Das deutsche Gesundheitswesen zukunftsfähig gestalten
Charles B. Blankart · Erik R. Fasten Hans-Peter Schwintowski
Das deutsche Gesundheitswesen zukunftsfähig gestalten Patientenseite stärken – Reformunfähigkeit überwinden
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Professor Dr. Charles B. Blankart Erik R. Fasten, M.Sc. Humboldt-Universität zu Berlin Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Institut für Öffentliche Finanzen Spandauer Straße 1 10178 Berlin
Professor Dr. Hans-Peter Schwintowski Humboldt-Universität zu Berlin Juristische Fakultät Unter den Linden 6 10099 Berlin
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ISBN 978-3-540-92768-6
e-ISBN 978-3-540-92769-3
DOI 10.1007/978-3-540-92769-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. c 2009 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Herstellung: le-tex publishing services oHG, Leipzig Einbandgestaltung: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de
I. Der Drehbuchautor und seine Rechte
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Vorwort
Mit dem vorliegenden Buch „Das deutsche Gesundheitswesen zukunftsfähig ge stalten: Patientenseite stärken – Reformunfähigkeit überwinden“ soll ein Beitrag geleistet werden, die festgefahrene Diskussion zur nachhaltigen Entwicklung des deutschen Gesundheitswesens anzustoßen, indem verschiedene Felder der ökono mischen und rechtswissenschaftlichen Literatur zusammengeführt werden. Ziel ist es ein tragfähiges und vor allem durchsetzbares Zukunftskonzept zu entwickeln, das einen Ausweg aus der derzeitigen Misere des Gesundheitswesens in Deutsch land aufzeigt. Die vielschichtigen Missstände im derzeitig etablierten System der Gesundheitsversorgung in Deutschland gilt es dabei abzubauen. Der Markt für Gesundheitsgüter wird in den nächsten Jahren, getrieben vom de mographischen Wandel und technischen Fortschritt, stetig wachsen, wodurch sich maßgeblich die Ausgaben erhöhen. Die erste Frage, die sich somit stellt ist, inwieweit bei gegebenen Inputs die Ausbringung maximiert werden kann, um den Versicher ten und Patienten ein Höchstmaß an qualitativ hochwertiger medizinischer Versor gung zu garantieren. Ein internationaler Vergleich der Gesundheitssysteme, der auf Rohdaten der OECD und wissenschaftlichen Analysen beruht, gibt einen Einblick in die Dringlichkeit der Debatte und zeigt die erheblichen Effizienzpotentiale, die im deutschen Gesundheitswesen realisiert werden können, die jedoch mit den bis herigen Reformen nicht gehoben wurden. Folgend wird eine effiziente zukünftige Ausgestaltung des Gesundheitswesens beschrieben. Hierbei werden sowohl die Ver sicherungsmärkte als auch die Versorgungsmärkte hinsichtlich ihrer wettbewerbli chen Komponenten untersucht und der Wettbewerb als Allokationsmechanismus in die Systeme stringent eingeführt. Auf der Versicherungsseite werden innovative Vertragsformen vorgeschlagen, die einen Wettbewerb um Versicherungsverträge, anderen bekannten Versicherungsmärkten entsprechend, erlauben. Diese führen zu effizienten Versicherungsstrukturen und erlauben zeitgleich innovative Versiche rungsverträge. Auf dem Versorgungsmarkt werden sich als Folge eines wettbewerb lich organisierten Versicherungsmarktes Innovationen wie Integrierte Versorgung und Managed Care durchsetzten, die es den Versicherungen erlauben eine effizien te Bereitstellung von Gesundheitsleistungen zu ermöglichen, die schließlich dem Wohl des Patienten zugute kommen. In den letzten Dekaden hat sich die Reformunfähigkeit in Deutschland jedoch als eines der Haupthindernisse einer Umgestaltung des deutschen Gesundheitswesens erwiesen, die in der gesundheitspolitischen Diskussion selten thematisiert wird. Aus diesem Grund beschäftigt sich ein Großteil dieses Beitrags mit der Überwindung
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Vorwort
der Reformhindernisse aus politökonomischer Sicht. Die am Reformprozess Betei ligten und ihre Interessen werden zuerst kurz analysiert, sowie das zeitinkonsistente Regierungsverhalten beschrieben. Auswege zur Überwindung des Blockadeverhal tens werden im Folgenden in langfristigen politischen Verträgen identifiziert, die es den Versicherten und Patienten erlauben, über die kurzfriste Stimmenmaximierung der politischen Entscheidungsträger hinaus, nachhaltige Entscheidungen durchzu setzen. Die römischen Verträge stellen hierfür ein Beispiel dar, deren Auswirkun gen im anschließenden juristischen Teil im Hinblick auf den Wettbewerb im deut schen Gesundheitswesen näher untersucht werden. Hierin werden die derzeitige Anwendbarkeit des GWB und UWG, sowie des europäischen Wettbewerbsrechts untersucht. Dabei ist zu beachten, dass die Ausgestaltung des Systems der sozialen Sicherheit den Mitgliedstaaten obliegt, die allerdings die Grundwertungen des Eu ropäischen Vertrags beachten müssen. Grundsätzlich sind die Systeme der sozialen Sicherheit nur insoweit der Anwendung der Regeln des Europäischen Vertrages ent zogen, als sie nicht wirtschaftlich arbeiten. Sind sie demgegenüber wirtschaftlich – also im Wettbewerb – tätig, unterfallen sie den Wettbewerbsregeln. Bei der grenz überschreitenden Inanspruchnahme medizinischer Leistungen sind die Regeln der Dienstleistungs- und der Warenverkehrsfreiheit vollumfänglich anzuwenden. Es stellt sich somit die Frage, ob die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland nicht bereits wirtschaftlich funktioniert und die Grenze zwischen Wettbewerb und Solidarität als Ordnungsprinzip im deutschen Krankenversicherungswesen längst überschritten ist. Ein weiterer elementarer Punkt ist die Stärkung der Patientensouveränität, die auf der Grundlage des bestehenden rechtlichen Systems in Deutschland weiter aus gebaut werden kann. Hierbei sind vor allem die transparente individuelle Streit schlichtung aber auch die strukturelle Stärkung der Patientensouveränität z.B. durch die Gründung von Vereinen vielversprechende Wege, die es in Zukunft auszubauen gilt. Des Weiteren werden Lücken und Unzulänglichkeiten in der derzeitigen Rechtsprechung aufgezeigt, die zu einer wettbewerblichen Ordnung führen können. Berlin, im Januar 2009 Charles B. Blankart / Erik R. Fasten / Hans-Peter Schwintowski
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII I.
Ökonomische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 Historische Entwicklung und Status quo des deutschen Gesundheitswesens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.1 Das Deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich . . . 5 1.2 Demographische Entwicklung und Finanzierungsschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.3 Historischer Abriss der Gesetzgebung und aktuelle Situation des Deutschen Gesundheitswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.4 Wettbewerbsstärkungsgesetz und Gesundheitsfonds . . . . . . . . . . . . 22 2 Zukunft und Reformierbarkeit des deutschen Gesundheitswesens . . 2.1 Ausgestaltung von Versicherungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Individuelle Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Kollektive Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Risikoorientierte Prämien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.1 Wie funktioniert eine Krankenversicherung ohne staatliche Regulierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.2 Wettbewerbliche Rahmenbedingungen risikogerechter Prämien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.3 Soziale Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Kursorischer Überblick weiterer Reformvorschläge . . . . . . . 2.2 Wettbewerb und Versorgung mit Gesundheitsleistungen . . . . . . . . 2.2.1 Effiziente Versorgung durch Wettbewerb. . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Marktversagen und Ineffizienz durch Monopolbildung. . . . 2.2.3 Qualität und Mindestanforderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Vergleich der öffentlichen und wettbewerblichen Bereitstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27 28 31 34 34 36 37 42 43 45 47 52 53
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2.2.5 Managed Care und Integrierte Versorgung . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Politökonomische Aspekte und Staatsversagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Rationale Konsumentenentscheidungen und Interessengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Unwägbarkeiten einer politischen Lösung – myopische Entscheidungsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Überwindung von myopischen Politikentscheidungen und Veto-Stillstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Juristische Analyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1 Grundannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2 Die GKV auf dem Prüfstand des Art. 86 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Höfner und Elser. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Das Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Poucet et Pistre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Das Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Fédération Française des Sociétés d` Assurance. . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Das Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Kohll/Decker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Das Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Brentjen` – Maatschappij – Albany . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Die Urteile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Pavel Pavlov. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Das Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Van der Woude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.1 Das Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Van Braekel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.1 Das Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9 Smits/Peerbooms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.1 Die Urteile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10 Müller-Fauré/Van Riet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10.1 Das Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81 81 81 83 84 84 86 86 86 87 89 89 91 92 92 93 94 94 95 96 96 97 97 97 97 98 98 100 102 102
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2.10.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11 Cisal – INAIL. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11.1 Das Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12 FENIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12.1 Das Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.13 AOK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.13.1 Das Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.13.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.14 Watts – Herrera – und OAEE. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.14.1 Die Urteile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.14.2 Konsequenzen für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.15 Zusammenfassung der Grundsätze der europäischen Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.16 Die Stärkung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.16.1 Der Richtlinienvorschlag vom 02.07.2008 . . . . . . . . . . . . . . . 2.16.2 Konsequenzen für die deutsche GKV. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Wettbewerb als Teil des Systems der GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Leistungen des SGB V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Das Sachleistungsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Kostenerstattung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.1 § 13 Abs. 1 SGB V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.2 § 13 Abs. 2 SGB V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3 § 13 Abs. 3 SGB V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.4 Grenzüberschreitende Leistungen (§ 13 Abs. 4 SGB V). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Solidarische Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Wirtschaftlichkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Die Krankenkasse als Nachfrager von Sach- und Dienstleistungen für ihre Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Grundsätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Ansätze für Wettbewerb zwischen den Krankenkassen. . . . 3.6 Wettbewerb durch den Abschluss von Einzelverträgen. . . . . . . . . . . 3.6.1 Besonders qualifizierte „hausarztzentrierte Versorgung“. . . 3.6.2 Besondere Versorgungsaufträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.3 Ambulante ärztliche Versorgung durch Krankenhäuser bei besonderen Leistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.4 Integrierte Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Medizinische Versorgungszentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Sicherung der Qualität der Leistungserbringung (§§ 135-139 SGB V) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120 120 120 121 122 122 122 124
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3.9 Versorgung mit Hilfsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10 Einzelverträge zwischen Krankenkassen und Apotheken . . . . . . . . 3.11 Sozialmedizinische Nachsorgemaßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.12 Beziehungen zu Krankenhäusern und anderen Einrichtungen . . . 3.13 Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.14 Krankenhausbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.15 Die freie Arztwahl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.16 Ergänzende Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.17 Einheitlicher Beitragssatz in der GKV ab 01.01.2009 . . . . . . . . . . . . 3.18 Wahltarife – Zusatzversicherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.19 Die GKV als Anbieter von Krankenvollversicherungen. . . . . . . . . . 3.20 Die wettbewerblichen Wirkungen des zivilrechtlichen Krankenhausvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.21 Zusammenfassende Erwägungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die Rolle des Kartellrechts in der GKV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Rechtsgrundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Das Verhältnis zwischen sozialrechtlich induziertem Wettbewerb und Marktwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Probleme der Marktabgrenzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Zusammenfassende Erwägungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140 141 142 142 142 143 144 145 145 147 150 152 153 156 156 159 161 163
5 Beihilferechtliche Grenzen im System der GKV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 6 Stärkung der Patientensouveränität – Gruppenklagen für Mitglieder der GKV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Verbandsklagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Unterlassungsklagegesetz (UklaG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Prozessführung durch Versicherer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Gruppenklagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Art. 1 § 3 Nr. 8 Rechtsberatungsgesetz (RBerG) . . . . . . . . . . . 6.3.2 Die Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Verbandslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Gesellschaftsrechtliche Lösungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2 Vereinslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2.1 Industriegewerkschaft Metall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2.2 Allgemeiner Deutscher Automobil-Club (ADAC). 6.5.2.3 Deutscher Caritasverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2.4 Bundesverband PRO BAHN e.V.. . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2.5 Verband Wohneigentum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167 167 169 169 170 171 171 173 173 174 177 178 178 179 183 186 187 188 189 190
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6.5.2.6 Verkehrsclub Deutschland e.V. . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2.7 Bund der Versicherten (BdV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2.8 BUND – Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2.9 Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger. . . . . . . . . . 6.6 Ärztliche Streitschlichtungsstellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Resumée – Wege zur Stärkung der Patientensouveränität in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7.1 Individuelle Streitschlichtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7.2 Strukturelle Stärkung der Patientensouveränität. . . . . . . . . .
XI
191 192 193 194 195 197 197 198
III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1 Ökonomische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2 Juristische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3 Stärkung der Patientensouveränität – Gruppenklagen für Mitglieder der GKV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3.1 Individuelle Streitschlichtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3.2 Strukturelle Stärkung der Patientensouveränität. . . . . . . . . . . . . . . . 207 Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
Inhaltsverzeichnis
XIII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Schematische Übersicht der Kernprobleme im Gesundheitswesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 2: Lebenserwartung eines Neugeborenen in OECD-Ländern in 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 3: Änderung der Lebenserwartung von 1970 bis 2005 in OECD Ländern in Prozentpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 4: Jährliche durchschnittliche preisbereinigte Ausgabensteigerung im Gesundheitswesen von 1970–2005 in OECD Ländern in Prozentpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 5: Anteil von Gesundheitsausgaben in Prozent am BIP in Prozentpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 6: Ausgewählte Indikatoren für die Krankenhausversorgung in OECD Staaten in 2005 (teilweise 2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 7: Bevölkerungspyramide für Deutschland für die Jahre 2006 und 2050 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 8: Theorien der Kostenentwicklung einer alternden Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 9: Entwicklung der Beitragssätze zur GKV und Gesundheitsausgaben am BIP von 1970 bis 2007 in Prozentpunkten . . . . . Abbildung 10: Verteilung der Gesundheitsausgaben nach Kostenträgern 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 11: Funktionsweise des Gesundheitsfonds. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 12: Leistungsstruktur im Gesundheitswesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 13: Der Verlauf der Krankenbehandlungskosten nach Alter und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 14: Entwicklung integrierter Versorgung in Deutschland . . . . . . . Abbildung 15: Gesetzgebungsverfahren im Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 6 7 8 9 11 15 17 19 20 23 27 32 55 64
Inhaltsverzeichnis
XV
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Effizienzranking von OECD Ländern nach der DEA Analyse . . . . . Tabelle 2: Qualitätsranking ausgewählter Krankheitsbilder im OECD Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 3: Auswahl an Gesundheitsreformgesetzten von 1970–2008 . . . . . . . . Tabelle 4: Ärztedichte in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 5: Beispiel der Bilanzveränderungen eines Versichertenwechsels für die Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 6: Übersicht weiterer Vorschläge zur Finanzierung des Gesundheitswesens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7: Institutionen des Gesundheitswesens im Überblick . . . . . . . . . . . . . Tabelle 8: Vergleich von öffentlicher und privater Bereitstellung im Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 9: Verhandlungsebenen im deutschen Gesundheitswesen . . . . . . . . . .
12 13 18 30 40 43 44 53 62
I. Der Drehbuchautor und seine Rechte
XVII
Abkürzungsverzeichnis
ABl. AFG BAnz BB BGBl. BGH BGHZ BIP BKartA BMG BSGE BT-Drucks. BVerfG BVerfGE c.p. DB Destatis DRG DStR EG EGV EuZW EWS GesR GKV GKV-WSG GRUR GWB HG HMO JZ KV LG NJW
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Arbeitsförderungsgesetz Bundesanzeiger Zeitschrift Betriebs-Berater Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes Bruttoinlandsprodukt Bundeskartellamt Bundesministerium für Gesundheit Rechtsprechungssammlung des Bundessozialgerichtes Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Rechtsprechungssammlung des Bundesverfassungsgerichtes ceteris paribus Zeitschrift Der Betrieb Statistisches Bundesamt Deutschland Diagnosis Related Groups Zeitschrift für deutsches Steuerrecht Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fas sung vom 25. April 2005 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fas sung von Maastricht (1993) Zeitschrift für Europäisches Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Gesetzliche Krankenversicherung Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Kranken versicherung Zeitschrift für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Hauptgutachten der Monopolkommission Health Maintenance Organization Juristenzeitung Krankenversicherung Landgericht Neue Juristische Wochenschrift
XVIII
NJW-RR
Abkürzungsverzeichnis
Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Zivil recht NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht OECD Organisation for Economic Co-operation and Development OLG Oberlandesgericht p.a. per annum PKV Private Krankenversicherung Rn. Randnummer SGB V Sozialgesetzbuch V (Krankenversicherung) Slg. Amtliche Sammlung der Rechtsprechung der Europäischen Ge richtshöfe UklaG Unterlassungsklagegesetz UWG Gesetz gegen den unlateren Wettbewerb VersR Zeitschrift für Versicherungsrecht VersWissStud Versicherungswissenschaftliche Studien VuR Zeitschrift Verbraucher und Recht WHO World Health Organization WRP Zeitschrift für Wettbewerbsrecht und Praxis WuW Zeitschrift Wirtschaft und Wettbewerb WuW/E Entscheidungssammlung der Zeitschrift Wirtschaft und Wettbe werb ZVglRWiss Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft ZZP Zeitschrift für Zivilprozess
1 I. Der Drehbuchautor und seine Rechte
Vorwort1
I. Ökonomische Analyse
Das deutsche Gesundheitswesen steckt in der Krise. Trotz ständiger politischer In tervention in den zurückliegenden Jahren, konnte das Ziel eine nachhaltige Ver sorgung der Bevölkerung mit hinreichenden Gesundheitsleistungen zu erreichen, nicht langfristig umgesetzt werden. Die demografische Entwicklung sowie der tech nische Fortschritt stellen dabei den Markt von Gesundheitsgütern, sowie die Ent scheidungsträger, vor immense zukünftige Herausforderungen. Diese sind nicht nur in Deutschland gravierend, sondern werden in den meisten Industriestaaten, aber auch in einigen sich entwickelnden Ländern, in den nächsten Dekaden zu beträcht lichen Verwerfungen führen, die es zu begegnen gilt. In Deutschland hat mit der Zustimmung des Bundesrates am 16. Februar 2007 zum höchst umstrittenen Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) eines der zentralen Reformprojekte der Großen Koalition die letzte parlamentarische Hürde genommen. Doch was in Regierungs kreisen als politischer Erfolg gefeiert wird, offenbart sich bei näherer Betrachtung als ein von parteitaktischen Kompromisszwängen geprägtes Fehlkonstrukt, das kei neswegs dazu geeignet erscheint, die gegenwärtigen und vor allem die zukünftigen Herausforderungen des deutschen Gesundheitswesens zu bewältigen. So ist schon heute abzusehen, dass weitere Reformen unumgänglich sind, die sowohl die Ver sicherten, als auch die Anbieter zu nachhaltigem Wirtschaften anhalten werden. Das erneute Scheitern der Gesundheitspolitik, ein tragfähiges Zukunftskonzept für das deutsche Gesundheitswesen zu entwickeln, lässt sich insbesondere auf zwei Ursachen zurückführen: Einerseits verhindert das Interessenkonglomerat aus der am gesundheitspolitischen Entscheidungsprozess zumindest indirekt involvierten und mit der organisatorischen Durchführung der medizinischen Versorgung be auftragten Verbände und Versicherer sowie der Bürokratie, Politik und Industrie eine klare Richtungsentscheidungen zugunsten eines transparenten, auf marktwirt schaftlichen Grundprinzipien basierenden Ordnungsrahmens. Andererseits erlie gen die politischen Entscheidungsträger ein ums andere Mal der Versuchung, Ge sundheitspolitik als sozialpolitisches Profilierungsfeld zu nutzen. In diesem Sinne ist auch das GKV-WSG als ein politischer Kraftakt zu sehen, der ungeachtet seiner öko nomischen Unzulänglichkeiten vor allem dem Zweck dient, die Handlungsfähigkeit der Regierungsparteien ohne Gesichtsverlust einer der beiden Koalitionspartner unter Beweis zu stellen. Wenn jedoch die dringend notwendige Restrukturierung des deutschen Gesund heitswesens aufgrund der Melange widerstrebender Interessen der Besitzstandswah rer von der Politik nicht zu erwarten ist, dann müssen Alternativen gefunden wer den, wie Anstöße zur Überwindung der gesundheitspolitischen Reformunfähigkeit
2
I. Ökonomische Analyse
gegeben und die Weichen in Richtung eines nachhaltigen Krankenversicherungs systems gestellt werden können. An dieser Stelle setzt der vorliegende Beitrag an. Es soll gezeigt werden, wie die Anwendung von existenten Wettbewerbsregeln auf den Gesundheitsmarkt ermöglicht wird und wie ein funktionierendes Gesundheits system gestaltet und politisch durchgesetzt werden kann. Dabei sollen vor allem die Patienteninteressen im Vordergrund stehen, sowie deren Einfluss auf die zukünftige Gestaltung des Gesundheitsmarktes analysiert werden. Die Vorgehensweise der folgenden ökonomischen Analyse gliedert sich wie folgt: Teil II.1 dient der Problemanalyse und beschreibt sowohl die aktuellen Defizite als auch die zukünftigen Herausforderungen des Gesundheitswesens, wie den demo grafischen Wandel und die Finanzierungsschwierigkeiten. Zuerst wird ein inter nationaler Vergleich zu anderen OECD Staaten gezogen, der die Effizienz des deutschen Gesundheitswesens kurz skizzieren und mögliche Potenziale aufdeckt. Sodann wird der nächste Abschnitt einen historischen Abriss über die Entwick lungen der Reformbemühungen des deutschen Gesundheitswesens liefern, und die Reformbemühungen der politischen Entscheidungsträger in den letzten Dekaden beleuchten, sowie den Gesundheitsfonds, als Kernstück der letzten großen Reform der Krankenversicherungen in Deutschland, näher analysieren. Die normative Analyse wird folgend Probleme des Versicherungswesens vorstel len und diese auf dem Markt für Gesundheitsleistungen aufzeigen, sowie Alterna tivvorschläge als Ausweg aus der derzeitig verfahrenen Situation liefern. Die Über führung der Krankenversicherung in ein wettbewerbliches System steht hierbei im Vordergrund. Risikoorientierte Prämien können eine Lösung für das derzeitig ver worrene Versicherungssystem darstellen und Fehlanreize minimieren. Durch einen wettbewerblich organisierten Versicherungsmarkt wird ebenso der Wettbewerb auf dem Versorgungsmarkt intensiviert. Integrierte Versorgungsverträge erlauben bei spielsweise eine Verhandlung zwischen den Versicherungsunternehmen und den Leistungserbringern und erhöhen somit die Effizienz des gesamten Gesundheits systems. Anschließend wird die Reformfähigkeit des deutschen Gesundheitswesens politökonomisch analysiert und Auswege zur Überwindung des zeitinkonsistenten Re gierungsverhaltens gesucht. Der europäische Integrationsprozess wird als Ausweg aufgezeigt, sodass durch institutionelle Modifikationen die Patienteninteressen stär kere Berücksichtigung finden können und das myopische Handeln der Regierungs parteien überwunden werden kann.
1 Historische Entwicklung und Status quo des deutschen Gesundheitswesens
3
1 Historische Entwicklung und Status quo des deutschen Gesundheitswesens Das deutsche Gesundheitswesen sieht sich mit emergenten Herausforderungen in den kommenden Jahren konfrontiert. Sowohl auf der Ausgabenseite als auch auf der Einnahmeseite ist eine nachhaltige Entwicklung nur durch substanzielle Re formbemühungen zu erreichen. Relativ präzisen Vorhersagen über zukünftige Bevölkerungsentwicklungen und weitere institutionelle Änderungen stehen viele Unbekannte gegenüber, die in der Diskussion langfristiger Reformen approximiert werden müssen. Einen Überblick über Herausforderungen und die Anforderun gen zukünftiger Reformen zeigt Abbildung 1. Angesichts des mehrdimensionalen Problemfelds ist eine schnelle Lösung schwerlich vorstellbar, doch sollen in einem ersten Schritt die Hauptprobleme im deutschen Gesundheitswesen näher betrachtet werden.
Ausgaben
Einnahmen
Effizienz
Reformunwägbarkeiten
Die Gesundheitsausgabenanstieg ist primär primär auf auf drei drei Kräfte Kräftezurückzuführen: zurückzuführen: • Demographische Entwicklung • Medizinisch-technischer Fortschritt • Nachfragesteigerung von Gesundheitsleistungen auf Seiten der Kon Konsumenten sumenten
Stagnation auf der Einnahmeseite: • Demographische Entwicklung • Arbeitslosigkeit und Rückgang der Beitragszahler • Anreize bei höher Leistung mehr zu zahlen gering • International verstärkt integrierter Arbeitsmarkt ––Deutschland Deutschlandhat hatbereits bereitshohe hoheLohnnebenkosten Lohnnebenkostenund und somit somit wenig wenig Spielraum Spielraum fürfür weitere weitere Steigerungen Steigerungen Effizienzpotentiale werden in Deutschland nicht ausgeschöpft: ausgeschöpft: • Der Preis für das Gut Gesundheit ist für für Patienten Patienten nicht nicht ersichtlich ersichtlich • Beitragszahler haben wenig Anreize kostenintensive Maßnahmen Maßnahmen zu zumeiden meiden • Beitragssystem der Leistungserbringer führt führt zur zur teilweise teilweise ineffizienten ineffizienten Bereitstellung Bereitstellung (Überkapazitäten, (Überkapazitäten, überflüssige überflüssige Leistungserbringung, Leistungserbringung, Doppelversorgung, Doppelversorgung, fehlende fehlende Spezialisi Spezialisierung, erung, etc.) etc.) • Verschlankung der Verwaltung, speziell der Krankenkassenverwaltung Krankenkassenverwaltung
Reformbemühungen haben in den letzten Dekaden häufig häufignicht nichtzu zuden dengewünschten gewünschtenErgebnissen Ergebnissengeführt: geführt: • Politikfeld mit hohem Profilierungspotential • Wählerstimmenmaximierung • Patienten haben wenig Mitspracherechte und sind schlecht organisiert organisiert • Wettbewerb der Interessengruppen
Abbildung 1: Schematische Übersicht der Kernprobleme im Gesundheitswesen
Auf der Ausgabenseite führen demographischer Wandel, medizinisch technischer Fortschritt und eine Steigerung der Nachfrage nach medizinischen Leistungen durch die Konsumenten, die vor allem durch steigenden Wohlstand indiziert ist, zu stetigen Belastungen und Mehrausgaben. Durch ein fehlendes Preissignal des Gutes Gesundheit ist auch auf individueller Ebene ein Anreiz für eine gebremste Nachfra ge, je nach Präferenz des Versicherten, sehr gering, sodass auch von dieser Seite kei ne kostendämpfenden Impulse im derzeitigen System ausgehen. Die Anbieter haben ein Interesse ihre Einkommen zu maximieren und werden somit nur unzureichend zur Kostenreduktion angehalten. Dieser Entwicklung stehen auf der Einnahmeseite vielfältige Probleme gegenüber. Durch die Finanzierung im Umlageverfahren, ba
4
I. Ökonomische Analyse
sierend auf Arbeitslöhnen, münden steigende Ausgaben, bei gleicher Grundlohn summe, zwangsläufig in höheren Beitragssätzen, falls die Nebenbedingungen, wie beispielsweise die Zuzahlungen und Leistungsumfang konstant bleiben. Grundlohnsumme x Beitragssatz = Einnahmen der Krankenkassen Die Beitragsstabilität muss im derzeitigen Gesundheitssystem folglich stetig durch neue Gesetzgebung gesichert werden (Oberender und Zerth, 2008). Zeitgleich redu ziert der demographische Wandel die Anzahl der Beitragszahler, während die Nach frage durch einen relativ höheren Anteil an älteren Versicherten steigt. Steigende Arbeitslosenzahlen und eine Abnahme an sozialversicherungspflichtigen Arbeit nehmerverhältnissen tragen ebenso zu einer Erosion des Beitragsvolumens bei. Die systemimmanenten Anreize eine höhere Prämie für mehr Leistungen zu zahlen sind gering, da die Prämienzahlung zur gesetzlichen Krankenversicherung vom Einkom men und nicht von den zu erwartenden Leistungen abhängt. Die Steigerung der Beiträge ist durch eine immer stärker steigende Mobilität der hochqualifizierten Ar beitskräfte, die für einen Großteil der Umverteilung im System stehen, natürlich be grenzt und auch durch regulatorische Eingriffe in GKV und PKV nicht zu beheben. Neben der Finanzierungsseite ist die Verwendungsseite für die nachhaltige Ent wicklung des Gesundheitswesens elementar. In Deutschland sind hohe Effizienz potentiale zu erzielen. Die Bettenkapazität und Verweildauer in Krankenhäusern ist im internationalen Vergleich relativ hoch, während die Überlebenswahrschein lichkeiten bei spezifischen Krankheiten, die als Indikatoren für die Qualität der Versorgung herangezogen werden können, nicht substantiell von der anderer In dustriestaaten positiv abweicht, sondern eher hinterherhinkt. In der ambulanten Versorgung wird durch eine recht strikte Spartentrennung der Ärzte eine Mehrfach untersuchung induziert, die in einer hohen Dichte an Ärzten resultiert. Medikamen tenausgaben, die einen hohen Anteil an den Kosten der gesetzlichen Versicherung ausmachen, werden ebenso über das sogenannte Apothekenmonopol stark regu liert. Die Wirtschaftlichkeitsreserven sind somit erheblich, doch werden sie durch fehlende wettbewerbliche Marktbeziehungen wenig genutzt. Wettbewerb, der zu effizienten Versorgung beitragen könnte wird systematisch ausgeschaltet, während jede staatliche Regulierung wiederum erheblichen Regulierungsbedarf nach sich zieht. Die staatlichen Interventionen sind in nahezu keinem Markt ähnlich hoch wie im Markt für Gesundheitsleistungen. Hinzu kommt, dass Reformbemühungen nur schwerlich umgesetzt werden können, da stimmenmaximierende Politiker in diesem Bereich ein hohes Maß an Profilierungspotential ausmachen. Patienten und Versicherte haben hingegen wenig Mitspracherechte und sind schlecht organisiert, da sie eine große Interessengruppe bilden, wodurch die Anreize zum Trittbrettfah rertum steigen (Olson, 1965). Die Patienten stehen jedoch gut organisierten Inte ressenverbänden vieler weiterer Stakeholder gegenüber, die ihrerseits versuchen ihre Renten zu maximieren. Als Resultat ergeben sich hohe Reformunwägbarkeiten, sodass die Besitzstandswahrung vieler Anspruchsberechtigter nur schwerlich aufge brochen werden kann.
1 Historische Entwicklung und Status quo des deutschen Gesundheitswesens
5
1.1 Das Deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich Im internationalen Vergleich haben sich eine Vielzahl unterschiedlicher Versor gungsformen von Gesundheitsleistungen durchgesetzt, die von größtenteils öffent licher Bereitstellung zu vollkommener privater Vorsorge reichen und verschiedene Grade an Qualität und Kosten nach sich ziehen. Ebenso sind die Versicherungs märkte unterschiedlich organisiert. Eine Effizienzmessung für das gesamte deutsche Gesundheitswesen ist aufgrund seiner hohen Komplexität und multidimensionalen Anreizbeziehungen nur sehr schwer, wenn überhaupt durchführbar. Partielle Ef fizienzpotentiale sind jedoch identifizierbar, die auf erhebliche Leistungsverbesse rungen hinweisen. Die Versorgungsforschung versucht sowohl auf der Mikroebene, insbesondere Krankenhäuser, Arztpraxen und einzelne Gesundheitstechnologien, wie auf der Makroebene, die Krankenkassen, Spitzenverbände, Ärzteverbände und Selbsthilfegruppen zu analysieren (Pfaff, 2003). Ziel dieses Forschungszweiges ist die systemtheoretische Abbildung des Gesundheitswesens und die Analyse seiner Kausalzusammenhänge (Pfaff, 2003). Aus Patientensicht ist Ziel aller konkurrierenden Gesundheitssysteme eine effi ziente Bereitstellung mit einer möglichst hohen Versorgungssicherheit zu minima len Preisen. Es gibt jedoch große Unterschiede in der Qualität und den Kosten der Versorgung, deren Ursachen es näher zu untersuchen gilt. Ein deskriptiver Über blick ausgewählter Indikatoren offenbart die strukturellen Unterschiede in OECD Ländern.1 Die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Neugeborenen ist signifikant gestiegen und liegt in der Spritzengruppe der betrachteten Länder in 2005 bei über 80 Jahren (Abbildung 2).
Weitere deskriptive internationale Vergleiche finden sich in Anderson und Hussey (2001), Mobley und Magnussen (1998), Mohan und Mirmirani (2007) und Verhoeven, Gunnarsson und Carcillo (2007). Hollingsworth (2003) vergleicht 188 verschiedene Effizienzstudien.
1
6
I. Ökonomische Analyse
Abbildung 2: Lebenserwartung eines Neugeborenen in OECD-Ländern in 2005 (Quelle: OECD Health Data 2007)
Die Überlebenswahrscheinlichkeiten liegt in allen OECD Ländern bei über 70 Le bensjahren, dass einer signifikanten Steigerungen im Vergleich zum Beginn der 70er Jahre entspricht, als die Lebenserwartung teilweise bei nur 50 Lebensjahren lag. Die Steigerungen (Abbildung 3) sind nicht zuletzt auf die gestiegene Gesundheitsversor gung zurückzuführen, aber auch Lebenswandel, Hygieneverbesserungen, maßgeb lich bei der Geburt, und verbesserte Ernährung spielten eine entscheidende Rolle. Ein ähnliches Bild zeichnet sich für die Kindersterblichkeit ab, die ebenso stetig ge fallen ist.
1 Historische Entwicklung und Status quo des deutschen Gesundheitswesens
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Abbildung 3: Änderung der Lebenserwartung von 1970 bis 2005 in OECD Ländern in Pro zentpunkten (Quelle: OECD Health Data 2007)
Parallel zur Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeiten sind in allen OECDLändern starke Trends eines wachsenden Gesundheitssektors in den zurückliegen den Dekaden zu beobachten (Abbildung 4). Die Ausgaben sind preisbereinigt im Durchschnitt aller Länder von 1970 bis 2005 jährlich um 4,8 Prozent gestiegen und sind in Portugal mit jährlich 7,4 Prozent am stärksten gewachsen. Deutschland liegt mit einer Steigerung von 4,1 Prozent im Mittelfeld. Diese Dynamik wird sich in den nächsten Jahren weiter fortsetzen und zeigt die steigende Bedeutung des Gesund heitswesens in allen Staaten, da mit steigendem Wohlstand auch die Bedeutung des Gutes Gesundheit an Einfluss gewinnt.
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I. Ökonomische Analyse
Abbildung 4: Jährliche durchschnittliche preisbereinigte Ausgabensteigerung im Gesund heitswesen von 1970–2005 in OECD Ländern in Prozentpunkten (Quelle: OECD Health Data 2007)
Die Anteile der Gesundheitsausgaben für ambulante und stationäre Versorgung ge messen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind ebenso stark gestiegen (Abbildung 5). So wurde im Jahr 2005 mit 15,3 % des BIP in den Vereinigten Staaten ein neuer Ausgabenrekord erzielt, aber auch in anderen Staaten liegen die Gesundheitsausga ben am BIP auf Rekordhochs. Für Deutschland ergibt sich ein Ausgabenniveau von 10,7 %, das in der Spitzengruppe der G8 Staaten, sowie aller Staaten weltweit, liegt. Bemerkenswert ist, dass in den meisten Staaten ein relativ stetiger linearer Wachs tumsprozess auf die derzeitig hohen Niveaus der Gesundheitsausgaben geführt hat, sodass nicht von einer gleichgewichtigen Anpassung ausgegangen werden kann, sondern vielmehr ein weiteres Wachstum zu erwarten ist. Die Ausgabenniveaus in den jeweiligen Staaten variieren stark. Reiche Länder haben tendenziell höhere Aus gaben, jedoch bestehen zwischen Ländern mit ähnlicher Wirtschaftsleistung große Unterschiede. Von einem höheren Ausgabenniveau lässt sich allerdings nicht direkt auf eine höhere Lebenserwartung oder geringere Kindersterblichkeit schließen, so dass die Qualität der Versorgung nicht in deren Ausgaben steigen muss.
1 Historische Entwicklung und Status quo des deutschen Gesundheitswesens
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Abbildung 5: Anteil von Gesundheitsausgaben in Prozent am BIP in Prozentpunkten (Quelle: OECD Health Data 2007)
Wird die stationäre Versorgung für sich betrachtet, so zeigt sich im Ländervergleich ein ähnliches Bild. Die Versorgungsraten unterscheiden sich signifikant und zeigen die strukturellen Unterschiede in den betrachteten Ländern. Abbildung 6 gibt ei nen Überblick über ausgewählte Indikatoren in OECD Ländern. Augenscheinlich weicht Deutschland in einigen Kategorien erheblich vom Länderschnitt ab. Die An zahl an Krankenhausbetten pro 1000 Einwohner beträgt 8,5 und ist nur in Japan hö her. Die international durchschnittliche Bettenzahl liegt jedoch bei nur 5,9 pro 1000 Einwohner, sodass eine Überkapazität in Deutschland wahrscheinlich ist (Erland sen, 2007).2 Ebenso ist die durchschnittliche stationäre Verweildauer eines Patienten mit 10,2 Tagen relativ hoch. Die Belegungsrate liegt im internationalen Vergleich im Mittelfeld, doch sind systemimmanente Faktoren, wie beispielsweise Anreize Patienten auch über die medizinisch indizierte Verweildauer im Krankenhaus zu belassen, relativ unterschiedlich.3 Obwohl in Deutschland ein Großteil der Bevölkerung, nahezu 90 %, durch eine Krankenversicherung abgesichert sind, liegen die privaten Ausgaben für stationäre Leistungen mit 178 U$ pro Kopf im oberen Quintil der betrachteten Länder. Fer ner liegen die Gesamtausgaben für die Gesundheitsverwaltung und Krankenkassen
Erlandsen (2007) vergleicht international die Effizienz der Krankenhausversorgung und kommt zu dem Schluss, dass Deutschland im Mittelfeld der betrachteten Länder liegt und somit Effizienzpotentiale zu realisieren sind. 3 Effizienzpotentiale werden auch von Kuchinke (2004) aufgezeigt. 2
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I. Ökonomische Analyse
über dem Median und zeigen einen erheblichen Finanzierungsbedarf der nicht mit der Leistungserbringung verbundenen Kosten. Sowohl die privaten als auch die öf fentlichen Verwaltungskosten liegen oberhalb des internationalen Schnitts, sodass in der Verwaltung von hohen Effizienzpotentialen ausgegangen werden kann.
1 Historische Entwicklung und Status quo des deutschen Gesundheitswesens
Abbildung 6: Ausgewählte Indikatoren für die Krankenhausversorgung in OECD Staaten in 2005 (teilweise 2004) (Quelle: OECD Health Data 2007)
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I. Ökonomische Analyse
Die deskriptiven Statistiken weisen zusammen auf ein hohes Effizienzpotential des Gesundheitswesens in Deutschland, das auch durch Data Development Analysis Methoden bestätigt wird (Tabelle 1). Ziel der Studien ist auf aggregierter Ebene die Effektivität eines Gesundheitssystems zu messen und international zu vergleichen. Lebenserwartung oder Sterbewahrscheinlichkeiten sind die Erfolgsvariablen,4 die durch institutionelle Unterschiede in den Systemen erklärt werden sollen. Die Er gebnisse der Studien variieren für einige Länder stark, für Deutschland ergibt sich jedoch ein homogenes Bild. Tabelle 1: Effizienzranking von OECD Ländern nach der DEA Analyse Alfonso und St. Aubyn (2005)
Australien Dänemark Deutschland Finnland Frankreich Griechenland Irland Italien Japan Kanada Korea Luxemburg. Neuseeland Niederlande Norwegen Österreich Polen Portugal Schweden Spanien Tschechische Republik Ungarn Vereinigte Staaten Vereinigtes Königreich
Räty und Luoma (2005)
Effizienzwert
Rang 2002
Effizienzwert
0.832 0.857 0.604 0.806 0.835 0.866 0.716 0.833 1 1 1 0.707 0.83 0.579 0.726 0.703 0.827 1 1 1 0.681 0.574 1 1
13 10 22 16 11 9 18 12 1 1 1 19 14 23 17 13 15 1 1 1 21 24 1 1
0.695 0.539 0.483 0.774 0.724 0.988 0.622 0.981 1 0.815 1 0.62 0.741 0.491 0.582 0.501 0.562 0.727 0.637 0.757 0.491 0.413 0.653 0.787
Durchschnittsrang 1999-2002 12 19 23 7 11 3 15 4 1 5 1 16 9 22 17 20 18 10 14 8 21 24 13 6
Die Wahl der Input- und Output-variablen hat einen signifikanten Einfluss auf die Rang ordnung und wird daher häufig als Kernkritik an den Studien gesehen. Sassi (2006) und Robberstad (2005) betrachten die Lebensqualität, die durch eine medizinische Intervention ermöglicht wird und erweitern so die Ergebnisvariable zu einem Index, der nun nicht nur die Lebenserwartung oder die Säuglingssterblichkeit betrachtet, sondern die Lebensqualität und kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
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1 Historische Entwicklung und Status quo des deutschen Gesundheitswesens
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Mit Platz 22 und Platz 23 liegt Deutschland auf abgeschlagenen Plätzen und zeigt ei nen erheblichen Bedarf an Veränderungen hin zu einem effizienten System. Bench marking-Studien und best-practice Analysen erfreuen sich bei Systemvergleichen unter Gesundheitsökonomen großer Beliebtheit, da sie mögliche Reformschritte aufzeigen und auf bereits implementierte Modelle verweisen. Das institutionelle Suchsystem führt zu Innovationen in bestimmten Regionen, die bei Erfolg auch in anderen Gebietskörperschaften adaptiert werden und zu einer effizienten Versor gung beitragen können. Bei diesen Analysen ist jedoch Vorsicht geboten, da durch einen hohen Abstraktionsgrad Informationsverluste unvermeidbar sind, die mög licherweise zu Fehleinschätzungen führen (Häkkiinen und Joumard, 2007). Ferner sind institutionelle Unterschiede nicht problemlos in den Daten zu isolieren, da eine Vielzahl von sozioökonomischen Faktoren, komplexer und vielschichtiger Natur, maßgelblichen Einfluss auf abhängige Variablen, wie beispielsweise die Lebenser wartung, als Indikator für der Güte eines Gesundheitssystems, haben. Als alleiniges Analysewerkzeug sind Benchmarking-Studien somit ungeeignet, wenn auch uner lässlich um Tendenzen und Schwachstellen aufzuzeigen.5 Über diesen makroökonomischen Ansatz hinaus geben Mikrodaten zu ausge wählten Krankheitsbildern Aufschluss über die Qualität einzelner Versorgungs leistungen. Beim Ländervergleich der Überlebenswahrscheinlichkeit ausgewählter Krankheitsbilder ist Deutschland im internationalen Vergleich ebenso zum Teil weit abgeschlagen und befindet sich bei einigen Krankheitsbildern auf dem vorletzten Platz (Tabelle 2). Tabelle 2: Qualitätsranking ausgewählter Krankheitsbilder im OECD Vergleich (Quelle: OECD, 2008) Indikator 5-jährige Überlebenswahrscheinlichkeit Gebärmutterhalskrebs 5-jährige Überlebenswahrscheinlichkeit Brustkrebs 5-jährige Überlebenswahrscheinlichkeit kolorektale Tumore (Männer) Stationäre Sterberate – bei hämorrhagischem Schlaganfall Stationäre Sterberate – bei ischämischer Hirninfarkt Stationäre Sterberate – Myokardinfarkt Sterberate Asthma
Rang Deutschland 18 von 19 18 von 19 9 von 11 7 von 23 12 von 23 20 von 24 14 von 25
Das schlechte Abschneiden Deutschlands im internationalen Vergleich bei An wendung verschiedener Analysewerkzeuge ist von medizinischer Seite hierzulande weitgehend unwidersprochen geblieben, also hingenommen worden. Solche Defizi te bei dennoch sehr hohen Ausgaben weisen unausweichlich auf hohe Effizienzpo tentiale hin. Sie gilt es in den nächsten Jahren zu realisieren. Institutionelle Rigidi täten müssen aufgebrochen und innovative Schritte hin zu mehr Effizienz nicht nur besprochen, sondern unternommen werden.
Einen Überblick über angewandte Analysemethoden, sowie deren Vor- und Nachteile zeigt Häkkinen und Jourmard (2007).
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1.2 Demographische Entwicklung und Finanzierungsschwierigkeiten Zusätzlich zur Effizienzfrage steht Deutschland, wie die meisten anderen Industrie staaten, vor immensen strukturellen Herausforderungen im Hinblick auf die demo graphische Entwicklung der Bevölkerung. Die Einwohner in Deutschland werden nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes von derzeit 82,4 Millionen auf 69 bis 74 Millionen im Jahr 2050 zurückgehen (Destatis, 2006).6 Gründe hierfür sind vor allem die geringe Geburtenzahl und die über dem Niveau der Geburten liegende Anzahl an Sterbefällen. Eine Überalterung der Bevölkerung ist unvermeid bar und kann auch durch Zuwanderung, oder eine alternative Familienpolitik nur bedingt beeinflusst werden. Das Gesundheitswesen, sowie alle weiteren Sozialversi cherungssysteme müssen diesem Strukturwandel Rechnung tragen und Lösungen finden, wie beispielsweise die Alterung mit der Finanzierung der Ausgaben der So zialsysteme, die größtenteils auf einer Umlagefinanzierung basieren, in Einklang zu bringen ist. Prognosen des Statistischen Bundesamtes (Destatis, 2006) zeigen u.a.: 1. einen steigenden Rentneranteil, 2. eine steigende Überlebenswahrscheinlichkeit der Rentner, 3. mäßige Zuwanderung, die zu einem Bevölkerungswachstum beitragen könnte, 4. eine Urbanisierung und Landflucht (Peripherie der Städte). Die Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis, 2006) für die Bundesrepublik zeigen einen erheblichen Anstieg des Anteils der älteren Generatio nen im Vergleich zu den jungen. In dem hier abgebildeten Scenario (Abbildung 7) wird von einer konstanten Geburtenrate und einem Wanderungssaldo von 100.000 Personen pro Jahr ausgegangen. Die Kohorten über 50 Lebensjahren wachsen von 2006 bis 2050, während die jungen Generationen durchweg schrumpfen. Ebenso steigt die Überlebenswahrscheinlichkeit deutlich, sodass die Anzahl an Personen im hohen Alter, die naturgemäß höhere Gesundheitsausgaben nach sich ziehen, signifikant steigt. Verbunden mit den relativ geringen Geburtenzahlen stehen die deutschen Sozialversicherungssysteme vor einer erheblichen Herausforderung, da die Bevölkerungsgruppe im arbeitsfähigen Alter einer hohen Anzahl an Personen im Rentenalter gegenübersteht.
Verschiedene Annahmen zur Geburtenrate und zur Zuwanderung führen zu unterschiedli chen Prognosewerten, die jedoch in allen Szenarien unterhalb der jetzigen Bevölkerungsgröße liegen.
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Abbildung 7: Bevölkerungspyramide für Deutschland für die Jahre 2006 und 2050 Quelle: Destatis (2006)
Der demographische Wandel wird sich dabei nicht auf alle Regionen einheitlich gravierend auswirken. In Teilen Ostdeutschlands ist mit starkem Bevölkerungs schwund zu rechnen, die zu steigenden regionalen Verteilungskämpfen und sozialer Polarisierung führen wird (Gans und Schmitz-Veltin, 2006). Gerade in ländlichen Regionen ist die soziale und technische Infrastruktur gefährdet, sodass ein politi sches Umdenken und alternative Lösungskonzepte erforderlich sind. Die Nachhaltigkeitslücke7 gerade der Krankenversicherung, die aus den demo graphischen Entwicklungen in der Bundesrepublik resultiert, wird häufig unter schätzt. Fetzer, Moog und Raffelhüschen (2002) haben mithilfe der Generationen bilanzierung8 die Defizite geschätzt und kommen zu bemerkenswerten Ergebnissen. Ohne eine Berücksichtigung von medizinisch-technischem Fortschritt ergibt sich für die gesetzliche Pflege- und Krankenversicherungen eine Nachhaltigkeitslücke in der Höhe eines Bruttoinlandsprodukts, das derzeit mehr als 2 Billionen Euro ent Die Nachhaltigkeitslücke ergibt sich als die Differenz der mit der Jahrgangsstärke gewogenen Barwerte der Nettobeitragszahlungen für die heutigen und alle zukünftigen Generationen und den zu erwartenden Ausgaben. 8 Das Konzept der Generationenbilanz geht auf Auerbach, Gokhale und Kotlikoff (1992) zurück und ermittelt für einen durchschnittlichen Bürger der heutigen Generation wie viel an staatli chen Leistungen er nachfragt und wie viel er dafür zahlen muss. Der Rest muss zwangsläufig von einer anderen Generation übernommen werden. 7
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spricht. Unter Berücksichtigung des medizinisch-technischen Fortschritts steigt die Lücke sogar auf das 2,5fache des Bruttoinlandsproduktes. Diese Zahlen führen un weigerlich zu einem immensen Reformbedarf, da Beitragssätze von 30 Prozent und mehr des Bruttogehalts nur schwerlich von der Erwerbsbevölkerung aufzuwenden sind, um den intergenerationalen Transfer aufrecht zu halten. Die Sozialabgaben in Deutschland zählen schon heute zu den höchsten in den Industriestaaten und schwächen die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft, bei stetig wach sendem Wettbewerbsdruck. Die Mobilität hochqualifizierter Arbeitskräfte wird auch in Zukunft weiter steigen, sodass zugleich der Gestaltungsspielraum für Ab gabenerhöhungen sinkt. Fetzer und Hagist (2004) zeigen, dass die derzeit diskutieren Modelle zur Kran kenversicherungsreform ebenfalls nicht zu einer nachhaltigen Lösung führen wer den, da auch unter den Alternativszenarien die Nachhaltigkeitslücke eklatant sein wird. Die Schätzungen der Nachhaltigkeitslücke in dieser Studie liegen sogar bei bis zu über 400 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Somit stellt die demographische Entwicklung auch langfristig alle Stakeholder im Gesundheitswesen vor immense Herausforderungen, die nur durch elementare Reformen begegnet werden können. Die Auswirkungen einer steigenden Lebenserwartung auf die Lebensqualität und die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen sind in der Theorie und Empirie umstritten. Zwei konkurrierende theoretische Hypothesen wurden entwickelt: Zum einen entstehen die Kosten vornehmlich altersabhängig (Medikalisierungsthese), da mit dem Alter die Versorgungkosten pro Kohorte zunehmen und Menschen eine längere Zeit mit Krankheiten und Behinderungen verbringen, die sich auf die Kos ten auswirken. Zum anderen entstehen die Kosten größtenteils vor dem Eintritt des Todes, sind somit unabhängig von einer steigenden Lebenserwartung und die Mor bidität nimmt mit steigender Lebenserwartung nur geringfügig zu (Kompressions these). Der tatsächliche Kostenverlauf der GKV (Status quo) sowie die zu erwarten den Kostenverläufe der beiden Thesen in Anhängigkeit vom Alter der Versicherten ist in Abbildung 8 dargestellt.9
Eine weiterführende Diskussion findet sich in Fetzer (2005).
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Abbildung 8: Theorien der Kostenentwicklung einer alternden Gesellschaft Quelle: Eigene Darstellung nach Fetzer (2005)
Mit Hilfe empirischer Studien sollte die Validität der theoretischen Modelle gezeigt werden, doch kamen diese zu unterschiedlichen Ergebnissen. Niehaus (2006a) hat jedoch auf Grundlage deutscher Daten der gesetzlichen und privaten Krankenkas sen zeigen können, dass die Ausgabenprofile mit dem Alter steigen und somit die Medikalisierungsthese in Deutschland vorherrscht. „Die Kompression der Mor bidität auf der Lebensqualitätsebene führte in der Vergangenheit nicht zu einem kostensenkenden Effekt“ (Niehaus, 2006a, S.145), obgleich eine Erhöhung des Sterbealters die Sterbekosten senkt. Die Alterung führt somit zu einer nachhalti gen Steigerung der Gesundheitskosten, die in Anbetracht der steigenden Anteile der älteren Generation an der Gesellschaft strukturelle Änderungen unersetzlich erscheinen lässt.
1.3 Historischer Abriss der Gesetzgebung und aktuelle Situation des Deutschen Gesundheitswesens Das Gesundheitswesen in Deutschland war in den zurückliegenden Jahren vielfach Veränderungen unterworfen (Tabelle 3). Die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit so wie steigende Ausgaben in nahezu allen Bereichen der sozialen Sicherung haben dazu geführt, dass eine stetige Reorganisation, meist initiiert durch die politischen Akteure, unumgänglich war. Eine Vielzahl von Gesundheitsreformgesetzten hatte die Aufgabe die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge zu stabilisieren und zu gleich die Versorgung auf ein hohes Niveau auszubauen und Innovationen sowie technischen Fortschritt zu gewährleisten (Erbe, 2005). Der Markt für Gesundheitsversicherungen ist in Deutschland zweigeteilt und umfasst die Private (PKV) und die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Der Zugang zu einer privaten Krankenversicherung ist erst ab einem Mindesteinkom men von 4.012,50 Euro pro Monat (2008) in drei aufeinanderfolgenden Jahren
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gestattet. Die Reformen waren meist auf die Gesetzliche Krankenversicherung be schränkt, obwohl in den letzten Jahren auch eine Zusammenführung der beiden Versicherungsmärkte diskutiert wurde und Änderungen der GKV auf die PKV aus strahlen. Tabelle 3: Auswahl an Gesundheitsreformgesetzen von 1970–2008 Einführung/Umsetzung am10:
Gesetz
1.7.1977 1.12.1981 / 1.7.1982 1.1.1983 1.1.1984 1.1.1985 1.1.1989 21.12.1992 1.1.2000
Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz Haushaltsbegleitgesetz 1983 Haushaltsbegleitgesetz 1984 Gesundheits-Reformgesetz (GRG) Gesundheits-Strukturgesetz (GSG) Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreform 2000) Gesetz zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbudgets (Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz – ABAG) Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fall pauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauschalen gesetz) Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Kranken versicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG)
1.1.2002 1.1.2003 1.1.2003 1.1.2004 1.4.2007
Die Notwendigkeit von Reformen wird auch an der Finanzierungssituation der ge setzlichen Krankenkassen ersichtlich. Abbildung 9 zeigt den Verlauf der Beitragssät ze zur gesetzlichen Krankenversicherung von 1970 bis 2007, der einen eindeutigen positiven Trend aufweist. Mit 8,2 Prozent war der Beitragssatz 1970 moderat und stieg in den nachfolgenden Dekaden auf zuletzt 13,9 Prozent des Bruttolohns im ersten Halbjahr 2007. Ebenso sind die Gesamtausgaben für Gesundheitsleistungen im gleichen Zeitraum stark gestiegen. Die Entwicklung war nicht linear, sondern ist von einer zyklischen Bewegung gekennzeichnet. Die politischen Interventionen haben es jeweils nur für kurze Zeit geschafft den allgemeinen Trend zu höheren Ausgaben aufzuhalten. Die Reformbemühungen wurden jeweils intensiviert, wenn das Beitragsniveau aus dem Ruder zu laufen drohte. Der Sockelbetrag ist dennoch über die Zeit angewachsen und weist auf das Unverständnis der Politik eine nach haltige Reform umzusetzen, die langfristig die Ausgaben begrenzt. Es wird jedoch häufig argumentiert, dass die Präferenzen der Bürger für einen höheren Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt mit dem Wohlstandsniveau stei 10
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Das Inkrafttreten der Gesetzte kann geringfügig in Folge von Übergangsregeln, etc. abwei chen.
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gen, sodass die Steigerung auch im Interesse der Wähler gelegen haben könnte. Im Einzelnen war der Einfluss der Reformen auf die Ausgabenstrukturen recht unter schiedlich.
Abbildung 9: Entwicklung der Beitragssätze zur GKV und Gesundheitsausgaben am BIP von 1970 bis 2007 in Prozentpunkten (Quelle: BMG, OECD 2007)
Das Gesundheitsstrukturgesetz aus dem Jahr 1992 erreichte einen konstanten Bei tragssatz über fast acht Jahre und war somit recht erfolgreich. Ab 2001 ist jedoch ein erneuter Aufwärtstrend ersichtlich. Häufig wird hierfür die Abnahme an Sozial versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse, sowie die steigende Arbeitslosigkeit in dieser Zeit verantwortlich gemacht. Darüber hinaus haben die relativ geringen Bruttoreallohnsteigerungen in den neunziger Jahren mit der Ausgabensteigerung im Gesundheitssektor nicht mithalten können, sodass eine Beitragserhöhung der gesetzlichen Krankenkassen unausweichlich war. Der größte Kostenanteil der gesamten Gesundheitsausgaben in Deutschland ent stand bei den fast 250 gesetzlichen Krankenkassen, die einen Anteil von 57 Prozent an den Gesamtausgaben im Gesundheitswesen im Jahr 2005 übernahmen (Abbil dung 10).11 In den Reformbemühungen spielt daher die Finanzierung der gesetz lichen Krankenversicherung eine zentrale Rolle, aber auch die private Krankenver sicherung ist direkt oder indirekt von den Entscheidungen der Politik abhängig.
Die staatlichen Subventionen, die beispielsweise im Krankenhausbau bereitgestellt werden sind hier nicht betrachtet.
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Abbildung 10: Verteilung der Gesundheitsausgaben nach Kostenträgern 2005 (Quelle: Statistisches Jahrbuch 2007)
Die gesetzlichen Krankenkassen haben in den zurückliegenden Jahren an Wahlfrei heiten und Gestaltungsspielraum gewonnen. Nach dem Gesundheitsstrukturgesetz wurde 1996 die freie Krankenkassenwahl eingeführt, die einen Wettbewerb der Krankenkassen initiierte und die Arbeitgeber von ihrer Pflicht der Versicherung der Arbeitnehmer bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse entband. Die Gesundheitsre form 2000 eröffnete den Krankenkassen die Möglichkeit der teilweisen freien Ver tragsgestaltung mit den Leistungserbringern, die wiederum im GKV-Modernisie rungsgesetz 2004 ausgeweitet wurde. Vielfach standen Reformen der Krankenhäuser im Mittelpunkt, da diese für rund ein Drittel (34,2 Prozent Anfang 2007 (BMG, 2007)) der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen verantwortlich sind. Dieser Hebel zur Kostenbegrenzung wurde auf unterschiedlichste Weise genutzt. Die Einführung der Fallpauschalen und Sonde rentgelten im Jahr 1995 stellte die Weichen zu einer neuen Vergütungsform, die An reize zur Überversorgung reduzierte. Das im Jahr 2002 verabschiedete „Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz)“ hat die Versorgung von einer zeitraumbezogenen Vergü tung mit tagesgleichen Pflegesätzen, teilweise Fallpauschalen, Sonderentgelten und Krankenhausbudgets auf eine Einzelleistungsvergütung basierend auf Diagnosis Related Groups (DRG) umgestellt. Somit werden die Leistungserbringer angehal ten den Ressourceneinsatz zu straffen und mögliche Einsparpotentiale zu nutzten, da Ergebnisse aus Kostensenkungen von der Einrichtung einbehalten werden durf ten und nicht mehr in dem Gesamtpool aller Leistungserbringer zugeführt werden.
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Primär sollte somit die Wirtschaftlichkeit erhöht, die Transparenz und der Wett bewerb intensiviert, sowie die Verweildauer der Patienten auf einen international üblichen Wert reduziert werden. Die Krankenhäuser konnten ab dem 1.1.2003 op tieren und das neue DRG basierte System einführen.12 Danach wurde es ab 1.1.2004 verpflichtend für alle Krankenhäuser eingeführt, jedoch mit einer Übergangsphase, die kürzlich bis 2009 verlängert wurde, in der die alten Krankenhausbudgets noch teilweise gelten. Budgets werden in dieser strukturellen Reform demnach durch Preise in Abhängigkeit von den jeweiligen Basisfallwerten, ersetzt. Diese Preise wer den fortlaufend einem Evaluationsprozess unterzogen und so an die sich ändernden Rahmenbedingungen und technischen Veränderungen angepasst. Somit wird über die Absenkung des Basisfallwertes eine Möglichkeit der Deckelung der Ausgaben entwicklung ermöglicht, die eine nachhaltige Finanzierung von Gesundheitsleistun gen zur Folge haben soll. Hierbei ist jedoch von einer regulatorischen Verzögerung auszugehen, da Änderungen nur mit einer gewissen Zeitverzögerung umgesetzt werden können. Das Konzept der DRGs soll aber nicht die Innovationsfreude der Leistungserbringer einschränken und für Stagnation im medizinisch-technischen Fortschritt sorgen. Daher wurden zeitlich befristete fallbezogene Entgelte für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden vereinbart, die höhere Entlohnungen versprechen. Begleitet wird die Preissetzung durch eine Qualitätssicherung, die Mindestanfor derungen an die Struktur- und Ergebnisqualität der Versorgungsleistungen legt. Seit 2005 sind Krankenhäuser verpflichtet zweijährig aktualisierte strukturierte Quali tätsberichte vorzulegen (§ 137 SGB V), die die Transparenz der Versorgung in Kran kenhäusern steigern und die Vergleichbarkeit der Qualität der einzelnen Häuser den Patienten auf verständliche Art ermöglichen soll. Darüber hinaus sollen die DRGs die Zusammenarbeit zwischen ambulanter und stationärer Behandlung effizient ge stalten. Durch die kürzeren Liegezeiten wird es zu einer Stärkung des ambulanten Bereichs kommen, sodass eine integrierte Versorgung ermöglicht und die Zusam menarbeit der verschiedenen Leistungserbringer verbessert wird. Die Trennung der Sektoren soll somit überwunden und hochqualitative Versorgung kostengünstig an geboten werden (Eichhorn und Püttner, 2005). Ausgaben für Medikamente sind darüber hinaus ein maßgeblicher Kostentrei ber, der in den zurückliegenden Jahren für erheblichen Finanzierungsdruck gesorgt hat. Um einen Wettbewerb auf dem Medikamentenmarkt zu intensivieren, erhielten die Krankenkassen im Medikamentenmarkt höhere Freiheiten sich vertraglich mit den Erzeugern auseinanderzusetzen und über ihre Marktmacht die stetig steigen den Preise für Arzneimittel zu senken. Die AOK in Baden Württemberg hat eine Vorreiterrolle in diesem Segment eingenommen und Rabattverträge für die Versor gung ihrer Versicherten für 82 Wirkstoffgruppen ausgeschrieben (AOK, 2006). An fechtungen des Vergabeverfahrens, die derzeit bei Gerichten anhängig sind, haben jedoch nur einen kleinen Teil der prognostizierten Einsparungen ermöglicht.
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Erste Erfahrungen weisen auf positive strukturelle Änderungen nach der Einführung (Hensen et al., 2007).
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1.4 Wettbewerbsstärkungsgesetz und Gesundheitsfonds Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung, dass zum 1. April 2007 eingeführt wurde, umfasst eine Vielzahl von Änderungen, die eine Ausweitung des Wettbewerbs zur Folge haben sollen. Das Gesetz enthält weit reichende Reformvorhaben, die die Strukturen des deutschen Gesundheitswesens stärker verändern werden, als viele der früheren Reformen. Jedoch ist der anfäng lich proklamierte große Wurf nicht gelungen, da über die Zeit Interessengruppen stetig ihre Positionen durchsetzen konnten. Die Förderung der flächendeckenden integrierten Versorgung, die Vertragsfreiheit der Krankenkassen, die Wahltarife mit Selbstbehalt und Kostenerstattung für ihre Versicherten anbieten können und die Ausweitung der ambulanten Versorgung im Krankenhaus sind einige wichtige Neu erungen. Die organisatorische Gliederung der Krankenkassen wird aufgehoben und statt sieben Kassenverbänden wird ein Spitzenverband innerhalb der gemeinsamen Selbstverwaltung die Interessen der Krankenkassen vertreten (Richter, 2007). Dies soll zu einem nachhaltigen Bürokratieabbau führen und die Verwaltungskosten auf ein international vergleichbares Niveau senken. Darüber hinaus soll, als Kern der Reform, im Januar 2009 ein Gesundheitsfonds eingeführt werden, der die Versicherungsbeiträge bündelt und anschließend die Beiträge an die jeweiligen Krankenkassen ausschüttet (BMG, 2007). Die Finanzie rung der gesetzlichen Krankenversicherung soll somit langfristig gesichert und die Effizienz gesteigert werden. Anfänglich standen zwei konkurrierende Konzepte für die Beitragsfinanzierung zur Auswahl. Zum einen die Gesundheitsprämie der CDU, die eine Trennung der Gesundheitskosten von den Löhnen ermöglichen sollte und zum anderen die Bürgerversicherung der SPD, die eine einheitliche Versicherung sowohl für private als auch gesetzlich Versicherte vorsah (Richter, 2005). Nach langen Diskussionen hat sich die große Koalition als Kernstück der Ge sundheitsreform auf die Einführung eines Gesundheitsfonds verständigt. Dieses Konzept wird von allen Seiten heftig diskutiert und wurde vom Sachverständigenrat als „Missgeburt“ tituliert (Sachverständigenrat, 2007). Der Gesundheitsfonds soll die beiden konkurrierenden Konzepte vereinen und somit einen Kompromiss lie fern, der von beiden Koalitionsparteien akzeptiert werden konnte. Es ist dabei nicht zu vernachlässigen, dass bei der Verabschiedung strategische Gesichtspunkte eine erhebliche Rolle spielten, da beiden Parteien Gestaltungsspielräume für die Jahre nach der nächsten Bundestagswahl in 2009 gewährt werden sollten. Es ist relativ einfach möglich den Fonds unter Einschluss der Privaten Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung umzuwandeln, aber auch Pauschalen der Beitragszahler können implementiert werden, sodass die Alternativmodelle der beiden Volkspar teien eingeführt werden können. Somit hat der politische Konsens zumindest die Reformfähigkeit des Krankenversicherungssystems nicht stark behindert und keine institutionellen Änderungen eingeführt, die schwerlich umkehrbar gewesen wären. Abbildung 11 gibt einen schematischen Überblick über die Funktionsweise des Ge sundheitsfonds.
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Arbeitgeber
Bund
Arbeitnehmer
Zahlungen von ca. 7.2 % der Bruttolöhne direkt an den Fonds
Steuermittel für versicherungsfremde Leistungen (2008: 1,5 Mrd., 2009: 2009:33Mrd. Mrd.und undsteigt steigtsukzessive sukzessiveauf auf14 14Mrd Mrdinin2016) 2016)
Zahlungen von ca. 8,1 % der Bruttolöhne Bruttolöhne direkt an den Fonds
Gesundheitsfonds Deckt min 95 % der Ausgaben der Kassen, sonst wir der Beitragssatz Beitragssatz vom vom Gesetzgeber angehoben
Krankenkassen Einzug der Beiträge (ab 1.1.2011 kann Arbeitgeber nur an eine einzelne Kasse überweisen); Erhalten pro Versicherten einen Pauschalbetrag zuzgl. eines risikoadjustierten Zu- bzw. Abschlag
Versicherte Zahlen Zahlen Beitragssatz; Beitragssatz; Kassen Kassen schütten schütten Überschüsse aus, oder erheben Zuschläge (ab 8 Euro einkommensabhängig einkommensabhängig bis bis max. max. 1% 1% vom vom Einkommen)
Abbildung 11: Funktionsweise des Gesundheitsfonds
Der zum 1. Januar 2009 einzuführende Gesundheitsfonds sieht einen einheitlichen Beitragssatz auf das Arbeitseinkommen für alle Versicherten vor, der bundesweit zentralisiert verwaltet werden soll. Die Krankenkassen erhalten eine pauschale Zu weisung, sowie risikoadjustierte Zu- bzw. Abschläge je nach Alter, Geschlecht und unter Berücksichtigung des Versorgungsbedarfs verschiedener Risikostrukturen der Versicherten nach einem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (SGB V, § 266). Diese Zahlung ist somit unabhängig vom Einkommen der jeweiligen Ver sicherten, wodurch die Anreize für die Krankenkassen gemindert werden soll ihre Versicherten nach zu erwartenden Kosten zu selektieren, um dadurch höhere Ge winne zu realisieren. Nicht direkt beinflussbare Kosten durch eine variierende Ri sikostruktur der Krankenkassen sollen durch den Risikostrukturausgleich egalisiert und die aggregierten Schadenrisiken konkurrierender Versicherungsgeber ausgegli chen werden, sodass die allokationssteuerende Funktion des Versicherungsmarktes gestärkt wird (Breyer, Zweifel und Kifmann, 2005). Ein Wettbewerb wird somit für Kassen mit unterschiedlichen Risikostrukturen möglich, da sie für höhere erwar tete Risiken zusätzlich kompensiert werden und nicht, wie im Falle fehlender Aus gleichszahlungen, aus dem Markt verdrängt würden. Der Risikostrukturausgleich, der mit der Öffnung der Krankenkassen im Jahr 1994 eingeführt wurde, soll um morbiditätsorientierte Kriterien erweitert werden, die bisher keine Berücksichtigung fanden. Der Gesundheitszustand der Versicherten soll somit direkt mit den Zuweisungen durch den Gesundheitsfonds in Verbindung gesetzt werden. Krankenhausdiagnosen, aber auch Arzneimittelverordnungen wer den herangezogen, um die zu erwartenden Kosten zu bestimmen und den Kassen dementsprechend Mittel zuzuweisen (SGB V, § 268). Ein detaillierter Katalog, der 80 Krankheiten umfasst, die zu besonders hohen Ausgaben führen, wurde vom Wis senschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs (Beirat, 2007) vorgestellt. Er soll als Grundlage für die Bestimmung der Zuweisungen des Risikostrukturausgleichs dienen.
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Die Höhe des Beitragssatzes wird nicht mehr durch die Krankenkassen selbst, sondern zentral per Rechtsverordnung durch das Bundesgesundheitsministerium festgelegt.13 Die bisherige Finanzautonomie der Krankenkassen wird damit in wei ten Teilen durch eine zentralisierte staatliche Instanz ersetzt. Die Krankenkassen können jedoch Zuschläge verlangen, falls die Zuweisungen nicht ausreichen sollten oder aber Überschüsse in Form von Kassenprämien an ihre Versicherten auszahlen, wenn Sie finanziell gut dastehen. Die Zuschläge dürfen einkommensabhängig oder pauschal (kleine Gesundheitsprämie) erhoben werden und dürfen 1 % des beitrags pflichtigen Einkommens oder 8 Euro nicht überschreiten. Mit der Einführung oder der Änderung des Zusatzbeitrages erhalten die Versicherten ein Sonderkündigungs recht und können somit ihre Kasse wechseln. Die Transparenz des Wettbewerbs soll durch diesen Schritt erhöht und den Versicherten die Möglichkeit gegeben werden sich entsprechend den verschiedenen Prämienprogrammen eine effiziente ihren Ansprüchen am besten entsprechende Kasse zu suchen. Der Gesundheitsfonds soll zusätzlich durch Steuermittel aufgestockt werden. Dafür werden in 2007 und 2008 jeweils 2,5 Mrd. Euro aufgewendet. Dieser Steuerbeitrag soll sukzessive auf 14 Mrd. Euro im Jahr 2016 ansteigen. Versicherungsfremde Leistungen, wie beispielsweise Mutterschaftshilfe oder die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern sollen so ab gegolten werden. Die Krankenkassen konkurrieren nicht, wie im bisherigen System über die Beitragssätze, sondern nun über Wahltarifen, Zusatzprämien, Zuzahlungs befreiungen und ähnlichem. Diese Prämien werden einkommensunabhängig ge währt, sodass auf der Finanzierungsseite der Anreiz von Niedrigverdienern steigen soll zu einer Kasse mit höherer Prämie zu wechseln, da die einkommensunabhängi ge Prämie einen relativ höheren Teil ihres Einkommens ausmacht als die Vergütung im bisherigen System, in dem eine Kostenersparnis auf Seiten der Krankenkassen auf die Beitragssätze umgelegt wurde. Der Minimalkonsens der Regierungsparteien wird von nahezu allen Interessens verbänden und der Wissenschaft heftig kritisiert (Penske, 2006). Die ambitionierten Bestrebungen die Probleme bei der Finanzierung der Gesundheitsausgaben lang fristig zu lösen seien nicht erreicht. Vielmehr sei die derzeitige Ausgestaltung eine „Verschlechterung im Vergleich zum Status quo“ (Sachverständigenrat, 2006, S. 226). Ein Hauptanliegen war eine Entkopplung der Finanzierung des Gesundheitswesens von den Arbeitskosten und eine Vereinheitlichung des Krankenversicherungsmark tes, der derzeit in einen privaten und einen gesetzlichen Versicherungsmarkt zer fällt. Wettbewerb zwischen den beiden Märkten findet nur unzureichend statt, da eine freie Wahl zwischen den Anbietern der beiden Märkte nicht möglich ist. Beide Ziele werden im jetzigen Gesundheitsfonds nicht realisiert. Darüber hinaus wird Wettbewerb nur sehr eingeschränkt gestärkt, sodass auch nicht von einer Lösung der Finanzierungsprobleme auszugehen ist, sondern vielmehr ein weiteres Reform vorhaben die hohen Erwartungen nicht erfüllen wird. Eine Reduktion der Verwal tungskosten sollte durch einen zentralen Einzug der Beiträge realisiert werden, doch 13
Eine jährliche Anpassung der Beitragssätze wird auf Empfehlung eines Schätzerkreises, der sich aus Vertretern des Bundesministeriums für Gesundheit, der Bundesversicherungsamtes, sowie Vertretern des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zusammensetzt, vereinbart.
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wurde dieses Vorhaben durch die Intervention der Versicherungsverbände unter bunden, sodass nun die Beiträge über die Krankenkassen eingezogen, an den Ge sundheitsfonds weitergeleitet und anschließen wieder zurückerstattet werden. Ferner gehen mit dem jetzigen Beschluss diverse Fehlanreize einher. Der Großteil der Gesundheitsausgaben wird weiterhin einkommensbasiert berechnet, wodurch kein echtes Preissignal der Leistungen entsteht. Der Arbeitsmarkt, der eigentlich durch die Reform entlastet werden sollte, wird weiterhin durch hohe Sozialbeiträge belastet. Der positive Beschäftigungseffekt, der durch eine Entkopplung der Kran kenkassenbeiträge von den Löhnen resultieren würde, wird nicht umgesetzt. Eine Abkoppelung würde die Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Unternehmen stei gern und ceteris paribus die Arbeitslosenquote senken, weil eine Konsumsteuer als Ausgleichinstrument auch ausländische Produkte treffen würde, die sich somit rela tiv verteuern (Richter, 2007). Ausschließlich der Zusatzbeitrag, Leistungspakete oder die Rückerstattung sollen einen Wettbewerb zwischen den Kassen ermöglichen. Da die Prämie als Pauschale ausgezahlt wird, sollen gerade bei Geringverdienern höhere Anreize zu einer güns tigen Kasse zu wechseln ausgeübt werden (Sachverständigenrat, 2006). Es ist jedoch fraglich, ob die Deckelung des Zusatzbeitrags auf 8 Euro Geringverdiener veranlasst in eine günstigere Kasse zu wechseln, wenn alternativ eine Kasse mit einem umfang reichen Leistungsangebot gewählt werden kann, die jedoch unwirtschaftlich ist. Der gewünschte verstärkte Wettbewerb zwischen den Kassen würde dadurch ausbleiben. Darüber hinaus werden durch die Überforderungsregel für Einkommensschwa che Kassen mit einem hohen Anteil an Geringverdienern relativ höhere Zusatzbei träge erheben müssen, da über einem Pauschalbeitrag von 8 Euro eine Einkom mensprüfung folgen muss. Der verbleibende Finanzierungsbedarf der Kasse wird dann auf die Mitglieder umgelegt, die nach der Einkommensprüfung in der Lage sind diesen zu bewältigen. Es erfolgt eine kasseninterne Quersubventionierung, die dazu führt, dass sich die Versicherten mit höheren Einkommen nach einer Kasse mit geringeren Zusatzbeiträgen umsehen und somit die finanzielle Lage ihrer ur sprünglichen Versicherung noch weiter belasten. Als Folge wird ein Wettbewerb um Versicherte mit hohen Einkommen stattfinden und nicht der intendierte Leistungsund Qualitätswettbewerb. Die Möglichkeiten bei der Gestaltung der Tarife werden folglich auch dazu genutzt die Tarife auf jene zuzuschneiden, die am besten zur Finanzierungsstruktur der Kasse beitragen. Kassen mit einem hohen Anteil an Ge ringverdienern können im Wettbewerb mit hohen Zusatzbeiträgen für Hochverdie ner nicht bestehen und werden aus dem Markt ausscheiden, obwohl ihre Effizienz sich nicht von der anderer Kassen unterscheiden muss. Die Kassen sind folglich für einen sozialen Ausgleich zuständig, obwohl andere institutionelle Rahmen, wie etwa das Steuersystem, diese Aufgabe wesentlich zielgenauer und mit geringeren Verwer fungen übernehmen könnten. In einer arbeitsteiligen Wirtschaft sind Versicherungen jedoch dazu da, den In dividuen Risiken abzunehmen, weil sie besser in der Lage sind diese zu bewältigen als die Individuen selbst. Genau um dieses Risiko findet der Wettbewerb statt. Wett bewerb unter gesetzlichen Krankenversicherungen stellt jedoch etwas ganz anderes dar. Hier ist der zentrale Wettbewerbsparameter des Risikos durch den gegebenen
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Leistungskatalog und den Risikostrukturausgleich eliminiert. Es wird so vorgegan gen, als wäre das Risiko eine exogene, nicht beeinflussbare Variable. Das Risiko wird zunächst aus dem Pool finanziert, der aus einer einkommensabhängigen einheitli chen Prämie finanziert wird. Wettbewerb findet im „Gesetz zur Stärkung des Wett bewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung“ lediglich in Zu- und Abschlägen zu diesem vorgegebenen Menu und Preis statt. Er trifft nur die Beilagen, nicht aber das Menu selbst. Dass so lediglich der Schwanz mit dem Hund wedelt, könnte als relativ belanglos angesehen werden. Ein solcher Wettbewerb wäre auch für die Geg ner des Wettbewerbs erträglich. Vielmehr haben die Krankenkassen einen Anreiz genau die Wettbewerbsparameter auszuwählen, die Lasten auf den Pool verlagern, für dessen Finanzierung sie nicht selbst, sondern nur gemeinschaftlich verantwort lich sind. Umgekehrt werden die Politiker, die für den Pool verantwortlich sind, bestrebt sein, Umverteilungsziele des Gesundheitswesens nicht explizit sichtbar zu machen, sondern unmerklich den Krankenkassen zuzuschieben, denen wie darge legt zur Auflage gemacht wird, Kostensteigerungen asymmetrisch den oberen und nicht den unteren Einkommensbeziehern zuzuweisen. Neben den Fehlanreizen wurden den Krankenkassen marginal größere Spiel räume in der Gestaltung ihrer Tarife eingeräumt, der zu höherem Qualitätswett bewerb und Anstrengungen zur Kostenersparnis in den jeweiligen Kassen führen soll. Die Richtung stimmt, da es möglich ist auf die Patienteninteresse vermehrt einzugehen und beispielsweise Rückzahlungen, bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen über einen bestimmten Zeitraum, anzubieten. Diese anreizkompatiblen Verträge ermöglichen es moralische Risiken abzuschwächen und die Effizienz im System zu steigern. Der Wettbewerb der Kassen könnte intensiviert werden, doch ist die Vertragsfreiheit noch wesentlich zu restriktiv um diese Ziele zu erfüllen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein Großteil der Änderungen skeptisch bewertet werden müssen und die Probleme des Gesundheitswesens in Deutschland nur sehr unzureichend angegangen wurden. Doch welchen Ausweg gibt es? Wie kann Effizienz in das deutsche Gesundheitssystem einziehen?
2 Zukunft und Reformierbarkeit des deutschen Gesundheitswesens
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2 Zukunft und Reformierbarkeit des deutschen Gesundheitswesens In einem effizienten Gesundheitswesen sollen Leistungen mit einem möglichst ge ringen Einsatz von Ressourcen (technische Effizienz) erzeugt werden und auf al len Ebenen der Wertschöpfungskette geringstmögliche relative Kosten entstehen (Kosteneffizienz). Darüber hinaus sollen mit den gegebenen Inputs die maximale Ausbringung ermöglicht werden (Kosteneffektivität). Dabei sollen die eingesetzten Mittel an der Stelle mit dem größten Nutzen für die Patienten eingesetzt werden (Allokationseffizienz), um so insgesamt eine nachhaltige Versorgung der Bevölke rung zu sichern. Im Folgenden sollen verschiedene Ebenen des Gesundheitswesens analysiert werden, um mögliche Effizienzgewinne zu isolieren und Missstände in Deutschland aufzuzeigen.
2.1 Ausgestaltung von Versicherungsverträgen Die Ausgestaltung von Versicherungsverträgen ist nicht nur auf dem Markt für Ge sundheitsleistungen ein sich ständig wandelnder Markt (Abbildung 12 gibt einen schematischen Überblick). Institutionelle Innovationen werden stetig eingeführt und ermöglichen eine Anpassung an die sich wandelnden Bedingungen und Be dürfnisse der Patienten. Die Gesundheitsversicherung ist gegenüber vielen anderen Versicherungsmärkten jedoch ein hoch politischer Markt mit einer der größten Re gulierungsdichten.
Abbildung 12: Leistungsstruktur im Gesundheitswesen
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Strukturelle Unterschiede sind hingegen gering. Grundsätzlich suchen Akteure ihr individuelles Risiko zu poolen, um im Falle eines Schadens, der mit geringer Wahr scheinlichkeit erfolgt, aber dann sehr hohe Kosten verursachen kann, Leistungen in Anspruch nehmen zu können. Diese Grundstruktur ist nahezu allen Versicherungsmärkten gemein. Im Kranken versicherungsmarkt kommen zusätzlich jedoch noch weitere Umverteilungsdimen sionen hinzu, die sowohl intergenerational als auch zwischen unterschiedlichen Ein kommen erfolgt. Daher ist es für die Politik interessant sich diesem Markt stärker zu widmen, als Beispielsweise dem Markt für Hausratversicherungen. Ferner wird auch ein intertemporaler Konsumausgleich geschaffen, sodass Zahlungen, die in jungen Jahren, bei relativ geringer Schadenswahrscheinlichkeit geleistet werden, auch im Al ter, bei steigender Schadenswahrscheinlichkeit angerechnet werden können. Politisch wird häufig gefordert, dass eine Zweiteilung des Versicherungsmark tes in eine gesetzliche und eine private Versicherung nicht zu einer Zwei-Klassen Medizin führen soll. Lungen et al. (2008) haben jedoch gezeigt, dass dies bei der Wartezeit auf medizinische Versorgung in Deutschland schon heute der Fall ist. Bei diesem relativ einfachem Qualitätskriterium konnten sie nachweisen, dass gesetz lich Versicherte signifikant längere Wartezeiten in Kauf nehmen mussten und somit die Wartezeit als Regulativ für eine geringere Zahlungsbereitschaft politisch gewollt ist. Bemerkenswert ist jedoch, dass ein Patient mit geringem Einkommen nicht op tieren und über eine höhere Zahlung in das private Versicherungssystem wechseln kann, um in den Genuss von einem Mehr an Leistungen zu gelangen – dies wird ihm gesetzlich verwehrt. Es lässt sich nun fragen, ob es alternative Möglichkeiten einer Vertragsgestaltung gibt, die es ermöglichen die Effizienz der Bereitstellung des Gutes Gesundheit zu erhöhen und dabei den unterschiedlichen Präferenzen der Patienten gerecht zu werden. In den zurückliegenden Jahren wurden hierzu eine Vielzahl von Alternativkonzepten entwickelt, die von der Konservierung des Status quo bis zu innovativen und radikalen Modellen reichen. 2.1.1 Individuelle Ebene Nachfrager: Der erste Anstoß zur Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen geht meist vom Patienten aus. Er entscheidet, ob der Versicherungsfall eintritt, d. h. ob er einen Arzt aufsuchen will oder nicht. Nur in Notfallsituationen wird diese Entschei dung von Dritten übernommen. Wenn er bei seiner Entscheidung Nutzen und Kos ten gegenüberstellt, unterliegt er der Neigung, das moralische Risiko auszunutzen. Er tendiert dazu, bei der Beurteilung der Kosten, nur seine Zeit und Mühe, um zum Arzt zu gehen, zu berücksichtigen, nicht aber die Kosten der Leistungserstellung selbst, denn diese werden (bis auf die Praxisgebühr) von der Krankenversicherung getragen. In dieser Entscheidung werden endogene Variablen des Gesundheitssys tems mit berücksichtigt. Bei steigender Ärztedichte beispielsweise ist ceteris paribus von einer Reduktion der Wartezeit auszugehen, die im Kalkül des Patienten den Preis des Aufsuchens eines Arztes reduziert. Weil er also nur einen Teil der Kosten berücksichtigt, hat er einen Anreiz, zu viel Gesundheitsleistungen zu konsumieren, indem er z. B. achtlos ein ungesundes Leben führt und damit krankheitsanfälliger
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wird oder indem er übervorsichtig ist und schon wegen jeder Kleinigkeit den Arzt in Anspruch nimmt. Die Krankheitskosten sind also nicht exogen als Zufallsvariab le gegeben, sondern hängen entscheidend von den Handlungen der Individuen ab. Nicht nur der Gang zum Arzt, sondern beispielsweise Vorbeugeuntersuchungen, der individuelle Lebenswandel, aber auch die Risikobereitschaft beeinträchtigen die zu erwartenden Kostenstrukturen ganz erheblich. Die Krankenversicherung führt folglich kontraintuitiv möglicherweise zu einer Verschlechterung des Gesundheits zustandes, da die Patienten geringere Anreize haben sich vor Eintritt einer Krank heit mit Vorbeugemaßnahmen vor einer solchen zu schützen. In der derzeitigen Krankenversicherung werden solche Aspekte nur sehr unzureichend einbezogen und bieten dem Patienten keinen Anreiz sich um geringere Gesundheitskosten zu bemühen. Breyer, Zweifel und Kifmann (2005, S. 248 ff.) sprechen in diesem Fall von ex-ante moral hazard. Bei eingetretener Erkrankung hat der Patient keine Möglichkeit der Vorbeugung da der Versorgungsfall bereits eingetreten ist, aber dennoch Handlungsalternativen. Die Kosten der Versorgung können durch den Patienten bestimmt werden und hängen von den institutionellen Rahmenbedingungen ab. Werden die Kosten der Versorgung voll erstattet, so werden beispielsweise keine monetären Erwägungen in der Entschei dung über den Versorgungsgrad berücksichtigt (Breyer, Zweifel und Kifmann, 2005, S. 263 ff.). Es kommt zu ex-post moral hazard und einem suboptimalen Ergebnis. Der Versicherte könnte sich selbst durch den Abschluss eines Vertrages mit Selbst beteiligung einen Anreiz auferlegen im Krankheitsfall kostenbewusst Leistungen in Anspruch zu nehmen. Hierfür würde er von der Krankenkasse mit einer Prämie, oder einem geringeren Beitragssatz vergütet. Diese in nahezu allen privaten Versicherun gen gängige Praxis ist auch bei der privaten Krankenversicherung häufig anzutreffen. Es haben sich über die Zeit eine Vielzahl von unterschiedlichen Vertragsmodellen entwickelt, die versuchen den jeweiligen Präferenzen Rechnung zu tragen. In der ge setzlichen Krankenkasse war dies bis heute nahezu unbekannt, doch wurden mit dem GKV-WSG Möglichkeiten für individuelle Verträge eröffnet. Diese sind zwar derzeit systemimmanent begrenzt, könnten aber durchaus weiter ausgebaut werden. Anbieter: Aber nicht nur die Nachfrager sind am extensiven Konsum von Gesund heitsdienstleistungen schuld. Erfahrungsgemäß tragen auch die Anbieter dazu bei. Bereits Jean-Baptiste Say hat 1803 für die gesamte Ökonomie den Gedanken verfolgt, dass jedes Angebot seine Nachfrage selbst schafft. Diese Theorie ging als Saysches Gesetz in die Literatur ein und beschreibt einen Kausalzusammenhang zwischen An gebot und Nachfrage. Diese Theorie wurde aber von vielen anderen Theorien heraus gefordert. Folgend hat vor vielen Jahren K. J. Arrow (1963) darauf hingewiesen, dass dies nur in besonderen Märkten gilt und das Gesundheitswesen stellt insofern einen besonderen Markt dar, als nicht die Nachfrager, sondern die Anbieter das Konsum niveau bestimmen. Wenn sich ein Patient einmal zum Arzt begeben hat, legt dieser fest, welche Therapie ihm am besten bekommt und übernimmt somit eine Sachwalte rolle (Breyer, Zweifel, Kifmann, 2005). Das ist in diesem Fall auch sinnvoll, denn der Nachfrager ist in medizinischen Belangen meist nicht sachkundig und daher nur sehr begrenzt in der Lage, eine richtige Therapieentscheidung zu treffen. Es liegen Infor mationsasymmetrien vor, die nur schwer zu überwinden sind.
