979 durch immer neue Provokationen.“ BILD: RTL-Reporterin Antonia Rados: „Der Westen muß cool bleiben“ 04.02.2006 Beleg 7: „Guttenberg erklärte, es gebe keinen „Kampf der Kulturen“ zwischen dem Islam und dem Westen. Die Trennlinie verlaufe au f beiden Seiten „zwischen denen, die sich für Hass u nd Terror einsetzen, und jenen, die dialogbereit sind und zu Meinungsfreiheit aufrufen“.“ SPON: Freie Rede, krude These 10.02.2006 Beleg 8: „Es ist w eder ein Ka mpf der Kulturen („clash of civilisations“), noch der Gegens atz von Ost und West, den wir hier beobachten, sondern ein gl obaler Kampf, bei dem sich Demokraten und Theokraten gegenüber stehen.“ SPON: „Freigeister aller Länder, vereinigt Euch“ 03.03.2006 Beleg 10: „Die Welt zerfällt in „ wir und die“ , in „den Westen und die Muslime“, in Freu nd und Feind. Die abgedroschene Wendung vom „Kampf der Kulturen“ macht wieder die Runde.“ SZ: Die Macht der Zerrbilder 11.02.2006 Beleg 11: „Bu BatÕ Müslüman dünyasÕ arasÕndaki medeniyetler çatÕúmasÕdÕr. Milli Gazete: Diyalog tutmadÕ, çatÕúma verelim!.. 4.02.2006 Beleg 12: „Olanlara ve yapÕlan açÕklamalara bakÕlÕrsai ‚Medeniyetler çatÕúmasÕ’ stratejisterinin ‚öngörüleri’ gerçekleúme yoluna girmiúti.“ Evrensel: Provokasyonu boúa çÕkarma sorumlulu÷u.“ 9.02.2006
8.6 Dialog der Kulturen Auf der Suche nach Lösungen für den Konflikt wird vielfach die Metapher des Dialoges der Kulturen bemüht, die seit dem 11. September 2001 an Bedeutung gewonnen hat und dessen Entwicklung eng an die des „Kampfes der Kulturen“ geknüpft ist. Trotz der häufigen Verwendung im Karikaturenstreit fehlen weitere Ausführungen darüber, wie dieser Dialog aussehen, zwischen wem er geführt werden, und w orüber dabei gesprochen werden soll. Der Ausdruck erhält deshalb eine gefährliche Phrasenhaftigkeit. Es fällt auf, dass der „Dialog der Kulturen“ im Mediendiskurs viel seltener aufgegriffen wurde als im PolitikerDiskurs. Die Diskursebenen unterscheiden sich in diesem Punkt deutlich. Erst Gegenbegriffe erlauben es, master terms des fraglichen Typs historisch zu konturieren. Daher spricht die E xistenz des „Dialogs der Kulture n“ für die Tatsache, dass der „Kampf der Kulturen“ zu einem master term geworden ist. Man kann im wissenschaftlichen Diskurs ziemlich genau nachweisen, dass es kaum einen Dialog zwischen Orient und Okzident gibt. Es gibt wenige Übersetzungen, die gegenseitige Zugänglichkeit von Büchern, der Austausch von Wissenschaftlern und die elektronische Vernetzung ist gering. Die Räume sind
8.6 Dialog der Kulturen
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voneinander abgeschnitten315, und ei ne Verbesserung der Situation ist au f absehbarer Zeit nicht in Sicht. Genau wie unter PolitikerInnen ist die Idee eines Dialoges bei vielen LeserInnen beliebt (Beleg 1). Es sind vor a llem die Medien, die den Konflikt anheizen (um eine beliebte Metapher der Presse selbst zu wä hlen) und einen Dialog ganz ablehnen (Beleg 3). Jedoch muss ebenfalls gesagt werden, dass die Kritik am Begriff durchaus berechtigt ist, we nn die Phrasenanfälligkeit angegriffen wird. Hendryk M. Br oder hat das se hr polemisch bei Spiegel Online gemacht (Belege 4 und 5). Deutlich wird auch, dass verschiedene Eskalationsstufen angenommen werden. Dem nicht vorha ndenen Dialog kann ein Kampf der Kulturen folgen (Belege 6 und 7). Was aber Gründe und Auslöser für den Wechsel der einen Eskalationsstufe zur nächste n sind, bleibt im Dunkeln. Es muss an dieser Stelle festgestellt werden, dass die Phrase des Dialoges wie kei n zweiter Begriff die Ratlosigkeit und analytische Defizite der Handelnden aufzeigt. Es ist leicht für die Gegner, denj enigen inhaltliche Leer e vorzuwerfen, die sich Deeskalation wünschen und ständig von einem „Dialog der Kulturen“ reden. Beleg 1: „Ein Dialog der Kulturen, das ist worauf die meisten Forumsteilnehmer setzen.“ SPON: „Herunterkühlen, Kopf einschalten“ 10.02.2006 Beleg 2: „Der Ko nflikt mit dem Iran, die Wahlsiege der Extremisten in Palästina, Ägypten, Irak wer heute noch vo m Dialog der Kulturen redet, macht sich fast lächerlich.“ SZ: A m Terror vorbeikuratiert: Die Schau „Urban Islam“ in Basel pinselt den Kulturkampf schön 04.02.2006 Beleg 3: „Unter Bedingungen der Globalisierung ist der Dialog der Kulturen ohne Alternative.“ BILD: Ist das der Krieg der Kulturen? 05.02.2006 Beleg 4: „Der „Dialog der Kulturen“, wie er heute prak tiziert wird, steht in einer langen Rei he von politischen Absichtserklärungen, deren einziges Ziel es ist, virtuelle Deba tten zu erzeugen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben, dafür aber politisches und kulturelles Engagement simulieren.“ SPON: Dialog? Nein, danke! 25.02. – Broder setzt sich in dem Artikel ausführlich mit dem Begriff des Dialogs der Kulturen auseinander Beleg 5: „Der „Dialog der Kulturen“ ist eine therapeutische Maßnah me, die auf Verzögerung, auf Zeitgewinn spielt, hervorgegangen aus einer Gesellschaft, die fest davon überzeugt, daß man jeden Konflikt gesprächsweise lösen oder wenigstens entschärfen kann. “ SPON: Dialog? Nein, danke! 25.02.2006 Beleg 6: „Vom Dialog der Kulturen , den der iranische Reform präsident Mohammed Chatami erstrebte, ist die Welt durch den Karikaturen-Streit weiter entfernt denn je. Soll daraus nicht ein Schritt zum Krieg der Zivilisatione n nach Sa muel Huntington werden, muss der aktuelle Disput wieder entschärft werden.“ SZ: Religion und Respekt 03.02.2006
315 Werner Köster (2006): Bilderverbot und Bilderstreit als Diskurselemente von Medienmentalitäten, in: Lili 2006, Jg. 36, Nr. 142, S. 159-195
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8. Wörterbuch des Diskurses
Beleg 7: „Der SPD-Politiker (Steinmeier, Anm. M.A.) appellierte „ an alle Kräfte der Ve rnunft, falschen Propheten des Kulturkampfes entgegenzutreten“. Einen „Kampf der Kulturen“ sehe er zwar noch nicht, „aber wir sind vom angestrebten Dialog weiter entfernt als gewünscht “. SZ: Wütende Muslime schwören heiligen Krieg 06.02.2006
9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
9.1 Der Diskurs in Deutschland 9.1.1 Bild und Bild am Sonntag Die Bild-Zeitung nutzt den Karikaturenstreit, um die B eleidigung religiöser Symbole im Allgemeinen und der c hristlichen Religion im Besonderen zu problematisieren. In „Respekt vor der Religion!“ erklärt de r Publizist Peter SchollLatour, der Kontakte zur Jungen Freiheit pflegt und dem oft eine un differenzierte Darstellung von Musli men vorgeworfen wird316, dass die Karikaturen die Muslime extrem herausforderten. „Und als gläubiger Katholik sage ich: Wenn man im Fernsehen oder i n der Zeitung die christliche Religion derart verhohnepiepelt, schockiert mich das auch zutiefst“, schreibt er am 2. Februar. Der Journalist Peter Hahne, damals Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in De utschland (EKD), beschreibt am 5. Februar eine „zunehmende Tendenz in Zeitschriften, Fernsehen und Werbung, auf Kosten christlicher Symbole Witze zu reißen“. Dass beispielsweise eine Plattenfirma mit einem gekreuzigten Schwein werbe, habe nichts mit Meinungsfreiheit zu tun – „das ist dreiste Blasphemie“. Hahne folgert: Wenn uns nichts m ehr heilig ist, was soll unsere Ges ellschaft dann noch zusammenhalten? Quellen kultureller Orientierung sind zu kostbar, um dem hemmungslosen Klamauk ausgeliefert werden zu dürfen.
Wer keinen Respekt mehr habe und Tabugrenzen missachte, sei dekadent, so Hahne. Auch Bischof Hans-Jochen Jaschke spricht sich in einem Interview am 7. Februar gegen Witze über Gott aus . „Was einem heilig ist, dar über macht
316 Vgl. Georg Auern heimer (1993): Die unausweichliche welthistorische Konfro ntation: Peter Scholl-Latours Fernsehserie „Das Schwert des Isla m“, in: Kle mm, Verena / Hörner, K arin [Hrsg.]: Das Schwert des „Experten “. Peter Scholl-Latours verzerrtes Araber- und Islam bild. Heidelberg: Palmyra, S. 107 - 128
M. Ata, Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien, DOI 10.1007/978-3-531-94091-5_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
man keine Witze. Man macht ja auch keine Witze über die eigene Mutter.“ Diese Haltung ist durchaus wei t verbreitet in der (katholischen) Kirche, wie die Stellungnahmen des Vatikans zeigen. Es gibt auch andere Positionen innerhalb der Kirche, die in der Bild-Zeitung jedoch nicht zu Wort kommen. In derselben Ausgabe behandelt der Artikel „Gotteslästerung in De utschland“ die Grenzen der Meinungsfreiheit. „Was ist eigentlich hier in Deutschl and, wenn christliche Symbole mißbraucht werden?“, fragt der Text. „Mißbraucht“ heißt es dabei, nicht „verhöhnt“ oder „v erspottet“. Damit erhält di e Beleidigung chri stlicher Symbole eine besondere Schärfe. Und in der Bild am Sonntag vom 12. Februar erklärt der damalige Chefredakteur Claus Strunz: „Darstellungen, die dazu geeignet sein könnten, religiöse Gefühle zu verletzen, drucken wir nicht. Das gilt für alle Reli gionen.“ Entsprechend wurden die umstrittenen MohammedKarikaturen nicht in der Bild oder Bild am Sonntag veröffentlicht. Die breite The matisierung der Beleidigung christlicher Symbole führt di e Bild-Zeitung in eine Koalition mit deutschen MuslimInnen. Häufiger als in anderen Zeitungen kommen muslimische Verbandsvertreter sowie nichtorganisierte Muslime zu Wort. Am 5. Februar darf der Vorsitzende des Islamrates, Ali KÕzÕlkaya, in einem Gastkommentar erklären, dass die Karikaturen aus seiner Sicht eine „Dokumentation für den teils unbedachten, teils absichtlich verächtlichen Umgang mit dem Islam und den Muslimen, wie er sich imm er weiter ausbreitet“, seien und dass er Gewalt als Antwort ablehne. Der größte Verband innerhalb des Islamrates ist die Milli Görü ú – eine Organisation, der vorgeworfen wird, verfassungsfeindlich zu sein und Antisemitismus zu sc hüren. Von daher ist die Veröffentlichung des Gastbeitrags in der Bild-Zeitung durchaus überraschend. Mit Ayyub Axel Köhler vom Zentralrat der Muslime kommt am 7. Februar ein z weiter Verbandsvertreter zu Wort. Im Interview erklärt Köhler, dass die Aufregung um die Karikaturen gerechtfertigt sei. Zur Menschenwürde gehöre auch die Religion. Am 7. Februar kommen auch nicht verbandlich organisierte Muslime zu Wort. Der Artikel „Im Bundestag sitzen vier muslimische Abgeordnete“ stellt die Positione n der m uslimischen Bundestagsabgeordneten dar. Lale Akgün von de r SPD und die Grüne Ekin Deligöz fühlten sich durch die Karikaturen nicht persönlich beleidigt; im Gegensatz zu HakkÕ Keskin von der Linksfraktion. Am 10. Februar werden sieben junge Muslime in Deuts chland zum Karikaturenstreit befragt. Sechs von ihnen lehnen Gewalt als Antwort explizit ab. Gleichzeitig verurteilen alle, in unterschiedlich scharfer Form, die Mohammed-Karikaturen. Protestierende Muslime im Nahen Osten, die das „Außen“ des eigenen Systems darstellen, werden in der Bild als Fanatiker und Durchgedrehte dargestellt, vor denen „wir“ Angst haben m üssen. „Woher kommt all der Haß, die
9.1 Der Diskurs in Deutschland
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blinde Wut, die sich da e ntladen?“, fragt Michael Backhaus in de r Bild am Sonntag vom 5. Februar. Es könne sein, dass „wir“ bereits in einer Vorkriegszeit lebten, erklärt der Autor. Gewaltszenarien scheinen auch in Deutschland möglich. Am 5. Februar antwortet die RTL-Reporterin Antonia Rados auf die Frage, ob auch in Deutschland Gewaltproteste drohen: „Man sollte sich keinen Illusionen hingeben, daß Länder wie Deutschland oder Frankreich, die sich nicht am Irak-Krieg beteiligt haben, von Protesten fundamentalistischer Muslime verschont bleiben. In deren Weltbild ist der gesamte Westen eins.“ Zwei Tage später schreibt die Bild-Zeitung, dass „wir uns“ vor radi kalen Islamisten fürchten müssten (Müssen wir uns vor dem Islam fürchten?, 7. Februar). Die Protestierenden in islam ischen Ländern werden als „wüte nder Mob“ und „fanatische Moslems“ (Ist das der Krieg der Kulturen?, 6. Februar) dargestellt. Rolf Kleine stellt in seinem Artikel „Toleranz ist keine Ei nbahnstraße“ vom 6. Februar den „aufgeklärten Westen“ und die „islamischen Fanatiker“ gegenüber. Hier die aufgeklärten Gesellschaften des Westens, Menschenrechte, Toleranz und Freiheit – dort isla mische Fanatiker, gelenkt von Regimes, die in westlichen W erten oft eine Bedrohung ihrer Macht sehen.
Der Konflikt um die M ohammed-Karikaturen wird in der Bild somit zu einer Gefahr für das „Innen“, für Deutschland. Von den Islamisten scheint eine reelle Bedrohung für „uns“ auszugehen. Die Bild-Zeitung kann sich während des Karikaturenstreits durch zwei Initiativen profilieren. Zum einen punktet die Zeitung im journalistischen Feld durch den Brief des Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann und de s damaligen Chefredakteurs der Hürriyet, Ertugrul Özkök. Die Zeitungs-Chefs haben am 9. Februar unter der Überschrift „Wir sind Freunde“ ei nen Aufruf zu gegenseitigem Respekt zwischen Christen und Muslimen veröffentlicht. Zum anderen punktet die Ze itung durch einen gemeinsamen Brief „Ge meinsam für F reiheit, Toleranz und Respekt“ (11. Februar) der Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Abdullah Gül. Der Aufruf der beiden Außenminister geht, wie der Brief der Chefredakteure, nicht explizit auf den Ka rikaturenstreit ein. Jedoch wird klar, dass er vor dem Hintergrund der Eskalation des K onflikts verfasst wurde. „Mit groß er Sorge sehen wir nun aber, daß sich der Graben zwischen dem ‚Westen’ und der islamischen Welt immer weiter zu öffnen scheint.“ Sie seien fest entschlossen, der Entwicklung gem einsam entgegenzutreten. Der Brief enthält sowohl Elemente aus dem deutschen Mediendiskurs als auch Elemente aus de m türkischen. Die Minister wollen s owohl den „Res pekt vor de r Kultur und Religion des anderen“, der im türkischen Diskurs betont wird, als
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
auch die „Grundwerte der Demokratie und der Freiheit“, auf de n sich der deutsche Diskurs häufig bezieht, verteidigen. Dabei werden diese Werte nicht in einem Konflikt gesehen, sondern als „ei nende Werte“ bez eichnet. Auch ande re Aussagen scheinen der einen oder anderen Seite zuordenbar zu sein. Die Betonung der Türkei als ein zwischen Ost und West vermittelndes Land gehört zur offiziellen Sprachregelung der türkischen Regierung im Karikaturenstreit. Dies findet sich im Brief wieder: „Als ei n muslimisch geprägtes Land m it europäischer Verankerung kann gerade die Türkei hier ei ne wichtige Rolle spielen.“ Die Pressefreiheit kollektivsymbolisch als „Säule der Demokratie“ zu bezeichnen, ist hingegen eindeutig deutsch bzw. westeuropäisch. „Meinungs- und Pressefreiheit sind tragende Sä ulen der Demokratie. Wo diese Werte in Frage ge stellt werden, wird auch Menschen- und Bürgerrechten Schaden zugefügt.“ Der Appell endet mit einem Aufruf zum Dialog, in dem Meinungsfreiheit und religiöser Respekt ihren Platz haben müssen. Der Streit um die Moham medKarikaturen wird als reiner Wertekonflikt dargestellt. Es ist wahrscheinlich, dass die beiden Briefe koordiniert erschienen sind. Die Bild und die Hürriyet hätten damit die Vorarbeit für den Brief der Außenminister geleistet. Aber ob ko ordiniert oder nicht: Die Briefe sind ein Be leg für die Regierungsnähe der beiden Boulevardblätter. 9.1.2 Frankfurter Allgemeine Zeitung Die FAZ sieht in dem Karikaturenstreit einen sehr grundsätzlichen Wertekonflikt, dem der Westen offensiv begegnen müsse. Der Westen dürfe sich dem religiösen Druck nicht be ugen, so de r Artikel „Karikatur“ am 2. Febr uar. Der Nachdruck der Karikaturen sei der „gebotene Schritt zur Deeskalation“ , weil damit die Brisanz von dem einzelnen Presseorgan genommen werde. Damit legitimiert die FAZ den eigenen Nachdruck von Moham med-Karikaturen. Die Grundsätzlichkeit des Konfliktes begr ündet die FAZ mit „der gewaltsamen Reaktion in der islamischen Welt“ (Strichprobe, 4. Febr uar). Die Zeitung pr oduziert in ihrer Berichterstattung sowohl einen deutlichen Gegensatz zwischen „islamischer Welt“ und „dem Westen“ als au ch einen unüberbrückbaren Widerspruch zwischen der Pressefreiheit und der Achtung religiöser Gefühle. Es gebe einen Gegensatz zwischen einem westlichen Pluralismus und kollektiven Mentalitäten, behauptet der Arti kel „Globalisierung – auch der Gefahren“ vom 9. Februar: Womit wir schon bei m Hintergrund wären: Gege nsatz zwischen eine m westlicheuropäischen freiheitlichen Pluralis mus, historisch herangewachsen in Konflikten und
9.1 Der Diskurs in Deutschland
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Katastrophen, und kollektiven religiösen und p olitischen Mentalitäten, die offen kundig mehr in der Vormoderne verhaftet sind als in einer Gegenwart, die – Gegensätze verniedlichend – als globales Dorf beschrieben wird.
Im selben Text wird auch von einem „Gegensatz zwischen amerikanischer Demokratisierungsbegeisterung und islamisch em Traditionalismus“ gesprochen. Mit dieser Gegenüberstellung be dient die FAZ orientalistische Bilder von islamischen Ländern. Zwei Mal wird in der FAZ eine Konstellation erzeugt, die die Vereinbarkeit von Pressefreiheit und der Achtung von religiösen Gefühlen unmöglich macht. „Eine Pressefreiheit, die die Religions gemeinschaft ausnehmen will, wäre keine Pressefreiheit mehr“, erklärt der Artikel „Strichprobe“ vom 4. Februar. Ähnlich deutlich äußert sich der Artikel „Bild um Bild“ genau eine n Monat später. „Im öffentlichen Raum kann nur eines ge lten, die Freiheit der Meinungsäußerung oder das religiöse Verbot – die Menschenrechte oder der Koran.“ Diese Positionen machen Zwischentöne unmöglich. Dennoch gibt es in de r FAZ auch gelegentlich sehr kurze Aufrufe, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen. Für die Zeitung ist klar, wer wen angegriffen hat. „Nicht die Dänen haben die Muslime, sondern Muslime haben Europa angegriffen.“ (Soll sich Europa selbst zensieren? 5. Februar). Daher reicht es der FAZ nicht, dass sich muslimische Verbände von Gewalt distanzieren. Am 10. Februar heißt es in „Zw eierlei Maß“: Und es gilt schon als Zeichen he rvorragender Friedfertigkeit, wenn ein muslimischer Interessenvertreter in Deutschland seine Glaubensgenossen dazu aufruft, sich nicht provozieren zu lassen. Wer provoziert da wen?
Zur FAZ-Berichterstattung gehört auch etwas, das ich „diskursive Entrechtung der Muslime“ nennen möchte. Ähnliches lässt sich auch in der Welt und im Tagesspiegel aufzeigen. Die Beanspruchung demokratischer Rechte wie das Kla ge-, Meinungs- oder das Demonstrationsrecht wird zu einem Akt der Radikalität stilisiert. So heißt es in „Schändliche Provokation“ vom 3. Februar: Die beiden Organisationen (Union der islamischen Organisationen Fran kreichs und die muslimische Organisation FNMF, Anm. M.A.) erwägen rechtliche Schritte gegen „France Soir“ und wollen sich mit der öffentlichen Entschuldigung des Besitzers der Zeitung nicht zufriedengeben. Die Gebote des Isla ms stehen au ch für Boubakeur (Vorsitzender des französischen Islamrats) über dem Grundsatz der Presse- und Meinungsfreiheit.
Während in vielen Artikeln (nicht nur in der FAZ) betont wird, dass zulässig, was nicht gesetzlich verboten ist und dass sich die Muslime an Gerichte wenden können, wird hier der Rechtsweg als radikaler Schritt da rgestellt. Die Klage
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
wird als Beleg dafür gesehen, dass den Verbänden die P resse- und Meinungsfreiheit wenig bedeute. Am selben Tag geschieht Ähnliches in dem Artikel „Voltaire, hilf!“. Die Kritik des französischen Islamrates wird mit dem Hinweis auf die angespannte Situation i n den Vorstädten delegitimiert. Kritik an de r Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in der France Soir wird hingegen nicht geübt. Nicht erst seit den Krawallen in den Vorstädten in die Lage in Frankreich ganz besonders angespannt. Doch die islamischen Kreise fühlen sich z u keinerlei Zurückhaltung bemüßigt
Ein weiteres Merkmal der FAZ-Berichterstattung ist die Relativierung der Ausländerfeindlichkeit und der verschärften Ausländerpolitik in Dänemark. Zwar wird die Verschärfung des Ausländerdiskurses und der Ausländerpolitik erwähnt, gleichzeitig aber verharmlost. Der Artikel „Nicht mehr geliebt“ vom 4. Februar berichtet, dass die Ausländerpolitik in Dänem ark mehrfach ve rschärft worden sei. Diese „Abweichung von der europäischen Norm“ stieß auf Ve rwunderung und Respekt, so der Autor Robert von Lucius. Im weiteren Verlauf schreibt von Lucius mit Blick auf die Verteidigung der Pressefreiheit durch Rasmussen: So klar un d unbeugsam wie bis zu s einem Einlenken unter Druck gab s ich Rasmussen auch in anderen Fragen. Zu Einwand erern sagt er, diese müßten sich an die dänische Gesellschaft anpassen, nicht umgekehrt.
Eine ähnliche Verharmlosung findet sich i m Artikel „Pol itische Agitation und Gelassenheit“, der am 8. Februar erschienen ist. Die Eindrücke des Fotografen Henrik Saxengren widersprächen „dem Bild, das die V erschärfung der dänischen Einwanderungsgesetze, Wahlkampfreden oder internationale Untersuchungen hatten entstehen lassen.“ Zudem wird die dänische Volkspartei in de m ausführlichen Porträt „Der dänische Januskopf“ vom 10. Februar – genau wie in der Welt – als rechts und links zugleich bezeichnet. Die Partei manövriert geschickt zwischen den Fronten: Sie ist sowohl re chts- wie auch linkspopulistisch, je nachdem, ob es u m die Verteidigung des dänischen Sozialmodells geht, gegen die EU oder um den Kampf gegen alles Fremde.
9.1 Der Diskurs in Deutschland
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Die FAZ nutzt den Karikaturenstreit auch, um die Debatte um eine deutsche Leitkultur317 voranzutreiben. Gleich in ne un Artikeln ta ucht der Be griff der „Leitkultur“ auf. Am 2. Februar wird der Konflikt um die Karikaturen als „Leitkulturkampf“ bezeichnet. E s sei kei n Zufall, dass sic h dieser Kampf in „einst multikulturell eingestellten kleinen europäischen Nationen“ abspiele. In zwei Texten am 8. Februar wird der Appell des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert für eine Leitkultur zitiert. Damit zeigt die FAZ auch die politische Nähe zu den Unionsparteien, denn „deutsche Leitkultur“ ist eines ihrer Fahnenwörter. „Obwohl die Reaktione n auf die F orderung des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU zumeist negativ waren, avancierte das Schlagwort deutsche Leitkultur (…) zum nicht unumstrittenen Fahnenwort der Union.“318 Die FAZ betont, dass der Islam bzw. islamische Terroristen selbst die Verbindung zwischen Religion und Gewalt herstellten. Die Karikaturen bildeten das nur ab. Zu jedem legitimen Selbstverständnis gibt es eine legitime Außenperspektive, die diesem Selbstverständnis zuwiderlaufen darf. Erst we nn diese Lektion begriffen ist, werden Karikaturen unterbleiben, die Moham med mit einer brennenden Lunte im Turban zeigen. Sie werden unterbleiben, nicht weil Bomben- und Boykottdrohungen Unterlassungserklärungen oder „Entschuldigungen“ erzwingen. Sie werden unterbleiben, weil es nichts Derartiges mehr zu karikieren gibt. (Karikatur, 2. Februar) Andererseits könnte selbst Kuhn sic h fragen, ob unter all denen, die Zu sammenhänge zwischen Islam und Terrorismus herstellen, ausgerechnet dänischen Karikaturen die Führungsrolle zukommt. Wären da nicht, zu m Beispiel, eher jene Isla misten zu nennen, die Christen genüßlich den Kopf abschneiden – und arabische Sender, die dies e Bilder in aller Welt verbreiten? (Ausgerechnet, 8. Februar)
Zwei Artikel von Nils Minkmar (Du bist Mohammed, 5. Februar und Raus aus der Defensive, 19. Februar) fordern, Muslime in Europa als Teil Europas anz usehen. „Es gibt keine Welt ohne M oslems, kein E uropa ohne Moslems, nicht mal eine Bundesrepublik ohne Moslems“, betont Minkmar. Er fordert, die Konfliktlinien neu zu ziehen un d Moslems als Teil des Westens zu sehen, der im „symbolischen Machtkampf“ nicht nachgeben dürfe.
317 Zum Begriff siehe: Thorsten Eitz: Leitkultur/ Deutsche Leitkultur, in: Stötzel, Georg / Eitz, Thorsten [Hrsg.]: Zeitgeschichtliches Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, S. 221 – 226 318 Thorsten Eitz: Leitkultur/Deutsche Leitkultur, in: Stötzel, Georg / Eitz, Thorsten [Hrsg.]: Zeitgeschichtliches Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, 221-226. Zum ersten Mal ö ffentlich verwendet wurde „Leitkultur“ vom damaligen Berliner Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) bei der Debatte um das Kopftuch-Urteil 1998 in Baden-Württemberg
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
Näher als andere Zeitunge n hat die FAZ die Fußball-Karikatur im Tagesspiegel an den Karikaturenstreit gerückt (Hinter dem Bombengürtel, 15. Februar). Dem Tagesspiegel ergehe es ähnlich wie der dä nischen Zeitung. Dass die Karikatur im Tagesspiegel bloß Vorwand für „blutige Auftritte“ sei, könne man noch deutlicher zu erkennen als bei der JP. Viele andere Zeitungen haben den Streit um die Fußball-Karikatur im Tagesspiegel relativ una bhängig vom Mohammed-Karikaturenstreit behandelt. 9.1.3 Süddeutsche Zeitung Die SZ diskutiert schon sehr früh die verschärfte Ausländerpolitik in Dänemark. Nachdem am 26. Januar in „Hundertachtmal national“ die Renationalisierung der dänischen Kultur durch einen Kultur-Kanon thematisiert wurde (mit kurzem Hinweis auf die Mohammed-Karikaturen), geht es am 1. Februar in „Hinter den Dünen wächst ein W all“ ausführlich um die „rigide Ausländerpolitik“ des Landes. Die „aufgeflammte Debatte“ passe zum Klima im Land, so der Artikel. Auch in vielen weiteren Texten, wie z.B. in „Publizistischer Begleitschutz“ vom 7. Februar, wird eine Verknüpfung zwischen dem Abdruck der Karikaturen und der Ausländerpolitik in Dänemark hergestellt. Damit stellt die SZ den Konflikt in einen Kontext und sichert sich Distanz zur Jyllands Posten. Die SZ ruft wiederholt zur „Mäßigung“ und „Entschärfung“ des Streits auf. Es gebe Probleme, die sich in de r Praxis nicht dadurch lösen lassen, indem man auf Grundrechte poc ht oder Tribunale einsetzt, heißt es im Artikel „Religion und Respekt“ vom 3. Fe bruar. Provokation sei nicht die r echte Art der Auseinandersetzung mit dem radikalen Islam, so der Artikel weiter. Dem Westen empfiehlt die SZ „gelassene Standfestigkeit“ (Die gelenkte Wut, 4. Februar). Die Süddeutsche Zeitung sieht von de n Protesten in islam ischen Ländern durchaus eine Gefahr für die Pressefr eiheit. Daher warnt der Artikel „Die gelenkte Wut“ am 4. Febr uar vor einer Ei nschüchterung des Westens sowie vor Einschränkungen seiner Freiheit. In „R eligion und Respekt“ erklärt R udolph Chimelli die Pressefreiheit für nicht ve rhandelbar. Der Artikel „Caroline, Muslime und die Grundrechte“ vom 8. Februar betont, dass auch schlechte Karikaturen rechtlich geschützt seien. Jedoch belässt es der Autor Heribert Prantl nicht dabei, sondern betont, dass die Karikaturen zugleich kritisiert, gescholten und auch moralisch verdammt werden dürften. Damit wird der juristischen Diskussion eine zivilgesellschaftliche Dimension beigestellt. Auch der Gastbeitrag von Moshe Zimmermann macht auf die zivilgesellschaftliche Grenzziehung bei der Meinungsfreiheit aufmerksam (Geltung und Vergeltung, 11. Februar).
9.1 Der Diskurs in Deutschland
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Jeder bestimmt nach seiner Façon, wo die Grenze der Meinungsfreiheit verläuft und wo Beleidigung anfängt. Diese Relativität de s Umgangs mit Meinungsfreiheit kann man, wenn überhaupt, nicht mit Hilfe eines Entwed er-Oder korrigieren, sondern nur über die Anwendung des so genannten „Common sense“.
In der SZ wird eine Angst vor protestierenden Muslimen in islamischen Ländern hergestellt. Der „isla mische Furor“ sei „furchteinflössend“ (sic!) (Die gelenkte Wut, 4. Februar), binnen weniger Tage sei eine Radikalisierung zu beobachten, die „ängstigt“, wütende Musli me schwüren einen heiligen Krieg (4. Februar) und es gebe eine Furcht vor einem Kampf der Kulturen (6. Februar). Die Angst vor den Muslimen wird auch durch eine kollektivsymbolisch aufgeladene Berichterstattung erzeugt. Ein „Sturm der Empörung“ sei entfesselt worden, der radikale Geist sei aus der Flasche (Ein Sturm der Empörung, gezielt entfesselt, 4. Februar). Die Sturmmetapher durchzieht große Teile des Diskursfragmentes; die islamische Welt wird zum außersystemischen Chaos gemacht. Immer wieder wird betont, dass die Proteste außer Kontrolle zu geraten drohten. Einige Länder hätten nicht die Mittel, die Proteste zu zügeln, andere nicht den Willen (Die Wut der Muslime, 6. Februar). Der Westen fühle sich zu Recht attackiert (Das Bild vom Feind, 6. Februar). Somit wird ein gefährliches Außen präsentiert, vor dem es sich zu schützen gilt. Im Gegensatz dazu werden Muslime in Europa als sehr ruhig und besonnen dargestellt. In „Früchte des Zorns“ vom 8. Februar erklärt der Autor, der „Aufruhr“ in den Niederlanden sei ausgeblieben, obwohl „Vertreter der islamischen Gemeinde ihre Empörung deutlich machten“. In Frankreich habe der Vorsitzende des Beirats der Muslime den dänischen Botschafter empfangen. Es habe in Frankreich „hier und da“ Demonstrationen gegeben, die alle friedlich abgelaufen seien. A uch in Italien habe es unter den Muslimen keine extremen Reaktionen auf die Karikaturen gegeben. Die „Union der islamischen italienischen Gemeinschaften“ habe Muslime dazu a ufgerufen, „sich bei den Protesten an die Gesetze zu halten“. Viele Artikel in der SZ sind metakommunikativ. Die Zeitung behandelt den Karikaturenstreit nicht erst am Ende der Hochphase auf einer Metaebene, sondern auch schon Anfang Februar. „Seitdem wird auf beiden Seiten schwarzweiß gemalt. Die Welt zerfällt in ein ‚wir und die’, in ‚den Westen und die Muslime’, in Freund und Feind. Die abgedroschene Wendung vom ‚Kampf der Kulturen’ macht wieder die Runde.“ (Die Macht der Zerrbilder, 11. Februar). Ebenfalls auf der Metaebene ist der wiederholte Hinweis auf gegenseitige Feindbilder. Die Krise wird gefährlich verengt auf einen Konflikt zwischen „dem Westen“ und „dem Islam“, das Feindbild lebt. (Die gelenkte Wut, 4. Februar)
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
Und in „Das Bild vom Feind“ vom 6. Februa r heißt es: „Das Feindbil d formt sich auf beiden Seiten und damit die U nfähigkeit zur Di fferenzierung und z ur Entschärfung der Konflikte.“ Feindbilder, vor allem „eigene“ Feindbilder, spielen bei anderen Zeitungen praktisch keine Rolle. Mit ihrer Berichterstattung will die SZ offensichtlich einem binären Reduktionismus entkommen und eine Zwischenposition einnehmen. Metakommunikativ ist auch de r Hinweis, dass durch Provokationen jene Angriffe erst her vorgerufen würden, „gegen welche die Freiheit dann verteidigt werden muss (Religion und Respekt, 3. Februar). Eine Besonderheit an der SZ ist die Zulassung harter Medienkritik. Die härteste Kritik im Mitte-Diskurs 319 wird vom Orientalisten Navid Kermani in dessen Gastbeitrag „Hassbilder und Massenhysterie“ (8. Fe bruar) formuliert. Die Berichterstattung in Zeitungen wird sogar als „rassistisch“ bezeichnet. Zu sprechen ist auch über die fahrlässige und zu m Teil bewusst einseitige, lügnerische Berichterstattung mancher Medien – und zwar nicht nur in der islamischen Welt. [...] Viel beleidigender als die dänischen Karika turen sind manche Bücher auf den deutschen Bestellerlisten, Titelbilder des Spiegel oder Kommentare der Springer-Presse.
Um die einfache Ge genüberstellung zu umgehen, versuchen einige Artikel, die Gemeinsamkeiten der Religi onen zu betonen; bis hin z u ihrer Gleic hsetzung. Unter anderen versucht der Religionsexperte Matthias Drobinski eine differenzierte Betrachtung herzustellen, indem er auf die „dunkle Seite der Religione n“ hinweist, namentlich das Spannungsfeld der Religionen im Bereich der Gewalt. Außerdem entkräftet er Vorwürfe gegen den Islam, indem er fragt, ob die Bibel mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ist die Bibel mit dem Grundgesetz vereinbar? Da schimpft Moses mit den Kämpfern Israels: „Warum habt ihr alle Frauen a m Leben gelassen? Nun bringt alle männlichen Kinder um und ebens o alle Frauen, die schon mit einem Mann geschlafe n haben.“ In der Apokalypse watet Gott in Blut, und selbst Jesus, der Friedfertige, sagt Sätze wie: „W er nicht für mich ist, ist gegen mich,“ oder: „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen.“
Wie die Zeitungen – a uch ohne die Verwendung von Kollektivsymbolen – zu einer Verschärfung des Konfliktes um die Mohamm ed-Karikaturen und zu einem gewalttätigen Bild der Muslime beitragen, zeigt der Artikel „Pakistan will Protest beenden“ vom 18. Februar. Nachdem der Artikel darüber berichtet, dass die pakistanische Polizei gegen gewaltsame Proteste vorgeht, werden Demonst-
319 Zum Mitte-Diskurs gehören d ie „Mainstream-Zeitungen“, die sich leicht rechts oder links d er Mitte der politischen Symbolachse verorten.
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rationen in anderen Ländern erwähnt. In Hongkong seien etwa 3000 Menschen auf die Straße gegangen, in Malaysia hätten genauso viele Demonstranten eine Puppe von George Bush verbrannt. In der Hauptstadt von Bangladesc h hätten 500 Muslime demonstriert. Selbst kleinste Demonstrationen schaffen es, auch ohne Gewalt, in die Auslandsberichterstattung der größten Abonnementzeitung Deutschlands. Das Aufgreifen dieser Mini-Demonstrationen war ein C harakteristikum vieler Zeitungen auch schon zu Beginn der Hochphase des Konfliktes. Diese Nachrichtenauswahl trug dazu bei, dass bei Lese rinnen und Lesern der Eindruck geweckt wurde, dass die Proteste eine reale Bedrohung seien. 9.1.4 Die Welt Die Welt ist die erste Zeitu ng in Deutschland, die in der Hochphase des Karikaturenstreits die um strittenen Mohammed-Karikaturen nachdruckt. „Aus Angst vor Selbstzensur“ veröffentlicht sie alle zwölf in der Jyllands Posten erschienenen Karikaturen. Wie die Welt-Redakteurin Mariam Lau auf einer Podiumsdiskussion am 3. März erklärt, hätten manche Redakteure mit dem Nachdruck die „Stimmung anheizen“ wollen. „Ich gebe sofort zu, dass manche Leute in der Redaktion bloß deshalb für den Nachdruck waren, weil sie die Stimmung anheizen wollten.“ ( Berliner Zeitung: Ein ratlose r Philosoph, 4. März). Berei ts der Blick auf den Umfang der Berichterstattung über den Karikaturenstreit macht klar, dass die Welt dem Konflikt gr oße Bedeutung beigemessen hat und eine herausragende Rolle i m Diskurs spielen wollte. Das Korpus der Welt ist das größte aller deutschen Medien. Um die eigene besondere Rolle im Diskurs zu betonen, wird in der Welt der Nachdruck der zwölf Karikaturen wiederholt thematisiert. Am 6. Februar erklärt der Artikel „Moslems zünden diplomatische Vertretungen an“: „Mit dem Nachdruck wollten viele Zeitungen ihrerseits ei n Zeichen für die Pressefreiheit setzen.“ Am selben Tag i nterpretiert Tariq Ra madan in eine m Gastbeitrag den Nachdruck in manchen Zeitungen als Anheizung des Konfliktes (Kein Kampf der Kulturen). „Gewisse Medien haben die Kontroverse noch angeheizt, indem sie die Karikaturen nachgedruckt haben“, schreibt Ramadan. Damit kritisiert er auch die Welt sehr deutlich. Am 11. Februar wi dmet sich ein Artikel de r Kritik am Nachdruck, die aus dem EU-Parlament heraus formuliert wurde (Daniel Cohn-Bendit empfindet Nachdruck der Zeichnungen als „heuchlerisch“). Daniel Cohn-Bendit, der damalige Chef der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, habe den Nachdruck in der Welt kritisiert. „Wenn es Karikaturen gewesen wären, die das Christentum oder das Judentum beleidigen, hätte das Blatt sie nicht ge-
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druckt“, wird Cohn-Bendit zitiert. Am 3. März ist der Nachdruck in der Welt ein vorerst letztes Mal Thema, als es darum geht, dass der Presserat die Veröffentlichung in der Welt für zulässig hält. Fast alle Artikel von be deutenden Welt-Redakteuren sind tendenziell eskalierend. Das „Zurückweichen“ des Westens wird kritisiert. Chefredakteur Roger Köppel schreibt am 7. Februar in „Sieg der Angst“: „Man kann die Zeichnungen kritisieren, das Motiv dahinter freilich war in Ordnung. (...) Ein schleichende r Rückzug aus Furcht schwächt die Werte, die eigentlich bekrä ftigt werden sollen.“ Vier Tage später erklärt Köppel in „Triumph des Islam“, dass der politische Islam in Europa „abermals“ einen Sieg errungen habe. Ähnlich sieht es der Kommentarchef der Welt am Sonntag, Alan Posener, am 12. Februar (Die Presse braucht keine Belehrunge n). Die relig iöse Unduldsamkeit habe eine n Sieg errungen. Christoph Keese, damaliger Chefredakteur der WamS, behauptet in derselben Ausgabe in dem Artikel „In de r Republik angekom men“, dass die Freiheit verteidigt und gesichert werden müsse. Früher sei dies eine konservative Position gewesen, „heute reicht die Einsicht weit bis in die Linke hinein“. Es sei fatal, wenn westliche Politiker die Pr esse zur Selbstzensur aufrufen, anstatt die Freiheit der Kritik zu verteidigen. Mäßigende Stimmen gibt es fast nur in Gastkommentaren wie in denen von Tariq Ramadan und Elif Shafak ode r in diverse n Interviews. Jedoch sind bei weitem nicht alle Gastbeiträge mäßigend. In ihrem Kommentar „Islamisten aller Länder, vereinigt euch“ vom 11. Februar vergleicht Alice Schwarzer320 Islamisten mit Kommunisten und mit Nazis321. Sie verteidigt auc h den Nachdruck der Mohammed-Karikaturen. Die einzig wahre Antwort auf den Terror wäre gewesen, daß alle Zeitungen im Westen – und nicht nur die wenigen tapferen – diese harmlosen Karikaturen nachdrucken.
In der Welt werden mehrfach Behauptungen aufgestellt, die nicht belegt werden. Die Zeitung hat aber damit kein Alleinstellungsmerkmal; bei Islam-Themen reichen offensichtlich häufig Mutmaßungen aus. Der Artike l „Dänische F ahnen stammen offenbar aus Pakistan“ vom 8. Februar fragt, wo die dänische Fahnen produziert wurden, die in arabischen Ländern verbrannt werden.
320 Über ihren Wechsel von einer gegenhege monialen Position im Frauendiskurs zu einer hegemonialen im Islamdiskurs: Daniela Marx (2006). Vom ‚feministischen Schreckgespenst’ zur gefragten Expertin, in: Jäger, Margarete / Link, Jürgen [Hrsg.]: Macht – Religion – Polit ik. Zur Renaissance religiöser Praktiken und Mentalitäten. Münster Unrast, 209-230 321 Der Nazi-Vergleich ist auch im Buch: Alice Schwarzer (2003) [Hrsg.]: Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz. Köln: Kiepenheuer & Witsch sehr präsent.
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Viele vermuten, die Fahnen wurden in Pakistan produziert. Bei Bestellung da uert eine Lieferung von Fahnen in arabische Länder bis zu vier Wochen. Die günstigste Fahne kostet in Dänemark 19 Euro, das ist für einen Jemeniten ein halbes Monatsgehalt.
Abgesehen davon, dass der Artikel gefä hrlich nahe an die Gre nze zur Ver schwörungstheorie kommt (schließlich können auch NäherInnen in arabischen Ländern Flaggen zum Verbrennen produzieren, da braucht es auch keine große Vorlaufzeit), wird das Hauptthem a des Artikels nur kurz behandelt und nicht belegt. Schwammiger als „viele verm uten“ geht es ka um. In „Kultur der Einschüchterung“ vom 16. Februar behauptet Mariam Lau, dass sich in Europa Fälle von S elbstzensur häuften. In de r Zivilgesellschaft ginge die An gst um, sagt sie. Ihre T hese belegt sie mit wenigen Einzelfällen. Auc h ihr Artikel bleibt schwammig. Stärker als in anderen Zeitungen kommen in der Welt einflussreiche Muslime aus islamischen Ländern und aus Europa zu Wort. Am 6. Februar erscheint ein Interview mit dem dänischen Imam Abdul Wahid Pedersen, der die Ausländerfeindlichkeit in Dänem ark anprangert. Am nächsten Tag veröffentlicht die Welt ein Portr ät über den neuen Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Ayyub Axel Köhler (Ein Konvertit führt den Zentralrat der Musli me). Darin kommen auch Aussagen von Köhler zum Karikaturenstreit vor. Wieder ein Tag später, am 8. Februa r, erscheint ein Interview m it dem Al Jazeera-Fernsehdirektor Wadah Khanfar, der die Mohammed-Zeichnungen kritisiert. Und am 9. Februar interviewt die Welt den Al-Azhar-Dozenten Elsayed Mohammed Elshahed. Dieser sieht durch die Karikaturen alle Muslime auf der Welt beleidigt. Am 11. Februar finden die Welt-Leser ein Inte rview mit dem dänischen Imam Abu Laban („Unser Vorgehen war gut“). Die Rolle der Türkei im Karikaturenstreit ist das Hauptthema in drei Arti keln. Während der Mord an einem katholischen Priester in der Türkei den meisten anderen deutschen Zeitungen nur sehr kleine Meldungen we rt ist, widm et sich die Welt gleich in z wei Texten diesem „diskursiven Erei gnis“. In „Türkischer Jugendlicher tötet katholischen Priester“ vom 7. Februar wird die Wut über die Mohammed-Karikaturen als ein mögliches Motiv des Täters genannt. Ministerpräsident Erdo÷an und die türkischen Medien hätten sich bestürzt geäußert. Am folgenden Tag berichtet der Artikel „16jähriger nach Mord an einem katholischen Priester in de r Türkei festgenommen“, dass der Ve rdächtige den Karikaturenstreit als Tatmotiv angegeben habe. Türkische Medien würden über weitere Tatmotive spekulieren, so der Artikel. Das dritte Diskursfragment zur Türkei erscheint am 19. Februa r. Erdo÷an habe sich im Karikaturenstreit als Vermittler angeboten, doch er selbst sei in der Vergangenheit wegen „islamisti-
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scher staatsfeindlicher Hetze“ verurteilt worden. Um seine Gefährlichkeit zu unterstreichen, betont de r Autor Heimo Schwilk, dass Er do÷an noch immer das Kopftuchverbot des laizistis chen Staates in Frage stelle. Diese Krit ik an Erdo÷an scheint sehr verkürzt, wenn man sich das Kopftuchverbot in der Türkei ansieht. So dürfen dort nicht nur Dozentinnen, sondern auch Studentinnen keine Kopftücher tragen. Das Kopftuchve rbot geht somit deutlich weiter als das in Deutschland (bzw. das in einigen Bundesländern) und wird auch von Liberalen und Linken als Einschnitt in die Rechte von Musliminnen angesehen. Der Artikel behauptet, Erdo÷an sei nicht glaubwürdig, weil er sich dagegen sträube, der christlichen Minderheit in seinem Land elementare bürgerliche Rechte zuzuge stehen. Zwei alarmierende Vorfälle der jüngsten Zeit stellten die „Rolle der Türkei als ehrlicher Makler im Streit um religiöse Toleranz erneut in Frage“. Erstmals wurde eine deutsche christliche Fam ilie aus der Türkei ausge wiesen, weil sie angeblich eine Gefahr für die innere Sicherheit des Landes darstellt. Und soeben ist ein italienischer Priester Opfer der Karikaturen- Hysterie geworden. In der türkischen Schwarzmeerstadt Trabzon wurde er von einem jugendlichen Fanatiker ermordet.
In diesem Artikel wird berechtigte Kritik an der Minderheitenpolitik der Türkei mit diffuser Angst verkoppelt. Denn der Mord an dem Priester hat wenig mit der Mittlerrolle der Türkei zu tun. Dass Politik er und Medien die Tat verurt eilt haben, wird in dem Text verschwiegen. Die Darstellung der Türkei in der Welt ist somit negativ, mit Ängsten verbunden und trägt kampagnenartige Züge. Die Welt berichtet sehr ausführlich über den Karikaturenstreit, jedoch praktisch ohne auf die ausländerfeindliche Politik und Stimm ung in Dänemark einzugehen. Ohnehin sind Berichte aus Dänemark eher eine Seltenheit in der Zeitung. In „Der Multi-Kultur-Traum ist au sgeträumt“ vom 6. Februa r wird die Dänische Volkspartei verharmlosend als „bürgerliche Rechtspartei“ bezeichnet. Und auch in „Dänemarks mächtigste Frau“ vom 15. Februar, in dem die Parteivorsitzende Pia Kjaersgaard porträtiert wird, spielt das Thema Rassismus keine Rolle. Kjaersgaard sei „politisch unkorre kt“. Zudem sei sie eine „talentierte Rednerin“ und die „bestgekleidete Parlamentarierin Dänemarks“. Die Welt will die Politikerin nicht als rechts bezeichnen. Sie mag es gar ni cht, in eine politische Links-rechts-S kala eingeordnet und i m gleichen Atemzug mit Jörg Haider oder Jean-Marie Le Pen genannt zu werden. Denn Kjaersgaards Patriotismus umfaßt nicht nur eine strenge Einwanderungs-, Asy l- und Rechtspolitik, sondern auch eine eher „ links“ wirkende Sozial-, Gesundheits- und Altenpolitik sowie Tierschutz.
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9.1.5 Frankfurter Rundschau Die FR-Berichterstattung der ersten Tage ist durch harte Kritik an den Karikaturen und Verständnis für die Reaktionen der Muslime gekennzeichnet. Die Jyllands Posten habe der Pressefreiheit einen schlechten Dienst erwiesen (Provokation, 31. Januar), so die Zeitung. Die Verbrennung der dänischen Fahne in Gaza sei eine „Übe rreaktion“, ein Käuferboykott hingegen ein legitimes Mittel. Der Artikel „Karikaturen der Kulturen“ vom 2. Februa r beschreibt ausführlich den Rassismus in Dänemark und macht ihn mitverantwortlich für die Eskalation des Konfliktes. „Doch es ist kein Zufall, dass es nun just in Dänemark zu dem Zusammenstoß kam, denn nirgends sonst in Europa ist in den ve rgangenen Jahren die Ausländerdebatte so gehässig geführt, sind die Zuwanderungsgesetze so brutal verschärft worden.“ Rasmussen habe die Botschafter von elf islam ischen Ländern abgewiesen als „Signal an seine Wählerschaft, dass man von den Moslems fordert, sich ‚dä nischen Werten’ unterzuordnen’“. In dem Kommentar „Pressefreiheit im Feuer“ vom 3. Februar werden die Karikaturen als „Diffamierung des Islam“ bezeichnet. Der Jyllands Posten wird in diesem Artikel unterstellt, die Pressefreiheit zu m issbrauchen. In „Das Tabu“ am selben Tag werden ägyptische Intellektuelle zitiert, die in den Karikaturen den „Höhepunkt einer in Europa grassierenden Islam-Feindlichkeit“ sehen. Und auch am Folgetag wird die Jyllands Posten angegriffen. Sie sei das „rechteste der dänischen Blätter“. Zeitungen in Schweden und Norwegen schlügen generell in der Ausländerdebatte einen „nobleren Ton“ an. In derselben Ausgabe, und damit früher als alle anderen Zeitungen, verweist die FR auf die mäßigenden Reaktionen deutscher Islamverbände (Deutsche Moslems rügen Gewalt, 4. Februar). Doch der tägliche Hinweis auf den diffamierenden Charakter der Karikaturen und die rechte Ausrichtung der Jyllands Posten verschwindet, als die Proteste im Nahen Osten weiter eskalieren und Botschaften in Brand gesetzt werden. Im Artikel „Skandinavien ist entsetzt“ vom 6. Februar wird vom „Konflikt um die angeblich den Islam beleidigenden Karrikaturen (sic!)“ gesprochen. Der Kommentar „Europas gezügelter Stolz“ di skutiert unter ande rem die Bombenkopf-Karikatur. Es ist eine wenig raffinierte, aber auc h nicht zusätzlich mit Hetz-Elementen aufgeladene zeichnerische Umsetzung des Vorwurfs, der Islam sei eine militant aggressive Veranstaltung, und das womöglich schon von allen Ursprung her. Das ist polem isch, aber keineswegs niederträchtig und nach abendländischem Verständnis allemal zulässig.
