Bewertung und Begutachtung in der Pneumologie Herausgegeben von Dennis Nowak Rolf F. Kroidl Mitbegründet von Ulrich Sey...
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Bewertung und Begutachtung in der Pneumologie Herausgegeben von Dennis Nowak Rolf F. Kroidl Mitbegründet von Ulrich Seysen Mit Beiträgen von B. Danuser R. Fischer K. G. Hering D. Kirsten B. Koch S. Kotterba R. F. Kroidl
D. Nowak M. Orth H. Piechowiak D. Radenbach H. W. Rüdiger M. Rüegger R. Winker
3., vollständig überarbeitete Auflage 62 Abbildungen 83 Tabellen
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
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Bibliographische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Aktuelle Informationen finden Sie unter http:// www.thieme.de/detailseiten/9783131008435.html
1. Auflage 1995 2. Auflage 2000
© 2009 Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14 70469 Stuttgart Deutschland Telefon: + 49/(0)711/8931-0 Unsere Homepage: www.thieme.de Printed in Germany Zeichnungen: Roland Geyer, Weilerswist Umschlaggestaltung: Thieme Verlagsgruppe Umschlaggrafik: Martina Berge, Erbach Umschlagfoto Lungenfunktionstest: © medicalpicture/Wolfgang Steche Satz: Ziegler und Müller, text form files, Kirchentellinsfurt, gesetzt in APP/3B2, V. 9 Druck: Grafisches Centrum Cuno, Calbe ISBN 978-3-13-100843-5 1 2 3
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Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
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Vorwort zur 3. Auflage
Vor 14 Jahren sollten wir die Begutachtungs-Empfehlungen der Atemwegsliga aktualisieren und es entstand in erster Auflage ein 120-seitiges Paperback. Vor 9 Jahren wollten wir es ein wenig überarbeiten, in zweiter Auflage kamen wir schon auf 152 Seiten mit Hardcover. Aktualisierungsbedarf ergibt sich stets und ist unvermeidbar. Zum einen, da die ersten beiden Auflagen vergriffen sind und die Zielgruppe der führenden „pneumologisch tätigen Arbeitsmediziner“ und der „arbeitsmedizinisch tätigen Pneumologen“ in unsere Arbeit nahezu vollständig involviert ist, zum anderen durch Fortentwicklung auf folgenden Gebieten: • Die Spiroergometrie ist zur Routinediagnostik geworden, ihr diagnostischer Zugewinn ist bedeutend und die Auswertung ist standardisiert. • Medizin-juristische Neuerungen fordern auf vielen Gebieten neue Einschätzungen, so der Wegfall der Berufsunfähigkeit und die Aufnahme neuer Berufskrankheiten (Silikose und Krebs, Synkanzerogenese durch Asbest und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Siderofibrose) sowie das Wegbrechen traditioneller aber wissenschaftlich stets problematischer Konsense (Moerser Konvention). • Pulmonale Noxen wie Passivrauch (kanzerogen und Obstruktion verursachend), Beryllium (kanzerogen), Cadmium (kanzerogen) haben eine Neubewertung erfahren, die sich in der Begutachtung niederschlagen wird. • Die International Classification of Functioning (ICF) ist neben der ICD eingeführt, um die funktionellen Auswirkungen von Erkrankungen und die patienteneigenen Ressourcen zu charakterisieren. • Schlafbezogene Atmungsstörungen und deren Auswirkungen sind ein gutachterlich sehr wichtiges Thema, das dringend neu aufgenommen werden musste. • Die bedeutenden Fortschritte in der pneumologisch-gutachterlichen Bildgebung mit weitgehendem Umstieg auf digitale Verfahren erfah-
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ren eine qualitative Aufwertung und erfordern eine allen Gutachtern verfügbare Standardisierung. Tauchen, Fliegen und Bergsteigen – sei es beruflich oder privat – führt häufig zu komplizierten Beurteilungsfragen an den Pneumologen. Neue Studien machen restriktive alte Empfehlungen hinfällig.
So haben wir uns bemüht, ein weiterhin praxisnahes Bändchen zu verfassen, das gern eine „Kochanleitung“ sein soll, aber stets im Risiko steht, ein akademisch weitschweifiges Kompendium zu werden. Bodenständige Praxistauglichkeit einerseits und medizin-juristische Akkuratesse andererseits sind zwei gegenläufige Anforderungen, denen wir uns stellen mussten. Zwei weitere Umstände bewirken, dass dies Unterfangen nicht einfach zu erfüllen ist: 1. Die inhaltliche und fachliche Weiterentwicklung, die stetig, wenn auch langsam vor sich geht und 2. die Vorgaben seitens der Rechtsprechung und der sozial-medizinischen Verwaltungswirklichkeit, die eine schnelllebige Dynamik und Wechselhaftigkeit bedingen. Wir freuen uns, als neue Autoren gewonnen zu haben: Frau Prof. Dr. M. Orth, Pneumologie, Mannheim, und Frau Prof. S. Kotterba, Neurologie, Klinik Ammerland, Herrn Dr. H. Piechowiak vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Bayern, Herrn PD Dr. R. Fischer als Höhenmediziner aus der Medizinischen Klinik Innenstadt des Klinikums der Universität München, sowie Herrn Dr. K. Hering, einen der erfahrensten Berufsradiologen Europas; Herr Dr. B. Koch, aus guten Gründen hoch angesehener langjähriger Chefjurist bei der BG Chemie, hat uns bereits bei der ersten und zweiten Auflage kompetent beraten; jetzt hat er dankenswerterweise die offizielle Federführung für mehrere medizin-juristische Kapitel übernommen. Besonders war uns daran gelegen, dass die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und die Deutsche Atemwegsliga unser Buch einer intensiven ausführlichen exter-
VI nen Begutachtung im Peer-Review-Verfahren unterzogen haben. Das vorliegende Buch stellt somit im Gefolge eines intensiven Beratungsprozesses wiederum die offiziell verbindlichen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und der Deutschen Atemwegsliga dar. Dieser Grad der Verbindlichkeit für die Fachgesellschaft ist für uns eine besondere Herausforderung. Wir möchten mit unserem Buch einen ehrlichen Beitrag zur Verbesserung und gerechten Vereinheitlichung der Bewertung und Begutach-
tung auf pneumologisch-arbeitsmedizinischem Gebiet leisten – für die gutachterlich tätigen Ärzte, für die uns anvertrauten Patienten und Versicherten, für die Sozialversicherer und für die Gerichtsbarkeit. Wir bitten unsere kritischen Leser um konstruktive und kollegiale Kritik. München und Stade, Frühjahr 2009 Dennis Nowak Rolf F. Kroidl
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Anschriften
Prof. Dr. med. Brigitta Danuser Institut Santé au Travail Rue du Bugnon 21 1011 Lausanne Schweiz Priv.-Doz. Dr. med. Rainald Fischer Pneumologie Klinikum der Universität München – Innenstadt Ziemssenstr. 1 80336 München Dr. med. Kurt Georg Hering Knappschaftskrankenhaus Wieckesweg 27 44309 Dortmund Prof. Dr. med. Detlef Kirsten Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie Krankenhaus Großhansdorf Wöhrendamm 80 22927 Großhansdorf Dr. jur. Bernd Koch Am Hoppeberg 10 50259 Pulheim Prof. Dr. med. Sylvia Kotterba Klinik für Neurologie Ammerland-Klinik GmbH Lange Str. 38 26655 Westerstede Dr. med. Rolf F. Kroidl Frommholdstr. 71 21680 Stade Prof. Dr. med. Dennis Nowak Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- u. Umweltmedizin Klinikum der Universität München – Innenstadt Ziemssenstr. 1 80336 München
Prof. Dr. med. Maritta Orth Innere Medizin III Pneumologie, Pneumologische Onkologie, Allergologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin Theresienkrankenhaus und St. Hedwig-Klinik GmbH Bassermannstr. 1 68165 Mannheim Dr. med. Helmut Piechowiak Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Bayern Putzbrunnerstr. 73 81739 München Dr. med. Detlef Radenbach Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Nord Katharinenstr. 11 23554 Lübeck Prof. Dr. med. Hugo W. Rüdiger Berggasse 4/33 1090 Wien Österreich Dr. med. Martin Rüegger Abteilung Arbeitsmedizin Schweizerische Unfallversicherungsgesellschaft Fluhmattstr. 1 6002 Luzern Schweiz Priv-Doz. Dr. med. Robert Winker Abteilung Arbeitsmedizin Universitätsklinik für Innere Medizin II Währinger Gürtel 18 – 20 1090 Wien Österreich
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Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Befundberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Atteste/Ärztliche Bescheinigungen . . . . . . . . 2 1.3 Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 „Wünsche“ der gutachterlich tätigen Ärzte an die Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.4 Strafrechtliche Haftung für die Richtigkeit von Gesundheitszeugnissen . . . . . . . . . . . . . . 5 1.5 Juristische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Vollbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Glaubhaftmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Möglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.6 Arbeitsmedizinische Begriffe für Luft- und Biomonitoring . . . . . . . . . . . . . . 7 Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) . . . . . . . . . . . . 7 Biologischer Grenzwert (BGW) . . . . . . . . . . . 8 Maximaler Arbeitsplatz-KonzentrationsWert (MAK-Wert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Biologischer ArbeitsstofftoleranzWert (BAT-Wert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Ehemaliger TRK-Wert und EKA-Wert . . . . . 9 Biologischer Leitwert (BLW) . . . . . . . . . . . . . . 9 Biologischer Wert (BW) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.7 Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) . . . . . . . 10
2
Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung . . . . . . . . 14
2.1 Das System der sozialen Sicherung . . . . . . . 2.2 Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsunfähigkeit (AU), Arbeitsfähigkeit (AF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Reha-Kaskade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen in der GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begutachtung pneumologischer Hilfsmittel in der GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beatmungspflege (häusliche Krankenpflege bei Heimbeatmung) . . . . . .
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2.3 Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsunfall/Berufskrankheit . . . . . . . . . . . Meldung von Verdachtsfällen einer BK . . . Meldung von drohenden Berufskrankheiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versicherungsfall/Leistungsfall . . . . . . . . . . Kausalzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . Minderung der Erwerbsfähigkeit/MdE . . . Versicherungsfall § 3 BKV . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungen zur Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . Rentenleistungen wegen „verminderter Erwerbsfähigkeit“ (EF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begutachtung des Leistungsvermögens . . Private BU-Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Soziales Entschädigungsrecht (SER) und Schwerbehindertenrecht (SchwbR) . . Soziales Entschädigungsrecht (SER) . . . . . . Schwerbehindertenrecht (SchwbR) . . . . . .
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3.1 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anamnese – 2 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Physikalischer Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Technische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . Labordaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allergiediagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Lungenfunktionsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . Sollwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begleitende klinische Beurteilung von Funktionsuntersuchungen (Borg-Skala) . . 3.5 Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch, Spiroergometrie . . . . . . . . . . Leistungsvermögen, Belastbarkeit . . . . . . . Dauerleistungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleichbarkeit von Leistungen . . . . . . . . . Leistungserfassung (Parameter und Dimensionen) . . . . . . . . . . Watt und maximale VO2-Aufnahme . . . . . Methodik der Belastungsuntersuchung . .
65 66 66 67 67 67 77 89 92 93 93 94 94 95 96 97
Inhaltsverzeichnis Protokolle zur Ergometrie: Rampen- vs. Stufenprotokoll . . . . . . . . . . . Ergo-Oxymetrie (Belastungstest mit Bestimmung der BGA) . . . . . . . . . . . . . 3.6 Einfluss der Therapie auf die Begutachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Bildgebende Verfahren bei der Begutachtung respiratorischer Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Semiquantitative, standardisierte Befundung und Klassifikation . . . . . . . . . . Inhalationsfolgen im radiologischen Befundmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maligne Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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98 99 112
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
4.1 Obstruktive Atemwegserkrankungen . . . Einteilung, Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rentenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziales Entschädigungsrecht (SER) . . . . . Schwerbehindertengesetz (SchwbG) . . . . 4.2 Infektionskrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . Tuberkulose (Tb) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rentenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziales Entschädigungsrecht (SER) . . . . . Schwerbehindertengesetz (SchwbG) . . . . 4.3 Lungengerüsterkrankungen . . . . . . . . . . . . Asbestose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quarzstaublungenerkrankungen (Silikose) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silikotuberkulose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fibrosierende Alveolitis . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Tumorerkrankungen (Krebs der Atmungsorgane) . . . . . . . . . . . . Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rentenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . SER und SchwbG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Schlafbezogene Atmungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungen an den Gutachter . . . . . . . Testverfahren zur Begutachtung der Tagesschläfrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Gutachterliche Fragestellungen . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.6 Thorakale Defektzustände und typische Arbeitsunfälle in der Pneumologie . . . . . . Ursachen von thorakalen Defektzuständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rentenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . SER und SchwbG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typische Arbeitsunfälle in der Pneumologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Häufige Fehler bei der Begutachtung 213
5.1 Kenntnismangel/Grenzen des verfügbaren Wissensstandes . . . . . . . . . . . 5.2 Probleme bei Anamnese, Untersuchungstechnik und Zeit . . . . . . . . Ungenügende Anamnese . . . . . . . . . . . . . . Mangelhafte Sorgfalt bei der Erhebung der Arbeitsanamnese . . . . . . . . 5.3 Mangelhafte Untersuchungstechnik . . . . Mangelnde Technik bei Röntgenuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . Lungenfunktionsuntersuchungen . . . . . . 5.4 Zeitmangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Weitere Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Zeitfaktor bei der Erstellung von Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Verwendung von abgeschlossenen Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wem „gehört“ das Gutachten? . . . . . . . . . Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urheberschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sinnvolle Nutzung des Gutachtens . . . . .
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Atemwegserkrankungen und Tauchen, Fliegen, Bergsteigen . . . . . . . 222
6.1 Tauchtauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Flugreisen zum und vom Tauchurlaub . . 6.3 Respiratorische Krankheiten und Flugtauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flugtauglichkeit der Piloten/ des Luftfahrtpersonals . . . . . . . . . . . . . . . . . Sauerstoffmitnahme während des Fluges 6.4 Bergsteigen mit pulmonalen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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X
Inhaltsverzeichnis
7
Das Ärztliche Begutachtungswesen in der Schweiz: spezifische Aspekte
7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Gesetzliche Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . Invalidenversicherung (IV) . . . . . . . . . . . .
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Das Ärztliche Begutachtungswesen in Österreich: spezifische Aspekte . . . 235
8.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Pneumologische Berufskrankheiten . . . . Silikose (26 a), Silikotuberkulose (26 b), Asbestose (27 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bösartige Neubildungen durch Asbest (27 b – d) . . . . . . . . . . . . . . . . Lungenkrebs durch Kokereirohgase . . . . COPD bei Bergleuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exogen-allergische Alveolitis . . . . . . . . . . Atemwegserkrankungen durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe (41) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Das Ärztliche Begutachtungswesen in der ehemaligen DDR: spezifische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
9.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Organisation des Gutachterwesens in der ehemaligen DDR . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bezirks- und Kreisgutachter . . . . . . . . . . . Begutachtungskommissionen . . . . . . . . . Verfahrensweise bei der Begutachtung .
243 243 243 243 244 244 244
9.3 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Arbeitsunfähigkeit (AU) . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Schonarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Invalidität (entspricht EU) . . . . . . . . . . . . . 245 Berufsunfähigkeit (BU) . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Berufskrankheit (BK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Körperschaden (MdE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Teilkörperschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Kriegsbeschädigtenrente . . . . . . . . . . . . . . . 246 9.4 Begutachtung als Beschädigte (entspricht Begutachtung nach dem SchwbG) . . . . . . 246 9.5 Erweiterte materielle Unterstützung (EMU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 9.6 Begutachtungen pneumologischer Krankheitsbilder in der ehemaligen DDR 247 Tuberkulose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Lungenkrebs bei nachgewiesener Asbestose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Silikose bei gleichzeitig vorliegender Sklerodermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Obstruktive Atemwegserkrankungen als Berufserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Begutachtung von Schweißern . . . . . . . . . 248 Staubbronchitis als Berufserkrankung (Sonderentscheidverfahren!) . . . . . . . . . . . 248
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
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1
Einleitung
Das Fachwissen des Arztes bezüglich medizinischer Tatsachen wird als Grundlage für pneumologische Bewertungen und darauf folgende sozialrechtliche Entscheidungen regelmäßig in drei Varianten vermittelt: • Befundbericht/Arztbrief (ärztlich berichtend auf eigener Datengrundlage). • Attest (ärztlich bewertend auf eigener Datengrundlage). • Gutachten (im Rahmen eines Auftrages ärztlich bewertend bezüglich eigen- oder fremderhobener Befunde oder auf der Grundlage einer sonstigen relevanten Tatsachenbasis).
1.1 Befundberichte D. Nowak, R. F. Kroidl und B. Koch
Eine fachlich angemessene, verfügbare Dokumentation dient wesentlich auch dem Interesse des Patienten an seinen persönlichen Gesundheitsdaten und deren Verwendung im Zuge der Weiterbehandlung oder zur Sicherstellung von Leistungsansprüchen in der Sozialversicherung bzw. auch im Rahmen sonstiger Rechtsverhältnisse. Darauf gründet der Anspruch des Patienten auf Einsichtnahme in die Arztunterlagen, soweit es sich um naturwissenschaftlich objektivierbare Befunde und Behandlungsfakten handelt. Ebenfalls aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten folgt sein Anspruch auf hinreichende Auskünfte, Bescheinigungen, Berichte oder Atteste, die der Arzt auf der Grundlage seiner Dokumentation gegenüber dem Patienten selbst, einem nachbehandelnden Arzt oder berechtigten Institutionen, insbesondere Leistungserbringern, zu erstellen verpflichtet ist. Berichte werden z. B. in der gesetzlichen UV auf der Grundlage des § 57 Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger in Verbindung mit Nr. 110 ff. UV-GOÄ differenziert honoriert.
Darüber hinaus kann der Arzt unmittelbar gesetzlich verpflichtet sein, Informationen öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern zu übermitteln, wenn diese für Zwecke der Heilbehandlung oder Leistungserbringung dieser Stellen erforderlich sind. In diesen Fällen ist eine Einwilligung des Patienten nicht erforderlich. Die Offenbarung ist durch die speziellen gesetzlichen Regelungen gerechtfertigt. Für die in diesen Regelungen geforderte Beschränkung seines Auskunftsverlangens auf tatsächlich erforderliche, im Zusammenhang mit der festgestellten Erkrankung stehende Informationen ist der Leistungsträger verantwortlich. In erster Linie dienen Befundberichte dem Informationsbedürfnis der an der Heilbehandlung beteiligten Ärzte. Berichte und Auskünfte über Behandlungsfakten und -ergebnisse sowie über den Zustand der Patienten gegenüber Sozialleistungsträgern sind zu erteilen, wenn sie gesetzlich vorgeschrieben sind (§ 100 SGB X in Verbindung mit Spezialregelungen, vgl. etwa für die gesetzliche UV: §§ 201, 203 SGB VII bzgl. Berichtspflichten der an einer Heilbehandlung beteiligten oder sonst mit einer Untersuchung oder Behandlung befassten Ärzte einschließlich der Arbeitsmediziner gegenüber den UV-Trägern). In diesen Zusammenhang gehört auch die in § 202 SGB VII geregelte Anzeigepflicht von Ärzten bei Verdacht auf eine Berufskrankheit (s. Kap. 2.3). Gemeinsam ist diesen gesetzlichen Offenbarungspflichten, dass sie über die Rechtfertigung einer Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht hinaus auch gegen den Willen der betroffenen Person durchgreifen. Auch ist die Weitergabe personenbezogener Daten in diesen Fällen datenschutzrechtlich zulässig (§ 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz). Befundberichte sollten wegen der Bedeutung für die Verfahren und für damit verbundene Begutachtungen den verschiedenen diagnostischen Möglichkeiten entsprechend nachvollziehbar erstattet werden. Dies bedeutet insbesondere, dass gerade in der Pneumologie auch Messergebnisse
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Einleitung (ggf. unter Angabe der Sollwerte) präzise genannt werden (optimal: Duplikate/Kopien der Messprotokolle).
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1.2 Atteste/Ärztliche Bescheinigungen
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D. Nowak, R. F. Kroidl und B. Koch
• Atteste sind ärztliche Bewertungen von rechtserheblichen Tatsachen nach objektiven medizinischen Kriterien. Atteste und sonstige ärztliche Bescheinigungen dienen regelmäßig als Grundlage für Entscheidungen Dritter. Bei der Ausstellung und Weitergabe ist die ärztliche Schweigepflicht zu beachten. Sie gilt weiterhin für die Diagnosen und Befunde, die der attestierten Tatsache zugrunde liegen, auch wenn für das Attest selbst die Einwilligung in die Weitergabe vorliegt. Die Weitergabe von ärztlichen Bescheinigungen über das Ergebnis von normierten arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen (spezielle arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen) ist unterschiedlich geregelt. Handelt es sich um Untersuchungen, zu deren Veranlassung der Unternehmer verpflichtet ist (sog. Pflichtuntersuchungen), so wird eine Kopie der Bescheinigung unmittelbar vom Arzt dem Unternehmer als Auftraggeber zugeleitet. Bei lediglich anzubietenden Untersuchungen erhält ausschließlich der Proband die Bescheinigung, der Unternehmer nur mit Einwilligung des Untersuchten (s. BG-Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen, 4. Auflage 2007). Insbesondere bei Attesten versuchen Patienten in der Praxis häufig, ihre Interessen nachdrücklich durchzusetzen, was problematisch sein kann: Tabelle 1.1 Grnde fr Atteste. 1. Arbeitsfhigkeit und Einsatz am Arbeitsplatz 2. Einleitung von Verfahren zur Berufs- und Erwerbsunfhigkeit 3. Einleitung von Verfahren zur Bestimmung eines Schwerbehindertengrades 4. Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen (nach BG-Grundstzen) 5. Schulsport, sonstige Sportarten, Reisen 6. Berufswahl 7. Wohnungserfordernisse 8. Reha-Maßnahmen und Heilverfahren, Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln
Der Patient verlangt das Attestieren eines Sachverhalts, wobei unter Umständen nicht unbeträchtlicher Druck ausgeübt wird. Der Arzt möchte aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf diesen Patienten und seine Familie verzichten. Der vom Arzt bescheinigte Sachverhalt beruht auf der subjektiven Schilderung des Patienten, die mit der real gegebenen Wirklichkeit nicht vollständig überein zu stimmen braucht. Der Sachverhalt überfordert das fachliche Wissen des Arztes (häufig auch bei Fragen aus der Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin zutreffend).
Befundberichte, Atteste oder ärztliche Bescheinigungen müssen als Gesundheitszeugnisse nicht nur sorgfältig, sondern auch inhaltlich richtig ausgestellt werden. Zum strafrechtlichen Schutz der Richtigkeit ärztlicher Gesundheitszeugnisse siehe Kapitel 1.4.
1.3 Gutachten D. Nowak, R. F. Kroidl und B. Koch
Leistungstatbestände des Sozialversicherungsrechts setzen regelmäßig wechselbezügliche technische, medizinische oder sonstige Tatsachen voraus. Zur Feststellung und Beurteilung eines entscheidungserheblichen Sachverhalts ist bei ungenügender eigener Sachkunde des Leistungsträgers oder Richters daher die beratende Beteiligung von Sachverständigen als Gutachter erforderlich. Für bestimmte Sachverständige besteht eine Verpflichtung, Gutachten zu erstatten (öffentlich bestellte Sachverständige: § 407 ZPO; an der Heilbehandlung beteiligte Ärzte: § 201 SGB VII, § 46 Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger).
Sachverständige sind natürliche Personen, die auf dem maßgeblichen Wissenschaftsgebiet über überdurchschnittliche Kenntnisse und Erfahrungen verfügen und diese besondere Fachkompetenz persönlich, neutral und objektiv zur Verfügung stellen.
Gutachten Ihr Gutachten bildet die Grundlage für die eigenverantwortliche Entscheidung der Verwaltung bzw. des Gerichts. Auf dem Gebiet der Pneumologie besteht die Aufgabe des Gutachters daher in der • Erhebung und Darstellung klinischer und medizintechnischer Befunde auf der Grundlage seiner besonderen Fachkunde, • Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungssätze des maßgeblichen Fachgebiets, • bewertenden Beurteilung der festgestellten Tatsachen nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungssätzen der Pneumologie und der Arbeitsmedizin dahingehend, ob ein Krankheitsbild vorliegt, das von der BK-Liste erfasst wird, welche Folgen die Erkrankung verursacht und in welchem Ausmaß hierdurch die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt wird, • Empfehlungen zur speziellen Therapie, insbesondere zur Risiko-Verminderung, zur Prophylaxe und gegebenfalls zur Rehabilitation. Der Gutachter sollte sich nur auf Empfehlungen beziehen, die den bestmöglichen aktuellen Konsensus unter den Fachleuten darstellen. Solche Richtlinien und Empfehlungen beinhalten durchaus einen gutachterlichen Ermessensspielraum. Ein von der geltenden Lehrmeinung (Stand der Wissenschaft) abweichendes Urteil muss diesen Tatbestand feststellen und bedarf einer besonderen Begründung. Die Qualität eines medizinischen Gutachtens für Kausalitätsfragen der gesetzlichen Unfallversicherung ist stets abhängig von der Qualität der arbeitstechnischen Feststellungen sowie der hinzugezogenen Unterlagen zur Krankheitsvorgeschichte und zu Erkrankungen, die dazu in einer Beziehung stehen können. Der Gutachter muss gegenüber dem zu Begutachtenden, dem Gutachtenauftraggeber und der Allgemeinheit in seiner Beurteilung unabhängig sein.
Die inhaltlichen Anforderungen an die Begutachtung sind je nach der versicherungsrechtlichen Fragestellung des Auftraggebers unterschiedlich, entsprechend schwanken die speziellen Anforderungen an die Gutachter. Die Begutachtung von Berufskrankheiten z. B. gehört in die Hände von erfahrenen Fachärzten der jeweils in Betracht kommenden Fachrichtungen, ggf. verbunden mit dem Nachweis der Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen zu Begutachtungsfragen des in Betracht kommenden Sozialrechtsgebietes. Ein Gutachter muss über besondere Kenntnisse in der Diagnostik und Differenzialdiagnostik für Begutachtungen von Atemwegs- und Lungenerkrankungen verfügen und mit der Begriffswelt des Sozialrechts vertraut sein (Einzelheiten siehe Kapitel 3 und 4 sowie Anlagen 3 u. 4 der Empfehlungen der UV-Träger zur Begutachtung bei Berufskrankheiten, hrsg. vom HVBG, in Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften Sankt Augustin 2004). Die Gutachtenart und die daraus folgende inhaltliche methodische Gestaltung richten sich nach dem privatrechtlichen Gutachtenauftrag (Werkvertrag, §§ 631 ff. BGB). Er ist für jeden Einzelfall gesondert erforderlich. Zu den typischen Gutachtenarten im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung siehe Abb. 1.1. Vor Erteilung eines Gutachtenauftrages soll der UV-Träger, um die Akzeptanz von Gutachten zu erhöhen, dem Versicherten „mehrere Gutachter“ – i. d. R. drei – zur Auswahl benennen („soll“ steht im Gesetz, die Verwaltung darf nämlich einen Spielraum nutzen, wenn etwa nur „Unikate“ sachverständig seien sollten). Dies gilt auch, wenn bereits absehbar ist, dass mehrere gesonderte Gutachten im Einzelfall erforderlich werden (§ 200 Abs. 2 SGB VII), aber nach herrschender Meinung nicht, wenn ein bereits beauftragter Gutachter von sich aus weitere Ärzte zu Untersuchungen oder zur Beurteilung von Fragen auf anderen medizinischen Fachgebieten hinzuzieht. Bei der Begutachtung kann sich der Versicherte durch eine Vertrauensperson begleiten lassen (aber keine förmliche Vertretung durch Rechtsanwalt!). Foto- oder Videoaufnahmen bei der Untersuchung sind nicht zu dulden.
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Einleitung
Gutachten persönliche, unabhängige, unparteiliche und objektive Bewertung eines Einzelfalles unter Berücksichtigung des medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes auf der Basis der nachgewiesenen Tatsachen und nach Maßgabe des Gutachtenauftrages
Formular- und freie Gutachten Regelung im Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger Formular-GA meist auf chirurgischem Gebiet
Renten-Gutachten zumeist Formular-GA, erstmalige Rentenfeststellung und -nachprüfung
ZusammenhangsGutachten eigenständig begründete schriftliche Bewertung des Ursachenzusammenhangs zwischen Erkrankung und festgestellten Einwirkungen am Arbeitsplatz
Zusatz-Gutachten neben Haupt-GA selbstständiges GA auf anderem Fachgebiet
Gutachten nach Aktenlage: Bewertung von in den Akten dokumentierten Anknüpfungstatsachen. Kann im Einzelfall auch zur Überprüfung anderer ärztlicher Bewertungen erfolgen. In Anlehnung an „Hinweise für den ärztlichen Gutachter“, hrsg. v. Landesverb. Südwestdeutschland der gew. BGen, 9. Auflage 2005, S.12, Heidelberg 2005
Abb. 1.1 Gutachten.
Wünsche des Auftraggebers bezüglich der Methodik von Gutachten
• Im Rahmen der üblichen Gliederung eines Gutachtens in Einführung (Untersuchungstag, Unterlagen, Gutachtenauftrag), Anamnese, Befunde, Beurteilung (zusammenfassende Beantwortung der Fragen im Gutachtenauftrag) sollen folgende methodische Regeln beachtet werden (in Anlehnung an Kaiser V, Weise K, 2005; Internet: www.lvbg.de/lv/ pages/service): • Wiedergabe von Informationen und Befunden: – Unterscheidung der fremden von eigenen Tatsachenerhebungen (insbesondere Befunde) – Unterscheidung der Angaben des Begutachteten von objektiven Untersuchungsergebnissen – weitgehend wörtliche Wiedergabe der Angaben von Beschwerden („Klagen“)
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– klare Trennung von Verdachtsdiagnosen gegenüber der auf gesicherte Tatsachen einschließlich Befunden gestützten kausalen Diagnose Medizinische Beurteilung nach Maßgabe des Gutachtenauftrages oder der Beweisfragen: – Offenlegung der angewandten Erfahrungssätze und des besonderen wissenschaftlichen Ansatzes – Diskussion widerstreitender Lehrmeinungen und Begründung des eigenen Standpunktes – kritische Würdigung früherer ärztlicher Feststellungen, Beurteilungen oder bereits erstatteter Gutachten Beschreibung der BK-Folgen: – klare Definition der Befunde mit präziser anatomischer Lokalisation (nicht: „Zustand nach …“ oder „Verdacht auf …“) – Art und Ausmaß der Funktionsstörungen mit Voranstellung der schwersten Folgen – detaillierte Beschreibung der (erklärbaren) Schmerzen
Juristische Begriffe
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Diktion: – möglichst sachliche, schonende Darlegung der als negativ angesehenen oder nachteiligen Feststellungen – Vermeidung subjektiv gefärbter oder tendenziell abwertender Ausdrücke (z. B. Aggravation) – Übersetzung bzw. Erläuterung nicht geläufiger Fachbegriffe
„Wünsche“ der gutachterlich tätigen Ärzte an die Auftraggeber Jeder Gutachtenauftrag setzt eine präzis formulierte, individuell abgestimmte konkrete Fragestellung, verbunden mit den klar definierten Beurteilungsgrundlagen (Anknüpfungstatsachen), voraus. Hierdurch wird der Gutachteninhalt bestimmt. Allein aus der EDV stammende Standardsätze oder Kreuze auf einem Vordruck genügen diesen Anforderungen an eine individuell maßgebliche Fragestellung nicht. Zu häufigen Fehlern bei der Begutachtung in der Pneumologie siehe Kapitel 5.
1.4 Strafrechtliche Haftung für die Richtigkeit von Gesundheitszeugnissen B. Koch, D. Nowak und R. F. Kroidl
Der Sachverständige steht unter Wahrheitspflicht. Seine Aussage kann oder muss beeidigt werden (z. B. §§ 410 ZPO, 79 StPO, 118 SGG; s. auch § 21 f. SGB X). In der Praxis ist eine Beeidigung allerdings eher selten. Er kann sich wegen Aussagedelikten strafbar machen (u. a. Meineid: § 154 StGB; fahrlässiger Falscheid: § 163 StGB; vorsätzliche uneidliche Falschaussage: § 153 StGB). Insbesondere wird die Richtigkeit ärztlicher Gesundheitszeugnisse – das sind z. B. Befundberichte, Teste, Bescheinigungen, aber auch Gutachten – durch § 278 StGB geschützt. Unrichtig ist ein Zeugnis auch, wenn bei zutreffendem Gesamtbefund Einzelbefunde unrichtig angegeben werden oder ein Befund bescheinigt wird, ohne dass eine Untersuchung stattgefunden hat. Die Straftat ist bereits vollendet mit der Ausstellung. Eine Verwendung durch den Empfänger
§ 278 StGB: „Ärzte und andere approbierte Medizinalpersonen, welche ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“.
oder die Weitergabe durch den Aussteller des Zeugnisses ist darüber hinaus nicht erforderlich. Die Unrichtigkeit muss der „Medizinalperson“ bewusst sein; bedingter Vorsatz (in Kauf nehmen) genügt aber hinsichtlich des Gebrauchszweckes. Der beamtete Arzt als Täter wird nach dem vorrangigen § 348 StGB verschärft bestraft. Zugleich kommt § 263 StGB (Betrug) in Betracht, wenn der vorgegebene Gebrauch dazu dienen soll, eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft betrügerisch zu schädigen. Zivilrechtliche Schadensersatzansprüche wegen beim Patienten eingetretener Vermögensschäden können von ihm auf den nachgewiesenen Verstoß gegen ein Schutzgesetz gestützt werden (§ 823 II BGB in Verb. mit § 278 bzw. § 263 StGB).
1.5 Juristische Begriffe B. Koch, R. F. Kroidl und D. Nowak
Die in sozialrechtlichen Normen geregelten Voraussetzungen für Leistungsansprüche müssen nachgewiesen werden. Dabei sind die Beweismaßstäbe unterschiedlich geregelt. Eine Beweisführungslast (Beweispflicht) wird dem Versicherten nicht auferlegt. Es gilt der Untersuchungsgrundsatz (Offizialmaxime, s. § 20 SGB X i. V. m. § 17 Abs. 1 SGB I): Danach • sind alle entscheidungsrelevanten tatsächlichen Umstände von Amts wegen zu ermitteln; • ist ferner dafür zu sorgen, dass jeder Berechtigte seine Leistungen „in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig“ erhält. In seltenen Fällen kann auch die professionelle, auf alle erreichbaren Beweismittel ausgedehnte, sorgfältige Amtsermittlung und die im Anschluss daran umfassende, lebensnahe Beweiswürdigung zu einem Ergebnis führen, das den Beweisanforde-
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Einleitung rungen nicht genügt. In diesen Fällen muss derjenige die Folgen dieser Beweislosigkeit oder Nichtfeststellbarkeit von Tatsachen tragen, der Ansprüche daraus herleitet, also der Versicherte (sog. objektive Beweislast). Unterschiedlich geregelte rechtliche Beweisanforderungen erleichtern den Nachweis der einzelnen Tatbestandselemente. Dies wird am Beispiel einer Kausalitätsprüfung im Berufskrankheitenrecht deutlich (s. Kap. 2, Abb. 2.1).
Vollbeweis Rechtserhebliche Tatsachen müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (Vollbeweis), es sei denn, die Rechtsordnung sieht Beweiserleichterungen vor. Bei der Kausalitätsprüfung gilt der Vollbeweis für die Anknüpfungs- und Befundtatsachen: • versicherte Tätigkeit • Einwirkung oder Unfallereignis • Gesundheitserstschaden/Folgeschäden
Vollbeweis „Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen.“ Mit anderen Worten wird ein der Gewissheit nahe kommender Grad der Wahrscheinlichkeit gefordert.
Faustformel „Gewissheit“ „Kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überblickender Mensch hat noch Zweifel“.
Wahrscheinlichkeit Abweichend vom Regelbeweismaß genügt aufgrund ständiger Rechtsprechung für den Nachweis der Kausalbezüge zwischen den einzelnen nachgewiesen Tatbestandselementen die – hinreichende – Wahrscheinlichkeit. Diese geringere Stufe auf der Skala subjektiver Mutmaßungen über die Wahrheit ist wegen der naturwissenschaftlich-
medizinischen Erkenntnisgrenzen bei UrsacheWirkungszusammenhängen im Sozialrecht eingeführt worden. Ein strenger Beweis wäre für den Ursachenzusammenhang kaum zu führen und hätte als Beweisanforderung den sozialen Schutz infrage gestellt. Die Formel der Rechtsprechung hierfür lautet:
Faustformel „Wahrscheinlichkeit“ „Es muss mehr für die berufliche Verursachung als dagegen sprechen, sodass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden.“ (Begriffe wie überwiegende Wahrscheinlichkeit, weit überwiegende Wahrscheinlichkeit etc. sind entbehrlich.) Das auf diese Weise ermittelte Spektrum an wahrscheinlichen Bedingungen für einen – wie die Juristen sagen – „Erfolg“ (Krankheitsbefund) ist oft noch sehr breit und kann aus vielfältigen konkurrierenden („multifaktoriellen“) wahrscheinlichen Kausalfaktoren bestehen. Die anschließend erforderliche rechtliche Bewertung und Auswahl der Bedingungen erfolgt nach der Lehre von der rechtlich wesentlichen Bedingung, die in allen Sozialbereichen gilt, in denen die Kausalität einer Erkrankung eine Rolle bei der Leistungsfeststellung spielt.
Rechtlich wesentliche Bedingung Rechtserheblich sind nur solche Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Diese wertende Auswahl nach der Qualität der einzelnen Bedingungen obliegt letztlich dem Versicherungsträger bzw. den Gerichten, die sich aber bei der Abwägung der Qualität der einzelnen Bedingungen an Maßstäben orientieren, die ebenfalls gutachterlich auszufüllen sind (etwa: Art und Dosis einer Einwirkung und konkurrierender Bedingungen, zeitlicher Geschehensablauf, gesamte Erkrankungsumstände einschließlich der Vorgeschichte). Rechtlich wesentlich bedeutet nicht zugleich auch „hauptsächlich“ und ist auch nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Es kann folglich mehrere wesentliche
Arbeitsmedizinische Begriffe für Luft- und Biomonitoring Kausalfaktoren geben. Auch kann eine rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Bedingung für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Mitbedingungen keine überragende Bedeutung haben. Zu bedenken ist, dass Folge einer Bewertung als rechtlich wesentliche Ursache die ungeteilte Zurechnung des „Erfolgs“ zum Leistungsbereich der Sozialversicherung ist (Alles- oder Nichts-Prinzip). Eine Leistungsbegrenzung nach dem Gewicht der berufsbedingten naturwissenschaftlichen Mitbedingung im Verhältnis zu den übrigen Mitbedingungen gibt es rechtlich bislang nicht (keine Pro-rata-Kausalität); sie würde bedeuten, dass im Falle z. B. gleich gewichteter Beiträge von Rauchen und Asbestfeinstaub zum Entstehen eines Lungenkrebses die Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung pro-rata, also nur zur Hälfte zu erfolgen hätte. Nach dem hingegen gültigen Alles-oder-Nichts-Prinzip wird bei diesem Raucher mit asbestassoziierten Pleuraveränderungen die Lungenkrebserkrankung voll der BK zugerechnet.
Glaubhaftmachung In einigen gesetzlichen Vorschriften wird für die Feststellung von erheblichen Tatsachen lediglich deren „Glaubhaftmachung“ gefordert. „Eine Tatsache ist dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist“ (§ 23 Abs. 1 SGB X).
Möglichkeit Ein lediglich „möglicher“ naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang genügt den Beweisanforderungen nicht. Die Möglichkeit kennzeichnet die unterste Stufe der subjektiven Mutmaßungen über die Wahrheit. Von den naturwissenschaftlich für „bloß“ möglich gehaltenen Kausalbeiträgen sind diejenigen zu trennen, bei denen nach objektiv wissenschaftlicher Erkenntnis mehr für die Verursachung als dagegen spricht. Für Grenzfälle (am Rande von Möglichkeit zur Wahrscheinlichkeit) kann eine Kannversorgung
erfolgen (§ 1 Abs. 3 BVG). Diese ist vorgesehen, wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht erreicht werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht.
1.6 Arbeitsmedizinische Begriffe für Luft- und Biomonitoring B. Koch, D. Nowak und R. F. Kroidl
Einige Begriffe der Arbeitsmedizin sind bei der pneumologischen Begutachtung zur Beurteilung der Zusammenhangsfrage zu beachten und werden daher nachstehend dargestellt. Die Begriffe beziehen sich auf Arbeitsplatzsituationen, nicht auf die allgemeine Umwelt (Da die Arbeitsplatzexposition zeitlich begrenzt ist und da ggf. arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen erfolgen, sind arbeitsmedizinisch-toxikologische Grenzwerte in aller Regel höher als Umweltgrenzwerte, da letztere auch Säuglinge, Greise und besonders suszeptible Subgruppen schützen müssen, die am Arbeitsplatz nicht präsent sind). Formal gelten seit Inkrafttreten der neuen Gefahrstoffverordnung (2005) nur noch der Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) für die Luft am Arbeitsplatz und der Biologische Grenzwert (BGW) im biologischen Material (z. B. Blut und Urin). Die Festlegung der Werte erfolgt unter staatlicher Federführung. Zur praktischen Beurteilung der Arbeitsplatzsituation empfiehlt sich weiterhin, die Grenzwerte der DFG-Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe heranzuziehen (MAK, BAT, BLW, EKA). Bis 2004 wurde auch regelmäßig ein TRK-Wert vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) für Kanzerogene in der Atemluft am Arbeitsplatz festgelegt.
Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) Im deutschen Rechtssystem regelt die Gefahrstoffverordnung vom 23.12. 2004 (BGBl I S. 3758), wie vor Aufnahme von Tätigkeiten mit Gefahrstoffen eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen (Gefährdungsbeurteilung) vorzunehmen ist. Hierbei sind die Gefährdungen durch Einatmen (inhalativ), durch Hautkontakt (dermal) und durch physika-
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Einleitung lisch-chemische Wirkungen von Gefahrstoffen zu berücksichtigen. Bisher hatte der Staat für Stoffe und Gemische sog. Technische Grenzwerte nach dem Konzept der Technischen Richtkonzentrationen (TRK) für Krebs erzeugende Stoffe in der Luft am Arbeitsplatz aufgestellt, wenn Schwellenwerte nicht abgeleitet werden konnten. Diese Vorgehensweise ist mit der Gefahrstoffverordnung von 2004 aufgegeben worden. Zukünftig müssen Grenzwerte als sog. Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) arbeitsmedizinisch-toxikologisch begründet sein. Ein solcher AGW ist der Grenzwert für die zeitlich gewichtete durchschnittliche Konzentration eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz in Bezug auf einen gegebenen Referenzzeitraum. Er gibt an, bei welcher Konzentration eines Stoffes akute oder chronische schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen nicht zu erwarten sind.
Biologischer Grenzwert (BGW) Der biologische Grenzwert ist ein Grenzwert für die toxikologisch-arbeitsmedizinisch abgeleitete Konzentration eines Stoffes, seiner Metaboliten oder einer durch den Schadstoff oder seiner Metaboliten verursachten Veränderung biochemischer Parameter in biologischem Material, bei dem im Allgemeinen die Gesundheit eines Beschäftigten nicht beeinträchtigt wird. Die bisherigen Grenzwerte – die BAT-Werte – wurden ähnlich definiert wie die neuen BGW-Werte.
Maximaler ArbeitsplatzKonzentrations-Wert (MAK-Wert) MAK-Werte (Maximale Arbeitsplatz-Konzentration) werden von der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Argumente abgeleitet und jährlich veröffentlicht (Literatur: DFG 2008; sonstige Quellen: je Gefahrstoff über das Gefahrstoff-Informationssystem GESTIS der Deutschen Unfallversicherung). Der MAK-Wert selbst ist die höchst zulässige Konzentration eines Arbeitsstoffes als Gas-, Dampf- oder Schwebstoff in der Luft am Arbeitsplatz, die nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand auch bei wiederholter und langfristiger, in der Regel täglich 8-stündiger Exposition, jedoch bei Einhaltung einer durchschnittlichen Wochenarbeit von 40 Stunden im Allgemei-
nen die Gesundheit der Beschäftigten nicht beeinträchtigt und diese nicht unangemessen belästigt, wie z. B. durch Ekel erregenden Geruch. Arbeitsstoffe, die sich beim Menschen oder im Tierversuch hingegen als krebserzeugend erwiesen haben, werden von der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft in die Kategorien 1 oder 2 eingestuft und erhalten keinen MAKoder BAT-Wert. MAK-Werte oder die Einstufung als krebserzeugender Arbeitsstoff in die Kategorien 1 oder 2 der MAK-Werte-Liste haben nicht die Wirkung eines vorgezogenen Gutachtens für Einzelfallentscheidungen. Hier entscheidet, wie in Abschnitt I der MAK-Werte-Liste klargestellt wird, allein der ärztliche Befund unter Berücksichtigung aller äußeren Umstände des Fallhergangs. Allerdings gilt mit der Einführung eines Gefahrstoffes als krebserzeugend in K 1 oder K 2 der MAK-Werte-Liste dessen generelles krebserzeugendes Potenzial als nachgewiesen. Die Prüfung aber, ob und unter welchen Umständen der Gefahrstoff zugleich auch generell geeignet ist, die in einem konkreten Fall festgestellte spezifische Krebsart oder Krebslokalisation zu verursachen und welche Schlüsse daraus für das individuelle Risiko eines bestimmten Versicherten zu ziehen sind, wird nicht präjudiziert.
Biologischer ArbeitsstofftoleranzWert (BAT-Wert) Der BAT-Wert (biologischer Arbeitsstofftoleranzwert; Literatur: DFG 2008) ist die beim Menschen höchst zulässige Quantität eines Arbeitsstoffes bzw. Arbeitsstoffmetaboliten oder die dadurch ausgelöste Abweichung eines biologischen Indikators von seiner Norm, die nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis im Allgemeinen die Gesundheit der Beschäftigten auch dann nicht beeinträchtigt, wenn sie durch Einflüsse des Arbeitsplatzes regelhaft erzielt wird. BATWerte dienen im Rahmen spezieller arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen dem Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz. Sie geben eine Grundlage für die Beurteilung der Bedenklichkeit oder Unbedenklichkeit von im Organismus aufgenommenen Arbeitsstoffmengen ab. Der Staat berücksichtigt diese Werte im Rahmen seines Ermessens bei der Regelung von den arbeitsschutzverbindlichen biologischen Grenzwerten (Technische Regeln für Gefahrstoffe – TRGS 903
Arbeitsmedizinische Begriffe für Luft- und Biomonitoring „Biologische Grenzwerte“, Ausgabe Dezember 2006).
Anmerkung TRGS Die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) geben den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene sowie sonstige gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, einschließlich deren Einstufung und Kennzeichnung, wieder (Internet: www.baua.de, s. dort: Themen von A – Z/Gefahrstoffe/TRGS). Wird in der TRGS 903 ein BAT-Wert aufgeführt, ist Biomonitoring Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung. Unter Biomonitoring (BM) versteht man die Untersuchung biologischen Materials (z. B. Blut, Urin u. a.) von Beschäftigten zur Bestimmung von Gefahrstoffen, deren Metaboliten oder deren biochemischen bzw. deren biologischen Effektparametern. Dabei ist es das Ziel, die Belastung der Beschäftigten zu erfassen, die erhaltenen Analysenwerte mit Grenzwerten zu vergleichen und die geeigneten Maßnahmen vorzuschlagen, um die Belastung zu reduzieren. Man unterscheidet Belastungsmonitoring sowie biologisches und biochemisches Effektmonitoring (Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen, Anhang 3, Leitfaden für den praktischen Einsatz des Biomonitorings bei arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen nach Berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen). Das Belastungsmonitoring erfasst die innere Belastung durch die Bestimmung der Gefahrstoffe und deren Metabolite im biologischen Material. Beim biologischen Effektmonitoring werden biologische Reaktionen auf Zellebene erfasst (z. B. Mutationen, zytogenetische oder zytotoxische Effekte). Sowohl MAK-Werte-Liste als auch TRGS 903 weisen darauf hin, dass allergische Erscheinungen z. B. nach Sensibilisierung der Haut oder Atemwege, je nach persönlicher Disposition unterschiedlich schnell und stark durch Stoffe verschiedener Art ausgelöst werden. Die Einhaltung des BAT-Wertes bzw. biologischen Grenzwertes gibt keine Sicherheit gegen das Auftreten derartiger Reaktionen.
Ehemaliger TRK-Wert und EKA-Wert Für krebserzeugende und keimzellmutagene Arbeitsstoffe können keine MAK-Werte aufstellt werden, da die Unbedenklichkeit eines Toleranzwertes praktisch nicht wissenschaftlich zu belegen ist. Bestimmte Arbeitsstoffe sind aber technisch unvermeidlich. Der Ausschuss für Gefahrstoffe stellte daher bis 2004 TRK-Werte (Technische Richtkonzentrationen) auf, die die Konzentration eines gefährlichen Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz angeben, die nach dem Stand der Technik nicht überschritten werden durften. Die Einhaltung des (ehemaligen) TRK-Wertes sollte das Risiko für die Gesundheit vermindern, ohne es aber vollständig ausschließen zu können. Eine Aktualisierung des TRK-Konzepts wird derzeit nicht vorgenommen. In Analogie zu den BAT-Werten wurden für krebserzeugende Stoffe im biologischen Material (Blut oder Urin) EKA-Werte (Expositionsäquivalente für krebserzeugende Arbeitsstoffe) angegeben, da kein als unbedenklich anzusehender BATWert benannt werden konnte. Diese gaben an, welche innere Belastung sich bei ausschließlich inhalativer Stoffaufnahme bei den benannten Luftkonzentrationen für einen Stoff ergeben würde. Eine Aktualisierung des EKA-Konzepts wird derzeit nicht vorgenommen.
Biologischer Leitwert (BLW) Der 2002 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft neu eingeführte Biologische Leitwert (BLW) ist die Quantität eines Arbeitsstoffes bzw. Arbeitsstoffmetaboliten (oder die dadurch ausgelöste Abweichung eines biologischen Indikators von seiner Norm), die als Anhalt für die zu treffenden Schutzmaßnahmen heranzuziehen ist. Biologische Leitwerte werden nur für solche gefährlichen Stoffe benannt, für die keine arbeitsmedizinisch-toxikologisch begründeten BAT-Werte aufgestellt werden können. Der BLW orientiert sich an den arbeitsmedizinischen und arbeitshygienischen Erfahrungen im Umgang mit dem gefährlichen Stoff unter Heranziehung toxikologischer Erkenntnisse. Bei Einhaltung des biologischen Leitwertes ist das Risiko einer Beeinträchtigung der Gesundheit nicht ausgeschlossen.
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Einleitung Tabelle 1.2 Begriffe der Arbeitsmedizin fr Luft- und Biomonitoring. Begriff
Kurzdefinition
Beispiel
AGW BGW
neuer Luftgrenzwert fr Arbeitsstoffe neuer Grenzwert in Blut und Urin fr Arbeitsstoffe/-metaboliten wissenschaftlich begrndeter Luftgrenzwert wissenschaftlich begrndeter BiomonitoringWert bis 2004 verwendeter Luftgrenzwert fr Kanzerogene bis 2004 verwendeter Biomonitoring-Wert fr Kanzerogene Biomonitoring-Wert fr Kanzerogene und Stoffe mit ungengender Datenlage Oberbegriff fr BAT, EKA, BLW
alveolengngiger Staub 1,5 mg/m3 HF 7 mg/g Kreatinin nach Schicht
MAK-Wert BAT-Wert TRK-Wert EKA-Wert BLW BW
Biologischer Wert (BW) Der Biologische Wert (BW) umfasst BAT-, EKA- und BLW.
1.7 Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) H. Piechowiak und D. Radenbach
Die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health) wurde 2001 von der World Health Organization (WHO) verabschiedet. Sie ist die Fortentwicklung der früheren ICIDH (International Classification of Impairments, Disability and Handicaps) auf breiterer konzeptioneller Grundlage. Ihre Zielsetzung ist eine länder- und fächerübergreifende einheitliche sprachliche Darstellung sowie die Möglichkeit der Kodierung des funktionalen Gesundheitszustandes einer Person auf Basis des bio-psycho-sozialen Modells. Weitere Ziele sind die Verbesserung der weltweiten Kommunikation über Gesundheit, Krankheitsfolgen und alle Aspekte der gesundheitsrelevanten Versorgung sowie deren bessere Erfassbarkeit, Erforschung und Vergleichbarkeit. Abb. 2.1 gibt das in einem konkreten Beispiel wieder.
SO2 0,5 ppm HF 7 mg/g Kreatinin nach Schicht Arsensure 0,1 mg/m3 Arsen 130 g/l Urin (bei As2 O3-Exposition) metallisches Arsen 50 g/l Urin
Warum ICF in der pneumologischen Beurteilung und Begutachtung? Derzeit spielt das ICF-Konzept in der täglichen pneumologischen Arbeit noch keine wesentliche Rolle. Da es die „Funktionsfähigkeit“ des ganzen Menschen im bio-psycho-sozialen Kontext umfasst („über den FEV1 hinausgehend“), ist es bislang vorrangig in der Rehabilitationsmedizin etabliert, hier auch mit gutachterlicher Relevanz. Für Patienten mit Atemwegs- und Lungenerkrankungen wird das ICF-Konzept auch außerhalb des Reha-Settings künftig an Bedeutung zunehmen. fi Für Unfallrecht (noch) nicht bedeutsam. fi Für Rentenrecht (Reha-) unverzichtbar. (Bezüglich Reha COPD: Siehe Literatur Fischer et al. 2007, Abschnitt 4.)
Obwohl die ICF – über ihre Vorgänger-Klassifikationen (ab 1980) – inzwischen eine lange Vorgeschichte aufweist, hat ihre spezifische Betrachtungsweise bisher nur vergleichsweise wenig Eingang in das ärztliche Denken gefunden. Die Ursache dafür dürfte weniger in ihrem Denkansatz und ihrer Zielsetzung liegen – die dürften Ärzten im Prinzip sehr wohl vertraut sein –, sondern eher in dem immer noch überwiegend traditionell verstandenen ärztlichen Tätigkeitsbereich mit seiner Fokussierung auf Diagnostik und Therapie sowie der für Ärzte eher ungewohnten Begrifflichkeit, auf die sich die verschiedenen Fachdisziplinen geeinigt haben.
Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF)
Gesundheitsproblem/ICD -10 • J 44.11 • E 11 • I 10.1
COPD, FEV1 50 % des Sollwertes Diabetes mellitus Typ II Hypertonie Stadium I (ohne Organveränderung)
Aktivitäten
Körperfunktion und -strukturen Schädigung von…
Beeinträchtigung der ...
• • • •
• Gehstrecke, auf 300 m in 20 min eingeschränkt • Gehen und Treppensteigen verlangsamt
Atemnot bei Steigung Durchschlafstörungen Tagesschläfrigkeit Gedächtnisstörungen
Hausarzt 300 m Erdgeschosswohnung (0 Stufen) Bushaltestelle am Haus Siedlungsbereich (viel Grün, wenig Schadstoffemission) • Fachärzte 15 km • Lebensmittelgeschäft 3 km entfernt
• Beeinträchtigung der Selbstversorgung aufgrund Gehleistung • Vorstandsmitglied Kleingärtnerverein
Personenbezogene Faktoren
Umweltbezogene Faktoren • • • •
Teilhabe (Partizipation)
• Raucher • Übergewicht • Heimtrainer
+ + + + – –
– – +
Kontextfaktoren • Förderfaktoren • Barrieren
+ –
Abb. 1.2 Klassifikation von Aktivitt und Partizipation ICF – WHO; ICF = International Classification of Functioning, Disability and Health. (Mod. nach: ICF-Leitfaden der Bundesarbeitsgemeinschaft fr Rehabilitation).
Wo die ICIDH noch primär ein Krankheitsfolgenmodell war und Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und (soziale) Beeinträchtigungen überwiegend als Attribute der betroffenen Person betrachtete, macht die ICF gewissermaßen Ernst mit dem Faktum, dass der Mensch ein „ens sociale“ ist, das unvermeidbar in einer Mitwelt agiert und mit seiner Umwelt permanent in Beziehung steht. Das kommt bereits in der dualen Struktur der ICF zum Ausdruck „Funktionsfähigkeit und Behinderung“ (Teil 1) und „Kontextfaktoren“ (Teil 2). Die Sichtweise der ICF ist nicht nur Defizitorientiert (wie die ICIDH), sondern sie berücksichtigt auch die Ressourcen, die einen bedeutsamen Einfluss auf die „Funktionsfähigkeit“ des Menschen haben. Der Terminus „Funktionsfähigkeit“ (nicht mehr der der „Schädigung“) ist damit der zentrale Oberbegriff der Klassifikation. Das Negativ-Pendant
dazu ist die „Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit“ bzw. der Begriff der „Behinderung“, der seinerseits ein Oberbegriff für alle Schädigungen (von Körperstrukturen und -funktionen) sowie Beeinträchtigungen (von Aktivitäten und Teilhabe) ist. Die „Kontextfaktoren“ stehen schließlich für den gesamten Lebenshintergrund einer Person und werden unterteilt in Umweltfaktoren, die auch ausführlich klassifiziert werden, und personbezogene Faktoren, also innere Einflüsse, die explizit erwähnt, aber wegen der immensen Unterschiede zwischen den Kulturen nicht klassifiziert werden. Hierzu existieren bereits Kurzversionen und Arbeitshilfen, die auch andeuten, dass die Umsetzung in die Praxis noch eine Herausforderung darstellt. Die durchgängige Klassifikation bei Körperstrukturen/-funktionen wie bei Aktivitäten/Partizipationen beinhaltet „nicht vorhandene Störungen bzw. Beeinträchtigungen“ (= Funktionsfähigkeit), sowie „leichte“, „mäßige“, „erhebliche“ und
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Einleitung Abb. 1.3 Wechselwirkun-
Gesundheitsproblem (Gesundheitsstörung oder Krankheit)
Körperfunktionen und –strukturen
gen zwischen den Komponenten der ICF. (Mod. nach: WHO 2001, DIMDI.)
Partizipation [Teilhabe]
Aktivitäten
Umweltfaktoren
personbezogene Faktoren
„volle“ (= Ausfall einer Struktur, Funktion, Aktivität, Teilhabemöglichkeit) Störungen bzw. Beeinträchtigungen. • Körperstrukturen sind Organe (z. B. Trachea, Lunge, Bronchialbaum, Brustkorb) sowie Gliedmaßen und deren Teile, • körperliche und seelische Funktionen wären u. a. Atmungsfunktion, Funktion der Atemmuskulatur, kardiorespiratorische Belastbarkeit bzw. Bewusstsein, Orientierung, Intelligenz, Temperament, psychische Energie und Antrieb, • Aktivitäten sind alle einfachen wie komplexen Handlungen und Aufgaben, die ihrerseits Vorbedingungen sind für • Partizipation, nämlich die „Teilhabe“ des Menschen an einer Vielzahl von Lebenssituationen (z. B. in den Bereichen Wissenserwerb, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung, häusliches Leben, interpersonelle Interaktionen etc.). Abb. 1.3 versucht, diese vielfältigen Wechselbeziehungen anschaulich zu machen. Während die den Ärzten besser vertraute ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) primär die Krankheiten klassifiziert, erhebt die ICF, wie bereits angedeutet, den Anspruch, auf alle Menschen, auch ohne Behinderungen, anwendbar zu sein. Die ICF will die ICD ergänzen und – wie oben dargestellt – mit ihrer Betrachtungsweise ein breiteres und angemesseneres Bild der „Gesundheit“ von Menschen und Populationen bzw. deren Beeinträchtigungen vermitteln. Auch das ICF-Konzept ist noch eng an die Körperfunktionen und -strukturen gebunden. Es kann manche in der Realität vorkommenden Beeinträchtigungen der Partizipation (z. B. in Form von
Diskriminierung oder Stigmatisierung) ohne Beeinträchtigungen physischer oder psychischer Funktionen (Beispiel: HIV-Positivität oder ein früher durchgemachtes seelisches Leiden) nur bedingt bzw. unter Berücksichtigung anamnestischer Gegebenheiten abbilden. Auch bloße genetische Befunde, wie z. B. ein Proteasen-Inhibitormangel, der im Rahmen einer Feld- oder Familienstudie zufällig festgestellt wurde, beinhaltet natürlich noch keine aktuelle Störung der physischen oder psychischen Funktionen. Gleichwohl können solche Sachverhalte durchaus für die Lebensbereiche „Gesundheitsvorsorge und Absicherung“ dann sehr nachteilig sein, wenn deswegen der Abschluss einer privaten Kranken- oder Lebensversicherung nicht (oder nur zu wesentlich ungünstigeren Bedingungen) möglich sein sollte. Für den Vertragsarzt ist die Perspektive der ICF v. a. bedeutsam für die Antragstellung von Rehabilitationsmaßnahmen (vgl. Reha-Richtlinie des G-BA = Gemeinsamer Bundesausschuss; früher „Bundesausschuss der Ärzte bzw. Zahnärzte und Krankenkassen [KKn]“), die seit 1. 4. 2007 an bestimmte formale Voraussetzungen gebunden ist.
Praxis Das Formblatt „Einleitung von Leistungen zur Rehabilitation oder alternativen Angeboten“ (4 Seiten), zu laden über www.g-ba.de/downloads/39-261-42/2004-03-16-Reha.pdf, beinhaltet eine von der ICF abgeleitete Kriterienliste, die folgende Parameter enthält: • Kommunikation • Selbstversorgung • Häusliches Leben • Interpersonelle Aktivitäten • Bedeutende Lebensbereiche.
Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) Tabelle 1.3 Relevante Elemente der ICF in der Pneumologie. ICF
Bezeichnung
b134 b440 b450 b455 b460 b530 d230 d450 d455 e110 e115 e260
Funktionen des Schlafes Atmungsfunktionen weitere Atmungsfunktionen Funktionen der kardiorespiratorischen Belastbarkeit mit dem kardiovaskulren Atmungssystem verbundene Empfindungen Gewichtsnormalisierung die tgliche Routine durchfhren Gehen sich auf andere Weise fortbewegen Produkte und Substanzen fr den persçnlichen Gebrauch Produkte und Technologien zum persçnlichen Gebrauch im alltglichen Leben Luftqualitt
Darüber hinaus ist die Kenntnis der ICF eine unerlässliche Voraussetzung für Begutachtungen in der Sozial- und Versicherungsmedizin, da es dabei in den allermeisten Fällen um die Feststellung von dauerhaften Funktionsstörungen und die korrekte Bewertung derer Auswirkungen auf Aktivitäten und Teilhabemöglichkeiten geht. In der (pneumologischen) Rehabilitationsmedizin kommt der ICF ebenfalls eine wichtige Bedeutung zu (s. Tab. 1.3). Eine Projektgruppe der BAR (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation) präsentierte ein Musterbeispiel für ein trägerübergreifendes verständliches Reha-Gutachten nach den Anforderungen des SGB XI, in das wesentliche Elemente der ICF Eingang gefunden hatten. „Trägerübergreifend“ bedeutet hier, dass Anforderungen aus dem Bereich der Gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung Rechnung getragen wurde. Die ICF mag zunächst wie ein mit der medizinischen Praxis wenig verbundenes theoretisches Gebäude erscheinen. Sie verbindet jedoch auf konsequente Weise
1. die Krankheit (z. B. chronische obstruktive Bronchitis) über 2. die Störung der Körperfunktionen (des Atmens und der kardiorespiratorischen Belastbarkeit) mit 3. der daraus folgenden Beeinträchtigung einer Aktivität (z. B. der Mobilität, der Selbstversorgung) und der Teilhabe (wirtschaftliche Eigenständigkeit, Gemeinschaftsleben). Alle Krankheitsfolgen können die medizinische Basis für Sozialleistungen sein, z. B. bei einer krankheitsbedingten Unfähigkeit der Ausübung der Arbeit (Beeinträchtigung der Teilhabe) für das Krankengeld, bei einer Störung der Körperfunktion „kardiorespiratorische Belastbarkeit“ durch eine Berufskrankheit für die Rente der Berufsgenossenschaft, bei dauerhafter Unfähigkeit einer Erwerbstätigkeit für die Erwerbsminderungsrente oder bei einer schweren Beeinträchtigung der Aktivität der Selbstversorgung für die Leistungen der Pflegeversicherung.
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung
Das Spezifikum jeder Begutachtung ist darin zu sehen, dass medizinische Sachverhalte unter Berücksichtigung rechtlicher Vorgaben zu bewerten und für die zumeist nicht medizinischen Auftraggeber, i. d. R. Verwaltungen und Gerichte, allgemeinverständlich darzustellen sind. In den modernen Industriestaaten sind die sozialen Sicherungssysteme sehr komplex geworden. Teilweise sind – wie in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung – über 90% der Bevölkerung in die soziale Risiko-Vorsorge einbezogen. Neben den medizinischen Standards (Symptom- und Befundgraduierungen, Stadieneinteilungen, diagnostische und therapeutische Leitlinien der Fachgesellschaften) ist eine Fülle von rechtlichen Vorschriften (Gesetzestexte, Rechtsverordnungen, administrative Erlasse und Richtlinien der verschiedensten Art) zu beachten. Sinngemäß gilt dies auch bei Begutachtungen für private Versicherungsträger, von denen die jeweils konkret geltenden Rechtsgrundlagen in Form der allgemeinen, ggf. auch besonderen Versicherungsbedingungen mitzuteilen oder ggf. zu erfragen sind. Die medizinischen Standards verfolgen das Ziel der bestmöglichen (z. T. auch der kostengünstigsten) Diagnostik und Therapie eines Leidens,
während die rechtlichen Vorgaben v. a. die Zielsetzung haben, die trotz optimaler Behandlung verbleibenden dauerhaften Krankheitsfolgen hinsichtlich der sozialen Leistungs- bzw. Entschädigungsansprüche zu vereinheitlichen. In manchen Rechtsbereichen, z. B. dem sozialen Entschädigungsrecht (SER) oder der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV), u. U. auch in der privaten Unfallversicherung (z. B. bei Verdacht auf Selbstbeschädigung) kann die Frage der „Kausalität“ eines Leidens eine entscheidende Rolle spielen und muss dann ggf. eine eigenständige Würdigung erfahren. Demgegenüber ist die Mehrheit der sozialen Leistungsgesetze ausschließlich „final“ orientiert.
2.1 Das System der sozialen Sicherung H. Piechowiak und D. Radenbach
Die Tab. 2.1 gibt einen Überblick über die vier großen Sozialrechtsbereiche sowie deren wichtigste Charakteristika. Aus jedem dieser Bereiche
Tabelle 2.1 bersicht ber die wichtigsten Sozialrechtsbereiche. KK: Krankenkasse, DRV: Deutsche Rentenversicherung. Sozialversicherung Aufgabe Sicherung gegen kalkulierbare allgemeine Risiken des Lebens durch Zusage von Sach- und Geldleistungen
Soziale Entschädigung
Soziale Förderung und Ausgleich
Sozialhilfe
Schadensausgleich fr Gesundheitsschden durch besondere Risiken, fr die die Allgemeinheit eine besondere Verantwortung trgt
Entfaltungshilfe zur Sicherung des Chancenausgleichs – teilweise unter Bercksichtigung der Vermçgenssituation
Basissystem der sozialen Sicherung bei den verschiedensten Notlagen, zur Sicherung des Existenzminimums, wenn andere private oder çffentliche Untersttzungsleistungen nicht mehr greifen oder darauf kein Rechtsanspruch besteht Fortsetzung nächste Seite
Das System der sozialen Sicherung Tabelle 2.1 bersicht ber die wichtigsten Sozialrechtsbereiche (Fortsetzung). Sozialversicherung Finanzierung berwiegend durch Beitrge der Versicherten und/oder deren Arbeitgeber, daneben staatliche Zuschsse Risiken und wesentliche Rechtsgrundlagen l
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Arbeitslosigkeit (SGB III) Krankheit (einschl. AU; SGB V) Alter und Erwerbsminderung (SGB VI) Arbeitsunfall und Berufskrankheit1 (SGB VII) Pflegebedrftigkeit (SGB XI) Rehabilitation, bergreifend (SGB IX)
Soziale Entschädigung
Soziale Förderung und Ausgleich
Sozialhilfe
allgemeine Steuermittel
allgemeine Steuermittel
allgemeine Steuermittel
Entschädigungen und deren wesentliche Rechtsgrundlagen l Versorgung der Opfer des Krieges und der nationalsozialistischen Verfolgung (BVG, BEG) l Wehr- und Zivildienstschden1 (SVG, ZDG) l rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehung oder Verwaltungsakte (StrRehaG, VwRehaG) l Schden whrend der Haft (HHG) l Impfschden1 (IfSG) l Hepatitis-C-Infektion durch Anti-D-Immunprophylaxe in der ehem. DDR (AntiDHG) l Gewaltverbrechen1 (OEG)
Förderungsbereiche und deren wesentliche Rechtsgrundlagen l Ausbildungsfçrderung (BAfçG) l Schwerbehindertenrecht2 (SGB IX, Teil 2) l Arbeitsfçrderung2 (SGB III) l Kindergeld (BuKiGG) l Erziehungsgeld (BerzGG), Elterngeld (BEEG) l Wohngeld (WoGG)
Wesentliche Rechtsgrundlagen
Träger bzw. Zuständigkeiten Bundesagentur fr in aller Regel: mter und Arbeit und regionale Landesmter fr VersorAgenturen fr Arbeit gung (mit z. T. individuell gesetzl. Krankenkassen len Bezeichnungen in den (Orts-, Innungs- u. Beeinzelnen BundeslntriebsKKn, Ersatzkasdern), ggf. sonstige mter sen, See-KK, landwirtin den Bundeslndern schaftl KKn und knappschaftliche Krankenversicherung) l DRV Bund mit Regionaltrgern sowie DRV Knappschaft-, Bahn-See l landwirtschaftliche Alterskassen l gewerblich und landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften l Unfallversicherungstrger der çffentlichen Hand, See-Berufsgenossenschaft l gesetzliche Pflegekassen (bei den Krankenund Ersatzkassen) l
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zustndig fr das Schwerbehindertenrecht: mter und Landesmter fr Versorgung (mit z. T. individuellen Bezeichnungen in den einzelnen Bundeslndern) zustndig fr die Arbeitsförderung: Agenturen fr Arbeit, oft in Verbindung mit den beruflichen Fortbildungszentren (bfz)
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Grundsicherung fr Arbeitssuchende3 (SGB II) Sozialhilfe (SGB XII)
çrtliche und berçrtliche Trger der Sozialhilfe, bei Arbeitssuchenden z. T. gemeinsam mit den çrtlichen Agenturen fr Arbeit
Kausalitt bedeutsam Rechtsgebiet mit medizinischem Begutachtungsbedarf Fragestellungen i. d. R. nach dem erwerbsbezogenen Leistungsvermçgen oder pflegerischem Hilfebedarf
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung können medizinische Gutachtensaufträge kommen. Der zweifellos wichtigste Bereich ist der der Sozialversicherung. Einige Sozialversicherungszweige, z. B. die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV), die Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) oder die Arbeitsverwaltung (BA, Bundesagentur für Arbeit), lassen sich – z. T. überwiegend – von in den Institutionen angestellten Ärzten medizinisch beraten. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) mit den unter ihrem Dach errichteten Pflegekassen verfügt jedoch mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) über einen eigenständig organisierten Gutachterdienst, dessen Aufgaben im SGB V (9. Kapitel) und SGB XI (§ 17 f, 80, 92 a, 97, 114 ff u. a.) beschrieben sind. Die Unabhängigkeit der Gutachter hinsichtlich ihrer medizinischen Beurteilungen ist in § 275 Abs. 5 SGB V gesetzlich festgelegt. Alle Institutionen der Sozialversicherung haben die Möglichkeit, bei „Erforderlichkeit“ externe Gutachter einzusetzen. Von diesem Ermessen wird sehr unterschiedlich Gebrauch gemacht.
2.2 Krankenversicherung H. Piechowiak und D. Radenbach
Die wichtigsten Begutachtungsanlässe in der GKV sind die Beurteilung 1. des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit (AU) sowie – entsprechend dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V – die Beurteilung der Notwendigkeit 2. einer ambulanten/stationären Vorsorge- oder Rehabilitationsleistung, 3. einer Hilfsmittelversorgung und 4. einer stationären Krankenhaus-(KH-)Behandlung, auf die im vorliegenden Kontext aber nicht näher eingegangen wird. Dabei geht es i. d. R. aber nicht nur um die bloße Feststellung der Notwendigkeit, sondern auch um die Beratung zu Art und Umfang der jeweiligen Leistung. Andere Fragestellungen, z. B. zu Heilmittelverordnungen oder zu neuen bzw. nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethoden, stehen bei den Gutachtern der GKV derzeit zahlenmäßig deutlich zurück. Sie nehmen aber teilweise zu – wie z. B. die Anfragen nach dem Vorliegen eines Behandlungsfehlers.
Alle Leistungen der GKV basieren auf gesetzlichen Bestimmungen des SGB V. Konkretisiert werden die Leistungsvoraussetzungen durch Richtlinien (RLn), die für die KKn, den MDK sowie die Vertrags- und Krankenhausärzte verbindlich sind. Beschlossen werden diese RLn vom „Gemeinsame(n) Bundesausschuss“ (G-BA, früher „Bundesausschuss der Ärzte bzw. Zahnärzte und KKn“). Alle RLn verfolgen das Ziel einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten. Der G-BA ist ein Gremium der Selbstverwaltung und besteht aus Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sowie – derzeit noch – der verschiedenen Bundesverbände der KKn, der Bundesknappschaft und der Verbände der Ersatzkassen. An die Stelle der verschiedenen „Spitzenverbände“ der KKn tritt in Zukunft der sog. „Spitzenverband Bund“, ein einheitlicher Dachverband für alle Kassenarten. Die vom G-BA erarbeiteten RLn sind vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zu genehmigen. Nach ihrer Bekanntmachung im Bundesanzeiger sind sie für alle Beteiligten verbindlich. Die jeweils aktualisierten Fassungen der RLn, z. B. zur AU, zu Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen, zu häuslicher Krankenpflege, Hilfsmittelverordnung usw., können im Internet unter www.mds-ev.de eingesehen werden. Man findet sie auch auf den Homepages des G-BA (www.g-ba.de/informationen) oder der KBV (www.kbv.de/rechtsquellen).
Arbeitsunfähigkeit (AU), Arbeitsfähigkeit (AF) Anders als die meisten anderen „zentralen“ Begriffe des Sozialrechts (z. B. Arbeitsunfall, Berufskrankheit, Erwerbsminderung, Pflegebedürftigkeit, Schwerbehinderung) ist der Begriff der AU nicht gesetzlich definiert, sondern durch die langjährige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) geprägt worden. Definition AU: Im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) liegt AU dann vor, wenn ein Versicherter seiner zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit (oder einer ähnlich gearteten) aus Krankheitsgründen überhaupt nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung nachgehen kann.
Krankenversicherung AU begründet im Arbeitsrecht den Anspruch auf Entgeltfortzahlung, in der GKV einen solchen auf Krankengeld (KG), beginnend am Tag nach Feststellung der AU, wobei der Anspruch aber „ruht“, solange Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht. Generell gilt, dass das aktuell bestehende und zumeist krankheitsbedingt eingeschränkte Leistungsvermögen zu den Anforderungen der maßgeblichen Tätigkeit in Beziehung gesetzt werden muss. Dabei können die konkreten Anforderungen des real existierenden oder eines abstrakten Arbeitsplatzes entscheidend sein für die Frage, ob AU oder AF vorliegt. „AU“ unterstellt, dass ein bestimmtes Ausmaß von Arbeitsfähigkeit vorhanden war und zukünftig wieder zu erwarten ist.
Praxis Beispiel 1: Der Pat. arbeitet 5 Jahre lang als Zimmermann, dann wird er arbeitsunfähig („au“) wegen chronischer Bronchitis. Er kann auf Dauer keine schweren Arbeiten mehr ausführen. Dem Patienten wird gekündigt. Das eingeschränkte Leistungsvermögen ist unstrittig. Ist jetzt aber die Arbeitsfähigkeit weiter an der Tätigkeit eines Zimmermanns (hierfür auf Dauer „au“) oder am „allgemeinen Arbeitsmarkt“ mit auch leichten Tätigkeiten (z. B. Pförtner, Apothekenbote) zu messen? Dies ist etwas, was der Arzt nicht entscheiden kann. Er kann jedoch die Krankenkasse auffordern, dies zu klären und mitzuteilen. Beispiel 2: Eine leitende Arzthelferin verstaucht sich den rechten Daumen und trägt einen Gips. Sie erhält Arbeitsunfähigkeit vom Chirurgen attestiert. Sie könnte sehr wohl wichtige Arbeit in der Praxis verrichten (Management, Telefon etc.), nimmt aber Arbeitsunfähigkeit voll in Anspruch; Arbeitgeber ist verärgert. Verschiedene Aspekte sind bei der rechtlichen Beurteilung zu bedenken: • Der bisherige Arbeitsplatz setzte vorwiegend beidhändigen Arbeitseinsatz voraus, das ist derzeit nicht möglich. • Eine Teilarbeitsunfähigkeit ist im Sozialgesetz nicht vorgesehen. Möchte der Arbeitgeber, dass seine Mitarbeiterin entsprechend ihrem „Restleistungsvermögen“ weiterarbeitet, so ist dies möglich, wenn dieser ihr einen entsprechenden Arbeitsplatz anbietet.
Der Arbeitgeber kann ggf. über die Krankenkasse den Medizinischen Dienst bitten, die Arbeitsfähigkeit für einen bestimmten Arbeitsplatz klären zu lassen. Auf Basis der Definition der AU sind v. a. zwei Fallgruppen zu unterscheiden: • bei Beginn der AU besteht – ggf. „noch“ – ein Arbeitsverhältnis oder • bei Beginn der AU besteht kein Arbeitsverhältnis mehr.
Bestehendes Arbeitsverhältnis Im Regelfall des bestehenden ungekündigten Arbeitsverhältnisses ist stets sehr genau die gesamte von einem Arbeitnehmer zuletzt ausgeübte bzw. die arbeitsrechtlich geschuldete Tätigkeit vom behandelnden Arzt/Gutachter zu erfragen. (Ausnahme: allenfalls die „initiale“ AU-Bescheinigung, die auch aus juristischer Sicht einem „Glaubensbekenntnis“ gleichkommt.) Ein einziges, regelmäßig erforderliches Arbeitselement, das aus gesundheitlichen Gründen nicht verrichtet werden kann, führt im Bereich der GKV zu AU, da das deutsche Sozialrecht keine zeitlich befristete oder auf Teilleistungen begrenzte Arbeitsfähigkeit kennt. Das deutsche Sozialrecht kennt keine zeitlich befristete oder auf Teilleistungen begrenzte Arbeitsfähigkeit.
Praxis Beispiel 1: „AU bei Unvereinbarkeit mit spezifischen Arbeitsanforderungen“ Ein vollschichtig tätiger Bauingenieur ist deshalb auch dann „au“, wenn er an 4 Tagen/Woche zwar problemlos Innendienst leisten kann, ihm aber wegen der Schwere seiner Erkrankung die an einem Tag/Woche erforderliche Baustellen-Begehung oder vielleicht sogar nur das an diesem Tag ebenfalls zeitweise erforderliche Besteigen von Leitern oder Treppen nicht möglich ist. Dies ist unabhängig davon, ob er etwa an einer koronaren Herzkrankheit (KHK), einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD) oder einer degenerativen Beeinträchtigung des Bewegungsapparates leidet. Er wird erst wieder arbeitsfähig, wenn der Arbeitgeber, meist auf Ersuchen des Arbeitnehmers oder seiner Krankenkasse (KK),
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung von seinem Direktionsrecht Gebrauch macht und ihm ausschließlich Dienst in temperierten Räumen zuweist. Beispiel 2: „AU bei Unvereinbarkeit mit spezifischen Arbeitsanforderungen“ Wegen der stets erforderlichen Vereinbarkeit von Gesundheitsstörungen und Arbeitsanforderungen kann ein Techniker, der im Reinraumbereich eines Chipherstellers tätig ist, durchaus wegen einer ihn im Alltag nicht besonders beeinträchtigenden chronischen Rhinitis/Sinusitis oder eines chronisch persistierenden (laryngealen) Reizhustens sogar längerfristig „au“ sein, bis dauerhafte Sanierung bzw. Symptomkontrolle erzielt ist. Sind „Umsetzungen“ am Arbeitsplatz (dauerhaft bei dem Bauingenieur, eher zeitlich befristet bei dem Techniker) betrieblich nicht möglich, was v. a. in kleineren Firmen der Regelfall ist, besteht rechtlich AU (mit bis zu 78-wöchigem KG-Anspruch während einer von der KK zu bildenden Dreijahres-Blockfrist). Die ist vor allem dann zutreffend, wenn die therapeutischen und rehabilitativen Bemühungen hinsichtlich der entscheidenden Arbeitselemente keine wesentliche Besserung bewirkt haben und der Arbeitnehmer nicht vor Ablauf des Leistungsanspruchs entweder eine neue, besser geeignete Tätigkeit gefunden und angetreten hat bzw. sich (von sich aus) arbeitslos gemeldet oder eine berufliche Reha-Maßnahme begonnen hat.
Praxis Beispiel: „Gefahr der Verschlimmerung“ Ein während der AU und am Wochenende beschwerdefreier Bäcker mit Bäckerasthma bleibt „au“, weil er nur „unter der Gefahr der Verschlimmerung“ seiner Tätigkeit nachgehen könnte. Allerdings muss diese „Gefahr der Verschlimmerung“ zeitlich absehbar und/oder erheblich sein (klassisches Beispiel: die Tätigkeit von Anfallskranken auf Leitern und Gerüsten oder in beruflichen Fahrtätigkeiten). Die bloße Möglichkeit einer Verschlechterung (z. B. des wieder Auftretens von Lumbalgien bei einem Bauarbeiter) ist nicht ausreichend. Etwas schwieriger ist die Sachlage, wenn das Arbeitsverhältnis am Tag der AU-Feststellung formal noch besteht, aber bereits gekündigt ist und in weni-
gen Tagen oder Wochen definitiv beendet sein wird. Hier sind bekanntlich in vielen Fällen außermedizinische Einflussfaktoren wirksam. Muss und kann ein Arbeitnehmer gar nicht in die „letzte“ Tätigkeit zurückkehren, macht es zumindest nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses keinen Sinn, unterschiedslos die gesamte Tätigkeit der Beurteilung der AU zugrunde zu legen. Für solche Fälle gilt, dass eine „ähnlich geartete“ Tätigkeit der Beurteilung zugrunde zu legen ist.
Praxis Beispiel: „oder eine ähnlich geartete Tätigkeit“ Ein Berufskraftfahrer mit Bronchialasthma, dessen gesundheitliche Probleme beim Begehen von Kühlhäusern in der bisherigen Tätigkeit als Lebensmitteltransporteur im Grunde problemlos nachvollziehbar sind, wäre nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses nicht mehr „au“, weil er bei der anstehenden Arbeitssuche als „Berufskraftfahrer“ auf zahlreiche Tätigkeiten ohne dieses Anforderungselement ausweichen kann. Der Fall verweist allerdings auf eine gutachterlich wichtige Differenzierung, die in der Praxis durchaus Abgrenzungsprobleme verursachen kann: • Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschieht eindeutig oder überwiegend aus betrieblichen Gründen, der Arbeitnehmer hat also bisher das i. d. R. maximal mittelschwere Beschwerdebild – wenn auch vielleicht mit gelegentlichen Exazerbationen seines Leidens und einzelnen kurzfristigen AU-Phasen – so befriedigend toleriert, dass er von sich aus die Aufgabe der Arbeit nie erwogen hat: Dieser Arbeitnehmer hat sich also letztlich selbst als „arbeitsfähig“ für diese Tätigkeit definiert fi Verordnung oder Feststellung länger dauernder, also über die Phase einer akuten Verschlechterung hinaus andauernder, oder gar dauerhafter AU wäre schlecht zu begründen. Der früher vorliegende Zustand, unter welchem gearbeitet wurde, wäre ja nach Abklingen der „akuten Verschlechterung“ wieder erreicht. • Wird das Arbeitsverhältnis dagegen wegen eines schweren Kälteasthmas mit in der Vergangenheit häufigen und länger dauernden AUPhasen aus gesundheitlichen Gründen (vom Arbeitgeber, z. B. wegen nicht mehr kalkulierbarer Arbeitsorganisation, oder vom Arbeitnehmer) beendigt, ist mit Blick auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit medizinisch wie sozial-
Krankenversicherung rechtlich von „AU auf Dauer“ auszugehen, wobei die im Einzelfall bestehenden ärztlichen Ermessensspielräume natürlich nur bedingt überprüfbar sind. Nach dem SGB V gibt es – bei gegebenen medizinischen und leistungsrechtlichen Voraussetzungen – einen Krankengeldanspruch für bis zu 78 Wochen (= ca. 11⁄ 2 Jahre) wegen „derselben“ Krankheit innerhalb einer sog. „Blockfrist“ von 3 Jahren (§ 48 SGB V), gestückelt oder an einem Stück. Ob ein Arbeitnehmer • seinen ihm bei „AU auf Dauer“ zustehenden Anspruch auf KG bis zum sog. Leistungsende auch voll ausschöpft (mit dem Ergebnis, dass er unter Umständen in der 2. Hälfte der dreijährigen Blockfrist keinen KG-Anspruch wegen dieses „selben“ Leidens mehr hat!), • oder sich einen gewissen KG-Anspruch (z. B. durch vorherige Meldung bei der Agentur für Arbeit oder – besser – baldigen Antritt einer besser geeigneten Tätigkeit) für später erhält, ist ein pragmatischer Aspekt, der primär im Ermessen des Versicherten liegt. Faktisch wird er wesentlich von der alters- und bildungsabhängigen Chance beeinflusst, eine neue und besser geeignete Tätigkeit zu finden.
Nicht mehr bestehendes Arbeitsverhältnis Eine „ähnlich geartete“ Tätigkeit war früher auch bei Arbeitslosen zugrunde zu legen, da diese nach der sog. Zumutbarkeitsanordnung (aus den 1980er Jahren) der früheren Bundesanstalt für Arbeit (BA) für die ersten sechs Monate der Arbeitslosigkeit einen Berufsschutz reklamieren konnten. Während dieser Zeit hatte der Arbeitslose Anspruch darauf, in seinen „Beruf“ bzw. in eine der letzten ähnlichen Tätigkeit vermittelt zu werden. Im Grunde stand dieser Rechtsanspruch in vielen Fällen dem medizinischen Ziel einer raschen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben diametral entgegen, weil ja viele Arbeitnehmer wegen Erkrankung und Leistungsminderung nach lange dauernder AU aus dem letzten Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden waren und gerade diese Tätigkeiten (und oftmals auch alle „ähnlich gearteten“) definitiv nicht mehr verrichten konnten! Seit dem Inkrafttreten des SGB III im Jahre 1997 sind Arbeitslose von Beginn der Arbeitslos-Meldung an auf den gesamten
Arbeitsmarkt, also auch auf alle leichten Tätigkeiten, verweisbar, und es gelten nur noch die fiskalischen Kriterien des § 121 SGB III, die festlegen, welche Einkommensverluste in den ersten 6 Monaten der Arbeitslosigkeit als zumutbar betrachtet werden. Besteht bei der KK keine Pflichtversicherung mehr aufgrund eines zu Ende gegangenen Arbeitsverhältnisses und meldet sich der Beschäftigungslose nicht bei einer Agentur für Arbeit (AA) arbeitslos (z. B. weil er eine längere „Auszeit“ nehmen möchte), erlischt die Mitgliedschaft in der KK, wenn sie nicht auf freiwilliger Basis (mit oder ohne KG-Anspruch) neu begründet wird. Der Versicherte hätte dann nach § 19 SGB V nur noch einen sog. nachgehenden Leistungsanspruch „für längstens einen Monat“ nach dem Ende der Pflichtversicherung. Bei etwaiger AU nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind diese Fälle für die KKn unproblematisch, weil sie wenig kostenintensiv sind. Hat sich der Nicht-mehr-Beschäftigte „arbeitslos gemeldet“ (wodurch erneut Pflichtversicherung nach § 5 SGB V eintritt), begründet Krankheit nach der BSG-Rechtsprechung vom Dezember 2004 und der im September 2006 geänderten AU-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) (nur) dann AU, wenn der Arbeitslose auch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr in dem zeitlichen Umfang verrichten kann, für den er sich der AA zur Vermittlung zur Verfügung gestellt hat. Der AU feststellende Arzt muss sich also danach stets genau erkundigen. Nota bene: Im Interesse der Versicherten sollte bei abzusehender Arbeitslosigkeit stets zuerst die Arbeitslos-Meldung bei der AA (mit der Neu-Begründung der Pflichtversicherung) erfolgen, erst danach ggf. die Feststellung von AU, da sich bei umgekehrter Reihenfolge ein Arbeitsunfähiger der Arbeitsvermittlung natürlich nicht zur Verfügung stellen kann! Abschließend ist festzuhalten, dass die Feststellung der beruflichen Basis der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit weniger eine Frage für den ärztlichen Gutachter als ein leistungsrechtlicher Aspekt ist, der in Zweifelsfällen von der KK geklärt werden muss.
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung
Die Reha-Kaskade Von behandelnden wie begutachtenden Ärzten ist bei länger dauernder AU ein strukturiertes Vorgehen gefordert:
Ausreichende Information über die Arbeitsanforderungen Am Beginn steht stets die kritische Frage, ob man wirklich über alle Arbeitsanforderungen im konkreten Fall ausreichend informiert ist. Nicht selten „kennen“ Ärzte aus langjähriger Betreuung die verrichteten Tätigkeiten, haben vielleicht auch in früheren Jahren schon einmal Erleichterungen oder Umsetzungen angeregt, bedenken aber nicht, dass die Arbeitswelt sich permanent ändert und dass auch ohne ärztliche Mitwirkung über Personalvertretungen oder Schwerbehindertenbeauftragte viele gesundheitlich angeschlagene Personen betriebsintern günstigere Arbeitsplätze vermittelt bekommen. Bei geändertem Anforderungsprofil muss aber unter Umständen die Frage des weiteren Vorliegens von AU anders beantwortet werden. Kann ein Patient die Anforderungen des Arbeitsplatzes nicht befriedigend schildern (z. B. ausländische Arbeitnehmer) oder bestehen Zweifel an der Korrektheit der Darstellung, kann die KK vom Arbeitgeber eine Arbeitsplatzbeschreibung anfordern, die sodann dem Gutachter zur Verfügung steht.
Möglichkeit der stufenweisen Wiedereingliederung (WE) Seit vielen Jahren gibt es im Bereich der GKV (§ 74 SGB V, § 28 SGB IX) die Möglichkeit der stufenweisen Wiedereingliederung (WE), an die immer noch zu selten gedacht wird. Insbesondere nach länger dauernden und schwereren Erkrankungen sowie größeren Operationen kann das Leistungsvermögen – zumeist nach einer zuvor durchgeführten Anschlussheilbehandlung (AHB) – auf niedriger Stufe erprobt und ein eingetretener Trainingsmangel sukzessive ausgeglichen werden. Früher bestehende Einengungen (Begrenzung auf die letzte Tätigkeit, i. d. R. halbschichtiges Leistungsvermögen bei Beginn der WE) bestehen der AU-Richtlinie vom Dezember 2003 zufolge nicht mehr. Es kann auch unterhalbschichtig begonnen werden, es
kann, z. B. bei Teilzeittätigkeiten, auch eine alternative Belastung jeden 2. Tag erfolgen, weil vielleicht kürzere tägliche Arbeitsphasen wegen der Länge des Weges zur Arbeit keinen Sinn machen. Auch hat man von der früheren Orientierung an einer 4- bis 6-Wochen-Frist, nach der die WE abgeschlossen sein sollte, behutsam Abstand genommen, selbst wenn man in praxi gleichwohl sehr häufig innerhalb dieser Zeitspanne die WE wird abschließen können. Insgesamt sind der Kreativität der Beteiligten nur wenig Grenzen gesetzt, zumal die KKn Quoten von 80 – 90% erfolgreicher WE berichten. Entscheidend ist das Ziel der schonenden und gelingenden WE! Allerdings: Unverändert gilt, dass die WE nicht dazu dient, dem Arbeitgeber längerfristig eine kostenlose Teilzeitkraft zur Verfügung zu stellen (während der gesamten WE-Phase besteht sozialrechtlich AU, bis die volle arbeitsvertraglich geforderte Tätigkeit wieder verrichtet werden kann). Außerdem müssen in vernünftigen Abständen Belastungssteigerungen erfolgen. Kann das Ziel nicht erreicht werden, muss der Versuch abgebrochen und die KK darüber informiert werden. Unverändert gilt die Voraussetzung, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer der WE zustimmen müssen und „grundsätzlich“ der Betriebsarzt dann, „wenn die stufenweise WE an Arbeitsplätzen erfolgen soll, für die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen nach den berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen erforderlich sind“. Ausgenommen von der betriebsärztlichen Zustimmungspflicht bleiben allerdings „die Fälle, bei denen feststeht, dass die am Arbeitsplatz vorliegende spezifische Belastung keine nachteiligen Auswirkungen auf den Gesundungsprozess … mit sich bringen kann“.
Einsatz von Hilfsmitteln am Arbeitsplatz Bei jeder länger dauernden AU ist ggf. auch zu prüfen, ob Hilfsmittel am Arbeitsplatz (z. B. Sitzmöglichkeiten oder technische Anpassungen an ungewöhnliche Körpergrößen, Lüftungen, Absauganlagen etc.) eine zügigere WE ermöglichen können. Anders als in der GUV sind die Handlungsmöglichkeiten der KKn auf diesem Gebiet aber außerordentlich begrenzt. Anpassungen am Arbeitsplatz können eine Leistung des RV-Trägers sein (s. Kap. 2.4, Rentenversicherung).
Krankenversicherung
Möglichkeit der innerbetrieblichen Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz Das Arsenal der Möglichkeiten der WE in die zuletzt ausgeübte Tätigkeit ist damit im Grunde bereits erschöpft. Gelingt eine WE über die Schritte 1 – 3 nicht, steht i. d. R. die Prüfung der innerbetrieblichen Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz an. Dies kann der Arbeitnehmer selbst durch Einschaltung der betrieblichen Entscheidungsorgane klären, aber die Anfrage kann auch über die zuständige KK erfolgen. Die vorherige Einholung des Einverständnisses des Versicherten bei Kontakten mit dem Arbeitgeber oder dem Betriebsarzt ist „erforderlich“.
„Erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit“ und/oder „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ Die KK kann nach § 51 SGB V arbeitsunfähige Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit (EF) nach ärztlicher Feststellung erheblich gefährdet oder (bereits) gemindert ist, auffordern, innerhalb einer Frist von 10 Wochen bei ihrem RV-Träger einen Antrag auf eine Rehabilitationsmaßnahme zu stellen. Wird der Antrag nicht gestellt, entfällt mit Fristablauf der Anspruch auf KG.
Praxis Ob die Definitionsversuche der DRV für die erhebliche Gefährdung („eine in absehbarer Zeit zu erwartende Minderung der EF“) bzw. die Erwerbsminderung („länger andauernde wesentliche Einschränkung der vollen Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben“, manchmal noch etwas komplizierter als jede „länger dauernde ,nicht-unwesentliche‘ Einschränkung …“ beschrieben) wirklich für Ärzte besonders hilfreich sind, mag offen bleiben. Letztlich werden die zu definierenden Rechtsbegriffe durch mehrere rechtlich unscharfe Begriffe (z. B. „länger“, „(un)wesentlich“, „volle Leistungsfähigkeit“) zu erklären versucht, dies ist immer ein problematisches Unterfangen. Die GKV trägt nur das Risiko der krankheitsbedingten „vorübergehenden“ (definitionsgemäß in der BRD bis max. 78 Wochen, in vielen anderen europäischen Ländern deutlich kürzer) Leistungsminderung in Bezug auf die „letzte Tätigkeit“, die GRV
aber das Risiko der umfassenderen dauerhaften Erwerbsminderung in Bezug auf alle Tätigkeiten des Arbeitsmarktes. Daher hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass dem potenziell kostenpflichtig werdenden Sozialleistungsträger (GRV) rechtzeitig die Möglichkeit gegeben werden soll, durch geeignete Reha-Maßnahmen den Eintritt dauerhafter Erwerbsminderung abzuwenden. Der potenziell – nämlich bei festgestellter EF-Gefährdung/-minderung – nicht mehr kostenpflichtige Sozialleistungsträger (GKV) hat dagegen einen Anspruch, dass die Kosten dann von dem neu zuständigen Leistungsträger übernommen bzw. erstattet werden. Das ist der Grund dafür, dass KKn oft frühzeitig eine medizinische Stellungnahme zum § 51 SGB V erbitten. Aber auch ohne explizite Anfrage sind bei allen lange dauernden AU-Fällen zu gegebener Zeit die Voraussetzungen des § 51 SGB zu prüfen, – und in der Mehrzahl auch zu bejahen. Werden sie bejaht, kommen entweder Reha-Leistungen (bei erheblicher Gefährdung oder abwendbarer Erwerbsminderung) in Betracht oder Rentenleistungen (bei eingetretener und nicht mehr abwendbarer Erwerbsminderung). Die Entscheidung über die beantragten Leistungen – Reha oder Rente – trifft die GRV nach pflichtgemäßem Ermessen. Bei pragmatischer Betrachtung, die aus den o. g. Gründen naheliegt, ist aber klar, dass zumindest dann i. d. R. eine erhebliche Gefährdung der EF und keine „volle Leistungsfähigkeit“ eines Versicherten mehr vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer krankheitsbedingt eine zuletzt und vielleicht jahrelang verrichtete Tätigkeit möglicherweise auf Dauer nicht mehr wird verrichten und sich deshalb mit ihr kein Erwerbseinkommen mehr wird verschaffen können. Drei mögliche Konsequenzen der Feststellung einer „erheblich gefährdeten“ oder geminderten Erwerbsfähigkeit: a) Die allgemeinen medizinischen Reha-Maßnahmen der DRV („Heilverfahren“, HV) sind – anders als die Anschlussheilbehandlungen (AHBen), die in einem engen Bezug zur Krankenhausbehandlung stehen – grundsätzlich keine Maßnahmen der Krankenbehandlung, sie sollen auch nicht an deren Stelle treten und kommen nur unter den o. g. Voraussetzungen in Betracht. Jede zu frühe Initiierung läuft Gefahr, angesichts der Wartezeiten und der Dauer der Maßnahme, die tatsächliche WE in das Arbeitsleben eher zu verzögern als zu beschleunigen. In aller Regel lässt gerade bei chronischen Atemwegserkrankungen die Kenntnis des Verlaufes, der
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„AU“ in der privaten Krankenversicherung Im Bereich der Privaten Krankenversicherung (PKV) gelten die Bestimmungen des SGB V nicht. Völlige Arbeitsunfähigkeit (vAU) liegt im Rahmen einer privaten Krankentagegeld-Versicherung nach den üblichen Versicherungsbedingungen jedenfalls erst dann vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund „vorübergehend“ in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgeht. Bei Selbstständigen oder freiberuflich Tätigen liegt vAU nur dann vor, wenn sie auch nicht „mitarbeitend, leitend oder aufsichtsführend“ tätig sein können. Damit ist die Rechtsbasis für AU, was oft nicht bekannt ist, in der PKV im Grunde wesentlich restriktiver als in der GKV, wo ein (einziges) regelmäßig wiederkehrendes Anforderungselement, das nicht erbracht werden kann, AU bedingen kann (s. o.). Die Dauer des Krankentagegeld-Anspruchs ist nicht definiert. Nimmt der Versicherungsträger an, dass es sich in einem konkreten Fall mit langer oder immer wieder eintretender vAU nicht mehr nur um eine „vorübergehende“, sondern um eine „dauerhafte“ Leistungsminderung handelt, kann er dies durch eine Begutachtung überprüfen lassen. Wird Dauerhaftigkeit festgestellt, endet der Anspruch auf Leistungen wegen „vorübergehender“ Leistungsminderung. Das kann unter Umständen lange vor den in der GKV gesetzlich geltenden Fristen der Fall sein.
aktuellen Befunde unter bestmöglicher Therapie sowie der konkreten Arbeitsplatzanforderungen eine klare Aussage dazu zu, ob diese Tätigkeit wieder wird verrichtet werden können oder nicht. b) Als ein noch weitergehender Schritt im Rahmen der WE in das Erwerbsleben kann ein breites Spektrum an „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ (§ 33 SGB IX) in Betracht kommen, ggf. nach entsprechenden Eignungsprüfungen. Die Zuständigkeit für die Durchführung dieser beruflichen Reha-Maßnahmen liegt für jüngere Versicherte i. d. R. bei der BA, für ältere Versicherte bei der DRV. Erbracht werden die Leistungen in den Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation, v. a. den Berufsförderungswerken und vergleichbaren Institutionen. (s. auch Kap. Rentenversicherung).
c) Liegt nach Auffassung der DRV bereits teilweise oder volle Erwerbsminderung vor und können Reha-Leistungen die Entwicklung nicht mehr abwenden (sog. negative Reha-Prognose), stehen Rentenleistungen zu, sofern auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen in der GKV Wie aus den nachfolgend wiedergegebenen gesetzlichen Grundlagen hervorgeht, weisen Prävention und Rehabilitation eine Reihe leistungsrechtlicher Parallelen auf. In der Praxis überlappen sich auch z. T. deren Indikationsbereiche, weshalb das SGB IX bestimmt (§ 3 „Vorrang von Prävention“), dass bei der Prüfung rehabilitativer Leistungen gewissermaßen stets auch zu klären ist, ob präventive Maßnahmen zur Vermeidung einer chronischen Krankheit/Behinderung angezeigt sind. Medizinische Vorsorgeleistungen (§ 23 SGB V) haben das Ziel, „eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen, Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden sowie – bei Kindern – einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung entgegenzuwirken“. Sie werden als Behandlung am Wohnort erbracht. Bei Nicht-Ausreichen kann die Vorsorgeleistung in Form von ambulanten Leistungen in anerkannten Kurorten (mit Kostenzuschüssen i. d. R. von bis zu 13 E/Tag) oder stationär in Vorsorgeeinrichtungen erbracht werden, wobei die stationären Leistungen bei Erwachsenen i. d. R. „für längstens drei Wochen“ – bei Kindern bis zum 14. Lebensjahr i. d.R für 4 – 6 Wochen – erbracht und nicht vor Ablauf von 4 Jahren wiederholt werden können. Neben Vorsorgemaßnahmen, wie sie seit Jahrzehnten als „ambulante Badekuren“ durchgeführt werden, gibt es seit ca. 15 Jahren für verschiedene Indikationen – auch für Asthma bronchiale, chronische Bronchitis und COPD – die sog. „Kompaktkur“. Nach den RLn sind ihre wesentlichen Merkmale ein strukturiertes Therapiekonzept mit hoher Therapiedichte, Behandlung in geschlossenen Gruppen von max. 15 Teilnehmern mit mindestens ähnlichen Erkrankungen und eine konstante Gruppenleitung (s. auch www.kompakt-kur.de/).
Krankenversicherung
Praxis Für Mütter und Väter heißt es neu in § 24 SGB V, dass sie unter den in § 23.1 SGB V genannten Voraussetzungen „Anspruch“ auf aus medizinischen Gründen erforderliche Vorsorgeleistungen in einer Einrichtung des Müttergenesungswerks oder einer gleichartigen Einrichtung haben; die Leistung kann in Form einer Mutter-/Vater-KindMaßnahme erbracht werden. Eine (alleinige) soziale oder psychosoziale Indikation wird gutachterlicherseits zumeist nicht als ausreichend betrachtet. Medizinische Rehabilitationsleistungen (§§ 11, 40 SGB V, § 26 SGB IX) haben das Ziel, „eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern“, um dadurch die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe von Behinderten in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken (so die typisch pleonastische Amtssprache). Es soll ferner eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten gewährleistet werden. – Das erste Ziel ist an den Bedürfnissen des individuellen chronisch-kranken bzw. behinderten Menschen orientiert, das zweite betont das notwendige Interesse der Solidargemeinschaft am Schutz vor Überforderung. Reicht eine ambulante Krankenbehandlung nicht aus, bestimmt die KK nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalls Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Reha-Leistungen sowie die Rehabilitations-Einrichtung. Die ambulanten Reha-Leistungen in Reha-Einrichtungen werden „für längstens 20 Behandlungstage“ erbracht, stationäre Leistungen „für längstens 3 Wochen“, es sei denn, der künftige „Spitzenverband Bund“ der KKn ordnet in zu erstellenden Leitlinien bestimmten Indikationen eine andere Regeldauer zu. (Anmerkung: Die starre Grenzziehung zwischen ambulanter und stationärer Reha scheint nicht mehr zeitgemäß.) Der Anspruch der Versicherten auf adäquate Rehabilitation wurde mit der letzten Gesundheitsreform (also ab 1. 4. 2007) gestärkt. Während es früher hieß: die KK „kann stationäre Leistungen … erbringen“, heißt die neue Formulierung: die KK „erbringt“ stationäre Rehabilitation (wenn ambulante Leistungen nicht ausreichen). Voraussetzung ist aber unverändert die medizinische Notwendig-
keit. Stationäre Leistungen können nicht vor Ablauf von 4 Jahren wiederholt werden, außer es liegt eine besondere medizinische Notwendigkeit vor. Vor allem in Städten gibt es zunehmend ambulante Rehabilitationseinrichtungen, deren Leistungsumfang weitgehend dem einer Reha-Klinik entspricht, nur ohne die sog. Hotel-Leistungen.
Praxis Mütter und Väter haben nach dem neu gefassten § 41 SGB V (ab 1. 4. 2007) jetzt einen „Anspruch“ auf aus medizinischen Gründen erforderliche Rehabilitationsleistungen in einer Einrichtung des Müttergenesungswerks (oder einer gleichartigen Einrichtung); die Leistung kann in Form einer Mutter-/Vater-Kind-Maßnahme (§ 41 SGB V) erbracht werden. Auch hier wird gutachterlicherseits eine alleinige oder überwiegende soziale oder psychosoziale Indikation zumeist nicht als ausreichend angesehen. Auch die Kriterien für die Indikationsstellung und Begutachtung von Vorsorge- und Reha-Leistungen haben eine parallele Struktur (Begutachtungsrichtlinie). Es geht um die Beurteilung der • Vorsorge-/Reha-Bedürftigkeit, • Vorsorge-/Reha-Fähigkeit und der • Vorsorge-/Reha-Prognose. Was bedeuten diese Begriffe? • Vorsorgebedürftigkeit ist gegeben beim Vorliegen von Risikofaktoren oder Gesundheitsstörungen, die (siehe Gesetzestext) in absehbarer Zeit zu einer Krankheit führen können. Sie liegt auch im Sinne einer Sekundärprävention vor, wenn ein Rezidiv, eine Exazerbation oder Progression verhindert oder der Schweregrad einer Erkrankung vermindert werden kann, sofern ein komplexes-interdisziplinäres (!) Vorgehen erforderlich ist. • Reha-Bedürftigkeit liegt vor, wenn ein Mensch mit einer drohenden oder bereits manifesten körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung (die voraussichtlich nicht nur vorübergehender Art ist/wäre) über die ambulante vertragsärztliche Behandlung hinaus einer interdisziplinären Hilfestellung bedarf, um seine bestmögliche physische, sensorische, intellektuelle und psychische Funktionsfähigkeit zu erreichen oder zu erhalten. Dieser mehr die subjektive Perspektive des Individuums betonenden Definition wird manchmal der Begriff
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des Reha-Bedarfes gegenübergestellt, der vorwiegend die überindividuelle, wissenschaftliche und sozialmedizinische Sichtweise unterstreicht. Vorsorgefähigkeit beinhaltet eine ausreichende Motivation (unter Umständen schon ausreichende Motivierbarkeit), ferner die körperlichen und geistigen Fähigkeiten, an den angebotenen Vorsorgeprogrammen aktiv teilzunehmen, sowie die Bereitschaft, auch langfristig am Wohnort etwaige Risikofaktoren in geeigneter Form dauerhaft zu bekämpfen bzw. sich aktiv mit seiner Krankheit auseinanderzusetzen und mit ihr leben zu lernen. Reha-Fähigkeit liegt vor, wenn der (potenzielle) Rehabilitand über eine ausreichende Motivation (unter Umständen schon ausreichende Motivierbarkeit) für die Maßnahme sowie die körperlichen, seelischen und geistigen Fähigkeiten verfügt (v. a. eine „ausreichende Belastbarkeit“), um die rehabilitativen Angebote in Anspruch nehmen zu können. Dazu gehört auch die Bereitschaft, nach der Maßnahme am Wohnort rehabilitative Möglichkeiten wahrzunehmen, um den Reha-Erfolg langfristig zu stabilisieren. Eine positive Vorsorgeprognose ist eine medizinische Wahrscheinlichkeitsabschätzung, dass – geeignete Angebote in den Vertragseinrichtungen vorausgesetzt – das Vorsorgeziel, also die Beseitigung oder Verminderung der Risikofaktoren bzw. die Besserung des chronischen Leidens oder die Vermeidung der Verschlimmerung und auch die poststationäre Nutzung von Hilfsangeboten am Wohnort in Form von z. B. Volkshochschul-Angeboten, Selbsthilfegruppen und Behindertensportgruppen, erreicht werden kann. Eine positive Reha-Prognose ist eine medizinische Wahrscheinlichkeitsabschätzung, dass – geeignete Reha-Angebote in den Einrichtungen vorausgesetzt – die Reha-Ziele erreicht werden können. Dabei ist die Schwere der Erkrankung ebenso zu berücksichtigen (Patient noch trainierbar?) wie die Rückbildungsfähigkeit von körperlichen Funktionsstörungen und die Aktivierbarkeit seelischer und geistiger Kompensationspotenziale, um mit dauerhaften Behinderungen besser leben zu können.
In der Praxis geht es i. d. R. um eine Antwort auf die folgenden Fragen: 1. Risikofaktor, Krankheit? Liegt überhaupt ein ernstzunehmender Risikofaktor (z. B. inhalati-
ver Nikotinkonsum für eine COPD, erhebliche allergische Rhinokonjunktivitis mit Gefahr des Etagenwechsels) bzw. eine chronische Krankheit mit dauerhafter Funktionsbeeinträchtigung vor? 2. Ambulant oder stationär? Diese scharfe Trennung gilt heute nicht mehr in dem früher üblichen Maße, da nach neuen Richtlinien die ambulante Rehabilitation der stationären in Umfang und Interdisziplinarität praktisch gleichgestellt ist. Und: Können die Zielsetzungen im konkreten Fall – gemäß dem Wirtschaftlichkeitsgebot des „ambulant vor stationär“ – im Rahmen einer ambulanten Vorsorge- (z. B. sog. Kompaktkur) oder Reha-Leistung in einem Kurort erreicht werden oder ist eine stationäre Vorsorge-/RehaLeistung erforderlich, – wenn ja: aus welchen Gründen? 3. Kooperation? Liegt eine ausreichende Motivation vor, den Risikofaktor dauerhaft zu bekämpfen bzw. den diagnostischen, therapeutischen und rehabilitativen Umgang mit der Krankheit zum Zwecke einer dauerhaften Verhinderung der Verschlechterung (durch Meidung von Risiken) bzw. zum Zwecke einer guten Einstellung der Funktionsdaten zu erlernen und dauerhaft zu praktizieren? Beispiel: bei Asthma/COPD regelmäßige Peakflow-Messungen, Anpassungen der Medikation innerhalb vorgegebener Limits, ggf. Teilname am Reha-Sport. 4. Zeitabstand und Prognose? Ggf. ist zu klären, ob eine solche Vorsorge- oder Reha-Maßnahme vor Ablauf der gesetzlichen Latenzzeit von 4 Jahren seit letzter Durchführung einer anzurechnenden Leistung erneut medizinisch erforderlich ist, wobei bei allen vorzeitigen Maßnahmen naturgemäß besonderer Wert auf die Prognose zu legen ist (Warum war die frühere Vorsorge- bzw. Reha-Leistung nicht befriedigend erfolgreich? Warum konnte ein initialer Erfolg nicht dauerhaft gehalten werden? Warum stellt sich jetzt die Erfolgsprognose günstiger dar?). In vielen Fällen wird also auch die Motivation/Motivierbarkeit eine gesonderte Beurteilung verlangen. Kurz gesagt: 1. Ist er/sie krank? Oder droht Krankheit? 2. Geht’s ambulant oder besser stationär? 3. Macht er/sie mit? 4. Warum schon wieder?
Krankenversicherung Die KKn finanzieren ggf. auch sog. „ergänzende Leistungen zur Rehabilitation“, z. B. Reha-Sport, Funktionstraining oder Asthma-Schulungen, die ärztlicherseits über einen Verordnungsvordruck (ab Januar 2007 neues Muster 56) initiiert werden können. Dies kann unabhängig von den o. g. Vorsorge- oder Reha-Leistungen infrage kommen, aber auch im Sinne einer Anschluss-Rehabilitation nach der Durchführung ambulanter oder stationärer Maßnahmen.
Begutachtung pneumologischer Hilfsmittel in der GKV Prinzipielles zur Verordnung von Hilfsmitteln regelt die auf §§ 33, 36 und 92 SGB V basierende Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses Ärzte/Krankenkassen (G-BA) (s. Literaturverzeichnis und Internet). Anders als z. B. bei den üblichen Medikamenten hat die Krankenkasse hier ein Mitspracherecht, sowohl was die grundsätzliche Kostenübernahme als auch die Art des Geräts betrifft. Je aufwendiger bzw. teurer die Versorgung ist, desto besser ist es, bei der Verordnung nicht nur die Diagnose und das Hilfsmittel zu vermerken, sondern auch eine Begründung/Erläuterung abzugeben, um eine zügige(re) Bewilligung zu erreichen und verzögernde Nachfragen oder evtl. sogar eine Ablehnung zu vermeiden. Es können auch Kopien fachärztlicher Befundberichte, des KH-Entlassungsberichtes oder z. B. der Polysomnografie, aus denen die Notwendigkeit klar hervorgeht, ggf. in einem verschlossenem Umschlag („Arztsache, nur für den Gutachter“ o. Ä.) dem Verordnungsformular beigefügt werden. Bei komplizierten/besonders erklärungsbedürftigen Sachverhalten kann die telefonische Kontaktnahme angeboten werden. Ein großer Teil der Meinungsdiskrepanzen zwischen verordnenden und begutachtenden Ärzten beruht erfahrungsgemäß auf Informationslücken. Bei kontroversen Beurteilungen ist der telefonische Informations- bzw. Meinungsaustausch oft eher hilfreich als das Wechseln schriftlicher Mitteilungen. Hilfsmittel, deren technische Qualität und Wirksamkeit überprüft wurden, sind in dem Hilfsmittelverzeichnis der KKn gelistet (§ 139 SGB V). Die Wirksamkeitsprüfung wird mit Inkrafttreten von Gesetzesänderungen ab dem 01. 04. 2007 abgeschwächt. Geräte, die im Verzeichnis nicht aufgeführt sind, sind (trotz anders lautender Festlegung in den Hilfsmittel-Richtlinien) nicht grund-
sätzlich von einer Verordnung ausgeschlossen, bedürfen jedoch einer ganz besonderen Begründung, z. B. warum ein nicht gelistetes Gerät infrage kommt und warum die Wirksamkeit zumindest wahrscheinlich ist. Das Hilfsmittelverzeichnis kann an verschiedenen Stellen im Internet, z. B. bei Rehadat, eingesehen werden.
Rehadat Rehadat ist ein Informationssystem zur beruflichen Rehabilitation. Es enthält neben vielen wertvollen Reha-Informationen (Literatur, Forschung, Rechtsprechung, Reha-Adressen etc.) auch umfangreiche Informationen zu Hilfsmitteln. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Die Informationen sind aufrufbar über www. rehadat.de. In der Praxis sind Begutachtungsaufträge der KKn an ihren Gutachterdienst (MDK) zu den Inhalationsgeräten für die oberen Luft- bzw. die tiefen Atemwege (druckluft- und dampfgetriebene Düsenvernebler bzw. – mit fachärztlichem Begründungserfordernis! – Ultraschallvernebler) wegen der vergleichsweise geringen Kosten relativ selten. Auch zur Indikation der Standardsysteme für die Behandlung des obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms gibt es eher selten kassenseitige Nachfragen, sofern die Indikation nach polysomnografischer Untersuchung von ausgewiesenen Schlaflaboren gestellt wurde. Häufiger sind naturgemäß Anfragen, wenn teurere Systeme verordnet werden, die z. B. automatisch den Druck dem nächtlichen Bedarf des Patienten anpassen. Da über die Vorteile der automatischen Therapie nur wenige Studien vorliegen, muss jeder Fall individuell geprüft werden. Bei dauerhafter häuslicher Beatmungsnotwendigkeit (assistierte/kontrollierte Beatmungsgeräte) und z. B. Geräten zur Schleimabsaugung sind die Sachverhalte durch klinische Berichte zu belegen. Die Überprüfungsaufträge seitens der KKn betreffen auch die Sauerstoff-Geräte (O2-Konzentratoren, Druckgas- und Flüssiggas-Systeme) bei erforderlicher Langzeit-Sauerstofftherapie wegen COPD oder Lungengerüsterkrankungen – sowohl zur häuslichen Versorgung als auch zur Ermöglichung und Sicherstellung der Mobilität. Entscheidend ist hier, dass aus den Unterlagen befriedigend deutlich wird, dass die Kriterien der einschlägigen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumolo-
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung gie und Beatmungsmedizin, nämlich i. d. R. ein PaO2 von 55 mmHg oder kleiner unter Ruhebedingungen, während einer stabilen Krankheitsphase mehrfach gemessen, nachgewiesen werden. Grundsätzlich benötigen besondere Versorgungsarten stets besondere Begründungen – z. B. warum bei einer Langzeit-Sauerstofftherapie nicht ein O2-Konzentrator (und ggf. eine portable Druckflasche) ausreichend sind, sondern stattdessen Flüssigsauerstoff erforderlich ist, oder warum nicht ein einfaches CPAP-Gerät ausreichend ist, sondern ein BiPAP-Gerät angezeigt ist.
Praxis Frage eines gutachterlich tätigen Pneumologen … • Ein Hochleistungsraucher mit 40 Zigaretten/Tag und respiratorischer Globalinsuffizienz will ein O2-Gerät haben. • Der Lungenarzt sagt: „Ja gerne, aber auch mitwirken und Rauchen einstellen, zumal sonst Feuergefahr!“ • Der Patient besteht aber auf Weiterrauchen und O2-Gerät (natürlich Flüssigsauerstoff), darauf habe er einen Anspruch. Die Selbsthilfegruppe sieht das auch so. • Lungenarzt weiß nicht weiter … Versuch einer Antwort Der Versuch, die Logik unserer Gesundheitsversorgung zu verstehen, hat wenig Aussichten. Die Fragestellung sollte man in drei Teile aufgliedern. 1. Frage der Gefährdung durch gleichzeitige Sauerstoffanwendung und Zigarettenrauchen. Es wird u. a. berichtet, dass einen Patienten (drachenmäßig) das Feuer aus den Nasenlöchern schlug, als dieser gleichzeitig Sauerstoff nahm und an seiner Zigarette zog. Die Patienten müssten sicher gewarnt werden. 2. Das andere, die Mitwirkungspflicht, ist eine Grauzone. Es ist kein „sozialmedizinisches“ Problem im engeren Sinne, sondern ein leistungsrechtliches und ein ethisches Problem der distributiven Gerechtigkeit in unserem Sozialwesen. 3. Die momentane Rechtslage heißt klipp und klar: a) es besteht ein Anspruch auf O2-Versorgung und b) über die Risiken muss aufgeklärt werden, bei den bestehenden Risiken für Raucher unter Umständen am besten schriftlich!
Beatmungspflege (häusliche Krankenpflege bei Heimbeatmung) Zu den gesetzlich definierten Leistungen der GKV zählt auch die häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V. Zu diesen Leistungen zählt z. B. auch das Absaugen der oberen Luftwege, die Bedienung und Überwachung des Beatmungsgeräts, Wechsel und Pflege der Trachealkanüle und die Anleitung von anderen Pflegepersonen in der Häuslichkeit. Alles kann bei einer Heimbeatmung verordnet werden. Soweit nicht die Verrichtungen von Familienangehörigen ausgeführt werden können, besteht eine Leistungspflicht der KK. Mehrere BSGUrteile beschäftigten sich mit der Beatmungspflege und legten den Anspruch weit aus. Das Urteil vom 10.11. 2005 (B 3 KR 38/04 R) besagt: „Der krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf häusliche Krankenpflege umfasst auch die ständige Beobachtung des Versicherten durch eine medizinische Fachkraft, wenn diese wegen der Gefahr lebensbedrohlicher Komplikationen von Erkrankungen jederzeit einsatzbereit sein muss, um die nach Lage der Dinge jeweils erforderlichen medizinischen Maßnahmen durchzuführen“. Nota bene: durch weitere Gerichtsurteile ist natürlich jederzeit eine Erweiterung oder Einschränkung der Leistungsansprüche möglich. Im Einzelfall kann es manchmal schwierig sein abzugrenzen, • welche Maßnahmen Leistungen der (von der Pflegeversicherung zu tragenden) Grundpflege sind, • was Angehörigen zugemutet werden kann und • was in welchem Umfang zu Lasten der KK geht. Weiterhin bereitet die mitunter von der KK erbetene Stellungnahme zum zeitlichen Umfang (wie viele Stunden/Tag?) gewisse Schwierigkeiten, da z. B. die Frequenz des Absaugens oder des Trachealkanülenwechsels nur schwer prognostiziert werden und von Tag zu Tag erheblich wechseln kann. Durch frühzeitige Kontaktaufnahme mit der KK und eine genaue Benennung der notwendigen Tätigkeiten kann der Übergang in die Häuslichkeit erleichtert werden.
Unfallversicherung
2.3 Unfallversicherung B. Koch und D. Nowak
Arbeitsunfall/Berufskrankheit In der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfall und Berufskrankheit (BK) als versicherte Risiken gleichgestellt (zu den für beide Versicherungsfälle gleichen Beweisanforderungen s. unten, Abb. 2.1). Während Arbeitsunfall gesetzlich als ein zeitlich eng auf eine Arbeitsschicht begrenztes, körperlich schädigendes Ereignis definiert wird, sind für die erst seit 1925 eingeführten Berufskrankheiten überwiegend langwierige, allmähliche Entwicklungsprozesse von Erkrankungen (s. Latenzzeiten z. B. bei Krebserkrankungen) bei vielfältigen, häufig wissenschaftlich ungesicherten Entstehungsursachen typisch. Der Rechtsbegriff „Berufskrankheit“ erfasst aber auch Erkrankungen durch unfallartige Einwirkungen. Voraussetzung ist stets, dass die Einwirkung dem Risikobereich des Unternehmens zuzurechnen ist und die Erkrankung Folge dieser Einwirkung ist. Bis heute bereitet eine hinreichend klare Umschreibung des versicherten Risikos bei Berufskrankheiten Schwierigkeiten (Beispiele: Wirbelsäulenerkrankungen der BK 2108; Erkrankungen durch bestimmte neurotoxische Lösemittel der BK 1317).
Berufskrankheit (formale Definition) „Berufskrankheit ist eine in der Anlage zur geltenden BKV bezeichnete Krankheit, die Versicherte infolge einer versicherten Tätigkeit erleiden“ (s. § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII; § 1 BKV). Es gilt die Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I S. 2623) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der BKV vom 5. 9. 2002 (BGBl. I S. 3541). Zur geltenden Liste siehe Tab. 2.3. Wie eine BK inhaltlich definiert ist, unter welchen Voraussetzungen der Verordnungsgeber also eine Erkrankung als Berufskrankheit in die BK-Liste aufnehmen darf, ist § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zu entnehmen:
Berufskrankheit (inhaltliche Definition) „Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; …“
Für beide versicherten Risiken der gesetzlichen Unfallversicherung gilt das Kausalitätsprinzip mit dessen Forderung nach der Risikozuordnung zum Unternehmen. • Das Kausalitätsprinzip ist leicht zu realisieren, wenn spezielle Einwirkungen nahezu ausschließlich in diesem Beruf vorkommen (z. B. Bergarbeiter-Pneumokoniosen). • Es ist nur schwer durchzuhalten, wenn die BKTatbestände nicht klar gegenüber allgemeinen „Volkskrankheiten“ abgegrenzt werden können (z. B. Asthmaerkrankungen etwa durch chemisch-irritative Noxen; Infektionskrankheiten). Bei unfallartig entstehenden Erkrankungen im Bereich der Pneumologie stehen Berufskrankheit und Arbeitsunfall nebeneinander. Die BK hat bei diesem Zusammentreffen Vorrang wegen ihrer für Versicherte ggf. günstigeren Sonderregelungen im Leistungsbereich. Fehlt es aber an einem Tatbestandselement einer Berufskrankheit, etwa dem Erfordernis der Tätigkeitsaufgabe bei den Berufskrankheiten Nr. 4301 oder 4302, so ist stets zusätzlich zu prüfen, ob die Erkrankung als Arbeitsunfall anerkannt werden kann. Konkurrenzen gibt es aber auch bei den BK-Tatbeständen der Liste untereinander (s. unten).
