This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
DVD – Nachfolge von VHS-Kassette und CD-ROM DVD-Formate, DVD-Volume DVD-ROM DVD-Video DVD-Audio webDVD DVD Download Hybrid-DVD, Hybrid-Disc cDVD EVD und FVD – Alternativen zur DVD-5 und DVD-9 VMD – Alternative zur HD DVD und Blu-ray Disc HD DVD 3x speed DVD-ROM (HD DVD-5, HD DVD-9) Mini HD DVD Blu-ray Disc Universal Media Disc (UMD) DVD als Datenspeicher DVD, HD DVD, Blu-ray Disc – selbst gebrannt DVD-RAM, HD DVD-RAM DLT-Magnetbänder, Master für Presswerk
Einführung Speicherplatzkapazität Videokompression Audiokompression Interaktivität, Menüsteuerung Programmierbarkeit TV-, Computer-, Internet-Nutzung Kompatibilität Parental Locking (Kinderschutzsperre) Multi-Mix-Story Regionalcode 1.3.11.1 Regionalcodes der DVD 1.3.11.2 Mögliche Regionalcodes der Blu-ray Disc Kopierschutz Subtitle, Subpicture Bild-in-Bild Seitenverhältnis 4:3 und 16:9, Bildformat Eigenschaften der DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Filme (linear und interaktiv) Diashow, Bildergeschichte Musikvideos, Konzerte Karaoke Präsentation/Promotion, Point of Sale (POS), Gebrauchsanweisung Kioskanwendungen, Point of Information (POI) E-Learning, Vortragsarchiv Spiele Archivierung, Speichermedium, DVD-ROM
1.5 Zukunft und Chancen der DVD-Formate
1.5.1 1.5.2
ii
Welches DVD-Format wird sich durchsetzten PODcasting – Konkurrenz oder Ergänzung 1.5.2.1 Herausforderungen und Chancen der DVD-Formate 1.5.2.2 DVD – Dynamic Versatile Dataformat 1.5.2.3 Alternativen zu den DVD -Formaten (DVD , HD DVD , Blu-ray Disc) 1.5.2.4 Video interaktiv – Fazit zur Zukunft der DVD-Formate
2.1.1 Der Traum vom interaktiven Kino ist geplatzt
99
2.1.2 Interaktion bei Film und Fernsehen
101
2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3
101 104 106
Unterschiede der Interaktion am Fernseher und am Computer Interaktive Steuerung per Fernbedienung Interaktivität im Kino und am Fernseher (TV, DVD, iTV, MHP, HTPC)
2.1.3 Maya rennt. Versuch und Irrtum nichtlinearen Erzählens in künstlerischen Verlaufsformen
Eine Re-Lektüre Freuds Die Nähe zur Dekonstruktion Der Kinokomplex Der Film als Textfilm Das Festhalten am weiblichen Star Zwischen Regisseurin, Darstellerin und Zuschauerin Mythische und soziale Implikationen der Sphinx Die befreite Kamera Rahmenstruktur und kinematografische Codes Die Rätsel des Kinos (zwischen Intertextualität, Errettung und DVD-Format)
126
127 128 129 130 131 133 135 136 136
137
2.2 Orientierungsbeiträge/Wissensvermittlung
2.2.1 Die Integrierte Publikation
140
2.2.1.1 2.2.1.2 2.2.1.3 2.2.1.4
iii
Neue Medien Monokultur Mixed-Media-Lösung Wesentliche Merkmale der Integrierten Publikation
Inhaltsverzeichnis
144 147 148 149
2.2.2 Orientierungsbeiträge zu Wissensvermittlung und Didaktik
2.2.3 Kooperatives E-Learning und computervermittelte Kommunikationsprozesse
2.2.3.1 2.2.3.2
2.2.3.3 2.2.3.4
Die DVD als Wissensvermittungs- und Dokumentationsmedium DVD und Internet DVD und Printmedium Auswahl und Interaktion Nachhaltigkeit Tracking und Evaluierung Projekt-Beispiele
Was ist E-Learning? Lernprozesse und ihre lerntheoretische Basis Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus Computervermittelte Kommunikation (CvK) Computer Supported Cooperative Learning (CSCL)
Für ein paar Pixel mehr 3.7.1.1 Einschränkungen durch HDMI und HDCP 3.7.1.2 Softwarebasierte Kopierschutzstrategien 3.7.1.3 HD (High Definition) – Qualitätsmerkmal oder Trojaner? 3.7.1.4 IPTV als Alternative 3.7.1.5 Synergie und Koexistenz 3.7.1.6 Kopierschutzstrategie versus Innovation 3.7.1.7 Broadcast und Audio Flags 3.7.1.8 Digitale Video- und Audio-Wasserzeichen 3.7.1.9 Das Überwachungsprogramm BD+ 3.7.1.10 Weitere Folgen des Kopierschutzes CDA (Control Data Area) CGMS (Copy Generation Management System) CPPM (Content Protection for Pre-recorded Media) CPRM (Content Protection for Recordable Media) CSS (Content Scramble System) DTCP (Digital Transmission Content Protection) DRM (Digital Rights Management) HDCP (High-bandwidth Digital Content Protection) HDMI (High Definition Multimedia Interface)
Dateienstruktur der DVD-Video Dateienstruktur der HD DVD Dateienstruktur der Blu-ray Disc
3.9 Programmierung für DVD-Video
3.9.1 3.9.2 3.9.3
3.9.4
3.9.5
Möglichkeiten der DVD-Programmierung Authoring-Software Arbeiten mit Skripten 3.9.3.1 Unterschiedliche Skriptarten 3.9.3.2 Variablen Beispiele für die Skriptanwendung 3.9.4.1 Optimierung der Benutzerführung 3.9.4.2 Die Zufallsfunktion 3.9.4.3 Die Playlist 3.9.4.4 Altersfreigabe 3.9.4.5 DVD mit mehreren Sprachversionen 3.9.4.6 Lernanwendungen 3.9.4.7 Aktives Eingreifen des Nutzers in den Ablauf eines Spielfilms Fazit
DVD-Video-Authoring 3.10.1.1 Heimanwender-Bereich 3.10.1.2 Semiprofessioneller Bereich 3.10.1.3 Professioneller Bereich HD DVD- und Blu-ray Disc-Authoring DVD-ROM-Authoring Zusatzsoftware
316 316 319 321 323 326 330
3.11 Audio-/Videotechnik (Podcast)
331
3.11.1 3.11.2 3.11.3
331 335 336
Einleitung zum Thema Nutzungshinweise zum Podcast Inhaltsverzeichnis des Podcast
4 Projekte im Detail
4.1 Erzählformen
339
4.2 Wissensvermittlung
388
vi
Inhaltsverzeichnis
4.3 Spiele
462
4.4 Präsentation/Dokumentation
482
5 Sound, Surroundsound
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
5.6 5.7
5.8
5.9
Sounddesign – Bilder hören, Töne sehen Das akustische Drehbuch Wie hat alles angefangen? Die Entwicklung beim Surround-Sound bis heute Verfahren zur Erzeugung des Raumeindruckes 5.5.1 Dolby‑Systeme 5.5.2 DTS 5.5.3 DTS ES 5.5.4 SDDS 5.5.5 THX DVD‑Audio, SACD, HD-DVD, Blu-ray Disc Verfahren zur Kompression von Daten 5.7.1 Digitalisierung von Audiosignalen 5.7.2 Kompression 5.7.3 Audioformate / Bitrate / Speicherbedarf 5.7.4 Kritische Frequenzbänder Literaturquellen 5.8.1 Bücher 5.8.2 Periodika/Fachzeitschriften 5.8.3 Quellen im Internet Glossar
Testen 6.2.4.1 Testvorbereitung 6.2.4.2 Testumfang 6.2.4.3 Pre-Mastertest 6.2.4.4 Test der Programmierung 6.2.4.5 Verifikation 6.2.4.6 Test PAL-Save-Bereich 6.2.4.7 Testdokumentation Qualitätssicherung Fremdsprachen
7 Medienrecht und Verwertung
7.1 7.2
7.3
7.4
7.5
7.6
7.7 7.8
ix
Einführung Potentiell entgegenstehende Rechte 7.2.1 Urheberrechte 7.2.2 Verwandte Schutzrechte 7.2.3 Rechte an Schrifttypen 7.2.4 Marken und andere Kennzeichen 7.2.5 Geschmacksmusterrechte 7.2.6 Patent- und Gebrauchsmusterrechte 7.2.7 Wettbewerbsrecht Verwertungsgesellschaften 7.3.1 Aufgaben der Verwertungsgesellschaften 7.3.2 Überblick über die verschiedenen Verwertungsgesellschaften 7.3.3 Bedeutung der Clearingstelle Multimedia Lizenz und Rechtsübertragung 7.4.1 Ansprechpartner 7.4.2 Lizenz 7.4.3 Übertragung 7.4.4 Grundsätze vertraglicher Gestaltung 7.4.5 Kosten des Rechtserwerbs Sicherung eigener Rechte 7.5.1 Urheberrecht 7.5.2 Titelschutz 7.5.3 Markenschutz Kopierschutz und Informationen für die Rechtewahrnehmung 7.6.1 Kopierschutz und andere technische Schutzmaßnahmen 7.6.2 Informationen für die Rechtewahrnehmung Subunternehmer Steuerrecht
Audio-/Videotechnik DVD – Standards und Spezifikationen Erzählformen Film- und Fernsehdesign Interaktivität und Bewegtbild Interfacedesign Konzeptentwicklung Lehr-/Lerntheorie – Wissensvermittlung mit Bewegtbild Projektmanagement Screendesign Usability Visualisierung Wissensmanagement
Geleitwort: Pits, Lands und Licht – die Disc als kreatives Medium und interaktiver Wissensspeicher Heide Hagebölling
Der Untertitel des vorliegenden Buches »Video interaktiv: ...« weist über den rein technologischen Aspekt der DVD hinaus und bezieht mit zahlreichen Beispielen das breite Anwendungsspektrum dieses vielseitigen Mediums ein. Die DVD, insbesondere die Video DVD, hat auf dem Markt der Massenunterhaltung längst eine Spitzenposition erreicht. Zugleich nimmt Ihre Bedeutung im Kontext des exponentiellen Informationswachstums, das durch die Verbreitungsgeschwindigkeit der elektronischen Massenmedien und insbesondere des Internets begünstigt wird, erheblich zu. Ihre Rolle – und davon ist auszugehen – wird sich mit veränderter technischer Basis – sei es als Blu-ray Disc, als HD DVD oder optischer Disc basierend auf holographischen Verfahren – auch im Verbund mit Netzwerken – zukünftig noch verstärken. In ihren kulturellen und gesellschaftlichen Wirkungen kann die DVD jedoch nicht als Einzelphänomen betrachtet werden, vielmehr ist sie Teil einer Grund legenden strukturellen Veränderung des gesamten Kommunikationswesens. Torsten Stapelkamp trägt dieser Entwicklung Rechnung: nicht der isolierte Blick auf Technik, Software und produktions technische Umsetzungen sondern medienintegrative Ansätze und die Einbeziehung zahlreicher inhaltlicher und anwendungsorientierter Beispiele komplettieren das Buch. »Die DVD« so schreibt er in seiner Einführung »wird mit diesem Buch bewusst als Inhalts- und nicht nur als Datenträger beschrieben.« Die DVD ist zunächst ein Speichermedium, das aus zahlreichen Entwicklungen und Vorgängermedien hervorging und seitdem kontinuierlich weiterentwickelt wird. Es handelt sich somit nicht um eine abgeschlossene Technologie sondern um einen Abschnitt eines fortschreitenden Prozesses. Daher hat die DVD – von der technischen, über die wirtschaftliche bis zur kulturellen und künstlerischen Seite – viele Väter und Mütter. Hier lohnt ein kurzer Rückblick. Im Juli 1945 hatte der amerikanische Wissenschaftler und Ingenieur Vannevar Bush seinen Artikel »As We May Think« publiziert. Hier beschrieb er seine Vision einer einfach zu bedienenden, Informationen verarbeitenden Maschine, den Memory Extender oder Memex. Sie sollte das menschliche
Heide Hagebölling: Pits, Lands und Licht
1 Bush, Vannevar: As We May Think. Auf www.ps.uni-sb.de wird der vollständige Beitrag wiedergegeben.
Gedächtnis sowie das assoziative Denken unterstützen. Der Memory Extender war nicht nur eine Art multimediale Bibliothek, die gespeichertes Wissen in Bild, Text, Ton und Bewegtbild per »fingertip« bereitstellte. Das Revolutionäre an Memex waren zwei Merkmale: es erlaubte einerseits die Nutzer orientierte Verknüpfung und Hierarchisierung von Inhalten und anderseits das Hinzufügen eigener, relevant erscheinender Daten. Memex wurde dadurch ein offenes, flexibles, ständig wachsendes multimediales System, das sich spezieller Interfaces bediente, so auch der Sprachsynthese und –erkennung. Angesichts der globalen Informationsflut und der weltweiten Zunahme wissenschaftlicher Ergebnisse und Erkenntnisse ein durchaus aktuelles Modell. Die damals zur Verfügung stehenden Medien wurden zu einem Individualspeicher verbunden, was jedoch fehlte, waren die Fähigkeiten des späteren PCs und die Integration in ein interaktives, multimediales Globalnetzwerk.1 Sam Fedida, Ingenieur der britischen Post, gelang es 1972 elektronische Texte über die sogenannte Austastlücke beim Fernsehsignal auf den Bildschirm zu übertragen. Dieses heute von allen Sendern genutzte VideotextSystem, ursprünglich Viewdata genannt, eröffnete die wichtige Phase der Textübertragung und elementarer Interaktivität über das bisher ausschließlich Bild zentrierte Fernsehgerät für Millionen von Menschen. Es war zugleich die Überleitung zu den so genannten Videotex-Systemen, die ersten auf eine globale öffentliche Nutzung hin entwickelten interaktiven Systeme, die das Telefon als Übertragungskanal und das Fernsehgerät – ergänzt durch einen Decoder – zusammenschlossen. In Deutschland wurde das System Bildschirmtext/Btx benannt und in Feldversuchen erprobt, systematisch untersucht und weiterentwickelt. In Zusammenarbeit mit der Bundespost und den europäischen Telekom-Einrichtungen hat die Arbeitsgruppe Medienentwicklung/Medienforschung (AGM) unter der Leitung von Manfred Eisenbeis an der Hochschule für Gestaltung Offenbach dazu die Untersuchung und Neugestaltung der Darstellungsleistung durchgeführt, die zu Beginn der 80iger Jahre zum europäischen CEPT-Standard führte. Diese wohl erste umfassende Untersuchung und Darstellung der gestalterischen Möglichkeiten eines neuen Mediums wurden 1983 in dem Programm MOSAIK zusammen gefasst und über das Bildschirmtext-Sytem in etwa 3000 Seiten sowie in zahlreichen Publikationen veröffentlicht, somit, ergänzend zu den systemtechnischen Erweiterungen, der Öffentlichkeit für die Entwicklung eigener Anwendungen zugänglich gemacht, um gesellschaftliche Erprobung, Akzeptanz und Nutzung zu ermöglichen. Entscheidende Kriterien waren dabei, dass aufgrund der vorhersehbaren interkulturellen Reichweite und Bedeutung solcher interaktiver Systeme, alle Wissens- und Darstellungsbereiche textlich wie bildlich darstellbar waren sowie ergonomische und ästhetische Standards erfüllten. Dies schloss gleichermaßen die universelle Nutzung in Wirtschaft, Wissenschaft, Erziehung, Kunst wie den gesamten Umfang privater Anwendungen ein.
Geleitwort
2 Eisenbeis, Manfred u.a.: MOSAIK. Handbuch für die Gestaltung von Bildschirmtext. Nürnberg 1985. In näherer Betrachtung des interaktiven Medienverbundes Bildschirmtext konzentrierte sich die Publikation auf drei wesentliche Merkmale: die inhaltliche Vielfalt und Anwendungsbreite, den massenmedialen Charakter und die Bedeutung einer qualifizierten visuellen Darbietung der Information als Voraussetzung der Informations- und Kommunikationsleistung. Alle Inhaltsbereiche werden bereits systematisch vorgestellt: Wirtschaft, Medien, Wissenschaft, e-learning, Unterhaltung, Kunst und Kultur.
Manfred Eisenbeis, der dann 1989 die Kunsthochschule für Medien in Köln gründete, hatte diese Anforderungen an technische Syteme und die davon ausgehenden Wechselwirkungen unter dem Begriff der »Medienkultur« zusammengefasst: »In dieser Perspektive sind technologische Entwicklungen zugleich auch immer Faktoren kultureller Entwicklung, beeinflussen Wahrnehmung, Kommunikation und schöpferische Prozesse wie die Geschichte von Fotografie, Film, Fernsehen und, in noch nachhaltigerer Weise, die des Buchdrucks gezeigt hat«. Dieses Zitat aus seiner 1985 veröffentlichten Publikation »MOSAIK. Handbuch zur Gestaltung von Bildschirmtext« hat nichts an Aktualität eingebüßt.2 Als Vorläufer-Speichermedium der DVD kann die analoge LaserDisc betrachtet werden. Sie basierte auf Videoauflösung im PAL, NTSC oder SECAM Standard. Die LaserDisc beinhaltete bereits alle wesentlichen Merkmale der DVD. Sie konnte über einen Player via Fernbedienung als lineares Medium oder über ein Menü gesteuert werden und war das erste Medium mit exklusiven Spezialeditionen, die Extras wie Audiokommentare, Trailer und Hintergrundberichte beinhalteten. Oft wurden Filmemacher für die LD-Editionen befragt oder fertigten neue Transfers an. Diese Basis etablierte die Industrie, die heute der DVD zu ihrem Erfolg verhilft. Große Filmproduktionsfirmen verlegten in den 80er Jahren den Filmschnitt auf wieder beschreibbare LaserDiscs gesteuert durch PCs. Der bildgenaue Zugriff inklusiv Standbild nahm hier bereits den nicht-linearen Schnitt vorweg. Im Verbund mit einem PC und teilweise auch mit Btx wurde die LaserDisc zur gleichen Zeit als interaktives Hybridmedium in Museen, Ausstellungen, auf Messen, als POS oder POI, zur Wissensvermittlung und als interaktive Schulungs- und Lernplattform eingesetzt. Ein Novum bestand nun in der Kopplung von Btx und LaserDisc, sprich Netz und Bewegtbild, wie sie u.a. von der Autorin im Rahmen der AGM an der HfG Offenbach entwickelt wurde. Dies erlaubte den Abruf aktueller Netz verteilter Daten in Verbindung mit Video auf Disk und Live-TV. Zugleich zeichnete sich hier bereits ein Vorgriff auf kommende integrative und hybride Mediensysteme ab, die sich auch gegenwärtig kontinuierlich weiter entwickeln. Ebenfalls auf dieser Grundlage entstand mit 40 Monitoren die wohl komplexeste interaktive Informations- und Splitscreenwand der 1980er bis 90er Jahre, die für die Leistungsschau des Bundespostministeriums realisiert wurde. 5 LaserDisc-Player, Live-Kameras und Netzinformationen konnten zusammengeführt und nach Bedarf über mehrere Terminals interaktiv bedient werden: ein offenes System, das auch weiteren gestalterischen und künstlerischen Entwicklungsvorhaben Freiraum bot. Dieser Medienverbund konzentrierte schon damals Eigenschaften und Potentiale heutiger großflächiger Präsentationsmedien. Pioniere der interaktiven Kunst wie z.B. Steina und Woody Vasulka, Titus Leber, John Sanborn und Chris Hales haben in den letzten 25 bis 15 Jahren vieles vorweggenommen, was die jüngere
Heide Hagebölling: Pits, Lands und Licht
3 Eisenbeis, Manfred und Heide Hagebölling (Hrsg.): Synthesis – Die visuellen Künste in der elektronischen Kultur/Visual Arts in the Electronic Culture. Hochschule für Gestaltung Offenbach 1989. Die Publikation entstand im Rahmen eines internationalen UNESCO-Kolloquiums. Sie beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen den kreativen Disziplinen und neuen Technologien in Aspekten der Ausbildung (elektronische Akademie), des künstlerischen Prozesses (elektronische Kunst und Kreativität) und der Veröffentlichung (das elektronische Museum) und nimmt bereits zahlreiche aktuelle Entwürfe und Ansätze zu diesem Themenkomplex vorweg. Vasulka, Steina and Woody Vasulka: www.vasulka.org gibt einen Überbblick über die künstlerischen Installationen und Experimente unter anderem in der Nutzung der LaserDisc. 4 Hagebölling, Heide (Hrsg): Interactive Dramaturgies: New Approaches in Multimedia Content and Design. Heidelberg, London, New York, 2004. Die Publikation beschäftigt sich mit neuen Formen der Dramaturgie im Rahmen interaktiver Arbeiten vom Film bzw. Video bis zur Ausstellung. In ausführlichen Beiträgen stellen hier u.a. Titus Leber, John Sanborn und Chris Hales ihre Arbeitsansätze vor. Die aufwendige interaktive Mozart DVD von Titus Leber wird unter www.mozart interactive.com ausführlich dargestellt.
Generation der Gestalter, Künstler, Filmemacher und Wissenschaftler heute erneut bzw. immer noch beschäftigt. Mit »The West – an electro/opto/mechanical environment« nutzten Steina und Woody Vasulka schon 1983 die Vorzüge mehrerer mit einander synchronisierbarer LaserDisc-Player zur Herstellung einer audiovisuellen Rauminstallation. Die Schaltung erfolgte bereits als Loop. In ihrer Performance »Violin-Power« Ende 1980 spielte Steina erstmals eine MIDI Violine mit einem über PC gesteuertern LaserDisc Player. Die Belegung der Saiten, veränderbare Tempi, Rhythmen, Vor- und Rückspiel ließen sich synchron auf die Steuerung der Bildplatte übertragen. Steina benutzte die Bildplatte wie ein Instrument, eine Art V-Jing zwischen Violine und Bildplatte.3 Titus Leber, Kunsthistoriker, Autor und Filmregisseur, entdeckte das Potential des interaktiven – oder besser – des »extended« Films« ebenfalls zu Beginn der 80er Jahre. Seine LaserDiscs »Wien interaktiv« und »Mozart interaktiv« waren Weg weisend. Schon hier gelang es ihm, aus filmischer Dramaturgie und den Besonderheiten des interaktiven Mediums neue Erzählformen zu schöpfen. Noch wesentlich avancierter konnte er seine Vorstellungen des interaktiven, polystrukturellen Erzählens in der Produktion »Leben und Lehre des Buddhas« umsetzen, eine Edition, die auf 3 CD-ROMs das Universum des Gelehrten umfasst und demnächst als DVD verlegt werden soll. Die zu Mozarts 250. Geburtstag als DVD überarbeitete und neu aufgelegte »Mozart interaktiv« wird dieses gelungene Zusammenwirken von Film, audio-visuellem Feuilleton, Information, Expertenwissen und Exploration bestätigen. Leber, spezialisiert auf Musikfilme u.a. über Gustav Mahler, erzählt Mozarts Leben in kompakt gestalteten Episoden und Informationssträngen. Die wichtigsten Musikstücke wurden in 80 Videoclips umgesetzt. Ergänzt wird diese Kurzform durch eine direkte Anwahl des jeweiligen Stücks, das dann in voller Länge auditiv wiedergeben wird. Die einzelnen Musikstücke sind wahlweise auch durch ein interaktives Köchelverzeichnis ansteuerbar. Insgesamt bietet diese DVD neben eineinhalb Stunden audiovisuellen und filmischen Materials eine musikalische Wiedergabe von siebeneinhalb Stunden.4 Wegbereiter des interaktiven Films und Geschichtenerzählens sind auch der britische Videokünstler Chris Hales und der amerikanische Regisseur John Sanborn. Hales Geschichten begannen mit den ersten CD-ROMs und den ersten Möglichkeiten, Bewegtbilder auf dem PC darzustellen. »Jinx« (1996), die Geschichte eines vertrackten Vormittags, läuft ohne Intervention des Betrachters zunächst völlig normal. Erst die Entschlüsselung einzelner Gegenstände als Unheilsstifter und deren Aktivierung per Mausklick – oder in der Installation per Fingerzeig – lässt den ruhigen Tagesbeginn ins Chaos stürzen. Der Betrachter bestimmt den Verlauf. Hales experimentierte mit zahlreichen weiteren Formen, so dem »parallel streaming« von bis zu neun Sequenzen, die eine Geschichte ergeben. In Abgrenzung zum klassischen Kinoerlebnis bezeichnet er seine Arbeit als »Interactive Movies«. Zudem
Geleitwort
5 Hales, Chris:Interactive Movies. PhD-Thesis University of East London, Smart Lab, 2006
6 Streitfeld, David: A web of Lies. Unter www.washington post.com vom 9. August 1997 wird die dramaturgische Methode von John Sanborns Webisode »Paul is Dead« ausführlich dargestellt. Die sehr erfolgreiche Geschichte bezieht die Bedingungen des Mediums sowie das Kommunikations- und Nutzerverhalten als strukturelles Merkmal ein. Ein Modell, das sicherlich auch für interaktives Erzählen mit hybriden Medien nichts an Aktualität verloren hat. Cohen, Alex: Paul is Dead. Auf der Site www.wired.com, April 1998, beschreibt Alex Cohen Inhalt und Aufbau der Webisode.
verfährt Hales bei seinen Präsentationen zweigleisig: es sind entweder Installationen (in Galerien und auf Festivals so z.B. erstmals auf den Oberhausener Kurzfilmtagen 1996) oder er tritt als Guide bzw. Animator vor einem größeren Publikum auf: eine Vorstellung zwischen Kinovorführung und Event, in der das Publikum je nach Interface (u.a. Einstimmen von Tonfolgen etc.) den Ablauf beeinflusst.5 John Sanborn, amerikanischer Videokünstler und Fernsehregisseur, hat kaum ein Experiment im Bereich neuer Technologien ausgelassen. Nach HDTV Produktionen für bekannte Musik- und Tanzgruppen sowie avancierten Animationen richtete sich sein Interesse auf die interaktive CDROM und das nicht-lineare Erzählen. 1994/95 entstand mit Unterstützung von Marc Cantor, Gründer von MacroMind, die Produktion »The Band«, eine CD-ROM, die auditiv wie visuell durch das Intervenieren des Benutzers wie eine Scratch Disc animiert wurde und so in immer neuen audiovisuellen Loops bereits D-Jing und vor allem V-Jing vorwegnahm. Zeitgleich startete die mittlerweile legendäre Webisode »Psychic Detective« zwei Jahre später gefolgt von der nicht minder erfolgreichen Webisode »Paul is Dead«. Für beide Stories wurde eine ungewöhnliche, völlig neue Dramaturgie und narrative Methode entwickelt, quasi ein neues Format des interaktiven Erzählens. Sanborn als Regisseur und Michael Kaplan als Autor hatten es zudem verstanden, die medialen Eigenschaften des Internetsystems einschließlich des Kommunikations- und Nutzerverhaltens in Story, Vermittlung und Dramaturgie einfließen zu lassen. Es entstanden Geschichten in Form von daily episodes, die die Grenzen zwischen Fiktion, Bericht, Aktualität und Information aufhoben. Hier liegen noch erhebliche Potentiale, die sich die DVD als Erzählmedium insbesondere in Verbindung mit dem Internet zu eigen machen kann.6 »DVDs produzieren, gestalten und herstellen« befindet sich also in einer sehr kreativen und anspruchsvollen Nachbarschaft. Allerdings gibt es zu den Vorgängermedien wesentliche Veränderungen, die der Vermarktung und Miniaturisierung von Video- und Digitalkameras, sowie dem Telefon vergleichbar sind. Die DVD ist handlich, mobil, relativ robust und kann als preiswertes Speichermedium auch von Laien problemlos genutzt werden. Kostete die Produktion einer LaserDisc in den Anfangsjahren noch ein kleines Vermögen und konnte nur mit relativ großem Programmieraufwand bei einigen hierauf spezialisierten Produzenten hergestellt werden, so wird der Nachfolgespeicher als günstiges Verbrauchsmittel gehandelt. Die Medienherstellung und -nutzung hat sich in den letzten 10 bis 15 Jahren völlig verändert. Wurde die CD-ROM durch die konzentrierte Nutzung des Internets bereits totgesagt, so zeigt sich heute, dass der Nutzer weitaus souveräner mit verschiedenen medialen Plattformen umgeht, auch im Gebrauch hybrider Formate. So auch mit der DVD. Die Integration von Laufwerk und Brenner in den PC sowie verbesserte Darstellungsverfahren und größere Speicherkapazitäten haben hierzu maßgeblich beigetragen.
Heide Hagebölling: Pits, Lands und Licht
In der post-industriellen Gesellschaft, in der – wie Daniel Bell bereits 1973 in seinem Buch »The Coming of Post-Industrial Society« konstatierte – das Wissen eine der wichtigsten Ressourcen darstellt, gilt es auch probate Zugangs- und Vermittlungswege zu finden. Speichermedien wie die DVD sind durch Ihre breite Akzeptanz und ihre gute Abbildungs- und Integra tionsfähigkeit zum derzeitigen Zeitpunkt geradezu prädestiniert, hier eine angemessene Rolle zu übernehmen. Torsten Stapelkamp und seine Mit autoren knüpfen an diesen aktuellen Bedarf an und stellen interessierten Kreativen, Wissenschaftlern und Publizisten die notwendigen pragmati schen Grundlagen und ausgewählte Fallbeispiele zur Verfügung. Es bleibt die Herausforderung, dass die zukünftigen DVD-Autoren und Gestalter mit Ideenreichtum und der Gabe, komplexe Kommunikationsprozesse anregend und fesselnd umzusetzen, die mediale Landschaft bereichern. Fragt man nach der Perspektive der DVD und möglichen Nachfolge medien so wird neben einer pragmatischen Handhabung des jeweils technologischen Standards vor allen Dingen die interaktive Vermittlung von Inhalten und damit die Gestaltung kommunikativer Vorgänge mit dem Ziel der Akzeptanz Priorität haben. Doch es geht zugleich um die Findung angemessener Methoden. So mag der interaktive Film als Kinoerlebnis schwer umsetzbar – an sich jedoch nicht tot sein, wie im Titel des zweiten Kapitels behauptet. Im Gegenteil. Filmische Merkmale wie die erzählerische Qualität, die Art – auch der emotionalen – Ansprache, eine sinnvolle Segmentierung und Verknüpfung von Vorgängen und dramaturgische Regeln gehen weit über die lineare Konstruktion des Fiktiven hinaus und könnten so modellhaft zur weiteren Entwicklung und zum besseren Verstehen interaktiver Kommunikations prozesse beitragen. Heide Hagebölling
Die Autorin
Prof. Heide Hagebölling ist Gründungsmitglied der Kunsthochschule für Medien Köln und Professorin für Video/interaktive Medien. Sie studierte visuelle Kommunikation, Film und Medienwissenschaften in Deutschland und den USA. Lehrtätigkeiten für Film und Video an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, an den
Geleitwort
Universitäten Heidelberg und Frankfurt sowie an der FH Trier. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind mediale Dramaturgien und interdisziplinäre Projekte im Beziehungsfeld von Kunst, Musik, Tanz, Szenografie und neuen Technologien. (www.khm.de/mg)
Einführung Torsten Stapelkamp Mit diesem Buch sollen die linearen und interaktiven Nutzungs- und Präsentationsmöglichkeiten aufgezeigt werden, die sich durch interaktive Videos und die Eigenschaften der DVD, der HD DVD und der Blu-ray Disc ergeben. Die DVD spielt dabei als Datenträger bzw. als Übertragungsmedium nicht immer eine Rolle. Es geht vielmehr darum, die Möglichkeiten des interaktiven Videos als Formate zu etablieren. Die in diesem Buch beschriebenen Nutzungs- und Präsentationsformen werden nur deshalb anhand der DVD, der HD DVD und der Blu-ray Disc erläutert, da diese aktuell verfügbar sind. Die neuen DVD-Formate bieten gerade jetzt interessante Möglichkeiten, die sich trotz steigender Bandbreiten und zunehmender Beliebtheit von internetbasierten Video- und TV-Angeboten gerade im Internet nicht oder zumindest nur im Ansatz umsetzen und darstellen lassen. Die in diesem Buch genannten DVD-Formate werden nicht nur als allein für sich stehende Medien gesehen, sondern als Bestandteile innerhalb einer Vernetzung mit weiteren medialen Angeboten definiert. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Podcasting [S. 90] und Vodcasting und entsprechende Abspielgeräte wie der Video-iPOD und das iPhone von Apple zu erwähnen. Gerade das iPhone bietet in Hinblick auf die zukünftigen Entwicklungen außerordentliches Potenzial, DVD-Daten innerhalb seines OS X-Betriebsystems mit einem integrierten Player mobil abspielen zu können. Dieser Player wird dem des Software-DVD-Players für Apple-Computer mit OS X entsprechen, allerdings nicht die DVD als Scheibe, sondern nur deren Daten in Form des AUDIO_TS- und des VIDEO_TS-Ordners benötigen. Im Buch wird dargestellt, wie im Rahmen dieser Möglichkeiten Linearität, Nonlinearität und Interaktion für Erzählformen, für Spiele und zur Wissensvermittlung bzw. für e-Learning-Konzepte genutzt werden können und an welchen Produktionen man sich orientieren kann, welche technologischen Spezifikationen bei den DVD-Formaten zu berücksichtigen sind und welcher Ausblick darüber hinaus auf die Zukunft denkbar ist. Die DVD wird als Medium und als Format, jedoch nicht als Datenträger vorgestellt. Daher werden in und mit diesem Buch weniger Film-, sondern nahezu ausschließlich DVD-Produktionen beschrieben. Die zunehmende Bedeutung interaktiver DVD-Produktionen, die auch mit dem Kürzel DVDi bezeichnet werden, machen Marktdaten deutlich. Weihnachten 2005 wurden z.B. bereits allein in Großbritannien mehr als 1,5 Mio. DVDi-Titel verkauft. Und im Weihnachtsverkauf des Jahres 2006 verdreifachte sich dort der Absatz auf 4,5 Mio. DVDi-Titel.1 Mehreren DVDi-Titeln gelang es sogar
1 Quelle: ChartTrack
Torsten Stapelkamp: Einführung
bereits, international über 1 Mio. Mal verkauft zu werden.2 Der Anstieg der Marktanteile der DVD im Bereich der interaktiven Anwendungen drückt sich auch in der Zunahme der verkauften Abspielgeräte aus. Der deutsche Consumer Electronics Markt stieg 2005 um 13,9% auf 12,3 Mrd. €. Die DVDTechnologien belegen davon etwa 20%.3 Die Interaktionsmöglichkeiten der DVD lassen sich zwar für nonlineare Erzählformen und zur Erweiterung der Wissensvermittlung einsetzen, finden den wesentlichen Einsatz aber selbstverständlich im Spielesektor. Laut Marktanalysen liegt der weltweite Markt für DVD-Games, die am Fernseher mit einem handelsüblichen DVD-Player genutzt werden können, für das Jahr 2007 bei 1 Mrd. US Dollar.4 Warum sollte es nicht möglich sein, Anteile dieser Erfolge auch auf solche interaktiven DVD-Formate übertragen zu können, die das Interesse am Spielen, Erforschen und Entdecken für nonlineare Erzählformen und zur Wissensvermittlung nutzen?
2 Quellen: Chart Track, GfK.
3 Quelle: gfu, GfK.
4 Quelle: Screen Digest.
Die Bezeichnung DVD-Format ist hier bewusst gewählt und zielt darauf ab, nicht nur technische Formate im Sinne von DVD-Varianten zu berücksichtigen, sondern auch Formate im Sinne von Genres, so wie man es von Fernsehformaten her kennt (Spielfilm, Dokumentation, Erzählung, Event-Show, Talkshow etc.). Die DVD wird mit diesem Buch, wie bereits erwähnt, nicht ohne Grund als Inhalts- und nicht nur als Datenträger beschrieben. Mit den Möglichkeiten interaktiver Medien im Allgemeinen und den DVD-Formaten im Besonderen, können Informationen und Inhalte audiovisuell wiedergegeben bzw. durch den Betrachter linear, nonlinear und/oder interaktiv abgerufen und verändert werden. Die DVD-Formate sind daher mehr als nur Datenträger bzw. Abspielmedien. Durch die Möglichkeit des Auswählens, der Interaktion und der Aktualisierbarkeit über das Internet erhalten diese Medien Eigenschaften, die den Betrachter zum mitwirkenden Anwender, wenn nicht sogar zum Mitspieler werden lassen können. Bereits diese kurze Erläuterung dürfte deutlich machen, dass ein Designer für interaktive Produkte zwangsläufig Gestalter und Autor in einer Person ist. Dieses Buch richtet sich demnach an Autoren im weitesten Sinne (Filmemacher, Drehbuchautoren, Designer, Künstler, Spieleentwickler, Musiker, Tonmeister, Wissenschaftler etc.) bzw. an Interessenten, die sich mit den Möglichkeiten der DVD-Formate auseinandersetzen wollen, um sie als künstlerisches, gestalterisches Ausdrucksmittel oder zur Wissensvermittlung zu nutzen. Technologische Aspekte werden daher nicht immer im Detail, sondern bisweilen nur soweit erwähnt und erläutert, wie es erforderlich ist, um für diese Formate schreiben, konzipieren und gestalten zu können. Da das Kernthema dieses Buches die Analyse und Vorstellung der Möglichkeiten und momentanen Grenzen nonlinearer bzw. dynamisch veränderbarer filmischen Erzählformen ist, können sich auch jene Autoren/ Designer/Filmemacher angesprochen fühlen, die Videos für das Internet, für interaktives Fernsehen oder für Podcasts konzipieren oder umsetzen.
Einführung
Die DVD-Formate stellen allerdings noch für einige Zeit das größte und vor allem ein ungenutztes, weil unbekanntes, Potential dar. Der Bekanntmachung des Potentials dynamischer Erzählformen im Allgemeinen und dem der DVD-Formate im Besonderen ist dieses Buch gewidmet. Da sich die DVD-Formate gut in Kombination mit Printmedien, dem Fernsehen und dem Internet nutzen lassen, sollen die sich daraus ergebenen MixedMedia-Produktionen besonders erwähnt und als Integrierte Publikation bezeichnet werden. Mit dem hier vorliegenden Buch sollen nicht nur die allgemeinen Nutzungsmöglichkeiten benannt und beschrieben werden, die DVD-Formate den Autoren und Anwendern bieten können, sondern es wird die DVD explizit als interaktiv/multimediales Medium und eine Integrierte Publikation, als die geeignete Lösung zum Thema e-Learning vorgeschlagen. Eine Integrierte Publikation kann z.B. aus einem Medienmix aus Buch, DVD und Internetseite bestehen. Es sind auch interessante Erweiterungs- und Kombinationsmöglichkeiten zusammen mit dem interaktiven Fernsehen und für Podcasting denkbar (siehe unter »IntegriertePublikation« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Wissensvermittlung«) [S. 140]. Eine allgemein etablierte, zusammenfassende Bezeichnung für die drei Scheiben »DVD«, »Blu-ray Disc« und »HD DVD« gibt es noch nicht, weshalb mit diesem Buch die Bezeichnung DVD-Formate geprägt werden soll. Die beiden Kapitel, in denen die Möglichkeiten dieser drei DVD-Formate beschrieben werden, lauten »Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« [S. 12] und »Was können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« [S. 44], da jedes dieser Formate individuell erläutert und im Detail beschrieben wird. Die Kapitel Orientierungsbeiträge/Erzählung [S. 99] und Orientierungsbeiträge/Wissensvermittlung [S. 140] sollen dem Leser in erster Linie als Inspiration dienen. Mit Hilfe der dort befindlichen sehr verschiedenartigen Artikel können eigene Gedanken und Ideen zu den Themen »Interaktion«, »Der Interaktive Film«, »Erzählung« und »Wissensvermittlung« entwickelt werden. Die übliche Frage, was denn technisch möglich ist, soll bei diesen Kapiteln bewusst in den Hintergrund rücken. Die technischen Aspekte, Standards, Einschränkungen und die sich daraus ergebenen Umsetzungsbedingungen werden im Anschluss im Kapitel Standards/Spezifikationen [S. 194] erläutert. Neben klassischen Standards, wie Bildformate, Speicherkapazität und Bit-Budgeting wird hier intensiv und bewusst kritisch auf das Thema Kopierschutzverfahren eingegangen. Im Kapitel Projekte im Detail [S. 338] werden beispielhafte Produktio nen vorgestellt und es wird dabei auf deren individuellen gestalterischen Aspekte, wie Screendesign und Interaktiondesign eingegangen. Der Zusatz »...im Detail« ist dabei sehr ernst gemeint, da einige Projekte, inklusive aller Produktionsaspekte und -ereignisse, sehr ausführlich beschrieben werden. Da gerade DVD-Produktionen in der Regel nicht nur aus visuellen, sondern auch aus akustischen Aspekten bestehen und sich diese häufig ergänzen und
Torsten Stapelkamp: Einführung
im Eindruck verstärken, wird im Kapitel Sound, Surroundsound auf diese Zusammenhänge eingegangen. Die Fokussierung dieses Kapitels liegt allerdings auf Surroundsound. Die Kapitel Projektmanagement und Qualitätsmanagement [S. 548] geben Einblicke, wie man DVD-Produktionen plant, durchführt und erfolgreich abschließt. Mit dem Kapitel Medienrecht und Verwertung [S. 595] erfährt man, wie man seine eigenen Rechte wahrt und die der anderen achten muss bzw. was man beim Kauf oder Verkauf von Nutzungsrechten zu beachten hat.
Nutzer, Konsument, Zuschauer = Anwender
Für den Konsumenten interaktiver Produkte wird in erster Linie der Begriff »Anwender« gebraucht, da er am ehesten die Bezeichnungen Nutzer (User), Spieler, Mitspieler, Konsument und Zuschauer subsumiert. Ein Zuschauer lehnt sich bequem zurück und konsumiert passiv. Er lässt sich gerne durch die Emotionen der Charaktere und der dargestellten Situationen leiten. Für den Zuschauer steht die narrative Komponente im Vordergrund. Ein Nutzer ist wesentlich besser vorbereitet als der Zuschauer. Er weiß, dass er handeln muss, und er will auch handeln und selbst eingreifen können. Er unterhält sich durch sein Handeln ebenso wie durch das, was ihm dadurch geboten wird. Interaktive Angebote schließen lineare Momente des Innehaltens und des Konsumierens nicht aus. Der Nutzer ist nicht an das interaktive Medium gefesselt. Er schätzt auch das Lineare und wechselt, je nach Angebot, gerne zwischen den Zuständen des Nutzers und des Zuschauers. Emotionalität entsteht dabei nicht nur durch die Charaktere, sondern ebenso aus der Interaktion heraus. Den Nutzer treibt aber eher der Anreiz im Spiel oder die Herausforderung, in einer Wissensvermittlung weiter zu kommen und dort erfolgreich zu sein, als der Konsum der rein narrativen Komponente. Ein Konsument kann sowohl Zuschauer als auch Nutzer oder beides in einer Person sein. Mal konsumiert er die Inhalte passiv, mal ist er je nach Angebot der Interaktionsmöglichkeiten umso aktiver. Der Begriff »Anwender« wird in allen folgenden Texten als bevorzugte Alternative verwendet. Dass in allen Texten nur die männliche Form von »Anwender« eingesetzt wird, beabsichtigt nicht die Geringschätzung von Frauen im Allgemeinen oder den Ausschluss von Leserinnen bzw. Anwenderinnen im Besonderen. Da, wo es möglich ist, wird der Plural verwendet, um Konstrukte, die den Lesefluss stören könnten, wie z.B. »Anwender Innen« oder »Anwenderinnen/Anwender« oder »...für die Anwenderinnen und die Anwender...«, zu vermeiden.
10
Einführung
Integrierte Publikation
Es lässt sich nicht leugnen, dass Printmedien nur eine begrenzte Form von Interaktion bieten können. Die einfachste Interaktionsform, die der Angabe von Verweisen, haben Sie bereits in diesem Einleitungstext erfahren. Verlinkungen innerhalb des Buches verweisen in Form von Seitenzahlen auf korrespondierende Anteile (siehe folgendes Zeichen [ … ] ). Bereits das Inhaltsverzeichnis repräsentiert diese Form. Wer nun annimmt, dies sei keine »echte« Interaktion, sollte bedenken, dass es nicht wichtig ist, ob eine Interaktion »echt« ist oder nur die Illusion eines Dialogs. Wichtig ist bei einer Interaktion in erster Linie, ob und was durch sie beim Anwender ausgelöst wird, ob seine Wahrnehmung sensibilisiert wurde, welche Anregung bzw. welche Antizipation bei Ihm freigesetzt wurde. Nicht zuletzt deswegen erhoffe ich mir, dass dieses Buch von Ihnen einerseits als Bereicherung und Erkenntnisgewinn, aber andererseits auch als Diskussionsaufforderung verstanden wird und Sie mit mir und den Lesern dieses Buches interagieren und in Dialog treten möchten. Ich verstehe dieses Buch unter anderem als Impulsgeber und den Prozess des Erkenntnisgewinns selbstverständlich längst nicht als abgeschlossen. Die Inhalte dieses Buches und hoffentlich auch viele Dialoge setzen sich im Internet fort unter www.dvd-formate.de (Weiterleitung zu www.interactions.de). Auf diesem Wege erweitert sich dieses Printmedium zur Integrierten Publikation, bestehend aus Buch, Datenträger und Internetportal, und erhöht somit sein eigenes Interaktionspotential. Torsten Stapelkamp [email protected]
11
Torsten Stapelkamp: Einführung
1 Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
12
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.1 Time Bandits Daniel Kothenschulte
Die grauen Herren, das Video und der Tod: Notizen zur heimischen Film-Nekrophilie
Als ich vor ein paar Jahren meine Wohnung bezog, sollte wenigstens eine Wand der bildenden Kunst vorbehalten bleiben. Doch obwohl ich die Bilder von damals niemals abgehängt habe, sind sie längst nicht mehr zu erkennen. Ein einstmals unscheinbarer Haufen von Videokassetten hat sie einfach überwuchert. Zu hunderten aufgetürmt, haben sich die Magnetaufzeichnungen der ganzen Wandfläche bemächtigt, und darüber hinaus gibt es hier kaum ein Eckchen, in dem man vor ihrer Gegenwart sicher wäre. In Vermehrungsrate und Hartnäckigkeit, ganz besonders aber in ihrem stabilen schwarzen Körper (sei es Plastik oder Chitin) sind sie dabei der gemeinen Küchenschabe gar nicht unähnlich. Sie könnten einen das Fürchten lehren, diese Videokassetten. Um welchen Preis nur teilen Menschen ihren spärlich bemessenen Wohnraum mit derart hässlichen Hausgenossen, die sich ihrer seits um Geräte scharen, die auch nicht gerade eine Augenweide sind. Es begann mit einem Versprechen. Haben wir nicht als Kinder von den »Zeitdieben« gelesen, jenen ominösen grauen Herren, denen nur Michael Endes Momo trotzen konnte? Diese Herrschaften verführten ihre Opfer mit dem trügerischen Versprechen, ihre eingesparte Zeit zu verwalten, auf dass diese Zinsen trüge und man sie irgendwann einmal mit Gewinn verbrauchen könne. Auch der Videorekorder hat sich unter dem Deckmantel des freundlichen Helfers millionenfach in unseren Haushalten eingenistet. Er wollte uns die Zeit abnehmen, so wurde es versprochen, aber es war eine Milchmädchenrechnung, vergleichbar jener unverfrorenen Behauptung der Werbung, man könne Geld sparen, indem man Geld ausgibt. Man macht es sich selten bewusst, aber das Video ist im täglichen Umgang geradezu zu einer Ver sicherung gegen den Verlust von Zeit geworden. Die Perfidie des Ganzen aber ist, dass potenziell nichts mehr zu versäumen keineswegs bedeutet, nun etwa alles zu erleben. Wer einmal befürchtet hatte, als Besitzer einer Privat-Videothek für den Rest seines Lebens fernsehen zu müssen, sieht sich eines Besseren belehrt. Denn seither braucht man sich überhaupt nichts mehr anzusehen, man hat es ja schließlich auf Video. Die lateinische Grundbedeutung des Wortes (ich sehe) ist der reine Hohn. »Ich bin blind«, sollte es richtiger heißen, und der Kameramann Henri Alekan ist sogar der Überzeugung, wer einen Film im Fernsehen gesehen habe, der habe gar nichts gesehen. Wenn es wenigstens dazu käme, im Fernsehen »gar nichts« zu sehen. Man unternimmt ja nicht einmal mehr den Versuch, sich etwas anzusehen. Die wichtigste Funktion des Videorekorders ist die
13
1.1 Daniel Kothenschulte: Time Bandits
Programmierfunktion, die Play-Taste dient nur zur Klärung der bangen Frage, ob eine Aufnahme auch tatsächlich gelungen ist, und zur Suche nach der geeigneten Bandstelle für die nächste (laut Erhebungen einer Programm zeitschrift wissen allerdings die meisten Besitzer von Videorekordern gar nicht, wie man diese programmiert. Inzwischen sollen sie aber mit Hilfe von Show View zivilisiert und ihrer glücklichen Unwissenheit beraubt worden sein). Dies soll freilich keineswegs der unter dogmatischen Cinephilen verbreiteten Auffassung das Wort reden, Video sei generell Teufelszeug. Eine solche Behauptung wäre angesichts der Kassettenmassen in den eigenen vier Wänden auch blankes Pharisäertum. Tatsache ist allerdings, dass ich mir immer häufiger Filme im Kino ansehe, die ich selbst auf Video habe. Dabei gibt es genug Gründe, in Einzelfällen sogar einer Videokopie den Vorzug vor einer Filmkopie zu geben: Ausgeblichene Eastman- oder Agfa-Colorfarben sind hier kein Problem, es gibt einen guten Ton und kaum Kratzer und Bildsprünge. Schließlich liegen Filmklassiker auf Video nicht selten in Rekonstruktionen vor, die für das Kino gar nicht erhältlich sind. Vor einigen Jahren sollte ich in Bonn Hitchcocks Stummfilm »The Lodger« auf dem Klavier begleiten. Die 16mm-Kopie aus dem Hamburger Metropolis-Archiv war allerdings so unscharf, dass ich lieber die Videokassette per Beamer abspielte. Diese war sogar farbig viragiert und besaß lesbare Schriftpassagen. Sich eine Videokassette anzusehen, bedarf eines zwingenden Anlasses, z.B. der Vorbereitung eines Artikels. Glücklicherweise gibt es Möglichkeiten des Selbstbetrugs, um solche Anlässe herbeizureden. Etwa, dass es unerlässlich sei, für die Abfassung einer Filmkritik noch kurzfristig einen stilistisch verwandten Filmklassiker oder ein früheres Werk des Regisseurs in Augenschein zu nehmen. Doch aus dem Vorsatz, aus Anlass des Todes Louis Malles eine Privat-Retrospektive zu veranstalten, wurde natürlich wieder mal nichts. Vielmehr hatten die Rundfunkanstalten dieselbe Idee, und statt mir einen Louis-Malle-Film anzusehen, nahm ich lieber einige neue auf, um sie irgendwann einmal zu sehen. Vielleicht zu seinem ersten Todestag – oder dem zehnten. Videosehen ist ein einsames Vergnügen, man kann schlecht jemanden dazu einladen, denn schließlich weiß man aus Erfahrung, wie solche Abende zu enden pflegen: Man stellt fest, dass man sich eigentlich viel lieber unterhält, weil man sich ohnehin so selten sieht, den Film aber theoretisch immer sehen könnte. Also verschiebt man ihn getrost auf ein andermal: den St. Nimmerleinstag, eben jenes Datum, an dem man sich schon immer die Schätze seiner Videosammlung zu Gemüte führen wollte. Jeder noch so unbedeutende neue Kinofilm ist ein zwingender Anlass, die Lust auf bewegte Bilder zu befriedigen. Die Kino-Sucht ist ohnehin abhängig von bestimmten Erlebnisfaktoren, die das Video nicht erfüllen kann: dem dunklen Raum, der großen Leinwand und vor allem der zeitlichen B egrenztheit des Angebotes. Dass es trotzdem auch eine Video-Sucht gibt, ist absurd, tragisch, aber nicht zu leugnen. Diese Sucht ist bitterer als LSD, denn sie zehrt aus, ohne dabei das Bewusstsein zu erweitern. Sie hat ursäch-
14
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
lich mit der Manie von Sammlern zu tun, ist also, amateur-psychologisch, eine Form des Fetischismus. Absurderweise schachert der Video-Sammler im Gegensatz zum Kunst- oder Antiquitätensammler keine Originale, sondern obskure Kopien. Jeder Briefmarkensammler ist ihm in diesem Punkt überlegen, denn ihm wäre ein echte 10-Pfennig-Marke der Dauerserie »Arbeit« lieber als eine fotokopierte »Blaue Mauritius«. Glücklich sind hingegen die Sammler von Kieselsteinen und Glasmurmeln, denn ihnen ist jeder Materialismus fremd. Morbiderweise sammeln die Video-Fetischisten hässliche, schwarz-graue Gegenstände aus einer billigen Sorte Plastik, für die die Bezeichnung »Kunststoff« ein glatter Euphemismus wäre und die zudem ohne Beschriftung nicht einmal unterscheidbar wären. Das sie darüber hinaus kaum recyclefähig sind, ist ihren Käufern natürlich völlig gleichgültig. Schließlich sammelt man für die Ewigkeit, und die Vorstellung, solche Schätze könnten irgendwann einmal zu Plastikmehl zerstampft werden, grenzt an Blasphemie. Aber die Rache des Systems ist bereits geplant: In wenigen Jahren wird es heißen, es gebe nun HDTV, archivierbar auf kleinen Silberscheiben, und wir sollten uns doch von unserem antiquierten Video schleunigst verabschieden. Die Ironie des Schicksals wird dann darin bestehen, dass wir uns von Aufnahmen trennen werden, ohne sie jemals angesehen zu haben, um sie durch neue zu ersetzen, die wir uns auch nie ansehen werden. Auf einer Etage des Düsseldorfer Filmmuseums hat man es sich nicht verkneifen können, neben den zahlreichen Filmformaten auch einen Streifen Videoband auszustellen: schwarzgrau widersetzt sich dieses schmucklose Trägermaterial aller Schaulust. Video heißt hier: Ich sehe nicht. Die Tristesse seiner Materialität entspricht dem nekrophilen Charakter seiner Benutzer. Damit meine ich nicht die liebenswürdige Art von Nekrophilie jener Splatter-Fans, die sich wiederholt und mit großem Gewinn Jörg Buttgereits »NEKROMANTIK «-Filme ansehen und dabei das Medium als originäre Unterhaltungsform mit Sinn und Leben erfüllen. Ich meine die uneingestandene Nekrophilie, die darin besteht, die Augen vor der Tatsache zu verschließen, dass man in diesem Leben bestimmt nicht mehr dazu kommen wird, sich seine Videosammlung anzusehen und auf das nächste hofft. Vielmehr dürfte der Materialberg bis zum Ende unserer durchschnittlichen Lebenserwartung babylonische Ausmaße erreicht haben. Es ist zwölf Jahre her, dass Wim Wenders als Darsteller in Blumenbergs Film tausend Augen einen John-Ford-Western aus der Videothek gestohlen hat, mit den Worten, es gebe Filme, die müsse man da einfach rausholen. Da aber offenbar weder Regisseur noch Hauptdarsteller mit den Gepflogenheiten der Videothekenbenutzung vertraut waren, kann Wenders damals bestenfalls das leere Cover gestohlen haben. Unlängst hat auch er eine Video-Edition seines Gesamtwerks herausgegeben. Das Video und der Tod: Je näher er rückt, desto größer die Sehnsucht der Filmemacher, Bilanz zu ziehen und in den Regalen der Videophilen die Zeiten zu überdauern. Auch wenn sich das Material unbemerkt löschen oder zersetzen sollte, werden doch zumindest die bunt
15
1.1 Daniel Kothenschulte: Time Bandits
bedruckten Schachteln vom Ruhm ihrer Urheber künden. Wem aber werden wir unsere kostbaren und wohl katalogisierten Sammlungen vererben, wenn wir nicht mehr sind? Wer wird sich ihrer würdig erweisen und sich nicht bloß über einen unverhofften Vorrat an Leerkassetten zum Überspielen freuen? Die grauen Zeitdiebe aus Michael Endes Momo konnten uns als Kinder nicht schrecken, hatten wir doch alle Zeit auf der Welt. So verhallte auch ihre Warnung ungehört: Keine Zeit zu haben, das war die Ausrede der Erwachsenen, die wir Kinder eigentlich nur dann untereinander gebrauch ten, wenn gerade etwas Gutes im Fernsehen kam. Damals war die Welt noch in Ordnung: Das wenige Interessante wurde auch angesehen und zwar in Realzeit und selbstverständlich im Augenblick seiner Ausstrahlung. Nicht nur die Apollo-Missionen und die Fußball-Weltmeisterschaft, sondern gerade das, was man gern verächtlich als Konserven bezeichnet. Eine Bonanza-Folge hatte damals keine geringere Aktualität, auch wenn seit ihrer amerikanischen Erstausstrahlung fünfzehn Jahre vergangen sein mochten. Auch das Gerücht, Dan Blocker, der Darsteller des Hoss, sei längst der Herzverfettung erlegen, milderte die zwingende Aktualität einer Folge nicht. Wer sie jedoch verpasst hatte, der konnte nicht mitreden und hatte etwas Unwiederbringliches versäumt. Da gab es keine zweite Chance wie für Kater Sylvester oder Wile E. Coyote, die sich getrost von Dampfwalzen überfahren lassen konnten, ohne deshalb am nächsten Montag ihren Auftritt bei Schweinchen Dick aufs Spiel zu setzen. Es muss 1975 gewesen sein, als unsere Grundschule aus Mitteln des Fördervereins einen nagelneuen VCRRekorder erhielt. Noch im Originalkarton thronte das Gerät fortan würdevoll im Direktorenzimmer, das ganze vierte Schuljahr hindurch habe ich es nicht in Aktion gesehen, niemand hat es gesehen. Ich bin sicher, dass es sich auch lange nach dem Siegeszug von Betamax, Video 2000 und VHS dort seine Jungfräulichkeit bewahrte. Die Fernsehzeit war kostbarer, als man sie noch nicht archivieren konnte.
Der Autor
16
Daniel Kothenschulte ist Film- und Kunstkritiker, Autor und Kenner der europäischen Kurzfilmszene und Festivallandschaft. Er ist verantwortlich für den Bereich Film im Feuilleton der »Frankfurter Rundschau« und schreibt u.a. auch für den »Kölner Stadtanzeiger«
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
und den »film-dienst«. Nebenbei arbeitet er als Stummfilmpianist. Seine aktuellen Bücher sind »Nachbesserungen am amerikanischen Traum. Der Regisseur Robert Redford« und »Walt Disney, ein vergessener Künstler«, beide erschienen im Schüren Presseverlag.
1.2 Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc Torsten Stapelkamp Die Abkürzung DVD stand zunächst für »Digital Video Disc« und später wurde »Digital Versatile Disc« vorgesehen (»versatile« engl., = »vielseitig«). Die Umbenennung ergab sich aus der Erkenntnis, dass die DVD nicht nur als Video-Datenträger, sondern auch als vielseitiger Träger von großen Datenmassen mit interaktiven Eigenschaften dienen kann. Das Potenzial, das die DVD mit ihren Interaktionsmöglichkeiten insbesondere für Erzählformen und Wissensvermittlungen bietet, wurde zwar erkannt, aber dennoch konnte sich das »DVD Forum«, die Vereinigung zur Abstimmung von Industriestandards bezüglich der DVD, nicht auf eine offiziell festgelegte Bedeutung einigen und beließ es dabei, dass die Buchstaben D, V, D einfach nur drei Buchstaben seien. Diese grobe Missachtung der Bedeutung von Bezeichnungen und der Möglichkeiten, die sich durch deutliche Benennungen ergeben können, mag einer der Gründe dafür sein, weshalb die DVD vom Endverbraucher in erster Linie nur als Nachfolgemedium der VHS-Kassette und somit nur als Datenträger für lineare Filme gesehen wird. Die Industrie beginnt allerdings allmählich, die Möglichkeiten der DVD zu entdecken und ist zunehmend darum bemüht, dem potenziellen Anwender diese Möglichkeiten nahe zu bringen. So wurde die DVD nicht nur für die Film- und Videoindustrie interessant, sondern auch für die Musik-, die Spiele-, und die Computerindustrie und für all diejenigen, deren Aufgaben und Interessen darin bestehen, Inhalte zu produzieren, Wissen zu vermitteln oder Lehr-/Lernformen zu entwickeln. Die Interaktionsmöglichkeiten der DVD tragen dazu bei, die jeweiligen Absichten zu verfolgen und zu unterstützen. Seit der Einführung der Bluray-Disc und der HD DVD haben sich diese Möglichkeiten entsprechend erweitert. Im Folgenden werden nun alle DVD-Formate und die Absichten, die die Industrie mit ihnen verfolgt, aber auch deren Möglichkeiten, die sich Autoren, Designern und Produzenten mit den DVD-Formaten bieten, beschrieben.
1.2.1 DVD – Nachfolge von VHS-Kassette und CD-ROM
Eine DVD sieht einer Audio-CD (Compact Disc) bzw. CD-ROM sehr ähnlich und funktioniert auch nach ähnlichen Prinzipien, kann aber als technische Weiterentwicklung der CD gesehen werden. Die DVD ist als universell einsetzbarer Datenträger sowohl das Nachfolgeformat der VHSKassette als auch der CD-ROM. Das Nachfolgeformat der VHS-Kassette wird DVD-Video genannt und das der CD-ROM hat die Bezeichnung DVDROM. Eine DVD kann sowohl die Eigenschaften einer DVD-Video als auch
17
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
die einer DVD-ROM oder auch beide gleichzeitig haben. So können Inhalte oder Daten entweder ausschließlich für den Gebrauch am Fernseher oder ausschließlich für den Computer erstellt werden oder sowohl als auch für Fernseher und Computer gleichermaßen nutzbar gemacht werden.
1.2.2 DVD-Formate, DVD-Volume
DVD und CD sind zwar in Größe und Form identisch, aber dennoch gibt es wesentliche Unterschiede. Bei beiden werden digitale Daten mit Hilfe von Pits, kleinen Vertiefungen unterschiedlicher Länge, die hintereinander spiralförmig, wie die Rille einer Schallplattenseite, angeordnet sind, archiviert und über einen Laser ausgelesen, der diese Pits abtastet, und deren unterschiedlichen Längen in Reihen aus Nullen und Einsen interpretiert. Die Struktur der Anordnung dieser Pits ist bei der DVD um einiges kleiner und enger als bei der CD, so dass mehr Pits auf eine Scheibe passen und dementsprechend mehr Daten gespeichert werden können.
Abb. 1.2.1 Der Abstand zwischen den Reihen beträgt bei der CDROM 1,6 μm und die Länge der Pits mindestens 0,8 μm. Die Daten werden mit einem roten Laser ausgelesen (Abbildung: Whitebook Blu-ray Disc, www.bluraydisc.com).
18
Abb. 1.2.2 Bei der DVD sind die Pits bereits kleiner als bei der CD-ROM, werden aber ebenso wie bei der CD-ROM mit einem roten Laser ausgelesen. Der Abstand zwischen den Reihen beträgt 0,74 μm und die Länge der Pits mindestens 0,4 Mymeter (Abbildung: Whitebook Blu-ray Disc, www.bluraydisc.com).
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Abb. 1.2.3 Bei der Blu-ray Disc sind die Pits am kleinsten. Der Abstand zwischen den Reihen beträgt nur noch 0,32 μm und die Länge der Pits mindestens 0,15 Mymeter. Die Daten werden mit einem blauen Laser ausgelesen, der mit 405 Nanometer in einem erheblich kleineren Wellenbereich als der rote Laser (650 Nanometer) arbeitet und daher entsprechend kleinere Pits erkennen und unterscheiden kann (Abbildung: Whitebook Blu-ray Disc, www.bluraydisc. com).
Neben der DVD mit einem Durchmesser von 12 cm gibt es auch eine mit 8 cm im Durchmesser. Und so wie es zwei unterschiedliche Durchmesser der DVD gibt, so haben diese DVDs auch unterschiedliche Eigenschaften. Die einfachste Variante hat auf nur einer Seite auch nur eine Ebene, auch Layer genannt, die mit Daten belegt werden kann. Diese DVD wird DVD-1 oder DVD-5 genannt, je nachdem, ob sie einen Durchmesser von 8 oder von 12 cm hat. Es gibt aber auch weitere Varianten, bei denen z.B. auf einer Seite zwei Ebenen (Layer) beschreibbar sind oder die gar auf beiden Seiten beschreibbare Layer haben und demnach entsprechend mehr Daten speichern können. Die DVD-9 hat z.B. einen Durchmesser von 12 cm und besitzt auf einer Seite zwei beschreibbare Layer. Und die DVD-18 ist auf beiden Seiten mit jeweils zwei beschreibbaren Layern versehen. Diese DVD hat mit 17,08 GB bzw. mit 15,91 GibiByte (GiB) auch die größte Speicherkapazität dieses DVD-Formats. Siehe unter »Speicherplatzkapa zität« [S. 46] und wegen des Unterschieds von GB und GibiByte (GiB) siehe unter »Speicherkapazität – Maße und Einheiten« im Kapitel »Standards/ Spezifikationen« [S. 232]. Weitere Einzelheiten sind mit einer Tabelle dar gestellt (siehe [Abb. 1.2.4]). Wenn man beidseitig beschreibbare DVDs verwendet, sollte man allerdings berücksichtigen, dass man die DVD nur im schmalen inneren Ring um das zentrale Loch herum beschriften kann. Das Bedrucken einer kompletten DVD-Seite ist bei einer beidseitig beschriebenen DVD nicht möglich. Ein noch zu erwähnendes Sonderformat ist die DVD-plus auch Dual-Disc oder Dual DVD genannt. Bei diesem Format wird eine übliche Musik-CD oder CD-ROM auf den Rücken einer DVD-Seite geklebt. Mit einer Musik-CD auf dem Rücken kann eine Seite der DVD-plus in handelsüblichen CD-Playern abgespielt werden. Dies könnte z.B. für Musiker interessant sein, die ihren Fans die Musik auf einer Musik-CD und zusätzlich ein Video auf der DVD-Seite bieten wollen. Auf der DVD-Seite stünden alle Möglichkeiten der DVD, insbesondere interaktive Angebote zur Verfügung. Auf der CD-Seite könnte auch die Filmmusik zum Film abgelegt sein, der sich auf der DVD-Seite befinden könnte. Eine CD-ROM auf dem Rücken einer DVD-Seite würde allerdings nur dann Sinn machen, wenn man mit dieser DVD-plus auch jene Anwender erreichen möchte, die noch kein DVD-Laufwerk in ihrem Computer haben, man ihnen aber zusätzlich zu den Inhalten einer DVD-Video ein komplexes interaktives Angebot für den Computer bieten möchte, wie es nur mit der CD-ROM bzw. der DVD-ROM möglich wäre. Die interaktiven Möglichkeiten der DVD-Video sind schließlich aufgrund der DVD-Spezifikationen eingeschränkt (siehe im Kapitel »Standards, Spezifikationen«) [S. 194]. Diese Sonderformate finden nur selten Anwendung. Die bisher gebräuchlichsten DVD-Formate sind DVD-1, DVD-5 und DVD-9. Die zukünftigen heißen HD-DVD bzw. Blu-ray Disc. Die letztgenannten DVD-Formate fallen ins besondere zunächst wegen ihren extrem hohen Speicherkapazitäten auf.
19
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Die HD DVD kann bis zu 90 GB speichern und die Blu-ray Disc bis zu 100 GB. Welche Speicherkapazitäten die einzelnen DVD-Formate haben und was bei der Speicherkapazität zu beachten ist, wird unter »Speicher platzkapazität« näher erläutert [S. 232]. Abb. 1.2.4 Alle Varianten der DVD in Layer-Anzahl und Durch messer.
Format
Anzahl der Seiten mit Daten
Anzahl Layer auf Seite 1 Seite 2
Durchmesser
DVD-1
1
1
0
8 cm
DVD-2
1
2
0
8 cm
DVD-3
2
1
1
8 cm
DVD-4
2
2
2
8 cm
DVD-5
1
1
0
12 cm
DVD-9
1
2
0
12 cm
DVD-10
2
1
1
12 cm
DVD-14
2
2
1
12 cm
DVD-18
2
2
2
12 cm
DVD-plus
2 (CD und DVD)
1 (CD)
1–2 (DVD)
12 cm
HD-DVD
1 bis 2
1 bis 2
1 bis 2
12 cm
Blu-ray
1 bis 2
1 bis 20*
1 bis 20*
12 cm
* FMD (Fluorescent Multilayer Disc)
1.2.3 DVD-ROM
Die DVD-ROM ist im Gebrauch ein nahezu identischer Datenträger wie die CD-ROM, nur mit erheblich mehr Speicherplatz und einem anderen Speicherformat, dem UDF (Universal Data Format). Dieses ist zu allen Computer-Betriebsystemen ab 2001 und den DVD-Playern für Fernsehgeräte kompatibel. Auf einer DVD-ROM lassen sich, wie von der CD-ROM bekannt, Daten lagern oder interaktive Applikationen speichern und abspielen, z.B. erstellt mit einem HTML-Editor oder mit einer Autorensoftware wie Flash, Director o.ä.. Mit einer DVD sind die Datendurchsatzraten erheblich höher als bei einer CD-ROM, weshalb ein »Ruckeln« beim Abspielen von Dateien mit hohem Datendurchsatz, wie z.B. Videos, der Vergangenheit angehört. Eine DVD-ROM wird wie eine CD-ROM am Computer (Mac/PC) genutzt. DVD-Laufwerke im Computer (Mac/PC) sind nach unten kompatibel und spielen auch Audio-CDs und CD-ROMs ab. Selbstverständlich spielen diese Laufwerke in Verbindung mit entsprechenden Software-DVD-Playern auch
20
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
das Format DVD-Video ab. Außer einzelnen Bild- und Ton-Daten lassen sich die für eine DVD-ROM erstellten interaktiven Applikationen nicht über einen handelsüblichen DVD-Player am Fernseher darstellen.
1.2.4 DVD-Video
1.2.5 DVD-Audio
Die DVD-Video stellt im Vergleich zur VHS-Kassette eine ganz wesentliche Weiterentwicklung dar. Aufgrund der hohen Speicherkapazität sind erheblich bessere Video- und Audioqualitäten möglich. VHS-Qualitäten sind im Vergleich dazu nur schwer zu ertragen. Außerdem besteht mit der DVD-Video die Möglichkeit, Interaktivität innerhalb des Films und darüber hinaus zu integrieren, was mit der VHS-Kassette, wie mit allen anderen Kassettenformaten, nicht möglich ist. Weitere Vorteile gegenüber der VHSKassette ergeben sich aus dem Umstand, nicht mehr ein Band abspulen zu müssen. Alle Inhalte lassen sich per Fernbedienung am DVD-Player und über Menüs innerhalb der DVD-Video-Produktion leicht ansteuern. Die DVD-Video lässt sich sowohl an einem DVD-Player abspielen, der an einen Fernseher angeschlossen ist, als auch über das DVD-Laufwerk eines Computers (Mac/PC) bzw. einer entsprechend ausgestatteten Computerspielkonsole. Jede DVD-Video ist zunächst eine DVD-ROM. Wenn sich auf dieser DVD ein Video_TS-Ordner mit Videodaten befindet, handelt es sich um eine DVD-Video und wenn sich auf ihr ein Audio_TS-Ordner mit Audiodaten befindet um eine DVD-Audio. Wenn man dann noch einen beliebigen Ordner hinzufügt, dessen Daten für den Gebrauch am Computer gedacht sind, so handelt es sich je nachdem um eine DVD-Video/DVDROM oder um eine DVD-Audio/DVD-ROM (siehe auch unter »DVDAudio« und »DVD-ROM« in diesem Kapitel).
Die DVD-Audio wurde erst Anfang 2000 vorgestellt. Aufgrund des erheb lich größeren Speicherplatzes gegenüber der Audio-CD kann auf der DVD-Audio Ton und Musik in verlustfreier Tonqualität von bis zu 192kHz Abtastfrequenz bei 24bit Auflösung gespeichert werden. Zum Vergleich: Auf der seit 1982 bekannten Audio CD (Compact Disc) wird Musik mit einer Abtastfrequenz von 44kHz und einer Auflösung von 16bit gespeichert. Für die DVD-Audio gibt es spezielle Abspielgeräte, die diese hohe Klangqualität abspielen können. Da übliche DVD-Player in der Regel nur die verlustbehafteten komprimierten Formate Dolby Digital und DTS abspielen können und sich nicht jeder einen zusätzlichen DVD-Audio-Player leisten möchte, befinden sich immer häufiger entsprechend beide Versionen auf einer DVDAudio. Außerdem besteht die Möglichkeit, zusätzliches Text-, Bild- und Videomaterial abzulegen. Die DVD-Audio-Player sind in der Lage, auch die bildbezogenen Daten abzuspielen. Neben der außerordentlichen Klangquali-
21
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
tät wird dies für viele Käufer ein weiterer Grund sein, den höheren Preis für eine DVD-Audio gegenüber einer Audio-CD zu akzeptieren. Ein weiterer wesentlicher Grund, der für die DVD-Audio spricht, ist die Möglichkeit, die Mehrkanaltechnik Surround Sound (Raumklang) anbieten zu können (siehe Kapitel »Sound, Surroundsound«) [S. 517]. Der Speicherplatz auf einer DVD-5 (4,38 GB) reicht für zwei Kanäle (Stereo) mit 192kHz und 24bit oder sechs Kanäle (5.1 Surround-Klang) mit je 96kHz und 24bit. Auf einer Audio-CD wäre diese Datenmenge nicht speicherbar. Je nach Länge der Abspielzeit der Musik bzw. Höhe der Abtastrate bliebe zusätzlich noch Platz für die oben erwähnte DVD-Video-kompatible Spur mit datenreduziertem Dolby-Digital-Ton und ergänzenden text- und bildbezogenen Daten. Will man allerdings die bestmögliche Klangqualität anbieten, so bliebe der Platz auf einer DVD-5 nur für 64 Minuten und auf einer DVD-9 nur für 117 Minuten (siehe Tabelle). Dies ist nicht sehr viel, weshalb zunehmend das verlustfreie Kompressionsverfahren »Meridian Lossless Packing« (MLP) angewandt wird. MLP kann die Spielzeit einer DVD-Audio von 25 bis 55 Prozent erhöhen. Die bisher bei der DVD-Video angewandten Audioformate PCM sowie Dolby Digital und DTS sind durch die Kompression verlustbehaftete Formate. Die zukünftigen Audioformate sind die verlustfreien Formate Dolby Digital Plus, DTS-HD (vorher DTS++ genannt) und MLP (siehe unter »Kompressionsstandards« im Kapitel »Standard/Spezifikationen« [S. 235]. Abb. 1.2.5 Eigenschaften der DVD-Audio.
Format
Abtastrate (kHz)
Auflösung (bit)
Stereo
DVD-5
48
24
x
258
192
24
x
64
96
24
48
24
x
469
192
24
x
117
96
24
DVD-9
22
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
5.1 Surround
x
x
Max. Abspielzeit (Minuten)
43
78
Format
Abtastrate (kHz)
Auflösung (bit)
Stereo
5.1 Surround
Max. Abspielzeit (Minuten)
Max. Audio datenrate (Mbit/s)
Beste Qualität 2-Kanal-PCM
Beste Qualität 6-Kanal-PCM
CD
44,1
16
+
–
74
1,411
16Bit/44,1kHz
–
DVD-Video
48/96
16/20/24
+
+
410 (DVD-5)
6,144
24bit/96kHz
24bit/96kHz* (Dolby Digital/DTS)
DVD-Audio
44,1/48/ 88,2/96/ 176,4/192
12/16/ 20/24
+
+
600 (DVD-5)
9,6
24bit/192kHz
24bit/96kHz
* = es bleibt dann kaum Platz für Video + = möglich – = nicht Möglich
Abb. 1.2.6 Vergleich von CD, DVD-Video und DVD-Audio.
1.2.6 webDVD
Die webDVD, auch als »Internet-DVD«, »DVD online« oder »erweiterte DVD« bezeichnet, ist ein DVD-Format, mit dem die Möglichkeiten einer DVD-Video bzw. DVD-ROM mit denen der Internettechnologie kombiniert angeboten werden können. Das ansonsten relativ statische Medium DVD entfernt sich dadurch weg von der Insellösung zu einem dynamischen, aktualisierbaren Medium. Von der DVD aus kann eine Verbindung zum Internet aufgebaut werden, umgekehrt kann die DVD von einer Internetseite aus gesteuert werden. Die webDVD ist kein eigenes DVD-Format mit anderen technischen oder physikalischen Eigenschaften als die bisher genannten DVD-Formate. Sie stellt vielmehr die Möglichkeit dar, eine DVD mit dem Internet bzw. eine Internetseite mit einer DVD zu verbinden. Abspielbar ist eine webDVD daher auf allen DVD-Playern für den Fernseher und auf allen Computern und Settop-Boxen, die über ein DVD-Laufwerk verfügen. Die Nutzung der Vernetzung von DVD und Internet macht natürlich zusätzlich einen Internetanschluss erforderlich. Am Fernseher kann die Onlineanbindung mittels einer entsprechenden Settop-Box gewährleistet werden. Mit entsprechender Software ist es zwar vorgesehen, Internet-Verlink ungen auch an DVD-Playern für den Fernseher zu ermöglichen, nur gibt es bisher kaum DVD-Player mit einem Internetanschluss. Da die Nutzung von Fernseher und Computer immer mehr zusammenläuft, ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis die entsprechenden Geräte angeboten werden, wie z.B. Geräte für den MHP-Empfang »Multimedia Home Plattform« (http://www. mhp-forum.de), die eine eingeschränkte Interaktion mit dem Fernsehangebot bieten, bzw. Computer die den Fernseher, die Hifi-Anlage und alle weiteren Zuspiel- und Abspielgeräte zentral über einen Computer steuern
23
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
können. Da liegt der Schritt nahe, grundsätzlich Fernseher und Computer in einem einzigen Gerät integriert anzubieten oder den Fernseher internetfähig zu machen. Es gibt bereits jetzt die Möglichkeit, Internetverlinkungen auch für DVD-Video-Produktionen zu erstellen, obwohl es kaum Fernseher mit Onlineanschluss gibt und die Verbreitung von entsprechenden Settop-Boxen nicht sehr groß ist. Die Internetverlinkung von einer DVD-Video aus wird z.B. durch die Software eDVD von Sonic bzw. mit der DVD-Autorensoftware DVD Studio Pro möglich. Sehr bald wird das Fernsehprogramm auch über die Telefonleitung per DSL-Internetanschluss an den Fernseher übertragen werden. Obwohl dieses IPTV (InternetProtokoll TeleVision) über das Internet zum Endverbraucher gelangt, soll es nach Wünschen der Anbieter aber am Fernseher und nicht etwa am Computer genutzt werden. Zur Umwandlung dieser Daten für die Fernsehgeräte zuhause beim Endverbraucher ist dann eine Settop-Box erforderlich. Der Grund, weshalb die Signale auf den Fernseher übertragen werden sollen, liegt in der Vermutung der Anbieter, dass sich IPTV nur mit Hilfe des Fernsehgeräts als dem klassischen, gewohnten Empfänger und nicht etwa am Computer durchsetzen würde. Dadurch sind demnach die bereits für das klassische Fernsehen genannten Einschränkungen für die Schriften zu berücksichtigen. Da der Röhrenmonitor allerdings zunehmend vom LCD- und Plasma-Monitor abgelöst werden wird, dauert es nicht mehr lange, bis man nur noch für diese Wiedergabetechnologien gestalten braucht. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis es Anbieter geben wird, die sich ausschließlich für die Übertragung und Darstellung am Computer entscheiden werden. Für IPTV am Computer wäre schließlich nur ein Ethernetanschluss und keine TV-Karte erforderlich. Für die Betrachtung des IPTVAngebots am hochauflösenden Computermonitor spricht außerdem, dass die am Fernseher zu betrachtenden IPTV-Angebote kaum vorsehen, dass der Anwender über diese auch im Internet surfen kann. Schließlich ist die PAL-Auflösung zu schlecht, um Internetseiten in ausreichender Qualität darzustellen. Selbst wenn die Settop-Box den Zugang zum Internet ermöglichen sollte, kann der integrierte Browser nur für die Fernsehdarstellung extra vorbereitete Angebote ansteuern und anzeigen. Für den Verbraucher macht es daher immer weniger Sinn, Daten, die über das Internet übertragen werden, an einem gering auflösenden Fernsehmonitor zu betrachten. Außerdem werden immer mehr Fernsehzuschauer sich von ihrem Fernseh empfänger trennen, da sie ab 2007 zumindest in Deutschland auch für Computer, die nicht nur privat, sondern auch gewerblich genutzt werden, zusätzlich zur Gebühr für Fernsehgeräte und Radios noch einmal dieselbe Gebühr an die GEZ zahlen müssen. Sobald IPTV mit ausreichenden Angeboten im Internet zur Verfügung gestellt werden sollte, wird es für viele Fernsehkunden keinen Grund mehr geben, den Fernseher zu behalten und zweimal GEZ-Gebühren zu zahlen.
24
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1 Torsten Stapelkamp: Screen- und Interfacedesign. Springer Science Business+Media, Berlin 2006, ISBN 3-540-32949-8
25
Einen einheitlichen Standard gibt es für das IPTV jedoch noch nicht. Um offene IPTV-Standards bemüht sich allerdings die Internet Streaming Media Alliance (ISMA), www.isma.tv. Dass sich IPTV durchsetzen wird, ist bereits jetzt zu vermuten, da die Vorreiter sich bereits an 1,5 Millionen Nutzern in Frankreich (www.free.fr) und 700000 Nutzern in Italien (www.fastweb.it) erfreuen. Es wird vermutet, dass die Anzahl der Haushalte in Deutschland, die IPTV nutzen werden, bis ins Jahr 2010 auf 1,2 Millionen ansteigen wird. Für die Übertragung von IPTV bietet sich das so genannte Triple Play an. In Fachkreisen wird so das kombinierte Angebot von Telefon, Internet und Fernsehen über eine Kabelleitung genannt. Die Telefonanbieter nutzen dafür das Telefonkabel und die Anbieter, die das Fernsehprogramm über Kabel anbieten, nutzen dafür die entsprechenden TV-Kabelnetze. Bis die geeigneten Geräte etabliert sind, sollte man davon ausgehen, dass eine webDVD zunächst am Computer mit Internetanbindung und DVD-Laufwerk genutzt werden wird. Die Erstellung von Interaktionsmöglichkeiten zwischen einer Internetseite und einer DVD, die am Computer genutzt wird, erfolgt sehr einfach mit Hilfe der Autorensoftware »Flash« bzw. »Director«. In Dateien, die mit der Autorensoftware »Director« erstellten werden, lassen sich seit der Version »Director MX 2004« DVD-Video Dateien einbetten und abspielen. Die in »Director« erstellten Dateien können auch als so genannte Shockwave-Dateien abgespeichert und mit dem ShockwavePlayer am Computer abgespielt werden. Der Shockwave-Player kann kostenlos bei Macromedia bzw. Adobe herunter geladen werden und unterstützt ab der Version 10 die DVD-Wiedergabe in zahlreichen Webbrowsern auf Mac- und PC-Betriebssystemen. Während der Wiedergabe des Films in einer Webseite können korrespondierende Inhalte und Internetverlinkungen in anderen Frames der Internetseite oder in zusätzlichen Internetseiten aufgerufen werden. Auf diesem Weg stehen dem Anwender in der Kombination von DVD-Inhalten und Internetangeboten alle Interaktions- und dynamischen Veränderungs- bzw. Aktualisierungsmöglichkeiten zur Verfügung, inklusive aller Kommunikationskanäle wie E-mail, Chat und Foren. Um die Erstellung solcher Möglichkeiten zu vereinfachen, entwickelte Macromedia den dazu gehörenden »DVD-Ereignismanager«. Er wird mit der Software mitgeliefert bzw. kann von deren Internetseite heruntergeladen werden. Die Autoren von DVD-Produktionen müssen sich gerade bei interaktiven Filmen darüber im Klaren sein, dass sie durch die Aktualisierbarkeit der webDVD unter Umständen an Einflussnahme zumindest im Bezug auf Dramaturgie verlieren und je nach Inhalt und Freigabe der Aktualisierbarkeit diverse Veränderbarkeiten an den Anwender übertragen. Aber genau darin kann der Reiz liegen. Mit der webDVD besteht die Chance, Inhalte, wie z.B. einen interaktiven Film, mit echter dynamischer Veränderbarkeit zu erstellen (siehe dazu auch das Kapitel »Interactiondesign« in meinem Buch »Screen- und Interfacedesign – Gestaltung und Usability für Hardund Software«, erschienen bei Springer)1
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Seit der Einführung der neuen DVD-Formate HD DVD und Blu-ray Disc ist die Aktualisierung der DVD-Inhalte durch eine Internetanbindung als wesentlicher Bestandteil dieser Formate erkannt worden. So wird auch das Streamen von Filmen in HD-Qualität möglich sein. Diese Inhalte können dann in einer Ebene über dem Hauptfilm eingeblendet werden (siehe unter »HD DVD« und »Blu-ray Disc« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 44]. Abb. 1.2.7
Die Möglichkeiten und Vorteile der DVD-Formate mit Internetintegration Kombination großer Datenmengen auf einer DVD, HD DVD, Blu-ray Disc mit der Aktualisierbarkeit des Internets. Der Anwender benötigt keine schnelle Internetverbindung, wenn sich alle großen Dateien auf dem DVD-Format befindet. Inhalte im Internet können direkt mit den korrespondierenden Inhalten auf den DVD-Formaten verlinkt sein. Dadurch ist unabhängig von der Geschwindigkeit der Internetverbindung die Darstellung von Bild-, Video- und Audiodaten in äußerst hoher Qualität in Kombination mit aktualisierbaren Inhalten möglich. Ein Beispiel zur Aktualisierbarkeit von Inhalten: Ein Reiseführer auf einem DVD-Format könnte alle allgemeinen Informationen beinhalten, aber zudem mit der Internetintegration den Zugang zu aktualisierbaren Inhalten anbieten (z.B. Preise, Wetter, Reiseroutenempfehlungen zu aktuellen Jahreszeiten, Buchung einer Reise etc.). Texte, die sich auf einem DVD-Format befinden, können auf der Internetseite aktualisiert bzw. in ausführlicherer und längerer Form dargestellt werden. Mit einer Internetanbindung sind neue, vom Anwender veränderbare, interaktive Filmformate, Erzählformen, Wissensvermittlungen, Lehr-/Lernformen oder neue Spiele denkbar. Foren und Chats, die sich im Internet befinden, sind innerhalb des DVD-Layouts darstellbar und nutzbar. Bei der Nutzung der DVD-Formate am Computer sind noch komplexere Verlinkungsstrategien möglich, als wenn sie auf einem Gerät mit einem Fernseher abgespielt würden. Am Computer können auch die für DVD-Formate untypischen Datei-Typen genutzt werden (PDF, Word-, Excel-Dateien, Videos mit speziellen Kompressionsverfahren etc.). Noch kann nicht jede Settop-Box alle möglichen Daten darstellen. Am Computer können die Inhalte der DVD-Formate ausgedruckt werden. Spezielle Settop oxen machen dies auch für die Nutzung und Darstellung am Fernseher möglich. B Für alle wesentlichen Möglichkeiten der DVD-Formate und der korrespondierenden Nutzung mit dem Internet sind keine Software-Installationen erforderlich. Die Aktualisierung der DVD bzw. die Ergänzung durch Inhalte aus dem Internet und deren Darstellung im Layout der DVD-Produktion muss sich nicht auf Text- und Bilddaten beschränken. Es ist auch das Streaming von Videos möglich. Dadurch kann eine DVD auch durch Broadcast-Video-Inhalte über das Internet erweitert, ergänzt bzw. aktualisiert werden. Die neuen DVD-Formate HD DVD und Blu-ray Disc bieten bezüglich des Videostreamings nicht nur die Darstellung in HD -Qualität, sondern auch die Möglichkeit, die zusätzlichen, über das Internet geladenen Inhalte in einer zweiten Ebene über dem Hauptfilm einzublenden, und zwar unterbrechungsfrei. Zudem ist, eine entsprechende Internetanbindung vorausgesetzt, ein ruckelfreies Abspielen der gestreamten Inhalte möglich.
26
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Exemplarische DVD-Produktionen, bei denen die Möglichkeiten der webDVD genutzt wurden, sind die folgenden (Abbildungen siehe »Die DVD als Wissensvermittlungs- und Dokumentationsmedium« im Kapitel »Orientierungsbeiträge, Wissensvermittlung«) [S. 152]: → Travel-Web-DVD-Berlin – der vernetzte Reiseführer, 2001 (Verlag Galileo Medien AG, www.galileomedien.de). Kombiniert mit dem Internet erhält man aktualisierbare Informationen zu Öffnungszeiten, Stadtplänen, Flügen und der Bahn. Man kann sich kombiniert und ergänzend zur DVD online informieren und anschließend buchen. → Deutsche & Polen – eine Chronik vom Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg, 2002 (Herausgeber: Nicolai'sche Verlagsbuchhandlung, Berlin). Zusät zlich zur Filmdokumentation wurde ein aufwändiges Angebot im Internet produziert, das zu jeder Filmstelle Hintergrundinformationen bietet. Die Filminhalte auf der DVD-ROM können mit den Inhalten der Internetseite verknüpft werden. → Rebell wider Willen – Das Jahrhundert des Martin Niemöller (Originaltitel: »Was würde Jesus dazu sagen?«), ein Film von Hannes Karnick und Wolfgang Richter, 1985 (Verlag »absolut Medien«, www.absolutmedien.de). Die Agentur »Master Kitchen« (www.masterkitchen.de) entwickelte eine webDVD Engine, mit der, passend zu Verweisen im Text der korrespondierenden Internetseite, direkt Ausschnitte aus dem Film abgespielt werden können bzw. von der DVD aus auf Verlinkungen ins Internet verwiesen werden kann. Im Jahr 2004 wurde die kombinierte Version von DVD und Internetseite erstellt.
1.2.7 DVD Download
1.2.8 Hybrid-DVD, Hybrid-Disc
Hierbei handelt es sich um eine DVD-R, die allerdings CSS-geschützt ist. Mit ihr lassen sich legal vom Internet geladene Filme abspeichern. Zum brennen des Films auf die DVD Download ist ein spezieller DVD-Brenner erforderlich. Die mit ihm gebrannte DVD Download soll sich allerdings auf allen handelsüblichen DVD-Playern abspielen lassen. Die Filmindustrie kündigte an, auch solche Filme im Internet anzubieten, deren reguläre DVD-Massenproduktion nicht mehr lohnen würde. So könnte sich die Neuanschaffung eines speziellen DVD-Brenners, der extra nur für das Brennen der DVD Download angeschafft wurde, für Kineasten lohnen, die sich entsprechende Filme auf DVD archivieren möchten (siehe auch unter »DVD Download« im Kapitel »Kopierschutzverfahren«) [S. 263].
Die Bezeichnung Hybrid-DVD wird sehr uneinheitlich genutzt. Das Wort »hybrid« (gemischt, Kreuzung, Mischling) lässt aber bereits darauf schließen, dass es sich um eine Art Mehrfachnutzung handelt. Der Begriff »Hy-
27
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
brid-DVD« bzw. »Hybrid-Disk« ist nicht fest etabliert. Es macht auch wenig Sinn nur einige bestimmte »Kreuzungen« als Hybrid zu bezeichnen, da bei den vielen möglichen Kombinationsvarianten längst nicht sicher ist, ob sich diese bzw. welche dieser Varianten sich je durchsetzen werden. Kombinationsmöglichkeiten gibt es vielfältige. Eine DVD-Video mit DVD-ROM-Teil wäre da noch die einfachste Variante. Für diese bräuchten sich zusätzlich zum Video_TS-Ordner mit Videodaten nur noch weitere Daten befinden, die zur Nutzung am Computer gedacht sind. Dadurch, dass unterschiedliche DVD-Formate miteinander verklebt und sogar DVD-Formate mit CD-Formaten kombiniert werden können, ergeben sich zahlreiche hybride Varianten. Selbst die Kombination eines Chips mit einer DVD ist verfügbar. Sie macht auch Sinn, wenn auf dem Chip, ähnlich wie beim Chip der Geldkarte bzw. der Telefonkarte, Daten gespeichert und gelöscht werden können. Dort können z.B. Spielstände oder Zugangscodes gespeichert und abgerufen werden. Diese hybride Variante hat die passende Bezeichnung Chipped DVD. Für einige Hybrid-Varianten gibt es bereits ähnlich sinn fällige Bezeichnungen ohne den Zusatz »hybrid«. Eine CD-ROM bzw. DVD-ROM, die sowohl auf einem PC als auch auf einem Apple-Computer abgespielt werden kann, könnte zwar Hybrid-CD bzw. Hybrid-DVD genannt werden, ließe sich aber treffender als »CrossPlattform CD« bzw. »Cross-Plattform DVD« bezeichnen. Eine DVD-ROM bzw. DVD-Video, von der aus man ins Internet verlinkt, könnte ebenso als Hybrid bezeichnet werden. Aber auch dafür gibt es mit »webDVD« [S. 126] bereits eine konkrete Bezeichnung. Eine DVD, die zwei unterschiedliche, miteinander verklebte Seiten hat und deren eine Seite aus einer CD und die andere aus einer DVD besteht oder beide Seiten jeweils aus unterschiedlichen DVD-Formaten bestehen, hat auch die Eigenschaften einer »Kreuzung«. Aber auch für diese Variante gibt es mit »DVD-plus« bereits eine etablierte Bezeichnung. Eine Beschreibung zur DVD-plus ist unter »DVDFormate, DVD-Volume« [S. 23] zu finden. Für die neuen DVD-Formate mit miteinander verklebten Kombinationsvarianten müssen sich die Bezeichnungen »BD Hybrid Disc« oder »HD DVD Twin Format Disc« bzw. »HD DVD Combination Format Disc« erst noch durchsetzen. Die Blu-ray Hybrid Disc ist eine Dual-Layer bzw. Triple-Layer Disc, wobei sich auf einer Ebene die Blu-ray Disc ROM (BD-ROM) und auf der anderen eine Blu-ray Disc Readable (BD-R) bzw. eine DVD-9 Dual-Layer befinden kann. Es werden dabei lediglich zwei DVD-Formate Unterseite an Unterseite zusammengeklebt. So wären z.B. auch Kombinationen aus CD-ROM und BD-ROM und alle anderen Kombinationen möglich. Ein Vorteil gegenüber der HD DVD besteht darin, dass bei der Blu-ray Disc die Datenschicht näher zum Laser liegt und somit die unterschiedlichen DVDFormate leichter Unterseite an Unterseite geklebt werden können, wodurch ein DVD-Format mit nur einer bespielten Seite und zwei Schichten (Single-
28
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Side/Dual-Layer) entsteht. Unter »Speicherplatzkapazität« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 46] befinden sich Grafiken, die dies veranschaulichen. Solch ein DVD-Format muss nicht mehr gewendet werden und es könnte gegenüber der Dual-Side DVD auch eine Seite der Scheibe beschriftet werden. Bei der HD DVD und der DVD ist es einfacher, zwei DVD-Formate Rücken an Rücken zusammenkleben, da sich bei ihnen die Datenschicht in der Mitte der Scheibe befindet. Durch das Verkleben Rücken an Rücken ergibt sich eine zweiseitige DVD, deren Seiten jeweils eine Schicht haben (Dual-Side/Single-Layer). Abspielbar sind die jeweiligen Seiten selbstverständlich nur in den jeweils dafür vorgesehenen Abspielgeräten. Die Blu-ray Disc- und HD DVDAbspielgeräte sind allerdings nach unten kompatibel und können DVDs und CD-ROMs und Music-CDs abspielen. Die hybride Kombination von Blu-ray Disc und DVD-9 wird Blu-ray/DVD Combo ROM Disc genannt. Da die DVD-9 eine Dual-Layer DVD ist, ergibt sich in der Kombination eine Triple-Layer DVD. Bei dem Zusammenfügen unterschiedlicher Datenträger besteht zwischen der Blu-ray Disc und der HD DVD ein entscheidender baulicher Unterschied. Bei der Blu-ray Disc befindet sich die Schicht mit den Daten sehr dicht an der Unterseite und bei der HD DVD in der Mitte der Scheibe. (Siehe dazu auch die Querschnittsgrafiken unter »Speicherplatzkapazität« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« [S. 48].) Durch diesen baulichen Unterschied ist es bei der Blu-ray Disc einfacher möglich, die beiden DVD-Formate sandwichweise mit dem Rücken der Blu-ray Disc und der Unterseite der DVD-9 zusammenzukleben, um somit ein Single-Side DVD-Format zu erhalten. Dieses braucht nicht gewendet werden, da die Daten beider zusammen gefügten DVD-Formate von derselben Seite aus mit einem Laser ausgelesen werden können. Selbstverständlich muss die Hardware bei dieser Kombination über einen roten und blauen Laser verfügen. Dies ist allerdings selbstverständlich, da alle Hersteller garantiert haben, dass die Lesegeräte der neuen DVD-Formate auch ältere DVDs auslesen können. Bei der Blu-ray/DVD Combo ROM Disc können auf der Blu-ray Disc 25 GB und auf der DVD-9 8,5 GB gespeichert werden (siehe auch unter »Hybrid-DVD, Hybrid-Disc, BD Hybrid Disc« in diesem Kapitel) [S. 27]. Die Hybrid-Variante der HD DVD wird »HD DVD Twin Format Disc« bzw. »HD DVD Combination Format Disc« genannt. Bei der HD DVD Twin Format Disc können sich Daten in der bisher bekannten DVD-Qualität und zusätzlich dieselben Daten in HD-Qualität befinden. Dieses DVD-Format ist stets ein Dual-Layer DVD-Format. Dies bedeutet, dass Daten auf zwei Ebenen je Seite des DVD-Formats gespeichert werden können. Handelt es sich um ein einseitig beschriebenes DVD-Format, so nennt man es SingleSide DVD Format. Eine beidseitig beschriebene HD DVD Twin Format Disc
29
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
wäre demnach dann ein Dual-Side/Dual-Layer DVD-Format (siehe auch unter »HD DVD Combination Format Disc« in diesem Kapitel) [S. 30]. Mit dem HD DVD Twin Format Disc ist ein nahtloser Wechsel von DVD- zu HD DVD-Qualität möglich. So wäre z.B. ein Upgrading möglich, wenn man sich zusätzlich zur DVD-Version die HD-Version freischalten lassen möchte. Bei einer Single-Side/Dual-Layer HD DVD sind bis zu 15 GB auf der HD DVD- und 4,7 GB auf der DVD-ROM-Spur speicherbar. Bei einer Dual-Side/Dual-Layer HD DVD sind 30 GB und 8,54 GB speicherbar. Siehe auch unter »Speicherplatzkapazität« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«. Dort befinden sich Grafiken, mit denen die Bezeichnungen »Single-Side«, »Single-Layer«, »Dual-Side« und »DualLayer« illustriert werden [S. 46–49]. Solch eine HD DVD Twin Format Disc ist sowohl für den Käufer als auch für den Einzelhandel interessant. Der Käufer kann eine DVD mit HD-Option kaufen, auch wenn er erst zu einem späteren Zeitpunkt die Anschaffung des erforderlichen HD-Equipments vorgesehen hat, und dem Einzelhandel wird die Lagerhaltung erleichtert. Die HD DVD Twin Format Disc und alle anderen Hybrid-Formate können aber auch dazu genutzt werden, zwei unterschiedliche Genres auf einer Scheibe zu speichern, z.B. den Film auf der einen und ein Video- bzw. Computerspiel auf der anderen Seite bzw. Ebene der DVD. Die HD DVD Combination Format Disc ist stets eine Dual-Side-DVD, deren eine Seite eine DVD und deren andere Seite eine HD DVD ist (siehe auch oben »HD DVD Twin Format Disc« in diesem Kapitel) [S. 29]. Vier Kombinationsmöglichkeiten sind denkbar. Beide Seiten könnten Single-Layer oder Dual-Layer sein oder die eine Seite eine Single-Layer und die andere eine Dual-Layer. So können die beiden Formate DVD und HD DVD je nach Bedarf kombiniert auf einer Scheibe angeboten werden. Zu beachten ist allerdings, dass eine beidseitig bespielte DVD nicht mit einem Etikett versehen werden kann. Es kann nur ein schmaler Ring um das Loch der DVD beschriftet werden. Außerdem muss der Anwender eine Dual-Side-DVD wenden, wenn die Daten der jeweils anderen Seite genutzt werden sollen. Beide Seiten lassen sich nur getrennt voneinander nutzen. Ein nahtloser Übergang zwischen den Seiten und DVD-Formaten ist nicht möglich. Ein Abspielgerät, das zwei Laser besitzt, einen für die Ober- und einen für die Unterseite der DVD ist bisher nicht in Aussicht. Die Absicht einer solchen Kombination aus DVD und HD DVD auf einer Scheibe ist identisch mit der HD DVD Twin Format Disc. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass bei der HD DVD Twin Format Disc die unterschiedlichen DVD-Formate Rücken an Rücken zusammengeklebt werden und somit nicht von einer Seite ausgelesen werden können, sondern eine Dual-Side-DVD ergeben. Je nachdem, ob eine der beiden Seiten Singleoder Dual-Layer oder ob beide Seiten Dual-Layer sind, können auf der HD
30
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
DVD-Seite bis zu 30 GB und auf der DVD-Seite bis zu 8,5 GB gespeichert werden (siehe auch unter »Speicherplatzkapazität« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 46].
1.2.9 cDVD
Die cDVD ist ein Format, bei dem eine DVD-Produktion auf einer CDROM gespeichert ist. Die Vorteile sind, dass kleine Produktionen mit maximal 700 MB Speicherplatz sehr günstig in großen Stückzahlen produziert werden können und dass diese Produktionen auch ohne DVD-Laufwerk auf älteren Computern betrachtet werden können, die nur über ein CD-ROMLaufwerk verfügen. Voraussetzung ist, dass sich auf dem Computer eine erforderliche Software befindet (z.B. für Mac: DVD-Player und PC: DVD Video Player). 700 MB reichen für ungefähr 15 Minuten Video in DVDQualität (MPEG-2) aus. Ansonsten bringt dieses Format den Nachteil, dass es zwar in CD-ROM und DVD-Laufwerken am Computer, aber nur von wenigen DVD-Playern für den Fernseher gelesen werden kann. Seitdem in jedem aktuellen Computer nicht nur CD-ROM- sondern auch DVD-Laufwerke verbaut sind, spielt dieses Format aber kaum mehr eine Rolle.