Deutlicher als bei vielen andere n Zeitungen lässt sich in der FR die zunehmend kritische Haltung gegenüber den Protesten aufzeigen. Die Zeitung ist je doch zu
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keinem Zeitpunkt hetzerisc h oder reißerisch. So erklärt die FR, warum sie die umstrittenen Karikaturen nicht abdruckt und distanziert si ch von der Welt, die sie als „ach so mutig“ bezeichnet. Die Welt scheint sich durch den frühen Nachdruck aller zwölf Karikaturen und durch ihre teils aggressive und sehr ausführliche Berichterstattung eine besondere Position im journalistischen Feld gesichert zu haben. Darauf wird zurückzukommen sein. A uch lehnen praktisch alle FRArtikel Huntingtons These vom „Kampf der Kulturen“ ab. Die Zeitung lässt sich nicht auf eine Diskussion darüber ein, ob dieser Kampf schon läuft oder bevorsteht. Wenn, dann wird der Ka rikaturenstreit nur als scheinbare Bestätigung der These vom „Kampf der Kulturen“ beschrieben. „Der ‚Kampf der Kulturen’, seit dem gleichnamigen Buch Samuel Huntingtons oft beschworen, scheint in vollem Gange.“ (Im Eifer des Gefechtes, 8. Februar) oder „Im Streit um die zwölf dänisc hen Karikaturen vom Propheten Mohammed scheinen sich Islam und Westen unversöhnlich gegenüber z u stehen“ (Totentanz der Brandstifter, 11. Februar). Auch sieht die FR im Karikaturenstreit keinen Gegensatz zwischen Pressefreiheit und der Achtung der religiösen Gefühle der Muslime. Der Konflikt sei so kompliziert, weil er auf allen Seiten für Zwecke missbraucht werde, heißt es in „Pressefreiheit im Feuer“ am 3. Februar. Er habe mit Pressefreiheit einerseits und Respekt vor religiösen Gefühlen andererseits so gut wie nichts zu t un. Die FR versuche ihrer Verantwortung gerecht zu werden, indem sie die Pre ssefreiheit verteidige und praktiziere, sich aber aus dem „Fahrwasser“ eines Journalismus fernhalte, der „mit Marketing mehr zu tun hat als mit Information und Dokumentation“. Die Frankfurter Rundschau berichtet im Untersuchungszeitraum sehr oft aus Dänemark. Allein 15 Artikel stammen vom Kopenhagen-Korrespondenten Hannes Gamillscheg. In vier seiner Texte zitiert er die l inksliberale dänische Politiken. Gamillscheg bringt mehrfach Informationen in den Diskurs ein, die keine oder kaum eine andere Zeitung aufgegriffen hat. So besc hreibt er in „Chefredakteur greift durch“ am 10. Fe bruar, dass der Zeichner der Bombenkopf-Karikatur auch eine Karikatur zeichnete, auf dem ein Davidstern mit Bombe abgebildet ist, und eine, a uf der Jesus an einem Kreuz aus Dollarscheinen zu sehen ist. Beide sollten in de r Jyllands Posten erscheinen; der Abdruck wurde aber nach heftiger Kritik abgesagt. Auch in dem Artikel „Chronik eines erhofften Streits“ vom 25. Februa r liefert Gamillscheg in dieser Detailliertheit bislang unbekannte Informationen und widerlegt das Argument, dass die Jyllands Posten nur we nige Zeichner gefunden hat (nur der Spiegel hatte ebenfalls darauf hingewiesen, dass einige a ngeschriebene Zeichner schon nicht mehr aktiv waren, Tage des Zorns, 6. Februar).
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Die Reaktionen bestätigten die Vermutung der Selbstzensur nicht. 15 der 40 Angeschriebenen waren nicht mehr aktiv, andere lehnten ab, weil sie bei anderen Zeitungen unter Vertrag standen oder keine Zeit hatten, eini ge, weil ihnen das Thema nicht lag. Zwölf Zeichner schickten ihre Entwürfe, für die sie je 800 Kronen (108 Euro) erhielten.
Schon ab dem 11. Februar gibt es in FR-Artikeln metadiskursive Elemente, die westlichen Medien werden kritisiert. Den Anfang macht der Leiter de r Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Harald Müller, in seinem Gastbeitrag „Totentanz der Brandstifter“. ...zeigt sich in die sem westlichen Diskurs einmal mehr die Arroganz, mit der wi r unser historisch gewachsenes Kulturmodell für das einzig akzeptable und weltweit verbindliche halten.
Mit dem Artikel „Starke Z eiten kommen“ vom 16. Febr uar bietet der Aut or Christian Schlüter eine Art Chronologie des Karikaturenstreits an. Im Text werden wieder die Zeitungen kritisiert, die die Mohammed-Karikaturen „in eine m Anfall von Gratismut“ nachgedruckt haben. Schlüter spricht von einer „unheimlichen Sehnsucht nach einem feindlichen, weil frem den oder absoluten Anderen“. Auch „Chronik eines erhofften Streits“ vom 25. Februar ist metadiskursiv. Der Text konzentriert sich auf die Phas e bis zur Eskalation des Streits Ende Januar. In dem Artikel „Wir gegen sie“ vom 3. März heißt es ebenfalls metadiskursiv: „Im Karikaturenstreit liefen viele muslimische Fromme auf das Feld, das die Extremen bestellt hatten, und in westlichen linksliberalen Kreisen ge hört es längst zum guten Ton, zu bekunden ‚wir’ müssten unsere Werte, unsere zivilisatorischen Errungenschaften gegen ‚sie’ verteidigen.“ Diese Beobachtung wird zum großen Teil durch die vorliegende Untersuchung gestützt. Ungewöhnlich an der FR ist, dass sich der damalige Chefredakteur Wolfgang Storz nicht zum Karikaturenstreit geäußert hat. In den meisten anderen Zeitungen, besonders in de n Wochenblättern, haben Chefredakteure recht früh Stellung bezogen und wichtige Eckpunkte der je weiligen Blattlinie v orgegeben.322
322 Der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez sieht in der Ein mischung der Chefredakteure bei großen Islamthemen ein wiederkehrendes Moment: Gerade auf den Höhepunkten von Krisen und großen Debatten jedoch, die sich um den Islam ranken – zum Beispiel in der RushdieAffäre, im Karikaturenstreit und ohnehin nach dem 11. September – schalten sich die Chefredakteure und Leitartikler als Hüter eines dezidiert Islam-kritischen und oft sehr verallgemeinernden Status quo der gesellschaftlichen Wahrnehmung ein (Kai Hafez (2002): Die politische Dimension der Auslandsberichterstattung, Bd. 2. München: Nomos)
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
Die Frankfurter Rundschau ist im Karikaturenstreit zurückhaltender und mäßigender als andere linksliberale Blätter wie die taz oder die Zeit aufgetreten. Sie hat die Karikaturen nicht nachgedruckt und früh die Jyllands Posten und die Mohammed-Karikaturen kritisiert. Anfang Februa r verwies die FR täglich auf den diffamierenden Charakter der Karikaturen und die rechte Gesinnung der Jyllands Posten. Die zunehmende Gewalttätigkeit der Proteste hat aber zu einem härteren Ton gegenüber Muslimen und zu einem sanfteren gegenüber den Karikaturen geführt. Die FR hat viele Zusatzinformationen geliefert und hatte als eine der wenigen Zeitungen medienkritische Artikel im Korpus. 9.1.6 tageszeitung Wie keine andere Zeitung befindet sich die taz im Karikaturenstreit in einer dilemmatischen Situation. Sie schwankt in den meisten Artikeln zwischen zwei Positionen, die in der Zeitung schon immer prominente Plätze eingenomme n haben: Antirassismus und die Verteidigung der Pressefreiheit. In vielen Artikeln werden die Mohammed-Karikaturen als rassistisch bezeichnet (und damit nicht nur ästhetisch bewertet). Trotzdem spricht sich die Mehrheit der Aut oren – mit dem Hinweis auf die gewalttätigen Reaktionen in muslimischen Ländern – für ihre Verteidigung aus. Die taz gehört mit der Welt und der Berliner Zeitung zu den ersten Zeitungen in Deutschland, die Mohammed-Karikaturen nachdrucken. In der Ausgabe vom 31. Januar 2006 sind die umstrittene Bombenkopf- und die JungfrauenKarikatur zu sehen. Am selben Ta g erscheint ein Kom mentar (Eine dänische Rushdie-Affäre) von Reinhard Wolff, der die dominierende Position in der taz vorgibt: Wolff bezeichnet die Jyllands Posten als „Sprachrohr des rechtsreaktionären Dänemark“ und vergleicht die Ka rikaturen mit Zeichnungen aus dem nationalsozialistischen Stürmer. Auch verweist der Artikel auf den „offen ausländerfeindlichen Kurs“ Dänemarks. Trotz der harten Kritik stellt s ich die taz aber auf die Seite der Presse freiheit. Die Reaktion „undemokratischer Regime“ wie Iran, Libyen und Saudi-Arabien la sse einer „westlichen Öffentlichkeit nur die Wahl, im Zweifel für di e Pressefreiheit einzutreten“. Die Bauchschmerzen des Redakteurs sind förmlich greifbar. Zwei Pro-contra-Artikel, die am 7. Februar veröffentlicht werden, zeigen die Differenzlinien und wichtige Eckpunkte des Sagbarkeitsfeldes innerhalb der taz. Zentrale Streitpunkte sind folgende: Waren die Karikaturen rassistisch oder nicht? Wie wichtig ist Kontext der dänischen Ausländerpolitik? Ist der aktuelle Streit ein religiöser Konflik t? In „Recht auf Rücksich t“ schreibt Ulrike Herr-
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mann, dass sich das unbeschränkte Wort leicht zur rassistischen Waffe schmieden lässt. Auch verweist sie darauf, dass in Dänemark eine Minderheit „mutwillig provoziert“ wurde. Die Karikaturen würden von vie len Einwanderern als Rassismus und nicht als religiöse De batte gedeutet, s o Herrmann. Jan Feddersen, der mit „Kein Objekt öffentlicher Fürsorge“ den pro-Artikel schrei bt, bewertet die Karikature n als nicht rassistisch. „W er diese Cartoons de s islamischen Propheten oder die Absicht dahinter rassistisch nennt, der geriert sich wie ein Pädagoge, der die kalte Zugluft der westlichen Freiheit nicht jedem zumuten möchte.“ Karikaturen seien Angebote zur Debatte. Feddersen deutet den Karikaturenstreit als Konflikt um eine Religion und erklärt, dass „religiöse Vorstellungen von dem, was richtig oder falsch ist“ im aufgeklärten Europa keine letzte Gültigkeit mehr beanspruchen könnten. Diejenigen taz-Autoren, die den Konflikt religiös deuten, gehen hart mit der „islamischen Seite“ um. Denn die taz hat eine religionsfeindliche Tradition, die auch im Karikaturenstreit fortgesetzt wird. In „Unbefleckter Unsinn“ vom 7. Fe bruar findet Jony Eisenberg in de r Beanspruchung öffentlicher Räum e durch die Religion einen Grund für die Krawalle: „Die Inanspruchnahme öffentlicher Räume durch Pfaffen, Klerikale, missionarische Eiferer und Religiöse ist allgegenwärtig.“ Die Religionsfei ndlichkeit lässt sich anhand mehrerer Artikel im Untersuchungszeitraum nachweisen: „Mit Religion kann man keinen Staat machen“ (Guter Mann Mohammed, 7. Februar), „Repression und Religion kommen durch die Hintertür wieder herein, sei es in Form religiös unterfütterter Wertedebatten oder islamistischer Gewalttaten“ (Allah alaaf, 13. Februar), „die religiöse Kraft ist den Deutschen ausgegangen – hier ist Strauß ja Recht zu geben. Aber es ist ein Se gen“ (Nicht die Nerven verlieren, 16. Februar) sind Beispiele hierfür. Die taz zeigt mit ihrer harten Kritik an den Karikaturen, der dänischen Ausländerpolitik und an einem drohenden Krieg gegen den Iran (Ohne Vernunft, 6. Februar) Parallelen zu linke n Blättern wie der jungen Welt oder dem Freitag. Auch an anderen Stellen zeigt sich die Nähe zur politischen Linken. B ettina Gaus schreibt über die Aktuelle Stunde im Bundestag, in der über den Karikaturenkonflikt debattiert wurde, dass die meisten Parlamentarier so getan hätten, als ginge es beim Konflikt um eine „Auseinandersetzung im luftleeren Raum zwischen aufrechten Demokraten und verbrecherischen oder irregeleiteten Fanatikern“. Nur Norman Paech habe den „bestechend nüchternen Hinweis“ gegeben, dass der Hass erst ein mal da sein müsse, bevor er instrum entalisiert werden könne. Hilal Sezgin weist am 8. Februar (Die Freiheit der anderen) auf Imperialismus hin.
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
Im Nahen Osten artikuliert sich ein Hass au f Westeuropa, der aus einem diffusen, aber auch nicht gänzlich unberechtigten Gefühl herrührt, Opfer früheren und heutigen Imperialismus geworden zu sein.
Auf der anderen Seite zeige n sich in der taz – z umindest oberflächlich – m it dem frühen Abdruck der Mohammed-Karikaturen Ähnlichkeiten zu konservativen Zeitungen wie d er Welt. Vermutlich weil sich die taz über die Parallelen bewusst ist, distanziert sie si ch mehrfach implizit von der Welt. Während der Artikel „Meinung, Freiheit, falsche Fre unde“ am 2. Februar die taz noch unausgesprochen in der Nähe der Welt sah („Deutsche Zeitungen haben nicht nur ausführlich über den Fall berichtet, zwei haben die umstrittenen Karikaturen abgedruckt. Eine davon wa r die taz. Das ist eine Selbstverständlichkeit“), wi rft der Islamwissenschaftler Michael Kiefer am 6. Februar Zeit ungen vor, die dänischen Karikaturen mit großspurigem Getöse nachgedruckt und damit wissentlich Öl ins Feuer gegossen zu haben. Damit ist vor allem die Welt gemeint. Drei Tage später erklärt der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, dass er dem Springer-Blatt seine Haltung nicht abne hme. „Wenn es Karikaturen gewesen wären, die das Christentum oder das J udentum beleidigen, hätte das B latt sie nicht gedruckt.“ Dass bei der taz bei antisemitischen Karikaturen und Filmen die Grenze des Sagbarkeitsfeldes (und vielleicht au ch der Pressefreiheit?) gezogen wird, zeigt ihre Berichterstattung über den iranischen Holocaust-Wettbewerb und zum türkischen Film „Tal der Wölfe“ 323. „Das schmerzt“, schreibt Daniel Bax a m 8. Februar zu Beginn seines Kommentars zum Holocaust-Wettbewerb. Zum ersten Mal wird in de r taz eingeräumt, dass es nicht stim mt, dass in „Europa a bsolute Meinungsfreiheit herrscht und je de Äußerung erlaubt ist, und sei sie noch s o verletzend“. Der Artikel gibt einen „blinden Fleck in der westlichen Argumentation“ zu. Westliche Verfechter der a bsoluten Meinungsfreiheit hätten nun ein Problem. Nähmen sie ihre e igene Rhetorik ernst, m üssten sie a uch die iranischen Karikaturen dokumentieren. Micha Brumlik fragt in einem Gastbeitrag am 11. Februar (Kampf der Symbole): „Wären wir wirklich bereit, auch hierzulande entschlossen für die Pressefrei heit einzutreten, wenn es um abfällige, die Würde der Opfer beleidigende Karikaturen zum Holocaust ginge ?“ Es gibt Hinweise darauf, dass die taz mit dem iranischen Wettbewerb auf dem falschen Fuß erwischt wurde. Dass der Kulturc hef der Jyllands Posten, Fleming Rose,
323 „Tal der Wölfe“ ist ein türkischer Kinofilm des Regisseurs Bahadir Özdener, der auch in deu tschen Kinos gelaufen ist. Dem Film bediente sich antisemitischer Stereotype und hatte in weiten Teilen eine sehr antiamerikanische Haltung.
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ankündigt, die Holocaust-Karikaturen nachdrucken zu wollen und dass er daraufhin vom Chefredakteur beurlaubt wird, findet in der taz keine Erwähnung. Möglicherweise deshalb, weil sich die Zeitung zum Nachdruck hätte positionieren müssen. In dem Kommentar „Gute Unterhaltung?“ vom 21. Fe bruar diskutiert der Autor das antisemitische Klischee des Organhandels der Juden, m it dem der Film „Tal der Wölfe“ arbeitet. Der Te xt endet mit: „Es ist verständlich, dass sich dagegen Protest regt. E in Verbot von ‚Tal der Wölfe’ dürfte dennoch unwahrscheinlich sein: Schließlich ist es ‚nur’ ein Unterhaltungsfilm.“ Ein Verbot des Filmes aufgrund seines Antisemitismus wird also vom Autor nicht abgelehnt, sondern nur als unwahrscheinlich bezeichnet. Bei der Ve rteidigung der Pressefreiheit zeigt sich die taz insofern konsequent, als dass sie auch Pressefreiheit für rechte Positionen fordert. Das zeigt die Berichterstattung über den Ausschluss der Jungen Freiheit von der Leipziger Buchmesse (Dieser Ärger mit der Frei heit, 9. Februar), die Schließung einer rechten Internetseite in Schweden (Schwedische Interessen, 16. Februar) und über den Holocaust-Leugner David Irving („Mit Gelächter von der B ühne verjagen“ 20. Februar). Ein weiteres bestim mendes Moment der taz-Berichterstattung ist de r vergleichsweise intensive Blick auf deutsche Muslime. Häufiger als andere Zeitungen kommen Muslime in Deutschla nd zu Wort. Sie w erden dabei fast ausschließlich als ruhig und besonne n dargestellt. Einzige Ausnahme ist ein gewisser Alarmismus, wenn am 10. Februar (Demonstration vor Dänischer Botschaft) ohne konkrete Anhaltspunkte darüber spekuliert wird, ob hinter dem Anmelder einer Demonstration in Berlin Iran-treue Vereine stecken könnten. Es gibt in der taz also ein Nebeneinander von ganz linken und eher konservativen Elementen. Die Zeitung, die sich in etlichen Diskursfragmenten auf das Gegensatzpaar Pressefreiheit versus religiöse Gefühle einlässt, entscheidet sich mehrheitlich, trotz aller Kritik an den Karikaturen und an der dänischen Ausländerpolitik, für die Verteidigung der Zeichnungen.
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Abb. 8 taz, 10. Februar 2006, von Klaus Stuttmann
In der taz-Karikatur vom 10. Februar 2006 sind zwei offensichtlich deutsche Männer zu sehen, die sich vermutlich in einem Café befinden. Sie sehen im Fernsehen, wie muslimische Demonstranten den Tod von Dänen, der USA und von Karikaturisten fordern. Die Männer schauen sich das Spektakel etwas ratlos an; sie verstehen nicht, warum es diese Proteste gibt. Viele Karikaturen in deutschen Zeitungen be handeln das Nicht-Verstehen von Europäern und pr otestierenden Muslimen. Die vorliegende Untersuchung legt tatsächlich nahe, dass viele Protestierende die Karikaturen tatsächlich nicht gekannt haben. 9.1.7 Der Tagesspiegel Die Berichterstattung des Tagesspiegels wird von konservativen und islamkritischen Stimmen dominiert. Der Westen müsse sich gegen die Angriffe auf die Pressefreiheit verteidigen, so der Te nor der meisten meinungsstarken Artikel. Schon am 31. Januar wendet sich der Kommentarchef Malte Lehming dem Ka-
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rikaturenstreit zu und lobt di e Wehrhaftigkeit der europäi schen Demokratien. „Wehrhafte Demokratie“ ist ein vom Bundesverfassungsgericht geprägter Begriff. Er bezeichnet das Vorgehen des Staates gegen linke und rechte „Extremisten“. Am 8. Februar schreibt Lehming, dass allein der Verdacht, dass Dänemark selbst Schuld an der Ra ndale haben könnte, eine Scha nde sei. Seine Einsc hätzung der „wehrhaften Demokratie“ revidiert Lehming in diesem Artikel: „I m Ernstfall entpuppen sich die ach so wehrhaften Demokratien als ratlos, uneins, verschämt.“ Ob die Karikaturen eine unnötige Provokation waren, sei eine Debatte von vorgestern. „Seit der v on radikalen Muslimen bewusst betriebenen Eskalation des Konflikts ist die irrelevant geworden.“ Dass es im Konflikt nicht um die Karikaturen ginge, schreiben auch andere Tagesspiegel-AutorInnen wie Caroline Fetscher in „Reflexion statt Reflexe“ am 6. Februar. Von europäischen Ländern verlangen mehrere Redakteure, „hart“ zu bleiben. Entsprechend wird oft das vermeintliche Zurückweichen von westlichen Politikern kritisiert. „Obgleich sich die EU stolz als ‚W ertegemeinschaft’ definiert, beginnen europäische Politiker schon die westliche Meinungs- und Pressefreiheit zu relativieren“, heißt es am 8. Februar bei Thomas Gack (Brüsseler Gratwanderung). Kollektivsymbole wie „in die Knie zwingen“ spielen dabei eine wichtige Rolle. Auch Kollektivsymbole aus dem Bedeutungsfeld des Militärs sind häufig präsent. Im Tagesspiegel wird de r Konflikt um die M ohammed-Karikaturen fast ausschließlich religiös gedeutet. „Konflikt zwischen Islam und Europa“, heißt es etwa im Artikel „Der Konflikt kehrt he im“ vom 4. Februar oder: „Nicht einmal ein Nebeneinander der Kulturen und Religionen erscheint da möglich“ schreibt Chefredakteur Lorenz Maroldt am 2. Febr uar (Entführt und e ntfesselt). In den Tagesspiegel-Artikeln geht es um das islamische Bilderverbot und die Gefühle der Muslime, aber praktisch nie um mögliche andere – z.B. ökonomische – Ursachen für die Proteste. Ei ne politische Kategorie kommt in der Analyse der Proteste nur dann ins Spiel, wenn behauptet wird, dass Länder wie Syrien und der Iran die Proteste lenkten. Die Einschätzung des Karikaturenstreits als religiösen Konflikt gipfelt darin, dass „die Muslime“ und „die Christen“ als ga nzes in einem Konflikt gesehen werden. Am 9. Febr uar erklärt die Wiener Studienrätin Paula Ramold in „Der Name Jesus wird geschwärzt“, dass sich Muslime zu Unrecht ihrer religiösen Toleranz rühmten. Sie m öchte „Muslimen zeigen, dass auch Christen viel erdulden in muslimischen Staaten“. Muslime fühlen si ch tief verletzt un d verurteilen ganz Europa, weil naive und dumme Karikaturen ihre Religion verhöhnten. Sie t un aber mit staatlicher Auflage Ähnliches mit Christen und ihren größten Kunstwerken.
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Über die Muslime schreibt Ramold weiter: „Sie erwarten Toleranz für ihre Religion, wenn sie in der Minderheit sind, sind aber nicht bereit, die gleiche Toleranz walten zu lassen, wenn sie in de r Mehrheit sind!“ Muslime in Europa werden damit für Handlunge n in islamischen Ländern verantwortlich gemacht. Migranten gehören in ihrer Darstellung, auch wenn sie seit Generationen in Europa leben, zur Gruppe der Muslime und werden aus der Wir-Gruppe exkludiert. Der Tagesspiegel sieht die Gefahr von Gewalt nicht nur im „Außen“, also in islamischen Ländern, sondern auch im Inneren. „Europa hat ein Problem mit seinen vierzehn Millionen M uslimen“, behauptet der Artikel „Die Sprache der Demokratie“ vom 1. Februar. Die Autorin Caroline Fetscher beschreibt zu Beginn des Textes, wie Muslime in Kopenhagen im Oktober 2005 gegen die Mohammed-Karikaturen demonstriert haben. „Man hat den Eindruck, die so genannte Parallelgesellschaft in Aktion, in Aufruhr zu erleben, wie eine bedrohliche Invasion der Una ufgeklärten wider die skandinavische Ruhe und Gefasstheit.“ Die De monstranten werden zu ei ner Bedrohung gemacht und später im Artikel implizit als Nicht-Demokraten bezeichnet, weil sie sich das Recht ne hmen, friedlich (von Gewalt ist im Text nicht die Rede ) gegen die MohammedKarikaturen zu protestieren. Auch Artikel, die eigentlich die Wir-Sie-Semantik als unpassend ansehen, reproduzieren die binäre Einteilung. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Artikel „Gute Zeiten, bessere Zeiten“ von Claudia Keller, der am 9. Februar veröffentlicht wurde. Darin schreibt die Autorin, dass sich die europäischen Muslime nicht von „aufgepeitschten Emotionen“ anstecken ließen. „Die übliche Gegenüberstellung von ‚wir’, die Nichtmuslime, und ‚die’, die Muslime, (...) schei nt zum ersten Mal aufgehoben.“ Nun stünden die Gewaltlosen unabhängig der Religion gegen Gewalt zusammen. Das m ache auch Hoffnungen auf die Entstehung eines europäischen Islam. Der Artikel endet mit folgenden Sätzen: Europäische und besonders deutsche Muslime tun im Moment jedenfalls viel, u m unser aller Vertrauen zu gewinnen. Das sollten wir nicht so schnell wieder vergessen.
Damit bedient sich Keller der Wir-Sie-Semantik, die sie zuvor als „aufgehoben“ bezeichnet hatte. Deutsche Muslime auf der einen Seite, die Wir-Gruppe auf der anderen. Der Text ist vor allem ein Beleg f ür die große Festigkeit der Wir-SieSemantik. Die binäre Reduktion ist im Karikaturenstreit äußerst wirkmächtig.324 324 Bei anderen wirkmächtigen Diskursen ist Ähn liches zu beobachten. Marc Erdl schreibt über den Diskurs u m die politische Korre ktheit: „Selbst bei Autoren, die kriti sche Positionen einnehmen, die also Kommunikationspraxis, von »korrekt/unkorrekt« etc. zu reden, fallweise kritisch untersuchen, findet sich rasch ein Rückfall in die kommunikative Praxis, das Inklusions-
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Mehrfach werden im Tagesspiegel Muslime und arabische Karikaturen in die Nähe von Nazis gerückt. In „E ntführt und e ntfesselt“ vom 2. F ebruar schreibt Maroldt: „Der Antisemitismus im ‚Stürmer’-Stil, den arabische Zeitungen pflegen, findet offenbar die Billig ung Allahs.“ In „Nichts wissen – alles glauben“ sagt die Autorin Fetscher: Mit ihrer Opferhaltung gleitet die Gruppe (der Protestierenden) zurück auf frü he Muster des Verhaltens, sie verliert an Realitätssinn un d spiegelt sich nur noch in sich selbst. Im 20. Jahrhundert war ein solcher Vorgang bei ganzen Nationen zu beobachten, an erster Stelle in Hitlerdeutschland.
Damit werden die Muslim e pathologisiert. Die Opferrolle scheint rein durch Einbildung zustande gekommen zu sein. Eine kritische Auseinande rsetzung mit den Mohamm ed-Karikaturen und der Ausländerpolitik in Däne mark findet im Tagesspiegel selten statt. Nur in dem Artikel „Oberflächlich liberal“ vom 3. Februar setzt sich die Zeitung ausführlich mit der A usländerfeindlichkeit in Dänemark auseinander. „Unter der liberalen Oberfläche ist Ausländerfei ndlichkeit keine neue Erschei nung in Dänemark“, schreibt der Autor Ole Martin Larsen. Ausländerfeindlichkeit ist auch im Text „Bedingt s olidarisch“ vom 11. Februar Thema, als der Politiken-Chef zitiert wird. Am 12. Februar behauptet der Artikel „Nichts wissen – alles glauben“, dass die Karikaturen nicht die Religion verunglimpfen wollten, sondern „deren Pervertierung durch Ideologen“. Muslimischen Politikern aus Berlin, die die Karikaturen als „res pektlos“ bezeichnen, attestiert de r Tagesspiegel gar einen „Sinn für Selbstzensur“ (Sinn für Selbstzensur, 3. Februar). Stimmen, die die Karikaturen ablehnen, gibt es lediglich in Gastbeiträgen. Zafer Senocak (Karikaturen des Glaubens, 6. Februar) sieht die Karikaturen als Beleg dafür, dass die Regier ung Rasmussen versucht, Dänemark in eine frem denfeindliche Gesellschaft zu verwandeln. Am 7. Februar schreibt der Theologe Richard Schröder: „Ohne Not eine Religionsgem einschaft zu beleidigen, ihre religiösen Gefühle zu verletzen, ist moralisch nicht zu rechtfertigen.“ In mehreren Artikeln versucht die Re dakteurin Caroline Fetscher die Grenzlinien des Konfliktes neu zu ziehen. Sie sieht in dem Konflikt eine Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Nicht-Demokraten. In „ Die Sprache der Demokratie“ am 1. Februar, „Reflexion statt Reflexe“ und „Nichts wissen – alles glauben“ am 12. Februar unterteilt sie den Konflikt nach dieser Kategorie. /Exklusionspotential des Deutungsmusters zu verwenden, und damit die Legende zu perpetuieren.“ (Marc Erdl (2004): Die Legende von der politischen Korrektheit. Bielefeld: transcript, S. 251)
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Die protestierenden Muslime gehören zu den Nicht-Demokraten, muslimische Dissidenten wie Ayaan Hirsi Ali zu den Demokraten. Damit wird die Rhetorik des Kalten Krieges weitergeführt, die die Kulturalisierung, wie sie typisch für den derzeitigen Orient-Diskurs ist, nicht braucht. Dieser Diskurs beinhaltet auch eine Forderung nach Intervention in die betroffenen Länder. Ein interessantes Detail zeigt sich am 7. Februar. Der Tagesspiegel und die Bild-Zeitung veröffentlichen am selben Tag ein Interview mit dem katholischen Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. In der Bild-Zeitung wird Jaschke – wie oben dargelegt – m it den Worten zitiert, dass man kei ne Witze über Dinge machen sollte, die einem heilig sind. Die Aussage Jaschkes passt in die Linie der BildZeitung. Im Tagesspiegel erklärt Jaschke hinge gen, dass zur Religion a uch die Kritik an ihr gehöre. Es gebe bei der künstlerischen Freiheit eine gewisse Bandbreite. Entweder hat Jaschke in den Interviews unterschiedliche Positionen vertreten (was unwahrscheinlich ist) oder die Zeitungen haben jeweils die Passagen der Interviews verwendet, die ihrer eigenen Linie am nächsten kommen. Selbst eine so unbeeinflussbar scheinende Textform wie das Intervie w kann – wie im vorliegenden Fall – „angepasst“ werden. Im Tagesspiegel-Diskurs fällt auf, dass schon früh m etadiskursive Elemente zu finden sind. Der erste Text auf Metaebene ist „Karikaturen des Glaubens“ vom 6. Februar. Zafer Senocak thematisiert darin unter anderem ein „verkrüppeltes Islambild“ und unkritische Selbst- und Fremdwahrnehmungen des Westens. Auch die Bildersprache der protestierenden Muslime wird a ufgegriffen: „Die islamische Welt bedient die Bilder, di e von i hr kursieren, eifrig selbst.“ Verstärkt tauchen ab dem 12. Februar Artikel auf einer höheren Abstraktionsebene auf, die auch metadiskursiv sind. So z.B. „Bilderkri egserklärung“ am 12. Februar, „Ausweitung der Tabuzone“ am 15. Februar, „ Schütze meine Tabus und breche die der anderen“ am 20. Februar und „Das Versprechen der Freiheit“ am 23. Februar.
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Abb. 9 Tagesspiegel, 10. Februar 2006, von Klaus Stuttmann
Am 10. Februar veröffentlicht der Tagesspiegel-Karikaturist Klaus St uttmann eine Zeichnung, die einen möglichen Einsatz der Bundeswehr im Inneren während der Fußball-W eltmeisterschaft 2006 ins Lächerliche zieht. Zu sehen sind links vier iranische Fußballspieler, die alle einen Bombengürtel tragen. Rechts stehen vier Bundeswehrsoldaten in U niform. Über der Z eichnung steht: „Warum bei der WM unbe dingt...die Bundeswehr zum Einsatz kom men muss!!!“ Die Karikatur hat kei nen religiösen Bezug. Trotzdem erreichen Protestbriefe von Iranern und iranischen Exilanten den Tagesspiegel und den Karikaturisten. Stuttmann verlässt nach Morddrohungen seine Wohnung. Seine Zeichnung wird zu einem eigenen diskursiven Ereignis mit klarem Bezug zum Karikaturenstreit. Wie heikel der Fall für den Tagesspiegel war, zeigt die Tatsache, dass sich beide Tagesspiegel-Chefs dazu geäußert haben. Die Aufre gung sei nur z u erklären durch die Unkenntnis innenpolitischer Diskussionen, so Maroldt und Casdorff auf der Titelseite der Ausgabe vom 15. Februar. Mit de n Fußball-Karikaturen wurde der Tagesspiegel zum Thema in praktisch allen tagesaktuellen Medien – meist haben die AutorInnen den Tagesspiegel in Schutz genomm en, vereinzelt wurde aber auch gefragt, ob eine solche Karikatur während des Streits um die Mohammed-Bilder nötig war. 9.1.8 Berliner Zeitung Die Berichterstattung der Berliner Zeitung beginnt mit einer Fehlannahme. Bereits am 1. Januar geht das Blatt davon aus, dass der Streit um die Mohammed-
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Karikaturen beigelegt ist. „Versöhnliche Worte in eine m absurden Konflikt“ und „lenkte Chefredakteur Carsten Juste ein“, heißt es im Artikel „Toleranzgrenzen“ von Frederik Bombosch. „Mit der öffentlichen Entschuldi gung von Chefredakteur Juste und der Erklä rung des Premiers Fogh Rasm ussen ist der Konflikt auf dänischem Boden nun offiziell beigelegt.“ Es sei jetzt eine gemeinsame Herausforderung für Dänen und dänische Muslime, den wirtschaftlichen Schaden einzudämmen. Der Text suggeriert, dass nun nach dem Streit Normalität wiederhergestellt werde. Kein Verweis ist in dem Artikel zu möglichen weiteren Gewalttätigkeiten im Nahen Osten oder ande ren Ländern zu finden. Am selben Tag druckt die Berliner Zeitung Mohammed-Karikaturen nach. Es ist nicht anzunehmen, dass die Zeitung m it dem Nachdruck pro vozieren wollte. Denn der Artikel Bomboschs macht sich über die „Tiefsinnigkeiten“ der Karikaturen lustig und verweist auf die verschärfte Ausländerpolitik in Dänemark. Auch der Kommentar „Neger und Muselman“ des ehemaligen Feuilleton-Chefs Stephan Speicher sieht die Karikaturen zwar durch die Meinungsfreiheit gedeckt, kritisiert die Zeichnungen a ber als „kümmerlich“ und „schauderhaft einfältig“. Dass der Nachdruck in westlichen Zeitungen zu einer neuen Eskalationsstufe im Karikaturenstreit geführt h at und ei ne wichtige Legiti mationsbasis für die Protestierenden war, verrät ein Blick in die türkischen Zeitunge n. Im Rückblick erscheint die Haltung der Berliner Zeitung naiv. Darauf wird zurückzukommen sein. Die Karikaturen werden auch in späteren Beiträgen in der Berliner Zeitung kritisiert. Sie seien „Zeugnisse einer Fremdenfeindlichkeit, die sich j etzt wundert, dass die Beleidigten beleidigt sind“ (Dumm, aber zulässig, 3. Februar) und „schlecht“, daran gebe es ke inen Zweifel (Eskalation im Karikaturenstreit, 6. Februar). Ein Längsschnitt zeigt, dass die Berichterstattung der Berliner Zeitung vor dem Hintergrund der Gewalt im Nahen Osten zunehmend kritischer gegenüber den Protestierenden wird. Währe nd es am 3. Februa r bei Stephan Speicher (Dumm, aber zulässig) noch heißt, dass aus „frei heitlicher Sicht“ gegen einen Wirtschaftsboykott in de r „arabischen Welt“ nichts einzuwenden sei und dass ein Staatspräsident „sehr wohl“ um Entschuldigung bitten könne, wenn sich Muslime gekränkt fühlen, ist ab dem 6. Februar eine Verschiebung zu beobachten. Frederik Bombosch lässt am 6. Febr uar in einer Reportage aus Arhaus Sympathien für die Jyllands Posten erkennen. Die Reda kteure zeigten „Haltung“, der Chefredakteur gebe sich „kämpferisch“, heißt es in seinem Artikel. Rose glaube „fest an die Kraft der freien Meinung“. Kritisch geht der Artikel mit der Delegation der dänischen Muslime um, die in den Nahe n Osten gereist war. Auch die Doppelzüngigkeit des dänischen Imamen Abu Laban wird aufge-
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griffen. Willi Germund schreibt am 7. Februar (Gegen den arroganten Westen), dass es „längst um mehr geht als um Karikaturen und um den Konflikt von Meinungsfreiheit und Respekt vor religiösen Symbolen“. Regierungen wie radikale Gruppen freuen sich vielmehr über die Gelegenheit, es dem als arrogant verschrienen Westen vor de n Augen der 1,7 Milliarden Moslems weltweit endlich heimzuzahlen.
Noch deutlicher wird die zunehm end kritische Haltung gegenüber den Muslimen in einem Kommentar von Gerold Büchner am 9. Februar (Eine Union der Angst). Die e uropäische Reaktion auf die Drohungen und B oykottaufrufe der islamischen Welt ge gen das EU -Mitglied Dänemark seien beschämend leise gewesen, so Büchner. Und: „Kopenhagen hat richtig reagiert, als es eine staatliche Entschuldigung für eine un abhängige Presseveröffentlichung ablehnte.“ Damit nimmt Büchner eine andere Position ein als sechs Tage zuvor Stephan Speicher. Ein weiteres wichtiges Moment der Berichterstattung ist die recht intensive Auseinandersetzung mit den Motiven der muslimischen Demonstranten im Nahen Osten. In ihrer Bewertung weicht die Berliner Zeitung von anderen „MitteZeitungen“ ab. Viele andere Zeitungen sehen vor allem innenpolitische und religiöse Gründe für die Ausschreitungen. Die Berliner Zeitung meint, weitere Gründe gefunden zu haben. Am 6. Februar (Ventil für angestaute Wut) wird der Karikaturenstreit als Ventil für die Wut auf de n Westen bezeichnet. „Sie (die Moslems) stellen einen Z usammenhang zwischen den Zeichnungen her mit der US-Invasion im Irak, mit Washingtons Unterstützung für Israel und der ‚Einmischung des Westens in den arabischen Ländern.’“ Am Folgetag wird der Soziologe und Demographieforscher Gunnar Heinsohn zitiert. „Es sind nicht die verletzten religiösen Gefühle, deretwegen diese jungen Männer auf die Straße gehen.“ Bei ihne n sei ein latentes Unbe hagen vorhanden, das eine F okussierung suche. Heinsohn sieht den hohen Anteil junger Männer an der Gesamtbevölkerung der arabischen Länder als wichtigen Grund für die Unruhen. Wie fast alle anderen Zeitungen bezeichnet die Berliner Zeitung die Proteste als ges teuert. Dies relativiere, so die Politologin Khadija Mohsen-Finan in ei nem Artikel am 8. Februar (Die Instrumentalisierung der Gewalt), die Idee einer grundsätzlichen Konfrontation zwischen den Kulturen. Eine Selbstkritik der Medienakteure ist im Karikaturenstreit eine Ausnahme. Kaum eine Zeitung the matisiert die Rolle der Medien im Konflikt und reflektiert die B erichterstattung in Europa. Daher ist es erwähnenswert, dass die Berliner Zeitung gleich in zwei Artikeln Medienkritik übt. Schon am 9. Februar schreibt der Feuilleton-Chef Harald Jähner einen Artikel mit der Überschrift
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„Der Mob, die Medien und die Mehrheit“, der metadiskursiv argumentiert. Im Text warnt Jähner: Nichts ist falscher, als das zu tun, wozu der Streit um die Mohammed-Karikaturen am meisten verlockt: aus ihm direkte Rückschlüsse auf das Verhältnis zwischen den Kulturen im Allgemeinen zu ziehen. (...) Die Bilder von hasserfüllten Menschen verraten nicht, wie repräsentativ sie für den kulturellen Raum sind.
In der Weltöffentlichkeit der Gegenwart regiere eine unheilige Allianz von Mob und Medien. „Wegen der emotionalen Kraft von Aufruhrbildern gehört die ganze Liebe des Fernsehens den randalierenden Menschen. Früher musste der Mob zu beträchtlicher Größe a nschwellen, um nach und nac h Beachtung zu finden, heute reichen kleine Kommandos, um die Welt binnen Stunden in Angst zu versetzen.“ Das Alltagsleben habe in dieser „Ästhetik der Erregung“ keine C hance auf Wahrnehmung. Eine Selbstreflexion über den Nachdruck von MohammedKarikaturen in der Berliner Zeitung gibt es im Text aber nicht. Beiläufige Medienkritik gibt es auch am 4. März (Ein ratloser Philosoph). Der Redebeitrag der Welt-Redakteurin Mariam Lau auf einer Veranstaltung der Heinrich-BöllStiftung scheine das völlige Desinteresse der Medien an den m uslimischen Deutschen zu bestätigen. Eine Kritik, die im Übrigen nicht auf die Berliner Zeitung zutrifft. Sie hat im Zusammenhang mit dem Karikaturenstreit drei Mal über Muslime in Deutschland berichtet und sie als besonnen dargestellt. Schon am 16. Februar endet die Hochphase der Berichterstattung der Berliner Zeitung. Fast alle Texte, die folgen, si nd Nachrichten über Proteste in isla mischen Ländern oder behandeln den Karikaturenstreit als Unterthema. Die Berliner Zeitung nimmt im Karikaturenstreit insges amt eine Mitte-Position ei n. Sie kritisiert die Karikaturen sowohl politisch als auch ästhetisch. Zugleich verweist sie auf die rechtliche Zulässi gkeit des Abdrucks. Die Zeit ung findet vor alle m politische und weniger religiöse Gründe für die Proteste in islamischen Ländern. Die frühe Medienkritik de r Berliner Zeitung bildet eine Ausnahme im Diskurs. Mit 39 Artikel n, die den Karikaturenstreit als Hauptthema aufgreifen, i st das Korpus der Berliner Zeitung relativ klein. Auch gibt es nur eine n Gastbeitrag zum Thema. 9.1.9 Mannheimer Morgen Das Korpus zum Karikaturenstreit im Mannheimer Morgen ist se hr übersichtlich. Gerade mal acht Arti kel sind ersc hienen, die den Streit als Ha uptthema aufgreifen. Sechs von ihnen sind Kommentare. Der erste Text zum Karikaturen-
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streit wird am 2. Februar veröffentlicht (Wut auf den Westen). Die Karikaturen werden darin als geschmacklos bezeichnet, die Jyllands Posten habe provozieren wollen. „Die muslimische Glaubensgemeinschaft schlägt weltweit zurück“, schreibt der Autor Michael Schröder. Dabei wird eine große Gemeinschaft von Muslimen unterstellt, die kollektivsymbolisch in die Nähe von militärischen Aktionen gerückt wird. Es dürfe keine Zensur geben, doch müsse zwischen Liberalität des freien Worts und dem Respekt gegenüber religiösen Empfinden abgewogen werden. Den eigentlichen Skandal sieht Schröder in der „Intoleranz des praktizierten Islam“. „Solange Nicht-Muslime als Ungläubige betrachtet, Christen in orientalischen Ländern unterdrückt und Juden von arabischen Medien als Schweine diffamiert werden – solange wirkt die konzentrierte Empörung über die Mohammed-Zeichnung unglaubwürdig“, schreibt der stellvertretende Chefredakteur. Der Autor kritisiert in diesem Text „beide S eiten“, wobei der Schwerpunkt eindeutig auf der Kritik am Islam liegt. Etwas anders sieht das bei einem Kommentar von Walter Serif zwei Tage später aus (Hetzer gegen Hetzer). Auch Serif bezeichnet die Karikaturen als „ geschmacklos“. Die Proteste nennt er „ferngesteuert“. Dennoch habe der UN -Generalsekretär Kofi Annan Recht, wenn „er den notwendigen Respekt vor dem Islam einklagt“. Pressefreiheit dürfe keine Ausrede sein, um Religionsgemeinschaften zu beleidigen. Zudem verweist Serif a uf Ausländerfeindlichkeit in Dänemark. „Leide r ist es in der dänischen Politik inzwischen fast schon chic geworden, gegen Ausländer zu poltern.“ In diesem Artikel liegt der Schwerpunkt auf der Kritik an den Karikaturen und der ausländerfeindlichen Stimmung in Dänemark. Eine sehr problematische Diskursverknüpfung nimmt der Kommentar „Nicht zum Nulltarif“ vom 4. Februar vor. Der Karikaturenstreit wird mit dem Thema Integration verbunden. „Wer über den Ei nbürgerungstest nachdenkt, kommt dieser Tage nicht an den gewaltsamen Reaktionen auf die Karikaturen mit dem Propheten Mohammed vorbei“, heißt es zu Beginn. Und weiter: „Dabei lässt sich in Deutschland bereits auf tieferer Ebene – im Alltag nämlich – erkennen, dass das Zusammenleben von Westeuropäern und Muslimen nicht im mer spannungsfrei abläuft.“ Als Beispiele gibt der Aut or die Absti nenz von türkischen Schülern vom Schwimmunterricht und von Klassenfahrten an. Die diskursive Aufteilung in Westeuropäer und Musli me ist ein Verfahren, mit dem Muslime aus europäische n Gesellschaften exkludiert werden. Die Abmeldung türkischer Kinder vom Schwimmunterricht und von Klass enfahrten wird zu einer Art Vorst ufe für Gewal t im Karikaturenstreit. Dies führt auch dazu, dass Muslime in Westeur opa mit denen im Nahen Osten in ei ner Einheit ge dacht werden. Eine ablehnende Verdachtshaltung gegenüber Muslimen wird im Text deutlich.
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Jan Kuhlmann sieht in seinem Kommentar vom 7. Februar (Zeit für Besonnenheit) Feindbilder auf beiden Seiten, wobei vor allem „die autoritären Regime und islamischen Fundamentalisten“ es verstünden, den Konflikt zu s chüren. Viele Muslime empfänden eine Abneigung ge gen den Westen, weil sie sich vom ihm dominiert und bevormundet fühlten. Damit wird der Konflikt nicht religiös gedeutet. „Wenn wir die gemäßigten Muslime nicht in deren (die der Radikalen) Arme treiben wollen, müssen wir sie mit Respekt behandeln – das muss der Pressefreiheit nicht wide rsprechen.“ Hier wird nicht deutlich, ob die Rede von gemäßigten Muslimen in islamischen Ländern oder von gemäßigten Muslimen in Europa ist. Es wird offensichtlich kein Unterschied gemacht. Der Artikel versucht mäßigend zu wirken, doch die Gleichsetzung von Muslimen in der ganzen Welt bewirkt wieder ihre Exklusion aus der westlichen Gesellschaft. Michael Schröder warnt am 8. Februar (Gelenkte Wut) davor, „die zig Millionen friedfertiger (!) Moslems für die Ausschreitungen verantwortlich zu machen“. Auch die damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün geht in dieselbe Richtung, wenn sie sagt, dass die Demonstrationen zahlenmäßig nicht besonders groß seien. Der Mannheimer Morgen versucht in allen Artik eln, eine mittige Position zu finden, wobei der Schwerpunkt de r Kritik mal auf den Protestierenden, m al auf den Karikaturen liegt. Ein Artikel sieht keinen Widerspruch zwischen dem Respekt gegenüber einer Religionsgemeinschaft und de r Pressefreiheit. Somit entzieht sich der Mannheimer Morgen stellenweise der absoluten Gegenüberstellung von Pressefreiheit und den Gef ühlen der Muslime. Jedoch entstehen gefährliche Effekte durch die Verschränkung mit dem Integrationsdiskurs. Probleme im Zusammenleben von Migranten und Einheimischen erscheinen als Vorstufe zur Gewalt im Karikaturenstreit. Auch die Aufteilung in Westeuropäer und Muslime ist problem atisch und fördert nicht die Integrat ion der Muslime in Deutschland, was der Mannheimer Morgen während des Karikaturenstreits aber vehement fordert. 9.1.10 Stern Nur drei Artikel sind im Stern zum Karikaturenstreit erschienen. Das verwundert, denn der Karikaturenkonflikt besaß ein großes Skandalisierungspotenzial und konnte kulturalistisch ausgeleuchtet werden. Zwei Pun kte, die einer Illustrierten wie dem Stern entgegen kommen. In der Ausgabe vom 9. Februar beschäftigt sich der Leitartikel des Chefredakteurs Andreas Petzold mit dem Konflikt um die Karikaturen. „Jede Gesell-
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schaft verteidigt, was ihr heilig ist“ lautet die Überschrift. „Verteidigen“ gehört in das Bedeutungsfeld des Militärs. Eine kriegerische Auseinandersetzung wird angedeutet. Jedoch wird hier nicht eine Seite als angreifende und die andere als verteidigende darstellt, sondern beide Seiten erscheinen als verteidigende. Meinungsfreiheit und Pressefreiheit hätten „wir“ – also die deutsche Gesellschaft – uns über Generationen hinweg erarbeiten müssen. Diese Freiheiten seien „Wasserzeichen“ „unserer“ Gesellschaft. Im Islam hingegen habe es keinen Aufklärer gegeben, der Staat und Kirc he auseinander hielt. Das bekannte Bild des Islam als voraufklärerisch und vor modern wird hier von Petz old aktualisiert. Jeder Hauch von Selbstkritik werde im Islam „erstickt“. Den Abdruck der Karikaturen bezeichnet Petzold als „ nicht klug“; di e „dänischen Kollegen“ hätten aber das Recht dazu gehabt. Im weiteren Verlauf führt der Autor „grundsätzliche Fragen“ auf, die sich der Westen nun auch stelle. x x x
Wie kann es sein, dass Ka rikaturen über den Islam so viel mehr Empörung auslösen als Terrortaten im Namen des Islam? Wieso wird von uns Respekt gegenüber muslimischen Werten eingefordert – etwa beim Kopftuchstreit –, die viele arabische Staaten nicht einm al ansatzweise Christen und Juden gewähren? Wie sollen wir dieser Unversöhnlichkeit begegnen, diesem Glauben an die absolute Überlegenheit des Islam , der sich kei nem weltlichen Gesetz unterwirft, schon gar nicht den Gesetzen der Ungläubigen?
Mit der zweiten und dritten Frage vermischt Petzold M uslime in isla mischen Ländern und Muslime in Deutschland zu einer Einheit. Denn T oleranz für das Kopftuch wird vor allem von Musliminnen gefordert, die von Kopftuchverboten betroffen sind – also vorwiegend von europäischen Musliminnen. Der fehlende Respekt gegenüber Christen und Jude n in arabischen Staaten ist hi ngegen ein arabisches Problem. Muslime in E uropa werden an dieser Stelle für Demokratiedefizite in fernen Ländern verantwortlich gemacht, die nicht einmal das Herkunftsland der Angesprochenen sein müssen. Mit Frage drei passiert Ähnliches: Der Glaube an die absolute Überlegenheit des Islam unterwerfe sich keinem Gesetz, schon gar nicht den Gesetzen der Ungläubigen. Abgesehen davon, dass allen monotheistischen Religionen ein Überlegenheitsanspruch inhärent ist und dass es auch in vielen m uslimischen Ländern sehr wohl weltliche Gesetze gibt, stellt sich die Frage, warum sich Muslime in islamischen Ländern den Gesetzen der Ungläubigen (hier wohl Christen und Juden gemeint) unterwerfen müssen. Möglicherweise sind damit auch Muslime in Europa oder Deutschland gemeint. Das würde bedeuten, dass sich die m uslimischen Migranten aufgrund ihres
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Glaubens nicht an das Recht halten könnten. Der Islam wird damit zu einer abstrakten Größe, die ein Miteinander verhindert. „Wenn schon kein Miteinander, dann sollte wenigstens ein konziliantes Nebeneinander der islamisch-arabischen Länder und des Westens möglich sein“, fährt Petzold fort. Dies sei nur möglich, wenn „alle Seiten respektieren, dass jede Gesellschaft verteidigt, was ihr he ilig ist, ob Pressefrei heit oder Bilderverbot“. Jetzt käme es auf die religiö sen islamischen Führer an, die Massen zu mäßigen. Der Aufruhr im Orient sei der richtige Anlass, selbstkritische Fragen in Moscheen zu stellen. „Solange jedoch jeglicher Streit um die Auslegung des Korans unterdrückt wird, ja lebensgefährlich ist, bleibt der Hass auf den Westen ein wohlfeiles Instrument derjenigen, die um jeden Preis ihre M acht erhalten wollen.“ Drei Dinge fallen hier a uf. Zum einen verabsc hiedet sich der Autor von der Möglichkeit eines „Mite inanders“ der Religionsgruppen. Dass nur islamische Führer die „Massen“ beruhigen könnten, zeigt Petzolds Interpretation des Karikaturenstreits als rein religiösen Konflikt. Die Verantwort ung wird ausschließlich bei den Muslimen gesehen, der Westen braucht sich offenbar keine selbstkritischen Fragen zu stellen. Auch beachtenswert ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich der Autor (der weder Theologe noch Islamwissenschaftler oder ähnliches ist) in innerislam ische Fragen einschaltet. Er fühlt sich offenbar berufen, sich in Fr agen der Koran-Auslegung einzumischen. Das ist dieselbe Selbstverständlichkeit, mit der manche muslimische Stimmen versuchen, den europäischen Ländern vorzuschreiben, wie sie mit der Pressefreiheit umgehen sollen. Der Hauptartikel zum Karikaturenstreit stammt von de m Islamwissenschaftler und Reporter Christoph Reuter. An vielen Stellen im Artikel wird ein Bedrohungszustand erzeugt. Kollektivsymbole wie „Flächenbrand“, „Funken“, Schlacht“ und „europäische Ängstlichkeit“ vermitteln eine Angst vor den arabischen Ländern. Der Artikel geht z unächst auf das „Messen mit zweierlei Maß ein“, das es in islamischen Ländern gebe. Dafür wählt der Autor das drastische Beispiel Saudi-Arabien aus, wo Christen in ihrer Religionsaus übung behindert werden, während das Land Respekt für den Propheten Mohammed einfordert. Grotesk wird es, wenn der Artikel erklärt, dass „nicht einmal alle Muslime“ sich einig seien über den Beleidigungsgehalt der Karikaturen. Den Muslimen wird eine Einheitlichkeit unterstellt, die es natürlich nicht gibt. Auf das Erstarken des Rassismus in Dänemark geht der Artikel nur in zwei Sätz en ein. In den vergangenen Jahren hätten Kampagnen wie die von Ayatollah Khomeini gegen Salman Rushdie zugenommen. Das Kopftuchverbot in Frankreich, der Mord a n Theo van Gogh und eine K oran-Schändung in Guantanamo zählt Reuter a uf. Auch einen deutschen Fall nennt der Autor.
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Auch in Deutschland gab es vor Monaten einen vergleichbaren Fall: Da mit die Schüler besser Deutsch lernen, beschlossen Lehrer, Schüler und Eltern de r Berliner HerbertHoover-Realschule gemeinsam im März 2005 die Selbstverpflichtung, dass auf dem Pausenhof nur noch Deutsch gesprochen werden sollte. Ein halbes Jahr gin g das reibungslos – bis türkische Zeitungen u nd Verbandsfunktionäre darin eine „Verbotsmentalität witterten, die „Hass“ fördere. Der Skandal kam in Fahrt – und verpuffte, als schließlich die angeblichen Opfer gefragt wurden: die Schül er, die ihre Schulordnung absolut in Ordnung fanden.