Praxis Aus der Gutachterpraxis Oft ist es für den Pneumologen schwer, die zutreffende BK-Nummer anzugeben. Obstruktive Atemwegserkrankungen können durch eine Reihe von gleichfalls in der Liste speziell definierten chemischen Agenzien wie Verbindungen von Chrom (BK 1103), Fluor (BK 1308), Vanadium (BK 1107) oder chemisch-irritativen Listenstoffen, wie bestimmte Stoffe der BK 1302 (Halogenkohlenwasserstoffe), evtl. auch 1303 (Benzol und Ho-
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung mologe, Styrol), Beryllium (BK 1110), Cadmiumoxid (BK 1104) verursacht werden. Verursachen diese Noxen das Krankheitsbild einer obstruktiven Atemwegserkrankung i. S. der BK-Nrn. 4301 oder 4302 und ist auch die Voraussetzung der Tätigkeitsaufgabe erfüllt, so besteht eine Konkurrenzlage: • Die BK 4301/4302 ist in diesem Fall weder vor- noch nachrangig gegenüber den Spezialtatbeständen. • Beide Berufskrankheiten sind im Tatbestand der Bescheide des UV-Trägers zu nennen. • Die Erkrankung wird aber selbstverständlich bei den Leistungen nur einheitlich bewertet (eine Rente!).
Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2 SGB VII als Ausnahme vom Listenprinzip Um neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen nach Inkrafttreten der letzten Änderung der BK-Liste im Einzelfall gerecht werden zu können, hat der Gesetzgeber durch § 9 Abs. 2 SGB VII die Möglichkeit eröffnet, eine Erkrankung, die noch nicht in der Liste bezeichnet worden ist, wie eine BK anzuerkennen, sofern die Aufnahmekriterien für diese Erkrankung in die BK-Liste nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen gegeben sind. Diese Ausnahme vom Listenprinzip ist somit stark von der herrschenden Auffassung der Fachwissenschaftler abhängig. Sie sollte nicht als „Schlupfloch für Mindermeinungen“ missbraucht werden. Für die Einzelfallentscheidung als „Quasi-BK“ nach der sog. Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2 SGB VII gelten folgende Voraussetzungen: • Der Erkrankte muss einer Personengruppe angehören, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung „besonderen Einwirkungen“ ausgesetzt ist. • Die besonderen Einwirkungen müssen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft generell geeignet sein, eine bestimmte Erkrankung zu verursachen. Diese Eignung muss durch eine Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder nachgewiesen sein. • Die Erkenntnisse müssen neu sein. Sie sind als neu anzusehen
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– wenn sie bei der letzten Fassung der BK-Liste noch nicht vorhanden waren, – wenn sie zwar vorhanden, aber dem Verordnungsgeber noch nicht bekannt waren, – wenn sie bekannt waren, aber sich mit weiteren nachträglich gewonnenen Erkenntnissen zur „BK-Reife“ verdichtet haben, oder bekannt waren, aber nicht erkennbar geprüft worden sind. Im konkreten Einzelfall muss der Kausalzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung wahrscheinlich sein.
Zu beachten ist aber die Entscheidungspriorität des Verordnungsgebers. Ist er bereits in aktive Beratungen über die Aufnahme der infrage stehenden Erkrankung als BK in die Liste eingetreten, folgt daraus eine Sperrwirkung für die Unfallversicherungsträger bezüglich einer Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB I. Diese umstrittene Handhabung ist dadurch abgemildert worden, dass diese „aktiven Beratungen“ erst dann angenommen werden, wenn ein Textentwurf für die wissenschaftliche Begründung einer neuen Berufskrankheit im Ärztlichen Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ konkret beraten wird. Die Sperrwirkung beginnt bei dieser Handhabung also später als es der früheren Handhabung entsprach.
Praxis Beispiel: Rechtslage vor der Veröffentlichung der Empfehlung vom 1. 2. 2007 bezüglich Synkanzerogenese zwischen Asbestfeinstaub und PAH. Bei Nichterreichen der normierten bzw. in der PAH-Empfehlung jeweils genannten Verdoppelungsdosis und anhaltenden Beratungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirates beim Bundesminister für Arbeit und Soziales (BMAS) konnte dem Ergebnis dieser Beratungen nicht vorgegriffen werden. Solange der Verordnungsgeber selbst nicht imstande ist, nach einem gesicherten medizinischen Erkenntnisstand über die Aufnahme in die BK-Liste zu entscheiden, liegt keine Entscheidungsreife im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII vor (s. etwa Lauterbach/Koch, Unfallversicherung-SGB VII, 2007, § 9 Rn. 286 ff). Schränkt der Verordnungsgeber die rückwirkende Anerkennung neuer Berufskrankheiten durch eine Rückwirkungsbegrenzung ein, so können Versicherungsfälle, die vor dem Rückwirkungsstichtag
Unfallversicherung liegen, nicht etwa weiterhin über § 9 Abs. 2 SGB VII anerkannt werden.
Meldung von Verdachtsfällen einer BK
Praxis Beispiel: Ein Versicherter stellt im Jahr 2007 Antrag auf Entschädigung wegen eines vor 1993 aufgetretenen asbestbedingten Kehlkopfkrebses. § 6 Abs. 2 BKV: Rückwirkungsbegrenzung auf Versicherungsfälle nach dem 31.12.1992. Eine Anerkennung und Entschädigung der Erkrankung nach der BK 4104 ist nicht mehr möglich. Anders bei Einführung des Pleuramesothelioms als BK 4105 in die Anlage zur BKVO im Jahr 1976: Damals war keine Rückwirkungsbegrenzung in der BKVO erfolgt. Altfälle vor 1977 können daher weiterhin nach § 9 Abs. 2 bzw. § 551 Abs. 2 RVO a. F. anerkannt und entschädigt werden, allerdings werden die UV-Träger in solchen Fällen gehalten sein, die Einrede der Verjährung zu erheben, welche zur Begrenzung rückwirkender Leistungen führt (§ 45 SGB I). Seit etwa 1966 veröffentlicht der Verordnungsgeber Empfehlungen seines Ärztlichen Sachverständigenbeirats bezüglich möglicherweise neu aufzunehmender Berufskrankheiten. Regelmäßig führt dies zur Anwendung des § 9 Abs. 2 SGB VII durch die UV-Träger. Für die Pneumologie sind folgende Empfehlungen aktuell (die Empfehlungen sind auch abgedruckt bei Lauterbach/Koch, Unfallversicherung-SGB VII, 2007, Anhang V zu § 9): • Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von 100 Benzo[a]pyren-Jahren, veröffentlicht in: BArbBl. 1998, Heft 4, S. 54 • Lungenkrebs durch Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid (SiO2) bei nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Siliko-Tuberkulose), veröffentlicht in: BArbBl. 2001, Heft 9, S. 37 • Lungenfibrose durch extreme und langjährige Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen (Siderofibrose), veröffentlicht in: BArbBl. 2006, Heft 10, S. 35 • Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, veröffentlicht in: Gemeinsames Ministerialblatt (GMBl) 2007, Nr. 23, S. 474.
Jeder approbierte Arzt (also auch Pathologe, Arbeitsmediziner, Zahnarzt usw.) ist verpflichtet, bei begründetem Verdacht auf das Vorliegen einer BK dem UV-Träger oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle des jeweiligen Bundeslandes eine BK-Anzeige auf dem dafür vorgeschriebenen amtlichen Vordruck zu erstatten und den Versicherten darüber zu unterrichten (§ 202 SGB VII in Verbindung mit § 100 SGB X). Begründeter Verdacht = subjektive Plausibilität der Kausalitätsannahme. Verlangt werden weder eine gutachterlich objektivierte Kausalitätsanalyse oder umfassende Ermittlungen noch eine zusätzliche Diagnostik zur Stützung des BK-Verdachts; erst recht ist nicht zweifelsfreie Gewissheit der Maßstab! Die Anzeigepflicht wird als eine gesetzliche Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht angesehen. Sie steht damit nicht zur Disposition des Versicherten. Seine Einwilligung wird nicht vorausgesetzt. Es geht um höherrangige Belange des Gemeinwohls (Gefahrenabwehr, Erkennung von Schwerpunkten der Gefährdung i. S. von Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken, Fortentwicklung des BK-Rechts). Rechtsgut ist nicht etwa nur das Individualinteresse des Versicherten am Bezug der ihm zustehenden Sozialleistungen.
Praxis Auch Fälle, in denen eine zur Rentenleistung verpflichtende MdE nicht vorliegt, sind meldepflichtig: Beispiel 1: Isolierte Pleuraplaques bestimmter Ausdehnung: Meldepflicht wegen BK 4103 ohne MdE. Beispiel 2: Karzinom im Lungenbereich ohne erkennbare Asbestose mit unklarer Asbestbelastung. Diese kann sich bei professioneller Aufklärung als erheblich erweisen und zur Anerkennung einer BK 4104 führen (‡ 25 Faserjahre, siehe „Lungenkrebs“, Kapitel 4.4). Beispiel 3: Pleuramesotheliom ohne offensichtlich erkennbare Asbestbelastung. Die Erfahrung zeigt, dass regelmäßig doch BK-relevante beruf-
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung liche Belastungen aufgedeckt werden können. Jedes Pleuramesotheliom muss daher als Verdachtsfall angezeigt werden! Hinweis: Der behandelnde Arzt kann sich oft nicht auf Angaben verlassen und auch nicht die Verantwortung für die Richtigkeit eigener Ermittlungen übernehmen. Daher sollten die Ermittlungen an den UVTräger verlagert werden. Gerade auch bei Lungenkrebs und Pleuramesotheliom wird in Fällen erkannter Kausalität sehr oft viel zu spät angezeigt. Häufiger Grund dafür ist, dass die Diagnosebestätigung durch den Pathologen abgewartet wird. Wird aber nach dem Tod des Versicherten angezeigt, können Rentenleistungen, auf die der Versicherte bei Anzeige zu Lebzeiten Anspruch gehabt hätte, den Rechtsnachfolgern nicht ausgezahlt werden. Die Zahlung würde voraussetzen, dass ein BK-Feststellungsverfahren noch zu Lebzeiten anhängig war (§ 59 SGB I). Eine schuldhaft verzögerte BK-Anzeige kann zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den Arzt, der die Anzeige verschleppt hat, begründen. Es wird erwartet, dass sich der Arzt bei der Prüfung seiner Anzeigepflicht an den vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat, Sektion Berufskrankheiten, beim BMAS veröffentlichten „Merkblättern zu Berufskrankheiten“ orientiert. Den Merkblättern kommt keine rechtliche Verbindlichkeit zu. Sie haben auch nicht etwa den Rang eines sog. „antizipierten Sachverständigengutachtens“ (s. dazu unten bei „MdE“). Sie stellen eine – nicht unbedingt ausreichende – Informations- und Interpretationshilfe für den Arzt dar. Sie können für jede einzelne BK im Internet heruntergeladen werden unter http://www.baua.de/ s. dort Themen von A – Z/ Berufskrankheiten/Dokumente/Merkblaetter und wiss. Begründungen). Für die ärztliche BK-Anzeige ist ein amtliches Muster vorgeschrieben (§ 3 in Verbindung mit Anlage 3 Unfallversicherungsanzeige-VO – UVAV – vom 23.1. 2002, BGBl. I, S. 554: Muster der BK-Anzeige s. Abb. 2.1). Das Formblatt ist herunterladbar über die Web-Site des HVBG: www.hvbg-service.de/cgi-bin/formtext (s. dort unter Code-Ziffer F 6000 sowie F 6000E = Erläuterungen zum Formblatt). Auch der Versicherte kann selbst formlos eine BKMeldung erstatten. Der Unternehmer ist bereits bei „Anhaltspunkten“, die Krankenkasse bei „An-
nahme“ einer BK zur Mitteilung an die UV-Träger verpflichtet. Bei gleichzeitiger oder sukzessiver Beteiligung mehrerer Ärzte an der Behandlung oder Untersuchung ist jeder Arzt für sich zur Anzeige verpflichtet, es sei denn, ihm ist mit Sicherheit bekannt, dass bereits von einem anderen Arzt angezeigt worden ist. Bei der medizinischen Zweitbeurteilung von Vorsorgeuntersuchungsergebnissen Asbestexponierter liegt die Verantwortung für die BK-Anzeige und die Unterrichtung des Versicherten beim „Zweitbeurteiler“. Eine Verletzung der ärztlichen Anzeigepflicht ist keine Ordnungswidrigkeit, bedeutet aber einen Verstoß gegen die ärztlichen Standespflichten.
Meldung von drohenden Berufskrankheiten? Die Anzeigepflicht des § 202 SGB VII bezieht sich auf eine bereits bestehende BK, nicht aber auf die bloße prognostisch drohende Entwicklung hin zu einer BK (§ 3 BKV: s. dazu Abb. 2.6). Geregelt ist lediglich die Mitteilungspflicht des ermächtigten Arztes nach arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen im Falle einer § 3 BKVSituation (§ 9 Abs. 3 BGV A 4). Für diese Mitteilung sowie für Vorschläge für Maßnahmen der Prävention ist das Formblatt „Vorschlag für Mitteilung nach § 3 BKV“ entwickelt worden (s. Abb. 2.2). Es hat sich bisher leider in der Praxis nicht zufrieden stellend durchgesetzt.
Praxis Beispiel: Asthma eines Pollenallergikers, der Mehlstaub exponiert ist (Maßnahmen des § 3 BKV müssen erwogen werden, daher Meldung per Formblatt oder formlos an die BG). Die Mitteilung bezüglich der § 3 BKV-Situation setzt die Einwilligung des Versicherten voraus. Für diesen Bereich existiert keine gesetzliche Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht!
Unfallversicherung
Ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit 1 Name und Anschrift des Arztes
2 Empfänger
4 Geburtsdatum
3 Name, Vorname des Versicherten Postleitzahl
5 Straße, Hausnummer 6 Geschlecht männlich
7 Staatsangehörigkeit
Tag
Monat
Jahr
Ort
8 Ist der Versicherte verstorben?
weiblich
9 Fand eine Leichenöffnung statt? Wenn ja, wann und durch wen? 10 Welche Berufskrankheit, Berufskrankheiten kommen in Betracht? (ggf. BK-Nummer) 11 Krankheitserscheinungen, Beschwerden des Versicherten, Ergebnis der Untersuchung mit Diagnose (Befundunterlagen bitte beifügen), Angaben zur Behandlungsbedürftigkeit
12 Wann traten die Beschwerden erstmals auf? 13 Erkrankungen oder Bereiche von Erkrankungen, die mit dem Untersuchungsergebnis in einem ursächlichen Zusammenhang stehen können
14 Welche gefährdenden Einwirkungen und Stoffe am Arbeitsplatz bzw. welche Tätigkeiten werden für die Entstehung der Erkrankung als ursächlich angesehen? Welche Tätigkeit übt/übte der Versicherte wie lange aus? 15 Besteht Arbeitsunfähigkeit? Wenn ja, voraussichtlich wie lange? 16 In welchem Unternehmen ist der Versicherte oder war er zuletzt tätig? In welchem Unternehmen war er den unter Nummer 14 genannten Einwirkungen und Stoffen zuletzt ausgesetzt? 17 Krankenkasse des Versicherten (Name, PLZ, Ort) 18 Name und Anschrift des behandelnden Arztes/Krankenhauses (soweit bekannt auch Telefon- und Faxnummer) 19 Der Unterzeichner bestätigt, den Versicherten über den Inhalt der Anzeige und den Empfänger (Unfallversicherungsträger oder für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Landesbehörde) informiert zu haben.
20 Datum
Arzt
Telefon-Nr. für Rückfragen (Ansprechpartner)
Bank/Postbank
Kontonummer
Bankleitzahl
Abb. 2.1 rztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit.
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung
Vorschlag für Mitteilung nach § 3 BKV*) Stempel des Arztes
Datum
Mitteilung und Vorschlag
(An den Unfallversicherungsträger)
für Maßnahmen der Prävention bei Berufskrankheiten nach § 3 BKV
Familienname, Vorname Straße, Postleitzahl, Ort Geburtsdatum Arbeitsbereich/Art der Tätigkeit Anschrift des Unternehmers Krankenkasse Drohende Berufskrankheit-Nr. Untersuchung am
nach Vorsorgegrundsatz G...
Mitteilung erfolgt gemäß § 9 Abs. 3 VBG 100
Ich halte Maßnahmen der Prävention aus folgenden Gründen für erforderlich:
Ich rege folgende Maßnahmen an:
Ort/Datum
Unterschrift des Arztes
Vergütung nach Leitnummer 82 (entspr. AV 13) des Ärzteabkommens Zustimmungserklärung*) Ich bin einverstanden, dass • diese Mitteilung dem Träger der Unfallversicherung (UV-Träger) weitergegeben wird, damit dieser prüfen kann, ob und ggf. welche Maßnahmen der Prävention durchzuführen sind; • der UV-Träger Unterlagen des Arbeitgebers, des Betriebsarztes, ggf. weiterer Ärzte und der Krankenkasse beizieht, die zur Entscheidung erforderlich sind.
Ort/Datum
Unterschrift des/der Versicherten
*) Einschränkungen ggf. durch Streichung kennzeichnen
Institutionskennzeichen (IK)
Bank – Sparkasse – Postgiroamt
Kontoinhaber
Bankleitzahl
Kontonummer
*) Auf Wunsch zu beziehen in DIN A4 bei Druck und Verlag L. Düringshofen, Seesener Straße 57, 10709 Berlin
Abb. 2.2 Mitteilungsblatt an den UV-Trger bezglich Maßnahmen nach § 3 der BKV.
Unfallversicherung
Versicherungsfall/Leistungsfall Eintritt des Versicherungsfalles Jeder objektiv feststellbare Gesundheitsschaden im Sinne eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes ist Berufskrankheit, sofern er die Tatbestandsmerkmale einer BK-Nr. in der BKV erfüllt. Zu den Tatbestandsmerkmalen der BK-Liste gehören neben der Krankheit auch andere in der Liste jeweils genannte Merkmale, wie etwa das sog. versicherungsrechtliche Tatbestandsmerkmal des Zwangs zur Tätigkeitsaufgabe. Im Bereich der Pneumologie enthalten dies die BK-Nummern 1315, 4301 und 4302, nicht aber z. B. die exogen-allergische Alveolitis der BK 4201. Liegen alle medizinischen und versicherungsrechtlichen Merkmale eines BK-Tatbestandes vor, rechtlich-wesentlich verursacht durch eine berufliche Einwirkung („infolge“), besteht ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Feststellung, dass die Krankheit eine BK ist (s. Abb. 2.3). Die Anerkennung ist unabhängig davon, ob zugleich Leistungen festgestellt werden können (Anerkennung dem Grunde nach). Enthält der BK-Tatbestand außer der Erkrankung keine weiteren Voraussetzungen, wird der Versicherungsfalltag durch den Tag fixiert, an dem die ersten objektivierbaren Befunde der BK vorlagen (Anerkennung dem Grunde nach). Dies setzt also nicht voraus, dass wegen der BK Leistungen festgestellt werden können (zum Leistungsfall s. unten). Bei Tumoren ist der Zeitpunkt der Expression des Krankheitsgeschehens maßgebend, also der Zeitpunkt des ersten Nachweises entsprechender Befunde, nicht ein hypothetischer Zeitpunkt, zu dem erfahrungsgemäß bereits Tumorzellen etwa in der Lunge vorhanden waren. Bei Berufskrankheiten, deren Versicherungsfall die Tätigkeitsaufgabe voraussetzt, erkennt das Gesetz ein zusätzliches Rechtsschutzbedürfnis der Versicherten an (§ 9 Abs. 4 SGB VII): Die UV-Träger müssen über den medizinischen Grundtatbestand selbst dann entscheiden, wenn die gefährdende Tätigkeit fortgesetzt wird und somit der eigentliche Versicherungsfall noch nicht vorliegt (sog. „Befundanerkennung“).
Grund: Der Versicherte soll insoweit Rechtssicherheit haben, wenn er vor die Entscheidung gestellt ist, seine Tätigkeit wegen der beruflichen Einwirkung aufzugeben.
Versicherungsfall „Berufskrankheit“ Anspruch auf Feststellung, dass eine Krankheit eine BK ist. • Gesundheitsschaden (Befunde, die aus medizinischer Sicht als Krankheit im Sinne eines regelwidrigen Körper- und/oder Geisteszustandes zu gelten haben), • der alle Tatbestandsmerkmale der betreffenden Nr. der BK-Liste erfüllt. • Erfüllung ggf. vorhandener versicherungsrechtlicher Tatbestandselemente (z. B. Tätigkeitsaufgabe).
Leistungsfälle Leistungen setzen den Versicherungsfall voraus. Aber eine BK dem Grunde nach und der Anspruchsbeginn auf Leistungen liegen oft zeitversetzt vor. Der maßgebliche Zeitpunkt für den Beginn und die Berechnung von Leistungen ist in § 9 Abs. 5 SGB VII festgelegt. Man will angesichts der schleichenden Entwicklung von Berufskrankheiten als Ausgangspunkt für die Leistungsberechnung klare, einfach zu ermittelnde Stichtage festlegen. Dafür werden zwei Ereignisse alternativ nach dem Günstigkeitsprinzip zur Verfügung gestellt:
•
•
Beginn der Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung = regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der – ärztlicher Behandlung zugänglich ist (Behandlungsbedürftigkeit) oder – Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat oder Eintritt der einen Rentenanspruch auslösenden MdE.
Leistungsfall (Zeitpunkt für den Beginn und die Berechnung von Leistungen) Für die Berechnung des Jahrsarbeitsverdienstes sieht § 84 SGB VII sogar noch eine dritte Möglichkeit vor, den Stichtag fiktiv zu bestimmen und zurückzuverlegen:
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung
Versicherungsfall
Entschädigungsumfang (BK-Folgen) Vollbeweis
Vollbeweis
Vollbeweis
äußere Einwirkung (zeitlich nicht begrenzt)
(Erst-)Schaden = Krankheit*
(Folge-) schäden
Vollbeweis Versicherungsschutztatbestand Versicherte Person
Tätigkeit bei der äußeren Einwirkung
Innerer Zusammenhang
Ursächlicher Zusammenhang Hinreichende Wahrscheinlichkeit *sowie weitere Tatbestandsmerkmale wie z.B. Tätigkeitsaufgabe
Arbeitnehmer
schleift Asbest
atmet Asbeststaub ein
Lungenveränderungen
Lungenfunktionseinschränkungen
versicherter Unternehmer
rührt Brotteig an
atmet Mehlstäube ein
UBH/Allergische Rhinopathie
Asthma/Cor pulmonale
oder
Beweisanforderungen bei Berufskrankheiten
Abb. 2.3 Kausalitt beim Versicherungsfall BK (nach O. Blome).
Als Zeitpunkt des „Versicherungsfalls“ gilt der letzte Tag, an dem der Versicherte in einem Unternehmen Arbeiten verrichtet hat, die ihrer Art nach geeignet sind, die BK zu verursachen. Dadurch sollen möglicherweise krankheitsbedingte negative Einkommensentwicklungen nach dem Versicherungsfall nicht auf die spätere Rentenberechnung durchschlagen.
•
• •
Die Berechnung von etwaigen Rentenleistungen ist die Domäne der BK-Sachbearbeitung. Der Rat des Arztes kann im Einzelfall erforderlich werden. Dies setzt gezielte Fragen im Gutachtenauftrag voraus.
Kausalzusammenhang Prüfschritte Die Beweisanforderungen sind bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs für Arbeitsunfall und Berufskrankheit identisch. An die Stelle des Unfallereignisses tritt bei der BK lediglich die BK-typische Einwirkung. Die Prüfschritte sind durch jahrzehntelange Rechtsprechung und Lehre entwickelt worden und definieren den Rechtsbegriff „Infolge“ in § 9 SGB VII (Schema für die Kausalitätsprüfung s. Abb. 2.3):
Die Verrichtung des Versicherten bei der Einwirkung muss der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sein (sog. innerer bzw. sachlicher Zusammenhang: voller Beweis erforderlich). Prüfaufgabe: UV-Träger. Diese versicherte Verrichtung muss mit Wahrscheinlichkeit zu der Einwirkung geführt haben. Die Einwirkung muss mit Wahrscheinlichkeit einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).
Diese drei Prüfschritte bilden die Voraussetzungen für den Versicherungsfall BK. Wenn in einigen Tatbeständen zusätzlich als versicherungsrechtliches Tatbestandsmerkmal die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit gefordert wird, so gehört dies gleichfalls zu den unabdingbaren Voraussetzungen für die Annahme des Versicherungsfalles. Nicht zu den Voraussetzungen für die Anerkennung als BK zählen wahrscheinliche kausale Folgeschäden aufgrund des BK-Erstschadens (haftungsausfüllende Kausalität). Die Entwicklung weiterer Folgekrankheiten aufgrund des Gesundheitserstschadens hat für den Leistungsumfang Bedeutung.
Unfallversicherung Für die „Eckpfosten“, auf die sich die Kausalitätsbeurteilung stützt, also für die versicherte Tätigkeit, Art, Dauer und Intensität der Einwirkung, den Erstschaden nach Maßgabe des BK-Tatbestandes und die Folgebefunde, ggf. auch für die objektive Tätigkeitsaufgabe, wird der Vollbeweis (an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, s. Kap. 1.5) gefordert.
Praxis
Wahrscheinlichkeit
haftungsbegründende Kausalität
schädigende Einwirkung
haftungsausfüllende Kausalität
Erkrankung
Folgeerkrankungen
Beispiel: Berufskrebs der Lunge Ein Rundherd im Röntgenbild reicht nicht zur Diagnose, die Histologie/Zytologie ist zu fordern. Im Einzelfall kann bei Unmöglichkeit einer Tumorsicherung – z. B. wegen schlechtem Befinden/ Risikosteigerung – ein letzte Zweifel ausschließender Verlauf diesen Nachweis ersetzen; dies sollte aber begründeten Einzelfällen vorbehalten bleiben. Zugleich muss der eindeutige Ursprung des Tumors aus der Lunge nachgewiesen sein. Daten zur Einwirkung und deren Intensität sind vom UV-Träger bzw. dessen technischen Fachleuten zu übermitteln. Bei Berufskrankheiten mit langer Latenzzeit können qualifizierte, sicherheitstechnisch objektivierte Messdaten für Arbeitsplätze der Vergangenheit fehlen. Hier wird versucht, etwa durch den BK-Report „Faserjahre“ (Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften 2007), mittels nachträglich entwickelter Expositionstabellen und Gefährdungskataster über vergleichbare Arbeitsplätze oder Messergebnisse noch Anhaltspunkte für die Beweiswürdigung der im Einzelfall ermittelten Tatsachen zu erzielen. Sofern bei der Erhebung der Arbeitsanamnese relevante Differenzen zu den aktenkundigen Aufzeichnungen über die sicherheitstechnischen Ermittlungen (Anknüpfungstatsachen) auftreten, sollte der Gutachter nicht von sich aus versuchen, die Diskrepanz selbst zu lösen. Die Akte sollte vielmehr dem Auftraggeber mit der Bitte um Klärung der diskrepanten Auffassung zum Expositionsnachweis zurückgegeben werden oder das Gutachten sollte alternativ zu den Tatbestandsvarianten erstellt werden. Nicht die eigene Vorstellung des Gutachters von einer bestimmten Einwirkungsintensität ist maßgebend, sondern das Ermittlungsergebnis des UV-Trägers. Wenn sich im ärztlichen Gespräch mit dem Versicherten erhebli-
kein vernünftiger Zweifel möglich
Abb. 2.4 Kausalittsanforderungen und Beweismaße.
che Diskrepanzen zum Ermittlungsergebnis des UV-Trägers zeigen, so „hat die Akte Heimweh zur Verwaltung“: Der Gutachter soll dann den UV-Träger bitten, erneut zu ermitteln und festzustellen, von welcher Exposition tatsächlich auszugehen ist. Spätestens im Sozialgerichtsverfahren kommen mitunter BK-relevante Expositionen zutage, die zuvor nicht ersichtlich waren. Manchmal hält der Versicherte dem gutachterlich tätigen Arzt vor, er könne sich nicht auf die Ermittlungen verlassen, weil der UVTräger „Streitpartei“ ist. Dies mag menschlich nachvollziehbar sein, aber: Im BK-Verfahren hat der UV-Träger eine neutrale (!) Amtsermittlungspflicht. Für den ursächlichen Zusammenhang (Kausalität) zwischen den einzelnen nachgewiesenen „Eckpfosten“ des BK-Versicherungsfalls gilt, wie auch sonst im Sozialrecht, die Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung. Sie gründet auf der naturwissenschaftlichen Bedingungstheorie: Jedes Ereignis ist Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (Conditio sine qua non). Hierfür genügt als Beweisanforderung die Wahrscheinlichkeit (s. Kap. 1.5): Die naturwissenschaftliche Kausalität kann unbegrenzte Bedingungsketten umfassen, die es auf ihre rechtliche Relevanz zu bewerten und damit
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung einzugrenzen gilt. In einem zweiten Prüfschritt sind somit die einzelnen naturwissenschaftlichen Bedingungen zu gewichten und zu prüfen, ob die berufliche Einwirkung auch eine rechtlich wesentliche Ursache für den Gesundheitsschaden ist (Einzelheiten s. Kap. 1.5). Im Falle einer bereits vorhandenen Krankheitsanlage, die z. B. mit der beruflichen Einwirkung sensibilisierender Noxen zusammentrifft, wird mit der Rechtsprechung darauf abgestellt, ob die Krankheitsanlage so stark und so leicht ansprechbar war, dass die Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurft hätte. In einem solchen Falle hätte praktisch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG], zuletzt BSG, Urteil vom 9. 5. 2006, B 2 U 1/05 R, BSGE 96, 196, 200 = UVR 6/2006, 388, 402). Eine solche sozialrechtlich nicht wesentliche Bedingung wird in diesem Zusammenhang auch als „Gelegenheitsursache“ oder „Auslöser“ bezeichnet. Vor einem schlagwortartigen Gebrauch dieser Begriffe muss aber gewarnt werden.
Wahlfeststellung Es kommt vor, dass die präzise Zuordnung einer diagnostizierten Krankheit zu einem bestimmten BK-Tatbestand nicht im Vollbeweis gelingt, aber nachgewiesen werden kann, dass entweder z. B. ein Mesotheliom der BK 4105 oder ein Lungenkrebs der BK 4104 vorliegt, die beide mit Wahrscheinlichkeit auf die Einwirkung zurückzuführen wären. In solchen Fällen kann nach den Regeln der Wahlfeststellung eine alternative Anerkennung und Entschädigung erfolgen, soweit das Leistungsspektrum deckungsgleich ist, also ggf. nur nach Maßgabe der Tatbestandsvariante mit der geringeren Leistungshöhe.
Tod als BK-Folge Als Erstschaden ist der Tod unmittelbare Folge einer – meist unfallartigen – Einwirkung einer Noxe der BK-Liste. Häufiger tritt er als Folge einer Verschlimmerung einer bereits vorliegenden BK ein (Problem der haftungsausfüllenden Kausalität). Abgrenzungsprobleme ergeben sich, wenn neben der BK eine Krankheitsanlage besteht, die wahrscheinlich ebenfalls mit wahrscheinlich ab-
sehbarem Zeitpunkt zum Tode geführt hätte. Als Abgrenzungsmaßstab für die rechtlich wesentliche Ursache hat die Rechtsprechung die „Lebensverkürzung um ein Jahr“ durch die BK-Folgen eingeführt.
Praxis Beispiel: Bei Asbestose mit Hypoxämie (als BK) könnte der Tod nach Myokardinfarkt durch die BK-Folgen um mindestens ein Jahr vorverlegt worden sein. Hierbei wird sich der Gutachter auf Erfahrungswerte beziehen müssen. Für die Formel von der Lebensverkürzung ist kein Raum, wenn die rechtlich wesentliche Kausalität zwischen BK-Folgen und Tod bereits aus anderen Gründen bewiesen ist. An diesem Kausalzusammenhang würde auch die hypothetische Überlegung nichts mehr ändern, dass der Versicherte ohnedies innerhalb eines Jahres an seinem unfallunabhängigen Leiden verstorben wäre.
Gesetzliche Kausalitätsvermutungen In der Sonderregelung des § 63 Abs. 2 SGB VII hat der Gesetzgeber für sog. privilegierte Berufskrankheiten der Nr. 4101 – 4104 (außer Kehlkopfkrebs) im Falle einer MdE von mindestens 50 v. H. eine Rechtsvermutung zwischen BK und späterem Tod des Versicherten eingeführt, um posthumen Streit über die Todesursache einzuschränken. Die Vermutung kann vom UV-Träger nur widerlegt werden, wenn die BK offenkundig nicht die Todesursache ist, sondern von einem anderen Organ ausgeht (z. B. Tod durch Oropharynx-Karzinom bei BK 4104 mit MdE ‡ 50 v. H.). Für die Widerlegung kann der UV-Träger alle zulässigen Beweismittel verwerten; eine Obduktion hingegen darf er nicht verlangen. Wurde aber eine Obduktion ohne sein Zutun veranlasst, so kann der UV-Träger auf die Verwertung der Ergebnisse nicht verzichten, wenn dieser Ermittlungsschritt sachlich geboten ist (BSG, Urteil vom 15. 2. 2005, BSGE 94, 149). Die Wirksamkeit der Einwilligung einer für die Totenfürsorge zuständigen Person in die Obduktion ist nicht von einer vorherigen Aufklärung durch den Arzt über die möglichen sozialversicherungsrechtlichen Folgen der Obduktion abhängig. Der Arzt kann sich auf den unmittelbaren Obduktionszweck und seinen Kenntnishorizont beschränken (BVerfG, Beschl. vom 22. 8. 2006, NZS 2007, 83).
Unfallversicherung
Minderung der Erwerbsfähigkeit/MdE Zum Rechtsbegriff Der Rechtsbegriff MdE bildet die Grundlage für Rentenleistungen und die Berechnung ihrer Höhe (§ 56 Abs. 2 SGB VII).
Begriff MdE „Erwerbsfähigkeit in der gesetzlichen UV ist die Fähigkeit des Versicherten, sich einen Erwerb zu verschaffen, und zwar unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten Kenntnissen und körperlichen wie geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten“ (immer noch aktuelle Definition von Brackmann, Hdb. der Sozialversicherung, 11. Aufl. 1988). Ausgangspunkt ist, welche Einbuße an Erwerbsfähigkeit zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles für einen individuellen Versicherten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bestand (abstrakte Schadensberechnung). Auf tatsächliche Einkommensverluste durch eine konkrete Beeinträchtigung im Beruf des Versicherten sowie Einschränkungen im privaten Bereich kommt es nicht an. Auch ist nicht etwa der Zustand eines nicht betroffenen (Durchschnitts-)Versicherten maßgebend. Bestehende Erkrankungen, Alters- und Verbrauchserscheinungen in der Person des Versicherten sind somit zu berücksichtigen und bestimmen den „Restarbeitsmarkt“. Er ist also auch für diese Vorgeschädigten mit 100 v. H. anzusetzen. Die davon zum Zeitpunkt der MdE-Feststellung verbliebene Erwerbsfähigkeit ist in einem Prozentsatz auszuweisen. Für die MdE-Bemessung sind somit mehrere Schritte erforderlich: • Auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet: Einschränkung der konkreten körperlichen, geistigen und seelischen Fähigkeiten des Versicherten durch den Versicherungsfall (Funktionseinbußen).
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Nicht auf ureigenem ärztlichem Fachgebiet ist jedoch eine nachvollziehbar begründete ärztliche Meinungsäußerung hierzu Bestandteil der MdE-Bemessung: Einschränkung des Umfangs der durch die Funktionseinbußen verschlossenen abstrakten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Die Rechtsprechung lässt dafür den vereinfachenden Rückgriff auf Erfahrungssätze (auf allgemeiner Lebenserfahrung und besonderer Sach- und Fachkunde beruhend) und daraus in der Literatur entwickelte MdE-Tabellen zu. Die Beweiskraft von Erfahrungssätzen ist je nach der Qualität ihres formalen und fachlichen Entwicklungsprozesses unterschiedlich (s. dazu näher Wiester 2002): Von einfachen über qualifizierte Erfahrungssätze – das sind die üblichen MdE-Tabellen und Empfehlungen – bis hin zu „antizipierten Sachverständigengutachten“, zu denen etwa die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit“ z. B. im Bereich des Schwerbehindertenrechts gezählt werden.
Antizipiertes Sachverständigengutachten zur Ausfüllung des Rechtsbegriffs MdE Empfehlungen, • qualifiziert durch Sachkunde, Objektivität, Unabhängigkeit des erstellenden Fachgremiums, • von der Praxis angewandt und akzeptiert, • auf Aktualität überprüfbar, • zustande gekommen aufgrund von Organisationsregeln bezüglich Beteiligung der maßgeblichen Fachkreise und der Beschlussfassung. Wer von derart qualifizierten Empfehlungen abweichen will, hat erhöhten Argumentationsbedarf. Bisher hat die Rechtsprechung Gutachtenempfehlungen für den Bereich der Pneumologie diesen Status nicht ausdrücklich zuerkannt. Ein ernsthafter Kandidat für eine solche qualifizierte Gutachtenempfehlung ist aber das Reichenhaller Merkblatt vom April 2006, welches 2008/2009 überarbeitet wird (http://www.hvbg.de/d/pages/ service/download/bk_rep/pdf/reichenhall.pdf). Die Entscheidung über die Bemessung der MdE ist Aufgabe des UV-Trägers, freilich auf der Grundlage des Gutachtens.
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung
Vor- und Nachschäden Wie bereits erwähnt, kann ein Vorschaden für die Bemessung der MdE eine Rolle spielen. Der Versicherungsfall bildet den Abschluss der relevanten Kausalreihe. Beachtlich sind nur die Folgen des Versicherungsfalles (z. B. Verschlimmerung, Besserung), nicht aber Änderungen im sonstigen Gesundheitszustand oder spätere Einflüsse auf die BK-Folgen durch andere selbstständige Versicherungsfälle (sog. Nachschäden).
Begriff „Vorschaden“ Vorschaden ist eine bereits vor dem Versicherungsfall bestehende, auch altersbedingte, gesundheitlich manifeste Beeinträchtigung.
Praxis Ein einfaches Beispiel für Vorschaden aus dem Unfallbereich: Ein Arbeitnehmer mit angeborener Blindheit auf einem Auge erleidet in seinem Beruf eine Augenverletzung. Ereignet sich diese berufliche Einwirkung auf dem kranken Auge, so kann dies nicht zu einem weiteren Funktionsverlust führen. Anders jedoch, wenn er diesen Unfall auf dem gesunden Auge erleidet und etwa auf diesem Auge gleichfalls erblinden würde. Dann wäre die MdE nicht mit 25 v. H., sondern für den blinden Versicherten mit 100 v. H. einzuschätzen. Andererseits würde sich die MdE für einen unfallbedingten einseitigen Verlust der Sehkraft nicht dadurch ändern, dass der Versicherte durch einen späteren „privaten“ Verlust der Sehkraft auch auf dem anderen Auge erblindet (Nachschaden). Typischerweise ist diese Wechselwirkung zwischen Vorschaden und BK-Folgen anzunehmen, wenn, wie im Beispielfall, durch mehrere Erkrankungen dasselbe Organ oder dieselbe Körperfunktion, insbesondere bei sog. „paarigen Organen“ betroffen ist. Hier wird eine funktionelle Wechselbeziehung besonders deutlich. Dieser Begriff darf aber nicht zu eng auf die Schädigung „paariger Organe“, die Betroffenheit desselben Organs oder derselben Körperfunktion beschränkt werden. Eine Wechselbezüglichkeit kann auch sonst bestehen. Das BSG nennt als Beispiel einen durch privaten Unfall Beinamputierten, dem infolge einer Haut-BK der Gebrauch seiner Gehstützen erschwert wird (BSG vom 5. 9. 2006, B 2 U 25/05 R, UVR 3/2007, S. 163,166).
Praxis In den folgenden Beispielen 1, 2 und 4 wirkt sich der Vorschaden regelmäßig MdE-erhöhend aus. Beispiel 1: Ein Versicherter hat eine Pleuraschwarte nach einem frühkindlich durchstandenen Pleuraempyem. Er erleidet jetzt auf der kontralateralen Seite einen Pleuritisschub bei Asbestose mit nachfolgender Verschwartung. Dieser Vorschaden führt zu höherer MdE als die alleinige Asbestpleuritis! Beispiel 2: Ein Versicherter mit einem klinisch stabilen Zustand nach Unterlappenresektion links wegen Bronchiektasen erkrankt später an einem Berufsasthma (BK 4301). Dieser Vorschaden fällt bei der MdE-Bemessung wahrscheinlich vorerst nicht ins Gewicht (da klinisch stabil). Sollte sich jedoch Jahre später im Rahmen der BK z. B. eine irreversible Obstruktion entwickeln, wäre der Verlust des Unterlappens bei der MdE-Einschätzung im Sinne einer Erhöhung zu berücksichtigen, weil physiologische Reserven hierdurch vermindert werden. Die BK-Folgen können aber durchaus bei Zusammentreffen mit einem Vorschaden auch weniger gewichtig einzuschätzen sein, hierzu Beispiel 3: Beispiel 3: Überschneiden sich die funktionellen Auswirkungen, so kann die Gesamt-MdE auch niedriger als die Summe der Einzel-MdE liegen: Eine MdE von 20 v. H. besteht seit Jahren wegen Pleuraverschwartung nach beruflich erworbener Tuberkulose (BK 3101). Später kommt ein arbeitsbedingtes Thoraxtrauma auf der gleichen Seite hinzu, dessen Folgen – isoliert betrachtet – mit 30 v. H. einzuschätzen wären. Hier überlagern sich die funktionellen Auswirkungen. Die später eintretenden Folgen werden gleichsam durch den Vorschaden mit abgedeckt. Dies führt zu einer geringeren Bemessung der MdE für das zweite Ereignis (20 v. H.). Beide Renten werden nebeneinander gezahlt, d. h. zweimal 20 v. H. (und nicht 20 plus 30 v. H.). Beispiel 4 (Beispiel für erhöhte MdE-Einschätzung): Das Thoraxtrauma im vorgenannten Beispiel trifft die bisher gesunde Seite. Wegen der Wechselwirkung käme dann eine MdE von etwa 40 v. H. für die Folgen des zweiten Unfallereignisses in Betracht, mit der Folge einer Gesamt-MdE von 60 v. H.
Unfallversicherung
Konkurrierende Bedingungen: ausreichend: Teil- (Mit-) Ursache (nicht notwendig: alleinige Ursache nicht ausreichend: Gelegenheitsursache) Einwirkung Gesundheitsstörung andere Bedingungen modifiziert nach Lehrmaterial für die Fortbildung hrsg. v. Hauptverband der gewerblichen BGen
Abb. 2.5 Vorschaden und Einwirkung.
Die Beurteilung ist besonders schwierig, wenn es sich um eine Entwicklung durch langfristige parallele berufliche und außerberufliche Einwirkungen handelt. Dies wird aus dem folgenden „Beispiel für Fortgeschrittene“ deutlich: Ein langjähriger starker Raucher mit chronischobstruktiver Bronchitis entwickelt zusätzlich ein Berufsasthma. • Der „private“ Vorschaden ist vom beruflich erworbenen Verschlimmerungsanteil abgrenzbar: Trifft ein BK-typischer Befund mit einem bereits manifesten, abgrenzbaren unabhängigen Krankheitszustand zusammen, so ist ausschließlich die Kausalität für diesen sog. („Verschlimmerungs-“)Anteil am Gesamtzustand zu prüfen. Die MdE ist für diesen Anteil unter Berücksichtigung des dieselbe Körperfunktion betreffenden Vorschadens zu bemessen. • Der „private“ Vorschaden ist von den berufsbedingten Einwirkungsfolgen nicht abgrenzbar: Ist eine Abgrenzung der außerberuflichen und beruflichen Einwirkungen und deren Folgen nicht möglich, so haben wir es zunächst nicht mit der Vorschadensproblematik im Sinne eines MdE-Bemessungsproblems zu tun, sondern es ist vorrangig das Kausalitätsproblem zu lösen. Unter diesem Aspekt ist zunächst zu prüfen, ob die miteinander konkurrierenden beruflichen und außerberuflichen naturwissenschaftlichen Bedingungen jeweils einen rechtlich wesentlichen Kausalbeitrag zum Gesamtbefund geleistet haben. Ist eine Bedingung dabei als rechtlich allein wesentlich anzusehen, so ist der Kausalbeitrag der konkurrierenden Bedingung rechtlich unbeachtlich. Sind beide Bedingungen als wesentlich anzusehen, so ist
die berufliche Einwirkung rechtlich wesentliche (Mit-)Ursache für den Gesamtbefund. Daran hätte sich dann auch die Bemessung der MdE auszurichten. Die Erkennung und Beurteilung von Wechselbezüglichkeiten bei Vorschäden ist Aufgabe des Gutachters. Er hat nach Feststellung aller Vorschäden und des BK-bedingten Schadens deren Gesamtauswirkung auf die Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu beurteilen. Dies ist kein „Rechenkunststück“, sondern eine gutachterliche Bewertungsaufgabe (also keine bloße Verwendung von Rechenformeln oder gar eine bloße Addition von isoliert für Vorschaden und BK-Schaden ermittelten MdE-Werten).
Aspekte der Genesungszeit bei therapierten Krebserkrankungen Die pauschale Verwendung des Begriffs der Heilungsbewährung ist in der Gesetzlichen Unfallversicherung nicht mehr gebräuchlich. Im Schwerbehindertenrecht werden unter dem Begriff „Heilungsbewährung“ Beeinträchtigungen pauschalisiert zusammengefasst, die im Einzelfall mit erheblichen Schwankungsbreiten auftreten können und die über eine reine Funktionsbeeinträchtigung hinausgehen. Eine solche pauschale, an bestimmte erfahrungsgestützte Verlaufskriterien gebundene Verwendung des Begriffs „Heilungsbewährung“ steht nicht mit der Rechtslage der gesetzlichen UV im Einklang. Künftige Veränderungen sind bei der Bemessung der MdE nicht zu berücksichtigen. MdE-wirksam sind hingegen die im Einzelfall nachgewiesenen Aspekte der Genesungszeit, wie z. B. andauernde Behandlungsnebenwirkungen, Dauertherapie, Schmerzsyndrom mit Schmerzmittelabhängigkeit, Anpassung und Gewöhnung an einen ggf. noch reduzierten Allgemeinzustand, notwendige Schonung zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes, häufig erlebte psychische Beeinträchtigungen wie Antriebsarmut, Hoffnungslosigkeit sowie soziale Anpassungsprobleme (Grundsatzentscheidung BSG, Urteil vom 22. 6. 2004, BSGE 93, 63, 67 = Sozialgerichtsbarkeit 2005, 124, 126 mit Anm. Keller). Wenn Aspekte der Genesungszeit zu einer vorläufig höheren MdE-Bemessung im Einzelfall
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung veranlassen, so sollten sie auch im Bescheid in geeigneter Form erfasst werden, um spätere Änderungen berücksichtigen zu können. So würde bereits die Formulierung genügen: „Die mit der Behandlung verbundenen Belastungen und Einschränkungen sind in die Bewertung einbezogen worden.“
Völlige Erwerbsunfähigkeit zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls Besteht zu diesem Zeitpunkt bereits aus anderen Gründen völlige Erwerbsunfähigkeit, so kann begrifflich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Erwerbsfähigkeit nicht mehr gemindert werden. Völlige EU im Sinne des Unfallversicherungsrechts, definiert als dauernder Verlust der Fähigkeit, sich einen nennenswerten Verdienst zu verschaffen, ist nicht identisch mit dem Verständnis der EU in der ges. Rentenversicherung. Für die völlige EU im Unfallversicherungsrecht gelten strengere Anforderungen (im Ergebnis muss das Restleistungsvermögen geringer sein als in der gesetzlichen Rentenversicherung). Hat z. B. der im Sinne der Rentenversicherung erwerbsunfähige Rentner noch einen Rest an Arbeitsvermögen im gesamten Wirtschaftsleben und damit die Möglichkeit, einen nennenswerten Verdienst zu erzielen, so gilt er unfallversicherungsrechtlich nicht als voll erwerbsunfähig. Eine MdE könnte festgestellt werden. Die Beweislast für den Zustand der völligen EU liegt beim UV-Träger. Eine nach dem Versicherungsfall eintretende völlige EU ist unbeachtlich (Nachschaden). Also sind etwaige nachfolgende Verschlimmerungen in den Folgen des Versicherungsfalls weiterhin durch Änderung der festgestellten MdE umzusetzen.
Rente auf unbestimmte Zeit Während der ersten drei Jahre nach Eintritt des Versicherungsfalls kann die Verletztenrente als vorläufige Rente festgestellt werden, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann; spätestens mit Ablauf dieser Frist erfolgt die Feststellung nur noch als Rente auf unbestimmte Zeit. Diese kann bei Eintritt einer wesentlichen
Änderung nicht jederzeit, sondern nur nach Ablauf einer Sperrfrist von mindestens einem Jahr seit der Bekanntgabe des vorhergehenden Bescheides zu Lasten des Versicherten geändert werden. Bei der ersten Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit nach der vorläufigen Rente wird die MdE unabhängig von der Höhe der festgestellten vorläufigen Rente allein aufgrund des gegenwärtigen Befundes festgestellt. Eine wesentliche Änderung gegenüber den für die vorläufige Rente maßgebenden Verhältnissen ist nicht erforderlich. Es kommt also allein darauf an, den jetzigen Zustand der Unfall-/Berufskrankheitsfolgen richtig zu bewerten (§ 62 Abs. 2 SGB VII). Bei nachfolgenden Feststellungen kommt es darauf an, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vorliegt. Eine Änderung der MdE ist nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 v. H., also 10 v. H., beträgt und – bei Renten auf unbestimmte Zeit – die Veränderung länger als drei Monate andauert (§ 73 Abs. 3 SGB VII).
Stützrente Eine Rente wird nur gezahlt (§ 56 Abs. 1 SGB VII): • bei einem Versicherungsfall, • bei dadurch bedingter MdE von mindestens 20 v. H., • wenn die MdE über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall andauert. Ausnahme: Wenn durch mehrere Versicherungsfälle oder ihnen gesetzlich gleichgestellte Ereignisse (s. § 56 Abs. 1 Satz 4 SGB VII) eine MdE von jeweils mindestens 10 v. H. verursacht und dadurch zusammen wenigstens die Zahl von 20 v. H. erreicht wird, ist für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, vom jeweils zuständigen UV-Träger der gesetzlichen Unfallversicherung Rente zu zahlen. Ob solche „kleinen Renten“ in einer Höhe < 20 v. H. bei pneumologischen Begutachtungen tatsächlich feststellbar sind, ist umstritten (s. Tab. 2.2). Die aktuelle Diskussion bietet bei einer MdE < 20 v. H. eine große Meinungsvielfalt. Die bisherige Regel, dass eine MdE mit weniger als 20 v. H. nicht benannt zu werden braucht (außer im Falle einer Stützrente), wird insbesondere beim Berufsasthma und bei den Pneumokoniosen (Asbestose,
Unfallversicherung Tabelle 2.2 Argumente bei MdE-Bemessung unter 20 v. H. Pro l
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Verbesserung technischer Mçglichkeiten erhçht Treffsicherheit der MdE-Feststellung unter 20%. Die heutige Lungenfunktionsdiagnostik erlaubt eine außerordentlich differenzierte und reproduzierbare Funktionsanalyse. Auch geringe nderungen und Abweichungen sind bestimmbar. Neben den traditionellen Parametern der Spirometrie sind ergnzende Funktionstests verfgbar. Das „20%- oder Nullprinzip“ ist nicht logisch. Wenn Erhçhung von 20% auf 30% mçglich ist, so mssten auch 10% zu definieren sein. Dem Versicherten ist auch durch eine BK mit einer MdE < 20 v. H. ein gewisser Anteil des allgemeinen Arbeitsmarktes verschlossen. Bei anderen Berufskrankheiten wird ebenso verfahren (z. B. Hautkrankheiten, Lrmschwerhçrigkeit).
Silikose) infrage gestellt. Die Argumente Pro und Kontra MdE-Bemessung < 20 v. H. sind in der Tabelle Tab. 2.2 dargestellt (zu den Details s. Literatur). Gegenüber einer unangemessenen Zahlengläubigkeit sollte doch der klinischen Bewertung der Gesamtsituation das Primat gebühren. Auch wenn man den Zugewinn einer Information durch EDV-gestützte Funktionsanalyse berücksichtigt, bleibt es dabei, dass die Möglichkeiten der Funktionsdiagnostik auf den gleichen Prinzipien wie vor 30 Jahren beruhen und die Kenngrößen der Funktionswerte vor allem menschlichen Schwankungen unterworfen sind. Dennoch sind wir der Auffassung, dass in bestimmten Fällen 10 v. H. MdE-Bemessungen medizinisch begründbar sind. Einzelheiten hierzu finden sich bei den Abhandlungen der jeweiligen Krankheitsbilder.
Keine Gesamt-MdE bei mehreren Versicherungsfällen Wenn mehrere Versicherungsfälle anerkannt und Rentenleistungen hierfür, ggf. unter Berücksichtigung eines vorangegangenen Versicherungsfalls als Vorschaden, festgestellt worden sind, so werden diese als Einzelleistung nebeneinander gezahlt, auch wenn dasselbe Organ betroffen ist. Eine Gesamt-MdE ist nicht vorgesehen, wohl aber eine Kappungsgrenze für die einzelnen Renten (sie dürfen 2/3 der Höchst-Jahresarbeitsverdienste nicht überschreiten: § 59 SGB VII).
Kontra l
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Bisherige Begutachtungs- und Verwaltungspraxis: kleinere Funktionsausflle als 20% sind nicht feststellbar. Physiologische Schwankungen des kardiopulmonalen Systems liegen in der Grçßenordnung von € 20%. Auch Variabilitt der Messwerte von Untersucher zu Untersucher ist zu bercksichtigen. Es besteht die Gefahr, die komplexe MdE-Beurteilung auf simples, inflexibles Vergleichen von Messwerten mit Soll- und Normwerten zu reduzieren. Klinische Beurteilung ist wichtig, doch bei klinischer Beurteilung ist subjektiver Spielraum kaum im 10%-Raster fassbar. Auch die heute mçgliche Lungenfunktion mit EDVgesttzter Funktionsanalyse ist hinsichtlich der Reproduzierbarkeit nicht besser als vor 30 Jahren.
Probleme der Konkurrenz zwischen BK-Tatbeständen Konkurrenzprobleme mit Einfluss auf die MdE-Bewertung treten bei den für Pneumologen relevanten BK-Tatbeständen im Wesentlichen in zwei Erscheinungsformen auf: • Mehrere parallel oder sukzessiv einwirkende Noxen können unabhängig voneinander dieselbe Erkrankung verursachen: z. B. Lungenkrebs durch Asbestfeinstaub (BK 4104) und ionisierende Strahlen (BK 2402). Liegen sämtliche Voraussetzungen sowohl der BK 4104 als auch der BK 2402 vor, so sind auch versicherungsrechtlich beide BK-Tatbestände nebeneinander verwirklicht. Sie werden aber rechtlich zu einer Bewertungseinheit mit einheitlicher Leistungsfolge verknüpft, also gewissermaßen ein Versicherungsfall BK 4104/2402 mit einer einheitlichen MdE von 100 v. H. • Wird etwa im Falle einer Einwirkung von Asbestfeinstaub und PAH der jeweils festgeschriebene Dosiswert nicht erreicht, so ist nach der Empfehlung einer neuen BK „Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen …“ die Frage der Synkanzerogenese zu prüfen. Gegebenenfalls käme eine Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB VII, selbstverständlich auch hier als einheitlicher Versicherungsfall mit einheitlicher MdE als Leistungsfolge, in Betracht (künftige BK 4114).
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung
•
Mehrere Listenstoffe führen in Kombination zu derselben Erkrankung, der jeweilige Beitrag zur Krankheitsentstehung ist aber nicht abzugrenzen (Problem der kumulativen Kausalität). Im Fall des BSG, Urteil vom 12. 6.1990 [HV-Info 1990, 1906, 1913] hatten folgende anorganischen Stäube parallel eingewirkt und eine Lungenfibrose verursacht: Quarz, Asbestfeinstaub, Aluminium, Titan und andere Hartmetallstäube. Ist die Erkrankung nicht einer einzelnen Listen-Nr. zuzuordnen, weil erst die kombinierte Wirkung mehrerer Listenstoffe „im Kollektiv“ für die Erkrankung verantwortlich ist, so hat jede einzelne Bedingung wesentliche Bedeutung und die Tatbestände der Liste sind nebeneinander erfüllt. Die MdE wird allerdings einheitlich für das gesamte Krankheitsbild bemessen, nicht etwa anteilig für jede in die Kombination einbezogene Einzel-BK.
Weitere Konkurrenzprobleme treten z. B. auf, wenn bei Noxenidentität die Folgen der Einwirkung nebeneinander in verschiedene Listen-Tatbestände einbezogen werden, etwa bei den Berufskrankheiten 4101/02, 4111, 4112 sowie 4103 – 4105. Dazu wird auf die Ausführungen zu den betreffenden Berufskrankheiten verwiesen.
Versicherungsfall § 3 BKV Normzweck des § 3 BKV ist die Berufskrankheitenprophylaxe. Ein Versicherungsfall BK wird nicht vorausgesetzt. Die Vorschrift stellt somit einen eigenständigen, gegenüber dem „großen“ des § 9 SGB VII sozusagen kleinen Versicherungsfall dar (BSG, Urteil vom 7. 9. 2004, BSGE, 93, 164). Der – in den Leistungen durchaus aufwendige – Versicherungsfall § 3 BKV ermöglicht ein breites Spektrum von Maßnahmen der Vorbeugung und Krankheitsverhütung. Er ermöglicht als Anreiz für eine prophylaktisch erforderliche Tätigkeitsaufgabe auch Übergangsleistungen.
Voraussetzung des Versicherungsfalles § 3 BKV: • individuelle konkrete Gefahrenlage • gerichtet auf Entstehen, Wiederaufleben oder Verschlimmerung einer BK (nicht: arbeitsbedingte Gesundheitsgefahr oder Arbeitsunfall) • auch Drohen einer Quasi-BK i. S. § 9 Abs. 2 SGB VII soll genügen (zweifelhaft, so aber BSG, Urteil vom 7. 9. 2004) • Drittgefahr im Sinne einer Gefahr für Arbeitskollegen oder Besucher genügt nicht; § 3 BKV hat ausschließlich individualpräventive Ziele Der individuelle Gesundheitszustand und die Einwirkung bei einer versicherten Tätigkeit müssen im Vollbeweis nachgewiesen werden. Kernpunkt ist die daraus abgeleitete BK-relevante Gefahrenlage, also die Prognose eines wahrscheinlichen Krankheitsverlaufs mit BK-Folge. Gefahr wird üblicherweise definiert als ein über die allgemeine Gefährdung hinausgehendes, nicht mehr akzeptables Risiko (Risiko = Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß eines möglichen Schadens).
Gefahr in § 3 BKV Die Gefahrenlage des § 3 BKV setzt die prognostische Eintrittswahrscheinlichkeit eines Kausalverlaufs voraus, der bei Fortsetzung der gefährdenden beruflichen Tätigkeit zu einer beruflich (mit-)verursachten BK führen wird.
Wenn das BSG in diesem Zusammenhang von „erhöhter statistischer Möglichkeit“ spricht, so ist dies eine für die gesetzliche UV unglückliche Formulierung. Nichts anderes als der prognostisch wahrscheinliche Kausalverlauf ist gemeint. Die von § 3 geforderte Kausalitätsprognose bereitet gerade im pneumologischen Hauptanwendungsgebiet der BK 4301/4302 erhebliche Probleme. Die bloße Tatsache eines generell gefährdenden Arbeitsplatzes bei individueller Krank-
Abb. 2.6 Kausalitt bei § 3 anlagebedingt s. BSG v. 5.8.1993
Einwirkung bei versicherter Tätigkeit
Kausalitätsprognose hinsichtlich BK
individueller Gesundheitszustand
erhöhtes individuelles Risiko (gemessen an dem mit der Tätigkeit ohnehin verbundenen Risiko)
Eintrittswahrscheinlichkeit eines Kausalverlaufs, der bei Fortsetzung der gefährdenden beruflichen Tätigkeit zu einer beruflich (mit-)verursachten BK führt
durch berufliche Einwirkung bedingt
BKV (mod. nach Lauterbach/ Koch. UnfallversicherungSBG VII, Anh. III zu § 9, Rn 43).
Unfallversicherung heitsdisposition erfüllt den Gefahrbegriff noch nicht. Es würde sonst die allgemeine Gefährdung von Versicherten mit atopischer Disposition über ein allgemein statistisch erhöhtes Krankheitsrisiko bereits die Voraussetzungen des § 3 BKV erfüllen (Brandenburg, 1997, S. 83, 87). Es wird eine mit dem Arbeitsplatz verbundene prämonitorische Symptomatik einer obstruktiven Atemwegserkrankung mit Fortschreitungstendenz bei unveränderten Arbeitsbedingungen vorausgesetzt (zu den schwierigen Voraussetzungen der Zuordnung zu § 3 BKV s. Stresemann, Landesverband RH.-Westfalen der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Fortbildungskompendium,1997, S. 33 f). Vereinfachend lassen sich folgende Kategorien unterscheiden: • Die Annahme einer konkreten Gefahr ist leicht bei expositionsverursachten Vorbefunden zu treffen (Beispiel: Asthma bei nachgewiesener Mehlstauballergie = direkter Beweis). • Die Annahme einer konkreten Gefahr kann sich aber auch auf expositionsempfindliche Vorbefunde stützen, wenn bei fortbestehender Einwirkung für den Versicherten ein spezielles Risiko zur Fortentwicklung hin zur BK begründet wird (Beispiel: Asthma oder allergische Rhinitis bei vermuteter, aber nicht durch Provokationstests gesicherter Berufsallergie, also Indizienbeweis z. B. über Hauttests, Serologie oder Verlaufsbeobachtung, insbesondere dokumentierte Arbeitsplatzbezogenheit von Symptomen). Folgende Prüfungsaspekte können als Richtschnur dienen (Brandenburg 1997, S. 77, 87): • Nachweis einer Sensibilisierung (Hautteste, RAST), die zu einer obstruktiven Atemwegssymptomatik führen kann. • Zu erwartender unmittelbarer Kontakt mit dem betreffenden Allergen bei Fortsetzen der beruflichen Tätigkeit unter unveränderten Arbeitsbedingungen. • Anamnestisch gesichertes Auftreten von Symptomen am Arbeitsplatz, welche als Vorstadium einer obstruktiven allergischen Atemwegserkrankung zu deuten sind; genaue Aufklärung der Ereignisse, bei welchen diese Symptome aufgetreten sind. • Sorgfältige Erhebung der Krankheitsanamnese zur Feststellung, ob vor Aufnahme der gefährdenden Tätigkeit bereits eine Atemwegssymptomatik bestanden hat; ggf. genaue Prüfung, ob die Symptomatik unter bestimmten Einwirkungen am Arbeitsplatz verstärkt worden ist.
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Vorhandensein und Ausprägung einer unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität; wenn bereits vorberuflich feststellbar: Verstärkung der Symptomatik im Zusammenhang mit den beruflichen Einwirkungen.
Falls die rechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung des § 3 BKV gegeben sind, wird der Gutachter zusätzlich folgende Fragen beantworten müssen: • Mit welchen technischen oder organisatorischen Maßnahmen, persönlichen Schutz- oder medizinischen Maßnahmen kann die Fortführung der gefährdenden Tätigkeit dauerhaft verantwortet werden? • Mit welcher Begründung ist anderenfalls eine Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit als Ultima Ratio zwingend bzw. wird dazu geraten? • Welche Vorschläge zur beruflichen Rehabilitation kann der Gutachter machen und welche Vorstellung hat der Versicherte?
Seltene Anfragen an den Gutachter Abfindung eines Rentenanspruchs durch einmalige Zahlung. Hier gilt der Grundsatz: Eine solche Abfindung ist nur dann möglich, wenn der Versicherte eine Lebenserwartung hat, die nicht deutlich geringer ist als diejenige des Durchschnitts seines Altersjahrgangs und seines Geschlechts. Hierzu soll sich der Gutachter prognostisch äußern. Verjährung von Ansprüchen aus Sozialleistungen. Ansprüche aus Sozialleistungen verjähren in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind (§ 45 SGB I).
Praxis Beispiel: Ein Landwirt macht im Mai 1998 Ansprüche geltend. Aufgrund eines Gutachtens wird eine BK 4301 (Asthma bei Rinderhaarallergie) anerkannt. Später führt er den Nachweis, dass er bereits im März 1993 die Milchviehhaltung aufgegeben und auch keinen sonstigen Kontakt zu Rindvieh hatte. Die Verjährungsfrist für Ansprüche aus 1993 beginnt somit am 1.1.1994 und endet am 31.12. 1997. Der Landwirt ist „zu spät“ gekommen. Er hätte seine Ansprüche innerhalb der Verjährungsfrist, also spätestens bis zum 31.12.1997, vorbringen müssen. Anmerkung: Die Einrede der Verjährung ist eine Ermessenssache des UV-Trägers.
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung Tabelle 2.3 Liste der Berufskrankheiten mit Gltigkeit in der Bundesrepublik Deutschland (Anlage der Berufskrankheitenverordnung BKV vom 31. 10. 1997 [BGBI I 1997 S. 2623] i. d. F. der BKV-ndVO v. 5. 9. 2002 [BGBl I S. 3541). Die fr die Schweiz und sterreich geltenden Listen der Berufskrankheiten sind in den Kapiteln 7 und 8 dargestellt. Nr.
Krankheiten
1 11 1101 1102 1103 1104 1105 1106 1107 1108 1109 1110 12 1201 1202 13 1301 1302 1303 1303 a 1304
Durch chemische Einwirkungen verursachte Krankheiten Metalle oder Metalloide Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Mangan oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Thallium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Vanadium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen Verbindungen Erkrankungen durch Beryllium oder seine Verbindungen Erstickungsgase Erkrankungen durch Kohlenmonoxid Erkrankungen durch Schwefelwasserstoff Lösemittel, Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide) und sonstige chemische Stoffe Schleimhautvernderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkçmmlinge 1305 Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff 1306 Erkrankungen durch Methylalkohol (Methanol) 1307 Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen 1308 Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen 1309 Erkrankungen durch Salpetersureester 1310 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide 1311 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide 1312 Erkrankungen der Zhne durch Suren 1313 Hornhautschdigungen des Auges durch Benzochinon 1314 Erkrankungen durch para-tertir-Butylphenol 1315 Erkrankungen durch Isocyanate, die zur Unterlassung aller Ttigkeiten gezwungen haben, die fr die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit urschlich waren oder sein kçnnen 1316 Erkrankungen der Leber durch Dimethylformamid 1317 Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lçsemittel oder deren Gemische Zu den Nummern 1101 bis 1110, 1201 und 1202, 1303 bis 1309 und 1315: Ausgenommen sind Hauterkrankungen. Diese gelten als Krankheiten im Sinne dieser Anlage nur insoweit, als sie Erscheinungen einer Allgemeinerkrankung sind, die durch Aufnahme der schdigenden Stoffe in den Kçrper verursacht werden oder gemß Nummer 5101 zu entschdigen sind. 2 21 2101
2102
Durch physikalische Einwirkungen verursachte Krankheiten Mechanische Einwirkungen Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelanstze, die zur Unterlassung aller Ttigkeiten gezwungen haben, die fr die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit urschlich waren oder sein kçnnen Meniskusschden nach mehrjhrig andauernden oder hufig wiederkehrenden, die Kniegelenke berdurchschnittlich belastenden Ttigkeiten Fortsetzung nächste Seite
Unfallversicherung Tabelle 2.3 Liste der Berufskrankheiten mit Gltigkeit in der Bundesrepublik Deutschland.
(Fortsetzung)
Nr.
Krankheiten
2103
Erkrankungen durch Erschtterung bei der Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen Vibrationsbedingte Durchblutungsstçrungen an den Hnden, die zur Unterlassung aller Ttigkeiten gezwungen haben, die fr die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit urschlich waren oder sein kçnnen Chronische Erkrankungen der Schleimbeutel durch stndigen Druck Druckschdigung der Nerven Abrissbrche der Wirbelfortstze Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsule durch langjhriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjhrige Ttigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Ttigkeiten gezwungen haben, die fr die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit urschlich waren oder sein kçnnen Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsule durch langjhriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Ttigkeiten gezwungen haben, die fr die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit urschlich waren oder sein kçnnen Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsule durch langjhrige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkçrperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Ttigkeiten gezwungen haben, die fr die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit urschlich waren oder sein kçnnen Erhçhte Zahnabrasionen durch mehrjhrige quarzstaubbelastende Ttigkeit Gonarthrose durch eine Ttigkeit im Knien oder vergleichbarer Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer whrend des Arbeitslebens von mindestens 13 000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht Druckluft Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft Lärm Lrmschwerhçrigkeit Strahlen Grauer Star durch Wrmestrahlung Erkrankungen durch ionisierende Strahlen Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten sowie Tropenkrankheiten Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium ttig oder durch eine andere Ttigkeit der Infektionsgefahr in hnlichem Maße besonders ausgesetzt war Von Tieren auf Menschen bertragbare Krankheiten Wurmkrankheit der Bergleute, verursacht durch Ankylostoma duodenale oder Strongyloides stercoralis Tropenkrankheiten, Fleckfieber
2104
2105 2106 2107 2108
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2110
2111 2112
22 2201 23 2301 24 2401 2402 3 3101
3102 3103 3104 4 41 4101 4102 4103 4104
4105 4106 4107 4108 4109
Erkrankungen der Atemwege und der Lungen, des Rippenfells und Bauchfells Erkrankungen durch anorganische Stäube Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose) Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs l in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) l in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder l bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren {25 106 [(Fasern/m3) Jahre]} Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium oder seine Verbindungen Erkrankungen an Lungenfibrose durch Metallstube bei der Herstellung oder Verarbeitung von Hartmetallen Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Thomasmehl (Thomasphosphat) Bçsartige Neubildungen der Atemwege und der Lunge durch Nickel oder seine Verbindungen Fortsetzung nächste Seite
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung Tabelle 2.3 Liste der Berufskrankheiten mit Gltigkeit in der Bundesrepublik Deutschland.
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Nr.
Krankheiten
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Bçsartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren [(mg/m3) Jahre] Lungenkrebs durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid (SiO2) bei nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Siliko-Tuberkulose) Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(mg/m3) Jahre] Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 Prozent nach der Anlage zu dieser Berufskrankheit entspricht Lungenfibrose durch extreme und langjhrige Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen – (Siderofibrose) Erkrankungen durch organische Stäube Exogen-allergische Alveolitis Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll-, Rohflachs- oder Rohhanfstaub (Byssinose) Adenokarzinome der Nasenhaupt- und Nasennebenhçhlen durch Stube von Eichen- oder Buchenholz Obstruktive Atemwegserkrankungen Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Ttigkeiten gezwungen haben, die fr die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit urschlich waren oder sein kçnnen Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Ttigkeiten gezwungen haben, die fr die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit urschlich waren oder sein kçnnen
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4115 42 4201 4202 4203 43 4301
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5102 6 6101
Hautkrankheiten Schwere oder wiederholt rckfllige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Ttigkeiten gezwungen haben, die fr die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit urschlich waren oder sein kçnnen Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautvernderungen durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen, Pech oder hnliche Stoffe Krankheiten sonstiger Ursache Augenzittern der Bergleute
Referentenentwurf 12/2008
2.4 Rentenversicherung H. Piechowiak und D. Radenbach
Die Leistungen der RV-Träger (§§ 9 ff bzw. 33 ff SGB VI) unterteilen sich in • Leistungen zur Teilhabe und • Renten.
Leistungen zur Teilhabe Alle Leistungen zur Teilhabe (= Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und ergänzende Leistungen zur
Rehabilitation) haben das Ziel, krankheits- oder behinderungsbedingten Auswirkungen auf das Erwerbsleben entgegenzuwirken und das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern. Renten – selbstverständlich mit Ausnahme der Witwen/r- und Waisenrenten sowie der verschiedenen Altersrenten (Regelaltersrente mit Vollendung des 65./67. Lebensjahres und die etwas früher antretbaren Altersrenten für langjährig Versicherte, Schwerbehinderte und langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute) – werden gezahlt, wenn verminderte Erwerbsfähigkeit festgestellt wurde. Medizinische Rehabilitationsleistungen: Ähnlich wie die medizinischen Reha-Leistungen der ge-
Rentenversicherung setzlichen Krankenversicherung, die i. d. R. nur für nicht-erwerbstätige Mitglieder in Betracht kommen, sind auch die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation („stationäre Heilverfahren“) der gesetzlichen Rentenversicherung i. d. R. auf 3 Wochen befristet. Sie sollen ebenfalls nicht vor Ablauf von 4 Jahren wiederholt werden. Für Verlängerung der Maßnahmen und die Durchführung von Wiederholungs-Heilbehandlungen vor Ablauf der gesetzlichen Latenzzeit gilt auch hier das Kriterium der „medizinischen Erforderlichkeit“. Voraussetzung für die Durchführung ist – ähnlich wie in der GKV – eine „Reha-Bedürftigkeit“. Diese definiert sich im GRV-Bereich (§ 10 SGB VI) • entweder als eine „erhebliche Gefährdung“ der Erwerbsfähigkeit (EF) (das ist eine in absehbarer Zeit zu erwartende Minderung der EF), • oder eine bereits eingetretene Minderung der EF (das ist eine länger andauernde Minderung der vollen Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben), • ausreichende Reha-Fähigkeit des Versicherten, • Vorliegen einer positiven Reha-Prognose, dass also die Gefährdung der EF abgewendet bzw. eine bereits eingetretene Minderung der EF wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder eine wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann, • sodass der rentenpflichtige Leistungstatbestand einer dauerhaft „verminderten Erwerbsfähigkeit“ verhindert werden kann (Grundsatz: „Reha vor Rente“). Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben: Die beruflichen Reha-Leistungen (§ 33 f SGB IX) sind außerordentlich umfangreich. Sie werden nur z. T. von der Rentenversicherung erbracht, z. T. von der Arbeitsverwaltung sowie bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten von der Gesetzlichen Unfallversicherung. Es handelt sich um Sach- und Geldleistungen, die z. T. an die (behinderten oder von Behinderung bedrohten) Arbeitnehmer gehen, z. T. auch an die Arbeitgeber (überwiegend als Geldleistungen in Form von Ausbildungs- oder Eingliederungszuschüssen etc.). Bei den Leistungen handelt es sich u. a. um • die bekannten Sachleistungen des Arbeitsförderungsrechtes: Beratung, Vermittlung, Trainingsmaßnahmen, Mobilitätshilfen, Berufsvorbereitung, berufliche Weiterbildung und Umschulung (meist in sog. Berufsförderungswerken) und alle damit in Zusammenhang stehenden Leistungen (Lernmittel, Arbeitskleidung, Arbeitsgeräte etc.), ferner
• •
die Geldleistungen zum eigenen Lebensunterhalt und ggf. für eine erforderliche Begleitperson/Arbeitsassistenz, aber auch Kraftfahrzeughilfen und sonstige technische Hilfen am Arbeitsplatz.
Für die beruflichen Reha-Leistungen gelten selbstverständlich die bereits vorgestellten Kriterien der Reha-Bedürftigkeit, der Reha-Fähigkeit und der (positiven) Reha-Prognose analog. Der Bezugsmaßstab für die vorgesehene Wiedereingliederung (WE) ist der gesamte allgemeine Arbeitsmarkt. Ergänzende Leistungen zur Rehabilitation: Dabei handelt es sich um Geld- oder Sachleistungen wie das Übergangsgeld, das während der Dauer einer medizinischen oder beruflichen Reha-Leistung anstelle eines Arbeitsentgeltes gezahlt wird, um Beitragszuschüsse zu anderen Trägern der Sozialversicherung, um Reisekosten, Rehabilitationssport unter ärztlicher Betreuung, Funktionstraining in Gruppen unter Anleitung, die Versorgung mit einer Betriebs- oder Haushaltshilfe oder Kinderbetreuungskosten (§§ 20 – 22, 28 SGB VI, §§ 44 und 53 f SGB IX). Sonstige Leistungen zur Rehabilitation: Diese „sonstigen“ Leistungen (§ 31 SGB VI), die allerdings 7,5% des Haushaltsansatzes für alle Reha-Leistungen nicht übersteigen dürfen, beinhalten u. a.: • „Nachgehende Leistungen zur Sicherung des Erfolges der Leistungen zur Teilhabe“. • Stationäre medizinische Leistungen „zur Sicherung der EF“ für Versicherte, „die eine besonders gesundheitsgefährdende, ihre EF ungünstig beeinflussende Beschäftigung ausüben“ (also Vorsorgeleistungen der GRV, die nach den Richtlinien der Deutschen Rentenversicherung z. B. bei schwerer körperlicher Tätigkeit, unter ungünstigen Witterungsbedingungen, belastenden Arbeitsbedingungen, bei häufigem Schichtwechsel oder sonstiger besonderer physischer und/oder psychischer Beanspruchung infrage kommen können). • Zu den „sonstigen Leistungen“ zählen auch die stationären Heilbehandlungen für Kinder über den RV-Träger, die v. a. infrage kommen, wenn das kindliche Leiden potenziell bereits eine Gefährdung der (späteren) Erwerbsfähigkeit annehmen lässt („wenn hierdurch voraussichtlich eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit beseitigt oder eine beeinträchtigte Gesundheit wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann“). Eine der häufigsten Indikationen ist das kindliche Asthma bronchiale.
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung
Rentenleistungen wegen „verminderter Erwerbsfähigkeit“ (EF) Definitionen und allgemeine Vorbemerkungen Teilweise Erwerbsminderung (tEM) liegt vor (§ 43 SGB VI) bei Versicherten, „die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein“. Volle Erwerbsminderung (vEM) liegt vor bei Versicherten, „ die wegen Krankheit oder Behinderung … außerstande sind, … mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein“. Als „voll erwerbsgemindert“ werden ferner eine Reihe von Behindertengruppen definiert, die wegen Art und Schwere ihrer Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, z. B. Menschen, die in Werkstätten für Behinderte (WfB), Blindenwerkstätten oder vergleichbaren Einrichtungen tätig sind. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Anspruch auf die Zahlung von Erwerbsminderungs-(EM-)Renten besteht nur, wenn neben dem Vorliegen von Erwerbsminderung, die i. d. R. auf Basis ärztlicher Befundberichte und/oder entsprechender Begutachtung festgestellt wird, auch etliche versicherungsrechtliche Voraussetzungen (Pflichtbeiträge in den letzten 3 Jahren vor Eintritt der EM, Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von 60 Beitragsmonaten) erfüllt sind. Gutachter müssen stets beachten, dass alle (in diesem Kapitel) genannten Begriffe (AU, EM, Pflegebedürftigkeit etc.) medico-legale Komplexbegriffe sind und die ärztliche Begutachtung nie die rechtlichen Entscheidungen präjudizieren darf. Die leistungsrechtlich relevanten Entscheidungen sind stets einzig und allein von den Verwaltungen bzw. Gerichten zu treffen. Bei vEM wird eine volle EM-Rente gezahlt, deren Höhe nicht nur von den gezahlten Beiträgen abhängt (weil dann bei eintretender Erwerbsmin-
derung in jungen Jahren keine ausreichende Absicherung gegeben wäre), bei tEM eine hälftige EM-Rente. Liegt keine volle, wohl aber eine teilweise EM vor, kann unter Umständen doch wegen des Mangels an Teilzeit-Arbeitsstellen („verschlossener Arbeitsmarkt“) eine vEM-Rente zuerkannt werden. Auch Selbstständige können unter gewissen Umständen eine EM-Rente erhalten: zur Klärung der rechtlichen Voraussetzungen sollten die Patienten stets an die Service- und Beratungsstellen der jeweiligen RV-Träger verwiesen werden! Der Beurteilungsmaßstab gleicht dem der NichtSelbstständigen. Selbst bei hoch- und höchstqualifizierten Personen ist ausschließlich die Frage bedeutsam, ob leichte Tätigkeiten noch 6 Stunden/ Tag verrichtet werden können. Das spezielle Risiko der „Berufsunfähigkeit“ kann nur noch über eine BU-Rentenversicherung (oft als Zusatz zu einer Lebens- oder Rentenversicherung) bei einer privaten Versicherungsgesellschaft abgedeckt werden. Nur für eine Gruppe von Versicherten enthält das aktuelle Rentenrecht noch Anklänge an früher geltendes Recht. Wer vor dem 2.1.1961 geboren, also beim Inkrafttreten der letzten Rentenreform am 2.1. 2001 das 40. Lebensjahr bereits vollendet hatte, und „berufsunfähig“ wird, hat ebenfalls unter bestimmten (etwas leichter zu erfüllenden) Bedingungen Anspruch auf eine Rente wegen tEM (also der Hälfte der vEM-Rente, nicht mehr in Höhe von 2/3 der alten EU-Rente). Berufsunfähig sind nach § 240 SGB VI Versicherte, „deren EF wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur EF von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden gesunken ist“. Dies ist im Grunde also sogar eine Verbesserung gegenüber dem alten Recht, nach dem die EF „auf weniger als die Hälfte …“ abgesunken sein musste. Wer früher noch halbschichtig in seinem Beruf tätig sein konnte, juristisch also noch die Lohnhälfte verdienen konnte, war noch nicht „berufsunfähig“, jetzt kann das bei einer Leistungsfähigkeit im erlernten Beruf von 4 oder 5 Stunden/ Tag doch der Fall sein. Allerdings: Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die EF der Versicherten zu beurteilen ist, umfasst nach wie vor „alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes … zugemutet werden können.“ Zumutbar ist stets auch eine Tätigkeit, für die die
Rentenversicherung Versicherten mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist deshalb nicht, wer eine solche zumutbare Beschäftigung mindestens 6 Stunden täglich ausüben kann. Am 01. 01. 2001 trat das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in Kraft. Damit entfiel die bisherige Gliederung in Berufs-(BU)- und Erwerbsunfähigkeit-(EU-)Renten. Es gibt nur noch fi teilweise Erwerbsminderung (tEM mit 3 – 6 Stunden Einsatz/Tag) und fi volle Erwerbsminderung (vEM mit < 3 Stunden Einsatz/Tag). Entsprechend der Übergangsregelung für „Altfälle“, die vor dem 02. 01.1961 geboren sind, haben diese Versicherten weiterhin einen Anspruch auf Teilrente wegen Berufsunfähigkeit im alten Sinne. Wesentliche Voraussetzung, die den Kreis der Empfangsberechtigten dieser modifizierten BU-Rente deutlich einschränkt, ist also, dass der Versicherte entweder einen erlernten oder angelernten (mindestens 2-jährige Ausbildung) „Beruf“ hat oder – beim Fehlen einer regulären abgeschlossenen Ausbildung – im Laufe seines Berufslebens den Facharbeiterstatus erworben hat (rechtlich beurteilt i. d. R. auf Basis der letzten tariflichen Eingruppierung) und zum Zeitpunkt des Eintritts seiner Erwerbsminderung auch noch in diesem Beruf tätig ist. Allein schon die Feststellung des sog. rentenversicherungspflichtigen Hauptberufes, der dem beruflichen Leben sein „Gepräge“ gegeben hat, war oftmals nicht leicht und hat zu einer umfangreichen Rechtsprechung geführt.
Praxis Beispiel 1: Hat ein (gelernter) Bäcker schon vor Jahren seinen Beruf verlassen, weil auf dem Bau als Hilfsarbeiter mehr Geld zu verdienen war, ist er nicht anspruchsberechtigt, auch wenn er wegen seiner COPD III weder seine letzte Tätigkeit weiter verrichten noch in den ehemals erlernten Beruf zurückkehren kann. Es könnte sich die rechtliche Seite aber ganz anders darstellen, wenn bereits der frühere Beruf aus gesundheitlichen Gründen verlassen worden war!
Beispiel 2: Ein Maurer (mit Gesellenbrief) wird zumindest dann nicht mit einer BU-/tEM-Rente rechnen können, wenn er vollschichtig (6 Stunden/Tag oder mehr) entweder in einem automatisierten Baustoff-Lager, als Fachberater in einem Baumarkt, in der Qualitätskontrolle von Baustoffen oder in sonstigen „Verweisungstätigkeiten“ (unter Umständen auch erst nach entsprechender Weiterbildung) einsetzbar ist und – was rechtlich bedeutsam ist – die konkret angebotene Verweisungstätigkeit auch tariflich ähnlich bewertet ist. BU-/tEM-Renten dürften – vor dem Hintergrund der angespannten Finanzsituation der Rentenversicherung – also am ehesten für ältere Beschäftigte infrage kommen, die – aus welchen Gründen auch immer – für alle Arten der beruflichen Umorientierung bzw. Umschulung und Weiterbildung nicht mehr geeignet sind. Ein weiteres wesentliches Element des neuen Rentenrechts ist, dass die Vorrangigkeit von Zeitrenten festgestellt wurde: „Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit … werden auf Zeit geleistet“ (§ 102 SGB VI). Die Befristung erfolgt für längstens 3 Jahre; sie kann wiederholt werden. Während bis 2001 die ärztliche Empfehlung einer zeitlich befristeten Rente begründet werden musste (z. B. mit der Wahrscheinlichkeit der Besserung des zugrunde liegenden Leidens), muss heute gewissermaßen die Dauerhaftigkeit der empfohlenen Rentenleistung mit der hochgradigen Unwahrscheinlichkeit oder Unmöglichkeit der Besserung begründet werden. Diese Neuorientierung war aus medizinischen wie ökonomischen Gründen lange überfällig, wenn man bedenkt, wie viele Versicherte – oft in vergleichsweise jungen Jahren – in den 1980er und 1990er Jahren dauerhafte BU-/EURentenleistungen für Erkrankungen (z. B. wegen eines chronischen Magengeschwürsleidens, eines angeblich nicht einstellbaren Bluthochdrucks oder auch eines schweren Asthma bronchiale) zuerkannt bekommen hatten. Heute sind diese Erkrankungen jedoch wesentlich besser behandelbar, weshalb die potenziellen Auswirkungen auf die EF, wenn die Versicherten nicht zwischenzeitlich in Altersrente sind, mutmaßlich deutlich geringer sind als zum Zeitpunkt der Rentenfeststellung.
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung
Begutachtung des Leistungsvermögens Gemeinsam ist den ärztlichen Begutachtungen bei AU (für die GKV), zur Klärung der Vermittlungsfähigkeit von gesundheitlich beeinträchtigten arbeitslosen Versicherten (für die BA, aber unter Umständen auch für die Sozialhilfeverwaltungen), sowie bei Reha-/Renten-Antragstellungen wegen erheblich gefährdeter oder vermuteter EM (für die RV-Träger) die Bewertung des sog. erwerbsbezogenen oder erwerbsverwertbaren (Rest)-Leistungsvermögens. Aufbauend auf der ICF sind anhand von Anamnese und Befunderhebung Störungen der Körperstrukturen und -funktionen festzustellen. Des Weiteren sind die sich daraus ergebenden Behinderungen und Fähigkeitsstörungen, aber auch die dem Betroffenen verbliebenen Ressourcen zu beurteilen.
Wesentliche Fachbegriffe für die arbeits- und sozialmedizinische Begutachtung werden in den nachfolgenden Tabellen erläutert. Die Aufgabe des Gutachters ist es, unter Verwendung der dargestellten Begrifflichkeit ein positives (was kann der Versicherte noch?) und negatives (was kann der Versicherte nicht mehr; welche Arbeitsanforderungen müssen deshalb vermieden werden?) Leistungsbild zu zeichnen. Ärzte, die für RV-Träger tätig sind, finden hinsichtlich der speziell bei bronchopulmonalen Leiden anzulegenden Kriterien zahlreiche Informationen in den „Leitlinien zur sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung bei chronisch obstruktiven Lungenkrankheiten (COPD) und Asthma bronchiale“ der Deutschen Rentenversicherung Bund vom Okt. 2005, die im Glossar die wichtigen Termini (Tab. 2.4 und 2.5) ganz ähnlich umschreiben. Der RV-Träger hat bei Reha-Anträgen stets auch zu klären, ob noch eine positive Reha-Prognose gesehen werden kann; andernfalls kann der Antrag
Tabelle 2.4 Begriffe und Erluterungen. (Nach: „Anleitung fr die arbeitsamtsrztliche Begutachtung“, rztlicher Dienst der Bundesanstalt fr Arbeit, Nrnberg 1997, ergnzt). Begriff
Erläuterung
vollschichtig halb- bis unter vollschichtig unter halbschichtig stndig berwiegend (= hufig) zeitweise gelegentlich Tagesschicht („Normalschicht“) Frh-/Sptschicht
bliche, ganztgige Arbeit 3 – 6 Stunden tglich unter 3 Stunden tglich 91 – 100% der Arbeitszeit 51 – 90% der Arbeitszeit ca. 10% der Arbeitszeit bis 5% der Arbeitszeit zwischen 6 und 18 Uhr Zweischichtsystem mit kontinuierlicher oder diskontinuierlicher Arbeitszeit, am Tage meist im Ein- oder Drei-Schicht-System
Nachtschicht Staub, Rauch, Gase, Dmpfe, Aerosole mit erhçhter inhalativer Allergenexposition Nsse, Klte, Zugluft, starke Temperaturschwankungen inhalative Belastungen im Freien in Werkhallen in temperierten Rumen Eigen- und Fremdgefhrdung Zwangshaltungen
„atemwegsreizende Substanzen“ besonders hohe Konzentrationen/hufige Exposition zu Substanzen, bei welchen Sensibilisierungen auftreten kçnnen bereits bei Temperaturen von unter + 15 8C ist von einer arbeitsmedizinisch nicht zu vernachlssigenden Klteeinwirkung auszugehen. – 5 bis +15 8C: „mßig“ kalt Pauschalbegriff stndig oder berwiegend außerhalb von temperierten Rumen oder Werkhallen, auch in ungeheizten (offenen) Hallen Temperatur 15 – 18 8C Temperatur 18 – 22 8C mit Absturzgefahr, an schnell laufenden Maschinen, mit Fhren von Fahrzeugen oder Baumaschinen, mit Starkstrom berkopf, Knien und Hocken, Armvorhalte, Vorbeuge, anhaltend einseitige Kçrperhaltung
Rentenversicherung Tabelle 2.5 Klassifizierung der kçrperlichen Beanspruchung an Arbeitspltzen. (Nach: REFA, Verband fr Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung e. V.). Beanspruchung
Erläuterung
leicht
Handhaben leichter Werkstcke und Handwerkszeuge, Bedienen leicht gehender Steuerhebel und Kontroller oder hnlicher mechanisch wirkender Einrichtungen; auch lang dauerndes Stehen oder stndiges Umhergehen
mittelschwer
Handhaben etwa 1 – 3 kg schwer gehender Steuereinrichtungen, unbelastetes Begehen von Treppen und Leitern, Heben und Tragen mittelschwerer Lasten (10 – 15 kg) in der Ebene oder Hantierungen, die den gleichen Kraftaufwand erfordern. Ferner leichte Arbeiten mit zustzlicher Ermdung durch Haltearbeit mßigen Grades wie Arbeiten am Schleifstein, mit Bohrwinden und Handbohrmaschinen
schwer
Tragen von etwa 20 – 40 kg schweren Lasten in der Ebene oder Steigen unter mittleren Lasten und Handhaben von Werkzeugen (von ber 3 kg Gewicht), auch von Kraftwerkzeugen mit starker Rckstoßwirkung, Schaufeln, Graben, Hacken. Mittelschwere Arbeiten in angespannter Kçrperhaltung, z. B. in gebckter, kniender oder liegender Stellung. Hçchstmçgliche Dauer der Kçrperbeanspruchung in diesem Schweregrad bei sonst gnstigen Arbeitsbedingungen betrgt 7 Stunden
schwerst
Heben und Tragen von Lasten ber 50 kg oder Steigen unter schwerer Last, vorwiegend Gebrauch schwerster Hmmer, schwerstes Ziehen und Schieben. Ferner schwere Arbeiten in angespannter Kçrperhaltung, z. B. in gebckter, kniender oder liegender Stellung. Hçchstmçgliche Dauer der Kçrperbeanspruchung in diesem Schweregrad bei sonst gnstigen Arbeitsbedingungen betrgt 6 Stunden
Tabelle 2.6 Positives Leistungsbild. Folgende Arbeiten können ausgeführt werden: o im Freien o in Werkhallen o in temperierten Rumen
o vollschichtig o halb- bis unter vollschichtig o unter halbschichtig
o Tagesschicht o Frh-/Sptschicht o Nachtschicht
ständig: o leichte o mittelschwere o schwere o im Sitzen o im Stehen o im Gehen
überwiegend: o leichte o mittelschwere o schwere o im Sitzen o im Stehen o im Gehen
zeitweise: o leichte o mittelschwere o schwere o im Sitzen o im Stehen o im Gehen
Tabelle 2.7 Negatives Leistungsbild. Folgende Arbeiten können nicht ausgeführt werden mit/unter Zeitdruck (z. B. Akkord, Fließband) Hitze hufigem Bcken Schmutz, hautbelastenden Stoffen, Feuchtarbeit Nsse, Klte, Zugluft, Temp.-Schwankungen Staub, Rauch, Gase, Dmpfe Heben und Tragen ohne mechanische Hilfsmittel (ber … kg) o Lrm o erhçhter Verletzungsgefahr, Eigen- oder Fremdgefhrdung o o o o o o o
Zwangshaltungen Anmarschwegen ber … m besonderen Anforderungen an das Sehvermçgen besonderen Anforderungen an das Hçrvermçgen besonderer nervlicher Belastung besonderer Anforderung an die Umstellungs- oder Anpassungsfhigkeit o nur mit zustzlichen betriebsunblichen Pausen o o o o o o
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung in einen Antrag auf Rente umgedeutet werden. Umgekehrt ist bei allen Renten-Anträgen zu klären, ob die vorhandenen Leistungseinschränkungen nicht doch durch eine Reha-Maßnahme wesentlich gebessert oder behoben werden können.
Private BU-Versicherung Im Bereich der privaten BU-Versicherung gelten die Bestimmungen des SGB VI nicht. Nach dem vollständigen Wegfall von Leistungen wegen BU durch die Gesetzliche Rentenversicherung bei Versicherten, die nach dem 01. 01.1961 geboren wurden, können diese das Risiko der BU nur noch „privat“ versichern, was dringend empfohlen wird, da in Statistiken immer wieder davon die Rede ist, dass bis zu 40% aller Beschäftigten krankheits- oder unfallbedingt, z. T. lange vor dem Erreichen der Altersrente, ihre berufliche Tätigkeit aufgeben müssen. Angesichts des auf 67 Jahre angehobenen Alters für die Regel-Altersrente dürfte dieser Prozentsatz in der Zukunft eher zu- als abnehmen.
•
•
Geboren nach dem 01. 01.1961 fi Es ist ratsam, ein BU-Risiko privat abzusichern. BU-Versicherungen werden als eigenständige Versicherungen angeboten, aber auch als Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen (BUZ) zusammen mit einer Renten- oder Lebensversicherung (Risiko- oder Kapital-Lebensversicherung), z. T. gibt es auch Kombinationsprodukte aus Krankentagegeld-Versicherung (wegen AU) und sich anschließender BU. Cave: Da die Konditionen von Gesellschaft zu Gesellschaft stark variieren können, muss bei Begutachtungserfordernis die jeweilige Gesellschaft die Fragen sehr konkret stellen, die im Kontext der jeweiligen vertraglichen Leistungsvereinbarungen bedeutsam sind. Folgende Aspekte sind bei Beurteilung privater BU-Versicherungen besonders wichtig: • Welcher Beruf ist zu beurteilen? Selbstverständlich muss klar sein, welcher „Beruf“ zugrunde zu legen ist: der Beruf bei Abschluss der Versicherung oder der Beruf, der zuletzt vor Eintritt der Erkrankung ausgeübt wurde. Bei unterschiedlichen Tarifen wegen unterschiedlicher beruflicher Risiken und bei eventuellen Pflichten, einen Berufswechsel anzuzei-
•
gen, liegen hier bereits rechtliche Stolpersteine. Wenn unklar ist, ob eine bestimmte berufliche Tätigkeit noch infrage kommt oder ob im Vertrag die Möglichkeit einer „abstrakten Verweisung“ vereinbart wurde (besser für den Versicherten ist stets der Verzicht des Versicherers auf diese „abstrakte Verweisung“!), kann – ähnlich wie in der GRV – ein aktuelles positives und negatives Leistungsbild (s. Tab. 2.6 und Tab. 2.7) gezeichnet werden, dessen rechtliche Würdigung dann dem Auftraggeber überlassen wird. Welche Leistungsausschlüsse wurden vereinbart? Wichtig ist selbstverständlich unter Umständen auch, welche vor Vertragsabschluss bereits bestehenden Leiden von Leistungen wegen BU ausgeschlossen wurden und wie sie sich im Kontext von neu aufgetretenen Erkrankungen/ Leistungsminderungen auf die Leistungsfähigkeit auswirken. Leistungsbeginn. Auch der Leistungsbeginn kann variieren: ab Eintritt der BU (unter Umständen sogar frühzeitig, sobald prognostisch klar ist, dass die Leistungsminderung mindestens 6 Monate bestehen wird), ab Meldung der BU oder sogar erst nach individuellen Karenzzeiten. Bei Gutachten, die sich auch zum Vorliegen von BU in der Vergangenheit äußern sollen, sind ggf. auch Informationen über die vertraglich vereinbarte Leistungsdauer („solange BU vorliegt“ oder „bis ein anderer Beruf ausgeübt wird“ oder „bis Ablauf der vereinbarten Leistungsdauer“) unverzichtbar. „Leistungsschwelle“. Natürlich sollten auch Informationen zu den Konditionen vorliegen: während die meisten Unternehmen in ihren Tarifen eine 100%ige Leistung ab einer BU von 50% anbieten, gibt es andere, bei denen Leistungen bereits ab einer BU von 25% beginnen, eine 100%ige Leistung dann aber oft erst später, z. B. ab einer BU von 75%, erbracht wird.
Pflegeversicherung
2.5 Pflegeversicherung H. Piechowiak und D. Radenbach
„Pflegebedürftig“ i. S. der sozialen Pflegeversicherung (§ 14 SGB XI), die für gesetzlich wie privat Versicherte (§ 23 SGB XI) die gemeinsame gesetzliche Grundlage darstellt, sind Personen, „die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen“. Diese „Verrichtungen“ sind gesetzlich festgelegt und den Bereichen • „Körperpflege“ (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), • „Ernährung“ (mundgerechte Zubereitung und Aufnahme der Nahrung. Die Zubereitung spezieller Diäten, z. B. für Diabetiker oder bei Mukoviszidosekranken, zählt dagegen zur hauswirtschaftlichen Verrichtung des „Kochens“, nicht zur Grundpflege!), „Mobilität“ (Aufstehen, Zu-Bett-Gehen, An• und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen sowie das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung) und • „hauswirtschaftlicher Versorgung“ (Einkaufen, Kochen, Wohnungsreinigung, Spülen, Waschen der Wäsche und Beheizen der Wohnung) zugeordnet. Nicht berücksichtigungsfähig sind nicht regelmäßig anfallende Tätigkeiten (z. B. Freizeitgestaltung, Spaziergänge), wohl aber Besuche bei Ärzten oder das Aufsuchen von Therapieeinrichtungen, wenn diese Besuche dauerhaft und regelmäßig mindestens einmal pro Woche erforderlich sind. Nicht berücksichtigungsfähig sind ferner Zeiten der allgemeinen Beaufsichtigung, z. B. bei Demenz, Krampfleiden oder Atemnotattacken, um akuten Verschlechterungen rasch und wirksam vorbeugen zu können, wohl aber Beaufsichtigungszeiten, die im Kontext einer der o. g. „Katalogverrichtungen“ erforderlich sind. Berücksichtigungsfähig im Bereich der Grundpflege sind auch Zeiten für sog. „verrichtungsbezogene, krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen“, die allerdings nach der BSG-Rechtsprechung (B 3 P 13/98 R) in einem unmittelbaren zeitlichen und
sachlichen Zusammenhang mit einer der o. g. Katalogverrichtungen stehen müssen. Beispiele: Sondenernährung, Katheterisieren, Stomaversorgung oder Pflegebäder mit anschließender Hautbehandlung, z. B. bei Neurodermitis, ggf. auch das Anziehen von Kompressionsstrümpfen, – Letzteres aber wiederum nur, wenn auch für das Anziehen normaler Strümpfe bereits Hilfebedarf erforderlich ist/wäre. Die Ursache der Krankheiten oder Behinderungen spielt für die Leistungsgewährung aus der Sozialen Pflegeversicherung keine Rolle. Etwaige Ansprüche auf Leistungen können aber „ruhen“, wenn Versicherte (vorrangige!) Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit nach § 35 BVG (und vergleichbaren Gesetzen) oder aus der Gesetzlichen Unfallversicherung erhalten. Die Definitionen der einzelnen Pflegestufen sind in Tab. 2.8 dargestellt. Dabei ist zu beachten, dass als Maßstab für die Dauer der Verrichtungen eine Pflege durch einen (abstrakten) Laien zugrunde gelegt wird, also nicht der Zeitaufwand, den eine professionelle Pflegefachkraft für dieselben Verrichtungen benötigen würde. Zu berücksichtigen ist jedweder verrichtungsbezogene Zeitaufwand in Form von „Unterstützung“, „teilweiser“ oder „vollständiger Übernahme der Verrichtung“, aber auch eine etwaig erforderliche „Beaufsichtigung“ oder „Anleitung“ des Pflegebedürftigen (mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme). In der Praxis existiert zum Zwecke der Vereinheitlichung der Begutachtungsergebnisse für jede „Verrichtung“ ein Zeitkorridor für die sog. „volle Übernahme“, an dem sich die Gutachter zu orientieren haben. Bei bloßer „Anleitung“ oder nur „teilweiser Übernahme“ sind die Zeitwerte entsprechend zu kürzen, bei erschwerenden Umständen können höhere Zeitwerte in Ansatz gebracht werden. Bei Kindern ist für die Zuordnung der Pflegestufe nur der „zusätzliche Hilfebedarf“ (sog. Mehraufwand) gegenüber einem gesunden, gleichaltrigen Kind berücksichtigungsfähig. Er kann in vielen Fällen mit zunehmendem Alter des pflegebedürftigen Kindes – wegen des normalerweise abnehmenden Pflegebedarfes gesunder Kinder – ansteigen. Für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit nach SGB XI kommt es ausschließlich auf den zeitlichen Umfang dieses Fremdhilfebedarfes an, nicht aber auf die Art der Erkrankung, die Schwere eines Leidens, die Tragik eines Schicksals oder gar etwaige finanzielle Notlagen im Gefolge dieser Gesundheitsprobleme. Das ist für Betroffene nicht immer leicht nachzuvollziehen.
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung Tabelle 2.8 Definition der Pflegestufen. Pflegestufe I
„Erheblich pflegebedürftig“ sind Personen, die bei der Kçrperpflege, der Ernhrung oder der Mobilitt für wenigstens 2 Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedrfen und zustzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung bençtigen. Der Zeitaufwand fr Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung muss wçchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen; hierbei muss auf die Grundpflege „mehr als 45 Minuten“ entfallen.
Pflegestufe II
„Schwerpflegebedürftig“ sind Personen, die bei der Kçrperpflege … mindestens 3-mal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedrfen und zustzlich mehrfach in der Woche … Der Zeitaufwand … muss wçchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 3 Stunden betragen; hierbei mssen auf die Grundpflege mindestens 2 Stunden entfallen.
Pflegestufe III
„Schwerstpflegebedürftig“ sind Personen, die bei der Kçrperpflege … tglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedrfen und zustzlich mehrfach in der Woche … Der Zeitaufwand … muss wçchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 5 Stunden betragen; hierbei mssen auf die Grundpflege mindestens 4 Stunden entfallen.
Pflegestufe III Hrtefall
Unter einem Härtefall wird ein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand verstanden, der das übliche Maß der Pflegestufe III weit übersteigt, beispielsweise dann, wenn Grundpflegeleistungen fr mindestens 6 Stunden tglich, davon mindestens dreimal in der Nacht, erforderlich sind oder wenn die Grundpflege – wenigstens einmal tagsber und zustzlich auch in der Nacht – nur von mehreren Pflegekrften gemeinsam (zeitgleich) erbracht werden kann, wobei neben einer professionellen mindestens eine weitere Pflegekraft (z. B. Angehçrige) ttig werden muss.
In Tab. 2.9 werden die wichtigsten Leistungen der Pflegeversicherung dargestellt. Die Leistungen der privaten Pflegeversicherung, geregelt in den „Musterbedingungen der Privaten Pflegepflichtversicherung“ (MB/PPV), sind denen der sozialen Pflegeversicherung gleichwertig. Allerdings kennt die private Versicherung keine Sachleistungen (und keine direkte Abrechnung mit den Leistungserbringern); sie erstattet aber die Kosten für Sachleistungen bis zur selben Höhe. Den behandelnden Haus- und Fachärzten hat der Gesetzgeber bei der Beantragung bzw. Zuerkennung von Leistungen der Pflegeversicherung keine Aufgaben zugewiesen. Auskünfte zu den vorliegenden Erkrankungen sowie die Versendung von Kopien etwaiger Krankenhaus- und/oder Reha-Berichte werden nach entsprechenden Vereinbarungen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen honoriert bzw. erstattet. Die Voraussetzungen für Leistungen der Pflegeversicherung werden vom MDK beurteilt. Haus- und Fachärzten hat der Gesetzgeber bei der Beantragung bzw. Zuerkennung von Leistungen der Pflegeversicherung keine Aufgaben zugewiesen.
Die Gutachten werden als Formulargutachten erstattet, die nach gesetzlicher Vorgabe i. d. R. nach Untersuchung in der Wohnung des Versicherten oder im Heim zu erstellen sind. Der MDK, bei dem die Begutachtung für die gesetzlich Krankenversicherten monopolisiert ist (§ 18 SGB XI), setzt bundesweit überwiegend fest angestellte Pflegefachkräfte ein. Bei Begutachtungen für die private Pflegepflichtversicherung, die Pflegeversicherung der Postbeamten-KK und der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten wird die Firma Medicproof GmbH (100%ige Tochter des Verbandes der privaten Krankenversicherung e. V.) tätig, diese Firma engagiert ganz überwiegend Ärzte, die diese Aufgabe im Rahmen einer Nebentätigkeit wahrnehmen. Ärztliche Gutachter außerhalb dieser beiden Organisationen dürften nur selten – und dann wohl am ehesten im Rahmen sozialgerichtlicher Auseinandersetzungen – mit Fragen der Pflegebegutachtung beauftragt werden, da dann „neutrale“ ärztliche Gutachter, unter Umständen auch auf Wunsch der Kläger-Seite, beigezogen werden müssen. Die pneumologisch wichtigsten Aspekte im Kontext der Pflegeversicherung betreffen die bereits angesprochenen „verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen“, zu denen eine umfangreiche Rechtsprechung existiert. Das Reinigen von Inhaliergeräten bzw. deren Desinfektion oder andere Vor- und Nachberei-
Pflegeversicherung Tabelle 2.9 Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung. Leistungen pro Monat
Pflegestufe I 2008 – 2010 – 2012
Pflegestufe II 2008 – 2010 – 2012
Pflegestufe III 2008 – 2010 – 2012
1. Pflegegeld fr selbst beschaffte Pflegehilfen 2. Pflegesachleistung bei Erbringung der Pflege durch professionelle Pflegedienste, bis zur Hçhe von … 3. vollstationre Pflege in Heimen
215 – 225 – 235 E
420 – 430 – 440 E
675 – 685 – 700 E
420 – 450 – 450 E
980 – 1 40 – 1 100 E
1 470 – 1 510 – 1 550 E
1 918 E (ohne Dynamisierung)
1 023 – 1 023 – 1 023 E
1 279 – 1 279 – 1 279 E
1 470 – 1 510 – 1 550 E
1 688 – 1 825 – 1 918 E
10% des Heimentgeltes, max. bis zu 256 E keine nderung durch die Pflegereform
10% des Heimentgeltes, max. bis zu 256 E keine nderung durch die Pflegereform
10% des Heimentgeltes, max. bis zu 256 E keine nderung durch die Pflegereform
4. Zuschsse zur Pflege in Einrichtungen der Behindertenhilfe
Härtefall
Weitere Leistungen: Kombination von Geld- und Sachleitung, teilstationre Tages- oder Nachtpflege, husliche Pflege oder Kurzzeitpflege in einem Heim bei Verhinderung der Pflegeperson (§ 39 SGB XI). Ferner zustzliche Betreuungsleistungen im Gesamtwert bis zu 2400 E/Jahr (ab 1.1.2008, bisher bis zu 460 E/Jahr) fr Menschen „mit erheblich eingeschrnkter Alltagskompetenz“ (= Demenzpatienten) nach § 45 a und b SGB XI, zweistufig, entsprechend dem festgestellten Betreuungsbedarf. Diese neue Leistung ist jetzt unabhngig von der Zuerkennung einer Pflegestufe, – kann also auch zuerkannt werden, wenn (noch) keine Pflegestufe erreicht wird. Ferner: zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel (z. B. Inkontinenzartikel), technische Hilfen (z. B. Badewannenlifter), wohnumfeldverbessernde Maßnahmen (z. B. Rampe fr Rollstuhlfahrer), Rentenversicherungsbeitrge fr Pflegepersonen, Einbeziehung der Pflegepersonen (whrend der Pflegettigkeit) in den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung, Pflegekurse fr Pflegepersonen. Nach der ,kleinen Pflegereform geplant: unbezahlte Arbeitsfreistellungen im Rahmen einer ,Pflegezeit bis zu 6 Monaten (mit Rckkehrmçglichkeit), nur fr Betriebe mit mehr als 10 Mitarbeitern.
tungsarbeiten bei Erforderlichkeit von Inhalationen sowie etwaige Hilfeleistungen beim Inhalieren stehen nach oberster Rechtsprechung nicht in dem geforderten engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer der Katalogverrichtungen (z. B. dem Aufstehen), weil Inhalationen auch zu anderen Zeitpunkten erfolgen können (BSG: Az B 10 KR 4/97 R; Az B 3 P 12/98 R) und können somit beim Zeitaufwand für die Grundpflege nicht berücksichtigt werden. Alle durch eine Lungenfunktionsstörung begründeten Maßnahmen, also v. a. die Sauerstofftherapie (unabhängig von der Form) bzw. alle diesbezüglichen Vorbereitungen, Hilfen und Unterstützungen, sind nicht berücksichtigungsfähig, außer sie stehen in direktem Zusammenhang mit einer Katalogverrichtung (z. B. An- und Auskleiden, Körperpflege), wodurch ein zeitlicher Mehraufwand gegeben ist, der dann selbstverständlich berücksichtigt werden muss (BSG: Az B 3 P 20/07 R).
Mukoviszidose (und vergleichbare Leiden): Das Absaugen (Sekretelimination) kann nur dann im Bereich der Grundpflege zeitlich berücksichtigt werden, wenn es in unmittelbarem Zusammenhang mit dem „Aufstehen“ und/oder dem „ZuBett-Gehen“ steht und der Patient bereits bei diesen Verrichtungen einen Fremdhilfebedarf hat (BSG: Az B 10 KR 4/97 R). Ein zusätzlicher Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme wurde bei Mukoviszidose von der Rechtsprechung (BSG: Az B 3 P 23/98 R) bejaht, wenn Kinder zum Essen immer wieder angehalten werden müssten, weil Einsichtsfähigkeit und Verständnis fehlten, es aus gesundheitlichen Gründen aber erforderlich sei, auch Widerwillen erregende Speisen oder Speisen in größeren Mengen (über den Appetit hinaus) aufzunehmen. Ein zusätzlicher Hilfebedarf beim Waschen und Anziehen nach der abendlichen Gymnastik, die wegen der Auswirkungen der Mukoviszidose betrieben werden müsse, sei ebenfalls zu berücksichtigen (BSG: B 3 P 12/98 R).
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung Beatmungspflichtigkeit – siehe dazu auch die Ausführungen unter „Krankenversicherung, Beatmungspflege“ – ist keine Grundpflegeleistung. Sie führt zu einem Anspruch auf Behandlungssicherungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V rund um die Uhr, weil die Patienten 24 Stunden lang ununterbrochen beobachtet und in regelmäßigen Abständen, auch nachts, Sekretabsonderungen abgesaugt werden müssen (BSG: Az B 3 KR 4/98 R). Der Umfang der daneben erforderlichen Grundpflege nach SGB XI, also z. B. für die Körperpflege und die Versorgung der Ausscheidungen, ist unabhängig davon bestimmbar und maßgebend für die zusätzlichen Leistungen nach SGB XI. Bei Unklarheiten zu einzelnen Aspekten kann Ärzten Kontaktnahme zu Selbsthilfegruppen empfohlen werden, die auf ihrem jeweiligen Gebiet erfahrungsgemäß auch zur aktuellen Rechtsprechung meist bestens informiert sind.
2.6 Soziales Entschädigungsrecht (SER) und Schwerbehindertenrecht (SchwbR) H. Piechowiak und D. Radenbach
Beide Rechtsgebiete, wenngleich nach Tab. 2.1 unterschiedlichen Rechtsbereichen zugehörig, können weitgehend gemeinsam dargestellt werden, weil sie in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ ihre gemeinsame normative Begutachtungsgrundlage haben.
Praxis Die „Anhaltspunkte“ sind in der jeweils aktuellsten Fassung als Buch oder zum kostenlosen Herunterladen zu finden unter: www.bmas.de/ coremedia/generator/10588/anhaltspunkte_ fuer_die_aerztliche_gutachtertaetigkeit.html Die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AP) machen Vorschläge zu den GdS(SER-) bzw. GdB-Werten (SchwbR/SGB IX) bei häufigen Erkrankungen und Behinderungen. Sie gelten als „antizipierte Sachverständigengutachten“ wie „untergesetzliche Normen“, sie sind erfahrungsbasiert, alters- und trainingsunab-
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Soziales Entschädigungsrecht (SER) fi GdS Grad der Schädigung (Der Begriff „GdS“ ersetzt den früher verwendeten Begriff „MdE“.) – anzugeben in Zehnergraden (nicht in Prozenten) – die Kausalität muss nach nachgewiesen sein (Wahrscheinlichkeit; s. u.) • Schwerbehindertenrecht (SchwbR) fi GdB Grad der Behinderung – anzugeben in Zehnergraden (nicht in Prozenten) – Nachweis von Kausalität ist nicht erforderlich Aber: Die festzustellenden Leiden müssen sowohl im SER als auch im SchwbR nachgewiesen sein (Vollbeweis für Krankheit). Ein „in dubio pro aegroto“ kennen beide Rechtsgebiete nicht!
hängig, und sie verfolgen das Ziel, dem Gutachter „die Grundlagen für eine sachgerechte, einwandfreie und bei gleichen Sachverhalten einheitliche Beurteilung an die Hand zu geben“. Nicht in den AP dargestellte gesundheitliche Störungen sind jeweils „analog“ zu aufgeführten Leiden zu bewerten. Je nach Lage des Einzelfalls kann mit darzustellender Begründung von den Anhaltswerten der AP abgewichen werden. Gemeinsamkeiten GdS/GdB: Grad der Schädigung (GdS) und Grad der Behinderung (GdB) sind „ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbehinderung aufgrund eines Gesundheitsschadens“. Beide Begriffe bewerten die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im Allgemeinen Erwerbsleben. Beide Begriffe sind grundsätzlich unabhängig von einem speziellen ausgeübten oder angestrebten Beruf, es sei denn, dass bei Begutachtungen im SER nach § 30 Abs. 2 BVG ein „besonderes berufliches Betroffensein“ berücksichtigt werden muss. GdS und GdB setzen beide eine „nicht nur vorübergehende“ und damit eine über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten sich erstreckende „dauerhafte“ Gesundheitsstörung voraus. Dies muss nachgewiesen sein. Die GdS-/GdB-Vorschläge der AP berücksichtigen stets die Gesamt-Auswirkungen einer Schädigungsfolge oder einer Behinderung, also die körperlichen und die (üblichen) seelischen Folgen. Außergewöhnliche seelische Begleiterscheinungen oder außergewöhnliche Schmerzen sind aber ggf. zusätzlich zu bewerten.
Soziales Entschädigungsrecht (SER) und Schwerbehindertenrecht (SchwbR) Für die Bildung des Gesamt-GdS-/GdB-Grades gilt, dass die Bewertungen der einzelnen Schädigungsfolgen bzw. Behinderungen nicht addiert werden dürfen, sondern dass eine wertende Gesamtbetrachtung erforderlich ist, die i. d. R. vom Leiden mit dem höchsten Einzelwert ausgeht und die wechselseitigen Beziehungen der individuell vorliegenden Leiden zueinander berücksichtigt (§ 69 SGB IX). Die festzustellenden Leiden müssen sowohl im SER als auch im SchwbR nachgewiesen sein. Ein „in dubio pro aegroto“ kennen beide Rechtsgebiete nicht! Die Anerkennung von verminderter Erwerbsfähigkeit durch einen RV-Träger oder die Feststellung von Arbeits- oder Dienstunfähigkeit (bei Arbeitnehmern oder Beamten) oder auch einer Pflegebedürftigkeit nach SGB XI erlauben keine Rückschlüsse auf den GdS-/GdB-Grad, wie umgekehrt aus der Höhe von GdS/GdB auch nicht auf die Leistungsvoraussetzungen anderer Sozialleistungsträger geschlossen werden kann. Gemeinsam ist beiden Rechtsgebieten auch, dass bei besserungsfähigen Schädigungsfolgen/Behinderungen Nachprüfungen erforderlich sein können, um dies festzustellen. Unterschiede GdS/GdB: Die Begriffe „GdS“ und „GdB“ unterscheiden sich dadurch, dass sich die GdS kausal – nur auf die Schädigungsfolgen – bezieht, während der GdB final orientiert ist und alle Gesundheitsstörungen, unabhängig von ihrer Ursache, zu erfassen versucht. GdS und GdB werden in Zehnergraden angegeben.
Anspruchsberechtigte Personenkreise
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Soziales Entschädigungsrecht (SER) Eine Schädigungsfolge ist im SER „jede Gesundheitsstörung, die mit einer nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigenden Schädigung in ursächlichem Zusammenhang steht“. Die Auswirkungen werden mit dem Grad der Schädigung (GdS) bemessen. Schädigungsfolgen sind auch Gesundheitsstörungen, die keinen GdS bedingen, wie z. B. Narben. Erwerbsunfähigkeit im SER ist anzunehmen, wenn ein GdS von mehr als 90 vorliegt.
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Bundesversorgungsgesetz (§ 1 BVG): Teilnehmer des 2. Weltkrieges, die durch eine militärische oder militär-ähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während des Militär(ähnlichen-)Dienstes eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben. Diesen Schädigungen gleichgestellt sind Schäden, die auf unmittelbare Kriegseinwirkungen, Kriegsgefangenschaft, Internierung, Flucht sowie Straf- und Zwangsmaßnahmen zurückgehen. Miterfasst sind ferner die Schädigungsfolgen nach Unfällen, die Beschädigte auf Hin- oder Rückwegen zu Heilbehandlungen sowie zu medizinischen oder beruflichen Reha-Maßnahmen (wegen der Schädigungsfolgen) oder bei deren Durchführung erleiden. Bundesentschädigungsgesetz (§ 1 BEG): Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung sowie diejenigen, die den Verfolgten gleichgestellt wurden (z. B. Familienangehörige). Soldatenversorgungsgesetz (§ 81 SVG): Soldaten der Bundeswehr und der früheren Nationalen Volksarmee (NVA), für Schäden infolge von Unfällen bei Ableistung des Wehrdienstes oder Schäden aufgrund sonstiger dort eigentümlicher Verhältnisse. Zivildienstgesetz (§ 47 ZDG): Zivildienstleistende für Schäden, die sie in Folge von Unfällen oder Krankheiten erlitten haben, die sie sich während des Zivildienstes zugezogen haben. Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (§ 21 StrRehaG) und Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz (§ 3 VwRehaG): Personen der ehemaligen DDR, die Schäden erlitten haben infolge rechtstaatswidriger Freiheitsentziehung oder sonstiger behördlicher Maßnahmen. Häftlingshilfegesetz (§ 4 HHG): Inhaftierte, die Schäden aufgrund der besonderen Bedingungen der Haft erleiden (z. B. Ansteckung mit Tuberkulose durch kranke Häftlinge und enge Unterkunft). Infektionsschutzgesetz (§ 60 IfSG) sowie AntiD-Hilfegesetz (AntiDHG): Personen, die Schäden erlitten haben aufgrund von Impfungen, die gesetzlich vorgeschrieben, angeordnet oder empfohlen oder wegen Internationaler Gesundheitsvorschriften durchgeführt wurden (siehe Empfehlungen der STIKO, Ständige Impfkommission) sowie Frauen und deren Kontaktpersonen, die in den 1970er Jahren aufgrund infektiöser Chargen bei der Anti-D-Immunpro-
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung
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phylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden. Opferentschädigungsgesetz (§ 1 OEG): Personen, die Opfer von Gewaltverbrechen wurden und dauerhafte Schäden durch den Angriff oder dessen rechtmäßige Abwehr davontrugen.
Begutachtungsaspekte Von entscheidender Bedeutung ist – ganz ähnlich wie in der GUV – der Kausalitätsnachweis. Voraussetzungen: • ein „geschützter Gefahrenbereich“ (z. B. Militäroder Zivildienst, öffentlich empfohlene Impfung etc.) • ein schädigender Vorgang (z. B. Explosion, Impfung) • eine gesundheitliche Schädigung (z. B. Verletzung, Meningoenzephalitis) • eine Gesundheitsstörung mit dauerhafter Beeinträchtigung (= Schädigungsfolge, z. B. Verstümmelung, intellektuelle Leistungsminderung) „Ursache“ im Sinne der Versorgungsgesetze (wie in der Gesetzlichen Unfallversicherung) ist die Einwirkung, die für den Eintritt des Erfolges „wesentlich“ war (Theorie der wesentlichen Bedingung). Haben mehrere Umstände zu den Folgen beigetragen, sind sie versorgungsrechtlich – nach den AP – nur dann „nebeneinander stehende Ursachen (und wie Ursachen zu werten), wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind“. Gelegenheits-„Ursachen“ sind keine wesentlichen Bedingungen, sie sind nur „letzter Anstoß“’ oder unwesentlicher „Anlass“, und sie dürfen nur angenommen werden, „wenn der Gesundheitsschaden mit Wahrscheinlichkeit auch ohne das angeschuldigte Ereignis durch ein alltäglich vorkommendes Ereignis zu annähernd derselben Zeit und in annähernd gleichem Ausmaß eingetreten wäre“. Der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die dauerhafte Gesundheitsstörung müssen in der Regel „voll bewiesen“, also lückenlos belegt werden; nur unter besonderen Umständen reicht „Glaubhaftmachung“ aus. Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung mit dauerhafter Beeinträchtigung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die (einfache) Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs: es muss mehr dafür als dagegen sprechen; die bloße Möglichkeit ist nicht ausreichend. Große
Zeitabstände ohne sog. Brückensymptome lassen die ursächliche Bedeutung eines angeschuldigten Ereignisses oft unwahrscheinlich erscheinen. Die Anerkennung einer Schädigungsfolge kann nicht nur als Ursache der Entstehung, sondern auch als eine richtunggebende Verschlimmerung erfolgen. Negative Auswirkungen von Vorbeugemaßnahmen, Diagnostik oder Therapie (d. h. Komplikationen und Nebenwirkungen), die auch zu Schädigungsfolgen Anlass gaben, sind gleichfalls Schädigungsfolgen.
