Seewölfe 333 1 Der Bootsmann der „Wappen von Kolberg“
Roy Palmer 1.
Hochstimmung herrschte an Bord der „Isabella IX.“,...
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Seewölfe 333 1 Der Bootsmann der „Wappen von Kolberg“
Roy Palmer 1.
Hochstimmung herrschte an Bord der „Isabella IX.“, aber nicht nur deshalb, weil Rasmus es an diesem Tag, dem 27. März 1593, wieder gut mit den Seewölfen meinte. Es gab noch andere Gründe. Beispielsweise hatten Graf Hugo von Saxingen, der selbstherrliche Nachkomme eines der Ritter des ehemaligen Schwertordens "Brüder der Ritterschaft Christi in Livland“, sowie dessen Bruder Erich und dessen Freunde genau das empfangen, was sie verdient hatten nämlich eine gewaltige Tracht Prügel. Weiter hatten die Seewölfe das Gut an der Bucht von Narwa „ein wenig aufgeklart“, so daß es in der Wohnhalle aussah, als habe dort eine Schlacht getobt. Schließlich war die Flucht von dem Anwesen zurück zur Bucht gelungen, und Verfolger stellten sich, wie an diesem Vormittag die wiederholten Blicke der Männer zur östlichen Kimm ergaben, auch nicht ein. Hugo von Saxingen hatte keine Schiffe. Er war ein geschlagener Mann und hatte einen Denkzettel erhalten, den er so schnell nicht wieder vergessen würde. Der Hauptgrund für die Euphorie der Seewölfe aber, für ihr Grinsen und Schmunzeln und gänzlich verändertes Verhalten an Bord der „Isabella“ war die Anwesenheit des Freifräuleins Gisela von Lankwitz. Ihr hatte der Kampf auf dem Gut der von Saxingens gegolten, denn sie war von Hasard, Carberry, Big Old Shane, Batuti, Smoky und acht anderen Seewölfen in einem Handstreich befreit worden. Das Unternehmen war geglückt: Die Freiin von Lankwitz konnte zurück zu ihrem Verlobten, Arne von Manteuffel, gebracht werden. Hasard hoffte, ihn in Kolberg anzutreffen. Aus diesem Grund segelte die „Isabella“ mit westlichem Kurs bei südlichen Winden an der Küste von Estland entlang. Sie lief etwas mehr als viereinhalb Knoten Geschwindigkeit und stand jetzt, um zehn Uhr, ungefähr nördlich der Kunda-Bucht.
Ben Brighton hatte noch in der Nacht, nachdem sie in der Bucht von Narwa ankerauf gegangen und bei Winden aus Südwest zunächst von der Küste abgelaufen waren, seine Achterdeckskammer für die Freiin von Lankwitz geräumt und war in Carberrys Kammer umgezogen, die er mit ihm teilen würde, solange der Gast an Bord weilte. Hasard stand seit sechs Uhr auf dem Achterdeck und hatte inzwischen dreimal Besteck genommen, die Positionen seines Schiffes auf der Karte eingetragen und den neuen Kurs genau festgelegt. Als er jetzt wieder an der Querbalustrade über dem Quarterdeck verharrte und seinen Blick wandern ließ, dachte er noch einmal an den Grafen Hugo von Saxingen. Auch er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Nun, dachte er, der edle Hugo wird inzwischen wohl von dem Elchgeweih heruntergestiegen sein, an das ich ihn gehängt habe. Hoffentlich sinnt er über seine Sünden nach und bessert sich. Ferris Tucker hantierte auf dem Quarterdeck an der achteren der beiden Grätings herum. Er hatte noch einen kleinen Schaden entdeckt, den der Sturm, der sie in die Narwa-Bucht gedrückt hatte, verursacht hatte. Mit dem ihm eigenen Eifer setzte er jede Kleinigkeit wieder instand und hielt überall Inspektion. Aber noch etwas fiel dem Seewolf an ihm auf. Ferris trug ein frisches, blütenweißes Leinenhemd. Der rothaarige Riese bemerkte den Blick seines Kapitäns, als er aufschaute, und wußte sofort, warum dieser einigermaßen erstaunt die Augenbrauen hob. „Nun ja“, sagte Ferris und grinste. „Mein anderes Hemd war schmutzig. Es mußte dringend gewaschen werden. Da dachte ich, es ist wohl besser, wenn ich mein Sonntagshemd anziehe.“ „So? Heute ist aber nicht Sonntag. Außerdem hast du nur die beiden Hemden, wenn mich nicht alles täuscht, Mister Tucker.“ „Richtig. Das andere war aber wirklich schmutzig.”
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„Das war mir gar nicht aufgefallen“, sagte Hasard. „Und wer wäscht es dir? Die Zwillinge?“ „Nein, die haben genug mit der Zubereitung des Frühstücks zu tun.“ „Frühstück?“ wiederholte der Seewolf verdutzt. „Wir haben doch schon um sieben Uhr gegessen. Werden neuerdings Zwischenmahlzeiten eingelegt? Was sind das für neue Sitten?“ Ferris hustete und fuhr sich mit der Hand über das Kinn, das er am frühen Morgen mit einem scharfgeschliffenen Messer von Bartstoppeln befreit hatte. „Keine neuen Sitten. Es ist das Frühstück für das Freifräulein. Wir rechnen ja damit, daß sie bald aufsteht, und dann soll natürlich alles, äh, bestens organisiert sein. Schließlich ist sie so was wie ein Ehrengast, nicht?“ „Ja. Aber wer wäscht dir nun das Hemd?“ „Mac Pellew. Er kriegt dafür einen Silberling von mir. Außerdem hat er mir versprochen, daß er den Fleck aus meiner Sonntagshose rauskriegt, den ich neulich darin entdeckt habe.“ „Neulich?“ „Äh, heute morgen“, erwiderte Ferris. „Also, das ist so. Ich will die Hose nachher auch anziehen, weil sie am besten zu meinem Sonntagshemd paßt.“ Hasard lächelte mit einem Anflug von Spott. „Da lerne ich dich ja von einer ganz neuen Seite kennen, Mister Tucker. Sonst hast du nie großen Wert auf dein Äußeres gelegt, auch am Sonntag nicht. Nicht mal zu Ostern oder zu Weihnachten. Hast du dir vorgenommen, künftig wie ein zivilisierter Mensch auszusehen?“ „Richtig, Sir.“ „Ausgezeichnet. Aber wie ich die Dinge sehe, hat Mac Pellew noch mehr Hemden und Hosen zu waschen, oder?“ Ferris grinste schon wieder, diesmal aber ziemlich schief. „Und ob. Ich weiß gar nicht, wie er das alles schaffen will.“ Big Old Shane und die beiden O'Flynns waren auf dem Achterdeck nähergetreten, um den einzigartigen Dialog verfolgen. zu können. Shane mußte unwillkürlich lachen. „Ja“, sagte er. „Das ist wirklich erstaunlich. Bei der Crew scheint so etwas
wie ein Reinlichkeitswahn ausgebrochen zu sein. Ich möchte mal wissen, was das zu bedeuten hat.“ Natürlich wußte er längst, was die Ursache für die eigenartigen Wandlungen an Bord war. Sie schlief nach wie vor fest in Ben Brightons Koje. Hasard räusperte sich. „Mac Pellew ist Koch und Feldscher“, sagte er vernehmlich. „So steht es in der Musterrolle. Als Wäscher habe ich ihn nicht bei uns anheuern lassen. Solche Arbeiten hat jeder Mann selbst zu erledigen, ganz gleich, ob er nun zum Achterdeck gehört oder vor dem Mast fährt. Für heute drücke ich noch mal beide Augen zu, aber ab morgen ändert sich das wieder, verstanden?“ „Aye, aye, Sir“, entgegnete der rothaarige Riese und warf Dan O'Flynn einen vernichtenden Blick zu, weil auch der zu grinsen begonnen hatte. Dann vollendete er sein Werk an der Gräting und rückte anschließend in Richtung Kombüse ab, um sich nach seinem Hemd und seiner Hose zu erkundigen. Auf dem Hauptdeck stand Carberry und rief: „Wascht euch gefälligst auch die Haare, ihr Prielwürmer, damit alle Läuse abmustern! Was soll die Lady sonst von euch denken?“ „Du hast gut reden“, brummte Smoky und blickte bedeutungsvoll auf die Glatze, die der Profos sich hatte rasieren lassen müssen, als er die Wette gegen Luke Morgan verloren hatte. „Aber ich an deiner Stelle würde mir schleunigst wieder eine Pelzmütze besorgen und überstülpen. Sonst kriegt die arme Lady nämlich die Panik, wenn sie dich so sieht.“ „Heute nacht hat sie mich auch gesehen.“ „Aber da war es dunkel“, erklärte Smoky. Carberrys Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Aber nicht in der Burg dieses Affenarsches Graf Hugo. Da hat sie mich in meiner vollen Pracht und Größe gesehen, die Lady.“ „Ach du meine Güte“, sagte Smoky. „Jetzt erzähl bloß noch, du hättest beeindruckend auf sie gewirkt. Dann kippe ich wirklich aus den Stiefeln.“
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„Du fliegst gleich aus den Stiefeln, aber aus einem anderen Grund“, drohte der Profos und schob sein Rammkinn vor. Im stillen nahm er sich aber doch vor, sich für die Pelzmütze, die er im Sturm verloren hatte, einen brauchbaren Ersatz zu beschaffen. „Übrigens“, sagte der Kutscher, der sich gerade zu ihnen gesellt hatte. „Ich empfehle allen, sich nunmehr eines gepflegteren Wortschatzes zu bedienen, denn nichts kann eine echte Lady und Adlige mehr verletzen als das ewige Gefluche auf diesem Schiff.“ „So?“ Carberry wandte sich halb zu ihm um. „Aber sie versteht doch gar kein Englisch, was? Und sie liegt doch auch noch in Bens Koje, wie? Oder irre ich mich?“ „Du irrst dich nicht, Mister Carberry“, entgegnete der Kutscher mit beinah würdevoller Miene. „Aber die Freiin von Lankwitz ist eine hochintelligente Dame. Sie begreift auch Dinge, die sie dem reinen Wortsinn nach nicht versteht.“ „Aus dir wird ja doch keiner schlau!“ fuhr der Profos ihn an. „Hör mit deinem geschraubten Gequatsche auf, das geht mir auf den Geist. Zum Teufel, hast du nichts in deiner ver..., äh, in deiner Kombüse zu tun?“ „Ich könnte Mac Pellew beim Hemdenwaschen oder den Zwillingen bei der Zubereitung des Frühstücks helfen“, erwiderte der Kutscher. Dann suchte er wirklich rasch sein Reich auf, denn Carberrys Miene nahm etwas eindeutig Unheilverkündendes an. Alle Männer brannten darauf, Gisela Freiin von Lankwitz auf dem Achterdeck der „Isabella“ erscheinen zu sehen, ja, sie fieberten ihrem Auftauchen fast entgegen. Doch noch ließ sie auf sich warten. Die Arwenacks mußten sich in Geduld üben. * Durch die turbulenten Ereignisse der letzten Nacht war die Freiin völlig erschöpft in die Koje gesunken, so daß Hasard kaum mit ihr hatte sprechen
können. Er wußte nur, daß die künftige Frau seines Vetters Arne von Manteuffel von dem Grafen Hugo von Saxingen offenbar geraubt worden war. Wie dies hatte geschehen können und was dahintersteckte, wußte er nicht. Jedenfalls war sie aus den Händen des Grafen Hugo befreit - und das vor allen Dingen wegen der Mithilfe seiner beiden Söhne Philip junior und Hasard junior, die bei dem Mahl auf dem Gut von Saxingens die Tischherren der Freiin gewesen waren. Hasard hatte die beiden nunmehr der Freiin gewissermaßen als „Edelknaben“ zugeteilt. Sie hatten den Auftrag, sich um den weiblichen Ehrengast der „Isabella“ zu kümmern, auf daß es der jungen Lady an nichts fehlte. Was Hasard nicht angeordnet hatte, waren die große Kleiderschau und die Waschorgien seiner Männer. Soweit befand sich die Crew nämlich in einem recht ordentlichen Zustand, und an den Achterdecksgästen hatte er ohnehin nichts auszusetzen. Doch eigentlich, so fand er, konnte das Ganze nichts schaden. Deshalb gab er keine anderslautenden Befehle. Alle grinsten, alle waren blendender Laune, nur Old Donegal Daniel O'Flynn schnitt eine säuerliche Grimasse und orakelte wieder einmal herum. „Das kann gar nicht gut gehen“, sagte er düster. „Eine Frau an Bord eines Segelschiffes - das hat noch keinem Seemann Glück gebracht. Wir kratzen noch alle ab, bevor wir den Sund erreicht haben.“ „Weißt du was?“ sagte Big Old Shane mit freundlichem Gesicht. „Ich hätte größte Lust, dir dein Maul mit einem der Zobelpelze zu stopfen, die wir an Bord haben.“ „Der wäre doch viel zu schade dafür“, sagte Dan O'Flynn. Sein Vater fuhr zu ihm herum. „Wie war das eben?“ „Ich meinte nur, ein Räucherhering und eine Doppelration Aquavit würde da viel bessere Dienste leisten“, erwiderte Dan. „Wegen der besseren Wirkung.“
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„Reißt ihr nur eure Witze“, sagte der Alte verdrossen. „Macht euch von mir aus auch über mich lustig. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Es gibt ein großes Unheil. Man verstößt nicht ungestraft gegen die alten Gesetze der Seefahrt.“ „Hol's der Henker“, sagte Roger Brighton, der sich eben mit seinem Bruder Ben von der Heckreling genähert hatte. „Das nehme ich dir einfach nicht ab, Donegal. Sonst hast du ja oftmals recht mit deinen Vorhersagen, aber nicht dieses Mal. Dieses Freifräulein kann uns nur Glück bringen.“ Ben sagte: „Da bin ich mit dir einer Meinung. Aber laßt uns mit dem Fluchen aufhören. Das eine oder andere Wort könnte die Lady nämlich wirklich verstehen, weil manche Ausdrücke im Deutschen ähnlich klingen wie im Englischen. Nils hat es mir vorhin gesagt. Es ist also Vorsicht geboten.“ „Achtung“, sagte Dan O'Flynn. „Die Zwillinge sind mit dem Frühstückstablett erschienen.“ Alle Blicke richteten sich auf die Söhne des Seewolfs, die mit ihrem Tablett bewaffnet über das Hauptdeck bis zum Achterdecksschott marschierten und dann verschwanden. Schweigen trat ein, es war nur noch das Rauschen des Seewassers an den Bordwänden, das Knarren der Blöcke und Rahen und das verhaltene Summen des Windes in den Wanten und Pardunen zu vernehmen. Eine Weile verstrich - dann erschienen die Zwillinge wieder an Deck, und zwar mit dem leeren Tablett und - mit der Freiin. Sie betrat in Begleitung ihrer beiden „Pagen“ das Achterdeck, und bei ihrem Anblick hellte sich sogar das Gesicht von Old O'Flynn auf. Er vergaß alle Orakelsprüche und Unkerei, er war - wie alle anderen Männer auch - von dieser jungen Lady schlichtweg fasziniert und hingerissen. Eine strahlende Erscheinung war diese Gisela von Lankwitz, jung, blühend, von großer Schönheit und Anmut. Die blonden Haare trug sie jetzt zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Bei der Befreiungsaktion der vergangenen Nacht
hatte Hasard ihr sofort eine Decke übergeworfen - sie war hüllenlos gewesen und hatte ohne ihre Kleidung fliehen müssen. Darum hatte sie nun eine Hose und eine derbe Jacke angezogen, die der Seewolf ihr zur Verfügung gestellt hatte. Dennoch blieb ihre wohlproportionierte, frauliche Figur nicht verborgen, und ihr ganzes Wesen und ihre Ausstrahlung wurden von dem Lächeln in ihrem Gesicht und dem erleichterten Ausdruck ihrer tiefblauen Augen beherrscht. Ja, da mußte auch Old O'Flynn ein paar Male schlucken. Was ist das doch für ein Weib, dachte er. Hier wurde selbst er wieder jung, und sein altes Herz schlug ein paar Takte höher. Hasard winkte Nils Larsen als Dolmetscher heran. Als einziger Mann an Bord der „Isabella“ beherrscht er die deutsche Sprache. Er gab sich die größte Mühe, jedes Wort, das sie sagte, so genau wie möglich zu übersetzen, und auch umgekehrt strengte er sich an, präzise vom Englischen ins Deutsche zu übertragen, was die Männer Gisela von Lankwitz zu erklären versuchten. Hasard zeigte sich als geborener Kavalier, verbeugte sich vor ihr und sagte: „Mylady, ich heiße Sie in aller Form und auf das herzlichste an Bord der ‚Isabella' willkommen. Bei uns sind Sie in Sicherheit, Sie haben nichts mehr zu befürchten. Vielleicht haben meine Söhne Ihnen das schon auseinandergesetzt: Ich bin Arne von Manteuffels Vetter.“ Sie lauschte Nils Larsens Übersetzung und nickte. „Ich freue mich, bei Ihnen sein zu können, Kapitän Killigrew“, entgegnete sie. „Ich bedanke mich für die Rettung, ohne Sie und Ihre Männer wäre ich verloren gewesen. Ich weiß nicht. wie ich das, was Sie für mich getan haben, jemals entgelten kann.“ „Das war für uns selbstverständlich“, sagte Hasard. „Außerdem besteht auch zwischen uns ein verwandtschaftliches Verhältnis. Ich bitte Sie daher, mich nicht Kapitän Killigrew, sondern schlicht und einfach Hasard zu nennen.“
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„Gut“, erwiderte sie. „Das aber nur, wenn Sie es annehmen, Gisela zu mir zu sagen.“ Sie gaben sich die Hände, und danach wandte sie sich den anderen Männern zu. Lange Zeit brachte sie nicht, um sich die Herzen der Seewölfe zu erobern. Philip junior und Hasard junior mußten ihr jeden einzelnen vorstellen, denn dazu war in der letzten Nacht ja kaum Gelegenheit gewesen. Nils Larsen dolmetschte fleißig. Die Begrüßung setzte sich vom Achterdeck zum Hauptdeck fort - Gisela von Lankwitz wollte sich bei jedem Seewolf für die Befreiung bedanken, auch bei jenen, die bei dem Unternehmen auf dem Gut der Saxingens nicht mit dabei gewesen waren. Sie war von ihrem Wesen her völlig unkompliziert und dennoch voller Charme, so daß manchen der Männer das große Seufzen befiel. Dieser Arne von Manteuffel, der Vetter ihres Kapitäns, war ein Glückspilz, eine solche Frau heiraten zu können. Erstaunlich war auch, daß Gisela von Lankwitz es wirklich verstand, allein durch ihr Auftreten den Männern das Fluchen abzugewöhnen. Alle bemühten sich darum, sich möglichst gescheit und gewählt auszudrücken. Dem Kutscher fiel dies nicht schwer, er hatte sofort die passenden Worte bereit, als sie vor ihn hintrat und auch ihm lächelnd die Hand schüttelte. Auch Männer wie Stenmark, Gary Andrews oder Sam Roskill meisterten ihre Sache souverän. Das große Grinsen ging eigentlich erst an Bord um, als Hasards Söhne mit der Freiin und Nils Larsen auf den Profos zuschritten, dem in diesem Augenblick bewußt wurde, daß er vergessen hatte, sich eine neue Pelzmütze zu besorgen. Schon wollte er sich am Kopf kratzen, zuckte jedoch zusammen, weil er sich rechtzeitig darauf besann, daß er jetzt ja eine Glatze hatte, also keine Haare mehr, in denen „Läusekolonien angemustert hatten“, wie er manchmal scherzhaft zu behaupten pflegte. Carberry versuchte, dem Seewolf die gekonnte Verbeugung nachzuahmen, aber
er glitt dabei fast auf den Planken aus. Er grinste, griff vorsichtig nach ihrer ausgestreckten Hand und drückte sie nur ein bißchen, um sie ja nicht zu zerquetschen. „Fein, daß Sie hier sind, Lady“, sagte er dann. „Schönes Wetter heute, was, wie?“ Er deutete zum bewölkten Himmel hoch. Das erstickte Glucksen, das er im selben Augenblick hinter seinem Rücken vernahm, stammte von Blacky, der sich ein lautes Losprusten nur noch mit größter Mühe verkneifen konnte. Carberry aber ignorierte es. Er grinste Gisela von Lankwitz mit leicht entblößten Zähnen an und sah zum Fürchten aus. Jeder etwas schreckhafte Mensch hätte jetzt unverzüglich vor ihm die Flucht ergriffen. 2. Nicht so Gisela Freiin von Lankwitz. Sie hörte wieder der Übersetzung von Nils Larsen zu, legte den Kopf ein wenig schief und lächelte, als sie vernahm, daß dies Edwin Carberry, der Profos der „Isabella IX.“ sei. „Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen, Herr Carberry“, sagte sie. „Ich werde nie vergessen, wie Sie heute nacht auf dem Gut der Saxingens für mich gekämpft haben.“ Ja, sie vermochte diesem narbigen, glatzköpfigen Ungeheuer sogar noch etwas Sympathisches abzugewinnen. Richtig vergnügt sah sie aus und schien vorzuhaben, sich auf einen längeren Plausch mit dem Profos einzulassen. Er aber wurde richtig verlegen. Wieder probierte er es mit, einem Kratzfuß, aber der mißlang auch. „Lady“, sagte er mit leicht heiserer Stimme. „Das, äh - ganz meinerseits. Ich meine, so was könnten wir jederzeit wiederholen. Nein, verstehen Sie das nicht falsch. Nicht, daß ich will, daß Sie noch mal von so einem Kerl, wie diesem Hugo, so einem Af…, ach, was sage ich denn? Wir, also, die Männer der ‚Isabella', würden Sie überall raushauen, das wollte ich sagen.“ Er war ins Schwitzen geraten