Das einzige, was der Fall der Berliner Schule mit Khomeini oder dem Fall van Gogh zu tun hat, ist eine gewisse Empörung. Er hat jedoch nichts mit dem Islam oder mit Gewalt zu tun, wes wegen er nicht in die aufgezählte Reihe passt. Hier wird eine innerdeutsche Integrationsdebatte in eine größere Erzählung eingebet tet. Türkische Medien und Verbandsve rtreter werden vom Autor in eine Reihe mit Mördern und Islamisten gestellt. Im Artikel kommen aber auch deutsche Muslime zu Wort, die sich durch die Mohammed-Karikaturen nicht beleidigt fühlen und sich gegen die Proteste im Nahen Osten stellen. Somit gibt es im Artikel sowohl Tendenzen, Muslime überall auf der Welt als Einheit zu sehe n als auch Tendenzen, einen großen Gegensatz zwischen Muslimen im Nahen Osten und in Deutschland herzustellen. Der Autor macht überdies metadiskursive Beobachtungen, die so in kaum einer anderen Zeitung auftauchen und durch di e vorliegende Diskursanalyse (zumindest in Teilen) gestützt werden: Ungeahnte Allianzen haben sich hierzulande gebildet: Konservative Bischöfe, Kommentatoren und Politiker wie der C DU-Abgeordnete Bernd Sch midbauer nutzen die Gel egenheit, gegen Gotteslästerung jeder Couleur zu wettern. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hingegen findet sich in einem Boot wieder mit Grünen-Politikern und muslimischen Repräsentanten, die es für abw egig halten, dass s ich Politiker im Namen von Zeitungen zu entschuldigen haben.
9.1.11 Focus Sieben Texte zum Karikaturenstreit sind in der Hochphase des Konfliktes im Focus veröffentlicht worden. Das Magazin hat in seiner Ausgabe vom 6. Februar drei Moha mmed-Karikaturen nachgedruckt. „Skandal um Mohammed“ ist der erste Artikel, der im Focus zum Thema erschienen ist. Der Text ist in einem alarmistischen Ton geschrieben. „Droht jetzt der ‚Kampf der Kulturen?’“, fragt der Artikel in seiner Unterzeile. Diese Fr age wird im Te xt nicht beantwortet . Jedoch wird darauf hingewiesen, dass die Situation in de n muslimischen Ländern „außer Kontrolle“ geraten sei. Der Orient-Experte Udo Steinbach wird mit
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den Worten zitiert, dass Sam uel Huntington doch Recht gehabt habe mit „seinem Kampf der Kulturen“. Auch immer mehr westliche Politiker fürchteten dies, so der Artikel. Ob das „Appeasement“ der Regierungen in Großbritannien, Frankreich und den USA fruchtet, scheine fraglich. Mit dem Begriff des „A ppeasement“ spielt der Text auf die Politik des britischen Premierministers Neville Chamberlain gegenüber Adolf Hitler an. Um einen Krieg zu vermeiden, hatte Chamberlain große Konzessionen gemacht; der Zweite Weltkrieg konnte dennoch nicht verhindert werden. Die protestierenden Muslime erscheinen also implizit als kriegsbereite Nazi s. Der Artikel hinterfragt ni cht die Motive der Jyllands Posten bei der Veröffentlichung der Ka rikaturen, sondern übernimmt die Zeitungs-eigene Darstellung. Eigentlich hatte „ Jyllands Posten“ mit der Veröffentlichung von zwölf K arikaturen des Propheten Mohammed ein Zeichen setzen wolle n. Ein Zeichen gegen di e Selbstzensur vieler europäischer Medien in Fragen des Islam.
Über die rechtskonservative Ausrichtung der Zeitung und die verschä rfte Ausländerpolitik in Dänemark verliert der Artik el kein Wort. Auch beschäftigt sich der Text nicht mit dem Inhalt und der Qualität der Zeichnungen, genauso wenig wird das Bilderverbot im Islam erwähnt. So erscheinen die Proteste vollkommen unverständlich. In derselben Ausgabe erscheint ein Interview mit dem französischen Anthropologen Malek Chebel über die Modernisierung des Islam. Während die Antworten von Chebel durcha us differenziert sind, zeugen die Fragen von großer Einseitigkeit des Focus-Journalisten. Wichtige journalistische Standards missachtend stellt der Interviewer wiederholt Suggestivfragen325. „Zeugen die Reaktionen nicht von einem Minderwertigkeitskomplex?“ Eine weitere Frage lautet: „Warum kam die Menschenrechts-Charta nie bei den Muslim en an?“ Der Fragensteller bzw. die Fragenst ellerin spricht von „den Muslim en“. Damit wird nicht nur Musli men in isla mischen Ländern unterstellt, die MenschenrechtsCharta zu missachten, sondern auch den europäischen Muslimen. Am 13. Febr uar beschäftigt sich der da malige Chefredakteur Helmut Markwort mit dem Karikaturenstreit. In autoritär regierten Ländern seien die Proteste besonders aggressiv gewesen, Muslime in Deutschland hätten sich hin-
325 Suggestivfragen können in journalis tischen Interviews durchaus nützlich, beispielsweise u m den Interviewten aus der Reserve zu locken und für Em otionalität zu s orgen, (Vgl. Jürge n Friedrichs / Ulrich Schwinges (2009 ): Das journalistische Interview. Wiesbaden: VS Verl ag, S. 76) doch in diesem Interview gibt es keinen Grund, Suggestivfragen zu stellen.
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gegen nicht zu terroristischen Aktione n „verführen“ lassen. Presse freiheit bezeichnet Markwort als „Rezept“ für m ehr Toleranz. Das Kollektivsymbol „Rezept“ entstammt der Medizin. Islam ischen Ländern wird eine Krankheit unterstellt. „Wir“ müssten die Informations- und Meinungsfreiheit verteidigen. Selbst die „Tyrannen“ in den islamischen Ländern wüssten, dass diese Freiheiten wichtigste Voraussetzung für Demokratie sind. Alarmistisch ist auch der Artikel „Aufruf zum Dschihad“ vom 13. Februar. Die Muslime erscheinen wild entschlossen, den Kulturkampf zu suchen, ungeachtet aller Entschuldigungsversuche und Erklärungen. Dass die Entschuldigung der Jyllands Posten nur eine halbherzige war, wird nicht gesagt. „Überhört wird auch das Eingeständnis von Imam Ahmed Akkari, dass z u Stimmungsmache noch schlimmere Karikaturen dazugemogelt wurden.“ Tatsächlich hat Akkari nur zugegeben, dass weitere Abbildungen hinzugefügt wurden. Er will aber nicht behauptet haben, dass sie in der Jyllands Posten erschienen sind. Der Alarmismus des Artikels entsteht dadurch, dass alle Muslime als gefährlich dargestellt werden. Solch kriegerisches Vokabular ist unter Islam isten nichts Neues. Neu ist allerdings, dass die Hasstiraden auf einen so breiten Widerhall stoßen. Zum ersten Mal seit dem Irakkrieg fällt die isla mistische Kampfansage auch bei der norm alen Bevölkerung wieder auf fruchtbaren Boden, denn die Musli me fühlen sich tatsächlich angegriffen und ein Dschihad – ein Heiliger Krieg – ist für alle Gläubigen Pflicht, sofern die Umma attackiert wird.
Dass viele nicht-religiöse Konflikte und Kämpfe religiös gedeutet werden, zeigt der Artikel „Wir bringen euch alle um !“ vom 25. Februar. Ähnliches ist auch in anderen Zeitungen zu finden. „In vielen islamischen Staaten sollen die C hristen für die dänischen Mohammed-Karikaturen büßen“, heißt es im Artikel. Nir gends seien die religiösen Kämpfe schlimmer als in Afrikas bevölkerungsreichstem Staat Nigeria. Die Gewalt in Nigeria, wo etwa die Hälfte der Bevölkerung muslimisch ist und rund 40 Prozent christlich, ist ein politischer Konflikt, wie die Forschung immer wieder feststellt. Doch hier wird sie ausschließlich religiös gedeutet. 9.1.12 Rheinischer Merkur In dem Artikel „Wenn Kunst zum Ärgernis wird“ vom 9. Februar diskutiert der Redakteur Rudolf Zewell die Meinungsfreiheit aus juristischer Perspektive. Dabei geht es ihm vor allem um Paragraf 166 des Strafgesetzbuches. „Wer öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist,
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den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe oder m it Geldstrafe bestraft.“ Die Beispiele für Rechtstre ite, die der Artikel aufführt, sind ausschließlich Fälle von Beleidigungen christlicher Symbole. Der Paragraf 166 sei in seiner ursprünglichen Intention mittlerweile eine Farce, erklärt der Autor. In Rechtssprechung und juristischer Literatur wird immer gefestigter davon ausgegangen, dass es nicht ausreicht, wenn betroffene Bürge r, auch in größerer Zahl, ihre E mpörung über beschimpfende und verletzende Äußerungen und Darstellungen ausdrücken, öffentlich protestieren oder strafgerichtliche Verfolgung fordern. Mehrfach wurde durch Gesetzesinitiativen über den Bu ndesrat und im Bundestag versucht, den Passu s der „ Störung des öffentlichen Friedens“ aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.
Der Autor zeigt Sympathie für eine Verschärfung des Paragrafen, welche die Unionsparteien in der Vergangenheit durchsetzen wollten. Die Auseinandersetzung um die Karikaturen habe der Frage, ob die Freiheit der Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft über allem steht und keine Grenzen kennt, „eine neue dramatische Wendung gegeben“. Die Grenzen der Meinungsfreiheit zu thematisieren, insbesondere mit Blick auf christliche Sym bole, ist für viele KirchenvertreterInnen und konservativ e PolitikerInnen im Karikaturenstreit spezifisch. Die kirchennahe Position des Rheinischen Merkurs wird de utlich. Am 16. Februar („Wir halten Kritik aus“) greift er die besonnene Haltung der dänischen Kirche auf; in zwei Artikeln wird die Gewalt gegen Christen in Nigeria thematisiert. Der Rheinische Merkur nimmt den Karikaturenstreit zwei Mal zum Anlass, um über Integration zu schreiben. In einem Interview mit der damaligen Islambeauftragten der SPD-Bundestagsfraktion Lale Akgün fragt die Zeitung: „Durch den Karikaturenstreit stellt sich auch die Frage nach der Integrationspolitik. Was ist schief gelaufen?“ Warum der Interviewer diese Verbindung herstellt, ist nicht unmittelbar ersichtlich. Er hätte auch genau das Gegenteil fragen können, schließlich gab es i n Deutschland keine gewalttätigen Ausschreitungen ode r Aufrufe zu Gewalt. Auch der Artikel „Schreiende Sprachlosigkeit“ vom 16. Februar beschäftigt sich m it Integration und den Kari katuren. „Berlin Kreuzberg: Bisher gab es keine gewaltsamen Proteste. Die Fana tiker wirken im Verborgenen“, heißt es in der Unterzeile. Im Grunde beschäftigt sich der Artikel mit Integrationsproblemen in Kre uzberg, mit einer Grundschule mit einem hohen Migrantenanteil. Der Bezug zum Karikaturenstreit wirkt künstlich. Die große „Versuchswerkstatt“ Kreuzberg sei durch die Gewalt in der arabischen Welt weiter in Bewegung geraten. Wie genau, erklärt der Artikel nicht. Ein Generalverdacht ist im weiteren Verlauf des Artikels zu finden:
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Einerseits ist es in Kreuzberg während des Ka rikaturenstreits ruhig geblieben. Die meisten muslimischen Organisationen haben zur Mäßigung aufgerufen – sei es aus Überzeugung oder aus Angst, ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten. Denn kritische Organisationen gibt es genug, von den Gruppen im Dunstkreis der „Grauen Wölfe“ bis hin zu Aktivisten von Milli Görüs. Die Fanatiker versuchen, „abgeschottete Gemeinschaften“ zu schmieden, heißt es in einer wis senschaftlichen Studie zum Islamismus in BerlinKreuzberg.
„Einerseits“ ruhig geblieben. Ein „andererseits“ gibt es im Folgenden aber nicht. Das kann eine sprachliche Unsauberkeit sein, es kann aber auch eine Verstärkung der diffusen Angst sein, die im Artikel vor herrscht. Das „a ndererseits“ kann sich der Leser selbst denken. Neben der Thematisierung der Grenzen der Meinungsfreiheit und der Verknüpfung mit dem Integrationsdiskurs ist die Kritik am Rassismus in Dänemark ein wichtiges Moment der Berichters tattung. In einem vergleichsweise langen Artikel am 23. Februar (Rutschbahn des Rassismus) behandelt Marc-Christoph Wagner die Rolle des dänischen Rassismus bei der Eskalation des Karikaturenstreits. Dass Dänemark selbst zu de m internationalen Aufruhr um die Mohammed-Karikaturen beigetragen haben könnte, weist man im dänischen Staatsministerium von sich. Seit Jahren ist die Zuwanderungs- und Integrationsdebatte das beherrschende Thema in der dänischen Öffentlichkeit.
Wagner beschreibt, wie der konservative Kulturminister Brian Mikkel sen fünf Tage vor der Veröffentlichung der Karikaturen eine Rede hielt, die „nicht wenige Kritiker an die Blut-und-Boden-Propaganda der Nationalsozialisten erinnerte“ und wie Louise Frevert von der Dänischen Volkspartei Moslems mit Krebsgeschwüren verglich. Dass dies „mehr mit den heftigen Reaktionen in der arabischen Welt zu tun hat, als zunächst angenommen“, habe die Tageszeitung Politiken aufgedeckt. In dem Brief von elf Botschaftern an Rasmussen sei es nicht nur um die Karikaturen, s ondern auch die Rede des Kulturministers und de r Volkspartei-Politikerin gegangen. Der Autor bilanziert: „Hätte sich Rasm ussen mit den Botschaftern frühzeitig zu einem Meinungsaustausch getroffen und sich persönlich von den extremsten Äußerungen und Karikaturen distanziert, wäre das Schlimmste vielleicht abgewe ndet worden.“ Keine andere Zeitung hat die Dokumentation der Politiken aufgegriffen und eine direkte Verbindung von rassistischem Diskurs in Dänemark und de r Eskalation im Karikaturenstreit zum Thema hergestellt. Kritik an den Karikaturen und am „fehlenden Respekt“ gegenüber anderen Religionen übt der Religionswissenschaftler Udo Tworuschka in einem Interview am 16. Februar.
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Wie die Kirchen nutzt der Rheinische Merkur den Karikaturenstreit, um – besonders mit Blick auf das Christentum – die Grenzen der Meinungsfreiheit zu diskutieren. Dabei wird eine Verschärfung des Paragrafen 166 des StGB implizit befürwortet. Der dänischen Regierung und dem fehlenden Res pekt gegenüber anderen Religionen wird eine Mitschuld an der Eskalation gegeben. Problematisch ist die Verk nüpfung mit dem Integrationsdiskurs, die eine diffuse Angst gegenüber deutschen Muslimen verbreitet. 9.1.13 Die Zeit Der Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo beschäftigt sich am 9. Februar in einem Leitartikel mit dem Karikaturenstreit. Darin nimmt er sehr viele Momente der Berichterstattung seiner Zeitung vorweg. Wie in vielen anderen Zeitungen auch gibt es hier eine Verknüpfung der Diskurse um die Karikaturen mit denen um den iranisc hen Atomkonflikt und um Integration. Jedoch verknüpft di Lorenzo die Themen expliziter als ande re. „Man möchte das heillose Durcheinander so gern entwirren, Hysterie und wirkliche Bedrohung sauber trennen, Ursache und Wirkung auseinander halten. Aber diesmal geht das nicht .“ Diese Diskursverknüpfungen werden in der Zeit noch mehrfach vorkommen. Di Lorenzos Artikel beinha ltet sowohl mäßigende als a uch pauschalisierende Elemente. Der Autor fragt: „Wenn es aber der Zusammenstoß der Kulturen nicht ist – was ist es dann ?“ Die üblichen Beschwicht igungen griffen diesmal nicht. Zugleich betont di Lore nzo, dass sich jede vorsätzliche Provokation der Muslime verbiete. „Nicht aus Angst vor einer fremden Religion“, erklärt er. Der Islam wird nicht nur in diesem Satz als „fremd“ bezeichnet, sondern auch in der Unterzeile des Artikels als fremd dargestellt: „Der Islam und wir.“ Während di Lorenzo im ersten Teil des Te xtes von einem Kampf der Kulturen spricht, sieht er gegen Ende keinen Zusammenstoß der Kulturen. „Es gibt zurzeit keinen Zusammenstoß der Kulturen, weil auf westlicher Seite kaum jemand zu erkennen ist, der diesen Zusammenstoß ansteuerte.“ Die EU kri tisiert di Lorenzo für ihre zurückhaltende Haltung im Karikaturenstreit. Ähnliche Kri tik übt auch Zeit-Herausgeber Josef Joffe am 16. Februar, wenn er der EU Versagen im „Cartoon-Krieg“ attestiert. Auch die USA werden hart angegriffen. Oder die Verlogenheit, mit der amerikanische Regierende die Verletzung der Würde von Muslimen durch dänische Karikature n beklagen, als hätten sie sich dafür durch die besondere Achtung ihrer islamischen Gefangenen in Abu Ghraib oder Guantanamo qualifiziert.
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Der Artikel „Risse im Abendland“ kritisiert ebenfalls die USA. Die BushRegierung wittere eine Chance, sich auf Kosten der Europäer zu profilieren. Die Thematisierung von Abu Ghraib und Guantanamo in Verbindung mit dem Karikaturenstreit erfolgt auch im Artikel „Nach unserem Bild“ am 23. Februar. Dort fordert Robert Leicht, den Kampf der Kulturen innerhalb des Westens austragen. „Die Regierung Bush gegen den Rest der (westlichen) Welt.“ Die Diskursverknüpfung m it der Integrationsthematik erfolgt in der Zeit über den Hinweis auf einen Brief von 60 Migrationsforschern, mit dem sie für eine Versachlichung der Integrationsdebatte plädieren. Der Brief wurde am 2. Februar 2006, also eine Woche vor dem untersuchten Leitartikel, in der Zeit abgedruckt. Erst seit kurzem trauten sich Kritiker (wie Necla Kelek), die „offenbar wieder zunehmende Unterdrückung von Frauen in Migran tenfamilien“ zu benennen, so di Lorenzo. Die Forscher hingegen würden die „Diskriminierungskeule“ schwingen und „ Gerechtigkeit für die Muslime!“ fordern. Genau genommen hatten die Migrationsf orscher nicht „Gerechtigkeit für die Muslime“ verlangt. Die pathetische Überschrift stammt laut der Mitverfasse rin Yasemin Karakaso÷lu von der Zeit selbst. Di Lorenzo skandalisiert also seine eigene Überschrift. Der Chefredakteur fordert auch eine offensive Verteidigung „jener Prinzipien, die unseren säkularen Staat begründen – der Freiheit der Meinungen, der Trennung von Staat und Kirch e, der Gleichberechtigung von Mann und Frau.“ Die Jyllands Posten und die Karikaturen werden im Artikel ver harmlost. Die JP sei „keinesfalls rechtsradikal gesinnt“, sondern konservativ. Die JP ist tatsächlich nicht rechtradikal, sie ist aber mehr als nur konservativ. Die Kari katuren hätten nicht Mohammed oder den muslimischen Glauben zum Ziel, sondern die Perversion von Glauben, den gewalttätigen Fundamentalismus, meint di Lorenzo. Viele Artikel in der Zeit plädieren dafür, deutsche (und gemäßigte) Muslime nicht zu beleidigen und sie für den Westen zu gewinnen. „Risse im Abendland“ vom 9. Februar beschreibt eine „radikale Wende“ in Deutschland. Die islamischen Verbände hatten sich von de r Gewalt in der islamischen Welt distanziert. Der Artikel macht die „prinzipienfeste und zugleich mitfühlende Haltung der deutschen Regierung“ dafür mitverantwortlich, dass sich gem äßigte Stimmen unter den Muslimen durchsetzen könnten. A uch der A rtikel „In der entgrenzten Welt“ vom 2. März for dert, den „europäischen Muslimen eine Offerte zu unterbreiten“. Ein weiteres wichtiges Moment der Zeit-Berichterstattung ist die Forderung nach Selbstkritik des Westens. „Kritik und Selbstkritik sind der Wesenskern des Westens“, schreibt der Feuilleton-Chef Jens Jesse am 23. Februar. Selbstkritik
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mache den Westen stark. Dass die Zeit Selbstkritik propagiert, um das Dominanzverhältnis zur „islamischen Welt“ wiederherzustellen, zeigt der Artikel „In einer entgrenzten Welt“ vom 2. März des damaligen Chefkorrespondenten Gunter Hofmann. Darin heißt es: Wenn das Wünschen helfen würde - dann wünschte man sich eine selbstkritische Debatte über Verdrängtes, über den europäischen und auch transatlantischen Weg oder darüber, wie die verlorene „normative Autorität“ wiederzugewinnen sei.
Der Artikel „In der Festung Dänemark“ vom 9. März be handelt ausführlich die Ausländerfeindlichkeit in Dänemark. In den Artikeln zuvor, als der Karikaturenstreit eine besondere Aufmerksamkeit genoss, wurde die Ausländerfeindlichkeit nur zwei Mal kurz angerissen. Die Verbreitung in der arabischen Welt besorgten aber nicht die Journalisten, sondern in Dänemark ansässige Imame, womöglich aufgebracht wegen der rabiaten Ausländergesetze im Lande. (Verteidigung der Freiheit, 9. Februar) Im Anfang war Dänemark: Journalisten, denen die Provokation irgendwie am Herzen lag, ein Regierungschef, der mit einer Antiausländerkampagne an die Macht g ekommen war, eine Gruppe radikalisierter dänischer Muslime, die in die Welt auszogen, sich an ihrem Land zu rächen. (Die unheiligen Väter des islamischen Zorns, 9. Februar)
Der Text beschreibt ausführlich die Verschärfung des Migrationsdiskurses und der Migrationspolitik i n Dänemark. Als Zäsur bene nnt der Autor Wolfgang Zank die Regi erungsübernahme von Fogh Rasmussen im Jahr 2001; er habe „rechte Blockpolitik“ betreiben können und sehr schnell die Einwanderungspolitik, insbesondere die Einbürgerungsregelungen und den Ehegattennachzug, verschärft. Als bisher letztes Glied de r Ausländerfeindlichkeit werden die Mohammed-Karikaturen in der Jyllands Posten dargestellt. Fleming Rose habe die Karikaturen als „Verhöhnung als Erziehung zur Demokratie“ umschrieben. Die „Verhöhnungsfreiheit“ gelte aber nicht für die christliche Mehrheit, wie der Autor anhand eines Beispiels mit Jesus-Sandalen zu belegen meint. Die ausländerfeindliche Politik wird von Zank mitverantwortlich für die Eskalation des Karikaturenstreits gemacht. Rasmussen habe Schritte zur Eindämmung unterlassen: Zum einen nahm er vorher niemals Stellung zu den antiisla mischen Tiraden von rechts. Das hätte ja schlie ßlich das Klima der Zusamm enarbeit mit der Dänischen Volkspartei belastet. Auch nach Ausbruch der Krise distanzierte er sich nur in ga nz allgemeinen Wendungen von fremdenfeindlichen Äußerungen.
Die Berichterstattung in der Zeit ist sowohl von mäßigenden als auch von pauschalisierenden Elementen geprägt, wie schon de r Leitartikel des Chefredak-
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teurs Giovanni di Lorenzo gezeigt hat. Die Diskursverknüpfung mit dem Atomstreit und der Integrationsdebatte führt zu problematischen Sinnerzeugungen. Die Zeit nutzt den Ka rikaturenstreit, um die USA ( bzw. die Bush-Regi erung) anzugreifen. Die Politik der Vereinigten Staaten wird als „verlogen“ bezeichnet. Die Forderung nach Selbstkritik ist eng verknüpft mit dem Wunsch, Dominanz auf die islamische Welt auszuüben. Zudem wird in der Zeit der Karikaturenstreit als religiöser Konflikt gedeutet (siehe „Freiheit und Hass“, 16. Februar). 9.1.14 Der Spiegel In dem zentralen Artikel „Tage des Zorns“ am 6. Februar beschreibt der Spiegel eine absolute Konfrontation des Islams und des Westens. „Aufruhr bei den Muslimen in aller Welt“, hei ßt es in de r Unterzeile. „Die Gläubi gen“ bezichtigten den Westen der Gotteslästerung. Der Zusammenprall der Kulturen eskaliere. „Vorherige Woche erhob sich die m uslimische Welt und drohte einem Westen, der ihren Propheten gelästert hatte“, so de r Text. Die U mma sei aufge standen gegen die Ungläubigen, „Morgenland gegen Abendland“. Der Spiegel treibt damit den Binärism us zwischen Islam und dem Westen auf die Spitze. Durch den Kollektivsingular erscheinen die Muslime und der Westen jeweils als einheitlicher Block, wobei die Muslime als radikal dargestellt werden. Der Arti kel ist stark kollektivsymbolisch aufgeladen. Von einem „Sturm“, einer „Terrorwelle“ und einer „Welle der Empörung“ ist die Rede, die Fatah gebe sich „rachedurstig“. Der Kontext der Ausländerfeindlichkeit in Däne mark wird nur kurz angedeutet: Auch Regierungschef Fogh Ras mussen nicht, dem die Debatte um islamische Frömmigkeit und heimische Meinungsfreiheit zunächst in sein politisches Ko nzept zu passen schien, mit dem er in Dänemark das Misstrauen gegen Migranten verschärft hat.
Im weiteren Verlauf des Textes wird zwei Mal darauf hingewiesen, dass „beide Seiten“ den Zusammenstoß nutzten und „Feuer schüren“. Kritiker fühlten sich durch die Moham med-Karikaturen an Zei chnungen im nationalsozialistischen Stürmer erinnert. Dem Islam wird attestiert, „geistig erstarrt“ zu sein. Es brauche nur einen „Zündfunken“, um die „arabische Stra ße“ aufzuhetzen. Muslime werden damit als explosiv darstellt und somit zu einem außersystemischen Chaos gemacht. Während zu Beginn noch von einer Eskalation des Zusammenpralls der Kulturen gesprochen wurde, distanziert sich der Artikel später von Huntingtons Thesen.
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Für das pauschale Feindbild ist auc h Harvard-Professor Samuel Huntington mit seinem Buch „Kampf der Kulturen“ verantwortlich. Darin spricht er pauschal vo n den „blutigen Grenzen“ des Islam und deren Unüb erwindbarkeit – als lebten nicht zig Millionen Muslime in Frieden mit sich und ihrer Umwelt, als gäbe es im Islam nicht eine aufklärerische Tendenz, die freilich, auf der Suche nach einem islamischen Luther, noch in den Anfängen steckt.
Diese Differenzierung geht aber im Gesamttext eher unter. Denn am Anfang wird der Rahmen für die De utung des Konfliktes gesteckt, an dem sich der Le ser orientiert. Zudem bewirkt das eingebettete Interview m it der Islam Kritikerin Ayaan Hirsi Ali eine Verschärfung des Spiegel-Diskurses. Der Westen dürfe nicht immer „die andere Wange hinhalten“, wenn er angegriffen wird, erklärt Ali. Sie fordert, die Karikaturen überall abzudrucken. Am 13. Februar veröffentlicht der Spiegel ein Interview mit dem dänischen Ministerpräsidenten Fogh Rasmussen. Darin zeigt sich der Interviewte recht defensiv und bez eichnet die Vorkommnisse zwei Mal als „Missverstä ndnis“. Er bewerte den Streit nicht als Kampf der Kulturen, die Proteste hätten nichts mehr mit den Mohammed-Karikaturen zu tun. Es ginge im Konflikt nicht um Karikaturen, sondern um demokratische Grundwerte, so Rasmussen. In dem Interview verteidigt er auch die Dänische Volkspartei. Sie sei nicht fremdenfeindlich, sondern vertrete harte Positionen zu Ein wanderung und Kriminalität. In ande ren Politikfeldern sei sie jedoch links. In derselben Ausgabe erscheint ein Be itrag des konse rvativen Schriftstellers Botho Strauß. Mit ihm kann der Spiegel im journalistischen Feld punkten und wird zum meistzitierten Medium im Diskurs. Fast all e Tageszeitungen im untersuchten Korpus beziehen sich auf di esen Artikel. In seinen Artikel steig t Strauß damit ein, dass Jea n-Marie Le Pen zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt wurde, weil er „pole misch“ gesagt habe, dass es in Frankreich bald „25 Millionen Muslime geben werde, an denen die Franzosen dann mit gesenktem Haupt vorbeigehen“ müssten. Die Muslime werden bei Strauß zu einer Bedrohung im Inneren: Auch liberalere Geister können sich bei Gelegenheit der aktuellen Unruhen fragen, ob die erfolgreichen Abwehrkämpfe, die das christliche Europa einst gegen den Ansturm arabischer Mächte führte, von heute aus gesehen nicht umsonst gewesen sind.
Was folgt aus den Bem erkungen von Strauß? Dass es e inen neuen Abwehrkampf braucht, um einen „Ansturm“ von Innen zu begegnen? Im weiteren Verlauf des Artikels dreht sich vieles um die Frage der „Dominanz“ bzw. der Hegemonie. Der gläubige C hrist gehöre zu einer versc hwindenden Minderheit. Strauß plädiert für eine Strafe auf die Verletzung sakraler Gefühle. Gegen die Integrationskraft des I slams müsse man das „Differenzierungsvermögen an
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oberster Stelle, da s Schönheitsverlangen, geprägt von großer europäischer Kunst, Reflexion und Sensibilität“ aufbieten. Spott und Satire reichten nicht. Strauß will eine Aufhe bung des Antagonismus von sakral und säkular. Er will also eine Besinnung auf das Christentum. In „Flucht ins Geschwafel“ vom 13. Februar wird die EU für ihre angeblich unsolidarische und nicht prinzipienfeste H altung kritisiert. Immer wenn es ernst wird, fänden die 25 Partner nicht zusammen, klagt der Artikel. Die EU ha be sich in eine „Flut ver druckster Erklärungen“ geflüchtet. Statt verantwortungsvoll, aber selbstbewusst zu reagieren, habe sich Europa defensiv gezeigt. Auch das Bild von den leicht erregbaren Muslimen wird hier aktualisiert. 9.1.15 Spiegel Online Die Berichterstattung von Spiegel Online beginnt mit einem sehr polemischen Beitrag von Hendryk M. Broder326. In „Einen bedrohen, eine Million einschüchtern“ am 31. Januar bewertet Broder die Entschuldigung der Jyllands Posten als „Beispiel dafür, wie eine demokratische Öffentlichkeit vor ei ner totalitären Gesinnung kneift“. Broder sieht in den Protesten gegen die MohammedKarikaturen eine totalitäre Gefahr vergleichbar mit dem Nationalsozialis mus. Der Autor wählt drastische Worte für die Beschreibung der Entschuldigung: einknicken, vorsorgliche Kapitulation, Selbstmord aus Angst vor dem Tode. Bei dem Fall Salman Rushdie sei die Öffentlichkeit noch geteilt gewesen, jetzt gebe es aber gar kei ne Solidarität mit der Jyllands Posten. Keine Zeitung traue sich, die Karikaturen nachzudrucken (was sich noch als falsch herausstellen wird). Broder greift die „linksrea ktionäre“ taz an, die angeblich die Seiten gewechselt hat. Während sie 1988 noch Rushdie unterstützt habe, greife sie jetzt die Jyllands Posten an. Als Beleg für seine Behaupt ung zitiert Broder einen Kommentar von Reinhard Wolff, den ich weiter obe n diskutiert habe. Er erwähnt nicht, dass sich Wolff trotz harter Kritik an der Jyllands Posten und an den Karikaturen für die Verteidigung der Pressefreiheit entschei det. Nachdem Broder die protestierenden Muslime mit Nazis verglichen hat, zieht er am Ende des Textes – ganz im Geiste der Totalitaris mustheorie – eine Parallele zu m Kommunismus: „’Bestrafe einen, erziehe hundert’, hat Mao gesagt. Bedrohe einen, schüchtere eine Million ein, könnte es heute heißen.“ Vieles von dem, der 326 Um mehr über Broders sehr pole mische Position im Integrationsdiskurs zu erfahren: Hendryk M. Broder (2006): Hurra, wir kapitulieren! Von de r Lust am Einknicken. Berlin: Wjs. In dem Buch behandelt er auch den Karikaturenstreit.
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Autor in seinem Text macht, Nazi-Vergleiche, das Gerede vom Einknicken oder militärische Kollektivsymbole wie Kapitulation, taucht im weiteren Verlauf des Diskurses über die Mohammed-Karikaturen auf. Angriffe auf die politische Linke gibt es auch in „Das Leben des Brian mit dänischen Untertiteln“ am 8. Februar. Hätte die katholische Kirche Anfang der neunziger Jahre zu Masse ndemonstrationen gegen den Film „Das Leben des Brian“ aufgerufen, so Hubert Kleinert, wäre sie von der politischen Linken verurteilt worden. Dies mal sei es aber an ders. Und auch Kleinert vergleicht die Muslime mit Kommunisten. „Was wird dann künftig sein mit harten Kritikern des Islam? Werden wir mit ihnen umgehen wie manche demokratische Linke mit Solschenizyn in der Entspannungsära der frühen siebziger Jahre?“ Eine Kritik an den Mohammed-Karikaturen oder an Jyllands Posten gibt es bei Spiegel Online bis auf w enige Ausnahmen nicht. Stattdessen ersc heint der Konflikt als einer zwischen dem aufgeklärten Westen und dem rückschrittlichen Osten zu sein. Die Jyllands Posten wird in „Das war es wert“ vom 2. Februar als eine Zeitung bezeichnet, die „als relativ konservativ bekannt“ sei. Kritik an der Zeitung und an Dänem ark übt nur die Po litologin Jytte Klausen in einem Gastbeitrag am 10. Februar (Faules Urteilsvermögen im Staate Dänemark). Sie beklagt, dass „religiöse Toleranz und E hrfurcht vor Mensc henrechten in Däne mark leider fehlen“. Die Jyllands Posten habe die religiösen und politischen Befindlichkeiten ihrer Leserschaft immer beachtet: lutherische Bauern und die Mittelklasse auf dem Land. Die Mehrzahl de r Mohammed-Karikaturen verbreite „populäre Vorurteile über Muslime als kriegshetzende und frauenfeindliche Schwarzbärte“. Die Berichterstattung von Spiegel Online ist vielfach eskalierend. Viele Artikel sind kollektivsymbolisch aufgeladen. Das weitgehende Fehlen von Artikeln auf einer höheren Abstraktionsebene und von metadiskursiven Beiträgen führt dazu, dass der Karikaturenstreit wie eine Aufeinanderfolge von Gewaltexzessen erscheint. Die Reakti onen von Muslim en in Eur opa und speziell in Deutschland, die zu eine m weniger martialischen Bild der Mu slime führen könnten, spielen für Spiegel Online keine Rolle. So wird auch nicht die Erklärung von 16 türkischen und muslimischen Verbänden erwähnt, die sowohl Kritik an den Karikaturen enthält als auch ei ne Verurteilung der Gewalt in islamischen Ländern. Mehrere Artikel sind durchaus kriegsbefürwortend bzw. enthalten imperialistisches Gedankengut. Ein Beispiel ist der Text „Entschuldigt euch nicht!“ des bekannten Islam-Kritikers Ibn Warraq. Der Text, der am 3. Februa r erscheint, enthält nicht nur orientalistische Züge und ein Bedrohungsszenario vor der „Islamisierung Europas“, sondern verteidigt den britischen Kolonialismus.
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Müssen wir ständig für die Sünden unserer Vorfahren um Vergebung bitten? Müssen wir uns etwa i mmer noch für das Britische Em pire entschuldigen, angesichts der Tatsache, dass die britische Präsenz in Indien zu einer Renaissance des Subkontinents geführt hat, die darin bestand, dass der Hunger bekämpft wurde, dass Straßen, ein Eisenbahnnetz und Bewässerungssysteme gebaut wurden, dass die Cholera verschwand?
Drei Tage später erscheint der Artikel „Koran gegen Kehrwoche“ von Reinhard Mohr, in dem er sich über die „ewig unverdrossenen Altlinken“ Hans-Christian Ströbele und Bahman Nirumand lustig m acht. Die B otschaft von Ströbele sei klar: „Im Zweifel ist de r aggressive Westen schuld an der Eskalation.“ Nirumand vertiefe dieses „altehrwürdige antii mperialistische Ressentiment“ noch. In vielen Artikeln wird auch eine zu große Rüc ksichtnahme auf die Gefühle der Muslime beklagt. „Wortreiche Erklärungen und lauwarme Entschuldigungen aus dem Westens (sic!) werden im G eltungsbereich der Scharia nicht akzeptiert“, schreibt Reinhard M ohr am 17. Fe bruar (Das Feindbild als Neidbild). Er greift in seinem Artikel auch „Multikulturalisten“ an. Während wohlmeinende, multikulturell geprägte Intellektuelle i m Westen vor einem „Kampf der Kulturen“ warnen, sind die radikalen Islamisten schon mittendrin und voll dabei.
Der Westen und speziell die Jyllands Posten werden immer wieder als „naiv“ oder „treuherzig“ bezeichnet, während die protestierenden Muslime in islamischen Ländern als „bl utrünstig“ und „ vormodern“ charakterisiert werden. Die Islamisten erscheinen als reale Bedrohung für den Westen. Ein „Dialog der Kulturen“ wird abgelehnt (Dialog? Nein, danke!, 25. Februar). Am 8. Februar kommt in de m Interview „Wir sollten nicht der Illusi on Bushs verfallen“ eine Friedensstimme zu Wort – der Psychoanalytiker HorstEberhard Richter, der auch im Freitag einen Text zum Karikaturenstreit veröffentlicht. Richter steht in Opposition zu dem hegemonialen Diskurs und versucht in dem Interview, die binäre Reduktion aufzubrechen und Differenzierungen zu ermöglichen, indem er vor der Gleichsetzung des „Vandalismus von rasender Masse [...] mit der V erfassung der Mehrheiten“ warnt. Zugleich betont er, dass der Islam mit der D emokratie vereinbar sei, womit er eine A uflösung des Gegensatzes zwischen demokratischem Westen und radikaler islamischer Welt intendiert. Als Beispiel für die Demokratisierung eines islamischen Landes führt er Iran unter Mossadegh an. Eine weitere Deeskalationsstrategie, die Richter verfolgt, ist das Aufzeigen der Gemeinsamkeiten mit dem Islam. „Alle monotheistischen Religionen haben eine Wertewelt gemein“ heißt es be i ihm. Mit dieser A ussage werden die unterschiedlichen Religionen und dam it ihre Anhänger in ein gem einsames symbolisches System integriert. Verstärkt wird
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dies durch die Aussage, dass beide Seiten nur „entweder gemeinsam auf eine Stufe höherer Zivilisation aufsteigen oder gemeinsam auf ein Niveau primitiver Destruktivität zurückfallen“ werden. Richters Beitrag zur Debatte bleibt j edoch bei Spiegel Online eine deutliche Ausnahme. Am 3. März erscheinen drei Artikel, die sich auf Stellungnahmen von Muslimen bzw. vermeintlichen Muslimen beziehen. Spiegel Online dokumentiert eine Erklärung von Salman Rushdie, Ayaan Hirsi Ali, Ibn Warraq und anderen, die die Welt von m ilitanten Islamisten bedroht sehe n. Nichts rechtfertige de n Totalitarismus (der bei Spiegel Online auffällig oft eine Rolle spielt), den Hass und die Feindseligkeit gegenüber der Aufklärung. Ein weiterer Artikel verweist auf die Erklärung. Am selben Ta g wird ein „muslimisches Manifest“ des Schriftstellers Mustafa Akyol und der Wissenschaftlerin Zeyno Baran dokumentiert. Darin verurteilen die Autoren Gewalt im Namen des Islams; der Eifer für Gott müsse in einer „aufgeklärten Art“ zum Ausdruck gebracht werden. 9.1.16 der Freitag Die ersten Artikel zum Karikaturenstreit im Freitag sind am 10. Februar erschienen. Sabine Kebir, habilitierte Politologin und freie Autorin, sieht in ihrem Artikel „Karikieren, zivilisieren, bombardieren“ die Mohammed-Karikaturen als „kulturelle Archetypen der Aufrüstung“ an. Der Aufbau des Textes e ntspricht der Überschrift. Im ersten Teil behauptet sie, dass die Jyllands Posten bewusst einen Eklat herbeiführen wollte. Die Reaktionen von muslimischer Seite seien aber größer als beabsichtigt. Die Jyllands Posten ist in i hrer Beschreibung die angreifende Seite, die Musli me reagieren nur auf die Provokation. Es fällt auf, dass den Protesten nicht die Legitimität abgesprochen wird, wie es in den meisten Zeitungen geschieht. Sie bezeichnet die Proteste als „Reaktion a uf das weltweite Bekanntwerden der Karikaturen“ und als „Massende monstrationen gegen die taktlose Unschuldsmiene der Europäer“. Delegitimierende Adjektive wie „gewalttätig“, „bizarr“, „fundamentalistisch“ oder ähnliches werden den Protesten nicht vorangestellt. Auch der Boykott gegen den Westen wird als gerechtfertigt bezeichnet. „W enn der Westen in den vergangenen Jahren Millionen von unschuldigen Muslimen durch Pauschalboykotte geschädigt und viele damit sogar getötet hat, darf er sich nicht wundern, dass dieselbe Waffe nun auch einmal umgedreht wird.“ Damit spielt Kebir vor allem auf den Wirtschaftsboykott gegen Irak unter Saddam Hussein an. „Angeblich soll das Nachdrucken die westliche Errungenschaft der Pressefreiheit demonstrieren und bekräftigen“, schreibt Kebir, um sich ansc hließend ausführlich der Pressefreiheit zu wi dmen. „Ich
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dachte immer, der Grad von Pressefreiheit misst sich an der ungest raften Möglichkeit, vor allem die eigenen Herrscher zu kritisieren und zu karikieren.“ Den vermeintlichen Feind zu reizen, sei sogar in Diktaturen erlaubt. Noch auf eine weitere Weise dreht Ke bir die Diskussion um die Pressefreiheit um . Sie bezeichnet, wie alle Mitte-Zeitungen, diese Freiheit als „eines der höchsten Güter“. Daraus folgt für sie, dass sie „derzeit auf einem ganz anderen Niveau diskutiert werden“ müsse. Dass Büros von Al Jazeera bombardiert werden, sei kein Zeichen des Respekts vor der Pressefreiheit. Im weiteren Verlauf geht Kebir auf das „Zivilisieren“ ein. „Der Verdacht liegt nahe, dass bestimmte, nicht zuletzt mediale Scharfmacher deshalb ganz bewusst die Aufgabe übernehm en, augenfällige Beweise zu produzieren, dass die Muslime rückständig, gewalttätig, und unberechenbar seien und deshalb vom Westen beaufsichtigt, kontrolliert, notfalls auch geschurigelt werden müssten. Damit übt Kebir nicht nur eine harte Medienkritik, sondern deutet ein Feindbild Islam an. Es ge be einen „Dem okratisierungsdruck“ auf Muslime in Europa und weltweit. Im drittel Teil des Artikels beschreibt sie das „Bombardieren“. „Es wird in psychologischer Hinsicht das Terrain bereitet, um einen Schlag gegen den Iran zu führen – und es wird eine Art Weltbürgerkrieg riskiert.“ Die Folgen wären ein asymmetrischer Krieg, der „überall und jederzeit aufflammen“ könne, schreibt Kebir. In der Folgewoche widmet sich Daniela Dahn, eine de r Herausgeberinnen des Freitag, anlässlich des Karikaturenstreits dem Thema Pressefrei heit. Die „tapfere Verteidigung der Pressefreiheit gegenüber dem Islam“ habe etwas Bizarres. Sie zählt verschiedene Formen der Einschränkung der Pressefreiheit auf. Eingriffe von Verlegern, Einflussnahme durch Inserenten, Verbände und Politiker bedrohten die Pressefreiheit ebenso wie die Ökonomisierung des Journalismus und die Bespitzelung durch den Bundesnachrichtendienst. Zudem lenkt Dahn die Aufmerksamkeit der Leser auf unausgesprochene Diskursgrenzen. Nach meiner Beobachtung ist der Mainstrea m die Summe der öffentlichen Äußerungen , die aufmüpfig genug sind, um den Anschein von Meinungsfreiheit zu erwecken, und brav genug, um erforderliche Veränderungen verlässlich zu verhindern.
Keines der etablierten Medien stelle er nsthaft und a nhaltend Fragen nach den Voraussetzungen von der Macht des Kapitals. „Derzeit wird das angebliche Zurückweichen der freien Presse vor dem Islam lautstark beklagt, während ihr viel folgenschwereres Zurückweichen vor dem Kapital seit Jahre n klaglos hingenommen wird.“ Am 17. März erscheint der vorerst letzte Artikel zum Karikaturenstreit. Sabine Kebir beschreibt in ihr em Text „Der lange Schatten der Karikaturen“ die
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Bedeutung der Zivilgesellschaft in der Auseinandersetzung um die MohammedZeichnungen. In muslimischen Ländern bestünde „eine mit unserer Pressefreiheit durchaus vergleichbare Unabhängigkeit der P riesterschaft gegenüber dem Staat“. Die politische Verantwortung für die „unglückseligen Demonstrationen“ liege in der Hand von Imamen und Muftis. Damit liegt Kebir wieder quer zu den Mitte-Medien, die stets die Lenkung der Proteste durch autoritäre Regime betont hatten. Auch Kebir verbreitet ein Angstsz enario, wenn sie sagt, dass bei den Konfliktparteien Kräfte aktiv seien, di e „militärischen Aktionen vergleichbare Effekte auslösen“ könnten. Daher sei die Zivilgesellscha ft von Bedeutung. Als gutes Beispiel für zivilgesellschaftlich e Verantwortung nennt sie die New York Times, die die Verwicklung deutscher Geheimdienste in den Irak-Krieg aufgedeckt hat. Mit diesem Beispiel wird de r Streit um die Karikaturen erneut in die Nähe von Krieg gestellt. Zudem wird mit dem Verweis auf die Rolle der Zivilgesellschaft die Diskussion aus dem Bereich der Justiz herausgenommen. Andere Zeitungen haben betont, dass die Kari katuren (seien si e auch schlec ht oder rassistisch) von der Pressefreiheit gedeckt seien. In diesem Artikel erscheint der Karikaturenstreit aber als zivilgesellschaftliches Problem. Die Berichterstattung des Freitag liegt in sehr viele n Punkten quer z u der Darstellung von Mitte-Medien. Zentrale Ar gumente anderer Zeitungen wie die Verteidigung der Pressefreiheit und die Lenkung der P roteste durch islamische Regierungen werden aufgegriffen und in ihr Gegenteil verkehrt. Damit fungiert der Freitag als Diskurspartisan. Durch die Kritik an der Ökonomisierung des Journalismus und am Zurückweichen vor dem Kapital er hält die Berichterstattung eine antikapitalistische Ausrichtung. Mehrfach – auch in Artikeln, die den Karikaturenstreit nur als Unterthema behandeln – wird der Streit als Vorbote eines Krieges gegen den Iran gedeutet. Eine Medienkritik erfolgt im Freitag sowohl durch die Problematisierung der Berichterstattung zum Karikaturenstreit als auch durch die Diskussion der Pressefreiheit. Rudolf Walther formuliert am 17. Februar (Satanische Gazette) zugespitzt: „Das Gezänk um die dänischen Karikaturen belegt vor allem eins – die fundamentale Verkommenheit des medialen Betriebs.“ 9.1.17 Neues Deutschland Das Neue Deutschland ist zunächst sehr zurückhaltend mit Kritik an der Jyllands Posten und a n Rasmussen. In de m Artikel „Die Idiote n von Jyllands Posten“ vom 1. Februar wird die JP als „konservatives Blatt aus Aarhus“ bezeichnet. Die meisten Mohammed-Karikaturen sollten lustig sein, so das Neue
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Deutschland. „Einige stellten jedoch auch einen Zusammenhang mit rad ikalislamischem Terrorismus her“. Rasmussen habe ein Treffen mit Botschaftern von islamischen Ländern abgelehnt. „Auch wenn Rasmussen im Streit um die Karikaturen Recht hat, heizte seine Weigerung, die Botschafter zu empfangen, internationale Proteste weiter an.“ Zwar verweist der Artikel darauf, dass die dänische Regierung von de r rechtsradikalen „Dänischen Volkspartei“ unterstützt werde und „seit Jahren versucht, mit einer strikten Einwa nderungspolitik den Zuzug muslimischer Migranten zu stoppen“. Doch eine direkte Verbindung zwischen Ausländerpolitik und dem Karikaturenstreit wird nicht hergestellt, wie dies andere Zeitungen – allen voran politisch linke – getan haben. Der Artikel verliert kein Wort über die mögliche Motivation der Jyllands Posten. Die Kritik an der Jyllands Posten wird am 4. und 8. Februar deutlicher, wenn der Akteurscharakter des Streits beschrieben wird. In „Wer möchte, dass die Lunte bre nnt?“ sagt Irmtraud Gutschke, dass der K ulturchef von Jyllands Posten es darauf angelegt habe, provokante Mohammed-Zeichnungen zu bekommen. Die Autorin plädiert für Anstand im Diskurs. Chefredakteur Jürgen Reents erklärt am 8. Februar, dass die verantwortlichen Redakteure von Jyllands Posten auf eine „handfeste Provokation“ aus waren. In dem Artikel wird auc h erstmalig eine Verbindung zwischen dem Karikaturenwettbewerb und der Ausländerpolitik unter Rasmussen hergestellt. Was als absichtsvolles Begleitfeuer für die ausländerfeindliche Politik de r dänischen Regierung begann, auf eine ideologische Ertüchtigung der dänischen Rechten zielte, hat sich zur brennenden Lunte an einem internationalen Pulverfass entwickelt.
Die starke Kollektivsymbolik, die hier beobachtet werden kann, ist großen Teilen der ND-Berichterstattung eigen. Der Artikel „Wer sich am Botschaftsfeuer wärmt“ vom 6. Februar schreibt über sunnitische Geistliche: „Als die Protestaktion aus dem Ruder läuft, fühlen sie sich für den Geist, den sie aus de r Flasche gelassen haben, aber plötzlich nicht mehr verantwortlich.“ Die Proteste erscheinen hier nicht nur als unkontrollierbar, hier wird auch mit orientalischen Stereotypen gespielt. Der Seite-1-Artikel vom 8. Februar „Karikaturen befeuern Dschihad“ spricht von ei ner „Protestwelle“, von der im mer mehr Länder „erfasst“ werden und von aufflammenden Protesten. Die Proteste werden somit zu einer außersystemischen Bedrohung; diese Verbindung von Protest und Chaos herzustellen, ist ungewöhnlich für eine linke Zeitung. Über weite Strecken fällt es dem Neuen Deutschland schwer, sich zum Karikaturenstreit zu positionieren. D ie Zeitung nimmt mehrfach eine MittePosition ein; jedoc h keine offensive, sondern häufig aus Ratlosigkeit. In „Beitrag zur Meinungsbildung“ vom 4. Februar schreibt Tom Strohschneider:
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Einerseits wird darüber diskutiert, wie weit Pressefreih eit gehen kann, andererseits über das Maß der Reaktion der Musli me. (…) Sich dazu eine Meinung zu bilden, fällt allerdings oft nicht leicht.
Ähnlich äußert sich der bereits zitierte Artikel „W er möchte, dass die Lunte brennt?“ Darin heißt es: „W as spielt s ich hinter den Kulissen von Politi k und Ökonomie ab, während wir auf den Karikaturenstreit starren? Da können Journalisten graben und graben, mehr oder weniger tief, aber sie kommen nicht zum Grund.“ Angesichts der Unsicherheit der Zeitung verwundert es nicht, dass der erste Kommentar zum Karikaturenstreit am 8. Februar erscheint. Wie die anderen linken Zeitungen junge Welt und Freitag warnt das Neue Deutschland im Zusammenhang mit dem Karikaturenstreit vor eine r neuen Kriegsgefahr. Am 4. Febr uar heißt es: „Bom ben auf Afghanistan, Drohungen gegen Iran. Wer möchte, dass die Lunte brennt? Ganz offensichtlich gibt es auf verschiedenen Seiten Interesse an eine r Eskalation.“ Am 9. Februa r zitiert das Neue Deutschland Ulrich Maurer, damaliger Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, der vor einer wachsenden Kriegsgefahr warnt. Angela Merkel habe sich der Eskalationslogik untergeordnet, behauptet er. Am 16. Februar, also relativ früh, endet die Berichterstattung des Neuen Deutschland zum Karikaturenstreit. In den gut z wei Wochen von A nfang bis Mitte Februar hat sich die Zeitung nur in zwei Kommentaren zum Thema geäußert. Zudem gibt es keine Interviews, die den Karikaturenstreit als Hauptthema aufgreifen. Das Neue Deutschland hat s ich entschieden, die Moha mmedKarikaturen nicht zu veröffentlichen. Der Nachdruck sei keine Courage von unten, sondern Draufgängertum von oben, erklärt Chefredakteur Jürgen Reents. „Die Pressefreiheit, für die mit hehren Worten am ungeeigneten Objekt gefochten wird, verkommt so zur Rede für die ungehinderte Herrschaft von Arroganz.“ Charakteristisch für die Berichterstattung des ND sind Kritik an de n Karikaturen und der Jyllands Posten, aber auch eine problematische Darstellung der Proteste. Mit der Kollektiv symbolik werden Teile des islamischen Feindbildes aktualisiert, auch we nn dieses Feindbild in ande ren Diskursfragmenten abgelehnt wird.
