DON
JOHNSON Der Star aus MIAMI-VICE und seine Rock-Karriere von David Hershkovits
BASTEI LUBBE
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DON
JOHNSON Der Star aus MIAMI-VICE und seine Rock-Karriere von David Hershkovits
BASTEI LUBBE
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Band 61112
Deutsche Erstveröffentlichung © 1986 by David Hershkovits and 2M Communications © für die deutsche Ausgabe: Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach Printed in West Germany November 1987 Titelbild: Dick Zimmerman/Shooting Star Einbandgestaltung: Roland Winkler Satz: Fotosatz Böhm GmbH, Köln Druck und Bindung: Ebner Ulm ISBN3- 404- 61112- 8 Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
Danksagung
Ein Buch wie dieses hätte nicht geschrieben werden können ohne die Hilfe vieler Leute, die mir ihre Zeit geopfert und mich mit fachmännischem Rat unterstützt haben: Victor Bockris, Eric Bogosian, Richard Edson, Frank Edwards, Brigitte Engler, Susan Flinker, Kim Hastreiter, John Marvin, Stanley Mieses, Karen Moline, Eric Nadler, Miguel Pinero, Joel Rose und Michael Shore.
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Als Miami Vice im Herbst 1984 in den Programmheften angekündigt wurde, war es nur eine von 23 Räuber-und-Gendarm-Produktionen, die darauf hoffen ließen, eine zufriedenstellende Einschaltquote zu erzielen. Oder, um es mit den Worten eines US-Kritikers auszudrücken: »Fernsehzuschauer sind auf ihren Kanälen mehr Verbrecherjagden ausgesetzt, als Ashtabula in Ohio Polizisten auf seiner Lohnliste hat.« Seit der Cowboyfilmschwemme in den fünfziger Jahren hatte es nicht mehr ein solches Gedrängel von ballernden Helden im Äther gegeben:
Amateurdetektive, Bullen, Privatdetektive; Spezial- und Geheimagenten; Männer, Frauen und Kinder in und auf Streifenwagen, Motorrädern, Hubschraubern und allen möglichen frisierten Fahrzeugen, die das Böse bekämpften, wo immer es sein Haupt erhob.
CBS hatte Cover up mit dem (inzwischen leider verstorbenen) John-Erik Hexum und Jennifer O'Neill, und Murder She Wrote mit Angela Lansbury, als Neuerscheinungen im Programm neben ihren bereits laufenden Krimiserien Magnum, Cagney & Lacy, Scarecrow and Mrs. King, Simon &
Simon, Mickey Spillane und Airwolf — mit einem Hubschrauber als Hauptdarsteller. ABC kam mit drei Serien: Hawaiian Heat, Street Hawk und Jessie, mit Lindsay Wagner in der Hauptrolle, neu auf dem Bildschirm. Den Vogel unter den Fernsehanstalten schoß — mit neun Krimiserien — allerdings die NBC ab, wenn auch bei mäßigen Einschaltquoten, obwohl ihr mit Hill Street Blues vor kurzem ein großer Wurf gelungen war. Diese Trendwende, die sich schon mit The A-Team, Remington Steele und Knight Rider abgezeichnet hatte, sollte nun mit Partners in Crime, in der zwei stramme junge Damen, die blonde Loni Anderson und die brünette Linda Carter, die Hauptrollen spielten, mit Riptide, Hunter, Hot Pursuit und Miami Vice ihre Fortsetzung finden. Den US-Fernsehzuschauern genügt ein kurzer Vergleich ihrer aktuellen mit einem Stapel alter Programmzeitschriften, um zu erkennen, wie groß die Durchfallquote neuer Fernsehserien ist. Selten kommen sie über 13 Folgen hinaus; noch seltener schaffen sie den Sprung in die nächste Programmsaison. Doch das sollte nicht für Miami Vice gelten. Wie zuvor schon Hill Street Blues wird auch Miami Vice unsere Einstellung zu dem Medium Fernsehen verändern. In Fachkreisen war die Serie bereits vor ihrem ersten Sendetermin im Gespräch, freilich nur ihrer technischen Ausstattung wegen. Zu den epochalen Fortschritten, die das Medium Fernsehen auf seinem Weg ins 21. Jahrhundert begleiten werden, gehören Sendungen in Stereo. Miami Vice war die erste Serie, die diesen Versuch tatsächlich wagte.
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Don Johnson 1971 auf einer Party in Los Angeles
Sowohl der zwei Stunden lange Pilotfilm wie auch die ersten zwölf Episoden wurden in Vier-SpurStereoton aufgenommen, — ein Experiment, das für alle zukünftigen Fernsehserien beispielgebend sein sollte. Da jedoch zu jener Zeit nur wenige Fernsehgeräte für eine Stereowiedergabe ausgerüstet waren, bemühte man sich um Simultansendungen bei den Rundfunkstationen, die jedoch größtenteils kein Interesse daran zeigten. Dennoch war die Investition nicht völlig in den Sand gesetzt. Michael Mann erwartete sich von der Stereophonischen Aufnahmetechnik einen höheren Wiederverkaufswert der Mzami-F/ce-Episoden, falls sie später über VideoVerleih-Firmen oder über andere Lizenznehmer vertrieben werden sollten — also in einer Zeit, in der vermutlich schon mehr Haushalte mit StereoFernsehgeräten ausgerüstet sein würden. Ferner erregte Miami Vice durch sein Budget Aufsehen, das größer war als das der meisten TVSerien. Allein für den Pilotfilm wurden vier Millionen Dollar verbraten, und jede darauffolgende Episode verschlang noch einmal über eine Million Dollar in einer Industrie, wo die Produktionskosten für eine Folge selten das Limit von 800.000 Dollar übersteigen. Als Miami Vice dann im Herbst 1984 seine Premiere auf der Mattscheibe feierte, schien das Geld gut angelegt zu sein. >Brandheiß< hieß das Wort, mit dem das Erscheinen der neuen Serie begrüßt wurde.
Die NBC, von der US-Kritik als »die Fernsehanstalt der Nieten und Spinnweben« bezeichnet, war mit seinem Programm regelmäßig das Schlußlicht bei
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der Jahresstatistik der Einschaltquoten gewesen, bis Brandon Tartikoff das Zepter in der Unterhaltungssparte bei NBC übernahm. Risikofreudig, knapp 30 Jahre alt, war er in der Geschichte des Fernsehens der jüngste Direktor auf einem solchen Posten. NBC hatte zwar immer die erste Stelle in den Herzen der Kritiker eingenommen, jedoch die letzte bei den Fernsehkonsumenten, wenn sie eine Station mit unterhaltendem Programm in ihrem Gerät suchten. Tartikoff, Absolvent der Universität Yale, Protege des ehemaligen NBC-Bosses Fred Silverman, dessen Job er übernahm, als man Silverman 1980 den Stuhl vor die Tür gesetzt hatte, war als Kind ein Fernseh-Freak gewesen und in Freeport in Long Island aufgewachsen. Nun, da er selbst Fernsehunterhaltung produzieren durfte, gab es für ihn nur noch einen Weg: bergauf. Sollte er scheitern, war ihm das Beileid einer langen Reihe von Direktoren sicher, die vor ihm auf seinem Stuhl gesessen hatten. Auf dem Weg nach oben ließ er keine Chance aus — und versuchte es sogar mit einem sprechenden Orang-Utan, einem ebenfalls sprechenden Auto, einer Serie mit einer glücklosen Baseballmannschaft der Zweiten Liga und zahllosen anderen Ideen, die ihm am Herzen lagen, mangels brauchbarer Einschaltquoten jedoch von ihm gekillt werden mußten. In jüngster Zeit hatten sich jedoch einige Erfolge eingestellt. Er hatte zäh an Hill Street Blues festgehalten, obwohl die Resonanz der ersten Folgen sehr dürftig gewesen war. Er hatte Family Ties, St. Elsewhere und Cheers für NBC verpflichtet und
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dadurch seiner Fernsehanstalt den größten Zugewinn an Zuschauern in den wichtigsten Altersgruppen zwischen 18 und 49 Jahren gebracht. Das waren statistische Erfolge, die auf die Werbeagenturen Eindruck machten. Schließlich vermochten immer weniger TV-Sendungen bei der Vielzahl konkurrierender Angebote visueller Unterhaltung, zu denen jetzt auch Kabelfernsehen und Heimvideo kamen, ihren Sponsoren interessante Einschaltquoten vorzuweisen. Die Einführung von Videogeräten, Kabelanschlüssen, Satelliten-TV und anderer Programmträger, die das tägliche Unterhaltungsangebot für den Fernsehkonsumenten erheblich vergrößerten, hatten den Einfluß des
Don Johnson mit der Schauspielerin Pamela Miller auf einer Party im November 1971
Mediums Fernsehen auf den Zuschauer (und Werbekunden) verändert. Mit dem Hüpfen von Station zu Station wuchs auch der Appetit für das visuell Aufregende, und viele verfolgten einen einfachen visuellen Erzählfaden mit mindestens dem gleichen oder sogar größerem Interesse wie eine zu einem Plot verwobene Handlung mit einer entsprechenden Charakterisierung der Personen. Das erste amerikanische Video-Clip-Programm MTV revolutionierte mit seiner ständigen RockVideo-Diät das Musikgeschäft und machte aus einem ursprünglich rein akustischen auch noch ein visuelles Erlebnis. Die Rock-Video-Darsteller waren Jugendliche, oft nach der im Augenblick herrschenden Mode gekleidet, die man in den Serien der Fernsehanstalten nur selten zu sehen bekam. Das Bild zum Beat verstärkte den dramatischen Effekt, brachte einen neuen visuellen Rhythmus ins Fernsehen — einen, der besser zu der modernen Welt der ferngelenkten Raketen paßte —, und die durchschnittliche Länge eines MTV-Videoclips schien exakt mit der Zeit übereinzustimmen, mit der heutzutage Zuschauer einer Darbietung noch aufmerksam zu folgen vermögen. Warum sollte der Videoclip-Effekt — Rockmusik, einfache, unmittelbare Aufnahmetechnik ohne Rückblenden, Avantgarde-Kameraeinstellungen und jugendgemäße, in der Regel aggressive modische Akzente — nicht auch in einem ansprechenden Action-Drama verwendet werden ? Und so kam es, daß Tartikoff eines Tages die Worte >MTV-Bullen< auf ein Merkblatt kritzelte und dieses einem seiner bewährten Produzenten über-
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reichte. Solche Merkzettel waren eine von Tartikoffs Eigenheiten. Inspiriert von The Dirty Bozen und The Road Warrior, die er sich übers Wochenende angesehen hatte, schrieb er auf den Block: »ATeam: Die Glorreichen Sieben, das schmutzige Dutzend. Auftrag: Unmögliches und >Road Warrior< zu einem Film verbinden.« Die oben zitierten beiden Worte — >MTV-Bullen< — waren ein Kürzel für das, was Tartikoff in einer neuen Serie haben wollte: Musik, bestechende Bildregie, modisch gekleidete Helden, mit denen sich besonders jugendliche Zuschauer identifizieren konnten. Produzent Michael Mann hatte sich mittlerweile auf die Herstellung von abendfüllenden Filmen wie Thief und The Keep konzentriert, kehrte aber nun, als sich ihm die Aussicht bot, einen neuen Serienstil zu kreieren, zum Fernsehen zurück. Als ehemaligen Drehbuchautor für Starsky &Hutch und Police Station und preisgekrönten Regisseur des Zuchthausdramas The Jericho Mile reizte ihn, wie er sagte, an diesem Projekt, »daß er einen sehr zeitgemäßen, hochmodernen Stil in die Serie hineinbringen konnte.« Schöpfer der Serie war der Drehbuchautor Anthony Yerkovich, als Produzent und Autor von Hill Street Blues schon seit 3 Jahren auf diesem Gebiet erfolgreich. Nach Hill Street Blues hatte er eigentlich das Fernsehen aufgeben und sich auf abendfüllende Filme konzentrieren wollen; doch die Idee, eine neuartige, ungewöhnüche TV-Krimiserie zu entwerfen, war für ihn sehr verlockend. Er hatte sich bereits von der neuesten Entwicklung
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einer kriminellen Szene inmitten der Sümpfe und Wolkenkratzer von Miami faszinieren lassen und entsprechende Zeitungsausschnitte aus Florida gesammelt, ehe man mit diesem Projekt an ihn herangetreten war. »Ich las eine Statistik, derzufolge ein Drittel aller illegalen Einkünfte aus Südflorida stammen«, so Yerkovich. »Ich wollte die Wandlungen einer Region erforschen, die früher das Urlaubsziel für die Mittelklasse gewesen ist. Heute ist Miami so etwas wie ein amerikanisches Casablanca und im Fernsehen eigentlich noch nie richtig gezeigt worden.« Nun gut — der Programmdirektor von NBC war begeistert; Produzenten und Autoren, die Erfahrung mit Unterhaltungsserien hatten, von der Idee angetan. Auch das Geld für dieses Projekt war schon genehmigt — so viel Geld wie niemals bisher für eine Fernsehserie. Es war geplant, die Tonaufnahmen stereophon einzuspielen, die Darsteller in Designermodelle zu kleiden und aus den RockSchlagern, die auf der aktuellen Hitliste standen, die Begleitmusik zusammenzustellen. Blieb nur noch ein Problem — das zweite Wort auf besagtem Zwei-Wörter-Memo: >Bullen<. Da die Sache ja spannend sein sollte, und Nervenkitzel und Gänsehaut bei Verbrecherjagden, diesem alten Fernsehklischee, stets gewährleistet sind, warum nicht gleich zwei Bullen verwenden, ein Team, dazu noch als Verbrecher verkleidete Geheimagenten, der eine weiß, der andere schwarz ? So erging der Ruf an die Schauspielerzunft, sich zu bewerben, und unter Dutzenden von Bewerbern
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waren auch Don Johnson und Philip Michael Thomas, zwei Bildschirm-Aspiranten, die es der Welt zeigen wollten. Johnson und Thomas begegneten sich erstmals bei den Leseproben für die Rollen, die sie tatsächlich bekommen sollten. Berichten von Augenzeugen zufolge sollen die elektrischen Funken an diesem Tag nur so hin- und hergestoben sein zwischen den beiden, und das setzte sich wohl bei den Dreharbeiten fort. Jedem Zuschauer fällt sogleich der Respekt auf, den sie sich gegenseitig erweisen, die Kameradschaft, das Gefühl für Stil, wenn sie die harten und dennoch sensiblen Männer spielen: Männer, die sich nicht unterkriegen lassen, und die, obwohl sie gefährliche Zeiten und leidvolle Liebeserfahrungen hinter sich haben, nicht abgebrüht wirken — alles das kommt auf der Mattscheibe rüber. Als die Serie mit dem zweistündigen Pilotfilm am 16. September 1984 ihre Fernsehpremiere hatte, bekam sie fast auf Anhieb gute Noten. »Mit einem Zwei-Stunden-Film hatte Miami Vice bei NBC einen rasanten, verheißungsvollen Start«, schrieb der TV-Kritiker der NEW YORK TIMES. »Die beiden so gegensätzlichen und doch so sorgsam aufeinander abgestimmten Partner in dieser Serie sind Ricardo Tubbs (Philip Michael Thomas), ein New Yorker Bulle, der in Florida nach dem Mörder seines Bruders sucht, und Sonny Crockett (Don Johnson), ehemaliger Football-Star, Vietnam-Veteran und Polizeibeamter von Miami, der sich als Verbrecher getarnt in die Unterwelt einschleusen läßt. Da die Serie in Miami spielt, ist das Thema — und wird es vermutlich auch bleiben — der internationale
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Rauschgifthandel mit einer Vielzahl schmieriger mittel- und südamerikanischer Dunkelmänner, die mit ihren nordamerikanischen Gegenstücken ihre Geschäfte abwickeln... Die Dialoge sind höflichscharf; die Handlung hat realistische Grundlagen, obwohl sie mit den üblichen Kintopp-Verfolgungsjagden angereichert ist — in einem Fall sogar zwischen einem Wagen an Land und einem Motorboot auf einem Nebenarm der Lagune.« Die WASHINGTON POST nannte Miami Vice »die beste der neuen Krimiserien... in Miami Vice hat die Brutalität immerhin dramatisches Gewicht. Sie ist nicht nur Bestandteil eines perversen Witzes... Das Programm hebt sich aus dem üblichen Einerlei schon dadurch heraus, daß es von Videoclips inspiriert wurde, deren Einfluß in einigen Jagd- und Actionszenen deutlich zu spüren ist. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob man eine derartig flotte Bildregie in den wöchentlichen Fortsetzungen durchhalten kann... Mit Intelligenz und Sorgfalt wurde vor allem in den Szenen der zweiten Hälfte des Premierenfilms gearbeitet, wo Johnson sich mit einem Polizisten auseinandersetzen muß, der Bestechungsgelder angenommen hat — in der Wohnung des Deliquenten, der gerade mit seiner Frau und seinen Kindern beim Abendbrot sitzt. Das ist ein wirklich ergreifendes Element in diesem Spektakel, und Johnson — was für seine schauspielerischen Fähigkeiten spricht — bewältigt diese heikle Aufgabe hervorragend.«
1965 war bei NBC die Serie 1Spy gelaufen, in der mit Bill Cosby zum erstenmal ein schwarzer Darsteller die Hauptrolle in einem Fortsetzungsdrama