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und blickte zu Nils Larsen, der nun ebenfalls in die Bredouille geriet. „Soll ich das alles so übersetzen, Ed?“ fragte er. „Dem Wortsinn nach, du Hirsch.“ Nils tat sein Bestes, und diesmal lachte die Freiin silberhell auf. „Es ist schön zu wissen, daß Arne solche tapferen Freunde hat. Was geschehen wäre, wenn Sie nicht aufgetaucht wären, als die von Saxingens ihr Gelage abhielten, wage ich mir nicht auszumalen.“ „Schwamm drüber“, sagte der Profos. „Der Fall ist erledigt, und der Drecksack Hugo sitzt mit dem A ... Achtersteven im Elchgeweih.“ „Wir können die Angelegenheit vergessen, sie ist bereinigt“, übersetzte Nils. Smoky, der nicht weit von Carberry entfernt stand, räusperte sich ein wenig. „Gewählter sollst du dich ausdrücken, Ed“, sagte er. „Tu ich das denn nicht?“ „Herr Carberry“, sagte die Freiin nun. „Welche Funktion haben Sie eigentlich an Bord der ‚Isabella'?“ „Ich bin der Profos“, erwiderte Carberry. „Der Zuchtmeister. Wenn die Kerle nicht parieren, ziehe ich ihnen die Haut in Streifen ... nun, ich habe dafür zu sorgen, daß die Disziplin gewahrt wird.“ „Aber warum haben Sie - wenn es keine indiskrete Frage ist - im Gegensatz zu den anderen Männern keine Haare mehr auf dem Kopf?“ erkundigte sie sich interessiert. Carberry erklärte ihr auch dies, sehr zur Erheiterung der anderen Männer. Der Profos deutete wieder einen Kratzfuß an, der diesmal gar nicht so ungeschickt ausfiel, und dann fing er an, Süßholz zu raspeln. Er wies darauf hin, daß Arne von Manteuffel mit seiner Verlobten eine glückliche Wahl getroffen habe, daß die Freiin ein reizendes Geschöpf sei und anderes mehr. Jetzt verging der Crew das Grinsen. Keiner hätte erwartet, daß Carberry doch so galant sein könne. Und überhaupt, Hasard brauchte keine Bedenken zu haben. Seine Arwenacks entpuppten sich nach und nach
einer wie der andere als vollendete Gentlemen und ritterliche Kavaliere. Dies veranlaßte Big Old Shane zu einem trockenen Kommentar. „Zur Zeit geht es an Bord der ,Isa' zu wie am Hof der königlichen Lissy“, sagte er. „Kaum zu fassen ist das.“ Ja, hier geschah wirklich Unfaßbares. Die Freiin von Lankwitz hatte sich die Herzen der Seewölfe im Sturm erobert - aber auch umgekehrt war dies der Fall. Die junge Frau hörte nicht mehr auf, mit den Männern zu plaudern, fand immer wieder neue Themen, die es wert waren, angeschnitten zu werden. Und das war wahrhaftig einmal etwas anderes als die gewöhnliche Bordroutine, bei der freundliche oder weniger freundliche Ruppigkeiten zum normalen Verkehrston gehörten. Für einen eher peinlichen Auftritt sorgte allerdings Sir John, der plötzlich aus der Kombüse hervorflatterte und ein paar Runden über dem Hauptdeck drehte. Er ließ demonstrativ etwas fallen und krächzte: „Affenärsche - Rübenschweine -klar bei Lunten - fier weg das Ding -du Hundesohn ...” „Sir John!“ rief der Profos erbost. „Halt sofort den Schnabel! Komm runter! Das ist ein Befehl!“ „Das ist ein Befehl - das ist ein Befehl!“ krakeelte der Papagei. Die Freiin von Lankwitz stieß beim Anblick des karmesinroten Aracangas jedoch einen jauchzenden Laut des Entzückens aus. „Der ist ja niedlich! Ist er richtig zahm? Was sagt er denn?“ „Er schimpft“, erwiderte Nils Larsen. „Was er im einzelnen von sich gibt, kann ich Ihnen aber leider nicht übersetzen.“ „Ach so, ich verstehe schon“, sagte sie amüsiert. Dann ließ ihr Interesse an Sir John etwas nach, denn sie hatte Plymmie, die Wolfshündin, auf der Back entdeckt. Wenig später zeigten die Männer ihr auch Arwenack, den Schimpansen, der sich bislang auf der Galion verkrochen hatte. Er war beleidigt und auch ein bißchen eifersüchtig, denn seit dem Erscheinen der
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Lady an Bord kümmerte sich keiner mehr so recht um ihn. Aber sowohl mit Plymmie als auch mit Arwenack schloß die Freiin, die offenbar mit Tieren sehr gut umzugehen verstand, sofort dicke Freundschaft. Bei Sir John dauerte es etwas länger. Er umkreiste die junge Frau noch den ganzen Vormittag über mißtrauisch. Als sie ihm aber ein paar Brotkrumen und Apfelkerne auf der ausgestreckten Hand entgegenhielt, war auch bei ihm das Eis gebrochen. Er ließ sich auf ihrer Hand nieder und pickte alles auf, dann watschelte er über ihren Arm auf ihre Schulter und rieb seinen Schnabel zärtlich an ihrem Ohrläppchen. Lächelnd kehrte sie auf das Achterdeck zurück. „Ich sehe, Sie verstehen sich mit meinen Männern, Gisela“, sagte der Seewolf. „Für uns ist es wirklich eine Ehre, Sie bei uns an Bord zu haben. Aber würden Sie mir jetzt Ihre Geschichte erzählen? Mich interessiert vor allen Dingen, wie es Hugo von Saxingen gelang, Sie gefangen zu nehmen.“ Nils Larsen war ihr gefolgt und setzte seine Tätigkeit als Dolmetscher fort. „Ja“, sagte Gisela von Lankwitz. „Ich will Ihnen alles berichten, Sie haben ein Anrecht darauf, das zu erfahren. Am besten fange ich dabei an, wie Hugo von Saxingen Ende Januar dieses Jahres überraschend bei den Manteuffels in Kolberg als angeblicher Beauftragter des polnischen Königs auftauchte. Er erklärte, daß er im Namen des Königs handele, pochte aber auch auf seine erloschenen Rechte des Schwertordens. Er verlangte, daß künftig der Bernsteinhandel nur über die polnische Krone und damit über ihn als den ,königlich-polnischen Handelsbeauftragen' abgewickelt werden dürfe.“ „Verrückt!“ stieß Old O'Flynn empört hervor. „Heller Wahnsinn“, sagte auch Ben Brighton. „Was bildet dieser Mann sich eigentlich ein?“ „Warten Sie, das ist noch nicht alles“, sagte Gisela von Lankwitz. Hugo von
Saxingen sagte weiter, es sei der polnischen Krone bekannt, daß die Manteuffels illegalen Bernsteinhandel betrieben, und das habe künftig zu unterbleiben. Widrigenfalls werde die polnische Krone Mittel und Wege finden, den illegalen Handel zu unterbinden.“ „Was sie ja auch bereits im Fall des Kaufmanns Jens Johansen in Wisby auf Gotland getan hat“, sagte der Seewolf und erinnerte die Männer dadurch an das Abenteuer, das sie auf Gotland erlebt hatten. Johansen war ermordet worden wegen des Bernsteinregals, das den Handel mit dem „Gold der Ostsee“ in ganz bestimmte Bahnen lenken sollte. Dieses Bernsteinregal, das Monopol oder hoheitliche Recht der wirtschaftlichen Nutzung, war von den Herzögen Pommerns auf den Deutschen Orden übergegangen. Seit dessen Niedergang war es jedoch ein Streitobjekt der Küstenanlieger. Insbesondere beanspruchten es der König von Polen, der Herzog von Kurland und Markgraf von Brandenburg als derzeitiger Administrator des Herzogtums Preußen. In Polen herrschte Sigismund III., Kurland war ein Lehen der polnischen Könige, und zwar waren es 1593 die beiden Herzöge Friedrich und Wilhelm von Ketteler, die gemeinsam über diese Region herrschten. Das Herzogtum Preußen - das spätere Ostpreußen - wiederum wurde von Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg an Stelle seines schwachsinnig gewordenen Vetters Albrecht Friedrich von Preußen regiert. Als Lehen unterstand das Herzogtum Preußen ebenfalls dem polnischen König, der damit auch das Bernsteinregal für sich beanspruchte, was aber weder die Kettelers noch Georg Friedrich als rechtens empfanden, vor allem Georg Friedrich nicht, weil zu seinem Bereich Samland zählte, die berühmte und ergiebige Bernsteinküste. Der Streit der Landesherren um das Regal förderte den schwarzen Handel, denn solange keine Seite den eigenen Anspruch durchzusetzen vermochte, florierte das
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Geschäft der Schmuggler und der illegalen Händler. „Zu dem Zeitpunkt. als von Saxingen erschien, weilte ich gerade bei den Manteuffels in Kolberg“, fuhr Gisela von Lankwitz in ihrem Bericht fort. „Zu Hause bin, ich in Rügenwalde. Mein Vater ist Gutsbesitzer, Kaufmann und Reeder. Er hatte mich nach Kolberg begleitet, um mit Arne und mit mir die Hochzeitsmodalitäten zu besprechen. Die Hochzeit soll nämlich im April in Kolberg stattfinden. Nun, auf diese Weise lernte ich also mehr oder weniger zufällig den Grafen Hugo von Saxingen kennen, der mir vom ersten Augenblick an unsympathisch war. Mein künftiger Mann brach mit seiner kleinen Handelsgaleone ,Wappen von Kolberg` nach diesem Besuch jedenfalls sofort auf, um seine Handelspartner über die neue Situation bezüglich des Bernsteinhandels zu informieren.“ „Und um sie zu warnen“, fügte der Seewolf hinzu. „Im Fall des Jens Johansen kam er zu spät.“ „Woher wissen Sie das. Hasard?“ Wir haben uns seinerzeit in Wisby getroffen“, erwiderte er. „Was sich dort abspielte, erzähle ich Ihnen noch. Lassen Sie mich jetzt erst einmal wissen, wie es weiterging. Überhaupt, wie hat Arne denn auf Hugo von Saxingens mehr oder weniger verhüllte Drohungen reagiert?“ „Er verhielt sich kühl“, sagte sie. „Er erklärte ihm lediglich, die Manteuffels seien keine Untertanen des polnischen Königs, und er selbst sei der Meinung, daß niemand das Recht habe, das Regal für sich zu beanspruchen.“ „Er schmetterte Hugo, diesen Hundesohn, also glatt ab“, sagte Big Old Shane. „Gut so. Und wie ging es weiter?“ „Wenn ihr dauernd unterbrecht, erfahren wir es vor heute abend nicht mehr“, sagte der alte O'Flynn mit finsterer Miene und einem drohenden Blick zu Shane. Er hätte am liebsten gehört, wenn nur noch Gisela von Lankwitz gesprochen hätte. Wie mußte ihre allerliebste Stimme auf Englisch klingen. Er. wagte sich das nicht auszumalen und nahm sich vor, ihr
wenigstens die wichtigsten Vokabeln beizubringen. „Nach Arnes Abreise hatte mein Vater noch geschäftlich in Stettin zu tun“, sagte Gisela von Lankwitz. „Ich fuhr mit einer seiner Kutschen zurück nach .Rügenwalde und legte in einer Herberge, wo auch die Pferde getränkt und versorgt werden mußten, eine Rast ein. Hier stieß ich erneut auf den Grafen von Saxingen. Es war eine zufällige Begegnung, aber er benahm sich mir gegenüber sehr aufdringlich.“ „Wo war das?“ fragte Hasard. „In Köslin. Und bei der Weiterfahrt wurde meine Kutsche gleich hinter der Ortschaft von vier maskierten Reiter überfallen. Sie schlugen den Kutscher nieder und verschleppten mich. Der Entführer war Hugo von Saxingen, er nahm schon nach einer Meile Ritt seine Maske ab und erklärte mir hohnlachend, Arne würde sich schon wundern, wo seine Braut abgeblieben sei. Ich wehrte mich, appellierte an sein Gewissen, aber es nutzte mir alles nichts. Er brachte mich auf sein Gut und sperrte mich dort ein.“ „Dieser Teufel!“ stieß Ben Brighton hervor. „Erst markiert er den feinen Grafen, und dann erlaubt er sich ein solches Bubenstück. Dafür gehört er an den Galgen!“ „Wenn ich diese Zusammenhänge bereits in der letzten Nacht gewußt hätte, wäre von Saxingen jetzt als Gefangener an Bord der ‚Isabella–, sagte Hasard mit ernster Miene. „Denn meiner Ansicht nach gehört der Kerl vor ein deutsches Gericht. Nun, vielleicht haben wir noch die Gelegenheit, seine Festnahme in die Wege zu leiten. Vorerst ist es unsere wichtigste. Aufgabe, die Freiin unbeschadet nach Kolberg zu bringen.“ Die erste Probe aufs Exempel stand ihm und seinen Männern unmittelbar bevor. Sam Roskill, der im Großmars den Ausguck übernommen hatte, stieß plötzlich einen Ruf aus. „Deck! Mastspitzen voraus, an der westlichen Kimm!“ „Dan“, sagte der Seewolf. „Entere zu Sam in den Großmars auf. Stellt fest, um wie viele Schiffe es sich handelt. Vor allen
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Dingen müssen wir wissen, welcher Herkunft sie sind.“ Darüber sollte er nicht lange im Ungewissen bleiben. Eine Begegnung ließ sich nicht mehr vermeiden. *
Nur wenige Augenblicke später hatten Dan und Sam die Schiffe im Westen vom Großmars aus genauer in Augenschein genommen. „Drei Galeonen auf Ostkurs!“ meldete Dan. „Sie haben uns ebenfalls gesichtet und schwenken auf uns zu!“ „Sind es Dreimaster?“ fragte Hasard. „Ja, aber sie sind kleiner als die ,Isabella`.“ Hasard wandte sich, einer plötzlichen Eingebung folgend, zu Gisela von Lankwitz, zu Nils und seinen beiden Söhnen um. „Philip und Hasard“, sagte er. „Ihr bringt die Freiin wieder nach unten und zeigte ihr, wo der Einstieg für den Geheimgang ist. Versteckt sie dort und holt sie erst wieder, wenn die Luft rein ist. Irgendwie behagt mir die ganze Sache nicht, ich glaube, wir kriegen gleich Ärger.“ Gisela von Lankwitz war einverstanden, verschwand kurz darauf mit den Zwillingen im Achterkastell und begab sich in Big Old Shanes Kammer, von der aus man in den Geheimgang gelangte. Dieser Gang, der zunächst in die Tiefe führte und dann über dem Kielschwein des Schiffes entlang bis ins Vorschiff verlief, hatte einen zweiten Ein- beziehungsweise Auslaß, der sich im Mannschaftslogis befand. Eine komplette Crew konnte sich dort verborgen halten. Aber Hesekiel Ramsgate hatte bei der Konstruktion der „Isabella IX.“ auch noch an etwas anderes gedacht: Es gab geheime Waffenkammern, die durch den Gang zu erreichen waren. Wenn die Galeone einmal von einem Feind geentert wurde und es im Kampf ganz hart kam, dann hatten die Seewölfe immer noch dieses Refugium zur Verfügung, von dem aus sie bis zum letzten kämpfen konnten.
„Die drei Galeonen führen die schwedische Flagge!“ rief Sam Roskill aus dem Großmars. „Aber sie haben auch noch eine andere Flagge, die ich nicht kenne!“ „Es scheint mir die polnische Königsflagge zu sein!“ fügte Dan O'Flynn hinzu. Hasard richtete sein Spektiv auf die heransegelnden Galeonen. Sie lagen auf Dwarslinie, schickten sich jedoch an, auf Parallelkurs zu gehen. Schon jetzt war zu erkennen, daß das mittlere Schiff etwas aufwendiger und prunkvoller gebaut war als die beiden anderen, und bei allen dreien flatterten die von Dan und Sam beschriebenen Flaggen im Besantopp. „Ja“, sagte Hasard. „Es könnte sich tatsächlich um Polen handeln.“ Wenig später waren die drei Galeonen auf Rufweite heran und drehten bei. Mit aufgegeiten Segeln lagen sie nun im Wind, und eine Stimme ertönte von dem mittleren Schiff, die irgendetwas zu befehlen schien. „Der Kerl spricht Schwedisch“, sagte Nils Larsen. „Er verlangt von uns, daß wir ebenfalls beidrehen.“ „Hat er sich schon vorgestellt?;“ fragte Hasard. „Nein“, antwortete Nils grimmig. „Ich habe keine Ahnung, mit wem wir das Vergnügen haben.“ „Dann frag ihn danach.“ Nils trat an das Schanzkleid der Backbordseite und schrie etwas zu den drei Galeonen hinüber. Wieder ertönte drüben die Stimme von vorher, und nun sagte der Däne: „Er gibt sich als Witold Woyda aus, Generalkapitän. Er verlangt, bei uns an Bord gelassen zu werden.“ „Er bittet nicht darum?“ „Nein, Sir.“ Der Seewolf warf wieder einen langen Blick zu den drei Galeonen hinüber, die näher und näher rückten. „Der Generalkapitän weiß nicht, was sich gehört“, sagte er. „Aber wir drehen trotzdem bei. Hängt die Segel ins Gei. Ich muß wissen, was er von uns will. Aber du, Shane, holst dir schon mal deine Brandund Pulverpfeile. Sag auch Batuti Bescheid, er soll sich ebenfalls bereithalten.“
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„Aye, Sir.“ „Ferris, wie viele Flaschenbomben Last du zur Zeit bereit?“ „Mehr als zwei Dutzend!“ „Hol sie. Macht auch die Drehbassen fertig und achtet auf mein Zeichen. Wenn dieser Woyda die Stückpforten hochzieht, gehen wir sofort zum Gegenangriff über. Die Kanonen sind geladen, wir brauchen sie nur auszurennen“, sagte der Seewolf. „Ich hoffe aber trotzdem, daß es Licht zum Gefecht kommt - wegen der Lady.“ Gisela Freiin von Lankwitz hockte im Geheimgang der „Isabella“ und lauschte den Stimmen der Männer. Sie vermochte aber nichts von dem, was gesprochen wurde, zu verstehen. Sie konnte nur Vermutungen anstellen und im übrigen darum beten, daß es keinen Verdruß gab und das tat sie auch reichlich - unter anderem deshalb, weil sie nicht wollte, daß Philip Hasard Killigrew und seine tapferen Männer ihretwegen in neue Auseinandersetzungen verwickelt wurden. 3. Von der am prunkvollsten gebauten Galeone wurde eine Jolle abgefiert und bemannt. Sie legte ab und setzte zur „Isabella“ über, die nun mit dem Vorschiff im Wind parallel zu dem kleinen Verband lag. Die Seewölfe konnten im Näherkommen des Bootes die Gestalten, die darin saßen, mit dem bloßen Auge unterscheiden. Es handelte sich um vier Rudergasten, den Bootssteurer, ein paar Uniformierte und drei recht aufwendig gekleidete, perückentragende Männer. Einer von ihnen war der Generalkapitän Witold Woyda - er erhob sich von seiner Ducht und richtete ein paar Worte an den Seewolf, die wie ein Appell klangen. Hasard stand am Steuerbordschanzkleid des Achterdecks seines Schiffes und betrachtete den Mann ' gelassen. Woyda war schätzungsweise sechs Fuß groß und hatte ein derbes Gesicht. Was man von ihm halten sollte, wußte man auf den ersten Blick nicht so recht. War er gefährlich oder