Praxis Beispiel: Bei einem ehemaligen Soldaten wurde eine wehrdienstbedingte tuberkulöse Pleuritis vermutet. Zur Diagnostik wurde eine Thorakoskopie durchgeführt, die ein Empyem als Komplikation zur Folge hatte. Eine Besonderheit des SER ist die sog. Kann-Versorgung. Danach kann eine Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge anerkannt werden, „wenn die zur Anerkennung … erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Unwissenheit besteht“. Folgende medizinischen Voraussetzungen müssen vorliegen: 1. Hinsichtlich Ätiologie und Pathogenese des Leidens darf keine gesicherte medizinische Erkenntnis vorliegen. 2. Die ursächliche Bedeutung von Schädigungsereignissen kann (deshalb) nicht „mit Wahrscheinlichkeit“ beurteilt werden, wird aber in wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen. 3. Zwischen der Einwirkung der ursächlich umstrittenen Ereignisse und der Manifestation/ Verschlimmerung eines Leidens muss ein gewisser zeitlicher Zusammenhang bestehen. Die einzige pneumologisch wichtige Erkrankung, die in einer Krankheitenliste (erstellt mit Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit) verzeichnet ist, für die eine Kann-Versorgung infrage kommt, ist die Sarkoidose: hier ist die Ätiologie unklar, und wissenschaftliche Arbeitshypothesen ließen dem Verodnungsgeber eine erhöhte Suszeptibilität bei extremen Umgebungsfaktoren im Militärdienst als begründet erscheinen. Zu den speziellen Aspekten der Begutachtung im SER (Schwerstbeschädigtenzulage, Pflegezu-
Soziales Entschädigungsrecht (SER) und Schwerbehindertenrecht (SchwbR) lagestufen und v. a. Kausalitätsbeurteilung bei den verschiedenen Krankheitsbildern und Verletzungsfolgen) sei auf die „Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit …“ verwiesen. Aus dem pneumologischen Bereich sind hier v. a. die Ausführungen zur Tuberkulose, zu den Schutzimpfungen für Influenza, Pertussis und Tuberkulose (BCG), zu den nichttuberkulösen Erkrankungen von Bronchien, Lungen und Rippenfell sowie zum Cor pulmonale zu nennen.
Schwerbehindertenrecht (SchwbR) Definitionen Der Begriff der Behinderung ist in § 2 SGB IX definiert. Danach sind Menschen behindert, „wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“. Eine Feststellung von Behinderung wird von der Versorgungsverwaltung getroffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Eine (neue, eigenständige) Feststellung ist vonseiten der Versorgungsverwaltung „nicht zu treffen“, wenn bereits von anderer Seite (z. B. durch Rentenbescheid einer Berufsgenossenschaft oder sonstige Verwaltungsoder Gerichtsentscheide) das Vorliegen einer Behinderung und der auf ihr beruhenden Erwerbsminderung festgestellt worden ist, – „es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung … glaubhaft macht“ (§ 69 SGB IX). Schwerbehinderung liegt vor, wenn ein Gesamt-GdB von wenigstens 50 vorliegt. Ein GesamtGdB von 50 kann – nach den AP – nur angenommen werden, wenn die Gesamtauswirkung aller Behinderungen so erheblich ist wie bei Einzelleiden, die für sich GdB 50 bedingen (Verlust der Hand oder eines Unterschenkels oder Lungenfunktionsstörungen mit Leistungsbeeinträchtigungen bereits bei leichten Belastungen). Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Behinderte mit einem GdB < 50, aber wenigstens 30, „wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz (i. S. des § 73 SGB IX) nicht erlangen oder behalten können“ (§ 2 SGB IX). Die Feststel-
lung der Gleichstellung erfolgt nach Antrag des Behinderten durch die Bundesagentur für Arbeit bzw. die örtliche Arbeitsagentur; sie wird mit dem Tag des Antragseingangs wirksam, was bei Kündigungsabsicht des Arbeitgebers wichtig sein kann. Schwerbehinderten gleichgestellt sind ferner behinderte Jugendliche und junge Erwachsene während der Zeit einer Berufsausbildung, auch wenn der GdB weniger als 30 beträgt (§ 68 SGB IX). GdB ab 20 Behinderung GdB ab 30 Gleichstellung GdB ab 50 Schwerbehinderung Behinderte Jugendliche und junge Erwachsene sind während der Zeit einer Berufsausbildung bereits ab GdB 20 den Schwerbehinderten gleichgestellt.
Leistungen Das SGB IX, dessen 2. Teil die besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen enthält (SchwbR), stellt die Rechtsgrundlage für zahlreiche Leistungen dar, die allen behinderten bzw. z. T. auch bereits von Behinderung bedrohten Personen ein Leben in Selbstbestimmung und eine gleichberechtige Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen soll. Neben den oben schon angesprochenen verschiedensten medizinischen, beruflichen und ergänzenden Reha-Leistungen sind dies u. a.: • Möglichkeiten der Minderung der Lohn-/Einkommenssteuer durch GdB-abhängige Pauschbeträge oder außergewöhnliche Belastungen (für Kur/Krankheit, Haushaltshilfe, häusliche Pflege, Heimunterbringung, Kfz-Aufwendungen etc.) • Vergünstigungen bei der Kfz-Steuer (höhere GdB-Grade und bei bestimmten Nachteilsausgleichen), unter Umständen auch höhere Freibeträge bei Erbschaften und Schenkungen an behinderte Menschen • Vergünstigungen im Arbeitsleben: Gleichstellung mit Schwerbehinderten ab GdB 30, bevorzugte Einstellung von Schwerbehinderten (§§ 81 und 122 SGB IX), Kündigungsschutz nach Ablauf von 6 Monaten (Einschaltung des Integrationsamtes erforderlich, § 85 ff SGB IX), begleitende Hilfen im Arbeitsleben (§ 102 SGB IX), Rücksichtnahme bei der Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitszeitregelung, Freistellung von
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung
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Mehrarbeit auf Verlangen (§ 124 SGB IX), fünf zusätzliche Urlaubstage/Kalenderjahr (§ 125 SGB IX), Kfz-Finanzierungshilfen und v. a. vorgezogene Altersrente oder Pension (mit Vollendung des 63. Lebensjahres) Weitere Vergünstigungsmöglichkeiten – z. T. abhängig von der GdB-Höhe und zuerkannten Nachteilsausgleichen – bei Ausbildungsförderung, Befreiung von der Rundfunk- und Fernsehgebührenpflicht (bei „RF“), Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel (Freifahrt mit Wertmarke bei „G“), Eintrittsgebühren für öffentliche Einrichtungen, Grundsteuer, Hundesteuer, Kurtaxe, Parkerleichterung (bei außergewöhnlicher Gehbehinderung), Sparförderung, Vereinsbeiträge (ADAC, DTC), Versicherungsgebühren (Kfz- und private Haftpflichtversicherung), Wehrdienst (Befreiung), Wohngeld, Wohnungsbauförderung, Wohnungskündigung (im Fall unzumutbarer Härte, § 574 BGB), – unter Umständen auch bei Kosten für eine Bahncard, für bestimmte Handy-Tarife oder hinsichtlich früherer Verfügung über Bausparverträge
Angesichts der Vielzahl von Vergünstigungen sollte ein in der Praxis ganz wichtiger Nachteil nicht außer Acht gelassen werden: In vielen Fällen wirkt sich bei erforderlicher Arbeitssuche eine zuerkannte Behinderten-, Gleichstellungs- oder Schwerbehinderteneigenschaft leider – immer noch – als Barriere am Arbeitsmarkt aus, auch wenn die bisher zulässige Frage des Arbeitgebers nach dem diskriminierungsrelevanten Merkmal „Behinderung/Schwerbehinderung“ seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes im August 2006 (AGG, „Antidiskriminierungsgesetz“) nicht mehr so unbekümmert gestellt werden dürfte, da der Arbeitgeber damit Schadensersatzforderungen riskiert. Grundsätzlich galt (und gilt unverändert), dass ein Bewerber alle Fragen korrekt beantworten muss, für die der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse geltend machen kann (BAG 2 AZR 270/83, vom 7. 6.1984). Arbeitgeber-Fragen müssen deshalb einen „unmittelbaren Sachzusammenhang“ zu der zu besetzenden Stelle aufweisen. Falsch-Beantwortung seitens des Bewerbers kann in solchen Fällen zur Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung und zu außerordentlicher Kündigung führen. Fehlt es der Frage an diesem „Sachzusammenhang“, ist sie im Grunde rechtlich unzulässig. Bei unzulässigen Fragen, z. B. nach Vorstrafen oder dem Bestehen einer Schwangerschaft, wurde dem Bewerber/
der Bewerberin durch die Rechtsprechung sogar ein Recht auf gezielte Falschbeantwortung eingeräumt (BAG AZR 621/01, vom 6. 2. 2003). Fragen nach dem Vorliegen von Krankheiten, z. B. Infektionskrankheiten (z. B. Tuberkulose, HIV) oder Abhängigkeitserkrankungen (z. B. Alkohol, Drogen) werden dann als zulässig betrachtet, wenn Ansteckungsgefahr bestand oder durch die Art des Leidens aufgrund der Anforderungsmerkmale der Tätigkeit Risiken für Mitarbeiter und/ oder Kunden gegeben waren oder wenn das Leiden (HIV) einen negativen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit erwarten ließ. Diesbezüglich hat sich durch das AGG keine nennenswerte Änderung ergeben. Die Grenzen zwischen „Krankheit“ und „Behinderung“ bleiben aber unscharf. Auf die Frage nach Krankheiten, die ganz oder teilweise die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit beeinträchtigen können und i. d. R. ein erhöhtes Erkrankungsrisiko beinhalten (s. Tab. 2.7 „negatives Leistungsbild“), muss korrekt geantwortet werden. Deshalb sollte sich ein chronisch kranker/behinderter Arbeitssuchender bereits vor einem Bewerbungsgespräch sehr genau nach allen Anforderungen der ausgeschriebenen Tätigkeit erkundigen und sich hinsichtlich etwaiger Einschränkungen ärztlich beraten lassen. Cave: „Leichtfertige“ Beantragung einer Schwerbehinderung Bei jüngeren Arbeitnehmern, die noch lange ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit finanzieren müssen, bei nur geringen oder mäßigen funktionellen Auswirkungen sowie bei nicht unerheblichem Risiko von Arbeitslosigkeit sollte das Vorgehen im individuellen Fall besonders gut mit dem Patienten bedacht werden.
Gutachterliche Aspekte – Bewertungskriterien Welche Grade der Behinderung die „Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit …“ im Bereich der pneumologischen Erkrankungen vorsehen, wird in den Tabellen Tab. 2.10 und Tab. 2.11 kurz dargestellt. Generell ist zu beachten, dass die Beurteilung den dauerhaften (6 Monate) Zustand unter bestmöglicher Therapie zugrunde legen soll. Die Funktionsstörungen sollen entweder nachweislich seit
Soziales Entschädigungsrecht (SER) und Schwerbehindertenrecht (SchwbR) Tabelle 2.10
GdB-Anhaltswerte bei Atemwegs- und Lungenerkrankungen.
Behinderungsleiden chronische Bronchitis und Bronchiektasen ohne dauernde Einschrnkung der Lungenfunktion leichte Form: symptomfreie Intervalle ber mehrere Monate, wenig Husten, geringer Auswurf l schwere Form: fast kontinuierlich ausgiebiger Husten und Auswurf, hufige akute Schbe l
Pneumokoniosen (z. B. Silikose, Asbestose) ohne wesentliche Einschrnkung der Lungenfunktion Lungenfunktionseinschränkung: Krankheiten der Atmungsorgane (z. B. Brustfellschwarten, chronisch obstruktive – auch „spastische“ oder „asthmoide“ – Bronchitis, Bronchiektasen, Lungenemphysem, Pneumokoniosen, Lungenfibrosen, inaktive Lungentuberkulose, Verlust und Teilverlust der Lunge, aber auch knçcherne Defekte am Brustkorb mit Auswirkungen auf die Lungenfunktion) mit dauernder Einschrnkung der Lungenfunktion l geringen Grades, d. h. das gewçhnliche Maß bersteigende Atemnot bei mittelschwerer Belastung (z. B. forsches Gehen [5 – 6 km/h], mittelschwere kçrperliche Arbeit); statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprfung bis zu 1⁄ 3 niedriger als die Sollwerte, Blutgaswerte im Normbereich l mittleren Grades, d. h. das gewçhnliche Maß bersteigende Atemnot bereits bei alltglicher leichter Belastung (z. B. Spazierengehen [3 – 4 km/h], Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte kçrperliche Arbeit); statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprfung bis zu 2⁄ 3 niedriger als die Sollwerte, respiratorische Partialinsuffizienz l schweren Grades, d. h. Atemnot bereits bei leichtester Belastung oder in Ruhe; statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprfung um mehr als 2⁄ 3 niedriger als die Sollwerte, respiratorische Globalinsuffizienz. Ggf. sind Folgeerscheinungen an anderen Organen (z. B. Cor pulmonale) zustzlich zu bercksichtigen maligne Lungen- und Bronchialtumore, in den ersten fünf Jahren der sog. Heilungsbewährung transplantierte Lunge l in den ersten zwei Jahren der sog. Heilungsbewährung l danach, selbst bei gnstigem Heilungsverlauf Schlafapnoe-Syndrom (Nachweis durch Untersuchung im Schlaflabor) ohne Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen berdruckbeatmung l mit Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen berdruckbeatmung l bei nicht durchfhrbarer nasaler berdruckbeatmung l
Lungentuberkulose tuberkulçse Pleuritis
l
l l l
ansteckungsfhig (mehr als 6 Monate andauernd) nicht ansteckungsfhig, ohne Einschrnkung der Lungenfunktion nicht ansteckungsfhig, mit Einschrnkung der Lungenfunktion
Sarkoidose Bei der Sarkoidose, wenn die Lunge mit betroffen ist, ist der GdB ebenfalls nach dem Ausmaß der dauerhaften Lungenfunktionseinschrnkung zu bewerten. Zustzlich sind aber die Auswirkungen auf den Allgemeinzustand sowie die Auswirkungen extrapulmonaler Manifestationen (Leber, Milz, Herz, Augen, ZNS, Haut etc.) zu bewerten l Bei chronischem Verlauf mit klinischen Aktivittszeichen und Auswirkungen auf den Allgemeinzustand ist ohne Funktionseinschrnkung von betroffenen Organen ein GdB/MdE-Grad von 30 anzunehmen. Funktionseinschrnkungen betroffener Organe sind zustzlich zu bercksichtigen l Bei Defektzuständen kommt es allein auf die funktionellen Ausfallserscheinungen an l
GdB-Werte 0 – 10 20 – 30 0 – 10
20 – 40
50 – 70
80 – 100
wenigstens 80 100 nicht niedriger als 70 0 – 10 20 wenigstens 50 je nach Ausmaß der Folgeerscheinungen 100 0 je nach Ausmaß der Funktionseinschrnkung je nach Ausmaß der Funktionseinschrnkung 30
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung Tabelle 2.11
GdB-Anhaltswerte bei Bronchialasthma, fr Erwachsene und Kinder.
Behinderungsleiden
GdB-Werte
Bronchialasthma bei Erwachsenen ohne dauerhafte Einschrnkung der Lungenfunktion Hyperreagibilitt mit seltenen (saisonalen) und/oder leichten Anfllen l Hyperreagibilitt mit hufigen (mehrmals pro Monat) und/oder schweren Anfllen l Hyperreagibilitt mit Serien schwerer Anflle Eine dauerhafte Einschrnkung der Lungenfunktion ist zustzlich zu bercksichtigen.
0 – 20 30 – 40 50
l
Bronchialasthma bei Kindern ohne dauerhafte Einschrnkung der Lungenfunktion geringen Grades: Hyperreagibilitt mit seltenen (saisonalen) und/oder leichten Anfllen, keine dauernde Einschrnkung der Atemfunktion, nicht mehr als sechs Wochen Bronchitis im Jahr l mittleren Grades: Hyperreagibilitt mit hufigeren und/oder schweren Anfllen, leichte bis mittelgradige stndige Einschrnkung der Atemfunktion, etwa 2 – 3 Monate kontinuierliche Bronchitis im Jahr l Hyperreagibilitt mit Serien schwerer Anflle Eine dauerhafte Einschrnkung der Lungenfunktion ist zustzlich zu bercksichtigen. l
6 Monaten bestehen oder es muss medizinisch feststellbar sein, dass die Funktionsstörung im dokumentierten Ausmaß mindestens 6 Monate anhalten wird. Ist in der Diagnose definitionsgemäß bereits die Dauerhaftigkeit berücksichtigt, wie dies bei der chronischen Bronchitis oder COPD der Fall ist, ist die Feststellung als solche kein Problem. Die Bewertung orientiert sich, solange dauernde Lungenfunktionseinschränkungen nicht vorliegen, an der durchschnittlichen Ausprägung der Symptomatik (z. B. Husten, Auswurf), beim Vorliegen von Lungenfunktionseinschränkungen v. a. an deren Ausmaß. Bei allen „akuten Exazerbationen“, z. B. einer COPD, sind deshalb auch nicht die Befunde der „akuten“ Verschlechterung zu bewerten, sondern der mutmaßliche Dauerzustand. Bei vorheriger stationärer (Krankenhaus, Reha-Fachklinik) Behandlungsbedürftigkeit entspricht dieser i. d. R. eher den Befunden bei Entlassung als denen bei Aufnahme. Selbstverständlich kann und muss ggf. aber auch eine außergewöhnliche Häufigkeit akuter Verschlechterungen berücksichtigt werden. Im ambulanten Bereich ist erfahrungsgemäß darauf zu achten, dass auch tatsächlich Befunde aus dem beschwerdefreien bzw. beschwerdeärmeren Intervall vorliegen, was bedauerlicherweise faktisch deshalb oft nicht der Fall ist, weil Patienten bei befriedigender Besserung eines Beschwerdebildes angeratene Kontrolluntersuchungen vielfach nicht wahrnehmen. Bei allen Krankheitszuständen, die sich dauerhaft wesentlich bessern können (z. B. Tuberkulose,
20 – 40
50 – 70
Sarkoidose) sind Nachprüfungen wegen „Besserung“ vorzusehen. Die Frist ist vom Gutachter festzulegen. Bei den malignen Grunderkrankungen und einigen weiteren Zuständen (z. B. nach Organoder Knochenmarktransplantation), bei denen es zu Rezidiven oder Komplikationen kommen kann, spricht man nach abgeschlossener erfolgreicher Primärbehandlung von der Phase der Heilungsbewährung. Je nach Art des Leidens und des Stadiums der Erkrankung bei Erstdiagnose liegen diese Fristen zwischen 2 und 5 Jahren. Die während dieser Phase deutlich höheren GdB-Werte bewerten diese Risiken ebenso wie die besondere psychische Belastung. Nach Ablauf der Heilungsbewährung wird nur noch das Ausmaß der dauerhaft verbliebenen Funktionsstörung (neu) bewertet. Während für Erwachsene und Kinder i. d. R. in den AP gleiche Bewertungsmaßstäbe gelten, ist zu beachten, dass es beim Bronchialasthma wegen der Besonderheiten des kindlichen Asthmas wesentliche Unterschiede gibt (s. Tab. 2.11).
Nachteilsausgleiche bzw. „Merkzeichen“ Der im Schwerbehindertenrecht tätige Gutachter hat zusätzlich regelmäßig, insbesondere bei entsprechender Beantragung, die medizinischen Voraussetzungen für sog. Nachteilsausgleiche (umgangssprachlich „Merkzeichen“, Mz) zu beurteilen. Sie stehen i. d. R. erst ab einem GdB von 50 zu. Ausnahme: bestimmte Leiden, die sich auf das
Soziales Entschädigungsrecht (SER) und Schwerbehindertenrecht (SchwbR) Gehvermögen auswirken („G“ unter Umständen bereits bei einem sich auf die Mobilität auswirkenden Leiden mit Einzel-GdB von 40, z. B. bei einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit im Stadium II b), weitere Ausnahmen (v. a. hinsichtlich des Mz „H“) bei Kindern. Tabelle 2.12
Die wichtigsten Mz, deren amtliche Bezeichnungen sowie deren medizinische resp. rechtliche Voraussetzungen sind in Tab. 2.12 dargestellt.
Nachteilsausgleiche bzw. „Merkzeichen (MZ)“.
Kürzel
Bezeichnung des Nachteilsausgleiches und Arten des Ausgleichs
Beschreibung der medizinischen und rechtlichen Voraussetzungen
G
erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (§ 146 SGB IX, § 9 EStG) Ausgleich: Kostenlose Benutzung des çffentlichen Personennahverkehrs mit sog. Wertmarke bzw. Kfz-SteuerErmßigung
B
Notwendigkeit ständiger Begleitung (§ 145 f SGB IX) Ausgleich: Kostenlose Befçrderung der Begleitperson im çffentlichen Nah- und Fernverkehr, auch bei innerdeutschen Flgen der Lufthansa
„ … erheblich beeintrchtigt ist, wer infolge einer Einschrnkung des Gehvermçgens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfllen oder Stçrungen der Orientierungsfhigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren fr sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurckzulegen vermag, die blicherweise noch zu Fuß zurckgelegt werden“. Rechtsprechung: „ortsbliche Wegstrecke“ = Strecke von etwa 2 km, die in etwa einer halben Stunde zurckgelegt wird. Voraussetzungen liegen stets auch vor bei Zuerkennung der Mz „B“, „Gl“ und „H“. Bei Lungenleiden zustehend ab Lungenfunktionsbeeintrchtigung, die fr sich einen GdB von 50 bedingt. „Stndige Begleitung ist bei schwerbehinderten Menschen (bei denen die Voraussetzungen fr die Mz „G“ oder „H“ vorliegen) notwendig, die bei Benutzung von çffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren fr sich oder andere regelmßig auf fremde Hilfe angewiesen sind“. Zu prfen ist, ob regelmßig fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder whrend der Fahrt … notwendig ist oder bereit sein muss oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstçrungen (z. B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind. Bei Lungenleiden oft zustehend, wenn die Voraussetzungen fr Mz „aG“ erfllt sind.
aG
außergewöhnliche Gehbehinderung Ausgleich: Parkerleichterungen und Kfz-Steuer-Befreiung, u. U. kostenloser Fahrdienst bei Krankenfahrten
Schwerbehinderte Menschen mit außergewçhnlicher Gehbehinderung sind Personen, „die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen kçnnen“. Bei Lungenleiden zustehend ab Lungenfunktionsbeeintrchtigung, die fr sich einen GdB von 80 bedingt.
RF
gesundheitliche Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht Ausgleich: Befreiung von Rundfunkgebhren, Sozialtarif der Dt. Telekom frs Telefonieren
Bei Sehbehinderten mit GdB von wenigstens 60. Bei Hçrgeschdigten mit GdB von wenigstens 50. Bei Behinderten mit GdB von wenigstens 80: a) mit schweren Bewegungsstçrungen (auch infolge innerer Leiden), die auf Dauer selbst mithilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z. B. Rollstuhl) çffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen kçnnen, b) mit Behinderungen, die auf ihre Umgebung unzumutbar abstoßend oder stçrend wirken (z. B. durch Entstellung, Geruchsbelstigung, hufige hirnorganische Anflle, grobe unwillkrliche Gliedmaßenbewegungen), Fortsetzung nächste Seite
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Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung Tabelle 2.12 Kürzel
Nachteilsausgleiche bzw. „Merkzeichen (MZ)“.
Bezeichnung des Nachteilsausgleiches und Arten des Ausgleichs
(Fortsetzung)
Beschreibung der medizinischen und rechtlichen Voraussetzungen c) nach Organtransplantation, wenn lnger als 6 Monate in hoher Dosierung immunsuppressiv behandelt werden muss und deshalb Meidung von Menschenansammlungen auferlegt wurde sowie d) bei geistig oder seelisch behinderten Menschen, bei denen Stçrung durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten zu befrchten ist. Bei Lungenleiden sind die Voraussetzungen individuell zu prüfen. Zuerkennung kann infrage kommen a) bei schwersten Lungenfunktionsbeeintrchtigungen sowie bei mehr als 6-monatiger ansteckungsfhiger Lungentuberkulose, b) bei Patienten mit „lauten Atemgeruschen“, wie sie bei Asthmaanfllen und nach Tracheotomie vorkommen können, c) bei Zustand nach Lungentransplantation, – unter den o. g. nheren Bedingungen und d) bei dauerhaftem und erheblichem Stçrpotenzial, z. B. durch unkontrollierbare hufige Hustenanflle, wie sie bei Kehlkopflosen vorkommen können. Als „hilflos“ – im SER und im SchwbR – ist derjenige anzusehen, „ der infolge von Gesundheitsstçrungen fr eine Reihe von hufig und regelmßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persçnlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf“ (AP). Der Umfang der Hilfe – auch berwachung, Anleitung und „stndige Bereitschaft“ bei hufig und plçtzlich drohender Lebensgefahr gelten als Formen der Hilfe – muss „erheblich“ sein, was dann der Fall ist, „wenn Hilfe dauernd fr zahlreiche Verrichtungen … bençtigt wird.“ Fr eine Reihe schwerer Behinderungen (fi AP) wird Hilflosigkeit ohne nhere Prfung angenommen (z. B. Blindheit, Querschnittslhmung, dauerndes Krankenlager).
H
Hilflosigkeit (§ 145 SGB IX, §§ 33 a und b EstG) Ausgleich: Ganz hnlich wie beim Mz „aG“, ferner hçhere Pausch-Freibetrge bei der Lohn- und Einkommenssteuer, Pflegezulagen im SER
Bl
Blindheit Ausgleich: Parkerleichterungen, Befreiung von Rundfunkgebhren, hçhere Pauschbetrge, Sonstiges (Blindengeld)
Blindheit liegt vor, wenn die Sehschrfe auf keinem Auge und bei beidugiger Prfung mehr als 1/50 betrgt, ferner bei gleichzusetzenden anderen Sehschden (Gesichtsfeldeinschrnkungen).
Gl
Gehörlosigkeit Ausgleich: hnlich wie bei „G“ und „RF“
„Gehçrlos“ sind Personen, bei denen Taubheit bds. vorliegt, aber auch Hçrbehinderte mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhçrigkeit bds., wenn daneben schwere Sprachstçrungen vorliegen. Das sind i. d. R. Hçrbehinderte, bei denen die an Taubheit grenzende Schwerhçrigkeit angeboren oder in der Kindheit erworben worden ist.
1. Kl
Benutzung der 1. Wagenklasse mit einem Fahrausweis fr die 2. Klasse
Voraussetzungen: GdB wenigstens 70, nur fr Leistungsempfnger nach BVG und BEG. Immer Kriegsblinde, kriegsbeschdigte Ohnhnder und Querschnittsgelhmte, Empfnger von Pflegezulagestufe IV und hçher sowie nach individueller Prfung.
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3
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
Im Gutachten müssen berichtende Teile von bewertenden Teilen abgegrenzt werden. Die gutachterliche Beurteilung muss stets das Ergebnis einer gesamtheitlichen Wertung sein. Diese basiert auf der Krankheitsvorgeschichte, dem klinischen Befund und technischen Untersuchungsergebnissen.
3.1 Anamnese R. F. Kroidl und D. Nowak
Praxis Grundlage Anamnese Der hohe Stellenwert der Anamnese ist unstrittig, dennoch leidet sie nicht selten „Mangel“. Bei Folgegutachten wird sie als „bekannt“ oder als „aktenkundig“ vorausgesetzt, was hinsichtlich der sachlichen Richtigkeit stimmen kann aber nicht stimmen muss! Die Kunst und das Gespür zur Anamnese kollidiert oft mit den realen Gegebenheiten des Alltags und dessen Zeittakt (s. Fallbeispiele). Diesem abzuhelfen wurden Fragebögen entwickelt, die sich aber nur teilweise in der Praxis bewährt haben. Allergiefragebögen (z. B. nach Schultze-Werninghaus) haben sich empirisch bewährt, Fragebögen zu Umwelteinflüssen u. ä. konnten sich wegen zu großer Breite weniger durchsetzen. Eine ausführliche Anleitung zur Erhebung einer qualifizierten standardisierten Arbeitsanamnese findet sich im Handbuch der Arbeitsmedizin bei Müller (2007).
Neben der aktuell erhobenen Anamnese muss auch die lebensbegleitende Berufs- und Sozialanamnese erhoben werden. Frühere Aufzeichnungen (Befundberichte, Atteste, Vorgutachten) sind hierbei heranzuziehen. Hier hat die Dokumentation des Hausarztes besonderes Gewicht. Daten zur Arbeitsanamnese erhalten erst durch die Schilderung des Betroffenen selbst, durch betriebsärztliche Mitteilungen und Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes des Unfallversicherungsträgers (Arbeitsplatzanalysen) ihre für die Beurteilung notwendige Prägnanz. Im BK-Feststellungsverfahren ist der Bericht des TAD eine wesentliche Grundlage des Gutachtens. Fehlt er, ist er lückenhaft oder aus gutachterlicher Sicht nicht plausibel, muss vor der Abgabe des Gutachtens erneut von der BG Stellung genommen, teilweise noch weiter ermittelt werden. Konkurrierende pathogene Einflüsse (sonstige Leiden, Hobbys, Rauchgewohnheiten, soziales Umfeld) müssen erfragt werden. Das vorgetragene Beschwerdebild sollte – trotz unvermeidbarer Subjektivität – zeitlich abgestuft, möglichst quantitativ dargestellt werden (z. B. Belastungsfähigkeit bei gängigen täglichen körperlichen Anforderungen). Ärztliche Vordiagnosen sind wichtig, aber in keiner Weise sakrosankt. Ein „Ehrfurchtrabatt“ ist auch gegenüber namhaften Vorgutachtern nicht angezeigt. („Wir irren allzumal doch jeder irrt auf seine Weise“ Zitat Georg Christoph Lichtenberg [1742 – 1799]).
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
Anamnese – 2 Fallbeispiele Praxis Beispiel 1: Ein 58-jähriger Mann kommt im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zum Rentengutachten. Die sehr umfangreiche Akte beschreibt den Zustand einer Sarkoidose mit zunehmender Fibrosierung und respiratorischer Globalinsuffizienz. „Hochrangige“ Institutionen (Universitäts-Kliniken u. a.) waren bei der Diagnosefindung beteiligt. Eigentlich schien alles sehr einfach: Die jetzt evidente Globalinsuffizienz ließ keinen Zweifel an der vollen Erwerbsunfähigkeit aufkommen. (Ein „schnelles Gutachten“ … trotz dicker Akte!). Die Anamnese deckte jedoch – und erstmals – den einfachen Tatbestand auf, dass der zu Begutachtende zeitlebens Taubenzüchter war. Weitergehende Untersuchungen (Serologie, BAL) bestätigen die „neue“ Diagnose „Exogen-allergische Alveolitis“ und die sich daraus noch ergebende Therapiemöglichkeit der Allergenkarenz. Der Anspruch einer vollständigen (!) Anamnese versus dem Konzentrieren auf die aktuellen und relevanten Aspekte ist aus der täglichen Praxis bekannt. Man muss oft einen pragmatischen Mittelweg gehen.
Praxis Beispiel 2: Ein 35-jähriger Mann mit schwerer obstruktiver Atemwegserkrankung erscheint zur Begutachtung. Die spezielle Anamnese kann zügig erhoben werden. Soll nun die allgemeine Anamnese in allen Details noch abgefragt werden? Die Entscheidung fällt für ein „kurzes Screening“ mit Abfrage aller Organsysteme („Review of systems“). … hatten Sie schon einmal ein urologisches Problem? … Nein …, halt doch! Vor kurzem war ich beim Urologen, weil meine Frau und ich kinderlos geblieben sind. Dem Gutachter geht ein Licht auf: Kinderlosigkeit? Husten und schwere COPD? Funktion der Zilien an den Spermien und auf der Respirationsschleimhaut… fi Ziliare Dysfunktion!
Die aktuelle medikamentöse Therapie muss genauestens und nachvollziehbar dokumentiert werden: Art der Therapie, Zeitangabe der letzten Einnahme vor der Untersuchung. Eine Medikamentenkarenz kann manchmal – insbesondere bei Erstbegutachtung – wünschenswert sein. Bei unverzichtbarer Therapie sind bei Allergietests z. B. „positive“ Reaktionen beweiskräftig, „negative“ Resultate lassen jedoch den sicheren Ausschluss einer Sensibilisierung nicht zu. Andererseits kann zur Leistungsbeurteilung eine bestmögliche laufende Therapie sinnvoll oder gar unerlässlich sein.
3.2 Physikalischer Befund R. F. Kroidl und D. Nowak
Eine vollständige körperliche Untersuchung ist immer erforderlich (s. Fallbeispiel), schon um Begleiterkrankungen und „Unerwartetes“ zu erfassen. Fachspezifisch für die pneumologischen Fragen sei besonders auf Folgendes geachtet: • allgemeines Erscheinungsbild und Gesprächseindruck • Hautkolorit, Hautturgor • Dyspnoe und Husten während der Untersuchung • Atemfrequenz • Trommelschlegelfinger, Uhrglasnägel • Raucherfinger, „Arbeiterhände“ • Thoraxkonfiguration, -deformierungen, -narben • besondere Auskultationsphänomene wie Knisterrasseln und trockene RG (Giemen, Brummen), verlängertes Exspirium, inspiratorischer Stridor Auch das Fehlen solcher Befunde ist zu dokumentieren. Körpergröße und Gewicht sind stets zu messen, nicht zu schätzen.
Praxis Klinische Untersuchung – Fallbeispiel Ein 67-jähriger Mann erscheint wegen eines im Röntgenbild entdeckten Rundherdes in Projektion auf das rechte Unterfeld. Bei früherer Werfttätigkeit (Asbestexposition) sind Sorgen und weiteres Vorgehen bereits gedanklich vorgebahnt fi tCT, Thoraxchirurgie, zuvor Bestimmung der Operabilität.
Technische Untersuchungen Er wird „dennoch“ gebeten, das Hemd auszuziehen. Da findet sich ein Fibroma pendulans am Rücken als überraschender und erfreulicher Grund der Röntgenverschattung.
3.3 Technische Untersuchungen R. F. Kroidl und D. Nowak
Die Zumutbarkeit und die davon abhängige Mitwirkungspflicht des Versicherten sind bei den einzelnen Untersuchungsverfahren different zu sehen. Gegen den Willen eines Patienten darf selbstverständlich keinerlei Untersuchung irgendeiner Art vorgenommen werden. Als „mitwirkungspflichtig“ werden Untersuchungen bezeichnet, deren Durchführung in aller Regel für den Versicherten keine Gefährdung beinhaltet, aus deren Verweigerung jedoch Nachteile für die Sachaufklärung und Beurteilung entstehen können. Hierauf wird im Einzelnen einzugehen sein. Der Umfang der technischen Untersuchungen richtet sich nach der gutachtlichen Fragestellung. Häufig wird ein beschränktes Programm ausreichen. Bei Differenzierung gegen schädigungsunabhängige andere Krankheitsursachen ist nach pflichtgemäßem Ermessen der Untersuchungsrahmen zu wählen. Das schließt für den Gutachter eine Beschränkung auf das Notwendige ein.
Labordaten Als Basis können BSG oder CRP, Blutbild und Differenzialblutbild, Glukose, Kreatinin und g-GT sowie die Urinuntersuchung durchgeführt werden. Spezielle Fragestellungen erfordern ein erweitertes Programm z. B.: • Bestimmung von Stickoxid (NO) in der Exspirationsluft (FeNO) • immunologische Untersuchungen (Immunglobuline, a1-Antitrypsin) • Interferon-g Release Assay (IGRA) • allergologische Untersuchungen (RAST, Präzipitine; s. Abschnitt Allergiediagnostik) • Sputumuntersuchungen (bakteriologisch, zytologisch) etc.
Allergiediagnostik Auf der Basis der speziellen Allergieanamnese werden folgende technische Untersuchungen im Sinne einer Stufendiagnostik durchzuführen sein: 1. Hautproben (Pricktests, in Einzelfällen auch Intrakutan- und Reib-Tests). 2. Serologie (RAST bzw. IgE-ELISA, Präcipitinnachweis/Typ-III-Serologie). 3. Provokationstests (nasal, bronchial, ggf. konjunktival, oral). Von grundsätzlicher Bedeutung ist hierbei die Betrachtung wechselseitiger 1. Einflüsse von Anlage und Umwelt sowie die 2. Bewertung spezifischer und unspezifischer Hyperreagibilität und die kritische Sichtung eigener Testergebnisse. Bezüglich des technischen Ablaufes sei auf die entsprechenden Empfehlungen der Fachgesellschaften verwiesen.
Mitwirkungspflicht bei gutachterlicher Fragestellung Hauttests (Prick-, Reib-, i. c.-Tests) und/oder serologische Untersuchungen sind zumutbar (bis auf seltene begründete Ausnahmen bei der Hauttestung). Organprovokationstests sind (unter Berücksichtigung der Kontraindikation) wünschenswert, in Einzelfällen für die Beweisführung unerlässlich. Bei hochpotenten Allergenen, bei anamnestisch belegter hoher Empfindlichkeit sind die Kontraindikationen besonders zu beachten. Organprovokationstests bedürfen stets einer ausführlichen und dokumentierten Aufklärung.
Hauttests Verwendung von Extrakten zur Allergietestung Bei Begutachtungen stellt sich nicht selten die Aufgabe, neben den kommerziell angebotenen Extrakten auch mit nativen Berufsallergenen zu testen, zumal kommerzielle Testextrakte mitunter eine eher geringe Sensitivität bzw. Spezifität aufweisen (z. B. sind Mehlextrakte kommerziell unter Umständen wenig sensitiv, die Testung mit nativem Mehl liefert zusätzliche Informationen).
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung Tabelle 3.1 Vor- und Nachteile von kommerziellen und nativen Allergenextrakten. Kommerzielle Extrakte Vorteile l In großer Zahl und mit geprfter (meist guter) Qualitt erhltlich l Mittels Dialyse/Diafiltration von niedermolekularen Stoffen (Irritanzien, z. B. Histamin) befreit l Testsicherheit ist anzunehmen Nachteile l Nicht fr alle infrage kommenden (Arbeits-) Stoffe verfgbar l Unsicher, ob fr konkrete Situation reprsentativ (z. B. Schimmelpilze) l Sensitivitt und/oder Spezifitt unter Umstnden nicht ausreichend (z. B. Mehlextrakte)
Native Extrakte (aus dem Arbeitsumfeld stammend) l l
l
l
l l
Herstellung eigener nativer Extrakte zur Allergietestung Beispiel: Allergietests mit Hölzern (Hinweis von Prof. Dr. B. Hausen, Buxtehude) • Holz mit Raspel zu Holzstaub verarbeiten (kein Schleifen, da Hitze Allergen-Struktur zerstört). • Diesen „Staub“ über Nacht in Wasser extrahieren. • Jetzt hat man einen Stammextrakt. • Diesen Extrakt dann i. S. einer Hauttitration verwenden. • 1 : 100/1 : 10/1 : 2/1 : 1/unverdünnt.
Praxis Herstellung eines Testextraktes für die Praxis (zum Sofortgebrauch) • Zerkleinertes Material wird über Nacht in 0,9% NaCl gegeben (Mengenverhältnis 1 : 10, bei sehr saugfähigen Material 1 : 20 und mehr). • Hieraus entsteht der Stammextrakt. • Dieser wird verdünnt. Bei hohem potenziellem Risiko 1 : 1000 (0,1%), meist 1 : 100 (1%) und 1 : 10 (10%). • Extrakt wird gefiltert. Bei denkbarer bakterieller Kontamination (z. B. Hausstaub, Staub aus Schweinestall) mit dem Sterilfilter (vom Apotheker). Testung mit diesem Extrakt: Zunächst „Selbstversuch“, als Kontrollperson und um Verträglichkeit zu überprüfen. Bei selbst gefertigten Testextrakten mehrere Kontrollpersonen mittesten.
Stete Verfgbarkeit, meist kostenfrei Reprsentiert die konkrete Arbeitssituation
Auch wenn allergene Potenz vermutet wird, so ist dies nicht immer gesichert Kçnnen unspezifische Irritanzien enthalten (z. B. Endotoxin, Histamin u. a.). Beispiel: Reibtest mit Tomate … Die Quaddel kommt vom Histamin Testsicherheit ist nicht immer gegeben Kontrollpersonen mssen als Referenzgruppe mitgetestet werden
Bei speziellen Fragestellungen hat es sich bewährt, Kontakt mit „seinem“ Allergen-Lieferanten aufzunehmen und dort die Herstellung von Sonderextrakten – auf den konkreten Fall zugeschnitten – zu erbitten.
Testmethode – Hauttests Bei der Testung mit Arbeitsstoffen (native Allergenextrakte) empfiehlt sich ein strukturiertes Vorgehen, welches sich zum einen auf die Testsicherheit, zum anderen auf die (vielfach unzureichend bekannte) Spezifität des Extraktes bezieht. Meist wird zunächst ein Reibtest, dann in der Regel ein Pricktest (als „Prick zu Prick“) mit den fraglichen Berufsallergenen durchgeführt (Scratchtests werden jetzt überwiegend nicht mehr empfohlen). Der Reibtest wird seit vielen Jahrzehnten in der Allergologie angewendet (niedrige Sensitivität, hohe Spezifität). Ein positiver Reibtest kann bei Begutachtungen aber auch zu falsch positiven Ergebnissen führen, siehe Beispiel!
Technische Untersuchungen
i.c.-Test
Prick-Test
Reib-Test
Sensitivität und Test-Risiko
Spezifität und Test-Sicherheit
Abb. 3.1 „Hierarchie“ der Hautteste. Der sehr sichere und spezifische Reibtest ist wenig sensitiv (hufig falsch negative Ergebnisse). Der sehr sensitive i. c.-Test beinhaltet unter Umstnden ein Testrisiko und geringe Spezifitt (hufig falsch positive Befunde). Der Pricktest liegt „in der Mitte“.
Praxis Beispiel: Eine Landwirtin kommt zur Begutachtung. Fragestellung: Liegt ein Berufsasthma bei Rinderhaarallergie vor? Diskrepanz Hauttests und In-vitro-Untersuchung: • Reibtest mit ausgekämmten Rinderhaaren massiv positiv, hingegen kein Nachweis von IgE-Antikörpern bei der Versicherten. Erklärung: Diese Testmaterialien (Rinderhaare) enthalten vielfältige Inhaltsstoffe und unspezifische Irritanzien, sicher auch Endotoxine, falsch positiver Befund anzunehmen. • Testung mit nativen Arbeitsmitteln sind hilfreich, müssen jedoch kritisch bewertet werden.
Epikutantests: Epikutantests sollen bei pneumologischer Fragestellung nur bei Verdacht auf Atemwegserkrankungen vom Soforttyp durch niedermolekulare Substanzen mit Ablesung nach 20 min und ggf. 24 h als modifizierte Variante durchgeführt werden. Hierzu sind die Empfehlungen der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft zu beachten (Schnuch und Martin 1997, Schnuch et al. 2001).
Serologie (RAST bzw. IgE-ELISA, Prcipitinnachweis/Typ-III-Serologie) Serologische Untersuchungen sind vielfach sehr hilfreich, mitunter unverzichtbar. Es gilt, sie mit Sachkenntnis und kritischen Bewusstsein auszuwählen und zu bewerten. Hierzu einige kritische Anmerkungen, die der Gutachterpraxis entstammen: • Eine große Zahl von Herstellern bietet RASTund/oder ELISA-Bestimmungen an. Laborpraxen bieten in ihrem Leistungskatalog etwa 450 Einzel- und 40 Gruppenallergene an. Es scheint, man könne die Erkenntnis aus dem Vollen schöpfen! • Auch für die Herstellung valider In-vitro-Extrakte gilt, dass sie an einem hinreichend großen Pool sensibilisierter Patienten überprüft werden müssen. Man kann zweifeln, ob dies bei solchen Exoten-Allergenen (Beispiel: Sudanfliege, Hölzer) durchgeführt wurde und durchgeführt werden kann. • Es ist leicht möglich, eine chemische Substanz an eine Papierscheibe zu koppeln und dann in ein Testsystem (RAST/ELISA) einzubringen. Damit wird aber vielfach weder eine spezifische Sensibilisierung nachgewiesen noch hinreichend sicher ausgeschlossen (s. Beispiel in Abb. 3.2).
CAP-Allergiediagnostik Untersuchungsergebnis: c96 Ambroxol c57 TMP (Trimethoprim) c58 SMZ (Sulfamethoxazol) c61 Erythromycin c55 Cephalosporin c59 Tetracyclin c1 Penicilloyl G c2 Penicilloyl V RAST-Allergiediagnostik
0 0 0 0 0 0 0 0
Abb. 3.2 Negativ-Beispiel aus einem Gutachten: Versicherter mit obstruktiver Atemwegserkrankung, BK 4302 wird erwogen. In der Anamnese wurden Unvertrglichkeiten gegenber Medikamenten berichtet. Diese Untersuchung ist medizinisch sinnlos, da sie einen Kausalzusammenhang weder ein- noch ausschließt. Typ-IAllergien sind allenfalls auf Penicillin, nicht aber auf die weiteren Substanzen bekannt.
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
Provokationstests (nasal, bronchial, ggf. oral, konjunktival) In der Begutachtung nimmt die Diskussion zu organbezogenen Provokationstests einen besonderen Raum ein. Deshalb seien im Folgenden einige Stichpunkte zum Berufsasthma und zur Methodik unter gutachterlichen Gesichtspunkten zusammenfassend aufgeführt.
Solche Tests dienen zum Aktualitätsnachweis von verdächtigen Allergenen/Auslösern. Hierfür sind durch Arbeitsgruppen der wissenschaftlichen Gesellschaften (DGP, DGAIF) Empfehlungen vorbereitet, diskutiert und teilweise bereits publiziert worden. Bronchiale Provokationstests werden diesen Empfehlungen zufolge als nicht generell duldungspflichtig angesehen. Es ist wichtig, die Probanden ausführlich zu beraten und ein schriftliches, informiertes Einverständnis einzuholen (s. Abb. 3.3).
Praxis Die Leitlinie „Arbeitsplatzbezogener Inhalationstest“ (AIT) der Arbeitsgruppe „Gefährdungen und Erkrankungen der Lunge und der Atemwege“ der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (ASU 2005; 40: 260 – 267) beinhaltet die für eine arbeitsplatzsimulierende Inhalationstestung relevanten Informationen: • Indikationen • Kontraindikationen • Voraussetzungen – beim Patienten – Arbeitsstoffe/Allergene Durchführung • – ambulant/stationär – Untersuchungsgang – personelle und technische Voraussetzungen – Messung der Lungenfunktionsparameter und anderer Parameter – Sicherheitsmaßnahmen – Abbruchkriterien – Nachbeobachtung • Interpretation der Untersuchungsergebnisse – Kriterien einer positiven Reaktion – Bewertung – Komplikationen • Diagnostische Grenzen des AIT Die Datei ist auch als Leitlinie aus dem Internet abrufbar: www.uni-duesseldorf.de/awmf/ll/ 002-026.htm Organbezogene Provokationstests werden in der Pneumologie • an der Nase (nasaler Provokationstest, NPT) oder • am Bronchialsystem (bronchialer Provokationstest, BPT) durchgeführt.
Testung mit allergenen Stuben (meist Mehlstaub, unter Umstnden auch Holzstaub) In der Praxis des Gutachters besteht häufig die Anforderung, mit nativen Allergenen (s. oben) bzw. Arbeitsstoffen im Sinne nachgestellter Bedingungen des Arbeitsplatzes Provokationen durchzuführen. Hierzu einige allgemeine Anmerkungen und Hinweise. Die Sensitivität kommerzieller Testextrakte aus Mehlsorten ist nicht befriedigend; falsch negative Provokationen sind anzutreffen (s. oben). Vielfach werden in Kliniken deshalb „Mehlkammern“ bereitgehalten, in denen Mehl aufgewirbelt werden kann. In der Praxis hat sich seit 20 Jahren auch die sogenannte Spinhaler-Methode (Pulverkapselinhalator-Methode) bewährt. („Ja/Nein-Antwort“, keine Dosis-Wirkungs-Beziehung). Die Diskussion zu diesem methodischen Vorgehen ist nicht abgeschlossen (s. Kasten AIT). Bei der Pulverkapselinhalator-Methode bringt der Proband frisches Mehl vom Arbeitsplatz mit.
Praxis Testung mit allergenen Stuben • Durchführung der Provokation im einfachen Blindversuch • Als Placebo dient Milchzucker (Laktose) • Pulver (z. B. Mehl) wird in Gelatinekapsel (Apotheke) gegeben • Inhalationen für BPT mit Pulverkapselinhalator, Inhalationen für NPT mit Nasen-Insufflator Sonstiges Vorgehen in Anlehnung an die Empfehlungen für den BPT.
Technische Untersuchungen Abb. 3.3 Muster eines
Einverständniserklärung
Einverstndnisformulars.
Zur Klärung der Ursache Ihrer Erkrankung ist ein inhalativer Einatmungstest nötig, der den speziellen Verhältnissen an Ihrem Arbeitsplatz bzw. in Ihrer Umwelt entspricht. Aufgrund Ihrer Vorbefunde bestehen ärztlicherseits gegen die vorgesehene Testung keine Bedenken. Die Untersuchung wird in einem separaten Raum unter ärztlicher Beobachtung durchgeführt. Während und nach der Provokationstestung werden Lungenfunktionsuntersuchungen durchgeführt. Während sowie nach Exposition gegenüber können – ebenso wie am Arbeitsplatz oder unter Umweltbedingungen – vorübergehend Reizungen der Bindehaut, der Schleimhäute des Atmungstraktes, Husten, Beklemmungsgefühle im Brustkorb und Atemnot auftreten. Schwere Nebenwirkungen wie Asthmaanfälle und Beeinträchtigungen des Kreislaufs sind außerordentlich selten. Folgende Fragen wurden vom Patienten gestellt und vom aufklärenden Arzt beantwortet:
Weitere Fragen habe ich nicht. Hiermit willige ich in die oben genannte Untersuchung ein.
Datum, Unterschrift des Patienten
Datum, Unterschrift des Arztes
Tabelle 3.2 Ablauf eines bronchialen Provokationstests (BPT) im Zeitlauf (Beispiel aus der Praxis der Autoren). Kontrolltag Zweck: Ausgangslage („base line“) bestimmen. Medikamente reduzieren. Ggf. unspez. Reizschwelle ermitteln (Histamin- oder Methacholin-Provokation). FEV1-/PEF-Werte im Tagesablauf bestimmen.
Tag der Provokation 9.00
11.00
13.00 bis 17.00
Inhalation mit Lçsungsmittel (NaCl) Lufu (auch Body) (Man beginnt zweckmßigerweise erst um 9.00, da am frhen Morgen oft spontane Sekretolyse und Besserung der Obstruktion zu verzeichnen. Beachte: stets etwa gleiche Uhrzeit einhalten.) anschließend: stufenweise Applikation des Allergens, entsprechend Klinik und Reaktionsausfall Ende der ersten Testserie. Lufu (auch Body) (Broncholyse nur wenn klinisch erforderlich, da ansonsten evtl. verzçgerte Reaktion verdeckt.) Sptmessungen (Lufu, auch Body) Deutet sich eine verzçgerte Reaktion an, a) Bronchospasmolyse, ggf. 50 mg Prednisolon oder b) stationre Beobachtung, stndlich weiter FEV1, zumindest PEF
Folgetag Kontaktaufnahme (ggf. auch telefonisch). Patient berichtet ber Verlauf nach der BPT und teilt huslich gemessene LufuWerte mit (Peakflow-PEF oder elektronisches Spirometer).
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung Testung mit weiteren, meist nicht allergenen Arbeitsstoffen (Stäube, Gase, Dämpfe): Solche Anforderungen ergeben sich in der pneumologischallergologischen Praxis häufig. Bezüglich des Vorgehens bei solch „Arbeitsplatz-imitierenden“ Provokationen sei auf die Literatur verwiesen.
Hinweis der DGAUM Allergenexposition als Pulver-Einzeldosis: Der arbeitsplatzbezogene Inhalationstest soll die Situation am Arbeitsplatz möglichst realitätsnah wiedergeben. Die Allergengabe, z. B. mit einer Applikationshilfe zur Verabreichung von Pulver-Einzeldosen, entspricht nicht dieser Vorgabe, da hierbei innerhalb sehr kurzer Zeit eine große Menge, auch grobkörniger Staubbestandteile, auf die Atemwege trifft. Eine weitere Validierung dieser Applikationsform ist erforderlich. (Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V. [DGAUM] Leitlinien Arbeitsplatzbezogener Inhalationstest [AIT], ASU 2005; 40: 260 – 267)
Bronchiale Provokationstests mit (Typ-III-)Allergenen Die Arbeitsgruppe EAA (exogen-allergische Alveolitis) gibt Empfehlungen zur inhalativen Provokation bei exogen-allergischer Alveolitis. Es hat sich ein Provokationsschema entsprechend Tab. 3.3 bewährt (s. auch Kap. 4.3.).
Einflsse bei Allergietests im Wechselspiel Anlage und Umwelt Faktoren seitens des Organismus (Dispositionsfaktoren)
•
•
Atopie: Risikofaktor für Berufsasthma durch hochmolekulare Arbeitsstoffe. Kein – oder allenfalls geringer – Risikofaktor für Asthma durch niedermolekulare Arbeitsstoffe. Rauchen: Rauchen ist für Asthma kaum ein Risikofaktor. Bei Berufsasthma ist Rauchen für Arbeiter in der Platinindustrie als Risikofaktor jedoch eindeutig belegt, für andere Arbeitsplätze heterogene Daten, vermutlich insgesamt nicht besonders relevant (die Diskussion hierzu ist noch offen).
•
Bronchiale Hyperreagibilitt (BHR): Eine Korrelation zwischen bestehender BHR und positiver Provokation nach Allergenexposition wird vermutet (klinische Erfahrungen), für die Praxis aussagekräftige Studienergebnisse liegen aber hierzu nicht vor.
Umweltfaktoren Atemwegsensibilisierend wirkende Arbeitsstoffe (BK 4301): • hochmolekulare Stoffe (Voll-Antigene, z. B. Mehl, Allergene von Tieren u. a.), • niedermolekulare Antigene (Haptene, durch Konjugation an Protein fi Voll-Antigene, z. B. Trimellitsäureanhydrid, Platinsalze). Allergennachweis in der Regel möglich, bei Provokation Dosis-Wirkungsbeziehung und Zeit-Wirkungsbeziehung (Sofortreaktion, Spätreaktion, duale Reaktion) von Interesse. An den Atemwegen chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Arbeitsstoffe (BK 4302): • Nicht immunologisch bedingte funktionelle, teils auch morphologische Veränderungen. Allergennachweis gelingt nicht. • Einige Substanzen können jedoch allergene wie auch irritative Wirkung entfalten (z. B. Isocyanate ca. 20% allergene, 80% nicht allergene Mechanismen, BK 1315).
Abgrenzung spezifischer von unspezifischer Hyperreagibilitt. Kritische Sichtung eigener Testergebnisse Eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilitt (BHR) wird in Querschnittsstudien regelhaft bei ‡ 15% der Bevölkerung festgestellt. Als temporäres begleitendes Ereignis ist eine BHR im Rahmen verschiedener Erkrankungen bekannt. Dies muss als „Ausgangslage“ beachtet werden. • Bei löslichen Allergenen oder Stäuben inhalative Vortestung mit dem Trägermittel bzw. mit inertem Staub (z. B. Milchpulver). • Testung mit pharmakodynamischen Substanzen (meist Methacholin) zur kumulativen Bestimmung der unspezifischen Überempfindlichkeit der Atemwege, Risikoabschätzung bei Allergenprovokation.
Technische Untersuchungen Tabelle 3.3 Untersuchungsprotokoll: Inhalative Provokation bei Verdacht auf exogen-allergische Alveolitis.* Provokation mit: Beginn der Provokation am Tag 2, 8.00 Uhr Pat.-Name: Geburtsdatum: Station: Datum: Parameter
Tag 1 Leermessung
Tag 2 (Provokation) Zeitpunkt der Messung 8.00 11.00 15.00 19.00
Tag 3 Sptmessung
stndlich 8.00 – 22.00
7.00
Symptome (Husten, Dyspnoe, Schttelfrost, Gliederschmerzen) Auskultation (Rasselgerusche) Kçrpertemperatur (8C)
3
BSG (mm n. W.) Blutbild l
Gesamt-Leukozyten ( 109/l)
l
% Stabkernige
l
% Segmentkernige
Röntgen – Thorax p. a. Lungenfunktion l
Vitalkapazitt (l)
l
Atemstoß (l)
l
intrathorak. Gasvolumen (l)
l
Atemwegswiderstand (cmH2O/l/s)
l
Diffusionskapazitt (ml/s/T)
Blutgase l
PaO2, Ruhe (mmHg)
l
PaO2, Belastung (mmHg)
l
Peak-flow-Protokoll
Bronchoalveoläre Lavage (fakultativ) l
Gesamtzellzahl ( 105)
l
Makrophagen, %
l
Lymphozyten, %
l
Neutrophile, %
l
Eosinophile, %
Bewertung: Kriterien: Symptome, Klinik Temperaturanstieg > 1 8C Leukozytenanstieg > 2,5 109/l Linksverschiebung BSG-Anstieg
4
mçglichst innerhalb 1 Woche vor Provokation
Vitalkapazitt fl > 20% Atemstoß fl > 20% Raw-Anstieg > 100% Diffusionskapazitt fl > 15% PaO2-Abfall > 7 Torr (Ruhe oder Belastung) Rçntgen-Thorax: Zunahme der Infiltrate
* Das Schema wurde freundlicherweise von Herrn Prof. Dr. H. Magnussen, Krankenhaus Großhansdorf, Zentrum fr Pneumologie und Thoraxchirurgie, zur Verfgung gestellt
73
74
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
•
Fallstricke bei Organprovokationen (nasal, bronchial)
•
Organprovokationen (z. B. bronchialer Provokationstest [BPT] bei Asthmatikern) werden als „Goldstandard“ der Allergiediagnostik betrachtet. „… der Nachweis einer Sensibilisierung durch Hauttests und/oder In-vitro-Methoden ist nicht in jedem Fall ausreichend, die aktuelle Erkrankung durch das Verdachtsallergen zweifelsfrei nachzuweisen“.
•
Der Proband ist auf Grund seiner Funktionsdaten nicht für eine Provokation geeignet. Es können bestimmte Medikamente (z. B. b2-Mimetika u. a.) nicht abgesetzt werden. Der in der Planung einkalkulierte Zeitraum reicht nicht aus (nach positiver BPT oftmals Karenz für mehrere Tage erforderlich).
Beispiele: nasaler Provokationstest (NPT; Abb. 3.4), bronchialer Provokationstest (BPT; Abb. 3.5).
Im „gelebten Praxisalltag“ kommt es mitunter zu Grenzsituationen, die das Ergebnis solcher Tests unsicher machen. Folgende Ursachen liegen hierbei im Allgemeinen vor:
Abb. 3.4 a, b NPT mit Rhinomanometrie. Der nasale Fluss wird bei einem Referenzdruck bestimmt, als Ausgangswert, nach NaCl und nach Eingabe der Allergen-Lçsung mittels Insufflator.
Fluss (ml/s) 500 400 300 200 100 Druck (Pa) –500 –400 –300 –200 –100
100
200
300
400
500
–100 –200 –300 –400 –500
3 nach Allergen 1 Ausgangswert 2 nach NaCl
a. Positive nasale Provokationstestung mit der Vorratsmilbe Lepidoglyphus destructor bei einem Landwirt. 1. Ausgangswert 2. Nach NaCl 3. nach Allergen → Valides Ergebnis, gute Ausgangslage, eindeutige Test-„Antwort“
Technische Untersuchungen
1 Ausgangswert
2 nach NaCl
3 nach Allergen
b. Gleiches Allergen bei einem Landwirt mit nasaler Symptomatik und eingeschränktem nasalem Fluss als Ausgangsbefund. Keine sichere Testaussage möglich. Ergebnis sollte nicht verwertet werden. Nasaler Fluss: 1. Ausgangswert 2. nach NaCl 3. nach Allergen
Abb. 3.4 b
Arbeitsplatzbezogene Organprovokationen, eine „delikate“ Aufgabe … Praxis Beispiel: Landwirt mit Intensivtierhaltung (Schweine) hat Asthma und vermutet Allergie gegen Schweinekot und Schweineurin. BG wünscht Klärung … wie kann und soll man vorgehen? 1. Lçsungsversuch in der Praxis: Die Provokation (BPT mit kommerziell erhältlichem) Schweineallergen verläuft negativ. Eine Kausalität kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit bestimmt werden (keine BK). Versicherter erhebt Einwand, deshalb wird ein Folgegutachten erstellt. 2. Lçsungsversuch im pneumologisch-arbeitsmedizinischen Zentrum: Es werden in einer geschlossenen Kammer Schweinekot und Schweinegülle aufgewirbelt. Hierbei kann eine Obstruktion ausgelöst werden. Rechtlich wesentliche (Teil-)Ursächlichkeit der Exposition für die Beschwerdesymptomatik ist somit belegt, im konkreten Fall wird die Kausalität bejaht und BK wird somit anerkannt.
Überlegungen zum genannten Praxisbeispiel: • Die Grenzen der objektiven Nachweisbarkeit sind anzuerkennen. Beide Methoden (s. oben) haben Nachteile. • Die zu erwartenden falsch negativen Ergebnisse beim 1. Lösungsversuch haben ihre Entsprechung im möglicherweise „falsch positiven“ Ergebnis des 2. Lösungsversuches (unspezifisches Ergebnis bei unbekannter Expositionshöhe). • Die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, Schweinekot und Schweinegülle inhalieren zu lassen, konnte nicht einvernehmlich entschieden werden. • Die Forderung, bei solchen Provokationen (mit nicht definierten Substanzen) auch ein Kontrollkollektiv von 3 – 5 Normalpersonen zu testen, ist im speziellen Fall von besonderer Brisanz. • Die pathophysiologische Deutung der zweiten (positiven) Provokation ist offen (Endotoxine/ Allergene?). • Das Exponieren mit dem angeschuldigten Arbeitsstoff erlaubte in Synopsis mit Anamnese und Vorbefunden die Bejahung einer BK 4302 aus medizinischer Sicht.
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
14 12 10 8 6 4 2 2 4 6 8 10 12 14
1
2
3
4
5
6
8
7
1 2
a. Junge Bäckereifachverkäuferin mit Asthma. BPT mit nativem Mehl. Klare klinische Reaktion (Asthma); ↓ FEV1 > 20 %, ↑ SRaw > 100 % (Blau vor, Schwarz nach Provokation; außen Hüllkurve)
15 3
Fluss
3
2
2
1
1
0
0
−1
−1
−2
−2
−3
−3
Fluss
10 5 0 1
2
5
3
4
5
6
pO2 58 mmHg pCO2 37 mmHg
10
b. Älterer Landwirt mit COPD und Verschlechterung im Rinderstall. Klinischer Befund und anhaltend hohe Obstruktion ermöglichen keine BPT.
Abb. 3.5 a, b Versuch einer BPT mit Bodyplethysmografie und Spirometrie (Fluss-Volumen-Kurve), bei persistierender schwerer Obstruktion war die geplante Provokation im 2. Fall nicht mçglich.
Lungenfunktionsdiagnostik
•
•
Analoge Überlegungen würden auch bei Provokationen mit Farben und Lösemitteln, aber auch bei Pyrolyseprodukten und anderen Aerosolen gelten. Die Kausalität ist mit dieser Untersuchung nicht gesichert worden, die „positive Provokation“ im pneumologisch-arbeitsmedizinischen Zentrum könnte aber Anlass sein, im Sinne einer Einleitung von § 3-Maßnahmen (Vorbeugung, s. Kap. 2.3 Arbeitsunfall/Berufskrankheit) tätig zu werden.
Generell zutreffende selbstkritische Bemerkungen zu Organprovokationstests In diesen Tests wird versucht, die real gegebenen Bedingungen der Exposition mit Allergenen und/ oder sonstigen Auslösern nachzustellen. Derartige Tests haben sich in der klinisch-allergologischen Diagnostik sehr bewährt. Dennoch gilt stets, im Einzelfall die Methodik kritisch zu hinterfragen. • Trifft das im Test verwendete Allergen (der verwendete Arbeitsstoff) die real gegebenen Bedingungen? • Ist die Konzentration des angebotenen Allergens (Arbeitsstoffes) vergleichbar? Überschlägige Berechnungen ergeben oftmals, dass bei „arbeitsplatzsimulierenden“ Provokationstests mit Stäuben in einer „Mehlkammer“ oder unter einer „Haube“ die tatsächlichen Konzentrationsverhältnisse des Arbeitsstoffes am konkreten Arbeitsplatz um mehrere (bis zu 5!) Zehnerpotenzen überschritten werden, sodass stets die Möglichkeit falsch positiver Befunde bedacht werden muss. Die Vorgaben der Leitlinie „AIT“ (ASU 2005; 40: 260 – 267) sind zu beachten. • Ist die Zeitdauer der Exposition realistisch? • Sind modifizierende Faktoren (Therapie, begleitende Umstände) mit der Realität vergleichbar? Man wird all diese Punkte oft nicht bejahen können. Somit ist auch das Ergebnis der Organprovokation stets nur ein Baustein von mehreren in der diagnostischen Kette.
3.4 Lungenfunktionsdiagnostik R. F. Kroidl und D. Nowak
Anmerkung Diese Monografie behandelt Fragen zur Begutachtung in der Pneumologie, sie will und kann kein Textbuch zur Funktionsdiagnostik einschließlich Spiroergometrie ersetzen. Bei der Abhandlung der Medizinischen Grundlagen für die Begutachtung wäre es daher statthaft, auch an dieser Stelle auf aktuelle und von kenntnisreichen Gremien (u. a. Atemwegsliga) autorisierte Empfehlungen zu verweisen. Leser, die täglich mit pneumologischer Diagnostik zu tun haben, würden vermutlich wenig vermissen. Gutachter aus anderen Fachgebieten, die nicht stets alle Details der Methodik zur Funktionsanalyse parat haben, müssten jedoch nach weiteren Quellen suchen und sich dort ggf. einarbeiten. Daher wird hier der Mittelweg gewählt. Die Grundzüge der pneumologischen Funktionsdiagnostik werden in einer Auswahl und in gebotener Kürze dargestellt und es wird zugleich auf gutachterlich relevante Besonderheiten und auf die kritische Würdigung der erhobenen Befunde eingegangen. Zur Terminologie und zu den Abkürzungen: Es werden die international gebräuchlichen Termini und Abkürzungen verwendet, z. B. VC statt VK (Vital Capacity statt Vitalkapazität) oder VT statt AZV (Volume tidal statt Atemzugvolumen). Es ergibt sich die folgende Gliederung: 1. Einführung, kritische Wertung und Gewichtung von Funktionsuntersuchungen, Qualitätsmerkmale und Funktionsdaten im individuellen zeitlichen Verlauf. 2. Spirometrie, Broncholyse und unspezifische bronchiale Hyperreagibilität. 3. Sollwerte. 4. Begleitende klinische Beurteilung von Funktionsuntersuchungen (Borg-Skala). Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch (incl. Anmerkungen zur Spiroergometrie) siehe Kapitel 3.5.
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
Auf einige spezielle Untersuchungsmethoden, z. B. Bodyplethysmografie, Bestimmung der Atemarbeit, Funktion der Atempumpe, Diffusionsmessung (DLCO) und Messung der Lungendehnbarkeit (Compliance, Cstat) kann im verfügbaren Raum dieser Monografie nicht detailliert eingegangen werden. Im Literaturteil werden entsprechende aktuelle Empfehlungen angegeben.
Einfhrung, kritische Wertung und Gewichtung von Funktionsuntersuchungen, Qualittsmerkmale, Funktionsdaten im individuellen zeitlichen Verlauf Einfhrung Nur bei wenigen Organen ist die Messung der Funktion derart genau möglich wie bei der Lunge. Einer Abschätzung des Leistungsvermögens sollen deshalb in erster Linie objektivierbare Messwerte zugrunde gelegt werden. Es bestehen unterschiedliche Auffassungen, welche Lungenfunktionsmesswerte am aussagekräftigsten sind. Eine erste Abschätzung ist jedoch mittels Parametern möglich, die bereits mit einer einfachen Ausrüstung zu erheben sind.
Kritische Wertung und Gewichtung von Funktionsuntersuchungen, Qualittsmerkmale Jede Lungenfunktionsdiagnostik kann nur dann aussagekräftig sein, wenn die Art der Durchfhrung und die Kooperation des Probanden einwandfrei sind. Die Weitergabe und das Berichten von Messwerten aus Untersuchungen, welche nicht permanent einer kritischen Kontrolle unterzogen werden, ist unverantwortlich. Entweder wird dem Patienten durch die Unterstellung eines zu guten Leistungsvermögens Unrecht getan oder er wird durch die Annahme eines zu schlechten Leistungsvermögens im System der Sozialversicherungen auf einen oft falschen Weg geschickt. Funktionswerte – als unverzichtbarer Teil pneumologischer Gutachten – müssen transparent (und damit nachvollziehbar) dargestellt werden. Eine verbale Beur-
teilung muss durch Beifügung der Grafiken und einer Auswahl von relevanten Messwerten (in Tabellenform) ergänzt werden, entweder als Kopie oder als EDV-Darstellung. In Fragen der Rentenversicherung, der gesetzlichen Unfallversicherung und der Versorgungsverwaltung sind Lungenfunktionswerte nur verwertbar, wenn die medizinische Situation weitgehend einem Dauerzustand (‡ 26 Wochen) entspricht. Nach überwiegender Auffassung sind hier Messergebnisse auch nur zu berücksichtigen, wenn diese unter einer optimalen Therapie erhoben wurden. Die Bewertung der Messergebnisse verlangt natürlich die Kenntnis der Bedeutung der verschiedenen Parameter bei den jeweiligen Erkrankungen. Z. B. ist auch bei schweren Lungenfibrosen der relative Atemstoßwert (Tiffeneau-Index, FEV1/FVC) oft normal, eine Untersuchung der Blutgase unter Belastung wird hingegen bei einem leichtgradigen Asthma bronchiale wenig zur Einschätzung des Leistungsvermögens beitragen können. Nach älterer Auffassung reichten bereits wenige Parameter für eine Beschreibung des Leistungsvermçgens aus. Es wurde sogar teilweise – nicht von den Autoren – die Meinung vertreten, dass schon eine Spirometrie mit Bestimmung der forcierten Vitalkapazität (FVC) und des Atemstoßwerts (FEV1) eine Einschätzung ermöglicht. Die zusätzliche Bestimmung der Diffusionskapazität (DLCO) gestattet hingegen eine bessere Einstufung. Bei verbleibenden Zweifeln oder z. B. einer Diskrepanz zwischen Beschwerdeklage und Befunden führt dann die Belastungsuntersuchung zu einer definitiven Beurteilung. In den letzten Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die alleinige Betrachtung von Messwerten, die in Ruhe erhoben wurden, keine hinreichende Beschreibung des Leistungsvermögens ergibt. Dies liegt daran, dass kompensierende und dekompensierende Faktoren wirksam werden und z. B. die Ventilation „helfend einspringt“, wenn die Zirkulation oder der Muskelstoffwechsel durch Dekonditionierung Not leiden (siehe Anmerkung zu Abb. 3.6). Die Erfassung von Ruhewerten im pulmonalen und kardialen Bereich ermöglicht keinen sicheren Rückschluss auf das physische Leistungsvermögen! Man täuscht sich in ca. 1⁄ 3 der Fälle in beiden Richtungen (Unter- und Überschätzung)! Siehe Abb. 3.7.
Lungenfunktionsdiagnostik
Abb. 3.6 Zahnradmodell zur Belastbarkeit (frei nach Wasserman K). Die Rder reprsentieren die Ventilation, die Zirkulation und den Stoffwechsel (vor allem im Muskel). Das Modell ist in sofern nicht ganz korrekt, als in vivo die Rder nicht verschrnkt sind und bei vorhandener Limitation kompensierend einspringen (d. h. ein Rad kann „sich schneller drehen“). Beim Gesunden zeigt die Ventilation die grçßten Reserven.
Die Beurteilung des individuellen Lungenfunktionsverlaufs über die Zeit (Jahre) gibt wertvolle Informationen in Hinsicht auf die frühzeitige Erkennung von beginnenden Funktionsstörungen. Ein den normalen Altersgang überschreitender Abfall der FEV1 kann auf eine beginnende obstruktive Lungenkrankheit hinweisen, bevor Atemwegssymptome auftreten und die erhobenen Messwerte unter die Sollgrenzwerte abfallen. Epidemiologische Untersuchungen zeigen bei Gesunden einen FEV1-Abfall von bis zu ca. 30 ml/ Jahr. Um auffällige Veränderungen vom normalen Verlauf statistisch sicher (mit 5% Irrtums-Wahrscheinlichkeit) abgrenzen zu können, sind nach Modellrechnungen FEV1-Abfälle von mindestens 50 ml/Jahr bei jährlichen Messungen in einem 10-Jahresintervall erforderlich. Daher ist ein mehrjähriger Verlust von FEV1 über 50 ml/Jahr als Hinweis für einen beschleunigten FEV1-Abfall anzusehen. Stets ist zu beachten, dass der individuelle Ausgangsbefund (und nicht der in einem großen Kollektiv zutreffende mittlere Sollwert) als Grundlage der Beurteilung dient, siehe folgendes Beispiel.
Praxis Verminderung der VC, ausgehend von einem hohen Ausgangsniveau
Funktionsdaten im individuellen zeitlichen Verlauf (Siehe auch Leitfaden für die Lungenfunktionsprüfung bei arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen nach Berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen. Bearbeitung: Ausschuss Arbeitsmedizin, Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Lungenfunktion“, Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Sankt Augustin Stand März 2007).
Beispiel: Ein Werftarbeiter hat zu Beginn seiner Berufstätigkeit eine große VC (7 Liter = 140% Soll). Jahre später, im Rahmen einer Begutachtung bei Verdacht auf eine Asbestose, wird eine VC „im Normbereich“ von 95% Soll festgestellt: Eine „Schädigung“ läge somit nicht vor. Bei Würdigung des Ausgangsbefundes müsste man zu einer anderen Einschätzung kommen: Es liegt ein signifikanter Abfall der VC vor.
Abb. 3.7 Korrelation Ruhemax VO2, %-vorausgesagt
Herzzeitvolumen [l/min]
versus Belastungswerte. Ruhewerte (z. B. FEV1 oder Ejektionsfraktion in % Soll) zeigen keine brauchbare Korrelation zum Zielwert der Leistung (» O2-Aufnahme) oder des Herzzeitvolumens. (Aus Kroidl, Schwarz, Lehnigk 2006).
FEV1 %-vorausgesagt
Ejektionsfraktion [%]
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung Bei allen Funktionsuntersuchungen ist die aktuelle Therapie zu beachten und zu dokumentieren (s. unten). Für Fragen der Begutachtung sind des Weiteren besonders bedeutsam: • Stets, insbesondere bei Abweichungen von der Norm, ist Mehrfachmessung erforderlich. • Plausibilitätskontrolle der LungenfunktionsZahlenwerte über Formanalyse (z. B. Fluss-Volumen-Kurve, Atemschleife im Ganzkörperplethysmografen, Compliancekurve; s. unten). • Eine Kopie des Lungenfunktionsprotokolls als Anlage zum Gutachten ist unerlässlich. Die Basisuntersuchungen beruhen auf drei einfachen, nachvollziehbaren Prinzipien: • Messung der Kapazitäten (statische Lungenvolumina): VC, ITGV bzw. FRC, TLC • Messung dynamischer Lungenvolumina: FEV1, Fluss-Volumen-Kurve: PEF, MEF50, MEF25 • Messung der Atemwegswiderstände, vorzugsweise Rbody, evtl. Ros, Ru Zusatzuntersuchungen je nach Fragestellung: • Broncholysetest/unspezifische und allergenspezifische bronchiale Provokationstestung, Provokationstests mit Arbeitsstoffen (wenn erforderlich und machbar) • Diffusionskapazität/Transfer-Faktor (z. B. interstitielle Lungenprozesse) • Compliance-Untersuchung als statische Compliance (Cstat) (interstitielle Lungenprozesse) • Blutgasanalyse (BGA) in Ruhe und bei definierter Belastung • ggf. ergänzt durch Spiroergometrie • ggf. Rechtsherzkatheteruntersuchung (nicht mitwirkungspflichtig)
Spirometrie, Broncholyse und unspezifische bronchiale Hyperreagibilitt (BHR) (mit Auszügen aus Crieé P. et al. Pneumologie 2006; 60: 576 – 584)
Definition Unter Spirometrie versteht man die Messung von Lungenvolumina am Mund. Sie kann kontinuierlich zur Messung der Ventilation oder mittels willkürlicher Atemmanöver zur Bestimmung definierter Volumina und Atemstromstärken erfolgen. Die Messungen erfolgten früher mit einem Glockenbzw. Trockenspirometer, heutzutage wird gewöhnlich ein Strömungs- bzw. Volumensensor verwendet. Folgende Fragen kann die Spirometrie beantworten: • Liegt eine Atemwegsobstruktion vor? • Ist eine nachgewiesene Atemwegsobstruktion teilweise oder sogar vollständig reversibel (Reversibilitätstest mit Bronchodilatatoren)? • Liegt eine relevante Verringerung der Lungenvolumina vor? Andere Störungen der Lungenfunktion wie Gasaustausch oder die Funktion der Atempumpe sind nicht oder nur eingeschränkt beantwortbar. So können Patienten mit schwerster Ateminsuffizienz eine normale Spirometrie aufweisen. Mit der Spirometrie wird daher zwar ein sehr wichtiger, aber eben nur ein Teil der gesamten Lungenfunktion erfasst.
Anleitung des Patienten/des Probanden Zur Zumutbarkeit von „großen Lungenfunktionsuntersuchungen“ mit Messung der Compliance und Belastung bei Hochbetagten und Schwerkranken: Bei älteren Probanden (etwa ab 70. Lebensjahr) und solchen im reduzierten Zustand oder bei ersichtlich Schwerkranken muss es erlaubt sein, von einer „großen Lungenfunktion“ abzusehen. Bei gesichertem Lungenkrebs oder bei Mesotheliom ist die Lungenfunktion ohnehin unerheblich für die MdE-Höhe (s. auch Kap. 4.4). Ausnahmen: Spätbeurteilungen bei 5- bis 10-Jahres-Überlebenszeit.
Durchfhrung der Spirometrie
• • • • • •
Ablauf der Untersuchung erklären. Beengende Kleidungsstücke ablegen. Messung im Sitzen durchführen, da sich alle Normalwerte auf die sitzende Position beziehen. Nase mit Nasenklemme luftdicht verschließen. Mundstück vor dem Pneumotachografen zwischen die Zähne nehmen, die Zunge liegt unter dem Mundstück. Nachdem einige Male ruhig ein- bzw. ausgeatmet wurde, wird der Proband aufgefordert, langsam maximal auszuatmen. Danach erfolgt
Lungenfunktionsdiagnostik Tabelle 3.4 Spirometrische Parameter. Parameter
Definition
Symbol
Einheit
inspiratorische Vitalkapazitt
Atemvolumen, welches nach kompletter Exspiration maximal eingeatmet werden kann
IVC (Synonym: VCin)
l
forcierte Vitalkapazitt
Atemvolumen, welches nach kompletter Inspiration forciert maximal ausgeatmet werden kann
FVC
l
forciertes exspiratorisches Volumen in 1 Sekunde, Einsekundenkapazitt
Atemvolumen, welches nach maximaler Inspiration forciert in der ersten Sekunde ausgeatmet werden kann
FEV1
l
relative Einsekundenkapazitt, Tiffeneau-Index
forciertes exspiratorisches Volumen in 1 Sekunde, ausgedrckt in % der inspiratorischen VC
FEV1/IVC*
%
maximaler exspiratorischer Spitzenfluss, „Peak flow“
Spitzenfluss bei maximaler exspiratorischer Anstrengung
PEF
l s–1 **
maximaler exspiratorischer Fluss bei 50% der FVC
maximale Atemstromstrke nach Ausatmung von 50% der FVC
MEF50, Synonym FEF50
l s–1
maximaler exspiratorischer Fluss bei 25% der FVC
maximale Atemstromstrke nach Ausatmung von 75% der FVC
MEF25, Synonym FEF75
l s–1
* im angloamerikanischen Sprachraum wird hufig FVC statt IVC verwendet ** im Peak-Flow-Meter Angabe in l min–1
•
eine zügige maximale Inspiration zur Bestimmung der inspiratorischen Vitalkapazität. An dieses Manöver schließt sich nach einer möglichst geringen Pause (unter 1 s) eine forcierte maximale Exspiration an. Der Patient muss dazu angehalten werden, das minimale bzw. das maximale Lungenvolumen (also erst Residualvolumen [RV], dann die totale Lungenkapazität [TLC] und dann wieder RV) wirklich zu erreichen. Um das RV bei langsamer und vor allem bei forcierter Exspiration möglichst gut zu erreichen, kommt es darauf an, so lange wie möglich auszuatmen, bis ein deutliches Plateau im zeitlichen Volumenverlauf sichtbar wird. Dies fällt vor allem Patienten mit einer obstruktiven Ventilationsstörung schwer.
Bestimmung des Peak-Flow (PEF)
• • • • •
Test erklären und vorführen. PEF-Monitor, falls notwendig, auf Null setzen. Aufrecht stehende Position. Vollständig einatmen; das Einatmen sollte schnell, aber nicht forciert erfolgen. Den PEF-Monitor in den Mund nehmen und Lippen fest um das Mundstück schließen, kei-
•
• • •
nesfalls vor das Mundstück legen (Nasenklemme ist nicht erforderlich). Mit maximaler Kraft ausatmen, sobald die Lippen das Mundstück umschließen (der Untersucher muss überprüfen, dass der Proband seine Atemmuskulatur vollständig gebraucht und nicht nur den Mund oder nur das Zwerchfell). Ergebnisse aufschreiben. Messung mindestens 2 × wiederholen (insgesamt 3 Messungen, höchster Wert gilt). Alle Werte notieren. Peak-Flow-Meter zeigen ihre Ergebnisse in l × min–1 und nicht (wie beim Atemstoß) in l × s–1.
Kriterien fr eine akzeptable und reproduzierbare Durchfhrung der Messung Die Akzeptanzkriterien der Deutschen Atemwegsliga sind im Kasten zusammengestellt.
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
Kriterien fr eine valide forcierte Exspiration (Aus: Pneumologie 2006; 60: 576 – 584) Das jeweilige Exspirationsmanöver ist korrekt beendet, wenn der kontinuierliche Fluss unter 0,1 l × s–1 abgesunken ist. Andere Zeitkriterien, z. B. eine Exspiration von mindestens 4 Sekunden, sind für Kinder und Patienten mit Lungengerüsterkrankung nicht möglich und sollten nicht verwendet werden. Akzeptanzkriterien • Der maximale exspiratorische Spitzenfluss („Peak Flow“ PEF) soll innerhalb von 120 ms erreicht werden (steiler Anstieg). • Keine Artefakte (Husten, Glottisschluss, Leckagen, vorzeitige Beendigung, unterschiedliche Anstrengung). • Die Exspiration ist erst beendet, wenn der kontinuierliche Fluss unter 0,1 l × s–1 abgesunken ist. Reproduzierbarkeitskriterien (Abb. 3.8) Die Differenz zwischen größtem und zweitgrößtem Wert darf bei • FEV1 nicht mehr als 5% betragen*, • FVC nicht mehr als 5% betragen*, • PEF nicht mehr als 10% betragen. * Bei FVC < 1 l darf die Differenz nicht mehr als 100 ml betragen.
Um die Reproduzierbarkeit – und damit die Güte der Mitarbeit – bestimmen zu können, müssen mindestens 3 Versuche durchgeführt werden, wobei sich die Ergebnisse der besten 2 Versuche für FEV1 und FVC um weniger als 5% (bei einer FVC < 1 l weniger als 100 ml) und für den Peak Flow [PEF] um weniger als 10% unterscheiden dürfen. Hohe Reproduzierbarkeit ist trotz guter Mitarbeit
nicht erreichbar, wenn durch die forcierten Manöver ein „Spirometer-Asthma“ induziert wurde. Diese Komplikation ist bei 2 – 3 Versuchen selten, die Wahrscheinlichkeit steigt aber mit der Zahl der Versuche, weil jede forcierte Exspiration eine Art von Provokationstest darstellt: Mehr als 4 forcierte Exspirationen sind in dieser Situation nicht sinnvoll. Verstöße gegen die Akzeptanzkriterien müssen dokumentiert werden (soweit möglich automatisch von der Mess-Software) und die vom Untersucher abgeschätzte Güte der Mitarbeit muss auf dem Untersuchungsprotokoll notiert werden. Fehlerzeichen sind in Abb. 3.9 zusammengestellt. Wie bereits erwähnt, sollen die Funktionsdaten unter der optimal mçglichen Therapie erhoben werden. Die Angabe der aktuellen Therapie auf dem Funktionsprotokoll ist somit unverzichtbar. In der Praxis der Autoren hat sich hierzu ein Stempel bewährt, der auch weitere klinische Informationen ausweist (s. Abb. 3.10).
Messdaten und Kalibrierung Sämtliche Parameter sind auf BTPS-Bedingungen (BTPS = body temperature pressure saturated) normiert, d. h. die erhobenen Daten gelten für 37 8C und 100% relative Feuchte beim gegebenen Luftdruck. Exspiratorische Lungenvolumina und Strömungen werden demzufolge direkt erfasst, während inspiratorische Größen, für die die ATPUmgebungsbedingungen gelten (ATP = ambient temperature pressure) auf BTPS korrigiert werden müssen (BTPS-Volumina ca. 10% höher als ATP-Volumina). Ein Spirometer muss mit einfachen Mitteln durch Kalibrierung überprüfbar sein. Erforderlich ist die tägliche Kalibrierung, wobei das Kalibrier-
Tabelle 3.5 Dokumentation Mitarbeit und technische Qualitt (Aus: Pneumologie 2006; 60: 576 – 584). Mitarbeit
technische Qualitt
einwandfrei gut eingeschrnkt wegen mangelndem Verstndnis eingeschrnkt wegen Hustenreiz eingeschrnkt wegen Angst eingeschrnkt wegen mangelnder Kraft eingeschrnkt wegen Schmerzen eingeschrnkt wegen mangelnder Bereitschaft
Messung fehlerhaft Messung ohne relevante Fehler Messung noch brauchbar Messung teilweise fehlerhaft Messung mit großen Fehlern
Lungenfunktionsdiagnostik Abb. 3.8 Reproduzierbaroptimale Reproduzierbarkeit
keitskriterien (Aus: Pneumologie 2006; 60: 576 – 584). 1. Messung 2. Messung 3. Messung
Alle 3 Kurven sind nahezu deckungsgleich
2a noch korrekte Reproduzierbarkeit <5%
1. Messung 2. Messung 3. Messung Die beiden größten Kurven sind nahezu deckungsgleich
2b Reproduzierbarkeit zu schlecht >5%
1. Messung 2. Messung 3. Messung Die beiden größten Kurven liegen isoliert
2c
volumen (= Pumpenhub von 1 – 3 l) mit einem Fehler von unter 0,5% bestimmt werden muss (Ausnahme: Spirometer, die auf der Ultraschall-Laufzeitmessung basieren). Eine Überprüfung der Kalibrierung ist zusätzlich durchzuführen, wenn trotz guter Mitarbeit des Untersuchten und nach Überprüfung der persönlichen Daten ein Ergebnis trotz Austausch der Sensorik bzw. Reinigung des Systems nicht plausibel erscheint. Sinnvoll ist auch die gelegentliche Überprüfung der Kalibrierung anhand der bekannten Lungenvolumina eines Mitarbeiters (klinische Validierung). Die Ergebnisse der Kalibrierung sind in einem Gerätebuch zu dokumentieren.
Spirometrische Parameter (s. Tab. 3.4) und Interpretation der Lungenfunktionswerte Restriktive Ventilationsstçrung Für die restriktive Ventilationsstörung ist die Vitalkapazität der wesentlichste Parameter. Gleichsinnig sind intrathorakales Gasvolumen (ITGV) und RV (und damit auch die TLC) erniedrigt, so auch die statische Compliance (Cstat).
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
zögerlicher Start der Ausatmung
Husten während der Ausatmung
Maßnahme: Patienten bitten, schlagartig so schnell wie möglich auszuatmen.
kein steiler Anstieg
a
Maßnahme: Patienten evtl. vorher abhusten lassen
b
gezackte Kurve
vorher nicht maximal eingeatmet
geringe Anstrengung Maßnahme: Patienten bitten, mit aller Kraft auszuatmen.
c
abgerundete obere Spitze
Maßnahme: Patienten bitten, vor dem forcierten Ausatmen länger und tiefer einzuatmen
d
parallel verkleinerte Kurve
unvollständige Ausatmung und frühzeitiger Abbruch der Ausatmung Maßnahme: Patienten bitten, so lange wie möglich auszuatmen.
e
Kurve nicht geschlossen
f
rechte Spitze fehlt (blauer Kurvenbereich = optimale Mitarbeit)
Abb. 3.9 Fehlerzeichen, die auf eine mangelnde Mitarbeit des Patienten/Probanden hinweisen (Aus: Pneumologie 2006; 60: 576 – 584).
Aktuelle & relevante Therapie Zuletzt genommen vor/ abgesetzt am Mitarbeit: weitere Besonderheiten:
Abb. 3.10 Protokoll zur Funktionsdiagnostik „Aktuelle Therapie & Kooperation“, z. B. als Stempel auf dem Ausdruck.
In aller Regel liegt VCin etwas höher als VCex. Bei der erheblichen Variabilität der Individuen auch im Hinblick auf Wollen und Können kommt es aber nicht selten vor, dass die exspiratorische VC doch deutlich höher ausfällt als die inspiratorische VC. Es wäre aber ein Fehler, in einem solchen Fall nicht die maximale VC der Bewertung zugrunde zu legen.
Lungenfunktionsdiagnostik
Vitalkapazitt (VC): Die Vitalkapazität (VC) ist die Volumendifferenz, die am Mund zwischen vollständiger Inspiration (zur Totalkapazität, TLC) und vollständiger Exspiration (zum Residualvolumen, RV) gemessen werden kann. In Deutschland und einigen europäischen Ländern wird sie als „inspiratorische Vitalkapazität“ IVC (auch VCin) bestimmt. Aus normaler Ruheatmung heraus wird langsam bis zum RV ausgeatmet und anschließend zügig – aber nicht forciert – bis zur TLC eingeatmet. In Großbritannien und Nordamerika wird die Vitalkapazität auch während einer langsamen („relaxed“) Exspiration vom TLC-Niveau aus mit ansteigender Anstrengung am Exspirationsende (EVC), in der Regel aber während einer forcierten Exspiration (FVC) gemessen. Bei gesunden Probanden besteht keine systematische Differenz zwischen IVC und EVC, nur bei obstruktiven Atemwegserkrankungen kann die IVC größer sein als EVC und FVC; EVC ist in der Regel größer als FVC. Bewertung der VC: Eine restriktive Ventilationsstörung ist durch eine Behinderung der normalen Lungenausdehnung charakterisiert. Definiert ist sie durch eine Verminderung der Totalkapazität, die allerdings nur bodyplethysmografisch und nicht spirometrisch messbar ist. Eine verminderte Vitalkapazität allein kann nicht den Nachweis einer restriktiven Ventilationsstörung erbringen.
Restriktion VC zugleich • ITGV • RV • TLC • Cstat
fl fl fl fl fl
Wenn der FEV1/IVC-Quotient normal oder erhöht ist, darf man allerdings bei einer verminderten Vitalkapazität eine restriktive Ventilationsstörung vermuten. Der spirometrische Schweregrad der restriktiven Ventilationsstörung ergibt sich aus der Einschränkung der IVC, ausgedrückt in % des Sollwerts. Sie ist ein pathophysiologisch sinnvolles Maß, die behinderte Lungenausdehnung auszudrücken, wenn die TLC nicht zur Verfügung steht. Natürlich ist aber bei einer verminderten IVC auch das FEV1 erniedrigt.
Man unterscheidet prinzipiell eine pulmonale von einer extrapulmonalen Restriktion. Die pulmonale Restriktion ist durch eine vermehrte Steifigkeit (verminderte Compliance) der Lunge bedingt. Daher ist die „Entleerung“ der Lunge bei forcierter Exspiration durch die erhöhte Retraktionskraft beschleunigt, der Peak flow kaum erniedrigt und die Fluss-Volumen-Kurve in der Tendenz exspiratorisch konkavbogig verformt. Beim Zustand nach Pneumektomie liegt eine restriktive Ventilationsstörung vor, wobei die Steifigkeit der verbliebenen Lungenhälfte normal ist. Bei extrapulmonaler Restriktion ist die Lungenausdehnung trotz normaler Lunge, z. B. durch Atemmuskelschwäche oder Thoraxdeformität, vermindert. Dabei ist die Fluss-Volumen-Kurve kleiner und nicht verformt. Zur Diagnostik der Atemmuskelschwäche als Ursache einer Restriktion ist die Bestimmung der maximalen Inspirationskraft notwendig (s. Criée 2003, Empfehlungen der Deutschen Atemwegsliga zur Messung der inspiratorischen Muskelfunktion). Die Einteilung des Schweregrades findet sich in der Tab. 3.6. Auch hier muss nicht der Schweregrad der Ventilationsstörung mit dem Schweregrad der Erkrankung übereinstimmen (s. auch Kap. 4.3). So können z. B. Patienten mit schwerster Hypoxie bei Lungenfibrose lediglich eine leichte restriktive Ventilationsstörung aufweisen. Tabelle 3.6 Schweregrade bei restriktiver Ventilationsstçrung. Definition: TLC < 5. Perzentile des Sollwertes. Schweregrad
IVC
I II III IV V
> 70% Soll 60 – 69% Soll 50 – 59% Soll 35 – 49% Soll < 35% Soll
leicht mßig mittelschwer schwer sehr schwer
Obstruktive Ventilationsstçrung Für die obstruktive Ventilationsstörung ist die Sekundenkapazität (FEV1, Synonym „Atemstoß“, neuerdings auch „Sekundenluft“) – schon wegen ihrer weiten Verbreitung und guten Reproduzierbarkeit – die wichtigste Kenngröße, anzugeben als absoluter Wert (in l) und als relativer Wert in Prozent der max. VC (Tiffeneau-Index). Die bei forcierter Exspiration gewonnenen Werte sollten nach Möglichkeit ergänzt werden durch die Messung des Atem-
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung Tabelle 3.7 Schweregrade bei obstruktiver Ventilationsstçrung. Definition: FEV1/VCin < 5. Perzentile des Sollwertes. Schweregrad
FEV1
I II III IV V
> 70% Soll 60 – 69% Soll 50 – 59% Soll 35 – 49% Soll < 35% Soll
leicht mßig mittelschwer schwer sehr schwer
wegswiderstandes (R = Resistance, bei ruhiger Atmung, weitgehend mitarbeitsunabhängig). Der Atemwiderstand wird in Deutschland in der Regel mittels Bodyplethysmografie (R[body]) bestimmt, mitunter über die Oszillations- (Ros) oder die Unterbrecher-Methode (Ru). Zu Normwerten des Atemwiderstandes siehe Kap. 3.4, Sollwerte. Die Fluss-Volumen-Kurve bei forcierter Exspiration stellt eine wertvolle Ergänzung dar mit Aussage über die Strömungsdynamik in den verschiedenen Bronchialabschnitten von zentral nach peripher. Die isolierte Lungenfunktionsanalyse im Bereich der sog. Small Airways ist mit dieser Methode individuell nicht möglich. Für die Differenzierung der genannten Funktionsdefekte ist die Bestimmung weiterer statischer Lungenvolumina (ITGV, FRCHe, RV) hilfreich. Hierzu bedarf es weiterer technischer Ausrüstung, auf die hier nicht vertiefend eingegangen werden soll (Bodyplethysmografie, bzw. Fremdgasverdünnungsmethode). Die forcierte Inspiration in der Fluss-Volumen-Kurve bzw. der forcierte inspiratorische Einsekundenwert [FIV1] geben wichtigen Aufschluss über extrathorakale Strömungslimitierungen. Mehrfachmessungen sind zur Überprüfung der Reproduzierbarkeit unerlässlich. Akzeptabilitätsund Reproduzierbarkeitskriterien sind oben genannt. Die Grafiken sind den Zahlenwerten in Gutachten beizulegen, um die Beurteilung nachvollziehbar zu machen. Eine obstruktive Ventilationsstörung ist durch eine Verminderung des altersabhängigen Tiffeneau-Index (FEV1/IVC) auf Werte unterhalb der 5. Perzentile definiert. Dabei ist in der Regel auch die absolute Einsekundenkapazität kleiner als der Normalwert. Charakteristisch ist die Abnahme der maximalen exspiratorischen Atemstromstärken. Der spirometrische Schweregrad der obstruktiven Ventilationsstörung ergibt sich aus der Einschränkung der FEV1, ausgedrückt in Prozent des Sollwerts (Tab. 3.7). Er muss nicht mit dem klinischen
Schweregrad der Erkrankungen wie COPD oder Asthma übereinstimmen. Bei der Schweregradeinteilung der COPD wird die postbronchodilatatorische FEV1 gewählt, um die chronische (scheinbar irreversible) Lungenfunktionseinschränkung als Grundlage der Beurteilung heranzuziehen, zusätzlich werden auch die Blutgase berücksichtigt. Häufig ist die Vitalkapazität aufgrund einer zusätzlich bestehenden Lungenüberblähung vermindert, wobei aber die totale Lungenkapazität (TLC) normal oder erhöht ist.
Leitparameter FEV1/FVC: Eine Erniedrigung des Atemstoßwerts (FEV1) oder der forcierten Vitalkapazität (FVC) auf 2⁄ 3 oder weniger des Referenzwerts erklärt eine Dyspnoe bei leichten Belastungen. Von einer schweren Einschränkung des Leistungsvermögens, welche kaum noch körperlich belastende Arbeiten erlaubt, ist auszugehen, wenn die FEV1/FVC die Hälfte oder weniger des Referenzwerts beträgt. Das Gleiche gilt für eine Erniedrigung auf 40% oder weniger von FEV1, von FEV1/FVC oder der Diffusionskapazität für Kohlenmonoxid (ATS 1986, s. Literatur). Anmerkung zum pO2 (Ruhe): Der arterielle Sauerstoffpartialdruck in Ruhe erlaubt nur sehr selten eine Abschätzung der Leistungsfähigkeit. So wichtig der pO2 auch als leicht verfügbarer und hinweisender Messwert ist, entscheidend ist der CaO2 (der O2-Gehalt des arteriellen Blutes; C = content, a = arteriell). In diesen Parameter geht auch der Hb-Wert ein. Ein normaler pO2-Ruhewert schließt eine wesentliche Beeinträchtigung nicht aus. Eine leichte oder mäßiggradige Erniedrigung bedeutet für sich alleine noch keine wesentliche Einschränkung. Bei einer Verteilungsstörung im Rahmen einer obstruktiven Atemwegserkrankung kann der Ruhewert erniedrigt sein und sich bei Belastung wieder normalisieren. Wenn jedoch ein Ruhewert von weniger als 55 mmHg vorliegt (oder weniger als 60 mit weiterem Abfall unter Belastung), kann schon hieraus auf ein stark reduziertes Leistungsvermögen geschlossen werden. Zum Verhalten des pO2 unter Belastung (AaDO2) siehe auch Kap. 3.5.
Zusammenfassung: Einschtzung einer Normabweichung Die Einschätzung einer Normabweichung ist stets das Ergebnis vieler Informationen. Abweichungen einzelner Lungenfunktionsparameter haben für
Lungenfunktionsdiagnostik Tabelle 3.8 Lungenfunktions- und Gasaustauschwerte aus der Praxis der Autoren (bezogen auf EGKS 1983/1993). 1. Lungenfunktion
normal leichte Abweichung mßige bis mittelschwere Abweichung schwere Abweichung 2. Gasaustausch
normal leichte Abweichung mittelschwere Abweichung schwere Abweichung
Restriktion VK in % Soll > 80% 70 – 80% 50 – 70%
Cstat. (l/kPa) > 2,1 1,6 – 2,1 1,2 – 1,6
TGV in % Soll > 80% 70 – 80% 50 – 70%
< 50%
< 1,2
< 50%
Obstruktion TGV in % Soll < 120% 120 – 135% 135 – 150%
FEV1 in % Soll > 80% 70 – 80% 50 – 70%
Raw (kPa/l s) < 0,35 0,35 – 0,5 0,5 – 1,0
> 150%
< 50%
> 1,0
Diffusionskapazitt fr CO Einatemzugmethode (ml/min mmHg) in % vom Soll > 80% 65 – 80% 50 – 65%
Blutgasanalyse pO2 Ruhe und Belastung Soll = Grenzwert (Ulmer) > Soll > 5 mmHg unter Soll 5 – 10 mmHg unter Soll
pCO2 (mmHg) < 45 45 – 50 50 – 60
< 50%
> 10 mmHg unter Soll
> 60
1. Sollwerte fr die Compliance noch strittig. Die hier genannten unteren Sollwerte (ohne Bercksichtigung des Altersgangs) werden von vielen Untersuchern verwendet. Es werden jetzt neu gewonnene Normwerte zur Compliance mitgeteilt, die wie folgt lauten (Galetke et al., 2008): Cstat (untere Grenze 5%): (0,0267 Grçße – 1,4385) – 1,178; Cstat (obere Grenze 95%): (0,0267 Grçße – 1,4385) + 1,956. Cstat spez. (untere Grenze 5%): (– 0,0042 Alter + 1,0102) – 0,325; Cstat spez. (obere Grenze 95%): (– 0,0042 Alter + 1,0102) + 0,488. Cdyn (untere Grenze 5%): (– 0,014 Alter + 3,4149) – 1,274; Cdyn (obere Grenze 95%): (–0,014 Alter + 3,4149) + 1,971. Cdyn spez. (untere Grenze 5%): (–0,0048 Alter + 0,9302) – 0,303; Cdyn spez. (obere Grenze 95%): (–0,0048 Alter + 0,9302) + 0.531. 2. Der Tiffeneau-Index wird ursprnglich in % der maximalen VK angegeben. Diesen Wert enthalten die gngigen Lungenfunktionsgerte als Sollwerte im Programm unter Bercksichtigung von Geschlechtsunterschieden und Altersgang. 3. Ein Abfall des pO2 auf einen (durch Wiederholungsmessung besttigten) Wert, der oberhalb des unteren alterskorrigierten Grenzwertes verbleibt, ist nicht pathologisch.
unterschiedliche Erkrankungen unterschiedliche Gewichtung (z. B. ist eine verminderte VC bei Fibrose bedeutsamer als bei Emphysem). Eine zusammenfassende Verbalisierung der Schweregrade (leicht, mittel, schwer) unter praktischen Gesichtspunkten bietet Tab. 3.8 als Orientierung an.
Lungenfunktion und Adipositas Zwei häufige Faktoren kommen zusammen: Störung der Lungenfunktion und Adipositas (siehe Tab. 3.9). AIRD = Adipositas induced Respiratory Disease: Mögliche Beeinflussung der Lungenfunktion durch hohen BMI (> 30 – 35 kg/m2). Häufigkeiten: • Adipositas (BMI ‡ 30 kg/m2) in Deutschland ca. 15% bei Schulkindern und Erwachsenen, • COPD/Asthma in Deutschland 8 – 12%.
Stenosen in den oberen Atemwegen siehe Abb. 3.11 (z. B. tumorbedingte Trachealstenosen oder Stimmbandparesen) können zur Plateaubildung in der Fluss-Volumen-Kurve führen, d. h. große Atemströme werden regelrecht gekappt (Flusslimitierung). Bei begründetem Verdacht auf eine zentrale Atemwegsstenose (Mundstück? Gebissposition? Stridor!) sollte nicht nur die forcierte exspiratorische, sondern auch die forcierte inspiratorische Fluss-Volumen-Kurve bestimmt werden, die ebenfalls eine Limitierung der Spitzenflüsse zeigt. Da die Strömungshindernisse oft mechanisch instabil sind, sind die Fluss-Volumen-Kurven dann allerdings schlecht reproduzierbar. Bei dem optischen Eindruck einer exspiratorischen Plateaubildung in der Fluss-Volumen-Kurve muss an einen Tumor oder eine Stenose im Bereich der großen Atemwege gedacht werden! Bei der numerischen Dokumentation einer extrathorakalen Stenose sind folgende Quotienten hilfreich: MIF50/ MEF50 < 1,0, FEV1/PEF > 10,0, FEV1/FEV0,5 > 1,5. Allerdings ist zu beachten, dass die Sensitivität dieser Quotienten sehr gering ist.
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung Tabelle 3.9 Beeinflussung von Lungenfunktionsparametern durch Adipositas. Funktionsparameter
Beeinflusst durch Adipositas?
FEV1/VC (Tiffeneau-Index)
Nein, keine Beeinflussung
RV
Nein, keine Beeinflussung
FRC
Ja l
l
Bemerkung
Grund: Minderung des ERV bei unbeeinflussten RV FRC: ein empfindlicher Parameter bei Adipositas
BMI » 30 kg/m2 reduziert FRC um etwa 10% BMI » 40 kg/m2 reduziert FRC um etwa 20%
Raw
Ja Tendenziell erhçht
Grund: Verminderte FRC bewirkt ein eingeschrnktes Bronchiallumen Beachte: auffllig ist die Asymmetrie der Atemschleife, d. h. „Keule“ bei Exspiration, wenn „Bauchflle“ („Kugelbauch“) sich besonders auswirkt
TLC
Ja, denkbar l < 85% Soll bei BMI > 40 kg/m2 l < 75% bei noch hçheren BMI
Wenn weitere Ursachen ausgeschlossen
BHR
Ja, erhçhte BHR
Grund: 1. Atmung flach 2. Seufzer-Atmung (Sigh Rate) vermindert (Norm » 10 Seufzer/h), hierdurch Funktion der glatten Muskulatur beeinflusst
DLCO (TLCO)
Nein, in der Gesamtmenge nicht beeinflusst
Grund: l D CO besteht anteilig aus Membrananteil L (TLM) und Blutanteil (TLQ). Es berwiegt TLQ l T LM ist fl, dies wird durch › TLQ kompensiert
˙O2 in Bezug auf V geleistete Arbeit (O2-Aufnahme, CPET)
Ja
1 kg bergewicht „bençtigt“ 6 ml „Extra-O2“/ min, um eine definierte Arbeit zu leisten
BF (Breathing frequency = Atemfrequenz)
Ja
Bei hoher Adipositas liegt die max. BF (unter Belastung) bei < 35/min
Abkrzungen: BF Breathing frequency = Atemfrequenz FEV1 Forciertes exspiratorisches Volumen in 1 Sekunde VC Vitalkapazitt RV Residualkapazitt FRC Funktionelle Residual Kapazitt ERV Exspiratorisches Reservevolumen Raw Atemwegswiderstand
Reversibilittstest mit Bronchodilatatoren Wird eine obstruktive Ventilationsstörung vermutet, sollte ein Bronchodilatationstest durchgeführt werden. Die Messungen der FEV1 erfolgen vor und 15 Minuten nach Inhalation eines schnell wirksamen b2-Sympathomimetikums (z. B. bis zu 400 µg Salbutamol in 4 Dosen) bzw. vor und frühestens
TLC BHR DLCO TLCO ˙ O2 V CPET
Totale Lungenkapazitt Bronchiale Hyperreagibilitt Diffusionsfaktor Lunge fr CO weitgehend synonym zu DLCO, messtechnisch etwas anders (im Prinzip das Gleiche) Sauerstoffaufnahme im ml/min Cardiopulmonary Exercise Test = Spiroergometrie
30 Minuten nach Inhalation eines schnell wirksamen Anticholinergikums (z. B. 160 µg Ipratropiumbromid). Ein Anstieg des FEV1 um mehr als 200 ml und/oder um mindestens 15% des Ausgangswertes belegt die (Teil-)Reversibilität der Bronchialobstruktion. Die Messung der Reaktion der Atemwegsobstruktion auf Bronchodilatatoren ist vor allem zur Differenzialdiagnose zwischen Asthma
Lungenfunktionsdiagnostik
6
achten (kurzwirksame b-Mimetika und Anticholinergika 4 Stunden, langwirksame b-Mimetika und retardierte Theophyllinpräparate 12 Stunden, langwirksame Anticholinergika 48 Stunden).
EX
2 0 2 4 6
3
0 t [s]
Fluss [l/s]
4
IN
1
2 3 Volumen [l]
2
4
5
1 0 vor Operation
12
EX
4 0 4 8
12
0 1 t [s]
Fluss [l/s]
8
IN
3 2
2
3
4
5 6 7 8 Volumen [l]
9 10
1 0 43 Tage nach Operation
Test auf unspezifische bronchiale Hyperreagibilitt (BHR) (Siehe auch Kapitel 3.3 und 3.7.) Eine Arbeitsgruppe der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung in St. Augustin hat 2007 (s. Literatur) den Stand der Empfehlungen zusammengefasst: Es sind verschiedene Methoden anzuerkennen, die sich in der Praxis bewährt haben, aber: „einstufige Testverfahren sind aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Verlaufsbeobachtung und einer möglichen Gefährdung des Untersuchten obsolet“. Speziell erwähnt werden zwei Methoden: • Reservoirmethode (Tab. 3.10): Methacholin wird mittels der Reservoirmethode (Provotest II, Fa. Pari, Starnberg) während langsamer inspiratorischer Vitalkapazitätsmanöver über ein Mundstück verabreicht. Das Füllvolumen beträgt mindestens 3 ml. • ATS-Dosimeter-Methode (Bolusmethode; s. Tab. 3.11): Die Inhalation erfolgt mit Inspirationsmanövern bis zur TLC in ca. 5 Sekunden und einem Atemfluss von ca. 1 – 1,5 l/s. Die ATS empfiehlt Atemanhalten von 5 Sekunden nach jedem Atemzug. Die Messung erfolgt 30 und 90 Sekunden nach Inhalationsende. Ein Abfall der Einsekundenkapazität von ‡ 20% bis Stufe 4 gilt als bronchiale Hyperreaktivität, bei Stufe 5 liegt ein Grenzbefund vor.
Sollwerte (Tab. 3.12 und 3.13) Abb. 3.11 Extrathorakale Stenose durch einen Trachealtumor. Beachte inspiratorische und exspiratorische FlussLimitierung – oben vor der Operation (aus Kroidl, Schwarz, Lehnigk 2006).
und COPD notwendig: Je höher der Grad der Reversibilität, umso wahrscheinlicher ist die Diagnose eines Asthma bronchiale. Bei COPD wird das nach Inhalation von Bronchodilatatoren bestimmte FEV1 zur Schweregradeinteilung verwendet. Bei der Beurteilung der Reversibilität ist auf die vorausgegangene Karenz von Bronchodilatatoren zu
Die Verwendung von Sollwerten ist problematisch, aber unverzichtbar. Aus Verteilungskurven gesunder Kontrollkollektive der Bevölkerung werden diejenigen Werte als „Normwerte“ verwendet, die 90% der Untersuchten (bei Berücksichtigung beider Abweichungsrichtungen vom mittleren Sollwert) umfassen. Unschärfen in den Randbereichen müssen in besonderen Fällen berücksichtigt werden. Für VC, FEV1, PEF und MEF werden zurzeit die Sollwerte der EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) verwendet. Es handelt sich hierbei um die Sollwerte der neuen Version der EGKS aus den Jahren 1993. Bei diesen revidierten
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90
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung Tabelle 3.10
Provokationsdosen im Methacholin-Provokationstest (Reservoirmethode, Provotest II).
Aerosolisierte Luftmenge [l]
MCH-Konzentration [mg/ml]
MCH-Einzeldosis [g]
MCH-kumulative Dosis [g]
0,5 1 2 4 8
3,3 3,3 3,3 3,3 3,3
15 30 61 122 243
15 45 106 228 471
Es handelt sich jeweils um die am Mundstck (Mund) gemessene Dosis. Die fr den Provotest I errechneten Dosen sind geringfgig niedriger
Tabelle 3.11
Provokationsdosen im Methacholin-Provokationstest (Bolusmethode).
Stufe
MCH-Konzentration [mg/ml]
MCH-Einzeldosis [g]
MCH-kumulative Dosis [g]
1 2 3 4 5
0,0625 0,25 1 4 16
3 11 45 180 720
3 14 59 239 959
Tabelle 3.12
Sollwerte fr die Spirometrie (Mnner 18 – 70 J.). (Nach: Quanjer et al. 1993).
Messgrçße
Einheit
Sollwertformel
RSD
IVC FVC FEV1 FEV1/IVC
L L L %
6,10 H – 0,028 A – 4,65 5,76 H – 0,026 A – 4,34 4,30 H – 0,029 A – 2,49 – 0,18 A + 87,21
0,56 0,61 0,51 7,17
H: Kçrpergrçße in Metern; A: Alter in Jahren; RSD: Residuale Standardabweichung
Sollwerten bezieht man sich auf den Mittelwert (nicht mehr wie zuvor auf den unteren Grenzwert). Um der Streuung des Normalbereichs Rechnung zu tragen, wird der Gutachter hierfür entweder als Faustregel 80% dieses neuen Sollwertes akzeptieren oder sich (exakter) auf den unteren Grenzwert beziehen. Dieser entspricht dem Mittelwert ± dem 1,64-fachen der residuellen Standardabweichung des EGKS-Kollektivs (Quanjer et al. 1993). Die residuelle Standardabweichung (RSD) ist diejenige Standardabweichung, die nicht durch die Parameter der Regressionsgerade (meist Geschlecht, Größe und Alter) zu erklären ist. Sollwerte für die Fluss-Volumenkurven sind der EGKS-Publikation Quanjer et al. 1993 zu entnehmen. Die Sollwerte für den ganzkörperplethysmografisch gemessenen Atemwegswiderstand (Rbody)
sind mit < 0,35 kPa/l/s (Ulmer u. Mitarb.) oder mit < 0,30 kPa/l/s (Quanjer et al. 1983/1993) festgelegt. R(body) steht im Nachfolgenden für Rtot, Raw und Reff, da verschiedene Geräte mit diesem Messverfahren im Allgemeinen Gebrauch sind. Für Ros und Ru ist der obere Grenzwert bei 0,45 kPa/l/s anzunehmen, wobei bei der Unterbrechermethode eine Geschlechts- und Größenabhängigkeit zu berücksichtigen ist. Als Sollwert für das ITGV bzw. die FRC werden ebenfalls meist die Daten von Quanjer angewandt. Sollwerte für die BGA sollten Broca-Index-korrigiert sein. Sollwerte für spezialisierte Untersuchungsvorgänge (Rechtskatheteruntersuchung, Diffusionskapazität etc.) können der Spezialliteratur entnommen werden (Löllgen 2005). Für Kinder bis zu 18 Jahren werden vielfach die Sollwerte von Zapletal sowie Polgar und Promadhat verwendet, Verbesserungen sind zu erwarten.
Lungenfunktionsdiagnostik Tabelle 3.13
Sollwerte fr die Spirometrie (Frauen 18 – 70 J.). (Nach: Quanjer et al. 1993).
Messgrçße
Einheit
Sollwertformel
RSD
IVC FVC FEV1 FEV1/IVC
L L L %
4,66 H – 0,024 A – 3,2 4,43 H – 0,026 A – 2,89 3,95 H – 0,025 A – 2,60 – 0,19 A + 89,10
0,42 0,43 0,38 6,51
H: Kçrpergrçße in Metern; A: Alter in Jahren; RSD: Residuale Standardabweichung
Bei den meisten Herstellern von Lungenfunktionsgeräten sind Sollwerte im Programm aufrufbar. Pharmazeutische Firmen liefern Sollwerte in Form von Tabellen und Grafiken. Die angewendeten Sollwerte sollten im Ausdruck benannt sein. Bezüglich der Sollwertproblematik sei nachstehend – auszugsweise – auf die Vorschläge zur Lungenfunktionsbeurteilung verwiesen (Quanjer 1993): „Vielfach werden Messergebnisse in Prozent vom Sollwert ausgedrückt (d. h. 100 × Messwert/ Mittelwert), wobei ein Messwert von 80% des Mittelwerts als untere Grenze des Normalbereichs angesehen wird. Dieses ist jedoch nur dann richtig, wenn der Streubereich sich proportional zur Höhe der Lungenfunktionswerte verhält, wie es bei Kindern der Fall ist. Diese Annahme hat für Erwachsene keine Gültigkeit, da bei ihnen der Streubereich unabhängig von der Höhe der Lungenfunktionswerte ist. Daher entspricht die residuelle Standardabweichung (RSD) um die Regressionsgerade einer Konstanten und nicht einem proportionalen Wert. (Die RSD ist diejenige Standardabweichung, die nicht durch die Parameter der Regressionsgeraden, d. h. meist Geschlecht, Größe und Alter, zu erklären ist.) Die fälschliche Annahme einer Proportionalität kann zu schwerwiegenden Interpretationsfehlern führen … Wenn bei einem älteren kleinen Menschen und bei einem größeren jungen Menschen der gemessene Betrag der Einsekundenkapazität eine RSD unterhalb des vorhergesagten Wertes liegt, so sind die Werte der Einsekundenkapazität zwar numerisch verschieden, jedoch (bezogen auf den Schweregrad der Einschränkung) vergleichbar. Wollte man die Ergebnisse als Prozent vom Sollwert ausdrücken, so würde dieses Vorgehen fälschlich eine stärkere Lungenfunktionseinschränkung bei dem älteren Probanden suggerieren.“
Wenn Messwerte zu Sollwerten in Beziehung gesetzt werden, wird die Benutzung des normierten Residuums empfohlen: Normiertes Residuum = (Sollwert – Messwert)/RSD.
Hierdurch erhält man eine dimensionslose Größe, aus welcher zu entnehmen ist, wie weit der Messwert vom Sollwert entfernt ist, d. h. wie wahrscheinlich es ist, dass der Messwert in einer Referenzpopulation auftritt. Diese Wahrscheinlichkeit kann berechnet oder aus Tabellen entnommen werden. So bedeutet beispielsweise ein normiertes Residuum von 0, dass der Messwert mit dem Sollwert identisch ist und somit der 50er Perzentile entspricht. Normierte Residuen von – 1,64 oder 1,96 bedeuten, dass die Ergebnisse der 5er bzw. 97er Perzentile entsprechen. In der nachstehenden Tab. 3.14 ist angegeben, in welcher Beziehung die verschiedenen Werte der normierten Residuen zu den Konfidenzintervallen stehen: Nach Ansicht der Autoren ist jedoch die Frage der festen (Quanjer 1993) oder variablen Standardabweichung in den Randbereichen der Normalverteilung bezüglich Alter und Körperlänge wissenschaftlich nur unzureichend geklärt, insbesondere da ältere und kleinere Menschen in den zugrunde liegenden „Normalkollektiven“ nicht in ausreichender Zahl enthalten waren. Epidemiologisch
Tabelle 3.14 Beziehung der normierten Residuen zu den Konfidenzintervallen. 99%-Konfidenzintervall 97%-Konfidenzintervall 95%-Konfidenzintervall 90%-Konfidenzintervall 80%-Konfidenzintervall 50%-Konfidenzintervall 30%-Konfidenzintervall
2,576 2,170 1,960 1,644 1,282 0,674 0,385
91
92
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung fundierte Normalwerte in älteren, gesunden Populationen müssen noch erarbeitet werden. Solche Normalwerte sollten auf möglichst breitem überregionalem (europäischem) und interdisziplinärem (Pneumologie und Arbeitsmedizin) Konsens beruhen und für Praxis, Klinik und Begutachtung gelten, um weitere Verwirrung zu vermeiden. Vor einer allzu schematischen Anwendung von Grenzwerten in den Randbereichen der Normalverteilung sei gewarnt, ggf. sind die Sollwerte von Brändli et al (1996) geeigneter.
Praxis Merkstze fr die Praxis 1. Sollwerte sind problematisch, aber unverzichtbar. 2. Die verwendeten Sollwerte müssen im Gutachten benannt werden; der Gutachter sollte über die „Schwächen“ seiner Sollwerte Bescheid wissen. 3. Spirometrische Normalwerte aktueller europäischer Kollektive liegen stets 8 – 10 (–20) % höher als die „klassischen“ ERS 1983/1993Normalwerte. Insbesondere Restriktionen werden damit laufend unterschätzt. 4. Beachte stets das Ausgangskollektiv, an welchem die Sollwerte gewonnen wurden (Werftarbeiter in Los Angeles, UntertageBergbau in der EU u. a.). 5. Beachte ethnische Besonderheiten (z. B. Probanden aus Fern-Ost oder Afrika: andere Normwerte). 6. Beachte – wenn möglich – wie groß das Kollektiv war, auf welchem die Sollwerte beruhen (kleines Kollektiv fi eher unsichere Werte). 7. Besondere Schwächen der Sollwerte sind bei folgenden Personen zu erwarten: a) Sehr kleine oder sehr große Individuen. b) Sehr junge oder sehr alte Individuen. c) Speziell, wenn weiblich. Grund: Es werden sich vermutlich nur sehr wenige (oder keine) sehr alten und sehr großen Damen finden, die bereit sind, an solchen Studien teilzunehmen. Ihre „Soll“-Daten werden in der Regel durch Extrapolation erstellt.
Begleitende klinische Beurteilung von Funktionsuntersuchungen (Borg-Skala) Die bisher dargestellten Ausführungen zur Methodik von Funktionsuntersuchungen beruhen auf aktueller, hilfreicher und oft unverzichtbarer Technik. Es ist eine alltägliche klinische Erfahrung, dass damit bei Weitem nicht das „Befinden“ und die Lebensqualität einer Person erfasst werden kann. Die Empfindung von „Luftnot“ oder „Erschçpfung“ ist komplex und kann mit physikalischen oder physiologischen Parametern nicht vollständig quantifiziert werden. Seit vielen Jahrzehnten ist man bemüht, diese Tatsache durch Befragung und Erstellung von Skalen oder „Scores“ zu erfassen. Einige Fragebögen haben sich in praxi sehr bewährt.
Skalen zur Quantifizierung von Luftnot • Visual Analogue Scale (VAS) • Medical Research Council Dyspnoea Scale (MRC) • Baseline Dyspnoea Index (BDI) Fragebçgen • St. George’s Respiratory Questionnaire (SGRQ) • Chronic Respiratory Questionnaire (CRQ)
Weltweite Anwendung findet die Borg-Skala, auf die im Folgenden kurz eingegangen wird.
Borg-Skala 1962 entwickelte Borg eine Skala zur Quantifizierung empfundener Erschöpfung als Maß für physische Stärke: RPE-Skala (Ratio of Perceived Exertion). Die Zahlenwerte (6 – 20) erklären sich aus der Korrelation mit der Herzfrequenz (HF) fi 6 =ˆ 60 HF in Ruhe fi 20 =ˆ 200 HF bei Belastung 1982 entwickelte Borg eine neue Skala – eine Kategorienskala als Vergleichskala (Category Ratio) CR-Skala – zur Quantifizierung subjektiver Symptome wie Luftnot, Schmerz. Angabe von Dezimalstufen ist erlaubt, auch die Wertung über 10. Praxis-Erfahrungen bei der Anwendung der Borg-Skala:
Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch
• 20 19 18 17 16 15 14 13 12 11 10 9 8 7 6
maximal anstrengend extrem anstrengend
•
sehr anstrengend anstrengend
•
etwas anstrengend
•
leicht sehr leicht extrem leicht überhaupt nicht anstrengend
• •
Dyspnoe ist subjektiv und hat keine brauchbare Korrelation mit Ventilation, Sauerstoffaufnahme oder Sauerstoffgehalt. Die Güte der Korrelation kann abhängig vom Krankheitsbild sein. Die Übereinstimmung der Angaben im intraindividuellem Vergleich ist im unteren Bereich der Skala besser als im oberen. Patienten sind mitunter unschlüssig in der Bewertung. Beschreibende Begriffe scheinen zusätzlich zur numerischen Skala wichtig. Endpunkte besonders Grad 10 (der CR-Skala) werden eher ausgespart.
Abb. 3.12 Borg RPE-Skala aus 1962.
10
extrem schwer
7
sehr schwer
5
schwer
3
mäßig
2
schwach
1
sehr schwach
0
nicht vorhanden
Abb. 3.13 Borg CR-Skala aus 1982.
• • • • • •
Die Borg-Skala ist aus einer Mess-Skala zur Bewertung empfundener Anstrengung hervorgegangen. Sie ist geeignet zur Messung des subjektiven Luftnotgefühles (Dyspnoe) oder der Erschöpfung (Exertion). Die Skalen sollten bei Belastungstests zusätzlich und unabhängig von den objektiven Messparametern benutzt werden. Patienten/Probanden müssen die Skala zuvor erklärt bekommen. Während einer Belastung (s. auch Kap. 3.5, Spiroergometrie) zeigen sie auf einer Tafel ihren „momentanen Zahlenwert“ an. Bei einer Belastung von ca. 10 – 12 Minuten werden im Allgemeinen drei solche Abfragen getätigt, die letzte kurz vor dem Ende der Belastung. Die Angaben werden dokumentiert.