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Weil aber Therapien für den Arzt Einkommen bedeuten, hat dieser einen An reiz, mehr davon zu verordnen als zwingend notwendig ist. Es entsteht eine an gebotsinduzierte Nachfrageausweitung und somit eine imperfekte Sachwalterrolle des Arztes. Diese kann paradoxerweise gerade dann zu einem Kostenproblem für das Gesundheitswesen werden, wenn die Ärztedichte und damit die Konkurrenz unter den Ärzten in einer Region zunehmen. Der intensive Wettbewerb drückt sich dann nicht notwendigerweise in einem besseren Service und in niedrigeren Preisen aus. Vielmehr werden die Ärzte versuchen, ihr Einkommen dadurch zu halten, dass sie mehr Versorgungsverpflichtungen nachweisen, um so mehr Einzelleistungen ge genüber den Krankenkassen abrechnen. In Deutschland hat die Ärztedicht in den letzten Jahren stetig zugenommen (Tabelle 4). Tabelle 4: Ärztedichte in Deutschland (Quelle: Datenreport, 2006) Jahre 1970 1980 1985 1991 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004
Ärzteanzahl 126 909 173 325 198 845 244 238 273 880 279 335 282 737 287 032 291 171 294 676 297 893 301 060 304 117 306 435
Einwohner je Arzt 615 452 391 329 299 294 290 286 282 279 277 274 271 269
J. M. von der Schulenburg (1987) illustriert diesen Effekt an Kennziffern für die Bundesrepublik Deutschland: Von 1980 bis 1984 ist die Zahl der niedergelassenen Ärzte um 9 Prozent gestiegen und die Zahl der Behandlungsfälle um 1 Prozent ge sunken. Mehr Ärzte mussten sich also eine rückläufige Zahl von Patienten teilen, woraus man schließen würde, dass ihr gesamtes Einkommen etwas, ihr indivi duelles Einkommen aber beträchtlich hätte abnehmen sollen. Tatsächlich ist aber das Honorarvolumen der Ärzte um 20 Prozent gestiegen, was bei mehr oder we niger gleich bleibenden Tarifen vor allem auf die Mengenkomponente pro Fall zu rückzuführen ist. In der Tat nahm die Zahl der Einzelleistungen pro Krankenschein um 19,1 Prozent zu. Das Fazit lautet also, dass eine zunehmende Ärztezahl oft nicht zu einer Dämpfung, sondern zu einer Aufblähung der Gesundheitsausgaben bei trägt.14 Pohlmeier und Ulrich (1995) zeigen dies ebenfalls in einer sehr detaillierten ökonometrischen Studie. Die Häufigkeit des Erstkontakts hängt dabei nicht mit der Freilich lässt sich nicht ausschließen, dass die Einzelleistungen pro Schein zugenommen ha ben, weil beispielsweise ein Nachfrageüberhang abgebaut wurde.
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Ärztedichte zusammen, da die Entscheidung vornehmlich auf der Seite des Patien ten liegt. Hingegen ist die Häufigkeit eines Besuches bei einem Arzt meist größten teils durch den Arzt bestimmt. Diese ist in der Studie positiv mit der Ärztedichte korreliert, sodass die angebotsorientierte Nachfragesteigerung in den Daten nach gewiesen werden konnte. Ähnliche Effekte angebotsinduzierter Nachfrage können sich auch bei den Kran kenhäusern ergeben. Insofern die Betriebskosten über tagesgleiche Pflegesätze fi nanziert werden, sind Krankenhausmanager daran interessiert, die Betten ihrer Häuser auszulasten und die angestellten Ärzte zu einer Ausdehnung der Verweil dauer ihrer Patienten zu bewegen. Die Mehrbelastung der Versicherungen führt in diesem Fall nicht zu einer besseren Versorgung, sondern hindert lediglich die Allo kationseffizienz. Versicherungen: Auf Seiten der Versicherungen kann es durch adverse Selekti on zu suboptimaler Versorgung der Versicherten kommen. Der Versicherte kennt zwar sein eigenes Risiko, aber die Versicherung kann dies nur unzureichend beob achten. Akerlof (1970) hat in einem viel beachteten Papier auf die Auswirkungen von asymmetrischen Informationsverteilungen zwischen wirtschaftlichen Akteuren hingewiesen und gezeigt, dass unter bestimmten Voraussetzungen Marktversagen unausweichlich ist. Dieses Problem trifft bei der Gesundheitsversicherung in vielen Facetten auf. Die Versicherung kann zum einen vor Versicherungsabschluss nicht die Risiken einschätzen und die Versicherten haben einen Anreiz sich als gute Risi ken darzustellen. Cardon und Hendel (2001) haben empirisch nachgewiesen, dass Patienten mit höheren Risiken mehr Versicherungen nachfragen und anschließend höhere Ausgaben erzeugen. Die Krankenkassen haben somit einen Anreiz ihre Pa tienten zu selektieren und dementsprechend ihre Prämien anzupassen. Patienten haben hingegen die Anreize sich stets als gute Risiken zu präsentieren und somit bei geringen Prämien einen möglichst hohen Versicherungsschutz in Anspruch neh men zu können. Dieses Freifahrerverhalten tritt nicht nur in der Krankenversiche rung, sondern in vielen anderen Versicherungsbereichen ebenso auf. 2.1.2 Kollektive Ebene Versichert wird von der gesetzlichen Krankenversicherung wie erwähnt das Ge sundheitsrisiko. Dieses ist, wie Abbildung 13 zeigt, stark von Alter und Geschlecht abhängig. Gemessen an den durchschnittlichen Krankenbehandlungskosten unter liegen Neugeborene einem sehr hohen durchschnittlichen Behandlungsbedarf. Bei Jugendlichen fällt dieses stark ab und steigt dann bei Männern im Laufe der Lebens jahre progressiv an. Frauen weisen ab dem 15. Lebensjahr durchweg ein höheres Risiko der Inanspruchnahme der Krankenversicherung auf als Männer. Dieses steigt mit dem gebärfähigen Alter stark an. Aktuarisch faire Prämien wären demgegen über nach Alter, Geschlecht und Morbiditätsrisiko differenziert. Doch Risikoklassen werden bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland nicht gebildet. Die Beiträge richten sich nach ganz anderen Kriterien:
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• In erster Linie sind die Prämien nach dem Arbeitseinkommen differenziert. Höherverdienende werden bis zur Beitragsbemessungsgrenze15 stärker belas tet, ohne dadurch höhere Ansprüche zu erwerben. • Familienmitglieder sind bei den unterhaltspflichtigen Beitragszahlern mitver sichert. • Rentner bezahlen einen reduzierten Beitrag. • Es findet keine Reservebildung statt, sondern es wird ein reines Umlagever fahren praktiziert. Schematisch steigt der Beitragssatz in Deutschland nach dem Eintritt in das Er werbsleben stetig an und fällt dann wieder zum Eintritt in das Rentenalter. D.h. es findet eine beträchtliche interne Subventionierung zwischen Erwachsenen und Kindern, zwischen Männern und Frauen und vor allem zwischen Beschäftigten und Rentnern statt. Die in Lohnprozenten entrichteten Beiträge lassen sich kaum einer Risikogruppe sinnvoll zuordnen. Sie fließen in einen Pool der jeweiligen Kassen und neu in den Gesundheitsfonds, aus dem diese die Beträge zur Honorierung der Ärzte entnehmen.
Abbildung 13: Der Verlauf der Krankenbehandlungskosten nach Alter und Geschlecht Quelle: Niehaus (2006b)
Die Ertragsallokation ist korporatistisch organisiert. D.h. es finden unter der Ägi de der Bundesregierung kollektive Verhandlungen zwischen den Kassen einer seits, den kassenärztlichen Vereinigungen der Ärzte und den Krankenhäusern anderseits über die Leistungen und die Grundlagen der Vergütung statt. Jede der beiden Seiten verhandelt als Block. Es entsteht ein bilaterales Monopol.16 Kassen Die Beitragsbemessungsgrenze in 2008 beträgt 43.200 Euro p.a. und die Versicherungspflicht grenze, die für den Wechsel in die private Krankenversicherung relevant ist, liegt bei 48.150 Euro. 16 Nach den GKV-WSG sollen sich die Kassenärztlichen Vereinigungen verschlanken. Einzelnen Ärzten und Ärztegruppen soll es erlaubt sein, Separatverträge mit Krankenkassen abzuschlie ßen. Ferner wird der einheitliche Beitragssatz auf Grundlage der Empfehlung eines Schätzer kreises politisch festgesetzt. 15
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ärzte und Krankenhäuser möchten dem Verlangen der Patienten nach einem freien Zugang zum Gesundheitswesen nachgeben und dafür von den Kassen be zahlt werden. Daher können sich die Kassen den Wünschen nach Therapien viel fach nicht verweigern. Wo sie nachgeben, da steigen erst die Kosten, dann die Prämien, wodurch die Bundesregierung auf den Plan gerufen wird, die ein An steigen der Beitragsätze zu verhindern sucht, um ihre Wiederwahlchancen nicht zu gefährden.17 Es kommt zu Kostendämpfungsmaßnahmen, wodurch eine ver schärfte Mittelknappheit entsteht, die die Kassen, weil sie zwischen den Versicher ten nicht differenzieren, über Ausgabenplafonds den Leistungserbringern auferle gen. Im ambulanten Bereich reagieren die einzelnen Ärzte – im Bestreben, ihre Ein kommensposition zu halten – auf die Kostendämpfungsmaßnahmen mit angebots induzierter Nachfrageausweitung. Jeder Arzt will den auf ihn entfallenden Anteil an der Vergütung erhöhen. Doch bei gegebenem Gesamtausgabenvolumen kann die Ärzteschaft als Ganze kein höheres Honorarvolumen erzielen (sog. HamsterradEffekt). Um diese Selbstschädigung zu beenden, ist eine kollektive Aktion notwen dig. Die Ärzteschaft plafondiert im Verband die Vergütung pro Praxis und damit das Budget pro Praxis. Dadurch kommt der Wettbewerb unter den Praxen weitgehend zum Erliegen. Im Krankenhausbereich sollte bislang die Bundespflegesatzverordnung zur Kos tendämpfung beitragen. Jede Leistung sollte mit einem Satz pro Patient abgegolten werden. Damit liefen diese Reformen im Wesentlichen auf ein Selbstkostenerstat tungsprinzip hinaus, das den Ressourceneinsatz honorierte und damit zu unnötig langen Verweildauern und Kostensteigerungen, statt Kostendämpfungen beitrug. Mittlerweile sind Fortschritte erzielt worden, indem dieses Vergütungssystem auf ein pauschalierendes Vergütungssystems in Form von Diagnosis Related Groups umgestellt worden ist. Ein Yardstick-Wettbewerb (gemessen an einem Standard) wird weitreichende Veränderungen auch in der Organisation der medizinischen Leistungsprozesse bewirken. Vor allem die leistungsfähigen und wirtschaftlich ar beitenden Krankenhäuser werden vom neuen Vergütungssystem profitieren. Entge gen dieser positiven Entwicklung im stationären Bereich bleibt es jedoch weiterhin bei der sektoralen Trennung der Versorgungs- und Finanzierungsstrukturen, die gleichzeitig Unter-, Über- und Fehlversorgung in der gesetzlichen Krankenversiche rung bewirken. Ferner ist zwar eine Ausweitung der ambulanten Versorgung durch Krankenhäuser in die letzte Gesundheitsreform eingeflossen, doch ist hier noch er heblicher Verbesserungsbedarf zu finden, um die Effizienz des Gesundheitssektors weiter zu erhöhen und so den demografischen Herausforderungen entgegenzutre ten.
Die Vertragspartner haben Vereinbarungen über die Vergütungen so zu gestalten, dass Bei tragssatzerhöhungen ausgeschlossen werden, es sei denn, die notwendige medizinische Ver sorgung ist auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven ohne Beitragssatzerhö hungen nicht zu gewährleisten (Grundsatz der Beitragssatzstabilität, § 71 SGB V).
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2.1.3 Risikoorientierte Prämien Eine Vielzahl von Reformvorschlägen liegt auf dem Tisch. Sie reichen von margi nalen Veränderungen des Status quo, über die von den Volksparteien favorisier ten Modelle der Kopfpauschale und der Bürgerversicherung hin zur Umstellung auf Teilkapitaldeckungsverfahren oder eine voll kapitalgedeckte Finanzierung. Die Vorschläge suchen das Gesundheitswesen den zukünftigen Herausforderungen an zupassen. Gemein haben die meisten Vorschläge die Notwendigkeit einer staatli chen Regulierung und der stetigen Intervention der politischen Akteure. Wie später gezeigt werden wird, sind diese häufig suboptimal und es kommt zu Staatsversagen. Diesen Umstand zu umgehen versucht der Ansatz der risikoorientierten oder risi kogerechten Prämien, der mit geringen staatlichen Interventionen auskommt und eine Vollversorgung der Bevölkerung erreichen kann, wenn die Rahmenbedingun gen dies gebieten. 2.1.3.1 Wie funktioniert eine Krankenversicherung ohne staatliche Regulierung? Der Ansatzpunkt des neoklassischen Standardmodells ist das Marktversagen. Dieses manifestiert sich in erster Linie in der Krankenversicherung. Asymmetrische Infor mation des Versicherers über die zu Versichernden führt zu adverser Selektion der Versicherungspopulation, während die Versicherten selbst zu moralischem Risiko neigen. D.h. die Versicherungsunternehmen wählen die falschen Kunden aus, und die Versicherten halten sich nicht an die vertraglichen Obliegenheiten. Daher übersteigen die Kosten die Erträge und verdrängen die Versicherungsunternehmen vom Markt. Zur Behebung des Marktversagens ist ein Staatseingriff erforderlich. So einfach stellt sich die Welt aus der Sicht des so genannten neoklassischen Standardmodells dar. In der Institutionenökonomik wird dies anders gesehen. In dieser bestehen Märkte nicht aus einmaligen abgeschlossenen Transaktionen, die wie im vorliegen den Fall mit Marktversagen enden, sondern in einem kontinuierlichen Lernprozess, in dem Anbieter und Nachfrager das Marktversagen erkennen, es Schritt für Schritt eingrenzen und durch maßgeschneiderte Maßnahmen korrigieren. Hierzu einige Beispiele aus einem benachbarten Versicherungsbereich, den Sachversicherungen: Sachversicherer überwinden adverse Selektion und moralisches Risiko durch Bonus- und Selbstbeteiligungsverträge. Bei Bonusverträgen können die Versicher ten dem Versicherer zeigen, dass sie gute Risiken sind und daher eine Prämienver günstigung verdienen. Kommt es dennoch zu einem Schaden, der von der Versi cherung zu begleichen ist, so bezahlt der Versicherte zunächst wieder die frühere Normalprämie, bis er seine Sorgfalt erneut unter Beweis gestellt hat. Bei Selbstbetei ligungsverträgen gibt es ein solches Nachzahlen nicht. Dafür hat der Versicherte ei nen Anreiz, die Anzahl an Fällen der Schadensregelung niedrig zu halten. Die Versi cherungsunternehmen reagieren ihrerseits auf die Präferenzen ihrer Kunden, da sie im Wettbewerb mit anderen Anbietern versuchen ihren Kundenanteil zu sichern. Sie werden je nach Nachfrage den einen oder den anderen oder beide Vertragstypen anbieten. Gebäude-, Kraftfahrzeug-, Diebstahl-, Feuerversicherung weisen regel mäßig derartige Klauseln auf. Es gibt sie aber auch seit längerem bei der privaten
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Krankenversicherung und seit kurzem in der gesetzlichen Krankenversicherung. Wer den Arzt in einem Jahr nicht in Anspruch nimmt, erhält im nächsten Jahr ei nen Bonus. Selbstbeteiligung kommt dadurch zustande, dass Risiken wie z.B. ext reme Sportunfälle von der Versicherung ausgenommen sind. Die Versicherungen versuchen die Anreize für die Versicherten so zu gestalten, dass ihre Zahlungswahr scheinlichkeiten sinken und können somit die geringere Prämie an die Versicherten weiterreichen. Wer sich diesem Korsett nicht unterwerfen möchte, der kann eine Zusatzversicherung abschließen, die vor extremen Risiken schützt, aber auch ein wenig mehr kosten wird. Der Versicherte wird aber sicher überlegen, zu welchem Preis er die Risiken eingeht. Bleibt eine Risikobeteiligung aus wird die Gemeinschaft aller Versicherten die erhöhten Risikozuschläge bezahlen und der Einzelne verspürt keinen Anreiz sich zurückzuhalten. Breuer und Zweifel gehen einen Schritt weiter. Sie behaupten, risikogerechte Prä mien seien nicht nur in der privaten Krankenversicherung, also für einen vergleichs weise kleinen Teil der Bevölkerung, von Vorteil, sondern auch in der gesetzlichen Krankenversicherung für die gesamte Bevölkerung möglich und empfehlenswert (Breuer und Zweifel, 2002, 2003). Manche Leser mögen skeptisch sein. Dennoch lohnt es sich, die Idee risikogerechter Prämien einmal zu Ende zu denken. Nur so lässt sich ein Null-Meridian gewinnen, von dem aus dann die Vielfalt der Kompro misse in der praktischen Politik beurteilt werden können. Würde umgekehrt gleich mit den Kompromissen begonnen, so ginge jede Orientierung verloren. In diesem Sinne wird zunächst auch von der sozialen Gerechtigkeit der Versicherungsprämien abstrahiert und erst danach die Frage gestellt, ob sich risikogerechte Prämien auch mit sozialen Grundprinzipien wie der Erschwinglichkeit für jedermann vereinbaren lassen. Zunächst geht es darum, die beiden Marktversagen der adversen Selektion und des moralischen Risikos zu erfassen. Das Problem der adversen Selektion entsteht aus einer Vermischung von: a) durchschnittlichen und b) individuellen Risiken. Der adversen Selektion unterliegen nur die letzteren. Der Versicherer kann ohne zusätzliche Information zwischen Kunden, die nur das durchschnittliche Risiko (a) innehaben und solchen, die zusätzlich mit dem individuellen Risiko (b) ausge stattet sind, nicht unterscheiden, und gelangt daher zu einer verzerrten Auswahl. Ein illustratives Beispiel: Unter die normale Patientenpolulation (a) mischt sich eine Anzahl von Diabetes-Kranken (b), was in der Risikokalkulation anfänglich nicht berücksichtigt wurde. Die Gewinn- und Verlustrechnung der ersten Runde wird dadurch negativ. Doch der Versicherer wird aus Schaden klug. Er teilt die Risiken, erhöht die Prämie der Gruppe (b) und lässt die der Gruppe (a) unverändert. Gleich zeitig lernen die Versicherten der Gruppe (b). Sie strengen sich an, ihr individuelles Risiko sichtbar zu reduzieren, z.B. indem sie das Rauchen absetzen oder weniger essen oder beim Konsum von Pharmazeutika von Markenprodukten auf Generika umsteigen, und so ihr persönliches Risiko dem Durchschnittsrisiko annähern und dadurch den Aufschlag auf ihre Prämie minimieren. All das ist für alle Beteiligten und damit auch für die Gesellschaft als ganze von Nutzen.
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Es gibt aber auch andere Auswege aus der adversen Selektion. Angenommen ein Mensch ist in überdurchschnittlichem Ausmaß krankheitsanfällig. Leider kann sich dies für ihn auch in einer kürzeren Lebenserwartung ausdrücken. Wäre es da nicht unbillig, ihm für die Rentenversicherung die gleichen Prämien zu verlangen wie einem gesunden Menschen? Wäre es nicht sowohl fair wie ökonomisch vernünftig, sein Krankheits- und sein Sterberisiko zu poolen, d.h. seine Krankenversicherung mit seiner Rentenversicherung zusammenzulegen und ihm so einen Vertrag mit einer insgesamt risikogerechten Prämie anzubieten? Effizienz und Gerechtigkeit können durchaus Hand-in-Hand gehen. Auch das moralische Risiko lässt sich durch risikogerechte Prämien eindämmen. Beispielsweise betreiben private Krankenversicherer Produktdifferenzierung. So erhalten die Versicherten Anreize, ihren Versicherungsvertrag auf die Risiken zu beschränken, die für sie besonders wichtig sind und – verbunden mit einem Bonus system – in diesen Bereichen vorsichtig zu disponieren. Eine andere Erscheinungsform des moralischen Risikos ist die angebotsindu zierte Nachfrage der Ärzte. Diese Gefahr lässt sich durch risikogerechte Prämien weitgehend beheben. Zum einen haben die Patienten von sich aus einen Anreiz, sich über alternative Therapien und ihre vergleichsweisen Kosten zu informieren, weil sie so ihre Prämien senken können. Zum anderen haben die Ärzte Anreize, sich eine Reputation für effiziente Preis-Leistungspakete aufzubauen. Anders als im jetzigen System kommt es für sie nicht mehr nur auf die Menge der Behandlungen, sondern auf die kostengünstige Heilung an, um sich so einen kostenbewussten Pa tientenstamm zu erhalten. An einem effizienten Preis-Leistungsverhältnis sind bei risikogerechten Prämien auch die Krankenkassen interessiert. Sie bieten Health Maintenance Organizations (HMO) an, durch die sie ihren Versicherten Managed Care anbieten. Diesen Orga nisationen gehören Ärzte und Krankenhäuser an, die eine qualitativ einwandfreie, kostengünstige Behandlung garantieren und damit Risiko und Kosten der Kranken versicherung reduzieren (Henke et al., 2003). Zu Unrecht wird eingewendet, Mana ged Care lohne sich nur für gute Risiken. Auch als schlechte Risiken könnten Ver sicherte von solchen Verträgen profitieren und ihre Prämienlast reduzieren, wenn es ihnen erlaubt wird, risikogerechte Verträge abzuschließen (dazu sogleich mehr). Zusammengefasst lässt sich festhalten: Für die Versicherungsfähigkeit eines Kun den ist es im Falle risikogerechter Prämien irrelevant, ob er ein hohes oder niedriges Risiko darstellt. Das Versicherungsunternehmen ist an ihm interessiert. Anders als bei jedem anderen System haben Versicherungsunternehmen keinerlei Anreiz, Ri sikoselektion und Diskriminierung zu betreiben. Moralisches Risiko und adverse Selektion werden tendenziell behoben. All die Nachteile von Einheitstarifen entfal len. Umgekehrt haben Versicherer und Versicherte nur bei risikogerechten Verträ gen einen Anreiz, nach neuen innovativen Vertragsformen zu suchen und dadurch Kosten einzusparen. 2.1.3.2 Wettbewerbliche Rahmenbedingungen risikogerechter Prämien Erstens gehört zu risikogerechten Prämien eine Versicherungspflicht für jeder mann. Dadurch wird vermieden, dass sich Individuen sorglos in Not bringen, weil
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sie damit rechnen später von der Sozialhilfe aufgefangen zu werden und dadurch ihr Risiko zu kollektivieren. Das moralische Risiko sich auf die Versorgung anderer zu verlassen wird vermieden. Zweitens ist eine Qualitätsregulierung erforderlich. Die meisten ärztlichen Dienstleistungen lassen sich in ihrer Qualität gut einschätzen. Bei ihnen funktio niert der Leistungswettbewerb. Andere sind typischerweise Vertrauensgüter. Ihre Qualität lässt sich häufig weder ex ante vor dem Kauf noch ex post aus der Erfah rung nach beurteilen. Denn auch ex post ist vielfach im Einzelfall nicht klar, warum sich ein Patient nach der Krankheit erholt oder auch nicht erholt hat. Das Gut ent steht typischerweise aus dem Zusammenwirken von Arzt und Patient. Wer wie viel beiträgt, lässt sich manchmal nur schwer ergründen. Als einzig sichtbares Merkmal bleiben die angewandten Heilmethoden (die Inputs). Daher ist staatlicherseits zu regulieren, was anerkannte Heilmethoden sind und was nicht. Drittens sind gefährliche Heilmittel zu verbieten, bzw. unter Rezept zu stellen, damit möglichst niemand aus Unkenntnis Schaden nimmt. Dagegen braucht die Wirksamkeit von Medikamenten nicht zwingend durch den Staat reguliert zu wer den. Dies besorgen darauf spezialisierte Unternehmen wie die Stiftung Warentest oder die Patienten selbst, die daran interessiert sind, Prämien zu sparen. Viertens sind alle Formen von Kartellen und sonstigen Preisabsprachen zu ver bieten. Weder Krankenkassenverbände noch kassenärztliche Vereinigungen dürfen Preise und Bedingungen als Kollektiv vereinbaren. Sonst kann der Wettbewerb sei ne kreativen Kräfte nicht entfalten. 2.1.3.3 Soziale Rahmenbedingungen Um soziale Härten zu vermeiden, soll festgelegt werden, dass Versicherte nicht mehr als beispielsweise 15 Prozent ihres Einkommens (etwa in der Höhe des derzeitigen Beitragssatzes in der GKV) für die Krankenversicherung aufzubringen haben. Da mit soll auch für den Chronisch-Kranken die Versicherung erschwinglich bleiben. Der Beitrag steigt also für Niedrigeinkommensbezieher mit steigendem Einkommen langsam an, bis die risikogerechte Prämie erreicht ist. Damit bleiben Anreize zur Kostensenkung bestehen. Auch bei subventionierten Prämien ist es vorteilhaft, mit dem Versicherer kostensenkende Vereinbarungen zu treffen, die dann nicht sofort, sondern in größeren zeitlichen Abständen an den Beitragssatz angerechnet werden (so genannte „regulatorische Verzögerung“) und der Versicherte zwischenzeitlich aus Einsparmaßnahmen profitieren kann. Wichtig ist nur, dass der Beitragssatz nie gänzlich und dauerhaft auf Null zurückgeht. Die Lücke zwischen der tatsächlichen und der risikogerechten Prämie wird durch Steuermittel gedeckt, zu denen alle Bürgerinnen und Bürger (und nicht etwa nur einzelne Versicherte) beitragen. Die Krankenversicherung verliert dadurch ihren derzeitigen Umverteilungsmechanis mus, der aber durch das Steuersystem kompensiert werden kann. Allerdings müssen nicht alle Vertragsformen subventioniert werden. Ein Einzelzimmer mit Chefarzt behandlung bedarf keiner Subvention. Nicht explizit erwähnt ist in diesem Ansatz die Kapitaldeckung. Derzeit wird eine Kapitaldeckung nur von den privaten nicht aber von den gesetzlichen Krankenver
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sicherungen betrieben. Sie setzten stattdessen auf das Umlageverfahren, sodass die Prämien der gesetzlichen Krankenkasse also das oben erwähnte Risiko (a), d.h. das Erkrankungsrisiko bei gegebenem durchschnittlichem Erkrankungsrisiko wi derspiegeln, nicht aber das Altersrisiko (b) das individuell vom durchschnittlichen Erkrankungsrisiko abweicht. Diesem Problem kann durch Ansparen und Kapital deckung Rechnung getragen werden, sodass zukünftige Generationen nicht über mäßig belastet werden (vgl. II.1.2) und die jetzige Generation schon heute für die steigenden Ausgaben im Alter Rücklagen bildet. Sie bringt aber die Schwierigkeit mit sich, dass Versicherte an ihre Gesellschaft gebunden sind, weil der gebildete Ka pitalstock bei Versicherungswechsel nur schwer auf die neue Versicherung über tragen werden kann. Wird Kapitaldeckung abgelehnt, so ist hinzunehmen, dass die Prämien mit höherem Alter wegen des höheren Risikos (b) stark zunehmen und zu künftige Generationen über den beschriebenen Umverteilungsmechanismus hohe Belastungen in Kauf nehmen müssen. Wird Kapitaldeckung gefordert, so müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die einen Wechsel von einer Versicherung zu einer anderen unter Mitnahme des bereits gebildeten Kapitalstocks erlaubt, um Wettbewerb zwischen den Versicherungen sicherzustellen. Dabei darf sowohl die Kasse, von der er wechselt, als auch der Wechsler selbst nicht benachteiligt werden, da sonst adverse Selektion, auftreten wird. Folglich könn te zu jedem Zeitpunkt Wettbewerb um die Versicherten entfacht werden und sich dadurch die Effizienz im Gesundheitswesen erhöhen. Ist eine Mitnahme der Alters rückstellungen nicht möglich, wäre der Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt auf Neuverträge oder ein sehr kurze Zeit nach einem Neuabschluss beschränkt und die Versicherten wären systematisch benachteiligt, da sie bei möglicherweise stei genden Prämien oder sinkendem Leistungsumfang keine Möglichkeit hätten in ein alternatives Versicherungsverhältnis zu wechseln. Ein grundsätzliches Problem bei Altersrückstellungen ist jedoch die Bestimmung des zu erwartenden technischen Fortschritts, der die zukünftigen Kosten der Ver sorgung maßgeblich bestimmt (Breuer und Zweifel, 2002) und damit die Höhe der Altersrückstellungen. Im Vergleich zu beispielsweise Rentenverträgen, bei denen bestimmte Auszahlungen zu festgelegten Terminen vereinbart werden, werden bei Krankenversicherungsverträgen zukünftige Leistungen zugesagt, die jedoch in ihrer Kostenintensität heute sehr schwer zu prognostizieren sind. Diese Ungewissheit ist jedoch für alle Versicherungen gegeben, sodass zwischen den verschiedenen Ver sicherungen keine negative Auslese aus diesem Grund zu erwarten ist. Bei gegebe nem Niveau einer Gesundheitsversorgung hingegen folgen die Gesundheitsausga ben einem typischen Lebenszeitprofil, sodass sie auch zuverlässig vorhersagbar sind (Donges et al., 2002). Grundsätzlich muss eine Krankenversicherung Altersrückstellungen bilden, wenn sie die Prämie über den Versicherungszeitraum konstant halten will. Da das Krankheitsrisiko mit dem Alter steigt, wird ein durchschnittlicher Versicherter so mit in jungen Jahren ein Finanzpolster aufbauen, welches er im Alter wieder abträgt. Somit wird die Finanzierung des Konsums an Gesundheitsgütern über die Zeit ge glättet. Da jedoch Versicherte unterschiedlich hohe Kosten über ihren Lebenszyklus verursachen, werden einerseits für einen Versicherten relativ zu seinen individuellen
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Prämien niedrige Auszahlungen getätigt (gutes Risiko) und andererseits von einem Versicherten mit relativ zu seiner individuellen Prämie hohen Auszahlungen getä tigt (schlechtes Risiko). Diese hängen maßgeblich von der Krankheitsanfälligkeit (Morbiditätsrisiko) der Versicherten ab. Der Umverteilungsmechanismus innerhalb einer Krankenkasse spiegelt gerade den Versicherungscharakter einer Versicherung wieder, da bei Vertragsabschluss sowohl die Versicherung als auch der Versicherte nicht genau wissen welchem Risiko ein Versicherter zuzuordnen ist. Über den Zeit ablauf wird jedoch erst ersichtlich, ob er eher zu den guten oder zu den schlechten Risiken zu zählen ist. Mit den zusätzlichen Informationen verändert sich auch die Wettbewerbssitua tion für die Krankenkassen. Wenn es ihnen möglich ist, werden sie versuchen bei gegebenen Prämien die schlechten Risiken abzugeben und die guten Risiken an zuziehen, um so ihre Ausgaben zu minimieren. Da diese Anreize alle Versicherer teilen werden sie versuchen möglichst viele Informationen zu den wechselwilligen Patienten zu erhalten, um das jeweilige Morbiditätsrisiko besser einschätzen zu kön nen. Somit wird eine adverse Selektion der Versicherten verhindert, da für einen Wechsel immer zwei Versicherungen zustimmen müssen, wenn Rückstellungen transferiert werden sollen. Keine Versicherung wird sich freiwillig bereiterklären ein schlechtes Risiko aufzunehmen, wenn sie dafür nicht kompensiert wird. Es ist jedoch vorstellbar, dass sich einzelne Versicherungen auf bestimmte Patientengrup pen spezialisieren, weil sie beispielsweise besondere integrierte Versorgungsverträge mit Leistungserbringern abgeschlossen haben, die es Ihnen ermöglichen zu günsti gen Konditionen verbesserte Leistungen anbieten zu können. Der Versicherte wird an einem Wechsel interessiert sein, wenn entweder seine Prämienzahlungen redu ziert werden oder er in den Genuss eines höheren Leistungsumfangs kommen kann. Es ist ebenso denkbar, dass sich die Präferenzen für das Leistungsspektrum über die Zeit ändern, sodass er ein größeres oder kleineres Leistungspaket nachfragen wird. Bei vollkommenen Informationen werden die Versicherungen untereinander ein Paket aushandeln, welches für den jeweiligen Versicherten die Höhe der zu trans ferierenden Rückstellung enthält. Die Altersrückstellung muss individuell an den Risiken des jeweiligen Patienten ausgerichtet sein, da bei durchschnittlichen Rück stellungen, beispielsweise für eine Altersgruppe, wiederum Anreize für die Versi cherten mit unterdurchschnittlicher Morbidität bestehen, einer anderen Versiche rung ihr gutes Risiko zu signalisieren und damit eine geringere Prämie zu erhalten. Eine negative Auslese wäre die Folge. Der Versicherer zahlt aus seinem Risikopool folglich eine Prämie i.H. des Barwertes der zu erwartenden Kosten in Abhängigkeit von der Morbidität abzüglich des zu erwartenden Barwertes der Prämien eines Ver sicherten in die individuelle Rückstellung ein, sodass dieser mit Versicherten ohne diese Morbidität gleichgestellt wird (Cochrane, 1995). Die Versicherungen haben folglich keinen Verlust aus der Kontrahierung eines schlechten Risikos, da sie von der Vorgängerversicherung für das zusätzliche Risiko kompensiert werden. Vor al lem für chronisch Kranke ist eine solche Regelung unvermeidbar, da sie relativ hohe Kosten im Lebensverlauf generieren und ohne eine solche Maßnahme keinen Versi cherungswechsel vollziehen könnten. Die abgebende Versicherung wird versuchen die abzugebende Rückstellung möglichst gering zu halten, da dies ihren Gewinn
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maximiert. Sie wird jedoch einem Wechsel zustimmen, wenn die erwarteten Aus gaben für den Versicherten die Summe der zukünftigen Prämien und die bereits angesparte Altersrückstellung übersteigen. Tabelle 5 gibt ein vereinfachtes schematisches Beispiel über die bilanziellen Fol gen des Transfers eines Versicherten von einer Versicherung A zur anderen Ver sicherung B unter der Annahme, dass Kasse B den Versicherten zu günstigeren Konditionen versorgen kann. Betrachtet man alleinig die Versicherung A, so wird ersichtlich, dass der Versicherte I durch den Versicherten II subventioniert wird, da die zu erwartenden Ausgaben von Versichertem I 50.000 Euro über den zu erwar tenden Einnahmen liegen und vice versa. Hierin werden der beschriebene Versi cherungseffekt und die interne Umverteilung ersichtlich. Gute Risiken werden die schlechten Risiken unterstützen, weil bei Vertragsabschluss die Zugehörigkeit zur jeweiligen Risikogruppe nicht klar war. Im Mittel wird die Umverteilung innerhalb der Kasse ausgeglichen sein und die Ausgaben den Einnahmen gegenüberstehen, da die Versicherung anderenfalls nicht überlebensfähig ist. Tritt nun eine Versicherung B hinzu, so können beide Versicherungen von einem Wechsel profitieren. Betrachtet man zuerst Versicherten I in Tabelle 5. Tabelle 5: Beispiel der Bilanzveränderungen eines Versichertenwechsels für die Versicherungs unternehmen (Quelle: Eigene Darstellung) Versicherter I – Schlechtes Risiko: Versicherung A Aktiv
Passiv
Erwarteter Barwert der Prämien: 150.000 €
Rückstellungen (erwarteter Barwert der Ausgaben): 200.000 € Verlust: -50.000 €
Versicherung B Aktiv
Passiv
Erwarteter Barwert der Prämien: 150.000 €
Rückstellungen (erwarteter Barwert der Ausgaben): 180.000 € Gewinn: 20.000 €
Kassenbestand: 50.000 €
Versicherter II – Gutes Risiko: Versicherung A Aktiv
Erwarteter Barwert der Prämien: 150.000 €
Passiv
Rückstellungen (erwarteter Barwert der Ausgaben): 100.000 € Gewinn: +50.000 €
Versicherung B Aktiv
Erwarteter Barwert der Prämien: 150.000 € Verbindlichkeiten: -50.000 €
Passiv
Rückstellungen (erwarteter Barwert der Ausgaben): 80.000 € Gewinn: +20.000 €
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Der Versicherte mit einem schlechten Risiko generiert einen zu erwartenden Verlust i.H.v. 50.000 Euro in der Versicherung A. Würde er zu Versicherung B wechseln, die ihn besser betreuen könnte, so würde er jedoch nur einen Verlust von 30.000 Euro erzeugen (Differenz aus erwartetem Barwert der Prämien und Ausgaben). Die Ersparnis der Versicherung B ist folglich 20.000. Versicherung B würde jedoch bei Nichtmitnahme der Rückstellungen den Versicherten nicht übernehmen, da sie ei nen Verlust von 30.000 Euro ausweisen müsste. Damit ein Wechsel stattfindet kann, wird nun Versicherung A der Versicherung B eine Zahlung anbieten mit der sie die Aufnahme des schlechten Risikos subventioniert. Diese individuelle Rückstellung, die dem Versicherten bei einem Wechsel mitgegeben werden müsste, wäre somit mindestens 30.000 Euro (Verlust von Versicherung B) und maximal 50.000 Euro hoch (Verlust von Versicherung A). In diesem Band würden sich die Verhandlungen der Versicherungen abspielen. Damit der Versicherte selbst einen Wechselanreiz hat, müsste ein Teil des Effizienzgewinns auch an ihn fließen. Beispielsweise würde er zukünftig weniger Prämien zu zahlen haben, sodass der Barwert seiner Prämien von 150.000 Euro auf beispielsweise 145.000 Euro fällt. Der Verhandlungsspielraum für die Versicherungen würde sich somit auf 35.000 bis 50.000 Euro an zu trans ferierenden Rückstellungen verringern. Analog würde ein Wechsel für einen Ver sicherten II mit gutem Risiko funktionieren. Die abgebende Kasse müsste jedoch für den Weggang kompensiert werden, da sie durch das Versicherungsverhältnis einen Gewinn von 50.000 Euro realisieren würde. Da annahmegemäß auch dieser Versicherte II von Versicherung B kostengünstiger versorgt werden kann, wird die individuelle Rückstellung, die der abgebenden Versicherung übergeben wird, zwi schen 50.000 (Gewinn von Versicherung A) und 70.000 Euro (Gewinn von Ver sicherung B) liegen. Sowohl für schlechte Risiken, als auch für gute Risiken besteht wie gezeigt ein Anreiz für die Krankenversicherungen einem Wechsel zuzustimmen. Auch der Ver sicherte wird durch die Verhandlungen gewinnen, da er an den Effizienzgewinnen beteiligt werden kann. Somit ist ein Wechsel eine Pareto-Verbesserung für alle Be teiligten. Damit dieser beschriebene Wechselmechanismus funktioniert, darf die abgeben de Versicherung jedoch keinen Informationsvorsprung gegenüber der aufnehmen den Versicherung realisieren können, da sonst das Problem der adversen Selektion auftritt. Um dies zu umgehen kann jedoch, durch ausdrückliche Zustimmung des Patienten, Einsicht in die Versicherungsunterlagen und die Krankenakten genom men werden, sodass die potentiell aufnehmende Versicherung ihre Kosten kalkulie ren und ihr Prämien-Leistungspakte anbieten kann. Eine vollumfängliche Informa tionspflicht kann vertraglich zwischen den Versicherungen einerseits und zwischen der neuen Versicherung und dem Versicherungsnehmer andererseits vereinbart werden, sodass bei nicht wahrheitsgemäßen Angaben Regressforderungen der auf nehmenden Versicherung fällig würden. Der Versicherte hat dabei Anreize sich als gutes Risiko darzustellen, um so die eigene Prämienzahlung zu senken. Dies wird von den Versicherungen antizipiert, sodass sie sich vertraglich einigen werden über den bekannten Status des Versicherten Auskunft zu geben.
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I. Ökonomische Analyse
Schließlich ist noch die initiale Aufnahme in die Versicherung zu klären. Wie schon oben erwähnt muss die Krankenversicherung verpflichtend für jedermann sein, damit die moralischen Risiken sich auf die Hilfe anderer zu verlassen, einge schränkt werden. Der Einstieg könnte direkt nach der Geburt über einen Kontra hierungszwang des Kindes in der Versicherung der Mutter oder des Vaters vollzo gen werden. Da das Krankheitsrisiko, bis auf wenige Ausnahmen, direkt nach der Geburt für viele Kinder ähnlich hoch ist und sich hohe Risiken nicht sofort iden tifizieren lassen, werden sich die Einstiegsprämien für die Kinder nicht sonderlich unterscheiden. Erst im Verlauf des Lebens kristallisieren sich die unterschiedlichen Risiken heraus und der oben genannte Mechanismus ermöglicht einen Wechsel zu einer Versicherung, die das beste Bündel für die jeweiligen Präferenzen anbietet. Der Wettbewerb um die Versicherten würde somit zu einem stetigen Innova tionsbedarf der Versicherungen führen, da sie sonst befürchten müssten ihre Ver sicherten, ob gute oder schlechte Risiken, zu verlieren. Auch der Versicherungs umfang zwischen den Versicherungen könnte variieren und vom Versicherten selbst bestimmt werden. Für die private Krankenversicherung wurden Konzepte zur Übertragbarkeit von Altersrückstellungen schon mehrfach diskutiert. Meyer (2004) schlägt eine gesetzlich manifestierte Übertragbarkeit der Altersrückstellungen auf den neuen Versicherungsnehmer vor und begründet dies mit einem Marktversagen auf dem Versicherungsmarkt, da der erste Versicherer, der eine Übertragbarkeit der Alters rückstellungen erlaubt, Opfer adverser Selektion werden würde und gute Risiken abgeben würde. Um dies zu umgehen sieht Meyer (2004) den Gesetzgeber in der Pflicht die Übertragbarkeit gesetzlich festzuschreiben und damit allen Versicherun gen die gleichen Übertragungspflichten aufzuerlegen. Diesem ist grundsätzlich zu zustimmen, wobei jedoch noch ein Schritt weiter gegangen werden kann, da, wie oben gezeigt, die Versicherungsunternehmen bereits Anreize auf bilateraler Ebene haben einem Wechsel zuzustimmen. Es müssen allerdings Rahmenbedingungen geschaffen werden, die einen effizienten Informationsaustausch erlauben, sodass die asymmetrische Informationsverteilung zwischen der aufnehmenden und der abgebenden Versicherung überwunden werden kann, die anderenfalls zu Risiko selektion führen würde. 2.1.4 Kursorischer Überblick weiterer Reformvorschläge Ein Verknüpfung der Leistung mit der Versicherungsprämie führt im Allgemeinen zu einem stärkeren Kostenbewusstsein der Versicherten (Henke et al., 2004) und kann so den Kostendruck des Gesundheitssystems per se reduzieren. Nicht alle Vorschläge setzten an diesem Punkt an. Eine Eigenbeteiligung der Versicherten an den Leistungskosten wird in der politischen Diskussion häufig verworfen, obgleich durch die Einführung der Praxisgebühr erste Schritte in dieser Richtung unternom men wurden. Ebenso wurden die Medikamentenzuzahlungen in den letzten Jahren erhöht. Auch Wahltarife wurden durch die letzte Gesundheitsreform eingeführt, die sich jedoch in einem sehr begrenzten Spektrum bewegen.
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Tabelle 6: Übersicht weiterer Vorschläge zur Finanzierung des Gesundheitswesens Modell Vereinte Krankenversicherung Deutsche Krankenversicherung Cassel/Oberdieck Knappe/Arnold Zweifel/Breuer Bürgerversicherung Kronberger Kreis
Finanzierung Allgemeine Kopfpauschale ohne Risikoprüfung und mit sozialer Abfederung Einheitliche, altersabhängige Prämie mit sozialer Abfederung Einkommensabhängige Beiträge ohne Risikoprüfung Für alle Altersgruppen identische umlagefinanzierte Prämien Risikoäquivalente Prämien mit Steuerzuschüssen für Bedürftige Einkommensabhängige Beiträge aller Bürger Risikoorientierte Prämien mit staatlichem Zuschusssystem
In der wissenschaftlichen Diskussion (Tabelle 6) findet das Konzept risikoorien tierter Prämien in verschiedenen Abwandlungen vermehrt Anhänger, da es einen Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt initiiert, der sich zwangsläufig auch auf den Versorgungsmarkt ausweitet. Diese dynamische Wettbewerbskomponente wird häufig übersehen, sodass Modelle, die auf nicht wettbewerbliche Versicherungs märkte setzten, auch auf der Versorgungsseite schwerlich Effizienz erreichen kön nen.
2.2 Wettbewerb und Versorgung mit Gesundheitsleistungen Das deutsche Gesundheitswesen umfasst jedoch weit mehr, als in der Diskussion zur nachhaltigen Versorgung von Versicherten häufig diskutiert wird. Neben den Leistungen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung sich auch weitere Angebote zugänglich, die kürzlich stetige Zuwachsraten verzeichneten. Tabelle 7 gibt einen schematischen Überblick über die Institutionen des deutschen Gesund heitswesens. Die Anbieter sind meist nicht auf den deutschen Markt beschränkt, sondern bieten Leistungen auch im Ausland an und tragen somit zur Diversifizie rung des Systems bei. Beispielsweise erwirtschaften deutsche Pharma- und Medi zintechnikproduzenten einen Großteil ihrer Umsätze im Ausland.
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I. Ökonomische Analyse
Tabelle 7: Institutionen des Gesundheitswesens im Überblick Quelle: Eigene Darstellung, McKinsey (2008) Leistungserbringer
Kostenträger
Pharmakonzerne
Medizintechnik produzenten
Allgemeine Gesundheits leistungen (medizinisch indiziert)
Gesetzliche und private Kranken häuser Ärzte Apotheken
Gesetzliche Kranken versicherung Private Kran kenversiche rung
Forschende Pharma unternehmen Generika hersteller
Hersteller medizi nischer Geräte
Pflege
Häusliche Pflege Pflegeheime
Pflegeversiche rung
Zusätzliche Gesundheits leistungen (nicht medizi nisch indiziert)
Spezialkliniken (z. B. kosmetische Chirurgie)
Spezialversi cherung
Hersteller von Medikamenten für kosmetische Chirurgie, Well ness, etc.
160
9
12
6
4200
200
100
90
Wertschöpfung in Mrd. Euro (2006) Beschäftigte in Tsd. (2006)
Hersteller von Pflegehilfsmitteln Hersteller von Instrumenten für kosmetische Chirurgie, Well ness, etc.
Die meisten Produzenten von Gesundheitsleistungen stehen somit im internationa len Wettbewerb und müssen sich gegenüber ihren globalen Konkurrenten behaup ten. Die Branchen der Pharmakonzerne und Medizintechnikproduzenten wurden kürzlich konsolidiert, sodass man auf dem hart umkämpften Weltmarkt die Wettbe werbsfähigkeit nicht verliert. Dagegen stehen die Krankenhäuser vermeintlich nicht im globalen Wettbewerb, da Patienten wohnortnahe Behandlungen vorziehen. Dies ist jedoch nur teilweise richtig, da Spezialkliniken durchaus auf einen regen Patien tentourismus treffen. Der dabei entfachte Wettbewerb wird häufig über Qualitäts niveaus ausgefochten. Es ist daher angezeigt die wettbewerblichen Elemente der Gesundheitsversorgung näher zu analysieren und die Rolle der Patienten, die einen gesteigerten Wert auf qualitativ hochwerte Gesundheitsleistungen legen, dabei zu berücksichtigen. International sind Gesundheitssysteme sehr unterschiedlich organisiert (Döring, Dudenhöffer und Herdt, 2005). In der EU15 können die Gesundheitssysteme grob in zwei Kategorien unterteil werden. Großbritannien, Irland, Dänemark, Schwe den, Finnland, Portugal finanzieren ihre Systeme vornehmlich aus Steuermitteln. Griechenland, Italien und Spanien finanzieren ihr Gesundheitssystem zu nahezu gleichen Teilen aus Steuermitteln und Sozialbeiträgen, während Deutschland, Bel gien, Luxemburg, Frankreich, Niederlande überwiegend auf Sozialbeiträge setzten. Private Versicherungen können in manchen Ländern alternativ zur öffentlichen Versorgung abgeschlossen werden, während sie in anderen Ländern Substitute für die öffentliche Versorgung darstellen. Wettbewerb wird in den meisten Ländern folglich nur eingeschränkt auf der Versicherungsseite erlaubt. Auf der Versorgungs seite ist Wettbewerb jedoch zu beobachten. Patienten können somit in manchen Ländern nur sehr eingeschränkt über ihre Gesundheitsversorgung entscheiden.
2 Zukunft und Reformierbarkeit des deutschen Gesundheitswesens
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Staatsversagen in der Versorgung und damit einhergehender Unterversorgung sind sie scheinbar ausgeliefert. 2.2.1 Effiziente Versorgung durch Wettbewerb Der effiziente Einsatz von Ressourcen ist Grundvoraussetzung einer kostengünsti gen, allgemeinzugänglichen und qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung. Die Frage, die sich nun stellt ist, welche Organisationsform des Gesundheitswesens Angebot und Nachfrage von Input- und Outputfaktoren am besten zusammenführt und dabei innovative Technologien hervorbringt. Ökonomen bewerten nahezu einhellig Wettbewerb als positiv. In der Tradition von Adam Smith (1776) und Joseph Schumpeter (1912) wird die Innovationsfähig keit und der Prozess der schöpferischen Zerstörung wettbewerblicher Systeme ge schätzt. Die „unsichtbare Hand“ des Marktes wird dabei eine tragende Rolle zuge schrieben, da dezentrale Informationen bestmöglich verarbeitet werden können. In der mikroökonomischen Analyse zeigt beispielsweise das erste Theorem der Wohl fahrtsökonomik, dass in einer Ökonomie mit rein privaten Gütern und einer per fekten Eigentumsordnung jedes Marktgleichgewicht bei vollkommener Konkurrenz ein Pareto-Optimum darstellt. D.h. eine Allokation darstellt, in der kein Marktteil nehmer bessergestellt werden kann, ohne dass ein anderer schlechter gestellt wird und ein Gut sowohl optimal produziert, als auch konsumiert werden kann. Dieses von Léon Walras und später von Kenneth Arrow und Gérard Debreu (1954) erst mals mathematisch nachgewiesene Theorem zeigt die effiziente Allokation auf Wett bewerbsmärkten. Es geht bereits auf Ausführungen von Adam Smith (1776) zurück und beschreibt die Vorteilhaftigkeit von Märkten im Vergleich zu alternativen Be reitstellungsformen. Die etablierten Anbieter werden am Markt ständig von neuen Produkten und Konzepten herausgefordert und müssen sich diesen anpassen, oder verschwinden in Folge eines Verdrängungswettbewerbs. Unternehmer setzten somit einen endogenen Wandel in Gang, um die Effizienz langfristig zu erhöhen. Einer Innovation folgt die Imitation, die zu einem neuen Gleichgewicht führt (Schum peter, 1912). Hierbei trägt vollständiger Wettbewerb zur effizienten Preissetzung bei. Der Preis entspricht dabei den Grenzkosten, sodass keine Wohlfahrtsverluste zu erwarten sind. Die Marktkräfte führen zur simultanen Bestimmung der Preise und Mengen im Gleichgewicht, bei denen die Kaufbereitschaft der Konsumenten der Verkaufsbereitschaft der Produzenten entspricht. Hierbei werden Verteilungsfragen nicht betrachtet, da die Konsumenten- und die Produzentenrenten maximiert wer den und folglich die Wohlfahrt ihren höchsten Punkt erreicht. Hierfür sind einige Annahmen zu erfüllen.18 Vor allem dürfen sich die Anbieter in ihren Preisen nicht absprechen, oder eine marktbeherrschende Stellung einnehmen (Marktmacht) und der Zugang, sowie der Austritt aus dem Markt darf nicht beschränkt sein, da sonst Marktversagen eintreten würde. Diese restriktiven Annahmen des Modells des 18
Annahmen im Modell des perfekten Wettbewerbs: unendlich viele Anbieter und Nachfra ger (Preisnehmer), homogene Güter, keine Absprachen, perfekte Informationen, vollkomme Konkurrenz etc.
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Preiswettbewerbs sind in der Realität selten gegeben. Die Produkte der Anbieter variieren häufig, Informationen sind ungleich verteilt (Informationsasymmetrien) und die Menge der Anbieter und Nachfrager ist begrenzt, sodass die Voraussetzung der vollkommenen Konkurrenz verletzt sei. Somit werden weitere Wettbewerbs spielräume, wie beispielsweise der Qualitätswettbewerb ermöglicht, der auf einem Markt mit differenzierten Produkten Alleinstellungsmerkmale ermöglicht die dem Unternehmen zusätzliche Ertragschancen eröffnen. Sommer (1999) fasst zusammen, dass Wettbewerb im Bezug auf das Gesund heitssystem dazu führt, dass: • zu den geringsten Kosten mit einem minimalen Einsatz an Ressourcen pro duziert wird, • die Konsumentensouveränität gewährleistet ist, wobei die Präferenzen der Pa tienten berücksichtigt werden, • die Gewinne der Produzenten begrenzt sind • und die Chancen des technischen Fortschritts konsequent wahrgenommen werden. Gesamtwirtschaftlich ist folglich sicherzustellen, dass auf den Märkten Wettbewerb herrscht. Dabei sollte jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Unternehmen am Markt Gewinne erwirtschaften, da dies als Preissignal für weitere Anbieter ver standen werden wird ebenfalls in diesem Markt zu investieren. Wichtig ist somit den Zugangsbeschränkungen für den Markt zu reduzieren und Möglichkeiten für einen schnellen und kostengünstigen Marktzutritt zu schaffen. Ferner muss die un ternehmerische Tätigkeit gewährleistet sein (Gewerbefreiheit), die freie Wahl der Geschäftspartner (Vertragsfreiheit) sowie die Eigentumsrechte gesichert sein. Kotlikoff (1995) hat für die sozialen Sicherungssysteme die Vorteilhaftigkeit von Wettbewerb aufgezeigt. Er untersuchte im theoretischen Auerbach-Kotlikoff-Modell die makroökonomischen Effizienzgewinne für mehrere Generationen und kommt zu dem Ergebnis, dass der Übergang in einen wettbewerblichen Markt sowohl der heutigen, aber vor allem der nächsten Generation zuträglich ist. Somit gelten für die sozialen Sicherungssysteme die gleichen Voraussetzungen wie auf anderen Märkten auch, in denen Wettbewerb zur Effizienzsteigerung beiträgt. Die stringente Einführung von Wettbewerb im deutschen Gesundheitswesen würde somit den Patienten nützen, da sich die Versorgung verbessert und gleich zeitig die Kosten sinken, aber auch die öffentlichen Haushalte würden profitieren. Für die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs ist allerdings in manchen Fällen die Rechtsprechung gefragt, die bei Marktversagen mit Wettbewerbs- und Kartellrecht schlagkräftige Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung der wettbewerblichen Ordnung zur Verfügung stehen. Hierdurch können marktbeherrschende Stellungen, wie Monopole oder Oligopole, verhindert werden. Es gibt jedoch auch Stimmen, die den Marktmechanismus in Gesundheitswesen grundsätzlich anzweifeln, da Markt versagen in diesem besonderen Markt evident wäre und folglich der Staat in Eigen regie eine adäquate medizinische Versorgung der Bevölkerung organisieren müsste.
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2.2.2 Marktversagen und Ineffizienz durch Monopolbildung Die Gegner des marktlichen Ansatzes verweisen auf die Eigenarten des Gesund heitsmarktes, die keinen freien Markt und Wettbewerb erlauben würden. Es wird ex ante Marktversagen19 angenommen. Dies ist in mancher Hinsicht klar ersichtlich: Falls beispielsweise der Patient be wusstlos, oder geisteskrank ist, kann er nicht mehr souverän über seine Versorgung entscheiden (Sommer, 1999). Es bedarf eines Sachwalters, der die Entscheidung übernimmt und im besten Wissen und Gewissen des Patienten entscheidet. Meist werden Entscheidungen von einem Arzt oder von Angehörigen übernommen, die im Sinne des Patienten die Behandlungsoptionen bewerten, aber auch Krankenversi cherungen, oder Managed Care Organisationen können diese Aufgabe übernehmen. Ferner sind Patienten mit lebensbedrohlichen Krankheiten wahrscheinlich bereit einen sehr hohen Teil ihres Vermögens zu zahlen, um Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Bei dringlichen Entscheidungen besteht somit auch bei hoher Transpa renz des Versorgungsmarktes keine Möglichkeit der Wahl. Mit eingeschränkter Wahl wäre aber eine Grundannahme des Marktes verletzt, sodass im Gesundheitsmarkt Wettbewerb allein nicht die erwünschte Funktion herbeiführen könne. Dieses Beispiel des Versagens bei Bewusstlosigkeit, oder lebensbedrohlichen Krankheiten, ist dem Versagen des Marktes für Versicherungsleistungen zuzuord nen. Die Preisfindung wäre nicht nach wettbewerblichen Rahmenbedingungen gewährleistet. Der Sachwalter, beispielsweise die jeweilige Krankenversicherung, wird jedoch in Absehbarkeit dieses Marktversagens schon ex ante die Preise für entsprechende Leistungen verhandeln. Beispielsweise kann die Bereitstellung von Notfallmedizin in bestimmten Regionen ausgeschrieben und an ein effizientes Un ternehmen vergeben werden, sodass die Notsituation der Patienten nicht ausgenutzt werden kann. Somit wird ein potentielles Marktversagen durch eine ex ante Ver handlungslösung umgangen und der Faktor Zeit relativiert das Markversagen. Der „comparative institutional approach“ setzt dabei auf die Entwicklung innovativer Institutionen über die Zeit, die es dem Markt ermöglichen auch ohne Staatseingriff eine effiziente Bereitstellung herbeizuführen (Toepffer, 1997). Diese Dynamisierung der neoklassischen Gleichgewichtstheorie stellt die Reaktions- und Anpassungs fähigkeit des Versorgungssystems an sich ändernde Rahmenbedingungen in den Vordergrund und betont die Realisierung der Innovationspotentiale in einer markt lichen Ordnung im Schumpeterschen Sinne. Bei nicht lebensbedrohlichen Krankheiten ist dieses Versagen jedoch auszu schließen, da die Patienten als mündige Bürger die Wahl zwischen den Anbietern treffen und somit die Nachfrage entsprechend steuern können. Kritiker wenden hierbei jedoch ein, dass keine vollkommene Markttransparenz vorliegt, die es den Patienten ermöglichen würde unabhängige Informationen zu sammeln und darauf basierende rationale Entscheidungen zu treffen. Im Gesundheitswesen werden vor allem Dienstleistungen erbracht, die nicht problemlos zu evaluieren seien (Sommer, Der Terminus „Marktversagen“ wird in der Literatur in vielfältigsten Formen genutzt, wobei häufig davon ausgegangen wird, dass der Marktprozess nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt (Toepffer, 1997).
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1999). Ein „Ausprobieren“ ist oft nicht möglich. An vielen Stellen wird die Trans parenz jedoch durch Informationssysteme erhöht, wie beispielsweise Bewertungs portale im Internet oder durch strukturierte Qualitätsberichte, welche die Kranken hausqualität abbilden sollen. Marktversagen findet in den bisher erwähnten Beispielen auf der Nachfrageseite statt. Gegner der marklichen Bereitstellung weisen jedoch ebenso auf ein Markt versagen auf der Angebotsseite, da es dort schwerlich zu effizientem Wettbewerb kommen könne. Kriterien, die für Marktversagen bei der Bereitstellung von Gesundheitsleistun gen sprechen und gegen die Annahmen des wohlfahrtsökonomischen Modells ver stoßen sind (Breyer, Zweifel und Kifmann, 2005): • Manche Gesundheitsgüter weisen den Charakter eines öffentlichen Gutes auf, • Manche werden mit zunehmenden Skalenerträgen produziert, • und der Konsum von Gesundheitsgütern ist gelegentlich mit externen Effek ten verbunden. Unter diesen Voraussetzungen würde eine wettbewerbliche Bereitstellung zu In effizienzen führen und der Staat müsse einspringen. Es ist jedoch zu differenzieren. Gesundheitsgüter werden häufig nicht in vorhersagbarer Weise nachgefragt. Wenn sie nachgefragt werden, dann meist mit höchster Dringlichkeit und in nicht absehbarer Menge, wie z.B. bei Verkehrsunfällen. Hierfür müssen die Versorgungs einrichtungen Kapazitäten vorhalten, für die sie bei Nichteintritt eines Schadener eignisses nicht kompensiert werden. Das Gut Gesundheitsleistung hat somit in be stimmtem Umfang den Charakter eines Optionsgutes. Der Nutzen des Gutes wird durch die bloße Verfügbarkeit gestiftet (Breyer, Zweifel und Kifmann, 2005), wofür die Leistungserbringer vergütet werden müssen. Bei öffentlichen Gütern20 wird nun stets die öffentliche Bereitstellung durch den Staat verlangt, doch sind im Falle des Optionsgutes Gesundheitsleistung auch private Arrangements denkbar. Kranken versicherungsgesellschaften können die Versorgungseinrichtungen für die Bereit haltung von Reservekapazitäten bezahlen und somit für ihre Kunden die Behand lungsoption bereitstellen. Nicht-Rivalität, als Merkmal eines öffentlichen Gutes, wäre für diese Option nicht gegeben, da ein Bett nur einmal vergeben werden kann. NichtAusschließbarkeit ist jedoch bei der Option schwerlich durchsetzbar, da im Notfall es der Hippokratische Eid und die Humanität gebietet einen Notleidenden aufzu nehmen, sodass er als „Freifahrer“ in den Genuss des Optionsgutes kommen kann, für das er vorher nicht geleistet hat. Aus diesem Grund wäre eine Bereitstellung von Staatswegen zu motivieren. Wie in Abschnitt II.2.1.3 dargelegt, würde aber ein Ver sicherungssysteme mit risikoorientieren Prämien ohnehin eine Versicherungspflicht für alle bedeuten, sodass der hier konstruierte Fall nur sehr selten eintreten dürfte. Die häufig angenommenen steigenden Skalenerträge21, die ein natürliches Mo nopol charakterisieren würden, sind bei Gesundheitsgütern nur schwerlich nachzu Öffentliche Güter verfügen über die Charakteristika „Nicht-Ausschließbarkeit“ und „NichtRivalität“ im Konsum (Blankart, 2008). 21 Steigende Skalenerträge ergeben sich, wenn mit steigender Produktionsmenge die Stück kosten sinken. 20
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vollziehen, da zwar in manchen Bereichen, wie beispielsweise der Labortechnik, die Kosten mit steigender Ausbringungsmenge sinken, aber dies nicht für alle Bereiche zutrifft. Kleine Krankenhäuser können beispielsweise ab einer kritischen Größe, die für die Nutzung von moderner Diagnostik notwendig ist, auch im Verbund wei tere Kostenersparnisse realisieren und gleichzeitig ein für Patienten angenehmeres Klima schaffen. Somit sind steigende Skalenerträge nicht ohne weiteres auf alle Be reiche des Gesundheitsmarktes anwendbar. Darüber hinaus sinkt auch mit einem steigenden Konzentrationsgrad der Versorgung die Möglichkeit durch alternative Konzepte Innovationen zu entwickeln, sodass kreative Erkenntnisse durch Versuch und Irrtum erschwert werden. Die externen Effekte werden ebenso häufig als Charakteristikum genannt, die eine wettbewerbliche Bereitstellung verhindern würden. Geht von der Gesundheits versorgung einer Person P ein Nutzen für eine andere Person A aus, so spricht man von externen Effekten. Der Marktmechanismus würde bei vollkommener Konkur renz dann nicht zu einer pareto-optimalen Lösung führen, da der zusätzliche Nut zen der Versorgung von P nicht berücksichtigt würde. Vielmehr würde P gerade soviel des Gutes Gesundheit nachfragen, bis der Nutzen der letzten konsumierten Einheit genau den Grenzkosten der Produktion entspricht (Breyer, Zweifel und Kif mann, 2005). Spiegelbildlich lassen sich externe Schäden definieren. Da der externe Effekt auf A unberücksichtigt bliebe würde eine Unterversorgung eintreten. Hierbei kann man zwischen physischen und psychischen externen Effek ten unterscheiden. Physische externe Effekte ergeben sich beispielsweise bei anste ckenden Krankheiten, die unbehandelt in einem direkten physischen Schaden von A resultieren würden. Der psychische externe Effekt führt zu einem Wohlbefinden des gesunden A durch Heilung des P, die aus humanitärer oder altruistischer Einstellung herrührt. Darüber hinaus haben beispielsweise auch Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an dem Wohlbefinden ihrer Arbeitnehmer und einer hochwertigen Ge sundheitsversorgung, da die Produktivität ihres Unternehmens nur in diesem Fall voll gewährleistet ist. Dieser kann aber auch direkt auf die Krankenversicherung seiner Arbeitnehmer Einfluss nehmen und somit über die marktliche Lösung den externen Effekt internalisieren. Vermehrt werden auch die fehlenden regionalen Wahloptionen im Versor gungssystem angeprangert, die ohnehin keinen Wettbewerb erlauben würden. Ist in einem kleinen Ort nur ein Krankenhaus vorhanden, besteht für den Patienten keine Möglichkeit des Vergleichs oder der Selektion. Bei dieser Frage ist die regi onale Marktabgrenzung relevant und die Zumutbarkeit von Reisen in entferntere Kliniken. Bei gravierenden Krankheiten werden schon heute weite Reisen in Kauf genommen, um eine optimale Versorgung zu erhalten. Ferner sind innovative Ver sorgungsformen, wie beispielsweise die Telemedizin, auf die später noch eingegan gen wird, vermehrt Anwendung, sodass Dienstleistungen nicht mehr zwangsläufig in örtlicher Nähe erbracht werden müssen. Als Beispiel sei nur kurz die Auswertung von Röntgenbildern angeführt, die teilweise bis nach Indien verlagert wird. Einen ordnungspolitischen Rahmen, der funktionsfähigen Wettbewerb ermög licht, stellen jedoch auch die Befürwortern des marktlichen Ansatzes selten in Frage. Es bedarf eines klaren Rahmens, durch den beispielsweise regionale Monopole ver
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hindert werden, wie er auch für alle anderen wettbewerblichen Märkte als notwen dig erachtet wird. Kartell- und Wettbewerbsrecht, das in Deutschland durch Ludwig Erhard in den 50er Jahren unter heftigem Widerstand eingeführt worden ist, finden somit auch im Gesundheitsmarkt Anwendung. In Deutschland ist das Bundeskar tellamt als Institution zum Schutz des Wettbewerbs zuständig. In den zurückliegenden Jahren wurden beispielsweise Klinikzusammenschlüs se mit dem Hinweis auf Monopolbildungen vom Bundeskartellamt unterbunden (Bundeskartellamt, 2005). Hierbei ist jedoch bemerkenswert, dass zwischen öffent lichen und privaten Anbietern unterschieden wird und öffentliche Monopole gedul det werden, obwohl ihre Berechtigung nach ebendieser Begründung angezweifelt werden müsste. Die Verhinderung der Zusammenschlüsse hat eine weitere Integ ration der privaten Versorger eingeschränkt. Grundsätzlich sind die Skalenerträge, die bei der Leistungserbringung in einer Region realisiert werden können, mit den potentiellen Kosten für die Patienten durch eine gesteigerte Marktkonzentration ab zuwägen. Eine stärkere Integration der Leistungserbringung erhöht ceteris paribus die Marktmacht einzelner Leistungserbringer und kann zu Monopolpreisen, oder zu qualitativer Minderleistung führen. Ebenso sind Minderinvestitionen denkbar, mit denen die Betreiber versuchen die Produzentenrente auf Kosten einer qualitativ hochwertigen Versorgung der Patienten zu maximieren. In welchem Fall jedoch eine Monopolstellung in einer Region erreicht ist, hängt maßgeblich mit der Behandlungstechnologie und den Versorgungsformen zu sammen. Ebenso ist Mobilität der Patienten entscheidend, da diese die Kosten für Alternativangebote maßgeblich bestimmt. Während es für Spezialbehandlungen bereits heute gängig ist auch weit entfernte Kliniken aufzusuchen, wird für Stan dardbehandlungen ein relativ restriktiver Mobilitätsgrad unterstellt, sodass eine Monopolmacht gerade in der Flächenversorgung relativ schnell erreicht ist. In novative Prozesse, wie beispielsweise die Telemedizin, finden im Kalkül des Bun deskartellamtes in Deutschland wenig Beachtung. Durch die relativ hohe Bevöl kerungsdichte in Deutschland und die demografische Entwicklung, die zu einer stärkeren Konzentration von Nachfragern in Ballungszentren und einem Schwund in ländlichen Regionen führen wird (Gans und Schmitz-Veltin, 2006), werden ab schöpfbare regionale Monopolbildung nur im Ausnahmefall auftreten (siehe Ab schnitt I.1.2). Deswegen steht der restriktive Ansatz des Bundeskartellamtes in letzter Zeit häu fig in der Kritik. Im Gegensatz zum europäischen Kartellamt wird in Deutschland an ordoliberalen Rechtstraditionen, die auf einem formal-juristischen Ansatz ba sieren, festgehalten (Hildebrand, 2005). Der Fokus liegt dabei vornehmlich auf der Marktkonzentration von Firmen und somit auf dem Schutz des Gutes Wettbewerb per se. Ist deren Marktanteil zu hoch wird eine Fusion abgelehnt, unabhängig von möglichen Effizienzpotentialen, die den Konsumenten zugute kommen können. Als Vorteil dieses Ansatz wird häufig die vergleichsweise hohe Transparenz und eine relativ einfache a priori Evaluation des Erfolges der Zustimmung des Kartellamtes zu einem Zusammenschluss angeführt (Christiansen, 2005). Auf europäischer Ebene nimmt jedoch der Einfluss der Ökonomie auf die Ent scheidungen des Wettbewerbsrechts immer mehr zu, der einzelfallabhängig eine
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effiziente Lösung sucht.22 Unter dem Titel „more economic approach“ werden Ent scheidungen mehrdimensional erfasst, wobei industrieökonomische Modelle und quantitative Analysen zur Entscheidungsfindung intensiv beitragen. Im Zentrum dieses Ansatzes steht die Wohlfahrt der Konsumenten und nicht allein die Höhe des Marktanteils. 23 Marktkonzentrationen, bei denen sich die Konsumentenrente erhöht, werden dem „more economic approach“ folgend eher Aussicht auf Erfolg haben, als unter dem traditionellen Kartellrecht. Der Wettbewerb wird folglich nur als Zweck für einen effizienten Markt angesehen und nicht als Ziel des Wettbewerbs rechts per se. Als materielles Kriterium ersetzt der so genannte SIEC-Test (signifi cant impediment to effective competition) den Marktbeherrschungstest, wobei nun koordinierte und nicht-koordinierte Effekte unterschieden werden (Röller, 2005).24 Das europäische Kartellrecht nähert sich bei der Entscheidungsfindung dem anglo amerikanischen Ansatz an. Kosten-Nutzen-Analysen sollen die möglichen Effizienzgewinne auf der einen und die möglichen Kosten der Marktkonzentration auf der anderen Seite einschät zen. Wirkungszusammenhänge, in Verbindung mit statistischen Daten sollen die wahrscheinlichen Auswirkungen von Zusammenschlüssen offenlegen, somit die Wahrscheinlichkeit von Fehleinschätzungen mindern und die Qualität der Ent scheidungsfindung erhöhen. Unter den beiden Ansätzen, dem traditionellen und dem „more economic approach“, kann daher eine Einschätzung zur Schädlichkeit von Zusammenschlüssen sehr unterschiedlich entschieden werden. Im Hinblick auf die Konsumenteninteressen sollte jedoch ein flexibler Ansatz (Einzelfallentschei dungen), der von Fall zu Fall die Potenziale einzuschätzen vermag dem starren tra ditionellen System (Per-Se-Regeln) vorzuziehen sein. Gegner dieses Ansatzes wei sen jedoch auf die fehlende Rechtssicherheit und die damit verbundene Ineffizienz des Wettbewerbsrechts (Schmidt, 2007). Für den Gesundheitsmarkt hat eine Revision der deutschen Entscheidungspraxis möglicherweise weitreichende Auswirkungen, da Effizienzgewinne, die aufgrund von Netzwerkeffekten in bestimmten Regionen zustande kommen, vermehrt Chan cen auf Erfolg hätten. Hierdurch könnten öffentliche Versorgungseinrichtungen, die sich derzeit in öffentlicher Hand befinden, an private Investoren veräußert werden, die mit innovativem Management Know-how einen Beitrag zur effizienten, qualita tiv hochwertigen Versorgung leisten können. Die dabei entstehenden lokalen Markt konzentrationen, die potentiell zur Erhöhung der Marktmacht der Anbieter führen, könnten aber gleichzeitig die Effizienz der Bereitstellung erhöhen, sodass Patienten Die VO 1/2003 reformierte die Behandlung von Kartellen und Missbrauchsaufsicht (Art. 81 und Art. 82 EG) und VO 139/2004 reformierte die Fusionskontrolle, sodass ökonomische Komponenten stärkeres Gewicht finden. 23 In Deutschland ist die Diskussion, ob Wettbewerbspolitik zur Realisierung wohlfahrtsökono mischer Ziele instrumentiert werden solle in den letzten 40 Jahren ebenfalls diskutiert wor den. Vgl. Schmidt (2007). 24 Nicht-koordinierte Effekte umfassen dabei die direkten Auswirkungen von Zusammenschlüs sen, wie beispielsweise höhere Preise oder Kapazitätsänderungen, die nicht die zukünftige Reaktion weiterer Marktteilnehmer berücksichtigt. Hingegen umfassen koordinierte Effekte die dynamischen Entscheidungen von Mitbewerbern und die Wirkung von Verhalten auf das zukünftige Verhalten der Wettbewerber. 22
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I. Ökonomische Analyse
netto gewinnen würden. Beispielsweise wird mit der Telemedizin eine wegweisende Innovation im Gesundheitswesen eingeführt, die eine effiziente Versorgung auch über die Krankenhausgrenzen hinweg ermöglicht (Bauer und Kirn, 2005) und die Definition von regionalen Monopolen vollends auf den Kopf stellen würde, da Spe zialisten auch in entfernten Orten den Patienten zur Verfügung stehen. 2.2.3 Qualität und Mindestanforderungen Die Aufrechterhaltung von Qualitätsstandards wird in vielen Fällen als Motivation für eine tiefgreifende staatliche Regulierung oder die vollkommene öffentliche Be reitstellung von Gesundheitsleistungen gesehen. Es wird vermutet, dass durch hohe Renditeziele und damit einhergehendem Kostendruck die Qualität leiden würde (Stratmeyer, 2000). Auch ein Preiskampf auf Kosten der Qualität wird befürchtet. Statt Qualitätswettbewerb würde Marktversagen eintreten. Asymmetrische Informationen gewähren einem Arzt einen Informationsvor sprung, der dadurch den Patienten überlegen ist (Breyer, Kifmann und Zweifel, 2005). Der Arzt kann das Qualitätsniveau der Leistung im Vergleich zu anderen Behandlungen wesentlich leichter einschätzen, als dies für den Patienten möglich ist. Aus diesem Grund wird häufig bei der Qualitätskontrolle auf den Staat verwie sen. Er solle ein Mindestniveau an Qualität der Gesundheitsleistung sichern. Dafür können beispielsweise Mindestanforderungen an die Ausbildung der Ärzte gelegt werden, wie es in nahezu allen Industriestaaten der Fall ist. Zulassungsverfahren erlauben es den Ärzten überhaupt erst ihrem Beruf nachzugehen. Dies ist, wie schon in Abschnitt I.2.1.3.2 dargelegt, auch wünschenswert um die Zuverlässigkeit der Leistungserbringung zu sichern. Informationsasymmetrien werden jedoch auch vom Markt abgebaut, da Patien ten Informationen über Versorgungseinrichtungen nachfragen, werden diese bei spielsweise im Internet von kommerziellen Anbietern aufbereitet angeboten. Von Bewertungsportalen für Ärzte, über Vergleichsstudien zu stationären Versorgungs einrichtungen kann derzeit auf eine Vielzahl an Informationen zugegriffen werden, da Informationskosten, z.B. durch neue Medien, wie dem Internet, maßgeblich zu rückgehen. Häufig hat jedoch ein Patient auch nach der Behandlung wenig Mög lichkeiten den Erfolg objektiv einzuschätzen, da ihm der Vergleich fehlt. An dieser Stelle können die Versicherungsunternehmen mit komparativen Statistiken die In formationsasymmetrien abbauen. Es ist zudem leicht vorstellbar, dass eine Kran kenversicherung, als Sachwalter ihrer Versicherungsnehmer, die Qualität in den kontrahierten Versorgungseinrichtungen kontrolliert und bei Nichterfüllung ein schreitet. Von staatlicher Seite sind in den letzten Jahren vermehrt Anstrengungen zu einer Erhöhung der Transparenz unternommen worden. Beispielsweise müssen zugelassene Krankenhäuser in einem zweijährigen Turnus ihre Qualität und Erfah rung in strukturierten Qualitätsberichten dokumentieren.25 Durch eine standardi sierte Abfrage der Art und Anzahl von Leistungserbringen kann der Patient somit zumindest mittelbar auf die Qualität im Krankenhaus schließen. Strukturierten Qualitätsberichte gemäß § 137 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 SGB V.
25
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2.2.4 Vergleich der öffentlichen und wettbewerblichen Bereitstellung Die nachfolgende Tabelle 8 gibt einen Überblick über die Unterschiede bei privater und öffentlicher Bereitstellung von Leistungen im Gesundheitswesen. Tabelle 8: Vergleich von öffentlicher und privater Bereitstellung im Gesundheitswesen Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Geyer et al. (2006) Gesetzliche Krankenversicherung (Status quo)
Krankenversicherung mit wettbewerblichen Elementen
Arbeitnehmer bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze. Katalog mit nur sehr geringem diskretionärem Spielraum.
Mindestversicherungspflicht für alle.
Versicherte Versicherungspflicht Leistungen
Finanzierung
Lohnabhängige Beiträge.
Zuzahlung
Einkommensunabhängig, geringe Gebühren (Praxisgebühr, Medikamente, etc.). Nicht vorhanden, da Patient am Finanzierungsprozess unbeteiligt ist.
Kostentransparenz
Wahlmöglichkeiten
Krankenkassen bieten nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, Kontrahierungszwang für Arbeitnehmer. Freie Wahl des Arztes und der Versorgungseinrichtung.
Mindestkatalog ist vorgegeben um Freifahrerverhalten einzuschränken; Vertragsfreiheit und -vielfalt. Risikoorientierte Prämien mit maximalem Beitrag (vgl. I.2.1.3). Vertragsabhängig; Selbstbehalte und Rückerstattung bei Nichtinanspruchnahme. Voll, da Versicherte die Prämien und Preise der Leistungen vergleichen können. Freie Wahl der Versicherungsanbieter; Anbieterwechsel möglich. Freie Wahl des Leistungserbringers. Einschränkungen bei z.B. Managed Care führen zu Prämienreduzierung.
Versicherungs gesellschaften Organisation
Körperschaften öffentlichen Recht, die in Spitzenverbänden organisiert sein müssen (Korporatismus).
Kosteneffizienz
Entgeltverhandlungen über Spitzenverbände.
Tarifgestaltung
Freie Beitragssatzwahl, Möglichkeit von Wahltarifen in eingeschränktem Maße. Risikostrukturausgleich nach Finanzkraft und morbiditätsorientierten Kriterien (Ausweitung ab 2009). Kontrahierungszwang (mit Ausnahmen).
Risikoselektion
Mitgliedschaft
Gemeinsamer Markt für private und öffentliche Versicherungsunternehmen. Negative Koalitionsfreiheit. Vertragsfreiheit mit Wettbewerb um Kosten und Qualität. Integrierte Versorgungskonzepte führen zu Effizienz. Freie Tarifgestaltung im dynamischen Wettbewerbsmarkt. Nicht gegeben durch individuelle Altersrückstellungen.
Kontrahierungszwang für Mindestsicherung.
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I. Ökonomische Analyse
Versorgungsmarkt Organisation
Sicherstellungs auftrag Preisbildung
Qualitätssicherung
Marktzugang
Zusammenschluss in Kassenärztlichen Vereinigungen, Versorgungseinrichtungen sind in Spitzenverbänden organisiert. Durch Kassenärztliche Vereinigung.
Kollektive Verträge, einheitliche Beiträge, Fallpauschalen (stationär), Budgetierung der Ausgaben. Wird öffentlich organisiert.
Beschränkt durch die kassenärztliche Vereinigung; Krankenhausplanung kalkuliert Versorgungsbedarf.
Vertrags- und Koalitionsfreiheit.
Auf Vertragsbasis zwischen Versicherungsunternehmen und Versorgern, unter staatlicher Aufsicht. Freie Preisbildung durch Vertragsfreiheit. Von staatlicher Seite (Approbation, etc.) und von Dritten (Versicherungen, Managed Care Organisationen, etc.). Staatliches Zulassungsverfahren (Approbation), freier Zugang für Manged Care Organisationen, freie Zusammenschlüsse (Missbrauchskontrolle, siehe I.2.2.2)
2.2.5 Managed Care und Integrierte Versorgung Die Desintegration der Gesundheitsversorgung wird häufig als eines der zentralen Probleme der effizienten und effektiven Leistungserbringung angesehen. Die einzel nen Berufsgruppen sind unzureichend aufeinander abgestimmt und der Informa tionsaustausch zwischen den einzelnen Versorgungsinstitutionen ist problematisch. Patienten erfahren beispielsweise an den Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wenig Unterstützung, die eine effiziente Koordination er möglicht. Gründe für diese Fehlallokationen sind mannigfaltig: Institutionelle In novationen werden durch ein rigides Vergütungssystem gebremst, regionale staat liche Monopole, beispielsweise in der stationären Versorgung, stehen marktlichen Strukturen entgegen, die einen Wandel zu einer effizienten Bereitstellung ermögli chen können und schließlich fördern die Anreizstrukturen für Kostenträger, Leis tungserbringer und Versicherte nicht ein Wandel zu einem effizienten System. Zur Überwindung dieser Probleme werden vermehrt Konzepte wie Managed Care oder integrierte Versorgung in die Diskussion eingebracht (Jacobs und Schulze, 2004). Eine einfache und abschließende Definition von Managed Care gibt es bislang nicht. Grundsätzlich umfasst Managed Care eine Kontrolle bzw. Führung bei der Erbringung von Gesundheitsleistungen (Toepffer, 1997) und beinhaltet eine Viel zahl struktureller und ablauforganisatorischer Sachverhalte (Seitz et al., 1997). Die ser Prozess wird jedoch nicht ausschließlich auf der Seite der Leistungserbringer, sondern auch von Dritten erfüllt, die häufig die Belange der Patienten oder Nach fragern nach Gesundheitsleistungen im Blick haben. In der Gesundheitsreform 2000 sollten bereits Anreize geschaffen werden, um die Koordination zu verbessern. Krankenkassen können seitdem beispielsweise Verträge mit Trägern von Medizinischen Versorgungszentren oder Management unternehmen schließen, die Patienten durch den Verhandlungsprozess leiten und
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so teure Mehrfachdiagnosen und Fehlzuordnungen vermeiden. Patienten können ebenfalls aus den Versicherungsangeboten der Krankenkassen nach ihren Präferen zen wählen. Hierfür hat der Gesetzgeber in §140 SGB V geregelt, dass „die Kran kenkassen Verträge über eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Ver sorgung der Versicherten oder eine interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung“ (SGB V §140a Abs. 1 S. 1) vereinbaren können, sowie deren Rahmenbedingungen definiert. Dadurch soll die historisch gewachsene Separierung der Sektoren aufge brochen und den Patienteninteressen Rechnung getragen werden. Die ersten Schrit te in richtiger Richtung sind in den letzten Jahren folglich getan, aber noch immer existieren erhebliche Koordinationsprobleme zwischen ambulanter, stationärer und rehabilitativer Behandlung.