konnte man bei einiger Diplomatie gut mit ihm auskommen? Was wollte er? Hasard hatte Nils Larsen zu Gisela von Lankwitz geschickt, damit dieser ihr wenigstens etwas von dem, was auf schwedisch und auf englisch gesprochen wurde, übersetzen konnte. Als Dolmetscher hatte sich der Seewolf Stenmark aufs Achterdeck geholt. Die Jakobsleiter war an der Bordwand der „Isabella“ abgefiert worden. Woyda und fünf seiner Begleiter enterten an Bord auf. Nur die vier Bootsgasten und zwei Uniformierte blieben in der Jolle zurück, die Perückenträger, die anderen Soldaten und der Bootsführer begaben sich auf das Schiff. Kaum stand er auf dem Achterdeck, begann Woyda wieder zu sprechen ziemlich schnell, so daß Stenmark einige Schwierigkeiten hatte, immer simultan das zu übersetzen, was er gerade sagte. „Willkommen an Bord, Generalkapitän“, konnte Hasard eben noch sagen, dann legte Woyda auch schon los. „Mein Name ist Witold Woyda“, sagte er, als bestünden daran noch irgendwelche Zweifel. „Als Generalkapitän bin ich der Befehlshaber einer Gruppe polnischer Schiffe, die den Auftrag haben, auf dieser Route Handelsfahrer anzuhalten und nach geschmuggeltem Bernstein zu untersuchen. Ich habe mit einem Teil meiner Schiffe in der Monk-Wiek geankert, also westlich der Kunda-Bucht, und heute in den frühen Morgenstunden durch einen Reiter eine Botschaft des Grafen Hugo von Saxingen empfangen, die mich in zusätzliche Alarmstimmung versetzt hat.“ „Darf man fragen, um was es sich handelt?“ fragte Hasard, als Woyda gerade tief Luft holte. „Ja. Der Graf ließ mir mitteilen, er habe eine dringende Bitte an mich. Ich soll eine vermutlich westwärts segelnde englische Galeone mit dem Namen ,Isabella IX.' aufbringen und nach Reval geleiten. Der englische Kapitän hat in frevelhafter Weise das Gastrecht des Grafen verletzt und dessen Braut entführt.“ Woyda musterte
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bei diesen Worten eindringlich den Seewolf, doch der verzog keine Miene. „Unglaublich, was in diesen Landen so passiert“, sagte er nur. „Und was habe ich damit zu tun?“ „Ist dies die ,Isabella IX.'?“ „Ja, und ich bin Philip Hasard Killigrew, der Kapitän. Womit kann ich Ihnen behilflich sein, Generalkapitän?“ „Angeblich sind Sie ein Mitglied der deutschen Familie von Manteuffel, von der man weiß, daß sie Bernsteinschmuggel betreibt und damit den schwedischpolnischen König Sigismund III. schwer schädigt“, erklärte Witold Woyda. Sein Gesicht nahm jetzt einen verkniffenen Ausdruck an. „Um dies alles zu untersuchen, haben Sie sich mit Ihrer Galeone unter dem Schutz meiner drei polnisch-schwedischen Schiffe nach Reval zu begeben.“ Hasard schüttelte den Kopf, dann verschränkte er die Arme vor der Brust. „Ich habe als freier englischer Handelsfahrer nicht die Absicht, Reval anzulaufen“, entgegnete er. „Außerdem sind die Anschuldigungen dieses Grafen von Saxingen allesamt aus der Luft gegriffen.“ „Wollen Sie damit behaupten, daß Sie ihn überhaupt nicht kennen?“ „Das nicht“, erwiderte Hasard. „Ich habe ihn kurz auf seinem Anwesen besucht, als ich gestern mit meinem Schiff in der Bucht von Narwa vor Anker gelegen habe. Das war alles. Der Graf und seine Junker waren ziemlich betrunken, vielleicht haben sie in dem Zustand nicht richtig mitgekriegt, was wir getan oder nicht getan haben.“, Woyda schnappte nach Luft und lief dunkelrot an. „Mit - mit anderen Worten, Graf von Saxingen hat gelogen? Wollen Sie das unterstellen?“ „Ich unterstelle gar nichts“, erklärte der Seewolf kühl. „Aber ich habe weder Bernstein noch eine Braut an Bord. Davon können Sie sich überzeugen, und zwar sofort. Ich bin bereit, mein Schiff von Ihnen untersuchen zu lassen, um Ihnen meine Unschuld zu beweisen - nicht in Reval, sondern hier, an Ort und Stelle.“
Diesmal war er es, der den anderen gar nicht erst zu Wort kommen ließ. Er fügte gleich noch mit hinzu: „Ich habe im Auftrag der englischen Königin in Abo Holz und in Wiborg Pelzwerk eingekauft. Auch davon können Sie sich überzeugen. Was diese Familie Manteuffel betrifft - sie ist mir als Engländer völlig unbekannt. Daraus ist logisch zu schließen, daß ich keine Veranlassung habe, dem polnischschwedischen König irgendwelchen Schaden zuzufügen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß König Sigismund Verwicklungen mit der englischen Krone wünscht. Oder täusche ich mich?“ Hasards Erwiderung wurde Wort für Wort ruhig und gelassen von Stenmark ins Schwedische übertragen. Woyda erblaßte und wandte sich an seine Begleiter. Ein heftiges Palaver begann. Woyda war sich offenbar unschlüssig darüber, wie er sich verhalten solle. Schließlich wurde die Debatte eingestellt, und der Generalkapitän drehte sein Gesicht erneut dem Seewolf zu. „Kapitän Killigrew“, sagte er. „Ich bitte Sie darum, die ‚Isabella' durchsuchen zu dürfen.“ „Bitte. Ich habe es Ihnen ja gleich angeboten. Es wird Sie hoffentlich nicht stören, wenn meine Männer unterdessen wieder ihren normalen Decksdienst versehen?“ „Selbstverständlich nicht.“ Witold Woyda salutierte, verließ das Achterdeck und enterte auf das Hauptdeck ab. Er rief seine restlichen Männer aus dem Boot an Bord der „Isabella“, und sogleich begann die Arbeit, die von dem Generalkapitän in allen Details geleitet wurde. Alles wurde durchstöbert, die Polen gingen gründlich ans Werk. Da wurde vom Vorschiff bis zum Achterschiff alles durchforstet, wurde in die Kapitänskammer und die übrigen Kammern der Hütte geschaut, in den Laderaum, ins Mannschaftslogis, in die Kombüse und in das Kabelgatt, ja, sogar in die Vorpiek. Nahezu zwei Stunden brauchten die Männer der polnischen Galeone für ihr Werk, und in dieser Zeit geriet Witold
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Woyda gehörig ins Schwitzen. Denn seine Leute fanden nicht das, was sie entdecken wollten, weder Bernstein noch eine „Braut“. Wütend erwartete Woyda seine Männer zum Bericht auf dem Hauptdeck. Sie schüttelten die Köpfe, hoben die Schultern und ließen sie wieder sinken. Nichts hatten sie gefunden, nur das Holz und die Pelze, von denen dieser Kapitän Killigrew gesprochen hatte. „Was jetzt?“ fragte einer der Perückenträger. „Wir blamieren uns hier bis auf die Knochen.“ „Nein!“ fuhr Woyda ihn an und stampfte dabei mit dem Fuß auf. „Da muß was sein! Fangt von vorn an! Krempelt noch einmal alles um! Ich erwarte eine Erfolgsmeldung!“ Das Grinsen der Männer der „Isabella“ war ihm nicht entgangen. Sie amüsierten sich über ihn, davon war er überzeugt. Gerade dieses Verhalten und die offensichtliche Gleichgültigkeit der Engländer waren es, die ihn zur Weißglut brachten. Mehr als zuvor war er darauf aus, ihnen wenigstens eine ihrer „Schandtaten“ nachzuweisen und sie entweder als Bernsteinschmuggler oder als Frauenräuber bloßzustellen. Darum begab er sich selbst in das Achterschiff und half mit, alles zu durchsuchen. Das Bordleben nahm inzwischen wieder seinen Lauf. Der Kutscher rief zum Backen und Banken, das Mittagessen wurde ausgeteilt. Es gab Bohnen mit Speck, die Männer löffelten sie bedächtig in sich hinein und ließen die Polen dabei nicht aus den Augen. Carberry, der sich mit seiner Kumme auf der zweituntersten Stufe des Steuerbordniederganges zur Back niedergelassen hatte, warf einem der Soldaten, der soeben wieder aus dem Vordecksschott hervortrat, einen vernichtenden Blick zu. „Eins ist sicher“, sagte er zu Smoky. „Wenn einer dieser Kaffern wagt, in mein Essen zu glotzen, stecke ich ihn mit dem Kopf voran in den Bohnenkessel; damit er auch den untersuchen kann.“
Smoky grinste. „Lassen wir uns nicht stören. Uns kann doch nichts passieren. Und wie heißt es immer so schön? Wer zuletzt lacht, lacht am besten.“ „Das ist richtig“, erklärte Blacky. „Aber es könnte trotzdem noch Ärger mit den Kerlen geben. Wer sagt uns denn, daß auch jeder von ihnen eine ehrliche Haut ist?“ „Ed“, sagte Gary Andrews, der den Geräuschen im unteren Deck aufmerksam gelauscht hatte. „Wenn mich nicht alles täuscht, kramen sie jetzt wieder im Logis herum. Ob wir das zulassen dürfen? So ganz ohne Aufsicht, meine ich?“ Der Profos erhob sich und stellte seine Kumme weg. Er betrat das Vordeck, gefolgt von Batuti und Smoky, die sich ihm wie zufällig anschlossen, und dann war er auch schon auf dem Niedergang, der ins Logis hinunterführte. Plötzlich bereiteten sie sich alle drei Sorgen. Was war, wenn die Männer Witold Woydas durch einen Zufall doch den Zugang zum Geheimgang entdeckten? Von dieser Befürchtung getrieben, betraten die drei das Logis - und blieben wie vom Donner gerührt stehen. Den Geheimgang hatten die Polen zwar nicht gefunden, aber einer von ihnen durchstöberte gerade Batutis Privatschapp und entdeckte den Lederbeutel, in dem sich die hundert Goldtaler befanden, die der Gambia-Mann als Siegesprämie in seinem Kampf gegen den „Bullen von Wiborg“ erhalten hatte. Ganz unverfroren steckte der Mann den Beutel ein, nachdem er durch einen raschen Blick festgestellt hatte, daß er Goldmünzen enthielt. Doch genau in diesem Moment waren Carberry, Batuti und Smoky hinter ihm. „Jetzt reicht's!“ rief Batuti empört. „Rück sofort den Beutel wieder raus, Mann!“ Er streckte die Hand aus. „Gib das her, oder wir kriegen Streit miteinander!“ Der Pole dachte nicht daran, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Sehr schnell hatte er seine Muskete gepackt und angehoben, die Mündung richtete sich auf Batutis Bauch. Knackend spannte sich der
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Hahn, und der Kerl brüllte etwas in seiner Muttersprache. Sie wichen aber vorsichtshalber vor ihm zurück. Carberry und Smoky packten Batuti an beiden Armen, nahmen ihn in die Mitte und kehrten mit ihm auf das Hauptdeck zurück. „Sei doch vernünftig“, sagte der Profos. „Willst du eine Kugel in den Bauch kriegen, was, wie?“ „Ich will meinen Beutel wiederhaben“, sagte der schwarze Herkules störrisch. „Ich dreh dem Hund den Hals um.“ „Warte damit, bis wir auf der Kuhl sind!” schrie Smoky - laut genug, daß die draußen wartenden Männer es verstehen können. „Dann schaffen wir es schon, diesem Kerl die Goldtaler wieder abzunehmen, die er sich widerrechtlich angeeignet hat!“ Sie traten auf das Hauptdeck, der Pole folgte ihnen fluchend und mit der Muskete im Anschlag. Plötzlich aber stolperte er Blacky hatte neben dem offenen Vordecksschott auf ihn gewartet und stellte ihm geistesgegenwärtig ein Bein, nachdem der Profos, Smoky und der Gambia-Mann an ihm vorbei waren. Die Seewölfe hatten ihre Kummen und Näpfe mit Bohnen und Speck weggestellt und umringten den Polen plötzlich. Er stolperte ihnen entgegen, sie nahmen ihn freundlich grinsend in Empfang - und ehe er sich versah, fehlte ihm die Muskete. Smoky war vor Carberry und Batuti bei dem Kerl und packte ihn am Genick. So schleppte er ihn bis zu den Beibooten und preßte ihn mit dem Rücken gegen die Bordwand der großen Jolle. Dabei sah er ihn drohend an und zischte einen Fluch. Zwei andere Soldaten waren jetzt aber auch zur Stelle und wollten ihre Musketen auf die Seewölfe richten. Aber sie begingen den Fehler, zu sehr auf das zu achten, was Smoky mit ihrem Landsmann tat. Stattdessen hätten sie ihr Augenmerk lieber auf die anderen Seewölfe richten sollen. Die waren unvermittelt hinter ihnen und neben ihnen und hinderten sie daran, auf Smoky zuzurücken.
Carberry hatte plötzlich die Muskete des einen Soldaten in der Hand und betrachtete sie interessiert. „Was für ein seltsames Schießeisen“, sagte er grollend. „He, Mister Finnegan, hast du schon mal eine polnische Flinte gesehen?“ „Nein, das habe ich noch nicht“, erwiderte Jack, der neben dem Profos stand. „Dann schau sie dir mal genau an“, sagte Carberry. „Es scheint ein Knick im Lauf zu sein. „Er reichte die Muskete an Jack weiter, und nun wanderte sie von Hand zu Hand bis zum Kutscher, der sie schließlich in Empfang nahm und in die Ecke zwischen Back und Räucherofen lehnte. Auch die andere Muskete wurde dem dritten Soldaten wie durch Zauberei entrissen und nahm denselben Weg. Er war machtlos dagegen, denn Blacky und Batuti hielten seine Arme fest. „Du zitterst ja, mein Junge“, sagte Blacky. „Was ist denn los mir dir? Bist du krank?“ Smoky stand inzwischen mit dem ersten Soldaten bereits vor Hasard, der das Achterdeck verlassen hatte, um den Grund für den Aufruhr zu erforschen. Der Generalkapitän Witold Woyda erschien ebenfalls mit empörter Miene und trat dicht vor Smoky und den Soldaten hin, wobei er aufgebracht gestikulierte und etwas in seiner Sprache hervorstieß, das niemand verstand. „Sten!“ rief Smoky. „Übersetze du dem Mister Generalkapitän doch mal, was eben im Logis passiert ist! Sir, wir haben wirklich allen Grund, diesen Hundesohn am Kragen zu packen und ein bißchen durchzuschütteln!“ Stenmark war zur Stelle. Was geschehen war, hatte er in allen Einzelheiten bereits von den anderen Kameraden erfahren. In kurzen Sätzen trug er es Witold Woyda vor, und dieser verstummte und ließ die Arme sinken. „Smoky, Ed, Batuti“, sagte der Seewolf. „Ihr könnt doch sicherlich auch beweisen, was ihr da behauptet, nicht wahr?“ „Selbstverständlich, Sir“, entgegnete der Decksälteste. Mit diesen Worten griff er dem Soldaten auch schon in die Tasche
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und zog den Beutel mit den Goldtalern heraus. Hasard streckte die Hand aus, Smoky warf ihm den Beutel zu. Hasard fing ihn auf, hob ihn demonstrativ in die Höhe und wandte sich an den Generalkapitän. „Sir“, sagte er vernehmlich. „Ist es bei den Soldaten des Königs Sigismund etwa üblich, friedliche Seeleute zu bestehlen?“ Jetzt stand Witold Woyda ziemlich dumm da und wußte nicht mehr, was er darauf erwidern sollte. Er beschränkte sich darauf, zornige Blicke um sich zu werfen, die einmal seine Soldaten, dann wieder die Männer der „Isabella“ trafen. Wie sollte er sich verhalten? Sollte er den Dieb bestrafen? Nein, diese Blöße wollte er sich nicht geben. Sollte er alles abstreiten? Auch das ging nicht. Er konnte ja nicht behaupten, daß die Engländer dem Soldaten die Taler in die Tasche geschmuggelt hatten. Die Situation wurde noch prekärer, weil in diesem Augenblick Nils Larsen auf dem Hauptdeck erschien, der einen anderen Trupp Soldaten durch das Schiff geführt hatte. Hinter ihm stürmten zwei der Polen aus dem Achterdecksschott, die offenbar verhindern wollten, daß er Hasard etwas meldete. Doch Carberry, Matt Davies und Luke Morgan reagierten gedankenschnell. Sie traten zwischen Nils und die Soldaten und versperrten den Kerlen auf diese Weise den Weg. Da half ihnen auch nichts, daß sie mit ihren Musketen herumfuchtelten. Der Profos packte schon wieder zu und nahm dem ersten die Waffe ab, und Matt Davies „streichelte“ dem anderen mit seiner Eisenhakenprothese den Unterarm, so daß auch dieser sich die Muskete ohne weitere Gegenwehr von Luke abnehmen ließ. „Sir“, sagte Nils zu Hasard. „Diese beiden Männer sind Diebe.“ „Das wird ja immer schöner“, sagte der Seewolf. „Was haben sie sich denn unter den Nagel gerissen?“ „Zobelpelze“, antwortete Nils trocken. „Sie tragen sie bei sich.“ *
Witold Woyda lief dunkelrot im Gesicht an, als Nils ihm dies übersetzte. Es sah so aus, als würde er jeden Moment einen Schlaganfall er- \ leiden. „Das ist eine ungeheuerliche Behauptung“, stammelte er. „Ich glaube nicht, daß meine Leute dies getan haben.“ „So?“ Hasard drehte sich halb zu Nils um. „Wir brauchen wieder Beweise. Sag den beiden Helden, sie sollen die Pelze herausrücken. Wenn sie sich weigern, lasse ich sofort die Bordbestimmungen in Kraft treten, die jedes Vergehen dieser Art streng ahnden.“ Nils dolmetschte. und die beiden Soldaten wurden bleich, zumal Matt Davies und Jeff Bowie mit ihren scharfgeschliffenen Haken herumhantierten und Carberry, Blacky, Batuti und Shane, der inzwischen ebenfalls hinzugetreten war, mit drohenden Gesichtern noch etwas näher an sie heranrückten. So blieb den beiden Kerlen nichts anderes übrig, sie mußten die Zobelpelze wieder herausrücken. Hasard nahm sie in Empfang und strich mit der Hand durch das Fell, als müsse er über etwas nachdenken. Dann aber hob er den Kopf, blickte den Generalkapitän kalt an und sagte: „Ihren Besuch sehe ich hiermit für beendet an. Ich habe keine Lust, mein Schiff von Diebesgesindel ausnehmen zu lassen - auch nicht in Reval, wo sich etwas Ähnliches wahrscheinlich wiederholen würde.“ Witold Woyda gab ein unterdrücktes Gurgeln von sich, als er Stenmarks Übersetzung vernahm. Ihm fehlten die Worte. „Paßt auf“, sagte der Profos. „Gleich tritt ihm der Schaum vor den Mund.“ Einer der beiden perückentragenden Begleiter Woydas begann jedoch plötzlich zu sprechen. „Woher stammen denn eigentlich die Goldtaler?“ wollte er wissen. „Es würde mich interessieren, woher der Schwarze soviel Geld hat.“
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Hasard hätte ihn am liebsten eigenhändig außenbords befördert, doch er bezwang sich. Wieder ließ er Stenmark übersetzen. „Das geht Sie zwar einen feuchten Dreck an“, sagte er zu dem Polen. „Aber in diesem Fall dürfen Sie es ruhig erfahren. Kennen Sie einen Preiskämpfer, der unter dem Namen Der Bulle von Wiborg` bekannt ist?“ „Ja.“ „Nun, dieser Bulle, der mit bürgerlichem Namen Rahim Mansour heißt, wurde von meinem Mann Batuti, den sie den Schwarzen nennen, in einem Kampf gefällt, und dafür hat er die hundert Taler erhalten.“ Jetzt staunten die Polen. Ganz. langsam klappten ihre Unterkiefer nach unten. Mansour schien im östlichen Baltikum sehr bekannt zu sein, und ebenso mußte sich herumgesprochen haben, daß es bislang niemandem gelungen war, ihn zu besiegen. „Der Dieb, der Batuti die hundert Taler gestohlen hat, kann froh sein, daß er noch am Leben ist“, fuhr der Seewolf fort. „Und jetzt fordere ich Sie auf, das Schiff zu verlassen. Meine Geduld ist am Ende, ich will Sie hier nicht mehr sehen.“ Witold Woyda und seine beiden perückenbewehrten Begleiter hatten es sehr eilig. Grußlos verließen sie die „Isabella“, und ihre insgesamt neun Soldaten schlossen sich ihnen in aller Eile an. Sie enterten in ihre Jolle ab, griffen nach den Riemen, legten ab und pullten davon, zurück zu ihrem Flaggschiff. Sie hatten den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden und selbst erkannt, daß sich an Bord dieser englischen Galeone recht rauhe Männer befanden, mit denen nicht zu spaßen war. Mit seinen wenigen Soldaten hätte Witold Woyda im Falle eines Handgemenges nicht die geringste Chance gehabt, er hätte eine schmähliche Niederlage erlitten. So zog er es vor, wieder an Bord seines Schiffes zu entern. Die Jolle hatte kaum abgelegt, da ließ Hasard die Segel der „Isabella“ aus dem Gei hängen. Die „Lady“ nahm wieder Fahrt auf und ging erneut auf Westkurs vorbei an den drei polnischen Galeonen,
von denen aus die „Isabella“ wie ein fremdartiges Wundertier beobachtet und angestaunt wurde. 4.