3.5 Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch, Spiroergometrie R. F. Kroidl und D. Nowak
Leistungsvermçgen, Belastbarkeit Viele gutachterliche Bewertungen erfordern verlässliche und nachvollziehbare Aussagen zum Leistungsvermçgen bzw. zur Belastbarkeit. Der alleinige Bezug auf Ruhe-Funktionswerte (z. B. FEV1 oder die aus der Kardiologie bekannte EF [Ejektionsfraktion]) reicht für eine Beurteilung des Leistungsvermögens nicht aus und beinhaltet eine Fehleinschätzung (in Richtung Überschätzung oder Unterschätzung) in etwa 1⁄ 3 der Fälle (s. Kap. 3.4). Belastungstests sind nicht bei allen Gutachten erforderlich, wenn es aber um die Frage des Leistungsvermögens geht sind sie unverzichtbar. Die Belastungsuntersuchung beantwortet in integraler Weise die Frage nach der körperlichen Leistungsfähigkeit. In diese Untersuchungen gehen kardiale, respiratorische, neuromuskuläre und psychogene/emotionale Faktoren ein. Beim Gesunden wird die Leistungsfähigkeit kardial oder muskulär begrenzt. Eine respiratorische Leistungsbegrenzung weist immer auf einen pathologischen Zustand hin. Hierbei kann es sich um atemmechanische Störungen (Volumen- und/oder Flusslimitation, Veränderungen der Lungendehnbarkeit)
93
94
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung und/oder um eine Gasaustauschstörung (Diffusionsstörung/Verteilungsstörung) handeln. Eine klare pathophysiologische Differenzierung zu anderen Störfaktoren (Abgrenzung kardialer Ursachen) ist oft schwierig (Erfordernis zusätzlicher kardiologischer Untersuchungen, z. B. Echokardiografie, Spiroergometrie).
Praxis Klinische Begriffe Leistungsvermçgen ist zunächst ein Begriff der Sozialmedizin. Unterscheide hiervon die Begriffe aus der Arbeits- und Sportmedizin. Leistungsfhigkeit ist die Belastungshöhe, die eine Person maximal ausüben kann. Belastbarkeit ist die Laststufe, die ohne kurzoder langfristige pathologische Veränderungen in Funktion oder Morphologie der Organsysteme durchgeführt werden kann. Dauerleistung: Leistung im aeroben Bereich bis AT (AT = anaerobic threshold = anaerobe Schwelle). Sie ist über eine 8-Stunden-Schicht zumutbar.
Dauerleistungsgrenze Dieser Begriff wird in der Arbeitsmedizin anders als in der Sportmedizin gebraucht. Es ist „die Arbeitsintensität, die ohne größere Ermüdung und zwischenzeitliche Pausen täglich kontinuierlich über 8 Stunden (normale Schicht) durchgeführt werden kann“ (Leistung i. d. R. im aeroben Bereich bis zur anaeroben Schwelle, siehe auch die Kasuistik am Ende dieses Kapitels).
Praxis Dauerleistung …? Auch hier liegt das Primat bei der Klinik!
Vergleichbarkeit von Leistungen Leistungsvermçgen im Altersverlauf Wie beim Altersverlauf des FEV1-Wertes (als Globalparameter der Lungenfunktion) ist Ähnliches auch für die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit bekannt. Die Muskulatur mit einem Gewichtsanteil von 35% bei der Frau bzw. 40% beim Mann ist das größte mit Blut bzw. mit O2 zu versorgende Endorgan des Menschen. Im Altersgang kommt es zu einer fortschreitenden Reduktion der Muskelmasse. Der Verlust an Muskelmasse basiert auf einer Verringerung des Muskelfaserquerschnitts, dem Abbau von kompletten Muskelfasern, oder auf der Kombination beider Faktoren. Ab dem 40. Lebensjahr kommt es zu einer Verminderung der Muskelmasse zwischen 3 und 5% pro Dekade. Ab dem 60. bis 70. Lebensjahr kann der Verlust an Muskelmasse 8 – 10% pro Dekade erreichen (Weicker 1996). Physiologischerweise verfügt ein Mann im Alter von 65 Jahren über 10 kg weniger Muskelmasse als mit 25 Jahren. Dies spiegelt sich im Altersgang der geforderten Sollwerte für Leistung (Watt) und maximalen O2-Aufnahme wider.
Leistungsvermçgen und Muskelkraft im Altersgang • Morphologisch betrachtet: – Ab 40. Lebensjahr Abbau der Muskelmasse um 3 – 5% pro Dekade – Mann 65 J. hat 10 kg Muskeln weniger als mit 25 J – Somit Sollwert für Watt und V˙O2 entsprechend niedriger • Funktionell betrachtet: Der Verlust an Kraft und Muskelmasse ist weniger „genetisches Schicksal“, sondern eher Folge des altersbedingten Bewegungsmangels
Praxis-Beispiel Ein Hypertoniker kann auf dem Fahrradergometer eine maximale Belastung von 300 Watt und eine hochnormale maximale O2-Aufnahme erreichen. Er hat eine gute körperliche Leistungsfähigkeit. Bei Blutdruckwerten von 250/130 mmHg auf der höchsten Belastungsstufe ist hingegen seine Belastbarkeit wesentlich geringer einzuschätzen. Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit stimmen in diesem Falle nicht überein.
Allerdings ist zweifelhaft, ob der Muskelmassenverlust und somit auch der Kraftverlust im Altersgang genetisch determiniert ist. Die in Trainingsexperimenten belegten erstaunlichen Muskelmassen- und Kraftgewinne, die auch im hohen Alter noch möglich sind (Häkkinen 2003), legen die Vermutung nahe, dass die beschriebenen Masse- und Kraftverluste nur zu einem kleineren Teil biologisch bedingt sind und die wesentlichen Ur-
Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch Tabelle 3.15
Interindividueller Vergleich des Leistungsvermçgens.
Person Vorgabe: Soll 75 Watt » ˙ O2 leisten 1l V
˙O2 Peak V (individuell erreichbar) [l/min]
Relative Belastung
Beanspruchung HF (Schlge/min)
Mçgliche Belastungsdauer
Patient, 55 Jahre Frau, 25 Jahre Athlet, 25 Jahre
1,0 2,15 4,5
˙O2 peak 100% V ˙O2 peak 42% V ˙O2 peak 20% V
155 – 175 125 – 135 90 – 100
5 min 3–4 h 8h
sachen im psychosozialen Bereich liegen. Israel (1994) unterstreicht dieses: „Je älter der Mensch wird, umso weniger muskuläre Anforderungen werden heute an ihn gestellt. Die Kraftabnahme im Alter ist kein Naturgesetz, sondern weitgehend Folge des altersbedingten Bewegungsmangels. Die hieraus resultierenden negativen Folgen für Muskulatur, Knochen und Gelenke können zum großen Teil durch ein adäquates, d. h. altersgerechtes Muskeltraining verhindert werden.“ (S. Israel, 1994)
Interindividueller Vergleich Während der Vergleich des Leistungsvermögens im Längsschnitt des Lebens einer Person relativ unproblematisch ist, stellt sich diese Aufgabe beim Vergleich mit einem Kollektiv (anderer Personen) als interindividueller Vergleich wesentlich komplexer dar. Dies sei an einem Beispiel (s. Tab. 3.15) erläutert. Gibt man einer Testperson eine Leistung von 1000 ml V˙O2 (etwa 75 Watt) vor, so ist diese Leistung als „Last“ in Bezug zu setzen zur „Kapazitt“ dieser Person. Daraus werden die relative Belastung und die „Beanspruchung“ kenntlich. Diese Sichtweise ist bekannt beim Problem der Atempumpenerschöpfung mit den Faktoren Last, Kapazität und Beanspruchung. Im hier genannten Beispiel ist die relative Belastung des Patienten wesentlich höher als die des Athleten, was sich auch in einer unterschiedlichen Beanspruchung (Herzfrequenzhöhe) und Leistungsdauer niederschlägt. fi Daraus ergibt sich auch eine niedrigere Belastungszeit bei dem Patienten, die nicht über einen ganzen Tag kontinuierlich geleistet werden kann, da die Last (1 l) die Kapazität (1 l) komplett ausschöpft.
Leistungserfassung (Parameter und Dimensionen) Die alleinige Betrachtung körperlicher Leistungsmerkmale (ausgedrückt in Watt oder V˙O2 peak) greift zu kurz. Die Leistungsfhigkeit einer Person muss als psychophysische Einheit betrachtet werden. Durch Motivation, Routine, Adaptation und Geschicklichkeit sind unter Umständen erhebliche Kompensationsfaktoren verfügbar, die physische Limitationen mindern oder gar aufheben. Diese wichtigen Aspekte aus der Arbeitsphysiologie und Arbeitspsychologie können hier aber nicht vertiefend behandelt werden, im Folgenden wird dargestellt, was funktionsanalytisch (physikalisch) messbar ist.
Praxis Parameter und Dimensionen Arbeit = Kraft × Weg. Dimension 1 kg · m–2 · s–2 Arbeit « Energie (diese Begriffe sind Synonyme) Leistung = Arbeit pro Zeit, Dimension 1 kg · m–2 · s–3 = 1 J/s = 1 W (Watt) Energie = Fähigkeit des Körpers, Arbeit zu verrichten („Arbeitsvermögen“) Parameter der Energie: Joule [J], aber auch Wattsekunde [Ws] oder Newtonmeter [Nm] (J. P. Joule, 1818 – 1889, englischer Physiker; James Watt, 1736 – 1819, schottischer Erfinder & Maschinenbauer; Sir Isaac Newton, 1643 – 1727, englischer Mathematiker und Physiker).
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
Watt und maximale ˙ O2-Aufnahme V Die Leistungserfassung erfolgt in „Watt“. Dieser Wert wird am Fahrradergometer abgelesen. Beim Laufband kann man die Leistung in Watt in der Regel nicht direkt ablesen, über den O2-Verbrauch kann man indirekt auf die Wattzahl schließen (s. unten). Zunehmend setzt sich die Sichtweise durch, Leistung auch an Hand der maximal aufgewendeten O2-Aufnahme zu beurteilen. Dies ist auch unter physiologischen Aspekten sinnvoll, denn O2 als zentrales Medium des Stoffwechsels (biologische Verbrennung) ist der unmittelbarste Repräsentant der generierten Leistung.
1. Bis zum Erreichen der Leistungsgrenze besteht beim Gesunden eine lineare Beziehung zwischen O2-Aufnahme und Leistung (Watt), die allerdings spezifisch für die Art der erbrachten Leistung ist (Laufband, Drehkurbelergometer, Fahrradergometer) und vom Einsatz unterschiedlicher Muskelmassen und dem jeweiligen Wirkungsgrad abhängt. Bei Erkrankten (z. B. Herzinsuffizienz) weicht die Linearität von Last und V˙O2 unter Umständen bereits im Verlauf der Belastung (nach unten) ab. 2. Betrachtet man die Aussage zur Linearität genauer, so ergibt sich ein weiterer Aspekt: Verschiedene Autoren berichten unterschiedliche Korrelationen von Watt und O2-Aufnahme (s. Abb. 3.15).
Praxis Die Begriffe V˙O2 peak bzw. VO2 max werden in dieser Betrachtung gleichgesetzt und bedeuten „maximal erreichte O2-Aufnahme“. Für Details siehe Literatur. ˙ O2 stehen in einem Verhältnis zueinanWatt und V der, welches – auf den ersten Blick – eine feste Korrelation aufweist (s. Abb. 3.14). Insofern stellt sich die Frage, warum man überhaupt V˙O2 betrachten soll, zumal dies technisch aufwändiger (und damit kostspieliger) zu erfassen ist. Hierzu gibt es zwei Antworten:
VO2 [l/min]
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Fazit Leistungserfassung „wie gehabt“ in Watt, wenn verfügbar aber „gerne“ auch als (maximale) O2-Aufnahme (V˙O2 peak oder V˙O2 max). Die Angabe der O2-Aufnahme ist näher an der Physiologie/Biochemie und beschreibt sowohl die Leistung im aeroben wie auch im anaeroben Teil der Belastung. Diese Erfassung setzt im Allgemeinen eine Spiroergometrie-Ausrüstung voraus (siehe unten, S. 101).
4,8
Energieumsatz [kcal/min]
4,2
20 Leistungssport
3,5
17
Laufen, 13 km/h, Schwerstarbeit
2,8
14
Laufen, 11 km/h, sehr schwere Arbeit
2,1
11
Laufen, 9 km/h, Radfahren, 20 km/h
1,5
08
Laufen, 7 km/h, z.B. Gartenarbeit
0,9
05
Gehen, 5 km/h, leichte Arbeit
0 0
50
0 100 150 200 250 300 350 Leistung [Watt]
Abb. 3.14 Lineare Bezie˙O2 zu Leistung. hung von V (Aus: Kroidl, Schwarz, Lehnigk 2006).
Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch
Praxis Interessant… VO2 [ml/min]
Im Jahre 1954 existierten laut Auskunft des MaxPlanck-Instituts für Arbeitsphysiologie in Dortmund 14 Fahrradergometer in Deutschland, von denen acht im dortigen Institut experimentellen Zwecken dienten.
Leistung [Watt]
˙O2, Ergebnisse von 9 AuAbb. 3.15 Beziehung Watt/V
˙O2 ist bei toren. Die Korrelation (Linearitt) von Watt zu V geringer Belastung gut (geringe Variabilitt), bei hçherer Belastung jedoch weniger gut (hçhere Variabilitt). fi Hçhere Last: bergang in den anaeroben Bereich. (Aus: Kroidl, Schwarz, Lehnigk 2006).
Methodik der Belastungsuntersuchung Die Fahrradergometrie ist in Deutschland die klinisch meist verwendete Methode, in der Sportmedizin wird vielfach die Laufbandergometrie vorgezogen. Auch ohne technischen Aufwand ist eine Belastung möglich, siehe 6-Minuten-Gehtest (in der Reha-Medizin), und sog. Treppenhaus-Ergometrie u. Ä. Spezielle Fragen und Umstände erfordern spezielle Ausrüstung, z. B. Armkurbelergometrie bei Bein-Amputierten oder arterieller Verschlusskrankheit, Ruderergometrie in der Sportmedizin.
Tabelle 3.16
6-Minuten Gehtest (6-MWT = 6 minutes walking test): Dieser Belastungstest ist einfach, allerorts verfügbar und für die Betreuung von Patienten mit fortgeschrittener respiratorischer/kardialer Limitation unverzichtbar. Probanden, die zur Begutachtung kommen, sind meist auf einem höheren Leistungsniveau, sodass i. d. R. andere Belastungsteste angewendet werden. Der 6-MWT eignet sich vor allem für die Verlaufskontrolle und zur Abschätzung therapeutischer Maßnahmen, sei es durch Medikamente, durch chirurgische Intervention oder durch Training (Rehabilitation) (Übersicht siehe Hien und Morr 2002). „Treppenhaus – Ergometrie“ (Ersteigen von Etagen): Diese „Methode“ ist historisch. Erfahrene Pneumologen früherer Generationen pflegten mit ihren Operations-Kandidaten den Klinikflur entlang zu gehen und dann 2 – 3 Etagen im Treppenhaus zu ersteigen. In einer Studie (Pollock 1993) wurde dies aufgegriffen und es wurden Daten aus der Erfahrungsmedizin (Steigen von Etagen) mit der Sauerstoff-Aufnahme (V˙O2) verglichen (Tab. 3.16 und Tab. 3.17). Die Studie zeigt eine überraschend gute Korrelation und eine klinisch brauchbare Schlussfolgerung. Aus der Erfahrung ist die folgende Abschätzung möglich.
˙O2. Treppensteigleistung und V
˙O2-peak V
Stufen
Stockwerke
Lungenoperation
20 ml/min/kg 15 ml/min/kg 4 – 9 ml/min/kg
83 54 18
ca. 5 ca. 3 ca. 1
Pneumonektomie mçglich Lobektomie mçglich Eher inoperabel
Tabelle 3.17
Werte fr einen Normgewichtigen (70 kg) mit 300 ml Grundumsatz.
˙O2-peak V
Stufen
Stockwerke
Watt
1400 ml 1050 ml 280 – 630 ml
83 54 18
ca. 5 ca. 3 ca. 1
ca. 110 ca. 75 < 35
97
98
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung Auch die Einschätzung des Belastungsprotokolls ist über anamnestische Angaben („… wie viel Etagen können Sie ersteigen?“) in Annäherung möglich: 1 Stockwerk Rampe 8 – 10 Watt/min 3 Stockwerke Rampe 12 – 15 Watt/min 5 Stockwerke Rampe 15 – 20 Watt/min Ein Vergleich verschiedener Belastungsformen zeigt, dass bei gleicher Last eine differente Ventilation und Sauerstoffaufnahme resultiert. Belastungen mittels Laufband fordern den Einsatz von mehr Muskelgruppen, die Vitalparameter (z. B. V˙O2, Pulsfrequenz) liegen ca. 10% höher als bei Fahrradbelastung. Ursächlich ist der unterschiedliche Anteil von Muskelgruppen und der unterschiedliche Wirkungsgrad. Diese Zusammenhänge sollte man kennen, insbesondere wenn man Laufbandergometrien durchführt. Klinisch relevant ist es, die Vertrautheit des Probanden/Patienten mit der anstehenden Belastungsart zu berücksichtigen. Es gibt nicht selten Probanden, die noch nie oder schon lange nicht mehr auf dem Fahrrad gesessen haben. Da es schwierig ist, aus der Laufbandbelastung direkt auf Watt zu schließen, sollte man es bei der Angabe von gelaufener Strecke, Geschwindigkeit und Steigung belassen.
Praxis Laufbandbelastung – wie viel Watt sind das? • Diese (häufige) Frage ist nicht sicher zu beantworten. • Ein direkter Vergleich der Leistung in Watt ist nicht möglich. Eine direkte Umrechnung ist schwierig, denn beim Laufband werden Strecke, Steigung und Geschwindigkeit berücksichtigt. Auch ist der Unterschied im Wirkungsgrad – Laufen vs. Radfahren – bedeutend. Wie kann man dennoch annäherungsweise auf Watt schließen? Näherungsformel: _ 2 max ½ml=min 500* VO 10 * „500“ als eine Annahme für Ruhe-V˙O2, „10“ als Steigung V˙O2/Watt = aerobe Kapazität Beispiel: Der Proband erreicht am Laufband eine V˙O2 von 1600 ml/min. Das entspricht nach der Näherungsformel einer Belastung von 110 Watt.
Protokolle zur Ergometrie: Rampen- vs. Stufenprotokoll Traditionell wurden überwiegend Stufentests verwendet. Es bedarf einer gewissen Zeit, bis sich die physiologischen Parameter (z. B. V˙E und V˙O2) der neuen Belastungsstufe anpassen und ein neuer Steady State (Fließgleichgewicht) erreicht wird. Wegen der „nachhinkenden“ O2-Aufnahme (s. Kasten „Oxygen Delay Time“) wurde die Dauer der Stufe mit 4 – 6 Minuten angesetzt und auf die Einstellung eines relativen Steady State bezogen.
Oxygen Delay Time Zeitdifferenz zwischen Einstellung der erhöhten Belastung (Watt) und Anpassung der O2-Utilisation (metabolisch am Mitochondrium). In der Vergangenheit erlaubte es die Messtechnik nicht, die Messdaten für V˙O2 und V˙CO2 synchron zu einem eng definierten Zeitpunkt zu entnehmen (Atmung in Douglas-Sack, Mischkammer, Abnahme größerer Blutmengen hyperämisch-kapillar zur Astrup-Analyse). Man benötigte dafür einen repräsentativen Zeitraum im Steady State einer Belastungsstufe, damit die V˙O2 einer Leistung (Watt) zugeordnet werden kann. Durch die technische Entwicklung der breathby-breath-Analyse von V˙O2 und V˙CO2 ist die Dauer der Messwerterfassung sehr kurz (< 90 ms) und damit nicht mehr relevant. Diese Entwicklung führte dazu, dass sich Rampenprotokolle generell und in der Spiroergometrie speziell durchsetzen. Nicht zuletzt wurde die Entwicklung von Rampenprotokollen durch die standardisierte grafische Analyse der 9-Felder-Grafik nach Wasserman beeinflusst, die – dank PC und schnellen Druckern – einen guten und schnellen optischen Eindruck gestattet (analog dem EKG – s. unten). Stufenprotokolle werden – vermutlich aus methodischen Gründen – weiterhin in der Sportmedizin angewendet, zumal dort die Laktatmessung (z. B. am hyperämisierten Ohrläppchen) eine kurze Unterbrechung der Belastung erfordert. Ablauf der Rampenbelastung: 1. Ruhephase, der Patient sitzt auf dem Rad (2 – 3 Minuten). 2. Referenzphase (2 – 3 Minuten). Leertreten. Der Patient bewegt die Beine in der
Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch
Watt
Abb. 3.16 Zeitplanung bei spiroergometrischer Belastung. AT = Aerob-/anaerobe Schwelle. Aus: Kroidl, Schwarz, Lehnigk 2006.
Zeit
Tabelle 3.18
Synopsis Stufen- vs. Rampenbelastung.
Rampe
Stufe
˙O2 max Bestimmung V relativer Steady State und anaerobe Schwelle (submaximal) Zeitersparnis? Formanalyse der Neun-Felder-Grafik (9-FG)
zustzliche Laktatbestimmung
adäquaten Tretfrequenz (» 60/min). Durch Umverteilung des Blutes, Entleerung venöser Speicher, Steigerung des V˙O2 sowie verzögerter Freisetzung von V˙CO2 aus dem Fettgewebe stellt sich die RER auf ein Minimum ein. Diese Phase ist eine Art „physiologischer Reset“ (Abgleich) und sollte nicht ausgelassen werden! 3. Belastungsphase mit kontinuierlicher Steigerung der Belastung (Steigung 5, 10 – 30 Watt/ min). Die Belastungsphase sollte 8 – 10 (12) Minuten betragen. 4. Erholungsphase (4 – 5 Minuten). Bei der Rampenbelastung erfolgt die Watt-Steigerung kontinuierlich, in Watt/Minute. Eine Rampe definiert sich als eine Steigerung der Last im Intervall bis zu einer Minute. Die „geistige“ Herausforderung für den Untersucher besteht darin, die Rampe so zu konzipieren (abzuschätzen), dass in 8 – 10 (12) Minuten das individuelle Maximum der kardiopulmonalen Belastbarkeit erreicht wird.
gut geeignet fr BGA und atemmechanische Parameter historisch bedingt, in Arbeits- und Sportmedizin
Ergo-Oxymetrie (Belastungstest mit Bestimmung der BGA) Belastungsuntersuchungen wurden und werden in der Pneumologie oft durch die Bestimmung der Blutgase (BGA) – vor, während und gegen Ende der Belastung – ergänzt (Ergo-Oxymetrie). Dies erweitert die Erkenntnis und liefert Hinweise auf den Gasaustausch. Traditionell wird/wurde dazu ein Stufenprotokoll (s. oben) verwendet. Ein typisches Protokoll stellte sich in etwa wie folgt dar: • Ruhephase 1. BGA • Belastung im Sinne eines Stufenprotokolls mit Steigerung alle 3 – 4 Minuten z. B. mit 20, 40 oder 60 Watt 2. BGA (ca. bei Stufe 2) 3. BGA kurz vor Ende der Belastung • Erholungsphase Ein Abfall des pO2 um ‡ 5 mmHg bei gleichzeitigem Unterschreiten des altersbezogenen Sollwertes (nach Ulmer) wurde als Hinweis auf eine „Diffusionsstörung“ (Gasaustauschstörung) gewertet.
99
100
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung Tabelle 3.19 Beispiel
Normo- und Hyperventilation bei Belastungstests. pO2
pCO2
pO2
pCO2
[mmHg] vor Belastung
[mmHg] unter Belastung
Patient 1
84
40
68
38
Patient 2 Patient 3
72 84
40 32
70 70
28 40
Dieses Vorgehen hat sich seit langem klinisch bewährt, alle Anwender realisierten aber die damit einhergehende Frage „wie soll eine gleichzeitige Hyperventilation im Ergebnis des pO2 gewertet werden?“. Versuche, die Hyperventilation durch Korrekturen am pO2 u. Ä. zu berücksichtigen, können nicht überzeugen, die gewünschte eindeutige Aussage zur vorliegenden Pathophysiologie ist nicht möglich. Anders wäre es, wenn man klare Aussagen zur Konzentrationen der Atemgase (pO2 und pCO2) an der alveolo-kapillaren Membran haben könnte. Trotz der pathophysiologischen Bedenken sei die Formel genannt, die gutachterlich in Grenzfällen mitunter Anwendung findet: pAO2 Standard = pAO2 aktuell – 1,66 × (40 – pACO2 aktuell).
Alveolarluftformel pAO2 =
1 FIO2 FIO2 ð713Þ pACO2 FIO2 þ RER 1. Beispiel Normoventilation: RER 0,8; pACO2 40 pAO2 = 1 0; 2093 101 ¼ 149 40 0; 2093 þ 0; 8 2. Beispiel Hyperventilation: RER 1,2; pACO2 32 pAO2 = 1 0; 2093 121 ¼ 149 32 0; 2093 þ 1; 2 = Konzentration des Gases in der Alveole = Inspiratorische Fraktion (Anteil in %) des Gases RER = Respiratorischer Quotient. Verhältnis des ausgeatmeten CO2 zum eingeatmeten O2, gemessen am Mund. A FI
Klinische Folgerung
Problem?
Gasaustauschstçrung liegt vor unsicher unsicher
keines die Hyperventilation unter Belastung (Pat. 2) bzw. bereits in Ruhe (Pat. 3) verhindert eine sichere Beurteilung
Die Spiroergometrie ermöglicht es, über die endexspiratorischen („end-tidalen“ = ET) Werte (PET) die Partialdrucke der Atemgase an der alveolo-kapillaren Membran hinreichend genau abzuschätzen. PET O2 = Partialdruck end-tidal für O2 PET CO2 = Partialdruck end-tidal für CO2 (Zur erforderlichen kritischen Betrachtung dieser ET-Werte bei Gesunden und bei pathologischen Situationen s. Spezialliteratur.) Das Einsetzen des pCO2 in die oben genannte Alveolargleichung berücksichtigt in exakter Weise die Aspekte der Hyperventilation und zugleich auch des aktuell gegebenen RER sowie den Barometerdruck (dadurch Vergleichbarkeit einer Messung z. B. in Hamburg mit einer solchen z. B. in Davos).
Praxis pO2 und CaO2 Der pO2 liefert wichtige und – dank BGA – leicht verfügbare Informationen. – Dieser Wert wird sehr beachtet. Der CaO2 liefert die entscheidenden Informationen. – Dieser Wert wird oft weniger beachtet. CaO2 = content arterial = Gehalt des arteriellen Blutes an O2 (ml O2 pro 100 ml Blut). Entscheidend ist, welche Menge an O2 transportiert werden kann. Die Transportkapazität für O2 ist vom Hb-Wert abhängig: 1 g Hb bindet (= transportiert) 1,34 ml O2 Beispiel: Bei einem Hb-Wert von 15 (g/100 ml = g%) fi 15 × 1,34 = 20,1) werden 20,1 ml O2 pro 100 ml Blut (bei Annahme 100%iger Sättigung) transportiert. Missachtet man den Hb-Wert, so wird nur die „halbe Wahrheit“ betrachtet! Fazit: Die Beachtung und Würdigung des pO2 muss durch den Blick auf CaO2 ergänzt werden.
Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch
Spiroergometrie (Synonym CPET = Cardio Pulmonary Exercise Testing) Die technischen und (patho-)physiologischen Grundlagen der Spiroergometrie (CPET) wurden in den letzten 80 Jahren erarbeitet. Die einst sehr komplizierte und aufwendige Messtechnik beschränkte die Methode lange Zeit auf wenige spezialisierte Zentren. Jetzt, bei Verfügbarkeit schneller und exakter Sensoren für die Atemgase und die Ventilation, verlagerte sich das Problem in Richtung einer sinnvollen Erfassung und Interpretation der aus den Messungen gewonnen Datenfülle. Hier konnte durch schnelle PC, Farbdrucker, digitale Dokumentation und Kommunikation Abhilfe geschaffen werden. Die Darstellung der Messwerte erfolgt tabellarisch (in Auswahl) und vor allem grafisch. Es hat sich weltweit die von Karlman Wasserman und seiner Schule (Los Angeles) entwickelte 9-Felder-Grafik (9-FG, 9 Panel Plot) durchgesetzt. Entschließt man sich, diese Technik anzuwenden, so erweitert sich nicht nur die „messtechnische Erkenntnis“, der Anwender wird unweigerlich auch eine zusätzliche Dimension der pathophysiologischen Betrachtung erfahren, nutzen und seine Sicht dadurch vertiefen. Es ist zwingend, dass diese Technik auch in die Gutachtenmedizin einzieht.
Einst und Jetzt Die Bestimmung von Konzentrationen der Atemgase in der Luft (Haldane 1912) war ein großes und zeitaufwendiges Unterfangen (Stunden). Jetzt liefern Analysatoren die exspiratorische Fraktion (FE) von O2 bzw. von CO2 in 90 Millisekunden (und schneller), also Atemzug für Atemzug. Ähnliches gilt für die Blutgasanalyse und die Messung von Volumina mittels schneller und trägheitsloser Sensorik. Daraus ergibt sich über 10 – 15 Minuten eine Datenfülle, die dank schneller EDV bewältigt werden kann. Sehr viele Vorteile! … Auch Nachteile? Ja, wenn man blind der Technik glaubt und es an kritischen Fragen zur Plausibilität mangelt! „Wer mittels GPS navigiert, sollte sich durch Betrachtung der realen Umwelt absichern“.
Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf gutachterlich bedeutsame Aspekte: • Beurteilung der Mitarbeit • Beurteilung des Leistungsvermögens • Differenzierung in (vorwiegend) ventilatorische oder kardiale Limitierung • Störung des Gasaustausches und der pulmonalen Zirkulation Details siehe Literatur.
Sehr kurze Vorstellung der Spiroergometrie fr Einsteiger Wenn auch die umfänglichen Messwerte auszugsweise in einer Tabelle aufgeführt sind, so basiert die Interpretation doch vorwiegend auf der grafischen Analyse der Messdaten. Diese werden, vielfach miteinander in Beziehung stehend, in einem zweidimensionalen System (X-, Y1-, Y2-Achse) dargestellt. An den Achsen sind die Messparameter und deren Skalierung zu erkennen. Die Analyse erfolgt – ähnlich wie beim EKG – durch Betrachtung der Grafiken (= Messdaten unter Last). Man beachtet ihre Entwicklung, ihre Form und die erreichten Endpunkte. K. Wasserman hat ein System von neun Grafiken (Panel = Feld) vorgeschlagen, die in 3 Zeilen à 3 Grafiken fortlaufend von 1 – 9 nummeriert werden (Neun-Felder-Grafik, 9-FG). Als pneumologisch bedeutendes Addendum wird die Fluss-Volumen-Kurve unter Belastung mitgeschrieben, sie liefert wichtige Informationen zur Atemmechanik. Werte aus der BGA und der Borg-Score (s. Kap. 3.4) werden offline in die Grafiken eingegeben.
Beurteilung der Mitarbeit Die Mitarbeit kann in Blickdiagnose sehr schnell erfasst werden (s. Abb. 3.17). Drei (mitunter vier) Hinweise finden wir in den Grafiken, wenn gute Kooperation vorliegt: 1. Feld 3 CO2-Abgabe überkreuzt O2-Aufnahme; damit ist RER (Respiratory Exchange Rate) von 1,0 erreicht. 2. Feld 5 Die Kurve der VO2/VCO2-Beziehung zeigt in der Rückstellphase eine merkliche Hysterese („Bauch“).
101
102
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung 3. Feld 8 Nach Ende der Belastung steigt der RER signifikant an. Ein RER ab 1,15 ist Hinweis auf gute Kooperation. 4. Feld 3 (dieses Merkmal ist nicht immer deutlich) Ein Abflachen der V˙O2-Kurve im Normbereich bzw. oberhalb des Normbereiches („levelling off“) ist ein Zeichen sehr guter Mitarbeit.
Praxis Wie ist die Mitarbeit? Suche Hinweise auf das Vorliegen von Exzess CO2 (z. B. gebunden als Laktat). Die oben angegebenen Merkmale (siehe 1., 2., 3.) sind mit der Anreicherung von sauren Äquivalenten verknüpft. Diese entstehen nur durch Mitarbeit und Anstrengung. Das Abflachen der O2-Aufnahme (Punkt 4) ist ein „sehr hartes“ Kriterium, welches nicht immer vorliegt oder schwer zu erkennen ist. Pathophysiologische Erklärung: Trotz weiter abgeforderter (erzwungener) Belastung kann die O2-Aufnahme nicht mehr gesteigert werden, da die Möglichkeiten der Zirkulation und der Atmungskette jetzt ausgeschöpft sind.
˙O2/V ˙CO2/V ˙ E Der Punkt über dem V bedeutet, V dass es sich um eine zeitbezogene Messung (1 Minute) handelt.
Beurteilung des Leistungsvermçgens Die Beurteilung des Leistungsvermögens ist eine zentrale Aufgabe und Fragestellung bei vielen Gutachten. Es werden beide Parameter, nämlich Watt ˙O2, genutzt. und V 1. Watt (% Sollwert, Sollwerte aus EDV oder Tabellen). In Bezug auf die O2-Aufnahme (V˙O2) werden (sofern aus der Messung ablesbar) folgende Werte verwendet: 2. Maximale V˙O2 (bei Ausbelastung, sei es als V˙O2 peak oder V˙O2 max. (V˙O2 peak oder V˙O2 max werden in dieser Darstellung gleich gesetzt. Für Details siehe Literatur) fi V˙O2 (% Sollwert). 3. V˙O2 bezogen auf kg Körpergewicht (KG) (wichtig bei Übergewichtigen!) fiV˙O2 kg/KG. 4. V˙O2 bezogen auf den Zeitpunkt des Erreichens der AT fi V˙O2 bei AT (% vom V˙O2-Sollwert). Es werden zwei Bezugsgrößen verwendet: • Bezugsgröße „Endbelastung“ (maximal). Man vergleicht die erreichten Endwerte (Watt und/ oder maximale V˙O2) mit Sollwerten. • Bezugsgröße AT (submaximal). Hinsichtlich der V˙O2 kann man sich mit guter Verlässlichkeit auch auf submaximale Werte (z. B. V˙O2 zum Zeitpunkt der aeroben/anaeroben Schwelle [AT]) beziehen. Dies ist sehr hilfreich, wenn man einem Probanden/Patienten nicht eine volle Ausbelastung zumuten möchte oder zumuten kann oder wenn der Proband/Patient vorher aus diversen Gründen abbricht. Man beurteilt ˙ O2 (s. unten). ˙ O2 AT als % vom Soll-V sodann die V
4,0 400
4,0
3,5 350
3,5
3,0 300
3,0
2,5 250
2,5
2
VO2-Sollbereich 2,0 200 1,5 150
2,0 Watt-Sollbereich
1,5
1 1,0 100
1,0
0,5 50
0,5
0,0 0 0:00 1:00 2:00 3:00 4:00 5:00 6:00 7:00 8:00 9:00 10:00 11:00 12:00 13:00 14:00
0,0
VO2(STPD)[l/min]
P[W]
VCO2(STPD)[l/min]
Abb. 3.17 a Feld 3 Die CO2-Abgabe berkreuzt die O2-Aufnahme (RER-Punkt RER = 1 – ußere Atmung), Pfeil 1 Die O2-Aufnahme endet hier mit einer Abflachung (level˙O2 max, Pfeil 2 ling off) = V ˙O2 = schwarz V ˙CO2 = blau V
Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch
200
Abb. 3.17 b Feld 5 (oben)
2500
VCO2 [ml/min]
HR [1/min]
1500
VCO2
Nach Ende der Belastung markante 1000 Hysterese, sowohl bei der Rückbildung der Pulsfrequenz (HR) wie auch des ange500 sammelten CO2.
100
50
VO2 [ml/min]
0 0
1000
0 2000
Ende der Belastung 1.6
100
RER
BR [%]
1.2
60
1.0
40 VCO2
0.8
0
Der Anstieg der RER-Kurve besagt, dass CO2 nachgehend abgeatmet werden muss.
20 VO2 [ml/min]
0.6
Schwarze Kurve: ˙CO2-Beziehung unter ˙O2/V V Last (V-Slope). Nach Ende der Belastung deutliche Hysterese (CO2 wird verzçgert abgeatmet). Feld 8 (unten) Die vertikale schwarze Linie entspricht dem Ende der Belastung. Der RER (blau) ist mit » 1,4 hoch. Hinweis: RER (Respiratory Exchange Rate CO2-Abgabe/O2-Aufnahme) definiert „äußere Atmung“, die Konzentrationen der Atemgase werden am Mund gemessen. AT (Anaerobic Threshold = Anaerobe Schwelle) definiert „innere Atmung“ in der Zelle (auch RQ).
10
0 20
Achtung Bezugsgrçße: Prozent von V˙O2-Soll und nicht von V˙O2 erreicht! Es gibt eine beträchtliche Zahl von Empfehlungen in Form von Soll-/Normwert-Tabellen und/oder Algorithmen. Die hier präsentierte Auswahl hat sich in der Praxis der Autoren bewährt.
1. Parameter Watt. Es kann die Tabelle für Frauen und Männer nach ACSM (American College of Sports Medicine) empfohlen werden, auch als „Reiterer-Tabelle“ bekannt. Diese Tabelle ist nach Ansicht der Autoren für die aktive gesunde Normalbevölkerung gut geeignet (siehe S. 111). ˙ O2 . 2. Parameter maximale V ˙ Der VO2-Soll-Wert ist aus Tabellenwerken abzulesen, bzw. er wird von der Geräte-EDV eingespielt. Man sollte wissen, welche Sollwerte hierbei hinterlegt sind und wo deren Schwächen liegen (s. oben). Ein Sollwert-Algorithmus von K. Wasser-
103
104
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung Tabelle 3.20
˙O2 als Leistungsparameter. V
gen Tabellenwerke ein, so müsste ein sehr adipöser Mensch z. B. statt eines Solls von 240 Watt (bei Normalgewicht) jetzt 280 Watt leisten.
Sauerstoffaufnahme in Bezug zum Soll > 85% 85 – 70% 70 – 50% < 50%
normal leicht eingeschrnkt mittelgradig eingeschrnkt schwergradig eingeschrnkt
man ist für die schnelle Orientierung geeignet und im Kopf errechenbar: • Frauen Soll V˙O2 = (Größe – Alter) × 14 • Männer Soll V˙O2 = (Größe – Alter) × 20. Für die Beurteilung des konkreten Falls einer Limitierung liefert die folgende Tabelle Hinweise zur Verbalisierung des Schweregrades (Tab. 3.20). ˙ O2/kg Kçrpergewicht 3. Parameter V Dieser Parameter hat in praxi große Bedeutung, da hier der Aspekt des Übergewichtes (in selteneren Fällen auch des Untergewichtes, z. B. pulmonale Kachexie!) berücksichtigt werden kann. Bei extremen Übergewicht (BMI um und über 35 – 40 kg/m2) stellt sich die Frage, ob man die Gesamtheit aller „Extra Kilos“ als Malus anrechnen sollte. Geht man „mit allen Pfunden“ in die gängi-
Extra Kilos benötigen extra Leistung und extra V˙O2 (fi 6 ml O2 pro kg Übergewicht)! Auf der anderen Seite trägt aber das Fettgewebe nicht zur Generierung von Leistung bei. Dieses Thema ist noch nicht ausdiskutiert. Bei den Autoren hat es sich bewährt, bei Übergewichtigen die Sollleistung des Normgewichtigen pauschal mit 10% zu beaufschlagen. Die aktuelle Diskussion zu diesem Thema empfiehlt, statt der linearen (V˙O2 ml/min × kg–1) eine ml/min × allometrische Berechnung (V˙O2 kg – 0,67) zu verwenden. (Allometrie = vergleichende Messung bei unterschiedlichen Individuen, z. B. Vergleich V˙O2 bei Feldmaus und Elefant.) Eine verbalisierte Einschtzung der Fitness ist nach der Tabelle von Cooper bzw. der AHA (American Heart Association, AHA) möglich. Es wird hier die Cooper-Tabelle angegeben, die weitgehend derjenigen der AHA entspricht (Tab. 3.21). Zum Vergleich und zur Orientierung seien beispielhaft V˙O2-Werte bei verschiedenen Zuständen genannt (Tab. 3.22).
˙O2 [ml/kg]. (Nach: Cooper und Storer, Cambridge UniversiTabelle 3.21 Einschtzung der kardiopulmonalen Fitness V ty Press, 2001). Fitness
Mnner 25 J.
65 J.
25 J.
65 J.
hoch gut mittel mßig schlecht
> 48 44 – 47 36 – 43 33 – 35 < 32
> 41 33 – 40 26 – 32 20 – 25 < 19
> 38 24 – 37 29 – 33 24 – 28 < 23
> 30 25 – 29 21 – 24 18 – 20 < 17
Tabelle 3.22
Frauen
Ergebnisse beispielhafter Untersuchungen.
(Hoch-) Leistungssportler Hobbysportler Ski-Alpin-Weltcup (f/m) Senioren-Triathlet (68 J.) Herzpatient (Postinfarkt) Herztransplantierter
˙ O2 max [l/min] V
˙ O2 max/kg [ml/min/kg] V
‡6 3,5 – 4,0 3,7 (f) – 5,3 (m) 4,5 – 5 1 – 1,5 1,5 – 2
bis 90 30 – 40 55 (f) – 60 (m) 55 – 57 15 – 20 20 – 25
Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch
Praxis ˙ O2 Umrechnung Watt in V Wenn auch die Korrelation Watt zu V˙O2 nicht über die gesamte Belastung linear ist (s. oben), so hat sich in praxi der Umrechnungsfaktor 10 bewährt. 1 Watt Leistung „benötigt“ 10 ml O2 (aerobe Kapazität). Beispiel: Eine Belastung von 100 Watt erfordert » 1000 ml O2. Dazu muss noch die Ruhe-Sauerstoffaufnahme addiert werden. In der Praxis hat sich folgende Rechnung als Faustformel bewährt: [V˙O2] » Gewicht × 6 + 10 × Watt
(insbesondere bei obstruktiven Ventilationsstörungen) die AT in etwa 1⁄ 3 der Fälle nicht sicher zu definieren ist. Dies liegt u. a. auch an dem Unvermögen der Erkrankten begründet, CO2 hinreichend schnell abzuatmen. Die Bestimmung der AT (besser der vAT = ventilatorisch ermittelte AT) erfolgt meist mittels V-Slope-Methode (Feld 5) oder zu dem Zeitpunkt des eindeutigen Anstiegs von EQO2 bei unveränderten Verlauf von EQCO2 (Feld 6). Details siehe spezielle Literatur. Verfügt man über die V˙O2 AT, so ist sie ein sehr hilfreicher und solider Messwert, da • eine submaximale Belastung hierzu ausreicht, • sie weitgehend unabhängig von der Kooperation ist.
Praxis
Beispiel: • Proband, 100 kg schwer, soll 150 Watt leisten. Wie hoch ist die Gesamt V˙O2? • 100 × 6 + 10 × 150 = 600 + 1500 = 2100 ml V˙O2 Der Faktor 6 bezieht sich nicht auf die Bedingungen der Grundumsatzmessung. Als Faustregel kann man diese Formel zur Orientierung verwenden. ˙ O2 AT 4. Parameter V Dieser Wert setzt voraus, dass AT hinreichend sicher zu bestimmen war (AT = Anaerobic Threshold = aerob – anaerobe Schwelle). Hier ist anzumerken, dass bei pneumologischen Patienten
˙O2 AT V Bezugsgröße ist V˙O2 Soll, nicht V˙O2 peak oder V˙O2 max! • „normal“: um 60% (von V˙O2 Soll) • gut trainiert: » 80% und mehr • Sportler: ‡ 100% • eingeschränkt: £ 40%. Wichtig: Wenn V˙O2AT < 40% V˙O2 Soll fi keine ausreichende Leistungsfähigkeit für körperlich belastende Erwerbstätigkeit! Dies wird als ein „hartes Kriterium“ erachtet.
2500
200
VCO2 [ml/min]
HR [1/min] VCO2
1500
100 1000 500 500 VO2 [ml/min]
0 0
1000
0 2000
Abb. 3.18 Bestimmung ˙O2 AT in Feld 5 der 9-Felvon V der-Grafik nach K. Wasser˙CO2-Knick“ ˙O2/V man. Vom „V (= vAT) fllt man das Lot auf ˙O2 AT die x-Achse. Hier liegt V bei » 1000 ml/min, entspre˙O2 Soll. Somit chend 38% V klare Aussage einer deutlichen Leistungslimitierung in diesem konkreten Beispiel.
105
106
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
Differenzierung in (vorwiegend) kardiale und ventilatorische Limitierung
Stçrung des Gasaustausches und der pulmonalen Zirkulation
Auf diese sehr wichtigen und herausfordernden Aspekte zur Differenzialdiagnose kann im hiesigen Rahmen nur stichwortartig eingegangen werden, weitere Details siehe Spezialliteratur (siehe Tab. 3.23). Die genannten Parameter der ventilatorischen Limitation erklären sich aus der Atemmechanik (Compliance-Störungen der Lunge und/oder dynamische Überblähung – DHI, dynamic hyperinflation). Sie sind unverzichtbare Ergänzungen zur Beurteilung des Gasaustausches (pO2 vor, während und nach Belastung, sowie Verhalten der AaDO2).
Eine Darstellung des Gasaustausches ist auch hier nur in Kürze möglich. Die CPET ermöglicht durch die verfügbaren PETWerte für O2 und CO2 eine Beschreibung der Blutgas-Verhältnisse an der alveolo-kapillaren Membran, sodass z. B. Aspekte der Hypo- oder Hyperventilation (in der Alveolarluftformel) herausgerechnet werden. Zudem kann über das Einsetzen in die Bohr-Formel der Totraum (VDa [anatomisch] und VDf [physiologisch]) hinreichend sicher abgeschätzt werden. (Zu weiteren methodischen und pathophysiologischen Aspekten siehe Spezialliteratur.) Bei der Besprechung der Ergo-Oxymetrie wurden die Unsicherheiten z. B. durch Hyperventilation erwähnt. Mit der CPET ist (in Feld 9) eine hinreichend sichere Beschreibung der alveolo-arteriellen O2-Differenz (AaDO2) möglich. Hierzu müssen die Daten der Spiroergometrie durch die Eingabe der BGA-Werte ergänzt werden.
Praxis Respiratorische Leistungslimitation Beachte zwei Aspekte Limitation im Gasaustausch – Feld 4, 6 und 9 der 9-Felder-Grafik (9-FG) Limitation durch Atemmechanik – Feld 1 und 7 der 9-FG (Atemfrequenz, Atemtiefe, Atemmuster) – Mitschrift der Fluss-Volumen-Kurven unter Belastung (fl von IC, › von EELV (endexspiratorisches Lungenvolumen) = Dynamic Hyper Inflation – DHI)
AaDO2 (alveolar-arterielle O2-Differenz) • normal um 15 – 20 • je nach Alter bis 30 • sicher pathologisch > 35 a-Et CO2 (arteriell-end-tidale pCO2-Differenz): Arterielle und alveolare Werte liegen physiologischerweise sehr eng zusammen. Wenn der arterielle pCO2 > 5 mmHg über dem end-tidalen liegt ist dies auffallend (in der Regel pathologisch).
Tabelle 3.23
Differenzierung vorwiegend kardiale vs. ventilatorische Limitierung durch CPET.
Limitierung vorwiegend kardial Herzfrequenz-Reserve ausgeschçpft O2-Puls: flacher Anstieg, erreicht nicht den Referenzbereich ˙ E/V ˙CO2: Slope > Faktor 34 (nur dann zutreffend, Beziehung V wenn keine zusätzliche pneumologische Störung vorliegt) Grobe undulierende Wellen, i. S. Cheyne-Stokes (pathognomonisch fr fortgeschrittene Herzinsuffizienz) Limitierung vorwiegend ventilatorisch Atemreserve ausgeschçpft Atemmuster i. S. einer Restriktion oder einer Obstruktion Unter Last mitgeschriebene Fluss-Volumen-Kurven (Intrabreath-Kurven) zeigen Fluss-Limitierung und berblhung (Aufbrauchen der inspiratorischen Kapazitt – IC) DHI = Dynamic Hyper Inflation
zu finden in Feld … der 9-Felder-Grafik Feld 2 und 5 Feld 2 Feld 4 alle Felder, die den O2-Transport beschreiben: Vor allem Feld 2, 3, 5 zu finden in Feld … der 9-Felder-Grafik Feld 1 und besonders Feld 7, oft auch Feld 8 Feld 7 Nicht in der 9-Felder-Grafik Intrabreath-Kurven, die unter Belastung mitgeschrieben werden
Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch
PaO2 [mmHg]
PETO2 [mmHg]
120
140
R
T
AT
1 2 3 4
PETO2 PETCO2 PaO2 PaCO2
PaCO2 [mmHg] E
PETCO2 [mmHg]
120
120
100
100
80
80
60
60
40
40
20
20
1
120
100
AaDO2 100 80 80 3
60 60 40
4
40 2
P(a-Et)CO2
20
20
0
0 0
5
10 Zeit [min]
Abb. 3.19 Feld 9 PETO2 und PETCO2 (endtidaler Partialdruck fr O2 und CO2 (mmHg) werden durch die Daten aus der BGA ergnzt. fi Man erhlt AaDO2 (mmHg) und P(a-ET)CO2 (mmHg). Hier: Patientin mit chronisch thromboembolischer pulmonaler Hypertonie (CTEPH): Unter Last Anstieg der AaDO2 von » 20 auf » 60 mmHg; Anstieg der P(a-ET)CO2 auf Werte ber 5 mmHg. Tabelle 3.24
15
20
PET-Werte fr O2 bzw. CO2 werden als end-tidale Werte (PET) vom Spiroergometrie-System gemessen. Die end-tidalen Werte (PET) spiegeln die alveolaren Werte (PAO2, PACO2) wider. l Die arteriellen Werte (paO bzw. paCO ) werden aus 2 2 der BGA bernommen. l Die grafische Darstellung erfolgt in Feld 9 der 9-Felder-Grafik. l
Hinweise auf pulmonale Hypertonie in der CPET.
Merkmal
in Feld …
sehr hohe Atemquivalente (EQ), ohne Zeichen der konomisierung („keine Badewanne“) ˙ E/V ˙CO2-Beziehung steiler (sehr steiler!) Slope der V hohe (sehr hohe) AaDO2 alveolarer pCO2 liegt deutlich (> 5 mmHg) hçher als arterieller pCO2 (positiver P[a-ET]CO2)
6 4 9 9
Störungen der pulmonalen Zirkulation sind in den letzten Jahren in den Focus pneumologischer Aufmerksamkeit gerückt. Die wesentlichen Befunde zur pulmonalen Hypertonie (primär oder sekundär) sind in Tab. 3.24 enthalten.
107
108
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung Tabelle 3.25
Synopsis und Checkliste zu Belastungstesten unter Nutzung der CPET.
Klinische Fragestellung
Methodisches Vorgehen
physische Leistungsfhigkeit (Fitness) soll geklrt werden
Belastungstest erforderlich gnstig: Rampenprotokoll l Ruhephase 2 min l Leertreten 2 – 3 min l Belastung 8 – 10 min l Erholung 2 – 3 min (Leertreten = Referenzphase; besonders wichtig)
Wie war die Kooperation?
l l
l
l
Wie hoch ist die erreichte ˙O2) Leistung? (Watt und V
l
l
l
l
RER erreicht? (Feld 3) ˙O2/V ˙CO2-Kurve Hysterese in der V (Feld 5)? Hinreichender Anstieg des RER nach Belastungsende (Feld 8)? Hinweise auf Levelling off bei der O2-Aufnahme (Feld 3)? Watt: Vergleich z. B. mit den ACSM-Tabellen ˙O2: Vergleich mit den Sollwerten V (in %) ˙O2/kg Kçrpergewicht: Vergleich V mit Cooper-Tabelle ˙O2 AT: (sofern AT bestimmbar) V ˙O2 Soll Angabe in % von V
DD kardial vs. ventilatorisch
siehe Tab. 3.23
Gasaustausch und pulmonale Zirkulation
siehe Tab. 3.24
Spiroergometrie und Begutachtung Die Spiroergometrie (CPET) findet Eingang in die Begutachtung, die vielfältigen zusätzlichen Informationen erweitern und verbessern die gutachterliche Aussage im erheblichen Maße. Während es in der Sportmedizin i. w. auf die Spitzenleistung ankommt ist für die Arbeitsmedizin und fr Begutachtung vor allem die Dauerleistung (s. o.) maßgebend. Eine maximale (Spitzen-)Leistung (V˙O2 max oder V˙O2 peak) ist nur kurzfristig möglich. Für eine länger dauernde Leistung sind Abstriche hinzunehmen. Die folgenden Anhaltspunkte stellen den derzeitigen akzeptierten Wissenstand dar:
Kritische Betrachtung l
l
l
l
l
l
l
l
l
Ist die gewhlte Belastungsart (z. B. Fahrrad) fr diesen Probanden die geeignete? (Gewohnheit? Wirkungsgrad?) Welche Endbelastung ist vermutlich zutreffend? Zugleich Therapie? Wenn ja, welche? klinische Beobachtung zur Mitarbeit und Dokumentation im Protokoll Borg-Skala zu Dyspnoe und Erschçpfung
ASCM-Tabellen relativ nahe an der „Normalbevçlkerung“ beachte Aspekte bei deutlichem bergewicht verwendete „Sollwerte“ mssen hinsichtlich „Schwchen“ bekannt sein ˙O2 AT: ein „solider“ Wert, unabV hngig von Kooperation, bei submaximaler Belastung erfassbar ˙O2 Soll – normal um 60% von V ˙O2 Soll – Wert um/unter 40% V bedeutet Leistungsminderung
Spitzenleistung (kurzzeitig) fi V˙O2 peak (oder V˙O2 max) zu 100% Leistungsdauer » 2 Stunden fi » 60% von V˙O2 peak Leistungsdauer » 4 Stunden fi » 50% von V˙O2 peak Leistungsdauer » 8 Stunden fi » unter 40% von V˙O2 peak Dies ist für ganztägig Beschäftigte zu beachten. Die CPET liefert nicht nur Informationen zur O2-abhängigen Leistungsbreite, sie ermöglicht darüber hinaus auch Einblicke in (patho-)physiologische Ablufe der Atemmechanik. Dies sei an folgender Kasuistik exemplarisch dargestellt.
Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch
VE [l/min] 100
VE Watt
R T
Watt [W] 200
E
180 160
80
140 120
60
100 40
80 60
20
40 20
0
0 5
0
VE [l/min] 100
10 15 Zeit [min]
20
25
2000
2500
2000
2500
VE R T
AT
E
90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 500
0
1000 1500 VCO2 [ml/min]
VTex [l]
VTex
5000
R T
AT E
4500 4000 3500
VC
3000 2500 2000 IC
1500 1000 500 0 0
500
1000 1500 VZ [l/min]
Abb. 3.20 Ventilatorische Felder 1, 4 und 7 zeigen die Hypoventilation, die langsame Atemfrequenz (um 20/min) und das verminder˙ E (Pfeile). te V
109
110
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung Tabelle 3.26
Kasuistik Gutachtenauftrag seitens des Unfall-Versicherungstrgers Der jetzt 18-jährige Gymnasiast erlitt im Alter von 6 Jahren ein Überrolltrauma mit Langzeitbeatmung, Tracheostoma und folgender subglottischer Einengung sowie Fixation der Stimmlippen in Paramedian-Stellung. Seine körperliche Leistung ist im Vergleich zur Altersgruppe deutlich eingeschränkt (s. Tab. 3.26). Betrachtet man diese Werte, so lässt sich – unter Bezug auf die oben genannte Graduierung – eine leichte Minderung der Leistungsfähigkeit erkennen. Diese wurde in einem Vorgutachten mit 20% beziffert. Die CPET vermittelt jedoch weitere und wegweisende Informationen, hier speziell zur Ventilation (s. Abb. 3.20 u. Abb. 3.21). Feld 1 und 4 zeigen eine markante Hypoventilation Feld 9 bestätigt dies; PETCO2 steigt unter Last auf 55 mmHg, arterieller pCO2 50 mmHg.
BR %
PETO2 [mm/Hg]
PaO2 [mm/Hg]
1 2 3 4
12 min
CPET-Werte des Gymnasiasten. 140 Watt
˙O2 peak 2200 ml = 80% Soll V ˙O2/kg KG 34 ml V
Belastung
˙O2 AT 56% der Soll- V ˙ O2 V
Feld 1 und Feld 7 lassen eine deutliche Minderung von V˙E erkennen (Messwert 42 l, erwartet werden ca. 60 l) Fazit: Es liegt eine erhebliche Hypoventilation vor, die mit markanter Hyperkapnie einhergeht. Der Proband wurde anschließend mit einer Belastung von 50 Watt (das sind knapp 40% seiner V˙O2 peak) über 45 Minuten belastet. Diese Arbeit konnte nur unter Inkaufnahme einer Hyperkapnie (pCO2 48 mmHg) und einer Azidose (Basen Exzess – 4) geleistet werden. Fazit: Unter zusätzlicher Würdigung der hypoventilation und der konsekutiven chronischen Hyperkapnie und Azidose muss eine deutlich höhere Einschränkung festgestellt werden, es wurde jetzt auf eine MdE von 60 v. H. erkannt.
PETO2 PETCO2 PaO2 PaCO2
PaCO2 [mm/Hg]
PETCO2 [mm/Hg]
140
140
120
120
120
100
100
100
100
80
80
80
80
80
60
60
60
60
60
140
140
140
120
120
100
R
T
E
E
1 3
2 4
40
40
40
40
40
20
20
20
20
20
0
0
5
0 0
5
10
15
20
25
Zeit [min]
Abb. 3.21 Feld 9 beschreibt die Auswirkungen der Hypoventilation auf die Atemgase, speziell PETCO2 und arterielles pCO2 (Hyperkapnie).
Belastungsuntersuchungen und Gasaustausch
Anhang Tabelle 3.27 Tabelle der Soll-Leistungen in Watt nach ACSM (auch als Reiterer-Tabelle bekannt). (Nach: American College of Sports Medicine: Guidelines for exercise testing and prescription. Philadelphia: Lea u. Febiger; 1986). Gewicht (kg)
Alter (J.) 20 – 24
25 – 29
30 – 34
35 – 39
40 – 44
45 – 49
50 – 54
55 – 59
60 – 64
Mnner 60 – 65 66 – 69 70 – 73 74 – 77 78 – 81 82 – 85 86 – 89 90 – 93 94 – 97 98 – 101 102 – 105 106 – 109
220 225 230 235 240 245 250 255 260 265 270 280
210 215 220 225 230 235 240 245 250 255 260 270
200 205 210 215 220 225 230 235 240 245 250 260
185 195 200 205 210 215 220 225 230 235 240 250
175 180 190 195 200 205 210 215 220 225 230 235
170 175 180 185 190 195 200 205 210 215 220 225
155 160 165 170 180 185 190 195 200 205 210 215
150 155 160 165 170 175 180 185 190 195 200 205
135 140 145 150 155 160 170 175 180 185 190 195
Frauen 40 – 45 46 – 49 50 – 53 54 – 57 58 – 61 62 – 65 66 – 69 70 – 73 74 – 77 78 – 81 82 – 85 86 – 89
110 115 120 125 130 135 140 150 155 160 165 170
105 110 115 120 125 135 140 145 150 155 160 165
100 105 110 120 125 130 135 140 145 150 155 160
95 100 105 115 120 125 130 135 140 150 150 160
90 100 100 110 115 120 130 130 135 145 150 155
90 95 100 105 110 120 125 130 135 140 145 150
85 90 95 100 105 115 120 125 130 135 140 145
75 85 90 100 100 110 115 120 125 130 140 140
75 80 85 95 100 105 110 115 120 130 135 140
Gut geeignet fr aktive gesunde Normalbevçlkerung Hinweis der Autoren: Bei starkem bergewicht gehen wir vom „Normalgewicht“ (Broca 1) aus und schlagen » 10% auf (s. Seite 104)
111
112
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
3.6 Einfluss der Therapie auf die Begutachtung D. Nowak und R. F. Kroidl
Die Notwendigkeit zur Gleichbewertung aller Versicherten impliziert auch die Akzeptanz einer „optimalen Therapie“ zum Zeitpunkt der Begutachtung. Das praktische Problem besteht darin, dass eine Leitlinien-gerechte Therapie nicht immer der Realität des Versicherten/Patienten entspricht – die Gründe hierfür liegen teilweise beim Patienten, teilweise beim behandelnden Arzt, teilweise auf beiden Seiten. Hieraus ergibt sich häufig der Konflikt, dass zum Beispiel ein Versicherter mit einer obstruktiven Atemwegserkrankung, der unbehandelt (oder massiv unterbehandelt) ist, infolge seiner schweren Funktionsbeeinträchtigung eine höhere MdE zugemessen bekommt als ein anderer Versicherter Tabelle 3.28 sind.
Wirkdauer atemwegswirksamer Medikamente, die bei der Durchfhrung von Funktionstests zu beachten
Medikament Beta-Sympathomimetika inhalativ l kurzwirksam l langwirksam Beta-Sympathomimetika oral Parasympatholytika inhalativ l kurzwirksam l langwirksam Theophyllin und -derivate 1 l kurzwirksam l langwirksam Antihistaminika Kortikosteroide 2 Leukotrienantagonisten Trizyklische Psychopharmaka Beta-Rezeptorenblocker 1 2
mit Leitlinien-gerechter Behandlung und hoher Einnahmetreue. Wenn auch prinzipiell die Selbstbestimmung des Patienten zu seiner Therapie respektiert werden muss, so ist eine Mitwirkungspflicht zu einer „zumutbaren“ Therapie nicht weniger zwingend. Bei der gutachterlichen Einschätzung obstruktiver Atemwegserkrankungen ist die Problematik des medikamentösen Einflusses auf die Funktionsergebnisse von besonderer Bedeutung. Hier gilt: Die Lungenfunktionsdiagnostik sollte unter Fortsetzung der aktuellen (sachgerechten) Medikation erfolgen. Liegen hierbei normale Lungenfunktionswerte vor und belegen valide und aktuelle Vorbefunde, dass keine Atemwegsobstruktion nachweisbar ist, so muss geprüft werden, ob überhaupt (noch) eine obstruktive Atemwegserkrankung (und/oder evtl. eine unspezifische Atemwegsüberempfindlichkeit) vorliegt. Dies geschieht nach Absetzen der Bronchodilatatoren und antiinflammatorischen Pharmaka, wobei die Wirkdauer zu berücksichtigen ist.
Mindestabsetzfrist 6h 24 h 24 h 6h 24 h 12 h 24 h 48 h 14 Tage 5 Tage 21 Tage 24 Stunden
Bei Anwendung von Theophyllin sollte der Wirkstoffspiegel bestimmt werden. Eine Therapie mit inhalativen Kortikosteroiden kann das Ergebnis des arbeitsplatzbezogenen Inhalationstests im Sinne einer Abschwchung beeinflussen. Idealerweise sollte eine solche Therapie daher 14 Tage (bis drei Wochen) vor der Untersuchung abgesetzt werden. Dies kann jedoch nur in Abstimmung mit dem behandelnden Arzt erfolgen, und wenn der Gutachter sich berzeugt hat, dass der Patient mit der Peak-flow-Messung vertraut ist und in der Handhabung einer Verschlechterung/Notfallsituation versiert ist. In praxi wird ein solches Vorgehen mitunter nicht mçglich sein, „Kompromisse“ sind nicht immer vermeidbar. Weniger als 3 Tage Steroidkarenz sollte nicht akzeptiert werden. In schwierigen Fllen hat es sich bewhrt, diejenige inhalative Steroiddosis „herunter zu titrieren“, – die der Patient noch toleriert, – die gerade noch Lungenfunktionswerte ermçglicht, unter denen eine Provokation nicht kontraindiziert ist und – die eine obstruktive Atemwegsantwort bei einer Provokationstestung nicht verhindert. In schwierigen Einzelfllen sind hierbei mehrere ambulante Vorstellungstermine unverzichtbar.
Einfluss der Therapie auf die Begutachtung Die MdE-Einschätzung hat zu berücksichtigen, unter welcher aktuellen Therapie der jeweilige klinische und Funktionsbefund zustande gekommen ist. Der Einsatz inhalativer und vor allem oraler Kortikoide, die mit erhöhtem Nebenwirkungsrisiko verbundenen sind, gilt als Indiz der Krankheitsschwere. Auch eine „nur“ inhalative Therapie kann im täglichen Leben mit Beeinträchtigungen assoziiert sein. Nebenwirkungen von Medikamenten können MdE-relevant sein. So wird eine Steroidinduzierte Osteoporose mit klinischen Beschwerden separat beurteilt und ggf. in der MdE bewertet werden. Dabei ist allerdings eine mögliche „Übertherapie“, d. h. Kortikoidgabe ohne zwingende Indikation, auszuschließen. Dies kann durch Berücksichtigung von Lungenfunktionsmesswerten vor der Kortikoidtherapie oder im Zweifelsfall durch einen in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt durchzuführenden Auslassversuch erfolgen. Für Einzelheiten sei auf das Reichenhaller Merkblatt in der jeweils aktuell gültigen Version verwiesen: http://www.hvbg.de, auf Publikationen/ Gesamtliste Veröffentlichungen klicken. Für die 2009 vorgesehene Aktualisierung des Reichenhaller Merkblatts haben die beteiligten wissenschaftlichen Fachgesellschaften empfohlen, im Gegensatz zur Fassung vom April 2006 und in Übereinstimmung mit dem hier Gesagten, folgendes Vorgehen zu empfehlen:
„Die Lungenfunktionsdiagnostik sollte unter Fortsetzung der aktuellen Medikation erfolgen. Liegen hierbei normale Lungenfunktionswerte vor und belegen valide aktuelle Vorbefunde keine Bronchialobstruktion, so muss nach Absetzen der Bronchodilatatoren und antiinflammatorischen Pharmaka (Pause entsprechend der Wirkdauer; s. DGAUM-Leitlinie Arbeitsplatzbezogener Inhalationstest; ASU 2005; 40: 260 – 267) (Klein et al. 1997) die Untersuchung wiederholt werden. In leichteren Erkrankungsfällen ist es sinnvoll, die Untersuchung bereits initial ohne Medikation durchzuführen. Durch dieses Vorgehen wird eine Gefährdung des Patienten vermieden, die Lungenfunktionseinschränkung unter erforderlicher und aktueller Therapie objektiviert und eine Fehlinterpretation infolge einer nicht quantifizierbaren Restwirkung von Medikamenten ausgeschlossen.“ Einen „gutachterlichen Malus“ für eine Nichttherapie oder einen „Bonus bei der MdE“ für eine in Zukunft potenziell nebenwirkungsbeladene Therapie gibt es nicht. Über die Konsequenzen fehlender Mitwirkung bei der Therapie müssen im Streitfalle die Sozialleistungsträger entscheiden.
113
114
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
3.7 Bildgebende Verfahren bei der Begutachtung respiratorischer Erkrankungen K. G. Hering
Bildgebende Verfahren sind bei der Betreuung exponierter Personengruppen, zur Frühdiagnostik maligner Folgeerkrankungen und zur Zusammenhangsbegutachtung unerlässlich. Die Thoraxaufnahme in 2 Ebenen ist wegen ihrer Verfügbarkeit, der niedrigen Strahlendosis und aus Kostengründen die radiologische Basisuntersuchung in der Vor- und Nachsorge sowie in der Begutachtung von arbeitsbedingten Lungenerkrankungen. Die Beurteilung erfolgt nach den Richtlinien der ILO (International Labour Office, Internationales Arbeitsamt), Revision 2000 (Bohlig et al. 1981, Hering et al. 2003). Der technische Fortschritt in der Radiologie führt kontinuierlich vom analogen Film zur digitalen Abbildung, Dokumentation und Archivierung, d. h. zur filmlosen Radiologie. Dadurch ändert sich der Bildeindruck, sodass sich für die ILO-Klassifizierung die Frage der Kompatibilität stellt. Die derzeit geltenden ILO-Standardfilme sind analog erstellt. Für die aktuelle Ausgabe wurden sie digital kopiert und werden als ILO-2000-Standardfilme von der ILO in Genf vertrieben. Derzeit bearbeitet die ILO die Entwicklung digitaler Standardfilme. Die Zweitbeurteiler, von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung – DGUV (ehemals Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften) berufene Experten, akzeptieren wegen der laufenden Entwicklung die Verwendung digitaler Thoraxaufnahmen. Inzwischen ist bei Verwendung eines Monitors nach DIN-Vorschrift auch die Monitorbefundung (mit Softcopy = SC) anerkannt. Die Kodierung kann dann analog der ILO-Klassifikation erfolgen. Die Beurteilung einer CD-ROM erfordert einen Monitor (Bildwiedergabegerät = BWG), der die „Voraussetzungen zur Beurteilung“ erfüllt (DIN V 6868 – 57). Die Norm unterscheidet zwischen Monitoren für die Befundung (Kategorie A) und für die Betrachtung von Röntgenbildern, die schon befundet sind (Kategorie B). Die technischen Anforderungen für die Befundung von Thoraxaufnahmen (Kategorie A) verlangen eine maximale Leuchtdichte (cd/m2) > 200, Maximalkontrast > 100, Matrix des Bildschirmes ‡ 2000 × ‡ 2000 ggf. ‡ 1000 ×
‡ 1000, wenn die Funktion Zoom 1 : 1 (pixeltreu) genutzt wird. Es wird eine Diagonale des BWG ‡ 21 Zoll für Bildschirme und ‡ 19 Zoll für Flachbildschirme gefordert. In Arbeit ist eine ILO-Empfehlung mit 21-Zoll-Flachbildschirm und einer Auflösung ‡ 2,5 Linienpaaren/mm. Der Richtwert ‡ 1000 × ‡ 1000 wird in der Regel durch eine Matrix 1024 × 1280 oder 1280 × 1600 erfüllt, der Richtwert ‡ 2000 × ‡ 2000 durch eine Matrix von 2048 × 2560. Die weiteren Anforderungen, insbesondere Konstanzprüfungen, Raumbedingungen etc., müssen nach den Richtlinien eingehalten werden (Qualitätssicherungsrichtlinie, s. Literatur). Wer nicht über die technischen Voraussetzungen verfügt, muss eine Hardcopy in diagnostischer Qualität verwenden. Als Zusatzmethoden stehen HRCT (High-Resolution-Computer-Tomografie), MRT (Magnet-Resonanz-Tomografie), PET (Positronen-Emissions-Tomografie) und Sonografie zur Verfügung. Die Datenlage zur Wertigkeit von MRT und PET reicht noch nicht aus, um sie in die Standard-Untersuchungsprogramme einzubinden. Die Sonografie ist aus physikalischen Gründen bei Lungenuntersuchungen nur bedingt einsetzbar. Von diesen Methoden liefert derzeit nur die Computertomografie in hochauflçsender Technik (HRCT) einen wichtigen diagnostischen Beitrag. Sie ist für die ergänzende Untersuchung nach der Thoraxaufnahme in 2 Ebenen und zur Frühdiagnostik von Malignomen unerlässlich. Wie für die Thoraxübersichtsaufnahme liegt auch für die Klassifikation der HRCT-Befunde ein international abgestimmtes Klassifikationsschema vor (Hering et al. 2005), welches aber von der ILO noch nicht als obligat übernommen wurde. In Deutschland wird regional die Beurteilung nach dieser Klassifikation durchgeführt. Die GVS (Gesundheitsvorsorge – ehemals ZAs – Zentrale Erfassungsstelle asbeststaubgefhrdeter Arbeitnehmer) stellt den Beurteilungsbogen und die Untersuchungsempfehlungen als Pdf-Datei zur Verfügung (www.bgetf.de/ gvs). In Praxis und Klinik sind derzeit unterschiedliche Gerätegenerationen mit inkrementalem CT, Einzeilen- und Mehrzeilen-Spiral-Computertomografie mit bis zu 64 Zeilen und mehr im Einsatz. Für Untersuchungen sind Mehrzeilengeräte zu fordern, die eine Untersuchungszeit von unter 10 Sekunden ermöglichen. Die primäre kontrastmittelunterstützte CT-Untersuchung ist für die Frage nach einer interstitiellen Lungenerkrankung nicht indiziert und eher von Nachteil.
Bildgebende Verfahren bei der Begutachtung respiratorischer Erkrankungen
CT/HRCT des Thorax im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung – Empfehlungen des berufsgenossenschaftlichen Arbeitskreises „Zweitbeurteiler“ Bei jeder Anwendung ionisierender Strahlung sind die Vorgaben der Röntgenverordnung einzuhalten. Die „rechtfertigende Indikation“ muss regelhaft vom durchführenden Arzt geprüft werden (§ 23 RöV).
Wer und wann sollte untersucht werden? Als Indikation für eine ergänzende HRCT-Untersuchung gelten: • Abklärung nicht eindeutig erfüllter BK-Meldekriterien im Sinne der BK-Nr. 4103 vor BK-Verdachtsanzeige nach Vorlage der Thorax-p. a.Aufnahme beim Zweitbeurteiler. • Gutachterliche Untersuchung als fachradiologisches Zusatzgutachten, mit Anpassung der CT/ HRCT-Technik an die spezielle Fragestellung. • Zugehörigkeit zu einer definierten Hochrisikogruppe (Exposition, Alter, Rauchgewohnheiten) im Rahmen von Studien.
Besondere Vorgehensweise Bei malignomverdächtigen Befunden im Röntgenbild (Rundherd, Lungenkarzinom, Mesotheliom, Erguss) wird durch den Erstuntersucher die direkte und die schnellstmögliche Abklärung über den Hausarzt/Facharzt veranlasst. Die Untersuchung soll wegen der besonderen Patientenklientel unbedingt nach den entsprechenden Vorschlägen bzw. Leitlinien der Fachgesellschaften durchgeführt werden.
Technische Empfehlungen: Multi-Slice-CT € HRCT (Beispiel fr 4-Zeilentechnik)* CT-Daten • Röhrenspannung: kV-120; Röhrenstrom: mAeff. – 20, 40 (gewichtsadaptiert unter 80 kg 20 mAeff und über 80 kg 40 mAeff) • Rotationszeit: 0,5 s • Einstellparameter: 5 mm/4 × 1 mm/7 mm, (Rekonstruktion/Kollimation/Tischvorschub); ggf. bei Rundherd: 1,25 mm Rekonstruktion aus o. g. Daten HRCT – Bauchlage (nur bei Verdichtungen im dorsalen Lungenmantel erforderlich) • Röhrenspannung: 120 kV; Röhrenstrom: 100 mA • Rotationszeit: 0,75 s • Kollimation 1 mm (2 × 0,5 mm Suchschicht) • 6 – 8 Schichten: Ausgangsschicht in Höhe der Carina als Bezugsschicht auch bei Nachuntersuchungen, 2 Schichten oberhalb, Rest in gleichen Abständen in den kaudalen Abschnitten unterhalb der Carina Vorgehen • Vor Lagerung kurze Hyperventilation • Danach Rückenlage, sofortiger Beginn der Untersuchung in tiefer Inspiration • Vorherige O2-Gabe bei Dyspnoe • Ergänzende Bauchlage siehe oben! Darstellung (Algorithmus/Fensterlage) • Lungenfenster: High Resolution, C – 400/–500, W 2000 HU • Mediastinalfenster: Standard, C 50, W 400 HU • HRCT: High Resolution, C – 400 bis – 500. W 2000 HU * Die technische Entwicklung spricht für MSCT ‡ 16 Zeilen.
Tabelle 3.29 bliche Strahlenexposition bei Rçntgenuntersuchungen. (Aus: Konietzko N et al. Das Strahlenrisiko bei Rçntgenuntersuchungen des Thorax. Pneumologie 2001; 55: 57 – 71). Untersuchung
Oberflchen (Haut)Dosis [mGy]
Mittlere Organdosis [mGy]
Effektive Dosis [mSv]
Thorax p. a. Thorax seitlich HRCT Low Dose HRCT
0,4 0,8 22 5
0,2 0,2 18 4
0,1 0,1 9 2
115
116
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
Abbildung Falls Ausdruck erfolgt: Rekonstruktion 5 mm, lückenlos, Dokumentation jeder Schicht, 20 Bilder/Film 35/43, elektive HRCT-Schnitte größer abbilden, Ausnutzung der Filmgröße. Ausdruck auf Laserprinter, Spezialpapier wird akzeptiert bei Vorliegen der CD-ROM. Obligat: Speicherung aller Bilddaten auf CDROM (DICOM-3-Format). Bei MSCT ‡ 16 Zeilen Anzahl der Rekonstruktionen fr Ausdruck in der Regel zu hoch! Befundauswertung Anwendung des international entwickelten semiquantitativen HRCT-Auswertebogens, ggf. Kurztext für Hausarzt. Sonstiges Untersuchungen ohne Kontrastmittel, nur bei speziellen Befundkonstellationen kann KM eingesetzt werden (z. B. fraglicher Hilusbefund). Bei Verdacht auf Belüftungs- und/oder Perfusionsstörungen ggf. HRCT in Exspiration als additive Untersuchung. Weitere Hinweise zur Technik Vorschläge häufig nicht auf allen CT-Geräten 1 : 1 umzusetzen, Bauchlage bei lageabhängigen dorsalen Verdichtungen bei Mehrzeilengeräten mit sehr kurzen Untersuchungszeiten selten erforderlich; Inkremental- oder Einzeilen-Technik nur in Ausnahmefällen, dann nur ausgewählte Schichten in HRCT-Modus möglich; für höhere Zeilentechnik entsprechende Anpassung erforderlich (s. auch www.drg.de, Link zu den Arbeitsgemeinschaften AG DRauE und AG Thorax).
Semiquantitative, standardisierte Befundung und Klassifikation Thoraxaufnahme p. a. (posterioranteriore Projektion) und fakultativ links seitliche Aufnahme Zur epidemiologischen Forschung, zur einheitlichen Beschreibung und zum internationalen Vergleich hat das Internationale Arbeitsamt (ILO) die Röntgen-Klassifikation (s. Abb. 3.22) von Staublungenerkrankungen entwickelt (Hering et al. 2003, ILO 2002). Die Klassifikation definiert weder pathologische Begriffe noch berücksichtigt sie Fragen
der Arbeitsfähigkeit oder Entschädigungspflicht. Sie gibt aber die Möglichkeit, im Vergleich mit den sog. „Standardfilmen“ Typ und Ausdehnung einer Pneumokoniose einheitlich und reproduzierbar anzugeben. Sie erlaubt internationale Vergleiche und Statistiken und die Entwicklung von Vorsorgeprogrammen. Die p. a.-Aufnahme der Lunge in Hartstrahltechnik bleibt aus Gründen der Verfügbarkeit und zum epidemiologischen Vergleich mit den Altdaten die internationale Grundlage für die Überwachung und Begutachtung beruflich staubexponierter Personen. Die routinemäßige Anfertigung der Seitaufnahme ist im Vorsorgeprogramm nicht vorgesehen, ist jedoch nach Analyse des p. a.-Bildes bei der Vorsorge und bei gutachterlichen Fragestellungen öfters gerechtfertigt.
Computertomografie in hochauflçsender Technik (HRCT = HighResolution-Computed-Tomografie) HRCT ist mittlerweile in der Diagnostik von Staublungenerkrankungen unverzichtbar. Vereinbarungen über eine standardisierte Untersuchungstechnik und einheitliche Befundung liegen vor (Al Jarad et al. 1992, Kraus et al. 1996), eine international abgestimmte Version wurde publiziert und wird auch in Deutschland regional angewandt (Hering et al. 2004, Hering et al. 2005). Die ILO hat sich aber noch nicht zu einem einheitlichen CT-Schema entschlossen. Von der Arbeitsgemeinschaft „Diagnostische Radiologie bei arbeits- und umweltbedingten Erkrankungen“ der DRG (Deutsche Röntgengesellschaft) wurde der CT-Beurteilungsbogen (s. Abb. 3.23) mit entwickelt. Er basiert auf Erfahrungen aus gutachterlichen Stellungnahmen, arbeitsmedizinischen nachgehenden Untersuchungen und Fortbildungskursen und wird auch im Rahmen laufender Vorsorgeuntersuchungen eingesetzt. Ziel ist, die computertomografische Befundung der Pneumokoniosen zu standardisieren und dem ILO-Schema anzunähern (Hering et al. 1994, Hering et al. 2004). Die Buchstaben und Symbole gelten wie bei der ILO-Klassifikation als Beschreibungsmerkmale und beinhalten keine pathohistologische oder ätiopathogenetische Aussage, sodass das Schema auch bei berufsunabhängigen Lungen- und Pleuraerkrankungen angewandt werden kann. In Anlehnung an die ILO-Standardfilme wurden CT-Filme als Satz von Referenzbeispielen zusammengestellt.
Bildgebende Verfahren bei der Begutachtung respiratorischer Erkrankungen
Satz IV
Datum der Untersuchung
RV-Nr./Belegnummer Name, Vorname
. Tag
.
.
Monat
Jahr
Röntgenbefund nach der ILO Klassifikation 2000/Bundesrepublik (Berufsgenossenschaftliche Grundsätze G 1.1, G 1.2 bzw. G 1.3) Bildgüte Kleine Schatten Streuung Rundliche Form Größe p q r
Unregelmäßige Form
Lunge
Größe
s
t
u
Gemischte Formen
Große Schatten
Adhärenz des kostophrenischen Winkels
+ =
±
+
u
T
seitl. Aufnahme vorhanden
0/−
1/0
2/1
3/2
Felder RO
0/0
1/1
2/2
3/3
RM
LM
keine
fr
0/1
1/2
2/3
3/+
RU
LU
aa
hi
0/−
1/0
2/1
3/2
RO
LO
at
ho
0/0
1/1
2/2
3/3
RM
LM
ax
id
0/1
1/2
2/3
3/+
RU
LU
bu
ih
0/−
1/0
2/1
3/2
RO
LO
ca
kl
0/0
1/1
2/2
3/3
RM
LM
0/1
1/2
2/3
3/+
RU
LU
cg
me
cn
od
co
pa
cp
pb
cv
pi
di
px
ef
ra
em
rp
es
tb
LO
Größe
A
RO
LO
o.B.
B
RM
LM
C
RU
LU
o.B. R
Symbole
L
Pleura
Verbreitung/Dicke/< 3 mm/Aufsicht Verbreitung/Dicke/< 3 mm/Aufsicht Pleuraverdickung diffus seitliche Brustwand
R o.B.
1
a
2 3
L
1
a
RO
LO
b
2
b
RM
LM
c
3
c
RU
LU
Verbreitung/Dicke/< 3 mm/Aufsicht Verbreitung/Dicke/< 3 mm/Aufsicht R
1
a
2
b
3
c
Pleuraverdickung umschrieben (Plaques)
o.B.
Pleuraverkalkung
Zwerchfell L o.B. R
L
Brustwand R L R
Lokalisation
1
a
Zwerchfell R
2
b
Brustwand
3
c
L
Sonstige L
BK-Beurteilung*) Keine Hinweise auf anzeigepflichtige Veränderungen Anzeigepflicht**): Begründeter Verdacht Silikose (BK-Nr. 4101)
Asbestose (BK-Nr. 4103)
Asbestverursachter Kehlkopfkrebs (BK-Nr. 4104)
Siliko-Tuberkulose (BK-Nr. 4102)
Asbestverursachte Pleuraerkrankung (BK-Nr. 4103)
Lungenkrebs bei nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (BK-Nr. 4112)
Asbestverursachter Lungenkrebs (BK-Nr. 4104)
Asbestverursachtes Mesotheliom des Rippenfells, Bauchfells oder Perikards (BK-Nr. 4105) Erkrankungen durch ionisierende Strahlen (BK-Nr. 2402)
Sonstiges:
Begründung BK/Ergänzende Befunde***)/Vorschläge und/oder veranlasste Maßnahmen (Bitte in Druckbuchstaben)
3683198456
Stempel und Unterschrift des Arztes *) Bitte Zutreffendes ankreuzen **) Bitte BK-Anzeige erstellen und an den zuständigen UV-Träger senden sowie den Versicherten unterrichten. ***) In begründeten Fällen gem. Nr. 3.2.1/4.3 der Grundsätze G 1.1, G 1.2 bzw. G 1.3 sowie Nr. 5 G 1.2 bzw. G 1.3
Abb. 3.22 Rçntgenbefund nach der ILO-Klassifikation. Erklrung der Symbole: siehe Seite 127 – 128.
117
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
CT-Klassifikation Name/Nr.
CT-Nr./Datum
Qualität
Schichtzahl
Schichtzahl
Schichtdicke Fenstereinstellungen
Position
kV
1
BL
Single slice Spir.
mA
2
RL
Multi slice Spir.
sec
3 4
CT-Befund 2001 Ist der gesamte Film ohne Befund?
nein
ja
Symbole
Häufigste Größe Rundliche Schatten (scharf begrenzt) nein
nein
Nein
Felder/Streuung R 0 1 2 3
P = < 1,5 mm
nein
ja
O
Q = 1,5 − 3 mm
nein
ja
M
R = > 3 − 10 mm nein
ja
U
L 0
1
2
AX
3
BE
Gesamtstreuung
BR
ja
Häufigster Typ
Irreguläre und/oder lineare Schatten (scharf begrenzt)
BU
Felder/Streuung R 0 1 2 3
Intralobulär
nein
ja
O
Interlobulär
nein
ja
M
CA L 0
1
2
CG
3
CV
Gesamtstreuung
DI
ja U
DO
Lunge
R 0
Inhomogene Verschattung nein
Ground glass
ja
nein
1
L 2
3
0
1
2
ES
Gesamtstreuung
M
ja
EF
3
O
FP
U R 0 Honeycombing
O
nein
M
ja
1
FR R
L 2
3
0
1
2
Emphysem
3
0
1
L 2
3
0
1
2
nein
ME
Gesamtstreuung
M
ja
HI
3
O
U
MP
U
OD PB
Gesamtstreuung R Große Schatten nein
ja
RA
L
A
O
Häufigster parenchymaler Befund
B
M
RS
C
U
IR
GG
HC
SC
EM
TB
GS
TD Häufigster Typ
Pleurale Befunde Pleura
118
nein
ja
R
nein
ja
visceraler Typ
nein
ja
O
M
nein
ja
M
D
nein
ja
U
W
Pleurale Verkalkungen
Lokalisation
nein
W
ja
Ausdehnung/Dicke
parietaler Typ
M
R
L
L
0
1
2
3
0
1
2
3
0
a
b
c
0
a
b
c
D
Bemerkungen/Zusammenfassung
Datum
Unterschrift 9666451513
Abb. 3.23 CT-Beurteilungsbogen der Deutschen Rçntgengesellschaft.
Bildgebende Verfahren bei der Begutachtung respiratorischer Erkrankungen
Inhalationsfolgen im radiologischen Befundmuster Die radiomorphologische Darstellung der vielfältigen parenchymalen Veränderungen ist durch das Auflösungsvermögen der HRCT limitiert. Wegen des hohen Kontrastes zwischen Luft und Gewebe sind die Voraussetzungen, eine differenzierte, hochauflösende Abbildung der Lungenstrukturen in Annäherung an die pathomorphologischen Gegebenheiten bis hin zum Lobulus, ggf. bis zum Azinus zu erreichen, technisch vorhanden (Churg u. Green 1998, Kauczor et al. 1996, Müller u. Grewe 1992, Mueller-Mang et al. 2007). Die diagnostische Interpretation des Bildmaterials berücksichtigt: 1. Befundmuster und regionale Verteilung. Es werden mikronoduläre, noduläre, retikuläre und nodulär-retikuläre Veränderungen unterschieden, nicht selten gleichzeitig mit Begleitbefunden wie milchglasähnliche Verdichtung und regional unterschiedliche Luftretention (z. B. „Mosaic Perfusion“ und „Air Trapping“). 2. Anatomische Strukturen als „Pfadfinder“ der Krankheitsausbreitung. Wichtige anatomische Parameter sind die interund intralobulären Strukturen, d. h. der Kernbereich mit dem bronchovaskulären Bündel, die Peripherie des Lobulus (secondary pulmonary lobule) mit Septum, Vene und Lymphgefäß sowie die azinären Bestandteile (primary pulmonary lobule) wie Alveoli, Kapillaren und respiratorische Bronchiolen (Webb 2006). Beide Betrachtungsweisen sind in der interdisziplinär erstellten Tabelle der ATS-ERS-Kriterien zur Einordnung der idiopathischen interstitiellen Erkrankungen (IIP’s = Idiopathic Interstitial Pneumonias) berücksichtigt (s. Tab. 3.30) (American Thoracic Society/European Respiratory Society 2002, Kroegel et al. 2003). Die Klassifikation der IIP’s basiert auf histologischen Kriterien, die mit den charakteristischen computertomografischen Bildmustern korreliert und in das interdisziplinäre kli-
UIP • eindeutige apikobasale Gewichtung • heterogenes Befundmuster • Honeycombing • Traktionsbronchiektasen
nische Gesamtbild integriert werden (MuellerMang 2007). Der Unterscheidung zwischen UIP und NSIP kommt besondere Bedeutung zu, da für die NSIP günstigere therapeutische und prognostische Ansätze bestehen. Ob ein Zusammenhang der NSIP mit berufsbedingten Einwirkungen besteht, lässt sich derzeit nicht bestätigen (s. Abb. 3.24):
Zuordnung des Befundmusters zur auslçsenden Noxe Das radiologische Befundmuster der Lungen- und Pleuraveränderungen nach Inhalation von Schadstoffen ist nicht verlässlich einer auslösenden Noxe zuzuordnen. Obwohl einige der deskriptiven Bezeichnungen mit pneumokoniotischen Befunden verknüpft sind, wie rundliche mikronoduläre Verdichtungen mit der Silikose oder interlobuläre septale und intralobuläre nicht-septale Linien und „honeycombing“ mit der Asbestose, finden sich überlappende Befundmuster, die differenzialdiagnostisch das große Spektrum der interstitiellen Lungenerkrankungen umfassen. 1867 wurde von Zenker der Ausdruck Pneumokoniose für alle Veränderungen geprägt, die als Folge der Retention inhalierter anorganischer und organischer Stäube auftraten. Die Definition anlässlich der 4. Internationalen Konferenz in Bukarest 1971 lautet: “Pneumoconiosis is the accumulation of dust in the lungs and the tissue reactions to its presence. For the purpose of this definition, ‘dust‘ is meant to be an aerosol composed of solid inanimate particles”. Dieser Terminus wurde daraufhin überwiegend auf anorganische Stoffe angewandt (Churg u. Green 1998, Hering 2003, Müller u. Grewe 1992). Im Folgenden soll aber auf alle Inhalationsschäden kurz eingegangen werden.
NSIP • keine eindeutige Gewichtung • homogenes Befundmuster • Milchglasphänomen • Mikronoduli
Abb. 3.24 Unterscheidung UIP (usual interstitial pneumonia) und NSIP (nonspecific interstitial pneumonia).
119
120
Medizinische Grundlagen für die Begutachtung Tabelle 3.30 ATS-ERS-Kriterien (Konsensuspapier der American Thoracic Society, ATS, und European Respiratory Society, ERS) zur Einordnung der idiopathischen interstitiellen Erkrankungen (IIP’s = Idiopathic Interstitial Pneumonias). Klinische Diagnose
Histologie
Typische Verteilung im CT/HRCT
Typische CT-Befunde
CT-Differenzialdiagnose
IPF/CFA
UIP
apikobasale Gewichtung, subpleural, peripher dominant, basalbetont
retikulr-lineare Verdichtungen, eher makrozystisches „honeycombing“, Traktionsbronchiektasen/-bronchioloektasen, Distorsion pulmonaler Strukturen, Schrumpfungstendenz, fokales Milchglasphnomen
Asbestose, Kollagenose, NSIP, chronische EAA, Sarkoidose
NSIP
NSIP
peripher, subpleural, basalbetont, aber keine eindeutige Gewichtung, symmetrisch
milchglasdichte, lineare und retikulre, auch mikronodulre Verdichtungen, Konsolidierungstendenz, mikrozytisches „honeycombing“
UIP, DIP, COP, chron. EAA Pat. etwa 1 Dekade jnger als IPF-Pat.
COP (BOOP)
OP
peribronchiolre fleckfçrmige Verdichtungen, keine eindeutige Prvalenz, hufig basalbetont mit Aussparung des Subpleuralraumes, Migrationstendenz
fleckig-konfluierende Herde, zentrilobulr, Makronoduli, bilaterale Konsolidation, tubulre Bronchial- und Bronchiolenerweiterung
Infektion, Vaskulitis, Sarkoidose, Alveolarzell-Karzinom, Lymphome, eosinophile Pneumonie, NSIP
AIP
DAD
diffus mit Dominanz der Unterfelder, symmetrisch
progressives, gleichfçrmig verteiltes Milchglasphnomen mit partieller Konsolidation, hufig einzelne Lobuli ausgespart; im weiteren Verlauf Traktionsbronchiektasen und Distorsion parenchymaler Strukturen
dem, Pneumonie, akute eosinophile Pneumonie
DIP
DIP/AMP
apikobasale Gewichtung, basal und peripher betont
diffuses und nodulres Milchglasphnomen, milchglashnliche Fleckschatten (alveolre Makrophagenakkumulation), lineare Verdichtungen, gelegentlich Zysten
NSIP, RB-ILD, EAA, Sarkoidose, PCP
RB-ILD
RB
diffus mit Dominanz der Oberfelder
zentrilobulre nodulre Verdichtungen (wattebauschhnlich), Wandverdickung von Bronchien und Bronchiolen, fleckfçrmiges Milchglasphnomen (peribronchiolre Makrophagenakkumulation)
DIP, NSIP, akute EAA
LIP
LIP
diffus mit Dominanz der Unterfelder
nodulr-retikulre Verdichtungen, zentrilobulre mikronodulre Verdichtungen, interlobulre und bronchovaskulre Knçtchen, dnnwandige Zysten
Sarkoidose, Lymphangiosis carcinomatosa, Histiozytose
Beachte l Krankheits-Berufsanamnese, Medikamenteneinnahme etc. l Endgltige Diagnose nur in enger Zusammenarbeit zwischen Klinik, Pathologie und Radiologie mçglich! l Cave: DD immer neben Bildmuster anatomische Verteilung beachten! Abkrzungen: AIP = acute interstitial pneumonia; AMP = alveolar macrophage pneumonia; BOOP = bronchiolitis obliterans organizing pneumonia; CFA = cryptogenic fibrosing alveolitis; COP = cryptogenic organizing pneumonia; DAD = diffuse alveolar damage; DIP = desquamative interstitial pneumonia; EAA= extrinsic allergic alveolitis; IPF = idiopathic pulmonary fibrosis; LIP = lymphocytic interstitial pneumonia; NSIP = nonspecific interstitial pneumonia; OP = organizing pneumonia; PCP = pneumocystis carinii pneumonia (neu: pneumocystis jiroveci) RB-ILD = respiratory bronchiolitisassociated interstitial lung disease; UIP = usual interstitial pneumonia
Bildgebende Verfahren bei der Begutachtung respiratorischer Erkrankungen
Abb. 3.25 Asbeststaubinduzierte Befunde am Lungenparenchym und an der Pleura.
Abb. 3.26 Asbeststaubinduzierte Befunde an der Pleura (v. a. am Diaphragma und an der Brustwand).
Asbestose und asbeststaubbedingte Pleuravernderungen
Der Einsatz des HRCT führt zu einer früheren und exakteren Erfassung reaktiver astbeststaubinduzierter Befunde am Lungenparenchym und an der Pleura (s. Abb. 3.25).
Das radiologische Bild der Asbestfolgen ist durch parenchymale und pleurale Veränderungen gekennzeichnet (Hering 2003, Müller u. Grewe 1992). Arbeitsschutztechnische Maßnahmen einschließlich des Verwendungsverbots von Asbest haben dazu geführt, dass die Parenchymbelastung ständig abnimmt. Der Gutachter muss daher bevorzugt auf pleurale Befunde achten, denn dort spielen sich die Folgeerscheinungen niedriger Expositionen vorwiegend ab. Das Thoraxübersichtsbild ist geprägt durch irreguläre feine Verdichtungen mit vorwiegender Anordnung in den Lungenunterfeldern und hyaline pleurale Verdickungen (s. Kasten). Nach der ILOKlassifizierung (Hering et al. 2003, ILO 2002) werden die unregelmäßigen Schatten in Abhängigkeit von ihrem Kaliber mit s < 1,5 mm, t = 1,5 – 3 mm und u = 3 – 10 mm bezeichnet und je nach Streuung anhand von vergleichenden ILO-Standardfilmen eingestuft. Der Begriff „hyaline pleurale Verdickungen“ beinhaltet streng genommen eine pathologischanatomische Aussage, die der Radiologe gar nicht stellen kann. Der Begriff ist aber seit Langem eingeführt und durch Erfahrung begründet.
Radiologische Zeichen der Asbestose Computertomografisch sind fünf wesentliche Charakteristika zu nennen: a) betonte retikuläre interstitielle Zeichnung mit inter- und intralobulären Verdickungen b) curvilineare subpleurale Zeichnungsvermehrung parallel (< 1 cm) zur Brustwand, entspricht frühen Veränderungen einer intralobulären Fibrose c) milchglasartige Trübungsbereiche mit weiterhin vorhandener Sichtbarkeit der Gefäße und Bronchialwände d) ggfs. (Traktions-)Bronchiektasen und Bronchioloektasien e) Honigwabenmuster mit zystenähnlicher Konfiguration, aber verdickten Wänden Verteilung: peripher subpleural, dorsal basal betont; häufig bilateral symmetrisch Zusätzliche, fakultative CT-Charakteristika: f) Parenchymbänder von 2 bis 5 cm Ausdehnung mit Pleurakontakt g) Rundatelektasen nahe pleuraler Verdickung, vielfach mit „Kometenschweif“ von Gefäßen und Atemwegen.
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
Abb. 3.27 a – d Interstitielle Lungenfibrose, b und d diaphragmale Plaque, bei Patienten ohne berufliche Asbeststaubexposition.
Beim derzeitigen radiologisch und klinisch wissenschaftlichen Erkenntnisstand können die Pleuraveränderungen mit hoher Wahrscheinlichkeit als charakteristisches Korrelat einer beruflichen Asbeststaubexposition (sog. Brückenbefunde) gesehen werden (s. Abb. 3.26). Einseitige und interlobäre Plaques haben den gleichen Stellenwert (Fraser et al. 1999). Für alle anderen – insbesondere isolierte parenchymale – Veränderungen kann der Kausalzusammenhang zwischen computertomografisch objektivierbaren Befunden und einer Asbest-Feinstaub-Exposition derzeit nicht zweifelsfrei im Sinne einer beginnenden Asbestose
interpretiert werden. Bei fehlender beruflicher Belastung können sie auch Ausdruck einer ätiopathogenetisch völlig differenten interstitiellen Lungenfibrose sein (s. Abb. 3.27).
Silikose Das klassische Erscheinungsbild der Silikose sind reguläre, rundliche Fleckschatten, die bevorzugt in den Oberfeldern auftreten und auch der Pleura viszeralis anhaften können (s. Abb. 3.28). Diese pleuralen Herde werden im CT als Pseudoplaques
Bildgebende Verfahren bei der Begutachtung respiratorischer Erkrankungen
Abb. 3.28 Rundliche Fleckschatten bei Silikose.
Abb. 3.29 Bergarbeiter-Silikose mit rundlichen und irregulren Fleckschatten, konfluierenden Ballungsherden und Traktions-Bronchiektasen sowie pleuraler Beteiligung.
oder subpleurale Perlen beschrieben und sind auf der Thoraxübersicht nicht darstellbar. Die akute Silikose trat häufig im Tunnelbau auf und verläuft unter dem Bild der alveolären Proteinose (Hering 2003, Müller u. Grewe 1992). Da in Deutschland in den Begriff Silikose auch die Bergarbeiter-Silikose eingeschlossen ist (angloamerikanisch = CWP – Coal-Workers-Pneumoconiosis) (s. Abb. 3.29), ergibt sich kein einheitliches Bild. In Abhängigkeit von der unterschiedlichen fibrogenen Potenz der Silikate können irreguläre Fleckschatten hinzukommen. Über-
wiegt der Staubanteil mit geringer fibrogener Wirkung, kann das radiologische Bild der alveolären und/oder bronchiolitischen Schädigung überwiegen. Auch die Veränderungen bei chronisch obstruktiver Bronchitis oder beim Emphysem der Bergleute beeinflussen das Bild. Bei Erkrankungen mit peripheren Belüftungsstörungen sollte die HRCT ergänzend als Exspirations-CT angefertigt werden. Nach der ILO-Klassifikation (Hering u. Jacobsen 2003, ILO 2002) werden die kleinen Schatten nach dem Durchmesser angegeben: p < 1,5 mm,
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
Multiple noduläre Veränderungen
Pleurale noduläre Veränderungen
Keine pleurale noduläre Veränderungen
fleckig, subpleural, peribronchovaskulär oder vorwiegend septal
diffus und uniform, keine überwiegende Form
perilymphatische Verteilung
„zufällige“ Verteilung
zentrilobuläre Verteilung z.B. EAA
Sarkoidose Silikose Lymphangiose
miliare Herde (z.B. Tbc)
Erkrankungen der Luftwege und/oder Gefäße
intralobuläres Verteilungsmuster
interlobuläres und peribronchovaskuläres Verteilungsmuster
Abb. 3.30 Diffenzialdiagnostik multipler nodulrer Vernderungen im CT.
q = 1,5 – 3 mm und r = 3 – 10 mm. Die radiologische Wertung der Fleckschatten pro Lungenzone richtet sich ausschließlich nach dem Vergleich mit deckungsgleichen Standardfilmen der ILO. Die Computertomografie erfasst erwartungsgemäß die Veränderungen zu einem früheren Zeitpunkt als die konventionellen Thoraxaufnahmen und erfordert eine differenzierte differenzialdiagnostische Zuordnung (s. Abb. 3.30). Für die Einordnung der CT/HRCT-Befunde in Korrelation zur ILO-Kodie-
rung steht noch keine einheitliche quantitative Beurteilung zur Verfügung. Auch gibt es keine größeren Untersuchungen über einen Vergleich zwischen Thoraxaufnahmen mit einer bestimmten Streuungsdichte und dem dazugehörigen HRCTBild. Daher sollte bei der Befundung der CT/HRCTUntersuchungen ähnlich wie bei der ILO-Kodierung unbedingt das semiquantitative, international abgestimmte Schema eingesetzt werden (Hering et al. 2004, Hering u. Kraus 2005).
Bildgebende Verfahren bei der Begutachtung respiratorischer Erkrankungen
Sonstige anorganische, potenziell fibrogene Stube Nach Exposition von früher sogenannten „inerten“ Stuben (z. B. Eisen) entstehen aggregierte partikelbeladene Makrophagen, die primär nicht oder allenfalls zu einer geringen Fibrose führen. Diese Veränderungen lassen sich projektionsradiografisch in der Regel nicht erfassen. Die Makrophagenaggregate bewirken im HRCT geringe Absorptionsunterschiede der ionisierenden Strahlung, die sich als azinäre milchglasähnliche Verdichtungen darstellen. Bei der vereinzelt massiven Siderofibrose dominieren retikuläre und noduläre Verschattungen. Rußbedingte Folgeerscheinungen können radiologisch ein feines retikuläres Muster erzeugen, vorwiegend in den basalen Lungenabschnitten und sind ebenfalls häufig nur mit der HRCT nachweisbar. Hartmetallfibrosen ergeben in der Regel ein Bildmuster wie bei der desquamativen interstitiellen Pneumonitis (DIP), gelegentlich auch der UIP. Zur Diagnose früher Veränderungen ist ein HRCT unerlässlich (Churg 1998, Hering 2003, Tuengerthal 1999).
„Organische“ Stube, exogen-allergische Alveolitis (EAA) Die radiografischen Muster der EAA verschiedener Ursache sind wegen der Ähnlichkeit ihrer histologischen Reaktionen uncharakteristisch. Sie variieren mit dem Stadium der Erkrankung. Das radiologische Bildmuster kann trotz unterschiedlicher Ursachen identisch sein. Akute – normalerweise reversible – Veränderungen bewirken eine diffuse milchglasähnliche Verdichtung, ein retikulonoduläres interstitielles Muster und fleckige Herde mit Konsolidierung (s. Abb. 3.31). Chronische – normalerweise irreversible – Veränderungen ergeben das Bild der interstitiellen Fibrose bis zur Destruktion (Honeycombing). Es sei darauf hingewiesen, dass sich im Endstadium einer EAA mitunter auch ein Röntgenbild mit vorherrschenden Emphysemveränderungen ergeben kann, nach Mitteilungen in der Literatur in der Häufigkeit bis zu 40 %. Während des Krankheitsverlaufes finden sich überlappend akute, subakute und chronische Pha-
Abb. 3.31 a, b Diffuse milchglashnliche Verdichtung, retikulonodulres interstitielles Muster und fleckige Herde mit Konsolidierung bei akuter exogen-allergischer Alveolitis. sen, sodass diese Bildmuster auch nebeneinander auftreten können. Das konventionelle Thoraxbild kann trotz schweren Krankheitsverlaufes negativ sein, die HRCT führt deutlich früher zum Nachweis. In der Regel findet sich ein retikuläres bis retikulo-noduläres Bildmuster. Charakteristisch sind noduläre, unscharf begrenzte Schatten im peribronchialen Gewebe, zentrilobulär angeordnet. Das sog. „tree in bud“-Muster, der Vergleich mit einem in Knospen stehenden Baum, ist Ausdruck eines Prozesses in den Bronchiolen und den angrenzenden Azini mit Anreicherung von putridem, mukoidem oder liquidem Substrat. Vielfach ist das Verteilungsmuster durch Übergangsphasen gekennzeichnet. Im CT können aktive Bereiche durch regionale milchglasähnliche Verdichtungen von fibrotischen, narbig deformierten Lungenbezirken abgegrenzt werden. Der zeitlich rasche Wechsel im Röntgen-/HRCT-Bild zwischen fleckförmig milchglasähnlicher Struktur und retikulonodulärem Muster nach Aussetzen der Inhalationsnoxe ist für die EAA typisch. Die radiologisch fassbaren Veränderungen lassen keine Zuordnung zum auslösenden Agens zu,
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
Wasserlöslichkeit: hoch
gering
Schadenslokalisation: peripher: Alveolitis, Lungenödem zentral: Tracheitis, Bronchitis, Bronchiolitis
Abb. 3.33 Lokalisation der Schdigung an den Atemwegen in Abhngigkeit von der Wasserlçslichkeit des schdigenden Agens.
Abb. 3.32 a, b Lungenschdigung durch toxische Gase. a Inspirationsaufnahme. b Exspirationsaufnahme mit „Air trapping“. sodass nur die sorgfältige Arbeitsanamnese und die Ermittlung der Kontaktstoffe eine Eingrenzung ermöglichen (Hering 2003).
Akute Inhalation von Rauchen, toxischen Gasen und Aerosolen Eine einheitliche, allgemein gültige Einteilung der inhalierbaren Luftschadstoffe existiert nicht. Das Risiko eines inhalativ bedingten pulmonalen Schadens ist durch die Konzentration, die Dauer der Exposition und die chemische Zusammensetzung des Stoffes und den dadurch bedingten Ort der Einwirkung bestimmt. Je weniger wasserlöslich eine Substanz ist, desto peripherer tritt die Wirkung ein (z. B. Phosgen, Stickoxide, Ozon) (s. Abb. 3.32 und Abb. 3.33). Entsprechend wechselt das morphologische Substrat mit peripherer oder zentraler Schädigung (Fraser 1999, Hering 2003, Tuengerthal 1999). Die direkte Hitzeeinwirkung auf die Atemwege kann zu Verbrennungen in den Nasengängen führen, im Tracheobronchialsystem zur Zerstörung des Flimmerepithels und zu Nekrosen der Schleimhäute.
Die zentrale Irritation ergibt eine Tracheobronchitis und/oder Bronchiolitis mit konsekutiver Obliteration, Atelektase und evtl. bakterieller Pneumonie. Die peripheren Schäden führen zu einer Zerstörung der alveolokapillären Membran und zum Lungenödem. Dabei ist zu beachten, dass das Ödem erst nach einem symptomarmen Intervall auftreten kann. Dies gilt insbesondere nach Inhalation von Phosgen, Nitrosegasen, Metallcarbonyl und Ethylenimin, bei denen nach Abklingen der Initialsymptome in den oberen Luftwegen ein trügerisches symptomfreies Intervall eintritt, das nach 6 – 12 Stunden, in einigen Fällen bis zu einigen Tagen, in einem lebensbedrohlichen Lungenödem bis zum ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome) enden kann. Der radiologische Befund erlaubt zwar, insbesondere mithilfe der HRCT, eine frühe Darstellung des Schadensbildes, doch ist die Identifikation der auslösenden Noxe mit bildgebenden Verfahren nicht möglich. Frühe Veränderungen ergeben in der Regel kein pathologisches Röntgenbild. Die HRCT ist in der Lage, diskrete akute und chronische Veränderungen nachzuweisen. Die Diagnose stützt sich auf die Erhebung der Krankheitsvorgeschichte und die Erforschung der Schadstoffexposition. Hitzeeinwirkungen mit Verbrennungen der oberen Luftwege ergeben primär keinen radiologischen Befund; erst die peripheren Parenchymschäden werden sichtbar. Wegen der verzögerten peripheren bronchioalveolären Schädigung treten die Zeichen des nichtkardialen Lungenödems oft erst nach 6 – 36 Stunden auf. Als Endstadium kann eine interstitielle Lungenfibrose resultieren. Die emphysematösen Veränderungen bei Rauchern treten vorwiegend subpleural auf. Die bronchiolären und alveolären Reaktionen bieten im HRCT das Bild der respiratorischen Bronchiolitis.
Bildgebende Verfahren bei der Begutachtung respiratorischer Erkrankungen Die wichtigsten Merkpunkte der radiologischen Diagnostik vor allem der akuten Schädigungsfolgen von Rauchen und Gasen sind: 1. Ein negatives Röntgenbild schließt einen Inhalationsschaden nicht aus. 2. Das charakteristische Zeichen einer Inhalationsschädigung ist in der akuten Phase das Bild des Lungenödems, interstitiell und alveolär meist kombiniert. 3. Radiologische Zeichen des Lungenödems können der klinischen Manifestation vorausgehen. 4. Die Computertomografie ist zur Diagnose und zur Verlaufsbeurteilung unerlässlich, sowohl zur primären Abschätzung des Schadens als auch in der Beschreibung der Folgeerscheinungen.
Maligne Prozesse Weltweit werden derzeit Studien zum Bronchialkarzinom-Screening bei Risikogruppen (z. B. Raucher und ehemals beruflich Asbestexponierte) mit Low-Dose-Computertomografie durchgeführt. Die Risikogruppen der beruflich Asbestexponierten werden nach Alter, Latenzzeit und Höhe der beruflichen Belastung und Rauchgewohnheiten ermittelt. Zur Frage der primären Operabilität von Bronchialkarzinomen ergibt sich zunehmend die Indikation für eine PET-Untersuchung. Im Zusammenhang mit einer Begutachtung dient das CT/HRCT nicht zur Einschätzung des Tumorstadiums und/oder der Prognose sondern zum Nachweis von Brückenbefunden vorausgegangener Schadstoffinhalation. Für Mesotheliome ist ein bildgebendes Verfahren zur Früherkennung noch nicht vorhanden. Es finden sich allenfalls zufällige Frühbefunde bei Studien oder bei Abklärung eines unklaren Ergusses, der insbesondere mithilfe der Sonografie im Sitzen frühzeitig erkannt werden kann (Churg 1998, Hering 2003, Müller u. Grewe 1992, Tuengerthal 1999). Für die differenzierte Diagnostik mittels HRCT gelten folgende Merkpunkte: • Die rechtfertigende Indikation für ein HRCT in adäquater Technik ist zur Abklärung von parenchymalen und pleuralen Erkrankungen in der Regel gegeben.
•
•
•
Das radiologische Bildmuster der Lungen- und Pleuraveränderungen nach Inhalation von Schadstoffen unterschiedlicher Zusammensetzung ist nicht regelhaft einer auslösenden Noxe zuzuordnen, auch wenn z. B. rundliche mikronoduläre Verdichtungen mit der Silikose oder interlobuläre septale und intralobuläre nicht-septale Linien sowie „honeycombing“ mit der Asbestose verknüpft sind. Die differenzialdiagnostischen Abwägungen bei der Einordnung der idiopathischen interstitiellen Lungenerkrankungen anhand der ATS-ERSKriterien erfordern vom Radiologen grundlegende Kenntnisse der klinischen und morphologischen Aspekte. Die definitive Diagnose verlangt die Zusammenschau von Krankheits- und Berufsanamnese sowie pathologischen, radiologischen und klinischen Befunden im interdisziplinären Gespräch.
Anhang: Rçntgenklassifikation nach ILO siehe hintere Umschlaginnenseite Anhang: CT/HRCT-Klassifikation fr arbeits- und umweltbedingte respiratorische Erkrankungen 1. Beurteilung der Bildgte: 1 = ohne Beanstandung; 2 = akzeptabel. keine diagnostische Einbuße; 3 = akzeptabel, noch ausreichend für die Klassifikation; 4 = unbrauchbar für die Klassifikation/Fragestellung nicht zu beantworten. Untersuchungsparameter; Fenstereinstellungen, ein weites Fenster ist unabdingbar; z. B. C = – 300 bis – 500 HU; W = 2000 HU und C = 30 bis 50 HU, W = 400 HU Lagerung, ausschließlich Rückenlage, auch Bauchlage? 2. Lungenvernderungen: a) Ort und Ausmaß der Vernderungen (gilt für alle parenchymalen Veränderungen): Angabe für jede Seite, rechts (R) oder links (L) je „Thoraxfeld“ keine anatomische Zuordnung, Orientierung am p. a.-Thoraxröntgenbild nach ILO-Klassifikation:
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Medizinische Grundlagen für die Begutachtung
b)
c)
d)
e)
OF = Oberfeld – Bereich oberhalb des Aortenbogens MF = Mittelfeld – vom Aortenbogen bis zur unteren Pulmonalvene UF = Unterfeld – unterhalb der Pulmonalvene mit Einschluss des Diaphragmas. 0 = keine; 1 = gering; 2 = mäßig; 3 = schwer; gesamt = Summe der Einzelfelder, mögliche Streubreite bei 6 Feldern 0 – 18. Beispiel: R–O–3 L–O – 2 M–2 M–1 U–0 U–0 Summe = 8 Form und Grçße: i. Kleine, glatt begrenzte, rundliche Herde: <1,5 mm (auch mikronodulär = P), 1,5 – 3 mm (= Q), 3 – 10 mm (= R) ii. ii. Kleine, unregelmäßig begrenzte und/ oder lineare Verdichtungen: intralobuläre, nicht septale und interlobuläre, septale Veränderungen Inhomogene Strahlenabsorption: i. Mosaik-Bildmuster: 1 = fokal; 2 = fleckig (patchy); 3 = diffus ii Zusätzliche Angaben zur Perfusion (MP = Mosaic Perfusion) und Milchglasphänomen (GG = Ground Glass) Honeycombing mit honigwabenhnlicher Destruktion des Parenchyms: i. Jede Seite und jedes Feld getrennt ii. 1 = gering; im subpleuralen Raum (Lungenmantel) bis zu 10 mm Abstand von der Pleura; 2 = mäßig; im subpleuralen Raum (Lungenmantel) > 10 bis etwa 30 mm Abstand von der Pleura; 3 = schwer; > 30 mm Abstand von der Pleura bis zur gesamten Schnittfläche Emphysem (unabhngig vom Typ): i. Jede Seite und jedes Feld getrennt ii. 1 = gering; bis zu 15% der Schnittflächen eines Feldes; 2 = mäßig; 15 – 30% der Schnittflächen eines Feldes; 3 = schwer; > 30% der Schnittflächen eines Feldes iii. Angaben zu azinär, panlobulär, subpleural oder narbig unter „Ergänzende Befunde“, Bullae als Symbol „BU“
3. Große Herde a) Sowohl pneumokoniotische als auch nichtpneumokoniotische Herde mit einem Durchmesser > 1 cm werden kodiert. i. A = ein oder mehrere Herde, jeder größer als 1 cm, einzeln oder gesamt £ 1/4 des re Quadranten des CT-Schnittes in Höhe der Carina ii. B = ein oder mehrere Herde > „A“, gesamt £ 1/2 des re Quadranten des CT-Schnittes in Höhe der Carina iii. C = ein oder mehrere Herde > „B“, gesamt ‡ 1/2 des re. Quadranten des CT-Schnittes in Höhe der Carina b) Bei Verdacht auf einen malignen Prozess ergänzend Symbol „CA“ 4. Angabe des hufigsten parenchymalen Befundes, abhngig vom Summen-Score: a) RS = kleine, glatt begrenzte, rundliche Herde b) IR = kleine, unregelmäßig begrenzte und/ oder lineare Verdichtungen c) GG = inhomogene Strahlenabsorption/ Milchglasphänomen d) HC = „Honeycombing“ e) EM = Emphysem f) GS = Große Herde i. Bei gleichem Summen-Score von 2 oder mehr Befunden alle ankreuzen, Wertung dann in der Zusammenfassung 5. Pleurale Vernderungen: a) „Parietaler Typ“ = typische tafelbergähnliche Plaques sowie flache, teils spindelförmige Verdickungen ohne subpleurale Fibrose b) „Viszeraler Typ“ = Plaqueförmige Verdickungen der viszeralen Pleura mit subpleuraler Fibrose, weitere Angaben zu kleinen Herde und/oder Symbolen wie „PB“ (Parenchymbänder) oder „RA“ (Rundatelektase) nötig c) Lokalisation: W = Wand, M = Mediastinum, D = Diaphragma d) Ausdehnung bezogen auf Umfang des CTSchnittes in Höhe der Karina: i. 1 = bis 908 (1⁄ 4 des Umfanges) ii. 2 = > 908 bis 1808 (1⁄ 4 bis 1⁄ 2 des Umfanges) iii. 3 = > 1808 (>1⁄ 2 des Umfanges) e) Dicke: dickster Bereich der parietalen und/ oder viszeralen Veränderungen: i. a = bis 5 mm ii. b = > 5 bis 10 mm iii. c = > 10 mm f) Kalzifikationen: Lokalisation Thoraxwand (W), Mediastinum (M) und/oder Diaphragma (D)
Bildgebende Verfahren bei der Begutachtung respiratorischer Erkrankungen 6. Symbole: Angabe zu den Symbolen obligatorisch, bedeutet „Verdacht auf …“ oder „Befund, vereinbar mit …“ (Originaltext) 0 None AX Coalescence of small pneumoconiotic opacities BE Bronchiectasis; all types, including traction bronchiectasis BR Bronchial wall thickening BU Bullae, additional information on emphysema CA Lung cancer CG Calcified granuloma CV Cavity, central necrosis, liquid and/or air containing DI Distortion of intrathoracic structures and organs DO Dependent opacity EF Effusion, free or loculated pleural fluid ES Eggshell calcification of hilar and/or mediastinal lymph nodes FP Fat pad, extrapleural/subcostal fat FR Fractured rib(s) HI Enlargement of hilar and/or mediastinal lymph nodes, > 1,5 – 2 cm ME Malignant mesothelioma of the pleura, the pericardium or the peritoneum MP Mosaic perfusion OD Other disease; comments under “Additional Findings” PB Parenchymal band, due to pleuroparenchymal scars, longer > 2 cm, thicker > 1 mm RA Rounded atelectasis SC Subpleural curvilinear lines TB Tuberculosis TD Tree in Bud
7. Zusammenfassende Beurteilung: a) Befunde, die im Schema nicht erfasst sind b) Hinweise zu Anomalitäten, anderen Erkrankungen c) Ergänzende Untersuchungen erforderlich d) Differenzialdiagnostische Überlegungen e) Diagnose f) Berufskrankheit?
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4
Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
4.1 Obstruktive Atemwegserkrankungen D. Nowak und R. F. Kroidl
Einteilung, Klassifikation Zur aktuellen Einteilung der obstruktiven Atemwegserkrankungen in Asthma und COPD (chronische obstruktive Bronchitis und Lungenemphysem) sei auf die einschlägigen Handbücher verwiesen. Um es dem pneumologisch-arbeitsmedizinisch gutachterlich tätigen Arzt zu erleichtern, eine Einschätzung über Schweregrad und Krank-
heitskontrolle vorzunehmen, seien kurz die aktuellen Einteilungen vorangestellt. Bei der Einteilung der Schweregrade von Asthma und COPD ist zu berücksichtigen, dass für die Asthma-Schweregrade die vor Bronchospasmolyse gemessenen FEV1-Werte bewertet werden, während bei COPD die Werte der FEV1 nach Bronchodilatation in die Schweregradeinteilung eingehen.
Asthma Die seit 2006 gültige Asthma-Leitlinie (Buhl et al. 2006) orientiert sich am Schweregrad (s. Tab. 4.1).
Tabelle 4.1 Klassifikation der Asthmaschweregrade (Erwachsene). Die Anwesenheit eines der Symptome reicht aus, um einen Patienten in die entsprechende Kategorie einzuordnen. PBW: persçnlicher Bestwert. Schweregrad Erwachsene IV schwergradig persistierend
Kennzeichen vor Behandlung Symptomatik l l l l
III mittelgradig persistierend
l l l
l
II geringgradig persistierend I intermittierend
l l l
l
l
l
anhaltende tgliche Symptome hufige Exazerbation hufig nchtliche Symptome Einschrnkung der kçrperlichen Aktivitt tglich Symptome nchtliche Symptome > 1/Woche Beeintrchtigung von kçrperlicher Aktivitt und Schlaf bei Exazerbationen tglicher Bedarf an inhalativen kurzwirksamen b2-Sympathomimetika 1/Woche < Symptome am Tag < 1 /Tag nchtliche Symptomatik > 2 /Monat Beeintrchtigung von kçrperlicher Aktivitt und Schlaf bei Exazerbationen intermittierende Symptome am Tage; (< 1/Woche) kurze Exazerbationen (von einigen Stunden bis zu einigen Tagen) nchtliche Asthmasymptome £ 2 /Monat
Lungenfunktion l l l
l l l
l l l
l l l
FEV1 £ 60% des Sollwertes oder PEF £ 60% PBW PEF-Tagesvariabilitt > 30% FEV1 > 60% – < 80% des Sollwertes PEF 60 – 80% PBW PEF-Tagesvariabilitt > 30%
FEV1 ‡ 80% des Sollwertes PEF ‡ 80% PBW PEF-Tagesvariabilitt 20 – 30% FEV1 ‡ 80% des Sollwertes PEF ‡ 80% PBW PEF-Tagesvariabilitt
Obstruktive Atemwegserkrankungen In den neuen GINA-Richtlinien (www.ginasthma.org, 2006) wird statt des Schweregrades das periodische Erheben der Asthmakontrolle als relevanter empfohlen. Das Ausmaß der Asthmakon-
trolle wird in „kontrolliert“, „teilweise kontrolliert“ und „unkontrolliert“ eingeteilt (s. Tab. 4.2). Für Kinder ist derzeit die in Tab. 4.3 dargestellte Einteilung gängig.
Tabelle 4.2 Einteilung des Ausmaßes der Asthmakontrolle. Charakteristika
Kontrolliert (alle nachfolgenden)
Zum Teil kontrolliert (1 in einer beliebigen Woche)
Nicht kontrolliert
Symptome tagsber
keine (£ 2 /Woche)
hufiger als 2 /Woche
Einschrnkungen der Aktivitten
keine
irgendeine
3 oder mehr Zeichen von zum Teil kontrolliertem Asthma, in einer beliebigen Woche
nchtliche Symptome/ Erwachen
keine
irgendwelche
Einsatz der Bedarfsmedikation („Reliever“)
keine (£ 2 /Woche)
hufiger als 2 /Woche
Lungenfunktion (PEV oder FEV1)
normal
< 80% des erwarteten Wertes oder des persçnlichen Bestwertes (falls bekannt) an irgendeinem Tag
Exazerbationen
keine
‡ 1/Jahr
1 in einer beliebigen Woche
Tabelle 4.3 Klassifikation der Asthmaschweregrade (Kinder und Jugendliche). (Aus: Nationale Versorgungsleitlinie Asthma). Schweregrad Kinder und Jugendliche IV schwergradig persistierend III mittelgradig persistierend
Kennzeichen vor Behandlung Symptomatik l
anhaltende tgliche Symptome, hufig auch nchtlich
Lungenfunktion l l l
l
an mehreren Tagen/Woche und auch nchtliche Symptome
l l l l
II geringgradig persistierend (episodisch symptomatisches Asthma)
l
Intervall zwischen Episoden < 2 Monate
FEV1 < 60% des Sollwertes oder PEF < 60% PBW PEF-Tagesvariabilitt > 30% auch im Intervall obstruktiv FEV1 < 80% des Sollwertes und/oder MEF25 – 75 bzw. MEF50 < 65% PEF-Tagesvariabilitt > 30%
nur episodisch obstruktiv, Lungenfunktion dann pathologisch: l FEV < 80% des Sollwertes 1 l und/oder MEF 25 – 75 bzw. MEF50 < 65% l PEF-Tagesvariabilitt 20 – 30% Lungenfunktion im Intervall meist noch ohne pathologischen Befund: l FEV > 80% des Sollwertes 1 l und/oder MEF 25 – 75 bzw. MEF50 > 65% l PEF-Tagesvariabilitt < 20%.