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spielte. Da jetzt mit Philip Michael Thomas der Typ eines gutaussehenden Farbigen mit Sex-Appeal herausgestellt wurde, wie man ihn selten — wenn überhaupt — in Fernsehproduktionen sieht, haben einige Kritiker Miami Vice als eine moderne Version dieser älteren Show bezeichnet, in der Robert Culp ebenfalls in einer Hauptrolle zu sehen war. Miami Vice scheint jedoch eher in der Tradition jener harten Spürnasen zu stehen, wie wir sie aus Kojak, Starsky & Hutch und The Streets ofSan Francisco kennen. / Spy gehörte eher zu dem inzwischen wieder Mode gewordenen Typus des unbeschwerten Kämpfers gegen das Verbrechen, wie er im Augenblick von Tom Sellek in Magnum oder Angela Lansbury in Marder, She Wrote repräsentiert wird. Ganz anders die Charaktere in Miami Vice: Kelly Robinson (Culp) und Alexander Scott (Cosby), Sonny Crockett (Johnson) und Ricardo Tubbs (Thomas) nehmen ihre Polizeiarbeit sehr ernst. In jeder Folge müssen im Durchschnitt ungefähr ein Dutzend schwerer Jungs ihr Leben lassen. In / Spy, das auch ein gerütteltes Maß von Mantelund-Degen-Szenen hat, scheinen Culp und Cosby mehr Spaß an ihrem blutigen Handwerk zu haben. Während die Kritiker sich für Miami Vice begeisterten, war sich das TV-Publikum nicht schlüssig in seinem Urteil. Nach der Premiere des Pilotfilms, der auf der wöchentlichen Hitparade der Einschaltquoten unter die ersten zehn Sendungen kam, ließ das Zuschauerinteresse erheblich nach, als Miami Vice nun mit seinen Episoden jede Woche freitags um 22.00 Uhr über den Bildschirm flimmerte. Es schien zunächst, als müsse die Serie mangels
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Zuschauerbeteiligung einen frühen Tod sterben. Aber obwohl die Einschaltquote nach dem NielsenStandard mager war, erwies sich die Serie als Hit bei gebildeten Zuschauern unter 35, die normalerweise freitags um diese Zeit nicht zu Hause bleiben, um fernzusehen. Vielleich würde die Show mit der Zeit einen größeren Kreis von Zuschauern für sich gewinnen und das Vertrauen und das Geld, das man investiert hatte, rechtfertigen. Andererseits ist Fernsehen ein Geschäft, bei dem ein Prozentpunkt an höheren Einschaltquoten etliche Millionen Dollar mehr an Werbeeinnahmen bedeutet. NBC war da eindeutig auf der Verliererstraße. Doch Tartikoff hatte das bereits mit Hill Street Blues erlebt, bei der sich ebenfalls anfangs eine loyale Kultgemeinde herausgebildet hatte, ehe die übrigen Zuschauer Feuer fingen. Er ließ sich also nicht beirren, und die Folgen wurden weiterhin zur gewohnten Sendezeit ausgestrahlt. Dann, im Januar, schlug NEWSWEEK-MagazinReporter Harry F. Waters jene hymnischen Töne an, auf die Autoren nur zurückgreifen, wenn sie das Gefühl haben, der Mitwelt etwas Außerordentliches, Überragendes und Unerhörtes berichten zu müssen. »Hör zu, Mann«, begann er, »da tut sich was echt Starkes in der Röhre, das Stil hat und Sound. Da sind diese beiden Typen, zwei Geheimpolizisten, die im frisierten Ferrari durch Miami kreuzen, cool reden und sich ebenso cool mit den Ganoven auseinandersetzen. Die beiden sind Klasse, Mann. Habt ihr euch ihre Klamotten angesehen ? Nur Originalmodelle, wie von Armani und Versace, Sachen direkt aus dem Atelier. Habt ihr
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euch den Soundtrack angehört? Alles Hits von Tina Turner, Lionel Ritchie, Phil Collins, Cyndi Lauper, den Stones und den Pointer Sisters. Die Serie, sagt man, könnte den Videoclips die Schau stehlen. Sie könnte, sagt man, Mr. Thomas aussehen lassen wie Mr. Rogers. Sie könnte sogar zu einer Video-Revolution werden, hört man. Alles klar, Mann ?« Nach dem Ausscheiden von Anthony Yerkovich, dem Schöpfer der ursprünglichen Charaktere und Drehbücher, ruhte die Gestaltung der Serie mehr denn je in den Händen von Michael Mann, einem einundvierzigj ährigen Perfektionisten, dem man bescheinigt, der Serie ihren einmaligen Glanzeffekt gegeben zu haben. Wie Johnson und Thomas hatte Mann eine umfassende Erfahrung und gelegentliche Erfolge aufzuweisen. Sein Fernsehfilm The Jericho Mile hatte vier Emmys gewonnen, und Thief, mit James Caan in der Hauptrolle, war zu einem Kultfilm geworden. Die aggressive Art der Kameraführung, kühne Perspektiven und entsprechende Tonuntermalung sind in den meisten Folgen sein Verdienst. Sein Job reicht von der Drehbuchüberwachung über die Bild- und Tonredaktion bis hin zur Entscheidung, welche Farbe der Mercedes in einer Verfolgungsjagd haben soll. Nachdem er erdfarbene Töne für tabu erklärt hatte, bevorzugte er kontrastreiche Pastellfarben — stellte einen lavendelblauen Wagen vor eine minzgrüne Mauer, ließ flamingo-pinkfarbenes Neonlicht mit einem kobaltblauen Himmel kollidieren. Er war der Mann, der Johnson und Thomas in hochmoderne Kleider steckte. »Ich sehe keinen Grund, warum in jeder Kriminalserie Darsteller
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in Fallschirmspringeranzügen und weißen Lackschuhen auftreten sollen, die dann unter Martiniund Rossi-Schirmen herumsitzen«, sagte er den Reportern. Als Folge seines persönlichen Stils — er führte 1979 eine Forschungsexpedition ins Goldene Dreieck in Südostasien, wo er bei thailändischen Bergstämmen wohnte, sich mit Mitgliedern der chinesischen Exilarmee traf und die offenen und versteckten Maßnahmen des CIA zur Drogenbekämpfung beobachtete — setzt sich Manns Truppe aus Nieten und ganzen Kerlen zusammen. »Die Abnützungsrate hier ist schrecklich«, erklärte Mann. »Es ist wie ein Rennwagen... sagen wir, Sie starten in Daytona, müssen über die Distanz von 500 Meilen gehen. Sie haben das Rennen richtig gefahren, wenn sie nach der 500. Meile die 501. nicht mehr schaffen. Sie haben das Material total ausgenützt.« Und er fährt fort: »Wir gehen hier jedes Risiko ein. Für jeden, der an unserer Serie mitwirkt, ist sie so etwas wie die Droge für den Suchtkranken. Alle arbeiten wie besessen für die Show.« Die Rolle des Produzenten spielt in Miami John Nicolella, der auch gelegentlich Regie führt. »Wir gehen bis an die Grenze des Möglichen«, räumt er ein. »Wir lehnen uns immer wieder ganz weit aus dem Fenster. Dabei laufen wir Gefahr, eins auf die Nase zu bekommen — was hin und wieder passiert —; aber mit einer Mannschaft im Rücken, die über so viel Stilgefühl und Kreativität verfügt wie unsere, kann man auf die Dauer nur gewinnen, wenn man etwas wagt.« Ob es nun der Mut zum Risiko war oder nicht:
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jedenfalls begann diese Formel endlich zu wirken. Zunächst krebste Miami Vice in den unteren Rängen der Erfolgsstatistik herum, bis schließlich eine Folge mit dem Titel Smuggler's Blues auf die Mattscheibe kam. Sie basierte auf einem Song von Glenn Fry, der auch in dieser Folge mitspielte, die in der zweiten Hälfte der ersten Programmsaison ausgestrahlt wurde und der Serie den Auftrieb gab, den sie unbedingt brauchte. Zum erstenmal wurde ein Lied aus dem Tonstreifen einer Fernsehserie vom Radio übernommen. Ein Videoclip des Songs, der Miami Vice auf Erfolgskurs brachte, wurde realisiert. Die teuerste, von Kritikern in höchsten Tönen gelobte Neuerscheinung der Saison konnte sich noch einmal eine Feder an den Hut stecken. Doch erst mit der Wiederholung im Sommer begeisterte die Serie, die in der Herbstsaison auf dem 46. Platz unter 96 Serien in der Einschaltstatistik gelandet war, einen größeren Kreis von Zuschauern. Im August 1985, als die zweistündige Eröffnungsepisode der Serie zum dritten Mal gesendet wurde, landete sie auf Platz drei der Einschaltquotenstatistik und schnitt somit besser ab als bei ihrer ersten Wiederholung. Seit Ende Mai hatte die erste Wiederholung der Serie zehn oder elf Wochen lang hintereinander einen Dauerplatz unter den ersten zehn belegt. Innerhalb eines Jahres war Miami Vice von einem Kulthit mit mageren Einschaltquoten zum Eckpfeiler des Freitagabendprogramms der NBC geworden, der 180.000 Dollar für einen dreißig Sekunden langen Werbespot einbrachte. Als die Anwärter auf die Emmv-Awards, die >Os-
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cars< des US-Fernsehens, bekanntgegeben wurden, stand Miami Vice mit einer Rekordnominierung für 15 Preise an der Spitze — darunter auch Don Johnson, der als bester Darsteller in einer Fernsehserie ausgezeichnet werden sollte. Und was ihr dann bei der tatsächlichen Verleihung — bloß vier Preise — entging, wurde von der Begeisterung der Fans wieder wettgemacht. Miami Vice war nun ein ausgewachsener Zuschauer-Hit mit einem unwiederstehlichen Sex-Symbol namens Don Johnson als Hauptdarsteller. Von Anfang an hatten die Produzenten sich bemüht, Johnson und Thomas gleichberechtigt zu behandeln; aber es wurde nun deutlich, daß das Publikum es anders haben wollte. Johnson hatte dieses unbestimmbare Etwas, einen sinnlichen SexAppeal, der ihm bei seiner abwechslungsreichen Karriere schon oft geholfen hatte. Seine Fähigkeit, zu schnelle und somit unbefriedigende Eroberungen zu machen, hatte ihm den nicht unbegründeten Ruf eines Schürzenjägers eingetragen, der bis zum Ende seines Lebens von einem Bett ins andere gleiten konnte, ohne zweimal im gleichen schlafen zu müssen. Wenn zunächst der von Michael Mann kreierte Glitzerstil die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die Serie lenkte, so waren es in zweiter Linie die Helden: Johnson und Thomas, wirkliche Men schen, die verhängnisvolle Fehler machen können und sie teuer bezahlen müssen wie jeder andere auch. Als die Serie mit neuproduzierten Folgen in die zweite Programmsaison ging, wurde sie Don John-
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Don und Pamela Miller bei der Eröffnung des Paradise Ballroom in Los Angeles im November 1971
sons Miami Vice. Zunächst füllte sie allerdings erst wieder die Scheuer einer anderen Fernsehgesellschaft. Es gab noch mehr TV-Sexsymbole, wie Tom Seileck in Magnum, Pierce Brosnan in Remington Steel, aber noch nie zuvor in der Geschichte des Fernsehens hatte es ein Sexsymbol gegeben, das in seiner eigenen Show wie ein Sexsymbol fotografiert wurde, indem die Kamera so lange und liebevoll darauf verweilte und mit geradezu quälender Langsamkeit an seinem nackten Torso emporkroch. Allenfalls Joan Collins wurde einer solchen Kamerabehandlung für würdig befunden, sonst wohl kein Star, sei er männlichen oder weiblichen Geschlechts. Don war von Anbeginn seiner Kar-
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riere ein Sexsymbol gewesen und schwierigen Übergang von einem henden, unkomplizierten Typ zum von TV Guide mit Clark Gable auf wurde, geschafft.
hatte dabei den jungen, gutaussereifen Mann, der eine Stufe gestellt
Das Timing hätte für Johnson nicht besser sein können. Nach 15 Jahren Auf und Ab in Hollywood war nun endlich auch für ihn der Zeitpunkt des großen Durchbruchs gekommen, und diesmal war er darauf vorbereitet. Die Hörner hatte er sich inzwischen abgestoßen und auch erfahren, wie ihm die Karriere beinahe unter den Fingern zerronnen wäre, als er versuchte, durch einen Nebel aus Alkohol und Drogen seinen Kurs zu steuern. Nun war er solide geworden. Kein Alkohol, keine Drogen, keine durchzechten Nächte mehr. Er hatte eine ernstgemeinte, stabile Beziehung zu einer Frau, an der sein Herz hing. Er war Vater geworden. Nun kam für ihn die Zeit, wo er hart arbeiten und das Beste aus den Möglichkeiten machen würde, die sich ihm noch bieten sollten. Im Mai '85, als Miami Vice der entscheidende Durchbruch bei den Einschaltquoten gelang, hatte sich Johnson mit den Moskitos auf der Oak-VillagePlantage in Thibodaux, Louisiana, herumgeschlagen. Er stand dort — bezeichnenderweise — in einer Reprise von The Long Hot Summer vor der Kamera, ein für den Film bearbeitetes Sammelsurium von William-Faulkner-Stories, in dem ursprünglich Paul Newman und Joanne Woodward die Hauptrollen gespielt hatten. In dieser Miniserie wirkten nun Jason Robards, Judith Ivey, Cybill Sheperd und William Russ mit.
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Aber vermochte nun Johnson tatsächlich über die Rolle des hübschen Jungen Sonny Crockett hinauszuwachsen und den Südstaatler Sammy Glick zu spielen, der sich nicht scheut, die unansehnliche Tochter seines Chefs zu heiraten, weil ihm das bares Geld einbringt ? Konnte er auch ohne raffinierte Bildmontagen und gefällige Soundtracks als Darsteller überzeugen ? Nachdem die beiden Teile am 6. und 7. Oktober 1985 gesendet worden waren, beantworteten die Kritiker diese Frage ehrlich beeindruckt mit >ja<. Von den Bayous bis nach Bayonne und der Bucht von San Francisco waren die Rezensionen einhellig positiv. Und damit auch jeder merkte, kam eine Medienkampagne ins Rollen, um bald wahre Orgien mit Johnson-Klatsch in den maßgebenden Magazinen des Landes, im Fernsehen und in der Boulevardpresse zu feiern. Was vorher Boy George, Cyndi Lauper, Michael Jackson, Prince und Madonna widerfahren war, erlebte nun auch Don Johnson. Und damit nicht genug: Von jetzt an sollte es auch mit Don Johnsons musikalischer Laufbahn steil bergauf gehen. Schließlich war er schon als kleiner Junge mit seiner Klampfe von Kneipe zu Kneipe gezogen. Zum Soundtrack-Album von The Harrad Experiment — einem Film, in dem er eine tragende Rolle spielt — hatte er einige Songs beigesteuert. Und gemeinsam mit dem Gitarristen Dicki Betts hatte Don zwei Titel für das Album Enlightened Rogues der Allman Brothers Band komponiert.
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In ihrer zweiten Programmsaison war Miami Vice heißer den je. Von einer LP mit Hits aus bereits gesendeten und noch ausstehenden Folgen der Serie wurden in den ersten zwei Wochen über eine Million Exemplare verkauft. Sie brachte es zur Nummer eins auf den BILLBOAR-Charts. Eine verlängerte Version der Miami-Vice-Eröffnungsmelodie von Jan Hammer und Glenn Freys You Belong to the City kam unter die ersten zehn der meistverkauften Singles.
Obwohl Miami Vice nicht alle Emmys gewinnen konnte, war die frohe Botschaft doch von den Fernsehgewaltigen landauf, landab verstanden worden: Die Zeiten haben sich geändert; Serien nach dem alten Schema, mit mechanischen Übergängen von Szene zu Szene, vor Kulissen, die von der Kamera lieblos oder gleichgültig eingefangen werden, sind passe. Endlich begannen die Fernsehanstalten, sich der visuellen und akustischen Raffinesse und Rasanz der 10-, 20-, 30- und 60-Sekunden-Werbespots anzupassen, deren Herstellung oft teurer kommt, als ein stundenlanges Unterhaltungsprogramm.
Natürlich war es keine Überraschung, als die ersten Billig-Imitationen auf anderen Kanälen auftauchten. ABCs Hollywood Beat und The Insiders hatten je ein Paar von modisch gekleideter netter Jungs als Helden, die zu heißer Rock-and-RollMusik durch den Flitterglanz der Großstadt sprinteten. Bedauerlicherweise machten sie es alle ganz falsch. Schon bei oberflächlicher Betrachtung fiel die Unstimmigkeit zwischen Musik und Szene auf, fehlte den Stars die Intensität und die Faszination,
die von Johnson und Thomas ausging, und der Text hatte nichts von der Qualität der Miami Vice-Serie.
Und während die Knaben von der Konkurrenz nun gleichziehen wollten, versuchte Miami Vice, dem Rudel immer um eine Nasenlänge voraus zu bleiben. So hatte man in den Folgen der zweiten Programmsaison einiges verändert. Es gab jetzt mehr persönliches Schicksal und weniger Schießereien. Chris Crafts wurden durch die WellcraftMotorboote ersetzt und ROLEX-Uhren gegen Uhren von EBEL eingetauscht. Und Thomas wurde mit neuen Schuhen und einer etwas unauffälligeren Kanone ausgestattet, nachdem die Zensoren im vergangenen Jahr seine abgesägte Schrotflinte beanstandet hatten. Und ganze Scharen von Gaststars sollten in den neuen Folgen auftreten: Miles Davis, Tina Turner, Little Richard, Eartha Kitt, Peter Allen, Gene Simons, Gordon Liddy, Frankie Valli, Jimmy Büffet und viele andere mehr. Und, wie schon zu Beginn der Serie geplant, wurde das Programm ab sofort in Stereo ausgestrahlt.