Gisela Freiin von Lankwitz durfte ihr Versteck im Geheimgang der „Isabella“ wieder verlassen und sich zurück an die frische Luft begeben. Aufatmend kehrte sie auf das Achterdeck zurück. Sie mußte sich jedoch ein Kopftuch umbinden, um ihre Haare zu verbergen. Die drei Galeonen Witold Woydas hatten sich nämlich als Fühlungshalter an die „Isabella“ gehängt und folgten ihr. Sie segelten in ihrem Kielwasser und hatten sämtliche Segel gesetzt, um den Anschluß nicht zu verlieren. „Mein Gott“, sagte Gisela von Lankwitz, als sie einen Blick nach achtern warf. „Was soll jetzt aus uns werden? Wird es zum Gefecht kommen, Hasard?“ Nils Larsen übernahm wieder seine Rolle als Dolmetscher. Hasard lächelte der jungen Frau jedoch beruhigend zu, als er ihre verängstigte Miene bemerkte. „Sie haben keinen Grund, sich zu fürchten“, sagte er. „Wir hängen diese Burschen gleich ab.“ Er ließ abfallen und auf Nordwestkurs gehen, und dann fuhr die „Isabella“ an allen drei Masten Vollzeug. Knatternd blähte sich das Tuch unter den Rahen, schneller schob sich das Schiff voran. Die Bugwelle wurde so hoch und steil, daß ihre Schaumkrone die Galionsfigur näßte. Zwei Stunden später waren die drei schwedisch-polnischen Galeonen hinter der achteren Kimm verschwunden. Hasard blickte wieder zu Gisela von Lankwitz. Sie hatte das Verschwinden des Gegners mit einem verwunderten Kopfschütteln quittiert. Jetzt lachte sie silberhell und rief: „Ich sehe schon, das Tempo dieses Schiffes kann so leicht keiner erreichen! Wunderbar!“ „Unsere ,Isabella' ist eben ein ganz besonderes Schiffchen“, sagte Ben Brighton stolz. „Hesekiel Ramsgate hat
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alle Verbesserungsvorschläge berücksichtigt, die wir ihm beim Bau vorgelegt haben. Was daraus geworden ist, kann sich sehen lassen.“ Er wollte zu einem längeren Vortrag über die Vorzüge der „Isabella“ ausholen, wurde jedoch unterbrochen. Das schwache Grollen von Kanonen war zu vernehmen, es rollte über die See und näherte sich aus der Richtung, in der die Mastspitzen der drei Galeonen hinter der Kimm untergetaucht waren. Verblüfft spähten die Männer nach achtern, und Gisela von Lankwitz stieß unwillkürlich einen Laut des Entsetzens aus. Doch niemand vermochte etwas von dem zu erkennen, das sich hinter der Kimm abspielte; nicht einmal Sam Roskill, der wieder seinen Posten als Ausguck im Großmars versah. Carberry, der sich inzwischen endlich eine neue Pelzmütze beschafft und über die Glatze gestülpt hatte, erlaubte sich einen Witz, über den niemand so recht lachen konnte. „Hört euch das an!“ schrie er. „Jetzt sind die drei Galeonen wohl über sich selbst hergefallen! Ho, sie versenken sich gegenseitig! Recht so!“ „Mir ist die Sache nicht geheuer“, sagte Old O'Flynn, der wieder bei Hasard, Ben, Dan, Shane und Ferris sowie der Freiin von Lankwitz auf dem Achterdeck stand. „Wenn ihr mich fragt, ist da wieder etwas faul.“ „Da bin ich ganz deiner Meinung, Donegal”, sagte Ben Brighton. „Ich schätze, dieser Witold Woyda hat ein Schiff aufgebracht und läßt es zusammenschießen. Wer aber ein Feind dieser schwedisch-polnischen Bernsteinschnüffler ist, muß eigentlich ein Freund aller jener sein, die den freien Handel mit dem Gold der Ostsee betreiben - wie Arne von Manteuffel zum Beispiel.“ „Richtig, Ben“, pflichtete Shane ihm bei. „Aber auf was willst du hinaus?“ „Ich kann es mir schon vorstellen“, sagte der Seewolf. „Alle Männer, die für den König Sigismund tätig .sind, um ihm das
Bernsteinregal zu sichern, scheinen recht miese Typen zu sein.“ „Genau das“, sagte Ben aufgebracht. „Und zwar angefangen bei den spanischen Mördern des Jens Johansen in Wisby über den junkerlichen Frauenräuber Hugo von Saxingen bis hin zu einem Witold Woyda, dessen Soldaten friedliche Handelsfahrer beklauen. Eigentlich finde ich, wir sollten mal nachschauen, was sich dort hinter der Kimm im Osten tut.“ „Da gebe ich dir recht, Ben“, sagte der Seewolf. „Und einen Zusammenstoß mit den drei Galeonen brauchen wir meiner Ansicht nach auch nicht zu fürchten. Die ‚Isabella' ist schneller und wendiger, wie sich herausgestellt hat, von ihrer Kampfkraft ganz zu schweigen. Sollte gekämpft werden, muß Gisela sich eben wieder Unter Deck verbergen, und wir versuchen dann, sie so gut wie möglich zu beschützen.“ Wenig später gingen sie auf Gegenkurs und segelten in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, jetzt mit Backstagswind. Das Donnern der Kanonen war inzwischen verstummt. Die Männer stellten Vermutungen über das an, was geschehen sein konnte, doch etwas Genaues konnten sie erst erfahren, wenn sie den Schauplatz des Kamp- fes erreichten. Dies war nach etwa einer Stunde der Fall die „Isabella“ befand sich nach Hasards Berechnungen in dem Gebiet, wo das Grollen der Geschütze erklungen war. Im Grunde war dies aber doch sehr schwer zu schätzen. Es gab keine Schiffstrümmer, keine Leichen, die im Wasser trieben, nichts, das auf ein Gefecht hinwies. Auch die polnischen Galeonen waren spurlos verschwunden. Dan O'Flynn enterte wieder zu Sam Roskill in den Hauptmars auf und ließ seinen Blick rundumwandern. „Nichts, so weit das Auge reicht“, sagte er zu Sam. „Kannst du was entdecken?“ „Nicht die Spur“, erwiderte Sam. „Ob dieser Woyda vielleicht einfach ins Blaue geballert hat?“
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„Das glaube ich nicht.“ Dan gab seine Meldung an das Deck weiter. Hasard ließ daraufhin Südkurs steuern - und keine halbe Stunde später entdeckte Dan voraus etwas im Wasser. „Ein Balken!“ schrie er. „Und da schwimmt noch mehr!“ „Richtig!“ rief Sam, der nicht aufhörte, wie Dan durch den Kieker zu spähen. „Fässer, Kisten, Spieren und Hölzer!“ „Da schwimmt auch eine Gräting!“ brüllte Dan. Er war jetzt ziemlich erregt und beugte sich weit über die Segeltuchumrandung des Marses, so daß es aussah, als würde er jeden Augenblick den Halt verlieren und auf das Deck hinunterstürzen. Gisela von Lankwitz preßte entsetzt die Faust gegen den Mund. Sie war zutiefst betroffen von dem, was sie sah. Die Spannung, die die Männer ergriffen hatte, sprang wie ein Funke auch auf sie über. Noch begriff sie nicht recht, was vorgefallen sein konnte, doch eine dumpfe Ahnung beschlich auch sie. „Ein Mann liegt auf der Gräting!“ schrie Dan. „Er winkt schwach!“ fügte Sam hinzu. „Offenbar ist er verletzt! Da! Sein Kopf sinkt wieder vornüber! Er ist ohnmächtig!“ „Oder tot“, brummte auf dem Achterdeck der „Isabella“ Big Old Shane. „Der arme Teufel.“ „Beidrehen!“ rief der Seewolf. „Die kleine Jolle in Lee abfieren! Ed, du enterst mit drei Mann ab! Nehmt den Mann über und bringt ihn an Bord! Beeilt euch!“ „Aye, Sir!“ brüllte der Profos. Er wollte bereits wieder mit dem Fluchen anfangen, erinnerte sich aber rechtzeitig genug daran, daß das Freifräulein an Bord war. Deshalb schrie er: „Mister Blacky, Mister Andrews und Mister Morgan, ihr begleitet mich! Würdet ihr die Güte haben, die Jolle klarzumachen und auszuschwenken? Oder braucht ihr dazu noch eine Sondereinladung?“ „Nein, Mister Carberry“, entgegnete Blacky mit ernster Miene. „Aber wenn Sie die Liebenswürdigkeit hätten, ein bißchen mitzuhelfen, wären wir Ihnen dankbar. Die
anderen haben ja mit dem Manöver vollauf zu tun, nicht wahr?“ Als sie wenig später in der Jolle hockten und von der „Isabella“ ablegten, stieß der Profos doch einen saftigen Fluch aus, weil er jetzt sicher sein konnte, daß Gisela von Lankwitz ihn nicht mehr hörte. „Zur Hölle“, brummte er. „Ich hab das Gefühl, auf einem Vergnügungskahn des königlichen Hofes zu sitzen. Wenn das mit dem geschraubten Gequatsche nicht bald aufhört, krieg ich mich nicht mehr ein.“ „So schlimm ist das doch auch wieder nicht“, sagte Gary Andrews, während er sich schwer ins Zeug legte und wie die beiden anderen so schnell wie möglich auf die Gräting zupullte. „Und es ist doch nur gut, wenn sich der Umgangston an Bord mal ein wenig ändert.“ „Quatsch“, sagte Carberry, „Sind wir Seeleute oder fromme Klosterbrüder? Ach, zum Teufel, mit dem ganzen guten Benimm und den feinen Manieren. He, Blacky, grins nicht so dämlich. Ich weiß schon, was du denkst. Daß ich die Freiin von Bord haben will, wie? Aber dem ist nicht so, schreib dir das hinter die Ohren, du Läuseknacker.“ „Aber du würdest ihr ganz gern mal was vorfluchen, oder?“ Carberry hatte schon eine Antwort bereit, doch jetzt hatten sie die Gräting erreicht. Ihr Gespräch verstummte, der Profos drückte die Ruderpinne herum, und mit vereinten Kräften zogen sie den Mann von der Gräting zu sich in die Jolle. „Hölle!“ entfuhr es Carberry. „Den kennen wir doch! Mich soll der Affe lausen, wenn das nicht Hein Ropers ist!“ „Er ist es“, bestätigte Blacky. „Los, wir müssen ihn zur ‚Isabella' bringen.“ Im Schnellmanöver kehrten sie zurück zum Schiff und beförderten Hein Ropers an Bord. Hier war das Erstaunen genauso groß - sie alle kannten Hein Ropers, auch die Freiin. Sie biß die Zähne zusammen, konnte ihre Tränen aber trotzdem nicht zurückhalten, als sie den Mann in diesem Zustand vor sich sah. Hein Ropers war der Bootsmann Arne von Manteuffels an Bord der „Wappen von
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Kolberg“. Er war flachsblond und hatte helle graue Augen, eine gerade Nase und ein hartes Kinn. Ein Brocken von Mann mit eisernen Fäusten, der die Dinge eher sinnig anging und lieber zu wenig als zuviel sprach. Seit acht Jahren fuhr er unter Arnes Kommando und war ein Mann, auf dem man Felsen bauen konnte. So hatten die Seewölfe ihn in Wisby kennengelernt. Der Kutscher und Mac Pellew kümmerten sich sofort um Hein Ropers. Er war wirklich nur bewußtlos, wie sie erleichtert feststellten. Er hatte eine Platzwunde am Kopf und Schnittverletzungen an den Armen und auf der Brust. „Säbelwunden sind das“, sagte der Kutscher zu Hasard, als dieser das Krankenlager im Vorkastell betrat. „Man hat ihm ganz schön zugesetzt. Aber wir brauchen um sein Leben nicht zu fürchten. Er braucht nur Ruhe, dann erholt er sich sehr schnell wieder - bei der Bärennatur, die er hat.“ „Danke, Kutscher“, sagte der Seewolf. „Aber was, um Himmels willen, ist mit der ,Wappen von Kolberg` geschehen?“ Daß der Angriff der polnischen Galeonen diesem Schiff gegolten hatte, schien festzustehen. Sie hatten die „Wappen von Kolberg“ versenkt -doch was war aus der Besatzung geworden? War Hein Ropers etwa der einzige Überlebende? * Hasard ließ die Jolle neu bemannen. Diesmal waren es Shane, Ferris Tucker, Peter Ballie, Bob Grey, Jack Finnegan und Paddy Rogers, die die nähere Umgebung absuchten und zwischen den in der See treibenden Schiffstrümmern nach Überlebenden des Gefechts Ausschau hielten. Die „Isabella“ lag vor Treibanker, die Crew verfolgte vom Schanzkleid aus mit wachsender Besorgnis das Tun der Kameraden im Boot. Eine Tragödie hatte sich abgespielt, die „Wappen von Kolberg“ lag in Gottes tiefem Keller. Es war schlimm, Gisela von Lankwitz leiden zu
sehen. Sie stand an der Querbalustrade des Achterdecks und ließ ihren Tränen freien Lauf. Wenn das, was die Seewölfe befürchten mußten, eingetreten war, dann hatte sie ihren zukünftigen Mann verloren. Etwas Grausameres gab es nicht. Hasards Miene war wie versteinert. Eben hatte der Kutscher ihm noch mitgeteilt, daß Hein Ropers viel Blut verloren hätte. Ein schwerer Kampf Mann gegen Mann schien stattgefunden zu haben. Ein harter Gegenstand hatte Hein Ropers am Kopf getroffen, die Platzwunde war seine schwerste Blessur. Vielleicht aber hatte ihm der Umstand, daß er bewußtlos über Bord gekippt war - wie Hasard sich ausmalte - das Leben gerettet, sonst hätten die Polen ihm den Rest gegeben. Big Old Shane und das Suchkommando an Bord der kleinen Jolle stießen nur kurze Zeit später auf vier Tote, deren Gestalten sich auf den sanften Wellen leicht bewegten, so daß es - Aberwitz des Schicksals -so wirkte, als lebten sie noch. Jeden dieser Männer unterzogen sie einer genauen Untersuchung, um sicher sein zu können, daß sie tot und nicht etwa schwer verletzt und besinnungslos waren. Es waren Männer aus der Crew Arne von Manteuffels, wie Big Old Shane feststellte. Er kehrte mit dem Boot zur „Isabella“ zurück und erstattete dem Seewolf Bericht. Demnach stand unumstößlich fest, daß hier die „Wappen von Kolberg“ nach einem erbitterten Gefecht mit den Galeonen Witold Woydas gesunken war. Gisela von Lankwitz erlitt fast einen Zusammenbruch, Hasard mußte sie festhalten. Er redete besänftigend auf sie ein, Nils Larsen übersetzte jedes Wort, aber sie schien davon überzeugt zu sein, daß auch Arne von Manteuffel den Tod gefunden hätte. Schließlich gelang es Hasard, die Freiin in Ben Brightons Kammer bringen zu lassen, wo die Zwillinge sich um sie kümmerten und Wache bei ihr hielten. Hasard ließ die Suche nach Überlebenden fortsetzen, doch bald stellte sich heraus, daß es keine gab - außer Hein Ropers, der nach wie vor bewußtlos war und dessen
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Zustand doch nicht so unbedenklich zu sein schien, wie der Kutscher anfangs dargestellt hatte. Arne von Manteuffel wurde von den Männern der „Isabella“ nicht gefunden, weder tot noch lebendig. „Die Frage ist, ob sie ihn gefangen haben, oder ob die See ihn zu sich genommen hat“, sagte der Seewolf zu Ben Brighton. „Ich bereite mir selbst die schwersten Vorwürfe. Ich hätte nicht vor den drei Galeonen dieses Hundesohns Witold Woyda ablaufen sollen.“ „Sag doch so etwas nicht. Erstens ist es nicht richtig, und zweitens hat es keinen Zweck, daß du dich mit so was herumplagst.“ „Ich hätte die Schiffe an der Grenze der Sichtweite hinter der ‚Isabella' herziehen müssen“, fuhr der Seewolf jedoch beharrlich fort. „Dann hätte das hier nicht passieren können.“ „Wer konnte denn ahnen, daß die ,Wappen von Kolberg' ausgerechnet hier aufkreuzen würde?“ „Ich hätte damit rechnen müssen“, entgegnete Hasard. „Es gibt zwar keine logische Begründung für eine entsprechende Annahme, aber gewisse Dinge muß man manchmal spüren. Ein anderer Gedanke drängt sich mir in diesem Zusammenhang auf: Vielleicht wußte Arne bereits, daß Gisela geraubt worden war. Aber von wem?“ „Wenn dem so wäre, dann würde es seine Anwesenheit in diesen Gewässern jedenfalls erklären“, sagte Ben. „Vorausgesetzt allerdings, es war ihm bekannt, daß das Gut des Grafen von Saxingen an der Narwa-Bucht liegt.“ Hasard grübelte darüber nach, unterbrach sein Nachdenken aber, als Philip junior auf dem Achterdeck erschien und ihm mitteilte, daß die Freiin sich in die Krankenkammer begeben hätte, um an Hein Ropers' Lager zu wachen. Hasard sah keine Veranlassung, ihr dies zu untersagen. Im Gegenteil, es war auch für Gisela von Lankwitz nur richtig, wenn sie sich auf diese Weise von ihren allzu düsteren Gedanken ablenkte.
Es wurde dunkel, aber noch im Ausklingen der Dämmerung kehrte Hein Ropers ins Bewußtsein zurück. Der Kutscher ließ es dem Seewolf sofort durch Mac Pellew melden, und Hasard verließ das Achterdeck, eilte über das Quarterdeck zur Kuhl hinunter und erreichte kurz darauf den Krankenraum, wo der Kutscher, die Zwillinge und Gisela von Lankwitz im Schein einer gerade erst entzündeten Öllampe an der Koje des Bootsmanns hockten. 5. Hein Ropers verdrehte die Augen und wurde um ein Haar wieder ohnmächtig, als er die Freiin Gisela von Lankwitz an seinem Lager sitzen sah. „Gerechter Herr im Himmel“, stöhnte er. „Sag mir, daß es nicht wahr ist. Träume ich? Oder bin ich schon im Jenseits?“ „Keines von beiden, Herr Ropers“, sagte Gisela sanft und beugte sich zu ihm vor. „Sie befinden sich an Bord der ‚Isabella' unter Freunden, die auch mir aus einer üblen Lage geholfen haben.“ Ropers blickte erst den Kutscher, dann die Zwillinge, anschließend Mac Pellew und zuletzt den Seewolf an, dann versuchte er zu lächeln. „Das ist nicht - zu fassen“, murmelte er. „Philip Hasard Killigrew und seine Crew. Allmächtiger, was habe ich doch für ein Glück gehabt. Habt ihr mich von der Gräting gezogen, auf der ich zusammengesackt bin? Ach, ihr versteht mich ja nicht.“ „Was sagt er?“ erkundigte sich der Seewolf leise. Gisela von Lankwitz versuchte, es ihm zu sagen, doch die wenigen Worte Englisch, die sie inzwischen gelernt hatte, reichten dazu nicht aus. Hasard junior lief los und holte Nils Larsen, der wenige Augenblicke später erschien und erneut die Funktion des Dolmetschers übernahm. Jetzt konnte Hasard dem Bootsmann der „Wappen von Kolberg“ gezielte Fragen stellen. Der Kutscher warnte zwar davor, Ropers zu sehr zu beanspruchen, doch dieser ließ sich von Nils übersetzen, was gesprochen
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worden war, und winkte daraufhin ab. Er versuchte wieder zu grinsen, diesmal gelang es ihm halb. „Ich bin doch nicht aus Zucker“, sagte er: „So leicht verreckt ein oller Tampen wie ich nicht. Ich bin aus Stade an der Elbe, da werden die Leute auch mit ein paar Unzen Blei im Leib noch über hundert Jahre alt.“ „Ausgezeichnet“, sagte Hasard. „Und willkommen bei uns an Bord, Hein Ropers. Ich will versuchen, alles, was sich ereignet hat, zu rekonstruieren, werde aber meine Fragen so kurz wie möglich abfassen, Was war der Grund dafür, daß sich die ,Wappen von Kolberg` in diesem Bereich der Ostsee befand?“ „Wir haben nach der Freiin von Lankwitz gesucht“, entgegnete Ropers - und sogleich stellte sich heraus, daß Hasards Gedankengänge richtig gewesen waren. „Der Kutscher, der mit ihr zusammen überfallen wurde, erkannte nämlich den Grafen von Saxingen als einen der Entführer und berichtete dies sofort nach seiner Ankunft in Kolberg. Dorthin wandte er sich, weil es für ihn näher lag als Rügenwalde. Er hoffe, dort nach dem Anschlag schneller Hilfe zu finden. Aber wenn Sie es waren, der die Freiin gerettet hat, Kapitän Killigrew, dann dürfte Ihnen dies alles längst bekannt sein.“ „Nur das, was sie selbst erlebt hat“, korrigierte Hasard. „Fahren Sie bitte fort, aber hören Sie mit dem Sprechen auf, wenn es Ihnen Mühe bereitet.“ „Gut. Arne von Manteuffel kehrte mit uns an Bord der ‚Wappen' von der Seereise nach Gotland zurück und erfuhr alles. Er hielt sich also nicht lange in Kolberg auf, sondern segelte gleich wieder los, mit Kurs auf Estland.“ „War ihm denn bekannt, daß sich das Gut des Grafen von Saxingen an der NarwaBucht befand?“ „Ja. Aber so weit gelangten wir ja nicht. Heute nachmittag wurden wir von dem Generalkapitän der drei polnischen Galeonen aufgehalten, auf die wir durch puren Zufall stießen.“ „Und mit denen wir kurz zuvor zu tun gehabt hatten“, sagte Hasard. „Himmel,
wenn ich nur geahnt hätte, daß wir uns so nah waren.“ „Auch für uns wäre es besser gewesen, wenn wir einen Verbündeten in unserer Nähe gewußt hätten“, sagte Hein Ropers mit heiserer Stimme. „Dieser Generalkapitän - wie hieß er doch gleich?“ „Witold Woyda“, sagte Nils Larsen. „Richtig. Dieser Woyda also forderte uns auf, sofort beizudrehen und unser Schiff nach geschmuggeltem Bernstein durchsuchen zu lassen.“ Ropers' Züge verhärteten sich, vor seinem geistigen Auge lief das ganze Geschehen noch einmal ab. „Arne widersetzte sich natürlich. Daraufhin eröffneten diese verfluchten Polen das Feuer auf uns, ohne lange zu fackeln. Sie schossen uns zusammen - und dann enterten sie.“ Er ballte die Hände zu Fäusten und schlug damit auf den Rand der Koje. „Oh, diese Teufel! Wir wehrten uns natürlich, aber das nutzte uns nichts. Sie waren uns überlegen.“ „Das genügt jetzt“, sagte der Kutscher und legte ihm die Hand auf den rechten Unterarm. „Du darfst dich nicht so aufregen, sonst platzt die Kopfwunde womöglich wieder auf.“ Ropers lauschte Nils Larsens Übersetzung, dann schnitt er eine verdutzte Miene. „Wie? Ich habe eine Platzwunde am Kopf? Na, ist auch egal. Am besten wäre ich wohl verreckt, denn ich kann jetzt nichts mehr für Arne und die anderen tun.“ „Das dürfen Sie nicht sagen, Herr Ropers“, sagte die Freiin von Lankwitz eindringlich. „Verraten Sie mir lieber, was aus Arne geworden ist. Wissen Sie es?“ „Ja, ich weiß es. Und ich bitte um Verzeihung wegen meiner Äußerung eben. Arne kämpfte wie ein Berserker, aber auch ihn erwischte es. Das heißt, er wurde von achtern mit einer Muskete niedergeschlagen. Mir ging's genauso daher die prächtige Blessur an meinem Schädel. Nun, ich flog außenbords und klatschte ins Wasser, und da dachten die Polen wohl, ich wäre tot. Jedenfalls haben sie sich nicht mehr um mich gekümmert.“
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„Du sollst nicht so viel reden“, sagte der Kutscher. Ropers sah ihn an und blickte dann zu Mac Pellew. „Du bist wohl der Feldscher, was? Und der dort - ist das der Leichenbestatter? Der guckt mich an, als sei ich schon abgekratzt. O je, es scheint ja schlimm um mich bestellt zu sein. Aber bevor ich übers Schanzkleid gehe, will ich noch alles loswerden, was ich weiß.“ Der Kutscher mußte trotz des Ernstes der Lage lächeln. „Ich bereite mir nur Sorgen, das mußt du verstehen. Und was meinen Kameraden hier betrifft, der hat immer ein so griesgrämiges Gesicht. Nicht wahr, Mac Pellew?“ „Ja“, erwiderte dieser, dann versuchte er, eine freundlichere Miene aufzusetzen. Es wurde aber nur eine fürchterliche Grimasse daraus, so daß er es gleich wieder aufgab. „Na ja, dann hab ich wohl doch noch eine Chance“, sagte Hein Ropers. „Ich schwamm da also im Wasser herum und konnte fast alles beobachten - wie die ‚Wappen' absoff, weil sie von den Kanonenkugeln des Gegners leckgeschlagen war, wie dieser Witold Woyda Arne und die anderen, die noch am Leben waren, von der ‚Wappen' zu seiner Galeone rüberschleppen ließ. Dann sank unser Schiff. Vielleicht haben die Polen es auch angebohrt, möglich ist alles. Ich konnte nach der aufschwimmenden Gräting fassen und mich daran festhalten. Und ich sah, wie der Verband der Galeonen in Richtung der Küste davonsegelte. Das ist alles.“ „Sie sind nach Reval unterwegs“, sagte Hasard mit nicht sehr lauter Stimme. „Und dorthin segeln wir jetzt auch.“ „Danke“, sagte Nils Larsen zu Hein Ropers. „Wir wissen jetzt alles, was wir erfahren wollten. Aber dir ist durch das viele Reden sicherlich die Zunge trocken geworden.“ „Und der Gaumen auch“, sagte Ropers mit hartem Grinsen. „Soviel auf einmal habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesprochen.“ „Sir“, sagte Nils zu Hasard. „Ich schlage vor, unseren Patienten mit einer Ration