1.2.10 EVD und FVD – Alternativen zur DVD-5 und DVD-9
Als Alternative zur bisher beschriebenen DVD sind noch die EVD (Enhanced Versatile Disc) und die FVD (Forward Versatile Disc, früher Finalized Versatile Disc) zu nennen. Sie haben vergleichbare Speicherplatzkapazitäten wie die DVD-5 bzw. die DVD-9. Die EVD wird allerdings nur in China genutzt und die FVD in erster Linie nur in Taiwan vertrieben. Ob die Enhanced Versatile Disc (EVD) und die Forward Versatile Disc (FVD) in Europa und den USA überhaupt eine Chance bekommen werden, ist ungewiss und eher zweifelhaft. Die chinesische und die taiwanesische Eigenentwicklungen sollen eine preiswerte Alternative zur DVD, HD-DVD und Blu-Ray sein bzw. werden. Die EVD wurde in China bereits 1999 entwickelt, aber erst 2003 im Markt eingeführt. Sie ist vergleichbar mit der DVD, unterscheidet sich gegenüber ihr allerdings hinsichtlich der Verzeichnisstruktur und des Kompressionsstandards. Für die Kompression wird VP5 bzw. VP6 der Firma »On2 Technologies« verwendet, die ein besseres Ergebnis bietet als MPEG2 und es sogar ermöglicht, auch Filme in HD-Qualität auf eine EVD zu speichern. Für die Audiokompression wird EAC (Enhanced Audio Codec) verwendet, ein Verfahren, das Mono, Stereo und 6-Kanal Surround Sound (5.1) unterstützt. Die EVD wurde in erster Linie entwickelt, um Lizenzgebühren für die DVD-Player und den Kompressionsstandard MPEG einzusparen bzw. um selbst entwickelte, preiswertere Standards nutzen zu können. Die EVD hat
31
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
eine Speicherplatzkapazität von 8,5 GB und kann bis zu 2 Stunden Film in HD-Qualität speichern. Bei der Maximallänge von 2 Stunden in HDQualität ist die Bildqualität eines Films auf einer EVD allerdings schlechter als bei vergleichbaren Filmen, die auf einer HD DVD oder Blu-ray Disc gespeichert werden und dort auch mehr Speicherplatz haben. Nicht zuletzt wegen des günstigeren Preises verbreitet sich in China die EVD zunehmend und könnte sich als das dortige DVD-Format etablieren. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich diese Scheibe auch in Indien gegen die teurere DVD durchsetzen wird und in »Bollywood« zum Standard werden könnte. Momentan ist die EVD allerdings erst in China vertreten. In einem Interview der EETimes (http://www.eetimes.com) erwähnte Chao Chen, dass die Enhanced Versatile Disc die chinesische DVD-Produktion nicht vollständig ersetzen solle, nur um einen einheimischen Standard zu unterstützen. Er ist Marketing Manager des Unternehmens Amoi Electronics, das zu den knapp 20 Mitgliedern der EVD-Allianz zählt. Er fügte im Interview aber hinzu, dass geplant sei, die Herstellung von DVD-Laufwerken in China stetig zu verringern und die der EVD-Laufwerke allmählich zu steigern. Laut Bernhard Krause, dem Sprecher von Singulus Technologies, dem deutschen Hersteller von CD- und DVD-Produktionsanlagen, wird von den DVD-Produzenten in China allerdings eher ein DVD-Boom erwartet (www.pressetext.de). Der stärkste Vertreter des EVD-Standards, das Unter nehmen Haier Electronics, ist sich aber sicher, dass EVD-Player im Jahr 2008 bereits 35 % des gesamten Marktes für EVDs und DVDs in China ausmachen werden. Und Skyworth Digital, ebenfalls Produzent von EVDPlayern, geht sogar davon aus, dass sie bis 2008 ihre Produktion zu 50% auf EVD-Geräte umgestellt haben werde. Außerhalb von China, Taiwan und Indien wird aber weder die EVD noch die FVD je eine Rolle spielen, obwohl es bereits Bestrebungen von Firmen in Kanada und den USA gibt, die FVD dort einzuführen. Wegen der guten Etablierung der DVD werden westliche Filmstudios bei der DVD bleiben und zukünftig nicht zuletzt wegen der besseren Kopierschutzverfahren, der besseren Bildqualität und der Erweiterung der Interaktionsmöglichkeiten auf die HD DVD und/oder die Blu-ray Disc setzen. Die FVD wird wie bei der DVD mit einem roten Laser abgetastet und kann daher nicht mehr als 11 GB speichern. Die Spurbreite des Lasers ist etwas geringer, weshalb pro Layer bis zu 5,4 GB gespeichert werden können. Es sind maximal zwei Layer vorgesehen, so dass sich ca. 11 GB als freier Speicherplatz ergeben, die für einen 135 Minuten langen Spielfilm mit 1.920 mal 1.080 Bildpunkten (1080i) in HD-Qualität ausreichen. Als Audiobzw. Videoformat wird aus Gründen der niedrigeren Lizenzgebühren nicht MPEG-2, sondern Microsofts Windows Media 9 verwendet.
32
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.2.11 VMD – Alternative zur HD DVD und Blu-ray Disc
Insbesondere in China und Indien gibt es Bemühungen, preiswerte Alternativen zur HD DVD und der Blu-ray Disc im Filmmarkt zu etablieren. Die Versatile Multilayer Disc (VMD), vormals Digital Multilayer Disk (DMD) genannt, wird noch mit dem roten Laser gelesen, so dass die Hardware hersteller ihre DVD-Player nur geringfügig verändern brauchen. Die VMD kann, wie eine DVD-5, pro Layer bis zu ca. 5 GB speichern. Bisher sind pro Seite maximal 10 Layer möglich, so dass eine VMD bis zu 50 GB Daten pro Seite aufnehmen kann. Wegen der geringeren Kosten für die Hardware und für die Umstellung der Presswerke eignet sich die VMD insbesondere für die Märkte der Schwellenländer Indien, Russland, Brasilien und China. In China werden VMD-Player angeboten, die neben den CD- und DVD-Formaten zusätzlich auch die EVD (siehe »1.2.10 EVD und FVD – Alternativen zur DVD-5 und DVD-9«) abspielen können. Möglichkeiten komplexer Interaktionen sind mit der VMD aber nicht vorgesehen. Ihr Interaktionsspektrum entspricht den Auswahlmöglichkeiten der DVD und ist daher nicht mit der sehr umfangreichen Interaktionsvielfalt der HD DVD bzw. der Blu-ray Disc zu vergleichen. Mit der VMD soll lediglich ein preiswerter Datenträger für Filme in HD-Qualität bereitgestellt werden, weshalb die VMD von ihren Entwicklern und Befürwortern auch gerne HD VMD genannt wird. Die VMD unterstützt die Video-Codecs MPEG-2, MPEG-4, H.264/AVC und VC-1 (siehe unter »Kompressionsstandards« im Kapitel »Standards/ Spezifikationen«) [S. 235] und kann Filme in einer Auflösungen von 1920 × 1080 Pixel bei 25 bzw. 50 Vollbildern pro Sekunde wiedergeben (1080p) (siehe unter »Fernsehstandards« im Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [S. 195]. Die VMD bietet den Herstellern neben dem für HD-Qualität übli chen Kopierschutz HDCP (siehe unter »Kopierschutzverfahren« im Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [S. 261] noch die nicht näher im Whitepaper ›zur VMD kommentierte Verschlüsselung VMDCPS und die bekannten Kopierschutzverfahren CSS, CPPM, CGSM und CPRM. Es ist durchaus möglich, dass sich die VMD, genauso wie die EVD, in Indien und China durchsetzt und sich gerade im Markt der BollywoodFilme etablieren kann. Es bleibt aber zweifelhaft, ob die VMD in Europa oder den USA erfolgreich sein wird. Zumindest hat die amerikanische Filmindustrie bisher kein Interesse an der VMD gezeigt. Zudem ist bisher keine Autorensoftware verfügbar, wobei sich dies bald ändern könnte. Die Firma New Medium Enterprises, die u.a. VMD-Player vertreibt, verspricht auf ihrer Internetseite www.nmeinc.com eine Autorensoftware für Consumer (Author-WIZ) und eine für Profis (Author-PRO) anbieten zu wollen.
33
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.2.12 HD DVD
2 http://www.dvdforum.org
3 http://www.hddvdprg.com
34
Über HDTV (High Definition TV) wird bereits seit langem diskutiert (siehe unter »Seitenverhältnis 4:3 und 16:9, Bildformat« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 69] (siehe auch unter »Bildformate« im Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [S. 210]. Es fehlte nur noch ein Speichermedium, auf dem sich die dabei anfallenden Datenmengen speichern ließen. Die Industrie entwickelte u.a. auch daher die HD DVD und die Blu-ray Disc als Nachfolgemedien der DVD. Die HD DVD wurde im Jahr 2003 vom DVD-Forum als HDTV-Nachfolger der DVD vorgestellt. Das DVD-Forum2 ist eine Vereinigung von fast 220 Firmen, um die Spezifikationen für die DVD abzustimmen. Im DVD-Forum ist die Musik- und Film-industrie stark vertreten. Der Fokus lag daher bei der Entwicklung der HD DVD auch eher auf der Nutzung im Bereich des Films und anderer linearer Angebote. Die Vertreter der HD DVD sind intensiv bemüht, sich gegen die Blu-ray Disc durchzusetzen und gründeten die »HD DVD Promotion Group«3. Seit 2005/2006 sind die ersten Geräte zum Abspielen der HD DVD bzw. der Blu-ray Disc im Handel verfügbar. »HD« steht für High Definition bzw. High Density und »Blu-ray« verweist darauf, dass ein blauer Laser zum Lesen und Schreiben der Daten verwendet wird. Diese Eigenschaften beziehen sich auf die beiden neuen DVD-Formate gleichermaßen. Das fehlende »e« im »Blu« ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass man namenschutzrechtliche Probleme vermeiden wollte. Ein Farbname wie »Blue« kann in der Regel nicht als Markenname geschützt werden. Die Daten werden mit einem blauen Laser ausgelesen bzw. geschrieben, da er eine erheblich kleinere Wellenlänge hat als der sonst verwendete rote Laser bei der CD und der DVD und dadurch die Datenreihen mit den Pits dichter (densitive) sind und mehr Daten auf gleicher Fläche aufgenommen werden können (siehe bezüglich der Datendichte und der Pits unter »DVDFormate, DVD-Volumen« in diesem Kapitel) [S. 18]. Wie so oft kann sich die Industrie nicht einigen, nur ein DVD-Format für die HD-Möglichkeiten einzuführen, da die eventuellen Lizenzeinnahmen für die jeweiligen Konsortien zu verlockend erscheinen. Der Leittragende ist der Endverbraucher und im Grunde genommen auch die Industrie selbst, da sie sich mit diesem Streit gegenseitig im Wege steht. Die HD DVD und die Blu-ray Disc gibt es sowohl als vorbespielte als auch als beschreibbare Medienformate. Der bisher am ehesten auffallende Unterschied zur bisherigen DVD ist die auf ihnen speicherbare Datenmenge. Auf einer HD DVD lassen sich bis zu 90 GB und auf einer Blu-ray Disc bis zu 100 GB Daten speichern, wobei das Standardformat von HD DVD 15 – 30 GB und das von Blu-ray Disc 25 – 50 GB speichern kann, je nachdem, ob auf einer oder zwei Ebenen der jeweiligen Scheibe gespeichert wird (siehe unter »Speicherplatzkapazität« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 46].
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Die HD DVD und die Bluray Disc sind zueinander nicht kompatibel. Und da beide mit einem blauen Laser gelesen und beschrieben werden, lassen sie sich nicht in einem klassischen DVD-Player abspielen. Dieser verfügt über einen roten Laser. Deshalb wird die Anschaffung neuer Player erforderlich, die allerdings nach unten kompatibel sind und daher auch die bisherigen DVDs und CD-Formate lesen können. Die HD DVD wird unter anderem unterstützt durch die Firmen Microsoft, Intel, IBM, Time Warner, Toshiba und NEC. Eine ganze Reihe von vorbespielten HD DVDs mit Filmen in HDTV-Qualität sind bereits erschienen. Im Abschnitt »Blu-ray Disc« werden beide Medienformate im Vergleich zueinander beschrieben. Außerdem befinden sich im Text am Anfang des Kapitels »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« [S. 44] wesentliche Informationen über die beiden neuen DVD-Formate. Internetseiten zur HD DVD: → Offizielle Internetseite des HD DVD Konsortiums: http://www.hddvdprg.com → Internetseite bezüglich der Lizenzen, Logos etc.: http://www.dvdfllc.co.jp → Internetseite eines Zusammenschlusses zahlreicher Hard- und Softwareanbieter für die DVD und HD DVD: http://www.dvdforum.org
1.2.13 3x speed DVD-ROM (HD DVD-5, HD DVD-9)
1.2.14 Mini HD DVD
Die 3x speed DVD-ROM, auch HD DVD-5 bzw. HD DVD-9 genannt, ist eine erweiterte Form der DVD-5 bzw. der DVD-9. Sie wird wie die DVD mit einem roten Laser ausgelesen, hat allerdings wegen ihrer erhöhten Rotationsgeschwindigkeit eine vergleichbar hohe Durchsatzrate wie die HD DVD, ca. 36 MBit/s. Dies entspricht der mehr als dreifachen Leistung gegenüber der üblichen DVD (11 MBit/s), wodurch sich die Bezeichnung »3x speed DVD-ROM« ergab. Durch die Erhöhung der Durchsatzrate und durch die VC1-Komprimierung wird es möglich, auch von einer DVD-5 bzw. DVD-9 aus Filme in HD-Qualität zu betrachten. Mit der AVC- bzw. VC-1Komprimierung können 135 Minuten HD-Inhalt auf einer einzigen DVD-5 gespeichert werden bzw. 2,6 Stunden auf einer DVD-9. Da mit VC-1 bereits bei einer Datendurchsatzrate von 8-12 MBit/s eine HD-Qualität möglich ist, genügt die maximale Durchsatzratenleistung einer handelsüblichen DVD-9 aus, um auf ihr einen Film von 135 Minuten speichern zu können.
Die Mini HD DVD hat einen Durchmesser von 8 cm und ist die verkleinerte Variante der HD DVD, die einen Durchmesser von 12 cm hat. Auf der Single-Layer Mini HD DVD lassen sich bis zu 4,7 GB und auf der Dual-Layer Mini HD DVD bis zu 9,4 GB speichern.
35
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.2.15 Blu-ray Disc
Beschlossen wurden die Spezifikationen für die Blu-ray Disc bereits im Jahr 2002 durch die Blu-ray Group, einem Zusammenschluss mehrerer Firmen (Matsushita, Mitsubishi, Pioneer, Philips, Sony, Thomson, LG Electronics, Hitachi, Sharp, Samsung), denen später z.B. Dell, Hewlett-Packard, Apple folgten. All diese Firmen bilden die »Blu-Ray Disc Founders Group«4, die die Spezifikationen festlegt. Seit 2005/2006 sind nun die ersten Geräte zum Abspielen der Blu-ray Disc verfügbar. Sie gilt wie die HD DVD als Nachfolgemedium der DVD und beide haben teilweise sehr ähnliche Eigenschaften. Ein weiterer und sehr wesentlicher Unterschied der Blu-ray Disc und der HD DVD gegenüber der bisherigen DVD besteht in der Erweiterung der Interaktionsangebote. Über dem Film lassen sich nun in einer zusätzlichen Ebene Bilder, Grafiken, Schriften und Filme darstellen (siehe unter »Subtitle, Subpicture« und »Bild-in-Bild« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 63, 65]. Dadurch können zusätzliche Ereignisse, Informationen und Ergänzungen dynamisch eingeblendet werden. Möglich wird diese für ein DVD-Format neue Interaktionsbreite durch die Programmierschnittstelle HDi bei der HD DVD bzw. durch die Navigationsoberfläche High Definition Movie (HDMV) und der Programmiersprache Java, die bei der Blu-ray Disc BD-J genannt wird. Da die Daten bei der Blu-ray Disc nur durch eine 0,1 mm dünne Schicht geschützt sind, entwickelte TDK eine spezielle schützende Schicht mit dem Namen Durabis 2. Seitdem muss die Blu-ray Disc auch nicht länger in einer Catridge aufbewahrt werden. Ein sehr wesentlicher Vorteil der internen Datenstruktur der Blu-ray Disc besteht darin, dass dadurch ein hybrides DVD-Format möglich ist, bei dem sich alle Daten auf einer Seite befinden, allerdings zwei unterschiedliche DVD-Formate angesteuert werden können, ohne die Scheibe wenden zu müssen. Die Datenschicht ist bei der Blu-ray Disc so nah an der Außenschicht zum Laser, dass über ihr, einfacher als bei der HD DVD, ein zweites DVD-Format geklebt werden kann. Es werden dann zwei DVD-Formate sandwichweise Rückenseite an Unterseite geklebt. Daraus ergibt sich eine Single-Side/Dual-Layer BD Hybrid Disc (siehe auch unter »Hybrid-DVD, Hybrid-Disc« in diesem Kapitel) [S. 27]. Bei der DVD und der HD DVD befindet sich die Datenschicht in der Mitte der Scheibe, weshalb es einfacher ist, unterschiedliche DVD-Formate Rücken an Rücken zu kleben. Die Nachteile dabei sind, dass es erforderlich wird, die DVD wenden zu müssen um alle Daten abspielen zu können und dass man die Scheibe dann nicht mehr bedrucken kann. Es bleibt nur ein schmaler Streifen um das Loch der Scheibe herum, der bedruckt werden kann. Mit der HD DVD Twin Format Disc ist es allerdings auch möglich, genauso wie bei der Blu-ray Disc eine Single-Side Hybrid-DVD zu erstellen (siehe »HD DVD Twin Format Disc« und »HD DVD Combination Format Disc« in diesem Kapitel) [S. 29]. Dies ist allerdings kostenintensiver. Ob sich diese HD DVD Hybrid Variante dann noch durchsetzen kann, ist ungewiss.
4 www.blu-raydisc.com
36
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Die Blu-ray Disc wird unter anderem unterstützt durch die Firmen Sony, Samsung, Philips, Hewlett-Packard und Apple. Bei den bereits erschienenen vorbespielten Blu-ray Discs mit Filmen in HDTV-Qualität wurden aber nur der Speicherplatz, nicht aber die Interaktionsmöglichkeiten genutzt. Diese warten noch darauf, ausgelotet zu werden. Entsprechende Brenner, Brennsoftware und Abspielgeräte sind allerdings bereits vorhanden, sowohl als externe Geräte als auch bereits in Computern und Laptops integriert. Entsprechende DVD-Authoring-Software-Pakete für die Erstellung von interaktiven Blu-ray Discs und HD DVDs sind bereits verfügbar (z.B. »Sonic Scenarist« von Sonic.com; »Blu-print« von Sony Media Software). Internetseiten zur Blu-ray Disc: → Offizielle Internetseite des Blu-ray Disc Konsortiums: http://www.blu-raydisc.com → Informationsplattform und Forum zum Thema Blu-ray Disc: http://www.blu-ray.com
1.2.16 Universal Media Disc (UMD)
Die Universal Media Disc ist eine von Sony entwickelte vorbespielte DVD, die sich nur auf der ebenfalls von Sony entwickelten PlayStation Portable abspielen lässt, die zur Wiedergabe von Spielen, Filmen und Musik ent wickelt wurde. Die UMD ist eine Dual-Layer-DVD mit einem Durchmesser von 6 cm, auf der sich bis zu 1,8 GB speichern lassen. Dieses Format ist ausschließlich für die professionelle Bespielung vorgesehen. Es gibt weder Brenner noch Rohlinge.
1.2.17 DVD als Datenspeicher
Da die DVD u.a. auch als Datenmassenspeicher erkannt wurde, gibt es wie bereits von der CD bekannt, einmal und mehrfach beschreibbare DVDs, die mit entsprechenden DVD-Laufwerken am Computer (Mac/PC) beschrieben und gelesen werden können. Diese Massenspeicher sind extrem preiswert und zuverlässig genug, um für mindestens 5 – 10 Jahre Datensicherheit zu versprechen. Voraussetzung ist natürlich eine sorgsame Behandlung der DVD. Dies bedeutet, ein Verkratzen der DVD-Ober- und Unterseite zu vermeiden und sie nicht direkten Sonnenstrahlen oder hohen Temperaturschwankungen auszusetzen. Die Hersteller der beschreibbaren DVDs sprechen von erheblich längeren Haltbarkeiten. Es ist allerdings stets zu empfehlen, alle Daten spätes tens nach 10 Jahren auf die dann gängigen Datenträger zu übertragen. Das Beschreiben einer CD bzw. DVD wird auch Brennen genannt (siehe unten »DVD, HD DVD, Blu-ray Disc – selbst gebrannt«) [S. 38]. Die Nachfolgemedien der bisherigen DVD, die Bluray-Disc bzw. HD DVD bieten erheblich mehr Speicherplatz (bis zu 100 GB). Sobald die
37
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Rohlinge etwas preiswerter geworden sind, kann es sich lohnen, seine Sicherungskopien von den CD-ROMs und DVDs auf die neuen Medien zu kopieren. So gewinnt man wegen der höheren Speicherkapazität mehr Platz und hat seine älteren Daten für die nächsten 10 Jahre, bis zum Erscheinen der nächsten Generation von Trägermedien, wieder relativ sicher archiviert.
1.2.18 DVD, HD DVD, Blu-ray Disc – selbst gebrannt
Für Massenproduktionen werden Daten auf DVDs bzw. CDs gepresst. Das dafür erforderliche Equipment und auch das Verfahren sind allerdings für kleine Mengen zu kostenintensiv. Für die Erstellung von Kleinserien gibt es so genannte DVD-Brenner. Dies sind DVD-Laufwerke, mit denen man DVDs lesen und beschreiben (brennen) kann. Die beschreibbaren DVD sind seit Oktober 1997 verfügbar. Diese so genannten Rohlinge stehen in den Formaten DVD-R, DVD+R und DVD-RW bzw. DVD+RW zur Verfügung. Die Formate mit dem »-« oder »+« vor dem »R« bzw. dem »RW« ergaben sich aus der Konkurrenz verschiedener Hersteller und unterscheiden sich kaum in ihrer Qualität als Datenträger. Beim Verbraucher sorgte die Unterscheidung zwischen »-R«/«-RW« und »+R«/»+RW« nur für Verwirrung, ähnlich wie Anfang der 80er Jahre bei der Einführung der VHS- bzw. Beta-Video-Technologie. Die Formate DVD-R und DVD+R sind nur einmal beschreibbar. Das »R« hinter dem »DVD« steht für »read« engl., »lesen«. Die dort gespeicherten Daten können gelesen, aber nicht mehr verändert werden, solange sie sich auf der DVD befinden. Zu den einmal auf diesen Formaten gebrannten Daten lassen sich keine weiteren Daten hinzufügen, da diese Formate nur einmal beschrieben werden können. Man muss darauf achten, ob das jeweilige Format vom eigenen DVD-Brenner unterstützt wird und ob es auf jenen DVD-Playern gelesen werden kann, auf denen man es abspielen lassen möchte. (siehe »Kompatibilität« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«). Die meisten DVD-Player der neueren Generation können beide Formate lesen. Es kann allerdings nie garantiert werden, dass eine DVD, egal ob »-« oder »+«, »R« oder »RW«, auf allen gängigen DVDPlayern abgespielt werden kann. Entwickler und Anwender werden sich leider diesbezüglich damit abfinden müssen, dass es keine hundertprozentige Abspielgarantie geben wird. Von der DVD-R gibt es zwei Varianten, die DVD-R(A) und die DVDR(G). Das »A« steht für »Authoring« und das »G« für »General Use«, engl. »allgemeiner Gebrauch«. Die DVD-R(A) lässt sich nur mit einem Brenner der Firma Pionier (z.B. DVR-S201) bespielen. Die Rohlinge sind genauso wie der Brenner von Pionier sehr teuer, garantieren aber, dass sie auf nahezu jedem DVD-Player abgespielt werden können. Ganz sicher kann man aber auch dabei nicht sein. Die DVD-R(A) dient dennoch als ideales Master für das Presswerk zur Erstellung des Glasmasters, jener Ausgangsform, mit der
38
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
DVDs in Masse gepresst werden. Auch zum testen ist die DVD-R(A) ideal. Außerdem lassen sich nur auf dieser DVD die erforderlichen Datenstrukturen erzeugen, um Informationen zur Erstellung von Kopierschutz und Regionalcode ablegen zu können (siehe »Kopierschutz« und »Regionalcode« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 61, 63]. Dies ist ein wesentlicher Grund, weshalb die DVD-R(A) das geeignete Medium ist, um die fertigen DVD-Inhalte für die Pressung der Massenvervielfältigung zu speichern und an das Presswerk zu übergeben. Alternativ dazu gibt es nur noch das DLT-Band, welches direkt im Anschluss beschrieben wird. Andere Speichermedien sind dafür ungeeignet bzw. werden vom Presswerk nicht als Master akzeptiert. Alternativen, wie z.B. die Anlieferung der Daten auf einer externen Festplatte, sollten individuell mit dem Presswerk geklärt werden. Die DVD-R(G) ist ein Rohling wie die DVD+R, die man überall sehr günstig kaufen kann. Häufig wird das »(G)« im Aufdruck gar nicht mehr erwähnt. Auf der DVD-R(G) lässt sich die oben beschriebene Datenstruktur zur Erstellung von Kopierschutz und Regionalcode nicht ablegen, so das 1:1 Kopien von kopiergeschützen DVDs nicht erstellt werden können, woran insbesondere die Filmindustrie sehr interessiert war. Es ist zu berücksichtigen, dass sich von der Datenstruktur einer DVD-R(G) bzw. DVD+R kein Glasmaster erstellen lässt, das zur Pressung einer Massenauflage erforderlich ist. Die Formate DVD-RW und DVD+RW sind beides wieder beschreibbare Formate mit weitestgehend identischen Qualitätsmerkmalen. In Japan sind entsprechende Brenner zum Bespielen dieser DVD-Formate seit Juli 2000 verfügbar und in Europa seit März 2001. Im Gegensatz zur DVD-R bzw. DVD+R lassen sich auf ihnen Daten aber mehrfach kopieren und wieder löschen, zwischen 100 bis 1000 mal. »RW« steht für »read/write« engl., »lesen/schreiben«. Aber auch hier gilt, dass nicht alle Formate auf allen Brennern und Playern genutzt werden können. Selbst auf DVD-Playern der neueren Generation machen gerade die Formate DVD-RW und DVD+RW bisweilen Schwierigkeiten (siehe Spezifikationen und Geräteempfehlungen unter www.dvdplusrw.org). Beschreibbare DVDs liegen zur Zeit in den Speicherkapazitäten der DVD-1 (1,36 GB), DVD-5 (4,37 GB) und der DVD-9 (7,95 GB) vor. Es sind allerdings bereits mit der HD DVD-RW und der Blu-ray Disc RW (BDRE) neue Formate vorhanden, die wiederum neue Ab- und Bespielgeräte erforderlich machen. Diese sind allerdings nach unten kompatibel, so dass man auf den neuen Abspielgeräten auch die alten DVDs, CD-ROMs und Audio-CDs abspielen kann. Mit Einschränkungen ist natürlich zu rechnen. Die aktuell verfügbare wiederbeschreibbare HD DVD speichert bis zu 15 GB bzw. 30 GB und die Blu-ray Disc bis zu 25 GB bzw. 50 GB, je nachdem, ob es sich bei der jeweiligen Scheibe um eine Single- oder Dual-Layer-DVD handelt. 25 GB beziehen sich dabei auf 1000 Byte pro kByte nach dem Dezimalsystem. In der Digitaltechnik wird aber nach dem binären bzw. dualen Sys-
39
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
tem mit 1024 Byte kalkuliert. Danach kommt man bei einer »25 GB DVD« auf ca. 23,283 GibiByte (GiB) tatsächlicher Speichermenge. Davon sind dann noch ca. 4% für den Headroom abzuziehen. Dann ergeben sich ca. 22,35 GibiByte (GiB) tatsächlich zur Verfügung stehender freie Speicherplatz. (Siehe bezüglich der unterschiedlichen Kalkulationen von 1000 und 1024 Byte und des Headroom unter »Speicherkapazität – Maße und Einheiten« im Kapitel »Standards/Spezifikationen« [S. 232].) Aktuelle Angaben zu Speicherkapazität und allen anderen sich ständig aktualisierenden Informationen zu den DVD-Formaten befinden sich auf der Internetseite www.interactions.de. Dieses Angebot und seine Nutzung sind im Kauf dieses Buches allerdings nicht eingeschlossen, weshalb es auf diesem Wege auch nur bekannt gegeben, aber nicht garantiert werden kann.
1.2.19 DVD-RAM, HD DVD-RAM
Die DVD-RAM ist neben den Formaten DVD-RW und DVD+RW das älteste dieser drei wieder beschreibbaren DVD-Formate und seit Juli 1998 verfügbar. »RAM« steht für »Random Access Memory«. Gegenüber den anderen beiden fällt die DVD-RAM durch ihre bessere Wiederbeschreib barkeit und Datensicherheit auf. Die DVD-RAM gibt es im Durchmesser von 8 cm und 12 cm. Mit der Version mit 12 cm Durchmesser lassen sich auf einer Seite und einer Schicht 4,7 GB bzw. 4,38 GibiByte (GiB) speichern. Die beidseitig beschreibbare Variante fasst 8,75 GB. Dies sind 8,54 GibiByte (GiB) (siehe unter »Speicherplatzkapazität« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« [S. 46] und wegen des Unterschieds von GB und GibiByte (GiB) siehe unter »Speicherkapazität – Maße und Einheiten« im Kapitel »Standards/Spezifikationen« [S. 232]). Die Mini-DVD-RAM mit 8 cm Durchmesser wird aufgrund ihrer geringen Größe in erster Linie als Speichermedium in Camcordern eingesetzt. Sie kann beidseitig beschrieben werden und fasst dann 2,72 GB (2,53 GibiByte (GiB)). Bei Anwendung einer verlustbehafteten MPEG-2-Kompression reicht dies für ca. 120 Minuten Video. Etwas verwirrend ist, dass es die DVD-RAM in vier Verpackungsvarianten gibt, die zur Unterscheidung mit römischen Ziffern durchnummeriert werden. Variante I hat das kostspielig ste Gehäuse für das Medium. Da die DVD-RAM in diesem Gehäuse fest integriert ist, benötigt man ein Laufwerk mit entsprechendem Schacht. Der Vorteil und Unterschied der Variante II gegenüber der Version I besteht darin, das sich die DVD-RAM aus ihrem Gehäuse herausnehmen lässt und deswegen auch in üblichen DVD-Laufwerken mit Einzugschublade genutzt werden kann. Die gebräuchlichste Variante und auch die preiswerteste ist die Nummer III. Diese wird in einem üblichen Jewel-Case angeboten und erfordert daher keinen besonderen Laufwerkschacht. Die Variante IV wird, wie von sehr
40
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
preiswerten CD-ROMs bekannt, mit einer Spindel angeliefert. Dabei sind die Scheiben auf einer Achse mit direkter Berührung zueinander gestapelt. Eine beschriebene DVD-RAM sollte man allerdings, wie auch bei allen anderen CD- und DVD-Scheiben üblich, ohne Berührung der Datenseite und z.B. in einem Jewel-Case lagern. Die Verbreitung der DVD-RAM hat aufgrund der Vorteile dieses Formats stark zugenommen, weshalb die Preise für diese Medien gesunken sind. Dadurch wurde ihr Einsatz auch im Konsumentenbereich für das Archivieren von Computerdaten interessant. Die Laufwerke, mit denen DVD-RAMs beschrieben werden können, werden Super-Multi-Brenner genannt, wenn sie alle DVD-Formate verarbeiten können. Diese Laufwerke werden zu ähnlichen Preisen angeboten wie die übrigen DVD-Brenner. Es ist allerdings zu beachten, dass preiswerte DVD-RAM-Medien nicht so weit verbreitet im Handel zu finden sind und in der Regel nur bei den Händlern vorrätig sind, die DVD-RAM-fähige Brenner oder Videorekorder führen. Die wesentlichen Unterschiede der drei wieder beschreibbaren DVDFormate ergeben sich aus der Tatsache, dass die DVD-RW bzw. DVD+RW auf eine maximale Kompatibilität mit der DVD-Video und der DVD-ROM ausgelegt sind, während die DVD-RAM auf Datensicherheit ausgerichtet ist. Die DVD-RAM lässt sich erheblich schneller formatieren als die DVD-RW und DVD+RW, benötigt dafür aber ca. 50% mehr Zeit für das Beschreiben. Da bei der DVD-RAM aber das Überprüfen der Datenstruktur entfällt, benötigen die drei Medien DVD-RAM, DVD-RW und DVD+RW in etwa dieselbe Zeit zum Beschreiben. Die bereits erwähnte Datensicherheit ergibt sich bei der DVD-RAM durch ihr Defektmanagement, das wie bei einer Festplatte funktioniert. Wenn eine Stelle (ein Sektor), die beschrieben werden soll, nicht beschreibbar ist, so wird sie als defekt gekennzeichnet und die Daten werden automatisch woanders abgespeichert. Dieses Defektmanagement wird von der Laufwerkselektronik übergenommen, wodurch dieser Vorgang sehr zuverlässig ist. Dennoch können alle drei Medien gleichermaßen wie eine Wechselfestplatte genutzt werden. Dateien können beliebig oft abgespeichert, kopiert, gelöscht, umbenannt oder verschoben werden. Für den Dauereinsatz einer DVD als Wechselfestplatte eignet sich aber nur die DVD-RAM. Dies liegt einmal daran, dass die DVD-RAM im Gegensatz zu den anderen beiden Medien das oben beschriebene Defektmanagement hat und zudem bis zu 100000-mal beschrieben werden kann und mindestens 30 Jahre lang halten soll. Die DVD-RW und DVD+RW können laut Herstellerangaben maximal 1000-mal beschrieben werden, haben ihr Ende aber oft bereits nach 100maligem Beschreiben erreicht. Bedauerlicherweise gibt es nur äußerst wenige DVD-Player für den Betrieb am Fernseher, mit denen eine DVD-RAM abgespielt werden kann. Dies ist zwar verständlich, da die DVD-RAM nun einmal für den Gebrauch am Computer entwickelt worden ist. Aber dennoch ist es nicht von der
41
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Hand zu weisen, dass die DVD-RAM für Testläufe der ersten Prototypen einer DVD-Produktion gut geeignet wäre. Als ideales Archivierungsmedium ist die DVD-RAM unumstritten. Die DVD-RAM wurde ursprünglich nur für den Computerbereich entwickelt, wird aber zudem sowohl in Camcordern als auch in digitalen Videorecordern verwendet. Digitale Videorecorder kopieren die Videos nicht wie ein VHS-Rekorder auf eine Kassette, sondern direkt auf eine eingebaute Festplatte oder eben auf eine DVD-RAM. Will man eine DVD-RAM, die mit einem DVD-RAM-Videorekorder beschrieben wurde, am Computer lesen oder deren Daten umkopieren, so ist allerdings zu beachten, dass die DVD-RAM im DVD-RAM-Videorekorder mit einer anderen Verzeichnisstruktur beschrieben wird als sie von der DVD-Video bekannt ist. Videos werden bei der DVD-Video und ebenso bei der DVD-R, DVD+R, DVD-RW und der DVD+RW im Verzeichnis »VIDEO_TS« (Video Title Set) und dort im Dateiformat »VOB« (Video Object) abgespeichert. Der DVD-RAM-Videorekorder schreibt das Video hingegen in ein Verzeichnis mit der Bezeichnung »DVD_RTAV« und dort im Dateiformat »VRO« (Video Recording Object) ab. Deshalb können an einem DVD-RAM-Videorekorder beschriebene DVD-RAMs an einem Computer nicht direkt gelesen oder zum Gebrauch an einem DVD-Player kopiert werden. Nur mit zusätzlicher Software (z.B. für den PC mit Win DVD oder PowerDVD XP) lassen sich diese Daten in eine Verzeichnis struktur einer DVD-Video konvertieren. Zum Thema »Datei- und Ordnerstruktur einer DVD« siehe unten [S. 285]. Vom HD DVD Format gibt es auch eine RAM-Version, die HD DVDRAM. Sie weist vergleichbare Eigenschaften auf wie die DVD-RAM, kann aber je nach Version von 20 – 64 GB speichern (siehe unter »Speicherplatzkapazität« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 46].Das HD DVD-RAM Format zählt genauso wie das DVD-RAM Format zu den sichersten Medien zur Datensicherung. Beide sind auf Daten sicherheit optimiert, die sich durch ein spezielles Defektmanagement ergibt, das wie bei einer Festplatte funktioniert. Wenn eine Stelle (ein Sektor), die beschrieben werden soll, nicht beschreibbar ist, so wird sie als defekt gekennzeichnet und die Daten automatisch woanders abgespeichert. Dieses Defektmanagement wird von der Laufwerkselektronik übergenommen, weshalb dieser Vorgang sehr zuverlässig ist.
1.2.20 DLT-Magnetbänder, Master für Presswerk
Wie zuvor beschrieben werden vom Presswerk nur die DVD-R(A) oder ein DLT-Magnetband als Master zur Erstellung des Glasmasters für die Massenpressung einer DVD akzeptiert. DLT steht für »Digital Linear Tape«. Das DLT-Band kann mit dem offiziellen Profi-Format DDP (Disc Descriptor Protocol) beschrieben werden. Diese Spezifikation stellt sicher, dass dieses Master in jedem Presswerk eingelesen und vervielfältigt werden kann.
42
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Zum Aufzeichnen und Abspielen sind entsprechende DLT-Laufwerke erforderlich. DLT-Bänder gelten als sehr robust. Die Belastung der Bänder und der Leseköpfe wird durch spezielle mechanische Verfahren gering gehalten. Dadurch sind beim DLT-Band IV Banddurchläufe von bis zu 1 000 000 Zyklen pro Kassette möglich. Mit dem DLT-Band III XT sind zwar nur bis zu 500 000 Banddurchläufe möglich, trotzdem gilt es als die bevorzugte Bandsorte. Es ist auch nicht so teuer wie das DLT-Band IV. Auf Grund ihrer Robustheit und weil DLT-Bänder von 20 GB bis zu 70 GB speichern können, eignen sie sich auch als Backup-Medien, um z.B. von sämtlichen Produktions- und Zulieferdaten Sicherungskopien zu speichern. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass ein DLT-Band manchmal nur von dem DLT-Laufwerk und der Software gelesen werden kann, von denen es eingespielt wurde. Dies kann zu Schwierigkeiten führen, wenn man nach einiger Zeit die Daten vom DLT-Band auf einen Computer zurückspielen möchte und in der Zwischenzeit die Hard- oder die Software gewechselt wurde. Da sich aber auf den neuen DVD-Formaten bis zu 100 GB an Daten speichern lassen, wird das DLT-Band als Speichermedium für die Sicherung großer Datenmengen immer unattraktiver. Aber auch wenn das DLT-Band als Backup-Medium an Bedeutung verlieren wird, ist es als temporäres Speichermedium zum Datentransfer der Masterdaten an das Presswerk nach wie vor geeignet. Für das Erstellen eines Masters für das Presswerk gilt allerdings, für jeden Layer jeweils nur ein DLT-Band zu beschreiben. Das wären für eine DVD-5 ein Band bzw. für eine DVD-18 vier Bänder, da diese auf beiden Seiten jeweils zwei Layer hat.
43
1.2 Torsten Stapelkamp: Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.3 Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc Torsten Stapelkamp
1.3.1 Einführung
Dieses Kapitel dient dazu, einen möglichst schnellen Überblick über die Möglichkeiten der DVD, der Bluray-Disc und der HD DVD zu geben, ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen. Innerhalb der jeweiligen Themen wird auf detaillierte Informationen in entsprechend themenzentrierten Kapiteln verwiesen. Bis zur Einführung der DVD im Jahr 1996 hat sowohl die Musik-, als auch die Filmindustrie, als die wesentlichen Initiatoren dieses Mediums, die Entwicklung der DVD vorangetrieben und Anforderungen formuliert, die die DVD als würdige Nachfolgerin der VHS-Kassette und der Musik-CD rechtfertigten. Der Musikindustrie war es wichtig, dass die Speicherplatzkapazität ausreicht, um auf der DVD Raumklang bzw. High-End-Audio abspeichern zu können, und dass die DVD-Abspielgeräte auch die alten Musik-CDs abspielen können. Diese Abwärtskompatibilität und zudem ein Kopierschutz waren wesentliche Merkmale, die ebenso die Filmindustrie forderte, die sich seit 1994 für die DVD einsetzte. Die Filmindustrie wünschte sich wie die Musikindustrie möglichst viel Speicherplatz. Er sollte mindestens für 135 Minuten Film ausreichen, da die meisten Kinofilme nicht länger als zwei Stunden und 15 Minuten dauern. Die DVD sollte auch eine bessere Bildqualität bieten und bis zu fünf Sprachversionen ermöglichen. Der von der Musikindustrie gewünschte Raumklang bzw. das High-End-Audio waren der Filmindustrie natürlich auch recht. Ein Jahr später als die Filmindustrie meldete 1995 auch die Computerindustrie ihre Anforderungen an. Die Interessen der Computerindustrie waren bei den bisher genannten Punkten nahezu deckungsgleich. Gewünscht wurde zudem ein gemeinsames Format. Dazu war ein gemeinsames Dateisystem für Computer und Video-Unterhaltung erforderlich. Die DVDLaufwerke für Computer sollten natürlich abwärtskompatibel zur Audio-CD und zur CD-ROM sein, so dass die alten Scheiben weiterhin genutzt werden können. Zudem wurde eine ähnliche Datensicherheit wie bei der CD und eine möglichst hohe Speicherkapazität gefordert. Und es sollten DVD-Formate entwickelt werden, von denen die einen nur einmal, weitere Formate aber auch mehrfach beschrieben werden können, so wie man es bereits von den CD-ROM-Formaten mit der CD-RW gewohnt war. Seit 2005/2006 kamen nun noch die DVD-Formate Blu-ray Disc und HD DVD auf den Markt, wobei die Spezifikationen für die Blu-ray-Disc mit
44
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
dem so genannten HD Movie mode (HDMV) bereits im Jahr 2002 durch die Blu-ray Group festgelegt und publiziert wurden (siehe »Blu-ray Disc« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 36]. Die HD DVD wurde ein Jahr später, im Jahr 2003 vom DVD-Forum als HD-Nachfolger der DVD vorgestellt (siehe »HD DVD« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 34]. Es ist auffallend, dass die Blu-ray Disc in erster Linie von Software- und Hardware-Herstellern unterstützt wird. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Filmindustrie ihre Inhalte sowohl auf eine Blu-ray Disc, als auch auf eine HD DVD pressen können, ohne Einschränkungen erleiden zu müssen. Außerdem begrüßt die Filmindustrie den sehr strengen Kopierschutz der Blu-ray Disc, mit dem die Anzahl der möglichen Kopien vorgeschrieben und kontrolliert werden kann (siehe unter »Kompressionsstandards« im Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [235]. Bei der Planung der Blu-ray Disc wurde auf eine sehr breite Nutzungsvielfalt geachtet. Und entsprechend der Interessen der Mitglieder der »Blu-Ray Disc Founders Group« wurde viel Wert auf die Auslotung des Interaktionsangebots gelegt. Es wurde die Aufnahme und Wiedergabe von Video in HD-Qualität ebenso berücksichtigt wie die Möglichkeit, diese Scheibe am Computer, an der Spielekonsole und anderen Abspielgeräten nutzen zu können. Um möglichst viel Speicherkapazität zu gewährleisten, wurde die Struktur der Scheibe gegenüber der DVD geändert, weshalb die Blu-ray Disc im Gegensatz zur HD DVD nicht als direktes Nachfolge-DVD-Format, sondern als grundsätzlich neuartiges Disc-Format anzusehen ist (siehe diesbezüglich auch unter »Speicherplatzkapazität« in diesem Kapitel [S. 46]. Die zu allererst auffallenden Merkmale der Blu-ray Disc und der HD DVD gegenüber der bisherigen DVD sind die hohe Speicherplatzkapazität von bisher bis zu 100 GB und die Datendurchsatzrate. Die bisherige DVD schafft 11 MBit/s, wobei die Video-Durchsatzrate von 9,8 MBit/s aber nicht überschritten werden darf. Die beiden neuen DVD-Formate haben jeweils eine Datendurchsatzrate von immerhin 36 MBit/s. Dadurch wird es möglich, auch hochauflösende Filme vom DVD-Trägermedium aus ruckelfrei abzuspielen. Die Blu-ray Disc gibt es in den Formatvarianten BD-Rom (lesbar), BD-R (beschreibbar) und BD RE (wiederbeschreibbar). Die HD DVD gibt es in den Varianten HD DVD-ROM (lesbar), HD DVD-R (beschreibbar), HD DVD Rewritable (wiederbeschreibbar) und HD DVD Twin Format Disc (lesbar). Zusätzlich sind noch kombinierte Formatvarianten möglich, bei denen zwei unterschiedliche Formate zusammengeklebt werden. So könnten z.B. eine CD-ROM und eine DVD oder eine DVD-5 und eine HD DVD kombiniert werden. Im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« werden diese Kombinationsvarianten und alle weiteren DVD-Formate näher erläutert [S. 17].
45
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Ein herausstechendes Merkmal unter den Formatvarianten der HD DVD stellt die HD DVD Twin Format Disc dar. Mit ihr ist ein nahtloser Wechsel von DVD- zu HD DVD-Qualität möglich. So wäre z.B. ein Upgrading möglich, wenn man sich zusätzlich zur DVD-Version die HD-Version freischalten lassen möchte. Möglich wird dies dadurch, dass sich je eine Spur für HD DVD- und DVD-ROM auf je einem Layer befindet. Daraus ergibt sich dann eine so genannte Dual-Layer-DVD. Bei einer Single-Side/Dual-Layer HD DVD sind bis zu 15 GB auf der HD DVD- und 4,7 GB auf der DVD-ROMEbene speicherbar. Bei einer Dual-Side/Dual-Layer HD DVD, also auf einer beidseitig beschriebenen DVD, sind 30 GB und 8,54 GB speicherbar. Weitere entscheidende Merkmale der Blu-ray Disc und der HD DVD bestehen gegenüber der DVD in deren erweitertem Angebot bezüglich der Interaktionsmöglichkeiten. Darauf wird in diesem Kapitel noch näher eingegangen.
1.3.2 Speicherplatzkapazität
Eine DVD-5 mit 12 cm Durchmesser kann 4.700.000.000 Bytes speichern. Dies entspricht der Speicherplatzkapazität von bis zu sieben CDs (7 × 650 MB). Rechnet man allerdings in den Maßen, die vom Computer her bekannt sind, dann hat eine DVD-5 tatsächlich nur 4,38 GB Speicherplatzkapazität. Bei einer DVD misst man 1 GB dezimal in 1000 MB (109). Da bei der Digitaltechnik aber nicht dezimal, sondern binär bzw. nach dem dualen System in Bits bzw. Bytes gemessen wird, hat nach diesem System ein GigaByte nicht 1000 MB, sondern 1024 MB (28). Der einfachste Weg, den Wert der tatsächlichen Speichermenge zu erhalten, ist die Verwendung des Umrechnungsfaktors 0,93132. Mit ihm multipliziert man den angegebenen dezimalen Wert der Speicherplatzkapazität, um die tatsächliche Speicherplatzkapazität zu erhalten. Nähere Informationen über den Umrechnungsfaktor, den Unterschied zwischen den dezimalen und den binären Werten und die in diesem Zusammenhang verwendeten Speichermengenbezeichnungen »GigaByte« und »GibiByte« sind zu finden unter »Speicherkapazität – Maße und Einheiten« im Kapitel »Standards/Spezifikationen« [S. 232]. Die DVD-Formate DVD-5 bis DVD-18 bieten Speicherplatzkapazitäten von 4,7 GB bis 17 GB. Es gibt aber bereits Verfahren, mit denen bis zu 100 GB auf einer Scheibe gespeichert werden können. Das Speichern in sehr dichten Abständen und in mehreren Ebenen (Layer) macht dies möglich. Toshiba stellte bereits im Mai 2005 einen Prototypen der Blu-ray Disc vor, auf der mit Hilfe von 4 Layern und unter Verwendung eines blauen Lasers 100 GB gespeichert werden können. Die Daten werden deshalb mit einem blauen Laser ausgelesen bzw. geschrieben, weil dieser eine erheblich kleinere Wellenlänge hat als der sonst verwendete rote Laser bei der CD und der DVD und dadurch die Datenreihen mit den so genannten Pits dichter (densitive) sind und mehr Daten auf gleicher Fläche aufgenommen werden
46
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Abb. 1.3.1 Spiralförmige Anordnung der Pits.
können (siehe bezüglich der Datendichte und der Pits unter »DVD-Formate, DVD-Volume« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 18]. Parallel zur Blu-ray Disc gibt es die HD DVD, die ebenfalls mit einem blauen Laser beschrieben und ausgelesen wird. Die Speicherkapazität einer HD DVD beträgt bei einem Layer und nur einer beschriebenen Seite 15 GB (Single-Side/Single-Layer). Bei der Blu-ray Disc wurde die Datenschicht anders angeordnet als bei der DVD bzw. der HD DVD, weshalb die Blu-ray Disc auch als neues Format und nicht nur als Nachfolge-Format der DVD angesehen werden kann. Die Speicherplatzkapazität der Blu-ray Disc beträgt, bedingt durch diese spezielle Struktur, bei einem Layer und nur einer beschriebenen Seite bereits 25 GB (Single-Side/Single-Layer). Alle drei Formate, die DVD, die HD DVD und die Blu-ray Disc, sind 1,2 mm dick. Sie unterscheiden sich nur in der Dicke der internen Ebenen, auch Layer genannt, und der Abstände der Zeilen, in denen sich, in Form von Pits, die Daten befinden (siehe bezüglich »Pits« unter »DVD-Formate, DVD-Volume« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 18]. Die Kunststoffschicht, die zum Laser hin die Datenschicht abdeckt, beträgt bei der Blu-ray Disc nur 0,1 mm und bei der DVD bzw. HD DVD 0,6 mm. Dadurch, dass bei der Blu-ray Disc die vom Laser auszulesende Schicht dem Laser näher ist, können die Abstände der Zeilen enger sein,
47
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Double Sided (BD Hybrid Disc: oben DVD, unten Blu-ray Disc)
0,6 mm
0,6 mm
Single Layer Single Sided Single Layer (Blu-ray Disc) Single Sided (Blu-ray Disc)
Triple Layer Single Sided Triple Layer (Blu-ray/DVD Combo Single Sided ROM Disc: oben DVD-9, (Blu-ray/DVD Combo ROM Disc: unten Blu-ray Disc) oben DVD-9, unten Blu-ray Disc)
Dual Layer Double Sided (Blu-ray Disc)
Abb. 1.3.2 a–n In einigen Abbildungen sind mehrere Laser zu sehen, um die Anzahl der Layer und die Seite des Zugriffs deutlich zu machen. Tatsächlich gibt es bei allen Abspielgeräten immer nur einen Laser pro DVD-Format. Der rote Laser ist der für DVDs und der blaue der für HD DVDs bzw. Blu-ray Discs.
weshalb auf der Blu-ray Disc mit 25 GB 10 GB mehr gespeichert werden können als auf der HD DVD mit 15 GB Speicherplatzkapazität. Die Abstände der Zeilen betragen bei der Blu-ray Disc 0,32 μm und bei der DVD und HD DVD 0,74 μm. Eine DVD besteht aus mehreren Schichten, zwischen denen sich ein oder mehrere Ebenen (Layer) pro Seite für die Daten befinden können. Verschiedene DVD-Formate können auch miteinander Triple Layer verklebt werden. Man spricht dann von hybriden DVD-Formaten (siehe Single Sided auch »Hybrid-DVD, Hybrid-Disc, BD Hybrid Disc« im Kapitel »Das sind (Blu-ray/DVD Combo ROM Disc: oben DVD-9, Blu-ray Disc) DVD, HD DVD undunten Blu-ray Disc«) [S. 27]. Die neuen DVD-Formate haben sehr unterschiedliche maximale Speicherkapazitäten. Die nur einmal beschreibbare HD DVD kann bis zu 30 GigaByte bei einem Layer, 60 GB bei zwei Layern und 90 GB bei drei Layern speichern. Das vom DVD-Forum verabschiedete Format für die HD-DVD sieht neben einer ROM-Version auch eine wiederbeschreibbare Version vor. Die wiederbeschreibbaren HD DVDs bieten 20 GB bzw. 32 GB Speicherskapazität und bei Dual-Side-Medien bis zu 64 GB. Die wiederbeschreibbare Blu-ray Disc Rewritable (BD RE) kann als SingleLayer-Version 25 GB und als Dual-Layer-Version 50 GB speichern. Die Bluray Disc (BD-Rom) fasst auf einer Seite mit zwei Layer bis zu 50 GB und mit vier Layer bis zu 100 GB. Für das Jahr 2007 ist von den beiden japanischen Elektronikkonzernen Hitachi und Maxwell bereits die TeraByte-DVD angekündigt worden, auf der Platz für 200 Stunden Video in HD-Qualität wären.
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
0,6 mm
0,6 mm
Single Layer Single Sided Single Layer (HD DVD) Single Sided (HD DVD)
CD
Dual Layer 0,6 mm Single Sided 0,6 mm Dual Layer 0,6 mm (HD DVD Twin Single Sided Format Disc: (HD DVD Twin Format Disc: 0,6 mm 0,6 mm oben DVD, oben DVD, unten HD DVD) 0,6 mm unten HD DVD)
Single Layer Single Sided Single Layer Single Layer (z.B. DVD-5) Sided Single Single Layer Sided (z.B. DVD-5) Single Sided (z.B. DVD-5) (z.B. DVD-5)
Dual Layer Double Sided Dual Layer (HD DVD Combination Double Sided Format Disc: (HD DVD Combination Format Disc: oben DVD, unten HD DVD) oben DVD, unten HD DVD)
Dual Layer Single Sided Dual Layer Dual Layer (z.B. DVD-9) Single Sided Dual Layer Single Sided (z.B. DVD-9) Single Sided (z.B. DVD-9) (z.B. DVD-9)
Single Layer Single Layer Dual Sided Single Layer Dual Sided Single Layer (z.B. DVD-plus Dual Sided (z.B. DVD-plus bzw. Dual-Disc) Dual Sided bzw. Dual-Disc) (z.B. DVD-plus bzw. Dual-Disc) (z.B. DVD-plus bzw. Dual-Disc)
Triple Layer Single Sided Triple Layer (HD DVD mit 45 GB) Single Sided (HD DVD mit 45 GB)
* SD = Standard Definition (PAL: 720 Pixel × 576 Pixel; NTSC: 720 Pixel × 480 Pixel) ** H D = High Definition/High Density (1280 Pixel × 720 Pixel; 1920 Pixel × 1080 Pixel) SL = Single-Layer; DL = Dual-Layer; TL = Triple-Layer
Abb. 1.3.3 Die Möglichkeiten der HD DVD im Vergleich zur DVD-Video/DVD-ROM.
50
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Twin Format Disk (HD DVD + DVD) lesbar Speicherkapazität
SingleSided
SL
DualSided
SL
DL
DL
SL/ DL
HD DVD/DVD Combi-Format lesbar
HD DVD/DVD Combi-Format lesbar
20 GB 32 GB
HD DVD 15 GB + DVD 4,7 GB
HD DVD 30 GB + DVD 8,54 GB
HD DVD 15 GB (1 Layer) DVD 4,7 GB (1 Layer)
40 GB
HD DVD 30 GB (2 Layer) DVD 8,54 GB (2 Layer)
64 GB
HD DVD 15 GB (1 Layer) DVD 8,54 GB (2 Layer) HD DVD 30 GB (2 Layer) DVD 4,7 GB (1 Layer)
Abspieldauer Aufnahmedauer
(siehe jeweils unter DVD bzw. HD DVD in den weiteren Tabellen in diesem Kapitel)
Kompressions technologie
(siehe jeweils unter DVD bzw. HD DVD in den weiteren Tabellen in diesem Kapitel)
Datenüber tragungsrate
(siehe jeweils unter DVD bzw. HD DVD in den weiteren Tabellen in diesem Kapitel)
Abb. 1.3.4 Das Twin-Disk-Format ist ein spezielles Format, bei dem der nahtlose Übergangswechsel von DVD auf HD DVD mit je einer Spur für HD DVD- und DVD-ROM möglich ist.
51
HD DVD-RAM wiederbeschreibbar
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Speicherkapazität
SingleSided
Abspieldauer Aufnahmedauer (je nach Kompression)
Kompressionstechnologie
Blu-ray Disc (BD-Rom) lesbar
Blu-ray Disc (BD-R) beschreibbar
Blu-ray Disc Rewritable (BD RE) wiederbeschreibbar
LPCM, Dolby Digital, Dolby Digital Plus, Dolby TrueHD***, DTS Digital Surround DTS-HD
LPCM, Dolby Digital, Dolby Digital Plus, Dolby TrueHD***, DTS Digital Surround DTS-HD
LPCM, Dolby Digital, Dolby Digital Plus, Dolby TrueHD***, DTS Digital Surround DTS-HD
PCM, Dolby Digital (AC-3), DTS
54 Mbps
36.55 Mbps
36.55 Mbps
11.08 Mbps
Datenüber tragungsrate
* SD = Standard Definition (PAL: 720 Pixel × 576 Pixel; NTSC: 720 Pixel × 480 Pixel) ** HD = High Definition/High Density (1280 Pixel × 720 Pixel; 1920 Pixel × 1080 Pixel) *** Dolby TrueHD kann als Nachfolge von MLP (Meridian Lossless Packing) gesehen werden. Std. = Stunden.
Abb. 1.3.5 Die Möglichkeiten der Blu-ray Disc im Vergleich zur DVD-Video/DVD-ROM.
52
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Format
Anzahl der Seiten mit Daten
Anzahl Layer auf Seite 1 Seite 2
Speicherplatz GibiByte (GiB)*
Speicherplatz GigaByte (GB)**
Durch messer
DVD-1
1
1
0
1,36
1,46
8 cm
DVD-2
1
2
0
2,48
2,66
8 cm
DVD-3
2
1
1
2,72
2,92
8 cm
DVD-4
2
2
2
4,96
5,32
8 cm
DVD-5
1
1
0
4,37
4,7
12 cm
DVD-9
1
2
0
7,95
8,54
12 cm
DVD-10
2
1
1
8,75
9,4
12 cm
DVD-14
2
2
1
12,33
13,24
12 cm
DVD-18
2
2
2
15,91
17,08
12 cm
DVD-plus
2 (CD und DVD)
1 (CD)
1 – 2 (DVD)
0,65 (CD) 4,37 (DVD)
0,7 (CD) 4,7 (DVD)
12 cm
HD-DVD
1 – 2
1 – 3
1 – 3
13,97 – 83,82
15 – 90
12 cm
Twin Disk (HD DVD + DVD)
1 – 2
2
2
13,97 – 27,94 4,377 – 7,95
15 – 30 4,7 – 8,54
12 cm 12 cm
Blu-ray
1 – 2
1 – 4
1 – 4
23,28 – 93,13
25 – 100
12 cm
* nach binärem System. 1024 MiB (MebiByte) = 1 GiB (GibiByte). ** nach dezimalem System. 1000 MB (MegaByte) = 1 GB (GigaByte). Um den tatsächlichen frei zur Verfügung stehenden Speicherplatz zu ermitteln, sind von allen Speicherplatzwerten noch ca. 7 % für den Overhead abzuziehen.
Abb. 1.3.6 Einige der möglichen Varianten der DVD-Formate und deren Speicherkapazitäten.
53
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.3.3 Videokompression
1.3.4 Audiokompression
1.3.5 Interaktivität, Menüsteuerung
Bei der Festlegung des DVD-Video-Standards wurde, wie bereits erwähnt, 1996 in erster Linie berücksichtigt, dass die meisten Hollywood-Filme nicht länger als 135 Minuten dauern, weshalb die einfachste Form der DVD, die DVD-5, die Voraussetzung erfüllen musste, mindestens Spielfilme dieser Länge aufnehmen zu können. Die anfallende Datenmenge für einen nicht komprimierten Film ist enorm und würde bei weitem nicht auf einer DVD-5 Platz finden. Als Videokompressionsstandard wählte man MPEG-2. Die dabei erreichte Bildqualität war bis dahin unerreicht. Die Entwicklung von Kompressionsverfahren ist ein stetiger Prozess, so dass sich die Qualität der Bilder entweder verbessert oder zumindest nicht verschlechtert, auch wenn die Bilder aufgrund zunehmender Bildformat größen immer mehr Speicherplatz benötigen und daher immer stärker komprimiert werden müssen. Um Filme in HD-Qualität speichern zu können, wurden größere Speichermedien und bessere Kompressionen erforderlich. Die bisher verwendeten Kompressionsstandards sind MPEG-2, MPEG-4 AVC (H.264) und VC-1. Weitere Informationen zum Thema Kompression sind unter »Kompressionsstandards« im Kapitel »Standards/Spezifikationen« nachzulesen [S. 235].
So wie das Video, muss auch der Ton komprimiert werden. Durch die Kompression der Audio- und der Video-Dateien wird es möglich, auf einer einfachen DVD-5 mit 4,37 GB Speicherplatz 135 Minuten Video und zusätzlich 8 Sprachfassungen des Films oder Stereoton mit zusätzlich 6-Kanal-Surround Sound (Raumklang, 5.1 Sound) zu speichern. Übliche Kompressionsstandards sind PCM, Dolby Digital, Dolby Digital Plus, DTS, DTS-HD und MLP (Meridian Lossless Packing. MLP wird mittlerweile Dolby TrueHD genannt). Weitere Informationen zum Thema Kompression sind unter »Kompressionsstandards« im Kapitel »Standards/Spezifikationen« nach zulesen [S. 235]. Weitere Informationen zum Thema Audio finden Sie im Kapitel »Sound, Surroundsound« [S. 517].
Ein scheinbar kleiner, aber entscheidender Vorteil der DVD gegenüber der VHS-Kassette war bereits das, was schon bei der Musik seit 1982 mit der Musik-CD weggefallen war. Das kassettenbandbedingte Vor- und Zurückspulen und das damit verbundene mühselige Suchen war seit 1996 mit der DVD auch beim Video nicht mehr erforderlich. Um Kapitelsprünge zu ermöglichen, lassen sich die Videos einer DVD beim Gestaltungsprozess durch entsprechende Videoschnitt- und Autorensoftwareprogramme mit Kapitelmarkern versehen, zu denen der Anwender durch Bedienen der »Pfeil-Tasten« auf der DVD-
54
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Fernbedienung springen kann. Außerdem können ruckelfrei Standbilder und Vorwärts-/Rückwärts-Suchlauf betrachtet werden und der Anwender kann Einzelbild für Einzelbild vorspulen. Bedingt durch den Kompressionsstandards MPEG-2 kann das Zurückspulen in Abhängigkeit des jeweiligen DVDPlayers allerdings teilweise nur eingeschränkt oder gar nicht möglich sein. Mit der bisherigen DVD besteht bereits seit ihrer Einführung im Jahr 1996 die Möglichkeit, parallel zum Film während der Wiedergabe mit der Audio-Taste unterbrechungsfrei zwischen bis zu acht unterschiedlichen Audiotracks bzw. mit der Multi-Angle-Taste zwischen insgesamt neun Videoströmen umzuschalten (siehe auch unter »Interaktion bei Film und Fernsehen« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Erzählung«) [S. 101]. Dasselbe gilt für die HD DVD und die Blu-ray Disc; mit dem einen Unterschied, dass bei der Blu-ray Disc sogar bis zu 32 Audiotracks möglich sind. Zusätzliche Audiotracks könnten z.B. dazu dienen, zu unterschiedlichen Sprachen und somit auch zwischen der Original- und der synchronisierten Fassung zu wechseln. Außerdem können unterschiedliche akustische Stimmungen oder andere inhaltsbezogene Veränderungsmöglichkeiten angeboten werden. Zum Beispiel wäre es auch denkbar, Mono, Stereo und zusätzlich 6-Kanal-Surround Sound (5.1 Sound) zur Auswahl anzubieten oder ausschließlich 8-Kanal-Surround Sound (7.1 Sound) zur Verfügung zu stellen (siehe Kapitel »Sound, Surroundsound«) [S. 517]. Da parallel zum Film auch acht zusätzliche Videoströme angeboten werden können, wird es möglich, eine Filmhandlung aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Es wäre auch denkbar, auf diesem Wege unter schiedliche Verläufe der Filmhandlung anzubieten. Die Möglichkeiten, die sich mit dieser Auswahl an mehreren Audio- und Videoströmen bieten, sind zwar nur sehr limitierte Interaktionsangebote, lassen sich aber für verschiedene Erzählformen oder für Wissensvermittlungen hinreichend nutzen (siehe auch unter »Interaktion in Film und Fernsehen« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Erzählung«) [S. 101]. Zudem können Menüs erstellt werden, von denen aus einzelne vorbereitete Themenbereiche angesteuert werden können. Die durch DVD-Autorensoftware-Pakete zur Verfügung gestellte Programmierbarkeit ermöglicht es, komplexe Auswahlstrategien und die Illusion von Interaktion zu erstellen. Ein detailliert beschriebenes Beispiel zur Erstellung von Menüs ist zu finden unter »Making-Of Story« in der Dokumentation zur DVD »Antizipation – Die Ursache liegt in der Zukunft« im Kapitel »Projekte im Detail« [S. 394]. Mit einem Menü können die Auswahlmöglichkeiten aber auch vordefiniert werden, um sicherzustellen, dass Inhalte nur in einer zuvor beabsichtigten Reihenfolge abgerufen werden können oder Ereignisse erst dann erscheinen, wenn z.B. vorherige Rätsel oder Aufgaben gelöst wurden. Bei der Blu-ray Disc stehen außerdem zwei Ebenen über der VideoEbene zur Verfügung. Die eine kann Texte, Grafiken, Bilder und Filme in HD-Qualität zusätzlich zum Film darstellen. In der zweiten Ebene können
55
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
interaktive Elemente wie z.B. Schaltflächen für ein Menü untergebracht werden (siehe unter »Subtitle, Subpicture« und »Bild-in-Bild« in diesem Kapitel) [S. 63, 65]. Außerdem sind bei der HD DVD und der Blu-ray Disc sofortige optische wie akustische Rückmeldungen (Feedback, Response) beim Bedienen der Menüs und bei der Blu-ray sogar auch Pulldown-Menüs möglich. Dadurch können die einzelnen Beiträge mit dynamisch veränderbaren Zusatzinformationen versehen werden und den Eindruck einer Interaktionsmöglichkeit steigern, obwohl in erster Linie nur eine Auswahl durch Betätigen von Schaltern auf der Fernbedienung oder den Schaltflächen im Menü erfolgt. Durch die optische wie akustische Rückmeldung wird der Eindruck der direkten Manipulation noch verstärkt5. 5 Buchempfehlung zum Thema »Interaktivität«: Stapelkamp, Torsten: Screen- und Interfacedesign. Gestaltung und Usability für Hard- und Software, Springer, 2006
56
Durch ihre Programmierungsmöglichkeiten bieten die HD DVD und die Blu-ray Disc Interaktionsangebote, wie sie bei der DVD zuvor nicht möglich waren. So kann z.B. dynamisch eine Markierung erscheinen, sobald für ein Element im laufenden Video zusätzliches Informationsmaterial abrufbar ist. Dynamisch bedeutet hier, dass diese Markierung nicht nur vom Autor der DVD vorbestimmt an einer exakt vorbereiteten Stelle erscheint, sondern z.B. in Abhängigkeit vom Verhalten des Anwenders an sehr unterschiedlichen Stellen auftauchen kann. Diese Informationsmarkierungen können in Form von Text, Bild, Grafik oder Video unterbrechungsfrei zusätzlich über dem Haupt-Video dargestellt werden (siehe unter »Subtitle, Subpicture« in diesem Kapitel) [S. 63]. Zudem können per Fernbedienung Grafiken eingeblendet werden, die sich über alles legen und z.B. helfen, beim Fußball Abstände anzuzeigen oder beim Billard mögliche Bandenbewegungen der Kugeln vorzuzeichnen. Es können auch korrespondierende Spiele zugeschaltet werden. Der Anwender kann intensiv involviert werden und jederzeit den aktuellen Stand abspeichern, um zu späteren Zeitpunkten exakt an der Stelle weitermachen zu können, wo er aufgehört hat. Die Speicherung von Spielständen erfolgt nicht auf der DVD selbst, sondern über die Abspielgeräte bzw. durch eine Internetanbindung auf einen Server. Die Erweiterung der DVD durch eine Internetanbindung ist bereits mit der bisherigen DVD möglich. Der Inhalt der DVD kann durch eine Internetanbindung aktualisiert werden, Internetseiten können ausgewählt und angesteuert werden und von der Internetseite aus können Daten von der DVD genutzt werden. Dies steigert die dynamische Veränderbarkeit und somit auch die Interaktionsmöglichkeiten. Dies ist ein weiteres sehr entscheidendes Interaktionspotential. Diese Möglichkeit, von einem Server aus Dateninhalte (Video, Audio, Bild, Text) in die laufende DVD zu integrieren oder vom Internet aus die DVD zu steuern, ist nun bei den beiden neuen DVD-Formaten erweitert und verbessert worden. Da gestalterisch auf mindestens zwei Ebenen dargestellt werden kann, lassen sich Einstellungen und Spielstände nicht nur speichern und austauschen, sondern auch besser
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
parallel darstellen. Mit anderen Anwendern kann man zudem kommunizieren bzw. gemeinsam Inhalte und Spiele nutzen. Die Abspielgeräte haben eigene Speicher, so dass Spielstände bzw. andere erworbene Gutscheine auch für längere Zeit gespeichert werden können. Diese können je nach Anbieter und Spiel zu späteren Zeitpunkten gegen einen höheren Spiele-Level oder andere Dienste und Angebote eingelöst werden. Möglich wird diese für ein DVD-Format neue Interaktionsbandbreite durch die Programmierschnittstelle HDi bei der HD DVD und der Navi gationsoberfläche High Definition Movie (HDMV) und die Programmiersprache Java, die im Zusammenhang mit der Blu-ray Disc mit BD-J bezeichnet wird. Die vom Anwender wahrgenommene Interaktion wird dadurch lebendiger und viel eher als tatsächliche Interaktion und nicht nur als eine Möglichkeit für das Auswählen vorgegebener Strukturen interpretiert. Mit HD Movie modes (HDMV) werden alle Funktionalitäten der Bluray Disc beschrieben. HDMV unterstützt alle Eigenschaften, die bereits von der DVD-Video her bekannt sind (z.B. Multi-Angle, Kapitelsprünge, etc.), und darüber hinaus zahlreiche neue Funktionen. Dazu zählen verbesserte Bildqualitäten für das Menü und für Subtitles und Subpictures, Pop-up-Menüs, Bild-in-Bild-Darstellungen und vieles mehr. Die Details der Möglichkeiten sind unter »Blu-ray-Disc« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« näher erläutert [S. 36]. HDi Interactive Format, eine Entwicklung von Microsoft, basiert auf Internet-Technologien wie HTML, XML, CSS und JavaScript, wodurch es für jene, die Internetseiten entwickeln, einfach wird, auch bei der HD DVD Interaktionsangebote zu implementieren. BD-J hingegen basiert auf Java und ist eine Ausgliederung von GEM (Globally Executable MHP), der weltweiten Version des Multimedia Home Platform (MHP) Standard. Hier sind Kombinationsangebote zwischen dem interaktiven Fernsehen und den Möglichkeiten der Blu-ray Disc denkbar. Multimedia Home Platform ist eine interaktive Dienste-Plattform im digitalen Fernsehen und wurde vom internationalen DVB-Projekt als Standard verabschiedet. Mit MHP lässt sich am Fernseher ein erweiterter Videotext darstellen, eine Programmübersicht (Electronic Program Guide, EPG), Spiele und sogar interaktive Dienste, für die zwar ein zusätzlicher Rückkanal erforderlich wird, somit aber erweiterte Interaktionsangebote möglich werden. Diese Summe an Möglichkeiten zeigt sehr deutlich, dass die bisherige DVD und die potentiellen neuen DVD-Formate HD DVD und Blu-ray Disc die Nachfolge der Audio-CD und der VHS-Kassette nicht nur als Datenträger mit mehr Speicherplatz antreten, sondern ebenso dazu geeignet sind, im gesteigertem Maße und in hervorragender Weise für lineare, nonlineare und interaktive Erzählformen und zur Wissensvermittlung genutzt zu werden. (Siehe dazu auch unter »Die integrierte Publikation« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Wissensvermittlung« [S. 140].
57
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.3.6 Programmierbarkeit
Damit dem Anwender Auswahlmöglichkeiten angeboten werden können, sind diese bei der Produktion mit Hilfe einer DVD-Autorensoftware programmierbar. Abfolgen und Kombinationsmöglichkeiten der Inhalte (Texte, Bilder, Videos, Töne, Musik etc.) sind zudem durch Wenn/dann-Abfragen steuerbar. Zudem kann die Konfiguration der Wiedergabe festgelegt werden, damit z.B. Sprache, Audio und Untertitel voreingestellt sind. Außerdem kann mit Hilfe der Programmierung die Belegung der Tasten von der DVDPlayer-Fernbedienung geändert oder auch blockiert werden. Folgende DVD-Video-Produktionen sind besonders erwähnenswert, da bei ihnen die programmiertechnischen Möglichkeiten der DVD-Video besonders ausgelotet wurden: →A nticipation – Die Ursache liegt in der Zukunft (siehe »Projekte im Detail«) [S. 388], (und siehe unter »DVD-Ausschnitte« auf dem bei gefügten Datenträger) [DVD] →W allace & Gromit – Curse of the Were-Rabbit (siehe »Projekte im Detail«) [S. 464], (und siehe unter »DVD-Ausschnitte« auf dem beigefügten Datenträger) [DVD] →W ho Wants To Be A Millionaire? (siehe »Projekte im Detail«) [S. 462]. In diesem Zusammenhang ist die Lern-CD »DVD-Scripting mit DVD Studio Pro – selbstVerständlich!« von Gabriele Wessling zu erwähnen, die anhand von zwölf Skriptbeispielen die Möglichkeiten und den Umgang mit der Programmierung einer DVD-Video aufzeigt. Da die Software »DVD Studio Pro« von Macintosh die einzige DVD-Autorensoftware im preiswerteren Segment unter 1000,- Euro ist, mit der nahezu alle programmiertechnischen Möglichkeiten einer DVD-Video umsetzbar sind, ist es nicht weiter tragisch, dass die Lern-CD die Programmierung nur anhand dieser Autorensoftware erläutert (siehe auch unter »Autorensoftware« im Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [S. 316]. Im Kapitel »Programmierung für DVD-Video« beschreibt Gabriele Wessling in diesem Buch alle wesentlichen Aspekte des Scripting für DVD-Video (siehe unter Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [S. 298]. Mit der DVD-Video stehen 16 GPRMs (General Purpose Register Memory), die man auch Speicherstellen nennen kann, zur Verfügung und mit der HD DVD bzw. Blu-ray Disc sind es 64 GPRMs (siehe dazu unter »Programmierung für DVD-Video« im Kapitel »Standards/Spezifi kationen«) [S. 304]. Mit den neuen DVD-Formaten HD DVD und Blu-ray Disc sind erheb lich komplexere Programmierungen möglich, da sie den Einsatz von umfangreichen Seitenbeschreibungs- bzw. Programmiersprachen bieten. Das HDi Interactive Format der HD DVD basiert auf HTML, XML, CSS und JavaScript und die Programmiermöglichkeit BD-J bei der Blu-ray Disc
58
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
auf Java. Die Interaktionsangebote der neuen DVD-Formate sind denen von Computerspielen sehr ähnlich und sogar teilweise ebenbürtig.
1.3.7 TV-, Computer-, Internet-Nutzung
1.3.8 Kompatibilität
Die Inhalte einer DVD-Video können sowohl über den DVD-Player am Fernseher, als auch am Computer genutzt werden. In Kombination mit einem Computer bietet sich für die DVD noch die Möglichkeit, über das Menü der DVD Internetseiten aufrufen zu können und von diesen aus sogar die Wiedergabe der DVD zu beeinflussen. Somit können qualitativ hochwertige Bild-, Film- und Audiodaten mit aktualisierbaren Informationen aus dem Internet kombiniert werden. Es können mit der HD DVD und der Blu-ray Disc sogar Filme aus dem Internet gestreamt und über dem eigentlichen Film Bild-in-Bild übereinander eingeblendet dargestellt werden (siehe auch unter »Interaktivität« [S. 54] und »Bild-in-Bild« [S. 65] hier in diesem Kapitel.)
Die Frage der Kompatibilität lässt sich auf zahlreiche Bereiche beziehen. Es kann z.B. durchaus vorkommen, dass DVDs aus dem Handel nicht auf allen DVD-Playern fehlerfrei abgespielt werden können. Entweder startet das Menü gar nicht oder bestimmte Teile des Menüs lassen sich nicht anwählen oder werden erst gar nicht dargestellt. Derlei Fehler gibt es reichlich, sie treten nicht immer, dafür aber unkalkulierbar auf. Schließlich können DVDs nicht auf allen verfügbaren DVD-Playern getestet werden. Man wird sich als Anwender wie auch als Produzent damit abfinden müssen, dass eine DVD nur mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 98 % auf allen aktuellen DVD-Playern läuft. Bei selbst gebrannten DVDs tritt dieses Problem häufiger auf als bei jenen, die aus einem Presswerk stammen. ezüglich Kompatibilität sind auch die drei Fernsehstandards zu B berücksichtigen: ■ PAL (Phase Alternating Lines) ist eine Erweiterung des amerikanischen NTSC-Verfahrens. Es wird in Europa, Teilen Afrikas und Teilen Asiens und in Australien genutzt. ■ NTSC (National Television Standard Committee) wird in den USA und Japan genutzt. ■ SECAM (Sequential Couleur à Mémoire) findet in Frankreich und Teilen Afrikas Anwendung, spielt aber bei DVDs keine Rolle. (Siehe bezüglich der Fernsehstandards auch unter »Fernseh-Standard« im Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [S. 195]. DVD-Player in Europa arbeiten wie auch die hiesigen Fernseher mit dem Fernsehstandard PAL, können aber auch NTSC verarbeiten. Das von den
59
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
DVD-Playern gewandelte Signal von NTSC zu PAL kann von den meisten europäischen Fernsehern dargestellt werden, wobei häufig nicht die Zeilenzahl (PAL= 625 Zeilen, 576 sichtbar; NTSC= 525 Zeilen, 480 sichtbar) und auch nicht die Bildwechselfrequenz (PAL= 50 Hz; NTSC= 60 Hz), sondern nur die Farbinformationen gewandelt werden. Umgekehrt besteht diese Kompatibilität in den Regionen mit NTSC nicht. Dort kann man im PALFormat erstellte DVDs nicht anschauen, da dort weder die DVD-Player, noch die Fernseher das PAL-Format verarbeiten können. Der Fernsehstandard SECAM spielt gar keine Rolle mehr. Auf der DVD ist er mit PAL identisch. Die DVD, die Blu-ray Disc und die HD DVD sind untereinander nur bedingt kompatibel. Für jedes dieser DVD-Formate sind eigene Abspielgeräte erforderlich. Die Abspielgeräte für die neueren DVD-Formate Blu-ray Disc und HD DVD sind allerdings nach unten kompatibel und können DVD-Videos, DVD-ROMs, CD-ROMs und Musik-CDs abspielen. Zum Thema Kompatibilität gehört auch der Regionalcode, der verhindert, dass eine DVD zeitgleich in der ganzen Welt vertrieben werden kann. So wird dafür gesorgt, dass z.B. eine in den USA verkaufte DVD nicht kompatibel zu einem in Europa gekauften DVD-Player ist (siehe unter »Regionalcode« in diesem Kapitel) [S. 61].
1.3.9 Parental Locking (Kinderschutzsperre)
Um Kindern und Jugendlichen, die jünger sind als das für eine DVD angegebene FSK-Alter (Freiwillige Selbstkontrolle), den Zugriff auf eine DVD zu verwehren, kann ein Kinderschutz eingeschaltet werden. Dazu muss auf der DVD eine entsprechende Information gespeichert und die Funktion freigeschaltet sein. Das dazu erforderliche DVD-Scripting wird im Kapitel »Programmierung für DVD-Video« näher erläutert (siehe im Kapitel »Standards/Spezifikationen« unter »Programmierung für DVD-Video«) [S. 298]. Ein Tutorial mit Beispieldateien ist auf dem beigefügten Datenträger zu finden (siehe auf dem Datenträger unter »Dateien«/»DVD-Scripting«). Ob die Sperre greifen soll, wird am DVD-Player eingestellt. Diese Sperre kann auf die gesamten DVD-Inhalte oder nur auf bestimmte Bereiche bezogen werden. Solch eine Sperre kann selbstverständlich auch dazu genutzt werden, um unterschiedliche Zielgruppen oder Kompetenzgrade zu berücksichtigen oder um bei Spielen Lösungsvorschläge so lange zu sperren, bis sie vom Lehrer oder von einem selbst freigegeben werden. Dies wird auch Multirating genannt. Ein Angebot der DVD, das kaum genutzt wird, obwohl es zahlreiche Möglichkeiten bietet. In erster Linie liegt dies an den Kosten, die für die zusätzlichen, individualisierten Aufnahmen entstehen würden. Mit einer Playlist, die mit der DVD-Autorensoftware erstellt wird und die Stellen der Kapitelmarken beinhaltet, würden die unterschiedlichen Kapitelabfolgen festgelegt (siehe unter »Multi-Mix-Story« in diesem Kapitel) [S. 61].
60
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.3.10 Multi-Mix-Story
1.3.11 Regionalcode
Filme können mit Kapitelmarken versehen sein, die dazu dienen, sich einen Film in verschiedenen Versionen anzeigen lassen zu können. Es ist nicht zwingend erforderlich, zusätzliches Material zu produzieren. Man würde lediglich für unterschiedliche Versionen entsprechende Playlists vorbereiten. Diese beinhalten die Reihenfolgen der Kapitelmarken, die nacheinander angesteuert werden sollen. In der Regel sollten die Übergänge ruckelfrei abgespielt werden können, was aber nicht immer der Fall ist. Selbstverständlich kann man auch zusätzliches Material produzieren, so dass extrem unterschiedliche Varianten möglich werden. Interessant wird es, wenn man die Einblendmöglichkeiten der HD DVD bzw. der Blu-ray Disc nutzt, um z.B., je nach Erfordernis, unterschiedliche, zusätzliche Hinweise oder Szenen parallel zum Hauptfilm in einer zweiten Ebene über ihn eingeblendet darzustellen (siehe auch unter »Interaktivität, Menüsteuerung« in diesem Kapitel) [S. 54].
Für manchen Anwender eher lästig, aber von der Filmindustrie gefordert, wurde der Regionalcode eingeführt. Dieser verhindert, dass z.B. in den USA produzierte DVDs auch in Europa betrachtet werden können. Da so genannte Blockbuster häufig in den USA produziert werden und dort früher erscheinen als z.B. in Europa, wollte die Filmindustrie vermeiden, dass sich Kino- und DVD-Interessenten in anderen Regionen die amerikanische DVD kaufen können, noch bevor der Film in den Kinos dieser Regionen angelaufen ist. In der Einführungsphase der HD DVD und der Blu-ray Disc sind die Regionalcodes bei den neuen DVD-Formaten allerdings noch nicht vorgesehen, so dass man sich durchaus in der größeren Auswahl an bereits bespielten HD-Scheiben im US-amerikanischen Markt bedienen kann, um sie am heimischen HD DVD- bzw. Blu-ray Disc-Player abspielen zu können, auch wenn dieser in einer anderen Region gekauft wurde. Bezüglich der HD DVD und der Blu-ray Disc scheint es noch nicht ganz sicher zu sein, ob es dort überhaupt Regionalcodes geben wird. Für die HD DVD ist offensichtlich kein Regionalcode vorgesehen. Sollten allerdings Regionalcodes eingeführt werden, ist eventuell darauf zu achten, dass sich die Regionalcodes der DVD und der HD DVD von denen der Blu-ray Disc unterscheiden könnten. Für die DVD und die HD DVD wären dieselben, bereits seit der Einführung der DVD 1996 existieren den acht Regionen vorzufinden, wohingegen für die Blu-ray Disc nur drei Regionen diskutiert werden.
61
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Abb. 1.3.7 Die Regionalcodes der DVD.
) (
,
)
)
,
*
+ +
)
1.3.11.1
Regionalcodes der DVD
Region 0: Alle Regionen. Region 1: Bermuda, Kanada, Nordamerika. Region 2: Ägypten, Europa, Grönland, Japan, Lesotho, Mittlerer Osten, Südafrika, Swaziland. Region 3: Hongkong, Indonesien, Korea, Macao, Philippinen, Südkorea, Südost-Asien, Taiwan. Region 4: Australien, Neuseeland, Mittel- und Südamerika, Mexiko. Region 5: Afrika (außer Südafrika, Lesotho, Swaziland), Indien, Mongolei, Nepal, Nordkorea, Osteuropa, Russland. Region 6: China, Tibet. Region 7: Reserviert für zukünftigen Gebrauch. Region 8: Reserviert für Gebrauch in Flugzeugen oder auf Kreuzfahrtschiffen.
Abb. 1.3.8 Die möglichen Regionalcodes der Blu-ray Disc in der Welt.
9
8
9
:
9 9
8
8 :
1.3.11.2
Regionalcodes der Blu-ray Disc
62
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Region A: Nordamerika, Südamerika, Asien außer China (Indien, Japan, Korea, Thailand, Malaysia, etc.) Region B: Europa und Afrika Region C: China, Russland und alle anderen Staaten
1.3.12 Kopierschutz
1.3.13 Subtitle, Subpicture
Ein Kopierschutz stellt eine Maßnahme dar, mit der verhindert werden soll, dass Daten von Unbefugten vervielfältigt werden. Produzenten und Vertreiber von DVDs sind selbstverständlich sehr an einem solchen Schutz interessiert. Fast alle Filme auf DVD sind mit dem CSS-Kopierschutz verschlüsselt (CSS = Content Scrambling System / Inhaltskryptographiessystem). Beim Kopieren einer DVD mit einem handelsüblichen DVD-Brenner können auf legalem Wege die Verschlüsselungskeys nicht mitkopiert werden. Weitere Verschlüsselungskeys sind DTCP (Digital Transmission Content Protection) und HDCP (High-bandwidth Digital Content Protection). Selbstverständlich fand sich bisher immer ein Weg, diese Schutzmechanismen zu umgehen. Dies ist allerdings nicht legal. In vielen Ländern liegen Gesetzte vor, die es verbieten, Gerätschaften bzw. Software zu verwenden, die einen Kopierschutz umgehen können. Allerdings ist es in der Regel erlaubt für den Privatgebrauch und zur Sicherheit eine Sicherungskopie zu erstellen – was allerdings manchmal ohne Zuhilfenahme von verbotenen Maßnahmen nicht möglich ist. Es gibt aber z.B. das Kopierschutzverfahren namens AACS, welches eine Backup-Kopie zulässt. Detaillierte Informationen zu Copyright, Kopierzulässigkeiten und Medienrecht finden Sie im Kapitel »Medienrecht und Verwertung« [S. 595]. Mit den Nachfolgern der aktuellen DVD-Formate (DVD-5 bis DVD-18) werden neue Kopierverfahren implementiert sein. So hat die Blu-ray Disc z.B. einen eingebauten Hart- und Software-Kopierschutz. Die Blu-ray Disc und die HD DVD verfügen über den bereits bei der DVD genutzten Kopierschutz CSS, der allerdings erweitert wurde und nun Advanced Access Content System (AACS) heißt. Außerdem geben alle Hardware-Produkte, die zum Wiedergeben von Daten in HD-Qualität in der Lage sind, die Ton- und Bild-Signale verschlüsselt per HDCP an die entsprechenden Darstellungs geräte (Fernseher, Beamer) weiter, die zum Interpretieren des HDCP-Signals in der Lage sein müssen. Somit ist durch diesen Hardware-Schutz nur noch ein Darstellen der Signale, aber nicht mehr ein unerlaubtes Kopieren möglich. Weitere Informationen über Kopierschutzverfahren finden Sie unter »Kopierschutzverfahren« im Kapitel »Standards/Spezifikationen« [S. 261].
Zu den bereits erläuterten zusätzlichen Audio- und Videoströmen bietet die DVD bis zu 32 verschiedene Untertitelströme, auch Subtitles bzw. Subpictures genannt. Diese Untertitelströme erlauben die Darstellung von Zeichen, Flächen und Grafiken, somit alle Schriftzeichen, z.B. auch asiatische, die zusätzlich zum Film dargestellt, hinzu- und weggeschaltet werden können. Der Autor einer DVD-Produktion kann dem Anwender somit Untertitel in zahlreichen unterschiedlichen Sprachen bieten, aber auch zusätzliche grafische
63
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Abb. 1.3.9 Subtitles können über den gesamten Monitor und in unterschiedlichen Zuständen dargestellt werden (z.B. eingeblendet zu 50%, zu 100%, mit Outlines, mit Hintergrund etc.).
Abb. 1.3.10 Subpictures können ebenso wie die Subtitles über den gesamten Monitor und in unterschiedlichen Zuständen dargestellt werden. Subpictures können bei der DVD in maximal 4 Farben gleichzeitig dargestellt werden. Dafür kann in jedem Frame die Farbe wechseln, wodurch es möglich wird, auch Übergänge (Wipes) darzustellen. Mit der HD DVD und der Blu-ray Disc sind Subtitles und Subpictures mit 256 Farben darstellbar.
Darstellungen, die entweder der Gestaltung oder einfach nur Hinweisen dienen. So könnten z.B. Icons, Tabellen oder grafische Elemente das Video überlagern oder bestimmte Stellen bewusst verdeckt werden. Subpictures dienen bisweilen eben nicht nur der rein ästhetischen Darstellung, sondern können situationsbedingt auch für den inhaltlichen Ablauf genutzt werden. So könnten die verdeckten Teile des Videos z.B. erst nach Lösen einer Aufgabe aufdeckt werden und somit in Verbindung mit Programmierung für den Ablauf eines Spiels oder für eine Lehr-/Lernumgebung genutzt werden. Bei der bisherigen DVD (DVD-5 bis DVD-18) können die Subtitles bzw.
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Subpictures gleichzeitig aber nur mit maximal vier Farben gezeigt werden. Dies führt auch zu einer ungeglätteten Darstellung der Grafikränder, was wenig attraktiv ist. Selbst die Untertitel werden nur als vierfarbiges Bitmap dargestellt, so dass sogar Text nur sehr schwach geglättet werden kann. Bei den neuen DVD-Formaten HD DVD und der Blu-ray Disc können Subtitles bzw. Subpictures in 8 bit mit 256 Farben und somit in einer akzeptablen Qualität dargestellt werden.
1.3.14 Bild-in-Bild
Bei der HD DVD und der Blu-ray Disc lassen sich nicht nur Schriften und Grafiken als zusätzliche Ebene über dem Film darstellen, sondern auch Bilder und Filme. Dieses Angebot wird auch Bild-in-Bild bzw. Picture-inPicture (PiP) genannt. Außerdem ist diese Ebene eine True-Color-Ebene (16,7 Millionen Farben, 24bit + 8bit Alpha-Kanal), in der Grafiken, Bilder und Filme in HD-Qualität und vektorbasierte Schriften mit glatten Kanten dargestellt werden können. Mittels dieser Ebene können zusätzliche Ereignisse, Informationen und Ergänzungen dynamisch eingeblendet werden. Hier bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, die die DVD endgültig aus dem Insellösungs-Dasein befreien könnten. Die Filmindustrie nennt dies nicht ohne Grund interaktive Online-Funktion, da sich zusätzlich Filme über das Internet streamen lassen. Entscheidend ist auch, dass das Einblenden der zusätzlichen Inhalte in die Bild-in-Bild-Ebene nicht zwangsläufig zum Unterbrechen des Films im Hintergrund führt. Dieser kann weiterlaufen oder gestoppt werden und nach Ausblenden der zusätzlichen Ebene an der gestoppten Stelle fortsetzen. Auch der Ton wird beim Einblenden zusätzlicher Informationen nicht unterbrochen. Im Vergleich zur HD DVD und der Blu-ray Disc können bei der bisherigen DVD (z.B. DVD-5) nur Subtitles und Subpictures über dem Film dargestellt werden, und das auch nur mit maximal 4 Farben. Und jedes Mal, wenn ein Bild mit mehr als 4 Farben ausgetauscht wird, wechselt man zu einer komplett neuen Stelle auf dieser DVD, weshalb der Ton kurz aussetzt. Dies lässt sich nur mit dem Multi-Angle vermeiden, was aber zu weiteren Einschränkungen in der Bedienung führt, da diese Steuerung nur über eine bestimmte Taste der Fernbedienung möglich ist (siehe unter »Interaktivität, Menüsteuerung« in diesem Kapitel [S. 54] und siehe auch unter »Interaktive Steuerung per Fernbedienung« im Kapitel »Interaktion bei Film und Fern sehen«) [S. 104]. Im Gegensatz zur HD DVD kann die Blu-ray Disc nicht nur eine, sondern zwei Ebenen über der Filmebene darstellen. Dies ist Teil des HD Movie mode (HDMV), mit dem alle Funktionalitäten der Blu-ray Disc beschrieben werden. Die Inhalte in der einen Bild-in-Bild-Ebene werden bei der Blu-ray Disc Presentation Graphics (PG) genannt und können in Form von Texten,
65
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
66
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Abb. 1.3.12 Bei der Blu-ray Disc und der HD DVD können zum laufenden Video Produkt informationen per Internet eingeblendet werden. So wäre auch direkt eine Bestellung möglich.
Grafiken, Bildern oder Filmen dargestellt werden. Die Untertitel werden dort in 8bit (256 Farben) und die Bilder und Filme in True-Color (16,7 Millionen Farben) dargestellt. Die zweite Ebene nimmt die so genannten Interactive Graphics (IG) auf und stellt diese mit maximal 256 Farben (8 bit) dar. Dies können Texte, Grafiken, Bilder, Schaltflächen, Menüs und sogar Pulldownmenüs sein. In dieser Ebene werden alle Interaktionsrückmeldungen (Buttonhighlites, Pulldownmenü etc.) dargestellt. Erfreulich ist auch, dass die zusätzlichen Darstellungen in den beiden Ebenen der Blu-ray Disc zu keiner Unterbrechung des Tons oder des Films im Hintergrund führen – auch dann nicht, wenn sich das Pulldown-Menü über den Film legt. Es sind auch mehrseitige Menüs möglich, die man durchblättern kann, ohne dass der parallel dazu laufende Film im Hinter grund unterbrochen würde. So können umfangreiche Informationen ergänzend zum Film oder zu Inhalten und Details des jeweiligen Themas, Produkts oder Dienstleistungsangebots zur Verfügung gestellt werden. Bei der bisherigen DVD (z.B. DVD-5, DVD-9 etc.) führt der Wechsel zu einem Menü stets zur Darstellung eines neuen Bildes, was zwangsläufig die Unterbrechung des Tons und des Films zur Folge hat. Sowohl bei der Blu-ray Disc als auch bei der HD DVD können die Daten auf der Scheibe um weitere Daten ergänzt werden, indem z.B. auf einen Server zugegriffen wird. So kann z.B. ein ergänzender Film über den Hauptfilm
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Abb. 1.3.13 Eine Aktualisierung oder Ergänzung der Daten auf der Blu-ray Disc bzw. der HD DVD ist über das Internet möglich. Diese Illustrierung wurde aus Darstellungen der DVD »Antizipation – Die Ursache liegt in der Zukunft« erstellt (von Mihai Nadin, Torsten Stapelkamp, Stefan Maas u.v.a.; www.anticipation.info).
68
Abb. 1.3.14 Zusätzlich zum Video kann auf einer weiteren Ebene ein Menü eingeblendet werden. Dieses könnte dazu dienen, zu vorbereiteten Stellen des Films zu springen.
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Abb. 1.3.15 Je nachdem, worauf der Fokus gelenkt werden soll, können die einzelnen Bereiche verkleinert bzw. vergrößert dargestellt werden. So kann man den Film weiter verfolgen, auch wenn man gerade im Forum oder im Chat tätig ist.
eingeblendet werden. All diese neuen Möglichkeiten erweitern die DVD zum idealen Medium für lineare, nonlineare und interaktive Erzählformen und offenbaren die DVD als geeignetes Medium zur Wissensvermittlung und für integrierte E-Learning-Strategien (siehe auch unter »Die integrierte Publikation« und »DVD zur Wissensvermittlung« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Wissensvermittlung«) [S. 140, S. 152].
1.3.15 Seitenverhältnis 4:3 und 16:9, Bildformat
Das 4:3-Bildformat ist das übliche Format der meisten Fernseher. Danach folgte der 16:9-Fernseher, um ein Format anzubieten, welches, im Gegensatz zum 4:3-Format, eher dem Blickfeld des Menschen entspricht, Breitwandfilme besser darstellen kann und die Möglichkeiten des HDTV nutzt. Nach den DVD-Spezifikationen wird sowohl das 4:3-, als auch das 16:9-Format für DVD-Produktionen unterstützt. Nicht zuletzt wegen der WM 2006 ist der Absatz an HDTV-Fernsehern enorm gestiegen, weshalb es immer mehr 16:9-Fernseher in den Haushalten gibt und auch DVD-Produktionen für dieses Format passend produziert bzw. vorbereitet werden sollten. Da es aber nach wie vor zahlreiche Fernseher im Format 4:3 gibt und auch in Zukunft beide Seitenverhältnisformate nebeneinander existieren werden, sollte eine DVD-Produktion beide Formate berücksichtigen. Dies ist insofern unproblematisch, da die Kodierung eines MGEG-2-Videos sowohl das Seitenverhältnis 4:3, als auch 16:9 ermöglicht und sich dadurch das 16:9-Bild auch für einen 4:3-Fernsehmonitor darstellen lässt. Dafür wird das 16:9-Bild passend skaliert bzw. im 4:3-Format nur ein Ausschnitt vom ursprünglichen Bildmaterial gezeigt. Diese Einstellungen werden Letterbox- und Pan & Scan-Modus genannt und lassen sich für eine DVD-Produktion so vorbereiten, dass sie sich automatisch einschalten. Dazu ist allerdings einiges für die Bildaufzeichnung, die Bildkompression und die DVD-Erstellung zu beachten. Dies und weitere sehr ausführliche Informationen über die verschiedenen Darstellungsmodi und die zu beachtenden Eigenschaften bezüglich der Skalierungen unterschiedlicher Seitenverhältnisse und der Vor- bzw. Nachbereitung des Bildmaterials sind im Kapitel »Standards/Spezifikationen« unter »Bildformate« und dort unter »Seitenverhältnis / Bildformat« zu finden [S. 220].
69
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.3.16 Eigenschaften der DVD, HD DVD und Blu-ray Disc Alle wesentlichen Eigenschaften der DVD, HD DVD und Blu-ray Disc Filmlänge
DVD-Video: HD DVD: Blu-ray Disc:
135 – 238 Minuten in SD-Auflösung* (DVD-5) bis zu 10 Stunden in SD-Auflösung* (DVD-18) bis zu 2 Stunden in HD-Auflösung** (DVD-9) bis zu 12 Stunden in HD-Auflösung** pro Seite (bis zu 45 GB pro Seite)*** bis zu 13 Stunden in HD-Auflösung** pro Seite (bis zu 50 GB pro Seite)****
Speicherkapazität
DVD: HD DVD: Blu-ray Disc: FVD:
4,7 – 17 GB 15 GB – 30 GB (bis zu 90 GB ***) 25 GB – 50 GB (bis zu 100 GB ****) 5,4 bis 11 GB
Bild-Kompressionsstandard
DVD: MPEG-2 HD DVD bzw. Blu-ray Disc: MPEG-2/MPEG-4 AVC (H.264)/VC-1 (WMV9)
Audio-Kompressionsstandard
DVD: Dolby Digital (AC-3), DTS, (192kHz, 24bit) HD DVD bzw. Blu-ray Disc: PCM, Dolby Digital, Dolby Digital Plus, DTS, DTS-HD, Dolby TrueHD (MLP)
Seitenverhältnis
DVD, HD DVD, Blu-ray Disc: 4:3 und 16:9
Linearität
DVD, HD DVD, Blu-ray Disc: E in Film kann von DVD-Formaten abgespielt werden, wie bei einer VHS-Kassette. DVD-Formate können allerdings besser kopiergeschützt werden. HD-Qualitäten erfordern zur Betrachtung entsprechende Abspiel- und Darstellungsmedien (Grafikkarte, Monitor, Beamer etc.), die HDCP-kompatibel sind.
Programmierung bei DVD-Video-Formaten
• Befehle zur Konfiguration der Wiedergabe • Programmierung in Kombination mit wenn/dann-Abfragen • Die DVD-Formate können als read-only-Medien keine aktuellen Daten speichern. Die Player der neuen DVD-Formate (HD DVD, Blu-ray Disc) bzw. entsprechende SettopBoxen könnten dies übernehmen. Es bietet sich auch die Möglichkeit, Inhalte auf den DVD-Formaten in Verbindung mit dem Internet zu nutzen, um Dateninhalte zu ergänzen und zu aktualisieren oder um vom Internet aus die DVD-Formate steuern zu lassen. Sobald zusätzliche Daten abgespeichert werden können, wird es möglich, komplexer zu programmieren, da mehrere Variablen bzw. ganze Datenlisten gespeichert und individuell abgerufen werden können. • Die Programmierung erfolgt über die jeweilige DVD-Autorensoftware (z. B. für Apple: DVD Studio Pro; für PC: DVD Extra Studio, Sonic Scenarist, Adobe Encore etc.) • Speicherstellen, Programmiersprache DVD: 16 GPRM (Speicherstellen) HD DVD: 64 GPRM (Speicherstellen); HDi Interactive Format, basiert auf HTML, XML, CSS, JavaScript Blu-ray Disc: 4096 GPR (Speicherstellen); BD-J, basiert auf Java und ist eine Ausgliederung von GEM (Globally Executable MHP)
Programmierung bei DVD-ROM-Formaten
Identisch mit CD-ROM. Programmierung erfolgt über Autorensoftware (für Apple und PC: z. B. Flash, Director oder LiveStage Pro).
70
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Interaktivität bei DVD-Video-Formaten
DVD, HD DVD, Blu-ray Disc:
DVD: HD DVD: Blu-ray Disc:
DVD: HD DVD: Blu-ray Disc: DVD: HD DVD: Blu-ray Disc:
• Am Fernseher und am Computer nutzbar • Sprungbefehle von Kapitel zu Kapitel sind möglich • bis zu 9 Videospuren (Multi-Angle) • bis zu 8 Soundspuren • bis zu 32 Subtitles bzw. Subpictures. Dies sind Schriftzeichen, Grafiken, Bilder, die über dem Hauptfilm in einer weiteren Ebene eingeblendet werden können. Schriftzeichen, Grafiken in 2 Bit (max. 4 Farben) Schriftzeichen, Grafiken, Bilder (4 bzw. 256 Farben) Schriftzeichen, Grafiken, Bilder (256 Farben) • Bild-in-Bild-Ebene: Zusätzliche Daten (Text, Bild, Film) können vom Internet per Streaming-Verfahren geladen werden, sich in einem anderen Datenverzeichnis, z.B. auf einer Festplatte oder bereits auf dem DVD-Format befinden und in einer Ebene über dem Hauptfilm eingeblendet werden (24 Bit, 16,7 Millionen Farben). Die DVD verfügt über keine Bild-in-Bild-Ebene. HD DVD verfügt nur über eine zusätzliche Ebene. Blu-ray Disc verfügt über zwei zusätzliche Ebenen. Ebene 1 (Presentation Graphics Layer) ist für Schriftzeichen, Grafiken, Bilder, Filme (24 Bit, 16,7 Millionen Farben) Ebene 2 (Interactive Graphic Layer) ist z.B. für Schaltflächen, Pulldownmenü, Multi-Page-Menu (8 Bit, 256 Farben). • Interaktions-Rückmeldung, Response, Feedback: Interaktions-Rückmeldung erfolgt über 2 Bit-Grafik. Interaktions-Rückmeldung möglich, wie bei Blu-ray Disc (s. u.). Bei Betätigung der Menüs bzw. der Schaltflächen ist eine sofortige Rückmeldung per Ton und Bild möglich.