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Abb. 10 Neues Deutschland, 1. Februar 2006, von Rainer Hachfeld
Diese Zeichnung zeigt eine n Karikaturisten, der von einem maskierten Mann mit Krummsäbel angegriffen wird. Der Zeichner arbeitet im Moment der Attacke an einem Bild vom „letzten Mohikaner“. Diese Karikatur aus dem ND thematisiert die Bereitschaft von Muslimen, schnell Gewalt anzuwenden, und dabei Missverständnisse in Kauf zu nehm en. Der Karikaturist in der Zeichnung versucht sich nicht zu we hren, sondern rechtfertigt sich und schaut de n Angreifer ängstlich an. Dieser ist jedoch kaum noch aufzuhalten, weil er hochgesprungen ist und kurz davor steht, mit seiner Waffe zuzuschlagen. 9.1.18 junge Welt In der jungen Welt sind nur wenige Artikel erschienen, die den Moham medKarikaturenstreit als Hauptthem a behandeln. Der Fall scheint für die Zeitung klar zu sein: Die Karikaturen seien nur ein Anlass, nicht der wa hre Grund für die Proteste. Es gi nge im Streit um zwei wesentliche Punkte: Die Beteiligung Dänemarks am Irak-Krieg und die Ausländerfeindlichkeit im skandinavischen Land. „Als V asall der US A zog Dä nemark mit in den Ira k-Krieg“, schreibt Henning Güldenstein am 31. Januar (Brennende Flaggen). „Die Bilderchen sind nur äußerer Anlaß, es ist das Ensem ble aus rassistischer Haltung und kriegeri-
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scher Handlung“, heißt es vier Tage später im Gastbeitrag des Vorsitzenden des Freidenkerverbandes Klaus Hartmann (Falsche Propheten). Auf die Ausländerfeindlichkeit in Dänemark verweisen sowohl der Artikel von Güldenstein als auch das Interview mit dem dänischen Linkspolitiker Fran Aaen am 8. Februar. „Zudem ist die sich in den vergangenen Jahren ausprägende feindliche Stimmung gegenüber muslimischen Immigranten in der dänischen Gesellschaft hoffähig geworden“, schreibt Güldenstein. Aaen erklärt, es gebe seit einigen Jahren eine sehr islamophobe und ausländerfeindliche Entwicklung. Die junge Welt setzt Isla mophobie mit Antis emitismus gleich, indem sie die „Geschmacklosigkeit“ der Moham med-Karikaturen mit der der HolocaustKarikaturen auf ei ne Stufe stellt. Der stellvertretende Chefredakteur Rüdiger Göbel schreibt am 8. Februar in „Kleinkrieg gegen NATO-Truppen“: Die Provokation mit geschmacklosen Mohammed-Karikaturen will die Teheraner Tageszeitung Hamschahri nun mit ebenso geschmacklosen Cartoons über den Holocaust kontern.
Durch eine historische Analogie wird das Agieren der Jyllands Posten mit Judenhetze in den 30er Jahren gleichgesetzt. „Das UNHCR nannte die Ausländergesetze ‚nicht vereinbar’ mit internationalen Flüchtlings- und Menschenrechtsregeln’. Die auflagenstärkste Zeitung Jyllands-Posten ist Vorreiter und Sprachrohr dieser Politik, sie startet e die ‚kalkulierte Provokation’ eb enso, wie sie in den 1930ern gegen Juden hetzte.“ Die junge Welt deutet die Veröffentlichung de r umstrittenen Karikaturen als Teil einer psychologischen Kriegsführung, mit der ein Angriff auf den Iran vorbereitet werden soll. In einem Interview am 7. Februar erklärt Bahm an Nirumand: „In meinen Augen ist die losg etretene Auseinandersetzung mit dem Islam Teil einer psychologischen Kriegsführung, wie wir sie schon im Vorfeld des Irak-Krieges erlebt haben.“ Der Artikel „Karikaturenstürmer“ vom 8. Februar sieht i n den gewalttätigen Reaktionen „Munition für die psychologische Kriegsführung“. Als würde Huntington Regie führen , schreien nun die Heerscharen des Propheten nach Vergeltung. Und rufen damit den Eindruck hervor, als stünde Europa wieder vor einem Ansturm aus dem Morgenland. Eine wirksamere Munition für die psy chologische Kriegsführung gegen den Iran kan n es kaum geben. Vor allem in der europäischen Öffentlichkeit könnte das die Kriegsbereitschaft erhöhen.
Während viele Mitte-Zeitungen im Verlauf des Karikaturenstreits zunehmend kritischer über die protestierenden Muslime berichten, ist in der jungen Welt eine leichte Radikalisierung der Kritik an den Mohammed-Karikaturen zu be -
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obachten. Die Zeichnungen werden am 31. Januar in „Brennende Flaggen“ noch mit keinem Adjektiv versehen. Am 8. Februar heißt es sc hon „geschmacklose Karikaturen“ (Kleinkrieg gegen NATO-Truppen) und „anti-islamische Karikaturen“ („Wir brauchen einen Dialog mit Minderheiten“). Am 13. Februar wer den die Karikaturen dann „islamophob“ genannt. I nsgesamt muss aber gesagt werden, dass die Karikaturen für die junge Welt eher nebensächlich erscheinen. Die Zeitung beschäftigt sich nicht ausführlich mit ihrem Inhalt und ihrer Qualität. Auch ist eine zunehmend radikalere Kritik an der dänischen Regierung festzustellen. In „Brennende Flaggen“ am 31. Januar wird der dänische Regierungschef als „ konservativer Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen von den Rechtsliberalen“ bezeichnet. Am 4. Februar nennt Klaus Hartmann die Regierung eine „reaktionäre und rassistische Koalition“. Deren Politik habe der Londoner Guardian als „Flirt mit dem Faschismus“ bezeichnet. Mit dem Verweis auf de n Einsatz im Irak-Krieg und die Ausländerfeindlichkeit stellt die junge Welt Dänemark als Aggressor dar. Die Muslime hingegen erscheinen mehrheitlich friedlich bzw. als diejenigen, die reagieren. Kaum ein Artikel be handelt die Gewalt der protestierenden Muslime in isla mischen Ländern. Und selbst dort, wo die Gewalt the matisiert wird, stellt die junge Welt die Opfer auf Seiten der Protestierenden voran. So im Artikel „Kleinkrieg gegen NATO-Truppen“ vom 8. Februar. Zunächst heißt es: „Bei einer Dem onstration vor einer Militärbasis wurden am Dienstag mindestens vier Menschen von Soldaten erschossen. (...) Norwegische und britische Soldaten fe uerten Tränengas und Gummigeschosse auf die Demonstranten, Hubschrauber und F-16Kampfflugzeuge kamen zum Einsatz.“ Erst danach wird gesagt, dass es auch in anderen Städten Afghanistans gewaltsame Proteste gegen Einrichtungen der NATO-Staaten (es heißt hier nicht „westliche Staaten“) gegeben habe. Kritik an islamischen Regierungen gibt es au ch in der jungen Welt, wenn auch weniger ausgeprägt und anders geartet als bei ande ren Zeitungen. Werner Pirker schreibt am 8. Februar: Und auch den US-abhängigen Potentanten in den islamischen Ländern, die bestrebt sind, den Antiimperialismus der Straße in die religiöse Sackgasse umzuleiten. Doch könnte ihnen die Situation auch aus der Kontrolle geraten.
Saudi-Arabien wird als „ von den USA gehätschelt“ bezeichnet. Das Land versuche sich zum Anwalt aller Muslim e aufzuschwingen. Damit würden isla mische Reformkräfte „an die Wand gespielt“. In der jungen Welt ist auch zu be obachten, wie die Pressefreiheit von links gedeutet wird. Nachdem Klaus Hartmann am 4. Februar auf die Verurteilung von Georg Grosz wegen seines „Jesus mit Gasmaske“ verweist, beklagt er, dass
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„ausgerechnet reaktionäre Kräfte“ das „ Hohelied der Pressefreiheit“ anstimmten. Ergebnisreich ist auch ei n Blick auf das, was in der jungen Welt nicht thematisiert wird. Die fehle nde Pressefreiheit oder andere Demokratiedefizite in islamischen Ländern finden keinen Platz in der Berichterstattung. Auch die Aufrufe zur Mäßigung von Poli tikern verschiedener Parteien werden nicht auf gegriffen. Theologische Erklärungen für die Proteste finden sich in de r jungen Welt nicht, das islamische Bilderverbot wird nur an einer Stelle kurz angedeutet. 9.1.19 Junge Freiheit Die Junge Freiheit gibt sich im Karikaturenstreit ausführlich dem Thema Pressefreiheit hin. Die Analyse der Artikel zeigt, wie die Junge Freiheit versucht, den Begriff von rechts zu besetzen und die Deutungshoheit über den Pressefreiheit-Begriff zu gewinnen. Bislang hätten Linke bestimmt, was Pres sefreiheit heißt, so die Zeitung. Die Auslegung dessen, was Presse- und Meinungsfreiheit bedeuten und wo ihre Grenzen liegen, war allzu lange linken und linksliberalen Intellektuellen vorbeh alten, die ihre Meinung gesellschaftlich verbindlich gemacht und in eine Zumutung für alle verwandelt haben, ohne die Verantwortung für die katastrophalen Folgen zu überneh men. (Die betäubte Gesellschaft, 17. Februar)
Die Pressefreiheit sei „heruntergewirtschaftet“ worden. Was das von der JF geforderte weite Verständnis der Pressefreiheit bedeutet, zeigt die Feinanalyse des Artikels „Ihr Heuchler!“ vom 10. Februar. Laut JF gibt es besonders bei Kritik an der „multikulturellen Gesellschaft“ eine Selbstzensur der Medie n. „Nicht umsonst findet auch jetzt – bei alle m Geschrei über Pressefreiheit – immer noch keine Debatte über das totale Scheitern der multikulturellen Gesellschaft statt.“ Political Correctness sei eine große Gefahr für die Pressefreiheit. Den größten Schaden an der Pressefreiheit verursache der Humanitarismus. „(...) [J]eder Einspruch, der auf dem Primat des Staates und der Interessen des Staatsvolks bestand, [wurde] als nationa listisch, rassistisch, ausländerfeindlich oder rechts gebrandmarkt.“ (Die betäubte Gesellschaft, 17. Fe bruar) Von Einschnitten in die Pressefreihei t seien vor allem „sogenannte Rechtspopulisten“ betroffen. Mehrfach wird die Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung kritisiert. „Freilich ist die Leugnung eine Obszönität – obszön ist es aber für die freiheitsliebenden Europäer auch, daß hier die historische Forschung und Meinungsäußerungen dem Strafrecht unterworfen wurde.“ (Ihr Heuchler, 10. Fe bruar) Der inzwischen verstorbene Sozialphilosoph Günter Rohrmoser erklärt in ei nem In-
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terview: „Es ist absolut richtig, daß bei der Behandlung des Themas Holocaust der Pressefreiheit gewisse Grenzen gezogen werden. Aber ich darf darauf hinweisen, daß bei uns die Pressefreiheit schon sehr viel früher endet.“ Die Pressefreiheit wird mit europäischen bzw. abendländischen Werten in Verbindung gebracht. Europa habe die Pressefreiheit nicht genutzt, als es um die „Zukunft der europäische n Kultur, der europäischen Werte“ ging, erklärt der Chefredakteur Dieter Stein (Ihr Heuchler!, 10. Februar). Als Feinde der Pressefreiheit werden nicht nur linke Multikulti-Verteidiger ausgemacht, sondern auch der Liberalismus und Muslime. Dieter Stein zitiert den Zeit-Redakteur Jens Jessen, der vier Jahre zuvor geschrieben habe, dass die liberale Öffentlichkeit dazu neige, andere als liberale Meinungen gar nicht mehr zuzulassen. Außerdem hätten die Proteste der Muslim e bereits zu einer Einschränkung der Pressefreiheit geführt. „Die Demonstrationen in den islamischen Ländern lassen Deutschland und E uropa vibrieren. Die Folgen für die Meinungs- und P ressefreiheit sind sc hon eingetreten.“ (Die betäubte Gesellschaft, 17. Februar) Stellenweise, besonders wenn es um das Christentum geht, wird aber auch „Verantwortung“ gefordert statt einer Ausw eitung der Pressefreiheit. Alain de Benoist327 sagt, dass zur Frei heit auch Vera ntwortung gehöre. Thorsten Hinz begrüßt den Respekt vor dem Sakralen „Solange sie (die Verteidiger der Pressefreiheit, Anm. M.A.) keine ehrliche Selbstreflexion nachweisen, handeln sie nicht aus Überzeugungen heraus oder aus neuer E hrfurcht vor dem Sakralen – was man vom konservativen Standpunkt aus begrüßen könnte –, sondern aus Opportunismus, Gleichgültigkeit und Furcht.“ Multikulti und die Integration der Muslim e werden aber nicht nur in Verbindung mit der Presse freiheit diskutiert. In fast je dem Artikel greift die JF „Multikulti-Träume“ und die „gescheiterte Integration“ an. „Multikulturelle Gesellschaft“ und „Multikulti“ t auchen im JF-Korpus insgesamt 38 Mal auf. Die Verteidiger einer multikulturellen Gesellschaft werden in d ie Nähe von Nazis gerückt, indem eine zweite Vergangenheitsbewältigung gefordert wird. Wir müssen die Ideologen der multikulturellen Gesellschaft stellen. Bereits jetzt hört ihnen kaum einer mehr gläubig zu. Aber das darf uns nicht gen ügen. Wir müssen eine zweite Vergangenheitsbewältigung anstoßen. Wir müssen diejenigen demaskieren, die unser Volk in die Krise geführt haben.
327 Alain de Benoist ist der wichtigste Vordenke r der neuen Rechten in Fran kreich, der„Nouvelle Droite“. Mehr zu ih m in: Alfred Sch obert (2004): Alain de Benoists Vor stellungen von europäischer Identität, in: Schobert, Alfred / Jäger, Siegfried [Hrsg.]: Mythos Identität. Fiktion mit Folgen. Münster: Unrast
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Bei den Angri ffen auf Multikulti wi rd mehrfach die Wunschvorstellung einer völligen Assimilation der Migranten deutlich. Zudem wird eine völkischrassistische Angst vor Zugewanderten geschürt. Am deutlichsten wird dies im Artikel „Es wird ernst“ von Götz Kubitschek. Darin heißt es: Daß die Zukunft in Deutschland keine deutsche sein muß, zeigt die Entwicklung der letzten 20 Jahre. Di e Selbstverständlichkeit der Integrationsrichtung ist in Frage gestellt und in den genannten Stadtteilen bereits u mgekehrt. Der Deutsche ist dort sc hon längst zur Minderheit im eigenen Land geword en und schaut, wo er bleibt, wenn er auf die Mehrheit trifft.
Um im Kampf der Kulturen bestehen zu können, brauche Deutschland unter anderem mehr Kinder, schreibt der Autor, selbst Vater von si eben Kindern. „Wir müssen damit aufhören, eine alternde Gesellschaft für charmant oder interessant oder lebenswert zu halten. Daß die jungen Männer die Zukunfts-Macher einer Nation sind, schlicht die Anzahl der ‚Söhne’ also etwas über die Dynamik eines Volks aussagt, ist eine im kinderarmen Deutschland verdrängte Wahrheit. Wir brauchen mehr Kinder.“ In die gleiche Ric htung zielt Dieter Stein m it seinem Artikel „Europa und der Islam“ vom 17. Februar. Deutschland und Europa seien lendenlahm geworden und stünden einer vi talistischen Kultur ge genüber, die bald in den europäischen Metropolen die Bevölkerungsmehrheit stellen werde. Der Artikel von Kubitschek zeigt zwei weitere Charakt eristika der JFBerichterstattung. Die Junge Freiheit behauptet, dass es längst einen „Kampf der Kulturen“ gebe, dem sich Deut schland stellen m üsse. Mitte-Zeitungen schreiben hingegen in der Regel, das s es diesen „ Kampf der Kulturen“ noch nicht gebe und dass sein Ausbruch verhindert werden müsse. Die Junge Freiheit gibt auch, wie in Kubitscheks Artikel, konkrete Handlungsanweisungen, wie die „Aufrüstung“ gelingen soll. Die Rückbesinnung auf die nationale Kultur ist ein Element dabei. Stärker als viele andere Zeitungen nimmt die Junge Freiheit die Türkei in den Blick – ausschließlich negativ. Die Beitrittsverhandlungen und eine mögliche Mitgliedschaft in der EU werden abgelehnt. Im Artikel „Fragwürdige Allianz der Kult uren“ vom 17. Februar werden die näher rückenden Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei kritisiert. Allen Unkenrufen über Defizite in Fragen der Menschen- un d Minderheitenrechte zum Trotz rückt de r Beginn der Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei immer näher. Den Erkenntnissen der EU-Ko mmission zufolge könnten sie sch on im Frühsommer – noch unter der österreichischen EU-Präsidentschaft – beginnen.
Dieser Artikelausschnitt zeigt nicht nur die Ablehnung einer EU-Mitgliedschaft der Türkei, sondern auch die schlechte Informiertheit der Jungen Freiheit. Denn
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tatsächlich haben die Beitrittsverhandlungen bereits in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 2005 begonnen. Als Beleg für Gefahren aus der Türkei führt der Artikel eine Dem onstration in Ankara a n, von der aus Eier auf das französische Konsulat geworfen wurden. In der Türkei wachse die antichristliche Stimmung „vehement, eindeutig von oben inspiriert und angeleitet“, heißt es im Artikel „Christenverfolgung“ am 24. Februar. Reißerisch wird auch ein Brief des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdo÷an attackiert (Islam ische Vorleistungen, 24. Februar). Er habe in seinem Brief an se ine EU-Amtskollegen „endgültig seine moderat-islamische Maske fallengelassen“. Er sage darin, dass man von Moslems nicht erwarten dürfe, die Karikaturen zu tolerieren. Die gesamte Berichterstattung de r Jungen Freiheit ist sta rk kollektivsymbolisch aufgeladen. Symbole aus dem Bedeutungsbereich des Militärs sind dabei auffallend oft vertreten. „Mobilmachung“, „verteidigen“, „der kalte und heiße, offene und unterdrückte Krieg der Kulturen ist längst im Gange“ und ähnliche Symbole werden dafür verwendet, den vermeintlichen Zustand zwischen den Kulturen zu beschreiben. Interessant ist auch die Kollektivsymbolik bei der „Selbstbeschreibung“, also der Beschreibung Deutschlands und Europas. Symbole aus dem Feld der Denormalisierung und Krankheit werden genutzt. „Zerfall der nationalen Kulturen“, „das Land krankt“, „Gesellschaft betäubt“ und „europäische Öffentlichkeit aus seligen Schlaf gerüttelt“ sind wichtige Kollektivsymboliken. In der JF fällt auf, dass nicht die Aufklärung den Bezugspunkt darstelle, von dem aus der Islam kritisiert wird, sondern die christliche und nationale Tradition. Die Junge Freiheit steht in de r Linie der rechten Aufklärungsgegner. In einem Interview am 17. Februar spricht Günter Rohrmoser von ei nem „gleichen Abstand z u beiden Lagern“ und fasst damit die Position de r Jungen Freiheit gut zusammen. „Sich ebenso wenig in die L ogik des Machterhalts der etablierten Eliten drängen zu lassen wie in eine unreflektierte Solidarität mit den beleidigten Moslems.“ 9.1.20 National Zeitung Die National Zeitung druckt am 17. Februar einen Artikel des Herausgebers Gerhard Frey ab, in dem er massiv gegen Israel hetzt und Angela Merkel vorwirft, die „Mohammedaner“ zu „unseren“ Feinden zu machen. In „Sind die Moslems wirklich unsere Feinde?“ behauptet Frey, Angela Merkel würde Deutschland in „schreckliche Konfrontationen“ stürzen und nicht wie Bismarck seinerzeit Deutschland aus Konflikten heraushalten. „Merkel schlägt den a nnähernd 1,5
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Milliarden Mohammedanern ihre ständige n Liebeserklärungen und allumfassenden Unterstützungsmaßnahmen für Israel als Kriegserklärung vor den Kopf.“ Statt den Nutzen für das deutsche Volk zu propagieren, propagiere sie „besondere Beziehungen a uf Dauer zu Israel “. Ausgerechnet Merkel besc hwöre die Pressefreiheit, dabei seien abweichende Meinungen wie die der iranischen Zeitung Hamshahri unerlaubt. Eine ähnlich ge artete Kritik an de r Pressefreiheit ist auch in der Jungen Freiheit zu finden. Die Haltung der Bundesregierung im Karikaturenstreit wird in eine Reihe gestellt mit Solidarisierungen für Israel. Dabei betont Frey eine Art natürlich Allianz zwischen Deutschland und den Muslimen. „Bei all meinen Besuchen im Orient habe ich noc h nie einen Mohammedaner getroffen, der dem deutschen Volk keine Sympathie entgegenbringt.“ Merkels Wirken sei es zuzuschreiben, dass deutsche Fahnen von Moslems verbrannt würden. Frey bilanziert: Die Mohammedaner – jeder fünfte Mensch ist Moslem – sind die natürlichen Freunde der Deutschen, wenn es bei einer Tren nung von Morgenland und Abendland bleibt. Nur wenn sich aber Verhältnisse, wie sie heute schon in ein igen Bezirken Berlins herrschen, ausbreiten, wird unsere alte Partnerschaft zerstört. Wir wollen ein deutsches Deutschland und zugleich aufrichtige Partnerschaft und feste Freundschaft mit der Dritten Welt.
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Exkurs: Interviews mit drei leitenden Redakteuren
Um die Selbstbesc hreibung von Journalisten in die Analyse des Karikaturenstreits aufzunehmen und um meine Beobachtungen mit den betroffenen Medienmachern zu diskutieren, habe ich Wolfgang Storz, den ehemaligen Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Daniel Bax, den Kommentarchef der taz, und Kai Diekmann, den Ch efredakteur der Bild-Zeitung, interviewt. Mir ging es nicht primär um eine Kontroverse um die jeweilige Berichterstattung, sondern um die Erfassung innerredaktioneller Diskussionen, der Leitlinien der Zeitungen und des jeweilige Verhältnisses zu anderen Medien. Kritisch ist anzumerken, dass die Interviews mehr als vier Jahre nach der Hochphase des Karikaturenstreits geführt wurden. Deshalb mussten die Interviewpartner an mehreren Stellen Erinnerungslücken einräumen. Dennoch sind alle drei Interviews sehr aufschlussreich. Der ehemalige FR-Chefredakteur Wolfgang Storz Telefonisches Interview, geführt am 7. August 2010 Die FR ging in den ersten Tagen der Hochphase des Karikaturenstreits täglich auf den diffamierenden Charakter der Karikaturen ein. Mit der zunehmenden Gewalt der Proteste hat es in der Zeitung einen schärferen Ton gegenüber den Muslimen gegeben. Hat sich dieser Meinungsumschwung auch in den Diskussionen innerhalb der Redaktion widergespiegelt? Ich habe das nicht mehr so genau in Erinnerung. Ich kann nur sagen, das grobe Raster, nach dem eine Redaktion wie die FR agiert, ist ein Gleichklang. Das hat sich in verschiedenen Arten und Weisen in den inner redaktionellen Diskussionen niedergeschlagen. Die eine Leitlinie ist, dass m an für Freiheit und Dem okratie einsteht, insbes ondere wenn es sich um die Methode der Karikatur und des Kommentars handelt. Man sagt erstmal, dass man weit geht. Dabei muss die Freiheit für alle Medien m öglichst groß sein. Das beinhaltet auch die Freiheit, dass Dinge veröffentlicht werden können, die man als Medium oder als Einzelperson als diffamierend, unangemessen oder verletzend ansieht. Das ist die eine
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Linie: Möglichst viel Freiheit und Demokratie. Die zweite Linie der FR ist, dass man innerhalb der Gesellschaft für einen Ausgleich und für einen respektvollen Umgang werben will. Insbesondere für einen respektvollen Um gang mit Minderheiten, zwischen Religionen und Weltanschauungen. Die zweite Linie ist sozusagen Respekt und ge gen Diffamierung. Das war auch die Linie der Kommentierung, als es um die Karikaturen gegangen ist. Und dann gibt es noch eine dritte Linie. Diese besagt, dass sich Menschen gegen das wehren, mit allen legalen Mitteln und mit aller Härte, was sie als ve rletzend oder despektierlich empfinden, wie in dem Fall der Karikaturen. Aber dieses Sich-Wehren hat auch eine Grenze. Die Grenze ist die der Gewalt und die der Gesetze. Ich denke, dass das die drei Linien sind, die sich auch in der redaktionsinternen Diskussion niedergeschlagen haben. Was Sie als Wechsel empfinden, ist zumindest kein Widerspruch. In einem Fall hat man sich gewahrt gegen diese Veröffentlichung. Man hat gesagt, so geht’s nicht, das ist ein heikles Feld im Umgang mit Muslimen und C hristen usw. Und ein Medium, das umsichtig agiert, darf im Zweifelsfall solche Karikaturen nicht ve röffentlichen. Wenn es da nn aber ge gen diese Veröffentlichung Proteste gibt, bei denen zu Gewalt aufgerufen wird, dann gehört es zum inneren Werteraster der FR, dass sie sagt: Dagegen verwahren wir uns auch. Legale Proteste haben große Möglichkeiten. Sie können aufrufen zum Leser- und zum Anzeigenboykott, sie können Demonstrationen durchführen. Das ist alles legal, das ist auch alles im Zweifel zu unterstützen, aber das darf nicht so weit gehen, dass zu Gewalt aufgerufen wird. Sie haben von verschiedenen Linien der Zeitung gesprochen. Ähnliche Linien würde ich auch anderen linksliberalen Zeitungen unterstellen. Ich denke da an die taz und die Zeit. Trotzdem haben diese Zeitungen anders berichtet als die FR. Man kann das unter anderem daran festmachen, dass diese Zeitungen die Karikaturen im Gegensatz zur FR nachgedruckt haben. Haben Sie diese Zeitungen damals genau beobachtet? Ich kann mich nicht daran erinnern, aber ich gehe davon aus, dass bei diesem großen Thema genau beobachtet worden ist, wie andere Medien agieren. Grundsätzlich ist es so, dass ein Medium heute in Deutschland jeden Tag sehr stark bei allen Themen darauf achtet, welches Thema andere Zeitungen groß aufmachen. Was wird kommentiert? Wie wird es kommentiert? Jedes Medium kennt wiederum andere Medien, die sie als Leit- un d Vergleichsmedien akzeptiert und wo die Redakteure für ihre jeweiligen Bereiche genau schauen, was und wie berich-
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tet wird. Das gilt grundsätzlich und dies galt insbesondere für den Fall des Karikaturenstreites, weil er sich politisch sehr zugespitzt hatte. Ich erinnere mich daran, dass es eine Diskussion gab, ob diese Karikaturen bei uns veröffentlicht werden oder nicht. Da g ab es diese starke Linie, die ich vorhin als zweiten Strang bezeichnet habe. Der Versuch wurde gemacht, gerade bei Debatten, bei denen es um Werte und um Religionen geht, für Respekt zu werben. Da war die Linie, dass man gesagt hat, dass m an die Karikaturen eher skeptisch gesehen hat. Gerade vor dem Hintergrund der Empfindsamkeit des Publikums und der Betroffe nen wollte man dazu keinen Beitrag leisten. Weil man sie nicht gut findet, druckt man sie auch nicht nach, auch wenn das ein gewisser Verlust an Information ist. Der Nachdruck ist f ür das eigene Publikum ein Stück Information. Wenn man die Karikaturen zeigt, kann man genau erklären, worum es in der Diskussion geht. Möglicherweise ist es jour nalistischhandwerklich betrachtet letztlich auch korrekter, dass man dem eigenen Publikum das, worüber man berichtet, was man kommentiert, zeigt. Aber in der Abwägung hat man gesagt, was man selbst als despektierlich kommentiert hat, will man nicht weiter verbreiten und fördern. Sie haben erwähnt, dass jede Zeitung ihre Leitmedien hat. Können Sie sagen, welche Leitmedien es zu Ihrer Zeit für die FR gab? Welche Medien wurden am intensivsten verfolgt? Das hängt davon ab, in welchen Bereichen die Redakteure arbeiten. Aber generell kann m an sagen, dass die anderen überregionalen Medien alle als Medien galten, bei denen man geschaut hat, was die machen. Da würde ich zuallererst sagen, die FAZ und die Süddeutsche, und dann die taz. Das waren aus ganz unterschiedlichen Gründen die wichtigsten Medien. Mit großem Abstand kam dann die Welt, die spielte sogar ei ne sehr geringe Rolle. Und dann kommt bei Kollegen, die im Bereich Wirtschaft gearbeitet haben, sicher auch das Handelsblatt, weniger die FTD, hinzu. Und dann gibt es noch mit weitem Abstand vielleicht noch zwei, drei, vier Regionalzeitungen: Den Kölner Stadt-Anzeiger, die Hannoversche Allgemeine Zeitung, die Berliner Zeitung und den Tagesspiegel. Die beiden letztgenannten würde ich vielleicht sogar an erste Stelle nennen unter. Und mit Sicherheit spielen die Zeit und der Spiegel, weniger der Focus, unter den Wochenmedien eine sehr wichtige Rolle. Können Sie sagen, inwieweit Zeitungen aus islamischen Ländern verfolgt wurden? Ganz allgemein und im Falle des Karikaturenstreits.
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Diese Medien sind in der Redaktion selbst nur in Ausnahmefällen verfolgt worden; das ist über die Korrespondenten geschehen. Im Karikaturenstreit hat unser Skandinavien-Korrespondent die Jyllands Posten porträtiert und genau beobachtet, wie sie mit dem Streit umgegangen ist. Genauso galt das für die Berichterstattung arabischer Medien, die von freien Mitarbeitern beobachtet wurden. Ich habe aber nicht in Erinner ung, dass in der Redaktion die für Nahost, Iran und Irak zuständigen K ollegen selbst arabische Medien verfolgt haben. Seit es Al Jazeera auf Englisch gibt, denke ich, dass sie verfolgt worden ist. Ich will nicht ausschließen, dass es verborgene Spra chkenntnisse und Interesse n bei dem einen oder anderen Kollegen gab, aber ich weiß davon nichts. Und systematisch auf keinen Fall. Das wurde eben über Korrespondenten und über qualifizierte freie Mitarbeiter gemacht. Bei der Berichterstattung hat es also keine Rolle gespielt, wie die arabische Öffentlichkeit auf das Thema reagiert hat? Doch, es war ja ein ganz wichtiger Teil der Berichterstattung, wie die Reaktionen in den Ländern aussahen. Dadurch wurde das ganze ja zu einem Politikum. Es wurde berichtet über Regierungen oder Botschaften oder über öffentliche Diskussionen. Die Berichterstattung erfolgte aber nicht über die Expertise der Zentralredaktion, das haben die K orrespondenten gemacht. Also das Thema selbst „Reaktionen in der arabischen Welt“ spielte natürlich eine sehr große Rolle. Wenn es diese Reaktionen nicht gegeben hätte, hätte niemand über die Karikaturen gesprochen. Auswertung Wolfgang Storz beschreibt drei Linien der FR-Zeitungspolitik, die im Karikaturenstreit in Konflikt geraten sind. Als erste Linie nennt er die Meinungs- und Kunstfreiheit, die möglichst groß sein müsse. Dabei schließt er explizit auch diffamierende Beiträge m it ein. „Das bei nhaltet auch die Freiheit, die Offenheit, dass Dinge veröffentlicht werden können, die man als Medium oder als Einzelperson als diffam ierend oder als unangem essen oder verletzend ansieht.“ Die zweite Linie ist der Res pekt gegenüber Minderheiten. Die Wirkmächtigkeit erhält der Karikaturenstreit offensichtlich auch aus de r Kollision dieser beiden Prinzipien. Die dritte Linie bildet eine wichtige Gren ze. Proteste m üssten gewaltfrei bleiben. Dass sich P rotestierende in islamischen Ländern der Gewalt bedient haben, war ausschlaggebend für die gegenüber Muslimen zunehmend
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kritische Berichterstattung. Ä hnliches ist auch bei anderen linksliberalen Zeitungen zu beobachten. Storz bezeichnet di e Berichterstattung de r FR nicht als Widerspruch, sondern leitet sie aus den drei genannten Linien ab. Dass die FR die Mohammed-Karikaturen nicht nachgedruckt hat, ist laut Storz nich t selbstverständlich gewesen. Es gab interne Diskussionen darüber. „Ich erinnere mich daran, dass es eine Diskussion gab, ob diese Karikaturen bei uns veröffentlicht werden oder nicht.“ Storz be schreibt auch, in welcher dillematischen Situation sich die J ournalisten befunden haben. Vor dem Hintergrund dieses Interviews scheint die Diskursposition einer Zeitung keinesfalls nur davon ableitbar zu sein, ob sie die Karikaturen abgedruckt hat oder nicht. Die MohammedKarikaturen nicht abzudrucken, bedeutete einen Verlust an Information, erklärt Storz. „Weil man sie nicht gut findet, dr uckt man sie auch nicht nach. Auch wenn das ein gewisser Verlust an Information ist. Das ist für das eigene Publikum ein Stück Information, das nachzudrucken, weil man zeigt dann die Karikaturen und kann genau erklären, worum es da geht.“328 Die Verfolgung anderer deutscher Medien scheint im Karikaturenstreit noch intensiver gewesen zu sein als bei anderen Diskursen. Storz begründet das größere Interesse an anderen Medien mit der politischen Zuspitzung des Karikaturendiskurses. Als wichtige Leitm edien nennt er die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die tageszeitung als überregionale Blätter. Zudem die Lokalzeitungen Berliner Zeitung, Tagesspiegel, Kölner StadtAnzeiger und die Hannoversche Allgemeine Zeitung, und als Wochenmedien die Zeit und den Spiegel. Trotz der globalen Dimension des Karikaturen-Konfliktes gab es in der Zentralredaktion keine systematische Beobachtung a rabischer Medien. „Diese Medien sind in der Re daktion selbst nur in A usnahmefällen verfolgt worden; das ist über die Korrespondenten geschehen.“ Die Korrespondenten, die in islamischen Ländern leben und die j eweilige Landessprache beherrschen, übernehmen die Beobachtung. Diese s gesammelte Wissen wird in Artikeln verarbeitet. So erhält die Zentralredaktion weitestgehend nur das Wissen, das auch die Leser erhalten. Darüber hi naus scheint die Be richterstattung in isla mischen Ländern 328 Ähnlich diskutiert auch Horst Pöttker den Ka rikaturenstreit aus Sicht journalistischer Berufs ethik. Er sieht durch Ziffer 1 des Pressekodex eine Grundpflicht zum Publizieren, Ziffer 10 jedoch sagt, dass die Presse darauf verzichtet, religiöse, weltanschauliche oder sittliche Übe rzeugungen zu schmähen. „Letztlich lassen sich sowohl Öffentlichkeit als auch Menschenwürde nur aus sich selbst begründen.“ – Horst Pöttker (2007): Ist die publizistische Selbstkontrolle anti-islamisch? Der Ka rikaturen-Streit aus der Sicht j ournalistischer Berufsethik, in: Jäge r, Siegfried / Halm, Dirk [Hrsg.]: Mediale Barrieren. Rassismus als Integrationshindernis. Münster: Unrast, S. 229-242
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keine große Rolle für die Zentralredaktion zu spielen. „Ich habe aber nicht in Erinnerung, dass es in der R edaktion, dass jetzt die für Nahost, Iran, Irak zuständigen Kollegen, ich könnte mich nicht daran erinnern, dass das Leute waren, die direkt arabische Medien verfolgt haben.“ Der taz-Kommentarchef Daniel Bax Interview geführt am 10. April 2011 in Berlin In der taz sind einige Mohammed-Karikaturen schon recht früh nachgedruckt worden. Welche innerredaktionellen Diskussionen gab es über das Für und Wider des Abdrucks? Es gab Diskussionen; die Mehrheit in der Redaktion aber war dafür. Die Karikaturen wurden aber dann relativ klein gedruckt, im hinteren Teil der Zeitung. Ich persönlich hätte sie durcha us größer gedruckt. Ic h hätte mir auch vors tellen können, dass man sie später im Laufe der Debatte noch mal abdruckt, weil ich die Karikaturen prinzipiell nicht so pr oblematisch fand. Als Zeitung hat man ja auch eine gewisse Pflicht, s olche Dinge zu dokumentieren. Wir hatten keine Angst davor, dass wir mit dem Abdruck Ausschreitungen provozieren könnten, wenn wir diese Karikaturen drucken. Ich würde auch sagen, dass es sich beim Karikaturenstreit im Kern nicht um eine Debatte um die Grenzen der Meinungsfreiheit handelte. Sondern darum, dass die Karikaturen von Extremisten auf beiden Seiten instrumentalisiert wurden, um die jeweils andere Seite vorzuführen. Deshalb war und ist m eine Haltung: Ma n sollte solche Karikaturen aus dokumentarischen Gründen abdrucken, damit sich jeder selbst ein Bild machen kann. Aber man setzt damit kein Zeichen für die Meinungsfreiheit. Gab es in der Redaktion auch Stimmen, die gesagt haben, „wir dürfen die Karikaturen auf keinen Fall nachdrucken“? Daran kann ich mich nicht erinnern. Im Alltag ist es bei uns auch nicht so, dass Grundsatzdiskussionen gleich als solche geführt werden. Es ist auch manchmal zufallsabhängig, wer gerade kommentiert, wer Chef vom Dienst ist, wer die Entscheidungshoheit hat. Es gibt nat ürlich unterschiedliche Meinungen. Das Thema Karikaturenstreit wurde bei uns auch nicht gleich als solches erkannt. Es hat sich erst hochgesc haukelt. Die Ka rikaturen waren ja in Dänem ark schon längst ein Thema, bevor es zur weltweiten Eskalation kam. Man hätte die Kari-
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katuren später noch mal drucken können, um sie in Erinnerungen zu rufen – nicht auf Seite 1 wie die Welt, die eine als Kampagne nach dem Motto „wir verteidigen die Meinungsfreiheit“ gefahren ist. Abe r aus dokumentarischen Gründen. Ich selbst hatte mit der Entscheidung über den Nachdruck nichts zu tun. Ich hatte in der Hochphase des Karikaturenstreits den Eindruck, dass die taz stärker als andere Zeitungen in einem Dilemma steckte. Es gab ganz sicher ein Dilemma, nicht nur für die taz. Auf der einen Seite zielten die Ka rikaturen ganz eindeutig darauf ab, eine Minderheit zu provozieren und vorzuführen. Auf der anderen Seite geht es aber auch nicht an, dass Karikaturisten mit dem Tod bedroht werden, wie es am Ende der Fall war. Die meisten Mohammed-Karikaturen finde ich ja unproblem atisch. Aber die von Kurt Westergaard fand ich problematisch, weil die Aussa ge aus meiner Sicht eine rassistische ist. Aber auch da bin ich der Meinung, man musste sie als Zeitung dokumentieren. Das ist ge nau das Dilemma. Da ging es den anderen Zeitungen aber ähnlich, vor allem den linksliberalen. Man muss sagen, dass es gelungen ist, den Karikaturenstreit als eine Debatte um Meinungsfreiheit durchzusetzen. Broder war beispielsweise einer, der das sehr aktiv betrieben hat nach dem Motto „wenn m an diese Kari katuren nicht druckt, knickt man ein“. Bis heute ist das Thema ambivalent. Angela Merkel hat Kurt Westergaard für seinen angeblichen Mut einen Orden verliehen. Aber ich glaube nicht, dass Politiker der CDU sich die Karikaturen auf den Wagen sprayen lassen würden nach dem Motto „das ist ein Statement“. Man ist da sehr ambivalent. Ich finde, es muss möglich sein, Meinungen, die ich nicht teile, zu äußern. Es ist im Journalismus immer eine Abwägungsfrage, zum Beispiel die Frage nach Persönlichkeitsrech ten gegen eine Veröffentlichungspflicht, oder Meinungsfreiheit versus Nicht-Diskriminierung von Minderheiten. Ich kann keinen Skandal darin sehen, wenn man die Karikaturen druckt, ich kann aber auch kein Skandal sehen, wenn man sie nicht druckt. Das erste Mal im Karikaturenstreit, dass in der taz über Grenzen der Meinungsfreiheit diskutiert wurde, war in einem Kommentar von Ihnen anlässlich des so genannten „Holocaust-Wettbewerbs“ der iranischen Zeitung Hamshahri. Warum wurde nicht schon früher über die Grenzen der Pressefreiheit geschrieben? Ich glaube, wir haben uns dagegen gesträubt, den Konflikt als einen Streit um die Grenzen der Meinungsfreiheit anzusehen. Ich fand, dass dieses Beispiel aus
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dem Iran deutlich gezeigt hat, wie absurd das Argum ent ist. Ich ka nn mich an kein Medium in Deutschland erinnern, das diese Karikaturen aus dem Iran abgedruckt hätte. Trotzdem hat als niemand als „Zensur“ oder „Einschränkung der Meinungsfreiheit“ bezeichnet. Dabei müsste jeder, der sich Westergaard auf die Motorhaube sprayt, auch für den Abdruck der iranischen Karikaturen einsetzen. Pressefreiheit gilt entweder ganz oder gar nicht. Wenn jemand der Meinung ist, dass die Diskriminierung einer Minde rheit gestattet werden m uss, dann muss das für alle gel ten. Ich finde, dass Zeitungen da konsequent sein müssen. Sonst machen sie sich selbst unglaubwürdig. Das heißt dann auch, dass die taz wie im Karikaturenstreit die HolocaustZeichnungen zu Dokumentationszwecken hätte abdrucken können. Warum wurde das nicht gemacht? Ich habe die Kari katuren nie gesehen. Als Meinungsredakteur bin ic h nur für den Meinungsteil zuständig. Hätte ich redaktionelle Befugnisse über andere Seiten gehabt, dann hätte ich dafür gesorgt, dass man zumindest einen Teil davon abdruckt. Gab es Diskussionen darüber, ob man die Holocaust-Karikaturen nachdrucken sollte? Nein, darüber gab es keine Diskussionen. Im Nachhinein wäre es eigentlich sinnvoll gewesen, diesen Streit zu führen. Das hätte den a nderen Zeitungen vor Augen geführt: wenn schon, denn schon. Aber es gab keine Debatte. Können Sie sagen, welche anderen Zeitungen die taz bei Islam-Themen stark verfolgt? Es gibt natürlich einige Leitmedien in Deutschland; ich hoffe, die taz gehört dazu. Die Süddeutsche Zeitung ist ein Leitm edium, die FAZ auch. Die Süddeutsche Zeitung fand ich im Karikaturenstreit aber schwach. Sie hat das Dilemma des Nachdrucks nicht deutlich gemacht und auch nicht thematisiert, warum sie die Karikaturen nicht nachgedruckt hat. Dass wir das Thema sehr pluralistisch kommentiert haben, war auch ein Ausdruck des Dilemmas. Wir haben versucht, Hintergründe deutlich zu machen. Insofe rn haben wir scho n als Medi um eine eigene Stimme abgebildet. Ich glaube, wir haben einen Unterschied gemacht. Wo würden Sie auf einer politischen Links-Rechts-Achse die taz verorten?
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Links von der Süddeutschen Zeitung, auch links von der Frankfurter Rundschau. Interessant ist aber, dass Islamkritik und Islamfeindlichkeit ihre Wurzeln auch in einer autoritären Linken haben, weshalb die taz beim Thema Islam möglicherweise auch zerrissener wirkt als ein eher liberales Blatt wie die Süddeutsche. Einige Hauptprotagonisten der Islamdebatte haben eine linksradikale Vergangenheit, berufen sich auf einen radikalen Atheismus und teilen eine Vorliebe für radikale Lösungen. Das gilt für He ndryk Broder, Necla Kelek und Ralph Giordano, aber auch für Oriana Fallaci, Alain Finklier kraut oder Theo van Gogh. Früher haben sie vielleicht mit dem Kommunismus sympathisiert, Dann haben sie eine Konversionserfahrung gemacht und sind glühende Antikommunisten geworden. Und jetzt sehen sie im Islam eine neue totalitäre Gefahr. Die Links-Rechts-Unterscheidung trifft bei Islam-Themen deshalb nur be dingt zu. Es gibt im Islamfeindlichkeits-Diskurs ganz merkwürdige Allianzen. Auswertung Die Frage des Abdrucks scheint in der taz nicht sehr kontrovers diskutiert worden zu sein. Zumindest kann sich D aniel Bax nicht an entsprechende Debatten in der Reda ktion erinnern. Der Wunsch nach Dokumentation war größer als mögliche Bedenken, die Karikaturen könnten zu Protesten oder Drohungen führen. Bax betont, dass er den Karikaturenstreit nicht als Debatte um Meinungsfreiheit versteht und dass der Nachdruck in der taz somit auch kein politisches Zeichen war. Dabei grenzt er sich von der Welt, der er einen Kampagnenjournalismus unterstellt, ab. Bereits in den Diskursfragm enten zum Karikaturenst reit hatte sich die taz mehrfach an der Welt abgearbeitet, wie oben dargelegt wurde. Bax thematisiert das Dilemma, in dem sich die taz befand. Er spricht nicht wie Wolfgang Storz explizit von Traditionslinien seiner Zeitung, doch die diskursiven Grenzlinien sind offensichtlich ä hnliche. Bax sieht wie Storz eine Provokation bzw. Diskriminierung von Minderheiten; er spricht von einer „rassistischen Aussage“ der Bombenkopf-Karikatur. Doch anders als die FR hat sich die taz dazu entschieden, Mohammed-Zeichnungen zu zeigen. Dies verdeutlicht, dass sich Zeit ungen mit ähnlichen po litischen Ausrichtungen zum Nachdruck unterschiedlich positioniert haben. Abdruckende und nicht-abdruckende Zeitungen lassen sich nicht anhand einer Links-Rechts-Achse ordnen. Zudem spricht Bax von einer Abwägung zwischen Meinungsfreiheit versus Ni cht-Diskriminierung von Minderheiten. Dies bestätigt meine These, dass es im Karika-
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turen-Diskurs um Aushandlungsprozesse zwischen Werten bzw. Hochwertbegriffen mit einem nicht vorhersehbaren Ende ging. Obwohl Bax mehrfach betont, dass er den Karikaturen-Diskurs nicht als einen um Meinungsfreiheit gesehen hat, konnte sich die taz nicht ganz der Debatte um Presse- und Meinungsfreiheit entziehen, wie die Analyse obe n gezeigt hat. Dies spricht für die große „Sog-Kraft“ des Diskurses. Besonderes Augenmerk verdienen die A ussagen, die Bax über die H olocaust-Karikaturen macht. Er vertritt die Auffassung, dass „jeder, der sich Westergaard auf die Motorhaube sprayt, auch für den Abdruck der iranischen Karikaturen einsetzen“ müsse. Gemeint sind Zeitungen wie die Welt, nicht die taz. Auf den Hinweis, ob die taz die Karikaturen nic ht auch z u dokumentarischen Zwecken hätte nachdrucken können, erklärt er, dass er – wenn er die redaktionellen Befugnisse gehabt hätte – für den Abdruck einiger HolocaustKarikaturen gesorgt hätte. Bax m uss gleichzeitig einräumen, die iranischen Karikaturen nie gesehen zu haben. Und auch in der Redaktion habe es keine Diskussionen über einen Nachdruck gegeben. Dies zeigt erneut, wie selbstverständlich sich Journalisten an Diskursgrenzen halten. Bax stellt richtigerwei se fest, dass niemand von Zensur gesprochen hat, obwohl keine deutsc he Zeitung die Holocaust-Karikaturen nicht nachgedruckt hat. Interessant ist, dass die Süddeutsche Zeitung im journalistischen Feld anscheinend wenig punkten konnte. Daniel Bax kritisiert die Zeitung dafür, dass sie nicht thematisiert hat, warum sie die Mohamm ed-Zeichnungen nicht nachgedruckt hat. Die SZ hatte eher über die Betonung des diskursiven Kontextes in Dänemark versucht, eine Mitte-Position einzunehmen. Man kann davon ausgehen, dass Journalisten anderer Zeitungen dies nicht stark honoriert haben, da die Süddeutsche eher selten in ande ren Zeitungen zitiert wurde. Die SZ war im Karikaturenstreit, anders als bei anderen Diskursen, kein Leitmedium. Bax verortet die taz politisch weiter links als die SZ und die FR. Schon im zweiten Satz sein er Antwort spricht er von den linken Wurzeln der Islamfeindlichkeit. Damit erklärt er die Zerrissenheit der taz im Diskurs. In der Berichterstattung der taz spielten zwar islam feindliche Beiträge keine Rolle, aber sehr islamkritische.
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Bild-Chefredakteur Kai Diekmann Interview geführt am 4. Mai 2011 in Berlin Herr Diekmann, die Bild-Zeitung hat die Mohammed-Karikaturen nicht nachgedruckt. Was waren die Gründe hierfür? Zunächst: Selbstverständlich war es zulässig, diese Karikaturen zu drucken. Es gehört zu unserem westlichen und demokratischen Verständnis von Pressefreiheit, dass m an jede Form von Kritik veröffentlichen kann und ertragen muss. Eine Chefredaktion hat aber auch immer die Freiheit zu entscheiden, etwas nicht zu veröffentlichen. Entweder weil man etwas unnötig findet oder weil man der Überzeugung ist, dass man nicht zuerst provoziert, wenn man einen Dialog führen will. Ich war de r Meinung, dass ein Nachdruck der Karikaturen viele Muslime in Deutschland verletzen könnte. Wir reden in Deutschland von 3 bis 3,5 Millionen türkischstämmigen Deutschen oder türkischen Mitbürgern. Da war es aus meiner Sicht keine gute Idee, die Karikaturen in der Zeitung zu zeigen. Ich habe mich mit dem damaligen Hürriyet-Chefredakteur Ertugrul Özkök dazu entschieden, einen gemeinsamen Kommentar zu sc hreiben, den wir in beiden Zeitungen in den jeweiligen Sprachen veröffentlicht haben. Das fand ich für einen Dialog hilfreicher. Gab es harte innerredaktionelle Diskussionen über die Frage des Nachdrucks? Natürlich. Diskussionen sind immer wichtig und so wie es in Deutschland unterschiedliche Meinungen gibt, gibt es die auch in der Redaktion. Einige Kollegen fanden, man müsse die Karikaturen abbilden, um unseren Lesern zu ermöglichen, sich selbst ein Bild zu m achen von der ange blichen „Schwere der Tat“. Andere Kollegen waren der Meinung, es sei als politisches State ment wichtig, dass wir uns wie viele andere Zeitungen an einem Nachdruck dieser Karikaturen beteiligen. Sie waren der Ansicht, wir müssten eine klare Grenze ziehen. Wir dürften es nicht zulassen, dass der Eindruc k entsteht, wi r trauen uns den Abdruck aus Angst vor Reaktionen der islamischen Welt nicht. Ich fand, es wäre zu diesem Zeitpunkt der Debatte reine Provokation gewesen. Über die Debatte haben wir selbstverständlich berichtet. Denn natürlich ist es in unserer westlichen Wertegesellschaft absolut zulässig, Karikaturen zu religiösen Themen zu zeichnen. Das ist Teil der Meinungsfreiheit und die gilt es mit allen Mitteln zu verteidi gen. Kurt Westergaard, einer der Ka rikaturisten, muss seit der Veröffentlichung der Karikaturen um sein Leben bangen – ist ei-
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nem Mordanschlag entkommen – das ist definitiv nicht hinnehmbar und absolut indiskutabel. Dagegen musste man deutliche Zeichen setzen. Ich bin Mitglied der so genannten „M100“. Das ist ein Forum , in dem jedes Jahr Mediensc haffende aus Europa zusammenkommen und im Rahmen des Sanssouci Colloquiums in Potsdam einen Medienpreis vergeben. Im vergangenen Herbst wurde dieser Preis an Kurt Westergaard verliehen. Zwei sehr bedeutende deutsche Mitbürger haben die Laudatio gehalten: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ehemalige Bundesbeauftragte fu˜r die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR Joachim Gauck. Das war richtig und wichtig. Sie haben bereits den gemeinsamen Text mit Herrn Özkök angesprochen. Können Sie noch ein paar Sätze zur Entstehungsgeschichte sagen? Ertugrul Özkök und ich haben uns über eine Auseinandersetzung kennen gelernt. Vural Öger, ein türkisch-deutscher Unternehmer, kandidierte seinerzeit für das Europäische Parlam ent und riss ei n paar ve rächtliche Witze. Dafür ha ben wir ihn in de r Zeitung kritisiert. Ertugrul Özkök wa rf mir daraufhin in einem offenen Brief vor, ich würde die gute deutsch-türkische Freundschaft gefährden, wenn wir einen Deutsch-Türken in dieser Form angreifen. Ich habe ihm in einem offenen Brief geantwortet und er klärt, wie viel mir die deutsc h-türkische Freundschaft bedeutet. Aber es kann im Wahlkampf keinen Unterschied machen, ob jemand Deutscher oder Türke is t. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann muss auch kritisiert werden. Das ist unser Verständnis von Pressefreiheit. Ich habe diesen offenen Brief aber nicht einfach veröffentlicht, sondern ihn persönlich in I stanbul übergeben. Daraus ist meine Freundschaft m it Ertugrul Özkök entstanden. Und seither ve röffentlichen wir in kritischen Situationen, wenn wir den Eindruck haben, dass etwas schief läuft zwischen Deutschen und Türken oder zwischen Christen und Moslems, gemeinsame Kommentare. Der Kommentar zu de n Mohammed-Karikaturen war der erste, den wir gemeinsam geschrieben haben. Später veröffentlichten wir einen Kommentar anlässlich der Regensburger Rede des Papstes und auch nach dem Flammeninferno in Ludwigshafen. Und schließlich ein gemeinsamer Kommentar zum EMHalbfinalspiel Deutschland:Türkei, in dessen Rahmen Auseinandersetzungen befürchtet wurden. Diese Kommentare waren ganz bewusste Signale von uns. Zwei Tage nach Veröffentlichung Ihres Textes mit Özkök ist der gemeinsame Brief der Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Abdullah Gül erschienen. Waren die Veröffentlichungen koordiniert?