spanischem Rotwein und Aquavit versorgen zu dürfen.“ „Genehmigt“, sagte der Seewolf, dann bot er Gisela von Lankwitz galant den Arm an, und sie erhob sich von ihrem Platz und verließ mit ihm zusammen die Krankenkammer. Hasard kehrte mit ihr zum Achterkastell zurück und übergab sie der Obhut der Zwillinge. Dann enterte er das Quarterdeck und gab von hier aus seine Befehle. Der neue Kurs der „Isabella“ lag auf Reval an. * Eigentlich hatte sich der Kutscher ein wenig zu sehr um Hein Ropers gesorgt. Der Bootsmann war - wie sich jetzt zeigte mit einem eisernen Schädel und einer ebenso eisernen Konstitution ausgestattet. Er trank Rotwein und Aquavit, aß Bohnen mit Speck und schlief daraufhin vier Stunden lang. Dann hielt ihn nichts mehr in der Koje des Krankenlagers. Selbst die Überredungskünste des Kutschers fruchteten nichts. Ropers wollte „was tun“, zumal er jetzt wußte, daß er sich an Bord der „Isabella“ befand und sogar die Braut seines Kapitäns sich auf diesem Schiff befand. Mitten in der Nacht stand er also auf und meldete sich bei Hasard, der zu diesem Zeitpunkt immer noch auf dem Achterdeck stand. Bis auf das Quarterdeck wagte der Bootsmann sich vor, dann salutierte er vor Hasard, der sich verblüfft über die Querbalustrade des Achterdecks beugte. „Sir“, sagte Ropers - er hatte vernommen, wie die Seewölfe ihren Kapitän anredeten. „Ich melde mich zum Dienst.“ „Was sagt er?“ wollte Hasard von Nils Larsen wissen. „Daß er sich zum Dienst meldet.“ „Hein Ropers“, sagte Hasard energisch. „Räumen Sie sofort wieder das Quarterdeck und gehen Sie auf Horchposten in die Koje zurück.“ „Sir, ich bin bereits wieder wohlauf und voll auf dem Damm.“ „Verdammt noch mal, Ropers ...“
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„Außerdem, Sir, kenne ich mich in dieser Ecke des Finnenbusens bestens aus“, erklärte der Bootsmann unbeirrt. „Sie haben in mir also einen Lotsen gefunden. Es ist doch bestimmt weder in Ihrem noch in meinem Interesse, daß wir Reval verfehlen oder irgendwo aufbrummen.“ Was er da sagte, war wirklich überzeugend. Bei dem nächtlichen Törn zur Küste konnte Hasard einen Lotsen mehr als gut gebrauchen. Deshalb ließ er Hein Ropers noch einmal vom Kutscher untersuchen, und dieser bestätigte wenig später: „Er hat wirklich einen harten Schädel. Die Wunde beginnt bereits zu verschorfen.“ So ergab sich, daß Hein Ropers das Ruder der „Isabella“ übernahm und das Schiff im Morgengrauen des neuen Tages - man schrieb den achtundzwanzigsten März 1593 - in eine versteckte Bucht an der Mündung des Flusses Brigitten steuerte, etwa vier Meilen nordöstlich von Reval gelegen. Eine hügelige Landzunge, bestanden mit hohen Tannen, deckte die Bucht zur Seeseite hin ab, so daß die „Isabella“ von See her nicht entdeckt werden konnte. Die Segel wurden ins Gei gehängt, der Buganker rauschte aus, und Ropers ließ grinsend vom Ruderrad ab und trat vor den Seewolf hin. „Sir“, sagte er. „Diese Bucht läuft Arne von Manteuffel auch immer dann an, wenn er inoffiziell in Reval zu tun hat.“ Nils Larsen dolmetschte wieder. Hasard blickte zur Küste, zog das Spektiv auseinander und spähte eine Weile aufmerksam hindurch, dann wandte er sich an den Bootsmann. „Man kann die Stadt also auf dem Landweg erreichen, ohne behelligt zu werden?“ fragte er. „Ja, Sir. Zu Fuß dauert das eine knappe Stunde. Mit der Jolle - unter Segeln oder gepullt - ist die Strecke natürlich kürzer, aber den Wasserweg kann ich nur bei Nacht empfehlen.“ Hasard beriet mit seinen Männern, was zu tun sei. Was sie wollten, war klar: Arne von Manteuffel und die anderen Männer
der Crew der „Wappen von Kolberg“, die von den Polen gefangengenommen worden waren, mußten befreit werden. Wie aber sollte das geschehen? „Die erste Voraussetzung für eine Befreiungsaktion ist, daß wir wissen müssen, wo sich die Gefangenen befinden“, sagte der Seewolf. „Sind sie noch an Bord einer der drei Galeonen? Oder hat man sie irgendwo anders eingesperrt?“ „Wie sieht denn die Stadt überhaupt aus?“ fragte Ben Brighton. „Wie ist sie befestigt? Kann Hein Ropers uns nicht weiterhelfen?“ Ropers konnte es und gab eine ausführliche Beschreibung von Reval. Die Stadt war von einer Festungsmauer mit Wehrtürmen umgeben und zerfiel in die obere Stadt - den sogenannten Dom auf einer felsigen Anhöhe mit der Burg und dem Sitz der Reichsbehörden und des baltischen Adels - und in die eigentliche Unterstadt, dem Sitz der städtischen Behörden mit dem Rathaus, den Häusern der Gilden und den hansischen Gebäuden. Der „Dom“ war 1219 von dem Dänenkönig Waldemar II. gegründet worden. In der Burg befand sich ein Kerker, wie Hein Ropers wußte -dorthin konnte Witold Woyda seinen Gefangenen verschleppt haben. „Ob er es getan hat, werden wir erkunden“, sagte Hasard. „Eine Gruppe von Männern begibt sich an Land, ich führe sie an.“ „Einen Augenblick, Sir“, sagte Ben Brighton jedoch in seiner bedächtigen Art. „Vergiß nicht, daß deine Ähnlichkeit mit Arne verblüffend ist. Man könnte dich leicht erkennen oder für einen von Manteuffel halten. Außerdem bist du als Kapitän der ‚Isabella' zumindest den Leuten der drei polnischen Galeonen, speziell Witold Woyda und seinen Begleitern, zu bekannt. Das könnte das Unternehmen gefährden. Ich rate also davon ab, daß du die Führung des Trupps übernimmst.“ Hasard sann nach, dann sagte er: „Eigentlich hast du recht. Bist du bereit, die Landgruppe zu führen?“
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„Selbstverständlich bin ich das. Wir können sofort aufbrechen.“ „Sir“, sagte Hein Ropers. „Ich bitte darum, mitgehen zu dürfen. Meine Blessuren sind verheilt, außerdem kenne ich die Stadt.“ Auch dieses Mal konnte Hasard sein Anerbieten nicht zurückweisen. Ropers' Argument war überzeugend, die Gruppe brauchte einen verläßlichen Führer. „Also gut“, sagte Hasard deshalb. .Auch du sollst dabeisein, Hein Ropers. Nils, du gehst auch mit, denn du bist der einzige von uns, der deutsch und schwedisch spricht. Wer meldet sich außerdem noch freiwillig?“ Sofort flogen alle Hände hoch - der Seewolf war gezwungen, die Männer auszuwählen. „Roger“, sagte er. „Und du, Jan. Fünf Mann, stärker soll der Trupp nicht sein, sonst fällt er nur unnötig auf.“ Carberry und einige andere Männer versuchten zwar, Hasard trotz dieser Entscheidung dazu zu überreden, das Aktionskommando um wenigstens zwei oder drei Mann zu verstärken, aber es war zwecklos. Hasard ging von seinem einmal gefaßten Entschluß nicht ab. Gisela von Lankwitz erschien ebenfalls in Begleitung der Zwillinge an Deck. Sofort warf sie Hein Ropers einen fragenden Blick zu, und dieser klärte sie über das Vorhaben der Gruppe auf. Erregt wandte sie sich zu Hasard um, griff nach seinem Unterarm und sagte: „Hasard, ich flehe Sie an, lassen Sie mich mitgehen. Ich muß Arne sehen und wissen, was aus ihm geworden ist. Das können Sie mir nicht verwehren.“ „Ich muß es aber tun“, entgegnete er. „Ich selbst bleibe auch an Bord der ‚Isabella', weil man mich in Reval zweifellos erkennen und festnehmen würde. Witold Woyda wartet nur darauf, sich an mir rächen zu können. Mit Sicherheit hat er von Hugo von Saxingen auch Ihre Personenbeschreibung erhalten. Wenn Sie in der Stadt auftauchen, besteht die Gefahr, daß man Sie erkennt. Es ist uns gelungen, Sie vor ihm und seinen Männern zu verstecken, Gisela, wir dürfen jetzt kein
weiteres Risiko dieser Art eingehen. Das müssen Sie bitte einsehen.“ „Aber was ist, wenn Arne etwas zugestoßen ist? Wenn er verletzt ist und meine Hilfe braucht?“ stieß sie verzweifelt hervor. „Meine Männer und Hein Ropers suchen die Stadt auf, um sich ein genaues Bild von der Lage zu verschaffen. Anschließend kehren sie zu uns zurück und liefern uns ihren Bericht. Dann können wir Kriegsrat halten und beschließen, was zu tun ist.“ „Mein Gott, ich weiß nicht, ob ich die lange Wartezeit aushalte“, sagte sie in klagendem Tonfall. „Können wir denn wirklich nichts tun?“ „Nein. Ein Hitzkopf würde vielleicht direkt in den Hafen einlaufen und das Feuer auf die Stadt eröffnen. Aber ein solches Unternehmen widerspricht meinen Prinzipien“, erklärte Hasard. „Wir dürfen auf keinen Fall unschuldige Bürger gefährden. Außerdem wissen wir nicht, wie viele Schiffe in dem Hafen liegen, deren Besatzungen sich mit ihren Kanonen gegen uns zur Wehr setzen ' würden.“ Sie seufzte. „Ja, ich sehe ja ein, daß Sie recht haben. Wenn doch alles erst vorbei wäre und wir wenigstens wüßten, wo Arne und die Männer der ,Wappen von Kolberg` festgehalten werden.“ „Bald wissen wir es“, sagte Hasard. Nils hatte sich wieder als Dolmetscher betätigt, jetzt aber trat er zu Ben und Roger Brighton, Jan Ranse und Hein Ropers, die sich an der Gräting des Quarterdecks versammelt hatten und das Frühstück einnahmen, das Mac Pellew ihnen brachte. Es gab Brot und Speck, heißes Wasser mit einem Schuß Aquavit und noch eine Muck von Glühwein, eine kräftige Mahlzeit also, die die Männer für das bevorstehende Vorhaben stärken sollte. Die kleine Jolle wurde von Luke Morgan, Gary Andrews und Bill ausgeschwenkt und abgefiert. Ben, Roger, Nils, Jan und Hein verbargen ihre Pistolen unter der Kleidung, verabschiedeten sich und enterten mit den dreien in das Boot ab, mit dem sie an Land gesetzt wurden.
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Gisela von Lankwitz wollte dem Trupp eine Nachricht für Arne von Manteuffel mitgeben, doch Hasard riet ihr auch davon ab, weil er es für zu verfänglich und zu riskant hielt. Sollte es Ben gelingen, sich den Männern der „Wappen von Kolberg“ zu nähern, dann würden Nils oder Hein Arne ohnehin sofort als erstes zu verstehen geben, daß seine Braut sich an Bord der „Isabella“ und somit in Sicherheit befand. Die Jolle entfernte sich von der „Isabella“, ihre Umrisse und die Konturen der acht Gestalten auf den Duchten verschwammen in den dunstigen Schleiern des Morgennebels. Wenig später schob sich der Bug des Bootes knirschend auf das schmale Stück Sandstrand, der das Ufer an dieser Stelle der Bucht säumte, und Ben und seine vier Begleiter sprangen an Land. Es wurden keine Worte mehr gewechselt. Ben drehte sich nur noch einmal zu den drei Kameraden im Boot um und gab ihnen durch eine Gebärde zu verstehen, daß alles in Ordnung sei. In der Tat ließ sich kein Mensch in ihrer Umgebung blicken, sie schienen allein auf weiter Flur zu sein. Gary, Luke und Bill konnten somit zurück zur „Isabella“ pullen. Dort begann eine lange Wartezeit, die sich ins Unendliche auszudehnen schien und angefüllt war mit düsteren Ahnungen und Fragen. 6. Es wurde wieder ein grauer Tag, die Sonne vermochte die über das Land und die See hinwegziehenden Wolken nicht zu durchdringen. Ihr diffuses Licht verlieh dem Gebiet, das Ben und seine Männer auf dem Weg nach Reval durchquerten, eine Atmosphäre, die von drohendem Unheil erfüllt zu sein schien. Der Weg führte durch einen Tannenwald, dann über großflächige Wiesen, die durch Buschgruppen unterbrochen wurden. Immer wieder hielten die Männer nach allen Seiten Ausschau, doch etwaige Gegner waren nirgends zu entdecken. Nach wie vor blieb alles ruhig, die Landschaft wirkte verlassen und von menschlichem Leben völlig unberührt.
Ben hatte für den Fall, daß sie behelligt wurden oder es Schwierigkeiten anderer Art gab, seine klaren Anweisungen von Hasard erhalten. Vor Feinden sollte er sich nach Möglichkeit verbergen und sich nur zur Wehr setzen, wenn keine andere Chance mehr bestand, einen Kampf zu vermeiden. Sollte er Verstärkung vom Schiff brauchen, mußte er zweimal in die Luft feuern lassen. Um jeden Preis aber sollte er Reval erreichen und dort nach Arne von Manteuffel und dessen Kameraden suchen. Sein weiteres Vorgehen mußte er an Ort und Stelle entscheiden. Es bot sich unter Umständen an, einen Mann als Boten zurück zum Schiff zu schicken, während die vier restlichen Männer die Gefangenen im Auge behielten, oder aber die komplette Gruppe zog sich zurück, wenn Komplikationen drohten. Sie erreichten eine flache Anhöhe und blieben unwillkürlich stehen, denn sie konnten die Umrisse von Gebäuden erkennen, die keine halbe Meile entfernt aus den letzten milchigen Nebeln auftauchen, die sich nun allmählich verflüchtigten. „Das Ziel ist erreicht“, sagte Ben. „Jetzt müssen wir versuchen, ungesehen in die Unterstadt zu gelangen.“ „Keine Angst, das schaffen wir schon“, sagte Hein Ropers grimmig, nachdem Nils Bens Worte übersetzt hatte. „Ich kenne die engsten und dunkelsten Gassen von Reval. Die können wir benutzen, um erst mal bis zum Marktplatz vorzudringen. Vielleicht erfahren wir dort irgendetwas über meinen Kapitän. Ich gebe mir jedenfalls die größte Mühe, etwas aufzuschnappen.“ „Also los“, sagte Ben. „Weiter jetzt. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“ Minuten darauf hatten sie die ersten Häuser erreicht und schlüpften in die Öffnung einer Gasse. Sie schritten über bucklige Katzenköpfe vorwärts und begegneten nur wenigen Frühaufstehern, die ihnen kaum Beachtung schenkten. Hunde und Katzen kreuzten ihren Weg, aus einem der Hinterhöfe war das Gackern von Hühnern zu vernehmen.
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Seewölfe 333 25 Der Bootsmann der „Wappen von Kolberg“
Ein grobknochiger Wallach, geführt von einem alten Mann, trat aus einer Einfahrt, schwenkte nach rechts ein und trottete mit klappernden Hufen vor ihnen her. Sie folgten dem Mann und dem Pferd und langten kurze Zeit später auf dem Marktplatz der Unterstadt an. Hier blieben sie wie vom Donner gerührt stehen, denn was sich ihren Augen bot, war auf den ersten Blick unfaßbar. „Mich trifft der Schlag“, sagte Roger Brighton leise. „Das kann doch nicht wahr sein.“ Sie hatten ihre Aufgabe, Arne von Manteuffel zu finden, ohne ihr weiteres Zutun gelöst. Aber wie sehr hätten sie sich gewünscht, sie nicht ausgerechnet hier angetroffen zu haben! Höchstens fünfzig Schritte von ihnen entfernt standen Arne, der Erste Offizier Renke Eggens sowie fünf Männer der Crew am Pranger von Reval - den Bürgern zur Schau preisgegeben wie Verbrecher! Man hatte sie an Schandpfählen festgebunden, ihre Köpfe waren zwischen Brettern festgeklemmt, und jeder, der an ihnen vorbeiging, durfte sie verschmähen und anspucken. Ben Brighton stellte auch in diesem Moment wieder fest, wie sehr Arne von Manteuffel dem Seewolf ähnlich sah. Man hätte sie leicht miteinander verwechseln können, wenn Arne nicht blond und Hasard nicht schwarzhaarig gewesen wäre. Renke Eggens stand rechts neben Arne von Manteuffel. Er war ein Fischersohn von Rügen, wie die Seewölfe durch Hein Ropers erfahren hatten, und kannte die See von klein auf. Er war ein hervorragender Seemann, der auch schon als Kapitän gefahren war. Bei Arne war er seit sechs Jahren. Schlank, drahtig und zäh, dunkelblond und blauäugig, das schmale, kluge Gesicht zu einem Ausdruck ohnmächtiger Wut verzogen - so zeigte er sich Ben, Nils, Jan, Roger und Hein in diesem Augenblick. Ein hagerer Mann in grauer Kleidung schritt vor dem Pranger auf und ab und blieb schließlich stehen, wobei er sich der Menge zuwandte, die sich nach und nach
zusammenscharte. Den Worten, die er sprach —und die von Nils Larsen gedämpft übersetzt wurden -, war zu entnehmen, daß die Gefangenen erst vor kurzer Zeit an den Pranger gestellt worden sein konnten. „Der Kerl ist ein Gerichtsbüttel“, zischte Hein Ropers. „Ich kenne diese Leute, sie sind die schlimmsten Kriecher und Hetzer. Hölle, am liebsten würde ich hingehen, ihm den Hals umdrehen und Arne und die anderen befreien.“ „Unstersteh dich“, sagte Ben leise. „Damit würdest du alles aufs Spiel setzen. Dann hätten wir keine Chance mehr, deine Kameraden zu erlösen. Reiß dich zusammen, wir finden schon einen Weg, ihnen aus der Klemme zu helfen.“ Der Gerichtsbüttel hatte zu sprechen begonnen. „Diese sieben Galgenvögel“, erklärte er den Schaulustigen, „sind von den tapferen Männern der Schiffe König Sigismunds vor der estländischen Küste als Schnapphähne zur See auf frischer Tat ertappt worden. Sie wollten einen friedlichen polnischen Handelsfahrer überfallen und alle Seeleute massakrieren.“ „Unerhört!“ rief jemand aus der Menge. „Sie gehören an den Galgen!“ schrie ein anderer Mann. „Ruhe!“ sagte der Büttel laut, dann fuhr er mit näselnder Stimme fort: „Wem über die Schandtaten dieser fluchwürdigen Seeräuber etwas bekannt ist, der soll sich beim Stadtrichter melden, wo seine Aussage protokolliert wird. Hinweise, die das Schuldkonto dieser Teufel erhöhen, werden belohnt.“ Ben, Roger, Nils, Jan und Hein hatten sich inzwischen wieder in Bewegung gesetzt und rückten dem Pranger näher. Nils mischte sich unter die Menge und rempelte absichtlich den Mann an, der die Todesstrafe für die „Seeräuber“ gefordert hatte. Dann grinste er. „Der Überfall auf den friedlichen polnischen Handelsfahrer reicht zur Anklage wohl noch nicht, oder?“ fragte er frech.
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Seewölfe 333 26 Der Bootsmann der „Wappen von Kolberg“
Eigentlich hatte er damit nicht gerechnet aber er erntete für diese Bemerkung Gelächter bei den meisten Zuschauern. Der Büttel hingegen warf ihm einen wütenden Blick zu. Arne von Manteuffel, der wegen seiner Körpergröße gebückt am Schandpfahl stehen mußte, hob den Kopf etwas an und hielt nach dem Mann, der die Frage gestellt hatte, Ausschau. Es bereitete ihm Schwierigkeiten, ja, 'sogar Schmerzen, denn sein Hals war fest in dem Loch zwischen den beiden Brettern eingeklemmt, und er konnte mit dem Kopf weder vor noch zurück. Aber es gelang ihm doch, einen Blick auf Nils Larsen zu werfen. Sofort erkannte er in ihm den Dänen von der „Isabella IX.“ wieder. Arne fixierte ihn - Nils blickte zu ihm auf. Ein kaum wahrnehmbares Zucken um Arnes Mundwinkel verriet, daß er wußte, wen er vor sich hatte. Nils entging dies nicht, sein Grinsen wurde jetzt verwegen, und in seine Augen trat ein draufgängerisches Funkeln. Arnes Blick wanderte weiter, und so sah er nun auch Ben Brighton, Roger Brighton, Jan Ranse und -Hein Ropers. Hein Ropers stiegen die Tränen heiß und brennend in die Augenwinkel, weil er seinen Kapitän in einer derart entwürdigenden Haltung vor sich sehen mußte. Doch er bezwang seine Wut und den unbändigen Willen, den Büttel niederzuschlagen, auch weiterhin. Er mußte es tun, zumal Ben ihn eisern am Arm festhielt und ihm dadurch zu verstehen gab, daß es noch zu früh zum Handeln sei. Jetzt etwas zu unternehmen, wäre für die vier Männer der „Isabella“ und den Bootsmann der „Wappen von Kolberg“ wirklich heller Wahnsinn gewesen. Mehr noch, sie hätten dadurch alles in Frage gestellt, was sie bisher erreicht hatten. Ben fuhr in seiner Betrachtung der sieben Gefangenen fort. Man hatte sie mit Handketten zusätzlich gefesselt, und die Ketten waren an Ringe geschmiedet, die wiederum an den Schandpfählen befestigt waren. Hinzu kam, daß vier Soldaten als
Wachtposten aufzogen. Der Büttel begrüßte sie durch ein Kopfnicken, dann gab er noch einmal seine Erklärung ab, wer die „Galgenstricke“ seien und warum man sie festgenommen und an den Pranger gestellt habe. Während Ben, Roger, Nils, Jan und Hein noch überlegten, was sie zur Rettung der sieben tun könnten, gab es eine Unterbrechung der Szene. Eine Kutsche war, von zwei Pferden gezogen, auf den Marktplatz gerollt und hielt in seinem Zentrum an. Der rechte Schlag öffnete sich, und zwei Männer stiegen aus, die den Seewölfen nicht unbekannt waren: Hugo von Saxingen und Witold Woyda, der Generalkapitän der polnischen Galeonen. Ben gab seinen Männern ein Zeichen, und sie zogen sich sofort etwas in den Hintergrund zurück, um ja nicht erkannt zu werden. Vorsichtig traten sie in das Dunkel einer Rundbogeneinfahrt. Ihr Verschwinden aus der Menschenmenge vor dem Pranger wurde auch von dem Büttel nicht bemerkt, denn der hatte nur Augen für von Saxingen und Woyda, die mit gemessenen Schritten auf den Pranger zugingen. Der Büttel dienerte eifrig und wich drei Schritte nach rechts aus, um den beiden Gästen Platz zu verschaffen. Arne von Manteuffel mußte den Polen seine Identität bislang verschwiegen haben. Das wurde deutlich, als Hugo von Saxingen vor die sieben Gefangenen hintrat, mit dem Finger auf Arne zeigte und zu Witold Woyda gewandt rief: „Dieser Schurke ist der berüchtigte Seeräuber Arne von Manteuffel! Er ist ein Blutsäufer, Frauenschänder und Kindermörder!“ Woyda schien verwirrt zu sein. „Aber wer ist denn der andere?“ fragte er auf schwedisch. „Jener, der Ihre Braut geraubt hat, Graf, und bis auf seine Haarfarbe genauso aussieht wie dieser von Manteuffel?“ „Der andere?“ schrie Graf Hugo von Saxingen. „Das ist auch ein Manteuffel! Allerdings gibt er sich als Engländer aus und tarnt sich auf diese Weise!“
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Nils Larsen übersetzte seinen Kameraden den Dialog. Ben behielt unterdessen Arne von Manteuffel unablässig im Auge. Arne sah aus schmalen Augen zu von Saxingen und Woyda und schien deren lautstarkem, erbaulichem Gespräch aufmerksam zu folgen. Somit wußte Arne bereits, daß „der andere“ die „Braut“ des Grafen entführt hatte. Und er brauchte keinen Scharfsinn dazu, zu begreifen, daß es sich um Hasard handelte, der zweifellos Gisela von Lankwitz aus der Gewalt von Saxingens befreit hatte. Somit war Arne über die wichtigste Tatsache informiert, ohne daß Ben, Roger, Nils, Jan oder Hein ihm etwas mitzuteilen brauchten. Den Rest -daß die „Isabella“ in der Nähe von Reval vor Anker liegen und Gisela sich an Bord befinden mußte - konnte er sich zusammenreimen. *
Hugo von Saxingen trat mit verzerrtem Gesicht dicht vor Arne von Manteuffel hin und musterte ihn voll Verachtung von oben bis unten. „Nun?“ schrie er ihn plötzlich an. „Dieser Kerl, der sich Killigrew nennt, wo steckt er? Wohin hat er meine Braut verschleppt? Wo hält er sie verborgen?“ „An Bord des Schiffes war sie jedenfalls nicht!“ rief Witold Woyda, der sich die auf deutsch gesprochenen Worte des Grafen zum Teil von dem Büttel übersetzen lassen mußte. „Und Bernstein haben wir auch nicht gefunden! Somit hatten wir keine Handhabe gegen diese falschen Engländer!“ „Aber Angst hattest du plötzlich“, murmelte Ben Brighton, als er die Übersetzung Nils Larsens vernahm. „Und zwar so viel, daß du die Hosen um ein Haar gestrichen voll hattest, mein lieber Woyda. Bei uns hast du nämlich nicht gewagt, das Feuer zu eröffnen, wie du es im Fall der ,Wappen von Kolberg` getan hast.“ „Wo ist Killigrew?“ brüllte von Saxingen noch einmal auf Arne von Manteuffel ein.