Können nur am Computer und nicht am Fernseher genutzt werden Die Interaktionsmöglichkeiten sind umfangreicher als bei den Video-Formaten und identisch mit denen der CD-ROM
Interaktivität bei DVD-ROM-Formaten
•
Verlinkung ins Internet
Die Videowiedergabe kann mit Informationen aus dem Internet verbunden werden. Es können Texte, Bilder, Grafiken und Filme online aktualisiert und per Streaming geladen werden.
Menüs
Die Anzahl an Menüs ist begrenzt, aber je nach Autorensoftware unterschiedlich. DVD: • ein Menüwechsel hat die Unterbrechung der Hintergrund musik zur Folge • die Menüs sind undynamisch • Farbliche Veränderungen sind nur in 2 Bit möglich HD DVD: • ein Menüwechsel ist ohne Unterbrechung der Musik und des Videos möglich • die Menüs sind dynamisch mit Übergängen und Animationen veränderbar • Farbliche Veränderungen der Menüs in 8 Bit (256 Farben), • Optische und akustische Rückmeldung ist möglich Blu-ray Disc: • ein Menüwechsel ist ohne Unterbrechung der Musik und des Videos möglich • die Menüs sind dynamisch mit Übergängen und Animationen veränderbar • Pulldownmenüs sind möglich • Farbliche Veränderungen der Menüs in 8 Bit (256 Farben) • Optische und akustische Rückmeldung ist möglich
•
71
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Schaltflächen, Button
DVD:
HD DVD: Blu-ray Disc:
is zu 36 Schaltflächen sind gleichzeitig darstellbar, wenn das B Bildformat 4:3 vorgesehen ist. Bis zu 18 Schaltfälchen sind beim 16:9 Format möglich, wenn zudem WideScreen und Letterbox erlaubt sind. Nur maximal 12 Schaltflächen sind gleichzeitig möglich, wenn drei Bildformatgrößen (Widescreen, Letterbox und PanScan) vorgesehen sind. 36 Schaltflächen pro Menü für SD* und 48 für HD** 32 Schaltflächen pro Button Group bei 256 möglichen Button Groups pro Seite
Anzahl der gleichzeitigen Videoströme
Es können bis zu 9 Bild-Perspektiven angelegt werden, so dass man eine Szene z.B. aus bis zu 9 verschiedenen Blickwinkeln betrachten bzw. zeigen kann. Bei der DVD ist dies die einzige Möglichkeit eines unterbrechungsfreien Darstellungswechsels. Bei der HD DVD und der Bluray Disc finden alle Darstellungsformen unterbrechungsfrei statt. DVD: bis zu 9 HD DVD: bis zu 9 Blu-ray Disc: bis zu 9
Anzahl der gleichzeitigen Audiotracks
Eine gewisse Anzahl an Tonspuren wird erforderlich, wenn man z.B. mehrere Sprachfassungen oder Stereoton oder Mehrkanalsound (6-Kanal-Surround Sound, 5.1 Sound; 8-Kanal-SurroundSound, 7.1 Sound) parallel zum Film anbieten möchte. Zwischen diesen Tonspuren kann unterbrechungsfrei gewechselt werden. DVD: bis zu 8 HD DVD: bis zu 8 Blu-ray Disc: bis zu 32
Anzahl der Untertitelströme, Subtitles, Subpictures
DVD: HD DVD: Blu-ray Disc:
bis zu 32 Darstellung als Text oder Vollbild-Bitmapgrafik (max. 4 Farben; max. 3,36 MBit/s) bis zu 32 Darstellung als Text, Grafik, Bild (4 oder 256 Farben) bis zu 32 Darstellung als Text, Grafik, Bild (256 Farben)
Bild-in-Bild-Ebene (Ebene über dem Hauptfilm)
DVD: HD DVD: Blu-ray Disc:
keine Bild-in-Bild-Ebene, nur Subtitles bzw. Subpictures für Schriftzeichen, Grafiken, Bilder, Film (24 Bit True-Color, 16,7 Millionen Farben) für Schriftzeichen, Grafiken, Bilder, Film (24 Bit True-Color, 16,7 Millionen Farben)
Kapitelmarken
Auch bei rein linearen Filmen ohne Interaktionsmöglichkeit kann per Fernbedienung von Kapitel zu Kapitel innerhalb des Films gesprungen werden. Kapitelmarken können bei der Erstellung der DVD, HD DVD bzw. Blu-ray Disc mit der jeweiligen DVD-Autorensoftware frei gesetzt werden.
Standbilder, Vorwärts-/ Rückwärts-/Suchlauf und Einzelbilder
Da das Videomaterial digital vorliegt und ausgelesen wird, sind bei der DVD, der HD DVD und der Blu-ray Disc perfekte Standbilder möglich. Je nach Kompression ist der Vorwärts/ Rückwärts-Suchlauf nicht immer ruckelfrei.
Endlosschleife
Ein automatisches Wiederholen des Films kann durch einen Rücksprungbefehl am Ende des Videos direkt auf der DVD, HD DVD bzw. Blu-ray Disc programmiert werden.
Regionalcode
Dieser verhindert, dass z.B. eine amerikanische DVD in einem europäischen Player wieder gegeben werden kann. Der Regionalcode wird bei der DVD-Authoring-Software eingestellt. Er muss aber nicht eingestellt werden. Dann erlaubt eine solche DVD ein unbegrenztes Abspielen in allen Regionen. Eine DVD verfügt über 8 Regionalcodes. Die HD DVD verfügt über keine Regionalcodes und die Blu-ray Disc über drei.
72
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Kinderschutzsperre (Parental Lock)
Es kann ein Kinderschutz eingeschaltet werden, um Kindern und Jugendlichen, die jünger sind als die für eine DVD angegebene FSK, den Zugriff zu verwehren. Ob die Sperre greifen soll, wird am DVD-Player eingestellt.
Kopierschutz
Die DVD, HD DVD und die Blu-ray Disc können mit verschiedenen Verfahren (z.B. CSS, AACS) gegen unerlaubtes Kopieren geschützt werden. HD-Qualitäten sind zusätzlich u.a. durch HDCP, einem Übertragungsprotokoll für geschützte Datenströme, abgesichert. Dieses macht zur Betrachtung entsprechende Abspiel- und Darstellungsmedien (Grafikkarte, Monitor, Beamer etc.), die HDCP-kompatibel sind, erforderlich.
* SD = Standard Definition (PAL: 720 Pixel × 576 Pixel; NTSC: 720 Pixel × 480 Pixel) ** HD = High Definition/High Density (1280 Pixel × 720 Pixel; 1920 Pixel × 1080 Pixel) *** bei Triple-Layer (drei Datenebenen pro Seite) **** bei Four-Layer (vier Datenebenen pro Seite) Alle Angaben der Speicherkapazitätsgrößen sind nach dem dezimalen Systemem. 1000 MB = 1 GB.
73
1.3 Torsten Stapelkamp: Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.4 Das entsteht mit DVD, HD DVD und Blu-ray Disc Torsten Stapelkamp
Die DVD und erst recht die neuen DVD-Formate HD DVD und Blu-ray Disc sind viel mehr als nur die Nachfolge der VHS-Kassette. Sie bieten Video und Audio in einem international nutzbaren Format und in einer für Massenmedien bisher nicht gekannten Qualität. Mit den neuen DVD-Formaten HD DVD und Blu-ray Disc wurden die Möglichkeiten hinsichtlich der Interaktivität, Bildqualität und Speichermenge noch erheblich gesteigert. Zudem bieten sie durch ihre Programmierbarkeit ein relativ breites Spektrum an Auswahl- bzw. Interaktionsmöglichkeiten, sowohl innerhalb der DVD-Scheibe, als auch in Kombination mit dem Internet. Schließlich können von den DVD-Formaten aus Internetseiten geöffnet und die DVD über eine Internetseite angesteuert werden. Mit Hilfe der DVD-Formate können komplexe Produkte oder Zusammenhänge mit einem Medium beschrieben werden, das gut vertrieben, gut gelagert und kostengünstig und barrierereduziert genutzt werden kann. Die Bedienung ist einfach und die Produk tionskosten sind überschaubar. Wegen all dieser Möglichkeiten gibt es bereits zahlreiche Anwendungsbereiche für die DVD-Formate und es werden mit der Zeit weitere hinzukommen. Kommentierte Beispiele sind zu finden im Kapitel »Projekte im Detail« [S. 338] und auf dem beigefügten Datenträger unter »DVD-Ausschnitte« [DVD].
1.4.1 Filme (linear und interaktiv)
Die DVD ist in erster Linie als DVD-Video bekannt, auf der Filme gespeichert werden. So wird sie als Datenträger und als Nachfolge der VHS-Kassette gesehen. Dies liegt in erster Linie daran, dass die Filmindustrie einer der Initiatoren der DVD ist und dass wesentliche Spezifikationen der DVD auf den Bedarf der Filmindustrie abgestimmt sind. Dazu zählt z.B. mehrere Sprachfassungen zu einem Kinofilm und mehrere Untertitelfassungen auf einer Standard-DVD (DVD-5) speichern zu können. Auch die Berücksichtigung des Widescreen (siehe unter »Bildformate« im Kapitel »Standards/ Spezifikationen«) [S. 210] und die Möglichkeit Surroundsound wiederzugeben ist auf die Anforderungen der Filmindustrie zurückzuführen (siehe Kapitel »Sound, Surroundsound«) [S. 517]. Besonders interessant für Filme ist die Möglichkeit, mehrere Fassungen auf der DVD abspeichern zu können, die sich erst aufgrund des Interaktionsangebotes ergeben. So können Filmteile an vorbestimmten Stellen einge-
74
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
fügt bzw. ausgelassen werden, wodurch sich entweder eine neue Variante des Films ergibt oder auch nur ergänzende Hinweise. Auf diese Weise könnten aber auch Erläuterungen z.B. über die Darsteller, über die Location oder über die im Film zu sehenden Produkte abgerufen werden. Produktplacement kann so eine ganz neue Bedeutung und Bandbreite erlangen. Es wäre aber auch durchaus möglich, interessante Zusatzinformationen zur Erstellung des Films anzubieten. Diese können in Form von Interviews mit den Schauspielern und dem Regisseur und in der Beschreibung von Produk tionsabläufen bestehen. Komplizierte Stuntszenen oder 3D-Animationen könnten so im Detail erläutert werden. Im Kapitel »Projekte im Detail« sind entsprechende Beispiele beschrieben. Hier ist insbesondere der Text zu »Schöne Heimat«, einer DVD-Video-Produktion von Gabriela Hildebrandt und Susanne Schiebler, zu empfehlen. Mit Hilfe der Möglichkeiten der neuen DVD-Formate HD DVD und Bluray Disc können zudem parallel zum laufenden Film in einer zusätzlichen Ebene über dem Film ergänzende Informationen in Form von Standbildern, Animationen oder Filmen eingeblendet werden. So können, bei Bedarf, Kommentare des Regisseurs zugeschaltet oder Zusatzinformationen direkt über das Internet eingespielt werden. Per Streamingverfahren können sogar aktualisierte Fassungen des Films oder aktuelle Informationen zu den Schauspielern und sogar personalisierte Werbung eingespielt werden. Dies setzt allerdings ein Abspielgerät voraus, mit dem eine Internetverbindung möglich ist. Hier bieten sich noch bisher gar nicht genutzte Möglichkeiten (siehe unter »HD DVD« und »Blu-ray Disc« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« und im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 70]. Zusätzlich zum Film könnte auch ein Computerspiel auf dem DVDROM-Teil gespeichert werden, das entweder Teil des Werbekonzepts zum Film oder eine Fortsetzung des Films mit interaktiven Mitteln darstellt. Auch hier bietet es sich an, die Möglichkeit zu nutzen, die DVD-Formate online zu aktualisieren, um z.B. Spielstände abzuspeichern oder neue Level zu laden (siehe unter »WebDVD« und »DVD-ROM« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 20, 23]. Lesen Sie bezüglich der Inter aktionsmöglichkeiten am Fernsehen auch unter »Interaktion in Film und Fernsehen« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Erzählung«.
1.4.2 Diashow, Bildergeschichte
Für eine Diashow bzw. die Inszenierung einer Bildergeschichte ist die DVD eingeschränkt, aber die HD DVD bzw. die Blu-ray Disc hervorragend geeignet. Nicht zuletzt die hohe Speicher-kapazität, die das Archivieren tausender digitalisierter Bilder ermöglicht, macht die DVD zum geeigneten Speichermedium für Bilder. Zusätzlich interessant ist allerdings die Möglichkeit, für die gezeigten Bilder jeweils passende musikalische Begleitungen wählen zu können. Die acht Audioströme bieten hier entsprechende unterbrechungs-
75
1.4 Torsten Stapelkamp: Das entsteht mit DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
freie Übergänge zu acht unterschiedlichen Klängen oder Musikstücken bzw. zu geeigneten akustischen Atmosphären bis hin zu Surroundsound (siehe Kapitel »Sound, Surroundsound«) [S. 517]. Außerdem können zu jedem Bild bis zu 32 unterschiedliche Titel, Texte oder Grafiken eingeblendet werden. Die 32 Untertitelspuren ermöglichen außerdem eine entsprechende Anzahl an Übersetzungen oder Interpretationsbeschreibungen. Die in diesen Spuren gezeigten Untertitel oder Grafiken sind bei der bisherigen DVD (DVD-5 bis DVD-18) aber nur in Bitmap-Qualität vorhanden und können nur mit maximal vier gleichzeitig gezeigten Farben dargestellt werden. Ein weiterer Nachteil der DVD gegenüber der HD DVD bzw. der Blu-ray Disc besteht darin, dass im Diamodus jedes Mal die Musik unterbrochen wird, sobald man zum nächsten Dia wechselt. Dies führt dazu, dass eine Diashow in der Regel entweder ohne Hintergrundmusik angeboten wird, oder dass sie automatisch durchläuft und der Anwender lediglich Starten und Stoppen kann. Seit der Blu-ray Disc können nun Diashows erstellt werden, ohne dass Ton bzw. Musik im Hintergrund unterbrochen wird, nur weil man ein Dia weiterblättert. Außerdem können die Bilder der Diashow mit True-Color (16,7 Mio. Farben) in HD-Auflösung (max. 1920 × 1080 Pixel) dargestellt werden. Ergänzend können bei der HD DVD bzw. Blu-ray Disc in einer weiteren Ebene Texte und Grafiken in 8bit (256 Farben) eingeblendet werden (siehe unter »Subtitle, Subpicture« und »Bild-in-Bild« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 63, 65]. Die Diashow kann mit zusätzlich eingeblendeten Bildern, Animationen oder Filmen überlagert und ergänzt werden, so dass aus einer Diashow mit einfacher Bild-für-Bild-Folge eine vielschichtige Bildergeschichte oder eine mit Ton, Musik und Standbildern inszenierte audiovisuelle Märchenerzählung werden kann.
1.4.3 Musikvideos, Konzerte
Mit der DVD lassen sich Konzertmitschnitte in hervorragender Bild- und Tonqualität aufzeichnen bzw. wiedergeben. Es ist mit der DVD-Video eine Tonqualität von 48 kHz bei einer Auflösung von 24 bit möglich und mit der DVD-Audio sogar 192 kHz bei ebenfalls 24 bit. Im Vergleich dazu hat eine Musik-CD nur 44,1 kHz bei 16 bit. In der Regel ist es möglich, Konzerte und sogar ganze Opern vollständig auf einer einzigen DVD-5 bzw. DVD-9 unterzubringen (siehe bezüglich DVD-5 und DVD-9 im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 17]. Für Konzerte bietet sich insbesondere die DVD-Audio an, auf die in erster Linie Ton gespeichert wird. Die DVD-Audio macht allerdings ein spezielles Abspielgerät erforderlich. Aber auch die Surroundtechnik kann gerade bei Musik-DVDs besonders geeignet sein (siehe Kapitel »Sound, Surroundsound«) [S. 517]. Möchte man auch bei Mehrkanalwiedergabe unkomprimiertes Audio verwenden, gestattet der DVD-Video-Standard zwar sechs Kanäle in 48kHz/16bit, doch bleibt dann zumindest auf einer DVD-5 für Video nicht mehr viel Platz übrig. Man kann
76
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
in diesem Fall auf das Video zugunsten von Standbildern verzichten (siehe »Diashow, Bildergeschichte« in diesem Kapitel) oder man greift gleich zum Format DVD-Audio oder, wegen der höheren Speicherkapazitäten, auf die Blu-ray Disc bzw. HD DVD zurück. Ein geeignetes Beispiel für eine Konzert-DVD mit zusätzlichen, begleitenden Informationen stellt »Story of a Jazzpiano« mit dem Rene Pretschner Trio dar. Auf dieser DVD-9 befinden sich sowohl ein Konzert, als auch ausführliche Informationen über die Geschichte des Jazzpianos von 1890 bis heute. Die Musikbranche scheint ohnehin allmählich die DVD als Alternative zur Musik-CD zu entdecken. Laut einer Meldung des Hightext-Verlags vom 07.08.06 plant Warner Music Group für das Jahr 2007 die Musik-CD sukzessive durch DVDs zu ersetzen. Die WMG beabsichtigt demnach, ihre Alben durch die Möglichkeiten der DVD multimedial aufzuwerten. So sollen zusätzlich zur Musik z.B. Remixes, Videos, Klingeltöne, Fotos etc. auf der DVD gespeichert sein. Die WMG versuchte im Jahr 2004 bereits mit der Dual Disc ein Alternativformat zur CD herauszubringen, war damit allerdings nicht erfolgreich. Die Dual Disc ist eine hybride Kombination, bei der eine CD mit einer DVD verklebt ist (siehe auch unter »Hybrid-DVD, HybridDisc« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 27]. Seitdem sich Musik als MP-3 problemlos über das Internet verbreiten und massenweise archivieren lässt, sucht die Musikindustrie nach alternativen Trägermedien und nach neuen Konzepten, die es ermöglichen, den Musikinteressierten ergänzende Mehrwerte zu bieten, die über den Handel mit Sounddateien hinausgehen. Zusätzlich zum DVD-Video-Teil eignet sich gerade für solche Inhalte und Themen auch die Nutzung des DVD-ROM-Teils, der das Anbieten von Inhalten am Computer mit erweiterten Interaktionsmöglichkeiten gestattet, so wie es von der CD-ROM her bekannt ist. So könnten auch komplexe Spiele und eine direkte Anbindung an das Internet genutzt werden.
1.4.4 Karaoke
Den japanischen Mitgliedern des DVD-Forums ist zu verdanken, dass Karaoke ein Bestandteil des DVD-Video-Books ist. So gibt es so genannte Audio Mixing Modes, mit denen aus der diskreten Surroundmischung beispielsweise die Gesangsstimme ausgeblendet werden kann. Dies setzt allerdings voraus, dass der DVD-Player über eine entsprechende Karaoke-Funktion verfügt, mit der man den so genannten Two Vocal Assist Channel aktivieren bzw. deaktivieren kann. Der Karaoke-Modus ermöglicht zwei Kanäle für Stereo (Rechts, Links), einen optionalen Melody Channel bzw. Guide Channel und zwei optionale Vocal Assist Channels. Entscheidend für Karaoke ist selbstverständlich zudem die Darstellungsmöglichkeit von Untertiteln, um den Text zum Lied in unterschiedlichen Sprachen einblenden zu können. Es stehen bis zu 32 unterschiedliche Untertitelspuren zur Verfügung.
77
1.4 Torsten Stapelkamp: Das entsteht mit DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.4.5 Präsentation/Promotion, Point of Sale (POS), Gebrauchsanweisung
Die DVD eignete sich hervorragend, um Produktpräsentationen in Supermärkten, Baumärkten oder auf Messen vorzuführen. Das lästige Vor- und Zurückspulen der VHS-Kassette entfiel 1996 mit der DVD. Mit EndlosbandTechniken konnte damals zwar das Spulen bei der VHS-Kassette bewältigt werden, aber nicht das Verschleißproblem der Videobänder. Da eine DVD optisch abgetastet wird, gibt es dieses Problem bei ihr nicht. Außerdem kann eine DVD-Produktion so programmiert werden, dass ausgewählte Bereiche sich stets automatisch wiederholen. Auf einer einzigen DVD können sich alle Produktbeispiele in allen erforderlichen Varianten und Sprachen befinden. Die Möglichkeit des Multilingualen ist gerade bei der DVD von Kinofilmen her bekannt, die in Originalfassung und dann noch in unterschiedlichen Vertonungen oder im Original, aber mit zahlreichen Sprachen im Untertitel vorliegen. Anstelle der unterschiedlichen Sprachen können aber auch unterschiedliche Zielgruppenansprachen bzw. unterschiedliche Erläuterungswege vorbereitet und über dieselben Menüs und technischen Möglichkeiten ausgewählt werden (bis zu 32 Untertitel; bis zu 8 Soundspuren; bis zu 9 Videospuren). Diese Varianten bzw. Sprachen können dann über ein Menü oder per Fernbedienung des DVD-Players ausgewählt und in Kapiteln oder z.B. endlos vorgeführt werden. Die gute Bild- und Tonqualität ermöglicht zudem die Darstellung mit großen Monitoren bzw. auf großen Projektionsflächen und mit geeigneten Soundsystemen. Bezogen auf Produktpräsentationen eignet sich die DVD nicht nur hervorragend für die Präsentation an Verkaufsorten (Point Of Sale) und Messen, sondern auch direkt beim Anwender, um z.B. die Gebrauchsanweisungen komplexer Produkte visuell darzustellen und deren Funktionalitäten audiovisuell nachvollziehbar zu demonstrieren (z.B. für PKW, Computer, Software etc.). Die DVD ist auch ein geeignetes Medium für Promotion zwecke. Produkte können mit linearen Informationsvideos beworben und mit Zusatzinformationen, die über ein Menü anwählbar sind, ergänzt werden. Dies wäre zwar auch mit einer CD-ROM möglich und würde dann auch eine höhere Komplexität an Interaktion ermöglichen, die CD-ROM wäre aber je nach Werbeabsicht und Zielgruppe nicht immer besser geeignet. Es gibt z.B. eine DVD über den Kräuterlikör Averna, die in erster Linie über die Herstellerfamilie und die Herstellung des Kräuterlikörs berichtet und parallel auf die touristischen Möglichkeiten der Anbauregion hinweist. Es werden Angebote von Hotels und Restaurants angezeigt und sogar ein Flugplan einer Fluglinie angezeigt. Dies macht auch deutlich, dass Promo tion-DVDs über Werbung finanzierbar sind. Hier zeigt sich auch, wie hilfreich es ist, dank der technischen Spezifikationen der DVD mit relativ kleinem Aufwand eine mehrsprachige Produktion anbieten zu können. Die Averna-DVD wurde für die Sprachen Deutsch, Italienisch, Niederländisch
78
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
und Englisch erstellt. Im Gegensatz zur CD-ROM benötigt man zur Nutzung dieser DVD keinen Computer, sondern nur einen einfach zu bedienenden Fernseher und DVD-Player. Es ist auch viel wahrscheinlicher, dass für eine offensichtliche Werbe-DVD eher mal der DVD-Player eingeschaltet wird, als dafür einen Computer hochzufahren. Die Informationen waren auf eine miniDVD gepresst und konnten daher leicht an den Flaschen montiert vertrieben werden.
1.4.6 Kioskanwendungen, Point of Information (POI)
1.4.7 E-Learning, Vortragsarchiv
Für interaktive Multimediakioske bietet sich die DVD besonders dann an, wenn z.B. je nach Standort des Terminals unterschiedliche Anteile eines Inhalts bereitgestellt werden müssen, aber dennoch gemeinsam einen Zusammenhang bilden sollen. Dies kann sich z.B. in Ausstellungen, Messen, Flughäfen oder Bahnhöfen ergeben. So kann eine DVD mit allen Inhalten z.B. in einem Museumsshop angeboten werden, aber an den jeweiligen Stationen der Ausstellung nur jene Inhalte offenlegen, die dort gerade relevant sind (siehe auch unter »Multi-Mix-Story« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 61]. Außerdem sind die erforderlichen Abspielgeräte (Monitor, DVD-Player) erheblich günstiger als ein Computer mit Monitor, leichter zu bedienen und zu warten. Gerade für Ausstellungen und Messen lassen sich zudem die sehr guten Ton- und Videoqualitäten z.B. für Projektionen nutzen (siehe auch unter »Präsentation/Promotion, Point of Sale (POS), Gebrauchsanweisung« in diesem Kapitel) [S. 78].
Mit den DVD-Formaten können zur Erstellung von Seminar- und Schulungsmedien die Präsentations- und Informationsmöglichkeiten linearer Filme und Vorträge mit Interaktionsangeboten kombiniert werden. Inhalte können in Kapitel eingeteilt und nach unterschiedlichen Kriterien abgerufen werden. So können Informationen z.B. zielgruppenorientiert angeboten werden und mit Hilfe von Programmierung kann sichergestellt sein, dass man Informationen nur in der bestimmten Reihenfolge abrufen kann, die dem jeweiligen didaktischen Konzept entspricht. Dadurch wird es möglich, aufeinander aufbauende Seminare nur in der vom Autor oder vom Lehrenden beabsichtigten Reihenfolge abspielen zu lassen oder Frage-Antwort-Szenarien zu erstellen (siehe diesbezüglich auch unter »Präsentation/ Promotion, Point of Sale (POS), Gebrauchsanweisung« in diesem Kapitel) [S. 78]. Durch die Programmierbarkeit wird auch eine dynamische Abfolge möglich, so dass z.B. bei Schulungen je nachdem, welche Lösung ausgewählt wird, eine individuelle Antwort oder Hilfestellung erfolgen kann. Auch
79
1.4 Torsten Stapelkamp: Das entsteht mit DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
die Erstellung von Lehr-/Lernspielen ist dabei denkbar. Die DVD-Formate sind die geeigneten Lehr-/Lernmedien, wenn es darum geht, Filme in guter Qualität formatfüllend und in hoher Auflösung anzubieten und Inhalte interaktiv abrufbar und individuell zugänglich bereitzustellen. Hierbei ist auch die Barrierefreiheit zu berücksichtigen, die bereits durch die Einfachheit der Bedienbarkeit über die DVD-Player-Fernbedienung und die der Abspiel geräte in gewissem Umfang erfüllt wird. Mit den neuen DVD-Formaten ist es zudem möglich, über dem Film eine weitere Bildebene darzustellen, die parallel zum Film Detailinformationen bieten kann. Hier könnte z.B. auch Gebärdensprache eingeblendet werden. Außerdem sind mit den DVD-Formaten alle wesentlichen Inhalte sofort verfügbar. Sie können physikalisch im Regal neben den Fach- und Lehrbüchern aufbewahrt werden. Die vermeintlich ständige Verfügbarkeit über das Internet würde für eine vergleichbare Bild- und Tonqualität eine Breitbandinternetanbindung erforderlich machen, die nicht jedem zur Verfügung steht. Allerdings besteht mit den neuen DVD-Formaten HD DVD und Blu-ray Disc die Möglichkeit, Inhalte über das Internet zu aktualisieren und zu ergänzen. So lassen sich die jeweiligen Vorteile der einzelnen Medien DVD und Internet miteinander kombiniert nutzen. Die DVD bietet bestmögliche Bild- und Tonqualität und das Internet die dynamische Aktualisierbarkeit. Die Onlineanbindung der DVD kann übrigens auch dazu genutzt werden, das Nutzungsverhalten des Anwenders zu verfolgen, um so individualisiert auf sein Handeln zu reagieren. Die DVD-Formate eignen sich für Mixed-Media-Produktionen, bei denen die einzelnen individuellen Eigenschaften unterschiedlicher Medien, z.B. Buch, DVD und Internet, sinnstiftend miteinander kombiniert genutzt werden (Siehe dazu auch unter »Die integrierte Publikation« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Wissensvermittlung«).
1.4.8 Spiele
Bereits die bisherige DVD (DVD-5 bis DVD-18) bot durch ihre Programmierbarkeit einige Möglichkeiten, Zufälle und kalkulierte Abfolgen anzu bieten, die für das Erstellen von Spielen von Bedeutung sind. Auch wenn die daraus realisierbaren Interaktions- bzw. Auswahlmöglichkeiten sehr rudimentär und einfach erscheinen, stellen sie eine Möglichkeit dar, die für diverse Spielformen ausreicht. Durch Wenn-dann-Abfragen können Abfolgen programmiert werden, die, mit etwas Aufwand, auch scheinbar komplizierte Kombinationen ermöglichen. Bisher war es die Langsamkeit dieses Mediums, die es verhinderte, die Möglichkeiten der DVD für die Erstellung von Spielen zu nutzen. Das wohl bekannteste DVD-Spiel stellt wohl die DVD zur gleichnamigen Show »Wer wird Millionär« dar. Eine sehr interessante Form, die einfachen Interaktionsmöglichkeiten der bisherigen DVD zu nutzen, stellt auch die Lernspielkonsole DVD-Kids des isländischen
80
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Herstellers 3plus dar (siehe unter »Spiele« im Kapitel »Projekte im Detail«) [S. 480]. Die DVD ermöglicht Spielevarianten für alle Altersklassen und Interessen und Inhalte für alle Ansprüche. Seit den neuen DVD-Formaten HD DVD und Blu-ray Disc stehen allerdings schnellere Medien zur Verfügung, die zudem mit HDi und BD-J über erheblich komplexere Programmierungsmöglichkeiten verfügen (siehe unter »Programmierbarkeit« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 58]. Die Programmierbarkeit bei der Blu-ray Disc basiert z.B. u.a. auf den Möglichkeiten der Multimedia Home Platform (MHP) und kann somit in Kombination mit dem interaktiven Fernsehen genutzt werden. Mit den neuen DVD-Formaten werden Videospiele möglich, die das Konsumverhalten am Fernsehen verändern werden. Spielstände können gespeichert, neue Level online geladen und die neuen DVD-Formate können mit den Möglichkeiten des interaktiven Fernsehens und des Internets kombiniert genutzt werden. Die neuen DVD-Formate HD DVD und Blu-ray Disc könnten die Spielebranche um eine neue Spieleplattform bereichern.
1.4.9 Archivierung, Speichermedium, DVD-ROM
Da eine DVD in erster Linie als eine DVD-ROM und neben der Nutzung als DVD-Video ebenso gezielt für die Nutzung am Computer konzipiert wurde, ist es naheliegend, dass sie am Computer auch als Datenträger, als Speichermedium zur Archivierung genutzt werden kann. Bereits auf der DVD-5 können bis zu 4,7 GB gespeichert werden. Dies entspricht in etwa der tatsächlich am Computer speicherbaren Datenmenge von 4,38 GB. Bei Datenträgern wird auf Basis von 1000 und am Computer auf Basis von 1024 gerechnet (siehe unter »Speicherkapazität – Maße und Einheiten« im Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [S. 232]. Selbst diese so bereinigte Menge entspricht dem Fassungsvermögen von über 6 CD-ROMs (650 MB). So lassen sich Bilder, Texte oder Produktionsdaten relativ sicher archivieren. Auf der Blu-ray Disc lassen sich bis zu 100 GB und auf der HD DVD bis zu 60 GB speichern. Zurzeit verfügbare Rohlinge, die durch so genannte Brenner selbst bespielt werden können, speichern als Blu-ray Disc RW bis zu 50 GB und als HD DVD RW bis zu 30 GB (Siehe diesbezüglich unter »DVD, HD DVD, Blu-ray Disc – selbst gebrannt« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«). Die möglichen Speicherplatzmengen auf einer Scheibe werden aber immer wieder übertroffen, und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Entscheidend ist, dass die Daten für ca. 10 Jahre relativ sicher archiviert sind. Garantien kann dafür aber keiner geben und die Hersteller behaupten auch stets erheblich längere Fristen.
81
1.4 Torsten Stapelkamp: Das entsteht mit DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.5 Zukunft und Chancen der DVD-Formate Torsten Stapelkamp
Dieses Buch erscheint in seiner ersten Ausgabe zu einem Zeitpunkt elementarer Veränderungen für die Nutzung von Videos als lineares bzw. interaktives Medium im Allgemeinen und für die DVD als Daten- und Inhaltsträger im Besonderen. Während dem sich die Bilddarstellung von Standard- zu HD-Qualität veränderte und entsprechende Filme mit den neu entwickelten DVD-Formaten HD DVD und Blu-ray Disc archiviert und vertrieben werden können, vollzog sich ein viel entscheidenderer Wandel in der Bedeutung und Nutzung von Videos, die nun im Internet und mit Mobilgeräten (Video-iPOD, iPhone, Smartphone) genutzt und betrachtet werden können. Über Videoportale und so genannte PODcasts lassen sich zahlreiche videobasierte Inhalte i Internet abrufen und mit entsprechenden Geräten mobil betrachten. Videoinhalte werden nicht mehr als CD-ROM oder DVD, sondern zunehmend als Dateien übertragen, genutzt und wahrgenommen. Audio- und Videodaten können Dank immer schneller und preiswerter werdende Internetanbindungen relativ problemlos über das Internet übertragen werden. Die Dateien werden entsprechend komprimiert und büßen dadurch zwar an Wiedergabequalität ein, machen aber wegen der Verringerung der Speichergröße eine erweiterte Form der Nutzbarkeit bezüglich der Verfügbarkeit, der Interaktion und der Mobilität möglich. Diese Entwicklung macht deutlich, dass für den Anwender bei Video dateien nicht so sehr die Bilddarstellungsqualität, sondern der Inhalt und die Art der Nutzbarkeit relevant sind. Dies macht auch einige Einschränkungen der DVD-Formate deutlich und ein Hinterfragen der zukünftigen Bedeutung der DVD-Formate erforderlich. Die Absicht dieses Buches liegt gewiss darin, die Möglichkeiten und Chancen für DVD-Produktionen aufzuzeigen und deren Umsetzung zu unterstützen. Andererseits geht es in diesem Buch in erster Linie um die Thematik »Video interaktiv«. Das die DVD im Buchtitel vorrangig genannt wird und auch thematisch den wesentlichen Teil dieses Buches ausmacht, liegt zunächst daran, weil sie das aktuelle Medium für interaktives Video ist. Zurzeit bietet die DVD noch die umfangreichsten Möglichkeiten hinsichtlich Interaktion und Nutzung von video basierten Inhalten und deren Vertrieb und Etablierung beim Anwender. Die Nutzung und die Darreichung von videobasierten Inhalten befinden sich allerdings im Wandel, weshalb in diesem Buch auch schonungslos auf die Grenzen und Einschränkungen der DVD-Formate eingegangen wird. Auch hier gilt es, in erster Linie zu motivieren und Anregungen und Denkanstöße für das Thema »Video interaktiv« zu geben.
82
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
1.5.1 Welches DVD-Format wird sich durchsetzten
Welches der beiden neuen DVD-Formate HD DVD und Blu-ray Disc sich durchsetzen wird, oder ob beide parallel existieren werden, ist noch nicht ausgemacht. Ebenso ist noch vollkommen offen, ob alles, was an Speicher kapazität und hybrider Kombinierbarkeit machbar ist, auch tatsächlich Verbreitung finden wird. Die DVD-18 mit 17 GB Speicherkapazität, um nur ein Beispiel zu nennen, ist technisch zwar stets möglich gewesen, fand aber dennoch keine breite Anwendung. Auch die Dual DVD, eine hybride Variante, bestehend aus CD und DVD, die die Warner Music Group im Jahr 2004 herausgab, konnte sich nicht durchsetzen (siehe unter »Hybrid-DVD, Hybrid-Disc« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 27]. Mit einer entsprechenden Kompression (z.B. High Definition DivX) lässt sich ein kompletter Film in HD-Qualität mit optisch kaum feststellbaren Unterschieden zum HD-Original bereits auf einer herkömmlichen DVD-9 speichern, weshalb diese bereits oft als HD DVD bezeichnet wird, obwohl es eine herkömmliche DVD ist, die mit rotem und nicht mit blauem Laser ausgelesen wird. Tatsächlich kann allerdings nur die 3xspeed DVD-ROM als HD DVD bezeichnet werden, da nur sie als DVD aufgrund ihrer dreifachen Rotationsgeschwindigkeit HD-Qualität abspielen kann (siehe unter »3xspeed DVD-ROM (HD DVD-5, HD DVD-9)« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 35]. Wem es nur um das Archivieren von Filmen in HD-Qualität geht, benötigt weder eine Blu-ray Disc noch eine HD DVD. Es steht zu befürchten, dass die Musik-, Film- und Spiele-Industrie in erster Linie deshalb an der Einführung der HD DVD bzw. der Blu-ray Disc interessiert sind, weil die neuen DVD-Formate über neue, schwer zu umgehende Kopierschutzmechanismen verfügen. Bei der Planung der Verwertungsstrategien scheint das kreative Potential, das sich durch die erweiterten Spezifikationen der neuen DVD-Formate hinsichtlich der Interaktion und Gestaltungsmöglichkeit offenbart, nicht im Vordergrund zu stehen. Schließlich behindern die Kopierschutzmechanismen die Etablierung und Verbreitung der neuen Scheiben. Wer die neuen DVD-Formate für eigene Produktionen nutzen möchte, muss zwar die mit ihnen anwendbaren Kopierschutzmöglichkeiten nicht einsetzen, bleibt aber darauf angewiesen, das die erforderlichen Abspiel- und Darstellungsmedien beim Anwender in ausreichendem Maße Akzeptanz und Verbreitung gefunden haben. Die Bevormundung des Kunden durch restriktive Kopierschutzmethoden und die dadurch erforderliche Anschaffung neuer Hardwarekomponenten (Monitore, Beamer, Grafikkarte) könnte sich hier massiv hinderlich auswirken. Im Gegensatz zur HD DVD verfügt die Blu-ray Disc mit dem »BD+« über ein noch komplexeres Kopierschutzsystem, was insbesondere die Filmindus trie und die Spielehersteller begrüßen (siehe unter »Kopierschutzverfahren«
83
1.5 Torsten Stapelkamp: Zukunft und Chancen der DVD-Formate
im Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [S. 261]. Zusätzlich verfügt die Blu-ray Disc, genauso wie die HD DVD, über den bereits bei der DVD genutzten Kopierschutz CSS (Content Scrambling System), der allerdings erweitert wurde und nun Advanced Access Content System (AACS) heißt. Dieser neue Schutz verhindert nicht nur Kopien, sondern legt genau die Abspielmöglichkeiten fest. Außerdem geben alle Hardware-Produkte, die zur Wiedergabe von Daten in HD-Qualität in der Lage sind, die Ton- und Bild-Signale verschlüsselt per HDCP (High-Bandwidth Definition Content Protection) an die entsprechenden Darstellungsgeräte (Fernseher, Beamer) weiter, die zur Interpretation des HDCP-Signals in der Lage sein müssen. Dies bedeutet, dass man sich zusätzlich zum Abspielgerät für Blu-ray Discs bzw. HD DVDs auch das entsprechende Darstellungsgerät anschaffen muss, wenn man auf HD-Qualität Wert legt (siehe unter »Kopierschutzverfahren« im Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [S. 261]. Es gibt zwar bereits externe Player, die entweder die Blu-ray Disc oder die HD DVD lesen und beschreiben können und auch bereits einige wenige Computer mit eingebauten Blu-ray Disc Playern, aber es gibt noch keine Grafikkarten zum Aufrüsten aktueller Computer, die die HDCPVerschlüsselung interpretieren können. Somit wird unter Umständen auch die Anschaffung eines neuen Computers erforderlich, wenn man Filme in HD-Qualität auch am Computer sehen möchte und keine Grafikkarte für den älteren Rechner verfügbar ist. Zumindest die Anschaffung einer neuen Grafikkarte und eines neuen kompatiblen Monitors mit HDCP-Anschluss würde erforderlich. Wenn der Kunde mit einer DVD nur das erhält, was er auch vom Internet streamen kann, werden es insbesondere die neuen DVDFormate schwer haben, als hochwertige, bewahrenswerte Medien zu gelten – so wie es z.B. bei literarisch hochwertigen Büchern oder aufwändig erstellten Bildbänden der Fall ist. Es ist allerdings erstrebenswert für die neuen DVD-Formate HD DVD und Blu-ray Disc eine vergleichbare Beachtung zu erreichen, indem Man ihre Möglichkeiten dazu nutzt, den Nachfolgern der DVD eine höhere Wertigkeit zu geben. Was spricht dagegen, auf Basis der neuen DVD-Formate Produktionen zu ermöglichen, die mehr sind, als nur ein Trägermedium, auf dem Daten gepresst wurden. Das Ziel sollte sein, die neuen DVD-Formate als Premiumklasse zu etablieren, deren Qualitätsmerkmale sich aber nicht mit einer besseren Bildqualität durch die HD-Technologie erschöpfen sollte. Dieser vermeintliche Vorsprung ist schnell verbraucht und wird sich sehr bald als Selbstverständlichkeit etablieren. Hier sollte auch nicht vergessen werden, dass sich selbst Kineasten jahrzehntelang mit der extrem schlechten Bild-Qualität der VHS-Kassette begnügt haben. Dies lässt bereits die Vermutung aufkommen, dass es über die Bildqualität hinaus etwas geben muss, was den Kauf oder gar das Archivieren von Filmdatenträgern auslöst. Das wichtigste sind eben nicht die technischen Eigenschaften, die die nachhaltige Qualität solcher Produkte ausmachen. Es sind die Inhalte, deren
84
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Aufbereitung, die erzählerischen Eigenschaften und Art des Zugang zu den Inhalten (z.B. durch Interaktionsangebote), die einem Produkt in diesem Segment Wert und Anerkennung verleihen. Wenn man erreichen möchte, dass die neuen DVD-Formate als hochwertig erkannt werden und somit, je nach Ausstattung, auch hochpreisig angeboten werden können, muss dem Kunden ein entsprechender Wert geboten werden. Es macht durchaus Sinn, die DVD im Vergleich mit einem Buch zu sehen und für die DVD eine vergleichbare Akzeptanz anzustreben, wie sie ein Buch genießt. Noch wird die DVD nur als Datenträger wahrgenommen und die Daten als flüchtig und als austauschbar angesehen. Buchverlage haben den Vorteil, mit einem real berührbaren Produkt zu handeln, das somit sinnlich ganz anders wahrnehmbar ist und auf eine erheblich längere Tradition zurückgreifen kann. Außerdem wird einem Buch per se eine sehr hohe Bedeutung beigemessen. Selbst wenn Interaktionsmöglichkeiten sinnstiftend und in umfangreichem Maße eingesetzt würden und dadurch eine DVD an sich komplexer und im Kontext einer Erzählform oder Wissensvermittlung sinnvoller und nachhaltiger sein könnte als ein Buch, wird die Publikation eines Buches in der Regel immer hochwertiger eingeschätzt werden als die einer DVD. Seit dem Internet und der Möglichkeit, Ton- und Bilddaten dank guter Kompressionsalgorithmen und zunehmend preiswerter Festplatten in großen Mengen auf dem heimischen Computer zu speichern, hat das Sammeln von Musik- oder Filmträgern eine ganz andere Dimension erreicht. Das Sammeln aus Leidenschaft und aus dem Bedürfnis heraus, etwas Bewahrenswertes erhalten und in den Händen zu halten, wird weiter abnehmen, wenn die verantwortliche Industrie Innovation vermissen lässt und Daten auf Datenträger presst, ohne dem Kunden Mehrwerte zu bieten. Das Potential der aktuellen DVD und der neuen DVD-Formate Blu-ray Disc und HD DVD muss hinreichend ausgelotet und interessante Projekte, Inhalte und Perspektiven müssen entwickelt werden. Es bleibt fraglich, ob und wie sich die neuen DVD-Formate überhaupt durchsetzen und verbreiten werden. Die neuen Kopierschutzmechanismen und der Umstand, dass zwei nicht miteinander kompatible DVD-Standards miteinander konkurrieren, behindern nicht nur massiv die Verbreitung der neuen DVD-Formate, sondern ebenso die Entwicklung und Nutzung ihrer sehr attraktiven neuen Interaktionsmöglichkeiten. Die massenhaft aus dem Internet sprießenden Netlabels und die zahlreichen Ton- und Videostreaming-Angebote machen deutlich, dass Trägermedien wie die CD oder DVD auf Dauer nur dann eine Daseinsberechtigung haben werden, wenn sie gegenüber dem Streaming aus dem Internet einen Mehrwert bieten und sich zudem mit deren Gebrauch und Aufbewahrung der Besitzerstolz befriedigen lässt (siehe unter »Die integrierte Publikation« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Wissensvermittlung«) [S. 140].
85
1.5 Torsten Stapelkamp: Zukunft und Chancen der DVD-Formate
Die wesentlichen Entscheidungshilfen, ob man sich überhaupt den neuen DVD-Formaten widmen wird, werden in erster Linie der Preis, die Differen ziertheit zur klassischen DVD und die Verbreitung der neuen DVD-Formate und deren Geräte-Peripherie sein. Umso wichtiger ist es, dass sich die Industrie bezüglich der Lizenzen bzw. der Formate einigt und ihre Zeit und Finanzmittel nicht in erster Linie in Kopierschutzmechanismen, sondern in die Entwicklung von sinnstiftenden Funktionalitäten, crossmedialen Kombinationsmöglichkeiten und Zugangsformen investiert, die die Produktion von solchen Inhalten und Unterhaltungsformen ermöglichen, die für die Kunden einen spürbaren Mehrwert darstellen. 6 http://www.heise.de
7 http://www.nanocrew.net
Wie am 15.08.2001 in »heise online«6 nachzulesen war, wurde der HDCPKopierschutz angeblich bereits einmal geknackt. Der Kryptographie-Experte Niels Ferguson behauptete, den Master-Schlüssel gefunden zu haben. Um juristischen Konsequenzen zu entgehen, machte er seine Ergebnisse aber nicht der Öffentlichkeit zugänglich, sondern überreichte sie an Intel, dem Erfinder des HDCP-Kopierschutzes. Ob es ihm nun tatsächlich gelungen war, oder ob jemand anderes zu einem späteren Zeitpunkt den Kopierschutz knacken wird, ist eigentlich unerheblich. Sicher ist nur, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis im Internet eine Handlungsanweisung zu finden sein wird, nach der die Kopierschutzmethoden zu umgehen sind. Unvergessen bleibt, dass der Kopierschutz CSS bereits 1999 umgangen werden konnte, nachdem Jon Lech Johansen, ein damals fünfzehnjähriger Norweger, die Open-Source-Software DeCSS zum Knacken des Schutzes über das Internet verbreitete. Die Nutzung solcher Software und Hilfsmittel zur Umgehung von Kopierschutzvorkehrungen ist selbstverständlich illegal. Dies sollte hier ausdrücklich erwähnt werden (siehe im Kapitel »Medienrecht und Verwertung«) [S. 595]. Es wird allerdings auch deutlich, dass dieses Katzund-Maus-Spiel alle Beteiligten nur Zeit und Geld kostet. Jon Lech Johansen kündigte bereits auf seinem Weblog7 an, auch das Nachfolge-Kopierschutzverfahren Advanced Access Content System (AACS) knacken zu wollen. Es ist wohl zu erwarten, dass er sehr bald auf der von ihm registrierten Internetseite http://www.DeAACS.com erste Ergebnisse vorstellen wird. Es ist gar keine Frage, dass Urheberrechte zu respektieren und zu schützen sind. Dass die Rechteinhaber die mit den Urheberrechten generierbaren Umsätze im höchstmöglichen Rahmen abschöpfen möchten, ist zumindest nachvollziehbar. Es ist nur fraglich, in wieweit sich Kunden in ein AnbieterKunden-Verhältnis einspannen lassen möchten, bei dem der Anbieter sich selber und seine Urheberrechte als wichtiger einzuschätzen scheint als die Interessen und Bedürfnisse der Kunden. Selbst Bill Gates, der Gründer von Microsoft, erklärte am 17. Oktober 2005 in einem Interview mit Chanakya Sethi der Zeitung »The Daily Prin-
86
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
8 The Daily Princetonian, 17. Oktober 2005, http:// www.dailyprincetonian.com
cetonian« von der Princeton University8, dass bei der Blu-ray Disc der Kopierschutz den Interessen des Anwenders zu stark widersprechen würde. Dies kann natürlich auch eine strategische Äußerung sein, da Microsoft den Blu-ray-Disc-Konkurrenten HD DVD unterstützt. Bill Gates machte bei diesem Interview allerdings auch Andeutungen, dass Microsoft die Blu-ray Disc unterstützen wird, sobald der Kopierschutz gelockert würde. Die Verbesserung von Bildqualitäten durch die HD-Technologie wird nicht alle potentiellen Käufer in ausreichendem Maße begeistern, wenn diese Verbesserung keine zusätzlichen Vorteile bietet. Wer begnügt sich schon damit, beim Fußball jeden Grashalm zählen und beim Schauspieler jede Hautunreinheit wahrnehmen zu können. Auch die viel beschworene Schärfe und Tiefe des Bildes fällt nicht mehr so sehr ins Gewicht, wenn der Monitor nur eine »normale« Größe hat, der Sitzabstand fernsehübliche 2–3 Meter beträgt und der Inhalt ansonsten nichts Neues zu bieten hat. Mit Blick auf die für den Kunden erforderlichen Investitionen relativiert sich so einiges. Umso wichtiger ist es, mehr zu bieten als das Übliche. Hier könnte die integrierte Publikation, eine sinnstiftende Vermischung mehrerer Medienformate, verbunden mit zusätzlichen interaktiven Eigenschaften ihr Potenzial ausschöpfen (siehe unter »Die integrierte Publikation« und »DVD zur Wissensvermittlung« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Wissensvermittlung«) [S. 140, 152]. Mit den neuen DVD-Formaten ist theoretisch vieles möglich, praktisch aber noch kaum etwas abspielbar. Leider werden auch jene behindert, die die Kopierschutzmechanismen nicht in ihren Produktionen implementieren möchten, aber gerne die unbestreitbaren Vorteile der Blu-ray Disc bzw. der HD DVD nutzen möchten. Dabei würden alle Beteiligten davon profitieren, wenn die klassische DVD aktualisiert würde. Ein wesentlicher Unterschied der Blu-ray Disc und der HD DVD gegenüber der klassischen DVD besteht im Umfang der Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der Interaktionsangebote und somit in der Bandbreite der Involvierung des Anwenders in die jeweilige Erzählform bzw. Wissensvermittlung. Bei der Blu-ray Disc und der HD DVD lassen sich als zusätzliche Ebene über dem Film Bilder, Grafiken, Schriften und Filme darstellen (siehe unter »Bild-in-Bild« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 65]. Dadurch können zusätzliche Ereignisse, Informationen und Ergänzungen dynamisch eingeblendet werden. Der Regisseur kann z.B. bei Bedarf ergänzend zu jeweiligen Filmabschnitten berichten bzw. zugeschaltet werden oder es können detaillierte Produktinformationen eingeblendet oder gezielt vom Anwender abgerufen werden. Sei es, um mehr über die Mode, die ein Schauspieler gerade trägt, oder mehr über die Region zu erfahren, in der der Film oder die jeweilige Szene spielt. Ergänzende Text-, Bild- und Ton-Informationen können über das Internet hinzugeladen werden. Die zusätzlichen Bild- und Toninformationen können dynamisch und unterbrechungsfrei zusätzlich zum laufenden Video eingeblendet werden.
87
1.5 Torsten Stapelkamp: Zukunft und Chancen der DVD-Formate
Der Ton kann dabei gezielt gemischt werden, wenn es z.B. darum geht, die akustische Atmosphäre eines Fußballspiels und die Stimme des Moderators so zu mischen, dass beides gleichermaßen erlebt werden kann. Die Filmindustrie nennt dies nicht ohne Grund interaktive Online-Funktion, da sich auch zusätzliche Filme, Audio-, Bild- und Textdateien über das Internet streamen lassen. Selbstverständlich kann eine DVD dadurch auch mit aktualisierbarer Werbung versehen werden, wodurch sich zahlreiche neue Abrechnungssysteme für Anbieter wie für Anwender ergeben. Die Preise der geliehenen oder gekauften DVD-Formate werden dadurch genauso skalierbar wie die Inhaltsbreite und -tiefe der dargebotenen Themen. All diese neuen Möglichkeiten erweitern die neuen DVD-Formate zum idealen Medium für lineare, nonlineare und interaktive Erzählformen und offenbaren die DVD als geeignetes Medium zur Wissensvermittlung und für integrierte E-Learning-Strategien (siehe auch unter »Die integrierte Publikation« und »DVD zur Wissensvermittlung« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Wissensvermittlung«) [S. 140, S. 152]. Für die Spieleindustrie bieten diese Verfahren ebenso zahlreiche Anknüpfungspunkte, um den Fernseher, als Ort der DVD-Rezeption, zur wiederentdeckten Basis für Video-Spiele zu etablieren. DVD-basierte Fernsehspiele gibt es ja bereits einige. Wenn man dann noch bedenkt, die genannten Interaktionsmöglichkeiten mit über das Internet übertragenen Filmen und anderen Daten zu kombinieren, können die neuen DVDFormate ein Kombinations- und Bindeglied zwischen dem linearen und dem interaktiven Fernsehen (iTV) bilden. Der Fernseher wird nie die Interaktionsbreite eines Computers erreichen und der Anwender wird auch in Zukunft froh sein, wenigstens ein Mediengerät weitestgehend beherrschen zu können und mit ihm nicht in unüberschaubarem Maße aktiv werden zu können bzw. zu müssen. Aber dennoch könnten die neuen DVD-Formate und die mit ihnen noch interessanter werdenden Interaktionsformen am Fernseher dazu beitragen, dass in Zukunft wenigstens die Möglichkeit einer gesteigerten Interaktion mit dem Fernseher und seinen über das Internet übertragenen Inhaltsangeboten bestehen wird. Die Hardwareindustrie und die Kabelbetreiber beabsichtigen ohnehin, das interaktive Fernsehen über entsprechende internetfähige Settop-Boxen am heimischen Fernseher betreiben zu lassen und nicht etwa ausschließlich über den Computer anzubieten. Die Bezeichnung DVD-Formate sollte nicht nur als Sammelbegriff für die zahlreichen DVD-Varianten Verwendung finden, sondern ebenso im Zusammenhang der Inhalte, die mit den DVDs vermittelt werden. Durch die neuen DVD-Formate eröffnen sich schließlich nicht nur neue technische Möglichkeiten, sondern auch neue inhaltliche Formate. Die Bezeichnung DVD-Formate kann demnach ebenso wie beim Film und Fernsehen für unterschiedliche Genres stehen. Die wesentlichen DVD-Genres wären dabei die lineare, die nonlineare und die interaktive Erzählform, das DVD-Video-
88
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
game und die Wissensvermittlung. Weitere DVD-Formate im Sinne weiterer DVD-Genres könnten folgen. Die neuen DVD-Formate bieten demnach sowohl technisch als auch inhaltlich ein sehr großes Potenzial. Dieses gilt es nun zu erkennen und zu nutzen. Zumindest die Filmindustrie scheint optimistisch zu sein, was die Verbreitung der HD DVD und der Blu-ray Disc anbetrifft. Steve Nickerson, Senior Vice President von Warner Home Video, wagte bereits auf der in Los Angeles stattfindenden Entertainment Media Expo 2006 (EMX) für die HD-DVD und Blu-ray Disc eine sehr optimistische Prognose. Er ging damals davon aus, dass die Einführung und Verbreitung der neuen Scheiben und deren Abspielgeräte schneller erfolgen wird als zuvor bei der DVD. Er prognostizierte, dass bis Dezember 2006 in den USA bereits eine halbe Mio. Abspielgeräte für Blu-ray und HD-DVD verkauft sein würden. Außerdem sollten bis dahin, seiner Einschätzung nach, bereits zwei bis drei Millionen Konsolen und zwei bis vier Millionen Computer mit entsprechen den HD-Laufwerken in den Haushalten stehen. In vier Jahren sollen sogar bereits 100 Millionen HD-Laufwerke verkauft worden sein. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum wurden direkt nach der Einführung der DVD nur 35 Millionen DVD-Player verkauft. Im ersten Jahr nach der Einführung der DVD waren es sogar nur 300000 DVD-Laufwerke9. Ob sich solche Schätzungen bewahrheiten und die HD DVD oder die Blu-ray Disc durchsetzen wird, hängt in erster Linie von den Entscheidungen der großen Hollywoodstudios und der Bereitschaft der Endverbraucher ab, sich das entsprechende Equipment anschaffen zu wollen. Denn nur das DVD-Format, mit dem attraktive Inhalte zu günstigen Preisen in der bestmöglichen Qualität unterstützt werden, kann die Käufer überzeugen. Die Blu-ray Disc hat dabei eine relativ gute Position, da sie, laut eines Interviews mit dem Samsung-Marketingchef David Steel in dem Magazin Focus (35/2006), von immerhin 80% der Filmstudios unterstützt wird. Mit der VHS-Kassette hat man allerdings bereits erlebt, dass sich nicht immer das bessere System durchsetzt. Die Befürworter der Blu-ray Disc machten den Fehler, die ersten Blu-ray Discs mit Inhalten zu bespielen, die nur mit dem älteren Standard MPEG-2 komprimiert waren, weshalb diese Versionen im optischen Eindruck schlechter abschnitten als die HD DVDs, die im gleichen Zeitraum bereits mit dem neuen Standards MPEG-4 AVC (H.264) und VC1 arbeiteten. Es wird sich zeigen, wie nachhaltig sich dieser Fehler auswirken wird und eventuell davon ablenken könnte, dass nicht nur die Wiedergabequalität ein wichtiger Vorteil der neuen DVD-Formate ist, sondern auch die Vielzahl ihrer neuen Interaktions- und Darstellungsmöglichkeiten. Die Firmenkonsortien beider DVD-Formate scheinen aber zuversichtlich zu sein, ihr jeweiliges System durchsetzen zu können. Laufwerke gibt es bereits sowohl für die Blu-ray Disc als auch die HD DVD, und auf der Internationalen Funkausstellung IFA 2006 in Berlin wurden im September 2006
9 Quelle: VideoMarkt
89
1.5 Torsten Stapelkamp: Zukunft und Chancen der DVD-Formate
beide DVD-Formate mit viel Aufwand und mit einer Reihe von Titeln offiziell im Markt eingeführt. Erstaunlicherweise zeigten sich die Vertreter der HD DVD aber zurückhaltender. Toshiba war einer der wenigen Vertreter der HD DVD auf der IFA 2006, wohingegen zahlreiche Firmen der Blu-ray Disc Association mit eigenen Ständen bzw. auf einem Gemeinschaftsstand anwesend waren. Erst das Weihnachtsgeschäft 2007 wird zeigen, ob sich nun die HD DVD oder die Blu-ray Disc durchsetzen wird, oder ob beide DVD-Formate para llel existieren werden. Erst ab dem Herbst 2007 wird es genügend bespielte HD DVDs und Blu-ray Discs auf dem deutschen Markt geben, um sich tatsächlich ein Urteil bilden zu können. Ab dann wird sich auch zeigen, ob und in wieweit die neuen Interaktions- und Darstellungsmöglichkeiten dieser DVD-Formate von Produzenten und Gestaltern erkannt und genutzt werden. Es würde dann noch in etwa ein weiteres Jahr dauern, bis man einschätzen kann, ob diese neuen Möglichkeiten vom Anwender überhaupt angenommen und gewünscht werden. Im Folgenden werden diese Möglichkeiten, die weit über eine verbesserte Bildqualität in HD-Qualität hinaus gehen, aufgeführt und näher erläutert.
PODcasting stellt ein spannendes Phänomen dar. Es ermöglicht ein relativ preiswertes Betreiben einer Sendestation für Audio- und/oder Videodaten im Internet. Selbst produzierte Inhalte lassen sich im Internet anbieten bzw. abrufen und auf mobilen Geräten abspeichern und abspielen. Unter den zahlreichen, von Privatpersonen erstellten und publizierten PODcasts sind durchaus einige darunter, die je nach Inhalt und Umsetzung mit gut gemachten Radiosendungen zu vergleichen sind10. Die meisten professionellen Sender, die noch terrestrisch bzw. über Kabel senden, bieten bereits Ausschnitte oder ihr gesamtes Angebot auch als PODcast an11. Das Format dieser Audiodateien ist das bekannte MP-3-Audioformat. Zum Abspielen der Dateien ist am Computer eine MP-3-Player-Software erforderlich. Mobil können die Inhalte über MP-3-Player oder über den iPOD von Apple abgespielt werden. Die Bezeichnung PODcasting setzt sich übrigens aus der Bezeichnung iPOD, des mobilen MP-3-Players von Apple, und dem Wort Broadcasting zusammen. Werden Videoinhalte gesendet, so spricht man von VideoPODcasting oder auch von VODcasting. Die Dateiformate sind MPEG-4 bzw. m4a und m4v. m4a ist eine Dateierweiterung von MPEG-4 Audio, die von der Software iTunes beim Encoden ins AAC Audio Format vergeben wird. m4v ist die Dateierweiterung einer entsprechenden Videodatei in einem MPEG-4 Container. Die Videos können stationär am Computer oder auch mit dem Video-iPOD von Apple mobil genutzt werden. In Kombina tion mit der Unabhängigkeit von Sendezeiten, der mobilen Nutzbarkeit
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
und der zunehmenden Beliebtheit von Videoportalen findet eine enorme Verbreitung des PODcastings statt12. Radio- und Fernsehsender haben eine ernsthafte Konkurrenz und die Nutzer eine hochinteressante Erweiterung der Sende- und Informationslandschaft erhalten. Von vorgegebenen Sendezeiten ist man von nun an nicht mehr abhängig. Sind die Inhalte einmal abgespeichert, können sie jeder Zeit abgerufen werden. Aufeinander folgende Kapitel bzw. regelmäßig stattfindende Sendungen können abonniert und automatisch abgerufen und gespeichert werden. Mit Hilfe einer PODcatcher-Software, wie dem i-Tunes (ab Version 4.9 auch Video) von Apple, lassen sich diese Vorgänge festlegen und die Inhalte verwalten und abspielen. Vom PODcatcher aus können die PODcast-Kanäle, auch Feeds genannt, per Knopfdruck abgerufen werden. Und mit dem so genannt RSS-Feed wird sichergestellt, dass man keine der einmal abbonierten Sendungen verpasst. RSS steht für Really Simple Syndication (wirklich einfache Verteilung) und ist ein XML-basiertes Dateiformat, das aus Informationen zu einem Inhalt und einer Auflistung von Meta-Tags besteht. Seit der Version RSS 2.0 ist dem noch eine Webadresse zugefügt. Auf diese Weise lässt sich jede Datei, auch der PODcast, mit RSS 2.0 referenzieren und abbonieren. Der Vorgang des Abbonierens ist hierbei allerdings nicht mit dem für das Bestellen von Zeitschriften vergleichbar. Mit dem RSS-Feed wird nur festgelegt, was man gezielt empfangen möchte, besser gesagt, welche Inhalte zugeschickt werden sollen, ohne dass man dabei eine postalische Adresse angeben muss. Die Anonymität bleibt somit gewahrt. So genannte Enhanced PODcasts können Einzelkapitel, Videoclips, Bilder und Links enthalten. Gerade bei Video-PODcasts ist es wichtig, dass deren Inhalte in Kapiteln aufgeteilt und diese Kapitel gezielt ausgewählt werden können. Mit geeigneter Software (z.B. GarageBand oder Podcast Maker) können Videos relativ einfach mit Standbildern kombiniert werden. So bietet das Video-PODcasting in erster Linie eine relativ einfach zu produzierende videobasierte Präsentations- bzw. Wiedergabeform mit der Möglichkeit, Kapitel gezielt auswählen zu können.
12 www.podster.de; www.dopcast.de; www.podcast.de
Gerade in Bereichen des e-Learning werden sich sehr bald interaktive Dokumentations- und Präsentationsformen auf Basis von Videos etablieren. Die Vorteile der Linearität des Videos können sinnstiftend mit einem Auswahl- und Interaktionsangebot kombiniert werden. Ob hier in Zukunft noch die Standards der DVD-Dateiformate erforderlich seien werden, hängt davon ab, ob diese den neuen Bedürfnissen angepasst werden. Die Nutzung der interaktiven e-Learning Angebote wird sowohl am heimischen Fernseher, als auch mit Hilfe mobiler Darstellungsgeräte erfolgen. Somit bietet sich hier eine interessante Herausforderung für alle DVD-Formate, fernab der oft überflüssigen Debatten über HDAuflösung (z.B. 720p, 1080i) und HD-Bildformat (16:9), die sich nur auf die Darstellungs-, aber fast nie auf die inhaltliche Qualität beziehen.
91
1.5 Torsten Stapelkamp: Zukunft und Chancen der DVD-Formate
Bereits jetzt werden zahlreiche Lernvideoclips und Hochschulseminare als Video-PODcasting über das Internet und zur Nutzung für mobile Geräte angeboten. Noch beschränken sich deren Interaktivitätsmöglichkeiten allerdings auf die Auswahl von Kapiteln und sind nicht mit denen von interaktiven DVD-Produktionen zu vergleichen. Beispiele sind u. a. bei www.podcampus.de und beim eLearning Center (ELC) der Universität Zürich zu finden: www.elc.uzh.ch/static/elearningpodcast. Eine Programmierbarkeit von Interaktion ist beim Video-PODcasting (noch) nicht vorgesehen. Durch Einbindung der Möglichkeiten, die sich durch Quicktime-Autorentools ergeben, könnte sich dies aber sehr bald ändern (siehe im Kapitel »Standards/Spezifikationen« bei »DVD-ROM-Authoring« unter »Autorensoftware«) [S. 326]. Einen sehr interessanten Video-PODcast zum Thema »Audio-/Videotechnik« hat Prof. Dr. Karsten Morisse aus seinen Seminaren erstellt (siehe unter »Audio-/Videotechnik« im Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [S. 331]. Der 14,5-stündige Video-PODcast befindet sich auf dem beigefügten Datenträger (»PODcast«/»Audio-/Videotechnik«) [DVD]. Nicht nur für die Bereiche des e-Learning bietet es sich an, im Sinne einer Integrierten Publikation (siehe »Integrierte Publikation« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Wissensvermittlung«) [S. 140] Strategien einer kombinierten Nutzung von PODcasting und DVD-Formate zu entwickeln. Die beiden Angebote unterscheiden sich in erster Linie darin, dass das eine online und mobil und das andere mit erweiterten Interaktionsmöglichkeiten genutzt werden kann. Kernthemen könnten auf DVD gespeichert und für die Nutzung am Fernseher und Computer für Seminare aufbereitet werden und Video-PODcasts könnten als Ergänzung und Aktualisierung und zusätzlich für das mobile Lernen erstellt werden. Die Vorteile der DVD-Formate gegenüber dem PODcasting reduzieren sich dabei auf die Interaktionsmöglichkeiten und dem Umstand, mit einer DVD über ein Medium zu verfügen, dass ohne Internetanbindung und mit einer einfach zu bedienenden Ausstattung per DVD-Player am Fernseher genutzt werden kann. Diese Vorteile beginnen aber bereits zu schwinden. Je nachdem, wie sehr sich die Nutzung des Fernsehers als zentrales Bedien- und Betrachtungsgerät von Daten aller Art (Bilder, Videos, Musik etc.) entwickeln wird oder der Fernseher über einen eigenen Computer mit Onlineanbindung verfügt, verringern sich die Vorteile der DVD-Formate entsprechend. Unter den Bezeichnungen Homeplattform-TV (HPTV), MultimediaHome-Plattform (MHP), interaktives Fernsehen (i-TV, AppleTV) und Internetfernsehen (IPTV) entwickeln sich interessante Angebote, die dazu führen werden, dass Informations-, Kommunikations- und Unterhaltungsmedien nur noch von Festplatte zu Festplatte über das Internet, über W-Lan oder von Gerät zu Gerät übertragen werden. Die Chancen und Herausfor-
92
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
derungen, die sich dadurch eröffnen, werden die Existenzberechtigung der DVD-Formate zwar nicht sofort in Frage stellen, aber auf langer Sicht deren Verbreitung einschränken. Ein sehr wesentlicher Vorteil der DVD-Formate wird allerdings bestehen bleiben. Während alle anderen, alternativen interaktiven Produktionen stets für die nachfolgend aktualisierten Betriebssysteme neu angepasst und eventuell neu formatiert werden müssen, bleiben die DVD-Formate bereits seit vielen Jahren beständig. CD-ROM- bzw. DVD-ROM-Produktionen lassen sich oft bereits nach der nächsten Betriebssystemaktualisierung nicht mehr abspielen und vom Anwender in der Regel auch nicht mehr aktualisieren. Selbst für die Produzenten bedeutet es bisweilen einen unverhältnismäßig hohen Aufwand eine einmal erstellte Multimedia-Produktion für nachfolgende Betriebssysteme erneut anfassen und aktualisieren zu müssen. Eine einmal erstellte interaktive DVD-Produktion hingegen ist nach jedem beliebigen Betriebssystemwechsel immer noch in unveränderter Qualität abspielbar und daher erheblich nachhaltiger als jede andere Multimedia-Produktion.
1.5.2.1
13 www.dvdforum.org 14 www.dvdcca.org
93
Herausforderungen und Chancen der DVD-Formate Die Diskussionen,
ob es nun vorteilhafter ist, Videos auf DVD in HD- oder in SD-Qualität betrachten zu können, werden Angesichts der zunehmenden Bedeutung, Videos mobil und über das Internet nutzen und diese mit komplexen Verlinkungen und Interaktionen verknüpfen zu können, an Relevanz verlieren. Es wird zunehmend deutlich, wie banal dieses HDTV-Thema ist, insbesondere im Vergleich zur Entwicklung des interaktiven und mobilen Videokonsums, der sich im Umfeld von PODcasting, Internet-TV und Handy-TV rasant ausbreitet und dabei neue Formate und Inhalte entstehen lässt. Dieser Konsum und die sich damit entwickelnde Kommunikations-Bewegung beginnt gerade eben erst sich zu entwickeln und könnte unter der Bezeichnung »Video interaktiv« zusammengefasst werden. Dies ist auch der Grund, weshalb sich als Untertitel zu diesem Buch nicht »DVD interaktiv: ...«, sondern »Video interaktiv: ...« besonders eignet. Da die Beliebtheit des PODcastings, des Internet-TVs (IPTV) und des Handy-TVs nicht nur zu einer Verschiebung der Betrachtungszeiten vor dem klassischem Fernseher, sondern ebenso die Fernsehgewohnheiten hin zum Computer und zum mobilen Betrachtungsgerät (z.B. Video-iPOD, iPhone) führen wird, wäre es durchaus wünschenswert, wenn sich das DVD-Forum13 und die DVD Copy Control Association14 dazu entschließen könnten, die Spezifikationen der seit Jahren etablierten und bisher kaum veränderten Dateiformate der klassischen DVD (z.B. DVD-5) zu aktualisieren und den Anforderungen für mobile Geräte und zur Übertragung im Internet entsprechend anzupassen. Sinnvoll wäre dabei in erster Linie die Verbesserung des Kompressionsstandards von MPEG-2 zu MPEG-4.
1.5 Torsten Stapelkamp: Zukunft und Chancen der DVD-Formate
Es ist zwar etwas spekulativ, aber zusätzlich wäre es wünschenswert, DVD-Dateiformate über das Internet unter Beibehaltung der DVD-eigenen Interaktionsmöglichkeiten streamen zu können. Letztere Vorstellung ist allerdings nicht nur spekulativ, sondern auch relativ anspruchsvoll. Es wäre erforderlich, die Daten des VIDEO_TS-Ordners in ein entsprechendes Format kompilieren zu können. Dies ist in der Tat nicht nur in technologischer Hinsicht eine Wunschvorstellung. Für eine solche Entwicklung gibt es nicht nur ernst zu nehmende technologische Hindernisse. Die dringende Modernisierung der DVD-Dateiformate würde womöglich durch die Filmindustrie unter dem üblichen Vorwand von Kopierschutzmaßnahmen behindert werden, womit sie einmal mehr ihrer kritischen Haltung gegenüber innovativer Vertriebsalternativen gerecht würde (siehe »Für ein paar Pixel mehr« im Kapitel »Kopierschutzverfahren« unter »Standards/Spezifikationen«) [S. 261].
1.5.2.2
94
DVD – Dynamic Versatile Dataformat Dank der Videoportale (youtube.com;
sevenload.de etc.) und des PODcastings können DVD-Formate an Bedeutung gewinnen, da der Bedarf an gut aufbereiteten Inhalten stark zunehmen wird. Diesem Bedarf können die DVD-Formate insbesondere mit ihrem Angebot an Interaktionsmöglichkeiten gerecht werden und so Inhalte in ihrer Präsentations- und Nutzungsweise aufwerten, indem durch Interak tionsangebote eine größere Themenbreite und -tiefe möglich wird. Dennoch wird es auf langer Sicht erforderlich werden, die Technologien der DVD den Bedürfnissen der mobilen und onlinebasierten Nutzung anzupassen. Würden die technologischen Transfermöglichkeiten der Dateiformate der klassischen DVD entsprechend aktualisiert, könnten DVD-Formate inklusive ihrer Interaktionsmöglichkeiten sowohl offline auf DVD, als auch online im Internet und mobil z.B. mit dem Video-iPOD und dem iPhone von Apple genutzt werden. Immerhin verfügt das iPhone über ein abgespecktes OS X Betriebsystem mit dem es die DVD-Dateiformate bereits jetzt schon – auch unverändert – abspielen könnte, vorausgesetzt, es ist eine DVD-Player-Software installiert. In diesem Zusammenhang darf von einem Exportformat geträumt werden, das in Zukunft z.B. von Apples DVD-Autorensoftware »DVD Studio Pro« extra für die Nutzung von DVD-Formaten am iPhone ausgespielt werden könnte. Ideal wäre es, wenn man eine DVD-Produktion mal als VIDEO_TS-Ordner für die klassische Nutzung einer DVD und mal im Containerformat Quicktime für die mobile Nutzung und für Onlinean wendungen ausspielen könnte. Die Abkürzung DVD könnte dann von »Digital Versatile Disc« geändert werden in »Dynamic Versatile Dataformat«. Dies sind zunächst allerdings nur Wünsche und Spekulationen. Von Seiten der Produktionskosten her ist es auf jeden Fall sinnvoll, nur eine Produktion erstellen zu brauchen, die sowohl offline, online und mobil genutzt werden kann. Bisher ist es aber noch erforderlich, ein DVD-Projekt
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
für eine solch breite Nutzungsvielfalt mit mindestens zwei unterschiedlichen Autorensoftwarepaketen mal für die Offline- und mal für die Online-Nutzung zu entwickeln. Die Online-Variante kann in der Regel als Flash- bzw. Flash-Lite-Datei auch auf mobilen Geräten kopiert und abgespielt werden. Die Variante für das Internet bzw. für mobile Geräte muss bisher zusätzlich zur DVD-Video mit der Autorensoftware Flash bzw. mit Directors Shockwave produziert werden. Dies bedeutet, dass alle Videos in ein zusätzliches Format komprimiert und die Interaktion relativ aufwendig in Action-Scripting, Java oder Lingo programmiert werden muss. Insbesondere der Programmieraufwand setzt dann eine entsprechend hohe Kompetenz voraus. Der Vorteil des DVD-Datenformats und seiner Autorentools liegt gegenüber den genannten alternativen Autorensoftwarepaketen aber gerade in der Einfachheit der Erstellung von Interaktionen und in der Vertrautheit und Etablierung der DVD im Alltag nahezu aller potentiellen Konsumenten. Es wäre aber durchaus erstrebenswert, in den Videoportalen (z.B. Youtube.com, Clipfish.de, sevenload.de etc.) und bei Podcasting-Angeboten im Internet nicht nur lineares, sondern auch interaktives Videomaterial vorzufinden, weshalb eine Aktualisierung des DVD-Video-Standards wünschenswert ist. Wenn sich die Mitglieder des DVD-Forums und der DVD Copy Control Association nicht bewegen sollten, wird womöglich einmal mehr die Firma Apple die schlafenden Konzerne überraschen und mit interaktiven Quicktime-Formaten ihren Ruf, Innovationen nicht nur zu planen, sondern auch kommerziell erfolgreich durchzusetzen, gerecht werden. Damit wären dann die DVD-Formate mit einem Schlag überflüssig.
1.5.2.3
15 www.apple.com/ quicktime/whyqt
95
Alternativen zu den DVD -Formaten (DVD , HD DVD , Blu-ray Disc) Unab-
hängig eventueller Vorlieben für den bereits etablierten Standard der DVD wird man in Zukunft mit kompakten Interaktionsangeboten für PODcasting, Internet-TV und Handy-TV rechnen müssen. Diese Interaktionsangebote werden den Betrachtungsmedien entsprechend relativ einfach sein und in ihrer Komplexität bescheiden bleiben. Das Containerformat Quicktime15 bietet bereits umfangreiche Nutzungsmöglichkeiten, Interaktion einzubinden, so dass sich mit Quicktime bereits jetzt interaktive Videoformate produzieren lassen, die in ihrer Funktion und Auswahl der Anmutung interaktiver DVD-Video-Produktionen gleich kommen, diese hinsichtlich der Interaktionsmöglichkeiten sogar übertreffen können und sich bereits jetzt im Internet und auf allen stationären und mobilen Computern und Geräten abspielen lassen – vorausgesetzt, die kostenfreie Software Quicktime ist installiert. Sofern der mit Quicktime verwendete Codec mit dem jeweils genutzten DVD-Player kompatibel ist (z.B. DivX-kompatibel), lassen sich in der Regel auch Quicktime-Dateien mit DVD-Playern am Fernseher anschauen. Die in Quicktime eventuell angelegten Interaktionsangebote sind mit einem DVD-
1.5 Torsten Stapelkamp: Zukunft und Chancen der DVD-Formate
Player allerdings nicht nutzbar. Ansonsten wäre Quicktime DAS universelle Format für interaktive Videoproduktionen (siehe auch unter »DVD-ROMAuthoring« im Kapitel »Autorensoftware«) [S. 326]. Das nicht mehr ganz so häufig genutzte Quicktime-VR bietet bereits seit vielen Jahren neben der Möglichkeit, Panoramen abzubilden und interaktiv rotieren zu lassen, weitere komplexe Auswahl- und Interaktionsmöglichkeiten. Zudem lassen sich Hypelinks in der Textebene von QuicktimeDateien unterbringen, über die man innerhalb der Kapitel in der QuicktimeDatei wechseln kann oder zu ergänzenden Inhalten im Internet verweisen oder den Download von Daten auslösen kann. Diese letztgenannten Verlinkungen sind direkt auch für PODcasts anwendbar. Die Dateien des bereits erwähnten PODcasts von Prof. Karsten Morisse verfügen z.B. jeweils über einen Link, mit dem das Manuskript zum Seminar als PDF-Datei über das Internet heruntergeladen werden kann (siehe unter »Audio-/Videotechnik« im Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [S. 331]. Die bereits vorhandene Funktionsvielfalt mit Quicktime ist nur ein Beispiel dafür, wie die Beliebtheit und die Vorteile des PODcasting in Zukunft mit Interaktions- und Auswahlmöglichkeiten erweitert und so sämtliche DVD-Formate überflüssig gemacht werden könnten.
1.5.2.4
96
Video interaktiv – Fazit zur Zukunft der DVD-Formate Es ist wünschens-
wert, dass die DVD-Dateiformate in der Hinsicht weiterentwickelt werden, dass sie auch im Internet und für mobile Geräte wie dem Video-iPOD und dem iPhone nutzbar werden. Ansonsten könnte es auf Dauer für sämtliche DVD-Formate eng werden. Schließlich ist es sehr wahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit, wesentliche Anteile der Fernseh-, Radio-, Video- und Audiodaten online übertragen und mit mobilen Geräten mitgeführt werden können. Das Speichermedium DVD ist dann nicht mehr erforderlich, was hinsichtlich der Funktion als Datenträger aber der geringste Verlust wäre. Es ist zwar wünschenswert, dass die DVD-Dateiformate aktualisiert werden und sich als Formate erhalten können, die Art des Trägers, auf dem sie gespeichert werden, ist aber nicht so sehr von Bedeutung. DVD-Dateiformate lassen sich auch auf einem Memory-Stick oder jedem anderen beliebigen Datenträger speichern und von dort mit entsprechender Software abspielen. Archiviert werden Daten immer seltener auf einzelnen Datenträgern, wie den mit Lasern beschriebenen Scheiben (CD-ROM, DVD). Daten werden immer häufiger auf Massenspeichern wie z.B. Festplatten oder Flashspeichern aufbewahrt. Diese Massenspeicher sind entweder extern oder Teil der Darstellungs- bzw. der Abspielgeräte (iTV-Settop-Boxen, Computer, iPOD, iPhone, Smartphone etc.). Die Inhalte werden dann per Betriebssystem und/oder Software verwaltet und zugänglich gemacht. Die Software iTunes von Apple ist mit einer Marktabdeckung von gut 80% die wohl am meisten verbreitete Software ihrer Art, um Audio- und Videodaten zu verwalten und entsprechende Radio- und PODcast-Formate über das Internet abzurufen.
Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc
Nicht ohne Grund änderte die Firma Apple ihren Firmentitel. Die rweiterung ihrer Geschäftsfelder in Richtung Musikvertrieb und MobilteE lefone machte die Umbenennung von Apple Computer Inc. nach Apple Inc. geradezu erforderlich. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Apple sehr bald weitere Geschäftsfelder bekannt geben würde, die sich mit dem Vertrieb von Videos und PODcast-Inhalten beschäftigen. Die Diskussionen über HDTV sind hinsichtlich der erheblich spannenderen Themen PODcasting und WebTV und wegen der geringen Verfügbarkeit entsprechender Inhalte im Fernsehen bereits stark abgeklungen. Außerdem sind – auf Distanz betrachtet – die optischen Unterschiede von HD- und SD-Qualität oft nicht hinreichend nachvollziehbar. Sowohl die nach wie vor extrem hohen Kosten für geeignete Monitore, als auch die möglichen, katas trophalen Folgen durch die rigiden Kopierschutzforderungen der Filmindustrie machen ein Wechsel von SD- zu HD-Qualität sehr bedenklich (siehe bezüglich der Kopierschutzforderungen unter »Für ein paar Pixel mehr« im Kapitel »Kopierschutzverfahren«) [S. 261]. Außerdem ist noch nicht entschieden, welches DVD-Format das Rennen im HD-Markt machen wird. Für die Betrachtung von Videos in HD-Qualität wird sich noch klären müssen, ob die HD DVD oder die Blu-ray Disc die jeweils bessere Scheibe ist. Sehr wahrscheinlich wird dieser Konflikt durch Geräte entschärft, die beide Formate gleichermaßen abspielen können. Unabhängig von den Diskussionen über SD- oder HD-Qualitäten, muss sich erst einmal klären, ob die DVD-Formate überhaupt eine Zukunft haben werden. Insbesondere für die Bereiche des e-Learning und der interakti ven Erzähl- bzw. Wissensvermittlungsformen bietet PODcasting bereits jetzt entscheidende Vorteile gegenüber der DVD. Ob die DVD-Formate überhaupt eine Zukunft haben werden, wird davon abhängen, wie sie den Möglichkeiten der mobilen Medien angepasst werden und nicht davon, wie viel Pixel pro Inch dargestellt werden können. Nicht die Auflösung, sondern die Inhalte und deren Darreichungsformen werden über die Qualität und Zukunft von Fernseh- und Videosystemen entscheiden. Hier werden das PODcasting und die Nutzungsarten des iPODs, des iPhones und die des Internet-TVs die Laufrichtung und das Tempo vorgeben. »Video interaktiv« wird das entscheidende Thema für die Bereiche Dokumentation, Information und e-Learning sein und die Eigenschaften und Bedeutung des heutigen Radio- und Fernsehkonsums in Richtung Interak tivität und Mobilität bestimmen. Die DVD wird als Scheibe und Datenträger wohl sehr bald überflüssig werden. Der DVD als Inhalte-Format kann aber eine große Zukunft beschert sein, vorausgesetzt, die DVD-Dateiformate werden im Internet und mobil nutzbar. Die Abkürzung DVD könnte dann tatsächlich, wie bereits erwähnt, von »Digital Versatile Disc« geändert werden in »Dynamic Versatile Data format«.
97
1.5 Torsten Stapelkamp: Zukunft und Chancen der DVD-Formate
2 Orientierungsbeiträge
2.1 Orientierungsbeiträge/ Erzählung 99
2.2 Orientierungsbeiträge/ Wissensvermittlung 140
98
Orientierungsbeiträge / Erzählung
2.1.1 Der Traum vom interaktiven Kino ist geplatzt Daniel Kothenschulte Das große Kino will von uns keine Beteiligung. Es ist eine totalitäre, höchst undemokratische Angelegenheit. Hitchcock nannte seine Darsteller »Vieh«, aber natürlich meinte er noch mehr sein treues Publikum. Und wir möchten, wenigstens im Unterhaltungsfilm, genau dieses Vieh sein. Alle Versuche des interaktiven Films der 80er Jahre sind genau aus diesem Grund im Prototypstadium stecken geblieben. Was hatte man sich nicht einfallen lassen. Niklas Schilling, der fast vergessene Autorenfilmer der 70er Jahre, rüstete Kinosäle mit Fernbedienungen aus und wartete auf den Mehrheitsentscheid. Als hätte sich die Avantgarde je für den größten gemeinsamen Nenner interessiert. ARD und ZDF zeigten, um Mehransichtigkeit bemüht, den gleichen Krimi zeitgleich auf zwei Programmen – das Publikum suchte sich ein drittes und hatte seine Ruhe. Und in der bildenden Kunst förderte eine prosperierende Postmoderne ihre eigenen Spielhöllen zu Tage. Peter Weibel und Jeffrey Shaw waren die Pioniere dieser interaktiven Installationskunst. Peter Weibel lud in den frühen 90er Jahren – etwa in einer Ausstellung der Kölner Galerie Grunert – den Zuschauer ein, auf einem begehbaren Keyboard in Realzeit visuelle Algorithmen hervorzuzaubern. Die strengen ästhetischen Vorgaben erwiesen sich dabei freilich als noch einengender als rechnerische Verzögerungen. Bei Jeffrey Shaw konnte man sich auf ein Trimmdichfahrrad vor einer Leinwand setzen und die Stadtpläne von Amsterdam oder Hamburg durchqueren. Das machte Spaß, auch wenn man dabei meist nach wenigen Sekunden in einer Gracht oder der Alster landete. Vor einiger Zeit erinnerte noch einmal ein Popvideo an das mit Shaws Arbeit verbundene ästhetische Ereignis, aus gedruckten Straßennamen virtuelle Architekturen entstehen zu sehen: Gophers The Child zeigte eine rasante Autojagd durch ein Manhattan aus Schrift. Dieser ungemein unterhaltsame Clip war aber auch ein Triumph der Überrumpelung über die Interaktion. Das Kino hat gelernt, seine User auch in Zeiten der Videogames den Joystick vergessen zu lassen. Dies geschieht auf mehreren Ebenen. Dramaturgische Kniffe lassen die Vorhersehbarkeit vergessen und gaukeln dem Zuschauer vor, er hätte plötzlich ein Wörtchen mitzureden. Zirkuläre Dramaturgien ersetzten in der Post-Tarantino-Ära die linearen, deutlich beeinflusst vom Videospiel. Gleichzeitig näherte sich auch die Ästhetik der elektronischen Konkurrenz an: Digitale Aufnahmen und Nachbereitungen erfreuen sich einer ungekannten Akzeptanz. Und auch inhaltlich variieren Filme wie Matrix, The Game oder Fight Club die Mythologie des Videospiels. Jeffrey Shaws eigener Beitrag, die gemeinsam mit Agnes Hegedüs und Bernd Lintermann realisierte Installation ReCONFIGURING the CAVE
99
2.1.1 Daniel Kothenschulte: Der Traum vom interaktiven Kino ist geplatzt
zitiert schon im Titel das Lieblingstheorem aller Cineasten, Platons Höhlen gleichnis. Tatsächlich schreibt sie die Konzeption von Interaktivität der späten 80er Jahre für die Gegenwart fort: Ausgestattet mit einer 3-D-Brille ist der Besucher eingeladen, anhand einer virtuellen Gliederpuppe virtuelle Räume zu navigieren. Dabei hat er sieben Levels zur Auswahl, aus deren Palette er seine Realzeitanimationen generieren darf – dabei stets verwiesen auf die Proportionen des menschlichen Musters. Auch wenn das ästhetische Ereignis durch ein gegenüber Shaws und Weibels frühen Werken erheblich erweitertes Farben- und Formenvokabular gewinnt, treten die Beschränkungen fast noch deutlicher hervor. Der Benutzer ist noch immer zum Erfüllungsgehilfendasein verurteilt. So wie Mickey Mouse in Disneys Konzertfilm Fantasia ein Sternenmeer zu vorgegebener Musik dirigierte, ist er ein Zauberlehrling vor der riesigen Karlsruher Leinwand – nur dass ihm auch die Möglichkeit zur Demontage, zur Chaosstiftung, verwehrt bleibt. Die interaktive Kunst ist, so lange sie nur eine begrenzte Informationsmenge in die Hände des Betrachters gibt, auf zwei Alternativen angewiesen: Entweder sie versteckt ihren content so geschickt, dass er sich seiner Erschließung möglichst lange entzieht – zu erleben etwa in den frühen CD-ROMs von Chris Marker und Laurie Anderson, und wahrt so einen auratischen Kunstwert des Unergründlichen. Oder aber sie schwelgt in einem hoffentlich lustvollen Malen nach Zahlen, mit allen damit verbundenen Frustrationen. Wer den Schnitt hat, sitzt am Drücker. So simpel erklärt sich auch weiterhin die Vormachtstellung des Kinos. Das Kino ist klug beraten, die Erzählhoheit für sich zu behalten, und braucht die Kunst nicht zu fürchten. So ist es wieder einmal eher die Kunst, die vom Kino träumt. Wenigstens über die Hollywoodikonografie besorgt man sich gern eine Eintrittskarte, und niemand ist beliebter als Hitchcock. Daniel Egg projiziert in seiner Videoskulptur Box 3 »Dialog« (1997) das Videobild eines Audio-Tapedecks auf ein reales Kassettengerät. Während man dem Ton der vereitelten Tötungsszene aus Bei Anruf Mord lauscht, ersetzen Kassettenwechsel den Bildschnitt: Wenn Grace Kelly Hilfe suchend ihren Ehemann Ray Milland am anderen Ende der Leitung unterbricht, legt eine lackierte Frauenhand eine Kassette ein. Der Unfug, den eine knappe Lesart der gender studies in der Medienkunst anrichtet, findet hier seinen Ausdruck: Dass Hitchcock ein ausgemachter Sexist war, wussten wir längst. Es wäre Unsinn anzunehmen, die gerade in diesem Film in Rückgriff auf Griffith ausgespielten Spiele mit Macht und Montage bedürften der Hervorhebung.
100
Orientierungsbeiträge / Erzählung
2.1.2 Interaktion bei Film und Fernsehen Torsten Stapelkamp
2.1.2.1 Unterschiede der Interaktion am Fernseher und am Computer
Am Fernseher erfolgt die Interaktion ausschließlich über die Tasten der Fernbedienung und am Computer mit Hilfe der Computer-Maus, einer Tastatur bzw. direkt am Monitor über einen Touchscreen. Die beiden Darstellungs- und Nutzungsplattformen Fernseher und Computer wirken auf potentielle Anwender auf sehr unterschiedliche Weise. Vermittelt der Fernseher in erster Linie das Angebot des passiven Konsumierens, so suggeriert ein Computer bereits durch die Vielzahl an Eingabemöglichkeiten über Tastatur, Betriebssystem und Computer-Maus ein »Mehr« an Eingriffs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Hier wirken Produktsprache und erlebte bzw. suggerierte Produkterfahrung ineinander. Am Fernseher kann und will der Anwender gar nicht so intensiv interagieren, wie er vom Computer geradezu herausfordert wird und es selbst auch erwartet. Diese Haltung sollte man berücksichtigen bei der Überlegung, welche Inhalte man wie vermitteln möchte, und ob eine reduzierte oder eine vielseitige Interaktionsmöglichkeit als das geeignetes Mittel erscheint, die jeweilige Zielgruppe und den beabsichtigten Nutzen zu erreichen. Der Fernseher kann z.B. in Kombination mit einem DVD-Player durchaus als barrierefreie interaktive Informations- und Lehr/Lernplattform empfohlen und noch als solche entdeckt werden. Die Entwicklungen im Bereich des interaktiven Fernsehens, auch iTV genannt, werden aber zur Zeit stark vorangetrieben und werden es sehr bald als selbstverständlich erscheinen lassen, dass auch am Fernseher zunehmend interagiert wird, quasi als Begleitung parallel zum »Couch-potato-Dasein«. Erste Geräte zeigen, dass die Hersteller beabsichtigen, den Fernseher zum Computer bzw. den Computer zum Fernseher umzuwandeln. Sollte dies beim Kunden Anklang finden, werden die Unterschiede zwischen Fernseher und Computer, die Interaktionsmöglichkeiten am Gerät und die Interaktionsbereitschaft des Anwenders zunehmend verschwimmen. Es wird selbstverständlicher werden, am und mit dem Fernseher Hausaufgaben zu erledigen, Börsenberichte online abzufragen, zwischendurch fernzusehen, um dann interaktive Filme, Dokumentationen, Lern-DVDs oder Spiele zu konsumieren bzw. zu nutzen. Für MHP (Multimedia Home Platform), das Fernsehen zum Mitmachen, für das Fernsehen per Internet und für die Möglichkeiten der DVD (DVD, Blu-ray-Disc, HD DVD) – alles Technologien, die bereits zur Verfügung stehen – tun sich dann noch größere Möglichkeiten auf.
101
2.1.2 Torsten Stapelkamp: Interaktion bei Film und Fernsehen
Abb. 2.1.3 Im Februar 2004 präsentierte ARD Digital erstmals den interaktiven Service zur Sportschau im Ersten.
03
2.1.2 Torsten Stapelkamp: Interaktion bei Film und Fernsehen
Abb. 2.1.4 Schematische Darstellung einer DVD-Player-Fernbedienung.
Display
Rewind
Play
Forward
Prev
Stop Pause Next
Title
Menu Enter
Angle
Subtitle 1
2
3
4
5
6
7
8
9
0
2.1.2.2 Interaktive Steuerung per Fernbedienung
Je nach Fernbedienung kann es unterschiedliche Tastenbezeichnungen geben und auch die Anzahl der Tasten schwankt. Gerade bei der Fernbedienung eines DVD-Players kann es Unterschiede geben, entweder durch die Bezeichnungen der einzelnen Tasten, durch verschiedene Icons oder dadurch, dass gar keine Icons zur Unterstützung der Interaktion abgebildet werden. Im Folgenden werden exemplarisch die Tasten einer DVD-Player-Fernbedienung und die sich durch diese Tasten ergebenden Möglichkeiten erläutert. Pfeil-Tasten. Damit findet die Navigation zu den interaktiven Bereichen am Monitor statt, die zur Auswahl bereitgestellt werden. Mit den Pfeil-Tasten an der Fernbedienung (hoch, runter, links, rechts) kann die Markierung dieser anwählbaren Bereiche im Fernsehbild angesteuert und ausgewählt werden, wobei diese Auswahl in der Regel durch Veränderung der Form oder Farbe bemerkbar gemacht wird. Nun muss die markierte Auswahl durch die »Enter«Taste (siehe weiter unten) bestätigt werden. Diese Taste kann je nach Hersteller auch mit den Bezeichnungen »OK« bzw. »Play« gekennzeichnet sein. Mit der Menü-Taste kommt man zum nächsterreichbaren Untermenü zurück. Da dies nicht selbstverständlich und automatisch stattfindet, ist zu empfehlen, dass der Autor die Tastenbelegung über die DVD-Autorensoftware entsprechend programmiert. Die Titel-Taste (manchmal auch mit Top bezeichnet) sollte direkt zum Hauptmenü zurückführen. Auch hier gilt, dass
0
Orientierungsbeiträge / Erzählung
der Autor die Tastenbelegung über die DVD-Autorensoftware entsprechend programmieren kann. Mit den Tasten Preview und Next kann man zum vorherigen (Preview) und zum nächsten (Next) Kapitel wechseln. Als Kapitel können Menü-Kapitel gemeint sein oder aber Teile eines Films, die zuvor mit Kapitelmarkern festgelegt wurden, um den Film in vorher definierten Kategorien Schritt für Schritt zugänglich zu machen. Man könnte diese Zugangsform auch als strukturiertes Vor- und Zurückspulen bezeichnen. Diese Kapitelsprünge können dazu dienen, schnell durch ein Menü bzw. einen Film zu navigieren. Der Autor einer DVD kann aber auch Sprünge in das nächstfolgende Kapitel bewusst unterbinden. So könnte nach Betätigung der »Next«-Taste die Aufforderung erscheinen, erst die Aufgabe des vorherigen Kapitels zu erfüllen, um ins nächste Kapitel wechseln zu können (zu dürfen). Es wäre aber auch möglich, die Tasten und deren Abfrage so zu programmieren, dass der Anwender nicht linear vor- und zurückspringen kann, sondern jeweils individuell gesteuert, stets eine neue Erzählreihenfolge geboten bekommt. Durch die zwar bescheidene, aber dennoch mögliche Programmierung mit Hilfe der DVD-Autorensoftware können Wiederholungen und Sackgassen vermieden und vom Autor entsprechende unterschiedliche Erzählreihenfolgen vorbereitet werden. Diese Möglichkeit könnte mit denen der Multi-Angle-Taste (s.u.) kombiniert werden. Leider bieten nur sehr wenige DVD-Autorensoftwarepakete die Möglichkeit der Programmierung, so wie sie von den DVDSpezifikationen vorgesehen sind. Möglich ist diese Programmierung z.B. mit den Autorensoftwarepaketen »DVD-Studio-Pro« von Apple-Macintosh, »Scenarist« von Sonic Solution, »DVD-Extra Studio« von Zoo-Tech.com. Mit der so genannten Multi-Angle-Funktion ist eigentlich vorgesehen, ein Geschehen von verschiedenen Blickwinkeln betrachten zu können. Bis zu 9 Bildspuren können belegt werden. Natürlich ist es auch möglich, sich ein und dieselbe Erzählung aus verschiedenen Betrachtungsweisen erzählen und zeigen zu lassen und ständig zwischen diesen Sichtweisen zu wechseln. Es bleibt dem Autor überlassen, ob und in welcher Weise er diese Auswahlmöglichkeit anbieten und in seiner Erzähl- bzw. Vermittlungsabsicht nutzen möchte. Mit der Enter-Taste (manchmal auch mit OK bzw. Play bezeichnet) wird eine Auswahl bestätigt bzw. der Film gestartet. Mit der Return-Taste kehrt man einen Schritt zurück. Mit der Audio-Taste kann man alternative Tonbzw. Sprachspuren anwählen. Werden keine angeboten, so erscheint ein entsprechender Hinweis, der nicht vom Autor der DVD vorbereitet werden muss (kann). Er wird automatisch vom DVD-Player gesteuert. Mit der Subtitle-Taste kann man alternative Untertitel anwählen. Diese Untertitel liefern in der Regel eine Übersetzung des gesprochenen Textes in verschiedene Sprachen. An Stelle eines Untertitels können auch Grafiken dargestellt werden. Play, Pause, Stop, Vorspulen, Zurückspulen sind die klassischen Tasten, um ein Video zu starten, zu stoppen, vor- bzw. zurückzuspulen.