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Ich meine, mich zu erinnern, dass wir die Außenminister angesprochen haben. Zu dem Zeitpunkt war es bereits überall auf der Welt zu Auseinandersetzungen gekommen und Menschen waren nach de r Veröffentlichung dieser Kari katuren – durch das Aufwiegeln von Emotionen – ums Leben gekommen. Das war eine sehr kritische Situation. Daran zu erinnern, dass der Islam und unsere christliche Religionslehre gemeinsame Überzeugungen und gemeinsame Werte teilen, war das Anliegen beider Appelle. Sie haben jetzt zwei Mal das Christentum angesprochen. Mir ist aufgefallen, dass in der Bild-Zeitung relativ häufig die Verhöhnung christlicher Symbole thematisiert wurde. Gab es damals einen Dialog der Bild-Zeitung mit den Kirchen? Es gab keinen Dialog m it den Kirchen. Das waren vielmehr meine eigenen Überzeugungen. Das Satiremagazin titanic findet es immer wieder komisch, auf dem Titel das Kruzifix zu verhöhnen und ebenso zeigte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung damals viele Karikaturen mit dem Kreuzsymbol. Auch das hielt ich für unnötig. Nicht alles, was erlaubt ist, muss man auch tun. Welche Medien haben Sie während des Karikaturenstreits am intensivsten verfolgt? Die gesamte deutsche Medienlandschaft, wie wir das je den Tag tun. Wir haben das Schicksal der dänisc hen Karikaturisten ebenfalls intensiv ve rfolgt. Es war absurd, dass ein Mensch um sein Leben fürchten muss, weil er eine Karikatur zeichnet. Wenn ein Kollege dafür, dass er seine Meinung in einer Karikatur zum Ausdruck bringt, auf das Schlimmste bedroht wird, müssen wir uns an seine Seite stellen. Gibt es in der Zentralredaktion Redakteure, die arabische oder türkische Medien verfolgen? In meinem Vorzimmer liegt die Hürriyet. Meine Mitarbeiterin ist Türkin. Wenn ihr etwas auffällt, sagt sie uns Besc heid. Ansonsten kooperieren wir mit Hürriyet. Wir beobachten die Berichterstattung der arabischen und türkischen Medien, wenn wir der Meinung sind, dass dort bei einem interessanten Thema ein Informationsvorsprung vorliegt. Wir haben Redakteure, die tü rkisch und arabisch sprechen. Wir machen aber keine systematische Auswertung von arabischen und türkischen Zeitungen.
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Würden Sie in einem ähnlichen Fall wie dem Karikaturenstreit wieder ähnlich reagieren oder sagen Sie rückblickend, hier und da haben wir Fehler gemacht. Antworten auf fakultative Fr agen sind immer schwieri g. Die Entscheidung von damals ist aus meiner Sicht auch m it fünf Jahren Abstand richtig gewesen. An meiner Einstellung hat sich nichts geändert. Wenn es um religiöse Gefühle geht, muss man meiner Meinung nach zurückhaltend sein. Und man kann sich immer fragen, ob man alles berichten muss. Wenn sich ein amerikanischer fanatischer Prediger dazu entschließt, den Koran zu verbrennen, kann man darüber nachdenken: Berichte ich das oder gebe ich ihm dadurch bloß die Publizität, die er sich wünscht? Respekt vor den religiösen Gefühlen anderer ist ein hohes Gut. Da ist es egal, ob es um Moslems, Buddhisten, Hinduisten, Christen, Jude n, Atheisten oder was auch immer geht. Was sind aus Ihrer Sicht die Lehren aus dem Karikaturenstreit? Wir haben gelernt, wie schnell sich Dinge verbreiten können. Kaum jemand hätte es vorher für möglich gehalten, dass auf den Straßen von Gaza Schüsse fallen, weil in Däne mark ein B uch veröffentlicht wurde. Und es hat sich wi eder gezeigt, wie viel Zündstoff in der Veröffentlichung religiöser Themen liegt. Das erleben wir immer wieder – so auch nach der Regensburger Rede des Papstes. Auswertung Kai Diekmann begründet eingangs den Nicht-Abdruck der MohammedKarikaturen damit, dass er einen Dialog mit Muslimen nicht gefährden wollte. „Ich war der Meinung, dass ein Nac hdruck der Karikaturen viele Muslime in Deutschland verletzen könnte.“ Im weiteren Verlauf des Inter views verschiebt sich die Begründung, sie wird allgemeiner. „Respekt vor den religiösen Gefühlen anderer ist ein hohes Gut“, heißt es dann bei Diekmann. Es wird deutlich, dass es sowohl konkrete als auch allgem eine Erwägungen für die Halt ung der Bild-Zeitung entscheidend waren. Dabei wird die kirchennahe Haltung der Bild deutlich. Auch anderen Stellen bestätigt Diekmann diese Diskursposition Er spricht von sic h aus m ehrfach das Christentum bzw. „uns er“ Wertesystem an. Einen Dialog mit den Kirchen habe es nicht gebraucht, das seien seine eigenen Überzeugungen gewesen. Diekmann kritisiert die titanic und die FAS dafür, dass sie christliche Symbole herabwertend dargestellt haben.
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In seinen Antworten wählt Diekmann gleich mehrfach den Begriff des Dialogs. Das ist deshalb intere ssant, weil der „ Dialog“ im Mediendiskurs während des Karikaturenstreits ka um positive Er wähnung fand. Im Politiker-Diskurs wurde der Begriff viel häufiger bemüht. Doch Diekmann bezieht sich positiv auf einen Dialog und sieht diesen durch einen möglichen Nachdruck gefährdet. Dies bestätigt, dass die Bild-Zeitung im Karikaturenstreit eine regierungsna he Position eingenommen hat. In einem weiteren Punkt zeigt sich die Regierungsnähe: Kai Diekmann sagt, dass die Bild und die Hürriyet die Außenminister Abdullah Gül und Frank-Walter Steinmeier auf einen gemeinsamen Appell angesprochen haben. Die Initiative ging also von den Zeitungen aus. Die b eiden Blätter sind offensichtlich ga nz unmittelbar in der Lage, Einfluss auf politische Entscheidungsträger auszuüben. Überhaupt stellt die enge Verbindung de r Hürriyet und der Bild-Zeitung eine Ausnahme im journalistischen Feld dar. Ein vergleichbares Verhältnis zwischen einer de utschen und türkischen Zeitung existiert nicht. Beachtenswert ist auch, welche Bedeutung Diekmann dem Karikaturenstreit beimisst. Es war das erste Mal, dass er m it Ertugrul Özkök einen gemeinsamen Kommentar verfasst hat. Dies war der Auftakt zu weiteren Appellen der beiden Chefredakteure. Im Gegensatz zu Frankfurter Rundschau besitzt die Bild-Zeitung in ihrer Zentralredaktion MitarbeiterInnen, die in der Lage sind, arabische und türkische Medien zu verfolgen. Eine systematische Auswertung dieser Medien fände zwar nicht statt, so Diekmann, doch würden sie ausgewertet, wenn ein Informationsvorsprung vermutet werde. Dies dürfte im Karikaturenstreit der Fall g ewesen sein. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Gründe für eher zurückhaltende Haltung der Bild-Zeitung (zumindest zurückhaltender als erwartbar war) in ihrer Einstellung zu Religionsfragen, der Regierungsnähe, der engen Verbindung zur Hürriyet und der Beobachtung türkischer und arabischer Medien zu suchen sind. Ende des Exkurses
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9.2 Zwischenfazit: Der Karikaturendiskurs in Deutschland Der Karikaturenstreit hat in Deutschland dazu geführt, dass der Islam noch stärker als ohnehin mit dem Thema Gewalt assoziiert wurde. Die große Aufmerksamkeit für die gewalttätigen Proteste und die damit verbundene Auslandsbe richterstattung haben zu einer enge n Verknüpfung von I slam und Ge walt geführt. Anfang Februar hatten in manchen Zeitungen selbst kleinste Demonstrationen in a bgelegenen Teilen der Welt Nachrichtenwert. Diese selektive Wahrnehmung der Reaktionen in islamischen Ländern und die kollektivsymbolische Aufladung der Berichte haben zu einer verzerrten Wahrnehmung der Muslime und einer Eskalation des Konfliktes beigetragen. Der „Kampf der Kulturen“ diente bei der Beric hterstattung als Be drohungsszenario. Die meisten PolitikerInnen und JournalistInnen waren sich einig, dass es den Kampf der Kulturen „noch nicht“ gibt und dass sein Ausbruch verhindert werden muss. Die Rhetorik vom Kulturkampf erzeugt einen unmittelbaren Handlungsdruck, weil mit ihm Denormalisierungsängste verbunden sind. „So unzutreffend die Rede vom ‚Clash’ der K ulturen in der a nalytischkonstativen Dimension ist, so effe ktiv ist sie offe nbar performativ, als Appell. Die Bereitschaft zum Kampf gegen die muslimische Kultur schei nt gewachsen.“329 Im Karikaturenstreit wird die Antwort auf den Kampf der Kulturen mal in einem phrasenanfälligen „Dialog der Kulturen“ und m al in interventionistischen Lösungen gesucht. Unterschiede zwischen Politiker- und Mediendiskurs Im deutschen Diskurs um die Mohammed-Karikaturen lässt sich eine deutliche Differenz in der Positionierung von JournalistInnen und PolitikerInnen ausmachen. Politikerinnen und Politiker aller fünf im Bundestag vertretenen Parteien riefen dazu auf, die Situation nicht weiter „aufzuheizen“ und kein „Öl ins Feue r zu gießen“. Obwohl es in der politischen Klasse Unterschiede in der Bewertung des Konfliktes und in der Einschätzung des Verhältnisses von Pressefreiheit und religiösen Gefühlen gab, rief in Deutschland keine Politikerin und kein Politiker einer etablierten Partei dazu auf, eine harte Auseinandersetzung mit der islamischen Welt zu suchen. Sie forderten allesamt einen „Dialog der Kulturen“. Auch EU-Politiker bemühten sich im Streit um Vermittlung. Journalisten hi ngegen
329 Werner Köster: Bilderverbot und Bilderstreit als Diskurselemente von Medienmentalitäten
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traten vielfach aggressiver auf. Wie oben gezeigt werden konnte, kritisierten zahlreiche Artikel die Haltung der politischen Klasse. Von einem „Kniefall“ vor den Muslimen war wiederholt die Rede und von einem „Zurückweichen“. Beispiele hierfür sind insbesondere bei Spiegel Online und im Tagesspiegel zu finden. Der viel gepriesene „Dialog der Kulturen“ fand im Mediendiskurs nur sehr begrenzte Zustimmung. Die größte Regierungsnähe zeigte die Bild-Zeitung. Insbesondere mit dem gemeinsamen Brief m it der Hürriyet, der einen Appell von Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Außenminister Abdullah Gül vorbereitet hat, stand das große Boulevardblatt nahe an der Position der Bundesregierung. Aber auch die Darstellung des „A ußen“ als gefährlich und terroristisch und die Mä ßigung im „Inneren“ „entspricht der derzeitigen Ausländerpolitik in Deutschland“330, wie Siegfried Jäger festhält. Vielstimmiger Diskurs Der Karikaturendiskurs in Deutschland war ein vielstim miger. Die einzelnen Zeitungen ließen eine relativ große Meinungsbreite zu – sowohl bei Texten der eigenen RedakteurInnen als auch bei Gastbeiträgen. Die Meinungsvielfalt reichte sogar s o weit, dass die Welt in der eigenen Zeitung für den Nachdruck der zwölf Mohammed-Karikaturen in ein e „radikale Ecke“ gestellt wurde.331 Die Vielfalt resultiert unter anderem daraus, dass der Konflikt zu Aushandlungsprozessen führte, dere n Resultate nicht von vorne herein absehbar waren. Sie war aber auch Folge der Tatsache , dass die Mohammed-Karikaturen stark polarisieren. Es gibt in Deutschland keinen Konsens darüber, wo die Pressefreiheit aufhört, inwieweit man religiöse – in diesem Fall islamische – Gefühle zu respektieren hat und wie die Karikaturen zu bewerten sind. Gerade solche Diskurse eignen sich für Zeitunge n, um im journalistischen Feld zu punkte n. Clemens Knobloch schreibt hierzu: „In der Machtkommunikation sind Themen, die viele Menschen mobilisieren und polarisieren (aus welchen Gründen auch i mmer), eine Chance, Punkte zu m achen, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehe n, Zustimmung zu erhalten“.332
330 Siegfried Jäger: Der Karikaturenstreit im „Rechts-Mitte-Links“-Diskurs deutscher Printmedien, in: Jäger, Siegfried / Halm, Dirk [Hrsg.]: Mediale Barrieren 331 Welt: Kein Kampf der Kulturen, 6. Februar 332 Clemens Knobloch (1998): Moralisierung und Sachzwang. Politische Kommunikation in der Massendemokratie. Münster: Unrast, S. 42
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Widersprüchlichkeiten im Diskurs Die Vielstimmigkeit des Diskurses zeigte sich nicht nur darin, dass unterschiedliche Autoren teils konträ re Positionen einnahmen. Auch in einem einzelnen Text konnte diese Vielstimmigkeit auftreten – nicht in F orm von Pro und Contra, sondern als Widersprüchlichkeiten. Besonders in de n Wochenmagazinen fällt auf, dass eskalierende und mäßigende Element in ein und dem selben Artikel Platz finden. Teilweise wide rsprechen sich Passage n eines Artike ls ganz deutlich, wie oben am Beispiel des Spiegel und der Zeit nachgewiesen werden konnte. Übergangsdruck für Journalisten Der Karikaturendiskurs hat mit der Ge genüberstellung von Pressefreiheit und der Achtung von religiösen Gefühlen sowie mit den gewalttätigen Protesten in islamischen Ländern einen Übergangsdruck erzeugt. Dieser hat dazu geführt, dass sich auch liberale JournalistInnen zumindest stellenweise auf die Seite der in Teilen rassi stischen Mohammed-Karikaturen geschlagen haben. Besonders deutlich wurde das am Beispiel der taz. Die vorliegende Analyse hat gezeigt, dass im Laufe des Diskurses viele Zeitungen eine zunehmend kritische Haltung gegenüber den Protesten in islamischen Ländern eingenommen haben. Die Gewaltanwendung in diesen Lä ndern hatte zur Folge, dass sich auch Journalisten, die zunächst die Legitimität von Protesten betont hatten, von den Dem onstrierenden distanzierten. Damit einhergehend wurden die Karikaturen milder beurteilt. Einige Autorinnen und Autoren begründeten die Verschiebung ihrer Position explizit mit der Gewalt im Nahen Osten. Angesichts der Gewalt gehe es nicht mehr um die Frage der Karikaturen, sondern um einen grundsätzlichen Konflikt, so der Tenor vieler Diskursfragmente. Beispiele für diese Dynamik lassen sich unter ande rem in der Frankfurter Rundschau, der Berliner Zeitung und der taz finden. Damit schlagen sich linksliberale Zeitungen zumindest tendenziell auf die Seite der rechtspopulistischen Jyllands Posten. Angriffe auf Linke und Multikulti Auch mit Angriffen auf „Multikulti“-Kon zepte wurde die politische Linke diffamiert; sie erschien als Schuldige für Probleme mit Muslimen. Bei Spiegel Online, der FAZ, der Jungen Freiheit, der Zeit und beim Mannheimer Morgen lie-
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ßen sich etliche Beispiele für die diskursive Entsorgung von Ideen einer multikulturellen Gesellschaft finden. Die FAZ behauptete, es sei kein Zufall, dass der „Leitkulturkampf sich in einst m ultikulturell eingestellten kleinen europäischen Nationen abspielt“. ( FAZ: Leitkulturkampf, 2. Fe bruar 2006) U nd der Mannheimer Morgen sah einen neuen Diskussionsbedarf durch den Karikaturenstreit aufkommen. „Das bloße Nebeneinander der Gesellsc haften und K ulturen, das bislang als Ausdruck von Toleranz und einer Multikulti-Idylle galt, funktioniert nicht mehr.“ (Mannheimer Morgen: Ende von Multikulti ?, 13. Februar 2006) Multikultur wurde sogar zu einer Bedrohu ng für die Existenz des Westens: „Während wohlmeinende, multikulturell geprägte Intellektuelle i m Westen vor einem ‚Kampf der K ulturen’ warnen, sind die radikalen Islamisten schon m ittendrin und voll dabei.“ (Spiegel Online: Das Feindbild als Neidbild, 17. Februar 2006) Political Correctness Verstärkt wurden die Angriffe auf Linke durch den Bezug zur PC-Debatte. Damit wurden die Karikaturengegner als politisch links symbolisiert. Der Diskurs um die Mohammed-Zeichnungen war von Beginn an gekennzeichnet von strukturellen Parallelen zum Diskurs um Political Correctness. Die Jyllands Posten hat im Begleittext zu den zwölf Karikaturen explizit auf PC hingewiesen: Eine durch Political Correctness bedingte Selbstzensur wurde beklagt. Die Ähnlichkeiten in der Argumentation sind auffällig: Sowohl im Fall der Karikaturen als auch in der Diskussion um PC wurde von einer „allzu großen Rücksichtnahme auf Muslime“ gesprochen. Und in beiden Fällen wurde unterstellt, dass Minderheiten darüber entscheiden, wo die Grenzen des Sagbare n liegen. Bei Spiegel Online, der Welt und der Jungen Freiheit tauchte der Begriff der Political Correctness auf, wobei sich die Junge Freiheit am stärksten auf ihn bezog. Die vorliegende Analyse hat aber auch gezeigt, dass es nicht mehr unbedingt notwendig ist, den Begriff der „Political Correctne ss“ zu verwenden. Hinweise auf ihn durch „Gutmenschen“ oder „Tabus“ und „Denkverbote“ reichen aus, um beim Leser die gewünschten Assoziationen hervorzurufen.333 Wie Brigitta Huhnke schreibt, kann man mit „Political Correctness“ alle „Übeltäter semantisch unter einem Dach versammeln: nicht nur die Feministinnen, Ausländer, Juden und Schwule, sond ern mittlerweile auch diejenigen, die
333 Vgl. Marc Erdl: Die Legende von der politischen Korrektheit, S. 250
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sich der selbstbewußten Nation verweigern wollen“.334 In unserem Fall waren es vor allem Linke und Muslime, die „u nter einem Dach versammelt“ wurden. Marc Erdl macht darauf aufmerksam, dass das Reden über Political Correctness auch in der Lage ist, zahlreiche Diskurse zu verknüpfen. „ Sein Potential, zahlreiche Diskurse kurzzuschließen, die sowohl eine oder mehrere fachliche Seiten als auch eine oder m ehrere öffentliche Seiten haben, besteht nicht zuletzt darin, daß mit seiner Verwendung all diese Diskurse unverarbeitet und unrefl ektiert zur Verfügung stehen und plausibilisiert in Reihe geschaltet werden können.“335 Fehlende Selbstreflexionen Der Karikaturendiskurs litt unter einem Mangel an Selbstreflexionen. Dabei hat die Konstellation im Konflikt viel Stoff für Selbstbetrachtungen geliefert. Denn die Journalistinnen und Journalisten befanden sich n icht nur in ih rer üblichen Rolle, sondern waren zugleich m ögliche Betroffene einer (vermeintlichen) Gefährdung der Pressefreiheit. Die wenigen Beispiele für Selbstreflexion wurden in dieser Arbeit aufgeführt ( Berliner Zeitung, Süddeutsche Zeitung). Interessant ist diese Tatsache auch, weil deutsche Journalisten im Karikaturenstreit wiederholt Selbstkritik von der islamischen Welt gefordert haben. Die angebliche Fähigkeit des Westens zur Selbstkritik und die damit verbundene Stärke des westlichen Systems (Zeit) wurde im Karikaturenstreit von Seiten der Journalisten nicht unter Beweis gestellt. Selbst in den Wochenblättern gab es sehr wenige metadiskursive Artikel. Als Folge dies es Mangels wer den deutsche Medien vermutlich bei ähnliche n Diskussionen auf dieselbe Weise reagieren. Der Diskurs hatte kein eigentliches Ende; weder ein diskursives Ereignis, das ein Ende markiert hätte, noch ein Konsens darüber, wie das Verhältnis von Pressefreiheit und Religion und der Umgang mit Muslimen aussehen sollte. Fehlende Selbstreflexionen können aus meiner Sicht z weierlei bedeuten. Zum einen, da ss im Diskurs vorhandenes selbstverständliches Wissen aktualisiert wird336, so genannte „frames of acceptance“. Die kollektiv geteilten Deu334 Brigitta Huhnke (1997). „pc“ – Das neue Mantra der Neokonserv ativen, in: Andre as Disselnkötter / Jäger, Siegfried / Kellershohn, Helmut / Slobodzian, Susanne [Hrsg.]: Evidenzen im Fluss. Demokratieverluste in Deutschland. Duisburg: DISS, S. 262-286. 335 Marc Erdl: Die Legende von der politischen Korrektheit, S. 249 336 Reiner Keller (20 01): Wissenssoziologische Diskursanalyse, in: Keller, Reiner / Hirselan d, Andreas / Schnei der, Werner / Viehöver, Willy [Hrsg.]: Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 1: Theorien und Methoden. Wiesbaden: Leske+Budrich, S. 113-144: „Die Aktualisierung von Elementen des Wissensvorrates erfolgt meist als p ragmatisch-fragloser
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tungsmuster müssen nicht hinterfragt werden. Zum anderen kann der Mangel an Selbstreflexionen auch daran liegen, dass die Medien mit dem Thema Karikaturenstreit nicht adäquat umgehen konnten. Dieser Unfähigkeit der Medien scheint ein großer Bedarf entgegen zu stehen. Die Dis kursbeiträge der beiden wichtigen (und sehr un terschiedlichen) deutschen Intellektuellen Günter Grass und Botho Strauß wurden im Diskurs stark rezipiert. Grass hat der spanischen Zeitung El Pais ein Interview gegeben, in dem er erklärte, dass im Karikaturenstreit zwei „Un-Kulturen“ am Werke seien. „Wir haben das Recht verloren, unter dem Recht auf freie Meinungsäußerung Schutz zu suchen.“ Möglicherweise bestand ein B edürfnis nach einer Intellektualisierung des Konfliktes. Der Diskurs war also durc haus offen für Beitr äge auf einem höheren A bstraktionsniveau. Neue Koalitionen Die besondere Konstellation i m Karikaturenstreit hat zu weiteren Dy namiken geführt. So hat sich die Boulevard-Zeitung Bild teilweise auf die Seite der Muslime geschlagen. Erklärt werden kann diese Haltung m it der Kirchennähe der größten Zeitung Europas . Indem sie di e Beleidigung religiöser Symbole problematisiert hat, konnte die Bild den Blick auf die „Ve rhöhnung“ des Christentums lenken. Der Vatikan und viele andere Kirchenvertreter haben im Diskurs eine ähnliche Position einge nommen. Die Positionierung der Bild-Zeitung hat dazu geführt, dass sie eine te mporäre Koalition mit Muslimen eingegangen ist. Es kommen auffällig viele Muslim e – sowohl Verbandsvertreter als auch nicht verbandlich organisierte – zu Wort. Die Bild-Zeitung schöpfte damit das Skandalisierungspotenzial, das der Karikaturenstreit enthielt, nicht vollständi g aus. Auf der anderen Seite kollidierten in der taz die zeitungseigenen Traditionen des Antirassismus und der Hochhaltung der Pressefreiheit. Letztlich verteidigte die taz die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen, obwohl sie diese häufi g als „rassistisch“ bezeichnet hat. Auch druckte die taz schon sehr früh Mohammed-Karikaturen nach. Andere linksliberale Zeitungen hingegen wie die Frankfurter Rundschau haben die Karikaturen nicht veröffentlicht. Daher lässt sich nicht von einer klaren Links-Rechts-Aufteilung im Diskurs sprechen. Die Differenzlinien liegen quer durch die politischen „Lager“.
Routineprozeß, der nur in Situationen der Irr itation und Störung, wenn es Problem e gibt, eine besondere Zuwendung und Reflexionsarbeit notwendig macht“
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Rassismus als Diskurselement Wo das Links-Rechts-Schema jedoch auch im Karikaturenstreit funktioniert, ist die Behandlung der Frage des Rassismus in Dänemark durch die deutschen Medien. Grob lässt sich Folge ndes festhalten: Je linker die Zeitung, desto stärker wurde der Rassismus in Dänemark betont. Und je linker die Zeitung, desto eher wurde Dänemark mit dem Hinweis auf die Beteiligung am Irak-Krieg als a ggressiv dargestellt. Durch den Verweis auf die restriktive Ausländerpolitik und „Ausländerfeindlichkeit“ in Dänemark versuchten eher linke Zeit ungen den Streit in einen Kontext zu st ellen. Konservative Blätter kamen fast ohne einen Hinweis auf Rassismus aus. So sprach die Welt selbst bei einem Porträt der Dänischen Volkspartei nicht von Rassism us und die FAZ kodierte die Partei als sowohl rechts- als auch linkspopulistisch. Noch schwieriger ist die Thematisierung von Rassismus offenbar, wenn es um die Rolle der Medien geht. In de n wenigen Fällen, in dene n Medienkritik geübt wurde, gab es nur ein Beispiel da für, dass die Berichterstattung als „rassistisch“ bezeichnet wurde. Dies war, wie oben beschrieben, im Gastkommentar von Navid Kermani in der Süddeutschen Zeitung der Fall. Anlässe für diese harte Kritik hätte es, wie die vorliegende Untersuchung zeigen konnte, viele gegeben. Die Zeitungen argumentierten teilweise kulturdifferenzialistisch-rassistisch. Der Islam schien dabei eine quasi-genetische Eigenschaft der Muslime zu sein. Feindbild ohne Subjektstatus Im Karikaturenstreit wurde vielfach ein islamisches Feindbild ohne Subjektstatus aktualisiert. Kollektivsymbole wie „Welle“, „Sturm“ und „C haos“ stellten protestierende Muslime als nicht zurechnungsfähige und gefährliche Feinde dar, mit denen man nicht verhandeln kann. Flankiert wurde das Feindbild durch den Hinweis, die Proteste seien „ gesteuert“. Diejenigen, die gegen die MohammedKarikaturen aufbegehrten, wurden als frem dgeleitet dargestellt: Nichtdemokratische Regime lenkten Proteste und die Protestierenden. Mit der Behauptung, dass einzelne Personen oder Regime hinter den Protesten stecken, bewegte sich der Diskurs in der Nä he von Verschwörungstheorien. Verstärkt wurde dies von der Spekulation über die Frage, woher die dänischen Fahnen stammen, die bei Pr otesten verbrannt wurden. Die Pr oteste erschienen damit als „von la nger Hand geplant“ und gut koordiniert. Dass aber arabische NäherInnen in der Lage sind, dänische Fahnen, deren Lebenszyklus ja nicht allzu lang sein soll, zu produzieren, wurde nicht erwogen.
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Bilderverbot als Diskurselement Wie im Wörterbuch in Kapitel 7 dargelegt, war das islamische Bilderverbot ein wichtiges Diskurselement im deutschen Diskurs. Die m eisten Tageszeitungen widmeten dem Thema eigene Artikel. Der Konflikt wurde dabei religiös bewertet. Gelegentlich wurde dem Islam in diesem Zusammenhang auch „Humorlosigkeit“ unterstellt. Selten gingen Artikel ausführlich darauf ein, dass das Bilderverbot alttestamentarisch ist und damit zu allen monotheistischen Religionen gehört. Damit hätte der Binärism us Islam-Christentum durchbrochen werden können. Die Analyse türkischer Zeitungen zeigt, dass das Bilderverbot im Karikaturenkonflikt eine sehr viel geringer e Bedeutung besaß, als von de utschen Zeitungen angenommen. Keine türkische Zeitung nannte das Bilderverbot als Grund für die Proteste. Stattdessen wurden die „Beleidigung“ des P ropheten Mohammed und „Respektlosigkeit“ angeführt. Dazu unten mehr. Auswirkungen auf Integration Wie oben mehrfach gezeigt werden konnte, wurden Muslime im Nahen Oste n mehrheitlich als g efährlich dargestellt; Muslime in Europa hingegen als fried lich. Diese Beobac htung hat auch Siegfri ed Jäger gemacht. „[Der „ Mitte“Diskurs] plädiert (…) für die Integration der im „Innen“ angekommenen Einwanderer bzw. Menschen mit Migrationshintergrund, die sich einer deutschen (Leit-)Kultur anpassen sollen und dazu auch m ehrheitlich bereit seien.“ 337 Zugleich war aber immer wieder ein „Durchschlagen“ der Darstellung des gefährlichen Außen ins Innere z u beobachten. Dies erfolgte durch untersc hiedliche Verfahren. Mal implizit, mal explizit wurde in einigen Diskursfra gmenten eine einheitliche muslimische Gemeinschaft unter stellt. Damit wurden Musl ime in Europa zu der „Gegenseite“ gerechnet. „Die m uslimische Glaubensgemeinschaft schlägt weltweit zurück“, hieß es am 2. Februar im Mannheimer Morgen. Im Stern fragte der Chefredakteur Petzold, warum im Kopftuchstreit vom Westen Respekt gegenüber muslimischen Werten eingefordert wird, die arabische Staaten Christen und Juden verwehren. Hier erfolgte eine Vermischung von Muslimen in Europa, die vom Kopftuchstreit betroffen sind, und denen in arabischen Ländern. In mehreren Diskursfragmenten in der Bild und im Tagesspiegel 337 Siegfried Jäger (2007): Der Ka rikaturenstreit im „Rechts-Mitte-Links“-Diskurs deutscher Printmedien. In: Jäger, Siegfried / Halm, Dirk [Hrsg.]: Mediale Barrieren. Rassismus als Integrationshindernis. Münster: Unrast, 51-104
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wurde eine Angst vor Gewalt im Inneren geschürt. So fragte die Bild-Zeitung, ob auch Gewalt bei „uns“ drohe. Antonia Rados erklärte im Interview, man solle sich kei nen Illusionen hingeben. Im Weltbild radikaler Muslime sei der gesamte Westen eins. Zudem steigt in Konfliktfällen wie dem Karikaturenstreit der Solidarisierungsdruck auf Muslime in Europa. Durch eine Abgrenzung zu Muslimen in islamischen Ländern sollen sie ihre Z ugehörigkeit zum Westen verdeutlichen. Tun sie dies nicht ode r aus Sicht der Me hrheitsgesellschaft nur unz ureichend, droht ihnen der Ausschluss. Im Karikaturenstreit haben sich 16 türkische und islamische Verbände von der Gewalt im Nahen Osten distanziert. Das reichte aber einigen Journalisten noch nicht, wie im Falle der FAZ nachgewiesen werden konnte. „Und es gilt schon als Zeichen hervorragender Friedfertigkeit, wenn ein muslimischer Interessensvertreter in Deutschland seine Glaubensgenossen dazu aufruft, sich nicht provozieren zu lassen. Wer provoziert da wen?“338 Der Karikaturenstreit wurde mehrfach mit dem Integrationsdiskurs verknüpft. Dadurch konnten gefährliche Effekte entstehen. Wenn, wie im Falle Mannheimer Morgen, das Fernbleiben türkischer Kinder vom Schwimmunterricht und von Klassenfahrten in eine Reihe gestellt wird mit Gewalttaten, werden echte oder vermeintliche „Integrationsdefizite“ nicht nur als ge fährlich dargestellt, sie werden auch „reli giösiert“. Probleme bei der Integration erscheinen dann ausschließlich durch die islamische Religion bedingt zu sein. Muslime überall auf der Welt werden auch dann vermengt, wenn der Islam als eine a bstrakte Kategorie auftaucht, dem sich alle Gläubige n unterwerfen müssen. Am 9. Februar fragte der Stern-Chefredakteur Petzold: „Wie sollen wir dieser Unversöhnlichkeit begegnen, diesem Glauben an absolute Überlegenheit des Islam, der sich keinem weltlichen Gesetz unterwirft, schon gar nicht den Gesetzen der Ungläubigen?“ Und im Focus hieß es: „Ein Dschihad – ein Heiliger Krieg – ist für alle Gläubigen Pflicht, sofern die Umma attackiert wird.“ Ein Losschlagen aller Muslime wird befürchtet. In diesen Ausz ügen wird ein „Wesen“ des Islams unterstellt, das unmissverständlich zu sein scheint.339 Der Karikaturenstreit fügte sich in eine Liste von Konfliktfällen in und mit dem Nahen Osten ein, über die die Medien gerne berichten. Die Foreign-NewsStudie der UNESCO hat gezeigt, dass „der Nahe und Mittlere Osten in der in-
338 FAZ: Zweierlei Maß 10. Februar 2006 339 Focus: Aufruf zu m Dschihad 13. Februar. Mehr zum Wesen des Islams als Diskurselem ent: Heiner Bielefeldt (2009): Das Isla mbild in Deutschland. Zu m öffentlichen U mgang mit der Angst vor dem Islam, in: Thorsten Gerald Schneiders [Hrsg.]: Isla mfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen. Wiesbaden: VS Verlag
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ternationalen Berichterstattung besonders stark mit militärischen Fragen, Kriminalität und anderen Konfliktbereichen in Verbindung gebracht wird, während andere Lebensbereiche „unsichtbar“ (invisible) bleiben“.340 Diskursive Entrechtung der Muslime Im deutschen Diskurs sind auch Mechanismen zu beobachten, die ich als „diskursive Entrechtung der Muslime“ bezeichnet habe. AutorInnen wollten Muslimen demokratische Rechte vorenthalten, indem sie diese als radikal da rstellten. Die Beanspruchung der R echte erschien al s Akt der Radikalität. Ein Beispiel hierfür ist der FAZ-Artikel „Schändliche Provokation“ vom 3. Februar, der die französischen Organisationen „Union der islamischen Organisationen Frankreichs“ und die „FNMF“ dafür kritisierte, dass sie rechtliche Schritte gege n France Soir erwogen. Der Artikel folgert: „Die Ge bote des Islams stehen auch für Boubakeur (Vorsitzender des französischen Islamrats, Anm. M.A.) über dem Grundsatz der Presse- und Meinungsfreiheit.“ Eine ähnliche Entrecht ung findet sich am 1. Februar im Tagesspiegel („Die Sprache der Dem okratie“). In dem Text wurde eine Demonstration von Muslimen in Kopenhagen als eine „bedrohliche Invasion der U naufgeklärten wider die skandinavische Ruhe und G efasstheit“ dargestellt. Es scheint, dass je hitziger die Meinungsfreiheit auf der einen Seite verteidigt wird, desto eher die Bereitschaft besteht, die Freiheit des Gegenübers zu beschneiden. Oder normalismustheoretisch ausgedrückt: Im Konfliktfall herrscht eine Tendenz zum Protonormalismus mit engen Toleranzgrenzen. Heiner Bielefeldt sieht darin eine allgem eine Tendenz i n Islam-Diskursen: „Der Anspruch der offenen, liberalen Gesellschaft gerät dabei paradoxerweise zu einem Topos scharfer, anti-liberaler Grenzziehung gegenüber Menschen mit muslimischem Hintergrund.“341 Dies trifft offensichtlich auch da nn zu, wenn es um die „Verteidigung“ demokratischer Rechte wie de r Pressefreiheit geht. Zudem zeigen die aufgeführten Diskursfragmente die allgemeine Neigung von Journalisten, Meinungsfreiheit lediglich als Journalistenfreiheit zu verstehen.
340 Vgl. Kai Hafez (2005): Mythos Globalisierung. Wiesbaden: VS Verlag 341 Heiner Bielefeldt (2009): Das Isla mbild in Deutschland. Zu m öffentlichen U mgang mit der Angst vor dem Islam, in: Thorsten Gerald Schneiders [Hrsg.]: Isla mfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen. Wiesbaden: VS Verlag
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Juristische Frage und Wertedebatte Konservative Blätter haben den Kari katurenstreit aus seinem Kontext gerissen und ihn zu ei ner grundsätzlichen Wertedebatte gemacht: Pressefreiheit gegen die Achtung religiöser Gefühle. Zeitungen suggerierten immer wieder, dass die Pressefreiheit keine Grenzen kennt und die Muslime alles akzeptieren müssen, was gesetzlich zulässig ist. Dam it einhergehend wurde ein harter Binarism us aufgebaut, der nur die Verteidigung der Pressefreiheit oder die Verteidigung des Islams zuließ. Zwischentöne wurden weitgehend ausgeschaltet. Jyllands Posten hat mit dem Verweis a uf die Pressefreiheit die M ohammed-Karikaturen abgedruckt. Das is t keine juristis che Frage, denn in Dänemark gibt es ka um Beschränkungen der Pressefreiheit. Erklärungsmodelle Im Karikaturenstreit wurden eine ganze Reihe von Er klärungsmodellen für die Eskalation der Proteste a ngeboten. Ich habe diese Modelle fol gendermaßen zu ordnen versucht: x x x x x x
religiös (Bilderverbot, missionarische Traditionen, Ungleichbehandlung von Religionen, Unvereinbarkeit von Islam und Westen) Wertekonflikt (Hass auf westliche Werte) politisch (Unterdrückung, Imperialismus, Rassismus, politische Interessen) technisch (Internet, SMS) Bildung (Unwissenheit) ästhetisch/kommunikativ (Humorlosigkeit des Islams, unterschiedliche Karikatur-Traditionen, Ost und West verstehen einander nicht)
Während die drei letztgenannten Punkte eher eine untergeordnete Rolle spielten, ist der Vergleich zwischen religiösen, wertebezogenen und politischen Deutungsmustern ergebnisreich. Artikel, die den Konflikt politisch deuteten und Dominanzverhältnisse zwischen Osten und Westen benannten oder politische Interessen hinter der Eskalation vermuteten, sahen in der Regel keine grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen Islam und Demokratie bzw. zwischen Islam und Westen. Politisch argum entierende Diskursfragmente stellten den Konflikt in einen Kontext. Artikel, die den Konflikt religiös deuteten, sahen jedoch meist eine grundsätzliche Unverei nbarkeit und damit eine Unl ösbarkeit des K onfliktes. Die religiöse Deutung bezieht sich dabei ausschließlich auf die „Gegensei-
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te“. Es wurde keine Unvereinbarkeit zwischen Islam und Christentum behauptet, sondern eine Unvereinbarkeit zwischen Islam und Westen bzw. Demokratie. Die Gegenüberstellung erfolgte also von einer Religi on und einem politischen System. Einander gegenübergestellt wurden also eine Religion und ein politisches System. Das Religiöse wurde beim Gegenüber als das Zentralfeld i m Sinne Carl Schmitts definiert, wo die Freund-Feind-Unterscheidung getroffen wird. Stephan Rosiny widerspricht, wie die vorliegende Analyse auch, einer religiös essentialistische Deutung des Karikaturenstreits. Dagegen sprechen seiner Ansicht nach „die sehr unterschiedlichen Deutungsrahmen der Muslime in verschiedenen Ländern. Religion liefert die Symbole, steht aber nic ht im Zentrum der Eskalation des Karikaturenstreits.“342 Auch Dietrich Jung sieht vor allem nicht-religiöse Faktoren als bedeutend an. „Die vehementen Proteste waren […] ein Ausdruck der aufgestauten politischen, ökonomischen und sozialen Frustration vieler Muslime und der Art und Weise , wie diese Frustration von autoritären Regimes und islamistischen Bewegungen zur Mobilisierung der Stra ße für ihre Interessen eingesetzt werden kann.“343 Nationale Erzählungen wurden weitergeführt Trotz der globalen Dimension des Konfliktes wurden im Karikaturenstreit nationale Erzählungen weitergeführt. Unter anderem wird dies an folgendem Punkt ersichtlich: Westliche Medien konnten nur deshalb von einer grenzenloser Pressefreiheit sprechen, weil sie wussten, da ss keine Zeitung, will sie nicht bewusst die Rolle des Auße nseiters übernehmen, offen antisemitische Karikaturen abdrucken würde. Über Pressefreiheit konnte nur als abs oluter Wert gesprochen werden, weil sich alle Medien an die selbstverständlichen diskursiven Grenzen hielten. Nur in wenigen Zeitungen kamen wichtige islamische Stimmen aus dem Nahen Osten zu Wort. Der Karikaturenstreit hat die Unfähigkeit der westlichen Medien gezeigt, adäquat auf die Diskurse in islam ischen Ländern einzugehen. Diese Unfähigkeit lässt sich unter anderem ökonomisch erklären. Medien wenden sich immer a n einen (deutschen) Ideal-Leser bzw. eine Ideal-Leserin, sie
342 Vgl. Stephan Rosiny: Pressefreiheit oder Prophetenbeleidigung? Der Karikaturenstreit als reziproker Skandal. Unveröffentlichter Vortrag auf der Tagung „Skandal – Repräsentationsformen eines gesellschaftlichen Ärgernisses zwis chen religiöser Norm und säkularer Gesellschaft“, vom 11.-13.3.2010 von der FRIAS Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 343 Dietrich Jung (20 06): Die Muham mad-Karikaturen und der gl obale Diskurs über den Is lam, in: Internationale Politik und Gesellschaft, 3 (2006): S. 119 – 133
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verfügen über eine inhärente Mitte-Adressierung. Wenn sie sich zu sehr Adressaten im Osten öffnen würden, gefährdeten sie ihre eigene ökonomische Grundlage. Diskulturalität durch Nazi-Vergleiche Nazi-Vergleiche sind im deutschen Diskurs ein wirkungsvoller Ausschließungsmechanismus. Das hat der Ka rikaturenstreit erneut gezeigt. Jedoch sind Nazi-Vergleiche aufgrund ihrer Schärfe und ihrer historischen Bezüge auch verpönt; viele PolitikerInnen mussten schon die Erfahrung machen, dass ein NaziVergleich aus ihrem Munde das Karriereende bedeuten kann. Deshalb wählten Autorinnen und Aut oren einen indirekten Weg, indem sie die Moham medKarikaturen nicht selbst in die Nähe von Stürmer-Zeichnungen rückten, sondern sagten, dass „viele“ sich an antisemitische Bilder erinnert fühlen. „Im vergangenen Herbst veröffentlichte die JP-Redaktion ein Dutzend Karikaturen, die den muslimischen Propheten Mohammed mal mit Bombe im Turban, mal mit anderen Araberstereotypen in Verbindung brachten und die m anche Betrachter an Zeichnungen aus dem nationalsozialistischen Stürmer erinnerten.“ (taz: Eine dänische Rushdie-Affäre, 31. Januar) Ähnlich schreibt der Spiegel am 6. Februar: „Eine weitere Karikatur zeigt ihn mit grimmiger Fratze als Anführer krummbeiniger Kämpfer, so dass auch Kritiker in Dänemark sich bisweilen an die ‚unerhörten antijüdischen Bilder’ im N azi-Organ ‚Der Stürmer’ erinnert fühlen.“ (Der Spiegel: Tage de s Zorns, 6. Fe bruar) Nur Günter Grass traute sic h, die Mohammed-Zeichnungen ohne Um wege mit Karikaturen aus der Nazi-Ära z u vergleichen. Aber das auch nur im Interview mit einer spanischen Zeitung. „Ich empfehle wirklich allen, sich die Kari katuren einmal näher a nzuschauen: Sie erinnern einen an die berühmte Zeitung der Nazi-Zeit, den „Stürmer“. Dort wurden antisemitische Karikaturen desselben Stils veröffentlicht.“ ( Welt: „Kein Kampf der Kulturen, sondern zweier Un-Kulturen“, 10. Februar 2006 – Übersetzung eines Interviews in der El Pais) Im Diskurs wurden aber auch Muslime mit Nazis verglichen. Im Interview mit der Bild-Zeitung erklärte die Fernseh-Reporterin Antonia Rados, dass auch die arabischen TV-Sender voll sind mit „antijüdischen Ressentiments wie einst die Nazizeitung ‚Stürmer’“. (Bild: Drohen Gewalt-Proteste j etzt auch bei uns?, 5. Februar 2006) Auch Hendryk M. Broder verglich die Protestierenden mit Nazis und der Focus warnte vor einem „Appeasement“ des Westens. (Focus: „Skandal um Mohammed“ am 6. Februar 2006) Auch Alice Schwarzer wusste um die aufmerksamkeitssteigernde Wirkung von Nazi-Vergleichen:
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Die Millionen gläubigen oder ungläubigen, aber aufgeklärten Menschen i m muslimischen Orient und in der Diaspora i m Okzident? Ihnen wird zu mute sein wie weiland deutschen Nicht-Nazis, als die braunen Stiefel marschierten und die Synagogen brannten. (Welt: Islamisten aller Länder, vereinigt euch, 11. Februar 2006)
Wie wirkungsvoll Nazi-Vergleiche in Konfliktdiskursen sein können, zeigt unter anderem die Debatte im Vorfeld des Bundeswehreinsatzes gegen Serbien 1999. Damals schaffte es Jos chka Fischer, die serbische Regierung als Nazis darzustellen. Damit erreichte er eine mehrheitliche Zustimmung der grüne n Partei und B undestagsfraktion zum Einsatz.344 Das E skalationspotenzial von Nazi-Vergleichen ist sehr groß. Pressefreiheit: Kampf um die Deutungshoheit Der Karikaturendiskurs wurde dazu genutzt, den Hochwertbegriff der Pressefreiheit zu verhandeln. Am deutlichsten wird dies bei einem Vergleich zwischen linken und rechten Zeitungen. Auf der linken Seite hat sic h der Freitag besonders ausführlich mit der Pressefreiheit auseinander gesetzt. Die Freiheit sei nicht von Muslimen, sondern von der Macht des Kapitals bedroht.345 Auf der rechten Seite bemühte sich die Junge Freiheit um eine Besetzung des Begriffs. Sie bezeichnete die Diskussion um die Pressefreiheit als „Heuchelei“ und beklagte die fehlende Meinungs- und P ressefreiheit für Rechte. Mehr fach wurde auch die Strafbarkeit der Holocau st-Leugnung kritisiert.346 Aber auch i n den MitteZeitungen wurde die Pressefreiheit verhandelt. Dabei ging es um die Frage, wie weit Karikaturen gehen dürfen. Alle Mitte-Zeitungen sahen die Karikaturen von der Pressefreiheit gedeckt. Demokratie als Anrufungsinstanz Die Demokratie als Anrufungsinsta nz spielte in mehrerer Hinsicht eine Rolle. Zum einen ist zu sagen, dass die Pressefreiheit als Wert deshalb ihre Wirkkraft 344 Vgl. Michael Sch wab-Trapp (2007): Kampf dem Terror. Kampf dem Terror. Vom Anschlag gegen das World Trade Center bis zu m Beginn des Irakkrieges. Eine empirische Studie über die politische Kultur Deutschlands im zweiten Jahrzehnt nach der W iedervereinigung. Köln: Rüdiger Köppe Verlag 345 Freitag: Haben wir unsere Lektion gelernt?, 17. Februar 2006 346 Vgl. u.a. Junge Freiheit: Ihr Heuchler!, 10. Februar
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im Diskurs erhielt, weil sie als „Grundsä ule der Demokratie“ bezeichnet wurde (siehe Kapitel 7). Jeder Angriff auf diese Freiheit gefä hrde das dem okratische System des Westens. In dem Karikaturenstreit schien es damit „ums Ganze“ zu gehen. Eine Denormalisierungsangst war stark präsent. Vielfach wurde im Diskurs angezweifelt, dass der Islam mit der Demokratie vereinbar sei. Dabei wurde angeführt, dass der Islam keine A ufklärung durchgemacht habe und dass die wörtliche Auslegung des Korans demokratische Prinzipien ausschließe. Zudem wurde die „Lenkung“ der Proteste durch undemokratische Regime als Begründung dafür gewählt, sich auf die Seite der Jyllands Posten zu schlagen. So unter anderem in der taz. Die Reaktion „ undemokratischer Regime“ lasse nur die Wahl, im Zweifel für die Pressefreiheit einzutreten. Demokratie wurde im Diskurs mehrfach als Gefahr für die „Regime“ bezeichnet. Kriegsgefahr durch Karikaturenstreit? Im deutschen Diskurs fallen die vielen Kollektivsymbole aus dem Bedeutungsfeld des Militärs auf. Oft gi ng es um „Verteidigung“ gegen eine (meist äußere) Bedrohung. Im Diskurs wurde ein subjektloses Außen konstituiert, gegen das es sich zu schützen galt. Es lassen sich auc h Rhetoriken, wie sie im Kalte n Krieg üblich waren, nachweisen. Ihr interventionistischer Charakter ist offensichtlich. Die Behauptung, dass Syrien und Ira n hinter den Protesten steckten, verkennt nicht nur den begrenzten Einfluss der beiden Länder auf ihre Nachbarn, sondern passt auch gut zu Kriegsdrohungen gegen sie. Eine weitere Eskalation des Karikaturenstreits war i n diesem Zusammenhang denkbar. Siegfried Jäger schreibt über Normalisierung und Kriegsgefahren: „Die ständige Konfrontation mit einund denselben Inhalten und deren durchgängig zu beobachtende politische Einfärbung übt eine normalisierende Wirkung aus und führt zu Subjektformierungen, die pr oto-normalistischen Entwicklungen durchaus Vorschub leisten können, etwa zur Bejahung von Gewaltmaßnahmen und Kriegen, durch die Vorstellungen westlicher Norm alität und westlicher Werturteile durchgesetzt werden können.“347
347 Siegfried Jäger (2007): Der Ka rikaturenstreit im „Rechts-Mitte-Links“-Diskurs deutscher Printmedien, in: Jäger, Siegfried / Halm, Dirk [Hrsg.]: Mediale Barrieren. Rassismus als Integrationshindernis. Münster: Unrast, S. 51-104
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9.3 Auswirkungen auf das journalistische Feld in Deutschland Im Diskurs um die Mohammed-Karikaturen konnte sich die Welt ein besonderes Gewicht erarbeiten. Indem sie als erst e deutsche Zeitung die MohammedKarikaturen abgedruckt hat, wurde sie über die G renzen Deutschlands hinaus zum Thema von Nachrichten und Kommentaren. Auch deutsche Zeitungen haben sich häufig an ihr abgearbeitet, wie oben dargelegt werden konnte. Insbesondere gilt diese Erke nntnis für die taz. Mit dem größten Korpus aller unte rsuchten Zeitungen hat d ie Welt den Ka rikaturenstreit aus vielen verschiedenen Perspektiven aufgreifen können. In ihr kamen auch viele VertreterInnen aus dem Nahen O sten zu Wort. Obwohl sehr kontroverse Artikel abgedruckt wurden, waren beinahe alle Artikel von Welt-RedakteurInnen in der Te ndenz hetzend. Mäßigende Worte waren fast nur in Interviews und in Gastbeiträgen zu vernehmen. Der Übergangsdruck für JournalistInnen hatte ebenfalls Auswirkungen auf das journalistische Feld. Weil sie die Pressefreiheit in Gefahr sahen, haben auch linke und linksliberale Journalistinnen und Journalisten die teils islamfeindlichen Mohammed-Karikaturen verteidigt. Widersprüche auch innerhalb einzelner Artikel und „Bauchschmerzen“ von AutorInnen blieben dabei nic ht aus. Insbesondere ist das Dilemmatische bei der taz zu spüren. Sie thematisiert mehrfach, dass die Karikaturen rassistisch seien, aber dennoch verteidigt werden müssen. Dieser Übergangsdruck wurde im Laufe des Karikaturenstreits stärker. Mit der zunehm enden Gewalt der P roteste in islamischen Ländern wurden die Karikaturen von Journalisten milder beurteilt. Beispiele für diese Tendenz finden sich u. a. in der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau. Zeitungen, die an den politischen Rändern angesiedelt sind, versuchten sich vom Mitte-Diskurs zu distanzieren. Auf der rechten Seite gilt dies für die Junge Freiheit. Die Junge Freiheit behauptete, die Pressefreiheit sei „heruntergewirtschaftet“ worden. Die größte Selbstzensur gebe es bei der Kritik an der „multikulturellen Gesellschaft“. Auch Political Correctness sei eine Gefahr für die Pressefreiheit. Zudem kritisierte die JF die Strafbarkeit der Holoca ust-Leugnung. Auf der linken vers uchten sich die Zeitungen ebenfalls von Mai nstreamMedien zu distanzieren. Diese Beobachtung ist auf die junge Welt und den Freitag zutreffend. Der Karikaturenstreit wurde zum Anlass genomm en, um (nicht durch Muslime verursachte) Einschnitte in die Pressefreiheit zu them atisieren. Der Freitag beklagte, dass kein etabliertes Medium die Frage nach den Voraussetzungen von Kapital-Mach t stelle. „Derzeit wird da s angebliche Zurückweichen der freien Presse vor dem Islam lautstark beklagt, während ihr viel folgen-
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schwereres Zurückweichen vor dem Kapital seit Jahren klaglos hingenommen wird.“ Der Spiegel wurde m it dem Artikel von Botho Strauß zum meistzitierten Medium im Diskurs. Ingesamt gab es zusammen mit dem bereits erwähnten Interview von Günter Grass im gesamten Diskurs zwei Beiträge von bedeutenden deutschen Intellektuellen, die breit diskutiert wurden. Der Tagesspiegel ist mit seiner Fußball-Karikatur ein wichtiges diskursives Ereignis am Rande des Karikaturenstreits geworden. Dabei war der Streit für viele Journalisten ein weiterer Beleg dafür, dass es den Muslimen im Karikaturenstreit nicht um die Zeichnungen gehe. Im Karikaturenstreit haben deutsche Medien eine große Distanz zum politischen Feld gezeigt. Die Bundesre gierung und die EU-Kommission wurden oft für ihre mäßigende Haltung kritisiert. Die Distanz zeigte sich auch daran, dass die Rhetorik vom Dialog der Kulturen, die im Politikerdiskurs sehr präsent war, nur sehr selten von Mediena kteurInnen übernommen wurde. Journalisten sahen sich und ihre Pressefreiheit Angriffen ausgesetzt – daher haben sie deutlichere Reflexe gezeigt als Politiker. 9.4 Der Diskurs in der Türkei 9.4.1 Zaman Die Zaman beschäftigt sich ausführlicher als alle anderen türkischen Zeitungen mit dem Karikaturenstreit. Dabei veröffentlicht sie auch schon früh Kommentare und längere Analysen. Der Kommentar „Danimarka’yÕ boykot’ (Dänemark boykottieren) vom 1. Februar beinha ltet einige typische Ele mente der ZamanBerichterstattung. Der Autor Ali Bulaç be fürwortet einen Wirtschaftsboykott gegen Dänemark und sieht Saudi Arabien als gutes Beispi el für das Vorgehen im Streit. Der Aut or erklärt, dass Rasmussen keinen Respekt vor de r Religion habe und die Pressefreiheit im Westen nicht unbegrenzt sei. Um dies zu verdeutlichen, zieht er einen Juden-Vergleich heran. Gücü yeten Yahudilerle ilgili istedi ÷i bir yaz Õ yazsÕn, benzer tarzda k arikatür çizsin, bakalÕm. DünyayÕ dar ederler ona. S adece Yahudiler de ÷il. (Frei überset zt: Es soll sich mal jemand trauen, über Juden wie e r will einen Artikel zu schreiben, in ähnlicher Weise eine Karikatur zu zeichnen. Sie werden ih m das Leben zur Hölle machen. Nicht nur die Juden.)