„Wo? Und wo ist meine Braut?“ „Ich kenne keinen Killigrew!” schrie Arne zurück. „Das ist eine Lüge!“ stieß der Graf mit hochrotem Kopf hervor. „Einfach infam!“ rief der Büttel. „Ein Mann namens Killigrew ist mir nicht bekannt!“ schrie Arne erneut. „Und was die Braut betrifft, so scheinen Sie an Schwachsinn zu leiden! Oder haben Sie etwa die Absicht, zu verschleiern, daß Sie selbst die Freiin von Lankwitz wie ein Straßenräuber überfallen und entführt haben?“ Von Saxingen schnappte nach Luft, und auch Witold Woyda und dem Büttel verschlug es glatt die Sprache. Von den Zuschauern jedoch reckten die meisten jetzt die Hälse und schnitten überraschte Mienen. Sie glaubten, ihren Ohren nicht zu trauen. Arne von Manteuffel hatte eine Anschuldigung gegen Hugo von Saxingen erhoben - wie würde der Graf sich dagegen wehren? Und überhaupt, wie groß war der Wahrheitsgehalt dessen, was der Büttel, von Saxingen und Woyda gegen die Männer am Pranger vorbrachten? Der Bürger, der zuvor nach dem Galgen für Arne von Manteuffel und dessen Kameraden gerufen hatte, schien inzwischen auch seine Meinung geändert zu haben. Jedenfalls schlug seine Stimmung um, und er schloß sich denen an, die die „Seeräuber“ an den Schandpfählen jetzt aufmerksamer betrachteten. Sahen Schnapphähne und Galgenstricke wirklich so wie diese Männer aus? Oder lag ein Irrtum vor? Waren sie versehentlich oder unter einem fadenscheinigen Vorwand festgenommen worden? „Wie ist das nun?“ rief einer aus der Menge. „Wer hat diese Braut von Lankwitz wirklich entführt?“ „Und zu wem gehört sie?“ schrie ein anderer. Der Generalkapitän Woyda hob die Hand und begann sich unter dein Stirnansatz seiner Perücke zu kratzen. Er begriff überhaupt nicht mehr, was gespielt wurde.
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Und Graf Hugo von Saxingen? Er merkte, daß er sich aufs Glatteis begeben hatte, und suchte fast verzweifelt nach einem Ausweg. Die Menge begann unterdessen zu murren und mit den Füßen zu scharren. Die Situation verlangte nach Aufklärung, man wollte wissen, woran man war. Ben, Roger, Nils, Jan und Hein beobachteten dies alles aus angemessener Distanz. Die neue Entwicklung gab ihnen Anlaß zu der Hoffnung, daß sie doch noch etwas für die Gefangenen tun konnten. Deshalb begannen sie breit zu grinsen. Ben hatte schon vorgehabt, Roger als Boten zur Ankerbucht der „Isabella“ zu schicken, doch jetzt hielt er ihn zurück. „Warte“, sagte er mit gedämpfter Stimme. „Ich glaube, in der Sache steckt doch noch einiges für uns drin. Wenn es zum Tumult kommt, müssen wir rasch handeln - und dann brauchen wir natürlich auch deine Unterstützung.“ „Ja“, sagte Roger mit grimmiger Miene zu seinem Bruder. „Ich habe auch den Eindruck, daß es jetzt erst richtig spannend wird.“ Hugo von Saxingen verlor die Beherrschung. Er wußte keinen Ausweg aus den Widersprüchen zu finden, in die er sich verwickelt hatte, deshalb schritt er zur Tat. „Du dreckiger Hund!“ brüllte er Arne von Manteuffel an. „Du Bastard, du Mörder, du Schwein!“ Plötzlich vergaß er sich ganz, tobte los und riß seine Reitpeitsche hoch. „Nicht doch“, sagte Hein Ropers. „Das wird er nicht wagen. Ich ...“ „Du bleibst weiterhin ganz ruhig“, schnitt Nils ihm das Wort ab. „Wir handeln erst, wenn Ben uns das Zeichen dazu gibt.“ „Zähne zusammenbeißen“, zischte Ben. „Jetz kommt es ganz hart. Zum Teufel mit diesem Hurensohn von Saxingen.“ Die Reitpeitsche pfiff durch die Luft und traf Arne, der sich gegen diesen Angriff nicht zur Wehr setzen konnte. Nicht einmal ausweichen konnte er, er war dazu verurteilt, die volle Wucht der Hiebe hinzunehmen. Wieder und wieder sauste die Peitsche auf ihn nieder, und jeder
Schlag wurde von den Flüchen des Grafen begleitet. „Er soll mit dem Peitschen aufhören!“ rief ein anderer Zuschauer dem Büttel zu. „Halte ihn davon ab! Wir können das nicht zulassen!“ „Ich denke gar nicht daran, einzugreifen!“ entgegnete der Büttel schrill. Auch davon wurde der allgemeine Unmut nachhaltig beeinflußt. Eine Woge des Zorns schlug von Saxingen, Woyda und dem Büttel plötzlich entgegen, alle ergriffen für die Männer der „Wappen von Kolberg“ Partei. Die Bewohner Revals waren zum Teil Esten und zum Teil Deutsche, und in ihrer Gesamtheit schienen sie durchaus nicht immer mit dem konform zu gehen, was ihnen auferlegt oder als vollendete Tatsache dargestellt wurde. Hinzu kam, daß sie einen sehr ausgeprägten Begriff von Ehrenhaftigkeit zu haben schienen, oder von dem, was die Seewölfe Fairneß nannten. Hugo von Saxingen hatte die wenigen Sympathien, die er hier zu genießen schien, verspielt. Was er tat, war in den Augen der Menge verabscheuungswürdig. So schlug die Stimmung endgültig um, und jeder stand plötzlich auf seiten der angeblichen „Seeräuber“, die weiß Gott nicht so aussahen wie Verbrecher. Die Menge, die inzwischen noch größer geworden war, fluchte und zeigte offene Empörung. Ein großer Mann mit breiten Schultern trat vor und versuchte, den Grafen daran zu hindern, auf Arne einzupeitschen, dem jetzt das Blut übers Gesicht lief. Von Saxingen fuhr zu ihm herum, hieb auch nach ihm und versuchte, ihn zurückzustoßen. „Donnerwetter“, sagte Ben Brighton. „Das sieht ja ganz so aus, als ob Arne in Reval Anhänger hat. Vielleicht kennt man ihn hier sogar und weiß, daß er ein anständiger Kerl ist.“ Er wollte sich mit einer entsprechenden Frage an Hein Ropers wenden, doch innerhalb von Sekunden war der Teufel los, offener Aufruhr brach auf dem Marktplatz von Reval aus.
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Hugo von Saxingen und der Generalkapitän Witold Woyda sahen sich von der Menge eingekreist. Auch der Büttel wurde eingekeilt, ein paar Fausthiebe ließen ihn aufschreien. Kreischend vor Angst wollte er die Flucht ergreifen, wurde aber festgehalten und niedergeschlagen. „Saubande!“ brüllte der Mann, der von Saxingen die Peitsche hatte entreißen wollen. „Euch Hunden bringen wir jetzt Manieren bei!“ „Zurück!“ schrie Hugo von Saxingen und drosch wild mit der Peitsche auf die Männer ein, die drohend auf ihn zurückten. Witold Woyda wollte seine Pistole ziehen, doch jemand hieb ihm auf den Arm. Ein anderer Mann entriß ihm die Waffe, die er schon halb aus dem Gurt gerissen hatte, sie wirbelte durch die Luft und landete auf den Katzenköpfen. „Zu mir!“ schrie Woyda den vier Soldaten zu, die untereinander irritierte und ratlose Blicke tauschten und nicht zu wissen schienen, wie sie sich verhalten sollten. Sollten sie gegen ihre eigenen Landsleute vorgehen? Sie mußten es tun und waren dazu gezwungen, vorzumarschieren und Witold Woyda aus der Umklammerung der Menge zu befreien. Weit gelangten sie aber nicht. Plötzlich waren auch sie umringt, und wieder wurden Flüche und Schreie laut. „Wagt bloß nicht, uns anzugreifen!“ „Haltet euch aus der Sache raus!“ Die Soldaten trachteten trotzdem danach, den Generalkapitän zu erreichen. Einer von ihnen gab sogar einen Warnschuß in die Luft ab, doch dann wurde ihm die Muskete entrissen, und einen Augenblick später lag er am Boden – neben dem Büttel, der bewußtlos zusammengebrochen war. Die Bürger von Reval waren nicht mehr zurückzuhalten. Sie gingen rigoros gegen die Soldaten vor, es gelang ihnen, einen nach dem anderen zu entwaffnen. Ein wildes Handgemenge hatte begonnen, und immer lauter gellten die Schreie.
„Zum Teufel mit diesen Hundesöhnen!“ „Reval ist eine freie Stadt!“ „Nieder mit Sigismund!“ Ben gab seinen Männern ein Zeichen. „Das ist unsere Chance“, sagte er. „Vorwärts! Wir müssen Arne und seine Männer befreien, koste es, was es wolle.“ Hin und her tobte der Kampf, über den ganzen Marktplatz flutete die Welle des Widerstandes. Sie griff auf die Häuser und die Gassen über, von überall her erschienen neue Gestalten, die sich in die Auseinandersetzung einmischten. „An den Galgen mit dem Grafen von Saxingen!“ brüllte ein glatzköpfiger Mann, der einen Reisigbesen als Waffe gegen die Soldaten benutzte. „Jagt die Polen und die Schweden aus der Stadt!“ schrie ein anderer. Jetzt wurde Ben und seiner Gruppe klar, aus welcher Richtung der Wind wehte: König Sigismunds Männer waren nur geduldet, schon lange schien es im Volk zu gären. Hugo von Saxingens Auftreten war der Funke gewesen, der die Lunte des Pulverfasses zum Glimmen gebracht hatte. Die Reitpeitsche flog im hohen Bogen durch die Luft, man hatte sie dem Grafen jetzt entrissen. Hugo von Saxingen fühlte sich von Panik ergriffen, er bereute zutiefst, auf Arne von Manteuffel eingeschlagen zu haben. Doch das nutzte ihm jetzt nichts mehr. Die Menge war nicht mehr zu bremsen, sie rückte immer dichter auf ihn zu. Eben brach der letzte der vier Soldaten ohnmächtig zusammen, und jetzt ging es auch Witold Woyda an den Kragen, der vergeblich seinen Säbel aus dem Wehrgehänge zu reißen versuchte. Einer der Bürger bückte sich unterdessen nach dem Büttel und durchsuchte ihn hastig. So förderte er einen Schlüsselbund zutage, lachte und hielt ihn triumphierend hoch. Der Glatzkopf war neben ihm, grinste ebenfalls und nahm ihm den Bund ab, dann eilte er zu den Gefangenen. Witold Woydas Gestalt ging in der wogenden Masse der menschlichen Leiber unter. Er streckte die Arme und Beine, gab noch einen Seufzer von sich und verlor die
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Besinnung. Einer der aufgebrachten Bürger hatte ihm einen Knüppel über den Hinterkopf gezogen. Das hatte ausgereicht, auch den Generalkapitän außer Gefecht zu setzen. Hugo von Saxingen brüllte und tobte, doch er war machtlos gegen die gewaltige Übermacht der Angreifer. Als letzter leistete er Widerstand und wollte sich gerade einen der Gegner durch Hiebe und Tritte vom Leib halten, da tauchte der Glatzkopf neben ihm auf. Ein gezielter Schlag traf den Grafen unters Kinn, und er kippte nach hinten um, ohne noch einen Laut von sich zu geben. „Gut so!“ feuerte Arne von Manteuffel die Männer an. „Weiter so!“ Der Glatzkopf trat hinter ihn und hantierte mit den Schlüsseln. Jede Kette, mit der die Gefangenen an den Pfählen festgebunden waren, hatte auch ein Schloß, und zu jedem Schloß paßte einer der Schlüssel. „Allmächtiger“, sagte Renke Eggens. „Glaubst du, daß wir es schaffen, Arne?“ „Wir müssen hier weg, bevor Verstärkung für die Soldaten anrückt!“ rief Arne ihm zu. „Herrgott, es kann doch nicht sein, daß uns diese einmalige Chance entgeht!“ Der Glatzkopf hatte den richtigen Schlüssel gefunden - Arnes Ketten fielen klirrend zu Boden. Arne befreite sich selbst von dem Pfahl und von den Brettern, duckte sich und arbeitete sich zu dem bewußtlosen Hugo von Saxingen vor, der nach wie vor völlig reglos zwischen den auf und ab rennenden Gestalten lag. Der Glatzkopf hantierte inzwischen an Renke Eggens' Eisenfesseln, fand wieder den passenden Schlüssel und öffnete auch dieses Schloß. Renke eilte zu Arne, und mit vereinten Kräften hoben sie die schlaffe Gestalt des Grafen vom Pflaster auf. „Wir müssen versuchen, zu Hein Ropers und den Männern der ‚Isabella' zu stoßen!“ rief Arne. „Wo stecken sie denn bloß? Ich habe sie aus den Augen verloren!“ „Wir finden sie schon wieder“, sagte Renke keuchend. „Wichtiger ist jetzt, daß wir verschwinden und diesen Hurensohn mitnehmen.“
Wieder fielen die Ketten, nach und nach wurden auch die übrigen fünf Gefangenen aus ihrer üblen Lage befreit. Sie konnten den Pranger verlassen. Rasch sahen sie sich nach Waffen um und hoben Knüppel auf, die in dem allgemeinen Durcheinander fallen gelassen worden waren. Arne und Renke kehrten mit dem ohnmächtigen Hugo von Saxingen in die Nähe der Pfähle zurück, und Arne hatte gerade noch Gelegenheit, sich bei dem Glatzkopf für die Rettung zu bedanken. „Das werden wir euch nicht vergessen!“ rief er ihm zu. „Es lebe das freie Reval!“ brüllte der Glatzkopf. Dann fielen plötzlich Schüsse. Arne wandte den Kopf, sah Musketenläufe blinken und bemerkte die Gestalten, die sich der Menge näherten. „Die Miliz!“ schrie er. „Los, Wir müssen verschwinden! Versuchen wir, uns bis zum Hafen durchzuschlagen!“ Sie tauchten zwischen den Bürgern unter. Die Menge versammelte sich um den Pranger, als gelte es, eine Bastion gegen die anrückende Miliz zu halten. So bildete sich eine menschliche Barriere zwischen den Soldaten und Arne und seiner Crew, und wie durch ein Wunder gelang es den sieben Männern, den Marktplatz zu verlassen. * Ben, Roger, Nils, Jan und Hein taten alles, was in ihren Kräften stand, um zu Arne und dessen Kameraden durchzustoßen, doch es war vergeblich. Die Wuhling, die auf dem Marktplatz herrschte, war zu groß, und sie sahen die sieben Männer auch nicht mehr. Stattdessen entwickelte sich die Lage jetzt zu ihren Ungunsten. Plötzlich waren die Soldaten und die Miliz heran, eine starke Einheit, die auf die Menge einzudreschen begann. Wieder fielen Schüsse, es wurde geflucht und gebrüllt, Messer und Säbel blitzten auf, Degen wurden geschwungen. Aus der anfänglichen Schlägerei wurde ein harter Kampf. Erste Gestalten sanken
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blutüberströmt zusammen, Verwundete wälzten sich auf dem Pflaster. Hier schien sich ein echter Aufstand zu entwickeln gerichtet gegen König Sigismund, den die Einwohner von Reval offenbar in den Personen Hugo von Saxingens und des Generalkapitäns Witold. Woyda verkörpert sahen. Die Schlacht tobte und näherte sich ihrem dramatischen Höhepunkt. Ben Brighton hatte im Interesse seiner Gruppe keine andere Wahl: er mußte den Rückzug antreten, wenn er nicht das Leben seiner Männer aufs Spiel setzen wollte. Doch es stellte sich als außerordentlich schwierig heraus, jetzt das Weite zu suchen. Zu dicht war das Gedränge, an allen Seiten wurde gekämpft, ein Ring hatte sich um die vier Seewölfe und Hein Ropers geschlossen, der sich nicht mehr öffnen wollte. Sie waren eingekeilt, mußten sich selbst zur Wehr setzen und dabei aufpassen, daß sie keinen der Bürger verletzten. Ben hatte plötzlich einen der Soldaten unmittelbar vor sich. Auf Anhieb erkannte er ihn wieder - der Mann hatte zu der Gruppe von Bord des Flaggschiffes der Polen gehört, die die „Isabella“ gründlich nach Bernstein und der „Braut“ durchsucht hatten. Auch der Soldat wußte auf den ersten Blick, woran er war. Er stieß einen Laut der Empörung und des Entsetzens aus, dann drang er mit seinem Säbel gegen Ben vor. Ben reagierte geistesgegenwärtig, riß seinen Degen hoch, trieb den Soldaten mit einer raschen Parade zwei, drei Schritte zurück und drehte sich dann hastig zu seinen Begleitern um. Der Soldat wurde durch die Menge noch ein Stück weiter abgedrängt, mußte sich gegen die Knüppel und Stöcke wehren, die auf ihn niederprasselten, hatte aber gerade noch die Gelegenheit, seine Entdeckung einem Offizier zuzubrüllen, der in seiner Nähe stand. „Hier sind vier Kerle von dem Schiff der Engländer!“ schrie er. „Wir müssen sie festnehmen!“
Der Offizier handelte sofort. Es gelang ihm, drei seiner Soldaten um sich zu scharen, und mit ihnen stieß er wie ein Keil in die Menge. Für Ben, Roger, Nils, Jan und Hein wäre es jetzt höchst gefährlich geworden -wenn sie nicht eine Lücke in der Menge entdeckt hätten. Sie drängelten sich durch, drohten über liegende Gestalten zu stolpern oder gegen aufgebrachte Bürger zu prallen, die wild um sich hieben und kaum noch zwischen Freund und Feind zu unterscheiden vermochten. Doch Hein Ropers übernahm wieder die Führung und führte den Trupp auf eine schmale Gasse zu. Die Flucht vom Platz gelang, das Schreien und Fluchen blieb hinter ihnen zurück. Sie durften aufatmen, aber noch waren sie nicht völlig in Sicherheit. Noch lag der Weg durch die Unterstadt vor ihnen, und wenn sie Pech hatten, wurden die Ausgänge der Straßen und Gassen in diesem Moment von der Miliz abgeriegelt. Hein Ropers schoß dies alles durch den Kopf. Er hielt es für besser, zunächst ein Versteck aufzusuchen, in dem sie verweilen und beratschlagen konnten. Er steuerte auf den Hafen zu, und als sie den Kai fast erreicht hatten, entdeckte er einen halb verfallenen Schuppen, in dem sie unterkriechen konnten. Hein zögerte nicht und führte die Gruppe auf den Schuppen zu. Er blickte sich noch einmal nach allen Seiten um, aber von der Miliz war vorläufig nichts zu sehen. Sie schienen alle Verfolger abgehängt zu haben, darum bestand nicht die Gefahr, daß sie in dem Schuppen aufgestöbert und umzingelt würden. Hein öffnete die Tür, die sich quietschend in rostigen Angeln bewegte. Er schlüpfte ins Innere - Ben, Roger, Nils und Jan folgten ihm dichtauf. Jan zog die Tür hinter sich zu, und dann standen sie schwer atmend im Halbdunkel des Raumes. „Ich glaube, das ist die beste Lösung für uns“, sagte Hein. „Von hier aus besteht für uns nämlich die größte Chance, ein Boot zu klauen und Reval damit zu verlassen. Ich bin sicher, daß die Stadttore bereits
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verrammelt sind und bewacht werden. Und auch durch die Gasse, durch die wir eingedrungen sind, können wir nicht entwischen.“ „Ja, das glaube ich auch“, sagte Ben, nachdem er Nils Larsens Übersetzung vernommen hatte. „Außerdem habe ich mir noch etwas anderes überlegt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die sieben Männer am Pranger die einzigen gewesen sind, die den Untergang der ,Wappen von Kolberg` überlebt haben.“ „Richtig“, pflichtete Hein Ropers ihm sofort bei. „Es sind mehr als sieben Mann gewesen, die man als Gefangene auf eine der polnischen Galeonen gebracht hat. Ganz sicher halten Woyda und von Saxingen einen Teil meiner Kameraden noch irgendwo fest. Und ebenso sicher ist es, daß mein Kapitän keinen seiner Männer im Stich läßt.“ „Arne, Renke und die fünf anderen sind ja nun frei, soviel steht fest“, sagte Roger. „Sie verstecken sich bestimmt ebenfalls irgendwo und schmieden einen Plan, wie sie die anderen Gefangenen finden und heraushauen können.“ „Ja“, sagte Hein Ropers. „Und darum finde ich, wir sollten erst mal abwarten, wie es weitergeht. Ich meine, es wird sich im Hafen schon noch was tun. Ich kann mir nämlich denken, daß Arne von Manteuffel gleichfalls auftaucht, um sich ein Boot oder gleich ein Schiff zu nehmen.“ „Man kann den Faden noch weiter spinnen.“ Ben blickte die Männer nacheinander an. Seine Augen hatten sich inzwischen soweit an das Halbdunkel gewöhnt, daß er ihre Gesichter deutlich erkennen konnte. „Da Arne uns auf dem Markplatz gesehen hat, muß er daraus folgern, daß du, Hein, uns mit der ‚Isabella' in die versteckte Bucht gelotst hast. Demnach wird er bestimmt versuchen, zu der Bucht aufzubrechen, sobald er alle seine Leute beisammen hat.“ „Eben“, pflichtete Nils bei. „Also ist dieser Schuppen hier der richtige Standort für uns - der beste, den wir uns wünschen können. Wir können erst einmal verschnaufen und