Abbildung 14: Entwicklung integrierter Versorgung in Deutschland (Quelle: Gemeinsame Registrierungsstelle zur Unterstützung der Umsetzung des § 140 d SGB V)
Abbildung 14 gibt einen Überblick über die Entwicklung der Anzahl an Verträgen zwischen einzelnen Krankenkassen und Leistungserbringern, sowie das vertragli che Vergütungsvolumen. Das Vergütungsvolumen erreicht mit 840 Mill. Euro zum 31.12.2007 einen neuen Rekordstand, doch ist dies in Anbetracht der Höhe der Aus gaben der gesetzlichen Krankenversicherung i.H.v. 153,62 Mrd. Euro, mit einem Anteil von 0,5 Prozent noch relativ gering. Integrierte Versorgung, als Teil von Managed Care, soll durch eine Vernetzung aller am Gesundheitssystem Beteiligten Effizienzpotentiale heben. Ärzte und nicht medizinisches Personal, wie beispielsweise Apotheker und Physiotherapeuten, sol len durch eine effiziente Zusammenarbeit die Versorgungsqualität steigern und gleichzeitig die Kosten dämpfen. Die starre Trennung der Sektoren soll überwunden, sowie die Verzahnung der Sektoren stärken werden. Eine integrierte Versorgung ist
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I. Ökonomische Analyse
sinnvoll, wenn im Krankheitsverlauf Leistungen mehrerer Sektoren in Anspruch ge nommen werden müssen. In den USA wird ein solches System der Managed Care erfolgreich praktiziert. Die Anfänge gehen in den USA weit zurück. Bereits 1910 wurde ein Health-Care Angebot eingeführt, das einer heutigen Health Maintenance Organisation ähnelte (Köhl, 2006).26 In den darauffolgenden Jahren haben sich ver schiedene Organisationsformen von Managed Care Konzepten herausgebildet. Ziel dieser Konzepte ist es Anreizstrukturen zu schaffen, die ein effizientes Handeln ho norieren und somit das Wohl der Patienten steigern und zeitgleich Finanzierungs kosten senken. Neben der intrinsischen Motivation steht die monetäre Vergütung für die Leistungserbringer im Vordergrund. Neuffer (1997) hat schon relativ früh die Übertragbarkeit des Managed Care Konzepts auf Deutschland detailliert be schrieben und Handlungsempfehlungen aufgezeigt, die auch aus rechtlicher Per spektive in Deutschland umsetzbar sind. Die Umsetzung in der Gesundheitsreform 2000 blieb jedoch hinter den Erwar tungen zurück, sodass in Folgegesetzten, zuletzt im GKV-WSG, die Anreize für ein erhöhtes Engagement der Beteiligten gestärkt wurde (Abbildung 14). Seit dem 1.1.2004 gelten weiterführende Regelungen, sodass: • die integrierte Versorgung nicht an Rahmenvereinbarungen zwischen Kran kenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen gebunden ist, • der Sicherstellungsauftrag der kassenärztlichen Vereinigungen eingeschränkt wird, • und Direktverträge zwischen Managementgesellschaften und Krankenkassen erlaubt sind. Gerade diese Entwicklung ist für die Patienten wünschenswert, da an den Schnitt stellen häufig große Informationsverluste auftraten, die Qualitätseinbußen bei der Versorgung zur Folge hatten. Bemerkenswert ist die Möglichkeit der einzelvertragli chen Regelungen (SGB V §140a) zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern, die ein kollektivvertragliches Normensystem umgehen. Vor der Novellierung des §140 SGB V im GKV-Modernisierungsgesetz standen die gleichzeitigen Regelun gen von Leistungserbringern und Vertragsparteien sowie der jeweiligen Spitzenver bände bei dem Abschluss innovativer Konzepte im Wege (Mittendorf und Schmidt, 2006). Zur Anschubfinanzierung müssen die Krankenkassen nun bis zu einem Pro zentpunkt der Gesamtvergütung zur Unterstützung von integrierten Versorgungs konzepten einbehalten (680 Millionen Euro in 2006). Nach der Neuregelung können einzelne Ärzte oder auch Ärztegemeinschaften über eine Zusammenarbeit mit den einzelnen Kassen verhandeln. Die Ärzte würden einen Teil ihres wirtschaftlichen Risikos abgeben, da sie direkte Zuweisungen der Kasse erhalten. Praxisverbünde oder medizinische Versorgungsverbände, die neben Ärzten auch andere Leistungs erbringer vereinen, sollen im Verbund Informationsasymmetrien und Koordina tionsproblem überwinden. Aber auch betriebswirtschaftliche Synergieeffekte und Risikodiversifikation lassen sich in Zusammenschlüssen, die nicht zwangsläufig in Für einen historischen Überblick sich entwickelnder Managed Care Systeme in den USA siehe Köhl (2006, S. 23 ff.).
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Form integrierter Versorgung auftreten müssen, realisieren. Beispielsweise werden technische Diagnosegeräte höher ausgelastet und Anschaffungskosten auf mehre re Schultern verteilt, sowie beispielsweise IT-Systeme aufeinander abgestimmt. Für Krankenhäuser ergeben sich unter der neuen Regel ebenfalls Möglichkeiten die am bulante Nachbehandlung zu übernehmen. Die erreichte Spezialisierung kann aber nicht nur zu Kostenersparnis führen, sondern auch kostenintensive Maßnahmen können zum Wohl des Patienten in den Versorgungsverträgen vorgesehen werden, die letztendlich die Effizienz der Leistungserbringung erhöhen. Nicht medizinische Gesellschaften sind ausdrücklich in den Prozess einbezogen (§140 b Abs. 1. SGB V) und können beispielsweise durch betriebswirtschaftliches Know-how ihren Beitrag leisten, sodass der Wettbewerb durch Markteintritt von am bisherigen Versorgungs prozess unbeteiligten Firmen erleichtert wird. Für die Patienten ist die Teilnahme an integrierter Versorgung freiwillig (SGB V §140a Abs.2), die freie Arztwahl bleibt weiterhin bestehen, sodass eine Pareto-Ver besserung angestrebt wird. Versicherte, die sich an ein integriertes Versorgungssys tem binden, erhalten entweder eine Kostenerstattung in Form eines Bonus (§65 a SGB V), oder sie können eine qualitativ höhere Leistung erwarten. Wettbewerb um günstige und qualitativ hochwertige Versorgung wird somit intensiviert. Vorteile für die Patienten können sich neben monetären Zahlungen, aber auch durch verkürzte Wartezeiten und die Vermeidung von Doppeluntersuchungen ergeben (Mittendorf und Schmidt, 2006). Der Kostenträger hat darüber hinaus eine Informationspflicht gegenüber den Versicherten die Versorgungsverträge offenzulegen, sodass durch ei nen hohen Grad an Transparenz hinsichtlich der „teilnehmenden Leistungserbringer, besonderen Leistungen und vereinbarten Qualitätsstandards“ (§ 140 a Abs. 3 SGB V) die Nachteile der Einschränkungen der freien Arztwahl abgewogen werden können. Insbesondere Diesease Management Programme können zur Kosteneffizienz und erhöhter Versorgungsqualität beitragen. Dabei wird genau festgelegt, was mit einem Patienten im Behandlungsverlauf geschieht. Krankenhäuser können in Zusammen arbeit mit ambulanten Partnern die Rehabilitationsphase effizient gestalten. Auf der Seite der Versicherungen bestehen Anreize integrierte Versorgungs programme auszubauen, da sie sich im Wettbewerb von anderen Krankenkassen differenzieren können. Ferner werden mit der oben genannten Anschubfinanzie rung durch die Krankenkassen Gelder für innovative Versorgung bereitgestellt, die Leistungserbringern Anreize für den Vertragsabschluss setzen (Mittendorf und Schmidt, 2006). Die Monopolstruktur der Kassenärztlichen Vereinigung wird teil weise aufgebrochen und durch bilaterale Verträge ersetzt, sodass den regionalspezi fischen Gegebenheiten Rechnung getragen werden kann. Exklusive Arrangements mit einzelnen Leistungserbringern können damit zu einem Marketinginstrument werden und neue Mitglieder attrahieren. Die ersten Schritte zur integrierten Versorgung wurden in Deutschland bereits eingeleitet, doch ist deren Höhe noch nicht ausreichend. Der weitere Ausbau und der damit verbundene Wettbewerb werden noch immer von Interessensverbänden gebremst. In Verbindung mit durch den Wettbewerb begründeten Innovationen auf dem Versicherungsmarkt werden sich jedoch weitere Managed Care Programme entwickeln.
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I. Ökonomische Analyse
2.3 Politökonomische Aspekte und Staatsversagen In der Diskussion über eine effiziente Versorgung mit Gesundheitsleistungen sind eine Vielzahl an Vorschlägen vorgelegt worden. Das wiederholte Scheitern der Ge sundheitspolitik, ein tragfähiges Zukunftskonzept für das deutsche Gesundheits wesen zu entwickeln, lässt sich polit-ökonomisch insbesondere auf zwei Ursachen zurückführen: Einerseits verhindert das Interessenkonglomerat aus der am gesund heitspolitischen Entscheidungsprozess zumindest indirekt involvierten und mit der organisatorischen Durchführung der medizinischen Versorgung beauftragten Verbände und Versicherer sowie der Bürokratie, Politik und Industrie eine klare Richtungsentscheidungen zugunsten eines transparenten, auf marktwirtschaftli chen Grundprinzipien basierenden Ordnungsrahmens, das wie in Teil I.2.2 gezeigt dem jetzigen System überlegen ist. Andererseits erliegen die politischen Entschei dungsträger ein ums andere Mal der Versuchung, Gesundheitspolitik als sozialpo litisches Profilierungsfeld zu nutzen, um Wählerstimmen zu maximieren. Wenn jedoch die dringend notwendige Restrukturierung des deutschen Gesundheitswe sens aufgrund der Melange widerstrebender Interessen der Besitzstandswahrer von der Politik nicht zu erwarten ist, dann müssen Alternativen gefunden werden, wie Anstöße zur Überwindung der gesundheitspolitischen Reformunfähigkeit gegeben und die Weichen in Richtung eines nachhaltigen Krankenversicherungssystems ge stellt werden können. Der Teil 2.3 soll daher die Unwägbarkeiten der Umsetzung von effizienten marktlichen Vorschlägen analysieren und Wege aufzeigen, wie diese überwunden werden können. 2.3.1 Rationale Konsumentenentscheidungen und Interessengruppen Der deutsch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Albert Otto Hirschman hat vor vielen Jahren die Optionen von „exit“ und „voice“ geprägt, in Deutsch „Ab wanderung“ und „Widerspruch“ als zwei Alternativen, die einem Individuum offen stehen, wenn es mit der Leistung einer Organisation nicht zufrieden ist (Hirschman, 1970). Die Abwanderungsoption genügt in der Regel gegenüber einer Marktorgani sation. Wer mit der Bedienung in einem Restaurant nicht zufrieden ist, wird nicht nach dem Beschwerdebuch fragen (voice), sondern das Restaurant das nächste Mal nicht mehr besuchen (exit). Seit Adam Smith wissen wir, dass Abwanderung, wo sie möglich ist, viel wirksamer ist als jede andere Form des Protests. Sie trifft den Anbieter in seinem Eigeninteresse. Da sich die Krankenkassen der GKV allein über den Beitragssatz, nicht aber über das Leistungsangebot differenzieren, hat der Patient, wenn er mit der medizinischen Versorgung seiner Versicherung unzufrieden ist, nicht die Möglichkeit, Alternati ven zu wählen. Selbst wenn er seine Krankenkasse wechselt, bleibt er – zumindest wenn er nicht zur privilegierten Gruppe der freiwillig Versicherten zählt – im mo nopolistischen Einheitssystem der GKV gefangen. Abwanderung ist nicht oder nur zu sehr hohen Kosten möglich. Das Individuum hat kaum eine andere Möglichkeit, als zu versuchen, durch Widerspruch eine Änderung herbeizuführen. Widerspruch ist somit insbesondere bei staatlichen oder staatsnahen Organisationen angesagt,
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soweit sich dort Markt und Wettbewerb nicht durchsetzen lassen und Monopole überwiegen. Schon die WHO hat in ihrer Deklaration zur Förderung von Patienten interessen in Europa (A Declaration on the Promotion of Patients‘ Rights in Europe) aus dem Jahr 1994 die Patientenrechte zu stärken versucht und dabei auf das kol lektive Recht der Patienten hingewiesen stärker an den Entwicklungen im Gesund heitswesen teilhaben zu können. Der Dialog zwischen Patienten, Versicherungen und Leistungserbringern sollte verbessert und beispielweise durch Wahltarife die Voice-Option der Patienten gestärkt werden. Während im Markt jeder einzelne durch seine Nachfrageentscheidung einen Im puls auf den Anbieter auslöst, den dieser letztlich nicht mehr ignorieren kann, wenn er weiterproduzieren will, müssen sich die unzufriedenen Nutzer einer monopolähn lichen Organisation erst organisieren, wenn sie gemeinsam wirksamen Widerspruch leisten wollen; denn ihnen steht die Abwanderungsoption nicht offen. Dies wirft zwei Probleme auf, auf die der verstorbene Wirtschaftswissenschaftler Mancur Olson (1965) vor vierzig Jahren hingewiesen hat. Erstens: Große Gruppen haben es – aus seiner damaligen Sicht – in der Regel schwerer, sich zu organisieren als kleine Grup pen und zweitens: unter den organisierten Gruppen überwiegen Produzenteninte ressen (im Wesentlichen Faktoranbieter) gegenüber den Konsumenteninteressen. Der Grund für die beiden Beobachtungen Olsons liegt im Freifahrerproblem, das sich bei jeder Gruppenbildung stellt. Das gemeinsame Gruppenziel, z. B. eine besse re Qualität des Gesundheitswesens im Allgemeinen, stellt für jeden Gruppenange hörigen ein öffentliches Gut dar, an dem er auch dann teilhat, wenn er nichts zu des sen Realisierung beigetragen hat. Er wie jeder andere erhält einen Optionswert, auf den er sich verlassen kann. Ob er sich als einzelner an den Kosten beteiligt, ist nach her, wenn die Leistung allen bereit steht, ohne Bedeutung. Dieses Freifahrerproblem wiegt erstens bei kleinen Gruppen (also wenigen Beteiligten) weniger schwer als bei großen Gruppen. Die Interessenvertretung in der Politik dürfte also zugunsten kleiner Gruppen verzerrt sein. Unter den kleinen Gruppen sind wiederum jene, die ein konzentriertes Interesse haben, im Vorteil. Die Krankentransporteure haben ein spezifischeres Interesse als das Krankenhauspersonal im Ganzen. Aus dem Gesagten wird insbesondere deutlich, dass sich Konsumenten generell, auch die Konsumenten des Gesundheitswesens, nämlich die Patienten, weil sie eine große Gruppe bilden, nur schwer organisieren können. So sind denn Patienten auch in der aktuellen Diskussion um die Reform des Gesundheitswesens als gewichtiger politischer Faktor kaum in Erscheinung getreten. Hinzu kommt, dass auch die Gruppe der Patienten im Allgemeinen nicht homo gen ist. Unter ihnen gibt es verschiedene Untergruppen. Einige sind klein, haben spezifische Interessen, lassen sich infolgedessen leichter organisieren und haben da her ein größeres Sagen als große Patientenuntergruppen, die keine spezifischen In teressen vertreten. Daher entsteht ein Repräsentationsproblem in der Gruppe. Es ist sehr wohl möglich, dass kleine Untergruppen die Großgruppe der Patienten für ihre Ziele instrumentalisiert und in eine Richtung lenkt, die mit denen der ursprüngli chen Gruppengründer nichts mehr zu tun hat. Grundsätzlich wird es den anderen Gruppen des Gesundheitswesens nicht gleichgültig sein, wohin die Großgruppe der Patienten unter ihrer spezifischen Lei
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I. Ökonomische Analyse
tung driftet, zumal daraus beträchtlicher politischer Schaden entstehen kann. Diese Gefahr kann indessen auch als Chance für andere Gruppen des Gesundheitswesens verstanden werden. Anbietergruppen wie private Klinikbetreiber sind wohl organi siert. Aber es fehlt ihnen das Sprachrohr der Großgruppe. Folglich kann es zwischen diesen und der Großgruppe der Patienten komplementäre Interessen geben. Die „kleinere“ Anbietergruppe ist darauf angewiesen, im Hochtechnologiebereich von der Großgruppe die zusätzlichen Nachfrager zu erhalten, um ihre Anlagen auslasten zu können. Gleichzeitig unterstützt die Großgruppe der Patienten die Anbieter in politischer Hinsicht. Es ist richtig, durch eine Lobby-Gruppe politische Nachfragemacht, d.h. voice, zu etablieren, wenn die private Exit-Option verbaut und eine wirkliche Reform des Gesundheitswesens nicht möglich ist. Nur ist zu bedenken, dass voice bei weitem nicht so zielsicher zu einem effizienten patientenorientierten Angebot führt wie der Exit-Mechanismus. Der Voice-Mechanismus führt vielleicht zu Zeitungskampa gnen oder zu Gerichtsverhandlungen in Musterprozessen. Argument steht gegen Gegenargument. War der Fehler schuldhaft oder nicht? Im Zweifelsfall kann Schuld nicht nachgewiesen werden, und die Wirksamkeit der Voice-Option ist am Ende. Auf solche Fragestellungen braucht sich aber die Exit-Option gar nicht einzulassen. Die Kunden sind unzufrieden, sie wandern ab, und das genügt. Aus diesem Grund sollten die Institutionen wo möglich immer so gestaltet wer den, dass die Exit-Option das Meiste abdeckt und „voice“ nur subsidiär erforderlich ist. Das vorgeschlagene Zukunftskonzept kann diesem Maßstab gerecht werden. Die Versicherten können frei zwischen den Versicherungen wählen und ihren Präferen zen entsprechend Preis-Leistungspakete schnüren. Doch es stellt sich die Frage, wie eine Reform initiiert werden kann, damit ein tragfähiges System etabliert werden kann. 2.3.2 Unwägbarkeiten einer politischen Lösung – myopische Entscheidungsträger Apelle an Politiker, die bisher aufgezeigten mannigfaltigen Probleme zu lösen, wer den ungehört verhallen, da diese selbst Zwängen unterworfen sind, die es Ihnen nicht erlauben dem Rat von Experten zu folgen. Ihre Ziele sind auf die Stimmen maximierung und ihre Wiederwahl ausgerichtet, ähnlich die eines Unternehmers, der den Unternehmensprofit zu maximieren sucht. Denn Wiederwahl ist eine not wendige Bedingung, um überhaupt etwas in der Politik ausrichten zu können. Die Aktionen der Politiker sind daher kurzfristig auf die Wahlen und die Wahltermine ausgerichtet und bewirken dort zu beobachtende Zyklen. Diese sind in den Gesund heitsausgaben und den Beiträgen eindeutig zu isolieren (Wolf, 2008). Ferner werden langfristig erfolgversprechende Projekte hinter denen angestellt, die einen kurzfris tig positiven Effekt erwirken, sodass es zu langfristig ineffizientem Regierungshan deln kommen kann: die Entscheidungsträger handeln folglich myopisch. Politiker versuchen durch Stimmentausch (logrolling) Verhandlungspakete zu verabschieden, die häufig mit den initialen Zielen wenig gemein haben. Flankiert werden die Verhandlungen mit stetiger Einflussnahme von etablierten Interessen
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gruppen und Interessenverbänden. Nobert Blüm verglich die Verhandlungen in der deutschen Gesundheitspolitik einmal mit einem „Wasserballett im Haifisch becken“. Die systemimmanenten Rigiditäten und Rahmenbedingungen sind zwar teilweise historisch begründet, doch sie behindern ein Aufbrechen der etablierten Strukturen. Die Dominanz einzelner Akteure, wie beispielsweise der freien Ärzte schaft, geht bis in die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück (Lindner, 2003). Schon damals standen sich Krankenkassen, deren Mitgliederanzahl stetig gestiegen war, und die Ärzteschaft als Leistungserbringer in Verhandlungen gegen über. Die ärztlichen Standesvertretungen kämpften damals darum, dass Therapien ausschließlich den niedergelassenen Kassenärzten vorbehalten blieben (Lindner, 2003). Die damit einhergehende Machtkonzentration wurde 1955 mit dem „Gesetz über das Kassenarztrecht“ weiter zementiert, indem der Kassenärztlichen Bundes vereinigung die ambulante Versorgung gänzlich übertragen wurde, sodass sich bei den Verhandlungen über die Leistungserbringungen fortan zwei Spitzenverbände, die der Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung, gegenüberstehen. Noch heute nehmen sie als Köperschaften öffentlichen Rechts staatliche Aufgaben in Eigenverantwortung, aber unter staatlicher Aufsicht, wahr. Im Gemeinsamen Bundesausschuss27, als Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen, werden beispielsweise die gesetzlichen Rah menbedingungen weiter präzisiert. Erlasse Richtlinien sind für die Beteiligten im Gesundheitswesen verbindlich. Über diese Verhandlungsebene hinaus sind weitere Akteure an der politischen Willensbildung und der Entscheidungsfindung beteiligt (Tabelle 9). Spitzenverbän de, als institutionalisierte Gremien, stellen somit nur eine Säule dar, die im Zusam menwirken mit den politischen Parteien Änderungen am Gesundheitssystem her vorbringen können (Neokorporatismus).
Richtlinien zum Gemeinsamen Bundesausschuss finden sich in § 92 SGB V.
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I. Ökonomische Analyse
Tabelle 9: Verhandlungsebenen im deutschen Gesundheitswesen Quelle: Eigene Darstellung, Bandelow (2003) Ziele
Beteiligte
Zentren der Verhandlungsführung
Initiierung von Gesundheits reformen
Verteilung und Höhe der Ausgaben
Politische Parteien ntereinander u (Parteienkonkordanz)
Koalitionsgespräche, informelle Zusammenkünfte
Gesetzgebung (häufig zustimmungs pflichtig)
Bund – Länder
Zustimmungspflichtige Gesetzge bung, Beteiligung am Gesetzge bungsverfahren (Abbildung 15)
Regionalpolitische Entscheidungen
Staat – Verbände (Neokorporatismus)
Mitwirkung in Gesetzgebungs verfahren, Anhörungen, Vertre tung der Mitglieder
Interessensvertreter; Maximierung der Stimmen bzw. der Renten für das eigene Klientel
Verbände – Verbände (Selbstverwaltung)
Gemeinsamer Bundesausschuss, Modellversuche
Maximierung der Mit gliederrenten
Verbände – Patienten
Freie Kassenwahl nach Präferenz der Patienten
Das in der Vergangenheit stärkste korporatistische Gremium, die Konzertierte Ak tion im Gesundheitswesen, wurde im Zuge des GKV-Modernisierungsgesetzes auf gelöst und die Aufgaben, die in §142 SGB V determiniert sind, wurden auf den „Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen“ übertragen. Die Ernennung der Mitglieder diese Gremium obliegt nun dem Bun desgesundheitsministerium. Dadurch wurde jedoch der Einfluss von Interessen gruppen nur teilweise eingeschränkt. Eine Reihe von Interessenvertretern nimmt weiterhin starken Einfluss auf die Gesundheitspolitik. Dazu gehören beispielsweise die: • Ärztekammern, • Kassenärztliche Vereinigungen, • Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (zusammengesetzt aus Ver tretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen) • Bundesverband Deutscher Apothekenverbände, • Verband der Privaten Krankenversicherung e.V., • Bundesverband der Verbraucherzentralen. Allein in der „öffentlichen Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern“ des Bundestages werden von mehr als 2000 Verbänden 430 dem Ge sundheitsbereich zugeordnet (Bundestag, 2008). Die Interessengruppen stehen sich in vielen Punkten kontrovers gegenüber, wobei die Patienteninteressen und Versi cherteninteressen vergleichsweise gering vertreten sind. Es stellt sich nunmehr die Frage, warum Verhandlungen mit einer solchen Vielzahl von Gruppen, die ihren Einfluss gelten machen, nicht oder nur sehr un
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zureichend zu einer nachhaltigen Reform führen. George Tsebelis (2002) hat eine Vetospielertheorie entwickelt, die es ermöglicht die Entscheidungsfähigkeit von politischen Systemen, unter Berücksichtigung der Anzahl an der Entscheidung Be teiligter, zu vergleichen. Im Vordergrund steht die Frage, unter welchen Bedingun gen eine Abkehr vom Status quo eines gegeben Systems herbeizuführen ist. Akteure (Vetospieler), die an einer Entscheidung beteiligt sind, oder die Umsetzung einer Reform verhindern können, werden dabei nach Ihrer ideologischen Distanz zur zu erreichenden Entscheidung gruppiert.28 Je weiter ein Entscheider von dem Entwurf entfernt ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich gegen diese Ent scheidung wenden und sie somit torpedieren wird. Die Wahrscheinlichkeit einer Entscheidung ist im Modellrahmen korreliert mit: a) der Menge an der Entscheidung beteiligter individuellen oder kollektiven Entscheider (negative Korrelation), b) die Höhe der Kongruenz der Präferenzen der Vetospieler (positive Korrela tion), c) Kohäsion oder Homogenität der Beteiligten (negative Korrelation), d) ideologischer Differenz. Tsebelis (2002) entwickelt somit ein Distanzmaß, welches die Präferenzen der Betei ligten abbildet und argumentiert, dass nicht alleinig die Anzahl an Vetospielern den politischen Reformprozess bestimmt, sondern vielmehr deren Präferenzabstand zueinander. Mit steigender Unstimmigkeit steigt die politische Stabilität, aber fällt die Möglichkeit sich vom Status quo abzuwenden und vice versa. In einem interna tionalem Systemvergleich findet Tsebelis (2002) ferner Evidenz für die These, dass mit steigender Anzahl an Vetospielern die Anzahl an Gesetzten, die nachhaltige Änderungen mit sich bringen, sinkt, während in Ländern mit einem, oder wenigen Vetospielern, die Anzahl der signifikanten Gesetzte relativ hoch ist. Übertragen auf die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen lassen sich anhand dieser Theorie die Reformhindernisse darlegen. Abbildung 15 zeigt den Gesetzgebungsprozess eines Bundesgesetzes. Es lässt sich unschwer erkennen, dass bereits die kollektiven institutionellen Vetospieler auf vielen verschiedenen Ebenen des Gesetzgebungsverfahrens ihre Präferenzen durchsetzten können und somit ihre Präferenzen mehrmals in die Waagschale werfen können.
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Vetospieler können individuelle (oder kollektive) institutionelle und parteipolitische Akteure sein. Einspruchsrechte von institutionellen Vetospielern sind in Verfassungen verbrieft, wäh rend sich parteipolitische Vetospieler aus beispielsweise Wahlen ergeben. Darüber hinaus sind Vetospieler in Form von Interessengruppen oder Verbänden relevant.
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I. Ökonomische Analyse
Abbildung 15: Gesetzgebungsverfahren im Bund Quelle: Eigene Darstellung
Bereits in der Phase der Gesetzesinitiative haben sowohl der Bundesrat, die Bun desregierung als auch der Bundestag Initiativrechte und können somit als Agendasetter auftreten. Bevor ein Gesetz an den Bundestag übergeben wird, wird es den jeweiligen anderen Organen zu Änderungsausarbeitung vorgelegt, sodass ihre Prä ferenzen in dieser frühen Initiativphase bereits inkorporieren werden können. Wird ein zustimmungspflichtiges Gesetz29 im Bundestag verabschiedet, wird es an den Bundesrat weitergereicht und wird dort nochmals zur Abstimmung gebracht. Sollte es zu keiner Zustimmung kommen, wird das Gesetz an den Vermittlungssauschuss weitergereicht, der einen Kompromiss zwischen Positionen der Mehrheit des Bun destages und des Bundesrates sucht. Vetospieler, beispielsweise politische Parteien, 29
Die meisten Gesundheitsreformen sind zustimmungspflichtig.
2 Zukunft und Reformierbarkeit des deutschen Gesundheitswesens
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können somit nicht nur auf der Ebene des Bundestages, sondern darauf folgend im Bundesrat ihre Positionen bekräftigen. Regionale Präferenzen finden gerade im Bundesrat Beachtung, sodass eine Entscheidungs- und Abstimmungsverschachte lung resultiert. Einfache Mehrheitsentscheidungen wie in einem Einkammersys tem reichen im deutschen Zweikammersystem somit nicht aus. Zum einen lässt sich durch die relativ vielen Vetospieler im System die politische Stabilität erklären, aber auf der Kehrseite werden Reformen erheblich erschwert. Im Systemvergleich zwischen Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland kommt Strohmei er (2005) zu dem Schluss, dass „die meisten Vetospieler in Deutschland ihre Ve tomacht nicht unmaßgeblich missbraucht sowie ausgedehnt haben“ und somit in Deutschland wesentlich weniger Reformen erlassen werden als in Großbritannien. Abstrahiert man nun von den Verhandlungen auf der politischen Ebene (Tabel le 9 ersten beiden Zeilen) und berücksichtigt die, dem Gesundheitswesen spezifi schen, korporatistischen Strukturen, so wird schnell ersichtlich, dass noch weitere Vetomöglichkeiten für die Akteure existieren, die im zurückliegenden Jahrhundert die Reformfähigkeit des Versorgungssystems ein ums andere Mal behindert haben. Interessenvertreter werden nicht nur zu Beratungen der politischen Entscheidungs träger hinzugezogen und nach den zu erwartenden Auswirkungen befragt, son dern, und dies ist wesentlich kritischer zu sehen, es findet auch ein reger personeller Austausch zwischen Spitzenbeamten in den Ministerien oder dem Kanzleramt und den Verbänden des Gesundheitswesens statt (Haacke und Niebuhr, 2006). Verflech tungen zwischen politischen Entscheidungsträgern und den Interessensverbänden sind somit an der Tagesordnung, sodass Interessenskonflikte nicht ausgeschlossen werden können.30 Es stellt sich nun die Frage, inwiefern die diversen Vetospielerpositionen, deren primäre Interessen die Maximierung der eigenen Renten und die Besitzstandswah rung sind, mit den Interessen der Patienten, die sich schlecht organisieren können, übereinzubringen sind. Die Politik ist als Vermittler hierzu in den letzten Jahren nicht fähig gewesen und wird es auch in Zukunft nicht sein. 2.3.3 Überwindung von myopischen Politikentscheidungen und Veto-Stillstand Neben der Gesundheitspolitik gibt es weitere Bereiche, in denen es zu zeitinkonsis tenten Regierungsverhalten (Kydland und Prescott, 1977) und Politikversagen kom men kann, die durch alternative Governance-Strukturen überwunden werden. In der Geldpolitik besteht beispielsweise eine stetige Neigung der Politik, das politische Kapital aus langfristigen Stabilisierungsplänen durch kurzfristige Entscheidungen, die Wirtschaft zu stimulieren, schon vorzeitig wieder zu verzehren und dadurch das langfristige Wachstum zu gefährden. Der aus diesen myopischen Anreizen resul tierende Vertrauensverlust der Politik führt zur suboptimalen Allokationen. Daher wird dazu übergegangen, geldpolitische Entscheidungen an eine unabhängige Ins tanz abzugeben und sie somit kurzfristigen Politikentscheidungen zu entziehen. Po Lobbyarbeit ist auch im Grundgesetz Art. 5, 9, 11 verankert.
30
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I. Ökonomische Analyse
litiker binden sich selbst und können so ihre stete Neigung zu myopischen Politik entscheidungen überwinden. Ähnlich haben die Väter der Römischen Verträge bereits im Jahr 1957 eine Ent scheidung für den Wettbewerb als Ordnungsprinzip des gemeinsamen europäischen Marktes gefällt, der als Grundlage für einen prosperierenden Wirtschaftsraum die nen sollte. In Art. 81 EG-Vertrag (ex-Art. 85 EGV) werden Vereinbarungen und Beschlüsse untersagt, die den Wettbewerb einschränken. Die Europäische Kommis sion, die nationalen Wettbewerbsbehörden und die Gerichte wachen über die Ein haltung eines freien Binnenmarktes und verhängen nötigenfalls Geldbußen. Die deutsche Seite sah bei Vertragsunterzeichnung jedoch das Prinzip des Wettbewerbs in Gefahr, weil Frankreich und Italien damals große Staatsindustri en betrieben, diese aber aus politischen Gründen nicht privatisieren und als Pri vatunternehmen den Wettbewerbsgesetzen unterstellen wollten und konnten. Ein Kompromiss bestand darin, dass der Vertrag in Art. 295 EG (ex-Art. 222 EGV) die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt ließ, dafür aber in Art. 86 EG (Abs. 1) festlegte, dass Staatsmonopole die EU-Wettbewerbsregeln nicht verletzen dürfen, und (Abs. 2), dass „Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind […]“ den Wettbewerbs regeln ebenfalls unterstehen, es sei denn dadurch würde „die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe […] verhindert“. Diese Bestimmungen standen damals in diametralem Gegensatz zur Tradition des französischen „service public“ von Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung etc., die dort als Teil der nationalen Souveränität angesehen wurden. Aber auch Deutschland hatte sich mit Art. 86 EG gebunden. Hier stellte die öffentliche Da seinsvorsorge bislang einen konstitutiven Teil der öffentlichen Verwaltung und des Staates dar (Forsthoff, 1938). Die Verabschiedung von Art. 86 EG stellte daher ei nen mutigen Schritt der damaligen Regierungen dar, den sie in dieser Konsequenz vor ihren Wählern wohl schwerlich hätten rechtfertigen können. Erleichtert wur de ihnen die Entscheidung aber dadurch, dass der Gemeinsame Markt nach Art. 8 des Vertrags von 1957 (EWG) zwar irreversibel, aber stufenweise über 12, maximal 15 Jahre, eingeführt werden musste. Somit konnten sich die Regierungen binden und die für sie unpopulären Konsequenzen der Durchsetzung des Gemeinsamen Marktes aber auf eine andere spätere Regierung abschieben. Wiederum sollte es den Regierungen durch Selbstbindung verunmöglicht werden, die langfristigen Ziele durch kurzfristige Taktik zu konterkarieren. Wie zu erwarten, kam die Frage des Wettbewerbs bei öffentlichen Unternehmen nach der Gründung der EU zunächst einmal nicht oder nur vereinzelt auf die poli tische Agenda. Erst als Mitte der 80er Jahre zur Tat geschritten werden sollte und die Kommission aufgrund ihrer Kompetenz von Art. 86 Abs. 3 EG im Bereich der Telekommunikation die Deregulierung einleitete, bemerkten die etablierten Inter essen der öffentlichen Wirtschaft die aus Art. 86 EG aufziehende Bedrohung. In den nächsten zwanzig Jahren folgte dann ein politisches Tauziehen: Rat, Europäisches Parlament, Politiker der Mitgliedstaaten und Interessengruppen standen auf der einen Seite, Europäischer Gerichtshof auf der anderen Seite und die Kommission in der Mitte. Die Politiker der EU und der Mitgliedstaaten verfolgten verständli
2 Zukunft und Reformierbarkeit des deutschen Gesundheitswesens
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cherweise zuerst ihre Wählerinteressen, die Interessengruppen die Bewahrung ihrer „Renten“ aus öffentlichen Unternehmen, genau wie es aus der oben angesprochenen Theorie des zeitinkonsistenten Verhalten von Kydland und Prescott (1977) zu er warten war. Der Europäische Gerichtshof war wählerunabhängig. Daher konnte er es sich leisten, als Wahrer der Verträge aufzutreten, was seine Unentbehrlichkeit als Berufungsinstanz stabilisierte. Die Kommission nahm sich nach den ersten Vorstö ßen in der Telekommunikation zurück und versuchte, zwischen den Blöcken einen Mittelweg zu gehen. Ausgehend von diesen politischen Bereitschaftsstellungen meldeten sich zuerst die Interessengruppen der öffentlichen Unternehmen zu Wort. Der mächtige CEEPVerband der öffentlichen Wirtschaft und seine nationalen Ableger setzten sich für eine umgehende Streichung von Art. 86 EG ein. Die öffentlichen Unternehmen soll ten der EU-Wettbewerbsgesetzgebung entzogen und re-nationalisiert werden und (wie bisher) im Wirkungs- und Vorteilsbereich der nationalen öffentlichen Unter nehmen bzw. ihrer Repräsentanten verbleiben (CEEP, 1995). Dem stand aber der Europäische Gerichtshof entgegen, der in verschiedenen Urteilen, so namentlich schon im Urteil „Sacchi“ aus dem Jahr 1974, die Wettbewerbsregeln im Bereich von öffentlichen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse als durchaus nicht streichungswürdig, sondern im Gegenteil als anwendbar erklär te. Seiner Ansicht nach „kommen gemäß Art. 90 Abs. 2 EG im Hinblick auf ihr Marktverhalten die gleichen Verbote zum Zuge, sofern diese mit der Erfüllung der Aufgaben dieser Unternehmung nicht nachweislich unvereinbar sind.“31 Ein solcher Nachweis ist erfahrungsgemäß nicht zu erbringen. Die Kommission rückte etwas von den Grundsätzen des Wettbewerbs nach Art. 86 Abs. 2 EG ab und kam damit den Politikern von Union und Mitgliedstaaten et was entgegen. In ihrer Mitteilung zu „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa“ schlug sie vor, dass diese Leistungen Teil eines „europäischen Gesellschaftsmodells“ werden sollten (Mestmäcker 1998, S. 650). Es sei zwischen „marktbezogenen“ und „nichtmarktbezogenen“ Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Behörden mit spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen ver knüpft werden, zu unterscheiden. Marktbezogene Tätigkeiten unterliegen dem Wettbewerbsrecht, nichtmarktbezogene nicht. Damit war für die Mitgliedstaaten und ihre Gebietskörperschaften die Drohung, dass ihr die Kommission ihnen selbst die Organisation ihrer eigenen Behörden entziehen wollte, erst einmal beseitigt. Allerdings war die Trennungslinie zwischen nationalen Zuständigkeiten und EUWettbewerbsgesetzen damit noch nicht für alle Zeiten gezogen. Diese hing, wie in Teil III noch ausführlich zu zeigen ist, auch noch von den Gerichten ab (Kommis sion der Europäischen Gemeinschaften 1996, S. 3). Der Mittelweg der Kommission, der dann auch in der Politik akzeptiert wurde, fand in Art. 16 des Amsterdamer Vertrags seinen Niederschlag: „Unbeschadet der Artikel 73, 86 und 87 und in Anbetracht des Stellenwerts, den Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse innerhalb der gemeinsamen Werte der Union einnehmen, sowie ihrer Bedeutung bei der Förderung des sozialen und territorialen Zu 31
Nach Mestmäcker (1999, S. 644).
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I. Ökonomische Analyse sammenhalts tragen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweili gen Befugnisse im Anwendungsbereich dieses Vertrags dafür Sorge, dass die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, dass sie ihren Aufgaben nachkommen können.“ (Art. 16 EG)
Unverkennbar ist in diesem neuen Artikel des EG-Vertrags die stärkere Politisie rung der Daseinsvorsorge gegenüber Art. 86 EG. Nicht mehr die Kommission allein wie in Art. 86 Abs. 3 EG, sondern Gemeinschaft und Mitgliedstaaten zusammen, z.B. so wie sie im Rat vertreten sind, sollen für die Daseinsvorsorge verantwort lich sein. Einige sahen darin schon eine Bereichsausnahme vom Wettbewerbsprin zip des Vertrags, eine Schutznorm mit „Funktionsgarantie“ (Pernice und Wernicke 2003, S. 10). Da Art. 16 EG jedoch nur „unbeschadet“ der Art. 73, 86 und 87 EG32 zur Geltung kommen soll, gehen weder Leistungsansprüche noch Abwehrrechte für Unternehmen der Daseinsvorsorge aus ihm hervor. Namentlich bleibt das Verbot der Beihilfen nach Art. 87 EG unberührt. Ferner ging die Daseinsvorsorge unter dem Kapitel „Solidarität“ in Artikel 36 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 ein. Es heißt dort: „Die Union anerkennt und achtet den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirt schaftlichen Interesse, wie er durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflo genheiten im Einklang mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft geregelt ist, um den sozialen und territorialen Zusammenhalt der Union zu fördern.“ (Art. 36)
Auch dieses aus der Politik geborene Dokument zeigt erwartungsgemäß eine Ver wässerung der Wettbewerbsprinzipien des EG-Vertrags von 1957 im Sinne der Zei tinkosistenz-Theorie. Wiederum wird versucht, zu den nationalen Vorschriften vor 1957 zurückzukehren. Das Recht des einzelnen Bürgers zu kontrahieren, mit wem er will, wird auf die einzelstaatlichen, vorgemeinschaftlichen „Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ zurückgestutzt. Ein offener Gegensatz mit dem EG-Vertrag wird jedoch dadurch vermieden, dass die Daseinsvorsorge mit ihm „in Einklang“ bleiben soll. Die Bedeutung der Charta ist heute dadurch relativiert, dass sie nicht von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet worden ist und auch nicht in den Vertrag von Lissabon eingeht. Ein weiteres Abbröckeln von der ursprünglichen Auslegung von Art. 86 EG er folgte in der Mitteilung zur Daseinsvorsorge der Kommission vom September 2000. Damals stellte die Europäische Kommission fest: „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse unterscheiden sich inso fern von normalen Dienstleistungen, als sie in den Augen des Staates auch dann erbracht werden müssen, wenn der Markt unter Umständen nicht genügend Anreize dafür gibt. [… ] Wenn [… ] der Staat der Meinung ist, dass die Marktkräfte bestimmte, dem Ge meinwohl dienende Dienstleistungen möglicherweise nur in unzureichender Weise be reitstellen, kann er konkrete Leistungsanforderungen festlegen, damit dieser Bedarf durch Diese dienen zur Regelung von staatlichen Beihilfen (Art. 73, 87 EG) und öffentlichen und monopolartigen Unternehmen (Art. 86 EG).
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2 Zukunft und Reformierbarkeit des deutschen Gesundheitswesens
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eine Dienstleistung mit Gemeinwohlverpflichtungen befriedigt wird.“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2000)
Damit liegt es praktisch im Belieben eines Mitgliedstaates, Marktversagen bei der Daseinsvorsorge zu postulieren und den entsprechenden Bereich zu subventionie ren. Ein Marktversagenstest wird nicht verlangt. In dieser Mitteilung betonte die Kommission, dass gemeinwohlorientierte Diens te vor allem in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegen und die Kommission lediglich „offenkundige Fehler“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2000 S. 3) korrigieren werde. Zudem formulierte sie drei grundlegende Prinzipien zur Gewährleistung von Rechtssicherheit bei der Anwendung der Binnenmarktund Wettbewerbsregeln (insbesondere des Beihilferechts) auf den Bereich der Daseinsvorsorge: Die Grundsätze Neutralität, Gestaltungsfreiheit und Verhält nismäßigkeit legen die Anwendungskriterien sowie die Reichweite des EG-Wett bewerbsrechts fest und verschaffen Mitgliedstaaten und Unternehmen somit eine größere Planungssicherheit. In einem Bericht an den Europäischen Rat in Laeken legte die Kommission Ende 2001 ferner ihre Vorstellungen zur Finanzierung von Leistungen der Daseinsvorsorge vor. Danach seien staatliche Ausgleichszahlungen für Gemeinwohlverpflichtungen nur bei bestimmten legitimen Handlungen zuläs sig und auch nur, solange sie das finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens nicht stören (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2001, S. 5, Rdnr. 8). Mit der Veröffentlichung des „Grünbuchs zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ im Mai 2003 löste die Kommission eine Debatte zur Zukunft der Leis tungen der Daseinsvorsorge aus (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2003). Antworten auf die im Grünbuch gestellten Fragen wurden im Mitte Mai 2004 veröffentlichten „Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ gege ben (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2004). Darin legt die Kom mission die einzelnen Bestandteile ihrer Strategie zur Daseinsvorsorge vor. Diese umfasst als oberstes Prinzip die Förderung des Wettbewerbs in der Daseinsvorsorge innerhalb der durch Art. 86 Abs. 2 EG gesteckten Grenzen. Weitere Leitprinzipien sind: a) die Intensivierung der sektorspezifischen Regulierung, b) die Verstärkung von Monitoring und Evaluierung, c) die Verbesserung von Transparenz und Rechtssicherheit sowie d) die Gewährleistung von universellem Zugang und hohem Qualitäts-, Versor gungssicherheits- und Schutzniveau (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2004 S. 7-13). Als neues Politikelement stellt die Kommission ein einheitliches Rahmeninstrument in Aussicht, vertagt konkrete Maßnahmen diesbezüglich aber auf einen unbestimm ten Zeitpunkt nach Ratifikation des Verfassungsvertrags. Im Juli und August des Jahres 2005 hat die Kommission die Beihilfekontrolle allerdings wieder gelockert. Demnach müssen Beihilfen für Unternehmen mit ei nem Jahresumsatz von unter 100 Millionen Euro nicht mehr angemeldet werden, wenn sie 30 Millionen Euro nicht überschreiten. Zudem soll in Bereichen der loka
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I. Ökonomische Analyse
len Daseinsvorsorge (Krankenhäuser, sozialer Wohnungsbau, bestimmte Verkehrs dienstleistungen) keine Beihilfenkontrolle mehr stattfinden (Deutscher Städte- und Gemeindebund, 2005). Nachdem die Kommission das Tor zu Beihilfen für Dienstleistungen von all gemeinem wirtschaftlichem Interesse geöffnet hatte, konnte der Gerichtshof auch nicht mehr das Rad gänzlich zurückdrehen. Er begnügte sich damit, die Vorausset zungen für Beihilfen in Urteilen zu konkretisieren und zu zementieren. Im Jahr 2001 verkündete er sein Urteil im Fall „Ferring“, auf den unten in Teil II noch einzugehen ist. Er entschied dahingehend, dass, solange eine Ausgleichszahlung die aus dem Dienstleistungsauftrag entstehenden zusätzlichen Kosten nicht übersteigt, tatbe standsmäßig nicht von einer Beihilfe auszugehen ist.33 Als nächstes fällte der EuGH seine Entscheidung in der Rechtssache ‚Altmark Trans’. In seinem Rechtsspruch be stätigte er die im Fall Ferring getroffene Entscheidung, schränkte diese aber durch die Vorschaltung von vier materiellen Bedingungen ein, um so ein hinreichendes Maß an Rechtssicherheit zu gewährleisten (Kühling und Wachinger 2003, S. 1203). Als so genannte „Altmark Trans-Kriterien“ werden a) die Betrauung mit einer gemeinwirtschaftlicher Pflicht, b) die Vorherigkeit und Transparenz des Kalkulationsmaßstabs, c) der Ausgleich in maximal der Höhe der Nettomehrkosten der Leistungserstel lung und d) die marktnahe Ermittlung des Zuschusses (‚private investor test’) angeführt (Kämmerer 2004, S. 32). Der Betrauungsgrundsatz besagt, dass ein Unternehmen per Rechtsakt oder Ein zelvorschrift mit einer gemeinwirtschaftlichen Pflicht belegt worden sein muss. Ein Unternehmen kann sich nicht selbst für gemeinwirtschaftlich erklären und so ent sprechende Privilegien einfordern. Zudem muss der Kalkulationsmaßstab des Zu schusses bereits vor der Vergabe objektiv und transparent dargelegt werden (Vorhe rigkeits- und Transparenzgebot). Weiterhin darf der Ausgleich die Nettomehrkosten der Leistungserstellung nicht übersteigen (Kostendeckungskontrolle). Schließlich ist die Höhe des erforderlichen Zuschusses so marktnah wie möglich zu ermitteln, in dem Vergleichswerte eines durchschnittlichen, gut geführten Unternehmens zur Berechnung herangezogen werden (Verfahrensadäquanz). Sind alle vier Vorausset zungen kumulativ erfüllt, muss die Ausgleichszahlung nicht bei der Kommission als Beihilfe deklariert werden. Andernfalls sind sie untersagt. In diesem letzten Abschnitt wurden die öffentlichen Dienstleistungen im Span nungsfeld zwischen politischen Interessen, Sonderinteressen, vermittelnden und rechtlichen Positionen dargestellt. Ausgangspunkt war die strikte Interpretation von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse als den Wettbewerbs regeln unterworfen und nur ausnahmsweise für Beihilfen zugänglich. So lautete auch noch das Urteil „Sacchi“ des EuGH von 1974. Dem Ansturm der Interessen, Ausgleichszahlungen in Höhe der Grenzkosten des bezuschussten Unternehmens sind somit zulässig. Damit wird die rechtfertigende Bereichsausnahme des Art. 86 Abs. 2 EG überflüssig, da sie bereits in die Tatbestandsprüfung vorgezogen worden ist.
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3 Zwischenfazit
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als es darum ging Art. 86 EG umzusetzen, hielt die Kommission nur teilweise stand. Immerhin war es möglich, mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofs eine Ordnung zu etablieren, die einer nicht explizit begrenzten Subventionierung versucht Einhalt zu gebieten. Die Entwicklung steht am Anfang. Aber je mehr es gelingt, mit Hilfe des EuGH die Märkte der Daseinsvorsorge, im vorliegenden Fall des Gesundheitswe sens zu öffnen, desto mehr wird sich der Markt stabilisieren. Das Gesundheitswesen ist ein Wachstumsmarkt. Es gibt Renten aus Innovation und nicht nur aus Umver teilung. Daher sind die Chancen gut, dass sich der Markt als Ordnungsprinzip zu nehmend durchsetzt.
3 Zwischenfazit Das vorliegende Werk zieht einen weiten Bogen von einem deskriptiven Vergleich der internationalen Gesundheitssysteme, über die derzeitigen Entwicklungen und Prognosen in Deutschland, hin zu einem normativen Lösungsvorschlag, der ein nachhaltiges tragfähiges Gesundheitssystem forciert und schließlich zur politischen Umsetzbarkeit führt. Die Analyse des deutschen Gesundheitswesens offenbart einen hohen Hand lungsbedarf zur Erneuerung des gegenwärtigen Systems, um es für die nächsten Dekaden zukunftsfest zu machen. Der internationale Vergleich der Gesundheitssys teme zeigt Potentiale, die es zu nutzen gilt, um dem steigenden Bedarf an Gesund heitsleistungen nachzukommen. Die Gesamtausgaben belaufen sich schon jetzt auf 10,7 % des Bruttoinlandsprodukts (OECD Health Data, 2007) und sind in den letz ten Jahren stetig gestiegen. Demographische Entwicklungen und technischer Fort schritt werden zu anhaltenden Ausgabensteigerungen beitragen und verlangen ein nachhaltiges Finanzierungssystem, dass den größtmöglichen Nutzen für die Patien ten und Versicherten sichert. Die Finanzierungslücke des derzeitigen Systems wird auf mehr als das zweifache des deutschen Bruttoinlandsprodukts geschätzt, sodass dringend die Fehlentwicklungen der letzten Jahre, die auf Steuerungs- und Wettbe werbsdefizite im strukturellen Aufbau der GKV zurückzuführen sind, entgegenge treten werden muss. Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung konnte die hoch gesteckten Ziele bei weitem nicht erfüllen, sodass weiterhin Handlungsbedarf besteht. Der Gesundheitsfonds stellt nur einen Minimalkonsens der Regierungsparteien dar und wird von vielen Seiten heftig kri tisiert. Die Vereinheitlichung des Krankenversicherungsmarktes und die Entkopp lung der Finanzierung des Gesundheitswesens von den Arbeitskosten sind ebenso unterblieben, wie die Implementierung eines Preissignals für das Gut Gesundheit. In diesem Werk werden Reformmöglichkeiten aufgezeigt, die Wettbewerb als Allokationsmechanismus im Gesundheitswesen einführen, die zu einer nachhalti gen und sozialen Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen führen. Es werden sowohl für den Versicherungsmarkt sowie für den Versorgungs markt Vorschläge unterbreitet, um langfristig eine weitere Ressourcenverschwen dung, die heute ärgerlich aber noch finanzierbar ist, zu unterbinden. Auf dem Versicherungsmarkt können moralische Risiken und adverse Selektion durch die
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I. Ökonomische Analyse
Einführung von risikoorientierten Prämien unterbunden werden, die zeitgleich den Versicherten Anreize geben ihrer eigenen Präferenz entsprechend Gesundheits leistungen nachzufragen, sodass sich ein Wettbewerb um die Versicherten entfacht wird. Der Wettbewerb wird aber, entgegen der Meinung vieler Kritiker, nicht allei nig über den Preis stattfinden, sondern ebenso über die Qualität, sodass auch hier mit einer Verbesserung zu rechnen ist. Ferner werden Innovationen nicht länger behindert, sondern vielmehr von den Versicherungen nachgefragt, da sie sich durch Einsparungen oder qualitativ höherwertige Versorgung einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Wettbewerbern verschaffen können. Folglich werden auch auf dem Versorgungsmarkt Innovationen vorangetrieben, die das Leistungsspektrum erhö hen und nach den Präferenzen der Versicherten Leistungen bereitstellen. Integrierte Versorgung und Managed Care sind zwei Beispiele, wie die Effizienz der Versorgung erhöht werden kann. Aufgabe des Gesetzgebers in einem solchen, auf Wettbewerb basierendem, Umfeld ist es Rahmenbedingungen zu schaffen in denen sich die Ak teure frei entfalten können. Mindestanforderungen sind beispielsweise unerlässlich, da anderenfalls moralische Risiken entstehen und der Versicherungsmarkt unter laufen werden kann. Es stellt sich jedoch die Frage, warum ein tragfähiges Zukunftskonzept nicht schon wesentlich früher umgesetzt werden konnte. Dies ist vor allem auf zwei Gründe zurückzuführen: Einerseits verhindert das Interessenkonglomerat aus der am gesundheitspolitischen Entscheidungsprozess zumindest indirekt involvierten und mit der organisatorischen Durchführung der medizinischen Versorgung be auftragten Verbände und Versicherer sowie der Bürokratie, Politik und Industrie eine klare Richtungsentscheidungen zugunsten eines transparenten, auf markt wirtschaftlichen Grundprinzipien basierenden Ordnungsrahmens. Andererseits erliegen die politischen Entscheidungsträger ein ums andere Mal der Versuchung, Gesundheitspolitik als sozialpolitisches Profilierungsfeld zu nutzen. Die Vetoposi tionen der am Entscheidungsprozess Beteiligten haben somit stets nur einen Mi nimalkonsens hervorbringen können, der dem deutschen Gesundheitswesen nur für kurze Zeit Gestaltungspielraum bot. Die Überwindung dieses Dilemmas wird in der gesundheitspolitischen Diskussion bisher nur sehr unzureichend behandelt. In diesem Werk werden langfristige politische Verträge, die das myopische Regie rungshandeln überwinden können, als Ausweg aufgezeigt. Die Väter der Römischen Verträge haben bereits 1957 eine Entscheidung für den Wettbewerb als Ordnungs prinzip des gemeinsamen europäischen Marktes getroffen, der nun auch im Ge sundheitsbereich Anwendungen findet. Die Art. 81, 86 EG sind dabei besonders hervorzuheben, da sie den Wettbewerb grundsätzlich stützen, sodass die Bürger der Europäischen Union ein Instrumentarium zur Verfügung haben ihr Recht auf eine effiziente Versorgung mit Gesundheitsleistungen durchzusetzen.
I. Der Drehbuchautor und seine Rechte
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II. Juristische Analyse
1 Grundannahmen Die juristische Analyse baut auf der ökonomischen Analyse auf. Die Grundaussage der ökonomischen Analyse lautet: Wettbewerb zwischen den Krankenkassen führt auf der Grundlage risikogerecht kalkulierter Prämien zu deutlich besseren Ergebnis sen als das derzeit praktizierte vordergründig sozial motivierte System der umfas senden Sachleistungsregulierung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Für die Versicherungsfähigkeit eines Kunden ist es – so das Fazit der ökonomischen Analyse – im Falle risikogerechter Prämien irrelevant, ob er ein hohes oder ein niedriges Risiko darstellt. Das Versicherungsunternehmen ist an ihm in jedem Falle interessiert. Anders als bei jedem anderen System haben Versicherungsunterneh men keinen Anreiz, Risikoselektion und Diskriminierung zu betreiben. Moralisches Risiko und adverse Selektion werden tendenziell überwunden. Alle diese Nachteile von Einheitstarifen entfallen in einem echten wettbewerbsgesteuerten System der Krankenversicherung. Umgekehrt haben Versicherer und Versicherte bei risikoge recht kalkulierten Verträgen einen Anreiz, nach neuen Vertragsformen zu suchen und dadurch Kosten einzusparen. Die aus diesem ökonomischen Befund resultierende Rechtsfrage lautet, ob und in welchem Umfang der Gesetzgeber an dem derzeit praktizierten System der sozi alrechtlichen Regulierung innerhalb der GKV festhalten darf, obwohl feststeht, dass ein auf freiem Wettbewerb beruhendes System der gesetzlichen Krankenversiche rung – flankiert durch wettbewerbliche und sozialrechtliche Mindeststandards – für alle Beteiligten zu einer deutlich verbesserten Effektivität und Effizienz führen wür de. Ein Blick auf Artt. 86, 152 EG zeigt, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ihre Sozialsysteme in gewissen Grenzen frei gestalten und entwickeln dürfen. Wenn und solange Leistungen innerhalb der Sozialsysteme hoheitlich er bracht werden, wird dies vom Europäischen Vertrag akzeptiert. Die Grenze ist er reicht, wenn die Mitgliedstaaten dazu übergehen, bestimmte Sozialleistungen, z.B. diejenigen der gesetzlichen Krankenversicherung, tendenziell im Wettbewerb zu erbringen. In diesem Augenblick formen die Mitgliedstaaten das hoheitliche Sozial leistungssystem in ein öffentliches Unternehmen um und nehmen damit automatisch am Wettbewerb um Waren und Dienstleistungen teil. Mit Blick auf öffentliche Unternehmen stellt Art. 86 EG klar, dass die Mitgliedstaaten diesen Unternehmen keine dem Europäischen Vertrag widersprechende Maßnah men treffen oder beibehalten. Das bedeutet z.B., dass ein Mitgliedstaat, der dazu übergeht, seine soziale Krankenversicherung über ein öffentliches Unternehmen zu erbringen, damit automatisch verpflichtet ist, die Grundsätze des freien Wett bewerbs einzuhalten (Art. 4, 98, 10 EG), darüber hinaus an die Wettbewerbsregeln – also z.B. an das Kartellrecht – gebunden ist (Art. 81, 82 EG), und ferner das Dis kriminierungsverbot (Art. 12 EG) beachten muss. Eine der Grundfragen, die das
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II. Juristische Analyse
europäische Recht an die Sozialsysteme der Mitgliedstaaten richtet, ist also jene, ob die Mitgliedstaaten ihre Leistungen unter Zuhilfenahme eines öffentlichen Unternehmens erbringen. Wenn und soweit dies der Fall ist, so sind die Mitgliedstaaten auch innerhalb des sozialen Sicherungssystems rechtlich verpflichtet, das System zu deregulieren und folglich Wettbewerb insoweit zu eröffnen, als dies möglich ist. Die Tatsache, dass es sich hierbei um europarechtlich bindende Vorgaben handelt, wird durch Art. 86 Abs. 3 EG unterstrichen. Danach achtet die Kommission auf die Anwendung dieses Artikels und richtet erforderlichenfalls geeignete Richtlinien oder Entscheidungen an die Mitgliedstaaten. Genau dies hat die Kommission in den letzten 20 Jahren zur Öffnung der Telekommunikationsmärkte, der Energiemärkte, der Postmärkte und der Bahnmärkte getan. Angesichts der ökonomischen Ergeb nisse, die diese Studie zutage bringt, wird sich über kurz oder lang die Frage stellen, ob die Kommission nicht auch im Gesundheitssektor verpflichtet ist, Richtlinien zur Marktöffnung an die Mitgliedstaaten zu richten. Ein erster Richtlinienvorschlag dazu, der die grenzüberschreitende Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen betrifft, ist von der Kommission am 02. 07. 2008 veröffentlicht worden.34 Grundgedanke dieses Vorschlages: Grenzüberschreitende Gesundheitsdienstleistungen sollen in Europa möglich werden. Immerhin stehen knapp 8 Mio. Menschen in Europa auf Wartelisten und können deshalb nicht be handelt werden, weil in Europa die grenzüberschreitenden Dienstleistungen nicht hinreichend zugelassen werden. Die Kommission will dies ändern. Sie erwartet nicht nur eine sehr viel schnellere und effektivere Behandlung von Patienten, son dern auch Kosteneinsparungen von ca. 4,2 %. Die bisher erforderliche vorherige Genehmigung durch die Sozialversicherer bei grenzüberschreitender Behandlung soll aufgehoben werden. Dies bedeutet, dass die Kommission offensichtlich der Auf fassung ist, dass jedenfalls grenzüberschreitende medizinische Dienstleistungen im Wettbewerb erbracht werden. Wenn dies aber der Fall ist, dann fragt es sich, wieso nicht alle Dienstleistungen des medizinischen Sektors innerhalb der Krankenversi cherung wettbewerblich erbracht werden können und europarechtlich auch müssen. Denn wenn medizinische Dienstleistungen von einem öffentlichen Unternehmen erbracht werden, so gibt es nicht nur keinen Grund mehr, diese Unternehmen den Funktionen des freien Wettbewerbs zu entziehen, sondern es gibt darüber hinaus eine rechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihre Sozialsysteme entsprechend den Anforderungen des europäischen Rechts umzugestalten. Genau dies ist in den Bereichen Telekommunikation, Energie, Post und Bahn inzwischen europaweit ge schehen. In diesen vier als Muster dienenden früheren Monopolbereichen hat man im Wesentlichen zwei Schritte gemacht: • Zum Einen sind die jeweils bereits vorhandenen wettbewerblichen Potenziale in den bestehenden Monopolen „entdeckt“ und sodann verstärkt worden • Zum Anderen hat man die Marktgegenseite (hier ging es um die Patienten) gestärkt, indem man ihnen objektive Rechte (Klagerechte) zugewiesen hat.
Siehe hier: 2.16.
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1 Grundannahmen
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In einem ersten Schritt (II.) geht es darum, die Konzeption von Art. 86 EG-Vertrag mit Blick auf das deutsche Krankenversicherungssystem zu entwickeln. Zwar sagt der Europäische Gerichtshof bisher in ständiger Rechtsprechung, dass die Kranken kassen nicht wirtschaftlich tätig sind. Allerdings hat er seine Rechtsprechung auch schon erheblich eingeschränkt. Bei Hilfsmitteln (z.B. Brillen) oder bei Zahnersatz oder bei Rehabilitationen dürfen auch heute schon Leistungen im Wettbewerb – ins besondere grenzüberschreitend – in Anspruch genommen werden. Wirtschaftlich tätig sind Krankenkassen auch auf dem Gebiet, auf dem sie um freiwillig Versicherte mit den privaten Krankenkassen konkurrieren. Schließlich dringen sie in den Markt der Zusatzversicherungen ein (§ 53 SGB V) und eröffnen auch hier gegenüber den privaten Krankenkassen Wettbewerb. In einem zweiten Schritt (III.) wäre zu zeigen, dass und in welchem Umfang die deutschen Krankenkassen auch heute schon wirtschaftlich tätig sind. Es wird sich zeigen, dass der Gedanke des Wettbewerbs im System der GKV bereits stark ver wirklicht ist. Das System ist bei genauerem Hinsehen durch die Idee des Wettbe werbs so stark durchlöchert, dass es nur noch eines letzten Anstoßes, eines aller letzten Schrittes bedarf, um dieses System insgesamt wettbewerbsfähig zu machen. Hierzu ist eine Analyse durchzuführen. In diese Analyse sind vor allem einzubezie hen: • • • • • • • • • •
Der Wettbewerb um Leistungen im Rahmen des Sachleistungsprinzips Der Wettbewerb um Qualitätsstandards Der Wettbewerb im Rahmen der integrierten Versorgung Der Wettbewerb im Rahmen der medizinischen Versorgungszentren Der Wettbewerb im Rahmen von Arzneimitteln Der Wettbewerb um Subventionen zum Zwecke des Baus von Krankenhäu sern Der Preiswettbewerb im Rahmen des DRG-Systems Der Wettbewerb im Rahmen von Kooperationen und im Rahmen von Fusio nen Der Wettbewerb um freiwillig Krankenvollversicherte Der Wettbewerb um Wahltarife und Zusatzversicherungen
Das Ergebnis der Analyse dieser Tätigkeitsfelder der GKV wird zeigen, dass sie in Wirklichkeit längst wirtschaftlich tätig ist, dass sie nur noch dem äußeren Anschein nach als ein sozialrechtliches System fortgeführt wird. Dafür sprechen vor allem Gründe, die insbesondere die Novellierung des Wettbewerbsstärkungsgesetzes35 ge prägt haben. Ausdrücklich formuliert der Gesetzgeber: „Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung wird das Gesundheitssystem auf allen Ebenen neu strukturiert und wettbewerblicher ausgerichtet. Aus der Perspektive des Wettbewerbs geht es insbesondere um folgende Ziele: • Qualitäts- und Effizienzsteigerung durch Intensivierung des Wettbewerbs auf Kassen- und auf Leistungserbringerseite sowie Straffung der Institutionen, • Entbürokratisierung und Vergrößerung der Transparenz auf allen Ebenen, BT-Drucks. 16/3100, S. 85-213.
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• Ausweitung der Wahl- und Wechselmöglichkeiten der Versicherten in der privaten Krankenversicherung.36“ Ausdrücklich betont der Gesetzgeber, dass die „Beziehungen zwischen Patienten und Ärzten, Versicherten und Kassen, Kassen und Leistungserbringern transparenter, flexibler und stärker wettbewerblich ausgestaltet werden. Dies wird unter anderem durch Wahltarife, größere Vertragsfreiheiten der Kassen, ein neues ärztliches Honorierungswesen, die Kosten-Nutzen-Bewertung von neuen Arzneimitteln, eine bessere Verzahnung des ambulanten und des stationären Sektors, den Ausbau der integrierten Versorgung und die Straffung der Verbandsstrukturen erreicht.37“ Der Gesetzgeber ergänzt, dass „der Wettbewerb innerhalb der GKV weiter in tensiviert wird. Stärker als bisher wird sich die medizinische Versorgung künftig am Bedarf und an den Interessen der Versicherten orientieren und darauf ausgerichtet sein, heute noch bestehende Schnittstellenprobleme zu beseitigen. Die ambulante Versorgung stützt sich weiterhin auf freiberuflich tätige Haus- und Fachärzte sowie in besonderen Fällen auf die Behandlung im Krankenhaus. Im Interesse einer konti nuierlichen Behandlung der Patienten werden die Zusammenarbeit der verschiede nen Arztgruppen und die Zusammenarbeit zwischen ambulantem und stationärem Sektor verbessert, die Übergänge erleichtert und die Qualität der medizinischen Versorgung verbessert. Hierzu können die Krankenkassen stärker als bisher – un ter Wahrung des Schutzes vor Diskriminierung und Missbrauch – Einzelverträge abschließen und besondere Vereinbarungen treffen. Mit Blick auf die damit gewoll te Intensivierung des Wettbewerbs innerhalb der GKV wird dafür Sorge zu tragen sein, dass ein adäquater wettbewerbsrechtlicher Rahmen zum Schutz vor Diskri minierung und Missbrauch marktbeherrschender Stellungen greift, der sowohl den Leistungserbringern als auch den Krankenkassen Schutz vor Diskriminierung und Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung bietet.38 Daneben hat der Gesetzgeber Maßnahmen für mehr Wettbewerb, mehr Qualität, mehr Effizienz in der Arzneimittelversorgung sowie im Heil- und Hilfsmittelbereich ergriffen. Darüber hinaus werden alle Krankenkassen zum 01. Januar 2009 geöff net. Nur für geschlossene Betriebskrankenkassen gilt eine Ausnahmeregelung. Die Bundesknappschaft und die Seekrankenkasse werden geöffneten Betriebskranken kassen gleichgestellt.39 Es geht insgesamt also um mehr Wettbewerb im System, das heißt das System lebt heute bereits von der Idee des freien und funktionsfähigen Wettbewerbs. Es spricht viel dafür, dass nur noch wenige Schritte erforderlich sind, um den zurzeit regu lierungsgesteuerten Wettbewerb zu einem marktgesteuerten – also von Angebot und Nachfrage bestimmten – umzuformen. In einer solchen Situation ist die Fra ge nahe liegend, ob der Europäische Gerichtshof seine Rechtsprechung zumindest zum deutschen GKV-System nicht ändern muss. Der Gerichtshof könnte jedenfalls angerufen werden mit der Bitte, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob das deutsche GKV-System tatsächlich zusammenbräche, wenn man es zu einem echten Wettbe Begründung GKV-WSG, BT-Drucks. 16/3100 I Ziff. 3. Begründung GKV-WSG, BT-Drucks. 16/3100 II Erster Spiegelstrich. 38 GKV-WSG, BT-Drucks. 16/3100 II 2. 39 GKV-WSG, BT-Drucks. 16/3100 II 9. 36
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werbssystem umstrukturierte, insbesondere die Prämien risikogerecht kalkulieren und den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen eröffnen würde. Die vorliegende Studie wird vielfältig zeigen, dass das deutsche GKV-System unter Wettbewerbsbe dingungen nicht zusammenbrechen, sondern im Gegenteil effektiver und deutliche effizienter arbeiten würde als bisher. Alle Beteiligten, insbesondere die Patienten und der Steuerzahler würden erheblich profitieren. Die medizinische Leistungsfä higkeit des Systems würde steigen bei gleichzeitigem Rückgang des Subventions bedarfs für die GKV. In einer solchen Situation muss der Europäische Gerichtshof dem Wettbewerb im System Vorrang einräumen. Das ergibt sich aus den Wertungen des Europäischen Vertrages. Wenn Wettbewerb möglich ist, so muss er eingeführt werden – insoweit haben die Mitgliedstaaten keine Wahlmöglichkeiten. Dies ergibt sich aus den Artt. 4, 98, 5, 10 Abs. 2 i.V.m. Artt. 86, 87, 88 EG. Darüber hinaus müsste auch die Kommission tätig werden, indem sie genau das täte, was sie in den Bereichen Telekommunikation, Post, Bahn und Energie getan hat. Sie würde nach Art. 86 Abs. 3 EG Richtlinien zur Öffnung der Gesundheitsmo nopole an die Mitgliedstaaten richten. Die vorliegende Studie wird zeigen, dass dies sinnvoll ist und dass die Schritte zur Öffnung des Gesundheitssystems – jedenfalls gilt das für Deutschland – nicht mehr groß wären. In einem weiteren Schritt (IV.) müsste gezeigt werden, ob bei diesem Weg der Marktöffnung auch das Kartellrecht eine Rolle spielen könnte. Zurzeit ist es so, dass wir große Mühe haben, die Wertungen des Kartellrechts auf den Wettbewerb im Sozialsystem anzuwenden. Aber auch hier gibt es eine interessante neue Entwick lung. Während die Kartellbehörden in den letzten 50 Jahren das Kartellrecht auf Ge sundheitsmärkte fast gar nicht angewendet haben, versuchen sie es nunmehr zuneh mend – insbesondere im Bereich der Fusionskontrolle. Das ist aus der Perspektive der betroffenen Unternehmen misslich, aber aus der Perspektive der Marktöffnung im Gesundheitswesen zeigt diese Entwicklung, dass sich der Wettbewerb mit aller Macht Bahn zu brechen versucht. Man kann die scheinbaren Wertungswidersprü che zwischen dem Sozialrecht und dem Kartellrecht dadurch überwinden, dass man dem Sozialrecht prinzipiellen Vorrang einräumt. Genau das tut der Gesetzgeber aber nicht, wie die Novellierung von § 69 SGB V deutlich zeigt.40 Der Text von § 69 SGB V lautet: Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychothe rapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. 2Die §§ 19 bis 21 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten entsprechend; dies gilt nicht für Verträge von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind und bei deren Nichtzustandekommen eine Schiedsamtsregelung gilt. 3Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden ab schließend in diesem Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. 4Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. 5Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.
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Mit dem GKV-WSG hat der Gesetzgeber erstmals klargestellt, dass die Rege lungen über die Marktherrschaft und über das Diskriminierungsverbot (§§ 19-21 GWB) entsprechend auch für die Rechtsbeziehungen der Krankenkasse und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden gilt. Der Bundesgerichtshof hat darüber hinaus in einer viel beachteten und kontrovers diskutierten Entscheidung zur Fu sionskontrolle im Krankenhauswesen klargestellt, dass diese Regelungen des GWB (§§ 35-43) trotz der Grundwertungen des § 69 SGB V auf Krankenhausfusionen von Plankrankenhäusern anzuwenden sind.41 Wenn man aber das Kartellrecht auf die Beziehungen zwischen den Kranken kassen, den Leistungserbringern und den Patienten in der GKV anwendet, so heißt dies, dass das gesamte scheinbar sozialrechtliche System in Wirklichkeit bereits heute wettbewerblich funktioniert. Andernfalls dürfte nämlich das Kartellrecht auf diesen Bereich nicht angewandt werden, denn das Kartellrecht findet da und nur da Anwendung, wo es um die wettbewerbliche Kontrolle echter Marktbeziehungen geht. Das zeigt, dass die Rechtsbeziehungen im Bereich der gesetzlichen Krankenver sicherung auch heute schon wettbewerblich strukturiert sind. Es bedarf folglich nur noch eines kleinen Schrittes, um den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, den Patienten und den Leistungserbringern im Sinne eines echten Marktwettbewerbs zuzulassen. Dies würde bedeuten, dass man die Tarife für die Patienten risikogerecht kalkulieren würde. Das würde ferner bedeuten, dass die Krankenkassen mit den ein zelnen Leistungserbringern (quasi als Sachwalter für die Patienten) über Leistungs inhalte und –preise frei verhandeln würden. Dabei gäbe es keine flächendeckend gleichen Preise – dies würde schon am Kartellverbot (§ 1 GWB) scheitern, sondern die Preise würden je nach Verhandlungsgeschick der Krankenkassen und Leistungs fähigkeit der Leistungserbringer variieren. Zugleich wäre das Sachleistungsprinzip überwunden. Die Krankenkassen würden mit den Leistungserbringern nicht nur über Preise, sondern auch über Leistungen verhandeln. Die Patienten könnten mit ihren Krankenkassen unterschiedliche Tarife bei unterschiedlichen Leistungen wäh len. Bei alledem würde der Staat – entsprechend der Regelungen im Bereich der Tele kommunikation oder der Energieversorgung – eine Grundversorgung sichern. Das europäische Recht kann an der Tatsache, dass der Gesetzgeber selbst (§ 69 SGB V) und der Bundesgerichtshof im Bereich der Fusionskontrolle inzwischen das Kartellrecht auf scheinbar sozialrechtliche Beziehungen anwendet, nicht vorbeise hen. Die Anwendung des Kartellrechtes bedeutet nämlich, dass Krankenkassen und Leistungserbringer im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung auf Märkten und damit gleichgeordnet im Wettbewerb tätig sind. Daraus wiederum folgt, dass die Krankenkassen und Leistungserbringer öffentliche Unternehmen sind. Ob das für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gilt, sei dahingestellt. Jeden falls – und darauf kommt es hier entscheidend an – gilt dies für die Krankenkassen und Leistungserbringer im deutschen Krankenversicherungssystem. Der Europä ische Gerichtshof hat sich dieser Erkenntnis bisher verschlossen – wohl auch, weil die wettbewerblichen Bezüge und die wettbewerbliche Ausgestaltung des deutschen 41
BGH vom 16.01.2008, KvR 26/07 Rhön-Klinikum.
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Sozialrechtssystems noch nie so stark und so ausgeprägt war, wie es heute der Fall ist. Der Europäische Gerichtshof wird folglich angesichts der neuen wettbewerbsge prägten Entwicklungen in der GKV erneut darüber nachzudenken haben, ob seine These, die GKV sei nach wie vor in weiten Teilen nicht wirtschaftlich tätig, noch aufrecht zu erhalten ist. Ein weiterer Bereich (V.) zeigt, wie stark das Denken in wettbewerblichen Kate gorien auf den Gesundheitsmärkten heute schon vorangeschritten ist. Es handelt sich um das europäische Beihilferecht (Artt. 87, 88 EG). Die Europäische Kom mission erkennt inzwischen, dass die gesamte Krankenhaussubventionierung (nicht nur in Deutschland, aber auch dort) auf dem Prüfstand des Europäischen Rechts steht. Sie hat zwar in mehreren Verlautbarungen der letzten Jahre immer wieder betont, dass es nach wie vor zulässig sei, etwa Krankenhäuser mit Subventionen zu unterstützen. Sie hat aber auch deutlich gemacht, dass es Grenzen gibt. Diese Gren zen hat der Europäische Gerichtshof vor allem in der Entscheidung Altmark-Trans deutlich aufgezeigt. Unternehmen, die mit Aufgaben der Daseinsvorsorge betraut sind, dürfen zwar Subventionen bekommen, aber nicht mehr als ein gut geführtes privates Unternehmen. Diese Rechtsprechung krempelt die gesamt öffentliche Wirt schaft in Deutschland und Europa derzeit um. Sie zeigt, wie stark das Denken in wettbewerblichen Kategorien inzwischen auch die Bereiche der Daseinsvorsorge erfasst und sie belegt, dass wir auf den Märkten für die medizinische Versorgung dabei sind, das Prinzip der sozialen Bevormundung durch das Prinzip der selbstver antworteten Wahlfreiheit zu ersetzen. Wir stehen also an einer Zeitenwende – so wie in der Telekommunikation, der Energie, der Post und der Bahn begreifen wir, dass auch unsere Sozialleistungen durchaus im Wettbewerb angeboten werden können – nicht nur können, sondern müssen. Die medizinische Versorgung wird bei gleichzeitig sinkenden Preisen bes ser. Dieser letzte Aspekt ist besonders wichtig, denn die demografische und die bio metrische Entwicklung dürften der Haupttreiber des bisher beschriebenen Szena rios sein. Es werden weniger Menschen geboren, aber diejenigen, die leben, leben länger. Das bedeutet, die Belastung des Systems der Krankenversorgung nimmt in den nächsten vierzig Jahren drastisch zu. Das Gleiche gilt für das System der Renten versicherung und für das System der Pflegeversicherung. Die daraus resultierenden Finanzierungszwänge werden in einer globaler werdenden Welt nicht so einfach auf die Löhne überwälzt werden können. Die durchschnittlichen Wachstumsraten des BIP dürften bei etwa 1 bis 1,5 % pro Jahr liegen, der Prämienbedarf aber nur schon bevölkerungsbedingt wesentlich darüber liegen. Auch eine weitere Steuerfinanzie rung wird schwerlich möglich sein, da wiederum die aktiv Beschäftigten belastet würden. In dieser Situation liegt es auf der Hand, nach Lösungen zu suchen, die die soziale Sicherheit für die betroffenen Menschen nicht verschlechtern, das System aber gleichzeitig bezahlbar machen. Aus der Sicht der gesetzlichen Krankenver sicherung ist eine Lösung, die das Sozialsystem in den letzten zwei Jahrzehnten in einem geradezu evolutionären Prozess anstrebt, mit Händen zu greifen. Das System wird schon aus der Perspektive des Sozialrechts zunehmend wettbewerblich gestal tet. Es geht nunmehr in einem letzten Schritt nur noch darum, einen echten Wett bewerb in diesem System zu realisieren, um die systemimmanenten Effizienzen zu
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heben, Ineffizienzen abzubauen und damit erhebliche Einsparpotenziale zu öffnen bei gleichzeitig verbesserter medizinischer Versorgung. Das derzeitige System krankt unter anderem daran, dass die Politik wohl im Zu sammenwirken mit den Leistungserbringern, den Systemwechsel nicht schafft. Das ist an sich nicht überraschend, da die Zeche von den Patienten, also von einer nur schwer interessenpolitisch motivierbaren Gruppe bezahlt wird. Sie erkennen mög licherweise durchaus die Schwäche des Systems, sind aber nicht in der Lage, sich zu organisieren. Dem steht das Freifahrer Problem entgegen. Das alles führt zu einer erstaunlichen Selbstschädigung der Patienten. Die Patientenseite wird missbraucht und ausgebeutet, ohne dass diese rebelliert oder sich sonst aufbäumt. Im Gegenteil: Unter dem Stichwort soziale Gerechtigkeit und sozialer Ausgleich wird die Ideolo gie verbreitet, dass an dem System der gesetzlichen Krankenversicherung unbedingt festgehalten werden müsse, weil ein System des freien Wettbewerbs nicht mehr zu bezahlen wäre. Genau das Gegenteil ist der Fall. Aus diesem Grund ist es in einem letzten Schritt (VI.) erforderlich, die Stärkung der Patientensouveränität zu prüfen. Dafür stellt das deutsche Recht an verschie denen Stellen schon heute geeignete Instrumente zur Verfügung. Es handelt sich um Formen der Verbands- und der Sammelklage, die auf den Bereich der medizi nischen Versorgung (ADAC für den kleinen Mann) umgemünzt werden müssten. Gegenstand eines Sammelklagerechtes für Patienten könnte beispielsweise die Ver sorgung mit preiswerten Medikamenten – etwa über Internetapotheken (Stichwort: Doc Morris) sein. Ein weiteres Recht könnte darin bestehen, in Krankenhäusern behandelt zu werden, die einen besonders günstigen DRG-Wert haben. Darüber hinaus würden die Patientenorganisationen den Krankenkassen bei den Verhand lungen mit den Leistungserbringern zur Seite treten und die Rechte der Patienten geltend machen. Zugleich würden sie ein Gegengewicht gegenüber der Macht der Krankenkassen auf dem Markt für Krankenversicherungen bilden. Die angedeutete Argumentation der nun folgenden rechtlichen Analyse und Grundlegung zeigt Wege, wie die bisherigen Reformschwierigkeiten nachhaltig überwunden werden könnten und das deutsche Gesundheitswesen – insbesonde re die gesetzliche Krankenversicherung – auf ein festes Fundament gesetzt wer den könnte. Eine Entkopplung der Finanzierungs- von der Leistungsseite könnte auch zukünftigen Generationen stetige Anpassungen in einem sich ständig wan delnden Markt bezahlbar eröffnen. Verwirklicht werden könnte dies über Art. 86 EG-Vertrag, entweder durch Prozesse, die die betroffenen Unternehmen unmittel bar vor dem Europäischen Gerichtshof führen würden, oder über Richtlinien der Kommission, Art. 86 Abs. 3 EG. Gleichzeitig würden Qualitätsstandards zugunsten der Patienten gesichert werden und es wird Sorge dafür getragen, dass jeder Patient lege artis behandelt wird – auf diese Weise wird die aktuell schon bestehende Zwei klassenmedizin nachhaltig und dauerhaft vermieden. Die daraus resultierenden erhöhten Leistungsanforderungen aus dem System werden durch wettbewerbliche Effizienzen, die im System angelegt sind und nur gehoben werden müssten, gegen finanziert. Zur Effektivitäts- und Effizienzsteigerung tragen zudem Klagerechte bei, die in verschiedenen Bereichen den Patienten und den sie vertretenden Gruppen zugewiesen würden.
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2 Die GKV auf dem Prüfstand des Art. 86 EG Nach Art. 86 Abs. 1 EG behalten die Mitgliedstaaten in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem Europäischen Vertrag widersprechende Maßnahmen bei. Nach Art. 86 Abs. 2 EG gelten die Regelungen des Europäischen Vertrages auch für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Inte resse betraut sind, ausnahmsweise nur dann nicht, wenn und soweit die Anwendung der Vorschriften des Europäischen Vertrages, die Erfüllung der besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert.
2.1 Höfner und Elser 2.1.1 Das Urteil Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, mit der dieser öffentlichrechtliche Tätigkeitsmonopole auf den Prüfstand des Art. 86 EG stellt, beginnt mit der Entscheidung in Sachen Höfner und Elser vom 23.04.1991.42 Höfner und Elser waren Personalberater, die der Macroton GmbH, München, bei der Besetzung der Stelle des Leiters der Verkaufsabteilung halfen. Sie forderten dafür ein Beratungs honorar. Macroton zahlte nicht – das OLG München war der Auffassung, dass der in Rede stehende Vertrag nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 13 Arbeitsför derungsgesetz (AFG) nichtig sei. Allerdings legte das OLG München den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung (Art. 234 EG) vor, um zu klären, ob § 13 AFG selbst möglicherweise europarechtswidrig sei. Das Gericht fragte, ob die Bundesanstalt für Arbeit bei der Vermittlung von Führungskräften im Hinblick auf Art. 86 Abs. 2 EG an die Vorschriften des Europäischen Vertrages, insbesondere an die Dienst leistungsfreiheit gebunden sei und ob eine Monopolisierung der Vermittlung von Führungskräften der Wirtschaft eine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbe herrschenden Stellung im Sinne des Art. 82 EG darstelle. Die erste Frage, die der Europäische Gerichtshof zu beantworten hatte, war die, ob die öffentlich-rechtliche Bundesanstalt für Arbeit als ein Unternehmen im Sinne des Art. 86 EG angesehen werden könne. Das Gericht entschied: „Im Rahmen des Wettbewerbsrechts umfasst der Begriff des Unternehmens jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Die Arbeitsvermittlung stellt eine wirtschaftliche Tätigkeit dar.“43 Zur Begründung verweist der Gerichtshof darauf, dass die Tatsache, dass die Vermittlungstätigkeit normalerweise öffentlich-rechtlichen Anstalten übertragen sei, nicht gegen die wirtschaftliche Natur dieser Tätigkeit spreche. Die Arbeitsver mittlung sei nicht immer von öffentlichen Einrichtungen betrieben worden und müsse nicht notwendig von solchen Einrichtungen betrieben werden. Diese Fest Slg. 1991 I-01979 Höfner/Elser. Urteil Rn. 21.