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Don Wayne Johnson wurde am 15. Dezember 1950 als erstes von vier Geschwistern, im Zeichen des Schützen, in Galena in Missouri, in der Blockhütte seiner Großmutter, im südlichen, baptistischen Zipfel der Ozarks geboren. Er blieb dort bis zu seinem fünften Lebensjahr, während sein Vater die Farm bewirtschaftete. Dann zog die Familie nach Wichita in Kansas um, wo Dons Vater einen Job in einer Flugzeugfabrik bekam. Die Familie war arm, doch die Kinder — eine Schwester und zwei Brüder — bekamen nichts davon mit. Stets hatten sie reichlich zu essen und saubere Kleider im Schrank; doch die Eltern mußten hart kämpfen, um die Familie über Wasser zu halten. ' Don fühlte sich selbst nie ganz zur Familie gehörig. Er wußte schon als kleiner Junge, daß er höher hinaus wollte. Er war elf, als seine Eltern sich scheiden ließen. Zwischen Ma und Pa, die bereits als Teenager heiraten mußten — er mit 18, sie mit 16 — hatte es nie so recht geklappt. Mit der Scheidung veränderte sich auch Dons Leben, und er sah sich vor Probleme gestellt, die er vorher nie gekannt hatte,
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mußte Entscheidungen treffen, Erwachsene lieber aus dem Weg gehen/
denen
auch
Ein Jahr lang blieb er bei seiner Mutter, und damit war das Unheil schon vorprogrammiert. Don, ein rastloses, erfinderisches Kind, das sich schnell langweilte, schloß Freundschaft mit den falschen Jungs — mit Jungs von jener Sorte, die erfahrungsgemäß später entweder im Gefängnis oder tot in der Gosse landen — was bei den meisten von ihnen dann auch eintraf. Dennoch war dieses Jahr nicht ganz vergeudet, weil Don es im zarten Alter von zwölf fertigbrachte, seine Unschuld zu verlieren. Damit zeichnete sich bereits ab, was später bei ihm zur fixen Idee werden sollte. Die Dame seines Herzens war ein siebzehn Jahre alter Babysitter und sollte die Kinder übers Wochenende hüten. Als seine Mama heim kam, machte sie ein Gesicht, das Don vermuten ließ, sie wüßte bereits alles, was in ihrer Abwesenheit geschehen war. Aber nie verlor sie ein Wort darüber. Im gleichen Jahr schloß Don mit einigen seiner älteren Freunde einen Wagen kurz und machte einen Ausflug, der verkehrsmäßig am Laternenmast und für Don mit einer Einweisung in die Jugendstrafanstalt von Wichita in Kansas endete. Er blieb nur zwei Wochen dort; aber ihm kam es wie zwei Jahre vor. Zwei Wochen reichten jedenfalls für den festen Vorsatz, daß er so eine Anstalt nie mehr von innen sehen wollte. Und die beste Gewähr dafür, daß das nicht mehr vorkam, war ein Umzug in die Wohnung seines Vaters. Doch alles kam anders, als er es sich vorstellte. Zwar zog er zu seinem Vater, aber nur, um prompt
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in der vorletzten Klasse aus der Schule genommen zu werden. Dort gehörte er zu den wenigen weißhäutigen Schülern (noch dazu blondhaarig und blauäugig) in einer vorwiegend von mexikanischen und schwarzen Studenten besuchten Bildungsanstalt. Enttäuscht über mangelnde Aufstiegschancen hatte Dons Vater beschlossen, mit seinem Sohn nach Missouri zurückzukehren und dort einen Gemischtwarenladen und eine Autowerkstatt zu eröffnen. Und so fand sich Don in seiner alten Heimatstadt wieder und mußte zusehen, wie er dort mit seinem ehemaligen Ruf als Tunichtgut fertig wurde. Und daß sein Vater wieder geheiratet hatte und Don seine Stiefmutter nicht mochte, machte ihm die Aufgabe nicht leichter. Wie sagt man doch so treffend von den Söhnen (oder Enkeln) von Predigern: nehmt euch vor ihnen in acht, denn sie geraten besonders wild. Mit 15 kehrte Don dem Heim seines Vaters den Rücken und zog wieder nach Wichita, wo er hoffte, lange genug für den High-School-Abschluß bleiben zu können — wahrscheinlich das Vernünftigste, was er in dieser Zeit tun konnte. Nach Schulschluß arbeitete er in einer Fleischwarenfabrik und teilte die Wohnung mit einem Freund, bis er mit einer sechsundzwanzigj ährigen Cocktail-Serviererin zusammenzog. Sie war die berüchtigte ältere Frau, die jedem jungen Mann ins Haus steht, um ihn in der Kunst der Liebe zu unterweisen. Darunter litten nun wieder seine Studien. Don nickte so häufig im Unterricht ein, daß die Aussichten auf einen Abschluß zunehmend düsterer wur-
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den. Daher nahm er sich den Rat eines Vertrauenslehrers zu Herzen und belegte einen Theaterkurs, um seinen Notendurchschnitt aufzubessern. Wie viele Jungen seines Alters neigte Don mehr den sportlichen Fächern und ähnlichen männlichen Betätigungen zu; in einer Theaterklasse waren seiner Meinung nach eher die Schlappschwänze zu finden. Aber er brauchte nun mal noch dringend eine Note in einem zusätzlichen Wahlfach, und die Dramaturgielehrerin — schon damals kam er bei den Damen gut an — gab dem unerfahrenen Studenten die Titelrolle in einer Schüleraufführung der West Side Story. Das Musical und die Schauspielerei machten ungeheuren Eindruck auf ihn. »Es berührte etwas Echtes, Wahrhaftiges in mir. Das war, als habe man seine Mutter verloren und fände sich dann ganz plötzlich wieder mit ihr vereinigt. Als die Lehrerin meine Begeisterung erkannte, gab sie mir Tennessee Williams, Faulkner und Albee zu lesen. Ich war unersättlich. Zum erstenmal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dazuzugehören.«
Während er noch die High School besuchte, errang er eines von acht Stipendien, die von der dramaturgischen Fakultät der Universität von Kansas vergeben wurden. Da Don in das Theater verhebt war, hätte er nicht glücklicher sein können. In seinem jugendlichen Überschwang glaubte er sich nun auf dem besten Weg, ein großer Mime und Retter der Schauspielkunst zu werden. Er hatte etwas gefunden, das sinnvoller und aufregender war als das Leben, das seine Familie ihm bieten konnte. Ohne
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Zur Premiere des Films Bluebird im August 1972 kommt Don Johnson mit Melanie Griffith, der Tochter der Hollywood-Schauspielerin Tippi Hedren
sich allzuviel Sorgen zu machen, errungene Unabhängigkeit. Stets bleme mit Autoritäten gehabt, sich von seinem Vater absetzen kommen zu können, war verlockend.
genoß er die frisch hatte er seine Pround die Aussicht, und dennoch voran-
In seinem ersten Semester übernahm Don in jedem Stück die Titelrolle, die eine Besetzung mit einem jungen Mann verlangte. Alsbald kam es zu Streitigkeiten mit älteren Semestern, so daß sich in der Fakultät der Argwohn regte, es könne da vielleicht eine Primadonna herangezüchtet werden. Dons Eifer, sich Titelrollen anzueignen, wurde daher etwas zurückgestutzt. Auf der Universität von Kansas verliebte sich Don in Anita Sorrels, eine neunundzwanzigjährige College-Professorin und Mutter dreier Kinder. Es war 1968, ein Jahr des Protests und der Experimente an den Universitäten. Selbst in Kansas hatten Collegestudenten Engagement und Radikalität auf die Fahnen geschrieben. Für einen ruchlosen Menschen wie Don war das der ideale Zeitpunkt zum Studieren. Bis Weihnachten war Anita sein, und ihr Verhältnis war der Skandal der Universität. Sie zogen zusammen und genossen gemeinsam die aufregende Zeit der Studentenunruhen. Schon als Teenager hatte Don bei der Wahl seiner Freundinnen ältere Frauen bevorzugt. Mädchen in seinem Alter schienen zu sehr in viktorianischen Prinzipien und Moralvorstellungen verwurzelt zu sein, obwohl die sexuelle Revolution gerade angebrochen war. Don hatte nie behauptet, daß er treu sein wollte, und auch nicht angenommen, daß die Frauen das von ihm erwarteten.
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Anita war als Professorin an der Universität sehr beliebt und kannte natürlich auch Interna der theaterwissenschaftlichen Fakultät, die sie Don nur zu gern mitteilte. Eines Tages erzählte sie ihm, daß Ed Hastings, Direktor des American Conservatory Theater in San Francisco, die Universität besuchen würde, um eine Aufführung von The Rake's Progress zu leiten. Mit dieser Information ausgerüstet, bereitete Don sich auf eine Sprechprobe vor und lag Hastings so lange in den Ohren, bis dieser sich bereitfand, ihn vorsprechen zu lassen, was Don ein weiteres Stipendium einbrachte. »Großartig«, sagte er später in einem Interview. »Das war mein letztes Semester an dieser Schule; ich werde geschaßt und denke, das darf nicht wahr sein! Ich gehe nach San Francisco, studiere mit dieser Theatergruppe, verdiene dabei noch Geld, und meine Karriere ist gesichert.« Anita ging mit ihm, aber seine Eskapaden setzten ihren Beziehungen alsbald ein Ende. Schließlich war Don Johnson knapp zwanzig, ein sexueller Draufgänger. Drei Freunde aus Kansas wurden überredet, zu ihm nach San Francisco zu kommen und mit ihm gemeinsam Kasse zu machen. Begierig, sein Handwerk zu lernen, trug Don sich gleichzeitig für Kurse in Mimik, Darstellung, Jazz, Stimmschulung, Diktion, Gaukler-Akrobatik und klassischer Literatur ein — acht Stunden pro Tag intensives Training. Zwei Wochen nach Don Johnson kam Your Own Thing — ein Broadway-Rock-Musical, dem in New York eine lange und erfolgreiche Saison beschieden gewesen war — nach San Francisco. Frech und
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selbstbewußt wie immer, suchte der Jung-Minie den musikalischen Leiter des Ensembles auf und bat ihn um ein Vorsingen — für den nächsten Tag. Peng! — er bekam den Job, die Mitgliedskarte der Schauspielergewerkschaft und eine Gage von 150 Dollar pro Woche. Don kam sich wie ein Glückskind vor und schwebte nur noch in den Wolken. Das Rock-Musical, das sich lose an Shakespeares Twelfth Night anlehnte, war eine Mischung aus Bühnenshow, Filmprojektionen, Popmusik, Shakespeare-Poesie und Slang. Die Rollen waren mit mädchenhaften Jungen und jungenhaften Mädchen besetzt, und Don hatte als Hauptdarsteller einen Jungen zu spielen, der, wie bei Shakespeare, häufig mit seiner Schwester verwechselt wird. Von der Kulturrevolution, die uns in den späten sechziger Jahren erschütterte, war natürlich auch das amerikanische Theater betroffen. Nach der Abwanderung des Publikums zur Rockmusik wurden endlich Stücke geschrieben und produziert — Hair ist dafür das bekannteste Beispiel —, die die Energie der Jugend mit den Traditionen des klassischen Theaters verschmelzen wollten. Eine Forderung des >Living Theatre< war es, die Bühne zur Arena für das weltweite Verlangen nach freier Liebe, freier Verpflegung und freien Drogen zu machen — eine Erweiterung des Lebensstils, wie er von der Woodstock-Generation propagiert worden war. Dons kometenhafter Aufstieg paßte einigen seiner Studienkollegen, die sich monatelang, bisweilen auch jahrelang als Schauspielereleven auf ihren Beruf vorbereitet hatten, nicht so recht. Da kam so
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ein Bursche daher, hat knapp zwei Wochen Unterricht, schnappt sich eine Hauptrolle und ist prompt im Geschäft. Don hatte neben seinem beachtlichen Schauspielertalent, wie er selbst zugibt, schon immer den Hang, seine Karriere zu beschleunigen. Seine Widersacher konnten nicht übersehen, daß er über Energie und das Können verfügte, sich einen Spitzenplatz in seinem Gewerbe zu erobern — und das Talent besaß, sich dort auch zu halten. Dons Ego nahm bei dem Sturm der Entrüstung, den er bei seinen Kollegen entfachte, keinen Schaden. Er nutzte diese Zeit, um eine Tänzerin von der Wanderbühne weg zu heiraten. Ein gemeinsames Leben für das Theater war ihr Ziel — aber daraus sollte nichts werden. Nach zwei Monaten wurde die Ehe annulliert.
Im Dezember '68 kam Sal Mineo nach San Francisco auf der Suche nach Schauspielern für seine Produktion von Fortune and Men's Eyes am Coronet Theater in Los Angeles. Nachdem er Don in seiner Titelrolle in Your Own Thing gesehen hatte, bat er ihn, zu einer Leseprobe nach LA. zu kommen. Nun war Sal Mineo nicht irgendein Produzent, der irgendein Stück inszenieren wollte. Mit zwölf Jahren war Mineo in King and I in der Rolle des Kronprinzen von Siam zu sehen gewesen. Als Teenager hatte er den Plato gespielt — den schwachen, verwirrten und verführten Freund von James Dean in Rebel Without a Cause — und sich damit eine sehr große Gemeinde von Verehrern besonders unter homosexuellen Männern geschaffen. Sexuell
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polymorph und eingestandenermaßen drogenabhängig, hatte Mineo, nachdem er ein paar Jahre lang nur kleine Brötchen gebacken hatte, sein Comeback als großartiges und heißersehntes Ereignis angekündigt. Mineos öffentliches und privates Leben war seit seiner Jünglingszeit als Hollywoodstar ein heiß diskutiertes Thema der Klatschspalten und Magazine gewesen. Anekdoten über seine Affären und seinen abartigen Lebensstil gehörten gewissermaßen zur Allgemeinbildung. »Ich war zu jener Zeit noch supernaiv«, so Johnson. »Ich hatte nicht die geringsten Vorstellungen von all diesen Sachen. Dabei schreckte mich gar nicht so sehr der Gedanke an die Homosexualität. Schließlich hält man es auch auf einer Farm des Mittelwestens für mehr oder weniger normal, daß aus Knaben Jungen werden; und wenn die dann größer werden, schauen sie sich beim Pinkeln schon mal gegenseitig auf den Pimmel, um nachzusehen, wie denn jeder da so gebaut ist. Ich meine, so was schreckte mich lange nicht so ab wie die lüsterne Art, mit der man hier so die Sache betrachtet. Also bin ich nach LA. hinuntergeflogen und habe dort den Super-Coolen gespielt, verstehen Sie ? Ich sage zu ihm [Sal Mineo]: >Hören Sie, wenn Sie annehmen, ich würde mich von irgend jemandem ficken lassen für diese Rolle, sind sie auf dem Holzweg/ Ich drohte ihm sogar mit dem Kadi. Ich sage zu ihm: >Vergessen Sie es. Und ich vergesse meine Karriere und daß ich hier gewesen bin, weil ich mich auf so was nicht einlasse/« Und da bricht Sal in Gelächter aus und erklärt Dons Gehabe für überflüssig, weil kein Produzent,
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der diesen Namen auch verdient, »so etwas« als Gegenleistung für eine Rolle verlangen würde. »Großartig«, antwortet Don, »ich wate meinetwegen eine Viertelmeile weit durch Scheiße. Ich mache alles, was Sie von mir verlangen — nur eines nicht: keine Sexszenen irgendwelcher Art mit mir.« Im Programmheft zu Fortune and Men's Eyes wird Sal als >erotischer Politiken dargestellt: »... Mineo ist als Mann leidenschaftlich, geheimnisvoll, sinnlich, auf eine spielerische Art böse, artistisch, unparteiisch und oft brillant in seinem bitteren Spott. Sein Milieu ist seine Botschaft ... Eine Begegnung mit ihm flößt Angst ein. Das ist gar nicht seine Absicht; es passiert eben.« Ursprünglich von dem Kanadier John Herbert verfaßt, der dem Stück seine eigene Zuchthauserfahrung zugrundegelegt hatte, sollte Fortune and Men's Eyes eine leidenschaftliche Verdammung des Strafvollzuges sein mit der Absicht, ihn, wenn möglich, zu reformieren. In Mineos Version war die eigentliche Botschaft des Stücks der unterschwellige Sex und die Gewalt. Er beschloß, homosexuelle Handlungen, schockierende Redewendungen und sado-masochistische Gewalttätigkeiten in das Stück einzubauen. Mineo zeigte eine Masturbationsszene, eine Vergewaltigung, Defäkation und eine Prügelei zwischen nackten Kampfhähnen. Mineo verlangte nicht von Johnson, daß er durch Scheiße waten sollte. Er verlangte seine Mitwirkung in einem Stück mit aufsehenerregenden Bühnenbildern, von denen ein Homo-Bordellbetrieb, der von vier Häftlingen in ihren Zellen aufgezogen wird, noch das Harmloseste ist. Um die
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dramatische Wirkung noch zu erhöhen, zeigte Mineo das, was bei früheren Aufführungen nur als Vorgang hinter der Bühne angedeutet wurde: eine hüllenlose homosexuelle Vergewaltigungsszene im Badezimmer, in der Rocky, von Mineo dargestellt, sich an Smitty vergreift, dem Neuzugang im Zellenblock — dessen Rolle der neue Jungstar der Truppe spielte: Don Johnson. »Wir haben es mit einer Machtstruktur zu tun«, sagte Mineo, »die bis in die Zellen eines Bezirksgefängnisses hinunterreicht. Es geht dabei nicht so sehr um das Sexuelle, sondern vielmehr um einen Kampf der Insassen mit dem Ziel, einen neuen Häftling zu unterwerfen und zum Sklaven eines Mannes zu machen. Dieser wertet damit seinen eigenen Status im Zellenblock auf.« Die Darstellung derartiger Szenen sind für jeden Schauspieler ein Risiko. Und für einen Jungen, frisch vom Land und immer noch ein Teenager, waren sie ein besonders großes Wagnis. Doch Don bekam das Gefühl, sie seien genau das richtige für ihn, und machte sich mit Feuereifer an die Arbeit. Er, der sich zu seinen exhibitionistischen Neigungen bekannte, der stolz war auf seinen Körper, sein Aussehen und sein Auftreten, wollte nun das Beste aus seinen Talenten machen. Fortune and Men's Eyes hatte am 12. Januar 1969 Premiere mit Sal Mineo in der Rolle des Rocky, eines sadistischen Schlägers, der mit seiner Männlichkeit protzt und alles Perverse zu verabscheuen behauptet, um sich sogleich selbst zu widerlegen und als der schlimmste Sünder von allen zu erweisen.
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Don spielte Smitty, der zum erstenmal einsitzt und die Zelle mit den Worten betritt: »Ich möchte keinem zu nahe treten — aber ich bin nicht schwul.« Während Smittys Unschuld vor unseren Augen korrumpiert wird, sehen wir, wie Rocky seinen Herrschaftsanspruch über Smitty anmeldet, indem er ihn mitnimmt in den Duschraum, ihn entkleidet und sich daraus eine brutal-realistische Szene entwickelt mit einer homosexuellen Vergewaltigung und einem Faustkampf zwischen zwei nackten Darstellern. Um die Theaterbesucher noch besser auf das Stück einzustimmen, wurden die Platzanweiser als Gefängniswärter verkleidet. Im Zuschauerraum war eine Einzelzelle installiert, und während der Pause plärrte eine Lautsprechanlage Kommandos. Das Publikum am Eröffnungsabend war eine dem Milieu des Stückes sehr fernstehende Versammlung festlich gekleideter Hollywood-Persönlichkeiten. Don selbst, bereits ein Mann der Maßanzüge, erschien zur Premierenfeier in einem Jackett im Nehru-Look mit psychedelischem Blumenmuster. Seine Mutter Neil und seine Schwester Jamie waren unter den Premierengästen. Die Kritiken waren so gut, daß Don eine ganze Anzeigenseite in der Daily Variety kaufte, auf der unter seinem Bild und der Überschrift DON JOHNSON STELLT SICH VOR Auszüge aus seinen Rezensionen abgedruckt waren:
»Johnson bezaubert in der Rolle des Jungen, dessen Unschuld sich dem Zuschauer durch die vulgäre Sprache und die perversen sexuellen Wünsche seiner Zellengenossen besonders eingeprägt. Die all-
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mähliche Verwandlung und Entartung zu einem zynischen Tier ist eine beeindruckende Charakterstudie eines ausgezeichneten Schauspielers.« DAILY VARIETY »Der junge Neuling wird mit Einfühlsamkeit und Charme von Don Johnson dargestellt ... Johnson, wohlgemerkt, ist besonders gut. Er ist ein attraktiver junger Mann und ein sein Metier beherrschender Darsteller.« HOLLY WOOD REPORTER »Don Johnson Smitty.«
...