Hier beschreibt Bulaç die Grenze der Pressefreiheit, die keine juristische ist. Aus seiner Sicht gibt es offensichtlich unterschiedliche Maßstäbe bei der
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Karikierung von M uslimen und Jude n. Überhaupt spielen in der Zaman Vergleiche mit der Situation der J uden in Europa eine viel gr ößere Rolle als in anderen türkischen Zeitungen. Das hat auch viel damit zu tun, da ss die Zaman versucht, ein bestimmtes Geschichtsbild aufzubauen. Dazu unten mehr. Interessant an diesem Artikel ist auch, dass der Autor falsche Karikaturen beschreibt. „Ich besitze die Mohammed-Karikaturen“, schreibt er. Sie seien ein weiterer Angriff des Westens auf die heiligen Werte des Islams. Dann beschreibt Bulaç die Karikaturen: Hz. Muhammed (sas)ö terörist, sahtekar, kan içici ve úehvet düúkünü bir çöl bedevisi olarak tasvir edili yor. Namaz kÕlan bir Müslüman tam secde halinde iken ho moseksüel iliúkileri ça÷rÕútÕracak úekilde çizilmiú. (Mohammed wird als terroristisc her, betrügerischer, blutsaugender und lüsterner Wüstenbewohner dargestellt. Ein beim Beten gebeugter Moslem wird so gezeichnet, dass es an eine homosexuelle Handlung erinnert.)
Der Autor hat offensichtlich falsche Kari katuren gesehen. Die hier beschriebenen Zeichnungen müssen die Muslime viel stärker provoziert haben als die in der Jyllands Posten erschienenen Zeichnungen. Trotz der vielfach dezidiert islamischen Argumentation fällt in der Zaman eine große Westorientierung auf. Beides scheint sich nicht zu widersprechen. Häufig kommen westliche Akteure zu Wort. In vielen Kommentaren werden westliche Autoritäten als Argum entationsstütze herangezogen. So erscheint a m 2. Februar ein Gespräch mit dem dänischen Theologie-Professor Tim Jensen, am 3. Februar ein Gastbeitrag des FAZ-Korrespondenten Rainer Hermann und am 15. Februar ein Gastbeitrag des US-amerikanischen Rechtsprofessors Joseph P. Lawrence. Interessant ist auch ein Gastbeitrag von Kadir Albayrak, der am 5. Februar veröffentlicht wird. Darin bezieht er sich zur Unterstützung sei ner Argumente unter anderem auf Karl Marx, Franklin Roosevelt und Voltaire. Es muss hinzugefügt werden, dass trotz der Westorientierung Positionen der westlichen „Gegenseite“ praktisch nicht vorkommen. Keiner der Beiträge verteidigt die Veröffentlichung de r Mohammed-Karikaturen. Daher ist die Westorientierung nur eine sehr selektive. Die Zaman arbeitet sehr früh m etadiskursiv und veröffentlicht immer wieder Artikel, die auf einer höheren Abstraktionsebene angesiedelt sind. Damit unterscheidet sich die Zeitung einde utig von türkischen Boulevard-Blättern. In den Texten wird häufig historisch argumentiert und dam it ein bestim mtes Geschichtsbild hergestellt. Der Kari katurenstreit wird in eine lange Geschichte der Unterdrückung des Islam eingeordnet. Ein Beis piel hierfür i st ein Kommentar von Fet hullah Gülen am 7. Febr uar (Karikaür edepsizli÷i ve üslubumuz/Die Karikaturen-Schamlosigkeit und unsere Art). Gülen ist die
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herausragende Persönlichkeit der nac h ihm benannten islamischen Bewegung. Auch die Zaman wird zu dieser Bewegung gerechnet. Der Text ist als Fr ageAntwort-Dialog aufbaut. Einer kurzen Frage folgt eine seitenfüllende Antwort von Gülen. Der Fragenstellende steigt folgendermaßen ein: Tarihin de÷iúik devrelerinde farklÕ vasÕtlarla yapÕldÕ÷Õ gibi günümüzde de medya yoluyla Peygamber Efendimiz (aleyhissalatü vesselam)’a ve dinimizin esaslarÕna hakaret ediliyor ve bunun adÕna da “düúünce özgürlü÷ü” deniyor. (Wie in unterschiedlichen Epochen in der Vergangenheit werden unser Prophet und die Grundlagen unserer Religion heute über die Medien beleidigt, und dies wird als „Meinungsfreiheit“ bezeichnet.
Zwar verweist Gülen im Folgenden darauf, dass es sich im Westen nur um kleine radikale Gruppen handelt, die den Islam beleidigten, doch mit der Aussage ist ein wichtiges Deutungsmuster vorgegeben. Wie auch in anderen türkischen Zeitungen finden in der Zaman die Proteste in der Türkei wenig Beachtung. Sie werden weitestgehend verschwiegen. Ich vermute, dass türkische Medien – genau wie die Regierung – ein Interesse daran hatten, dass die Demonstrationen im Land nicht zu groß wurden. Damit einhergehend ist auch zu bemerken, dass die Zaman wiederholt Gewalt verurteilt. Jedoch werden erst in der Ausgabe vom 7. Februar gewalttätige Proteste erst mals hart kritisiert.
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Abb. 11 Zaman, 10. Februar 2006
Die Zaman druckt häufig Fotos von Demonstranten, die als Individuen erkennbar sind. Indem sie in Naha ufnahme gezeigt werden, wird nic ht der Eindruck einer gesichtslosen Masse erzeugt. Häufig halten die Protestierenden – wie hier – Plakate mit ihre n Forderungen hoch. Die Demonstranten erscheinen auf dem Foto, das so viel Platz einnimmt wie der dazugehörige Artikel, empört und entschlossen, aber nicht gewaltbereit. Die Bebilderung in der Zaman unterscheidet sich somit fast durc hgehend von der in den meisten europäischen Zeitungen. Die Protestierenden werden mit ihren Forderungen ernst genommen. 9.4.2 Hürriyet Die Hürriyet übt am 1. Februar in „Geç olmadÕ mÕ?“ (Ist es nicht zu spät?) harte Kritik am dänischen Ministerpräsidenten Fogh Rasmussen. Er habe die Krise befeuert, sein Einlenken käme zu spät. S tatt gesunden Menschenverstand zu beweisen, habe er mit belehrender Miene erklärt, dass er bei der Meinungs- und Pressefreiheit nie nac hgegeben habe und es nicht tun werde. Damit habe Ras-
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mussen, so die Hürriyet, Öl ins Fe uer gegossen. Die dänische Seite erscheint unvernünftig und Schuld an der Eskalation des Konfliktes. Ab dem 3. Februar ist der K arikaturenstreit ein Mega-Thema in der Hürriyet. In dieser Ausgabe widmet die Zeitung dem Karikaturenkonflikt eine ganze Seite. In der Hürriyet, wie in den anderen türkischen Zeitungen auch, wird immer wieder betont, dass die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen nichts mit Pressefreiheit zu tun habe. Während dabei in der Regel mit dem Verweis auf Verantwortung und Vern unft eher moralisch argumentiert wird, v ersucht der Artikel „Dine hakaret fikir de÷il“ (Beleidigung der Religion ist keine Meinung) vom 4. Febr uar, juristisch zu begründen, warum der A bdruck der Mohammed-Karikaturen unzulässig war. D ass Texte, Karikaturen und Filme, die religiöse Gefühle verletzen, nicht von der Meinungsfreiheit geschützt sind, habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in sei ner Rechtssprechung festgestellt. 1994 entschied das Gericht über eine Klage des OttoPreminger-Instituts gegen Österreich zugunsten Österreichs. Dem Institut wurde verboten, den Film „Das Liebeskonzil“ zu zeigen, weil er blasphemisch sei. Der zweite Fall, auf de n sich die Hürriyet beruft, ist eine Kla ge gegen die Türkei. Die Türkei hatte 1994 das Buch „Ya sak Tümceler“ (Verbotene Sätze) wegen Blasphemie verboten. Das Gericht habe 2005 zugunsten der Türkei entschieden. Diese beiden Fälle reichen der Hürriyet, um zu behaupten, dass jegliche Religions-Beleidigung justiziabel sei. Eine echte Auseinandersetzung mit den Karikaturen und ihrem blasphemischen Gehalt findet in der Hürriyet nicht statt. Diese Gerichts-Entscheidungen werden in fast allen Mitte-Zeitunge n der Türkei aufgegriffen. Eine detaillierte Beschreibung der Karikaturen gibt es in der Hürriyet nicht; ein Nachdruck zu Dokumentationszwecken auch nicht. Lediglich am 27. Januar – bevor der Karikaturenstreit zum bestimmenden Thema der Zeitungen wurde – beschreibt ein Autor, dass Mohammed als Terrorist, Magier (?) und „schlechter Charakter“ dargestellt worden sei. Auf einer Zeichnung trage Mohammed eine Bombe auf dem Kopf. In späteren Artikeln wird nur auf den beleidigenden Charakter der Zeichnungen verwiesen. Ein Nachdruck, ohne das Gesicht Mohammeds zu zeigen, kam für die Zeitungen offensichtlich nicht in Betracht. Bereits am 5. Februar wünscht sich der Kolumnist Okay Ekúi, dass die Proteste gegen di e Karikaturen gänzlich a ufhören mögen. „Çünkü bir anda fark edildi ki, içinde bulundu÷umuz ortamda, üzerinde düúünülmemiú, tedbiri öngörülmemiú ciddi tehlikelerle sarÕlÕyÕz.” (Weil auf einm al festgestellt wurde, dass das Umfeld, in dem wir uns befinden, nicht bedacht und keinerlei Vorsorgemaßnahmen getroffen wurden und wir uns in einer ernsthaft gefährlichen Situation befinden.)
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In den folgenden Wochen tut die Hürriyet viel dafür, dass sich die Proteste im eigenen Land nicht weiter ausbreite n. Die Zeitung berichtet nur in eine m sehr geringen Umfang über Demonstrationen in de r Türkei. Dabei sche int die Größe der Protest keine Auswirkungen auf den Nachrichtenwert zu haben. Am 6. Februar sind der Hürriyet zwei Demonstrationen nur kurze Meldungen wert. Rechts unten auf Seite 20, neben einer großen Werbeanzeige für ein Auto, wird über eine Demonstration mit 500 TeilnehmerInnen in Istanbul berichtet. Darunter, kaum länger, geht es unter anderem um eine Großdemonstration in der türkischen Stadt Batman, an de r 30.000 Mensche n teilgenommen haben sollen. Ähnliches macht die Hürriyet auch am 13. Februar. Ein vergleichsweise großes Foto mit einem sehr kurzen Text dokumentiert eine Demonstration im osttürkischen Diyarbakir mit 70.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Nicht viel kürzer sind Artikel über zwei Demonstrationen in Istanbul mit insgesamt gut 3000 Teilnehmern und ei n Artikel über eine Demonstration in Konya, a n der 2000 Menschen teilgenommen haben. Am 20. Februar behandelt die Hürriyet eine Demonstration mit 50.000 Menschen in Istanbul und eine Demonstration mit 15.000 Teilnehmern in Mersin auf weniger als einer Viertelseite. Zudem werden gewalttätige Proteste von der Hürriyet stark kritisiert. Besonders hart geht die Zeitung mit zwei Demonstrationen in Pakistan um. Am 16. Februar fragt die Hürriyet: „Wogegen ist dieser Protest gerichtet ?“ (Bu neyin protestosu?) Die Kundgebung wird als „angeblich gegen die MohammedKarikaturen“ bezeichnet. Alles, was Ausländern gehört, sei angegriffen worden, obwohl diese nichts mit den Ka rikaturen zu tun hätten. Neben dem Artikel ist das Foto eines abgebrannten Busses zu sehen sowie ein Foto, auf dem ein Mann die Werbefigur von McDona lds zu B oden wirft. Eine noch stärkere Kritik an den Protesten in Pakistan findet sich am 22. Februar in dem Artikel „Hz. Muhammed bu görüntüden hoçnut kalÕr mÕ?“ (Hätten dem Propheten Moha mmed diese Erscheinungen gefallen?) Die Proteste hätten an Gewalttätigkeit zugenommen und seien zu einer „Terrorwelle“ geworden. Die Gewalt habe mit Vernunft nichts zu tun, schreibt der Autor. Mohammed hätten die Proteste in seinem Namen nicht gefallen, ist sich der A utor sicher. „Warum verspürt kein Religionsgelehrter den Bedarf, das zu sa gen?“ Indem der Artikel von einer Te rrorwelle spricht, benutzt er eine Kollektivsy mbolik, die die Proteste als außersystemisches Außen darstellt. „Terror“ wird in der Türkei nicht nur in Verbindung mit Islamismus gebracht, sondern auch mit der PKK. Der Begriff enthält in der Türkei somit eine weitere Dimension. Teilweise nutzen türkische Zeitungen im Karikaturenstreit Argumente der europäischen Zeitungen m it umgedrehten Vorzeichen. Genau wie europäische Medien islamische Länder kritisieren, indem sie auf die Situation von Minder-
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
heiten verweisen, stellen sich manche türkische Artikel auf die Seite der Schwachen in europäischen Ländern. Am 5. Februar fragt der Artikel „En kritik konu“ (Das problematischste Thema), ob nicht jeder Text, jedes Bild und jede Veröffentlichung, die rassistisch, sexistisch, ausländerfeindlich, kriegstreiberisch ist oder Menschenrechte ve rletzt, der Pressefreiheit scha de. Damit stellt si ch der Text indirekt auf die Seite de r MigrantInnen, der Frauen und des Friedens. Hier erscheint die eigene Position als progressiv und die Gegenseite als rückschrittlich. Ein großer Kontrast zu den deutschen Zeitungen ist der Umgang der Hürriyet mit dem „Holocaust -Karikaturenwettbewerb“ der iranischen Zeitung Hamshahri. Dieser wird nicht kommentiert, sondern einfach hingenommen. Die Holocaust-Karikaturen scheinen nicht bedeutend genug zu sein, dass die Hürriyet Stellung beziehen muss. Möglicherweise zeigt sich hier aber auch die regierungsnahe Position der Hürriyet im Karikaturenstreit. Denn die türkische Regierung hat sich zu dem Zeitpunkt vehement gegen Kriegsdrohungen gegen den Iran gestellt; da stören allzu kritische Artikel über das Land. Diese regierungsnahe Position wird au ch bei der Betonung der Mittlerrolle der Türkei deutlich. Schon am 1. Februa r wird der türkischstämmige dänische Abgeordnete Hüseyin Araç mit den Worten zitiert, dass die Türkei eine Mittlerrolle einnehmen solle. Die P ositionierung der Türkei als Brüc ke zwischen Ost und West durchzieht die ges amte Berichterstattung der Zeitung. In diesen Zusammenhang passt auch der gemeinsame Aufruf vom Bild-Chefredakteur Kai und Hürriyet-Chef Ertugrul Özkök am 8. Februar. Er erscheint auf der Titelseite der Hürriyet, gleichzeitig wird er in der Bild-Zeitung abgedruckt. Drei Tage später dokumentiert die Hürriyet den Brief der Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Abdullah Gül. Der Aufruf der Bild und Hürriyet habe die beiden Politiker in Bewegung gesetzt, heißt es auf der Titelseite der Ausgabe. Der Kontext des Rassismus in Dänemark spielt für die Hürriyet kaum eine Rolle. Die Zeitung geht nich t ausführlich auf die Ausländerpolitik oder den Ausländerdiskurs des Landes ein. Auch die Dänische Volkspartei nimmt keinen herausragenden Platz in der Berichterstattung ein.
9.4 Der Diskurs in der Türkei
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Abb. 12 Hürriyet, 5. Februar 2006
Die Bebilderung in der Hürriyet ähnelt der in europäischen Zeitungen. Häufig sind Fotos von Dem onstranten abgedruckt, die Gewalt anwenden. Auf vielen Bildern ist Feuer zu sehen. Die Plakataufschrift ist arabisch und für de n türkischen Leser nicht zu entziffern. Die Aktionen der Demonstranten bleiben somit auf mehrfache Weise unverständlich. 9.4.3 Cumhuriyet Die Cumhuriyet sieht im Ka rikaturenkonflikt einen Kampf zwischen dem „imperialistischen Westen“ und dem „unterdrückten Osten“348 und bedient sich ei-
348 Die Rede über äußere Mächten ist typisch für Machthaber und nicht für die Opposition und ihr nahe stehende Medien. Die Haltung ist Cu mhuriyet zeigt nicht nur die kem alistische Paranoia vor äußeren Feinden, sondern auch ihr Bewusstsein, k eine reine Opposition zu sein, sondern an Schalthebeln der Macht zu sitzen.
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nes marxistischen Vokabulars. Am 7. Februar erklärt der Text „Din ve çatÕúma“ (Religion und Kampf), dass der echte „Kampf der K ulturen“ zwischen armen und reichen Ländern stattfinde. Sowohl von den „westlichen Hegemonen und Imperialisten“ als auch von Führern in der islamischen Welt werde die Religion als Opium benutzt. Die reli giösen Führer in der islam ischen Welt hätten den westlichen Kampf der Kulturen akzeptiert, schrei bt die Cumhuriyet. Auch in „Karikatürden sonra“ (Nach den Karikaturen) vom 9. Februar wird gesagt, dass der Kampf zwischen Arm und Reic h als Religion-, Kul tur- und Zivilisationskampf „vermarktet“ werde. In beiden Te xten wird der Karikaturenstreit mit der Rolle der USA im Irak-Krieg verknüpft. Noch deutlicher ist diese Verbi ndung im Artikel „Herkesin Peygamberi Kendine“ (Jedem sein Prophet) vom 12. Februar. Zunächst beschreibt die Autorin, wie kindisch sie die Karikaturen fand, als sie diese das erste Mal gesehen hatte. Die Karikaturen seien nicht sehr beleidigend, stellt sie fest. „W as soll dieser Sturm? “, fragt sie. „Was für ei n Spiel ist das?“ Die islamische Welt streiche Butter auf das Brot der Am erikaner und bringe sich selbst in eine Position des Unrechts. Warum eine Verbindung zwischen den Karikaturenprotesten und den USA hergestellt wird, ist nicht ersichtlich. Dass die US-Regierung im Karikaturenstreit sehr zurückhaltend agiert und sich eher auf die Seite der Muslime geschlagen hat, wird in der Cumhuriyet nicht erwähnt. Die Aussage im Text is t nur vor dem Hintergrund der Deutung des Konflikts als imperialistischen Kampf zu verstehen. Die Cumhuriyet aktualisiert das Feindbild USA, obwohl der Gegenstand der Berichterstattung keine Anhaltspunkte für eine maßgebliche Rolle der USA bietet. Die Kritik an den Protesten in der islamischen Welt ist in der Cumhuriyet nicht ganz so hart wie in der Hürriyet. Auch die Bildersprache ist etwas zurückhaltender. Die Cumhuriyet wundert sich – ähnlich wie in De utschland die Frankfurter Rundschau – darüber, dass Symbole eine derart große Bedeutung für die Muslime haben. In „Gerçek nedir?“ (Was ist die Wahrheit?) heißt es auf der Titelseite der Ausgabe vom 6. Februar, dass der islamische Raum gegenüber der westlichen Hegemonie gespalten und ratlos sei. øúgal altÕndaki ülkelerde yaúayan ço÷u Müslüman, insanlÕk dÕúÕ iúgal düzenlerini protesto edece÷i yerde Danimarka’daki bir gazetede yayÕmlanan Hazreti Muhammet aleyhine karikatürler için eylemlere geçmiútir. (Die meisten Muslime, die in besetzen Ländern leben, demonstrieren gegen Mohammed-Karikaturen, die in einer dänischen Zeitung veröffentlicht wurden, anstatt gegen die unmenschliche Besatzungsordnung zu protestieren.)
Im weiteren Verlauf zie ht der Artikel eine historische Analogie zur Besetzung Istanbuls nach dem Ersten Weltkrieg. Die „demokratische und laizistische Republik“ von A tatürk zeige si ch jeden Tag ein Stück m ehr als vernünfti g und richtig.
9.4 Der Diskurs in der Türkei
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Noch stärker als beispielsweise die Hürriyet ignoriert die Cumhuriyet Demonstrationen gegen die Mohammed-Karikaturen in der Türkei. Der Artikel „Ortak deklarasyon hazÕrlÕ÷Õ“ (Vorbereitung einer gemeinsamen Erklärung) vom 5. Februar behandelt schwerpunktmäßig die Vorbereitung einer gemeinsamen Erklärung von Ministerpräsident Erdo÷an und des spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero. Ganz am Ende des Artikels heißt es: „In Istanbul, Ankara, Izmir, Adana, Bursa, Samsun, Çorum und fast allen Teilen der Republik fanden Proteste gegen die Lä nder statt, in denen Karikaturen abgedruckt wurden.“ Minimalistischer kann man die Proteste in der Türkei nicht darstellen. Auch andere, größere Proteste in der Türkei kommen in der Cumhuriyet praktisch nicht vor. Ebe nfalls ignoriert wir d der „Holocaust-Wettbewerb“ im Iran. Nur in einem Artikel, der Ä ußerungen des Außenministers Abdullah Gül behandelt, wird der Wettbewerb kurz erwähnt. Der Ministerpräsident Recep Tayyip Erdo÷an wird in der Cumhuriyet seltener zitiert als in anderen Zeitungen. Dafür kommt der Oppositionsführer Deniz Baykal von de r Republikanischen Volkspartei (CHP) m ehrfach zu Wort. Die Cumhuriyet steht de r CHP nahe. So erklärt der Artikel „ Baykal özür ça÷rÕsÕnÕ yineledi“ (Baykal hat seinen Ruf nac h einer Entschuldigung erneuert), dass Baykal von westlichen Ländern, die die Karikaturen als von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt sehen, eine Entschuldigung verlange. Diese Angriffe gegen den Islam könnten nicht in Verbindung mit Demokratie, Menschenrechten und Meinungsfreiheit gebracht werden. Der kemalistische Oppositionsführer geht mit seiner Forderung weiter als der aus eine r islamistischen Tradition kommende Ministerpräsident. Am 11. Februar wird eine Initiative von Baykal genauso umfangreich dargestellt wie der Brief von Erdo ÷an an die Staatsoberhäupter der UN-Mitglieder. Baykal habe eine Deklaration für die sozialistische Internationale entworfen, die auch angenommen worden sei. Genau wie in der Hürriyet greift die Cumhuriyet das Urt eil des Europä ischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Klage des Otto-Preminger-Instituts gegen Österreich und zur Klage gegen die Türkei auf. Jedoch wird nicht wie in der Hürriyet erklärt, dass jede Beleidigung der Religion verboten sei. Für die Cumhuriyet zeigen die Rechtsfälle aber, dass der Westen im Karikaturenstreit doppelte Standards anle gt. Eine ge naue Analyse, inwieweit die Moham medKarikaturen und – wenn überhaupt – welche Mohammed-Karikaturen rechtlich zu beanstanden sind, wird weder in der Hürriyet noch in der Cumhuriyet durchgeführt. Dies trifft auch auf die anderen hier analysierten türkischen Zeitungen zu. Auch wird in keine r Zeitung dara uf hingewiesen, dass Muslime in Dänemark noch im Oktober 2005 gegen die Veröffentlichung der Karikaturen ge-
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klagt haben und dass die Staatsanwaltschaft in Viborg das Verfahren am 6. Januar 2006 wieder eingestellt hat. Am 9. Februar behandelt die Cumhuriyet das Problem der Ausländerfeindlichkeit in Dänemark. Der Artikel „Danimarka sabÕkalÕ çÕktÕ“ (Dänemark entpuppt sich als vorbestraft) berichtet von der Kritik der „Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz“ an Dänemark. Die an den Europarat angebundene Kommission habe in einem Report im Jahre 2001 angeprangert, dass Muslime in Dänem ark mit Rassismus und Intoleranz konfrontiert seien. De r nächste Bericht der Kommission werde für Dänemark noch schlechter ausfallen, weiß die Cumhuriyet zu berichten. Obwohl die Auslä nderfeindlichkeit in Dä nemark thematisiert wird, geht die Zeitung nicht auf das Erstarken der Dänischen Volkspartei und die verschärfte Ausländerpolitik unter Rasm ussen ein. Der Blick auf Dänemark bleibt grob. 9.4.4 Milliyet Obwohl auch die Milliyet die Karikaturen und die gewalttätigen Proteste gegen sie verurteilt und die Mittlerro lle der Türkei betont, ist sie insgesam t näher am westlichen Diskurs als beispielsweise die Hürriyet. Das gilt insbesondere für die Themenauswahl der Zeitung. Während in fast allen anderen türkischen Zeitungen dänische Akteure nicht zu Wort kommen, berichtet die Milliyet am 7. Februar in ihrem Wirtschaftsteil, dass der dänische Generalkonsul Lars Rafn keinen türkischen Boykott dänischer Waren erwartet. Es seien Protest-Emails und -Anrufe eingegangen, Drohungen seien aber nicht darunter gewesen, so Rafn. Am Folgetag erscheint ein Artikel, de r aus einem Interview mit dem Kulturchef der Jyllands Posten, Fleming Rose, her vorgegangen ist. De r gesamte Text ist eine Wiedergabe von Ä ußerungen Roses. Der Kulturc hef kann seine Sicht der Dinge ausführlich darlegen. Rose erklärt, dass es um Pressefreiheit und Selbstzensur gegangen sei und dass die Jyllands Posten vielfach falsch verstanden wurde. Auch die Vorgeschichte mit vermeintlichen Fällen von Selbstzensur, insbesondere bei der Illustration eines Kinderbuches von Klare Bluitgen, legt er da r. Alle diese Punkt e wurden im deutschen Diskurs sehr ausführlich diskutiert, im türkischen kommen sie jedoch nur selten vor. Rose verteidigt auch die umstrittene Bombenkopf-Karikatur. Sie sei keine Diffamierung des Islams, sondern Kritik am Missbrauch der Religion durch radikale Islamisten. Rose sagt im Gespräch auch, dass er selbst nicht die gleiche Position vertrete wie die Karikaturen und dass er großen Respekt vor dem Islam habe. Dänemark könne sich aber nicht den Verboten der 50 Religionen und Konfessionen im Lande unter-
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werfen, sonst entstünde eine chaotische Diktatur. Am 13. Februar kommt mit dem schwedischen General konsul Ingmar Karlsson wieder ein westlicher Akteur zu Wort, der jedoch eine ganz andere Position vertritt als Rose. Im Wortlautinterview „Karikatürler savaú ilanÕ!“ (Karikaturen sind eine Kriegserklärung) verurteilt Karlsson die Mohammed-Karikaturen. Den islamischen Propheten als Terroristen darz ustellen, käme einer Kriegserklärung gleich. Zudem berichtet Karlsson vom Antiislamismus in Europa und sagt, dass sich Schweden für den EU-Beitritt der Türkei einsetze. Die Milliyet berichtet deutlich häufiger als die Hürriyet und die Cumhuriyet aus Dänemark. Dass Rose beurlaubt wird, dass die dänische Rechte in Umfragen zulegt und andere innerdänische Entwicklungen werden in der Zeitung aufgegriffen. Die größere Nähe zum europäischen Diskurs zeigt sich abe r auch teilweise an den Fragen, die in der Zeitung diskutiert werden. Ähnlich wie deutsche Zeitungen fragt der Kolumnist Sami Kohen zwei Mal, ob der Karikaturenstreit einen Kampf der Kulturen bedeute. Am 7. Februar schreibt er in „ Sadece karikatür yüzünden de÷il“ (Nicht nur wegen der Karikaturen), dass der Konflikt nicht durch einen Unterschied von Religion und Kultur zu erklären sei und dass er nicht als Bestätigung der Theorie vom Kampf der Kulturen angesehen werden könne. Die Gründe für die Auseinandersetzung seien vielfältig, sie zu ergründen sei jetzt notwendig. Liest man das Buch von Huntington im Lichte des Karikaturenstreits erneut, so Kohen am 10. Februar, fände man Elemente, die dem Autor Recht gäben. Aber das bedeute nicht, dass ein internationaler Kampf der Kulturen zwischen der isla mischen Welt und dem Westen begonnen habe. Der Karikaturenstreit habe die Unterschiede der Kulturen und Verständnisse gezeigt. Die Türkei sei aber ein Beleg da für, dass der Streit kein Kampf der Kulturen ist. Kohen sieht a uf beiden Seiten radikale Kräfte am Werk. Es seien historische, politische, ökonomische und soziale Faktoren für den Konflikt verantwortlich. Die Milliyet unterscheidet sich in einem weiteren Punkt von de r Hürriyet und Cumhuriyet: Die Dem onstrationen im eigenen Land we rden nicht verschwiegen, sondern vergleichsweise ausführlich dargestellt und teilweise soga r alarmistisch behandelt. Sieben Mal berichten Artikel von Protest kundgebungen in der Türkei. Am 4., 5. und 6. Februar erscheint sogar täglich ein Bericht über Proteste. Hinzu kommen Darstellungen von Demonstrationen am 9., 11. und 13. Februar und am 20. Februar ein großer Artikel über die Kundgebung der Saadet Partei in Istanbul. In der Milliyet werden sogar ga nz kleine Demonstrationen aufgegriffen. Am 5. Februar heißt es „Eylemler çÕ÷ gibi büyüyor“ (Dem onstrationen wachsen lawinenartig). Der Gegenstand der Berichterstattung passt aber überhaupt nicht zum alarmistischen Ton der Überschrift. In Erzurum habe sich „eine Gruppe“ vor einer Moschee zusammengefunden und sei mit Sprechchören
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durch Straßen gezogen. In Adana hätten 200 Menschen protestiert und zum Boykott aufgerufen. In Konya wiederum hätten 25 Mensc hen beschlossen, aus Protest gegen die Karikaturen ein Vereinsgebäude 24 Stunden lang nicht zu verlassen. Eine Nichtregierungsorganisation habe in Nevúehir zum Boykott norwegischer, französischer und dänischer Waren aufgerufen. Und in Sam sun habe „eine Gruppe“ Slogans gegen Dänemark gerufen. U nd auch in Sivas sei zum Boykott westlicher Waren aufgerufen worde n. Der Unterschied bei der Nachrichtenauswahl zwischen Milliyet und beispielsweise der Hürriyet ist enorm. Dass in türkischen Zeitung en nicht darüber diskutiert wird, wo die Grenze zwischen Pressefreiheit und Achtung religiöser Gefühle zu ziehen ist, zeigt unter anderem der Artikel „Danim arka yasalarÕ hapis cezasÕ öngörüyor“ (Dänemarks Gesetze sehen Gefängnisstrafe vor) vom 4. Februar. In dem kurzen Text wird berichtet, dass das dänische Strafgesetzbuch Gefängnisstrafen bis zu vie r Monaten vorsieht bei Beleidi gung von Religionen und ihrer Angehöri gen. Das Gesetz sei aber seit 1938 nic ht angewandt worden. Eine tiefer ge hende Auseinandersetzung mit der dänischen Rechts sprechung und juristischen Tradition des Landes findet nicht statt. Die Milliyet geht sehr kritisch mit Protesten in isla mischen Ländern um und schlägt einen liberalen Weg vor. Wenn sich die muslimischen Gesellschaften von Unterdrückung und den damit verbundenen Komplexen befreien wollen, helfe kein Schreien und Töten, so der Kolumnist Taha Akyol am 9. Februar in „Ateúkes zamanÕ“ (Zeit für Waffenruhe). Liberale Demokratie, eine offene Gesellschaft, Marktwirtschaft, städtische Werte, ökonomischer Rationalismus und Pluralismus – also Mode rnisierung – sei der richtige Weg. Für diesen Weg sei es notwe ndig, sich zu beruhigen und nachzudenken. Nicht „Im perialisten, Zionisten und Ausbeuter“ stünden den Muslimen dabei im Weg, sondern diejenigen, die im Namen des I slam Wut ve rbreiten und die muslimischen Massen mit Wut blind machen. 9.4.5 Sabah Ähnlich wie die Berliner Zeitung geht die Sabah geht am 1. Februar von einem Ende des Karikaturenstreits aus. Am „12. Tag der Proteste“ (am 20. Januar hatten sich 10 Botschafter von muslimischen Ländern bei Rasmussen beschwert) gebe es den „Schlussakt” und de n „Schlusspunkt” mit der Distanzierung von Rasmussen von den Karikaturen und der Entschuldigung der Jyllands Posten. Dänische Muslime hätten die Entschuldigung akzeptiert. Mit ihrer Erwartungshaltung vertut sich die Sabah jedoch.
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Einen Tag später bezeichnet die Zeitung die Nachdrucke der Karikaturen in mehreren europäischen Zeitungen als Grund für die Eskalation des Konfliktes. In „YangÕna çifte körük!” (Doppelter Blasebalg für Feuer) heißt es, dass der Nachdruck der Karikaturen in der „Le S oir” (gemeint ist France Soir), der Welt und der Berliner Zeitung dazu geführt habe, dass m it weiteren Reaktionen zu rechnen sein wird. Ähnlich sieht das der Kolumnist Soli Özel am 9. Februar (Mustayon/Mutation). Geçen hafta bu karikatürlerin birkaç Avrupa ülkesinin gazetelerinde yeniden yayÕmlanmasÕyla patlayan yangÕn, dünyayÕn dört bir yanÕna yayÕlÕrken mutasyona u÷radÕ. (Das Feuer, das vergangene Woche mit dem Nachdruck dieser Karikaturen in einigen europäischen Zeitungen explo diert ist, hat ei ne Mutation durchgem acht, während es sich über alle Teile der Welt ausgebreitet hat.)
Die umständliche Formulierung ist an dieser Stelle keine Besonderheit, sondern der türkischen (Zeitungs-)Sprache geschuldet. Der Autor sieht die „Explosion des Feuers”, also die Eskalation des Konfliktes, in direktem Zusammenhang mit dem Nachdruck in Europa. Er schreibt auch, dass arabische Länder und der Iran die Proteste für ihre eigenen Zwecke ausnutzten. Von einer „Lenkung” der Proteste, wie sie in de utschen Zeitungen breit thematisiert wurde, ist in tür kischen Zeitungen aber keine Rede. Der Artikel empfiehlt als „sauberste Reaktion“ ei nen Boykott. Am 15. Februar berichtet die Sabah von dem Streit über die Fußballkarikatur im Tagesspiegel. In „øranlÕ fubolcularÕ ‘terörist’ yaptÕlar” (Sie haben die iranischen Fußballer zu „Terroristen” gemacht) wird gesagt, dass der Tagesspiegel die iranische Fußball-Nationalspieler als Selbstm ordattentäter dargestellt hat. Zwar wird im Text darauf hingewiesen, dass die Karikatur die Frage des Einsatzes der B undeswehr bei der WM thematisiert, doch die Ironie der Zeichnung wird den Leserinnen und Lesern nicht unbedingt klar. St attdessen könnte man annehmen, dass der Tagesspiegel tatsächlich de n Einsatz von Soldaten befürworte. Dieser Eindruc k wird verstärkt, weil nicht die gesamte TagesspiegelKarikatur gezeigt wird, sondern nur die linke Hälfte, auf der vier iranische Fußballspieler zu sehen sind. Zudem rückt die Sabah den Tagesspiegel in die Nähe der Jyllands Posten. Danimarka gazetesinde Hz. Muhammed karikatürlerinin yayÕmlamasÕndan sonra úimdi de bir Alman gazetesi øranlÕ fulbolcularÕ intihar bo mbacÕsÕ gibi gösteren bir karikatür yayÕmladÕ. (Nachdem in einer dänischen Zeitung Mohammed-Karikaturen veröffentlicht wurden, veröffentlicht jetzt eine deutsche Zeitung eine Karikatur, die die iranischen Fußballer wie Selbstmordattentäter darstellt.)
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
Ein Zitat von Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff bringt auch keine Klärung. Er sei aufgrund der Reaktionen traurig, denke trotzdem nicht daran, sich zu entschuldigen, heißt es. Dass sich Casdorff die Reaktionen nur durch die Unkenntnis der innenpolitischen Debatten erklären könne, wird in der Sabah nicht erwähnt. Eine ähnlich verkürzte Darstellung gibt es auch in der Akúam-Ausgabe vom 15. Februar. Auch dort wird nur die linke Hälfte der Fußball-Karikatur gezeigt. Dass die Karikatur eine Kritik an den Bundeswehr-Plänen des Innenministeriums ist, wird nicht erklärt.
Abb. 13 Titelseite der Sabah, 15. Februar
Harte Kritik an der Jyllands Posten und am Rassismus in Dänemark gehört ebenfalls zum Sabah-Diskurs. Am 5. Februar heißt es mit Blick auf Rose: „Fitili o ateúledi” (Er hat die Lunte angezündet). Ein Tag später schreibt Yavuz Baydar in „12 karikatüre öfke ve ifade özgürlü÷ü” (Wut auf 12 Karikaturen und Pressefreiheit), dass die Jyllands Posten in der Vergangenheit von Zeit zu Zeit neonazistische Ansichten verteidigt habe. Die Karikaturen seien ein Produkt der Ignoranz und des Bemühens, anderen Religionen eine „Lehre in Sachen F reiheit” zu erteilen. Dass die Karikaturen zu nichts anderem als zu Aufhetzung und Gewalt führen würden, sei klar gewesen. Am 15. Februar druckt die Sabah auf ihrer Titelseite eine Karikatur ab, auf der drei bewaffnete Kreuzritter zu sehen sind. Einer von ihnen sagt zum Karikaturisten, der vor ihnen steht: „Na los, Karikaturisten-Bruder, geh du vor, wir kommen nach.” Der Karikaturist schaut den auf einem Pferd sitzende n Ritter etwas verschüc htert und nai v an. Links oben steht die Überschrift „Moderne Kreuzritter”. Der Artikel „Karikatür krizi ve Türk bas ÕnÕ” (Die Karikaturenkrise und die türkische Presse) kritisiert, da ss die türk ischen Medien so täten, als würde der
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Islam nicht zur Türkei gehören. Die Lücke, die die türkischen Medien hinterließen, würde von radikalen Kräften ausgenutzt. Der Autor zieht den Schluss, dass die Türkei mehr über den Islam diskutieren müsse: Biz de dahil, medyanÕn Türkiye toplumu içinde „di n” ö÷esini „Oruç cinsel ili úkiyle bozulur mu?” boyutunun ötesinde tartÕúmayÕ ö÷renmesi gerekiyor. (Uns eingeschlossen, müssen die Medien bei Religionsthemen lernen, über mehr zu diskutieren als die Frage, ob das Fasten durch Geschlechtsverkehr ungültig wird.
Das Argument der Karikatur-Befürworter, dass die ausgelöste Debatte auch zu Reflexionen innerhalb des Islams führen könne, wird hier ansatzweise bestätigt. Der Artikel gehört jedoch zu den ga nz wenigen Stimmen im Diskurs, die ein Nachdenken über die eigene Religion verlangen. Meist wird nur über die Grenzen der Pressefreiheit diskutiert. Am 20. Februar schreibt die Sabah über eine von der Saadet Partei organisierte Großdemonstration. 40.000 Teilnehmer seien auf der Kundgebung gewesen, so die Zeitung. Interessant ist, welche Information für die Sabah am wichtigsten ist. Der Artikel be ginnt mit folgendem Satz: Saa det Partisi’in østanbul Ça÷layan MeydanÕn’da düzenledi÷i „ønanca SaygÕ, Zalimlere Lanet, Peygambere Sevgi” mitingi, yaklaúÕk 40 bin kiúinin katÕlÕmÕyla østanbul trafi÷ini kilitledi. (Die von der Saadet Partei auf de m Ça÷layan-Platz in Istanbul organisierte Kundgebung „Respekt vor der Religion, Fluch den Despoten, Liebe für den Propheten“ hat mit ihren 40.000 Te ilnehmern den Istanbuler Verkehr lahm gelegt.) Auch wenn die türkischen Zeitungen nicht w ie deutsche Blätter relativ streng der amerikanischen Journalisten-Regel folgen, wonach in Nachrichten das Wichtigste zuerst ge nannt werden muss, scheint die Information, dass der Verkehr zum Erliegen kam, für die Sabah besonders wichtig zu sein. Auch in der Unterzeile wird darauf hingewiesen. Die Forderungen der Dem onstranten haben offenbar weniger Gewicht. Dies kommt einer Degradierung der Proteste gleich. 9.4.6 Radikal Mit sehr deutlichen Worten lehnt die Radikal die Moham med-Karikaturen ab. Die Zeichnungen hätten nichts mit Pressefreiheit zu tun, si e seien eine Beleidigung der Religion und zeugten von „Glaubens-Rassismus“ (Hazreti Muhammed ve ifade özgürlü÷ü/Prophet Mohammed und die Pressefreiheit, 4. Februar). Mohammed als Terroristen da rzustellen heiße, alle Muslime als Terroristen darzustellen und bedeute offenen Rassismus und Diskriminierung. Der Autor glaube
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nicht, dass europäische Gesetze diese Sorte Rassismus erlauben. Ähnlich argumentiert der Kommentar „21. yüzyÕlda din savaúÕ olur mu?“ (Kann es im 21. Jahrhundert einen Religionskrieg geben?) vom 5. Februar. Die Karikaturen hätten nichts mit Pressefreiheit zu tun. Einen Propheten als Verbrecher oder Terroristen zu zeigen, sei ein Angriff auf heilige Glaubensinhalte und eine Vergewaltigung der Rechte der Gläubigen. Ausländerfeindlichkeit in Dänemark spielt in de r Radikal eine vergleichsweise große R olle. Der Kommentar Da nimarka’nÕn MüslümanlarÕ (Dänemarks Muslime) vom 9. Fe bruar verweist auf einen Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, in dem die Lage der dänischen Muslime kritisiert wird. Auf denselben Bericht geht der Kommentar „Suimisal emsal olur mu?“ (Kann ein schlechtes Beispiel ein Präzedenzfall sein?) vom 16. Februar ein. Die Radikal zeigt ein enges Verständnis von Pressefreiheit. Im Artikel „Danimarka'da ifade özgürlü÷ü“ (Pressefreiheit in Dä nemark) vom 2. F ebruar verweist die Zeitung darauf, dass ein Ra dioprogramm der rechtse xtremen Jugendorganisation „Greenjackets“ verboten wurde. Das Programm, das Migranten aus dem Osten und a us Afrika als Tiere bezeichnet habe, sei vor Gericht nicht als Ausdruck der Pressefreiheit bewertet worden. Vor diesem Hintergrund fragt der Artikel, ob die Mohammed-Karikaturen in der Jyllands Posten von der Freiheit, Nachrichten auszutauschen, gedeckt sind. Die Kritik am Argument der Pressefreiheit nimmt teilweise sehr polemische Züge an, wie der folgende Ausschnitt aus dem Artikel „21. yüzyÕlda din savaúÕ olur mu?“ zeigt: Danimarka BaúbakanÕ Rasmussen, papa÷an gibi her konuda ‚basÕn özgürlü÷ü’nden bahsediyor. Terör örgütü PKK’nÕn terör eylemlerinde kullandÕ÷Õ Roj TV’yi kapata maz; cünkü basÕn özgürlü÷ü (!) v ardÕr. Dünya nüfusunun dörtte birinin inanc Õna saldÕran gazeteye müdahale edemez çünkü bas Õn özgürlü÷ü (!) vardÕr. Bir an bunu do ÷ru kabul etsek bile, a ÷zÕnÕ açÕp da olay lardan duydu÷un üzüntüyü – tabii b öyle üzüntü varsa – söylesen olmaz mÕ be ada m?!... YarÕn birileri kalk Õp da, úu Rasmussen’e úöyle böyle yapalÕm diye yazÕ yazarsa gene basÕn özgürlü÷ünü ileri sürüp ses ç Õkarmayacak mÕsÕnÕz? (Dänemarks Ministerpräsident Rasmussen erwähnt wie ein Papagei bei jeder Gelegenheit die „Pressefreiheit“. Er könne den Sender Roj TV, den die terroristische PKK für ihre terroristischen Aktionen verwendet, nicht schlie ßen, weil es Pressefreiheit (!) gäbe. Er könne sich nicht in die Zeitung, die den Glauben jedes vi erten Menschen auf der W elt angreift, einmischen, weil es Pressef reiheit (!) gäbe. Auc h wenn wir das f ür einen Moment akzeptieren: Kannst du nicht deinen Mund aufmachen und deine Trauer – sofern es diese Trauer gibt – ausdrücken, Mann?!... Wenn morgen jemand aufsteht und schreibt, lass uns Rasmussen dies und jenes antun, wirst du dann wieder die Pressefreiheit vorschieben und stumm bleiben?
Die Radikal verlangt zwar – wie andere türkische Zeitungen auch – keine Einschnitte in die Pressefrei heit, behauptet aber rechtliche Grenzen der Pressefrei-
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heit, die die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen nicht umfassen. Die Zeitung erklärt, dass die Pressefreiheit nicht absolut sei und dass sie im Rahmen bestimmter Kriterien durch verant wortliche Instanzen be grenzt werden könne. Damit legt die Radikal die Pressefreiheit eng aus. Dass in europäischen Ländern christliche Symbole ungestraft beleidigt werden, erwähnen türkische Zeitungen nicht einmal. Mit ihrer Position zur Pr essefreiheit steht die Zeitung nicht weit von Erdo÷ans Position, der auch eine Begrenzung der Pressefreiheit fordert (Maneviyata saldÕrÕlÕyor/Seelische Verfassung wird angegriffen, 3. Februar). Der Umgang der Radikal mit der Pressefreiheit ist in dreifacher Hinsicht überraschend. Zum einen a rgumentiert die Zeitung recht restriktiv, obw ohl sie selbst Einschränkungen der Pressefreiheit ausgesetzt ist, wenn sie üb er sensible Themen wie den Arm enier-Genozid oder die Rechte von religiösen Mi nderheiten in der Türkei berichtet. Zum anderen hat die Radikal wenig Verständnis für die Bedeutung der Pressefreiheit in Europa; obwohl sie al s eine westlich orientierte Zeitung gilt. Außerdem verwundert ihre Kritik an der Pressefreiheit vor dem Hintergrund i hrer milden Kritik an den gewaltsamen Protesten gegen die Karikaturen. Die Proteste in islamischen Ländern werden zwar kritisiert, jedoch in einem deutlich milder en Ton als in der Hürriyet. Protestaktionen im eigenen Land werden, wie in den meisten anderen türkischen Zeitungen, kaum erwähnt. Interessant an de r Berichterstattung der Radikal ist nicht nur die AntiKarikaturen-Solidarität, sondern auch di e Selbstverständlichkeit, m it der sich die linksliberale Zeitung auf der Seite der Muslime verortet. In dem bereits zitierten Artikel „21. yüzyÕlda din savaúÕ olur mu?“ fragt der Autor, was im Karikaturenstreit zu tun sei. „Wi r“, also die Muslime, könnten nic ht einfach deren Propheten Jesus beleidigen, weil er auch der Prophet der Muslime sei. Die islamische Welt müsse gewaltlos protestie ren und Waren boykottieren. M uslime müssten millionenfach vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen und di e UN einschal ten. Zudem müsse Ministerpräsident Erdo÷an mit dem spanischen Ministerpräsidenten Zapatero eine gemeinsame Erklärung veröffentlichen. Somit brauche der Krokodilstränen vergießende Papst nicht mehr die Vaterrolle übernehmen und die T ürkei hätte einen historischen Beitrag zum Weltfrieden geleistet, erklärt die Zeitung sehr pathetisch. Als einzige türkische Zeitung beschreibt die Radikal am 5. Februar mehrere Mohammed-Karikaturen, die in der Jyllands Posten abgedruckt wurden. Die Beschreibung ist kurz ge halten, eine Deutung findet nicht statt. Dabei fäl lt auf, dass nur Karikaturen beschrieben werden, die Muslime für problematisch halten könnten. So wird die Karikatur, auf der ein Schüler namens Mohammed auf eine Tafel zeigt, nicht e rwähnt. Diese kurze Beschreibung von sechs Karikaturen ist aber mehr, als andere türkische Zeitungen geliefert haben.
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Der iranische „Holocaust-Wettbewerb“ wird in der Radikal als „KarikaturPrüfung für E uropa“ bezeichnet (Avrupa’ya karikatür s ÕnavÕ, 8. Februar). Der Iran antworte mit einem Holocaust-Wettbewerb auf die M ohammedKarikaturen, die im Namen der „Pressefreiheit“ veröffentlicht worden seien. Für den Rabbi Marvin Hier, Gründer des Simon Wiesenthal Centers mit Sitz in den USA, zeige der Wettbewerb, dass die Ideen von Hitler in muslimischen Gesellschaften weiterleben. Die Radikal stellt den Karikaturenstreit nicht nur in einen Kontext der Ausländerfeindlichkeit in Dänemark, sondern auch in eine lange Geschichte des Islambildes. In øslam'a bakÕúÕn geçmiúi (Geschichte des Islambildes) vom 5. Februar schreibt Avni Özgürel, dass der Islam seit seinem Entstehen für den Westen die größte Bedrohung darstellte und dass Muslime als gottlos galten. Die Angst vor dem Islam habe sich im Laufe der Jahrhunderte nicht wesentlich geändert. Die Mohammed-Karikaturen hätten das Ziel der E rniedrigung, so der Autor. Der aktuelle Streit habe nichts mit dem Bilderverbot im Islam zu tun, auch wenn der Autor einräumt, dass es auch Proteste gegeben hätte, wenn die Zeichnungen Mohammed positiv dargestellt hätten.
Abb. 14 Radikal, 10. Februar 2006
Auf die Titelseite der A usgabe vom 10. Februar haben die Radikal-Redakteure ein Foto vom schiitischen Aschura-Fest gesetzt. Zu sehen sind zahlreiche Schwerter, die hochgehalten werden. Di e Gesichter der Waffenbesitzer sind
9.4 Der Diskurs in der Türkei
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kaum zu erkennen. Das Foto erweckt einen hochgradig gewalttätigen Eindruck und lässt die Abgebildeten subjektlos erscheinen. 9.4.7 Vatan Ähnlich wie die Sabah macht die Vatan den Nac hdruck der MohammedKarikaturen in europäischen Zeitungen für die Eskalation des Konfliktes verantwortlich. „Dass die Karikaturen, die den Propheten Mohammed als Terroristen darstellen, von vielen europäischen Zeitungen nachgedruckt wurden, um Dänemark zu unterstützen, hat in der is lamischen Welt die Wut auf de n Gipfel getrieben“, heißt es am 3. F ebruar auf der Titelseite der Vatan. Dass, wenn überhaupt, nur eine Karikat ur Mohammed als Terroristen darstellt, sche int von der Vatan nicht zur K enntnis genommen worden zu sein. Am 4. Febr uar wird der Nachdruck sogar als „Kreuzzugs-Solidarität“ bezeichnet. Über Europa heißt es in „Avrupa'nÕn 'basÕn özgürlü÷ü' yalanÕ!“ (Europas Lüge von der Pressefreiheit): Bir ülkenin bas ÕnÕnÕn hatasÕnÕ paylaúarak gerçekten d e ‘HaçlÕ’ benzeri bir dayanÕúmaya girdi. (Den Fehler einer Zeitung eines La ndes teilend, ist es in eine kreuzzugsähnliche Solidarität getreten.)
Der Artikel behauptet, dass die Karikaturen nichts m it Pressefreiheit zu tun hätten und dass sie zu Gewalt führen könnten. Zugleich werden die Protestaktionen von „Terroristen“ verurteilt. Im Diskurs tritt die Vatan – vor allem in der zweiten Hälft e der Hochphase des Karikaturenstreits – betont regierungskritisch auf. Si e greift i nsbesondere die aus ihrer Sicht zu religiösen Stellungnahmen der AKP-Regierung an. Anders als die meisten anderen türkischen Zeitungen, die die Mittlerrolle der Türkei loben, sieht die Vatan einen außenpolitischen Schaden durch den Karikaturenstreit entstanden. Am 17. Februar schreibt der Kolumnist Cengiz Aktar in „Karikatür krizinin ülkeye zararlarÕ“ (Die Schäden der Karikaturenkrise für das Land), dass von allen Ländern, die als islamisch bezeichnet werden, die Türkei den meisten Schaden davongetragen habe. Die Reaktionen de r Regierung seien z uallererst religiös gewesen und nicht politisch oder juristisch. In seinem Brief an die Staatschefs der Welt habe Erdo÷an das Problem als Polarisierung zwischen islamischer und christlicher Welt bezeichnet. Vier Tage später legt der Autor in einem Artikel mit der Überschrift „Y eni yapay gündem Müslüman dÕú politika“ nach. Die Reaktionen der Regierung seien vor allem religiös gewesen, wieder-
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
holt er. Dabei verknüpft er die Haltung der Regierung im Karikaturenstreit mit dem Besuch der Hamas in der Türkei: DÕú iliúkilerde ve dünyaya verilen mesajlarda MüslümanlÕk ö÷esinin iyice öne çÕkmasÕ ve bundan kaynaklanan yeni bir tart Õúma. Karikatür krizi ve Ha mas krizinde bu m esajlar belirgindi. (Dass in den Au ßenbeziehungen und in den Botschaften an die Welt das Primat des Isla m ganz nach vorne trat und die daraus res ultierenden Diskussionen. In der Karikaturenkrise und der Hamas-Krise waren diese Botschaften bestimmend.