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stellung gelte insbesondere für die Tätigkeit zur Vermittlung von Führungskräften der Wirtschaft.44 Somit lasse sich eine Einheit wie eine öffentlich-rechtliche Anstalt für Arbeit, die Arbeitsvermittlung betreibt, als Unternehmen im Sinne der ge meinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln qualifizieren.45 Daraus folgt, dass eine öffentlich-rechtliche Anstalt für Arbeit, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (hier nach § 3 AFG) betraut ist, nach Art. 86 Abs. 2 EG den Wettbewerbsregeln unterliegt, sofern deren Anwendung mit der Erfüllung der Aufgaben dieser Anstalt nicht nachweislich unvereinbar ist.46 Im nächsten Schritt prüft der Gerichtshof die Frage, ob die Anwendung des Marktmissbrauchsverbotes (Art. 82 EG) womöglich die Erfüllung der der Bundes anstalt übertragenen besonderen Aufgaben verhindert. Der Gerichtshof verneint dies, wenn die Anstalt „offenkundig nicht in der Lage ist, die Nachfrage auf dem Markt nach solchen Leistungen zu befriedigen“ und wenn die Anstalt die Beeinträchtigung ihres Monopols durch die genannten Unternehmen in der Praxis duldet.47 Im nächs ten Schritt stellt der Gerichtshof klar, dass Art. 82 EG nicht nur an Unternehmen, sondern auch an die Mitgliedstaaten selbst gerichtet ist. Die Mitgliedstaaten dürfen in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine Maßnahmen treffen oder beibehalten, die Art. 82 EG widersprechen.48 Aus diesem Grund wäre eine Maßnahme eines Mit gliedstaats, wonach eine öffentlich-rechtliche Anstalt zwangsläufig gegen Art. 82 EG verstoßen müsse, mit dem Vertrag unvereinbar.49 Sodann stellt der Gerichtshof klar, dass die Bundesanstalt für Arbeit wegen ih res gesetzlichen Monopols über eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des Art. 82 EG verfügt. Das bloße Gewähren einer solchen Monopolstellung verstoße allerdings noch nicht gegen Art. 82 EG, denn diese Norm setze einen Missbrauch voraus.50 Sodann bekräftigt der Gerichtshof, dass im vorliegenden Fall ein solcher Missbrauch nach Art. 82 Abs. 2b EG vorliegt. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Bundesanstalt für Arbeit „offenkundig nicht in der Lage ist, die Nachfrage auf dem Markt nach solchen Leistungen zu befriedigen“, während gleichzeitig durch die Beibehaltung der Gesetzesbestimmung die Vermittlungstätigkeit durch private Personalberater unmöglich gemacht werde.51 Mit Blick auf die „Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten“ stellt der Gerichtshof klar, dass es nicht darauf ankommt, dass das betreffende missbräuch liche Verhalten den Handel tatsächlich beeinträchtigt hat. Es genüge der Nachweis, dass dieses Verhalten geeignet ist, eine derartige Wirkung zu entfalten.52 Im Ergeb nis urteilt der Gerichtshof, dass ein Mitgliedstaat, der einer öffentlich-rechtlichen Urteil Rn. 22. Urteil Rn. 23. 46 Urteil Rn. 24 unter Hinweis auf das Urteil Slg. 1974, 409 Rn. 15 Sacchi. 47 Urteil Rn. 25. 48 Urteil Rn. 26. 49 Urteil Rn. 27. 50 Urteil Rn. 28, 29. 51 Urteil Rn. 31. 52 Urteil Rn. 32 unter Hinweis auf das Urteil Slg. 1983, 3461, Rn. 28 Michelin. 44 45
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Anstalt ein Arbeitsvermittlungsmonopol einräumt, damit gegen Art. 86 Abs. 1 EG verstößt, wenn er eine Lage schafft, in der die Anstalt zwangsläufig gegen Art. 82 EG verstoßen muss.53 2.1.2 Konsequenzen für die GKV Mit dieser bahnbrechenden Entscheidung hat der Gerichtshof gleich mehrere Grundfragen beantwortet. Öffentlich-rechtliche Anstalten sind den Regeln des Eu ropäischen Vertrages unterworfen – auf die Rechtsform kommt es nicht an. Ent scheidend ist allein, ob sie wirtschaftlich tätig sind. Das ist bei der Arbeitsvermitt lung jedenfalls der Fall. Ein solches Unternehmen im europarechtlichen Sinne handelt missbräuchlich nach Art. 82 EG, wenn es sich auf Rechtsregeln stützt, die vom Mitgliedstaat vorge geben werden, die das Unternehmen aber gar nicht einhalten kann, während gleich zeitig privaten Personalberatern die Vermittlungstätigkeit verboten wird. Diese Konsequenzen sind folgerichtig aus dem Europäischen Vertrag entwickelt und bedeuten, dass öffentliche Unternehmen missbräuchlich handeln, wenn sie sich auf Rechtsregeln berufen, die sie in Wirklichkeit nicht einhalten können, obwohl ein Privater sie einhalten kann. Wendet man Überlegungen dieser Art auf das deutsche Krankenversicherungs system an, so stellt sich die Frage, ob die Unternehmen, die das deutsche GKVSystem um- und durchsetzen, nicht dadurch missbräuchlich handeln, dass sie die in diesem System immanenten Ziele und Zwecke (insbesondere Preisgünstigkeit und Leistungsoptimierung) nicht zu realisieren in der Lage sind. Gleichzeitig wird durch das System alternativen privaten Anbietern die Möglichkeit abgeschnitten, vergleichbare Leistungen zu angemessenen Preisen bei hohem medizinischem Leistungsstandard anzubieten. Die Berufung der Unternehmen auf die Regelungen des SGB V würde sich – denkt man die Dinge einmal konsequent zu Ende – als Missbrauch im Sinne des Art. 82 EG erweisen, weil die mit der Erbringung der ge setzlichen Krankenversicherungspflicht betrauten Unternehmen letztlich nicht in der Lage sind, die Nachfrage auf dem Markt nach preisgünstigen und gleichzeitig medizinisch hochwertigen Leistungen angemessen und hinreichend zu befriedigen. Zugleich verhindert aber die Berufung auf das SGB V privaten Anbietern die Mög lichkeit, preisgünstige und medizinisch angemessene Leistungen in genau dem Sin ne zu erbringen, wie es dem SGB V vorschwebt. Dies bedeutet, dass sich bereits aus der Entscheidung Höfner und Elser ergeben könnte, dass das deutsche Sozialversi cherungssystem – jedenfalls die GKV – gegen die Grundregeln des Europäischen Vertrages, insbesondere gegen Art. 86 Abs. 2, 82 EG verstößt. Es ist sicher richtig, dass man die Frage noch stellen und beantworten muss, ob denn die Träger des deutschen GKV-Systems mit Aufgaben von allgemeinem öf fentlichem Interesse betraut sind, sodass sie als Normadressaten nach Art. 86 EG in Betracht kommen. Dazu wird auf der Grundlage anderer Entscheidungen des Euro päischen Gerichtshofes mehr zu sagen sein. Aber bereits die Entscheidung Höfner 53
Urteil Rn. 34.
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und Elser gibt zu denken – ein System, das die von ihm intendierten und mit ihm bezweckten Leistungen und Funktionen nicht oder nicht hinreichend erbringt, kann missbräuchlich sein, wenn es zugleich verhindert, dass alternative private Anbieter die Funktionsdefizite ausgleichen. Genau das geschieht im deutschen GKV-System. Soweit es um GKV-Versicherte geht, kann und darf die private Krankenversiche rung niemanden abwerben. Erst oberhalb bestimmter Bemessungsgrenzen dürfen sich bestimmte Personengruppen aus dem GKV-System verabschieden und sich privat versichern. Für alle anderen – und das sind ca. 90 % der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland – entfaltet das GKV-System Bindungswirkungen. Das bedeutet, 90 % der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland müssen in einem GKV-System versichert sein und bleiben, obwohl dieses System unteroptimal funktioniert und obwohl es ohne Probleme möglich wäre, an die Stelle dieses Sys tems ein solches zu setzen, das effektiver und effizienter, insbesondere preisgünsti ger und medizinisch leistungsfähiger wäre. Ob es tatsächlich zulässig und möglich ist, 90 % der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland ein leistungsfä higeres GKV-System vorzuenthalten, obwohl dieses praktiziert werden könnte, er scheint aus der Perspektive der Grundwertungen der Artt. 86, 82 EG höchst fraglich.
2.2 Poucet et Pistre 2.2.1 Das Urteil In der Entscheidung Poucet et Pistre vom 17. Februar 1993 ging es erstmals um die Frage, ob ein System der sozialen Sicherheit Unternehmen im Sinne der Wettbe werbsregeln (Artt. 81, 82 EG) sein könne.54 Der Gerichtshof verneinte dies, wenn und soweit die Einrichtung ihre Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter erfüllt und eine Tätigkeit ohne Gewinnzweck ausübt, die auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität beruht. Es ging um zwei Franzosen, die zu ihren Sozialver sicherungsträgern zur Zahlung der Beiträge aufgefordert worden waren. „Ohne die grundsätzliche Versicherungspflicht in einem System der sozialen Sicherheit in Frage zu stellen, vertreten wir die Auffassung, sie müsste sich insoweit frei an jede im Gebiet der Gemeinschaft niedergelassene private Versicherungsgesellschaft wenden können“.55 Der Gerichtshof verwies zunächst auf sein Urteil vom 07. Februar 198456, wonach das Gemeinschaftsrecht die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt lässt, ihre Sys teme der sozialen Sicherheit auszugestalten. Im vorliegenden Verfahren geht es um ein System der sozialen Sicherheit für Selbständige nicht landwirtschaftlicher Berufe und zwar für Krankheit, Mutterschaft und Altersversorgung. Diese Systeme, so der Gerichtshof weiter, dienen einem sozialen Zweck und beruhen auf dem Grundsatz der Solidarität.57 „Sie sollen allen Personen, die ihnen angehören, unabhängig von ihrer Vermögenslage und ihrem Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Beitritts, Slg. 1993 I-00637 Poucet et Pistre. Urteil Rn. 3. 56 Slg. 1984, 523 Rn. 16 Duphar. 57 Urteil Rn. 8. 54 55
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Versicherungsschutz bei Krankheit, Alter, Tod und Solidarität gewähren“.58 Der Solidaritätsgrundsatz, so der Gerichtshof weiter, wird im Versicherungssystem für Krankheit und Mutterschaft dadurch konkretisiert, dass dieses System durch Beiträ ge nach Maßgabe der Einkünfte aus Berufstätigkeit und der Altersrenten finanziert wird. Von der Beitragsleistung sind nur die Bezieher einer Invaliditätsrente und die versicherten Altersrentner befreit, deren Einkünfte unterhalb einer bestimmten Grenze liegen, während die Leistungen für alle Empfänger gleich sind. Außerdem behalten die Personen, die diesem System nicht mehr angehören, ihre Leistungs ansprüche unentgeltlich ein Jahr lang. Diese Solidarität bringt eine Einkommen sumverteilung zwischen den Wohlhabenderen und den Personen mit sich, denen angesichts ihrer Mittel und ihrer gesundheitlichen Lage ohne eine solche Regelung die notwendige soziale Absicherung fehlen würde.59 Im System der Alterssicherung kommt – so der Gerichtshof ergänzend – die Solidarität dadurch zum Ausdruck, dass die Renten der in Ruhe befindlichen Ar beitnehmer durch die von den erwerbstätigen Arbeitnehmern geleisteten Beiträge finanziert werden. Sie zeigt sich zudem in der Gewährung von Rentenansprüchen, denen keine Gegenleistung in Form von Beiträgen gegenüber steht und deren Höhe nicht von den geleisteten Beiträgen abhängt.60 Zwischen den einzelnen Systemen der sozialen Sicherheit schließlich äußert sich die Solidarität dadurch, dass sich die Systeme, die Überschüsse erwirtschaften, an der Finanzierung der Systeme mit strukturellen finanziellen Schwierigkeiten betei ligen.61 Folglich beruhen die so gestalteten Systeme der sozialen Sicherheit auf einem System der Versicherungspflicht, das für die Anwendung des Solidaritätsgrund satzes sowie für das finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme unerlässlich ist.62 Die Verwaltung der Systeme, um die es vorliegend geht, ist kraft Gesetzes Kassen der sozialen Sicherheit zugewiesen. Diese Kassen wenden bei der Wahrnehmung ih rer Aufgaben die Gesetze an und haben daher keine Möglichkeit, auf die Höhe der Beiträge, die Verwendung der Mittel oder die Bestimmung des Leistungsumfangs Einfluss zu nehmen.63 Aus diesen Gründen üben die Kassen keine wirtschaftliche Tätigkeit aus, sondern erfüllen eine Ausgabe mit ausschließlich sozialem Charakter. Ihre Tätigkeit beruht auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität und wird ohne Gewinnzweck ausge übt. Die Leistungen werden von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge erbracht.64 Folglich ist diese Tätigkeit keine wirtschaftliche Tätigkeit und die mit ihr betrauten Einrichtungen sind daher keine Unternehmen i.S.d. Artt. 81, 82 EG.65 Urteil Rn. 9. Urteil Rn. 10. 60 Urteil Rn. 11. 61 Urteil Rn. 12. 62 Urteil Rn. 13. 63 Urteil Rn. 14 und 15. 64 Urteil Rn. 17 und 18. 65 Urteil Rn. 19. 58 59
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2.2.2 Konsequenzen für die GKV Der Kernsatz, der das Urteil prägt, verbirgt sich etwas versteckt in der Rn. 15 des Urteils. Entscheidend ist, dass die Kassen keine Möglichkeit haben, auf die Höhe der Beiträge, die Verwendung der Mittel oder die Bestimmung des Leistungsumfangs Einfluss zu nehmen. Das ist im deutschen Krankenversicherungssystem anders. Über die Verwen dung der Mittel und über die Bestimmung des Leistungsumfanges entscheiden die Kassen im Rahmen von Verträgen, die sie mit den Leistungserbringern schließen. Der Leistungsumfang ist nicht gesetzlich festgelegt und wird auch nicht staatlich re glementiert. Die Kassen haben im deutschen System auch durchaus die Möglichkeit, auf die Höhe der Beiträge Einfluss zu nehmen. Es gibt einen gewissen Wettbewerb über die Beitragshöhe im deutschen Krankenkassensystem. Der im Jahre 2009 ein zuführende Gesundheitsfonds wird diese Möglichkeiten zwar beeinflussen und zu einem verstärkten internen Strukturausgleich führen, aber nicht völlig beseitigen. Das Urteil Poucet et Pistre zeigt also, dass es der Europäische Gerichtshof durch aus ernst meint, wenn er nur solche sozialen Systeme dem Einflussbereich des Eu ropäischen Vertrages entzieht, die ausschließlich sozialen Charakters sind, ohne Gewinnzweck ausgeübt werden und auf dem Grundsatz der Solidarität beruhen. Spätere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zeigen, dass durchaus nicht alle Leistungen innerhalb eines Systems der sozialen Sicherheit dem Anwendungs bereich des Europäischen Vertrages entzogen sind.
2.3 Fédération Française des Sociétés d` Assurance 2.3.1 Das Urteil Bereits das Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 199566 zeigt, wie rasch Sys teme der sozialen Sicherheit zugleich wirtschaftlich tätige Unternehmen sind und damit dem Anwendungsbereich des Europäischen Vertrages unterfallen. Es ging um das französische System einer freiwilligen Zusatzrentenversicherung für die Selbständigen landwirtschaftlicher Berufe.67 Dieses Versicherungssystem wurde durch Gesetz eingeführt.68 Das neue Zusatzversicherungssystem wurde kraft Geset zes durch eine nationale Kasse verwaltet. Die klagenden privaten Lebensversiche rungsgesellschaften machten geltend, dass der nationalen Kasse ein Monopol bei der Verwaltung des Versicherungssystems eingeräumt werde. Dadurch sowie durch die steuerliche Abzugsfähigkeit der an sie entrichteten Beiträge werde sie in die Lage versetzt, konkurrierende Versicherungsunternehmen von dem Markt für Lebens versicherungen, Kapitalanlagen und Sparverträgen zur Altersvorsorge zu verdrän gen. Damit aber verstoße das Dekret Nr. 90-1051 gegen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages (Artt. 81ff).69 Slg. 1995 I-04013 Fédération Française des Sociétés d`Assurance. JORF vom 27.11.1990. S. 14581 = Dekret Nr. 90-1051. 68 Nr. 88-1202 vom 30.12.1988. 69 Urteil Rn. 4 und 5. 66 67
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Der Gerichtshof stellte zunächst einmal klar, dass die Mitgliedschaft im Versi cherungssystem freiwillig ist; das System funktioniere nach dem Kapitalisierungs prinzip.70 Die von ihm gewährten Leistungen richteten sich ausschließlich nach der Höhe der von den Leistungsempfängern gezahlten Beiträge und den Erträgen der von der Einrichtung vorgenommenen Investitionen. Die Einrichtung übe somit im Wettbewerb mit Lebensversicherungsunternehmen eine wirtschaftliche Tätigkeit aus. Ein Erwerbstätiger aus dem Bereich der Landwirtschaft, der seine Grundversiche rung ergänzen möchte, wird sich also bei der Wahl zwischen der nationalen Kasse und einem Versicherungsunternehmen für die ihm günstigere Finanzanlage ent scheiden.71 Die in dem Versicherungssystem enthaltenen Elemente der Solidarität stünden dieser Bewertung nicht entgegen. Der Solidaritätsgrundsatz komme darin zum Ausdruck, dass die Beiträge vom Versicherungsrisiko unabhängig sind, dass im Fall des vorzeitigen Versterbens des Versicherten die Mittel der geleisteten Beitragszah lungen im Versicherungssystem verbleiben, dass im Krankheitsfall eine Freistellung von der Beitragszahlung möglich sei und dass die Beitragszahlung schließlich aus Gründen, die mit der Ertragslage des Betriebes zusammenhingen, vorübergehend ausgesetzt werden könne.72 Entsprechende Bestimmungen gebe es aber auch bereits in bestimmten Gruppen-Lebensversicherungsverträgen oder sie könnten in die se aufgenommen werden. Da das gesamte Versicherungssystem auf Freiwilligkeit beruhe, gelte der Grundsatz der Solidarität jedenfalls nur äußerst begrenzt. Unter diesen Umständen lasse er den wirtschaftlichen Charakter der Tätigkeit, die die das Versicherungssystem verwaltende Einrichtung ausübt, nicht entfallen. Schließlich entfalle der wirtschaftliche Charakter auch nicht deshalb, weil die Einrichtung keine Gewinnerzielungsabsicht habe. Gerade diese Tatsache könne nämlich zu Verhaltensweisen führen, die die Wettbewerbsregeln unterbinden wol len. Aus alledem ergebe sich, dass das von der französischen Regierung geschaffene Zusatzrentensystem für landwirtschaftliche Berufe ein Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln des Europäischen Vertrages ist.73 2.3.2 Konsequenzen für die GKV Mit diesem Urteil hat der Gerichtshof ein weiteres klares Kriterium eingeführt, mit dessen Hilfe die Abgrenzung zwischen Sozialsystemen und wirtschaftlich tätigen Unternehmen möglich ist. Es handelt sich um die Freiwilligkeit des Beitritts zum System. Immer dann, wenn der Systembeitritt freiwillig ist, wenn es also möglich ist, das vom Staat eingerichtete Versicherungssystem zu verlassen, um beispielsweise die Versicherung bei einem privaten Unternehmen zu betreiben, ist auch die staatliche Einrichtung bereits wirtschaftlich und damit unternehmerisch tätig. Die Tatsache, dass das staatliche Unternehmen ohne Gewinnerzielungsabsicht arbeitet, ändert an Urteil Rn. 17. Urteil Rn. 17. 72 Urteil Rn. 19. 73 Urteil Rn. 22. 70 71
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dieser Einschätzung nichts. Das ist auch völlig richtig, denn auch ein Unternehmen am Markt kann seiner Zweckrichtung nach – z.B. für die Vereinsmitglieder – ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig sein und dabei gleichzeitig im Wettbewerb zu ande ren vergleichbaren Einrichtungen stehen. Das Gleiche gilt für bestimmte Elemente der Solidarität innerhalb der Vertragsgestaltung. Auch in einem privaten Vertrag ist es möglich, Vereinbarungen zu treffen, die in bestimmten Fällen der versicherten Gemeinschaft zugute kommen sollen. So ist es beispielsweise ein Strukturmerkmal der Erlebensfallversicherung, dass die vom Versicherten eingezahlte Prämie dem „Kollektiv vererbt“ wird, wenn der Versicherte vor Erreichen des Erlebensfalles ver stirbt. Nur auf diese Weise wird es möglich, die Gesamtprämien für alle Beteiligten einer Erlebensfallversicherung verhältnismäßig niedrig zu gestalten. Ein ähnlicher Interessenausgleich findet bei der Verteilung von Abschluss- und Vertriebskosten statt, wenn der Lebensversicherungsvertrag innerhalb der ersten fünf Jahre der Laufzeit gekündigt wird. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass in diesen Fäl len zwar ein Mindestrückkaufswert zu bezahlen ist, der etwa 50 % der eingezahlten Beiträge ausmacht. Die anderen 50 % verbleiben aber den Versicherten, die den Ver sicherungsvertrag unverändert fortsetzen.74 Eines kann aus der Entscheidung des Gerichtshofes ganz sicher geschlossen wer den: Wenn und soweit der Staat ein Versicherungssystem anbietet, bei dem die Teil nahme freiwillig ist, dürfte alles dafür sprechen, dass dieses System den Regeln des Europäischen Vertrages untersteht, weil es am Wettbewerb teilnimmt. So öffnet das GKV-WSG über § 53 SGB V den gesetzlichen Krankenkassen seit dem 01.04.2007 erstmals die Möglichkeit, den Versicherten Wahltarife und eventuell auch Zusatz versicherungen anzubieten.75 Wahlmöglichkeiten dieser Art für Wahltarife und Zusatzversicherungen hat es vorher nicht gegeben. Erstmals konkurrieren also die Krankenkassen um die Versicherten in einem Segment, das bis dahin ausschließlich den privaten Krankenversicherungen vorbehalten war. Ein Pflichtversicherter kann also in Zukunft einen Wahltarif oder auch eine Zusatzversicherung entweder bei „seiner Krankenkasse“ oder aber bei einem der vielen am Markt tätigen privaten Krankenversicherer nehmen. Damit ist die Frage gestellt, ob die Träger der gesetz lichen Krankenversicherung durch diese Wahlfreiheiten möglicherweise bereits zu wirtschaftlich tätigen Unternehmen im Sinne des europäischen Rechts geworden sind. Alternativ könnte man die Frage stellen, ob der Teil, der die Wahltarife und Zu satzversicherungen umfasst, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 86 EG darstellt, während der verbleibende andere Teil dem System der sozialen Sicherheit vorbehalten bleibt. Ist es danach also möglich, dass sich innerhalb derselben Orga nisation, und zwar ohne unternehmerische und gesellschaftsrechtliche Aufspaltung, einerseits eine wirtschaftliche Tätigkeit verbergen und andererseits eine Tätigkeit verbergen kann, die einem rein sozialen Zweck dient. Noch schärfer: Kann eine Tätigkeit einem rein sozialen Zweck dienen, obwohl ein Teil der Tätigkeit offen sichtlich wirtschaftlicher Natur ist und damit den Wettbewerbsregeln des Euro BGH vom 12.10.2005, IV ZR 177/03, Anm. Schwintowski VuR 2007, 130-137. Hierzu vertiefend Klaue/Schwintowski, Grenzen der Zulässigkeit von Wahltarifen und Zu satzversicherungen in der GKV, 2008, passim.
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päischen Vertrages unterfällt. Die Frage wird später zu vertiefen sein. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 16. November 1995 zeigt jedenfalls, dass die deutsche GKV eine Gratwanderung beginnt, wenn sie Teile ihres Leistungsange botes im Wettbewerb anbietet und bei den verbleibenden Teilen in erheblichem Maße wettbewerbliche Elemente – insbesondere im Rahmen der integrierten Ver sorgung – einführt.
2.4 Kohll/Decker 2.4.1 Das Urteil Als bahnbrechend gelten gemeinhin die Urteile des Gerichtshofes vom 28. April 1998 in den Sachen Kohll76 und Decker77. Kohll und Decker waren luxemburgische Staatsangehörige, die einer gesetzlichen Krankenkasse angehörten. In der Sache Kohll ging es um den Antrag eines in Luxemburg niedergelassenen Arztes, der min derjährigen Tochter von Herrn Kohll eine Zahnregulierung bei einem Zahnarzt in Trier (Deutschland) zu genehmigen. Dieser Antrag wurde von der luxemburgischen Krankenkasse mit der Begründung abgelehnt, die Behandlung sei nicht dringend und könne in Luxemburg erbracht werden. In der Sache Decker ging es um den Antrag auf Erstattung der Kosten für eine Brille mit Korrekturgläsern, die bei einem Optiker in Arlon (Belgien) auf Verschreibung eines Augenarztes erworben wurde, der in Luxemburg niedergelassen ist. Die luxemburgische Krankenkasse teilte Herrn Decker mit, sie lehne die Kostenerstattung für diese Brille ab, da sie ohne ihre vorhe rige Genehmigung im Ausland erworben worden sei. Decker wandte ein, das Genehmigungserfordernis verstoße gegen die Warenver kehrsfreiheit (Artt. 28, 30 EG); Kohll verwies darauf, dass das Genehmigungserfor dernis gegen die Dienstleistungsfreiheit (Artt. 49, 50 EG) verstoße. Der Europäische Gerichtshof stellt zunächst klar, dass der Genehmigungsvorbe halt die Sozialversicherten davon abhält, sich an Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat zu wenden. Dis stellt sowohl für diese wie für ihre Patienten eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.78 Konsequenterweise prüft der Gerichtshof deshalb, ob der Genehmigungsvorbehalt objektiv gerechtfertigt ist. Im Grundsatz weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Mitgliedstaaten den freien Dienstleistungsverkehr aus Gründen der öffentlichen Gesundheit beschränken dür fen (Artt. 55, 46, 47 EG). Das erlaube ihnen jedoch nicht, den Gesundheitssektor als Wirtschaftssektor hinsichtlich des freien Dienstleistungsverkehrs vom elementaren Grundsatz des freien Verkehrs auszunehmen.79 Die Bedingungen des Zugangs und die Ausübung der Tätigkeiten von Ärzten und Zahnärzten seien Gegenstand meh
Slg. 1998, I-01931. Slg. 1998, I-01831. 78 Urteil Kohll Rn. 35 mit Hinweis auf frühere Urteile Slg. 1984, 377 Rn. 16 Luisi und Carbone; Slg. 1992, I-249 Rn. 31 Bachmann. 79 Urteil Rn. 46 unter Verweis auf Slg. 1986, 1573 Rn. 17 GÜL. 76 77
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rerer Richtlinien, die der Gerichtshof im Einzelnen zitiert.80 Hieraus folgt, so der Gerichtshof, dass in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Ärzte und Zahnärzte für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs als ebenso qualifiziert anerkannt werden müssen wie im Inland niedergelassene.81 Daher könne ein Genehmigungs vorbehalt nicht mit der unterschiedlichen Qualität der ärztlichen Leistungen in ei nem anderen Mitgliedstaat gerechtfertigt werden.82 Das Ziel, eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung aufrecht zu erhalten, sei zwar eng mit der Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit verbunden, könne aber auch zu den Ausnahmen aus Gründen der öffent lichen Gesundheit zählen, soweit es zur Erzielung eines hohen Gesundheitsschut zes beiträgt.83 Jedoch hätte die luxemburgische Kasse nicht nachgewiesen, dass der Genehmigungsvorbehalt erforderlich sei, um eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung sicherzustellen.84 Keiner der Beteiligten habe vorgetragen, dass der Genehmigungsvorbehalt zur Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder eines unabding baren Niveaus der Heilkunde im Inland erforderlich sei.85 Aus diesen Gründen, so schlussfolgerte der EuGH, könne der Genehmigungsvorbehalt nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt werden. Im Urteil Decker ging es um eine Brille, die von einem Luxemburger in Belgien erworben wurde. Da es sich um eine Brille, also um eine Sache, handelte, entschied der Gerichtshof, dass Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, die sich auf den Absatz medizinischer Erzeugnisse und mittelbar auf de ren Einfuhrmöglichkeiten auswirken können, den Vorschriften des EG-Vertrages über den freien Warenverkehr unterliegen.86 Auch hier stellte der Gerichtshof zu nächst klar, dass die Anwendbarkeit des Art. 28 EG durch die Berührung des Be reichs der sozialen Sicherheit nicht ausgeschlossen sei.87 Ferner stellt der Gerichtshof klar, dass der Genehmigungsvorbehalt ein Hindernis für den freien Warenverkehr darstellt, da er die Sozialversicherten dazu veranlasst, diese Erzeugnisse in Luxem burg und nicht in anderen Mitgliedstaaten zu erwerben und daher geeignet ist, die Einfuhr in diesen Staaten montierter Brillen zu hemmen.88 Mit Blick auf die Frage der Rechtfertigung nach Art. 30 EG stellt der Gerichtshof klar, dass der Kauf einer Brille bei einem Optiker in einem anderen Mitgliedstaat Garantien bietet, die denen gleichwertig sind, die beim Kauf einer Brille bei einem Optiker im Inland gegeben sind.89 Zudem sei der Kauf der Brille aufgrund einer augenärztlichen Verschreibung Urteil Rn. 47. Urteil Rn. 48. 82 Urteil Rn. 49. 83 Urteil Rn. 50. 84 Urteil Rn. 52. 85 Urteil Rn. 52. 86 Urteil Rn. 24 unter Hinweis auf Slg. 1984, 523 Rn. 16 Duphar. 87 Urteil Rn. 25. 88 Urteil Rn2. 36 unter Hinweis auf Slg. 1985, 1339 Rn. 16 Kommission/Frankreich. 89 Urteil Rn. 43 unter Hinweis auf Slg. 1989, 617, Rn. 20 Schumacher; Slg. 1992, I-2575 Rn. 18 Kommission/Deutschland. 80 81
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erfolgt, was die Sicherung des Gesundheitsschutzes gewährleiste.90 Folglich könne ein Genehmigungsvorbehalt nicht unter Berufung auf Gründe des Gesundheits schutzes gerechtfertigt werden. Anders als im Verfahren Kohll nimmt der Gerichtshof im Fall Decker zu der Frage, ob das System der sozialen Sicherheit möglicherweise zusammenbrechen könnte, wenn Brillen oder andere Heilmittel im Ausland gekauft werden, gar keine Stellung. 2.4.2 Konsequenzen für die GKV Bemerkenswert an beiden Urteilen ist, dass sie wie selbstverständlich davon ausge hen, dass sowohl die Warenverkehrs- als auch die Dienstleistungsfreiheit auf diese Systeme der sozialen Sicherheit anwendbar sind. Wörtlich heißt es im Fall Kohll, dass der Gesundheitssektor als Wirtschaftssektor hinsichtlich des freien Dienst leistungsverkehrs von diesem nicht ausgenommen werden könne.91 Dieser Gedan ke ist für die Auffassung des EuGH so elementar, dass er ihn in der Entscheidung Decker gar nicht mehr wiederholt. Anders als in den bisher dargestellten Urteilen des EuGH wird auch nicht etwa zuerst geprüft, ob auf dem Gesundheitssektor gem. Artt. 86 EG die Regeln des Europäischen Vertrages – und damit die Regeln über die Dienstleistungs- und die Warenverkehrsfreiheit – überhaupt anwendbar sind. Das hätte eigentlich nahe gelegen und macht wohl die besondere Bedeutung der Urteile Kohll und Decker aus. Diese absolute Grundfrage übergeht der EuGH in beiden Urteilen. Für ihn ist es offenbar selbstverständlich, dass der Gesundheitssektor als Wirtschaftssektor dem Europäischen Vertrag unterfällt. Wenn dies so ist – und die Urteile lassen daran keinen Zweifel – so bedeutet dies, dass der gesamte Gesund heitssektor – also auch die deutsche gesetzliche Krankenversicherung – den Grund regeln des Europäischen Vertrages unterfällt. Die Frage, ob es sich bei der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung um ein wirtschaftlich tätiges Unternehmen han delt oder nicht, stellt sich folglich gar nicht mehr. Davon geht der Gerichtshof je denfalls mit Blick auf die Warenverkehrsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit aus. Erst auf der Rechtfertigungsebene prüft der Gerichtshof, ob bestimmte system immanente Einschränkungen – es ging um den Genehmigungsvorbehalt für eine zahnärztliche Behandlung bzw. eine Brille – aus Gründen des öffentlichen Gesund heitsschutzes gerechtfertigt sein könnten. In beiden Fällen lehnt der Gerichtshof eine solche Rechtfertigung ab, weil nicht dargetan ist, dass das luxemburgische Sys tem der sozialen Sicherheit zusammenbricht, wenn man Hilfsmittel (z.B. Brillen oder bestimmte zahnärztliche Leistungen) im europäischen Ausland nachfragt. Denkt man diesen dogmatischen Ansatz zu Ende, so bedeutet dies, dass die deut sche gesetzliche Krankenversicherung insgesamt den Regeln des Europäischen Ver trages unterliegt. Einschränkungen, die sich sowohl beim Leistungskatalog als auch bei den Qualitätsstandards aus den Regelungen des SGB V ergeben, unterliegen somit prinzipiell dem Rechtfertigungsvorbehalt des Europäischen Vertrages. Nur Urteil Rn. 44. Urteil Kohll Rn. 46.
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dann, wenn eine Regelung im Recht der deutschen gesetzlichen Krankenversiche rung zur Aufrechterhaltung eines angemessenen und hinreichenden Gesundheits schutzes zwingend im Allgemeininteresse erforderlich ist, darf diese beibehalten werden. Wenn und soweit dies nicht bewiesen werden kann – nach Auffassung des Gerichtshofs liegt die Beweislast insoweit bei den Mitgliedstaaten – ist die Regelung europarechtswidrig und folglich nichtig (§ 134 BGB). Damit lassen sich sämtliche Regelungen des SGB V auf ihre Vereinbarkeit mit dem Europäischen Recht unter suchen. Stellt sich dabei heraus, dass eine große Zahl der Regelungen im SGB V zur Aufrechterhaltung eines angemessenen Gesundheitsschutzes für die deutsche Be völkerung nicht nur nicht erforderlich, sondern sogar ineffektiv oder ineffizient sein sollte, so würde dies nach den Urteilen Kohll und Decker dazu führen müssen, dass das gesamte deutsche Krankenversicherungssystem einer Regelung zu weichen hät te, die effektiv und effizient im Sinne der Ziele des Europäischen Vertrages ist. Das folgt auch aus den Geboten des freien Wettbewerbs, die in Artt. 4, 98 EG-Vertrag verankert sind und es folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der verbietet Maßnahmen beizubehalten, die unverhältnismäßig hohe Eingriffe in die Freiheit der Bürger und der Unternehmen enthalten (Art. 5 Abs. 3 EG) und schließlich ist auch der Wirksamkeitsgrundsatz (Art. 10 Abs. 2 EG) betroffen, wonach die Regelun gen des Europäischen Vertrages in den Mitgliedstaaten wirksam umzusetzen sind, so dass die Ziele des Europäischen Vertrages sich möglichst optimal verwirklichen. Mit den Urteilen Kohll und Decker hat der Europäische Gerichtshof eine Zei tenwende bei der Beurteilung der Sozialsysteme in Europa und damit auch in Deutschland eingeleitet. Seit diesen Urteilen gilt, dass der Gesundheitssektor ein Wirtschaftssektor ist. Die Frage, ob sich das deutsche Krankenversicherungssystem wirtschaftlich betätigt, stellt sich somit nicht mehr. Die hieraus resultierende Kon sequenz ist fundamental: Sämtliche Regelungen des Europäischen Vertrages sind folglich auf das deutsche Krankenversicherungssystem ohne Wenn und Aber an zuwenden. Die daraus resultierenden Konsequenzen werden im Folgenden vertieft entwickelt und diskutiert werden.
2.5 Brentjen` – Maatschappij – Albany 2.5.1 Die Urteile Am 21. September 1999 hat der Gerichtshof drei gleich lautende Entscheidungen getroffen, die allesamt niederländische Pensionsfonds betrafen.92 In allen drei Ent scheidungen ging es unter anderem um die Frage, ob ein Rentenfonds, der mit der Verwaltung eines Zusatzrentensystems betraut ist, als Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln des Europäischen Vertrages anzusehen ist. Die Besonderheit bestand in den Niederlanden darin, dass die Zusatzrentenfonds durch eine tarifver tragliche Regelung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern geschaffen wurden. Flankierend wurde die Mitgliedschaft für alle Arbeitnehmer des jeweils betroffenen Slg. 1999 I-06025 Brentjes; Slg. 1999 I-06121 Maatschappij; Slg. 1999 I-05751 Albany.
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Wirtschaftszweiges durch den Staat verbindlich vorgeschrieben. Die Rentenfonds funktionierten nach dem Kapitaldeckungsverfahren. Außerdem musste der Fonds dem einbezogenen Unternehmen eine Freistellung gewähren, wenn dieses seinen Arbeitnehmern eine mindestens gleichwertige Rentenversicherung eines anderen Anbieters anbot. Hiervon ausgehend hat der Gerichtshof in allen drei Entscheidungen gleichför mig entschieden, dass ein solcher Rentenfonds, der nach dem Kapitalisierungsprin zip funktioniert, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Wettbewerb mit Versicherungsge sellschaften ausübt und folglich ein Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechtes sei. Weder das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht noch die Verfolgung einer sozialen Zielsetzung genügten, um einem solchen Fonds die Eigenschaft eines Un ternehmens im Sinne der Wettbewerbsregeln des Vertrages zu nehmen. Mit diesen drei Urteilen hat der Gerichtshof die von ihm im Zusammenhang mit einem französischen Rentenfonds entwickelten Grundsätze bekräftigt und be stätigt.93 Dabei genügt es, dass der Fonds nach dem Kapitaldeckungsprinzip arbeitet, d.h. die jeweils eingezahlten Beiträge zugunsten desjenigen am Kapitalmarkt anlegt, von dem sie stammen. Diese Person wird an den Erträgen beteiligt. Ein Solidaritäts ausgleich findet folglich nicht statt. Damit unterscheidet sich das Kapitalisierungs prinzip (genannt auch Kapitaldeckungsverfahren) grundlegend vom Umlagever fahren, bei dem zugunsten des jeweils Begünstigten kein Kapitalstock angesammelt wird. Stattdessen werden die monatlich eingesammelten Beiträge sofort wieder an diejenigen ausgezahlt, die Rentenansprüche haben – d.h. das jeweils einkommende Geld wird sofort umgelegt. Für den Gerichtshof kommt es also entscheidend darauf an, ob die jeweilige Orga nisation das eingehende Kapital nach dem Kapitalisierungsprinzip verwaltet. Damit ist diese Organisation im Wettbewerb wirtschaftlich tätig, nämlich in Konkurrenz zu anderen Versicherungsgesellschaften, die ähnliche Kapitalisierungsprodukte an bieten. In der Regel sind dies Rentenversicherungen. Der Aspekt der Freiwilligkeit beim Zutritt oder Wechsel der das Kapital verwaltenden Organisationen wird zwar vom Gerichtshof innerhalb der Urteile erörtert, aber im Leitsatz schon nicht mehr erwähnt. Es spielt also offensichtlich eine untergeordnete Rolle. In den drei Ent scheidungen hatte der einzelne Arbeitnehmer keine Wahlmöglichkeiten. Nur das Unternehmen, dem er angehörte, konnte zwischen dem tarifvertraglich vereinbar ten Rentenfonds und einem Wettbewerber entscheiden. Das genügte offenbar dem Gerichtshof, um davon auszugehen, dass der tariflichvertraglich vereinbarte Ren tenfonds als Unternehmen im Wettbewerb tätig ist. 2.5.2 Konsequenzen für die GKV Mit Blick auf die deutsche Krankenversicherung bedeutet dies, dass alle Elemente, die eine Individualisierung des Beitrags im Sinne einer Kapitalisierung enthalten, für eine wirtschaftliche Tätigkeit im Wettbewerb sprechen. Dies gilt insbesonde 93
In Frankreich ging es um das oben besprochene Urteil Slg. 19995 I-4013 Fédération Française des Sociétés d` Assurance.
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re für Wahltarife und für Zusatzversicherungen, die nach § 53 SGB V in Zukunft von der GKV angeboten werden können. Erneut stellt sich die Frage, ob es möglich ist, dass teile des Systems der sozialen Sicherheit als eigenständige wirtschaftliche Unternehmen behandelt und betrachtet werden dürfen, obwohl diese Teile weder unternehmens-, noch gesellschaftsrechtlich – übrigens auch nicht steuerrechtlich – von dem ansonsten sozialen System getrennt sind. Vertiefend stellt sich die Frage, ob ein System der sozialen Sicherheit, das Elemente der Kapitalisierung, der Frei willigkeit und des Wettbewerbs in sich aufnimmt, auf Dauer ein System der sozialen Sicherheit bleibt oder ob es von einer bestimmten Durchdringung durch wettbe werbliche Elemente an ein insgesamt wirtschaftlich tätiges Unternehmen im Wett bewerb wird.
2.6 Pavel Pavlov94 2.6.1 Das Urteil Auch in diesem Fall ging es um ein Zusatzrentensystem, das in den Niederlanden eingeführt wurde. Im Unterschied zu den Urteilen Brentjen`, Maatschappij und Al bany handelte es sich jetzt aber um ein verbindliches System für alle Angehörigen eines freien Berufes. Die Vereinbarung des Rentensystems beruhte also anders als in den drei vorgenannten Entscheidungen nicht auf Tarifvereinbarungen, sondern auf Abreden zwischen Angehörigen freier Berufe. Abreden dieser Art sind, so der Gerichtshof, klarstellend, im Gegensatz zu Tarifvereinbarungen nicht vom Anwen dungsbereich des Kartellverbotes (Art. 81 Abs. 1 EG) ausgenommen. Aus diesem Grunde kam es darauf an, festzustellen, ob die Fachärzte, die den Fonds bilden sollten, Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages waren. Der Gerichtshof bejahte dies und wies darauf hin, dass die in Betracht kommen den Fachärzte als selbständige Wirtschaftsteilnehmer Dienstleistungen auf einem Markt, nämlich dem der fachärztlichen Dienstleistungen, erbringen.95 Sie erhalten von ihrem Patienten ein Entgelt für die erbrachten Dienstleistungen und überneh men die mit der Ausübung ihrer Tätigkeit verbundenen finanziellen Risiken. Die selbständigen Fachärzte üben somit eine wirtschaftliche Tätigkeit aus. Sie sind daher Unternehmen i.S.d. Artt. 81, 86 EGV.96 Auch den Einwand der Kommission, die Fachärzte würden mit Blick auf das Zusatzrentensystem nicht als Unternehmen, sondern als private Endverbraucher handeln, wies der Gerichtshof zurück. Die Beitragszahlung eines selbständigen Facharztes an das Berufszusatzrentensystem sei umso mehr an die Ausübung sei ner Berufstätigkeit geknüpft, als dieses System durch einen gesteigerten Grad an Solidarität unter allen Ärzten gekennzeichnet sei.97 Die Beiträge würden nicht vom Urteil vom 12. September 2000, verbundene Rechtssachen C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-06451. 95 Urteil Rn. 76. 96 Urteil Rn. 77. 97 Urteil Rn. 80. 94
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jeweiligen Risiko abhängen und alle Fachärzte müsste ohne vorherige ärztliche Un tersuchung aufgenommen werden.98 Darüber hinaus stellte der Gerichtshof klar, dass der Fachärztefonds auch aus der Perspektive des Art. 86 EG als Unternehmen tätig ist. Denn der Fachärztefonds be stimmt die Höhe der Beiträge und der Leistungen selbst und arbeitet nach dem Ka pitalisierungsprinzip.99 Aus diesen Merkmalen, zu denen noch hinzu kommt, dass die Fachärzte wählen können, ob sie ihre Regelrente beim Fachärztefonds oder bei einem vorschriftsgemäß zugelassenen Versicherungsunternehmen aufbauen, folgt, dass der Fachärztefonds eine wirtschaftliche Tätigkeit im Wettbewerb mit den Ver sicherungsunternehmen ausübt.100 Die Wahlmöglichkeiten werden ergänzt, weil der Fachärztefonds bestimmte Gruppen von Fachärzten von der Mitgliedschaft freistel len kann.101 Das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht und die Solidaritätsgesichts punkte, auf die sich der Fachärztefonds beruft, genügen nicht, um diesem Fonds die Eigenschaft eines Unternehmens im Sinne der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags zu nehmen.102 Aus der Tatsache, dass dem Fachärztefonds ein ausschließliches Recht für die Zusatzrente der Fachärzte zugewiesen wurde, folgt ferner, dass die Fachärzte nicht die Möglichkeit haben, diesen Teil ihres Rentensystems bei einem anderen Versiche rer zu versichern.103 Der Fachärztefonds hat deshalb ein gesetzliches Monopol für bestimmte Versicherungsleistungen in einem Berufszweig eines Mitgliedstaats und besitzt deshalb eine beherrschende Stellung i.S.v. Art. 82 EG.104 Allerdings konnte der Gerichtshof im vorliegenden Fall keinen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung durch den Fachärztefonds feststellen, sodass im Ergebnis ein Verstoß gegen Art. 82 EG ausschied. 2.6.2 Konsequenzen für die GKV Die Entscheidung bekräftigt erneut die Kriterien, nach denen der Gerichtshof be stimmt, ob eine bestimmte Verwaltungseinheit als Unternehmen tätig ist. Dabei differenziert der Gerichtshof zwar dem äußeren Anschein nach zwischen dem Unternehmensbegriff der Wettbewerbsregeln (Artt. 81, 82 EG) und dem Unter nehmensbegriff im Rahmen des Art. 86 EG. Ob diese Differenzierung dogmatisch zwingend erforderlich ist, muss hier nicht vertieft werden. Entscheidend ist, dass der Gerichtshof bei der Bestimmung der Frage, ob ein Unternehmen vorliegt, immer mit den gleichen Kriterien arbeitet. Ausschlaggebend ist, ob die jeweilige Einheit wirtschaftlich tätig ist. Wirtschaftlich tätig ist sie insbesondere dann, wenn sie nach dem Kapitalisierungsprinzip arbeitet und wenn die Angehörigen der Einrichtung Urteil Rn. 80. Urteil Rn. 114. 100 Urteil Rn. 115. 101 Urteil Rn. 115. 102 Urteil Rn. 117. 103 Urteil Rn. 125. 104 Urteil Rn. 126 unter Hinweis auf Slg. 1991, I-5889 Merci conventionali porto di Genova; Slg. 1999, I-5491 GB-Inno-BM. 98 99
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die Möglichkeit haben, eine vergleichbare Leistung auch bei einem anderen Wettbe werber am Markt zu nehmen. Besonders interessant ist der Hinweis darauf, dass Fachärzte selbständige Wirt schaftsteilnehmer sind. Sie sind am Markt für fachärztliche Dienstleistungen tätig und erhalten von ihren Patienten ein Entgelt für die erbrachten Dienstleistungen. Mit Blick auf diese Feststellungen105 ist allerdings zu bemerken, dass es sich um Fachärzte im niederländischen Gesundheitssystem handelt. Das niederländische System funktioniert anders als das deutsche, sodass der Rückschluss aus dem nie derländischen System in das der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung zu kurz wäre. Auf der anderen Seite hat der BGH im Fusionskontrollverfahren RhönKlinikum erst kürzlich klargestellt, dass auch in Deutschland die Patienten die Nachfrager nach ärztlichen Dienstleistungen sind und dass die Krankenhäuser und Ärzte demnach von den Patienten entlohnt werden. Wenn man dem BGH insoweit folgt, so bedeutet dies, dass damit die Frage gestellt ist, ob das gesamte deutsche ge setzliche Krankenversicherungssystem möglicherweise schon heute wettbewerblich funktioniert und somit Marktfreiheiten zwischen Krankenkassen eröffnet werden müssten, die es bisher nicht gibt. Das in Deutschland praktizierte gesetzliche Kran kenversicherungssystem funktioniert wie ein Kartell (Art. 81 Abs. 1 EG), denn es schließt jeden anderen Wettbewerber von vornherein aus. Außerdem verfügen die das System tragenden gesetzlichen Krankenkassen über eine marktbeherrschende Stellung – ca. 90 % aller Bundesbürger sind in diesem System versichert. Damit liegt ein Verstoß gegen Art. 82 EG durch Praktizierung dieses Systems nahe. Denn ebenso wie in der Sache Höfner und Elser leidet das deutsche Krankenversiche rungssystem unter Funktionsdefiziten. Es ist ineffektiv und ineffizient. Es könnte aber ohne Weiteres effektiv und effizient gestaltet werden, wenn man nämlich den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen im Sinne eines freien Marktwettbewerbs zulassen würde. So gesehen deutet Einiges darauf hin, dass das deutsche System der gesetzlichen Krankenversicherung sowohl ein verbotenes Kartell bildet als auch seine marktbeherrschende Stellung dadurch missbraucht, indem es Leistungen von Wettbewerbern verhindert, die effektiver und effizienter ohne Weiteres erbracht werden könnten.
2.7 Van der Woude 2.7.1 Das Urteil Mit Urteil des Gerichtshofes vom 21. September 2000106 hat der Gerichtshof die in den Urteilen Brentjen`, Maatschappij und Albany entwickelten Grundsätze auch auf die Krankenversicherung ausgedehnt. Es ist folglich den Tarifparteien nicht nur möglich, eine Zusatzrentenversicherung tarifvertraglich bindend für alle Arbeit nehmer zu vereinbaren, sondern dieses auch im Bereich der Krankenversicherung ergänzend zu tun. Den Sozialpartnern müsse es möglich sein, eine Krankenversi Urteil Rn. 76. Slg. 2000, I-07111 Van der Woude.
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cherungsregelung zu vereinbaren, die zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen beiträgt, indem sie die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt, um Krankheits kosten zu bestreiten und zugleich die Ausgaben verringert, die ohne Tarifvertrag von den Arbeitnehmern zu tragen gewesen wären.107 2.7.2 Konsequenzen für die GKV Das Urteil ist in sich stimmig, indem es die ungeschriebene Bereichsausnahme für tarifvertragliche Vereinbarungen im Rahmen des Kartellverbots (Art. 81 EG) auch auf Zusatzkrankenversicherungen erstreckt. Irgendwelche Auswirkungen auf die deutsche gesetzliche Krankenversicherung hat dieses Urteil nicht, da es sich bei den Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern nicht um tarifvertragliche Vereinbarungen handelt.
2.8 Van Braekel 2.8.1 Das Urteil Im Fall van Braekel, den der Europäische Gerichtshof am 12.07.2001 entschied108, ging es um eine belgische Patienten, die in Frankreich behandelt worden war. Die Behandlung war vom zuständigen Träger verweigert worden – das belgische Gericht wollte vom EuGH nur noch wissen, ob die Erben der inzwischen verstorbenen Pa tienten Anspruch auf die Behandlungskosten in Frankreich oder auf die vergleich baren Kosten in Belgien hatten. Dabei war zu beachten, dass die Kosten in Frank reich deutlich geringer ausfielen als vergleichbare Kosten in Belgien. Der Gerichtshof prüfte, ob sich aus den Bestimmungen über die Dienstleistungs freiheit (Art. 49 EG) eine Pflicht zur ergänzenden Erstattung ergibt, und bejahte dies.109 Auf der Ebene der Rechtfertigungsgründe fragte der Gerichtshof, ob durch diese Erstattung eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit drohe. Dies verneinte der EuGH, weil es schon begrifflich zu keiner Mehrbelastung kommen könne. Aus diesem Grunde sei der nationale Versicherungsträger verpflichtet, zu den höheren inländischen Sätzen ab zurechnen. 2.8.2 Konsequenzen für die GKV Wirklich überzeugend ist diese Rechtsprechung nicht. Wieso die Dienstleistungs freiheit beschränkt wird, wenn der Versicherungsträger zu den (niedrigeren) aus ländischen statt den (höheren) inländischen Sätzen abrechnet, ist nicht erkennbar. Solange der Patient jedenfalls die Kosten erstattet bekommt, die im europäischen Ausland anfallen, wird er diese Leistung im Wettbewerb auch in Anspruch neh Urteil Rn. 25. Slg. 2001, I-5363 Van Braekel. 109 Urteil Rn. 45. 107 108
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men, wenn er sie denn will. Er wird dies auch dann tun, wenn nicht zu den hö heren inländischen Sätzen abgerechnet wird. Der zusätzliche Vorteil, dass zu in ländischen Sätzen abgerechnet wird, könnte ihn zwar im Einzelfall veranlassen, zu schauen, ob es nicht im Nachbarland eine vergleichbare, aber günstigere medizini sche Leistung gibt. Es ist aber nicht Sinn und Zweck der Dienstleistungsfreiheit, ei nem Patienten finanzielle Sondervorteile durch die Inanspruchnahme dieser Frei heit zu verschaffen. Insoweit ist die Entscheidung des EuGH nicht überzeugend. Im Gegenteil: das Interesse des Versicherungsträgers daran, dass grenzüberschreitende Dienstleistungen in Anspruch genommen werden, wird durch diese Rechtspre chung behindert. Das Entstehen eines gemeinsamen Binnenmarktes für medizini sche Dienstleistungen wird zumindest aus der Perspektive der Versicherungsträger behindert, weil sich für diese der Binnenmarkt erst dann lohnen würde, wenn sie nennenswerte Kostenvorteile durch die Inanspruchnahme ausländischer Angebote hätten.
2.9 Smits/Peerbooms 2.9.1 Die Urteile Im Urteil vom 12. Juli 2001110 ging es um Frau Smits und Herrn Peerbooms, die beide um die Erstattung von Kosten für Krankenhauspflege, die in Deutschland und Österreich entstanden waren, nachsuchten. Damit stand das niederländische gesetz liche Krankenversicherungssystem auf dem Prüfstand der Europäischen Dienstleis tungsfreiheit (Art. 49 EG). Ebenso wie in Deutschland schließen die Krankenkassen in den Niederlanden Vereinbarungen mit Leistungserbringern.111 Der Versicherte muss die Leistungen der medizinischen Einrichtungen in Anspruch nehmen, mit denen seine Krankenkasse kontrahiert hat. Die Krankenkasse kann den Versicher ten die Genehmigung erteilen, sich an eine andere medizinische Einrichtung in den Niederlanden zu wenden, wenn dies medizinisch notwendig ist.112 Lässt sich ein Versicherter außerhalb der Niederlande behandeln, so kann nur der Minister die Geltendmachung des Leistungsanspruches bestimmen.113 Sowohl bei Frau Smits als auch bei Herrn Peerboom lehnten die Kassen die Nie derlande die Übernahme der in Deutschland (Frau Smits) und Österreich (Herr Peerboom) entstandenen Kosten ab. Das niederländische Gericht wandte sich an den Europäischen Gerichtshof mit der Frage, ob die in beiden Fällen bestehenden Genehmigungserfordernisse mit der europäischen Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) zu vereinbaren sind.114 Wie in all den anderen Verfahren auch hat der Gerichtshof zunächst einmal darauf hingewiesen, dass das Gemeinschaftsrecht nach ständiger Rechtsprechung Slg. 2001, I-05473. Urteil Rn. 14. 112 Urteil Rn. 20 Ziff. 1.4. 113 Urteil Rn. 20 Ziff. 4. 114 Urteil Rn. 43. 110 111
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die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozia len Sicherheit unberührt lässt.115 Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten.116 Ganz grundsätz lich weist der Gerichtshof darauf hin, dass medizinische Tätigkeiten nach ständiger Rechtsprechung von Art. 50 EG erfasst werden, ohne dass danach zu unterscheiden wäre, ob die Versorgung in einer Krankenanstalt oder außerhalb davon erbracht wird.117 Insbesondere schließt der Umstand, dass die streitige Regelung zum Bereich der sozialen Sicherheit gehört, die Anwendung der Artt. 49, 50 EG nicht aus.118 Die medizinische Leistung verliert auch nicht den Charakter einer Dienstleistung i.S.d. EG-Vertrages, weil der Patient die Erstattung der Kosten für diese Leistung über die Krankenversicherung beantragen kann.119 Art. 50 EG verlangt nicht, dass die Dienst leistung von demjenigen bezahlt wird, dem sie zugute kommt.120 Die Zahlungen der Krankenkassen stellen im Sinne des Art. 50 EG die wirtschaftliche Gegenleistung für die Leistung eines Krankenhauses dar und weisen zweifellos Entgeltcharakter auf.121 Daraus folgert der Gerichtshof zunächst einmal, dass die medizinischen Leis tungen die Frau Smits und Herrn Peerbooms im europäischen Ausland gewährt wurden, durchaus Dienstleistungen i.S.d. Dienstleistungsfreiheit des Europäischen Vertrages waren. Die Verweigerung der niederländischen Krankenkassen, diese im Ausland angefallenen Kosten zu ersetzen, stellt somit objektiv eine Verletzung der europäischen Dienstleistungsfreiheit dar. Der Gerichtshof fragt deshalb konsequent, ob diese objektive Verletzung der Dienstleistungsfreiheit ausnahmsweise gerechtfertigt sein könnte.122 Zunächst ein mal knüpft der Gerichtshof an seine frühere Rechtsprechung an und betont, dass eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozi alen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, der eine Beschränkung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs recht fertigen kann.123 Das Genehmigungserfordernis bejaht der Gerichtshof in diesem Fall, weil ansonsten die Planbarkeit durch das nationale System der sozialen Sicher heit nicht mehr gewährleistet wäre.124 Es liege, so der Gerichtshof, auf der Hand, dass jede Planungsanstrengung, die über das System der vertraglichen Vereinbarungen vorgenommen werde, um dazu beizutragen, ein Angebot an Krankenhauspflege zu gewährleisten, das rationell, stabil, ausgewogen und gut zugänglich ist, automatisch vereitelt würde, wenn es den Versicherten unter allen Umständen frei stünde, Kran Urteil Rn. 44 unter Hinweis auf Slg. 1984, 523 Rn. 16 Duphar; Slg. 1997, I-3395 Rn. 27 Sodemare; Slg. 1998, I-1931 Rn. 17 Kohll. 116 Urteil Rn. 46 unter Hinweis auf das Urteil Kohll Rn. 19. 117 Urteil Rn. 53 unter Hinweis auf Slg. 1984, 377 Luisi und Carbone; sowie das Urteil Kohll Rn. 29 und 51. 118 Urteil Rn. 54 unter Hinweis auf das Urteil Kohll Rn. 21. 119 Urteil Rn. 55. 120 Urteil Rn. 57 unter Hinweis auf Slg. 1988, 2085 Rn. 16 Bond van Adverteerders; Slg. 2000, I-2549 Rn. 56 Deliège. 121 Urteil Rn. 58. 122 Urteil Rn. 59 und 70. 123 Urteil Rn. 72 unter Hinweis auf das Urteil Kohll Rn. 41. 124 Urteil Rn. 80. 115
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kenanstalten aufzusuchen, mit denen ihre Krankenkasse keine vertragliche Verein barung abgeschlossen habe.125 2.9.2 Konsequenzen für die GKV Nach dieser Grundentscheidung beschäftigt sich der Gerichtshof mit den zwei weiteren Einschränkungen des Genehmigungsvorbehaltes und untersucht diese auf ihre Europarechtsverträglichkeit. Darauf ist hier im Einzelnen nicht einzuge hen. Entscheidend ist die Grundannahme des Gerichtshofs, wobei das System der sozialen Sicherheit infrage gestellt ist, wenn ein Patient im europäischen Ausland medizinische Dienstleistungen nachfragt. Ob diese Grundaussage des Gerichtshofs zutreffend ist, wird später zu erörtern sein. Ganz grundsätzlich kann schon hier da rauf hingewiesen werden, dass ein Versicherungssystem nicht deshalb in finanzi elle Schwierigkeiten gerät, weil der Versicherte die Leistungen in einem anderen Land nachfragt, als vom Versicherer vorgesehen. Das Finanzierungssystem kann nur dann ins Wanken geraten, wenn die Leistungen, die ein Patient ersetzt ver langt, im Ausland deutlich mehr kosten als im Inland, wenn also die Tarifierungs grundlagen, die das Versicherungssystem ausmachen, durch die Inanspruchnahme ausländischer Leistungen infrage gestellt werden. Erst dann, wenn dieses der Fall wäre, könnte von einer Erschütterung der Finanzierungsgrundlagen des jeweiligen Systems der nationalen sozialen Sicherheit gesprochen werden. In der Regel dürfte dies jedoch selten der Fall sein. Im Fall Smits und Peerbooms wurde dieser Aspekt gar nicht geprüft. Es wurde nicht erörtert, ob die Leistungen in Deutschland oder Österreich teurer oder womöglich sogar billiger waren als in den Niederlanden. Es wurde ganz allgemein angenommen, dass die Kalkulationsgrundlagen des Versiche rungssystems bereits dadurch erschüttert werden, dass die Versicherten überhaupt außerhalb des jeweiligen Inlands medizinische Leistungen in Anspruch nehmen. Eine solche Betrachtungsweise ist nicht nachvollziehbar. Gleichgültig, ob das Ver sicherungssystem nach dem Kapitaldeckungsverfahren oder nach dem Umlagever fahren aufgebaut ist, kann es nicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten, wenn eine Leistung abgerechnet wird, die nicht teurer ist als diejenige im Inland auch. Für das Finanzierungssystem ist es nämlich gleichgültig, wo der Versicherte die Leistung in Anspruch nimmt. Der Gerichtshof stellt denn auch in Wirklichkeit nicht auf die finanzielle Leis tungsfähigkeit des Systems der sozialen Sicherheit ab, sondern darauf, ob die in diesem System erbrachten Sachleistungen auch dann noch hinreichend finanziert wären, wenn die Versicherten diese außerhalb des jeweiligen Inlands in Anspruch nähmen. Insoweit verweist der Gerichtshof auf die Planbarkeit eines ausgewognen Angebots qualitativ hochwertiger Krankenhausversorgung im Inland.126 Außerdem sollen die Kosten beherrscht werden, die der Sektor Krankenhausversorgung ver ursacht.127 Beide Argumente sind nachvollziehbar – sie beinhalten den Gedanken, Urteil Rn. 81. Urteil Rn. 78. 127 Urteil Rn. 79. 125 126
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stranded investments im Krankenhaussektor möglichst zu vermeiden. Dem wiede rum liegt die Erkenntnis zugrunde, dass der Krankenhaussektor – insbesondere der Krankenhausbau – in nahezu allen Mitgliedstaaten erheblich durch staatliche Zuwendungen subventioniert wird. Wieso der Gerichtshof allerdings der Meinung ist, dass sich stranded investments am besten und wirkungsvollsten durch Planung – also staatliche Regulierung – vermeiden lassen, wird vom Gerichtshof nicht be gründet und bleibt auch sonst unklar. Normalerweise werden stranded investments dadurch vermieden, dass funkti onsfähiger Wettbewerb angestrebt wird. Bei funktionsfähigem Wettbewerb sind alle Beteiligten darauf angewiesen, im Vorfeld über die Frage nachzudenken, ob sich Investitionen rechnen und lohnen. Überlegungen dieser Art sind allerdings nur dann zielführend, wenn man mit den betroffenen Marktteilnehmern – Patienten/ Leistungserbringern – echte Marktpreise für frei verhandelbare Leistungen verein baren dürfte. Das ist weder im niederländischen noch im deutschen System der ge setzlichen Krankenversicherung der Fall. Hier dürfte der tiefere Grund für die Ar gumentation des Europäischen Gerichtshofs liegen. Systeme, die ihrer Natur nach auf Regulierung angelegt sind, werden in der Tat gestört, wenn diejenigen, die in diesem System Leistungen nachfragen, diese Leistungen plötzlich im europäischen Ausland nachfragen könnten. Damit ist aber die Frage gestellt, ob der Gerichtshof nicht selbst einem Zirkelschluss unterliegt. Er akzeptiert ein soziales System der Regulierung nicht etwa deshalb, weil dieses System besonders leistungsfähig oder effizient wäre, sondern um seiner selbst Willen. Er prüft gar nicht, ob das System der staatlichen Regulierung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung nicht sehr viel effektiver und effizienter sein könnte, wenn man es durch ein System des echten Marktwettbewerbs ersetzen würde. Es ist klar, dass der Gerichtshof die fi nanziellen Grundlagen des Systems der sozialen Sicherheit als erschüttert ansieht, wenn jemand Leistungen im europäischen Ausland nachfragt, eben weil der Ge richtshof das System der sozialen Sicherheit mit all den Nachteilen der staatlichen Regulierung so hinnimmt, wie es ist, ohne zu überprüfen, ob dieses System mit den Grundprinzipien des Europäischen Vertrages in Einklang steht. Der Europäische Vertrag verlangt aber mehr. Er verlangt freien Marktwettbe werb dort, wo er möglich ist (Artt. 4, 98 EG). Erst dann, wenn die Ergebnisse freien Marktwettbewerbs nicht hinreichend sind, erlaubt auch der Europäische Vertrag staatliche Regulierung. Mit Blick auf soziale Sicherungssysteme bedeutet dies, dass zunächst einmal die Frage gestellt wird, ob das soziale Sicherungssystem so aus gestaltet ist, dass es effizient und effektiv arbeitet. Diese Frage ist zunächst einmal zu stellen und zwar aus der Perspektive des Europäischen Vertrages (Artt. 4, 98, 10 Abs. 2 EG) selbst. Die Tatsache, dass der Gerichtshof diese Frage bisher nicht stellt, bedeutet nicht, dass sie nicht berechtigt und notwendig wäre. Sie bedeutet nur, dass der Gerichtshof bei der Frage, ob ein soziales Sicherungssystem mit dem Europäischen Vertrag vereinbar ist oder nicht, möglicherweise zurzeit etwas zu kurz argumentiert. Dabei sind die hier angeschnittenen Fragen fundamental. Wenn der Gerichtshof bei der Entwicklung seiner Kriterien für die Akzeptanz sozialer Siche rungssysteme die Frage außer Betracht lässt, ob diese Systeme effizient und effektiv arbeiten, so bedeutet dies, dass er die Grundregeln des Europäischen Vertrages au
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ßer Kraft setzt. Das kann und darf der Gerichtshof nicht – er ist – wie alle anderen Organe der EG auch – an den Vertrag gebunden. Der Grund hierfür ist nicht ein formalistischer, sondern ein sehr handfester: Die Grundprinzipien des Europä ischen Vertrages sorgen nämlich dafür, dass sich Leistung und Gegenleistung im Wettbewerb optimal ausgleichen, wenn und soweit dies möglich ist. Auf diese Weise wird Ressourcenverschleuderung vorgebeugt; Leistungen werden optimiert, Kosten werden reduziert und technischer Fortschritt wird initiiert. Wenn der Gerichtshof auf diese Motoren einer sozialen Marktwirtschaft verzichtet, indem er das staatliche System der sozialen Sicherheit per se akzeptiert, ganz gleichgültig, wie ineffizient und ineffektiv sie sind, so verstößt er nicht nur gegen den Geist des Europäischen Vertrages, sondern er verletzt seine Rechts- und Treuepflichten gegenüber den Mit gliedstaaten und ihren Bürgern. Vor allem aber verhindert der Gerichtshof auf diese Weise die Durchsetzung von sozialen Sicherungssystemen, die effektiv und effizient sind. Dies werden wir uns in Europa nicht mehr lange leisten können, weil nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen anderen Mitgliedstaaten die demografi sche Entwicklung so ist, wie sie ist. Immer mehr Menschen werden älter – d.h. die sozialen Sicherungssysteme werden immer stärker beansprucht. Wenn es uns nicht gelingt, die Kosten innerhalb dieser Systeme zu reduzieren, so wird es innerhalb der europäischen Mitgliedstaaten Unruhen geben. Es ist also nicht nur eine Frage der formal zutreffenden Anwendung des Europäischen Vertrages, sondern auch eine Frage der inneren Sicherheit und Befriedung, wenn der Gerichtshof dafür sorgt, dass die sozialen Sicherungssysteme in Zukunft effektiv und effizient arbeiten.
2.10 Müller-Fauré/Van Riet 2.10.1 Das Urteil In der Rechtssache Müller-Fauré/Van Riet128 bestätigte der Gerichtshof die Entschei dung Smits und Peerbooms und befasste sich näher mit der Problematik der Warte listen. Frau Van Riet hatte eine Behandlung in Belgien, die dort weitaus schneller durchgeführt werden konnte als in ihrer Heimat den Niederlanden, durchführen lassen. Der belgische Versicherungsträger lehnte den Antrag auf Genehmigung der Kostenerstattung ab. Der EuGH widersprach, weil die Versagung der Genehmigung ausschließlich mit der Existenz von Wartelisten für die betreffende Krankenhaus behandlung im Inland begründet wurde, ohne die konkreten Umstände des Ge sundheitszustandes des Patienten zu berücksichtigen.129 Er begründete dies damit, dass solche Wartelisten allein aus Kostengründen bestünden und nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes. Rein wirtschaftliche Erwägungen könnten aber eine Be schränkung des elementaren Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs nicht rechtfertigen.130 Slg. 2003, I-4509. Urteil Rn. 92. 130 Urteil Rn. 92. 128
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2.10.2 Konsequenzen für die GKV Die Entscheidung belegt ebenso wie Smits und Peerbooms, dass der Gerichtshof von den Mitgliedstaaten die Etablierung eines funktionsfähigen und leistungsfä higen Systems der sozialen Sicherheit erwartet. Ein Mitgliedstaat, der seine Leis tungen immer mehr zurückschraubt und stattdessen Wartelisten einführt – wohl auch in der Hoffnung, dass sich ein Teil der Fälle biologisch von selbst löst – muss grenzüberschreitend in Anspruch genommene Leistungen akzeptieren und bezah len. D.h. der Gerichtshof benutzt den Aspekt der Dienstleistungsfreiheit, um den Mitgliedstaaten zwei Botschaften zu übermitteln: • Entweder das soziale System des Mitgliedstaates wird leistungsfähig ausgestal tet, oder aber • es entsteht ein Binnenmarkt für medizinische Dienstleistungen. Dieser zweite Aspekt, der in der Rechtsprechung des EuGH implizit angelegt ist, zeigt, dass der Gerichtshof dabei ist, die Sozialsysteme im Sinne eines echten Bin nenmarktes zusammenwachsen zu lassen. Außerdem aber belegt dieser Aspekt, dass ein Mitgliedstaat einiges tun muss, um sein Sozialsystem effektiv und effizient auszugestalten. Tut er dies nicht, so dürfen seine Bürger im europäischen Ausland nachfragen. Dies wiederum bedeutet, dass der Gerichtshof das Wirksamkeitsprinzip des Europäischen Vertrages (Art. 10 Abs. 2 EG) indirekt zur Geltung bringt, indem er den Mitgliedstaaten nahe legt, Sozialsysteme zu schaffen, die effizient und effektiv sind. So gesehen kann man aus dem Urteil Müller-Fauré/Van Riet eine Bestätigung der in dieser Studie vertretenen These ableiten, wonach die Mitgliedstaaten rechtlich verpflichtet sind, ein möglichst leistungsfähiges aber gleichzeitig kostengünstiges und soweit wie möglich wettbewerblich orientiertes System der sozialen Sicherheit bereitzuhalten.
2.11 Cisal – INAIL 2.11.1 Das Urteil Mit der Entscheidung des Gerichtshofes vom 22. Januar 2002131 knüpft der Ge richtshof an die Grundsätze der Urteile Poucet et Pistre und Pavlov an. Der Be griff des Unternehmens umfasst im Rahmen des Wettbewerbsrechts jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.132 Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung ist eine wirtschaftliche Tätigkeit jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleis tungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.133 Daraus folgt umgekehrt, dass das Gemeinschaftsrecht nach ständiger Rechtsprechung die Zuständigkeit der Slg. 2002 I-00691. Urteil Rn. 22. 133 Urteil Rn. 23 unter Hinweis auf Slg. 1987, 2599 Rn. 7 Kommission/Italien; Slg. 1998, I-3851 Kommission/Italien; Slg. 2000, I-6451 Rn. 75 Pavlov. 131 132
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Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt.134 Im nächsten Schritt überprüft der Gerichtshof das von der italienischen Republik eingeführte System INAIL und stellt fest, dass dieses System ausschließlich sozialen Zwecken dient. Es handelt sich um eine obligatorische soziale Sicherung für alle Selb ständigen außerhalb des Agrarbereichs. Das System gewährt allen Personen eine Deckung gegen die Risiken des Arbeitsunfalls und der Berufskrankheit unabhängig von jeder Pflichtverletzung des Geschädigten oder des Arbeitgebers. Die Leistungen werden auch gewährt, wenn die fälligen Beiträge nicht entrichtet wurden. Hinzu kommt, dass das Versicherungssystem den Grundsatz der Solidarität umsetzt. Es wird durch Beiträge finanziert, deren Höhe nicht streng proportional zum versi cherten Risiko ist. So kann der Beitragssatz einen bestimmten Höchstbetrag nicht übersteigen, auch wenn die Tätigkeit mit einem sehr hohen Risiko verbunden ist. Ferner werden die Beträge auch auf der Grundlage der Einkünfte des Versicher ten berechnet. Schließlich ist die Höhe der gewährten Leistungen nicht notwendig proportional zu den Einkünften des Versicherten, d.h. es findet eine Solidarität zwi schen den hochbezahlten Arbeitnehmern und denjenigen mit niedrigen Einkünften statt. Schließlich ist die Tätigkeit des INAIL der staatlichen Aufsicht unterworfen. Die Höhe der Leistungen sowie der Beiträge wird letztlich staatlich festgesetzt.135 2.11.2 Konsequenzen für die GKV Das Urteil ist interessant, weil es zeigt, wie präzise und penibel der Gerichtshof die Kriterien im Einzelnen abprüft, die letztlich eine wirtschaftliche und damit wettbe werbliche Tätigkeit von einem System der sozialen Sicherheit unterscheiden. Der Gerichtshof stellt klar, dass der soziale Zweck eines Versicherungssystems als sol cher nicht genügt, um eine Einstufung der betreffenden Tätigkeit als wirtschaftliche Tätigkeit auszuschließen.136 Hinzu kommen muss ein starker Solidaritätsaspekt, der einen Ausgleich zwischen Hoch- und Niedrigverdienern schafft und schließlich eine Festlegung der Leistungen oder Beiträge durch den Staat. Damit ist zugleich die Mög lichkeit des Wechsels zu einem anderen vergleichbaren Versicherer ausgeschlossen.
2.12 FENIN 2.12.1 Das Urteil Auch das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 4. März 2003 in der Sache FENIN bestätigt die Rechtsprechung des EuGH zur Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher Tätigkeit einerseits und sozialem System andererseits.137 Es ging um 26 Einrich tungen, die das spanische nationale Gesundheitssystem verwalten. Diesen Einrich Urteil Rn. 31 unter Hinweis auf Slg. 1998, I-1931 Kohll; Slg. ... Rn. 44 Smits und Peerbooms. Zur Herleitung dieser Kriterien vgl. Urteil Rn. 31 bis 44. 136 Urteil Rn. 37. 137 Slg. 2003, II-00357. 134 135
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tungen wurde vorgeworfen, ihre marktbeherrschende Position zu missbrauchen (Art. 82 EG), indem Rechnungen gegenüber ihren Mitgliedern im Durchschnitt erst 300 Tage nach Fälligkeit beglichen wurden. Das EuG beschäftigte sich nicht mit der Frage, ob in diesem Verhalten ein Missbrauch liegt, sondern entschied, dass die 26 spanischen Einrichtungen den Wettbewerbsregeln nicht unterfielen, weil sie nicht wirtschaftlich tätig seien. Das Besondere dieses Urteils besteht darin, dass ein wei teres Abgrenzungskriterium zwischen wirtschaftlicher bzw. nicht wirtschaftlicher Tätigkeit hinzugewonnen wurde. Die 26 spanischen Einheiten kauften nämlich in großen Mengen medizinische Güter und Dienstleistungen ein, um sie sodann im Rahmen einer rein sozialen Tätigkeit zu verwenden. Das EuG stellte klar, dass das bloße Einkaufen die Tätigkeit der spanischen Einheiten nicht hinreichend beschrieb, sondern eine Einheit, mit der rein sozialen Verteilung der eingekauften Güter bil dete.138 Entscheidend sei, dass die Einrichtungen nach dem Solidaritätsgrundsatz funktionierten und folglich nicht als Unternehmen handelten. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass sie beim Einkauf medizinischer Waren und Dienstleistun gen auf einem Markt tätig seien.139 2.12.2 Konsequenzen für die GKV Das Urteil gibt insgesamt zu denken. Wendet man es auf die deutschen Kranken kassen an, dürften diese beispielsweise private Anbieter von medizinischen Waren oder Dienstleistungen diskriminieren, ohne damit das kartellrechtliche Diskrimi nierungsverbot zu verletzen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit der Novellie rung des GKV-WSG entschlossen, Verhaltensweisen dieser Art der Krankenkassen dem Kartellrecht zu unterwerfen. Im novellierten § 69 SGB V ist in Satz 2 heute klar gestellt, dass die §§ 19 bis 21 des GWB entsprechend gelten. Dies gilt nur nicht mit Blick auf Verträge mit Leistungserbringern, zu deren Abschluss die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet sind, aber gegenüber Anbietern, die außerhalb des gesetzli chen Krankenversicherungssystems stehen, dürfen Krankenkassen ihre marktbe herrschende Position nicht missbrauchen und Anbieter von Waren und Dienstleis tungen nicht diskriminieren. Das Urteil FENIN führt nun zu der überraschenden Erkenntnis, dass dies aus europäischer Kartellrechtsperspektive anders sein soll. Im europäischen Recht gibt es eine vergleichbare analoge Anwendung des Art. 82 EG auf Krankenkassen nicht und das Urteil FENIN behauptet, dass Krankenkassen auf dem Markt, auf dem sie medizinische Waren und Dienstleistungen einkaufen, nicht wirtschaftlich tätig sind. Als Begründung wird auf den sozialen Gesamtzweck der spanischen Einrichtungen verwiesen. Dem kann man ohne Weiteres folgen. Allerdings folgt aus der Tatsache, dass eine Einrichtung, die gegenüber den Leistungserbringern und den Patienten rein sozial gestaltet ist, noch nicht, dass diese Einrichtung auch dann noch rein sozial tä tig ist, wenn sie auf Märkten Waren und Dienstleistungen nachfragt. So wäre es wi dersinnig, eine Krankenkasse auch in dem Fall dem Wettbewerbsrecht zu entziehen, Urteil Rn. 37. Urteil Rn. 39, 40.
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wenn sie Kraftfahrzeuge, Laptops, Schreibtische oder Software beschafft. Bei dieser Beschaffungstätigkeit spielt die ansonsten rein soziale Betätigung der Krankenkas se keine Rolle. Sie wirkt sich auf die Beschaffungstätigkeit auch nicht etwa im Sinne des Solidaritätsprinzips aus. Im Gegenteil – die Krankenkasse ist bei ihrer Tätigkeit der Beschaffung auf einem Markt tätig und nutzt dabei ihre besondere starke Markt position selbstverständlich aus, nicht um die daraus resultierenden Spielräume der Marktgegenseite (den Verkäufern) in irgendeiner Form zurückzugeben oder ihnen daran Teilhabe zu gewähren, sondern ausschließlich, um den Versicherten und Leis tungsträgern im System die am Markt erzielten Vorteile weiterzugeben. Damit ist die Krankenkasse mit Blick auf die Einkaufstätigkeit eindeutig wirtschaftlich tätig. Es ist überhaupt nicht einzusehen, auf sie die Grundsätze des Kartellrechts nicht anzuwen den, denn das würde bedeuten, dass eine solche Krankenkasse ihre etwaige Markt macht ausnutzen und missbrauchen kann, ohne durch das Kartellrecht diszipliniert zu werden. Es gibt auch keinen anderen rechtlichen Mechanismus, der diese Kran kenkasse gegenüber den Anbietern von Waren und Dienstleistungen diszipliniert, d.h. das Urteil FENIN führt letztlich dazu, dass eine am Markt agierende Einrichtung ihre beherrschende Position missbrauchen und damit den Wettbewerb außer Kraft setzen darf. Eine solche Legitimation enthält aber weder Art. 86 EG, noch Artt. 4, 98, 10 Abs. 2 EG. Im Gegenteil eine solche Freistellung einer an einem Markt tätigen Einrichtung von den Grundsätzen des Diskriminierungsverbotes verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 3 EG) und gegen das ungeschriebene, allgemeine europarechtliche Diskriminierungsverbot, wonach niemand legitimiert ist, seine wirtschaftliche Machtposition zu Lasten einzelner Anbieter durchzusetzen. Das Urteil FENIN ist folglich nicht überzeugend. Für das deutsche System der gesetzlichen Krankenversicherung spielt es aber schon deshalb keine entscheidende Rolle, weil sich der deutsche Gesetzgeber – zu Recht – entschlossen hat, in § 69 SGB V klarzustellen, dass die §§ 19 bis 21 GWB entsprechend gelten. Inzwischen hatte der Europäische Gerichtshof als Rechtsmittelinstanz Gelegenheit, zum Ur teil des EuG am 11. Juli 2006 Stellung zu nehmen.140 Der Gerichtshof hat das EuG in vollem Umfang bestätigt, insbesondere die Auffassung vertreten, dass man die Einkaufstätigkeit von der späteren Verwendung der erworbenen Erzeugnisse nicht trennen könne.141 Begründet hat der EuGH diese Einschätzung jedoch nicht. Sie ist aus den oben dargestellten Gründen nicht überzeugend und führt zu erheblichen Missbrauchspotenzialen innerhalb des europäischen Kartellrechts.142 Die Kommis Slg. 2006, I-06295. Urteil Rn. 26. 142 Wie hier Sauter/Ellerbrock, Wettbewerbsstärkung durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsge setz (GKV-WSG)?, GesR 2007, 497, 503; ähnlich Roth, Kartellrechtliche Aspekte der Gesund heitsreform nach deutschem und europäischem Recht, GRUR 2007, 645, 650ff; Möschel, Ge setzliche Krankenversicherung und das Kartellrecht, JZ 2007, 601, 602 – Die Rechtsprechung des EuGH kollidiert auch mit derjenigen des BGH, der erstmals am 26.10.1961 klargestellt hat, dass gesetzliche Krankenkassen bei ihrer Nachfragetätigkeit unternehmerisch handeln und sich insoweit am GWB messen lassen müssen: BGHZ 36, 91, 99; bestätigt von BGH (Großer Senat), Beschluss vom 22.03.1976 – GSZ 2/75 Auto-Analyer-Anlage; BGH Kartellsenat, Urteil vom 08.05.1990, KZR 21/89 Physikalische therapeutische Behandlung; BGH Kartellsenat, Ur teil vom 22.03.1994 – KZR 9/93 Orthopädisches Schuhwerk. 140 141
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sion sollte durch eine geeignete Richtlinie dafür Sorge tragen, dass – wie im deut schen Recht – in allen Mitgliedstaaten klargestellt wird, dass das kartellrechtliche Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot auch im Bereich der gesetzlichen Kran kenversicherung gilt, jedenfalls soweit es um die Beurteilung von Verhaltensweisen geht, die außerhalb der Leistungsbeziehungen zu den Leistungserbringern und den Patienten besteht.
2.13 AOK 2.13.1 Das Urteil Von großer Bedeutung für das deutsche Krankenversicherungssystem ist das Urteil des EuGH vom 16. März 2004 in Sachen AOK.143 Das Urteil befasste sich mit dem deutschen Festbetragssystem (§ 35 SGB V). Danach bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss nach bestimmten Richtlinien, für welche Gruppen von Arznei mitteln Festbeträge festgesetzt werden können. Sodann setzen die Kassenverbän de gemeinsam und einheitlich die Festbeträge für die Arzneimittel der definierten Gruppen fest. Auf der Grundlage dieser Festsetzungen waren bestimmte Arzneimit telhersteller durch Festbeträge betroffen. Sie haben die Kassenverbände auf Unter lassung der Anwendung der sie betreffenden Festbeträge und auf Ersatz des entstan denen Schadens in Anspruch genommen.144 Im Kern ging es um die Frage, ob die Kassenverbände als Unternehmen im Sinne des Art. 81 EG anzusehen sind, wenn sie Festbeträge festsetzen. Der Gerichtshof knüpft an die Rechtssache Höfner und Elser an und erklärt, dass der Begriff des Un ternehmens im Rahmen des Wettbewerbsrechts jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzie rung umfasst.145 Systeme im Bereich der sozialen Sicherheit, die einen rein sozialen Zweck verfolgen, üben demgegenüber keine wirtschaftliche Tätigkeit aus.146 Dies ist auch der Fall bei Krankenkassen, die nur die Gesetze anwenden und keine Möglich keit haben, auf die Höhe der Beiträge, die Verwendung der Mittel und die Bestim mung des Leistungsumfangs Einfluss zu nehmen. Denn ihre auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität beruhende Tätigkeit wird ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt und die Leistungen werden von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge erbracht.147 Abgrenzend hierzu verweist der Gerichtshof auf seine Urteile, in denen er bestimmte Einrichtungen als wirtschaftlich tätige Unternehmen eingeordnet hat.148 Mit Blick auf das deutsche System stellt der Gerichtshof fest, dass die Krankenkassen eine rein soziale Aufgabe wahrnehmen, die auf dem Grundsatz Slg. 2004, I-02493. Urteil Rn. 22. 145 Urteil Rn. 46 unter Hinweis auf Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 Höfner und Elser; Slg. 2002, I-691 Rn. 22 Cisal. 146 Urteil Rn. 47. 147 Urteil Rn. 47 unter Hinweis auf Slg. 1993, I-637 Rn. 15 und 18 Poucet und Pistre. 148 Urteil Rn. 49 unter Hinweis auf Slg. 1995, I-4013 Rn. 22 Fédération Francaise; Slg. 1999, I-5751 Rn. 84-87 Albany. 143 144
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der Solidarität beruht und ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird.149 Beson ders hervorzuheben sei, dass die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet seien, ihren Mitgliedern im Wesentlichen gleiche Pflichtleistungen anzubieten, die unabhängig von der Beitragshöhe seien. Die Krankenkassen hätten somit keine Möglichkeit, auf diese Leistungen Einfluss zu nehmen.150 Darüber hinaus bildeten die Krankenkassen eine Art Solidargemeinschaft – zwischen ihnen fände ein Risikostrukturausgleich statt (§§ 265ff. SGB V). Die Krankenkassen konkurrierten somit weder miteinander, noch mit den privaten Einrichtungen hinsichtlich der Erbringung der im Bereich der Behandlung oder der arzneimittelgesetzlich vorgeschriebenen Leistungen, die ihre Hauptaufgabe darstellen.151 Auch der Spielraum, über den die Krankenkassen verfügten, um ihre Beitragssät ze festzulegen und einander einen gewissen Wettbewerb um Mitglieder zu liefern, zwinge nicht zu einer anderen Betrachtung. Wie sich aus den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen ergebe, habe der Gesetzgeber bei den Beiträgen ein Wett bewerbselement eingeführt, um die Krankenkassen zu veranlassen, im Interesse des ordnungsgemäßen Funktionierens des deutschen Systems der sozialen Sicherheit ihre Tätigkeit nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit auszuüben, d.h. so effi zient und kostengünstig wie möglich. Die Verfolgung dieses Ziels ändere nichts an der Natur der Tätigkeit der Krankenkassen.152 Folglich erweise sich die Tätigkeit der Krankenkassen als nicht wirtschaftliche Tätigkeit – die Krankenkassen seien keine Unternehmen im Sinne der Artt. 81, 82 EG.153 Es lasse sich jedoch nicht ausschließen, dass die Krankenkassen außerhalb ih rer Aufgaben rein sozialer Art im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit Geschäftstätigkeiten ausübten, die keinen sozialen, sondern einen wirtschaftlichen Zweck hätten. In diesem Fall wären die von ihnen zu treffen den Entscheidungen möglicherweise als Beschlüsse von Unternehmen oder Unter nehmensvereinigungen anzusehen.154 Der Gerichtshof prüft deshalb, ob die Festsetzung der Festbeträge durch die Kas senverbände zu den Aufgaben rein sozialer Art gehört oder über diesen Rahmen hinausgeht und eine Tätigkeit wirtschaftlicher Art darstellt.155 Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Krankenkassen bei der Festsetzung der Festbeträge nur ihrer Pflicht nachkommen, die ihnen § 35 SGB V auferlegt, um den Fortbestand des deutschen Systems der sozialen Sicherheit sicherzustellen.156 Nur die konkrete Höhe der Festbeträge werde nicht durch das Gesetz vorgegeben, sondern von den Kassenverbänden unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber festgelegten Kriteri en entschieden.157 Insgesamt zeige sich, dass die Kassenverbände bei der Festsetzung Urteil Rn. 51. Urteil Rn. 52. 151 Urteil Rn. 54. 152 Urteil Rn. 56. 153 Urteil Rn. 57. 154 Urteil Rn. 58. 155 Urteil Rn. 59. 156 Urteil Rn. 61. 157 Urteil Rn. 62. 149 150
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der Festbeträge kein eigenes Interesse verfolgten, das sich von dem rein sozialen Zweck der Krankenkassen trennen ließe. Vielmehr kämen die Kassenverbände mit dieser Festsetzung einer Pflicht nach, die vollständig zur Tätigkeit der Krankenkas sen im Rahmen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung gehöre.158 Daraus folgt, dass die Kassenverbände bei der Festsetzung der Festbeträge nur eine Pflicht im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit erfüllten, die ihnen das Gesetz auferlege und dass sie nicht als Unternehmen handeln, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübten.159 2.13.2 Konsequenzen für die GKV Das Urteil ist in mehrerer Hinsicht von großer Bedeutung für das deutsche Kran kenversicherungssystem. Zum einen stellt der Gerichtshof klar, dass Regelungen im SGB V, die versuchen, den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit umzusetzen, am rein sozialen Charakter des Systems nichts ändern.160 Ob diese Grundannahme des Ge richtshofs auf Dauer trägt, wird zu diskutieren sein. Zweifel daran sind erlaubt. Folgt man nämlich der Auffassung des Gerichtshofes, so kann ein System der sozialen Sicherheit im Wesentlichen wettbewerblich aufgebaut sein, ohne den sozialen Cha rakter zu verlieren. Das kann schlecht zutreffen. Allerdings hat der Gerichtshof in der AOK-Entscheidung auch nicht die vielen wettbewerblichen Einflüsse durch das GKV-WSG in das SGB V zu beurteilen gehabt. Es ging ausschließlich um das Fest betragssystem, das seiner Natur nach regulierenden Charakter trägt und kaum wett bewerbliche Züge aufweist. Darüber hinaus hat der Gerichtshof über die Grundfra ge nicht zu entscheiden gehabt, nämlich diejenige, ob ein nationaler Gesetzgeber auf Dauer ein ineffizientes und ineffektives System der sozialen Sicherheit auch dann als Regulierungssystem aufrecht erhalten darf, wenn er die gleichen Ziele sehr viel effektiver und sehr viel effizienter durch ein wettbewerblich gestaltetes System errei chen kann. Diese Frage, die etwas mit dem Verhältnis von Art. 86 EG zu den Artt. 4, 98, 10 Abs. 2, 5 Abs. 3 EG zu tun hat, war nicht Gegenstand des AOK-Urteils. In keiner der bisher vorliegenden Entscheidungen hat der Gerichtshof überhaupt je über diese Frage nachgedacht. Hochinteressant ist aber die Aussage des Gerichtshofes, wonach Krankenkassen durchaus teilweise im sozialen Bereich und teilweise im wirtschaftlichen, also wett bewerblichen Bereich, tätig werden können.161 Eine rein sozial tätige Einheit kann also interessanterweise zugleich auch wirtschaftlich und wettbewerblich tätig sein und insoweit dann den Wettbewerbsregeln des Europäischen Vertrages unterfallen. Diese Aussage zeigt übrigens, dass das Urteil FENIN des EuG keinen Bestand ha ben kann. Die Erwägungen des EuGH zwingen geradezu dazu, zwischen rein sozi alen Tätigkeitsfeldern und jenen zu unterscheiden, auf denen der Sozialversiche rungsträger eben doch wirtschaftlich, also wettbewerblich tätig ist. Ein und dieselbe Urteil Rn. 63. Urteil Rn. 64. 160 Urteil Rn. 56. 161 Urteil Rn. 58. 158 159
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Einheit kann also teilweise dem Anwendungsbereich des Europäischen Vertrages entzogen und teilweise ihm unterworfen sein. Damit löst sich der Unternehmensbe griff des Europäischen Vertrages gänzlich von einer gesellschaftsrechtlichen Fundie rung – es kommt allein auf die Funktionen der jeweiligen Tätigkeit an. Tätigkeiten rein sozialer Natur sind dem europäischen Recht entzogen; Tätigkeiten, die sich auf Märkten auswirken, also wirtschaftlich und wettbewerblich einzuordnen sind, sind den Wettbewerbsregeln des Europäischen Vertrages unterworfen.