eine starke Leistung LOS ANGELES TIMES
als
»Rockys Stellung als der den Zellenblock beherrschende >alte Mann< wird von einem unverdorbenen Neuling erfolgreich angefochten, der von Don Johnson sympathisch und überzeugend dargestellt wird.« HOLLYWOOD CITIZIEN-NEWS »Don Johnson als Smitty ... eine für so einen jungen Schauspieler bemerkenswerte Einsicht und Reife der Darstellung.« HERALD DISPATCH In Anbetracht solcher Lorbeeren fühlte sich Don in seiner waghalsigen Entscheidung bestätigt. Er hatte bewiesen, daß er seine Sache mit Stil, Klasse und Bedeutung tun konnte, ohne damit auf die Nase zu fallen. Es war ein gewaltiger Schritt nach vorn. Er hatte, wie er dem Magazin IN TOUCH erklärte, gelernt, »daß es kaum jemanden gibt, der einen schlecht machen kann, wenn man an das, was man macht, glaubt und es mit Hingabe und Überzeugung 42
tut. Wenn jemand zu mir kommt und sagt: >Ihr macht das ganz falsch; jeder andere ist besser als ihr< — da hätte ich doch meine Zweifel, ob er alle beisammen hat. Denn ich kann jedermanns Trip mehr oder minder akzeptieren. Der mieseste Junkie — ich kann seinen Trip verstehen, nicht weil ich auch ein Junkie wäre — ich bin es nicht —, sondern weil ich es mit anderen Dingen vergleichen kann, auf die ich süchtig bin. Ich kann diese Gier versteJien, diese Sucht nach irgend etwas, weil ich selbst das ausgeflippteste Libidomuster von allen Leuten habe, die ich kenne. Ich habe so viele Laster, daß ich zuweilen das Gefühl habe, ich muß wie ein Verrückter schuften, damit nur ja keines meiner Laster verkümmert.« Bis zu einem gewissen Punkt war Sal Mineo nun von Don besessen und machte ihm zuweilen vergeblich und manchmal nicht so vergeblich Avancen. Wilde Geschichten machten die Runde über das, was die beiden so trieben. Don hat das nie sonderlich bekümmert. Solange die Gerüchte dafür sorgten, daß die Leute nach Karten Schlange standen, brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Er wurde sofort zu einem Sexsymbol. Frank Edwards, ein Fotograf der Hollywood-Szene, erinnert sich noch an die Premiere: »Don wollte immer, daß man von Anfang an Aufnahmen von ihm macht. Und als ich ihn in diesem Stück sah, wußte ich — er hat Charme. Aus ihm würde ein Star werden.« Don bekam inzwischen eine rasch wachsende Anhängerschaft von Homosexuellen, die das Stück ein Dutzend Mal und öfter sahen. John Marvin, ein
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Don Johnson, Melanie Griffith und Roman Polanski auf einer Party in Los Angeles im Oktober 1973
Freund, der Dons Werdegang aus der Nähe verfolgte, meint, Don habe die Homos bewußt an der Nase herumgeführt. Er habe ihnen absichtlich eine bisexuelle Rolle vorzuspielen versucht und auch Aktfotos von sich in einem entsprechenden Magazin veröffentlicht, das in Los Angeles erscheint. Mit seiner Bereitschaft, seinen Körper in Szene zu setzen, verdarb Don sich ganz bestimmt nicht die Karriere. Wie bereits das Theater, versuchte nun auch das Kino den Anschluß an die Popkultur. Was war dafür besser geeignet als ein Film aus der Hippieszene, der von der Suche nach kosmischen Wahrheiten vermittels Sex, Drogen und Visionen handelte ? 44
Dons erste Zur-Schau-Stellung vor den Kameras der Filmgewaltigen fand am 11. August 1969 statt, als er sich zu den Dreharbeiten für The Magic Garden of Stanley Sweetheart beim Aufnahmeleiter meldete. Produzent Martin Poll hatte sich Fortune and Men's Eyes angesehen und war mit zwei Stars dieser Theaterproduktion, Don Johnson und Michal Greer, die nun in seinem neuen Film mitwirken sollten, nach New York zurückgeflogen. Magic Garden, ein fiktiver Bericht über das Studentenleben jüngerer Semester an der Columbia-Universität, basierte auf den 73 Seiten eines ulivollendeten Romanwerks von Robert Westerbrook, dem Sohn der Hollywood-Klatschkolumnistin Sheila Graham, der als dritter Regieassistent bei dem früheren PollFilm mit dem Titel The Appointment mitgewirkt hatte. Poll war auch der Produzent des preisgekrönten Films Lion in Winter gewesen, so daß sich Don von Magic Garden viel mehr Klasse versprach, als das Produkt dann haben sollte.
Produzent Martin Poll und sein Regisseur Leonard Hörn hatten sich für Don auf die Rolle des Stanley geeinigt, nachdem sie sich Hunderte von Kandidaten angesehen hatten. Im Juli war eine Anzeige in der NEW YORK TIMES mit der Beschreibung des Darstellers erschienen, den sie suchten: »Stanley Sweetheart ist zwanzig Jahre alt und ein unschuldiges Opfer der modernen Großstadtgesellschaft Amerikas. Gutaussehend, aber schüchtern; sensibel, aber kein Künstler; rebellisch, aber nicht militant, sucht Stanley im magischen Garten seines Bewußtseins nach seiner Identität/ Lebensaufgabe.«
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Regisseur Hörn, ein Veteran aus dem goldenen Zeitalter der Fernsehdramen (Playhouse 90, Route 66, The Defenders, Dr. Kildare, The Untouchables und Mission: Impossible) beschrieb das Projekt als einen Film, »den Frauenrechtlerinnen vermutlich verdammen werden ... schließlich haben wir es hier mit den sexuellen Wunschvorstellungen eines männlichen College-Studenten zu tun, von dem man kaum erwarten kann, daß er für die Gleichberechtigung der Geschlechter wirbt.« In dem Film würden die Darsteller manchmal ganz nackt auftreten, in den Dialogen kein Blatt vor den Mund genommen, Selbstbefriedigung und Orgien unzensiert gezeigt werden. Er sollte die Geschichte eines jungen College-Studenten und dessen Erlebnisse mit Hippies, Marihuana und Sex erzählen. Ein enttäuschter Filmstudent in einer Institution, die der Columbia-Universität sehr ähnelt, steigt aus dem Studium, dem Wehrdienst, der Gesellschaft aus — und landet in einem Magischen Garten überirdischer Wonnen. Sein rasanter Fortschritt auf der Sex-Drogen-Freiheitsroute führt ihn an den Rand des Wahnsinns, wo er nur durch einen Klimasturz vor den fleischfressenden Planzen seines selbsterschaffenen Zaubergartens gerettet werden kann. Hier versucht der Film die sexuellen und drogengesteuerten Phantasiebilder eines orientierungslosen College-Studenten einzufangen, der sich bemüht, Klarheit in sein Bewußtsein zu bringen. Ein Gedicht, für das Plakat verfaßt, das diesen Film ankündigte, bringt die Sache am besten auf den Punkt:
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STANLEYS KLAGE Freiheit ist ein goldenes Byzanz ... Ist ein Magischer Garten, üppig und verschlungen... Alles ist möglich und ... Wir bringen uns sachte gegenseitig um. Freiheit ist die Illusion der Narren... Wenn das Freiheit ist, will ich sie nicht haben. »In vielerlei Hinsicht ist Stanleys Schicksal auch mein Schicksal«, wird Johnson in den Werbeprospekten für den Film zitiert. »Ich habe dieselben Trips erlebt, den gleichen Kampf, um zu mir selbst zu finden. So viele Leute in meinem Alter haben die Wirklichkeit und das, was man Verantwortung nennt, erst einmal erfassen müssen, daß ich glaube, sie werden Stanley und das, was er vertritt, dankbar aufnehmen.« Den Part der jungfräulichen Studienanfängerin, die von Stanley verführt und verlassen wird, sollte Kate Heflin, die Tochter des Schauspielers Van Heflin, übernehmen. Ursprünglich war Jolie Jones, die fünfzehnjährige Tochter des Musikers und Produzenten Quincy Jones, ebenfalls für die Rolle einer der Gespielinnen Stanleys vorgemerkt; aber als ihre Mutter das Drehbuch las, ließ sie Jolie kommentarlos von der Besetzungsliste streichen. Am Drehort lauerten Fotografen auf der Jagd nach heißen Bildern Don oft während der Mittagspause auf, damit er ihnen für ein paar Schnappschüsse Modell stand. Einige Leute, die an diesem Film mitwirkten, waren von dem jungen Star jedoch 47
weniger beeindruckt, wie das Magazin SHOW zu berichten wußte. »Er wird es nie schaffen«, erklärte die Kostümschneiderin. »Ich habe schon mit allen Stars gearbeitet — Newman, Brando, McQueery— und je größer sie sind, um so bescheidener treten sie auf. Dieser Junge ist erst seit einer Woche hier und bildet sich schon ein, er sei John Wayne. Vergiß es, Junge. Du wirst es niemals schaffen. Niemals!« sagte sie. Der Ausstatter hatte seine eigene Perspektive. »Er hat einen wunderbaren Arsch«, sagte er über Johnson. »Darin steckt sein ganzes Talent!« Dons anfängliche Selbstüberschätzung war sicher das kleinste Problem dieser Produktion. Lange Sequenzen einer Begegnung Stanleys mit einem Homosexuellen in einem Cafe mußten einer technischen Panne wegen neu gedreht werden. Ein Gewitter verdarb das ganze Material, das sie in den Nachtstunden aufgenommen hatten. Und als ein Double für Johnson sich für eine Szene fertigmachte, in der Stanley auf einem Motorrad fährt, erklärte Don, daß er keinen Stuntman nötig habe. Er wollte die Szene selbst übernehmen. Er stieg auf den Feuerstuhl, warf ihn an und ließ die Kupplung los. Die Maschine machte einen Satz von drei Metern, ehe sie unprogrammgemäß gegen einen Laternenmast prallte und den Helden wie einen Sack Zwiebeln auf den Boden vor die Kamera schleuderte. Jetzt können die Kritiker wenigstens sagen, daß Stanley zwar einen Bammel, aber keinen Bommel hat«, meinte jemand vom Aufnahmeteam, als Don mit dem Krankenwagen ins Hospital gebracht
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wurde. Zwei Stunden später war er wieder am Drehort, um ein paar Nähte reicher; aber mit geschrumpftem Ego. Einige Leute vom Aufnahmestab betrachteten diesen Vorfall als Wendepunkt — als heilsame Lehre für den jungen Star, die ihn auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte. Doch was immer Martin Poll auch unternahm : Er hatte große Mühe, die Leute — zu denen auch Mitglieder seines eigenen Stabes gehörten — davon zu überzeugen, daß er keinen Pornofilm drehte. Man hatte eigens einen Fotografen angeheuert, der die Nacktszenen in einem verschlossenen Atelier abdrehte — freilich in der Hoffnung, PLAYBOY
Als Frischvermählte grüßen ... Don und Melanie mit Cher auf ihrem Hochzeitsempfang in Bel-Air im Januar 1976
würde die Aufnahmen für veröffentlichenswert befinden. Prompt gab es Probleme. Die Werbeagentur, die für Öffentlichkeitsarbeit verpflichtet worden war, befand, daß es sich hier um Pornographie handelte, und kündigte fristlos ihren Vertrag. Einmal mehr ließ sich Don in einen Skandal zwischen Sex und Exzeß verwickeln. The Magic Garden of Stanley Sweetheart sollte ein Film mit erotischen Szenen sein, der die Möglichkeiten der Selbstbestimmung und eines experimentellen Lebensstils erkunden wollte. Noch unter dem Eindruck des Aufsehens, das er mit seiner Darstellung in Sal Mineos Stück erregt hatte, setzte er seinen Körper abermals für ein exzentrisches Unternehmen ein — und verdiente gutes Geld mit diesem Wagnis. Er hatte als Kind in Kansas und Missouri hart arbeiten müssen und war entschlossen, nie mehr sein Geld auf solche Weise zu verdienen. Das Kino-Business gefiel ihm da schon weitaus besser. Da der Film ausschließlich in New York gedreht wurde, mußte darin selbstverständlich auch eine Kommune vorkommen: mit echten Nichtschauspielern, Underground-Stars aus Andy Warhols Factory, die sich in einem Film, den Stanley selbst dreht, in Szene setzen. Wie jede Hippie-Enklave, die etwas auf sich hält, präsentierte sich diese mit Pop-Postern, verwinkelten Korridoren, flackernden Kerzen, Tapeten aus Aluminiumfolie und Perlschnur-Vorhängen. Die Electric //ead-Kommune hatte mit Joe Dalessandro, Candy Darling und Gerard Malange ihre >Starbesetzung<. Während seines Aufenthalts in New besuchte Don auch die echte Factory, Warhols Stu-
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York
dio, Salon und Laufstall für ein breites Sortiment sexuell provokativer Männer und Frauen, Transvestiten und Geschlechtsumgewandelter. Hier kam ihm zum erstenmal die siebzehnjährige Patti DÄrbanville vor Augen, die nackt für eine Fotoserie posierte, welche in Warhols Magazin INTERVIEW erscheinen sollte. Beeindruckt von dem, was er sah, bat er, ihr vorgestellt zu werden. Der Bitte wurde stattgegeben, doch es führte nicht weiter als bis zu einem gemeinsamen Lunch, weil Patti nach Europa fliegen und dort als Fotomodell Karriere machen wollte, während Don nach der Fertigstellung von Magic Garden wieder an die Westküste zurückkehren würde. Die New Yorker Szene blieb Don fremd, und er wollte sich dort nicht abmühen müssen. In Hollywood war er immer noch ein Star mit einem Fanzirkel, der ihm die emotionale Unterstützung gab, die jeder junge Schauspieler braucht. Dennoch konnte er ganz zufrieden sein, da ihm der Hippie-Film viel Geld einbrachte. So viel, daß er etwas zurücklegen konnte — für Zeiten, in denen es ihm vielleicht nicht so gut gehen sollte... Als The Magic Garden of Stanley Sweetheart dann zu einer der schlimmsten Pleiten der amerikanischen Filmgeschichte wurde, war Don fassungslos. Da war er doch schon auf dem richtigen Dampfer gewesen — war von einer Hauptrolle in einem Rock-Musical zu einer Hauptrolle in einem sensationellen und umstrittenen Bühnenstück in Los Angeles und gleich darauf zu einer Hauptrolle in einem abendfüllenden Film der Metro-GoldwynMayer-Studios gekommen. Es schien, als könnte er
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gar nichts falsch machen. Poll hatte doch noch kurz zuvor mehrere Akademiepreise für The Lion in Winter erhalten — war das nicht so etwas wie eine Erfolgsgarantie ? Es war Dons erster Film; aber er lernte rasch — nicht nur seine Rolle, sondern auch aus Fehlern im Studio. Und zur selben Zeit wurden bei MGM die Figuren im Vorstand ausgetauscht, was den Film zu einem Waisenkind machte. Keiner kümmerte sich darum, daß er kommerziell auf den richtigen Weg gebracht wurde. Als Schauspieler lernte er, daß man die Arbeit des Regisseurs, wenn dieser sie nicht gründlich genug macht, selbst erledigen muß. Auch wenn man für alle Zeiten als geltungssüchtig gilt: Ein Schauspieler muß vermeiden, schlecht auszusehen, und wenn er erforderlichenfalls selbst die Zügel in die Hand nimmt. Das Image des hübschen jungen Schauspielers in der vordersten Front der sexuellen Revolution blieb jedoch in den gesellschaftlichen Kreisen Hollywoods unverändert gut. Don, der charmante Star umstrittener Sex-Produktionen, war als Gast stets willkommen bei einer nie abreißenden Serie von Cocktailparties, Dinners und anderer Festlichkeiten. »Zu jener Zeit gab es immer Leute, die sich um dich kümmern wollten, wenn du ein relativ gutaussehender und unternehmungslustiger Schauspieler warst«, sagte Don. »Und ich brachte ihnen Spaß. Aus mir wurde ein Partylöwe allergrößten Stils. Ich führte ein hemmungsloses Abenteurerleben.« Er erschien in Los Angeles mit Christina Clark und Gina Bush zur Hollywood-Premiere von Russ
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Meyers Beyond the Valley ofthe Dolls, eine Parodie auf Sexund blutrünstige Action-Filme. Zu modisch langen Haaren trug er einen Anzug im Stil Eduards VII, mit schwarzem Hemd und Rüschen. Die beiden Mädchen in ihren geblümten Kleidern zeigten sich sehr offenherzig, als sie alle drei händchenhaltend den Saal betraten. Im August besuchte er mit seiner Stiefschwester Linda und einer Freundin namens Stephanie Warren die Eröffnungsfeier der Ontario-MotorRennstrecke, um dort an einem Prominenten-Autorennen teilzunehmen, dessen Erlös notleidenden Filmschauspielern zugute kam. Mit Papieren versehen, die ihm das Betreten der Rennboxen gestattete, stolzierte er dort, Zigaretten rauchend umher — die beiden Mädchen in Miniröcken am Arm. Dons nächster Film trug den Titel Zachariah. Nach dem Vorbild von A Hard Day's Night, Help und Don't Look Back war er einer der ersten Streifen, die Rock-Gruppen auf eine neuartige Weise im Film verwendeten. Konzipiert war er als Rock-andRoll-Western, der die Frage stellte, ob man auch ohne Revolver ein Revolverheld sein kann. Das Drehbuch basierte auf einer Idee des Firesign-Theaters, eines Quartetts von Künstlern und Autoren, die sich auf die Dadaisten-Komödie spezialisiert und sich vor allem mit ihren Alben Waitingfor the Electrician or Someone Like Hirn und How Can I Be in Two Places at Once When You're Nowhere at All einen Namen gemacht hatten. Der satirische Rock-Western mit Moral wurde in Baja/Kalifornien und Sonora/Mexiko gedreht. Die Handlung spielt in den neunziger Jahren des letzten
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Jahrhunderts, doch anstatt Banditen und Cowboys auf den Viehweiden aufeinanderprallen und sich mit heißem Blei beharken zu lassen, sollten sie in diesem Film die Waffen wegwerfen und Rock-andRoll-Musik spielen. Abermals hatte sich Don Johnson hier auf ein Experiment, diesmal musikalischer Art, eingelassen, und wieder würde er am Ende als Verlierer dastehen. George Harrison, der ihm als Verfasser der Filmmusik genannt worden war, ließ sich überhaupt nicht sehen; und die Leute vom FiresignTheater waren so entsetzt über das, was mit ihrem Buch geschah, daß sie sich von dem fertigen Film distanzierten. Was als ein surrealer Film unter freiem Himmel begonnen hatte, sollte sich in eine weitere surrealistische Fußnote unter einer Karriere verwandeln, der man wohl bald keine Chancen mehr geben würde. In diesem Film wurde Zachariah, dargestellt von John Rubinstein (dem Sohn des Pianisten Arthur Rubinstein), auf seiner Odysee durch eine gewalttätige Welt von einem Freund begleitet, dessen Rolle Don spielte. Die musikalischen Darsteller — Country Joe and the Fish, Cajun-Musiker Doug Kershaw, The James Gang aus Cleveland, das New-YorkRock 'n' Roll-Ensemble und Schlagzeuger Elvin Jones — schrieben alle ihre Nummern selbst. Don und John spielten ihre Rollen so gut zusammen, daß sich ein Reporter zu der Frage gedrängt fühlte, welche Beziehung denn zwischen ihnen bestünde. »Wir mußten nicht erst etwas miteinander anfangen oder so etwas Ähnliches«, antwortete Don. »Das war nicht nötig. Wir hatten etwas Tiefe-
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res, das uns verband, und deshalb harmonierten wir so gut. Und ich glaube, das merkt man diesem Film auch an.« Obwohl Zachariah nicht zu den Produktionen der ersten Kategorie gehörte, half der Film das nach dem Reinfall mit The Magic Garden of Stanley Sweetheart ramponierte Image von Don wieder ein wenig aufzupolieren. Und die Einladungen zu den Parties strömten nur so ins Haus. Don machte auch weiterhin seine Runden durch die HollywoodSzene, war Gast bei einer Party zu Ehren des Warhol-Stars Ultra Violet, nahm im März an einer Veranstaltung gegen den Vietnamkrieg im Beverly Hilton teil. Im August kam er zu einer Party anläßlich der Veröffentlichung von My Face for the World to See, der Biographie von Liz Renay, einer ehemaligen Freundin des Gangsters Mickey Cohen. Mit schulterlangen Haaren und wie ein echter Hippie gekleidet — Stiefel, weit ausgestellte Hosen, wildgemustertes Hemd, Army-Navy-Hängetasche — posierte er mit Renay neben dem Swimming-Pool, sein Hemd wie immer oben drei Knöpfe weit geöffnet. Den Arm um die hübsche Autorin in kniehohen Schaftstiefeln, Hot Pants und einer weitausgeschnittenen Bluse gelegt, lächelte Don so unschuldig in die Kamera wie der Kater, der eben den Kanarienvogel verspeist hat.