105
2.1.2 Torsten Stapelkamp: Interaktion bei Film und Fernsehen
2.1.2.3 Interaktivität im Kino und am Fernseher (TV, DVD, iTV, MHP, HTPC) Die Interaktivität im Kino und am Fernseher scheitert häufig daran, dass für eine Interaktionsentscheidung eine Mehrheit gefunden werden muss. Dies führt stets dazu, dass die Minderheit, schlimmstenfalls fast die Hälfte aller Beteiligten, enttäuscht werden muss. Im Kino konnten sich interaktive Filme daher nicht durchsetzen und behielten das Image einer Jahrmarktattraktion. Live im Fernsehen übertragene Sendeformate mit interaktiven Eigenschaften wurden bereits seit 1964 mit der Sendung »Der goldene Schuss« erprobt. Die Linearität eines Films wurde allerdings bereits wesentlich früher durch Auswahl erweitert. So bot beispielsweise der Filmvorführer Edwin S. Porter bereits 1903 oder Orson Welles mit seinem Film Citizen Kane von 1941 Auswahlmöglichkeiten. Diese waren für das Publikum allerdings stark eingeschränkt. Da zu Zeiten von Edwin S. Porter die Filmproduzenten jeweils einzelne Szenen an Filmtheater verkauften, die diese dann zu einem Programm zusammenstellten, konnte Edwin S. Porter sein Publikum fragen, ob es die damals sehr beliebten Schießereien bereits am Anfang oder erst am Ende des Films sehen wollte. Orson Welles hingegen bot 1941 für sein Publikum mit seinem Film Citizen Kane eine andere Form der Auswahl. Er zerlegte eine Bildaussage nicht in mehrere Kameraeinstellungen hintereinander, sondern zeigte sie gleichzeitig in einem Bild. Durch diese Totalen, die relativ lang waren, und durch eine entsprechende Tiefenschärfe wurde allen im Bild vorhandenen Details und Personen gleich viel Aufmerksamkeit geschenkt und sie wurden dem Publikum zur freien Auswahl angeboten. Jeder im Publikum konnte seinen Fokus individuell auf den Bereich lenken, der ihm gerade am wichtigsten erschien. Ein weiteres Beispiel mit kalkulierter Auswahl ist der Film One Man and his World, den Radusz Cincera zur Weltausstellung Expo 1967 in Montreal, Kanada, mit seinem »Kino-Automat« vorstellte. Der Film wurde mehrmals gestoppt und bot dem Publikum dann die Gelegenheit, zu entscheiden, wie es, ausgehend vom zur Verfügung gestellten Material, weitergehen sollte. Das Filmprojekt »D-Dag« des Dogma-95 Regisseurs Thomas Vinterberg funktioniert nach einem ähnlichen Entweder-oder-Auswahl-Prinzip.1 »D-Dag« lief am 01.01.2001 zeitgleich auf sieben dänischen Fernsehkanälen. Gedreht und ausgestrahlt wurde innerhalb von zwei Tagen. Auf den ersten vier Kanälen liefen vier unterschiedliche Filmvarianten, jeweils von einem anderen Regisseur produziert. Auf Kanal fünf wurden alle vier Varianten auf einem Bildschirm im Split-Screen-Format gezeigt und auf Kanal sechs und sieben war Making-Of-Material zu sehen. So wurde eine Auswahlmöglichkeit, wie sie z.B. interaktive DVDs bieten, auf sieben Fernsehkanäle verteilt. Mike Figgis bot zuvor im Jahr 2000 mit seinem Film »Timecode« eine subtiler vorbereitete Version des parallelen Erzählens ([Abb. 2.1.6]) Er zeigt
1 Weitere beteiligte Regisseure: Lars von Trier, Søren Kragh-Jacobsen, Kristian Levring.
106
Orientierungsbeiträge / Erzählung
gleichzeitig vier unterschiedliche Szenen in einem Split-Screen, allerdings nicht von verschiedenen Filmen, sondern von einem einzigen, und hat dabei die Dramaturgie der einzelnen Szenen zueinander sehr fein abgestimmt. Die gleichzeitig gezeigten Szenen treffen sich und somit auch die Figuren des Films. Der Zuschauer kann seine Aufmerksamkeit auf ein Viertel des SplitScreens richten, ohne die anderen drei außer Acht zu lassen. Der Übergang vom Angebot, einfach nur auswählen zu können, zur Auswahl als dramaturgischem Stilmittel ist bisweilen fließend. Fernsehbetreiber bemühen sich bereits seit langem mit verschiedenen Mitteln darum, den Zuschauer stärker in die Ereignisse des Fernsehangebots zu integrieren und so zum Teil des Angebots werden zu lassen. Lou van Burg moderierte mit der Sendung »Der goldene Schuss« am 04.12.1964 im ZDF wohl eine der ersten deutschen interaktiven Sendungen. Vier Zuschauer und vier Saalkandidaten konnten über eine Zielvorrichtung, die über das Fernsehbild dargestellt und per Telefonzuschaltung von den Kandidaten gesteuert wurde, eine Armbrust auf einen Apfel ausrichten. Der treffsichere Schütze konnte einen Geldbetrag und den Titel »Tele-Tell« erringen. Die Show lief erfolgreich mit hoher Zuschauerquote, seit 1967 von Vico Torriani moderiert, bis zur 50. Sendung im Jahre 1970. 1977 startete Thomas Gottschalk in Südwest 3 der ARD die Sendung »Telespiele«. Wieder konnten die durch Telefon zugeschalteten Zuschauer am Fernsehgeschehen aktiv teilnehmen. Durch die Erzeugung von Geräu schen konnten Zuschauer die Steuerungselemente von Videospielen wie z.B. »Pong« (Ping-Pong am Fernseher) bewegen. Dabei konnten zwei Anrufer oder zwei Saalkandidaten untereinander oder Anrufer und Saalkandidaten miteinander spielen. Fernseher und Telefon bildeten die Vermittlungsplattform. Beim Fernsehsender Kabel-1 folgte am 18. April 1994 die Sendung »Hugo« mit einem sehr ähnlichen Konzept, wobei allerdings die aktuellen technischen Möglichkeiten genutzt wurden, und zwar bessere Grafiken und das Angebot, mithilfe digitaler Telefontechnik die Steuerungselemente bzw. Spielfiguren über die Telefontasten steuern zu können (4 = links, 6 = rechts, 2 = oben, 8 = unten). »Hugo« wurde bereits seit 1990 im dänischen Fernsehen erfolgreich gesendet und in vielen anderen Ländern übernommen. Der als Zeichentrickfigur dargestellte Hugo musste vom Zuschauer, ähnlich wie bei einem einfachen Autorennen-Spiel, bei dem sich die Rennstrecke inklusive Hindernisse hinter dem zu steuernden Rennwagen bewegt, an den Hindernissen vorbei ans Ziel geführt werden, wobei so viele Punkte wie möglich zu sammeln waren. Weitere über Fernsehsender ausgestrahlte Computer-Spiel-Shows, die allerdings alle bereits abgesetzt wurden, sind »X-Base« und »Games World«. »Hugo« wurde am 27.12.1997 vom Programm des Fernsehsenders Kabel-1 genommen. All diese Teilnahmen von Zuschauern waren dadurch gekennzeichnet, dass sie lediglich eine oder mehrere vorbereitete Auswahlmöglichkeiten
107
2.1.2 Torsten Stapelkamp: Interaktion bei Film und Fernsehen
boten und zudem nur von ein bis zwei Personen gleichzeitig gesteuert bzw. beeinflusst werden konnten. Diese Form des Auswählens wurde bereits 1969 dem Fernsehpublikum in der ZDF-Sendung »Wünsch Dir was« angeboten. Allerdings konnte man nicht als zuvor ausgewählte Einzelperson entscheiden, sondern nur im Kollektiv. Ganze Regionen von Zuschauern wurden aufgefordert, an Entscheidungen teilzuhaben. Zuschauer aus vorher festgelegten geografischen Regionen konnten die Saalkandidaten bewerten, indem sie z.B. ihren Strom- bzw. Wasserverbrauch innerhalb eines bestimmten Zeitraums erhöhten. Der Zuschauer konnte z.B. durch häufiges Betätigen der Klospülung oder durch Einschalten möglichst vieler Strom verbrauchenden Geräte temporär seinen Wasser- bzw. Energieverbrauch erhöhen, um dadurch sein entsprechendes Votum abzugeben. Der gesteigerte Verbrauch wurde in den vorher bestimmten Versorgungsbetrieben gemessen und die Werte wurden an die Fernsehshow übermittelt. Eine weniger verschwenderische Weiterentwicklung dieser Idee ist der »Tele-Dialog«, auch TED genannt, der seit 1979 die noch heute gültige Form der kollektiven Interaktion mit Fernsehsendungen darstellt. Sie hat sich lediglich um die Möglichkeiten der SMS und deren erheblich höhere Gebühren weiterentwickelt. Ein sehr gelungenes Beispiel für Interaktion im Rahmen der Möglichkeiten der Fernsehsender und der Abspielgeräte beim Zuschauer ist der Krimi »Mörderische Entscheidung – Umschalten erwünscht« des deutschen Regisseurs Oliver Hirschbiegel. Die Fernsehsender ARD und ZDF strahlten diesen Film am 15.12.1992 gleichzeitig aus. Man konnte zwischen diesen Sendern hin- und herschalten, ohne dass der Zusammenhang verloren ging. Nur änderte sich jeweils die Sichtweise, denn man konnte die Geschichte aus Sicht der Frau (ARD) oder aus der des Mannes verfolgen (ZDF). Ende 1995 strahlte der Fernsehsender SWF 3 die interaktive Multimedia party »SWF 3 -Nachtfieber« aus, die gleichzeitig im Fernsehen und im Radio gesendet wurde und auch im Internet verfolgt werden konnte. Saalkandidaten, Partygäste und die virtuellen Gäste konnten über das Internet und mit Hilfe von Telefon und Faxgeräten miteinander kommunizieren. Um die Kontrolle über das zu wahren, was in diesem Zusammenhang über den Sender ging und im Internet gezeigt wurde, wurden alle Kommunikations kanäle moderiert. Diese Show war vergleichbar mit einem moderierten Chat. Nach drei Pilotsendungen wurde die interaktive Multimediaparty abgesetzt. All diese Steuerungsvarianten ermöglichen es allerdings selten, die Dramaturgie einer Fernsehsendung, einer Show oder eines Films zu beeinflussen. Dem Anwender werden lediglich Auswahlmöglichkeiten angeboten, bei denen antizipierte Erwartungen in der Regel wenig enttäuscht werden. Es bleibt allerdings dennoch genug Spielraum für Überraschungsmomente, indem z.B. mit Erwartungen bewusst gespielt wird. Eine auf Auswahlmöglichkeiten reduzierte Interaktion muss daher nicht unbedingt als Interaktion ohne dramaturgische Stilmittel gelten.
108
Orientierungsbeiträge / Erzählung
Dass Interaktion bereits »nur« mit filmischen und erzählerischen Mitteln spürbar gemacht werden kann, wird bei zahlreichen Filmen deutlich, die mit parallelen Handlungen, mit Rückblicken arbeiten und Geschichten aus mehreren Perspektiven erzählen. Als Beispiel sind da Filme von Maya Deren zu nennen (siehe »Maya rennt« in diesem Kapitel) [S. 115], der Film »Lola rennt« von Tom Tykwer, »Memento« von Christopher Nolan, »Die Versuchung – Tender Loving Care« von Rob Landeros und David Wheeler, oder »I’m your man« von Bob Bejan. Auf dem beigefügten Datenträger befindet sich ein Interview mit dem Künstler Florian Thalhofer, welches die Vielschichtigkeit von Interaktion deutlich und sogar geradezu spürbar macht, ohne dieses Thema benennen oder gar beschreiben zu müssen (siehe die Datei »[ks] interview.mp4« im Verzeichnis »DVD-Ausschnitte«/»[korsakow syndrom]«) [DVD]. Es bleibt abzuwarten, wie sich eine wie auch immer geartete Interaktion im und mit dem Medium Film und wie sich das interaktive Fernsehen mit neuen Technologien weiter entwickeln wird. MHP (Multimedia Home Platform), auch »Fernsehen zum Mitmachen« genannt, Settop-Boxen für den Fernseher und der kombinierte Einsatz von Fernseher und Computer weisen in eine Richtung, die das wesentliche Problem, das des Rückkanals, klären helfen. Mit Rückkanal ist jener Weg gemeint, über den der Anwender direkt auf das Gesendete (terrestrisch, über TV-Kabel oder Internet) reagieren bzw. interagieren kann. Ist erst einmal ein Rückkanal bei möglichst vielen Zuschauern vorhanden, steht der Interaktion zwischen Zuschauer und Fernsehsendung nichts mehr im Wege. Am wahrscheinlichsten ist es, dass Fernseher und Computer zunehmend miteinander verschmelzen werden, da bereits immer mehr Fernsehsendungen auch über das Internet übertragen werden. Im Nachfolgenden werden einige Abbildungen von interaktiven DVDVideo-Produktionen gezeigt, die eine Interaktivität als Auswahl nachempfinden lassen und die Interaktivität als kalkulierbares Wesensmerkmal einer Erzählung erfahrbar machen. Abbildungen von interaktiven Fernsehproduktionen sind in diesem Kapitel unter »Unterschiede der Interaktion am Fernseher und am Computer« zu finden [S. 101]. → → → → → → →
109
Murphys Loch (DVD-Video, 2002) [S. 344] Eines Nachts (DVD-Video, 2003) [S. 340] Schöne Heimat (DVD-Video, 2004) [S. 346] Timecode (DVD-Video/DVD-ROM, 2000) [S. 110] Die Versuchung (DVD-ROM/DVD-Video, 1997) [S. 112] Point of View (DVD-Video, 2000) [S. 113] I’m your man (DVD-Video/DVD-ROM, 1992, 1998) [S. 114]
2.1.2 Torsten Stapelkamp: Interaktion bei Film und Fernsehen
Abb. 2.1.5 DVD-Video: Abbildung aus dem Film.
Timecode DVD-Video/DVD-ROM, 20002
Mike Figgis beschreibt mit »Timecode« das Leben und Arbeiten in der Traumfabrik Hollywood, so wie man es sich dort vorstellt und erwartet. Bereits der Titel »Timecode« lässt allerdings vermuten, dass es ihm weniger um den Plot als um das Experimentieren mit Erzählformen geht. Der Film besteht aus vier gleichzeitig von Digital-Kameras ohne Schnitt aufgenommene Stücke. Diese vier scheinbar voneinander unabhängigen Szenen überschneiden, vermischen und verknüpfen sich im Verlauf des Films zunehmend miteinander. Dargestellt werden die vier Szenen gleichzeitig als Splitscreen in vier gleich großen Teilen auf dem Monitor. Die Szenen verlaufen zueinander ungeschnitten, synchron und in Echtzeit. Dass die vier Szenen synchron zueinander verlaufen, wird durch ein Erdbeben deutlich, das in allen vier Screens gleichzeitig zu sehen ist. Die Protagonisten der vier Szenen treten nacheinander oder teilweise sogar zur
110
Orientierungsbeiträge / Erzählung
gleichen Zeit in mehr als nur einem der vier Screens auf und wandern manchmal sogar von einem Screen in den anderen und sind dann gleichzeitig aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Da der Ton meistens nur von einem der vier Screens zu hören ist, wird dem Betrachter vermittelt, auf welchen Screen er seine Hauptaufmerksamkeit lenken soll. Über die Zahlentasten der Fernbedienung lässt sich allerdings für jeden der vier Screens der passende Ton gezielt auswählen. Und mit der Zahlentaste 7 kann eine synchron zum Film verlaufende Beschreibung des Regisseurs eingeschaltet werden. Ein weiterer Attraktor ist die Dramaturgie der Handlung selber. Die lesbische Freundin einer karriereorientierten Filmschauspielerin wirft ihr Untreue vor und veranlasst ihre Bespitzelung. Diese beteuert zwar ihre Unschuld hat aber eine Affäre mit einem alkoholabhängigen Filmproduzenten, der es nicht erträgt, das seine Ehe scheiterte.
Abb. 2.1.6 DVD-ROM: Drehbuch und Film werden synchron dargestellt. Das Drehbuch lässt sich mit der Computermaus greifen und nach links und rechts verschieben. Parallel dazu spult oben die verkleinerte Darstellung des Films vor bzw. zurück. Zusätzlich werden sämtliche Dialoge als Text dargestellt (MultimediaProduktion: Angry Monkey, www.angrymonkey.com).
Auf dem beigefügten Datenträger befindet sich ein kurzer Trailer zum Film (»DVD-Ausschnitte«/ »Timecode«) [DVD]. Um die vier Szenen synchron planen zu können, nutzte Mike Figgis Notenblätter als Grundlage für das Drehbuch, welches nur aus wenigen Notizen besteht. Besonders interessant ist es, dass sich auf dem ROM-Teil der DVD eine interaktive Applikation befindet, mit der sich das Drehbuch synchron zum Film anschauen lässt. Vermutlich wird diese sehr aufschlussreiche interaktive Dokumentation des Drehbuches kaum jemandem aufgefallen sein, da es zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser DVD nicht üblich war, dass sich auf dem ROM-Teil einer DVD Dateien befinden, die man am Computer nutzen kann. Ein interessantes Interview mit Mike Figgis über seinen Film Timecode und über die Entwick lung der Filmindustrie und die Veränderung der Erzählformen durch digitale Medien ist im
Internet zu finden unter: http://www.indiewire. com/people/int_Figgis_Mike_000428_p1.html 2 F iggis, Mike (Regie und Drehbuch), Spielfilm, Studio: Optimum Home Entertainment.
2.1.2 Torsten Stapelkamp: Interaktion bei Film und Fernsehen
Abb. 2.1.7
Die Versuchung – Tender Loving Care DVD-ROM/DVD-Video, 19973
»Die Versuchung – Tender Loving Care« ist ein Psychothriller über Lust, Betrug und Verführung. Ein junges Paar, das unter den Nachwirkungen einer schrecklichen Tragödie leidet, gerät in eine Geschichte voller Verlangen, Intrigen und Leidenschaft, deren Entwicklung der Anwender durch sein Eingreifen beeinflussen kann. Der Anwender ist Zeuge des Geschehens und erhält verschiedenste Fragen, durch deren Beantwortung er die Handlung entsprechend beeinflusst. Der Anwender erhält dabei Unterstützung durch kurze Zusammenfassungen nach klar abgegrenzten Filmabschnitten. Außerdem hilft Dr. Turner, der Psychiater des im Film spielenden Ehepaars, mit seiner Meinung und einigen Fragen über die Personen und den zuvor erlebten Ereignis-
Orientierungsbeiträge / Erzählung
sen weiter. Von den jeweiligen Antworten hängt es ab, welche Fragen als nächstes folgen. Danach erhält der Anwender die Gelegenheit, sich im Haus umzusehen und einige Gegenstände, wie z.B. die Tagebücher der Hauptdarsteller, auszuwählen. Zudem kann der Anwender sich mit seinen Namen einloggen und eigene Settings abspeichern. Und es wird über den Anwender ein Profil erstellt, das sich aus der jeweiligen Auswahl der Fragen und Antworten des Anwender ergibt. Die entsprechende Analyse durch Dr. Turner, gespielt von John Hurt, kann ausgewählt werden und sorgt mitunter für Überraschungen. 3 R ob Landeros, David Wheeler (Regie und Drehbuch), Spielfilm, Studio: AVU.
Abb. 2.1.8
Point of View DVD-Video, 20004
»Point of View« ist ein interaktiver Spielfilm über Großstadtsingles. Die Interaktivität läuft so ab, dass man nach einigen Minuten Film ein Menü angezeigt bekommt, in dem Fragen zu den eben geschehenen Ereignissen gestellt werden. Der Anwender wird gebeten, seine Meinung abzugeben. Je nach Beantwortung der Fragen ergeben sich entsprechend unterschiedliche Filmsequenzen oder der Anwender erhält ein Menü, mit dem er z.B. Gegenstände der Darsteller auswählen kann und auf diesem Wege mehr über die Ereignisse erfährt.
4 D avid Wheeler (Regie und Drehbuch), Spielfilm, Studio: D3
2.1.2 Torsten Stapelkamp: Interaktion bei Film und Fernsehen
Abb. 2.1.9
I’m your man DVD-Video/DVD-ROM, 1992, 19985
»I'm your Man« ist der erste interaktive Film auf DVD-Video und wurde 1992 zunächst für die Kinos gedreht, in denen das Publikum per Knopfdruck entscheiden konnte, mit welcher der drei zur Auswahl stehenden Personen der interaktive Kurzfilm stattfinden soll. Der Film dauert ca. 15 Minuten. Außerdem stehen Entscheidungen für den weiteren Verlauf zur Auswahl. 1998 wurde der Film für DVDVideo adaptiert. Es wurde noch ein DVD-ROM-Teil mit einer interaktiven Spielkarte und Web-Links hinzugefügt. 5 Bob Bejan (Regie und Drehbuch), Spielfilm, Studio: DVD International.
Orientierungsbeiträge / Erzählung
2.1.3 Maya rennt. Versuch und Irrtum nichtlinearen Erzählens in künstlerischen Verlaufsformen. Drei Beispiele Prof. Dr. Anna Zika
»Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern!« Georg Büchner
Am 8.11.1913 wurde im Münchener Residenztheater ein Stück uraufgeführt, das bis heute zu den viel gespielten Klassikern der deutschen Bühnenliteratur gehört. Sein früh verstorbener Autor wäre im Jahr der Erstinszenierung 100 Jahre alt geworden: Georg Büchner. Das Drama Woyzeck ist nach seinem Helden, einem abgehalfterten Soldaten, benannt und stellte Leser wie Interpreten vor eine bis dahin ungewohnte Aufgabe: Im handschriftlichen Nachlass des Verfassers fand sich lediglich ein Sammelsurium insgesamt 27 nicht nummerierter einzelner Auftritte. Diese Texte hatte zwar 1879 der Journalist und Literat Karl Emil Franzos mit dem etwas unbeholfenen Untertitel Ein Trauerspiel-Fragment herausgegeben, doch der Versuch, Büchners szenische Entwürfe entlang einer klassischen Poetik zu sortieren, erschien späteren Büchner-Exegeten unbefriedigend, zumal Büchner selbst in vier verschiedenen Fassungen die Szenen unterschiedlich angeordnet hatte. Franzos unterstellte eine Chronologie der Begebenheiten, die – für ihn logischerweise – mit dem Tod des unglückseligen Protagonisten endete. Getrimmt auf zeitgenössische Vorstellungen eines herkömmlichen Handlungsablaufs hatte Franzos keinen Blick für die damals neuartige Möglichkeit, den Facettenreichtum und die Gespaltenheit einer verstörten Person durch verschiedene Perspektiven und Annäherungen auffällig werden zu lassen. Büchner hatte offenbar beabsichtigt, die geistige Verwirrung der Titelfigur und ihre Ausgeliefertheit an nicht mehr kontrollierbare Lebensverhältnisse durch die scheinbare Zusammenhanglosigkeit der Szenen zu veranschaulichen und in der »offenen Form« die Möglichkeiten eines – in diesem Fall misslingenden – menschlichen Lebens zu kalkulieren. Gerade die Unverbundenheit der Szenen lässt Überlegungen zu, wie alles auch ganz anders hätte kommen können. Wie weit er damit seiner Zeit voraus war, lassen Empfehlungen wie die des erfolgreichen Autors Gustav Freytag erkennen, der noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die aristotelische Lehre bestätigte: »Es hat der Dichter die Pflicht, seine Wirkungen vom Anfang bis zum Ende des
115
2.1.3 Anna Zika: Maya rennt
6 Gustav Freytag, Die Technik des Dramas (1863), zit. nach Kersting 1989, S. 228.
7 Kersting 1989, S. 225.
Dramas zu steigern... es fordern die letzten Akte... ein Aufgebot aller seiner Mittel«6, ein Aktionsraster, das noch heutigen Regelwerken für HollywoodDrehbuchschreiber zugrunde liegt – erscheint doch der »innere Kampf des Menschen bis zur Tath« (G.F.) als Motor kassenschlagerverdächtigen Filmschaffens. Das Prinzip einer sukzessiven »Steigerung« erheischt notwendigerweise eine (zeitlich) lineare Entwicklung einer »Handlung«, vorausgesetzt, dass so etwas wie »Spannung« als positives Bewertungskriterium einer dramatisch-literarischen (später auch filmischen) Leistung in Anschlag kommt. Spannung wiederum entsteht, wo eine bestimmte Situation aufgrund der bisherigen inhaltlichen Entwicklungen erwartet werden kann; die Spannung ist dabei umso größer, je weiter das Eintreten des Erwarteten hinausgezögert wird. Theoretiker des frühen Schauerromans hatten Ende des 18. Jahrhunderts das »angenehme Grauen« solchen Erwartens mit der abwechselnden Kontraktion und Entspannung des Herzmuskels zu erklären versucht. Eine Überstrapazierung dieses Körperteils durch unausgesetzte Spannung erschien ihnen wenig wünschenswert; bis in die jüngste Vergangenheit galten literarische und filmische Produktionen als dramaturgisch mangelhaft, die das Freytagsche Steigerungsprinzip zum Selbstzweck erheben und eine Metzelei mehr oder weniger unbegründet in die nächste übergehen lassen (darin wären sie durchaus Pornos vergleichbar, in denen etwa Kennenlernen und gegenseitiges Umwerben der Spielfiguren inkl. bewährter – linearer! – Hinhalte- und Verzögerungsstrategien eher als lästig erlebt werden: der Sinn derartiger Wahrnehmungsangebote erfüllt sich ausschließlich in der Darstellung des Vollzugs). Jahrhundertelang waren Lese- und Bühnenpublikum daran gewöhnt, das Dargebotene in eine erheiternde oder traurig stimmende bzw. erschreckende Bilanz münden zu sehen: »Die Dramen katastrophen (=Lösungen) sind Aufwandsentschädigungen: die auf Finalität getrimmte Wahrnehmung findet ›Erlösung‹«.7 Wo man dem Leser/Zuschauer diese Erlösung schuldig bleibt, muss folglich das Gefühl eintreten, sich vergeblich durch bedrucktes Papier gearbeitet oder auf unbequemen Sitzen gequält zu haben. Gegenwärtig scheint sich die Preisgabe solcher Regeln als Qualitätskriterium zu erweisen. Ein Film wie Kill Bill (USA 2003, Regie: Quentin Tarantino) wurde anlässlich seines Erscheinens gerade wegen seiner videoclip-ästhetischen Aneinanderreihung von Gewaltexzessen gerühmt, die Shakespeares blutigste Dramen als Gute-Nacht-Erzählung für Vorschulkinder erscheinen lassen. Die weitgehende Vermeidung dramaturgisch-narrativer Aspekte wird zum eigentlichen Gestaltprinzip erhoben. Interessanterweise ließ der Autorenhinweis, es handele sich bei diesem Streifen um Volume I, von Beginn an den Schluss zu, eine womöglich lineare Fortsetzung sei geplant und eine stringente Handlungsentwicklung stehe in Aussicht. Tatsächlich vollendet die Heldin aus Kill Bill I in Kill Bill II ihren spektakulären Rachefeldzug;
116
Orientierungsbeiträge / Erzählung
die Linearität dieses Erzählstrangs wird jedoch immer wieder durch zeit aufwändige Rückblenden unterbrochen. Dabei hatte sich bereits Tarantinos früherer Erfolg Pulp Fiction (USA, 1994) durch eine gravierende Störung des linearen Erzählens ausgezeichnet: Der von John Travolta verkörperte Charakter Vincent Vega agiert in einer Szene völlig unbeeinträchtigt, obwohl er in einer zuvor gezeigten Sequenz bereits – und mit offensichtlich tödlichem Ausgang – erschossen worden war. Zwar vermag sich der Betrachter die vermeintliche Auferstehung formal als Rückblende zu erklären, die Überraschung beim Publikum schien jedoch ebenso allgemein wie gelungen. Diese Episode macht allenthalben deutlich, dass Betrachter von Filmen und Leser von Literatur (soweit sie eine Handlung haben), Ereignisse selbsttätig entlang eines introspektiven Zeitpfeils anordnen, auch wenn diese Ereignisse nicht im chronologischen Verlauf vorgeführt werden. Einen noch weitergehenden Bruch mit der narrativen Linearität eines ansonsten von (chrono-) logischer Handlung und Entwicklung bestimmten Filmwerks vollzog Tom Tykwer mit Lola rennt (BRD, 1998). Von einer Kugel getroffen und schwer verletzt imaginiert bzw. erinnert die Heldin eine Liebesbegegnung mit ihrem Freund Manni und beschließt »nicht weg« zu wollen. Ihr Schrei »Stop!« lässt die bisherige Geschichte von vorn beginnen. In ihrer Gehetztheit eine Verwandte des Soldaten Woyzeck, tritt Lola in eine zweite labyrinthische Spirale auswegloser bzw. wenig Hoffnung versprechender Anstrengungen. Insgesamt dreimal wird innerhalb einer Ausstrahlungs- bzw. Projektionseinheit (vulgo Film) dieselbe Begebenheit mit jeweils variierenden Möglichkeiten des Ausgangs erzählt; und erst in der dritten Runde nimmt das Drama eines gescheiterten Verbrechens, das tödlich hätte enden können, schließlich eine komödienhafte Wendung – eben eine Bilanz, wie sie Kersting als Belohnung für die Verweildauer im Vorführraum definiert hatte. Tykwer hatte – ganz im Sinne von Brechts Verfremdungstheorien – wenig unversucht gelassen, einer »realistischen« Wirkung seines Films entgegenzuarbeiten: bereits im Vorspann verweist einer seiner Darsteller (Armin Rohde) auf den Spiel-Charakter der nachfolgenden Bewegtbilder: »Der Ball ist rund, und das Spiel dauert 90 Minuten«. In einer anderen Einstellung des Vorspanns dominiert ein hypnotisierendes Uhrpendel die Bildfläche; die Kamera fährt am Pendel empor bis zum Zifferblatt einer Wanduhr, deren Zeiger sich rasend drehen, wie um zu demonstrieren, dass die Gesetzmäßigkeiten des Zeitverlaufs hier außer Kraft gesetzt würden. Allerdings drehen sich die Zeiger ausschließlich vorwärts; gleichwohl wird der Betrachter sehr bald mit ersten Unterbrechungen des Zeitstroms konfrontiert: schon während des entscheidenden Telefonats zwischen Lola und Manni, das die Handlungslawine auslösen wird, werden erläuternde Rückblenden (in schwarzweiß) eingeschoben; der Betrachter erhält die
117
2.1.3 Anna Zika: Maya rennt
8 vgl. Elementarzeichen. Urformen visueller Information. Ausstellungskatalog des Neuen Berliner Kunstvereins, Berlin 1985, S. 132. 9 Der erste und längste Film, Meshes in the Afternoon, wurde in den 50er Jahren von Maya Derens drittem Ehemann Teiji Ito mit einer Musik unterlegt.
Möglichkeit, die persönlichen (und unterschiedlichen) Erinnerungen von Manni und Lola an dieselbe Situation miteinander abzugleichen. Die »Realität« (weniger jedoch die Chronologie) der Filmhandlung wird weiterhin unterbrochen durch Zeichentricksequenzen, die eine rennende Lola zeigen. Der Verfremdungseffekt wird noch dadurch gesteigert, dass diese Comicstrips auf dem Fernsehbildschirm von Lolas Mutter erscheinen, die aber wegen eines eigenen Telefonats dem Monitor keine Aufmerksamkeit schenkt. Die trickanimierte und die Fleisch-und-Blut-Lola wirken in ihren überzeichneten visuellen Merkmalen (grellrote Haare und KämpferInnen-Outfit) überdies wie Charaktere eines Computerspiels; Computerspiele folgen als interaktive Unterhaltungsangebote eigenen zirkulären oder multilinearen Dramaturgien, wie sie wiederum in Filmen wie Matrix (USA, 1999, Regie: Andy und Larry Wachowski) oder The 13th floor (USA, 1999, Regie: Roland Emmerich) umgesetzt wurden. Das Wesen vieler Computerspiele besteht in der Bewältigung von Hindernissen und in der Begegnung mit oftmals »hinderlichen« Nebenfiguren. So kreuzen und verstellen auch Lolas Rennweg verschiedene Passanten. In deren weiteres Leben erhält der Betrachter unverhoffte Einblicke durch Filmstills, die Szenen aus der nahen Zukunft dieser Charaktere zeigen. Durch die Vorausschauen entstehen Nebenstränge zum Verlauf der gespielten Zeit von dreimal ca. zwanzig Minuten; der Zeitpfeil der Lola-Geschichte wird von diesen Vorausschauen gleichsam überholt; die Linearität der Chronologie wird dadurch jedoch nicht beeinträchtigt, denn die verknappten, dreimal je völlig verschiedenen Parallelhandlungen zielen zeitlich in die gleiche Richtung und entsprechen der Gepflogenheit eines konsekutiven und den jeweils nächsten Handlungsabschnitt begründenden Nacheinander. Tykwers Panorama der Möglichkeiten visualisiert beinahe buchstäblich die Etymologie des Begriffs erzählen: aus dem Verb her-zählen abgeleitet bezieht sich das Wort vermutlich auf prähistorische magische Rituale, bei denen Runenstöckchen zuerst geworfen, dann vom Boden auf„gelesen« wurden, wobei eine Er-zählung entstand.8 Erzählen ist also der Herleitung nach an sich ein numerischer Vorgang. Zumindest im deutschen Alltagssprachgebrauch hat sich die historische Vorrangstellung von Zahl, Maß und Gewicht überliefert. Dahinter verbergen sich keineswegs nur kabbalistische Vorstellungen, sondern möglicherweise die Einsicht, dass lineares Erzählen den Beobachtungen entspricht, die Menschen in der Welt gemacht haben. Künstlerische Versuche, diese anthropologische Konstante als verrückbar erscheinen zu lassen, verweisen u.a. in die Anfänge des Avantgarde-Films.
2.1.3.1 Maya Deren
In den 1940er Jahren produzierte die russisch-stämmige Amerikanerin Maya Deren einige Low-budget-Filme. Farb- und tonlos9 sind diese jeweils
118
Orientierungsbeiträge / Erzählung
10 Das Misslingen dieser optischen Absicht entging auch der aktuellen Filmkritik nicht; vgl. etwa Newton E. Meltzer, Three Abandoned Films, in Film news, März 1946, zit. nach Legend 1988, s. 389f.
11 Jutta Hercher und Ute Holl, Zur Edition. In: Deren 1995, S. 7f., hier S. 7.
119
nur wenige Minuten dauernden Arbeitsresultate technisch und ästhetisch weit von den Hervorbringungen der benachbarten Hollywood-Movie-Maschinerie entfernt. Einige bildsprachliche Einfälle Maya Derens muten sogar geradezu hanebüchen an – etwa wenn eine in drei Abschnitten gefilmte Stiege den Eindruck einer schier endlosen Treppe hervorrufen soll10. Gleichwohl gilt die Urheberin dieser Zelluloid-Streifen bis heute als eine ernst zunehmende Pionierin des Avantgarde- bzw. Experimentalfilms. Tatsächlich schien sie – als eine von wenigen Mutigen – das Wesen des Films erkannt zu haben, wie es bereits in der zeitgenössischen Medientheorie, etwa von dem deutsch-amerikanischen Kunsthistoriker Erwin Panofsky, formuliert worden war: Panofsky sah die spezifischen Möglichkeiten des Films darin, den Raum zu dynamisieren und die Zeit zu verräumlichen, also weitaus mehr zu sein, als abgefilmtes Theater oder die Übertragung literarischer Vorlagen in eine Folge bewegter Bilder. Der Kunsthistoriker hatte sich zuvor einen Namen gemacht, als er die (Zentral-)Perspektive in ihrer symbolischen Bedeutung untersuchte. Dabei hatte er zunächst (1927) noch nicht darauf geachtet, dass auch die kinematographische Projektion des Filmbildes den ursprünglich malerischen Gesetzmäßigkeiten der Perspektive folgt, und dass die Projektion nicht nur in räumlicher, sondern auch in zeitlicher Hinsicht wirksam ist. Tatsächlich lässt die italienische Bezeichnung prospettiva keinen Zweifel daran, dass es sich in der Voraussicht (auch) um ein zeitliches Phänomen handelt. Dem bildnerischen Vermögen, Räumlichkeit durch eine Präparierung von Vorder- und Hintergrund herzustellen, entsprechen Erzähltechniken, die aus der Schilderung des Gegenwärtigen das Künftige ahnen oder erwarten lassen. Dies galt einige Jahrhunderte lang auch für bildgebende Verfahren; zwar war es bis zur Wiederentdeckung der Zentralperspektive zu Beginn des Quattrocento in Malerei und Relief gebräuchlich, sukzessive Handlungsschritte simultan im selben Bildträger darzustellen (etwa wenn ein- und dieselbe Altartafel Kreuzigung, Grablegung und Himmelfahrt Christi vereint). Seit der Renaissance und ihrer symbolischen Aufladung der räumlichen und zeitlichen Perspektive als Vergegenständlichung der Heilserwartung wäre jedoch kaum noch ein Künstler auf den Gedanken verfallen, das Nacheinander im Gleichzeitigen zu verbildlichen. Maya Deren unternahm in jedem ihrer Filme (Meshes of the Afternoon, At Land, Study in Choreography for Camera, Ritual in Transfigured Time) den Versuch, räumliche und zeitliche Kontinuen zugunsten spiraliger oder verschachtelter Strukturen aufzubrechen. So erwies sie sich als Lolas ideelle Ahnfrau, die zwar nicht um Geld und Leben, aber durch Raum und Zeit rennt. Nach Hercher und Holl gelang es ihr, den Übergang vom Bewegungsbild zum Zeitbild zu realisieren, wie Gilles Deleuze ihn in seiner Kinotheorie markiert.11 Allerdings enthalten auch Derens Etüden Reste von Handlungen bzw. durchgängige Motive, sie sind also im wörtlichen Sinne motiviert: das Lau-
2.1.3 Anna Zika: Maya rennt
fen der Protagonistin in Meshes... und At Land aktualisiert den Mythos einer Odyssee. Verschiedene Stadien einer Orientierung in Raum und Zeit werden durch die personale Einheit der omnipräsenten »Heldin« zusammengehalten. Hier ergeben sich Entsprechungen zu den Genres der Reiseerzählung oder der Traumreise. Diese Formen stellen nun aber Schnittmengen zwischen linearen und non-linearen Verfahren par excellence dar: denn selbst wenn die einzelnen Erlebnisse noch so unverbunden und ihre Reihenfolge noch so beliebig scheinen, transportiert bereits das Motiv des Unterwegs seins die Vorstellung einer progressiven, also fortlaufenden und auf ein »Ziel« gerichteten Kontinuität. Die eigenen Grammatiken des Traumes hatte vor allem der Surrealismus zu erforschen versucht, dessen Bildtechniken Maya Deren durchaus beerbte. »Mit Meshes of the Afternoon beginnt in Derens Filmen die Evolution eines Kinomenschen, für den der Durchgang durch technische Prozesse und Bilder eine mögliche Intensivierung seiner Relationen zur Welt bedeutet.«12 Eine hierfür paradigmatische Szene wurde z.B. in der »Verdreifachung« der Protagonistin aus Meshes gesehen – die intensivierte Persönlichkeit einer Frau artikuliert sich durch Derens Simultanpräsenz in Drillingsgestalt; Lola wird später ihre Relationen zur Welt im dreifachen – allerdings sukzessiven – Lauf durch dasselbe Ereignis erleben.
12 Holl 2002, S. 94.
13 Vgl. z.B. Marille Hahne, Experimentalfilm in den USA – ein geschichtlicher Überblick. In. Petzke 1989, S. 63-78, hier S. 66.
14 Holl 2002, S. 91.
15 Aus dem Programmtext, ca. 1945, zit. Nach Legend 1988, s. 193 (Ü.d.A.).
120
In ihrem zweiten Film At Land (1944), den sie in Zusammenarbeit mit Alexander Hamid und Hella Hamon drehte, verknüpft Maya Deren als wandernde Protagonistin die beiden Bezugsgrößen Raum und Zeit; die Einheit ihrer (Lauf-)Bewegung hält die Folge von Szenen, die die Heldin in stets wechselnden Umgebungen und mit variierenden Wegbegleitern auftreten lässt, zusammen. Zwar rühmt die Filmtheorie Derens Verfahren, im Schnitt an der Bewegung eine »vertikale Montage« entstehen zu lassen, wodurch Zeit und Raum »überwunden« würden13. Tatsächlich hebt At Land die Illusion einer zeitlichen Linearität aber gerade nicht auf, denn selbst in diskreten Räumen nimmt der Betrachter das Unterwegssein der »Heldin« als Ereignis in chronologischem Verlauf wahr. Die Künstlichkeit dieser Chronologie wird durch die Identitätswechsel der Rollenpartner überdeutlich. Zu Beginn des Films liegt die Frauenfigur scheinbar bewusstlos an einem Strand; dass das Brechen der Wellen rückwärts eingeschnitten ist, lässt jedoch weniger eine »Schizoisierung der Zeit«14 empfinden, sondern wirkt eher wie eine traumhafte (oder besser: traumahafte) Rückblende der Erschöpften. Derens erklärte Absicht bestand darin, »jegliche literarisch-dramatische Linie und buchstäbliche symbolische Bedeutungen auszuschalten und stattdessen eine rein kinematographische Kohärenz und Integrität zu erzeugen.«15 Ganz ähnlich hatte es zwar der Dichter Howard Moss in seiner Besprechung von Derens Frühwerken verstanden: Im Falle von At Land sei »der Betrachter gezwungen, sich eher auf die visuelle Einheit als
Orientierungsbeiträge / Erzählung
auf die dramatische Struktur zu beziehen.«16 Er rügte jedoch »das Fehlen der Entwicklung eines Charakters« und daß die Ereignisse »auf nichts«17 hinaus liefen, vermisste also Lösung und Bilanz. Folgerichtig beurteilte er, wie viele seiner Zeitgenossen, Meshes... ausgerechnet aufgrund seiner »dramatischen« Qualitäten als ihren besten Film.
16 Howard Moss (1945), zit. ebd., S. 381 (Ü.d.A.). 17 Interview mit Howard Moss, 19.2.1977, zit. ebd., S. 195.
18 Ute Holl, Die Bewegung der Seelen als Tänzer. In: Deren 1995, S. 101 ff., hier S.112f. 19 vgl. hier Beat Suter.
20 Maya Deren, Choreography for Camera. In Dance Magazine, October 1945, zit. nach Legend 1988, S. 265. (Ü.d.A.)
21 Maya Deren, Cinema as an Art Form, New Directions, No 9. Herbst 1946, S. 110ff, zit. ebd., S. 319f. (Ü.d.A.)
22 vgl. hierzu auch Werner Biedermann: Historische Definitonen. Oder Jedes Wort ist ein Vorurteil. In: Petzke 1989, S. 19-30, hier S. 20.
23 Maya Deren, Film als Kunstform. (Erstveröffentlicht 1946 in New Directions Nr. 9 /Spring), In: Deren 1995, S. 41.
121
Die zirkulären Motoriken in der weitgehend fragmentarischen Study in Choreography for Camera (getanzt von Talley Beatty) scheinen noch am ehesten geeignet, einen »kinematographischen Raum«18 zu eröffnen. Hier entstehen zwar, ähnlich wie in Computerspielen, »Räume, in denen zeitlich Ereignisse ablaufen können, Räume, die voll sind von narrativen Möglichkeiten«19. Dennoch lässt die Einheit des kontinuierlichen Bewegungsflusses – ähnlich wie in At Land – eine zeitliche Linearität entstehen; ein interaktives UmOrdnen der einzelnen Einstellungen würde sich als störend erweisen. Maya Deren fasste selbst ihr filmkünstlerisches Anliegen in mehreren Texten und etlichen Vorträgen zusammen: »Als ich vor einigen Jahren damit begann, Filme zu machen, ging es mir im allgemeinen darum, die Kamera von den dem Theater verpflichteten Traditionen zu emanzipieren, vor allem hinsichtlich einer Behandlung des Raumes.«20 »Hinsichtlich der Zeit hat die Chronologie von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft immer mehr ihre Bedeutung verloren, insofern wir zu einem Verständnis von Kontinuität der Vergangenheit in die Zukunft hinein gelangt sind – d.h., dass wir, aufgrund der aktuellen Beschleunigung historischer Prozesse, den gegenwärtigen Moment eher als eine Verlängerung der Vergangenheit in die Zukunft denn als eine unabhängige zeitliche Periode behandeln. … Unter Manipulation von Zeit und Raum verstehe ich nicht solche etablierten Film-Techniken wie Rückblenden, Zeitraffer oder parallele Handlungen.«21 Letztlich scheiterte die Pionierin des Avantgarde-Films an ihrem eigenen Anspruch, sich von narrativen Traditionen vollständig zu lösen, auch wenn sie selbst Filme wie At Land eher einem »assoziativen« als einem linearen Denken verpflichtet sah. Tatsächlich bleiben Interpreten des Werkes von Maya Deren bis heute vor das Problem gestellt, diese Filme zunächst beschreiben, d.h. aber erzählen zu wollen – ein allzu menschliches Bedürfnis, das das Sprechen über experimentellen, zumal nicht-linearen Film allgemein sehr schwierig macht.22 »Dass sich eine filmische Sprache bisher nicht entwickelt hat, liegt entschieden daran, dass unser Zeitalter sich so ausdrücklich dem Alphabet verschrieben hat. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, in der linearen Logik einer literarischen Erzählung zu denken, dass dieses narrative Muster inzwischen auch den filmischen Ausdruck vollständig dominiert, obgleich dieser grundsätzlich eine visuelle Form ist.«23 Maya Deren kommt mit ihrem Hinweis auf die Alphabet-Fixiertheit unseres Sprechens und Denkens der »These der Linearität der Schrift« auf
2.1.3 Anna Zika: Maya rennt
die Spur, wie sie McLuhan, Flusser, Bolz, Landow und andere Medientheo retiker24 später erörtern werden. Flusser etwa sah im Schreiben den »Ausdruck eines eindimensionalen Denkens und daher auch eines eindimensionalen Fühlens, Wollens, Wertens und Handelns«25, da man sich für jeweils ein (Zeichen)-Element entscheiden und folglich alle anderen unterdrücken müsse. Philosophen wie John Locke hatten darin eine Entsprechung zur Beschränktheit des Geistes gesehen, der nicht fähig sei, »mehrere Ideen gleichzeitig vor Augen zu haben«. Tatsächlich sind nicht erst das Denken, sondern bereits die Sinne »konservativ« und träge. Das bedeutet, »unsere Wahrnehmung im Kino will das, was sie sieht, den gewöhnlichen Erfahrungen von Zeit und Raum angleichen und begibt sich damit in paradoxe Kausalitätsschleifen: Wenn dieselbe Handlung zweimal gezeigt ist, dann wird es sich um eine Erinnerung der Protagonistin (hier Maya Deren) handeln. Handelt es sich aber … um eine zweite, gleiche Handlung, so muss es etwas Fremdes geben, das die Protagonistin täuscht.«26 Bestenfalls wird »die ständige Nachträglichkeit, mit der das Bewusstsein die Wege der Wahrnehmung als Irrwege erkennt, zu einer Irritation der Wahrnehmung und des Bewusstseins selbst.«27
24 Winkler
25 vgl. ebd.
26 Holl 2002, S. 90 27 ebd.
2.1.3.2 Abschied von der Linearität?
28 Vgl. hier im Kapitel, »Der Traum vom interaktiven Kino ist geplatzt«, Daniel Kothenschulte
122
Die neuere Mediengeschichte brachte nicht nur Versuche hervor, räumliche und temporale Linearität zu überwinden; der Betrachter/Nutzer sollte gar interaktiv an der Entwicklung eines Wahrnehmungsangebots beteiligt werden. Entsprechende künstlerische Experimente blieben häufig auf der Ebene technischer Spielerei stecken, wovon man sich bei einem Besuch des ZKM Karlsruhe leicht überzeugen kann. Wiederholte – wenn auch sehr vereinzelte – Versuche der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, den Zuschauer durch Abstimmungen per Telefon oder Senderwahl am Handlungsverlauf zu beteiligen, führten zu keinen neuen Ausstrahlungsformaten; oder, um es mit Daniel Kothenschulte auf den Punkt zu bringen, »der Traum vom interaktiven Kino ist geplatzt«28. Vorläufig jedenfalls. Dies liegt weniger an der Phantasielosigkeit von Autoren und Bildgebern als vielmehr an der anthropologischen Konstanz unseres Weltbildapparates, der Kognition seit etlichen Jahrhunderten auf die immer noch gleiche Weise funktionieren lässt. Die technischen Möglichkeiten, visuelle Reize zu produzieren, haben sich zweifellos geändert; aber die Interpretation der sinnlichen Eindrücke und die Konstruktion einer »Realität« folgt neuronalen Prozessen, die von der Gehirnsubstanz vorgegeben und in kulturellen Konventio nen trainiert sind. Heinz Emigholz, Filmkünstler und Autor, sieht in der interaktiven Narration schlichtweg einen »Widerspruch in sich selbst«, denn selbst wenn interaktive Prozesse zur künstlerischen Gestaltung eines Produktes geführt hätten und die Nutzung interaktive Prozesse wiederum auslöste, sei der
Orientierungsbeiträge / Erzählung
29 Emigholz 2002.
30 vgl. Erwin Straus, Vom Sinn der Sinne, ein Beitrag zur Grundlegung der Psychologie, 2. Aufl. Berlin 1956, S. 158, zit. nach Kersting 1989, S. 224.
31 Emigholz 2002.
32 ebd.
123
Konsum ein einseitiger, linear ausgerichteter Vorgang, der »direkt durch Dramaturgie, Berechnung, Befehl und Entscheidung und indirekt durch Wirkungen wie Spannung, Langeweile und Bewertung ausgelöst wird.«29 Hierin stimmt er nicht nur mit den klassischen Poetiken bis zu Gustav Freytag (s.o.) überein, sondern auch noch mit den frühen Kritiken an den Filmen Maya Derens (s.o.) und den Theorien Erwin Straus’, der in den Beziehungen zwischen Zeichen und Bezeichnetem Rangordnung und Wertfolge ausfindig machte30. Die Begriffe Ordnung und Folge machen indessen deutlich, dass der Erkenntnis stiftende Weltbildapparat hierarchisch strukturiert ist; Formen und Prozesse des Erfassens und Denkens verlaufen ableitend und aufsteigend in Systemen und Subsystemen; verschiedenste Kulturen haben jeweils versucht, diese Kognitionsverfahren durch Erzähl- und Mnemotechniken zu spiegeln oder gar abzubilden. Vielerorts und zu unterschiedlichen Zeiten wurden sie in Schöpfungsmythen und Theologemen implementiert: die jüdisch-christliche Gottesvorstellung sieht den Creator Mundi als großen Ordner, der planvoll und zielgerichtet vorgeht. Diesem Bild glichen seit dem Spät-Mittelalter bildende Künstler und Gestalter ihre Arbeitsweisen an; und so wirkten die abendländischen Denk- und Narrationsmuster über viele Generationen hinweg auf die Kognitionsmaschinerie zurück. Zahlreiche Experimente haben bestätigt, dass im Gehirn neue Eindrücke und Reize jeweils durch Assoziationen mit Vergangenem und Erinnertem, also mit Bekanntem abgeglichen werden. »Narrative Produkte wurden zum Speicher für kollektive Erfahrungen und Wissen«31; vor allem aber halfen sie durch die idealische Denkform der Linearität die Komplexität der tatsächlichen Welt zu reduzieren und mit ihr in erlern- und tradierbaren Regelwerken umgehen zu können. »Dieses Ideal teilen sich viele traditionelle Medien mit den neuen technischen Bildmedien.«32 Allerdings wurde inzwischen wiederholt eine Zunahme der Komplexität von Weltbeständen diskutiert und die Funktionalität linearer Denkformen und Abbildungsmuster bezweifelt. Das Gestaltschema des »Netzes« und die Vorsilbe »hyper«- avancierten zu den verbalen Hoffnungsträgern vieler Medien- und Kommunikationswissenschaftler; sie sehen in Verknüpfungen und eingebetteten Querverweisen eine Voraussetzung, die Beschränkungen linearer Notationen aufzuheben und eine neue Signifikantenanordnung zu errichten. Mit dem World Wide Web scheint gegenwärtig ein System zu entstehen, das durch die Verlinkung von Texten, Daten, Bildern »gleichrangige« Verweisungsmöglichkeiten eröffnet. Nicht von ungefähr jedoch gesteht die Metapher des »Surfens« ein, dass der wetterwendische Meister Zufall bei solchen Bewegungen im Netz das Zepter führt. Oft genug erleben User das Gefühl, sich im Kreise zu drehen oder im Hypertext-Dickicht der Querverweise den Faden zu verlieren. Derartige Klagen entstammen natürlich einer Wahrnehmungsund Kognitionspraxis, die resultat- bzw. produktbezogen argumentiert.
2.1.3 Anna Zika: Maya rennt
33 Winkler.
34 vgl. Kersting 1989, S. 199. 35 Für weitere Informationen über Maja Deren kann auf den Film In the Mirror of Maya Deren von Martina Kudlácek (mayaderenproject@verizon. net) aus dem Jahr 2001 verwiesen werden (http://www. zeitgeistfilms.com/film. php?directoryname=inth emirrorofmayaderen&m ode=synopsis). Es ist ein filmisches Porträt über die Filmemacherin. Ansonsten gibt es noch eine Sammlung ihrer Filme auf DVD, »Maya Deren: Experimental Films (1943-59)«, allerdings nur im amerikanischen Versand (z.B. http://www.buyindies.com/ listings/1/0/FCTS-1042.html) oder weitere Informationen im »Maya Deren Forum« im Internet: http://www.algonet. se/~mjsull bzw. http:// www.mayaderen.org
124
Zwar sehen die Anhänger von Hypertext-Theorien (folglich die Gegner linearen Notierens und/oder Erzählens) eine vermeintliche Entsprechung zwischen nicht mehr hierarchisch organisierten Erkenntniszuwächsen und der Struktur des menschlichen Denkens; allerdings weiß Hartmut Winkler: »Der Kopf des Einzelnen ist der privilegierte Ort, an dem die differenten Botschaften sich wieder zusammenfinden müssen, und dieser Kopf gerät mit der Aufgabe der Synthese schnell an die Grenzen seiner Belastbarkeit«33; er spricht gar von einer »Hypertrophie des Gedächtnisses«. Bisher erschien die Vorstellung in der Tat abschreckend, kaum noch organisierbaren, weil gleichrangigen »Informationen« ausgesetzt zu sein. Eine chronische Ununterscheidbarkeit von Vergangenem und Gegenwärtigem steht zu befürchten; das Gehirn würde schlimmstenfalls zu einem Mülleimer, der nie geleert wird. Soweit das pessimistische Bild. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass für derartige Datenvolumina neue Zugriffs- und Koordinationstechniken entwickelt und gelernt werden könnten. Von »lernen« zu sprechen, ist umso mehr angebracht, als sich die Funktionsweise des physiologischen Substrats »Gehirn« kurzfristig nicht ändern wird. Solches Training bedarf geeigneter Vermittlungsformen, fragt also nach Medien, die hinsichtlich ihrer Rezeption und Anwendung tatsächlich »neu« wären (während die bisher so genannten »Neuen Medien« an den herkömmlichen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmustern nichts wirklich geändert haben). Dass sich die Nutzer bereits auf dem Weg dorthin befinden, erweist – um noch einmal auf den Beispielbereich des »Films« zurückzukommen – ein verstärktes Interesse an medien-, d.h. selbstreflexiven Angeboten. Immer mehr (und immer zugänglichere) Filme thematisierten etwa ihre eigenen Produktionsbedingungen (z.B. Publikumserfolge wie Adaptation (USA 2002, Regie: Spike Jonze) oder Full Frontal (USA, 2002, Regie: Steven Soderbergh)) und stellen den Betrachter vor die Aufgabe, Erzähl- und Reali tätsebenen selbstständig zuordnen zu müssen. (Auf die Einbettung solcher Spekulationen in eine linear erzählte Rahmenhandlung können freilich auch sie nicht verzichten). Das auf vielen Spielfilm-DVDs erhältliche Bonusmaterial (Making Of, Produktionsnotizen, alternative Enden, herausgeschnittene Szenen) erfreut sich inzwischen häufig der gleichen Aufmerksamkeit wie der Hauptfilm selbst. Zuschauer schicken sich an, mit Hilfe des zur Verfügung gestellten Materials ihre eigenen Filmproduzenten zu werden (eine Entwicklung, die schon 1989 Rudolf Kersting voraussah34. So würde sich denn auch aktualisieren lassen, was der Avantgardefilmer Werner Nekes in den 1970er Jahren erörterte: mit der Einheit kine bemaß er die Differenz zwischen zwei Einzelbildern auf dem Zelluloidstreifen. Film passiert zwischen den Bildern. Außerhalb der Linie. Auch auf DVD35.
Orientierungsbeiträge / Erzählung
Literatur
Deren 1995: Maya Deren, Choreographie für eine Kamera – Schriften zum Film. Hamburg 1995 (hg. von Jutta Hercher, Ute Holl u.a.) Emigholz 2002: Heinz Emigholz, Interaktive Narration. Ein Widerspruch in sich selbst? (2002) = http://korsakow.mediamatic.net/cwolk/view/16419. Der Text basiert auf der Mitschrift einer Vorlesung, die Heinz Emigholz am 6. Februar 2002 in der Reihe Ist der Betracher noch im Bild? – Bild arbeit und Kommunikationskitsch an der Universität der Künste Berlin gehalten hat. Erschienen in: Heinz Emigholz, Das Schwarze Schamquadrat, Berlin 2002. Holl 2002: Ute Holl, Kino, Trance & Kybernetik. Berlin 2002. Kersting 1989: Rudolf Kersting, Wie die Sinne auf Montage gehen: zur ästhetischen Theorie des Kinos/Films. Basel 1989. Legend 1988: VèVè A. Clark/Millicent Hodson/Catrina Neiman (ed.): The Legend of Maya Deren. Vol I, Part Two, New York 1988 Petzke 1989: Ingo Petzke, Das Experimentalfilm-Handbuch. Frankfurt/M. 1989. Winkler: Hartmut Winkler, Medientheorie der Computer = www.information-philosophie.de/philosophie/medientheoriewinkler.html
Die Autorin
125
Anna Zika, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Neueren Deutschen Literaturgeschichte. Promotion Uni Wuppertal 2001, seit 2001 Professorin für Theorie der Gestaltung an der FH Bielefeld. Publi-
2.1.3 Anna Zika: Maya rennt
kationen zur Kunst- und Kulturgeschichte (u.a. Geist und Gefühl. Weimar 1998, Ist alles eitel? Modejournale zwischen Aufklärung und Zerstreuung, Weimar 2006).
2.1.4 Film als Text lesbar machen Prof. Dr. phil. Winfried Pauleit Riddles of the Sphinx Die Arbeit von Laura Mulvey und Peter Wollen zwischen Counter-Strategie und Dekonstruktion »The first blow against the monolithic accumulation of traditional film conventions (already undertaken by radical filmmakers) is to free the look of the camera into its materiality in time and space and the look of the audience into dialectics, passionate detachment.« (Mulvey, Visual Pleasure and Narrative Cinema, 1975/1986, 209) »But cinema, because it is a multiple system, could develop and elaborate the semiotic shifts that marked the origins of the avant-garde in a uniquely complex way, a dialectical montage within and between a complex of codes. At least, writing now as a film-maker, that is the fantasy I like to entertain.« (Wollen, The Two Avant-Gardes, 1975/1982, 104)
36 Die Schriften Peter Wollens sind in unterschiedlichen Formaten angelegt und changieren zwischen theoretischem Essay und Fiktion. Zusammen mit den Filmen bilden sie einen heterogenen Korpus ästhetischer Reflexionen, wie Wollen selbst unterstreicht (Wollen, 1982, xii). Mulveys Arbeit wurde demgegenüber fast ausschließlich als (feministische) Theorie rezipiert. Die Wahrnehmung ihrer Filmarbeit blieb immer im Schatten der Theorie. Mulvey wurde als eine der ersten scharfen Kritikerinnen jener Kino-Mythen gelesen, die das Patriarchat für sein Fortwirken benötigt. In diesem Sinne wurde ihre Schrift und ihr Name zu einem Markstein feministischer Filmtheorie, der gegenwärtig – und das ist frappant – ein ähnliches Schicksal wie die Sphinx erfährt: Er überlebt als Denkmal.
126
Es wäre eine Aufgabe für die Zukunft, gerade für den Film Riddles of the Sphinx – analog zu den Literaturpublikationen – eine historisch-kritische Ausgabe im DVD-Format zu edieren, die die Arbeit von Mulvey und Wollen im Kontext ihrer theoretischen Schriften zumindest für ein Studium zugänglich macht. Die Möglichkeiten dieses Formats könnten den Film eben auch als »Text« lesbar machen, als Lehrstück, um einen Brecht'schen Begriff zu verwenden oder auch als ein Stück »kinematografischer Ecriture«, um es in den Worten zu sagen, die den Allusionen von Rätsel und Dekonstruktion näher stehen. Eine solche Edition allein kann die Effekte der Leinwandpräsenz natürlich nicht gewährleisten. Hierzu bedarf es nach wie vor der Abspielhäuser, d.h. der Kinos und der kulturellen Gelegenheiten, die einen solchen Film noch einmal zum Ereignis werden lassen. Das Kino ist heute aber nicht mehr das Medium, mit dem Laura Mulvey und Peter Wollen ihre Hoffnungen noch verbinden konnten, und der Film Riddles of the Sphinx ist kein häufiger Gast der Leinwand, sondern er lagert schwer zugänglich in den Archiven. Neben den vielen Vorteilen, die Peter Wollen fürs Kino aufzählte, hat es in seiner Bindung ans Celluloid auch einen entscheidenden Nachteil, man kann seine Werke nicht einfach aufschlagen wie ein Buch. Die theoretischen Schriften von Laura Mulvey und Peter Wollen formulierten nicht nur elaborierte Analysen und Kritik im Hinblick auf Film und Kunst im engeren bzw. Politik und Kultur im weiteren Sinne. Sie waren darüber hinaus Teil einer »sozialen Bewegung« in England, die im Zeitkolorit der 70er
Orientierungsbeiträge / Erzählung
Jahre und unter dem Einfluss post-strukturalistischer Theorien aus Frankreich (Barthes, Derrida, Lacan) eine neue Textproduktion und Praxis anvisierten. Während sich jedoch in Frankreich der Begriff der Dekonstruktion durchsetzt für Strategien, die die klassische Unterscheidung zwischen Text und Kommentar zu unterlaufen suchen, halten Mulvey und Wollen am Begriff der »CounterStrategie« fest. Dieser Begriff steht sowohl den Konzepten der künstlerischen Avantgarde näher, als auch einem Politikverständnis, das die Unterscheidung von Theorie und Praxis nicht nur im Schreiben aufzuheben sucht, sondern bis in die Alltagskultur hinein gesellschaftliche Veränderungen anstrebt. Wie in den einführenden Zitaten zielen die Texte von Mulvey und Wollen aus den 70er Jahren immer auch auf utopische und revolutionäre Perspektiven. Mulvey betont die Geste eines Befreiungskampfs des Kinos. Wollen setzt auf die Kraft der Phantasie und gewinnt das Kino als Modell für eine neue Avantgarde und nicht zuletzt für seine eigene Schreibweise (als Kritiker). Beide schreiben mit an einem »Manifest« für ein anderes Kino, das seine Militanz aus einer radikalen Arbeit an den Symbolisierungsprozessen (des Kinos) zu gewinnen hofft. Ihre gemeinsame Arbeit an Filmprojekten (Penthesilea, Riddles of the Sphinx, AMY!, Cristal Gaze) lässt sich korrespondierend zu ihren Texten verstehen und als Versuch begreifen, die geschriebenen Postulate für ein anderes Kino in einer eigenen Filmarbeit einzulösen. Beispielhaft möchte ich diesem Zusammenwirken von Filmarbeit und Film theorie an dem Film Riddles of the Sphinx (Mulvey/Wollen, GB 1976/77) und Mulveys Text »Visual Pleasure und Narrative Cinema« (1975), sowie Wollens Texten »Godard and Counter Cinema: Vent d'est« (1972) und »The Two Avant-Gardes« (1975) nachgehen. Aus dieser Zusammenschau ergibt sich ein anderer Blick auf die Arbeit von Mulvey und Wollen, insbesondere aber auf jenen Markstein feministischer Filmtheorie, »Visual Pleasure and Narrative Cinema« von Laur Mulvey.36 Was sich in dieser nachträglichen Lektüre findet – und das ist die These dieses Aufsatzes – ist ein spezifischer Bezug zum klassischen Hollywood-Kino. Die Anwendung intertextueller Konzepte gerade auf dieses klassische Kino mündet weniger in einer Zerstörung seiner Codes, wie behauptet, als in einer eigentümlichen »Errettung« seiner spezifischen Wirkungsweise in einer Übertragung von Bild zu Bild.
2.1.4.1 Eine Re-Lektüre Freuds
Der Titel des Films, »Riddles of the Sphinx«, kündigt das Konzept von Mulvey und Wollen bereits als Counter-Strategie an: Hier ist nicht Ödipus der Held, sondern die Sphinx steht im Zentrum, deren Geschichte im Verlauf des Films weiter erläutert wird. Thema des Films ist darüber hinaus eine komplexe Analyse der patriarchalen Gesellschaft, die sowohl die griechischen Mythen als auch den Alltag der 70er Jahre umfasst. Mulvey und Wollen beziehen sich mit diesem Film auf die Schriften Freuds und insbesondere auf dessen Interpretation des Ödipus-Mythos, im Hinblick auf die Entwicklung
127
2.1.4 Winfried Pauleit: Film als Text lesbar machen
des Kindes im familiären Dreieck. Der Film Riddles of the Sphinx beschäftigt sich kontrastierend mit der Mutterschaft, d.h. er interessiert sich für die kulturellen Konnexe einer präödipalen oder dyadischen Beziehung zwischen Mutter und Kind. Diese kritische Position gegenüber Freud folgt im Grunde Überlegungen von Theoretikerinnen wie Luce Irigaray, die nicht nur Freuds Prävalenz des ödipalen Dreiecks monieren, sondern auch dessen Idealisierung der Mutter-Sohn-Beziehung in Frage stellen.37 Aber dort wo Irigaray den Ödipus-Mythos komplett verwirft, weil er offenbar nur die Mutter-SohnBeziehung zwischen Jokaste und Ödipus anbietet,38 da entdecken Mulvey und Wollen die Figur der Sphinx als »die vergessene [weibliche] Figur in einem ansonsten wohlbekannten Mythos« (Mulvey/Wollen 1977). So entwickeln Mulvey und Wollen das Thema ihres Films zum einen aus einer Re-Lektüre des Mythos. Gegen die patriarchale Filiation, die sich bei Freud im Ödipuskomplex formuliert, setzen sie als Counter-Strategie das Bild der Sphinx. Die Sphinx des griechischen Mythos wird als Überrest und verschüttete Spur einer älteren, matriarchalen Kultur gedeutet, die es neu zu entziffern gilt. Zum anderen überlagern Mulvey/Wollen das Rätsel der Sphinx aus dem griechischen Mythos (welches bei Freud nicht weiter thematisiert wird) mit Freuds Ausführungen zur Weiblichkeit. Diese wurde von Freud explizit als »das Rätsel« eingeführt.39 Erst in dieser intertextuellen Überlagerung des griechischen Mythos mit Freuds Schrift »Die Weiblichkeit« entsteht der Ausgangspunkt für den pluralisch formulierten Titel des Films: »Riddles of the Sphinx«. Auch wenn der Film selbst keineswegs eine Freud-Lektüre unternimmt, sondern seinen Schwerpunkt auf eine zeitgenössische Frau und ihr konkretes Alltagsleben legt, so leuchtet im Titel dennoch so etwas wie eine »Rückkehr zu Freud« auf, die das als CounterStrategie vorgetragene Filmprojekt in eine bisher wenig beachtete Nähe zu intertextuellen und dekonstruktiven Strategien rückt.
37 Vgl. Whitford, 1992a. 38 Vgl. Whitford, 1992b.
39 Freud, 1933/1969.
2.1.4.2 Die Nähe zur Dekonstruktion
Theoretisch stellt Wollen diese Nähe zur Dekonstruktion einige Jahre zuvor in Bezug auf das Kino Godards wie folgt her: »The text/film can only be understood as an arena, a meeting-place in which different discourses encounter each other … [These] can be seen more as … palimpsests, multiple niederschriften (Freud's word) in which meaning can no longer be said to express the intention of the author or to be a representation of the world, but must like the discourse of the unconscious be understood by a different kind of decipherment« (Wollen, 1972/1982, 87). In diesem Aufsatz würdigt Wollen Godard als den zeitgenössischen Filmemacher der Avantgarde. Er charakterisiert seine Strategie als »Counter cinema«, indem er dessen intertextuelle Struktur und dessen Schriftlichkeit als Palimpsest hervorhebt. Gleichzeitig deutet er – ganz nebenbei – auf eine radikale Verschiebung innerhalb des Textparadigmas: vom Autor/Regisseur zum Leser/Zuschauer. Diese Wende
41 Die deutsche Übersetzung dieses Textes von Karola Gramann unterschlägt an dieser Stelle »die Vagina«, die aber in der Aufzählung der Aspekte die counter-strategy zum Phallus einmal mehr illustriert und das Verhältnis von Feminismus und Psychoanalyse zwischen Dekonstruktion und Alternative spiegelt.
im Textverständnis korrespondiert mit den poststrukturalistischen Texttheorien von Barthes und Derrida. Als konzeptuellen Bezugspunkt nennt Wollen aber Freuds Psychoanalyse. Gleichzeitig ahmt er Godards Diskurstechnik nach, indem er den Begriff »niederschriften« als Diskursfragment Freuds in seinen eigenen Text montiert, wobei er dieses Wörtchen gleich dreifach als einen anderen Diskurs herausragen lässt bzw. kenntlich macht: als original deutsches Wort im englischen Text, als Kursive und über die verweisende Klammer »(Freud's word)«, die sich ausdrücklich von den üblichen Formen der Zitation unterscheiden. Wollen demonstriert hier in geradezu didaktischer Art sein theoretisches Verständnis von einem anderen Kino als offenem, mehrstimmigem Diskurs. Der Text folgt dabei einer Liste von Elementen, die Wollen ironisch als die sieben Kardinaltugenden, bzw. als die sieben Todsünden des Kinos bezeichnet.40 Diese Elemente lassen sich anschließend in Riddles of the Sphinx wiederfinden. Auch Mulvey räumt gleich zu Beginn ihres Aufsatzes ein, dass Strategien für ein anderes Kino nicht aus dem Nichts entstehen: »There is no way in which we can produce an alternative out of the blue, but we can begin to make a break by examining patriarchy with the tools it provides, of which psychoanalysis is not the only but an important one. We are still separated by a great gap from important issues for the female unconscious which are scarcely relevant to phallocentric theory: the sexing of the female infant and her relationship to the symbolic, the sexually mature woman as nonmother, maternity outside the signification of the phallus, the vagina …« (Mulvey 1975/1986, 199).41 Auch bei Mulvey findet sich die Verbindung von CounterStrategie und Dekonstruktion zunächst in ihrem Bezug auf die Psychoanalyse. Mulveys Verschiebungsarbeit fächert dann die singuläre Weiblichkeit Freuds auf, in unterschiedliche Fragen. Das heißt, sie übernimmt Freuds Wort vom »Rätsel der Weiblichkeit« und leitet daraus eine unabgeschlossene Liste von Fragen ab, die schließlich im Filmtitel als »Riddles of the Sphinx« (Plural!) zusammengehalten werden.
2.1.4.3 Der Kinokomplex
Der Blick auf die theoretischen Überlegungen, die vor der Realisierung des Films entstanden, mag einen ersten Eindruck geben, was Mulvey und Wollen sich mit Riddles of the Sphinx vorgenommen hatten. Ihr Projekt will nicht nur »einfach« einen Film drehen, sondern gleichzeitig auch das »CounterCinema« thematisieren. Damit ist der konzeptuelle Ansatz bereits auf der Ebene eines »Metafilms« angelegt. Allerdings fokussieren Mulvey und Wollen nicht allein die Traditionen des Avantgarde-Films (das wäre ein Widerspruch in sich!). Ihnen schwebt vielmehr eine Fortschreibung, d.h. eine »Befreiung des Kinos« insgesamt vor, die auch das Zurücklassen der Unterscheidung von »orthodox cinema« (Hollywood) und »counter-cinema« der Avantgarden (Godard auf der einen Seite und die Coop-Bewegung auf der anderen) um-
129
2.1.4 Winfried Pauleit: Film als Text lesbar machen
42 In »The Two Avantgardes« unterscheidet Wollen zwei filmische Avantgarden, die Coop-Bewegung auf der einen Seite und Godard u.a. Filmemacher auf der anderen, und beschreibt ihre unterschiedliche historische Genese (Wollen 1975/1982).
43 Damit denkt Wollen ein Projekt voraus, welches Godard später als Histoires de Cinéma im Videoformat realisieren wird.
44 Vgl. Stanton, 1992 und Laplanche/Pontalis, 1973.
fasst und einen neuen, anderen Begriff vom Kino zu gewinnen sucht, der über Godard/Coop und Hollywood hinausgeht.42 Mulvey schreibt: »The alternative is the thrill that comes from leaving the past behind without rejecting it … in order to conceive a new language of desire« (Mulvey 1975/1986, 200). Wollen präzisiert, dass »das Kino« (das allgemeine Kino der Zukunft!) diese neue Sprache des Begehrens sein könnte: »the cinema offers more opportunities than any other art – the cross-fertilization … the reciprocal interlocking and input between painting, writing, music, theatre, could take place within the field of cinema itself. This is not a plea for a great harmony, a synesthetic gesamtkunstwerk in the Wagnerian sense. But cinema, … [as] a dialectical montage within and between a complex of codes« (Wollen 1975/1982, 104).43 Wollen schließt seinen Aufsatz mit einer Vorstellung vom Kino, die sich aus einem »complex of codes« zusammensetzt. Diese Formulierung verbindet ihn einmal mehr mit Freuds Überlegungen und Begriffen. Freud hatte (in Auseinandersetzung mit Jung) den allgemeinen Begriff »Vorstellungskomplex« (complex of ideas) aus dem Kontext der freien Assoziation für seine Idee des Ödipuskomplexes umgearbeitet, um die Gesamtheit von Liebes- und feindseligen Wünschen des Kindes gegenüber den Eltern zu beschreiben. Gleichzeitig reduziert er mit diesem Vorgehen die Vielschichtigkeit der Komplexe auf einen Kernkomplex, den Ödipuskomplex.44 Obwohl sich die Kulturkritik Wollens und Mulveys gerade gegen die Engführung auf einen Ödipuskomplex ausspricht, argumentiert Wollen dennoch ganz ähnlich wie Freud mit einer akzentuellen Verschiebung für einen »Kinokomplex«. In diesem Kinokomplex könnten sich dann nicht nur die unterschiedlichen, einander widerstreitenden Diskurse der Künste begegnen. Auch die unterschiedlichen Auffassungen des orthodoxen und der Avantgarde-Kinos wären gleichsam in diesem Komplex aufgehoben. Der Gegenbegriff zum Ödipuskomplex, den Wollen zusammen mit Mulvey entwickelt (Riddles of the Sphinx), bleibt dennoch offener als der an Freuds Terminologie angelehnte »Kinokomplex«. Dabei erscheint nicht nur im Übergang von Ödipus zu Sphinx eine Schwerpunktverlagerung im Sinne der Geschlechterdifferenz, sondern bedeutungsvoller noch die Verschiebung von Komplex zu Rätsel. Während der Komplex eher eine zusammenfassende einigende Kraft von Widerstreitendem entfaltet, führt die Bewegungsrichtung der Rätsel (etymologisch: lesen, Runen deuten) – nicht der Lösungen! – eher in die Verzweigung und Verstreuung, d.h. ins Heterogene und Vermischte. Gerade diese Richtungsänderung unterstreicht einmal mehr die Nähe dieses Projekts zur Dekonstruktion, wie auch die Hervorhebung der Bedeutung der Zuschauerschaft als Leserschaft, die die feministische Filmtheorie vorangetrieben hat.
2.1.4.4 Der Film als Textfilm
Der Film beginnt mit einer Inhaltsübersicht, der die nummerierte Gliederung des Films in sieben Kapitelüberschriften in einem Bild zusammenfasst.
130
Orientierungsbeiträge / Erzählung
Die Zuschauer werden als Leser empfangen und eingeführt in die Ordnung eines Buches, so als wollte der Film selbst uns schriftlich mitteilen: Dies ist ein Textfilm! Dieser Ausgangspunkt ist im Grunde von Godard »übernommen«. Wollen hat diese Kapitelstruktur eines Films, die von der Literatur ausgeborgt ist, in seinem Aufsatz über Godard als erstes der sieben Elemente (eine der Todsünden des orthodoxen Kinos!) unter dem Stichwort »narrative intransitivity« diskutiert (Wollen, 1972/1982, 80f). Es diente Godard dazu, Unterbrechungen in die Erzählfolge einfügen zu können. Das erste Kapitel von Riddles of the Sphinx (Flicking pages) thematisiert und zeigt das Durchblättern von Seiten. Nicht nur die Einführung, sondern auch dieser erste Teil des Films konfrontiert uns (die Zuschauer) mit der Ordnung der Schrift. Dabei handelt es sich um den einzigen gänzlich stummen Teil des Films, als wollte dieser sich in seiner Lautlosigkeit einmal mehr dem Medium Schrift anverwandeln – oder behaupten, das Kino [colloq. engl.: flick = Kinofilm, at the flicks = im Kintopp] sei aus dem Durchblättern von Seiten [to flick pages] wie bei einem Daumenkino entstanden. Das Durchblättern der Seiten währt nur ein oder zwei Minuten, dann wird auf einer Seite angehalten, die eine Fotomontage von Greta Garbo als Sphinx zeigt. Damit schließt das erste Kapitel und macht die Grundform des KinoKonzepts von Mulvey und Wollen sichtbar. Zunächst werden die grundlegenden Elemente des Kinos als Bewegung (Durchblättern) und Stillstand (Standbild) paradigmatisch vorgeführt. Diesem Vorführen korrespondieren zwei unterschiedliche Rezeptionsweisen des Publikums: das flüchtige Zuschauen, das die Konstruktion sinnvoller Bildfolgen nach sich zieht, und das Betrachten, das der Kontemplation und dem langsamen Entziffern näher steht. Gleichzeitig erscheinen darin auch die Elemente, die Mulvey in ihrer Analyse des klassischen Hollywoodfilms hervorkehrt: zum einen die Narration, die sie der Raumtiefe und dem männlichen Helden zuordnet, und zum anderen die Kontemplation, die sie der Flächigkeit und dem weiblichen Star assoziiert. »Mainstream film neatly combined spectacle and narrative … The presence of woman is an indispensable element of spectacle in normal narrative film, yet her visual presence tends to work against the development of a story line, to freeze the flow of action in moments of erotic contemplation« (Mulvey, 1975/1986, 203). Diese Geschlechterdifferenz des »orthodoxen Kinos« (Wollen) gilt es herauszustellen und »in eine Dialektik zu treiben« (Mulvey). Das erste Kapitel von Riddles of the Sphinx dient als minimalis tische Version und Prototyp dieses kritischen Vorhabens.
2.1.4.5 Das Festhalten am weiblichen Star
Während die Geste des Blätterns als Topos des Avantgardefilms bekannt ist (Godard, aber auch Hollis Frampton, Heinz Emigholz u.a.), ist die statische Darstellung weiblicher Filmstars ein verbreitetes Motiv, nicht nur in der Pop Art der 60er Jahre. Das Bild der Garbo, mit dem Mulvey und Wollen
131
2.1.4 Winfried Pauleit: Film als Text lesbar machen
45 Kracauer schreibt über Greta Garbo folgendes: »Wäre die Garbo nur schön, so ließe sich daraus das Wunder ihrer Weltgeltung nicht erklären … Das eigentliche Geheimnis der Garbo besteht eben darin, daß sie einen Typus versinnlicht, der gar kein Typus ist, sondern gewissermaßen die Gattung selbst repräsentiert … sie ist die Frau als solche und nichts außerdem« (Kracauer, 1933/1974, 38f ). 46 Vgl. Sjölander/Hedlund, 1971, 70f. 47 Vgl. Wollen, 1975/1982.
48 Wollen, 1972/1982, 82.
49 Mulvey 1975/1986, 198 u. 208.
50 Zur weiblichen Filmrezeption und zum Ende des Starsystems vgl. Koch, 1988,132f. u. 143f.
132
auf den weiblichen Star des orthodoxen Kinos zurückschauen,45 gehörte zu den Einsendungen eines Wettbewerbs, den die MGM-Werbeabteilung veranstaltete unter dem Motto: »Beschreibe Garbo!«. Die Fotomontage liefert also bereits ein rezipiertes und kommentiertes Bild als Produkt der Kreativität eines Zuschauers oder Fans, das dann in verschiedenen Publikationen abgedruckt wurde.46 Am Vorspiel, welches Mulvey und Wollen mit Greta Garbo in Riddles of the Sphinx inszenieren, lassen sich die drei unterschiedlichen Kinotraditionen, so wie sie sich Wollen als Kinokomplex vorstellte, noch einmal rekapitulieren und schichtenweise abtragen. Die Fotomontage (erstens) fungiert darin als Äquivalent für die Mittel der künstlerischen Avantgarde (deren Fortsetzung Wollen in der Coop-Bewegung sieht).47 Das Zitieren eines Filmstars im Film (zweitens), das ja auch Wollen und Mulvey (indirekt) vornehmen, lässt sich mit Godards Counter-Strategien vergleichen, der in seinen (Avantgarde-)Filmen immer wieder mit echten Stars oder auch auftretenden Regisseuren gearbeitet hat; und das statische Bild des weiblichen Stars (drittens), welches die Basis dieser Schichtung bildet, gehört zum Repertoire des klassischen Hollywood-Kinos, sowohl innerhalb des Films, wie es Mulvey als »Gefrieren der Handlung« beschrieben hat, als auch außerhalb des Films zur flankierenden Werbefotografie. In dieser medialen Schichtung erscheint Greta Garbo mehrfach distanziert, gemäß dem zweiten Counter-Konzept »estrangement« von Godard/Wollen. Aber was ist genau der Sinn dieses Verfremdungseffekts, den Wollen mit Verweis auf die Arbeit Brechts für kaum noch kommentierenswert hält?48 Mulvey hat sich in ihrem Aufsatz ausführlich zur Bedeutung des weiblichen Stars im klassischen Hollywood-Kino geäußert und leidenschaftlich gefordert, dieses Kino herauszufordern und seine Codes zu zerstören.49 Es ist natürlich eine Binsenweisheit, dass sich Codes resp. Bilder nicht einfach zerstören lassen; die Analogie zur Bilderstürmerei verbunden mit dem gelegentlichen revolutionären Pathos in Mulveys Schriften wirft hier ein zusätzliches Licht auf die eingeschränkte Rezeption ihrer Arbeit. Am Umgang mit Greta Garbo im Film Riddles of the Sphinx lässt sich demgegenüber Mulveys Strategie des »passionate detachment«, welches nicht nur den Blick der Zuschauerschaft und der Kamera befreien sollte, als eine Arbeit an den kinematografischen Zeichen studieren. Zunächst kann man anmerken, dass am Bild des weiblichen Stars festgehalten wird. Mulveys anderes Kino verwirft also keineswegs das alte orthodoxe Kino, sondern nimmt es auf spezifische Weise in sich auf. Dies entspricht ihrer These des »leaving the past without rejecting it«. Dieses Festhalten am weiblichen Star ist in historischer Perspektive bemerkenswert, denn das Starsystem des »orthodoxen« Kinos existierte nur bis in die 60er Jahre hinein. Es deutet sich ferner an, daß Mulvey neben dem männlich konnotierten Blick, den ihre theoretische Schrift thematisiert, insbesondere in ihrer Filmarbeit – mit der Metapher der Sphinx – eine spezifisch weibliche Kinorezeption mitgedacht hat.50 Mulveys Kino verwendet also gerade jenes Moment der Kontemplation des weiblichen Stars als Zitat und
Orientierungsbeiträge / Erzählung
markiert es als einen Diskurs. Diesem werden andere Diskurse konfrontiert, die Sphinx, die den griechischen Mythos evoziert und Freuds Diskurs, der Weiblichkeit impliziert, aber auch das eigene Filmprojekt mit seinem Bezug zur Schriftlichkeit, welches gerade seinen Auftakt genommen hat. Soweit handelt es sich um eine Schichtung oder auch Gegenüberstellung von Diskursen.
2.1.4.6 Zwischen Regisseurin, Darstellerin und Zuschauerin
51 In Deux ou trois choses, que je sais d'elle (F 1967) beispielsweise führt Godard die Hauptdarstellerin mit seiner eigenen Stimme aus dem Off ein. Godard flüstert folgenden Text zu einer Einstellung, die Marina Vlady zeigt: »This is Marina Vlady. She is an actress. She is wearing a midnight-blue sweater with two yellow stripes. She is of Russian extraction. Her hair is …« (Text zitiert nach Guzzetti, 1981, 24). 52 Symbolisch und beispielhaft, weil nur Mulvey als Feministin diese Position besetzt, während Wollen – ebenfalls Regisseur des Films – wie ein Regisseur des orthodoxen Kinos unsichtbar und unhörbar bleibt.
133
Erst das zweite Kapitel unternimmt einen radikalen Sprung, dessen Charakter zumindest auf den ersten Blick eher der Counter-Strategie als der Dekonstruktion entspricht. In diesem Teil (Laura speaks) sehen wir Laura Mulvey an einem Tisch sitzen. Lesend erläutert sie das Konzept des Films, ihre Überlegungen zur Sphinx und adressiert dabei die Kamera. Hierbei handelt es sich im Prinzip um einen »Reverse shot« zur Einstellung aus dem ersten Kapitel, um jenen »Gegenschuss«, der eigentlich auf die Einstellung des weiblichen Stars (Garbo) folgen müsste. Dieser Gegenschuss ist nicht nur durch den Zwischentitel »2. Laura speaks« zeitlich verzögert, er ist auch grundsätzlich anderer Natur, weil er nicht mehr im Sinne einer einzelnen Diegese gelesen werden kann, sondern Verkettungen mit unterschiedlichen Diskursen erlaubt. Das Bild von Laura Mulvey fungiert in dieser Einstellung mindestens auf drei Ebenen: erstens als Regisseurin/Filmemacherin, zweitens als Theoretikerin/ Darstellerin und drittens als Zuschauerin/Kinogängerin. Betrachtet man sie zunächst als Regisseurin/Filmemacherin, so entwickelt sich die Assoziation zu einer Regisseurin eines Avantgarde-Films à la Godard (Laura speaks).51 Dieses Hör- und Sichtbarmachen des Regisseurs parodiert jenes Verhältnis von Regisseur und Star des orthodoxen Kinos, welches auf dem Set (behind the scenes) stattfindet und welches exemplarisch im Verhältnis von Sternberg/ Dietrich als Schöpfer und Geschöpf in der Filmliteratur kolportiert wird. Mit dem »Auftritt« Mulveys kommt es gegenüber Godards Counter-Strategien (mit denen dieser sich in seinen Filmen zu Wort meldet) allerdings zu einer weiteren Verschiebung. In Riddles of the Sphinx zeigt der Gegenschuss zum weiblichen Star weder den männlichen Helden, noch dessen Counter-Part, einen männlichen Regisseur. Vielmehr wird in diesem Film eine der zentralen Positionen – die Regisseurin – weiblich besetzt. Mit dieser Einstellung – sie lässt sich tatsächlich als ein revolutionärer Akt deuten – versucht der Film die patriarchale Genealogie der (Hollywood-)Kultur symbolisch oder beispielhaft umzukehren.52 Die zweite Anschlussmöglichkeit liest Mulvey als Theoretikerin/Darstellerin (Laura speaks, zweite Funktion). Diese Lektüre entziffert keinen Gegenschuss, sondern den Übergang von einer Darstellerin (Greta Garbo, die Schauspielerin) zu einer anderen (Laura Mulvey, die Theoretikerin). Jenes Moment der erotischen Kontemplation innerhalb des Diskurses des »ortho doxen« Kinos (hier das Gesicht der Garbo als Sphinx), wird von einem anderen Diskurs, der feministischen Filmtheorie (der sprechenden Theoreti-
2.1.4 Winfried Pauleit: Film als Text lesbar machen
53 Filmtext aus Riddles of the Sphinx, zitiert nach Kaplan, 1983, 175.
54 Koch fasst den »Konkretismus« der Filmbilder in Anlehnung an Kracauer als besondere Signifikation »vorsprachlicher Zeichen aus einer sprachlosen Welt«, die nicht »vergleichbar [ist] mit begrifflichen Abstraktionen« (Koch, 1988, 131).
55 Dies ist insofern interessant, als der Aspekt der weiblichen Zuschauerschaft in Mulveys theoretischer Schrift nur als Identifikation mit dem männlichen Blick ausgelegt wurde. Für eine Kritik dieser Position vgl. Koch, 1988.
134
kerin Mulvey) überlagert bzw. abgelöst. Der Übergang von der Fotomontage (montiertes Standbild gefilmt) zur folgenden Einstellung (Laura speaks) erfährt zudem eine zeitliche Dehnung, in der die Darstellerin »lebendig« wird. Die Theoretikerin Mulvey liest eine Art Manifest der Sphinx vor, und ihr Bild alterniert (analog zur Fotomontage) mit Bildern der griechischen und ägyptischen Sphinx: »The sphinx is outside the city gates, she challenges the culture of the city, with its order of kinship and its order of knowledge, a culture and a political system which assign women a subordinate place … We live in a society ruled by the father, in which the place of the mother is suppressed. Motherhood, and how to live it, or not to live it, lies at the roots of the dilemma. And meanwhile the Sphinx can only speak with a voice apart, a voice off … [which] represents, not the voice of truth, not an answering voice, but its opposite: a questioning voice, a voice asking a riddle«.53 Es sind nicht die Worte dieses Manifests, die fast 25 Jahre nach Fertigstellung des Films einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es ist vielmehr die lebendige Präsenz Laura Mulveys auf der Kinoleinwand des vollbesetzten Kinos Arsenal am 5. April 2001 (auf der Tagung »Eine andere Kunst – ein anderes Kino«), die sich mir eingeprägt hat. Diese lebendige Darstellung ist im reproduzierten Standbild des Films erloschen. Sie stellt sich aber bezeichnenderweise auch bei einer späteren Sichtung des Films am Schneidetisch nicht mehr ein. Warum löste die Präsenz dieser Theoretikerin auf der Kinoleinwand bei mir ein Gefühl aus, das mich anrührt, wo ich doch die »echten« weiblichen Stars in der Regel nur noch distanziert als geronnene Diskurse wahrnehme? Sicherlich liefert der »Konkretismus« des Kinos54 in Ton und Bild einige Elemente des Überschusses, für die ich besonders empfänglich bin, z.B. den »sound of britishness« ihrer verhaltenen Artikulation oder die Margeriten auf ihrer Bluse, die durch den rotstichigen Film eigenartig fern und auratisiert wirken. Möglicherweise ist es ihr/mir aber gelungen in ihrer Leinwandpräsenz einen Mythos und eine Schaulust zu »erretten«, die weniger an einen kinematografischen Code gebunden ist, sondern an körperliche Eindrücke, die von Generation zu Generation weitergereicht werden und dessen direkter Zugang über den Film mit der Historisierung des klassischen Hollywoodkinos unzugänglich wurde. Schließlich lässt sich auch noch die dritte Funktion als Zuschauerin/ Kinogängerin denken. Dabei handelt es sich wieder um einen Anschluss, der einen außergewöhnlichen Gegenschuss konstruiert. Vom weiblichen Star (auf der Leinwand) wechselt die Einstellung in den Zuschauerraum eines Kinos und setzt entgegen den Kinokonventionen die Phantasie von einer weiblichen, sprechenden Zuschauerin/Kinogängerin (Laura speaks, dritte Funktion) sicht- und hörbar ins Bild.55 Das andere Kino von Mulvey und Wollen adressiert im zweiten Kapitel folglich drei Aspekte der Geschlechterdifferenz, die Instanz der Regisseurin, die der Darstellerin und die der Zuschauerin. Alle drei Ebenen erscheinen
Orientierungsbeiträge / Erzählung
wiederum wie jenes »Palimpsest der multiplen Niederschriften«, das Wollen theoretisch eingeführt hat, welches in diesem Falle aber einer Vielstimmigkeit der Sphinx, d.h. einer weiblichen Genealogie zugeordnet wird. Der erwähnte Verfremdungseffekt, der am Bild der Garbo vorgenommen wird, zielt auf diese (dreifache) Umcodierung, deren neue Assoziationsketten aber im orthodoxen Kino wie auch im Mythos der Sphinx bereits »vorgeformt« oder zumindest denkbar waren. Diese Umcodierung zeichnet sich daher neben dem revolutionären Moment auch durch ein bewahrendes aus, wenn sich darin tatsächlich etwas von der Kontemplation des weiblichen Stars des klassischen Hollywood-Kinos in diese Filmproduktion der 70er Jahre und in ihre Aufführung im Jahr 2001 gerettet haben sollte.
2.1.4.7 Mythische und soziale Implikationen der Sphinx
56 Vgl. Barthes, 1970/1990, 54.
135
Das dritte Kapitel (»Stones«) zeigt Bilder der ägyptischen Sphinx. Die steinernen Figuren werden mit filmischen Mitteln bearbeitet, Wieder-Abfilmen in mehreren Generationen, Zooms, Zeitlupe, extreme Nahaufnahme. Die Einstellungen treiben die Körnigkeit des filmischen Materials hervor und entstellen den Stein der Skulpturen, aber auch das filmische Material seiner physischen Referenz mit einer Tendenz zum abstrakten Film der Avantgarde. Dennoch fokussieren diese Bilder auch in ihren aufgelöstesten Schatten immer wieder den stummen Mund der ägyptischen Sphinx, so als wollte diese filmische Meditation den Stein sprechen machen, oder – wie Roland Barthes in der Betrachtung eines Details eines Filmstandbildes (ebenfalls ein Mund, in diesem Fall der einer alten Frau) – einen anderen Signifikationsprozess jenseits von Sprache und fotografischer Wiedergabe aufrufen, der die Körperlichkeit direkt befragt.56 Kapitel eins bis drei sind Elemente einer komplexen Rahmenstruktur des Films. Erst das vierte Kapitel erzählt (und zeigt) die eigentliche »Geschichte«. Die Hauptfigur dieser Darstellung ist Louise, die eine zweijährige Tochter hat. Louise trennt sich von ihrem Mann Chris. Berichtet wird aus ihrem Alltagsleben, dem Berufsleben, ihrer Situation als alleinerziehender Mutter, ihrem Verhältnis zur ihrer Tochter Anna. Schließlich zieht Louise mit einer Freundin zusammen. Der Aufbau dieses Kapitels folgt einer strengen Struktur: Louises Geschichte wird in »Zwischentiteln« erzählt, d.h. die eigentliche Narration beschränkt sich auf einen Schrifttext, der in aufeinander folgenden Schrifttafeln gefasst ist. Zwischen die einzelnen Schrifttafeln werden 13 Kameraschwenks – 360°-Schwenks – eingefügt. Diese Einstellungen unterbrechen den Textfluss und zeigen Louises Leben an unterschiedlichen Orten: Küche, Schlafzimmer der Tochter, Eingangsbereich der Wohnung, Kindergarten, Arbeitsplatz Telefonvermittlung, Kantine, Verkehr, Einkaufszentrum, Spielplatz, Garten ihrer Mutter, (Präsentation der Künstlerin Mary Kelly im Schneideraum des Ex-Manns), Zimmer ihrer Freundin, Ägyptischer Saal des British Museum.
2.1.4 Winfried Pauleit: Film als Text lesbar machen
2.1.4.8 Die befreite Kamera
2.1.4.9 Rahmenstruktur und kinematografische Codes
Für den Hollywoodfilm hatte Mulvey eine geschickte Kombination von »narration« (Erzählung) und »spectacle« (Darstellung, Schauobjekt) herausgestellt (Mulvey, 1975/1986, 203). Die Struktur des vierten Kapitels von Riddles of the Sphinx liefert eine andere, gegenläufige Kombination dieser Elemente. Der übliche Handlungsfluss der Bilder wird auf einen Text reduziert. Dieser Text wird durch die eingeschnittenen Kameraschwenks zerstückelt. Die kontemplativen Momente des »orthodoxen« Kinos, die auf den weiblichen Star beschränkt waren, mutieren zur eigentlichen audio-visuellen Gestaltung einer streng formalen Kameraarbeit. Die reinen Darstellungen dieses Kamerablicks werden gegenüber der Narration aufgewertet. Dennoch sind die formalen Kameradrehungen so positioniert, dass es ihnen gleichzeitig gelingt, einige wesentliche Handlungselemente miteinzufangen. In der dritten Einstellung beispielsweise verabschiedet sich Chris (ihr Mann) von Louise. Während der Kameradrehung kann man ihn zunächst dabei beobachten, wie er ins obere Stockwerk des Hauses läuft, mit einigen Sachen wieder herunterkommt, dann in der Haustür steht, sich von Louise verbal verabschiedet, schließlich seine Sachen in den Kofferraum eines Autos legt und davonfährt, während Louise mit Anna auf dem Arm am Fenster steht. Die »befreite« Kamera in Riddles of the Sphinx wendet sich also nicht mehr isolierten erotischen Objekten zu (wie im Hollywoodfilm), deren Funktion der Narration untergeordnet ist. Sie stellt vielmehr die Darstellung der Frau, in diesem Fall einer alleinerziehenden Mutter, ins Zentrum ihrer Kameraarbeit. Die Schaulust wird sowohl im Hinblick auf die sozialen als auch auf die psychischen Räume einer vielschichtigen Person (Louise) ausgedehnt.
Kapitel fünf bis sieben führen wieder zurück in die Rahmenstruktur des Films. Sie korrespondieren mit den Kapiteln eins bis drei. Während aber die Kapitel eins, zwei und drei die kinematografischen Codes mit einem jeweiligen Schwerpunkt repräsentieren, das Hollywoodkino (eins), das Avantgarde-Kino von Godard u.a. (zwei) und die Avantgarde der CoopBewegung (drei), liefern die Kapitel fünf bis sieben z.T. schon Kommentare zu diesen historischen Kinoentwicklungssträngen. In Kapitel fünf wird formal noch einmal Bezug genommen auf filmtechnische Verfahren der Coop-Avantgarde wie »optical printing« – diesmal unter Einbeziehung der Farbe. Inhaltlich werden den steinernen Sphingen mit den Aufnahmen von Akrobatinnen der lebendige Ausdruck weiblicher Körper entgegengesetzt. Die Akrobatinnen verweisen hier gleichzeitig auf das Pro-Filmische und auf die Artikulation des Körpers jenseits der Sprache. Kapitel sechs zeigt noch einmal Laura Mulvey. Diesmal hört sie die Aufnahme ihrer eigenen Stimme mit einem Cassettenrecorder ab. Ton und Bild, die sich vormals (Kapitel 2) zu einer beeindruckenden Leinwandpräsenz
136
Orientierungsbeiträge / Erzählung
verbunden haben, begegnen sich jetzt verfremdet auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Das Magnetband stellt eine sekundäre Aufzeichnung mit Schwerpunkt auf der sprachlichen Codierung eines Textes dar, während der Filmstreifen sich gewissermaßen auf die primäre Aufzeichnung der körperlichen Präsenz beschränkt. Dass in dieses Bild ein Cassettenrecorder mit dem Prinzip der Magnetbandaufzeichnung eingeführt wurde, erlaubt über das Kinematografische hinaus zu denken. Denn der Cassettenrecorder symbolisiert bereits einen anderen Zugang zur Aufzeichnung als Film und Fotografie. Er nimmt die Videoaufzeichnung mit ihren fast unmittelbaren Möglichkeiten der Kontrolle des Bildes vorweg. Außerdem liefert die Programmstruktur des Recorders mit seinen Funktionen Play, Fast Forward, Rewind etc. einen anderen Zugang zur Aufzeichnung als der Kinofilm. Der Recorder steht dem Buch wesentlich näher, d.h. die Aufzeichnung wird tatsächlich wie ein Text der Lektüre zugänglich. Sie überträgt dem Kinozuschauer all jene Möglichkeiten, die sonst nur das Privileg des Studiums eines Films am Schneidetisch bietet. Kapitel sieben zeigt schließlich das Bild eines kleinen Puzzlespiels. Eine Quecksilberkugel muss durch ein Labyrinth von Gängen in das zentrale Feld des Spiels geführt werden. Dieses Spiel mag als Metapher des ganzen Films verstanden werden, der die Darstellung über die Narration stellt, und letztere nicht als seine treibende Essenz, sondern als labyrinthisches Vor- und Zurück um der Darstellung Willen interpretiert. Dieses Spiel symbolisiert gleichzeitig die Rätsel der Sphinx, die keine Wahrheit herausfordern, sondern Fragen stellen, also nicht gradlinig in eine Finalität münden (wie der Film seinem Ende zuläuft). Vielmehr handelt es sich wie beim Entziffern eines Textes um ein ständiges Neuansetzen, Neuversuchen, welches über den gradlinigen Lauf der Bilder hinausreicht.
2.1.4.10 Die Rätsel des Kinos (zwischen Intertextualität, Errettung und DVD-Format)
Die Sphinx ist in unserem heutigen Verständnis ein rätselhaftes, undurchschaubares Wesen. In der ägyptischen Bedeutung bezeichnet sie auch eine »lebende Statue«. Diese alte Bedeutung nimmt etwas vom »lebenden Bild« des Kinos vorweg, das seinen Flux-Charakter des Werdens aus statischen Bildern, der Apparatur des Kinematografen und der Teilhabe/Entzifferung der Zuschauer gewinnt. Insofern ließe sich der Filmtitel »Riddles of the Sphinx« auch in einem erweiterten Sinne als »Rätsel des Kinos« übersetzen. Diese Rätsel des Kinos hatte Peter Wollen zuvor auch als einen Kino-Komplex zu fassen versucht. In der Begegnung von unterschiedlichen Codes entsteht daraus eine kinematografische Schreibweise, die die Geste des Setzens und Ausstreichens im Widerstreit von Bildern und Codes in immer neue Verbindungen und weitere Verzweigungen treibt. Dass diese Praxis weiter reichen könnte als ein Counter-Cinema und damit auch mehr umfasst als eine Counter-Strategie, hatte Wollen selbst angedeutet. Beschreibt man die
137
2.1.4 Winfried Pauleit: Film als Text lesbar machen
57 So lautet der Untertitel von Kracauers Theorie des Films, Kracauer, 1964.
Der Autor
138
Arbeit von Laura Mulvey und Peter Wollen aus den 70er Jahren hingegen mit dem französischen Begriff der Dekonstruktion, so lenkt das den Blick vor allem auf ihre intertextuelle Arbeit am bzw. mit dem Kino. Unter dem Label Dekonstruktion lässt sich die Arbeit an den Codes aber nicht nur bündeln oder zusammenfassen, sie lässt sich vielmehr – auch heute noch – in neue Begegnungen treiben, die mehr als revolutionären Pathos und kinematografischen Befreiungskampf lesbar machen. Jenseits der Frage einer plakativ-begrifflichen Charakterisierung dieser Strategien lässt sich jedoch festhalten, dass Mulvey und Wollen offenbar an einer spezifisch kinematografischen Produktion von »Intertextualität« interessiert sind, die das Textparadigma in einigen Punkten übersteigt. Damit werfen sie nicht nur die Frage der Zitierbarkeit des Films auf, sondern auch die nach dem Wesen des Films/Kinos. Der Zitatcharakter (der unterschiedlichen Kinobezüge) in Riddles of the Sphinx zeigt oder liest sich nicht nur als »buchstäbliche« oder »wortgetreue« Wiedergabe (was immer das in Bezug auf das Kino heißen könnte!). Er orientiert sich neben den Analogien zu sprachlichen Signifikationsprozessen auch an jenem Phänomen des Films, das Kracauer 1960 als »die Errettung der äußeren Wirklichkeit« mit Bezug auf den fotografischen Charakter des Films beschrieben hatte.57 Allerdings hat sich die Errettung Kracauers, die das Verhältnis von äußerer Wirklichkeit und Kino umfasst, gewandelt. Mulveys und Wollens Bezug zur physischen Realität erscheint komplexer, so als ließe sich durch eine Aufnahme von Laura Mulvey hindurch auf ältere Schichten von Erfahrungen blicken (wie z.B. auf die Rezeption eines Hollywood-Stars und zurück auf die griechische Geschichte der Sphinx), und als würde das Kino diese Erfahrung(en) sowohl physisch als auch textuell mitteilen können. Wenn sich mit dem Modell eines anderen Kinos von Laura Mulvey und Peter Wollen schließlich nicht nur die unterschiedlichen Kinotraditionen wie »Rätsel des Kinos« verbinden, sondern auch die unterschiedlichen Diskurse des Kinos (der fotografische, der semiotisch-intertextuelle etc.) einer Begegnung und gegenseitigen Befruchtung zugänglich werden, dann hätte dieses neue Konzept des Kinos seine Möglichkeiten aufgezeigt.