abwarten, was weiter geschieht. Wird in der Stadt noch geschossen?“ Sie lauschten. Geschrei drang gedämpft zu ihnen herüber, doch es fielen keine Schüsse mehr. „Die Miliz wird den Kampf für sich entscheiden“, murmelte Ben. „Dem Stadtkommandanten gelingt es bestimmt, die Rebellion niederzuschlagen. Es ist Blut geflossen, vielleicht hat es sogar Tote gegeben.“ „Die Leute von Reval haben was geleistet“, sagte Hein Ropers. ,;Ihnen gebührt unser Dank. Aber was können wir für sie tun?“ „Nichts, wir sind nicht stark genug“, erwiderte Nils. „Ich weiß, es klingt hart, was ich jetzt sage, aber wir müssen unsere Energien wirklich darauf verwenden, die eigene Haut und die deiner Kameraden zu retten.“ „Ja“, sagte nun auch Jan Ranse. „Es wäre aber auch ohne unser Zutun und ohne die Tatsache, daß Arne und seine Kameraden am Pranger standen, früher oder später rebelliert worden. Ich meine, die Volksseele kocht hier bestimmt nicht erst seit heute früh.“ Ben nickte. „Gewiß ist es so. Vielleicht ergibt sich für uns aber doch noch eine Möglichkeit, etwas für diese Bürger zu tun.“ „Übrigens könntet ihr vier auch zur ‚Isabella' zurückkehren“, sagte Hein Ropers plötzlich. „Philip Hasard Killigrew wartet schließlich auf eine Nachricht von uns. Ich wäre bereit, allein hier im Schuppen auszuhalten, schließlich sind es ja meine Leute, auf die ich warte.“ „Was bist du bloß für eine Marke“, sagte Ben kopfschüttelnd. „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Glaubst du wirklich, wir würden dich im Stich lassen?“ „Nein. Aber ich finde, ihr habt schon genug für uns getan.“ „Du vergißt, daß Hasard und Arne leibliche Vettern sind“, gab Roger grinsend zu bedenken. „Und wir sind unserem Kapitän ebenso verbunden, wie du zu deinem hältst.“
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„Klarer Fall. Hab ich euch durch meine Worte beleidigt?“ „So was gibt es bei uns nicht“, erwiderte Jan Ranse. „Wir haben deinen Vorschlag auch völlig richtig verstanden. Du würdest uns gern in Sicherheit wissen. Das ist hochanständig von dir.“ Hein Ropers kratzte sich am Hinterkopf, er war verlegen geworden. „Seit ich mit euch zusammen bin, quatsche ich zuviel“, brummte er. „Merkwürdig ist das schon. Früher hab ich nie soviel geredet. Mir wächst bald schon Kabelgarn aus dem Mund, glaube ich.“ Ben, Roger, Nils und Jan sahen sich untereinander an und lächelten. Dieser Hein Ropers gefiel ihnen, er war in prächtiger Kamerad. Was sie aber am meisten beeindruckte, war die tiefe Anhänglichkeit zu seinem Kapitän, die aus all seinen Äußerungen und seinem Handeln sprach. „Wie groß war die Crew der ,Wappen von Kolberg` ursprünglich, eigentlich?“ fragte Ben. „Zwanzig Mann, Arne von Manteuffel nicht mitgerechnet“, erwiderte Hein Ropers. „Vier Tote haben wir im Wasser gefunden, mehr nicht“, sagte Ben. „Es müssen also mehr als nur sieben Männer die Schlacht überlebt haben. Kein Zweifel, irgendwo müssen sie stecken - hier in Reval. Und das eine verspreche ich: Keiner von ihnen soll als Gefangener hier zurückbleiben.“ Dieser Ansicht schlossen sich natürlich auch Roger, Nils und Jan voll an, und so war es beschlossene Sache: Vorerst kehrte keiner von ihnen als Bote zur geheimen Ankerbucht der „Isabella“ zurück. Die Aussicht, daß Arne von Manteuffel und dessen Kameraden schon binnen kurzer Zeit erscheinen konnten, bestärkte Ben und seine Begleiter in dem Entschluß, zusammenzubleiben und den Schauplatz des Geschehens vorläufig nicht zu räumen. 8. Durch die Ritzen zwischen den Brettern des Schuppens konnten die fünf Männer
ins Freie spähen. Sie beobachteten die Hafenanlagen und sahen ein paar Soldaten, die in Richtung auf die Stadt zuliefen, wo jetzt wieder Schüsse krachten. Auch das Geschrei schien wieder zuzunehmen. „Die Bürger leisten erbitterten Widerstand“, sagte Ben. „So leicht hat die Miliz es mit ihnen nicht. Wer hätte das gedacht?“ Jan Ranse stand an der inneren Westwand des Schuppens, die genau dem Hafen zugewandt war. Mit zusammengekniffenem Auge sah er durch einen Spalt nach draußen und stieß plötzlich einen leisen Pfiff aus. „Donnerwetter“, sagte er. „Da sind sie ja!“ „Hör mal zu“, sagte Nils. „Wenn Carberry hier wäre, hätte er dir wegen dieser Bemerkung bereits in den Achtersteven getreten. Wer, zum Teufel, ist wo?“ „Ich habe die drei Galeonen entdeckt. Die, mit denen wir auf See zusammengetroffen sind und die dann die ,Wappen von Kolberg` versenkt haben.“ „Witold Woydas Schiffe“, sagte Ben Brighton. Er war neben Jan getreten und wollte selbst einen Blick auf sie werfen. Der Holländer wich ein Stück zur Seite, und Ben spähte durch die Ritze. „Sie liegen hintereinander an einer Einzelpier“, sagte er. „Das Flaggschiff befindet sich in der Mitte der beiden anderen.“ „Aber auf der Pier stehen Posten“, sagte Roger Brighton. „So ist es doch, oder?“ „Ja“, bestätigte Ben. „Na und?“ fragte Hein Ropers, dem das Gespräch wieder von Nils Larsen übersetzt worden war. „Was kümmert das uns? Wir wollen doch nicht auf die Galeonen.“ „Vielleicht doch“, meinte Nils. „Man kann ja nie wissen, was passiert, nicht wahr?” Ein Ausdruck des Begreifens nahm auf Heins Zügen Gestalt an, plötzlich grinste er wahrhaft diabolisch, und auch in seinen grauen Augen schienen tausend Teufelchen auf eine Weise zu tanzen, wie man das sonst nur vom Seewolf kannte. „Der Hafen leert sich“, sagte Ben. „Nein, es sind nicht die Schiffe, die auslaufen. Nach und nach verschwinden sämtliche
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Soldaten von den Piers, denn ihr Einsatz in der Stadt schein gefordert zu sein.“ „Ja“, sagte Roger. „Und hört doch -der Kampf hat an Lautstärke noch zugenommen.“ „Er verlagert sich von der Unterstadt zur oberen Stadt“, sagte Hein Ropers. „Vielleicht haben die Leute sich jetzt in den Kopf gesetzt, den Dom zu erobern. Möglich ist alles. Mann, die sind wirklich total aus dem Häuschen.“ „Achtung“, sagte Ben. „Da kehrt einer der Soldaten aus der Stadt zurück. Er läuft auf die Einzelpier, an der die Galeonen vertaut sind und scheint eine Nachricht zu bringen.“ Es war bis zu dem Schuppen hin zu verstehen, was der Soldat in diesem Augenblick rief. „Verstärkung! Es wird dringend Verstärkung gebraucht! Alle verfügbaren Leute sollen in die Stadt abrücken! Befehl vom Kommandanten!“ Jetzt setzte auf der Pier reger Betrieb ein. Von jeder Galeone traten je zwanzig Soldaten auf der Pier an. Sie waren mit Musketen und Tromblons bewaffnet. Rasch gruppierten sie sich zu einer Truppe in Dreier-Formation, dann setzten sie sich im Eilschritt in Marsch und verschwanden zwischen den Häusern. Nicht nur Jan stand nun hinter Ben Brighton, der nach wie vor durch die Ritze zur Pier spähte, auch Nils, Roger und Hein hatten sich zusammengedrängt und verlangten danach, einen Blick auf den Hafen zu werfen. Ben ließ sie abwechselnd heran, und sie betrachteten mit nachdenklichen Mienen die drei Galeonen, auf denen sich jetzt nur noch wenige Wachtposten befanden. Als Hein Ropers durch die Ritze peilte, kaute er auf der Unterlippe herum. Seine Stirn hatte sich in Falten gelegt. Ben bemerkte es und begann zu grinsen. Er glaubte zu ahnen, über was der Bootsmann jetzt nachdachte - er hatte ja selbst die gleiche Idee schon gehabt. „Stimmt“, sagte Hein. „Man kann nie wissen, was wird. Also, wir könnten statt eines Bootes doch so ein Galeönchen klauen, oder? Die Pier ist nicht allzu weit
von uns entfernt, und es befinden sich immer weniger Soldaten an Bord, die wir überlisten könnten. Außerdem brauchen wir so ein Schiff, schließlich ist die ,Wappen von Kolberg` ja von den Kerlen versenkt worden. Das wäre ein gerechter Ausgleich. Ich meine, wir könnten uns da schadlos halten und den Hundesöhnen obendrein noch eine hübsche Überraschung bereiten.“ „Das ist mir schon klar“, sagte Ben. „Aber du vergißt dabei, daß wir nur zu fünft sind.“ „Das ist ein bißchen wenig“, pflichtete auch Roger seinem Bruder bei. „Ich denke an eine andere Möglichkeit“, sagte Hein. „Wir warten, bis Arne mit den anderen da ist, und dann schlagen wir los. Dann sind wir zwölf Mann.“ „Ich glaube nicht, daß wir so rechnen können“, meinte Ben. Seine Miene war nun doch skeptisch. „Denken wir mal logisch. Der Hafen wird immer leerer, haben wir gesagt. Das entspricht voll den Tatsachen. Wer sich jetzt hier zeigt, der muß zwangsläufig auffallen - ganz besonders aber Arne mit seinen Männern, die auf den Galeonen so bekannt sein müssen wie bunte Hunde.“ „Eins ist ja auch deutlich zu sehen“, erklärte Nils, der inzwischen ebenfalls einen Blick durch die Ritze geworfen hatte. „Die Soldaten an Bord der Schiffe behalten die Stadt ununterbrochen im Auge. Sie scheinen ganz schön nervös zu sein. Wenn sie auch nur einen Rockzipfel von Arne von Manteuffel entdecken, eröffnen sie möglicherweise mit den Kanonen das Feuer.“ „Ich glaube, das wird sich auch Arne sagen“, erwiderte Ben. „Deshalb entscheidet er sich lieber dafür, die unmittelbare Nähe des Hafens zu meiden.“ Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da erklang hinter ihrem Rücken ein Geräusch. Etwas knarrte an der Ostwand des Schuppens. Jemand hatte sich von draußen angeschlichen lind war offenbar bestrebt, ins Innere des halb verfallenen Baus zu gelangen. Wer?
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Die Männer griffen zu ihren Pistolen und zogen sie aus dem Gurt. Es knackte, als sich die Waffenhähne spannten. Wenn es die Miliz war, die sie aufgestöbert hatte, dann wollten sie ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen. *
Eins der Bretter an der Ostwand bewegte sich plötzlich. Ben, Roger, Nils, Jan und Hein hielten unwillkürlich den Atem an. Ein Arm erschien unter dem Brett, schob sich herein und drückte das lose Brett ganz weg. Sie konnten es trotz der nicht sonderlich guten Lichtverhältnisse in aller Deutlichkeit verfolgen. Das Brett fiel zu Boden, und es folgten gleich noch zwei, die der Eindringling mit geschickten Fingern löste. Dann schob sich eine Gestalt ins Innere, geduckt, verkrümmt, nicht zu identifizieren. Sie richtete sich auf - und da erkannten die Seewölfe und der Bootsmann der „Wappen von Kolberg“, wen sie vor sich hatten. Der Mann war Arne von Manteuffel. Verschwitzt, verdreckt und zerbeult, das Gesicht noch von den blutigen Striemen gezeichnet, die Hugo von Saxingen ihm durch die Peitschenhiebe zugefügt hatte, so stand er vor ihnen und mußte erst einmal blinzeln, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen. Instinktiv griff auch er nach seiner Waffe, einem Knüppel, den er vom Marktplatz mitgenommen hatte, doch dann hielt er mitten in der Bewegung inne, denn es dämmerte auch ihm. „Arne!“ zischte hinter seinem Rücken die Stimme Renke Eggens'. „Was ist? Ist was nicht in Ordnung?“ „Doch“, erwiderte Arne gedämpft. „Es ist alles in bester Ordnung. Wir haben noch einmal Glück gehabt. Wenn mich nicht alles täuscht und ich keinen Schlick auf den Augen habe, dann stehen hier Hein Ropers und die vier Männer der ‚Isabella' in Fleisch und But vor mir.“ „Willkommen“, sagte Nils Larsen auf deutsch. „Wollt ihr nicht endlich eintreten? Es empfiehlt sich nicht, allzu lange an der
frischen Luft zu bleiben. Oder habt ihr noch jemanden bei euch?“ „Wir haben einen Gast“, antwortete Arne von Manteuffel. „Er heißt Hugo. Vielleicht ist er auch euch kein Fremder?“ Hein Ropers stieß ein paar Laute aus, die wie eine Mischung aus Glucksen und Kichern klangen, dann wandte er sich seinem Kapitän zu, der in der Mitte des Raumes trat. Für eine herzliche Begrüßung blieb aber nicht viel Zeit, denn Renke Eggens und die fünf anderen Männer schlüpften ebenfalls in den Schuppen und zerrten die reglose Gestalt Hugo von Saxingens hinter sich her. Renke Eggens hielt ihn noch an den Armen fest, während die anderen ihn schon losließen. „Hier“, sagte er. „Den haben wir als Trophäe mitgebracht. Er ist immer noch bewußtlos, aber wenn er in die Wirklichkeit zurückkehrt, wird er alles andere als entzückt sein.“ Ben gab Jan Ranse einen Wink. Jan mußte erneut einen Blick durch die Ritze in der Westwand werfen. Er spähte zu den drei Galeonen, bemerkte dort jedoch nichts, was ihnen Anlaß zur Besorgnis gab. „Die Soldaten verhalten sich ruhig“, sagte er. „Die achten nur auf das, was in der Unterstadt passiert. Sie haben nichts bemerkt.“ Ungesehen hatten sich Arne, Renke und die fünf anderen Männer der „Wappen von Kolberg“ also mit ihrem Gefangenen dem Schuppen nähern können. Sie hatten nicht damit gerechnet, auf ihren Bootsmann, die beiden Brightons, Nils Larsen und Jan Ranse zu treffen, und sie längst außerhalb der Stadt vermutet. Umso größer war die Freude über das unerwartete Wiedersehen. „Gisela befindet sich also an Bord der ‚Isabella'?“ fragte Arne. „Um Gottes willen, sagt mir nicht, daß ich mich täusche.“ „Sie ist an Bord“, erwiderte Hein Ropers. „Und das Schiff liegt in der versteckten Bucht an der Mündung des BrigittenFlusses.“ Ben begann zu berichten, wie sie auf dem Gut der von Saxingens die Freiin von
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Lankwitz aus der Gewalt des Grafen befreit hatten. Arne und seine Männer mußten unwillkürlich grinsen, als sie vernahmen, was für eine Keilerei stattgefunden hatte und wie Hugo von Saxingen vom Seewolf an das Elchgeweih gehängt worden war. Wohlweislich verschwieg Ben die Tatsache, daß Gisela von Lankwitz nackt gewesen war und vor den betrunkenen Landjunkern hatte tanzen sollen. Er ging souverän darüber weg. Sollte Arne von Manteuffel dies jemals erfahren, würde es Gisela von Lankwitz sein, die ihm auch dieses Detail berichtete. Bens Schilderung der Ereignisse endete damit, wie sie mit der „Isabella“ auf die Trümmer der „Wappen von Kolberg“ gestoßen waren, Hein Ropers von der Gräting aufgefischt, die vier Toten in der See entdeckt und Reval angelaufen hatten. „Für das, was ihr getan habt, werde ich euch ewig dankbar sein“, sagte Arne. „Ich kann es kaum erwarten, Gisela und Hasard vor mir zu sehen. Vorher muß ich aber meine Restcrew befreien.“ Ben warf einen Blick auf den immer noch besinnungslosen Hugo von Saxingen, dann sah er wieder Arne von Manteuffel an. „Ich habe bereits geahnt, daß Sie diese Absicht haben“, sagte er. „Wissen Sie denn, wo die Männer sich befinden?“ „Ja. An Bord des Flaggschiffes von Witold Woyda.“ „Warum wurden sie nicht mit zum Pranger geschleppt?“ „Weil sie verletzt sind, zum Teil sogar recht böse“, entgegnete Arne. „Wie viele Männer sind es?“ erkundigte sich Roger. „Sechs.“ „Mit Hein Ropers haben also dreizehn Mann der Crew das Gefecht überlebt“, sagte Ben. „Sieben haben den Tod gefunden. Vier haben wir entdeckt, die anderen drei müssen mit dem Wrack der ,Wappen von Kolberg` untergegangen sein.“ „Ja, so ist es“, sagte Arne. „Und ich werde unsere toten Kameraden rächen, darauf könnt ihr euch verlassen. Ich kann wegen
Gisela aufatmen, aber ich bin von dem Tod meiner sieben Männer zutiefst betroffen.“ „Ich verstehe“, sagte Ben. „Im stillen hatten Sie gehofft, daß sie sich vielleicht hätten retten können, nicht wahr?“ „Ja. Erst durch Ihren Bericht habe ich die endgültige Bestätigung dafür, daß es keine Hoffnung mehr gibt.“ „Verdammt!“ stieß Renke Eggens hervor. Fast hätte er dem Grafen in die Seite getreten, doch es war Arne, der ihn zurückhielt. „Dieser Hurensohn ist die Ursache des ganzen Verhängnisses“, sagte Renke aufgebracht. „Hätte er deine Braut nicht geraubt, wären wir gar nicht erst losgesegelt und in diese Gegend geraten, in der es von Polen nur so wimmelt. O Hölle, ich würde diesen Drecksack am liebsten totschlagen.“ „Es wird eine Gerichtsverhandlung geben“, sagte Arne von Manteuffel. „Und Hugo von Saxingen wird seine verdiente Strafe auch erhalten. Aber wir sind nicht seine Richter, und ich will auch keine Selbstjustiz üben.“ Nils übersetzte wieder ins Englische, was Arne und sein Erster sagten, und dieses Mal wechselten Ben und Roger einen anerkennenden Blick. Arne bewies wieder einmal, wie sehr er dem Seewolf ähnelte. Fairneß und Gerechtigkeit standen auch bei ihm an erster Stelle, trotz des Hasses, den er gegen Hugo von Saxingen hegen mußte. Er beherrschte seine impulsiven Gefühle und hatte sich in der Gewalt. Er war ein Mann wie aus Eisen, todesmutig und verwegen, doch sein Sinn für Gerechtigkeit bewog ihn, jedweden eigenen Gedanken an Rache beiseite zu schieben. Der Verlust der „Wappen von Kolberg“ und seiner sieben Männer war nun einmal geschehen. und er mußte sich mit den Gegebenheiten abfinden. Jan Ranse, der wieder auf „Ausgucksposten“ an der Westwand des Schuppens war, stieß einen Warnlaut aus. „Achtung, es tut sich wieder was an der Pier“, sagte er. „Ein Soldat ist aus der Unterstadt aufgetaucht und läuft auf die Schiffe zu. Jetzt meldet er etwas.“
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Sie konnten dieses Mal nicht hören, was der Soldat rief, doch der Inhalt seiner Meldung wurde im nächsten Augenblick nur allzu deutlich. Denn wieder traten je zwanzig Mann von jeder Galeone auf der Pier an und rückten kurze Zeit darauf ab. Dieses Mal bewegten sie sich nicht im Geschwindmarsch wie vorher ihre Kameraden, sondern hasteten im Laufschritt zur Unterstadt von Reval. In der oberen Stadt böllerten jetzt Kanonen. Die Seewölfe blickten die Männer der „Wappen von Kolberg“ an, Schweigen trat in dem Schuppen ein. Sie dachten an das, was sich in diesem Moment auf dem „Dom“ abspielen mochte. „Ja, in den Straßen wird schwer gekämpft“, sagte Arne von Manteuffel schließlich. „Die Bürger setzen alles auf eine Karte, sie haben lange genug Schikanen und Erniedrigungen von seiten der Besatzungsmacht erduldet. Sie gehen aufs Ganze. Wer eine Waffe hat, der setzt sie jetzt auch ein.“ „Es ist also ein Aufstand, wie ich vermutet habe“, sagte Ben. „Richtig, und zwar gegen die schwedischpolnische Herrschaft, die in dieser Stadt immer unerträglicher und despotischer geworden ist -zumal König Sigismund offenbar die Neigung hat, den gesamten Handel an sich zu reißen und die Erträge in seine Taschen fließen zu lassen.“ „Ich verstehe“, sagte Ben. „Und Kerle wie dieser Hugo von Saxingen sind ihm gerade recht für seine maßlosen Ziele, nicht wahr?“ „So ist es.” „Haben Sie Reval schon oft angelaufen, Arne?“ „Vielleicht ein Dutzend Male.“ „Daraus erklärt sich, wie es zu Ihrer Befreiung kommen konnte. Sie sind hier bekannt - bekannt im guten Sinn. Die Menge hat spontan gehandelt“, sagte Ben. „Das schon, aber es ist dann doch mehr daraus geworden, als ursprünglich geplant war“, erklärte Arne von Manteuffel. „Was bereits gärte, hat durch die Sache mit dem Pranger seine Entladung gefunden. Ich
fühle mich in gewisser Weise mitverantwortlich für den Kampf, der in der Stadt tobt, aber ich weiß keinen Weg, um den Menschen zu helfen.“ „Darüber haben wir uns auch schon unterhalten“, meinte Roger. „Wir haben ebenfalls keinen Plan, was die Stadt betrifft. Aber daß wir Ihre Kameraden befreien müssen, darüber waren wir uns schon einig, nicht wahr, Ben?“ „Richtig. Wie viele Soldaten waren insgesamt an Bord der drei polnischen Galeonen?“ fragte Ben. „Je vierzig“, erwiderte Arne. „Damit steht fest, daß nur noch die Seeleute an Bord sein können. Sämtliche Soldaten sind abgerückt, um dem Stadtkommandanten und Witold Woyda gegen die Bürger beizustehen“, sagte Ben. „Was ist eigentlich aus diesem Woyda geworden?“ „Er ist auch niedergeschlagen worden“, erwiderte Renke Eggens. „Aber inzwischen ist er vielleicht wieder auf den Beinen. Möglich auch, daß er sich um seinen Kumpan Hugo von Saxingen sorgt. Die beiden hielten ja zusammen wie Pech und Schwefel.“ „Damit ist es jetzt vorbei“, sagte Arne. Er wies auf den Grafen, der immer noch nicht das Bewußtsein wiedererlangt hatte. „Er kann lange nach ihm suchen, er wird ihn nicht finden. Wohin wir auch gehen, wir nehmen den Hund mit.“ „Ich schlage vor, wir kapern eine der Galeonen“, sagte Ben. „Wir verlassen mit ihr den Hafen und laufen die Ankerbucht der ‚Isabella' an. Auf diese Weise könnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, nämlich die Gefangenen befreien und Ihnen, Arne, wieder zu einem Schiff verhelfen.“ „Diesem Vorhaben schließe ich mich gern an“, sagte Arne von Manteuffel mit grimmiger Miene. „Aber wir müssen auf jeden Fall noch abwarten, bis es wenigstens etwas dunkel wird. Noch ist es zu hell. Man könnte uns von Bord der Galeonen aus leicht entdecken und das Feuer auf uns eröffnen, wenn wir den