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Don Johnson war im >Sommer der Liebe< in San Francisco eingetroffen, um dort am American Conservatory Theater zu studieren. Der verrufene Haight-Ashbury-Bezirk war zum Zentrum einer alternativen Jugendkultur geworden, die sich ihre eigene ausgefallene Kleidermode schuf, ihre eigene Musik, ihre eigenen Helden, ihre eigene Sexualmoral und ihre eigenen Methoden und Mittel hatte, sich zu berauschen. Don paßte sich mühelos dieser Kultur an. Das Zeitalter des Wassermanns war angebrochen; und Don war ein junger, talentierter, sexuell frühreifer Knabe aus dem Mittelwesten — bereit, aus seinem Leben das Beste zu machen.
In seinem Sozialverhalten und in der Wahl seiner Rollen als Schauspieler war Don nicht radikal, wenn er sich auch sonst bemühte, mit den anderen Vertretern seiner Generation Schritt zu halten. Nie war er ein echter Hippie. »Er war mehr der Farmersohn aus dem Mittelwesten, der nach Hollywood kam, um dort sein Glück zu versuchen«, charakterisiert ihn der Fotograf Frank Edwards. Nicht zuletzt deswegen konnte Don sich andererseits gar nicht dem Einfluß der vorherrschenden Kultur entziehen.
Die Barrieren, die von der Gesellschaft zum
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Schutz des Bestehenden und zur Abwehr des Neuen aufgerichtet worden waren, wurden nun niedergerissen. Die Leute waren zu der Überzeugung gekommen, daß das Leben mehr Möglichkeifen bot, als die gesellschaftlichen Beschränkungen bisher erlaubt hatten, und daß es den Mitgliedern dieser neuen, sich an der Jugend orientierenden Generation oblag, ihr Leben nach neuen Werten einzurichten. Der Trend lief auf eine Erweiterung der menschlichen Erfahrung zu: auf das Experiment mit neuen Lebensformen (Kommunen), Sex (Gruppensex und Bisexualität), Eßgewohnheiten (Diät und Vegetarismus) — praktisch mit allem, was sich da nach Jahrzehnten streng normativen Verhaltens an Gefühlskultur noch am Leben erhalten hatte.
»Wir suchen nach Möglichkeiten, unseren Geist und Charakter zu öffnen für die Vielzahl möglicher Verhaltensweisen, die durch irgendeine gegebene Situation angeregt, berührt oder wachgerufen werden«, schrieb Benjamin DeMott in Surviving the 70's. »Wir hoffen, das Althergebrachte ... durch eine sich ständig erneuernde Bereitschaft für die Eventualitäten zu ersetzen ... Die Liebhaberei für lange Haare, eine Verweiblichung der Kleidermode und Verhaltensweise, Kosmetik für Männer, Unisex, und so weiter — dies ist der Versuch, eine neue Art Erfahrung von Männlichkeit (oder Weiblichkeit) zu erschaffen. Wie die Freiheit erst zur wirklichen Erfahrung wird, wenn sie am härtesten auf die Probe gestellt wird, so ist Männlichkeit am pikantesten, wenn sie dichter an ihr >Gegenteil< herangerückt wird: Laß mich meine Sexualität lieber als eine bewußte Wahl, denn als eine gegebene,
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unanfechtbare, unangenehme dingtheit erleben.«
bio-kulturelle
Be-
Und als Don nach Hollywood weiterzog, war die Stadt, die ihn mit offenen Armen aufnahm, nicht mehr das Hollywood vergangener Jahre. In der Blütezeit des Studiosystems pflegte ein Schauspieler einen Vertrag von langer Laufzeit zu unterschreiben, und das Studio kümmerte sich dann um alles andere: wählte für ihn die Rollen aus, sorgte für Werbung und Publicity und tat überhaupt alles, was in seiner Macht stand, um seine Karriere zu formen und zu fördern. In Don Johnsons Ära war es Sache des Schauspielers, sich mit Publicity zu versorgen und das Beste daraus zu machen. Die Sicherheiten, deren sich die Schauspieler nach den alten Verträgen erfreuten, waren längst vorbei. An ihre Stelle trat der neue Typ des Hollywood-Schauspielers, der sich seine Richtung selbst aussuchen konnte, dessen Fehler niemand verhinderte, der sein Leben in der Öffentlichkeit einrichten konnte, wie er wollte, und nicht so, wie es ihm ein auf der Zigarre herumkauender Studioboß diktierte. Indem Don nach seiner Ankunft in Los Angeles mit seiner Darstellung in einem prickelnd-sensationellen Stück, Fortune and Men's Eyes, Aufmerksamkeit erregte und sich anschließend wieder für zwei hüllenlose Sexrollen verpflichten ließ, hatte er sich für das Hollywood neuer Prägung in ein ganz bestimmtes Fach eingeordnet. Daß diese Filme kein Geld eingespielt hatten, war nicht so wichtig wie die Tatsache, daß Don in Filmen mitwirkte, die populäre Kultur in das cineastische Bewußtsein zu inte-
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grieren versuchten. Und Johnson, der sich nur zu gern von der gesellschaftlichen Szene Hollywoods mit ihren zahlreichen Wohlfahrts- und Premierenparties vereinnahmen ließ, wurde ein gesuchter Gast und Begleiter für manche von Hollywoods Reichsten. Und man konnte Don Johnson, eine Freundin oder ein neu eingetroffenes Starlet am Arm, bei so wichtigen öffentlichen Veranstaltungen wie der Eröffnung des neuen Paradise-Ballsaales sehen, wo er mit Mac Davis, Lance Rentzel, Hugh O'Brian und Jon Voight zu den geladenen Gästen gehörte. Auch hatte sein Mißerfolg in der Filmwelt seiner Beliebtheit nicht geschadet. »Er hatte seine Fans nicht verloren«, so der Autor Marvin Jones, Chronist der Karriere Johnsons für Homo-Publikationen. »Er war sehr gewieft. Er hatte viele Anhänger unter den Homosexuellen. Er täuschte sie bewußt, indem er sich bisexuell gab. Er ließ sich nackt für entsprechende Magazine fotografieren und tat auch sonst einiges, um die Zahl seiner Jünger zu mehren. Als Stanley Sweetheart ein Reinfall wurde, blieben ihm seine Fans treu. Er wußte, wie wichtig es war, sich dieses Stammpublikum zu erhalten. Dons nächster Film, in dem er seinem Rollenfach als appetitlicher junger Draufgänger, der mit alternativen Lebensformen experimentiert, treu blieb, hieß The Harrad Experiment. Der Roman von Robert Rimmer handelt von einem College, auf dem ein Teil des Studiengangs der Theorie und Praxis der Liebeskunst und der Philosophie der sexuellen Freiheit gewidmet ist. Damals war es ein gewagtes Buch. In der Schule bekommen schüchterne
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Don, Melanie, Tippi Hedren und Warren Beatty
junge Knaben wilde und verrückte Blondinen, unberührte junge Damen ranke und schlanke Lüstlinge als Ausbilder, die ihnen Nachhilfestunden geben. Auf dem Campus gehört der von Don Johnson gespielte Typ zu den aktivsten unter der Studentenschaft, der die Feinheiten des Nacktbadens und des Bettentauschs erforscht. Eine der Lehrkräfte an dieser Schule wird von der Schauspielerin Tippi Hedren verkörpert. Tippi Hedren war, wie Grace Kelly, Vera Miles
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und Eva Marie Saint, als eine von Alfred Hitchcocks kühlen Blondinen berühmt geworden — und gleich diesen mit einer Sinnlichkeit begabt, die sie fast völlig hinter einer beherrschten, damenhaften Fassade versteckte. Hitch hatte sie zehn Jahre zuvor in einem TV-Werbespot für ein Diätgetränk namens SEGO entdeckt, in dem sie sich beim Balzpfiff eines kleinen Jungen umdreht. Vor kurzem geschieden und mit einer vier Jahre alten Tochter namens Melanie im Schlepptau, unterschrieb sie einen Vertrag bei Hitchcock, der sie 52 Wochen jährlich für die nächsten sieben Jahre an ihn binden sollte. Nachdem er Edith Head mit dem Entwurf einer kompletten Garderobe nicht nur für Hedrens Filmproben, sondern auch für ihr Privatleben beauftragt hatte, ging Hitchcock daran, sich Hedren für die Hauptrolle in The Birds (Die Vögel) gefügig zu machen. Berüchtigt dafür, daß er Frauen, die für ihn arbeiteten, Tag und Nacht zu beaufsichtigen pflegte, dehnte Hitchcock seine vertragliche Gewalt auch auf ihr Privatleben aus und diktierte ihr, was sie zu tragen, wo sie hinzugehen und wen sie als Gast zu empfangen hatte. Für die Schlüsselszene von The Birds mußte sich Hedren tagelang lebenden Vögeln aussetzen und sich diese mit elastischen Schnüren am Körper festbinden lassen, damit sich der nötige Horror für den Aufnahmetermin einstellte. Hitchcock wurde immer besessener von ihr und machte ihr unsittliche Anträge bei den Dreharbeiten zu Marnie, was schließlich zum totalen Bruch zwischen ihnen führte. Zehn Jahre später drehte Hedren nun The Har-
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rad Experiment, und ihre inzwischen vierzehnjährige Tochter Melanie Griffith begleitete sie zum Drehort. Intelligent und frühreif, war Melanie auf einem Landgut bei Hollywood aufgewachsen, wo wilde Tiere frei umherliefen. Ihre unkonventionelle Mutter und ihr Stiefvater hatten sie zur Unabhängigkeit erzogen. Melanie und der damals zweiundzwanzigjährige Don Johnson lernten sich bei den Harrad-Aufnahmen kennen und sahen sich dann ein paar Monate lang nicht, während Melanie Urlaub auf den Jungferninseln machte. Als sie kurz vor ihrem 15. Geburtstag wieder in der Stadt war, überredete sie ihn zu einem gemeinsamen Lunch; doch er merkte rasch, daß sie für den Nachtisch eine Überraschung bereithielt. Laut seiner Version dieser Geschichte wollte Melanie nicht länger Jungfrau bleiben und hatte Don für diese Ehre ausersehen. Marvin Jones erinnert sich, daß »Tippi und Don sich nicht besonders vertrugen bei den Dreharbeiten für The Harrad Experiment. Tippi konnte Don nicht leiden, und Melanie machte ihn nur an, um ihre Mutter zu ärgern.« Nachdem Melanie ihrer Mutter erzählt hatte, was passiert war, wurde Don in ihr Haus eingeladen, wo, wie er ROLLING STONE erzählte, »sie alle recht zufrieden waren, daß ich ' es und kein anderer gewesen war, mit dem es eine unangenehme Erfahrung hätte sein können.« Für die nächsten fünf Jahre wurden sie unzertrennliche Seelenverwandte, die oft händchenhaltend durch die Hollywood-Szene streiften und Parties und Premieren gemeinsam besuchten — wie die von Bluebeard mit Richard Burton in der Haupt-
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rolle, zu der sie nach der letzten psychedelischen Mode gekleidet kamen. Ob er nun in seinen Junggesellenhöhlen in Hollywood Hills seine eigenen Parties gab oder irgendwo anders in der Stadt feierte: es machte viel Spaß, mit Don zusammen zu sein. Melanie wohnte daheim bei ihrer Mutter, und Don gelang es, ständig unter Strom zu stehen — mit all seinen Tugenden und Lastern. »Ein typischer Alkoholiker«, sagte er, »bedeutet einen Kasten Bier und mehrere Martinis vor der Hauptmahlzeit, mehrere Flaschen Wein während der Hauptmahlzeit und ein paar Gläschen guten Napoleon-Weinbrand nach der Hauptmahlzeit. Ich genoß stets sehr kostspielige Räusche.« Worauf in sehr vielen Häusern Hollywoods in den >swinging< siebziger Jahren sehr großer Wert gelegt wurde, war das stilgerechte Feiern auf Kosten der Substanz. Mit den Getränken wurden in der Regel immer Marihuana-Joints oder härtere Drogen herumgereicht. Don stellte sich in einem Interview der frühen siebziger Jahre folgendermaßen dar: »Ich bin ein superkompliziertes Wesen. Ich meine damit, daß ich zwar ein sehr einfaches Leben führe; aber insofern kompliziert, als ich ständig eine Menge verschiedenartiger Empfindungen gleichzeitig habe. Ich muß mich einfach mit der Tatsache abfinden, daß ich bestimmte Gefühle habe, die selbst ich nicht verstehe. Aber sie gehören zu mir. Sie sind mir in die Wiege gelegt worden. Wenn Sie nie das Gefühl haben, daß Sie jetzt einfach irgend wen draußen auf dem Korridor packen, auf den Boden werfen, sich die Kleider vom Leib reißen und die irrsten Sachen,
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die ihnen in den Kopf kommen, anstellen wollen — ich meine, wenn Sie dieses Gefühl nie haben, dann brauchen Sie sich auch nie damit zu beschäftigen, und das ist cool. Aber wenn Sie sich vorstellen können, daß Sie so etwas fertigbringen, dann müssen Sie sich damit auseinandersetzen ... Jedesmal, wenn ich den Drang spüre, meinen Trip zu machen, kann ich mich weniger beherrschen, was mir früher leicht fiel. Aber wenn ich aussteigen will, weiß ich, warum — und das kann ich dann eher akzeptieren, als ganz auf den Trip abzufahren. Ich meine, falls meine Partnerin emotional oder körperlich oder geistig nicht in der Lage ist, damit fertigzuwerden oder so etwas Ähnliches, dann bringe ich mich in eine Situation, wo ich mich nur noch in der Phantasie damit beschäftige, verstehen Sie ? Es sei denn, die Sache war von vornherein nicht so wichtig für mich und ich vergesse sie einfach. Ich habe das alles ziemlich gut gemeistert — überwunden oder unterdrückt.« Dons Ruf als Frauenheld wuchs ins Unermeßliche. Eine seiner Ex-Freundinnen berichtet: »Donnie nahm sich immer das aktuelle Starlet — seine Wohnung wimmelte von ihnen, und jeder konnte sehen, warum. Er sah einfach hinreißend aus. Ich meine, er war hübscher als ich.« »Wenn du die Achtung vor dem anderen verlierst«, sagte Johnson, »dann wirst du so wie einer von diesen herumpirschenden geilen alten Männern. Manche Leute, und ich meine damit sowohl Hetero- wie Homosexuelle, sind das allerletzte. Sie wollen dich nicht lieben — sie wollen dich verschlingen. Sie wollen dich besitzen, um sich das aneignen
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zu können, was du bist. Sie wollen mit dir schlafen, um dich zu erniedrigen, dich zu beherrschen. Sie sind ganz besessen davon, wollen es vielleicht gar nicht sein; aber sie sind eben so. Sie sind unfähig, etwas zu geben oder zu empfinden, sind unfähig zu einer echten, aufrichtigen — ob heterosexuellen oder homosexuellen — Liebe. Ich mache da keinen Unterschied, wissen Sie. Für mich ist beides Liebe. Ich bin der Meinung, echte Liebe kann man genausogut von einem Jungen wie von einem Mädchen bekommen. Nun, vielleicht nicht 100 Prozent genauso ... Ein Mädchen kann dir geben, was du von keinem anderen Wesen auf diesem Planeten bekommen kannst, und das ist etwas Superspezielles. Ich will damit sagen, daß ich mich nach einem süßen kleinen fünfzehnjährigen Jungen umsehen würde, falls es da nichts anderes gäbe, als alte Huren und eklige alte verbitterte Frauen. Doch statt dessen habe ich eine junge, süße kleine Freundin, und das genügt mir vorläufig. Aber wissen Sie — alle diese Dinge halte ich gar nicht für so wichtig. Wichtig ist, daß man sich ehrlich zu etwas bekennt, daß man wirklich etwas empfindet, und dieses Gefühl nicht bloß irgendeine unausgelebte Neurose ist oder dergleichen. Wie dieser Junge, den ich kenne und der die Boulevards abgrast — Bullet heißt er, ein unglaubliches Kerlchen. Der süßeste Junge, den man sich als Bekannten nur wünschen kann; aber wenn er in die Nähe von diesen DOMs [Dirty Old Men/schmuddelige alte Männer] kommt, könnte man glauben, er wäre ein kaltblütiger Killer. Aber er ist ein süßer Junge, und Aussehen, Figur und solche Sachen sind ihm völlig egal.
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Er vögelt nicht mit den Leuten, weil sie einen Status haben oder weil sie so gut aussehen oder dergleichen, sondern ihrer Persönlichkeit wegen. Sowas nenne ich wahre Liebe. Für mich ist es keine wahre Liebe, wenn man mit dem Beischlaf eine Absicht verbindet.« Zwischen seinen Filmengagements verdiente Don seinen Lebensunterhalt mit Gastrollen in Shows wie Police Story, The Bold Ones, Young Doctore Kildare, Sarge und Kung Fu. Da seine StudioTourneen in die Jahre fielen, wo es zu den gesellschaftlich legitimen Gepflogenheiten gehörte, daß der Regisseur bei einer Besprechung mit den Schauspielern Drinks und etwas Kokain anbot, lernte Don die sogenannten feineren Sachen zu schätzen. Don mit der Schauspielerin Melinda Naud auf einer Party in Los Angeles im August 1978
Er entdeckte auch, daß es dort eine Menge Barrakudas gab. »Sie wollen keine sein«, sagt Don, »sie sind eben so. Es gibt einen ganzen Zirkel dieser Leute. Wenn du mit einem von ihnen ins Bett gehst, reichen sie dich einfach weiter, und nachdem sie dich herumgereicht haben, lachen sie dich aus.« Im September '73 besuchten Don und Melanie mit prominenten Stars wie Rod McKuen, Terry Melcher, Richard Chamberlain und Dyan Cannon ein Elton-John-Konzert in Hollywood. Dons Haare waren jetzt dunkler; und er blickte mit diesem unverschämt breiten, strahlenden Lächeln in die Kamera, das ihm vermutlich aus so mancher Klemme herausgeholfen hat. Er genoß das Leben in vollen Zügen, gab im folgenden Monat eine Party, die auch Hollywoods berühmt-berüchtigter Regisseur Roman Polanski besuchte. Tippi Hedren gehörte ebenfalls zu den Gästen. »Viele junge Leute waren da«, sagte Frank Edwards, ein freischaffender Fotograf, der älter war als die meisten der Gäste. »Und da entdeckte ich in einer Ecke Yul Brynner, der sich prächtig amüsierte. Also kannte Don schon damals eine Menge wichtiger Leute.« Doch noch war für Don die Bühne der Mittelpunkt der Welt. Sie war es immer geblieben, seit er als kleiner Junge für das Vorsingen eines Liedes einen Vierteldollar bekommen hatte. Sollte der Traum von seiner großen Schauspielerkarriere bereits zu Ende sein, nachdem er in drei Filmen mitgewirkt hatte und nun, mit großen Durststrecken dazwischen, von einer Gastspielrolle zur nächsten driftete ?