Winfried Pauleit, Professor für Medientheorie und Kunstpädagogik an der Universität Bremen. Studium der Kunstwissenschaft, Filmwissenschaft und Literaturwissenschaft in Berlin, London und Chicago. Wichtigste Publikationen: »Kunst – Museum – Kontexte. Perspektiven der
Orientierungsbeiträge / Erzählung
Kunst- und Kulturvermittlung« Hg. zus. mit Viktor Kittlausz, Transcript Bielefeld (2006); »Filmstandbilder. Passagen zwischen Kunst und Kino« Stroemfeld Verlag Frankfurt am Main, Basel (2004). Website: http://www.nachdemfilm.de
Literatur
Barthes, Roland (1970/1990) Der dritte Sinn. Forschungsnotizen über einige Fotogramme S. M. Eisensteins, in: ders. (1990) Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Frankfurt/M. Freud, Sigmund (1933/1969) Die Weiblichkeit, in: ders. (1969) Studienausgabe Bd. I. Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse und Neue Folge, Frankfurt/M., S. 544 – 565. Guzzetti, Alfred (1981) Two or Three Things I Know about Her, Harvard University Press Cambridge Mass./ London. Kaplan, E. Ann (1983) Women and Film. Both sides of the camera, Methuen New York/ London. Koch, Gertrud (1988) Was ich erbeute sind Bilder, Frankfurt/M. Kracauer, Siegfried (1933/1974) Greta Garbo. Eine Studie, in: ders. (1974) Kino, Frankfurt/M., S. 38 – 43. Laplanche, Jean/ Pontalis, Jean-Bertrand (1973) Das Vokabular der Psycho analyse, Frankfurt/M. Mulvey, Laura (1975) Visuelle Lust und Narratives Kino, in: Rosen, Philip Hg. (1986) Narrative, Apparatus, Ideology, Columbia University Press, New York, S. 198 – 209; dt. in: Nabakowski, Sieglind (1976) Frauen in der Kunst I, Frankfurt/M., S. 30 – 46. Mulvey, Laura/ Wollen, Peter (1977) Eine Fabel aus dem Alltagsleben. Interview mit Laura Mulvey und Peter Wollen. Von Phil Hardy und Tony Rayns, in: Infoblatt 14, 7. internationales forum des jungen films, Berlin 26.6. – 3.7.1977, o. S. Sjölander, Ture/ Hedlund, Oscar (1971) Garbo, Stockholm. Stanton, Martin (1992) Oedipus complex, in: E. Wright (ed.) (1992) Feminism and Psychoanalysis. A critical dictionary, Cambridge, Mass., S. 290 – 296. Whitford, Margaret (1992a) Irigaray, Luce, in: E. Wright (ed.) (1992) Feminism and Psychoanalysis. A critical dictionary, Cambridge, Mass., S. 178 – 183. Whitford, Margaret (1992b) Mother-Daughter Relationship, in: E. Wright (ed.) (1992) Feminism and Psychoanalysis. A critical dictionary, Cambridge, Mass., S. 262 – 266. Wollen, Peter (1972/1982) Godard and Counter cinema: Vent d'est, in: ders. (1982) Readings and Writings. Semiotic Counter-Strategies, Verso Editions London, S. 79 – 91. Wollen, Peter (1975/1982) The Two Avant-Gardes, in: ders. (1982) Readings and Writings. Semiotic Counter-Strategies, Verso Editions London, S. 92 – 104.
139
2.1.4 Winfried Pauleit: Film als Text lesbar machen
2.2.1 Die Integrierte Publikation Torsten Stapelkamp Wenn es darum geht, Wissen zu vermitteln oder sich Wissen anzueignen, spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle. Und wenn Inhalte und Zusammenhänge komplex sind, ist man als Informationsvermittler bemüht, dem Lernenden und dem Lehrenden Informationen über solche Medien zu vermitteln, die die Aufnahme und Vermittlung von Wissen nachvollziehbarer machen, damit der Inhalt nachhaltig, aber auch schnell verstanden wird. Den Inhalt nachhaltig zu verstehen bedeutet, den Sachverhalt an sich, aber auch die tatsächlichen Zusammenhänge zu verstehen und die Basis zu schaffen, neue zu erkennen oder zu knüpfen. Dies bedeutet aber auch, dass man die Verschiedenartigkeit der Anwender erkennen und entsprechend berücksichtigen muss. Jeder Mensch lernt anders und hat andere Neigun gen. Wenn man Inhalte in verschiedenen Organisationsformen darstellt, gibt man den Anwendern die Gelegenheit, Muster und Beziehungen zwischen diesen Dingen zu erkennen und herzustellen. Deshalb sollten die Anwender idealerweise in die Lage versetzt werden, die Organisationsformen nach ihren eigenen Bedürfnissen zu erkunden oder sogar umzugestalten. Die Verschiedenartigkeit der Anwender drückt sich zunächst in ihrer unterschiedlichen Kompetenz aus. So kann man mindestens drei Benutzergruppen bzw. Kompetenzgrade unterscheiden: Anfänger, Fortgeschrittene und Experten. Deren Kompetenz beruht einerseits auf ihrem Wissen, bezogen auf das zu vermittelnde Thema, aber auch auf ihrer Erfahrung im Gebrauch von analogen und digitalen Medien. Weiterhin unterscheiden sich die Anwender darin, mit welchen Medien sie bevorzugt lehren oder lernen. Hier sind analoge, digitale, lineare, nonlineare und interaktive Medien und Mediengebrauchsformen zu unterscheiden (Buch, Fernsehen, PODcast, Internet, CD-ROM, DVD-Formate, VHS-Kassette, Mixed-Media-Produktion). Die Mediengebrauchsformen verweisen darauf, dass die Rezeptions- und Konsumgewohnheiten der Anwender (sehen, zuhören, zuschauen, lesen, querlesen, springen, fotoreading, sich berieseln lassen etc.) entschieden respektiert und berücksichtigt werden müssen. Diesen Absichten folgend, drängen sich die anschließenden Fragen auf: ■ Mit welchem Medium wird das beste Ergebnis erzielt? ■ Nutzt man das Altbewährte oder erprobt man neue Medien? ■ Was sind alte, was neue Medien? ■ Gibt es das eine, ideale Medium oder nutzt man besser mehrere Medien in einer aufeinander abgestimmten Mixed-Media-Kombination? Die Vorteile, mehrere verschiedene Medien gemeinsam für eine Publikation zu nutzen, um ein Lehren und Lernen komplexer Inhalte für heterogene
140
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
Zielgruppen zu ermöglichen, erscheinen sinnvoll und eine Kombination von Print- und digitalen Medien als nahe liegend. Es gibt bereits einige solcher Mixed-Media-Produktionen, allerdings noch nicht sehr viele. Exemplarische Mixed-Media-Produktionen, die die individuellen Eigen schaften unterschiedlicher Medien in eine einzige zusammenhängende Produktion integrieren und daher auch »Integrierte Publikation« genannt werden könnten, sind am Ende dieses Kapitels unter »Wesentliche Merkmale der Integrierten Publikation« [S. 149] aufgeführt. Oft werden solche Mixed-Media-Produktionen, die die Möglichkeiten analoger und digitaler Medien miteinander kombiniert nutzen, vermieden, da angenommen wird, ausschließlich mit digitalen Medien zielgruppenorientiert und flexibel produzieren zu können. Printmedien gelten für einige Themenbereiche bisweilen als ungeeignet, weil sie gegenüber den neuen Medien zwangsläufig als »alt« gelten. Dieses Missverständnis zeigt, wie ungünstig es ist, von neuen bzw. alten Medien zu sprechen. Diese Bezeichnungen lenken davon ab, darüber nachzudenken, was man eigentlich erreichen möchte. Mit dem so genannten Video-PODcasting (VODcasting) hat sich z.B. die Nutzung »alter«, rein linear ablaufender Videos grundlegend verändert. Das Format »Video« wurde dabei nicht verändert, sondern lediglich seine Nutzbarkeit im Internet und mit mobilen Geräten, wie z. B. mit dem iPOD von Apple erleichtert und erweitert. Der iPOD ist ein mobiles Abspielgerät für Musikdaten, den allgemein bekannten MP-3 Tondateien. Die erweiterte Version des iPOD, der Video-iPOD, kann zusätzlich zu den Tondateien auch Videodateien abspielen. Zur Wiedergabe des PODcast an einem Computer genügt die Software Quicktime von Apple (für Windows- und Apple-Betriebssysteme verfügbar) bzw. ein so genannter PODcatcher wie z.B. die frei verfügbare Software iTunes (für Windows und Apple). Im Rahmen dieser Umstände und der immer schneller werdenden Internetanbindungen ergeben sich neue Verbreitungs- und Nutzungsformen von Videodateien, die auf Dauer den Fernsehkonsum verändern und zumindest in Anteilen in das Internet verlagern werden. Dem interaktiven Fernsehen wurden so neue Wege geebnet. Der sich dabei ergebende Produktionsaufwand bleibt überschaubar, weshalb PODcasting eine zunehmende Rolle im Bereich der Hochschulen und des e-Learning spielen wird. So werden z.B. komplette Vorlesungen live im Internet aber auch mobil nutzbar. Das Ergebnis hilft sogar, den Betreuungsaufwand für Lehrende bezüglich ihrer Frontalvorlesungen zu verringern. Die dabei gewonnene Zeit kann z.B. in Praxisprojekte und Individualbetreuung investiert werden. Ein sehr gelungenes Beispiel stellt das PODcast-Angebot von Prof. Dr. Karsten Morisse dar. Er lehrt in der Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Informatik des Studiengangs Medieninformatik an der FH Osnabrück. In diesem Zusammenhang bietet er Seminare zum Thema »Audio-/Video technik« frei zugänglich als PODcast im Internet an: http://movii.et.fhosnabrueck.de/~kamo/index.html.
141
2.2.1 Torsten Stapelkamp: Die Integrierte Publikation
Die Videoaufzeichnungen der Seminare wurden für die Betrachtung mit einem Video-iPOD entsprechend gekürzt und im Video-PODcast-Datei format aufbereitet. Vom Wintersemester 2006/2007 entstand so eine 14,5stündige Videoaufzeichnung in 34 Teilen. Informationen zu diesem PODcast sind in diesem Buch zu finden unter »Audio-/Videotechnik« im Kapitel »Standards/Spezifikationen« [S. 331]. Zudem befindet sich das gesamte Video-PODcast (14,5 Stunden) auf dem beigefügten Datenträger (siehe im Verzeichnis »PODcast«/»Audio- Videotechnik« auf der DVD) [DVD]. Allgemeine Informationen über PODcasting als Bestandteil der Lehre und zahlreiche PODcast-Seminare sind im Internet zu finden unter: www.podcampus.de Das PODcasting stellt bereits eine eigene in sich abgeschlossene Lösung für die Darstellung linearer Erzählformen und linearer Wissensvermittlungen dar. Die Inhalte können als Ton oder als Kombination aus Ton mit Bildern (Enhanced PODcast) oder aus Ton mit Video (Video-PODcast) übermittelt werden. Zudem ist es möglich, in der Textebene der Datei Hyperlinks unterzubringen, über die vom PODcasting aus z.B. zu begleitenden Materialien im Internet verlinkt oder das Herunterladen einer Datei über das Internet ausgelöst werden kann. Weitergehende interaktive Funktionen sind beim PODcasting bisher aber nicht vorgesehen. Hier kann im direkten Vergleich zum PODcasting auf die Vorteile der DVD-Formate verwiesen werden. Wer die Chancen der Interaktivität übersieht, kann schnell dem Missverständnis unterliegen, die DVD böte dasselbe wie PODcasting und somit keinen Vorteil. Aber die DVD bietet erheblich mehr als nur den Umstand, Datenträger für Ton und Video zu sein. Mit Hilfe der interaktiven Möglichkeiten der DVD könnten zahlreiche Videos in Beziehung zueinander gesetzt und z.B. für den Gebrauch in der Lehre oder für das Selbststudium didaktisch aufbereitet werden. Auf diese Weise aufbereitete e-Learning-DVDs könnten sich zusammen mit einem Begleitbuch als geeignete Mixed-Media-Lösung durchsetzen (siehe Beispielprojekte in diesem Kapitel unter »Wesentliche Merkmale der Integrierten Publikation« [S. 149] und unter »Wissensvermittlung« im Kapitel »Projekte im Detail«) [S. 388]. Besonders geeignet sind solche Lösungen für grundlegende Inhalte, wie z.B. über kulturelle Ereignisse, wissenschaftliche Erkenntnisse und Dokumentationen aller Art. Diese Inhalte bleiben schließlich für viele Jahre aktuell oder zumindest von Bedeutung – und sei es auch nur rückblickend. Die Möglichkeit, die DVD bei Bedarf auch in Kombination mit dem Internet zu nutzen und so interaktiv zu ergänzen, ist ebenso gegeben. Es kann sogar eine Kombination aus DVD, PODcasting und Internetangebot sinn-
142
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
voll sein. Gerade mit den neuen DVD-Formaten Blu-ray Disc und HD DVD ergeben sich diesbezüglich sogar erweiterte Möglichkeiten (siehe unter »TV‑, Computer-, Internet-Nutzung« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 59]. Hinsichtlich der steigenden Beliebtheit und Nutzung des PODcastings im Internet und mittels mobilem Gerät (z.B. iPOD) könnte sogar von Bedeutung sein, die Bedeutung der klassischen DVD zumindest für mobile Darstellungsgeräte zu überdenken. Schließlich bleibt es abzuwarten, wie sich das iPhone von Apple im Markt und in seiner Nutzung bewährt (http://www.apple.com/iphone). Das iPhone ist der erste echte Hosentaschencomputer. Die Möglichkeit, mit ihm telefonieren zu können, wird zur Nebensache, da es das Betriebssystem OS X von Apple nutzt und somit zumindest theoretisch ähnliche Möglichkeiten bietet, wie ein »großer« Computer. Bis auf den Umstand, dass es etwas abgespeckt wurde, ist dieses Betriebssystem identisch mit dem auf den Desktopcomputern bzw, Laptops von Apple. Demnach spricht eigentlich nichts dagegen, auf einem iPhone auch die Daten einer DVD-Produktion abspielen zu können. Man bräuchte nur den AUDIO_TS und den VIDEO_TS-Ordner kopieren. Somit würde das seit vielen Jahren etablierte Datenformat der DVD auch für den mobilen Einsatz nutzbar. Gewiss, die Standards und Spezifikationen der DVD sollten sich dann dahingehend ändern, dass bessere Kompressions-Codecs genutzt werden können. Aber das iPhone bietet bereits jetzt einen Speicherplatz von 8 GB. Dies genügt für eine übliche DVD-5, die maximal 4,3 GB aufnimmt. Inhalte, Nutzungsweisen und Dateigrößen werden sich bestimmt den sehr verlockenden Möglichkeiten des iPhones anpassen. Der Gedanke, der hinter der Integrierte Publikation steckt, könnte auch dabei an Bedeutung gewinnen. Anstatt jene Medien zu ermitteln, mit denen man die beabsichtigten Ziele erreichen kann und diese in einer Produktion sinnstiftend zusammenzuführen, wird häufig immer noch davon ausgegangen, dass Mixed-Media-Produktionen kostenintensiver und weniger effizient sind als z.B. rein onlinebasierte Lehr-/Lernplattformen. Als Argument werden nicht selten die Aktualisierbarkeit und die Herstellungskosten eines Printmediums bzw. einer DVD dem Verbreitungspotential des Internets gegenübergestellt. Bei einer solchen Rechnung werden allerdings nur die Vervielfältigungskosten berücksichtigt. Die Nachhaltigkeit und der damit verbundene mögliche Erfolgsfaktor und die Akzeptanz einzelner Medien bei den Anwendern werden dabei außer Acht gelassen. Ganz davon abgesehen, dass die Kosten für die Erstellung von rein onlinebasierten Applikationen, deren Pflege und deren Redaktionsaufwand häufig weit unterschätzt werden. Es brauchte einige Jahre und zahlreiche kostenintensive und nun verweisten Internetportale, bis der Traum vom kostengünstigen und universell nutzbaren Online-Tea ching und Web Based Training (WBT) auch unter Fachkreisen relativiert
143
2.2.1 Torsten Stapelkamp: Die Integrierte Publikation
wurde. Unter anderem wurde festgestellt, dass rein internetbasierte Unterrichtsformen nicht im gleichen Maße erfolgreich verliefen, wie jene internetbasierten Unterrichtsformen, die mit Moderation und Frontalunterricht kombiniert wurden. Es wurde eine sinnvoll kombinierte Nutzung der individuellen Eigenschaften des virtuellen und des realen Lehrens und Lernens entwickelt, die die Bezeichnung »Blended Learning« erhielt (siehe auch unter »Teil- und vollvirtuelle Lehr-Lernangebote« im Kapitel »Kooperatives E-Learning und computervermittelte Kommunikationsprozesse«) [S. 170]. Es genügt eben nicht, Daten online zu stellen und mit immer schnelleren Internetanbindungen online abrufen zu können. Es muss auch Gründe geben, so vorzugehen bzw. diese Gründe, die es ja, je nach Angebot und Zielgruppe, unbestritten und in vielfältiger Form geben kann, müssen auch tatsächlich erfüllt werden. Dies setzt dann aber in der Regel ein Team voraus, bestehend aus Redaktion, Gestaltern und Technikern und einer leitenden Person für das Projekt- und Qualitätsmanagement (siehe Kapitel »Projektmanagement, Workflow« [S. 549] und »Qualitätsmanagement« [S. 578]). Diese Kosten sind denen einer integrierten Publikation gegenüberzustellen, bei der das Element Internet nur soweit Berücksichtigung findet, wie es gerade eben erforderlich ist, um das zu erfüllen, was die anderen Medien, Printund DVD-Formate, nicht leisten können. In diesem Zusammenhang ist auf das Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« [S. 44] hinzuweisen, insbesondere auf den dort näher erläuterten Begriff »DVD-Formate«. Mit ihm soll nicht nur die Ansammlung technischer DVD-Varianten definiert, sondern es sollen auch die zahlreichen unterschiedlichen DVDGenres zusammengefasst werden, die sich im Umfeld der Erzählformen und Wissensvermittlung bewegen und teilweise nur wiederentdeckt zu werden brauchen, anderseits darauf warten, erst noch erfunden zu werden.
2.2.1.1 Neue Medien
Dass die »Neuen Medien« häufig falsch eingeschätzt wurden und ihnen seit 1993, nach der Einführung der Browsersoftware Mosaic, die erstmals eine visuell ansprechende Darstellung des WorldWideWeb ermöglichte, scheinbar grenzenlose Möglichkeiten unterstellt wurden, lag natürlich auch am Bedürfnis nach einer Befreiung vom Buch, dem bis dahin mit seiner 500jährigen Tradition der Alleinvertretungsanspruch zur Wissensvermittlung zugesprochen wurde. Aber anstatt die jeweiligen Vorteile der Medien zu analysieren und je nach Bedarf miteinander zu kombinieren, kam es zu einem weiteren Alleinvertretungsanspruch, diesmal zugunsten der »Neuen Medien«. Dies zeigte sich um so deutlicher, als »Multimedia« 1995 zum Wort des Jahres wurde. Eine solche Entwicklung findet ihre Ursache in der Regel in einer unzureichenden Aufklärung, die wiederum aus der nur zaghaft stattfindenden Forschung resultiert. Von Seiten der Gestaltungshochschulen gab es bis ins Jahr 2000 nur relativ wenig Forschungsaktivitäten zu den The-
144
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
58 Spacewar!, Computerspiel, entwickelt 1961 von Ken Thompson: Lischka, Konrad: »Spielplatz Computer«, Heise, 2002. 59 Horn, Robert E. / Nicol, Elizabeth H. / Roman, Richard A. / Razar, Margaret P.: »Information Mapping for Computer-Based Learning and Reference«. Erschienen im Internet: http://stinet.dtic. mil/oai/oai?&verb=getRecord &metadataPrefix=html&identi fier=AD0729895, März 1971. 60 Lissitzky, El: Topographie der Typographie. In: El Lissitzky Maler Architekt Typograf Fotograf. Dresden: VEB Verlag der Kunst, 1976 (1923), S. 360.
61 Krabiel, Klaus-Dieter: Brechts Lehrstücke. Entstehung und Entwicklung eines Spieltyps (S. 44, 109, 235), Stuttgart, Weimar, 1993.
145
men Kommunikation, Information bzw. Lehren und Lernen mit digitalen Medien und deren Möglichkeiten an Auswahl, Interaktion und Nonlinearität. Erfahrungen, Vergleiche und Besprechungen auf diesem Gebiet sind im Wesentlichen den Soziologen, Pädagogen und Informatikern zu verdanken. Die Design-Fachbereiche der Hochschulen, die ansonsten die Kommunikationskompetenz für sich reklamierten, verschliefen noch bis ins Jahr 2000, und teilweise darüber hinaus, die Entwicklung der »Neuen Medien«. Dies wird auch eine der Ursachen gewesen sein, weshalb der Zusatz »Neu« für die digitalen Medien unreflektiert akzeptiert wurde. Dass das erste Computerspiel aus dem Jahr 196158 stammt, und dass die Verwendung des Begriffes Multimedia bzw. Computer Based Learning (CBL) seit mindestens 197159 Verwendung fand, wurde zugunsten des Zusatzes »neu« ignoriert. Es gibt zahlreiche Beispiele, die erkennen lassen, dass die Themen und die Interessen, die unter »Neue Medien« tituliert wurden, längst nicht so neu waren, wie die Bezeichnung vermuten ließ und aus Sicht mancher ausdrücken sollte. Hier einige Beispiele: Der russische Konstruktivist El Lissitzky schrieb in seinem 1923 erschienenen Manifest »Topographie der Typographie« zur Zukunft der Buchkunst: »Der gedruckte Bogen, die Unendlichkeit der Bücher, muß überwunden werden.«60. El Lissitzky dachte dabei an eine zukünftige, neue plastischdarstellerische Darstellungsform von Literatur, das hieroglyphische Buch. El Lissitzkys wollte mit der Forderung nach einem bild-/zeichensprachlichen Buch nicht nur seinen Wunsch nach einer Universalsprache zum Ausdruck bringen, die übernationale und überkulturelle Kommunikation ermöglichen sollte, sondern auch den Wunsch nach einem universellen Medium, einer Elektro-Bibliothek, die laut seinen Vorstellungen dem heutigen Internet sehr ähnlich ist. Bertolt Brecht forderte 1932 in seinem Vortrag »Der Rundfunk als Kommunikationsapparat«61 das interaktive Radio. Brecht bezeichnete das Verhältnis von Sendeanstalt und Hörfunkteilnehmer als »distributiv«, da der Zuhörer nur ein Hörender bleibt und die Inhalte nur für ihn und nicht mit ihm gemacht werden. Er forderte mehr unmittelbare Einflussnahme durch den Anwender. Um neue Erzählformen zu entdecken und zu erleben, überlegte die russisch-stämmige Amerikanerin Maya Deren bereits um 1940, wie sie Interaktivität für ihre Filme nutzen könnte. Tatsächlich schien sie das Wesen des Films erkannt zu haben, wie es in der zeitgenössischen Medientheorie, etwa von dem deutsch-amerikanischen Kunsthistoriker Erwin Panofsky, formuliert worden war: Panofsky sah die spezifischen Möglichkeiten des Films darin, den Raum zu dynamisieren und die Zeit zu verräumlichen, also weitaus mehr zu sein als abgefilmtes Theater oder die Übertragung literarischer Vorlagen in einer Folge bewegter Bilder. Siehe dazu auch den Text »Maya rennt« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Erzählung« [S. 115].
2.2.1 Torsten Stapelkamp: Die Integrierte Publikation
62 Bush, Vannevar: Interactions 3 (2, Mar.), 1996; S. 35–46. Reprinted from The Atlantic Monthly 176, July 1945.
Vannevar Bush klagte 1945 in dem Artikel »As We May Think«62, dass es
Wissenschaftlern kaum noch möglich wäre, effektiv arbeiten zu können, da die Anzahl der Publikationen so stark zunähme, dass es nicht mehr möglich bzw. überschaubar sei, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln Querverweise zu erkennen oder selber zu setzen. Er erdachte sich eine fiktive Maschine, mit der man diese Aufgabe bezwingen könnte. Das Speichermedium dieser Maschine, »Memex« genannt, sollte auf Mikrofilm basieren, der damals aktuellen Speichertechnologie. Dieses Bestreben, Querverbindungen frei setzen und beliebige Anmerkungen vornehmen zu können, entspricht der Struktur von Hypertextsystemen, die ab Mitte der sechziger Jahre konzipiert wurden und die seit Beginn der neunziger Jahre in Form des Internets zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Spacewar! stellte 1961 das erste Computerspiel dar. Kein Geringerer als Unix-Entwickler Ken Thompson hat das Spiel zum Anlass genommen, um das weit verbreitete Betriebssystem zu programmieren. Die Bezeichnung »Computer-Based Learning« tauchte bereits 1971 in »Information Mapping for Computer-Based Learning and Reference« von Dr. Robert Horn auf. In seiner ersten Untersuchung zum genannten Thema schlug Horn vor, mit Information Mapping Lehr-Blöcke in anderen Medien zu entwerfen, z.B.: Overhead-Folien und Filme, Band-/Cassettenaufzeichnungen, Videoaufzeichnungen, Grafikprogramme, reale Gegenstände, physikalische Modelle. Dies waren die Anfänge des Multi-Medialen und des E-Learning. Das Bedürfnis, für etwas Komplexes einen Sammelbegriff zu finden, ist durchaus verständlich und dient auch der Kommunikation. »Neue Medien«, »E-Learning«, »Integrierte Publikation« etc – all solche Begriffe helfen, Themen zusammenzufassen, wenn sie einmal definiert sind. Erfolgt die Definition deutlich, umfangreich, aber dennoch konkret, besteht nicht so sehr die Gefahr eines Schubladendenkens. Die Bezeichnung »Neue Medien« hingegen stand fälschlicherweise ausschließlich für neue Möglichkeiten und suggerierte, dass keine tradierten Erfahrungen mit interaktiven Medien vorlägen. »Neue Medien« war kein geeigneter Begriff, weil er es gar nicht erst zuließ, auf Erfahrungen in der Vergangenheit zurückzugreifen. »Neue Medien« war vielmehr eine Vision. Der Zusatz »Neue« definierte einen Nullpunkt, von dem aus man unbeschwert und ohne Vorgaben mit dem Gefühl durchstarten konnte, an etwas ganz Großem und gänzlich Neuem teilhaben zu können. Die Blase der New Economy an den internationalen Aktienbörsen stand dafür exemplarisch. Erst der Absturz, das Platzen dieser Blase 1999/2000, machte den Blick frei, nicht nur reaktiv, sondern inspiriert zu denken, Synergien mit dem Vorhandenen zu suchen und auch zurückzublicken, um das Bisherige mit dem »Neuen« zu verbinden. Bis diese Erkenntnis auch für die Planung und Erstellung dessen genutzt wurde, was unter dem Begriff E-Learning subsumiert wurde, ließ man viel Zeit verstreichen. Die einen glaubten
146
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
das vermeintlich »Alte« vernachlässigen zu dürfen, die anderen klammerten sich am »Alten« fest und befürchteten seine Gefährdung durch das »Neue«. Weil für »Neue Medien« alte Erfahrungen gänzlich im Sinne der kognitiven Dissonanz übersehen wurden, musste die eigentlich bereits bekannte Erfahrung, dass komplexe Medien sowohl in der Erstellung von Inhalten viel Arbeit machen, als auch beim Anwender ein hohes Maß an Nutzerkompetenz erfordern, erneut gemacht werden. Den computerbezogenen Medien wird gerne unterstellt, alles wie von selbst entstehen zu lassen. Nur so ist zu erklären, dass an Design-Hochschulen zwar das analoge, handwerkliche Erlernen von Gestaltungskompetenz gefordert und gefördert wird, aber nicht der Umgang mit den Gestaltungswerkzeugen am Computer. Dies soll den Studierenden wie von selbst im Eigenstudium möglich sein?! Eigentlich absurd – schließlich ist leicht nachzuvollziehen, wie wichtig es ist, den Umgang mit dem Handwerkzeug zu erlernen, das für die Ausübung eines Berufes erforderlich ist. Dies ist umso dringlicher, je komplexer dieses Werkzeug ist. Die berufliche Realität zeigt, dass der Designer nicht nur die Kompetenz für die Inhalte und für deren mediengerechte Vermittlung benötigt, sondern zudem im gleichen Maße die gestalterischen Fertigungstechniken beherrschen oder zumindest deren Umstände und Möglichkeiten verstehen muss, also auch über das Wissen und das Talent verfügen sollte, die Bedienbarkeit, die Interaktion und das Interface nachvollziehbar, ansprechend und unterhaltsam gestalten zu können. Mittlerweile ist bekannt, dass die Suche nach und das Umsetzen von raffinierten digitalen Interaktionsstrategien für Informations- und Kommunikationsmedien (CD-ROM, DVD-Formate, Internet) von den Anwendern nur selten honoriert wurden. Es waren stets jene Produkte erfolgreich, die relativ einfach bedient werden konnten. Mit Blick auf Computerspiele mag man geneigt sein, dem widersprechen zu wollen. Aber gerade deren Interaktionsangebote sind in der Regel geprägt von einer äußerst überschaubaren Einfachheit. Nicht zuletzt deswegen lohnt es sich, weniger darüber nachzudenken, ob ein Medium alt oder neu ist, sondern sich darauf zu konzentrieren, was man eigentlich mit ihnen erreichen möchte, wer die Zielgruppen sind und ob man das beabsichtigte Ziel nicht besser dadurch erreicht, dass man die individuellen Eigenschaften unterschiedlicher Medien (Print, CD-ROM, DVD-Formate, Internet) sinnstiftend miteinander in einer einzigen Mixed-Media-Produktion vereint.
2.2.1.2 Monokultur
Im Rausch der scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten der »Neuen Medien« ging die Erkenntnis verloren, das sich komplexe Inhalte für eine heterogene Zielgruppe nur schwer mit nur einem Medium ausreichend ausdrücken und vermitteln lassen. Das Lernen und Lehren mit internetbasierten Medien wurde zur offenbarten Lösung. Die Hoffnung oder das Missverständnis, es
147
2.2.1 Torsten Stapelkamp: Die Integrierte Publikation
gebe nur eine Lösung, führte zum Tunnelblick. E-Learning wurde zum Sammelbegriff von Lehr-/ Lernplattformen, die sich in erster Linie im Internet präsentierten. Wie bei jeder Monokultur zeichneten sich zunächst Vorteile ab. Nachteile kamen oft erst nach einer Evaluierung zu Tage. Zudem sind viele dieser Lehr-/Lernplattformen unansprechend in Form und Funktion und nicht zuletzt deswegen unmotivierend und unpersönlich. Bei nicht wenigen onlinebasierten Lehr-/Lernformen wurde sehr deutlich, dass das falsche Vermittlungsmedium gewählt wurde oder zumindest zu wenig auf die Bedürfnisse und Verschiedenartigkeiten der Anwender in Bezug auf Themen- und Medienkompetenz und deren Rezeptionsart eingegangen wurde. So meldete beim Kongress »Mensch und Computer 2002« in Hamburg (http://www.mensch-und-computer.de/mc2002) ein Professor, der Entwickler und Betreiber einer E-Learning-Plattform war, dass die Inhalte seiner onlinebasierten E-Learning-Plattform von den Lernenden nahezu komplett ausgedruckt wurden. Ein Stapel Papier lässt sich nun einmal überall lesen, benötigt keine Bedienungskompetenz, stürzt nicht ab und ist in der Regel lesefreundlich. Der Professor beschrieb, dass sich die Teilnehmer seiner E-Learning-Plattform in der Regel ein Faxgerät kauften, um mit den Kommilitonen handschriftliche Notizen und Lösungsansätze, die sie auf den aus gedruckten E-Learning-Internetseiten vornahmen, austauschen zu können. Natürlich könnte man diese Kommunikations- und Korrekturabläufe mit entsprechender Software simulieren, in der Hoffnung diesen Prozess zu unterstützen. Aber ist dies wirklich notwendig? Die Betreiber solcher »ELearning-Plattformen« sollte man aber nicht mit Spott belegen, sind sie es doch, die zum Nutzen aller Forschung betreiben und Erfahrungen sammeln und veröffentlichen und somit helfen, deutlich zu machen, ab wann und bis zu welchem Umfang internetbasierte Lehr-/ Lernplattformen Sinn machen.
2.2.1.3 Mixed-Media-Lösung
Sowohl die eifrigsten Befürworter, als auch die vehementesten Gegner der Nutzung von »Neuen Medien« machen deutlich, dass man auf nur einem Wege zwar einen Ort, aber selten das Ziel erreichen kann. Will man tatsächlich größtmöglichen Erkenntnisgewinn und der Verschiedenartigkeit der Anwender gerecht werden, so muss schrankenlos gedacht werden und der Komplexität der Anwender und des zu vermittelnden Inhaltes muss nicht nur ein Zugang, sondern entsprechend mehrere Zugänge und Vermittlungspfade geebnet werden. Ein wesentlicher Vorteil von Lehr-/Lernmedien sollte es sein, keine neuen Schranken aufzubauen. Das heißt letztendlich, dass gezielt solche Medien genutzt werden sollten, die möglichst wenig technisches Know-how erfordern, sowohl bei der Erstellung, als auch bei der Nutzung. Ziel sollte sein, für die jeweilige Lehr-/Lern-Produktion nur jene Möglichkeiten der vorhandenen analogen wie digitalen Medien zu nutzen und
148
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
anzubieten, die für die beabsichtigte Aussage und Funktion erforderlich sind und der angestrebten Zielgruppe bzw. den angestrebten Kompetenzgraden der Anwender gerecht werden. Sollen mehrere Zielgruppen mit unterschiedlichen Vorkenntnissen angesprochen werden, sind entsprechend mehrere Zugangsmöglichkeiten anzubieten.
2.2.1.4 Wesentliche Merkmale der Integrierten Publikation
Wenn mit einer Mixed-Media-Lösung, bestehend aus z.B. Buch, DVD (DVD, Blu-ray Disc, HD DVD) und Internetseite, die jeweiligen Stärken einer jeden Medienlösung nicht nur nebeneinander genutzt, sondern miteinander kombiniert werden, kann eine Mixed-Media-Produktion auch als »Integrierte Publikation« bezeichnet werden. Mit der Integrierten Publikation sollen nicht nur die allgemeinen Nutzungsmöglichkeiten benannt und beschrieben werden, die die DVDFormate DVD, Bluray-Disc und HD DVD bieten können, sondern diese Formate werden explizit als die geeigneten Medien und eine Integrierte Publikation, bestehend aus einem Medienmix (z.B. mit Buch, Heft, DVDFormaten, Internetseite), als die geeignete Lösung für E-Learning vorgeschlagen. Mit ihr können, dank des vielseitigen Zugangs zum Thema, verschiedene Zielgruppen und Kompetenzgrade angesprochen werden. Das Konzept der integrierten Publikation hilft, die einzelnen Vorteile der jeweiligen Medien dort zu nutzen, wo sie Sinn machen und notwendig sind.
Abb. 2.2.1 Für eine integrierte Publikation lassen sich alle verfügbaren Medien verwenden.
analoge Medien:
Printmedien (Buch, Magazin, Loseblattsammlung, etc.); ideokassette; Audiokassette V
digitale Medien:
Musik-CD; CD-ROM; DVD-Video; DVD-ROM; Blu-ray Disc; HD DVD; Internet; Audio-/Videokonsum mit Hilfe mobiler Geräte (z.B. MP-3-Player, iPOD, iPhone)
lineare Medien:
Printmedien (Buch, Magazin, Loseblattsammlung, etc.); Video kassette; Audiokassette; Musik-CD; DVD-Video; DVD-ROM; Bluray Disc; HD DVD; Audio-/Videokonsum mit Hilfe mobiler Geräte (z.B. MP-3-Player, iPOD, iPhone)
nonlineare Medien:
Printmedien (Buch, Magazin, Loseblattsammlung, etc.); CD-ROM; DVD-Video; DVD-ROM; Blu-ray Disc; HD DVD; Internet; iPhone
Bei der nie ganz vollständigen Listung von verwendbaren Datenträgern wird deutlich, dass so manche Datenträger gleichermaßen für verschiedene Medienarten eingesetzt werden können. So kann ein Printmedium sowohl ein lineares Textmedium mit einer aufeinander aufbauenden, vorbestimmten Satzfolge sein, als auch ein nonlineares Bildmedium in Form eines Comics,
149
2.2.1 Torsten Stapelkamp: Die Integrierte Publikation
dessen Inhalt sich durch Fotoreading in der vom Betrachter bevorzugten Reihenfolge erschließen lässt. Als Beispiel für ein nonlineares Textmedium wäre noch der Talmud zu nennen. Das jüdische Gesetzes- und Religionswerk, das Kommentare zur Thora enthält, ist in seiner Organisationsstruktur als Hypertext angelegt. Die Spezifikationen der DVD-Formate bieten ebenso eine lineare und nonlineare, auswählbare Struktur, aber zusätzlich auch noch eine interaktive Rezeptionsmöglichkeit der Inhalte an (siehe Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« [S. 17] und Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« [S. 44]. Bei der Integrierten Publikation bildet eines der verwendeten Medien (z.B. das Printmedium) den zentralen Kern. Es beinhaltet Anregungen, aber auch genaue Hinweise zum jeweiligen Thema. Mit ihm wird grundlegendes Wissen vermittelt. Es dient als Direkteinstieg für jene Anwendergruppen, die entweder (noch) keinen Zugang zu elektronischen Medien haben oder sich zunächst grundlegende Kenntnisse zum Thema aneignen möchten. Das Kernmedium korrespondiert mit den beigefügten Medien, indem die jeweiligen Stellen mit entsprechenden Verlinkungshinweisen versehen sind. Ein Printmedium bietet sich geradezu als Kernmedium an. Insbesondere auch deswegen, weil es zur Inbetriebnahme keine Gebrauchseinweisung, keine Zusatzgeräte und zur Nutzung in der Regel nur kurze Hinweise erfordert. Des Weiteren sind analoge wie digitale Medien erforderlich, die den verschiedenen Konsum- und Nutzungserfahrungen und -bedürfnissen verschiedenartiger Anwendergruppen gerecht werden. Sie dienen einerseits als Ergänzung zum Kernmedium, andererseits können sie von den Anwendern auch unabhängig vom Kernmedium als Einstieg zu komplexeren Bereichen der Thematik oder mit gezielt produktionsbezogenen Inhalten als Begleitung zur Produktion genutzt werden. Sie beinhalten z.B. konkrete technische Erläuterungen mit Grafiken und Software-Screenshot. Außerdem können sich dort Erläuterungen zu korrespondierenden Internetseiten und zu exemplarischen Produktionen befinden. Einige Medien der integrierten Publikation können, wenn ihre Produktionskosten niedrig gehalten werden, als Aktualisierungsmedium für das Kernmedium genutzt werden (z.B. eingelegte Hefte zum Buch; integrierte DVD-Video-Produktionen; korrespondierende Internetseiten mit geringem Aktualisierungsaufwand, wie z.B. Weblogs, kommentierte Datenlager, Foren, etc.). Die korrespondierende Internetseite zu diesem Buch hat folgende URL: http://www.interactions.de Dort finden Sie weiterführende Informationen und Foren zu den für dieses Buch relevanten Themen, wie z.B. »Integrierte Publikation«, »Interfacedesign« und »Screendesign«. Diese Internetseite dient der Aktualisierung der Buchinhalte und bietet weitere Inhalte, deren Nutzung und Bereitstellung allerdings nicht im direkten Zusammenhang mit dem Kauf dieses Buches stehen und deren Bereitstellung und ständige Aktualisierung daher nicht garantiert werden können.
150
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
Beispiele für bereits existierende Integrierte Publikationen sind folgende:
Ein sehr eindruckvolles Beispiel, realisiert von der österreichischen Multimedia-Agentur Nofrontier, stellt die Produktion Wiener Börse Projekt für die Wiener Börse zum Thema Börse, Aktien und Finanzverkehr dar. Sie wurde für Schulen konzipiert und besteht aus einem Buch als zentrales Medium, aus einem Brettspiel, gedruckten Arbeits- und Fragebögen und einer CD-ROM. Die DVD-Produktion Antizipation – Die Ursache liegt in der Zukunft besteht aus einem Buch, einer DVD-ROM/DVD-Video und einer Internetseite. Detaillierte Informationen sind im Kapitel »Projekte im Detail« [S. 338] zu finden und unter www.anticipation.info. Story of a Jazzpiano, bestehend aus einem Heft und einer DVD-Video. Siehe Beschreibung im Kapitel »Projekte im Detail« [S. 424]. HdM – DVD, Studiengangs Audiovisuelle Medien, eine interaktive Dokumentation des Studiengangs Audiovisuelle Medien der Hochschule der Medien Stuttgart auf DVD-Video/DVD-ROM mit integrierter InternetAnbindung an den Projektserver der Hochschule, um die Präsentation aktueller Projekte zu gewährleisten. Siehe Beschreibung im Kapitel »Projekte im Detail« [S. 504]. Rebell wider Willen – Das Jahrhundert des Martin Niemöller (Originaltitel: »Was würde Jesus dazu sagen?«) (DVD-Video, DVD-ROM, Internet). Ein Film von Hannes Karnick und Wolfgang Richter63, Konzept und Produktion von docfilm Karnick & Richter oHG. Die Agentur »Master Kitchen«64 entwickelte eine webDVD Engine, mit der passend zu den Verweisen im Text der korrespondierenden Internetseite direkt Ausschnitte aus dem Film abgespielt werden können bzw. von der DVD aus auf Verlinkungen ins Internet verwiesen werden kann. Deutsche & Polen – eine Chronik (DVD-Video, DVD-ROM, Internet) vom Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg. Herausgeber: Nicolai'sche Verlagsbuchhandlung, Berlin. Dieser Vierteiler beschreibt das historische Verhältnis von Deutschen und Polen, Konflikte und Katastrophen, aber auch die historischen Verbindungen und Gemeinsamkeiten. Der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg hat zusätzlich zur Filmdokumentation ein aufwändiges Angebot im Internet produziert, das zu jeder Filmstelle Hintergrundinformationen bietet. Die Produktion beinhaltet eine DVD-Video, eine DVD-ROM und eine Website. Die Filminhalte auf der DVD-ROM können mit den Inhalten der Website verknüpft werden65.
2.2.1 Torsten Stapelkamp: Die Integrierte Publikation
2.2.2 Orientierungsbeiträge zu Wissensvermittlung und Didaktik Torsten Stapelkamp »Es ist schlimm genug, rief Eduard, dass man jetzt nichts mehr für sein ganzes Leben lernen kann. Unsere Vorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen; wir aber müssen jetzt alle fünf Jahre umlernen.« Goethe. Wahlverwandtschaften. Erster Teil, Viertes Kapitel. 1809.
2.2.2.1 Die DVD als Wissensvermittungs- und Dokumentationsmedium
2.2.2.2 DVD und Internet
Wie bei allen anderen Texten in diesem Buch auch, schließt die Nennung der DVD auch die Nachfolgemedien Blu-ray Disc und HD DVD mit ein. Eine wesentliche Eigenschaft der DVD und somit auch der Blu-ray Disc und der HD DVD ist ihre physikalische Präsenz. Sie kann im Regal zur Verfügung stehen, ist jederzeit greifbar und ihrem Konsum am heimischen Fernseher steht kaum etwas im Wege (siehe »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 44]. Der Weg zum Inhalt ist so kurz und so sinnvoll wie möglich. Rein onlinebasierte E-Learning-Konzepte bieten unbestritten zahlreiche Vorteile und werden mit dem gleichen Stichwort »jederzeit verfügbar« gepriesen. Die Verfügbarkeit bleibt aber virtuell, ist nur bedingt unmittelbar und benötigt nicht selten eine höhere Kompetenz oder zumindest eine höhere Selbstmotivationsbereitschaft bezüglich der Inbetriebnahme und der Nutzung der erforderlichen Hard- und Softwareanwendungen. Zunächst senkt die Informationsvermittlung über DVD am Fernseher bereits durch die Einfachheit der Bedienung die Eintrittsschwelle bei allen Anwendern, da kein hohes technologisches Wissen, keine Onlineanbindung, noch nicht einmal ein PC notwendig ist. Es genügen ein entsprechendes Abspielgerät (DVD-Player, Settopbox, etc.) und ein Fernseher. Für höhere Ansprüche an Auswahlmöglichkeit und Interaktion (aus Sicht der Autoren und/oder aus Sicht der Anwender) bietet der DVD-ROM-Teil bzw. die Blu-ray Disc und die HD DVD viele jener Möglichkeiten, die seit der Einführung der CD-ROM im Jahr 1985 allgemein bekannt sind. Die Bluray Disc und die HD DVD bieten mit 25 bis 100 GB zudem erheblich mehr Speicherkapazität (siehe unter »Speicherplatzkapazität« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 46].
Vom DVD-Video- und vom DVD-ROM-Teil aus kann gleichermaßen das Internet in Verbindung mit den Inhalten der DVD genutzt werden. Sowohl
152
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
von dafür geeigneten Setup-Boxen (DVD-Player mit Anschlüssen für den Fernseher und Onlineanbindung), als auch vom Computer aus lassen sich über eine DVD Internetverbindungen aufbauen. Dies gilt gleichermaßen für die Blu-ray Disc und die HD DVD. Korrespondierende Themen können von einer DVD-ROM aus zur Internetseite verlinken. Außerdem kann der Inhalt der im DVD-Layout gezeigten Informationen über eine Internetanbindung aktualisiert angezeigt werden. Das DVD-Layout ändert sich dabei nicht. Es werden lediglich Daten ausschließlich in den dafür vorgesehenen Bereichen im Layout aktualisiert ohne dass dazu Treiber installiert seien müssen. Es ist noch nicht einmal erforderlich, dass ein Browser installiert ist, da der Anwender beim Betätigen des Buttons zur Aktualisierung oder zur temporären Zusatzinformation auf den dann angewählten Server direkt zugreift und die geladenen Inhalte im Layout der DVD-ROM-Applikation dargestellt werden. Eine dem Thema entsprechende Internetseite dient als Teil der integrierten Publikation, somit als ergänzende, aktualisierende Knowledge Community und kann als solche natürlich auch direkt angesteuert werden. Einer solchen Internetseite kann eine DVD auch als Datenträger dienen, auf den verlinkt und verwiesen werden kann, um lange Ladezeiten z.B. für Videos, PDF-Dateien oder große Grafiken zu vermeiden. Dazu muss sich natürlich die DVD im Laufwerk des Computers befinden. Vom technischen Standpunkt her lassen sich im Internet zwar bereits Video-Streamings anbieten, nur lässt die Qualität dieser Streamings in Abspielgröße, Bewegungsfluss, Detail- und Farbtreue nach wie vor sehr zu wünschen übrig. Ganz davon abgesehen, dass eine schnelle Internetanbindung zwingend erforderlich wäre, deren Finanzierung sich nicht für jeden lohnt. Was die Übertragung von Fernsehsendungen über das Internet anbetrifft, finden zur Zeit allerdings gravierende Veränderungen statt. In Japan und Korea kann man bereits Seifenopern über das Internet verfolgen. England bietet mit »Homechoice« seinen Kunden Internet, Fernsehen und Radio über eine Leitung, was allgemein mit TriplePlay bezeichnet wird und auch in Deutschland bereits seit 2005 angeboten wird. In Italien gibt es Fernsehen über den DSL-Anschluss bereits seit 2003 und in Deutschland werden seit Ende 2005 einige TV-Angebote über das Internet angeboten. Möglich und sinnvoll in Bezug auf Abspiel- und Bildqualität ist dies aber nur mit einer entsprechend schnellen Internetanbindung (z.B. 6 MBit/s), die entsprechend Kosten verursacht und nicht überall flächendeckend verfügbar ist. In Bezug auf Wissensvermittlung würde sich für den Anwender einer rein onlinebasierten Lehr-/ Lernplattform das Problem der nicht präsenten Inhalte ergeben und die Ungewissheit, ob es denn mit der Streaminganbindung auch tatsächlich technisch immer klappt, ob er überhaupt über das richtige Übermittlungsmedium (z.B. Settop-Box) verfügt, ob er am Computer alle erforderlichen aktuellen Treiber installiert hat und ob sich der richtige Browser auf der Festplatte befindet. Zudem stellt sich bei Internetangeboten stets die Frage, ob die Daten auf den fremden Servern auch dann noch verfügbar sind, wenn sie
153
2.2.2 Torsten Stapelkamp: Orientierungsbeiträge zu Wissensvermittlung und Didaktik
zu einem späteren Zeitpunkt benötigt werden. Und wenn der Computer ab und zu abstürzt oder wegen Virenbefall ein Eigenleben führt, vergeht schnell die Freude, sich stets erneut einloggen zu müssen, sich an die entsprechenden Verlinkungen zu erinnern, um an den Punkt zurückkehren zu können, an dem man unterbrochen wurde. Es besteht zumindest die Aussicht, dass einen manchmal das Gefühl beschleicht, für das Erlernen der Nutzungskompetenz und zum bloßen Gebrauch des Wiedergabemediums mehr Zeit und Geduld aufbringen zu müssen als einem für die eigentliche Absicht, mit Hilfe von Lehr-/Lernmedien Informationen in Wissen zu transformieren, zur Verfügung bleibt. So einfach und zuverlässig wie fernsehen ist die Nutzung von InternetTV noch nicht, zumindest nicht, wenn sie über einen Computer erfolgt. Dennoch ist nicht zu vernachlässigen, dass sich durch entsprechende Breitbandanschlüsse für die Internetnutzer die Durchsatzraten und somit die Darstellungsqualitäten in enormem Maße verbessert haben und auch zunehmend preiswerter werden. Nicht zuletzt deswegen hatten sich z.B. die Zuwachsraten der in Deutschland im Internet heruntergeladenen Videos im Sommer 2006 mit 160.000 kommerziellen Downloads pro Monat um knapp 45% gesteigert. Diese Steigerungsrate ermittelte der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM). Die Untersuchungen von BITKOM ergaben, dass bis Ende 2006 bereits 14 Millionen Haushalte einen Breitbandanschluss besaßen und dass bis ins Jahr 2008 ca. 20 Millionen Haushalte in Deutschland über solch einen Anschluss verfügen werden66. Ob das Herunterladen von Videos auch in Zukunft noch im gleichen Umfang betrieben werden wird, hängt allerdings stark davon ab, wie sehr sich die Kunden mit den strengen Kopierschutzstrategien der Filmindustrie abfinden werden, die zunehmend einer Gängelung der Verbraucher und der steten Unterstellung gleichkommt, jeder Kunde sei in erster Linie ein potentieller Krimineller, der Raubkopien nutzt. Mit der DVD Download wurde ein DVD-Format entwickelt, welches für legal im Internet heruntergeladene Videos verwendet werden soll. Es handelt sich dabei um eine CSS-geschützte DVD-R, die sich nur mit speziellen Brennern brennen lassen, aber auf allen DVD-Playern laufen sollen (siehe unter »DVD Download« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 27] und siehe auch unter »DVD Download« im Kapitel »Kopierschutzverfahren«) [S. 263]. Es besteht aber dennoch kein Zweifel, dass das Videoangebot im Internet stark zunehmen wird. Diese Zunahme wird unter Umständen auch für die nötige Konkurrenz sorgen, die ein Übertreiben der Kopierschutzmanie eingrenzen hilft. Die Filmindustrie und insbesondere die Fernsehsender streben Kopierschutzmaßnahmen an, die das Maß des Notwendigen weit überschreiten (siehe unter »Für ein paar Pixel mehr« im Kapitel »Kopierschutzverfahren«) [S. 261]. Nicht zuletzt deswegen, aber auch weil sich die allgemeinen Mediennutzungs- und die Fernsehgewohnheiten der Zuschauer ändern, bemühen sich die Filmindustrie und die Fernsehsender um Anteile an internetbasierten Sendekonzepten.
66 www.bitkom.org
154
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
Die ProSiebenSat1 Media AG kaufte z.B. im Jahr 2006 30 Prozent des Video-Sharing-Portals MyVideo.de und zeigt damit, für welche Sendekanäle sich die etablierten Fernsehanstalten vorbereiten. Es ist daher unbestritten, dass das Internet einen möglichen Übertragungsweg darstellt, um Live-VideoÜbertragungen, sprich Internet-Fernsehen anzubieten. Nur weil dies möglich wird, bedeutet dies aber nicht, dass der Computer das einzige geeignete Darstellungsmedium und Server im Internet die einzigen geeigneten Aufbewahrungsmedien sind. Schließlich gibt es Situationen und Anwenderinteressen, die es als geeigneter erscheinen lassen, alle wesentlichen Daten bereits zuhause auf einem Trägermedium wie der DVD zur Verfügung zu haben und das Abrufen dieser Daten einfach und ohne Kompetenz- und Anwendungsschranken zu ermöglichen. Dies mag ein klar definierter Markt für klar definierte Themen, Vorlieben und Zielgruppen sein, das macht ihn aber nicht weniger interessant für Produzenten und Verlage. Außerdem handelt es sich nicht um einen temporären Nischenmarkt, sondern um einen Markt, der lediglich deutlich macht, dass ein sehr großer Anteil an Verbrauchern bisher vernachlässigt wurde, indem an ihren Interessen und Vorlieben vorbei Technologie oft nur in der vollen Breite ihrer Möglichkeiten angeboten wurde, anstatt sie nach den jeweiligen Erfordernissen und Zielgruppenkompetenzen dosiert einzusetzen. Für Autoren und Gestalter bleibt die Idee der Integrierten Publikation ohnehin interessant. Die DVD liegt für den Anwender wie ein Buch zur ständigen Verfügbarkeit im Regal bereit und beinhaltet zumindest die Kerndaten der jeweiligen Thematik. Nur für die Aktualisierung wäre das Angebot einer Internetanbindung erforderlich. Je nach Datenart könnte sogar eine einfache, analoge Internetanbindung ausreichen. Neben der ständigen und unmittelbaren Verfügbarkeit bietet die DVD die Möglichkeit, Filme und Töne in sehr guter Qualität und ausreichender Länge abspielen zu können. Mit der DVD muss man sich nicht auf ein Mäusekino einlassen, sondern sieht Bewegtbilder monitorfüllend und ruckelfrei ohne Zusatz- und Folgekosten. Alle Inhalte auch die über das Internet aktualisierten, ob Bilder, Töne, Texte oder Videos, werden im DVD-Layout abgebildet. Dadurch ist ein einheitliches Erscheinungsbild sichergestellt und eventuell störende, zusätzliche Bedienfelder und Softwarefenster werden vermieden. Zudem kann sichergestellt werden, dass auf dem entsprechenden Computer außer der DVD-Applikation nichts Weiteres sichtbar ist, da das DVD-Layout bei Bedarf den gesamten Monitor ausfüllt. Dadurch werden Ablenkungen, die besonders bei Lehr-/Lernmedien und allgemein bei Wissensvermittlungsmedien stören würden, vermieden.
2.2.2.3 DVD und Printmedium
Kombiniert mit einem Booklet bzw. mit einem Begleitbuch kann der Anwender bereits viel zum jeweiligenThema erfahren, auch ohne technische Erfordernisse und Kenntnisse und ohne Onlineanbindung. Dank der DVD muss aber auf die Vorzüge von Auswahlmöglichkeit und Interaktion, Be-
155
2.2.2 Torsten Stapelkamp: Orientierungsbeiträge zu Wissensvermittlung und Didaktik
wegtbild und Ton, nicht verzichtet werden. Print- und DVD-Inhalte können aufeinander verweisen und sich somit im Rahmen der Möglichkeiten der jeweiligen Medien ergänzen.
2.2.2.4 Auswahl und Interaktion
Lerneinheiten können mit einer DVD sowohl linear als auch nonlinear angeboten und konsumiert werden. In beiden Fällen können didaktische Reihenfolgen genutzt und vom Autor vorbestimmt werden. Interaktion ohne Vorbestimmung durch den Autor lässt sich ebenso programmieren. Die Möglichkeit, von Seiten des Anwenders die Informationsmenge und den Zeitpunkt des Konsums zu bestimmen, ist davon unberührt. Die Auswahl- und Interaktionsmöglichkeiten sind am Fernseher allerdings begrenzt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Fernbedienung des Fernsehers bzw. des DVD-Players nur eine begrenzte Anzahl an Funktionenstasten bietet und die jeweiligen DVD-Spezifikationen zu starken Einschränkungen führen. Aber gerade die geringe Anzahl an Tasten und Funktionen ist ein weiterer Vorteil aller DVDTechnologien, sofern sie am Fernseher genutzt werden. Der Anwender kann dort den für ihn relevanten Teil einer DVD-Produktion auswählen und sich ruhigen Gewissens berieseln lassen oder sich ohne jegliche Überforderung dem reduzierten Interaktionsangebot widmen. Der Fernseher ist von seiner Produktsprache und von seiner tradierten Nutzungsform her ein Gerät, mit dem der Anwender wenig interagieren kann, aber auch nur wenig interagieren möchte. Lineare Didaktik kann hier mit reduzierter Auswahlmöglichkeit und geschickt mit Nonlinearität und Interaktion verknüpft werden. Außerdem ist zu bedenken, dass am Computer zwar ein erheblich höherer Grad an Interaktion möglich ist, dieses Angebot aber für viele Anwendungen weder notwendig noch vom Anwender gefordert wird. Obwohl bereits jede Variante an Auswahlmöglichkeit als Interaktion bezeichnet wird, sollte nicht übersehen werden, dass der überwiegende Anteil an so genannter Interaktion ein einfaches Auswählen darstellt, das vom funktio nalen Umfang und Ablauf her einem Umblättern zu einer nächsten Seite gleichkommt – sei es das Auswählen einer Verlinkung im Text oder einer Überschrift in einer Internetseite oder das Anklicken eines Buttons welcher Applikation auch immer. Der Vorgang bleibt relativ trivial. Ein zuvor vom Autor/Gestalter vorbestimmter Wechsel zu einer neuen Seite oder einer entsprechend geänderten Darstellungsform wird durch das Anklicken eines Buttons, eines Wortes etc. abgerufen und ausgeführt. Somit unterscheidet sich ein Großteil der »Interaktion« einer Internetseite, einer CD-ROM oder jeder anderen Software in keiner Weise von der, die mit einer DVD am Fernseher möglich ist. Der Unterschied besteht vielmehr darin, dass die Spezifikation der DVD nicht mehr zulässt und die anderen Darstellungs medien (Internet, CD-ROM, etc.) zwar erheblich mehr Möglichkeiten bezüglich einer Interaktion bieten, diese aber nur selten wirklich erforderlich,
156
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
67 siehe Kapitel »Interactiondesign« im Buch: Stapelkamp, Torsten: Screen- und Interfacedesign. Springer, Berlin 2007, ISBN 3-540-32949-8
gewünscht und angeboten werden. Viel interessanter und herausfordernder als die Bereitstellung umfangreicher Interaktionsmöglichkeiten ist es, eine Illusion von Interaktion zu schaffen, den Anwender in die Illusion zu versetzen, Teil des Mediums und Teil seiner Absicht zu werden. Dies gilt zumindest für Erzählformen. Oft genügt es, auswählen zu können, Inhalte in Bezug setzen zu können bzw. im Zusammenhang und im Vergleich miteinander dargestellt zu bekommen und abrufen zu können. Dies alles kann die DVD in bequemer Weise und mit leichtem Zugang am Fernseher leisten. Ist eine komplexere Form der Interaktion gewünscht, so kann sie am Computer korrespondierend mit dem Internet eingesetzt werden, um alle zur Verfügung stehenden Medien sinnstiftend ausschließlich für jene Bereiche einzusetzen, für die sie am besten geeignet sind und in denen sie ein optimales Verhältnis von Technikaufwand und Nutzungsabsicht erfüllen (siehe dazu auch das Kapitel »Die Integrierte Publikation«) [S. 140]. Bezüglich der Bezeichnung und der Möglichkeiten von Interaktivität im Internet, bei CD-ROM-Produktionen, bei DVD-Produktionen (DVD, HD DVD, Blu-ray Disc) und beim interaktiven Fernsehen finden Sie im Kapitel »Interaktivität« zahlreiche Hinweise [S. 101]. Die Thematik »Interaktion« ist so vielschichtig, dass ich es vorzog, sie in einem gesonderten Buch im Zusammenhang mit Screen- und Interfacedesign ausführlich zu behandeln67.
2.2.2.5 Nachhaltigkeit
Auf Grund ihrer einfachen Interaktionsstruktur können die DVD-Medien, die für den Konsum am Fernseher erstellt werden, verhältnismäßig schnell und kostengünstig produziert, aktualisiert und ergänzt werden. Bei den DVD-Medien, mit denen die Möglichkeiten eines Computers genutzt werden sollen, steigt der Aufwand entsprechend mit der Komplexität der Auswahl- und Interaktionsmöglichkeiten. Und diese sind, wie von der CD-ROM bekannt, je nach Absicht nach oben offen. Eine Nachhaltigkeit ist durch die Aktualisierbarkeit z.B. über das Internet bzw. bedingt durch geringeren Aufwand und Kosten im Verhältnis zur Vervielfältigung und Aktuali sierung von Printmedien erreichbar. Außerdem haben DVD-Medien eine verhältnismäßig lange Lebensdauer und Lagerbeständigkeit. Das DVD-Video-Format ist zudem plattformunabhängig mit DVD-Playern für Fernseher, Spielekonsolen und Computern abspielbar, was, im Gegensatz zu Software, längere Nutzungszeiten garantiert. Alte DVDs lassen sich immerhin bereits seit über zehn Jahren kontinuierlich auch noch mit den aktuellsten Abspielgenerationen nutzen. Internetseiten und andere betriebssystemabhängige Informations- bzw. Funktionsangebote können dies nicht von sich behaupten. Diese sind häufig bereits nach der ersten Aktualisierung des PC-Betriebssystems nur noch vereinzelt oder gar nicht mehr abspielbar. Für DVD-Formate lassen sich demgegenüber lange Nutzungsgarantien aussprechen.
157
2.2.2 Torsten Stapelkamp: Orientierungsbeiträge zu Wissensvermittlung und Didaktik
2.2.2.6 Tracking und Evaluierung
2.2.2.7 Projekt-Beispiele
Bei Bedarf und mit Zustimmung der DVD-Anwender ist es möglich, sie, wenn sie denn online sind, von jedem beliebigen Ort aus zu tracken, d.h. ihr Verhalten mit den DVD-Inhalten zu analysieren und somit zu erfahren, ob z.B. das Interface verstanden wurde (Wie oft wurde wo geklickt? Welchen Weg ging die Computermaus bis zum nächsten Klick? etc.) oder wie der Inhalt genutzt wird (Wo haben sich die Anwender am längsten aufgehalten? Welche Buttons wurden bedient? Wie weit wurden Aufgaben bereits gelöst? Wurden Aufgaben richtig gelöst? etc.). Letzten Endes lässt sich, wenn es die Anwender zulassen (z.B. mit Hilfe eines passwortgeschützten Verfahrens), alles tracken, was sich logisch für eine entsprechende Programmierung definieren lässt. Richtig angewendet, kann dies viele Absichten von Evaluierungen, auch Usability-Tests genannt, vereinfachen (siehe »Usability-Test« im Kapitel »Usability« des Buchs »Screen- und Interfacedesign – Gestaltung und Usability für Hard- und Software«, Springer). Eine mit der Autorensoftware Director oder Flash erstellte Applikation, die sich auf einem DVD-Medium befinden könnte, würde zu diesem Zweck mehr Möglichkeiten eröffnen, als es eine rein internetbasierte Lern-/Lehreinheit je bieten könnte. Die Standpositionen, die Klickposition, die Bewegungen und Bewegungsrichtungen der Computermaus lassen sich dann feststellen und abrufen ohne dass der Anwender Softwareinstallationen vornehmen muss. Da die zu übermittelnden Daten sehr geringfügig sind, würde es genügen, wenn der Anwender über eine einfache, analoge Modem-Anbindung ans Internet verfügt. Der Anwender (Rezipient, Proband) kann sich demnach an jedem beliebigen Ort befinden. Dies zeigt einmal mehr, wie hilfreich es ist, die individuellen Vorteile verschiedener Medien innerhalb einer integrierten Publikation gemeinsam zu nutzen.
Nun folgen einige ausgewählte Beispiele an Produktionen, die die Absicht verfolgen, Wissen zu vermitteln, und die entweder ausschließlich für DVD erstellt wurden oder vom Interaktions-Prinzip her besonders erwähnenswert sind bzw. ebenso auf DVD produziert werden könnten.
→ → → → → → → → →
158
Antizipation – Die Ursache liegt in der Zukunft [S. 388] Filme sehen lernen – Grundlagen der Filmästhetik [S. 448] sense&cyber [S.1 60] KHM Audiolectures 01 [S. 161] Ästhetik als Metatheorie [S. 446] Deutsche & Polen – eine Chronik [S. 162] Travel-Web-DVD-Berlin – der vernetzte Reiseführer [S. 163] Rebell wider Willen – Das Jahrhundert des Martin Niemöller [S. 164] Story of a Jazzpiano [S. 424]
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
Abb. 2.2.2 »Filme sehen lernen – Grundlagen der Filmästhetik« ist eine multimediale Lehr- und Selbstlernsoftware von Prof. Dr. Rüdiger Steinmetz, www.uni-leipzig.de/~kmw; 2005 erschienen bei Zwei tausendeins, Frankfurt/Main, www.zweitausendeins.de.
Filme sehen lernen – Grundlagen der Filmästhetik Neben Basiswissen umfasst die DVD insbesondere Grundlagen der filmischen Kameraführung, Licht, Ton, Schnitttechniken, Montage- und dramaturgische Konzepte. Zudem werden verschiedene Filmstile näher erläutert (siehe auch im Kapitel »Projekte im Detail« und dort unter »Filme sehen lernen – Grundlagen der Filmästhetik«) [S. 448].
159
2.2.2 Torsten Stapelkamp: Orientierungsbeiträge zu Wissensvermittlung und Didaktik
Abb. 2.2.3 »sense&cyber« ist eine integrierte Publikation von Torsten Meyer und Stephan Münte-Goussar, bestehend aus Buch und DVD-ROM.
sense&cyber
Es gibt Ordnungsstrategien, die nach allgemeinen Kriterien sortieren (Alphabet, Chronologie, Geographie usw.), und solche, die nach subjektiven Kriterien auf unterschiedliche Weise Geschichten des Projektgeschehens erzählen (»Topologie«, »Überschau«, »Projektdokumentation« usw.). Je nach Logik der ausgewählten Ordnung entstehen bei dieser DVD-ROM unterschiedliche Darstellungen der ausgewählten Materialien. »Geschichten« werden als Sequenzen von oben nach unten oder von links nach rechts dargestellt, während assoziative Ordnungen als von der geometrischen Form des Kreises ausgehende Arrangements erscheinen. Der Weg durch das Material wird automatisch aufgezeichnet und steht dem Anwender zur Navigation im Menü »History« zur Verfügung.
160
Die Darstellung und Speicherung dieser Ordnungsprinzipien sind allerdings nur mit ROMMedien (CD-ROM, DVD-ROM) am Computer möglich und mit den Spezifikationen der DVD-Video nicht realisierbar. Dennoch zeigt dieses Beispiel, wie reizvoll und Sinn stiftend es sein kann, verschiedene Medienqualitäten zwar unabhängig, aber auf ein und demselben Medium zu nutzen. Die Möglichkeiten der DVD-Video könnten ergänzend zur DVDROM dazu genutzt werden, Projekte in hoher Bildund Tonqualität Format füllend mit Bilderreihen und/oder Videosequenzen zu präsentieren. Es wäre dabei nur eine »DVD-Scheibe« erforderlich (siehe unter »DVD-ROM« und »DVD-Video« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 20, 21].
Bei diesem partizipativen audio-visuellen Wissensraum, der mit einem Browser über das Internet oder über CD-ROM betrachtet und genutzt werden kann, wird der Computer nicht als Textmaschine verwendet, sondern als Radio mit Bildbegleitung, sozusagen als TV-Radio. Die Vorlesungen von Prof. Dr. Hans Ulrich Reck zum Thema »Utopie, Funktion, Kritik, Kontext: Bedeutung und künstlerische Ausprägung kunsttheoretischer Kernfragen des 20. Jahrhunderts« sind hörbar und werden mit korrespondierenden Bildern begleitet. Die Vorlesungen wurden zum Wintersemester 2000/2001 an der Kunsthochschule für Medien Köln gehalten. Unter dem Titel »PART«, »partizipativer audiovisueller Wissensraum«, hat Markus Unterfi nger ein Projekt entwickelt, das sich der Aufbereitung, Redaktion und Einrichtung dieses audiovisuellen Materials für das Internet widmete. Das von ihm vorgeschlagene Modell bietet im Internet die Möglichkeit, den
Vorlesungsraum dynamisch zu erweitern, mit neuen Einträgen und Kommentaren zu ergänzen und damit – im Sinne des Titels – im digitalen Raum einen partizipativen Wissensraum zu ermöglichen, also den teilhabenden Charakter der mündlichen Überlieferung zu erhalten. Diese Arbeit wäre gerade wegen ihrer Linearität im Rahmen der Möglichkeiten der DVD mediengerecht vermittelbar. Schließlich stellt sie die Eigenschaften eines Hörbuchs dar, dessen Inhalte mit Abbildungen angereichert werden, weshalb die Autoren diese Arbeit als TV-Radio klassifi zieren. Die dynamische Komponente sollte weiterhin im Internet verbleiben und könnte je nach Aufbereitung und Zusatzgerät ebenso am Fernseher oder am Computer genutzt werden. Im Dezember 2006 erschien die »KHM Audiolectures 02« zum Thema »Brechung, Setzung, Expansionen«68. Mittlerweile bietet sich PODcasting als geeignete Medienform an. 68 www.khm.de/audiolectures
2.2.2 Torsten Stapelkamp: Orientierungsbeiträge zu Wissensvermittlung und Didaktik
Abb. 2.2.5 »Deutsche & Polen – eine Chronik« ist eine DVD-Video/ DVD-ROM-Produktion des Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg mit korrespondierenden Anteilen im Internet. Herausgeber: Nicolai'sche Verlagsbuchhandlung, Berlin, 2002.
Deutsche & Polen – eine Chronik
Der Vierteiler beschreibt das historische Verhältnis von Deutschen und Polen, Konfl ikte und Katastrophen, aber auch die historischen Verbindungen und Gemeinsamkeiten. Der Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg hat zusätzlich zur Filmdokumentation ein aufwändiges Angebot im Internet produziert, das zu jeder Filmstelle Hintergrundinformationen bietet. Die Produktion beinhaltet eine DVD-Video, eine DVD-ROM und eine Internetseite. Die Filminhalte auf der DVD-ROM können mit den Inhalten der Internetseite verknüpft werden (siehe dazu auch »webDVD« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disk«) [S. 23].
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
Abb. 2.2.6 »Travel-Web-DVD-Berlin – der vernetzte Reiseführer« ist eine DVD-Video/DVDROM-Produktion mit korrespondierenden Inhalten im Internet. Galileo Medien AG, www.galileomedien.de, 2001.
Travel-Web-DVD-Berlin – der vernetzte Reiseführer Kombiniert mit dem Internet erhält man mit dieser DVD aktualisierbare Informationen betreffend Öffnungszeiten, Stadtpläne, Flüge und Bahnverbindungen. Man kann sich kombiniert und ergänzend zur DVD online informieren und anschließend buchen. Ansonsten bietet die DVD lineare Filmberichte und redaktionelle Beiträge zum Reiseziel und seinen Besonderheiten. Für Berlin hat dieser Verlag noch keine aktuelle Version herausgegeben, dafür aber für Städte wie Barcelona und Paris.
2.2.2 Torsten Stapelkamp: Orientierungsbeiträge zu Wissensvermittlung und Didaktik
Abb. 2.2.7 »Rebell wider Willen – Das Jahrhundert des Martin Niemöller« (Originaltitel: »Was würde Jesus dazu sagen?«). Ein Film von Hannes Karnick und Wolfgang Richter69, 2004. Konzept und Produktion: docfilm Karnick & Richter oHG.
Rebell wider Willen – Das Jahrhundert des Martin Niemöller Die Agentur »Master Kitchen«70 entwickelte für diese DVD-Video/DVD-ROM-Produktion eine webDVD Engine, mit der passend zu den Verweisen im Text der korrespondierenden Internetseite direkt Ausschnitte aus dem Film abgespielt werden können bzw. von der DVD aus auf Verlinkungen ins Internet verwiesen werden kann (siehe dazu auch »webDVD« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disk«) [S. 23]. 69 Verlag »absolut Medien«, www.absolutmedien.de 70 www.masterkitchen.de
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
2.2.3 Kooperatives E-Learning und computervermittelte Kommunikationsprozesse Dipl. Päd. Markus Arens
Insgesamt geht es in diesem Kapitel auf der einen Seite um den sozialen Charakter und die Bedeutung computerunterstützter kommunikativer Prozesse von und in Gruppen. Auf der anderen Seite wird die Form des gruppenbasierten E-Learnings fokussiert und in Beziehung zu den Themenkomplexen »Lerntheorien« und »Computervermittelte Kommunikation« gesetzt, indem die Kommunikationsstruktur kooperativer E-Learning-Umgebungen analysiert wird. Computerunterstütztes Lernen hat Konjunktur, was sich unter anderem durch eine immer größere Zahl kommerzieller E-Learning-Anbieter, die auf den Markt drängen und aus der ständig steigenden »Aktie« Bildung Kapital schlagen wollen, bemerkbar macht (vgl. Bentlage & Hummel 2002). Durch die Integration, Kombination und Weiterentwicklung digitaler Medien kann E-Learning in den nächsten Jahren noch flexibler, d.h. noch unabhängiger von Ort und Zeit gestaltet und genutzt werden. Bentlage und Hummel (2002) sehen den E-Learning-Markt in drei Segmente gegliedert, mit welchen sich Anbieter von elektronischen Lernplattformen positionieren können: Inhalte, begleitende Services zu einem Bildungsangebot und die technologische Infrastruktur (S. 156). Wieviel Erfolg E-LearningModelle haben, hängt nach Meinung der Autoren von dem Mehrwert, der Nutzerfreundlichkeit und der Kundenorientierung der Modelle ab. Aus wirtschaftlicher Sicht versprechen sich viele Vertreter der Medienindustrie von E-Learning ein lukratives, gewinnbringendes Geschäft. Entsprechend positive und enthusiastische Prognosen aus diesen gesellschaftlichen Bereichen sind daher nicht überraschend. Die Forschung über computerunterstützte Lernformen kann heute noch nicht auf eine lange Tradition zurückblicken. Viele Bereiche dieses Themenkomplexes sind sogar bislang vollkommen unberücksichtigt geblieben. Somit stehen auch nur zu einigen Teilaspekten empirische Befunde zur Verfügung. Ein Resümee auf diesem Gebiet kann nur der Versuch sein, die gewonnenen Erkenntnisse anhand der Vor- und Nachteile kooperativer ELearning-Formen zu strukturieren und mögliche Interpretationen aufzu zeigen. Eine der größten Schwächen computervermittelter Kommunikation, die auch bei der Bewertung computerunterstützter kooperativer Lernformen eine gewichtige Rolle spielt, ist die mangelnde soziale Präsenz dieser Lernumgebungen.
165
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
Eine Option, der fehlenden »Group-Awareness« zu begegnen, liegt in der Schaffung resp. Konstruktion virtueller Räume (wie sie in MUD’s vorzufinden sind), um ein Gefühl der Anwesenheit anderer Teilnehmer zu vermitteln und somit die soziale Präsenz in der Lerngruppe zu stärken. Das un übersehbare und nicht wegzudiskutierende Manko der sozialen Präsenz darf jedoch nicht die Erkenntnis trüben, dass »social skills« oder »soft skills« wie Teamfähigkeit, Führungsqualitäten, Durchsetzungsvermögen und Kompromissfähigkeit, die von Arbeitgebern und Weiterbildnern gleichermaßen gefordert und gefördert werden, gerade durch kooperative Lernformen geschult werden können. Eine pädagogisch und didaktisch geschickte Anleitung in situierten, authentischen und kooperativen Lernkontexten verhilft den Lernern zu dem Vermögen, sowohl selbstgesteuert zu lernen und metakognitive Kompetenzen zu erwerben, als auch in Kooperation mit anderen Lernern soziale Schlüsselqualifikationen aufzubauen. Dieser duale Charakter stellt möglicherweise das größte Potenzial kooperativer E-Learning-Szenarien dar. Heidack (2002) bescheinigt dem kooperativen Lernen im Netz ebenfalls sehr positive Effekte, die sich seiner Meinung nach vor allem dadurch ausdrücken, dass der Einzelne »von dem weitergegebenen Wissen und den Erfahrungen der anderen« profitiert, dieses neue Wissen mit dem eigenen Wissen und den eigenen Erfahrungen verbindet, auf dieser Grundlage verarbeitet und dann wiederum an andere weitergibt (S. 264). Damit entsteht ein Multiplikator- und Schneeballeffekt, der den Qualifika tionserwerb der Lerngemeinschaft garantiert. Ein weiteres Manko des computervermittelten kooperativen Lernens ist die fehlende Möglichkeit der Teilnehmer, sich über einen gemeinsamen Wissenshintergrund abzustimmen (vgl. Hesse, Garsoffky & Hron 1997). Eine erfolgreiche Kommunikation in Lerngruppen kann nur gelingen, wenn der Sender einer Botschaft den Wissenshintergrund des Empfängers mit einbezieht (vgl. Herrmann 2001). Weil nonverbale und paraverbale Sprachmittel sowie andere Statusmerkmale wie Kleidung, Aussehen und Auftreten nicht zur Verfügung stehen, ist es den Teilnehmern in CSCL-Gruppen nur erschwert oder gar nicht möglich, einen gemeinsamen Wissensbestand aufzubauen. Besonders in konvergenten Kommunikationsprozessen (siehe unter »Kommunikationsund Kooperationsverhalten der Gruppenmitglieder« in diesem Kapitel) [S. 183] bei denen die Gruppenmitglieder ihr Verständnis einer Aufgabe und eine Handlungsstrategie kooperativ entwickeln müssen, hängt der Erfolg des gegenseitigen Verstehens davon ab, wie gut die Beiträge einzelner Gruppenmitglieder vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Wissensbestände interpretiert werden können; d.h. wie fähig sind die Teilnehmer, den inneren Kontext der anderen zu berücksichtigen. Der gemeinsame Wissenshintergrund einer computerunterstützten Lerngemeinschaft kann gestärkt werden, wenn die Mitglieder beispielsweise in Online-Gruppendiskussionen oder bei der asynchronen computervermittelten Kommunikation via E-Mail unaufge-
166
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
fordert Informationen bezüglich ihres (inneren und äußeren) Kontextes vorausschicken. Solche Maßnahmen beugen Missverständnissen vor und steigern indirekt die Produktivität und Vertrauensbildung einer Gruppe. Ein ausreichendes Maß zur Verfügung stehender sozialer Hinweisreize und die Abstimmung eines gemeinsamen Wissenshintergrundes sind also für einen erfolgreichen Informationsaustausch in E-Learning-Gruppen wichtig. Eine dritte Variable in diesem Zusammenhang ist die Quantität und Qualität der Informationen selbst. Mit dem technologischen Potenzial neuer Medien lassen sich problemlos riesige Informationsmengen erzeugen und darbieten (vgl. ebd., S. 259). Jedes einzelne Gruppenmitglied ist theoretisch in der Lage, Botschaften in beliebiger Länge zu generieren und sie mit Grafiken, Audio-Dateien und Videosequenzen anzureichern. Durch Kommunikationsnetzwerke in Gruppen entstehen zahllose Informationssegmente wie persönliche E-Mails, Newsletter, Konferenzprotokolle, virtuelle Arbeitsmaterialien, Online-Referate, Hausarbeiten, Gruppenpräsentationen etc. Die Konfrontation mit derartigen Informations- und Nachrichtenmengen kann zu einer kognitiven Überlastung der Teilnehmer führen und die Produktivität der Gruppe beeinträchtigen. In der Media-Richness-Theorie wird auf dieses Problem mit der These hingewiesen, dass ein zu reichhaltiges Medienangebot, das einer spezifischen Mediensituation nicht angemessen ist, zu Kommunikationsstörungen in der Gruppe führen kann. Das Problem des Informationsumfangs kann sowohl mit »Maßnahmen der Systemgestaltung«, vor allem aber durch die Ausbildung und Förderung von Selektionsstrategien bei den betroffenen Gruppenmitgliedern kompensiert werden. Von Seiten der technischen Architektur wäre beispielsweise die Einrichtung von Filtern denkbar, die zwischen »öffentlichen« und privaten Botschaften differenzieren und mit Schlüsselwörtern arbeiten. Die Gliederung nach Themen bzw. »Threads« und Argumentationssträngen wäre für Gruppen-Chats oder Online-Konferenzen sinnvoll. Effektiver und aus pädagogischer Sicht gewinnbringender erscheint es, den Teilnehmern behilflich zu sein und sie anzuregen, probate Strategien und Kompetenzen bei der Informationsauswahl zu entwickeln. Im Zusammenhang mit den Aufgabenbereichen von Moderatoren in CSCL-Umgebungen wurde bereits die Betonung auf die Selbstlernkompetenzen der Teilnehmer gelegt. Döring (1997) verweist vor dem Hintergrund der Lernmöglichkeiten im Internet darauf, Probleme mit der Informationsflut in erster Linie »auf Defizite in der Informationsverarbeitung« zurückzuführen (S. 323). Ihrer Meinung nach muss das »individuelle und soziale Wissensmanagement« der Lerner gefördert werden (vgl. ebd.). Hier soll der Faktor Wissensmanagement nicht weiter vertieft, sondern vorerst als eines der zentralen Bestandteile für das Lernen mit neuen Medien festgehalten werden. Vielmehr sollten vorerst grundlegende Charakteristika und strukturelle Merkmale von E-Learning als Basis weiterer Ausführungen dienen, um nachher sukzessive konkrete Gestaltungsmöglichkeiten gruppen basierter E-Learning-Formen zu diskutieren.
167
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
2.2.3.1 Was ist E-Learning?
Ohne Differenzierungen anzusetzen, wird E-Learning für alle computerunterstützten Lernformen getitelt, ungeachtet der Abgrenzung von Offlineund Online-Technologien, der Qualität und Quantität der darin verwendeten Medien, der angestrebten Lernziele, des Profils der jeweiligen Nutzer oder der Frage, ob es sich um individualistische oder gruppenorientierte Formen des Lernens handelt. In einer Zeit, in der es sich bei den Diskussionen rund um die Bildungs landschaft einerseits vornehmlich um Probleme der Finanzierung, Effizienz und Kostenreduktion handelt und andererseits die exorbitante Entwicklung der Informations- und Telekommunikationstechnologien das gesellschaftliche Leben durchdringt, erscheinen verheißungsvolle Attribute des »E-Learning« wie Zeit- und Ortsungebundenheit, universell einsetzbare Lernsoftware und radikale Kostenersparnis als einzig probate Lernmethode der heutigen Zeit. Auf Grund der mannigfaltigen Gestaltungsmöglichkeiten computerunterstützter Lehr- und Lernumgebungen erscheint es sinnvoll, sich dem E-Learning-Begriff multiperspektivisch und mittels unterschiedlicher Kategorien zu nähern, um eine angemessene Definition herauszuarbeiten. Eine Erklärungsmöglichkeit eröffnet sich beispielsweise aus einer technologieorientierten Sichtweise, indem technische Voraussetzungen für die Inbetriebnahme einer E-Learning-Umgebung (wie z.B. notwendige Hardwarekomponenten, erforderliche Kommunikationsdienste, Software, Tools, Autorenprogramme etc.) berücksichtigt werden. Im Rahmen einer skizzenhaften Einführung in den Themenbereich erscheint es jedoch sinnvoller, den Fokus der Definition auf eine didaktisch-psychologische Perspektive zu legen. Aus diesem Grund werden im Anschluss zunächst einige psychologische Theorien vorgestellt, die die Interaktion zwischen Lernern und verschiedenen Medien behandeln. Danach schließt sich eine didaktische Differen zierung von E-Learning nach teil- und vollvirtuellen Lernumgebungen an.
Psychologische Komponenten von E-Learning Es soll hier also
der Versuch unternommen werden, eine psychologische Sichtweise für E-Learning zu entfalten. Diese ist allerdings der Schwierigkeit unterworfen, vollkommen voneinander unabhängige Disziplinen der Psychologie, wie etwa Kognition, Wahrnehmung, Informationsverarbeitung, Entwicklungspsychologie oder Gedächtnis zu verbinden, da die menschlichen Lernprozesse von allen Disziplinen tangiert werden. Eine Möglichkeit, sich elektronischen Lernumgebungen mittels psychologischer Perspektive zu nähern, lässt sich über einen medienpsychologischen Zugang realisieren. Indem der Lernprozess anhand einzelner Mediengruppen kategorisiert wird, ergeben sich je nach Medium unterschiedliche medienpsychologische Konsequenzen für die Lerner.
168
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
Urhahne u.a. (2000) sind in ihrem Aufsatz, der sich skizzenhaft mit den Möglichkeiten des Computereinsatzes im naturwissenschaftlichen Unterricht auseinandersetzt, dieser Fragestellung nachgegangen und haben zu diesem Thema bereits vorhandene Theorien und Argumentationen zusammengefügt. a) Doppelte Kodierungstheorie nach Paivio (1986) Zum Lernen mit Text,
Bild und Ton bemühen die Autoren beispielsweise die doppelte Kodierungstheorie nach Paivio (1986), der von zwei unterschiedlichen, relativ unabhängigen Informationsverarbeitungssystemen, nämlich einem verbalen und einem nonverbalen, ausgeht. Die beiden Verarbeitungssysteme sind wiederum durch so genannte referentielle Verbindungen miteinander verbunden, was gleichzeitig eine Verknüpfung verbaler und bildlicher Codes bedeutet. Die doppelte Kodierung eines Wissenselements bzw. einer Information, die somit entsteht, sorgt für eine bessere Verankerung des Wissens in unserem Gedächtnis. b) Generative Theorie des Multimedia-Lernens nach Mayer Eine Weiter-
entwicklung der doppelten Kodierungstheorie Paivios ist die generative Theorie des Multimedia-Lernens nach Mayer (vgl. Urhahne u.a. 2000, S. 163f.). Nach dieser Theorie findet die Auswahl und mentale Organisation von Informationen durch die Lernenden in voneinander getrennten visuellen und verbalen Systemen statt. Erst wenn der Lernende ein visuelles und verbales, mentales Modell des Lerngegenstands erzeugt hat, stellt er auf einer höheren kognitiven Ebene in einem integrativen Prozess Verbindungen zwischen beiden Systemen her. Neben der Entwicklung seiner generativen Theorie fand Mayer (vgl. ebd.) in Untersuchungen mit multimedialen Lernsystemen das Kontiguitätsprinzip als besonders lernfördernd heraus, nach dem zusammengehörende Texte und Bilder sowohl räumlich, als auch zeitlich gemeinsam in der computerunterstützten Lernumgebung dargeboten werden sollen. c) Supplantationstheorie nach Salomon Das Lernen mit Animationen
kann nach der Supplantationstheorie von Salomon (vgl. ebd.) dabei behilflich sein, eine Schwäche des Lerners, z.B. die eingeschränkte Fähigkeit zur Imagination dynamischer Abläufe, mit Unterstützung der Animationen zu ersetzen. Ferner werden Bewegungen und Laufbahnen von Objekten eindeutig dargestellt, was eine fehlerfreie Vorstellung der Lernenden bewirkt und eine falsche Imagination korrigiert. Für einen positiven Effekt von Animationen ist eine angemessene Informationsmenge Voraussetzung, da ein Übermaß vorhandener Informationen (»Information-Overload«) zu Orientierungslosigkeit führen kann. d) Lernen mit Hypertext und Hypermedia Beim Lernen mit Hypertext und
Hypermedia ergibt sich für den Lerner die Chance, Lerninhalte größtenteils
169
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
selbstgesteuert entdecken und assimilieren zu können, bei denen auch die Reihenfolge frei wählbar bleibt. Gegen Lernarrangements mit Hypermedia spricht jedoch die Gefahr, dass der diesem Medium innewohnende, nichtlineare Charakter und gewaltige Informationszufluss zu einer kognitiven Überlastung der Lernenden führen kann (man spricht in diesem Zusammenhang auch oft von »Lost in Hyperspace«). Es empfiehlt sich daher, den Lernern Navigationshilfen zur Seite zu stellen, die die programmbezogene Orientierung erleichtern und dabei unterstützen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. e) Lernen in Netzen Den Abschluss der einzelnen medialen Kategorien
bildet das Lernen in Netzen. Konträr zu den übrigen Medien steht beim Lernen in Netzen die Kooperation im Vordergrund. Die Lernenden kommunizieren via E-Mail, Newsgroups, Mailinglisten oder Chats (siehe unter »Chat« in diesem Kapitel) [S. 179] mit anderen Lernern, um ein aktives, verständnisorientiertes und multiperspektivisches Lernen entfalten zu können. Außerdem besteht für alle die Möglichkeit, Themen-Datenbanken, virtuelle Arbeitsgruppen und Treffpunkte zu nutzen, um eine Art InformationsManagement umzusetzen.
Teil- und vollvirtuelle Lehr-Lernangebote Wird nun der didak-
71 Zum Überblick über das Thema »Blended Learning« (auf dem betrieblichen Sektor) sei hier Sauter, Werner & Sauter, Annette-M. (2002): Blended Learning: Effiziente Integration von E-Learning und Präsenztraining, Neuwied, Luchterhand, empfohlen.
170
tische Wert einer E-Learning-Maßnahme durch einer den Lernzielen angemessenen Medienintegration ermittelt, ist eine Differenzierung zwischen teilvirtuellen und vollvirtuellen Lernangeboten sinnvoll (vgl. Döring 2002, S. 254). Teilvirtuelle Lernangebote werden auch hybride Unterrichtsformen genannt, bei denen netzbasierte Lernaktivitäten und Präsenzunterricht kombiniert sind. Sie werden häufig an Schulen und Hochschulen eingesetzt, da sie in fast jedem Fachbereich zur Anwendung kommen können. Inzwischen hat sich für diese Lernform der Begriff »Blended Learning« etabliert71. Neben der Informationssuche stellt das netzbasierte Lernen auch interessante Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten zur Verfügung, die für die unterrichtlichen Präsenzphasen gewinnbringend eingesetzt werden können. Abgesehen von der Chance, Befragungen und Interviews online durchführen zu können, liegt für die Lernenden in den Online-Diskussionsforen und Newsgroups großes Potenzial, mit beliebig vielen anderen Interessenten fachliche Diskurse anzustrengen. Voraussetzung für diese Möglichkeit ist allerdings ein aktives und regelmäßiges Nutzer-Engagement sowie redigierende Maßnahmen eines Moderators. Eher logistische und organisatorische Vorteile für teilvirtuelle Angebote bietet das »Publizieren im Netz« (ebd., S. 257f.). Lehrende werden dadurch befähigt, ihre Unterrichts- und Kursmaterialien, Literaturlisten, Folien und Grundlagentexte zur Vertiefung und Begleitung der Unterrichtseinheiten
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
ins Netz zu stellen. Auf der anderen Seite besteht für die Lerner die Möglichkeit, eigene Referate, Hausarbeiten und sonstige Kommentare ihren Kommilitonen online zur Verfügung zu stellen. Außerdem bleibt ihnen, im Gegensatz zu vollvirtuellen Angeboten, die Möglichkeit der sozialen Nähe, zwischenmenschlicher Kontakte und wichtiger Sozialisationsfunktionen klassischer (Offline-) Bildungseinrichtungen erhalten, was bei vollvirtuellen Angeboten auf Grund der konzentrierten Rezeption und Analyse umfangreicher Textmaterialien nicht gewährleistet werden könnte. Vollvirtuelle Lernangebote können nach (1) Televorlesung, (2) Teleseminar oder (3) Web Based Training differenziert werden. Eine Televorlesung, die identisch zu einer konventionellen Vorlesung konzeptioniert ist und via Video/Monitor-Konferenz übertragen wird, basiert hauptsächlich auf einer ökonomischen Motivation, besitzt aber keine bemerkbaren didaktischen Vorzüge, sondern auffallende Defizite (z.B. mangelnde Interaktionsmöglichkeiten, kein Medienwechsel usw.). Ein Teleseminar unterscheidet sich wiederum von einer Televorlesung durch die Tatsache, dass die anstehenden Arbeitsaufgaben von Kleingruppen und Teams gemeinsam erarbeitet werden. Das »Web Based Training« bietet dagegen deutlichere Unterschiede zu den klassischen Lern- und Arbeitsformen. Hier erfolgt das Aneignen der Lernmaterialien und des Unterrichtsstoffs mit der selbstständigen und individuellen Bearbeitung kleiner, modularer Lerneinheiten. Welche der verschiedenen didaktischen Formen in welchem Umfang eingesetzt wird, hängt von den Lernzielen und -inhalten ab. Eine allgemeine computerunterstützte Lernumgebung geht natürlich über rein medienpsychologische Konzepte hinaus. Abgesehen davon, dass die Vorteile eines einzelnen Mediums nur dann genutzt werden können, wenn die eingesetzten Medien gezielt in einem didaktischen Gesamtkonzept integriert sind, beeinflussen auch individuelle kognitive Strukturen des Lerners den Lernprozess, wie z.B. Motivation, persönliche Bedürfnisse und Interessen der Lerner, Vorwissen, Informationsverarbeitungsstrategien, Selbstlernkompetenzen etc. (vgl. Friedrich & Mandl 1997). Innerhalb dieses Aufsatzes ist es jedoch zweifelsfrei unmöglich, sämtliche Möglichkeiten der Herangehensweise eines so vielschichtigen Themengebiets wie E-Learning zufriedenstellend auszuleuchten. Es ist daher unumgänglich, für den weiteren Umgang mit diesem Terminus eine arbeits- und diskussionsfähige Definition zu wählen, die a) mehrere Disziplinen berücksichtigt und b) als Basis der weiteren Debatten zu diesem Bereich fungieren kann. In ihrem Fachlexikon E-Learning bieten Seufert & Mayr (2002) meiner Meinung nach eine gelungene Symbiose divergenter Perspektiven, indem sie E-Learning folgendermaßen definieren: »E-Learning findet statt, wenn Lernprozesse in Szenarien ablaufen, in denen gezielt multimediale und (tele)kommunikative Technologien integriert sind« (S. 45f.). Die Bestandteile dieser Erklärung finden sich auch in den folgenden
171
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
Abschnitten wieder. Während zunächst die Lernprozesse anhand dreier lerntheoretischer Stränge thematisiert werden, kommen im darauffolgenden Abschnitt besonders die (tele)kommunikativen Technologien zum Ausdruck, während im anschließenden Kapitel ein spezifisches E-Learning-Szenario ergründet wird. Am Schluss erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit den Perspektiven computerbasierter Lernumgebungen.
2.2.3.2 Lernprozesse und ihre lerntheoretische Basis Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus Aktuelle
lerntheoretische Diskurse, die sich mit computerunterstützten Lehr- und Lernformen auseinandersetzen, verlaufen größtenteils entlang der wichtigsten lerntheoretischen Paradigmen des Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus. Gemäß inhaltlich charakteristischer Schwerpunkte dieser Theorietraditionen sind in der E-Learning-Landschaft unterschiedliche didaktische Modelle und Aufgabentypen entstanden, die im Folgenden mit ihren wesentlichen Charakteristika vorgestellt werden. Behaviorismus Watson, dem Begründer der behavioristischen Lerntra-
dition, ging es vor allem darum, das »Gebiet menschlicher Anpassungsvorgänge« zu erhellen und menschliches Verhalten vorherzusagen und zu kontrollieren (Watson 1997, S. 43). Der Behaviorismus interpretiert das menschliche Lebewesen als relativ »seelen- und willenlos«, dessen Verhalten ausschließlich reaktiv als Bestandteil eines Reiz-Reaktions-Schemas erfolgt. Die »klassische Konditionierung« als elementarer Grundbegriff der behavioristischen Lern- und Verhaltensforschung beschreibt, dass die raum-zeitliche Verknüpfung zwischen einem natürlichen (unkonditionier ten) Reiz und einem neutralen (konditionierten) Reiz dazu führen kann, dass der vormalig neutrale Reiz die gleiche Reaktion hervorruft wie der ursprüngliche unkonditionierte. Mit diesem Grundprinzip der klassischen Konditionierung wollte Watson nicht nur einfache Reaktionen des Körpers erklären, sondern auch die emotional, motorisch und kognitiv komplexen Verhaltensweisen der Menschen bestimmen, die seiner Meinung nach im Laufe unseres Lebens durch ständige Erweiterungen unserer vorhandenen Reiz-Reaktions-Verbindungen aufgebaut werden. Das Lernen aus Sicht des Behaviorismus lässt sich folgendermaßen skizzieren: Lernen repräsentiert den Aufbau neuer Reiz-Reaktions-Verbin dungen, die zu relativ dauerhaften Verhaltensänderungen führen (vgl. Baumgart 1998, S. 110). Interne psychische, emotional-kognitive oder motivationale Komponenten finden keine Berücksichtigung. Dementsprechend sehen die Anhänger des Behaviorismus das menschliche Gehirn als passiven Behälter oder »black box«, in dem das Wissen abgelagert wird und welches auf die Reize unserer Umwelt mit angeborenen oder erlernten Verhaltensweisen reagiert. Der Erfolg und die Qualität des Lernprozesses und der
172
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
damit einhergehende Wissensgewinn drückt sich in einer korrekten »InputOutput-Relation« aus und wird durch eine extern determinierte (d.h. durch den Lehrer oder Versuchsleiter verursachte) Verhaltensänderung beurteilt. Der Wissensgewinn ist eine von Verstärkern modifizierte Informations speicherung. Die Lernziele sind eindeutig festgelegt und klar strukturiert. Der Lerner hat die Aufgabe, die portionierten Übungsaufgaben einzeln abzuarbeiten und solange zu trainieren, bis sich das richtige Antwortverhalten einstellt. Diese behavioristischen Grundsätze setzen sich in behavioristisch geprägten Lernformen resp. Lernsoftware, wie dem programmierten Unterricht oder den »Drill-and-practice«-Programmen fort. Kognitivismus Der Kognitivismus ist als Gegenbewegung des Behavioris-
mus entstanden, der als zu mechanisch und starr abgelehnt wird. Unter dem Begriff Kognitivismus werden mehrere psychologische Theorien beherbergt, die die kognitiven und mentalen Verarbeitungsprozesse in das Zentrum ihrer Betrachtung rücken. Die Gemeinsamkeit aller unterschiedlichen Ausprägungen des Kognitivismus liegt in der Betonung der inneren Prozesse des menschlichen Hirns, dessen Funktionsweise und Organisation. Das menschliche Denken gilt als Prozess der Informationsverarbeitung. Auf dieser abstrakten Ebene rücken Mensch und Computer eng zusammen. Hier gibt es Verbindungen zwischen der Kognitiven Psychologie und den Forschungsarbeiten zur Künstlichen Intelligenz (KI) (vgl. Baumgartner & Payr 1997, S. 90f.). Die Rolle des passiven Rezipienten aus der behavioristischen Theorie tradition, dessen Gehirn lediglich als »black box« und Behältnis fungiert, in dem Wissen gelagert werden kann, hat sich im Kognitivismus zu einem dynamischen Rollenverhältnis zwischen Lernenden und Lernumgebung transformiert. Komplexe und vielschichtige Prozesse sorgen dafür, dass neue Informationen beim Lernenden an bereits bestehende, interne Informations systeme und Repräsentationen angegliedert und verbunden werden. Das primäre Ziel ist nicht mehr das Training korrekter Antworten resp. Verhaltensweisen, sondern der Erwerb und die Entwicklung von Methoden für Problemlösungsverfahren. Im Kognitivismus bekleiden die Lehrenden die Rolle eines Tutors, der den Lernenden unterstützend und beratend zur Seite steht. Nicht mehr die allmächtige, einzige Autorität des Unterrichts verkörpernd, hat der Lehrer nun die Aufgabe, den Schülern bei Bedarf bei ihren Problemlösungsstrategien in tutorieller Form behilflich zu sein. Wie beim Behaviorismus gibt es auch beim Kognitivismus Aufgaben stellungen, Programmtypen und Lernsoftware, die strukturell nach den kognitivistischen Prinzipien gestaltet sind. Typisch kognitivistische Lernprogramme bieten komplexe Situationen und fördern eine problemorientierte Wissensvermittlung. Als Beispiel dafür können »Intelligente Tutorielle Systeme (ITS)« angeführt werden.
173
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
Konstruktivismus Für die Konstruktivisten ist Wissen nicht als Repräsen
tation einer ontologischen, real existierenden Wirklichkeit zu verstehen, sondern Wissen dient dem aktiv konstruierenden Subjekt, ein kognitives und biologisches Gleichgewicht zu halten. Von Glasersfeld erläutert dieses Gleichgewicht als »Handlungs- oder Denkweise, die an allen Hindernissen vorbei (den ontischen wie den aus der Handlung selbst erwachsenen, [Ontische Realität = von unseren individuellen Erfahrungen unabhängig seiende Realität bzw. Wirklichkeit]) zum erwünschten Ziel führt« ( Von Glasersfeld 2000, S. 30). Diese Handlungs- und Denkweise besetzt von Glasersfeld mit dem Begriff der Viabilität und charakterisiert sie als Schlüsselkategorie für den konstruktivistischen Erkenntnisprozess (vgl. Siebert 2002, S.30). Der Prozess der Viabilität (abgeleitet von lat. via = der Weg) meint eine Gangbarkeit, ein Passen der einzelnen menschlichen Natur, des einzelnen Wissens und Könnens bzw. der Wahrnehmung mit seiner Umwelt. Lernen kann für die Anhänger des Konstruktivismus nie als einzelner, isolierter Handlungsakt begriffen werden, sondern muss immer unter Berücksichtigung des jeweiligen situativen, sozialisatorischen und kulturellen Kontextes beurteilt werden. Die Lernenden konstruieren ihr Wissen, indem sie neue Erfahrungen in Relation zu ihren Vorkenntnissen und bereits gemachten Wissensbeständen verarbeiten, Assoziationen bilden und somit ihre individuelle Wirklichkeit sukzessive erzeugen. Hier liegt eine Parallele zum Kognitivismus, der ebenfalls postuliert, die Informationsverarbeitung beim Lernen finde stets in einem komplexen, auf die bereits gemachten Erfahrungen aufbauenden Erkenntnisprozess statt. Den Konstruktivisten ist diese Auffassung nicht umfangreich genug. Sie vermissen beim kognitivistischen Lernschema die bereits erwähnte situativsoziale Einbettung der Lernsituation, ohne die lediglich eine Art »träges Wissen« kumuliert würde. »Träges Wissen« steht stellvertretend für ein Wissen, das zwar prinzipiell vorhanden, aber in der konkreten Situation nicht abrufbar ist, da es auf Grund der mangelnden Authentizität der Lernum gebung von den Lernern nicht transferiert werden kann. Eine konstruktivistische Lernumgebung stellt eine authentische, realitätsgetreue und vielschichtige Aufgabe bzw. Situation zur Verfügung, die mehrere Lösungswege bereithält und multiperspektivisches Denken fördert. Kon struktivistische Lernprogramme bieten keine spezifischen Informationen an, sondern ermöglichen ein ganzheitliches Lernen mit dem konkreten Themengebiet.
2.2.3.3 Computervermittelte Kommunikation (CvK)
Seit dem unaufhaltsamen Siegeszug des Internet und der damit einhergehenden Distribution digitaler Materialien ist eine neue Kommunikationsform entstanden, die in der anglistischen Fachliteratur mit »Computer me-
174
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
diated communication (CMC)«, in Deutschland mit »computer- vermittelter Kommunikation (CvK)« begrifflich verankert ist. Während anschließend zunächst Berührungspunkte zwischen konventioneller und computervermittelter Kommunikation aufgezeigt werden, folgt daraufhin eine Charakterisierung asynchroner und synchroner computervermittelter Kommunikation, die mit der Vorstellung einiger Formen und Beispiele dieser Kommunikationsarten abgerundet wird. Die Darstellung verschiedener Kommunikationstypen und -formen war durch den Wunsch beeinflusst, die Einsatzmöglichkeiten computervermittelter Kommunikation transparent zu machen und psycho-soziale Ursachen, Motive und Konsequenzen der Nutzer aufzuzeigen.