2.14 Watts – Herrera – und OAEE 2.14.1 Die Urteile Mit der Entscheidung vom 16.05.2006162 hat der Gerichtshof erneut bestätigt, dass die Regeln der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) anwendbar sind, wenn sich eine Person zu einer erforderlichen Krankenhausbehandlung in einem anderen Mit gliedstaat begibt. Allerdings darf der Mitgliedstaat die Übernahme der Kosten von einer vorherigen Genehmigung durch den zuständigen Träger abhängig machen.163 Allerdings darf die beantragte Genehmigung nicht unter Berufung auf die Existenz von Wartelisten abgelehnt werden, wenn diese Wartelisten gerade die Übernahme der Kosten des anderen Mitgliedstaates vermeiden sollen.164 Dies verstößt nicht gegen Art. 152 Abs. 5 EG, wonach bei der Tätigkeit der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens in vollem Umfang gewahrt wird. Art. 152 Abs. 5 EG schließt nämlich nicht aus, dass die Mitgliedstaaten nach anderen Vertragsbestimmungen als Art. 49 EG165 verpflichtet sind, Anpassungen in ihren nationalen Systemen der sozialen Sicherheit vorzunehmen, ohne dass dies als Eingriff in ihre souveräne Zu ständigkeit in dem betreffenden Bereich angesehen werden könnte.166 Anknüpfend an dieses Urteil hat der Gerichtshof am 15. Juni 2006 in der Sache Herrera entschieden167, ebenso wie im Fall Watts hat das Gericht erster Instanz die Auffassung vertreten, dass Art. 22 der VO 1408/71 die Kosten der den Patienten begleitenden Person (Aufenthalts- und Verpflegungskosten) nicht umfasst. Auch im Urteil des EuGH vom 19.04.2007168 ging es um die Grenzen der Erstat tungspflicht bei Krankenhausleistungen, die im Ausland in Anspruch genommen wurden. Es ging um einen Griechen, der in einer Privatklinik in Großbritannien behandelt wurde und dafür 13.600 GBP bezahlte. Das griechische Gesetz sah keine Übernahme dieser Kosten vor. Ausgenommen davon waren Kinder unter 14 Jahren. Der Europäische Gerichtshof stellte zunächst klar, dass die Mitgliedstaaten auch mit EuGHE I-2006, 4326 Watts. Urteil Leitsatz 3. 164 Urteil Leitsatz 3. 165 So etwa Art. 22 der VO Nr. 1408/71. 166 Urteil Leitsatz 7. 167 Slg. 2006, I-05341. 168 NJW 2007, 1663. 162 163
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Blick auf die Ausgestaltung der Systeme der sozialen Sicherheit die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr zu beachten hätten.169 Dagegen verstieß die griechische Regelung objektiv, denn sie lehnte die Kosten einer Behandlung in ei nem anderen Mitgliedstaat ab, während die Übernahme der Kosten in Griechen land möglich war. Eine solche Regelung – so der Gerichtshof – schreckt die Sozial versicherten davon ab, sich an einen Erbringer von Krankenhausdienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten zu wenden oder hindert sie sogar daran und stellt folglich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.170 Im nächsten Schritt prüft der Gerichtshof, ob eine derartige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein könnte.171 Insoweit bestätigt der Gerichtshof, dass das Ziel, eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung aufrecht zu er halten, zu den Ausnahmen aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nach Art. 46 EG zählen könne, soweit dieses Ziel zur Erreichung eines hohen Niveaus des Ge sundheitsschutzes beiträgt.172 Der Gerichtshof schließt nicht aus, dass Gründe dieser Art im vorliegenden Fall vorliegen könnten, erklärt dann aber, dass die so beschrie benen zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen dürften.173 Damit prüft der Gerichtshof die Verhältnismä ßigkeit im engeren Sinne. Insoweit wirft der Gerichtshof der griechischen Regelung vor, dass sie nicht mit dem verfolgten Ziel vereinbar sei, da weniger einschneidende und den freien Dienstleistungsverkehr besser wahrende Maßnahmen ergriffen wer den könnten.174 Insbesondere würde etwa ein System der vorherigen Genehmigung und gegebenenfalls die Festlegung von Tabellen für die Erstattung von Behand lungskosten in Betracht kommen.175 2.14.2 Konsequenzen für die GKV Die drei Urteile bestätigen, dass der Gerichtshof immer dann, wenn ein Patient eine medizinische Leistung in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch nimmt, wie selbstverständlich von einer wirtschaftlichen Betätigung des jeweiligen Sozial versicherungsträgers ausgeht und deshalb die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) anwendet. Erst im Rahmen der Rechtfertigung prüft der Gerichtshof, ob das System der sozialen Sicherheit möglicherweise zusammenbrechen könnte, wenn man den jeweiligen Patienten einen Anspruch auf Kostenerstattung gewährt. Besonders interessant ist der Hinweis des Gerichtshofes auf Art. 152 Abs. 5 EG. Danach wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Ge sundheitswesens und die medizinische Versorgung bei der Tätigkeit der Gemein Urteil Rn. 23. Urteil Rn. 28. 171 Urteil Rn. 31 unter Hinweis auf Slg. 1998, I-1931 Rn. 41 Kohll; Slg. 2001, I-5473 Rn. 44-46 Smits & Peerbooms; Slg. 2003, I-4509 Rn. 73 Müller-Fauré und Van Riet. 172 Urteil Rn. 31. 173 Urteil Rn. 34. 174 Urteil Rn. 35. 175 Urteil Rn. 35. 169 170
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schaft im Bereich der Gesundheit in vollem Umfang gewahrt. Dies schließt – so der Gerichtshof – die Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit aber nicht aus. Das ist auch richtig. Die Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit berührt nämlich die Verantwortung des Mitgliedstaates für die Organisation des Gesundheitswe sens gerade nicht. Im Gegenteil: Ein Mitgliedstaat, der die Dienstleistungsfreiheit beachtet, organisiert sein Gesundheitswesen anders als ein Mitgliedstaat, der dies nicht tut. Art. 152 Abs. 5 EG soll also nicht etwa die Grundregeln des Europäischen Vertrages im Bereich des Gesundheitswesens außer Kraft setzen, sondern nur dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten für die Organisation ihres Gesundheitswesens die ausschließliche Verantwortung tragen. Welche Regeln sie dabei zu beachten haben, ist eine andere Frage. Diese wichtige Grunderkenntnis würde es auch zulassen, von einem Mitgliedstaat die Umgestaltung seines Gesundheitswesens im Sinne eines wettbewerblich effizienten Systems zu verlangen, wenn auf diese Weise der soziale Charakter des Gesundheitswesens sehr viel effektiver und effizienter realisiert wer den könnte, als durch ein System der Quersubvention und Umverteilung, wie es derzeit in der deutschen GKV der Fall ist.
2.15 Zusammenfassung der Grundsätze der europäischen Rechtsprechung Fasst man die Grundsätze der europäischen Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der Regeln des Europäischen Vertrages auf Gesundheitssysteme zusammen, so sagt der Gerichtshof regelmäßig im ersten Schritt, dass das Gemeinschaftsrecht die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt lässt, ihre Systeme der sozialen Sicherheit auszuge stalten. Dieser Grundsatz ist heute Gegenstand von Art. 152 Abs. 5 EG. Im nächsten Schritt stellt der Gerichtshof aber klar, dass die Regeln des Gemeinschaftsrechtes auf die von den Mitgliedstaaten geschaffenen Systeme der sozialen Sicherheit anwend bar sind. Dabei unterscheidet er im Wesentlichen zwei differierende Szenarien: (1) Zunächst einmal geht es um die Frage, ob das System der sozialen Sicherheit selbst wirtschaftlich und damit wettbewerblich tätig ist oder nicht. Systeme, die ausschließlich sozial funktionieren, sind dem Anwendungsbereich des Art. 86 EG entzogen. Demgegenüber unterfallen Systeme, die wirtschaftlich und damit wettbewerblich tätig sind, dem Anwendungsbereich des Art. 86 EG und damit sämtlichen Regeln des EG-Vertrages, insbesondere den Wettbewerbsregeln. Als Kernkriterien zur Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nicht wirtschaftli cher Tätigkeit stellt der Gerichtshof darauf ab, ob die Mitgliedschaft obligatorisch oder freiwillig ist, ob also ein Wechsel aus dem System möglich ist oder nicht. Daneben kann es eine Rolle spielen, in welchem Maße der Aspekt der Solidari tät im System ausgestaltet ist. Eine generelle Antwort ist bei diesem Kriterium nicht möglich, weil auch wettbewerblich und wirtschaftlich tätige Versicherungs unternehmen in ihren Verträgen teilweise soziale Aspekte verwirklichen. Die Gewinnerzielungsabsicht spielt für die Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nicht wirtschaftlicher Tätigkeit keine Rolle, weil ein wirtschaftlich tätiges
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Unternehmen durchaus ohne Gewinnerzielungsabsicht agieren kann – so etwa Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Außerdem hat der Gerichtshof klarge stellt, dass ein System der sozialen Sicherheit teilweise wirtschaftlich und teilwei se nicht wirtschaftlich tätig sein kann. Soweit es wirtschaftlich tätig ist, finden die Wettbewerbsregeln Anwendung, soweit dies nicht der Fall ist, ist das System der Anwendbarkeit des Europäischen Vertrages entzogen. (2) In einem zweiten Schritt geht es um Fälle, in denen medizinische Dienst leistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbracht werden. In diesen Fällen er kennt der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Anwendbarkeit der Re geln über die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) an. Die Frage, ob das System der sozialen Sicherheit wirtschaftlich tätig oder nicht wirtschaftlich tätig ist, stellt der Gerichtshof in diesem Zusammenhang nicht. Erst auf der Ebene der Recht fertigung durch zwingende Interessen der Allgemeinheit prüft der Gerichtshof, ob die Gewährung der Dienstleistungsfreiheit eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit beinhaltet. Das ist immer dann der Fall, wenn eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung durch Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit nicht mehr zwingend aufrechterhalten werden kann. Jedoch darf die Beschränkung nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn weniger einschneidende und den freien Dienstleistungsverkehr besser wahrende Maßnahmen ergriffen werden könnten, wie etwa ein System der vor herigen Genehmigung oder der Festlegung von Tabellen für die Erstattung von Behandlungskosten. Aus dieser Analyse der europäischen Rechtsprechung lassen sich drei Kernsätze ab leiten: • Die Ausgestaltung des Systems der sozialen Sicherheit obliegt den Mitglied staaten – diese müssen allerdings die Grundwertungen des Europäischen Ver trags beachten. • Die Systeme der sozialen Sicherheit sind nur insoweit der Anwendung der Regeln des Europäischen Vertrages entzogen, als sie nicht wirtschaftlich ar beiten. Sind sie demgegenüber wirtschaftlich – also im Wettbewerb – tätig, unterfallen sie den Wettbewerbsregeln. • Bei der grenzüberschreitenden Inanspruchnahme medizinischer Leistungen sind die Regeln der Dienstleistungs- und der Warenverkehrsfreiheit vollum fänglich anzuwenden. Auf der Ebene der Rechtfertigung dürfen Ansprüche wegen grenzüberschreitender Leistungen zurückgewiesen werden, wenn die Gewährung der Freiheiten die finanzielle Stabilität des Systems der sozialen Sicherheit infrage stellen würde. Die Frage, wie der Gerichtshof mit einem System der sozialen Sicherheit umgehen würde, das im Vergleich zu einem anderen, ebenfalls praktizierbaren System deut lich ineffizienter und ineffektiver ist, ist bisher vom Gerichtshof nicht entschieden worden. Auch Art. 152 Abs. 5 EG regelt diese Frage nicht, denn wie ein Mitgliedstaat die Organisation des Systems der sozialen Sicherheit gestaltet, wird gerade nicht fest
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gelegt. Insoweit ist der Mitgliedstaat zwar frei, aber in den Grenzen der Grundsätze des Europäischen Vertrages. Zu diesen Grundsätzen gehören das Effektivitäts- und das Effizienzprinzip. Die Mitgliedstaaten sind gehalten, ihre Systeme der sozialen Sicherheit möglichst effektiv und effizient auszugestalten. Es dürfte sicher Hand lungsspielräume bei der Ausgestaltung der Frage geben, welches System im Ver gleich zu einem anderen über- oder unterlegen ist. Wenn aber sich herausstellt, dass ein System – z.B. das System der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland in seiner jetzigen Form – einem vergleichbaren Sozialsystem, das erheblich weitere wettbewerbliche Freiheiten gewährt, deutlich unterlegen ist, so verlangen die Regeln des Europäischen Vertrages von den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, das effizi entere und effektivere System zugunsten ihrer Bürger zu wählen. Dies ergibt sich sowohl aus dem Grundsatz des Vorrangs des freien Wettbewerbs (Artt. 4, 98 EG), als auch aus dem Wirksamkeitsprinzip (Art. 10 Abs. 2 EG) als auch aus dem Verhält nismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 EG). Bei der Ausgestaltung des effektiveren und effizienteren Systems sind und bleiben die Mitgliedstaaten selbstverständlich frei (Art. 152 Abs. 5 EG). Bei der Wahl des Systems sind sie hingegen in dem Augen blick rechtlich gebunden, wo sich ein System gegenüber einem anderen als deutlich über- oder unterlegen erweist. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein System der sozialen Sicherheit durch ver stärkte Aufnahme wettbewerblicher Elemente effektiver und effizienter funktio niert, spielt es auch eine Rolle, wie die Mitgliedstaaten ihre Systeme bisher ausge staltet haben. Mit Blick auf das deutsche Krankenversicherungssystem kann man zeigen, dass der Anteil der Regeln, die Wettbewerb in das System hineingetragen haben, in den letzten zwei Jahrzehnten ständig und erheblich zugenommen hat. Das GKV-WSG steht geradezu unter dem Titel, den Wettbewerb im System zu stärken und zu verbessern und damit dazu beizutragen, dass das System einerseits bezahlbar bleibt und andererseits die Qualität der erbrachten Leistungen steigt. Die eigentliche Frage lautet, ob ein nationaler Gesetzgeber, der derartig umfassende wettbewerbli che Elemente in sein System der sozialen Sicherheit hineingetragen hat, wie dies in Deutschland der Fall ist, den letzten noch verbleibenden Schritt aus der Perspektive der europarechtlichen Grundwertungen nunmehr tun muss, um sein System end gültig wettbewerblich und damit deutlich sozialer, nämlich effizienter und effektiver, zu gestalten. Um diese Frage zu beantworten, wird es zunächst einmal erforderlich sein, das deutsche System der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Prüfstand zu stellen und insbesondere herauszuarbeiten, in welchem Umfang wettbewerbliche Elemente bereits heute in diesem System Platz gegriffen haben. Es wird sich zeigen, dass das System in einem erheblichen Umfang, und zwar an entscheidenden Stellen, wettbewerblich geprägt ist. Das betrifft sowohl die Kostenseite des Systems als auch die Sicherung und Verbesserung der medizinischen Qualität.
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2.16 Die Stärkung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung 2.16.1 Der Richtlinienvorschlag vom 02.07.2008 Am 02. Juli 2008 hat die Kommission den Vorschlag für eine Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung veröffentlicht.176 Der Richtlinienvorschlag beruht nicht auf Art. 86 Abs. 3 EG, son dern auf Art. 95 EG. Ziel von Art. 95 EG ist es, den Binnenmarkt (Art. 14 EG), also einen Raum ohne Binnengrenzen, zu verwirklichen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist.177 Der Vorschlag erkennt für die Krankenhausbehandlung im Nachbarland eine Vorabgenehmigung des Heimatmitgliedstaates – wie bisher – an.178 Eine solche Vorabgenehmigung sei gerechtfertigt, da die Zahl der Krankenhäuser, ihre geographische Verteilung, ihr Ausbau und die Einrichtungen, über die sie verfügen, oder auch die Art der medi zinischen Leistungen, die sie anbieten können, planbar sein müssen. Eine derartige Planung soll in jedem Mitgliedstaat ein ausgewogenes, ausreichend zugängliches Angebot hochwertiger Krankenhausversorgung sicherstellen; zum anderen soll sie dazu beitragen, die Kosten beherrschbar zu machen und, soweit wie möglich, jede Verschwendung finanzieller, technischer und menschlicher Ressourcen zu verhin dern.179 Eine vergleichbare Vorabgenehmigung ist für die ambulante Behandlung nicht erforderlich. Der aktuelle und künftige Umfang der grenzüberschreitenden Ge sundheitsversorgung ergibt keine Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Versorgung die finanzielle Nachhaltigkeit der Gesundheits- und Sozialversicherungssysteme generell oder der Organisation, Planung und Erbringung von Gesundheitsdienst leistungen untergräbt.180 Dabei bedeutet die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung nicht notwen digerweise, dass Patient oder Dienstleister sich in einen anderen Mitgliedstaat bege ben müssen. Die Behandlung kann, ohne physische Grenzüberschreitung, mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechniken (Gesundheitstelematik) erfolgen.181 Der Richtlinienvorschlag verfolgt, so die Pressemitteilung der Kommis sion vom 02. Juli 2008182, folgende Ziele: • Patienten haben das Recht, Gesundheitsdienstleistungen im Ausland in An spruch zu nehmen und die Kosten dafür in gleicher Höhe erstattet zu bekom men, wie dies auch bei einer Behandlung im eigenen Land der Fall wäre KOM (2008) 414 endgültig. Richtlinienvorschlag, aaO, S. 7 (Ziff. 4a). 178 Richtlinienvorschlag, S. 18 (Ziff. 7.3). 179 Richtlinienvorschlag S. 19 (Ziff. 7.3) unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH in Sachen Smits und Peerbooms, Rn. 76-80. 180 Richtlinienvorschlag, S. 17 (Ziff. 7.2) unter Hinweis auf die Urteile des EuGH in Sache MüllerFauré und Van Riet, Rn. 93. 181 Richtlinienvorschlag S. 23 (Ziff. (.4). 182 IP/08/1080. 176 177
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• Die Mitgliedstaaten sind zuständig für die Gesundheitsversorgung in ihrem Hoheitsgebiet. Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass Qualitätsund Sicherheitsstandards für die Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat regelmäßig überwacht werden und auf bewährten medizinischen Verfahren beruhen. • Die Richtlinie erleichtert die europäische Zusammenarbeit bei der Gesund heitsversorgung. Sie schafft die Grundlage für die Entwicklung Europäischer Referenznetze, die – auf freiwilliger Basis – spezialisierte Zentren in verschie denen Mitgliedstaaten zusammenbringen. • Die Technologiefolgenabschätzung im Gesundheitswesen ist ein weiteres Ge biet, auf dem ein europäischer Mehrwert möglich ist. Diese Initiative wird mithelfen, Überschneidungen und Doppelarbeit zu vermeiden. • Die Maßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitstelematik (e-health) werden verstärkt. Mit diesem Richtlinienvorschlag zieht die Kommission die Konsequenzen aus der Rechtsprechung des EuGH zu grenzüberschreitenden Gesundheitsdienstleistungen. Für diese Dienstleistungen gilt der Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG). Dieser Grundsatz darf – so, wie es die Rechtsprechung des EuGH entwickelt hat – nur eingeschränkt werden, wenn es um zwingende Interessen der Allgemeinheit geht. Solche zwingenden Interessen der Allgemeinheit sind bei ambulanten grenz überschreitenden Behandlungen nicht erkennbar. Deshalb sieht der Richtlinien vorschlag (Art. 7) für ambulante Behandlungen keine Vorabgenehmigung vor. Zu erstatten sind die Kosten der Behandlung, wie sie vom eigenen Sozialversicherungs system übernommen worden wären (Art. 7 Richtlinienvorschlag). Demgegenüber darf ein Mitgliedstaat bei Krankenhausbehandlungen ein System der Vorabgenehmigung vorsehen (Art. 8 Ziff. 3 Richtlinienvorschlag). Voraus setzung für das System der Vorabgenehmigung ist es, dass die Kosten im eigenen Sozialversicherungssystem übernommen worden wären und dass die Vorabgeneh migung dem Zweck dient, das finanzielle Gleichgewicht des Sozialversicherungssys tems und/oder die Planung und Rationalisierung im Krankenhaussektor zu gewähr leisten (Art. 8 Ziff. 3a/b Richtlinienvorschlag). 2.16.2 Konsequenzen für die deutsche GKV Die Kommission wird bei ihrem Vorschlag von der Vorstellung geleitet, dass das Sozialversicherungssystem Versicherungsleistungen erbringt – sie spricht deshalb in der Richtlinie auch immer vom Versicherungsmitgliedstaat. Die Kommission löst sich folglich vom Sachleistungsprinzip und wendet sich stattdessen dem Kosten erstattungsprinzip zu. Das ist aus der Perspektive eines Versicherungssystems folge richtig, wird aber, wenn sich die Vorstellungen der Kommission durchsetzen sollten, die Folgefrage aufwerfen, ob ein Versicherungssystem durch die Inanspruchnahme grenzüberschreitender Gesundheitsdienstleistungen in seinem finanziellen Gleich gewicht überhaupt erschüttert werden kann. Für ein Versicherungssystem ist es nämlich gleichgültig, wo die zu erstattenden Kosten angefallen sind – entscheidend
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ist nur, dass die Kosten im Rahmen der kalkulierten Risikobeiträge bleiben. So ge sehen spielt es für die Leistungsfähigkeit und für das finanzielle Gleichgewicht eines Sozialversicherungssystems auch überhaupt keine Rolle, ob die Patienten die heimi schen Krankenhäuser oder womöglich Krankenhäuser in Nachbarmitgliedstaaten aufsuchen. Entscheidend ist nur, welche Kosten durch die Inanspruchnahme von Krankenhäusern in den Nachbarmitgliedstaaten verursacht werden. Ein Sozialver sicherungssystem ist folglich auch dann noch finanziell im Gleichgewicht, wenn die Patienten eines Mitgliedstaates womöglich ausschließlich grenzüberschreitende Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch nehmen. Bei einem kleinen Mitglied staat – etwa Luxemburg – ist so etwas denkbar. Es ist nicht ausgeschlossen, dass alle Luxemburger sowohl die ambulante als auch die stationäre Behandlung außerhalb Luxemburgs in einem der Nachbarmitgliedstaaten nachfragen und es in Luxem burg selbst überhaupt kein Angebot für medizinische Dienstleistungen mehr gibt. Selbstverständlich ist dieses Beispiel völlig irreal und aus der Luft gegriffen – so wird es in der Wirklichkeit nie sein, aber das Beispiel zeigt, dass ein Sozialversicherungs system nicht dadurch ins finanzielle Ungleichgewicht gerät, dass die Patienten Ge sundheitsdienstleistungen im Nachbarland nachfragen. Eine völlig andere – und hiervon zu trennende – Frage ist es, ob der Krankenh aussektor als solcher möglicherweise zusammenbricht, wenn die Patienten abwan dern und Krankenhausdienstleistungen nur noch im Nachbarland wahrnehmen. In einem solchen Fall stehen die Krankenhäuser des Heimatlandes tendenziell leer – die Auslastungsquoten sinken derart ab, dass sich das weitere Vorhalten von Kran kenhäusern im Heimatmitgliedstaat nicht mehr lohnen würde. Die Krankenhäuser müssten geschlossen werden. Dies würde aber nicht auf einer Störung des finanzi ellen Gleichgewichts des Sozialversicherungssystems beruhen, sondern ausschließ lich darauf, dass die Patienten des jeweiligen Landes offensichtlich Krankenhäuser im Nachbarland bevorzugen, vielleicht, weil diese schöner liegen, freundlicheres Personal haben, eine bessere Verpflegung bieten, die medizinische Versorgung qua litativ besser oder zumindest schneller erfolgt. Das Schließen von Krankenhäusern wäre nichts anderes als der Ausdruck von Nachfragewettbewerb. Das finanzielle Gleichgewicht des Sozialversicherungssystems würde durch diesen Nachfragewett bewerb nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach sogar verbessert werden, denn Nachfragewettbewerb führt in der Regel zu Kostensenkun gen. Diese wiederum können an die Patienten durch sinkende Beiträge zur GKV weitergegeben werden. Fragen dieser Art stellt die Kommission zurzeit noch nicht. Sie erlaubt den Ver sicherungsmitgliedstaaten ein System der Vorabgenehmigung für die Krankenhaus behandlung (Art. 8 Richtlinienentwurf). Es wird aber nur eine Frage der Zeit sein, bis man die Frage stellen wird, ob eine solche Vorabgenehmigung für alle Patienten, die eine Krankenhausbehandlung nachfragen, erforderlich und verhältnismäßig ist. Dabei wird man zu differenzieren haben. Es wird Regionen in Europa geben – insbesondere sehr bevölkerungsarme Regionen – in denen man eine Grundversorgung für medizinische Dienstleistungen wird vorhalten müssen. Dabei wird man die Frage beantworten müssen, ob diese Grundversorgung durch neue Kommu nikationstechniken (Telematik) gewährleistet werden kann. Soweit dies nicht der
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Fall ist, soweit also Krankenhäuser in der Fläche gebraucht werden, wird man diese vorhalten müssen. Insoweit wird es ein zwingendes Allgemeininteresse der Bevölke rung im ländlichen Raum geben. Deshalb wird man denjenigen, die im betroffenen ländlichen Raum wohnen und Krankenhäuser aufsuchen wollen, eine Vorabgeneh migung auferlegen dürfen, um auf diese Weise dafür zu sorgen, dass die Vorhalte kosten für diese Krankenhäuser amortisiert werden. Für alle anderen Patienten, die in normal besiedelten Räumen oder in Ballungs zentren leben, wäre es unverhältnismäßig, eine Vorabgenehmigung zu verlangen. In diesen Gebieten entsteht die Krankenhausdichte als Folge funktionsfähigen Nachfragewettbewerbs von ganz allein. Eine staatliche Krankenhausplanung wäre allenfalls dazu da, die sich abzeichnende Nachfrage früh genug aufzugreifen und in Krankenhauskapazitäten umzusetzen, insbesondere durch Gewährung entspre chender Errichtungsbeihilfen. Aus der Tatsache, dass Art. 86 Abs. 2 EG auch Unternehmen, die Dienstleistun gen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen (z.B. Krankenhäuser), den Vorschriften des Europäischen Vertrages unterwirft, soweit die Anwendung der Vorschriften nicht die Erfüllung der übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert, folgt, dass Fragen, wie sie hier gestellt werden, über kurz oder lang auftreten müssen. Genau besehen stellen sich diese Fragen heute schon. Das Primärrecht des Europäischen Vertrages zwingt Kommission, Rat und Mit gliedstaaten dazu, darüber nachzudenken, in welchem Umfang grenzüberschrei tende Gesundheitsdienstleistungen verhindert werden dürfen. Dabei ist es heute schon klar, dass die im Richtlinienvorschlag nach wie vor vorgesehene – und vom EuGH bisher auch abgesegnete – Vorabgenehmigung für grenzüberschreitende Krankenhausaufenthalte nicht in vollem Umfang mit den Grundzielen des Art. 86 Abs. 2 EG vereinbar ist. Denn Krankenhäuser in Ballungsgebieten können die ihnen über tragenen besonderen Aufgaben ohne weiteres im Wettbewerb mit anderen Kran kenhäusern erfüllen. Das schließt nicht aus, dass gelegentlich ein Krankenhaus geschlossen wird, während ein anderes womöglich öffnet. Das ist Ausdruck von Wettbewerb, bringt aber das Sozialversicherungssystem nicht aus dem Gleichge wicht und verbessert sogar noch die medizinische Versorgung der Patienten, indem diese sich ihren Präferenzen und ihrer Nachfrage anpasst. Was folgt aus alledem für das deutsche GKV-System? Die Antwort ist verhältnis mäßig einfach: Das deutsche Sozialversicherungssystem funktioniert in Wirklich keit wie ein wirtschaftliches Unternehmen. Die Patienten des Systems können grenz überschreitende Gesundheitsdienstleistungen im Wettbewerb in Anspruch nehmen – sie können das auch mit Blick auf eine Krankenhausbehandlung tun – allerdings bedürfen sie insoweit der Vorabgenehmigung. Der Unterschied zwischen einem Unternehmen, das partiell mit der Erfüllung von Daseinsvorsorgeaufgaben betraut wird und der GKV ist nur noch rudimentär. Wird der Vorschlag der Kommission zur Inanspruchnahme grenzüberschreitender Dienstleistungen verwirklicht, so ver schwindet dieser Unterschied genau besehen vollständig. Die Sozialversicherungs systeme der Gemeinschaft – so auch die deutsche GKV – werden selbstverständlich nach wie vor ihren sozialen Versorgungsaufgaben nachkommen. Sie werden das aber zunehmend wie ein echtes Versicherungssystem tun, sich also vom Sachleis
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tungsprinzip lösen und zum Kostenerstattungsprinzip übergehen. Warum auch nicht – die medizinische Versorgung wird ja nicht per se dadurch schlechter oder besser, dass man dem Sachleistungsprinzip und/oder dem Kostenerstattungsprinzip anhängt. Entscheidend sind die Kosten, die das System tatsächlich verursacht. Denkt man den Vorschlag der Kommission also zu Ende, so bedeutet er nicht nur eine Öffnung der Grenzen für Gesundheitsdienstleistungen in Europa. Er beinhaltet auch die Erkenntnis, dass Gesundheitsdienstleistungen ohne weiteres im Wettbe werb erbracht werden können und nach dem Europäischen Vertrag (Art. 86 Abs. 2 EG) auch müssen, soweit dies die Erfüllung der Aufgaben weder behindert noch beeinträchtigt. Wenn aber die Sozialversicherungssysteme der Mitgliedstaaten im Großen und Ganzen ohne weiteres wirtschaftlich tätig sein können, so wird sich natürlich die Frage stellen, warum sie es nicht auch müssen. Wie lange soll man das Privileg eines Sozialversicherungsmonopols eigentlich noch aufrechterhalten, wenn sich zeigt, dass die Dienstleistungen, die dieses Mononpol erbringt, wirtschaftlicher Natur sind. Wenn man also Leistungen des gesetzlichen Krankenversicherungssys tems nicht nur ebenso gut, sondern effizienter und effektiver und damit aus Sicht der Patienten sozialer erbringen könnte, so stellt sich die Frage, ob der Europäische Vertrag den Mitgliedstaaten überhaupt eine Wahlfreiheit einräumt, ein solches Ge sundheitsmonopol beizubehalten, obwohl es weder erforderlich, noch angemessen, noch verhältnismäßig ist. Die Antwort auf diese rhetorische Frage ist eindeutig: Die Grundregelungen in Artt. 86 Abs. 2, 4, 98, 5, 10, 152 EG zeigen, dass die Mitglied staaten selbstverständlich berechtigt sind, Systeme der sozialen Sicherheit vorzu halten. Sie müssen diese Systeme allerdings aus der Perspektive der Patienten so sozial wie nur irgend möglich ausgestalten. Wenn ein System bessere medizinische Dienstlistungen bei gleichzeitig sinkenden Kosten hervorbringt, dann haben die Mitgliedstaaten allerdings dieses System zu wählen und stattdessen ein sehr viel in effektiveres und ineffizienteres System abzuschaffen. Dies ist eine Rechtspflicht, die sich aus den Grundwertungen des Europäischen Vertrages ergibt. Insoweit besteht keine Wahlfreiheit für die Mitgliedstaaten – insbesondere nicht aus Art. 152 EG. Dies ändert nichts daran, dass die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Orga nisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Um fang gewahrt bleibt (Art. 152 Abs. 5 EG). Selbstverständlich sind die Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens in vollem Umfang verantwortlich. Al lerdings müssen sie dabei die Grundwertungen des Europäischen Vertrages beach ten, also ihre Systeme so organisieren, dass grenzüberschreitende Dienstleistungen soweit es geht möglich werden (Binnenmarktziel) und das System insgesamt sozial im Sinne das Patienten arbeitet, also ihnen so viele Wahlmöglichkeiten einräumt, wie es irgend geht, um die Qualität medizinischer Dienstleistungen zu steigern und gleichzeitig die dafür entstehenden Kosten zu senken (Artt. 4, 98, 10, 5 EG).
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II. Juristische Analyse
3 Wettbewerb als Teil des Systems der GKV
3.1 Grundfragen Die Analyse der Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshöfe hat gezeigt, dass die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages auch heute schon auf die GKV anzuwen den sind, wenn und soweit die die GKV tragenden Krankenkassen wirtschaftlich tätig sind. Darüber hinaus sind die Grundsätze der Dienstleistungs- und Warenver kehrsfreiheit prinzipiell auf die grenzüberschreitende Nachfrage nach medizinische Dienstleistungen und Hilfsmitteln anwendbar. Andererseits sind die Europäischen Gerichtshöfe der Auffassung, dass die Mit gliedstaaten bei der Ausgestaltung ihrer sozialen Systeme weitgehend frei sind. Sie dürfen das System folglich als Solidarsystem ausgestalten, insbesondere dürfen sie den Wechsel innerhalb des Systems – von Krankenkasse zu Krankenkasse – be schränken, sie dürfen das Sachleistungsprinzip an die Stelle des Geldleistungsprin zips setzen, sie dürfen Quersubventionen zwischen Versicherten anordnen (z.B. zugunsten von Familienangehörigen), sie dürfen Höchstbeiträge festsetzen und sie sind frei bei der Wahl zwischen dem Umlageverfahren einerseits und dem Kapital deckungsverfahren andererseits. Die entscheidende Frage, die von den Europäischen Gerichten gestellt wird, ist zunächst einmal die, wie das System tatsächlich beschaffen ist, ob es also im Sinne eines hoheitlichen Solidarsystems funktioniert oder ob es möglicherweise wettbe werbliche Handlungsspielräume und Elemente enthält, die darauf hindeuten, dass das Gesamtsystem womöglich bereits als wirtschaftlich und wettbewerblich orientiertes Unternehmen einzuordnen ist. Die folgende Darstellung wird zunächst einmal zeigen, welche wettbewerblichen Spielräume im deutschen System der GKV inzwischen vorhanden sind. Dabei wird es vor allem um das Leistungsspektrum des SGB V. Auf der Grundlage dieser Leistungsanalyse des deutschen Systems der GKV wird sodann zu fragen sein, ob das System aus der Perspektive der europäischen Recht sprechung noch als hoheitliches, auf Solidarität beruhendes einzuordnen ist, oder ob es bereits derart umfangreiche Wahlmöglichkeiten enthält, dass die Erstreckung des allgemeinen Wettbewerbsrechts und der Grundprinzipien des freien Wettbe werbs des EG-Vertrages unerlässlich wird.
3.2 Die Leistungen des SGB V Das SGB V vom 20. Dezember 1988183 regelt das Recht der gesetzlichen Krankenver sicherung (GKV). Die gesetzliche Krankenversicherung geht zurück auf das Kran kenversicherungsgesetz vom 15. Juni 1883 und stellt den ältesten Teil der Sozialver BGBl. I, S. 2477, in der Fassung vom 19.12.2007 (BGBl. I, S. 3024).
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sicherung dar. Weitere Bestandteile der gesetzlichen Sozialversicherung sind neben der GKV die Unfall-, die Renten-, die Arbeitslosen- und die Pflegeversicherung. Bis zum 31.12.1988 war die GKV in der Reichsversicherungsordnung (RVO) geregelt. Mit In-Kraft-Treten des Gesundheitsreformgesetzes zum 1. Januar 1989 erfolgte die Aufnahme in das SGB V. Nach § 1 SGB V hat die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft die Auf gabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mitver antwortlich; sie sollen durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung, durch früh zeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenhausbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu über winden. Die Krankenkassen haben den Versicherten dabei durch Aufklärung, Be ratung und Leistungen zu helfen und auf gesunde Lebensverhältnisse hinzuwirken. Im Zentrum steht der Gedanke der Solidargemeinschaft. Die Krankenversiche rung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten Konsequentester und prägendster Ausdruck dieses sozialrechtlichen Für sorgeprinzips in der Krankenversicherung ist das Sachleistungsprinzip. Es ist die Grundlage des gesamten SGB V und zugleich Dreh- und Angelpunkt für die Funk tionen und die Wirkweise des Marktes für krankenversicherungsrechtliche Leistun gen. 3.2.1 Das Sachleistungsprinzip Das Sachleistungsprinzip ist in § 2 SGB V verankert. Die Krankenkassen stellen den Versicherten bestimmte Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirk samkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 SGB V). Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch des SGB nichts Abweichendes vorsehen (§ 2 Abs. 2 SGB V). Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Kran kenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern. Das sind die Krankenhäuser und Ärzte. Im Sachleistungsprinzip liegt der grundlegende Unterschied zur privaten Krankenversicherung (PKV), die durch das Kostenerstattungsprinzip geprägt ist. Sachleistungen sind dabei jene Leistungen, die das SGB V zur Verfügung stellt. Die Nachfrage nach Leistungen aus der GKV erfolgt also nach § 2 SGB V aus der Perspektive der Krankenkassen. Sie schließen mit den Leistungserbringern (Kran kenhäuser/Ärzte) Verträge und legen in diesen Verträgen fest, unter welchen Vo raussetzungen sie für die Behandlung von Versicherten Sachleistungen erbringen werden.
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3.2.2 Kostenerstattung 3.2.1.1 § 13 Abs. 1 SGB V Nach § 13 Abs. 1 SGB V darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleis tung Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das IX. Buch vorsieht. Daneben können Versicherte anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kostenerstattung wählen (§ 13 Abs. 2 SGB V). Eine Beschränkung der Wahl auf den Bereich der ambulanten Behandlung ist möglich (§ 13 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Der Anspruch auf Erstattung der Kosten besteht allerdings höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung der Krankenkasse hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeits prüfungen vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen (§ 13 Abs. 2 Satz 8 SGB V). Kostenerstattung ist in den im SGB V ausdrücklich aufgezählten Ausnahmefällen zulässig. Gemeint sind die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen nach dem SGB IX und die in § 13 Abs. 2, 3, 4 und 5 SGB V genannten Ausnah mefälle. Kostenerstattung kann gegenüber Leistungserbringern des Vierten Kapitels gewählt werden. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden (§ 13 Abs. 2 S. 6 SGB V). Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Unaufschiebbare Leistungen sind in notwendiger Höhe zu erstatten (§ 13 Abs. 3 SGB V). Leistungs erbringer in anderen europäischen Staaten dürfen in Anspruch genommen werden, wenn dort die VO Nr. 1408/71 anzuwenden ist (§ 13 Abs. 4 SGB V). In anderen Staaten, in denen diese Verordnung ebenfalls gilt, bedarf es allerdings einer vorheri gen Zustimmung durch die Krankenkasse (§ 13 Abs. 5 SGB V). Kostenerstattung ist ferner bei Auslandsbeschäftigung (§ 17 Abs. 2 SGB V), Krankenhausbehandlung im Ausland (§ 18 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V) und vorübergehendem Auslandsaufenthalt (§ 18 Abs. 3 SGB V), häuslicher Krankenpflege (§ 37 Abs. 4 SGB V) und Haushalts hilfe (§ 38 Abs. 4 SGB V) vorgesehen. Außerdem kann die Satzung Teilkostenerstat tung für Angestellte und Beamte der Krankenkasse selbst zulassen (§ 14 SGB V). Weiterhin werden bei kieferorthopädischer Behandlung und Zahnersatz die Kosten nach §§ 29 Abs. 1, 30 Abs. 3 SGB V teilweise erstattet. 3.2.2.2 § 13 Abs. 2 SGB V Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V können ab dem 1. Januar 2004 alle Ver sicherten, d.h. Mitglieder und deren familienversicherte Angehörige, wählen, ihre Wahl aber nach Satz 3 auf sämtliche (ambulante), nicht aber nur bestimmte ambu lante Behandlungen beschränken.184 Sollte eine solche Beschränkung bei der Wahl des Versicherten erfolgen, so verbleibt es bei den kostenintensiveren stationären Be BT-Drucks. 15/1525 S. 80.
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handlungen bei dem Sachleistungsprinzip. Vorab sind die Versicherten nach Satz 2 durch die Krankenkasse über die Folgen ihrer Entscheidung aufzuklären.185 Wenn der Versicherte den Weg der Kostenerstattung wählt, hat dies zur Folge, dass bei allen Leistungen die Kosten erstattet werden, d.h. der Versicherte kann sich nicht je nach Behandlung für eine Sachleistung oder Kostenerstattung entscheiden. Der Versicherte bleibt an seine Wahl mindestens für ein Jahr (Satz 12) gebunden. Durch Abs. 2 soll nicht lediglich die Wahl eines anderen Zahlungsweges eröffnet werden, sondern der Versicherte verschafft sich die erforderlichen Leistungen durch Ab schluss privatrechtlicher Verträge. Dabei besteht nach einer verbreiteten Auffassung auch zwischen Kassenpatient und Vertragsarzt ein privatrechtlicher Behandlungs vertrag186. Wählt der Versicherte Kostenerstattung, so bestimmen sich auch die Honorare und Leistungsentgelte nach dem privatrechtlichen Vertrag. Der Sachleis tungsanspruch geht insoweit unter. Dies ist Ausdruck des sich wandelnden Wett bewerbs der Krankenkassen untereinander und gegenüber den privaten Kranken kassen, dem durch die angestrebte Gleichbehandlung der Krankenkassen und ihrer Chancengleichheit im Wettbewerb Rechnung getragen werden soll.187 Die Krankenkassen gehen allerdings im Normalfall davon aus, dass die Leis tungen nach dem Sachleistungsprinzip wirtschaftlicher sind, als nach dem Kosten erstattungsprinzip. Dies beruht auf Erfahrungen, die zwischen dem 01.07.1997 und dem 31.12.1998 gemacht wurden. Damals hatte man den Versicherten schon einmal die Wahlmöglichkeit der Kostenerstattung eröffnet. Man wollte damit die Eigenver antwortung und Kostenbewusstsein stärken.188 Tatsächlich zeigte sich, dass die Ab rechnung auf der Grundlage der GOÄ häufig teurer wurde als bei der Inanspruch nahme von Sachleistungen. Hierüber muss der Vertragsbehandler den Versicherten aufklären189 Zum Schutz der Versicherten hat der BGH darüber hinaus entschieden, dass es einer schriftlichen Individualvereinbarung vor Behandlungsbeginn bedarf, wenn der GOÄ/GOZ-Steigerungssatz über das 2,3-fache hinaus geht.190 Bei kostspie ligen Leistungen reicht der Versicherte gewöhnlich die Rechnung bei seiner Kran kenkasse ein und diese rechnet dann direkt mit dem Leistungserbringer ab.191 Dies bedeutet, dass der Versicherte im deutschen GKV-System die Wahl zwischen Sach leistungen und Kostenerstattung hat. Die Krankenkasse muss ihn vorher beraten – die Kostenerstattung kann im Einzelfall teurer werden, aber diese Wahlmöglichkeit besteht für die Versicherten. Das bedeutet nicht nur, dass die GKV – ähnlich der PKV – jedenfalls insoweit auf dem Kostenerstattungsprinzip beruht, als die Versi cherten dieses wählen können. Damit ist echter Wettbewerb innerhalb des Systems zwischen dem Sachleistungs- und dem Kostenerstattungsprinzip eröffnet.
BT-Drucks. 15/1525 S. 80. Krauskopf-Wagner, SozKV, § 13 SGB V Rn. 9. 187 Krauskopf-Wagner, SozV § 13 SGB V Rn. 9. 188 BT-Drucks. 14/6087 S. 20. 189 Roos, NZS 1997, 464. 190 BGH NJW 1998, 1768. 191 Schulin, in: Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, § 6, Rn. 110. 185 186
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3.2.2.3 § 13 Abs. 3 SGB V In § 13 Abs. 3 SGB V ist eine weitere Ausnahme geregelt, die zur Kostenerstattung führt. Kann eine Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig er bringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt, so kann der Versicherte für die nun selbst beschaffte Leistung Kosten in der entstandenen Höhe erstattet verlangen. Rechtsdogmatisch handelt es sich um einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch aus Garantiehaftung des Krankenversicherungsträgers192. In diesen Fällen sind die tatsächlich entstandenen Kosten in voller Höhe zu er statten. Der Versicherte ist also so zu stellen, als hätte die Krankenkasse die Sach leistung rechtzeitig zur Verfügung gestellt.193 Die Möglichkeit, in diesen Fällen die tatsächlich entstandenen Kosten in voller Höhe abzurechnen, eröffnet einen Markt wettbewerb, wie er für das freie Spiel der Kräfte typisch ist. 3.2.2.4 Grenzüberschreitende Leistungen (§ 13 Abs. 4 SGB V) Das gilt auch für § 13 Abs. 4 SGB V. Dieser neue Abs. 4 setzt die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Kohll194, Decker195, Smits/Peerbooms196, Müller-Faurè/ van Riet197 und Leichtle198 um. Es ging in diesen Fällen um die Inanspruchnahme von Leistungserbringern in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union so wie in EWR-Staaten.199 In diesen Fällen bedarf es keiner vorherigen Einschaltung der Krankenkasse, weil der Versicherte nach den Grundsätzen der europäischen Dienstleistungsfreiheit berechtigt ist, einen anderen Leistungserbringer grenzüber schreitend in Anspruch zu nehmen. Deshalb scheitert auch der Anspruch nicht dar an, dass dieselbe Behandlung in Deutschland zur Verfügung gestanden hätte. Denn die Bedingungen des Zugangs zu den geregelten Berufen und ihre Ausübung bieten ausreichend Gewähr dafür, dass für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs die ausländischen Leistungserbringer ebenso qualifiziert und ihre Leistungen daher gleichwertig sind. Deshalb eröffnet auch der neu eingefügte § 140e SGB V die Mög lichkeit, Leistungserbringer individual-vertraglich zur Versorgung der Versicherten zu verpflichten und auf diesem Weg das Versorgungsangebot im EU- und EWRAusland nach den maßgeblichen Versorgungskriterien selbst zu gestalten und dann für die Versicherten vorzuhalten.200 Die Versicherten sind folglich, ganz unabhängig davon, ob sie nach § 13 Abs. 2 SGB V Kostenerstattung gewählt haben, in ihrer Nachfrage nicht mehr auf das In land beschränkt. Sie können für Behandlungen im Geltungsbereich des EG/EWRBSG 16.12.1993 BSGE 73, 271 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 4. BSG 15.04.1997 BSGE 80, 181 = NZS 1998, 27. 194 NJW 1998, 1771. 195 NJW 1998, 1769. 196 NZS 2001, 478. 197 NJW 2003, 2298. 198 EuGH v. 18.03.2002, Rs. C-8/02 – es ging um Heilkuren in europäischen Mitgliedstaaten. 199 vertiefend: Mario Kaufmann, Einfluss des Europarechts auf das Gesundheitsrecht und die deutsche gesetzliche Krankenversicherung, 2003, 71 ff. 200 BT-Drucks. 15/1525 S. 132. 192 193
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Vertrages die Leistungserbringer dieser Staaten in Anspruch nehmen. Sie tragen allerdings auch in diesem Fall das Risiko, nur einen Teil ihrer Kosten erstattet zu erhalten. Denn der Kostenerstattungsantrag ist nach § 13 Abs. 4 Satz 3 SGB V der Höhe nach auf die Vergütung begrenzt, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen gehabt hätte. Außerdem dürfen nur solche auslän dischen Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die gegen seitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungs nachweise gesichert ist.201 Die hiermit nun auch im Rahmen des SGB V umgesetzte und anerkannte euro päische Dienstleistungsfreiheit führt zu Wahlmöglichkeiten, die einen Wettbewerb um Leistungen und Preise bestimmter medizinischer Dienstleistungen eröffnen. Wettbewerb wird es vor allem nur in den Fällen geben, in denen Versicherte eine Selbstbeteiligung vereinbart haben und somit an einer Preissenkung interessiert sind. Das kann bei Hilfsmitteln (Brillen) der Fall sein, aber insbesondere auch bei zahnärztlichen Leistungen. Auch mit Blick auf stationäre Leistungen kann es in Zu kunft zu einem echten Wettbewerb um Kassenpatienten kommen, jedenfalls dann, wenn Vereinbarungen nach § 140e SGB V zwischen deutschen Krankenkassen und ausländischen Leistungserbringern vereinbart worden sind. Denkbar und nahelie gend ist dies vor allem im Bereich von Rehabilitationsleistungen, wo der Anteil der Personalkosten besonders hoch ist. Hier könnten Vereinbarungen mit den neuen osteuropäischen Mitgliedstaaten für die Krankenkassen von Vorteil sein. Für die Versicherten würde der Kostendruck nachlassen. Die vereinbarte Zuzahlung müsste möglicherweise überhaupt nicht geleistet werden. Zahlen, Daten und Fakten über den Wettbewerbsdruck, der durch § 13 Abs. 4 SGB V auf das deutsche Krankenversicherungssystem ausgeübt wird, liegen bisher nicht vor. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass es auch heute in bestimmten Be reichen der medizinischen Versorgung einen spürbaren potentiellen Wettbewerbs druck gibt. Dieser, vom europäischen Ausland induzierte Wettbewerbsdruck, wirkt in der Tat marktmäßig auf das deutsche Sozialversicherungssystem ein.
3.3 Solidarische Finanzierung Die Leistungen der Krankenkassen werden durch Beiträge finanziert (§ 3 SGB V). Dazu entrichten die Mitglieder und die Arbeitgeber Beiträge, die sich in der Regel nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder richten. Für versicherte Fa milienangehörige werden keine Beiträge erhoben (§ 3 SGB V). Die Norm konkretisiert das die GKV beherrschende Solidaritätsprinzip und be schreibt, wie die Leistungen finanziert werden und wer die Beiträge in der Regel ent richtet.202 Die Beiträge – und das ist das Entscheidende – werden risikounabhängig erhoben. Die Beiträge in der GKV richten sich also anders als in der PKV nicht nach dem individuellen Risiko, sondern nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Fuchs NZS 2004, 225, 229. Begr. BT-Drucks. 11/2237 S. 158.
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einzelnen Mitglieds. Für versicherte Familienangehörige werden überhaupt keine Beiträge erhoben, auch dann nicht, wenn die nicht erwerbstätigen Ehegatten keine Kinder erziehen. Die GKV wird darüber hinaus nicht nur durch die Beiträge der Mitglieder und der Arbeitgeber finanziert. Daneben stehen die Beiträge der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, der Bundesagentur für Arbeit und des Bun des. Dieses in § 3 Satz 2 und 3 SGB V verankerte solidarische Finanzierungsprinzip wird durch die Vorschrift über die Bemessung der Beiträge (§§ 226-258 SGB V) konkretisiert. Bemessungsgrundlage sind in der Regel die beitragspflichtigen Ein nahmen, d.h. es wird primär an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds angeknüpft. In der Gesetzesbegründung werden zwei Probleme dieses Finanzierungssys tems angesprochen.203 Zunächst die wachsende Bedeutung von Teilzeitarbeitsver hältnissen mit relativ niedrigen Beiträgen sowie die Entwicklung zu mehr Freiheit mit geringeren Entgeltzuwächsen mit jeweils vollem Versicherungsschutz. Proble matisch ist das Finanzierungssystem vor allem dann, wenn die beitragspflichtigen Einnahmen die wirkliche wirtschaftliche Situation des Versicherten nicht wider spiegeln, weil nur ein Teil der zur Verfügung stehenden Einkünfte der Beitragsbe messung unterliegt. Die Entwicklung der privaten Vermögen und die zunehmen de wirtschaftliche Bedeutung sonstiger Einkünfte, auch für abhängig Beschäftigte, müsste Anlass geben, die Definition der beitragspflichtigen Einnahmen in §§ 226 ff. SGB V zu überprüfen.204 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 15.03.2000205, die den Gesetzgeber zur Neuregelung der beitragspflichtigen Einnah men der pflicht- und freiwillig versicherten Rentenbezieher verpflichtet, ist Hinweis darauf, dass über das Finanzierungssystem der GKV in jedem Fall grundlegend neu nachgedacht werden muss. Das gilt insbesondere auch mit Blick auf kinderlose, nicht mitverdienende Ehegatten.206 Ganz grundlegend folgt aber aus § 3 SGB V, dass es einen freien Marktwettbe werb um medizinische Leistungen wegen des Solidarprinzips bei der Finanzierung der GKV nicht gibt. Das liegt daran, dass das Solidaritätsprinzip die Anreizwirkun gen eines freien Marktwettbewerbs auf den Kopf stellt. Ein Versicherter, der sich darum bemühen würde, die Kosten für eine medizinische Behandlung möglichst niedrig zu halten, würde dafür nicht belohnt werden. Bei einem Familienangehö rigen, der ohnehin beitragsfrei mitversichert ist, wirkt sich die Verminderung (und natürlich auch die Erhöhung) des Ausgabenvolumens für medizinische Leistungen überhaupt nicht aus. Wie auch immer sich dieser Versicherte verhält – für die Höhe des Beitrages zur GKV, der bei ihm null ist, spielt dieses Verhalten überhaupt keine Rolle. Das gilt – wenngleich in abgeschwächterem Maße – auch für alle die Mitglie der, die Beiträge an die GKV entrichten. Sie zahlen im Ergebnis für die Familienan gehörigen, die nicht Ihre eigenen sein müssen, mit. Aber auch sie zahlen nicht auf der Grundlage ihres individuellen Krankheitsrisikos, sie zahlen noch nicht einmal BT-Drucks. 11/2237 S. 158. Krauskopf-Krauskopf, SozKV § 3 SGB V Rn. 6; Kasseler Kommentar-Peters § 3 SGB V Rn. 4 ff.; Wannagat-Wollenschläger § 3 SGB V Rn. 5. 205 NZS 2000, 450. 206 BT-Drucks. 11/2237 S. 158. 203 204
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auf der Grundlage vergleichbarer Merkmale in einem Risikokollektiv, sondern sie zahlen ihre Beiträge in die GKV ausschließlich aus der Perspektive der Belastbarkeit ihres Einkommens im Rahmen bestehender Arbeitsverträge. Darüber hinaus bezahlen sie nur einen kleinen Teil der Gesamtbeiträge, die in die GKV fließen. Neben den Mitgliedern zahlen die Arbeitgeber zur Zeit 50 % des Beitrags, wobei diese Aufteilung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nirgend wo festgelegt ist. Eine Veränderung dieser grundsätzlich hälftigen Beitragszahlung ist also jederzeit möglich. Sie reflektiert jedenfalls, dass die Mitglieder nur einen kleinen Teil der Beiträge aufbringen, die für die Leistungen aus der GKV gebraucht werden. Daneben stehen die großen Zuzahlungen aus dem Steueraufkommen des Bundes, der Bundesagentur für Arbeit und der Träger der gesetzlichen Rentenver sicherer. Das alles zeigt, dass die Nachfrage der Patienten nach Leistungen aus der GKV den Preis für diese Leistungen nur eingeschränkt beeinflussen kann, weil es sich nicht um Marktpreise handelt und somit die Nachfrage nur einen geringen und indirekten Einfluss auf die Preisbildung hat. Mit Blick auf die grenzüberschreitenden Leistungen, die neuerdings nach § 13 Abs. 4 SGB V möglich sind, gilt der Ausschluss von Marktwettbewerb nicht ganz. Die Versicherten können nämlich grenzüberschreitend Leistungen nachfragen und werden dies tun, wenn sie auf diese Weise nennenswerte Zuzahlungen vermeiden können. Das betrifft zahnärztliche Behandlungen, Hilfsmittel, wie beispielsweise Brillen, oder auch Rehabilitationsleistungen. In diesen Fällen erstatten die deutschen Krankenkassen den Aufwand im Ausland, soweit er nach dem deutschen Sachleis tungsprinzip im Inland zu ersetzen gewesen wäre. Die inländischen Preise für diese Sachleistungen werden zwar nicht marktmäßig gebildet. Soweit aber ausländische Anbieter ihre Leistungen unterhalb des deutschen Sachleistungsniveaus erbringen, entsteht hier ein Markt, der durch Angebot und Nachfrage geprägt ist. Auf diesem Markt gibt es wettbewerbliche Bewegungen, die zeigen, dass die Versicherten be reit sind, auch große Distanzen zu überwinden, wenn es darum geht, den eigenen Geldbeutel zu schonen. Der ökonomische Grund dafür, dass durch die Wirkungen der europäischen Dienstleistungsfreiheit plötzlich so etwas wie ein echter Markt für medizinische Leistungen entsteht, liegt in der Tatsache begründet, dass Versicherte nur noch einen Teil der Leistungen in der GKV abrechnen können und mit Blick auf Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen nun nach preisgünstigen Alternativen dort suchen, wo sie zu finden sind. Wenn und soweit aber die Krankenkassen Leistungen nach dem SGB V in vollem Umfang nach dem Sachleistungsprinzip erbringen, kann durch das Prinzip der Beitragssolidarität kein Wettbewerb entstehen, nicht nur weil es keine Wettbewerbspreise gibt, sondern vor allem deshalb, weil das Nachfrage verhalten des Versicherten auf das Niveau des von ihm für die GKV zu zahlenden Beitrags praktisch nicht zurückwirkt.
3.4 Wirtschaftlichkeitsgebot Nach § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirt schaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistun
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gen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht be anspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Vorstandsmitglieder von Krankenkassen, die wissen können oder müssen, dass von Ihrer Kasse Leistungen ohne Rechtsgrundlage erbracht werden, werden auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch genommen (§ 12 Abs. 3 SGB V). Das Wirtschaftlichkeitsgebot ist der Versuch, den unvollkommenen Marktwett bewerb im System der GKV normativ zu ersetzen. Es handelt sich um ein typisches „Als-ob-Konzept“. Krankenkassen dürfen keine Leistungen bewilligen, die das Maß des Notwendigen überschreiten oder sonst unwirtschaftlich sind. Das Wirtschaft lichkeitsgebot ist die logische Konsequenz aus dem Sachleistungsprinzip und der Beitragssolidarität. Es ist erforderlich, um das Maß der Leistungen auf die ausrei chenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen zu begrenzen. Für die GKV wird das Wirtschaftlichkeitsgebot in § 12 SGB V definiert und in § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V für die Rechtsbeziehung zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern wiederholt. § 72 Abs. 2 SGB V präzisiert die Bindung an das Wirtschaftlichkeitsgebot für die Beziehung der Krankenkassen zu Ärzten und Zahnärzten. Im Kassenarztrecht hat das Wirtschaftlichkeitsgebot bereits durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 368e RVO eine besondere Ausprä gung erfahren. Danach sind die zur Kennzeichnung des Ausmaßes der den An spruchsberechtigten zustehenden Versorgung verwandten Begriffe „ausreichend“, „zweckmäßig“, „das Maß des Notwendigen nicht überschreitend“, „für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig“ und „unwirtschaftlich“ nicht nebeneinander, son dern in einem untrennbaren inneren Zusammenhang zu sehen. Dabei trägt der für die Tätigkeit der Prüfinstanzen maßgebende Begriff der „Wirtschaftlichkeit“ die an deren genannten Sachvoraussetzungen in sich.207 Konkretisiert wird das Wirtschaftlichkeitsgebot durch die Wirtschaftlichkeitsprü fung nach § 106 SGB V. Diese Norm, die aus vier eng bedruckten Seiten Gesetzestext und insgesamt sieben umfangreichen Absätzen besteht, formuliert in Abs. 1 den Grundgedanken der Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versor gung. Danach überwachen „die Krankenkassen und die kassenärztlichen Vereini gungen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen.“ Die Norm zählt im Einzelnen auf, welche ärztlichen Leistungen wie geprüft werden. Die Prüfverfahren werden begleitet durch eine Vielzahl von Richtlinien und Richtgrößenvereinbarungen. Geprüft wird nach dem Zufallsprinzip in Form von Stichproben. Es gibt Prüfungen nach Durchschnittswerten und ganz bestimmte Prüfstufen. Innerhalb der Prüfstufen muss eine angemessene Streuung nach oben und nach unten zulässig sein. Nach der bisherigen Rechtsprechung ist eine auf jeden Einzelfall bezogene, konkrete, auf die Aufklärung der früheren In dikationslage bezogene Tatsachenfeststellung zu treffen und zur Beweiswürdigung eine einzelfallbezogene Begründung für die Prüfentscheidung zu geben.208 Es gibt Grenzen für das offensichtliche Missverhältnis und die Möglichkeit, auf Praxisbe BSGE 17, 79, 84 = SozR Nr. 5 zu § 368n RVO. BSGE 62, 18 = SozR 2200, § 368n Nr. 74; BSGE 70, 246 = SozR 3-2500, § 106 Nr. 10.
207 208
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sonderheiten hinzuweisen. Es gibt Mitwirkungs- und Begründungspflichten. Das Verfahren richtet sich im Einzelnen nach dem Verfahrensrecht des SGB X.209 Nach der im Recht der GKV herrschenden Meinung geht es beim Wirtschaft lichkeitsgebot um die Abwägung zwischen Aufwand und Wirksamkeit, also um die günstigste Kosten-Nutzen-Relation. Mit dem geringstmöglichen Aufwand soll die erforderliche – ausreichende und zweckmäßige – Leistung erbracht werden.210 Ähn lich hat das Bundessozialgericht entschieden und der Verwaltung eine Einschät zungsprärogative eingeräumt.211
3.5 Die Krankenkasse als Nachfrager von Sach- und Dienstleistungen für ihre Versicherten 3.5.1 Grundsätze Ausgehend vom Sachleistungsprinzip stellen die Krankenkassen den Versicherten Leistungen als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung (§ 2 SGB V). Folglich schließen nicht die Versicherten, sondern die Krankenkasse die für die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen notwendigen Verträge mit den Leistungserbrin gern ab. Sie werden dabei zu einem erheblichen Teil von ihren Verbänden vertreten, ohne dass dies daran etwas ändert, dass nicht die Versicherten die Nachfrager nach medizinischen Sach- und Dienstleistungen sind. So heißt es in § 72 Abs. 2 SGB V, dass die vertragsärztliche Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses durch schriftliche Ver träge der Kassenärztlichen Vereinigung mit den Verbänden der Krankenkassen so zu regeln ist, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist und die ärztlichen Leistungen ange messen vergütet werden. Konsequenterweise überwachen die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen auch die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztli chen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen (§ 106 SGB V). In § 108 SGB V heißt es: Die Krankenkassen dürfen Krankenhausbehandlungen nur durch folgende Krankenhäuser (zugelassene Krankenhäuser) erbringen lassen: 1. Hochschulkliniken im Sinne des Hochschulbauförderungsgesetzes 2. Krankenhäuser, die in den Krankenhausplan eines Landes aufgenommen sind (Plankrankenhäuser) oder 3. Krankenhäuser, die einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen abgeschlossen haben. Auch hier fragen also die Krankenkassen die Leistungen der Krankenhäuser nach, Im Einzelnen Kommentierung von Hess in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht § 106 SGB V, passim. 210 Krauskopf-Käsling, SozRV § 12 SGB V Rn. 7; Kasseler Kommentar-Höfler, § 12 SGB V Rn. 8 ff.; Wannagat-Mrozynski, § 12 SGB V Rn. 5. 211 BSGE 71, 108 = SozR 3-2400 § 69 Nr. 1 = SGb 1993, 269 m.Anm. Seewald. 209
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nicht etwa die Versicherten. Das gilt auch mit Blick auf Vorsorge- oder Rehabilita tionseinrichtungen (§ 107 Abs. 2 SGB V). Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen schließen gemeinsam mit Wirkung für ihre Mit gliedskassen einheitliche Versorgungsverträge über die Durchführung der Leistun gen mit Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen ab (§ 111 Abs. 2 SGB V). Heilmittel, insbesondere Leistungen der physikalischen Therapie, der Sprachthe rapie oder der Ergotherapie, dürfen nur von zugelassenen Leistungserbringern ab gegeben werden (§ 124 SGB V). Nach § 125 Abs. 1 SGB V geben die Spitzenverbän de der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich und die für die Wahrnehmung der Interessen der Heilmittelerbringer maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene gemeinsam Rahmenempfehlungen über die einheitliche Versorgung mit Heilmitteln ab. Auch Hilfsmittel dürfen nur von zugelassenen Leistungserbrin gern abgegeben werden (§ 126 Abs. 1 SGB V). Die Spitzenverbände der Kranken kassen erstellen ein Hilfsmittelverzeichnis (§ 128 SGB V). In diesem Verzeichnis sind die von der Leistungspflicht umfassten Hilfsmittel aufzuführen und die dafür vorgesehenen Festbeträge oder vereinbarten Preise anzugeben. Über die Einzelhei ten der Versorgung mit Hilfsmitteln und deren Wiedereinsatz sowie über die Preise und deren Abrechnung schließen die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Verbände der Ersatzkassen mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen Verträge mit Ver bänden der Leistungserbringer, soweit Festbeträge noch nicht festgelegt sind oder nicht festgelegt werden können (§ 127 Abs. 1 SGB V). Nach § 129 SGB V werden mit den Apotheken Rahmenverträge über die Arznei mittelversorgung geschlossen. Die Apotheken sind zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels verpflichtet, wenn der verordnende Arzt nur den Wirkstoff bezeich net hat (§ 129 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Sie sind ferner dazu angehalten, wirtschaftliche Einzelmengen abzugeben und den Apothekenabgabepreis auf der Arzneimittelpa ckung anzugeben (§ 129 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB V). Die Spitzenverbände der Kran kenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebilde te maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere (§ 129 Abs. 2 SGB V). Dass die Arzneimittel nicht etwa vom Versicherten, sondern tatsächlich von der Krankenkasse nachgefragt werden, ergibt sich besonders deutlich aus § 130 SGB V. Danach erhalten nämlich die Kran kenkassen von den Apotheken einen Rabatt in Höhe von 5 %, wenn die Rechnung des Apothekers innerhalb von 10 Tagen nach Eingang bei der Krankenkasse begli chen wird. Schließlich bindet § 131 SGB V auch die Arzneimittelhersteller in das Regu lierungsnetz ein. Die Spitzenverbände der Krankenkassen und die für die Wahr nehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorga nisationen der pharmazeutischen Unternehmer auf Bundesebene können einen Vertrag über die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung schließen. Der Vertrag kann sich auf die therapiegerechte und wirtschaftliche Pa ckungsgröße erstrecken und auf Maßnahmen zur Erleichterung der Erfassung und Auswertung von Arzneimittelpreisdaten, Arzneimittelverbrauchsdaten und Arznei mittelverordnungsdaten, einschließlich des Datenaustausches, insbesondere für die Ermittlung der Preisvergleichsliste (§ 92 Abs. 2 SGB V) und die Festsetzung von
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Festbeträgen (§ 131 Abs. 2 SGB V). Die Sozialversicherungsträger entscheiden also, was verordnet wird, wie viel verordnet wird und welche Preise für die verordneten Arzneimittel zu nehmen sind. Selbst die Versorgung mit einer Haushaltshilfe erfolgt über die Krankenkasse. Diese kann zur Gewährung von Haushaltshilfe geeignete Personen anstellen (§ 132 Abs. 1 SGB V). Die Verträge mit diesen Personen schließt die Krankenkasse. Dies gilt auch für die häusliche Krankenpflege. Die Spitzenverbände der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene geben Rahmenempfehlungen über die ein heitliche Versorgung mit häuslicher Krankenpflege ab (§ 132a Abs. 1 SGB V). Über die Einzelheiten der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege sowie über die Preise und deren Abrechnung schließen die Krankenkassen Verträge mit den Leistungser bringern (§ 132a Abs. 2 SGB V). Soweit die Entgelte für die Inanspruchnahme von Leistungen des Rettungsdiens tes oder anderer Krankentransporte nicht durch landes- oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt werden, schließen die Krankenkassen oder ihre Verbände Verträge über die Vergütung dieser Leistung mit dafür geeigneten Einrichtungen oder Unternehmen ab (§ 133 Abs. 1 SGB V). Auch die Vergütungen für Hebammen sind vollständig reguliert. Das Bundesministerium für Gesundheit bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Vergütungen für die Leis tungen der freiberuflich tätigen Hebammen und Entbindungspfleger, soweit diese Leistungen von der Leistungspflicht der Krankenversicherung umfasst sind (§ 134 Abs. 1 SGB V). Es ist gelegentlich darauf hingewiesen worden, dass das Sachleistungsprinzip durch § 31 Abs. 2 SGB V eingeschränkt worden sei. Nach § 31 Abs. 2 SGB V trägt die Krankenkasse für Arznei- oder Verbandmittel, für die ein Festbetrag nach § 35 SGB V festgesetzt ist, die Kosten bis zur Höhe dieses Festbetrages. Das ist richtig, ändert aber am Sach-Leistungs-Prinzip nichts. Bei Arznei- und Hilfsmitteln, für die Festbeträge festgesetzt sind, kommt der Beschaffungsvertrag zwischen dem Leis tungserbringer und der Krankenkasse bis zur Höchstgrenze des Festbetrags zustan de.212 Nur hinsichtlich eines etwaigen Mehrbetrages können zusätzliche rechtliche Beziehungen zwischen Leistungserbringer und Versichertem entstehen. Es ist aber nicht etwa so, dass der Versicherte gegen seine Krankenkasse einen Anspruch auf Zahlung des Festbetrags hat.213 Richtig ist natürlich, dass die Krankenkasse nicht selbst und unmittelbar die Arznei- und Hilfsmittel physisch nachfragt. Sozialrecht lich tritt jedoch die Krankenkasse als Nachfrager auf.214
BVerfG NJW 2003, 1232, 1236 Festbetragsurteil; so vor allem auch BSG vom 14.06.1995 NZS 1995, 502 ff.; Jaeger, Die gesetzlichen Krankenkassen als Nachfrager im Wettbewerb, ZWeR 2005, 31, 33. 213 BSG NJS 1995, 502. 214 So auch das BSG vom 25.09.2001, BSGE 89, 19, 23. 212
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In dieser Logik liegt auch eine Entscheidung des BSG vom 31.08.2000, in der das BSG die Krankenkassen als „Nachfragekartell“ im Zusammenhang mit der Preisbe einflussung durch das Instrument der Festbeträge bezeichnet hat.215 Auch der BGH hat sich im Festbetragsurteil mit der Frage beschäftigt, ob die Krankenkassen oder ob die Versicherten Nachfrager nach Arzneimitteln seien.216 Das Gericht hat zunächst darauf hingewiesen, dass die Auswahl unter den für die Therapie eingesetzten Arz nei- und sonstigen Hilfsmitteln nicht von den Krankenkassen, sondern allein von Arzt und Patient getroffen werde. Der BGH fährt dann aber fort: Die Möglichkeit einer Einflussnahme auf die Auswahlentscheidung eröffne sich den Kassen bedingt über eine Beschränkung der Leistungspflicht im Verhältnis zu ihren Versicherten, mit der entweder Versicherungsleistungen für bestimmte Behandlungsformen oder Medikamente ausgeschlossen oder ihre Verpflichtung zur Bereitstellung von Me dikamenten durch die Festlegung von Kostenobergrenzen eingeschränkt werde.217 Diese Erwägungen sind richtig, weil sie darauf abstellen, dass die Krankenkassen die Nachfrage maßgeblich steuern. Der Begriff des Nachfragers ist also funktional zu bestimmen. Nachfrager ist derjenige, der die Auswahlentscheidung am Markt u.a. nach Produkt, Menge, Zeit, Transportweg und Preis maßgeblich steuert. Das ist mit Blick auf Arznei- und Hilfsmittel nicht der Versicherte, sondern die Kranken kasse.218 3.5.2 Ansätze für Wettbewerb zwischen den Krankenkassen In einem Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2001 – es ging darum, ob das UWG und das GWB auf die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern anwendbar ist – heißt es: „Ein wesentliches Instrument zur Erreichung größtmöglicher Wirtschaftlichkeit in der Versorgung der Versicherten ist gerade der Wettbewerb unter den verschiedenen Leistungserbringern“.219 Auch in einem früheren Urteil aus dem Jahre 1995 zum speziellen Leistungsbereich der Krankentransporte hatte sich das BSG bei der Auslegung des heutigen § 133 Abs. 1 SGB V mit der Vorstellung des Gesetzgebers identifiziert, eine wirtschaftliche An gebotsstruktur sei durch Wettbewerb anzustreben.220 In einem Urteil aus dem Jahre 2002 zum Leistungsbereich der häuslichen Krankenpflege weist das BSG darauf hin, dass aus der Perspektive des SGB V Wettbewerb unter den Leistungserbringern ge wünscht sei.221 In diesem Sinne heißt es auch in einem Urteil des BSG aus dem Jahre 1998: Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen diene dem Ziel, eine zweck mäßige, wirtschaftliche und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung aller Versicherten zu den gesetzlich festgelegten Bedingungen einer sozialen Kranken versicherung zu gewährleisten. Der Gesetzgeber erwarte von diesem Wettbewerb BSGE 87, 95, 98. Beschluss vom 03.07.2001, GRUR 2002, 554, 558. 217 GRUR 2002, 554, 558. 218 Wie hier: Jäger, aaO., ZWeR 2005, 31, 34. 219 BSGE 89, 24 = NJW-RR 2002, 1691. 220 BSGE 77, 119 = NZS 1996, 384. 221 BSGE 90, 84 = GesR 2003, 184. 215 216
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positive Auswirkungen im Sinne von mehr Effektivität und Flexibilität des Verwal tungshandelns, bessere Kundenorientierung, eines permanenten Ansporns zu Inno vation und eines Drucks auf Preise und Beiträge.222 Dem entspricht es, dass das BSG bei der Beurteilung des Risikostrukturausglei ches (§§ 266, 267 SGB V) ausführt, es gehe beim Kassenwettbewerb nicht darum, die eigene Marktposition zulasten der „Konkurrenten“ auszubauen. Vielmehr müssten die Kassen im Interesse einer zweckmäßigen, wirtschaftlichen und hochwertigen medizinischen Versorgung aller gesetzlich Versicherten zusammenarbeiten. Diesem Ziel – und nicht der gegenseitigen Ausgrenzung – diene auch der Wettbewerb zwi schen ihnen.223 Folglich ist der Wettbewerb unter den Krankenkassen „Mittel zum Zweck“, die ihnen zugewiesene öffentliche Aufgabe zu erfüllen.224
3.6 Wettbewerb durch den Abschluss von Einzelverträgen Dies alles zeigt, dass es innerhalb des Systems der GKV wettbewerbliche Elemente gibt und geben soll. Einige „Nischen“ in diesem Sinne sind durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003 (GMG)225 eingeführt worden. 3.6.1 Besonders qualifizierte „hausarztzentrierte Versorgung“ Nach § 73b Abs. 2 SGB V haben die Krankenkassen zur Sicherstellung der haus arztzentrierten Versorgung mit besonders qualifizierten Hausärzten Verträge zu schließen. Die Verträge können mit Hausärzten und medizinischen Versorgungs zentren geschlossen werden. Ein Anspruch auf den Vertragsabschluss besteht nicht. Die Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes ist unter Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien öffentlich auszuschreiben (§ 73b Abs. 3 S. 3 SGB V). Das ist Augenblick freien Wettbewerbs. Vor allem ist die Krankenkasse verpflich tet, die Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes unter Nachfrage objektiver Aus wahlkriterien öffentlich auszuschreiben. Dadurch soll eine diskriminierungsfreie Auswahl von Hausärzten für die hausarztzentrierte Versorgung gewährleistet wer den.226 Ziel der öffentlichen Ausschreibung ist es, der Krankenkasse eine zahlen mäßige Begrenzung der unter Vertrag genommenen Hausärzte entsprechend dem Bedarf an hausarztzentrierter Versorgung für ihre Versicherten zu ermöglichen.227
BSGE 82, 78, 81; bestätigt durch das den Risikostrukturausgleich betreffende Urteil des BSG vom 24.01.2003, NZS 2003, 537, 543 f. 223 BSG NZS 2003, 537, 541 f. 224 BVerfG vom 09.06.2004, DVBl 2004, 1161, 1162. 225 BGBl. I 2003, 2190, dazu Spindler, Neue Versorgungsformen in der GKV und zivilrechtliche Folgen im (Arzt-)Haftungsrecht, in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, 2004, 102-112. 226 Fraktionsentwurf-GMG BT-Drucks. 15/1525 zu Nr. 49, S. 267. 227 Fraktionsentwurf-GMG aaO. 222
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3.6.2 Besondere Versorgungsaufträge Sehr ähnlich eröffnet § 73c SGB V eine zweite Vertragsebene. Bei diesen Verträ gen geht es um besondere Versorgungsaufträge, die neben der vertragsärztlichen Versorgung stehen. Möglich ist z.B. die Teilnahme an strukturierten Verhandlungs programmen für bestimmte chronische oder schwerwiegende Krankheiten, die ins besondere aufgrund evidenzbasierter Leitlinien eine strukturierte Versorgungskette erfordern und deswegen vom Vertragsarzt verlangen, dass er sich in die Organisa tionsstruktur und die Qualitätsanforderungen dieses Programms einbindet.228 Ge genstand der zweiten Vertragsebene kann auch die Teilnahme an besonderen Orga nisationsstrukturen für die fachärztliche Versorgung bestimmter Erkrankungen in Form von Schwerpunktpraxen – z.B. Schmerztherapie, Onkologie, Dialyse – sein. Auch die Teilnahme an Kooperationsstrukturen mit Leistungserbringern außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung (z.B. Kooperation mit dem Krankenhaus in der Erbringung hochspezialisierter Leistungen), Kooperation mit Pflegeberufen in der geriatrischen Betreuung – gehört zur zweiten Vertragsebene. Die Kassenzulassung reicht nicht aus, um einen Versorgungsauftrag dieser Art zu erfüllen. 3.6.3 Ambulante ärztliche Versorgung durch Krankenhäuser bei besonderen Leistungen Krankenkassen können mit zugelassenen Krankenhäusern Verträge über die am bulante Erbringung hochspezialisierter Leistungen sowie zur Behandlung seltener Erkrankungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen schließen, sofern diese Leistungen und diese Behandlung in dem Katalog nach § 116b Abs. 3 SGB V enthalten sind. Es handelt sich etwa um hochspezialisierte Leistungen im Bereich der Schmerztherapie (CT/MRT), oder um seltene Erkrankungen, wie bei spielsweise Aids, schwere Herzinsuffizienz, Tuberkulose, Multiple Sklerose oder Pädiatrische Kardiologie. Die von den Krankenhäusern erbrachten Leistungen werden unmittelbar von den Krankenkassen vergütet (§ 116b Abs. 5 SGB V). Allerdings hat die Vergütung vergleichbaren vertragärztlichen Leistungen zu entsprechen. Die Prüfung der Wirt schaftlichkeit und Qualität erfolgt durch die Krankenkassen. Auch diese Norm öff net Verhaltensspielräume innerhalb des Systems der GKV. 3.6.4 Integrierte Versorgung Die integrierte Versorgung ermöglicht auf der Grundlage von Verträgen nach §§ 140b und 140d SGB V eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Ver sorgung der Versicherten (§ 140a SGB V).229 Die Krankenkassen können mit ver Beispielhaft definiert in § 25 Abs. 5 für das Mammographie-Screening und in den Anlagen zur RSAV, zu den Disease-Management-Programmen für Diabetes, Brustkrebs und koronare Herzerkrankungen. 229 Sie wurde bereits mit dem Gesetz zur Reform der GKV ab 2000 eingeführt, vgl. Hiddemann/ Muckel, Das Gesetz zur Modernisierung der GKV, NJW 2004, 7-13. 228
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schiedenen Leistungsträgern, dazu gehören die Träger zugelassener Krankenhäuser, Verträge zur integrierten Versorgung schließen. Die Einzelverträge legen sowohl das Versorgungsangebot und die Voraussetzungen einer Inanspruchnahme, die für die Versicherten freiwillig ist (§ 140a Abs. 2 SGB V), als auch die Vergütung fest (§ 140a Abs. 1; § 140c SGB V). Mit den seit dem 1. Januar 2004 geltenden Vorschriften zur integrierten Versorgung ist eine fachübergreifende Versorgung möglich, die z.B. eine Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen (z.B. Onkologie und Strahlen therapie) zweier Krankenhäuser beinhaltet.230 Die Teilnahme der Versicherten an den integrierten Versorgungsformen ist frei willig. Ein Leistungserbringer darf die den Versicherten betreffenden Behandlungs daten und –befunde nach § 140b Abs. 3 SGB V nur dann abrufen, wenn der Versi cherte ihm gegenüber seine Einwilligung erteilt hat. Dabei haben die Versicherten das Recht, von ihrer Krankenkasse umfassend über die Verträge zur integrierten Versorgung, die teilnehmenden Leistungserbringer, besondere Leistungen und ver einbarte Qualitätsstandards informiert zu werden (§ 141a Abs. 3 SGB V). Da die Teilnahme der Versicherten auf Freiwilligkeit basiert, ist es wichtig, dass der Versicherte umfassend informiert wird. Erst dann ist er in der Lage, seine Wahl zwischen dem herkömmlichen Versorgungssystem und der integrierten Versorgung zu treffen. Die Krankenkassen können Verträge zu integrierten Versorgungsformen z.B. mit Trägern zugelassener Krankenhäuser schließen – sie müssen dies nicht tun, es gibt also auf Seiten der Leistungserbringer keinen Rechtsanspruch auf Abschluss eines Integrationsvertrages. Nach § 140b Abs. 3 Satz 1 SGB V müssen sich die Vertrags partner der Krankenkassen zu einer qualitätsgesicherten, wirksamen, ausreichen den, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten verpflichten. Die Vertragspartner haben – so heißt es weiter – die Erfüllung der Leistungsansprü che der Versicherten nach den §§ 2, 11-62 in dem Maße zu gewährleisten, zu dem die Leistungserbringer verpflichtet sind. Insbesondere müssen die Vertragspartner die Gewähr dafür übernehmen, dass sie die organisatorischen, betriebswirtschaft lichen sowie die medizinischen und medizinisch-technischen Voraussetzungen für die vereinbarte integrierte Versorgung entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und des medizinischen Fortschritts erfüllen und eine an dem Versorgungsbedarf der Versicherten orientierte Zusammenarbeit zwischen allen an der Versorgung Beteiligten einschließlich der Koordination zwi schen den verschiedenen Versorgungsbereichen und einer ausreichenden Doku mentation sicherstellen. Mit solchen Verträgen – so das Bundeskartellamt231 – wird unmittelbar Wett bewerb zwischen den unterschiedlichen Krankenhäusern geführt. Wenn es näm lich einer Krankenkasse gelinge, ihre Patienten z.B. über Bonusprogramme in das Bosenius/Juric/Wallhäuser, Rechtsgrundlagen lt. SGB V, in: Leitfaden zur integrierten Versor gung aus der Praxis, Version 3.0 (bisher unveröffentlichtes Manuskript der Rheinischen Fach hochschule Köln, Hrsg: Riedel/Schmidt/Hefner, Stand: 22.03.2005. 231 Beschwerdeerwiderung vom 30. Juni 2005 zum Beschluss des Bundeskartellamts vom 10. März 2005 Az: B10-123/04, S. 6. 230
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preislich günstige Krankenhaus zu lenken, werden damit den Wettbewerbskranken häusern ihre bisherigen Patienten entzogen. Dies bedeutet, dass die integrierte Versorgung wettbewerbliche Spielräume in nerhalb der GKV schafft. Wenn diese Verträge geschlossen sind, können die Kran kenkassen die Versicherten um ihre Einwilligung bitten, statt der herkömmlichen haus- und fachärztlichen Versorgung integriert versorgt werden zu wollen. Als An reiz für eine solche Einwilligung offerieren – worauf das Bundeskartellamt zutref fend hinweist – die Krankenkassen gelegentlich Bonusprogramme.232 Dies bedeutet, dass die Patienten im Verhältnis zu ihren Krankenkassen die Wahl zwischen der integrierten und der herkömmlichen Versorgung haben. Sie fragen also gegenüber ihrer Krankenkasse auf dem Markt für herkömmliche oder für integrierte Versor gung alternative Tarife nach. Die Krankenkasse macht ihnen das Ganze schmack haft, indem sie für die integrierte Versorgung einen Bonus gewährt. Auf diese Weise kann die Nachfrage der Patienten gegenüber ihrer Krankenkasse nunmehr zu einer Nachfrage der Krankenkasse gegenüber den Krankenhäusern zu vermehrter integ rierter Versorgung führen. Das bedeutet, dass es einen Wettbewerb zwischen Kran kenkassen und Krankenhäusern um attraktive integrierte Versorgungsverträge gibt. Hiervon abgesehen handelt es sich bei der integrierten Versorgung um einen Wettbewerb zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen. Abweichungen von den sonst üblichen Regelungen können im Rahmen der integrierten Versorgung erfolgen, soweit dies die Besonderheit der integrierten Versorgung erfordert und soweit dies entweder die Qualität und die Wirksamkeit der integrierten Versorgung verbessert oder aus sonstigen Gründen zu ihrer Durchführung erforderlich ist (§ 140b Abs. 4 SGB V). Diese Regeln stehen neben § 140b Abs. 3 SGB V, wonach die Vertragspartner die Erfüllung der Leistungsansprüche nach den §§ 2, 11 bis 62 SGB V zu gewährleisten haben. Es geht darum, dass in bestimmten Fällen das typische vertrags- und fachärztliche Angebot integriert – also vernetzt – erbracht wird, um auf diese Weise Kostenvorteile zu erzielen. So kann man beispielsweise sektorenüber greifende Versorgungsprozesse standardisieren (Behandlungspfade), Wartezeiten zwischen den Einzelleistungen unterschiedlicher Leistungserbringer durch Festle gung der fachärztlichen Behandlungskorridore verringern, Doppeluntersuchungen vermindern, insbesondere bei anzufertigenden Röntgenbildern, eine schnellere be rufliche Wiedereingliederung oder eine Abkürzung der Arbeitsunfähigkeitszeiten der Patienten bewirken und einen nahtlosen Übergang in ein Nachbehandlungs segment (stationäre oder ambulante Rehabilitation, Heilmittelverordnungen oder Prävention) realisieren.233 Es geht also um die Erzielung von Kostenvorteilen durch integrierte Versorgung innerhalb des Leistungsspektrums der GKV. Betont wird dies dadurch, dass der Gesetzgeber den Grundsatz der Beitragssta bilität nach § 71 Abs. 1 SGB V für Verträge, die bis zum 31.12.2008 geschlossen werden, aussetzt (§ 140b Abs. 4 Satz 2 SGB V). Mit dieser Regelung wird der Tat Beschwerdeerwiderungsschrift vom 30. Juni 2005, aaO., S. 6. Hefner/Riedel, Ziele und Nutzen der integrierten Versorgung in: Leitfaden zur integrierten Versorgung aus der Praxis, Version 3.0 vom 22.03.2005 – unveröffentlichte Studie der Rheini sche Fachhochschule Köln, Hrsg. Rieder/Schmidt/Hefner; III-IV/V.