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Eine Karriere als Schauspieler verlangt noch immer mehr Arbeit als eine Festanstellung mit Vierzig-Stunden-Woche. Und eines Tages wollte er schon alles hinwerfen, in die Berge ziehen und den Rest seiner Tage mit Gitarrespielen und seiner kleinen süßen Freundin verbringen. Der Tag mochte kommen, spürte er, wo er dieses Lotterdasein in Hollywood satt haben würde, ganz anders leben, vielleicht wieder auf eine Farm wollte, um Kohl anzubauen und die übrige Welt einfach hinter sich zu lassen. Im folgenden Jahr zog Melanie mit ihm zusammen, und ihre Mutter schloß sich ihnen an, wenn sie Premieren, Parties und sonstige Veranstaltungen besuchten. Bei der Premiere von Sea Marks, ein neues Stück von Gardner McKay, wurde Don mit kurzer Lederjacke und schulterlangen Haaren fotografiert. Tippi trug einen Pelzmantel, und Melanie war noch immer etwas pummelig, mit Babyspeck und Sommersprossen. »Sie war reif für ihr Alter«, erzählt eine Bekannte, »aber eben schon in sehr jungen Jahren reif.« Auf Dons Drängen hin gab Melanie ihr Filmdebüt in Arthur Pens Night Moves. Sie war auf einer 32 Morgen großen Ranch zusammen mit Tigern, Löwen und Leoparden aufgewachsen, und man hatte ihr viel Freiraum für die Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit gelassen. Seit ihrem zehnten Lebensjahr hatte sie für ihren Stiefvater, den Regisseur und Agenten Noel Marshall, die Vorauswahl von Drehbüchern vorgenommen. Wenn Melanie sagte: »Nein, das ist zu dumm«, machte er
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sich gar nicht erst die Mühe, das Manuskript zu lesen. Don bereitet sich gleichzeitig auf seine Rolle in A Boy and His Dog vor, einem Science-Fiction-Film nach einer Story von Harlan Ellison. Die Regie sollte der Charakterdarsteller L. Q. Jones übernehmen, der bisher so billige Streifen wie The Devü's Bedroom und The Brotherhood of Satan gedreht hatte, ehe er auf die Ellison-Story stieß. Wieder eines dieser umstrittenen Projekte, auf das Don sich hier einließ. Die Geschichte spielt im Jahr 2024 in einer postapokalyptischen Welt, ein Vorläufer der Mad-Max-Filme. A Boy and His Dog schildert die Abenteuer, die der junge Vic (Don Johnson) und dessen telephatischer Begleiter, ein Hund namens Blood, in der Zukunft erleben. In einer Welt, wo Frauen knapp und sehr begehrt sind, wird Vic, der unverwüstliche Schürzenjäger, in eine Topeka in Kansas nachempfundene Untergrund-Gemeinde gelockt, wo die Männer steril sind und daher ein großer Bedarf an potenten Vertretern ihrer Rasse herrscht. Das Topeka in A Boy and His Dog ist ein Stück Mittelamerika der dreißiger Jahre, gebaut in Erwartung eines atomaren Feuersturms. Unter der wohlwollenden Diktatur eines Komitees, das von Jason Robards angeführt wird, hat die Geseilschaft einen Plan zur Rettung ihrer Spezies ausgebrütet. Man teilt Vic mit, daß die Gesellschaft ihn für Schwängerung von dreißig ihrer jungen Damen Vermehrung der Bevölkerung benützen werde. findet das großartig, bis er erfährt, daß man nicht auf die von ihm erhoffte amouröse Weise ein-
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die zur Vic ihn
setzen, sondern ihn an eine künstliche Besamungsmaschine anschließen will, die 24 Stunden täglich seine Spermien absaugt. Als A Boy and His Dog 1974 auf die Leinwand kam, erschien Don etwas schlampig angezogen zur Premiere in einem viel zu kurzen Hawaii-Shirt. Melanie, die mit ihren Dauerwellen etwas gereifter wirkte, trug dazu eine Mickey-Mouse-Armbanduhr und eine große Umhängetasche. Ein paar Monate später fällte VARIETY sein Urteil: »A Boy and His Dog ist ein Machwerk ... eine dilettantische Mischung alberner Witze, chaotischer Kampfszenen und törichter Binsenweisheiten.« 1975 starb Dons Mutter an Krebs und den Folgen ihrer früheren Trinkgewohnheiten. Er hatte seit einem Jahr von ihrer Krankheit gewußt und getan, was er konnte, sie zu einer Diät anzuhalten und dem Alkohol zu entwöhnen und sie zu diesem Zweck in eine entsprechende Klinik geschickt. Don hat das zwiespältige Verhältnis zu seiner Mutter, einer hübschen Frau, die früher als Kosmetikerin gearbeitet hatte, in einem Interview so charakterisiert: »Ich konnte sie nicht ausstehen. Ich liebe sie unheimlich, verstehen Sie ? Aber ich kann sie nicht ertragen.« In späteren Jahren, als er schon etwas erwachsener war, hielt er sie für eine intelligente, lustige, eigensinnige, starke Frau mit mystischen Neigungen, und glaubte, daß ihr Bewußtsein sich auf einer höheren Ebene bewegen müsse. Seine persönliche Situation nach dem Tod seiner Mutter wurde noch dadurch kompliziert, daß er zwar ständig arbeitete, mit seiner Karriere aber nicht voran kam. Im Gegensatz dazu schien Melanie
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ein Senkrechtstarter zu sein, die mit drei Filmen gleichzeitig Premiere hatte. Außer in Night Moves spielte sie noch in The Drowning Pool, und zwar die einen älteren Mann (Paul Newman) herausfordernde Lolita und in Michael Ritchies Smile eine süße, verführerische und dumme Kandidatin eines Schönheitswettbewerbs. Newsweek brachte ein Porträt von ihr, in dem Don Johnson als ein Schauspieler, angehender Sänger und Star des rasch vergessenen Harrad Experiment Erwähnung findet, >der im Laurel Canyon mit der gerade siebzehn gewordenen Melanie Griffith zusammenlebte Als A Boy and His Dog in den Verleih kam, wollten die meisten Kinos den Film gar nicht haben. Nach dem Tod seiner Mutter, als Dons Karriere im Abwärtstrend begriffen und seine Beziehung zu Melanie problematisch geworden war, wandte er sich häufiger denn je Alkohol und Drogen zu. Mit Beginn der Dreharbeiten für Return to Macon County wurde Don in den Fachzeitschriften nur noch als Fernsehdarsteller, nicht mehr als Filmstar apostrophiert. Macon County spielt in den späten fünfziger Jahren und erzählt die Geschichte von ein paar jungen Leuten, die sich mit frisierten Autos Straßenrennen liefern und in Gewalttaten, Sexorgien und einen Mord verwickelt werden. Macon County, eine Fortsetzung von Macon County Line, war Nick Noltes erster Film und zeichnete sich vor allem durch seinen Soundtrack aus, in dem Fats Domino mit Fm Gonna Be a Wheel Some Day, Sandy Nelson, Eddie Cochran, die Gruppe Fleetwood Mac, Richie Nelson, Freddie Cannon und die
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Ventures zu hören sind. Don spielte Kumpel, einen einfachen Jungen vom Land.
Nick
Noltes
Inzwischen war seine Beziehung zu Melanie definitiv ins Rutschen gekommen. Beide gingen jetzt ihre eigenen Wege, und Don freundete sich mit der ehemaligen Miß Welt, Marjorie Wallace, an. Doch die Gefühle für Melanie waren noch stark. »Ich hatte den Abend und fast die ganze Nacht mit Marjorie Wallace verbracht, verließ ihre Wohnung und kehrte in meine zurück«, berichtet Don, »als Melanie mich um vier oder fünf Uhr anrief. Wir schworen uns gegenseitig ewige Liebe, flogen nach Las Vegas und heirateten.« Der Versuch, ihr Verhältnis zu neuem Leben zu erwecken, hatte einen gelungenen Start, als sie aus Las Vegas zurückkamen und zu einem Hochzeitsempfang im Haus einer Freundin, Scott Lanvin, in Bel-Air in Kalifornien gingen. Die Braut wirkte in ihrem enganliegenden ärmellosen Sweater, der an den richtigen Stellen Löcher aufwies, fraulich und sexy. Zu den Gästen gehörten die Mutter der Braut, Tippi Hedren, Warren Beatty, Roman Polanski, Cher, Lance Rentzel, Margaux Hemingway, John Phillips, Dino Martin jr., Desi Arnaz jr. und Nick Nolte. »Sie kamen nicht nur hin, sie werden ihn auch gemocht haben«, berichtete Frank Edwards. »Nun — auf eine Party mehr oder weniger kam es bei ihnen bestimmt nicht an.« Im Februar erhielt Don verdientermaßen den goldenen Scroll Award, den Preis als bester Darsteller des Jahres, von der Akademie der Science-fiction- und Horrorfilme für seine Rolle in A Boy and
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His Dog. Obwohl der Film von den Kritikern verrissen wurde — Don agiert in den meisten Sequenzen dieses Streifens mit einem Hund! — bildete sich eine große Kultgemeinde, die sich bis zum heutigen Tag gehalten hat. Mit einem gesellschaftsfähigen Smoking bekleidet, stolz seine Frau am Arm führend, kam Don zur Verleihungszeremonie. Allerdings waren weder die Fütterwochen noch die Ehe von Dauer: keine zwölf Monate nach ihrer Blitzreise nach Las Vegas trennten sich Melanie und Don. Sie wollte sich auf ihre kommende Filmkarriere konzentrieren, Don suchte Engagements beim Fernsehen. 1977 spielte er in einem TV-Film mit dem Titel Big Hawaii, der laut WASHINGTON POST »große Langeweile« auslöste — allerdings war er »mit einer Reihe erfrischender junger Darsteller besetzt, denen man nur wünschen kann, daß sie zu besseren Projekten fortschreiten können. Die Premiere hatte noch einen Lichtblick in Don Johnsons Darstellung eines unzuverlässigen, aber geselligen Nomaden.« Anläßlich eines Essens im Century Plaza Hotel, das die Fernsehgesellschaft ABC gab, wurde Don in der Presse als Ex -Gatte von Melanie Griffith erwähnt. Und er machte keinen sehr gepflegten Eindruck mit seinen mehrere Tage alten Bartstoppeln, den langen Haaren, seinem wie üblich bis zur Brust hinunter aufgeknöpften Hemd und den bis zu den Ellenbogen hinaufgeschobenen Jackenärmeln. In diesem Zusammenhang wurde auch eine neue Fernsehserie erwähnt, die den Titel Two-5 tragen und in der Don Johnson die Hauptrolle spielen
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sollte; doch von diesem Projekt hat man danach nie mehr etwas gehört. Im Januar wurde Amateur Night at the Dixie Bar and Grill ausgestrahlt — »einer der besten Filme, die je für das Fernsehen gedreht wurden ... ein Beweis, daß auch der Filmemacher mit eigenem Stil eine Zukunft im Fernsehgeschäft hat, und nicht nur der pasteurisierte Quark aus der Atelierfabrik ...« schrieb der Kritiker der WASHINGTON POST. »Hier wird konzeptionell und mit schlichten erzählerischen Mitteln mehr geboten als in manchen Filmen, die zwei oder drei Abende zum Abspulen ihrer Handlung brauchen.« Joel Schuhmacher, Autor des Filmmanuskripts von The Wiz, schrieb das Drehbuch und führte Regie in dieser Bildschirmoper, die eine Nacht in einem heruntergekommenen Rasthaus an der Landstraße schildert, wo hoffnungsvolle Nachwuchstalente mehr oder minder vorbereitet und in mehr oder minder mitgenommenem Zustand sich vor einem Auditorium sympathischer Ganoven produzieren. Henry Gibson spielte den Richter in diesem Wettbewerb der Talente, und zu den angehenden Künstlern, die sich mehr oder weniger gut aus der Affäre ziehen, gehörten Candy Clark, bekannt aus American Graffiti und Citizen Band, Tanya Tucker in ihrem TV-Debüt als lampenfiebergeplagte Sängerin und Fast Ast, aus der Schule Andy Warhols. Zu den Gästen der Kaschemme zählte auch Don Johnson als ein schon fast erwachsener Jugendlicher mit Spitznamen Cowboy, in den die Kellnerin, die von Joan Goodfellow verkörpert wird, fürchterlich verknallt ist. »Wie Goodfellow auf
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die Bühne geht, um ihn wissen zu lassen, was sie für ihn empfindet, ist schon sehr geschickt in Szene gesetzt und Johnson und Goodfellow sind beide attraktive und beeindruckende Darsteller«, hieß es in der Kritik. Don wurde nun häufig mit Tanya Tucker zusammen gesehen und besuchte ihre Shows in Lokalitäten wie dem Roxy oder dem Rainbow. Seine Schwester, die Liedermacherin Jamie Skylar, die so niedlich und entwaffnend lächelte wie ihr Bruder, nahm ebenfalls an einer solchen Show teil. Er selbst wurde gerade für Ski Lift fo Death verpflichtet. Heute betrachtet er diesen Film als den Tiefpunkt seiner Karriere. »Ich hatte noch immer meine schauspielerischen Fähigkeiten unter Kontrolle«, berichtet Johnson über diese Phase, »aber nicht unter Alkoholeinfluß. Bei der Arbeit trank ich nichts und nahm keine Drogen. So diszipliniert war ich noch. Aber ich glaube, beides beeinflußt einen trotzdem unterschwellig und beeinträchtigt das Reaktionsvermögen, die Aufnahmefähigkeit und Kreativität.« Trotzdem sprach sich herum, daß Johnson mindestens eine Rolle verloren hatte, weil er dermaßen verkatert zu den Aufnahmen erschien, daß er nicht arbeiten konnte. Einmal soll er sogar so voll gewesen sein, daß er angeblich ein reiches Mädchen heiratete — weil er es für einen Spaß hielt. Die Ehe wurde ein paar Tage später annulliert. Auch das Kokain wurde, je mehr er trank, zum Problem, weil er beides zugleich zu sich nahm und Drogen und Alkohol sich gegenseitig in der Wir76
kung verstärkten. Seine Probleme verschlimmerten sich nach der Trennung von Melanie. Wie schwierig die Zeit ihres Zusammenseins auch gewesen sein muß — das getrennte Leben war offenbar auch keine Lösung. Melanie fing an, regelmäßig Heroin zu nehmen; inzwischen konnte sie davon loskommen. Und Don genehmigte sich Alkohol, Kokain und Marihuana durcheinander. Bei allem Auf und Ab seiner Karriere hatte Don doch nie die Musik aufgegeben und stets seine Gitarre in der Nähe, damit er sich zu einem Lied begleiten konnte. Ein Freund von Dickie Betts, der erst zur Allman Brothers Band gehört hatte und sich später den Great Southern anschloß, hatte mit ihm zusammen ein paar Songs verfaßt, die dann auf einer LP mit dem Titel Englightened Rogues herausgebracht wurden — das Album, das die Band 1979 wiedervereinigte. Die Allman Brothers Band hatte sich aufgelöst, nachdem Gregg Allmans persönlicher >Roadie<, sein >Reisemanager< und Tournee-Organisator, wegen Drogenhandels verhaftet und verurteilt worden war. Man hatte allen Mitgliedern der Band Straffreiheit zugesichert, wenn sie den Namen ihres Drogenlieferanten preisgeben würden. Der Verrat an einem Mann, der im Grunde nur tat, was Allman von ihm verlangt hatte, schokkierte Betts dermaßen, daß er erklärte: »Wir können nie mehr mit Gregg arbeiten.« Aber jetzt waren sie wieder in den Hitlisten, und innerhalb von 14 Tagen hatten sie die Schallplatte aus Platin. So ist das mit dem Rock & Roll! Don, der mit der Musikszene in latenter fühlung geblieben war, besuchte eines Tages eine
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Don Johnson mit der Schauspielerin Lyne Moody auf einer Party zu Ehren der Muppets im April 1979
Party für Ocean Records, einem neuen Schallplattenlabel, die im Sun-and-Sea-Club im kalifornischen Santa Monica stattfand. Es war eine formlose Angelegenheit. Don erschien ohne Schlips, mit offenem Kragen und auf die Stirn geschobener Sonnenbrille. Wenig später kam er zu einer Party in Cocoanut Grove, mit der die Muppets in Hollywood willkommen geheißen wurden. Das war eine ziemlich feierliche Veranstaltung, bei der er einen Smoking zu seinen langen Haaren tragen mußte, und seine Verabredung für diese Party war Lyne Moody, eine Schauspielerin, die in Roots mitgewirkt hatte. Zu den Gästen gehörten auch Peter Falk, Jane Seymour und Loni Anderson.