Face-to-face (Ftf )-Kommunikation versus computervermittelte Kommunikation Die vorherrschende kommunikationswissenschaftliche
und sozialpsychologische Fachliteratur weist als Ausgangspunkt ihrer Forschung zu CvK zumeist einen Vergleich zwischen der sogenannten »Faceto-face-Kommunikation« (bzw. auch »Body-to-body Kommunikation«) und der computervermittelten Kommunikation aus. So bezeichnet beispielsweise Frindte (1998) CvK als »Kommunikation, bei der mindestens zwei Individuen in einer nicht Face-to-face-Situation durch die Anwendung eines oder mehrerer computerbasierter Hilfsmittel miteinander in Beziehung treten« (S. 143). Es besteht auch die Möglichkeit, computervermittelte Kommunikation als Subkategorie technisch vermittelter Kommunikation zu klassifizieren. Diese repräsentiert alle Kommunikationsprozesse, bei denen beliebige Kommunikationsmedien in den eigentlichen Kommunikationsvorgang zwischengeschaltet sind und damit diese Kommunikation weitervermitteln (vgl. ebd., S. 142). Der Umkehrschluss dieser beiden Definitionen bedeutet nun für die Bezeichnung der Ftf-Kommunikation, dass es sich dabei um eine Kommunikation mindestens zweier Individuen handelt, die von Angesicht zu Angesicht stattfindet, ohne dass technische Hilfsmittel und Apparaturen in diesen Vorgang einbezogen sind. Es gibt einige Facetten resp. Ausdrucksformen der Face-to-face-Kommunikation, die auch bei der Analyse computervermittelter Kommunikationsformen zu berücksichtigen sind. Dazu gehören u.a. a) die nonverbale Kommunikation und b) die formelle und informelle Kommunikation. a) nonverbale Kommunikation Der Terminus »nonverbal« macht bereits
unmissverständlich deutlich, dass diese Kommunikationsform ohne verbale bzw. sprachliche Mittel aufgebaut ist. In seiner Einführung in die Kommunikationspsychologie listet Frindte (2001) eine Vielzahl nonverbaler Zeichen auf: Blickverhalten, Gesichtsausdruck (Mimik), Körperhaltung und Körperbewegung (Pantomimik und Gestik), Berührung (Taktilität), räumliche Distanz zum anderen Gesprächspartner (Regulierung des sozialen Raums), vokale Zeichen (Stimmqualität, Stimmhöhe, Stimmführung,
175
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
Lautstärke, Klangfarbe, Artikulation, Sprechgeschwindigkeit) und Staffage (Kleidung, Statussymbole und Raumgestaltung) (vgl. Frindte 2001, S. 97). Vereinfachend kann die Gesamtheit nonverbaler Optionen durch die Oberbegriffe Mimik (als alle Formen des Gesichtsausdrucks), Pantomimik und Gestik (als sämtliche körperlich bedingten Ausdrucksmöglichkeiten) und Paralinguistik (als Spektrum der Stimmmodulation) spezifiziert werden. Der Einsatz nonverbaler Kommunikationsmittel liefert für die interagierenden Kommunikationspartner hilfreiche funktionale Bestandteile. Sprachliche Kommunikation kann durch die Integration nonverbaler Elemente redundanter gestaltet bzw. betont oder abgeschwächt werden. Für die Gestaltung und Wahl eines angemessenen Interfaces für eine multimediale Kommunikationsumgebung bietet es sich daher an, den Nutzern Tools zur Verfügung zu stellen, mit denen sich nonverbale Botschaften transportieren lassen (vgl. Kap. E-Mail, S. 182). b) formelle und informelle Kommunikation In sozialen Systemen verlau-
fende Kommunikationsprozesse sind größtenteils durch ihren jeweiligen Kontext (z.B. privater/familiärer Kontext versus beruflicher Kontext) strukturell geprägt. Diesem Phänomen der unterschiedlichen Kommunikationsweisen wird durch die Differenzierung in formelle und informelle Kommunikation Rechnung getragen. Formelle Kommunikation ist dadurch charakterisiert, dass Ursache und Verlauf des Kommunikationsprozesses durch Rollenmuster der jeweils interagierenden Teilnehmer festgelegt werden. Per definitionem drücken sich demnach formelle Kommunikationsprozesse durch strukturelle Eigenschaften aus, die unabhängig von den jeweils Kommunizierenden existieren. Informelle Kommunikation ist bezüglich ihres Verlaufs von einer eigenen Dynamik geprägt, die durch die kommunikativen Beiträge der Teilnehmer bedingt ist (vgl. ebd., S. 107). Damit ist informelle Kommunikation im großen Maße von der individuellen Konstitution der Gesprächspartner abhängig. Bei der Aufnahme und Bewertung informeller Kommunikation ist ferner der soziale Status der Interagierenden bedeutsam, der ebenfalls einen Einfluss auf die Qualität des Gesprächverlaufs ausübt.
resp. zeitversetzte Kommunikation ist nicht auf die zeitliche und örtliche Kopräsenz der Kommunikationsteilnehmer angewiesen, wie es etwa bei der Face-to-face-Kommunikation vonnöten ist. Charakteristisch für asynchrone computervermittelte Kommunikation ist, dass die Botschaft des Senders erst aufgezeichnet resp. gespeichert wird, anschließend mit zeitlicher Verzögerung zum Empfänger gelangt, für den Abruf (durch den Empfänger) bereitgehalten und letztendlich (eventuell) rezipiert wird. Dieser mehrstufige Prozess impliziert für die interpersonale Verständigung der Kommunikati-
176
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
onspartner, den Verlauf ihrer ausgetauschten Botschaften, d.h. nicht nur die jeweils aktuelle Nachricht, sondern ebenso vorangegangene zu berücksich tigen und nachfolgende zu antizipieren. Es schließt sich nun eine praxisnahe Darstellung asynchroner computervermittelter Kommunikationsformen an, die maßgeblich an die umfangreiche Übersicht Dörings (1999) zu diesem Themenkomplex angelehnt ist. Exemplarisch werden im Rahmen dieses Beitrags (1) E-Mail, (2) Mailinglisten/Newsletter, (3) Newsgroups und (4) WWW-Seiten skizzenhaft vorgestellt. (1) E-Mail Computervermittelte Kommunikation via E-Mail findet in der
72 Emoticons sind emotionelle Gesichtsausdrücke, die mit einfachen Interpunktionszeichen der Computer-Tastatur erstellt werden können und die Möglichkeit bieten, Stimmungslagen und Befinden des Senders darzustellen (z.B. J, L; ;-) etc.) 73 Die Verwendung von Soundwörtern (z.B. hmmpf, grrrh, etc.) ist dem ComicBereich entliehen und dient auch dazu, die aktuelle Gefühlslage beim Schreiben besser ausdrücken zu können oder bestimmte Textpassagen zu betonen. 74 Aktionswörter werden normalerweise durch zwei Sternchen eingerahmt (z.B. *zwinker*; *umarm* etc.), um innerhalb des Textes besser aufzufallen. Sie sollen ein Gefühl körperlicher Kopräsenz und gegenseitiger Nähe vermitteln.
177
Regel zwischen zwei Personen statt, indem die überwiegend textbasierten Botschaften zeitversetzt von einer Person zur anderen gelangen. Als Ursachen der großen Popularität des E-Mail-Verkehrs können vor allem die Schnelligkeit, günstige Kosten und die Bearbeitbarkeit der Nachrichten angesehen werden. Darüber hinaus finden sich bei der Mail-Kommunikation auch kommunikationspsychologische Eigenheiten, die im deutlichen Gegensatz zu Face-to-face-basierten Kommunikationsprozessen stehen. Weder Mimik, Gestik noch Pantomimik stehen den via E-Mail Interagierenden zur Verfügung, um ihre Botschaften anzureichern. Diese mangelnden körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten während der Kommunikation lassen sehr reduzierte und eingeschränkte Interaktionsmöglichkeiten vermuten, besonders hinsichtlich der Fähigkeit, Emotionen zu transportieren. Unter den regelmäßigen E-Mail-Nutzern hat sich daher mittlerweile ein eigenes System von Werkzeugen und paralinguistischen Mitteln (wie z.B. Emoticons72, Soundwörter73 und Aktionswörter74) etabliert, das als Substitution nonverbaler Kommunikationsmittel dienen soll. (2) Mailinglisten/Newsletter Die Kommunikation über Mailinglisten ba-
siert, wie der Name bereits erahnen lässt, auf dem Prinzip der Mail- bzw. E-Mail Architektur. Mailinglisten dienen als Forum zu spezifischen, zuvor bestimmten Themengebieten (vgl. ebd., S. 51) und beziehen im Gegensatz zu E-Mails, die im Regelfall als Kommunikationsinstrument zwischen zwei einzelnen Personen fungieren, einen erweiterten Teilnehmerkreis mit ein. Die Anzahl der Personen, die sich in einer Mailingliste eintragen lassen, kann von einigen wenigen bis zu mehreren hundert variieren. Im Rahmen der Bedienung von und der Teilnahme an Mailinglisten sehen sich die Mitglieder mit der Aufgabe konfrontiert, die damit verbundenen unterschiedlichen Mailadressen angemessen zu nutzen und zu verwalten. Die Handhabung von Mailinglisten offeriert die Möglichkeit, E-Mails an: a) das Listenverwaltungsprogramm zwecks administrativer Aufgaben, b) die gesamte Liste, c) einzelne Mitglieder der Liste über deren persönliche E-Mail-Adressem oder d) den Listenverwalter
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
zu senden. Ein Sonderfall der Kommunikation besteht dann, wenn eine vollständige Liste von einem Absender gezielt adressiert wird, ohne dass den Empfängern die Möglichkeit gegeben wird, darauf reagieren und antworten zu können. Dieser Sonderfall wird als Newsletter bezeichnet und ist vor allem dazu geeignet, Entwicklungen und Informationen privater und gewerblicher Verbände und Organisationen überblicksartig aufzubereiten. (3) Newsgroups Wie Mailinglisten dienen auch Newsgroups als schrift-
liches Austauschforum zu einem beliebigen, vorher festgelegten Themen gebiet. Der Unterschied zu Mailinglisten ist bei Newsgroups vor allem darin zu sehen, dass die Nachrichten nicht an einen (relativ) bekannten und übersichtlichen, nachvollziehbaren Kreis von Listenmitgliedern gesendet werden, sondern auf einem Newsserver öffentlich zugänglich sind (vgl. Döring 1999, S. 58). Voraussetzung für die Teilnahme an Newsgroups ist die Installation eines Newsreaders. Ein Newsreader ist eine spezielle Software, die sämtliche Konfigurationsmöglichkeiten für das Thema Newsgroup anbietet. Die Typisierung bei Newsgroups ergibt sich durch eine thematische Rubrizierung. Diese thematische Rubrizierung wird mit Hilfe von Kürzeln (z.B. »sci« für science, »soc« für social life, »comp« für Computer, »de« für deutsche Newsgroup), die Teil des jeweiligen Namens einer Newsgroup sind, erreicht (z.B. sci.nanotech = Newsgroup, die 1. der Kategorie Science resp. Wissenschaften untergeordnet wird und 2. mit der Bezeichnung ›nanotech‹ die genaue wissenschaftliche Disziplin bestimmt). (4) WWW-Seiten Als World Wide Web-Seiten werden elektronische
Dokumente bezeichnet, die Texte, Bilder, Grafiken, Diagramme, Tabellen, Audio- und Videosequenzen implementieren und mittels Verweisen resp. Links mit anderen Dokumenten verknüpft werden können (vgl. ebd. S. 76). Textbasierte WWW-Seiten werden unter der Kategorie Hypertext subsumiert, während Seiten, die überwiegend multimediale Inhalte präsentieren, als Hypermedia deklariert werden.
Synchrone computervermittelte Kommunikation Die Darstellung der strukturellen Eigenschaften synchroner bzw. zeitgleicher computervermittelter Kommunikation anhand von (1) Chats und (2) MUD’s komplettiert das Feld einzelner computervermittelter Kommunikationsformen. Synchrone resp. zeitgleiche CvK weist daher auch mehr Parallelen als asynchrone CvK zur klassischen Face-to-face-Kommunikation auf, da ja zumindest die zeitliche Kopräsenz gegeben ist. Eine Folge dieser zeitlichen Kopräsenz kann die Simulation sozialer Nähe sein, wodurch sich Feedbackmöglichkeiten und Entscheidungsfindungen (besonders innerhalb beruflicher Kommunikation) deutlich erweitern können.
178
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
(1) Chat Der Chat, abgeleitet von chat (engl.= Plauderei, Unterhaltung, Ge-
spräch), als ein Beispiel synchroner computervermittelter Kommunikation beschreibt eine textbasierte Form des Dialogs, bei der die Tastatureingaben einer Person unmittelbar auf dem Rechner der anderen Person(en) erscheinen. Sender und Empfänger sollten sich also beim Chatten zur gleichen Zeit am Rechner aufhalten (vgl. Stolpmann 1997, S.136). Technisch ermöglicht wird diese Art des Informationsaustauschs durch einen IRC-Chat (IRC = Internet Relay Chat) oder einen Web-Chat. Während für IRC-Chats die Installation eines IRC-Clients für die Nutzung erforderlich ist, sind WebChats über den bereits erläuterten WWW-Dienst bedienbar und lassen sich relativ einfach über einen Internet-Browser anwählen. (2) MUD’s Verglichen mit dem Chat sind MUD’s (MUD = Multi User Dun-
geon/Dimension) als synchrone CvK einer kleineren Zahl von Internetnutzern bekannt. Bei MUD’s handelt es sich um Computerprogramme, die eine beliebige Anzahl Interessierter befähigen, sich in einer textbasierten Umgebung interaktiv zu bewegen. Räume, Landschaften, Objekte und Personen, die in solchen Umgebungen auftauchen, werden verbal erzeugt und sind auf die Vorstellungskraft der Teilnehmer angewiesen, von denen sie als Umwelt akzeptiert werden. Innerhalb der MUD’s können die User in Echtzeit miteinander kommunizieren. Jeder, der sich in einem MUD aufhält, kann sein virtuelles äußeres Erscheinungsbild selbstständig textbasiert kreieren und damit anderen Teilnehmern gegenübertreten (vgl. Döring 1997, S. 314f.). Ein Überblick über die im deutschsprachigen Raum zu findenden MUD’s wird auf der WWW-Seite http://www.mud.de gegeben. Inhaltlich lassen sich zwei Arten von »Multi User Dungeons« differenzieren (vgl. ebd., S.114f.): Abenteuer-orientierte MUD’s und soziale MUD’s. In abenteuer-orientierten MUD’s geht es hauptsächlich darum, Abenteuer zu bestehen oder Rätselaufgaben zu lösen. Im Verlauf des Abenteuers sind die Teilnehmer in der Lage, ihren virtuellen Reichtum zu mehren und Zauberkräfte resp. magische Fähigkeiten anzuhäufen. Der thematische Hintergrund abenteuer-orientierter MUD’s entstammt zumeist der Fantasy- bzw. Science-Fiction-Literatur. Soziale MUD’s haben eine kürzere Historie als die abenteuer-orientierten und sind erst zu Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts populär geworden. Zwar sind soziale MUD’s inhaltlich auch an Figuren der Science-Fiction- und Fantasy-Literatur angelehnt, die Interaktionen und Handlungsmuster gestalten sich jedoch friedlicher als in den abenteuerlichen. Soziale MUD’s stellen vor allem einen virtuellen Raum zur Verfügung, in dem sich die Nutzer unterhalten, kennen lernen und möglicherweise (virtuelle) Zärtlichkeiten austauschen können.
Als Konsequenz moderner konstruktivistisch ausgerichteter lerntheoreti scher Strömungen sowie Befunden aus der Arbeits- und Lernpsychologie ist mit dem »Computer supported kooperative learning (CSCL)« ein spezieller E-Learning-Typus populär geworden, der versucht, jüngste technologische und didaktische Erkenntnisse zu berücksichtigen und mit dem Potential der Gruppenarbeit zu bündeln, um optimale Effektivität zu erreichen.
CSCL als neues Lernmodell Ebenso wenig wie für den Begriff E-Lear-
ning (Kap. 1.) existiert auch für die Bezeichnung des »Computer Supported Cooperative Learning (CSCL)« resp. des »Kollaborativen E-Learning« noch keine einheitliche Terminologie in der Fachliteratur75 (vgl. Schulmeister 2001). Wessner (2001) findet für CSCL eine sehr allgemeingültige Formel und beschreibt es als Kooperation von Lernern, um sich Wissen aktiv und innerhalb eines situativen Kontextes aneignen zu können. Diese Kennzeichnung betont einerseits das Gewicht der Kooperation beim Lernen in Gruppen und verweist andererseits auf die Lernumgebung, und dank deren situativ aus gerichteter Architektur der Lernprozess möglichst effektiv verlaufen sollte. Seufert & Mayr (2001) interpretieren CSCL als Forschungsbereich, »der sich auf computerunterstütztes kooperatives oder auch kollaboratives Lernen bezieht und den Wissenserwerb von und in Gruppen fokussiert« (S. 36). Sie sehen in dem Akronym ›CSCL‹ die inhaltlich nahe Verwandtschaft zum bereits etablierten Begriff »CSCW« (Computer Supported Cooperative Work) bestätigt und verbinden mit CSCL »alle Werkzeuge und Instrumente für kooperatives Lernen im Netz« (vgl. ebd.).
75 In diesem Kapitel werden sowohl die Bezeichnungen »Computer Supported Learning (CSCL)«, als auch »Kollaboratives E-Learning« verwendet. Beide Begrifflichkeiten sind inhaltlich und strukturell kongruent und werden daher synonym gebraucht.
Struktur und Aufbau von CSCL-Umgebungen Ein struktureller
Rahmen für CSCL bietet sich mit der Darstellung dieser innovativen Lernform als »Kombination von Computersystemen und pädagogischdidaktischen Methoden, die die Vorteile kooperativen Lernens spezifisch realisieren« (Wessner & Pfister 2001, S. 251). Etwas detaillierter ist der Ansatz, Computer Supported Cooperative Learning als Lernform zu beschreiben, »in der mehrere Personen (mindestens zwei) unter (nicht unbedingt ausschließlicher) Nutzung von Computern ein Lernziel verfolgen, indem sie über den Lehrinhalt kommunizieren und neues Wissen kooperativ aufbauen. Kooperativ bedeutet, dass die Erreichung des Lernziels ein von allen Beteiligten geteiltes Ziel darstellt« (ebd.). In dieser Beschreibung findet sich der wichtige Hinweis, dass kooperatives E-Learning keinesfalls auf das Lernen am Rechner beschränkt sein muss, sondern für jede einzelne Lernsituation eine angemessene Konzeptionierung erfolgen sollte. Je nach Konzept, also je nach dem Zusammenspiel didaktischer Metho-
180
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
den und technisch-organisatorischer Struktur, ergibt sich eine differenzierte Typologie von CSCL-Umgebungen. Wessner (2001) schlägt eine Klassifikation für kooperative Lernumgebungen vor. Eine mögliche Typologie von CSCL-Umgebungen (Abb. 2.2.9), wie Wessner sie darstellt, lässt vier unterschiedliche Formen kooperativer Lernumgebungen entstehen: a) Generische kooperative Lernszenarien Generische kooperative Lern
76 Eine detaillierte Darstellung (inklusive Beispiele für bereits etablierte Lernszenarien jedes Typus) der hier gezeigten kooperativen Lernumgebungen sind in dem zitierten Aufsatz von Wessner (2001) zu finden.
szenarien stellen lediglich die grundsätzliche Option zur Verfügung, dass die Lerner in verteilten Räumen in der Lage sind, miteinander asynchron oder synchron zu kommunizieren. Solche basalen Möglichkeiten sind in dieser Art von Lernumgebung jedoch zumeist nicht speziell für kooperative Lernprozesse konstruiert76 (vgl. ebd.). b) Integrierte kooperative Lernumgebungen Integrierte kooperative Lern
umgebungen (z.B. Blackboard, LearningSpace oder Learn Linc) sind darauf angelegt, die jeweils gegebene Lernumwelt technisch wie organisatorisch möglichst umfassend zu integrieren, indem unterschiedliche Kommunikations- und Kooperationsmuster im Rahmen einer einheitlichen Oberfläche angesteuert werden können und die Lernmaterialien in diese Oberfläche eingebettet werden (z.B. indem das Unterrichtsmaterial in diverse Datenformate umgewandelt wird). Als Beispiel einer kommerziellen, integrierten, kooperativen Lernumgebung sei an dieser Stelle »Blackboard« (http://www. blackboard.com) genannt, das häufig für (teil-)virtuelle Seminare und neue Lernformen an Hochschulen genutzt wird.
c) Methodenbasierte kooperative Lernumgebungen Methodenbasierte k ooperative Lernumgebungen (Z.B. CLARE, CROCODILE, CSILE ) gründen auf der Vorstellung, dass die Teilnehmer spezifische Rollen einnehmen und gewisse Regeln befolgen müssen, um die Effektivität kooperativer Lernarrangements zu gewährleisten bzw. zu optimieren. Sind bei konventionellen Kommunikationsprozessen, die von Angesicht zu Angesicht stattfinden, soziale und nonverbale Hinweisreize wie Gestik, Mimik etc. noch dazu geeignet, das gegenseitige Rollenspiel der Kommunikationspartner zu regulieren, sind solche sozialen Protokolle innerhalb virtueller Umgebungen stark eingedämmt. In methodenbasierten kooperativen Lernumgebungen wird der Versuch unternommen, einer eingeschränkten Wahrnehmung sozialer Rollen und damit verbundener Regularien entgegenzutreten, indem den Lernenden entweder ein bestimmtes methodisches Vorgehen fest vorgegeben oder ihnen die Möglichkeit geboten wird, zwischen mehreren Vorgehensweisen zu wählen (vgl. ebd., S. 213). d) Integrierte methodenbasierte kooperative Lernumgebungen Der vierte
Typus kooperativer Lernszenarien wird als »Integrierte methodenbasierte kooperative Lernumgebung« (z.B. L³) bezeichnet. Im Namen spiegelt sich
181
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
hier bereits eine struktur- und zielorientierte Annäherung der beiden vorangegangenen Lernumgebungen wider. Demnach zeichnen sich integrierte methodenbasierte kooperative Lernumgebungen dadurch aus, dass sie sich sowohl organisatorisch und technologisch in der spezifischen Lernumwelt nutzen lassen, als auch bestimmte Unterstützungen für kooperative Lernformen zur Verfügung stellen. Solche komplexen Architekturen virtueller Lernumgebungen befinden sich derzeit im Fokus des wissenschaftlichen Interesses, stehen allerdings noch am Anfang des Erkenntnisgewinns. Abb. 2.2.8 Klassifikation kooperativer Lernumgebungen
Quelle: Wessner, Martin (2001): Software für E-Learning: Kooperative Umgebungen und Werkzeuge, S. 207.
Abgesehen von der lerntheoretischen und strukturellen Positionierung kooperativer und kollaborativer E-Learning-Umgebungen, ist es aus pädagogischer Sicht und bezüglich der Themenstellung dieser Arbeit vor allem der sozial-kommunikative Charakter von CSCL, dem eine zentrale Bedeutung eingeräumt werden soll. Außerdem verlangt die Erörterung der kommunikativen Gegebenheiten dieser Lernformen schon deshalb eine besondere Betonung, da die Idee und der Erfolg kooperativer Lernszenarien maßgeblich auf der Kommunikation der beteiligten Personen basiert. Aus diesen Gründen befassen sich die folgenden Abschnitte mit der Kommunikations- und Kooperationsstruktur in Gruppen. Ziel dieser Darstellungen soll es sein, die Arbeits- und Funktionsweise von Gruppen aufzudecken und in Beziehung zu kollaborativen E-Learning-Szenarien zu setzen.
Variablen der Verhaltens- und Kooperationsstruktur in Gruppen Einfluss der Gruppenstruktur auf das Verhalten Einzelner Für computer
unterstützte Lerngruppen ist die Variable der Gruppenstruktur von besonderem Interesse, da die Teilnehmer dieser Gruppen zunächst den gleichen sozialen Status genießen, der sich erst mit wechselseitigen Kooperationsund Kommunikationsprozessen ändern kann. Sader (1976) führt drei Faktoren an, die zur Entstehung von Gruppenstrukturen führen: 1. Aufgabenund arbeitsbedingte Strukturierungen (z.B. kann die Rollenspezialisierung
182
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
für die Erledigung einer Aufgabe nützlich sein), 2. Fähigkeiten und Motivation der Beteiligten (z.B. übernehmen einzelne Gruppenmitglieder gerne Verantwortung, während andere größere Zufriedenheit bei der Rolle des ›Trittbrettfahrers‹ empfinden) und 3. Einflüsse der Umgebung (z.B. raumzeitliche Anordnung der Lerntätigkeit). Sader sieht es als belegt an, »…daß (sic!) Gruppen unter nahezu allen Bedingungen nach Strukturierung streben, gleichgültig ob diese von der Aufgabenstellung her erforderlich, erwünscht oder hemmend ist« (1976, S. 53). Wichtig für die Interaktion der Gruppenmitglieder ist ferner die Zusammensetzung der Gruppe. Eine These in diesem Zusammenhang ist, dass das gegenseitige Gefühl von Attraktivität und formale (z.B. durch den gleichen Kleidungsstil) bzw. charakterliche Ähnlichkeit der Gruppenmitglieder die Kohäsion in der Gruppe fördert (vgl. Hertweck & Krcmar 2001, S. 35). Großer Zusammenhalt unter den Mitgliedern kann die konstruktive Aufgabenbewältigung sowie die intragruppale Kommunikation begünstigen und optimieren (vgl. Sader 1976, S. 28ff.). Forgas (1995) konstatiert bei einer gegenseitigen Sympathie unter den Gruppenmitgliedern »einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Leistung einer Gruppe« (S. 270). Leider ist die Qualität der Gruppenkohäsion in willkürlich zustande gekommenen Lerngemeinschaften (z.B. in Seminaren einer Fernuniversität) nicht prognostizierbar, wenngleich die Bereitstellung informell organisierter Online-Foren (z.B. Chat-Rooms) und virtueller Marktplätze positive Auswirkungen auf persönliche Kontaktaufnahmen und damit die Entstehung eines »WIRGefühls« haben kann. Es wird sich noch zeigen, dass eine Vertrauensbildung zwischen einzelnen Gruppenmitgliedern vor allem auf eine verständliche Kommunikation untereinander erheblichen Einfluss ausübt. Kommunikations- und Kooperationsverhalten der Gruppenmitglieder
Der nachfolgende Abschnitt befasst sich mit dem Kommunikationsverhalten einzelner Gruppenmitglieder untereinander anhand der Analyse eines Kommunikationsmodells. Lange wurde die Forschungslandschaft um Modelle der zwischenmenschlichen Kommunikation vom informationstheoretischen Ansatz des »Sender-Empfänger-Modells« nach Shannon und Weaver (1969) dominiert. Dieses Modell beurteilte Kommunikation als einen Vorgang, bei dem ein Sender eine Nachricht kodiert, sie über einen Kanal an den Empfänger schickt, der die Nachricht wiederum dekodiert. Ausgehend von einem aktiven Sender und einem passiven Empfänger vollzieht sich demnach die Kommunikation in diesem Modell relativ einseitig, ohne Rückkopplung, und ähnelt bezüglich ihrer Struktur dem behavioristischen Reiz-ReaktionsSchema (siehe dazu »2.2.3.2 Lernprozesse und ihre lerntheoretische Basis [S. 172]). Auf Grund einer erkenntnistheoretischen Wende empfiehlt sich eine konstruktivistisch orientierte Auffassung des Kommunikationsverhaltens
183
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
76 Trotzdem wird im weiteren Verlauf teilweise von »Sender« und »Empfänger« die Rede sein, um die verschiedenen Rollen während eines Interaktionsprozesses zu verdeutlichen.
zwischen den Mitgliedern einer Gruppe76. So entwirft Herrmann (2001) ein Mitteilungskonzept, das auf eine individuelle Konstruktion unserer Umgebung baut, bei der das menschliche Gehirn als informationelles, geschlossenes, selbstreferentielles System definiert wird, das als Erkenntnisapparat jedes Einzelnen fungiert (S. 15). Es gibt keine allgemeingültige, ontische Realität (Ontische Realität = von unseren individuellen Erfahrungen unabhängig seiende Realität bzw. Wirklichkeit), auf die sich die Partner einer Kommunikation beziehen können, sondern jeder konstruiert seine eigene Sicht der Welt und Umwelt. Herrmann titelt sein Kommunikationsmodell »Mitteilungskonzept und Eindruckserzeugung« und beschreibt es anhand einer einfachen Idee (aus Gründen der Übersicht und Verständlichkeit), die Person A Person B mitteilt. Nicht nur der inhaltliche Aspekt, sondern auch die Beziehungsebene nimmt unter den Kommunizierenden einen bedeutenden Stellenwert ein. Das Mitteilungskonzept ist eng mit dem sozialen Status bzw. der sozialen Rolle verknüpft, die eine Person einer anderen zuschreibt und auf deren Grundlage sie ihre Ausdrucksform entsprechend angleicht. Falls ein Kommunikationspartner dem anderen einen Status zuweist, der nicht der Realität entspricht, entstehen Störungen im Kommunikationsverlauf, die Missverständnisse evozieren. Entscheidend für eine funktionierende Kommunikations- und Kooperationsbeziehung ist also das Partnerbild, das die partizipierenden Personen voneinander aufgebaut haben. Weil das Modell »Mitteilungskonzept und Eindruckserzeugung« eigentlich »Ftf-Kommunikation« thematisiert, bleibt die Frage, welche Folgerungen aus diesem Ansatz für Prozesse der computervermittelten Kommunikation (und dabei vor allem die Kommunikation in Gruppen) abgeleitet werden können. Gerade asynchrone Medien wie E-Mail oder Newsgroup bieten beispielsweise einen ausreichenden zeitlichen Horizont, eine einzelne Nachricht oder Idee mittels mehrerer verschiedener Paraphrasen (z.B. können Text, animierte Gifs, Audioquellen und Videodokumente in einer Mail verarbeitet werden, um den inhaltlichen Gehalt zu manifestieren) auszudrücken, um den Verständigungserfolg zu sichern. Es ist bekannt, dass weder ein asynchrones, noch ein synchrones Kommunikationsmittel der CvK die üppige Informationsvielfalt einer von Angesicht zu Angesicht stattfindenden Kommunikation vermitteln kann. Vielmehr erscheint die Kombination und der Mix asynchroner wie synchroner Medien die Lösung für eine erhöhte Verständlichkeit der ausgetauschten Inhalte zu sein. Media-Richness- und Media-Synchronicity-Theorie Eng verknüpft mit
dem Wissenserwerb von und in Gruppen ist die Frage, auf welche Weise die Informationsübermittlung und der Kommunikationsverlauf zwischen den Gruppenmitgliedern modelliert werden kann, um den Wissens- und Informationszuwachs zu optimieren und zu beschleunigen. Dabei sind
184
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
ntscheidungen zu treffen, durch die das jeweilige Kommunikationsmedium E (E-Mail, Chat, Videokonferenz, Televorlesung etc.) oder die Struktur der Kommunikation (synchrone oder asynchrone Kommunikation) determiniert werden. Im Vergleich zu früheren, herkömmlichen Lernaktivitäten haben sich allerdings mit der Popularität der Informationselektronik und der Einbindung digitaler Medien einige grundlegende Veränderungen ergeben, die auch den Kommunikationsverlauf in Lernumgebungen betreffen: Während in klassischen Unterrichtssituationen der Wissenserwerb synchron organisiert war (in Form von Frontalunterricht, Vorlesung usw.) und die Lernenden anschließend ihr Wissen zu Hause asynchron vertiefen konnten, erweiterten sich die Gestaltungsmöglichkeiten mit der Nutzung des Computers und damit einhergehender neuartiger Kommunikationsmittel in erheblicher Weise. Die Vielseitigkeit computervermittelter Kommunikationsformen (siehe »2.2.3.3 Computervermittelte Kommunikation«) [S.174] führt sowohl zu einer Auflösung der Ortsbindung der Teilnehmer, als auch zur Aufhebung der Dichotomie (Dichotomie = Zweiteilung einer Sache; Untergliederung nach zwei unterschiedlichen Gesichtspunkten) synchron versus asynchron. Die Option, eine rasche Aufeinanderfolge synchroner und asynchroner Kommunikationsmittel durchzuführen, hat die ehemals gegenüberstehenden »Pole einer Skala« in ein Kontinuum verwandelt (vgl. Schwabe 2001b). Die Media-Richness-Theorie und die Media-Synchronicity-Theorie bezeichnen zwei Modelle, in denen der Versuch unternommen wird, den entgrenzten Gestaltungsspielraum computervermittelter Kommunikationsmöglichkeiten für eine sinnvolle Ergänzung gruppenorientierter Lernaktivitäten zu kanalisieren. Bei der Media-Richness-Theorie wird ein Zusammenhang zwischen dem »Reichtum« eines Mediums und der Mehrdeutigkeit der in der Kommunikationsphase zu erledigenden Aufgabe hergestellt. In der Media-Synchronicity-Theorie geht es um die Verbindung zwischen der Art des Kommunikationsprozesses und der dafür entsprechenden Eignung eines Mediums (vgl. Schwabe 2001a, S. 54). Media-Richness-Theorie (MRT) Die Media-Richness-Theorie richtet die
Wahl eines probaten Mediums in Wissenserwerbsprozessen nach der Art der Aufgabe aus, die gelöst werden soll. Hierbei wird zwischen unsicheren und mehrdeutigen Aufgaben differenziert. Für die Lösung unsicherer Aufgaben werden im Idealfall alle (benötigten) Informationen gebraucht, d.h. dass es eine gültige Lösung gibt, für die die richtigen Parameterwerte gefunden werden müssen. Mehrdeutige Aufgaben besitzen hingegen keine Musterlösung, sondern sind auf die Fähigkeit der mitarbeitenden Personen, das in der Aufgabe liegende Problem zu interpretieren, angewiesen. Bei mehrdeutigen Aufgaben ist die Menge der zur Verfügung stehenden Informationen also kein Garant für eine Lösung der Aufgabe. Erst die gemeinsame Diskussion und Bewertung der Akteure führt hier zum Ziel (vgl. Schwabe 2001b, S. 113).
185
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
Daft und Lengel (1984) fordern aus diesem Grund für unsichere Aufgaben, Medien zu verwenden, die viele Informationen bieten und somit optimal zur Lösung dieser Art von Aufgaben beitragen. Zu Medien dieser Kategorie zählen beispielsweise schriftliche Dokumente. Im Gegensatz dazu empfehlen die Autoren, für mehrdeutige Aufgaben solche Medien einzusetzen, die sie als »reich« bezeichnen. Der »Reichtum« eines Mediums ergibt sich u.a. aus der Unmittelbarkeit des Feedbacks, aus den dem Medium inhärenten Kommunikationskanälen sowie der Komplexität oder Reichhaltigkeit der Sprache (vgl. Schwabe, 2001b, S. 114). Exemplarisch für »reiche« Medien sind in diesem Zusammenhang Face-to-face-Kommunikation oder Videokonferenzen. Im Rahmen einer Analyse der Media-Richness-Theorie gebietet sich der Verweis darauf, das »reiche« Medien nicht generell besser geeignet sind. Vielmehr hängt es immer von der Aufgabe ab, welche Medien zur Unterstützung herangezogen werden. In jeder Aufgabe ist ein Bereich effektiver Kommunikation und Kooperation verankert. Die Wahl unange messen reicher Medien würde zu einer Verkomplizierung der Situation führen, indem die Suche nach Fakten durch den Interpretationsspielraum des Mediums abgelenkt würde. Der Gebrauch zu armer Medien hätte eine Vereinfachung zur Folge, was sich in der unpersönlichen und mangelhaften Komplexität eines Mediums, um eine gemeinsame Interpretation unter den Teilnehmern zu erreichen, widerspiegeln würde. Media-Synchronicity-Theorie (MST) Entgegen der Media-Richness-The-
orie, bei der die Medienwahl durch die Art der Aufgabenstellung gelenkt wird, stellt die Media-Synchronicity-Theorie den Kommunikationsprozess in den Mittelpunkt. Die Kommunikation wird nach der MST in Prozesse der Informationsübermittlung und Prozesse der Konvergenz gegliedert. Mit Informationsübermittlung sind Prozesse gemeint, bei denen am Ende möglichst vielen Teilnehmern möglichst viele Informationen bekannt sind. Dieses Ziel wird erreicht, wenn einzelne Akteure ihre gesammelten Informationen an andere Gruppenmitglieder weitergeben und somit die Informationen und den Kenntnisstand ausweiten. Daher spricht man auch von divergenten Prozessen. Die Vergrößerung des Umfangs der bestehenden Informationen eignet sich vor allem für rationale Problemlösungen. Die Handlungskompetenzen der Gruppe können jedoch durch die Ausweitung der Informationen auch eingeschränkt werden (falls z.B. ein Überfluss an Informationen besteht) und erst durch strukturierende Maßnahmen resp. eine Verdichtung der Kommunikation (siehe zum Begriff der Kommunikationsverdichtung »2.2.3.3 Computervermittelte Kommunikation«) [S.174] angemessen verarbeitet werden. Die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit und eine Verdichtung der Kommunikation werden vor allem in konvergenten Kommunikationsprozessen geleistet. Konvergente Kommunikation verhilft den Mitgliedern der Gruppe zu einem gemeinsamen Verständnis über einen Problemgegenstand und dessen Alternativen (vgl. ebd., S. 115).
186
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
Anders als in der Media-Richness-Theorie ist nicht der »Reichtum« des Mediums das wichtigste Charakteristikum, sondern sein Synchronizitätsgrad. Mit Mediensynchronizität wird der Umfang beschrieben, in dem einzelne Personen an der gleichen Aufgabe zur gleichen Zeit zusammenarbeiten und ein gemeinsames Ziel haben. Die Eignung von Medien für spezifische Kommunikationsprozesse wird durch die folgenden fünf Parameter ermittelt: (1) Geschwindigkeit des Feedbacks Die Geschwindigkeit des Feedbacks gibt an, wie schnell ein Akteur auf die Nachricht eines anderen Akteurs antworten kann. (2) Symbolvarietät Die Symbolvarietät kennzeichnet das Potential eines Mediums, Informationen anhand unterschiedlicher Symbolsysteme resp. Kommunikationskanäle zu übermitteln. Eine E-Mail hat beispielsweise eine sehr geringe Symbolvarietät, während eine Unterhaltung von Angesicht zu Angesicht eine äußerst hohe Symbolvarietät aufweist, da sämtliche paraverbalen und nonverbalen Symbole einbezogen werden. (3) Parallelität Die Parallelität eines Mediums zeigt an, mit wie vielen Symbolsystemen die Teilnehmer gleichzeitig in verschiedenen Kommunikationsvorgängen kooperieren können (vgl. ebd., S. 116). So haben Vor lesungen eine eher geringe Parallelität (einer redet, alle anderen hören zu), während Chats oder MUD’s eine vergleichsweise hohe Parallelität aufbringen (mehrere können zeitgleich Informationen oder Beiträge senden und äußern). (4) Überarbeitbarkeit Der Faktor der Überarbeitbarkeit spiegelt die Möglichkeiten wider, die ein Sender besitzt, seine Information bzw. Nachricht überarbeiten zu können, bevor er sie an die entsprechenden Empfänger verschickt. Die Überarbeitbarkeit von E-Mails und anderen schriftlichen Dokumenten ist demnach relativ hoch, während eine Nachricht in einer Face-to-face-Kommunikation äußerst geringe Chancen der Überarbeitung offeriert. (5) Wiederverwendbarkeit Mit dem fünften und letzten Faktor der Wiederverwendbarkeit wird die Option des Empfängers angesprochen, eine erhaltene Nachricht wiederverwerten zu können. Gesprochene Botschaften eröffnen nahezu keine Möglichkeiten der Wiederverwendung im Gegensatz zu via E-Mail versandten schriftlichen Nachrichten, die problemlos wiederverwendet werden können. Bei näherer Betrachtung der fünf Faktoren fällt auf, dass es keine absolut armen bzw. keine absolut reichen Medien geben kann, wie es die Media-Richness-Theorie postuliert, da einige Faktoren gegenläufig wirken.
187
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
Beispielsweise haben Medien, die ein schnelles Feedback zulassen, keinen hohen Grad der Überarbeitbarkeit (und natürlich umgekehrt). Die beiden Faktoren Feedback und Parallelität stehen im Mittelpunkt der Untersuchung. Hohe Synchronizität ist bei solchen Medien vorhanden, die schnelle Feedbackmöglichkeiten bieten und eine große Parallelität aufweisen, während Medien mit langsamem Feedback und einer geringen Parallelität ein vergleichsweise geringes Maß an Synchronizität entfalten. Divergente Kommunikationsprozesse (z.B. Informationsübermittlung) lassen sich besser mit Medien gestalten, die über eine geringe Synchronizität verfügen, weil das Ziel dieser Prozesse die Ausweitung und Vermehrung der vorhandenen Informationen ist. In konvergenten Kommunikationsprozessen empfiehlt es sich allerdings, Medien mit hoher Synchronizität zu nutzen, da die Möglichkeiten »schnelles Feedback« und »große Parallelität« dabei behilflich sind, gemeinsame Strategien zu entwickeln und die Kommunikation zu verdichten. Mit den beiden bereits erläuterten Dimensionen Art des Kommunika tionsprozesses und Synchronizität verbindet die Media-Synchronicity-Theory noch die dritte Dimension der Gruppenfunktionen. Nach Mc Grath (1991) können Gruppen drei verschiedene Funktionen erfüllen, die er Produktions‑, Mitgliederunterstützungs- und Gruppenwohlbefindensfunktion nennt (vgl. Schwabe 2001a, S. 55). In der Produktionsfunktion erfüllt die Gruppe die ihr aufgetragenen Aufgaben und löst die Probleme, die in den Gruppenzielen formuliert wurden. Bei der Mitgliederunterstützungsfunktion geht es um die Zufriedenheit einzelner Mitglieder der Gruppe, ihre Unterstützung durch die Gruppe und die Beziehungen unter den einzelnen Mitgliedern. Schließlich wird mit der Gruppenwohlbefindensfunktion der gesamte Zustand und Konsens innerhalb der Gruppe als Ganzes angesprochen. Die MST zeigt unmissverständlich, dass der Einsatz neuer Medien oder Werkzeuge der CvK generell durch den Kontext ihrer Verwendung gesteuert wird. In der Media-Synchronicity-Theorie wird ein so komplexes und differenziertes Verständnis von der Arbeit in Gruppen vorausgesetzt, dass ein Erfolg versprechender Medieneinsatz nur von medienkompetenten und didaktisch geschulten Menschen geplant werden kann. Diese Forderung wirft die Frage auf, wie die Rolle von Lehrern/Dozenten/Moderatoren in kollaborativen E-Learning-Umgebungen beschaffen sein kann und soll. Gerade im Rahmen konstruktivistisch orientierter Lernprozesse, zu denen auch CSCL zählt (siehe »2.2.3.4 Computer Supported Cooperative Learning (CSCL)« [S. 180]), wird immer wieder die Rolle des Lehrers diskutiert und in Frage gestellt. Dabei verlangen viele, den Lehrer durch einen Moderator zu ersetzen. CSCL als pädagogisches Handlungsfeld Viele Kooperations- und Kommu-
nikationsprozesse bedürfen jedoch einer geeigneten Planung, Zielsetzung und Steuerung, um erfolgreich gestaltet werden zu können. Diese Aufgaben
188
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
können nur von pädagogisch ausgebildeten Fachkräften umgesetzt werden, die in der Lage sind, eine sinnvolle didaktische Konzeption für das entsprechende Lernszenario zu erarbeiten. Kooperative E-Learning-Szenarien weisen jedoch derart deutliche Unterschiede gegenüber konventionellen Unterrichtsschemata auf, dass es nahe liegt, auch die mit diesen Schemata verbundene klassische Lehrerrolle zu überdenken und ggf. zu modifizieren. Die Forderung nach einer neuen Ausrichtung der Lehrerrolle für konstruktivistische, computerunterstützte Lernformen schlägt sich in der immer wiederkehrenden Debatte um die Umwandlung der Lehrtätigkeit in eine Moderatorentätigkeit nieder. In diesem Abschnitt werden neue Rollenmuster für Pädagogen, die CSCL-Gruppen betreuen, diskutiert, dazugehörige Handlungsfelder und Arbeitsmaterialien vorgestellt und Perspektiven für eine didaktische Umsetzung computerunterstützter Gruppenarbeit entwickelt. Mehrfach konnte bereits begründet werden, warum CSCL als Lernform dem konstruktivistischen Lernparadigma zugeordnet wird. Dieser Auffassung folgend ist der Lerner als aktive und selbstgesteuerte Person anzusehen, die sich unter situativen und authentischen Bedingungen die Lerninhalte erarbeitet resp. konstruiert. Das konventionelle Bild der Lehrkraft, die ihr Wissen unidirektional an die Lernenden vermittelt, ist demnach mit den konstruktivistischen Prinzipien nicht mehr vereinbar. Wie aber ist die Tätigkeit der Lehrenden in computerunterstützten E-Learning-Umgebungen zu charakterisieren? Welche Veränderungen gegenüber der in Schulen und Hochschulen üblichen Lehrtätigkeit sind in E-Learning-Szenarien aufzufinden? Wo liegen die Schwerpunkte des Lehrens beim computerunterstützten Lernen? Mittlerweile hat sich mit Bezeichnungen wie Netcoach, Mentor, Trainer, E-Tutor oder Moderator eine Begriffsvielfalt entwickelt, die einer neuen Lehr- und Lernqualität in kooperativen E-Learning-Szenarien Ausdruck verleiht. In der öffentlichen Diskussion werden diese Begriffe meistens beliebig bzw. synonym verwendet oder erfahren keine klaren Abgrenzungen zueinander. Aus diesem Grund wird hier einheitlich von einem Moderator die Rede sein, da diese Bezeichnung nach Meinung des Autors am gebräuchlichsten ist und die zugeschriebenen Tätigkeiten und Aufgaben am ehesten auszudrücken vermag. Das Thema Moderation wird allerdings nicht vor dem Hintergrund einzelner, aus der Praxis stammender CSCL-Umgebungen aufgebaut, da hier lediglich ein Bruchteil möglicher Moderationsmodelle vorgestellt werden könnte. Vielmehr scheint es gewinnbringender zu sein, allgemeingültige Prinzipien, Aufgabenfelder und Handlungsperspektiven von Moderatoren in kooperativen E-Learning-Szenarien darzulegen. Grundsätzlich sollte der Moderator eine neutrale Rolle einnehmen, die sich auch in einer neutralen Haltung gegenüber den erarbeiteten Ergebnissen der Gruppenmitglieder ausdrückt (vgl. Schilling 2000). Er nimmt keine Bewertung der gefundenen Lösungen vor, sondern achtet darauf, dass die Mitglieder der Lerngruppe selbst mit ihren Ergebnissen zufrieden
189
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
sind. In computerunterstützten Lerngruppen ist die wesentliche Aufgabe der Moderation, die Zusammenarbeit der Teilnehmer (d.h. Kommunikation und Kooperation) so zu koordinieren, dass die vorher formulierten gemeinsamen Lernziele erreicht werden. Ferner kann die Produktivität der Gruppe durch planvolle Interventionen erhöht werden (vgl. Johannsen, Böhmann & Krcmar 2001, S. 219). Trotz aller Aufgaben und Tätigkeiten, denen ein Moderator während eines virtuellen Seminars nachkommt, darf er seine Rolle immer nur unter der Prämisse ausüben, lediglich im Hintergrund zu agieren. Im Zentrum der konstruktivistischen Lerntheorie befinden sich die Lernenden, die sich ihre eigenen Wissenskonstrukte erschaffen. Der Moderator stellt den Gruppenmitgliedern sein Wissen, seine Erfahrungen und seine sozialen Normenund Wertemuster zur Verfügung. Oberste Priorität für die Moderation in virtuellen Lerngruppen bleibt die Hilfe zur Selbsthilfe. Für den Erfolg der Teilnehmer kollaborativer E-Learning-Umgebungen ist die Förderung ihrer Selbstlernkompetenz äußerst wichtig. Der Moderator wird zum Entwicklungspartner der Lernenden, der sie darin bestärkt, ihre Handlungsfähigkeiten systematisch zu erweitern. Allen Aufgaben muss er mit physischer und psychischer Stärke begegnen und bereit sein, die Anliegen der Lernen den geduldig anzunehmen (vgl. Sauter & Sauter 2002, S. 185). Obwohl unterschiedliche Auffassungen darüber existieren, wie eine Moderation in kollaborativen E-Learning-Szenarien gestaltet werden sollte, gibt es dennoch einige Parallelen. Das konstruktivistische Lehr-Lern-Schema hat eine Veränderung der Lehrer-Schüler-Rolle bewirkt. Während bei den Schülern vor allem Selbstbestimmung, Selbststeuerung und Selbstlernkompetenzen in den Vordergrund treten, wandeln sich die Lehrer in Moderatoren, die den Lernprozess nicht mehr lenken oder steuern, sondern begleitend unterstützen. Erfahrungen aus dem Bereich »Virtuelle Seminare« belegen jedoch, dass eine zunehmende Autonomie und Selbststeuerung der Lernenden nicht einer geringeren Intensität bezüglich der Begleitung und Betreuung durch die Lehrkräfte resp. Moderatoren gleichzusetzen ist. Eher im Gegenteil: Oft erfordert die Moderation beim gruppalen E-Learning eine inhaltliche, soziale und technologische Unterstützung. Gerade unerfahrene CSCL-Gruppen bedürfen permanenter Hilfestellung und produzieren einen ungleich höheren Arbeitsaufwand als konventionelle Lerngruppen. Trotzdem kann sich ein Wechsel von der Lehrer- zur Moderatorentätigkeit bereits in naher Zukunft auszahlen. Stetig schneller veraltende Wissensbestände lassen die frühere Maxime, Wissen auf Vorrat anzuhäufen, kontraproduktiv erscheinen. In der betrieblichen Aus- und Weiterbildung hat sich bereits das Bild des Lerners etabliert, der sich Wissen »just-in-time«, also nach Bedarf, aneignet.
190
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
Literatur
Baumgart, Franzjörg (1998) (Hg.): Entwicklungs- und Lerntheorien. Bad Heilbrunn/Obb., Klinkhardt Baumgartner, Peter & Payr, Sabine (1997): Erfinden lernen. In: Konstruktivismus und Kognitionswissenschaft. Wien/New York, Springer, S. 89-106 Bentlage, Ulrike & Hummel, Johannes (2002): Ausblick: E-Learning für ein mobiles Leben. In: Bentlage, Ulrike/Glotz, Peter/Hamm, Ingrid & Hummel, Johannes (Hrsg.): E-Learning – Märkte, Geschäftsmodelle, Perspektiven. Gütersloh, Verlag Bertelsmann Stiftung Daft, Richard L. & Lengel, Robert H. (1984): Information Richness: A new approach to managerial behavior and organization design. In: Research in Organizational Behavior, H. 6, S. 191-233 Döring, Nicola (1997): Lernen mit dem Internet. In: Issing, Ludwig J. & Klimsa, Paul (Hrsg.): Information und Lernen mit Multimedia. 2. überarb. Aufl. Weinheim, Psychologie Verlags Union Döring, Nicola (1999): Sozialpsychologie des Internet. Göttingen, Hogrefe Döring, Nicola (2002): Online-Lernen. In: Issing, Ludwig J. & Klimsa, Paul (Hrsg.): Information und Lernen mit Multimedia und Internet. 3. Aufl. Weinheim. Beltz/PVU, S. 246-264 Forgas, Joseph-P. (1995): Soziale Interaktion und Kommunikation: Eine Einführung in die Sozialpsychologie. Weinheim, Psychologie Verlags Union Friedrich, Helmut F. & Mandl, Heinz (1997): Analyse und Förderung selbstgesteuerten Lernens. In: Weinert, F.E. & Mandl, Heinz (Hrsg.). Psychologie der Erwachsenenbildung. Enzyklopädie der Psychologie, D, Serie Pädagogische Psychologie, Bd. 4, S. 237-293. Göttingen, Hogrefe. Frindte, Wolfgang & Köhler, Thomas (Hrsg.) (1999): Kommunikation im Internet. Frankfurt am Main, Lang Heidack, Clemens (2002): Netcoaching als Beitrag zur Lernkultur. In: Autorengruppe E-Writing.de: E-Learning und E-Kooperation in der Praxis. Neuwied/Kriftel, Luchterhand, S. 253-276 Herrmann, Thomas (2001): Kommunikation und Kooperation. In: Schwabe, Gerhard/Streitz, Norbert & Unland, Reiner (Hrsg.): CSCW-Kompendium. Lehr- und Handbuch zum computerunterstützten kooperativen Arbeiten. Berlin/Heidelberg, Springer, S. 15-25 Hertweck, Dieter & Krcmar, Helmut (2001): Theorien zum Gruppenverhalten. In: Schwabe, Gerhard/Streitz, Norbert & Unland, Reiner (Hrsg.): CSCW-Kompendium. Lehr- und Handbuch zum computerunterstützten kooperativen Arbeiten. Berlin/Heidelberg, Springer, S. 33-45 Hesse, Friedrich W./Garsoffky, Bärbel & Hron, Aemilian (1997): InterfaceDesign für computerunterstütztes kooperatives Lernen. In: Issing, Ludwig J. & Klimsa, Paul (Hg.): Information und Lernen mit Multimedia. 2. überarb. Aufl. Weinheim, Psychologie Verlags Union Johannsen, Andreas/Böhmann, Tilo & Krcmar, Helmut (2001): Moderation verteilter Sitzungen. In: Hesse, Friedrich W. & Friedrich, Helmut
191
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
F. (Hrsg.): Partizipation und Interaktion im virtuellen Seminar. Berlin, Waxmann, S. 217-243 Mc Grath, Joseph E. (1991): Time, Interaction, and Performance (TIP). A Theory of Groups. In: Small Group Research, 22, H. 2, S. 147-174 Sader, Manfred (1976): Psychologie der Gruppe. München, Juventa Sauter, Werner & Sauter, Annette-M. (2002): Blended Learning: Effiziente Integration von E-Learning und Präsenztraining. Neuwied, Luchterhand Schilling, Gert (2000): Moderation von Gruppen: Der Praxisleitfaden für die Moderation von Gruppen, die gemeinsam arbeiten, lernen, Ideen sammeln, Lösungen finden und entscheiden wollen. Berlin, Gert Schilling Verlag Schulmeister, Rolf (2001): Virtuelle Universität – Virtuelles Lernen. München/Wien, Oldenbourg Schwabe, Gerhard (2001a): Theorien zur Mediennutzung bei der Gruppenarbeit. In: Schwabe, Gerhard/Streitz, Norbert & Unland, Rainer (Hrsg.): CSCW-Kompendium. Lehr- und Handbuch zum computerunterstützten kooperativen Arbeiten. Berlin/Heidelberg, Springer, S. 54-65 Schwabe, Gerhard (2001b): »Mediensynchronizität« – Theorie und Anwendung bei Gruppenarbeit und Lernen. In: Hesse, Friedrich W. & Friedrich, Helmut F. (Hrsg.): Partizipation und Interaktion im virtuellen Seminar. Münster, Waxmann, S. 111-134 Seufert, Sabine & Mayr, Peter (2002): Fachlexikon E-Learning. Bonn, Gerhard May Shannon, Claude & Weaver, Warren (1949): The Mathematical Theory of Communication. Urbana, University of Illinois Press Siebert, Horst (2002): Der Konstruktivismus als pädagogische Weltanschauung. Frankfurt am Main, VAS Stolpmann, Markus (1997): Internet & WWW für Studenten. WWW, FTP, E-Mail und andere Dienste. Bonn, O’Reilly/International Thomson Thissen, Frank (1997a): Lerntheorien und ihre Umsetzung in multimedialen Lernprogrammen – Analyse und Bewertung. [online] URL: http://www. frank-thissen.de/lernen.pdf [Stand: 28.10.02] Thissen, Frank (1997b): Das Lernen neu erfinden – Konstruktivistische Grundlagen einer Multimedia-Didaktik. [online] URL: http://www. frank-thissen.de/lt97.pdf [Stand: 30.10.02] Urhahne, Detlef/Prenzel, Manfred/v. Davier, Matthias/Senkbeil, Martin & Von Glasersfeld, Ernst (2000): Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität. In: Einführung in den Konstruktivismus. 5. Aufl., München/Zürich, Piper, S. 9-39 Watson, John Broadus (1997): Behaviorismus. 4. unver. Auflage, Eschborn b. Frankfurt/Main, Klotz Wessner, Martin & Pfister, Hans-Rüdiger (2001): Kooperatives Lehren und Lernen. In: Schwabe, Gerhard/Streitz, Norbert & Unland, Rainer (Hrsg.): CSCW-Kompendium. Lehr- und Handbuch zum computerunterstützten kooperativen Arbeiten. Berlin/Heidelberg, Springer, S. 251-263
192
Orientierungsbeiträge / Wissensvermittlung
Der Autor
193
Markus Arens schrieb 2003 an der Fakultät für Pädagogik der Universität Bielefeld seine Diplomarbeit zum Thema »Die Bedeutung sozial-kommunikativer Aspekte kollaborativer E-Learning-Szenarien« und war in derselben Fakultät von September 2003 bis September 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts »BEQS« (Bildung durch E-Learning und dessen
2.2.3 Markus Arens: Kooperatives E-Learning
Qualität aus der Subjektperspektive). Seit September 2005 ist er dort wissenschaftlicher Angestellter im Bereich »Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft« und arbeitet an seiner Dissertation mit dem Arbeitstitel »Die subjektive Bedeutung sozial-kommunikativer Prozesse in Blended-Learning-Szenarien der beruflichen Weiterbildung«.
3 Standards/Spezifikationen
194
Standards/Spezifikationen
3.1 Fernsehstandards Torsten Stapelkamp Wenn die Umstände, Einschränkungen und Möglichkeiten der Fernsehtechnologie beschrieben werden, ist stets zu berücksichtigen, dass der Ursprung aller Standards am Darstellungsgerät, aber auch an der Aufnahme- und Übertragungstechnologie auf den Möglichkeiten eines Fernsehröhrenmonitors beruht, der auch unter der Bezeichnung Kathodenstrahlröhre (CRT = Cathode Ray Tube) bekannt ist. Die Kathodenstrahlröhre ist ein Vakuumglaskörper, in dem ein Elektrodenstrahl elektromagnetisch abgelenkt wird und zeilenweise auf eine Phosphorschicht auftrifft, die, bedingt durch die Elektronen, die auf ihr auftreffen, zu leuchten beginnt. Je nach Darstellung und Sortierung von leuchtenden und nicht leuchtenden Bereichen wurde es möglich, Bilder für Schwarzweißfernsehen zu erzeugen. Die Zeilen können die Phosphorschicht in einer vorgegebenen Geschwindigkeit horizontal von oben nach unten abtasten und so pro Sekunde eine vorbestimmte Anzahl an Bildern darstellen. Dieses Abtasten bzw. die Anzahl der Abtastung wird Abtastrate, (Bild-) Wiederholrate oder auch Frequenz genannt und in Hertz (Hz) gemessen. Aus Kostengründen und zur Verringerung der Übertragungsrate entschieden die damaligen Fernsehtechnikentwickler, nur jede zweite Zeile während eines Bildaufbaus zu schreiben und direkt im Anschluss die anderen Zeilen. Die Abtastrate ergab sich aus der Frequenz des Stromnetzes der jeweiligen Regionen. So kam es, dass die Fernsehnorm z.B. in Nordamerika und Japan 60 Hz verwendet, und die in Europa 50 Hz. Dies führte dazu, dass ein Schwarzweiß-Fernsehbild aus zwei Halbbildern besteht und für jeden Durchgang nur 25 bzw. 30 Bilder darzustellen waren. Für das Farbfernsehen wurde diese Darstellungsweise beibehalten. Es wurden allerdings für die drei Farben Rot, Grün und Blau entsprechend drei Kathodenstrahler erforderlich. Außerdem musste für die Fernsehnorm, die mit 60 Hz gesendet wurde, die Bildfrequenz von 30 auf 29,97 Bilder pro Sekunde verringert werden, um die bereits festgelegten Sendebandbreiten nicht zu überschreiten, wenn die zusätzlichen Farbsignale untergebracht wurden, und um eine Interferenz mit dem Audiosignal zu vermeiden. Die Anzahl von 60 Bildern wurde mit dem Korrekturfaktor 1000/1001 multipliziert, wodurch sich der Wert von ca. 59,94 ergab. Für die Fernsehnorm, die mit 50 Hz gesendet wird, konnte die Bildfrequenz für das Farbfernsehen unverändert bei 25 Bildern pro Sekunde bleiben.
195
3.1 Torsten Stapelkamp: Fernsehstandards
3.1.1 Interlacing
Abb. 3.1.1 Illustrierung von Interlacing. Das eine Halbbild bildet sich aus den ungerade nummerierten Zeilen und das andere aus den gerade nummerierten (Screenshot aus der DVD »Schöne Heimat«, www.glanzundgloria.com).
Das von Fernsehsendern ausgestrahlte und von Videorecordern und DVDPlayern wiedergegebene Signal besteht jeweils aus zwei Halbbildern. Bei diesem Zeilensprungverfahren, auch Interlacing genannt, ergeben im PALStandard 50 Halbbilder pro Sekunde 25 vollständige Bilder. Beim NTSCStandard sind dies 59,94 Halbbilder bei 29,97 vollständigen Bildern (60 Halbbilder bei Schwarzweißfernsehen). Die geraden Zeilenzahlen des einen und die ungeraden Zeilenzahlen des anderen Halbbildes sind jeweils unbelegt. Die unbelegten Zeilen werden mit dem nachfolgenden Halbbild ausgefüllt. Neben der geringen Auflösung erschwert das Interlacing zusätzlich die Lesbarkeit und Erkennbarkeit feiner Elemente, Buchstaben und Texte. Feine Linien, wie z.B. Serifen oder geringe Strichstärken, werden kaum sichtbar und zudem flimmernd wiedergegeben, insbesondere dann, wenn die Linien horizontal verlaufen. Dieses Zeilensprungverfahren führt aber nicht nur zum Flimmern, sondern weist gerade bei Bewegungen einen störenden Versatz der Halbbilder auf. Hierbei ist auch noch zu beachten, dass die Zeilen der Halbbilder nicht alle gleichzeitig dargestellt werden, sondern sich das Halbbild von oben nach unten Zeile für Zeile bildet, weshalb dieser Vorgang auch Scannen genannten wird.
Abb. 3.1.2 Wenn sich die Person in der Mitte z.B. schnell nach vorne beugen würde, könnte es wegen des Interlacing zum sichtbaren Zeilenversatz in der Darstellung kommen. Tatsächlich sind die Zeilen selbstverständlich erheblich feiner.
196
Standards/Spezifikationen
3.1.2 Progressive Scan
Beim Progressive Scan ist jedes einzelne der 50/59,94 Bilder (PAL/NTSC) pro Sekunde ein Vollbild, indem zunächst alle Zeilen gespeichert und dann gleichzeitig als Vollbild zusammengeführt dargestellt werden. Dies führt zu einem flackerfreien und scharfen Bild. Beim Fernsehen kann jede Auflösung sowohl progressive als auch interlaced übertragen werden. Nur bei der Auflösung von 1920 × 1080 übersteigt die Datenmenge von 1080p die bisher bei Übertragungsverfahren vorgesehene maximale Durchsatzrate.
Abb. 3.1.3 Progressive Scan.
3.1.3 PAL
Die PAL-Norm (Phase Alternating Lines) ist eine Erweiterung des amerikanischen NTSC- Fernsehstandards. Die PAL-Norm wird im Vergleich zu HDTV (High Definition TV) auch SDTV (Standard Definition TV) genannt. Sie wird in Europa, Teilen Afrikas und Asiens und in Australien genutzt. Bei der PAL-Norm werden die Fernsehbilder mit einer Frequenz von 50 Hz dargestellt (moderne Monitore bis zu 100 Hz), wobei pro Bild nur jede zweite Zeile angezeigt wird. 50 solcher Halbbilder entsprechen der Darstellung von 25 vollständigen Bildern pro Sekunde. Dieses Zeilensprungverfahren wird auch als Interlacing bezeichnet. Die Auflösung eines Fernseh-Röhrenmonitors nach der PAL-Norm beträgt 720 × 576 horizontal ausgerichteter rechteckige Pixel, unabhängig von der Größe der Fernseh-Röhrenmonitor-Diagonale (4:3-Format). Eigentlich ist es nicht korrekt, von Pixel zu sprechen, da ein Röhrenmonitor nur Zeilen anzeigt. Eigentlich wird die PAL-Norm mit einer Auflösung von 702 Linien und 576 Zeilen gesendet. Für das digitale Verfahren hat man sich allerdings international darauf geeinigt, dass in der Horizontalen 720 Pixel gemessen werden. Ein Bild nach der PAL-Norm wird am Computer mit einer Auf-
197
3.1 Torsten Stapelkamp: Fernsehstandards
Abb. 3.1.4 Horizontal ausgerichtete rechteckige Pixel bei der PALFernsehnorm. Der Fernseher skaliert das Bild in die Breite.
lösung von 768 × 576 Pixel erstellt, aber für die Fernsehausstrahlung auf 720 × 576 Pixel skaliert. Dadurch, dass die tatsächlichen Werte der PALNorm-Auflösung den 720 Pixel in der Horizontalen und dem 4:3-Format des Fernsehers angepasst werden, ergeben sich für ein PAL-Bild horizontal ausgerichtete rechteckige Pixel (siehe unter »Bildformat / Auflösung« im Kapitel »Bildformate«) [S. 210]. Ein PAL-Fernsehbild besteht in der Vertikalen zwar aus 625 Zeilen, es werden aber nur 576 übertragen. In der Austastlücke befinden sich die Informationen für das EPG-, Videotext- und Synchro-Signal. In der Regel verfügen aktuelle DVD-Abspielgeräte für die PAL-Norm über die Möglichkeit, auch das NTSC-Format lesen und darstellen zu können. Für die Darstellung der unterschiedlichen Farbträgerfrequenzen ist aber ein Multinormfernseher erforderlich. Umgekehrt ist in der Regel das Abspielen von DVDs, die nach der PAL-Norm erstellt wurden, auf NTSCGeräten nicht möglich.
3.1.4 NTSC
Eine weitere Variante des SDTV (Standard Definition TV) und Alternative zur PAL-Norm ist die NTSC-Norm (National Television Systems Commitee) – eine Fernsehnorm, die u.a. in den USA, Südamerika und Japan gesendet wir. Sie wird mit einer Auflösung von 711 × 486 Pixel gesendet, aber am
Standards/Spezifikationen
Abb. 3.1.5 Vertikal ausgerichtete rechteckige Pixel bei der NTSCFernsehnorm. Der Fernseher skaliert das Bild in die Höhe.
Computer mit 720 × 480 Pixel erstellt (siehe unter »Bildformat / Auflösung« im Kapitel »Bildformate«) [S. 210]. Die horizontale Auflösung der NTSCNorm wurde identisch mit der bei der PAL-Norm auf 720 Pixel festgelegt. Dadurch, dass, wie bei der PAL-Norm auch, die tatsächlichen Werte der NTSC-Norm-Auflösung den 720 Pixel in der Horizontalen und dem 4:3Format des Fernsehers angepasst werden, ergeben sich für ein NTSC-Bild ebenso rechteckige Pixel (siehe unter »Bildformat / Auflösung« im Kapitel »Bildformate«) [S. 210]. Die der NTSC-Norm sind allerdings im Gegensatz zur PAL-Norm vertikal ausgerichtete rechteckige Pixel. Eigentlich weist die NTSC-Norm 525 Zeilen auf, von denen am Fernseher 486 sichtbar sind, aber in digitalisierter Form nur 480 genutzt werden. Oft werden bereits, bedingt durch den Fernseher, nur 480 Zeilen gezeigt, so dass die fehlenden 6 Zeilen keinen Verlust darstellen. Tatsächlich werden beim Digitalisieren bewusst 6 Zeilen ausgelassen, weil sich der Wert 486 nicht durch 16 teilen lässt. Der Wert 480 lässt sich hingegen durch 16 teilen (480 : 16 = 30), ebenso der Wert 720 (720 : 16 = 45). Dies ist wichtig, da die für Digitalvideo verwendete MPEG-Kompression auf 16 × 16 Makroblöcken basiert. Eine Bildfläche, die sich in Höhe und Breite durch 16 teilen lässt, kann einfacher und effizienter in ein MPEG-Format komprimiert werden (siehe unter »MPEG-1 und MPEG-2« im Kapitel »Kompressionsstandards«) [S. 247]. Gesendet wird mit 59,94 Halbbildern in der Sekunde. Dies entspricht einer Darstellung von 29,97 Bildern pro
199
3.1 Torsten Stapelkamp: Fernsehstandards
Sekunde. Auf NTSC-DVDs haben die Videos allerdings in der Regel nur 24 Bilder pro Sekunde. Wie bei der PAL-Norm werden die Halbbilder im zeitlichen Versatz dargestellt (Interlacing); allerdings mit 60 Hz und somit in einer höheren Frequenz als bei der PAL-Norm, was zu einem geringeren Flimmern des Bildes führt. Dadurch kann die Qualität des Bildeindrucks verbessert werden. Bilder der NTSC-Norm haben aber eine geringere Auf lösung als jene der PAL-Norm.
3.1.5 SECAM
3.1.6 HDTV
Der Fernsehstandard SECAM (Système en Couleur avec Mémoire bzw. Séquentiel Couleur avec Mémoire), der in Frankreich, Russland und Teilen Afrikas Anwendung findet, ist dem PAL-Standard sehr ähnlich, spielt für DVD-Produktionen aber keine Rolle. Auf der DVD ist er mit PAL identisch.
Seit dem Start des Senders »Euro1080« im Jahre 2004 gewinnt die HDTVNorm (High Definition TeleVision / High Density TeleVision) auch in Europa an Bedeutung. Euro10801, der erste via Satellit empfangbare europäische HDTV-Sender, ging zunächst unverschlüsselt am 1. Januar 2004 auf Sendung. Seit Mitte 2004 wird er nur verschlüsselt ausgestrahlt. Der belgische Sender HD1 überträgt via Satellit seit Anfang 2004 im HD-Format 1080i. Und am 1. November 2005 nahm der private Pay-TV-Anbieter Premiere als erster deutscher Sender den Regelbetrieb mit HDTV-Programmen auf. Einige englische und französische Sender starteten zum selben Termin mit der Übertragung in HD-Qualität. Die »720p«- und die »1080p«-Norm können pro Sekunde 24; 25; 29,97 oder 30 Bilder zeigen und die »1080i«-Norm 30, 50 oder 60 Bilder und sich so, bezüglich der Bildfrequenz, variabel dem PAL- bzw. NTSC-Standard anpassen. Die Auflösung bei dem HDTV-Standard beträgt bei der »1080i«-Norm für HDTV zwar 1.920 × 1.080 Pixel und bei der »720p«-Norm nur 1.280 × 720 Pixel im 16:9-Format, aber bei der »1080i«-Norm verweist das »i« in der Bezeichnung darauf, dass das Bild, wie bei der PAL- bzw. der NTSC-Norm, im Zeilensprungverfahren (Interlacing) dargestellt wird. Das »p« bei »720p« steht hingegen für »progressive« (siehe »Interlacing« und »ProgressiveScan« in diesem Kapitel) [S. 196, 197]. Des Weiteren ist noch zu berücksichtigen, dass die nach der PAL- bzw. NTSC-Norm gesendeten und mit HDTV-Display-Geräten empfangenen Bilder von der niedrigeren Auflösung (PAL: 576 Zeilen; NTSC 480 Zeilen) auf die höhere HDTV-Auflösung hochgerechnet werden müssen und sich dadurch sehr matschige, verrauschte Bilder ergeben. Dieses Problem wird erst dann nicht mehr auftreten, wenn alle Sender ausschließlich in HDTV
1 www.euro1080.tv
200
Standards/Spezifikationen
senden und die PAL- bzw. die NTSC-Norm so durch HDTV gänzlich abgelöst werden. Leider ist nicht abzusehen, wann dies eintreten wird, weshalb der Wechsel von einem 4:3-Monitor zu einem 16:9-Monitor nicht empfohlen werden kann, wenn in erster Linie die Hoffnung auf eine Bildauflösung in HD-Qualität die Kaufursache darstellt und das Format 16:9 irrtümlich mit zwangsläufig einhergehender Bildqualitätsverbesserung in Verbindung gebracht wird. Mit 16:9 wird zunächst nur das Monitorformat dem Gesichtsfeld des Betrachters angepasst (siehe unter »Bildformate« in diesem Kapitel) [S. 210]. In HD-Qualität gibt es bisher nur ein sehr überschaubares Angebot an Sendern und Aufzeichnungen in Form von HD-Datenträgern (HD DVD, Blu-ray Disc), für die sich die relativ kostenintensive Anschaffung eines HDTVs eigentlich noch nicht lohnt. Bisher bietet z.B. in Deutschland nur der Pay-TV-Sender Premiere regelmäßig hochauflösendes HDTV in einer 1080i/50-Auflösung an. Dies sind 1920 × 1080 Pixel bei 50 Halbbildern. Zum Empfang ist allerdings ein spezieller Receiver erforderlich, der nicht nur sicherstellt, dass nur zahlende Kunden in den Empfang von Premiere HD gelangen, sondern der ebenso die von der Filmindustrie geforderten Kopierschutzstandards unterstützt und so deren Etablierung zu ermöglichen versucht. Eine wesentliche Herausforderung in der Nutzung des HDTV und der Erwartungen, die mit diesem Fernsehstandard in Verbindung gebracht werden, ergibt sich dadurch, dass die Filmindustrie den Wechsel zu einem neuen Fernsehstandard dazu auszunutzen versucht, den Fernsehzuschauern einen für sie überflüssigen und sogar sehr ungünstigen und extrem kostenintensiven Kopierschutzstandard aufzuzwingen. Diese Kopierschutzsysteme könnten unter Umständen dazu beitragen, dass es HDTV niemals im größeren Umfang in Europa geben wird oder sich seine Verbreitung zumindest nur sehr zögerlich entwickelt. Schließlich sind diese Kopierschutzsysteme stark einschränkend und führen noch häufig zu Kompatibilitätsproblemen. Selbst nach dreieinhalb Jahren sind diese Inkompatibilitäten zwischen dem Anschluss HDMI und dem Kopierschutzstandard HDCP noch immer nicht gänzlich behoben. Zudem sind die Anschaffungskosten für die Fernsehzuschauer enorm, da diese Kopierschutzstandards die Neuanschaffung aller Abspiel- und Wiedergabe geräte erzwingen. Wer sich zur Fußball- Weltmeisterschaft 2006 einen 16:9-Fernseher anschaffte und, wie die meisten Käufer, nicht darauf achtete, ob er HDCP-tauglich ist, wird sich eventuell einen neuen Fernseher kaufen müssen, um HD-Wiedergabegeräte (Fernseher, Beamer) und HD-Abspielgeräte (HD DVD-, Blu-ray Disc Player) kombiniert einsetzen zu können. Außerdem wird es bei Filmen in HD-Qualität in der Regel untersagt sein, diese, wie bisher gewohnt, für private Zwecke aufzeichnen zu können. Die neuen von der Filmindustrie geforderten Kopierschutzmaßnahmen werden ein Umgehen dieser Einschränkungen nicht nur unter Strafe stellen, sondern aufgrund ihrer Perfektion nahezu unmöglich machen. Genauso können sie das Abspielen von HD-Datenträgern (HD DVD, Blu-ray Disc)
201
3.1 Torsten Stapelkamp: Fernsehstandards
auf Computern verhindern – nur aus Sorge der Filmindustrie, ihre Kunden könnten sich der Kontrolle durch die Dienstleister entziehen (siehe unter »Kopierschutzverfahren« in diesem Kapitel) [S. 261]. Auch für die Produzenten und Fernsehsender ist es mit erheblichem Kostenaufwand verbunden, in HD-Qualität zu produzieren und auszustrahlen, weshalb es erst sehr wenige entsprechende Inhalte und Sender gibt. Ergänzend zu Premiere HD gibt es in Deutschland noch den Kanal »Anixe HD« und die Sender »Sat.1 HD« und »ProSieben HD«. Die beiden letztgenannten Sender strahlen allerdings nur zu einem relativ geringen Anteil Filme in echter HD-Qualität aus, sondern skalieren das vorhandene Filmmaterial einfach nur auf die HD-Auflösung von 1920 × 1080 Pixel. Ansonsten wird in der Regel bei den Fernsehsendern und den Studios in Deutschland, aber auch in ganz Europa, weiterhin in PAL-Auflösung produziert und gesendet. Diese Inhalte in SD-Qualität können mit den teuer eingekauften HD-Fernsehern nur entsprechend »aufgeblasen« abgebildet werden. Daher ist es durchaus zu überlegen, entweder beim 4:3 SDTV zu bleiben, oder, wenn die Anschaffung eines 16:9 HDTV unbedingt gewünscht ist, sich als Kompromiss für die Auflösung der »720p«-Norm (1.280 × 720 Pixel, progressive) zu entscheiden. Im Vergleich zur PAL-Norm besitzt die »720p«-Norm nur 144 Zeilen mehr, wodurch die höher skalierte PALDarstellung nicht zu matschig erscheint. Andererseits kann die theoretisch mögliche HD-Auflösung von 1920 × 1080 Pixel nicht vollständig dargestellt werden. Darin liegt eben der Kompromiss, nicht die bestmögliche Qualität darstellen zu können, aber das, was nach wie vor zu 95 % gesendet wird, nämlich die SD-Qualität, gut dargestellt zu bekommen und mit dem HDTV ein 16:9- Format zu erhalten, das dem Gesichtsfeld des Menschen viel näher kommt, als das 4:3-Format. Mit den SD-Fernsehern, die ausschließlich in PAL- bzw. NTSC-Auflösung darstellen können, kann im Gegensatz zum 16:9-Fernseher entweder nur ein Ausschnitt eines 16:9 Formats gezeigt werden (Pan & Scan-Modus) oder das 16:9 Format muss entsprechend klein skaliert werden (LetterboxModus). Dadurch verkleinert sich allerdings die Bilddarstellung und es entstehen im PAL- bzw. NTSC-Format freie Flächen, die oben und unten schwarz dargestellt werden (siehe »Pan & Scan-Modus« und »LetterboxModus« unter »Seitenverhältnis / Bildformat« im Kapitel »Bildformate«) [S. 220]. Nachdem sich die HDTV-Norm in den USA und in Asien zunehmend etabliert hat und es dort entsprechend mehr Filme und Fernsehbeiträge in HD-Qualität gibt, wird weiterhin der Versuch unternommen werden, diese Norm nun auch in Europa in breitem Umfang einzuführen. Ob die Befürworter von HDTV tatsächlich vom Wunsch nach einer besseren Bildqualität getrieben werden oder lediglich die Gelegenheit nutzen wollen, mit einem neuen Fernsehstandard neue Kopierschutzstandards etablieren zu können, hängt im Wesentlichen von der Ausgangsposition ab. Fest steht nur, dass
202
Standards/Spezifikationen
Abb. 3.1.6 16:9 HDTV-Format mit einer Auflösung von 1920 × 1080 Pixel im Vergleich zum 4:3 PAL- bzw. NTSC-Format im Pan & Scan-Modus. Maße in Fernseh-Pixel (rechteckig bei PAL und NTSC).
203
das Vergrößern einer Darstellungsfläche bzw. einer Bildauflösung in keinem direkten Zusammenhang mit der Zunahme an inhaltlicher Qualität steht und demnach auch keine Intensivierung einer Kopierschutzstrategie rechtfertigen kann. Ob oder wie bedeutsam das Vergrößern der Darstellungsfläche bzw. der Bildauflösung ist, sollte jeder für sich selber klären. Auf dem beigefügten Datenträger befindet sich der 3D-Animationsfilm »Elephants Dream« (erstellt vom Orange Open Movie Team; Infos unter: www.elephantsdream.org) in 5 verschiedenen Bildauflösungen für die Darstellung am Mobiltelefon (176 × 144 Pixel) bis hin zur höchst möglichen HD-Auflösung (1920 × 1080 Pixel) an HDTV-Monitoren (siehe auf der DVD im Ordner »Elephants Dream«) [DVD]. Es wurden zwar bisher, begünstigt durch die Fußball-Weltmeisterschaft 2006, zahlreiche HDTV-Geräte verkauft, da es aber kaum Inhalte in HDQualität gibt und nur wenige Fernsehsender regelmäßig Inhalte in HD-Qualität ausstrahlen, findet die Ausstrahlung von HDTV im Augenblick nahezu unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit statt. Und sollte die Filmindustrie weiterhin auf ihrer Verhinderungsstrategie mit überflüssigen Sendeverschlüsselungen und Kopierschutzstandards beharren, wird dies wohl noch lange so bleiben.
3.1 Torsten Stapelkamp: Fernsehstandards
3.1.7 Digitales Fernsehen
Für die terrestrische Ausstrahlung des digitalen Fernsehens gibt es weltweit drei Systeme. Das ATSC (Advanced Television Systems Committee) in Kanada, Südkorea und den USA, das ISDB-T (Integrated Services Digital Broadcasting Terrestrial) in Japan und das DVB (Digital Video Broadcasting) in Europa. Den DVB-Standard gibt es in mehreren Varianten: ■ DVB-T (Digital Video Broadcasting – Terrestrial) = Fernsehempfang über Antenne ■ DVB-C (Digital Video Broadcasting – Cable) = Fernsehempfang über Kabel ■ DVB-S (Digital Video Broadcasting – Satellite) = Fernsehempfang über Satellit ■ DVB-H (Digital Video Broadcasting – Handhelds) = mobiler terrestischer Fernsehempfang Die DVB-Formate werden mit dem Kompressionsstandard MPEG-2 aus gestrahlt. Für HD-Qualität wird wegen der größeren Menge an Daten MPEG‑4 AVC (H.264) verwendet. Pro Sendeprogramm wird eine Datenrate von 3 bis 5 MBit/s benötigt. In der Regel teilen sich vier Programme 12 bis 20 MBit/s und verteilen dieses Datenkontingent je nach Bedarf. Eine Talkshow benötigt wegen geringerer Bewegungen im Bild eine geringere Datenrate als ein Actionfilm, der z.B. bei Verfolgungsjagden eine höhere Datenrate zugewiesen bekommt. Die dabei höchstmögliche Bildqualität ist im Vergleich zu einer DVD-Produktion, bei der eine Datenrate von bis zu 9,8 MBit/s verwendet werden kann, entsprechend schlechter. Terrestisch ließe sich allerdings auch eine höhere Datenrate senden. Es ist allerdings eine kaufmännische Entscheidung, mit DVB-T lieber mehr Sender in schlechter, als weniger Sender in guter Bildqualität auszustrahlen.
3.1.8 EPG (Electronic Program Guide)
Durch die Umstellung von analogem auf digitales Fernsehen können dem digitalen Fernsehsignal weitere Daten hinzugefügt werden. Bereits vom Videotext her ist bekannt, dass zusätzlich zum Bild Daten übertragen werden können. Dies geschieht bei analogen Fernsehgeräten über die Austastlücken des Fernsehbildes. Beim digitalen Fernsehen können Fernsehsender z.B. eine Programmzeitschrift, die Electronic Programm Guide (EPG) genannt wird, und weitere zusätzliche ergänzende Informationen zum jeweiligen Sendeangebot übertragen. Um solche Dienste nutzen zu können, wird entweder eine Settop-Box benötigt oder ein Fernsehgerät mit entsprechender Ausstattung.
204
Standards/Spezifikationen
3.1.9 MHP (Multimedia Home Plattform)
Damit beim interaktiven Fernsehen ein reibungsloses Zusammenspiel der entsprechenden Hard- und Software verschiedener Anbieter gewährleistet werden kann, einigten sich eine Reihe von Unternehmen auf den gemeinsamen Standard Multimedia Home Plattform (MHP). Mit diesem Standard wird versucht, interaktives Fernsehen leicht bedienbar und attraktiv zu machen. Die Angebote reichen von Video-on-demand über Homeshopping mit direkter interaktiver Informations- und Bestellmöglichkeit bis hin zur interaktiven Teilnahme an Fernsehshows. Des Weiteren können Sendungen mit Computerspielen kombiniert angeboten oder, wie bereits per SMS möglich, ausschließlich Spiele am Fernseher angesteuert werden. Entsprechende Angebote, die über Satellit und bundesweit per Fernsehkabelanschluss verbreitet werden, bieten in Deutschland z.B. »ARD Digital«, »RTL TV Interaktiv« und »ZDFdigitext«. Zum Empfang ist als Decoder eine SettopBox erforderlich.
3.1.10 Internet-Surfen am Fernseher
Mit entsprechenden Settop-Boxen, die am Fernseher und über ein eingebautes Modem an die Telefonleitung angeschlossen werden können, wird Internet-Surfen am Fernseher möglich. Eine Software-Lösung, wie z.B. TVRendering (TVR), sorgt dafür, dass die Auflösung der Internetseiten auf die üblicherweise niedrigere Auflösung eines Fernsehers angepasst wird. Zudem lassen sich die Internetseiten in Ausschnitten vergrößert darstellen. Diese Technologie soll dafür sorgen, dass jede beliebige Internetseite auf jedem Fernsehbildschirm abgebildet und gelesen werden kann. Die Anbieter, die daran interessiert sind, dass ihre Internetseiten selbst bei der geringen Auflösung eines Fernseh-Röhrenmonitors noch akzeptabel aussehen, werden aber entsprechend angepasste Internetseiten anbieten müssen. Eine solche Anpassung bezieht sich in entscheidendem Maße auf die Wahl der Schriftart und der Schriftgröße. Neu ist die Entwicklung, Internetseiten auch am Fernseher anbieten zu wollen, allerdings nicht. Bereits 1998 präsentierte die Firma Loewe den ersten internetfähigen Fernseher. Das eigene fernsehtaugliche Internetportal wurde u.a. aus den oben genannten Gründen gleich mitentwickelt und von Loewe selbst angeboten. Ansonsten wird in Deutschland u.a. mit dem Angebot »T-Online Vision« vom Anbieter »T-Online« der Zugang zum Internet und das Lesen von E-Mails über den Fernseher ermöglicht. Die dort angebotenen Darstellungsqualitäten liegen aber nicht in Form von Internetseiten vor, sondern sind denen der Fernsehgeräte angepasst und vergleichbar mit den Darstellungsqualitäten der Multimedia Home Platform (MHP) bzw. des Electronic Program Guide (EPG). Klassische, nicht speziell für den Fernseher erstellte Internetseiten lassen sich insbesondere an einem Fernseh-Röhrenmonitor nur sehr unzureichend
205
3.1 Torsten Stapelkamp: Fernsehstandards
nutzen, da die Schriftgröße für die Betrachtung an einem Computermonitor bei kurzer Distanz und nicht für diese fernsehtypisch geringe Auflösung bzw. fernsehübliche Betrachtungsentfernung gewählt wurde. Mit den erforderlichen Settop-Boxen kann die Darstellung von Internetseiten zwar vergrößert werden, dies führt aber dennoch zu keinem dauerhaft befriedigenden Darstellungszustand – so lange man einen Röhrenmonitor nutzt. Mit einem Flachbildschirm-Fernseher (z.B. LCD-Monitor) wäre eine flimmerfreie Darstellung mit höherer Auflösung möglich. Es gibt bereits Internetangebote, die dem Fernsehprogramm Konkurrenz machen. Von Seiten der Anbieter besteht auch die Absicht, einige dieser Angebote in erster Linie über den Fernseher anbieten zu wollen und nicht etwa für den Computer aufzubereiten. Dies gilt allerdings nicht für klassische Internetseiten, sondern für das Internetfernsehen, auch als IPTV bekannt.
3.1.11 IPTV (InternetProtokoll TeleVision)
Sehr bald wird es alltäglich sein, dass zumindest bestimmte Anteile des Fernsehprogramms auch über das Internet übertragen werden. Obwohl dieses InternetProtokoll TeleVision (IPTV) über das Internet zum Endverbraucher gelangt, soll es nach Wünschen der Fernsehanstalten und vieler weiterer Anbieter am Fernseher und nicht etwa am Computer genutzt werden. Zur Umwandlung dieser Daten für die Fernsehgeräte beim Endverbraucher ist eine Settop-Box erforderlich. Der Grund, weshalb die Signale auf den Fernseher übertragen werden sollen, liegt in der Vermutung der Anbieter, dass sich IPTV nur mit Hilfe des Fernsehgeräts als dem gewohnten Empfangs- und Darstellungsgerät, und nicht etwa am Computer durchsetzen wird. Da die Anschaffungskosten für das Equipment zum Erstellen eigener Inhalte überschaubar geworden sind, wird IPTV einer breiten Masse ermöglichen, selber Fernsehen zu produzieren. Und weil es bereits Portale wie YouTube.com und MyVideo.de gibt, durch die jeder seine Videos der Öffentlichkeit präsentieren und bewerten lassen kann, wird nicht nur das Interesse, sich selber zu produzieren geweckt, sondern auch die Bereitschaft gebildet, geringere Bildqualitäten hinzunehmen und Fernsehen über das Internet zu betreiben. Der größte Teil der IPTV-Angebote wird allerdings von den Sendeanstalten und von Anbietern stammen, die sich auf IPTV spezialisieren werden. Die Qualität der Beiträge bezüglich der Inhalte, der Unterhaltung und der Interaktionsangebote wird die Einschaltquoten im entscheidenden Maße regeln. Der Umstand, dass IPTV auch aufwändige Interaktionsangebote ermöglicht, wird dabei den Bedarf an HD-Qualität in vielen Bereichen relativieren, in denen der Informations- und Unterhaltungswert höher eingeschätzt wird als die bloße Vergrößerung des Darstellungsformates oder der Bildauflösung. Sendungen, die – wie z.B. Ehrensenf. de – regelmäßig über das Internet ausgestrahlt werden und sowohl durch
206
Standards/Spezifikationen
Inhalt wie Unterhaltung überzeugen, werden zur Etablierung des IPTV beitragen und belegen, dass nicht die Begriffe von Superlativen, wie »High Density«, »High Definition« oder »Fullscreen«, sondern die Inhalts- und die Unterhaltungsqualität darüber entscheiden, ob man ein Publikum findet. Nicht zuletzt deswegen kann IPTV eine interessante Konkurrenz zu HDTV und dem durch die Filmindustrie betriebenen Kopierschutz darstellen (siehe unter »Für ein paar Pixel mehr« im Kapitel »Kopierschutzverfahren«) [S. 261]. Für IPTV genügt ein handelsüblicher Computer mit Internetanschluss oder eine entsprechende Settop-Box für den Fernseher. So genannte Media-Center-PCs, die Fernseher, Hifi-Anlage und Internet-PC in sich vereinen, wären da die preiswerteste Kombinationsanschaffung. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zahlreiche Zuschauer geben wird, die sich ausschließlich für die Übertragung und Darstellung am Computer entscheiden. Für IPTV am Computer wäre schließlich nur ein Ethernet anschluss, aber keine TV-Karte erforderlich. Für die Betrachtung des IPTVAngebots am hochauflösenden Computermonitor spricht außerdem, dass die am Fernseher zu betrachtenden IPTV-Angebote kaum vorsehen können, dass der Anwender über die Darstellung eines PAL- bzw. NTSC-Monitors auch im Internet surfen kann. Schließlich ist die PAL- bzw. NTSC-Auflösung zu gering, um Internetseiten in ausreichender Qualität darzustellen. Selbst wenn die Settop-Box nicht nur ein vorbereitetes IPTV-Sendeprogramm, sondern ebenso den Zugang zum WorldWideWeb ermöglichen sollte, kann der integrierte Browser entweder nur für die Fernsehdarstellung extra vorbereitete Angebote ansteuern oder nur in der jeweils vom Monitor vorgegebenen Bildqualität anzeigen. Für den Anwender macht es daher immer weniger Sinn, Daten, die über das Internet übertragen werden, an einem gering auflösenden Fernseher zu betrachten. Es sei denn, er besitzt einen Fernseher mit LCD-Monitor und entsprechend hoher Auflösung. Die neuen HDTV-Displays sind allerdings für IPTV nur sehr eingeschränkt geeignet, da sie mit HDMI-Anschlüssen versehen sind. Die Kopierschutzstrategien der Filmindustrie verhindern bzw. erschweren zudem das Betrachten von HD-Qualitäten an einem Computer. Sie machen teure Anschaffungen von zusätzlichen Geräten bzw. Bauteilen erforderlich, die für den Käufer keinen Mehrwert darstellen. Geräte mit HDMI-Anschlüssen machen es der Filmindustrie erst möglich, ihren Kunden Kopierschutzregeln aufzuzwingen, die nicht in deren und auch nicht im Interesse einer Informationsgesellschaft sind. Da ist es bisweilen sinnvoller, beim klassischen Computerequipment zu bleiben und darauf zu bauen, dass es immer mehr IPTV-Anbieter geben wird und dass einige unter ihnen auch HD-Qualität anbieten werden, ohne sie aufwändig mit hardware-unterstützten Kopierschutzmaßnahmen vor dem Betrachter schützen zu wollen. Schließlich gibt es bereits gesetzliche Vorschriften, die die Verbreitung von Raubkopien unter Strafe stellen und somit den Schutz geistigen Eigentums ausreichend
207
3.1 Torsten Stapelkamp: Fernsehstandards
regeln. Die bisherigen Fernsehbetreiber und Filmeanbieter werden Ähnliches erleben wie die Musikindustrie. Vor wenigen Jahren empfand die Musikindustrie das Internet noch als die größte Bedrohung. Mittlerweile ruhen auf ihm alle Erwartungen des wirtschaftlichen Erfolgs. Die aktuellen Übertragungstechniken machen es möglich, auch HDInhalte über das Internet zu schicken und empfangen zu können. Für den digitalen Empfang von SDTV werden bis zu 3 MBit/s benötigt und für HDTV mindestens 8 MBit/s. Die Deutsche Telekom2 installiert in mehreren deutschen Städten ihr VDSL-Netz (Very High Speed DSL), mit dem sogar eine Übertragungsrate von 25 MBit/s möglich ist und die über DSL-Anschlüsse zu empfangen wäre. Ein weitere IPTV-Anbieter in Deutschland ist HansaNet mit Alice Home TV3. Sobald sich diese Breitbandnetze etabliert haben, werden die Anbieter die Zeit finden, sich auch über interaktive Kombinationsangebote Gedanken zu machen. Hier wären auch kombinierbare Dienste zwischen IPTV und DVD, HD DVD bzw. Blu-ray Disc denkbar.
2 www.t-com.de
3 www.alice-dsl.de
Ob IPTV-Dienste nun eher am Computer oder am Fernseher genutzt werden, wird sich zeigen. Es sprechen allerdings bereits mehrere Gründe dafür, sich vom klassischen Fernseher zu trennen. Es ist durchaus möglich, dass sich immer mehr Fernsehzuschauer von ihrem Fernsehempfänger trennen möchten, sobald sie feststellen, in welch eine Abhängigkeit sie sich begeben, wenn sie Fernsehgeräte mit HDMI-Anschlüssen und HDCP-Kopierstandards erwerben. Da die Filmindustrie die Gerätehersteller dazu zwingen will, ihre Produkte ausschließlich mit diesem Anschluss zu versehen, bleibt dem Fernsehzuschauer als Alternative zumindest noch der Computer (siehe unter »FCC (Federal Communications Commission)« im Kapitel »Kopierschutzverfahren«) [S. 272]. Die strengen Kopierschutzstrategien der Filmindustrie, die damit verbundenen Kompatibilitätsprobleme und die Tatsache, dass Fernsehzuschauer ab Januar 2007 zumindest in Deutschland auch für internetfähige Computer und Mobiltelefone Gebühren an die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) zahlen müssen – sofern im Privathaushalt nicht bereits Radios oder Fernseher bei der GEZ gemeldet sind – wird viele dazu veranlassen, sich vom Fernseher zu trennen und ihren Computer auch als Fernseher zu nutzen. Außerdem muss für internetfähige Geräte nur der niedrigere Betrag von aktuell monatlich 5,52 Euro gezahlt werden. Für die Nutzung des klassischen Fernsehers fallen monatlich immerhin 17,03 Euro an. Sobald IPTV mit ausreichenden Angeboten im Internet zur Verfügung gestellt werden sollte, wird es für viele Fernsehkunden keinen Grund mehr geben, den Fernseher zu behalten und die höhere GEZ-Gebühr zu zahlen. Einen einheitlichen Standard gibt es für das IPTV jedoch noch nicht. Um offene IPTV-Standards bemüht sich allerdings die Internet Streaming Media Alliance (ISMA)4. Dass sich IPTV durchsetzen wird, ist bereits zu vermuten, da die Vorreiter bis jetzt ca. 1,5 Millionen Nutzer in Frankreich (www.free.
4 www.isma.tv
208
Standards/Spezifikationen
fr) und 700000 Nutzer in Italien (www.fastweb.it) verzeichnen. Laut einer Studie des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) aus dem Jahr 2006 wird vermutet, dass die Anzahl der Haushalte in Deutschland, die IPTV nutzen werden, bis ins Jahr 2010 auf 1,2 Millionen ansteigt5. In einer Studie des US-amerikanischen Marktforschungsinstituts »Infonetics«6 wird davon ausgegangen, dass es bis 2009 weltweit sogar 68 Millionen Haushalte geben wird, die IPTV nutzen. Infonetics prognostiziert damit einen Massenmarkt, der bis 2009 weltweite Einnahmen von sieben Milliarden US-Dollar einbringen soll. Eine harte Konkurrenz gegenüber den sonstigen Fernsehangeboten kann damit zwar noch nicht festgestellt werden, es zeigt sich allerdings eine deutliche Tendenz. IPTV wird wohl in erster Linie Programme ermöglichen, die über die der bisherigen Fernsehsender hinausgehen und die Interaktionsbandbreite des Internet nutzen, und diese mit weiteren Medien, wie z.B. der DVD, kombinieren. In dieser Herausforderung der neuen Möglichkeiten drückt sich gleichermaßen die Chance wie auch die Verpflichtung aus.
5 www.bitkom.de 6 www.infonetics.com
209
3.1 Torsten Stapelkamp: Fernsehstandards
3.2 Bildformate Torsten Stapelkamp
3.2.1 Bildformate/Auflösung
7 Nach Angaben des Advanced Television Systems Commitee, Inc., einer inter nationalen, nichtkommer ziellen Organisation zur Beschreibung von Standards für das digitale Fernsehen, http://www.atsc.org (Februar 2007).