I intermittierend (intermittierende, rezidivierende, bronchiale Obstruktion)
l l l
intermittierend Husten leichte Atemnot symptomfreies Intervall > 2 Monate
nur intermittierend obstruktiv; Lungenfunktion oft noch normal: l FEV > 80% des Sollwertes 1 l MEF 25 – 75 bzw. MEF50 > 65% l PEF-Tagesvariabilitt < 20%. im Intervall o. B.
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
COPD
Krankenversicherung
Zur COPD besteht eine intensive Diskussion auf nationaler und internationaler Ebene. Es sei auf die Leitlinie der Deutschen Atemwegsliga und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin verwiesen (Vogelmeier et al. 2007). Die dort dargestellte Einteilung der Schweregrade I – IV ist in Tab. 4.4 aufgeführt. Neu entwickelt wurde eine multidimensionale Schweregradeinteilung, der BODE-Index (B für Body-MassIndex, O für Obstruktion, D für Dyspnoe, E für Exercise capacity; s. Tab. 4.5).
Bei akuter Erkrankung wird meist aus den Kardinalsymptomen Atemnot bei Belastung, Anfälle von Atemnot in Ruhe und dem körperlichen Untersuchungsbefund das Ausmaß der Einschränkung des Leistungsvermögens abgeleitet. Eine Lungenfunktionsmessung, zumindest in Form einer Spirometrie, stellt die Einschätzung auf eine breitere Basis. An dieser Stelle muss auf die nicht seltene Diskrepanz zwischen dem Auskultationsbefund und dem Ergebnis der Lungenfunktionsmessung hingewiesen werden. Je länger die Krankheit dauert, desto wichtiger sind die objektiven Messdaten einer (dann nicht nur in einfacher Form durchzuführenden) Lungenfunktion. Eine über Wochen regelmäßig durchgeführte Peak-flow-Messung kann eine wertvolle Hilfe sein, mehr als die aktuelle Situation beim Arztbesuch zu erfassen. Hiermit und durch eine Messung der Überempfindlichkeit der Atemwege können auch angegebene, aber nicht dokumentierte Atemnotanfälle „plausibler“ oder auch „fragwürdiger“ gemacht werden.
Tabelle 4.4 Schweregradeinteilung der COPD. Schweregrad
Kriterien
I (leicht)
FEV1 ‡ 80% Soll, FEV1/VC < 70% mit/ohne Symptomatik (Husten, Auswurf) 50% Soll £ FEV1 < 80% Soll, FEV1/VC < 70% mit chronischen Symptomen/ohne chronische Symptome (Husten, Auswurf, Dyspnoe) 30% Soll £ FEV1 < 50% Soll, FEV1/VC < 70% mit chronischen Symptomen/ohne chronische Symptome (Husten, Auswurf, Dyspnoe) FEV1 £ 30% Soll, FEV1/VC < 70% oder FEV1 < 50% Soll plus chronische respiratorische Insuffizienz
II (mittel) III (schwer) IV (sehr schwer)
Tabelle 4.5 BODE-Skala zur Erfassung des Schweregrads der COPD. Parameter FEV1 (% Soll) 6-Min.-Gehtest (m) MRC* Dyspnoe (Stufe) Body-Mass-Index (kg/m2)
Punkte auf der BODE-Skala 0
1
2
3
65 > 350 0–1 > 21
50 – 64 250 – 349 2 £ 21
36 – 49 150 – 249 3
‡ 35 £ 149 4
* Modifizierter Medical-Research-Council-Score: 0: Atemnot nur bei außergewçhnlicher Belastung 1: Atemnot beim Treppensteigen, Bergaufgehen 2: Atemnot bei Gehen in der Ebene 3: Muss wegen Atemnot nach 100 m anhalten 4: Atemnot bei An- und Ausziehen, zu kurzatmig, um das Haus zu verlassen
Obstruktive Atemwegserkrankungen In Bezug auf die Arbeitsunfhigkeit (s. Kap. 2.2) ist dem aus der Anamnese und dem Untersuchungsbefund abgeleiteten Leistungsvermögen die Arbeitsplatzsituation gegenüberzustellen. Dort können neben den körperlichen Belastungen noch Einflüsse eine Rolle spielen, die kurz- oder langfristig eine Beschwerdezunahme herbeiführen. Tätigkeiten in Kälte, mit raschem Wechsel der Umgebungstemperatur und die Exposition zu Rauchen, Gasen, Stäuben und Nässe werden als negativ angesehen. Bei einer allergischen Diathese können Arbeiten mit inhalativen Allergenen nicht mehr möglich sein. An vielen Arbeitsplätzen insbesondere der Industrie kommen auf die Atmungsorgane chemisch-irritativ und toxisch einwirkende Stoffe vor. Es kann eine große Zahl von Substanzen problematisch sein (s. Fachliteratur in der Arbeitsmedizin). Auch Tätigkeiten unter Überdruck, mit Atemschutz und unter Tage können je nach Schwere der Erkrankung ausgeschlossen sein. Das Ausmaß der Arbeitsplatzbelastung muss ggf. mit der „privaten Luftverschmutzung“ durch Zigarettenrauchen abgeglichen werden. Nach einer eventuellen Allergenexposition am Arbeitsplatz ist zu fragen, deren Relevanz muss bewertet werden. Bei einem gesicherten allergischen Asthma kann im Extremfall auch ein beschwerdefreier Patient arbeitsunfähig sein, z. B. bei einem Bäckerasthma. Im Einzelfall kann es schwierig sein, Empfehlungen zu treffen, wenn einer leicht- oder mittelgradigen Atemwegserkrankung eine ungünstige Arbeitsplatzsituation gegenübersteht. Es muss auch bedacht werden, welche Konsequenzen es für das Arbeitsleben haben kann, einen Patienten als auf Dauer arbeitsunfähig für eine bestimmte Arbeit zu erklären. Eine innerbetriebliche Arbeitsplatzumsetzung ist oft wünschenswert, aber oft auch nicht möglich, d. h. Kündigung droht. Bei einer ambulanten Rehamaßnahme der Krankenversicherung (Vorsorge und Reha) kann die positive Auswirkung einer Allergenarmut am Ort der Reha genutzt werden. Eine Allergenkarenz kann zur Abnahme der Empfindlichkeit auf das betreffende Allergen und auch zu einer Abnahme der unspezifischen bronchialen Überempfindlichkeit führen. Bei stationären Maßnahmen sind darüber hinaus die Schulung und die Atemtherapie von Bedeutung. In besonderen Fällen (z. B. bei hochgradiger Milbensensibilisierung und starken Beschwerden) kommt auch eine Maßnahme im Hochgebirge (z. B. deutsches Voralpenland oder Davos) infrage. Es gilt aber auch hier, dass die Krankenkassen
nicht alles Wünschenswerte, sondern nach SGB V nur das medizinisch Notwendige übernehmen müssen (s. Kap. 2.1, Übersicht in Tab. 2.1). Maßnahmen im Ausland müssen nur finanziert werden, wenn eine ausreichende Therapie in Deutschland nicht möglich ist.
Unfallrecht Eine chronische Bronchitis ohne Obstruktion ist keine BK (Unterschied zur Gutachterpraxis in der ehemaligen DDR, s. Kap. 9.). Obstruktionsparameter sollen hierbei nicht nur aus der aktuellen gutachterlichen Untersuchung verwertet werden; es sind auch dokumentierte Werte aus dem Verlauf (Hausarzt u. a.) zwingend zu verwenden.
Asthma bronchiale Etwa 9 bis 15% der asthmatischen Erkrankungen sind beruflichen Einflüssen zuzuschreiben. Berufliche Auslöser können bei primärer Beschwerdefreiheit ein Asthma bronchiale auslösen oder ein vorbestehendes (berufsunabhängiges) Asthma verschlimmern. Ein Berufsasthma im engeren Sinne ist eine asthmatische Atemwegserkrankung, die durch eine spezifische Exposition am Arbeitsplatz verursacht wird. Wenn also eine vorbestehende asthmatische Atemwegserkrankung durch irritative und/oder unspezifische Einflüsse am Arbeitsplatz verschlimmert wird, sollte im pathophysiologischklassifizierenden Sinne nicht vom Berufsasthma gesprochen werden. In praxi ist eine solche insbesondere international übliche Differenzierung in • „immunologic occupational asthma“, • „irritant-induced occupational asthma“, • “aggravation of pre-existing or coincident asthma”, (Mapp et al. 2005) jedoch nicht immer durchzuhalten, insbesondere wenn am Arbeitsplatz Irritanzien einwirken. Im deutschen Berufskrankheitenrecht ist eine solche Differenzierung auch nicht erforderlich.
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
Ursachen
Diagnostik
Pathophysiologisch wird zwischen Asthma mit immunologischer Ursache und Asthma aufgrund nichtimmunologischer Mechanismen unterschieden: • Klinisch sind immunologische Ursachen dann wahrscheinlich, wenn zwischen Expositionsbeginn und Manifestation der Erkrankung eine Latenzperiode liegt und wenn die Re-Exposition gegenüber niedrigen Konzentrationen zum Wiederaufreten der Symptomatik führt. Die immunologisch vermittelten Ursachen werden wiederum in IgE-mediierte (hochmolekulare wie z. B. Tierepithelien, Mehle oder niedermolekulare wie Säureanhydride, Metalle) und nicht IgE-abhängige (z. B. durch Kolophonium) eingeteilt. Bei Letzteren ist der Mechanismus nicht bekannt. • Das nichtimmunologisch vermittelte Berufsasthma kann in Form des „Reactive Airways Dysfunction Syndrome“ (RADS) (siehe auch Kasuistik Seite 209) auftreten, bei dem nach einmaliger intensiver – oftmals unfallartiger – Exposition gegenüber hohen Konzentrationen irritativ wirkender Rauche, Gase oder Dämpfe (z. B. Ammoniak, Chlorgas) erstmals asthmatische Beschwerden manifest werden, die oft lange persistieren. Voraussetzung für die Entstehung eines durch chemisch-toxisch oder irritative Stoffe ausgelösten Asthma bronchiale sind in der Regel relevante Überschreitungen von Grenzwerten.
Zunächst sind die allgemeinen Prinzipien der Asthmadiagnostik gültig (Buhl et al. 2006). Klinisch unterscheidet sich ein Berufsasthma nicht wesentlich vom nicht berufsbedingten Asthma. Die Besonderheit im vorliegenden Zusammenhang ist die Arbeitsplatzbezogenheit der Beschwerdesymptomatik. Dies mag trivial klingen, ist es aber vielfach nicht: Im einfachsten Fall schildert ein Patient einen klaren Arbeitsplatzbezug seiner Asthmabeschwerden. Hier können ein Berufsasthma im engeren Sinne oder auch ein primär nicht berufsbedingtes Asthma mit arbeitsplatzbezogener Beschwerdeverstärkung zugrunde liegen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass sich auch das Berufsasthma im engeren Sinne oftmals in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden manifestiert, also außerhalb des ursächlich anzuschuldigenden Arbeitsplatzes. Auch ein Berufsasthma im engeren Sinn zeigt Verschlechterungen nicht nur bei Irritanzien-Exposition am Arbeitsplatz, sondern auch bei anderen Gelegenheiten, etwa bei sportlichen Aktivitäten oder bei einer privaten Passivrauchexposition. Eine diagnostische Falle des Berufsasthmas besteht somit darin, dass die Patienten mitunter mehr Beschwerden außerhalb als direkt bei der Arbeit verspüren. Es ist daher die besondere Aufgabe des Arztes, diesen vom Patienten oftmals nicht direkt wahrgenommenen Kausalzusammenhang zu erfragen. So konnte von LeMoual et al. (2005) gezeigt werden, dass bei schwerem Asthma die Exposition gegenüber beruflichen Auslösern einen vielfach unerwartet ungünstigen Einfluss hat – ein Aspekt, auf den bislang oft nicht geachtet wurde.
Beispiele gefährdender Tätigkeiten sind in Tab. 4.6 aufgeführt.
Tabelle 4.6 Ttigkeiten mit besonderer Gefhrdung fr die Entstehung eines Berufsasthma (typische Beispiele). Gefhrdung vorrangig durch immunologisch wirkende Arbeitsstoffe
Gefhrdungen vorrangig durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Arbeitsstoffe
Bckerei, Konditorei, Mhle, Landwirtschaft, Grtnerei, Plantagen-, Dock- und Lagerarbeit, Kchenbetriebe (Fleischmrber), Obstverwertung, pharmazeutische Industrie, industrielle und Forschungs-Laboratorien, Veterinrwesen, Geflgelfarmen, Futter- und Nahrungsmittelindustrie, Imkerei, Polyurethanweichschaum- und -hartschaumherstellung, Herstellung von Polyisocyanaten, Sgerei, Mçbelindustrie, Friseurbetriebe
Polyurethanweichschaum- und -hartschaumherstellung, Herstellung von Polyisocyanaten, Sgerei, Mçbelindustrie, Kunststoffherstellung und -verarbeitung, Herstellung und Schweißen von PVC-Folien, -Platten und -Rçhren, Lçtarbeiten, Elektronikindustrie, chemische und pharmazeutische Industrie, Desinfektionsmittel, Galvanisierbetriebe, Metallveredelung, Zementherstellung und -verarbeitung, Schweißen, Frberei, Textil- und chemische Industrie, Friseurbetriebe
Obstruktive Atemwegserkrankungen
Eine Schlüsselfrage in der Diagnostik des Berufsasthmas ist daher nicht, ob das Asthma bei der Arbeit schlechter wird, sondern ob die Atemwegsbeschwerden in den Ferien oder an arbeitsfreien Tagen/Wochenenden geringer sind.
Die Anamnese umfasst folgende Aspekte: 1. Arbeitsanamnese a) Jetzige Tätigkeitsbeschreibung b) Frühere Tätigkeitsbeschreibungen lückenlos ab Schulabgang einschließlich Wehrdienst, nicht versicherten Zeiten/Schwarzarbeit, Auslandseinsätzen etc. c) Für alle Zeiträume: Auflistung der Arbeitsvorgänge und -stoffe, Schemazeichnung/Fotos oft hilfreich. Nachbarschaftsexposition? d) Unfallartige Expositionen in der Vorgeschichte? Z. B. bei Betriebstörungen/Revisionen? (Dämpfe, Verschütten größerer Chemikalienmengen) 2. Symptome a) Art: – Husten, Kurzluftigkeit, Pfeifen, Giemen – Rhinorrhoe, Konjunktivitis – Systemische Symptome (Fieber, Arthralgien, Myalgien – aus differenzialdiagnostischen Überlegungen) b) Zeitlicher Verlauf: – Wie lange nach Beginn einer bestimmten Tätigkeit? Nach Verfahrenswechsel? Nach Wechsel eines Arbeitsstoffs? – Beschwerdebeginn unmittelbar bei Exposition nach Arbeitsende? – Verzögerter Beschwerdebeginn 4 – 12 h nach Tätigkeitsaufnahme, teilweise erst nach Arbeitsende? – Duale Reaktion? – Beschwerdefreiheit an arbeitsfreien Tagen, im Urlaub? 3. Weitere Risikofaktoren a) Raucheranamnese b) Allergische Rhinitis/Asthma in der Vorgeschichte c) Allergische Erkrankungen in der Familienanamnese Eine gedankliche Fehlermöglichkeit in der Diagnostik des Berufsasthma besteht darin, dass bei Patienten mit einem in der Hauttestung oder spezifischen IgE-Bestimmung geführten Sensibilisie-
rungsnachweis gegenüber ubiquitären Allergenen wie Hausstaubmilbe oder Pollen die Kausalität des Asthma mitunter diesen Allergenen attribuiert wird, ohne an berufliche Auslöser zu denken. Vielmehr ist das Vorhandensein einer atopischen Sensibilisierung ein Risikofaktor für eine Sensibilisierung gegenüber hochmolekularen Allergenen auch am Arbeitsplatz. Das Rauchen steigert die Sensibilisierungswahrscheinlichkeit gegenüber verschiedenen hoch- und niedermolekularen Auslösern (Siracusa et al. 2006) (siehe auch Seite 72). Ein Diagramm für eine sinnvolle diagnostische Abklrung gibt Abb. 4.1. Essenziell ist eine frühzeitige Lungenfunktionsdiagnostik, wobei eine normale Spirometrie (und auch Ganzkörperplethysmografie) ein Asthma bronchiale keineswegs ausschließt. Vielmehr muss frühzeitig und noch unter Arbeitsplatzbedingungen eine zunächst unspezifische Provokationstestung (meist mit Methacholin) vorgenommen werden. Ist die Basis-Lungenfunktion normal und die unspezifische Atemwegsempfindlichkeit (zum Zeitpunkt, an dem der Patient am Arbeitsplatz noch exponiert ist!) regelrecht, ist in den meisten Fällen ein relevantes Berufsasthma meist schon ausgeschlossen. Ausnahmen gelten vor allem für das Isocyanatasthma, bei welchem eine normale unspezifische Atemwegsempfindlichkeit gegeben sein kann. Entscheidende Informationen liefert oft die longitudinale Dokumentation der Lungenfunktion. Diese erfolgt entweder konventionell als serielle spirometrische Untersuchung vor und nach den angeschuldigten Arbeitsstoffexpositionen über einen längeren Zeitraum, oder als vom Patienten selbst mehrfach täglich durchzuführende Lungenfunktionsuntersuchung mithilfe portabler elektronischer Kleinspirometer, ggf. orientierend zunächst auch nur als Peak-flow-Messung. Ob eine solche serielle Messung zum Erfolg führt, hängt wesentlich von der Motivationsfähigkeit durch den Arzt, der instruierenden Arzthelferin/MTA und der Mitarbeit des Patienten/Versicherten ab. Die Peak-flow-Messung muss mindestens viermal täglich über einen Zeitraum von vier Wochen mit genügenden Tagen mit und ohne Arbeitsplatzexposition erfolgen, um aussagekräftig zu sein. Das Ergebnis wird grafisch aufgetragen, wobei es sich als praktisch erwiesen hat, die Kurven der Tagesmaxima, der mittleren Tageswerte und der Tagesminima über einen längeren Zeitraum jeweils miteinander zu verbinden (s. Abb. 4.2).
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
Anamnese, Fragebogen, Hauttest, spezifische IgE-Bestimmung (wenn möglich)
Unspezifischer Provokationstest (z. B. mit Methacholin) möglichst am Ende einer Arbeitswoche nach mindestens zwei Wochen mit relevanter Exposition
negativ
positiv
Spezifischer Provokationstest unter Laborbedingungen mit angeschuldigtem Arbeitsstoff(-extrakt)
positiv
meist kein Asthma (Ausnahme: z.B. Isocyanatasthma, hier können unspezifische Provokationstests „falsch negativ“ ausfallen)
und/oder
LungenfunktionsMonitoring über mind. 3 Wo. mit/ohne Arbeitsexposition durch den Patienten selbst
verdächtig
negativ
Berufsasthma wahrscheinlich
unverdächtig
Nicht berufsbedingtes Asthma wahrscheinlich
Abb. 4.1 Diagnostischer Ablauf bei Verdacht auf ein Asthma bronchiale mit Arbeitsplatzbezug/Berufsasthma.
Tabelle 4.7 Darstellung des longitudinalen Lungenfunktionsverlaufs fr die Dokumentation bei obstruktiven Atemwegserkrankungen mit vermutetem Arbeitsplatzbezug. Parameter
Dimension
Vitalkapazitt max
l
Einsekundenkapazitt FEV1
l
Atemwegswiderstand
kpa/l/s
Spez. Atemwegswiderstand
kPa/s
Intrathorak. Gasvolumen
l
Unspez. Atemwegsempfindlichkeit PD100 SRaw, PD20 FEV1*
mg Methacholin
(Ruhe-pO2)
mmHg
(Diffusionskapazitt)
ml/min/mmHg
Datum 1
Datum 2
Datum 3
…
… … Exposition (was? wie viel? wobei?) Therapie (Name, Dosis, Uhrzeit) * PD = diejenige Provokationsdosis eines unspezifischen Bronchokonstriktors (z. B. Methacholin), die zu einem 100%igen Anstieg des spezifischen Atemwegswiderstands SRaw oder zu einem 20%igen Abfall der Einsekundenkapazitt fhrt. Ein niedriger PD-Wert entspricht somit einer hohen Atemwegsempfindlichkeit
Obstruktive Atemwegserkrankungen
Zirkadiane 50% Variabilität 20% 580 560 540 520 500 480 460 Peak Expiratory Flow [l/min]
440 420 400 380 360 340 320 300 280 260 w 7
f 9
f s s m t w t s s s m t w t f s s m t w f 9 10 11 12 13 14 15 17 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 2
Abb. 4.2 Peak-flow-Verlauf eines Arbeiters im Getreidesilo mit beruflich verursachter obstruktiver Atemwegserkrankung. Die mittleren (schwarze Linie), Maxima (blau) und Minima (grau) liegen an Arbeitstagen (hellblau schraffiert) niedriger als an arbeitsfreien Tagen (weiß hinterlegt). Die zirkadiane Variabilitt (Kurve ganz oben)
Auch die longitudinale Bestimmung der Methacholinempfindlichkeit kann wichtige diagnostische Hinweise geben, etwa wenn die unspezifische Atemwegsempfindlichkeit nach einer Arbeitswoche mit einem sensibilisierenden Arbeitsstoff höher ist als nach einer längeren expositionsfreien Zeit (s. Tab. 4.7). Analoges gilt für das longitudinale Monitoring von NO in der Atemluft. Oftmals kann es hilfreich sein, konsiliarisch einen Arbeitsmediziner, beispielsweise den Betriebsarzt oder eine arbeitsmedizinische Universitäts-Poliklinik, zu Rate zu ziehen, da dort vielfach spezifische Stoff- und Expositionskenntnisse vorhanden sind, die bei der Abklärung nützlich sind.
f 2
s 3
s m t 4 5 6
w 7
t 8
f s s 9 10 11
ist an Tagen mit Arbeitsstoffexposition tendenziell hçher als an arbeitsfreien Tagen. (Anmerkung: Eine ergnzend durchgefhrte arbeitsplatzsimulierende Expositionstestung unter Laborbedingungen erbrachte einen eindeutig positiven Befund.)
Praxis Hilfreiche Datenbanken finden sich: • in den MAK-Werte-Begründungen (www. mak-collection.com) • in der Gestis-Stoffdatenbank (http://www. dguv.de/bgia/de/gestis/stoffdb/index.jsp) • in der Gefahrstoffdatenbank der Berufsgenossenschaft der Chemischen Industrie (http:// www.gischem.de) • unter www.occupationalasthma.com
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Als Goldstandard der Sicherung der Diagnose eines allergischen Asthma bronchiale bzw. einer allergischen Rhinopathie gilt vielfach noch die bronchiale bzw. nasale Provokationstestung, die vom Aufwand her dem pneumologischen oder arbeitsmedizinischen Spezialisten vorbehalten ist (s. Kap. 3.3).
Chronisch-obstruktive Bronchitis/ Lungenemphysem Die chronisch-obstruktive Bronchitis kann unter folgenden Konstellationen als Berufskrankheit vorkommen: • als Komplikation der Silikose (und Silikotuberkulose) • als mitunter vom berufsbedingten Asthma bronchiale schwer abgrenzbares Zustandsbild mit geringer Reversibilität der Obstruktion, insbesondere nach langjähriger Exposition gegenüber chemisch-irritativen Arbeitsstoffen und langjährigem Krankheitsverlauf, vielfach in Kombination mit langjährigem Zigarettenrauchen • als typische Berufskrankheit bei untertägigen Steinkohlenbergleuten nach Einwirkung einer kumulativen Feinstaubdosis von in der Regel 100 [(mg/m3) × Jahre] (entsprechend z. B. einer Exposition von 5 mg/m3 Feinstaub über 20 Arbeitsjahre je 220 Schichten zu 8 Stunden). Beachte: Bei Nie-Rauchern ist der untere Grenzwert der Verdoppelungsdosis bei 86 Feinstaubjahren, siehe Ausführungen zur BK 4111 (S. 145). Das berufsbedingte Lungenemphysem kann als Komplikation einer chronisch-obstruktiven Bronchitis bei den vorstehend genannten Konstellationen oder – hiervon unabhängig – nach relevanter Cadmiumexposition (z. B. in der Herstellung von Cadmiumlegierungen oder Nickel-Cadmium-Akkumulatoren, als Goldschmied etc.) auftreten.
§ 3 der Berufskrankheitenverordnung Gerade bei obstruktiven Atemwegserkrankungen mit Arbeitsplatzbezug ist an Präventionsmaßnahmen zu Lasten der Unfallversicherungsträger zu denken, die sich auf § 3 BKV beziehen.
§ 3 BKV Maßnahmen gegen Berufskrankheiten, Übergangsleistung (1) Besteht für Versicherte die Gefahr, dass eine Berufskrankheit entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, haben die Unfallversicherungsträger der Gefahr mit allen geeigneten Mitteln entgegenzuwirken. Ist die Gefahr gleichwohl nicht zu beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Den für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. (2) Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, haben zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen. Als Übergangsleistung wird • ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Vollrente oder • eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe eines Zwölftels der Vollrente längstens für die Dauer von fünf Jahren gezahlt. Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit sind nicht zu berücksichtigen.
§ 3 Abs. 1 BKV als Beschreibung des Grundsatzes „Prävention vor Rehabilitation“ gibt Maßnahmen zur Gefahrenabwehr Vorrang, um der versicherten Person die Fortsetzung der bisher ausgeübten Tätigkeit zu ermöglichen. In Betracht kommen dabei: • technische und organisatorische Maßnahmen (z. B. Ersatz gefährlicher Arbeitsstoffe durch andere, Änderungen der Arbeitsabläufe/der Arbeitsweise; technische Schutzvorrichtungen) • persönliche Schutzmaßnahmen (z. B. Maske, gebläseunterstützter Atemschutzhelm) • medizinische Maßnahmen (ambulante und stationäre Heilbehandlung, spezielle therapeutische Maßnahmen, Umstellung der Medikation) • sonstige Maßnahmen (z. B. Gesundheits- oder Verhaltenstraining) Vor einer § 3-Anzeige ist der Patient um sein Einverständnis zu bitten (siehe Seite 30).
Obstruktive Atemwegserkrankungen
Besonderheiten der BK 4301 BK 4301 Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Sicherung des allergischen Asthma: siehe Leitlinie (Buhl et al. 2006). Sicherung der allergischen Rhinopathie: • mindestens eines der folgenden Symptome: Niesen, nasaler Juckreiz, nasale Verstopfung oder Naselaufen • spezifischer IgE-Immunmechanismus • Zahlreiche Differenzialdiagnosen, bei der Begutachtung ist die praktisch wichtigste die hyperreflektorische Rhinopathie • Goldstandard: Nasale Provokationstestung mit angeschuldigtem Arbeitsstoff unter rhinomanometrischer Kontrolle bei adäquatem Ausschluss hyperreflektorischer Rhinopathie (siehe Seite 74).
Besonderheiten der BK 4302 BK 4302 Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Unter dieser BK-Nummer werden pathophysiologisch heterogene Krankheitsbilder anerkannt: • Asthma bronchiale (nicht-allergisch) • Reactive Airways Dysfunction Syndrome (RADS) als eine durch eine irritative Noxe verursachte Unterform des nicht allergischen Asthma bronchiale; diagnostische Kriterien siehe Kasten Kasuistik, s. 209 • chronisch-obstruktive Bronchitis • Lungenemphysem, meist auf dem Boden einer chronisch-obstruktiven Bronchitis
Diagnostische Kriterien des RADS • vorbestehende respiratorische Beschwerdefreiheit • Beginn der Symptome nach einer einmaligen definierten Exposition • die Exposition erfolgte gegenüber einem Gas, Rauch oder Dampf oder Aerosol mit irritativen Eigenschaften, wobei die Substanz in sehr hohen Konzentrationen vorhanden war • Symptombeginn binnen 24 h und Persistenz für mindestens 3 Monate • Symptome ähnlich Asthma (Husten, Pfeifen/ Brummen, Luftnot) • Atemwegsobstruktion kann vorhanden sein oder fehlen • Methacholinprovokation sollte positiv sein • andere Atemwegserkrankungen sollten ausgeschlossen werden
Da – im Gegensatz zur BK 4301 – die Atemwegssensibilisierung keine Rolle spielt, kommt dieser in der klinischen Routinediagnostik ansonsten wichtige Baustein – außer unter differenzialdiagnostischen Überlegungen – nicht zur Anwendung. Daher ist die Diagnose einer durch chemisch-irritative Stoffe ausgelösten obstruktiven Atemwegserkrankung oftmals weitaus schwieriger als die Diagnose eines berufsbedingten allergischen Asthma oder einer allergischen Rhinopathie. Umso stärker rücken anamnestische Angaben und die longitudinale Beurteilung des Lungenfunktionsverlaufs in den Vordergrund der Beurteilung. Bedeutung „spezifischer“ Provokationstests bei BK 4302: • Können bei Asthma zur diagnostischen Einordnung indiziert sein. • Bronchiale Provokationstestungen mit niedermolekularen beruflichen Auslösern einer BK 4302 führen oft zu isolierten Spätreaktionen oder biphasischen Reaktionen. Gelegentlich treten kontinuierliche asthmatische Reaktionen auf, bei denen die Normalisierung der Lungenfunktion zwischen Sofort- und verzögerter Reaktion fehlt. • Bei Provokationstestung mit stark irritativem Stoff ist die Möglichkeit einer unspezifischen Reaktion zu bedenken – oftmals ist ein positives Ergebnis beim arbeitsplatzbezogenen Expositionstest als Argumentation zugunsten § 3-Maßnahmen hilfreich (siehe Kasuistik S. 69).
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
• •
•
•
Bei Provokationstestungen mit chemisch-irritativen Arbeitsstoffen stets darauf achten, dass die Konzentrationsverhältnisse bekannt sind. Beim Reactive Airways Dysfunction Syndrome (RADS) spielt aufgrund des unfallartigen Entstehungscharakters die arbeitsplatzsimulierende Provokationstestung keine Rolle. Bei einer obstruktiven Bronchitis und erst recht beim Lungenemphysem sind bronchiale Provokationstestungen mit Arbeitsstoffen seltenen Einzelfällen bzw. Misch-Krankheitsbildern vorbehalten. Sogar positive bronchiale Provokationstestung mit irritativen Agenzien (wie beispielsweise Ammoniak) impliziert nicht automatisch eine berufliche Verursachung des untersuchten Krankheitsbildes, da positive Provokationsergebnisse mit irritativen Agenzien möglicherweise nur die dem Krankheitsbild zugrunde liegende unspezifische Atemwegsüberempfindlichkeit dokumentieren. Sie können allerdings bei der Argumentation zugunsten von § 3-Maßnahmen hilfreich sein.
Besonderheiten der BK 1315 BK 1315 Erkrankungen durch Isocyanate, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Eine umfassende sehr empfehlenswerte Übersicht ist im Literaturverzeichnis aufgeführt (Baur 2003). In Deutschland haben ca. 50 000 Arbeiter regelmäßig Kontakt mit Di- und Poly-Isocyanaten, die in großem Umfang für die Herstellung verschiedenster Schaumstoffe, Elastomere, als Kleber, Lackhärter, Beschichtungsmaterial und für viele andere Zwecke eingesetzt werden. Expositionen finden sich vorwiegend in der Kraftfahrzeugindustrie, im Maschinenbau, in Gießereien, im Baugewerbe und im Bergbau, in der Elektro- und Elektronikindustrie, Farbenherstellung und -anwendung, Kunststoffindustrie, Druckindustrie, Timber-, Möbelund Textilindustrie und teilweise auch im medizinischen Bereich (z. B. Polyurethangips). Auch thermische Zersetzungsprodukte von Isocyanatprodukten (Polyurethanen) und anderen Materialen
können zu einer medizinisch relevanten Exposition führen. Expositionsmöglichkeiten sind auch umfassend im Merkblatt zur BK 1315 zusammengestellt worden, welches im Internet verfügbar ist: http:// www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Berufskrankheiten Zu den Gesundheitsstörungen gehören: • obstruktive Atemwegserkrankung (am häufigsten) • Isocyanat-Alveolitis (selten) • Isocyanat-Urtikaria, Kontaktekzem, toxische Dermatitis • Hornhautschädigungen Wichtige Besonderheiten in der Diagnostik des Isocyanatasthmas • Hautkontakt kann respiratorische Überempfindlichkeit auslösen. • Ein Biomonitoring kann zur Expositionsabschätzung Isocyanat-exponierter Arbeitnehmer herangezogen werden. • Spezifische IgE auf Isocyanate sind nur bei ca. 20% der Erkrankten nachweisbar. • Die unspezifische Atemwegsempfindlichkeit auf Methacholin oder Histamin kann beim Isocyanatasthma normal sein.
Kausalittsbeurteilung und MAK-Werte Die tiologische Zuordnung der Diagnose steht im Vordergrund: • Bei allergisierenden (meist hochmolekularen) Stoffen (BK-Nummer 4301) haben MAK-Werte keine Bedeutung. • Bei chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden (meist niedermolekularen) Auslösern (BKNummer 4302) sind MAK-Werte wie folgt zu diskutieren: Die MAK-Werte sind zunächst Orientierungswerte. Die eigentliche Exposition wird dargestellt durch die konkreten Messergebnisse, d. h. die Expositionsdosis. Diese ist von der Intensität, der Dauer und der Frequenz der Einwirkung abhängig. Die Bedeutung dieser Definition wird aber relativiert durch sukzessive Neufestlegungen der MAK-Werte. Durch Sanierungen an Arbeitsplätzen ist oft ein Rückschluss auf frühere Bedingungen mittels aktueller Messung nicht mehr möglich.
Obstruktive Atemwegserkrankungen bronchitis (frühere Aufzeichnungen!) bzw. dem schicksalhaften (allergischen oder nicht allergischen) Asthma bronchiale ist wichtig, im Einzelfall schwierig. Bei konkurrierenden Faktoren gilt (hinsichtlich Verursachung und Verschlimmerung): • Gelegenheitsursache: Die berufliche Einwirkung ist eine von mehreren, im Prinzip auswechselbaren rechtlich unwesentlichen Ursachen. • Wesentliche Teilursache: Die „wesentliche Ursache“ erfordert nicht, dass das schädigende Ereignis die alleinige oder die überwiegende Bedingung darstellt. Haben zwei (in Ausnahmefällen auch mehr als zwei) Ursachen gemeinsam zum Gesundheitsschaden beigetragen, so sind sie nebeneinander stehende Teilursachen im Rechtssinne, wenn beide in ihrer Bedeutung für den Eintritt des Körperschadens wesentlich mitgewirkt haben. Kein Faktor hebt die Mitursächlichkeit des anderen auf. Der Begriff „wesentlich“ ist nicht identisch mit den Beschreibungen „überwiegend“, „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. • Richtunggebende Verschlimmerung: Der Ablauf des vorbestehenden Leidens wird durch das Hinzutreten von beruflichen Faktoren nachhaltig beschleunigt und gefördert, sodass das Leiden einen anderen, schweren Verlauf nimmt und eine Abgrenzung zu dem schon vorher bestehenden Leiden nicht mehr möglich ist.
Fazit: • Bei dauerhafter oder mehrfacher Überschreitung der MAK-Werte ist die konkrete Gefährdungssituation des Arbeitsplatzes gut belegt. • MAK-Werte sind keine Konstanten, aus denen das Eintreten oder Ausbleiben von Wirkungen errechnet werden kann. Ebenso wenig lässt sich aus der Überschreitung oder Unterschreitung von MAK-Werten eine Schädigung im Einzelfall herleiten oder verneinen. • Bei Unterschreitung der MAK-Werte kommt es insbesondere auf die individuelle Beurteilung an, z. B. unter Bezugnahme auf plausible Vergleichsarbeitsplätze, Befragen von Arbeitskollegen, Krankenstand und ggf. gleichartige BK-Fälle im Betrieb. • Evtl. Vorschäden des bronchopulmonalen Systems sind mit in die Erwägung einzubeziehen. • Es entscheidet somit der ärztliche Befund unter Berücksichtigung aller Umstände des Fallhergangs.
Kausalittsbeurteilung und Abgrenzung gegen andere Ursachen Abgrenzung konkurrierender Ursachen Abgrenzung chronischer beruflicher Einwirkungen zu konkurrierenden, nicht berufsbedingten Atemwegserkrankungen: Die Abgrenzung zur Raucher-
Tabelle 4.8 Abgrenzung konkurrierender Bedingungen. Außerberufliche Ursachen berwiegen eindeutig Berufliche Ursachen berwiegen eindeutig (Berufliche Einwirkung = Gelegenheitsursache) fl fl BK ablehnen* BK anerkennen Berufliche Faktoren und außerberufliche Faktoren sind annhernd gleichrangig (damit wird die berufliche Ursache zur wesentlichen Teilursache) fl BK anerkennen, jedoch zur Frage der MdE beachten: 1. Berufliche Verschlimmerung ist begrifflich und/ oder messtechnisch gesondert abgrenzbar und einzuschtzen (besonders gelagerte und gut begrndete Tatbestnde) 2. Berufliche Verschlimmerung kann nicht abgegrenzt werden und bewirkt richtungsgebende Verschlimmerung
dann Aufteilung des MdE Anteils. Ausschließlich der berufliche Anteil geht – unter Bercksichtigung des Vorschadens – zu Lasten der BK der gesamte Kçrperschaden geht zu Lasten der BK
* Ausnahmen: Es gibt Beispiele aus der Rechtsprechung, dass eine berufliche Ursache als rechtlich wesentliche (Teil-)Ursache auch dann zur BK-Anerkennung fhrt, wenn diese (formal betrachtet) weniger als 50% an der Gesamtursache beteiligt ist (BSG-Urteil vom 12. 2. 1970)
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
Praxis Beispiel: Ein Weinverkäufer hatte durch Rauchen eine obstruktive Bronchitis erworben (MdE entspräche 50%). Beim Weinverkosten kam es zusätzlich zu asthmatischen Beschwerden (= beruflich). Beide Faktoren sind gut abzugrenzen (abgrenzbares Leiden). Die Gesamt-MdE wird mit 70% eingeschätzt, die berufsbedingte MdE kann auf 20% bemessen werden.
Singulres angeschuldigtes Unfallereignis Beispiel: Reizgasvergiftung (s. auch Kap. 4.6, typische Arbeitsunfälle in der Pneumologie). Hierfür ist die schlüssige Dokumentation des Unfallereignisses unverzichtbar, ebenso auch der zeitlich unmittelbare Beginn der Symptomatik oder deren signifikante Verschlechterung, ggf. nach einem charakteristischen beschwerdefreien Intervall. Ein solches Unfallereignis ist selten im Sinne der Entstehung, manchmal jedoch im Sinne der richtunggebenden Verschlimmerung einer Atemwegserkrankung zu werten. Es hat damit auch bei vorbestehenden anderen Ursachen eine wesentliche mit verursachende oder verschlimmernde Bedeutung.
Beweisfhrung bei abgeklungener Beschwerdesymptomatik Unter frühzeitiger Expositionskarenz kann eine Beschwerdesymptomatik rasch abklingen. Die gutachterliche Beurteilung ist später wesentlich erschwert durch fehlende Dokumentation von Daten, speziell von Lungenfunktionswerten der erstbehandelnden Ärzte. Gut dokumentierte Vorbefunde können besonders für die Anwendung des § 3 der BKV entscheidende Bedeutung haben, bei deren Fehlen unter Umständen Beweislosigkeit vorliegen kann, welche zu Lasten des Versicherten geht.
Persistierende Obstruktion trotz Expositionskarenz Besonders bei chemisch-irritativen oder toxischen Auslösern obstruktiver Atemwegserkrankungen führt die Expositionskarenz oft nicht zu Beschwerdefreiheit. Provokationen zum konkreten Ursachennachweis sind dann vielfach nicht mit Verlässlichkeit möglich und vertretbar. Auch hier basiert die Beurteilung in besonderer Weise auf Vorbefunden.
Grenzen gutachterlicher Beweisfhrung Solche Grenzen sind nicht selten vorgegeben durch • Umstände, die beim Versicherten liegen (Schwere der Erkrankung, Unzumutbarkeit weiterer Untersuchungsgänge), • momentan nicht behebbare Lücken in der Dokumentation zurückliegender Fakten der Exposition (TAD-Bericht) und medizinischer Daten, • Limitierung des derzeit verfügbaren Wissensstandes und der allgemein herrschenden Lehrmeinung. Sofern nicht nach den Gesamtumständen aufgrund medizinischer Erfahrung doch eine Entscheidung im Sinne der erforderlichen „Wahrscheinlichkeit“ getroffen werden kann, ist in diesen Fällen allen Beteiligten am meisten geholfen, wenn der Gutachter diese Grenzen nennt und auf eine Aussage verzichtet (s. Kap. 5.5, Non Liquet).
Unterlassungszwang Die Anerkennung der BK nach Nummer 4301 und 4302 sowie nach 1315 ist an den Zwang zur „Unterlassung aller Tätigkeiten gebunden, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können“ (Verordnungstext). Dies beinhaltet bei jüngeren Versicherten häufig den Wechsel und das Aufgeben des bisherigen Berufs. Die Definition des Zwangs zur Unterlassung aller Tätigkeiten (…) kann Schwierigkeiten bereiten und besonders bei älteren Versicherten soziale Härten beinhalten. Das Bundessozialgericht (BSG) ist in seiner Rechtsprechung mehrfach darauf eingegangen.
Obstruktive Atemwegserkrankungen Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Abwägung „Zwang zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit“ gegenüber „Zumutbarkeit einer solchen Aufgabe“. In praxi gilt (z. B. bei selbstständigen Versicherten in der Landwirtschaft): Unter Beachtung der Rechtsprechung sollte die Frage der „Zumutbarkeit der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit“ dahingehend beantwortet werden, dass ein Verbleiben eines Versicherten in seinem Betrieb und der gefährdenden Tätigkeit dann in Betracht kommt, wenn zwingende wirtschaftliche und/oder soziale Gründe dafür sprechen und auch Umstrukturierungsmaßnahmen die wirtschaftliche Existenz des Unternehmers nicht absichern können. Allerdings sollte dieses Verbleiben vom Tragen von Atemschutzausrüstungen und von engmaschigen pneumologisch-arbeitsmedizinischen Kontrolluntersuchungen abhängig gemacht werden. Insoweit ist der Versicherte auch auf seine Mitwirkungspflicht zum Tragen und zum Gebrauch dieser Ausrüstung hinzuweisen. Der Anerkennung der BK sollte dann nichts im Wege stehen, wenn strukturelle Maßnahmen (z. B. Umsetzung in nicht exponierte Tätigkeitsbereiche) durchführbar sind und damit die Schadstoffbelastung minimiert oder ausgeschaltet ist. Bei Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist ein Tatbestand erreicht, der der „Tätigkeitsaufgabe“ im Wortsinn der Rechtsvorschrift inhaltlich entspricht. Die rechtliche Beurteilung, ob ein Versicherter alle Tätigkeiten, die für die Entstehung (…) einer BK ursächlich waren, aufgegeben hat, obliegt dem Versicherungsträger. Technische Maßnahmen (z. B. Absaugung), organisatorische Maßnahmen (z. B. Delegation) oder persçnliche Maßnahmen (z. B. Atemschutzmaske, -helm) stellen nach der gültigen Rechtsprechung (noch) kein geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr dar, wenngleich mit den heutigen technischen Möglichkeiten vielfach Arbeitsplatzverhältnisse erreicht werden können, die faktisch (bei Erhalt des Arbeitsplatzes!) einer Beendigung der Exposition im Sinne der Verordnung entsprechen. Liegt zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens von Schutzmaßnahmen jedoch eine rentenberechtigende MdE vor, so ist die Rente zu zahlen, wenn die Bedingungen der fortgesetzten Tätigkeit eine weitere Schädigung ausschließen (so die Rechtsprechung des BSG, vgl. Mehrtens/Perlebach M5101, 5.2).
Asthma im Friseurberuf Hauttestungen bei Verdacht auf Friseurasthma
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Prick- und i. c.-Teste: Allergische Reaktion vom Soforttyp (Typ I) gegenüber Friseursubstanzen sind selten. Kasuistische Erwähnungen finden Typ-I-Allergien gegenüber dem Haarfärbemittel Henna. Bei Ammoniumpersulfat werden Typ-I-Allergien mitunter beschrieben, wenngleich Kontakturtikaria, Ekzeme und dyshidrosiforme Handekzeme sicher zahlenmäßig bei weitem überwiegen. Früher wurden auch TypI-Allergien gegen Menschenhaar für möglich gehalten und gutachterlich anerkannt (Kasuistiken aus den 1960er Jahren). Diese Anschauung trifft man jetzt kaum mehr an. Epikutantest und offener Epikutantest mit kommerziell erhältlichen Friseurallergenen (z. B. Ammoniumpersulfat, p-Phenylendiamin, p-Toluylendiamin und o-Nitro-p-phenylendiamin): Epikutanteste sollen vom Pneumologen nur bei Verdacht auf Atemwegserkrankungen vom Soforttyp durch niedermolekulare Substanzen mit Ablesung nach 20 min und ggf. 24 h als modifizierte Variante durchgeführt werden. Hierzu sind die Empfehlungen der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft zu beachten (Schnuch et al. 2001).
Inhalative, arbeitsplatzbezogene Provokationstestungen bei Friseuren In einem hierfür geeigneten Provokationsraum werden die mitgebrachten, handelsüblichen Friseursubstanzen in den vorgesehenen Mischverhältnissen und Konzentrationen mit Schutzhandschuhen angerührt (Haartönungen auf pflanzlicher Basis, Haarfarben und Blondierungspulver mit 9 – 12%igem H2 O2, Dauerwellflüssigkeit mit Fixierer etc.) und anschließend auf einen Perückenkopf aufgetragen. Um die Allergenexposition möglichst arbeitsplatzgetreu zu gestalten, sind die Verwendung eines Echthaarteils sowie die Erwärmung des behandelten Haares auf Körpertemperatur zu empfehlen. Haarfestiger und Haarspray sollten über etwa 20 Minuten in der Raumluft zerstäubt werden, wobei die Testperson den entstehenden Sprühnebeln aus nächster Nähe ausgesetzt ist.
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder men Besuch eines Friseurgeschäftes (Proband/in und Arzt/Ärztin) mit arbeitsplatzbezogener Expositionstestung geklärt. Alternativ kommt eine Exposition in einer Expositionskabine zum Einsatz (s. Abb. 4.3). Eine aktuelle Studie berichtet über Untersuchungen bei 15 Friseurinnen (Barbinova und Baur 2007). In einem Fall konnte eine Typ-I-Sensibilisierung auf Ammoniumpersulfat festgestellt werden, drei der Probanden zeigten Typ-IV-Sensibilisierungen auf Berufsstoffe (Duftstoffmix, Paraphenylendiamin Nickel und Thiomersal). Bei zwei der Probanden verlief der arbeitsplatzbezogene Provokationstest positiv. In der Zusammenfassung folgern die Autoren: • Eine vorbestehende atopische Disposition erhöht bei Friseuren das Risiko arbeitsplatzbezogener Erkrankungen. • Die Befunde der überwiegend negativen Provokationsteste und eine fehlende Korrelation mit der Konzentration des exhalierten NO (FENO) spricht gegen ein durch Friseur-Arbeitsstoffe ausgelöstes allergisches Asthma und lässt das Vorliegen einer chemisch-irritativen Reizung bei empfänglichen Personen und Atopikern vermuten.
Obstruktive Atemwegserkrankungen bei Lçsemittelexposition Abb. 4.3 Arbeitsplatzsimulierende Expositionstestung
Praxis
in einer Kabine. Provokation mit Friseurstoffen unter Verwendung eines Frisiermodells mit europischen Menschenhaar (aus Reuter 2006).
Problemfall aus der Gutachterpraxis
Es gelten die üblichen Vorsichtsmaßnahmen und Kontraindikationen, eine stetige Beobachtung des Provokationsvorgangs durch medizinisches Personal ist zu gewährleisten. Versuchsbedingungen, -anordnung und zeitlicher Ablauf sowie Abbruchkriterien sind ausführlich zu protokollieren. Die Bewertung des Provokationsversuches erfolgt anhand der klinischen Symptome (Niesreizattacken, Fließschnupfen, behinderte Nasenatmung, Tränenfluss, konjunktivale Reizerscheinungen, Reizhusten, Atemnot) sowie rhinomanometrischen, spirometrischen und ganzkörperplethysmografischen Untersuchungen. Auf Spätreaktionen ist zu achten. In der Praxis der Autoren wurden etliche Fälle mit Verdacht auf Friseurasthma durch gemeinsa-
Ein Bootsbauer war knapp 20 Jahre im Beruf tätig und dabei täglich gegenüber diversen Lösemitteln exponiert. Es entwickelte sich zunächst eine Rhinopathie, später eine bronchiale Hyperreagibilität, übergehend in Asthma. Hausarzt und Pneumologe konnten den Verlauf lückenlos dokumentieren und veranlassten Berufswechsel. Dieser führte zur klinischen Besserung. Das BKVerfahren gestaltete sich schwierig, Sozialgerichte wurden eingeschaltet. Nach Erfahrung der Autoren kann in Übereinstimmung mit der Literatur die berufsbedingte Exposition gegenüber Gemischen organischer Lösemittel in höheren Konzentrationen bei einigen Versicherten zur Verschlimmerung einer asthmatischen Krankheit beitragen, und es kann eine BK4302 diskutiert werden. Die Auslösung einer obstruktiven Atemwegserkrankung bei gewerblichem Umgang mit
Obstruktive Atemwegserkrankungen Lösemitteln ist sicher eine Rarität. In dem BGZ-Report „Lösemittel“ (Literaturverzeichnis) wird aufgeführt, dass über die „Öffnungsklausel“ (ehemals § 551 Abs. 2 RVO, jetzt § 9, Absatz 2, SGB VII) angezeigte Fälle anerkannt und entschädigt wurden. Nach der Erfahrung der Autoren wird die Bedeutung einschlägiger Lösemittelgemische für den Atemtrakt oftmals überschätzt.
Obstruktive Atemwegserkrankungen durch Passivrauch Eine langjährige hohe Passivrauchbelastung führt nach international konsistenten Literaturangaben gehäuft zu Symptomen obstruktiver Atemwegserkrankungen und auch zu Lungenfunktionseinschränkungen. Selbst eine langjährige hohe Exposition ausschließlich am Arbeitsplatz kann unter ungünstigen Konstellationen (v. a. Schankkellner, Bedienungen in stark verrauchten Kneipen) geeignet sein, eine obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne einer BK 4302 wesentlich teilursächlich zu verursachen. Bei Personen, die selbst Raucher oder Ex-Raucher sind, kommt eine solche Handhabung nicht in Betracht. Wenn konkurrierend eine intensive außerberufliche Passivrauchexposition gegeben ist, wird es schwierig sein, die berufliche Exposition als mindestens wesentlich teilursächlich anzusehen. Insgesamt werden es bundesweit vermutlich nur wenige Fälle sein, bei denen die arbeitstechnischen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK 4302 durch Passivrauch gegeben sind.
Chronisch obstruktive Bronchitis oder Lungenemphysem der Steinkohlebergleute BK 4111 Die Legaldefinition der BK 4111 lautet: „Chronisch obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Feinstaubdosis von in der Regel 100 [(mg/m3) Jahre]“. Beachte: Der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales stellt auf Grundlage seiner wissenschaftlichen Empfehlung von 1995 hierzu ergänzend fest: (Bundesarbeitsblatt 12/2006, S. 149): „Unter Berücksichtigung des Raucherstatus und einer Unsicherheit der Messwerte von 5%
ergibt sich für Nieraucher ein unterer Grenzwert der Verdoppelungsdosis für das Erkrankungsrisiko von 86 Feinstaubjahren. Für Raucher gilt ein Grenzwert von 100 Feinstaubjahren.“ Die synoptische Auswertung einer Reihe epidemiologischer Studien hat ergeben, dass Erkrankungen an chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem bei Beschäftigten mit langjähriger Untertagetätigkeit im Steinkohlebergbau signifikant gehäuft vorkommen. Die wesentlich neue Erkenntnis ist, dass dieses auch ohne Vorhandensein radiologischer Veränderungen der Fall ist. Dabei können deutliche und konsistente Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwischen eingeatmeter Staubmenge und der Häufigkeit des Auftretens der chronischen obstruktiven Bronchitis und des Lungenemphysems nachgewiesen werden. Die wesentlichen epidemiologischen Befunde lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Bereits in der DFG-Studie von 1975 und 1981 über die chronische Bronchitis hatte sich ergeben, dass unter den Verursachungsfaktoren dem Tabakrauch der Faktor 5, dem Lebensalter der Faktor 3 und der Staubbelastung an untersuchten Arbeitsplätzen der Faktor 2 zugeordnet werden konnte. • Bei der Auswertung von Rentenzugängen wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit unter der ICD-Diagnose „Chronische Bronchitis/Lungenemphysem“ ließen sich Dosis-Häufigkeits-Beziehungen erkennen, wenn die Relationen der Rentenzugangshäufigkeiten in der Knappschaftlichen Rentenversicherung nach den Jahren unter Tage gegliedert wurden. • In verschiedenen umfangreichen internationalen Studien aus dem Steinkohlebergbau zeigte sich, dass das Vorliegen eines gesicherten röntgenologischen Befundes (Streuungskategorie ‡ 1 nach ILO 1980) keine notwendige Voraussetzung für die Entwicklung einer chronischen Bronchitis und eines Emphysems darstellt. • Die Errechnung der kumulativen Feinstaubdosis erfolgt im Prinzip entsprechend der Errechnung der „Faserjahre“, wie sie von den Ermittlungen bei asbeststaubbedingten Lungenkrebserkrankungen, sofern keine Asbestose oder astbeststaubbedingte Pleuraerkrankung vorliegt, einschlägig geläufig ist. Sie ergibt sich aus der Feinstaubkonzentration in der Luft am Arbeitsplatz in mg/m3 multipliziert mit der Anzahl der Expositionsjahre, bezogen auf 220 gefahrene Schichten zu je 8 Stunden. Die Dokumentation der Staubexposition im deutschen Steinkohlebergbau ist seit den sechziger Jahren
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder praktisch lückenlos, sodass im Einzelfall nachvollziehbare Abschätzungen der kumulativen Feinstaubdosis möglich sind. Handhabung der BK 4111: Die Stichtagsregelung sieht vor, dass eine BK-Anerkennung ausscheidet, sofern der Versicherungsfall vor dem 1.1.1993 eingetreten ist. Die Stichtagsregelung ist nicht medizinisch, sondern sozialpolitisch begründet.
Diagnosestellung/Begutachtung Die Bronchitisdefinition der Weltgesundheitsorganisation soll nicht ausschließlich zur Grundlage der Begutachtung gemacht werden, da sie zwar für epidemiologische Fragestellungen gut, jedoch für den konkreten Versicherungsfall nur wenig geeignet ist. Die Diagnose einer chronischen obstruktiven Bronchitis basiert zunächst auf einer Symptomatik mit Husten und/oder (in aller Regel behandlungsbedürftiger) Atemnot bzw. charakteristischen Auskultationsbefunden wie Giemen und Brummen. Die Angabe von Auswurf ist nicht in gleichem Maße BK-relevant, da z. T. nur von begrenzter Validität. Bei der Diagnosestellung einer obstruktiven Bronchitis kommt der Spirometrie mit Registrierung der Kurven und Zahlenwerte des forcierten Exspirationsmanövers (FEV1 und Fluss-VolumenDiagramm) sowie der Ganzkörperplethysmografie (Atemwegswiderstand, intrathorakales Gasvolumen) eine besondere Bedeutung zu. Im Falle einer obstruktiven Ventilationsstörung soll stets eine Testung auf Reversibilität der Obstruktion durchgeführt werden, um diese Informationen ggf. differenzialdiagnostisch zu verwenden und das Ausmaß der Reversibilität der Obstruktion in die MdE-Einschätzung einfließen lassen zu können. Eine unspezifische Provokationstestung v. a. mit Methacholin kann im Einzelfall unter differenzialdiagnostischen Überlegungen hilfreich sein, insbesondere dann, wenn Symptome vorliegen, Spirometrie und Ganzkörperplethysmografie jedoch normale Ergebnisse zeigen. Spirometrische und ganzkörperplethysmografische Untersuchungen sind zur besseren Objektivierung der Funktionseinschränkung nach Möglichkeit stets durch eine Bestimmung der Blutgase sowohl in Ruhe als auch unter körperlicher Belastung, ggf. auch durch eine Spiroergometrie zu ergänzen. Die Diagnose eines Lungenemphysems ist oftmals schwieriger zu stellen als die der chronischen obstruktiven Bronchitis. Stets wird eine Röntgenaufnahme in zwei Ebenen zu fordern sein. Intra vitam kann ein Lungenemphysem mit hoher Vali-
dität durch eine (möglichst hochauflösende) Computertomografie (HRCT) diagnostiziert werden, wobei die rechnergestützte Quantifizierung einer verminderten Lungendichte (– 950 bis – 1024 [HE] Hounsfield-Einheiten) hilfreich ist. Die alleinige gutachterliche Fragestellung ist entsprechend der Strahlenschutzverordnung keine Indikation für die Anwendung bildgebender Verfahren. Gelangen allerdings ohne die Computertomografie wesentliche Veränderungen nicht zur Darstellung, geht diese Fehlbeurteilung zu Lasten des Versicherten. Ein funktionsanalytischer Parameter, der zur Diagnostik des Lungenemphysems herangezogen werden kann, ist das Residualvolumen in Kombination mit den dynamischen Lungenvolumina, insbesondere den Flusswerten der forcierten Exspiration sowie mit Daten des ganzkörperplethysmografisch ermittelten Atemwegswiderstandes. Die Bestimmung der Diffusionskapazität für Kohlenmonoxid stellt einen wichtigen Baustein in der Emphysemdiagnostik dar, auf den nicht verzichtet werden sollte, insbesondere dann nicht, wenn eine aussagekräftige Belastungsuntersuchung nicht durchgeführt werden kann. Die Datierung eines Versicherungsfalls bei einer BK 4111 setzt nicht in jedem Fall zwingend eine Lungenfunktionsprüfung voraus, wenn die anamnestischen Angaben des Versicherten über Atembeschwerden, insbesondere unter körperlicher Belastung, in Verbindung mit stützenden Hinweisen eine Datierung des Versicherungsfalles im Sinne des Vollbeweises möglich machen. Solche stützenden Hinweise können auf aktenkundigen klinischen Befunden und/oder den Ergebnissen bildgebender Verfahren basieren. Der Versicherungsfall umfasst dann den Leistungsfall mit, wenn in die für den Versicherungsfall maßgebliche Beschreibung des Krankheitsbildes in der Legaldefinition der Berufskrankheit bereits die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung aufgenommen worden sind. Dies wird bei der chronischen obstruktiven Bronchitis in aller Regel der Fall sein, da mit dem nachzuweisenden pathologischen Befund der Obstruktion meist bereits eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt, welche den Rentenleistungsfall begründet. Insofern wird die Diagnose einer chronischen obstruktiven Bronchitis bei Steinkohlengrubenbergleuten, welche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen ist, bei Vorliegen der übrigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (v. a. Haftungsbegründung) in aller Regel nicht nur den Tatbestand des Versicherungs-, sondern auch denjenigen des Leistungsfalls begründen.
Obstruktive Atemwegserkrankungen Bei aktenkundig eindeutig dokumentierter obstruktiver Atemwegserkrankung kann bei Steinkohlebergleuten eine chronische obstruktive Bronchitis auch dann als Versicherungsfall anerkannt werden, wenn zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung keine Obstruktion nachweisbar ist, etwa infolge antiobstruktiver Therapie. Auch für die Diagnose des Lungenemphysems ist das Beweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu fordern, d. h. das Lungenemphysem muss eindeutig belegt sein. Computertomografische oder pathologisch-anatomische Befunde können beweisend sein. Sofern keine eindeutig auf das Emphysem zu beziehende Funktionsbeeinträchtigung vorliegt, kann ein Lungenemphysem durchaus als Versicherungsfall vorliegen, ohne dass es sich zugleich um einen Leistungsfall handelt. Für die Feststellung eines Leistungsfalls aufgrund der Diagnose „Lungenemphysem“ müssen zwingend Ausfallserscheinungen insbesondere durch Belastungsuntersuchungen (s. oben) nachgewiesen werden, die mit der Krankheit in einen Ursachenzusammenhang gebracht werden können. Es war der offenkundige Wille des Verordnungsgebers, bei der Legaldefinition der BK 4111 eine arbeitsbedingte Belastungsgröße, nämlich „100 Feinstaubjahre“, als entscheidungsrelevant festzulegen. Bei Erreichen der kumulativen Feinstaubdosis ist ungeachtet der nicht arbeitsbedingten Risikofaktoren „Alter“ und „Rauchen“ von einer generellen Eignung der beruflichen Noxe zur Verursachung einer chronischen obstruktiven Bronchitis und eines Lungenemphysems auszugehen. Durch die Formulierung „in der Regel“ dürften in Ausnahmefällen niedrigere Belastungswerte genügen bzw. höhere zu fordern sein. Da der im Atemtrakt abgelagerte Staub als Ursache für die chronisch-obstruktive Bronchitis bzw. das Lungenemphysem im Sinne der BK-Nummer 4111 angesehen wird, schließt ein zeitliches Intervall zwischen der Beendigung der Staubbelastung und dem Auftreten der Erkrankungssymptome die berufliche Verursachung – insbesondere des Emphysems – keineswegs aus. Dennoch ist unverkennbar, dass bei längeren Intervallen ohne objektivierte pulmonale Funktionseinschränkung nach der Aufgabe der belastenden arbeitsbedingten Einwirkung andere, nicht arbeitsbedingte, konkurrierende Ursachen eine stärkere Bedeutung insbesondere für die chronische obstruktive Bronchitis erlangen
können. Bei Feststellung eines beschwerdefreien Intervalls von z. B. mehr als etwa 20 Jahren wird es nach pathophysiologischen Erkenntnissen gutachterlich schwierig sein, eine chronische obstruktive Bronchitis selbst im Sinne einer wesentlichen Teilursache auf die Staubexposition unter Tage zu beziehen, sodass der Kausalzusammenhang besonders kritisch zu prüfen ist. Bei solchen Fragestellungen ist es sehr wichtig, vorhandene Aktenaufzeichnungen einschließlich etwaiger Unterlagen der Silikose-Überwachung dahingehend sorgfältig zu sichten, ob nicht das Intervall unterbrechende Brückensymptome und -befunde (Husten, Auswurf, Atemnot, niedrig gestreute Silikose) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sind. Bei den Erkrankungen Silikose und chronische Bronchitis/Lungenemphysem handelt es sich um eigenständige nosologische Entitäten, die untereinander in kausale Wechselbeziehung treten können. Eine Abgrenzung der Silikose als Berufskrankheit im Sinne der BK-Nummer 4101 zur BK 4111 ist notwendig, auch wenn dies im Einzelfall schwierig sein kann. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die kardiopulmonale Funktionsbeeinträchtigung des Silikosekranken vorrangig durch die bronchitischen und emphysembedingten Komplikationen und meist nicht so sehr durch die Silikose per se bedingt ist. Bis dato wurde vielfach davon ausgegangen, dass erst Silikoseformen, die die Streuungskategorie 2 überschreiten (> 2⁄ 3), oder die Schwielen aufweisen, geeignet sind, eine bestehende chronische obstruktive Bronchitis oder ein Lungenemphysem wesentlich mit zu verursachen oder wesentlich zu verschlimmern. Eine chronische obstruktive Bronchitis oder ein Lungenemphysem, die im genannten Sinne auf eine Silikose ursächlich zurückgeführt werden können, werden unter der BK-Nummer 4101 zu entschädigen sein. Wenn die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für den Versicherungsfall beider Berufskrankheiten (4101 und 4111) vorliegen, sind beide zur Anerkennung vorzuschlagen. Die gesamte Funktionseinschränkung sollte aber integrativ als gemeinsamer Schaden durch beide Berufskrankheiten eingeschätzt werden, sodass eine gemeinsame MdE für beide BK-Nummern, jedoch nicht durch rein rechnerische Addition beider Einzel-MdE-Sätze, zu bilden sein wird. Der relativ seltene Fall der Pinhead-Silikose mit perinodulärem Emphysem bei Standard-Aufnahmetechnik (bzw. der pathologisch-anatomische Befund der „schwarzen Löcherlunge“) mit ver-
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder gleichsweise geringer radiologisch erkennbarer Streudichte, jedoch deutlicher Symptomatik und funktionellen Ausfällen bot bislang der Anerkennung als BK unter der Nummer 4101 Schwierigkeiten. Diese ist nunmehr bei Vorliegen der übrigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (!) unter der BK-Nummer 4111 zu entschädigen. Die Höhe der durch die BK 4111 bedingten MdE kann nur aufgrund einer fundierten synoptischen, integrierenden Bewertung anamnestischer, klinischer und funktionsanalytischer Daten festgelegt werden. Auf die folgenden Vorschläge zur MdEQuantifizierung bei obstruktiven Atemwegserkrankungen sollte auch zur Beurteilung einer Funktionsbeeinträchtigung bei der Berufskrankheit 4111 zurückgegriffen werden.
werden. Da der künftige Verlauf im Einzelfall schwer vorauszusehen ist (Besserung nicht auszuschließen), empfiehlt sich bei der MdE-Bemessung noch nicht genügend lang überschaubarer Verläufe eine zurückhaltende Einschätzung. Sinnvoller ist es, bei kurzfristigen Folgebegutachtungen dem dann real belegten Schweregrad ggf. durch eine Anhebung der MdE Rechnung zu tragen.
MdE unterhalb des rentenberechtigenden Grades Die Einschätzung der MdE bei berufsbedingten Lungenerkrankungen (BK 4301 und 4302) unterhalb des rentenberechtigenden Grades (20 v. H.) ist in den letzten Jahren auch in arbeitsmedizinisch-pneumologischen Kreisen umfassend diskutiert worden.
Bemessung der MdE Gutachterlich erhobene Befunde sind zwangsläufig Resultat einer Momentaufnahme. Die angegebene Symptomatik muss durch stützende Befunde untermauert werden, wie durch • Aufzeichnungen des Hausarztes, • den Nachweis einer durchgeführten Therapie, • ggf. Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen dieser Erkrankung. Somit ist wiederum die Bedeutung der hausärztlichen Aufzeichnungen als wichtiger Teil der Information in der BG-Akte zu betonen. Obstruktive Atemwegserkrankungen neigen zu einem wechselnden Verlauf mit unterschiedlichen Schweregraden. Der festgestellte Schweregrad bildet jedoch die Grundlage der MdE-Bemessung. Eine Untersuchung im Herbst – unter Infektfolgen – kann im Einzelfall deutlich schlechtere Befunde als zu anderen Zeiten ergeben. Diese Variabilität muss bei der MdE-Einschätzung berücksichtigt
Praxis Beispiel: Eine beruflich erworbene Latexsensibilisierung würde im Falle einer Latexallergie – auch bei Erscheinungsfreiheit unter Allergenkarenz – nach den Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für Berufs- und Umweltdermatologie eine MdE zwischen 10 und 20 v. H. zur Folge haben (s. Tab. 4.9). Die Auffassung, dass bei inzwischen völliger Symptomfreiheit alleine aufgrund einer Sensibilisierung eine entschädigungspflichtige Krankheit vorliegt, wurde mehrfach höchstrichterlich bestätigt. Bei allergischen Atemwegserkrankungen wurde die alleinige Sensibilisierung bei der Einschätzung der MdE bislang traditionell nicht berücksichtigt. Ein bei Allergenkarenz asymptomatischer Patient mit einem ehemals allergischen Asthma bronchiale oder einer bronchialen Hyperreagibilität hätte demzufolge keine messbare MdE. Wenn durch eine Sensibilisierung gegenüber einem auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weit verbreiteten Allergen in krankheitsauslösender
Tabelle 4.9 Schtzung der MdE auf dermatologischem Gebiet. Auswirkung einer Allergie
Ausmaß der Hauterscheinungen, auch nach irritativer Schdigung keine
leicht
mittel
schwer
keine geringgradig mittelgradig schwerwiegend
0 0 10 20
10 10 15 20
20 20 25 30
25 25 30 ‡ 30
Obstruktive Atemwegserkrankungen Konzentration ein bestimmter Sektor des Arbeitsmarkts verschlossen bleibt, ist dies in der MdEEinschätzung zu begründen und zu berücksichtigen. Bei der Einschätzung der MdE muss der Gutachter aus einer Vielzahl von Einzelbefunden in synoptischer Zusammenfassung auf einen Zahlenwert – der MdE (in v. H.) – schließen. Mitunter ist die Sachlage so eindeutig, dass „klare“ Aussagen (z. B. 0 v. H. oder 100 v. H.) möglich sind. Oft wird man nur Bereiche schätzen können; eine genauere Einschätzung als in „20-v. H.-Schritten“ ist sicher schwierig, noch „feiner“ als 10 v. H. wohl kaum möglich. Im Bestreben, alle vielschichtigen Informationen und Befunde in die Gestaltung der MdE mit einzubringen, werden Bewertungsschemata vorgeschlagen, die auf diese Vielschichtigkeit in unterschiedlicher Weise eingehen. Am weitesten akzeptiert sind derzeit die MdEEmpfehlungen, wie sie im Reichenhaller Merkblatt niedergelegt sind (www.hvbg.de/d/pages/service/ download/bk_rep/pdf/reichenhall.pdf). Ein überarbeiteter Vorschlag, welcher auch spiroergometrische Werte beinhaltet, befindet sich derzeit in der Abstimmung (s. Tab. 4.10, S. 150). Ein Abfall der Einsekundenkapazität von 20% bis Stufe 4 gilt als bronchiale Hyperreaktivität, bei Stufe 5 liegt ein Grenzbefund vor. Zu weiteren Information sei auf die Empfehlungen des Arbeitskreises „Bronchiale Provokationstests“ (W. Klein federführend) verwiesen.
Rentenrecht Der Gutachter hat das Leistungsvermögen eines Versicherten zu ermitteln, damit hieraus auf 1. teilweise Erwerbsminderung, 2. volle Erwerbsminderung, 3. Reha-Maßnahmen, ggf. Rente auf Zeit
So gibt es z. B. zur Frage der „Verweisbarkeit“ im Laufe der Zeit unterschiedliche Rechtsauffassungen, die dem begutachtenden Arzt nicht unbedingt bekannt sein müssen. Verquickung medizinischer Befunde und juristischer Definitionen mindert den Aussagewert eines Gutachtens!
Teilweise und volle Erwerbsminderung Bei den obstruktiven Atemwegserkrankungen ist die Leistungsfähigkeit beeinflusst durch ein Missverhältnis zwischen der Art und Schwere der Erkrankung und den auf sie einwirkenden Bedingungen des berufsspezifischen Arbeitsumfeldes (Stäube, Rauche, Gase, Dämpfe, Witterungseinflüsse). Kann dieses Missverhältnis nicht durch Arbeitsschutzmaßnahmen oder durch Therapie (inkl. Reha-Maßnahmen) ausreichend beseitigt werden, so kann teilweise oder auch volle Erwerbsminderung vorliegen. Volle Erwerbsminderung kann bei obstruktiven Atemwegserkrankungen am ehesten durch die Längsschnittbeurteilung des Krankheitsbildes auf der Basis der Dokumentation aller Befunde, auch der durch den Hausarzt/Facharzt erhobenen, beantwortet werden. EU durch obstruktive Atemwegserkrankung liegt vor, wenn bei ausgeschöpfter Therapie Luftnot und Lungenfunktionsbehinderung überwiegend mittelschwer bis schwergradig vorhanden sind. Gehäufte respiratorische Entgleisung (Globalinsuffizienz) hat vorzeitige Mortalität zu Folge. Die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung beinhaltet somit in diesen Fällen auch eine Schutzfunktion. Diese Definition ist bei allen pneumologischen Krankheitsbildern anwendbar, die mit Obstruktion einhergehen.
Reha-Maßnahmen (ggf. Rente auf Zeit) geschlossen werden kann. Definition und Anwendung der Begriffe siehe Kapitel 2.4. Der medizinische Gutachter sollte in erster Linie den Schweregrad der Erkrankung beschreiben und ggf. ein positives und negatives Leistungsbild beschreiben. Es ist ratsam, sich – besonders in Grenzfällen – primär nicht über das Vorliegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung zu äußern, da hier auch ganz wesentliche außermedizinische Faktoren mit eingehen.
Mit dem Ziel der Vermeidung einer teilweisen oder vollen Erwerbsminderung sollte der Gutachter Reha-Maßnahmen erörtern, ggf. vorschlagen. Diese sind nur in spezialisierten pneumologischen Reha-Kliniken sinnvoll. Eine Mitwirkung des Versicherten (z. B. Tabakrauchkarenz, Teilnahme an Patientenschulung u. a.) ist zu fordern, ist leider aber keine Bedingung.
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keine vçllige Beschwerdefreiheit unter Therapie geringgradige Belastungsdyspnoe Periodisch auftretende Asthmaanflle
20
90
70 80
60
50
mittelgradige Belastungsdyspnoe (Pause nach 2 – 3 Stockwerken) tgliche Atembeschwerden geringe nchtliche Beschwerden hochgradige Belastungsdyspnoe (z. B. Pause nach 1 Stockwerk) tgliche Asthmaanflle regelmßig nchtliche Atemnotzustnde Gehstrecke ohne Pause < 100 m oder < 8 Stufen
geringe Beschwerden, unter Therapie keine Beschwerden
10
30 40
Anamnese
Cor pulmonale mit irreversibler Rechtsherzinsuffizienz
Cor pulmonale ohne Insuffizienzzeichen Cor pulmonale mit reversiblen Zeichen der Rechtsherz-insuffizienz
Giemen unterschiedlichen Grades
Normalbefund
Klinik
hochgradige Vernderungen berwiegen
mittelgradige Vernderungen berwiegen
geringgradige Vernderungen berwiegen
Grenzbereich
Lungenfunktion (Spirometrie, Bodyplethysmografie)
MdE-Tabelle (medizinisch-funktionelle Anteile der MdE).
MdE %
Tabelle 4.10
verminderter Sauerstoffpartialdruck in Ruhe bei Normokapnie
verminderter1 Sauerstoffpartialdruck bei leichter Belastung
normaler oder verminderter1 Sauerstoffpartialdruck bei sehr hoher Belastung2 normaler oder verminderter1 Sauerstoffpartialdruck bei hoher Belastung1 verminderter1 Sauerstoffpartialdruck bei mittlerer Belastung
normaler Sauerstoffpartialdruck
Belastungsuntersuchung mit Blutgasbestimmung
Belastungsuntersuchung nicht mçglich
Insuffizienzkriterien3 bei leichter Belastung (VO2 max < 50% des VO2-Soll)
90
70 80
60
50
30 40
20
10
MdE %
Fortsetzung nächste Seite
zustzlich orale Kortikoide/Sonstige Medikation notwendig.
keine oder gelegentlich Bronchodilatatoren u./o. Antihistaminika tglich inhalative Kortikoide und Bronchodilatatoren
Insuffizienzkriterien3 bei hoher Belastung (VO2 max 80 – 65% des VO2-Soll)
Insuffizienzkriterien3 bei mittlerer Belastung (VO2 max < 65 – 50% des VO2-Soll)
Therapie, indiziert nach aktuellen Leitlinien
Spiroergometrie
150
Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
Obstruktive Atemwegserkrankungen
3
vorrangig bei COPD/Emphysem zu erwarten sehr hohe Belastung: 100%des Sollwertes werden erreicht; Hohe Belastung: > 80% des Sollwertes werden erreicht ˙O2 max, V ˙O2 AT, P(A-a)O2, V ˙ E und ventilatorische Reserve, Atemquivalente (siehe S. 106) Abweichung von Normwerten, v. a. von V 2
100 trotz optimaler Therapie nicht beherrschbare(s) Asthma/COPD verminderter Sauerstoffpartialdruck und Hyperkapnie in Ruhe forcierte Atemmançver nicht mçglich Ruhedyspnoe (Hilfe beim Essen und/ oder Kleiden nçtig). wiederholt lebensbedrohliche Asthmaanflle 100
1
Therapie, indiziert nach aktuellen Leitlinien Lungenfunktion (Spirometrie, Bodyplethysmografie) Klinik Anamnese MdE %
Tabelle 4.10
MdE-Tabelle (medizinisch-funktionelle Anteile der MdE)
(Fortsetzung).
Belastungsuntersuchung mit Blutgasbestimmung
Spiroergometrie
MdE %
Pflegeversicherung Hier sei auf vor allem auf Kapitel 2.5 verwiesen. Sofern die obstruktive Atemwegserkrankung so schwergradig ist, dass der Erkrankte „für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen (Körperpflege, Ernährung, Mobilität, hauswirtschaftliche Versorgung) im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höheren Maße der Hilfe bedarf“, kann Pflegebedürftigkeit im Sinne der sozialen Pflegeversicherung vorliegen.
Soziales Entschdigungsrecht (SER) (Siehe auch die entsprechenden Abschnitte in Kapitel 2.6.) Wie im Unfallrecht kommt es hier zunächst auf den Kausalitätsnachweis des Schadensereignisses an. Die Bemessung des eingetretenen Schadens erfolgt wie den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ dargestellt. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, Fassung von 2008 http://www.bmas.de/coremedia/generator/ 22788/property=pdf/2007__12__11__anhaltspunkte__gutachter.pdf/ Für den pneumologischen Bereich generell ist hier die Zusammenstellung wie in Tab. 4.11 gezeigt gültig. Speziell zum Asthma siehe hierzu Tab. 4.12.
151
152
Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Tabelle 4.11 Auszug „Krankheiten der Atmungsorgane“. (Aus: Anhaltspunkte fr die rztliche Gutachterttigkeit im sozialen Entschdigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 2008.) Krankheiten der Atmungsorgane (z. B. Brustfellschwarten, chronisch-obstruktive – auch „spastische“ oder „asthmoide“ – Bronchitis, Bronchiektasen, Lungenemphysem, Pneumokoniosen, Lungenfibrosen, inaktive Lungentuberkulose) mit dauernder Einschrnkung der Lungenfunktion
GdS
geringen Grades
das gewçhnliche Maß bersteigende Atemnot bei mittelschwerer Belastung (z. B. forsches Gehen [5 – 6 km/h], mittelschwere kçrperliche Arbeit); statische und dynamisches Messwerte der Lungenfunktionsprfung bis zu 1⁄ 3 niedriger als die Sollwerte, Blutgaswerte im Normbereich
20 – 40
mittleren Grades
das gewçhnliche Maß bersteigende Atemnot bereits bei alltglicher leichter Belastung (z. B. Spazierengehen [3 – 4 km/h], Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte kçrperliche Arbeit); statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprfung bis zu 2⁄ 3 niedriger als die Sollwerte, respiratorische Globalinsuffizienz
50 – 70
schweren Grades
Atemnot bereits bei leichtester Belastung oder in Ruhe; statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprfung um mehr als 2⁄ 3 niedriger als die Sollwerte, respiratorische Globalinsuffizienz
80 – 100
Tabelle 4.12 Auszug „Bronchialasthma“. (Aus: Anhaltspunkte fr die rztliche Gutachterttigkeit im sozialen Entschdigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 2008.) Bronchialasthma
GdS
ohne dauernde Einschrnkung der Lungenfunktion l Hyperreagibilitt mit seltenen (saisonalen) und/oder leichten Anfllen l Hyperreagibilitt mit hufigen (mehrmals pro Monat) und/oder schweren Anfllen l Hyperreagibilitt mit Serien schwerer Anflle Eine dauernde Einschrnkung der Lungenfunktion ist zustzlich zu bercksichtigen.
0 – 20 30 – 40 50
Schwerbehindertengesetz (SchwbG) (Siehe auch die entsprechenden Abschnitte in Kapitel 2.6.) Ohne (!) Berücksichtigung der Kausalität richtet sich der GdB (entsprechend der in Kapitel 2.6 dargelegten Zielrichtung dieser Verordnung) nach den Auswirkungen nicht nur vorübergehender Funktionsbehinderungen. Entsprechend bieten die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ Richtlinien für die Einschätzung des GdB mit Definitionen, die so im gesetzlichen Unfallrecht nicht zu finden sind.
Asthmasyndrom bei Kindern Versicherungsrechtlich relevant ist allein das SchwbG („Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, 2008), die GdB-Grade gliedern sich wie in Tab. 4.13 gezeigt.
Mukoviszidose Versicherungsrechtlich relevant ist hier vorrangig das SchwbG („Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und dem Schwerbehindertengesetz, 2008).
Infektionskrankheiten Tabelle 4.13 Auszug „Bronchialasthma bei Kindern“. (Aus: Anhaltspunkte fr die rztliche Gutachterttigkeit im sozialen Entschdigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 2008.) Bronchialasthma bei Kindern
GdS
geringen Grades
20 – 40
mittleren Grades
schweren Grades
Hyperreagibilitt mit seltenen (saisonalen) und/oder leichten Anfllen, keine dauernde Einschrnkung der Atemfunktion, nicht mehr als sechs Wochen Bronchitis im Jahr Hyperreagibilitt mit hufigeren und/oder schweren Anfllen, leichte bis mittelgradige stndige Einschrnkung der Atemfunktion, etwa 2 bis 3 Monate kontinuierliche Bronchitis im Jahr Hyperreagibilitt mit Serien schwerer Anflle, schwere Beeintrchtigung der Atemfunktion, mehr als 3 Monate kontinuierliche Bronchitis im Jahr
4.2 Infektionskrankheiten R. F. Kroidl und D. Nowak*
Für pneumologische Aspekte ist unter den Infektionskrankheiten nach wie vor die Tuberkulose von besonderer Bedeutung.
Tuberkulose (Tb) Bei der Lungentuberkulose folgt die Dauer der Arbeitsunfähigkeit auch heute noch häufiger traditioneller Beurteilung als sachlichen Gesichtspunkten. Auch in Bezug auf die Anerkennung der Tb als Berufskrankheit (BK) ließ sich in Deutschland bis Anfang dieses Jahrtausends eine bemerkenswerte „Vielfalt“ feststellen. Es gab Regionen, wo gutachterlich „nur“ Reaktivierungen und keine Reinfektionen festgestellt wurden, und es gab Regionen, wo man „beide“ Sachverhalte diagnostizierte. Die Anerkennung als BK differierte im beträchtlichen Maße. Es bedurfte einer landesweiten Orientierung. Hierzu sei dem mit TB befassten Gutachter zum vertiefenden Lesen der „Leitfaden zu Begutachtung: Tuberkulose als Berufskrankheit“ (Nienhaus et al. 2003) empfohlen.
50 – 70
80 – 100
senschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege): • Jährlich werden der BGW über 100 Anzeigen eines BK-Verdachtes wegen Tb gemeldet. Etwa 50% betrafen eine Lungen-Tb, etwa 30% eine TbKonversion im Mendel-Mantoux-Test. Eine Tb der Haut, der Knochen oder des Urogenitaltraktes lag in 11% vor. Der Rest – zu 100% – umfasst Kontaktmeldungen, keine Mitwirkung u. a. • Davon Anerkennung als BK: Bei TB-Konversion in 65%, bei Organerkrankungen in 32%. • Infektionskrankheiten sind mit 11% aller BK dritthäufigste BK-Gruppe (nach Hautkrankheiten und Bandscheiben-bedingten Krankheiten). • Erfassungen aus den 1970er- und 1980er-Jahren (in Berlin) zeigten für den Arbeitsbereich der Lungenfachkliniken eine sehr hohe Inzidenz von 500 – 600 Tb-Fällen auf 100 000 Einwohner, während für das allgemeine Gesundheitswesen keine höheren Häufigkeiten im Verhältnis zur Bevölkerung erkennbar waren. Die berufliche Gefährdung einer BK durch TB wird aktuell neu bewertet, wobei die durch globale Entwicklung „importierten und komplizierten Tuberkulosen“ mit Resistenzen und Multiresistenzen berücksichtigt werden müssen.
Bedeutung der Tb: Weltweit – Europa – Deutschland
Aktuelles und Hintergrnde TB als BK (TB wird 1929 in die BK-Liste aufgenommen [BK Nr. 3101], zugleich Gründung der zuständigen Berufsgenossenschaft: BGW = Berufsgenos-
Weltweit
• •
* Dank an Loddenkemper R und Hauer B, DZK; Dank an Schaberg T für die hilfreiche Diskussion. DZK = Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose
•
Tb ist vor Malaria und HIV/AIDS die häufigste Infektionskrankheit, global zunehmend Tb ist die häufigste Todesursache bei HIV-Infizierten 2005: ca.10 Millionen Neuerkrankungen, vor in allem Asien und Afrika (Sub-Sahara); dort
153
154
Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder 60-fach höhere Inzidenz im Vergleich zu Deutschland (Beispiel Zimbabwe 629/100 000 Einw.)
Europa
•
•
Inzidenz im Durchschnitt bei 54/100 000 Einwohner, in Westeuropa zwischen 0 – 41/ 100 000, Osteuropa (ehemalige Sowjetunion) im Schnitt 90/100 000, in Kasachstan 163/ 100 000. Besonderes Problem: MDR (multi drug resistance)
plifikationstechnik [NAT]). Das wichtigste Kriterium für die Erfüllung einer Fall-Definition ist die Einleitung einer Tb-spezifischen Therapie. Auch die beruflich bedingte Tuberkulinkonversion ist an den UV-Träger zu melden (s. unten) und kann als Versicherungsfall anerkannt werden.
Indexfall: Als Indexfall wird der Tuberkulosekranke bezeichnet, der die Umgebungsuntersuchungen ausgelöst hat.
Deutschland Weiter anhaltender Rückgang der Inzidenz (2005: 7,3/100 000). Inzidenz unter Ausländern > 5-fach (27,4/100 000) gegenüber Deutschen (5,1/ 100 000). 45% der Erkrankten waren im Ausland geboren, ein Drittel hatte ausländische Staatsangehörigkeit.
Klinik
• • • •
5 – 10% aller Infektion mit M. tuberculosis führen zur manifesten Tb 80% der Tb-Fälle werden aufgrund von Tb-bedingten Symptomen erkannt 20% der Tb-Fälle werden durch Zufall und Umgebungsuntersuchung diagnostiziert etwa 1% der Tb-Fälle wird erst nach dem Tod erkannt
Probleme: • Abbau der Sozialfürsorge und korrespondierender Anstieg der Tb sowie der MDR-Tb (siehe USA in 1980er Jahren) • bei Niedrigprävalenz geht medizinische Basiskenntnis zu Tb verloren
Tb-Meldeverfahren Die Meldepflicht bestand seit 1961 im Rahmen des Bundes Seuchengesetzes. Änderungen haben sich seit 2001 mit Einführung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) ergeben. Diagnosekiterien sind das klinische Bild – einschließlich dem Röntgenbefund und dem labordiagnostischen Nachweis (mikroskopisch, kulturell, Nukleinsäure-Nachweis [PCR], Nukleinsure-Am-
Krankenversicherung Folgendes kann Arbeitsunfhigkeit begründen: Spezielle Beschwerden oder eine allgemeine Leistungsminderung, eine Einschränkung der Lungenfunktion, eine Ansteckungsfähigkeit oder Medikamentennebenwirkungen. Eine unsichere Begründung der Arbeitsunfähigkeit ist die eventuelle Beeinflussung des Krankheitsverlaufs durch körperliche Belastungen. Spezielle Beschwerden wie eine Hämoptoe oder Fieber rechtfertigen eine Arbeitsunfähigkeit. Das Allgemeinbefinden ist bei leichteren Formen meist nicht oder wenig beeinträchtigt, so wird z. B. selten eine allgemeine Kraftlosigkeit angegeben. Die Lungenfunktion ist selten wesentlich eingeschränkt. Bei den Medikamentennebenwirkungen können hinsichtlich der Wiederaufnahme der Arbeit eine Isoniazid-bedingte Müdigkeit und Konzentrationsstörungen Probleme bereiten (eine abendliche Medikamenten-Einnahme kann hier hilfreich sein, sollte jedoch wegen der schlechteren Resorption der Medikamente nur in Ausnahmefällen erfolgen). Die medikamentöse Therapie begründet für sich alleine sicher nicht Arbeitsunfähigkeit, sodass eine automatische Arbeitsunfähigkeit für deren Dauer nicht gerechtfertigt ist. Eine Ausnahme kann bei gefährlichen Arbeitsplätzen, z. B. Dachdeckern unter Isoniazid-Therapie gegeben sein. Schon Ende der 1970er Jahre wurde von maßgeblicher Seite bei komplikationsfreiem Verlauf eine Arbeitsunfähigkeit länger als 1 – 3 Wochen nach der Krankenhausentlassung für nicht gerechtfertigt gehalten, außer bei Schwer-, Akkordoder Schichtarbeit. Eine gering ausgedehnte, nicht ansteckungsfähige Tuberkulose muss keine Arbeitsunfähigkeit nach sich ziehen. Auch für extra-
Infektionskrankheiten pulmonale Tuberkulosen gilt das oben Gesagte. Eine Arbeitsunfähigkeit nur zur Isolierung ist hier aber nicht erforderlich (auch nicht bei UrogenitalTb, auch Gemeinschaftstoiletten können benutzt werden). Bei wirksamer Chemotherapie spielt eine Schonung für den Krankheitsverlauf keine Rolle mehr. In der Literatur wird jedoch empfohlen, häufige schwere, erschöpfende körperliche Belastungen zu vermeiden. Bei einer initialen Ansteckungsfhigkeit ist meist einige Wochen nach dem Beginn einer regelrechten Behandlung die Zahl und Virulenz der ausgeschiedenen Keime derart reduziert, dass in der Praxis nicht mehr von Ansteckungsfähigkeit auszugehen ist. Ein Abwarten negativer Sputumkulturen folgt mehr einer Strategie der Konfliktvermeidung als sachlichen Gesichtspunkten. Zu der bedeutenden Frage, wann bei Tb-Erkrankung wieder „Verkehrsfähigkeit“ vorliegt informiert eine aktuelle Stellungnahme des DZK wie folgt (s. Kasten). „Die Entscheidung über die Beendigung der Isolierung ist in erster Linie abhängig von der mikroskopisch nachweisbaren Abnahme der Erregerausscheidung im Sputum bzw. Bronchialsekret sowie vom klinischen Ansprechen auf die Therapie. Zu fordern sind drei negative Sputumbefunde (an drei aufeinander folgenden Tagen). In den meisten Fällen tritt zwei bis drei Wochen nach Beginn einer wirksamen Therapie eine Sputumkonversion ein. Ein positiver Befund in diesem Behandlungszeitraum kann allerdings auch durch die Ausscheidung bereits abgetöteter Bakterien zustande kommen und bedeutet nicht zwingend, dass diese Patienten noch ansteckungsfähig sein müssen. In Einzelfällen (kavernöse Prozesse, Ausbleiben bakteriologischer und/oder klinischer Hinweise auf einen Erfolg der Therapie, Medikamentenresistenz, mangelnde Compliance) kann eine längere Isolierung notwendig werden. Auch bei immunsupprimierten Patienten können besondere Maßnahmen angezeigt sein, hier ist auch nach längerer Zeit noch mit positiven Sputumbefunden zu rechnen. Der Zeitpunkt der Aufhebung der Isolierung muss in diesen Fällen individuell festgelegt werden.“
Eine Ansteckungsfähigkeit begründet Arbeitsunfähigkeit. Diskrepante Auffassungen, wann diese nicht mehr vorliegt, können sich aus der unterschiedlichen Bewertung eines „Restrisikos“ und aus einem anderen Blickwinkel beim Abwägen eines Infektionsrisikos gegenüber den Interessen des Betroffenen ergeben. In den Empfehlungen wird ausdrücklich auf eine erforderliche Güterabwägung hingewiesen. Anzustreben ist, zwischen dem behandelnden Arzt, dem Arzt des Gesundheitsamtes und, falls beteiligt, dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) einen Konsens herzustellen. Das Gesundheitsamt muss gegenüber Personen, welche beruflich in Schulen/Kindergärten u. ä. zu tun haben nach (§ 34 Abs. 1 Nr. 8 IfSG) bei einer ansteckungsfähigen Tuberkulose (und dem begründeten Verdacht darauf) ein Berufsausbungsverbot aussprechen. Praktiziert wird dies auch bei anderen Personen, die beruflich Umgang mit Kindern und Jugendlichen haben. Das Gleiche gilt sinngemäß für die Besucher der Einrichtungen. Nach den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts gilt für Erwachsene: Der initial Ansteckungsfähige ist unter antituberkulöser Therapie mindestens drei Wochen von Gemeinschaftseinrichtungen auszuschließen. Voraussetzung für ein Aufheben des Verbots ist eine Rückbildung eventuell vorhandener klinischer Krankheitszeichen und eine nicht mehr vorliegende Ansteckungsfähigkeit. Letzteres kann bei drei mikroskopisch negativen Untersuchungen aus dem Sputum, Bronchialsekret oder Magensaft angenommen werden. Eine radiologische Regredienz wird nicht gefordert. Für Kinder gilt: Bei deutlicher klinischer Besserung kann auf Sputumuntersuchungen verzichtet werden (Originalzitat: „Bei nichtkavernöser Tuberkulose von Kindern unter acht Jahren kann auf die genannten bakteriologischen Befunde verzichtet werden, sofern es unter Therapie zu einer deutlichen klinischen Besserung gekommen ist“). Empfehlungen für die Wiederzulassung in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen siehe Robert Koch-Institut (RKI), Ratgeber Infektionskrankheiten, Aktualisierte Fassung März 2002. www.rki.de Registerkarte RKI-Ratgeber/Merkblätter.
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Nach § 33 IfSG kann das Gesundheitsamt auch die Ausübung „bestimmter“, gesetzlich nicht näher definierter Tätigkeiten untersagen. Das Gesundheitsamt hat hier eine weit reichende Handhabe, bestimmte Tätigkeiten (insbesondere im Fall einer Uneinsichtigkeit) zu verbieten. Für Personen, die einem Ausübungsverbot unterliegen, ist eine Entschädigung vorgesehen. Dem Klimafaktor wurde früher eine wesentliche Rolle im Ablauf einer Tb zugeschrieben, Konsequenz war die Heilstättenbewegung mit stadtfern gelegenen Sanatorien. Bei Durchführung einer Chemotherapie ist von klimatischen Maßnahmen jedoch sicher kein zusätzlicher Effekt zu erwarten, weswegen medizinische Reha-Maßnahmen nicht generell erforderlich sind. Nur wenn eine durch eine abgelaufene Tuberkulose stark geschädigte Lunge mit Bronchiektasen und chronischer Bronchitis vorliegt, können unter diesem Gesichtspunkt Reha-Maßnahmen sinnvoll sein.
Unfallrecht Tb als BK oder Arbeitsunfall Die BK-Nummern 3101, 3102 und 4102 beziehen sich auf einen bestimmten „geschützten Personenkreis“ mit beruflich besonders hoher Infektionsgefährdung. Im Wesentlichen besteht dieser „geschützte Personenkreis“ aus Beschäftigten im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege und im Labor. Bei anderen Personen ist die Voraussetzung zur Anerkennung als BK als Einzelfallentscheidung besonders zu prüfen. Tabelle 4.14
Tb als BK/Arbeitsunfall.
Folgende BK sind mçglich: BK 3101
BK 3102
BK 4102
Ttigkeiten im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege und im Labor (Infektionsweg: Mensch zu Mensch) von Tieren auf Menschen bertragene Krankheiten (im Wesentlichen RinderTb, Neuerkrankungen jetzt ungewçhnlich; aktuelle Information aus der Veterinrmedizin: bislang ca. 10 – 12 Flle/Jahr an Rinder-Tb in Deutschland, in den letzten Jahren zunehmend [Region Niederelbe]; man erwgt, die 1997 eingestellte Tuberkulisierung der Rinder wieder einzufhren) Silikotuberkulose
außerdem Arbeits-/Dienstunfall durch Tuberkulose mçglich
„Tb als Arbeitsunfall“ ist bei allen Berufen mit Publikumsverkehr denkbar, wobei die Ansteckung „innerhalb einer Arbeitsschicht“ stattgefunden haben muss. (Es steht dieser Annahme aber nicht entgegen, wenn es tatsächlich mehrere Arbeitsschichten gewesen sein können.) Ein solcher Arbeitsunfall kann somit auch bei einer Person außerhalb des geschützten Personenkreises eintreten, sofern das Infektionsereignis als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII und als zeitlich begrenzter Gesundheitsschaden zu werten ist (Beispiel: Das Bundessozialgericht [BSG] erkannte bei einem Sachbearbeiter des Versorgungsamtes eine Tb-Erkrankung als Arbeitsunfall an.).
Praxis Bei einem Versicherten wird eine offene Tb entdeckt. Mehrere Arbeitsschichten kämen als „Ansteckungszeitraum“ infrage. Wenn sowohl die Voraussetzungen einer BK als auch eines Arbeitsunfalls vorliegen, hat die Anerkennung als BK Vorrang. Stets muss die Infektionsquelle konkret benannt werden können, somit auch der Zeitraum der Infektionsgefährdung.
Praxis In einem Sozialgerichtsfall wurde von der BGW eine BK nach 3101 bei einer Krankenschwester abgelehnt, da die Infektionsquelle nicht sicher benannt werden konnte. Ein Landessozialgericht hat jedoch ein „tendenziell erhöhtes Infektrisiko“ festgestellt und eine BK anerkannt (LSG BadenWürttemberg 03/2001). Die in den letzten Jahrzehnten weiter deutlich abnehmende Durchseuchung mit Tb hat zur Folge, dass heute im Unfallrecht überwiegend tuberkulöse Primärinfektionen zur Begutachtung kommen. Prinzipiell gilt aber die Feststellung, dass Primärund Reinfektionen (s. unten) mit Tuberkuloseerregern ein Unfallereignis im Sinne des Gesetzes darstellen können. Eine Tb als BK oder als Arbeitsunfall ist zu bejahen, wenn • der Versicherte bei der Einstellung gesund war, • die Tb nachweislich frisch ist, • eine berufliche Ansteckungsquelle nachgewiesen ist, der zeitliche Zusammenhang schlüssig erscheint (Latenzzeit mindestens 6 – 8 Wochen,
Infektionskrankheiten
• •
bei Latenzzeit von mehr als 24 Monaten sind „Brückensymptome“ zu fordern), sich keine Anhaltspunkte für außerberufliche Infektionsquellen ergeben, weder klinisch noch röntgenologisch überzeugende Hinweise auf die Reaktivierung eines alten Tb-Herdes vorliegen.
Bei einmaligem mikroskopischem oder radiometrischem Tb-Nachweis ohne kulturelle Bestätigung und ohne plausibles radiologisch-klinisches Korrelat ist eine kontrollierende, abwartende Haltung gerechtfertigt, da Zweifel an der Diagnose bestehen. Der Nachweis von atypischen Mykobakterien erfüllt nicht die Voraussetzung nach BK 3101, da Ansteckungsfähigkeit nicht unterstellt werden kann (Ausnahme bei Laborinfektionen). Eine (endogene) Reaktivierung und Superinfektion der Tb ist heute eher selten geworden – eine solche Konstellation stellt erhöhte Anforderungen an den Kausalitätsnachweis. Exogene Reinfektionen wären anzunehmen, wenn nach einer stattgehabten Erstinfektion eine spätere Zweitinfektion (mit einem anderen Erreger, von einer anderen Quelle) erfolgt. Dies war bislang nicht oder nur schwer nachzuweisen. Vorliegende molekularepidemiologische Studien (bislang noch in kleiner Fallzahl) weisen darauf hin, dass solche Ereignisse vorkommen. Viele Studien zeigen bei einem hohen Prozentsatz der molekularbiologisch untersuchten Patienten identische molekularbiologische „DNA-Fingerabdrücke“ als Hinweis auf eine frisch übertragene Tuberkulose Erkrankung (Seidler u. Diehl 2003). Ein aktiver tuberkulçser Prozess liegt vor bei • mikroskopischem oder kulturellem Tb-Nachweis aus Sputum, Bronchialsekret, Magenspülwasser, • bei histologischen Aktivitätszeichen, ggf. auch aus Pleurastanze, mediastinalen Lymphknoten (möglichst auch mit Tb-Kultur), • bei indirektem Nachweis über eine röntgenmorphologisch nachweisbare Dynamik. Gutachterliche Probleme bereitet oftmals folgende Situation: Es findet sich ein Lungenkarzinom, lokalisiert in einem Bereich, in dem narbige Residuen nach Tuberkulose nachweisbar sind. Kann man hier von einem Narbenkarzinom (als Spätfolge der überstandenen Tb) sprechen? Erfahrungsgemäß ist dies oft zu bejahen, vielfach sollen Adenokarzi-
nome vorliegen. Siehe auch Narbenkarzinom bei Silikose, Kapitel 4.4.
Meldepflicht und Bewertung bei Tb und Tuberkulinkonversion Unstrittig ist die Meldepflicht bei gesicherter TbErkrankung (§ 202, SGB VII). Strittig war dies jedoch bei Tuberkulinkonversion, da hier keine Krankheit vorliegt und keine Therapie (allenfalls eine präventive Therapie) nötig ist. Nach einem Urteil des BSG aus 1989 ist jedoch auch die Tuberkulinkonversion meldepflichtig. Die Rechtssprechung stellt hier auf den Tatbestand des „regelwidrigen Gesundheitszustandes“ ab, der noch keinen Krankheitswert hat, aber als BK gemäß § 9 Abs. 1 i. V. m. der BKV anzuerkennen ist, wenn die Tuberkulinkonversion beruflich erworben wurde. Dies sei auch im Interesse des Versicherten zur Beweissicherung.
Bemessung der MdE
• •
•
Bei bestehender Ansteckungsfähigkeit (Bakterienausscheidung) ist eine MdE von 100 v. H. anzunehmen. Nach Sputumkonversion ist die MdE nach Defektwert und „Befindensstörung durch Chemotherapie“ einzuschätzen. (Letztere wird oft mit 20 v. H. angenommen.) Nach Beendigung der Behandlung ist eine bleibende MdE nur begründet bei: – Defektheilung (Pleuraschwarte, Bronchiektasien, Zustand nach Resektion) – Therapieschäden (Hepatitis, Hör- und Gleichgewichtsschäden, Sehstörung u. a.).
Rentenrecht BU (altes Recht) kommt nur in Einzelfällen in Betracht, wenn schwere Einschränkungen/Folgeschäden eine Tätigkeit in dem erlernten oder einem verweisbaren Beruf nicht zulassen (s. Kap. 2.4, Berufsunfähigkeit). EU ist gegeben, wenn Lungenfunktionseinbuße oder Folgeerscheinungen so schwergradig sind, dass eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr möglich ist. Hierzu zählen auch chronische Bakterienausscheider.
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
Soziales Entschdigungsrecht (SER) Der GdS bei Tuberkulose ist – wie im Unfallrecht – von der Ansteckungsfähigkeit und den Folgeerscheinungen abhängig. Der GdS entspricht den im Abschnitt „Schwerbehindertengesetz“ genannten GdB-Bewertungen (s. Tab. 4.15 und Tab. 4.16). Kollektiv der Tuberkulose-Erkrankten aus dem 2. Weltkrieg: Rückwirkende Erst-Anerkennung ist wegen des langen Zeitintervalls jetzt nur noch in Ausnahmefällen zu erwarten. Exazerbationen oder Spätkomplikationen (Reaktivierung, Spätempyeme, vorzeitige atemmechanische Insuffizienz) kommen noch zur Beurteilung. Beim Kollektiv der Bundeswehrangehörigen, bei dem heute fast ausschließlich Primärtuberkulosen auftreten, ist nachzuweisen, dass die Tuberkulose während des Wehrdienstes unter sonst nicht gewohnten, wenngleich für den Wehrdienst typischen körperlichen Belastungen erworben wurde. Dies bedeutet den weitgehenden Ausschluss anderer Infektionsquellen.
Tabelle 4.15 GdB bei ansteckungsfhiger Lungentuberkulose. Bei der Festsetzung der GdB sind neben dem Befund und den funktionellen Einbußen auch der bisherige Verlauf, die sich daraus ergebende Behandlungsbedrftigkeit und die Auswirkungen auf andere Organsysteme zu bercksichtigen. behandlungsbedrftig, ansteckungsfhig Ansteckungsfhigkeit kann nur berck100 sichtigt werden, wenn sie nicht nur vorbergehend ist, Dauer mehr als 6 Monate behandlungsbedrftig, nicht ansteckungsfhig (geschlossen) l ohne Einschrnkung der Lungenfunktion 0 l Funktionseinschrnkung der Lungen mittleren und schwereren Grades sind zustzlich zu bewerten
Der Begriff „Heilungsbewährung“ (s. Kap. 2.3) ist bei neu aufgetretenen Primärtuberkulosen, die sachgerecht behandelt werden, nicht mehr anzuwenden. Bei bestimmten Krankheitsverläufen kann sie jedoch in Betracht gezogen werden. Dies gilt nicht nur für unerwartet schwere Verlaufsformen, sondern auch für ungewöhnliche Befindlichkeitsstörungen bei langfristiger Chemotherapie. Eine nachträgliche schematische Anwendung der „Heilungsbewährung“ ist für „Altfälle“ jedoch abzulehnen, da dies zu unbilligen Härtefällen führen würde.
Schwerbehindertengesetz (SchwbG) Die GdB-Bemessung Tab. 4.15 und Tab. 4.16.
erfolgt
entsprechend
Tuberkulçse Pleuritis: Der GdB richtet sich nach den Folgeerscheinungen.
Tabelle 4.16 GdB bei nicht ansteckungsfhiger Lungentuberkulose. Als nicht ansteckungsfhig ist eine Lungentuberkulose zu betrachten, wenn drei negative Kulturen im Abstand von je einem Monat vorliegen, sonst bei negativem Befund zwçlf Monate nach dem letzten Bakteriennachweis. nicht mehr behandlungsbedrftig ohne Einschrnkung der Lungenfunktion mit Einschrnkung der Lungenfunktion 1. geringen Grades 2. mittleren Grades 3. schweren Grades
0 20 – 40 50 – 70 80 – 100
Lungengerüsterkrankungen
4.3 Lungengersterkrankungen R. F. Kroidl und D. Nowak
Asbestose Die Inhalation von Asbest kann zu folgenden Krankheitsbildern führen: • Asbestose (Asbeststaublungenfibrose) • pleurale Veränderungen (lokal oder diffus) • Rundatelektasen • benigne Pleuraergüsse An malignen Erkrankungen sind das Pleuramesotheliom, das Lungen- und das Larynxkarzinom zu nennen. Mit dem Begriff der Asbestose ist nur die asbestinduzierte Fibrose der Lunge gemeint. Im üblichen Sprachgebrauch wurde aber schon vielfach von „Lungen-“ und „Pleuraasbestose“ gesprochen, auch in den Fällen, in denen überwiegend Rippenfell-/Zwerchfellbeteiligungen vorlagen. Eine Asbestose der Lunge entsteht nur nach einer relevanten Asbeststaubexposition. Für die Asbestose gilt eine Dosis-Wirkungs-Beziehung. Es muss somit eine Exposition über einen definierten Mindestzeitraum von relevanter Intensität bestanden haben. Dabei ist von einer Latenz von 10 bis 40 Jahren auszugehen. Bei den verschiedenen Formen asbeststaubbedingter Pleuraveränderungen (lokalisierte Pleuraplaques, Asbestpleuritis, diffuse Pleurafibrose) beträgt die mittlere Latenzzeit zwar 30 Jahre, aber bei sehr großer Streuungsbreite von 1 bis 58 Jahren. Die Asbestexposition ist vielfach gering, im Mittel mit einer Expositionsdauer von 20 Jahren. Die „klassische“ Asbestose als Folge langjähriger schwerer Asbeststaubinhalationen ist zahlenmäßig stark im Rückgang begriffen (vorrangig Folge des Asbestverbots ab 1993). Gegenstand von Gutachten sind heute vielfach röntgenologisch grenzwertige Krankheitsfälle. Eine diagnostische Bedeutung hat die Minimalasbestose (s. unten) als Beleg einer relevanten Exposition bei möglichen Folgeschäden (Lungenkarzinom). Rçntgenzeichen einer Asbestose (s. auch Kap. 3.6): Eine röntgenologisch manifeste Lungenbeteiligung ergibt bei entsprechender Exposition unregelmäßige kleine Schatten „s, t, u“ > 1/0: Die
Streuung 1/0 nach ILO gilt noch als Normvariante; der sicher pathologische Befund beginnt ab 1/1. Laut Bundesarbeitsblatt 7 – 8/1991 begründet eine radiologische Streuung von 1/0 bei normaler Auskultation und Lungenfunktion noch keine BK-Anzeigepflicht (s. Tab. 4.19). Zahlenmäßig überwiegen die im Wesentlichen radiologisch zu beurteilenden Fälle. Mittlerweile wird jedoch eine zunehmende Anzahl auch invasiv-diagnostisch angegangener Krankheitsfälle einbezogen, woraus sich – ungeachtet klarer Definitionen in der BKV, die geltendes Recht bedeuten – eine rege, teils kontroverse Meinungsvielfalt ergibt. Beispiele hierfür sind die Ergebnisse der Elektronenmikroskopie, das „Faserfluchtphänomen“ (Chrysotilfasern haben sich z. T. aufgelöst) und andere.
Computertomografische Zeichen der Asbestose Computertomografisch sind fünf wesentliche Charakteristika zu nennen: a) betonte retikuläre interstitielle Zeichnung mit inter- und intralobulären Verdickungen b) curvilineare subpleurale Zeichnungsvermehrung parallel (< 1 cm) zur Brustwand, entspricht frühen Veränderungen einer intralobulären Fibrose c) milchglasartige Trübungsbereiche mit weiterhin vorhandener Sichtbarkeit der Gefäße und Bronchialwände d) ggfs. (Traktions-)Bronchiektasen und Bronchioloektasien e) Honigwabenmuster mit zystenähnlicher Konfiguration, aber verdickten Wänden Verteilung: peripher subpleural, dorsal basal betont; häufig bilateral symmetrisch Zusätzliche, fakultative CT-Charakteristika: f) Parenchymbänder von 2 bis 5 cm Ausdehnung mit Pleurakontakt g) Rundatelektasen nahe pleuraler Verdickung, vielfach mit „Kometenschweif“ von Gefäßen und Atemwegen. Die Anwendung der modernen HRCT-Verfahren wird in Verbindung mit einer quantitativen Auswertung und Korrelation zu klinischen Daten und Funktionsdefekten zum Überdenken der bisherigen Einschätzung führen und eventuell eine Neubewertung ermöglichen. Damit ist zu hoffen, dass
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Tabelle 4.17 Morphologie der Asbestose (bersicht). (Nach: Pneumokoniose-Komitee des Kollegs nordamerikanischer Pathologen, Craighead et al. 1982, siehe auch Brockmann, 1991). Asbestose-Grad
Morphologie
I (Minimalasbestose)
Die Fibrose bezieht die Wand wenigstens eines Bronchiolus respiratorius mit ein, mit oder ohne Ausdehnung in die Septen der unmittelbar angrenzenden Alveolen. Die Wnde distal gelegener Alveolen sind frei von fibrosierenden Lungenvernderungen. Zustzlich sind die Alveolargnge oder zwei oder mehr Schichten angrenzender Alveolen in die Fibrose einbezogen. Eine Zone nicht fibrosierter Alveolarsepten ist zwischen benachbarten Bronchiolen vorhanden. Es lsst sich darber hinaus eine Konfluenz der Fibrosierung belegen. Es kommen neu gebildete Hohlrume hinzu, deren Grçße die eines Alveolus berschreiten. Diese Vernderungen werden auch unter dem Begriff „Wabenlunge“ zusammengefasst.
II
III IV
zukünftig einige bislang versicherungsrechtlich unbefriedigend einzuordnende kontroverse Fälle gerechter eingeschätzt werden können. Asbeststaubbedingte Pleuravernderungen umfassen: 1. Pleuraplaques (verkalkt oder unverkalkt). 2. Diffuse Pleurafibrose (an der Pleura visceralis) – mit Aussparung des kostophrenischen Winkels – mit Verlötung des kostophrenischen Winkels (Komplementärraums) – mit ausgedehnterer Pleuraverschwartung, ggf. Rollatelektasen (Hanke) bzw. Pseudotumoren. 3. Kombinationen von 1 und 2 (häufig). Die gängigen Röntgenzeichen einer asbeststaubbedingten Pleuraerkrankung sind aus vorstehender Auflistung ersichtlich. Zu erinnern ist daran, dass die ursprünglich von Gaensler beschriebene Asbestpleuritis eine Restitution des Ergusses beinhaltete, wenn auch mit Rezidivneigung kontralateral. Die entsprechend ILO zu kodierenden Zusatzsymbole beziehen sich großenteils auf pleurale Veränderungen. Auch das Fehlen solcher Veränderungen ist zu vermerken. Kombinationen aus pulmonalen und pleuralen Befunden sind häufig. Zunehmend kommen Patienten mit überwiegend pleuralen Veränderungen zur Begutachtung. Der Begriff Minimalasbestose (röntgenologisch nicht sichtbare Asbestose) wurde in Deutschland von Otto (Dortmund) eingeführt. Er findet auch im anglo-amerikanischen Sprachraum Verwendung und entspricht der Asbestose Grad I der dort gebräuchlichen Nomenklatur. Die Minimalasbestose ist bei makroskopisch (und in aller Regel
auch konventionell-radiologisch) unauffälligem Lungenbefund durch eine am lichtmikroskopisch untersuchten Schnittpräparat nachweisbare Fibrosierung des Lungenparenchyms mit Nachweis von Asbestkörperchen definiert. Bei einer solchen Minimalasbestose findet man nach der Kaltveraschung eines Lungenwürfels von 1 cm Kantenlänge (entsprechend 1 ml) meist mehr als 1000 Asbestkörperchen. Wesentlich erscheint uns der Hinweis darauf, dass eine invasive diagnostische Klärung zwar vielfach wünschenswert, aber in aller Regel, da mit Risiken verbunden, nicht duldungspflichtig sein kann. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass nahezu jeder Erwachsene nach ultrastrukturellen Befunden in seinen Lungen zumeist 15 Asbestkörperchen/ml Lungengewebe „beherbergt“. Die Differenzierungsschwierigkeiten bei Grenzfällen werden hiernach verständlich. Zur Korrelation der pathologisch-anatomischen Befunde bei Minimalasbestose mit HRCT-Ergebnissen: Nach vergleichenden Untersuchungen ist im HRCT ein Pleurabefund erst dann fassbar, wenn er mindestens auf das 5- bis 10-Fache der Norm verändert ist. Normalerweise hat die Pleura eine Dicke von 100 – 200 µm. Wird eine Pleuradicke von 1 mm überschritten, so kann man bedingt eine Abbildung mit hochauflösenden Verfahren erwarten. Dies trifft zweifelsfrei auch für die Asbestose der Lunge zu. Wenn man im Röntgenbild bereits eine Fibrosierung nachweisen kann, liegt ein fortgeschrittenes Fibrosestadium und nicht mehr eine Minimalasbestose im Sinne der Definition vor. Die Diagnose der Asbestose richtet sich nach dem vorhandenen Erkenntnisstand: • konventionell-radiologisch nachweisbar: zumindest leichte Asbestose – Funktionsausfälle können nachweisbar und erfassbar sein
Lungengerüsterkrankungen
•
•
nur im HRCT erkennbar: leichte Asbestose – Funktionsschaden nicht auszuschließen, Erfassbarkeit schwierig; Verlaufsbeurteilung wertvoll ausschließlich pathologisch-anatomisch zu diagnostizieren: „Minimalasbestose“ – bislang mit Methoden der Lungenfunktion Störungen nicht nachweisbar
Medizinische Reha-Maßnahmen können zur Erhöhung der Ausdauer und zur gezielten Raucherentwöhnung sinnvoll sein. Bei einer anerkannten Asbestose gehen die hierfür erforderliche Behandlung, Arbeitsunfähigkeit und Reha-Maßnahmen zu Lasten der Berufsgenossenschaft.
Unfallrecht (BK 4103) Der Begriff „AIF“ (Asbeststaubinhalationsfolgen) wurde geprägt, um geringfügige, wenn auch typische röntgenologische Merkmale einer Asbeststaubexposition an Lunge und/oder Pleura zu bezeichnen. „AIF“ haben keinen Krankheitswert, sind aber Anlass für weitere Beobachtungen (Risikoanzeige). Bei einem eventuellen späteren Nachweis eines Lungenkrebses sind sie versicherungsrechtlicher Anknüpfungstatbestand: Hierdurch wird eine relevante Exposition gegenüber Asbeststaub mit gesteigertem Krebsrisiko belegt. Diese Voraussetzungen gelten auch für die etwaige Anerkennung des Larynxkarzinoms durch Asbest.
Krankenversicherung Die Arbeitsfhigkeit hängt nur von dem Ausmaß der Lungenfunktionsstörung ab. Alleinige diffuse asbeststaubbedingte Pleuraveränderungen führen meist zu keiner (messbaren) Lungenfunktionsstörung. Bei sehr ausgedehnten Schwarten und einer fortgeschrittenen Lungenasbestose kann es zu einer Lungenfunktionseinschränkung in Form einer restriktiven Ventilationsstörung und eines Diffusionsschadens kommen. Trotzdem ist oft auch bei deutlichem Röntgenbefund die Lungenfunktion wenig eingeschränkt. Ein Krankheitsgefühl bzw. eine allgemeine Leistungsminderung sind nicht mit einer Asbestose zu begründen. Ein Einfluss unspezifischer inhalativer Belastungen auf den Verlauf einer Asbestose ist nicht bekannt. Ein Einfluss von körperlichen Belastungen auf den Verlauf einer Asbestose ist nicht bekannt und nicht zu erwarten, sodass auch eine Arbeitsunfähigkeit zum Zweck einer Schonung nicht gerechtfertigt ist. Bei angenommener Asbestose ist es insbesondere nicht gerechtfertigt, ohne anderen Grund Arbeitsunfähigkeit bis zur Entscheidung in einem Berufskrankheitenverfahren zu attestieren.
Wann soll eine asbestinduzierte Lungen- oder Pleuraveränderung als BK-Verdacht gemeldet werden? Bezüglich Lungenvernderungen im Röntgenbild siehe Tab. 4.19. Der Verdacht des Vorliegens von durch Asbeststaub verursachten Veränderungen der Pleura ist begründet bei: • Pleuraplaques (hyalin). In der Regel ab 3 mm Dicke röntgenologisch erkennbar und/oder einer Verbreitung von > 2 cm Gesamtlänge im Bereich der Brustwand (insbesondere doppelseitig), des Zwerchfells, Mediastinums und/oder Herzbeutels. • Pleuraplaques (verkalkt). Bei Hinweisen auf Asbeststaubexposition in der Vorgeschichte sollen auch Kalkplaques geringerer Dicke und Verbreitung angezeigt werden. • Hyalinosis complicata bzw. Pleuraerguss, Pleuritis mit Folgezuständen, ein- oder doppelseitig. • Pleuraverdickungen (doppelseitig, diffus). In der Regel ab 3 mm Dicke speziell im Bereich der Mittel- und Unterfelder. Bei der Differenzialdiagnose in Bezug auf die Asbeststaubgenese ist zu beachten: • Dafür sprechen: Auftreten oder wesentliche Zunahme der Befunde mehrere Jahre nach Beginn der Asbeststaubgefährdung. • Dagegen sprechen: Hinweise insbesondere auf tuberkulöse oder Infarktpleuritis, traumatische, entzündliche, tumoröse oder sonstige pleurale Begleitprozesse. Sofern offensichtlich keine Entschädigungspflicht zu erwarten ist, wird durch einige Landesgewerbeärzte das BK-Verfahren verkürzt. Der weitere Verlauf wird teilweise in förmlichen Feststellungsverfahren („Nachbegutachtung“), teilweise über die GVS, Gesundheitsvorsorge bei der BG Elektro Textil Feinmechanik, ehemals „ZAS“, zentrale Erfassungsstelle der BGen in Augsburg überwacht. In
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162
Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Tabelle 4.18 Internationale Staublungenklassifikation (ILO 2000 – Deutsche Version). Schema nach Prof. Dr. med. J. Thrauf, 2009 (vgl. ILO Occup. Saf. Hlth: Ser. No. 22 (Rev. 2000) ISBN 92-2-102463-6: Hering KG et al. (15 Zweitbeurteiler): Die Weiterentwicklung der Internationalen Staublungenklassifikation – von der ILO 1980 zur ILO 2000/Version Bundesrepublik Deutschland, Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 38; 10: 504 – 512, 2003, dito in: Pneumologie 57; 10: 576 – 584, 2003.
Bildgüte
+ = gut
+ – = annehmbar
+ – – = mangelhaft
u = unbrauchbar
zusätzlich mit Begründung: T = Technik; Kommentar zu Mängeln Lungenschatten
Streuung 12-Stufen-Skala für Streuungsdichte (vgl. Standard-Filme) Verbreitung (Lungenfelder)
0/– 0/0 0/1
1/0 1/1 1/2
2/1 2/2 2/3
3/2 3/3 3/+
rechts oben = RO LO = links oben rechts Mitte = RM LM = links Mitte rechts unten = RU LU = links unten
Größe kleine Schatten Form: rundlich (Durchmesser)
p =
–1,5 mm
unregelmäßig (Breite)
s =
–1,5 mm t =
p/q
gemischt (z.B.)
q =
> 1,5–3 mm
r =
> 3–10 mm
> 1,5–3 mm
u =
> 3–10 mm
p/s
s/t
q/t
A = 1 – 5 cm Ø (+ Ø) B > 5 cm Ø – RO
große Schatten
, etc.
C = >
RO
(in cm Ø bzw. RO -Fläche) Typ:
wd =
Kostophrenischer Winkel
scharf begrenzt
Adhärenz
rechtsseitig = R
[ ] im Profil
Pleura-Verdickung
id
=
unscharf begrenzt
L = linksseitig (vgl. Standard-Film)
[ ] in Aufsicht
Dicke (max. Saumbreite in mm) [ ] = < 3 [a] = 3 – 5 [b] = 5 – 10 [c] = > 10 Verbreitung (Gesamtlänge Summe maximaler Ausdehnungen, getrennt für jede Seite) laterale Brustwand als Bezugsgröße
[0] = o. B.
[1] = < ¼
[2] = ¼ – ½
[3] = > ½
diffus, seitliche Brustwand (Saum, tangential im Profil/Aufsicht) Lokalisation vgl. oben, z. B. rechtes Oberfeld = [RO] etc. umschrieben – hyaline Plaques Lokalisation – – verkalkte Plaques Pleuraverkalkung
(als einzige Angabe) Zwerchfell – Brustwand – Sonstige (z. B. Mediastinum); jeweils rechtsseitig = [R]
Lokalisation –
[L] = linksseitig
(als einzige Angabe) Zwerchfell – Brustwand – Sonstige (z. B. Mediastinum); jeweils rechtsseitig = [R]
[L] = linksseitig
Symbole aa = at = ax = bu = ca = cg = cn = co cp cv di
= = = =
Aorten-Atheromatose Pleurakuppenschwiele Koaleszenz bullöses Emphysem Karzinom der Lunge verkalkte Granulome oder andere nicht pneumokoniotische Knötchen Calcification in kleinen pneumokoniotischen Schatten Cor, Größe/Form-Veränderungen Cor pulmonale Kaverne Distorsion (Verziehung)
ef em es fr hi
= = = = =
ho = id = ih
=
kl
=
Effusion (Pleuraerguss) Emphysem Eierschalenhilus (Verkalkungen) Fraktur der Rippe(n) Hilus/Mediastinal-Lymphknotenvergrößerung Honigwabenlunge Zwerchfellunschärfe (> Zwerchfellhälfte) Herzkonturunschärfe (> li. Herzrand) Kerley-Linien (basal, perihilär)
me = Mesotheliom der Pleura od = sonstige Auffälligkeiten/Erkrankungen angeben (z. B. Pneumonie; Aspergillom; Struma; Hiatushernie) pa = Plattenatelektase pb = Parenchymband pi = Pleuraverdickung (interlobär, ca. 1 mm) px = Pneumothorax ra = Rundherdatelektase RO = Fläche des rechten Oberfeldes rp = rheumatoide Pneumokoniose (Caplan-Syndrom) tb = Tuberkulose (aktiv/inaktiv)
Lungengerüsterkrankungen Tabelle 4.19
Meldung des Verdachtsfalles einer Asbestose der Lungen.