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sache Rechnung getragen, dass die Erarbeitung und Umsetzung einer integrierten Versorgungsform mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden ist.234 Im Rahmen dieser Leistungs- und Vergütungsregulierung sind die Vertragspart ner nach § 140c SGB V nicht an ein bestimmtes Finanzierungssystem gebunden – worauf das Bundeskartellamt zu Recht hinweist.235 Die Vergütung kann pauschaliert oder einzelleistungsbezogen erfolgen. In den Integrationsverträgen können auch Abweichungen vom Gebot der Beitragsstabilität vereinbart werden. Damit verbun dene höhere Vergütungen lassen sich mit verbesserter Qualität und Wirtschaftlich keit gegenüber bisherigen Versorgungsstrukturen rechtfertigen und bedürfen des wegen der Evaluation nach § 140h SGB V. Vor allem können die Verträge zur integrierten Versorgung die Übernahme der Budgetverantwortung vorsehen. Vorbild hierfür sind die Vereinigten Staaten von Amerika (Health Maintenance Organisation [HMO]) und in Europa vor allem die Schweiz.236 Die Übernahme der Budgetverantwortung wirkt wie ein Price Cap. In einem solchen System haben die Leistungserbringer kein Interesse an einer medi zinisch nicht notwendigen Ausweitung von Leistungen, da die Mehrkosten hierfür aus ihrem Budget zu finanzieren sind. Dies birgt umgekehrt die Gefahr der Risiko selektion und der Qualitätsminderung der deswegen durch ein engmaschiges Qualitätsmanagement mit einem jede teure Leistung steuernden „Gate-Keeper“ und elek tronisch gestützter Patienten-Dokumentation entgegengewirkt werden muss.237 Das Vergütungssystem im Rahmen der integrierten Versorgung enthält also eine typi sche ex-ante-wirkende Price-cap-Deckelung. Daraus resultierende mögliche Nach teile für die Patienten müssen durch eine Qualitätskontrolle ausgeglichen werden. Außerdem können die Patienten jederzeit in die herkömmliche Versorgung über wechseln, sodass das herkömmliche Versorgungssystem als Qualitätsuntergrenze in das System der integrierten Versorgung hineinwirkt. Genau besehen wirkt die Regulierung des herkömmlichen Versorgungssystems mit derjenigen der integrier ten Versorgung zusammen, ähnlich wie dies auf Märkten für Festbetragsregelungen geschieht. Ziel der integrierten Versorgung ist es, andere gleichartige Leistungserbringer auszuschließen, um sie einem Verdrängungswettbewerb zu unterwerfen.238 Zur Er reichung dieses Ziels werden Krankenkassen auch solche Leistungserbringer von der integrierten Versorgung ausschließen müssen, die sachlich durchaus gleichwer tige Leistungen auf gleichen Märkten zu erbringen im Stande sind. Dies zeigt, dass die integrierte Versorgung Ausdruck freien Wettbewerbs im System der GKV ist. Die Vertragsparteien können nämlich, völlig losgelöst von der kassenärztlichen Vereinigung/Bundesvereinigung, Verträge abschließen und damit die Sicherstellung der Versorgung teilweise übernehmen. „So kann z.B. die kardiologische Versorgung von Versicherten einer Krankenkasse in einer Region durch eine Integrationsver sorgung mit Vertragsärzten und Krankenhäusern sichergestellt werden ... Die Kran Busenius/Juric/Wallhäuser, aaO., IV-X. Beschwerdeerwiderung, aaO., S. 6. 236 Hess in: Kasseler Kommentar, § 140c SGB V, Rn. 5. 237 Hess, in: Kasseler Kommentar, § 140c SGB V, Rn. 5. 238 Hess, in: Kasseler Kommentar, § 140b SGB V, Rn. 5. 234 235
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kenkassen werden so in die sehr komfortable Lage versetzt, in selbstbestimmtem Umfang Verträge zu schließen, ohne dass damit ... die Verpflichtung verbunden ist, dauerhaft und flächendeckend die Versorgung der Versicherten sicherzustellen.“239
3.7 Medizinische Versorgungszentren Nach § 95 SGB V können sich Ärzte nicht nur als Praxisbetreiber niederlassen, son dern auch in einem medizinischen Versorgungszentrum als Angestellte oder Ver tragsärzte arbeiten. Das Neue daran ist, dass nicht nur eine natürliche Person (Arzt), sondern das Zentrum selbst zur fachübergreifenden ärztlich geleiteten Versorgung zugelassen wird (§ 95 Abs. 1 S. 2 SGB V). Die Ärzte können in Form einer Gemein schaftspraxis mit dem Zentrum zusammenarbeiten (§ 33 Ärzte-ZV). Die medizini schen Versorgungszentren selbst können sich aller zulässigen Rechtsformen (z.B. GmbH oder GbR) bedienen (§ 95 Abs. 1 S. 3 SGB V). Die Idee der medizinischen Versorgungszentren geht auf die Polykliniken und diese auf den Arzt Christoph Wil helm Hufeland aus dem 18. Jahrhundert zurück. Die Krankenkassen gründeten in Deutschland während des Ärztestreiks 1926/27 Ambulatorien und Polykliniken. Sie stellten dort Ärzte als Streikbrecher ein. In der DDR waren die Polykliniken tragen de Säulen der ambulanten Versorgung. Bis 1989 gab es noch etwa 1650 Polykliniken und Ambulatorien in der DDR. Dies änderte sich mit der Wiedervereinigung – nur wenige Versorgungszentren arbeiteten weiter. Seit dem 01. Januar 2004 nehmen die medizinischen Versorgungszentren an der ambulanten Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten wieder maßgeblich teil. Medizinische Versorgungszentren bündeln die medizinische Kompetenz unter einem Dach und sorgen deshalb für die Patienten für kurze Wege und schnelle ge samtheitliche Behandlung. Doppeluntersuchungen werden vermieden. Teure Me dizintechnik kann gemeinschaftlich genutzt werden. Das ökonomische Risiko einer Praxisgründung wird auf mehrere Schultern verteilt. Da medizinische Versorgungs zentren auch von einem Krankenhaus gegründet werden können, kann auf diese Weise die Verzahnung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung weiter ver bessert werden. Medizinische Versorgungszentren treten in der ambulanten Versorgung in Wett bewerb zu niedergelassenen Ärzten und erhöhen die Wahlmöglichkeiten für Patien ten bei gleichzeitiger Kostenminimierung durch Vermeidung von Doppeluntersu chungen und durch gemeinsame Nutzung teurer medizinischer Geräte. Damit sind medizinische Versorgungszentren Ausdruck von Wettbewerb im Sinne einer quali tativ verbesserten medizinischen Versorgung bei gleichzeitiger Senkung der Kosten.
Hiddemann/Muckel, Das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, NJW 2004, 7, 8.
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3.8 Sicherung der Qualität der Leistungserbringung (§§ 135-139 SGB V) Das Bundeskartellamt verweist zu Recht darauf, dass der Gesetzgeber in den §§ 135139c SGB V Regelungen zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung ver ankert hat.240 Die Leistungserbringer sind zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen verpflichtet. Die Leistungen müssen dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden (§ 135a Abs. 1 SGB V). Krankenhäu ser sind verpflichtet, sich an einrichtungsübergreifenden Maßnahmen der Quali tätssicherung zu beteiligen, die insbesondere zum Ziel haben, die Ergebnisqualität zu verbessern und ein Qualitätsmanagement einzuführen und weiterzuentwickeln (§ 135a Abs. 2 SGB V). Für nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss unter Beteiligung des Verbandes der privaten Krankenversicherung, der Bundesärztekammer sowie der Berufsorganisationen der Krankenpflegeberufe Maßnahmen der Qualitätssicherung einheitlich für alle Patien ten. Dabei sind die Erfordernisse einer sektor- und berufsgruppenübergreifenden Versorgung angemessen zu berücksichtigen (§ 137 Abs. 1 SGB V). Die Beschlüsse regeln insbesondere verpflichtende Maßnahmen der Qualitätssicherung, Kriterien für die indikationsbezogene Notwendigkeit und Qualität der durchgeführten diag nostischen und therapeutischen Krankenhausleistungen sowie einen Katalog plan barer Leistungen nach den §§ 17 und 17b des KHG, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leis tungen abhängig ist. Beschlossen werden außerdem Grundsätze zur Einholung von Zweitmeinungen vor Eingriffen, Vergütungsabschläge für zugelassene Krankenhäu ser, die ihre Verpflichtungen zur Qualitätssicherung nicht einhalten und Inhalt und Umfang eines im Abstand von zwei Jahren zu veröffentlichenden strukturierten Qualitätsberichtes. Welche Leistungen sich in welcher Qualität in den Krankenhäusern durchset zen, hängt von den Maßnahmen des Gemeinsamen Bundesausschusses ab. Es wird zwischen der Strukturqualität (Qualifikation des Arztes und des Personals, Aus stattung der Arbeitsstätte), der Prozessqualität (Indikation und Durchführung der Diagnostik und Therapie) und der Ergebnisqualität (Heilungsdauer, Lebensqualität der Patienten) differenziert. Die Qualität ärztlichen Handelns kann auf allen drei Ebenen nur in Teilen und über Vergleiche mit Erwartungen gemessen werden, mit erprobten Standards oder mit den Leistungen anderer Versorgungseinrichtungen.241 Die Entwicklung medizinischer Standards für die Beurteilung der Qualität ist daher das Hauptproblem der Qualitätssicherung und der Einführung von Maßnahmen zur Qualitätssicherung in allen Lebensbereichen der GKV. Das Bundeskartellamt meint242, dass diese Qualitätssicherung durch „wettbe werbliches Geschehen“ gekennzeichnet sei. Der Gesetzgeber gehe in § 137 Abs. 1 Beschwerdeerwiderung, aaO, S. 7. Hess in: Kasseler Kommentar, vor §§ 135-139 SGB V Rn. 6. 242 Beschwerdeerwiderung, aaO, S. 7. 240 241
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Satz 3 Nr. 6 und Satz 6 SGB V offensichtlich von dem Bestehen von Qualitätsunter schieden zwischen Krankenhäusern aus und trage dem Bedürfnis der Patienten als Nachfrager der Krankenhausleistungen nach Informationen über diese Unterschie de Rechnung. Zutreffend weist das Bundeskartellamt ferner darauf hin, dass § 137 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 und Satz 6 SGB V offensichtlich „von dem Bestehen von Qualitätsunterschie den zwischen Krankenhäusern“ ausgehe. Das ist richtig, wenngleich es umgekehrt auch richtig ist, dass der Gemeinsame Bundesausschuss dafür zu sorgen hat, dass ge wisse Qualitätsmaßstäbe bei allen zugelassenen Krankenhäusern nicht unterschrit ten werden. Schließlich heißt es in § 135a Abs. 1 Satz 2 SGB V ausdrücklich, dass die Leistungen dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden müssen. Krankenhäuser können also nur oberhalb eines Mindestlevels Qualitätsunterschiede aufweisen. Das Mindestlevel wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss und verschiedenen ande ren Organisationen bestimmt und beschlossen (vgl. § 139a SGB V). Krankenhäuser, die ihre Verpflichtungen zur Qualitätssicherung nicht einhalten, müssen mit Vergütungsabschlägen rechnen.
3.9 Versorgung mit Hilfsmitteln Über die Versorgung mit Hilfsmitteln und deren Wiedereinsatz sowie über die Prei se und deren Abrechnung schließen die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Verbände der Ersatzkassen mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen Verträge mit Verbänden der Leistungserbringer, soweit Festbeträge noch nicht festgelegt sind oder nicht festgelegt werden können (§ 127 Abs. 1 SGB V). Allerdings können Krankenkassen Verträge mit einzelnen Leistungserbringern zu niedrigeren Preisen als in den Verträgen nach Abs. 1 bei gleicher Qualität schlie ßen (§ 127 Abs. 2 SGB V). Hierzu soll die Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes unter Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien öffentlich ausgeschrieben werden. Die Krankenkassen informieren die Versicherten und die zugelassenen Leis tungserbringer von Hilfsmitteln über die Durchschnittspreise des unteren Preis drittels der Preise, die sie nach Abs. 2 vereinbart haben (§ 127 Abs. 3 SGB V). Auf der einen Seite stehen also Rahmenverträge auf Verbandsebene, die die Ein zelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln sowie die Preise und deren Abrechnung regeln (Abs. 1). Daneben können die Krankenkassen mit einzelnen Leistungserbrin gern ergänzende Rahmenvereinbarungen treffen. Voraussetzung ist aber, dass die Preise niedriger sind. Mit beiden Vertragsarten kommen die Krankenkassen ihrer Verpflichtung nach, den Versicherten die Hilfsmittel als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. Für den Abschluss von Verträgen nach Abs. 2 zur Beschaffung von Hilfs mitteln bedarf es einer öffentlichen Ausschreibung. Der Gesetzgeber hat damit ein vom BGH243 bereits nach dem bisherigen Recht für zulässig erachtetes Vorgehen ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen. Die Hersteller von Hilfsmitteln, die den Urteil vom 24.06.2003 NZS 2004, 33.
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Krankenkassen die Hilfsmittel beschaffen, handeln in diesem Fall nicht als Leis tungserbringer, denn die Leistung an den Versicherten wird nicht von Ihnen, son dern von der Krankenkasse selbst (als Sachleistung) erbracht.244 Haben die Spitzenverbände nach § 36 SGB V Festbeträge für Hilfsmittel verein bart, so begrenzt dies die Erstattungspflicht der Krankenkassen gegenüber den Leis tungserbringern. Auf diese Weise sollte die Leistung der GKV auf das medizinisch Notwendige beschränkt und andererseits der Wettbewerb unter den Leistungsan bietern gefördert werden. Ziel ist eine qualitativ hochwertige Hilfsmittelversorgung, auf einem möglichst günstigen Preisniveau, unter Ausschöpfung der Wirtschaftlich keitsreserven und Auslösung eines wirksamen Preiswettbewerbs.245 Dadurch soll den Versicherten ein Anreiz für die Wahl kostengünstiger Arzneimittel gegeben, aber das Sachleistungsprinzip nicht aufgegeben werden. Andererseits sollen den Leistungserbringern Anreize zu einem wirksamen Wettbewerb gesetzt werden.246 Die Festbetragsfestsetzung bewirkt also eine Begrenzung des Erstattungshöchstbetrages der Krankenkasse, d.h., wenn ein zulasten der GKV ärztlich verordnetes Hilfs mittel mehr kostet, als dies der Festbetrag vorsieht, so sind die den Festbetrag über steigenden Kosten vom Versicherten selbst zu tragen.
3.10 Einzelverträge zwischen Krankenkassen und Apotheken Krankenkassen können Apotheken durch Einzelverträge an den Formen der haus arztzentrierten Versorgung (§ 73b SGB V), der besonderen Versorgungsaufträge (§ 73c SGB V) und der integrierten Versorgung (§§ 140a ff. SGB V) als Leistungser bringer beteiligen. Die Aufforderung zur Abgabe eines derartigen Beteiligungsan gebotes muss die einzelne Krankenkasse öffentlich ausschreiben (§ 129 Abs. 5b Satz 1 SGB V). In Verträgen über die integrierte Versorgung gestattet § 129 Abs. 5b Satz 3 SGB V, dass „das nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die ... teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften“ des SGB V vereinbart werden kann. Ob die Worte „Qualität und Struktur“ auch eine Ab weichung von den Festbeträgen umfassen (§ 12 Abs. 2 SGB V), lässt sich aus dem Wortlaut nicht unzweideutig entnehmen – allerdings spricht der Sinn und Zweck der integrierten Versorgung, insbesondere die damit verbundene Budgetdeckelung, für eine solche Interpretation.247 Damit erweist sich § 129 SGB V als eine Norm, die die Apotheker in bestimmte moderne Vertrags- und Regulierungsformen des SGB V mit einbezieht. Die Norm erstreckt den systeminternen Wettbewerb in gewissen Grenzen auch auf Apotheker. Wenn und soweit Apotheker einbezogen sind, müssen sie sich an die Budgetvorgabe halten, tragen also das Risiko der Budgetüberschrei tung selbst. Krauskopf-Knittel, SozKV, § 127 SGB V, Rn. 5. Kraußskopf-Wagner, SozKV, § 36 SGB V, Rn. 2. 246 BVerfG vom 17.12.2002 NZS 2003, 149 = NJW 2003, 1232. 247 wie hier: Wolfgang Jaeger, Die gesetzlichen Krankenkassen als Nachfrager im Wettbewerb, ZWeR 2005, 31, 38. 244 245
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3.11 Sozialmedizinische Nachsorgemaßnahmen Nicht nur die Landesverbände der Krankenkassen, sondern jede einzelne Kranken kasse kann nach dem neu eingeführten § 132c SGB V Verträge über die Erbrin gung sozialmedizinischer Nachsorgemaßnahmen mit einzelnen geeigneten Perso nen oder Einrichtungen schließen, sofern dies für eine bedarfsgerechte Versorgung notwendig ist. Vorgaben zur Vergütung durch Kollektivverträge gibt es nicht. Die neuen Regeln sehen auch keine öffentliche Ausschreibung vor.
3.12 Beziehungen zu Krankenhäusern und anderen Einrichtungen Es wäre erstaunlich, wenn das sozialrechtliche Regulierungsgefüge für die gesetz liche Krankenversicherung die Beziehungen zu den Krankenhäusern sowie den Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen nicht regeln würde, denn das Sachleis tungsprinzip zwingt die Krankenkassen, Verträge mit diesen Leistungserbringern vorzuhalten, um die Patienten angemessen versorgen zu können. Folgerichtig ent halten die §§ 107-114 SGB V die Regeln über die Beziehungen zu Krankenhäusern und anderen Einrichtungen. Der erste für das Sozialrecht typische Schritt findet sich in § 108 SGB V. Danach dürfen Krankenkassen die Krankenhausbehandlung nur durch ganz bestimmte Krankenhäuser erbringen lassen, nämlich durch Hoch schulkliniken, durch Plankrankenhäuser oder durch Krankenhäuser, die einen Ver sorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen abgeschlossen haben (§ 108 SGB V). Über andere Krankenhäuser, z.B. Privatkrankenanstalten, mit denen kein Versorgungsvertrag besteht, dürfen die Krankenkassen die Krankenhausbehandlung für gesetzlich krankenversicherte Pati enten nicht erbringen lassen. Das bedeutet umgekehrt, dass Privatkrankenanstalten ohne Versorgungsvertrag, um Patienten aus der gesetzlichen Krankenversicherung nicht konkurrieren können, weil sie nicht zu den zugelassenen Krankenhäusern im Sinne des § 108 SGB V gehören.
3.13 Rehabilitation Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für die Verträge über medizi nische Leistungen zur Vorsorge oder zur Rehabilitation nach § 111 SGB V. Die Ver gütungen für die einzelnen Leistungserbringer werden direkt zwischen diesen und den einzelnen Krankenkassen vereinbart. Der Zugang zum Krankenhausmarkt ist folglich sektoral reguliert – die Kriterien, nach denen Krankenhäuser für gesetzlich Krankenversicherte tätig werden dürfen, ergeben sich aus dem Krankenhausrecht und den ergänzenden Versorgungsverträgen.
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3.14 Krankenhausbehandlung Aus der Perspektive der Patienten wird die Krankenhausbehandlung voll stationär, teilstationär, vor- und nachstationär (§ 115a SGB V) sowie ambulant (§ 115b SGB V) erbracht. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zu gelassenen Krankenhaus (§ 8 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs. 1 SGB V). Wählen Versicherte ohne zwingenden Grund ein anderes als ein in der ärztlichen Einweisung genanntes Krankenhaus, können ihnen die Mehrkosten ganz oder teil weise auferlegt werden (§ 39 Abs. 2 SGB V). Die Kassenverbände erstellen mit an deren ein Verzeichnis der Leistungen und Entgelte für die Krankenhausbehandlung in den zugelassenen Krankenhäusern im Land oder in einer Region und passen es der Entwicklung an (Verzeichnis stationärer Leistungen und Entgelte [§ 39 Abs. 3 SGB V]). Die Krankenkassen haben darauf hinzuwirken, dass Vertragsärzte und Versicherte das Verzeichnis bei der Verordnung und Inanspruchnahme von Kran kenhausbehandlung beachten (§ 39 Abs. 3 Satz 3 SGB V). Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krank heit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung (§ 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Auf der Grundlage dieser Kriterien enthält § 39 Abs. 2, 3 SGB V heute die Re geln für die Auswahl des Krankenhauses. Danach ist die Bestimmung des Kranken hauses weitgehend dem Arzt übertragen worden.248 Dieser muss gemäß § 73 Abs. 4 Satz 3, 4 SGB V auf seiner Verordnung in geeigneten Fällen die beiden nächst er reichbaren, für die vorgesehene Krankenhausbehandlung geeigneten Krankenhäu ser angeben und dabei das Verzeichnis stationärer Leistungen und Entgelte nach Abs. 3 berücksichtigen. Wollen die Versicherten Mehrkosten vermeiden, so können sie lediglich zwischen den vom Arzt genannten Krankenhäusern wählen. Ob ein Krankenhaus nächsterreichbar ist, ist grundsätzlich anhand der räumlichen Ent fernung zu bestimmen249 Es muss aber ein Krankenhaus sein, durch dessen Inan spruchnahme keine höheren als geringfügige Mehrkosten entstehen. Daher genügt es nicht, dass ein Krankenhaus das zweitnächst erreichbare ist, gleichwohl aber weit entfernt liegt.250 In einem solchen Falle entfällt praktisch die Wahlfreiheit der Versi cherten. Ausländische Krankenhäuser kommen in den Fällen des § 13 Abs. 5 SGB V und des § 18 SGB V in Betracht. Nach § 39 Abs. 2 SGB V kann die Krankenkasse den Versicherten Mehrkosten ganz oder teilweise auferlegen, wenn diese ohne zwingenden Grund ein anderes als in der ärztlichen Einweisung genanntes Krankenhaus wählen. Ein zwingender Höfler in: Kasseler Kommentar, § 39 SGB V, Rn. 31. Höfler in: Kasseler Kommentar, § 39 SGB V, Rn. 31. 250 BSG SozR 2200, § 368d Nr. 4. 248 249
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Grund für die Wahl eines anderen Krankenhauses liegt vor, wenn das vom Arzt genannte den Versicherten nicht zuzumuten ist251, z.B. bei erheblich negativen Er fahrungen der Versicherten oder ihrer Angehörigen mit früheren Behandlungen, wenn das Vertrauensverhältnis mit den behandelnden Krankenhausärzten gestört ist oder religiöse Gründe nach Abwägung mit den Interessen der Versichertenge meinschaft bestehen (§ 2 Abs. 3 Satz 2 SGB V).252 Mehrkosten sind sämtliche, durch die Wahl des Krankenhauses verursachte höhere Aufwendungen der Krankenkas sen. Ausgangspunkt ist das in der ärztlichen Einweisung genannte Krankenhaus mit den höchsten Pflegesätzen. Die Auferlegung der Mehrkosten nach Abs. 2 steht im pflichtgemäßen Ermessen der Krankenkasse. Dieses kann von den Gerichten nur nach den allgemeinen Maß stäben in begrenztem Umfang überprüft werden, während die Tatbestandsmerkma le des Abs. 2 uneingeschränkt nachprüfbar sind. Bei der Ausübung des Ermessens wird die Krankenkasse unter anderem die Gründe für die Wahl des Krankenhauses und die Höhe der Mehrkosten berücksichtigen. Ergänzend heißt es in § 39a Abs. 1 SGB V, dass Versicherte, die keiner Kranken hausbehandlung bedürfen, unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Zuschuss zu einer Versorgung in einem Hospiz haben. Das Gleiche gilt für Leistun gen zur medizinischen Rehabilitation (§ 40 SGB V), für Fahrtkosten (§ 60 SGB V) und für Zuzahlungen. Als Zuzahlung zu stationären Maßnahmen werden je Ka lendertag 10,00 EUR erhoben (§ 61 Abs. 1 SGB V). Irgendeinen spezifischen Leis tungsbezug haben diese 10,00 EUR täglich nicht. Es handelt sich um eine schlichte Zuzahlungspauschale, ganz unabhängig von den individuellen Kosten, die der ein zelne Patient verursacht.
3.15 Die freie Arztwahl Die Patienten sind nicht nur bei der Krankenhauswahl, sondern auch bei der Wahl des sie behandelnden Arztes weitgehend frei. Tatsächlich können Versicherte nach § 76 SGB V aus dem Kreis der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnahmebe rechtigten Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen wählen. Im System der GKV gibt es kein uneingeschränktes Recht des Versicherten auf Inanspruchnahme aller Ärzte, aller medizinischen Versorgungszentren und ärztlich geleiteter Einrichtun gen in Deutschland. Der Versicherte kann vielmehr nur diejenigen Ärzte, medizini schen Versorgungszentren und ärztlich geleiteten Einrichtungen in Anspruch neh men, die durch Zulassung oder Ermächtigung berechtigt sind, an der Versorgung teilzunehmen (§ 95 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Dies gilt auch für die Inanspruchnahme von Zahnärzten und Psychotherapeuten (§ 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Hinzu treten die Eigeneinrichtungen der Krankenkassen, bei denen die Zahn kliniken im Hinblick auf das Recht der freien Arztwahl eine Sonderstellung ein nehmen. Auch innerhalb dieses Kreises der teilnahmeberechtigten Ärzte, medizi BSG SozR 2200, § 368d Nr. 4. Regierungsentwurf-GRG, S. 177, Begründung zu § 38 Abs. 2.
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nischen Versorgungszentren und ärztlich geleiteten Einrichtungen hat jedoch der Versicherte nicht die uneingeschränkte freie Arztwahl, da nach Maßgabe vertrag licher Regelungen in den Gesamtverträgen die meisten ermächtigten Ärzte nur auf Überweisung durch Kassenärzte in Anspruch genommen werden dürfen (§ 116 SGB V). Erschwerend kommt hinzu, dass der Versicherte die Mehrkosten zu tragen hat, wenn er ohne zwingenden Grund einen anderen als den nächsterreichbaren Arzt in Anspruch nimmt (§ 76 Abs. 2 SGB V). Schließlich sollen die Versicherten den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt innerhalb eines Kalendervier teljahres nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes wechseln (§ 76 Abs. 3 SGB V). Sind mehrere Ärzte – z.B. in Ballungszentren – auf nahezu gleiche Weise erreichbar, so kann der Versicherte zwischen ihnen jedenfalls tatsächlich frei wählen. Wählt der Versicherte die hausarztzentrierte Versorgung, so besteht grundsätzlich eine einjährige Bindung an den gewählten Hausarzt oder das gewählte medizini sche Versorgungszentrum nach § 73b Abs. 1 Satz 2 SGB V. Die Inanspruchnahme von Vertragsärzten bedarf der Überweisung durch diesen Hausarzt bzw. das medi zinische Versorgungszentrum. Ist aus der Versicherungskarte erkennbar, dass der Versicherte die hausarztzentrierte Versorgung gewählt hat, so geht der parallel in Anspruch genommene Vertragsarzt das Risiko ein, für seine Tätigkeit keine Vergü tung zu erhalten.253
3.16 Ergänzende Leistungen Auch für die ergänzenden Leistungen, etwa die Versorgung mit Heilmitteln (§ 125 SGB V) oder die häusliche Pflege (§ 132a SGB V) oder die Leistungen des Rettungs dienstes und anderer Krankentransporte (§ 133 SGB V) werden zwischen den Kran kenkassen und ihren Verbänden auf der einen Seite und den Leistungserbringern und ihren Verbänden auf der anderen Seite im Vorfeld Verträge geschlossen, und die Leistungen, die zu erbringen und zu vergüten sind, werden gegenüber den Pati enten im Vorfeld festgelegt.
3.17 Einheitlicher Beitragssatz in der GKV ab 01.01.2009 Mit Wirkung 01. Januar 2009 wird der Beitragssatz nicht mehr von den Kranken kassen, sondern von der Bundesregierung festgelegt werden (§ 241 SGB V). Hin tergrund waren die erheblichen Unterschiede in den Beitragssätzen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt haben. Das Bundessozialgericht hatte für 1985 Beitragssätze zwischen 7,0 und 14,4 % ermittelt – der durchschnittliche Beitragssatz lag bei 11,73 %.254 Der Gesetzgeber entwickelte, um diese erheblichen Beitragsdiffe renzen sozial erträglicher zu gestalten, den Risikostrukturausgleich (ab 1994) und Hess in: Kasseler Kommentar § 76 SGB V, Rn. 20a. BSGE 58, 134, 139.
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ab 1996 Kassenwahlrechte. Diesen Entscheidungen des Gesetzgebers stimmte das Bundesverfassungsgericht zu.255 Das Gericht hob hervor, dass die Ungleichbehand lung der Versicherten in verschiedenen Krankenkassen durch unterschiedlich hohe Beitragssätze in der Vergangenheit verfassungsrechtlich bedenklich gewesen sei. Beitragsunterschiede seien nicht mehr gerechtfertigt, wenn sie ein unangemessenes Ausmaß erreichten. Die Unterschiede in den Leistungen der Kassen könnten wegen ihres geringen Ausmaßes verschieden hohe Beiträge kaum rechtfertigen. Der durch das GSG 1994 eingeführt Risikostrukturausgleich hat zu einer gerech teren Beitragsbelastung der Versicherten bei gleichzeitigem Abbau von Wettbewerb zwischen den Kassen geführt.256 Im Jahre 2008 lagen die Beitragssatzunterschie de zwischen 11,8 % (IKK Sachsen) und 15,5 % (City BKK).257 Diese Unterschiede werden in Zukunft eingeebnet. Die Beitragsfestsetzung erfolgt durch die Bundes regierung erstmals zum 01.01.2009 (§ 241 Abs. 2 SGB V). Die auf diese Weise fest gesetzten Beiträge können von den Arbeitgebern ab 01.01.2011 an eine zentral be auftragte Stelle (Gesundheitsfonds) eingezahlt werden – dieser gibt die Beiträge an die Krankenkassen weiter. Gleichzeitig haben die Kassen ab 01.01.2009 die Pflicht, einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag von max. 1 % der Bemessungsgrundlage zu erheben, wenn sie ihren Finanzbedarf nicht aus den Mittelzuweisungen durch den Gesundheitsfonds decken können (§ 242 SGB V). Bis zu 8 € monatlich darf die Krankenkasse den Zusatzbeitrag pauschal verlangen, ohne dass das individuelle Einkommen zu prüfen wäre. Diesen Zusatzbeitrag muss der Versicherte selbst an die Krankenkasse zahlen (§ 252 SGB V). Neben den Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber wird der Fonds durch einen Steuerzuschuss des Bundes gespeist. Dieser beträgt gegenwärtig 2,5 Milliar den Euro und wird ab dem Jahre 2009 um jährlich 1,5 Milliarden Euro bis zu ei nem jährlichen Gesamtbetrag von 14 Milliarden Euro im Jahre 2016 erhöht.258 Der Gesundheitsfonds wirkt preistheoretisch wie ein Price cap. Die Kassen erhalten ei nen einheitlichen Beitragssatz, den sie nur sehr geringfügig variieren können. Sie müssen also mit den ihnen zugewiesenen Beiträgen so gut wirtschaften, dass sie möglichst keinen Zusatzbeitrag erhöhen müssen. Noch besser wäre es, wenn es ihnen gelingt, Überschüsse an ihre Versicherten zurückzuzahlen. Auf diese Weise kann es zu erheblichen Beitragsunterschieden für die Versicherten zwischen den einzelnen Krankenkassen kommen, je nachdem, wie es der einzelnen Kasse gelingt zu wirtschaften. Es wird darauf hingewiesen, dass es eine Tendenz zu Billigtarifen geben wird.259 Andererseits erscheint es plausibel anzunehmen, dass Krankenkassen auch über bessere Versorgungskonzepte und erweiterte Behandlungsmöglichkeiten miteinander konkurrieren und dafür entsprechende Zusatzbeiträge erheben.260 Dies bedeutet, dass der Gesundheitsfonds letztlich eine Form der Anreizregulierung dar BVerfGE 89, 365 vom 08.02.1994. Vertiefend BT-Drucks. 12/3608, S. 117. 257 Schlegel, GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, Juris-PR-SozR 4/2007, S. 3. 258 Rürup/Albrecht, Das deutsche Gesundheitswesen nach den Reformen von 2007, in: Friedrich Merz, Wachstumsmotor Gesundheit, 2008, 122, 123f. 259 Rürup/Albrecht, aaO, S. 133. 260 Rürup/Albrecht, aaO, S. 134. 255 256
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stellt, so wie wir sie aus dem Bereich der Telekommunikations- bzw. der Energie netzregulierung kennen. Dies bedeutet zugleich, dass die Einführung des scheinbar einheitlichen Beitragssatzes ab 01.01.2009 in Wirklichkeit zu differierenden und dif ferenzierenden Beitragssätzen bei gleichzeitig zunehmendem Wettbewerb zwischen den Krankenkassen führen wird. Verstärkt werden wird dieser Wettbewerb durch die erstmals im SGB V eingeführte Möglichkeit der Vereinbarung von Wahltarifen zwischen Krankenkassen und Patienten.
3.18 Wahltarife – Zusatzversicherungen Durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversi cherung (GKV-WSG)261 wurden Wahltarife auch für Pflichtversicherte (§ 53 SGB V) eingeführt. Von besonderem Interesse ist die Neuregelung in § 53 Abs. 4 SGB V. Da nach kann die Krankenkasse in ihrer Satzung erstmals vorsehen, dass Pflichtmitglie der für sich und ihre Angehörigen Tarife für Kostenerstattung wählen können – eine solche Wahlmöglichkeit gab es in der Vergangenheit nicht. Diejenigen Versicherten, die, was nach § 13 SGB V zu lässig ist, anstelle der Sachleistung Kostenerstattung wählen, können nun, wenn ihre Krankenkasse das in ihrer Satzung vorsieht, einen Tarif wählen, der die Höhe der Kostenerstattung nicht mehr an die Erbringung der Sachleistung bindet, sondern variiert. Mit der Einführung dieser Art von Wahltarifen soll also die Höhe der Kosten erstattung variabel gestaltet werden. Demgegenüber sollen der Umfang und Inhalt der Leistungen aus der GKV nicht verändert werden. Ein GKV-Versicherter, der einen Wahltarif vereinbart hat, kann folglich wie ein Privatpatient auftreten und – je nach Tarifgestaltung – z.B. den 3,5-fachen GOÄ-Satz mit seiner Krankenkasse ab rechnen. In der Praxis werden die Kosten der Behandlung nicht über die Kranken versicherungskarte abgerechnet. Stattdessen erhalten die Patienten vom Arzt eine Rechnung, die sie bei der Krankenkasse einreichen. Diese erstattet die tarifmäßig vereinbarten Kosten – oft ist ein kleiner Eigenanteil vereinbart. Für diese Art der Höherversicherung zahlen die Teilnehmer eine monatliche Prämie an die Kranken kasse, die nach dem Alter gestaffelt ist. Nehmen die Versicherten ein Jahr lang keine Leistungen in Anspruch, so erhalten sie bei den meisten Krankenkassen einen Teil ihrer Prämien zurück. Vom Grundgedanken her soll § 53 Abs. 4 SGB V den Kassenpatienten zum Pri vatpatienten machen, ohne am Leistungsumfang der GKV etwas zu ändern. Aller dings wird die Wettbewerbsposition der GKV gegenüber der PKV durch die Ein führung dieser Kostenerstattungstarife gestärkt. Denn der GKV-Versicherte kann nunmehr den Leistungserbringern gegenüber die Abrechnung wie ein Privatpatient offerieren. Damit besteht für den GKV-Versicherten, der über einen Wechsel in die Krankenvollversicherung der PKV nachdenkt (das könnte ein freiwillig Versicher ter tun), ein Anreiz, in der GKV zu bleiben. Er genießt auf diese Weise den vollen Leistungsumfang der GKV. Er kauft sich über einen Wahltarif nach § 53 Abs. 4 SGB In Kraft getreten am 20.04.2007, BGBl. I, S. 554.
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V den Kostenerstattungsanspruch wie ein Privatversicherter und schließt daneben private Zusatzversicherungen bei der PKV ab, die er für zweckmäßig und sinnvoll hält. Die durch diese Vorschrift eingeführte Möglichkeit der GKV-Versicherten, von dem in der GKV üblichen Sachleistungsprinzip (§ 2 SGB V) in das Kostenerstat tungsprinzip zu wechseln, wirkt in der GKV entsolidarisierend. In jedem Fall er öffnen die Wahltarife den Wettbewerb zwischen der GKV und der PKV um die freiwillig Versicherten und darüber hinaus entsteht innerhalb der GKV ein Wett bewerb um den Leistungsumfang, der eine Kostenerstattung wie für einen Privat patienten eröffnet. Diesen Leistungsumfang hätte sich der GKV-Versicherte in der Vergangenheit nur bei einer privaten Krankenversicherung hinzukaufen können. Jetzt kann er auf seine eigene Krankenkasse zurückgreifen und diese konkurriert insoweit mit anderen gesetzlichen und privaten Krankenkassen. Durch § 53 Abs. 4 SGB V wird also echter Wettbewerb in die GKV hineingetragen. Die wettbewerblichen Wahl- und Verhaltensmöglichkeiten werden aber durch ein Rundschreiben des Bundesversicherungsamtes vom 13. März 2007262 erheblich erweitert. Das Bundesversicherungsamt führt nämlich aus, dass z.B. das Angebot eines Tarifs für die Chefarztbehandlung oder das Zwei-Bett-Zimmer keine Leis tungsausweitung darstelle, weil die ärztliche Behandlung und Unterbringung Be standteile der Krankenhausbehandlung seien.263 Diese Interpretation hat eine lebhafte Diskussion über die Zulässigkeit von Wahl tarifen und Zusatzversicherungen in der GKV ausgelöst.264 Unstreitig ist, dass die Interpretation des Bundesversicherungsamtes die präzise Abgrenzung zwischen Wahltarifen und Zusatzversicherungen durchbricht. Der Leistungskatalog der GKV enthält jedenfalls die Chefarztbehandlung und das Zwei-Bett-Zimmer nicht. Inso weit handelte es sich bisher immer um eine Zusatzversicherung und nicht um ei nen Wahltarif. Für Zusatzversicherungen dieser Art durften die gesetzlichen Kran kenkassen Kooperationen mit privaten Krankenversicherern eingehen, um für ihre Mitglieder möglichst günstige Konditionen für diese Zusatzversicherungen auszu handeln (§ 194 Abs. 1a SGB V). Wenn sich die Auffassung des Bundesversicherungsamtes durchsetzen sollte, so dürfte die GKV in Zukunft auf der Grundlage von § 53 Abs. 4 SGB V Zusatzversi cherungen im Kleid von Kostenerstattungstarifen anbieten. Die GKV könnte also die Chefarztbehandlung, die Auslandsreise-Krankenversicherung, das Zwei-BettZimmer, um nur einige Beispiele zu nennen, anbieten und folglich im Bereich der klassischen Zusatzversicherungen der PKV echten Wettbewerb machen. Das würde dann auch für Zahnersatz, Krankenhaustagegeld, Heilpraktikerleistungen, Leistun gen für Naturheilverfahren und sog. IGL-Leistungen, also individuelle Gesundheits leistungen, sowie Leistungen bei der Sterilisation und der künstlichern Befruchtung, bei der Versorgung mit Sehhilfen, bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln Az. II 1-4927.6-3709/2006. So sehen das offenbar auch Rürup/Albrecht, aaO, S. 135. 264 Klaue/Schwintowski, Grenzen der Zulässigkeit von Wahltarifen und Zusatzversicherungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2008, passim. 262 263
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oder bei Taxi- und Mietwagenfahrten gelten. In diesen Bereichen ist nämlich der Umfang der GKV durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Kranken versicherung zum 01. Januar 2004 eingeschränkt worden.265 Wenn man der Auffassung des Bundesversicherungsamtes folgt – ob diese der Fall ist, hängt von verschiedenen Rechtsstreiten ab, die zurzeit in der Schwebe sind – so hätte die GKV, jedenfalls im Bereich der Zusatzversicherungen, ihren Charakter als hoheitlich gesteuertes Solidarsystem aufgegeben und würde rein wettbewerblich funktionieren. Für das deutsche GKV-System zeigt sich, dass dieser vom GKV-WSG vorgezeichnete Weg geradezu notwendig die Frage provoziert, ob ein solches System tatsächlich noch ein Sozialversicherungssystem im europarechtlichen Sinne ist, oder ob es nicht vielmehr bereits ein wirtschaftlich tätiges Unternehmen im Sinne von Art. 86 EG geworden ist mit der Folge der Anwendung der Wettbewerbsre geln, der Beihilferegeln und der Dienstleistungsfreiheit auf dieses System. Mit Blick auf die Wahltarife und Zusatzversicherungen gibt es keinen Zweifel daran, dass die GKV wirtschaftlich, also wettbewerblich, tätig wird. Der eigentliche Pflichtbereich der Leistungen der GKV bleibt davon bisher unberührt. Aber die Grundfrage ist natürlich gestellt: Wenn es im Bereich der Zusatzversicherungen und Wahltarife ef fizient und effektiv möglich ist, nach individuellen Risikoklassen zu tarifieren und gleichzeitig das Sachleistungssystem durch das Kostenerstattungssystem zu ersetzen, warum ist dies dann nicht auch im Rahmen der Pflichtleistungen der GKV möglich? Warum soll sich ein Tarifierungssystem, das im Bereich der Zusatzversicherungen eine preisgünstige und medizinisch hochwertige Versorgung ermöglicht, nur inner halb dieses Zusatzversicherungssystems etablieren dürfen, nicht aber innerhalb der Pflichtleistungen Platz greifen? Dürfen Mitgliedstaaten tatsächlich an Systemen der sozialen Sicherheit festhalten, die sich nach ihren eigenen Erfahrungen als ineffi zient und ineffektiv erweisen? Widerspricht das nicht dem Effektivitätsprinzip des Art. 10 Abs. 2 EG und dem Prinzip des funktionsfähigen freien Marktwettbewerbs in Artt. 4, 98 EG. Widerspricht das nicht auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 EG), wonach die Mitgliedstaaten – ebenso wie die Gemeinschaft selbst – verpflichtet sind, jene Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sind und daraus im Umkehrschluss verpflichtet sind, jene Maß nahmen zu unterlassen, die sich als weniger geeignet und als nicht verhältnismäßig erweisen. Kann und darf bei diesen Überlegungen unbeachtet bleiben, dass das System der sozialen Sicherung in Deutschland durch erhebliche wettbewerbliche Elemente durchlöchert ist, sodass man die Frage stellen kann, ob das Solidaritätsprinzip in der GKV möglicherweise nur noch als Feigenblatt des Systems gilt. Die Diskussion um Wahltarife und Zusatzversicherungen macht jedenfalls sehr deutlich, dass in einem Bereich, dessen Volumen ca. 15 Milliarden € jährlich umfasst, der Wettbewerb in die GKV Einzug genommen hat. Hier konkurriert die GKV schon heute mit der PKV um Marktanteile. Wie viel GKV ist unter diesen Umständen eigentlich noch in der GKV? Vertiefend Schwintowski, Vermittlung privater Zusatzversicherungen durch gesetzliche Kran kenversicherer nach § 194 Abs. 1a SGB V, VersWissStud Band 29, S. 213, 222ff.
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3.19 Die GKV als Anbieter von Krankenvollversicherungen GKV und PKV bieten Krankheitsvollversicherungen Personen an, deren Einkom men die Pflichtgrenzen überschreitet und die folglich nicht automatisch pflichtver sichert sind. Dabei handelt es sich um Personen, deren Einkommen über mindes tens drei Jahre die Versicherungspflichtgrenze übersteigt. Ferner handelt es sich um nicht versicherungspflichtige Personen, die noch keine Krankheitsvollversicherung haben. Diese Personengruppe wird es ab dem 01.01.2009 wegen der dann einge führten gesetzlichen Versicherungspflicht nicht mehr geben. Ferner handelt es sich um jene Personen, die bei der GKV freiwillig versichert sind. Um diese Personengruppe konkurrieren GKV und PKV. Schließlich geht es um Personen, die durch Veränderung der Versicherungspflichtgrenze versiche rungspflichtig werden und sich von der Versicherungspflicht befreien lassen kön nen. Mit Blick auf diese Personengruppe findet ein echter Wettbewerb zwischen der GKV und der PKV statt. Er wird durch die Wanderungsbewegungen zwischen PKV und GKV dokumentiert. Im Jahre 2005 wechselten rund 274.000 Personen aus der GKV in die PKV – in umgekehrter Richtung wechselten 154.000 Personen aus der PKV in die GKV.266 Wanderungsbewegungen dieser Art dokumentieren die Wirksamkeit von ech tem Wettbewerb zwischen GKV und PKV und belegen, dass im System der GKV der Wettbewerb in Form von Wechselmöglichkeiten real besteht. Genau besehen käme es gar nicht auf die Wanderungsbewegungen an – die potenzielle Möglichkeit des Wechsels würde nach der Rechtsprechung des EuGH bereits ausreichen, um echten Marktwettbewerb anzunehmen. Tatsächlich finden aber Wanderungsbewe gungen erheblichen Umfangs zwischen der GKV und der PKV statt. Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass die Personengruppe der freiwillig Versicherten im Wettbewerb zwischen GKV und PKV umworben wird und dass die GKV insoweit mit Sicherheit wirtschaftlich im Sinne des europäischen Rechtstätig ist. Damit ist nochmals die Frage gestellt, wie viel GKV ist eigentlich in der GKV? Die Leistungen der GKV werden auch gegenüber den freiwillig Versicherten erbracht. Für die freiwillig Versicherten gilt eine Tarifierung nach Risikoklassen auf der Basis der tatsächlich entstehenden Kosten für die medizinische Behandlung. Die Frage ist nur, ob der Leistungskatalog der Pflichtversicherten und die im Umlageverfah ren aufgebrachten Finanzierungsbeträge für die Pflichtversicherten nicht vermischt wird mit den Leistungen an die freiwillig Versicherten. Lässt sich überhaupt eine präzise und klare Abtrennung zwischen den freiwillig Versicherten, den Zusatzver sicherungen, den Wahltarifen und den pflichtversicherten durchführen? Muss es hier nicht geradezu notwendig zu Vermengungen und Vermischungen kommen, weil die Leistungen, die an die Pflichtversicherten erbracht werden, teilweise in glei Klaue/Schwintowski, Grenzen der Zulässigkeit von Wahltarifen und Zusatzversicherungen in der GKV, 2008, S. 60; vertiefend Andersen/Grabka/Schwarze, Beitragssatz, Kassenwettbe werb und Gesundheitsreform, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Band 227, S. 429-450.
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chem Umfang auch an freiwillig Versicherte erbracht werden, wobei die Festlegung des Entgelts für diese Leistungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern verhandelt werden. Dabei dürfte der Pflichtversicherte als Maßstab gelten, weil diese Personengruppe nach wie vor die größte ist. Folglich wird der freiwillig Versicher te in vielen Fällen durch die Pflichtversicherten subventioniert werden, ohne dass dies auffällt und ohne dass dies zu verhindern wäre. Es gibt deshalb nicht wenig freiwillig Versicherte in der GKV, die dies deshalb tun, weil die Beiträge, die sie für ihre freiwillige Versicherung in der GKV zahlen müssen, deutlich niedriger sind als vergleichbare Beiträge in der PKV. Besonders nahe liegend ist dies dann, wenn die freiwillig Versicherten Familienangehörige haben, die in der freiwilligen Ver sicherung nahezu kostenfrei mitversichert sind. In der PKV wäre dies nicht mög lich. Dies bedeutet, dass es eine Vermengung und eine Vermischung innerhalb des Finanzierungssystems der GKV in Deutschland gibt. Die Tarife für die freiwillig Versicherten sind nicht präzise abgrenzbar gegenüber den Umlagen der Pflichtver sicherten – es finden Quersubventionen statt und damit Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zur PKV. Angesichts dieser Tatsachen fällt es schwer zu sagen, dass das System der deut schen GKV ein echtes Sozialversicherungssystem ist. Tatsächlich enthält dieses Sys tem eine ganze Reihe von Märkten, die längst wettbewerblich funktionieren und einen erheblichen Umfang im Gesamtsystem ausmachen. Wenn es auf diesen Märk ten möglich ist, wettbewerblich zu agieren, den Versicherten also echte Wahl- und Wechselmöglichkeiten einzuräumen, die Tarifprämie an das individuelle Risiko an zuknüpfen, so fragt es sich, warum dies innerhalb des Kreises der Pflichtversicher ten nicht ebenfalls möglich sein soll, zumal durch eine solche Tarifierung das System insgesamt kostengünstiger würde bei gleichzeitig verbesserter medizinischer Ver sorgung. Das derzeitig praktizierte System der gesetzlichen Krankenversicherung ist im Verhältnis zu einem alternativen, wettbewerblich gesteuerten System unsozial. Angesichts der Ziele und Zwecke des Europäischen Vertrages drängt sich die Frage auf, ob die Mitgliedstaaten wirklich berechtigt sind, ein unteroptimales Sozialversi cherungssystem beizubehalten, wenn sie bereits auf dem Wege zu einem optimalen System sind, es fast schon verwirklicht haben, nur noch einen letzten Schritt benö tigen, um dieses unteroptimale System gegen ein optimales zu ersetzen. Die Tätig keit der Gemeinschaft umfasst nach Art. 3 Abs. 1p EG die Erreichung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus. Nach Art. 3 Abs. 1g EG ist der Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen zu schützen. Nach Art. 3 Abs. 1k EG ist der soziale Zusammenhalt zu stärken. Die Gemeinschaft wird innerhalb der Grenzen der ihr hiernach zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig (Art. 5 Abs. 1 EG). Das alles kann die Gemeinschaft aber nicht tun, wenn sie ein Sozialversicherungs system akzeptiert, das seiner Natur nach unteroptimal und ineffizient ist, obwohl es mit wenigen Handgriffen zu einem optimalen, medizinisch leistungsfähigeren, kostengünstigeren und damit insgesamt auch sozialeren System gewandelt werden könnte. In einer solchen Situation, in der ein Mitgliedstaat, wie Deutschland im Bereich der GKV – bereits derartig viele Schritte in Richtung Wettbewerb gemacht hat und damit zeigt, dass das System der gesetzlichen Krankenversicherung wettbe werblich funktionieren würde, steht es nicht mehr im Belieben des Mitgliedstaates,
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nunmehr auch diesen letzten erforderlichen Schritt zu tun. Das europäische Recht, die in Art. 3 EG formulieren Grundziele, verlangt von der EG und den Mitgliedstaa ten ein Verhalten, das den Nutzen der Systeme zugunsten der Bürger verbessert und den dafür erforderlichen Einsatz an Ressourcen soweit wie möglich vermindert.
3.20 Die wettbewerblichen Wirkungen des zivilrechtlichen Krankenhausvertrages Die Tatsache, dass Inhalt und Umfang der Krankenhausleistung öffentlich-recht lich vorgegeben sind, wird durch den ansonsten zivilrechtlich geprägten Charakter des Krankenhausvertrages relativiert. Das gilt für alle drei Formen, die sich für den Krankenhausvertrag herausgebildet haben.267 Typisch und gebräuchlich ist der to tale Krankenhausaufnahme-Vertrag. Dieser Vertrag wird zwischen dem Patienten und dem Krankenhaus geschlossen. Es ist ein gemischter Vertrag mit vorherrschend dienstvertraglichen Elementen, einschließlich der ärztlichen Behandlung. Seltener wird der gespaltene Krankenhausaufnahme-Vertrag, der für den Belegarzt typisch ist268, geschlossen. Es handelt sich um einen Dienstvertrag des Patienten einerseits mit dem Krankenhausträger und andererseits mit dem behandelnden Belegarzt. Daneben steht der Arztzusatzvertrag mit totalem Krankenhausaufnahme-Vertrag. Hier handelt es sich um einen Vertrag des Patienten mit einem Arzt über eine zu sätzliche Behandlung (BGH NJW 1998, 1778).269 Der in der Praxis weit überwiegende totale Krankenhausaufnahme-Vertrag wird zwischen dem Patienten und dem Krankenhaus geschlossen. Er verpflichtet das Krankenhaus zu allen für die stationäre Behandlung erforderlichen Leistun gen einschließlich der ärztlichen Versorgung. Allerdings werden die erforderlichen Leistungen einschließlich der ärztlichen Versorgung nicht etwa privatrechtlich ver einbart. Vielmehr erfasst der in einem öffentlich-rechtlichen Verfahren festgelegte Pflegesatz (vgl. §§ 16, 17 KHG) auch diese ärztlichen Leistungen.270 Folglich hat der Patient auch keinen Anspruch auf Behandlung und Betreuung durch bestimmte Ärzte oder nichtärztliche Mitarbeiter.271 Will der Patient mit einem Arzt demge genüber getrennt abrechenbare Wahlleistungen vereinbaren, so ist dies vor Erbrin gung schriftlich zu vereinbaren (§ 22 II BPflV 1995). Der Patient ist vor Abschluss der Vereinbarung über die Entgelte der Wahlleistungen zu unterrichten. Wenn und soweit diese Kriterien bei Vereinbarungen über Wahlleistungen nicht eingehalten werden, so steht dem behandelnden Arzt auch aus einem mündlich geschlossenen Arztzusatzvertrag kein Vergütungsanspruch zu.272 In anderem Zusammenhang be tont der BGH ausdrücklich, dass der Krankenhausaufnahme-Vertrag zwar dem bürgerlichen Recht zugeordnet ist. Die Parteien dieses Vertrages können jedoch die Vertiefend Uhlenbruck NJW 1973, 1399. BGHZ 5, 321. 269 BGH NJW 1990, 761, 766. 270 Müko-Müller-Glöge, § 611, Rn. 75. 271 Müko-Müller-Glöge, § 611, Rn. 75. 272 BGH NJW 1998, 1778. 267 268
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Höhe der Vergütung nicht frei vereinbaren. Sie wird aufgrund der öffentlich-recht lichen Vorschriften des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und der dazu erlassenen Bundespflegesatzverordnung festgelegt.273 Dies zeigt, dass Leistungsinhalt und Leistungsumfang innerhalb eines Kranken hausvertrages zivilrechtlich im Grundsatz nicht beeinflussbar sind. Ausnahmen bilden die Fälle, in denen ausdrücklich und schriftlich Wahlleistungen vereinbart werden. Wird abweichend vom Regelfall des Arztzusatzvertrags274 in vorformulierten Vertragsbedingungen ein sog. gespaltener Krankenhausvertrag vereinbart, so muss dem Patienten hinreichend – etwa durch Hinweis in dem von ihm zu unterzeichne ten Vertragstext – verdeutlicht werden, dass der Krankenhausträger nicht Schuldner der ärztlichen Leistung ist und ihm auch für etwaige ärztliche Fehlleistungen nicht haftet .275 Neben der Haftung von Krankenhaus und Arzt, die sich aus der privatrechtlichen Natur des Krankenhausvertrages ergibt, stehen noch einige wenige Einzelpflichten des Krankenhauses. Aus dem Behandlungsvertrag ergibt sich ein Anspruch des Pa tienten auf Einsicht in die Krankenunterlagen.276 Das Krankenhaus trifft eine ver tragliche Pflicht zur Verwahrung und Sicherung von Wertgegenständen des Pati enten.277 Der angestellte Arzt ist im Verhältnis zum Patienten Erfüllungsgehilfe des Kran kenhauses im Sinne von § 278 BGB. Der leitende Arzt kann auch Organ i.S.v. § 31 BGB sein.278 Dem geschädigten Patienten haftet der Arzt neben dem Krankenhaus träger als Gesamtschuldner nach §§ 823 ff., 840 BGB. Der Krankenhausträger kann aus arbeitsrechtlichen Gründen verpflichtet sein, den angestellten Arzt von der im Außenverhältnis bestehenden Haftung freizustellen.279 Aus alledem wird deutlich, dass das zivilrechtliche Vertragsverhältnis zwischen Patient und Krankenhaus dem Patienten die Freiheit bei der Wahl des Krankenhau ses (Ob), allerdings keine wettbewerblichen Freiräume bei Leistungsumfang und Leistungsinhalt (Wie) eröffnet.
3.21 Zusammenfassende Erwägungen Die deutsche GKV ist eine merkwürdige Mischung zwischen hoheitlich funktio nierendem Solidarsystem und wettbewerblichen Elementen. Die wettbewerblichen Elemente haben nach Inkraftsetzen des GKV-WSG am 01. April 2007 erheblich zu genommen.
BGH NJW 1990, 761, 766. BGHZ 95, 63. 275 BGHZ 121, 107. 276 vgl. BGHZ 85, 327 = NJW 1983, 328; BGH NJW 1985, 674. 277 OLG Karlsruhe NJW 1975, 597; OLG Hamburg MedR 1991, 38. 278 H.P. Westermann NJW 1974, 577 ff. 279 Heinze MedR 1983, 6. 273 274
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Die GKV ist nach wie vor eine Solidargemeinschaft (§ 1 SGB V). Sie funktioniert nach dem Sachleistungsprinzip. Menschen bestimmter Berufsgruppen sind bis zur Erreichung einer bestimmten Einkommensgrenze automatisch pflichtversichert. Familienangehörige sind mitversichert. Es findet eine Quersubventionierung zwi schen den Versicherten statt. Die Höhe des Beitrags richtet sich nach dem Einkom men und nicht nach dem individuellen Risiko des Versicherten. Die Finanzierung des Systems beruht auf dem Umlage- und nicht auf dem Kapitaldeckungsverfahren. Ein Pflichtversicherter kann die GKV nicht verlassen – er kann nicht zu einem pri vaten Krankenversicherer wechseln. Allerdings gibt es im System der GKV eine Fülle wettbewerblicher Elemente. Das beginnt mit der Möglichkeit der Kostenerstattung (§ 13 SGB V) – etwa bei grenz überschreitenden Leistungen. Wettbewerb wird aber auch durch den Abschluss von Einzelverträgen, etwa im Bereich der hausarztzentrierten Versorgung oder im Rah men der integrierten Versorgung eröffnet. Daneben steht der Wettbewerb zwischen Ärzten auf der einen Seite und medizinischen Zentren auf der anderen Seite. Ferner gibt es Wettbewerb um die Qualität der Leistungserbringung und um die Versor gung mit Hilfsmitteln oder Arzneimitteln. In gewissen Grenzen können die Pati enten Krankenhäuser frei wählen – das Recht zur freien Arztwahl steht daneben. Ganz erheblicher Wettbewerb wird durch die Einführung des Gesundheitsfonds ab 01.01.2009 entstehen. Der Gesundheitsfonds wirkt wie ein Price Cap im Rahmen einer Anreizregulierung. Den Kassen wird zwar ein einheitlicher Beitragssatz zu gewiesen – sie können aber in gewissen Grenzen Zuschläge erheben und vor allem können sie Beiträge zurückerstatten. Auf diese Weise wird ein erheblicher Wettbe werb zwischen den Kassen um Patienten stattfinden. Verstärkt werden wird dieser Wettbewerb durch die Einführung von Wahltarifen nach § 53 SGB V. Gesetzlich Versicherte können Tarife vereinbaren, um so behandelt zu werden, die Privatver sicherte. Auch das wird zu einem Wettbewerb zwischen den Kassen führen. Schon heute ist der Wettbewerb im Bereich der Krankenvollversicherung ausgeprägt. Es gibt eine Wanderungsbewegung zwischen Personen, die in der GKV freiwillig ver sichert sind und stattdessen zur PKV wechseln können. Im Jahre 2005 wechselten rund 274.000 Personen aus der GKV in die PKV. In umgekehrter Richtung wechsel ten 154.000 Personen aus der PKV in die GKV. Das deutsche System der gesetzlichen Krankenversicherung ähnelt damit einem Schweizer Käse. Die Frage ist nur, ob die durch den Wettbewerb in das System ge rissenen Löcher inzwischen größer sind als der Käse selbst. Eines steht fest: Die Tendenz des Gesetzgebers, die wettbewerblichen Löcher zu vergrößern, ist ausge prägt. Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass die Leistungen für die GKVVersicherten immer teurer werden und die zur Verfügung stehenden Beiträge und Steuermittel geringer werden. Der Staat muss – ob er will oder nicht – etwas tun, um den Finanzierungszwängen angemessen zu begegnen. Er greift dabei zu zwei Mit teln, die auf der Hand liegen: Auf der einen Seite wird der Leistungskatalog verkürzt und auf der anderen Seite wird der Kostendruck auf Kassen und Leistungserbringer erhöht. Die Frage ist, wie lange der Staat mit diesen beiden Mitteln das Problem halb wegs in den Griff kriegen kann. Die Schwierigkeiten sind deshalb so groß, weil es
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immer weniger gesetzlich Versicherte gibt, diese allerdings länger leben und damit höhere Krankheitskosten verursachen bei gleichzeitig sprunghaft wachsendem me dizinischem Fortschritt, der insgesamt dazu führen wird, dass „Gesundheit zum Wachstumsmotor“280 werden wird. Das allerdings kostet. Rechtlich lautet die Frage, ob der Staat ein System der Solidarität mit wettbewerb lichen Einsprengseln derart durchlöchern darf, dass letztlich die Frage entsteht, ob der Anteil der Solidarität im System kleiner oder größer ist als der wettbewerbli che Anteil. Genau diese Frage stellt sich in der deutschen GKV. Die immer stärkere wettbewerbliche Durchdringung des Systems wirft aber die weitere Rechtsfrage auf, ob es eigentlich im Belieben des Staates steht, ein System in Teilen wettbewerbsfern zu gestalten, wenn andere Systemteile wettbewerblich hervorragend und effizient funktionieren. In einer solchen Situation muss sich der Staat die Frage gefallen las sen, warum er den Teil des Systems, der ineffizient und ineffektiv ist, nicht ebenfalls dem Wettbewerbsprinzip unterwirft. Die Frage stellt sich insbesondere dann, wenn der Teil des Systems, der wettbewerblich funktioniert, in erheblichem Maße effizi ent und effektiv ist. In einer solchen Situation entscheidet sich der Staat sozusagen freiwillig für einen wettbewerblichen Test von Systemteilen und muss dann aber den Rest des Systems entsprechend umgestalten, wenn der Wettbewerbstest zu dem Ergebnis führt, dass durch Einsatz wettbewerblicher Mittel ein effizienteres und ef fektiveres und damit letztlich sozialeres System entsteht. Letztlich ergibt sich dieser gedankliche Ansatz aus den Grundnormen des Euro päischen Vertrages selbst. Der Europäische Vertrag verlangt in den Artt. 4 und 98 soviel Wettbewerb wie möglich und soviel Regulierung wie nötig. Der Europäische Vertrag kennt selbstverständlich den Gedanken der Daseinsvorsorge und Solidarität – für die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse findet er sich in Art. 16 EG. Aber: Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse darf der Staat dann und nur dann seinen Bürgern zuweisen, wenn dies nicht im den Wettbewerb effizienter und effektiver erfolgt. Der Wettbewerb ist nämlich ein völlig unbestechlicher, neutraler und gleichzeitig sehr wirksamer Motor, der die Ressour cen entsprechend den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden lenkt und damit für die leistungsorientierte, beste Versorgung bei gleichzeitig gesichertem technischem Fortschritt sorgt. Die Analyse des deutschen Sozialrechtes zeigt jedenfalls, dass der deutsche Gesetzgeber die Grenze zwischen Wettbewerb und Solidarität im deutschen Kran kenversicherungswesen längst überschritten hat. Der Wettbewerb hat die Funktion des Motors in diesem Sektor übernommen – das ist im Ergebnis auch gut und rich tig so. Worum es jetzt geht, ist dem Gesetzgeber klarzumachen, dass nun auch der Teil der gesetzlichen Krankenversicherung, der immer noch reguliert wird, für die Kräfte des Wettbewerbs freizugeben ist. Wenn der Gesetzgeber es nicht aus der Per spektive der praktischen Vernunft begreift, so muss er mit Hilfe des europäischen Rechts auf den rechten Weg der Vernunft gebracht werden. Unterstützend können So der Titel des von Friedrich Merz im Mai 2008 herausgegebenen Sammelbandes mit hoch interessanten Beiträgen zur Zukunft des Gesundheitswesens aus verschiedenen medizini schen, ökonomischen und rechtlichen Perspektiven.
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dabei Richtlinien der Kommission nach Art. 86 Abs. 3 EG, Vertragsverletzungsver fahren und vor allem Vorlageverfahren der Gerichte nach Art. 234 EG wirken.
4 Die Rolle des Kartellrechts in der GKV 4.1 Rechtsgrundlagen Das vierte Kapitel des SGB V (sowie die §§ 63 und 64) regeln, so heißt es in § 69 SGB V, abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungser bringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. Die §§ 19 bis 21 GWB gelten, so heißt es in Satz 2 weiter, entsprechend; dies gilt nicht für Verträge von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungskassen oder deren Verbän den mit Leistungserbringern, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind und bei deren Nichtzustandekommen eine Schiedsamtsregelung gilt. Nach diesem neuen, durch das GKV-WSG eingeführten Satz 2, sind die §§ 19 – 21 GWB auf die freiwilligen Verträge mit Leistungsträgern entsprechend anzuwenden. Soweit es um Rechtsbeziehungen von Krankenkassen gegenüber anderen Anbietern von Waren oder Dienstleistungen als Leistungsträ gern geht, ist das GWB insgesamt anwendbar, weil insoweit die Bereichsausnahme des § 69 SGB V nicht reicht.281 Aus diesem Grunde ist das FENIN-Urteil des EuGH vom 11. Juli 2006282 problematisch. Der Gerichtshof vertritt in diesem Urteil die Auffassung, dass das Einkaufsverhalten von Trägern des sozialen Systems (in Spa nien) der Anwendbarkeit der europäischen Wettbewerbsregeln entzogen sei, weil es sich um keine wirtschaftliche Tätigkeit handele. Dabei verletzten die spanischen Träger durch ihr Zahlungsverhalten dauerhaft und massiv die Regeln ordnungsge mäßen Leistungsverhaltens, indem sie die ihnen gestellten Rechnungen prinzipiell erst 300 Tage nach Präsentation bezahlten. Der Gerichtshof meinte, dass der Staat mit seinen für das soziale System geschaffenen und nachfragenden Einheiten kei ne unternehmerische Tätigkeit ausübe, wenn er die eingekauften Dienstleistungen nur innerhalb des sozialen Systems verwende. Bei der Beurteilung des Wesens einer Einkaufstätigkeit könne der Kauf eines Erzeugnisses nicht von dessen späterer Ver wendung getrennt werden. Der wirtschaftliche oder nicht wirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung der eingekauften Erzeugnisse bestimme zwangsläufig den Charakter der Einkaufstätigkeit. Wieso dies allerdings so sein soll, hat der EuGH nicht begründet. Es ist auch nicht einsichtig, dass das Wesen der Einkaufstätigkeit aus der Perspektive der späteren Verwendung des gekauften Erzeugnisses beurteilt werden müsse. Es ist durchaus möglich, eine Ware oder Dienstleistung unter Verlet zung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften zu erwerben (etwa das Nähenlassen von Stumpf, WRP 2008, 286–291; Gassner, NZS 2007, 281ff.; Möschel, JZ 2007, 601 ff.; W.-H. Roth, GRUR 2007, 645ff. 282 EuZW 2006, 600. 281
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Fußbällen von Kindern in der dritten Welt) , ohne dass dies die spätere Verwendung (Verkauf der Bälle im Handel) tangiert und womöglich nichtig oder rechtsmiss bräuchlich macht. Somit ist darauf hinzuweisen, dass auf Verträge von Krankenkassen und ihren Verbänden mit anderen Unternehmen, die keine Leistungsträger im sozialrechtli chen Sinne sind, selbstverständlich den Regelungen des GWB und des UWG un terworfen sind, auch wenn es sich dabei um eine Einkaufstätigkeit handeln sollte und die eingekauften Waren oder Dienstleistungen später innerhalb des sozialen Systems verbleiben. Grundsätzlich ist aber zunächst einmal festzuhalten, dass die neue Fassung des § 69 SGB V (Satz 2) die entsprechende Anwendbarkeit des GWB – jedenfalls der §§ 19 – 21 – ausdrücklich anordnet. Damit ist missbräuchliches Verhalten – bei spielsweise beim Nachfragewettbewerb – ebenso verboten wie Diskriminierungen gegenüber abhängigen Unternehmen, Boykotte oder sonstige Verhaltensweisen im Wirtschaftskampf. Hinzu kommt, dass der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 16. Januar 2008283 entschieden hat, dass auf den Zusammenschluss von Plankrankenhäusern die Re geln der Fusionskontrolle (§§ 35 – 43 GWB) anzuwenden sind. Es ging um den Erwerb des Kreiskrankenhauses Bad Neustadt an der Saale durch die Rhön-Klini kum AG. Der Kartellsenat des BGH hat die Untersagung des Zusammenschlusses durch das Bundeskartellamt ebenso wie zuvor bereits das OLG Düsseldorf284 bestä tigt. Auch die Kommission hat in ihrer Entscheidung Fresenius/Helios285 deutlich gemacht, dass sie der Auffassung ist, dass die Regeln der Fusionskontrolle und des Kartellrechts jedenfalls auf den Zusammenschluss von Plankrankenhäusern anzu wenden sind. Das bedeutet, dass die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf den Gesundheits sektor erhebliche Fortschritte macht und dies ist wiederum nur möglich, wenn man davon ausgeht, dass der Gesundheitssektor wettbewerblich geordnet ist und damit marktmäßig funktioniert. Würde man demgegenüber – wie es der Europäische Ge richtshof noch im Festbetragsurteil angenommen hat286 – der Auffassung sein, dass Systeme der sozialen Sicherheit prinzipiell weder wirtschaftlich noch wettbewerb lich agieren, so wäre es gar nicht möglich, auf die Träger und Teilnehmer dieses Systems die Regeln des Wettbewerbs und der Fusionskontrolle anzuwenden. Es wird deshalb in der Literatur zu Recht darauf hingewiesen, dass sich an der Grundannah me „der desinteressierten und für jeden Eigennutz blinden Sozialversicherung für jedermann, die im sozialversicherungsrechtlichen Frühbeet gegen den kalten Wind des Wettbewerbs geschützt werden müsse, einiges geändert habe“.287 Wenngleich man sich im GKV-Bereich immer noch davor scheuen müsse, ausdrücklich Gewinn auf Kosten der Versicherten zu machen, bedeute doch der das Gesetzgebungsver BGH vom 16.01.2008, KvR 26/07 Rhön-Klinikum. WuW/E DE-R 1958. 285 Vom 08. Dezember 2005/Comp/M.4010 Fresenius/Helios. 286 EWS 2004, 68. 287 Stumpf, WRP 2008, 286, 288. 283 284
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fahren begleitende basso continuo der „Effizienzsteigerung durch Wettbewerb“ nichts anderes als dass die GKV-Träger im bunten Markt der Leistungserbringer das günstigste Leistungsangebot wählen dürfen und die Leistungserbringer ihrerseits einen Anreiz für die Unterbreitung wettbewerbsgerechter Angebote erhielten. Es stelle sich damit die Frage, warum denn dann für diesen Markt noch ein anderes Wettbewerbsrecht gelten solle, als es für andere Märkte, etwa den für private Kran kenversicherungen oder für gesundheitsbezogene Leistungen außerhalb des Leis tungsspektrums der GKV gelte.288 Diese Frage stelle sich umso dringlicher, als im merhin der gesamte Bereich der PKV-Träger, der Privatversicherten und auch der Leistungserbringer gegenüber Privatversicherten das herkömmliche Kartell- und Wettbewerbsrecht unbeschränkt aushalten müsse und auch auszuhalten scheine.289 Diese Fragen sind berechtigt. Sie stellen sich umso drängender, als oben festge stellt wurde, dass innerhalb des GKV-Systems in erheblichem Umfang Wettbewerb herrscht und herrschen soll. Wieso auf diese wettbewerblichen Beziehungen weder das Instrumentarium des Kartellrechts, noch des UWG Anwendung finden soll, ist in der Tat nur schwer zu verstehen, zumal das Sozialrecht selbst keinen vergleichba ren Wettbewerbsschutz für die jeweils Betroffenen Unternehmen (z.B. Krankenhäu ser) bereithält.290 Bei der Frage der Reichweite des anzuwendenden Wettbewerbs rechtes hilft eine europäische Brille weiter. In den Fällen, in denen ein System der sozialen Sicherheit nach den Regeln des europäischen Rechts dem Anwendungsbe reich des EG-Vertrages unterworfen ist, findet auch eine Anwendung des Wettbe werbs- und Kartellrechtes statt. Für das Kartellrecht ergibt sich dies in unmittelbarer Anwendung aus den Wettbewerbsregeln über Artt. 86, 81, 82 EG. Für das im eu ropäischen Recht nicht unmittelbar verankerte Recht des unlauteren Wettbewerbs folgt dies aus dem Gedanken des funktionsfähigen Wettbewerbs, der in Artt. 4, 98 EG verankert ist und darüber hinaus auf dem Wirksamkeitsgebot des Art. 10 Abs. 2 EG, das ganz allgemein missbräuchliches Verhalten im Recht verhindern soll, um die Durchsetzung der europäischen, aber auch der nationalen Rechtsordnungen wirksam zu machen.
Stumpf, aaO, S. 288. Stumpf, aaO, S. 288 unter Hinweis auf die Stellungnahme der GRUR gegenüber der Bundes regierung vom 18.08.1999, S. 1ff. zur vorhergehenden Neuregelung des § 69 SGB V. 290 Nach der Entscheidung des BGH vom 23.02.2006, VersR 2006, 1279 ist das UWG auf Hand lungen der Krankenkassen und eingeschalteter Leistungserbringer in Erfüllung des öffentlichrechtlichen Versorgungsauftrags nach § 69 SGB V nicht anwendbar; im Bereich des privaten Versicherungsrechtes, wo § 69 SGB V keine Rolle spielt, gilt dies nicht: BGH vom 12.12.2007, Juris-PK-WettbR 5/2008; auch in der GKV sieht der BGH gewisse Einbruchstellen für die Anwendbarkeit des UWG, weil z.B. Werbemaßnahmen einer gesetzlichen Krankenkasse kei ne „Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung“ darstellten, sondern alle Marktteil nehmer gleichermaßen beträfen, BGH WRP 2007, 641 „Gesamtzufriedenheit“; Stumpf, aaO, S. 288, sowie die massive Kritik von Möschel, Gesetzliche Krankenversicherung und das Kar tellrecht, JZ 2007, 601, 602ff. 288 289
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4.2 Das Verhältnis zwischen sozialrechtlich induziertem Wettbewerb und Marktwettbewerb Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat im Rhön-Verfahren klargestellt, dass weder die Regelungen des Sozialrechts über die gesetzliche Krankenversicherung, noch die Bestimmungen zur Krankenhausfinanzierung die Fusionskontrolle aus schließen. Insbesondere § 69 SGB V unterstelle nur die Rechtsbeziehungen zwi schen den Krankenkassen und den Krankenhäusern abschließend dem Sozialrecht, verdränge aber nicht die Fusionskontrolle beim Zusammenschluss von Kranken häusern.291 Nach Auffassung des Kartellsenats bieten Krankenhäuser die stationäre Behand lung nicht nur Privatpatienten, sondern auch den gesetzlich versicherten Patienten auf einem Wettbewerbsmarkt im Sinne der deutschen Fusionskontrolle an. Zwar fragten aufgrund des Sachleistungsprinzips der gesetzlichen Krankenversicherung die Krankenkassen die stationären Behandlungsleistungen für Kassenpatienten nach und zahlten das dafür geschuldete Entgelt. Die öffentlich-rechtliche Ausge staltung des Verhältnisses zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern stehe jedoch der Annahme eines Wettbewerbsmarktes nicht entgegen. Auch den Pati enten der gesetzlichen Krankenversicherung stehe ein Wahlrecht hinsichtlich des Krankenhauses zu, in das sie sich zu ihrer Behandlung begäben. Aufgrund dieser Auswahlentscheidung komme es zu einem eigenen Behandlungsvertrag mit dem jeweiligen Krankenhaus. Weil die Patienten die Entscheidung träfen, bei welchem Krankenhaus die Behandlungsleistung nachgefragt werde, seien sie und nicht die Krankenkassen die fusionsrechtlich maßgebliche Marktgegenseite für das Angebot von Krankenhausleistungen. Zwischen den Krankenhäusern bestehe auch erheb licher Qualitätswettbewerb, etwa bei der fachlichen Qualifikation von Ärzten und Pflegepersonal oder der sachlichen Ausstattung. Diese Äußerungen des BGH dürften für die Zukunft wegweisend sein. Sie er teilen denjenigen eine Absage, die der Auffassung waren, dass im Recht der gesetz lichen Krankenversicherung nicht die Patienten, sondern entweder die sie vertre tenden Ärzte als Sachwalter oder aber sogar die Krankenkassen die Sachleistung nachfragen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldet wird.292 Auch die Tatsache, dass die Krankenhausfinanzierung in erheblichem Umfang staatlich subventioniert ist und somit schon bei der Zurverfügungstellung des Krankenhau Beschluss vom 16. Januar 2008-KVR26/07; vgl. weitere Verfahren: Klinikum Region Han nover/Wunsdorf, Freigabeverfügung des Bundeskartellamtes vom 10. Mai 2007 B3-85110Fa-587/06; Untersagungsverfügung für Krankenhäuser im Stadtstaat Hamburg vom 06.06.2007 B3-6/07; Untersagungsverfügung Universitätsklinikum Greifswald/Kreiskranken haus Wolgast, Beschluss vom 11.12.2006 B3-1002/06 – inzwischen hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie am 17.04.2008 die Ministererlaubnis erteilt; das OLG Düsseldorf erklärte die Fusion mit Urteil vom 07. Mai 2008 für zulässig (Az: VI-Kart 1/07 (V)). 292 So Bruckenberger/Klaue/Schwintowski, Krankenhausmärkte zwischen Regulierung und Wettbewerb, 2006, passim; Badtke, Die Anwendbarkeit der deutschen und europäischen Fu sionskontrolle auf Zusammenschlüsse von Krankenhäusern, EWeRK Schriftenreihe Band 29, S. 125ff. 291
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ses selbst die Frage entsteht, ob dieses auf einem Marktprozess oder eher auf einem regulatorischen Planungsprozess des Staates beruht, spielt für den BGH keine Rolle. Trotz der erheblichen Beeinflussung des Marktes zur Krankenhausfinanzierung und der daraus resultierenden Folgen für den Wettbewerb unter den Krankenhäusern293 ändere dies nichts daran, dass Krankenhäuser insgesamt auf einem Wettbewerbs markt im Sinne des Kartellrechts tätig seien. Schließlich bestehe zwischen den Krankenhäusern auch erheblicher Qualitäts wettbewerb, etwa bei der fachlichen Qualifikation von Ärzten und Pflegepersonal oder der sachlichen Ausstattung.294 Hieran wurden auch in der Literatur kaum Zweifel geäußert.295 Allerdings wurde in der Literatur vor allem darauf hingewie sen, dass der Qualitätswettbewerb, der zweifelsfrei zwischen den Krankenhäusern, den medizinischen Zentren und Ärzten stattfindet, nur innerhalb der Grenzen des Sozialrechts stattfindet, also ein sozialrechtlich reglementierter und initiierter Wett bewerb und eben kein wirklich freier Marktwettbewerb ist.296 Im Ergebnis bedeutet dies, dass der BGH sowohl den Markt für Krankenhaus finanzierung, als auch den Markt für Qualitätswettbewerb297 ebenso als echten Marktwettbewerb einstuft, wie den Markt, auf dem Patienten medizinische Dienst leistungen nachfragen. Diese Klarstellung des Bundesgerichtshofes ist insofern von außerordentlicher Bedeutung, als damit deutlich wird, dass innerhalb des gesetz lichen Krankenversicherungssystems durchweg Marktwettbewerb herrscht. Da bei ist zu beachten, dass es nicht einen Wettbewerb der Fusionskontrolle und ei nen anderen Wettbewerb im Sinne des Restkartellrechts und daneben womöglich noch einen Wettbewerb im Sinne des Lauterkeitsrechtes gibt. Marktwettbewerb ist Marktwettbewerb. Wenn im Rahmen der Fusionskontrolle – so, wie es der BGH an nimmt – echter Marktwettbewerb herrscht, so gilt das für das gesamte Kartellrecht und zwar sowohl zwischen den Leistungserbringern (Qualitätswettbewerb), als auch zwischen den Planern für Krankenhäuser (Krankenhausfinanzierungsmarkt) als auch mit Blick auf die nachfragenden Patienten (Nachfragemarkt). Wenn es – wie der BGH annimmt – auf all diesen Märkten also echten Markt wettbewerb gibt, so bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die gesamte gesetzliche Krankenversicherung wirtschaftlich – und damit wettbewerblich – tätig ist. Wenn das aber der Fall ist – und der BGH lässt keinen Zweifel daran – so bedeutet dies, dass sämtliche Regeln des Europäischen Vertrages über Art. 86 EG auf das System der gesetzlichen Krankenversicherung anwendbar ist. Das gilt nicht nur, aber auch für die Wettbewerbsregeln im Sinne des Kartellrechts (Artt. 81, 82 EG), sondern darüber hinaus für den grundlegenden Vorrang des Wettbewerbs, wie er sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen Artt. 4, 98, 16 EG ergibt. Plakativ kann man sagen: Soviel Wettbewerb wie möglich – soviel Daseinsvorsorge wie nötig. Wenn – wie die vorliegende Studie zeigt – die sozialen Ziele eines Systems der sozialen Hierzu umfassend Badtke, aaO, ab S. 115. BGH Beschluss vom 16. Januar 2008, KvR 26/07. 295 Bruckenberger/Klaue/Schwintowski, aaO, S. 129ff.; Badtke, aaO, ab S. 157. 296 Bruckenberger/Klaue/Schwintowski, aaO, S. 129ff.; Badtke, aaO, ab S. 168. 297 So auch 17. HG Monopolkommission (2006/2007) Rn. 874. 293 294
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Sicherheit effektiver und effizienter durch verstärkte Elemente des Wettbewerbs erreicht werden, so sind die Mitgliedstaaten nach den Grundregeln des Gemein schaftsrechtes gehalten, das für ihre Bürger/innen sozialere System zu wählen – sie sind nicht berechtigt, „das Geld zum Fenster hinauszuwerfen“. In diesem Sinne unterstützt die Anwendung des Kartellrechtes die in dieser Studie entwickelte und vertretene Grundthese, wonach das System der deutschen sozialen Krankenversi cherung aus Gründen des europäischen Rechts im Sinne eines wettbewerblichen Systems umzugestalten ist, um die Ineffizienzen und Ineffektivitäten des derzeitigen Systems mittel- und langfristig zu überwinden. Darüber hinaus ist über die An wendbarkeit des Kartellrechtes innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung in erheblich stärkerem Maße nachzudenken, als es bisher der Fall war. Insbesondere sind sämtliche Formen der Kooperation daraufhin zu untersuchen, ob sie mit § 1 GWB (Kartellverbot) in Einklang stehen.298 Ferner sind sämtliche Preise daraufhin zu untersuchen, ob sie nicht Ausdruck des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Position oder Ausdruck der Abhängigkeit im Rahmen des Diskriminierungsverbo tes sind (§§ 19, 20 GWB).