210
Die Bildqualität wird bestimmt durch die Größe und das Format der dargestellten Bildfläche und durch die Anzahl bzw. die Dichte der Zeilen bzw. Bildpunkte (Pixel), aus denen sich das Bild ergibt. Das 4:3-Format der bisherigen Fernseher ergab sich aus technischen Belangen. Das 16:9-Format entspricht viel eher dem Blickfeld des Menschen und stellt daher schon eine Verbesserung der Bildqualität dar. Beim HDTV kommt zur Vergrößerung des Bildformats noch eine Steigerung der Zeilen bzw. Pixel hinzu. Wie bereits an anderer Stelle beschrieben wird zurzeit die bestmögliche Bildqualität bei der »1080i«-Norm mit 1.920 × 1.080 Pixel erreicht und bei der »720p«-Norm mit 1.280 × 720 Pixel. Entscheidend ist aber noch, ob das Bild interlaced oder progressive angezeigt wird. Zur Erinnerung: diese Eigenschaften werden mit den kleinen Buchstaben »i« bzw. »p« hinter den Pixelwerten gekennzeichnet. Die Progressive- ist der Interlaced-Darstellung auch dann vorzuziehen, wenn, wie bei der »720p«-Norm, die Pixelwerte etwas niedriger ausfallen als bei der »1080i«-Norm. Die zurzeit bestmögliche Bildqualität für Fernsehgeräte bietet die »1080p«-Norm, mit 1.920 × 1.080 Pixel in progressive Darstellung. Die Auflösung beim Fernseher wird nicht in Pixel, sondern in Linien und Zeilen angegeben. Bei einer Auflösung von 720 × 576 beschreibt die erste Zahl die horizontale Auflösung in Linien, die von oben nach unten führen, und die zweite Zahl die vertikale Auflösung in Zeilen, die von links nach rechts führen. Für das digitale Videobild hat man sich international darauf geeinigt, dass »Linien« mit »Pixel« bezeichnet werden und dass die horizontale Fernsehzeile mit 720 Linien festgelegt wird, obwohl nach der PAL-Norm nur 702 und nach der NTSC-Norm nur 710,85 Zeilen vorliegen. Eine Erläuterung dazu folgt im anschließenden Text. Tatsächlich ergab sich dieser Wert von 720 aus technischen Erwägungen. Analoge Videosignale sind je nach Abspielgerät zeitlich nie präzise und ein Überlappen der nachfolgenden Bilder wird mit mehreren Zeilen Spielraum vermieden. Außerdem war mit dem Standard CCIR 601 (spätere Bezeichnung: ITU-R BT.601) bereits seit 1970 für die PAL- und die NTSC-Norm eine Samplingrate für Video von 13,5 MHz und mit 720 eine Anzahl von Samples pro Zeile festgelegt, so dass es für die Hardwarehersteller einfach war, auch für das digitale Videobild bei dem Wert von 720 zu bleiben. Nahezu alle Standard-TV Übertragungstechnologien (SDTV) nutzen 13,5 MHz als Samplingfrequenz. Auch die Aufnahme- und Abspielgeräte (z.B. DVD-Player, DV-Camcorder, DVB-Geräte) basieren auf dieser Samplingfrequenz. Die genauen Werte für die Bildformate bzw. die Auflösung ergeben sich aus folgenden Fakten7:
Standards/Spezifikationen
Abb. 3.2.1
Format
RS-170A (NTSC)
CCIR (PAL)
Einheit
Zeilen/Bild
525
625
Zeilen
Zeilen/Halbbild
262,5
312,5
Zeilen
darstellbare Zeilen/Bild
484 (+ 2 halbe)
Zeilen
darstellbare Zeilen/Halbbild
242,5
Zeilen
Vertikaler Zeilenrücklauf/Halbbild
20
25
Zeilen
Zeilen-Frequenz
15,734
15,625
kHz
Dauer einer Zeile
63,556
64
µs
Dauer des Zeilenrücklaufs
10,9 ± 0.2
12 ± 0.3
µs
Dauer des aktiven Videosignals einer Zeile
52,66
52
µs
Bandbreite
4,2
5,0; 5,5; 6,0
MHz
Effektive horizontale Auflösung
640
768
Pixels
Für das Beschreiben einer Zeile eines Bildes nach der PAL-Norm wird ein Zeitraum von 64 µs benötigt (µs: Mikrosekunden = eine millionstel Sekunde). Dies ergibt sich aus folgender Berechnung: 625 (Zeilen/Bild) × 25 (Halbbilder/Sek.) = 15625 Hz 1 = 0,000064 = 64 µs 15625 Hz
Es wurden für die PAL-Norm 625 horizontale Zeilen pro Bild festgelegt, von denen aber nur 576 abgebildet werden, da der Elektrodenstrahl der damals zu Grunde gelegten Röhrenmonitore etwas Zeit benötigt, um vom unteren zum oberen Bildrand zu gelangen. Für diesen Vorgang (vertikale Austastlücke) wurden pro Halbbild 0,0016 Sekunden Übergangszeit eingeplant. Dies entspricht 25 Zeilen pro Sekunde und einem Halbbild (0,0016 Sekunden / 64 µs = 25) bzw. 3,2 ms für 50 Zeilen bzw. einem Vollbild. Nicht alle Zeilen bilden das sichtbare Bild. Zeile 23 bis 310 im ersten Halbbild und Zeile 336 bis 623 im zweiten Halbbild ergeben ein Bild, wobei der Fernsehstandard vorgibt, dass nur die zweite Hälfte von Zeile 23 und nur die erste Hälfte von Zeile 623 für das aktive Bild genutzt werden darf. Dies ergibt dann 287,5 + 287,5 = 575 sichtbare Zeilen pro Bild, obwohl 2 × 312,5 = 625 Zeilen zur Verfügung stehen. Zwischen den 312,5 festgelegten Zeilen und den tatsächlich abgebildeten 287,5 Zeilen eines Halbbildes verbleibt die
211
3.2 Torsten Stapelkamp: Bildformate
oben erwähnte Differenz von 25 Zeilen. Es macht aber wenig Sinn für die Nutzung am Computer in halben Zeilen zu kalkulieren, zumal auch für eine halbe Zeile an sich eine ganze in einer Fläche in Anspruch genommen wird, weshalb im Allgemeinem für das Arbeiten am Computer und im Besonderen im Zusammenhang mit DVD-Produktionen mit 288 Zeilen pro Halbbild gerechnet wird und sich daher für die Vertikale 576 Zeilen ergeben. Das Flächenformat für den Fernsehstandard wurde mit einem Verhältnis von 4:3 festgelegt, wodurch sich bei 576 horizontalen Zeilen 768 vertikale Linien ergeben (576 × 4 : 3 = 768). Da sich beide Werte jeweils durch 16 teilen lassen, ergeben sich entscheidende Vorteile für eine MPEG-Kompression, die auf 16 × 16 Makroblöcken basiert. Ähnliches gilt für die NTSC-Norm. Für sie wurden 525 Zeilen festgelegt, von denen aber aus den oben erwähnten Gründen tatsächlich nur 484 vollständige und 2 halbe Zeilen dargestellt werden. Auch hier macht es wenig Sinn im digitalen Kontext mit halben Zeilen zu kalkulieren, weshalb für die NTSC-Norm in der Vertikalen 486 Zeilen gezählt werden. Damit sich auch dieser Wert aus den bereits genannten Gründen durch 16 teilen lässt, wurde er auf 480 abgerundet. Die tatsächlichen Abmessungen des Bildbereichs eines Fernsehbildes nach der PAL-Norm sind allerdings 702 × 576 Pixel. Dies ergibt sich aus dem Zeitraum, den der Elektrodenstrahl zum »Schreiben« einer Zeile benötigt und der nach dem Standard CCIR 601 festgelegten Samplingrate von 13,5 MHz. Für das Beschreiben einer Zeile ergab sich, wie oben erwähnt, ein Zeitraum von 64 µs. Von dem Zeitraum von 64 µs ist allerdings noch die horizontale Austastlücke von 12 µs abzuziehen, die der Elektrodenstrahl benötigt, um nach dem »Schreiben« einer Zeile von links nach rechts an die linke Seite zurückzukehren, bevor die nächste Zeile »geschrieben« werden kann. So ergeben sich 52 µs als tatsächlicher Zeitraum, um eine Zeile zu »schreiben« (64 µs – 12 µs = 52 µs). Zusammen mit der für die PAL- und die NTSC-Norm vorgegebenen Samplingrate von 13,5 MHz ergeben sich 702 Samples (Pixel) pro Elektrodenstrahllinie (siehe auch unter »Abtastung (4:4:4, 4:2:2, 4:2:0, 4:1:1)« des Textes zu »Kompressionsstandards« in diesem Kapitel) [S. 240]. Der tatsächlich sichtbare Bildbereich eines Fernsehbildes nach der PAL-Norm hat demnach das Bildformat bzw. die Auflösung von 702 × 576 Pixel. 52 µs × 13,5 MHz = 702 Samples (Pixel)
Um die Auflösung für die MPEG-Kompression zu optimieren, werden für die Verwendung am Computer zwei weitere Pixel hinzugefügt, so dass sich eine Auflösung von 704 × 576 Pixel ergibt. Am Computer wird mit einer
212
Standards/Spezifikationen
Samplingrate von 14,75 MHz gearbeitet, so dass sich eine Auflösung von 767 × 576 Pixel ergibt. 52 µs × 14,75 MHz = 767 Samples (Pixel)
Um auch hier die Auflösung für die MPEG-Kompression zu optimieren, wird für die Verwendung am Computer ein weiterer Pixel hinzugefügt, so dass sich eine Auflösung von 768 × 576 Pixel ergibt. Für die NTSC-Norm ergibt sich eine Auflösung von 711 × 486 Pixel. 525 (Zeilen/Bild) × 29,97 (Halbbilder/Sek.) = 15734,25 Hz 1 = 0,000063555619111 = 63,555 µs 15625 Hz
Von dem Zeitraum von 63,5556 µs ist nach RS-170A, die den NTSC-Standard festlegt, eine horizontale Austastlücke von 10,9 µs abzuziehen, so dass sich 52,6555 µs ergeben. Zusammen mit der für die PAL- und die NTSC-Norm vorgegebene Samplingrate von 13,5 MHz ergeben sich bei der NTSC-Norm 710,85 Samples (Pixel) pro Elektrodenstrahlzeile. Der tatsächliche Bildbereich eines Fernsehbildes nach der NTSC-Norm hat demnach die Ausmaße von 710,85 × 486 Pixel. 52,6556 µs × 13,5 MHz = 710,8506 Samples (Pixel)
Da ein Pixel am Computer die kleinste Einheit ist und daher ein Pixelmaß von 0,85 Pixel nicht sinnvoll ist, wird der Wert 710,85 auf 711 aufgerundet, wodurch sich für die NTSC-Norm eine Auflösung von 711 × 486 Pixel ergibt. Für Digitalvideo werden von den 486 Zeilen 6 abgeschnitten, um mit 480 einen Wert zu erhalten, der durch 16 teilbar ist. Die Anzahl der Linien wird entsprechend auf 720 Linien erhöht. Da die PAL- und die NTSC-Norm über eine unterschiedliche Anzahl an Zeilen verfügen, die Anzahl der Pixel in der Horizontalen aber mit 720 Pixel festgelegt und die Fläche aller Fernseher durch das Verhältnis 4:3 bzw. 16:9 vorgegeben ist, wird die Pixelverteilung bei PAL etwas gedehnt und bei NTSC etwas gestaucht. Dies führt dazu, dass am Fernseher die Pixel beim PAL-Standard in horizontaler Ausrichtung und beim NTSC-Standard in vertikaler Ausrichtung rechteckig angeordnet sind und entsprechend Rectangle-Pixel genannt werden (siehe [Abb. 3.1.4 und Abb. 3.1.5]).
213
3.2 Torsten Stapelkamp: Bildformate
Abb. 3.2.2 Oben links: Square-Pixel in einer Auflösung von 720 × 576 Pixel bzw. mit 45 × 36 quadratischen Makroblöcken (16 × 16 Pixel) dargestellt. Abb. 3.2.3 Oben rechts: PAL 4:3 Rectangle-Pixel in einer Auflösung von 704 × 576 Pixel skaliert in ein 4:3-Format. Die sich dadurch ergebende Verzerrung in horizontal ausgerichtete Pixel lässt sich nur in der Vergrößerung erkennen.
Abb. 3.2.4 Erst in der Vergrößerung wird der Unterschied sichtbar, dass die Pixel der PAL-Norm durch die Skalierung in ein 4:3-Format horizontal ausgerichtet werden. In der Vergrößerung ist jeder einzelne Pixel in den Makroblöcken (16 × 16 Pixel) zu erkennen.
214
Standards/Spezifikationen
Abb. 3.2.5 Oben links: Square-Pixel in einer Auflösung von 720 × 480 Pixel bzw. mit 45 × 30 quadratischen Makroblöcken (16 × 16 Pixel) dargestellt. Das Format im größeren Rahmen entspricht dem Verhältnis von 4:3. Abb. 3.2.6 Oben rechts. NTSC 4:3 Rectangle-Pixel mit einer Auflösung von 711 × 480 Pixel skaliert in ein 4:3-Format. Die sich dadurch ergebende Verzerrung in vertikaler Ausrichtung ist bereits ohne Vergrößerung deutlich zu erkennen.
215
Am Computermonitor sind die Pixel allerdings quadratisch, weshalb die Umrechnung in quadratische Pixel entsprechend mit PAL Square-Pixel bzw. NTSC Square-Pixel bezeichnet wird. Um Verzerrungen bei der Bilddarstellung zu vermeiden, sind die beiden unterschiedlichen Pixelausrichtungen bei der Gestaltung der Einzelbilder und dem Anlegen der Bewegtbildformate für die DVD-Produktion zu berücksichtigen. Grafikeditierprogramme, Schnittprogramme und Autorenprogramme zur Erstellung von DVD-Produktionen bieten entsprechende Justierungsmöglichkeiten. PAL Square-Pixel hat beim 4:3-Format am Computer die Auflösung von 768 × 576 Pixel und die von NTSC Square-Pixel beträgt 720 × 540 Pixel bzw. 720 × 547 Pixel. Bei NTSC verhalten sich die Schnitt- bzw. Autoren programme je nach verwendeter Videonorm uneinheitlich, weshalb hier auf die jeweiligen Handbücher verwiesen werden muss. Für eine DVD-Produktion bedeuten diese Unterschiede in der PixelGeometrie, dass für die PAL-Norm das gesamte Bildmaterial (Masken, Grafiken, Bilder, Animationen, Videos etc.), das am Computer für das 4:3Format erstellt wird, in den Abmessungen von 768 × 576 Pixel angelegt sein muss, um es anschließend, nachdem es gerendert ist und bevor es komprimiert wird, für die DVD-Produktion auf 720 × 576 Pixel zu stauchen. Für das anamorphotische Verfahren, besser bekannt unter »16:9-Optimierung« (siehe unter »16:9-Optimierung« in diesem Kapitel) [S. 224] ist am Computer in den Abmessungen von 1024 × 576 Pixel zu produzieren und ebenfalls auf 720 × 576 Pixel zu stauchen. Für die NTSC-Norm gilt, die Dateien am Computer in 720 × 540 (bzw. in 720 × 547) anzulegen und sie auf 720 × 480 Pixel zu stauchen. Für die anamorphotische 16:9-Optimierung werden für die NTSC-Norm die Dateien in 854 × 480 Pixel oder in 960 × 540 produziert und zu 720 × 480 Pixel gestaucht.
3.2 Torsten Stapelkamp: Bildformate
4:3-Format
16:9 anamorph**
601 PAL-Norm
601 NTSC-Norm
In 768 × 576 Pixel produzieren.
In 720 × 540 Pixel (bzw. in 720 × 547) produzieren.*
Vor der Komprimierung auf 720 × 576 Pixel stauchen.
Vor der Komprimierung auf 720 × 480 Pixel stauchen.
Wiedergabe am 4:3 Fernseher: 720 × 576 Pixel (Format füllend)
Wiedergabe am 4:3 Fernseher: 720 × 480 Pixel (Format füllend)
In 1024 × 576 Pixel produzieren.
In 854 × 480 Pixel oder in 960 × 540 produzieren.*
Vor der Komprimierung auf 720 × 576 Pixel stauchen.
Vor der Komprimierung auf 720 × 480 Pixel stauchen.
Wiedergabe am 4:3 Fernseher: 720 × 576 Pixel (Letterbox)
Wiedergabe am 4:3 Fernseher: 720 × 480 Pixel (Letterbox)
Wiedergabe am 16:9 Fernseher: Format füllende Darstellung. Bei Monitordarstellungsformaten über 1024 × 576 Pixel verschlechtert sich die Darstellung, da jedes Pixel dann größer dargestellt werden muss, als es tatsächlich ist.
Wiedergabe am 16:9 Fernseher: Format füllende Darstellung. Bei Monitordarstellungsformaten über 854 × 480 bzw. 960 × 540 Pixel verschlechtert sich die Darstellung, da jedes Pixel dann größer dargestellt werden muss, als es tatsächlich ist.
* je nach verwendeter Videoschnittsoftware (siehe Handbuch der jeweiligen Software) ** siehe [Abb. 3.2.18 bis 3.2.24]
Abb. 3.2.7
Formate und Auflösung SDTV*
HDTV**
Pixelbezeichnung
625i (PAL)
525i (NTSC)
720p***
1080i****
1080p***
Auflösung (vertikal)
576 Zeilen sind sichtbar
480 Zeilen sind sichtbar
720 Zeilen
1080 Zeilen
1080 Zeilen
Auflösung (horizontal)
720 Linien
720 Linien
1280 Linien
1920 Linien
1920 Linien
Bildwiederholungsart
interlaced
interlaced
progressive
interlaced
progressive
Pixel (max. sichtbar)
414720
345600
921600
2073600
2073600
* ** *** ****
SDTV (Standard Definition TV) HDTV (High Definition TV) p = progressive i = interlaced
Abb. 3.2.8 Die Bezeichnung von Zeilen und Linien bei der Auflösung von Fernsehmonitoren wird im Zusammenhang mit DVD-Produktionen durch die Bezeichnung Pixel ersetzt.
216
Standards/Spezifikationen
Abb. 3.2.9 Im Gegensatz zu PAL können die empfohlenen Seitenverhältnisse für NTSC je nach Software unterschiedlich sein. Die hier angegebenen Werte beziehen sich auf die Videoschnittsoftware Final Cut Pro. Die D1-Werte sind z.B. für die Autorensoftware DVD Studio Pro nicht geeignet.
Formate und Auflösung in Abhängigkeit von der Pixelform Aspect Ratio & Standard Computer-Monitor (Square Pixel)
DVD-Video, Fernsehmonitor (rechteckige Pixel)
4 : 3 PAL (D1/DV)
768 × 576
720 × 576
4 : 3 NTSC (DV)*
720 × 540
720 × 480
4 : 3 NTSC (D1)**
720 × 547
720 × 486
16 : 9 PAL (D1/DV)
1024 × 576
720 × 576
16 : 9 NTSC (DV)
853 × 480
720 × 480
16 : 9 NTSC (D1)
853 × 486
720 × 486
720i/p HD
–
1280 × 720
1080i/p HD
–
1920 × 1080
* DV = Digital Video. Komponentenformat mit einer reduzierten Farbaufzeichnung (4:2:0) ** D1 = Digitales Komponentenformat. Zeichnet Bilddaten unkomprimiert 1:1 im Standard CCIR 601 (ITU-R 601) auf.
Zur Unterscheidung von dpi und ppi hilft es, dot mit Punkt zu übersetzen, wenngleich auch bei der Gestaltung von Druckerzeugnissen häufig die Bezeichnung Pixel fällt. Von Pixel sollte nur im Zusammenhang mit Darstellungen an einem Monitor die Rede sein. Es gibt eine absolute und eine relative Auflösung. Bei der absoluten Auflösung wird entweder die Gesamt zahl der Pixel (z.B. Megapixel bei Digitalkameras) angegeben oder die Anzahl der Pixel pro Spalte (vertikal) und Zeile (horizontal) (TV-Monitor, PAL: 720 × 576 Pixel; Computermonitor mit z.B. 1440 × 900 Pixel etc.). Die relative Auflösung ergibt sich aus der Anzahl der Bildpunkte bzw. Pixel im Verhältnis zu einer physikalischen Längeneinheit (Inch) und wird mit Dots per Inch (dpi) bzw. Pixel per Inch (ppi) bezeichnet. Für die Gestaltung von gedruckten Erzeugnissen und von jenen, die für die Darstellung bzw. Betrachtung an Monitoren bestimmt sind, müssen die Einheiten dpi und ppi unterschieden werden. Mit Dots per Inch (dpi) werden physikalisch messbare Punkte in Verhältnis zu einer Strecke mit vordefinierter Längeneinheit (Inch) gesetzt. Dadurch ergibt sich für jeden Punkt eine absolute Größe. Beim Drucken wird die Auflösung stets mit dpi gemessen. Jeder dieser Punkte entspricht einer absoluten Größe, ist mit einer Lupe sichtbar und exakt physikalisch messbar. Es macht Sinn für die Printgestaltung absolut messbare Werte zu verwenden, da die an einem Computer erstellten und in Punkt gemessenen Printdaten anschließend im gedruckten Zustand in ein Printerzeugnis mit physikalisch messbaren Werten (gemessen in Millimeter) übertragen wird. Um die Größe (in Punkt) der auszudruckenden Datei durch ihren dpi-Wert in Millimeter ermitteln zu können, ist folgende Gleichung anwendbar: 1 Inch (Zoll) = 25,4 mm daraus folgt:
25,4 mm = 1
Punkt dpi
25,4 dpi = 1
Punkt mm
1 Punkt = 25,4 dpi × mm
Bei einer Monitordarstellung von 96 dpi und einer in der Grafiksoftware angegebenen Bilddateibreite von 120 mm ergibt sich für die ausgedruckte Datei eine Breite von 453 Punkt:
218
453 Punkt =
Standards/Spezifikationen
96 × 120 mm 25,4 dpi
Für Erzeugnisse, die im Computer erstellt werden und dort zur Nutzung und Darstellung auch verbleiben, spielt die Frage nach der Auflösung keine Rolle mehr, da sie digital verarbeitet und digital angezeigt werden. Die Angabe der Menge an Bildpunkten (Dots) in der Einheit dpi ist nur dann erforderlich, wenn beim Ausdrucken die Abmessung des abgedruckten Bildes geklärt werden soll. Um Verwechslungen zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Bezeichnung Punkt bzw. die Einheit dpi für Drucker und Belichter und die Bezeichnung Pixel bzw. die Einheit ppi bei Scannern und Monitoren zu verwenden. Mit Pixel per Inch (ppi) werden Abmessungen eines Pixels im Verhältnis zur Auflösung eines Monitors und seiner Flächengröße beschrieben. Dies bedeutet, dass die Größe eines Pixels von den Eigenschaften eines Monitors abhängen und daher vom Gestalter nicht vorbestimmt werden kann. Die Größe eines Pixels einer Darstellung am Monitor ist demnach relativ. Pixelwerte sind nur in Relation zur Monitorauflösung relevant und die Monitorgrößen sind je nach Darstellungsmedium unterschiedlich groß. Es gibt Monitore, die 1280 Pixel oder 1440 Pixel in einer Breite von ca. 13 Zoll darstellen, das ergibt dann mal ca. 98 dpi und mal ca. 110 dpi. Das Display des iPhones von Apple hat auf der schmalen Seite 320 Pixel in einer Ausdehnung von 2 Zoll, woraus sich 160 dpi ergeben. Diese Beispiele zeigen, dass sich hier keine absoluten Werte ermitteln lassen, weshalb es nicht sinnvoll ist, im Zusammenhang mit Darstellungen, die an einem Computer erstellt wurden und auch dort verbleiben, mit dpi zu messen. Die Auflösung eines Monitors bestimmt lediglich die Darstellungsgröße eines digitalen Bildes aber nicht dessen Qualität im Sinne von hochauflösend oder scharf und unscharf. Je höher die Auflösung, um so kleiner wird ein digitales Bild dargestellt. Ein Monitor mit 96 ppi stellt ein digitales Bild kleiner dar als ein 72 ppi Monitor, da mehr Pixel in der gleichbleibenden Länge eines Inch passen. Ein Pixel kann in dem hier beschriebenen Zusammenhang sowohl eine absolute als auch eine relative Größe beschreiben. Es ist zu unterscheiden, ob mit Pixel ein vordefinierter Bildpunkt innerhalb einer festgelegten Umgebung als absolute Einheit gemeint ist und somit besser als »Punkt« (Dot) und nicht als »Pixel« zu bezeichnen wäre, oder ob die Bezeichnung Pixel in Bezug auf Bildpunkte im Verhältnis zu Monitorgröße und Monitorauflösung verwendet wird. Ein Punkt gilt z.B. bei der Erstellung von Internetseiten gegenüber der Angabe von Prozent- oder em-Werten durchaus als absolut messbare Einheit. Da die aktuellen Internetbrowser unter Windows und Apple OS X die interne Umrechnung von Punkt in Pixel auf Basis von einheitlich 96 dpi darstellen, kann das Messen in Punkt hierbei durchaus sinnvoll sein. Die Größe eines Punkts kann vom Gestalter aber nicht mehr vorbestimmt werden, seitdem es viele unterschiedliche Monitorgrößen für Fernseher, Computer und Mobilgeräte gibt und bildbezogene Inhalte oft gleichzeitig auf unterschiedlichen Medien darstellbar sein müssen (Computer, Mobiltelefon, Video-iPOD etc.).
219
3.2 Torsten Stapelkamp: Bildformate
3.2.3 Mythos 72 dpi
Die Behauptung, die Auflösung eines Monitors würde 72 dpi betragen, ist nicht nur auf Grund der Verschiedenartigkeit der Abspielmedien und deren Monitoren unzutreffend. Die allgemein angenommene Einheit von 72 dpi für die Darstellung an Monitoren ist keine festgelegte Spezifikation, die sich zwangsläufig vom Betriebssystem her oder durch die Größe von Monitoren ergeben hat. Die Ursache der 72 dpi war ein Standard der Schriftdarstellung. 1959 wurde festgelegt, dass der typographische DTP-Punkt 1/72 Inch misst. Dies sind 0,0138 Inch bzw. 0,3527 mm. Dieses Maß entspricht annähernd auch der Abmessung des in ganz Europa durchgesetzten Didot-Punkt (0,376 mm), der sich aus dem Grundmaß des alten französischen Längenmaß Pied de roi ergab. 6 × 12 × 12 = 864 Didot-Punkte ergeben einen Pied de roi. Der traditionelle amerikanische Printer's Point hat mit 0,351 mm ebenfalls ähnliche Maße wie der typographische DTP-Punkt. In den 80er Jahren gab es aber zudem die Ausnahme, dass die Monitore von Macintosh den so genannten typographischen Standard darstellten, indem das Macintosh Betriebssystem feste Auflösungen in Abhängigkeit der Monitorgrößen darstellte. Ein 13 Zoll Monitor erhielt per Betriebssystem 640 × 480 Pixel und ein 19 Zoll Monitor 1024 × 768 Pixel zur Darstellung. Dabei ergibt sich eine Auflösung von 72 ppi. Im Gegensatz zum typografischen Standard führte Windows den 96ppi-Standard ein. Der Vorteil des typografischen Standards lag daran, dass eine in 100% dargestellte Abbildung am Monitor in etwa dieselben Abmessungen hatte wie das aus gedruckte Original. Der ursprüngliche Gedanke des WYSIWYK, »What You See Is What You Get« war damit zumindest in Ansätzen erfüllt. Diese Ausnahme wurde aber längst durch die Vielseitigkeit an Darstellungsmedien mit jeweils unterschiedlichen Monitorauflösungen und auch zum Glück durch die immer höher auflösenden Montore abgelöst.
3.2.4 Seitenverhältnis / Bildformat
Im Zusammenhang mit Schnitt- und DVD-Autorensoftware wird für das Seitenverhältnis Bildbreite zu Bildhöhe oft auch die englische Bezeichnung aspect ratio verwendet. Die Kodierung eines MGEG-2-Videos ermöglicht sowohl das Seitenverhältnis 4:3 als auch 16:9. Dadurch lässt sich das 16:9Bild in einem 4:3-Format entweder im Letterbox- oder im Pan & Scan-Modus darstellen. Beim Letterbox-Modus verkleinert sich das Bild und der Fernsehausschnitt wird oben und unten mit schwarzen Streifen ausgefüllt und beim Pan & Scan-Modus wird, um die schwarzen Balken bei der Darstellung am Fernseher mit 4:3-Format zu vermeiden, nur ein Ausschnitt vom Ursprungsmaterial (z.B. Kinofilm) gezeigt. Der Pan & Scan-Modus stellt nicht nur den Versuch dar, einen möglichst großen Ausschnitt einer Breitwandfilmaufzeichnung in einem 4:3-Bildformat zu zeigen, sondern
220
Standards/Spezifikationen
Abb. 3.2.11 links: 4:3-Format (Bildausschnitt im Pan & Scan-Modus). Der Bildausschnitt stammt aus der DVD »Schöne Heimat« von Gabriela Hildebrandt und Susanne Schiebler (www.glanzundgloria.com) und zeigt eine Szene mit den Schauspielern Agnieszka Piwowarska, Stephan MüllerTitel und Regina de Reese (von links nach rechts). Abb. 3.2.12 oben rechts: Letterbox- Modus. Ein 16:9-Format (1024 × 576 Pixel) in ein 4:3-Format (720 × 576 Pixel) hineinskaliert. Abb. 3.2.13 16:9-Format.
Abb. 3.2.14 Pan & Scan-Modus mit bestmöglichem 4:3-Ausschnitt (1,33:1) der Gesamtszene innerhalb eines Cinemascope-Formats (2,35:1).
Abb. 3.2.15 Automatisch platzierter mittiger 4:3-Ausschnitt innerhalb eines Cinemascope-Formats. Je nach Ausschnitt können unterschiedliche szenische Eindrücke entstehen.
221
3.2 Torsten Stapelkamp: Bildformate
auch den Versuch, in diesem Ausschnitt die relevante Handlung abzubilden. Würde ausschließlich ein Ausschnitt aus der Bildmitte gezeigt werden, könnten vom Betrachter eventuelle Ereignisse, die am linken oder rechten Bildrand stattfinden, nicht festgestellt werden. Um dies zu vermeiden, wird der Ausschnitt der Handlung entsprechend nachgeführt. So erklärt sich auch die Bezeichnung »Pan & Scan« (to pan, engl.: verreißen, schwenken; to scan, engl.: abtasten). Je nach Fernsehsender werden Breitwandfilme entweder im Letterbox-Modus oder Pan & Scan-Modus übertragen. Es gibt da keine Normen oder Vorschriften. Auf den Kinofilm-DVDs werden die Filme aber in der Regel im unbeschnittenen Bildformat abgelegt und der Betrachter kann dann oft selber zwischen Letterbox-Modus und Pan & Scan-Modus wählen. Da der Pan & Scan-Modus die Definition eines 4:3-Fernsehbildes innerhalb eines 16:9-HDTV-Bildes ist, wird aus dem ursprünglichen Widescreenformat ein 4:3-Ausschnitt herauskopiert. Daher muss bei der Abbildung des Pan & Scan-Modus an einem 16:9-Fernseher links und rechts ein schwarzer Balken gezeigt werden. Ansonsten würde das Bild in die Breite skaliert. Das 4:3-Bildformat hat eine Auflösung von 720 × 576 Pixel, wobei es je nach Fernsehnorm Unterschiede gibt und unterschiedliche Pixelverhältnisverteilungen für die Computer- bzw. Fernsehdarstellung zu berücksichtigen sind (siehe unter »Bildformat / Auflösung« in diesem Kapitel) [S. 210]. Das 16:9-Bildformat misst 1024 × 576 Pixel und wird für eine DVDProduktion bei der PAL-Fernsehnorm auf 720 × 432 Square-Pixel und bei der NTSC-Fernsehnorm auf 720 × 540 Square-Pixel skaliert. Das HDTVBildformat stellt sogar bis zu 1920 × 1080 Pixel dar (siehe auch unter »Seitenverhältnis 4:3 und 16:9, Bildformat« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 69] und siehe unter »HDTV« im Kapitel »Fernsehstandards« [S. 200]. Abb. 3.2.16 Darstellungsformate und deren Größenverhältnisse 4:3
222
1,33:1
Standard-TV
1,33:1
35 mm Stummfilm (auch Normalformat genannt)
1,37:1
Festgelegt durch »Academy of Motion Arts USA« 16 mm (schmalere und langsamere Laufgeschwindigkeit als 35mm) 35 mm Tonfilm (18 mm × 24 mm)
1,66:1
Super 16 (Low-Budget-Spielfilmformat)
16:9
1,78:1
Breitbild-TV
37:20
1,85:1
Widescreen
47:20
2,35:1
Cinemascope, Panavision
Standards/Spezifikationen
1,33
Abb. 3.2.17 Bezeichnungen für Darstellungsformate und deren Größenverhältnisse. 1,0
Standard
1,78
1,0
Flatscreen
1,85
1,0
Widescreen
2,35
3.2 Torsten Stapelkamp: Bildformate
1,0
Cinemascope
Um die verschiedenen Seitenverhältnisse besser miteinander vergleichen zu können, wird eine Verhältnisrechnung verwendet, bei der die Höhe das Verhältnismaß 1 erhält. So ergibt sich für das 4:3-Seitenverhältnis ein 1,33:1Verhältnis, dass kurz auch mit 1,33 bezeichnet wird. In der Regel werden Filme als Widescreen (Verhältnis 1,85 in den USA; Verhältnis 1,66 in Europa) oder Cinemascope bzw. Panavision (Verhältnis 2,35) gedreht, so dass sie entsprechend gestaucht werden müssen, um sie im 4:3-Fernsehformat zeigen zu können (Letterbox-Modus). Oder es wird eben nur ein Ausschnitt gezeigt (Pan & Scan-Modus). Cinemascope und Panavision sind spezielle Formate für Breitwandprojektionsflächen, für die so genannte Anamorphoten Anwendung finden. Dies ist eine Optik, mit der eine anamorphe Abbildung erzeugt wird. Um das 35mm-Filmmaterial mit dem Seitenverhältnis 4:3 auch für die breiteren Formate nutzen zu können, wird bereits bei der Aufzeichnung eine Optik vor die Kamera montiert, mit der das Bild an der breiten Seite gestaucht wird, so dass auf dem Film alles etwas schlanker wirkt. Beim Abspielen des Films im Kino befindet sich eine spezielle Optik am Projektor, um die gestauchte Aufnahme wieder entzerrt und formatfüllend auf die überbreite Leinwand projizieren zu können. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass das 16:9-Format unter anderem mit seinem Verhältnis 1,78:1 auch einen Kompromiss zum Widescreen in den USA und Europa darstellt und somit nur einen geringen Beschnitt der Kinofilmformate erfordert. Wenn man eine DVD-Produktion für das 16:9-Format in der Auflösung von 1024 × 576 Pixel erstellt bzw. vorbereitet und sicherstellen möchte, dass sie bei 16:9-Darstellungsgeräten (Fernseher, Beamer) formatfüllend und bei 4:3-Darstellungsgeräten (Fernseher, Beamer) entsprechend proportional skaliert dargestellt wird, ist ein so genanntes anamorphotisches Verfahren erforderlich. Es wird auch 16:9-Optimierung genannt. Dazu wird das Bildmaterial in 16:9 produziert und anschließend in die Fernsehbildbreite von 720 Pixel gestaucht. Es ist sicherzustellen, dass dieses Verfahren von der jeweils verwendeten DVD-Autorensoftware unterstützt wird. Qualitätsunterschiede ergeben sich allerdings je nachdem, ob das 16:9Format mit einem DV-Camcorder oder mit einer professionellen Kamera aufgezeichnet wurde. Einige semiprofessionelle DV-Camcorder bieten zwar die Möglichkeit, in einen 16:9-Modus umzuschalten, aber da die Optik und die Aufnahme-Chip-Fläche begrenzt und in der Regel nur in der Lage sind, ein 4:3-Format aufzuzeichnen, wird im oberen und unteren Teil des Bildes jeweils ein Streifen von 72 Pixel »abgeschnitten« (cropped), so dass zwar ein 16:9-Format entsteht, welches allerdings kleiner ist, als das mögliche 4:3Format. Das daraus resultierende Bild mit 720 × 432 Pixel wird vertikal skaliert, damit wieder ein Bild im PAL-Format entsteht. Nun ist ein anamorphes Bild entstanden, welches bei einem 4:3-Monitor im Letterbox-Format gezeigt werden muss, damit die Abbildungen nicht verzerrt aussehen, aber im 16:9-Monitor formatfüllend dargestellt werden kann – allerdings nur in der geringen Auflösung von 720 × 432 Pixel.
224
Standards/Spezifikationen
Abb. 3.2.18 Abmessungen des 16 : 9 Formats (1,78 : 1) im Verhältnis zum 4 : 3-PAL-Format (1,33 : 1) und dem Cinemascope-Format (2,35 : 1).
Abb. 3.2.19 Abmessungen für digitalisierte Signale des PAL-Standards (1,33 : 1). Die Abbildung zeigt, wie klein Cinemascope (2,65 : 1) bzw. das 16 : 9-Bild format (1,75 : 1) bei einem Fernseher mit 4 : 3-Bildver hältnis dargestellt wird.
Abb. 3.2.20 Abmessungen für digitalisierte Signale des NTSC-Standards (1,33 : 1) im Vergleich mit dem Cinemascope-Format (2,35 : 1) und dem 16 : 9-Format (1,78 : 1).
225
3.2 Torsten Stapelkamp: Bildformate
��� Zeilen
�:� normal
��:� im �:�
Abb. 3.2.21 Oben: Ein semiprofessioneller DV-Camcorder mit 16:9Umschaltung nimmt kein »echtes« 16:9-Format auf, sondern kann seine Optik und seinen Aufnahme-Chip nur für ein Format von 720 × 432 Pixel nutzen. Mit einem 4:3-Monitor wird eine Bildaufnahme mit 16 : 9-Umschaltung entweder im Letterbox-Modus oder anamorph verzerrt dargestellt.
��� Zeilen
��:� cropped
�:� anamorph
Abb. 3.2.22 Unten links: Auf einem 16:9Monitor wird ein cropped16:9-Bild zwar Format füllend, aber in geringerer Auflösung dargestellt.
Wird ein 16:9-Format mit einer professionellen Kamera aufgezeichnet, die von der Optik und vom Aufnahme-Chip her dieses Format tatsächlich abbilden kann, wird auch mit entsprechend höherer Auflösung aufgezeichnet. Zudem werden in den nicht dargestellten Zeilen mit dem Wide Screen Signalling (WSS) Informationen transportiert, die die jeweiligen Darstellungsgeräte (Fernseher, Beamer) auslesen können sollten, um das vorgesehene Format zu erfahren und zu skalieren. Für die Übertragung (z.B. an einen Computer) wird das Bild horizontal auf 720 Linien gestaucht, wodurch wiederum ein anamorphes Bild entsteht, welches diesmal allerdings eine höhere Auflösung aufweist, da die vertikalen Pixel erhalten bleiben.
226
Standards/Spezifikationen
Formatfüllend und im korrekten Seitenverhältnis lässt sich auch dieses anamorphe Bild nur auf einem 16:9-Monitor abbilden. Auf einem 4:3-Monitor kann auch diese Aufnahme nur im Letterbox-Modus unverzerrt bzw. im korrekten Seitenverhältnis dargestellt werden, wenn es darum geht, den gesamten Bildinhalt zu zeigen. Im Pan & Scan-Modus (siehe in diesem Kapitel) [S. 222] würde auf einem 4:3-Monitor nur ein Ausschnitt, dieser aber dafür nicht skaliert und in bestmöglicher Bildqualität, gezeigt werden. Nach dem Übertragen der Bilddaten von der 16:9-Kamera auf einen Computer müssen sie im horizontal gestauchten Zustand verbleiben, um zur Weiterverarbeitung in eine Videoschnittsoftware importiert zu werden. Dort müssen alle weiteren Darstellungen, Effekte und Masken ebenfalls im selben Verhältnis horizontal gestaucht werden. Alle zusätzlich in die Video schnittsoftware zu importierenden Bilddaten sind in einer Auflösung von 1024 × 576 Pixel anzulegen und anschließend in die Auflösung von 720 × 576 Pixel zu stauchen. Wenn keine geeignete 16:9-Kamera und auch keine DV-Kamera mit 16:9Modus zur Verfügung steht, kann alternativ im 4:3-Modus aufgezeichnet werden, um dann anschließend in einer Schnittsoftware mit einem so genannten Breitbildfilter den gewünschten 16:9-Ausschnitt auszuwählen. Die größtmögliche Auflösung beträgt auch dann nur 720 × 432 Pixel. Die bereits weiter oben beschriebene Möglichkeit, auf ein Anamorphot zurückzugreifen, gilt selbstverständlich nicht nur für Filmkameras, sondern auch für Videokameras. Da diese Optik ca. 800,– Euro kostet, lohnt sich eine solche Investition aber nicht in jedem Fall. Für das anamorphotische Verfahren muss man beim Komprimieren des Bildmaterials darauf achten, dass die entsprechenden Flags gesetzt werden. Flags teilen der DVD-Autorensoftware und dem DVD-Player mit, in welcher Weise das Format des Films je nach Wiedergabegerät dargestellt werden soll. Weitere Informationen dazu sind in der jeweiligen DVD-Autorensoftware bzw. der Kompressionssoftware zu finden. Zur Wiedergabe muss der DVD-Player in der Lage sein, anamorphe Bilder darzustellen, und der Anwender muss beim DVD-Player einstellen, ob die Bilddaten an ein 4:3- oder an ein 16:9-Darstellungsgerät (Fernseher, Beamer) übermittelt werden. An einem 4:3-Monitor wird dann der gesamte Bildinhalt im Letterbox-Modus mit schwarzen Balken ober- und unterhalb des Bildes dargestellt bzw. im Pan & Scan-Modus ein Ausschnitt vom Bildinhalt Format füllend gezeigt. Mit 16:9-Darstellungsgeräten kann der gesamte Bildinhalt formatfüllend betrachtet werden. Im Idealfall liegt der Film sowohl im 4:3 und im 16:9 Format vor. Dafür reicht in der Regel aber der Speicherplatz einer üblichen DVD-5 nicht aus. Es wäre aber denkbar, nur die Menüs und Abbildungen in beiden Formaten vorzubereiten und den Hauptfilm in einem Format zu belassen. Über die Programmierungsmöglichkeiten geeigneter DVD-Autorensoftware kann
227
3.2 Torsten Stapelkamp: Bildformate
s ichergestellt werden, dass je nach Abspiel- bzw. Wiedergabegerät das richtige Format dargestellt wird (siehe dazu unter »SPRM 14« im Kapitel »Programmierung für DVD-Video«) [S. 306]. Mit den unterschiedlichen Skalierungsmaßen der Bildformate wird deutlich, dass es nicht einfach ist, das geeignete Maß festzulegen. Es ist bisweilen schon lästig genug, dass der Unterschied zwischen NTSC und PAL mit dem neuen Fernsehformat HDTV nicht abgeschafft wurde. Nun kommen zusätzlich zu den unterschiedlichen Fernseh-Standards mit den unterschiedlichen Auflösungen weitere Hindernisse hinzu. Wenn man z.B. seine Produktion mit der HDTV-Auflösung 1280 × 720 Pixel produziert, geht man das Risiko ein, dass die Darstellung auf jenen Monitoren herunterskaliert wird, die diese Auflösung nicht darstellen können. Dies könnte zur Folge haben, dass die hochauflösend produzierten Inhalte nur noch in 720 × 576 Pixel (PALAuflösung) bzw. 720 × 480 Pixel (NTSC-Auflösung) dargestellt werden. Und wenn man mit der HDTV-Auflösung 1920 × 1080 Pixel (interlaced) produziert hat, kann es passieren, dass je nach Monitor entweder der Inhalt deinterlaced oder zu einer niedrigeren Auflösung herunterskaliert wird. Das optische Ergebnis wäre in jedem Fall enttäuschend. Es stellt sich demnach durchaus die Frage, ob und ab wann es sich überhaupt lohnt, in HD-Qualität zu produzieren oder ob man nicht, je nach Produktion und Zielgruppe, besser bei der PAL- bzw. NTSC-Auflösung und somit bei der Standard-Qualität (SDTV) bleibt, aber dennoch auf Basis der den neuen DVD-Formate HD DVD bzw. Blu-ray Disc produziert. Nicht wegen der HD-Qualität, sondern um deren andere Vorteile zu nutzen: das vielfältige Interaktions angebot und die hervorragende Anbindungsmöglichkeit ans Internet.
3.2.5 Bildformate für mobile Geräte
Bisher gibt es mobile Geräte mit eingebautem DVD-Laufwerk, die im Sinne einer Mobilität allerdings wegen der Größe des Laufwerks und des Displays nur bedingt als zweckmäßig zu bezeichnen sind. Die Displays dieser mobilen DVD-Player haben in der Regel 7 bis 9 Zoll und das Bildformat der Displays bleibt, vergleichbar mit klassischen Fernsehformaten, im Verhältnis 4:3. Die Darstellung von PAL bzw. NTSC findet dann formatfüllend statt und die Darstellung des 16:9 Formats wird, wie beim üblichen Fernseher auch, entweder im Letterbox- oder im Pan & Scan-Modus wiedergegeben. Bei einigen dieser Geräte sind die Displays im 16:9 Format, so dass ein 4:3 Format entweder ungünstig in die Breite skaliert oder links und rechts mit schwarzen Balken dargestellt wird. Ob man sich in absehbarer Zeit die Dateien von DVD-Produktionen auch auf mobilen Geräten, die wie beim iPOD oder iPhone von Apple diese Bezeichnung auch verdienen, kopieren und nutzen kann, ist noch nicht sicher. Dazu müssten die Standards für die DVD-Datenformate entsprechend
228
Standards/Spezifikationen
geändert werden (siehe dazu »PODcasting – Konkurrenz oder Ergänzung für DVD-Formate« im Kapitel »Zukunft und Chancen der DVD-Formate«) [S. 90]. Das Bildformat 4:3 könnte auch für mobile Geräte wie dem Video-iPOD und dem iPhone beibehalten werden. Hier ist jetzt bereits abzusehen, dass der iPOD den Quasistandard für das Display aller mobilen Geräte zur Abspielung von Videos vorgibt: 320 × 240 Pixel. Das Display des iPhones von Apple hat eine Auflösung von 320 × 480 Pixel. Videos lassen sich in den Bildformaten 4:3 und 16:9 sowohl im Hochformat, als auch im Querformat im iPhone-Display anschauen, wobei das Querformat die jeweils größere Abbildungsmöglichkeit bietet.
229
3.2 Torsten Stapelkamp: Bildformate
3.3 Action-Save Area/Titel-Save Area
Torsten Stapelkamp Was den Darstellungsbereich anbetrifft, so sind nicht alle Fernseher gleich eingestellt. Das Bildformat kann daher nicht bis in den letzten Winkel hinein genutzt werden. Außerdem zeigt der handelsübliche Fernseher weniger Zeilen an, als gesendet werden. Bei der PAL-Norm sind z.B. von den 625 vorhandenen Zeilen nur 576 sichtbar (siehe auch unter »PAL-Norm« und »NTSC-Norm« im Kapitel »Fernsehstandards«) [S. 197, 198]. Professionelle Studiomonitore können hingegen mit einer Zusatzeinstellung in den so genannten Underscan-Modus umgeschaltet werden, um sämtliche Zeilen des Signals darzustellen. Standardfernseher können dies nicht und auch sonst sind bei diesen Fernsehern die Abmessungen des tatsächlich sichtbaren Bereichs sehr uneinheitlich. Der so genannte Overscan beträgt bei Fernsehern in der Regel 5-10 Prozent. Bei LCD-Monitoren, Plasmabildschirmen und Computermonitoren kann die Berücksichtigung des Overscan vernachlässigt werden. Diese Unwägbarkeiten machen es erforderlich, Bereiche im Bildformat zu definieren, die als darstellungssicher gelten können, damit innerhalb ihrer Abmessungen eine Darstellung auf nahezu jedem Monitor gewährleistet ist. Diese Bereiche werden Action-Save Area und Titel-Save Area genannt, deren Abmessungen aber keine Garantie dafür darstellen können, dass sie für jeden Monitor zutreffen. Der Action-Save Area gilt als sichtbarer Bereich, der in der Regel 90% des Bildes umfasst. Der Titel-Save Area macht in etwa 80% des Bildes aus und gilt als zulässiger Bereich, in dem mit größter Sicherheit alle Elemente, die sich in ihm befinden, auf nahezu allen Monitoren dargestellt werden. Bei Fernsehproduktionen gilt das Einhalten dieser Bereiche für die bildwichtigen Handlungen als Vorschrift, weshalb sowohl die Kameras, als auch die Kontrollmonitore mit so genannten Safe Area-Generatoren ausgestattet sind, die entsprechende Hilfslinien einblenden. Solche Hilfslinien bieten übrigens auch diverse Grafik-, Schnittund DVD-Autorenprogramme. Für eine DVD-Produktion bedeutet dies, dass sich sämtliche Überschrif ten und erst recht sämtliche Schaltflächen innerhalb des Titel-Save Area befinden sollten. Eine Schaltfläche, die sich außerhalb dieses Bereiches befindet, könnte unter Umständen auf einigen Monitoren nicht gesehen und dann auch nicht bedient werden.
Abb. 3.3.6 Action-Save und Titel-Save Area für HDTV 1080. 1536 Pixel, Titel-Save 1728Pixel, Action-Save
3.3 Torsten Stapelkamp: Action-Save Area/Titel-Save Area
972 Pixel, Action-Save
Abb. 3.3.5 Action-Save und Titel-Save Area für HDTV 720.
1080 Pixel
Abb. 3.3.3 Ganz oben rechts: Action-Save und Titel-Save Area für die PAL-Norm (SDTV, 16:9). Abb. 3.3.4 Oben rechts: Action-Save und Titel-Save Area für die NTSCNorm (SDTV, 16:9).
576 Pixel, Titel-Save
Abb. 3.3.2 Oben links: Action-Save und Titel-Save Area für die NTSCNorm (SDTV, 4:3).
648 Pixel, Action-Save
Abb. 3.3.1 Ganz oben links: Action-Save und Titel-Save Area für die PAL-Norm (SDTV, 4:3).
3.4 Speicherkapazität – Maße und Einheiten Torsten Stapelkamp
8 http://www.iec.ch
9 http://physics.nist.gov/ cuu/Units/binary.html
Eine DVD-5 mit 12 cm Durchmesser kann 4.700.000.000 Bytes speichern. Dies entspricht der Speicherkapazität von bis zu sieben CDs (7 × 650 MB). Rechnet man allerdings in den Maßen, die vom Computer her bekannt sind, dann hat eine DVD-5 tatsächlich nur 4,38 GB Speicherkapazität. Bei einer DVD misst man 1 GB dezimal in 1000 MB (109). Da bei der Digitaltechnik aber nicht dezimal, sondern binär bzw. nach dem dualen System in Bits bzw. Bytes gemessen wird, hat nach diesem System ein GigaByte nicht 1000 MB, sondern 1024 MB (28). 1024 MB bezeichnet man dann als 1024 MiByte (MiB). Im Jahr 1998 erging ein Beschluss der International Electrotechnical Commission (IEC)8, die international die Standards in der Elektro- bzw. der Digitaltechnik festlegt, für neue Bezeichnungen der Einheiten des binären bzw. dualen Systems (z.B. »KibiByte« für »KByte«, »MiByte« für »MByte«, »GiByte« für »GByte«)9. Nach dieser Bezeichnungsregelung sind 1024 Kibi Byte ein MebiByte und 1024 MebiByte sind ein GibiByte. Diese Bezeichnungen sind allerdings kaum bekannt, weshalb es nach wie vor Verwechslungen zwischen Rechenarten des binären und des dezimalen Systems gibt. Rechenart nach dezimalem System: 1 kByte (KiloByte) = 103 = 1.000 Byte 1 MByte (MegaByte) = 106 = 1.000.000 Byte 1 GByte (GigaByte) = 109 = 1.000.000.000 Byte Rechenart nach binärem System: 1 KByte bzw. KiByte (KibiByte) 1 MByte bzw. MiByte (MebiByte) 1 GByte bzw. GiByte (GibiByte)
1 Bit (binary digit) ist die kleinste Einheit des binären Systems. Sie kann zwei Werte (0 oder 1) enthalten. 8 Bit stehen für 28 und ergeben 1 Byte, weshalb 1 Byte 256 unterschiedliche Zustände annehmen kann. Ein KiByte (KibiByte) entspricht 1.024 Bytes und 1 MiByte (MiB). entspricht 1.024 × 1.024 = 1.048.576 Byte. Dies sind in Bits: 1.048.576 × 8 = 8.388.608 Bits.
232
Standards/Spezifikationen
Anzahl der Bits 20 Bit 21 Bit 22 Bit 23 Bit 24 Bit 25 Bit 26 Bit 27 Bit 28 Bit 29 Bit 210 Bit 220 Bit 230 Bit
Wenn man die Kapazität einer DVD, die in GigaByte (10003 Byte = 109 Byte) angegeben wurde, in GibiByte (10243 Byte = 230 Byte) umrechnen möchte, so kann man den Umrechnungsfaktor 0,93132 nutzen. Er ergibt sich aus folgender Gleichung: Abb. 3.4.1 Ermittlung des Umrechnungsfaktors 0,93132 und Beispiel für die Umrechnung von dezimalen auf binäre Werte. Dezimale Werte werden in GigaByte und binäre Werte in GibiByte gemessen.
Dies erklärt auch die Differenz, die auffällt, wenn man Daten in jener Menge auf einer beschreibbaren DVD-5 sichern möchte, die nur knapp unter den 4,7 am Computer gemessenen GigaByte liegt, und man verwundert feststellen musste, das die Software zum Brennen (z.B. Toast von Roxio oder Nero) dies mit dem Hinweis verweigerte, die Datenmenge sei zu hoch. Tatsächlich lassen sich nur 4,38 GB auf einer DVD-5 speichern. Diese Differenz gilt auch für Festplatten. So hat eine vom Händler mit z.B. 400 GB bezeichnete Festplatte tatsächlich nur 372,528 GB freien Speicherplatz. So genannte Dual-Layer/Dual-Side-DVDs haben zwei beschreibbare Datenebenen pro Seite und können, beidseitig genutzt, sogar ca. 2 × 2 × 4,7 GigaByte speichern (2 Layer, pro Seite auf 2 Seiten). Ein Layer ist jene Schicht einer DVD, auf der sich die Daten in Form von mikroskopisch kleinen Vertiefungen unterschiedlicher Länge befinden. Diese Vertiefungen werden Pits genannt, die hintereinander spiralförmig, wie die Rille einer
3.4 Torsten Stapelkamp: Speicherkapazität – Maße und Einheiten
Schallplattenseite, angeordnet sind, und deren unterschiedliche Längen von einem Laser in Reihen aus Nullen und Einsen interpretiert werden. Der Abstand der Reihen ist allerdings gleichbleibend (siehe bezüglich der Pits unter »DVD-Formate, DVD-Volume« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 18]. Jede der beiden Seiten einer DVD kann theore tisch mehrere Datenschichten beziehungsweise Layer enthalten. Je nach Layeranzahl bezeichnet man eine Seite entweder als Single-, Dual-, Tripleoder Four-Layer. Die exakte gesamte Speicherkapazität ergibt sich allerdings nicht, wenn man die maximale Speicherkapazität einer Ebene mit der Anzahl der Ebenen multipliziert. Durch den Bereich des Ebenenübergangs (Layer-Break) und durch die optisch/physikalischen Bedingungen (Versatz der Ebenen) steht entsprechend weniger Speicherplatz zur Verfügung. So bietet eine DVD-9 mit zwei Ebenen nicht doppelt soviel Speicherplatz wie eine DVD-5 (4,38 GB). Auf einer DVD-9 lassen sich nur 8,54 GB speichern. Auf einer DVD-10 hingegen lassen sich 9,4 GB speichern, da dies eine zweiseitige DVD ist, die physikalisch zwei DVD-5 entspricht. Bezüglich der Speicherkapazität ist noch zu beachten, dass eine DVD ca. 7% des gesamten Speicherbedarfs noch für den so genannten Overhead belegt (DVD-5: ca. 330 MB; DVD-9: ca. 600 MB; DVD-18: ca. 1200 MB). Dies sind Daten, die während des Formatierens und des Multiplexing entstehen (siehe auch unter »Speicherplatzkapazität« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 46].
234
Standards/Spezifikationen
3.5 Kompressionsstandards
Torsten Stapelkamp Dieses Kapitel dient der Erläuterung der Kompression von Videodateien, weshalb in erster Linie die Kompressionsstandards für Bewegtbilder besprochen werden. Hinweise zu den Kompressionsstandards bezüglich Audio sind zu finden im Kapitel »Sound, Surroundsound« [S. 517]. Alle relevanten Informationen darüber, welche Audio- und Videokompressionen möglich sind, werden im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« [S. 44] genannt. Da der Speicherplatz auf einer DVD begrenzt und der Speicherbedarf z.B. für einen Kinofilm sehr hoch ist, ist es erforderlich, Bild- und Tondaten zu komprimieren. Hinzu kommt, dass die durchschnittliche Datendurchsatzrate für Video bei einer DVD-Video 9,8 MBit/s (Megabit pro Sekunde) nicht überschreiten darf. Bei einer HD DVD und einer Blu-ray Disc sind immerhin bis zu 36 MBit/s möglich. Hier gilt es allerdings auch HD-Daten zu verarbeiten, die unter Umständen entsprechend mehr Durchsatz benötigen. Wenn man bedenkt, dass eine Sekunde unkomprimierter Film in PALbzw. NTSC-Auflösung ca. 31 MB Speicherplatz benötigt, wird deutlich, dass für Videodaten eine Kompression zwingend erforderlich ist. Schließlich nimmt dann ein Film von nur 90 Minuten inklusive Ton (bei 2 Audio-Kanäle in 48 kHz zu 16 Bit) bereits bis zu ca. 176 GigaByte (163,912 GibiByte) in Anspruch (PAL-Norm: ca. 167,96 GigaByte Video + ca. 8,29 GigaByte Audio; NTSC-Norm: ca. 167,79 GigaByte Video + ca. 8,29 GigaByte Audio). Ein Film in der für das Kino üblichen Länge von 135 Minuten benötigt sogar bis zu ca. 252 GigaByte (234,692 GibiByte). Zum Vergleich: Auf einer DVD-5 stehen gerade einmal 4,7 GigaByte (4,377 GibiByte) Speicherplatz zur Verfügung. Selbst auf einer Blu-ray Disc können maximal 100 GigaByte (93,132 GibiByte) gespeichert werden. Mit dem folgenden Kalkulationsbeispielen lässt sich der Speicherbedarf eines unkomprimierten Videos in Abhängigkeit von seiner Länge ermitteln (hier exemplarisch für ein neunzigminütiges Video). Beim PAL- und beim NTSC-Fernsehstandard unterscheiden sich die Auflösung und die Anzahl der Bilder pro Sekunde, weshalb für beide Standards Kalkulationsbeispiele aufgeführt sind. Da die Basis des binären bzw. dualen Systems nicht die 10, sondern die 2 ist, wird bei der Digitaltechnik ein GigaByte (GB) nicht in 1000 MB, sondern in 1024 MB gemessen. Das mathematische Ergebnis aus der Multiplikation der Sekunden mit der Anzahl der Bytes muss daher noch mit dem Umrechnungsfaktor 0,93132 multipliziert werden. Dadurch ergibt sich, dass z.B. 2 Gigabyte (GB) 1,86264 Gibibyte (GiB) sind. Der Umrechnungsfaktor
235
3.5 Torsten Stapelkamp: Kompressionsstandards
0,93132 wird unter »Speicherkapazität – Maße und Einheiten« im Kapitel »Standards/Spezifikationen« näher erläutert [S. 194]. Dort werden auch die seit 1998 offiziell gültigen Bezeichnungen für die Einheiten der binären Werte genannt. Damit ergibt sich für 90 Minuten nicht komprimierten Film in 4:4:4Abtastungs-Qualität ein tatsächlicher Speicherbedarf von 156,43 GiB für die digitalisierten Videodaten mit der PAL-Auflösung von 720 × 568 und 156,27 GiB für die digitalisierten Videodaten für die NTSC-Auflösung von 720 × 480. Dazu kommen jeweils noch 7,72 GiB für die unkomprimierten Audiodaten (2 Audio-Kanäle in 48 kHz zu 16 Bit). Es ist allerdings zu beachten, dass die 4:4:4-Abtastungs-Qualität die höchstmögliche Qualität darstellt und bei einer DVD-Produktion nur die 4:2:0-Abtastungs-Qualität für PAL und die 4:1:1-Abtastungs-Qualität für NTSC Anwendung findet. Dann ergibt sich 78212,999 GiB (83,981 GB) für 90 Minuten Video nach der PAL-Norm und 78134,786 GiB (83,90 GB) für Videos nach der NTSC-Norm. Jeweils kommt dann noch ca. 7,72 GiB (8,29 GB) für Audio (2 Audio-Kanäle in 48 kHz zu 16 Bit) dazu. Im Folgenden befinden sich Formeln zur Ermittlung dieser Speicherplatzkapazitäten. Der Speicherbedarf für eine Sekunde unkomprimiertes Video ermittelt sich aus folgender Gleichung: (PAL- bzw. NTSC- (RGB: 3 Farben × × Auflösung in Pixel) zu je 8 Bit)
Bilder pro Sekunde (Bps)
=
Speicherbedarf nach dezimalem System in Byte
Um den tatsächlichen Speicherbedarf zu ermitteln:
236
Speicherbedarf nach dezimalem System in Byte
×
10003 10243
=
tatsächlicher Speicherbedarf nach binärem System in Byte
Speicherbedarf nach dezimalem System in Byte
× 0,93132
=
tatsächlicher Speicherbedarf nach binärem System in Byte
Standards/Spezifikationen
Abb. 3.5.2 Für ein unkomprimiertes Video in 4:4:4-AbtastungsQualität ergibt sich bei der PAL-Auflösung von 720 × 576 Pixel folgende Speichermenge (8 Bit = 1 Byte):
Abb. 3.5.3 Für ein unkomprimiertes Video im NTSC-Fernsehstandard ergibt sich bei der NTSC-Auflösung von 720 × 480 folgende Speichermenge (8 Bit = 1 Byte):
Abb. 3.5.4 Für eine unkomprimierte Audio-Datei ergibt sich, bezogen auf den DVStandard, folgender Speicherbedarf:
PAL-Auflösung: 3 Farben (RGB, je 8 Bit): 25 Bilder pro Sekunde (Bps):
Film- und analoges Videomaterial (Video 8, Hi8, VHS, S-VHS-Material) muss, bevor es komprimiert werden kann, zunächst einmal digitalisiert werden. Das Digitalisieren von Zelluloid-Filmmaterial funktioniert vom Prinzip her wie das Digitalisieren von Dias. Die für die Digitalisierung von Filmen erforderlichen Filmscanner sind selbstverständlich mit erweiterten Möglichkeiten ausgestattet und entsprechend schnell. Beim Digitalisieren von Filmmaterial ist in erster Linie zu beachten, dass ein Film 24 Bilder pro Sekunde zeigt und die Farbfernsehnormen 25 bzw. 29,97 Bilder pro Sekunde. Zudem sind diese Bilder Halbbilder, die nur jede zweite Zeile zeigen. Bei der PALNorm mit 25 Bildern ist die Wandlung noch relativ einfach. Zunächst werden die 24 Kinofilmbilder in Halbbilder gewandelt, was Telecine-Verfahren (Telecining) genannt wird. Um das fehlende Bild auszugleichen und den
237
3.5 Torsten Stapelkamp: Kompressionsstandards
Unterschied von 24 auf 25 Bilder pro Sekunde zu überwinden, wird der Film einfach in etwa um 4% schneller abgespielt. Das hat zur Folge, dass z.B. ein Kinofilm mit einer Spieldauer von 135 Minuten als DVD-Kopie bereis nach ca. 129 Minuten beendet ist und dass die Stimmen und die Musik klanglich etwas höher wiedergegeben werden. Diese Unterschiede fallen allerdings nur beim genauen und direkten Vergleich zwischen dem Kinofilmoriginal und der DVD-Kopie auf. Die Umwandlung eines Kinofilms in die NTSC-Norm führt zu noch herberen Qualitätseinbußen. Bei der NTSC-Norm gilt es 24 Kinofilmbilder auf 29,97 Bilder pro Sekunde zu »vermehren«. Nachdem die Einzelbilder in Halbbilder gewandelt wurden, werden einige Halbbilder wiederholt, bis die höhere Bildrate erreicht ist. Es kann dabei nicht vermieden werden, dass ursprünglich flüssige Bewegungen, bedingt durch die Wiederholungen, ins Ruckeln geraten. Mit Fernsehröhrenmonitoren ist dies aber kaum festzustellen, da deren Bildqualität wegen der geringen Auflösung und der Bildwiederholung (Interlacing) ohnehin mäßig ist (siehe »NTSC« und »Interlacing« unter »Fernsehstandards«) [S. 196, 198]. Sobald ein Wiedergabegerät (Monitor, Display, Beamer) mit Progressive Scan (siehe »Progressive Scan« unter »Fernsehstandards«) [S. 197] zum Einsatz kommt, z.B. ein Computermonitor oder ein entsprechender Fernsehmonitor, würden diese Qualitätsverluste allerdings sehr deutlich werden. Um diese Qualitätsverluste zu vermeiden bzw. um das Wandeln von 24 auf 29,97 Bilder rückgängig zu machen, gibt es das IVTC-Interlacing-Verfahren (InVerse TeleCine), mit dem die doppelten Halbbilder erkannt und entfernt werden. Das Digitalisieren von Videomaterial ist im Vergleich dazu erheblich einfacher. Die Signale von analogem Videomaterial können bereits mit entsprechenden Analog-Digital-Wandlern direkt am Computer in digitale Signale gewandelt werden. Einfacher ist es, wenn man sogleich digital aufzeichnet. Videos, die auf DV- oder Mini-DV aufgenommen werden, eignen sich besonders, da die Daten dann gleich im DV-Format, je nach Kameratyp, mit einer PAL-Auflösung von 720 × 576 Pixel oder mit einer HDTV-Auflösung von 1280 × 720 Pixel bzw. 1920 × 1080 Pixel digitalisiert vorliegen. DV steht für Digital Video und ist sowohl die Bezeichnung für einen Bandkassetten-Typ (wie bei VHS oder Hi8), als auch für eine Komprimierungs- und Dekomprimierungsmethode für Bild- und Tondaten. Sie ist vergleichbar mit MPEG. DV und Mini-DV liefern zueinander kompatible Daten. Die entsprechenden Kameratypen liefern ein RGB-Signal, das bei PAL mit einer 4:2:0-Abtastung und bei NTSC mit einer 4:1:1-Abtastung in das YUV-Farbmodell übertragen wird. Das daraus resultierende Signal wird zusätzlich im Verhältnis 5:1 auf eine Datenrate von 3,125 MBit/s komprimiert. Inklusive des Tons (2 Spuren mit 48 kHz Abtastfrequenz und 16 Bit oder 4 Spuren mit 32 kHz Abtastfrequenz und 12 Bit) ergibt sich eine Datenrate von 3,5 MBit/s. DV hat sich im Consumer- und im Profi-Sektor zum Standard entwickelt.
238
Standards/Spezifikationen
Eine bessere Aufzeichnung im Videobereich erreicht man allerdings mit Digital-Betacam, da man dann mit einer Bit-Tiefe von 10 Bit und einer 4:2:2-Abtastung aufzeichnet.
3.5.2 Farbmodelle
Graphikkarte und Monitor bilden jeden Pixel aus den drei RGB-Farben (Rot, Grün, Blau), die als Grundfarben der additiven Farbmischung auch Lichtfarben genannt werden. Aus diesen drei Farben werden durch Addition alle weiteren Farben gebildet, indem sie sich optisch vermischen, sobald das Auge die einzelnen Punkte nicht mehr auflösen kann. Für jeden abgebildeten Pixel werden dabei je 8 Bit für den roten, grünen und blauen Farb anteil gespeichert. 8 Bit entspricht 1 Byte. 1 Byte kann dabei 256 unterschiedliche Zustände (0 – 255) annehmen, weshalb mit dem RGB-Farbmodell 256 × 256 × 256 = 16.777.216 Farben dargestellt werden können. Da das menschliche Auge Helligkeitswerte (Luminanz) besser diffe renzieren kann als Farbinformationen, wurde für das Fernsehen das YUV-Farbmodell verwendet, bei dem eine Farbe nicht durch die additive Farbmischung, sondern nach Helligkeit (Y) und den Farbanteilen zwischen Gelb und Blau (U) bzw. zwischen Türkis (Cyan) und Rot (V) ausgedrückt wird. Das heißt, die meiste Information steckt im Helligkeitswert, und es brauchen nur noch die Abweichungen nach Rot und Blau dargestellt zu werden. Die Eigenschaften des YUV-Farbmodells bieten daher eine hervorragende Grundlage, die Farbinformation um die Hälfte zu reduzieren, ohne dass dabei für das menschliche Auge Verluste erkennbar werden. Aufgrund dieses Vorteils fand das YUV-Farbmodell auch in der gesamten Videoübertragungstechnik Anwendung. In Entsprechung zum RGB-Farbmodell kann auch beim YUV-Farbmodell für jeden abgebildeten Pixel je 8 Bit bzw. 1 Byte für den Helligkeitswert (Y), den Gelb-Blau-Farbanteil (U) und den Cyan-Rot-Farbanteil (V) gespeichert werden. 1 Byte kann beim YUV-Farbmodell aber nur maximal 220 unterschiedliche Zustände (16 – 235) annehmen, weshalb mit dem YUVFarbmodell nur bis zu 220 × 220 × 220 = 10.648.000 Farben dargestellt werden können. Die Farbanteile können sogar noch weiter verringert werden. Für alle digitalen Fernseh- und Videoformate werden die zu kodierenden Videos in das YCbCr-Farbmodell, einer Variante von YUV, umgewandelt. Dies stellt die erste Stufe im Prozess einer Kompression dar, weil das Y-Sig nal (Helligkeit) mit 8 Bit codiert wird, wobei die Cb- und Cr-Signale z.B. mit nur 6 Bit codiert zu werden brauchen, ohne dass für das menschliche Auge wesentliche sichtbare Verluste erkennbar werden.
239
3.5 Torsten Stapelkamp: Kompressionsstandards
3.5.3 Abtastung (4:4:4, 4:2:2, 4:2:0, 4:1:1)
Mit Abtasten (Sampling) wird in der Videotechnik das Erfassen eines analogen Signals innerhalb bestimmter Zeitabstände bezeichnet. Die Anzahl der Abtastungen pro Sekunde wird in Megahertz (MHz) gemessen und Abtastfrequenz genannt. In der Regel beträgt die Bit-Tiefe 8 Bit. Hochwertige Systeme, wie etwa Digibeta, verwenden 10 Bit. Um eine bestmögliche Bildqualität zu erreichen, wird beim Digitalisieren für jeden Bildpunkt sowohl ein Y-Wert, als auch je ein Paar aus U- und VWerten abgetastet. Ein digitales Video mit allen Y-, Cb- und Cr-Farbwerten wird mit 4:4:4 bezeichnet. Diese sehr umfangreiche Form der Abtastung, die auch Subsampling genannt wird, wird nur sehr selten angewandt, denn der Speicherplatzbedarf dafür ist enorm. Es gibt weitere Formen der Abtastung, die weniger Speicherkapazität erfordern, ohne dass dabei die Bildqualität signifikant verschlechtert würde. Ein digitales Video, bei dem horizontal jeder zweite Cb- und Cr-Farbwert beim Digitalisieren ausgelassen wurde, erhält die Bezeichnung 4:2:2. Dieses Prinzip wird von professioneller Aufnahme- und Schnitthardware verwendet und ist auch unter der Bezeichnung ITU-R BT 601 bekannt (früher CCIR 601, franz.: »Comit Consultatif International des Radiocommunications«). Der ITU-R BT 601-Standard beschreibt Methoden, analoge Fernsehsignale zu digitalisieren (ITU: »International Telecommunication Union«). Die ältere Variante (CCIR 601) wurde in der D1-Digitalband-Aufnahme verwendet. Bei der CCIR-601-Norm werden die Helligkeitswerte (Luminanzsignal) mit 13,5 MHz (4 × 3,375 MHz) abgetastet und die beiden Farbdifferenzsignale jeweils mit 6,75 MHz (2 × 3,375 MHz) (siehe auch unter »Bildformate / Auflösung« in diesem Kapitel) [S. 210]. Für eine DVD-Produktion werden der PAL-DV- bzw. der NTSC-DVStandard verwendet. Beim PAL-DV-Standard wird nicht nur jeder zweite horizontale, sondern auch jeder zweite vertikale Farbwert eingespart und es ergibt sich so die Bezeichnung 4:2:0. Beim NTSC-DV-Standard wird nur von jedem vierten Pixel die Farbinformation gespeichert, wodurch sich 4:1:1 ergibt. Für den PAL-DV- und den NTSC-DV-Standard gilt gleichermaßen, dass selbst dieses Ergebnis hinsichtlich der Bildqualität mit den Möglichkeiten des menschlichen Auges noch als erstaunlich gut empfunden wird. Eine Wandlung von 4:2:0 zu 4:1:1 (oder umgekehrt) sollte allerdings vermieden werden, da diese aufgrund der sehr unterschiedlichen Abtastungsverfahren zu erheblichen Qualitätsverlusten führen würde. Keying und Farbkorrekturen sollten mit der 4:4:4- bzw. der 4:2:2-Abtastung vorgenommen werden, um die bestmögliche Bildqualität zu erhalten. Die 4:2:0- bzw. die 4:1:1-Abtastung reicht dafür nicht mehr aus. Die Videoschnittprogramme bieten allerdings Algorithmen an, mit denen man auch bei den geringeren Abtastungsraten bereits akzeptable Alternativergebnisse erzielen kann.
240
Standards/Spezifikationen
Abb. 3.5.5
System
Bit-Rate
Abtastung
Kompression
DV
8 Bit
4:2:0 (PAL) 4:1:1 (NTSC)
5:1
DVCAM
8 Bit
4:2:0 (PAL) 4:1:1 (NTSC)
5:1
DVCPRO
8 Bit
4:1:1
5:1
DVCPRO50
8 Bit
4:2:2
5:1
Betacam SX
10 Bit
4:2:2
10:1
Betacam IMX / D10
10 Bit
4:2:2
10:1
Digital Betacam
10 Bit
4:2:2
2:1
D1
8 Bit
4:2:2 / 4:4:4
1:1
D5
10 Bit
4:2:2
1:1
3.5.3.1 Speicherplatzbedarf je nach Abtastrate Bei der Berechnung des
Speicherplatzbedarfs je nach Abtastrate in Byte ist zu berücksichtigen, dass die RGB-Farben des Videos jeweils 8 Bit haben und sich 1 Byte aus 8 Bit ergibt. Für eine 4:4:4-Abtastung gilt demnach 8 Bit × (4/4 + 4/4 + 4/4) = 3 Byte. Der tatsächliche Speicherbedarf nach binärem System ist in MebiByte (MiB) angegeben, dem MegaByte (MB) der Digitaltechnik (siehe bezüglich des Umrechnungsfaktors unter »Speicherkapazität – Maße und Einheiten« im Kapitel »Standards/Spezifikationen«) [S. 232]. Für ein einzelnes unkomprimiertes Videobild in 4:4:4-Abtastung ergibt sich nach der PAL-Norm ein Speicherplatzbedarf von ca. 1,24 MB. Um einen binären Wert in MebiByte (MiB) und somit den tatsächlichen Speicherbedarf zu ermitteln, wird der dezimale MegaByte-Wert mit 0,93132 multipliziert. Dann ergibt sich für ein einzelnes Videobild in 4:4:4-Abtastung ein tatsächlicher Speicherbedarf von ca. 1,16 MebiByte. Der Speicherplatzbedarf für eine Sekunde unkomprimiertes Video mit 25 Bildern pro Sekunde nach der PAL-Norm beträgt in der 4:4:4-Abtastung ca. 31,1 MegaByte (MB). Dies entspricht ca. 29 MebiByte (MiB) tatsächlichem Speicherbedarf auf Datenträgern wie DVD, Festplatte oder Ähnlichem.
241
3.5 Torsten Stapelkamp: Kompressionsstandards
Abb. 3.5.6 Mitte: Originalbild in RGB und mit allen Farbanteilen.
Abb. 3.5.7 Links: Die Rot-, Grün-, und Blau-Anteile des Originalbildes. Abb. 3.5.8 Rechts: Der Helligkeits-Anteil (Y) enthält erheblich mehr sichtbare Informationen als die Farbanteile zwischen Gelb und Blau (U) und zwischen Türkis bzw. Cyan und Rot (V).
242
Standards/Spezifikationen
Abb. 3.5.9 4:4:4-Abtastung.
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
Y Cr Cb
4:4:4-Abtastung (auch 4:4:4-Subsampling genannt). Für jeden Pixel werden das Helligkeits-Signal (Y) und beide Farbsignale (Cb, Cr) aufgezeichnet. Nach Vorgabe durch ITU-R BT 601 ergibt sich mit einer Abtastrate von 13,5 MHz eine Bitrate von 324 MBit/s: 8 Bit × (4/4 + 4/4 + 4/4) × 13,5 MHz = 324 MBit/s
Speicherplatzbedarf eines Einzelbildes in 4:4:4-Abtastung nach der PAL-Norm:
8 Bit × (4/4 + 4/4 + 4/4) × 720 × 576 Pixel
= 9.953.280 Bit
9.953.280 Bit = 1.244.160 Byte 8 1,244160 MegaByte × 0,93132
= 1,1587110912 MebiByte
Speicherplatzbedarf für eine Sekunde Video in 4:4:4-Abtastung mit 25 Bildern pro Sekunde nach der PAL-Norm:
4:2:2-Abtastung (D1 Standard; ITU-R BT 601 (früher CCIR-601 Norm)) findet bei Digital-Betacam und DVCPRO-50 Anwendung. Für jeden Pixel wird das Helligkeits-Signal aufgezeichnet. In jeder zweiten Zeile wird das Farbsignal ausgelassen. Hier erhalten zwei nebeneinander liegende Bildpunkte den gleichen Farbwert. Nach Vorgabe durch ITU-R BT 601 ergibt sich mit einer Abtastrate von 13,5 MHz eine Bitrate von 216 MBit/s: 8 Bit × (4/4 + 2/4 + 2/4) × 13,5 MHz = 216 MBit/s
Speicherplatzbedarf eines Einzelbildes:
8 Bit × (4/4 + 2/4 + 2/4) × 720 × 576 Pixel
= 6.635.520 Bit
Tatsächlicher Speicherbedarf:
6.635.520 Bit = 829.440 Byte 8 0,829440 MegaByte × 0,93132
Speicherplatzbedarf für eine Sekunde Video:
0,829440 MegaByte × 25 Bps
= 20,736000 MegaByte
Tatsächlicher Speicherbedarf:
20,736000 MegaByte × 0,93132
= 19,31185152 MebiByte
Speicherplatzbedarf eines Einzelbildes:
8 Bit × (4/4 + 2/4 + 2/4) × 720 × 480 Pixel
= 5.529.600 Bit
Tatsächlicher Speicherbedarf:
5.529.600 Bit = 691.200 Byte 8 0,691200 MegaByte × 0,93132
Speicherplatzbedarf für eine Sekunde Video:
0,691200 MegaByte × 29,97 Bps
= 20,715264 MegaByte
Tatsächlicher Speicherbedarf:
20,715264 MegaByte × 0,93132
= 19,29253966 MebiByte
= 0,829440 MegaByte = 0,7724740608 MebiByte
Abb. 3.5.13 4:2:2-Abtastung, PAL-Norm
Abb. 3.5.14 4:2:2-Abtastung, NTSC-Norm
244
Standards/Spezifikationen
= 0,691200 MegaByte = 0,643728384 MebiByte
Abb. 3.5.15 4:2:0-Abtastung.
Y Cr Cb
Y
Y Cr Cb
Y
Y Cr Cb
Y
Y Cr Cb
Y
Y
Y
Y
Y
Y
Y
Y
Y
Y Cr Cb
Y
Y Cr Cb
Y
Y Cr Cb
Y
Y Cr Cb
Y
Y
Y
Y
Y
Y
Y
Y
Y
4:2:0-Abtastung (PAL-DV Standard, z.B. für DVD-Produktionen). Für jeden Pixel wird das Helligkeits-Signal aufgezeichnet. In jeder zweiten Zeile (vertikal) und jeder zweiten Linie (horizontal) wird das Farbsignal ausgelassen. Nach Vorgabe durch ITU-R BT 601 ergibt sich mit einer Abtastrate von 13,5 MHz eine Bitrate von 162 MBit/s: 8 Bit × (4/4 + 2/4 + 0/4) × 13,5 MHz = 162 MBit/s
Speicherplatzbedarf eines Einzelbildes:
8 Bit × (4/4 + 2/4 + 0/4) × 720 × 576 Pixel
Tatsächlicher Speicherbedarf:
4.976.640 Bit = 622.080 Byte 8 0,622080 MegaByte × 0,93132
Speicherplatzbedarf für eine Sekunde Video:
0,622080 MegaByte × 25 Bps
= 15,552000 MegaByte
Tatsächlicher Speicherbedarf:
15,552000 MegaByte × 0,93132
= 14,48388864 MebiByte
Abb. 3.5.16 4:2:0-Abtastung, PAL-Norm
245
3.5 Torsten Stapelkamp: Kompressionsstandards
= 4.976.640 Bit = 0,622080 MegaByte = 0,5793555456 MebiByte
Abb. 3.5.17 4:1:1 Abtastung.
Y Cr Cb
Y
Y
Y
Y Cr Cb
Y
Y
Y
Y Cr Cb
Y
Y
Y
Y Cr Cb
Y
Y
Y
Y Cr Cb
Y
Y
Y
Y Cr Cb
Y
Y
Y
Y Cr Cb
Y
Y
Y
Y Cr Cb
Y
Y
Y
4:1:1-Abtastung (NTSC-DV Standard, z.B. für DVD-Produktionen). Für jeden Pixel wird das Helligkeits-Signal aufgezeichnet. Nur von jeder vierten Zeile wird das Farbsignal gespeichert. Hier erhalten vier nebeneinander liegende Bildpunkte den gleichen Farbwert. Nach Vorgabe durch ITU-R BT 601 ergibt sich mit einer Abtastrate von 13,5 MHz eine Bitrate von 162 MBit/s: 8 Bit × (4/4 + 1/4 + 1/4) × 13,5 MHz = 162 MBit/s
Speicherplatzbedarf eines Einzelbildes:
8 Bit × (4/4 + 1/4 + 1/4) × 720 × 480 Pixel
Tatsächlicher Speicherbedarf:
4.147200 Bit = 518.400 Byte 8 0,518400 MegaByte × 0,93132
Speicherplatzbedarf für eine Sekunde Video:
0,518400 MegaByte × 29,97 Bps
= 15,536448 MegaByte
Tatsächlicher Speicherbedarf:
15,536448 MegaByte × 0,93132
= 14,46940475 MebiByte
Abb. 3.5.18 4:1:1-Abtastung, NTSC-Norm
246
Standards/Spezifikationen
= 4.147200 Bit = 0,518400 MegaByte = 0,482796288 MebiByte
3.5.4 DivX
3.5.5 MPEG-1/MPEG-2
Ein sehr bekannter und weit verbreiteter Codec (Compressor-Decompressor), der auch im MPEG-4 implementiert ist, ist DivX. Dieser Codec ermöglicht eine starke Kompressionsrate, so dass ein Film von DVD auf einer CD-ROM Platz finden kann. Dies ermöglicht DivX mit akzeptablen Ergebnissen, aber bei weitem nicht mit derselben Qualität wie MPEG-4 AVC oder SMPTE VC-1. Gerade schnelle Bewegungen führen bei DivX zu unschönen Kompressionsartefakten. In Zeiten, in denen über HD-Qualitäten gesprochen wird, Speicherplatz immer preiswerter wird und die Internetbandbreite und auch die Ansprüche an die Darstellungsqualität von Videos gerade am Fernseher oder bei einer Projektion immer größer werden, lohnt es sich eigentlich kaum – außerhalb der Heimanwendung – weiter über DivX nachzudenken. Für die Kompression von Videos mit kleiner Auflösung, z.B. zur Betrachtung an portablen Geräten (Mobiltelefon, iPod, PDA etc.) oder zum Streamen im Internet, ist DivX allerdings sehr gut einsetzbar.
MPEG ist ein Codec für Audio- und Videodaten, der von der »Motion Pictures Experts Group«10 entwickelt wurde, die sich mit der Absicht zusammenfand, einen einheitlichen Kompressionsstandard festzulegen. Mit Videoschnittsoftware- oder speziellen Kompressionssoftware-Paketen, die diesen Codec unterstützen, können digitalisierte Filme im MPEGStandard komprimiert werden, um als Endergebnis ein Containerformat wie z.B. AVI (Audio Video Interleave) oder Quicktime zu erhalten, in dem die Audio-, Video-, Bild- und/oder Textdaten synchron gespeichert sind. Im Gegensatz zum AVI unterstützt Quicktime alle gängigen Codecs, auch jene für das Streamen im Internet. Die erste Version von MPEG erhielt die Bezeichnung MPEG-1 (ISO/IEC 11172) und ermöglichte bei der DVD eine maximale Datendurchsatzrate von 1,856 MBit/s. Es konnte nur in einer konstanten Bitrate (Constant BitRate, CBR) komprimiert werden und die Qualität ist ähnlich mäßig wie die der VHS-Kassette. Die wohl bekannteste Variante dieses Codecs ist MPEG-1 audio layer 3, besser bekannt unter der Bezeichnung MP-3. Der Nachfolgestandard von MPEG-1 heißt MPEG-2 (ISO/IEC13818), wurde 1994 eingeführt und lässt eine maximale Datendurchsatzrate von 9,8 MBit/s zu. Im Gegensatz zum MPEG-1 ist beim Kodieren in das MPEG2-Format eine variable Bitrate (variable Bitrate, VBR) möglich und die Kodierung muss nicht, wie beim MPEG-1, in nur einem Durchgang (SinglePass), sondern kann in mehreren Durchgängen (Multi-Pass) vollzogen werden. Das heißt, beim Komprimieren in das MPEG-2-Format kann im ersten Durchgang eine Analyse des Videomaterials stattfinden und so für die Kompression im nachfolgenden Durchlauf ein Optimum an Qualitätsdarstellung ermittelt werden. Daher ist bei einer Kompressionssoftware stets
10 http://www.chiarig lione.org/mpeg
247
3.5 Torsten Stapelkamp: Kompressionsstandards
eine minimale und eine maximale Bitrate anzugeben. Die jeweils maximal mögliche Bitrate ist zuvor mit einem Bit-Budgeting zu ermitteln (siehe unter »Bit-Butgeting« in diesem Kapitel) [S.254]. Je nach Bedeutung und Inhalt der jeweiligen Videos können unterschiedliche Bitraten und somit unterschiedliche Datenspeichermengen und Qualitäten eingeplant werden. Die Summe der einzelnen Speichermengen muss dann unterhalb der maximalen Speicherkapazität und die Bitrate unterhalb der maximal empfohlenen Datendurchsatzrate des gewählten DVD-Formats liegen. Die aus dem Kodierungsvorgang resultierenden datenreduzierten Videos müssen bei MPEG-2 demnach keine durchgängige Bitrate aufweisen, sondern es können je nach Bedarf variable Bitraten verwendet werden. Dadurch kann plötzlich auftretenden Veränderungen im Bild, z.B. bedingt durch kurzfristige schnelle Bewegungen, entsprechend mehr Bitrate zugewiesen und verlustbehaftete Kompression mit weniger verlustbehafteter Kompression kombiniert werden. MPEG ist mit dem JPEG-Format vergleichbar, welches von digitalen Standbildkameras her bekannt ist. Das Kompressionsverfahren des MPEGFormats basiert auf dem Prinzip, nachfolgende Bilder miteinander zu vergleichen und wiederkehrende Bildinformationen innerhalb einer Bilderfolge nur einmal bzw. nur die auftretenden Unterschiede abzuspeichern. Die komprimierten Bilder beziehen sich somit im Wesentlichen auf die vorangegangenen. Daher ist es sehr wichtig, dass das Ausgangsmaterial nicht verrauscht ist. Ansonsten kann es beim Vergleich der vorangegangenen mit den nachfolgenden Bildern zu Interpretationsfehlern kommen, die zu störenden Artefakten führen. Sollte das Ausgangsmaterial verrauscht sein, so empfiehlt es sich, vor der Kodierung das Video mit Hilfe entsprechender Software und Filter zu entrauschen. Die Kodierung in MPEG nutzt eine Bewegungsvorhersage (Motion Prediction), bei der die erste Kodierung des Ausgangsbilds I-Frame (Intra-Frame) genannt wird. Das in Abhängigkeit vom vorherigen Frame geschätzte Nachfolgebild erhält die Bezeichnung P-Frame (Predicted Frame) und das aus einer vorherigen und der nachfolgenden Bildschätzung hervorgehende Bild wird B-Frame (Bidirectional Frame) genannt. Das I-Frame bildet die Grundlage aller nachfolgenden Bildschätzungen. Es beinhaltet die komplette Bildinformation. Die auf das I-Frame folgenden P-Frames stellen nur die Veränderung zum I-Frame bzw. zu den vorangegangenen P-Frames dar. Die B-Frames bilden sich aus den Veränderungen zum I-Frame oder einem vorangegangenen P-Frame und den Schätzungen aus dem nächsten nachfolgenden P-Frame. B-Frames sind selber keine Referenzbilder. Durch eine solche Kompression ist eine Verkleinerung von 60:1 möglich, ohne dass für das menschliche Auge Unterschiede wahrnehmbar werden. Sogar ein Verkleinerungsverhältnis der Datenmenge von 100:1 führt noch zu erstaunlich guten Ergebnissen.
248
Standards/Spezifikationen
Abb. 3.5.19 Betrachtungsreihenfolge.
I1
B1
B2
P1
B3
B4
P2
B5
B6
P3
B7
B8
P4
I1
P1
B1
B2
P2
B3
B4
P3
B5
B6
P4
B7
B8
Abb. 3.5.20 Übertragungsreihenfolge.
Wenn z.B. ein Kinofilm mit einer Länge von 90 Minuten unkomprimiert und inklusive der Audio-Dateien bis zu ca. 176 GB (163,912 GiB) in Anspruch nimmt, benötigt er bei einem Kompressionsverhältnis von 60:1 nur noch 2,933 GB (2,732 GiB) und passt somit auf eine DVD-5. Es bleibt sogar noch Platz für Bonusmaterial und für die Abspeicherung des Originaltons und der Sprachsynchronisierung. Diese Datenkompression ist allerdings eine verlustbehaftete, bei der Bildinformationen unwiederbringlich verloren gehen. Eine verlustbehaftete Kompression bedeutet stets, einen Kompromiss zwischen Bildqualität, Speicherplatzkapazität und Durchsatzrate einzugehen. ■ I-Frame (Intra-Frame): Ein komplettes Vollbild, welches alle Bildinformationen enthält. ■ P-Frame (Predicted-Frame): Einzelbild, welches lediglich die Differenz zum vorhergegangenem Bild enthält. ■ B-Frame (Bidirectional-Frame): Wird ausgehend von einem vorher gehenden und einem nachfolgenden Bild (P- und I-Frames) berechnet. Das MPEG-Kompressionsverfahren sieht vor, dass die drei Frame-Typen (I-, P- und B-Frame) eine vorgegebene Reihenfolge bilden müssen und in der Summe von 13 Frames die Group of Pictures (GOP) bilden, auch GOPStruktur genannt. Eine GOP-Struktur beginnt stets mit einem I-Frame. Außerdem ist für das Verständnis der Bewegungsvorhersage zu berück-
249
3.5 Torsten Stapelkamp: Kompressionsstandards
sichtigen, dass die Bilder in einer anderen Reihenfolge angeordnet und gespeichert werden als sie beim Abspielen angezeigt werden, weshalb sich die Betrachtungs- von der Übertragungsreihenfolge unterscheidet: Laut DVD-Spezifikationen muss bei der GOP-Struktur spätestens jedes dritte Bild ein Referenzbild (I- oder P-Frame) sein und 12 Frames bilden eine GOP. I-Frames bilden stets den Anfang einer GOP-Struktur, weshalb beim Festlegen von Kapiteln darauf zu achten ist, dass der Kapitelanfang mit einem I-Frame beginnt. Möchte man z.B. das Video einer Konzertaufzeichnung in die einzelnen Musikstücke zerlegen und diese per Kapitelsprungmarken einzeln zugänglich machen, kann es passieren, dass der Wechsel von einem zum nächsten Stück nicht auf einem I-Frame liegt. Das hat dann zur Folge, dass der Anwender entweder knapp 12 Frames vor Ende des vorherigen Stücks landet oder maximal 12 Frames nach dem Anfang des angesteuerten Stücks. Hier würde es sich anbieten, zwischen den einzelnen Musikstücken z.B. eine Schwarzblende einzufügen. Abb. 3.5.21 Kompressionsergebnisse für DVD-Produktionen (4:2:0Abtastung) mit den Codecs MPEG-1 bzw. MPEG-2:
Abb. 3.5.22 MPEG-2 wird in vier Level unterschieden:
Auflösung
Datendurchsatz
Anwendung
Low
352 Pixel × 288 Zeilen
1,5 – 4 MBit/s
MPEG-1-kompatibel, S-VHS
Main
720 Pixel × 576 Zeilen
2 – 15 MBit/s
DV, DVB, DVD
High-1440
1440 Pixel × 1152 Zeilen
60 MBit/s
DV, DVB, DVD
High
1920 Pixel × 1080 Zeilen
80 MBit/s
HDTV im 16:9-Format
Die Listen zeigen, dass bereits mit MPEG-2 hohe Kodierungsraten möglich sind. Deswegen wurde bei der Weiterentwicklung des MPEG-Standards die Version MPEG-3 übersprungen und gleich eine neue Form der Versionsnummerierung eingeführt: auf MPEG-1 folgte MPEG-2, darauf MPEG-4 und darauf MPEG-7. Die nächste Version, die sich bereits in Entwicklung befindet, lautet MPEG-21. Für HD-Qualität wird eine entsprechend hohe Bildqualität gewünscht und für das Streamen von Video im Internet und das Abspielen auf mobilen Geräten kleinere Datenraten, weshalb eine Weiterentwicklung des Kompressionsstandards von MPEG-2 zu MPEG-4 erstrebenswert wurde.
250
Standards/Spezifikationen
Die Möglichkeiten von MPEG-7 und MPEG-21 schließen u.a. die Verwendung von Metadaten und Beschreibungsstrukturen ein und gehen damit weit über die augenblicklichen Notwendigkeiten einer DVD-Produktion hinaus, weshalb diese Codecs hier nicht näher erläutert werden – ganz davon abgesehen, dass sich MPEG-21 noch in Entwicklung befindet.
3.5.6 MPEG-4/AVC/H.264
Es zeichnete sich bereits seit einigen Jahren ab, dass sich HDTV als neuer Fernsehstandard etablieren und dass sich von Seiten der Anbieter und der Konsumenten das Übermitteln, das Streamen von Videodaten über das Internet immer weiter durchsetzen würde. Die immer schneller werdenden Internetanbindungen und die immer besser werdenden Kompressions verfahren unterstützten sich dabei gegenseitig. Da ein Film in 1080i HD-Auflösung (1920 × 1080 Pixel) mehr als viermal so viel Speicherplatz benötigt wie ein Film in PAL-Auflösung (720 × 576 Pixel) oder in NTSC-Auflösung (720 × 480 Pixel), was eine entsprechend höhere Datendurchsatzrate zur Folge hat, wurde es erforderlich, geeignete Datenträger-Formate zu entwickeln und ein Kompressionsverfahren, das die Daten noch besser komprimiert als MPEG-2, allerdings ohne dabei die Bildqualität zu verschlechtern. Die geeigneten DVD-Formate sind HD DVD und Blu-ray Disc und das geeignete Kompressionsverfahren ist MPEG-4 (ISO/IEC 14496). Die neuen DVD-Formate HD DVD und Blu-ray Disc bieten zwar ausreichend Platz, um Filme in HD-Qualität, die mit MPEG-2 komprimiert wurden, unterzubringen, dann wäre aber nicht mehr genug Platz für Bonusmaterial vorhanden. Dies wäre gerade wegen der erweiterten Interaktionsmöglichkeiten der neuen DVD-Formate sehr bedauerlich (siehe unter »HD DVD« [S. 34] und »Blu-ray Disc« [S. 36] im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« und unter »Interaktivität, Menüsteuerung« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 54]. Daher war zu erwarten, dass mit einem neu entwickelten Codec die Videodateigrößen bei gleich bleibender Bildqualität kleiner würden bzw. trotz höherer Bildqualität nicht mehr Speicherplatz erforderlich machen. Mit MPEG-4 wurde es möglich, Datenströme mit einer sehr geringen Bitrate zu kodieren (ab 4 MBit/s). Eine weitere wesentliche Anforderung an MPEG-4 war schließlich nicht nur der zunehmende Bedarf, Videos über das Internet übertragen zu können, sondern auch, sie auf mobilen Geräten nutzen zu können. MPEG-4 ist ein offener Standard, der 1998 eingeführt wurde und bei dem die Spezifikationen nur den Rahmen für ein Verfahren zur Video- und Audiokompression vorgeben. Dadurch sind die Entwickler flexibel in der Art der Kompressionsverfahren und der maximalen Auflösung, weshalb MPEG-4 ideal an unterschiedliche Ausgabegeräte (PDA, iPod, Mobiltelefon, Computer, Fernseher etc.) und an unterschiedliche Übertragungswege (Internet, DVD, Senden etc.) angepasst werden kann.
251
3.5 Torsten Stapelkamp: Kompressionsstandards
Da der Kompressionsstandard H.263 bereits alle wesentlichen Eigenschaften der aktuellen Anforderungen bezüglich einer Videokompression aufwies, übernahm die Motion Pictures Experts Group (MPEG) diesen C odec fast unverändert und integrierte ihn in MPEG-4. Des Weiteren wurde der bereits standardisierte Advanced Audio Coding (AAC) übernommen und auch das System DRM (Digital Rights Management) zur digitalen Rechteverwaltung integriert (siehe unter »Kopierschutzverfahren« in diesem Kapitel) [S. 261]. H.263 wurde um 1995 von der ITU (Internationale Fernmeldeunion) in erster Linie für Video-Konferenzen entwickelt und ist daher für niedrige Datenraten bei geringer Bewegung optimiert. Für den Videobereich und auch in Bezug auf DVD-Formate ist aber der Nachfolgecodec H.264 besser geeignet. Abb. 3.5.23
H.264
Auflösung
Datendurchsatz
Anwendung
skalierbar
4 – 10 MBit/s
DVB, IPTV, DVD, HDTV
H.264 wurde von der ITU und der MPEG gemeinsam weiterentwickelt und den Bedürfnissen des Fernsehens und bezüglich der HD-Qualität angepasst. Dieser Entwicklungsprozess wurde 2003 abgeschlossen. Die ITU bezeichnet diesen Codec nach wie vor mit »H.264«. Bekannter ist er aber mittlerweile unter der Bezeichnung MPEG-4 AVC (MPEG-4 Advanced Video Coding, ISO/IEC 14496-10), die die MPEG einführte. H.264 bzw MPEG-4 AVC ist der vorgegebene Codec für HD-DVD und Blu-ray Disk und wird auch für HDTV-Übertragungen in Europa verwendet. Abb. 3.5.24 Kompressionsergebnisse für DVD-Produktionen (4:2:0-Abtastung) mit dem Codec MPEG-4:
Der SMPTE VC-1 Standard, auch bekannt unter Windows Media 9 (WM9), ist im Gegensatz zum MPEG-4 nicht grundsätzlich ein offener Standard, sondern eine proprietäre Lösung. Sie wurde von Microsoft entwickelt und basiert auf MPEG-4. Da Fernsehsender offene Standards bevorzugen, um langfristig eine Investitionssicherheit zu haben und unabhängig von einem bestimmten Zulieferer zu sein, hat Microsoft die Syntax von Windows Media 9 und die seines Decoders offengelegt. Da dies der erste digitale Videokodierungsstandard bei der Society of Motion Picture and Television Engineers (SMPTE) ist, erhielt er die Bezeichnung VC-1 (Video Codec 1). Microsoft bleibt bei der Bezeichnung WM-9, hat aber die zukünftige Kompatibilität zum VC-1 zugesagt. MPEG-4 AVC (H.264) und SMPTE VC-1 bieten eine nahezu identisch gute Kompressionsleistung in Hinblick auf die Reduktion des Speicherplatzbedarfs. Mit beiden Codecs kann ein 135-minütiger Film in HD-Qualität sogar auf einer DVD-9 gespeichert werden. Genauso wie MPEG-4 AVC (H.264) ist auch SMPTE VC-1 in den Spezifikationen von HDTV, HD DVD und Blu-ray Disc vorgesehen, so dass man sich nur im Hinblick auf die Bildqualität im Verhältnis zur Kompressionsleistung für einen der beiden Codecs entscheiden müsste. Im Verhältnis Bildqualität zu möglichst geringem Speicherplatzbedarf ist SMPTE VC-1 allerdings deutlich besser als MPEG-4 AVC.
Abb. 3.5.25 Kompressionsergebnisse für DVD-Produktionen (4:2:0-Abtastung) mit dem Codec SMPTE VC-1:
3.6 Bit-Budgeting Torsten Stapelkamp Das Bit-Budgeting dient dazu, sowohl die Speichermenge aller Produktionsdaten einer DVD-Produktion zusammenzufassen und zu ermitteln, als auch zu klären, ob alle Daten auf dem vorgesehenen Datenträger Platz finden bzw. wie hoch die Datenrate (Bitrate) pro Video- und Audio-Datei sein kann, ohne ein Maximum an Speicherplatzbedarf zu überschreiten. Mit dem Bit-Budgeting wird demnach auch geklärt, wie stark die Dateien komprimiert werden müssen bzw. welche bestmögliche Qualität im Rahmen des zur Verfügung stehenden Speicherplatzes überhaupt erreichbar ist. Fehlkalkulationen beim Bit-Budgeting führen entweder dazu, dass man den Speicherplatz nicht ausschöpft oder in einer Qualität komprimiert, die zu mehr Bedarf an Speicherplatz führt als vorhanden ist. Das Bit-Budgeting beginnt demnach vor der Kompression, ist allerdings nicht nur Teil der Kompressionsplanung, sondern fester Bestandteil der Projektplanung. Es ist ratsam bereits zu Anfang Prioritäten festzulegen – ob nun der Videoanteil mehr Platz einnehmen kann oder ob der Audioanteil, etwa auf Grund von Mehrkanalsound (Surroundsound), vorrangig berücksichtigt werden soll. Selbstverständlich sind auch die Menüs und die Untertitelspuren zu berücksichtigen. Diese benötigen im Vergleich zu den Video- und Audio-Dateien aber dermaßen wenig Speicherplatz, dass sie bei der Vorplanung zunächst vernachlässigt werden können. Subpictures erreichen z.B. eine Bitrate von nur 0,04 bis 0,062 MBit/s. Wichtig zu beachten ist noch, ob man auf der DVD für einen ROM-Teil zusätzlichen Speicherplatz freihalten möchte. Außerdem sind vorab etwa 7% des gesamten Speicherplatzes eines Datenträgers als nicht nutzbar abzuziehen, da diese für systemeigene Kontrolldaten belegt werden und ein Teil als Toleranz dient. Das Wesentliche sind Daten, auch Overhead genannt, die während des Formatierens und des Multiplexing entstehen. Alle Speicherplatzkalkulationen sollten in einer Liste aufgeführt und während der Produktion stets überprüft werden. Um möglichst genau kalkulieren zu können, wird beim Bit-Budgeting ausschließlich in MegaBits gerechnet. Da bei DVD-Produktionen in der Regel dezimale Werte für die Speicherplatzmenge angegeben werden und nicht etwa binäre, wie es eigentlich in der Digitaltechnik sinnvoll und üblich ist, beziehen sich die folgenden Berechnungen auf dezimale Werte (1 Gigabyte = 1000.000.000 Byte = 10003). Lesen Sie dazu auch unter »Speicherkapazität – Maße und Einheiten« in diesem Kapitel [S. 232]. Es ist darauf zu achten, dass bei einer DVD (DVD-5 bis DVD-18) die Bitrate des kompletten Datenstroms maximal 10,08 MBit/s betragen darf. Die Bitrate für den Ton und für die Untertitel ist davon noch abzuziehen.
254
Standards/Spezifikationen
Ein mit MPEG-2 kodiertes Video in SDTV-Auflösung (PAL: 720 × 568 Pixel; NTSC: 720 × 480 Pixel) kann dabei maximal eine Bitrate von 9,8 MBit/s haben. Die maximal mögliche Datentransferrate einer DVD beträgt allerdings 11,08 MBit/s. Dies ändert aber nichts daran, dass gerade für selbst gebrannte DVDs empfohlen wird, die Bitrate der Videodateien nicht über 7–8 MBit/s zu setzen. Einige Besonderheiten sind beim Codieren und beim Bit-Budgeting von Videos für das so genannte Multi-Angle zu beachten. Multi-Angle ermöglicht es, zwischen maximal neun Videos ohne Unterbrechung hin- und herzuschalten. Dafür gibt es auf der Fernbedienung die so genannte AngleTaste (Siehe bezüglich Multi-Angle auch unter »Interaktion bei Film und Fernsehen« im Kapitel »Orientierungsbeiträge/Erzählung« [S. 101] und unter »Interaktivität, Menüsteuerung« im Kapitel »Das können DVD, HD DVD und Blu-ray Disc« [S. 54]. Unabhängig davon, dass alle Videos für Multi-Angle dieselbe Länge, dieselbe GOP-Struktur und dieselbe Bitrate haben und in derselben Art von Bitrate (konstante bzw. variable Bitrate) codiert sein müssen, ist zu beachten, dass alle Videos für das Multi-Angle-Angebot beim Multiplexen der DVD nicht in einen Datenstrom, sondern hintereinander auf der DVD gespeichert werden. Somit ergibt sich die maximale Bitrate pro Video beim Multi-Angle nicht aus der Summe der einzelnen Videos. Ansonsten bliebe bei einer Anzahl von z.B. 9 Videos auch nur eine Bitrate von 1,088 MBit/s, da die maximale Bitrate bei einer DVD schließlich 9,8 MBit/s beträgt (9,8 / 9 = 1,088). Dadurch ergibt sich zwar ein einzelner Datenstrom, dem allerdings nicht die volle Bitrate zur Verfügung steht, da beim Auslesen der einzelnen Videodaten zusätzlich zum jeweils gezeigten Einzelvideo (Blickwinkel) weitere Daten zwischengespeichert werden müssen, um jederzeit und vor allem unterbrechungsfrei die weiteren Videos aus der Gruppe der MultiAngle-Videos zeigen zu können. Die DVD-Spezifikationen schreiben daher vor, dass bei 2 bis 5 Multi-Angle-Videos die maximale Bitrate 7,8 MBit/s und bei 6 bis 8 Multi-Angle-Videos 7,3 MBit/s beträgt. Bei 9 Multi-Angle-Videos ist nur noch eine Bitrate von 6,8 MBit/s für die einzelnen Videos möglich. Von diesen maximalen Werten für die einzelnen Videos sind selbstverständlich noch die Bitraten der Audiodateien und der Untertitel abzuziehen, die in der Regel in derselben Anzahl vorliegen wie die einzelnen Videos des Multi-Angle. Bei einer HD DVD bzw. Blu-ray Disc beträgt die maximale Bitrate für ein einzelnes mit MPEG-2, MPEG-4 bzw. VC-1 kodiertes Video in SDTVAuflösung 15 MBit/s. Grundsätzlich liegt die Bitrate für ein mit MPEG-2, MPEG-4 bzw. VC-1 kodiertes Video in HDTV-Auflösung (1920 × 1080 Pixel, 1440 × 1080 Pixel, 1280 × 1080 Pixel, 960 × 1080 Pixel) bei maximal 29,4 MBit/s, wobei die maximal mögliche Bitrate einer HD DVD und einer Bluray Disc 36,55 MBit/s beträgt.