Laut Bundesarbeitsblatt 7-8/1991 gilt: Der Verdacht des Vorliegens einer Asbestose der Lunge ist 1. begrndet bei: Rçntgenbefund der Lungen nach ILO-Klassifikation 1980 Dichte der Schatten Form a) 1/0 s, t bzw. u
b) 1/1 und mehr
s, t bzw. u
Auskultations- bzw. Lungenfunktionsbefund
Knisterrasseln und/oder VKist < 90% von VKsoll des alten EGKSMindestsollwertes unter BTPS-Bedingungen = etwa 80% des mittleren EGKS-Sollwertes 1983/1993 auch wenn klin. ohne Aufflligkeiten und keine Einschrnkung der VKist messbar ist
2. nicht begrndet bei: Rçntgenbefund der Lungen nach Auskultations- bzw. Lungenfunktionsbefund ILO-Klassifikation 1980 Dichte der Schatten Form 0/1 s, t bzw. u mit Knisterrasseln 0/1 s, t bzw. u mit VKist ber 80% des mittleren EGKS-Sollwertes 1983/1993 1/0 s, t bzw. u ohne Befund (jedoch Notwendigkeit einer vorgezogenen nachgehenden Untersuchung)* * zu den nachgehenden Untersuchungen nach berufsgenossenschaftlichem Grundsatz G 1.2 siehe Neufassung in Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 1994; 29: 215 – 221
beiden Fällen ist die stattgehabte Asbestexposition auch im rechtlichen Sinne dokumentiert. Die kennzeichnende Lungenfunktionseinschrnkung der Lungenasbestose ist: • die restriktive Ventilationsstörung mit Abnahme der Lungendehnbarkeit (Compliance) und der dadurch bedingten Leistungsbeschränkung • eine Gasaustauschstörung (Diffusionsstörung) in fortgeschrittenen Fällen
Bemessung der MdE Die MdE orientiert sich überwiegend am Beschwerdebild (z. B. Husten, Kurzatmigkeit, Thoraxschmerzen), an der Lungenfunktionseinschränkung und an der konsekutiven Rechtsherzbelastung. Bei der Synopsis verschiedener Messgrößen ist die VK der wichtigste Parameter. Im zeitlichen Verlauf (Längsschnittbeurteilung) ist auch ein eventueller übermäßiger Abfall der VK zu berücksichtigen.
Auch wenn keine Entschädigungspflicht gegeben ist, liegt nach geltender Rechtsprechung bei anzeigepflichtigen asbestinduzierten Lungen- und/oder Pleuraveränderungen eine BK nach Nummer 4103 der BKV vor (d. h. Versicherungsfall, kein Leistungsfall). Ausgeprägte Pleuraveränderungen der viszeralen Pleura (diffuse langstreckige Veränderungen), Pleuraschwarten insbesondere mit Verlötung des kostophrenischen Winkels (CW) und/oder Ausbildung von Rollatelektasen und Lappenschrumpfungen können auch ohne weitere typische Zeichen der Parenchymasbestose erhebliche Funktionseinbußen nach sich ziehen. Obstruktive Ventilationsstçrungen sind bei Asbestose nicht typisch bzw. nicht häufiger als in der Allgemeinbevölkerung zu erwarten. Bei ausgeprägten interstitiellen (nach ILO 2/2) und/oder pleuralen Veränderungen ist die im Laufe einer längeren Beobachtungszeit aufgetretene Obstruktion in ihrem ätiologischen Bezug zur Asbestose dann plausibel, wenn andere offensichtliche Ursachen dem nicht entgegenstehen. Die pathologisch-anatomisch beschriebenen Veränderungen im Bereich der kleinen Bronchien auch bei initialer oder minimaler Asbestose sind in ihren Auswirkungen auf die Lun-
163
164
Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder genfunktion und die Leistungsfähigkeit noch umstritten und funktionell methodisch derzeit unbefriedigend zu erfassen. Inwieweit HRCT und einzelne Lungenfunktionsparameter bei anstehenden Untersuchungsserien Aufklärung bringen werden, ist zurzeit noch offen. Dieses gilt besonders bei Diskrepanzen zwischen Beschwerdebild einerseits und geringen Merkmalen im konventionellen Röntgenbild und in der Lungenfunktion andererseits.
MdE bei BK 4103 Die MdE-Bemessung orientiert sich nach wie vor im Wesentlichen an der Zusammenstellung in Tab. 4.20. Diskutiert wird mitunter eine MdE von 10 v. H., die als „Stütz-MdE“ praktische Relevanz erlangen kann (wenn beim Versicherten eine andere Berufskrankheit oder eine Arbeitsunfallfolge mit einer MdE von ebenfalls 10 v. H. vorliegt). Als Argument für eine solche MdE von 10 v. H. wird genannt: • Aus Kohortenstudien geht hervor, dass „die überwiegende Zahl der ehemals Asbestexponierten mit nachweisbaren Pleuraveränderungen regelmäßig eine – wenn auch geringgradige – Verminderung der individuellen Lungenleistung aufweist“. • Zugleich sei auch der individuelle, den Altersgang übersteigende Abfall der Vitalkapazität zu beachten (Längsschnittbetrachtung). • Als konkrete Hinweise auf das Bestehen kardiopulmonaler Leistungseinschränkungen (zu bewerten mit MdE von 10 v. H.) wären – in Anlehnung an eine Empfehlung des Hauptverbandes der gewerblichen BGen 1994 – „röntgenologisch fassbare Staublunge, Silikose (1/1 und mehr), Asbestose (1/0 – 1/1 und mehr) und ausTabelle 4.20
geprägte asbestbedingte Pleuraveränderungen zu sehen. Bei dieser Konstellation könne eine messbare, gegenüber den altersgleichen Durchschnittswerten eingeschränkte Leistungsfähigkeit von 10% angenommen werden.
Rentenrecht Die Erwerbsminderung hängt vom Ausmaß des Funktionsschadens ab, zu messen an der Schwere der Restriktion, der Erniedrigung der Diffusionskapazität, der ergometrischen Belastbarkeit mit eventueller Belastungshypoxämie, den Folgeerkrankungen wie einer pulmonalen Hypertonie, Cor pulmonale und Rechtsherzinsuffizienz. Aus dem Ausmaß des Funktionsschadens muss das Leistungsvermögen mit dem positiven und negativen Leistungsbild abgeleitet werden. Zu medizinischen Reha-Maßnahmen siehe Asbestose und Krankenversicherung. Teilweise Erwerbsminderung (s. Kap. 2.4) liegt meist nur bei stärkergradigen Lungenfunktionsstörungen vor, insbesondere wenn wegen der Behinderung kein adäquater Atemschutz getragen werden kann, ggf. sind Umschulungen angezeigt. Volle Erwerbsminderung (s. Kap. 2.4) kann gegeben sein, wenn die Lungenfunktionseinbuße (insbesondere Restriktion und Gasaustauschstörung) oder andere Folgeerscheinungen (z. B. Cor pulmonale) so schwergradig sind, dass eine Erwerbstätigkeit von mehr als 3 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr möglich ist. (Diese Definition der teilweisen und vollen Erwerbsminderung trifft sinngemäß auch für andere pneumologische Krankheitsbilder mit restriktiver Ventilationsstörung zu.)
Bemessung der MdE nach Funktionsdaten und Rçntgenbild. (Nach: Konietzko et al. 1988).
Lungenfunktionsstçrung Messwert VKmax Cstat* PaO2 bei Belastung, bezogen auf Mindestsoll erwartbare ILO-80-Gesamtstreuung MdE v. H.
fehlt > 80% > 70% ber 0 – 1/1 < 20
leicht < 80% < 70% um 0/1 – 1/1 20 – 30
mittel < 60% < 50% unter 1/2 – 2/3 40 – 60
schwer < 40% < 30% stark unter > 2/2 > 60
* Die hier zugrunde liegenden Sollwerte von Yernault (siehe Quanjer) werden allgemein als zu hoch angesehen. Deshalb sei auch auf die Absolutwerte der Angaben unter Tab. 3.8 verwiesen.
Lungengerüsterkrankungen
Rente wegen Asbestose Grundsätze zum Erlangen einer Rente wegen Asbestose für Gesunde … zu verstehen als ironisch gefasste Kritik an gutachterlich tätigen Ärzten, die ohne fundierte pneumologischarbeitsmedizinische Kenntnisse und ohne konsequente Orientierung an einschlägigen Begutachtungsstandards zu falsch-positiven Begutachtungsbefunden kommen können. 1. Erlernen einer Expositionsanamnese, womöglich über weit zurückliegende Zeiträume („es hat furchtbar gestaubt“). 2. Erreichen eines Übergewichtes von mindestens 30% über BROCA durch konsequente Überernährung. 3. Gezieltes Einüben einer möglichst flachen Ein- und Ausatmung, damit werden erreicht: a) niedrige Werte für die Vitalkapazität, b) Zwerchfellhochstand im Röntgenbild mit Stauchungseffekten in den Unterfeldern,
In Ergänzung hierzu gibt es aus der Erfahrung der Autoren auch durchaus häufige Gründe für falsch-negative Begutachtungsbefunde bei Asbestose, insbesondere aus der Zeit vor flächendeckendem Einsatz computertomografischer Diagnostik: 1. Mangelhafte Röntgenbildqualität, damit Unterschätzung von Parenchymveränderungen. 2. Unzureichendes Belastungsprotokoll mit zu kurzen (z. B. 2-minütigen) Belastungsstufen, die nicht zu einem Erreichen des blutgasanalytischen Steady State führen. 3. Unkenntnisse in der Anwendung von Sollwerten, Verwechslung von mittleren Sollwerten und unteren Grenzwerten. 4. Fälschliche Annahme unzureichender Mitarbeit bei spirometrischen Manövern. 5. Übertrieben sparsamer Einsatz weiterführender diagnostischer Verfahren auch bei Zweifelsund Grenzfällen (Lungendehnbarkeit, Spiroergometrie). 6. Fehlende Auftragung der (aufwendigen und mühsamen) longitudinal dokumentierbaren Funktionsveränderungen. fi Hilfreich und bei mehrfach Untersuchten zu fordern ist hier stets eine Tabelle (s. Tab. 4.7), die z. B. überproportionale Funktionsveränderungen leicht erkennbar werden lässt.
4.
5.
6.
7.
die als Asbestose zu werten sind (t1/0 oder ähnlich). Verweigern der Compliance-Untersuchung (Schlauch schlucken) unter Hinweis auf Würgereiz und Grundgesetz. Heftige Atmung (Hyperventilation) vor Beginn des Arbeitsversuches zwecks Erhöhung der Sauerstoff-Spannung im Blut. Damit wird ein Rückgang dieser Spannung unter der Belastung gerne als Diffusionsstörung gewertet. Der richtige Gebrauch des Vorstehenden sollte mindestens zu einer MdE von 20 v. H. führen, spätestens dann, wenn der Sozialgerichtsgutachter von Haus aus Gastroenterologe oder gar Psychosomatiker ist. An der Verfeinerung dieser Ratschläge wird laufend gearbeitet.
Einer, der es gut meint!
SER und SchwbG Tabelle 4.21 Auszug „Pneumokoniosen“. (Aus: Anhaltspunkte fr die rztliche Gutachterttigkeit im sozialen Entschdigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 2008). Pneumokoniosen (z. B. Silikose, Asbestose) ohne wesentliche Einschrnkung der Lungenfunktion
0 – 10
Darüber hinaus sei auf Tab. 4.11 verwiesen.
Quarzstaublungenerkrankungen (Silikose) Die Silikose entsteht durch das Einatmen von lungengängigen Stäuben, die freie kristalline Kieselsäure enthalten. Die heutigen Arbeitsplatzbedingungen (Absaugung) in Verbindung mit jetzt verfügbaren persönlichen Schutzmitteln (Staubmaske) haben dafür gesorgt, dass heute hierzulande praktisch keine Neuerkrankungen mehr auftreten. Die gutachterliche Beschäftigung (und somit Erfahrung) mit Silikose ist in Deutschland regional sehr unterscheidlich. So wurden in Schleswig-Holstein 2007 nur 3 Fälle mit Silikose bearbeitet.
165
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
Korrelation Rçntgenmorphologie – Lungenfunktion
Diagnose 1. Arbeitsanamnese: a) Silikatgehalt der Arbeitsstoffe (je quarzärmer, desto untypischer im Röntgenbild) b) Begleitverunreinigungen (Mischstaubpneumokoniose) c) Intensität und Dauer der Exposition d) vorhandener/fehlender Arbeitsschutz (Beachten von Altlasten). 2. Röntgenzeichen: Vorherrschend sind rundliche, kleine Fleckschatten (p, q, r nach ILO) siehe Tab. 4.18, vorzugsweise in den Obergeschossen; hiläre Verkalkungen („Eierschalenhili“) sowie Konglomeratbildungen (Schwielen, zumeist in den Oberfeldern); perifokales Emphysem, kraniale Schrumpfung der Oberlappen. Bei Divergenzen zwischen Röntgenmorphologie (dezent) und Lungenfunktionsbehinderung (deutlich) ist die HRCT stets hilfreich.
Tabelle 4.22
Arbeitsanamnese und Röntgenzeichen sind diagnostisch richtungweisend. Zusätzlich beschreibende Befunde:
Klinik: Unspezifische Befunde, keine charakteristischen Auskultationsphänomene. Immunologische Besonderheiten (rheumatischer Formenkreis, Kollagenose) sind zu beachten. Lungenfunktion: Lungenfunktionseinschränkungen sind restriktiver und/oder obstruktiver Natur. Emphysemveränderungen perifokal bei „Pinhead“-Silikose (p/p) (radiologischer Subtraktionseffekt!) und im Schwielenbereich. Pathologie: Eine pathologisch-anatomische Bestätigung ist – wenngleich wünschenswert – in der Regel nicht erforderlich, auch nicht duldungspflichtig. Die Indikation zur Gewinnung einer Gewebsprobe ergibt sich durch differenzialdiagnostische Erwägungen (Sarkoidose, Siderose, Alveolitis, Asbestose), da hieraus ggf. nicht nur gutachterliche, sondern auch schwerwiegende therapeutische Konsequenzen erwachsen können.
Kçrperliche Leistungsminderung durch Staublungenkrankheiten. (Nach: Smidt 1987).
Parameter
Einheit
Lungenfunktionsstçrung normal
leicht
mittelgradig
schwer
Rbody
kPa/l s
< 0,30 – 0,35
0,35 – 0,5
0,5 – 1,0
> 1,0
TGV
% Soll
< 120
> 120 – 135
> 135 – 150
> 150
FEV1
% Soll EKGS bei guter Mitarbeit
> 80
< 70 – 80
< 50 – 70
< 50
CLunge*
l/kPa
> 2,1
< 2,1
< 1,6
< 1,2
VKmax
% Soll EKGS bei guter Mitarbeit
> 80
< 70 – 80
< 50 – 70
< 50
pO2 arteriell Ruhe
mmHg unter Mindestsoll (Ulmer)
>0
>1<5
> 5 < 10
‡ 10
pO2 arteriell Belastung
mmHg unter Mindestsoll (Ulmer)
>0
>1<5
> 5 < 10
‡ 10
DCO
% Soll
> 80
< 80
< 60
< 40
PAMP Ruhe
mmHg
< 20
PAMP Belastung
mmHg
< 30 (bis 50 Jahre)
> 30
* Sollwerte fr die Compliance noch strittig. Die hier genannten unteren Sollwerte (ohne Bercksichtigung des Altersgangs) werden von vielen Untersuchern verwendet. Zur Compliance siehe auch Kapitel 3.4. PAMP = Pulmonalarterieller Mitteldruck
Lungengerüsterkrankungen Tabelle 4.23 Korrelation Rçntgenmorphologie – Lungenfunktion. Wann kann die Lungenfunktionseinschrnkung – restriktiv und/oder obstruktiv – auf die Silikose bezogen werden? Lungenfunktionsstçrung kausal durch Silikose?
Rçntgenmorphologie
in der Regel zu bejahen in der Regel zu bejahen unter Umstnden zu bejahen unter Umstnden zu bejahen
bei Schwielensilikose (mind. A-Schwiele) bei Streuung ab 3/2 (ILO) bei „Pinhead“-Silikose* bei Streuung ab 1/1 (ILO) (s. u.)
* Pinhead-Silikose (p/p): z. B. bei Gussputzern, Mineuren, Scheuerpulverindustrie-Arbeitern, Schrifthauern
Bei der Obduktion treten häufiger kleinherdige disseminierte Staubfibrosen mit konsekutivem Staubemphysem zutage, die aus den klinischen und nativradiologischen Bildern nicht abzuleiten waren.
Kombination Silikose und andere Erkrankungen
• •
•
•
Steinstaubexposition disponiert zur Tuberkulose (Silikotuberkulose, BK 4102) und zur atypischen Mykobakteriose (MOTT). Krankheiten des rheumatischen Formenkreises (rheumatoide Arthritis, Sonderform mit Rundherden: Caplan-Syndrom als wahrscheinlich eigenständige Krankheit) und Kollagenosen (Sklerodermie). Anmerkung: Die gehäufte Assoziation Silikose und Sklerodermie wurde in der ehemaligen DDR beschrieben, nicht jedoch im Kollektiv der Silikose-Erkrankten des Ruhrgebiets beobachtet. Narbenkarzinome in silikotischen Schwielen (nach den asbestassoziierten Karzinomen zweithäufigste Tumorform).
Unfallrecht (BK 4101) Meldung als BK Eine Silikose, also eine Berufskrankheit – auch wenn sie nicht mit einer Funktionseinbuße einhergeht – liegt bereits bei der Streuung 1/1 (nach ILO) vor. Daher ist bei entsprechender Quarzstaubexposition die Meldung ab dieser Streuung verpflichtend (Versicherungsfall).
Bemessung der MdE Langjährig folgte die MdE-Bemessung der Quarzstaublungenerkrankungen der Moerser Konvention, der zufolge Lungenfunktionseinschränkungen erst bei radiologisch fortgeschrittenen radiologischen Veränderungen (Kategorie 3/2) auf die Berufskrankheit bezogen wurden. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie stellte in einem Positionspapier fest (Baur et al. 2005), dass die frühere Moerser Konvention nicht mehr dem heutigen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand entspricht. Ein interdisziplinäres Expertengespräch (ASU 2007; 42: 660 – 661) kam zu analogen Schlussfolgerungen. Auch gering gestreute Silikosen (Streuungsgrad 1/1 und größer) gehen im Gruppenmittel mit messbaren Funktionseinschränkungen einher. Im Einzelfall sind also auch bei gering gestreuter Silikose Lungenfunktionseinschränkungen hinsichtlich ihrer Ursache im Rahmen der Rechtstheorie der wesentlich mitwirkenden Bedingung zu prüfen. Die Abgrenzung der Funktionseinschränkung durch silikogene Stäube von den Folgen des Zigarettenrauchens ist im Einzelfall in der Regel nicht ausreichend möglich. Der medizinisch-funktionelle Anteil der MdE ist integrativ aus dem Schweregrad des Beschwerdebildes und der funktionellen Einschränkungen zu ermitteln und zu quantifizieren. Zum Zeitpunkt der Drucklegung (2008) ist eine S2-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin nahezu fertiggestellt, die über die Homepage der AWMF abrufbar ist.
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
Krankenversicherung und Rentenrecht Die Symptomatik entspricht meist der einer chronischen Bronchitis mit einer im Vordergrund stehenden obstruktiven Ventilationsstörung (s. Kap. 4.1, Unfallrecht). Die Beeinträchtigung der Arbeitsund Erwerbsfähigkeit hängt vom Ausmaß des Funktionsschadens ab, zu messen an der Schwere der Obstruktion und eventuell auch einer Restriktion, der ergometrischen Belastbarkeit samt einer eventuellen Belastungshypoxämie, den Folgeerkrankungen wie einer pulmonalen Hypertonie, einem Cor pulmonale und einer Rechtsherzinsuffizienz. Aus dem Ausmaß des Funktionsschadens muss das Leistungsvermögen mit dem positiven und negativen Leistungsbild abgeleitet werden (s. Tab. 2.6 und Tab. 2.7, S. 51). Bei Vorliegen einer Silikose besteht für alle Arbeiten mit relevanter Quarzstaubbelastung auf Dauer Arbeitsunfähigkeit. Medizinische Reha-Maßnahmen können aufgrund der Beeinflussbarkeit der obstruktiven Komponente sinnvoll sein. Bei einer anerkannten Silikose gehen die hierfür erforderliche Behandlung, Arbeitsunfähigkeit, medizinischen RehaMaßnahmen und Berufsförderung zu Lasten des Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung.
SER und SchwbG Sinngemäß gelten die Ausführungen wie bei Asbestose (s. Kap. 4.3), soweit es sich um überwiegend irreversible Schädigungsfolgen handelt.
Silikotuberkulose Die Häufigkeit der Silikotuberkulose ist parallel zur Abnahme der Tuberkulose heute rückläufig. Die Silikose erleichtert das Angehen der Tuberkulose. Die aktive Silikotuberkulose beruht heute meist auf einer Exazerbation alter tuberkulöser Herde. Die exakte Analyse der Komponenten „Silikose“ und „Tuberkulose“ ist oft schwierig, da die Gewebsreaktion durch die kombinierte Wirkung von Tuberkulosebakterien und Quarz entsteht. Die Schwierigkeit der Differenzierung gilt sowohl für die klinische als auch radiologische Manifestation, da Hämoptysen, Schwielenzerfall, Bronchiektasenbildung und Gewebseinschmelzungen bei beiden Erkrankungen auch isoliert vorkommen. Die
Suche nach Tuberkulosebakterien im Sputum und der Röntgenverlauf unter antituberkulöser Therapie sind daher von besonderer diagnostischer Wichtigkeit.
Krankenversicherung Die Symptomatik entspricht meist der einer chronischen Bronchitis mit einer im Vordergrund stehenden obstruktiven Ventilationsstörung. Es gilt das im Kapitel der Tuberkulose und der obstruktiven Atemwegserkrankungen Gesagte. Bei einer anerkannten Silikotuberkulose gehen die hierfür erforderliche Behandlung, Arbeitsunfähigkeit und medizinischen Reha-Maßnahmen zu Lasten des Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung.
Unfallrecht (BK 4102) Bei eindeutigen silikotischen Veränderungen (Streuung mindestens 1/1 nach ILO und/oder Eierschalenhili und/oder silikotische Schwielen) sind die Bedingungen zur Anerkennung einer BK Nr. 4102 der BKV erfüllt, wenn gleichzeitig ein aktiver tuberkulöser Lungenprozess vorliegt. Ein aktiver tuberkulöser Prozess liegt vor bei: • mikroskopischem oder kulturellem Tbb-Nachweis aus Sputum, Bronchialsekret, Magenspülwasser • histologischen Aktivitätszeichen, ggf. auch aus Pleurastanze bzw. mediastinalen Lymphknoten (möglichst auch mit Tbb-Kultur!) • indirektem Nachweis über eine röntgenmorphologisch nachweisbare Dynamik Atypische Mykobakteriosen kommen bei Silikosen vermehrt vor und können bei nachgewiesener Pathogenität unter BK 4102 anerkannt werden. Einzelfallentscheidung ist erforderlich. Bei positivem Tuberkulosebakteriennachweis im Sputum wird eine MdE von 100 v. H. anzusetzen sein. Bei rückläufigen tuberkulösen Veränderungen wird die MdE im Verlauf je nach verbleibendem Funktionsschaden reduziert. Inaktivität kann bei dieser Erkrankung in der Regel nicht in einem Zeitraum von weniger als 2 Jahren nach Behandlungsbeginn angenommen werden. Bei einmaligem mikroskopischem oder radiometrischem Tbb-Nachweis ohne kulturelle Bestätigung und ohne plausibles radiologisch-klinisches Korrelat ist eine kontrollierende, abwartende Hal-
Lungengerüsterkrankungen
interstitielle Lungenerkrankungen
Lungengerüsterkrankungen bekannter Ursache
idiopathische Lungengerüsterkrankungen
idiopathische Lungenfibrose (IPF)
granulomatöse Lungenerkrankungen, z.B. Sarkoidose
andere Formen (z.B. Lymphangioleiomyomatose LAM, Histiozytosis X HX)
idiopathische interstitielle Pneumonien (nicht IPF)
desquamative interstitielle Pneumonie (DIP)
akute interstitielle Pneumonie
nicht-spezifische interstitielle Pneumonie (NSIP)
respiratorische Bronchiolitis/ interstitielle Lungenerkrankung (RB-ILD)
kryptogene organisierende Pneumonie (COP)
lymphozytäre interstitielle Pneumonie
Abb. 4.4 Einteilung der fibrosierenden Alveolitiden (ATS/ERS Consensus Statement 2002).
tung gerechtfertigt, da Zweifel an der Diagnose bestehen.
Rentenrecht/SER und SchwbG Sinngemäß gelten die Ausführungen wie bei Tuberkulose und bei Silikose. Inwieweit durch die Kombination beider Erkrankungen besondere Umstände zu unterstellen sind, muss im Einzelfall entschieden werden.
Fibrosierende Alveolitis Exogen-allergische Alveolitis (EAA) Zur Diagnostik der EAA siehe aktuelle Empfehlungen zur Diagnostik der exogen-allergischen Alveolitis, erarbeitet von der Arbeitsgemeinschaft Exogen-Allergische Alveolitis der Deutschen Gesell-
schaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP) und der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) (Sennekamp J et al. Pneumologie 2007; 61: 52 – 56). Empfehlungen zur Diagnosestellung einer EAA: 1. nachgewiesene oder wahrscheinliche Exposition 2. respiratorische und/oder systemische Symptome 3. Nachweis einer antigenspezifischen Sensibilisierung 4. objektivierbare Lungenfunktionsbeeinträchtigung 5. röntgenologische Lungenveränderungen (hinweisend, wenngleich nicht pathognomonisch) 6. inhalativer Provokationstest (s. Tab. 3.3) 7. bronchoalveoläre Lavage (nicht mitwirkungspflichtig) Die Diagnose ist gesichert, wenn die Kriterien 1, 2, 3 erfüllt sind und ein Kriterium aus 4 – 7.
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Methodische Schwierigkeiten in der Diagnose ergeben sich vor allem bei Punkt 3: Nachweis von IgG-Antikörpern im Serum. Mitunter werden serologische Befunde zugrunde gelegt, die sich (vor allem beim OuchterlonyTest) als unspezifisch oder falsch positiv erweisen. Es wird empfohlen, dass der Gutachter nur mit solchen Laboratorien zusammenarbeitet, die die Standardisierung und die Ringversuche der o. g. Arbeitsgruppe erfüllen. IgG-ELISA oder indirekte Fluoreszenzmethode sind der Ouchterlony-Methode an Sensitivität und Spezifität überlegen. Das Problem liegt in der Interpretation der Antikörper (AK). AK-Nachweis bedeutet nicht Krankheitsnachweis. Das Vorhandensein von AK kann Ausdruck einer latenten Sensibilisierung sein. Bei hohem Antikörpertiter liegt in den meisten Fällen eine klinisch relevante EAA vor. Ein Nachweis präzipitierender AK beweist nicht das Vorliegen einer EAA. Das Fehlen dieser AK schließt eine EAA nicht aus.
Bronchiale Provokationstests (Siehe Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Exogenallergische Alveolitis“ in DGP und DGAKI, Pneumologie 2007; 61: 52 – 56) Bronchiale Provokationstests sind im BK-Verfahren nicht mitwirkungspflichtig. Andererseits kann – wenn die Diagnose nicht im Vollbeweis gesichert ist – keine BK anerkannt werden. Verschiedene Empfehlungen werden angegeben. Da z. B. Heuexpositionen auch bei Gesunden zu systemischen Reaktionen führen können, sollte man zur Diagnostik strengere Kriterien zugrunde legen. Formen der inhalativen Provokation: • Inhalation von Antigenextrakten (siehe auch Provokationstests). Kommerzielle oder selbsthergestellte Extrakte. Sie sollten keinen oder nur einen geringen Gehalt an Endotoxin aufweisen. • Natürliche Reexposition in der Klinik. Exposition mit dem verdächtigen Material unter klinischen Bedingungen. Probleme bereiten die Festlegung der zeitlichen Dauer und der Intensität der Exposition. • Natürliche Reexposition am Arbeitsplatz/im gewohnten Umfeld.
Verlauf wird ärztlich kontrolliert, Kontakt zum Arzt innerhalb von drei Stunden nach Expositionsbeginn muss gewährleistet sein. Der Patient/Versicherte soll sich keinesfalls länger und intensiver als unter „normalen“ Bedingungen exponieren. Systemische Reaktionen (2 der 3 Kriterien müssen erfüllt sein): • Anstieg der Körpertemperatur um ‡ 1 8C • Zunahme der Leukozytenzahl um ‡ 2500/mm3 • Auftreten von Symptomen Pulmonale Reaktionen: • Abfall der VK um ‡ 20% • Abfall der DCO um ‡ 15 oder 25% (je nach Literatur) • Abfall des pO2 • Anstieg der Atemfrequenz auf > 25/min Zum Abfall des pO2 bei Provokation: Strikte Schematisierung ist hier nicht hilfreich. Meist wird ein Abfall des pO2 um ‡ 5 mmHg gefordert. Bei auffälligem pO2-Ausgangswert (Hyperventilation!) ist Doppelbestimmung erforderlich.
Vorkommen der EAA 1. Tierallergene: Vogelhalterlunge (häufigste Form der EAA) (andere Allergene sehr selten). 2. Pflanzenallergene: Sporen von Speisepilzen. 3. Allergene von Bakterien und Schimmelpilzen: Gruppe der thermophilen Actinomyzeten (Saccharopolyspora rectivirgula [früher: Micropolyspora faeni], Thermoactinomyces vulgaris, Thermopolyspora polyspora als wichtigste Vertreter dieser Gruppe). 4. Chemikalien: Isocyanate (BK 1315), Phthalsäureanhydrid. 5. Medikamente: Teilweise beruflich bedingt (Pharmaindustrie), teilweise außerberuflich. Amiodarone, Betablocker u. a. Zu 4. und 5.: Der Nachweis von IgG-Antikörpern als Voraussetzung des Begriffs „allergisch“ ist hier nicht in allen Fällen zu führen. Ggf. ist die Re-Exposition unter klinischer Beobachtung aussagekräftig.
Krankenversicherung Bei der akuten EAA stehen das Krankheitsgefühl, Temperaturerhöhung, Dyspnoe und Husten im Vordergrund. Eine Arbeitsunfähigkeit bemisst
Lungengerüsterkrankungen sich nach der Symptomatik und der Lungenfunktionseinschränkung. Bei Übergang in die chronisch fibrosierende Form ist vor allem das Ausmaß der Lungenfunktionseinschränkung wesentlich. Wenn das verursachende Allergen am Arbeitsplatz vorhanden ist und keine effektiven Schutzmaßnahmen möglich sind, besteht für diese Tätigkeit Arbeitsunfähigkeit auf Dauer. Anzustreben ist eine innerbetriebliche Umsetzung. Selbstständig in der Landwirtschaft Beschäftigte bedürfen einer genauen Überwachung und Aufklärung über das Risiko, welches sie bei fortgesetzter Exposition eingehen. Medizinische Reha-Maßnahmen sind bei diesen Patienten in der Regel zu Lasten der UV-Träger indiziert.
Unfallrecht (BK 4201) Exogen-allergische Alveolitis im Unfallrecht (BK 4201, ehemals „Farmerlunge“, jetzt allgemein „Exogen-allergische Alveolitis“; der Begriff „Drescherlunge“ beschreibt eine akute Mykotoxikose). Der Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität (Berufsbezogenheit) und der haftungsausfüllenden Kausalität ist im Einzelfall unter Umständen schwierig zu realisieren (für die gutachterliche Einschätzung jedoch obligat). Als Gründe hierfür sind zu nennen: • Der Zeitpunkt der Krankheitsmanifestation und der Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung liegen auseinander. Erkrankungsmaximum z. B. bei Farmerlunge meist im späten Winter, Begutachtung zu einer anderen Jahreszeit erschwert oft den Krankheitsnachweis. • Es gibt gesicherte Fälle von Farmerlunge, die zum Zeitpunkt der Begutachtung seronegativ sind, ein unauffälliges Röntgenbild zeigen und eine normale Lungenfunktion aufweisen. • Unsicher wird die Anamnese bei subakuten oder chronischen Verläufen. In solchen Fällen
Tabelle 4.24
ist der Gutachter in besonderer Weise auf Vorbefunde (Aufzeichnungen des Hausarztes, Röntgenbilder, Lungenfunktionsbefunde, frühere serologische Befunde) angewiesen. Mitunter wird eine sichere Aussage aktuell nicht möglich sein, dann muss auf den Verlauf und auf spätere Kontrollen verwiesen werden.
Rechtliche Besonderheit bei BK 4201: Die Anerkennung als BK ist bei Nummer 4201 nicht an die Aufgabe der beruflichen Tätigkeit gebunden (Unterschied zu Nummer 4301, 4302, 1315). Eine Expositionsminimierung durch Arbeitsschutzmaßnahmen (z. B. Airstream-Helm) wird in praxi angestrebt. Abschtzung der MdE: In der Synopsis von Klinik, Röntgen und Lungenfunktion orientiert sich die Bemessung der MdE vorwiegend an dem Grad der Funktionseinbuße. Obligatorische Messgrößen sind VK, PaO2 in Ruhe und auch unter Belastung. Zusätzliche Messgrößen (erwünscht, aber nicht unbestritten) sind TLCO (Single-breath-Methode) und Compliance (statische Werte). Die für die Asbestose erarbeitete Tabelle kann allgemein für fibrosierende Lungenerkrankungen übernommen werden (s. Tab. 4.24).
Rentenrecht Bei dauerhaften Einschränkungen gilt das Gleiche wie bei den obstruktiven Atemwegserkrankungen und restriktiven Lungenfunktionsstörungen (s. Lungenfibrose). Wenn eine Rückkehr zu der letzten Tätigkeit nicht möglich ist, kommen eventuell Berufsförderungsmaßnahmen oder eine Rente wegen (teilweiser oder voller) Erwerbsminderung in Betracht. Medizinische Reha-Maßnahmen können ggf. sinnvoll sein.
MdE-Bewertung nach Funktionsdaten. (Nach: Konietzko et al. 1988).
Messwert VKmax Cstat* PaO2 bei Belastung, bezogen auf Mindestsoll MdE v. H.
Lungenfunktionsstçrung fehlt
leicht
mittel
schwer
> 80% > 70% ber < 20
< 80% < 70% um 20 – 30
< 60% < 50% unter 40 – 60
< 40% < 30% stark unter > 60
* Die hier zugrunde liegenden Sollwerte von Yernault (siehe Quanjer) werden allgemein als zu hoch angesehen. Deshalb sei auch auf die Absolutwerte der Angaben unter Tab. 3.8 (S. 87) verwiesen.
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
SER und SchwbG Sinngemäß gelten die Ausführungen wie bei Asbestose, soweit es sich überwiegend um irreversible Schädigungsfolgen handelt.
Seltene berufsbedingte interstitielle Lungenerkrankungen BK 4106 (Aluminose) Die Aluminose (BK 4106) ist eine sehr selten gewordene Erkrankung, die bei Personen auftreten kann, die unter unzureichenden arbeitshygienischen Bedingungen vor allem ungefetteten Aluminiumfeinstaub (sogenannten Pyroschliff) herstellen (feinstampfen, sieben, mischen). Auch die Herstellung von Aluminiumpulver durch Schmelzzerstäubung, das Ausschmelzen von Aluminiumoxid aus Bauxit sowie die Herstellung von Aluminiumlegierungen können unter Umständen eine Gefahrenquelle sein. Die Fibrogenität von aluminiumhaltigem Schweißrauchen ist fraglich. In der Lunge entfaltet sich die fibrosierende Wirkung mit Schrumpfungsprozessen bei hyaliner Verdichtung der Alveolarsepten. Hiluslymphome und spezifische Granulome fehlen weitgehend. Radiologisch ist in leichteren Fällen nur eine verstärkte Lungenzeichnung zu erkennen, in fortgeschrittenen Fällen kommt es zu streifigen, unscharf fleckigen, teils wolkigen Verschattungen, bevorzugt in den Mittel- und Oberfeldern. Charakteristisch sind (teilweise rezidivierende und doppelseitige) Pneumothoraces. Nach Wegfall der Exposition ist ein Fortschreiten dieser Erkrankung seltener als bei der Silikose.
BK 4107 (Hartmetallfibrose) Die Legaldefinition der Hartmetallfibrose (BK 4107) lautet „Erkrankungen an Lungenfibrose durch Metallstäube bei der Herstellung oder Verarbeitung von Hartmetallen“. Hartmetalle sind Werkstoffe, die durch große Verschleißfestigkeit, Temperatur- und Korrosionsbeständigkeit charakterisiert sind. Es wird unterschieden zwischen • Sinterhartmetallen, • Aufschweißlegierungen und • Aufspritzpulvern auf Carbidbasis. Sinterhartmetalle bestehen vorwiegend aus hochschmelzenden Carbiden von Wolfram, Titan, Tan-
tal, Niob, Molybdän, Chrom und Vanadium, wobei als Bindemittel Kobalt, Nickel oder Eisen zugesetzt wird. Sie werden als Schnittwerkzeuge in der spangebenden Bearbeitung eingesetzt, als Mahlwerkzeuge im Berg- und Tunnelbau, bei der spanlosen Verarbeitung als Press- und Ziehwerkzeuge (Draht) und als Verschleißschutz. Eine etwa erforderliche Nachbearbeitung geschieht durch Nassschleifen mit Diamant- und Korundscheiben. Als Gefahrenquellen gelten insbesondere Stäube beim Mahlen und Mischen der Ausgangsstoffe, Dämpfe und Rauche beim metallischen Verhüttungsprozess, Stäube bei der Rohbearbeitung vorgesinterter Teile sowie Stäube beim Schleifen fertig gesinterten Materials. Die Berufsgruppe der Hartmetallschleifer ist offensichtlich am stärksten gefährdet. Bei Zahntechnikern fehlen unter gewerbeüblichen Expositionsverhältnissen die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Entstehung einer Hartmetallfibrose, zumal Sinterkarbide in der Zahntechnik praktisch nicht eingesetzt werden. Bei Querschnittsuntersuchungen von Zahntechnikern finden sich – inkonsistent – Hinweise auf das möglicherweise gehäufte Auftreten von interstitiellen Lungenerkrankungen. Quarzstaubsilikosen und Asbestosen sind differenzialdiagnostisch bei dieser Berufsgruppe stets in Erwägung zu ziehen. Es ist letztlich unklar, welche Staubfraktion für das Auftreten der Erkrankung ursächlich ist. Angeschuldigt wird vorrangig Kobalt, das als lungengängiges Aerosol aus dem Schleifwasser leichter resorbiert werden kann als aus dem trockenen Schleifstaub. Die Lungenfibrose durch Hartmetallstäube ist radiologisch durch eine netzförmig-streifig vermehrte Lungengrundstruktur charakterisiert, in fortgeschrittenen Fällen mit feinfleckigen Herden, die teilweise konfluieren. Klare Abgrenzungskriterien gegenüber Lungenfibrosen anderer Genese sind nicht bekannt.
BK 4108 (Thomasphosphatlunge) Thomasphosphat entsteht aus der Thomasschlacke (mit Phosphaten, Silikaten, Kalzium-, Eisen-, Vanadium- und Manganoxiden) bei der Roheisengewinnung. Bei der sehr seltenen Thomasphosphatlunge (BK 4108) kommt es zu akuten und chronischen Bronchitiden, früher traten auch Pneumonien auf.
Lungengerüsterkrankungen
Weitere seltene Krankheitsbilder (hierzulande praktisch unbekannt) • Pneumokoniosen durch PVC-Kunststoffstäube • Bronchiolitis obliterans mit organisierender Pneumonie durch Diacetyl bei der PopcornZubereitung • Flock-Lunge durch Kunststoffbeflockungsmaterial (Postkarten, Autohimmel etc.)
BK 1110 (Berylliose) Die chronische Berylliose ist klinisch, röntgenologisch und histologisch nicht von der Sarkoidose abzugrenzen. Diese Differenzialdiagnose zur Sarkoidose ist in der Pneumologie allgemein bekannt, dennoch haben auch erfahrene Lungenärzte selten eine Berylliose diagnostizieren können.
Exposition gegenber Beryllium (Be) in der Arbeitswelt: Alle Materialien, bei denen Festigkeit und zugleich Flexibilität gefordert sind (Biegeund Zentrifugalbelastung), z. B. rotierende Teile (Schrauben, Turbinen, Räder, Bremsen): • Als Leichtmetall im Boot- und Fahrzeugbau sowie in der Raumfahrt, auch als Legierung (z. B. Beryllium-Kupferlegierungen). Wegen der Härte des Materials wird Beryllium gerne bei Ventilen, Federungen, Pumpenteilen verwendet, des Weiteren bei chirurgischen Instrumenten und in der Zahntechnik (Zahnzemente). BerylliumNitrat ferner in der keramischen Industrie, Beryllium-Fluoride in Lötpulvern, BerylliumCarbide als Festtreibstoff bei Raketen. Beim Trockenschleifen von Edelsteinen fällt Berylliumhaltiger Staub an. • In der Elektronikindustrie bei Metallkontakten, an Computern, z. B. Tastaturen. Ein zukünftiges Potenzial von Exponierten ist bei der Wiederverwertung von Elektronikschrott zu erwarten. • In der Europäischen Union sind ca. 70 000 Personen beruflich Beryllium-exponiert. Die Gefährdung ist für Beryllium-Legierungen und Beryllium-Pulver gleich groß. Pathogenese: Beryllium führt bei empfänglichen Personen (Assoziation zum HLA-System) zu einer Lymphozyten-vermittelten Spätreaktion (Typ IV). Dies konnte in der BAL nachgewiesen werden: CD4+-Zellen aus BAL proliferierten bei Inkubation mit Beryllium-Salzen.
Diagnostik: Die pneumologische Diagnostik kann mittels Klinik, Röntgen (auch HRCT) und Funktionsanalyse nicht zwischen Berylliose und anderen granulomatösen Erkrankungen (z. B. Sarkoidose) unterscheiden (Granulome häufig, jedoch nicht zwingend). Entscheidend ist der Nachweis einer Beryllium-Sensibilisierung. Dies gelingt durch • den Beryllium-Lymphozytentransformationstest (BeLT) aus BAL-Flüssigkeit und/oder aus dem Blut (Transformation mononukleärer Zellen), ggf. ergänzt durch • den Intrakutantest (IKT) mit 0,1 ml Berylliumsulfat (Ablesen und Histologie nach 4 Tagen und nach 4 Wochen, nicht allgemein akzeptiert). Der BeLT wird als spezifisch erachtet (besonders wenn aus BAL-Flüssigkeit gewonnen), hinsichtlich der Sensitivität ist der Test weniger befriedigend. Das Ergebnis ist sehr von der Erfahrung des Labors abhängig. Man sollte damit nur spezialisierte Zentren beauftragen (z. B. das Forschungszentrum Borstel, Medizinische Klinik bzw. die Abteilung für Pneumologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Müller-Quernheim J, s. Literatur). Die Diagnose „Berylliose“ ist dann zu stellen, wenn ein klinisches Krankheitsbild (s. oben) vorliegt und bei kompatibler beruflicher Belastung die Beryllium-Sensibilisierung nachgewiesen werden konnte. Der Nachweis von Beryllium im Gewebe wird nicht gefordert. An den arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Kausalitätsnachweis (s. Kap. 2.3) wie an die diagnostische Absicherung (Biopsie, Elementnachweis, Röntgenspektralanalysen und andere Verfahren) sind besonders hohe Anforderungen zu stellen. Die Begutachtung richtet sich sinngemäß nach den Ausführungen zur EAA. Beryllium ist ein erwiesenes Humankanzerogen (K1) mit dem Zielorgan „Lunge“.
Siderose Inhalativ aufgenommene teilchenförmige Komponenten Eisenoxid-haltiger Schweißrauche, die sich reaktionslos im interstitiellen Lungengewebe ablagern, werden als Siderose der Lungen bezeichnet. Pathologisch-anatomisch fehlen in der Regel eindeutig fibrosetypische Veränderungen des Lungengerüstes. Histologisch findet sich die weitgehend reaktionslose Ablagerung von (siderophilem) Eisenoxid (Fe2 O3) nicht nur in Makrophagen son-
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder dern auch im Lungeninterstitium, hier vor allem peribronchial und perivasal sowie in den bronchopulmonalen Lymphknoten. Röntgenologisch lassen sich disseminiert verteilte, netzförmige Verdichtungen sowie punktiforme bis knötchenförmige Verschattungen im Bereich beider Lungen ohne Ballungstendenz nachweisen. Computertomografisch ähnelt das Bild der Siderose-Veränderungen, wie sie auch bei starken Rauchern gesehen werden können. Da die Veränderungen zwar im Röntgenbild oder pathologisch-histologisch festzustellen sind, jedoch eine Tendenz zum Fortschreiten nach Expositionskarenz nicht besteht, führen sie im Allgemeinen klinisch nicht zu einer messbaren Lungenfunktionseinschränkung oder erkennbaren subjektiven Beeinträchtigungen von Krankheitswert. Aus diesem Grunde wird die benigne Siderose der Lungen bei Schweißern in der Liste der Berufskrankheiten-Verordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht als entschädigungspflichtige Berufskrankheit aufgeführt. Gleichwohl handelt es sich um einen regelwidrigen Körperzustand, was zu Präventionsmaßnahmen (§ 3 bzgl. künftiger BK 4115) Anlass gibt.
Siderofibrose Der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ hat dem Bundesarbeitsminister empfohlen, als neue Berufskrankheit in die Liste aufzunehmen (vermutlich BK 4115): „Lungenfibrose durch extreme und langjährige Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen – (Siderofibrose)“. Die interstitielle Siderofibrose der Lungen nach langjähriger, unter arbeitshygienisch unzureichenden Bedingungen erfolgender, extrem hoher Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen lässt sich nach neueren Erkenntnissen insbesonde-
Tabelle 4.25 Grad I
Grad II
Grad III
re auch von der benignen Siderose der Lungen bei Schweißern differenzialdiagnostisch klar abgrenzen. Aufgrund der Gemischproblematik kann derzeit nicht entschieden werden, ob die o. g. ultrafeinen Schweißrauche oder die Schweißgase (insbesondere Ozon) bzw. beide Gemisch-Komponenten in Kombinationswirkung zu dieser Form der Lungenfibrose führen.
Histologie In Zweifelsfällen ist eine histologische Sicherung indiziert. Müller und Verhoff [2000] haben nach pathologisch-anatomischer Untersuchung von Biopsieund Autopsiepräparaten von 43 Männern mit anamnestisch gesicherter beruflicher Schweißrauchexposition bei 38 Proben (88%) charakteristische Veränderungen verschiedener Schweregrade von Sideropneumokoniosen dokumentiert. Anhand wiederkehrender histologischer Befunde der Vermehrung und Aktivierung von Eisen-speichernden Makrophagen (Siderophagen) und variabel ausgebildeten Fibrosierungen wurde eine Einteilung in drei Schweregrade vorgenommen (s. Tab. 4.25). Moderne pathologisch-histologische Untersuchungsverfahren unter Einsatz u. a. der Elektronenmikroskopie einschließlich der energiedispersiven Röntgenmikroanalyse zeigen bei der Siderofibrose der Lungen bei Schweißern folgende kennzeichnende Befunde: • Interstitielle Fibrose in lichtmikroskopisch enger topografischer Beziehung zu den Staubdepots. • Ausgeprägte intraalveoläre Makrophagenreaktion im Zusammenhang mit dichten Staubdepots. • Zusammenlagerung sehr kleiner Staubteilchen in den Phagolysosomen der Makrophagen, sowohl intraalveolär als auch interstitiell, mit der
Graduierung der Sideropneumokoniosen. (Nach: Mller u. Verhoff 2000). Vorwiegend alveolre, aber auch interstitielle, herdfçrmig betonte Ansammlungen von Makrophagen, die neben Siderin feinkçrniges Eisen-III-oxid und in geringem Umfang Mischstaubpartikel speichern (sog. Siderophagen). Nur wenige Makrophagen und Mischstube im peribronchialen, perivasalen und pleuralen Bindegewebe. Ausschließlich mikroskopisch fassbare diskrete Fibrosierungsreaktionen. Verstrkte Anreicherungen von aktivierten Makrophagen und Mischstaubpartikeln in perivasalem, bronchopulmonalem und paralymphatischem Bindegewebe und in der Pleurahauptschicht. Deutliche Fibrosierungen im Bereich der Staubdepots. Diskrete unspezifische entzndliche Begleitreaktion. Ausgeprgte Mischstaubdepots. Deutliche Zeichen einer chronisch-schwelenden, entzndlich-fibrosierenden Reaktion. Entwicklung herdfçrmig akzentuierter, den Fremdstoffdepots topografisch zugeordneter Lungenfibrosen.
Lungengerüsterkrankungen
• •
• •
Folge einer Zellschädigung, die zur Makrophagennekrose führen kann. Das relativ typische und reproduzierbare Elementspektrum bei der energiedispersiven Röntgenmikroanalyse („Fingerprint“). Im Bereich interstitieller Fibrosebezirke eine elektronenmikroskopisch sichtbare enge topografische Beziehung zwischen den staubbeladenen Makrophagen und den Fibroblasten. Somit ist anzunehmen, dass auch hier – wie bei anderen Formen der Pneumokoniose – eine Aktivierung der Fibroblasten und der Faserneubildung durch Mediatoren erfolgt, welche von den Makrophagen gebildet und die besonders durch die Makrophagennekrose freigesetzt werden. Identifizierbarkeit eines Teiles der Staubdepots als (siderophile) Eisenoxidpartikeln mittels Berliner-Blau-Färbung. Bestätigung eines analogen Elementspektrums sowohl für die im fibrosierten Lungengewebe retinierten Staubpartikel als auch im Schweißrauch.
Welche Exposition ist zu fordern? Eine 10-Jahresgrenze als Mindestgrenze der Expositionsdauer ergibt sich annähernd ebenfalls anhand der Daten der 15 Erkrankungsfälle in der umfangreichsten deutschen Untersuchung von Buerke et al. (2002). Berechnet man die Summenhäufigkeit der aufaddierten Stunden, die unter extremen Bedingungen bei Schweißerarbeiten verbracht wurden, ergibt sich Folgendes: Der Minimalwert liegt zwischen ca. 12 000 und 20 000 Schweißerarbeitsstunden mit einem 50-Perzentilwert zwischen 40 000 und 50 000 Schweißerarbeitsstunden. Eine Jahresarbeitszeit von mindestens ca. 1500 Schweißerarbeitsstunden entspricht in 10 Jahren somit größenordnungsmäßig der zitierten 10-Jahresgrenze. Als „bestimmte Personengruppe“, die durch ihre Schweißarbeiten der besonderen Einwirkung von Schweißrauche und Schweißgasen in extrem höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, können somit Versicherte nach einer mindestens etwa 10-jhrigen bzw. ca. 15 000-stndigen Schweißerttigkeit unter extremen Bedingungen, d. h. bei eingeschränkten Belüftungsverhältnissen, z. B. in Kellern, Tunneln, Behältern, Tanks, Containern, engen Schiffsräumen etc. betrachtet werden. Diese Werte wurden aus einer hochexponierten, relativ kleinen, aber gut dokumentierten Fall-
serie abgeleitet (Buerke et al. 2002 a, b). Sie sind nicht als Abschneidekriterium (unterhalb dessen eine Anerkennung automatisch entfällt) zu verstehen. Unter extrem ungünstigen Arbeitsbedingungen kann das Krankheitsbild der Siderofibrose auch nach einem kürzeren Expositionszeitraum auftreten.
Differenzialdiagnostik Die modernen Einteilungen der interstitiellen Lungenerkrankungen erfordern sehr spezifischen pneumologisch-pathologischen Sachverstand. Dieser ist bei der Beurteilung schwieriger Fälle heranzuziehen. In einigen Fällen wird die Histologie fehlen. Dann wird es nur im ganz besonders gelagerten seltenen Einzelfall möglich sein, den Vollbeweis einer Siderofibrose zu führen. Dies ist ein deutlicher Unterschied zur Asbestose-Diagnostik, wo die Computertomografie so spezifische Hinweise gibt, dass – ganz im Gegenteil – in der Regel auf eine histologische Sicherung verzichtet werden kann. Wenn ein Patient, der Schweißer ist, aber unter guten Lüftungsbedingungen arbeitet, an einer idiopathischen Lungenfibrose erkrankt, so ist es die Aufgabe des medizinischen Sachverständigen, qualifiziert zu belegen, dass hier keine Siderofibrose im Sinne der neuen Berufskrankheit vorliegt. Bezüglich des Funktionsschadens wird es oftmals schwierig sein, sorgfältig abzugrenzen, welcher Teil auf eine Restriktion (infolge Fibrose) und welcher Teil auf eine Obstruktion (infolge Schweißrauchexposition), aber auch infolge konkurrierender Lebensgewohnheiten (vorrangig Rauchen) zu beziehen sein wird. Weitere Informationen sind in der Wissenschaftlichen Begründung (Bundesarbeitsblatt 10/2006) zu finden, die nach Inkrafttreten der neuen Berufskrankheit auf der entsprechenden Seite der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin im Internet erscheinen wird: http://www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Berufskrankheiten/Dokumente/Merkblaetter.html
Talkose Die sehr seltene Talkose kann zu einem restriktiven und obstruktiven Lungenfunktionsmuster führen. Im Lungengewebe kommt es zu Fremdkörpergranulomen. Es ist nicht gänzlich klar, inwiefern Talkum per se stärker fibrogen ist oder ob die fibrotischen Veränderungen im Wesentlichen auf Kontaminationen mit Asbestfasern und Quarz zurück-
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder zuführen sind. Eine Anerkennung und Entschädigung nach BK 4101 oder 4103 kommt in Betracht.
Nicht klassifizierte Ursachen der fibrosierenden Alveolitis (Lungenfibrose) Im Unfallrecht: Diese Erkrankungen kommen im Unfallrecht nicht vor. Hinweis: Immer wieder erscheinen, insbesondere in den USA, Querschnittsstudien, die bei Personen mit Kontakt gegenüber „Metallstäuben“, „Holzstäuben“ und einigen anderen Noxen gehäuft interstitielle Lungenfibrosen ungeklärter Ätiologie zeigen. Es bleibt unklar, inwieweit es sich tatsächlich um idiopathische Lungenfibrosen oder möglicherweise um exogen-allergische Alveolitiden (Kühlschmiermittel-Kontaminationen, Schimmelpilze) handelt. Im Rentenrecht/im SER und SchwbG: Sinngemäß gelten die Ausführungen wie bei Asbestose (s. Tab. 4.21 und Tab. 4.11), da es sich überwiegend um irreversible Schädigungsfolgen handelt. Die Arbeitsfähigkeit und die Erwerbsfähigkeit hängen vor allem vom Ausmaß des Funktionsschadens ab, zu messen an der Schwere einer Restriktion, der Erniedrigung der Diffusionskapazität, der ergometrischen Belastbarkeit mit eventueller Belastungshypoxämie, den Folgeerkrankungen wie einer pulmonalen Hypertonie, Cor pulmonale und Rechtsherzinsuffizienz. Bei einer schnell progredienten fibrosierenden Alveolitis kann ein Krankheitsgefühl mit allgemeiner Leistungsschwäche die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Ein Gutachter der Rentenversicherung hat aus dem Ausmaß des Funktionsschadens das Leistungsvermögen mit dem positiven und negativen Leistungsbild abzuleiten. Wenn eine hochgradige Fibrose mit ausgedehnter Lungengewebszerstörung, sekundären Bronchiektasen und Bronchitis vorliegt, können RehaMaßnahmen sinnvoll sein. Tabelle 4.26
Sarkoidose Die Sarkoidose ist eine multisystemische Granulomatose unbekannter Ätiologie. Am häufigsten tritt die Erkrankung im dritten Lebensjahrzehnt auf. In der Mehrzahl sind Frauen betroffen. Entsprechend dem radiologischen Befallsmuster der Lunge werden nach Wurm drei Stadien, nach De Remee 4 Stadien unterschieden (Tab. 4.26). Überdies kommen ungewöhnliche Manifestationen mit Pleuraergüssen und Einschmelzungen vor. Alle anderen Organe können ebenfalls befallen sein.
Akuter Verlauf: Löfgren-Syndrom tritt auf mit Erythema nodosum, Fieber, Arthralgien, Senkungsbeschleunigung und fakultativ extrapulmonalem Organbefall. Diese „akute Sarkoidose“ heilt zu über 90% spontan aus. Chronischer Verlauf: Insgesamt entwickelt etwa jeder fünfte Patient eine Fibrose (Sharma 1984). Von einer chronischen Sarkoidose spricht man bei einem Verlauf über mehr als zwei Jahre. Diagnostisch ist der Nachweis nichtverkäsender epitheloidzelliger Granulome zu fordern (bei Ausschluss anderer Differenzialdiagnosen). Da das Lungenparenchym in 90% aller Patienten mit Sarkoidose betroffen ist, besitzt die transbronchiale Biopsie eine hohe diagnostische Trefferquote. Hinweisend ist außerdem ein broncho-alveolärer Lavage-Befund einer ausgeprägten lymphozytären Alveolitis mit hohem T4/T8-Quotienten. Die Aktivität der Erkrankung kann überdies aufgrund des ACE-Spiegels und (ggf.) der Galliumszintigrafie (Bedeutung umstritten, stellt auch den extrapulmonalen Organbefall dar) abgeschätzt werden. Lungenfunktion: Viele Fälle von Sarkoidose zeigen keine Einschränkung der Lungenfunktion. Besteht eine Funktionseinbuße, so ist eine Restriktion bzw. Verminderung der Compliance und Diffusionsstö-
Klassifizierung der Sarkoidose nach dem Rçntgenbild.
Klassifikation De Remee I II III IV
Entspricht Stadien nach Wurm Hiluslymphome, Lungenparenchym radiologisch frei Lungenparenchymbefall, Rckbildung der Hiluslymphome Lungenparenchymbefall, Hili unauffllig Lungenfibrose
I II III III
Lungengerüsterkrankungen Tabelle 4.27 Spontanheilung bei Sarkoidose, bezogen auf das Rçntgenstadium. Die Spontanheilungsrate betrgt im radiologischen Stadium I II III
und sekundären, vielleicht infizierten Bronchiektasen handelt, können diese sinnvoll sein.
Unfallrecht
60 – 80% ca. 60% ca. 30%
rung charakteristisch. Bei fortgeschrittenen Sarkoidosen kommen in etwa einem Drittel der Patienten obstruktive Ventilationsstörungen hinzu.
Krankenversicherung Bei der akuten Sarkoidose kann eine Arbeitsunfähigkeit aus einem Krankheitsgefühl, Temperaturerhöhung und einem schmerzhaften Erythema nodosum resultieren. Bei anderen Sarkoidoseformen ist die Lungenfunktion auch bei eindrucksvollem Röntgenbefund selten erheblich eingeschränkt. Krankheitsgefühl, Abgeschlagenheit und allgemeine Leistungsminderung kommen hier äußerst selten vor. Für einen negativen Einfluss körperlicher und inhalativer Belastungen auf den Krankheitsverlauf gibt es keinen Anhalt. Arbeitsunfähigkeit ist bei chronischen Formen der Sarkoidose damit nur selten gerechtfertigt. Eine dauerhafte pulmonale Leistungseinschränkung kann sich in Form einer Restriktion, der Erniedrigung der Diffusionskapazität, einer reduzierten ergometrischen Belastbarkeit, in fortgeschrittenen Fällen in einer pulmonalen Hypertonie, einem Cor pulmonale und Rechtsherzinsuffizienz manifestieren. Hinsichtlich einer Erwerbsminderung hat ein Gutachter aus dem Ausmaß des Funktionsschadens das positive und negative Leistungsbild abzuleiten (s. auch. Tab. 2.6 und Tab. 2.7). Bei Vorliegen einer bronchialen Überempfindlichkeit und Obstruktion gilt das bei den obstruktiven Atemwegserkrankungen Gesagte. Das Klima und Allergene haben keinen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung, weswegen medizinische Reha-Maßnahmen primär nicht angezeigt sind. Nur wenn ein mit der Sarkoidose häufiger vergesellschaftetes Asthma vorliegt oder wenn es sich um ein Stadium III mit Fibrose, Obstruktion
Da die Ätiologie der Sarkoidose nach wie vor unbekannt ist und ein Zusammenhang mit beruflichen Einflüssen (einschließlich außergewöhnlicher körperlicher und seelischer Belastungen) nicht belegt ist, spielt die Sarkoidose im Unfallrecht keine Rolle.
Rentenrecht Ungewöhnliche Verlaufsformen mit ausgeprägten Symptomen, die Notwendigkeit langfristiger Steroidtherapie (mit Nebenwirkungen) sowie irreversible fibrotischen Veränderungen können BU und EU bedingen (ggf. Rente auf Zeit).
Soziales Entschdigungsrecht (SER) Im Hinblick auf die noch ungeklärte Ätiologie der Sarkoidose kann unter ganz bestimmten Kriterien eine Anerkennung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG (sog. Kann-Verordnung) in Betracht kommen, z. B. wenn extreme und lang dauernde Belastungen vorgelegen haben, wie sie etwa unter Gefangenschaftsund Internierungseinflüssen vorkommen, wenngleich dieses wissenschaftlich problematisch ist. Die GdS-Beurteilung der Sarkoidose entspricht der im SchwbG (s. Tab. 4.28).
Schwerbehindertengesetz (SchwbG) GdS (SER) und GdB (SchwbG) richten sich nach der Aktivität und ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und nach den Auswirkungen an den verschiedenen Organen (thorakale Lymphknoten und Lunge, auch z. B. Leber, Milz, Herz, Augen, ZNS, Haut). Bei chronischem Verlauf mit klinischen Aktivitätszeichen und Auswirkungen auf den Allgemeinzustand auch ohne Funktionseinschränkung gilt GdB/MdE 30. Funktionseinschränkungen betroffener Organe sind zusätzlich zu berücksichtigen. Bei Defektzuständen ist die Bewertung entsprechend den funktionellen Ausfallserscheinungen (s. Tab. 4.28).
Tabelle 4.28 GdB bei chronischer Sarkoidose (Aus: Anhaltspunkte fr die rztliche Gutachterttigkeit im sozialen Entschdigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, 2008). Chronischer Verlauf der Sarkoidose mit klinischen Aktivittszeichen, Auswirkungen auf den Allgemeinzustand ohne Funktionseinschrnkung mit Funktionseinschrnkungen
GdB/MdE 30 zustzlich zu bercksichtigen
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
4.4 Tumorerkrankungen (Krebs der Atmungsorgane) D. Nowak und R. F. Kroidl
Krankenversicherung Nach einer Operation können Schmerzen im Bereich der Thorakotomie körperliche Belastungen über Monate hinaus erschweren. Nach wenigen Monaten sind von Seiten der Stabilität der Thoraxwand körperliche Arbeiten wieder möglich. Die nach einer Lungenresektion auf Dauer verbleibende Funktionseinschränkung kann meist nach wenigen Monaten abgeschätzt werden. Nach einer Lobektomie ist keine oder eine nur geringe restriktive Ventilationsstörung zu erwarten. Nach ausgedehnter Lungenresektion und regelhaft nach Pneumonektomien kommt es zu einer Verkleinerung der betroffenen Thoraxhälfte und langfristig zu einer Skoliose, die auch Wirbelsäulenbeschwerden nach sich ziehen kann. Nach Pneumonektomien sind anhaltende Kreislaufregulationsstörungen häufig. Eine Pneumonektomie wird später allenfalls leichte Arbeiten erlauben. Aber auch größere Lob- oder Bilobektomien können dazu führen, dass körperliche Arbeiten nur eingeschränkt möglich sind. Damit kann für bestimmte Tätigkeiten Arbeitsunfähigkeit auf Dauer vorliegen. Im Einzelfall bedarf es der Abklärung und Erfassung der verbliebenen Leistungsreserven, z. B. mittels Spiroergometrie. Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn keine Therapieoptionen gegeben sind und von einer Therapie daher abgesehen wird, und während einer Strahlen- oder Chemotherapie. Da letztere nur selten kurative Wirkung haben, ist die Erwerbsfähigkeit hier im Allgemeinen aufgehoben. Insbesondere beim Lungenkarzinom verlangt die Begutachtung im Umgang mit dem Betroffenen Feinfühligkeit, da in einem Rentenverfahren auch die Prognose ins Bewusstsein gerufen und eventuell zur Diskussion gestellt wird. Gutachterlicherseits kann deswegen und wegen der Unsicherheit beim Abschätzen des Dauerzustands angeregt werden, zunächst eine Zeitrente zu bewilligen. Beim vermutlich kurativ operierten Lungenkarzinom entspricht ein „automatisches“ Rentenverfahren oft nicht der medizinischen Situation und
meist auch nicht dem Wunsch des Patienten, es können sich auch negative Effekte auf die psychische Situation ergeben. Medizinische Reha-Maßnahmen in spezialisierten Einrichtungen können durch eine intensive physikalische Therapie dazu beitragen, die Auswirkungen einer Lungenresektion auf die Mechanik des Thorax zu minimieren. Eine Tumornachsorgekur (die auch von der Rentenversicherung bei Rentnern und Angehörigen von Rentenversicherten getragen werden kann) sollte beantragt werden, wenn der Wunsch besteht, in anderer Umgebung sich zu regenerieren und die Erkrankung zu verarbeiten.
Unfallrecht Die berufsbedingten Tumoren des Respirationstraktes umfassen bösartige Neubildungen der Nase, des Kehlkopfs, der unteren Atemwege, der Lunge und im erweiterten Sinne auch der Pleura, die durch Einwirkung unterschiedlicher karzinogener Noxen am Arbeitsplatz verursacht werden (Übersicht bei Teschler et al. 2006, Nowak u. Huber 2006). Das Lungenkarzinom stellt den Prototyp eines durch exogene Noxen verursachten Tumors des Respirationstraktes dar. Hauptursache von Lungenkarzinom ist mit ca. 85% das inhalative Zigarettenrauchen, während der Prozentsatz der Lungenkarzinomtodesfälle durch berufsbedingte Karzinogene deutlich geringer ist. Überlappungen zwischen beruflichen und außerberuflichen Risikofaktoren spielen vielfach eine kausale Rolle.
Attributabler Anteil von beruflichen Faktoren am Lungenkarzinom Der attributale Anteil beruflicher Faktoren an der Gesamt-Kausalität bezeichnet denjenigen Kausalanteil, um den das Krebsrisiko vermindert wäre, wenn die Noxe nicht einwirken würde. Verschiedene internationale Fallkontrollstudien zeigten berufsattributable Anteile zwischen 9 und 15% bei Männern und zwischen 2 und 5% bei Frauen. Es handelt sich dabei weitestgehend um Folgen arbeitshygienischer Altlasten. Geht man für die letzten 20 Jahre in Deutschland von ca. 35 000 bis 40 000 tödlich verlaufenden Lungenkarzinomerkrankungen pro Jahr aus, so ist es bei einem attributalen Anteil von angenommenen 10% durch Berufseinflüsse dennoch nicht direkt gerechtfertigt,
Tumorerkrankungen (Krebs der Atmungsorgane) gewissermaßen die „Forderung“ nach 3500 bis 4000 BK-Fällen „herzuleiten“. Die Tatsache, dass jährlich „nur“ rund 1000 Lungenkarzinome als Berufskrankheit in Deutschland anerkannt werden, lässt gleichwohl eine beträchtliche Dunkelziffer von Fällen vermuten, die den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung niemals gemeldet werden. Mögliche Erklärungen dafür sind das Unwissen des Patienten oder des Arztes über den beruflichen Umgang mit Stoffen, die beim Menschen Krebs erzeugen und bei denen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten. Bei Patienten mit malignen Tumoren stehen naturgemäß stets diagnostische, therapeutische, prognostische und psychische Fragen im Vordergrund aller ärztlichen Überlegungen. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich aufgrund der Latenzzeit zwischen Exposition und Tumordiagnostik um Kenntnisse über Arbeitsplatzbedingungen vor Jahrzehnten handelte, die sich mittlerweile grundlegend geändert haben oder so gar nicht mehr existieren – und uns damit oft nicht mehr bekannt sind.
Krebsrisiko R ½þ AS Þ Krebsrisiko NR ½þ AS RR = Krebsrisiko R ½ AS Þ ð Krebsrisko NR ½ AS ð
Der einfachste Fall liegt dann vor, wenn das relative Risiko unter den Rauchern (R) identisch ist mit dem relativen Risiko bei Nichtrauchern (NR), somit also keine Interaktion vorliegt und die Risiken sich multiplizieren. Wenn das relative Krebsrisiko der Raucher über dem relativen Risiko bei Nichtrauchern liegt, verhalten sich die Risiken beider Einflussgrößen übermultiplikativ. Ein übermultiplikatives Risiko bedeutet in diesem Modell, dass die „Berufsnoxe“ bei Rauchern schwerer wiegt als bei Nichtrauchern. Epidemiologische Untersuchungen belegen, dass für die Noxe „Asbest“ in der Mehrzahl der Studien ein multiplikatives, teilweise ein übermultiplikatives Risiko existiert. Radon und Rauchen wirken in der Mehrzahl der Studien unabhängig voneinander – also multiplikativ.
Klassifikation beruflicher Karzinogene allgemein
Zeitlicher Aspekt der Krebsentstehung Für die Entstehung von Krebserkrankungen des Respirationstraktes im beruflichen Umfeld interessieren neben der spezifischen Noxe insbesondere die Einwirkungsdauer und die Latenzzeit. Die heute diagnostizierten malignen Erkrankungen sind vor allem auf Arbeitsplatz- und Expositionsverhältnisse zurückzuführen, die weit überwiegend vor 20 bis hin zu über 50 Jahren bestanden.
Interaktionen karzinogener Noxen Bei Berufskrankheiten muss die Interaktion verschiedener Karzinogene in Betracht gezogen werden. Meist handelt es sich um die schädigende Wirkung von Rauchen und beruflichen Noxen. Wenn die Einflussgrößen „Rauchen“ und „karzinogene Noxe am Arbeitsplatz“ voneinander unabhängige Effekte aufweisen, verhalten sich die einzelnen Risiken im Bezug auf das Gesamtrisiko multiplikativ. Eine Interaktion zwischen dem Faktor „karzinogener Arbeitsstoff (AS)“ und dem Faktor „Nicht-Rauchen (NR)“ bzw. „Rauchen (R)“ errechnet sich im multiplikativen Modell als relatives Risiko [RR] aus folgender mathematischer Beziehung der Einzelrisiken:
Zum besseren Verständnis scheint es sinnvoll, die Klassifikation von Arbeitsstoffen nach ihrer kanzerogenen Potenz zunächst kurz generell zu erläutern: Chemische Stoffe oder Stoffgruppen, welche mit der Entstehung maligner Erkrankungen assoziiert sind, werden u. a. von der International Agency for Research on Cancer (IARC) und der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG MAK- und BAT-Werte-Listen) veröffentlicht. Die wissenschaftliche Bewertung, welche die IARC und die Senatskommission vornimmt, erfolgt im Hinblick auf eine Prävention. Die zugrunde liegenden Kriterien sind deshalb aus grundsätzlichen Erwägungen nicht identisch mit den Kriterien einer versicherungsrechtlich-individualmedizinisch wesentlichen Ursache im Sinne des deutschen Berufskrankheitenrechts. Eine genaue Definition der gültigen Kategorien mit entsprechenden Beispielen ist in der Tab. 4.29 wiedergegeben.
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Tabelle 4.29
Klassifikation beruflicher Karzinogene allgemein.
Kategorie
Definition
Beispiele (ohne spezifischen Organbezug)
K1
Stoffe, die beim Menschen Krebs erzeugen und bei denen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten. Epidemiologische Untersuchungen geben hinreichende Anhaltspunkte fr einen Zusammenhang zwischen einer Exposition des Menschen und dem Auftreten von Krebs. Andernfalls kçnnen epidemiologische Daten durch Informationen zum Wirkungsmechanismus beim Menschen gesttzt werden.
Asbest Benzol Nickel
K2
Stoffe, die als krebserzeugend fr den Menschen anzusehen sind, weil durch hinreichende Ergebnisse aus Langzeit-Tierversuchen oder Hinweise aus Tierversuchen und epidemiologischen Untersuchungen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten. Andernfalls kçnnen Daten aus Tierversuchen durch Informationen zum Wirkungsmechanismus und aus In-vitro- und Kurzzeit-Tierversuchen gesttzt werden.
Kobalt Ethylenoxid Glasfasern (Faserstaub)
K3
Stoffe, die wegen erwiesener oder mçglicher krebserzeugender Wirkung Anlass zur Besorgnis geben, aber aufgrund unzureichender Informationen nicht endgltig beurteilt werden kçnnen. Die Einstufung ist vorlufig.
s. 3 A, 3 B
K3 A
Stoffe, bei denen die Voraussetzung erfllt wren, sie der Kategorie 4 oder 5 zuzuordnen. Fr die Stoffe liegen jedoch keine hinreichenden Informationen vor, um einen MAK- oder BAT-Wert abzuleiten.
Dichlormethan lsaure Toluylendiisocyante
K3 B
Aus In-vitro- oder aus Tierversuchen liegen Anhaltspunkte fr krebserzeugende Wirkung vor, die jedoch zur Einordnung in eine andere Kategorie nicht ausreichen. Zur endgltigen Entscheidung sind weitere Untersuchungen erforderlich. Sofern der Stoff oder seine Metaboliten keine gentoxische Wirkung aufweisen, kann ein MAK- oder BAT-Wert festgelegt werden.
Anilin Schlackenwolle (Faserstaub) Talk (asbestfaserfrei)
K4
Stoffe mit krebserzeugender Wirkung, bei denen ein nicht gentoxischer Wirkungsmechanismus im Vordergrund steht und gentoxische Effekte bei Einhaltung des MAK- und BAT-Wertes keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Unter diesen Bedingungen ist kein nennenswerter Beitrag zum Krebsrisiko fr den Menschen zu erwarten. Die Einstufung wird insbesondere durch Befunde zum Wirkungsmechanismus gesttzt, die beispielsweise darauf hinweisen, dass eine Steigerung der Zellproliferation, Hemmung der Apoptose oder Stçrung der Differenzierung im Vordergrund stehen. Zur Charakterisierung eines Risikos werden die vielfltigen Mechanismen, die zur Kanzerogenese beitragen kçnnen, sowie ihre charakteristischen Dosis-Zeit-Wirkungsbeziehungen bercksichtigt
Formaldehyd 1,4-Dioxan Lindan
K5
Stoffe mit krebserzeugender und genotoxischer Wirkung, deren Wirkungsstrke jedoch als so gering erachtet wird, dass unter Einhaltung des MAKWertes kein nennenswerter Beitrag zum Krebsrisiko fr den Menschen zu erwarten ist. Die Einstufung wird gesttzt durch Informationen zum Wirkungsmechanismus, zur Dosisabhngigkeit und durch toxikokinetische Daten zum Spezies-Vergleich.
Ethanol Styrol
Tumorerkrankungen (Krebs der Atmungsorgane)
Praxis Wo gibt es wissenschaftlich gesicherte, aktuelle Informationen ber kanzerogene Arbeitsstoffe? • Gestis-Stoffdatenbank: http://www.dguv.de/ bgia/de/gestis/stoffdb/index.jsp • Gefahrstoffinformationssystem der BG Chemie: www.gischem.de • Jeweils aktuelle (jährlich erscheinende) MAKund BAT-Werte-Liste (VCH, Weinheim) • MAK-Werte-Begründungen der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe: http://www3.interscience.wiley.com/cgi-bin/mrwhome/ 104554790/HOME • Monografien der International Agency for Research on Cancer: http://monographs.iarc.fr/ Darüber hinaus kann die Konsultation der Staatlichen Gewerbeärzte/Landesgewerbeärzte, arbeitsmedizinischer Hochschulambulanzen und der UV-Träger je nach Situation von Nutzen sein. In der Tab. 4.30 sind die beim Menschen epidemiologisch gesicherten pulmonalen Karzinogene den entsprechenden BK-Nummern in der gültigen Liste der Berufskrankheiten gegenübergestellt.
Arbeitsanamnese: Die Arbeitsanamnese bei Patienten mit Lungenkarzinom ist aufwendiger als bei anderen Organtumoren, da eine größere Zahl von Noxen und Tätigkeiten infrage kommt. Es kann hilfreich sein, mit dem Patienten eine Art „Checkliste“ durchzugehen, wie sie im Anhang des Kapitels zusammengestellt ist (S. 192 ff.).
Diagnosesicherung Der Krebs der Atmungsorgane muss histologisch oder zytologisch gesichert sein. Ausnahme: Bei Anerkennung ohne diese Sicherung z. B. durch Verlaufsmerkmale bei nicht mehr zumutbarer Diagnostik muss der Vollbeweis der Erkrankung anderweitig gegeben sein. Ebenso muss der tatsächliche Ausgang vom respiratorischen Organ nachgewiesen worden sein. Eine Lungenmetastase von einem anderen Primärtumor muss mit zumutbaren Maßnahmen ausgeschlossen sein. Der Begriff des „Lungenkarzinoms“ schließt jede Form eines originären Karzinoms der unteren Atmungsorgane ein, auch z. B. Alveolarzellkarzinome. Durch das Rauchen wie durch berufliche Noxen treten alle histologischen Typen des Lungenkarzi-
noms vermehrt auf. Eine bestimmte Histologie erlaubt somit weder eine Kausalzuordnung noch die Verneinung eines Kausalzusammenhangs. Spezialfall Karzinoidtumoren: Bei diesen auch als Bronchuskarzinoid bezeichneten Tumoren handelt es sich definitionsgemäß (WHO-Klassifikation 2004) um niedrig-maligne Karzinome des diffusen neuroendokrinen Systems. Sie werden nach histologischen Kriterien in typische und atypische Karzinoide unterteilt. Gleichwohl ist ein Zusammenhang zwischen exogenen Noxen und dem Auftreten eines Karzinoids nicht gesichert. Daher wird ein BK-Zusammenhang nach gegenwärtigem Wissensstand regelhaft abzulehnen sein.
Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs in Verbindung mit Asbestose oder durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura (BK 4104) Nach der geltenden BKV ist ein Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs bei Lungenasbestose oder in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura als BK anzuerkennen. Die Latenzzeit für den Asbestkrebs liegt im Mittel bei 25 Jahren (Bereich 12 – 37 Jahre, Konietzko u. Teschler, 1992). Gleichwertige Hinweise ergeben sich aus • bildgebenden Verfahren (insbesondere CT), • makroskopischer Befundbeschreibung (Thorakoskopie, Thorakotomie), • pathologisch-anatomischen Befunden. Der Verordnungsgeber hat verbindliche Richtlinien über die röntgenologischen Mindestmerkmale der Asbestose, die zu einer Anerkennung eines Asbestkrebses qualifizieren, bislang nicht festgelegt. Es ist daher sinnvoll, sich an den Eingangskriterien über die BK-Verdachtsmeldung (s. Tab. 4.19) zu orientieren. In Zweifelsfällen ist ein hochauflösendes CT mit Nachweis von für die Asbestose charakteristischen Befunden zu fordern, des Weiteren eine Dokumentation des Thorakoskopie- bzw. des Operationssitus mit Beschreibung typischer Plaques. Leider weisen Operationsberichte und teilweise auch Autopsieberichte oft keine ausreichende Beschreibung der Pleurabeschaffenheit auf. Dieser entscheidende Mangel geht ggf. zu Lasten des Versicherten! Bezüglich der röntgenologisch invisiblen „Minimalasbestose“ wird auf Kapitel 4.3 verwiesen. Treffen die Zeichen der asbeststaubbedingten
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Tabelle 4.30 Gegenberstellung der beim Menschen epidemiologisch erwiesenen pulmonalen Karzinogene (K1 entsprechend Tab. 4.29) und der entsprechenden Berufskrankheit (BK) mit Nummer und Wortlaut. Gliederung im Wesentlichen nach Hufigkeit. Erwiesene pulmonal karzinogene Noxe (sofern von DFG-Senatskommission eingestuft, entsprechend K1)
Berufskrankheit Listen-Nummer oder § 9 Abs. 2 SGB VII
Wortlaut
Asbest
4104
Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs l in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose), l in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder l bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen AsbestFaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren (25 106 [(Fasern/m3) Jahre]) durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards Quarzstaublungenerkrankung (Silikose)
4105 „silikotisches Narbenkarzinom“ kristallines Siliziumdioxid
4112
ionisierende Strahlung Arsen, -verbindungen Dichlordimethylether
2402 1108 1310
Chrom, -verbindungen Dichlordiethylsulfid (LOST)
1103 1311
Nickel, -verbindungen
4109
Kokereirohgase
4110
Pyrolyseprodukte aus organischem Material
§ 9 Abs. 2 SGB VII bzw. 4113
Passivrauchen am Arbeitsplatz Beryllium, -verbindungen
§ 9 Abs. 2 SGB VII
Cadmium, -verbindungen Asbest und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe
4101
1110 i. V. m. § 9 Abs. 2 SGB VII 1104 i. V. m. § 9 Abs. 2 SGB VII § 9 Abs. 2 SGB VII bzw. 4114
Pleuraerkrankung bei gesicherter Arbeitsanamnese mit einem Lungenkarzinom zusammen, so ist dieses als BK anzuerkennen. Sofern die Röntgenveränderungen an der Pleura auf eine andere Ursache als eine Asbestexposition zu beziehen sind, ist die berufliche Verursachung des Lungenkarzinomes abzulehnen.
Lungenkrebs durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdiuxid (SiO2) bei nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Siliko-Tuberkulose) Erkrankungen durch ionisierende Strahlen Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide bçsartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen bçsartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(g/m3) Jahre] (Empfehlung des rztlichen Sachverstndigenbeirats) keine BK, aber § 9 (2) SGB VII denkbar Erkrankungen durch Beryllium oder seine Verbindungen (noch nicht ins amtliche Merkblatt aufgenommen) Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen (noch nicht ins amtliche Merkblatt aufgenommen) Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen … (Empfehlung des rztlichen Sachverstndigenbeirats)
Der qualitative Nachweis von Asbestnadeln im Bronchialsekret, in der BAL, auch im Lungengewebe, beweist nur die Exposition, er ersetzt nicht den quantitativen Nachweis, der – beim Fehlen von radiologischen und makroskopischen Zeichen – für die Annahme einer Minimalasbestose zu fordern ist.
Tumorerkrankungen (Krebs der Atmungsorgane) Der elektronenmikroskopische Nachweis von erhöhten Faserzahlen (bei lichtmikroskopisch weniger als 1000 Fasern/cm3) wird derzeit noch kontrovers diskutiert; er reicht in der Regel zur Anerkennung nicht aus. Als „Falkensteiner Merkblatt“ soll ein Konsenspapier zur Begutachtung asbestassoziierter Gesundheitsschäden entstehen.
Larynxkarzinom durch Asbest (zu BK Nr. 4104) In einer Meta-Analyse publizierter Studien wurde das Risiko für das Entstehen eines Larynxkarzinoms durch Asbeststaubexposition abgeschätzt. Hierzu wurden 24 Kohortenstudien nach Expositionsquantifizierung und 19 Fall-Kontroll-Studien nach der erfolgten Adjustierung für Einflüsse der Faktoren Rauchen und Alkohol unterteilt und einer standardisierten Bewertung unterzogen. Für die Kohortenstudien ergab sich ein gewichteter Mittelwert der standardisierten Mortalitätsrate von 1,5 (95%-Konfidenzintervall: 1,2 – 1,9). Bei gewichteter Zusammenfassung der Odds-Verhältnisse errechnete sich aus den Fall-Kontroll-Studien ein relatives Risiko von 1,6 (95%-Konfidenzintervall: 1,3 – 1,8). Aus verschiedenen ausgewerteten Studien ließ sich eine Dosis-Wirkungs-Beziehung ableiten, wonach massive Asbestfaserstaubeinwirkungen am Arbeitsplatz das berufsbedingte Risiko für die Entstehung einer Erkrankung an Kehlkopfkrebs verdoppeln. Eine besonders gefährdete Risikogruppe, die eine Risikoverdoppelung erkennen ließ, war jedoch nicht ohne Weiteres eingrenzbar. In einzelnen Studien, in denen mindestens eine asbeststaubbedingte Verdoppelung der standardisierten Mortalitätsrate oder des relativen Risikos für das Lungenkarzinom vorlag, war auch die standardisierte Mortalitätsrate oder das relative Risiko für das Larynxkarzinom um den Faktor 2 oder stärker erhöht. In einigen Studien ließen sich auch positive Assoziationen zwischen dem Vorhandensein von Pleuraplaques und einem erhöhten Kehlkopfkrebsrisiko erkennen (Berger et al. 1996). Der ärztliche Sachverständigenbeirat beim Arbeitsministerium – Sektion Berufskrankheiten – hielt es für schlüssig, die für die Anerkennung als asbestverursachten Lungenkarzinom bisher geforderten „Brückenbefunde“ entsprechend der bisherigen Definition der Berufskrankheit Nr. 4104 auch für den Kehlkopfkrebs anzuwenden.
Lungenkarzinom ohne (Minimal-) Asbestose und ohne asbestbedingte Pleuravernderungen bei gesicherter Exposition Nach der gültigen BKV wird beim Nachweis von 25 „Faserjahren“ ein kausaler Zusammenhang eines Lungentumors mit der stattgefundenen Asbestexposition als wahrscheinlich unterstellt. „Faserjahre“: Das Produkt aus der in Jahren ausgedrückten Zeitdauer (t) der Einwirkung einer Asbestfaserkonzentration (k) kritischer Abmessung pro Kubikmeter Luft. So entsprechen z. B. „25 Faserjahre“ 25 Jahre lang 1 Mio. Asbestfasern kritischer Abmessung pro Kubikmeter Atemluft arbeitstäglich über 8 Stunden. Erläuterung: Aus der Berechnungsformel ergibt sich, dass „25 Faserjahre“ bei sehr hoher Faserkonzentration auch in einem kürzeren Zeitintervall erreicht werden können. Andererseits wird ein Versicherter mit ausschließlich sog. „abstrakter Gefährdung“ (s. Kap. 2.3, haftungsbegründende Kausalität) bei einer unterstellten Konzentration mit z. B. 25 000 Fasern/m3 Atemluft bei einem Arbeitsleben von 45 Jahren nicht diese Risikoschwelle erreichen. Für die Dokumentation und die Berechnung der Faserjahre ist der Technische Aufsichtsdienst des Unfallversicherungsträgers (und nicht der begutachtende Arzt) verantwortlich. Kritische Aufmerksamkeit ist dennoch erwünscht. In Zweifelsfällen sollte die Akte großzügig an den Auftraggeber zurückgeschickt werden, um zu Divergenzen zwischen Angaben des Patienten und Angaben in der Akte klärend Stellung zu nehmen. Nur selten ergibt eine solche Nachfrage, dass der niedrigere Schätzwert an Faserjahren zutrifft.
Dimensions-Merkhilfe „1000er Regel“ bei Asbestfaserzahlen oder -kçrperchen 1000 Asbestkörperchen (oder mehr) in einem kaltveraschten Lungenwrfel von 1 cm Kantenlänge und lichtmikroskopisch nachweisbare Fibrose fi Minimalasbestose. 1000 Asbestkörperchen (Bereich 100 – 10 000) in einem Lungenwürfel von 1 cm Kantenlänge entsprechen größenordnungsmäßig einem (1) Asbestkörperchen/ml in der BAL (abhängig von Lokalisation, Technik der Spülung und Aufarbeitung).
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
1000 1000 (1 Million) Fasern/m3 Atemluft über 25 Jahre, arbeitstäglich 8 Stunden entspricht fi „25-Faserjahren“ und damit einer der Anerkennungsvoraussetzungen des Asbestkrebses. 1000 Asbestfasern/m3 Luft: Das Bundesgesundheitsamt forderte 1981, dass als Größenordnung eines Richtwertes für Asbestfaser-Immissionen der kritischen Dimension ein Wert deutlich unterhalb 1000 Fasern/m3 angesetzt werden sollte. 100 Asbestfasern/m3 (Bereich 50 – 200) können als Jahresmittelwerte in der allgemeinen Außenluft gemessen werden – abhängig von der Verkehrsbelastung und (früher relevanten) industriellen Emissionsquellen.
Pleuramesotheliom (auch Peritoneal-, Perikard-) (BK 4105) Pleuramesotheliome sind überwiegend (ca. 70 – 80%) asbestinduziert. Fälle ohne erkennbare Asbestexposition kommen vor, wenngleich relativ selten. Inwieweit es sich hierbei um nicht erkennbare Expositionen gehandelt haben könnte, bleibt offen. Es empfiehlt sich, auch solche Fälle (ohne erkennbare Exposition) als Verdacht auf eine BK anzuzeigen. Bei der BK-Anerkennung wird nur die berufliche Exposition berücksichtigt. Berufliche Nachbarschaftsexpositionen sind selbstverständlich Bestandteil der versicherten Tätigkeit. Das Mesotheliom muss feingeweblich gesichert sein. Die histologische Diagnose eines Pleura-
Tabelle 4.31
mesothelioms gehört zu den schwierigsten morphologischen Differenzialdiagnosen überhaupt. Im Zweifelsfall sind immunhistochemische Untersuchungen zur Abgrenzung vom peripheren Adenokarzinom zu fordern. Auch beim Einsatz umfangreicher immunhistochemischer Zusatzuntersuchungen ist gelegentlich eine klare Unterscheidung zwischen primärem Pleuramesotheliom und sekundärer Pleurablastomatose nicht möglich. So sieht eine Bewertungsskala des Europäischen Mesotheliompanels je nach diagnostischer Sicherheit fünf Gruppen vor (s. Tab. 4.31). Die Beweisführung des Kausalzusammenhanges ist beim nachgewiesenen Pleuramesotheliom einfach, wenn Zeichen der Lungenasbestose oder asbeststaubbedingte Pleuraveränderungen vorliegen. Sofern diese Befunde nicht vorhanden sind, reichen eine gesicherte Expositionsanamnese und eine Latenzzeit von in der Regel mindestens 14 Jahren, im Median 30 Jahre (nach neueren Zahlen vermutlich mehr) aus; kürzere Latenzzeiten sind sehr kritisch zu werten. Eine Faserjahr-Berechnung ist für die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen beruflicher Asbeststaubexposition und dem Auftreten eines Mesothelioms nicht erforderlich. Eine gesicherte positive qualifizierte Arbeitsanamnese reicht im Normalfall aus. Probleme treten auf bei niedrigen Expositionen, die anamnestisch nicht sicher von der Hintergrundbelastung der Allgemeinbevölkerung abgegrenzt werden können (Verkehrspolizist an verkehrsreichen Großstadtkreuzungen; Holzarbeiter, der gelegentlich einzelne asbesthaltige Eternit-Abdeckungen auf den Holzstapeln gehandhabt hat). Hier werden mitunter Berechnungen der Faserjahre vorgenommen. Ein berufsbedingt und BK-rele-
Bewertungsskala des Europischen Mesotheliompanels.
Mesotheliom A
sicheres Mesotheliom
kein Zweifel an der histologischen Diagnose
Mesotheliom B
wahrscheinliches Mesotheliom
die Einstufung kann ihre Begrndung in der mangelnden Gewebegrçße, schlechten Qualitt, oder der mangelnden Differenzierung finden oder das Fehlen gewisser histologischer Details fhrt zu dieser leichten Einschrnkung der gestellten Diagnose
Mesotheliom C
mçgliches Mesotheliom
die Diagnose kann nicht abgelehnt werden, aber es fehlen ausreichende Hinweise fr eine positive Diagnose
Mesotheliom D
wahrscheinlich kein Mesotheliom
die Diagnose ist zwar unwahrscheinlich, kann jedoch nicht absolut ausgeschlossen werden
Mesotheliom E
definitiv kein Mesotheliom
die konkrete Diagnose eines anderen Tumors sollte angegeben werden
Tumorerkrankungen (Krebs der Atmungsorgane) vant erhöhtes Risiko für ein Mesotheliom ist nach aufwendigen Berechnungen des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität Gießen (Prof. Rödelsperger, Prof. Woitowitz) wohl bereits bei einer Exposition gegenüber etwa 0,1 Faserjahr zu unterstellen.
Erkrankungen durch ionisierende Strahlen (BK 2402) Lungenkarzinom durch ionisierende Strahlen ist bei Bergarbeitern aus dem Erzgebirge seit dem 16. Jahrhundert bekannt („Schneeberger Lungenkrebs“). Aus Vorkriegsstudien des sächsischen/ böhmischen Uranbergbaus und aus Studien an Uranbergleuten des Colorado-Plateaus ist bekannt, dass im Wesentlichen nicht Uran 238 und Radon 222 (Radongas), sondern die Alphastrahlung ihrer kurzlebigen festen Radon-Tochterprodukte im exponierten Bronchialepithel bei hohem Energiereichtum und Reichweite von 50 µm karzinogen wirkt (insbesondere Po 218 und Po 214). Es besteht Abhängigkeit von Schwere und Dauer der Arbeit (Atemminutenvolumen!), Wetterführung und geologischen Verhältnissen. Als Maß für die kumulative Exposition gilt die Einheit WLM = working level month (bezogen auf 170 Stunden/Monat). Ein working level entspricht 1,3 × 105MeV potenzieller Alphaenergie durch Radonzerfallprodukte/ Liter Luft. Multipliziert mit der Anzahl der Expositionsmonate ergibt sich die kumulative WLM, die mit der standardisierten Lungenkarzinominzidenz (pro 10 000 Personen pro Jahr) in direkt proportionaler Beziehung steht. Zu berücksichtigen ist die durchschnittliche Schachtkonzentration an strahlender Energie, woraus sich eine Konstante für die jeweiligen Reviere ergibt, z. B. für den sächsischen Uranbergbau von 11,2 WL. Bei Errechnungen der kumulativen WLM von mehr als 100 – 120 ergeben sich rasch steigende Übersterblichkeiten, sodass berufliche Mitverursachung unterstellt werden muss, auch wenn Rauchgewohnheiten bejaht werden. Latenz im Mittel 22 Jahre (8 – 53 Jahre), mittleres Sterbealter 58. Zwar gibt es Bevorzugung von kleinzelligen Karzinomen, andere Differenzierungen kommen jedoch vor. Zur Häufigkeit: Nach orientierenden Schätzungen muss seit Kriegsende bei ca. 400 000 früheren Mitarbeitern der Wismut AG, Aue (Sachsen) mit einer größeren Häufigkeit dieser sonst anamnestisch leicht übersehbaren Karzinomnoxe ausgegangen werden. Bis 1956 gab es unter Tage in die-
sem Bereich praktisch keinen wirksamen Arbeitsund Strahlenschutz.
Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen (BK 1108) Arsentrioxid (Arsenik) wird beim Rösten sulfidischer, im Prinzip auch arsenhaltiger Kiese und Kupfererze in atembarer Form (Hüttenrauch, Flugstaub) frei. Epidemiologische Studien aus US-Kupferhütten haben ergeben, dass zwischen der Inzidenz von Lungenkarzinomen einerseits und/oder der kumulativ aufgenommenen Arsenmenge klare Korrelationen bestehen. Das Krebsrisiko kann über das 5-Fache hinaus erhöht sein. Im Regelfall wird eine Mindesteinwirkungsdauer von 12 Monaten anzunehmen sein, jedoch können Belastungsspitzen (z. B. beim Reinigen elektrostatischer Rauchgasfilter) auch nach kürzeren Einwirkungszeiten ein zusätzliches Risiko bedeuten. Ein Confounding mit anderen Krebsursachen (Asbest und Zigarettenrauch) wird vermutet, wobei in der Regel Arsen eine wichtige Teilursache bleibt. Nach Umsetzen der US-Erfahrungen konnten in der Großchemie der Bundesrepublik Deutschland insgesamt 38 Fälle mit Lungenkarzinom von der BG-Chemie entschädigt werden. Diese entstammen sämtlich der damaligen Schwefelsäureherstellung im Röstverfahren unter archaischen Bedingungen als „Altlast“. Für die Begutachtung ist es wichtig, die jeweils verwendete Technologie, insbesondere die Röstofentypen zu kennen (Hain u. Korallus 1992).
Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide (BK 1310) Dichlordimethylether ist eine Verbindung mit nachgewiesenem Potenzial zur Auslösung von Lungenkarzinomen. Die meisten der in jüngerer Zeit anerkannten BK-Fälle durch Dichlordimethylether waren auf Exposition bei sog. Chlormethylierungen zurückzuführen. Die karzinogene Verbindung entstand hierbei aus der Reaktion von Paraformaldehyd und Schwefelsäure. Die krebserzeugende Wirkung des Monochlordimethylethers ist offensichtlich auf den obligaten Gehalt von ca. 7% Dichlordimethylether zurückzuführen. Unter dieser BK sind nach Verordnungsstand Erkrankungen verursacht durch Dioxine und Benzofurane zu subsumieren – Beispiel „Chlorakne“.
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Bis etwa 1990 gab es keine begründeten Hinweise auf die Verursachung von Lungenkarzinom durch Dioxine. Aufgrund einiger epidemiologischer Arbeiten wird jedoch ein solcher Zusammenhang für das 2, 3, 7, 8-TCDD diskutiert (s. Literaturverzeichnis). Dies hat zur Folge, dass die hauptsächlich zuständige BG nach der Konvention eines Expertengesprächs (1990) die folgende Vereinbarung getroffen hat als vorläufige Basis der Einzelfallentschädigung bei Lungenkarzinom und Exposition gegenüber 2, 3, 7, 8-TCDD: • eine hohe Exposition, belegt durch Chlorakne, Schadstoffanalyse im Blut oder Betriebskataster • eine Latenzzeit von nicht wesentlich unter 20 Jahren und • fehlende oder im Verhältnis zur Höhe der Exposition unwesentliche konkurrierende Faktoren
Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen (BK 1103) Epidemiologische Studien zeigen eine erhöhte Lungenkarzinom-Mortalität durch 6-wertige CrVerbindungen in der Chromat-herstellenden Industrie in früheren Jahrzehnten sowie auch bei der Herstellung von Zinkchromat, auch bei der Bearbeitung von Zinkchromat-haltigen Produkten, z. B. Farbgrundlagen, Autolacke (Kfz-Reparaturbetriebe). Dreiwertige Chromverbindungen und metallisches Chrom sind nach den heutigen Erkenntnissen nicht krebserzeugend. Bei Lichtbogenschweißern (deren Chromatexposition bis zu einem Drittel aus sechswertigen Verbindungen besteht) zeigte sich bisher kein konsistent erhöhtes Risiko für Lungenkarzinomerkrankungen. Es ist in Zweifelsfällen hilfreich, den Chromgehalt der Lungen zu bestimmen, sofern sichergestellt ist, dass keine relevante Kontamination durch chromathaltige Schneidegeräte (frisch geschliffene Edelstahlmesser) bei der Materialentnahme vorliegt.
Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide (BK 1311) Dichlordiethylsulfid (Lost, benannt nach den Herstellern Lommel und Steinkopf) wurde seit 1915 als Kampfgas (Senfgas, Gelbkreuz) eingesetzt. Es gehört zu den alkylierenden Substanzen (Derivate in medizinischer Therapie: Busulfan, Chlorambucil, Cyclophosphamid). Es wirkt auf die DNS da-
durch mutagen und karzinogen sowie teratogen. Zur Herstellung waren von 1935 bis 1945 ca. 878 Arbeiter eingestellt. Expositionen sind aus diesem Zeitraum zahlreich belegt, ein Kollektiv von 245 ehemaligen Lost-Arbeitern wurde gutachterlich ausgewertet (1975). Nach 1945 kam es nur vereinzelt zu Expositionen bei der Entsorgung, auch jetzt mitunter durch Altlasten (Unfälle beim Auffinden, bei Transport). Eine statistisch signifikante Häufung findet sich für maligne Tumoren, führend Lungenkarzinome (Steigerung um 122%). Die Latenzzeit von Beginn der Exposition bis zum Tod durch den Tumor beträgt im Mittel 22 Jahre (Spanne 7 – 34 Jahre). Akute Symptome bei Exposition sind u. a. eine nekrotisierende hämorrhagische Bronchitis, später eine chronische Bronchitis und ein Lungenemphysem. Der zuständige Versicherungsträger ist in diesen Fällen die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherungen in Wilhelmshaven.
Bçsartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen (BK 4109) Epidemiologische Studien zeigen derzeit nur für den Bereich der Nickelraffination eine eindeutig erhöhte Prävalenz von Krebserkrankungen der Lungen sowie der Nase und der Nasennebenhöhlen. In der nickelbe- und -verarbeitenden Industrie ergaben sich bisher keine eindeutigen Anhaltspunkte für das vermehrte Vorkommen von Krebserkrankungen. Diese Ergebnisse wurden sowohl in Nickelraffinerien, die das sog. Carbonyl-Verfahren praktizieren, als auch solchen, die eine elektrolytische Aufarbeitung vornehmen, beobachtet, wobei oxidische und/oder sulfidische Erze als Ausgangsmaterialien eingesetzt wurden. Als besonders gefährdender Expositionszeitraum in den Raffinerien waren vor allem die Jahre bis 1930 anzusehen, aber auch in späteren Jahren wurden noch vermehrt Berufskrebse beobachtet. Die karzinogene Wirkung beruht wahrscheinlich auf den schwer wasserlöslichen sulfidischen (Ni3 S2) und oxidischen Nickelerzen, dem metallischen Nickel und Nickeltetracarbonyl. Es ist in Zweifelsfällen hilfreich, den Nickelgehalt der Lungen zu bestimmen. Die durchschnittliche Latenzzeit liegt bei 20 – 30 Jahren. Das Plattenepithelkarzinom überwiegt eindeutig. Die kokarzinogene Wirkung des Zigarettenrauchens ist wahrscheinlich additiv.
Tumorerkrankungen (Krebs der Atmungsorgane)
Bçsartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase (BK 4110) Häufigstes Vorkommen bei Exposition gegenüber Pyrolyseprodukten, die u. a. polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe („PAH“, „H“ = hydrocarbons, Leitsubstanz Benzo(a)pyren) enthalten. Hauptarbeitsplätze sind in der Gruppe der Ofenblockarbeiter der Gaswerke zu suchen mit besonderer Exposition gegenüber Kokereirohgasen (gilt auch für dort tätige Handwerker oder andere aushelfende Platzarbeiter). Diese Arbeitsplätze waren früher an Retorten, später an Schrägkammeröfen, schließlich an Horizontalkammeröfen zu finden. Eingeatmet wurden diese PAH über Anlagerung an den Flugstaub des Ofenblocks mit festen oder dampfförmigen Kondensationskernen. Es wird unterstellt, dass sich die karzinogene Eigenschaft von beruflich aufgenommenen PAH mit denen im Zigarettenrauch etwa additiv verhält. Die Abschätzung der Exposition erfordert eine genaue Arbeitsplatzbeschreibung, die ggf. von den TAD der BG und den ärztlichen Diensten zu erhalten ist, auch von früheren Mitarbeitern. Die Induktionszeiten und die notwendigen Expositionszeiten variieren nach Altersgruppenzugehörigkeit bzw. Zeitpunkt des Expositionsbeginns. Wesentliche Informationen gibt die Kohortenstudie von Manz (1982).
Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (100 BaP-Jahre) (knftige BK 4113) Der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ hat eine Empfehlung verabschiedet, die in den Bekanntmachungen des Bundesministeriums für Arbeit am 5. 2.1998 (Az. IV a 4-45 2064110) veröffentlicht wurde: „Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(µg/m3) × Jahre]“. Der Verordnungsgeber hat diese Erweiterung der BK 4110 bislang nicht umgesetzt. Beachte: In der BK 4110 sind die „Atemwege und Lungen“ genannt, also auch die oberen Atemwege (mit umstrittener epidemiologischer Evidenz), in dieser Empfehlung von 1998 ist nur das Lungenkarzinom enthalten. Die Anerkennung von Krankheiten über
diese Definition erfolgt ggf. über § 9 (2) SGB VII („Öffnungsklausel“). Die Tatsache, dass der Verordnungsgeber diese Erweiterung bislang (Stand 2008) nicht umgesetzt hat, ist daher ohne Nachteil für die Versicherten. Die für die Anerkennung als BK notwendige kumulative Mindestdosis von 100 [(µg BaP/m3) × Jahre] ist dadurch begründet, dass im Vergleich zur Normalbevölkerung bei den entsprechend exponierten Personen das Lungenkarzinomrisiko mehr als doppelt so hoch ist. Der Vorschlag zur Ergänzung der BKV verzichtet auf die Berücksichtigung der individuellen Rauchgewohnheiten. Hohe Belastungen mit Benzo(a)pyren (BaP) traten vor allem in Kokereien bis Ende der 1970er Jahre mit 8-h-Mittelwerten bis 33 µg/m3 auf der Ofendecke auf, von der aus die Öfen befüllt wurden (ehemaliger TRK-Wert für Kokereien 5 µg/m3, sonst 2 µg/m3); an Gasgeneratoren, etwa zur Erzeugung von Stadtgas aus Kohle, ist mit Konzentrationen von 0,2 bis 4,8 µg/m3 zu rechnen. Bei der Weiterverarbeitung des in Kokereien und Gasfabriken anfallenden Steinkohleteers in Teerraffinerien wurden in der ehemaligen DDR 3,6 µg/m3 (Gesamt-PAK 29 µg/m3) gemessen. Steinkohleteerpech kam bis Ende der 1960er Jahre im Straßendeckenbau zur Anwendung. Beim Spritzen der 120 8C heißen Masse traten maximale BaP-Konzentrationen bis 78 µg/m3 auf. Seither ist Carbobitumen mit Maximalkonzentrationen von 22 µg/m3 (Median 0,7 µg/m3) in Gebrauch oder Bitumen, bei dessen Verarbeitung die BaP-Konzentrationen nur geringfügig über den Außenluftkonzentrationen der allgemeinen Umwelt liegen. Auch Dachdecker verwendeten das heute durch Kunststoff oder Bitumen ersetzte Steinkohlenteerpech; beim Ausgießen des heißen Pechs traten Belastungen zwischen 14 und 75 µg/m3 auf. In der Elektrografitindustrie stellt man aus Steinkohleteerpech und Petrokoks Elektroden für die Stahl- und Aluminiumindustrie her. Viele der Ende der 1980er Jahre dort ermittelten Belastungen lagen über 2 µg/m3 mit Extremwerten bis 600 µg/m3. Werden bestimmte Arten solcher Elektroden in der Aluminiumherstellung angewendet („Söderberg-Verfahren“), setzen sie in der heißen Aluminiumoxid-Schmelze größere Mengen an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen frei (BaP-Konzentrationen häufig bis 30 µg/m3). Eine arbeitsmedizinisch relevante BaP-Exposition kann weiterhin gegeben sein bei Hochofenarbeitern in der Eisen- und Stahlerzeugung (Steinkohlenteer als Stopfmasse, mitunter Überschreitung des TRK-Wertes von 2 µg/m3), in
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Gießereien (kohlenstoffhaltige Additive im Formsand, meist unter 1 µg/m3, bei spezieller Tätigkeit auch höher) und bei Schornsteinfegern (meist um 0,8 µg/m3, einzelne Mittelwerte bis 8,4 µg/m3). Zusammenfassend ist bei Beschäftigten in folgenden Tätigkeitsbereichen an eine Exposition im Sinne dieser BK-Empfehlung zu denken: 1. Kokereien und Generatorgasherstellung 2. Teerraffinerien 3. Elektrografitindustrie 4. Aluminiumherstellung 5. Eisen- und Stahlerzeugung 6. Gießereien 7. Straßenbau 8. Dachdecker 9. Schornsteinfeger
Adenokarzinome der Nasenhaupt- und Nasennebenhçhlen durch Stube von Eichen- oder Buchenholz (BK 4203) Erstmals 1965 beobachtet, wurde 1984 der erste BK-Fall in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt. Histologisch finden sich meist Adenokarzinome vom „intestinalen“ Typ. Der Entstehungsort ist meist im mittleren Nasengang am Übergang zum Siebbein. Die Expositionsdauer beträgt im Median 30,5 Jahre, die Zeit vom Expositionsbeginn bis zur Diagnose beträgt im Median 39 Jahre. Diskutiert werden kürzere Latenzzeiten, wenn zusätzlich zur Holzstaubbelastung noch Expositionen gegen Lacke, Löse- und Holzschutzmittel vorliegen bzw. Span- und Sperrholzplatten bearbeitet wurden. Das Erkrankungsalter ist im Median 54,5 Jahre (34 – 80 J.). Das Karzinogen ist nicht identifiziert, offensichtlich handelt es sich um ein Produkt, welches bei hoher Temperatur entsteht (z. B. Sägearbeiten). Auch andere Holzstäube werden als Verursacher dieser Tumoren bisweilen angeschuldigt, die Datenlage ist jedoch noch inkonsistent. Eine Vorbeugung erfolgt durch Minderung der Staubkonzentrationen (Absaugung). Eine Minimierung des Risikos bei geringerer Staubkonzentration ist möglich.
Lungenkrebs durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid (SiO2) bei nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Silikotuberkulose) (BK 4112) Einatembares kristallines Siliziumdioxid hat im Prinzip zwei pathogenetische Wirkmechanismen: • die nach Alveolardeposition von Fibroblasten ausgehende fibrogene Wirkung • eine primär die Epithelzellen der mittleren und tiefen Atemwege betreffende kanzerogene Wirkung Quarzstaub wurde von der International Agency for Research on Cancer im Jahre 1997 als „krebserregend für den Menschen“ eingestuft. Die Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft nahm 1999 eine Neubewertung von Quarz vor. Dabei wurde die krebserzeugende Wirkung von Siliziumdioxid (kristallin) – Quarz-, Cristobalit-, Tridymitstaub (alveolengängiger Anteil – identisch mit der älteren Definition „Feinstaub“ – Formel SiO2) nach Kategorie I eingestuft. Die ausführliche wissenschaftliche Begründung findet sich bei Greim (1999). In einer Reihe von Industrie- und Wirtschaftszweigen wurde epidemiologisch eine Überhäufigkeit von Lungenkarzinomen bei Personen mit beruflicher Exposition gegenüber kristallinem Siliziumdioxid beobachtet. Dies gilt für folgende Branchen: • Erzbergbau • Gewinnung und Bearbeitung von Naturstein • keramische Industrie • Silikat- und Tonsteinindustrie • Aufbereitung und Umschlag von Diatomeenprodukten • Gießereiindustrie Die Studien aus dem Erzbergbau lassen es nicht zu, wissenschaftlich begründete Kriterien anzugeben, aus denen unabhängig vom Vorliegen einer Silikose eine Verdopplung des Lungenkrebsrisikos abgeleitet werden kann. Allerdings zeigten die Studien, dass im Verlauf der medizinischen Überwachung radiologisch gesicherter Silikosen/Silikotuberkulosen mit einem mehr als verdoppelten Lungenkrebsrisiko korrelieren.
Tumorerkrankungen (Krebs der Atmungsorgane) Bezüglich der Einzelheiten bei Natursteingewinnern, in der keramischen Industrie, Silikatund Tonsteinindustrie und Diatomeenarbeitern sei auf Details in der wissenschaftlichen Begründung der BK 4112 verwiesen (http://www. baua.de/de/Themen-von-A-Z/Berufskrankheiten/ Dokumente/Merkblaetter.html). Die Verdopplung des Lungenkrebsrisikos unter den an Silikose Erkrankten tritt dabei unabhängig vom Rauchen auf, sie betrifft sowohl Raucher als auch Nichtraucher. Auch unter Betrachtung des Confounders „Rauchen“ kann die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen Quarzstaubexposition und Lungenfibrose einerseits und der Entstehung eines Lungenkarzinoms andererseits beibehalten werden. Die arbeitsbedingte Einwirkung ist aufgrund der Studienergebnisse als eigenständiger Effekt qualifiziert. Demzufolge sind im Einzelfall bei der gutachterlichen Beurteilung die Rauchgewohnheiten nicht entscheidungsrelevant.
Diagnosesicherung • radiologisch (!) festgestellte Silikose der ILO-Kategorie ‡ 1/1 bzw. Silikotuberkulose • gesichertes Lungenkarzinom Problem bei radiologisch „negativen“ Befunden mit ausschließlich histologischer Sicherung: Bei der alleinigen Bewertung histologischer Befunde ist abzuwägen, ob vor der Feststellung der Krebserkrankung eine Silikose der röntgenologischen Diagnostik entgangen ist oder inwieweit im Zeitintervall zwischen der letzten Röntgenaufnahme und der Krebserkrankung ein unkontrolliertes Fortschreiten der Silikose erfolgt sein kann bzw. deren Auftreten erst in diesem Zeitintervall denkbar ist. Ferner ist zu bedenken, dass die Sensitivität der radiologischen Diagnostik im Vergleich zu histologischen Befunden allgemein unterlegen ist und gerade autoptisch diagnostizierte, röntgenologisch nicht erfasste hiloglanduläre Silikosen eine besonders starke Assoziation zum Lungenkrebs aufweisen.
Silikotisches „Narbenkarzinom“ Der Zusammenhang eines Lungenkarzinomes mit der Silikose im Sinne des Narbenkarzinoms ist mit Wahrscheinlichkeit dann gegeben, wenn als Ausgangspunkt des Tumors bei der Autopsie oder im Resektionspräparat • eine silikotische Schwiele, • eine silikotisch verursachte Kaverne oder • ein Lungenbezirk mit besonders zahlreichen silikotischen Knötchen festgestellt werden kann.
Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen Der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat empfohlen, diese neue Legaldefinition in die Liste der Berufskrankheiten aufzunehmen (Gemeinsames Ministerialblatt 2007; 23: 474 – 496). Zum Hintergrund: Das Thema „Synkanzerogenese“ ist wissenschaftlich nicht neu. Additive genotoxische Effekte sind lange bekannt. Problematisch ist die Beurteilung des Zusammenwirkens mehrerer krebserzeugender Stoffe in solchen Fallkonstellationen, für die das Berufskrankheitenrecht Dosisgrenzwerte enthält und die ermittelten Einwirkungen der Noxen unterhalb des jeweiligen Dosisgrenzwertes liegen. Das ist der Fall bei Lungenkrebserkrankungen nach Exposition gegenüber Asbeststaub (Dosisgrenzwert nach BK-Nr. 4104: 25 Faserjahre) und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats: Dosisgrenzwert 100 BaP-Jahre). Hieraus ergab sich Handlungsbedarf. So fand im Februar 2004 ein Workshop „Synkanzerogenese“ der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin in Berlin statt, in welchem die wissenschaftlichen Grundlagen diskutiert wurden. Ein weiterer Workshop des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin im November 2005 in Hennef galt der BK-rechtlichen Umsetzung. Die Beiträge, in welchen die gesamte wissenschaftliche Diskussion festgehalten ist, finden sich
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder in einer im Internet abrufbaren Broschüre: http://www.hvbg.de/d/pages/service/download/ bk_rep/pdf/bk_rep02_2006.pdf. Die erstmalige Anwendung der Interaktion verschiedener genotoxischer Einwirkungen auf eine Berufskrankheitenfragestellung erfolgte von Brüske-Hohlfeld, Möhner und Wichmann 1998 bei einer Kasuistik von Lungenkrebs infolge der Einwirkung durch Radon und Asbest. Es ergab sich aus der Diskussion der wissenschaftlichen Literatur, dass eine epidemiologischstatistisch quantitativ gesicherte Datenbasis für die synergistische Wirkung zweier erwiesener Humankanzerogene für Asbest und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe existiert: • Eine Reihe von epidemiologischen Studien belegt die synkanzerogene Wirkung von Asbestfaserstaub am Arbeitsplatz und von PAK-haltigem Zigarettenrauch-Kondensat. Dabei finden sich sowohl multiplikativ als auch submultiplikativ synergistische Wirkungssteigerungen. • Pastorino et al. (1984) untersuchten in einer Fall-Kontroll-Studie 204 Lungenkrebsfälle in Norditalien unter besonderer Berücksichtigung der beruflichen Einwirkungen und des Raucherstatus. Nach Stratifizierung bezüglich des Zigarettenrauchens betrug das relative Risiko für eine ausschließliche PAK-Exposition 1,6, für eine ausschließliche Asbestfaserexposition 1,9 und für die Kombination von PAK und Asbestfasern 3,3. Dieser Wert ist geringgradig höher als der nach dem multiplikativen Modell erwartete Wert von RR = 3,04. (Diese Studie spricht dafür, dass der außerberufliche Risikofaktor Aktivrauchen bei der Betrachtung des Zusammenhanges zwischen beruflicher Asbestfaser- und PAK-Einwirkung hinweggedacht werden kann.). • Gustavsson et al. (2003) analysierten 1042 Lungenkrebsfälle. Das relative Risiko bei einer Asbestbelastung betrug 1,16, bei einer Exposition gegenüber Verbrennungsprodukten 1,67 und bei beiden Belastungen gleichzeitig 2,24. • Die Studien legen bei gleichzeitigem Einwirken von Asbestfaserstaub und PAK für das gemeinsame relative Risiko für ein Lungenkarzinom eher das multiplikative Modell ohne Wechselwirkung nahe, also das Produkt aus den einzelnen relativen Risiken (einmal Unterschätzung: 1,9 × 1,6 = 3,04 < beobachteter Wert von 3,3; einmal Überschätzung 1,61 × 1,67 = 2,69 > als beobachteter Wert von 2,24; erwarteter Wert im multiplikativen Modell: 2,69).
Der statistische Ansatz, der zur Bestimmung der relativen Risiken in der Epidemiologie verwendet wird und für den die vorliegenden Daten sprechen, basiert auf einem multiplikativen Risikomodell. Da die statistischen Unsicherheiten in der Modelldiskriminierung allerdings erheblich sind, wird für die Abschätzung der synkanzerogenen Verursachungswahrscheinlichkeit der konservative Ansatz der Risikoaddition gewählt. Die sich zum multiplikativen Modell ergebenden Unterschiede sind so gering, dass der Konservativität die Präferenz gegeben wird. Die Tabellen zur Verursachungswahrscheinlichkeit in Prozent finden sich in der Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Begründung für die neue Berufskrankheit im Gemeinsamen Ministerialblatt 2007; 23: 474 – 496. Ergibt der abgelesene Tabellenwert 50% oder eine höhere Wahrscheinlichkeit, wird es zur Anerkennung einer Berufskrankheit kommen, ergibt er weniger, zur Ablehnung.
Bemessung der Minderung der Erwerbsfhigkeit bei Lungenkrebs im BK-Recht Eine Krebserkrankung der Lunge begründete bislang zunächst eine MdE von 100%. Bei Patienten mit kurativ therapiertem Karzinom konnte dann nach (zwei bis) fünf Jahren die MdE herabgesetzt werden. Dabei wurde die langfristig gültige MdE nach den Auswirkungen des tatsächlich objektivierbaren verbliebenen Schadens, im Regelfall also nach der objektivierten Funktionseinbuße bemessen. Neuere, durchaus kritisch beurteilbare Vorschläge differenzieren bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung zwischen nicht operablen oder metastasierten (MdE 100%) und operierten Tumoren (fünf-Jahre-Basis-MdE 50%). Neben reinem Lungenfunktionsschaden und objektivierbaren, quantifizierbaren somatischen Auswirkungen wird oftmals – nahezu regelhaft – eine Anhebung der MdE aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung bzw. reaktiven Depression gerechtfertigt sein. Die Bezeichnung „Heilungsbewhrung“ aus dem Schwerbehindertenrecht ist kein Begriff des Unfallrechts und daher hier unpassend. Das Bundessozialgericht hat in einer neuen Entscheidung im Jahre 2004 (22. 6. 2004, B 2 U 14/03 R) in diesem Zusammenhang den Begriff „Genesungszeit“ ge-
Tumorerkrankungen (Krebs der Atmungsorgane) prägt. Danach begründet das allgemeine Rezidivrisiko keine pauschale MdE-Erhöhung. Bei der MdE sind besondere Aspekte der Genesungszeit, die Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit haben, zu berücksichtigen (z. B. Dauertherapie, Schmerzsyndrom mit Schmerzmittelabhängigkeit, psychische Beeinträchtigungen etc.). Der reine Ablauf einer bestimmten rezidivfreien Zeit genügt nicht für einen Besserungsnachweis. Es bedarf einer Besserung der zuvor der MdE-Bemessung zugrunde gelegten Funktionsbeeinträchtigungen bzw. besonderer Aspekte der Genesungszeit. Für die schematische Übertragung der Grundsätze der Heilungsbewährung nach dem Schwerbehindertenrecht ist kein Raum. Es ist rechtlich nicht zwingend, die Genesungszeit in der gesetzlichen Unfallversicherung ähnlich wie bei der Heilungsbewährung auf einen bestimmten Zeitraum von z. B. fünf Jahren zu beschränken. Die besonderen Aspekte der Genesungszeit lassen vielmehr mehrere Abstufungen über einen längeren Zeitraum hinweg als denkbar erscheinen. Inwieweit sowohl für die MdE-Heraufsetzung (aufgrund typischer, die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender Aspekte in der Genesungszeit bei zu Rezidiven neigenden Erkrankungen) als auch für die MdE-Herabsetzung und die dabei zu berücksichtigenden Zeiten gewisse Pauschalierungen möglich und angezeigt sind, ist durch interdisziplinäre Abstimmung zu klären. In dem oben zitierten BSG-Urteil werden die Berufsgenossenschaften aufgefordert, einen klarstellenden Hinweis in den Bewilligungsbescheid aufzunehmen, wenn die MdE wegen besonderer Aspekte der Genesungszeit zunächst höher bewertet wird als es aufgrund der reinen Funktionsbeschränkung gerechtfertigt wäre.
Rentenrecht Patienten mit kurativ therapiertem Lungenkarzinom können bei gutem Allgemeinzustand arbeitsfähig bleiben. Insbesondere bei jüngeren Versicherten sollte unter Ausnutzung aller Reha-Maßnahmen, auch ggf. unter Gewährung einer Zeitrente (bis zu 4 Jahren denkbar) die alsbaldige Wiedereingliederung in das berufliche Umfeld angestrebt werden (dies stößt bei älteren Arbeitnehmern oft an praktische Grenzen).
SER und SchwbG Im SER entspricht die Kausalitätsbeurteilung der des Unfallrechts, wenn eine entsprechende Exposition bestand. Es kann jedoch auch darüber hinaus eine Anerkennung erfolgen, wenn ein Malignom auftritt • am Ort jahrelanger entzündlicher Prozesse (z. B. im Bereich einer tuberkulösen Kaverne), • am Ort einer starken Gewalteinwirkung (Kriegsverletzung), • bei vermehrter Exposition karzinogener Substanzen (z. B. Kampfstoffbeseitigung). Nach Entfernen eines malignen Tumors der Atmungsorgane ist in den ersten 5 Jahren eine Heilungsbewährung abzuwarten. GdB/GdS betragen während dieser Zeit wenigstens 80, bei Einschränkung der Lungenfunktion mittleren bis schweren Grades sogar 90 – 100. Nach Abschluss der Heilungsbewährung bemisst sich die Höhe des GdB entsprechend dem „Organschaden“ beziehungsweise der Klinik und der Lungenfunktionseinschränkung. Bei kleinzelligem Lungenkarzinom oder bei Mesotheliom betragen GdB/GdS immer 100.
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
Anhang: Fragebogen nach beruflichen Ursachen bei Patienten mit Lungentumoren (Download unter http://www.arbmed. klinikum.uni-muenchen.de, „Für Patienten“.) Sehr geehrter, lieber Patient, bei vielen Erkrankungen kann man trotz intensiver Forschung heute die Frage noch nicht beantworten, warum der eine Mensch erkrankt, der andere nicht, obwohl beide ähnliche Schadstoffe eingeatmet haben. Bei einigen Patienten können Einflüsse vom Arbeitsplatz eine Rolle gespielt haben. Oftmals gibt es auch eine Kombination von „privaten“ Risikofaktoren (z. B. Rauchen) und Arbeitsplatzeinflüssen (z. B. Asbest). In einigen Fällen kann sich aus dem Gespräch mit Ihrem Arzt der begründete Verdacht auf eine Berufskrankheit ergeben. In diesem Falle würde Ihr Arzt eine „Ärztliche Anzeige über den Verdacht auf eine Berufskrankheit“ erstatten und an den zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. an den Landesgewerbearzt schicken.
Tabelle 4.32
Beispiel fr eine Aufstellung von Ttigkeiten im Laufe des Berufslebens.
Jahr – Jahr
Ttigkeitsbezeichnung
1958 1958 – 1961
(Schulabgang) Schlosserlehrling HDW-Werft Hamburg Schlossergeselle
1961 – 1962
Ob in Ihrem Fall ein begründeter Verdacht vorliegt und es sinnvoll erscheint, wird der Arzt prüfen. Sprechen Sie Ihren Arzt darauf an. Zur Vorbereitung dieses Gesprächs ist es hilfreich, wenn Sie versuchen, Hinweise über Lungentumor-erzeugende Arbeitsstoffe in Ihrem Arbeitsleben zu geben. Wir haben Ihnen hierfür beispielhaft eine solche Tabelle vorbereitet. Wichtig ist, dass wir eine möglichst lückenlose Aufstellung erhalten, denn mitunter können schon kurze Zeiträume von Bedeutung sein. Um Ihnen diese Aufgabe zu erleichtern, haben wir für die wichtigsten schädlichen Arbeitsstoffe eine Art Checkliste vorbereitet. Gehen Sie sie bitte durch und streichen an, welche Tätigkeiten auf Sie zugetroffen haben. Nicht die Berufsbezeichnung, sondern die konkrete Tätigkeit und die konkreten Stoffe sind wichtig, mit denen sie Umgang hatten. Auf diese Weise bekommt Ihr Arzt ein Bild von möglichen beruflichen Schadstoffen und kann prüfen, ob der begründete Verdacht auf eine Berufskrankheit vorliegt. Unsere Liste kann dabei nicht vollständig sein, sondern nur eine Orientierung bieten. Sprechen Sie Ihren Arzt auf weitere Einwirkungen an, die Ihnen nicht klar sind.