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Schuppen jetzt verlassen und uns zu dem Pier begeben.“ Jeder sah ein, daß er recht hatte. Die Männer richteten sich auf eine längere Wartezeit ein, die von der inständigen Hoffnung erfüllt war, daß man sie in ihrem Versteck auch in den nun folgenden Stunden nicht entdeckte. 9. Hugo von Saxingen erwachte aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit. Er schlug die Augen auf, bewegte den Kopf hin und her und versuchte, etwas von dem zu begreifen, was um ihn herum vorging. Endlich erkannte er ein paar Gesichter in dem Halbdunkel des Schuppenraumes und stöhnte vor Entsetzen auf. „Ja, so ist das“, sagte Arne von Manteuffel. „Wir haben dich erwischt, du elender Dreckskerl. Meine Leute würden dich am liebsten sofort an der nächsten Schiffsrah aufhängen.“ „Wir können ihn auch ersäufen“, schlug Hein Ropers wütend vor. „Das würde schneller gehen, und wir brauchten seinen Anblick wenigstens nicht mehr zu ertragen.“ „Nein!“ stieß der Graf in aufkeimender Panik hervor. „Tut das nicht! Ihr habt nicht das Recht ...“ „Sei still“, fiel Arne ihm ins Wort. „Wir hätten allen Grund, dich ins Jenseits zu befördern. Bist du dir nicht im klaren darüber, was du getan hast? Und die Freiin? Genügt nicht allein ihre Entführung, dich über die Klinge springen zu lassen?“ Von Saxingen begann sich auf dem Boden zu winden. „Laßt mich am Leben!“ jammerte er. „Ich gebe euch Geld. Ich überschreibe euch mein ganzes Gut, wenn ihr wollt. Nur bringt mich nicht um.“ „Hört euch das an“, sagte Nils Larsen verächtlich. „So spricht ein Landjunker ohne Furcht und Tadel. Eine Schande ist das. Will ihm keiner das Maul stopfen?“ „Doch, ich“, sagte Renke Eggens. Er rückte in drohender Haltung auf Hugo von
Saxingen zu und beugte sich über ihn. Der Graf stieß einen erstickten Laut des Entsetzens aus, krümmte sich und wollte davonkriechen, doch Renke hielt ihn fest. Von Saxingen hätte zweifellos zu schreien begonnen und damit alles verdorben, doch Arne von Manteuffels Männer waren schneller. Sie packten ihn, drehten ihn herum und stopften ihm einen Knebel zwischen die Zähne. Der Graf gab würgende Geräusche von sich und setzte sich zur Wehr. Er war nun vollends davon überzeugt, daß sie ihm den Garaus bereiten wollten. Sein Ende stand ihm hart und grausam vor Augen, er begann mit den Beinen zu strampeln. Doch auch das nutzte ihm nichts. Rasch hatten sie ihn gefesselt, so daß er sich nicht mehr rühren konnte. Aus geweiteten Augen verfolgte er, was weiter geschah. Die zwölf Männer ließen ihn auf dem Boden des Schuppens liegen und kümmerten sich vorerst nicht mehr um ihn. Sie nahmen Platz und rückten wie Verschwörer zusammen. Dann begannen sie, Kriegsrat zu halten und ihren Plan in allen Einzelheiten zu besprechen. In der Stadt wurde weiterhin gekämpft. Mal donnerten die Kanonen auf dem Dom, mal krachten Musketen, mal wurde geschrien. So ging es hin und her, eine Entscheidung, die einer der beiden feindlichen Parteien den Sieg sicherte, schien sich nicht abzuzeichnen. Als es dämmerte, rüsteten die zwölf Männer zum Aufbruch. Jan Ranse hielt wieder durch den Schlitz in der Westwand zur Pier und zu den Drei Galeonen hin Ausschau. Die Soldaten kehrten nicht zurück, und an Bord der Schiffe waren nur wenige Wachtposten zu erkennen. Der Zeitpunkt schien günstig zu sein, alles sprach dafür, den Schuppen jetzt endlich zu verlassen. Ben Brighton trat an die Tür und begann, sie leise zu öffnen. Renke Eggens und Hein Ropers halfen unterdessen dem zitternden Grafen auf die Beine. Er war nach wie vor geknebelt und konnte nicht mehr von sich geben als ein paar dumpfe Laute. Seine Hände waren ihm auf den Rücken gefesselt, die Stricke, die sie um
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seine Beine gewunden hatten, wurden jetzt aber wieder von Arne gelöst. Arne richtete sich vor Hugo von Saxingen auf und sah ihm fest in die Augen. „Hör gut zu“, sagte er leise. „Du gehst brav im Geschirr, dann passiert dir vorerst nichts. Wenn du uns aber Ärger bereitest, fackeln wir nicht lange, verstanden?“ Hugo von Saxingen nickte eifrig. Er witterte eine Chance. Wenn die Männer ihn hätten töten wollen, dann hätten sie das längst getan. Arne von Manteuffel schien jedoch etwas anderes mit ihm vorzuhaben. Somit bot ihm das Schicksal noch einen Aufschub und es lag an ihm, ob er noch eine Chance fand, um den Spieß umzudrehen. Gehorsam schritt er also vor Arne her, als sie den Schuppen verließen, und er hütete sich, diesen durch eine unbedachte Bewegung zu reizen. Er mußte abwarten. Der Weg führte zu einer winzigen Pier, die nicht weit von dem Schuppen entfernt wie ein dürrer Finger in das Hafenbecken vorstieß. Es war Bens Idee gewesen, sich zunächst dieser Pier zuzuwenden, denn Jan hatte hier zwei herrenlose Boote entdeckt, die für ihr Vorhaben ideal geeignet zu sein schienen. Die Dunkelheit nahte mit Riesenschritten, ein schwarzer Schleier breitete sich über Reval aus, der nur hin und wieder von Mündungsblitzen der Kanonen durchstoßen wurde. Mit je sechs Mann besetzten sie die Boote, die an der kleinen Pier vertäut lagen. Arne übernahm das eine und zwang Hugo von Saxingen dazu, genau vor ihm auf einer der Duchten Platz zu nehmen. Ben führte das andere Boot. Roger, Nils, Jan und Hein waren nach wir vor bei ihm, außerdem hatte sich ihnen einer der Männer aus der Manteuffel-Crew als Begleiter angeschlossen, dessen Name Georg lautete. Der Plan war in allen Einzelheiten durchgesprochen und abgestimmt, es gab keine Fragen mehr, jeder wußte, was er zu tun hatte. Ben hatte den Plan entwickelt, der nicht ohne einen besonderen Reiz war.
Während der letzten Stunden hatten die Männer nämlich beobachtet, daß auch eine beachtliche Anzahl von Seeleuten der drei Galeonen von Bord der Schiffe gegangen und zur Stadt geeilt war. Dies bedeutete, daß zur Zeit alle drei Galeonen unterbemannt waren. Diesen Umstand mußten Arne und Ben ausnutzen, bevor sich an der Situation wieder etwas änderte. Weiterhin hatten sie verfolgt, daß keine Posten mehr auf die Pier geschickt worden waren, sondern nur jeweils zwei Besatzungsmitglieder auf jeder Galeone ihre Hafenwache gingen, die - typisch für den Hafenschlendrian - darin bestand, neugierig zur Stadt zu blicken, wo es immer wieder aufblitzte und da und dort auch Feuerschein aufstieg. Die Boote lösten sich von der kleinen Pier, lautlos hatten die Männer die Leinen losgeworfen. Fast ohne jedes Geräusch tauchten die Riemenblätter ins Hafenwasser und hoben sich wieder. Die Boote nahmen Fahrt auf und glitten in die Dunkelheit hinaus. Die drei Galeonen lagen hintereinander mit der Steuerbordseite an der Pier, die in Nord-Süd-Richtung verlief. Ihre Vorsteven wiesen zur Stadt - also südwärts. Bens Plan war, im Bogen von Norden her an das Heck der ersten, seewärts liegenden Galeone heranzupirschen. Das Unternehmen wurde im Schutz der Dunkelheit erfolgreich in die Tat umgesetzt, und wenig später lag Bens Boot genau unter dem Heck des Schiffes und berührte mit dem Bug das Ruderblatt. Drei Mann klommen am Ruder nach oben Nils, Jan und Hein Ropers. Sie zogen sich an der Hennegatsöffnung hoch, richteten sich auf und enterten die Heckreling, dann stiegen sie darüber weg und schlichen auf die beiden Posten zu, die an der Nagelbank des Großmastes standen. Von der BesanNagelbank nahmen sie sich drei Koffeynägel mit, schoben sich über die Niedergänge auf das Hauptdeck und wurden von den Wächtern des Schiffes erst gesehen, als es zu spät war, Alarm zu schlagen.
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Die Belegnägel sausten auf die entsetzten Männer nieder. Sie brachen zusammen, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben. Nils grinste, eilte nach achtern zurück, beugte sich über die Reling und gab Ben, Roger und Georg ein Zeichen, daß alles geklappt hätte. Arne von Manteuffels Boot war inzwischen weiter geglitten - an der Galeone vorbei zu dem Flaggschiff des Generalkapitäns Witold Woyda. Hier geschah im Ablauf weniger Augenblicke das, was auch auf der anderen Galeone passiert war: Arne, Renke und ein dritter Mann enterten auf und schalteten die beiden Wachtposten aus. Wieder verlief alles so, wie es geplant gewesen war. Ben, Roger und Georg tasteten sich mit ihrem Boot zu der dritten Galeone vor, die am dichtesten zur Stadt hin an der Pier lag. Wieder wurde das Manöver exerziert, wieder schoben sich Gestalten am Ruderblatt hoch und kletterten bald darauf über die Balustrade der Heckgalerie. Von hier aus war es nicht mehr schwer, auch das Achterdeck zu erreichen. Ben klomm als erster auf das Achterdeck, sein Bruder folgte ihm. Georg enterte als letzter und sah sich vor vollendete Tatsachen gestellt: Schon hatten die Brüder Brighton auch auf diesem Schiff die Wachtposten außer Gefecht gesetzt. Wieder waren Belegnägel in Aktion getreten. An Bord des Flaggschiffes befanden sich die sechs Gefangenen aus Arne von Manteuffels Crew. Sie zu befreien, war jetzt Arnes vordringlichste Aufgabe. Er begann, das Schiff von oben bis unten und von vorn bis achtern zu durchsuchen. Ben, Roger und alle anderen Männer des Aktionstrupps fesselten unterdessen die bewußtlosen Besatzungsmitglieder der Galeonen. Sie versäumten auch nicht, ihnen Knebel in die Münder zu schieben, dann deponierten sie sie an Land. Wieder wurden sie nicht behelligt, niemand erschien, der sie in ihrem Vorhaben störte. „In den Mannschaftsunterkünften liegen aber noch ein paar Leute“, zischte Roger seinem Bruder zu. „Sollen wir die aufwecken?“
„Nein, wir lassen sie schlafen“, entgegnete Ben leise. „Wenn sie später aufwachen, werden sie alle Hände voll zu tun haben, um ihre Schiffe wieder unter Kontrolle zu kriegen.“ Nur die wenigen Männer, die in den Kojen im Mannschaftslogis des Flaggschiffes schliefen, -wurden von Arnes Gruppe überwältigt, gefesselt und geknebelt und anschließend auf die Pier geschafft, wo sie ihren Platz neben den überrumpelten Wachtposten fanden. Jetzt konnten die Festmacher der ersten und der dritten Galeone gekappt werden. Dieses Werk verrichteten Ben, Roger, Nils, Jan, Hein und Georg. Danach huschten sie über die Pier zu der Stelling des Flaggschiffes und begaben sich an Bord. Die Boote konnten aufgegeben werden, sie wurden nicht mehr gebraucht. Bei dem herrschenden Südwestwind wurden die erste und die dritte Galeone - erst sanft, dann immer stärker - nach Nordosten in die große Bucht von Reval abgedriftet. Ben und seine Begleiter blickten ihnen nach, als sie in der Dunkelheit verschwanden, dann grinsten sie sich an. „Die paar Kerls, die noch an Bord sind, werden staunen, wenn sie erwachen“, sagte Roger. „So leicht wird es für sie nicht sein, die treibenden Kähne wieder hierher zurückzubringen. Aber das soll ja nicht unsere Sorge sein, oder?“ „Eben“, sagte Ben. „Aber wo sind die sechs Gefangenen?“ Renke Eggens, der soeben aus dem Vordecksschott des Flaggschiffes auf das Hauptdeck trat, beantwortete diese Frage. „Sie sind in der Vorpiek“, erklärte er. „Arne ist dabei, sie zu befreien. Wir können ebenfalls auf die Reise gehen.“ Alles geschah schnell und lautlos, auch dieser Teil des Planes gelang zur vollen Zufriedenheit der Männer. Sie kappten den Festmacher und setzten die Fock. Das bewirkte, daß der Bug des Flaggschiffes nach Backbord - nach Osten also schwenkte. Die Achterleine blieb jedoch noch fest und wurde erst losgeworfen, als der Bug fast in Nordostrichtung wies.
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Jetzt setzten Ben und Roger auch den Besan. Das Schiff löste sich von der Pier, und ab ging die Reise. Ungehindert verließ Witold Woydas Flaggschiff den Hafen von Reval und nahm Kurs auf die versteckte Bucht an der Mündung des Flusses Brigitten. * Die sechs Gestalten, die aus der Vorpiek des Schiffes hervorstolperten und sich an Oberdeck begaben, boten einen erbarmungswürdigen Anblick. Einer dieser Männer mußte sogar von Arne von Manteuffel gestützt werden, er wäre sonst wegen seiner Verletzungen und des hohen Blutverlustes, den er erlitten hatte, gleich wieder zusammengebrochen. So erschienen sie auf der Kuhl und schüttelten ihren Kameraden und den Seewölfen die Hände. Viele Worte wurden nicht gewechselt. Die sechs Männer waren verwundet und erschöpft, sie brauchten dringend Hilfe. „Sobald wir die Ankerbucht erreichen, werden sich die Kutscher und Mac Pellew um diese Männer kümmern”, sagte Ben Brighton gepreßt. „Wir werden alles für sie tun, was in unseren Kräften steht.“ Arne von Manteuffel nickte, dann wandte er sich Hugo von Saxingen zu, der aus dem Boot an Bord der Galeone verfrachtet worden war und nun gegen die Kuhlgräting gelehnt dahockte, ohne sich rühren zu können. Arne half ihm auf die Beine, dann führte er ihn ins Vordeck - ab in die Vorpiek, wo der Graf von nun an weichgeklopft werden würde. Gnädigerweise nahm er ihm sogar die Fesseln ab. Von Saxingen hatte ohnehin keine Chance, sich aus eigener Kraft aus der Piek zu befreien, die eine Art Vorhof zur Hölle war. Er konnte sich auf diese Weise nur etwas besser gegen das stinkende Bilgenwasser behaupten, das mit jeder Rollbewegung des Schiffes unter der Gräting“ hervorschwappte und seine Kleidung näßte. Arne kehrte auf das Hauptdeck zurück und sagte: „In Kolberg werde ich ihn vor ein
Gericht stellen. Dort soll entschieden werden, welche Strafe er erhält.“ „Es wird hoffentlich die Todesstrafe sein“, sagte Hein Ropers. „Sonst töte ich ihn. Sein Maß an Verbrechen ist übervoll, er hat keine Gnade verdient.“ Das Großsegel und die Blinde waren ebenfalls gesetzt, und mit zunehmender Fahrt lief die Galeone auf die Ankerbucht der „Isabella“ zu. \. Erst um kurz vor Mitternacht war das Ziel erreicht. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Sorgen, die Hasard und seine Männer sich um die Kameraden bereiteten, ihren Gipfelpunkt erreicht, und Gisela von Lankwitz wußte vor Kummer schon gar nicht mehr, was sie noch tun sollte. Doch das alles war nun vorbei. Ein Ruf, von Ben Brighton ausgestoßen, verkündete den Männern der „Isabella“, daß die Aktion in Reval erfolgreich abgeschlossen worden war. ,Dann glitt das Flaggschiff bei der „Lady“ längsseits und verhielt mit aufgegeiten Segeln. Es gab ein freudiges Wiedersehen. Hasard und Gisela begaben sich an Bord der schwedisch-polnischen Galeone, und hier sank Gisela ihrem Verlobten in die Arme. Sie nahm sein Gesicht in die Hände und bedeckte es mit Küssen, dann ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Carberry, der wie alle anderen die Szene von Bord der „Isabella“ aus verfolgen konnte, sagte: „Wenn ich das so sehe, könnte ich direkt neidisch werden. Aber die Hauptsache ist ja, daß sie sich endlich kriegen.“ „Neidisch ist nicht der richtige Ausdruck“, sagte der Kutscher, der schon neben Mac Pellew mit seinem Arzneibehälter bereitstand. „Wie denn?“ fragte Mac Pellew mit tieftrauriger Miene. „Vielleicht eifersüchtig?“ „Haut ab, ihr beiden“, sagte der Profos grollend. „Ihr werdet drüben gebraucht, seht ihr das nicht? Oder soll ich euch rüberbefördern?“ Nein, sie gingen schon und stiegen auf das andere Schiff über. Sofort begannen sie,
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sich um die verwundeten Männer aus Arne von Manteuffels Crew zu kümmern. Der Seewolf verordnete eine doppelte Ration „Akvavit“ und prostete seinem Vetter Arne zu, der ihm heftig und sichtlich ergriffen die Hand schüttelte. Ben mußte seinem Kapitän berichten, was sich in der Stadt zugetragen hatte. Der Schußlärm war bis zur „Isabella“ gedrungen und hatte die Sorgen der Männer und der Freiin von Lankwitz um das Schicksal ihrer Kameraden erhöht. Jetzt aber war alles ausgestanden, und auch der Kampf in Reval schien sein Ende zu finden. Die Verletzten waren versorgt, der Kutscher meldete, daß sich keiner von ihnen in einem lebensgefährlichen Zustand befände. Es würde ein paar Tage dauern, bis sie wieder voll auf den Beinen und einsatzfähig waren, doch auch bei ihnen trug ihre Bärennatur - wie im Fall von Hein Ropers - zu einer schnellen Gesundung wesentlich bei. „Bald wird man in Reval bemerken, was mit den Schiffen geschehen ist“, sagte Arne. „Dann wird die Suche nach uns beginnen. Witold Woyda wird alles daransetzen, seine Galeone zurückzuerobern.“ „Falls er noch lebt“, gab Renke Eggens zu bedenken. „Ich wünsche ihm, daß er zur Hölle fährt, er hat es verdient. Aber der Teufel allein weiß, ob die aufgebrachten Bürger ihn getötet haben, oder ob es ihm gelungen ist, sich in Sicherheit zu bringen.“ „Vielleicht erfahren wir es noch“, sagte der Seewolf. „Wie die Dinge in Reval auch verlaufen sein mögen -wir müssen schleunigst ankerauf gehen und auslaufen. Arne, hast du genug Leute für dein neues Schiff? Oder sollen wir mit ein paar Männern aushelfen?“ „Das ist nicht erforderlich“, entgegnete Arne. „Die Galeone ist wesentlich kleiner als die ‚Isabella', sie braucht keine sehr große Crew. Sie ist recht schnell und wendig, und die Manöver lassen sich leicht ausführen, wie ich bei der Fahrt vom
Hafen hierher festgestellt habe. Danke, wir schaffen das auch allein.“ „Ich bleibe bei dir“, sagte Gisela. „Das ist doch selbstverständlich“, sagte Arne. „Aber ich hoffe, du hast dich an Bord der ‚Isabella' wohl gefühlt.“ „Sehr.“ Sie trat zu Hasard, stellte sich auf die Zehenspitzen, beugte sich leicht vor und hauchte ihm einen Kuß auf die Wange. „Mein Dank für das, was Sie für mich getan haben, Hasard, kennt keine Grenzen. Wenn wir unsere Hochzeit feiern, sind Sie hoffentlich mit Ihrer Crew dabei. Es wäre das größte und schönste Geschenk, das ich mir vorstellen könnte.“ „Auch ich würde mich darüber freuen“, sagte der Seewolf lächelnd. Er kehrte mit dem Kutscher und Mac Pellew an Bord der „Isabella“ zurück, und auf beiden Schiffen setzte eine emsige Tätigkeit ein. Ben, Roger, Nils und Jan sprangen ebenfalls auf ihre „Lady“ hinüber, man winkte sich noch einmal von Schiff zu Schiff zu, dann manövrierte Woydas Galeone von der „Isabella“ fort. Wenig später setzten beide Crews die Segel, und die Schiffe segelten aus der Bucht an der Mündung des Flusses Brigitten. Zu diesem Zeitpunkt war die eine driftende Galeone des Generalkapitäns am Ostufer der Bucht von Reval auf Grund gelaufen. Die andere war irgendwo in der Dunkelheit verschwunden. Die Seewölfe sahen das verunglückte Schiff im Mondlicht an Backbord, während sie an der Bucht von Reval vorbeisegelten, und Ben konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er stand neben dem Seewolf auf dem Achterdeck und sagte: „Die Kerle müssen wirklich einen tiefen Schlaf haben. Sie haben wohl nicht rechtzeitig genug gemerkt, daß ihr Kahn aufgebrummt ist. Umso angenehmer muß das Erwachen sein.“ „Ben“, sagte Hasard. „Ich bin froh, daß ihr alle unversehrt aus der Stadt zurückgekehrt seid. Die Sache hätte sehr leicht auch ins Auge gehen können, das ist dir sicherlich bewußt.“
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„Und ob“, sagte Ben. „Aber wir haben mächtiges Glück gehabt, daß alles geklappt hat.“ „Hoffen wir, daß das Glück uns auch weiterhin begleitet“, sagte Old Donegal Daniel O'Flynn, und sein Blick war auf das neue Schiff Arne von Manteuffels gerichtet, wo Gisela von Lankwitz' schlanke Gestalt auf dem Achterdeck zu
erkennen war. Sie glich dem guten Engel der Seefahrer, von denen die Teerjacken und Beachcomber gelegentlich zu träumen pflegten. Ihre Anwesenheit ließ ein Gefühl tiefer Zufriedenheit im Herzen der Seewölfe aufkeimen. Sie verehrten und achteten diese Frau, die für sie der Inbegriff der Schönheit und Weiblichkeit war...
ENDE