4.3 Probleme der Marktabgrenzung Gerade mit Blick auf den Missbrauch marktbeherrschender Positionen stellt sich auch außerhalb der Fusionskontrolle immer wieder die Frage der zutreffenden Marktabgrenzung. Wendet man die vom BGH hierzu entwickelten Grundsätze in Zukunft stringent an, so sind Krankenhäuser, die im Radius von etwa 40 km eine marktstarke Position haben, in der Regel auch marktbeherrschend. Im RhönVerfahren hat der Gerichtshof klargestellt, dass bei einer Fusion von Allgemein krankenhäusern der sachlich relevante Markt „nicht nach medizinische Fachab teilungen“ abzugrenzen sei. Er ergibt sich vielmehr aus dem Gesamtangebot der Allgemeinkrankenhäuser, das die Patienten zwar nicht akut, aber doch potenziell nachfragten. Bei der Bestimmung des räumlich relevanten Marktes komme es auf das akute Auswahlverhalten der betroffenen Patienten an. Nicht entscheidend sei dagegen das potenzielle Auswahlverhalten, das man nicht voraussagen könne. Zu berücksichtigen seien die Auslastungsquoten und die Synergieeffekte, die sich aus einem Zusammenschluss in räumlicher Nähe ergeben könnten.299 Eine derartig enge Marktabgrenzung beruht methodisch auf der Auswertung des konkreten Nachfrageverhaltens der Patienten. Es kommt nicht so sehr darauf an, was die Patienten tun würden (potentielles Verhalten), sondern was sie getan haben (konkrete Nachfrage). Ein solches Außerachtlassen des potentiellen Wettbewerbs ist Auf diesen Aspekt weisen v.a. Sauter/Ellerbrock besonders kritisch hin, GesR 2007, 497ff. Sie verweisen auf die erhebliche Nachfragemacht der AOK`s, die diese beim Abschluss von Rabattvereinbarungen nach § 130a Abs. 8 SGB V ausnutzen, ohne dass dies nach § 1 GWB geahndet werden könnte – allerdings kommt ein Schadensersatzanspruch wegen missbräuch licher Ausnutzung einer marktbeherrschenden Position nach §§ 33, 19 GWB in Betracht. 299 BGH Beschluss vom 16. Januar 2008, KvR 26/07. 298
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nach der bisher geltenden Kartellrechtsdoktrin und der herrschenden Wettbewerbs theorie inadäquat. Würde man auf das konkrete Nachfrageverhalten im Wettbewerb generell abstellen, so würden die Einkaufszentren in der Region oder in größeren Stadtbezirken jeweils eine marktbeherrschende Stellung haben, nur deshalb, weil die allermeisten Menschen, die in der Nähe wohnen, in diesen Einkaufszentren einkaufen. Dasselbe würde für die Tankstellen, für die Autohäuser, aber auch für die lokalen Zeitungsanbieter gelten. Dabei bliebe bi der Beurteilung wettbewerbli cher Vorgänge außer Acht, dass der Wettbewerb zwischen den Regionen durch die potentiellen Wahlmöglichkeiten der Patienten scharf ist. Ein Discounter in Ham burg kann es sich nicht leisten, deutlich höhere Preise im ländlichen Raum zu neh men, weil dies sofort dazu führen würde, dass ein anderer Wettbewerber ihm die Kunden abnähme. D.h., der regionsübergreifende Marktwettbewerb führt zu einer Disziplinierung im Raum, auch wenn der Einzelne, individuelle Nachfrager tatsäch lich in seinem ganzen Leben nicht ein einziges Mal die Grenzen seines Stadtbezirkes überschreiten sollte. Besonders deutlich werden diese wettbewerblichen Implikationen, wenn man sich einmal den grenzüberschreitenden Wettbewerb im Gesundheitswesen an schaut. Durch die grundlegenden Urteile des EuGH, die oben dargstellt wurden, ist es heute möglich – teilweise mit und teilweise ohne vorherige Genehmigung – bestimmte medizinische Leistungen im europäischen Ausland nachzufragen. So werden zahnärztliche und auch Rehadienstleistungen inzwischen in erheblichem Umfang außerhalb Deutschlands, z.B. in Tschechien oder Polen oder Ungarn nach gefragt. Umgekehrt gibt es Patienten aus diesen Ländern, die bei bestimmten Spe zialoperationen nach Deutschland kommen, um in diesen Spezialgebieten das be sondere medizinische Know-how auszunutzen. Wie sich die Patienten im Einzelfall präzise entscheiden, hängt somit vom Preisgefüge und vom Qualitätsgefüge ab. Je stärker Preise differieren und je größer die Qualitätsunterschiede sind, desto eher sind Patienten geneigt, auch längere Distanzen zu den Krankenhäusern zu überwin den. Es kann also gar keine Rede davon sein, dass es keinen konkreten Wettbewerb zwischen den verschiedenen Regionen gibt. Dieser Wettbewerb wird schärfer wer den, wenn Qualitäts- und Preisunterschiede noch stärker voneinander abweichen und wenn in der deutschen Krankenversicherung das Sachleistungsprinzip dem Erstattungsprinzip weichen muss. In diesem Falle geht es den Patienten letztlich darum, eine medizinische Dienstleistung zu erwerben, die einen möglichst güns tigen Preis hat. Das wirkt sich nämlich auf die von ihnen zu zahlende Prämie für die Krankenversicherung aus. Außerdem können sie, wenn sie ein Versicherungs jahr besonders günstig abschließen, mit der Rückerstattung von Beiträgen rechnen oder aber davon ausgehen, dass die von ihnen gewählten Selbstbeteiligungen sie kaum belasten. Wie sich Preise, Qualität und das Krankenversicherungssystem ganz genau weiterentwickeln, lässt sich im Augenblick nicht präzise sagen, sondern nur prognostizieren. Es wird aber ein Weg in Richtung zu mehr Wettbewerb sein. Das ist durch die Entwicklungen der letzten 20 Jahre und durch die demografische so wie die biometrische Entwicklung zwingend vorgezeichnet. Daraus folgt, dass eine räumliche Marktabgrenzung, die die potenziellen Verhaltensänderungen von Pa tienten nicht in sich aufnimmt, die wettbewerblichen Realitäten auf dem Gesund
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heitsmarkt vernachlässigt.300 Dafür gibt es wettbewerbstheoretisch keine Legitima tion – insoweit müsste der Bundesgerichtshof seine Überlegungen zur räumlichen Marktabgrenzung noch einmal überdenken.
4.4 Zusammenfassende Erwägungen Auch aus der Perspektive des Kartellrechts ist der Umbau des deutschen Kranken versicherungssystems im Sinne eines marktwirtschaftlich funktionierenden Systems vorprogrammiert. Dabei wird dieses System sozial gerechter, leistungsfähiger, preis günstiger und langfristig weniger reformanfällig sein. Das Kartellrecht zeichnet die sen Umbau vor, weil der Bundesgerichtshof in der Rhön-Entscheidung klargestellt hat, dass auf den Märkten für Krankenhausfinanzierung, den Märkten für medizi nische Qualität und den Märkten für die Nachfrage medizinischer Dienstleistungen echter Marktwettbewerb herrscht. Wenn und soweit dies für die Fusionskontrolle gilt, gilt dies auch für das gesamte Kartell- und Wettbewerbsrecht, denn es gibt kei nen fusionsbasierten Wettbewerb, sondern Wettbewerb ist universell – dort, wo er stattfindet, betrifft das alle Formen des Marktwettbewerbs, ganz gleichgültig, wel cher wettbewerblichen oder kartellrechtlichen Kontrolle diese Formen jeweils un terworfen sind. Die Tatsache, dass auf den Märkten der gesetzlichen sozialen Krankenversiche rung echter Marktwettbewerb herrscht, ist ebenso wie die daraus resultierenden Konsequenzen bisher noch nicht wirklich begriffen. Nach den Grundregeln des eu ropäischen Rechts muss sich in einer solchen Situation das wettbewerbliche System durchsetzen, es sei denn, innerhalb des Systems oder Teilen davon ist Marktversa gen feststellbar, das zu staatlicher Nachregulierung zwingt (Art. 86 EG). Wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechtes besteht insoweit eine Bindungswirkung für den deutschen Gesetzgeber. Er muss das deutsche gesetzliche Krankenversicherungs system im Sinne eines wettbewerblich funktionsfähigen Systems umbauen, will er nicht sehenden Auges den Europäischen Vertrag verletzen. Der Umbau wird aber nicht nur rechtlich geboten, sondern auch politisch notwendig und praktisch unab dingbar sein müssen. Nur durch diesen Umbau werden nämlich Ineffizienzen und Ineffektivitäten beseitigt, stattdessen Kostengünstigkeit und ein verbessertes medi zinisches Qualitätsniveau hergestellt. Das deutsche Krankenversicherungssystem ist zwar eines der teuersten der Welt, aber es ist bei weitem nicht das leistungsfähigste.
Der Vorschlag der Monopolkommission im 17. HG (2006/2007) Rn. 874 geht in die gleiche Richtung, übersieht aber, dass eine Absenkung der Eingreifschwellen z.Zt. zu weniger Wett bewerb führt.
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5 Beihilferechtliche Grenzen im System der GKV Die Erkenntnis, dass das deutsche System der gesetzlichen Krankenversicherung sehr viel sozialer, also effektiver und effizienter und damit leistungsfähiger, aber kostengünstiger funktionieren könnten, deutet sich auch im Recht der Beihilfen (Artt. 87, 88 EG) an.301 Traditionell werden die Beihilfen im Krankenversicherungs recht als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse eingestuft.302 Das Gericht erster Instanz war in der Rechtssache FFSA303 davon ausgegangen, dass Ausgleichszahlungen für Gemeinwohlverpflichtungen – z.B. Zuschüsse zum Kran kenhausbau im Rahmen der in Deutschland üblichen dualen Finanzierung – stets tat bestandlich Beihilfen darstellten, aber über Art. 86 Abs. 2 EG gerechtfertigt werden könnten. Demgegenüber entschied der EuGH in der Rechtssache Ferring304, dass der Ausgleich von Mehrkosten für die Erbringung von Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse tatbestandlich keine Beihilfe sei. Diesem Ansatz ist der EuGH treu geblieben und hat am 24. Juli 2003 in der Sache Altmark-Trans an diese Grundsätze angeknüpft. Der Gerichtshof sagt im Leitsatz 3 des Urteils: „Eine staatliche Maßnahme fällt nicht unter Art. 87 Abs. 1 EG, soweit sie als Ausgleich anzusehen ist, der die Gegenleistung für Leistungen bildet, die von den Unternehmen, denen sie zugute kommt, zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden, sodass diese Unternehmen in Wirklichkeit keinen finanziellen Vorteil erhalten und die genannte Maßnahme somit nicht bewirkt, dass die gegenüber den mit ihnen im Wettbewerb stehenden Unternehmen in eine günstigere Wettbewerbsstellung gelangen.“ Bezieht man dies beispielsweise auf Krankenhäuser, so sind die Leistungen, die die Krankenhäuser etwa zur Unterstützung in der Bauphase von den Ländern be kommen, in diesem Sinne keine Beihilfen – sie müssen folglich nach Art. 88 EG auch nicht bei der Kommission notifiziert werden. Der Gerichtshof führt im Fall Altmark-Trans allerdings ergänzend – und erst mals – aus, dass die Ausgleichszahlungen nur dann nicht als staatliche Beihilfen zu qualifizieren sind, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind. (1) Erstens muss das begünstigte Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein und diese Verpflichtungen müssen klar definiert sein. (2) Zweitens sind die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, zu vor objektiv und transparent aufzustellen, um zu verhindern, dass der Ausgleich einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt, der das Unternehmen, dem er ge währt wird, gegenüber konkurrierenden Unternehmen begünstigt.
So auch 17. HG Monopolkommission (2006/2007), Potenziale für mehr Wettbewerb auf dem Krankenhausmarkt, Rn. 794-885. 302 Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, S. 190ff.; Kingreen, GesR 2006, 193, 198; Bruckenberger/Klaue/Schwintowski, Krankenhausmärkte zwischen Regulierung und Wettbewerb, 2007, S. 200. 303 Slg. 1997, II-00229. 304 Slg. 2001, I-09067 Ferring. 301
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(3) Drittens darf der Ausgleich nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Ge winns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken. Nur bei Einhaltung dieser Voraussetzung ist gewährleistet, dass den betreffenden Unternehmen kein Vorteil gewährt wird, der dadurch, dass er die Wettbewerbs stellung dieses Unternehmens stärkt, den Wettbewerb verfälscht oder zu verfäl schen droht. (4) Wenn viertens die Wahl des Unternehmens, das mit der Erfüllung gemein wirtschaftlicher Verpflichtungen betraut werden soll, im konkreten Fall nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge erfolgt, dass die Auswahl desjenigen Bewerbers ermöglicht, der diese Dienste zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringen kann, so ist die Höhe des erforderlichen Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.305 Die Entwicklung dieser vier Kriterien, die weitgehend dem Rechtfertigungskatalog des Art. 86 Abs. 2 EG ähneln, hat in Deutschland und in Europa einen grundlegen den Wandel bei der Frage der Finanzierung von Leistungen der Daseinsvorsorge ausgelöst. Vor allem das vierte Kriterium hat es in sich. Wird das Unternehmen – z.B. das Plankrankenhaus – nicht im Wege öffentlicher Vergabe ermittelt – so ist es im Gesundheitswesen regelmäßig – so sind nur solche Beihilfen erlaubt, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen zur Erfüllung der Aufgaben im allge meinen wirtschaftlichen Interesse benötigen würde. Alles, was darüber hinausgeht, ist eine verbotene und durch nichts mehr zu rechtfertigende (folglich zurückzuzah lende) Beihilfe. Damit ist seit Altmark-Trans die entscheidende Frage gestellt, wel che Zuwendungen wohl ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen benö tigt, um die Aufgaben der Daseinsvorsorge hinreichend und angemessen ausführen zu können.306 Die Botschaft des Altmark-Trans-Urteils lautet, dass die systemimmanen ten Zuwendungen und Beihilfen nicht über das Maß hinausgehen dürfen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen benötigt. Damit eröffnet das Alt mark-Trans-Urteil einen Als-ob-Wettbewerbstest. Es wird untersucht, welche Zu wendungen ein Unternehmen im Wettbewerb wohl benötigen würde, um seinen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen nachkommen zu können. Dabei erkennt der Gerichtshof in der Altmark-Trans-Formel, dass es sehr viel besser wäre, anstelle des Als-ob-Wettbewerbstests den Wettbewerb selbst zu Wort kommen zu lassen. Deshalb stellt der Gerichtshof im vierten Kriterium auch zu nächst einmal die Frage, ob das Unternehmen zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Urteil Leitsatz 3, 2. Abs. Hierzu umfassend Leupold, demnächst EWeRK-Schriftenreihe.
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Aufgaben nicht möglicherweise im Wege öffentlicher Ausschreibung ausgesucht worden ist. Immer wenn dies möglich ist, wird durch den Ausschreibungswettbe werb derjenige Bewerber ermittelt, der die Dienste zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringen kann. Damit deutet der Gerichtshof den Vorrang eines primär wettbewerblichen Aus wahlprozesses vor dem Als-ob-Wettbewerb als second best Lösung an. Das ist richtig und entspricht den Grundwertungen von Artt. 4, 98, 5, 10 Abs. 2 EG unter Be rücksichtigung der Wertungen des Art. 16 EG. Überträgt man diese Überlegungen nun auf den Bereich der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung, so kann man zunächst einmal festhalten, dass die Beihilfen, die in diesem Bereich vom Bund und den Ländern auf den verschiedensten Feldern gezahlt werden – sie betreffen sowohl die Krankenhausfinanzierung als auch die Aufrechterhaltung des Krankenhausbe triebes – nicht im Wege öffentlicher Ausschreibung erfolgt.307 Dies bedeutet aber nicht, dass man damit automatisch berechtigt wäre, in den Als-ob-Test der AltmarkTrans-Formel überzugehen. Denn stattdessen könnte man auch das gesamte System der sozialen Sicherheit durch Einführung weiterer Wettbewerbselemente – insbe sondere durch Einführung des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen – effi zienter und effektiver machen. Wenn und soweit die Mitgliedstaaten eine solche Wahlmöglichkeit bei der Ausgestaltung ihres sozialen Systems haben, bedarf es kei nes Rückgriffs auf eine second best Lösung – stattdessen kann die beste Lösung, nämlich der Wettbewerb selbst, über die Höhe der notwendigen Kosten zur Erfül lung der gemeinwirtschaftlichen Aufgabe entscheiden. Die Altmark-Trans-Formel hat zu dieser Umgestaltungsaufgabe der Mitglied staaten innerhalb ihrer sozialen Systeme keine Stellung genommen, weil es im Falle Altmark-Trans um die Vergabe eines öffentlichen Auftrages an ein Transportun ternehmen für den öffentlichen Nahverkehr in Magdeburg ging. Zur Realisierung dieser Aufgabe konnte man nur über die Frage nachdenken, ob das Unternehmen im Wege öffentlicher Ausschreibung ausgewählt wurde oder auf anderem Wege Subventionen erhielt. Mit Blick auf das hier zu beurteilende deutsche System der gesetzlichen Krankenversicherung stellen sich die Dinge anders dar. Dieses System kann ohne weiteres wettbewerblich gestaltet werden. Dazu bedarf es keiner großen Veränderung – es genügt Wettbewerb zwischen den Krankenkassen auf der Basis risikoorientierter Prämien einzuführen. Die sozialen Funktionen würde das Sys tem besser als im jetzigen System erfüllen, dabei medizinisch leistungsfähiger und insgesamt erheblich kostengünstiger sein. Die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland bisher von der Umgestaltung des gesetzlichen Krankenversicherungs systems in diesem Sinne abgesehen hat, ist – ausgehend von der Altmark-TransFormel – behilferechtlich nicht zu legitimieren. Denn eine Unterstützung und Fi nanzierung des Systems, die bisher über den Zuschuss aus Steuermitteln Jahr für Jahr in beträchtlichem Umfang stattfindet, ist nach der Altmark-Trans-Formel nur insoweit zulässig, als es sich um Zuwendungen zur Erfüllung gemeinwirtschaftli cher Aufgaben handelt, für die es keine Möglichkeit gäbe, die Höhe der Zuwen Vgl. die Besprechung der Vorlageentscheidungen des OLG Düsseldorf an den EuGH vom 23.05.2007 von Susanne Becker vom 27.03.2008 in jurisPK-SozR 7/2008.
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dungen im Wettbewerb zu ermitteln. Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Diese Möglichkeit besteht. Das System muss nur wettbewerblich gestaltet werden – das wäre ohne weiteres und rasch möglich. Die Grundsätze des europäischen Beihilfe rechtes zeigen also, dass die Mitgliedstaaten – und damit auch die Bundesrepublik Deutschland – verpflichtet ist, das System der gesetzlichen Krankenversicherung in ein wettbewerbliches umzugestalten, wenn feststeht, dass dieses System dem derzeit praktizierten System der sozialen Sicherheit nicht nur gleichwertig, sondern überle gen ist. Da dies, wie mehrfach gezeigt wurde, der Fall ist, verstößt ein Mitgliedstaat, der sein System nicht umgestaltet, gegen die Grundwertungen des europäischen Beihilferechts. Die dem System jährlich zugeführten Beihilfen sind folglich im Sinne der Altmark-Trans-Formel europarechtswidrig und somit zurückzugewähren. Aus der Perspektive dieser Überlegungen gehen die Schritte der Kommission zur Einbeziehung des Krankenhaussektors in den Geltungsbereich des Beihilferechtes zwar in die richtige Richtung, aber bei weitem nicht weit genug. Genau besehen drückt sich die Kommission um eine wettbewerbskonforme Entscheidung mit Blick auf das System der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland, aber auch in anderen Mitgliedstaaten. In der Entscheidung der Kommission vom 28. November 2005308 wird für Krankenhäuser festgelegt, dass staatliche Zuwendungen, unabhän gig von ihrer Höhe, nicht notifiziert werden müssen. Eine solche Entscheidung ist kontraproduktiv und europarechtswidrig – sie vernachlässigt, dass das System der gesetzlichen Krankenversicherung ohne Weiteres wettbewerblich ausgestaltet wer den könnte und sie vernachlässigt darüber hinaus, dass Ausgleichszahlungen im Wettbewerb der Höhe nach völlig anders aussehen würden als im derzeit regulierten System der Bundesrepublik Deutschland.309
6 Stärkung der Patientensouveränität – Gruppenklagen für Mitglieder der GKV 6.1 Ausgangspunkt Die Reform der GKV durch Stärkung des Wettbewerbsprinzips zwischen den Krankenkassen bei gleichzeitiger risikoorientierter Tarifierung, so wie sie in dieser Studie entwickelt wird, ist in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder geschei tert. Die Gründe dafür liegen im politischen Bereich – die Interessengruppen, die von der derzeitigen Konzeption des Systems der GKV erheblich profitieren, sind außerordentlich stark und haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder dafür gesorgt, eine dauerhafte und ernsthafte Reform verhindert wurde. Die Mittel zur Durchsetzung der Reform sind in der hier vorliegenden Studie entwickelt wor den. Die Kommission könnte nach Art. 86 Abs. 3 EG Richtlinien zur Einführung verstärkten Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen erlassen. Der Europäische Gerichtshof könnte angerufen werden, um zu klären, ob die hier entwickelte und ABl. 2005 L 312/67. Umfassend und im Ergebnis ähnlich Leupold, demnächst EWeRK-Schriftenreihe.
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vertretene These zutrifft, wonach die Mitgliedstaaten gehalten sind, effektive und ef fiziente System einzuführen, wenn dies im Vergleich zu einem praktizierten System erheblich sozialer und erheblich preisgünstiger wäre. Daneben könnte die Patientensouveränität gestärkt werden, eine Möglichkeit, die mit dem immer stärker werdenden Gedanken des Verbraucherschutzes Parallelen hat. In welcher Weise man die Patientensouveränität stärken könnte, ist eine Frage, die nun abschließend diskutiert werden soll. Es geht zum einen um die Beschrei bung vorhandener rechtlicher Instrumentarien, mit deren Hilfe schon heute die Verbrauchersouveränität gestärkt wird. Daneben soll gezeigt werden, dass die Pa tientensouveränität aber auch dadurch erheblich gestärkt werden könnte, dass sich diese in Form von Selbsthilfeverbänden – ähnlich dem ADAC – vereinigen und die Durchsetzung ihrer Rechte selbst in die Hand nehmen. Zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen stellt die Rechtsordnung typischer weise drei Instrumentarien zur Verfügung: • Die Verbandsklage • Die Gruppenklage • Die Musterklage Im Rahmen der Verbandsklage übernimmt ein Verband (z.B. ein Verbraucher verband) die Durchsetzung kollektiver Interessen etwa bei der Überprüfung und Korrektur von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Verbandsklage ist in Deutschland in Form der Unterlassungsklage möglich (UklaG). Die Forderungen, im Rahmen der Verbandsklage auch Schadensersatzansprüche nach dem Vorbild der amerikanischen class action – verbunden mit einem Strafschadensersatz – gel tend machen zu dürfen – sind bisher nicht realisiert worden.310 Bei Gruppenklagen verfolgen die individuellen Anspruchsinhaber ihre Ansprüche gemeinsam, oft über einen Vertreter. Bei Musterklagen – in Deutschland möglich nach dem KapMuG – verfolgt ein Musterkläger seine Interessen zugleich im kollektiven Interesse Dritter. Neben diesen vom Staat zur Verfügung gestellten Instrumentarien besteht die Möglichkeit, dass Interessengruppen sich vereinigen und ihre Interessen sodann über den Verein gemeinsam verfolgen. Diese Art der Interessenbündelung durch Verbände wird nicht als Sammel- oder Gruppenklage eingeordnet. Das hängt damit zusammen, dass ein Verein ganz unterschiedliche Interessen für seine Mitglieder wahrnehmen kann. Dazu gehört in der Regel die Interessenvertretung im Rahmen Vertiefend Basedow/Hopt/Kötz/Baetke, Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Pro zess, 1999, S. 5f; Baetge, Das Recht der Verbandsklage auf neuen Wegen, ZZP 112 (1999), 329, 346; Schaumburg, Die neue Verbandsklage – Zum erweiterten Verbraucherschutz durch die Umsetzung der Unterlassungsklagerichtlinie und das neue Unterlassungsklagegesetz, DB 2002, 723, 727; Burckhardt, Auf dem Weg zu einer class action in Deutschland?, 2005, 21ff.; Stephanie Eichholtz, Die US-amerikanische class action und ihre deutschen Funktionsäqui valente, 2002, passim; ergänzend Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe und Rechtsstaat, 2006, passim; Nicole Franke, Die Verbandsklagen der Verbraucherverbände nach dem französi schen Code de la consommation im Vergleich zum deutschen Recht, 2002, passim; Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozessrecht, 2001, passim.
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des Satzungszwecks. Wenn aber – wie etwa beim Bund der Versicherten – die Mus terprozessführung zum Gegenstand des Vereines gemacht wurde, so ist dies mög lich – wenngleich die Grenzen des geltenden deutschen Zivilprozessrechtes dabei zu beachten sind. Das deutsche Zivilprozessrecht kennt die Bündelung gleichge richteter Interessen im Zivilprozess nicht, von den Formen der Streitgenossenschaft einmal abgesehen. Das erleichtert die Durchsetzung gebündelter Interessen nicht gerade, lässt aber gewisse Spielräume, wenn es für die Durchsetzung der Interessen nicht so sehr darauf ankommt, dass der Prozess jedem einzelnen einen individual rechtlich verbindlichen Anspruch und eine entsprechende Rechtskraftwirkung ver mittelt. Problematisch bei der Verfolgung individueller Interessen über Verbände ist regelmäßig die Frage, ob bestehende Einzelansprüche nach Abschluss des Prozesses gegenüber denjenigen, die am Prozess nicht beteiligt waren, möglicherweise ver jährt sind. Im Folgenden werden zunächst einmal die Instrumentarien vorgestellt und so dann jeweils gefragt, ob sich das Instrument für die Durchsetzung kollektiver Inter essen im Rahmen der GKV eignet oder nicht.
6.2 Verbandsklagen 6.2.1 UWG Nach § 3 UWG sind unlautere Wettbewerbshandlungen, die geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder sonstiger Markt teilnehmer nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, unzulässig. Wer gegen dieses Verbot unlauteren Wettbewerbs verstößt, kann auf Beseitigung und bei Wiederho lungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden (§ 8 Abs. 1 UWG). Der Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine Zuwiderhandlung droht (§ 8 Abs. 1 S. 2 UWG). Der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch kann von jedem Mitbewerber, von rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen, von qualifizierten Verbraucherverbän den, von Industrie- und Handelskammern und von Handwerkskammern geltend gemacht werden (§ 8 Abs. 3 UWG). Die Geltendmachung ist dann unzulässig, wenn sie missbräuchlich ist, insbeson dere, wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen An spruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen (§ 8 Abs. 4 UWG). Vorsätzliche oder fahrlässige Verletzungen des Verbots unlauteren Wettbewerbs führen nur gegenüber den Mitbewerbern zum Ersatz des daraus entstehenden Scha dens (§ 9 UWG). Daneben enthält § 10 UWG den Anspruch auf Gewinnabschöp fung. Voraussetzung ist, dass ein Unternehmen gegen das Verbot unlauteren Wett bewerbs vorsätzlich verstößt und hierdurch zulasten einer Vielzahl von Abnehmern einen Gewinn erzielt. In diesem Fall können zwar nicht die Mitbewerber, aber die Verbände und Kammern die Herausgabe des erzielten Gewinns geltend machen. Der Gewinn ist an den Bundeshaushalt herauszugeben (§ 10 Abs. 1 UWG).
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Zur Stärkung der Patientensouveränität eigenen sich diese Vorschriften nur be dingt. Zunächst einmal können Ansprüche nur von Verbänden geltend gemacht werden, die sich für Patienten im Rahmen der GKV stark machen. Dazu berech tigt sind die Verbraucherverbände, wenngleich Beispiele, etwa bei dem Versuch, die Arzneimittelpreise zu ermäßigen oder den Bezug von Arzneimitteln im Internet durchzusetzen, bisher nicht bekannt sind. Auch von Versuchen der Verbraucher verbände, auf die Sachleistungsvereinbarungen zwischen den Krankenkassenver bänden und den Leistungserbringern Einfluss zu nehmen, sind nicht bekannt. Der Versuch der Allgemeinen Ortskrankenkassen, den Bezug von Brillen über interne Selbstabgabestellen deutlich zu verbilligen, ist – soweit bekannt – nicht von den Verbraucherverbänden unterstützt worden und beim Bundesgerichtshof wegen der Intervention der Optiker gescheitert.311 Der Grund für diese Zurückhaltung der Verbraucherzentralen dürfte daran lie gen, dass Ansprüche nach dem UWG überhaupt nur dann verfolgbar sind, wenn zu nächst einmal eine unlautere Wettbewerbshandlung vorliegt. Dabei genügt es, wenn diese unlautere Wettbewerbshandlung geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil der Verbraucher zu beeinträchtigen (§ 3 UWG). In der Regel wenden aber die Leis tungserbringer und die Krankenkassen das geltende SGB V an – es dürfte also in aller Regel an einer unlauteren Wettbewerbshandlung fehlen, weil die Anwendung des Gesetzes Ausdruck des gesetzgeberischen Willens ist und folglich nicht unlauter sein kann.312 Damit dürfte der Kreis der vorwerfbaren Tatbestände von vornherein außerordentlich eng sein, wenngleich nicht ausgeschlossen ist, dass die Verbrau cherzentralen die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gegen Leistungs erbringer im Bereich des Gesundheitswesens vorzugehen, nicht hinreichend und systematisch aufgearbeitet haben. 6.2.2 GWB Wer gegen Vorschriften des Kartellrechts – z.B. das Kartellverbot oder den Miss brauch einer marktbeherrschenden Stellung oder das Diskriminierungsverbot – verstößt, ist dem Betroffenen zur Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr zur Un terlassung verpflichtet (§ 33 Abs. 1 GWB). Der Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine Zuwiderhandlung droht. Betroffen ist, wer als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist (§ 33 Abs. 1 S. 3 GWB). Sonstige Marktbeteiligte können Verbraucher und damit also auch Patienten im Rahmen des Gesundheitswesens sein. Die Ansprüche können auch von rechtsfähigen Vereinen zur Förderung gewerb licher oder beruflicher Interessen geltend gemacht werden (§ 33 Abs. 2 GWB), aller dings nicht von Verbrauchervereinigungen.
BGHZ 82, 375 Brillen-Selbstabgabestellen. Der BGH geht noch weiter und wendet das UWG wegen des angeblich abschließenden Cha rakters des § 69 SGB V gar nicht an: VersR 2006, 1279; einschränkend für die PKV BGH vom 12.12.2007 – IV ZR 130/06 m. Anm. von Bergmann, jurisPK-WettbR 5/2008 Anm. 4.
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Neben dem Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch steht ein Schadensersatz anspruch, wenn die Waren oder Dienstleistung wegen eines vorsätzlichen oder fahr lässigen Kartellverstoßes zu einem überteuerten Preis bezogen wurde (§ 33 Abs. 3 GWB). Daneben können die Kartellbehörden den wirtschaftlichen Vorteil bei dem Un ternehmen, das den Kartellverstoß begangen hat, abschöpfen (§ 34 GWB). Bei Vor satz können ferner die Wirtschaftsverbände auf Herausgabe des wirtschaftlichen Vorteils an den Bundeshaushalt klagen (§ 34a GWB). Das Instrumentarium des GWB eignet sich zur Stärkung der Patientensouverä nität derzeit nicht, denn Verbraucherverbände haben keinerlei Rechte bei der Gel tendmachung von Ansprüchen aus dem Kartellrecht. Allerdings können die Patien ten selbst ihre Ansprüche verfolgen. Welche Formen ihnen dazu möglicherweise zur Verfügung stehen – Vereine/BGB-Gesellschaften – wird an späterer Stelle vertieft. 6.2.3 Unterlassungsklagegesetz (UklaG) Das Unterlassungsklagegesetz (UklaG) schützt vor der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen (§ 1 UklaG) und anderer, dem Schutz der Ver braucher dienenden Gesetze (§ 2 UklaG). In beiden Fällen kann auf Unterlassung geklagt werden. Gesetze, die dem Verbraucherschutz dienen, sind in § 2 Abs. 2 UklaG (nicht ab schließend) aufgezählt. Neben Vorschriften des BGB und Vorschriften zum elektro nischen Geschäftsverkehr gehören dazu auch Vorschriften des Arzneimittelgesetzes sowie Art. 1 §§ 3 – 13 des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiet des Heil wesens (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 UklaG). Ein Verbraucherschutzgesetz liegt vor, wenn der eigentliche Zweck der Vorschrift der Verbraucherschutz ist, dieser also nicht nur eine beiläufige Nebenwirkung darstellt.313 Der Unterlassungsanspruch kann von Wirtschaftsverbänden und (qualifiziert eingetragenen) Verbraucherverbänden gel tend gemacht werden (§§ 3, 4 UklaG). Wesentliche Auswirkungen hatte das UklaG im Bereich der GKV bisher nicht. Das hängt sicher damit zusammen, dass die Vorschriften des SGB V in ihrem Kern ziel nicht verbraucherschützend sind, so jedenfalls bisher nicht verstanden werden. So gesehen eignet sich die Grundidee des UklaG zu einer Stärkung der Patienten souveränität nur schlecht. 6.2.4 Prozessführung durch Versicherer Im Privatversicherungsrecht gibt es eigentümliche Regelungen der Prozessführung, die man weder den gruppen- noch den Musterklagen zuordnen kann. Die größte Ähnlichkeit besteht zu den Verbandsklagen. Es handelt sich um Regelungen in All gemeinen Versicherungsbedingungen, wonach der Versicherungsnehmer dem Ver sicherer die Führung eines Rechtsstreites zu überlassen hat. Dazu gehört auch, dass der Versicherer den Anwalt für den Versicherungsnehmer bestellt (§ 7 Abs. 2 Nr. 5 BT-Drucks. 14/2568, S. 53.
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Allgemeine Kraftfahrtversicherungsbedingungen; § 5 Nr. 4 Allgemeine Haftpflicht versicherungsbedingungen). So heißt es beispielsweise in § 7 Abs. 2 Nr. 5 AKB: Wenn es zu einem Rechtsstreit kommt, hat der Versicherungsnehmer die Führung des Rechtsstreites dem Versicherer zu überlassen, auch dem vom Versicherer be stellten Anwalt Vollmacht und jede verlangte Aufklärung zu geben. Nach § 10 Abs. 5 AKB gilt der Versicherer als bevollmächtigt im Namen der versicherten Personen Ansprüche zu befriedigen oder abzuwehren und alle dafür zweckmäßig erscheinen den Erklärungen im Namen der versicherten Personen abzugeben. Vergleichbare Regelungen gibt es im Recht der Allgemeinen Haftpflichtversiche rung (§ 5 Nr. 4/7 AHB). Die Wirksamkeit dieser Klauseln ist bisher sowohl in Rechtsprechung und Lite ratur unbeanstandet geblieben. In einem Beitrag aus dem Jahre 2001 äußern Koch/ Hirse314 allerdings prozessrechtliche Bedenken. Die Klauseln würden eine Verschie bung der Prozessführungsrollen bewirken und die Kompetenzverteilung zwischen Partei und Parteivertreter verrücken. Nicht erörtert wird in diesem Beitrag die Frage, ob die Regelungen in den AKB und den AHB eigentlich mit den Vorschriften des Rechtsberatungsgesetzes in Ein klang stehen. Nach Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG dürfen fremde Rechtsangelegenheiten – um solche würde es hier gehen – nur von Personen betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt ist. Dies würde voraussetzen, dass Haftpflicht- und Kraftfahrtversicherer über eine Erlaubnis verfügen müssten, die der Präsident des Landgerichtes, in dessen Bezirk prozessiert werden würde, erteilt hätte (§ 11 Abs. 1 1. Verordnung zur Ausführung des Rechtsberatungsgesetzes315). Über eine solche Erlaubnis verfügen jedoch Versicherer nicht. Möglicherweise be dürfen sie einer solchen Erlaubnis nicht, weil sie bei der Wahrnehmung der Inter essen der versicherten Personen möglicherweise „nicht geschäftsmäßig“ (im Sinne des § 1 Abs. 1 RBerG) handeln.316 Die Dinge müssen hier nicht vertieft werden, denn ganz unabhängig von der Frage, ob die in den AVB den Versicherern eingeräum ten Prozessführungsbefugnisse Bestand haben, steht fest, dass diese jedenfalls keine Verbandsklagen sind. Der Versicherer soll nicht etwa die Interessen einer ganzen Gruppe von Versicherten wahrnehmen und prüfen lassen, ob bestimmte gleichge richtete Interessen verletzt sind, sondern er soll den jeweiligen individuellen Rechts streit seines Vertragspartners oder eines Versicherten an dessen Stelle für diesen führen. Es handelt sich also letztlich um ein Stellvertretermodell – der Versicherer tritt an die Stelle des Versicherungsnehmers. Er bündelt aber keine Interessen, d.h. mit diesem Instrument könnte die Patientensouveränität selbst dann nicht gestärkt werden, wenn man in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen beispielsweise eines Vereins zur Stärkung der Patientensouveränität eine Klausel aufnehmen würde, wo nach der Verein im Falle eines Rechtsstreites zwischen den Patienten und beispiels weise einem Krankenhaus prozessführungsbefugt wäre. Ein solche Klausel würde Die Prozessführung durch den Versicherer, VersR 2001, 405-410. Vom 13.12.1935 (RGBl. I S. 1481, zuletzt geändert 02.09.1994, BGBl. I S. 2278). 316 Zum Begriff Geschäftsmäßigkeit vertiefend Kleine-Cosack, Rechtsberatungsgesetz, Kommen tar, 2004, Art. 1 § 1 RBerG III Rn. 64ff. 314 315
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ausschließlich ein individuelles Prozessführungsrecht bewirken, den Verein aber nicht berechtigen, gleichgerichtete Interessen aller Mitglieder auf diese Weise zum Gegenstand einer Verbands- oder Gruppenklage zu machen. 6.2.5 Zusammenfassung Insgesamt kann man sagen, dass das Instrumentarium der zur Verfügung stehen den Verbandsklagen eine Stärkung der Patientensouveränität kaum eröffnet, wenn gleich nicht völlig ausgeschlossen ist, dass die Verbraucherzentralen insbesondere im Bereich des UWG die Verhaltensweisen der Kassen und der Leistungserbringer noch nicht hinreichend und nicht systematisch genug daraufhin untersucht haben, ob nicht doch die eine und andere Praxis die Grenzen der Lauterkeit überschreitet.
6.3 Gruppenklagen Das Vorbild aller Gruppenklagen ist die amerikanische class action.317 Die im Jah re 1848 erstmals kodifizierte class action318 ist eine Klage, mit der sowohl eigene als auch die Rechte einer Vielzahl Dritter geltend gemacht werden. Der Kläger ist sozusagen Vertreter aller derer, die im Verfahren beitreten (Prozessstandschafter). Folgende Voraussetzungen müssen für eine class action erfüllt sein: • Eine Vielzahl von in gleicher Weise betroffenen Personen (commonality).319Diese Personengruppe bildet die class. • Der Anspruch des Klägers muss für die class typisch sein (typicality).320 • Die class muss so groß sein, dass eine Verbindung von Einzelklagen nicht mehr praktikabel ist (numerosity).321 • Die Ansprüche der class müssen fair und angemessen vertreten werden (fair and adequate representation).322 • Ferner muss eine von drei der folgenden Voraussetzungen vorliegen.323 (1) Es besteht die Gefahr, dass unvereinbare oder benachteiligende Einzelent scheidungen zulasten eines Gruppenmitglieds ergehen, oder (2) der Beklagte hat eine gegenüber allen Gruppenmitgliedern obliegende Verhaltenspflicht verletzt, oder Stephanie Eichholtz, die US-amerikanische class action und ihre deutschen Funktionsäqui valente, 2002, passim; Ebbing, class action die Gruppenklage: Ein Vorbild für das deutsche Recht?, ZVglRWiss 103, (2004), 31-56; Hirte, Sammelklagen – Fluch oder Segen?, VersR 2000, 148-154; Nodoushani, Die Gefahr der punitive damages für deutsche Unternehmen, VersR 2005, 1313-1318; Burckhardt, Auf dem Weg zu einer class action in Deutschland?, 2004, S. 54ff. 318 Eichholtz, aaO, S. 33. 319 Rule 23(a)(2). 320 Rule 23(a)(3). 321 Rule 23(a)(1). 322 Rule 23(a)(4). 323 Rule 23(b) – zitiert und strukturiert nach Ebbing, aaO, S. 33/34. 317
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(3) die class action muss unter Berücksichtigung von Verfahrenseffizienz und Einzelfallinteressen Individualklagen eindeutig überlegen sein. Liegen diese Voraussetzungen vor (certification)324, kann die Klage eingereicht wer den. Bei Schadensersatzklagen sind die Mitglieder der class zu benachrichtigen.325 Letzteres geschieht in der Regel über die Medien. Die Mitglieder der class haben danach befristet die Möglichkeit, ihr Ausscheiden aus der Gruppe zu erklären (opt out).326 Ist die class action erfolgreich, so wird der zugesprochene Schadensersatz in einem nachgelagerten, vom Gericht bestimmten Verfahren, an die Mitglieder der class verteilt. Interessant ist, dass die class action zunächst einmal zur Durchsetzung von Sys temveränderungen, etwa im Bereich der Rassentrennung, der Reform des Gefäng niswesens oder der Diskriminierung am Arbeitsplatz eingesetzt wurde.327 Schadens ersatzklagen wurden vor allem im Bereich der Streuschäden (Wettbewerbs- und Kapitalmarktrecht erhoben).328 Daneben stehen Großschäden, wie etwa der Absturz der Concord im Jahre 2000 oder das ICE-Unglück in Eschede oder die Giftgaska tastrophe in Bophal/Indien oder Arzneimittel (Lipobay) und Asbestfälle (ABD).329 Die Beispiele zeigen, dass sich eine class action durchaus zur Stärkung der Pa tientensouveränität im deutschen Gesundheitswesen eignen würde. Allerdings gibt es im deutschen Recht bisher keine class action. In Europa wird allerdings über eine der class action verwandte Form der europäischen Sammelklage diskutiert.330 Die Europäische Kommission ist allerdings über den Stand der Vorarbeiten bisher nicht hinausgekommen. Sie holt derzeitig Gutachten und Expertenmeinungen ein. Nach einer Umfrage der Kommission würden mehr als 70 % der Unionsbürger ihre Rechte im falle eines gemeinsamen Verfahrens mit anderen Anspruchsinhabern wahrnehmen.331 Dabei will die Kommission das System der amerikanischen class asction nicht kopieren – sie will Missbräuche und Exzesse vermeiden und auf die 27 gewachsenen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Rücksicht nehmen. Ob diese Vorstellungen verwirklicht werden, steht zurzeit in den Sternen. Dies bedeutet, dass es in Deutschland eine der class action vergleichbare Gruppenklage bisher nicht gibt. Im Grundsatz muss jeder einzelne Geschädigte seine Forderungen selbst gerichtlich durchsetzen. Allerdings gibt es einige Ausnahmen. 6.3.1 Art. 1 § 3 Nr. 8 Rechtsberatungsgesetz (RBerG) Nach Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG ist die gerichtliche Einziehung fremder und zu Einzie hungszwecken abgetretener Verbraucherforderungen durch Verbraucherzentralen Rule 23(c)(1). Rule 23 (c)(2), 23(d)(2). 326 Rule 23(c)(2)(A), wobei dieses Recht nur bei Schadensersatzklagen besteht: Rule 23(b)(3). 327 Eichholtz, aaO, S. 38f. m.w.N. 328 Vertiefend Lenenbach, WM 1999, 1393ff. 329 Beispiele bei Ebbing, aaO, S. 38, 39. 330 Mattil/Desoutter, Die Europäische Sammelklage, WM 2008, 521-526. 331 Special Euro Barometer, European Union Citizens and Access to Justice, Oktober 2004, http:// ec.europa.eu/consumers/irdess/reports_studies/execsm_11-04en.pdf. 324 325
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und andere Verbraucherverbände, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, im Rahmen ihres Aufgabenbereiches zulässig, wenn dies im Interesse des Ver braucherschutzes erforderlich ist. Der BGH hat am 14.11.2006 entschieden332, dass Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG im Gegensatz zu § 8 Abs. 3 UWG und § 3 Abs. 1 Nr. 2 UKlaG keine eigenständige Sachlegitimation und Klagebefugnis der Verbraucherverbände begründet, sondern sich darauf beschränkt, einen weiteren Ausnahmefall von der grundsätzlichen Erlaubnispflicht des Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG zu formulieren, diesen in die – grundsätzlich eng auszulegende333 – Ausnahmeregelung des Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG einzufügen und es bei einer Befugnis aus abgeleitetem Recht zu belassen. Demgegenüber können Inkassobüros Forderungen, die sie im Rahmen ihrer Er laubnis nach Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 RBerG erworben haben, im eigenen Namen durch einen Rechtsanwalt auch gerichtlich geltend machen.334 Andernfalls würde die ihnen erteilte Erlaubnis zur außergerichtlichen Forderungseinziehung weitge hend bedeutungslos werden, weil die zedierte Forderung für sie unklagbar wäre. Auf Verbraucherverbände lässt sich, so der BGH, diese Begründung nicht übertragen. Anders als bei Inkassobüros bleibe ihnen eine effektive Arbeit auch dann möglich, wenn ihnen die gerichtliche Forderungseinziehung nur unter den in Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG genannten Voraussetzungen gestattet werde. Dies belege insbesondere der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens. Im ursprünglichen Gesetzentwurf wurde die gerichtliche Forderungseinziehung noch unbeschränkt, d.h. ohne den Zusatz der Erforderlichkeit von der Erlaubnispflicht des Rechtsberatungsgesetzes freigestellt. Allerdings ergab sich aus der Gesetzesbegründung die Absicht des Gesetzgebers, die bis dahin auf Unterlassungsklagen beschränkte gerichtliche Verbandstätigkeit auf Zahlungsklagen zu erweitern, bei denen für Verbraucher wegen der geringen Anspruchshöhe kein Anreiz für Individualklagen bestehe.335 Um dieses Regelungs ziel im Gesetz zum Ausdruck zu bringen und gleichzeitig klarzustellen, dass den Verbraucherverbänden damit keine schlichte Inkassotätigkeit erlaubt werden sollte, sondern die Forderungsabtretung im Interesse des Verbraucherschutzes liegen und etwa den Zweck haben sollte, mit der Durchsetzung eines konkreten Anspruchs ver braucherschutzwidrige Praktiken abzustellen, wurde auf Vorschlag des Rechtsaus schusses das Kriterium der Erforderlichkeit ergänzend eingefügt.336 Erforderlich ist, die gerichtliche Einziehung fremder und zu Einziehungszwe cken abgetretener Forderungen von Verbrauchern durch Verbraucherzentralen, „wenn sie nicht nur der Durchsetzung wirtschaftlicher Individualinteressen eines oder mehrerer Verbraucher, sondern auch einem kollektiven Verbraucherinteresse dient und die Einschaltung des Verbands eine effektivere Durchsetzung dieses kollektiven Verbraucherinteresses ermöglicht.“337 Dies – so der BGH – ist vor allem dann der Fall, wenn eine Klärung der jeweiligen Verbraucherfragen im Wege einer Individualklage zwar nicht ausgeschlossen erscheint, faktisch aber Umstände vorliegen, die geeig NJW 2007, 593, 594. BGH NJW 1974, 1374, 1375. 334 BGH NJW 1996, 393; 1994, 997; NJW-RR 2001, 1420. 335 BT-Drucks. 14/6040, S. 277. 336 BT-Drucks. 14/7052, S. 210. 337 BGH NJW 2007, 593, 595 Rn. 29. 332 333
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net sind, den einzelnen Verbraucher hiervon abzuhalten. Solche Umstände können in der geringen Anspruchshöhe338 liegen, aber auch in unverhältnismäßig hohen Prozesskosten, etwa infolge erforderlicher Beweisaufnahmen, einem besonderen Prozessrisiko wegen komplexer oder unsicherer Rechtsfragen oder in erheblichen praktischen Durchsetzungsschwierigkeiten, sei es – wie im Falle des § 661a BGB – aufgrund der Person des Prozessgegners, sei es aufgrund der erforderlichen Infor mations- oder Beweismittelbeschaffung.339 Mit dieser Entscheidung eröffnet der BGH den Verbraucherverbänden die ge richtliche Verfolgung abgetretener Forderungen in engen Grenzen. Es darf nicht nur um die Verfolgung eines Individualinteresses, sondern auch um ein kollektives Verbraucherinteresse gehen. Ferner muss die Einschaltung des Verbraucherverban des eine effektivere Durchsetzung dieses kollektiven Verbraucherinteresses ermög lichen.340 In einer tiefgreifenden Untersuchung von Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG kommt Mar kus Burckhardt im Jahre 2005 zu dem Ergebnis, dass Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG den Verbraucherzentralen nicht nur die Einziehung abgetretener, sondern auch die Einziehung fremder Forderungen von Verbrauchern, und zwar auch unter Inan spruchnahme gerichtlicher Hilfe, erlaubt.341 Danach wären Verbraucherzentralen ganz unabhängig von einer Abtretung befugt, fremde Forderungen jedenfalls dann geltend zu machen, wenn dies im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich wäre, wenn es also einem kollektiven Verbraucherinteresse diente und eine effek tivere Durchsetzung dieser Interessen ermöglichte. Der BGH hat sich mit dieser von Burckhardt entwickelten ganz eigenständigen Einziehungsberechtigung bisher nicht auseinandergesetzt. Auch andere Gerichte haben sich mit dieser Möglichkeit der generellen Befugnis zur Einziehung fremder Forderungen bisher nicht ausein andergesetzt. Deshalb ist es zurzeit offen, ob Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG in letzter Kon sequenz tatsächlich die Möglichkeit der Einziehung fremder Forderungen eröffnet, ganz unabhängig davon, ob diese abgetreten werden oder nicht. Würde man der von Burckhardt entwickelten Auffassung folgen, so hätten die Verbraucherzentralen in der Tat Befugnisse, die denen der class action amerikanischen Zuschnitts nahe kämen. Sie könnten beispielsweise im Verbraucherinteresse die Rückforderung zu hoher Arzneimittelpreise einklagen, Schadensersatz von Zigarettenherstellern oder den Rückbau überflüssiger Krankenhauskapazitäten einklagen. Sie könnten aber auch über eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland nachdenken mit dem Ziel, den Schaden zugunsten der Verbraucher zurückzufordern, der dadurch ent steht, dass sich die Bundesrepublik seit Jahren weigert, an die Stelle eines ineffekti ven und ineffizienten Systems der gesetzlichen Krankenversicherung ein effektives und effizientes zu setzen. Eine Interpretation von Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG im Sinne der Burckhardtschen These würde also zu einer sehr weitreichenden Klagebefugnis der Verbraucherver BT-Drucks. 14/6040, S. 277. BGH NJW 2007, 593, 595 Rn. 29. 340 Ähnlich bereits im Vorfeld der Entscheidung des BGH Burckhardt, Auf dem Weg zu einer class action in Deutschland?, 2005, S. 131ff. 341 Markus Burckhardt, aaO, S. 108. 338
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bände führen, die auch zu einer erheblichen Stärkung der Patientensouveränität beitragen könnte. Bisher ist allerdings die Frage ungeklärt, ob die höchstrichterli che Rechtsprechung der Interpretation des Wortlauts und des Sinn und Zwecks von Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG im Sinne der Burckhardtschen Thesen zustimmen würde. Insoweit bedürfte es eines Musterprozesses z.B. einer Verbraucherzentrale in einer grundlegenden verbraucherpolitischen Frage, etwa am Beispiel überhöhter Arz neimittelpreise. In der Interpretation der Norm, wie sie vom BGH im Urteil vom 14.11.2006 zugrunde gelegt wurde, ist ihr Anwendungsbereich deutlich kleiner. Nur abgetretene Forderungen können danach von Verbraucherzentralen geltend ge macht werden. Auch damit lässt sich die Patientensouveränität stärken, allerdings in weit geringerem Maße, als dies der Fall wäre, wenn die Einziehung einer bloß fremden Forderung zulässig wäre. 6.3.2 Die Streitgenossenschaft Die Zivilprozessordnung (ZPO) kennt die einfache und die notwendige Streitge nossenschaft (§§ 59ff. ZPO). Die einfache Streitgenossenschaft ist bei demselben tatsächlichen oder rechtlichen Grund oder auch bei Gleichartigkeit der Ansprüche zulässig. Eine notwendige Streitgenossenschaft ist schwieriger zu begründen. Sie liegt in der Regel vor, wenn der Streitgegenstand identisch, also unteilbar ist.342 Die Streitgenossenschaft hat keine große praktische Bedeutung. Die Gerichte neigen dazu, gemeinsame Klagen – etwa von Anlegern – in Einzelklagen zu tren nen. Selbst bei der Zulässigkeit der Streitgenossenschaft muss jedoch jeder einzel ne Anleger individuell klagen. Das Instrument eignet sich auch deshalb wenig als Gruppenklage, weil der Kläger neben dem allgemeinen Gerichtsstand des Schuld ners häufig auch den Gerichtsstand aus unerlaubter Handlung (§ 32 ZPO) wählen kann. Es hängt dann vom Zufall ab, ob gleichartige Ansprüche mehrerer Geschädig ter bei demselben Gericht geltend gemacht werden. Für die grundsätzlich mögliche nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung (§ 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) bedarf es der Mitwirkung des Beklagten. Hinzu kommt, dass die Betroffenen in den meisten Fällen keine Kenntnis von einander haben. Dies aber ist Voraussetzung dafür, um sich gemeinsam zu organi sieren. Dies bedeutet nicht, dass die Streitgenossenschaft völlig untauglich ist, um die Interessen von Gruppen gemeinsam durchzusetzen. Die Ansprüche polnischer Zwangsarbeiter, die Ansprüche von Strahlenopfern und die Ansprüche aus priva ten Immobilienfinanzierungen sind unter Zuhilfenahme der Regelungen über die Streitgenossenschaft gebündelt worden.343 Dennoch bilden Verfahren dieser Art die Ausnahme – den kleinen diffusen Streuschaden erfassen sie jedenfalls nicht, denn bei dieser Art von Schäden ist das „rationale Desinteresse344“ an der Rechtsdurch setzung zu groß. Nachweise bei Burckhardt, aaO, S. 81/82. Eichholtz, Die US-amerikanische class action und ihre deutschen Funktionsäquivalente, 2001, S. 238f. m.w.N. 344 Burckhardt, aaO, S. 85. 342 343
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6.4 Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Am 01. November 2005 ist das bis zum 01. November 2010 befristete Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (KapMuG) in kraft ge treten.345 Musterverfahren sind bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen sowie bei vertraglichen Erfüllungsansprüchen in Bezug auf ein Angebot nach dem WpÜG möglich (§ 1 Abs. 1 KapMuG). Voraussetzung ist ein Musterfeststellungsantrag (§ 1 Abs. 1 KapMuG). Diesen Musterfeststellungsan trag macht das Prozessgericht öffentlich bekannt (§ 2 Abs. 1 KapMuG). Wenn in nerhalb von vier Monaten in mindestens neun weiteren Verfahren gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge gestellt werden, so wird die Sache dem übergeordneten Oberlandesgericht zum Musterentscheid vorgelegt (§ 4 Abs. 1 KapMuG). Gegen den Musterentscheid des OLG ist die Rechtsbeschwerde beim BGH zulässig (§ 15 KapMuG). Der Musterentscheid bindet die Prozessgerichte, deren Entscheidung von der im Musterverfahren getroffenen Feststellung oder Rechtsfrage abhängt. Der Beschluss ist der Rechtskraft insoweit fähig, als über den Streitgegenstand des Mus terverfahrens entschieden ist. Der Musterentscheid wirkt auch für und gegen die Beigeladenen, die dem Rechts beschwerdeverfahren nicht beigetreten sind (§ 16 Abs. 3 KapMuG). Nach rechts kräftigem Abschluss des Musterverfahrens werden die Rechtsstreite der Beigela denen unter Berücksichtigung des Musterentscheids zu Ende geführt (§ 16 Abs. 2 KapMuG). Zur Stärkung der Patientensouveränität eignet sich das KapMuG nicht. Der Anwendungsbereich ist auf Kapitalanleger begrenzt. Das Verfahren ist zudem um ständlich – der Musterentscheid ändert nichts daran, dass jede einzelne Klage ent schieden werden muss. Erfasst vom Musterentscheid sind nur diejenigen, die Klage erhoben haben. Eine Wirkung für die gesamte Klasse der gleichartig Betroffenen wird nicht erreicht. Insgesamt kann man sagen, dass sich das KapMuG jedenfalls zur Stärkung der Patientensouveränität im Bereich der gesetzlichen Krankenversi cherung nicht eignet.
6.5 Verbandslösungen Die Tatsache, dass durch ein Schadensereignis eine Vielzahl von Personen betrof fen sein kann, hat in den letzten Jahren zu der Frage geführt, ob es in Deutschland nicht ein Gesetz geben sollte, mit dessen Hilfe alle Verbands-, Muster-, Sammel BGBl. I, S. 2437; dazu Gundermann/Härle, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz – eine Momentaufnahme zum Jahresende 2006, VuR 2006, 457ff; Meier, Das neue KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz, DStR 2005, 1860; Schneider, Auf dem Weg zu Securities class ac tions in Deutschland? – Auswirkungen des KapMuG auf die Praxis kapitalmarktrechtlicher Streitigkeiten, BB 2005, 2249; Maier-Reimer/Wilsing, Das Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten, ZGR 2006, 79ff.
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und Gruppenklagen zusammengefasst und umfassend geregelt werden könnten.346 Daneben wird zu Recht auch darüber nachgedacht, ob es eines solchen Gesetzes überhaupt bedarf, ob nicht die bereits vorhandenen Instrumentarien genügen, um Interessenbündelung zur Durchführung von Prozessen zu realisieren. Denkbar sind zwei Wege: • Die Gründung einer Gesellschaft, um gemeinsame gleichartige Ansprüche vieler Betroffener im Wege der Sammelklage durchzusetzen oder • die Gründung eines Vereins mit dem Ziel, die Interessen der Vereinsmitglie der zu vertreten und dabei – soweit nötig – auch (Muster-)Prozesse im Inter esse der Vereinsmitglieder zu führen. Beide Modelle, einschließlich der ihnen immaneten Grenzen, die sich insbesondere aus dem Rechtsberatungsgesetz (zuk#ünftig Rechtsdienstleistungsgesetz) ergeben, werden hier vorgestellt. 6.5.1 Gesellschaftsrechtliche Lösungen Will man beispielsweise die Patientensouveränität durch die Gründung einer Ge sellschaft stärken, so geht es darum, diese Gesellschaft für einen ganz bestimmten Fall, der eine Vielzahl von Betroffenen gleichförmig betrifft, zu gründen. So ha ben es beispielsweise die Zementverarbeiter getan, die durch ein zwischen 1989 und 2002 bestehendes bundesweites Zementkartell einen Schaden von weit über 150 Mio. € erlitten haben. Sie haben in Belgien eine Aktiengesellschaft (Cartel Damages Claim: CDC) gegründet (eingetragen in das Handelsregister von Brüs sel seit dem 25.11.2002). Der Gesellschaftszweck dieser AG steht in der Durchset zung von Ansprüche gewerblicher Verbraucher (Zementverarbeiter) gegen Dritte (Zementkartell) aus der Verletzung nationalen und internationalen Kartellrechts. Die Zementverarbeiter haben ihre Forderungen gegen das Zementkartell im Wege einer Vollabtretung auf die AG zu einem festen Mindestpreis übertragen. Die AG bündelt die erworbenen Forderungen und bereitet die Grundlagen der An spruchsverfolgung auf. Bei hinreichenden Erfolgsaussichten macht die AG die For derungen im eigenen Namen gegen das Zementkartell geltend und treibt titulierte Forderungen ein. Sie reicht die realisierten Schadensersatzzahlungen teilweise als zusätzlichen variablen Kaufpreis an ihre Geschäftspartner weiter, wobei der variable Kaufpreisanteil in der Regel zwischen 75 % und 80 % der realisierten Forderungen liegt und insbesondere davon abhängt, ob und in welcher Höhe von den Vertrags partnern Kostenzuschüsse geleistet werden. Im Regelfall leisten die Vertragspartner der AG einen pauschalen Kostenzuschuss zur zweckgebundenen Verwendung im Rahmen der vertraglich von der AG übernommenen Aufgaben. Mit diesem Kosten zuschuss sind insbesondere die von der AG zu tragenden Rechtsanwaltskosten der ersten Instanz abgegolten. Hintergrund dieses Falles ist ein beim Bundeskartellamt abgeschlossenes Buß geldverfahren. Das Amt erließ gegen das Zementkartell im Jahre 2003 Bußgeld Dazu Koch, NJW 2006, 1469 unter dem Stichwort GesVMug.
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bescheide über insgesamt 660 Mio. €. Die AG verfolgt aus eigenem (abgetretenem) Recht nunmehr den Schaden, der durch die überhöhten Preise des Zementkartells entstanden ist. Den Einwand des Zementkartells, der AG fehle es an der Prozessfüh rungsbefugnis, denn sie mache im Ergebnis keine eigenen, sondern fremde Ansprü che geltend, hat das LG Düsseldorf mit Urteil vom 21.02.2007347 zurückgewiesen. Das Gericht verweist darauf, dass die AG keine fremden Rechte im eigenen Namen aufgrund einer Ermächtigung durch Rechteinhaber geltend macht, sondern eigene Rechte, die ihr aufgrund einer Vollabtretung der Forderungen der Zementverarbei ter selbst zustehen. Die AG sei nämlich durch Abtretung gem. § 398 BGB Inhaberin der Forderungen geworden, sodass sich die Frage der Prozessführungsbefugnis der AG nicht mehr stelle. Gegen die grundsätzliche Wirksamkeit der Abtretung ergäben sich keine Bedenken.348 Das OLG Düsseldorf hat am 14. Mai 2007 durch Zwischen urteil die Auffassung des LG Düsseldorf insbesondere zur Aktivlegitimation der AG bestätigt.349 Das Gericht hat zu der Frage, ob ein Genehmigungsvorbehalt des Rechtsbe ratungsgesetzes in Betracht komme, keine Stellung genommen. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass ein solcher Genehmigungsvorbehalt nach Art. 1 § 1 RBerG zunächst einmal die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschließ lich der Einziehung von Forderungen unter Erlaubnisvorbehalt voraussetzt. Eine Gesellschaft, die Ansprüche ihrer Gesellschaft gesammelt geltend macht, besorge damit zwar Rechtsangelegenheiten, allerdings seien dies nur dann fremde Rechtsan gelegenheiten, wenn sie sie stellvertretend für ihre Gesellschafter wahrnehme. Etwas anderes gelte dann, wenn die Gesellschaft kraft einer Vollabtretung eigene Rech te geltend mache. Hinzu komme, dass es regelmäßig an einer geschäftsmäßigen Rechtsbesorgung fehle, wenn sich die Gesellschaft auf die Wahrnehmung der Ge sellschafterinteressen aus einem einzigen ganz bestimmten Sachverhalt beschrän ke.350 Auch in dem seit 2004 vorliegenden Diskussionsentwurf eines Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) werde klarstellend als erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung nur die Einziehung fremder Forderungen beschrieben, wenn diese „in erheblichem Umfang als eigenständiges Geschäft betrieben wird“ (§ „ Abs. 2 RDG-E).351 Im Ergebnis heißt dies, dass es zulässig sein könnte, eine Gesellschaft zu dem Zweck der Rechtsverfolgung und Bündelung gleichgerichteter Interessen zu grün den. Dabei könnte die Gesellschaft ihren Zweck entweder dadurch verwirklichen, indem sie die Interessen ihrer Gesellschafter verfolgt, also fremde Interessen im eigenen Namen geltend macht. Wenn sie diesen Weg geht, so muss sie, wegen des Geschäftsbesorgungsvorbehaltes im Rechtsberatungsgesetz/Rechtsdienstleistungs gesetz sich auf die Geltendmachung der Rechte im jeweiligen Einzelfall beschrän ken. BB 2007, 847. Urteil LG Düsseldorf, aaO, Rn. 77. 349 OLG Düsseldorf vom 14.05.2007, VI-U (Kart) 14/07. 350 Zu den Wandlungen und Grenzen des Begriffs der Geschäftsmäßigkeit BVerfG NJW 2004, 2662-2663; 2006, 1502-1503; vertiefend Koch, Sammelklagen durch eine BGB-Gesellschaft, NJW 2006, 1469, 1471. 351 Koch, NJW 2006, 1469, 1472 m.w.N. 347 348
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Demgegenüber könnte die Gesellschaft zur Besorgung und Bündelung fremder Rechtsangelegenheiten aber auch gegründet werden, um auf Dauer wiederkehrend tätig zu werden, und zwar immer dann, wenn dies erforderlich erscheint. In einem solchen Fall müsste sich die Gesellschaft allerdings die Ansprüche der Gesellschafter in vollem Umfang übertragen lassen, sodass sie, die Gesellschaft, Inhaberin der An sprüche wird. Sie verfolgt dann die nur noch wirtschaftlich gebündelten Ansprüche im eigenen Interesse und im eigenen Namen. Auf diesen beiden Wegen könnte es gelingen, die Patientensouveränität erheb lich zu stärken. Es könnte dabei zu Kombinationslösungen kommen – etwa, indem man einen Verein gründet, um die Stärkung der Patientensouveränität generell zu fördern, um dann im jeweiligen Einzelfall über den Verein Gesellschaften zu grün den, die die Wahrnehmung der Patientenrechte, etwa bei überhöhten Arzneimittel-, Arzt- oder Krankenhauskosten wahrnehmen würden. Ob man denjenigen, die an der Stärkung der Patientensouveränität interessiert sind, die Gründung einer Gesell schaft – wie im Falle des Zementkartells – uneingeschränkt empfehlen darf, kann im Augenblick nicht endgültig beantwortet werden. Die Gerichte in Düsseldorf haben bisher nur darüber zu entscheiden gehabt, ob die zur Durchsetzung der Ansprüche gegen das Zementkartell gegründete Gesellschaft prozessführungsbefugt ist. Beide Gerichte haben diese Frage in einem Vorabverfahren bejaht, ohne zu der grundle genden und eigentlich entscheidenden Frage Stellung zu nehmen, ob die prozess führungsbefugte AG auch materiell Inhaberin der auf sie übertragenen Ansprüche der vom Zementkartell Geschädigten geworden ist. Diese völlig andere Frage ist erst im Hauptsacheverfahren zu entscheiden. Für sie kommt es darauf an, ob die Gerichte die Übertragung der Schadensersatzforderungen auf die AG für wirksam erachten oder ob sie darin womöglich eine Umgehung des Rechtsberatungsgesetzes sehen. Für eine solche Umgehung könnte beispielsweise sprechen, dass die AG die auf sie übertragenen Forderungen nur zu einem kleinen Teil erworben hat, während sie – jedenfalls wirtschaftlich – verpflichtet bleibt, einen sehr großen Teil des Scha densersatzes an die abtretenden Unternehmen zurückzureichen, wenn denn die Schadensersatzklage erfolgreich sein sollte. Daraus könnte man auf eine Umgehung des RBerG schließen und dies wiederum könnte die Abtretung an die belgische AG nach § 134 BGB unwirksam machen. Dies alles sind im Augenblick offene Fragen, die erst noch geklärt werden müssten, bevor man einer Patientenorganisation wo möglich empfehlen würde, eine Gesellschaft im Sinne der Zement-AG zu gründen und diese mit der Eintreibung der gebündelten Forderungen vieler Tausender oder gar Millionen von Patienten zu betrauen. Ob die Rechtsprechung es darüber hinaus akzeptieren würde, dass diese Gesellschaft nicht nur in einem einzelnen Fall, son dern dauerhaft und wiederkehrend Interessen von Patienten bündeln und klagewei se geltend machen würde, ist eine weitere bisher völlig ungeklärte Frage. Möglicherweise ergeben sich aber auch neue Lösungsmöglichkeiten aus dem Rechtsdienstleistungsgesetz vom 12.12.2007352, das im Sommer 2008 in Kraft tre ten soll. Im Rechtsdienstleistungsgesetz (§ 2 Abs. 2) ist die Inkassodienstleistung als Rechtsdienstleistung definiert. Es handelt sich um die Einziehung auf fremde BGBl. I S. 2840 – das Gesetz soll im Sommer 2008 in Kraft treten.
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Rechnung abgetretener Forderungen. Inkassodienstleistungen dürfen von natürli chen oder juristischen Personen aufgrund besonderer Sachkunde erbracht werden, wenn sie registriert sind (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG). Daraus folgt zunächst einmal, dass die Stärkung der Patientensouveränität durch Inkassogesellschaften dann zulässig ist, wenn diese Inkassogesellschaft registriert ist und die Forderungen zugunsten der Patienten einzieht. Anders sehen die Dinge aus, wenn ein endgültiger Forderungserwerb stattfin det, d.h. wenn das Risiko des Forderungsausfalls auf den Forderungserwerber er folgt. Nach der allgemeinen Begründung zum RDG (II 6 b)353 sind diese Geschäfte aus dem Anwendungsbereich des RDG vollständig herausgenommen. Verwiesen wird insoweit auf den Rechtszustand, der schon für das Rechtsberatungsgesetz galt und insbesondere auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.07.2003354. Damit fallen von vornherein alle Finanzgeschäfte im Rahmen des (echten) Factoring nicht in den Anwendungsbereich des RDG. Das Gleiche gilt für die ärztlichen und die anwaltlichen Verrechnungsstellen (§ 49b Abs. 4 BRAO), so weit sie Forderungen ankaufen, sowie der Ankauf von Kreditportofolios, insbeson dere im Rahmen notleidender Kredite (non-performing-loans).355 Die entscheidende Frage wird also immer sein, ob die abgetretene Forderung auf eigene oder auf fremde Rechnung eingezogen wird. Maßgebliches Kriterium wird die Frage sein, ob der Erwerber das Bonitätsrisiko des Schuldners übernimmt. Klau seln, die für den Fall des Ausfalls des Schuldners eine Rückabwicklung des Kaufver trages vorsehen oder eine Garantie für die Beitreibbarkeit der übertragenen Forde rung enthalten, deuten auf eine verdeckte Abtretung zu Einziehungszwecken hin.356 Verträge, die in Wirklichkeit die Abtretung zu Einziehungszwecken zum Gegen stand haben, bedürfen der Erlaubnis und der Registrierung, es sei denn, der Erwer ber ist Rechtsanwalt oder Rechtsbeistand (§ 10 Abs. 1 RDG). Fehlt die Erlaubnis, so ist der Vertrag nach § 134 BGB nichtig. Aus der Perspektive der Patienten wird man in Zukunft also über zwei Alternativen nachdenken können: Entweder, die Patien ten treten ihre Forderungen an einen Dritten (z.B. einen Verein zur Stärkung der Patientensouveränität) ab. Wenn und soweit der Verein dabei das Bonitätsrisiko des Schuldners (Krankenhäuser/Ärzte/Pharmaunternehmen/Krankenkassen) über nimmt, liegt keine Rechtsdienstleistung vor – ein solches Geschäft bedarf keiner Erlaubnis. Es darf auch keine nachträgliche Rückabwicklung des Forderungskauf vertrages stattfinden. Ob es zulässig ist, mit den Abtretenden eine Erfolgsbeteili gung zu vereinbaren (Quota litis) ist bisher nicht geklärt. Bei einem sehr niedrigen (quasi gegen null gehenden) Kaufpreis für die Forderung und einer sehr hohen Er folgsbeteiligung wird dies allerdings auf eine verdeckte Abtretung zu Einziehungs zwecken deuten. Unproblematischer könnte es sein, für die Geltendmachung eines Massenschadens jeweils eine Gesellschaft zu gründen und den Abtretenden als Mit gesellschaftern eine Quote am Erlös zuzuweisen. Wäre die Massenklage endgültig Abgedruckt bei Franz, Das neue Rechtsdienstleistungsgesetz, S. 62ff. NJW 2003, 2767 Forderungskauf. 355 Vgl. Franz, aaO, S. 85. 356 Franz, aaO, S. 85; BGH NJW-RR 2001, 1420, 1421 Abgrenzung Forderungskauf – Inkasso zession. 353 354
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abgewickelt, würde die Gesellschaft aufgelöst und der Erlös anteilig an die Mitgesell schafter (Patienten) ausgekehrt werden. Alternativ könnte sich eine Vereinigung zur Stärkung der Patientensouveränität um eine Registrierung nach § 10 Abs. 1 RDG bemühen. Eine solche Registrierung müsste ohne Probleme erreichbar sein. Auf diese Weise wäre die Durchsetzung ge bündelter massenhafter Ansprüche jederzeit und ohne Konflikt mit dem RDG zu lässig und wirksam. 6.5.2 Vereinslösungen In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Vereinen, die sich die Wahrung der Inter essen ihrer Mitglieder aus ganz unterschiedlichen Motiven auf die Fahne geschrie ben haben. Für die hier vorliegende Untersuchung wurde im Frühsommer 2008 eine Recherche nach Vereinen durchgeführt, bei denen es auf der Grundlage der satzungsmäßigen Zwecke und Ziele zumindest nicht ausgeschlossen erschien, dass diese Vereinigungen möglicherweise in der Vergangenheit bereits versucht hatten, Prozesse zugunsten ihrer Mitglieder zu führen und womöglich sogar Prozesse zu gunsten ihrer Mitglieder zu bündeln. Im Rahmen der Recherche kristallisierten sich folgende Vereinigungen heraus, von denen jedenfalls nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sie im Sinne eines Prozessstandschafters bereits in der Vergangenheit für ihre Mitglieder tätig gewesen sein könnten. ––Bund der Energieverbraucher e.V. (BDE) ––Bundesverband der Meisterinnen und Meister der Hauswirtschaft e.V. (MdH) ––Deutsche Volksgesundheitsbewegung e.V. (DVB) ––Deutscher Caritasverband e.V. ––Deutscher Familienverband e.V. (DFV) ––Deutscher Frauenring e.V. (DFR) ––Deutscher Mieterbund e.V. (DMB) ––Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ––Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands e.V. (KAB) ––PRO BAHN e.V. ––Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. (SdK) ––Verband Wohneigentum e.V. (ehemals Deutscher Siedlerbund) ––Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD) ––Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V. ––Foodwatch e.V. ––Bund der Steuerzahler Deutschland e. V. ––Bund der Versicherten e.V. ––Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. ––Aktion fair spielt ––BUND ––Greenpeace e.V. ––Transparency International Deutschland e.V. ––DRK Generalsekretariat
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––Human Rights Watch ––Der Paritätische Gesamtverband ––IG BCE – Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie ––IG Bauen-Agrar-Umwelt ––IG Metall Vorstand ––ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ––Aktion Mensch ––Bundesärztekammer Den vorstehenden Vereinigungen wurden im Mai 2008 folgende Fragen gestellt: 1. Nehmen Sie rechtliche Interessen Ihrer Mitglieder auch durch die Führung von Prozessen (z.B. Musterprozesse) wahr? nie ja Wie oft im Jahr?: die Satzung (welche Norm?: ) Beschluss der Mitgliederversammlung (generell oder im Einzelfall?: _____________________________________ ) Entscheidung des Vorstandes (generell oder im Einzelfall?: _____________________________________ ) 2. Wie viele Prozesse sind insgesamt von Ihnen geführt worden? _ _______________________________________________________________ 3. Stützen Sie die Interessenwahrnehmung auf anders (wenn ja: _______________________________________________ ) 4. Haben sie schon Gruppenklagen/Sammelklagen für ihre Mitglieder praktiziert? nein wenn ja, wie groß war die Gruppe? 5-10 10-30 31-50 51-100 101-1000 mehr als 1000 5. Über welche Konstruktion haben Sie dies realisiert? Forderungsabtretungen auf den Verband direkt Forderungsabtretung auf eine eigens für diesen Fall gegründete Gesellschaft bloße finanzielle Unterstützung von Einzelprozessen andere Konstruktion. Welche (bitte erläutern)?: ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________
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6. Wie viele dieser Klagen waren erfolgreich? alle keine teilweise erfolgreich wenn teilweise: wie viele erfolgreich?: ______________________________________________ nicht erfolgreich: __________________________________________________ wie viele Vergleiche?: _______________________________________________ 7. Haben die Gerichte in den nicht erfolgreichen Fällen Ihre Prozessführungsbe fugnis gerügt? ja nein Klage scheiterte an anderen Gründen. Welche?: _______________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ 8. Hat die fortwährende Wahrnehmung rechtlicher Interessen Ihrer Einschätzung nach zu einer Verbesserung des Marktumfeldes Ihrer Mitglieder geführt? (eher) nicht leichte positive Effekte für unsere Mitglieder nachhaltige positive Effekte für unsere Mitglieder positive Effekte nicht nur für Mitglieder, sondern auch für Verbraucher im Allgemeinen Die Reaktion auf diese Befragung war eher verhalten. Bis Juli 2008 haben sich ins gesamt 16 Vereinigungen zurückgemeldet. Dabei haben sieben der Vereinigungen angegeben, den Fragebogen nicht beantworten zu können, weil sie in der Vergan genheit weder Prozesse für die Mitglieder geführt, noch womöglich gebündelt hat ten. Andere Vereinigungen haben sich trotz Nachfrage nicht bereit erklärt, den Fra gebogen zu beantworten, wobei die Gründe dafür offen geblieben sind. Geantwortet haben die Industriegewerkschaft Metall, der ADAC, der Deutsche Caritasverband, der Bundesverband ProBahn e.V., der Verband Wohneigentum, der Verkehrsclub Deutschland e.V., der Bund der Steuerzahler, Aktion Mensch, ver.di, Zentralverband Deutscher Konsumgenossenschaften, Der Paritätische Gesamtverband, Human Rights Watch, Aktion fair spielt, Bund der Versicherten, BUND, Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger und Foodwatch. Die Vereinigungen, die auf der Grundlage des obigen Fragenkataloges geantwor tet und reagiert haben, werden nunmehr kurz vorgestellt. In der Vorstellung wird die Antwort, die die Vereinigungen auf die obigen Fragen gegeben haben, eingear beitet, sodass ein Eindruck darüber entsteht, aus welchen Gründen es bis heute kei ne nennenswerten Musterprozesse und schon gar keine Gruppenklagen zugunsten von Vereinsmitgliedern in Deutschland gibt.