Immer noch ständig, wenn auch unauffällig, werkelnd, war Johnson als nächstes in The Rebeis zu sehen, einem vierstündigen Zweiteiler — Universals Nachfolgefilm zu The Bastard, mit dem die Werke des Bestseller-Romanciers John Jakes erstmals auf die Mattscheibe kamen. »Der Film erfüllt nicht einmal den Mindeststandard der für das Fernsehen zulässigen Banalität«, urteilte die WASHINGTON POST. »Es ereignet sich alles auf eine verschwommen-nebelhafte Weise, als würde man in einem Krankenhausbett, vollgepumpt mit Betäubungsmitteln, sein Essen hinunterwürgen.« Und wieder wird Johnsons Darstellung, wie schon so oft in einem Flop, als »gewandt« bezeichnet. »Aber das Ensemble ist kopflastig mit unglaubwürdigen oder langweiligen alten Gesichtern, die auf eine absurde Art bedeutende Persönlichkeiten verkörpern, wie sie selbst in den abgedroschensten Historienschinken besser präsentiert werden.«
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From Here to Eternity, mit William Devane in der Hauptrolle, war Dons nächstes Abenteuer in der Fernseh-Fabrik. In dieser Serie, die sich auf eine schon zuvor ausgestrahlte Miniserie stützte, spielte er eine neu eingeführte Figur, Jefferson David Prewitt: einen Handelsmatrosen, der unerlaubt sein Schiff verläßt, um den Tod seines Bruders Robert E. Lee Prewitt zu untersuchen, der am Schluß der Miniserie ums Leben gekommen war. Außer ihm gehörten noch Kim Bassinger und Barbara Hershey zu den Hauptdarstellern. Es war eine Neuverfilmung des Bestsellers von James Jones über das Soldatenleben im Vorkriegs-Hawaii, der, erstmals 1953 mit Frank Sinatra und Donna Reed in Szene gesetzt, beiden Darstellern einen Oscar eingebracht hatte. Bei den Dreharbeiten zu diesem pikanten Ehebruch-Rührstück lernte Don Steve Bauer kennen, einen vielversprechenden Schauspieler, den er professionell und privat unter seine Fittiche nahm. Er stellte ihn seiner Ex-Gattin Melanie vor — die sich dann schließlich mit Steve trauen ließ. Die Serie der Flops setzte sich mit Beulah Land fort, einer in Mississippi verfilmten Familiensaga aus dem amerikanischen Bürgerkrieg. Mit Ann Warren, Eddie Albert, Hope Lange und Don Johnson in den Hauptrollen wurde die Serie abermals ein verheerender Reinfall. Nichts schien mehr zu klappen. Da beschloß Don eines Abends, bei Mr. Chows zu essen, einem eleganten Treffpunkt Hollywoods und teuren chinesischen Spezialitätenrestaurant. Als er dort ankam, sah er Tanya mit ihren Freunden
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an einem Tisch sitzen, und beschloß, sich erst einmal in die Bar zurückzuziehen und etwas zu trinken. Die Schauspielerin Patti DÄrbanville, die an einem anderen Tisch saß und ebenfalls mit Freunden dinierte, entdeckte ihn am anderen Ende des Raums an der Bar. Sie stand vom Tisch auf, setzte sich zu ihm und fragte ihn, wie oft er verheiratet gewesen sei. »Dreimal«, antwortete er. »Na, dann beglückwünsche ich dich zu Nummer vier«, sagte sie, und am Ende dieses Abends landeten sie bei ihm in der Wohnung um dort, wie sie behauptet, acht Nächte hintereinander im Bett zu verbringen. »Ich entdeckte seine liebenswürdige Erscheinung am anderen Ende eines Speiseraums. Meine Freundin und ich sahen uns an. Dann stand ich gleichzeitig mit ihr auf, und wir fingen beide an zu laufen — aber ich war zuerst an der Bar. Ich kann es immer noch nicht glauben, daß ich Don buchstäblich nachgelaufen bin. Ich zog noch am gleichen Abend zu ihm, und wir kamen die ganze nächste Woche nicht aus dem Bett.« Wieder ließ Don sich mit einer Frau von furchtgebietendem Format und buntbewegter Vergangenheit ein. Patti war im zarten Alter von drei Jahren beim Wettbewerb in Bloomingdales Kaufhaus als schönstes Baby prämiert worden. Drei Jahre lang spielte sie dann im Fernsehen ein Baby, das zu Werbezwecken in der Badewanne saß und über seine Ivory-Seife sagte: »Und sie schwimmt!« und »Kaufen Sie sie noch heute!« Sie wuchs in Greenwich Village auf, wo ihr Vater als Barkeeper arbeitete. Ihre Mutter war Artistin, und mit 13 bekam Patti einen Job als Disjockey im Cafe Figaro. Im Jahr
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darauf gab sie die Schule auf und lernte in diesem Cafe Andy Warhol kennen, der sie in einem Film unterbringen wollte, womit ihre Mutter allerdings nicht einverstanden war. Ein paar Jahre später, als sie hinter der Theke von Max' Kansas-City-Bar arbeitete — dem bevorzugten Treffpunkt der Rock & Roll-Intellektuellen — sah sie jemand und meinte, sie gäbe ein hervorragendes Fotomodell ab. Mit ihren grünen Schlitzaugen, ihrer Stupsnase und ihren honigblonden Haaren gelang es ihr, die Starfotografen Richard Avedon und Bert Stern zu Probeaufnahmen mit ihr zu überreden. Mit diesen ging sie zu Wilhelmina, die sie als ihr kleinstes Modell — fünf Fuß und vier Zoll —, das sie jemals unter Vertrag genommen hatte, in ihre Agentur aufnahm. In seinem Buch über die Schönheit beschreibt der Fotograf Francesco Scavulo Patti als eine »köstliche Schönheit von der Qualität eines Kätzchens — klein, sexy und feminin.« Als Siebzehnjährige bekam sie 1968 eine Hauptrolle in Flesh, einer Produktion des Andy-WarholProteges Paul Morrissey. Flesh handelt von einem jungen Ehepaar und den Bemühungen des Ehemanns Joe, sich zu verkaufen, um das Geld für die Abtreibung der Freundin seiner Frau zusammenzubekommen. Als Joe nach Hause kommt, ertappt er seine Frau zusammen mit ihrer Freundin (Patti) im Bett — und schließt sich den beiden an.
Johnson auf einer Party in Santa Monica im Mai 1979
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Nach diesem Film ging Patti ins Ausland, um in Großbritannien, Frankreich, Westdeutschland und Italien zu arbeiten. Eigentlich wollte sie nur drei Monate in Europa bleiben, doch es wurden fünf Jahre daraus. In Paris nahm sie zwei Monate hindurch sechs Stunden täglich Französisch-Unterricht bei einem Privatlehrer, was sie in die Lage versetzte, eine kleine Rolle in dem französischen Streifen La Maison zu übernehmen. Sie wirkte auch in La Saignee — The Bloodletting mit und in einem in Paris gedrehten Warhol-Film mit dem Titel L'amour. 1972 kehrte sie nach Amerika zurück und studierte dort das Schauspielfach, ehe sie im darauffolgenden Jahr nach Los Angeles zog und sich dort das Geld für die Miete in einer Boutique verdiente — in der >Maxfield Blue< in Beverly Hills, wo sie Kaschmir-Sweater an prominente Kundinnen wie Barbra Streisand verkaufte. Nachdem sie die Runde durch die Studios gemacht hatte, bekam sie die Rolle einer harten, trinkfesten Lady, die von einer Kneipe in die andere zieht. Der Film, in dem Jeff Bridges und Sam Waterston die Hauptrollen spielen, hieß Rancho Delwce. Noch einmal zog es sie nach Paris, wo sie mit David Newman Crazy American Girl drehte und sich in einen Franzosen verliebte, den sie 1975 heiratete. Doch der Pendelverkehr zwischen L.A. und Paris war zu strapaziös, und da er seine Heimat nicht verlassen mochte, trennten sich die beiden zwei Jahre später wieder. 1979, nachdem The Main Event — mit Barbra Streisand und Ryan O'Neal in den Hauptrollen — abgedreht war, lebte Patti allein in ihrer Wohnung
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im kalifornischen Venice mit dem Blick aufs Meer. Dann lernte sie Don Johnson kennen. Ihre Leidenschaft sollte jedoch einen für sie unerwarteten Erfolg haben, als Patti schwanger wurde. Die Schwangerschaft war für beide eine Überraschung. Don weigerte sich zu heiraten, und Patti war ebenfalls dagegen. Glückliche Zukunftspläne wären auch verfrüht gewesen. Nach der Sendung von Beulah Land schrieb ein Kritiker: »Beulah Land ist als Behausung für Menschen untauglich ..., auf eine so tapsig-unbeholfene Art gräßlich, daß es schon komisch wirkt [womit die ersten zwei Folgen der sechsstündigen Miniserie gemeint waren], aber in der dritten Folge wird es dann so schaurig und häßlich, daß es einem den Magen umdreht.« Farbige Organisationen protestierten, weil die Schwarzen in Beulah Land ihrer Meinung nach auf herabwürdigende und einseitige Weise dargestellt wurden. Ein schwarzer Darsteller bat, seinen Namen aus dem Vorspann zu streichen, da er, wie er sagte, sich habe übergeben müssen, als er das fertige Produkt sah. Auch der Autor J. P. Miller verlangte, daß sein Name aus dem Vorspann entfernt wird. »Das mehrere Generationen umspannende historische Rührstück verfolgt das Schicksal von BeulahLand, dieser großen ollen Plantage, und deren Herrin, einer leicht affektierten Sarah Kenrick (Lesley Ann Warren) durch eine Serie von Geburten, Todesfällen, Hochzeiten, Morden, Vergewaltigungen, Ehebrüchen vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs. In ihrer Hochzeitsnacht verweigert Selma
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ihrem betrunkenen Ehemann (Don Johnson) den Beischlaf und wird zur Strafe in den Wald gejagt. Darauf geht sie offenbar eine lesbische Bindung ein. Das Programm ist ungeeignet für Kinder, ungeeignet für Erwachsene und ungeeignet für das Fernsehprogramm.«
Obwohl Don während Pattis Schwangerschaft kein Engagement hatte und Patti 75 Pfund zunahm, war es die richtige Zeit, daheim zu bleiben und den Haussegen zusammenzuhalten. Patti, die das Opfer eines tempound abwechslungsreichen Lebens geworden und ständig von Leuten umgeben war, die ihre Schwächen ausnutzen wollten, hatte hart daran gearbeitet, sich von dieser Vergangenheit zu reinigen. Am 7. Dezember 1982 wurde Jesse geboren — ein stattliches Kerlchen von neun Pfund und 198 Gramm.
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Patti D'Arbanville und der Sohn, den sie geboren hatte, wurden immer wichtiger für Don. Endlich wurde dieser trinkfreudige, leichtlebige Zigeuner gezwungen, Bilanz zu ziehen. Eines Tages geschah es: Don wachte auf, warf einen Blick in den Spiegel, und was er dort sah, gefiel ihm nicht. Aufgedunsen, 180 Pfund schwer und damit reichlich 20 Pfund über seinem.Normalgewicht. Er hatte einen knabenhaften, nicht gerade muskulösen Körper, der bei dem Raubbau, den er mit sich trieb, rasch alterte und Pölsterchen unter der schlaffen Haut bekam. Die Jahre hatten ihn eingeholt: Er war nicht mehr der vitale, freche neue Junge im Revier, kein vielversprechendes Talent mehr, aus dem ein Star werden mußte. Wenn er nicht rasch etwas unternahm, würde er keine Zukunft mehr haben: weder im Showgeschäft — noch in irgendeinem anderen Job ...
Als Patti aufwachte, sah sie Don angezogen am Tisch sitzen und im grauen Dämmerlicht schreiben. Sie bewohnten einen Bungalow in Santa Monica. Er hatte zwei Schlafzimmer und ein Spruchband an der Wand: >Wenn das Leben dir Zitronen beschert, mach Limonade daraus/ Dons Leben war ihm
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sauer geworden. Er steckte in einer Sackgasse. Er hatte endgültig die Nase voll von der geistigen Inzucht der Hollywood-Szene — den Leuten, den Parties und dem ganzen Gequatsche. Deprimiert und ausgelaugt von den nie endenwollenden Zechgelagen, begann Don sich zu überlegen, ob es denn außer der Schauspielerei keinen anderen Lebensinhalt für ihn gebe. Er dachte an eine Rückkehr nach Missouri und daran, eine Farm zu bewirtschaften. Aber reichten seine materiellen Rücklagen dafür aus ? Ein Cadillac im Wert von 25000 Dollar, das Stereogerät brachte es vielleicht auf 1000 Dollar, die Couch noch einmal 1000 ... Patti konnte ein paar weise Worte beisteuern. Sie hatte selbst ihre Probleme mit Drogen und Alkohol gehabt und wußte, was Don gerade durchmachte. Sie wußte auch, daß es immer wieder eine Chance gibt, sich zu ändern. Was auch immer der Strohhalm gewesen sein mag, an den Don sich klammerte: An diesem Morgen wurde ihm ein für allemal klar, daß er auf der schiefen Bahn war, und sich auf das Ende der Strecke zubewegte. Er ahnte, daß Patti ihn verlassen und Jesse mitnehmen würde, wenn er so weitermachte wie bisher. Also sagte er: »Patti, ich bin ein Säufer und suchtkrank, und es ist Zeit, etwas dagegen zu unternehmen.« Am 11. September 1983 hatte Don Johnson seinen ersten Termin bei den Anonymen Alkoholikern. Ursprünglich in der Absicht gegründet, Menschen mit Alkoholproblemen beizustehen, ging diese auch in Deutschland bekannte Gruppe in den achtziger Jahren immer mehr dazu über, Menschen
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zu helfen, die nicht nur von der Flasche loskommen mußten. In fast allen Fällen war die Sucht nach anderen Stoffen hinzugekommen — nach Marihuana, Kokain, Tabletten und was es noch so alles gab. In den USA werden Abhängige mit MehrfachSuchtproblemen Mixmasters genannt. AA ist bekanntlich sorgfältig auf unbedingte Anonymität und Diskretion bedacht. Ihre Mitglieder müssen versprechen, nicht mit Außenstehenden über das zu reden, was in den Versammlungen vor sich geht, und nicht auszuplaudern, wer daran teilnimmt. Jeder, der Hilfe braucht, wird gleichrangig behandelt, und Leute der Arbeiterklasse mit Suchtproblemen sitzen oft neben den Großen und Mächtigen mit den gleichen Problemen. Jedem Mitglied der AA wird zu jeder Tages- und Nachtzeit Unterstützung garantiert. Don ging 45 Tage hintereinander täglich zu zwei Versammlungen der AA-Gruppe und gab dann von heute auf morgen das Trinken auf. Das sollte sein Leben verändern.