Art der Ttigkeit
Umgang mit bestimmten Arbeitsstoffen
Bemerkungen/ Besonderheiten
Schlosserarbeiten, Montage
Eisen, Spritzguss
çfters wurden Asbestplatten in der Nachbarschaft geflext
wie oben, plus Schweißarbeiten
Eisen, Hitzeisolierung aus Asbest verwendet
Tumorerkrankungen (Krebs der Atmungsorgane) Tabelle 4.33
Vorkommen der wichtigsten pulmonal krebserzeugenden Arbeitsstoffe (s. a. die anderen Seiten).
Schdlicher Arbeitsstoff (Berufskrankheiten-Nummer) Asbest (4104) (auch 4114)
Typisches Vorkommen/Anmerkungen
Asbestaufbereitung. Hierbei wird in Kollergngen, Prall- oder Schlagmhlen entweder asbesthaltiges Muttergestein zerkleinert und/oder Rohasbest zu strker aufgeschlossenen Fasern aufgelockert l Herstellung und Verarbeitung von Asbesttextilprodukten wie Garne, Zwirne, Bnder, Schnre, Seile, Schluche, Tcher, Packungen, Kleidung usw. Dabei kommen Ttigkeiten wie Abfllen, Einwiegen, Mischen, Krempeln, Spinnen, Zwirnen, Flechten, Weben und Zuschneiden vor. Auch das Tragen unbeschichteter Asbestarbeitsschutzkleidung ist ggf. zu bercksichtigen l industrielle Herstellung und Bearbeitung von Asbestzementprodukten, speziell witterungsbestndiger Platten und Baumaterialien einschließlich vorgefertigter Formelemente, z. B. fr Dacheindeckungen, Fassadenkonstruktionen, baulichen Brandschutz usw. l Bearbeitung und Reparatur der vorgenannten Asbestzementprodukte, z. B. Ttigkeiten wie Sgen, Bohren, Schleifen usw. im Baustoffhandel oder Bauhandwerk l industrielle Herstellung und Bearbeitung von asbesthaltigen Reibbelgen, speziell Kupplungs- und Bremsbelgen l Ersatz von solchen Reibbelgen, z. B. Ttigkeiten wie berdrehen, Schleifen, Bohren, Frsen von Bremsbelgen in Kfz-Reparaturwerksttten usw. l Herstellung, Anwendung, Ausbesserung und Entsorgung von asbesthaltigen Spritzmassen zur Wrme-, Schall- und Feuerdmmung (Isolierung) l Herstellung, Verarbeitung und Reparatur von sure- und hitzebestndigen Dichtungen, Packungen usw., z. B. im Leitungsbau der chemischen Industrie l Herstellung, Be- und Verarbeitung von Gummi-Asbest(IT)-Produkten l Herstellung, Be- und Verarbeitung asbesthaltiger Papiere, Pappen und Filzmaterialien l Verwendung von Asbest als Zusatz in der Herstellung von Anstrichstoffen, Fußbodenbelgen, Dichtungsmassen, Gummireifen, Thermoplasten, Kunststoffharzpressmassen usw. l Entfernen, z. B. durch Abbrucharbeiten, Reparaturen usw. sowie Beseitigung der vorgenannten asbesthaltigen Produkte Außerdem enthalten verschiedene Minerale, z. B. Speckstein (Talkum), Gabbro, Diabas usw. geringe Asbestanteile, u. a. als Tremolit und Aktinolith. Sie kçnnen infolgedessen ber eine Mischstaubexposition zu Asbestrisiken fhren. l
„silikotisches Narbenkarzinom“ (4101)
Ein solcher Tumor steht nur dann zur Diskussion, wenn eine Silikose, also eine Quarzstaublungenerkrankung vorliegt. Dies erkennt der Arzt auf dem Rçntgenbild oder im Computertomogramm, evtl. in der feingeweblichen Untersuchung. Hierbei handelt es sich um eine ohnehin meldepflichtige Berufskrankheit. Die Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) entsteht durch Einatmung von Staubpartikeln, die Quarz, Cristobalit oder Tridymit enthalten. l Gewinnung, Bearbeitung oder Verarbeitung von Sandstein, Quarzit, Grauwacke, Kieselerde (Kieselkreide), Kieselschiefer, Quarzitschiefer, Granit, Porphyr, Bimsstein, Kieselgur, Steinkohle und keramischen Massen l auch silikatisches Material kann, wenn freie kristalline Kieselsure darin enthalten ist, eine Gefahrenquelle sein, z. B. Talkum l gefhrdet: Erz- (einschließlich Uranerz-) und Steinkohlebergleute, Tunnelbauer, Gussputzer, Sandstrahler, Ofenmaurer, Former in der Metallindustrie; Personen, die bei der Steingewinnung, -bearbeitung und -verarbeitung oder in grob- und feinkeramischen Betrieben sowie in Dentallabors beschftigt sind
kristallines Siliziumdioxid (4112)
Siliziumdioxid: Quarz, Cristobalit und Tridymit. Quarzhaltige Stube in Kohlengruben sind nicht Gegenstand dieser Berufskrankheit. l Staubentwicklung bei der Gewinnung, Be- oder Verarbeitung insbesondere von Sandstein, Quarzit, Grauwacke, Kieselerde (Kieselkreide), Kieselschiefer, Quarzitschiefer, Granit, Gneis, Porphyr, Bimsstein, Kieselgur und keramischen Massen Fortsetzung nächste Seite
193
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Tabelle 4.33
Vorkommen der wichtigsten pulmonal krebserzeugenden Arbeitsstoffe. (Fortsetzung)
Schdlicher Arbeitsstoff (Berufskrankheiten-Nummer)
Typisches Vorkommen/Anmerkungen
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ionisierende Strahlung (2402)
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Arsen, -verbindungen (1108)
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Dichlordimethylether (1310)
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l l l l l
Natursteinindustrie bei der Gewinnung, Verarbeitung und Anwendung von Festgesteinen, Schotter, Splitten, Kiesen, Sanden Gießereiwesen – insbesondere beim Aufbereiten von Formsanden und Gussputzen, die Glasindustrie (Glasschmelzsande) Emaille- und keramische Industrie (Glasuren und Fritten, Feinkeramik) Herstellung feuerfester Steine sowie die Schmucksteinverarbeitung Quarzsand bzw. Quarzmehl als Fllstoff (Gießharze, Gummi, Farben, Dekorputz, Waschpasten), als Filtermaterial (Wasseraufbereitung) und als Rohstoff, z. B. fr die Herstellung von Schwingquarzen, Siliziumcarbid, Silikagel, Silikonen und bei der Kristallzchtung Verwendung als Schleif- und Abrasivmittel (Polier- und Scheuerpasten) oder als Strahlmittel Cristobalit und Tridymit: Wenn Diatomeenerden, Sande oder Tone einer hohen Temperatur ausgesetzt wurden, so z. B. in feuerfesten Steinen und gebrannter Kieselgur. Solche Cristobalitsande und -mehle werden als Fllstoffe in Farben, Lacken und Kunststoffputz, in keramischen Fliesenmassen, in Scheuermitteln sowie als Bestandteil von Einbettmassen fr den Dental-, Schmuck- und anderen Przisionsguss verwendet Erz- (einschließlich Uranerz-) bergleute, Schachthauer sowie Gesteinshauer (auch im Steinkohlenbergbau), Tunnelbauer, Gussputzer, Sandstrahler, Ofenmaurer, Former in der Metallindustrie Personen, die bei der Steingewinnung, -bearbeitung und -verarbeitung oder in grobund feinkeramischen Betrieben sowie in Dentallabors beschftigt sind Erzgewinnung und -verarbeitung insbesondere in Sachsen-Anhalt, Thringen, Sachsen (v. a. SDAG Wismut) Arbeiten mit Uran und Thorium zu Heilzwecken betriebene Radonbder Verhttung und Rçsten arsenhaltiger Mineralien Herstellung von Arsenik, arsenhaltigen Farben und Anstrichmitteln (Schiffsbodenanstrich) Verwendung arsenhaltiger Ausgangsstoffe in der Pharmazie, in der chemischen, keramischen und Glasindustrie Gerbereien, Krschnereien (Beizmittel), zoologische Handlungen Herstellung und Verwendung arsenhaltiger Schdlingsbekmpfungsmittel Beizen von Metallen mit arsenhaltiger Schwefel- oder Salzsure und Nassbearbeitung von Erzen, Schlacken oder Metallspeisen Einwirken von Feuchtigkeit auf Ferrosilicium, das mit As und Phosphiden verunreinigt ist Arsentrichlorid zum Beizen und Brnieren von Metallen als Zwischenprodukte in der chemischen Industrie, z. B. fr Expoxidharze (Epichlorhydrin) als Chloralkylierungsmittel (Monochlordimethylether, Dichlordiethylether) fr Pflanzenschutzmittel (Chlorphenole, Chlorkresole) als Holzkonservierungsmittel (z. B. Pentachlorphenol) zur Herstellung von Desinfizienzien (Chlorphenole) Entstehung als unerwnschtes Nebenprodukt, z. B. Tetrachlordibenzo-p-dioxin bei der Herstellung von Trichlorphenol, Dichlordimethylether bei der Herstellung von Monochlordimethylether Fortsetzung nächste Seite
Tumorerkrankungen (Krebs der Atmungsorgane) Tabelle 4.33
Vorkommen der wichtigsten pulmonal krebserzeugenden Arbeitsstoffe. (Fortsetzung)
Schdlicher Arbeitsstoff (Berufskrankheiten-Nummer) Chrom, -verbindungen (1103)
Typisches Vorkommen/Anmerkungen
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Dichlordiethylsulfid (LOST) (1311)
l
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Nickel, -verbindungen (4109)
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Aufschluss von Chromerzen und Herstellung von 6-wertigen Chromverbindungen Glanz- und Hartverchromung in der Galvanotechnik Anstricharbeiten mit chromhaltigen Korrosionsschutzmitteln in Spritzverfahren Brennschneiden, Schweißen und Schleifen von Blechen mit chromhaltigen Anstrichstoffen Herstellung und Verwendung von Chrom(VI)-Pigmenten, insbesondere Zink- und Bleichromat, in der Lack-, Farben- und Kunststoffindustrie Verwendung von Chrom(VI)-Oxid und Alkalichromaten, z. B. in der Lithografie, der fotografischen Industrie, der Textil- und Teppichindustrie, der Glas- und keramischen Industrie, bei der Herstellung von Feuerwerkskçrpern und Zndhçlzern sowie von Pflanzenleimen Holzimprgnierung Herstellung und Verwendung von Schneidçlen Gerben von Leder Beizen und Reinigen von Metallen Glasfabrikation (Chromschwefelsure) Herstellung und Verwendung von gefrbten Natronlaugen zum Bleichen von len, Fetten und Wachsen Oxidationsmittel in Zement und Bauxit sind kleine Mengen von Verbindungen des 6-wertigen Chroms vorhanden Kampfstoff: Schwefellost. 2,2 Dichlordiethylsulfid wird auch heute noch gelegentlich als Fundmunition aus vergrabenen oder versenkten Bestnden geborgen und vernichtet Gefhrdung: in erster Linie Angehçrige von Munitionsbergungs- und -beseitigungstrupps gelegentlich Pilzbekmpfungsmittel, Milbenbekmpfungsmittel (halogenierte Arylund Alkylarylsulfide) Aufbereitung und Verarbeitung von Nickelerzen zu Nickel oder Nickelverbindungen (auch Arbeiten an nachgeschalteten Staubfiltern) im Bereich der Raffination elektrolytische Abscheidung von Nickel unter Verwendung unlçslicher Anoden Herstellen und Verarbeiten von Nickel und Nickelverbindungen in Pulverform Herstellen nickelhaltiger AkkumuIatoren und Magnete Lichtbogenschweißen mit nickelhaltigen Zusatzwerkstoffen in engen Rumen oder ohne çrtliche Absaugung in ungengend belfteten Bereichen Plasmaschneiden von nickelhaltigen Werkstoffen thermisches Spritzen (Flamm-, Lichtbogen-, Plasmaspritzen) mit nickelhaltigen Spritzzustzen Schleifen von Nickel und Legierungen mit erheblichem Nickelgehalt Elektrogalvanisation (elektrolytisches Vernickeln von z. B. Eisenoberflchen) Fabrikation von nickelhaltigen Spezialsthlen (z. B. Ferronickel) Plattieren (mechanisches Vernickeln) Verwendung von fein verteiltem Nickel als großtechnischer Katalysator in der organischen Chemie (z. B. bei der Fetthrtung) Nickeltetracarbonyl: Herstellung von Nickel nach dem MOND-Verfahren Fortsetzung nächste Seite
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196
Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Tabelle 4.33
Vorkommen der wichtigsten pulmonal krebserzeugenden Arbeitsstoffe. (Fortsetzung)
Schdlicher Arbeitsstoff (Berufskrankheiten-Nummer) Kokereirohgase (4110)
Typisches Vorkommen/Anmerkungen
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Pyrolyseprodukte aus organischem Material (4113) (auch 4114)
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Passivrauchen am Arbeitsplatz Beryllium, -verbindungen (1110)
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Lungennarben
Kokereien und Generatorgasherstellung Teerraffinerien Elektrografitindustrie Aluminiumherstellung Eisen- und Stahlerzeugung Gießereien Straßenbau Dachdecker Schornsteinfeger
praktisch nur bei lebenslangen Nichtrauchern relevant. Gefhrdung vor allem im Gaststttengewerbe, z. B. als Schankkellner
l
Cadmium, -verbindungen (1104)
Schwelung (450 bis 700 8C) und Verkokung (ber 700 8C) von Kohle. Gefhrdung: am Ofenblock und in unmittelbaren Umgebung eingesetztes Personal, insbesondere: – Fllwagenfahrer – Einfeger (Deckenmann) – Steigrohrreiniger – Teerschieber – Druckmaschinenfahrer – Kokskuchenfhrungswagenfahrer bzw. Koksberleitungsmaschinist – Lçschwagenfahrer – Trmann – Rampenmann regelmßige Wartung von Rohgasleitungen, wenn die Mçglichkeit des Freiwerdens von Gasen besteht
l l
Herstellung hoch feuerfester Gerte und Materialien sowie keramischer Farben Herstellung von Aluminium-Schweißpulver Herstellung von Spezialporzellan Herstellung von Glhkçrpern und Leuchtstoffen Kernreaktor- und Raketentechnik Verarbeiten trockener, staubender Berylliumverbindungen, hauptschlich das Mahlen und Abpacken, in etwas geringerem Maße das Gewinnen des Berylliums aus seinen Erzen und Zwischenprodukten Gefhrdung auch an Arbeitspltzen, an denen Beryllium oder seine Verbindungen in Dampfform auftreten Zinkgewinnung als Nebenprodukt Zusatz von Legierungen beim galvanischen Metallisieren und in der Akkumulatorenfabrikation Herstellung von Kontrollstben in Atomreaktoren Herstellen von Kadmiumlegierungen Herstellen von Nickel-Kadmium-Akkumulatoren (Stahlakkumulatoren) Herstellung von Kadmiumberzgen mittels Elektrolyse Herstellung Kadmiumfarbstoffen (Kadmiumgelb, Kadmiumrot) Schweißen, Schmelzen und Schneiden von mit Kadmium berzogenen, legierten sowie verunreinigten Metallen Goldschmieden nach Tuberkulose als Berufskrankheit (BK 3101) nach thorakalen Perforationstraumen (ggf. als Arbeitsunfall-Folge)
Schlafbezogene Atmungsstörungen
4.5 Schlafbezogene Atmungsstçrungen M. Orth und S. Kotterba
Die schlafbezogenen Atmungsstörungen (SBAS) werden nach der Neuauflage der Internationalen Klassifikation von Schlafstörungen (ICSD-2) der American Academy of Sleep Medicine (AASM) auf der Basis von Ätiologie und Pathophysiologie in nachfolgende Gruppen eingeteilt (American Academy of Sleep Medicine 2005): 1. Zentrale Schlafapnoe-Syndrome 2. Obstruktive Schlafapnoe-Syndrome 3. Schlafbezogene Hypoventilationen/Hypoxämie bei internistischen/neurologischen Erkrankungen 4. Andere schlafbezogene Atmungsstörungen Das obstruktive Schlafapoe-Syndrom (OSAS) stellt sowohl epidemiologisch als auch im Hinblick auf gutachterliche Fragestellungen sicherlich die relevanteste Entität unter den SBAS dar. Entscheidend hierfür sind die Auswirkungen des OSAS auf das kardiovaskuläre System und die Tagesbefindlichkeit respektive die Leistungsfähigkeit. Hierzu gehören: • kardiovaskuläre Erkrankungen (arterielle Hypertonie, arteriosklerotische Herz-/Kreislauferkrankungen, zerebrovaskuläre Erkrankungen) • Tagesschläfrigkeit • kognitive Beeinträchtigungen mit Leistungsbeeinträchtigung in unterschiedlichen Aufmerksamkeitsfunktionen • psychische Veränderungen (Depression) Die gutachterlichen Fragestellungen, die sich aus diesen Auswirkungen ergeben, lassen sich unter nachfolgenden Aspekten zusammenfassen: 1. Verkehrsmedizinische Fragestellungen, insbesondere Fahrtüchtigkeit 2. Berufs- und Erwerbsunfähigkeit 3. Beurteilung nach dem Schwerbehindertenrecht Die nachfolgenden Ausführungen fokussieren sich auf die Auswirkungen des OSAS auf die Leistungsfähigkeit am Tage sowie deren Objektivierbarkeit und die Zusammenhangsbeurteilung im Rahmen gutachterlicher und sozialmedizinischer Fragestellungen. Im Zentrum der Begutachtung stehen Tagesschläfrigkeit und kognitive Defizite.
Die Gefahr ungewollten Einschlafens ist in monoton empfundenen Situationen am größten. Eine solche monotone Situation kann im Straßenverkehr wie auch am Arbeitsplatz auftreten. Neben einer Eigengefährdung erstreckt sich das Potenzial einer Fremdgefährdung insbesondere auf Gefährdungen anderer Straßenverkehrsteilnehmer. So konnte nachgewiesen werden, dass im Jahr 1991 25% aller tödlichen Unfälle auf bayerischen Autobahnen auf die Unfallursache „Einschlafen am Steuer“ zurückzuführen waren (Langwieder 1994). Die Gesamtkosten für müdigkeitsbedingte Arbeits- und Verkehrsunfälle wurden in den USA im Jahr 1988 zwischen 43 und 56 Milliarden Dollar geschätzt (Leger 1994). Bezogen auf das Krankheitsbild des OSAS konnten Sassani et al. in einer hypothetischen Analyse zeigen, dass durch die Behandlung aller Fahrer mit OSAS im Jahr 2000 980 unfallbedingte Todesfälle hätten vermieden werden können und eine Kostenersparnis von 11 Mrd. USD erzielbar gewesen wäre (Sassani et al. 2004). Daher müssen in der Tageswachheit gestörte Berufstätige insbesondere dann evaluiert werden, wenn sie für den sicheren Transport von Menschen (z. B. Busfahrer, Pilot) oder Gefahrengut (z. B. toxische oder umweltbelastende Substanzen) verantwortlich sind.
Anforderungen an den Gutachter Gutachter, die die Folgen der Tagesschläfrigkeit beurteilen, müssen in der Differenzialdiagnostik der Schlafmedizin im Sinne der Leitlinie S2 (nicht erholsamer Schlaf) (Fischer et al. 2002) geschult sein. Neben der entsprechenden Facharztqualifikation sollten sie zusätzlich über fundierte Kenntnisse in der Schlafmedizin verfügen (d. h. Somnologen gemäß DGSM sein oder die Zusatzbezeichnung Schlafmedizin führen). Bei Anfragen zur Fahrtauglichkeit für Pkw-Fahrer durch die Straßenverkehrsbehörde ist auch die Zusatzqualifikaton „Verkehrsmedizinische Begutachtung“ erforderlich. Leistungstests nach Nr. 2 der Anlage 5 FeV (Fahrerlaubnisverordnung) bei Berufskraftfahrern (Antragsteller für die Klassen D, D1, DE, D1E; s. Kasten) können neben Begutachtungsstellen für Fahreignung nur von Ärzten mit der Gebietsbezeichnung Arbeitsmedizin oder der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin durchgeführt werden (Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung 2000, Fries et al. 2005, Golz et al. 2004).
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
Euro-Fhrerscheinklassen entsprechend der Fahrerlaubnisverordnung (ab 1.1.1999) D: Kraftomnibusse mit mehr als 8 Plätzen D1: Kraftomnibusse mit mehr als 8, aber nicht mehr als 16 Sitzplätzen DE: Kraftfahrzeuge der Klasse D mit Anhänger über 750 kg D1E: Kraftfahrzeuge der Klasse D1 mit Anhänger mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 750 kg, sofern die zulässige Gesamtmasse des Anhängers die Leermasse des Zugfahrzeuges und die zulässige Gesamtmasse der Kombination 12 000 kg nicht überschreitet. Der Anhänger darf nicht zur Personenbeförderung benutzt werden.
In Ergänzung allgemeiner gutachterlicher Grundlagen wurden spezielle Richtlinien durch die Fachgesellschaften (Suchenwirth et al. 2000) insbesondere durch die entsprechenden Arbeitsgruppen innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) für die Schlaf-Wach-Störungen und Tagesschläfrigkeit (Mayer und Schulz 1999, Rühle und Mayer 1998) entwickelt. Grundlage zur Beurteilung der Fahrtauglichkeit bilden die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung (2002). Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachbereiche (insbesondere Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie) ist gefordert, um den spezifischen Fragestellungen und der Diagnostik des zugrunde liegenden Krankheitsbildes gutachterlich gerecht zu werden (Fischer et al. 2002). Die differenzierte Einschätzung der Tagesschläfrigkeit und Aufmerksamkeitsdefizite erfolgt durch eine adäquate neuropsychologische Testung, die vom Schlafmediziner insbesondere anhand der Grunderkrankung und der gutachterlichen Fragestellung bewertet werden muss (Orth u. Rasche 2003). Die Fragestellung an den Gutachter lässt oft schon eine Einschätzung der zu erwartenden Mitarbeit zu. So wird ein Proband, der seinen Führerschein (wieder-)erlangen will, eher eine hohe Motivation zeigen. Ein Rentenanwärter kann dagegen bestrebt sein, seine Testleistungen eingeschränkt zu demonstrieren. Unter diesem Gesichtspunkt müssen die Testergebnisse bewertet und ggf. ergänzt werden (Verwendung von Tests, die Simulation aufdecken, EEG-Monitoring).
Testverfahren zur Begutachtung der Tagesschlfrigkeit Nichtapparative Verfahren/Anamnese Die schlafspezifische Anamneseerhebung erfolgt unter Verwendung standardisierter Fragebögen. International gebräuchlich zur Einschätzung der Tagesschläfrigkeit ist die Epworth-Sleepiness-Scale (ESS, DGSM-Übersetzung, s. Abb. 4.5), wobei ein Wert ‡ 11 eine pathologisch vermehrte Tagesschläfrigkeit impliziert.
Apparative Testverfahren Die Tests wurden nach neuropsychologischen Aufmerksamkeitsmodellen entwickelt (Hartje 2007). Aufmerksamkeit ist die Grundvoraussetzung für Leistungsfähigkeit. Nach psychologischen und neuropsychologischen Aufmerksamkeitstheorien lassen sich mindestens vier Aufmerksamkeitskomponenten unterscheiden: • zentralnervöse Aktivierung bzw. Aufmerksamkeitsaktivierung („alertness“) • selektive Aufmerksamkeit • geteilte Aufmerksamkeit • längerfristige Aufmerksamkeitszuwendung Die zentralnervçse Aktivierung (sog. „alertness“ bzw. „Aufmerksamkeitsaktivierung“) bezeichnet das unbewusste, durch das vegetative Nervensystem und durch physiologische Tagesschwankungen beeinflusste Aktivitätsniveau eines Organismus. Sie umfasst eine „tonische“ (= stabile Höhe des Aufmerksamkeitsniveaus über einen längeren Zeitraum, Beispiel: Wachheit des Zuhörers während eines Vortrages) und eine „phasische“ Komponente (= Fähigkeit, auf einen Warnreiz hin, das Aktivierungsniveau für eine nachfolgende Reaktion zu steigern. Beispiel: während des Vortrages wendet sich der Redner einem einzelnen Zuhörer zu oder schnelle Bremsreaktion bei einer unerwartet über die Fahrbahn laufenden Person). Die selektive oder fokussierte Aufmerksamkeit beschreibt die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Merkmal zu richten bzw. bei einer Aufgabe möglichst schnell auf relevante Reize zu reagieren, irrelevante jedoch zu vernachlässigen
Schlafbezogene Atmungsstörungen Abb. 4.5 Epworth Sleepiness Scale.
Fragebogen zur Tagesschläfrigkeit (Epworth Sleepiness Scale) Datum: Die folgende Frage bezieht sich auf Ihr normales Alltagsleben in der letzten Zeit: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Sie in einer der folgenden Situationen einnicken oder einschlafen würden – sich also nicht nur müde fühlen? Auch wenn Sie in der letzten Zeit einige dieser Situationen nicht erlebt haben, versuchen Sie sich trotzdem vorzustellen, wie sich diese Situationen auf Sie ausgewirkt hätten. Benutzen Sie bitte die folgende Skala, um für jede Situation eine möglichst genaue Einschätzung vorzunehmen und kreuzen Sie die entsprechende Zahl an: 0 = würde niemals einnicken 1 = geringe Wahrscheinlichkeit einzunicken 2 = mittlere Wahrscheinlichkeit einzunicken 3 = hohe Wahrscheinlichkeit einzunicken Wahrscheinlichkeit einzunicken
Situation
0
1
2
3
0
1
2
3
0
1
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3
0
1
2
3
0
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2
3
0
1
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3
0
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3
0
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2
3
Im Sitzen lesend Beim Fernsehen Wenn Sie passiv (als Zuhörer) in der Öffentlichkeit sitzen (z.B. im Theater oder bei einem Vortrag) Als Beifahrer im Auto während einer einstündigen Fahrt ohne Pause Wenn Sie sich am Nachmittag hingelegt haben, um auszuruhen Wenn Sie sitzen und sich mit jemand unterhalten Wenn Sie nach dem Mittagessen (ohne Alkohol) ruhig dasitzen Wenn Sie als Fahrer eines Autos verkehrsbedingt einige Minuten halten müssen Bitte nicht ausfüllen
Summe
(z. B. auf die Ampelschaltung zu reagieren, obwohl das Radio spielt). Als geteilte Aufmerksamkeit wird die Fähigkeit zur schnellen, automatisierten und kontrollierten Informationsverarbeitung sowie die Fähigkeit zu serieller und paralleler Informationsverarbeitung bezeichnet. Hierbei müssen mindestens zwei Reizquellen gleichzeitig beachtet werden, und es muss auf relevante Reize, die in der einen oder anderen Reizquelle auftauchen können, reagiert werden (übliche Anforderungen bei Autofahrten in dichterem Verkehr).
Bei der „lngerfristigen Aufmerksamkeitszuwendung“ werden die Komponenten Daueraufmerksamkeit und Vigilanz unterschieden. Daueraufmerksamkeit beschreibt die längerfristige Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit bei hoher Reizfrequenz, während die Vigilanz die Fähigkeit bedeutet, auch bei sehr eingeschränkten Reizbedingungen (Monotonie) über eine lange Zeit (bis zu Stunden) aufmerksam zu bleiben (z. B. Fahrten in der Nacht, Kontrollarbeit in einem Kraftwerk). Für die o. g. Aufmerksamkeitsleistungen stehen unterschiedliche Testinstrumente zur Verfügung
199
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Tabelle 4.34
Testverfahren zur Beurteilung unterschiedlicher Aufmerksamkeitskomponenten.
Aufmerksamkeitskomponente
empfohlene Testverfahren
tonische Aktivierung
l l l l l
phasische Aktivierung
l
l
selektive Aufmerksamkeit
l l l
geteilte Aufmerksamkeit
l l
Vigilanz
l l l
Multipler-Schlaf-Latenz-Test (MSLT) Maintenance of Wakefulness Test (MWT) LZ-EEG Pupillografie Reaktionszeitmessungen Reaktionszeitmessungen mit Warnreiz (z. B. Zimmermann-Testbatterie – TAP) ereigniskorrelierte Potenziale Reaktionszeitmessungen mit hoher zeitlicher Anforderung Arbeitsleistungsserie (Wiener Testsystem) Test „selektive Aufmerksamkeit“ (TAP) Test „geteilte Aufmerksamkeit“ (TAP) Wiener Determinationsgert Vigilanztest nach Quatember und Maly Test „Vigilanz“ (TAP) Vigimar
(s. Tab. 4.34; zur Einzelbewertung s. Weess et al. 2000). Die Auswahl richtet sich nach der gutachterlichen Fragestellung. Die Ergebnisse der neuropsychologischen Testungen sind normiert in Prozenträngen zu ermitteln (Hartje und Poeck 1997). Bei Tagesschläfrigkeit sollte immer die Vigilanz beurteilt werden. Es empfiehlt sich der Quatember-Maly-Test. Unter bestimmten Fragen ist ein Monitoring mittels EEG und ggf. Verlängerung auf eine Testdauer von 60 Minuten notwendig. Zu beachten ist ferner, dass ein Multipler Schlaflatenztest (MSLT) oder Multipler Wachbleibetest (MWT) nur nach einer Polysomnografie durchgeführt werden darf, da die Schlafqualität in die Testergebnisse einfließt. Dabei kann die Elektrodenmontage direkt beibehalten werden. Studien zum MSLT haben gezeigt, dass die Einschlaflatenz oft eine individuelle Eigenschaft ist und sich unter Therapie nicht verlängert, der MWT aber die Fähigkeit des Patienten dokumentiert, sich der Schläfrigkeit zu widersetzen. Therapieeffekte bei Tagesschläfrigkeit sollten daher mittels MWT dokumentiert werden (Littner et al. 2005). Bei speziellen Fragen zur Fahrtüchtigkeit hat sich der Einsatz von Fahrsimulatoren bewährt. Der Vorteil von Fahrsimulatoruntersuchungen liegt in dem fehlenden Risiko, in der relativen Ortsund Zeitunabhängigkeit und der Untersuchungsökonomie. Obwohl Fahrsimulationen nicht komplett auf die Realität übertragbar sind, berichten
Probanden mit hoher Fehlerrate am Fahrsimulator zumeist auch über eine erhöhte Unfallneigung im Straßenverkehr. Insbesondere für das OSAS konnte mit unterschiedlichen Fahrsimulatoren eine signifikant höhere Unfallrate in der simulierten Fahrsituation gegenüber Gesunden sowie eine deutliche Absenkung der Unfallhäufigkeit unter CPAP-(continuous positive airway pressure-)Therapie nachgewiesen werden (George 2000, George et al. 1997, Orth et al. 2005, Orth et al. 2002). Ziel der Fahrsimulatoruntersuchung ist die möglichst realitätsnahe Erfassung der komplexen Fahrleistung, die in unterschiedlichem Ausmaß die oben beschriebenen Aufmerksamkeitskomponenten widerspiegeln und gleichzeitig einer Situation mit der höchsten Einschlafneigung (Monotonie, ausreichende Zeitdauer) entsprechen muss.
Praxis Beispielhaft sei an dieser Stelle der Fall eines 30-jährigen Taxifahrers mit einem schwergradigen OSAS genannt. Der Patient litt unter extremen Einschlafattacken, sobald eine Ruhesituation (z. B. Sitzen im Wartezimmer der Ambulanz) eintrat. In der Fahrsimulatoruntersuchung (60 Min., monotone Autobahnfahrt) schlief der Patient bereits nach 20 Minuten am Steuer ein. In der Realität hatte er niemals beim Steuern seines Taxis einen Unfall verursacht. Die Diskrepanz
Schlafbezogene Atmungsstörungen zwischen den Ergebnissen der Fahrsimulation und der Realität erklärt sich wie folgt: In der Fahrsimulatoruntersuchung wurde die Aufmerksamkeitskomponente der Vigilanz, d. h. der längerfristigen Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit bei monotonen Umgebungsbedingungen gefordert. Hierbei handelt es sich um die klassische Situation der langen, monotonen Autobahnfahrt ohne Ablenkung des Fahrers, bei der es zu ungewollten Einschlafattacken sog. „Sekundenschlaf“ am Steuer kommt. In der realen Fahrpraxis tätigte der Taxifahrer jedoch jeweils kurze Stadtfahrten im belebten Straßenverkehr, zumeist mit Fahrgästen, die ihn im Gespräch „wach hielten“. Dies bedeutet, dass in seiner realen Arbeitssituation nicht die Aufmerksamkeitskomponente „Vigilanz“, sondern vielmehr die Komponente „geteilte Aufmerksamkeit“ gefordert war. Das Beispiel impliziert die Bedeutung der richtigen Auswahl von Testinstrumenten, die der jeweiligen Arbeitsplatzanforderung entsprechen sollten. Mithilfe der genannten Untersuchungsmethoden können die Leitsymptome der OSAS-Tagesschläfrigkeit und des imperativen Schlafdrangs – und ihrer Auswirkungen unter nachfolgenden gutachterlichen Fragestellungen beurteilt werden.
Gutachterliche Fragestellungen Fahrtauglichkeit Bereits bei Patienten mit habituellem schwerem Schnarchen ist das relative Risiko, mindestens einen Verkehrsunfall innerhalb von 5 Jahren zu verursachen um den Faktor 3,4 erhöht. Beim OSAS wird das Unfallrisiko in unterschiedlichen Studien von 3-fach bis zu 7-fach höher als bei Gesunden angegeben (Terán-Santos et al. 1999, Young et al. 1997). Besondere Relevanz erlangen diese Daten in der Gruppe der Berufskraftfahrer. Hier konnte nachgewiesen werden, dass in dieser Berufsgruppe eine schlechte Schlafhygiene mit langen Fahrtzeiten, entsprechend kurzen Ruhezeiten und konsekutivem Stimulanziengebrauch (Kaffee bis hin zu Amphetaminen) betrieben wird (Pérez-Chada et al. 2005, Souza et al. 2005). Darüber hinaus konnte in einer weiteren Untersuchung gezeigt werden, dass die Prävalenz des OSAS in dieser Berufsgruppe gegenüber der Prävalenz in der Normalbevölkerung (ca. 4%) mit 16% um das Vierfache erhöht ist
(Howard et al. 2004). Mittels einer adäquaten CPAP-Therapie kann die Unfallhäufigkeit bei OSAS signifikant abgesenkt werden (Sassani et al. 2004). Unter gutachterlichen Bedingungen ergeben sich verschiedene rechtliche Aspekte:
Verkehrsmedizinische Aspekte Verantwortung des Kraftfahrers, Haftpflicht, Strafrecht Jeder Verkehrsteilnehmer muss seine Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr prüfen und Vorsorge tragen, dass er andere nicht gefährdet (§ 2 Absatz 1 FeV) d. h. bei Müdigkeit auf das Fahrzeug verzichten. Nach gängiger Rechtssprechung liegt bei einem durch Müdigkeit bedingten Unfall eine grobe Fahrlässigkeit vor, eine Ordnungsstrafe wird verhängt (§ 2 FeV). Ist eine Erkrankung, die Tagesschläfrigkeit verursacht (z. B. Narkolepsie, idiopathische Hypersomnie, OSAS), dem Patienten in seiner Auswirkung bekannt und ein Unfall eindeutig durch wahrgenommene Schläfrigkeit verursacht, so ist ein Straftatbestand erfüllt (§ 315 c StGB). Indizien, die schwer zu erheben sind, sind als Nachweis nicht zugelassen. Entweder muss die Schläfrigkeit vom Patienten selbst zugegeben werden (was angesichts der auch dem Patienten ersichtlichen Konsequenzen unwahrscheinlich ist) oder durch Zeugenaussagen belegt werden. Es wird eine Geldoder Freiheitsstrafe verhängt, der Führerschein entzogen. Die Kfz-Haftpflicht schränkt in diesem Falle ihre Leistung ein. Sollte die Behörde die Fahrtauglichkeit bezweifeln, kann sie weitere Untersuchungen anordnen (Fries et al. 2005).
Fahrerlaubnisverordnung (FeV) § 1 der FeV besagt, dass zum Verkehr auf öffentlichen Straßen jedermann zugelassen ist, soweit nicht für die Zulassung zu einzelnen Verkehrsarten eine Erlaubnis vorgeschrieben ist. § 11 (Eignung) besagt, dass Bewerber um eine Fahrerlaubnis die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen müssen. Diese sind laut Anlage 4 der FeV nicht gegeben, wenn eine unbehandelte Schlafstörung mit messbar auffälliger Tagesschläfrigkeit vorliegt. Ist diese unter einer entsprechenden Therapie nachweislich behebbar, besteht hinsichtlich der Fahrerlaubnisverordnung Eignung bzw. bedingte Eignung.
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Bewerber um die Erteilung und Inhaber der Klassen C, C1, D, D1 und der zugehörigen Anhängerklassen E sowie der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung müssen untersuchen lassen, ob Erkrankungen vorliegen, die die Eignung oder bedingte Eignung ausschließen. Bewerber um die Erteilung oder Verlängerung einer Fahrerlaubnis der Klassen D, D1, DE, D1E müssen außerdem besondere Anforderungen hinsichtlich der Belastbarkeit, Orientierungsleistung, Konzentrationsleistung, Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit erfüllen. Entsprechende Gutachten müssen durch einen Arbeits- oder Betriebsmediziner oder durch eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung angefertigt werden. Bei verkehrsmedizinischen Untersuchungen für Führerscheininhaber der Gruppen D – E, die vor dem Erwerb des Führerscheins (und dann ab dem 50. Lebensjahr bzw. ab dem 60. Lebensjahr für Fahrgastbeförderung alle 5 Jahre) durchgeführt werden müssen, wird der Schutz der Allgemeinheit in den Gutachtenfokus gestellt. Auftraggeber ist zwar der zu Begutachtende, er muss dem Arbeitgeber aber ein Tauglichkeitsszeugnis entsprechend o. g. Fristen vorlegen. Geäußerte gesundheitliche Bedenken führen zum Ausschluss aus der Fahrtätigkeit.
Leitlinien zur gutachterlichen Beurteilung In den Begutachtungsleitlinien „Krankheit und Kraftverkehr“ (spezieller Teil Lunge) wird Folgendes festgestellt: Patienten mit unbehandelten schlafbezogenen Atmungsstörungen (Schlafapnoe-Syndrome) und dadurch verursachten ausgeprägten Vigilanzbeeinträchtigungen (d. h. nicht zwingend bei der Diagnose OSAS) sollten nicht am Straßenverkehr teilnehmen. Bei allen diesen Personen, besonders aber bei Berufskraftfahrern und Personen, die Kraftfahrzeuge zur Personenbeförderung gemäß § 11 Abs. 1 (Klasse D oder D1) und § 48 FeV (Fahrgastbeförderung) führen, ist der Nachweis einer erfolgreichen Therapieeinleitung in einem schlafmedizinischen Labor und die regelmäßige Kontrolle dieser Therapie zu fordern (Begutachtungs-Leitlinien zu Kraftfahrereignung). Von der DGSM wurden Empfehlungen zur Begutachtung von Schlaf-Wachstörungen und Tagesschläfrigkeit erstellt. Demnach sind OSAS-Patienten mit Tagesschläfrigkeit in den ersten 6 Wochen der nCPAP-Therapie nicht fahrtauglich, können ihre Fahrtauglichkeit jedoch nach erfolgreicher Behandlung wiedererlangen. Es sollten nach Ablauf
dieser Frist zwecks Überprüfung der Therapiecompliance und neuropsychologischer Testergebnisse eine Nachuntersuchung erfolgen (Rühle und Mayer 1998). Neuere Studienergebnisse belegen, dass der Therapieerfolg schon nach kürzerer Frist (14 Tage) nachgewiesen werden kann (Orth et al. 2005), was unter sozioökonomischen Aspekten wichtig ist (6-wöchige Krankschreibung fast nicht möglich wegen drohendem Arbeitsplatzverlust). Bei privaten Kraftfahrern sollten die Aufmerksamkeitsfunktionen alle 12 Monate, bei Berufskraftfahrern alle 6 Monate kontrolliert werden (Rühle und Mayer 1998).
Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen Grundsatz 25 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (2004): Beim G25 handelt es sich um berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen. Die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung stellt eine tätigkeitsbezogene Eignung bezogen auf die arbeitsplatz- oder unternehmensspezifischen Belastungen und Besonderheiten dar und ist somit nicht der Untersuchung zur Erteilung oder Verlängerung einer Fahrerlaubnis im Straßenverkehr gemäß FeV (Kraftfahrereignung) gleichzusetzen. Zum Schutz der Allgemeinheit sind im Straßenverkehrsrecht (s. dort) für bestimmte Fahrerlaubnisklassen ärztliche Untersuchungen des Gesundheitszustandes vorgeschrieben. Die Untersuchung zur Eignungsfeststellung nach FeV ersetzt jedoch nicht die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung nach G25. Vom hierzu ermächtigten Arbeits- oder Betriebsmediziner können bezogen auf Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten nachfolgende diagnostische Untersuchungsmethoden angewandt werden: • Erhebung einer tätigkeitsbezogenen Anamnese • Ganzkörperuntersuchung mit besonderer Berücksichtigung von Herz-Kreislauf-Störungen sowie neurologischen und psychischen Auffälligkeiten • Testung des Seh- und Hörvermögens Empfehlungen zum systematischen diagnostischen Vorgehen bei V. a. das Vorliegen eines OSAS finden sich bislang nicht in der G25, allerdings wird im Kommentar der Berufsgenossenschaft Bahnen zum G25 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei dem beschriebenen Untersuchungskatalog keineswegs um eine auf den genannten Leistungskatalog bezogene Maximal-
Schlafbezogene Atmungsstörungen diagnostik handelt. Insbesondere bei Fragestellungen nach Fahrtätigkeiten, die über den innerbetrieblichen Bereich hinausgehen, sind ergänzend die „Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung“ heranzuziehen. Die häufig im Zusammenhang mit dem G25 gestellte Frage, ob schlafbezogene Atmungsstörungen toleriert werden dürfen, wird wie folgt beantwortet: Unbehandelte SBAS mit dadurch verursachten ausgeprägten Vigilanzbeeinträchtigungen begründen dauerhafte gesundheitliche Bedenken. Bedenken entfallen unter der Voraussetzung einer erfolgreichen Therapie und einer regelmäßigen ärztlichen Kontrolle. Abschließend sei festgestellt, dass die Untersuchung nach G25 lediglich ein Angebot für den Beschäftigten darstellt und keine Verpflichtung besteht, ihr nachzukommen. Die Untersuchungsergebnisse werden vom Untersucher lediglich dem Beschäftigten, nicht aber dem Arbeitgeber mitgeteilt. Medizinisch sinnvoll ist es, die verbindliche Teilnahme an G25-Untersuchungen per Betriebsvereinbarung arbeitsvertraglich zu regeln. Dann erlangt die Untersuchung die wünschenswerte Verbindlichkeit.
rztliche Schweigepflicht Bei jeder Fahrtauglichkeitsuntersuchung stellt sich die Frage, wie zu verfahren ist, wenn ärztlicherseits eine Fahruntauglichkeit besteht, der Patient aber weiterhin Auto fährt. Untersuchungsergebnisse unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht. Der behandelnde Arzt muss aber den Patienten aufklären und dieses schriftlich dokumentieren (Nachweis der Aufklärung im Streitfall, z. B. nach Unfall). Bei permanentem Zuwiderhandeln seitens des Patienten ist eine Rechtsgüterabwägung (Schweigepflicht vs. Gemeinwohl) vorzunehmen. Der Arzt muss den Patienten unter Umständen der Straßenverkehrsbehörde melden und einkalkulieren, wegen Verletzung der Schweigepflicht angeklagt zu werden. Meist genügt aber die hinreichende Aufklärung über diese Schritte, um beim Patienten einen Verzicht auf das Autofahren zu erwirken (Kotterba et al. 2007).
Berufs- und Erwerbsunfhigkeit Berufsunfhigkeit Die gesetzliche Rente wegen Berufs- und Erwerbsfähigkeit wurde zum 1.1. 2001 für alle die nach dem 1. 4.1961 geboren sind gestrichen. Bis dahin bestand Berufsunfähigkeit dann, wenn die Erwerbsfähigkeit im erlernten Beruf infolge Krankheit auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Das Risiko der Berufsunfähigkeit wird für Versicherte, die vor dem 1. 4.1961 geboren sind, weiterhin abgesichert. Für die Beantragung der Leistung muss das Leistungsvermögen in dem erlernten bzw. auf Dauer ausgeübten Beruf aufgrund von Krankheit oder Behinderung gegenüber einer gesunden Vergleichsperson auf weniger als 6 Stunden gesunken sein, es wird auch nur noch die Hälfte der Rente gezahlt. Seit 1. Januar 2001 gibt es die Berufsunfähigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung nur noch in Form der teilweisen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI. (s. Kap. 2.4, Rentenleistungen wegen „verminderter Erwerbsfähigkeit“). Die Lücke der gesetzlichen Versorgung wird in der Regel durch eine private Berufsunfähigkeitsversicherung geschlossen. Für die Inanspruchnahme muss ärztlicherseits nachgewiesen werden, dass der Versicherte krankheitsbedingt sechs Monate ununterbrochen außerstande ist, den vor Eintritt des Versicherungsfalles zuletzt ausgeübten Beruf nachzugehen. Bei Berufen mit hohen Anforderungen an die Vigilanz sind Patienten dann berufsunfähig, wenn sie trotz Anwendung effektiver therapeutischer Methoden ungewollte Schlafepisoden am Arbeitsplatz erleiden. Wie bei der Fahrtauglichkeit sollten Therapieeffekte mittels spezifischer Zusatzuntersuchungen von qualifizierten Fachärzten kontrolliert werden (Mayer und Schulz 1999, Rühle und Mayer 1998).
Erwerbsunfhigkeit Erwerbsunfähigkeit ist die durch körperliche oder geistige Leiden bedingte Unfähigkeit, durch Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen. Seit dem 01. 01. 2001 wird teilweise (5-Tage-Woche, ‡ 3 < 6 h/Tag Fähigkeit der Erwerbstätigkeit) oder volle Erwerbsminderung (< 3 h/Tag Fähigkeit der
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Tabelle 4.35 GdB/MdE-Graduierung bei Vorliegen eines OSAS (Aus: Anhaltspunkte fr die rztliche Gutachterttigkeit im sozialen Entschdigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 2008). ohne Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen berdruckbeatmung mit Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen berdruckbeatmung bei nicht durchfhrbarer nasaler berdruckbeatmung Folgeerscheinungen oder Komplikationen (z. B. Herzrhythmusstçrungen, Hypertonie, Cor pulmonale) sind zustzlich zu bercksichtigen.
Erwerbstätigkeit, dauerhaft oder kein dem eingeschränkten Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz verfügbar) unterschieden. Da mit der CPAP-Therapie eine effiziente und zumutbare Therapieoption zur Verfügung steht, kann zumeist die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit gebessert und hiermit auch die Erwerbsfähigkeit zumindest teilweise erhalten bleiben. Das verbleibende Leistungsvermögen wird im Wesentlichen durch die schon eingetretenen Folgeschäden bestimmt. Daher ist die frühzeitige Diagnosestellung und konsekutive Therapie anzustreben. Eine Berentung ausschließlich wegen eines OSAS kommt nur in Ausnahmefällen infrage.
Schwerbehindertenrecht Beurteilt wird der Grad der Behinderung (GdB), der im Schwerbehindertenrecht als Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens gilt. Tab. 4.35 zeigt die GdB-Einschätzungen bei Vorliegen eines OSAS.
Fazit Die Objektivierung der Tagesschläfrigkeit und die Einschätzung ihrer Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Patienten ist der entscheidende Auftrag an den schlafmedizinisch tätigen Gutachter. Hierzu stehen zahlreiche Testverfahren von der Anamnese bis zu apparativ als auch personell aufwendigen Untersuchungsverfahren (z. B. Langzeitelektroenzephalogramm oder Fahrsimulatoruntersuchung) zur Verfügung. Entscheidend für die Auswahl des geeigneten Testinstrumentes ist exakte Erfassung der realen Situation mit hoher Einschlafneigung in der Testsituation. Nur so kann einerseits unökonomischer Aufwand vermieden und andererseits aber auch eine adäquate Diagnostik beibehalten werden. Abschließend sei das diagnostische Vorgehen noch einmal an einem Beispiel erörtert (s. Kasten):
0 – 10% 20% wenigstens 50%
Praxis Ein 61jähriger LKW-Fahrer wurde nach OSAS-Diagnose auf eine CPAP-Therapie eingestellt. Der ESS-Wert betrug vor Therapie 14, somit deutliche Tagesschläfrigkeit. Nach 3-monatiger Therapie erfolgte eine Kontrolle im Schlaflabor, die eine gute Einstellung und Therapiecompliance (5 – 7 h/Tag Nutzung) belegte. Der ESS betrug weiter 13, im Quatember-Maly-Test deutliche Vigilanzschwankungen, bestätigt durch das gleichzeitig durchgeführte Langzeit-EEG. 5 Unfälle und 25 Konzentrationsfehler im Fahrsimulator. Daher weiter Fahrverbot und Einstellung auf Modafinil (Vigil) 2 × 100 mg (zugelassenes vigilanzsteigerndes Medikament bei Tagesschläfrigkeit trotz CPAP). Erneute Vorstellung nach drei Monaten, Modafinil wurde wegen Nebenwirkungen auf 100 mg Tag reduziert. Vigilanztest jetzt o. B., subjektiv wechselnde Angaben zur Schläfrigkeit, im Langzeit-EEG weiterhin deutliche Vigilanzschwankungen nachweisbar. Im Fahrsimulator jetzt 6 Unfälle und 12 Konzentrationsfehler. Der Patient entwickelte zunehmend eine depressive Verstimmung. Nach unserer Einschätzung war somit Fahrtauglichkeit nicht gegeben, eine weitere Therapieoptimierung nicht möglich, Patient akzeptierte die Entscheidung nicht. Daher Vorstellung in einer Fahrschule zur Fahrprobe. Bei guter technischer Bedienung beschrieb der Fahrlehrer in der Stadtfahrt bei unbekannten Zielen Schweißausbrüche und Unkonzentriertheit, in der Überlandfahrt deutliche Vigilanzschwankungen. Die Einschätzung der Fahruntauglichkeit wurde bestätigt. Dieser sicher extreme Fall belegt nochmals die Notwendigkeit der Nachuntersuchung und Modifikation der Untersuchungsinstrumente. Im Zweifelsfall steht am Ende der Beurteilung eine Fahrprobe unter realen Bedingungen. Gleichzeitig kann aber durch gute Testauswahl das Ergebnis der Fahrprobe relativ sicher vorausgesagt und somit eine unnötige Untersuchung vermieden werden.
Thorakale Defektzustände und typische Arbeitsunfälle in der Pneumologie
4.6 Thorakale Defektzustnde und typische Arbeitsunflle in der Pneumologie R. F. Kroidl und D. Nowak
Ursachen von thorakalen Defektzustnden
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Bei pleuralen Veränderungen (einschl. Thoraxwand): – Folgen einer Tuberkulose und einer früheren Kollapstherapie (Pneumothoraxtherapie, Pneumolysen, Ölplomben, Thorakoplastik) – posttraumatisch Pleuraschwarten mit und ohne Einbeziehung des Zwerchfells einschließlich Zustand nach Hämatothorax – idiopathisch und symptomatisch nach Pneumothorax mit kompliziertem Verlauf – entzündliche Erkrankungen anderer Ursache einschließlich der Empyeme – asbestinduzierte Veränderungen Bei pulmonalen Veränderungen (interstitiell, bronchiolär): – lokalisiert nach Verletzungen: Aspirationen, Abszedierung, nach lokalisierten Entzündungen, Kontusionen (Coup und Contrecoup) – disseminiert – nach Inhalationsintoxikationen (NOx, Pyrolyseprodukte, Isocyanate u. a.) – nach überstandenem ARDS Im Bereich der großen Atemwege: – direkte Verletzungen (Bronchus- und Trachealruptur) – Intubationsfolge mit Trachealstenose – Rekurrensparese (nach Operationen) Bei Zustand nach Resektionen: Teilresektion, Lobektomie, Pneumonektomie, Thoraxfensterung einschließlich postoperativer Komplikationen Bei neuromuskulären und muskuloskeletalen Störungen: – als Verletzungsfolge (Höhe C3–C5) – im Rahmen neurologischer Krankheitsbilder
Krankenversicherung Die Minderung des Leistungsvermögens mit eventuellen Folgen für die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit hängt vom Ausmaß des Funktionsschadens ab, zu messen an der Schwere der Restriktion, der ergometrischen Belastbarkeit und eventueller Folgeerkrankungen wie einer pulmonalen Hypertonie, Cor pulmonale und einer Rechtsherzinsuffizienz. Auch mögliche Nebenwirkungen, verursacht durch unverzichtbare therapeutische Maßnahmen (z. B. Neuropathie bei INH-Therapie u. a.) wären zu berücksichtigen. Zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit sind dem Leistungsvermögen die Anforderungen des Arbeitsplatzes gegenüberzustellen. Für die Rentenversicherung sind dauerhafte Leistungseinbußen in Form des positiven und negativen Leistungsbilds zu beschreiben (s. Tab. 2.6 und Tab. 2.7). Medizinische Reha-Maßnahmen können die Veränderungen nicht beseitigen. Sie können aber bei einer erheblichen begleitenden Obstruktion angezeigt sein, auch bei manchmal vorhandenen Bronchiektasen, die sich in Schwarten verbergen oder wenn eine intensive Atemtherapie eine gestörte Lungenventilation und Thoraxmechanik bessern soll.
Unfallrecht Die Bemessung der MdE beruht auf dem Beschwerdebild (Klinik) und dem Funktionsdefekt. Die kennzeichnende Funktionsstörung ist zumeist eine Restriktion. Bei Pleuraveränderungen und lokalisierten Defekten kann sich über eine regionale Störung der Klärfunktion durch rezidivierende Infekte (Peribronchitis, deformierende Bronchitis, Bronchiektasen) unter Umständen zusätzlich eine obstruktive Komponente entwickeln. Die Diagnostik und die Abgrenzung dieser Störung gegen unfallunabhängige Erkrankungen basieren auf dem Nachweis einer lokalisierten, morphologischen Veränderung (konventionelle Tomografie, CT, Lungenszintigrafie, Bronchoskopie, im Einzelfall Bronchografie). Außerdem ist in diesen Fällen die Anamnese vor dem Trauma von besonderem Gewicht (Krankenkasseneintragungen!). Auch interstitielle/bronchioläre Defektzustände können mit Obstruktion einhergehen. Als Grundlage der MdE-Einschätzung kann bei reinen
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder Tabelle 4.36
Bewertung von Unfallfolgen im SER und SchwbG.
Brche und Defekte der Knochen des Brustkorbs (Rippen, Brustbein, Schlsselbein, Schulterblatt)
MdE/GdB
ohne Funktionsstçrungen verheilt, je nach Ausdehnung des Defektes Rippendefekte mit Brustfellschwarten ohne wesentliche Funktionsstçrung bei sehr ausgedehnten Defekten einschließlich entstellender Wirkung Brustfellverwachsungen und -schwarten ohne wesentliche Funktionsstçrungen Fremdkçrper im Lungengewebe oder in der Brustkorbwand reaktionslos eingeheilt
0 – 10 0 – 10 0 – 20 0 – 10 0
Sinngemß: bei schweren Defekten Einschtzung nach Funktionsausfall
restriktiven Ventilationsstörungen auf Tab. 4.20 und 4.22 verwiesen werden. Zusätzliche obstruktive Lungenfunktionseinschränkungen müssen in der MdE ergänzend berücksichtigt werden (s. Hinweise Kap. 4.1, Unfallrecht).
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Rentenrecht Teilweise oder volle Erwerbsminderungen können gegeben sein, wenn die Lungenfunktionseinbuße (insbesondere Restriktion und Gasaustauschstörung, aber auch Obstruktion) oder andere Folgeerscheinungen (z. B. Cor pulmonale) so schwergradig sind, dass eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr möglich ist (s. Kap. 2.4, Erwerbsunfähigkeit).
SER und SchwbG Es sei auf die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und dem Schwerbehindertengesetz, 2008“ verwiesen (s. Tab. 4.36).
Typische Arbeitsunflle in der Pneumologie Im Wesentlichen sind Intoxikationen, Infektionen und Verletzungsfolgen zu berücksichtigen.
bersicht
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Intoxikation: Gase, Dämpfe, Schwebestoffe mit Durchmesser < 10 µm Infektionskrankheiten: Tuberkulose, AIDS
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Verletzungen: Thoraxtrauma (offen, stumpf), mit Pneumothorax, intrapulmonalen Hämatomen, Bronchusabriss, Zwerchfellverletzung, Contusio cordis Sekundäre Schäden: – Embolien nach Thrombosen (die unfallbedingt sind, z. B. Sportverletzungen) oder Frakturen nach Verkehrsunfall (z. B. Wegeunfall) – nach Langzeitbeatmung z. B. im Trachealbereich als Stenosen oder als ARDS-Folgen (Fibrosen) Sonderfall: RADS
Unerlässlich sind Kenntnisse über den Unfallhergang und konkrete Nachweise über die unmittelbaren Unfallfolgen (Protokoll der Unfallärzte, Angaben über Schmerzäußerungen, Hämatome etc.) sowie ggf. über Brückensymptome. Bei Intoxikation und Infektion sind Angaben über Art und Intensität der schädigenden Substanz oder Quelle erforderlich, desgleichen auch hinsichtlich örtlicher und zeitlicher Bezüge der Exposition. Nach Möglichkeit sind die Originalunterlagen (einschl. Röntgenaufnahmen) einzusehen, die stets einer zusammenfassenden, beschreibenden Befundung vorzuziehen sind. Bei Intoxikation sind Auskünfte der Sicherheitskräfte und der Datenblätter über die betreffenden Substanzen hilfreich. Anders als bei der überwiegenden Zahl der Berufskrankheiten und ähnlich der chirurgischen Unfallbegutachtung, muss zwischen Folgeerscheinungen im noch akuten Stadium einschließlich der Rekonvaleszenz und den bleibenden Defektzustnden unterschieden werden, ggf. auch mehrfach, falls noch Änderungen zu erwarten sind. Die bleibenden Defektzustände sind Gegenstand der eigentlichen pneumologischen Begutachtung.
Thorakale Defektzustände und typische Arbeitsunfälle in der Pneumologie
Wasserlöslichkeit
Abb. 4.6 Deposition von
Angriffsorte
Stoffe
Auge Larynx Trachea
NH3 (Ammoniak) HCl (Salzsäure) CH2O (Formaldehyd) C3H4O (Acrolein)
mittel
Bronchien Bronchiolen
SO2 (Schwefeldioxid) Cl2 (Chlor) Br2 (Brom) R ∙ CO ∙ Cl (org. Säurechloride) R ∙ NCO (Isocyanate)
gering
Bronchiolen Alveolen
O3 (Ozon) NO2 (Stickstoffdioxid) COCl2 (Phosgen)
hoch
Besonderheiten typischer pneumologischer Arbeitsunflle Intoxikation (Gase, Dmpfe, Schwebestoffe) Schädigung z. B. durch: • Säure-, Alkali-, Metalldämpfe, organische Verbrennungsprodukte, Aldehyde, Schwefelkohlestoff u. a. • gering wasserlösliche Reizgase, z. B. Phosgen, Nitrosegase • gut wasserlösliche Reizgase, z. B. Chlorgas, Ammoniak, Formaldehyd • sonstige Reizgase und -substanzen: z. B. Isocyanate
Pathogenese der Schädigung Luftgetragene Chemikalien können als Gase, als feste Bestandteile oder als Flüssigkeitspartikel (Tröpfchen) inhaliert werden. Der Ort der Deposition ist abhängig von der Wasserlöslichkeit (s. Abb. 4.6) und von der Partikelgröße: • Wasserlçslichkeit: – hohe Wasserlöslichkeit (z. B. Ammoniak): Deposition vorwiegend in den oberen Luftwegen (Warnsymptome!). Periphere Luftwege werden nur bei außerordentlichen hohen Konzentrationen erreicht (Unfallcharakter!). – niedrige Wasserlöslichkeit (z. B. Phosgen, NO2): obere Luftwege sind meist nicht be-
•
Schadstoffen als Funktion der Wasserlçslichkeit.
troffen, vorwiegend Schädigung der distalen Atemwege (Latenzintervall!). Beispiel: Isocyanate sind eher weniger wasserlöslich, somit werden vorwiegend die peripheren Atemwege betroffen. Partikelgrçße: – Partikel > 10 µm: Niederschlag in der Nase, im Oropharynx und im Larynx. – Partikel zwischen 0,5 und 10 µm: Deposition im Tracheobronchialbereich, je größer die Partikel, desto zentraler die Deposition. – Partikel kleiner als 0,5 µm: zumeist keine Deposition, werden wieder ausgeatmet.
Trotz der Vielfalt inhalativer Noxen lassen sich die Schädigungsmechanismen im Wesentlichen in sechs Gruppen einteilen: 1. Akute toxische Bronchitis, akute toxische Tracheitis Gut wasserlösliche Substanzen führen sofort zu Reizerscheinungen im Bereich der Trachea und Bronchien, die klinisch mit retrosternalem Schmerz und Hustenreiz einhergehen. Hinzu kommen oft Konjunktivitis, Rhinorrhoe, Brennen im Rachen und Heiserkeit bis hin zur Aphonie. Oft klagen die Patienten über ein länger anhaltendes retrosternales Brennen. Durch reflektorische Hemmung der tiefen Einatmung wird die inhalativ aufgenommene Dosis des Reizstoffs begrenzt. Dosisabhängig führt die Inhalation gut wasserlöslicher Noxen zu entzündlichen Schleimhautveränderungen, an denen im Wesentlichen neutrophile Granulozyten beteiligt sind. Die Entzündung
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder geht mit einer Freisetzung von Mediatoren wie Histamin, Leukotrienen, Prostaglandinen, Neutrophilen-chemotaktischem Faktor, Plättchen-aktivierendem Faktor, Tachykininen, Zytokinen und Wachstumsfaktoren sowie – funktionell – mit einer gesteigerten Epithelpermeabilität einher. Hohe Expositionen können zu schwerer Tracheobronchitis mit ausgeprägtem Schleimhautödem, massiver Exsudation, Ulzeration, Blutung und Nekrosebildung mit Schleimhautabstoßung führen. Nach solchen Inhalationstraumen weisen die Irritant-Rezeptoren in der Submukosa vielfach eine gesteigerte Reaktionsbereitschaft gegenüber unspezifischen Noxen wie kalter Luft oder Zigarettenrauch auf. Gesteigerte parasympathische, verminderte sympathische Aktivität oder verminderte nichtadrenerge inhibitorische Aktivität tragen zur Entwicklung von Atemwegssymptomen und obstruktiven Lungenfunktionsstörungen bei. 2. Bronchokonstriktion Eine akute Reflexbronchokonstriktion kann vor allem nach inhalativer Exposition gegenüber Schwefeldioxid und Schwefelsäure, aber auch Isocyanaten und Formaldehyd auftreten. Für das Phänomen einer persistierenden Symptomatik mit gesteigerter unspezifischer Atemwegsempfindlichkeit und einer meist nur geringfügig reversiblen Obstruktion nach solchen Inhalationstraumen wurde der Begriff des „Reactive Airways Dysfunction Syndrome“ (RADS) geprägt (Brooks et al. 1985), siehe Kasuistik. Im Deutschen wird der Begriff des chemisch-irritativ oder toxisch ausgelösten Asthma bronchiale nach einer Inhalationsintoxikation hierfür benutzt. 3. Bronchiolitis obliterans In seltenen Fällen können akute massive Inhalationstraumen unter anderem mit Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid, Ammoniak und Chlorgas verzögert, d. h. nach einer Latenzzeit von etwa drei Wochen, zu einer obliterierenden Bronchiolitis infolge überschießender Reparationsvorgänge führen. Sofern diese mit einer organisierenden Pneumonie einhergeht, spricht man von einer „BOOP“ (Bronchiolitis obliterans mit organisierender Pneumonie). Klinisch handelt es sich um ein schweres Krankheitsbild mit Husten, Luftnot und Fieber, welches obligat steroidpflichtig ist. Funktionsanalytisch fällt eine restriktive Ventilationsstörung (Verminderung der Vitalkapazität, der totalen Lungenkapazität und des Residualvolumens) in Verbindung mit einer Diffusionsstörung und Hy-
poxämie auf, teilweise auch eine periphere Obstruktion. Histopathologisch sind die Bronchiolen mit einem fibrinösen Exsudat ausgefüllt, in welches Fibroblasten aus den Atemwegen einsprießen und zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Okklusion der peripheren Atemwege führen. 4. Schden im Alveolarbereich Insbesondere schlecht wasserlösliche Gase wie Phosgen und Ozon sowie Partikel zwischen 0,5 und 3 µm können die oberen Atemwege weitgehend reaktionslos passieren und zu Schäden im Alveolarbereich führen. Die Typ-I-Alveolarzellen scheinen eine besondere Empfindlichkeit aufzuweisen. Es kommt zum intraalveolären Ödem, das klinisch aber erst nach Ablauf einer – dosisabhängigen – Latenzphase in Erscheinung tritt. Eine Schädigung der Alveolarmakrophagen in ihrer Abwehrfunktion ist vermutlich für die große Zahl bakterieller Pneumonien nach Inhalationsintoxikationen verantwortlich. 5. Lungençdem Insbesondere nach Inhalationsintoxikationen mit lipophilen Noxen wie Stickoxiden und Phosgen (seltener nach Überdosen wasserlöslicher Noxen wie Chlorgas) kann es zu ausgeprägten Lungenparenchymschäden kommen. Die gesteigerte mikrovaskuläre Permeabilität beruht zum einen auf einer direkten toxischen Wirkung der inhalierten Noxen, zum anderen auf der Aktivierung von Entzündungszellen, die am Ort der Epithel- und Endothelschädigung akkumulieren. Abhängig von der Schwere des Krankheitsbildes muss Sauerstoff gegeben werden, ggf. ist eine Beatmung mit positiven exspiratorischen Drücken erforderlich. Bei ausgeprägter Ödembildung im Pharynxbereich muss tracheotomiert werden. Ein günstiger Effekt der Gabe von Kortikosteroiden beim toxischen Lungenödem ist zwar nicht vollständig gesichert, trotzdem wird von einigen Autoren aufgrund positiver Berichte und klinischer Erfahrungen eine frühzeitige Gabe systemischer und inhalativer Kortikosteroide empfohlen. In ungünstigen Fällen kann sich nach einem überstandenen Lungenödem eine Bronchiolitis obliterans entwickeln. 6. Asphyxie Erstickungsgase hemmen den aeroben Stoffwechsel durch einen der drei folgenden Mechanismen: • Verdrängung (und dadurch Verminderung) des Sauerstoffs in der Atemluft (z. B. Kohlendioxid, Stickstoff, Methan). Bei weniger als 14% Sauer-
Thorakale Defektzustände und typische Arbeitsunfälle in der Pneumologie
• •
stoff in der Einatemluft treten erste Symptome einer Hypoxämie auf, unter 10% Übelkeit, Krämpfe und Bewusstlosigkeit. Verdrängung des Sauerstoffs aus seiner Bindung am Hämoglobin (z. B. Kohlenmonoxid). Hemmung der Atmungsenzyme (z. B. Blausäure, Schwefelwasserstoff).
3 falsch gesetzte Leckschrauben
ML
Gutachterliche Diagnostik Der diagnostische Rahmen zur Schadensfeststellung wird diese pathogenetischen Abläufe berücksichtigen: Endoskopische Verfahren zur Schleimhautbeurteilung (Bronchoskopie), besonders bei Schädigung durch Reizgase. Lungenfunktion (Ausschluss einer Obstruktion, kleine und große Atemwege), einschl. Prüfung der bronchialen Hyperreagibilität bei Schädigung durch Reizgase. Zur Erfassung von pulmonalen Vernarbungen und disseminierten Schäden ist das thorakale CT, am besten mit hochauflösenden Schichten, hilfreich. In Einzelfällen auch die Bronchografie.
Kasuistik zum Reactive Airways Dysfunction Syndrome (RADS) Herr K. (geb. 1942) war stets ein gesunder Nichtraucher gewesen und arbeitete seit 1958 als Schmied, ab 1979 auf Werften. Am 26. Februar 1986 kam es zu einem plötzlichen Ereignis (s. Kasten).
Praxis Seit 10 Jahren Arbeit als Brennerei-Facharbeiter auf einer Großwerft. Ereignis vom 26. 02.1986. Bei starken Frostwetter Arbeiten im Doppelboden eines Neubauschiffes unter folgenden Bedingungen: • Doppelboden, 110 cm hoch • Zugang über Mannloch, durch Mittelspant • keine Be- oder Entlüftung • durch Spanten und Mittelspant Raum weiter eingeengt • per Fugenhobel und Schneidflamme (3500 8C mit O2) und Acetylen werden drei falsch gesetzte Leckschrauben ausgeschnitten • enger Abstand Gesicht fi Arbeitsfläche Nach den Angaben des Versicherten wird bei der Begutachtung eine Situationsskizze vom Arbeitsplatz angefertigt (s. Abb. 4.7).
Schiffsboden 110 cm Höhe, mit Mannloch (ML), nur durch Mittelschott erreichbar
Abb. 4.7 Situationsskizze.
Das Ereignis vor Ort wird vom Versicherten (und von Kollegen) wie folgt beschrieben: • Arbeit vor Ort: Starke Hitze, beißender Qualm, schmelzendes Metall, Pyrolyse-Rauche von Farbe & Kunststoff; Arbeitsdauer 30 Minuten. Herr K. verlor das Bewusstsein und wurde von Kollegen aus dem Mannloch gezogen. • Wieder im Freien ist Herr K. erneut bewusstlos geworden, dann wie benommen nach Hause gegangen. Übelkeit, thorakale Enge, Atemnot, Husten, Schmerzen, später Bluthusten. 6 Wochen arbeitsunfähig geschrieben. • In der Folgezeit klagt Herr K. noch lange Zeit über Ängste/Klaustrophobie, Depressionen, Atembeschwerden, er sei: „seither nie mehr ,gesund‘ gewesen, habe immer noch Atemnot, Ängste…“. Welche Einwirkungen und Noxen sind im dargestellten Fall denkbar? 1. Gase und Dämpfe: – NO2 = Stickstoffdioxid (potentes Oxidationsmittel) – O3 = Ozon (noch stärkeres Oxidationsmittel) – COCl2 = Phosgen – Verbrennen von chlorierten Kohlenwasserstoffen, z. B. Schweißen von entfetteten Blechen 2. Hitze, Trauma, Rauche: – Hitzetrauma (Destruktion der Schleimhaut) – Metallrauche (Zink, Kupfer, Nickel, Zinn, Magnesium, Antimon, Cadmium), Metalloxidrauch beim Schweißen & Schmelzen – Zersetzungsprodukte von Polymeren, Pyrolyseprodukte
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
Abb. 4.8 Arbeitsplatzsimulierende Provokation. Vom LuFu-Labor in die Schlosserei und zurck.
3. Erstickungsgase – Absinken von O2 (FiO2 in der Luft » 21%) 10 – 16% fi Tachykardie, Tachypnoe, Belastungsintoleranz < 10% fi Krämpfe, Bewusstsein fl < 7% fi letal – Verdrängung von O2 durch CO Im konkreten Fall: Komplexe Ereigniskette aus all diesen Faktoren plus Anstrengung und maximal ungünstige Bedingungen am momentanen Arbeitsplatz. Das Ereignis erfüllt die Kriterien eines Arbeitsunfalls. Erst 1996 wird eine Verdachtsmeldung auf eine BK erstellt. Das daraufhin eingeleitete Gutachten Verfahren beginnt 1997 und findet 2007 mit einer (vorerst) letzten Stellungnahme seinen Abschluss. Bei der ersten Begutachtung werden zahlreiche Untersuchungen (einschließlich allergologischer Maximaldiagnostik!) durchgeführt. Untersuchungsergebnisse: • Provokationen (i. S. nasaler Provo-Tests) gegenüber MAG Schweiß-Dämpfen/E-Schweiß-Rauchen. Der Versicherte schweißt einen Draht auf ein Stück Aluminium und auf Stahl und verweilt in dem darin entstehenden Rauch. Dito mit Niro-Elektroden. • 2-Komponenten-Lack, Härter und Verdünner. Der Versicherte versprüht mit Spritzpistole den 2-Komponenten-Lack von intensiver Geruchsintensität. 3 min mit Maske und 3 min ohne Maske (Nitroverdünnungsdämpfe/HDIEmissionen). Er schnüffelt 10 min an der Nitroverdünnung bezw. HDI.
Diese Untersuchungen ergeben keine Obstruktion. Der Gutachter der BG kommt zu folgender Schlussfolgerung: Trotz umfangreicher arbeitsplatzbezogener Provokationen „unter Härtebedingungen“ konnte keine Obstruktion nachgewiesen werden (04/97). Somit keine BK. Der Versicherten wendet ein (10/1997), die Simulation der Tests würde nicht den realen Arbeitsbedingungen entsprechen. Der Landesgewerbearzt schließt sich diesem Einwand an und es kommt zur Klage beim Sozialgericht (04/1998). Bei der jetzt erneut notwendigen Begutachtung i. A. des Sozialgerichtes (Aktenberg > 70 cm) wird zunächst die Schilderung des akuten Ereignisses (02/1986) vertieft und mittels Situationsskizze (s. oben) verdeutlicht. Die Möglichkeit, dass ein Arbeitsunfall vorliegt wird jetzt erstmals erwogen. Die Befunde zeigen klinisch keine Auffälligkeiten, in der Ruhe-Lungenfunktion eine grenzgradige (leichte) Obstruktion. Bei der unspezifischen Provokation (mit Histamin durchgeführt) lässt sich eine BHR (bronchiale Hyperreagibilität) feststellen. Auf die Durchführung von arbeitsplatzimitierenden Provokationstesten möchte der Gutachter zunächst verzichten (Begründung s. Kap. 3.3, Generell zutreffende selbstkritische Bemerkungen zu Organprovokationstests). Die BG besteht jedoch – vermittels des Sozialgerichtes – auf neuerlichen Provokationen mit beigeschafften Arbeitsstoffen aus dem damaligen Arbeitsumfeld (lackierte Blechproben, Schweißdrähte, Farbproben u. a.). Der Testablauf wird jetzt so gestaltet, dass der Versicherte nach initialer Lungenfunktion (mit klinischer Untersuchung und BGA) in einer benachbarten Schlosserei unter Aufsicht über ca. 60 Minuten mit diesen Arbeitsstoffen arbeitet und danach wieder zur Testung (und Spätmessung) im Labor vorspricht. Diese Untersuchungen ergeben keinen Hinweis auf ein irritativ toxisches Asthma bronchiale, somit keine BK nach 4302 nachweisbar. Das dem Unfallereignis vom Februar 1986 folgende klinische Bild wird vom Sozialgerichtsgutachter als RADS gewertet. Dieser Auffassung schließen sich zwei arbeitsmedizinische Gutachter nach Aktenlage an. Ein erneut beauftragter Gutachter aus der Arbeitsmedizin stimmt nach Untersuchung gleichfalls zu. Er kommt zu folgendem Schluss: Als Unfallfolge liegt ein RADS mit nunmehr leichtgradiger obstruktiver Ventilationsstörung vor. Möglicherweise besteht eine reaktive Depression als Folge des Traumas.
Thorakale Defektzustände und typische Arbeitsunfälle in der Pneumologie Nachtrag: Man beachte den Zeitlauf von ca. 20 Jahren in dieser Kasuistik!
Kritische Anmerkung RADS (Reactive Airways Dysfunction Syndrome) Die diagnostischen Kriterien finden sich in Kapitel 4.1. Es handelt sich um eine Spezialform des nichtallergischen Asthma bronchiale, welches nach einer unfallartig hohen irritativen Exposition zustande kommt. Geringe Reversibilität der Obstruktion ist oft ein Charakteristikum. Brauchen wir den Begriff im Deutschen? Ja, er hat sich international durchgesetzt. Die Anerkennung und Entschädigung eines RADS erfolgt meist über den Arbeitsunfall, selten über die BK 4302 (welche auch die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit erfordern würde, was bei einer Arbeitsunfallfolge wenig Sinn macht.) Gibt es ein „low level RADS“? Bei zuvor Atemwegsgesunden nicht, wenn arbeitsmedizinisch-toxikologisch gut begründete, wissenschaftlich gesicherte Grenzwerte eingehalten werden. Bei Patienten mit einer vorbestehenden (ggf. zunächst noch asymptomatischen) unspezifischen Atemwegsüberempfindlichkeit können allerdings Konzentrationen irritativer Agenzien, die bei Gesunden nichts ausmachen, zu asthmatischen Beschwerden führen. Dies ist jedoch kein „low level RADS“, sondern es ist die Frage nach der Verschlechterung eines anlagebedingten Leidens stellen fi Gelegenheitsursache? § 3-Maßnahmen bezüglich drohender BK 4302?
Infektionen Diese betreffen bei der pneumologischen Begutachtung vorwiegend die Tuberkulose. Denkbar sind auch opportunistische Infektionen im Rahmen von AIDS. Für die Anerkennung der Tb als Arbeitsunfall gilt, dass die Einwirkung „überfallsartig“, d. h. massiv von einem offen Erkrankten innerhalb einer Arbeitsschicht erfolgt sein muss (s. auch Kap. 4.2). Dieses ist auch bei Personen außerhalb des „geschützten Personenkreises“ anwendbar (zum geschützten Personenkreis gehören Mitglieder der Gesundheitsberufe). Gutachterliche Gesichtspunkte, wie Vorinfektion, Latenzzeit, Infektionseinschätzung, Berück-
sichtigung der Chemotherapie als vorübergehende Beeinträchtigung der Lebensqualität, sind wie bei der Tuberkulose als Berufskrankheit anzuwenden (s. Kap. 4.2).
Thoraxverletzungen Direkte Thoraxverletzungen Die vielfältigen, direkten, offenen (Schuss-, Pfählung- und Stichverletzungen) oder geschlossenen Verletzungsmöglichkeiten werden im akuten Ereignis chirurgisch beurteilt: Verletzungen des knöchernen Thorax mit Kontusionspneumonien, Atelektasen, Ergussbildung, Hämatomen, Pneumothorax, Bronchusabriss, Zwerchfellverletzung, Contusio cordis.
Indirekte oder sekundäre Verletzungen Diese ergeben sich als sekundäre Folgen, z. B. über Embolien, Aspirationen, Infektionen, Abszedierungen, sowie Trachealstenosen nach Langzeitbeatmung, Fettembolien, ARDS. Auch die Folgebeurteilungen von Verletzungsfolgen sind Domäne pneumologischer Begutachtungen. Die oft bemerkenswerte Rückbildungsfähigkeit der Verletzungsfolgen muss beachtet werden und begründet oft Mehrfachbegutachtungen. Dauerschäden sind somit erst nach einem Intervall von 1 bis 11⁄ 2 Jahren einzuschätzen, unter Zuhilfenahme aller diagnostischen Möglichkeiten (große Lungenfunktion, ggf. Lungenszintigrafie, ggf. thorakales CT, Bronchoskopie). Die größten Schwierigkeiten bereiten Folgeerscheinungen, wie obstruktive Bronchitis, ggf. Bronchiektasen in der Differenzierung gegenüber sonstigen schicksalhaften Atemwegserkrankungen, besonders bei Rauchern und entsprechend Disponierten. Zur Abgrenzung Gelegenheitsursache/richtunggebende Verschlimmerung s. Kap. 4.1. Thoraxverletzungen können bei vorbestehenden Erkrankungen allerdings erhebliche, nicht abgrenzbare, richtunggebende Verschlimmerungen auslösen.
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212
Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
Sonderfall traumatischer Pneumothorax Arbeitsunfall als Ursache eher selten, außer bei direkten offenen Verletzungen (auch über Rippenfrakturen und bei schweren, stumpfen Verletzungen mit sichtbaren Folgeerscheinungen). Die weitaus größte Anzahl der Pneumothoraxfälle entsteht aus individuellen Vorschäden, als Gelegenheitsursache, zumeist auch aus der Ruhe heraus. Überdies werden intrathorakale Druckdifferenzen, die zum Einreißen der normalen Lungenoberfläche führen könnten, fast nie erreicht (seltene Ausnahme für einen Anerkennungsgrund: Abbremsen aus dem Sturz von einer Leiter, bei schon im Gang befindlichem Fall, durch Griff in die Leitersprossen). Eine weitere seltene, aber typische berufliche Ursache eines Pneumothorax kommt bei Aluminose (BK 4106) vor. Das private Unfallversicherungsrecht weicht durch die Adäquanztheorie (danach sind nur solche Ursachen für einen Erfolg kausal, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge geeignet sind, den Erfolg in der eingetretenen Art herbeizuführen, die also nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung liegen) in der Kausalitätsfrage wesentlich vom gesetzlichen Unfallrecht ab: Auch die Gelegenheitsursache erhält Gewicht (s. Kap. 4.1).
Sonderfall Zwerchfellparese Die Anerkennung als Unfallursache setzt den neurologischen Nachweis von Unfallfolgen, wie Ausrissen der Nervenwurzeln von C3 bis C5 voraus (Durchleuchtung im Schnupfversuch). Ausrisse diaphragmal oder andere Zwerchfellverletzungen (Schulterschmerz!) oder Einklemmung von Bauchorganen (Sonografie, abdominelles CT, thorakales CT) mit Verlagerung von Eingeweiden können auch Folgen von (stumpfen) meist schweren Bauchtraumen sein und sich in Lungenfunktionsstörungen auswirken. Die Diagnostik erfordert spezielle Verfahren. Eine Abgrenzung gegenüber den (viel häufigeren) angeborenen Zwerchfellhernien und Zwerchfellrelaxationen ist erforderlich.
Die MdE-Einschätzung verbleibender Restschäden hält sich je nach Grad der restriktiven bzw. obstruktiven Lungenfunktionsstörung (ggf. auch Diffusionseinschränkung) an die oben unter Kapitel 4.1 „Obstruktive Atemwegserkrankungen“ bis 4.3 „Lungengerüsterkrankungen“ bezeichneten Regeln.
Sekundre Schden nach Embolien und nach Langzeitbeatmung Die Erkennung und richtige Einschätzung solcher Sekundärschäden geht für die Betroffenen nicht selten langwierige und belastende Umwege. Größere Diskrepanzen zwischen subjektiven Klagen und Atembeschwerden bei Belastung einerseits und eher diskreten objektiven Befunden bei gängiger Diagnostik andererseits sollten an solche Komplikationen denken lassen. Bronchoskopie, Lungenszintigrafie (ggf. auch als Sequenzszintigrafie), Thorax-CT und eingehende Lungenfunktionsanalysen mit Spiroergometrie, ggf. Rechtsherzkatheter sowie ex- und inspiratorische forcierte Atemmanöver sind dann wegweisend. Die MdEEinschätzung richtet sich nach der Leistungseinschränkung.
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5
Hufige Fehler bei der Begutachtung R. F. Kroidl, D. Nowak und B. Koch
Mögliche Fehler bei Diagnose und Differenzialdiagnose in der Gutachterpraxis unterscheiden sich nicht prinzipiell von denen anderer medizinischer Tätigkeiten. Ursachen von Fehldiagnosen sind vor allem Kenntnismangel, ungenügende Anamnese, mangelhafte Untersuchungstechnik und Zeitmangel.
5.1 Kenntnismangel/Grenzen des verfgbaren Wissensstandes Ein Gutachter wird deshalb mit einem Gutachten beauftragt, weil er vom Auftraggeber als kompetent und „kenntnisreich“ erachtet wird und die eigene fehlende Sachkunde vermitteln soll. Dennoch kommt bei vielen Problemen, den komplexen Zusammenhängen in der Arbeitswelt und der kurzen Halbwertszeit von gesetzlichen Vorgaben und Verordnungen mancher Gutachter nicht selten an die Grenzen seines persönlichen Wissens. Mitunter werden Fragen angeschnitten, die den verfügbaren medizinischen Kenntnisstand überschreiten. In solchen Fällen sollte dies freimütig aufgezeigt werden. Verlegenheitsdiagnosen aus mangelnder Kenntnis oder „weil es andere auch nicht besser wissen“ sind für alle Beteiligten nicht hilfreich. Fazit: Vom Gutachter muss erwartet werden, dass er auf seinem Fachgebiet über aktuelle Kenntnisse verfügt bzw. dass er sich bemüht, sich durch Einarbeitung und Studium das erforderliche Wissen zu erwerben. Das Anerkennen und souveräne Benennen der gegebenen Grenzen, von Fehlerquellen und Unsicherheitsfaktoren stärkt die Qualität des Gutachtens und damit die des Gutachters. Es soll alles daran gesetzt werden, dass sich nicht weitere Gutachter mit demselben „Fall“ befassen müssen. Unterschiedliche wissenschaftliche Äußerungen zu Beweisfragen, die für den Versicherten existenzielle Bedeutung haben können, untergraben das Vertrauen nicht nur in ärztlich-
wissenschaftliche Kompetenz, sondern auch in die Rechtspflege im Allgemeinen.
5.2 Probleme bei Anamnese, Untersuchungstechnik und Zeit Ungengende Anamnese Dieser Vorwurf trifft zu, wenn sich der Gutachter – sei es aus Zeitnot, aus Bequemlichkeit oder weil es Vorgutachter auch so gehandhabt haben – auf eine zu knapp erhobene Anamnese (s. auch Kap. 3.1), auf unvollständig wiedergegebene Daten oder auf von anderen zusammengefasste Vorbefunde stützt und sich nicht die Mühe macht, Originalbefunde (eine originäre Schilderung des Krankheitsverlaufs, Lungenfunktionskurven, Provokationsprotokolle, Berichte erstbehandelnder Ärzte etc.) beizuziehen. Es sind Kunst und Erfahrung, die dem Gutachter das „Gespür“ geben, eventuelle unlogische Schlussfolgerungen früherer Erörterungen zu erkennen und zu korrigieren.
Praxis Beispiel: Ein 58-jähriger Mann kommt im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zwecks eines Rentengutachtens. Die umfangreiche Akte beschreibt den Zustand einer Sarkoidose mit zunehmender Fibrosierung und Globalinsuffizienz. „Hochrangige“ Institutionen (Universitätskliniken u. a.) waren bei der Diagnosefindung beteiligt. Eigentlich schien alles sehr einfach: Die jetzt evidente Globalinsuffizienz ließ keinen Zweifel an der vollen Erwerbsunfähigkeit aufkommen (ein „schnelles Gutachten“ … trotz dicker Akte!). Die Anamnese deckte jedoch – und erstmals – den einfachen Tatbestand auf, dass der zu Begutachtende zeitlebens Taubenzüchter war. Weiterge-
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Häufige Fehler bei der Begutachtung hende Untersuchungen (Serologie, BAL) bestätigen die „neue“ Diagnose „Exogen-allergische Alveolitis“ und die sich daraus noch ergebende Therapiemöglichkeit der Allergenkarenz. Fazit: Was in der Akte steht, muss nicht immer richtig sein. Eigenes kritisches Hinterfragen ist unentbehrlich. Dies macht vor namhaften Vorgutachtern nicht halt (kein Ehrfurchtsrabatt!)
Mangelhafte Sorgfalt bei der Erhebung der Arbeitsanamnese Auch Fachgutachter bemühen sich häufig nicht ausreichend darum, eigene und unmittelbare Informationen zu Arbeitsplätzen und zu den Bedingungen des Entstehens einer BK zu gewinnen. Hierdurch können schwerwiegende Beurteilungsfehler zustande kommen. Hierzu zählt es auch, dass man eine qualitativ bejahte Exposition mit einer Noxe als ursächlich für den eingetretenen Körperschaden ansieht, ohne hinreichende Hinweise über Einwirkungsdauer, Einwirkungsintensität und Latenzzeiten vorliegen zu haben. Vor einer eigenmächtigen Veränderung der vorgegebenen Anknüpfungstatsachen (= medizinische oder außermedizinische Tatsachen, die der Gutachter zum Ausgangspunkt seines Gutachtens nehmen muss) sollte der Gutachter sich hüten („Tatbestandsquetsche“). Der ermittelnde UV-Träger sollte in diesem primär von ihm zu ermittelnden Tatsachenbereich viel häufiger bei Unklarheiten der Arbeitsanamnese nochmals mit den Aussagen der Betroffenen konfrontiert und mit präzise formulierten Fragen zur klärenden Stellungnahme aufgefordert werden. Auch vor Gericht können Zeugenaussagen von Arbeitskollegen und/oder die Anwesenheit eines Mitarbeiters der Technischen Aufsicht als sachverständiger Zeuge sehr hilfreich sein.
Praxis Beispiel: Bei der Ermittlung kausaler, beruflicher Schadstoffkomponenten einer obstruktiven Atemwegserkrankung bei einem KunststoffHandlaminierer ergab erst beim Sozialgerichtstermin die präzise Aussage des auf Anregung des Gutachters hinzugezogenen Mitarbeiters der Technischen Aufsicht, dass die bislang angeschuldigte Phthalsäure keine Bedeutung haben konnte, da bei Anwendung des Härters gar nicht
mehr chemisch existent. Andererseits war entgegen der bisherigen Auffassung doch längerfristig von deutlich erhöhten Styrolkonzentrationen an den Arbeitsplätzen, auch mit erheblich über dem MAK-Wert liegenden Spitzenkonzentrationen auszugehen mit dadurch entsprechenden versicherungsrechtlichen Konsequenzen. Fazit: Im Berufskrankheitenrecht muss die Beweissicherung der Arbeitsumstände/Schadstoffbelastungen konsequent betrieben und Unklarheiten nachgegangen werden.
5.3 Mangelhafte Untersuchungstechnik Eine mangelhafte Untersuchungstechnik kann sich in allen Bereichen finden. Medizinische „HighTech“ fördert die Tendenz, statt detaillierter Inspektion, Perkussion und Auskultation z. B. eher ein HRCT anzuordnen und seinen klinischen Befund entsprechend zu „gestalten“. Der Mangel an klinischer Erfahrung und Assoziation wird durch reichliche Abforderung von Labordaten und dergl. „kompensiert“. Niemand will und kann gegen „High-Tech“ auch bei Gutachtenfragen argumentieren. „Einfache“ klinische Befunde, die man sieht, riecht, fühlt oder hört, sind jedoch auch in einem „modernen“ Gutachten unverzichtbar (s. Beispiel in Kap. 3.2).
Mangelnde Technik bei Rçntgenuntersuchungen Vom pneumologischen Gutachter wird eingehende Kenntnis über die heutigen Röntgentechniken erwartet, um Fehlbeurteilungen zu vermeiden. Bei sehr asthenischen Probanden können auch heute noch Schaltzeitprobleme fälschlich „Emphysemlungen“ erzeugen, adipöse Patienten haben oft Probleme mit der Inspiration, besonders wenn das Kommando „Luftanhalten“ kommt (deswegen besser: Auslösung der Aufnahme in die beobachtete tiefe Einatmung hinein). Weitere Fehler: • mangelnde Darstellung einer Verlaufsserie (!), insbesondere wenn analoge und digitale Bilder auf diversen CDs unterschiedlicher Systeme über die Zeit kaum eine sinnvolle chronologische Darstellung gestatten
Arbeitsplatz
Isocyanat-Exposition
Abb. 5.1 Synoptische Darstellung der gutachterlich relevanten Daten aus einem Gutachtenfall.
84
1981 saisonale Rhinokonjunktivitis April − August
Ende 85
SK 1
86
TAD Gas 27 − 84 nur hier gemessen o.B.
86
TAD Gas 17 − 88 2 − 4 TDI G = 0,54 Arbeitsplatz Desmar Sk 1 ist o.B.
TAD Gas 31 − 89 Desmar o.B.
Nachtarbeit, Kontrolle
Plastik-Verarbeitung
89
10/87 Distorsion re. Sprunggelenk
90
10/89 Septum OP, TE
13.9.91
91
Isocyanate
TAD Blatt 92
92
7/91 − 9/91 chron. Verschluss der Atemwege
2/91 spast. Bronchitis
1/91 chron. Tonsillitis
91
92
Dreher
9.5.90 VC 3080 ml Soll 4618, FEV1 2000 ml = 67 % 93 kg, 186 cm, Eosinophile 8 %
90
1/90 Pneumonie Reizhusten
10/89 chron. Tonsillitis
Synopsis zum BK-Verfahren: Sch. D. 29 J. D.: Isocyanat-Asthma eines Schaumstoffherstellers ? Enge zeitliche Bezüge von Exp. (2 x MAK-Wert-Überschreitung) und anfangs grenzwertig erhöhte spez. Antikörper mit klinischer Symptomatik und deren Abklingen nach Berufsaufgabe erhalten für Anwendung von § 3 BKV ausreichende Beweiskraft.
89
6/87 schwere Bronchitis
10/86 Sinusitis front. Bronchitis 88
5/87 rez. schwere Bronchitis
10/86 Bronchitis Reizhusten
87
10/88 Reizbronchitis 1/89 fieberhafter Infekt
3/87 6/88 fieberhafter Pneubronch. Infekt monie
9/86 Bronchitis Sinusitis
Hyposensibilisierung wesentliche Linderung
85
2/86 Pneumonie
88
4.12.84 − 13.9.91
87
nach TAD ist die Isocyanat-Belastung an diesem Arbeitsplatz geringer als an den Messplätzen
15.12.86
TAD Gas 23 − 86 2 − 4 TDI G = 0,43 am Arbeitss. Gas 17 − 83 !! platz des Sch. personen2 − 4 TDI bezogen G = 0,54! gemessen
DESMAR
4.12.84
keine AU-Zeiten von 1980 − 1986
Cyanate
TAD Blatt 40
5.11.80 − 19.10.84 KZF-Mechaniker Lehre und Geselle
85
Anamnese nach LVA-Bericht: KK: Masern, Mumps, Röteln, Scharlach, Windpocken (vom 12.9.91, Band 22 − 29)
Krankheiten nach AOK-Aufzeichnungen
Arbeitsplatz Isocyanat-Exposition Krankheiten nach AOK-Aufzeichnungen
84
Mangelhafte Untersuchungstechnik
215
216
Häufige Fehler bei der Begutachtung
• • • •
mangelnde Befundbeschreibung, ohne auf die gutachterliche Fragestellung einzugehen schlechte Aufnahme, unzureichende Durchbelichtung der Thoraxwand Auslassen der ILO-Klassifikation Identifikation der Patientendaten und des Aufnahmedatums auf dem Scribor oft unzureichend
Lungenfunktionsuntersuchungen Die Lungenfunktion spielt bei der Begutachtung pneumologischer Krankheitsbilder eine herausragende Rolle. Die physikalischen Prinzipien, die auch bei der Lungenfunktion gelten, könnten „objektive“ Messwerte ergeben, … wenn man den Faktor „Mensch“ dabei nicht berücksichtigen müsste. Unsicherheiten bei der Lungenfunktion durch menschliche Faktoren: Seitens des Patienten: Die Kooperationsfähigkeit des zu Begutachtenden kann (selten) willentlich oder (meist) unbewusst beeinträchtigt sein. Der erfahrene Untersucher wird dies aus dem Untersuchungsverlauf (klinische Beobachtung, Reproduzierbarkeit der Werte) erkennen können. Nicht selten verhindern medizinische Gegebenheiten die Durchführung von gewünschten Untersuchungsgängen (Klaustrophobie bei der Bodyplethysmografie, orthopädische Probleme bei der Spiroergometrie etc.). Solche patientenseitigen Grenzen haben Tatsachenwert. Sie beinhalten in sich noch keinen Untersuchungsmangel, sie müssen jedoch in der Gesamtbeurteilung erwähnt und berücksichtigt werden. Fazit: Patientenmitarbeit nachvollziehbar dokumentieren. Seitens des Untersuchers: Hier treten – auch in anerkannten Institutionen – Mängel auf. Personal des Lungenfunktionslabors: Durch gute Motivation, sichere Führung und gute Erklärung der zu erwartenden Untersuchungsabläufe ergeben sich weite Unterschiede in den erreichbaren Aussagen bei der Lungenfunktion. Somit ist für ein Lungenfunktionslabor primär nicht die technische Ausstattung entscheidend, sondern die personelle Qualität der Mitarbeiter(innen), Letztere muss trainiert und erhalten werden. Fazit: Mitarbeiter(innen) sollten stichwortartig Beobachtungen beim Untersuchungsablauf notieren. Gut angeleitete Lungenfunktionsmitarbeiter unterlassen bei keinem Patienten die Notierung
der Prämedikation, ohne die eine Interpretation oft unmöglich, ggf. grob fehlerhaft ausfällt. Ärztliche Interpretation: Niemand würde ein EKG auf der Basis von Zahlenwerten ohne die bildliche Formanalyse der EKG-Kurve interpretieren. Bei der Lungenfunktion wird dies leider immer noch häufig gemacht. Errechnete Zahlenwerte müssen durch die Formanalyse der SpirometrieKurve, der Fluss-Volumen-Kurve, der Analyse der Body-Schleife und der Verschlussdruckkurve, der Steigung aus der Compliance-Messung kontrolliert und hinsichtlich der Plausibilität hinterfragt werden. Zur Errechnung der Messdaten nimmt der Computer durchaus auch „unsinnige“ Body-Schleifen und ITGV-Tangenten, wenn man ihn nicht korrigiert. Dieses gilt leider auch für rechnerisch ermittelte Werte (TLC; RV/TLC-Quotient; FEV1% VC) bei mehrfach durchgeführten Atemmanövern mit dann grob fehlerhaften Angaben. Die in der EDV hinterlegten Sollwerte und deren Schwächen müssen dem Untersucher bekannt sein. Viele Sollwerte basieren auf einem selektiven Untersuchungsgut (z. B. Werftarbeiter, UntertageBergleute) und sind unter Umständen nur mit Einschränkungen auf andere Probanden oder Patienten anzuwenden (s. Kap. 3.4). Fazit: In Gutachten sollte keine Lungenfunktion ohne Kopie des Funktionsprotokolls mit Darstellung der grafischen Registrierung aktenkundig werden. Je nach Software kann es für die Auswertung hilfreich sein, sich von wesentlichen Lungenfunktionsabläufen eine „hard-copy“ (= Bildschirmausdruck) anfertigen zu lassen, da solche Daten sonst für immer verloren sein können.
Praxis Beispiel: Ein Mann, 73 Jahre alt, hat einen langen Rechtsstreit mit der Berufsgenossenschaft. Innerhalb von drei Jahren waren fünf Pneumologen (aus Klinik und Praxis) gutachterlich tätig, um bei der Objektivierung des Sachverhalts zu helfen. Keine dieser Untersuchungen hatte Bestand vor der kritischen Kommentierung des die BG beratenden Arztes. Die Sichtung der Originaldaten aus den Lungenfunktionsprotokollen zeigte deutliche Mängel. VC: Bei der Spirometrie wurde die inspiratorische VC mit < 60% Soll bestimmt. Bei der gleichen Messung war aber die inspiratorische VC am
Zeitmangel Ende der Manöver zur Bodyplethysmografie deutlich besser (> 80%). Dem begutachtenden Arzt fiel dies jedoch nicht auf (man kann eine VC nur fälschlich niedrig, nicht aber fälschlich „zu hoch“ atmen!). Compliance: Die statische Compliance wurde bei dem zweiten Gutachter als deutlich vermindert angegeben. Die Sichtung der angelegten Tangente ergab jedoch, dass die oberen und unteren Umkehrpunkte (die eventuell unter forcierter Atmung entstehen) verwendet wurden und nicht die Registrierung des linearen (mittleren) Bereichs der Druck-Volumen-Kurve etwa 1 – 2 Liter oberhalb des intrathorakalen Gasvolumens (je nach VC), in der wir normalerweise bis zu mittleren Belastungsstufen atmen. Bei betagteren Probanden (etwa ab dem 70. Lebensjahr) und solchen im reduzierten Zustand oder bei ersichtlich Schwerkranken muss es erlaubt sein, von einer „großen Lungenfunktion“ abzusehen. Bei gesichertem Lungenkrebs oder bei Mesotheliom ist die Lungenfunktion ohnehin ohne Belang für die MdE-Höhe.
5.4 Zeitmangel Realitäten unterscheiden sich von den Idealbedingungen, die der Formulierung von Empfehlungen zugrunde liegen. Dies gilt für die Begutachtung in Praxis und Klinik gleichermaßen.
Praxis Der mit einem chronischen Leiden behaftete und betagte Versicherte erhält einen Termin zur Begutachtung in der Praxis um 9.00 Uhr, es ist Februar. Bei unsicheren Wetterverhältnissen startet er um 6.00 Uhr, ein Familienmitglied übernimmt das Fahren. Die labile Krankheitssituation, die Unsicherheit der Autoreise, die fehlende „Anlaufroutine“ mit morgendlichen Expektorationen, mit Inhalationen, Tabletteneinnahme und Frühstück, das unbekannte Milieu der Gutachtenpraxis mit der dort zumeist vorherrschenden Geschäftigkeit, der neue Arzt, der eine wichtige Entscheidung fällen soll, die unbekannten Helferinnen, die die Untersuchungen durchführen … Kurz, eine mit mannigfachen Belastungen beladene Situation. Die Situation aus der Sicht des Arztes: … jetzt ist der Versicherte also glücklich hier angekommen,
jetzt wollen wir auch alle nötigen Untersuchung „durchziehen“, noch mal ist eine solche Anreise nicht zuzumuten. … welche Medikamente wurden genommen? … bis gestern, … heute? … Die Namen können nicht erinnert werden, die Kapsel war „blau-weiß“ … Die Gutachtenakte ist erschreckend dick, die medizinischen Inhalte sind z. T. schwer nachzuvollziehen … alle Beteiligten erwarten jetzt eine definitive Klärung … Die erfahrenste Lungenfunktions-MTA musste sich ausgerechnet heute krank melden … Bei der Blutgasanalyse messen wir „so komische PCO2-Werte“, wer kann die Elektrode schnell neu beziehen? Eine Provokation steht eventuell auch noch an … da läuft auch noch die übrige Praxisroutine mit …!
Praxis Beispiel: Aufnahme in der Klinik am Sonntag, Entlassung am folgenden Samstag. Also stehen 5 Tage der Diagnostik zu Verfügung. Verschiedene Organprovokationen sind erforderlich, dazu müssen einige Medikamente abgesetzt werden … die Lungenfunktion verschlechtert sich nach Absetzen der Medikamente … „in der Not“ akzeptiert man auch „etwas schlechtere“ Werte. Man beginnt die Provokation bei einem Raw von 1,1 kpa/l/s. Danach wird die Obstruktion noch stärker, was wohl im Sinne einer positiven Reaktion zu werten wäre … (?). Zwei Tage dauert es, bis es wieder leidlich geht. „Die Zeit läuft weg … die Entscheidung muss her“, statt individueller Extrakte lässt man (aus Zeitnot) einen Globalextrakt mit Heustaub-Strohstaub inhalieren. Das Ergebnis ist „positiv“, wieder kommt es zu Luftnot und messbarer Obstruktion … Welche Aussage haben wir dabei aber gemacht? Die Auftraggeber von Gutachten müssen realisieren, dass physiologische und pathophysiologische Abläufe nicht in einen begrenzten Zeitplan zu pressen sind. Die Gutachter sollten sich von solchem Zeitdruck unabhängig machen. Kompromisse an der Untersuchungsqualität sollten nicht akzeptiert werden, auch nicht durch den Zeitdruck. Man kann eine gutachterliche Äußerung auch qualifiziert beenden und die derzeit noch offenen und momentan nicht lösbaren Fragen für eine weitere Untersuchung vorsehen.
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Häufige Fehler bei der Begutachtung Das Argument Zeitmangel durch Arbeitsberlastung wird vielfach vorgetragen, um bei Antworten an Versorgungsämter/Sozialgerichte etc. die Säumigkeit zu begründen. Hierzu wurde 1990 in einem Gerichtsverfahren festgestellt: Jeder Arzt könne sich nur den Umfang einer Praxis leisten, den er selbst physisch und psychisch bewältigen könne. Er habe die Verpflichtung, dazu die entsprechenden Maßnahmen rechtzeitig zu ergreifen und bestimmte Entscheidungen zu treffen. Dies gehöre zu den Berufspflichten, die jeder Arzt zu beachten habe. Kurz: Säumigkeit aufgrund von Zeitmangel ist kein solides Argument, sollte es deswegen zu einem Rechtsverfahren kommen.
5.5 Weitere Fehler Eine qualifizierte gutachterliche Tätigkeit erfordert mehr als nur gute medizinische Sachkenntnis und Beschäftigung mit Verordnungen und Gesetzen. Aus der Erfahrung der Autoren sind nachstehend einige weitere häufige Fehler in Verbindung mit Hinweisen zu ihrer Vermeidung zusammengestellt.
Verfehlen des Gutachtenauftrags: Hierzu gehören die Durchführung von Untersuchungen, die an der Fragestellung vorbeigehen bzw. über die angemessene Abgrenzung unfallunabhängiger Leiden weit hinausgehen, sowie die fehlende Beantwortung der vom Auftraggeber gestellten Fragen. Insbesondere von Zusatzgutachtern ist zu fordern, dass diese keine Beantwortung der Gesamtfrage anstreben, sondern sich an die Beschreibung und Einschätzung der Befunde auf ihrem speziellen Fachgebiet halten und die Gesamtbeurteilung dem Hauptgutachter überlassen. berschtzung des Ermessensspielraums: Während es bei der Beurteilung von Einzelwerten einen gewissen individuellen gutachterlichen Ermessensspielraum gibt, ist dies besonders für die Beurteilung der Kausalität dann nicht der Fall, wenn es hierfür eine allgemeingültige Lehrmeinung gibt, die sich auf literaturkundige Fakten stützt. Bei Äußerungen von Minder- oder Außenseitermeinungen und auch bei „neuen Erkenntnissen“ sind die rechtlichen Kausalitätskriterien zugrunde zu legen (s. Kap. 2.3, Öffnungsklausel), Glaubenseifer ist hier nicht hilfreich.
„In dubio pro aegroto“: Es ist falsch, in irrtümlicher Anlehnung an den strafrechtlichen Grundsatz „in dubio pro reo“ zu meinen, im Zweifelsfall solle der Gutachter sich für die „versichertenfreundlichere“ Aussage entscheiden. Die Berücksichtigung sozialer Härten, die sich aus der Ablehnung eines Ursachenzusammenhangs zwischen Tätigkeit und Erkrankung ergeben, kann kein Maßstab für den Gutachter sein. Es gibt auch keine „strengen“ oder „großzügigen“ Maßstäbe, erst recht keine „wohlwollende“ Beurteilung. Solche Motive oder eine solche Wortwahl deuten darauf hin, dass der Gutachter das strikte Gebot der Neutralität verkennt. Fehlendes „Non liquet“: Wenn der Gutachter nach gewissenhafter Prüfung und Berücksichtigung der speziellen Fachliteratur feststellt, dass die vom Auftraggeber gestellte Frage nicht zu beantworten ist, so hat er diesem die Grenzen der medizinischen Erkenntnis aufzuzeigen. Er darf sich nicht zu einer medizinisch unhaltbaren Schlussfolgerung durchringen. Unprzise Verwendung juristischer Termini: Begriffe wie „ursächlich“, „Invalidität“, „Wahrscheinlichkeit“, „MdE“, „GdS“, „GdB“ und andere werden bisweilen unscharf benutzt, ohne die zugrunde liegenden juristischen Definitionen genau zu berücksichtigen. Ungenauigkeit in dieser Beziehung führt zu unschlüssigen, in der Argumentationskette nicht widerspruchsfreien Gutachten. Ein Grundverständnis bezüglich der rechtlichen Begriffswelt sollte vorhanden sein. Mangelnde Zurckhaltung, allgemeine (menschliche) Schwchen bei eigenen differenzialdiagnostischen berlegungen: • vorgefasste Meinungen, Rechthaberei, Eitelkeit, Sendungsbewusstsein (will eigenen sozialpolitischen Gerechtigkeitsvorstellungen zum Durchbruch verhelfen) • Schwarzseherei oder notorischer Optimismus • affektive Bindung an den zu Begutachtenden oder an sein Umfeld • Bemühungen, besonders interessante Diagnosen zu stellen • Unfähigkeit zu einfachem konstruktiven Denken • fehlende Trennung der objektiven Untersuchungsergebnisse von Angaben des Versicherten
Verwendung von abgeschlossenen Gutachten
• •
Neigung zu unlogischen Schlussfolgerungen (die Folgerungen widersprechen den eigenen Prämissen) Verwendung negativer oder abwertender Formulierungen.
5.6 Zeitfaktor bei der Erstellung von Gutachten Nur selten wird ein Arzt/eine Ärztin eine „originäre Freude“ an gutachterlichen Tätigkeiten empfinden. Meist – wie auch einst von den Autoren erfahren – werden Gutachten zunächst als eine verordnete Last empfunden und der Unmut darüber steht oft in direkter Proportionalität mit dem Umfang der Gutachtenakte. Viele Gutachten bleiben lange liegen bis eine Untersuchung stattfindet, nach dieser dauert es wiederum lange bis es zur Beendigung und zum Versand kommt. Abhilfe: Man kann sehr wohl an gutachterlicher Tätigkeit Freude entwickeln. Die Beschäftigung mit Problemen der Arbeitswelt, der Umwelt und Allergologie, die enge Vernetzung dieser Abläufe mit individuellen Krankheitsprozessen sind herausfordernde und interessante Aufgaben. Die gutachterliche Beurteilung und Abgrenzung erfordert ein ständiges Training, sich verständlich und für andere nachvollziehbar auszudrücken. Man kann sicher sein, dass selten etwas so genau und kritisch gelesen wird wie ein Gutachten. Man kann es fast „sportlich“ ansehen, im medizinischen Bezugssystem der an einem solchen Gutachten kritisch Beteiligten zu bestehen. Auftraggeber verlangen gelegentlich die Erledigung ihres Auftrages binnen 6 Wochen. Dies ist auch beim besten Willen meist nicht zu schaffen. Durch die „Schubladenlösung“ erreicht man aber keine wahre Lösung. Aus der Erfahrung der Autoren: Man ist am besten beraten, die aktuelle Anamnese, den aktuell erhobenen klinischen Befund noch in frischer Erinnerung sofort zu diktieren, technische Befunde, einschließlich der mit Verzögerung eintreffenden Labordaten sobald als möglich. Damit hat man bereits etwa die Hälfte des Gutachtens und eine Grundlage für die abschließende Beurteilung gelegt. Die Fairness gegenüber Sachbearbeitern der Versicherungsträger gebietet es, Mahnungen zu beantworten, anstatt sie reaktionslos „in die Akte zu stopfen“.
5.7 Verwendung von abgeschlossenen Gutachten Ein Gutachten wird mit Sorgfalt, mit Mühen und mit Kosten erstellt. Es hat seine „Arbeit“ bei einer Entscheidung der Verwaltung oder der Rechtssprechung geleistet, jetzt wird es abgeheftet und füllt die Aktenbände. Welche Regeln gelten für die Verwendung von Gutachten?
Wem „gehçrt“ das Gutachten? Für das zivilrechtliche Rechtsverhältnis zwischen Auftraggeber und Gutachter gelten die Maßstäbe des Werkvertragsrechts. Das Gutachten steht dem Auftraggeber zu (§§ 631 ff. BGB). Er hat als Eigentümer das alleinige Verwertungsrecht. Hierbei muss er aber datenschutzrechtliche und urheberrechtliche Grenzen beachten.
Datenschutz Gutachter und Auftraggeber unterliegen dem Arztbzw. Sozialgeheimnis (§ 35 Sozialgesetzbuch [SGB I], § 203 StGB bzw. § 9 MBO-Ärzte). Ohne Einwilligung darf das Gutachten nicht an Dritte – etwa die private Haftpflichtversicherung – weitergegeben werden (abgesehen vom erforderlichen Datenaustausch der Leistungsträger, s. § 69 SGB X). Selbst der behandelnde Arzt darf nur mit Einwilligung des Versicherten über Befunde oder durch Gutachtenübersendung informiert werden. Die Weitergabe an den Auftraggeber ist durch Einwilligung des Versicherten gesichert, die er durch seine Mitwirkung an der Untersuchung konkludent (stillschweigend) erteilt (s. § 100 SGB X).
Urheberschutz Diese Rechte kann der Urheber (also der Gutachter) nur reklamieren, wenn das produzierte Werk eine „Gestaltungshöhe“ hat. Ein urheberrechtlich geschütztes Werk liegt vor, wenn durch den Inhalt, durch die Form oder durch Inhalt und Form etwas Neues und Eigentümliches dargestellt wird. Im Falle von Gutachten sind folgende Anteile nicht schutzfähig: Reine Befundberichte; fachliche Erkenntnisse aus Lehre und Forschung, denn diese
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Häufige Fehler bei der Begutachtung sind ja Gemeingut oder sollten es zumindest sein. Ein schutzfähiger Anteil des Gutachtens wäre jedoch unter Umständen eine fachliche Gedankenführung von „nicht alltäglichem Niveau“. Die Nutzung des Gutachtens durch Behördenverkehr müsste jedoch auch hier toleriert werden, da der Gutachtenauftrag stillschweigend (konkludent) ein Nutzungsrecht beinhaltet.
Sinnvolle Nutzung des Gutachtens Zunächst ist es als Maßnahme der Qualitätskontrolle Aufgabe des Auftraggebers, das Gutachten auf formale Korrektheit und sachlich-inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen. Dabei werden die einschlägige Fachliteratur berücksichtigt und erforderlichenfalls beratende Ärzte beteiligt. Klärende Rückfragen beim Gutachter oder eine Nachbesserung durch ihn selbst sind stets einer erneuten Begutachtung vorzuziehen. Das Auswertungsergebnis sollte dem Gutachter auf Wunsch bekannt gegeben werden; dies ist allerdings nur mit Einwilligung des Versicherten, auf die der Auftraggeber hinwirken sollte, rechtlich zulässig. Ergänzungen bzw. Berichtigungen kommen z. B. in Betracht bei • unvollständiger Beantwortung der Fragen im Gutachterauftrag, • unklaren, widersprüchlichen oder missverständlichen Äußerungen, • unverständlichen Formulierungen (z. B. unbekannte Fachwörter) oder unsachlichen Äußerungen, • nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen oder Befunden. Es ergeben sich in der Praxis viele Beispiele für eine weitere Nutzung der Gutachten, die sinnvoll ist für den Versicherten, den oder die Gutachter, die Träger der Sozialversicherung. • Rckmeldung beim Hausarzt: Der Hausarzt erhält das Gutachten zur Information (mit Einverständnis des Auftraggebers und des Versicherten). Beim Durchlesen bemerkt er Details aus seiner unmittelbaren und langständigen Patientenbeobachtung, die im Gutachten nicht dargelegt wurden, die jedoch erheblich sind. Sein Einwand beim Versicherungsträger führt zu einer Nachfrage beim Gutachter, zu neuen Ermittlungen und zu einer möglicherweise anderen Beurteilung. • Rckmeldung bei pneumologischen Fachkollegen: Der gutachterlich schlüssige Nachweis einer aktuellen und beträchtlichen Obstruktion
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(Fluss-Volumen-Kurve/Bodyschleife) steht im Gegensatz zu weitgehend unauffälligen Daten der behandelnden Pneumologen, die zuvor zeitnah erhoben wurden. Durch Kenntnis des Gutachtens diskutieren die Fachkollegen diese Diskrepanz und kommen zu der Vermutung, dass der Versicherte vor der Begutachtung vermutlich erneute und intensive Allergenexposition suchte, um seinen gutachterlichen Befund in seinem Sinne zu beeinflussen. Rckmeldung vom Zweit-Gutachter an den Erst-Gutachter: Es bestehen sachliche und fachliche Einwände; diese können diskutiert werden und führen zu einem Zugewinn an Wissen.
Diese und andere Beispiele mögen aufzeigen, dass vielfach Gutachten „zu schade“ sind, um – aus gutachterlicher Sicht – „spurlos“ in der Aktenablage zu verschwinden. Unabhängig davon hat der Versicherte Anspruch auf Mitteilung bisher unbekannter behandlungsbedrftiger Befunde, die bei Begutachtung festgestellt wurden. Die Rechtspflicht zur Information trifft sowohl den Gutachter als auch den Sozialversicherungsträger, der sich vergewissern muss, ob die Information erfolgte und auch zu einer angemessenen Reaktion veranlasst hat. Wünschenswert ist es, wenn der begutachtende Arzt den Probanden unmittelbar informiert oder – im Einvernehmen mit dem Probanden – die Information des weiter behandelnden Arztes übernimmt. Hingegen darf der Versicherte bei der Untersuchung auf Verlangen über spezielle Begutachtungsergebnisse, etwa die MdE-Einschätzung, allenfalls unter Hinweis auf die abschließende Entscheidung des Leistungsträgers informiert werden. Das Gutachten selbst darf der Gutachter dem Versicherten nicht herausgeben. Der Vesicherte hat aber ein Recht auf Akteneinsicht, sofern nicht besondere Befunde dies als untunlich erscheinen lassen (s. § 23 SGB X).
Praxis Rechtsfall: Ein Internist hat 1983 eine Untersuchung für eine Lebensversicherung durchgeführt und hierbei eine „kontroll- und vergleichsbedürftige Oberfeldverdichtung links“ festgestellt. Dies wurde der Versicherung mitgeteilt (kein Vertragsabschluss), nicht aber dem Versicherten oder – mit Einverständnis des Probanden – dem Hausarzt. Zwei Jahre später wurde vom Amtsarzt eine Tb festgestellt. Das OLG Köln verurteilte 1989 den Arzt (nicht hingegen die Versicherung) wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht.
Verwendung von abgeschlossenen Gutachten
Empfehlung fr ein praktikables Vorgehen unter Wahrung der Rechtsvorschriften Beim Versicherten wird das Einverständnis zur Information der behandelnden Ärzte eingeholt. Es hat sich sodann in der Praxis bewährt, am Ende des Gutachtens folgenden Nachsatz zu schreiben: „Die Berufsgenossenschaft (bzw. der Versicherungsträger) wird gebeten, dieses Gutachten dem Hausarzt (ggf. auch dem mitbehandelnden Facharzt) zur Information in Kopie zuzusenden“. Es wird vielfach der Wunsch geäußert, bei Gutachten mit fachlicher fordernder Thematik eine Rückmeldung zu erhalten. Solche Gutachten werden oft von Zweit- und Aktengutachtern kommentiert, die zustimmen oder nicht zustimmen. Die wünschenswerte kritische aber kollegiale Diskussion zu schwierigen Sachverhalten ist inhaltlich hilfreich und fördert die Qualität gutachterlich tätiger Mediziner. Es wäre für jeden engagierten Gutachter hilfreich, den weiteren Fortgang der Diskussion zu erfahren. Eigenes Vorgehen: Wir lassen uns von jedem Versicherten/Gutachtenpatienten unterschreiben, dass er mit einer Unterrichtung seines Hausarztes/ Facharztes einverstanden ist und weiterhin damit, dass der Gutachter über den Ausgang des Verfahrens informiert wird (s. unten). Unsere Gutachten schließen mit folgenden Sätzen: „Gutachten genießen den Schutz des Urheberrechts (§ 1, 2, 11, 15 des UrHG vom 9. 9.1965, BGBL I, Seite 1273). Sie dürfen daher nur für den Zweck, für den sie erstellt wurden, verwandt werden. Dies ist auch bei Weitergabe an die Beteiligten zu beachten. Wir bitten Sie, uns vom Ausgang des Verfahrens in Kenntnis zu setzen. Dafür hat uns Herr/Frau … sein/ihr Einverständnis gegeben (Einverständniserklärung anbei).“ Es hat sich überdies bewährt, den folgenden Text vorab jedem Gutachten-Patienten vorzulegen und von ihm unterschreiben zu lassen:
„Ich, Felix Mustermann, geb. am 31. 01.1974, erkläre mich hiermit einverstanden, dass Herr Dr. Ferdinand Begutachter bzw. ein von ihm beauftragter Arzt berechtigt ist, alle für meine Begutachtung ärztlich als erforderlich angesehenen Unterlagen beizuziehen. Sollten bei der Begutachtung auffällige Befunde erhoben werden, bin ich mit der Benachrichtigung meines Hausarztes bzw. Facharztes einverstanden. Ich bin überdies damit einverstanden, dass Herr Dr. Begutachter über den weiteren Verlauf meines Verfahrens informiert werden kann.“
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Atemwegserkrankungen und Tauchen, Fliegen, Bergsteigen R. Fischer und R. F. Kroidl
6.1 Tauchtauglichkeit Das zunehmende Freizeitangebot wird auch zu vermehrten sportlichen Aktivitäten genutzt. Sporttauchen – oft in Verbindung mit Urlaubsfernreisen – erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Die Praxis zeigt, dass der Pneumologe oft zur Stellungnahme und zur Beurteilung gebeten wird, vor allem wenn eine Atemwegserkrankung – vornehmlich Asthma bronchiale – vorliegt. Bei Berufstauchern sind arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen (nach G 31) vorgeschrieben. Als dauernde gesundheitliche Bedenken gelten hier u. a.: • Erkrankungen oder Veränderungen der Atmungsorgane (insbesondere Lungenblähung, chronische Bronchitis, Asthma bronchiale, Pleuraschwarten), die deren Funktion stärker beeinträchtigen. • Aktive, auch geschlossene Tuberkulose, ausgedehnte inaktive Tuberkulose sowie Zustand nach nicht sicher ausgeheilter Pleuritis. • Eine VK von weniger als 70% des EGKS-Sollwertes und eine Einsekundenkapazität von weniger als 60% Soll (nach EGKS). Es wird eine Röntgenaufnahme des Thorax verlangt, die bei der Erstuntersuchung nicht länger als 1 Jahr zurückliegen darf. Bei Nachuntersuchungen ist das Röntgen alle drei Jahre erforderlich. Bei Sporttauchern (Dank an Kay Tetzlaff für beratende Diskussion) gibt es keine gesetzlichen Regelungen und keinen Zwang zur ärztlichen Untersuchung. Allerdings fordern viele Tauchsportverbände eine gültige ärztliche Tauglichkeitsbescheinigung von ihren Mitgliedern, und Versicherungsschutz im Falle eines Tauchunfalls ist nur bei Vorliegen derselben gegeben. Die Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin e. V. hat entsprechende Empfehlungen zur Tauchtauglichkeit
von Sporttauchern herausgegeben. (GTÜM e. V. c/o BG-Unfallklinik, Professor-Küntscher-Str. 8, D-82418 Murnau, Tel. [08 841] 48 – 2167, Fax: [08 841] 48 – 2166, WEB www.gtuem.org). Die aktuellen Empfehlungen von 2008 werden als Buch publiziert: Tetzlaff K, Muth C, Klingmann C, et al. Checkliste Tauchtauglichkeit. Gentner, Stuttgart 2008. Diese Empfehlungen führen zu den Atmungsorganen aus: Absolute Kontraindikationen: • unkontrolliertes Asthma bronchiale • akute Asthma-Exazerbation • Belastungs- und/oder kälteinduziertes Asthma bronchiale (wegen Anstrengung und Kälte aus Druckluft) • COPD mit FEV1 und FVC < 80% Soll • akute Exazerbation der COPD oder der chronischen Bronchitis • Lungenemphysem • akute Bronchitis • Mukoviszidose mit Lungenbeteiligung (ggf. CTThorax anfertigen) • akute Pneumonie • akute Pleuritis • akute Tuberkulose/tuberkulöser Pleuraerguss • posttuberkulöse kavernöse Lungenveränderungen • interstitielle Lungenfibrose • akute interstitielle Lungenerkrankungen (z. B. exogen-allergische Alveolitis) • idiopathischer Spontanpneumothorax • Zustand nach Gasembolie infolge Lungenüberdehnung • Lungenzysten oder -bullae • Bronchiektasen Relative Kontraindikationen: • kontrolliertes Asthma bronchiale • leichtes, intermittierendes Asthma bronchiale
Flugreisen zum und vom Tauchurlaub
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teilweise kontrolliertes Asthma bronchiale mit stabiler Lungenfunktion (Peak-Flow-Messung) COPD mit nur leichter Einschränkung der Lungenfunktion chronische Bronchitis ohne Obstruktion Mukoviszidose mit normaler Lungenfunktion ohne Hinweis auf Air-Trapping oder Bronchiektasen (ggf. CT-Thorax anfertigen) Zustand nach Pleuritis mit geringer narbiger Pleuraveränderung Zustand nach abgeheilter Tuberkulose ohne kavernöse Veränderungen Sarkoidose der Lunge nach Abheilung mit normaler Lungenfunktion Zustand nach interstitieller Lungenentzündung mit Abheilung und normaler Lungenfunktion sekundärer Pneumothorax nach Abheilung mit normaler Bildgebung und Lungenfunktion Zustand nach Lungenverletzung ohne wesentliche Residuen
Keine Kontraindikationen: Zustand nach Asthma bronchiale in der Kindheit, jetzt beschwerdefrei. Die Notwendigkeit einer Routine-Rçntgenaufnahme bei gesunden (meist jugendlichen) Sporttauchern wird infrage gestellt. Eine Röntgenaufnahme wäre dann erforderlich, wenn eine gezielte medizinische Indikation besteht. Auch bei gesunden, jugendlichen Sporttauchern ist die Information zu verlangen, dass ein „normaler“ Röntgenbefund der Lunge dokumentiert wurde. Dazu kann man sich auf eventuell vorliegende Voraufnahmen beziehen. Anders ist der Ausschluss asymptomatischer Bullae und anderer Kavitäten nicht möglich (Prophylaxe von Pneumothoraces). „Tauchen und Asthma“ wird in den 1990er Jahren auf internationaler Ebene diskutiert, und es ist eine internationale Tendenz zu verzeichnen, beim Asthma weniger rigide zu sein. Als Grund wird die enorm gestiegene Zahl von Sporttauchern bei stagnierenden Unfallzahlen angeführt (Koehle et al. 2003). Hierzu statistische Daten aus den USA: • 10 bis 15 Millionen Einwohner haben Asthma • 2,5 bis 3 Millionen Einwohner praktizieren Sporttauchen • bis 30 Millionen Tauchgänge pro Jahr durch Sporttaucher • die Prävalenz von Asthma bei Sporttauchern (5%) entspricht der in der Bevölkerung (4 – 8%)
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die Analyse von 2132 Todesfällen durch Tauchen über einen Zeitraum von 20 Jahren ergab einen Asthma-bedingten Fall (Univ. of Rhode Island Report 1981)
Divers Alert Network (DAN) hat für die Jahre 1988 bis 1991 nichttödliche Zwischenfälle beim Tauchen analysiert. Von 1554 Ereignissen (Dekompressionskrankheit Grad I und II sowie Luftembolien) hatten 1,5% der Betroffenen ein aktuelles Asthma und 3% der Betroffenen ein früheres Asthma. Diese Betrachtungen münden in die Empfehlung, Asthma nicht als absolute Kontraindikation für Tauchen anzusetzen.