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6.5.2.1 Industriegewerkschaft Metall Die Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) gehört mit ihren derzeit 2,3 Mio Mit gliedern zu den einflussreichsten Gewerkschaften im Bundesgebiet. Sie ging aus dem bereits 1891 gegründeten Deutschen Metallarbeiter-Verband hervor. Aus his torischen Gründen besteht die IG Metall auch heute noch in der Rechtsform des nicht rechtsfähigen Vereins. Die IG Metall ist bundesweit in 7 Bezirken mit 172 Verwaltungsstellen organi siert. Sie finanziert sich hauptsächlich aus Mitgliederbeiträgen. So habe die IG Metall 2006 Einnahmen in der Größenordnung von 424 Millionen Euro erzielen können, so der Hauptkassierer Bertin Eichler in seinem mündlichen Rechenschaftsbericht am 05.11.2007 beim Ordentlicher Gewerkschaftstag in Leipzig.357 Nach dessen Ein schätzung sei die IG Metall auch 2007 finanziell stark positioniert.358 Demgemäß ist die Gewerkschaft auch im Stande, das Prozesskostenrisiko von Gruppen- und Sammelklagen mittleren bis großen Ausmaßes zu übernehmen. Dies müsste aber auch eine satzungsmäßige Grundlage finden. Die IG Metall setzt sich in ihrer Satzung359 den Zweck, die „[...] wirtschaftlichen, sozialen, beruflichen [...] Interessen der Mitglieder zu fördern“.360 Dies soll insbesondere durch die „Er teilung von Rechtsauskünften, soweit gesetzlich zulässig, auf Gebieten der Arbeits-, Sozial-, Verwaltungs-, und Finanzgerichtsbarkeit;“361 erreicht werden. Gem. § 27 der Satzung kann „Rechtsschutz dem Mitglied [...] gewährt werden bei Streitigkei ten [...] soweit ein Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis besteht.“ Diese Er mächtigung bezieht sich auf jede Art von Rechtsschutz, ermöglicht damit folglich auch zur Gruppen- oder Sammelklage. Die IG Metall hat aber in ihrer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass sie bis her keine systematischen Sammelklagen für ihre Mitglieder geführt hat. Bisweilen wurden Einzelprozesse realisiert, wobei im Vorfeld regelmäßig auf eine Musterkla genvereinbarung zwischen den Streitparteien hingewirkt wurde.362 Häufig scheiterte dies jedoch am erforderlichen Einverständnis der Gegenseite. Dann mussten wegen der in den Tarifverträgen vorgesehenen (oft doppelten) Ausschlussfristen Einzel prozesse geführt werden. Die dazu erforderliche Prozessführungsbefugnis ist für den Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit in § 11 Abs. 1 ArbGG ausdrücklich geregelt. Außerhalb der Arbeitsgerichtsbarkeit ist die IG Metall für die prozessuale Durch setzung von Unterlassungs- und Wettbewerbsklagen nicht klagebefugt, da sie keine qualifizierte Einrichtung i.S.d. §§ 3, 4 UKlaG ist.363 Die IG Metall sieht allerdings kein Bedürfnis für eine Erweiterung ihrer Klage befugnisse zugunsten ihrer Mitglieder. Sie ist heute schon klagebefugt in den Fällen, Pressemitteilung vom 05.11.2007 (Nr.54/2007); abgerufen am 18.06.2008 unter http://www. igmetall.de/. 358 Pressemitteilung aaO. 359 Satzung der IG Metall; abgerufen am 18.06.08 unter http://www.igmetall.de/. 360 § 2 Abs. 1 Satz 1 der Satzung aaO. 361 § 2 Abs. 3 Nr. 10 der Satzung aaO. 362 Antwort der IG Metall auf eine Nachfrage des Autors vom 05. Juni 2008. 363 BAnz Nr. 2 2008 vom 04. Januar 2008; Abrufbar auch unter: http://www.bmj.de; Die Liste wird zum 01. Januar jeden Jahres im Bundesanzeiger veröffentlicht. 357
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die „im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis“ stehen. Das genügt der IG Me tall, jedenfalls aus der Perspektive der Klagebefugnis. Hiervon abgesehen weist die IG Metall darauf hin, dass sie nach dem deutschen Recht nicht befugt ist, Gruppenund Sammelklagen zugunsten ihrer Mitglieder durchzuführen. Es bleibt offen, ob die IG Metall hierin eine rechtliche Lücke im System erkennt, oder ob sie mit diesem Manko leben will und kann. 6.5.2.2 Allgemeiner Deutscher Automobil-Club (ADAC) Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club wurde am 24.05.1903 als „Deutsche Mo torradfahrer-Vereinigung“ gegründet und im Jahr 1911 in den „Allgemeinen Deut schen Automobil-Club“ (ADAC) umgewandelt. Auch heute noch ist der Verband als e.V. organisiert. Der ADAC gliedert sich in einen Dachverband (ADAC e.V.) und achtzehn Regionalclubs, sowie in vierzehn Tochterunternehmen364. Der Gesamtumsatz des Verbandes betrug 2007 ca. 1,6 Mrd. €, der ADAC e.V. selbst eine Mitgliederzahl von ca. 16 Mio., sowie ein Eigenkapital i.H.v. 713 Mio. €365 und erfüllt damit bestens die Voraussetzungen, um das finanzielle Rechtsverfol gungsrisiko einzelner Mitglieder zu übernehmen. Die Satzung366 des ADAC e.V. enthält für die Wahrnehmung auch rechtlicher Interessen der Mitglieder keine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage. Jedoch ist in der Satzung unter § 2 Abs. 1 Satz. 3 vermerkt, dass der ADAC „[...] insbeson dere deren Interessen als Verbraucher wahrnimmt.“ Dies schließt zumindest dem Wortlaut nach die Wahrnehmung spezifisch rechtlicher Belange nicht aus, impli ziert diese sogar teleologisch: In Fällen, in denen eine qualitative Schlechterstellung des ADAC-Mitgliedes als Verbraucher von dritter Seite aus erfolgt, ist eine effektive Förderung des Vereinszwecks oft nur noch durch eine Unterstützung auch in recht lichen Belangen zu gewährleisten. Zudem verschreibt sich der ADAC in § 2 Abs. 3 Satz 2 seiner Satzung ausdrücklich „der Aufklärung, Beratung und insbesondere deren [der Mitglieder] Schutz als Verbraucher“. Damit wird sowohl der präventive Schutz (hauptsächlich politische Arbeit) als auch der repressive Schutz (z.B. nach einem schädigenden Ereignis) gemeint sein. Um auch im repressiven Bereich einen effektiven Schutz zu erreichen, wird man jedoch auch hier entsprechend der obigen Ausführungen die Wahrnehmung rechtlicher Belange als umfasst gewollt anneh men müssen. Demgemäß ist der ADAC e.V. auch eine qualifizierte Einrichtung i.S.d. §§ 3, 4 UKlaG und damit klagebefugt für die prozessuale Durchsetzung von Unterlas
ADAC Autovermietung GmbH; ADAC Autoversicherung AG; ADAC Beteiligungs- und Wirtschaftsdienst GmbH; ADAC Finanzdienste GmbH; ADAC Luftrettung GmbH; ADAC Rechtsschutz Versicherungs-AG; ADAC-Schutzbrief Versicherungs-AG; ADAC Service GmbH; ADAC Touring GmbH ; Aero-Dienst GmbH & Co. KG; ADAC Luftfahrt Technik GmbH; ADAC TruckService GmbH & Co KG; ADAC Verlag GmbH; ADAC Stiftung Sport. 365 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/ADAC. 366 Abruf von der Internetseite: http://www.adac.de/images/Satzung%202006_tcm8-30459.pdf (Abruf am 02.06.08). 364
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sungs- und Wettbewerbsklagen.367 Mit der satzungsmäßigen Ermächtigung ist der Verband wohl auch gem. Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG klagebefugt. Dies wird derzeit vom Verein auch genutzt. So vertritt der ADAC durch Führung von Prozessen jährlich in 5-10 Fällen368 die rechtlichen Interessen seiner Mitglieder, insgesamt bereits ca. 100 Prozesse. Dies waren jedoch ausschließlich Musterpro zesse, Gruppen- oder Sammelklagen wurden vom ADAC bisher noch nicht durch geführt. Insgesamt sieht der Verein durch die bisherige Wahrnehmung der rechtli chen Mitgliederinteressen eine positive Veränderung des Marktumfeldes auch über den Kreis der eigenen Mitglieder des ADAC hinaus. 6.5.2.3 Deutscher Caritasverband Der Deutsche Caritasverband wurde unter dem Namen „Charitasverband für das katholische Deutschland“ am 9. November 1897 gegründet und am 31. August 1903 ins Vereinsregister des Amtsgerichtes Freiburg i. Br. eingetragen. Er trägt heute den Namen „Deutscher Caritasverband e. V.“ und ist die von den deutschen Bischöfen anerkannte institutionelle Zusammenfassung und Vertretung der katholischen Ca ritas in Deutschland.369 Der Deutsche Caritasverband e.V. betreibt bundesweit ca. 25.000 soziale Ein richtungen mit ca. 520.200 Mitarbeitern.370 Die von der deutschen Caritas erbrach ten sozialen Dienste werden hinsichtlich der Sach- und Personalkosten zu einem Teil aus öffentlichen Mitteln finanziert. Daneben finanziert sich die Caritas auch aus Spenden. Schätzungen zum Spendenaufkommen schwanken zwischen 2 und 4 Milliarden jährlich. Genaue Zahlen hinsichtlich des Umsatzes existieren nicht, was wohl auf die organisatorische Eigenständigkeit der einzelnen Einrichtungen zurück zu führen ist. Dennoch dürfte eine Vermutung dafür sprechen, dass die Caritas das Prozesskostenrisiko auch von Gruppen- oder Verbandsklagen durchaus zu schul tern im Stande ist. Indes müsste dies auch von der satzungsmäßigen Zwecksetzung gedeckt sein. Eine ausdrückliche Ermächtigung existiert nicht. Diese könnte sich aber durch Aus legung ermitteln. Dagegen spricht zwar, dass es dem Deutschen Caritasverband vor wiegend darum geht, den Menschen in seiner Würde zu schützen371, jedoch umfasst dies ausdrücklich auch den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit372, sodass auch die juristische Dimension eröffnet ist. Zudem „hilft er Menschen in Not und unterstützt sie insbesondere unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit auf ihrem Weg zu mehr Chancengerechtigkeit und ei BAnz 2/2008 vom 04. Januar 2008; Abrufbar auch unter: http://www.bmj.de; Die Liste wird zum 01. Januar jeden Jahres im Bundesanzeiger veröffentlicht. 368 Quelle: Antwort des ADAC auf eine Umfrage des Autors über die Durchsetzung rechtlicher Interessen für die Mitglieder; Antwort vom 13. Juni 2008. 369 Satzung des Deutschen Caritasverbandes; abgerufen am 09.06.08 unter http://www.caritas.de 370 Quelle: Einrichtungsstatistik der Caritas (Stand: 31.12.2006); abgerufen am 09.06.08 unter http://www.caritas.de. 371 § 6 Abs. 1 Satz 2 der Satzung. 372 Satzung aaO. 367
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nem selbstständigen und verantwortlichen Leben“.373 Dies schließt zumindest dem Wortlaut nach die Wahrnehmung spezifisch rechtlicher Belange nicht aus, impli ziert diese sogar teleologisch, um das Ziel der Chancengerechtigkeit zu erreichen. Diese Interpretation wird dadurch bestätigt, dass sich der Deutsche Caritasverband ausdrücklich als „Anwalt und Partner Benachteiligter“374 versteht. Indes wurden die von der Satzung eingeräumten Befugnisse vom Deutschen Ca ritasverband e.V. noch nicht erschöpfend genutzt. Auf eine entsprechende Anfra ge, ob und in welchem Maße Sammel- und Gruppenklagen bereits durchgeführt wurden, antwortete man, dass die Notwendigkeit dafür sich bei der derzeitigen Verbandstätigkeit noch nicht gestellt habe. Auch für die Zukunft sehe man keine Notwendigkeit zur Durchführung solcher Verfahren. Der Deutsche Caritasverband e.V. ist in der Tat keine qualifizierte Einrichtung i.S.d. §§ 3, 4 UKlaG und damit nicht klagebefugt für die prozessuale Durchsetzung von Unterlassungs- und Wett bewerbsklagen.375 Würde man zukünftig die Notwendigkeit für die Besorgung von Rechtsangelegenheiten sehen, wäre wohl der Verband gem. Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG für die prozessuale Durchsetzung klagebefugt. 6.5.2.4 Bundesverband PRO BAHN e.V. Der bundesweit tätige Fahrgastverband PRO BAHN e.V. arbeitet unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Interessen. Er wurde 1981 in Köln als eingetrage ner Verein gegründet und ist heute als Bundesverband mit zwölf Landesverbänden organisiert und als gemeinnützig anerkannt. Zurzeit (2008) hat Pro Bahn e.V. bun desweit ca. 5.000 Mitglieder.376 Da es keine fest angestellten Mitarbeiter gibt, ist man auf ein ehrenamtliches Engagement der Mitglieder angewiesen. PRO BAHN finanziert sich vornehmlich aus Mitgliederbeiträgen und Spen den. Demgemäß nimmt der Verband eigenen Angaben zufolge377 bisher auch nicht rechtliche Interessen für seine Mitglieder oder Fahrgäste im Allgemeinen wahr, erst recht nicht in Form von Sammel- und Gruppenklagen. In der Satzung selbst fin det sich dazu auch keine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage. Diese ergibt sich auch nicht aus einer Auslegung der Vereinszwecksetzung: Denn diese besteht in der „Verbraucherberatung“378 und „Förderung der Volksbildung“379. Dies umfasst jeden falls nicht die prozessuale Unterstützung einzelner Mitglieder. Zwar tritt der Verein auch für „die Interessen der Allgemeinheit an Bestand und Entwicklung eines funktionsfähigen und für jedermann attraktiven öffentlichen § 6 Abs. 2 Nr. 1 der Satzung. § 6 Abs. 2 Nr. 2 der Satzung. 375 BAnz. Nr. 2 2008 vom 04. Januar 2008; Abrufbar auch unter: http://www.bmj.de; Die Liste wird zum 01. Januar jeden Jahres im Bundesanzeiger veröffentlicht. 376 Quelle: Webseite des Bundesverbandes PRO BAHN e.V (http://www.pro-bahn.de/adressen/ sub_index.php?ziel=beiform.htm) Abruf am 09.06.08. 377 Antwort auf eine Anfrage des Autors vom 02.06.08. 378 §2 Abs. 1 Nr. 1 der Satzung vom 27. April 2002; Abgerufen am 09.06.08 von http://www.probahn.de/adressen/satzung.pdf. 379 §2 Abs. 1 Nr. 2 der Satzung. 373 374
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Verkehrs“380 ein. Für sich genommen ließe sich hier eine Ermächtigungsgrundlage zur Prozessführung oder -unterstützung zumindest für diejenigen Fälle ableiten, in denen ein die Gesamtheit der Fahrgäste betreffender Missstand besteht. Indes ist dies jedoch ausdrücklich auf die Durchsetzung der Zwecke der Verbraucherbera tung und Förderung der Volksbildung bezogen. Dadurch wird eine satzungsmä ßige Ermächtigung zur Wahrnehmung rechtlicher Interessen der Mitglieder oder Fahrgäste im Allgemeinen teleologisch ausgeschlossen und ist damit obsolet. Sollte der Bundesverband PRO BAHN e.V. dies zukünftig dennoch anstreben, ist eine Sat zungsänderung erforderlich. Eine Besonderheit ergibt sich für den Landesverband PRO BAHN Oberbayern, der eine qualifizierte Einrichtung i.S.d. §§ 3, 4 UKlaG und damit klagebefugt für die prozessuale Durchsetzung von Unterlassungs- und Wettbewerbsklagen ist.381 Zu dem wäre wohl auch der Bundesverband gem. Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG für die Durch setzung klagebefugt, sofern die Satzung dies zukünftig zuließe. 6.5.2.5 Verband Wohneigentum Der Verband Wohneigentum e.V. wurde am 10. Mai 1919 als „Freie Arbeitergemein schaft für Kriegersiedlung e.V. Sitz Dresden“gegründet und hatte von 1933 bis 2005 den Namen „Deutscher Siedlerbund e.V. – Gesamtverband für Haus- und Wohn eigentum“. Der Verband ist ein Interessenverband zur Förderung des Baus und Er werbs von selbst genutztem Wohneigentum. Mit 18 Landes- und Regionalverbänden sind ca. 370.000 Mitgliederfamilien382 im Verband organisiert. Der Verein bietet seinen Mitgliedern unterschiedliche Leis tungen, zu denen auch Versicherungsschutz gehört. Damit spricht auch eine Ver mutung dafür, dass der Verband das Prozesskostenrisiko einzelner Sammel- oder Verbandsklagen schultern kann. Indes müsste die (prozessuale) Unterstützung der Mitglieder in Rechtsangele genheiten auch von der Satzung gedeckt sein. Eine ausdrückliche Ermächtigung existiert nicht, könnte sich aber durch Auslegung ergeben. Die Satzung383 sieht in § 2 Nr. 1 Satz 1 vor, dass der Verband „[...] Verbraucherinteressen von selbst nutzen den Wohneigentümern, privaten Bauherren und an Wohnimmobilien interessierten Käufern [...]“ wahrnimmt. Zudem „[...] informiert und berät [...]“ der Verband in seiner verbraucherschützenden Funktion gem. § 2 Nr. 1 Satz 4 der Satzung unab hängig und marktneutral. Insbesondere die „beratende Dimension“ indiziert dabei auch eine rechtliche Beratung. Diese Interpretation wird dadurch unterstützt, dass in § 2 Nr. 2 b) die „Förde rung [...] zugunsten der Verbraucher bezüglich des Erwerbs und Erhalts von selbst genutztem Wohneigentum“ als Regelbeispiel der Vereinstätigkeit genannt wird. Ins §2 Abs. 2 Satz 1 der Satzung. BAnz Nr. 2 2008 vom 04. Januar 2008; Abrufbar auch unter: http://www.bmj.de; Die Liste wird zum 01. Januar jeden Jahres im Bundesanzeiger veröffentlicht. 382 Quelle: http://www.verband-wohneigentum.de/bv/on690; Abruf am 12.06.2008. 383 Satzung abrufbar unter: http://www.verband-wohneigentum.de/bv/on9665 (Abruf am 12.06.2008). 380 381
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besondere der Erwerb ist zwangsläufig mit rechtlichen Fragestellungen verbunden, bei denen der Verband – will er denn die selbst gesetzten Zwecke erreichen – auch rechtliche Beraten muss. Auch eigenen Angaben zufolge bietet der Verein seinen Mitgliedern „Hilfe in Rechtsfragen rund um Haus und Garten“.384 Bisher wurden die von der Satzung eingeräumten Befugnisse vom Verband Wohneigentum e.V. noch nicht erschöpfend genutzt. Auf eine entsprechende Anfra ge, ob und in welchem Maße Sammel- und Gruppenklagen bereits praktiziert wur den oder in Vorbereitung sind, antwortete man, dass man „[...] als Dachverband in der Regel weder Sammel- noch Gruppenklagen“ durchführe. Eine solche Tätigkeit einzelner Landes- oder Regionalverbände sei derzeit nicht bekannt. Demgemäß ist der Verband Wohneigentum e.V. keine qualifizierte Einrichtung i.S.d. §§ 3, 4 UKlaG und damit nicht klagebefugt für die prozessuale Durchsetzung von Unterlassungsund Wettbewerbsklagen.385 Würde man zukünftig die Notwendigkeit für die Besor gung von Rechtsangelegenheiten sehen, wäre wohl der Verband gem. Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG für die prozessuale Durchsetzung klagebefugt. 6.5.2.6 Verkehrsclub Deutschland e.V. Der Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD) sieht sich selbst als eine gemeinnützi ge und ökologische Alternative zum ADAC. Er wird von Mitgliedern einiger Um weltverbände und -initiativen sowie der Grünen im Juli 1986 ins Leben gerufen. Der Verein hat föderale Strukturen. Mit seinen zwölf Landesverbänden und rund hundertsechzig Kreisverbänden und Ortsgruppen ist der VCD regional und lokal präsent. Der Verkehrsclub Deutschland ist ein gemeinnütziger Verein, der sich zum größ ten Teil aus Mitgliedsbeiträgen finanziert. So brachten die 63.000386 Mitglieder dem Verband 2006 über die Hälfte des Gesamtertrages von 3.2 Mio EUR387 ein. Zudem erwirtschaftete der Verband 2006 einen Überschuss i.H.v. 104.000 EUR. Daraus lässt sich der Rückschluss ziehen, dass der Verband zumindest das Prozesskostenrisiko von Sammelklagen kleiner und mittlerer Volumina zu übernehmen im Stande ist. Indes müsste die prozessuale Unterstützung der Mitglieder in Rechtsangelegen heiten auch von der Satzung388 gedeckt sein. Eine ausdrückliche Ermächtigung exis tiert nicht, könnte sich allenfalls durch Auslegung ergeben. Der Wortlaut der der zeitigen Fassung389 der Satzung ist einer prozessführungsgünstigen Auslegung nicht zugänglich: Einzig mögliche Grundlage dafür wäre § 2 Abs. 3 Nr. 3 der Satzung, wonach der Vereinszweck („Interessenvertretung von [...] Autofahrer/innen [...]“390) Quelle: http://www.verband-wohneigentum.de/bv/on693 (Abruf am 12.06.2008). BAnz 2/2008 vom 04. Januar 2008; Abrufbar auch unter: http://www.bmj.de; Die Liste wird zum 01. Januar jeden Jahres im Bundesanzeiger veröffentlicht. 386 Geschäftsbericht 2006 S. 33; Quelle: http://www.vcd.org/jahresbericht.html (Abruf am 12. Juni 2008). 387 Geschäftsbericht 2006 S. 34. 388 Quelle: http://www.vcd.org/satzung.html (Abruf am 12.Juni 2008). 389 Stand: 09/10.10.2004. 390 § 2 Abs. 2 Satz 2 der Satzung aaO. 384 385
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insbesondere durch „Verbraucherberatung auf dem Gebiet des Verkehrsverhaltens“ erreicht werden soll. Diese Beratung bezieht sich jedoch ausdrücklich nur auf das Gebiet des Verkehrsverhaltens, nicht aber auch auf rechtliche Beratung. Auch im allgemeinen Vereinszweck („Interessenvertretung von [...] Autofahrer/innen [...]“) lässt sich keine haltbare Ermächtigungsgrundlage herleiten. Der bei einer derart weiten Zwecksetzung erforderliche Hinweis auf auch rechtliche Interessenvertre tung ist in der Konkretisierung in § 2 Abs. 2 der Satzung nicht erkennbar. Dementsprechend nimmt der VCD bisher weder rechtliche Interessen der Mit glieder wahr, noch ist dies geplant.391 Der Verein ist keine qualifizierte Einrichtung i.S.d. §§ 3, 4 UKlaG und damit nicht klagebefugt für die prozessuale Durchsetzung von Unterlassungs- und Wettbewerbsklagen.392 Nach derzeitigem Satzungsstand wäre der Verband gem. Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG auch nicht klagebefugt. 6.5.2.7 Bund der Versicherten (BdV) Der Bund der Versicherten e.V. wurde am 24. Februar 1982 in Hamburg gegründet. Er sieht sich als bundesweit größte unabhängige und gemeinnützige Verbraucher schutzorganisation in Versicherungsfragen. Zum Vereinsangebot gehört umfangrei ches Informationsmaterial über unterschiedliche Versicherungsarten, das kostenlos auch online zur Verfügung gestellt wird. Hierzu zählen neben Informationen zur Ermittlung des Versicherungsbedarfs auch Musterschreiben zur Einholung von Angeboten sowie zu Versicherungswechsel und -kündigung, Adresslisten günstiger Anbieter und Informationen über aktuelle Gerichtsurteile. Der Verein finanziert sich derzeit hauptsächlich aus den Beiträgen seiner ca. 50.000 Mitglieder. Daneben vermietet er auch Räumlichkeiten an eine vereinseige ne Mitgliederservice GmbH, die den Mitgliedern u.a. Versicherungen zu günstigen Konditionen anbieten kann. Als Verbraucherschutzverein nimmt der Bund der Versicherten auch die recht lichen Interessen seiner Mitglieder wahr.393 So führte er bisher bereits 58 Prozesse für seine Mitglieder. Dabei wird die Interessenwahrnehmung auf § 2 Abs. 1b der Satzung394 gestützt, im Einzelfall auch auf eine Entscheidung des Vorstandes. § 2 Abs. 1 b) der Satzung besagt: „Der Verein bezweckt, die Interessen der Versicher ten im Sinne eines Verbraucher-Schutzvereins wahrzunehmen, insbesondere [...] durch seine Aktivitäten und Maßnahmen die Übereinstimmung des Versiche rungswesens mit der Rechts- und Wirtschaftsordnung unseres Staates zu überprü fen, bzw. herzustellen.“ Damit umfasst der Vereinszweck auch die Prozessführung für Mitglieder. Quelle: Antwort des VCD auf eine Umfrage des Autors über die Durchsetzung rechtlicher Interessen für die Mitglieder; Antwort vom 03. Juni 2008. 392 BAnz 2/2008 vom 04. Januar 2008; Abrufbar auch unter: http://www.bmj.de; Die Liste wird zum 01. Januar jeden Jahres im Bundesanzeiger veröffentlicht. 393 Quelle: Antwort des Bund der Versicherten auf eine Umfrage des Autors über die Durchset zung rechtlicher Interessen für die Mitglieder; Antwort vom 03. Juli 2008. 394 Satzung abrufbar unter: http://bdv.wirsindverbraucherschutz.de/satzung (Abruf am 03.07.2008). 391
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Der Bund der Versicherten führte auch bereits Gruppen- oder Sammelklagen durch. Dabei wurden Gruppen von einer Größe von 2-5 bzw. 5-10 Geschädigten ge bildet. Dies wurde vorwiegend durch Forderungsabtretungen auf den Verein direkt realisiert, der gem. Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG für die prozessuale Rechtsdurchsetzung klagebefugt ist. In anderen Prozessen wurden die Klagen teilweise durch subjek tive Klagehäufungen und teilweise durch bloße finanzielle Unterstützung der Kläger realisiert. Von den 58 vom Bund der Versicherten e.V. durchgeführten Prozesse395 waren insgesamt 19 erfolgreich. In den sieben nicht erfolgreichen Fällen wurde jedoch nie die Prozessführungsbefugnis gerügt. Nach Einschätzung des Bundes der Versicherten hat sich durch die fortwährende Wahrnehmung rechtlicher Interessen durch den Verein nicht nur das Umfeld für die Vereinsmitglieder selbst, sondern für die Verbraucher im Allgemeinen positiv verändert. 6.5.2.8 BUND – Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V. BUND – Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. wurde am 20. Juli 1975 gründet. Er versteht sich als Umwelt- und Naturschutzverband, der sich für eine nachhaltige Entwicklung auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene engagiert.396 Der Verein ist föderativ organisiert. In jedem Bundesland enga giert sich ein BUND-Landesverband für Natur- und Umweltschutz. Der BUND hatte im Jahr 2006 ca. 257.000 Mitglieder. Die Finanzierung erfolgt zu 80 % aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. 2006 erhielt der Bundesverband 5,4 Millionen Euro Spenden und 4,7 Millionen Euro Mitgliedsbeiträge.397 Der Jahres überschuss betrug 576.000 Euro.398 Damit kann der Verein durchaus das finanzielle Risiko von Sammelklagen mittleren Umfangs schultern. Die Prozessführung ist für den BUND nach eigenen Angaben399 steuerrechtlich problematisch. Deshalb werden nur gelegentlich umweltpolitische Musterklagen einzelner Mitglieder unterstützt. Dieses Tätigwerden wird auf § 2 Abs. 1 der Satzung400 gestützt, nach der der Ver einszweck auch darin besteht, „einen wirkungsvollen Schutz des Lebens und der natürlichen Umwelt durchzusetzen“. Gruppen-, oder Sammelklagen hat der BUND Gesamtzahl: 58; Davon waren 19 erfolgreich, 7 nicht erfolgreich, 8 Vergleiche und 24 Prozess beendigung durch Klagerücknahme/Erledigungserklärung. 396 So in den Leitlinien des Vereins auf dessen Internetseite http://www.bund.net/fileadmin/ bundnet/pdfs/ueber_uns/ leitbild/20041100_ueber_uns_leitbild.pdf (Abruf am 08.07.2008). 397 Quelle: Internetseite des Vereins unter http://www.bund.net/bundnet/ueber_uns/finanzen/ (Abruf am 08.07.2008). 398 Quelle: Jahresbericht des BUND auf der Internetseite http://www.bund.net/fileadmin/bund net/pdfs/presse/ jahresbericht/20070727_presse_jahresbericht_jahresbericht06.pdf (Abgeru fen am 08.07.2008). 399 Quelle: Antwort des BUND auf eine Umfrage des Autors über die Durchsetzung rechtlicher Interessen für die Mitglieder; Antwort vom 08. Juli 2008. 400 Abrufbar auf der Internetseite des Vereins unter http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/ pdfs/ueber_uns/ satzung/20071200_satzung.pdf (Abruf am 08.07.2008). 395
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für seine Mitglieder jedoch bis dato noch nicht praktiziert. Die bisherige Prozess führungstätigkeit führte nach Aussage des BUND zu leichten positiven Effekten für dessen Mitglieder. 6.5.2.9 Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger Der Verein wurde 1959 als „Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre e.V.“ gegründet und 2004 aufgrund des gewachsenen Tätigkeitsspektrums in „SdK Schutzgemein schaft der Kapitalanleger e.V.“ umbenannt.401 Die SdK hat nach eigener Aussage den Schwerpunkt des Schutzes der Minderheitsaktionäre sowie Engagement für eine Fortentwicklung der Aktienkultur und des Anlegerschutzes. Die Geschäftsstelle befindet sich in München, das Hauptstadtbüro in Berlin. Vertreter der SdK haben Sitz und Stimme in verschiedenen Gremien, darunter die Börsensachverständigen kommission (BSK), der Börsenrat der Börse München, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung, das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC), das european corporate governance institute (ecgi), der Übernahmebeirat und Widerspruchsausschuss der BaFin und die Vereinigung Baden-Württembergische Wertpapierbörse e.V. Der Verein hat derzeit ca. 12.000 Mitglieder. Dies umfasst direkte Mitglieder, För dermitglieder sowie indirekte Mitgliedschaften über Investment- und Aktienclubs. Dementsprechend finanziert sich die SdK vorwiegend durch Mitgliederbeiträge. Die aktiven Personen im Verein sind weitestgehend ehrenamtlich tätig. Die Satzung der SdK hat sich in § 2 Abs. 1 der Satzung402 den Zweck gesetzt, die „Interessen von Aktionären [...] insbesondere durch Aufklärung und Beratung wahr zunehmen [...] und das Privateigentum zu schützen.“ Dieser Schutz des Privateigen tums kann effektiv nur dann verfolgt werden, wenn die in der Satzung angesprochene Beratung auch eine Beratung zu rechtlichen Problemstellungen mit umfasst. Damit deckt der Satzungszweck auch eine rechtliche Beratungstätigkeit des Vereins ab. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger unterstützt ihre Mitglieder durch Führung von Prozessen in ca. 20 aktienrechtlichen Verfahren pro Jahr.403 Dabei wur de die Interessenwahrnehmung jeweils auf den Satzungszweck sowie auf eine zu sätzliche, vom Vereinsvorstand abgegebene Entscheidung gestützt. Insgesamt wur den bisher ca. 120 Prozesse geführt. Dabei handelt es sich jedoch ausschließlich um Individualprozesse. Gruppen-, oder Sammelklagen wurden von der SdK bis heute noch nicht durchgeführt. Nach Aussagen des Vereins führte die bisherige Prozessführung zu positiven Effekten nicht nur für dessen Mitglieder, sondern für die gesamte Anlegerschaft, obwohl es sich in den wenigsten Fällen bei den geführten Prozessen um Grundsatz entscheidungen handelte. Quelle: Internetseite des Vereins unter http://www.sdk.org/der_verein.php (Abruf am 08.07.2008). 402 Quelle: Internetseite des Vereins unter http://www.sdk.org/show_attachment.php?anlageID =530 (Abruf am 08.07.2008). 403 Quelle: Antwort der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger auf eine Umfrage des Autors über die Durchsetzung rechtlicher Interessen für die Mitglieder; Antwort vom 08. Juli 2008. 401
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6.6 Ärztliche Streitschlichtungsstellen Die ärztlichen Schlichtungsstellen wurden in den 70er Jahren geschaffen, um Arzt haftungsstreitigkeiten so umfassend und zur Überzeugung aller Parteien aufzuklä ren, dass gerichtliche Auseinandersetzungen vermieden werden. Bundesweit werden auf der Ebene der Landesärztekammern Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen betrieben. Derzeit gibt es bundesweit neun Schlich tungsstellen404 die in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) organisiert sind und über eine eigenständige Verfahrensordnung verfügen. Gesell schafter sind jeweils die Landesärztekammern verschiedener Bundesländer. Der Schlichterstelle gehören mindestens ein Arzt sowie ein zum Richteramt befähigter Jurist an.405 Nur in Rheinland-Pfalz sind nach dem Heilberufungsgesetz auch Dritte – also Patienten – zu beteiligen. Die Schlichtungsverfahren sind zwar nicht homogen, aber ähnlich ausgestaltet. Kennzeichnend sind die Prinzipien der Freiwilligkeit und Unverbindlichkeit des Schlichtungsspruches.406 Zudem findet im Gegensatz zum gerichtlichen Verfahren keine mündliche Verhandlung statt, noch gibt es ein abschließendes Urteil. Die Schlichtungsstelle stellt nach erfolgter schriftlicher Anhörung der Parteien akten mäßig den Sachverhalt fest und gibt einen Gutachtenauftrag an die Gutachterkom mission weiter. Diese begutachtet das ärztliche Handeln und erstellt ein schriftli ches Gutachten darüber, inwiefern der dem Arzt vorgeworfene Behandlungsfehler tatsächlich festgestellt werden kann. Auf der Grundlage dieses Gutachtens gibt die Schlichtungsstelle eine Empfehlung zur Lösung der Streitigkeit ab, wobei auch Kau salitäts- und Beweislastproblematiken im konkreten Fall berücksichtigt werden. Die Schlussempfehlung sagt dann, ob der Anspruch dem Grunde nach besteht und in welcher Höhe die Schlichtungsstelle eine Kompensation für angemessen hält. Der Schlichtungsspruch selbst vermeidet es jedoch, monetäre Schadenssummen zu empfehlen.407 Das Ergebnis der Schlichtungsstelle ist wegen des Empfehlungscha rakters für die Parteien nicht bindend. Der Rechtsweg bleibt ihnen auch weiterhin offen.408 Für Patienten liegen die Vorteile der Schlichtung im Vergleich zur prozessua len Rechtsdurchsetzung insbesondere bei den Kosten, für die ein fachlich versierter Problemlösungsvorschlag erarbeitet werden kann. Er – der Patient – muss regel mäßig (nur) die eigenen Reise- und Rechtsberatungskosten selbst tragen. Für die Inanspruchnahme der Schlichtungsstelle selbst werden Gebühren nicht erhoben.409 Stuttgart, München, Frankfurt am Main, Hannover, Düsseldorf, Münster, Mainz, Saarbrücken und Dresden; Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Schlichtungsstelle; Abruf am 03.07.2008. 405 so beispielhaft: §4 in der Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle der norddeutschen Ärzte kammern; Abruf unter: http://www.norddeutsche-schlichtungsstelle.de/verfahrensordnung. html am 01.07.2008. 406 Scheppokat/Neu, Der Stellenwert von Schlichtung und Mediation bei Konflikten zwischen Ärzten und Patienten in: Versicherungsrecht (VersR) 2002, S. 397, (398). 407 Scheppokat in: Versicherungsrecht (VersR) 2002, S. 397, (404). 408 §7 der Verfahrensordnung aaO. 409 § 6 Abs. 1 der Verfahrensordnung aaO. 404
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Zudem hemmt das Schlichtungsverfahren die Anspruchsverjährung410 und kommt regelmäßig schneller als Gerichtsprozesse zu Ergebnissen.411 Für den behandelnden Arzt bietet das Schlichtungsverfahren eine diskretere und – so wird vielfach argu mentiert – auch fachnähere Auseinandersetzung mit dem Problem als ein staat licher Gerichtsprozess. Die Schlichtungsstellen wurden nach eigenen Angaben sowohl von Ärzten, als auch von Patienten gut angenommen.412 So wurden im Jahre 1979 bei der Nord deutschen Schlichtungsstelle in Hannover erst 500 Schlichtungen beantragt, wäh rend im Jahre 2004 bereits über 4.000 Anträge gestellt wurden413, ein Zuwachs von 700 %. Zudem untersuchte man im Jahr 2007 in Hannover die Effizienz der eigenen Tätigkeit.414 Referenzjahr war dabei 2002, in dem ca. 4.000 Anträge auf Schlichtung gestellt und 800 Verfahren abgeschlossen wurden. Von den 800 abgeschlossenen Verfahren kam es in den Folgejahren nur in 73 Fällen zu einem Gerichtsverfahren. Dies entspricht einer Effizienz der Norddeutschen Schlichtungsstelle (Prozessver meidungsquote) von 90,9 %. Nicht ersichtlich ist daraus aber, ob oder wie sich die Parteien in den geschlichte ten Fällen geeinigt haben. Da dem Schlichtungsergebnis nur Empfehlungscharakter zukommt, ist es im weiteren Verhandlungssache, auf welche Lösung und Kompen sationshöhe man sich einigt. Freilich gibt das Ergebnis der Schlichtungsstelle der obsiegenden Partei ein starkes Argument bei der Kompromissfindung an die Hand. Den Anspruchsinhalt können die Parteien nach dem allgemeinen bürgerlich-recht lichen Schadensrecht selbst ermitteln. Greifen sie dabei auf die von der Rechtspre chung entwickelten Beweislastgrundsätze zurück, zu denen sich die Schlichtungs schelle bei Problematiken im konkreten Fall schon im Schlichtungsspruch äußert, so dürfte der ermittelte Schadensinhalt dem eines Gerichts zumindest ähnlich sein. Die Höhe des Schadens, auf den sich die Parteien letztlich einigen, wird der Höhe nach in der Regel aber unter dem von einem Gericht festgesetzten Anspruchsinhalt liegen. Der Minderwert ergibt sich aus dem Ersparnis von Zeit und Risiko, welche das weitere Prozessieren in der Sache mit sich bringen würde. Tatsächlich hat man sich in 72 % der Fälle415, in denen der Anspruch des Pa tienten von der Schlichtungsstelle für begründet gehalten wurde, durch außerge richtlichen Vergleich und in weiteren 9 % durch gerichtlichen Vergleich vor einem Urteil geeinigt, wobei der Schaden dann jeweils von der Haftpflichtversicherung des Arztes reguliert wurde. In den Fällen, in denen die Schlichtungsstelle für einen unbegründeten Anspruch votierte, akzeptierten 89 % der Patienten dieses Votum. Verfolgten die Patienten den Rechtsweg trotz des Votums der Schlichtungsstelle für
Scheppokat in: Versicherungsrecht (VersR) 2002, S. 397, (398). Scheppokat in: Versicherungsrecht (VersR) 2002, S. 397, (406). 412 Scheppokat aaO. 413 Antragsentwicklung Norddeutsche Schlichtungsstelle; Abruf unter http://www.norddeutscheschlichtungsstelle.de/antraege-stat.html am 01.07.2008. 414 Evaluation der norddeutschen Schlichtungsstelle; Abruf unter http://www.norddeutscheschlichtungsstelle.de/evaluation.html am 01.07.2008. 415 Scheppokat in: Versicherungsrecht (VersR) 2002, S. 397, (398). 410 411
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einen unbegründeten Anspruch weiter, so wurde ihnen später vom Gericht in 1 % der Fälle der Anspruch zugesprochen. Am Häufigsten werden vor den Schlichtungsstellen Fälle in den operativen Fä chern416 verhandelt. Diese machen einen Anteil von ca. 70 % (Referenzjahr 2000) aus. Dabei ist die Quote begründeter Ansprüche bei chirurgischen Fällen höher als bei Fällen der Inneren Medizin, Orthopädie und Pädiatrie.417 Den Schlichtungsstellen wird vereinzelt vorgeworfen418, ihre Finanzierung durch die Ärztekammern und ärztlichen Berufshaftpflichtversicherungen führe zu einer ärztefreundlichen Entscheidungskultur, ihnen fehle damit die Unabhängigkeit. Dies ist allein aus der in der Mehrzahl der für unbegründet gehaltenen Fälle nicht beleg bar, da die Schlichtungsstelle bei ihrer Entscheidung immer die Sachlage im konkre ten Fall berücksichtigt. Zum anderen wacht ein zum Richteramt ausgebildeter Jurist über das Verfahren.
6.7 Resumée – Wege zur Stärkung der Patientensouveränität in Deutschland 6.7.1 Individuelle Streitschlichtung Die vorstehende Analyse zeigt, dass es möglich wäre, die Souveränität der Patienten in Deutschland auf der Grundlage des bestehenden rechtlichen Systems zu stärken. Aus der Sicht der individuellen Interessen, also der Interessen einzelner Patienten, dürfte das Instrument der ärztlichen Streitschlichtungsstellen in die richtige Rich tung gehen. Es wäre allerdings wünschenswert, die Transparenz dieses Systems zu stärken. So sollten Statistiken, die die Inanspruchnahme des Systems offen legen und strukturieren, obligatorisch werden. Die Schlichtersprüche sollten veröffent licht werden (Internet, wobei die Parteien zu anonymisieren wären). Es müsste transparent werden, ob die Parteien und in welchem Umfang sie den Empfehlungen der Streitschlichtungsstellen gefolgt sind. In den Fällen, in denen die Gerichte ent schieden haben, sollte geklärt werden, ob die Gerichte den Streitschlichtungsstellen vergleichbar oder eher abweichend entschieden haben. Es sollte ferner klar werden, in welchem Umfang Entschädigungen (materiell/immateriell) geflossen sind. Die Statistik sollte ausweisen, welche Bereiche der Gesundheitsmedizin durch Streit schlichtungen in besonderer Weise betroffen sind, ob es also besonders gefährdete Bereiche gibt und eventuell auch solche, in denen Streitschlichtungen offenbar nicht erforderlich sind. Auf diese Weise könnte man darüber nachdenken, ob man in be stimmten Bereichen der Medizin gegensteuern muss. Es gäbe Signale, die die Frage stellten, ob die Medizintechnik anfällig ist und zu Fehlern neigt oder ob möglicher weise menschliches Versagen eine größere Rolle spielt. Chirurgie, Gynäkologie, Geburtshilfe, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Augenheilkunde und Urologie. 417 Scheppokat in: Versicherungsrecht (VersR) 2002, S. 397, (399). 418 so auf der Internetseite des Allgemeiner Patienten-Verbandes e.V.; Abruf unter http://www. patienten-verband.de/schlichtungsstelle.htm am 03.07.2008. 416
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6.7.2 Strukturelle Stärkung der Patientensouveränität Eine völlig andere Frage ist diejenige, wie man die Patientensouveränität strukturell stärken kann. Dafür gibt es im deutschen Gesundheitssystem zurzeit noch keiner lei Instrumente. Es würde um die Frage gehen, ob die Patienten als Ganzes auf die Angebotsstruktur Einfluss nehmen können, ob sie also ihre Nachfragemacht bün deln und auf diese Weise Angebotsstrukturen beeinflussen und verändern könnten. Beispielhaft ist auf zu lange Wartezeiten, Servicedefizite, zu hohe Fallpauschalen, Qualitätsdefizite, Planungsfehler bei Krankenhäusern, zu teure Medikamente, zu geringe Auslastungsquoten in Krankenhäusern oder auf Defizite im Leistungska talog der GKV zu verweisen. Es ist nicht ganz einfach vorwegzusagen, auf welchen Leistungsfeldern der GKV sich die Stärkung der Patientensouveränität zuerst und möglicherweise auch nachhaltig auswirken wird. Das hängt damit zusammen, dass Wettbewerb ein Entdeckungsverfahren ist, d.h. niemand von uns vorhersagen kann, wie sich Interessen bündeln und wie sie sich bei freiem Wettbewerb letztlich durch setzen. Das ist das Geheimnis des Wettbewerbs und macht es zugleich auch schwer, die Konsequenzen einer Systemumstellung im Einzelnen zu prognostizieren. Letzt lich kommt es aber auch nicht darauf an, genau vorwegzusagen, auf welchen Tätig keitsfeldern der GKV sich die Stärkung der Patientensouveränität auswirken wür de. Es genügt, Instrumente zur Verfügung zu stellen, mit deren Hilfe Patienten ihre Interessen verwirklichen können. Im Zeitablauf wird sich zeigen, wie die Patienten mit der Stärkung ihrer Souveränität umgehen, mit welchen Fragen sie beginnen und wie sie ihr Einflussfeld mittelfristig erweitern werden. Die Stärkung der Patientensouveränität bedarf keiner gesetzgeberischen Aktivi täten oder Vorgaben. Der bestehende Rechtsrahmen in Deutschland erlaubt es, die Rechte der Patienten zu stärken, wenn diese es wollen. Als Organisationsgrundlage bietet sich die Gründung eines Vereins zur Stärkung der Patientensouveränität an. Dieser Verein würde in seiner Satzung verankern, dass er die Durchsetzung von Patienteninteressen auch durch Rechtsberatung und im Klagewege betreiben dürfte. Für den Verein wäre es am einfachsten, wenn er die Erlaubnis zur Rechtsberatung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz beantragen würde. Im Einzelfall kann es sinnvoll sein, zur Durchsetzung bestimmter Patienteninte ressen eine vom Verein getrennte Gesellschaft (z.B. eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, GbR) zu gründen. Auf diese Gesellschaft würden die Forderungen der Pa tienten übertragen werden. Diese Gesellschaft würde für die betroffenen Patienten die Forderungen als eigene geltend machen. Dabei müsste man im Einzelnen über die Frage nachdenken, wie der Forderungsankauf zu gestalten ist. Nach der der zeitigen Rechtslage muss es sich um ein echtes Factoring handeln – ein unechtes Factoring, bei dem die Gesellschaft das Risiko des Prozessverlustes in Wirklichkeit nicht tragen würde, wäre als Umgehung unzulässig und würde zur Nichtigkeit der Geschäfte (§ 134 BGB) führen. Ergänzend könnte man darüber nachdenken, eine Erlaubnis nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz für die Gesellschaft zu beantragen, die zur Stärkung der Patientensouveränität Gruppenklagen für diese führen soll. Welche Gruppen unserer Gesellschaft sich möglicherweise bei der Stärkung der Patientensouveränität engagieren wollen, ist völlig offen. Es liegt aber nahe, dass es
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Gruppierungen sein könnten, die aufgrund ihres beruflichen Bezuges ohnehin eine starke Nähe zu Patienten haben. Dazu gehören neben den Berufsgruppen, die im medizinischen Sektor tätig sind, vor allem die Angehörigen der Medien und der Presse. Sie haben einen unmittelbaren Zugang zu den Menschen. Da jeder von uns auch einmal krank sein kann und aller Wahrscheinlichkeit sein wird, könnte es nahe liegen, den Gedanken der Stärkung der Patientensouveränität durch die Medien/ Presse aufzugreifen und zu strukturieren. Das könnte insbesondere auch deshalb sinnvoll sein, weil Medien und Presse durch den zunehmenden Einfluss des Inter nets nach neuen Aufgabenfeldern suchen (müssen). Hier öffnet sich ein solches Aufgabenfeld und sucht geradezu nach denjenigen, die sich zugunsten der Bürger/ innen auf dem Feld der Verbesserung der medizinischen Versorgung engagieren wollen.
I. Der Drehbuchautor und seine Rechte
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III. Zusammenfassung
1 Ökonomische Erwägungen Das vorliegende Werk zieht einen weiten Bogen von einem deskriptiven Vergleich der internationalen Gesundheitssysteme über die derzeitigen Entwicklungen und Prognosen in Deutschland, hin zu einem normativen Lösungsvorschlag, der in nachhaltiges tragfähiges Gesundheitssystem forciert und schließlich zur politischen Umsetzbarkeit führt. Die Analyse des deutschen Gesundheitswesens offenbart einen hohen Hand lungsbedarf zur Erneuerung des gegenwärtigen Systems, um es für die nächsten Dekaden zukunftsfest zu machen. Der internationale Vergleich der Gesundheitssys teme zeigt Potentiale, die es zu nutzen gilt, um dem steigenden Bedarf an Gesund heitsleistungen nachzukommen. Die Gesamtausgaben belaufen sich schon jetzt auf 10,7 % des Bruttoinlandsprodukts (OECD Health Data, 2007) und sind in den letz ten Jahren stetig gestiegen. Demographische Entwicklungen und technischer Fort schritt werden zu anhaltenden Ausgabensteigerungen beitragen und verlangen ein nachhaltiges Finanzierungssystem, dass den größtmöglichen Nutzen für die Patien ten und Versicherten sichert. Die Finanzierungslücke des derzeitigen Systems wird auf mehr als das zweifache des deutschen Bruttoinlandsprodukts geschätzt, sodass dringend die Fehlentwicklungen der letzten Jahre, die auf Steuerungs- und Wettbe werbsdefizite im strukturellen Aufbau der GKV zurückzuführen sind, entgegenge treten werden muss. Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung konnte die hoch gesteckten Ziele bei weitem nicht erfüllen, sodass weiterhin Handlungsbedarf besteht. Der Gesundheitsfonds stellt nur einen Minimalkonsens der Regierungsparteien dar und wird von vielen Seiten heftig kri tisiert. Die Vereinheitlichung des Krankenversicherungsmarktes und die Entkopp lung der Finanzierung des Gesundheitswesens von den Arbeitskosten sind ebenso unterblieben, wie die Implementierung eines Preissignals für das Gut Gesundheit. In diesem Werk werden Reformmöglichkeiten aufgezeigt, die Wettbewerb als Allokationsmechanismus im Gesundheitswesen einführen, die zu einer nachhalti gen und sozialen Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen führen. Es werden sowohl für den Versicherungsmarkt sowie für den Versorgungs markt Vorschläge unterbreitet, um langfristig eine weitere Ressourcenverschwen dung, die heute ärgerlich aber noch finanzierbar ist, zu unterbinden. Auf dem Versicherungsmarkt können moralische Risiken und adverse Selektion durch die Einführung von risikoorientierten Prämien unterbunden werden, die zeitgleich den
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III. Zusammenfassung
Versicherten Anreize geben ihrer eigenen Präferenz entsprechend Gesundheits leistungen nachzufragen, sodass sich ein Wettbewerb um die Versicherten entfacht wird. Der Wettbewerb wird aber, entgegen der Meinung vieler Kritiker, nicht allei nig über den Preis stattfinden, sondern ebenso über die Qualität, sodass auch hier mit einer Verbesserung zu rechnen ist. Ferner werden Innovationen nicht länger behindert, sondern vielmehr von den Versicherungen nachgefragt, da sie sich durch Einsparungen oder qualitativ höherwertige Versorgung einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Wettbewerbern verschaffen können. Folglich werden auch auf dem Versorgungsmarkt Innovationen vorangetrieben, die das Leistungsspektrum erhö hen und nach den Präferenzen der Versicherten Leistungen bereitstellen. Integrierte Versorgung und Managed Care sind zwei Beispiele, wie die Effizienz der Versorgung erhöht werden kann. Aufgabe des Gesetzgebers in einem solchen, auf Wettbewerb basierendem, Umfeld ist es Rahmenbedingungen zu schaffen in denen sich die Ak teure frei entfalten können. Mindestanforderungen sind beispielsweise unerlässlich, da anderenfalls moralische Risiken entstehen und der Versicherungsmarkt unter laufen werden kann. Es stellt sich jedoch die Frage, warum ein tragfähiges Zukunftskonzept nicht schon wesentlich früher umgesetzt werden konnte. Dies ist vor allem auf zwei Gründe zurückzuführen: Einerseits verhindert das Interessenkonglomerat aus der am gesundheitspolitischen Entscheidungsprozess zumindest indirekt involvierten und mit der organisatorischen Durchführung der medizinischen Versorgung be auftragten Verbände und Versicherer sowie der Bürokratie, Politik und Industrie eine klare Richtungsentscheidungen zugunsten eines transparenten, auf markt wirtschaftlichen Grundprinzipien basierenden Ordnungsrahmens. Andererseits erliegen die politischen Entscheidungsträger ein ums andere Mal der Versuchung, Gesundheitspolitik als sozialpolitisches Profilierungsfeld zu nutzen. Die Vetoposi tionen der am Entscheidungsprozess Beteiligten haben somit stets nur einen Mi nimalkonsens hervorbringen können, der dem deutschen Gesundheitswesen nur für kurze Zeit Gestaltungspielraum bot. Die Überwindung dieses Dilemmas wird in der gesundheitspolitischen Diskussion bisher nur sehr unzureichend behandelt. In diesem Werk werden langfristige politische Verträge, die das myopische Regie rungshandeln überwinden können, als Ausweg aufgezeigt. Die Väter der Römischen Verträge haben bereits 1957 eine Entscheidung für den Wettbewerb als Ordnungs prinzip des gemeinsamen europäischen Marktes getroffen, der nun auch im Ge sundheitsbereich Anwendungen findet. Die Art. 81, 86 EG sind dabei besonders hervorzuheben, da sie den Wettbewerb grundsätzlich stützen, sodass die Bürger der Europäischen Union ein Instrumentarium zur Verfügung haben ihr Recht auf eine effiziente Versorgung mit Gesundheitsleistungen durchzusetzen.
2 Juristische Erwägungen
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2 Juristische Erwägungen Aus der Analyse der europäischen Rechtsprechung lassen sich drei Kernsätze ablei ten: • Die Ausgestaltung des Systems der sozialen Sicherheit obliegt den Mitglied staaten – diese müssen allerdings die Grundwertungen des Europäischen Ver trags beachten. • Die Systeme der sozialen Sicherheit sind nur insoweit der Anwendung der Regeln des Europäischen Vertrages entzogen, als sie nicht wirtschaftlich ar beiten. Sind sie demgegenüber wirtschaftlich – also im Wettbewerb – tätig, unterfallen sie den Wettbewerbsregeln. • Bei der grenzüberschreitenden Inanspruchnahme medizinischer Leistungen sind die Regeln der Dienstleistungs- und der Warenverkehrsfreiheit vollum fänglich anzuwenden. Auf der Ebene der Rechtfertigung dürfen Ansprüche wegen grenzüberschreitender Leistungen zurückgewiesen werden, wenn die Gewährung der Freiheiten die finanzielle Stabilität des Systems der sozialen Sicherheit infrage stellen würde. Die Frage, wie der Gerichtshof mit einem System der sozialen Sicherheit umgehen würde, das im Vergleich zu einem anderen, ebenfalls praktizierbaren System deut lich ineffizienter und ineffektiver ist, ist bisher vom Gerichtshof nicht entschieden worden. Auch Art. 152 Abs. 5 EG regelt diese Frage nicht, denn wie ein Mitgliedstaat die Organisation des Systems der sozialen Sicherheit gestaltet, wird gerade nicht fest gelegt. Insoweit ist der Mitgliedstaat zwar frei, aber in den Grenzen der Grundsätze des Europäischen Vertrages. Zu diesen Grundsätzen gehören das Effektivitäts- und das Effizienzprinzip. Die Mitgliedstaaten sind gehalten, ihre Systeme der sozialen Sicherheit möglichst effektiv und effizient auszugestalten. Es dürfte sicher Hand lungsspielräume bei der Ausgestaltung der Frage geben, welches System im Ver gleich zu einem anderen über- oder unterlegen ist. Wenn aber sich herausstellt, dass ein System – z.B. das System der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland in seiner jetzigen Form – einem vergleichbaren Sozialsystem, das erheblich weitere wettbewerbliche Freiheiten gewährt, deutlich unterlegen ist, so verlangen die Regeln des Europäischen Vertrages von den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, das effizi entere und effektivere System zugunsten ihrer Bürger zu wählen. Dies ergibt sich sowohl aus dem Grundsatz des Vorrangs des freien Wettbewerbs (Artt. 4, 98 EG), als auch aus dem Wirksamkeitsprinzip (Art. 10 Abs. 2 EG) als auch aus dem Verhält nismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 EG). Bei der Ausgestaltung des effektiveren und effizienteren Systems sind und bleiben die Mitgliedstaaten selbstverständlich frei (Art. 152 Abs. 5 EG). Bei der Wahl des Systems sind sie hingegen in dem Augen blick rechtlich gebunden, wo sich ein System gegenüber einem anderen als deutlich über- oder unterlegen erweist. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein System der sozialen Sicherheit durch ver stärkte Aufnahme wettbewerblicher Elemente effektiver und effizienter funktio niert, spielt es auch eine Rolle, wie die Mitgliedstaaten ihre Systeme bisher ausge staltet haben. Mit Blick auf das deutsche Krankenversicherungssystem kann man
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zeigen, dass der Anteil der Regeln, die Wettbewerb in das System hineingetragen haben, in den letzten zwei Jahrzehnten ständig und erheblich zugenommen hat. Das GKV-WSG steht geradezu unter dem Titel, den Wettbewerb im System zu stärken und zu verbessern und damit dazu beizutragen, dass das System einerseits bezahlbar bleibt und andererseits die Qualität der erbrachten Leistungen steigt. Die eigentliche Frage lautet, ob ein nationaler Gesetzgeber, der derartig umfassende wettbewerbli che Elemente in sein System der sozialen Sicherheit hineingetragen hat, wie dies in Deutschland der Fall ist, den letzten noch verbleibenden Schritt aus der Perspektive der europarechtlichen Grundwertungen nunmehr tun muss, um sein System end gültig wettbewerblich und damit deutlich sozialer, nämlich effizienter und effektiver, zu gestalten. Die deutsche GKV ist eine merkwürdige Mischung zwischen hoheitlich funktio nierendem Solidarsystem und wettbewerblichen Elementen. Die wettbewerblichen Elemente haben nach Inkraftsetzen des GKV-WSG am 01. April 2007 erheblich zu genommen. Die GKV ist nach wie vor eine Solidargemeinschaft (§ 1 SGB V). Sie funktioniert nach dem Sachleistungsprinzip. Menschen bestimmter Berufsgruppen sind bis zur Erreichung einer bestimmten Einkommensgrenze automatisch pflichtversichert. Familienangehörige sind mitversichert. Es findet eine Quersubventionierung zwi schen den Versicherten statt. Die Höhe des Beitrags richtet sich nach dem Einkom men und nicht nach dem individuellen Risiko des Versicherten. Die Finanzierung des Systems beruht auf dem Umlage- und nicht auf dem Kapitaldeckungsverfahren. Ein Pflichtversicherter kann die GKV nicht verlassen – er kann nicht zu einem pri vaten Krankenversicherer wechseln. Allerdings gibt es im System der GKV eine Fülle wettbewerblicher Elemente. Das beginnt mit der Möglichkeit der Kostenerstattung (§ 13 SGB V) – etwa bei grenz überschreitenden Leistungen. Wettbewerb wird aber auch durch den Abschluss von Einzelverträgen, etwa im Bereich der hausarztzentrierten Versorgung oder im Rah men der integrierten Versorgung eröffnet. Daneben steht der Wettbewerb zwischen Ärzten auf der einen Seite und medizinischen Zentren auf der anderen Seite. Ferner gibt es Wettbewerb um die Qualität der Leistungserbringung und um die Versor gung mit Hilfsmitteln oder Arzneimitteln. In gewissen Grenzen können die Pa tienten Krankenhäuser frei wählen – das Recht zur freien Arztwahl steht daneben. Ganz erheblicher Wettbewerb wird durch die Einführung des Gesundheitsfonds ab 01.01.2009 entstehen. Der Gesundheitsfonds wirkt wie ein Price Cap im Rahmen einer Anreizregulierung. Den Kassen wird zwar ein einheitlicher Beitragssatz zu gewiesen – sie können aber in gewissen Grenzen Zuschläge erheben und vor allem können sie Beiträge zurückerstatten. Auf diese Weise wird ein erheblicher Wettbe werb zwischen den Kassen um Patienten stattfinden. Verstärkt werden wird dieser Wettbewerb durch die Einführung von Wahltarifen nach § 53 SGB V. Gesetzlich Versicherte können Tarife vereinbaren, um so behandelt zu werden, die Privatver sicherte. Auch das wird zu einem Wettbewerb zwischen den Kassen führen. Schon heute ist der Wettbewerb im Bereich der Krankenvollversicherung ausgeprägt. Es gibt eine Wanderungsbewegung zwischen Personen, die in der GKV freiwillig ver sichert sind und stattdessen zur PKV wechseln können. Im Jahre 2005 wechselten
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rund 274.000 Personen aus der GKV in die PKV. In umgekehrter Richtung wechsel ten 154.000 Personen aus der PKV in die GKV. Das deutsche System der gesetzlichen Krankenversicherung ähnelt damit einem Schweitzer Käse. Die Frage ist nur, ob die durch den Wettbewerb in das System gerissenen Löcher inzwischen größer sind als der Käse selbst. Eines steht fest: Die Tendenz des Gesetzgebers, die wettbewerblichen Löcher zu vergrößern, ist ausge prägt. Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass die Leistungen für die GKVVersicherten immer teurer werden und die zur Verfügung stehenden Beiträge und Steuermittel geringer werden. Der Staat muss – ob er will oder nicht – etwas tun, um den Finanzierungszwängen angemessen zu begegnen. Er greift dabei zu zwei Mit teln, die auf der Hand liegen: Auf der einen Seite wird der Leistungskatalog verkürzt und auf der anderen Seite wird der Kostendruck auf Kassen und Leistungserbringer erhöht. Die Frage ist, wie lange der Staat mit diesen beiden Mitteln das Problem halb wegs in den Griff kriegen kann. Die Schwierigkeiten sind deshalb so groß, weil es immer weniger gesetzlich Versicherte gibt, diese allerdings länger leben und damit höhere Krankheitskosten verursachen bei gleichzeitig sprunghaft wachsendem me dizinischem Fortschritt, der insgesamt dazu führen wird, dass „Gesundheit zum Wachstumsmotor“419 werden wird. Das allerdings kostet. Rechtlich lautet die Frage, ob der Staat ein System der Solidarität mit wettbewerb lichen Einsprengseln derart durchlöchern darf, dass letztlich die Frage entsteht, ob der Anteil der Solidarität im System kleiner oder größer ist als der wettbewerbli che Anteil. Genau diese Frage stellt sich in der deutschen GKV. Die immer stärkere wettbewerbliche Durchdringung des Systems wirft aber die weitere Rechtsfrage auf, ob es eigentlich im Belieben des Staates steht, ein System in Teilen wettbewerbsfern zu gestalten, wenn andere Systemteile wettbewerblich hervorragend und effizient funktionieren. In einer solchen Situation muss sich der Staat die Frage gefallen las sen, warum er den Teil des Systems, der ineffizient und ineffektiv ist, nicht ebenfalls dem Wettbewerbsprinzip unterwirft. Die Frage stellt sich insbesondere dann, wenn der Teil des Systems, der wettbewerblich funktioniert, in erheblichem Maße effi zient und effektiv ist. In einer solchen Situation entscheidet sich der Staat sozusagen freiwillig für einen wettbewerblichen Test von Systemteilen und muss dann aber den Rest des Systems entsprechend umgestalten, wenn der Wettbewerbstest zu dem Ergebnis führt, dass durch Einsatz wettbewerblicher Mittel ein effizienteres und ef fektiveres und damit letztlich sozialeres System entsteht. Letztlich ergibt sich dieser gedankliche Ansatz aus den Grundnormen des Euro päischen Vertrages selbst. Der Europäische Vertrag verlangt in den Artt. 4 und 98 soviel Wettbewerb wie möglich und soviel Regulierung wie nötig. Der Europäische Vertrag kennt selbstverständlich den Gedanken der Daseinsvorsorge und Solidarität – für die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse findet er sich in Art. 16 EG. Aber: Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse So der Titel des von Friedrich Merz im Mai 2008 herausgegebenen Sammelbandes mit hoch interessanten Beiträgen zur Zukunft des Gesundheitswesens aus verschiedenen medizini schen, ökonomischen und rechtlichen Perspektiven.
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darf der Staat dann und nur dann seinen Bürgern zuweisen, wenn dies nicht im den Wettbewerb effizienter und effektiver erfolgt. Der Wettbewerb ist nämlich ein völlig unbestechlicher, neutraler und gleichzeitig sehr wirksamer Motor, der die Ressour cen entsprechend den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden lenkt und damit für die leistungsorientierte, beste Versorgung bei gleichzeitig gesichertem technischem Fortschritt sorgt. Die Analyse des deutschen Sozialrechtes zeigt jedenfalls, dass der deutsche Ge setzgeber die Grenze zwischen Wettbewerb und Solidarität im deutschen Kranken versicherungswesen längst überschritten hat. Der Wettbewerb hat die Funktion des Motors in diesem Sektor übernommen – das ist im Ergebnis auch gut und richtig so. Worum es jetzt geht, ist dem Gesetzgeber klarzumachen, dass nun auch der Teil der gesetzlichen Krankenversicherung, der immer noch reguliert wird, für die Kräfte des Wettbewerbs freizugeben ist. Wenn der Gesetzgeber es nicht aus der Perspektive der praktischen Vernunft begreift, so muss er mit Hilfe des europäischen Rechts auf den rechten Weg der Vernunft gebracht werden. Unterstützend können dabei Richt linien der Kommission nach Art. 86 Abs. 3 EG, Vertragsverletzungsverfahren und vor allem Vorlageverfahren der Gerichte nach Art. 234 EG wirken. Auch aus der Perspektive des Kartellrechts ist der Umbau des deutschen Kran kenversicherungssystems im Sinne eines marktwirtschaftlich funktionierenden Sys tems vorprogrammiert. Dabei wird dieses System sozial gerechter, leistungsfähiger, preisgünstiger und langfristig weniger reformanfällig sein. Das Kartellrecht zeich net diesen Umbau vor, weil der Bundesgerichtshof in der Rhön-Entscheidung klar gestellt hat, dass auf den Märkten für Krankenhausfinanzierung, den Märkten für medizinische Qualität und den Märkten für die Nachfrage medizinischer Dienst leistungen echter Marktwettbewerb herrscht. Wenn und soweit dies für die Fusions kontrolle gilt, gilt dies auch für das gesamte Kartell- und Wettbewerbsrecht, denn es gibt keinen fusionsbasierten Wettbewerb, sondern Wettbewerb ist universell – dort, wo er stattfindet, betrifft das alle Formen des Marktwettbewerbs, ganz gleichgültig, welcher wettbewerblichen oder kartellrechtlichen Kontrolle diese Formen jeweils unterworfen sind. Die Tatsache, dass auf den Märkten der gesetzlichen sozialen Krankenversiche rung echter Marktwettbewerb herrscht, ist ebenso wie die daraus resultierenden Konsequenzen bisher noch nicht wirklich begriffen. Nach den Grundregeln des eu ropäischen Rechts muss sich in einer solchen Situation das wettbewerbliche System durchsetzen, es sei denn, innerhalb des Systems oder Teilen davon ist Marktversa gen feststellbar, das zu staatlicher Nachregulierung zwingt (Art. 86 EG). Wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechtes besteht insoweit eine Bindungswirkung für den deutschen Gesetzgeber. Er muss das deutsche gesetzliche Krankenversicherungs system im Sinne eines wettbewerblich funktionsfähigen Systems umbauen, will er nicht sehenden Auges den Europäischen Vertrag verletzen. Der Umbau wird aber nicht nur rechtlich geboten, sondern auch politisch notwendig und praktisch unab dingbar sein müssen. Nur durch diesen Umbau werden nämlich Ineffizienzen und Ineffektivitäten beseitigt, stattdessen Kostengünstigkeit und ein verbessertes medi zinisches Qualitätsniveau hergestellt. Das deutsche Krankenversicherungssystem ist zwar eines der teuersten der Welt, aber es ist bei weitem nicht das leistungsfähigste.
3 Stärkung der Patientensouveränität – Gruppenklagen für Mitglieder der GKV
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3 Stärkung der Patientensouveränität – Gruppenklagen für Mitglieder der GKV 3.1 Individuelle Streitschlichtung Die im vorliegenden Werk durchgeführte Analyse zeigt, dass es möglich wäre, die Souveränität der Patienten in Deutschland auf der Grundlage des bestehenden rechtlichen Systems zu stärken. Aus der Sicht der individuellen Interessen, also der Interessen einzelner Patienten, dürfte das Instrument der ärztlichen Streitschlich tungsstellen in die richtige Richtung gehen. Es wäre allerdings wünschenswert, die Transparenz dieses Systems zu stärken. So sollten Statistiken, die die Inan spruchnahme des Systems offen legen und strukturieren, obligatorisch werden. Die Schlichtersprüche sollten veröffentlicht werden (Internet, wobei die Parteien zu an onymisieren wären). Es müsste transparent werden, ob die Parteien und in welchem Umfang sie den Empfehlungen der Streitschlichtungsstellen gefolgt sind. In den Fällen, in denen die Gerichte entschieden haben, sollte geklärt werden, ob die Ge richte den Streitschlichtungsstellen vergleichbar oder eher abweichend entschieden haben. Es sollte ferner klar werden, in welchem Umfang Entschädigungen (mate riell/immateriell) geflossen sind. Die Statistik sollte ausweisen, welche Bereiche der Gesundheitsmedizin durch Streitschlichtungen in besonderer Weise betroffen sind, ob es also besonders gefährdete Bereiche gibt und eventuell auch solche, in denen Streitschlichtungen offenbar nicht erforderlich sind. Auf diese Weise könnte man darüber nachdenken, ob man in bestimmten Bereichen der Medizin gegensteuern muss. Es gäbe Signale, die die Frage stellten, ob die Medizintechnik anfällig ist und zu Fehlern neigt oder ob möglicherweise menschliches Versagen eine größere Rolle spielt.
3.2 Strukturelle Stärkung der Patientensouveränität Eine völlig andere Frage ist diejenige, wie man die Patientensouveränität strukturell stärken kann. Dafür gibt es im deutschen Gesundheitssystem zurzeit noch keinerlei Instrumente. Es würde um die Frage gehen, ob die Patienten als Ganzes auf die An gebotsstruktur Einfluss nehmen können, ob sie also ihre Nachfragemacht bündeln und auf diese Weise Angebotsstrukturen beeinflussen und verändern könnten. Bei spielhaft ist auf zu lange Wartezeiten, Servicedefizite, zu hohe Fallpauschalen, Quali tätsdefizite, Planungsfehler bei Krankenhäusern, zu teure Medikamente, zu geringe Auslastungsquoten in Krankenhäusern oder auf Defizite im Leistungskatalog der GKV zu verweisen. Es ist nicht ganz einfach vorwegzusagen, auf welchen Leistungs feldern der GKV sich die Stärkung der Patientensouveränität zuerst und möglicher weise auch nachhaltig auswirken wird. Das hängt damit zusammen, dass Wettbe werb ein Entdeckungsverfahren ist, d.h. niemand von uns vorhersagen kann, wie sich Interessen bündeln und wie sie sich bei freiem Wettbewerb letztlich durchsetzen. Das ist das Geheimnis des Wettbewerbs und macht es zugleich auch schwer, die
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Konsequenzen einer Systemumstellung im Einzelnen zu prognostizieren. Letztlich kommt es aber auch nicht darauf an, genau vorwegzusagen, auf welchen Tätigkeits feldern der GKV sich die Stärkung der Patientensouveränität auswirken würde. Es genügt, Instrumente zur Verfügung zu stellen, mit deren Hilfe Patienten ihre Inte ressen verwirklichen können. Im Zeitablauf wird sich zeigen, wie die Patienten mit der Stärkung ihrer Souveränität umgehen, mit welchen Fragen sie beginnen und wie sie ihr Einflussfeld mittelfristig erweitern werden. Die Stärkung der Patientensouveränität bedarf keiner gesetzgeberischen Aktivi täten oder Vorgaben. Der bestehende Rechtsrahmen in Deutschland erlaubt es, die Rechte der Patienten zu stärken, wenn diese es wollen. Als Organisationsgrundlage bietet sich die Gründung eines Vereins zur Stärkung der Patientensouveränität an. Dieser Verein würde in seiner Satzung verankern, dass er die Durchsetzung von Patienteninteressen auch durch Rechtsberatung und im Klagewege betreiben dürfte. Für den Verein wäre es am einfachsten, wenn er die Erlaubnis zur Rechtsberatung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz beantragen würde. Im Einzelfall kann es sinnvoll sein, zur Durchsetzung bestimmter Patienteninte ressen eine vom Verein getrennte Gesellschaft (z.B. eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, GbR) zu gründen. Auf diese Gesellschaft würden die Forderungen der Pa tienten übertragen werden. Diese Gesellschaft würde für die betroffenen Patienten die Forderungen als eigene geltend machen. Dabei müsste man im Einzelnen über die Frage nachdenken, wie der Forderungsankauf zu gestalten ist. Nach der der zeitigen Rechtslage muss es sich um ein echtes Factoring handeln – ein unechtes Factoring, bei dem die Gesellschaft das Risiko des Prozessverlustes in Wirklichkeit nicht tragen würde, wäre als Umgehung unzulässig und würde zur Nichtigkeit der Geschäfte (§ 134 BGB) führen. Ergänzend könnte man darüber nachdenken, eine Erlaubnis nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz für die Gesellschaft zu beantragen, die zur Stärkung der Patientensouveränität Gruppenklagen für diese führen soll. Welche Gruppen unserer Gesellschaft sich möglicherweise bei der Stärkung der Patientensouveränität engagieren wollen, ist völlig offen. Es liegt aber nahe, dass es Gruppierungen sein könnten, die aufgrund ihres beruflichen Bezuges ohnehin eine starke Nähe zu Patienten haben. Dazu gehören neben den Berufsgruppen, die im medizinischen Sektor tätig sind, vor allem die Angehörigen der Medien und der Presse. Sie haben einen unmittelbaren Zugang zu den Menschen. Da jeder von uns auch einmal krank sein kann und aller Wahrscheinlichkeit sein wird, könnte es nahe liegen, den Gedanken der Stärkung der Patientensouveränität durch die Medien/ Presse aufzugreifen und zu strukturieren. Das könnte insbesondere auch deshalb sinnvoll sein, weil Medien und Presse durch den zunehmenden Einfluss des Inter nets nach neuen Aufgabenfeldern suchen (müssen). Hier öffnet sich ein solches Aufgabenfeld und sucht geradezu nach denjenigen, die sich zugunsten der Bürger/ innen auf dem Feld der Verbesserung der medizinischen Versorgung engagieren wollen.
I. Der Drehbuchautor und seine Rechte
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Economic considerations The book „A sustainable health care system for Germany: strengthening patient’s sovereignty- overcoming the inability to reform (Das Deutsche Gesundheitswesen zukunftsfähig gestalten: Patientenseite stärken – Reformunfähigkeit überwinden)“ contains a descriptive comparison of international health care systems as well as an analysis of the peculiarities of the German system. Current developments and projections are presented. In addition, a normative solution approach is proposed, which aims at installing a sustainable health care system in Germany. The political feasibility is thereby of special interest. The analysis of the German health care system reveals an urgent need for modifications in order to implement a long-term sustainable framework for the next decades. The comparison of the international health care systems showed substantial potentials for efficiency enhancements in Germany, which need to be used to meet the growing demand for health care goods. The total health care expenditures increased during the last years and are currently up to 10.7 percent of GDP (OECD Health Data, 2007). Demographical developments and technical progress will continue to increase expenditures and call for a sustainable financing system that maximizes the utility of patients and insured. The financing gap of the current system is estimated to be as high as more than double the German GDP, which shows the undesirable developments of recent years, which are mainly caused by the unfavourable governance and the lack of competition in the framework of the statutory health insurance system. The newly enacted law (Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung) could not accomplish the high objectives to implement a sustainable system. Thus further action is required, as the fund for health care (Gesundheitsfonds), the core element of the newest health care act, is solely the lowest common denominator of the governing parties and is under heavy attack by various parties, since the unification of the health insurance market, the decoupling of the health financing from labour cost and the implementation of a price signal for health products were not implemented. The book discusses reform options, which introduce competition as allocation mechanism into the health care system. The options result in a sustainable and social provision of health care services for the entire population. Proposals for the reorganisation of the German insurance and the service provision market are presented to eliminate the waste of resources in the long-run. Moral hazard and adverse selection in the insurance market might be overcome by the introduction of risk adjusted premia, which at the same time introduces incentives for patients to
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demand health products depending on their own preferences. Thereby, competition for patients is initiated. Competition will not merely lead to a price war, which is often argued by critics, but also increase the quality of services, as competitors seek to differentiate themselves from other providers. Furthermore, innovations are no longer hindered as insurance companies will increase their demand to reduce costs and increase quality to attract more insured. Hence, innovations on the provisions market are put in place, which increase benefits und fit patient’s preferences. Integrated care and managed care concepts are solely two examples how efficiency of health services might be increased. The goal of the legislator in a competition based health care system is the implementation of a framework in which innovations are not hindered and actors may build up services that satisfy the needs of the patients. Minimum requirements are indispensible, as otherwise moral risk might arise and undermine the insurance market, therefore the regulator has to supervise the market and act according to the minimum requirements. However, the question has to be raised why a sustainable concept for the German health care system hasn’t been implemented earlier. Two reasons are central: On the one hand, a conglomerate of interest groups currently involved in health care provisions, especially powerful organizations and insurances in charge as well as bureaucrats, politicians and the pharmaceutical industry defer a modification towards a transparent regulatory framework based on competition. On the other hand, political decision makers cannot resist again and yet again using health politics to distinguish themselves in order to underline their social profile. Veto positions of the decision makers therefore delayed a fundamental restructuring, as merely a minimum consensus could be enacted, which hardly solved short-term problems. Possible alleys to overcome this dilemma are seldom discussed in the literature. Therefore, this book proposes the use of long-term rules, which might overcome myopic behaviour by politicians. The fathers of the Treaties of Rome decided already in 1957 to foster competition as a regulatory framework in a common European market, which also holds for the market of health care provisions. Art. 81 and 86 TEC treaty are hereby of special interest, since they fundamentally underline competition, which allows the people of the European Union to execute their right to competition also regarding health care –provisions.
Legal considerations From the analysis of the European jurisdiction three key propositions can be derived: • The structuring of the social security framework remains with the member states – however they have to consider the core values of the European Treaty. • The European Treaty does not apply for the social security framework as long as the framework is not of commercial interest. If they are of commercial interest – thus based on competition – the competition law applies. • For cross-border provisions of health care the rules on free movement of services and goods apply. On the level of the justification, claims on cross-
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border provisions may be rejected, if the granting of freedom hampers the financial stability of the social security system. The question, how the European court would deal with a system which is compared to an alternative practicable system more inefficient and ineffective, is not decided yet. Also Art. 152 par. 5 TEC does not regulate this issue, since the organisation of the social security system is excluded in the treaty. Insofar, the member states are free, as long as they stay within the boundaries of the principles of the European Treaty. These principles comprise the effectiveness and the efficiency principle. The member states are obliged to develop efficient and effective social security systems. There is certainly freedom of action towards the question which system is superior or inferior. However, if one system – e.g. the currently implemented system of statutory health insurance in Germany – is inferior to a system which contains more competitive elements, the European Treaty demands from the member states to choose the more efficient and more effective one in favour of their citizens. This is implied by the precedence of the free market (Art. 4, 98 TEC) and the principle of effectiveness (Art. 10 par. 2 TEC) as well as by the principle of proportionality (Art. 5 par. 3 TEC). In the organisation of an effective and efficient system, the member states are free to choose (Art. 152 par. 5 TEC). In contrast, they are legally bounded in their choice of a system, as soon as one system becomes superior or inferior to another. The assessment of the question whether a system of social security becomes more efficient and effective if competitive elements are introduced, depends on the status quo in the respective member state. With regard to the health care system in Germany one can easily show, that the number of competitive elements which have been introduced increased during the last two decades. The last health care reform (GKV-WSG) shows already in the title the aim of fostering competition in the system. Thereby, costs should be reduced and at the same time quality increased. The core question therefore is, whether a national legislator, who has successively introduced elements of competition step by step as it was undertaken in Germany, is obliged to take the last step towards a fully competitive system, that would lead to a more social, effective and efficient system. The German statutory health care system is a mixture of a sovereign social security system combined with competitive elements. After the commencement of the recent health care reform on 1st April 2007, the competitive elements further increased. The statutory health insurance is still a shared risk pool (§ 1 SGB V). It is based on the principle of benefits in kind. Certain occupational groups below a specific threshold income are obliged to subscribe for the statutory health insurance programs. Members of the family are automatically co-insured. A cross-subsidization is in place. The health care premium depends on the income and is independent of the actual risk of the insured. The system is based on pay-as-you-go financing without a capital base. The insurance is mandatory and the insured cannot change to a private insurance. However, there are a number of competitive elements in the statutory health insurance. One example is the possibility of reimbursements for the insured (§ 13 SGB V) – e.g. for cross-border services. Moreover, competition is introduces through
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the conclusion of an individual contract including conditions to primarily consult a family doctor or integrated services. Furthermore, competition between autonomous doctors and medical centres exists. To a certain extent patients may choose their hospitals as well as their personal doctors. Through the introduction of the fund for health care (Gesundheitsfonds) of the GKV-WSG on 1st January 2009 of competition might increase. The health fund establishes a price cap; statutory insurances collect a uniform premium, but are allowed to deviate to a certain extent in distributing profits or collecting an additional premium. Thus, additional competition is likely. The competition is even intensified if variable insurance tariffs are implemented (§ 53 SGB V), which allows patients to be treated similar to privately insured patients. Already today competition in hospital care is partly intense. Moreover, a migration of insured, who are voluntarily insured in the statutory health insurance, towards a private insurance exists. In 2005 274,000 persons change from a statutory to a private insurance, while 154,000 changed in the other direction. Hence, the German health insurance system is inconsistent. Competition increased over time, as the costs for health services hiked and the premium for the insured increased. The legislator has to act – voluntarily or not – to tackle the financing problems. Primarily two options were chosen so far: on the one hand the amount of health services covered by the statutory health insurance diminished and on the other hand cost pressure on suppliers was increased. But this strategy cannot be followed ad infinitum. The problems are tremendous, since fewer insured contribute to the system and at the same time cause higher costs. In addition, medical progress escalates, which also increases costs. The only positive side effect is the predicted increasing economic growth in the sector of health provisions. From a legal perspective, the question arises, whether the competitive elements in the social security system outweigh the principle of solidarity. Especially in Germany this question has to be raised. The increasing competitive base of the social security system raises a second question: Is the state free to choose parts of the social security system to be organized following an efficient, competitive principle, while in other parts competition is forbidden? In such a scenario, it has to be asked, why the inefficient and ineffective part is not being opened to competition. In such a situation, the state decides voluntarily to implement competitive elements in parts of the system. If the system test leads to a positive outcome, the rest of the system has to follow in order to implement a more efficient, effective and therewith also more social system. Finally, this approach refers to the basic norms of the European Treaty. The European Treaty demand in Art.4 and 98 TEC as much competition as possible, and as much regulation as necessary. The European treaties contain the ideas of services of public interest as well as solidarity – services of general economic interest can be found in Art. 16 TEC. But: services of general economic interest can only be allocated by the state, if they cannot be implemented according to a competitive framework, which is more effective and more efficient. Competition is an incorrupt, neutral and at the same time efficient motor for growth, which allocates resources in accordance with the preferences and desires of the customers. As a result, a performance-oriented provision is implemented which also guarantees technical progress.
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The analysis of the German social security law shows, that the German legislation exceeds the limits of competition and solidarity in the German statutory health insurance system. Competition became the main driver in that sector, which is in principle also favourable. The main focus now should lie on the conviction that the remaining parts, which are highly regulated, should also be opened to competition. If the legislation does not follow this simple reasoning, the European law has to step in. European commission directives on Art.86 par. 3 TEC, infringement procedures or preliminary rulings according to Art.234 TEC might support this position. Additionally, the anti-trust legislation points to a rebuilding of the German health provisions system based on competition. As a result, the system becomes socially equitable, capable, cost-efficient and long-run sustainable. The German anti-trust legislation sketched the rebuilding, as the anti-trust ruling in the case of Rhön manifested, that intense competition exists in the markets for hospital financing, medical quality and in market for health services. In case this holds for the control of mergers, it also holds for the entire anti-trust regulations, since merger based competition does not exist, as competition is universal. If competition exists, many different forms prevail; independent of the applicable form of regulation. Following the basic rules of the European law, competition has to be implemented, unless market failure is evident in parts or the entire system, which in turn requires state regulation (Art. 86 TEC). Because of the precedence of the common law, the German legislator has to act. The German statutory health insurance has to be rebuilt in order to establish a complete competitive system. However, the rebuilding is not only legally binding, but also politically and practically indispensible. It is the only possibility to reduce inefficiencies and ineffectiveness as well as to increase cost efficiency and health care quality. The German statutory health insurance system is one of the most expensive ones in the world, but by far not the most efficient one.
Strengthening of patient’s sovereignty – class action lawsuits for member of the statutory health insurance Individual mediation The analysis in the present book shows the possibility to strengthen patients’ rights by exploiting the legal system. From the perspective of individual preferences, thus the patients’ interests, mediation is a favourable option, even though the current system lacks transparency. Statistics should be obligatory, which map the utilization of the mediation service. Furthermore, mediation rulings should be published (e.g. on the internet with anonymised data). It should be transparent if and to what extent the mediation result was accepted. In cases where an additional legal action was taken, a comparison with the mediation ruling should be drawn. Moreover it should be clear how much compensation (material / immaterial) was provided. The statistics should provide data on the usage of mediation classified by sectors of the health care system and thereby indentify sectors where mediation is essential and others where mediation is rarely used. On the basis of those data one needs to decide
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whether parts of the system have to be modified. Signals on the quality of provisions would exist, which could differentiate between technical and human errors. Structural strengthening of patient’s sovereignty The structural strengthening of patient’s rights is a second question. Currently the German health system does not provided any measures to increase patients influence. It is questionable if patients can bundle their preference to increase their pressure to initiate reforms of the provision of health care goods. An engagement might evolve e.g. to restrict long waiting periods, service deficits, excessive lump sum compensation, quality deficits, planning errors in hospitals, high prices medication, too low capacity utilization in hospitals or deficits in the list of services covered in the statutory health insurance. It is not trivial to forecast in which areas of health provisions a strengthening of patients’ rights will be most effective, since competition is a discovery process. Nobody can fully grasp how the bundling of preferences will take place and how effective it will be. The secret of competition impedes to fully discover effects of a system change. At the end it is not relevant to forecast the effects of further patients’ rights, but it is relevant to introduce measures to ease the participation of patients in the decision making process of the health care system. Over time, the usage of the measures and the preferences of patients will be revealed. The strengthening of patient’s sovereignty does not require any state intervention or legal guidelines. The existing legal framework in Germany allows for a stronger influence of patients. As a legal structure a club might be registered, which aims at increasing patients’ rights. In the articles of the club’s constitution, it could be manifested that patients’ interests could be enforced either through legal advice or in filing a lawsuit. The easiest way would be the application for a permit to give legal advice in accordance with the legal service law (Rechtsdienstleistungsgesetz). In particular cases it can be reasonable to establish an organization other than a club (e.g. partnership constituted under civil code). Patients’ claims would be conferred upon the organization, which would in turn enforce the claims for the patients. In detail it has to be clarified how the transfer of rights might be undertaken, as a clear “factoring” has to take place. In case the risk of a loss of the lawsuit stays with the patient and is not conferred, the entire transmission would be invalid and declared null and void (§134 BGB). In addition, one has to deliberate about an application for a permit in accordance with the legal service law that allows for class actions to enforce patient’s sovereignty. Which groups of society will be engaged strongest in the strengthening of patients’ rights is still open. It is obvious that some groups will do more, mainly the ones which are closely related to health care services: besides medical employees, also journalists and press members. They have direct access to the people. Since each of us can and will become sick in the future, it is reasonable to focus on the media as a core measure to enhance patient’s strength. Classical media are currently under heavy restructuring as the internet challenges the old distribution channels and seek for new niches. In the promotion of patients’ rights, a new field of activity might arise, where the media might promote the peoples interest to ensure better health provisions.
Literaturverzeichnis
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C
A
Chefarztbehandlung 148 Cisal – INAIL 103
ADAC 187 adverse Selektion 31, 34 ff., 42 Albany 92 Als-ob-Wettbewerbstest 165 Altersrückstellungen 38, 40, 42, 53 Altmark-Trans 79, 164 ambulante Versorgung 134 angebotsinduzierte Nachfrage 31, 33 AOK 107 Apotheken 130, 141 Arbeitsvermittlung 83 Arzneimittel 21 Arzneimittelhersteller 130 Arznei- oder Verbandmittel 131 Ärztedichte 30 f. Ärztliche Streitschlichtungsstellen 195 Arztwahl, freie 144 Arztzusatzvertrag 153 asymmetrische Information 31, 34, 52 Auslastungsquoten 117 B Beihilferecht 79 beihilferechtliche Grenzen 164 Beitragsbelastung 146 Beitragssatz 24, 32, 58, 108 Beitragssatzunterschiede 146 Beitragsstabilität 4 Beschäftigungseffekt 25 besondere Versorgungsaufträge 134 Bevölkerungspyramide 15 Billigtarife 146 Binnenmarktziel 119 Bonus 57 Bonusverträge 34 Brentjen` 92 BUND 193 Bund der Versicherten 192 Bundessozialgericht 132
D Daseinsvorsorge 66 ff., 70 f. Daseinsvorsorgeaufgaben 118 demographische Entwicklung 4, 14 Diagnosis Related Groups (DRG) 20 ff., 33 Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 118 Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit 113 E Effektivitäts- und Effizienzprinzip 114 Effizienz 76 Effizienzpotential 12 einheitlicher Beitragssatz 145 f. Einrichtungen, andere 142 Einsparpotenzial 80 Einzelverträge 141 Ergebnisqualität 139 externe Effekte 49 F Fallpauschale 20 Fédération Française des Sociétés d` Assurance 86 FENIN-Urteil 104, 156 Festbeträge 107 f., 130 f. Festbetragsurteil 157 finanzielles Gleichgewicht 117 Form der Anreizregulierung 146 freier Marktwettbewerb 149 freier Warenverkehr 90 Freifahrerproblem 59 freiwillig Versicherte 150 Fusionskontrolle 77, 157
224
Stichwortverzeichnis
G
J
gespaltener Krankenhausaufnahme-Vertrag 152 Gesundheitsausgaben 8, 19 f., 24 f. Gesundheitsdienstleistungen im Ausland 115 Gesundheitsfonds 22 f., 32 Gesundheitsmonopol 119 Gesundheitsprämie 24 Gesundheitsreformgesetz 18, 121 Gesundheitsschutzniveau 151 Gesundheitssektor als Wirtschaftssektor 91 Gesundheitstelematik 49 ff., 115 Gewinnerzielungsabsicht 107 GKV 75, 150, 153 GKV-WSG 78, 153, 156 Gleichgewicht 117 GOÄ/GOZ 123 grenzüberschreitend 75, 103, 124, 127 grenzüberschreitende Inanspruchnahme medizinischer Leistungen 113 grenzüberschreitende Krankenhausaufenthalte 118 grenzüberschreitende Leistungen 124 Grundversorgung 78 Grundwertungen des Europäischen Vertrages 119 Gruppenklagen 167 f., 173, 179
juristische Erwägungen 203
H hausarztzentrierte Versorgung 133 Haushaltshilfe 131 Health Maintenance Organisation 36, 56 Heilmittel 130 Herrera 110 Hilfsmittelverzeichnis 130 historische Entwicklung 3 Hochschulkliniken 129 Höfner und Elser 81, 107 I Idee des Wettbewerbs 75 individuelle Streitschlichtung 197, 207 Ineffizienz 80 Institutionenökonomik 34 integrierte Versorgung 54 ff., 134 Intensivierung des Wettbewerbs 75 Interessengruppen 58 ff., 62, 67
K Kapitaldeckung 34, 37 KapMuG 168, 178 Kartellrecht 46, 77 Kartellrecht in der GKV 156 Kassenärztliche Vereinigungen 32, 54, 61 f. Kassenverbände 108 Kassenwahlrecht 146 Klagerechte 80 Kohll/Decker 89 Kompressionsthese 16 Kontrahierungszwang 42 Kostenerstattung 122, 154 Kostenerstattungsprinzip 116, 123 Kostenverlauf der GKV 16 Krankenhausaufnahme-Vertrag 152 Krankenhausbehandlung 143 Krankenhausdichte 118 Krankenhausfinanzierungsgesetz 153 Krankenkassen 129, 141 Krankentransporte 131 Krankenvollversicherungen 150 L Ländervergleich 9 Lebenserwartung 16 Leistungen im Wettbewerb 75 Leistungserbringer 130 Logrolling 60 M Maatschappij 92 Macroton 81 Marktabgrenzung 161 Marktbeziehungen 78 Marktversagen 34 f., 47 f. Marktwettbewerb 78, 159 Medikalisierungsthese 16 Medikamentenmarkt 21 medizinische Dienstleistungen 113 medizinische Dienstleistungen im Wettbewerb 74 medizinische Versorgungszentren 138 Monopolbildungen 47, 50 moralische Risiken 26 ff., 34 ff. Morbiditätsrisiko 39 More economic approach 51
Stichwortverzeichnis Müller-Fauré/Van Riet 102 Musterklage 168 N Nachfrageverhalten 162 Nachfragewettbewerb 117 Nachhaltigkeitslücke 15 f.
225 risikoorientierte Prämien siehe risikogerechte Prämien Risikostrukturausgleich 23, 26, 53, 145 Rückstellungen 38 ff., 41, 53 ff. RVO 121 S
Qualität der Leistungserbringung 8, 76, 139 Qualitätsbericht 21 Qualitätsregulierung 37 Qualitätssicherung 21 Qualitätsstandards 52, 80 Qualitäts- und Sicherheitsstandards 116 Qualitätswettbewerb 26, 160 Qualität und Struktur 141
Sachleistungsprinzip 78, 116, 121, 129, 131, 148, 154 Sammelklage 80 Schweizer Käse 154 Selbstbeteiligung 29, 35 Selbstbeteiligungsverträge 34 Selbstschädigung der Patienten 80 SGB V 120 Smits/Peerbooms 98 Solidargemeinschaft 121, 154 solidarische Finanzierung 125 soziale Gerechtigkeit 80 sozialer Ausgleich 80 soziale Sicherheit 108, 112 sozialmedizinische Nachsorgemaßnahmen 142 sozialrechtlich induzierter Wettbewerb 159 Sozialsysteme 14, 73, 74, 92, 103 Sozialversicherungssystem 149, 151 Staatsversagen 58 Stärkung der Patientenrechte 115 Stärkung der Patientensouveränität 167, 198 Steuerzuschuss des Bundes 146 Streitgenossenschaft 177 strukturelle Patientensouveränität 207 Subventionen 25, 32 System der GKV 75, 120, 128, 137, 144, 150, 154, 164 f., 204 System der Vorabgenehmigung 117 Systeme der sozialen Sicherheit 112 systemimmanente Effizienz 79 Systemvergleich 13 Systemwechsel 80
R
T
rechtliche Analyse 80 Rechtsdienstleistungsgesetz 182 Rehabilitation 142 Rettungsdienste 131 Richtlinienvorschlag 115 risikogerechte Prämien 35 ff. Risikoklassen 150
Technologiefolgenabschätzung 116 Telematik 117 Telemedizin 49 ff., 52
O OAEE 110 öffentliches Gut 48 öffentliches Unternehmen 66, 73, 81 Öffnung der Grenzen für Gesundheitsdienstleistungen 119 ökonomische Erwägungen 201 Optionsgut 48 Optionswert 59 P Patientenabwanderung 117 Patientenorganisationen 80 Patientensouveränität 80, 179, 197, 207 Pavel Pavlov 94 PKV 147 Plankrankenhäuser 129 Poucet et Pistre 84 Preissignal des Gutes Gesundheit 3, 46 Privatpatient 147 Privatversicherte 154 Prozessführung 171 Prozessqualität 139 Q
U Überforderungsregel 25 Überlebenswahrscheinlichkeit 5 ff.
226 Überschüsse 146 Umlageverfahren 38 Umverteilung 28, 39 Unterlassungsklagegesetz 171 V Van Braekel 97 Van der Woude 96 Verbände der Ersatzkassen 129 Verbandsklagen 80, 168 f. Verdrängungswettbewerb 45 Vereinslösungen 183 Versicherungsleistungen 116 Versicherungsmitgliedstaat 116 Versicherungssystem 116 Versicherungsverträge 27 Versorgung mit Hilfsmitteln 140 Vetospieler 63 f. Vorabgenehmigung 115 f., 118 vorherige Genehmigung 110 Vorrang des Gemeinschaftsrechtes 163 W Wahlfreiheit 119 Wahlmöglichkeiten 53, 162 Wahltarife 76, 88, 147, 150 Wahl- und Wechselmöglichkeiten 76
Stichwortverzeichnis Wanderungsbewegungen 150 Watts 110 Wertungswidersprüche 77 Wettbewerb 43 ff., 76 ff., 132, 159 Wettbewerb, echter 79 Wettbewerb innerhalb der GKV 43 ff., 76 ff. wettbewerbliche Elemente 43 ff., 154 Wettbewerbsrecht 67 Wettbewerbsstärkungsgesetz 22 Wettbewerb und Solidarität 155 Wettbewerb zwischen Krankenkassen 43 ff., 132 wirtschaftliches Unternehmen 118 ff. Wirtschaftlichkeit 128 Wirtschaftlichkeitsgebot 127 wirtschaftlich tätiges Unternehmen 75, 112, 113 Wirtschaftssektor 91 Wohlfahrt 45 Z zeitinkonsistentes Regierungsverhalten 65 zivilrechtlicher Krankenhausvertrag 152 Zusatzversicherungen 75, 88, 94, 147 ff., 212, 216 Zwei-Bett-Zimmer 148 zwingendes Allgemeininteresse 118