255
3.6 Torsten Stapelkamp: Bit-Budgeting
Abb. 3.6.1
DVD-5 (Single-Layer)
DVD-9 (Dual-Layer)
HD DVD (Single-Layer)
Blu-ray Disc (Single-Layer)
Speicherplatz in GB in MBits
4,7 37.600
8,54 68.320
15 120.000
25 200.000
Overhead (7%)
2.632
4.782,4
8.400
14.000
maximale Nutzmenge in MBits
34.968
63.537,6
111.600
186.000
3.6.1 Kalkulation einzelner Werte
Sofern Informationen bezüglich des zur Verfügung stehenden Speicherplatzes oder der Länge eines Videos oder der Bitrate vorliegen, lassen sich in Abhängigkeit der bereits bekannten Werte mit einfachen Formeln alle übrigen noch fehlenden Werte ermitteln. Die maximale Spielzeit, die ein Video in Abhängigkeit vom Speicherplatz des jeweiligen Datenträgers (DVD, HD DVD, Blu-ray Disc, Festplatte etc.) und der Bitrate der Videodatei haben kann, lässt sich mit folgender Formel ermitteln. Um die maximale Spielzeit des Hauptvideos, abzüglich aller anderen Assets ermitteln zu können, wurde der Speicherbedarf für Assets (zusätzliche Videos, Audio, Subtitles, Menüs, Daten auf DVD-ROMTeil etc.) bei dieser Gleichung mitberücksichtigt. Für »SP1« wird die Speicherplatzmenge des jeweiligen Datenträgers eingetragen. Für eine DVD-5 sind es z.B. 4,7 GB oder für eine 100-GBFestplatte 100 GB (bei dezimaler Mengenangabe). Um die Werte in binärer Mengenangabe zu erhalten, ist »SP1« mit dem Umrechnungsfaktor 0,93132 zu multiplizieren. 93 (SP1 – SP2) × 8 × 1000 × 100 Bitrate in MBit/s × 60 × 60
= Zeit (in Stunden)
SP1 = Speicherplatzmenge des Datenträgers in GigaByte SP2 = Speicherplatzbedarf aller Assets ohne Hauptvideo in GigaByte
Das folgende Berechnungsbeispiel bezieht sich auf ein Hauptvideo mit einer Bitrate von 3,617 MBit/s, das auf einer DVD-5 (4,7 GB) gespeichert wird. Mit dem Bruch 93/100 wird sichergestellt, dass nur 93% berücksichtigt werden, um 7% für den Overhead und als Toleranz freizuhalten. Außerdem gibt es beim folgenden Beispiel noch 1,2 GB an weiteren Assets. Die Berechnung ergibt, dass für das Hauptvideo Speicherplatz für eine maximale Spieldauer
256
Standards/Spezifikationen
von 2 Stunden zur Verfügung steht. Um auf eine längere Spieldauer kommen zu können, müsste entweder die Bitrate und somit die Bildqualität des Hauptvideos gesenkt werden oder auf einige der Assets verzichtet werden. 93 (4,7 GB – 1,2 GB) × 8 × 1000 × 100 = 2 Stunden 3,617 MBit/s × 60 × 60
Die maximale Bitrate (MBit/s), die ein Video abzüglich aller weiteren ssets in Abhängigkeit der Speicherplatzmenge des jeweiligen DatenträA gers (DVD, HD DVD, Blu-ray Disc, Festplatte etc.) und der Spieldauer des Hauptvideos haben kann, lässt sich mit folgender Formel ermitteln: 93 (SP1 – SP2) × 8 × 1000 × 100 = Bitrate (MBit/s) Zeit (Stunden) × 60 × 60 SP1 = Speicherplatzmenge des Datenträgers in GigaByte SP2 = Speicherplatzbedarf aller Assets ohne Hauptvideo in GigaByte
Für das Video ergibt sich eine maximale Bitrate von 3,617 MBit/s. Um auf eine höhere Bitrate kommen zu können, müsste auf einige Assets verzichtet werden: 93 (4,7 GB – 1,2 GB) × 8 × 1000 × 100 = 3,617 MBit/s 2 Stunden × 60 × 60
Der maximale Speicherplatzbedarf (GigaBytes), den ein Video in Abhängigkeit seiner Länge (Stunden) und Bitrate (MBit/s) haben kann, lässt sich mit folgender Formel ermitteln: 93 Bitrate (MBit/s) × Zeit (Stunden) × 60 × 60 = (SP1 – SP2) × 100 8 × 1000 SP1 = Speicherplatzmenge des Datenträgers in GigaByte SP2 = Speicherplatzbedarf aller Assets ohne Hauptvideo in GigaByte
257
3.6 Torsten Stapelkamp: Bit-Budgeting
Beispielrechnung (Werte wie bei den vorangegangenen Beispielen):
3,617 MBit/s × 2 Stunden × 60 × 60 8 × 1000
= (4,7 GB – 1,2 GB) ×
93 = 3,255 GB 100
SP1 = Speicherplatzmenge des Datenträgers in GigaByte SP2 = Speicherplatzbedarf aller Assets ohne Hauptvideo in GigaByte
3.6.2 Bit-Budgeting-Liste
In der Regel besteht eine DVD-Produktion aus einem Hauptvideo, weiteren zusätzlichen Videos, einzelnen Audiodateien, Menüs (animierte, nicht animierte), Übergangsanimationen, Subpictures und eventuell einem ROMTeil. Für das Bit-Budgeting müssen all diese Dateien in einer Liste vermerkt werden. In der Projektbeschreibung zur DVD-Produktion »Spielzimmer« ist eine solche Liste als Beispiel zu finden (siehe unter »Spielzimmer« im Kapitel »Projekte im Detail«) [S. 362]. Die folgende Bit-Budgeting-Liste wurde für die DVD-Produktion »Story of a Jazzpiano« angelegt. Auch diese Produktion wird im Kapitel »Projekte im Detail« umfangreich vorgestellt. Die Kodierung der Videos erfolgte unter variabler Bitrate (VBR) mit 3; 5 bzw. 7,5 MBit/s. Der Ton liegt in 48 kHz/16Bits AC-3 vor; beim Konzert in Stereo und ansonsten nur in Mono. Für das Konzert wurde inklusive Ton im Durchschnitt nur eine Bitrate von 4,5 MBit/s benötigt, obwohl für die MPEG-2-Codierung des Videos als maximale Bitrate 7,5 MBit/s angewählt und der Ton in AC-3 Stereo codiert wurde. Dies konnte in erster Linie durch die Codierung mit variabler Bitrate erreicht werden und durch den Umstand, dass das Video stets denselben Hintergrund hat und zudem relativ wenig Bewegung in den verhältnismäßig kleinen Bildbereichen aufweist. Das Konzert wurde in Stereo aufgezeichnet. Daher wird für den Sound eine Bitrate von 192 kBit/s benötigt. Hätte man das Konzert in Mehrkanalton aufgezeichnet, so wären z.B. bei einem 5.1 Surroundsound mit Dolby Digital (5.1) 384 kBit/s bzw. 448 kBit/s oder mit PCM-Ton (48 kHz/16Bit Stereo) 1.536 kBit/s oder mit DTS (5.1) 768 bis 1.536 kBit/s benötigt worden (siehe auch unter »Kompression« im Kapitel »Sound, Surroundsound«) [S. 535]. Dann wäre entsprechend viel Speicherplatz für weitere Inhalte verloren gegangen, so dass man z.B. auf die Kapitel über die Instrumente hätte verzichten müssen. Hier gilt es Prioritäten zu setzen und sich bereits bei der Planung des Projektes darüber im Klaren zu sein, welche Inhalte und welche Qualitäten als unverzichtbar zu definieren sind.
4,5 (7,5 MBit/s Video mit VBR inkl. Audio, Stereo)
5 × 60 × 4,5 = 1.350
1× Subpictures
114
0,04
1 × 114 × 60 × 0,04 = 273,6
23× Übergangsmenüs
12 Sek.
4,5
23 × 12 × 4,5 = 1.242 33.225,6
Summe ohne Hauptvideo 112
Konzert (Hauptvideo)
4,5 (7,5 MBit/s Video mit VBR inkl. Audio, Stereo)
112 × 60 × 4,5 = 30.240 63.465,6
Summe gesamt verbleibender Speicherplatz***
72
* MBit/s = Megabit pro Sekunde ** MBits = Megabits. Die Bitrate (MBit/s) multipliziert mit der Spielzeit (Sekunden) ergibt die Datenmenge (Megabits). *** Auf einer DVD-9 lassen sich maximal 63537,6 MBits speichern.
Abb. 3.6.2 Bit-Budgeting-Liste für eine Produktion auf DVD-9.
Abb. 3.6.3 Durchschnittliche Standardwerte:
Durchschnittliche Standardwerte MPEG-2 Video
5 Mbit/s*
Subpicture/Subtitle
0,04 Mbit/s
Stereosound AC3
192 kBit/s**
5.1 Surroundsound Dolby Digital (AC3)
448 kBit/s
5.1 Surroundsound DTS
1.536 kBit/s
5.1 Surroundsound PCM (48 kHz/16Bit Stereo)
1.536 kBit/s
Overhead
7% des gesamten Speicherplatzes
* MBit/s = Megabit pro Sekunde ** kBit/s = Kilobit pro Sekunde (siehe auch unter »Kompression« im Kapitel »Sound, Surroundsound«) [S. 537].
259
3.6 Torsten Stapelkamp: Bit-Budgeting
Sobald die Prioritäten geklärt sind und auch der Speicherbedarf aller übrigen Dateien bekannt ist, kann festgestellt werden, inwieweit die Qualität für das Hauptvideo optimiert werden kann, um den verbleibenden Speicherplatz optimal zu nutzen. Auf einer DVD-9 lassen sich maximal 63.537,6 MBits speichern. Somit verbleiben bei der oben in der Liste aufgeführten DVD-Produktion »Story of a Jazzpiano« nach Abzug des bisher benötigten Speicherplatzes von 33.225,6 MBits noch 30.312 MBits (63.537,6 – 33.225,6 = 30.312) für das Hauptvideo. Diese Speicherplatzmenge reicht gerade eben aus, um das 112minütige Konzert-Video inklusive Audio in einer variablen Bitrate von 7,5 MBit/s zu komprimieren, die allerdings aus den bereits genannten Gründen zu einer durchschnittlichen Bitrate von 4,5 MBit/s führte. Für das Hauptvideo wurden 30.240 MBits benötigt. In der Gesamtsumme ergeben sich dann 63.465,6 MBits. Demnach verbleiben auf der DVD-9 nur noch 72 MBits (63.537,6 – 63.465,6 = 72). Dies entspricht 9 MegaByte (72 MBits : 8 = 9 MByte) und genügt, um das 55-seitige Booklet der DVDProduktion und die Notenblätter zum Konzert, die beide zusammen 7,8 MegaByte Speicherplatz benötigen, als PDF-Dateien zusätzlich auf die DVD-9 zu speichern.
260
Standards/Spezifikationen
3.7 Kopierschutzverfahren Torsten Stapelkamp
3.7.1 Für ein paar Pixel mehr
Da sich digitale Daten schell austauschen und leicht über das Internet verbreiten lassen und es längst üblich ist, dass Musik und Videos digital vorliegen, sind die meisten Produzenten und Vertriebe von Ton- und Filmproduktionen daran interessiert, dass ihre Erzeugnisse nur im Rahmen strikter Vorgaben konsumiert und genutzt werden können. Viele von ihnen würden ihren Kunden gerne die Nutzungsweise exakt vorschreiben und sei es, um den Kunden zu nötigen, extra dafür vorgeschriebene Gerätschaften anzuschaffen. Die aktuell von der Filmindustrie angestrebten Kopierschutzverfahren degradieren den Kunden sogar zum untergeordneten Element einer Wertschöpfungskette. Dem Kunden soll der Zugriff auf die von ihm erworbene Ware möglichst weitreichend vorgeschrieben werden. Er wird offensichtlich nur als Nutzer und nicht als Kunde gesehen, dem lediglich stark reglementierte Nutzungsrechte angeboten werden. Sowohl die Musik-, als auch die Filmindustrie mussten schmerzhaft erleben, dass die Digitalisierung und das Internet zu neuen Vertriebsformen führte, deren Vorteile sie zunächst nicht zu nutzen wussten und an denen sie deshalb nicht beteiligt waren. Zudem gibt das Internet dem Kunden Werkzeuge an die Hand, die die klassischen Vertriebswege der Musik- und Filmbranche mitsamt ihren veralteten Vertriebsstrategien nahezu überflüssig machen. Schmerzhaft hat die Filmindustrie noch in Erinnerung, dass das von ihr eingeführte Kopierschutzverfahren CSS (Content Scrambling System) zur Verschlüsselung von DVDs bereits nach sehr kurzer Zeit durch die Open Source Software DeCSS ausgehebelt werden konnte. Dieses Erlebnis wurde wohl so sehr als Schmach empfunden, dass die Dienstleister und Anbieter der Filmbranche ihre Kunden seitdem offenkundig kollektiv zu Gegnern und potenziellen Raubkopierern erklärt haben und von nun an deren Bestreben nach freier privater Nutzung der von ihnen erworbenen Produkte (Inhalte, Dateien, Hardware, Software) möglichst umfassend kontrollieren wollen. Leider vergaßen die Entscheider der Filmindustrie den Blickwinkel derer, die sie nun zu ihren Marionetten machen möchten. Mit neuen Kopierschutzverfahren will die Filmindustrie ihren Kunden vorschreiben, wie oft sie einen Titel nutzen dürfen, in welcher Qualität und ob überhaupt eine Sicherungskopie erstellt werden darf. Zunächst klingt dies nach einem normalen Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Wer mehr zahlt, soll auch mehr bekommen. Und bekommen soll nur, wer auch bezahlt. Die Möglichkeiten, Raubkopien zu erstellen, sollen
261
3.7 Torsten Stapelkamp: Kopierschutzverfahren
aus verständlichen Gründen vermieden werden. Der einzige Haken besteht darin, dass die Filmindustrie ihren Kunden nicht nur den Nutzungsweg vorschreiben möchte, sondern bereits der Hardwareindustrie diktierte, was sie zu tun und zu lassen hat. Somit maßen sich privatwirtschaftliche Unternehmen an, nicht nur die Zugangswege zu Inhalten vorschreiben zu dürfen, sondern auch Einfluss auf die Abspiel- und Wiedergabe-Hardware zu erlangen, für deren Entwicklung und Produktion sie gar keine Leistung erbracht haben. Außerdem bemüht sich die Filmindustrie um die Entscheidungs hoheit über jene, für die sie eigentlich nur Dienstleister sein sollte. Wäre es nicht angemessener, die Entscheider der Filmindustrie würden sich selber hinterfragen, anstatt ihre Kunden in Generalverdacht zu nehmen, potentielle Raubkopierer zu sein? Schließlich sind sie es, die keinen Weg wissen, Produkte anzubieten, ohne ihren Kunden dabei für sie unnötige Neuinvestitionen abzuverlangen und unverhältnismäßige und behindernde Nutzungsvorschriften aufzubürden. Vielleicht sollte die Filmindustrie ihre Produkte besser behalten, wenn sie sich außer Stande sieht, diese kunden gerecht anzubieten. Die Digitalisierung und das Internet führten ohne Zweifel zu unrechtmäßigen Erwerb und zu unkontrollierbaren Vervielfältigungen geistigen Eigentums, was nicht immer im Sinn der Autoren und der Produzenten sein konnte. Es sind aber nicht die Gestalter und Autoren, die nach der Hoheit über die Geräte und das Konsumverhalten ihrer Kunden und Nutzer streben. Die Filmindustrie und natürlich auch die Musikindustrie sind es, die sich mit neuen Hard- und Softwarevorgaben die Bevormundung des Kunden erträumen und nun kurz davor sind, den Kunden zu einem kontrollierbaren Bestandteil ihrer Wertschöpfungskette zu degradieren. Nur so erhalten sie die volle Kontrolle von der Anschaffung bis zur Nutzung ihrer Angebote. Und die Gerätehersteller ließen sich von der Filmindustrie die Hand führen, man könnte auch sagen, sie ließen sich vorschreiben, welche Schutzmechanismen durch die Hard- und Software zu erfüllen sind. Schließlich wollen die Gerätehersteller am Markt, der sich im Rahmen der High-Definition-Thematik eröffnen könnte, beteiligt sein. Die Bekanntmachung der sehr umfangreich gestaltbaren interaktiven Möglichkeiten der HD DVD und der Blu-ray könnte im Rahmen dieser Kopierschutzmaßnahmen ganz vergessen werden oder erst gar nicht an Bedeutung gewinnen, wenn die HD DVD und die Blu-ray Disc nur als Datenspeicher für hochauflösende Filme betrachtet werden. Und die Kopierschutzstrategien der Filmindustrie könnten durchaus zu einer verständlichen Zurückhaltung der Käufer führen, so dass die Verbreitung der HD DVD und der Blu-ray Disc nur sehr schleppend verlaufen würde. Eine Investition in Produktionen, die in erster Linie das sehr interessante Potential an Interaktionsmöglichkeiten der neuen DVD-Formate und gar nicht so sehr die HD-Qualitäten nutzen wollen und sich deshalb nicht an diesen für
262
Standards/Spezifikationen
den Kunden bedenklichen Kopierschutzstrategien zu beteiligen bräuchten, würde sich dann für Entwickler und Autoren aber zunächst auch nicht lohnen (siehe dazu auch unter »Zukunft und Chancen der DVD-Formate« im Kapitel »Was sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 82].
Bisher gab es nur eine Ausnahme, bei der sich die Gerätehersteller gegenüber der Filmindustrie durchsetzten konnten. Die Filmindustrie wünschte sich einen komplexeren Kopierschutzstandard für legal aus dem Internet geladene Videos als den bereits existierenden CSS-Verschlüsselungsstandard. Die Hardwareindustrie bestand aber darauf, den CSS-Standard nicht verschärfen zu müssen, da sie ihren Kunden nicht die Implementierung neuer Standards für deren seit Jahren etablierte DVD-Aufnahme- und -Abspielgeräte zumuten und sich selber die daraus möglicherweise resultierenden Reklamationen ersparen wollte. Schließlich hätten komplett neue Produkte entwickelt werden müssen, und die hätten wiederum zu Kompatibilitätsproblemen führen können. Zudem wäre das Geschäft mit im Internet herunterladbaren Videos verzögert worden. Dieses Geschäft wird in Zukunft wohl stark abnehmen, da die Ausnahme spätestens seit Februar 2007 nicht mehr besteht. Das DVD-Forum11 und die DVD Copy Control Association12 haben einen neuen Standard für speziell entwickelte DVD-Rohlinge verabschiedet, mit dem das Brennen legal aus dem Internet geladener Videos möglich ist. Das neue DVD Format erhielt die Bezeichnung DVD Download. Somit konnte sich die Filmindustrie in ausnahmslos allen Aspekten des Kopierschutzes und der Nutzungseinschränkungen erfolgreich gegen die Hardwarehersteller und gegen die Interessen ihrer Kunden behaupten. Es ist durchaus möglich, dass nun der Erwerb mit legal im Internet heruntergeladenen Filmen für die meisten Kunden nicht mehr attraktiv ist. Die DVD Download ist eine CSS-geschützte DVD-R, die auf herkömmlichen DVD-Playern abspielbar sein soll. Der entscheidende Nachteil ist aber, dass sich das neue DVD Format nur mit neuen, speziellen DVD-Brennern brennen lässt. Und ob sich die bisherigen Brenn-Programme nutzen lassen ist nicht garantiert. Die erforderlichen Neuanschaffungen könnten sich bestenfalls für jene lohnen, die sich Filme auf DVD sichern wollen, die auf dem DVD-Markt nicht angeboten werden, da sich deren reguläre DVD-Produktion nicht lohnt. Warner Bros. kündigte z.B. an, entsprechende Seltenheiten als DVD Download anzubieten.
3.7.1.1 Einschränkungen durch HDMI und HDCP Zunächst erscheint
es verhältnismäßig harmlos, dass einige Forderungen der Filmindustrie dazu führen, dass HD-Daten von einem Abspielgerät wie z.B. einem HD DVD bzw. Blu-ray Disc Player über die Ausgänge verschlüsselt übertragen werden und anschließend von einem Wiedergabegerät (Fernseher, Beamer)
263
3.7 Torsten Stapelkamp: Kopierschutzverfahren
wieder entschlüsselt werden müssen. Dafür ist ein spezieller Anschluss erforderlich, HDMI (High Definition Multimedia Interface) genannt, der die Übertragung von Video- und Audiosignalen und die Interpretation der Codierung HDCP (High-bandwidth Digital Content Protection) ermöglicht. Dieser Anschluss sorgt dafür, dass Signale, die ein HD-Abspielgerät verlassen, nicht abgegriffen werden können. Geräte, die das HDCP-codierte Signal nicht entschlüsseln können, zeigen entsprechend kein Bild an bzw. ermöglichen nur die Wiedergabe analoger Signale. Zunächst sollte mit dem ICT (Image Constraint Token) die Darstellung grundsätzlich auf 960 × 540 Pixel beschränkt werden, wenn kein HDMIAnschluss vorliegt. Bisher wurden allerdings bereits so viele Geräte ohne HDMI verkauft, dass diese Einschränkung, bis auf Warner, kein Filmstudio anwendet. Dies könnte durchaus als kundenfreundlich bezeichnet werden, wenn es nicht ausschließlich der Sachzwang gewesen wäre, der die Filmindustrie zu diesem Zugeständnis gezwungen hat. Schließlich waren zumindest in den USA bereits zu viele Geräte ohne HDMI-Anschlüsse verkauft wurden. Bevor aber die Kunden ihre berechtigten Ansprüche erkennen und ihren Einfluss nutzen können, kommt in der Version 1.0 des Kopierschutzstandards AACS mit DOT (Digital Only Token) bereits eine aktualisierte Fassung des ICT, welches HD-Signale nur noch digital ausspielen lässt. Eine analoge Wiedergabe auf Geräten ohne HDMI-Anschlüsse wäre dann gänzlich unmöglich. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass HD DVDs bzw. Bluray Discs, die nur im Rahmen einer DOT-Einschränkung abgespielt werden können, entsprechend gekennzeichnet sein müssen. Wem es wichtig ist, Inhalte in HD-Qualität zu betrachten, der wird sich zwangsläufig nicht nur geeignete Abspielgeräte für HD DVDs bzw. Blu-ray Discs anschaffen müssen, sondern auch entsprechende Wiedergabegeräte (Fernseher, Beamer), die über einen HDMI-Anschluss verfügen. Computer müssen zudem über entsprechende Grafikkarten verfügen. HDMI-Anschlüsse sind allerdings nur zwischen Abspiel- und Wiedergabegeräten vorgesehen. Aufnahmegeräte (Camcorder, Digitalkameras etc.) sollen keine HDMI-Eingänge erhalten; das heißt, das Ausspielen von selbstproduzierten HD-Inhalten wird somit verwehrt oder zumindest behindert. Da HDTV den zukünftigen Fernseh-Standard darstellen soll, wird es immer mehr Geräte geben, darunter auch mobile Geräte, die über HDMIAnschlüsse verfügen. Dafür wurden extra kleine Mini-HDMI-Stecker und -Buchsen entwickelt. Wiedergabegeräte wie z.B. Fernseher und Beamer werden über mehrere HDMI-Anschlüsse verfügen, wobei mindestens einer in der Front montiert sein wird, um z.B. schnell eine Videokamera oder eine Digitalkamera anschließen zu können. Aufnahmegeräte werden aber nur über HDMI-Ausgänge verfügen.
264
Standards/Spezifikationen
3.7.1.2 Softwarebasierte Kopierschutzstrategien Es gibt zahlreiche
nzeichen dafür, dass die von der Filmindustrie eingeforderten KopierA schutzstandards die Interessen ihrer Kunden in massiver Weise sowohl auf der Hardware-, als auch auf der Softwareseite einschränken werden. Der implementierte Kopierschutzmechanismus AACS (Advanced Access Content System) führt z.B. dazu, dass es nicht möglich sein wird, 1:1-Kopien von den DVD-Nachfolgern HD DVD bzw. Blu-ray Disc zu erstellen. Private Sicherungskopien sollen möglich sein, machen aber die Anschaffung einer Brennsoftware erforderlich, die in der Lage ist, die Daten neu zu verschlüsseln. Ein Kopieren von HD DVDs bzw. Blu-ray Discs ist erst ab Version 1.0 von AACS möglich und auch nur dann, wenn dies vom Anbieter per MMC (Mandatory Managed Copy) zugelassen wird. Somit hängt auch die Möglichkeit, eine private Sicherungskopie erstellen zu dürfen, von der Zustimmung des Anbieters ab. Auf den HD-Rohlingen, die vom Prinzip her wie CD- bzw. DVD-Rohlinge mit Daten bespielt werden können, ist ein so genannter MKB (Media Key Block) gespeichert, der für eine Kopie eigentlich durch das OriginalMKB der HD DVD bzw. Blu-ray Disc ersetzt werden müsste, damit die Daten bei der Wiedergabe decodiert werden könnten. Dieser MKB lässt sich allerdings nicht austauschen, wodurch deutlich wird, wie sehr sich HDAnbieter darum bemühen, auch das Anfertigen von privaten Kopien zu verhindern. Dies ist nur ein Element des sehr umfangreichen Kopierstandards AACS, der sowohl bei der HD DVD, als auch der Blu-ray Disc Anwendung findet. Er arbeitet mit dem Verschlüsselungsstandard AES (Advanced Encryption Standard), der mit einem 128-Bit-Schlüssel codiert. Obwohl diese Codierung bestenfalls mit unverhältnismäßigem Aufwand zu knacken wäre, wurden die Abspielgeräte für HD DVD und Blu-ray Disc mit einer Vorkehrung ausgestattet, die das Abspielen von uncodierten Filmen unmöglich machen soll. Zunächst klingt dies alles sehr harmlos. Wer nicht beabsichtigt, unerlaubte Kopien von HD-Inhalten zu erstellen, könnte annehmen, sich unbesorgt diesen Vorgaben unterordnen zu können. Die wesentlichen Probleme der Kopierschutzmechanismen beziehen sich aber nicht darauf, dass ein unerlaubtes Kopieren verhindert wird. Dies wäre ohnehin unzulässig. Problematisch aber ist, dass privatwirtschaftliche Unternehmen, wie die Filmindustrie, auf dem besten Wege sind, die Entscheidungshoheit darüber zu erlangen, wie und mit welchen Gerätschaften Inhalte abzuspielen sind – ganz davon abgesehen, dass das sehr komplexe Zusammenspiel der Hard- und Softwareschutzmaßnahmen zwangsläufig zu Inkompatibilitäten zwischen den einzelnen beteiligten Komponenten führen wird. Selbst nach dreieinhalb Jahren treten mit der aktuellen Version 1.3 der HDMI-Anschlüsse immer noch Inkompatibilitäten mit dem HDCP-Kopierschutzsystem auf (siehe »HDMI« und »HDCP« in diesem Kapitel) [S. 282, 283]. Die Kunden
265
3.7 Torsten Stapelkamp: Kopierschutzverfahren
und die Hardwarehersteller werden dies zu ertragen haben, und nicht etwa die Entscheider der Filmindustrie, die die eigentlichen Verursacher dieser kundenunfreundlichen Behinderung sind. Die rigiden Schutzmechanismen sorgen nicht nur dafür, dass die Funktionsfähigkeit der Geräte beeinträchtigt wird, sondern sie verhindern auch Innovationen oder erschweren diese zumindest. Die Filmindustrie will nämlich nicht nur diejenigen, deren Käufen sie ihre Umsätze zu verdanken hat, zu kontrollierbaren Knechten ihrer Angebote machen, sondern sie will zudem der Geräteindustrie vorschreiben, was diese zu entwickeln und anzubieten hat. Sollte z.B. ein Hersteller den Kopierstandard AACS nicht in vollem Umfang erfüllen, oder sollte es jemals jemandem möglich werden, den Kopierschutz eines Gerätes zu knacken, so käme dieses Gerät auf eine schwarze Liste. Jedes Abspielgerät für HD DVD bzw. Blu-ray Disc verfügt über einen Device Key, der einerseits dazu dient, zusammen mit dem Media Key Block (MKB) auf dem HD-Datenträger (HD DVD, Blu-ray Disc) einen Entschlüsselungscode zu berechnen, und andererseits, jeden Gerätetyp identifizieren und indirekt manipulieren zu können. Es ist hier nicht die Manipulation durch den Besitzer an dem von ihm erworbenen Abspielgerät gemeint, sondern die Manipulation durch die Filmindustrie, die tatsächlich glaubt, sich das Recht nehmen zu können, fremdes Eigentum in seinen Leistungseigenschaften einschränken zu dürfen. Denn jeder Device Key eines Abspielgerätes, das berechtigt oder unberechtigt auf die schwarze Liste geraten ist, wird bei neu gepressten HD-Datenträgern abgespeichert. Wenn diese auf einem indexierten Gerät abgespielt werden, hinterlassen sie in einem dafür vorgesehenen Speicher im Abspielgerät einen Hinweis, dass dieses Gerät von der Filmindustrie als unerwünscht eingestuft wurde. Dies hat zur Folge, dass sich der Eigentümer des dann indexierten Gerätes nach dem Kauf eines neuen HD-Datenträgers nicht an der erworbenen und entsprechend teureren HD-Qualität erfreuen kann, sondern die Inhalte lediglich in Standard-Qualität (SD), z.B. der üblichen Qualität einer DVD (DVD-5 bis DVD-9 u.ä.), angezeigt bekommt. Selbst zuvor erworbene HD-Datenträger aus der Sammlung dieses Kunden, die zuvor noch die Filme in HD-Qualität wiedergaben, werden ab dieser Initialisierung nur noch die SD-Qualität freigeben, da alle HD-Datenträger den Datenspeicher auslesen können. Dieser Datenspeicher ist quasi der verlängerte Arm der Filmindustrie, die eine ganz eigenwillige Vorstellung von Kundenbindung zu haben scheint.
3.7.1.3 HD (High Definition) – Qualitätsmerkmal oder Trojaner? Es
sollte stets bedacht werden, dass die HD DVD und die Blu-ray Disc konkurrierende Systeme sind und dass die jeweiligen Konsortien daran interessiert sind, die Filmindustrie auf ihre Seite zu ziehen. Nicht zuletzt deswegen überboten sich die Konsortien gegenseitig in ihren Bestrebungen, einen
266
Standards/Spezifikationen
möglichst sicheren und umfassenden Kopierschutz zu ermöglichen. Wie weit Anbieter und Produzenten dabei gehen können, entscheiden auch die Kunden: einerseits dadurch, für welches System – HD DVD oder Blu-ray Disc – sie sich entscheiden, und andererseits dadurch, dass sie vielleicht lieber gänzlich auf HD-Inhalte verzichten, um Produkte vermeiden zu helfen, die dem Dienstleister mehr Einfluss gegenüber dem Kunden bieten als dem Kunden gegenüber dem Dienstleister. Wer ganz konsequent sein möchte, könnte den Erwerb all jener Produkte überdenken, die über HDMIAnschlüsse verfügen. Es stellt sich die Frage, was der Kunde ansonsten dafür erhält, wenn er sich freiwillig zum Knecht der Filmindustrie machen lässt. Lohnt es sich wirklich, sich für ein paar Pixel mehr dieser Umkehrung von Kundenerwartung und Dienstleistungspflicht auszusetzen? Gewiss – es sind nicht nur ein paar Pixel mehr, sondern es wird gerne von der Verfünffachung der PALAuflösung von 720 × 576 Pixel auf 1920 × 1080 Pixel berichtet. Dabei wird allerdings vergessen, dass sehr viele Fernsehgeräte, die mit dem Label »HD ready« optimierte High-Density-Qualität versprechen, nur eine Auflösung von 720 Zeilen aufweisen und demnach nur 144 Zeilen mehr haben als die PAL-Auflösung der HDTV-Vorgänger (576 horizontale Zeilen; DVD-Auflösung: 720 × 576 Pixel). Zusätzlich ist ein Betrachtungsabstand von zwei bis drei Metern vom Fernseher bis zum Sitzplatz zu berücksichtigen. Der Unterschied einer DVD-Darstellung in PAL-Auflösung und einer HD-Produktion ist dabei selbst dann nicht immer gravierend, wenn die höchste HD-Auflösung (1920 × 1080 Pixel) dargestellt wird. Insbesondere die Darstellung der höchstmöglichen HD-Qualität kann vom Nahen betrachtet durchaus beeindruckend sein. Wie viel davon aber auf der üblichen Fernsehbetrachtungsdistanz übrig bleibt, oder was davon das jeweilige Darstellungsgerät tatsächlich abbilden kann, sollte jeder selber für sich testen. Auf dem beigefügten Datenträger befindet sich der 3D-Animationsfilm »Elephants Dream« (erstellt vom Orange Open Movie Team; Infos unter: www.elephantsdream.org) u.a. auch in der HD-Auflösung 1920 × 1080 Pixel (siehe auf der DVD im Ordner »Elephants Dream«) [DVD]. Zur Betrachtung dieses Videos am Fernseher genügt es, die beigefügte DVD im jeweiligen DVD-Player einzulegen und das dann in der Liste aufgeführte Video »07_elefants dream_hd.avi« auszuwählen. Die Voraussetzung ist allerdings, dass der DVD-Player AVI-Dateien abspielen kann. Dazu muss er DIVX-kompatibel sein. Ansonsten ist der Film an jedem Computer mit DVD-Laufwerk und entsprechender Software (z.B. Quicktime) abspielbar. Sollte die Auflösung des Computermonitors geringer sein als die HD-Auflösung 1920 × 1080 Pixel, wird von oben links ausgehend nur ein entsprechend kleinerer Ausschnitt dargestellt. Außerdem ist zu beachten, dass die Datei 815 MB groß ist und einen entsprechend schnellen Prozessor zum Abspielen erfordert. Bereits das Öffnen der Datei kann einige Zeit in Anspruch nehmen.
267
3.7 Torsten Stapelkamp: Kopierschutzverfahren
Beim 3D-Animationsfilm »Elephants Dream« fällt auf, das die Filminhalte und die Art der Darstellung sehr entscheidend zum Eindruck der Qualität beitragen. Die Bedeutung der Darstellungsgröße oder der Bildauflösung könnte dabei durchaus in den Hintergrund treten. An Hand eines solchen Beispiels sollte die Frage erlaubt sein, von welcher Qualität man beim HDTV eigentlich ausgehen möchte. Denn seit wann wird die Qualität eines Films, einer Dokumentation oder einer Unterhaltungssendung durch die Vergrößerung der Darstellungsfläche bzw. der Auflösung bemessen oder gar bereits ausschließlich dadurch erreicht? Und sollte ein vermeintlicher Qualitätsvorteil nicht stets mit seinen Konsequenzen abgewogen werden, selbst wenn der Qualitätsvorteil deutlich spürbar und bisweilen beeindruckend ist? Schließlich handelt es sich bei den hier genannten Kopierschutzmaßnahmen um Vorhaben, die auf die Freiheit der Informationsgesellschaft gravierende Auswirkungen haben könnten, Vertriebsstrategien und Hardwarelizenzen vorschreiben und demokratische Grundrechte in Frage stellen. Die Filmindustrie verlangt quasi, dass das Schutzrecht digitaler Dateien höher zu bewerten sei, als die Grundrechte auf freie Wahl der Informationsbeschaffung, -verwertung und -verbreitung. Selbst die Eigenschaften der Aufnahme-, Wiedergabe- und Darstellungs medien glaubt die Filmindustrie vorschreiben zu dürfen. Bieten die Erwartungen, die in HD (High Definition) gesetzt werden, tatsächlich genug Qualitätspotential oder dient HD nicht nur als Vorwand bzw. Gelegenheit, um den Kunden neue Nutzungsregeln aufzuzwingen, die nur im Interesse der Filmindustrie sind, für den Kunden aber keine Vorteile bieten? Erwerben die Kunden mit der Erfüllung ihres Wunsches nach HDDarstellungsmöglichkeiten eventuell nicht in erster Linie ein Trojanisches Pferd? Bei genauer Abwägung der für den Anwender erreichbaren Vorteile durch HD und der direkten und indirekten Nachteile, die sich in Folge durch die Kopierschutzstrategien ergeben können, wird es fast zur demo kratischen Pflicht, zunächst Verzicht zu üben und sich mit der Bildqualität der klassischen DVD zufriedenzugeben. Das würde für den Anwender zu kaum spürbaren Einschränkungen führen, sollte die Filmindustrie nicht mehr zu bieten haben, als nur die Auflösung für Bild und Ton anzuheben. Zudem wäre es sehr preiswert, sich mit der eigentlich sehr ansehnlichen Qualität der DVD zu begnügen. Die Nutzung der HD-Auflösung macht schließlich die Neuanschaffung aller bisherigen Geräte erforderlich (Fern seher; HD DVD bzw. Blu-ray Disc Player; Beamer; Computermonitor, Grafikkarte etc.). Da würden einige tausend Euro zusätzliche Kosten zusammenkommen. Und man darf mit dem neuen und teuren Equipment nur abspielen, aber nicht aufnehmen. Welcher Kunde macht so etwas freiwillig mit, nur um der Filmindustrie Kopierschutztechnologien zu ermöglichen und zu finanzieren, die er zudem
268
Standards/Spezifikationen
weder benötigt noch bestellt hat. Die Nutzung der HD-Technologie ließe sich ohne diese Kopierschutzmaßnahmen erheblich preiswerter und kundenfreundlicher erreichen. Davon abgesehen gehört das, was die Filmindustrie zu bieten hat, zwar zu einem sehr unterhaltsamen Bestandteil des Alltags, aber ist dieser tatsächlich so dringend erforderlich, dass man dafür die elementaren Nachteile, die sich durch die Kopierschutzstrategien für jeden einzelnen Nutzer und sogar für die gesamte Gesellschaft ergeben könnten, hinnehmen möchte?
3.7.1.4 IPTV als Alternative Es sollte nicht vergessen werden, dass sich durch
13 www.tdgresearch.com
14 www.infonetics.com
das Internetfernsehen, das IPTV (InternetProtokoll TeleVision), ganz neue Möglichkeiten des Fernsehens ergeben, die sich bereits mit einem relativ preiswerten Standard-Computer mit Internetanschluss nutzen lassen und eine Alternative oder zumindest eine Ergänzung zum bisherigen Fernsehen darstellen. Gewiss, die Bildqualität steht dabei nicht im Vordergrund, dafür können sich aber beachtliche, in diesem Zusammenhang nur selten genutzte Interaktionsmöglichkeiten ergeben bzw. extra dafür vorbereitet und bereitgestellt werden. Mit den Technologien der HD DVD und der Blu-ray Disc wären zwar eben diese und ähnliche Interaktionsangebote auch denkbar, wenn die Filmindustrie die Entwicklung in diese Richtung durch ihre behindernden Kopierschutzstrategien nicht nahezu unmöglich machen würde. Es fehlt ihr offensichtlich die Phantasie, in den neuen DVD-Formaten mehr zu sehen als nur Filmkonserven. Nicht zuletzt deswegen ist zu hoffen, dass sich das Angebot des Internetfernsehens noch weiter entwickeln wird. Laut der Studie »The Evolution of IPTV« der »Diffusion Group«13 wird allerdings bis 2010 die Zahl der Haushalte, die IPTV nutzen, weltweit erst von bisher zwei auf 34 Millionen angewachsen sein. Laut dieser Studie wird es in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien zusammen nur 12,2 Millionen Haushalte geben, die bis 2010 IPTV nutzen werden. Immerhin ist eine Wachstumsrate von jährlich 60% zu verzeichnen, so dass sich durch das IPTV auf Dauer eine für den Kunden positive Konkurrenz zwischen den terrestisch-, kabel- und onlinebasierten Sendeanstalten und den Filmstudios ergeben könnte. Das US-amerikanische Marktforschungsinstitut »Infonetics«14 sieht die Entwicklung ausschließlich positiv und geht davon aus, dass es bis 2009 weltweit sogar 68 Millionen Haushalte geben wird, die IPTV nutzen werden. Dass das IPTV eine reizvolle Alternative zum Angebot der Filmindustrie darstellen kann, ist zudem unter »InternetProtokoll TeleVision (IPTV)« im Kapitelabschnitt »Fernsehstandards« nachzulesen [S. 206].
Selbst die Chancen, die sich durch das IPTV böten, könnten von der Filmindustrie, aber auch von den Sendeanstalten, verbaut werden, wenn es die Kunden zulassen. Microsoft entwickelte das COPP (Certified Output Protection Protocol), mit dem die Datenübertragung zur Grafikkarte eines
269
3.7 Torsten Stapelkamp: Kopierschutzverfahren
Computers überprüft wird und mit dem die Filmindustrie und die Fernsehsender bestimmen könnten, über welche Anschlüsse ein Film in welcher maximalen Bild- und Tonqualität ausgespielt oder ob er überhaupt dargestellt wird. Dies kann individuell, gerätebezogen und in Echtzeit justiert werden. So kann z.B. festgelegt werden, ob von einer Fernsehsendung eine Kopie angefertigt werden darf, oder ob dies nur bestimmten Empfängern zugebilligt oder grundsätzlich jedem vom Rechteinhaber untersagt wird. Ein wichtiger Bestandteil unserer Wissenskultur und ihrer Entwicklung – und dazu gehört auch das Archivieren von Wissen im privaten Rahmen – würde unabänderlich in die Hände der privatwirtschaftlichen Filmindustrie und der privaten Fernsehsender gelegt werden. Die Möglichkeit, Sicherungs kopien oder Kopien für den privaten Gebrauch oder für die Lehre und Forschung anlegen zu dürfen, würde der Entscheidung und dem Wohl wollen privatwirtschaftlicher Konzerne überlassen.
3.7.1.5 Synergie und Koexistenz Um sich den Bevormundungen durch
die Filmindustrie zu entziehen, werden wohl viele potenzielle Kunden der vermeintlich schönen HD-Welt fern und der »alten« DVD treu bleiben. Eigentlich ist dies auch zu wünschen. Schließlich will die AACSLA (Advanced Access Content System Licence Administration) den Kopierschutzstandard AACS noch weiter verschärfen. Die AACSLA ist ein Zusammenschluss der Firmen IBM, Intel, Microsoft, Sony, Toshiba, Walt Disney und Warner Bros., der zeigt, dass die Hardware- und die Filmindustrie diese restriktiven Maßnahmen gemeinsam verantworten. Die treibende Kraft scheint allerdings die Filmindustrie zu sein. Für sie ist ein offenes und tolerantes Verhältnis unter den Entwicklern und zwischen Kunde und Anbieter viel weniger notwendig als für die Hardwareindustrie. Die Filmindustrie scheint nicht die Vorteile und die Synergien zwischen den Hardware-, den Software- und den Inhalteentwicklern erkannt zu haben, die sich in der Vergangenheit auch zu Gunsten der Filmindustrie aus dem für den privaten Gebrauch bestimmten Digitalisieren und Kopieren der Musik- und Filmerzeugnisse ergaben. Die Hardwareindustrie weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig offene Standards und ein tolerantes Umfeld unter den Entwicklern und zwischen dem Kunden und den Hardwareanbietern ist, um neue Möglichkeiten zu erkennen und sich weiterentwickeln zu können. Nur innerhalb eines offenen, toleranten Systems sind Weiterentwicklungen und ein koexistierendes Fürund Miteinander möglich. Ansonsten ergibt sich nur ein Nebeneinander, welches immer dann auf die Probe gestellt wird, wenn die gegensätzlichen Systeme bzw. Strukturen aufeinandertreffen. Da die Filmindustrie mit den von ihr geforderten Kopierschutzmechanismen potenziellen Kunden nur ein Nebeneinander anzubieten bereit ist, verfehlen die Entscheider der
270
Standards/Spezifikationen
Filmindustrie ihre Aufgabe als Dienstleister. Eigentlich ist es üblich, dass die positiven Eigenschaften eines konkurrierenden Umfeldes dafür sorgen, dass ein Anbieter auf die Meinungsäußerung des Kunden angewiesen ist. Was für den Kunden den perfekten Zustand der Qualitätssicherung und ein Höchstmaß an Dienstleistungsbereitschaft gewährleistet, bedeutet für den Anbieter, der die Dienstleistungsansprüche des Kunden respektiert und achtet, eine Herausforderung, um sein Innovationspotenzial auf die Probe zu stellen. Nur in einem solchen Umfeld entstehen Innovationen. Manchen Anbietern scheint es offensichtlich zweckdienlicher zu sein, ihre Kreativität dahingehend zu investieren, lieber einer Abhängigkeit des Kunden gegenüber dem Anbieter den Weg zu ebnen, als sich als Dienstleister im Sinne dieses Wortes zu betätigen. Es ist nicht zuletzt eine Charakterfrage, für welche Richtung sich ein Anbieter entscheidet. Die Entscheider der Filmindustrie scheinen sich für einen eingleisigen Weg entschieden zu haben, in dem die Interessen der Kunden kaum mehr eine Rolle spielen sollen. Wenn die Filmindustrie den Gebrauch ihrer Produkte und Dienstleistungen mit Hilfe von AACS und COPP so steuern und manipulieren kann, dass ihre Kunden auf allen Ebenen von ihrem guten Willen abhängig gemacht werden, könnte diese Macht über den Kunden zu einem Zustand führen, der über den einer Monopolisierung noch weit hinausgeht.
3.7.1.6 Kopierschutzstrategie versus Innovation Worin besteht eigent-
lich das Innovationspotential der Entscheider in der Filmindustrie? Anstatt ihr Potential für Verhinderungsstrategien einzusetzen, könnten sie innovative Konzepte erdenken, um z.B. die neuen Interaktionsmöglichkeiten, die sich mit der HD DVD und der Blu-ray Disc ergeben, auszuloten. Wenn man bedenkt, dass gerade bei den finanziell aufwändigen Hollywood-Produktionen bis zu 30 Prozent des Geldes von Hedgefonds-Managern und PrivateEquity-Investoren stammen, wirkt es gleich weniger verwunderlich, dass die Einführung des HDTV nicht in erster Linie einem Qualitätsbewusstsein entspringt. Da sich durch diese Finanzierungsstruktur das Bestreben der Filmindustrie nach Innovation zwangsläufig von den Interessen ihrer Kunden weg und in erster Linie ausschließlich in Richtung einer Beschleunigung der Profitmaximierung hin verlagert, hat die Filmindustrie ihren Zuschauern bis jetzt nicht viel Neues zu bieten. Sie behauptet zwar stets, ihre sehr umfassenden Kopierschutzstrategien mit der digitalen Verfügbarkeit und der hohen Auflösung der HD-Inhalte rechtfertigen zu können, übersieht dabei aber sowohl die Verhältnismäßigkeit der Mittel als auch den Umstand, dass »HD« nicht zwangsläufig ein Qualitätsmerkmal darstellt und dass ein Film, wenn es sich um einen schlechten Film handeln sollte, ein schlechter Film bleibt, auch wenn er mit einer HD-Auflösung produziert wird. Sowohl die Notwendigkeit der aktuell entwickelten Kopierschutzstrate-
271
3.7 Torsten Stapelkamp: Kopierschutzverfahren
gien für HD-Inhalte, als auch die Bedeutung und Notwendigkeit der HDQualität werden von der Filmindustrie bisweilen weit überzogen dargestellt, um inakzeptable Kopierschutzstrategien gegenüber den Kunden und auch gegenüber Politikern rechtfertigen und neue Gesetze durchsetzen zu können, die ausschließlich für die Filmindustrie und ihre Investoren von Nutzen sind. Die Entscheider der Filmindustrie werden sich durchaus darüber im Klaren sein, dass sie mit ihren Kopierschutzforderungen Bürgerrechte und wesentliche Bestandteile der Informationsbeschaffung beschneiden und dass die von ihnen geforderten Nutzungsbedingungen, die sie als Kopierschutzstrategien tarnen, in erster Linie ihnen, aber nicht ihren Kunden dienen. Durch ihre Finanzstruktur ist die Filmindustrie zunehmend dazu genötigt im Sinne der Geldgeber zu entscheiden, die mit einer möglichst schnellen und umfangreichen Profitmaximierung zwar eine schwierige, aber dennoch eine viel leichter überschaubare und besser kalkulierbare Forderung stellen, als es die Zuschauer in ihrer Funktion als Kunden tun. Nicht zuletzt deswegen ist es absurd, den Zuschauern High-DefinitionProduktionen als Qualitätsprodukte aufschwatzen zu wollen, wenn ohnehin die Qualitätsregeln der anderen Geldgeber im Fordergrund stehen. Die Qualitätsvorstellungen bzw. die Vorgaben der Investoren machen es für die Filmindustrie erforderlich, ihre eigentlichen Kunden zu entmündigen und mit überzogenen Nutzungsregeln zum leicht kalkulierbaren Abnehmer ihrer Ware werden zu lassen. Die Einschränkungen, die der Kunde durch AACS und COPP hinnehmen soll, um Filme in HD-Qualität betrachten zu können, bergen in sich so schwerwiegende Einbußen für ihn und für ein Verständnis von Demokratie und freier Informationsbeschaffung, dass unter diesen Umständen der Wechsel von SD- zu HD-Qualität eher als Problem und nicht als Segen zu bezeichnen ist.
3.7.1.7 Broadcast und Audio Flags Wie weitreichend das Bedürfnis der
Filmindustrie und der Sendebetriebe ist, ihre Kunden zu behindern, anstatt sich darauf zu konzentrieren, ihnen eine Leistung zu erbringen, zeigt sich durch die Broadcast und Audio Flags. Dies sind Signale, die beim digitalen Fernsehen parallel zum Video- und Audiokanal gesendet werden können. Wenn ein Empfangsgerät für digitales Fernsehen (z.B. DVB-T, Settop-Box, Receiver etc.) entsprechende Eigenschaften aufweist, kann mit den Broadcast und Audio Flags geregelt werden, in welcher Qualität Inhalte empfangen werden können und ob bzw. wie oft man Kopien anfertigen und nutzen darf (weitere Details dazu siehe unter »DRM (Digital Rights Management)« in diesem Kapitel) [S. 278]. Da sich kaum jemand freiwillig ein solches Empfangsgerät kaufen würde, beabsichtigten insbesondere die US-amerikanische Filmindustrie und mit der FCC (Federal Communications Commission)15 einige der dortigen Fernsehbetreiber, ein Gesetz voranzutreiben, welches
die entsprechenden Eigenschaften solcher Geräte vorschreiben würde. Die Hersteller sollten per Gesetz dazu gezwungen werden, Empfangsgeräte nach entsprechenden Vorgaben herzustellen und zu vertreiben. Die Filmindustrie und die FCC glaubten, dazu berechtigt zu sein, solche Gesetze vorzuformulieren und einzufordern. Dem Kunden bliebe dann auf Dauer nichts anderes übrig, als nur diese Geräte zu erwerben, oder auf entsprechende Informations- und Unterhaltungsangebote zu verzichten. Da aber z.B. in den USA das analoge Fernsehen ab dem 01. Januar 2009 abgeschafft werden soll, bliebe dem US-Bürger ab dann keine Ausweichmöglichkeit mehr. Dass dieses Gesetz zunächst nicht rechtskräftig wurde, ist der EFF (Electronic Frontier Foundation), der ALA (American Library Association) und weiteren amerikanischen Organisationen zu verdanken. Dieser Zusammenschluss von Vereinigungen und Organisationen erwirkte am 6. Mai 2005 einen Gerichtsentscheid, mit dem festgelegt wurde, dass die USBehörde FCC nicht befugt sei, mittels der Broadcast Flag eine Regulierung vorzunehmen. Das Gericht untersagte, das Entwicklern von Empfangs- und Darstellungsgeräten (Fernseher, Rekorder, TV-Karten für Computer) das Implementieren bestimmter Eigenschaften in ihre Produkte gesetzlich vorgeschrieben werden könnte. Die MPAA (Motion Pictures Association of America) kündigte daraufhin an, vor den Kongress zu ziehen, um Broadcast Flag dennoch durchzusetzen16. »Public Knowledge« erstellte eine sehr anschauliche vierminütige Animation über die Folgen der Broadcast Flags in den USA und berichtet auf ihrer Website17 über die diesbezüglich aktuellen Entwicklungen. Was zunächst scheinbar nur die Amerikaner beschäftigt, wird auch bald in Europa von Bedeutung sein. Anbieter in Deutschland, wie z.B. der HDFernsehsender von Premiere18, »Premiere HD Film«, setzt bereits eine entsprechende von Premiere vordefinierte Settop-Box für den Empfang seines Bezahl-Fernsehens voraus. Bei dieser Settop-Box können per Broadcast-Flag alle analogen HD-Ausgänge abgeschaltet und die HDCP-Codierung für die HDMI-Ausgänge eingeschaltet werden. Premiere hat darauf offensichtlich keinen Einfluss. Wenn Sendeanstalten diesen Kopierschutzstandard nicht einsetzen, würden sie von der Filmindustrie keine Ausstrahlungsrechte für HD-Filme erhalten. Hier hat Google die Gelegenheit, sein ehedem und mittlerweile etwas angeknackstes smartes Image aufzupolieren, indem es das im November 2006 für 1,65 Millarden US-Dollar erworbene YouTube.com zur Alternative des Filmindustrieangebotes ausbaut, um dem Internetfernsehen, dem IPTV (InternetProtokoll TeleVision), den Weg zu ebnen. Dies wäre allerdings noch ein weiter Weg, da Angebote wie YouTube.com, oder in Deutschland myVideo.de, keine Alternative zum Fernsehen darstellen und dies auch gar nicht beabsichtigen. Sie zeigen allerdings, dass der Bedarf an Unterhal-
273
3.7 Torsten Stapelkamp: Kopierschutzverfahren
tung und Information von den Konsumenten höher bewertet wird als die Bildqualität bzw. Auflösung der dargebotenen Filme und dass die Selbstbestimmung bezüglich Auswahl und Umgang mit den dortigen Angeboten im Vordergrund steht. Diese Freiheit, die die Entscheider der Filmindustrie ihren Kunden entreißen wollen, erfährt dort eine sehr hohe Wertschätzung.
3.7.1.8 Digitale Video- und Audio-Wasserzeichen Das Kontrollbedürfnis
3.7.1.9 Das Überwachungsprogramm BD+ Eigentlich könnte man anneh-
der Filmindustrie geht so weit, dass in einer späteren Version des Kopierschutzstandards AACS sogar das Abfilmen der HD-Inhalte vom Monitor bzw. von einer Projektion verhindert werden soll. Mit AACS werden neben dem Audio- auch Videowasserzeichen möglich. Die Wasserzeichen machen einerseits das Verfolgen von Daten im Internet möglich und andererseits kann ein Abspielen der Dateien von der Hardware verweigert werden, wenn dieses Wasserzeichen fehlt. Die von der Firma VEIL Interactive Technologies entwickelte Videowasserzeichentechnologie trägt die Bezeichnung VEIL (Video Encoded Invisible Light Technology). Der Name des Wasserzeichens lautet V-RAM (VEIL Encoding Rights Assertion Mark). In den Camcordern der nächsten Generation könnten so genannte VEIL-Chips eingebaut werden, über die die Videowasserzeichen erkannt werden und die das Beenden der Aufnahme sofort veranlassen würden, sobald dies durch die jeweilige Festlegung der Wasserzeichen eingefordert würde. So könnten auch nur Ausschnitte eines Films vom Abfilmen ausgeschlossen werden. Das Videowasserzeichen wird zunächst als optionaler Schutzmechanismus der Filmindustrie bezeichnet und gilt offiziell nicht als Bestandteil des Kopierschutzstandards AACS. Man will wohl erst austesten, wie weit sich der Kunde freiwillig zum Befehlsempfänger der Dienstleister degradieren lässt. Dennoch wurde vorab im Dezember 2005 in den USA der Versuch gestartet, mit dem DTCSA (Digital Transistion Content Security Act) einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem vorgeschrieben würde, dass alle Analog-Digital-Wandler, Camcorder und Videorecorder mit dem VEILChip auszustatten wären und nach den Vorgaben eines Digital Rights Management (DRM) steuerbar sein sollten.
men, dass sich die bisher beschriebenen Kopierschutzbedürfnisse nicht mehr steigern lassen. Aber bei der Blu-ray Disc gibt es zusätzlich zum AACS noch das Kopierschutzverfahren BD+. Dies ist ein Softwareprogramm, mit dem Unregelmäßigkeiten im Datenstrom und an der Hardware überprüft und eine Wiedergabe verweigert werden kann, sobald das Programm eine Manipulation festzustellen glaubt. Fehlermeldungen sind bei solch sensiblen Überprüfungsmechanismen natürlich nie gänzlich auszuschließen.
274
Standards/Spezifikationen
Die Kunden dürfen dann bestimmt gnädig anfragen und um erneute Freischaltung bitten, wenn ihr teuer erworbener Blu-ray Disc Player mal durch eine Fehlmeldung die Wiedergabe verweigert. Hier sei daran erinnert, dass die HDMI-Anschlüsse und der HDCP-Kopierschutzstandard selbst nach dreieinhalb Jahren ihres Bestehens auch in der aktuellen HDMI-Version 1.3 immer noch nicht frei von Kompatibilitätsproblemen sind. Eventuell werden sich einige Kunden trotz einer Fehlfunktion erst gar nicht trauen anzufragen, da sie ja befürchten müssen, als Raubkopierer bzw. Nutzer von Raubkopien gebrandmarkt zu werden, auch wenn es sich nur um eine Fehlfunktion des Gerätes handeln sollte. Selbst wenn der Anbieter sich verständnisvoll zeigen würde und beim Beseitigen des Problems behilflich wäre, bleibt dem Kunden der Ärger und die Zeitverschwendung nicht erspart. Da ist es schon fast vernünftiger, gleich beim klassischen DVD-Player zu bleiben. Mit ihm tun sich für den Anwender keine schwer zu klärenden und vor allem für ihn überflüssigen Fragen auf. Interessant ist, dass das BD+-Überwachungsprogramm wie eine Viren suchsoftware online aktualisiert werden kann. Sollte jemals der Kopierschutz des Abspielgerätes geknackt werden, kann das Überwachungsprogramm aktualisiert werden, da die Blu-ray Disc Player über Internet anschlüsse verfügen. Sollte ein Kunde die Aktualisierung, aus welchen Gründen auch immer, verweigern, wäre er gleich der Unterstellung ausgesetzt, ein potenzieller Nutzer von Raubkopien zu sein. Mit solchen Details beschäftigen sich die Erdenker dieser Behinderungssysteme erst gar nicht. Sie bevorzugen Automatismen. Denn sobald die letzte Aktualisierung zu lange zurückliegt, kann das BD+-Überwachungsprogramm die Wiedergabe auch automatisch ausschalten und so die Nutzung des Blu-ray Disc Players verweigern oder zumindest den Nutzungsumfang für den Kunden einschränken. Zusätzlich zum BD+ können die Blu-ray Discs über ein ROM-Mark verfügen. Solch ein digitales Wasserzeichen könnte erforderlich sein, um überhaupt, wie bereits erläutert, Blu-ray Discs auf einem Player abspielen zu dürfen. So können Raubkopien erfolgreich vermieden werden, aber auch selbstgebrannte Kleinserien von privaten Kopien bzw. private Produktionen. Ein ROM-Mark werden nur lizenzierte Hersteller auftragen dürfen.
3.7.1.10 Weitere Folgen des Kopierschutzes Sollten die Kunden Geräte mit HDMI-Anschlüssen erwerben und die unverhältnismäßigen Kopierschutzstrategien der Filmindustrie hinnehmen und die HD DVD und die Blu-ray Disc auch dann noch kaufen, wenn diese mit den AACS-Kopierschutzmechanismen ausgestattet sind, wird die Film- und Hardwareindustrie eine unverhältnismäßig hohe Kontrolle über den Datenfluss zwischen Zu- und Abspielgerätschaften und auch über den Computer erhalten. Diese Verlockung würden sich – zu Lasten der Kunden und einer freien Informations-
275
3.7 Torsten Stapelkamp: Kopierschutzverfahren
beschaffung – weder die Film- noch die Fernseh-, Musik- noch die Computerspieleindustrie nehmen lassen. Auch zahlreiche Online-Dienste würden sich der neuen Kopierschutzmechanismen bedienen. Die Kopierschutzkette würde dann vom Abspielgerät (HD DVD- bzw. Blu-ray Disc Player), über die Wiedergabegeräte (Fernseher, Beamer) bis hin zu den Aufnahmegeräten (Camcorder, Analog-Digital-Wandler) und Editiergeräten (Computer) reichen. Kundeninteressen spielen dann nur noch eine untergeordnete Rolle. Der Kunde würde zum Bittsteller derer, die eigentlich seine Dienstleister sein sollten. Diese Folgen sind für viele potenzielle Kunden von HD-Produkten nicht direkt ersichtlich und bisweilen nur schwer nachvollziehbar. Wenn ein Kunde z.B. bestimmte Farbdrucker oder Kaffeemaschinen erwirbt, mit denen er sich wegen der Druckerpatronen bzw. der Kaffeepads in das Abhängigkeitsverhältnis des Versorgungs- bzw. Warenwirtschaftssystems eines einzigen Anbieters begibt, ist diese Abhängigkeit für den Kunden noch durchschaubar und in seinen Folgen für ihn abschätzbar. Digitale Video- und AudioSysteme, Computerbetriebssysteme und deren Komponenten sind allerdings zu komplex, als dass man da noch den Überblick behalten kann, ab wann die damit in Verbindung stehenden Systeme hilfreich, hinderlich oder in Zukunft sogar freiheitsbeschränkend sind. Die von der Filmindustrie eingeforderten Kopierschutzverfahren bieten privatwirtschaftlichen Unternehmen eine weit reichende Machtfülle, die, wenn auch unbeabsichtigt, zum Machtmissbrauch verleitet. Es stellt sich die Frage, ob die Kunden eine solche Machtfülle überhaupt zulassen, wenn sie sich erst einmal darüber klar werden, dass sie diese erst durch den Erwerb von Produkten mit HDMI-Anschlüssen und HDCP-Kopierschutzsystemen ermöglichen. Anbieter, die die Interessen ihrer Kunden ernst nehmen und bereit sind, ihnen als Dienstleister Produkte anzubieten, die für alle Beteiligten eine Wertschöpfung darstellen, kämen nie auf die Idee, die Intelligenz ihrer Kunden zu beleidigen und Systeme vorzuschreiben, mit denen beabsichtigt ist, den Kunden in eine unverhältnismäßige Abhängigkeit vom Anbieter zu drängen. Zur Wahrung des Urheberrechts und zur Sicherung der damit in Zusammenhang stehenden Umsatzmöglichkeiten für Autorenschaft, Produktion und Vertrieb gibt es in Deutschland, wie in ganz Europa, eine umfassende Rechtsprechung, die ein kommerzielles Vertreiben von Raub kopien unter Strafe stellt. Im deutschen Urheberrecht steht z.B. seit 2003, dass das Erstellen von Kopien unter Umgehen von »technischen Schutzvorkehrungen« illegal ist. Mit »technischen Schutzvorkehrungen« sind u.a. DRM-Systeme gemeint. Details zum Thema »Medienrecht und Verwertung« finden Sie im gleichnamigen Kapitel unter »Kopierschutz und Informationen für die Rechtewahrnehmung« [S. 626].
276
Standards/Spezifikationen
Als Anregung und Maßstab für eine mögliche Regelung zwischen Rechteinhabern und Nutzern von Rechten anderer ist die Copyrightregelung CreativeCommons19 zu erwähnen. Diese berücksichtigt und respektiert die Rechte und Interessen beider Seiten und ermöglicht die Vervielfältigung und Weiterverbreitung zu nicht kommerziellen Zwecken. Die Creative Commons-Lizenzen sind mehreren nationalen Länderrechten angepasst und haben in Deutschland bereits Rechtsgültigkeit erlangt. Zu empfehlen ist außerdem das über die Bundeszentrale für politische Bildung von Jeanette Hofmann herausgegebene Buch »Wissen und Eigentum«. Mit 15 Beiträgen wird ein Einblick gegeben, in welcher Beziehung die Verbreitung von Wissen und das Eigentum an Wissen stehen.
19 www.creative commons.org
3.7.2 CDA (Control Data Area)
3.7.3 CGMS (Copy Generation Management System)
3.7.4 CPPM (Content Protection for Pre-recorded Media)
3.7.5 CPRM (Content Protection for Recordable Media)
3.7.6 CSS (Content Scramble System)
Bespielte und industriell gepresste DVDs können werkseitig im so genann ten Control Data Area mit einem zum Dekodieren von Videodaten erforderlichen Schlüssel beschrieben werden, der ein Kopieren der DVD verhindern soll. Solche DVDs könnten nur mit einem DVD-R(A)-Rohling kopiert werden. Das »A« steht für »Authoring use« (siehe »DVD-R(A)« unter »DVD, HD DVD, Blu-ray Disc – selbst gebrannt« im Kapitel »Das sind DVD, HD DVD und Blu-ray Disc«) [S. 38]. Eine DVD-R(A) kann nur mit einem speziellen DVD-Brenner kopiert werden, der mehrere tausend Euro kostet. Bei dem handelsüblichen DVD-R(G)-Rohling (DVD General use) ist der Control Data Area bereits beschrieben und kann nicht mehr verändert werden.
Mit diesem System wird festgelegt, ob und wie oft eine DVD kopiert werden darf. Dadurch kann z.B. das Erstellen einer Sicherungskopie von einem rechtmäßig erworbenen Datenträger ermöglicht werden.
CPPM ist ein Kopierschutzstandard, der bei vorbespielten DVD-Audios anstelle von CSS eingesetzt wird.
CPRM ist ein Kopierschutzstandard, der bei wiederbespielbaren Daten trägern (DVD-RAM, DVD-RW) eingesetzt wird.
Mit dem Content Scrambling System (CSS) werden die Daten einer DVD-
277
3.7 Torsten Stapelkamp: Kopierschutzverfahren
Video verschlüsselt. Dieses System wurde aber sehr bald geknackt und konnte mit DeCSS entschlüsselt werden. Aus Sicht der Befürworter von DeCSS wurde DeCSS allerdings nur entwickelt, damit DVDs auch unter dem Betriebssystem Linux genutzt werden können. Da CSS im Gegensatz zu Linux nicht Open Source ist, wurde Linux von der CSS-Lizenzierung ausgeschlossen. DeCSS wird allerdings auch unter Windows eingesetzt, was die Befürworter in Erklärungsnotstand brachte. Am PC macht die Nutzung von DeCSS.exe nur zum Kopieren von CSS-geschützten DVDs Sinn. Nicht zuletzt deswegen ist die Nutzung von DeCSS in einigen Ländern (z.B. USA, Deutschland) illegal. Dennoch zeigt sich mit CSS und DeCSS, dass offene Standards, wie z.B. Linux, durch Kopierschutzmaßnahmen von den Produkten der Filmindustrie ausgeschlossen und dadurch für den Nutzer zwangsläufig unattraktiver werden; d.h. eine wichtige Konkurrenz im Markt der Betriebssysteme wird durch das Kopierschutzbestreben der Filmindustrie ausgesperrt. Mit einer gesunden Konkurrenzsituation hat dies nichts zu tun. Nach diesem Vorgehen setzen sich schließlich nicht die besseren Unternehmen durch, sondern nur solche, die den Kunden rechtzeitig von sich abhängig machen konnten. Aus Sicht der Filmindustrie hat CSS, neben der Tatsache, dass es sehr schnell geknackt werden konnte, einen weiteren entscheidenden Mangel. Es ermöglicht kein DRM (Digital Rights Management).
DTCP ist ein Kopierschutzsystem, das bei der Übertragung über digitale Schnittstellen (Firewire, USB, TCP/IP etc.) eingesetzt wird, um Audiound Videodaten vor unbefugtem Kopieren, Abfangen und Manipulieren zu schützen.
20 www.apple.com/de/itunes
278
Digital Rights Management ist keine Bezeichnung für ein spezielles Verfahren, sondern ein Sammelbegriff für ein vom Rechteinhaber vordefiniertes Rechtenutzungsverfahren, mit dem ein Rechteinhaber die Kopierbarkeit und die Wiedergabe von Dateien beschreiben und eingrenzen kann. So kann je nach Festlegung eine einmal heruntergeladene Musikdatei z.B. nur viermal abgespielt werden und müsste dann gekauft werden. Oder es werden die erworbenen Dateien (Video, Musik, Computerspiel, Software etc.) mit dem Namen des Käufers versehen, so dass Kopien, die ins Internet gestellt wurden, dem rechtmäßigen Besitzer zugeordnet werden können. Apple verwendet z.B. für seine über den iTunes Store20 erworbenen Sounddateien ebenfalls ein Digital Rights Management. Damit wird geregelt, dass die einmal erworbene Datei nur auf fünf unterschiedlichen Computern und auf endlos vielen iPods gleichzeitig genutzt werden darf. Zudem dürfen diese
Standards/Spezifikationen
Sounddateien unbegrenzt oft gebrannt werden. Mit dem DRM lassen sich demnach moderate Regelungen festlegen, die nicht zwangsläufig zu übertriebenen Einschränkungen für den Kunden führen müssen. Diese DRMEinschränkungen werden von Apple unter der Bezeichnung FairPlay geführt, sind aber nicht so fair, wie die Bezeichnung vermuten lässt. So lassen sich z.B. die über den iTunes Store erworbenen MP3-Dateien nur mit dem MP3 Player »iPod« bzw. der Software »iTunes« von Apple abspielen. Zudem können die MP3-Dateien nicht vom iPod in die Musikbibliothek eines Computers übertragen werden. Auch dann nicht, wenn der Erwerber der MP3Dateien mit dem Besitzer des Computers, auf den die Dateien übertragen werden sollen, identisch ist. Diese Monopolisierung führt dazu, dass sich die Kunden in Ermangelung der Alternativen ihrem Schicksal beugen und sich zunehmend mit jedem Erwerb von DRM-geschützten Dateien selber der Verbraucherrechte berauben, indem sie sich an einen einzigen Dienstleister binden, der je nach Marktabdeckung, die Vertragsbedingungen diktieren kann. Ab dann werden der Dienstleister zum tonangebenden Monopolist und der Kunde zum Dienstleister des Monopolisten. Auch Unternehmen wie Apple, die häufig eher als die sympathischen, kundennahen Anbieter gesehen werden, verfolgen mit ihrem DRM-System Strategien, die gerade in letzter Konsequenz nicht immer im Interesse der Kunden sein könnten. Hier sei allerdings erwähnt, dass sich der Apple-Chef Steve Jobs am 06. Februar 2007 mit seiner Bekanntgabe »Thoughts on Music« auf seiner Firmen-Internetseite öffentlich gegen den Kopierschutz aussprach und die Musikindustrie aufforderte, auf Digital Right Systems zu verzichten. Fairplay habe er nur eingeführt, da dies die Unternehmen EMI, Sony BMG, Universal und Warner in ihren Lizenzbestimmungen verschrieben. Diese Reaktion zeigt, wie sehr der Apple-Chef daran interessiert ist, das positive Image seines Unternehmens nicht zu gefährden. Sobald aber die Abhängigkeit eines Unternehmens vom Kunden schwindet, z.B. auf Grund der Marktpositionierung, verringern sich solche Bemühungen manchmal im gleichen Verhältnis. Wie dreist Beinahe-Monopolisten ihre Kunden bisweilen degradieren, machte z.B. die Firma Microsoft deutlich, indem sie ihren Kunden verbieten möchte, die von ihnen erworbenen Betriebssystemlizenzen als Gebrauchtware zu verkaufen bzw. vorschreiben möchte, dass ein solcher Verkauf der Zustimmung von Microsoft bedarf und auch nur nach den von Microsoft vorgegebenen Konditionen zu erfolgen hat. Dass bereits Beinahe-Monopole den Charakter durchaus verderben können, zeigte sich in einem speziellen Fall aus dem Jahr 2006, bei dem Anwälte von Microsoft offensichtlich unter Vortäuschung falscher Tatsachen die Durchsuchung von Geschäftsräumen und die Blockierung der Geschäftstätigkeit der Münchner Firma Usedsoft durch die Staatsanwaltschaft erwirkten. Die Firma Usedsoft kauft Betriebssystemlizenzen aus Konkursmassen auf und verkauft diese als Second-
279
3.7 Torsten Stapelkamp: Kopierschutzverfahren
hand-Artikel bis zu 50 % günstiger weiter. Das Unternehmen Microsoft sah dadurch wohl seine Position als Beinahe-Monopolist für Betriebssysteme gefährdet. Das allerdings die von Usedsoft angewandte Geschäftspraktik rechtssicher ist und die Behauptungen der Anwälte von Microsoft unhaltbar, wurde später durch die Staatsanwaltschaft München I unter dem Akten zeichen 302 Js 31931/06 bestätigt. Unter Umständen fühlte sich die Stadtverwaltung von München durch dieses kundenmissachtende Vorgehen durch Microsoft zusätzlich in der Entscheidung bestätigt, in Zukunft nicht mehr auf das Betriebssystem von Microsoft zu setzten, sondern in der gesamten Stadtverwaltung mit ca. 14.000 Computern auf das Betriebssystem Linux umzusteigen. Die Stadt Münchner setzt als Betriebsystem nun Debian GNU/Linux 3.1 mit der grafischen Oberfläche KDE 3.5 und OpenOffice.org 2 als Office-Paket ein. Schließlich ist nicht einzusehen, dass sich ein Dienstleister erdreistet über seine Kunden bestimmen oder gar verfügen zu dürfen. Die Stadt München setzt ein klares Zeichen für mehr Wettbewerb im Markt der Betriebssysteme und der Software und signalisiert, dass der Kunde die Entscheidungen trifft und sich der Dienstleister Vertrauen und Kundschaft stets von neuem zu verdienen hat. Da nun bei der Einführung des neuen Betriebssystem Vista von Microsoft sehr viele Kommunen vor der Entscheidung stehen, ältere Betriebssysteme gegen aktuelle auszutauschen und sich die Gelegenheit bietet, sich vom Beinahe-Monopolisten zu trennen, wird es interessant zu beobachten, welche Kommunen den Mut zum Wechseln aufbringen werden. Finanziell würde sich der Wechsel zum kostenfreien Open-Source-Betriebsystem Linux und zu einem Office-Paket aus dem Open-Source-Bereich auf längere Sicht definitiv lohnen. Außerdem sind die Kommunen in besonderer Weise dazu verpflichtet, die Rechte ihrer Bürger zu schützen und grundsätzlich jede Form von Monopolisierungen zu verhindern. Das Handeln der Kommunen kann hier auch als Vorbildfunktion fungieren. Die Praktiken einiger Anbieter machen schließlich deutlich, dass Monopolisierungen dazu führen können, dass Einschüchterungsversuche vom Monopolinhaber als probates Mittel angesehen werden könnten. Es wird aber auch deutlich, dass sich die Kunden durch den Erwerb der Produkte von Monopolen selber in Situationen bringen, aus denen sie unter Umständen nur noch durch richterliche Beschlüsse befreit werden können. Es sollte auch berücksichtigt werden, dass solche Prozesse durchaus langwierig und daher Existenz gefährdend sein können und dass es auf Dauer keine Garantie gibt, dass die einmal erworbenen demokratischen Rechte für immer und unter allen Umständen bestehen bleiben. DRM-Strategien können durchaus als ernst zu nehmende Versuche verstanden werden, mit denen privatwirtschaftliche Unternehmen austesten, wie weit sie die Rechte ihrer Kunden ohne Protest beschränken können. Das es bereits privatwirtschaftliche Unternehmen gibt, die sich sogar aktiv darum bemühen, dass die Rechtspre-
280
Standards/Spezifikationen
chung nicht im Sinne des Bürgers, sondern im Sinne privatwirtschaftlicher Unternehmensinteressen erfolgen, ist in diesem Kapitel unter »Broadcast und Audio Flags« nachzulesen [S. 272].
21 Lara Croft: Tomb Raider I & II Collector's Box (Concorde Video).
281
Mit einem Digital Rights Management sind sehr verschiedenartige Strategien möglich. Microsoft geht z.B. mit dem System Digital Asset Server so weit, dass e-books mit dem Namen und der Kreditkartennummer versehen werden sollen, um sicherzustellen, dass die Datei vom Käufer nicht weitergegeben wird. Eine etwas spielerische Variante stellt Fade dar. Dies ist eine vorprogrammierte Störung, die sich erst dann aktiviert, wenn vom System festgestellt wird, dass ein unrechtmäßiger Anwender in den Besitz einer nicht für ihn lizenzierten Version kam. Fade beendet nicht einfach die Nutzungsmöglichkeit, sondern lässt bei Computerspielen z.B. plötzlich und unerwartet die bereits errungenen Siege annullieren oder könnte die Waffen eines Kriegers stumpf werden lassen oder einen Film an entscheidenden Stellen unterbrechen. Zu ernsthaften Problemen kam es mit MS-DRM 2.0. Da es mehrere Versionen gibt, mussten bereits im Jahr 2004 einige Anwender feststellen, dass sich z.B. die HD-Dateien (WMV-HD) von Tomb Raider 221 im WindowsMedia-Player-Format nicht unter Mac OSX mit dem Windows Media Player for Mac OSX abspielen ließen. Dieser Player unterstützte nur die Version 1.0 und nicht DRM 2.0. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass diese Inhalte von DVDs stammen, die in Zusammenarbeit mit Microsoft entstanden und dass das Abspielen zwingend das Betriebssystem Windows XP vorschrieb, kann man sich vorstellen, dass DRM nicht in erster Linie dem Schutz vor Raubkopien dient, sondern u.a. auch dem Schaffen von Abhängigkeitsverhältnissen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Kunde den Hinweis auf die Betriebssystemvoraussetzungen nur nach langem Suchen in den Ordnern der DVD finden konnte. Die Industrie kann somit bestimmen, ab wann das Eigentum ihrer Kunden in Form von Software und Hardware nicht mehr nutzbar ist, auch wenn alle mechanischen Teile und alle Softwarepakete inklusive des Betriebssystems noch reibungslos funktionieren und eigentlich dem aktuellen technischen Stand entsprechen – nur eben nicht der aktuellen DRM-Version. DRM wird nicht ohne Grund auch mit »Digital Restrictions Management« bzw. mit »Digitaler Rechte Minimierung« übersetzt. Die Beispiele zeigen, dass das DRM zwar durchaus Regelungen bieten kann, die sowohl Anbieter als auch Kunde zufriedenstellen würden oder zumindest für beide Seiten akzeptabel wären. Allerdings bietet DRM für privatwirtschaftliche Unternehmen ein sehr weitreichendes Machtpotenzial. Deshalb sei hier ein weiteres Mal darauf hingewiesen, wie weit einige privatwirtschaftlichen Unternehmen gehen möchten. So wollen z.B. die Filmindustrie und u.a. der MPAA (Motion Pictures Association of America) einen Gesetzesentwurf durchsetzen, der den Herstellern von Empfangsgerä-
3.7 Torsten Stapelkamp: Kopierschutzverfahren
ten vorschreiben soll, nur dann Empfangsgeräte herstellen zu dürfen, wenn diese geeignet sind, über so genannte Broadcast und Audio Flags gesteuert zu werden. Broadcast und Audio Flags wurden für die digitale Ausstrahlung von Fernseh- und Audiosendern eingeführt. Wenn es ein Rechteinhaber verlangt, können die Fernsehanstalten dieses digitale Signal im Datenstrom des digitalen Fernsehprogramms senden. Entsprechend kompatible Empfangsgeräte können dieses Signal lesen und die Ausstrahlung dahingehend beeinflussen, dass z.B. je nach Bezahlung nur eine Standard-Qualität oder eine HD-Qualität wiedergegeben wird. Mit diesem Signal könnte auch das Anfertigen von Kopien eingeschränkt oder auch verhindert werden. Kopien könnten z.B. so präpariert werden, dass sie nur noch auf dem Gerät genutzt werden könnten, mit dem sie angefertigt wurden. Auch die Anzahl der wiederholbaren Nutzungen könnte vorgeschrieben werden. Es könnte sogar der Empfang grundsätzlich und gänzlich unterbunden werden. Diese Nutzerrechtevergabe kann individuell und in Echtzeit erfolgen. Mit den Broadcast und den Audio Flags könnte die Filmindustrie demnach jederzeit und individuell über den Funktionsumfang der Empfangsgeräte, die sich im Besitz ihrer Kunden befinden, verfügen. Die Entscheidung, eine Kopie für private Zwecke, zur privaten Archivierung oder für die Lehre und Forschung anfertigen zu können, läge nicht mehr beim Kunden, sondern beim Dienstleister. Diese Einflussnahme klingt bereits sehr umfangreich. Aber als die umfassendsten DRM-Systeme können wohl das AACS (Advanced Access Content System) (siehe unter »Für ein paar Pixel mehr« in diesem Kapitel) [S. 261] und das HDCP (High-Bandwidth Digital Content Protection) (siehe im nächsten Textabschnitt und unter »Für ein paar Pixel mehr« in diesem Kapitel) bezeichnet werden.
3.7.9 HDCP (High-bandwidth Digital Content Protection)
22 www.intel.com. Informationen zur Lizensierung erfolgen über Digital Content Protection LLC: www.digitalcp.com.
282
HDCP, entwickelt von Intel22, ist ein Kopierschutzverfahren, welches in Verbindung mit den Anschlüssen DVI (Digital Visual Interface) und HDMI (High Definition Multimedia Interface) zum Einsatz kommen kann. Wenn Abspielgeräte durch Vorgaben, die z.B. von einer HD DVD bzw. Blu-ray Disc übermittelt werden, dazu veranlasst werden, Inhalte nur HDCP-codiert über die HDMI-Ausgänge abzugeben, müssen die Darstellungsgeräte (Fernseher, Beamer etc.) entsprechend in der Lage sein, diese codierten Signale zu interpretieren. Mit HDCP kann gesteuert werden, ob und in welcher Qualität neben der Wiedergabe auch das Kopieren von Inhalten zulässig sein soll. In erster Linie soll im Zusammenspiel des Kopierschutzstandards HDCP und des HDMI-Ausgangs das Abgreifen von Daten verhindert werden, die vom Abspiel- zum Wiedergabegerät übermittelt werden. Es ist kein Zufall, dass es nicht vorgesehen ist, Aufnahmegeräte (Camcorder, Digitalkameras etc.) mit HDMI-Eingängen auszustatten.
Standards/Spezifikationen
HDCP basiert in erster Linie auf den Wünschen der Filmindustrie, die unter dem Vorwand, sich gegen Raubkopien schützen zu müssen, eine lückenlose Abhängigkeit des Kunden vom Dienstleister konstruieren möchte. Für den Kunden ist es geradezu sinnlos, sich Geräte mit HDMI-Anschlüssen und HDCP-Kopierschutzsystem anzuschaffen, da den möglichen Vorteilen elementare Nachteile gegenüberstehen und sich für den Kunden zudem relativ hohe Investitionskosten ergeben (siehe unter »HDCP« im Text »Für ein paar Pixel mehr« in diesem Kapitel) [S. 263]. Angesichts der Tatsache, dass selbst die Fernsehsender davon ausgehen, dass HDTV erst in einigen Jahren ein Massenmarkt sein wird und man erst ab 2010 mit nennenswerten Zuschauerzahlen und ausreichend Produktionen in HD-Qualität rechnet, ist eine vorzeitige Anschaffung von Geräten, die die Betrachtung von HD-Qualitäten ermöglichen, nicht zu empfehlen. Erst recht nicht, wenn diese als Voraussetzung inakzeptable Einschränkungen durch HDMI-Anschlüsse und HDCP-Kopierschutzstrategien einfordern.
HDMI23 ist die Nachfolgeschnittstelle von DVI (Digital Visual Interface) und liegt bisher in der Version 1.3 vor. DVI und HDMI sind Entwicklungen der Firma Silicon Image24. Der Vorteil des HDMI-Anschlusses gegenüber dem DVI besteht darin, dass mit ihm nicht nur die HD-Video-, sondern auch die HD-Audio-Signale über eine einzige Leitung übertragen werden können. Seit dieser Version lassen sich auch die Audioformate DTS-HD, TrueHD und Dolby Digital Plus für HD DVD und Blu-ray Disc nutzen, weil seit der Version 1.3 eine Bitrate von 10,2 GBit/s übertragen werden kann. Um diese Übertragungsrate zu halten, ist aber ab einer bestimmten Länge des Kabels ein Verstärker erforderlich. Mit der hohen Bitrate von 10,2 GBit/s ist eine WQXGA-Auflösung von 2560 × 1600 Pixel übertragbar und eine Bildwiederholungsrate von bis zu 120 Hertz möglich. HDMI-Anschlüsse bilden die Verbindungsschnittstelle zwischen Abspielgerät (HD DVD- bzw. Blu-ray Disc Player, Digitalkamera, Camcorder etc.) und Darstellungsgerät (Fernseher, Beamer etc.). Für mobile Geräte (Digitalkamera, Camcorder, Handheld etc.) wurden extra kleine Mini-HDMI-Anschlüsse entwickelt. Erstaunlich ist, dass es bisher keine HDMI-Anschlüsse gibt, die auf den Kopierschutz HDCP verzichten. Dadurch ist es zurzeit noch unmöglich, selbst produzierte HD-Videos oder Digitalbilder zu überspielen. Es steht auch zu befürchten, dass Aufnahmegeräte mit HDMI-Eingängen erst gar nicht vorgesehen sind. Die Filmindustrie ist schließlich nur an HDMI-Ausgängen interessiert. Ihr vorrangiges Bestreben scheint es zu sein, nur ein Betrachten der von ihr gelieferten Inhalte zu ermöglichen und ein Ausspielen über HDMI-Ausgänge grundsätzlich zu vermeiden. Dies würde bedeuten, dass die Kunden die komplette und auch sehr kostspielige Neuanschaffung von
23 www.hdmi.com 24 www.siimage.com
283
3.7 Torsten Stapelkamp: Kopierschutzverfahren
Abspiel- und Wiedergabegerät in erster Linie vornehmen, um die Interessen der Filmindustrie zu befriedigen. Eine ergänzende Nutzung, die über das Wiedergeben von Inhalten der Filmindustrie hinausgeht, wäre dann auch für private Zwecke stark eingeschränkt oder eben auf SD-Qualität reduziert. Für die SD-Qualität sind die extrem hohen Investitionen in das HD-Equipment aber weder erforderlich noch beabsichtigt. Da kann man sich die Investition in Produkte mit HDMI-Anschlüssen gleich sparen. Nicht zuletzt deswegen wird HDMI auch mit »Here DoMinates the Industry« übersetzt. Sobald die direkten und indirekten Kunden der Filmindustrie Geräte mit HDMI-Anschlüssen kaufen, könnte es sein, dass sie sich nicht nur den Weg zur freien Nutzung inklusive des Kopierens von privaten und freien Inhalten versperren, sondern sie finanzieren freiwillig einen Verlust an freier Nutzung von digitalen Mediengeräten und zudem die Steigerung des Einflusses der Filmindustrie gegenüber ihren Kunden. Bisher kann man nur hoffen, dass es in Zukunft HDMI-Anschlüsse geben wird, die auf den Kopierschutz HDCP verzichten. Schließlich schreiben die HDMI-Spezifikationen den Kopierschutzstandard HDCP nicht vor.
25 Scaler sind Zusatzgeräte, die zwischen Abspiel- und Wiedergabegerät angeschlossen werden. Es gibt auch DVD-Player mit eingebautem Scaler
284
Die Spezifikationen für HDMI und HDCP werden von unterschiedlichen Herstellergruppen entwickelt, weshalb es bisher immer wieder zu Kom patibilitätsproblemen kam, die selbst dreieinhalb Jahre nach Einführung von HDMI auch mit der aktuellen HDMI-Version 1.3 nicht beseitigt werden konnten. Die Filmindustrie erwartete von den Geräteherstellern einen umfassenden Schutz vor Raubkopien und ist somit entscheidend dafür verantwortlich, dass ihre Kunden (für sie selbst vollkommen überflüssige) Zusatztechnologien finanzieren sollen, die zudem auf Grund ihrer Sensibilität und Komplexität miteinander nur schwer in Kompatibilität zu bringen sind. Angesichts der Tatsache, dass die Filmindustrie zahlreiche Titel ohnehin nur recht lieblos auf die Formate HD DVD und Blu-ray Disc kopiert hat, genügt es in der Regel, bei der klassischen DVD zu verbleiben und sich, wenn HD-Bildformate gewünscht sind, einen so genannten Scaler25 zu beschaffen, mit dem sich Halbbilder einer DVD (720 × 576 Pixel) in digitale Vollbilder in HDTV-Qualität (1280 × 720 Pixel) umrechnen lassen. Dies machen übrigens auch die HDTV-Fernsehsender ProSiebenHD und Sat.1 HD. Nur einige wenige Filme und Serien werden dort in echter HD-Qualität ausgestrahlt. Untersuchungen würden bestimmt ergeben, dass vielen Zuschauern bei den meisten Sendeinhalten der Unterschied zwischen echter und hochskalierter HD-Darstellung kaum auffällt. Vermutlich würde sich einmal mehr zeigen, dass nicht so sehr die Anzahl der Pixel, sondern in erster Linie die Qualität des Inhalts und die Möglichkeit der Interaktion einen relevanten Mehrwert für den Anwender bedeutet.
Standards/Spezifikationen
3.8 Dateien- und Ordnerstruktur Torsten Stapelkamp Das Abspeichern von Dateien auf Speichermedien setzt ein Dateisystemformat voraus, mit dem dieser Zustand verwaltet werden kann. Die Daten auf einer DVD-ROM werden im einheitlichen Dateisystemformat UDF (Universal Disk Format) in der Version UDF 1.02 angeordnet. UDF ist ein 1996 von der OSTA (Optical Storage Technology Association) definiertes Format für Datenspeicherung auf CD-RW und DVD und findet mit der Version UDF 2.5 auch bei den neuen DVD-Formaten Blu-ray Disc und HD DVD Anwendung. UDF ist das Nachfolgeformat von ISO-9660, sieht aber auch die Möglichkeit vor, das herkömmliche ISO-9660-Format zu verwenden, das z.B. auch von der CD-ROM her bekannt ist. Die DVD-Spezifikation definiert einen Hybrid aus UDF 1.02 und ISO 9660 mit dem Namen UDF-Bridge.
3.8.1 Dateienstruktur der DVD-Video
Eine DVD-Video ist eigentlich eine DVD-ROM mit einem festgelegten Verzeichnis- und Dateisystem. Dieses Dateisystem sieht vor, dass für eine DVD-Video und eine DVD-Audio die jeweils erforderlichen Dateien in entsprechenden Formaten vorliegen und in Ordnern mit vorgeschriebenen Bezeichnungen abgelegt sind. DVD-Player erkennen nur jene korrekt bezeichneten Dateien und Ordner und ignorieren alle anderen, weshalb man neben den vorgeschriebenen beiden Ordnern »VIDEO_TS« und »AUDIO_ TS« weitere Ordner speichern kann, ohne dass das Abspielen der Inhalte einer DVD-Video beeinträchtigt würde. Das Hauptverzeichnis bzw. die Bezeichnung der DVD darf außer einem Unterstrich keine Leer- oder Sonderzeichen haben. Der Ordner »VIDEO_ TS« (Video Title Set) wird vom DVD-Player auf der DVD gesucht und beinhaltet alle Video- und Audio-Dateien einer DVD-Video. Der Ordner »AUDIO_TS« (Audio Title Set) befindet sich ebenfalls auf einer DVD-Video, obwohl er für eine DVD-Video nicht zwingend notwendig ist. Schließlich befinden sich die Audio-Daten zusammen mit den Video-Dateien im Ordner »VIDEO_TS«. Aber einige DVD-Player erkennen die DVD-Video besser, wenn sich auf ihr auch der Ordner »AUDIO_TS« befindet. Der »AUDIO_TS«-Ordner ist ansonsten nur für die DVD-Audio von Bedeutung. In ihm befinden sich dann alle Audio-Dateien einer DVD-Audio. Erwähnenswert ist noch der Ordner »JACKET_P«, der nicht zwingend erforderlich ist, aber Teil der DVD-Video-Spezifikationen ist. »JACKET_P« steht für »Jacket Pictures« (Umschlagbilder). Auch diese Ordner-Bezeichnung ist exakt vorgegeben. Die in diesen Ordner abgelegten Bilddateien
285
3.8 Torsten Stapelkamp: Dateien- und Ordnerstruktur
könnten z.B. das Cover der DVD oder ein Firmenlogo darstellen. Diese Bilder würden beim Stillstand des DVD-Players am Fernseher an Stelle des Logos des DVD-Player-Herstellers dargestellt werden oder bei DVD-Wechslern im Display. Diese Darstellung wird allerdings nur von wenigen DVDPlayern unterstützt. Bei den Bildern müssen bestimmte Formatgrößen und Bezeichnungen eingehalten werden. Die Bezeichnungen der Bilddateien müssen als Dateinamen nach einem »J« als Anfangszeichen zwei »Nullen« und drei Unterstriche tragen und die Formatgrößen müssen für PAL und NTSC in den vorgegebenen Größen »Large«, »Medium« und »Small« vorliegen. Es ergeben sich folgende Bezeichnungen und Formatgrößen: PAL: J00___6L.MP2 (720 × 576 Pixel) J00___6M.MP2 (176 × 144 Pixel) J00___6S.MP2 (96 × 80 Pixel) NTSC: J00___5L.MP2 (720 × 480 Pixel) J00___5M.MP2 (176 × 112 Pixel) J00___5S.MP2 (96 × 64 Pixel).
Alle weiteren Ordner, die im Hauptverzeichnis der DVD kopiert werden, werden von DVD-Video-Playern nicht wahrgenommen, stören den Betrieb der DVD-Video aber auch in keiner Weise. Alle zusätzlich zu den drei oben beschriebenen Ordnern (VIDEO_TS, AUDIO_TS, JACKET_P) kopierten Dateien können ausschließlich am Computer genutzt werden. Dies könnten interaktive Applikationen sein, die z.B. mit der Autorensoftware »Adobe Flash« oder »Adobe Director« erstellt sind. Es können dort aber auch PDFDateien oder Dateien in anderen Formaten abgelegt werden, die ausschließlich für den Gebrauch am Computer bestimmt sind und die Inhalte der DVD-Video ergänzen. Wenn in Hinweisen zu lesen ist, dass sich auf dem ROM-Teil einer DVD Dateien befinden, sind eben jene Dateien gemeint, die über die Dateien für die DVD-Video hinaus auf einer DVD abgelegt wurden. Der Video Manager besteht aus zwei bis drei Dateien: ■ VIDEO_TS.IFO (Video Manager Information) ■ VIDEO_TS.BUP (Backup der Video Manager Information) ■ und optional VIDEO_TS.VOB (Video Object Set) für das Video Manager Menü. Im Ordner »VIDEO_TS« können sich folgende Dateien befinden: ■ VIDEO_TS.IFO: Diese Datei beinhaltet den Index des Hauptmenüs und ist Teil des Video Managers. Alle weiteren IFO-Dateien beinhalten die Indizes (Inhaltsverzeichnisse) der übrigen Video Title Sets (hier: VTS_01_0.IFO). Maximal sind 99 Video Title Sets möglich.
286
Standards/Spezifikationen
Video Title Set Nr. 1 (maximal 99): VTS_01_0.I F O = Video Title Set Information des 1. Video Title Set VTS_01_0.VOB = Video Title Set Menü des 1. Video Title Set (optional) VTS_01_1.VOB = 1. Video Object Set Title des 1. Video Title Sets ... VTS_01_9.VOB = 9. Video Object Set Title des 1. Video Title Sets VTS_01_0.BUP = Sicherungskopie der Video Title Set Information des 1. Video Title Sets Video Title Set Nr. 2: VTS_02_0.I F O = Video Title Set Information des 2. Video Title Set etc. ■ VIDEO_TS.BUP und VTS_01_0.BUP: Dateien mit der Endung »BUP« sind identische Kopien der Video Manager Information. Sie beinhalten eine Sicherungskopie der Indizes, damit kleine Kratzer auf der DVD das Abspielen nicht gleich unmöglich machen. Abb. 3.8.1 Solch eine Darstellung einer Dateienstruktur ergibt sich, wenn sich neben den Dateien für die DVD-Video noch weitere Dateien auf der DVD befinden.
■ VTS_01_0.VOB: Die VOB-Dateien (Videoobject) beinhalten neben dem Video maximal 8 Audiospuren, 32 Subpictures (Auswahlmarkierungen, Untertitel) und die Navigationsbefehle. Das Zusammenmischen dieser Einzelelemente in eine VOB-Datei wird auch multiplexing genannt. Der DVD-Player trennt diese Elemente bei der Wiedergabe, was demuxing genannt wird. Eine VOB-Datei kann nie größer sein als 1 GB, da die DVD nicht nur dem UDF-Dateisystem unterliegt, sondern auch zu ISO 9660 konform ist. Weil die meisten Filme auf Grund ihrer Länge mehr als ein GigaByte Platz auf der DVD beanspruchen, werden diese von der DVD-Autorensoftware in mehrere Teile zerlegt und als VOB-Dateien durchnummeriert (VTS_01_x.VOB). Bei dem Beispiel in der Abbildung [Abb. 3.8.1] befindet sich der Ordner »DVD-ROM« im Hauptverzeichnis und beinhaltet eine DVD-ROM-Version der DVD-Video-Produktion, mit der zusätzlich zur DVD-Video die umfangreicheren Interaktionsmöglichkeiten des Computers genutzt werden. Dieser Ordner kann einen beliebigen Namen tragen, er muss nicht »DVDROM« lauten (so wie bei dieser Abbildung). Das Beispiel entstammt der DVD »Antizipation – Die Ursache liegt in der Zukunft«. Sie wird im Kapitel »Projekte im Detail« ausführlich beschrieben [S. 388]. Die DVD-ROM-Version wurde bei diesem Beispiel mit der Autorensoftware »Director« erstellt. Für das Abspielen am Apple bzw. am PC wurde jeweils ein passender Player erstellt (»MAC_START«; »PC_START.exe«). Bei der Benennung aller Daten im DVD-ROM-Ordner sind die Konventionen der jeweiligen Betriebssysteme zu beachten.
3.8 Torsten Stapelkamp: Dateien- und Ordnerstruktur
3.8.2 Dateienstruktur der HD DVD
Die Dateien- und Ordnerstruktur der HD DVD ist der der DVD-Video/ DVD-ROM sehr ähnlich. Die HD DVD-Videostruktur beinhaltet allerdings erweiterte Versionen des herkömmlichen DVD Video Object (VOB) und der Video Navigation. Dazu zählt das Advanced Object, durch das u.a. ein komplexerer Umgang mit Grafiken und Texten und ein erweitertes Interaktionsangebot möglich werden. Durch die erweiterte Video-Navigation wird z.B. eine Interaktion ohne Unterbrechung der Bild- bzw. Audioausgabe möglich sowie ein synchrones Streaming von Video- und Audiodaten. Die Nutzungmöglichkeit der HD DVD in Kombination mit dem Internet erweitert zudem die Dateienstruktur. Eine HD DVD Produktion mit so genannte Advanced Content verfügt über mindestens zwei Verzeichnisse: 1. HVDVD_TS = beinhaltet das Hauptvideo, das Video Set für Advanced Content 2. ADV_OBJ = beinhaltet Playlist-Dateien, Advanced Applications und eventuell das Secondary Video Set, ein weiteres Video, das parallel zum Hauptvideo abgespielt werden kann.
Advanced Content = Die VIDEO_TS-Struktur, die von der DVD-Video her bekannt ist, wurde ersetzt durch die Playlists, die Primary und die Secondary Video Sets, die Advanced Subtitle Applications und die Advanced Applications. Advanced Content ist eine Kombination aus einer oder mehreren Playlist-Dateien. Es muss mindestens • eine Playlist-Datei geben, die der HD DVD Player beim Start der HD DVD laden kann. einem Primary Video Set. Es kann nur genutzt werden, wenn • es sich auf der HD DVD befindet. keinem oder einem Secondary Video Set. Auf der Scheibe • kann sich nur eines befinden. Weitere Secondary Video Sets können sich im Gegensatz zum Primary Video Set auch in anderen Verzeichnissen von internen oder externen Speichermedien oder in einem Netzwerk befinden. keinen oder mehreren Advanced Applications. • keinen oder mehreren Advanced Subtitles. •
288
Standards/Spezifikationen
Advanced Applications = Die Advanced Applications sind ein Bestandteil des Advanced Content. Advanced Applications können mit Text- oder XML-Editoren erstellt werden. Jede Advanced Application beinhaltet eine Hauptdatei. Dies ist ein XML-Dokument, mit dem • Folgendes definiert bzw. ausgelöst wird: Initialisierung der Markup-Datei, sobald die • Applikation gestartet wird. Ausführen von Skripten, sobald die Applikation • gestartet wird. Positionierung und Skalierung der Applikation. • eine oder mehrere Script Files. • eine oder mehrere Markup Pages. • ein oder mehrere Advanced Elements. • Advanced Applications können vielfältige Eigenschaften bzw. Funktionen haben. Hier einige Beispiele: Ein interaktives Menü, das über einem Video erscheint. • Ein Menü mit Rollover-Aktivitäten und optischen bzw. • akustischen Rückmeldungen. Eine Darstellung, bei der das Video kleiner skaliert wurde, • um zusätzlich Grafiken und/oder Texte einzublenden, die einen direkten Bezug auf Details im Video nehmen. Kommentare des Regisseurs, die sich als Bild-in-Bild direkt • zum Video einblenden lassen. Parallel und synchron verlaufende Einblendung des Dreh• buches zum Film. Ergänzende interaktive Spiele. • Inhalte, die über das Internet aktualisiert werden bzw. durch • die Internetverbindung dynamisch veränderbar sind und somit eine wahrhaftige Interaktion ermöglichen. Hier ist zu beachten, dass alle HD DVD Player über einen Onlineanschluss verfügen. Folgendes ist nicht möglich: 3D Rendering ist nicht möglich. • Die Rotation von 2D-Abbildungen ist nicht möglich. • Vektorgrafiken und deren Eigenschaften können nicht • genutzt werden. Audio-Dateien können nicht aufgezeichnet werden. • Webbrowser oder andere Formen der HTML-Darstellung • werden nicht unterstützt und können über die HD DVD Player nicht gestartet oder abgebildet werden.
289
3.8 Torsten Stapelkamp: Dateien- und Ordnerstruktur
Advanced Data = Primary Video Set, Secondary Video Set und Advanced Elements werden unter der Bezeichnung »Advanced Data« zusammengefasst. Advanced Elements = Mit Advanced Elements sind Bilder (JPEG, PNG, MNG (Motion PNG), CIF (Capture Image Format)), Audio-Dateien, Fonts (OpenType) und Texte gemeint. Advanced Navigation = Playlist, Hauptdateien, Markups und Skripte werden unter der Bezeichnung »Advanced Navigation« zusammengefasst. Advanced Subtitle = Ein Advanced Subtitle kann alternativ zu einem Subpicture Stream eingesetzt werden, aber nicht gleichzeitig mit ihm. Jeder Advanced Subtitle beinhaltet: eine Hauptdatei, • eine Markup-Datei, • eine Font-Datei. • Advanced Subtitle Applications = Subtitle Applications werden in der Subtitles-Ebene dargestellt und sind vergleichbar mit den Advanced Applications, haben aber bei weitem nicht so viele Eigenschaften. Folgendes ist bei den Subtitle Applications im Vergleich zu den Advanced Applications nicht möglich: Sie können nicht zur Navigation genutzt werden. • Skripte und <event>-Elemente werden nicht unterstützt. • <area>