6.2 Flugreisen zum und vom Tauchurlaub Viele Tauchurlaube beginnen und enden mit einer langen (interkontinentalen) Flugreise. Eine besondere Gefährdung für das Auftreten von Dekompressionsschädigungen besteht am Ende des Tauchurlaubes, wenn der letzte Tauchgang kurz vor dem Rückflug in die Heimat liegt. Der in Verkehrsflugzeugen vorherrschende verminderte Kabinendruck wird in den Dekompressionstabellen nicht berücksichtigt. Deshalb wird empfohlen, in den letzten 12 Stunden (besser 24 Stunden) vor dem Rückflug keinen Tauchgang zu unternehmen. Bei Tauchtiefen bis zu 10 m bedarf es in Meereshöhe keiner Dekompressionszeit (Nullzeit). Bei Flugreisen ist jedoch nach den Bergsee-Austauchtabellen zu verfahren. Der Außendruck in Flugzeugen beträgt meist um 0,8 Bar, ggf. auch 0,6 Bar. Ähnliche Bedingungen findet man beim Tauchen in Bergseen vor. In solchen Fällen gilt nicht, dass die Nullzeit für Dekompression bei 10 m liegt, sondern bei 8 m (für 0,8 Bar) oder bei 6 m (für 0,6 Bar). Somit die generelle Empfehlung: fi Kein Tauchgang 12 Stunden vor dem Rckflug.
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Atemwegserkrankungen und Tauchen, Fliegen, Bergsteigen
6.3 Respiratorische Krankheiten und Flugtauglichkeit Die Feststellung einer Flugtauglichkeit für Piloten und Personal von Fluggesellschaften wird von dafür ermächtigten Fliegerärzten vorgenommen. In der pneumologischen Praxis kommt es aber nicht selten zu einem Gespräch mit Beratung und empfehlenden Hinweisen. Im Zeitalter weltweiter Flugreisen sind auch Patienten mit respiratorischen Behinderungen oft zur Frage der Flugtauglichkeit in Verkehrsflugzeugen zu beraten. Hierzu mögen die folgenden kurzen Ausführungen hilfreich sein.
Flugtauglichkeit der Piloten/ des Luftfahrtpersonals In Deutschland maßgeblich ist die in deutsches Recht umgesetzte europäische Richtlinie JAR-FCL3 (www.jaa.nl). Dabei werden zwei Tauglichkeitsklassen unterschieden: • Klasse 1 für Berufspiloten • Klasse 2 für Privatpiloten Die Gültigkeit des flugmedizinischen Tauglichkeitszeugnisses ist nach Alter und Klasse verschieden (von 6 – 60 Monaten). Erforderlich sind bei der Erstuntersuchung ein EKG, eine Lungenfunktion, Blutbild und Serumwerte, Urinuntersuchung, eine Augen- und HNO-ärztliche Überprüfung. Das Referat Flugmedizin des Luftfahrtbundesamtes in Braunschweig wäre ggf. der Ansprechpartner für den aktuellen Stand der Vorschriften und Empfehlungen (www.lba.de, Luftfahrt-Bundesamt, Hermann-Blank-Straße 26, D-38108 Braunschweig, Tel. 0531/2355 – 0). Eingeschränkte Tauglichkeit besteht für das regelmäßige Tragen einer Brille, Einnahme von Medikamenten oder längere Krankenhausaufenthalte. Für das pneumologische Fachgebiet gelten folgende besondere Einschränkungen, bei denen der Fliegerarzt eine Einschrnkung der Tauglichkeit beurteilen muss: • aktive Tb der Atmungsorgane • Sarkoidose Stadium II und III • Silikose aller Ausprägungsgrade • ausgeprägte Bronchiektasen
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allergische Diathese mit Neigung zu Bronchialasthma pneumonische Affektionen (akut oder chronisch) mit Funktionseinschränkung Lungeninfarkt Lungenemphysem mit herabgesetzter Lungenfunktion zystische Erkrankungen der Lunge Atelektasen Tumoren der Lunge, des Mediastinums, der Pleura Folgezustände nach Resektion Verschwartung mit Beeinträchtigung der Lungenfunktion stärkere Deformierung des Brustkorbs und Schultergürtels mit Beeinträchtigung der Herzund Atemfunktion
Des Weiteren machen zeitlich untauglich: • stärkere Rhinitis mit Schwierigkeiten beim Druckausgleich • akute Sinusitis • akute Erkrankungen des Kehlkopfes
Beratung zur Flugtauglichkeit von Patienten mit respiratorischen Erkrankungen Im Zeitalter weltweiter Mobilität und Zunahme des Flugverkehrs kommt es auch in der pneumologischen Praxis immer wieder zu Unklarheiten, ob der einzelne Patient für eine Flugreise tauglich ist. Bevor einzelne Krankheitsbilder im Einzelnen besprochen werden, sollen hier vorab kurz einige wichtige Fakten zur Veränderung in der Umgebung bzw. im Organismus während einer Flugreise dargestellt werden. Im Abschnitt weiter unten werden dann noch einige Hinweise gegeben für die Höhentauglichkeit von Patienten mit verschiedenen respiratorischen Erkrankungen.
Umgebungsbedingungen auf Kurz- und Langstreckenflgen Normale Verkehrsflugzeuge steigen bereits nach kurzer Flugstrecke in Höhen bis zu 11 km auf. Um die Druckdifferenz zwischen der Umgebungsatmosphäre und dem Kabinendruck nicht zu groß werden zu lassen (dies würde sehr dickwandige und damit schwere Flugzeugkabinen erfordern),
Respiratorische Krankheiten und Flugtauglichkeit wird in den Passagierkabinen von Verkehrsflugzeugen ein verminderter Kabinendruck toleriert. Nach IATA-Vorschriften ist ein Kabinendruck zulässig, der einer Höhe von 8000 ft (entsprechend 2438 m) Höhe entspricht. Entsprechend der Verringerung des Gesamtatmosphärendrucks verringert sich damit im Flugzeug auch der Sauerstoffpartialdruck. In der Regel erreichen Verkehrsflugzeuge diese maximal zulässige Kabinendruckhöhe allerdings erst am Ende eines Langstreckenfluges, wenn sie durch das Aufbrauchen der Kerosinreserven allmählich höher fliegen. Daher ist bei Kurzstreckenflügen mit geringeren Höhenexpositionen zu rechnen als bei extremen Langstreckenflügen. Neben der Verringerung des Sauerstoffpartialdruckes, der damit einer Höhenexposition von knapp 2500 m entspricht, kommt es im Flugzeug durch die Klimatisierung und Filterung der Luft zu einer deutlichen Verminderung der Luftfeuchtigkeit, diese beträgt in Verkehrsflugzeugen häufig weniger als 15%. Darüber hinaus besteht eine beständige, mäßige Luftzirkulation, die insbesondere in Bodennähe am stärksten ausgeprägt ist.
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maximal zulässiger Kabinendruck in Verkehrsflugzeugen 8000 Fuß = 2438 m Abnahme des Kabinendruckes am stärksten auf Langstreckenflügen im Flugzeug Verringerung des Sauerstoffpartialdrucks um 1/3 im Vergleich zur Meereshöhe
Physiologische Reaktionen auf Hypoxie Auf den Sauerstoffmangel reagiert der Körper initial mit Hyperventilation, um den alveolären Sauerstoffpartialdruck zu erhöhen. Hypoxiebedingt kommt es auch zu einer Zunahme des pulmonal arteriellen Druckes, dieser erhöht sich systolisch im Mittel um etwa 10 mmHg. Allerdings besteht bei Gesunden wie bei Kranken hier eine große Variabilität in der hypoxischen pulmonalen Vasokonstriktion. Theoretisch führt die verminderte Luftdichte auch zu einer Erleichterung der Ventilation, allerdings konnte keine einheitliche Veränderung der Lungenvolumina und -flüsse unter Höhenexposition nachgewiesen werden. Klar ist lediglich, dass der Peak-Flow zu- sowie der Atemwegswiderstand abnimmt. Zudem kommt es durch die verminderte
Luftdichte zu einer potenziellen Volumenzunahme von gefangener intrathorakaler Luft (trapped air). Die ausgeprägte trockene Luft in Verkehrsflugzeugen kann neben dem Sauerstoffmangel bei Patienten mit pulmonalen Erkrankungen dazu führen, dass sich die bronchiale Hyperreagibilität verstärkt und eine möglicherweise bestehende bronchiale Obstruktion verschlechtert. Die beschriebenen physiologischen Veränderungen sind für einen gesunden Menschen problemlos, er kann sich ohne Weiteres darauf einstellen. Bei Patienten mit pulmonalen Erkrankungen sind jedoch die Kompensationsmöglichkeiten eingeschränkt und können möglicherweise überfordert werden. Potenzielle Gefahren fr Patienten mit pulmonalen Erkrankungen bei Hçhenexposition • Zunahme der Ventilation eingeschränkt durch bronchiale Obstruktion und Einschränkung der Atempumpe • Zunahme der bronchialen Obstruktion durch trockene Luft und Kälte • Zunahme des pulmonalarteriellen Druckes bei vorbestehender pulmonaler Hypertonie
Hinweise fr Patienten mit pulmonalen Erkrankungen (einzelne Krankheitsbilder) Vorbemerkung Die Tauglichkeit für Flugreisen von Patienten mit pulmonalen Erkrankungen ist nicht einheitlich geregelt. Letztlich entscheidet jede Fluggesellschaft selbstständig, bzw. jeder Pilot selbst über die Mitnahme der einzelnen Patienten. Trotzdem gibt es eine Reihe von Empfehlungen pneumologischer Fachgesellschaften, die Berücksichtigung finden können. Eine praxisnahe und ausführliche Leitlinie wurde von der British Thoracic Society veröffentlicht (2002). Zudem sollte sich der beratende Arzt darüber im Klaren sein, dass nur eine geringe Zahl von Zwischenfällen an Bord eines Flugzeuges auf pulmonalen Erkrankungen basiert, die überwiegende Mehrzahl sind kardiale Zwischenfälle. Die folgenden Hinweise sollen jedoch helfen, das Risiko für den einzelnen Patienten mit einer pulmonalen Erkrankung besser einschätzen zu können.
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Atemwegserkrankungen und Tauchen, Fliegen, Bergsteigen Gemeinsame Kernaussage der vorhandenen Leitlinien ist, dass der Sauerstoffpartialdruck whrend einer Flugreise nicht unter 50 – 55 mmHg fallen sollte. Dieser Wert ist zwar nicht durch Studien belegt, aber in Analogie zu den Empfehlungen der Sauerstofflangzeittherapie gewählt. Die Sauerstoffsttigung liegt dann bei etwa 85%. Keine der Leitlinien geht jedoch auf das häufig gemeinsame Vorliegen von kardialen und pulmonalen Erkrankungen ein, ebenso wenig gibt es hierzu Studien. Patienten mit bereits am Boden eingeleiteter Sauerstofflangzeittherapie müssen diese selbstverständlich während der Flugreise fortführen (s. unten).
Chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen (COPD) Aufgrund der hohen Prävalenz von Patienten mit COPD stellt sich bei diesen Patienten am häufigsten die Frage nach einer Flugtauglichkeit. In einer Reihe von Studien wurde versucht, herauszufinden, welche Patienten besonders gefährdet sind. Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Luks und Swenson (2007). In der Zusammenschau mehrerer Studien zeigt sich, dass in der Regel der arterielle Sauerstoffpartialdruck bei einer Höhendifferenz von etwa 2000 – 2500 m um etwa 20 mmHg abnimmt. Damit wären im Prinzip alle Patienten mit einem Sauerstoffpartialdruck über 70 mmHg flugtauglich. Dies gilt jedoch nur für Patienten, bei denen keine ausgeprägte Obstruktion (FEV1 > 50%) besteht. Diese Patienten sind in der Lage, auf den Sauerstoffmangel mit ausreichender Hyperventilation zu reagieren und entsprechend den alveolären Sauerstoffpartialdruck anzupassen. Patienten mit stärkerer bronchialer Obstruktion gelingt dies nicht immer, hier konnte gezeigt werden, dass diese Patienten auch auf Werte unter 50 mmHg abfielen, obwohl ihr initialer Sauerstoffpartialdruck auf Ausgangshöhe über 70 mmHg lag. Daher wurde versucht, mittels Regressionsgleichungen diesen Faktor zu integrieren. Eine mögliche Formel für die Vorhersage des Sauerstoffpartialdruckes in der Höhe wurde von Dillard et al. (1989) vorgeschlagen: PaO2 Hçhe = (0,519 PaO2 Seehçhe) + (11,85 FEV1) – 1,76
Eine Alternative zur Vorhersage des Sauerstoffpartialdruckes in einer Höhe von etwa 2500 m besteht in der Einatmung eines Atemgasgemisches mit einem FiO2 von 15%. Dieser sogenannte Hypoxia-Inhalation-Test kann nicht überall durchgeführt werden, stellt jedoch bei Bereitstellung einer entsprechenden Gasflasche (z. B. N2 85%, O2 15%) letztlich kein Problem dar. Durch ein Ventil mit Trennung von In- und Exspiration atmet der Patient für 15 Minuten das hypoxische Atemgasgemisch, vorher und nachher erfolgen Blutgasanalysen. Ein weiterer einfacher Test ist der 50-m-GehTest, der in den britischen Leitlinien empfohlen wird. Wer 50 m ohne Probleme gehen kann, ist flugtauglich. Obwohl dieser Test bisher nicht in Studien getestet wurde, scheint er doch von vielen Fluglinien angewandt zu werden. Zumindest lässt die kurzfristig notwendige Steigerung der Ventilation und des Herz-Zeit-Volumens eine schwere kardio-pulmonale Dysfunktion erkennen (British Thoracic Society 2002).
Bullçse Lungenerkrankungen Patienten mit COPD oder Emphysem entwickeln immer wieder große Bronchiektasen, z. T. mit ausgeprägten Bullae. Zudem gibt es auch Patienten mit kongenitaler Zystenbildung der Lunge. Obwohl bisher in diesem Fall häufig von Flugreisen abgeraten wurden, zeigt die Durchsicht der verfügbaren Literatur, dass diese Sorge letztlich unbegründet ist. Auch nach Aufstieg in eine simulierte Höhe von bis zu 5500 m bei rascher Aufstiegsgeschwindigkeit fanden sich bei Patienten mit COPD und Bullae keine radiologischen Hinweise auf eine Vergrößerung der Bullae oder neue Pneumothoraces. Auch bei Patienten mit Air-Trapping fand sich in dieser Höhe kein Hinweis auf eine Verschlechterung der Lungenfunktion oder ein Pneumothorax. Ein Grund für diese doch geringe Gefahr scheint zu sein, dass die Bullae offenbar Anschluss an das Bronchialsystem haben. Zudem muss man sich vor Augen halten, dass die Druckänderungen beim Aufstieg in größere Höhen weniger als 50 kPa (< 350 mmHg) betragen und deutlich niedriger sind als diejenigen, die beim Tauchen auftreten (200 – 300 kPa, entsprechend 1500 – 2250 mmHg) und daher der Druckgradient bei Höhenexposition deutlich geringer ist.
Respiratorische Krankheiten und Flugtauglichkeit
Mukoviszidose Die oben gemachten Ausführungen gelten im Wesentlichen auch für Patienten mit Mukoviszidose, wobei bei diesen Patienten in der Regel Begleiterkrankungen wie Hypertonie oder koronare Herzerkrankung nicht vorliegen. Allerdings weisen Mukoviszidose-Patienten im fortgeschrittenen Stadium häufig eine Globalinsuffizienz mit z. T. deutlich erniedrigten Sauerstoffpartialdrücken auf. In mehreren Arbeiten wurde untersucht, inwieweit eine Höhenexposition von 2500 m von diesen Patienten toleriert wird. In der Summe zeigt sich, dass alle Patienten die Höhenexposition gut vertragen haben, obwohl einige dieser Patienten auch Sauerstoffpartialdrücke z. T. deutlich unter 50 mmHg aufwiesen.
Praxis Für die Beratung vor Flugreisen sind die Patienten darauf hinzuweisen, dass sie, wenn möglich, ihre Inhalationsgeräte als Handgepäck mitführen, um bei ungeplanten Aufenthalten oder Gepäckverlust ihre übliche Therapie fortführen können.
Asthma bronchiale Für Patienten mit intermittierendem Asthma bronchiale oder medikamentös gut eingestelltem Bronchialasthma stellen Flugreisen in der Regel kein Problem dar. Die Oxygenierung auf Seehöhe ist in aller Regel immer ausreichend, um auch eine Verminderung während der Flugreise tolerabel erscheinen zu lassen. Allerdings soll der Patient mit unkontrolliertem Asthma bronchiale (nach GINA Guideline 2006) unbedingt ausreichend Notfallmedikation während des Fluges mitführen. Denn neben der Hypoxie-Belastung kann die trockene Luft während des Fluges zu einer Verschlechterung der bronchialen Obstruktion führen.
Pulmonal-arterielle Hypertonie (primr oder sekundr) Patienten mit pulmonal-arterieller Hypertonie werden unter Hypoxie-Belastung eine weitere Zunahme des pulmonal-arteriellen Mitteldruckes erfahren. Hierbei sind vermutlich Patienten mit primärer pulmonaler Hypertonie evtl. etwas geringer
gefährdet, da sie bereits ein Remodelling der pulmonalen Strombahn aufweisen. Trotzdem erscheint es ratsam, diesen Patienten immer zusätzlichen Sauerstoff während der Flugreise zu empfehlen, da nicht abgeschätzt werden kann, wie stark der pulmonal-arterielle Druck ansteigen wird. Zudem wurde bereits in Höhen ab 1400 m bei diesen Patienten das Auftreten z. B. eines Höhenlungenödems beobachtet.
Patienten mit interstitiellen Lungenerkrankungen Bei diesen Patienten besteht aufgrund der gestörten Diffusionskapazität keine Möglichkeit, durch Hyperventilation eine wesentlich bessere Oxygenierung zu erreichen. Aufgrund dessen sollte bei diesen Patienten mit nachgewiesener Hypoxämie und Diffusionsstörung empfohlen werden, Sauerstoff während des Fluges mitzuführen.
Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom/ Obesitas-Hypoventilationssyndrom Bei Pat. mit obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom oder Obesitas-Hypoventilationssyndrom bewirkt Höhenexposition eine Zunahme der zentralen Apnoen auf Kosten der obstruktiven Apnoen ohne Verringerung des Gesamt-Apnoe-Indexes. Zudem waren die Entsättigungen ausgeprägter als auf Seehöhe. Daher wäre für diese Patienten auch während eines Langstreckenfluges die Anwendung einer nCPAP-Therapie zu empfehlen. Da dies aus technischen Gründen (kein Stromanschluss) während des Fluges nicht möglich ist, ist derzeit eine Behandlung dieser Patienten während einer Flugreise nicht möglich. Da diese Patienten häufig (zumindest in der Economy-Class) sitzend unterwegs sind, besteht jedoch eine geringere Gefahr von Apnoen durch den zurückfallenden Unterkiefer. Die Gefährdung in der Business-Class erscheint hier größer. Allerdings ist in der Regel für Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe eine Nacht ohne nCPAP Gerät tolerabel. Die Patienten sollten darauf hingewiesen werden, dass die Tagesmüdigkeit nach dem Flug durch die mögliche Schlafstörung zunehmen wird.
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Atemwegserkrankungen und Tauchen, Fliegen, Bergsteigen
Entzndliche Erkrankungen Jegliche floride entzündliche Lungenerkrankung bedingt Flugreiseuntauglichkeit bis zur Ausheilung. Hierzu zählen z. B. Pneumonie, Tuberkulose oder auch eine schwere Bronchitis.
Pneumothorax und Pleuraerkrankungen Im Gegensatz zu Bullae kommunizieren Pneumothoraces nicht mit der Umgebungsluft, daher besteht bei diesen Patienten eine Gefahr der Verschlechterung bei noch bestehenden Pneumothorax. Obwohl prospektive Studien hierzu fehlen, zeigte sich in einer Nachuntersuchung, dass ein Mindestabstand von 2 Wochen nach vollständiger Lungenentfaltung nach Pneumothorax ausreichend erscheint, um eine Flugreise ohne Re-Pneumothoraxgefahr durchführen zu können. Bei weiter bestehenden Pneumothorax sollte entweder ein Heimlichventil oder eine Thoraxdrainage liegen.
Praxis Praktische Hinweise • Mitnahme von Sauerstoff während des Fluges sollte empfohlen werden bei: – COPD mit FEV1 < 50%, PaO2 < 70 mmHg – Patienten mit pulmonaler Hypertonie – Patienten mit interstitieller Lungenerkrankung und messbarer Diffusionseinschränkung – Mukoviszidose mit FEV1 < 50% und PaO2 < 70 mmHg. • Patienten mit ausgeprägter bronchialer Obstruktion müssen Notfall- und Dauertherapie während des Fluges mitführen. • Patienten mit OSAS auf mögliche Verschlechterung der Erkrankung während des Fluges hinweisen. • Flugreise zwei Wochen nach erfolgreicher Pneumothoraxtherapie möglich.
Sauerstoffmitnahme whrend des Fluges Noch immer sind die Regelungen bezüglich der Sauerstoffmitnahme während des Fluges nicht einheitlich. Patienten unter Sauerstofflangzeittherapie oder Patienten, die nach den oben gemachten Hinweisen während des Fluges eine Sauerstofftherapie benötigen, müssen sich in der Regel mindestens 2 – 3 Wochen vorher bei der Fluglinie über die jeweiligen Bedingungen informieren. Procedere wie Preise sind häufig unterschiedlich und reichen von 100 E pro Flugstrecke bis zu 600 E pro Flugstrecke. Allerdings ist es denkbar, dass aufgrund der europäischen Harmonisierung im Flugverkehr und der Vermeidung von Behinderungen für Patienten mit körperlichen Einschränkungen eine Verbesserung in den nächsten Jahren erzielt werden kann (Verordnung [EG] Nr. 1107/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität). Insbesondere ist darauf zu achten, dass auch bei Anschlussflügen Sauerstoff durch die Fluglinie bereitgestellt wird. Informationen zu Flugreisen mit Sauerstoff bietet in Deutschland der Verein für Sauerstofflangzeit-Therapie (www.selbsthilfelot.de). Die Verwendung eigener Sauerstoffgeräte – seien es Konzentratoren oder O2-Flaschen – ist an Bord von Verkehrsflugzeugen derzeit nicht zulässig. Allerdings können diese Geräte in der Regel ohne Anrechnung auf das zulässige Gewicht im Gepäck (Sauerstoffflaschen druckentleert) mitgeführt werden. Durch den medizinischen Dienst der jeweiligen Luftverkehrsgesellschaft wird ein sogenanntes MEDA-Formular ausgefüllt, das auf der Vorderseite die medizinischen Daten und die angeforderten Hilfsmittel enthält, auf der Rückseite werden Angaben zu den gewünschten Reisedaten gemacht. Bei Patienten mit chronischen Erkrankungen oder bei Behinderten wird ein sogenannter FREMEC-Ausweis erstellt. Er enthält die medizinischen Daten sowie Angaben zur Person des Reisenden. Dieser Ausweis ist längerfristig gütig und auch international anerkannt.
Bergsteigen mit pulmonalen Erkrankungen
6.4 Bergsteigen mit pulmonalen Erkrankungen Für das Bergsteigen mit Höhenexposition gilt in der Regel dasselbe wie oben bereits für Flugreisen ausgeführt, allerdings müssen hier zwei Dinge unterschieden werden: • zum einen das Bergsteigen mit nur kurzer Exposition in größerer Höhe und danach sofortigem Abstieg • zum anderen der längere Aufenthalt in größeren Höhen Für Patienten mit mildem oder gut kontrollierten Asthma bronchiale ist in der Regel Bergsteigen problemlos möglich, insbesondere nimmt die Allergen-Belastung in einer Höhe von 1500 – 2000 m deutlich ab. Allerdings sind die Patienten auf eine mögliche Verschlechterung durch trockene Luft und Kälte sowie Anstrengung hinzuweisen. Sie sollten daher ihr Peak-Flow-Meter und hinreichende Notfallmedikation mitführen und bei längeren Höhenaufenthalten auf eine mögliche Verschlechterung achten. Auch wenn die Peak-Flow-Meter nicht auf eine verminderte Luftdichte geeicht sind, stellt dies doch einen brauchbaren Anhalt für eine Verschlechterung der pulmonalen Situation dar.
Patienten mit den anderen oben genannten pulmonalen Erkrankungen werden in der Regel nicht anstrengende Bergtouren oder längere Höhenaufenthalte anstreben. Sollte dies der Fall sein, muss darauf hingewiesen werden, dass bei Patienten mit COPD eine Erhöhung der Mortalität bei längerem Höhenaufenthalt beschrieben worden ist. Patienten mit pulmonal-arterieller Hypertonie können leichter an höhenbedingten Erkrankungen wie z. B. Höhenlungenödem erkranken. Schließlich ist auch die medizinische Versorgung in der Regel in diesen höher gelegenen Gebieten eingeschränkt, die Patienten müssen entsprechend informiert werden.
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Das rztliche Begutachtungswesen in der Schweiz: spezifische Aspekte B. Danuser und M. Regger
7.1 Einleitung Die Bewertung und Begutachtung pneumologischer Krankheitsbilder und ihre Diagnostik unterscheiden sich medizinisch-fachlich kaum von den in Deutschland ausgeübten und in diesem Buch gut beschriebenen Modalitäten. Hingegen sind die Rechtsgrundlagen und daher auch die Begriffe teilweise verschieden. Die folgenden Ausführungen sollen deshalb dazu dienen, die in diesem Buch geschilderten Grundlagen auch für schweizerische Verhältnisse verständlich zu machen.
7.2 Gesetzliche Situation In Deutschland können die Ebenen des für eine Begutachtung wesentlichen sozialen Netzwerkes (abgesehen von der gesetzlichen Krankenversicherung) auf vier Gesetze zurückgeführt werden. In der Schweiz sind dagegen nur drei Gesetze von Bedeutung: • das Bundesgesetz ber die Unfallversicherung (UVG) von 1981, auf dem die gesetzliche Unfallversicherung (UV) basiert, und das sich gegenwärtig in Revision befindet, • das ebenfalls revidierte Bundesgesetz ber die Invalidenversicherung (IVG) von 1960, • und seit dem Jahr 2000 auch das Bundesgesetz ber den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechtes (ATSG). Dieses fasst in Kapitel 2 die für die gesamte Sozialversicherungsgesetzgebung gültigen Begriffe und Legaldefinitionen bezüglich Krankheit, Unfall, Arbeitsfähigkeit usw. zusammen und wirkt sich daher sowohl auf das UVG als auch auf das IVG aus. Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) spielt im Zusammenhang mit ärztlichen Begutachtungen kaum eine Rolle, da sich bei Krankheiten in der Regel keine Fragen zur Kausalität und Berentung stel-
len. Die Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) deckt die altersbedingten Rentenansprüche ab und ist für vorliegende Fragestellung der Begutachtung ebenfalls nicht wichtig. Auch die Militärversicherung (MV), welche alle im Dienst stehenden Angehörigen der schweizerischen Armee und ihre Festangestellten versichert, weist ein paar Besonderheiten auf. Auch sie sind für das Folgende nicht von Bedeutung.
Die Unfallversicherung Alle Arbeitnehmenden in der Schweiz sind obligatorisch gegen Berufsunfälle, Nichtberufsunfälle und Berufskrankheiten versichert. Berufsunfälle und Berufskrankheiten werden versicherungsrechtlich gleich behandelt. Die Unfallversicherung erfolgt je nach Branche und Berufsgattung durch die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) oder durch andere zugelassene Versicherer. Betriebe, die aufgrund gesetzlicher Vorgaben besondere Gefahren aufweisen, müssen jedoch bei der Suva versichert sein. Sie hat außerdem das Recht, einen Betrieb oder Betriebsteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge zu unterstellen. Das bedeutet, dass die Suva arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen in diesen Betrieben durchführt oder durchführen lässt, selbst dann, wenn der Betrieb nicht bei der Suva versichert ist.
Berufsunfall (BU) „Als Berufsunfälle gelten Unfälle, die dem Versicherten zustoßen bei Arbeiten auf Anordnung des Arbeitgebers oder in dessen Interesse oder während Arbeitspausen“ (Art. 7 UVG). Unfälle auf dem Arbeitsweg gelten ebenfalls als Berufsunfälle, wenn die wöchentliche Arbeitszeit weniger als 8 Stunden beträgt oder wenn ein fir-
Gesetzliche Situation meneigener Wagen benützt wird. Freizeitunfälle sind bei weniger als 8 Wochenstunden nicht versichert.
Nichtberufsunfall (NBU) Bei Beschäftigten mit mehr als 8 Wochenstunden gelten Arbeitswegunfälle sowie sämtliche Freizeitunfälle als Nichtberufsunfälle. Sie sind ebenfalls obligatorisch versichert.
Berufskrankheiten (BK) Die Berufskrankheiten sind im Art 9 des UVG definiert: „Als BK gelten Krankheiten, die bei der beruflichen Tätigkeit ausschließlich oder vorwiegend (d. h. zu mehr als 50%) durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten verursacht worden sind. Der Bundesrat erstellt die Liste dieser Stoffe und Arbeiten sowie der arbeitsbedingten Erkrankungen“ (s. Tab. 7.1). Nach schweizerischem Recht gibt es somit keine eigentliche BK-Diagnoseliste wie in Deutschland oder Österreich. Die schweizerische Regelung ist vielmehr einwirkungsbezogen und bietet deshalb mehr Spielraum bei der Anerkennung von Berufskrankheiten. Gemäß Art. 9, Absatz 2 UVG gelten auch andere Krankheiten als BK, von denen nachgewiesen wird, dass sie ausschließlich oder stark überwiegend durch berufliche Tätigkeit verursacht worden sind (entspricht der sog. „Öffnungsklausel“ in Deutschland). Für die Anerkennung einer BK nach Absatz 2 gilt somit ein strengerer Maßstab bezüglich Kausalität. Eine solche Krankheit gilt dann als BK, wenn sie zu mindestens 75% auf die berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden kann.
Versicherungsfall/Leistungsfall Gemäß UVG können in der Schweiz auch BK übernommen werden ohne dass eine „Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)“ besteht, sofern die Bedingungen gem. Art. 9 UVG erfüllt sind, wenn also nach deutscher Sprachregelung nur der Versicherungs- nicht aber gleichzeitig der Leistungsfall gegeben ist.
Renten Im Zusammenhang mit einer Berentung zielt die wesentliche sozialversicherungsrechtliche Frage an den Gutachter auf die Art und das Ausmaß der verbleibenden Behinderung und damit der zumutbaren Erwerbstätigkeit ab (sog. Verweisungstätigkeit in Deutschland). Dabei interessiert, was dem oder der Versicherten nicht mehr möglich ist zu tun, bzw. was ihm/ihr aufgrund seiner/ihrer Krankheits- oder Unfallfolgen nach Behandlungsabschluss medizinisch gesehen auf dem Arbeitsfeld noch zugemutet werden kann. Gestützt auf diese Zumutbarkeitsbeurteilung legt die zuständige Administration mehrere Arbeitsplatzdokumentationen vor (Dokumentation Arbeitsplatz – DAP). Dabei handelt es sich um real existierende Arbeitsplätze, die in der freien Wirtschaft bezüglich Anforderungen und Verdienst nach einheitlichem Muster erfasst und in einer Datenbank abgespeichert worden sind. Aus der Differenz zwischen dem seinerzeitigen Erwerbseinkommen vor dem Unfall bzw. der Krankheit und dem aktuell gemäß Zumutbarkeit und DAPs noch möglichen, bemisst die Administration die Rentenhöhe. Hierbei gilt gemäß UVG der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall/Krankheitsausbruch bei einem oder mehreren Arbeitgebern bezogene Lohn als Basis. Rentenrevisionen im Verlauf sind möglich.
Integrittsentschdigung Die Integritätsentschädigung (IE), die sich auf den UVG-Bereich beschränkt, soll die durch einen Unfall bzw. eine Berufskrankheit erlittene Einbuße an körperlicher oder geistiger Integrität mit einer einmaligen Zahlung abgelten. Voraussetzung für eine IE ist eine erhebliche und voraussichtlich bleibende Schädigung der Integrität. Sie gilt dann als erheblich, wenn die körperliche oder geistige Unversehrtheit, unabhängig von der Erwerbstätigkeit, augenfällig oder stark beeinträchtigt wird und keine namhafte Besserung mehr erwartet werden kann. Bei pneumologischen Krankheitsfällen gilt die Funktionseinbuße (med. theoretische Ateminvalidität bzw. „Impairment“) als Maß zur Festsetzung des Integritätsschadens. Gestützt darauf wird der Integritätsschaden mithilfe einer Umrechnungstabelle als Prozentsatz des maximal versicherten Jahreslohnes errechnet und ausbezahlt. Der sich
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Das Ärztliche Begutachtungswesen in der Schweiz: spezifische Aspekte Tabelle 7.1 Liste der schdigenden Stoffe und der arbeitsbedingten Erkrankungen nach Artikel 14 der Verordnung. Aus: Verordnung ber die Unfallversicherung (UVV) 832.202 vom 20. Dezember 1982 (Stand am 5. Dezember 2006), Anhang 1. 1. Als schdigende Stoffe im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 des Gesetzes gelten: Acetaldehyd Acetate, nur Methyl-, thyl-, Butyl-, Amyl-, Vinylacetat Aceton Acetylen Acridin Acrolein Acrylamid Aethylenimin Aethylenoxid Alkaloide Alkylamine Aluminiumchlorid Ameisensure Ammoniak Anthracen Antimon und seine Verbindungen Arsen und seine Verbindungen Arylamine Asbeststaub Barium und seine in verdnnten Suren lçslichen Verbindungen Benzine Benzol Beryllium, seine Verbindungen und Legierungen Bitumen Blei, seine Verbindungen und Legierungen Brom
Glykole, ihre ther und deren Ester
Quecksilber, seine Verbindungen und Legierungen
Halogenierte organische Verbindungen n-Hexan Holzstaub Hydrazin und seine Derivate Hydroxylamin
Salpetersure Salpetrige Sure, ihre Salze (Nitrite) und Ester Salzsure Schwefeldioxid Schwefelkohlenstoff Schwefelnatrium Schwefelsure, ihre Salze (Sulfate) und Ester Schwefelsureanhydrid Schwefelwasserstoff Schweflige Sure und ihre Salze (Sulfite) Selen und seine Verbindungen Stickstoffwasserstoffsure und ihre Salze (Azide) Styrol Sulfurylchlorid
Cadmium und seine Verbindungen Calciumcarbid Calciumhydroxid (gelçschter Kalk) Calciumoxid (gebrannter Kalk) Carbamate und ihre Verbindungen Chlor Chlorkalk Chlorschwefel Chlorsulfonsure Chromverbindungen Cyan und seine Verbindungen
Naphtalin und seine Verbindungen Natriumchlorat Natriumhydroxid Nickel Nickelcarbonyl Nitroglycerin Nitroglykole Nitrose Gase Nitroverbindungen, organische
Diazomethan Dimethylformamid Dioxan Epoxidharze Essigsure Essigsureanhydrid Fluor und seine Verbindungen Formaldehyd Formamid
Isocyanate Jod Kaliumchlorat Kaliumhydroxid Kautschukadditive Keten Kobalt und seine Verbindungen Kohlenmonoxid Kolophonium Latex Maleinsureanhydrid Mangan und seine Verbindungen Methanol Methylthylketon Mineralçladditive Mineralçle
Teer Teerpech Terpentinçl Thalliumverbindungen Thiocyanate (Sulfocyanate) Thionylchlorid Toluol 2,4,6-Trichlor-l,3,5-triazin (Cyanursurechlorid) Trimellithsureanhydrid Vanadium und seine Verbindungen Xylole Zement Zink und seine Verbindungen Zinnverbindungen
Ozon Paraffin Peroxide Persulfate Petrol Phenol und seine Homologen Phenylhydroxylamin Phosgen Phosphor und seine Verbindungen Phthalsureanhydrid Platin-Komplexsalze Pyridin und seine Homologen Fortsetzung nächste Seite
Gesetzliche Situation Tabelle 7.1 Liste der schdigenden Stoffe und der arbeitsbedingten Erkrankungen nach Artikel 14 der Verordnung (Fortsetzung) 2. Als arbeitsbedingte Erkrankungen im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 des Gesetzes gelten: a. Erkrankungen durch physikalische Einwirkungen Hautblasen, -risse, -schrunden, -schrfungen, -schwielen chronische Erkrankungen der Schleimbeutel durch stndigen Druck Drucklhmung der Nerven sogenannte Sehnenscheidenentzndung (Peritendinitis crepitans) Erhebliche Schdigungen des Gehçrs Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft Erfrierungen, ausgenommen Frostbeulen Sonnenbrand, Sonnenstich, Hitzschlag Erkrankungen durch Ultraschall und Infraschall Erkrankungen durch Vibrationen (nur radiologisch nachweisbare Einwirkungen auf Knochen und Gelenke, Einwirkungen auf den peripheren Kreislauf) Erkrankungen durch ionisierende Strahlen Erkrankungen durch nicht ionisierende Strahlen (Laser, Mikrowellen, Ultraviolett, Infrarot usw.) b. Andere Erkrankungen Staublungen Erkrankungen der Atmungsorgane
Hautkrebse und hierzu neigende Hautvernderungen Infektionskrankheiten durch Kontakt mit Tieren verursachte Krankheiten
Amçbiasis, Gelbfieber, Hepatitis A, Hepatitis E, Malaria Ankylostomiasis, Cholera, Clonorchiasis, Filariasis, Hmorrhagische Fieber, Leishmaniasis, Lepra, Onchozerkiasis, Salmonellosen, Shigellosen, Schistosomiasis, Strongyloidiasis, Trachom, Trypanosomiasis
auf diese Weise ergebende einmalige Geldbetrag ist bei gleichem Schaden für alle Betroffenen gleich hoch und von einem allfälligen Rentenanspruch unabhängig. Gelegentlich ist die Beurteilung des Integritätsschadens – etwa bei einem berufsbedingten Asthma bronchiale – aufgrund der oben erwähnten Stabilitätsbedingung mit Problemen verbunden. Wegleitend ist in diesen Fällen die Richtlinie der ATS von 1993 (Am Rev Respir Dis 1993; 147: 1056 – 61).
alle Arbeiten alle Arbeiten alle Arbeiten alle Arbeiten Arbeiten im Lrm alle Arbeiten alle Arbeiten alle Arbeiten alle Arbeiten alle Arbeiten
alle Arbeiten alle Arbeiten
Arbeiten in Stuben von Aluminium, Silikaten, Graphit, Kieselsure, (Quarz) Hartmetallen Arbeiten in Stuben von Baumwolle, Hanf, Flachs, Getreide und Mehl von Weizen und Roggen, Enzymen, Schimmelpilzen alle Arbeiten mit Verbindungen, Produkten oder Rckstnden von Teer, Pech, Erdpech, Mineralçl, Paraffin Arbeiten in Spitlern, Laboratorien, Versuchsanstalten und dergleichen Tierhaltung und Tierpflege sowie Ttigkeiten, die durch Umgang oder Berhrung mit Tieren, mit tierischen Teilen, Erzeugnissen und Abgngen zur Erkrankung Anlass geben; Ein- und Ausladen sowie Befçrderung von Waren beruflich bedingter Aufenthalt außerhalb Europas beruflich bedingter Aufenthalt in tropischen/subtropischen Gebieten
Bezüglich der Integritätsentschädigung im Falle von malignen Tumoren hat sich bis jetzt noch keine höchstrichterlich gebilligte Praxis eingebürgert.
Bedingte Eignung, Nichteignung Eine Besonderheit der schweizerischen Unfallversicherungsgesetzgebung ist die bedingte Eignungs- oder Nichteignungsverfügung (BEV, NEV). Sie kann nur von der Suva erlassen werden, auf An-
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Das Ärztliche Begutachtungswesen in der Schweiz: spezifische Aspekte trag hin auch bei Fällen anderer zugelassener Unfallversicherungsträger. Nichteignung im arbeitsmedizinischen Sinne liegt dann vor, wenn bei der Fortführung der bisherigen, eine Berufskrankheit verursachenden Tätigkeit eine ernsthafte, d. h. erhebliche gesundheitliche Gefährdung befürchtet werden muss. Das Gleiche gilt für den Fall einer vorbestehenden, berufsfremden Gesundheitsschädigung, wenn diese durch Umstände am Arbeitsplatz in erheblichem Maße verschlimmert werden könnte. Eine bedingte Eignungs- oder Nichteignungsverfgung kann auch erlassen werden, um einzelne Versicherte vor einer krankheitsbedingten Selbstgefährdung durch Unfälle zu schützen. Darunter fällt zum Beispiel die Nichteignung von Epileptikern für absturzgefährdende Tätigkeiten. Im Gegensatz zur Nichteignung lässt die bedingte Eignung die weitere Verrichtung der bisherigen Berufsarbeit zu, sofern im Einzelfall zu definierende Bedingungen eingehalten werden. In jedem Fall hat der betroffene Arbeitnehmende Anspruch auf persönliche Beratung, unter Umständen auch auf Übergangstaggeld und Übergangsentschädigung, terminiert auf maximal 4 Jahre sowie auf Berufsberatung und gegebenenfalls eine Umschulung, für welche allerdings die Invalidenversicherung (IV) zuständig ist.
Leistungen Die IV gewährt geistig und körperlich Behinderten jeglichen Alters, die noch keine Altersrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) erhalten, Leistungen in Form von medizinischen und beruflichen Eingliederungs- und Umschulungsmaßnahmen einschließlich von Hilfsmitteln sowie gegebenenfalls Taggeldern während deren Durchführung. Ebenfalls zu den Leistungen der IV zählen Renten- und Hilflosenentschädigungen. Umschulungs- und Wiedereingliederungsmaßnahmen aufgrund von Unfall- oder BK-Folgen gehören ebenfalls in den Aufgaben- und damit Leistungsbereich der IV.
Ziel der Invalidenversicherung Hauptziel der IV ist immer die Eingliederung oder Wiedereingliederung der Versicherten ins Erwerbsleben („Eingliederung vor Rente“). Deshalb lautet die Kernfrage an den IV-Gutachter, welche Tätigkeiten für den/die Betroffene/n aufgrund seiner/ihrer Behinderung noch möglich und medizinisch zumutbar sind und zwar in irgendeinem Beruf. Die Berufsunfähigkeit ist also nicht ausschlaggebend, sondern der Grad der Erwerbsfähigkeit oder -unfähigkeit.
Verschlimmerung, Vorschaden Im Falle der Verschlimmerung einer vorbestehenden Krankheit durch Arbeitsplatznoxen besteht keine ausdrückliche gesetzliche Regelung. Sie kann aber aufgrund von Bundesgerichtsurteilen dann im Sinne einer BK akzeptiert werden, wenn der Stellenwert der Arbeitsplatznoxe (sollte in der Stoffliste aufgeführt sein) im Krankheitsablauf als wesentlich erkannt wurde. Dieser Stellenwert muss mindestens vorwiegend sein, das heißt, die Vorkrankheit muss dadurch in richtungsweisender Art beeinflusst worden sein.
Invalidenversicherung (IV) Die IV erbringt Leistungen, wenn Erkrankungen oder Unfälle, die nicht durch das UVG abgedeckt sind, zur vorzeitigen Erwerbsunfähigkeit führen. Sie regelt aber auch die Versorgung von Behinderungen durch Geburtsgebrechen. Die Ursache oder Kausalität ist für die IV unwesentlich.
Renten Maßgebend für die Feststellung, ob Anspruch auf eine Rente besteht, ist auch bei der IV die ermittelte Verminderung der Erwerbsfähigkeit und nicht die Art und Schwere des Gesundheitsschadens. Die IV arbeitet mit denselben DAPs wie die sozialen Unfallversicherer. Die Renten der IV richten sich bei zuvor erwerbstätigen Erwachsenen nicht nach dem unmittelbar vor Behinderungseintritt erzielten Lohn, sondern – innerhalb eines gewissen Rahmens – nach Höhe und Dauer der geleisteten Beiträge. Die Rente kann im besten Fall und ohne Hilflosenentschädigung jedoch nicht mehr als eine maximale Altersrente (AHV-Rente) betragen. Prozentuale Abstufungen der Renten sind möglich (viertel, halbe oder volle Erwerbsausfallrenten).
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Das rztliche Begutachtungswesen in sterreich: spezifische Aspekte H. W. Rdiger und R. Winker
8.1 Allgemeines In Österreich gilt ein gegliedertes System der Sozialversicherung, das ähnlich wie in Deutschland trennt zwischen einer Krankenversicherung für den Krankheitsfall, der Pensionsversicherung zur Alterssicherung und bei Invalidität und der Unfallversicherung für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Ausgenommen sind Bauern, Eisenbahner und öffentlicher Dienst. Dies impliziert ebenso wie in Deutschland die Notwendigkeit der Abgrenzung zwischen den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die berufliche Unfallversicherung ausschließlich durch Arbeitgeberbeiträge finanziert wird. Die gesetzliche Grundlage der Definition einer Berufskrankheit ist in Österreich der § 177 ASVG (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz). Dieses Gesetz definiert in Absatz 1 Berufskrankheiten: „Als Berufskrankheiten gelten die in Anlage 1 zu diesem Bundesgesetz bezeichneten Krankheiten unter den dort angeführten Voraussetzungen, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in einem in Spalte 3 der Anlage bezeichneten Unternehmen verursacht sind.“ Die österreichische Berufskrankheitenliste umfasst derzeit 53 Berufskrankheiten und ist damit deutlich weniger umfangreich als die deutsche Liste (derzeit 68 Berufskrankheiten). Wie in der deutschen Liste ist auch in Österreich ein Nebeneinander von zwei prinzipiell unterschiedlichen Gliederungsprinzipien festzustellen, nämlich einmal spezifiziert nach der Einwirkung, zum anderen spezifiziert nach einer bestimmten Erkrankung in Zusammenhang mit einer beruflichen Exposition. Die österreichische Berufskrankheitenliste ist auch nicht durchgehend systematisch gegliedert, sondern folgt einer historisch gewachsenen Aneinanderreihung von Einträgen, die fortlaufend nummeriert werden.
Der § 177, Abs. 2 ASVG (Generalklausel) entspricht der Öffnungsklausel im deutschen Berufskrankheitenrecht: „Eine Krankheit, die ihrer Art nach nicht in der Liste enthalten ist, gilt als Berufskrankheit, wenn die Unfallversicherung im konkreten Fall aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse feststellt, dass diese Krankheit ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Versicherten ausgeübten Beschäftigung entstanden ist; diese Feststellung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen.“ Durch die geforderte Zustimmung des zuständigen Ministeriums ist es möglich, einen einheitlichen Maßstab anzulegen, welche Fälle über die Generalklausel zu entschädigen sind, und gleichzeitig die so zusammengeführten Informationen gegebenenfalls für eine Erweiterung der Berufskrankheitenliste zu nutzen. Zur Bemessung der Entschädigungsleistung durch die Unfallversicherung ist vom Gutachter die prozentuale Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu schätzen, insofern diese mindestens 10% beträgt. Eine Entschädigung erfolgt erst ab einer MdE von 20%, wobei sich die MdE aus mehreren Versicherungsfällen mit mindestens 10% EinzelMdE addiert. Bemerkenswert ist, dass bei Mitberücksichtigung einer Berufskrankheit im Sinne des § 177, Abs. 2, die Gesamt-MdE wenigstens 50% betragen muss. Die Versehrtenrente kann in den ersten 2 Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles als vorläufig festgesetzt werden, wenn die Entwicklung der Folgen des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit noch nicht absehbar ist. Der § 211 ASVG bestimmt, dass Versicherten, denen bei Fortsetzung ihrer bisherigen Beschäftigung die Gefahr einer Berufskrankheit droht, neben beruflichen und sozialen Maßnahmen der Rehabilitation eine Übergangsrente bis zur Höhe der Vollrente für längstens 2 Jahre gewährt werden
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Das Ärztliche Begutachtungswesen in Österreich: spezifische Aspekte kann, um ihnen den Übergang zu einer anderen Erwerbstätigkeit zu erleichtern. Einer Änderung der österreichischen Berufskrankheitenliste mit dem Ziel, eine größtmögliche Harmonisierung mit anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft zu gewährleisten, wird in Österreich seit Jahren diskutiert. In der Praxis erweist sich das als kaum durchführbar, weil ein gegliedertes System der Sozialversicherung, so wie es in Deutschland und Österreich besteht, nur bei wenigen Staaten innerhalb der EU in vergleichbarer Form gegeben ist. Dadurch haben in den meisten EU-Ländern sogenannte Berufskrankheitenlisten eine andere rechtliche Bedeutung und sind häufig nur unter Vorsorgegesichtspunkten erstellt worden. Außerdem enthält die europäische „BKListe“ auch solche Krankheiten, die nach der in Österreich (und auch in Deutschland) geltenden Auffassung eigentlich Arbeitsunfälle darstellen (beispielsweise akute Vergiftungen).
8.2 Pneumologische Berufskrankheiten Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf einer vergleichenden Gegenüberstellung der österreichischen und der deutschen Berufskrankheitenliste. Besonders eingegangen wird dabei nur auf wesentliche Unterschiede in Definitionen und Auffassungen, die bei diesem Vergleich sichtbar werden.
Silikose (26 a), Silikotuberkulose (26 b), Asbestose (27 a) In allen Fällen ist der Nachweis einer Funktionseinschränkung für die Anerkennung als Berufskrankheit zwingend. Das österreichische Berufskrankheitenrecht kennt nicht den Begriff „Berufskrankheit dem Grunde nach“. Lungenkrebs durch Quarzstaub (in Deutschland BK 4112) ist in Österreich nicht unter einer eigenen Ziffer aufgeführt, könnte aber prinzipiell als Komplikation über Ziffer 26 entschädigt werden. Das Gleiche gilt für das Narbenkarzinom bei Silikose.
Bçsartige Neubildungen durch Asbest (27 b – d) Eingeschlossen sind Neoplasmen der Lunge, des Bauchfells, des Rippenfells und das Larynxkarzinom. Eine Anerkennung ist prinzipiell auch dann möglich, wenn keine Brückensymptome (z. B. Asbestose, Pleuraplaques, etc.) nachweisbar sind. Da auch die Anforderungen an die Exposition nicht quantifiziert sind (Faserjahre), ist die Ermessensentscheidung für die haftungsausfüllende Kausalität durch den Gutachter häufig problematisch. In der Praxis wird in Österreich von einem Kausalzusammenhang ausgegangen, wenn eine berufliche Asbestexposition überhaupt in nennenswertem Umfang stattgefunden hat – analog der Situation in Deutschland betreffend das asbestinduzierte Mesotheliom.
Lungenkrebs durch Kokereirohgase Diese Ziffer der deutschen BK-Liste hat in Österreich keine Entsprechung. Infrage kommt hier eine Entschädigung über die Öffnungsklausel (§ 177,2 ASVG). In der Praxis könnte ein Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAH) über Ziffer 41 (chemisch-irritativ oder toxisch verursachte Erkrankungen der tiefen Atemwege) anerkannt werden. Die in Deutschland seit 1999 per Gesetz geltende Beurteilung der Exposition nach „Benzpyrenjahren“ (µg/m3 × Jahre ‡ 100) setzt sich bei der Expositionsermittlung mehr und mehr durch, ist aber nicht gesetzlich fixiert.
COPD bei Bergleuten In Österreich keine eigene BK-Ziffer. In Betracht kommt gegebenenfalls eine Anerkennung nach BK-Ziffer 26 a (Silikose).
Adenokarzinome der Nasenhaupt- und Nasennebenhçhlen durch Stube von Eichen- und Buchenholz In Österreich seit 2006 ausgeweitet auf Staub von Hartholz (45).
Pneumologische Berufskrankheiten
Exogen-allergische Alveolitis Ähnlich wie bei Silikose und Asbestose ist auch hier der Nachweis eines Funktionsverlustes der Lungen Voraussetzung für eine Anerkennung einer Berufskrankheit (keine Berufskrankheit dem Grunde nach).
Rhinopathie durch allergisierende oder chemisch-irritativ wirkende Stoffe In Österreich nicht als Berufskrankheit anerkannt.
Atemwegserkrankungen durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe (41) Die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit wird für eine Anerkennung als Berufskrankheit nicht vorausgesetzt. Dies erscheint plausibel, weil im Gegensatz zu den Atemwegserkrankungen durch allergisierende Stoffe hier individuell disponierende Faktoren doch eine geringere Bedeutung haben, sodass eine Problemlösung durch arbeitshygienische Maßnahmen möglich und erforderlich ist. Dem steht auch die berufsunabhängige Entwicklung eines hyperreagiblen Bronchialsystems im Einzelfall nicht entgegen, weil eine solche Veränderung an den Atemwegen die Reaktionsbereitschaft des Individuums auf chemisch-irritative Einflüsse nicht spezifisch, sondern ganz generell erhöht.
Allergeninduzierte anaphylaktische Reaktionen nach Latex-Sensibilisierung (53) Diese seit 2006 geltende Berufskrankheit deckt solche Fälle ab, bei denen es nach berufsbedingter Latex-Sensibilisierung und trotz Aufgabe der schädigenden Tätigkeit aufgrund von Kreuzallergien (z. B. Nahrungsmittel oder Zierpflanzen) zu anaphylaktoiden Reaktionen kommt.
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Das Ärztliche Begutachtungswesen in Österreich: spezifische Aspekte Tabelle 8.1 Liste der Berufskrankheiten § 177, Anlage 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG). Als Berufskrankheiten im Sinne der Unfallversicherung gelten die in der folgenden Liste bezeichneten Krankheiten unter den dort angefhrten Voraussetzungen, wenn sie durch Ausbung der die Versicherung begrndenden Beschftigung in einem in Spalte 3 der Anlage bezeichneten Unternehmen verursacht sind. lfd. Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
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Berufskrankheiten
Unternehmen
Erkrankungen durch Blei, seine Legierungen oder Verbindungen Erkrankungen durch Phosphor und seine Verbindungen Erkrankungen durch Quecksilber, seine Legierungen oder Verbindungen Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Mangan oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Beryllium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Benzol oder seine Homologen oder durch Styrol Erkrankungen durch Nitro- und Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologen und deren Abkçmmlinge Erkrankungen durch Halogen-Kohlenwasserstoffe Erkrankungen durch Salpetersureester Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff Erkrankungen durch Schwefelwasserstoff Erkrankungen durch Kohlenmonoxid Erkrankungen durch ionisierende Strahlen Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautvernderungen durch Ruß, Rohparaffin, Dunkelçle, Teer, Anthrazen, Pech, Mineralçle, Erdpech und hnliche Stoffe Krebs oder andere Neubildungen sowie Schleimhautvernderungen der Harnwege durch aromatische Amine Hauterkrankungen Fr Hauterkrankungen gelten die im Anschluss an die Liste angegebenen Bedingungen Erkrankungen durch Erschtterung bei der Arbeit mit Pressluftwerkzeugen und gleichartig wirkenden Werkzeugen und Maschinen (wie z. B. Motorsgen) sowie durch Arbeit an Anklopfmaschinen Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft Drucklhmungen der Nerven chronische Erkrankungen der Schleimbeutel der Knie- oder Ellbogengelenke durch stndigen Druck oder stndige Erschtterung Abrissbrche der Wirbeldornfortstze Meniskusschden bei Bergleuten nach mindestens dreijhriger regelmßiger Ttigkeit unter Tag und bei anderen Personen nach mindestens dreijhriger regelmßiger Ttigkeit in kniender oder hockender Stellung Staublungenerkrankungen (Silikose oder Silikatose) mit objektiv feststellbarer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf Staublungenerkrankung in Verbindung mit aktiv-fortschreitender Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose) Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) mit objektiv feststellbarer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf Bçsartige Neubildungen des Rippenfells, des Herzbeutels und des Bauchfells durch Asbest Bçsartige Neubildungen der Lunge durch Asbest Bçsartige Neubildungen des Kehlkopfes durch Asbest
alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen
alle Unternehmen alle Unternehmen
alle Unternehmen
alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen
alle Unternehmen
alle Unternehmen
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Pneumologische Berufskrankheiten Tabelle 8.1 Liste der Berufskrankheiten § 177, Anlage 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) (Fortsetzung) lfd. Nr.
Berufskrankheiten
Unternehmen
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Erkrankungen der tieferen Luftwege und der Lunge durch Aluminium oder seine Verbindungen Erkrankungen der tieferen Luftwege und der Lunge durch Thomasschlackenmehl
alle Unternehmen
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31 32 33 34 35
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durch allergisierende Stoffe verursachte Erkrankungen an allergischem Asthma bronchiale, wenn und solange sie zur Aufgabe schdigender Ttigkeiten zwingen Erkrankungen der Knochen, Gelenke und Bnder durch Fluorverbindungen (Fluorose) Erkrankungen der Zhne durch Suren durch Lrm verursachte Schwerhçrigkeit Hornhautschdigungen d. Auges durch Benzochinon grauer Star
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Wurmkrankheit der Bergleute, verursacht durch Ankylostoma duodenale oder Strongyloides stercoralis Tropenkrankheiten, Fleckfieber Infektionskrankheiten
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von Tieren auf Menschen bertragene Krankheiten
40
Erkrankungen an Lungenfibrose durch Hartmetallstaub
41
durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lunge mit objektivem Nachweis einer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf Erkrankungen durch Dimethylformamid
42
Thomasschlackenmhlen, Dngemittelmischereien und Betriebe, die Thomasschlackenmehl lagern, befçrdern oder verwenden alle Unternehmen
alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen chemische Industrie Herstellung, Bearbeitung und Verarbeitung von Glas, Eisenhtten, Metallschmelzereien Unternehmen des Bergbaues, Stollen- oder Tunnelbau alle Unternehmen Krankenhuser, Heil- und Pflegeanstalten, Entbindungsheime und sonstige Anstalten, die Personen zur Kur und Pflege aufnehmen, çffentliche Apotheken, ferner Einrichtungen und Beschftigungen in der çffentlichen und privaten Frsorge, in Schulen, Kindergrten und Suglingskrippen und im Gesundheitsdienst sowie in Laboratorien fr wissenschaftliche und medizinische Untersuchungen und Versuche sowie in Justizanstalten und Haftrumen der Verwaltungsbehçrden, bzw. in Unternehmen, in denen eine vergleichbare Gefhrdung besteht Ttigkeiten, die durch Umgang oder Berhrung mit Tieren, tierischen Teilen, Erzeugnissen, Abgngen und mit kontaminiertem Material zur Erkrankung Anlass geben, bzw. Ttigkeiten, bei denen eine vergleichbare Gefhrdung besteht Herstellung und Bearbeitung von Hartmetallen alle Unternehmen
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239
240
Das Ärztliche Begutachtungswesen in Österreich: spezifische Aspekte Tabelle 8.1 Liste der Berufskrankheiten § 177, Anlage 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) (Fortsetzung) lfd. Nr.
Berufskrankheiten
Unternehmen
43
exogen-allergische Alveolitis mit objektiv nachweisbarem Funktionsverlust der Lunge, sofern das als urschlich festgestellte Antigen tierischer od. pflanzlicher Abkunft bei der Erwerbsarbeit von einem objektiv feststellbar bestimmenden Einfluss gewesen ist. Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll- oder Flachsstaub Adenokarzinome der Nasenhaupt- und Nasennebenhçhlen durch Staub von Hartholz durch Zeckenbiss bertragene Krankheiten (z. B. Frhsommermeningoenzephalitis oder Borreliose)
alle Unternehmen
44 45 46
47 48 49 50 51 52
53
Erkrankungen durch Butyl-, Methyl- und Isopropylalkohol Erkrankungen durch Phenole und Katechole Erkrankungen durch Nickel oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Vanadium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lçsungsmittel oder deren Gemische, wenn eine regelmßige Exposition bestanden hat, die im Hinblick auf Dauer und Ausmaß erheblich war allergieinduzierte anaphylaktische Reaktionen nach Latex-Sensibilisierung
alle Unternehmen Holz bearbeitende und Holz verarbeitende Betriebe Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft sowie auf Ttigkeiten in Unternehmen, bei denen eine hnliche Gefhrdung besteht. alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen alle Unternehmen
alle Unternehmen
Hauterkrankungen gelten nur dann als Berufskrankheiten, wenn und solange sie zur Aufgabe schdigender Ttigkeit zwingen. Die Bedingung der Aufgabe schdigender Ttigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Hautkrankheit eine Erscheinungsform einer Allgemeinerkrankung ist, die durch Aufnahme einer oder mehrerer der in der Liste angefhrten schdigenden Stoffe in den Kçrper verursacht wurde
Pneumologische Berufskrankheiten Tabelle 8.2 Vergleich pneumologisch relevanter Berufskrankheiten in Deutschland und sterreich. Deutschland
sterreich
BKNr.
Definition
BKNr.
Definition
4101
Quarzstaublungenerkrankungen (Silikose)
26 a
4102
Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose
26 b
4103
Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen AsbestfaserstaubDosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren (25 106 Fasern/m3 Jahre) durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium oder seine Verbindungen Erkrankungen an Lungenfibrose durch Metallstube bei der Herstellung oder Verarbeitung von Hartmetallen Erkrankungen der tiefen Atemwege und der Lungen durch Thomasphosphat
27 a
Staublungenerkrankungen (Silikose oder Silikatose) mit objektiv feststellbarer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf Staublungenerkrankung in Verbindung mit aktiv-fortschreitender Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose) Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) mit objektiv feststellbarer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf bçsartige Neubildungen der Lunge durch Asbest bçsartige Neubildungen des Kehlkopfes durch Asbest
4104
4105
4106
4107
4108
4112
4109
4110
4111
Lungenkrebs durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid (SiO2) bei nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Silikotuberkulose) bçsartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen bçsartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase chronisch obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau
27 c 27 d
27 b
28
40
29
Unternehmen
alle Unternehmen
alle Unternehmen
alle Unternehmen
alle Unternehmen alle Unternehmen
bçsartige Neubildungen des Rippenfells, des Herzbeutels und des Bauchfells durch Asbest Erkrankungen der tieferen Luftwege und der Lunge durch Aluminium oder seine Verbindungen Erkrankungen an Lungenfibrose durch Hartmetallstaub
alle Unternehmen
Erkrankungen der tieferen Luftwege und der Lunge durch Thomasschlackenmehl
Thomasschlackenmhlen, Dngemittelmischereien und Betriebe, die Thomasschlackenmehl lagern, befçrdern oder verwenden
alle Unternehmen
Herstellung und Bearbeitung von Hartmetallen
keine Entsprechung
Erkrankungen durch Nickel oder seine Verbindungen
alle Unternehmen
keine Entsprechung
keine Entsprechung
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242
Das Ärztliche Begutachtungswesen in Österreich: spezifische Aspekte Tabelle 8.2 Vergleich pneumologisch relevanter Berufskrankheiten in Deutschland und sterreich
(Fortsetzung)
Deutschland
sterreich
BKNr.
Definition
BKNr.
Definition
4201
exogen-allergische Alveolitis
43
alle Unternehmen
4202
Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumvoll-, Rohflachs- oder Rohhanfstaub (Byssinose) Adenokarzinome der Nasenhauptund Nasennebenhçhlen durch Stube von Eichen- oder Buchenholz durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Ttigkeiten gezwungen haben, die fr die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit urschlich waren oder sein kçnnen durch chemisch-irritative oder toxisch wirkende Stoffe verursachte Atemwegserkrankung (einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Ttigkeiten gezwungen haben, die fr die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit urschlich waren oder sein kçnnen
44
exogen-allergische Alveolitis mit objektiv nachweisbarem Funktionsverlust der Lunge, sofern das urschlich festgestellte Antigen tierischer oder pflanzlicher Abkunft bei der Erwerbsarbeit von einem objektiv feststellbar bestimmenden Einfluss gewesen ist Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwolle oder Flachsstaub
45
Adenokarzinome der Nasenhauptund Nasennebenhçhlen durch Staub von Hartholz
Holz bearbeitende und Holz verarbeitende Betriebe
30
durch allergisierende Stoffe verursachte Erkrankungen an allergischem Asthma bronchiale, wenn und solange sie zur Aufgabe schdigender Ttigkeiten zwingen – Rhinopathie bisher nicht eingeschlossen
Alle Unternehmen
41
durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lunge mit objektivem Nachweis einer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf – Rhinopathie bisher nicht eingeschlossen
alle Unternehmen
4303
4301
4302
Unternehmen
alle Unternehmen
243
9
Das rztliche Begutachtungswesen in der ehemaligen DDR: spezifische Aspekte D. Kirsten
9.1 Einleitung Rechtsgrundlagen, Vorschriften und Begutachtungsmodalitäten in der ehemaligen DDR unterschieden sich in vielen Punkten von denen in den alten Bundesländern. Das Ärztliche Begutachtungswesen (ÄBW) war zusammen mit der beruflichen und medizinischen Rehabilitation unmittelbar in die medizinische Grundbetreuung einbezogen. Alle Ärzte waren verpflichtet, Begutachtungen auf Aufforderung im Rahmen ihres Arbeitsvertrages durchzuführen. Eine einheitliche Organisationsform des ÄBW wurde 1965 eingeführt und 1973 neu gefasst. Gutachten waren im Unterschied zu den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland nicht justitiabel. Die Einschaltung von Rechtsanwälten in Begutachtungsfragen war grundsätzlich nicht zulässig. Einsprüche waren an sog. Beschwerdekommissionen zu richten, die territorial gegliedert waren und sich aus Ärzten sowie Vertretern der Sozialpartner zusammensetzten. Oberste Instanzen waren für die Berufskrankheiten die Obergutachtenkommission beim Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und für alle anderen gutachterlichen Fragen die Zentralstelle für Begutachtungswesen in Ost-Berlin.
9.2 Organisation des Gutachterwesens in der ehemaligen DDR Grundstze Die Begutachtung musste auf der Grundlage anerkannter wissenschaftlicher Kenntnisse, der geltenden Rechtsvorschriften sowie anderer staatlicher Festlegungen nach einheitlichen Bewertungskriterien in vorgegebener Zeit erstattet werden. Es bestand eine enge Zusammenarbeit der für das Begutachtungswesen Verantwortlichen (staatliche Begutachtungsstellen der Kreise, Bezirke und der Obergutachtenkommission in Berlin mit der Sozialversicherung sowie der Staatlichen Versicherung der DDR).
Geltungsbereich Das Ministerium für Gesundheitswesen war für die Erarbeitung, die einheitliche Anwendung und Kontrolle des Ärztlichen Begutachtungswesens verantwortlich. Die Bezirks- und Kreisgutachter waren deshalb dem Ministerium sowie dem Bezirks- und Kreisarzt direkt unterstellt. Für Begutachtungen bei Arbeitnehmern war die Sozialversicherung (SV) verantwortlich. Die selbstständig Versicherten, z. B. Handwerker, Bauern in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und andere, z. B. freischaffende Künstler, waren über die Staatliche Versicherung versichert. Spezielle Begutachtungsgremien, die in eigener Regie begutachteten, besaßen die Sozialversicherung (SV) der Aktiengesellschaft Wismut, die Justiz, der Medizinische Dienst des Verkehrswesens sowie die Nationale Volksarmee (NVA).
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Das Ärztliche Begutachtungswesen in der ehemaligen DDR: spezifische Aspekte
Bezirks- und Kreisgutachter Die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Bezirks- und Kreisgutachter waren: • Vergabe von Gutachtenaufträgen • Auswertung von Begutachtungsergebnissen • Überwachung der vorgegebenen Bearbeitungsfristen • Erfahrungsaustausch mit Gutachtern und Ärztlichen Beratungskommissionen unter Berücksichtigung der Tätigkeit der Ärzteberatungskommission für langfristig Arbeitsbefreite • Mitarbeit bei Rehabilitationsaufgaben • Mitarbeit in Beschwerde- und Kurkommissionen, Berichterstattung über Begutachtungsfragen an die Bezirks- und Kreisärzte • Organisation von Lehrgängen, z. B. im Rahmen der Facharztweiterbildung
Der Gutachtenauftraggeber (z. B. Sozialversicherung) sandte dem Kreisgutachter den Auftrag, dieser beauftragte nach Prüfung einen entsprechenden Fachmann mit der Begutachtung. Der Rücklauf des Gutachtens erfolgte in umgekehrter Reihenfolge. Neben sog. Einzelgutachten wurden gelegentlich auch „Kollektivgutachten“ durch zeitweilig eingesetzte Gutachterkommissionen durchgeführt, z. B. bei speziellen Gutachten, Streitfällen, Schadensersatzansprüchen gegenüber staatlichen Organen und staatlichen Einrichtungen. Besonderheit: Die Entscheidung, ob ein Arbeitsunfall bzw. eine Berufserkrankung vorliegt, traf letztendlich die Betriebsgewerkschaftsleitung als Vertreter des Trägers der Sozialversicherung. In der Begutachtungspraxis führte dies jedoch nicht zu Problemen, da die ärztlichen Entscheidungen respektiert wurden.
Begutachtungskommissionen Auf Bezirks- und Kreisebene gab es getrennte Begutachtungskommissionen. Zusätzlich bestand eine zentrale Gutachterkommission, die über Streitfälle in sog. Obergutachten letztinstanzlich zu befinden hatte. Die Kommissionen setzten sich aus erfahrenen Fachärzten der jeweiligen Disziplin zusammen. Die Mitglieder der Kommissionen wurden durch staatliche Stellen (Ministerium, Bezirks- und Kreisärzte) berufen. Durch „kollektive Beratung“ von Experten sollte das größtmögliche Maß an Sicherheit für eine subjektiv wertungsfreie Begutachtung erreicht werden. Den Kommissionen oblag die Klärung z. B. bei: • Beschwerde und Einspruch • Meinungsverschiedenheiten über die wissenschaftliche Begründung, inhaltliche Darstellung und Schlussfolgerung von Gutachten • besonders schwierigen Fällen im Rahmen der Sonderentscheidverfahren
Verfahrensweise bei der Begutachtung Ein Gutachtenantrag konnte durch den Direktor der Staatlichen Versicherung, den Bezirks- und Kreisgutachter, aber auch auf Antrag des Versicherten und seiner behandelnden Ärzte gestellt werden.
9.3 Definitionen Arbeitsunfhigkeit (AU) Arbeitsunfähigkeit beinhaltete die zeitlich begrenzte Beeinträchtigung des Arbeits- und Leistungsvermögens. AU war nicht gleichzusetzen mit Behandlungsbedürftigkeit. Die höchstmögliche AU-Zeit betrug (wie in der BRD) 78 Wochen. Während dieser Zeit war vom behandelnden Arzt in Zusammenarbeit mit der Ärzteberatungskommission zu prüfen, ob mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen sein würde.
Schonarbeit Schonarbeit wurde ärztlich wegen vorübergehender Minderung der Arbeitsfähigkeit oder zum vorbeugenden Gesundheitsschutz vorgeschlagen. Der Betrieb hatte durch Einschränkung der Arbeitsaufgabe, Veränderung der Bedingungen am Arbeitsplatz oder Veränderung der Arbeitszeit die Weiterbeschäftigung des Werktätigen am Arbeitsplatz zu ermöglichen oder ihm eine zumutbare andere Arbeit zu übertragen. Die Dauer der Schonarbeit wurde durch den behandelnden Arzt in Zusammenarbeit mit dem Betrieb festgelegt und konnte bis zu 12 Wochen kontinuierlich betragen (pro
Definitionen Jahr war eine maximal zweimalige 12-wöchige Schonarbeit möglich). Bei Schonarbeit erhielt der Werktätige mindestens den Durchschnittslohn.
Invaliditt (entspricht EU) Invalidität lag vor, wenn durch Krankheit, Unfall oder eine sonstige geistige bzw. körperliche Schädigung Leistungsvermögen und Verdienst um mindestens zwei Drittel gemindert waren und die Minderung des Leistungsvermögens in absehbarer Zeit durch Heilbehandlung nicht behoben werden konnte. Ein Zuverdienst war möglich. Dieser durfte aber nur der Höhe eines Drittels des alten Monatslohnes entsprechen. Empfänger von Blindengeld und Sonderpflegegeld galten als Invaliden.
Berufsunfhigkeit (BU) Unter Berufsunfähigkeit war der Verlust des Leistungsvermögens zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten bzw. Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen zu verstehen. Diese Art Verlust an Leistungsvermögen aus beruflichen Gründen war keineswegs a priori mit dem Begriffsinhalt Invalidität gleichzusetzen. Es bestanden Sonderbedingungen bei Bergleuten und bei der Altersversorgung der „Intelligenz“ (Begriff der ehemaligen DDR, würde „Akademiker“ entsprechen), Sonderregelungen auch bei Pädagogen.
Berufskrankheit (BK) Eine BK war eine Krankheit, die überwiegend durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung bestimmter Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben hervorgerufen worden war und in der Liste der Berufskrankheiten genannt war. Eine Entschädigung erfolgte erst ab einem Körperschaden von 20 v. H. Es wurde sehr deutlich zwischen akuten arbeitsbedingten Erkrankungen und den versicherungsrechtlich relevanten länger anhaltenden Zuständen oder Dauerzuständen, die als Krankheiten verstanden wurden, unterschieden. Anerkennungen von Berufskrankheiten, die nicht in der offiziellen Liste der Berufserkrankungen genannt waren, konnten nur im sog. Sonderentscheidverfahren erfolgen (entspricht etwa der Öffnungsklausel in der BRD). Die Handhabung der Sonderentscheidregelung wurde bei der sog.
Staubbronchitis großzügiger, bei anderen im Sonderentscheid-Verfahren begutachteten Fällen, z. B. bei Krankheiten durch Pyrolyseprodukte oder durch Lötrauche, eher restriktiver gehandhabt als in den alten Bundesländern. Voraussetzung einer Anerkennung als Berufskrankheit war die Expositionskarenz, das hieß in aller Regel Berufswechsel. Eine vorübergehende (maximal auf 2 Jahre befristete) Beihilfe als Ausgleichszahlung war möglich. Lag bei Verstorbenen mit einer Berufskrankheit bereits ein hierdurch bedingter Körperschaden (s. unten) von mindestens 70 v. H. vor, so war diesen Berufskrankheiten stets die Bedeutung einer wesentlich mitwirkenden Teilursache am Tode beizumessen, sofern nicht die Todesursache als völlig unabhängig von der anerkannten Berufskrankheit anzusehen war. Im (teilweise bestehenden) Gegensatz zum BRD-Recht waren Arbeitsunfälle auch Unfälle bei organisierten gesellschaftlichen, kulturellen oder sportlichen Tätigkeiten. Einzelheiten waren in Rechtsvorschriften festgelegt. Durch Ausübung des Dienstes bei der NVA bzw. der Zollverwaltung erlittene Körper- und Gesundheitsschäden galten als Folge eines Arbeitsunfalles bzw. einer Berufskrankheit.
Kçrperschaden (MdE) Der Körperschaden (= Körperversehrtheit) war ein medizinischer Begriff und bezog sich in keiner Weise auf die durch den Schaden tatsächlich eingetretene Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit bzw. der Berufsfähigkeit. Es wurden regelwidrige körperliche und psychische Zustände erfasst und beurteilt, die die allgemeine Leistungsfähigkeit im täglichen Leben für eine längere Dauer beeinträchtigten. Die Einschätzung des Körperschadens erfolgte in Prozentsätzen, in der Regel in 10-v. H.Schritten, allerdings waren auch 5-v. H.-Schritte möglich, besonders bei Teilkörperschadensbemessungen. Als Anhalt für die Körperschadensbemessungen dienten von den Ärzten der einzelnen Fachgebiete zusammengestellte Tabellen. Solche Tabellen gab es für fast alle Organsysteme. Ihre Vergleichbarkeit war ein ständiger Diskussionsgegenstand. Der Grad des Körperschadens wurde durch ärztliche Begutachtung festgestellt und als Bemessungsgrundlage für die Leistungsgewährung durch die Sozialversicherung bzw. die Staatliche Versicherung sowie für die Einstufung Geschädigter an-
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246
Das Ärztliche Begutachtungswesen in der ehemaligen DDR: spezifische Aspekte gewendet. Neben Gesundheitsschäden durch Krankheiten wurden Folgen von Arbeitsunfähigkeit und Berufserkrankung, Dienst- und Kriegsbeschädigungen sowie Entschädigungen an Kämpfer gegen den Faschismus sowie deren Hinterbliebene gezahlt. Wie in der Bundesrepublik waren Teilkörperschäden einzeln abzuschätzen. Der Gesamtkörperschaden entsprach nicht der Addition der Einzelschäden. Er richtete sich nach der Bedeutung der Einzelschäden für die berufliche Tätigkeit. Ein Körperschaden in Höhe von 70 v. H. war also nicht generell mit Invalidität gleichzusetzen.
Teilkçrperschaden Als Teilkörperschaden galt eine Beurteilung des Körperschadens im engeren Rahmen eines Organbereichs. Er diente der Verständigung zwischen verschiedenen Fachrichtungen. Eine Addition der Einschätzung dieser Teilkörperschäden war in der Regel nicht möglich. Wegen dieser Bewertungsmethoden waren bei entsprechenden Schäden auch unter 20 v. H. liegende Beurteilungen vorzunehmen.
Kriegsbeschdigtenrente Kriegsbeschädigtenrenten wurden nur gewährt, wenn ein Körperschaden von mindestens 662⁄ 3 v. H. auf eine während der Zugehörigkeit zur ehemaligen Deutschen Wehrmacht oder einer gleichgestellten Organisation bzw. während der Kriegsgefangenschaft eingetretene Krankheit oder äußere Einwirkung zurückzuführen war.
9.4 Begutachtung als Beschdigte (entspricht Begutachtung nach dem SchwbG) Die Begutachtung wurde durch Fachärzte vorgenommen. Sie unterbreiteten einen Vorschlag für die jeweilige Einstufung. Bei dem Befund musste es sich um einen physischen oder psychischen Dauerzustand handeln. Darunter war ein Zustand zu verstehen, bei dem innerhalb der nächsten 2 Jahre nicht mit einer wesentlichen Besserung zu rechnen war.
Bei Beschädigten mit Dauerschäden sowie bei Frauen über 55 und Männern über 60 Lebensjahre wurden keine Nachuntersuchungen durchgeführt. Es gab folgende Stufen: • Stufe 1: Leichtbeschädigter analog etwa Körperschaden 25 v. H. • Stufe 2: Schwerbeschädigter analog etwa Körperschaden über 50 v. H. • Stufe 3: Schwerstbeschädigter analog Körperschaden über 75 v. H. (ab 25 v. H. wurde ein Beschädigtenausweis ausgestellt mit Gewährung von Begünstigung, z. B. Sitzplatz in öffentlichen Verkehrsmittteln, Fahrpreisermäßigungen u. ä.)
9.5 Erweiterte materielle Untersttzung (EMU) Die EMU sicherte dem durch Diagnostik oder Therapie zu Schaden gekommenen Patienten gleiche materielle Unterstützung zu, wie wenn dieser Schaden durch Krankheit entstanden wäre (in der BRD entspricht dies einem Haftpflichtfall). Voraussetzungen für eine EMU waren: • die Durchführung eines medizinischen Eingriffs, der zu einer erheblichen Gesundheitsschädigung geführt hatte, die im krassen Missverhältnis zu dem Risiko stehen musste, von dem nach Erfahrungen der Wissenschaft und ärztlichen Praxis zum Zeitpunkt des Eingriffs ausgegangen werden konnte • die bestimmungsmäßige Anwendung eines ärztlich verordneten Arzneimittels mit der Folge einer erheblichen Gesundheitsschädigung, die nach dem Stand der Wissenschaft auf bisher nicht bekannte schädliche Wirkungen des Arzneimittels zurückzuführen war • eine schädigende Wirkung durch technisches Versagen eines medizintechnischen Erzeugnisses Die Zusammenhangsfrage war durch ärztliche Begutachtung festzustellen. Die EMU umfasste neben erforderlichen medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitationsmaßnahmen speziell auch finanzielle Beihilfen.
Begutachtungen pneumologischer Krankheitsbilder in der ehemaligen DDR
9.6 Begutachtungen pneumologischer Krankheitsbilder in der ehemaligen DDR Die Begutachtung pneumologischer Krankheitsbilder erfolgte in der Regel nach den gleichen Prinzipien wie in den alten Bundesländern. Richtlinien wurden durch Expertengremien erarbeitet, von Zeit zu Zeit aktualisiert und in den entsprechenden Fachzeitschriften publiziert. Einzelne Abweichungen zur Begutachtungspraxis in der Bundesrepublik sollen genannt werden.
Silikose bei gleichzeitig vorliegender Sklerodermie Bei Silikose wurde das Hinzutreten einer progressiven Sklerodermie als Komplikation angesehen. Bei der Festlegung des Körperschadens waren die Befunde der Sklerodermie zu berücksichtigen und einzubeziehen. Die Anerkennung einer Sklerodermie als Berufskrankheit bei Quarzstaubexposition wurde aber ohne gleichzeitiges Vorliegen einer Silikose nicht generell empfohlen. Jeder einzelne Fall sollte deshalb als Sonderentscheid gemeldet und von der Obergutachtenkommission beraten werden.
Tuberkulose Die Einschätzung der Körperschadensbemessung wurde aufgrund der Behandlungsbedürftigkeit festgelegt. Sie war zunächst unabhängig von der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit. Bei komplikationslosem Verlauf ohne dauernde respiratorische Funktionsstörung wurde bei der Beurteilung einer Berufskrankheit oder Dienstbeschädigung der Körperschaden wie folgt festgelegt: • während der stationären Behandlung Körperschaden 100 v. H. • während der ambulanten Behandlung Körperschaden 50 v. H. • danach in der Regel ab 10. oder 11. Monat nach Beginn der Therapie Körperschaden etwa 30 v. H. für 2 Jahre, danach Körperschaden 0 – 20 v. H. für 2 Jahre oder mehr, je nach Lungenfunktionseinbuße
Lungenkrebs bei nachgewiesener Asbestose
Obstruktive Atemwegserkrankungen als Berufserkrankungen Für die chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankungen war eine Richtlinie zur Körperschadensbemessung nach klinischen Daten (Atemnot, Anfallshäufigkeit), Lungenfunktionsstörungen, Arbeitsunfähigkeitsdaten, Behandlungsperioden und Intensität der Therapie erarbeitet worden. In der DDR gab es zur Begutachtung der chronisch-obstruktiven Atemwegskrankheiten andere BK-Ziffern als in der alten Bundesrepublik. Nr. 81 entsprach der BK Nr. 4302 (chemisch-toxisch verursacht). Nr. 82 entsprach in etwa der BK Nr. 4301 (allergisch verursacht), allerdings umfasste die BK 82 die allergische Rhinitis, Asthma bronchiale, chronisch-obstruktive Bronchitis und exogen-allergische Alveolitis. Letztere wird in den alten Bundesländern unter der BK Nr. 4201 erfasst.
Begutachtung BK 81 In jedem Fall Anerkennung als asbestinduziertes Karzinom, gleiches galt für das Pleuramesotheliom. Auch im Uranbergbau erworbene Karzinome wurden als berufsbedingt anerkannt (wobei sich jetzt – nach der Wende – ein Aufarbeitungsbedarf herausstellt).
Das Schädigungsvermögen der Arbeitsstoffe musste unzweifelhaft sein. Es gab eine Tabelle der infrage kommenden Stoffe, von denen aus Studien bekannt war, dass durch sie Atemtraktschädigungen möglich sind. MAK-Wert-Überschreitungen (Konzentration und/oder Dosis) wurden durch Messungen der Arbeitshygieneinspektion bestätigt, bezogen auf den Zeitraum vor der Krankheitsmanifestation. Die Krankheitsmanifestation musste vor dem Ausscheiden des Versicherten aus der angeschuldigten Arbeit liegen.
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Das Ärztliche Begutachtungswesen in der ehemaligen DDR: spezifische Aspekte Darüber hinaus waren Erkrankungen als sog. Sonderentscheid-Begutachtungen möglich (s. unten).
Sonderentscheid-Verfahren Bei den nach dem sog. Sonderentscheid-Verfahren begutachteten Personen handelte es sich um Beschäftigte aus den unterschiedlichsten Berufen. Die als schädigende Arbeitsstoffe aufgefassten inhalativen Noxen waren in keinem Fall in der oben genannten Tabelle der chemisch-irritativen Arbeitsstoffe aufgeführt. Sie waren allerdings im Verzeichnis der Schadstoffe und Belastungsfaktoren des Methodeninventars der arbeitsmedizinischen Tauglichkeits- und Überwachungsuntersuchungen als atemwegsirritierende Stoffe gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass das Schädigungsvermögen der inhalativen Noxen anerkannt sein musste. Grundlage der Meldung und der Anerkennung waren weiterhin eine bekannte und gemessene MAKWert-Überschreitung vor der Krankheitsmanifestation. Im Sinne der Einwirkungsabschätzung musste bei einfacher MAK-Wert-Überschreitung die Tätigkeit mindestens 20 Jahre und bei doppelter MAK-Wert-Überschreitung wenigstens 10 Jahre betragen. Diese Einschätzungen betrafen nur die staubirritativen, nicht jedoch die chemisch-irritativen Atemwegserkrankungen. Die Richtigkeit der Angaben wurde durch die Arbeitshygieneinspektion überprüft und teilweise nach Messungen vor Ort bzw. in vergleichbaren Betrieben korrigiert. Bei alleinigem Auftreten von Husten und Auswurf war keine Anerkennung möglich. Als definierte Krankheitsbilder im Sinne dieser Sonderentscheid-Regelung waren definiert: • chronisch-atrophische Rhinitis (IKK[ICD]-Nr. 472) • chronische Pharyngitis (IKK[ICD]-Nr. 472.1) • chronische Laryngitis (IKK[ICD][-Nr. 476) • chronisch-eitrige Bronchitis (IKK[ICD]-Nr. 491.1) • chronisch-obstruktive Bronchitis (IKK[ICD]-Nr. 492.2) • chronische Atemwegsobstruktion (IKK[ICD]-Nr. 496)
Begutachtung von Schweißern Es wurden sowohl die chronisch-obstruktive Bronchitis (WHO-Definition) sowie kleinfleckige Lungengerüsterkrankungen (Siderose, SchweißerPneumokoniose) begutachtet. Bei den Lungengerüstveränderungen (radiologische, meist auch histologische Diagnosen) wurde mindestens eine 10jährige Exposition gefordert. Die Meldung und Begutachtung wurde immer im Sonderentscheidverfahren durchgeführt. Entschädigt wurde die chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung sowie die Lungensiderofibrose. Voraussetzung zur Anerkennung als BK waren reproduzierbare Lungenfunktionseinschränkungen. Bei Lungensiderose war bei fehlendem Körperschaden eine weitere Arbeit möglich, wenn die Einhaltung der MAK-Werte gewährleistet war.
Staubbronchitis als Berufserkrankung (Sonderentscheidverfahren!) Eine Meldung und Anerkennung war nur möglich bei Erfüllung folgender Kriterien: • erwiesenes Schädigungsvermögen des angeschuldigten Staubes für die Atemwege • Überschreitung der MAK-Werte • genügend lange (jahrzehntelange) Exposition, die den Erfahrungswerten entsprechen musste Entschädigt wurde nie die einfache Bronchitis. Es mussten eine obstruktive Ventilationsstörung und/oder eitrige Sekretion vorliegen (IKK[ICD]Nr. 491.1 bzw. 491.2). Bei der Begutachtung musste die exakte Darstellung der Beziehung zwischen Staubexposition und Erkrankungsmanifestation während (!) der Tätigkeit erfolgen. Bei Expositionszeiten unter 10 Jahren wurde keine BK angenommen. Bei der Berechnung der Expositionsjahre genügte die Addition aller Staubexpositionsjahre. Vorherrschende Berufsgruppen waren: • Gießereiarbeiter 30% • Metallschleifer 20% • Getreide- und Futtermittelarbeiter 12% • Holzarbeiter 10%
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Literatur
Die Literatur ist nach Themengruppen in derselben Reihenfolge wie in der Monografie geordnet: Die Literaturauswahl beschränkt sich überwiegend auf gutachterlich relevante und daher ganz überwiegend deutschsprachige Arbeiten, eine Vollständigkeit der Literatur ist im Rahmen dieser Monographie nicht angestrebt.
1
Einleitung
Andreas M. Der Chefarzt als Gutachter, Arztrecht 1998; 8: 209 Ärztliche Befundberichte und ihre Bedeutung für die Begutachtung: … aus ärztlicher Sicht: Rösner N; … aus Sicht des Fachanwaltes: Siller G, … aus richterlicher Sicht: Russig H. Med Sach 1996; 92: 40 – 51 Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hrsg.). MAK- und BAT-Werte-Liste, Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe, Mitteilung 43, VCH Wiley 2008 Eisenmenger W, Betz P. Das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse – Ärztliche Atteste auf dem Prüfstand. Deutsches Ärzteblatt 1993; 90: 126 – 130 Erlenkämper A, Fichte W. Sozialrecht. Allgemeine Rechtsgrundlagen, Sozialgesetzbücher und sonstige Sozialgesetze, Verfahrensrecht, 5. Auflage, Köln: Heymann; 2002 Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Hrsg.). 2006, BGIA-Report 1/2006, St. Augustin 2006 Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Hrsg.). Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen, 4. Auflage 2007 Hausotter W. Ärztliche Gutachten: Eine elementare ärztliche Aufgabe. Deutsches Ärzteblatt 1999; 96: 33 – 36 ICIDH-International Classification of Impairment, Disabilities and Handicaps. In deutscher Sprache: Matthesius R-G. Berlin, Wiesbaden: Ullstein Mosby; 1995 Kaiser V, Weise K. Hinweise für den ärztlichen Gutachter, hrsg. v. Landesverband Südwestdeutschland der gewerblichen Berufsgenossenschaften, 9. Auflage 2005 (Internet: www.lvbg.de/lv/pages/service, sodann: Weiteres Informationsmaterial Landesverband Südwestdeutschland Mehrtens G, Brandenburg S. Die Berufskrankheitenverordnung (BKV). Handkommentar aus rechtlicher und medizinischer Sicht für Ärzte, Versicherungsträger und Sozialgerichte (Loseblatt). Berlin: Erich Schmidt Verlag
Sauer H. Was muß man sich alles gefallen lassen? Bemerkungen zur medizinischen Gutachtertätigkeit. Münch Med Wschr 1997; 139: 459 – 460 Schaller K-H, Angerer J, Lehnert G. Bio-Monitoring in der Arbeits- und Umweltmedizin. Deutsches Ärzteblatt 1993; 90: 2122 – 2128 Schultz E. Das ärztliche Attest – Inhalt, Formulierung, Mängel, Honorar. Versicherungsmedizin 1996; 48: 18 – 20 Tröndle H, Fischer Th, Schwarz O. Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 53. Auflage. München; 2006
2
Rechtliche Grundlagen und gutachterliche Bewertung
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250
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Zur Bewertung einzelner pneumologisch relevanter Krankheitsbilder
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Das rztliche Begutachtungswesen in der ehemaligen DDR
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Sachverzeichnis
A Adenokarzinom, Nasenhauptund Nasennebenhöhlen 188 Adipositas – induced Respiratory Disease (AIRD) 87 – Lungenfunktion 87 f Aerosol, Inhalation, akute 126 Akzeptanzkriterien, spirometrische 82 Alkylaryloxide, halogenierte, Erkrankung 185 f Alkylarylsulfide, halogenierte, Erkrankung 186 Alkyoxide, halogenierte, Erkrankung 185 f Alkysulfide, halogenierte, Erkrankung 186 Allergen, natives 70 Allergenextrakt 67 f Allergie – Diagnostik 67 – Einflussfaktor 72 – Erwerbstätigkeit, Minderung (MdE) 148 Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) 230 Aluminose (BK 4106) 172 Alveolarbereich, Schäden 208 Alveolarluftformel 100 Alveolitis – exogen-allergische (EAA) 169 f – – Begutachtungswesen Österreich 237 – – MdE-Bemessung 171 – – Unfallrecht 171 – – Verfahren, bildgebendes 125 – fibrosierende (Lungenfibrose) 175 – – Einteilung 169 – – Ursache, nicht klassifizierte 176 Anamnese 65 f – Fallbeispiel 66 – ungenügende 213 f Ansteckungsfähigkeit, initiale 155 Anti-D-Hilfegesetz 57 Antidiskriminierungsgesetz (AGG) 60 Arbeitsanamnese 214
Arbeitsfähigkeit (AF) 16 ff – Lungenfunktionsstörung 161 Arbeitsmedizin – Luft- und Biomonitoring, Begriffsbestimmung 10 – Vorsorgeuntersuchung 202 Arbeitsplatz – Hilfsmitteleinsatz 20 – Umsetzung, innerbetriebliche 21 Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) 7 f Arbeitsplatz-Konzentrations-Wert, maximaler (MAK-Wert) 8 Arbeitsstoff – allergisierender 237 – atemwegssensibilisierender 72 – chemisch-irritativ wirkender 134, 237 – immunologisch wirkender 134 – kanzerogener 181 – nicht allergener, Testung 72 – schädigender, Liste 231 – schädlicher, Vorkommen 193 ff – toxisch wirkender 134 – – – Begutachtung 72 – – – – Österreich 237 – – – Berufsasthma 134 Arbeitsstofftoleranz-Wert (BAT-Wert), biologischer 8 f Arbeitsunfähigkeit (AU) 16 ff – Definition, DDR, ehemalige 244 – Krankenversicherung 133 Arbeitsunfall – Diagnostik, gutachterliche 209 – pneumologischer, typischer 205 ff – – – Besonderheit 207 f – Tuberkulose (Tb) 156 – Unfallversicherung 27 ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome) 126 Arsen – Tumorerkrankung 185 – Vorkommen, typisches 194 Aryloxide, halogenierte, Erkrankung 185 f Arylsulfide, halogenierte, Erkrankung 186 Asbest – Faser-Immission 184 – Faserzahl, Dimensionsmerkhilfe 183
– Feinstaub (BK 4104), MdE-Bewertung 41 – Vorkommen 193 Asbestose 159 ff – Begutachtungswesen Österreich 236 – Diagnose 160 f – Kehlkopfkrebs 181 – Lungenfunktionseinschränkung, kennzeichnende 163 – Lungenkrebs 181 – MdE-Bemessung 163 – Morphologie 160 – Verdachtsfallmeldung 163 – Verfahren, bildgebendes 121 f – Zeichen – – computertomografische 159 – – radiologische 121 Asbeststaubinhalationsfolge (AIF) 161 Asphyxie 208 Asthma bronchiale 133 f – Diagnostik 134 ff – Entschädigungsrecht, soziales (SER) 151 f – Flugtauglichkeit 227 – Friseurberuf 143 f – GdB-Anhaltswert 62 – Kind, Schwerbehindertengesetz (SchwbG) 152 – schicksalhaftes 141 – Ursache 134 Asthmakontrolle, Einteilung des Ausmaßes 131 Asthmaschweregrad, Klassifikation – – Erwachsene 130 – – Kinder und Jugendliche 131 Atemgas, Partialdruck 100 Atemmechanik 106 – Ablauf, (patho-)physiologischer 108 Atemwegserkrankung – chronisch obstruktive (COPD) 226 – – – Begutachtungswesen Österreich 236 – – – Flugtauglichkeit 226 – – – Schweregradeinteilung 132 – nicht berufsbedingte 141
Sachverzeichnis – obstruktive – – Begutachtung 146 – – – DDR ehemalige 247 – – – Österreich 237 – – Diagnosestellung 146 – – Klassifikation 130 ff – – Lösemittelexposition 144 f – – Passivrauch 145 Atmungsorgan, Krebs 178 ff Atmungsstörung, schlafbezogene (SBAS) 197 ff – – Arbeitsmedizin 203 Atopie 72 ATP-Umgebungsbedingung 82 ATS-Dosimeter-Methode 89 f ATS-ERS-Kriterien, Erkrankung, interstitielle, idiopathische 120 Attest 2 Aufmerksamkeit – geteilte 199 – selektive (fokussierte) 198 Aufmerksamkeitsaktivierung (alertness) 198 f Aufmerksamkeitskomponente, Testverfahren 200
B BAT-Wert (ArbeitsstofftoleranzWert), biologischer 8 Beanspruchung, körperliche, Klassifizierung 51 Beatmungspflege 26 Beatmungspflichtigkeit 56 Bedingungstheorie, naturwissenschaftliche 35 Befund, physikalischer 66 Befundanerkennung 33 Befundbericht 1 f Befundmuster, radiologisches 119 Begleitung, ständige, Notwendigkeit 63 Begriffsbestimmung – arbeitsmedizinische, Luft- und Biomonitoring 7 ff – juristische 5 ff Begutachtung (s. auch Gutachten) 4 – als Beschädigte 246 – Anamnese 66 f – – ungenügende 213 – Atemwegserkrankung, obstruktive 146 – Befund, physikalischer 66 f – Belastungsuntersuchung/ Gasaustausch 93 ff – Diagnostik 209 – DDR, ehemalige 243 ff – Entschädigungsrecht, soziales 58 – Fehler, häufiger 213 ff – Grundlage – – medizinische 65 ff
– – rechtliche 14 ff – Hilfsmittel, pneumologisches 25 f – Leistungsvermögen 50 ff – Lungenfunktionsdiagnostik 77 ff – Österreich 235 ff – Schweiz 230 ff – Therapie, medikamentöse, aktuelle 66 – Therapieeinfluss 112 f – Untersuchungstechnik 67 – – mangelhafte 214 – Verfahren, bildgebendes 114 ff – Zeitfaktor 219 – Zeitmangel 217 Begutachtungskommission 244 Behinderung 59 Belastbarkeit 93 f Belastungsmonitoring 9 Belastungstest 97 – Blutgasbestimmung 99 f – Spiroergometrie (Cardiopulmonary Exercise Testing, CPET) 108 Belastungsuntersuchung 93 ff – Methodik 97 f Bergarbeiter-Silikose 123 Bergleute, Atemwegserkrankung, chronisch obstruktive (COPD) 236 Bergsteigen 228 Berufsallergen, natives 67 Berufsasthma 133 Berufsausübungsverbot 155 Berufskrankheit (BK) 27 ff – BK 81 247 – BK 1110 (Berylliose) 173 – BK 1315 139 – BK 4101 (Quarzstaublungenerkrankung) 167 – BK 4102 (Silikotuberkulose) 168 – BK 4103 – – MdE-Bemessung 164 – – Unfallrecht 161 – BK 4106 (Aluminose) 172 – BK 4107 (Hartmetallfibrose) 125, 172 – BK 4108 (Thomasphosphatlunge) 172 f – BK 4110 (Kokereirohgase) 187, 196, 236 – BK 4201 (Alveolitis, exogenallergische) 169 – BK 4301 139 – BK 4302 (Passivrauch) 139, 145 – Definition, DDR, ehemalige 245 – drohende, Meldung 30 – Karzinogen, pulmonales 181 f – Kausalitätsanforderung 35 – Konkurrenzproblem 41 – Liste 44 ff – – Sozialversicherungsgesetz, allgemeines (ASVG) 238 ff
– – – – – –
Österreich 236 Schweiz 231 Verdachtsfall 29 – Anzeige, ärztliche 31 – Mitteilungsblatt 32 Vergleich Deutschland/ Österreich 241 f Berufskrankheitenverordnung (BKV) § 3 138 – Kausalität 42 Berufskrebs, Lunge, Kausalzusammenhang 35 Berufstaucher 222 Berufsunfähigkeit – Atmungsstörung, schlafbezogene (SBAS) 203 – Definition 48 f – – DDR, ehemalige 245 – Versicherung, private 52 Berufsunfall 230 Berylliose (BK 1110) 173 Beryllium, Vorkommen 196 Beryllium-Lymphozytentransformationstest (BeLT) 173 Bescheinigung, ärztliche 2 Beschwerdesymptomatik, abgeklungene, Beweisführung 142 Bewegungsfähigkeit, beeinträchtigte, Straßenverkehr 63 Beweisführung, gutachterliche 142 Beweisführungslast (Beweispflicht) 5 Bezirksgutachter 244 Biologischer Wert (BW) 10 Biomonitoring (BM) 9 – Arbeitsmedizin 7 ff, 10 BK s. Berufskrankheit BKV s. Berufskrankheitenverordnung Blickdiagnose 101 Blindheit 64 Blutgasanalyse (BGA) 99 Blutgas-Verhältnis 106 BODE-Skala 133 Bolusmethode (ATS-DosimeterMethode) 89 Borg-Skala 92 f Breath-by-breath-Analyse 98 Bronchialasthma s. Asthma bronchiale BronchialkarzinomScreening 127 Bronchialtumor, maligner 61 Bronchiolitis 126 – obliterans 208 Bronchitis – chronische 133 – – GdB-Anhaltswert 61 – chronisch-obstruktive 138 – – Abgrenzung 147 – – Steinkohlebergleute 145 – toxische, akute 207 f
259
260
Sachverzeichnis Bronchodilatator, Reversibilitätstest 88 f Bronchokonstriktion 208 Broncholyse 80 ff BTPS (Body temperature pressure saturated), Bedingung 82 Bundesentschädigungsgesetz 57 Bundesversorgungsgesetz 57 BU-Versicherung, private 52
C Cadmium, Vorkommen 196 CaO2 (content arterial) 86, 100 CAP-Allergiediagnostik 69 Chemikalien, Wasserlöslichkeit 207 Chrom 186 – Vorkommen 195 Coal-workers-pneumoconiosis (CWP) 123 Computertomografie in hochauflösender Technik (HRCT) 114, 116 ff COPD s. Atemwegserkrankung, chronisch obstruktive CPET (Cardiopulmonary Exercise Testing) s. Spiroergometrie 101 CR-Skala (Category Ratio) 92 CT-Beurteilungsbogen, Deutsche Röntgengesellschaft 118 CT/HRCT-Klassifikation, Erkrankung, respiratorische, arbeitsund umweltbedingte 127 ff
D Dämpfe, Intoxikation 207 Datenschutz 219 Dauerleistung 108 Dauerleistungsgrenze 94 Defektzustand, thorakaler 205 ff Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (DGAUM) 72 Diagnostik, gutachterliche 209 Dichlordiethylsulfid, Vorkommen 195 Dichlordimethylether, Vorkommen 194 Dispositionsfaktor, Allergietest 72 Divers Alert Network (DAN) 223
E Effektmonitoring 9 Eignungsverfügung, bedingte (BEV) 233 f EKA-Wert (Expositionsäquivalent für krebserzeugende Arbeitsstoffe) 9
Embolie, Schäden, sekundäre 212 Entschädigung, soziale 14 ff Entschädigungsrecht, soziales (SER) 57 ff – – Grad der Schädigung (GdS) 56 – – Krankheiten der Atmungsorgane 151 f – – Tuberkulose (Tb) 158 Epikutantest 69 Epworth-Sleepiness-Scale 198 f Ergometrie 98 f Ergo-Oxymetrie 99 f Erkrankung – arbeitsbedingte, Liste 233 – interstitielle, idiopathische, ATS-ERS-Kriterien 119 – unfallabhängige 205 ff Erwerbsfähigkeit – Gefährdung, erhebliche 21 – Minderung (MdE) – – Alveolitis exogen-allergische (EAA) 171 – – Asbestose 163 – – Atemwegserkrankung, obstruktive 148 – – Empfehlung, Übersicht 150 f – – Gesamt-MdE 41 – – Hauterkrankung 148 – – Krankenversicherung 21 – – Nachschaden 38 – – Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) 167 – – Unfallversicherung 37 ff – – unterhalb des rentenberechtigen Grades 20 v.H. 41, 148 – – Versicherungsfälle, mehrere (Gesamt-MdE) 41 Erwerbsminderung – teilweise (tEM) – – Definition 48 f – – Luftnot/Lungenfunktionsbehinderung 149 – volle (vEM) – – Definition 48 f – – Luftnot/Lungenfunktionsbehinderung 149 Erwerbsunfähigkeit – Atmungsstörung, schlafbezogene (SBAS) 203 f – Entschädigungsrecht, soziales (SER) 57 – völlige 40 Expositionsäquivalent für krebserzeugende Arbeitsstoffe (EKA-Wert) 9 Expositionstestung, Friseurasthma 144 Exspiration – forcierte (FVC) 85 – – valide 82
F Facharzt, pneumologischer 220 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) 201 Fahrtauglichkeit 201 ff – Schweigepflicht, ärztliche 203 Fibrose 125 Fitness, kardiopulmonale 104 Flugtauglichkeit – Atemwegserkrankung, chronisch obstruktive (COPD) 226 – Beratung 224 f – Lungenerkrankung, bullöse 226 – Pilot/Luftfahrtpersonal 224 – Tauchen 223 Fluss-Volumen-Kurve 86, 101 Förderung, soziale 14 ff Formular-Gutachten 4 Friseurasthma 143 f
G Gas, toxisches – – Inhalation, akute 126 f – – Intoxikation 207 Gasaustausch 93 ff – Störung 106 – Wert 87 GdB s. Grad der Behinderung GdS (Grad der Schädigungsfolgen) 57 Gehbehinderung, außergewöhnliche 63 Gehörlosigkeit 64 Gehtest (6-Minuten Gehtest, 6-MWT) 97 Genesungszeit 190 – Krebserkrankung, therapierte 39 Gesamt-MdE 41 Gesundheitsvorsorge (GVS) 114 Gesundheitszeugnis, Haftung, strafrechtliche 5 Glaubhaftmachung, Begriffsbestimmung, juristische 7 Grad der Behinderung (GdB) 56 f – Bronchialasthma 62 – Lungenleiden 61 Grad der Schädigung (GdS) 56 f Grenzwert, biologischer (BGW) 8 Gutachten 2 f – Anfragen, seltene 43 – Art, Übersicht 3 f – Auftrag, verfehlter 218 – Beweisführung, Grenzen 142 – Datenschutz 219 – Eigentümer 219 – Methodik 4 – Mitwirkungspflicht 67 – Nutzung, sinnvolle 220 – Tagesschläfrigkeit 197 – Sachverständiger 2 f
Sachverzeichnis – Urheberschutz 219 – Zeitfaktor 219 Gutachter – Anforderung 197 – Anfragen, seltene 43
J Jahresarbeitsverdienst 33
K H Häftlingshilfegesetz 57 Härtefall 54 Hartmetallfibrose (BK 4107) 125, 172 Hartmetallschleifer 172 Hausarzt 220 Hauterkrankung 148 Hautprobe 67 ff Hauttest 68 f – Friseurasthma 143 f Heilungsbewährung 190 Heimbeatmung 26 Hilflosigkeit 64 Hilfsmittel, pneumologisches 25 Höhenexposition 225 Holzstaub, Testung 70 Hyperreagibilität, bronchiale (BHR) 72 – – unspezifische 72, 80 ff – – – Test 89 Hypertonie, pulmonale 41, 107 Hypoxie, Reaktion, physiologische 225
I ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) 12 ICF-Klassifikation (Klassifikation Funktionsfähigkeit, Behinderung, Gesundheit) 10 ff IgE-ELISA-Bestimmung 69 Infekt, rezidivierender 205 Infektion 211 Infektionskrankheit 153 ff Infektionsschutzgesetz (IfSG) 57 – Tuberkulose (Tb) 154 Inhalation – akute 126 f – Pflegeversicherung 55 Inhalationsschaden 119 – Pathogenese 207 Inhalationstest, arbeitsplatzbezogener 70 Inspiration, forcierte 86 Integritätsentschädigung 231 Intoxikation 207 f Intrakutantest (IKT) 173 Invalidenversicherung (IV) 233 Invalidität 245 Isocyanate 139
Kann-Versorgung 58 Karzinogen – berufliches, Klassifikation 179 f – pulmonales, Berufskrankheit 181 f Kausalitätsbeurteilung 140 f Kausalitätsvermutung, gesetzliche 36 Kehlkopfkrebs, Asbestose 181 Klassifikation, Funktionsfähigkeit, Behinderung, Gesundheit (ICF) 10 ff Knochenbruch 206 Kohlenwasserstoffe, aromatische, polyzyklische 41 – – – Lungenkrebs 187 Kokereirohgase (BK 4110) 187 – Lungenkrebs 236 – Vorkommen 196 Komplexbegriff, medicolegaler 48 Körperschaden (MdE) 245 Krankenkasse 14 f Krankenversicherung 132 – Arbeitsunfall, pneumologietypischer 205 – Asbestose 161 – Defektzustand, thorakaler 205 – gesetzliche (GKV) 16 f – Infektionskrankheit 154 – private, Arbeitsunfähigkeit 22 – Tumorerkrankung 178 Krankheitsursache, konkurrierende 141 Krankheitsverschlimmerung 233 Krebsentstehung, Aspekt, zeitlicher 179 Krebserkrankung – Atmungsorgan 178 ff – therapierte, Genesungszeit 39 Kreisgutachter 244 Kriegsbeschädigtenrente 245
L Labordaten 67 Langzeitbeatmung 212 Larynxkarzinom, asbestinduziertes 183 Latex-Sensibilisierung 237 Laufbandbelastung 98 Leistungserfassung 95 ff Leistungsfall – Berufskrankheit 33 f – Schweiz 231
Leistungslimitation, respiratorische 106 Leistungsminderung, körperliche 166 Leistungsvermögen – Altersverlauf 94 – Begriffsbestimmung 93 f – Begutachtung 50 ff – Beurteilung 102 – Parameter 102 ff – Vergleich, interindividueller 95 – Vergleichbarkeit 94 Leitwert, biologischer (BLW) 9 Limitation, kardiale vs. ventilatorische 106 Löfgren-Syndrom 176 Lösemittelexposition 144 Luftmonitoring 7 ff, 10 Luftnot – Erwerbsminderung 149 – Quantifizierungsskala 92 Lunge, transplantierte 61 Lungenasbestose s. Asbestose Lungenemphysem 138 – Abgrenzung 147 – Diagnosestellung 146 ff – Steinkohlebergleute 145 Lungenerkrankung – bullöse 226 – – Flugtauglichkeit 226 – entzündliche 228 – – Flugtauglichkeit 228 – interstitielle 227 Lungenfibrose 29 Lungenfunktion – Asbestose 164 – Asthmaschweregrad 130 – Röntgenmorphologie 166 f – Untersuchung 216 f – Verlauf – – longitudinaler 136 – – zeitlicher, individueller 79 Lungenfunktionsdiagnostik 77 ff Lungenfunktionseinschränkung – GdB-Anhaltswert 61 – Erwerbsminderung 149 Lungenfunktionsparameter, adipositasbeeinflusster 88 Lungenfunktionswert – Interpretation 83 ff – Normabweichung 86 f Lungengerüsterkrankung 159 ff Lungenkarzinom – Faktor, beruflicher 178 – ohne Asbestose 183 Lungenkrebs – Asbestfaserstaub/Kohlenwasserstoffe, aromatische, polyzyklische 189 – Asbestose 181 – Berufskrankheit, neu aufzunehmende 29 – Kohlenwasserstoffe, aromatische, polyzyklische 187
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Sachverzeichnis – Kokerierohgasinduzierter 187, 236 – MdE-Bemessung 190 – Siliziumdioxid, kristallines 188 Lungennarben 196 Lungenödem 126 – Inhalationsintoxikation 208 Lungentuberkulose 61 Lungentumor – maligner, GdB-Anhaltswert 61 – Patientenfragebogen 190 Lungenveränderung, Röntgenbild 161 f
O Obesitas-Hypoventilationssyndrom 227 Obstruktion 205 Öffnungsklausel, Listenprinzipausnahme 28 Opferentschädigunsgesetz 58 Organprovokation 72 ff – arbeitsplatzbezogene 75 – Bemerkung, selbstkritische 77 – Fallstricke 74 OSAS-Tagesschläfrigkeit 201 Oxygen Delay Time 98
M P Makrophagenaggregat 125 MAK-Wert (Arbeitsplatz-Konzentrations-Wert, maximaler) 8, 140 Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK) 54 MdE s. Erwerbsfähigkeit, Minderung Medicproof GmbH 54 Mehlstaub 70 Mesotheliom 184 Methacholin-Provokationstest (Reservoirmethode) 89 f Minimalasbestose 159 f Mitarbeit, Spiroergometrie 101 f Möglichkeit, Begriffsbestimmung, juristische 7 Mukoviszidose 152 – Flugtauglichkeit 227 – Pflegeversicherung 55
N Nachschaden 38 Nachteilsausgleich 62 f Narbenkarzinom 157 – silikotisches 189 – – Vorkommen, typisches 193 Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlenadenokarzinom, Stäube Eichen- oder Buchenholz 188 Neubildung, bösartige, asbestinduzierte 236 Nichtberufsunfall (NBU) 231 Nichteignungsverfügung (NEV) 233 f Nickel 186 – Vorkommen 195 NSIP (nonspecific interstitial pneumonia) 119 Nukleinsäure-Amplifikationstechnik (NAT) 154
PAH (Lungenhochdruck) 41 Passivrauch – Atemwegserkrankung, obstruktive 145 – Vorkommen, typisches 196 Peak-Flow (PEF) – Bestimmung 81 – Verlauf 137 Perikardmesotheliom 184 Peritonealmesotheliom 184 Pflegestufe 53 f Pflegeversicherung – Atemwegserkrankung, obstruktive 150 – private 54 – soziale 53 ff – – Leistung 55 Pinhead-Silikose 147 Pleuraerkrankung, Flugtauglichkeit 228 Pleuramesotheliom (BK 4105) 29 – Diagnose, histologische 184 – Rückwirkungsbegrenzung 29 Pleuraveränderung 161 – asbeststaubbedingte 121 ff – – Lungenkrebs 181 – – Zeichen, computertomographisches 160 – Unfallrecht 205 Pneumokoniose 165 – Definition 119 – GdB-Anhaltswert 61 Pneumothorax – Flugtauglichkeit 228 – traumatischer 212 Präcipitinnachweis/Typ-IIISerologie 69 Prick-Test 68 f Provokationsschema 72 Provokationstest 67, 70 ff – arbeitsplatzbezogener, inhalativer 143 – bronchialer (BPT) – – Ablauf 71 – – Alveolitis, fibrosierende 170 – – Typ-III-Allergen 72
– nasaler (NPT) 74 – organbezogener 70 Prozess, maligner, Verfahren, bildgebendes 127 Pulmonale arterielle Hypertonie (PAH) 41, 107 PulverkapselinhalatorMethode 70 Pyrolyseprodukt, Material, organisches 196
Q Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) 165 ff – Abgrenzung 147 – Begutachtungswesen – – DDR, ehemalige 247 – – Österreich 236 – Diagnose 166 – Erkrankungskombination 167 – MdE-Bemessung 167 – Siliziumdioxid, kristallines, Lungenkrebs 188 – Verfahren, bildgebendes 122 ff Quatember-Maly-Test 200
R RADS s. Reactive Airways Dysfunction Syndrome Rampenprotokoll 98 f RAST-Bestimmung 69 Rauchen – Berufsasthma 72 – Inhalation, akute 126 Raucherbronchitis 141 Reactive Airways Dysfunction Syndrome (RADS) 139 f – Anmerkung, kritische 211 – Kasuistik 209 – Kriterien, diagnostische 139 f Reaktion, anaphylaktische, allergeninduzierte 237 Reha-Bedürftigkeit – Begriffsbestimmung 23 – Rentenversicherung, gesetzliche 46 Rehabilitationsleistung – ergänzende 47 – medizinische – – Krankenversicherung, gesetzliche 23 – – Rentenversicherung, gesetzliche 46 f – sonstige 47 Rehabilitierungsgesetz – strafrechtliches 57 – verwaltungsrechtliches 57 Rehadat 25 Reha-Fähigkeit 24 Reha-Kaskade 20 ff
Sachverzeichnis Reha-Maßnahme 149 f Reha-Prognose, positive 24 Reibtest 68 f Reinfektion, exogene, Tuberkulose (Tb) 157 Reizgasvergiftung 142 Rente auf unbestimmte Zeit 40 Rentenanspruch, Einmalzahlung 43 Renten-Gutachten 4 Rentenleistung, Erwerbsfähigkeit, verminderte 48 Rentenrecht 149 – Asbestose 164 f – Atemwegserkrankung, obstruktive 149 – Tuberkulose (Tb) 157 – Unfallfolge 205 Rentenversicherung – deutsche (DRV) 14 – gesetzliche 46 ff Reproduzierbarkeitskriterium 82 Reservoirmethode (Methacholin-Provokationstest) 89 f Restriktion – extrapulmonale 85 – MdE-Bemessung 205 – pulmonale 85 Rhinomanometrie 74 Rhinopathie 237 Richtkonzentration, technische (TRK-Wert) 9 Röntgenbefund, ILOKlassifikation 117 Röntgenklassifikation 127 Röntgenmorphologie, Lungenfunktion 166 f Röntgenuntersuchung, Untersuchungstechnik, mangelhafte 214 Routine-Röntgenaufnahme 223 RPE-Skala (Ratio of Perceived Exertion) 92 Rückwirkungsbegrenzung, Berufskrankheit 28 Rundfunkgebührenpflicht 63
S Sachverständiger, Definition 2 Sarkoidose – chronische 177 – GdB-Anhaltswert 61, 177 – Klassifizierung nach Röntgenbild 176 Sauerstoffaufnahme (VO2), maximale 96 f, 102 ff Sauerstoff-Differenz, alveolararterielle (AaDO2) 106 Sauerstoff-Gerät 25 – Flugreise 228
Sauerstoffpartialdruck – arterieller (pO2) 86, 100 – – Flugreise 226 Sauerstofftherapie, Pflegeversicherung 55 Schädigungsfolgen, Grad der (GdS) 57 Schädigungsfolge, Entschädigungsrecht, soziales (SER) 57 Schadstoff – Inhalation, Befundmuster, radiologisches 119 – Wasserlöslichkeit 207 Schlafapnoe-Syndrom – GdB-Anhaltswert 61 – obstruktives (OSAS) 197 – – Fahrtauglichkeit 201 f – – Flugtauglichkeit 227 Schlafdrang, imperativer 201 Schlaflatenztest, multipler (MSLT) 200 Schonarbeit 244 f Schwebstoff, Intoxikation 207 Schweißer, Begutachtung 248 Schweißgase 174 Schweigepflicht, ärztliche 203 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) – Atemwegserkrankung, obstruktive 152 – Tuberkulose (Tb) 158 – Unfallfolge 205 f Schwerbehindertenrecht (SchwbR) 59 ff – Atmungsstörung, schlafbezogene (SBAS) 204 – Grad der Behinderung (GdB) 56 – Leistung 59 ff Schwerbehinderung, Definition 59 Schwerpflegebedürftigkeit 54 Serologie 67, 69 f Siderofibrose 174 Sideropneumokoniose 174 Siderose 173 Silikose s. Quarzstaublungenerkrankung 165 Silikotuberkulose 168 – Begutachtungswesen Österreich 236 Siliziumdioxid, kristallines – – Lungenkrebs 188 – – Vorkommen 193 Sklerodermie 247 Soldatenversorgungsgesetz 57 Sollwert, spirometrischer 89 ff – – Problematik 91 Sonderentscheid-Verfahren 248 Sozialhilfe 14 ff Sozialleistungsträger 1 Sozialrechtsbereiche 14 f Sozialversicherung 14 f Spiroergometrie (Cardio Pulmonary Exercise Testing, CPET) 100 ff
– Atemgaspartialdruck 100 – Begutachtung 108 – Belastungstest 108 – Kasuistik 110 – Übersicht 150 f Spirometrie – Definition 80 ff – Parameter 83 ff Sporttaucher 222 Staubbronchitis 248 Stäube – allergene, Testung 70 – Eichen- oder Buchenholz 188 – organische 125 f – potenziell fibrogene, anorganische 125 Staublungenkrankheit, Leistungsminderung, körperliche 166 Steinkohlebergleute 145 Stenose – Atemweg, oberer 87 – extrathorakale 87, 89 Stoff siehe Arbeitsstoff 231 Strahlen, ionisierende – – Erkrankung 185 – – Konkurrenzproblem MdE-Bewertung 41 – – Vorkommen 194 Stufenprotokoll 98 f Stützrente 40 Synkanzerogenese 41, 189
T Tagesschläfrigkeit – Begutachtung, Testverfahren 198 – Fragebogen 199 – Fragestellung, gutachterliche 201 – Gutachteranforderung 197 f Talkose 175 f Tauchtauglichkeit 222 f Teilhabe, Leistung 46 f – – Arbeitsleben 47 Teilkörperschaden 245 Termini, juristische 218 Therapie, medizinische, aktuelle 66 Thomasphosphatlunge 172 f Thorax – Aufnahme p.a. 116 – Computertomografie in hochauflösender Technik (HRCT) 115 – Verletzung 211 Tod 36 Tracheitis, toxische, akute 207 f Tracheobronchitis 126 Treppenhaus-Ergometrie 97 TRGS (Technische Regeln für Gefahrstoffe) 9
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Sachverzeichnis TRK-Wert (Richtkonzentration, technische) 9 Tuberkulose (Tb) 153 f – Begutachtung, DDR, ehemalige 247 – Meldeverfahren 154 Tumorerkrankung 178 ff
U UIP (usual interstital pneumonia) 119 Umweltfaktor 72 Unfallereignis, angeschuldigtes, singuläres 142 Unfallfolge 205 Unfallrecht 133 – Arbeitsunfall, pneumologietypischer 205 – Asbestose 161 – Defektzustand, thorakaler 205 – Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) 167 – Tuberkulose (Tb) 156 – Tumorerkrankung 178 Unfallversicherung 27 ff – Begutachtungswesen Schweiz 230 – Stoffe, schädigende, Liste 232 Unterlassungszwang 142 Unterstützung, materielle, erweiterte (EMU) 246 Untersuchung, technische 67 – – mangelhafte 214 f Urheberschutz 219
V Ventilationsstörung – obstruktive 85 – – Asbestose 163 – restriktive (RV) 83 f, 205 f Veränderung, noduläre, multiple 124 Verfahren, bildgebendes 114 ff Verkehrsmedizin 201 Versicherter, Mitwirkungspflicht 143 Versicherungsfall – Berufskrankheit 33 ff – – Begutachtungswesen Schweiz 231 – – Kausalität 34 f – Berufskrankheitenverordnung § 3 42 – Datierung 146 Vigilanz 199 f Vitalkapazität (VC) 83 ff – Bewertung 85 – Definition 85 – exspiratorische (EVC) 85 – inspiratorische (IVC) 85 Vollbeweis, Begriffsbestimmung, juristische 6 Vorschaden 233 – Erwerbsfähigkeit, Minderung (MdE) 38 f Vorsorgebedürftigkeit 23 Vorsorgefähigkeit 24 Vorsorgeleistung, medizinische 22 Vorsorgeprognose, positive 24
Vorsorgeuntersuchung, arbeitsmedizinische – – CT/HRCT-Untersuchung 115 – – Schlafapnoe-Syndrom 202
W Wachbleibetest (MWT) 200 Wahlfeststellung 36 Wahrscheinlichkeit, Begriffsbestimmung, juristische 6 f Wasserlöslichkeit, Schadstoff 207 Watt 96 f, 102 ff Wiedereingliederung, stufenweise (WE) 20
Z Zahntechniker 172 Zirkulation, pulmonale, Störung 106 Zivildienstgesetz 57 Zusammenhangs-Gutachten Zusatz-Gutachten 4 Zweit-Gutachter 220 Zwerchfellparese 212
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