Der Artikel „Medeniyetler ittifaki“ (Bündnis der Kulturen) vom 10. Februar kritisiert den gemeinsamen Brief v on Erdo÷an und Zapatero. „Wenn von einem ‚Bündnis der Kulturen’ gesprochen wird, wohin gehört die Türkei“, fragt der Artikel. „Wird die Kultur der Türkei religiös bestimmt?“ Die Ablehnung des Islam geht in der Vatan so weit, da ss ein ToleranzUnterschied zwischen Islam und christlicher Welt unterstellt wird. In „Karikatür savaúÕ“ (Karikaturen-Krieg) vom 6. Februar heißt es: „Wenn sie sehen würden, was in westlichen Medien über Jesus und andere religiöse Themen geschrieben und gezeichnet wird, würde es den Gruppen, die europäische Botschaften angreifen, ziemlich schlecht ge hen.“ Der Karikaturenstreit zeige die Mobilisierungskraft des politischen Islams, heißt es im Artikel weiter. Im selben Artikel werden die internationalen Medien dafür kritisiert, dass sie zu einem Zulauf für die gewaltsamen Protesten beitrügen, indem sie an pr ominenter Stelle über sie berichteten. Die folgende Kritik teilen vermutlich auch andere türkische Zeitungen: „Dünya televizyonlarÕnda bu gösteriler birinci haber olarak yayÕnlandÕkça eylemlerin yayÕlmasÕ da kaç ÕnÕlmazdÕr.“ (Wenn die Fernsehsender dieser Welt diese Kundgebungen als erste Nachricht senden, ist es unausweichlich, dass sich die Proteste ausbreiten.) Selbstkritik gibt es auch im Kommentar „Di÷er din ve mezhepler hakkÕnda ne biliyoruz?“ (Was wissen wir über andere Religionen und Konfessionen?) vom 14. Februar. Darin erklärt der Autor: Memlekette din d enince Sünni øslamÕn dÕúÕnda baúka bir din k onusunda mufassal bilgi pek bulunmaz. Mesela siz hiç bir tane H Õristiyan olmayan ciddi H ÕristinyanlÕk uzmanÕ tanÕr mÕsÕnÕz? (Wenn in der Heimat die Rede von Religion ist, kann man kein detailliertes Wissen außer über den sunnitischen I slam finden. Kennen Sie zum Beispiel einen NichtChristen, der ein ernsthafter Christentum-Experte ist?)
Die Religionen, von denen das Land w enig versteht, seien unter „uns“. Alevitentum, Schafiitismus, Orthodoxie, Judentum, Nestorianismus und viele weitere Glaubensrichtung. Ein interessantes Detail findet sich in der Vatan-Ausgabe vom 9. Februar. In „Erdo÷an ve Gül karikatürlere baktÕ“ (Erdo÷an und Gül haben sich die Kari-
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katuren angesehen) heißt es: „DanÕúmanlarÕ Baúbakan Erdo÷an’Õn karikatürlere baktÕ÷ÕnÕ belirtirken, krizi çözmek için Türkiye’nin aktif rol oynamasÕna dönük çalÕúmalar yürüten DÕúiúleri BakanÕ Gül’ün de karikatürlere baktÕ÷Õ ö÷renildi.“ (Während seine Berater erklärten, dass Ministerpräsident Erdo÷an die Karikaturen gesehen habe, wurde bekannt, dass Außenminister Gül, der bemüht ist, dass die Türkei bei der Lösung der Krise eine aktive Rolle übernimmt, sich ebenfalls die Karikaturen angesehen hat.) Die Vorsitzenden der liberalkonse rvativen ANAP, der konservativen DYP und der kemalistischen CHP hätten die Karikaturen indes nicht gesehen. Das hat die Parteichefs aber nicht davon abgehalten, Forderungen in Richtung Dänemark zu stellen. Z udem heißt es in de r Nachricht, dass die meisten Parlamentarier angegeben hätten, die Karikaturen nicht gesehen zu haben. Es ist vor diesem Hintergrund anzunehmen, dass die übe rgroße Mehrheit der türkischen Bevölkerung die Karikaturen nicht gesehen hat. 9.4.8 Akúam In der Akúam scheint der Karikaturenstreit zunächst vor allem ein französisches Problem zu sein. A uf der Titelseite der Aus gabe vom 2. Februar behauptet die Zeitung, wegen des Nac hdrucks in der France Soir drohten Unruhen in den französischen Vororten. Im Innenteil erklärt die Zeitung, die französische Polizei habe ihre Sicherheitsvorkehrungen in den Banlieues verstärkt. Auch auf der Titelseite der Zeitung vom 3. Februar geht es schwerpunktmäßig um Frankreich; der Chefredakteur der France Soir sei entlassen worden. Der Kom mentar „Karikatür krizi“ (Karikaturenkrise) vom 6. Februar steigt mit innerfranzösischen Problemen ein. Der Karikaturenstreit scheine insbesondere in Frankreich, dem Land mit den meisten Muslimen in Europa, zu einer „Explosion“ zu führen. Der Artikel verlangt von Erdo÷an, den Muslimen in Frankreich den „richtigen Weg“ zu zeigen. Dadurch gewänne die Türkei viele Vorteile bei den EUBeitrittsverhandlungen. Die Akúam nimmt im Karikaturenstreit eine nationale bzw. nationalistische Position ein. Die Zeitung st ellt sowohl ein en großen Gegensatz zwischen den besonnen reagierenden Türken und den gewalttätigen Protesten in arabischen Ländern wie auch einen Gegensatz zwischen Türken und dem provozierenden Westen her. Auf der Titelseite am 4. Februar ist ein Artike l mit „Dünyada öfke bizde sa÷duyu“ (Wut in de r Welt, gesunder Menschenverstand bei uns) überschrieben. Im Text heißt es:
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
øúte Türkiye fark Õ. Karikatür ta rtÕúmasÕ Avrupa ve Arap düny asÕ arasÕnda medeniyet çatÕúmasÕna yol açarken, Türkiy e’yi birleútirdi. Patrik Bartholomeos, Patrik Mutafyani, Haham Haleva ve Diyanet øúleri BaúkanlÕ÷Õ dine saygÕsÕzlÕ÷Õ kÕnadÕ. (Das ist der TürkeiUnterschied. Während der Karikaturenstr eit Grund für einen Kam pf der Kulturen zwischen Europa und den arabischen Ländern ist, hat er die Türkei vereint. Patriarch Bartholomäus, Partriach Mutafy an, Rabbi Haleva und das Amt für Religionsangelegenheiten haben die Respektlosigkeit verurteilt.)
Die Distanzierung von de r übrigen Welt und de r nationalistische Unterton schließen in diesem Fall religiöse Minderheiten des Landes nicht aus. Eine Distanzierung von arabischen Ländern bzw. eine Thematisierung der unterschiedlichen Reaktionen in den Ländern ist auch in anderen Zeitungen wie der Radikal oder der Sabah zu finden. Bei den anderen Zeitungen geschieht dies aber erst in der zweiten Hälfte der Hochphase des Konfliktes. Der Gegensatz zwischen der Türkei und arabischen Ländern wird diskursiv vergrößert, indem die Proteste in den übrigen islamischen Ländern mit den Kollektivsymbolen „Welle“, „Brand“ und „Explosion“ aufgeladen und als „gefährlich“ bezeichnet werden. Die Proteste würden sich „wellenartig“ verbrei ten, so die Zeitung am 4. Februar. Einen Tag später heißt es, das Befürchtete sei eingetroffen (Sonunda korkulan oldu). Die erste Gewaltwelle sei ausg ebrochen (!). Auch in den folgenden Berichten über Proteste bleibt die Darstellung kollektivsymbolisch aufgeladen. Mehr als andere Zeitungen lässt sich die Akúam auf Argumente der „anderen Seite“ ein. Im bereits erwähnten Artikel „Karikatür krizi“ heißt es mit Blick auf Rasmussen: „AçÕkça söylemek gerekirse; kendi basÕnlarÕnÕn yaptÕ÷Õ iú ne kadar yanlÕú olursa olsun o ülke siyasetçilerinin aldÕ÷Õ tavÕr son derece do÷rudur. (Um es offen zu sagen: So falsch das ist, was seine Presse gemacht hat, war die Haltung der Politiker des Landes in höchstem Maße richtig.) Die westlichen Demokratien hätten eine Tradition de s Kampfes mit ihren religiösen Institutionen. Der Artikel behauptet aber einen Verstoß gegen die eigenen Prinzipien des Westens. Die Holocaust-Leugnung sei im Westen verboten; der Islam nicht so gut geschützt wie Judentum und Katholizismus. Dieser A rtikel gehört zu den wenigen Beispielen im türkischen Diskurs, die einen Juden-Vergleich heranziehen, um eine Benachteiligung des Islams zu behaupten. Die Akúam sieht den Karikaturenstreit in einer langen Geschichte der Provokationen des Islams. Am 7. Februar erklärt der Kommentar „Nerden nereye!“ (frei übersetzt: Von gestern bis heute), George Bush und die israelischen Neokonservativen hätten einen Krieg gegen den Terror gestartet, wobei Terror Islam bedeute. Die Besatzung Afghanistans habe zu keinen Reaktionen in der islamischen Welt geführt, genau wie die Besatzung I raks. Der letzte „Test“ seien die Mohammed-Karikaturen in der Jyllands Posten gewesen. Keine Zeitung und
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keine Regierung habe sich entschuldigt, stattdessen hätte jeder den Fall zu einer Verteidigung der Pressefreiheit gemacht und die „Unve rschämtheit“ weitergeführt. Die westliche Politik gegenüber is lamischen Ländern und Völ kern habe immer Provokation beinhaltet. Diese Politik sei eine von Imperialisten, Ausbeutern und eine mit doppelten Standards und Erniedrigung. Damit steht dieser Artikel quer zu dem Text „Karikatür krizi“ vom Vortag, denn er wirft jedem westlichen Handeln Provokation und Unterdrückung vor. Diese beiden Texte gehören zu den wenigen Beispielen für Vielstimmigkeit im türkischen Diskurs. Darauf wird zurückzukommen s ein. Die Bildersprache ist etwas ruhige r als in anderen Zeitungen. Zwar gibt es auch in de r Akúam viele Fotos von brennende n Gebäuden und Fahnen, aber auch viele von Demonstranten, die friedlich wirken und deren Gesichter zu erkennen sind. Insgesamt ist der Karikaturenstreit in der Akúam ein nicht so großes Thema wie in anderen türkischen Zeitungen. Ab Mitte Februa r gibt es kaum noch längere Artikel und auch keine Kommentare zum Konflikt. Mit ihrer Berichterstattung stellt die Akúam einen großen Abstand zwischen der Türkei auf de r einen Seite und E uropa und den arabischen Staaten auf der anderen Seite her. Die Türkei erscheint als friedlich und dialogorientiert. Die gewalttätigen Proteste in islamischen Ländern werden ähnlich hart kritisiert und kollektivsymbolisch aufgeladen wie in der Hürriyet. Die Bezeichnung des Westens als imperialistisch und provokativ erinnert wiederum an die Berichterstattung der Cumhuriyet. 9.4.9 Evrensel Wie in keiner anderen untersuchten Zeitung n immt in der Evrensel das Feindbild USA eine dominante Stellung ein. Während zu Beginn der Hochphase des Karikaturenstreits nur kurz bemerkt wird, dass sich die USA im Konflikt um die Mohammed-Karikaturen zurückgehalten haben, ersc heint am 9. Febr uar ein großer Artikel mit der Überschrift „Bush'tan Danimarka'ya destek“ (Unterstützung von Bush für Dä nemark). Zwei Tage später druckt die Evrensel einen Artikel ab, der Kontakte von Fleming Rose, dem Kulturchef der Jyllands Posten, zu einem neokonservativen Think Tank in den USA aufzudecken meint. Persönliche Kontakte Roses zu ei nem leitenden Mitarbeiter werden dabei aufgeführt. Es scheint eine direkte Linie von den Karikaturen zu den Neokons in den USA zu geben. Die Evrensel veröffentlicht am 14. Febru ar einen Artikel mit der Überschrift „Rasmussen de Rice gibi“ (Auch Rasmussen ist wie Rice). Hintergrund ist die Verm utung Rasmussens, dass Syrien und der Ira n hinter den gewalttätigen Protesten stecken. Ähnliches hatte zuvor die damalige US-
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Außenministerin Condoleeza Rice formuliert. Die Zeitung meint den Vergleich nicht gerade als Kom pliment, Rice steht stellvertretend für den „USImperialismus“ und besonders für die Unterdrückung nahöstlicher Länder. Die Berichterstattung in der Evrensel ist nur dann kollektivsymbolisch aufgeladen, wenn über europäische Medien gesprochen wird. In „Ateúe körükle gidiyorlar“ (Sie gehen mit einem Blasebalg zum Feuer) vom 4. Februar . Die Gewalt bei Protesten gegen die Karika turen wird hingegen nicht verurteilt. Stattdessen bezeichnet die Evrensel am 10. Februa r Gewalt bei solchen De monstrationen als „normal“ (Kendine dönmek/Sich zu sich selbst wenden). Die „falschen Reaktionen“ der Muslime werden allgemein kritisiert: Emperyalistlerin karikatür tahriki, Müslü man kitleleri yanl Õú tepkilere ve hedeflere yönlendirdi÷i ve düny ada emperyalizmin ve kap italizmin ma÷duru gayrimüslim emekçilerine zararlÕ olacaktÕr. (Die Provokationen der Imperialisten mit den Karikaturen führen zu falschen Reaktionen u nd Zielen für die muslimischen Massen und z u einem Schaden für die nichtmuslimischen Arbeiter, die Opfer des Im perialismus und Kapitalismus sind.)
Die Evrensel geht mit dem Begriff des „Kampfs der Kulturen“ anders um als die übrigen hier untersuchten türkischen Zeitungen. Der Kampf wird nicht als Zustand oder als Bedrohung be zeichnet, sondern als „Strate gie“ von „ Imperialisten“ (Provokasyonu boúa çÕkarma sorumlulu÷u/Die Verantwortung, die Provokation ins Leere laufen zu lassen, 9. Februar). Die Mohammed-Karikaturen nützten dieser Strategie bewusst oder unbewusst, heißt es in „Kendine dönmek“ (Sich zu sich selbst wenden) am 10. Februar. Damit erscheint der Kampf der Kulturen nicht als ein möglicher Zustand, der aufgrund von fe hlender Kommunikation oder Gewalt verursacht wird, sondern als von Quasi-Subjekten bewusst herbeigeführte Auseinandersetzung. In diesen Zusammenhang passt auch der Hinweis in der Evrensel, dass es mit dem Karikaturenstreit eine psyc hologische Kriegsvorbereitung gebe (Yeni operasyonlara zemin aranÕyor / Ein Fundam ent für neue Operationen wird gesucht, 13. Februar). Damit schätzt die Evrensel den Karikaturenstreit ähnlich ein wie linke Zeitunge n in De utschland. Auch scheinen die Karikaturen nicht der einzige Grund für die Eskalation des Streits zu sein. „Zu sagen, diese Karikaturen seien nur gezeichnet worden, um Provokationen auszulösen und damit einen Erfolg zu erzi elen, würde bedeuten, alles a uf eine einzige Kraft z u projizieren und die Menschen lediglich als eine Horde von Schafen zu sehen.“ In der Evrensel erfahren die Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdo÷an eine verschwindend geringe Resonanz. Er wird nie zitiert; nicht einmal seinen gemeinsamen Appell mit Zapatero greift die Evrensel auf.
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Der auch in anderen Zeiten om nipräsente Ministerpräsident wurde im Karikaturenstreit von anderen türkischen Zeitungen häufig zitiert. Besonders in der ersten Februar-Woche erscheinen in der Evrensel viele Artikel, die sich mit Protesten in den palästinensischen Gebieten befassen. Das ist daraus zu erklären, dass der Nahostkonflikt für türkische Linke ein besonderes Gewicht hat und dass der Solidarität mit den Palästinensern eine große Bedeutung zukommt. Türkische Zeitungen haben schockiert auf den Mord an dem italienischen Priester Santoro reagiert. Alle Blätte r haben die Tat des jugendlichen Täters scharf kritisiert. Der Ton in der Evrensel-Berichterstattung unterscheidet sich wesentlich von dem anderer Zeitungen. Das linke Blatt sieht Missioni erungen als Teil der „Strategie der großen Mächte um Hegemonie“. KaldÕ ki, do÷rudan yoksa bilei bu cinayetin son yÕllarda 'medeniyetler savaúÕ stratejisi'ne ba÷lÕ olarak k ÕúkÕrtÕlan misyonerlik faaliyetlerine bir tepki old u÷unu úöylemek gerçe÷i úöylemek olur. Çünkü misyonerlil artÕk, 15. yüzyÕldaki gibi bir dinin y ayÕlmasÕ için propaganda görevi de÷il, büyük güçlerin dünya hegemonyasÕ mücadellesine ba÷lanan bir görevdir. (Übrigens entspricht es nur der Wahr heit, dass, selbst wenn es nicht direkt so ist, dieser Mord eine Reaktion auf di e provokative Missionarsaktivitäten ist, die i m Zusammenhang mit der Kulturkampf-Strategie stehen. Denn Missionare haben nicht wie i m 15. Jahrhundert di e alleinige Aufgab e der Ve rbreitung der Religion, sondern sie haben die Aufgabe im Kampf großer Kräfte für die Weltherrschaft.)
Santoros Arbeit in der Türkei erscheint als imperialistisch. Der Mord wird verharmlost, die Schuld relativiert. Zwar heißt es a m Ende des Artikels, dass all dies keinen Mord rechtfertige, doch die Relativierung des Mordes bleibt. Die Evrensel berichtet mehrfach von linken Demonstrationen gegen die Mohammed-Karikaturen, von denen es in der Türkei einige gegeben hat. Jedoch scheint es kei ne gemeinsamen Demonstrationen oder Kundgebungen von Linken und Religiösen gegeben zu haben. Erstaunlicherweise ist die Pressefreiheit überhaupt kein Thema in der Evrensel. Dabei wurde die Vorgängerzeitung der Evrensel verboten und auch die neue Zeitung hatte immer wieder mit Angriffen auf die Pressefreiheit zu kämpfen. 9.4.10 Milli Gazete Die Berichterstattung in der Milli Gazete ist von Rassismus, Antisemitismus und der Bereitschaft zur Es kalation gekennzeichnet. Der Kommentar „Diyalog tutmadÕ, çatÕúma verelim!..“ (Dialog hat nicht gefruchtet, lasst uns kämpfen!) vom 4. Februar behauptet – ähnlich wie viele andere Artikel in der Zeitung –
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dass es eine n Dialog oder ein Bündnis der Kulturen nicht gibt. „Belügt euch nicht selbst.“ Die Sicht des Westens auf die Türkei und den Islam werde sich nicht ändern, Europa sei in ein „Bündnis der Kreuzritter“ eingetreten. Es gebe einen Kampf der K ulturen, behauptet der Text. In dem Artikel wird Europa nicht nur aggressiv und monolithisch dargestellt, der Text nimmt auch eine ahistorische Position ein und behauptet ein nicht verbesserbares Verhältnis zwischen Europa und de m Islam. Dass diese Ahist orisierung deutliche rassistische Züge trägt, zeigen die Artikel „øçimizdeki DanimarkalÕlara binlerce lanet“ (Verflucht seien die Dänen in uns) vom 5. Februar und „ønadÕ bÕrak, aslÕna dön!“ (Lass den Trotz sein, komm zum Eigentlichen zurück“) vom 9. Februar. Dänemark muss im ersten der genannten Artikel als Feindbild herhalten. Mit „Dänen in uns“ ist das Kopftuchverbot an türkischen Hochschulen gemeint. Dänemark ist hier ein Synonym für religiöse Intoleranz. Im Artikel auf der Titelseite der Ausgabe vom 9. Februar sind etwa zwei Dutzend Demonstrierende zu sehen. In der Bildunterschrift heißt es „Großer Protest in Gaziantep“. Der Saadet Partei nahe stehende Gruppen haben am Vortag gegen die Karikaturen protestiert. Auf ihren Plakaten ist unter anderem das ra ssistische Sprichwort „Domuzdan post gavurdan dost olmaz“ (Aus einem Schwein lässt sich kein Fell machen, aus Ungläubigen keine Freunde) und der Satz „Wer Gottlose zu seinen Freunden macht, ist selbst einer“ zu sehen. Im Leitartikel wird der stellvertretende Vorsitzende der Saadet Partei, Lütfü Esenyurt, mit der Aussage zitiert, dass die Islam feindlichkeit in die Gene des Westens übergegangen sei. Der Artikel „Milli öfke büyüyor“ (Die nat ionale Wut wächst) vom 6. Februar beinhaltet sehr viele typische Aussagen der Zeitung. Der Text berichtet von einer Vorstandssitzung der Saadet Partei, bei der sich der Vorsitzende Recai Kutan zum Karikaturenstreit geäußert hat. Kutan kritisiert die AKP-Regierung für ihre angebliche Untätigkeit im Konflikt. De r Westen wird als Feind de s Islams dargestellt; ein Dialog der Kulturen als „Betrug“ bezeichnet. Der Artikel zeigt auch, wie sich islam ische Organisationen und Personen linker Begriffe bedienen, um sich vom Westen abzugrenzen. Kutan habe Folgendes gesagt: BatÕnÕn bu emperyalist güçleri, eskiden beri, bu b ölgede güçlü, kalkÕnmÕú, ekonomik ve teknolojik geliúmesini sa÷lamÕú, siyasi yönden tam ba÷ÕmsÕz bir Türkiye’yi iste miyorlar. (Diese imperialistischen Kräfte i m Westen wollen sei t jeher keine kraftvolle, aufgestiegene, in ökonomischer und technologischer Hinsicht entwickelte und in politischer Hinsicht völlig unabhängige Türkei.
Die Lösung sieht Kutan in der islamistischen Milli Görü s-Bewegung, zu d er seine Partei gehört. Man müsse auf internationaler Ebene aktiv werden. Der Antisemitismus der Zeitung wird in mehreren Artikeln zum Karikaturenstreit deutlich. In „Protesto mu, birilerine hizmet mi?“ (Ist das Protest oder
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ein Dienst an jemandem?) vom 7. Februar warnt der Kommentator Abdülkadir Özkan, dass die Proteste nicht den USA und dem Zionismus dienen dürften. Peygamberimize hakaret edenler tabii ki protest o edilecek, bunu yaptÕklarÕna piúmanlÕk duymalarÕ sa÷lanacaktÕr ancak, bunu y aparken farkÕna varmadan siyonizme ve emperyalist ABD’nin hesa plarÕna hizmet etmekten uzak durulm alÕdÕr. (Natürlich muss man gegen diejenigen protestieren, die unser en Propheten beleidigt haben, man muss dafür sorgen, dass sie bereuen, was si e taten. Dabei darf man aber nicht unbewusst der Rechnung des Zionismus und der imperialistischen USA dienen.)
Am 15. Februar greift der Artikel „AB’den i÷renç destek” (Ekelige Unterstützung durch die EU) die Positionierung von José Manuel Barroso, dem Präsidenten der Europäischen Kommission, an. Er habe Dänemark unterstützt, aber nicht gesagt, dass in „europäischen Ländern Kritik am Völkermord an den Juden oder am Zionismus verboten“ sei. Die Milli Gazete leugnet bzw. relativiert hier den Genozid und behauptet einen Schutz des Zionismus. Und am 9. Februar vermutet die Milli Gazete in „OrtalÕk toz duman“ (Alles in Asche) 50 Milliarden Dollar aus den USA im türkischen Devisenhandel. „Die Besitzer dieses Geldes sind vermutlich jüdische Kapitalisten in de n USA“, meint der Artikel. Damit sei die Türkei bei einem Iran-Krieg erpressbar. Trotz der harten Worte in der Milli Gazete gibt es keinen Artikel, der einen direkten Gewaltaufruf enthält. Auf der Titelseite der Ausgabe vom 7. Fe bruar ruft die Milli Gazete zum Boykott Europas auf („Haydi boykota“ / Auf z um Boykott). Dabei wird Maha tma Gandhi als Vorbild genannt. Alle Muslime müssten gemeinsam Europa boykottieren – dies würde Europa nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch schwächen. Einen Tag später hei ßt es im Kommentar „Özgürlük tabii ki s orumsuzluk de÷ildir“ (Freiheit ist natürlich nicht Verantwortungslosigkeit), dass es zu einem Religionskampf kommen werde, wenn die Pressefreiheit Religione n beleidigen dürfe. Dies kann als Gewaltandrohung gewertet werden. Zudem wirft der Artikel den anderen türkischen Zeitungen vor, beim „leisen Putsch“ 1997 mit der Pressefreiheit argumentiert zu haben. Damals war de r islamistische Ministerpräsident Necmettin Erbakan durch das Militär vom Amt gedrängt worden. In der Milli Gazete fällt auch die starke Wir-Sie-Semantik auf. Sie geht bis zu dem Punkt, dass offen über den W esten geflucht wird. Teilweise nimmt die Zeitung auch einen belehrenden Gestus ein, so zum Beispiel im Artikel „Kutsala saygÕ duymayÕ ö÷renin“ (Lernt das Heilige zu respektieren) vom 12. Februar. In sehr vielen Artikeln greift die Milli Gazete die AKP-Regierung für ihre Bemühungen um einen EU-Beitritt an. Die B eitrittsverhandlungen seien nur Auge nwischerei, islamische Werte drohten verloren zu gehen. Die Zeitung unterstellt eine Unvereinbarkeit der Religionen bzw. Kulturen.
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Am 20. Februar ve röffentlicht die Milli Gazete auf i hrer Titelseite ein ganzseitiges Foto von einer Großdemonstration der Saadet Partei in Istanbul. „ùahid ol ya Rab!“ (Werde Zeuge, oh Herr!) heißt die Überschrift dazu. Angeblich seien 1,5 Millionen Menschen auf der Demonstration gewesen. Andere Zeitungen berichten von maximal 100.000 TeilnehmerInnen. Im Innenteil der Ausgabe widmet die Milli Gazete der Dem onstration noch eine ganze Seite. Der Text erwähnt, dass oft Parolen gege n Israel, die USA, Dänemark und westliche Länder und ihre Regierungen skandiert wurden. Auch die Titelseite des Folg etages behandelt ausschließlich die Demonstration. „Teúekkürler Türkiye“ (Danke, Türkei) heißt es dort. Die Zeitung präsentiert Auszüge aus den Redebeiträgen der Kundgebung. Im Innenteil der Ausgabe sind weitere Artikel zum Ereignis zu finden. Auch in den Folgetagen ist die Demonstration ein großes Thema. Am 23. Fe bruar fragt die Milli Gazete auf ihrer Titelseite, warum andere Zeitungen die Kundgebung verschwiegen haben. Erklärt wird dies damit, dass Patriarch Bartholomäus bei einem Essen mit Journalisten diesen eingeflüstert habe, den Karikaturenstreit nicht weiter eskalieren zu lassen.
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Abb. 15 Milli Gazete, 20. Februar 2006
Mit diesem ganzseitigen Foto feiert die Milli Gazete die Großdemonstration in Istanbul. Im oberen Teil des Fotos sind zwei überdimensionale Fahnen der Saadet Partisi und eine Türkeifahne zu sehen.
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9.5 Zwischenfazit: Der Karikaturendiskurs in der Türkei In der Türkei bestand zwischen den Zeitungen ein weit gr ößerer Konsens darüber, wie die Mohammed-Karikaturen zu bewerten sind als in Deutschland. Keine Zeitung hat die Zeichnungen nachgedruckt; auch nicht mit einer weißen Fläche statt seines Gesichts, womit dem islamischen Bilderverbot Rechnung getragen worden wäre. Der Karikaturenstreit war in de r Türkei ein populistisches Einheitsthema. Alle Autoren konnten bei den Lesern eine allgemeine Zustimmung zu ihren Deutungsmustern unterstellen. Die Ka rikaturen wurden durchweg als belei digend angesehen. En tsprechend fehlte die Vielstimmigkeit des Diskurses, wie sie oben für Deutsc hland beobachtet wurde. Lediglich in der Vatan gab es ein Beispiel für Meinungsvielfalt. Sowohl die ke malistische Cumhuriyet als auch die linksliberale Radikal und die islamisch-konservative Zaman verurteilten die Karikaturen und sahen sie nicht durch die Pressefreiheit gedeckt. Kemalistische und islamische Zeitungen unterschieden sich nicht sehr stark in der Berichterstattung. Türkische Medien im Dienste der Außenpolitik Die Zeitungen in der Türkei schienen sich im Diskurs der Außenpolitik der Türkei unterzuordnen. Zum indest standen sie faktisch der außenpolitischen Ausrichtung der Regierung sehr nahe. Die Außenpolitik des Lande s war zu dem Zeitpunkt stark von de n EU-Beitrittsverhandlungen, die im Oktober 2005 begonnen hatten, geprägt. Die Türkei hat s ich im Karikaturenstreit als Verm ittler zwischen Europa und de r islamischen Welt angeboten. Von Regierungsseite wurden sowohl die Karikaturen als auch die gewaltsamen Reaktionen hart kritisiert. Die Medien haben ebenso reagiert. Die Regierungsnähe kann unter anderem mit der fehlenden Pressefreiheit und der ökonomischen Konzentration im Mediensektor erklärt werden, die weiter oben beschrieben wurde. Zudem fällt auf, dass Demonstrationen gegen die Mohammed-Karikaturen, die in der Türkei stattgefunden haben, kaum Erwähnung fanden. Selbst Kundgebungen mit mehreren zehntausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden nur in sehr kurzen A rtikeln abgehandelt, oder ga nz verschwiegen. Den Gipfel des Desinteresses bildete die Sabah, die sich für die verursac hten Verkehrsbehinderungen mehr interessierte als f ür die Inhalte de r Großdemonstration der Saadet Partei in Istanbul. Die Vermutung liegt nahe, dass die türkischen Medien mit der Verweigerung der Resonanz für die Demonstrationen ein „Ausbreiten“ der Proteste verhindern wollten. Die Organisatoren der Kundgebungen – im Fal-
9.5 Zwischenfazit: Der Karikaturendiskurs in der Türkei
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le der Türkei waren es vor allem islamische und rechtsextreme Kreise – habe n keinen Zugang zu den Massenmedien gefunden. Zugleich wur de die Tür kei durch die Ignorierung der Demonstrationen als ein isla misch dominiertes Land dargestellt, in dem es kaum zu Ausschreitungen wegen der MohammedKarikaturen gekommen ist. In allen türkischen Zeitungen wurde die Gewalt in den übrigen islamischen Ländern kritisiert. Die Protestierende n wurden vielfach als außersystemisches Chaos codiert. Die Kollektivsym bole „Welle“ und „Lawi ne“ kamen dabei oft zum Einsatz. Die türkisc hen Medien grenzten sich somit nicht nur vom Westen ab, sondern auch von den übrigen islamischen Ländern. Dafür betonten sie die Sonderrolle der Türkei als Mittler zw ischen Ost und West. Die Regierung Erdo÷an erhielt von den Medien des eigenen Landes viel Lob. Dabei zeigte sich die Hürriyet als b esonders regierungsnah. Eine Ausnahme unter den MitteZeitungen bildete die Vatan. Sie kritisierte die türkisch e Regierung für ihre zu religiöse Haltung im Karikaturenstreit. Kai Hafez hält fest, dass sich „starke Einflüsse des nationalen politischen Systems auf die Auslandsberichterstattung vor allem in extremen Krisenzeiten erkennen“ lassen. „In zahlreichen Fallstudien sind patriotische Konsenstendenzen auch bei Medien nachgewiesen worden, die in Normalzeiten kritische Distan z zum Regierungshandeln wahren.“349 Der große Einfluss der Politik auf die Medien des Landes (si ehe Kapitel 4) dürfte ebenfalls für die Regierungsnähe vieler Zeitungen ursächlich sein. Aussagen von Erdo÷an und Gül multi-anschlussfähig Die Nähe zum politischen Feld kann j edoch nicht allein mit der Abhängi gkeit des journalistischen Feldes in de r Türkei e rklärt werden. Vielmehr haben sich im Karikaturenstreit die Ä ußerungen der türkischen Regierungsspitze als anschlussfähig an unterschiedliche politische Richtungen erwiesen. Die Worte von Erdo÷an und Gül konnten sowohl von islamischen als auch von (links-) nationalistischen Zeitungen positiv aufgegriffen werden. Islamische Zeitungen bezogen sich auf Erdo÷an, weil er isla mische Werte „verteidigte“, und nationalistische Blätter wegen der besonderen Aufgabe der Türkei im Karikaturenstreit und wegen der möglichen Unterminierung der außenpolitischen Bemühungen der Türkei durch die Mohammed-Krise. Erdo÷an und Gül haben auch Ablehnungsreflexe bedient, indem sie die Pressefreiheit als Rechtfertigung für die Karikaturen
349 Vgl. Kai Hafez (2005): Mythos Globalisierung. Wiesbaden: VS Verlag, S. 58
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
rundweg abgelehnt haben. Einige Beispiele sollen an dieser Stelle gegeben werden. Erdo÷an: Karikaturen Angriff auf unsere geistigen Werte Ministerpräsident Erdo÷an hat die Kari katuren bei einem Treffen mit dem damaligen Außenminister Frankreichs, Ph ilippe Douste-Blazy, als einen Angri ff auf „unsere geistigen Werte“ bezeichnet. Erdo÷an sprach nicht von einem Angriff auf den Islam. Mit dieser recht abstrakten Formulierung ließ Erdo÷an auch denjenigen Zeitungen die Möglichkeit zur Solidarität, die zwar nicht islamisch orientiert sind, die Karikaturen aber dennoch als Angriff empfanden. Zugleich schützte er sich davor, im In- und Ausland als Islamist dargestellt zu werden. Pressefreiheit ja, aber das rechtfertigt nicht die Karikaturen Erdo÷an und Gül haben während des Karikaturenstreits keine Beschneidung der Pressefreiheit gefordert, zumindest nicht offen. Sie haben betont, dass die Türkei auf der Seite der Pressefreiheit stehe, dass die Karikaturen aber nicht von der Pressefreiheit gedeckt seien. DÕúiúleri BakanÕ ve Ba úbakan YarmcÕsÕ Abdullah Gül, Türkiy e'nin her zam an basÕn özgürlü÷ünden yana oldu÷unu, ancak bas Õn özgürlü÷ünün 'insanlarÕn kutsalÕna hakaret etmek, onlarÕ rencide etmek anlamÕna gelmedi÷ini' söyledi. (Der Außenminister und stellvertretende Ministerpräsident Abdullah Gül hat g esagt, dass die Tü rkei immer auf der Seite der Pressefreiheit ist, dass „jedoch Pressefreiheit nicht bedeutet, die heiligen Werte der Menschen zu beleidigen u nd sie vor den Ko pf zu stoßen“.) Tercüman: ønanca hakaret edemezsiniz, 17.02.2006 Alçakça bir yaklaúÕmÕ hoúgörüyle karúÕlamamÕz mümkün de÷il. øpin ucunu kaçÕrdÕlar. Biz de özgürlükten yanayÕz. Ama, özgürlük anlayÕúÕ düúüncede hakaret yetkisini size vermez. (Auf eine gemeine Annäherung können wir nicht mit Toleranz begegnen. Sie haben jedes Maß verloren. Doch das Freiheitsverständnis gi bt euch nicht das Recht zur Beleidigung.) Milliyet: Erdo÷an’dan Avrupa’ya mesaj: Haddini bil 27.02.2006
Türkische Zeitungen haben ähnlich argumentiert. Wie bereits oben erwähnt, ist die Pressefreiheit auch in der Türkei ein Hochwertbegriff. Kein Akteur traut sich, trotz vieler scha rfer Formulierungen, offen die Pressefreiheit anzugreifen und ihre Beschnei dung zu fordern. Inwieweit dies mit den EU-Beitrittsverhandlungen zu tun hat, lässt sich an dieser Stelle nicht erörtern.
9.5 Zwischenfazit: Der Karikaturendiskurs in der Türkei
245
Kollektivsymbol der Brücke Die beiden Spitzenpolitiker bedienten sich auch wiederholt der Kollektivsymbolik der „Brücke“. Dam it betonten sie di e Bedeutung der Türkei im Konflikt, denn das Brücken-Symbol wurde in zwei Zusammenhängen benutzt. Zum einen als allgemeine Metapher für den Kontakt zwischen Ost und West, als Metapher für die K ommunikation der Kulturen. Zum anderen wurde die Türkei selbst immer wieder als „Brücke“ bezeichnet. Die Betonung der eigenen R olle hatte dabei nicht nur außenpolitisches Gewicht, sondern erzeugte au ch innenpolitisch Druck auf J ournalisten, sich „ihrer Verantwortung“ bewusst zu sein und entsprechend zu berichten. DÕúiúleri BakanÕ Abdullah Gül, iki medeniyet arasÕnda kurulan köprü lerin karikatür kriziyle birlikte bir anda yÕkÕlabilece÷i uyarÕsÕnda bulundu. (Außenminister Abdullah Gül hat gewarnt, dass die Brücken zwisc hen den zwei Zivi lisationen mit dem Karikaturenstreit auf einmal einstürzen können.) Türkiye: Danimarka yardÕm istedi 13.02.2006
Karikaturen gefährden Dialog der Kulturen Die Mohammed-Karikaturen wurden im Politiker-Diskurs als Gegenstück zum Dialog bzw. Bündnis der Kulturen bezeichnet. Damit schienen die Zeichnungen ein Ende der Kommunikation zwischen Ost und Westen herbeiführen zu können. Zudem wurde den Zeichnern und der Jyllands Posten vorgeworfen, diplomatische Bemühungen der Türkei, an dessen Ende das UN-Projekt vom „Bündnis der Kulturen“ stehe, zu gefährden. Die Karikaturen wurden zur Antithese der türkischen Außenpolitik. Gül, son günlerde büyük olaylara neden olan Hazreti Muhammed karikatürleri ile ilgili olarak, medeniyetler ittifakÕ ve dinler arasÕ diyalog gibi giri úimlerin oldu÷u böyle bir dönemde yapÕlan bu tür giriúimleri sorumsuzluk olarak nitelendirdi. (Gül hat in den vergangenen Tagen diese Art von Aktionen in einer Zeit, in der es das Bündnis der Kulturen und den Dialog de r Religionen gibt, als verantwortungslos bezeichnet.) Yeni ùafak: Gül: Bilinçli provokasyon 05.02.2006
Diese Wertung macht den Karikaturenstreit zu einer Angelegenheit von nationaler Bedeutung. Besonders deshalb, weil zu dieser Zeit die AKP-Regierung vor allem durch außenpolitische Initiativen und weniger durch innenpolitische auffiel.
246
9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
Verurteilung der Gewalt, kein Kampf der Kulturen Zum common sense gehörte im Karikaturenstreit die Verurteilung der gewalttätigen Proteste in is lamischen Ländern.350 Häufig wurde die Gewalt mit dem Hinweis auf den „echten Islam“ abgelehnt. Zugleich wiesen türkische Zeitungen die These vom Kampf der Kulturen zurück, auch mit dem Hinweis auf die Türkei als Zwischenland, das nicht in dieses Konzept vom Kulturkampf passt. Der Karikaturenstreit sei kein Kampf zwischen Muslim en und C hristen, erklärt Erdo÷an im folgenden Textausschnitt: „Hz.Muhammed’e hakaret içeren karikatürleri de, bunlara yönelik protesto biçimlerini de kÕnÕyorum. Papa’nÕn da belirtti ÷i gibi, bu, Müslü manlar ile H Õristiyanlar arasÕnda bir çatÕúma de÷il, MüslümanlarÕn duyarlÕlÕ÷Õna karúÕ bir saygÕ eksikli÷idir“ dedi. (E r sagte: „Ich verurteile sowohl die Karikatu ren, die den Prop heten Mohammed beleidigen als auch die Art der Proteste. W ie der Papst schon sagte, i st dies kein Kampf zwischen Muslimen und Christen, ist es ein Mangel an Respekt für die Gefühle der Muslime“.) […] Erdo÷an, „Gerçek øslam, úiddetin her türünü kategorik bi çimde reddetmektedir“ dedi. (Erdo÷an hat gesagt, dass der „wahre Islam jede Art v on Gewalt kategorisch ablehnt “.) Hürriyet: Rahip cinayeti bizi derdinden yaraladÕ 15.02.2006
Kaum Diskursverknüpfungen Der Karikaturenstreit kommt als Unterthema fast nie vor. Das liegt zum einen daran, dass die Boulevardmedien nur kurze Artikel veröffentlichen und eher geneigt sind, keine Unterthemen aufzugreifen. Zum anderen resultiert die fehlende Diskursverknüpfung mit den Diskussionen um die Ham as und dem Atomkonflikt mit dem Iran auch daraus, dass der Blick auf die diskursiven Ereignisse genauer ist als in deutschen Zeitungen. Die Türkei ist „näher dran“ an diesen Diskussionen. Für die türkischen Zeitungen gibt es offensichtlich keinen Grund, die Rolle Irans im Kari katurenstreit mit ihrem Streit um das Atom programm zu verknüpfen.
350 Islamismus und islamische Gewalt gehören mit der PKK zu den heikelsten Themen für türkische Journalisten. Daher es ist nicht verwunderlich, dass alle Zeitungen Gewalt im Namen des Islam ablehnen.
9.5 Zwischenfazit: Der Karikaturendiskurs in der Türkei
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Ausschlussmechanismen Dass in de r Türkei diskursive Ausschließungsmechanismen gänzlich ande rs funktionieren als in Deutsc hland, zeigt der Um gang mit dem HolocaustWettbewerb im Iran. Während deutsche Medien den Wettbewerb mit härtesten Worten angriffen und ihn als reine Pr ovokation abtaten, interes sierten sich die türkischen Medien wenig für ihn. Wenn überhaupt, gab es kurze Nac hrichten, aber keine Kommentare zum Them a. In manchen Zeitungen wurde die Aktion der Hamshahri nur als Unterthema erwähnt. An tisemitismus scheint im türkischen Mediendiskurs nicht für Ausschlüsse zu taugen bzw. nicht auszureichen. Auswirkungen auf die Haltung der türkischen Medien könnte aber auch die außenpolitische Strategie der Türkei im Fall Iran gehabt haben. Während westliche Länder wegen ihres Atom programms Sanktionen gegen den I ran forderten, drängte die Türkei auf einen weiteren Dialog mit dem Iran. Stattdessen scheinen Ausschließungen durch andere T hemen zu erfolgen. Religion gehört sicherlich zu den Themenfeldern, in denen schneller als i n Europa Ausschließungen erfolgen können. Vermutlich hätte der Nachdruck der Mohammed-Karikaturen in der Türkei zur Diskulturalität geführt. Interesse für westliche Medien Das Interesse deutscher Zeitungen für islamische Länder steigt in Konfliktfällen wie dem hier untersuchten rasant. In „F riedenszeiten“ ist das Inte resse jedoch beschränkt. Anders ist das Interesse türkischer Zeitungen für westliche Diskurse. Viele der hier untersuchten Medien haben eigene Seiten mit Pressespiegeln, in denen europäische und amerikanische Berichte einen Platz einnehmen. Ohne die Orientierung der Medien in islamischen Ländern an westliche Diskurse wäre es wohl nicht zu der Eskalation des Konfliktes gekommen. Die Nachdrucke in europäischen Zeitungen wurden in m ehreren türkischen Zeitungen wie der Sabah und der Vatan als Hauptgrund für die Eskalation des Konfliktes genannt. In Deutschland war man sich über die globale Wirkung des Nachdrucks wohl nicht bewusst. Zumindest wurde diese nicht i n der Berichterstattung reflektiert. Besonders deutlich wurde das am Beispiel der Berliner Zeitung. Das Blatt hat sich über die Mohammed-Karikaturen lustig gemacht und verwies auf die Auslä nderfeindlichkeit in Dänemark. Sie ging am 1. Februar auch von einem Ende des Konfliktes aus. Zugleich druckte sie Mohammed-Karikaturen nach. Offensichtlich hat sie nicht dam it gerechnet, dass der Nachdruck zu einer derart großen Resonanz und zu einer Eskalation beitragen würde.
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
Lange Geschichte der Unterdrückung Türkische Zeitungen stellten die „Karikat uren-Provokation“ in eine lange Erzählung der Unterdrückung der Türkei bzw. des Islams. Am intensivsten arbeitete die Zaman an einem entsprechenden Geschichtsbild, aber auch in der Radikal gab es mehrere Beispiele für die Konstruktion einer „langen Geschichte“.351 Die Karikaturen erschienen als vorläufi g letzter Akt der U nterdrückung und Provokation des Orients. So behauptet die Radikal am 5. Februar, dass der Islam im Westen schon immer als Bed rohung empfunden wurde und dass sich d iese Angst vor dem Islam im Laufe der Jahrhunderte nicht wesentlich geändert habe. Häufig wurde mit der Historisierung des Konfliktes dieser in einen nichtreligiösen Bereich übertragen. Denn in di esen „langen Geschichten“ geht es nicht nur um die Geschichte des Islambildes im Westen, sondern um eine politische und wirt schaftliche Unterdrückung der Türkei und um imperialistische Sehnsüchte des Westens. Damit gab es in der türkischen Presse deutliche Parallelen zur Berichterstattung in arabischen Ländern. Auch dort wurde der Westen vielfach als „provoka nt“, „arrogant“ und verachtend“ dargestellt und de r Konflikt aus einer grundsätzlichen islamophoben Grundstimmung im Westen heraus erklärt.352 Dass es auch in türkischen Zeitungen eine Tendenz gab, den Konflikt als einen grundsätzlichen zu sehen, zeigt die Behandlung des innerdänischen Kontextes. Dieser wurde näm lich kaum wahrgenommen. In türkischen Zeitungen wurde die Reise von Delegationen dänischer Muslime in den Nahen Osten nicht 351 „Lange Geschichte“ verstehe ich synonym zu „Narration“. Viehöver schreibt hierzu: „Meine These ist, daß es sich bei Nar rationen (der Erzählung oder dem Mythos, um zwei Synonyme für den hier zu behandelnden Sachverhalt zu nennen) um ein zentrales diskursstrukturierendes Regelsystem handelt. Individuelle u nd kollektive Akteure machen – bewußt oder unbewußt – in der sozialen Praxis Gebrauch vo n narrativen Schemata und verleihen dadurch i hren Weltdeutungen und ihren sozialen Praktiken Kohärenz, Bedeutung und qua Wiederholung eine gewisse Regelmäßigkeit. ( Willy Viehöver (2001): Diskurse als Narrationen, in: Keller, Reiner: Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, S. 177-20 6). Ergänzend kann m an auch Schwab-Trapps Erklärung von Vergangenheitsdeutungen nennen. „Im Kampf um die legitime Sichtweise sozialer und politischer Ereignisse werden Vergangenheitsdeutungen akt ualisiert und zu legitimen Sichtweisen verdichtet – Si chtweisen, die die Vergangenheit benutzen, um die Gegenwart zu erklären und zu re chtfertigen“ (Michael Schwab-Trapp (2001): Diskurs als soziologisches Konzept, in: Keller, Reiner / Hirseland, Andreas / Sc hneider, Werner / Viehöver, Willy [Hrsg.]: Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 1: Theorien und Methoden. Wiesbaden: Leske+Budrich, 261-283) 352 Vgl. Alexander Geiger (2008): Das Bild vo m Westen in der arabisch-islam ischen Welt. Eine Diskursanalyse englischsprachiger Zeitungen aus dem arabisch-islamischen Raum. Magdeburg: Fachschaftsrat der FGSE der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
9.5 Zwischenfazit: Der Karikaturendiskurs in der Türkei
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behandelt. Auch die übri ge Vorgeschichte mit dem Kinderbuch von Bluitgen und dem Vorwurf der Selbstzensur von Journalisten spielte keine Rolle. Ähnlich war es mit dem Kontext der restriktiven Ausländerpolitik und des verschärften Ausländerdiskurses in Dänemark. Wenn es um Ausländerfeindlichkeit oder Islamophobie geht, dann um den in ganz Europa oder im gesamten Westen. Kein Verständnis für europäische Rechtstradition Wie in praktisch allen de utschen Zeitungen gab es auch in türkischen Medien eine juristische Debatte über die Pressefreiheit. Die türkischen Zeitunge n waren sich weitestgehend einig, dass die Presse freiheit nicht di e Beleidigung des Islams rechtfertigt. Anhand von dänischen Gesetzestexten und von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wurde zu belegen versucht, dass Blasphemie justiziabel ist. Beim Vergleich der Diskurse lassen sich große Unterschiede in der Nachrichtenauswahl ausmachen. Während der Europäische Gerichtshof für Mensche nrechte in allen hier unt ersuchten türkischen Medien aufgegriffen wurde, war er in deutschen Zeitungen nicht präsent. Die juristische Auseinandersetzung in türkischen Zeitungen war in den meisten Fällen intellektuell kümmerlich. Eine tiefe r gehende Auseinandersetzung mit der Praxis der Rechtssprechung in Dänemark blieb aus. Stattdessen wurden einzelne Entscheidungen verallgemeinert. Auch wurde nicht zur Kenntnis genommen, dass Dänemark in internationalen Pre ssefreiheits-Rankings Top-Positionen einnimmt. Türkische Zeitungen forderten zwar einen besseren Schutz für den Islam in europäischen Ländern, konkrete Einschnitte in die Pressefrei heit verlangten sie aber nicht. Daher blieb unklar, ob die Zeitungen eine schärfere Auslegung von bestehenden Gesetzen befürworten oder neue Gesetze zum Schutz der Religion. Fundamentalismus kein Thema Obwohl die Kritik an de n gewaltsamen Protesten in isla mischen Ländern ähnlich hart war wie in deutschen Zeitungen, wurden andere Begriffe zu ihrer Beschreibung genutzt, die Codierung f unktionierte anders. Die dem onstrierenden Muslime wurden nicht als fundam entalistisch dargestellt, sondern einfach als radikal und gewaltbereit. Fundamentalismus („Köktendincilik“) kam als Begriff praktisch nicht vor. Die Unterscheidung wurde nicht zwischen fundamentalistisch und gemäßigt getroffen, sondern zwischen radikal und wirklich islamisch.
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
Einige Diskursfragmente setzten sich explizit mit der Symbolisierung auseinander. Nachdruck ist Tabu Keine türkische Zeitung hat die Moham med-Karikaturen nachgedruckt. Dabei wäre die Umgehung des Bilderverbotes durchaus möglich gewesen. Unter den zwölf Karikaturen war auch eine, auf der ein Junge namens Mohammed zu sehen ist, der auf eine Tafel zeigt. Die Zeitungen hätten auch Karikaturen veröffentlichen können und dabei das Gesicht Mohammed durch eine weiße Fläche ersetzen können. Doch auch das scheint tabuisiert zu sein. Auch gab es in keiner türkischen Zeitung eine elaborierte und ausführliche Beschreibung der zwölf Mohammed-Karikaturen. Nur die Bombenkopf-Karikatur wurde mehrfach, aber jeweils nur sehr kurz, beschrieben. Am 5. Februar beschrieb die Radikal sechs der Karikaturen, jedoch auch nur in ei nem sehr kurzen Artikel. Die türkischen Leser konnten sich somit kein Bild von den Karikaturen machen. Dass die türkischen Zeitungen nicht bereit waren, die Karikaturen ohne das Gesicht Mohammeds zu drucken, spricht auch für die These, dass nicht so sehr der Verstoß gegen das Bilderverbot die Gemüter erhitzt hat, sondern eher die „Beleidigung des Propheten“. Karikaturen unbekannt Ein Artikel aus der Vatan verrät, dass auch viele Politiker in der Türkei die Karikaturen nicht gekannt haben. Am 9. Februar schrieb die Zeitung, dass Erdo÷an und Gül die Karikaturen gesehen hätten. Die Oppositionsführer hätten sich die Karikaturen nicht angesehen, genauso wie die meisten Abgeordneten im türkischen Parlament. Der Diskurs funktioniert also auch ohne die Kenntnis der Karikaturen. Die Zaman und die Evrensel beschrieben Anfang Februar sogar falsche Karikaturen; möglicherweise waren zu de m Zeitpunkt a uch in anderen Redaktionen die Zeichnungen unbekannt. Am 3. Februar, zwei Tage nachdem viele europäische Zeitungen die umstrittenen Ka rikaturen nachgedruckt haben, beschrieb die Evrensel die Bombenkopf-Karikatur falsch. „In den Karikaturen ist der islamische Prophet mit e inem Turban in Form einer Bombe gezeichnet, in der Sprechblase steht: Der H immel ist unter den Füßen der Selbstmordattentäter.“ Diese Sprechblase hat es jedoch nicht gegeben. Warum die Journalisten die
9.5 Zwischenfazit: Der Karikaturendiskurs in der Türkei
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Mohammed-Zeichnungen nicht gekannt haben, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Nationale Erzählungen weitergeführt Auch im türkischen Disk urs zeigte sich, dass nationale Erzählunge n weitergeführt werden. Für den deutsc hen Beobachter ist es te ils verstörend, wie wenig türkische Medien in der Lage waren, sich auf eine tiefer gehende Diskussion um Pressefreiheit einzulassen. Durch eine höchst selektive Wahrnehmung und durch Verallgemeinerungen wurde suggeriert, dass der Verweis auf die Pressefreiheit gänzlich unbegründet ist. Bis auf wenige Ausnahmen kamen keine westlichen Stimmen zu Wort. Zwar stieg im Konfliktfall das ohnehi n vorhandene Interesse an europäischen Medien und europäischer Politik, doch die Betrachtung bleibt national gebunden.353 Die Abgrenzung von türkischen Zeitungen zu europäischen und a rabischen Ländern führte dazu, dass – mal offen, mal eher unterschwellig – ein nationalistischer Ton den Diskurs dominierte. Türkische Medien wiederholten sehr oft, dass ihr ei genes Land besonnener als andere agiert hat. Sie stellten sich als einzige Ausnahme in der isla mischen Welt dar. Letztendlich wurde die Türkei aber eher als Teil des islamischen Raumes gesehen denn als Teil Europas. Der Karikaturenstreit hat sicherlich zu einer „Rückbesinnung“ auf islamische Werte beigetragen. Bilderverbot nicht wichtig Das Bilderverbot im Islam wurde im türkischen Diskurs selten t hematisiert. Zwei mögliche Ursachen können dafür entscheidend gewesen sein: Zum einen kann das islamische Bilderverbot für di e Leser so selbstverständlich sein, dass ihre Thematisierung nicht notwendig ersc heint. Zum anderen ist es vorst ellbar, dass das Bilderverbot aus Sicht der türkischen Journalisten nicht ausschlaggebend war. Einige Diskursfragmente erklärten explizit, dass es beim Streit nicht um das Bilderverbot im Islam ging. Deutsche Zeitungen schei nen, zumindest
353 Dass der Nationalismus sehr verbreitet unter türkischen Journalisten ist, beschreibt Tilic (Tilic, L. Do÷an (1998): „UtanÕyorum ama gazeteci÷im. Türkiye ve Yananistan’da Gazeticili k. østanbul: øletiúim YayÕnlarÕ, S. 305-340)
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9. Der Karikaturendiskurs in Deutschland und der Türkei
was die T ürkei anbetrifft, das Bilderverbot und die r eligiöse Dimension des Konfliktes überschätzt zu haben. 9.6 Auswirkungen auf das journalistische Feld in der Türkei Der Karikaturenstreit hat in der Türkei zu einem Näherrücken der türkischen Zeitungen geführt. Dass ein semantisch vereinheitlichter Gegner äußerst heterogene Gruppen zusam menschließen kann354, muss im Karikaturenstreit in doppelter Hinsicht verstanden werden. Die Vereinheitlichung des Gegners, hier der Muslime bzw. der ge waltbereiten Muslime, erfolgt nicht nur auf Seiten de r Wahrnehmung, sondern führt zu einer „tatsächlichen“ Homogenisierung des Gegners. Im Karikaturenstreit haben sich auch linke türkische Zeitunge n angegriffen gefühlt und sich als Muslim e gewehrt. Sie ha ben sich meist selbstverständlich auf der muslimischen Seite verortet. Einzige Ausnahme ist die Vatan, die auf die Argumente des Westens eing egangen ist. Damit kann von einer Islamisierung des türkischen Diskurses gesprochen werden. Dass der Diskurs in der Türkei ein populistischer Einheitsdiskurs war, belegt, dass es keinen symbolischen Bürgerkrieg355 mehr in der Türkei gibt wie noch in den 70er und 80er Jahren. In einem symbolischen Bürgerkrieg ist ein Einheitsdiskurs ausgeschlossen, weil s ich Medien an de n politischen Rände rn statt in der M itte verorten und den politischen Feind im Inneren bekämpfen. Dass sich das journalistische Feld in der Türkei dem westlichen nach dem Zweiten Weltkrieg angenähert hat, wird auch dadurch belegt, dass türkische Journalisten problemlos von einem Blatt zu m nächsten wechseln können. „Namhafte
354 „Jeder weiß, daß ein semantisch vereinheitlichter Gegner äußerst heterogene Gruppen so lange zusammenschließen kann, wie das Etikett, mittels dessen das geschie ht, über Drohpotenti al verfügt“ ( Clemens Knobloch: Moralisierung und Sachzwang, S. 63) 355 Jürgen Link schreibt zum Begriff des sym bolischen Bürgerkriegs: Es scheint zwei Grenzfälle möglichen Funktionierens der sym bolischen Links-Rechts-Topik zu geben, wobei die beid en Grenzfälle ihrerseits mittels einer fundamentalen Tendenzspannung in den zugrunde liegenden gemeinsamen Gesellschaftsstrukturen – des si ch ständig normalisierenden oder denormalisierenden Industrialismus – zusammenhängen. Ich schlage vor, den ersten Grenzfall als „symbolischen Bürgerkrieg“ zwischen links und rechts zu bezeichnen. Diese G renzfall ist als solcher dadurch definiert, daß (wie während der meisten modernen Revolutionen und paradigmatisch während des Spanischen Bürgerkriegs 1936-1939) seine reale Applikation im bewaffneten Bürgerkrieg nicht ausgeschlossen ist. (Jürgen Link: Schönhub er in der Nationalelf, Halbrechts, rechtsaußen oder im Abseits? Die politische Kollektivsymbolik der Bundesrepublik Deutschland und der Durchbruch der neorassistischen Schönhuberpartei, DISS, 39 Seiten, 1994)
9.6 Auswirkungen auf das journalistische Feld in der Türkei
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Kolumnisten oder Moderatoren wechseln – wie Fußballstars – ge gen hohe Ablösesummen das Medium.“356 Der Karikaturendiskurs hat auch noch mal das Verhältnis der politischen Strömungen in der Türkei zu westlich en Ländern verdeutlicht. Die islamischkonservative Zaman trat im Diskurs – trotz scharfer Verurteilung der Karikaturen – deutlich EU-freundlicher auf als beispielsweise die Cumhuriyet. Die wiederum beschwor die „imperialistische Gefahr“ aus dem Westen und bediente sich sowohl marxistischer als auch nationalistischer Argumente. Genau wie die linke Evrensel bemühte die Cumhuriyet das Feindbild USA, obwohl diese im Karikaturenkonflikt sehr zurückhaltend agiert haben. Und auch die als europafreundlich bekannte Radikal ließ sich kaum auf die Argumente der Karikaturenverteidiger ein. Für den Diskurs um die Mohammed-Karikaturen kann festgestellt werden, dass sich das journalistische Feld na he am politischen verortet hat. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Medien ähnlich argum entierten wie führe nde Politiker. Im politischen Feld gab es keine echte Opposition von bürgerlichen Parteien zum Kurs von Erdo÷an. Stattdessen haben sich Oppositionsführer wie Deniz Baykal bemüht, noch engagierter zu wirken als der Ministerpräsident. Dies spiegelte sich a uch in der Berichterstattung der Zeitungen wider. Große Kritik an Erdo÷an gab es in den Medien nicht. Auch deshalb, weil Erdo÷ans Aussagen multi-anschlussfähig waren.
356 Deutsche Botschaft Ankara (2002) [Hrsg.]: Medien in der Türkei, Ankara, S. 10
10. Anschlussdiskurse
Die eingangs aufgestellte These, da ss die Karikaturenaffäre ein diskursives Megaereignis ist, das im kollektiven Gedächtnis haften geblieben ist, lässt sich anhand der Analyse von Anschlussdiskursen nachweisen. Der Streit um die Mohammed-Karikaturen ist kein singuläres Er eignis, das entsorgt wurde. Stattdessen lässt sich zweierlei zeigen: Der Karikaturenstreit hat erst in den Diskursen über die Se rie „Popetown“, die Papst -Rede in Regens burg und die Absetzung der Idomeneo-Oper seine volle Wirkung entfaltet. Zudem muss festgestellt werden, dass m it dem Karikaturenstreit Mechanismen der Provokation entdeckt wurden, die sich als wiederholbar erwiesen haben. Der Diskurs enthält also repetitive Muster. Deutlich über 50 diskursive Ereignisse lassen sich aufzählen, bei denen auf den Mohammed-Karikaturenstreit referiert wurde. Exemplarisch sind – neben den bereits genannten Diskursen – Ereignisse zu nennen wie der Einbürgerungstest in Baden-Württemberg, die Diskussion um Islam-Unterricht in Deutschland, Angriffe auf Mohammed-Karikaturisten, die Festnahme und der Selbstmord eines 22-jährigen Studenten, der ins Springer-Verlagshaus eindrang, um gegen Karikaturen zu protestiere n, der Papst-Besuch in der Türkei 2006, die Totenschändung in Afghanistan durch deutsche Soldaten und die Diskussi on um die Übernahme des Nato-Vorsitzes durch den ehemaligen dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasm ussen. Die Masse der Bez üge erklärt sich auch da durch, dass der Karikaturenstreit zahlreiche Anknüpfungspunkte für unterschiedliche Diskursstränge anbietet. 10.1 Popetown Von der zweiten Aprilwoche bis Anfang Mai 2006 dauerte ein Streit an, der in vielen Punkten an die Ka rikaturenaffäre erinnerte. Anlass der De batte war die MTV-Serie „Popetown“, deren erste Folge am 3. Mai lief. Die Zeichentrickserie handelte von dem infantilen Priester Vater Nicholas und drei korrupten Kardinälen, die in „Popetown“, einer Vatikan-Karikatur, leben.
M. Ata, Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien, DOI 10.1007/978-3-531-94091-5_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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10. Anschlussdiskurse
10.1.1 Die Zeitschriftenkampagne Der Mohammed-Karikaturenstreit war noch in frischer Erinnerung, als die katholische Bischofskonferenz und die E vangelische Kirche in Deutschland beim Deutschen Werberat Beschwerde gegen die Zeitsc hriftenkampagne für Popetown einlegten. Daraufhin zog MTV die Werbung zurück. Die Kampagne zeigte Jesus, wie er vom Kreuz gestiegen ist und auf einem Sofa sitzend (vermutlich) Popetown guckt. Titel der Werbung: „Lachen statt rumhängen“. Es war nicht das erste Mal, dass die Serie zu Konflikten führte. Die BBC-Produktion wurde zuvor in Engl and und Italien wegen massiven Protesten von kirchlicher Seite nicht gezeigt.357 In Deutschland tat s ich im Politiker-Diskurs besonders die CDU/CSU he rvor, indem sie eine Diskussion um das Strafrecht anstieß, bei der der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber und sein Parteikollege Markus Söder eine Initiative für einen besseren Schutz religiöser Sym bole forderten. Joachim Herrmann, damals Vorsitzender der CSU-Landtagsfraktion, stellte gar Strafanzeige gegen die Verantwortlichen von MTV.
Abb. 16: Plakatkampagne von MTV
357 Welt: Umstrittene Ware, 12.04.2006
10.1 Popetown
257
10.1.2 Parallelen und Unterschiede zum Karikaturenstreit Die Parallelen zum Karikaturenstreit drängen sich auf, weshalb die Diskussion um Popetown teilweise als zweiter Karikaturenstreit bezeichnet wurde. 358 Wieder ging es um die Verletzung religiöser Gefühle, wieder wurde über Pressefreiheit und Zensur diskutiert. Während des Karikaturenstreits wurde gerne darauf verwiesen, dass die Muslime Karikaturen aushalten müssten, weil auch Christen sich viel gefallen lassen m üssen. Nun zeigte sich, dass die Beleidi gung von christlichen Symbolen keine Normalität sei, wie zuvor mehrfach behauptet wurde. Allgemein reagierten die M edien eher kritisch auf de n Vorstoß der Kirchen. Neben der Unverhältnismäßigkeit der Reaktion w urde bemängelt, dass über die Serie gestritten wurde, ohne dass die Beteiligten sie gesehe n hätten.359 Von Medienseite wurde die Serie als zu harmlos bezeichnet, um sich dara n ernsthaft zu stoßen. Am härtesten griff die taz die Kirchen an.360 Dies bestätigt die oben genannte These, dass die allgemein religionsfeindliche Grundhaltung der taz ein wichtiger Grund für ihre Berich terstattung über die MohammedKarikaturen war. Die Welt, die im Februar die Mohammed-Karikaturen abgedruckt hatte und sic h keiner „Selbstzensur“ ausgesetzt hatte, kommentierte die Haltung der Kirchen zurückhaltend. Bei allen Parallelen zwische n dem Streit u m Popetown und der Karikaturenaffäre gibt es eini ge wichtige Differenzen. Im Fall der M ohammedKarikaturen veröffentlichte eine europäisc he Zeitung Karikaturen, die als ein Angriff auf die Empfindungen einer religiösen Minderheit im Land und weiterer Muslime weltweit verstanden werden konnten. Popetown ist hingegen eine britische Produktion, also eine Serie aus der „christlichen Welt“, die sich über das Oberhaupt der katholischen Kirche lustig macht. W ar bei den muslimischen Protesten die Forderung nach Respekt ze ntral, warnten die Kirche n vor einer Herabwürdigung, Verächtlichmachung und Verunglimpfung der Religion. E s geht also im Kern um den Erhalt des Status quo, es wir d nichts zusätzlich ver langt.
358 FAZ: Empörung auf Weltniveau, 24.04.2006 359 taz: Um Himmels Willen!, 28.04.2006 360 Vgl. ebenda
258
10. Anschlussdiskurse
10.1.3 Das Ende des Streits Der Streit um Popetown legte sich sehr plötzlich, als die erste Folge ausgestrahlt wurde. Ab dem 5. Mai, also zwei Tage na ch dem Serienstart, gab es keinen Artikel mehr im Korpus, der die Popetown-Serie zum Hauptthema machte. Auch die Proteste ebbten schnell ab. Die letzte Meldung auf der Internetseite der Popetown-Gegner361 war die Erklärung von MTV, die komplette Serie zeigen zu wollen. Obwohl die Initiatorin der Kampagne auf der Seite ankündigte, dass die Auseinandersetzung um Popetown damit nicht beendet sei und die „Kritik an der Verhöhnung des christlichen Glaubens und der katholischen Kirche nun noch intensiver in die Gesellschaft“ getragen werden sollte, folgte nichts mehr. 10.2 Papst-Rede in Regensburg Am 12. September 2006 hielt Papst Benedikt XVI. eine Vorlesung an der Universität Regensburg, die den Islam als Ha uptgegenstand hatte. In seiner Rede zitierte der Papst de n byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos mit den Worten: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.“ Dieses Zitat löste bei muslimischen Vertretern teils heftig e Reaktionen aus. Sie forderten eine Klarstellung bzw. Entschuldigung vom Papst, der jedoc h seinen Vortrag als Aufruf zu einem Dialog der Kulturen verstanden wissen wollte. 10.2.1 Bezug zum Karikaturenstreit In den deutschen Printmedien wurde oft ein Bezug zum Karikaturenstreit hergestellt. Unter anderem wurden Parallelen zwischen den Reaktionen der Muslime gezogen. Das Muster sieht so aus: Moderater Kritik folgt der Wutausbruch radikal-islamischer Kräfte. Diese politisieren den Streit und nutzen ihn zur anti-westlichen Stimmungsmache (SZ: Das Muster bleibt gleich, 16.09.2006)
361 www.vers1.net/links/Stoppt_Popetown_/stoppt_popetown_.html, abgerufen am 10.07.2008
10.3 Idomeneo
259
Wiederholt wird auch auf die Haltung des Papstes im Karikaturenstreit verwiesen, als er sich auf die Seite der Muslime gestellt hatte. Die missverständliche n Äußerungen wirkten daher besonders irritierend für viele Muslime. Selbst die deutschen muslimischen Verbände, die sich gerade noch über die päpstliche Unterstützung ihrer Haltung im Karikaturenstreit gefreut haben, klingen nun besorgt (SZ: Was ungesagt blieb, 16.09.2006)
Eine Differenz wird in Bezug auf die Auslöser der Streitereien konstatiert und dabei der Papst in Schutz genommen. Anders als die Ze ichner der Karikaturen suchte Be nedikt XVI. nicht di e Provokation, sondern eine Debatte zum Thema Islam und Gewalt.362
Während die Welt sehr offensiv die Papst-Rede als wichtigen Beitrag für einen Dialog mit dem Islam darstellte und sic h in der teilweise stark kollektivsymbolisch aufgeladenen Be richterstattung sogar dazu hinreißen ließ, die K reuzzüge zu verteidigen bzw. zu relativieren,363 zeigte sich die Bild-Zeitung versöhnlich mit einem Gastbeitrag von Ertugrul Özkök, dem damaligen Chefredakteur der Hürriyet. 10.3 Idomeneo Noch vor Ende de r Debatte um die Papst-Rede folgte das nächste Ereignis, in dessen Folge der Karikaturenstreit eine Rolle spielte. Pünktlich zum ersten Jahrestag der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in der Jyllands Posten hatte die deutsche Öffentlichkeit mit der Absetzung der Idomeneo-Opfer einen weiteren Skandal. Die Idomeneo-Oper, in deren Schlussszene Poseidon, Jesus, Mohammed und Buddha geköpft werden, sollte im November 2006 wieder in der Berliner Oper inszeniert werden. Doch die Intendantin Kirsten Harms nahm sie vom Spielplan, nachdem das Landeskriminalamt Berlin unter dem Eindruck des Karikaturenstreits vor ei nem „unkalkulierbaren Sicherheitsrisiko“ für das Haus warnte. Am 26. September 2006 erklärte die Intendantin auf einer Pressekonfe-
362 Welt: Papst-Rede fordert islamische Reformer heraus, 18.09.2006 363 Vgl. Welt: Neues Feindbild, 16.09.2006, dort heißt es in einer Klammer: „Bernard Lewis, einer der anerkanntesten Nahost-Experten schlechthin, s ieht die Kreuzzüge unter andere m als Reaktion auf die vorangegangenen muslimischen Eroberungen“
260
10. Anschlussdiskurse
renz die Absetzung, obwohl keine konkreten Hinweise auf Terrorakte oder Drohungen vorlagen. 10.3.1 Der Mediendiskurs Die Absetzung der Oper rief ein größeres Medienecho hervor als die Papst-Rede und Popetown zusammen. Allein am 27. Septem ber wurden in FAZ, taz und Welt insgesamt elf Artikel zum Thema veröffentlicht. Im Diskurs tat sich die Welt erneut als eskalierend hervor. In der Kritik an de r Absetzung herrschte Einigkeit zwischen den Medien und dem Großteil der PolitikerInnen. CDU, SPD und Grüne verurteilten die Streichung aus dem Programm. Es waren dabei die Christdemokraten, die sich in diesem Fall am vehementesten für die Kunstfreiheit einsetzten. 364 Dass sie den Umgang mit der Press efreiheit flexibel gestalten, hat die Analyse de s Popetown-Streits bereits gezeigt. Die Argumente gegen die Absetzung und die Diskussion der Folgen für die Pressefreiheit ähneln den Diskussionen im Karikaturenstreit. Vom „Kniefall“, einer „Kapitulation“, „Selbstzensur“ oder von „Appeasement“ war die Rede. Es fällt auf, dass besonders die Argumente und Vorwürfe, die Hendryk M. Broder populär gemacht hat, Konjunktur haben. Der Dis kurs um die Absetzung der Oper wurde häufig mit dem über die Islamkonferenz verschränkt. Wie die taz feststellte, gab es die Verknüpfung der Themen, obwohl das eine Them a wenig mit dem anderen zu tun hatt e, außer dass es in beiden Fällen um den Islam ging.365 10.3.2 Gefährliches Wissen Die Medien konstruierten eine Einheit von Ereignissen, in dem der Karikaturenstreit, die Papst-Rede und die abgesagte Aufführung von Idomeneo verbunden wurden: mal geht es jedes M al um Freiheiten (von der Presse-, zur Meinungsund zur Kunstfreiheit), mal um die steigende Angst vor dem Islam (bis hin zur Absetzung der Oper ohne konkrete Bedrohung), mal um eine Reihe der Niederlagen gegen den Islam.366 Gefährlich wurde die Konstruktion, weil es dies mal 364 taz: Das C in „Kunstfreiheit“, 28.09.2006 365 taz: Eine große Erzählung entsteht, 28.09.2006 366 SZ: Angst vor dem Islam, 28.09.2006 und SZ: Angst essen Freiheit auf, 30.09.2006
10.4 Zusammenfassung
261
nicht um eine Gefa hr aus dem Orient gi ng, wo M uslime Fahnen oder Puppen anzündeten oder Botschaften verbrannten, sondern um eine Gefahr aus dem Inneren, aus Deutschland. Die Binärcodierung in „ Wir“ und „Sie“ ent sprach diesmal nicht der Gegenüberstellung von westlicher W elt und Orient, sondern von Christen und Muslimen in Deutschland. Dass wir Muslimen mehr Empfindsamkeit entgegen bringen als Christen und Juden, dass wir uns der Gewalt beugen, die der k leine, aber wirkungsstarke Fundamentalisten-Flügel des Islams ausübt. [...] Könnte man nicht auch sagen: Wir erwarten eine laute und klare Erklärung muslimischer Organisationen, mit der sie das Verhalten ihrer radikalisierten Glaubensgenossen verdammen und zum toleranten Miteinander in freien Gesellschaften aufrufen? (Welt: Vorauseilende Kapitulation, 27.09.2006)
Zur „Sie“-Gruppe gehören also in dies em Diskursfragment die muslimischen Verbände gemeinsam mit Fundamentalisten. Dieses „Wissen“ hatte fatale Folgen für die Integration von Muslimen in Deutschland. Im Karikaturenstreit wurden Muslime in Europa noch als friedfer tig darstellt. Jedoch diente der Karikaturenstreit als Wegbereiter für die Argumentatione n im Idomeneo-Streit. Die These, dass außenpolitischen Them en früher oder später inne npolitisch durchschlagen, bewahrheitete sich in diesem Fall. 10.3.3 Die Aufführung Gut ein Monat nach der Absetzung der Oper und nach heftigen Debatten veröffentlichte das Landeskriminalamt eine erneute Gefahrenanalyse. Darin kam es zu dem Schluss, dass von der Aufführung der Oper keine Gefahr ausgeht. Daraufhin entschied sich die Intendantin Harms, im Dezember zwei Aufführungen zu zeigen. Am 18. Dezember wurde schließlich Idomeneo in der Berliner Oper gezeigt, jedoch ohne den ursprünglich angekündigten Besuch von Ali KÕzÕlkaya (Islamrat) und Aiman Mayzek (Zentralrat der Muslime) und vier weiterer muslimischer Verbände. Vergeblich wartete man auch auf islamistische Proteste am Rande der Aufführung; lediglich einige Christen demonstrierten vor der Oper. 10.4 Zusammenfassung Die Analyse der Diskurse über den Popetown-Streit, die Papst -Rede und Idomeneo hat gezeigt, dass der Karikaturenstreit als Diskurselement auftaucht, wenn es um Themen im Bereich der Verletzung religiöser Gefühle, Islam, Zensur oder Zusammenleben geht. Es ist davon ausz ugehen, dass der Karikaturen-
262
10. Anschlussdiskurse
streit weiterhin bei vielen Diskursen eine Rolle spielen wi rd. Der Karikaturenstreit hat sich im kollektiven Bewusstsein festgesetzt. Vor allem ist er Sinnbild für den „Kampf der Kulturen“, der wegen nichtigen Gründen ausbrechen kann. Zudem hat die Analyse des „Karikaturenstreits nach dem Karikaturenstreit“ gezeigt, dass es nicht um eine allgem eine Debatte um Pressefreiheit gegangen ist, sondern speziell u m den Um gang mit dem Islam. Besonders die CD U hat bewiesen, dass sie mit dem Thema Pressefreiheit sehr flexibel umgehen kann – je nachdem, ob der c hristliche Glaube oder der Islam Ziel von P rovokationen und Beleidigungen ist. Am Beispiel von Popet own wurde ersichtlich, dass es auch in den Medien eine Ungleichbehandlung der Religionen gibt. Im Fall der Serie war weitgehend Konsens, dass die Serie zu harm los ist, als dass sich die Aufregung von Seiten der Kirchen lohnt. Denkbar wären aber viel härtere Angriffe auf die Kirchen gewesen, weil diese die Pressefreiheit (eine der „wichtigsten Grundsäulen unserer Demokratie“, wie es im Karikat urenstreit noch hieß) angegriffen haben. Stattdessen waren die Medien eher zurückhaltend in ihrer Kritik.
11. Methodische Rückschlüsse
Weil es detaillierte Vergleichsstudien zur m edialen Bearbeitung rel igiöskultureller Themen zwischen Deutschland und einem islamisch dominierten Land bisher nicht gibt, wurde mit dieser Arbeit wissenschaftliches Neuland betreten. Einige Probleme, die nur teilweis e gelöst werden konnten, möchte ich hier reflektieren. 11.1 Probleme bei der Analyse Als problematisch erwies sich bei de r vergleichenden Analyse, dass ich pra ktisch kaum Einblicke in kollektive Wissensbestände und journalistische Traditionen in de r Türkei hatte. Al s „Außenstehender“ wusste ich nicht, wie in der Türkei über Themen wie Pressefrei heit, Karikaturen etc. diskutiert wird. Ohne Vorannahmen und e ntsprechende Literatur ist es schwierig, den diskursiven Kontext zu ermit teln. Deshalb fällt es sc hwer, die Effekte des türkischen Diskurses auf die einheimischen LeserInnen zu ermitteln. Die Analyse bleibt sehr in der deutschen Perspektive gefangen. Notwendig wären mehrere kleinere Diskursanalysen im Rahmen der Arbeit, um auch Aussa gen über die Diachronie treffen zu können. Dies ist jedoch aus forschungspragmatischen Gründen nicht zu leisten. Aus demselben Grund kann ich bestimmte Diskursphänomene nicht vollständig erklären. Ein Beispiel: W arum wird in der Türkei das Bilder verbot im Islam kaum thematisiert? Weil die Zeitungen Kenntnisse über da s Verbot bei ihren LeserInnen voraussetzen oder weil das Bilderverbot als unwichtig erachtet wird? Hinzu kommen sprachliche Schwierigkeiten bei der Untersuchung des türkischen Materials. Für ein en begriffsgeschichtlichen Zugang bedarf es eines großen Verständnisses der jeweiligen Sprache. Ähnliches gilt für die Analyse von Kollektivsymbolen. Ich vermute, dass ich nicht über eine aus reichende Symbolkompetenz verfüge, um Kollektivsymbole im Türkischen hinreichend erfassen zu können. Deshalb nehme ich an, dass ich nicht alle Kollektivsymbole im türkischen Diskurs erkannt habe.
M. Ata, Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien, DOI 10.1007/978-3-531-94091-5_11, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
264
11. Methodische Rückschlüsse
Auch „normale“ Übersetzungsprobleme müssen in einer vergleic henden Arbeit gelöst werden. Das Türkische als agglutinierende Sprache unterscheidet sich erheblich vom Deutschen. Ich habe an den betre ffenden Stellen versucht, die türkischen Zeitungsau sschnitte möglichst wortgenau zu übersetzen. Dabei habe ich angedeutet, dass der für deutsche LeserInnen ungewöhnliche Satzaufbau der türkischen Zeitungssprache geschuldet ist. Nicht nur die Sprache hat mich vor Proble me gestellt, sonde rn auch das Nachrichtenverständnis von türkischen JournalistInnen. Während sich Journalisten in De utschland relativ s trikt an einen Nachrichtenaufbau halten, der das Wichtigste an den Anfang und das Unwichtigste an das Ende stellt, variiert der Aufbau türkischer Nachrichten. Dass eine Aussage am Anfang einer Nachricht steht, muss nicht unbedingt ihre herausragende Bedeutung belegen. Dies habe ich an betreffenden Stellen angedeutet. Diese Tatsache m acht es erforderlich, unterschiedliche Kriterien bei der Be wertung der Diskursfragmente anzulegen. All diese Schwierigkeiten lassen es ratsam erscheinen, eine Vergleichsanalyse tendenziell flach und breit zu gestalten. 11.2 Potenziale vergleichender Diskursanalysen Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass vergleichende Diskursanalysen über ein großes Potenzial verfügen. Vermeintliche Selbstverständlichkeiten der nationalen Diskurse werden in einer vergleichenden Analyse von Ländern, die sich zivilgesellschaftlich deutlich unterscheiden, in Frag e gestellt. Der anal ytische Blick wird durch den Vergleich geschärft. Eine vergleichende Diskursanalyse scheint mir auch weitergehende Rückschlüsse zuzulassen als vergleichende Inhaltsanalysen. Die Diskursanalyse produziert Ergebnisse, die Inhaltsanalysen nicht zu ermitteln in der Lage sind. Die vorliegende Arbeit hat Erkenntnisse zu gegenseitigen Feindbildern, zu Kollektivsymbolen, zum gegenseitigen Verständnis der Diskurse, zu zentralen Begriffen und Konzepten der Diskurse, zu Exklusionsmechanismen, diskursiven Dynamiken, Diskurskoalitionen, Selbstreflexionen, Sagbarkeitsfeldern, Codierungen und zur Hierarchie der Wert begriffe erarbeitet. Diese Erge bnisse konnten nur gewonnen werden, weil die Analyse ni cht auf Ei nzelaspekte der Diskurse beschränkt wurde, sondern prinzipiell alle Diskursphänomene aufgreifen wollte. Es hat sich auch gezeigt, dass die Anlehnung an Bourdi eus Theorie des journalistischen Feldes fruchtbar für eine vergleichende Analyse ist. Diskurse aus zwei unterschiedlichen Journalismuskulturen, wie sie im Falle von Deutschland und der Türkei vorliegen, können nicht ohne eine vorherige Beschreibung
11.3 Kriterien für vergleichende Analyse von Diskursen
265
der journalistischen Felder verglichen werden. Zur Einordnung der Diskursfragmente müssen die Profile und Binnenverhältnisse der Zeitungen beschrieben werden. Darüber hinaus ist e ine auf den Untersuchungsgegenstand angepasste Bewertung der journalistischen Felder vorzunehmen. In diesem Fall war es ins besondere notwendig, den Grad der Pressefreiheit zu besc hreiben. Auch andere länderspezifische Traditionen hätten in dieser Arbeit aufgegriffen werden können. So zum Beispiel der differierende Umgang mit Karikaturen und die Tradition der Bilderbeschreibungen. Dies konnte aufgrund der dünnen Forschungslage nicht geleistet werden. Auch die Beschreibung de r Zeitungsprofile m usste stellenweise auf eigene Impressionen und nicht-wissenschaftliche Literatur zurückgreifen. Kritische Gesamtdarstellungen von Zeitungen sind eine große Forschungslücke, der sich die Diskursforschung annehmen könnte. Es hat sich gezeigt, dass im Fall des Kari katurenstreits ausgewogene und gleicharti ge Textkorpora durch die Auswahl ähnlich gearteter Zeitungen nicht möglich sind. Der Forderung von Niehr, nicht Boulevardzeitungen eines Landes mit seriösen Zeitungen eines anderen Landes zu vergleichen, konnte nicht entsprochen werden. Zwar hat es diese Arbeit weitgehend vermieden, einzelne Zeitungen miteinander zu vergleichen, doch die Tatsache, dass das journalistische Feld in der Türkei im Gegensatz zum deutschen Feld von B oulevardmedien dominiert ist, musste in die Auswahl der untersuchten Zeitungen einfließen. 11.3 Kriterien für vergleichende Analyse von Diskursen Ein Ziel der Untersuchung ist es, verallgemeinerbare methodische Rückschlüsse für Vergleiche von Diskursen zu ziehen. Die folgenden Kriterienvorschläge beziehen sich vornehmlich auf Vergleiche zwischen Ländern, die christlich und islamisch dominiert sind, und auf Streitdiskurse. In einer Arbeit, die sich nicht von vorneherein auf Ei nzelaspekte beschränkt ist, scheint es m ir wichtig, Differenzlinien in den Diskursen herauszuarbeiten: Welche Aussagen kommen in Verbindung mit welchen anderen vor ? Welche Kategorien lassen sich herausarbeiten? So hat sich im Karikaturendiskurs gezeigt, dass religiöse Deutungen des Konfliktes in der Regel eskalierender waren als politische. Als wichtig für de n Vergleich hat sich auch die Frage he rausgestellt, inwieweit die Diskurse ge genseitig aufnahme- und anschlussfähig sind. Folgende Punkte können dabei aufschlussreich sein:
266
x x x x x
11. Methodische Rückschlüsse
Wird um dieselben Begriffe und Konzepte gestritten? Sind die zentralen Begriffe unterschiedlich besetzt? Wie sehen Hierarchien der Wertbegriffe aus? In welchem Umfang kommen VertreterInnen der „Gegenseite“ zu Wort? Inwieweit verfolgen sich die Diskurse gegenseitig? Zitation, Abdruck von Texten etc.
Folgende Kriterien sind im Karikaturenstreit von Bede utung und a us meiner Sicht verallgemeinerbar: x x x x x x x x x x x x
Welche Dynamiken gibt es im Diskurs? Führt der Verlauf des Konfliktes zu neuen Koalitionen und Solidarisierungen? Inwieweit sind die j eweiligen Diskurse vielstimmig? Handelt es sich um einen populären Einheitsdiskurs oder um ein St reitthema mit Polarisierungspotenzial? Inwieweit zeigen Diskursteilnehmer eine Bereitschaft zur Eskalation Welche Fahnen- und Stigmawörter tauchen im Diskurs auf? Wo liegen die Tabugrenzen bzw. wie sehen die Sagbarkeitsfelder aus? Wie unterscheidet sich die Nachrichtenauswahl der Zeitungen? Welche Aspekte im Konflikt werden betont? Gibt es Selbstreflexionen der Medien? Wie werden Feindbilder produziert? Welche historischen Analogien spielen eine Rolle? Was macht der Diskurs m it der politischen Links-Recht-Achse? Lassen sich Reaktionen dieser symbolischen Achse zuordnen? Hat der Diskurs Auswirkungen auf das journalistische Feld und auf ihr Verhältnis zum politischen Feld? Welche Deutungsmuster bzw. Erklärungsmodelle für di e Eskalation des Konfliktes werden betont? Insbesondere sind Sc huldzuweisungen interessant.
11.4 Ausblick Die vorliegende Arbeit hat eine Reihe von Forschungsdesideraten aufzeigen können. In dem Kapitel über das journalistische Feld ist deutlich geworden, dass sowohl in Deutschland als auch in de r Türkei kritische Gesamtdarstellungen zu Zeitungen oder zum journalistischen Feld fehlen. Diese sind a ber für Di skurs-
11.4 Ausblick
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analysen – nicht nur für vergleichende – wichtig. Diskursforscher begnügen sich in der Regel damit, die Zeitunge n impressionistisch zu verorten. Diese Arbeit hat versucht, die a nalysierten Printmedien auch anhand von nichtwissenschaftlicher Literatur zu beschreiben. Ein Ersatz für Gesamtdarstellungen von Zeitungen kann dies nicht sein. Zudem habe ich in dieser Arbeit versucht, Bourdieus Theorie des journalistischen Feldes nutzbar für Diskursanalysen zu machen. Hierbei scheint es mir wichtig, einzelne Zeitunge n als Untersuchungseinheit zu wählen. Die Verbindung von Bourdieus Feldtheorie und der Diskursanalyse führt dazu, das s Bourdieu operationalisierbar wird. Dies würde meiner Einschätzung nach auch die Rezeption der Feldtheorie in de r Journalismusforschung vorantreiben. Derzeit spielt sie nur eine marginale Rolle, wie die relativ geringe Resonanz auf die Forschungsarbeit „Diktatur des P ublikums“ 367 von Michael Meyen und Claudia Riesm eyer zeigt. Ein weiteres großes Forschungsdesiderat sind Übe rblicksarbeiten über das Islam - und Westbild in der Türkei. Es konnte in dieser Arbeit nur angerissen werden, dass das Islambild in der Türkei wegen der kemalistischen Tradition höchst widersprüchlich ist; ebenso das Westbild. Im Rahmen dieser Forschung konnte gezeigt werden, dass türkische Journalisten den Islam in der Türkei von dem in arabischen Ländern abgrenzen und wiederholt Ge walt verurteilen. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass auch linke türkische Zeitungen – zumindest im Karikaturenstreit – religiös argumentiert haben. An dieser Stelle können auch Hypothesen formuliert werden, wie Karikaturendiskurse oder ähnliche Diskurse in Zukunft ablaufen werden. Denn Diskursanalysen haben den Anspruch, auch prognostisch zu arbeiten. Es ist bereits deutlich geworden, dass die Eskalationsmechanismen, die zum Karikaturenstreit geführt haben, wiederholbar sind. Der Diskurs hat zu keinen Aushandlungsprozessen geführt und auch nicht zu einem größeren Verständnis der jeweils anderen Seite. Im Gegenteil: Beide Seiten haben erwartbar reagiert und die Vorurteile der Gegenseite bestätigt. Die Kommunikation war in beiden Ländern nach Innen gerichtet. Bei ähnlichen Konflikten sind weitere Eskalationsstufen denkbar. Ansätze dazu werden im Karikaturenstreit deutlich. Die Darstellung der Muslime als außersystemisches Außen, Kollektivsymbole aus dem Bedeutungsfeld des Militärs und Nazi-Vergleiche eignen sich für ei ne weitere Eskalation, möglicherweise mit kriegerischen Folgen. In der Türkei gibt es das Gefühl, wiederholt vom
367 Michael Meyen / Claudia Riesmeyer (2009): Diktatur des Publikums. Journalisten in Deutschland. Konstanz: UVK
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11. Methodische Rückschlüsse
Westen angegriffen zu werden. Diese Haltung beinhaltet ein aggressives Potenzial. Das ambivalente Westbild in der Türkei bietet sowohl für Westbefürworter als auch für -gegner viele Anknüpfungspunkte. Konflikte wie der Karikaturenstreit führen nicht zu einer Annäherung der Türkei an Europa. Die Analyse der Anschlussdiskurse hat gezeigt, dass der verschärfte Islamdiskurs mittelbar zu einer Verschärfung des Migrationsdiskurses geführt hat. In der Hochphase des Karikaturenstreits gab es nur vereinzelte Verknüpfungen mit dem Diskurs um MigrantInnen. Sollte es erneut zu eine m ähnlichen Konflikt kommen, würde vermutlich die angebliche Nicht-Demokratiefähigkeit des Islams stärker in den V ordergrund gerückt werden. Dies ließe sich leicht m it der aktuellen Integrationsdebatte verbinden. Denn bei ihr dreht sich vieles um Integrationsforderungen an Migranten, die die Anpassung an das „christlich-jüdische Wertesystem“ und die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ umfassen. Im Karikaturenstreit wurden Muslim e auch deshalb a us der Wir-Gruppe ausgeschlossen, weil sie nicht dem okratiefähig seien und nicht alles duldeten, wa s Gesetze zulassen.
12. Fazit: Der deutsche und der türkische Diskurs im Vergleich
Über den Dialog zwischen Orient und Okzident hat der deutsche Orientalist Navid Kermani geschrieben: „Während man jenseits des Bosporus und südlich von Gibraltar doch relativ gut und anha nd von Originalquellen wahrnimmt, welche Themen und Gedankenströmungen Europas Geister bewegen (…), liegen dem Wissen selbst gebildeter Kreise im Westen über gegenwärtige Diskussionen in Kairo oder Beirut vereinzelte Artikel und Buchseiten über sie zugrunde, verfaßt von Berichterstattern, die sich schon au fgrund mangelnder Sprachkenntnisse an der Materie überheben.“368 Die vorliegende Untersuchung kann bestätigen, was Kermani schreibt.369 In türkischen Zeitungen ist der Blick a uf den Westen vielfach institutionalisiert; ganze Artikel aus europäischen und US-amerikanischen Blättern werden übersetzt und abge druckt. Jedoch muss vor dem Hintergrund des Karikaturenstreits gesagt werden, dass die Verfolgung des westlichen Diskurses nicht zwangsläufig zu einem besseren Verständnis für die „Ge genseite“ führt. Der Konflikt um die Mohammed-Karikaturen hat gezeigt, dass sowohl in Deutschland als auch in der Türkei nationale Erzählungen weitergeführt werden und dass sich die Konfliktpartner nur selten auf die Argumente des Gegenübers eingelassen haben. Daher zieht diese Arbeit ein noch pessimistischeres Fazit als Kermani. Beide Diskurse m onologisieren. Der de utsche Diskurs, der vielstim miger war als der türkische, monologisierte in der Vielfalt. Die Diskurse gingen kaum ernsthaft auf den jeweils anderen ein, eine detaillierte Auseinandersetzung fand nicht statt. Einzige Ausnahme bilden die Bild-Zeitung und die Hürriyet. In diesem Zusammenhang ist über den Vorschlag von H ans Kleinsteuber nachzudenken, sich vom veralteten Konze pt der m onologischen Auslandsbe-
368 Einleitung zu Nasr Hamid Abu-Zaid (1996): Islam und Politik. Kritik des religiösen Diskurses. Frankfurt am Main: Dipa 369 Obwohl mit Kai Hafez gesagt werden muss, dass das westliche Interesse am Nahen Osten zugenommen hat. „Compared to other regions the co verage of the Middle East has grown co ntinuously and the region gets more attention than other world regions, namely Africa or Latin America” (Kai Hafez (2005): The Im age of the Middle East and Isla m in Western Media: A Critical Reappraisal, Vortrag an der Cambridge Universität, Centre for Middle Eastern and Islamic Studies (CMEIS), 13. Oktober 2005)
M. Ata, Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien, DOI 10.1007/978-3-531-94091-5_12, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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12. Fazit: Der deutsche und der türkische Diskurs im Vergleich
richterstattung zu trennen und die dialogischen Elem ente zu stärken. Er fordert insbesondere, mehr Journalisten aus de n Berichterstattungsstaaten sowie mehr Stimmen aus den Zivilgesellschaften der Länder einzubeziehen.370 Der Karikaturenstreit war ein „nicht-normaler“371 Konflikt zwischen Muslimen in islamischen Ländern und westlichen Medien und Regierungen. Er wurde zu einem medialen Mega-Ereignis, zu dem sich jede Zeitung in Deutschland und der Türkei positionieren musste. Durch die spezi fische Konstellation des Streits – Pressefreiheit gegen Achtung religiöser Gefühle – ist es zu Dyna miken mit teils überraschenden Folgen gekommen. Im Zuge der Debatte kam es in vielen deutschen und türkischen Zeitungen zu einer klaren Freund-Feind-Unterscheidung. In der Türkei spielten bei der Berichterstattung über Proteste die Sturm- und die Lawinen-Metapher eine große Rolle. Nachdem es einen mehrmonatigen Vorlauf gegeben hat, nahm der Konflikt sehr schnell mehrere Eskalationsstufen, an dessen Ende nicht nur Boykottaufrufe standen, sondern auch etliche Tote. Stellenweise erinnerte der Ton der Debatte an Vorkriegsrhetorik. Es ist auch an den starken Akteurscharakter in der Zeit zwischen Oktober 2005 und Februar 2006 zu e rinnern. Die Jyllands Posten wollte Muslime in Dänemark provozieren und damit die Ausländerpolitik de r dänischen Regierung flankieren. Ohne den Kontext der Ausländerpolitik und feindlichkeit ist der Streit nicht zu verstehen. Die Affäre hätte aber nicht diese Ausmaße erreicht, wenn nicht Delegationen von Im amen in den Nahen Osten gereist wären, um strategische Partner zu finden und diese zu aktivieren. Sowohl in Deutschland als auch in der Türkei hatte de r Karikaturenstreit Auswirkungen auf die politische Links-Rechts-Ordnung. In Deutschland verliefen die G renzen zwischen mäßigenden und eskalierenden Diskurspositionen nicht entlang der politischen Achse. Die Bespiele der taz und der Bild-Zeitung oder des Rheinischen Merkur haben gezeigt, dass besondere Traditionen und Interessen zu überraschenden Koalitionen geführt haben. Und in der Türkei hat die linksliberale Radikal sogar schärfer auf die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen reagiert als manche islamisch-konservative Zeitung. Selbst die kemalistische Cumhuriyet hat trotz ihre r stets betonten Distanz zum Islam mit scharfen Worten die Karikaturen kritisiert.
370 Hans Kleinsteuber (2004): Bausteine für einen dialogischen Journalismus: Zur Umsetzung des Prinzips „Dialog der Kulturen“, in: Klussmann, Jürgen [Hrsg.]: Interkulturelle Kompetenz und Medienpraxis. Ein Handbuch, Frankfurt: Brandes & Apsel, S. 52 f. 371 Im Sinne des Norm alismus nach Jürgen Link. Jü rgen Link (2006) : Versuch über den Normalismus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
12. Fazit: Der deutsche und der türkische Diskurs im Vergleich
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Während der Diskurs in Deutschland polarisierend und vielstimmig war, muss er in de r Türkei als populistischer Einheitsdiskurs bezeichnet werden. Im türkischen Diskurs ga b es eine große Einigkeit darüber, dass die Karikaturen nichts mit Pressefreiheit zu tun haben und ihre Veröffentlichung als ein weiterer Beleg für die Unterdrückung islamischer Länder zu bewerten ist. Die Analyse des Karikaturendiskurses hat auch Erkenntnisse über das journalistische Feld zu Tage gefördert. Während sich deutsche Zeitungen im Karikaturenstreit von der politischen Klasse distanzierten und ihr oftmals eine fehlende Standfestigkeit unterstellten, passte sich der türkische Diskurs in die Außenpolitik der AKP-Regierung ein. In der Türkei haben sowohl Regierung al s auch Medien die Mittlerrolle der Türkei betont und ve rsucht, Proteste im eigenen Land klein zu halten. Kritik an der türk ischen Außenpolitik wurde i m MitteDiskurs nur von der Vatan geäußert. Alle anderen Zeitungen haben die Initiativen und die Rhetorik der Regierung begrüßt und sahen die Türkei nach dem Karikaturenstreit gestärkt. Die vorliegende Analyse ha t gezeigt, dass Exklusions-Verfahren in de n beiden Ländern erheblich differieren. Während im deutschen Diskurs offener Antisemitismus zum Ausschluss führt, scheinen türkische Zeitungen für antisemitische Ausfälle wenig Interesse zu zeigen. Der Umgang mit dem HolocaustKarikaturenwettbewerb der iranischen Zeitung Hamshahri spricht für diese These. Türkische Zeitungen haben so wenig Interesse für die Provokati on aus Teheran gezeigt, dass sie teilweise nicht einm al eigene Artikel zu dem Thema veröffentlicht haben. Kommentiert wurde die Ankündigung der Hamshahri in keiner hier untersuchten türkischen Zeitung. Die Diskurse ähneln sich jedoch in der Unfähigkeit, Selbstkritik zu üben. Weder in Deutschland noch in der Türkei waren JournalistInnen in der Lage, ihre eigene Rolle im Diskurs zu reflektieren. Dabei hätte es viele Anknüpf ungspunkte für Selbstkritik gegeben. Im Karikaturenstreit haben beide Seiten die Vorurteile der jeweils anderen Seite verstärkt.372 „Die Gewalt bestätigte nun vermeintlich die Aussagen der besonders inkriminierten Karikatur, dass der Islam und sein Gründer Muhammad gewalttätig und terroristisch seien – sie en twickelte sich zu einer selffulfilling prophecy.“373 Dass die Protestierenden im Nahen Osten mit ihren teils ge walt-
372 Stephan Rosiny (2010): Pressefreih eit oder Prophetenbeleidigung? Der Karikaturenstreit als reziproker Skandal. Unveröffentlicht er Vortrag auf der Tagung „Skandal – Repräsentations formen eines gesellschaftlichen Ärg ernisses zwischen religiöser Norm und säk ularer Gesellschaft“, vom 11.-13.3.2010 von der FRIAS Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 373 Ebenda
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12. Fazit: Der deutsche und der türkische Diskurs im Vergleich
samen Aktionen Vorurteile i m Westen bestätigten, scheint ihnen gleichgültig gewesen zu sein. Ein weiterer Beleg dafür, dass die Kommunikation nach Innen gerichtet war. Zudem zeigt die Analyse türkischer Zeitungen, dass deutsche Medien den Kern der Auseinandersetzung nicht verstande n haben. Es ging im Konflikt nicht wie ange nommen primär um das islam ische Bilderverbot, sondern um die Beleidigung der Muslime. Dabei haben türkische (und wahrscheinlich auch arabische) Zeitungen die Karikaturen in eine Reihe von Angriffen des Westens gestellt. Im deutschen Diskurs sind sehr problematische Deutungsmuster zu finden, wenn von „gelenkten Protesten“ die Rede ist. Selbst in Diktaturen lassen sich Menschen nicht ohne weiteres lenken. Die Mitte-Diskurse in bei den Ländern haben die Pressefreiheit weitestgehend nur aus ju ristischer Perspektive diskutiert. Die einen sahe n den Abdruck der Karikaturen von der Pressefreiheit gedeckt und erklärten den Muslimen, sie müssten alles ertragen, was das Gesetz zulässt. Die anderen wiederum versuchten zu erklären, dass die Veröffentlichung der Mohammed-Zeichnungen nichts mit Pressefreiheit zu tun habe. Als Belege wurden frühere Gerichtsentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte angeführt. Dabei zeigten die türkischen Zeitungen nur rudimentäre Kenntnisse von den Rechtstraditionen in Europa. Die Frage des Nachdrucks von Ka rikaturen zeigt die untersc hiedlichen Medienmentalitäten in beide n Ländern. Während es für türk ische Zeitungen nicht in Frage kam, die Karikaturen vollständig oder in T eilen nachzudrucken, haben etliche deutsche Zeitungen Mohammed-Karikaturen veröffentlicht. Die Welt hat ihren Nachdruc k mit einer vermeintlichen Selbstzensur begründet; andere Zeitungen haben eher ein Informationsbedürfnis decken wollen. Dabei gestaltete sich die Frage des Nachdrucks als ein unlösbares Problem: Die Zeitungen waren in einer dilemmatischen Situation. Einerseits gab es ein Bedürfnis der Leserinnen und Leser , die B ilder zu se hen, andererseits konnte ein Nachdruck zu einer weiteren Eskalation des K onfliktes führen und als Provokation begriffen werden. Mehrere türkische Zeitungen haben den Nachdruck in e uropäischen Zeitungen als besondere Provokation empfunden. Es ist zu verm uten, dass arabische Medien die Nachdruc ke ähnlich eingeschätzt haben. Türkische Zeitungen haben es in Kauf genommen, dass ihre LeserInnen die Karikaturen nicht kennen konnten. Keine Zeitung hat alle zwölf in der Jyllands Posten erschienenen Karikaturen ausführlich beschrieben. Meist haben sich die Zeitungen auf die Beschreibung der Bombenkopf-Karikatur beschränkt. Teilweise haben sie auch suggeriert, dass alle Mohammed-Zeichnungen ähnlich hetzend sind wie diese Karikatur. Der Streit wurde in der T ürkei ausgetragen, ohne dass der Gege n-
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stand des Konfliktes bekannt sein musste. Auch das scheint mir bezeichnend für das Verhältnis von islamischen und europäischen Ländern zu sein. Die Analyse hat ergeben, dass in Deutschland und der Türkei nur teilweise über die gleichen Begriffe und Konzepte gestritten wurde. Zwar arbeiten sich beide Diskurs am Begriff der Pressefreiheit ab, doch die Beschäftigung mit dem „Kampf der Kulturen“ fällt sehr unterschiedlich aus. In Deutschland ist es für Zeitungen offensichtlich unvermeidlich, sich m it Huntingtons These auseinanderzusetzen. In der Türkei hingegen wurde das Konzept vom Kampf der Kulturen seltener behandelt – die Frage, ob der Karikaturenstreit ein Kampf der Kulturen ist, wurde im Mitte-Diskurs der Türkei durchgehend verneint. Die Türkei wird von den türkischen Zeitungen als Beweis angeführt, dass es diesen Kulturkampf nicht gibt; schließlich vereine sie Europa und den Islam. Es hat sich ge zeigt, dass die Rhetorik vom „Kampf der Kulturen“ zur Abgrenzung von der Gegenseite dient. In der Türkei haben die wenigsten Zeitungen Interesse an einer Abgrenzung zu Europa. Nur dort, wo ein EU-Beitritt vehement abgelehnt wird – wie bei der Milli Gazete – sprechen Journalisten von einem Kampf der Kulturen. Während türkische Chefredakteure vermutlich entlassen worden wären, wenn sie Moha mmed-Karikaturen veröffentlicht hätten, bede utete der Nachdruck in europäischen Zeitungen ein lukratives Geschäft. Die France Soir, die als erste Zeitung i n Frankreich die Karikaturen nachgedruckt hat, konnte ihre Auflage kurzfristig von 45.000 auf 100.000 Stück steigern.374 Und die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo verkaufte innerhalb kürzester Zeit 100.000 Exemplare ihrer Kari katuren-Ausgabe, weitere 200.000 ließ sie nachdrucke n. Die Jyllands Posten, die den Karikaturenstreit in Gang set zte, konnte ihre Auflage ebenfalls steigern und errang weltweite Bekanntschaft als Verteidigerin der Pressefreiheit bzw. als Hetzblatt – je nach Standpunkt des Beobac htenden. In Deutschland konnte die Welt im journalistischen Feld punkten. Mit dem frühen Nachdruck aller zwölf Mohammed-Karikaturen und der sehr ausführlichen Berichterstattung hat sie sich im Konflikt ein „ Alleinstellungsmerkmal“ erarbeitet. Der israelische Soziologe Moshe Zuckermann hat daher in einem Interview i m Februar 2006 kritisiert, dass die Verletzung eines Glaubens zu einer Ware werde.375 Es muss resümiert werden, dass der Streit endete, ohne dass es zu halbwegs abgeschlossenen Aushandlungsprozessen gekommen ist. Es gab keinen Konsens 374 FR: Der Streit über die Mohammed 3. Februar 2006) 375 Vgl. http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kulturinterview/467417, abgerufen am 15. Ma i 2010
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darüber, was Karikaturen dürfen, inwieweit man Religionen beleidigen darf und wo die Grenzen der Pressefreiheit liegen. Dass ein wochenlang derart intensiv geführter Streit zu keinen Ergebnissen geführt hat, beweist einerseits die Schwierigkeit europäischer Medien im Umgang mit Islam-Themen. Auf der anderen Seite zeigt sie die Gespaltenheit der türkischen Medienöffentlichkeit. Sie tendiert zwischen einer Westorientierung und Abwehrreflexen gegen (vermeintliche) Angriffe aus dem Westen. Die Thematisierung der Meinungs- und Pressefreiheit und der Achtung vor der Religion hat im Karikaturenstreit zu einer Dynamik des Seitenwechsels geführt. Aufgrund der vermeintlichen oder echten Gefahr für die Pressefreiheit und die Demokratie haben sich viele (traditionell eher islamfreundliche) Liberale und Linke auf die Seite der Jyllands Posten geschlagen. Dies war ein diskursiver Durchbruch der Islamfeindlichkeit. Auf der anderen Seite zogen die Karikaturen gläubige Christen auf die „m uslimische Seite“, weil auch sie die Verhöhnung der Religion in der Presse eingegrenzt sehen wollten. Diese „Dynamik des Seitenwechsels“ hat religiöse Gruppen angenähert und das linke Lager von muslimischen Minderheiten entfernt. In der Türkei gab es eine andere Tendenz. Viele (ehemalige) Liberale sympathisierten mit dem Islam. Dass linksl iberale und kemalistische Zeitungen sogar radikaler aufgetreten sind als islam ischkonservative ist ein Beleg hie rfür. Inwieweit die Sympathie für den Islam strategischer Art ist, kann an dieser Stelle nicht hinreichend geprüft werden. Auffallend war jedoch, dass sich beispielsweise die Radikal ganz selbstverständlich zu den Muslimen zugeordnet hat. Es ist a nzunehmen, dass der Karikaturenstreit in der Türkei zu Sympathieverlusten für die EU geführt hat. Denn im türkischen Diskurs wurde vielfach nicht über das Verhalten Dänemarks geklagt, sondern ganz Europas. Türkische Zeitungen haben europäischen Ländern, in denen die Mohammed-Karikaturen nachgedruckt wurden, eine Mitschuld an der Eskalation gegeben. Zudem wurde der Konflikt in eine lange Geschichte der Unterdrückung durch europäische Länder (und teilweise durch die USA) ei ngeordnet. Eine Differenzierung zwischen einzelnen europäischen Ländern und der Motivation der Zeitungen, die die Karikaturen abgedruckt haben, fand kaum statt. Deshalb war den türkischen Zeitungen der dänische Kontext bei weitem nicht so wichtig wie deutschen Blättern.
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