Das Hin und Her zwischen Vollbeschäftigung und Nichtbeschäftigung, typisch für den Schauspielerberuf, war Don nicht bekommen, weil er sich jedesmal gehen ließ, wenn er nicht arbeitete. Das soll nicht heißen, daß er in den Phasen der Anspannung stets Mr. Saubermann war. Es glich sich ungefähr aus. Wenn er arbeitete, blieb er tagsüber nüchtern, aber kaum war Feierabend, konnte er es kaum abwarten sich vollzudröhnen. Zwischen den Engagements pflegte er, wie andere Schauspieler auch, das Telefon anzustarren und auf einen Anruf zu warten. Zwischendurch überkam ihn bisweilen die Lesewut. Einmal verschlang er in einem Zug samt-
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liehe Romane von Jack London. Ein andermal suchte er alle Bücher zu den Filmen zusammen, in denen er mitgewirkt hatte, wie zum Beispiel From Here to Eternity. Dann rief ihn ein Freund an und erzählte ihm von »Dade County Fast Lane«, wie der Arbeitstitel des Projekts hieß, aus dem schließlich Miami Vice werden sollte. Noch in der Entwicklungsphase bei Universal, suchte das Studio nach jemandem, der die Rolle des guten braven Jungen aus dem Süden spielen konnte, und Dons Freund — ein wirklich guter Kumpel — meinte, Johnson würde sich großartig für diese Rolle eignen. Don besorgte sich das Script, und — nun, das war es. Don kam ganz aus dem Häuschen, als er es las, und sagte: »Das ist mein Leben.« Weil er spürte, daß dies etwas war, wofür zu kämpfen sich lohnte — kein Seelenkrampf wie Ski Lift to Death oder Beulah Land — bohrte und drängelte Don so lange, bis er einen Termin bei Tony Yerkovich bekam, dem Schöpfer der Serie und Empfänger von Brandon Tartikoffs berühmtem >MTV-Bullen<-Merkzettel. Johnson machte eine Leseprobe und überzeugte Tony im Handumdrehen. Es war die reinste Zauberei. Yerkovich bemerkte lediglich, daß er nicht schlüssig sei, ob Johnson tatsächlich ein guter Schauspieler ist oder ob er sich nur selbst spielt. Für Johnson war Sonny eine Rolle, zu deren Charakter er eine Beziehung hatte. Natürlich gefiel ihm auch der Gedanke, daß er mit dieser Hauptrolle möglicherweise jede Woche auf die Mattscheibe kam. Mit der Figur des Polizisten Sonny Crockett
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Don Johnson und Sally Savalas bei der Premiere des Films Farne im Mai 1980
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kommen anpassen mußte wie eine Fliege an der Wand einer mexikanischen Cantina. Johnson war wie Sonny herumgestrolcht, war verheiratet gewesen, geschieden, unbehaust, doch noch nicht bereit, im Leben oder in der Liebe das Handtuch zu werfen. Lange Dienststunden, wenig Schlaf — Rastlosigkeit und Hingabe wurden von dieser Figur Sonny demonstriert. Ganz nach Dons Geschmack, der über ein riesiges Reservoir bislang fehlgeleiteter Energien verfügte, die er nun auf etwas Neues verwenden konnte, das sein ganzes Können in Anspruch nahm. Kreative Kräfte, die vorher für eine ausschweifende Lebensweise vergeudet wurden, ließen sich nun sinnvoll anwenden. Und, wie so oft, wenn Menschen wieder zu sich selbst finden: Don übertraf alle Erwartungen. Sonny hatte auch eine intellektuelle, sensible Seite, die an Dons Selbstverständnis eines Menschen appellierte, der durch Erfahrungen gelassener geworden war. Und überdies würde er der Star der Serie sein — was sein marodes Selbstwertgefühl zugegebenermaßen kitzelte. Und er konnte in Florida leben, was seiner Sehnsucht nach Landluft entgegenkam und ihn seinem alten Freund und ehemaligen Zechkumpan näher brachte — Dickie Betts von der Allman Brothers Band. Überdies war das eine gute Ausrede für ihn, wenn er sich dem Einfluß der schlechten Gesellschaft an der Westküste entziehen wollte. In dieser Periode selbstverordneter Abstinenz begann Don zu joggen und legte schließlich eine Strecke von vier Meilen täglich zurück. Er fühlte sich bald gesund genug, die Westküsten-Premiere
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von Brainstorm zu besuchen — Nathalie Woods letzter Film —, die im Pacific Cinerama Dome in Hollywood stattfand. Der Erlös dieser Veranstaltung — 100 Dollar kosteten Karte und Gedeck — war für den Wiederaufbau der Bibliothek von Hollywood bestimmt. Ganz in schwarz gekleidet, mit dem Ansatz eines Schnurrbarts, schwarzem Ledergürtel und einem Hemd mit Peter-Pan-Kragen, dessen oberster Knopf geöffnet war, erschien er dort in Patti DÄrbanvilles Begleitung. Der Schnurrbart war eine Vorbereitung auf einen Film mit dem Titel Cease Fire, den er in Florida drehen wollte. Das Studio ließ ihn unterdessen zappeln. Der Name Don Johnson gehörte nicht unbedingt zu denen, die in den Augen der Fernsehgewaltigen ein Synonym für Erfolg darstellten. Seine Auftritte in mehreren Flops, Serien wie From Here to Eternity und Beulah Land etwa, wurden nicht gerade als Aktivposten in der Gewinnkalkulation verbucht. Und die Geschichten von seinen Alkoholexzessen und anderen Eskapaden erleichterten eine positive Entscheidung auch nicht gerade. Doch Don war inzwischen tatsächlich so clean geworden, wie er sich darstellte. Er zeigte eine gewaltige Willenskraft und war wieder imstande, seine Energie auf kreative und produktive Leistung zu konzentrieren. Doch nun sah er sich einer anderen Herausforderung gegenüber — einer Hürde, die alle Suchtentwöhnten nehmen müssen. Man ist zwar sauber, aber wie kann man andere von seinem neuen Lebenswandel überzeugen? Wenn andere uns kein Vertrauen entgegenbringen, pflegt das zumeist auf uns selbst abzufärben. Und wenn Don
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nicht mehr Engagements an Land zog, würde nicht nur die Last seiner Schulden wachsen, sondern auch der vertraute Lebensstil der Hollywood-Szene ihn dermaßen vereinnahmen, daß er sich ihm auf die Dauer wohl doch nicht entziehen konnte. Im Januar '84 sollten die Dreharbeiten von Cease Fire beginnen, und Don, der schwer verschuldet war, konnte es sich nicht leisten, noch länger in der Nähe der NBC auf eine Entscheidung zu warten. Er war nicht länger der herumvagabundierende Zigeuner, der seinen Hut mal hierhin und am nächsten Tag ganz woanders hin hängte. Er konnte einfach nicht auf diese Filmrolle verzichten. Er war zwar nicht verheiratet, hatte jedoch seit vielen Jahren erstmals wieder eine feste Beziehung, die er nicht aufs Spiel setzen wollte. Und zudem fühlte er sich natürlich Jess gegenüber verpflichtet. Es wird ja oft gesagt, das sich die Vaterschaft auf einen Mann merkwürdig auswirken kann — merkwürdig zumal bei einer Sorte von Mann, die möglicherweise dazu bestimmt zu sein scheint, als Verbrecher, Gauner oder Vagabund zu enden, dem der Gedanke an das nächste Glas Bier oder den nächsten Rausch wichtiger ist als eine langfristige Lebensplanung. Ein Baby verändert selbst solche Leute... Doch Don wäre nicht Don, hätte er zugelassen, daß man ihn herumschubst. Offenbar nahm sich das Studio Zeit und ließ ihn zappeln, während man sich insgeheim nach einem anderen Kandidaten umsah. Zudem hatte er das Empfinden, daß Cease Fire ein ernstzunehmendes, wichtiges Filmprojekt sei, bei dem mitzuwirken sich lohnte. Es gehörte nicht zu den Filmen, mit dem man ein Vermögen verdienen
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konnte, aber es war eine wohlmeinende, zu Herzen gehende Studie über Vietnam-Veteranen und deren Schwierigkeiten, sich in das Nachkriegsleben hineinzufinden. Ein finanziell unabhängiger, weniger verzweifelter Mann hätte das Projekt vielleicht abgelehnt und eine definitive Antwort von NBC abgewartet. Die Dreharbeiten für die nächste TV-Saison würden bald beginnen, und wenn Don sich für den Film verpflichten ließ, konnte er vielleicht gar nicht rechtzeitig zum Termin verfügbar sein. Und das wäre dann wieder Wasser auf die Mühlen der Johnson-Skeptiker bei NBC gewesen. »Zum Teufel damit«, sagte er sich, »ich werde in dem Film mitwirken, selbst wenn mir damit die Serie durch die Lappen geht.« In Cease Fire spielte Johnson die Rolle des Tun Murphy, eines netten Jungen und Vietnam-Veteranen, den die Erinnerungen wie Alpträume überfallen, und der sich seine familiären Probleme nicht eingestehen will. Eine gefühlsbetonte Rolle, in der sich der Veteran in einer akuten Nervenkrise befindet. Don mußte eine Seite seines Charakters offenlegen, die in seinen früheren schauspielerischen Unternehmungen nur andeutungsweise zum Vorschein kam. Jetzt, da ein gereifter und gewandelter Don Johnson das Ruder übernahm, war das ein willkommenes Angebot in einer schwierigen Zeit. Der Drehort für Cease Fire sollte Florida sein, das ja auch als Schauplatz für Yerkovichs >MTVBullen<-Krimi vorgesehen war. Tony, der sich im Februar in Miami aufhielt, um das Drehbuch zu überarbeiten, rief Don an, und um sich besser kennenzulernen, trafen sie sich regelmäßig. Tony, der
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fest zu Don stand, hatte bereits damit begonnen, an der Westküste die NBC zu Johnsons Gunsten weichzuklopfen, während er nun an der Golfküste anfing, die Hauptrolle auf Dons Person zuzuschneiden. Nachdem Cease Fire abgedreht war, ging Don mit Dickie Betts zum Fischen. Er und Dickie blickten auf eine lange gemeinsame Geschichte in guten, schlechten, schönen und häßlichen Tagen zurück. Doch Dons Urlaub wurde alsbald von einem Anruf seines Agenten unterbrochen, der ihn veranlaßte, seine Angelrute in die Ecke zu stellen und nach Los Angeles zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch zu fliegen. Die Direktoren der Fernsehgesellschaft wollten ihn selbst unter die Lupe nehmen. Obwohl Don mit den Probeaufnahmen, die er für sie hatte herstellen lassen, gut angekommen war, blieben letzte Zweifel auszuräumen. Zunächst sperrte sich Don. Er war lange genug im Geschäft, und alle kannten ihn; warum also diese plötzliche Nervosität ? Nicht seine schauspielerischen Fähigkeiten standen, wie ihm bedeutet wurde, zur Diskussion, sondern seine Entzugserfolge. Die Produzenten der neuen Serie standen hinter ihm; jetzt galt es, die Bosse der Gesellschaft zu überzeugen. Sein Ruf, daß er unzuverlässig und selten nüchtern sei war schließlich auch in die Vorstandsetagen gedrungen. Der Drehplan für eine wöchentliche Serie war verdammt eng, und NBC wollte kein Lotteriespiel mit jemandem eingehen, der bereits einige Produktionen geschmissen hatte. Der Druck war sehr groß, und das verlangte einen Darsteller, der ihm auch gewachsen war. Kaum war er in L.A. eingetroffen, als Johnson zu
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einer gemeinsamen Leseprobe mit Philip Michael Thomas gebeten wurde, der mit Yerkovich gearbeitet hatte, als dieser in den siebziger Jahren die Drehbücher für Starsky and Hutch schrieb. Thomas hatte sich bereits verabschiedet und wollte schon in den Fahrstuhl steigen, als den Bossen der NBC plötzlich der Gedanke kam, ihn versuchsweise mit Don in einer Probe zusammenzuspannen. Die beiden Männer wurden gefragt, ob sie sich erst Zeit zum Studium ihrer Rollen nehmen wollten, was sie verneinten. Für den Produzenten Mann brachte Thomas in der Rolle des Ricardo Tubbs einen ganz neuen Typ von Farbigen ins Fernsehen und zugleich auch auf die Leinwand: gebildet, gewandt, gute Manieren — ein Mann, der stolz war auf die Wurzeln der schwarzen Kultur, die seine Persönlichkeit abrundeten. Die Leseprobe kam einer Offenbarung gleich und beeindruckte selbst die vorsichtigsten Bosse der NBC. Johnson, der Schütze, und Thomas, der Zwilling — Feuer- und Luftzeichen waren tolle Gegensätze. Die chemische Reaktion setzte auf der Stelle ein. Getrennt waren sie ein Wagnis: Johnson mußte sich erst von einem schlechten Ruf befreien, war für ein Unternehmen, das schließlich mehrere 100 Millionen Dollar wert sein würde, ein Risikofaktor. Thomas schien auch nicht so ganz das Passende für diese Rolle: Zu schwarz. Nicht schwarz genug. Zu gutaussehend. Aber zusammen? Zusammen üben sie einen Zauber aus, dem man sich nicht entziehen kann. Dennoch ging diese Versammlung ohne feste Entscheidung über die Besetzung zu Ende.
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Als Thomas zum erstenmal das Drehbuch las, war er erstaunt darüber, wieviel er mit dieser Figur Tubbs gemein hatte. »Auffällig, elegant und zugleich subtil, dazu geheimnisvoll«, schätzt sich der Enkel des ersten schwarzen Polizisten in der Polizeitruppe von Columbus in Ohio selbst ein. Der sechsunddreißigjährige Schauspieler glaubt an die okkulte Bedeutung von Zahlen, an Astrologie und an die Reinkarnation. »Sie haben eine Beziehung zueinander, die sich mit der zwischen Sidney Poitier und Rod Steiger in Heat ofthe Night vergleichen läßt«, sagt er über die beiden Hauptrollen. »Oder wie Eddie Murphy und Nick Nolte in 48 HRS. Sie sind die zwei Seiten der gleichen Münze. Crockett ist der Junge aus dem Süden, Tubbs der Junge, der in den New Yorker Straßenschluchten der Bronx groß geworden ist. Wenn man die beiden zusammenkoppelt, gibt es eine Explosion. Sie mögen sich nicht; aber sie haben Respekt voreinander. Sie sind Geheimagenten, in ständiger Lebensgefahr, immer auf dem Sprung. Das schafft eine unglaubliche Intensität des Lebens und Erlebens. Stets ist man auf das Unerwartete gefaßt.« Auch Don gefiel, was er sah. Thomas entpuppte sich als kompetenter Schauspieler, dessen Art von Energie sich gut mit der seinen vertragen würde, und er schien gierig nach dieser Rolle zu sein. Philip war wie Don der Meinung, er habe sich lange genug in diesem Geschäft getummelt, so daß es nun an der Zeit sei, auch mal an das große Geld heranzukommen. Doch das Geduldsspiel dauerte an, und er mußte ein viertes Mal probelesen.
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Dann wurde es offiziell bekanntgegeben: Don Johnson und Philip Michael Thomas würden jetzt als Sonny Crockett und Ricardo Tubbs bekannt werden. Es war der Durchbruch, auf den sie beide gewartet hatten. Don, der nicht zu übertriebenem Optimismus neigte, ließ seine Phantasie nicht allzuweit vorpreschen. Er hatte zu viele MöchtegernHits erlebt, als daß er sich nun emotional in dieses Projekt hineingesteigert hätte. Er war sicher, daß es etwas taugte und er zu gern darin mitwirken wollte. Und er wußte, daß ihm die Rolle, die ihm darin zugedacht war, so wichtig war, wie sein damaliger Wunsch, auf der Theaterbühne oder im Film Karriere zu machen, was dann doch — bislang jedenfalls — ein Traum geblieben war. Philip Michael Thomas' angeborener Optimismus glich Johnsons berechtigten Pessimismus mit einer kräftigen Dosis positiven Denkens und Selbstvertrauens wieder aus. Sie ergänzten sich als Figuren und als Persönlichkeiten wie das Ying-YangZeichen der chinesischen Symbolik, in dem eine dunkle und eine helle Hälfte — dunkle, ruhende Kraft und heller beweglicher Geist — von einem Kreis umschlossen wird. Erfüllt von einem Selbstvertrauen, das ansteckend wirkt, pflegt Thomas' beweglicher Geist sich mit der Geschwindigkeit eines Düsenfluzeugs von Thema zu Thema zu bewegen und vermag im Gespräch von wenigen Minuten Dauer vom Computer-Zeitalter ins alte Ägypten und zurück zum Fernsehen und moderner Musik zu reisen. Geboren in Ohio, aufgewachsen in Los und San Bernardino, war Thomas kein Freund von
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Traurigkeit und hatte sich mit 19 das linke Ohrläppchen stechen lassen. Wie Johnson hatte auch er sich jahrelang in vielerlei Rollen versucht, ehe ihn sein Weg an die Türschwelle von Miami Vice führte. Schon mit vier Jahren konnte er seine erste Filmrolle ergattern und trainierte mit seiner Mama, die ihm half, seine Talente als Sänger und Tänzer zu entwickeln. Die harte Arbeit zahlte sich aus. Mit 19 übernahm der grünäugige Schauspieler mit den gewellten Haaren — eine Folge seiner kombinierten amerikanisch-indianischen, negroiden, irischen und deutschen Abstammung — eine Rolle in der SanFrancisco-Produktion von Hair und konnte dafür dem Priesterseminar Lebewohl sagen. Danach wirkte er in elf abendfüllenden Filmen (u. a. Spar mit Irene Cara) und zwei Dutzend Fernsehproduktionen mit. Schließlich bekam er noch die Hauptrolle in No Place To Be Somebody, einem mit dem Pulitzerpreis gekrönten Broadway-Erfolgsstück. Was Don Johnson betraf, war er schon damals nach jener Mode gekleidet, die er erst populär machen sollte. Die Fotos zeigten ihn mit seinem breiten, sympathischen Lächeln, mit loser oder abgebundener Krawatte, aufgeknöpftem Hemd, von der Sonne gebräunt und gesund aussehend. Als einer, der gutes Essen liebte und auch ohne einen
Patti DÄrbanville und Don Johnson auf lung über den französischen Film im County Museum of Art im Juli 1982
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einer Los
AusstelAngeles
Tropfen Alkohol zu genießen verstand, war er nun bereit für den kommenden Wohlstand. Als die Dreharbeiten für den Pilotfilm begannen, kam es zu einer psychoanalytischen Aussprache zwischen Don und Phil, die mit einer für sie beide außerordentlich nützlichen Abmachung endete. Sie saßen eines Abends zusammen in Dons Hotelsuite, blickten durch das Fenster auf die Bucht hinunter und schütteten sich gegenseitig ihr Herz aus, inspiriert von der Aussicht und der späten Stunde, die solcher Art von Gesprächen ja sehr förderlich ist. Sie ließen den Blick über die Dächer der Stadt Miami schweifen, sprachen über den Streß, der sie dort unten erwartete, wenn aus dem Film eine Serie wurde, und den Eifersüchteleien, die nicht ausbleiben konnten. Und da kam es zu einem Schwur zwischen den beiden, daß sie sich gegenseitig während und außerhalb der Drehzeit Rückendeckung geben würden. Sie wollten nicht nur Freunde, sondern auch Beschützer sein. In dieser langen, dunklen Nacht der Seelenbeichte erzählte Thomas Don von seinem >EGOTFünfjahresplan<, nämlich in dieser Zeit die Preise Emmy, Grammy, Oscar und Tony zu erringen. Und Don berichtete von seinen Träumen, ein eigenes Schallplattenalbum herauszubringen, sich auch mal als Regisseur zu versuchen und endlich, nachdem er jahrelang von der Hand in den Mund gelebt hatte, eine sichere Zukunft für sich und seine Familie zu zimmern. Sie beschlossen, gemeinsam zu proben, schon vor Sonnenaufgang aufzustehen, um zu joggen, und sich ihre Texte gegenseitig abzuhören. Von
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da ein lebten sie praktisch zusammen und arbeiteten auch an den Wochenenden durch. Natürlich war der Pilotfilm die wichtigste aller Folgen. Erst wenn er ankam, konnte die Serie starten. Und mit ihr würde dann der Starruhm kommen, nach dem Johnson sich stets gesehnt hatte, ohne reif genug für ihn zu sein. Der Pilotfilm würde dem Fernsehzuschauer ihre Rollen vorstellen — wer sie waren, woher sie kamen und was sie gemeinsam unternahmen. Damit auch die richtige chemische Mischung zusammenkam, versammelten sich die Mitarbeiter der Serie in Miami, und Michael Mann orgelte auf dem Telefon, um alle Rollen zu besetzen. Zu jenen, die nach Miami geladen wurden, gehörte auch Miguel Pinero, Dramatiker und Poet spanischer Abstammung aus New Yorks Lower East Side. Der Autor des preisgekrönten Films Short Eyes hatte einige Zeit im Gefängnis verbracht und in sehr drastischen Details seine Erfahrungen dort geschildert. Mann lernte ihn Ende der Siebziger kennen, als er sich nach jemand umsah, der eine geplante Serie über Chicanos schreiben konnte — über die lateinamerikanische Minderheit der weißen US-Bevölkerung. Dieses Roots'-ähnliche Projekt wurde dann freilich nie realisiert. Ein halbes an und bat Chicanos in Jericho Mile buch schrieb sollte. Diese entschlossenen
Jahr später rief Mann Miguel Pinero ihn, den Anführer einer Gruppe von einem Fernsehfilm mit dem Titel The zu spielen, für den er gerade das Drehund in dem er die Regie übernehmen ABC-Produktion handelt von einem Strafgefangenen, der die Meile
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unter vier Minuten läuft. Alle Sequenzen wurden im Folsom-Gefängnis gedreht. Die Ausstrahlung von The Jericho Mile im März 1980 machte Michael Mann, den Veteranen von Starsky &Hutch, Police Story und Vegas wieder zu einem ganz heißen Tip. Kaum war die Sendung gelaufen, als bei ihm schon das Telefon Sturm läutete und zwanzig Angebote auf dem Tisch lagen. Zwei Monate später berichtete VARIETY, Mann habe sich den »größten Traum eines ehrgeizigen Filmemachers« verwirklicht. Mit 37 wurden ihm fast unbeschränkte Vollmachten für seinen ersten abendfüllenden Film The Thief mit James Baan in der Hauptrolle, eingeräumt. Dann drehte er The Keep, ein Leinwandstück nach einem Schauerroman, dessen Schauplatz das im Zweiten Weltkrieg von Deutschen besetzte Rumänien ist und das Kennern des Horrorkinos empfohlen wird. Bemerkenswert daran ist die Filmmusik der deutschen Rockband Tangerine Dream, psychedelische Klänge aus dem Synthesizer, die bereits etwas von Manns progressiver Verwendung der Musik im Film Miami Vice vorwegnehmen. Im Sommer 1983 bastelte Mann an Stringer, einem Filmprojekt über zwei freischaffende Videojournalisten in New York. Da die Handlung auch das großstädtische Nachtleben einbezog, mit Sex und Drogen nach Feierabend, verpflichtete er natürlich einen Mann in New York, Miguel Pinero, als Berater. Stringer wurde freilich nie gedreht. Statt dessen wandte sich Manns Interesse nun dem Miami Fzce-Projekt zu. Wieder bekam Pinero einen Anruf, diesmal von
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John Nicoleila. Der Produzent bat ihn, das Drehbuch der Pilotsendung zu redigieren. Ferner sollte Pinero für Komparserie sorgen, so daß die Straßenund Drogenszene, mit der Pinero vertraut war, authentisch wirkte. Pinero brachte möglichst viele seiner Freunde unter, versorgte zunächst alle anderen, als er plötzlich merkte, daß für ihn keine Rolle mehr freigeblieben war. Sein Agent mußte ihn erst darüber aufklären, daß er die Rolle von Calderone, dem Columbianer und Oberschurken im Pilotfilm übernehmen sollte. »Ich hatte gar kein Vorsprechen für diese Rolle«, sagte Pinero. »War gar nicht nötig«, antwortete sein Agent. »Seit sie für Miami Vice arbeiten, haben sie ein Vorsprechen mit dieser Rolle gegeben«, sagte Michael Mann. »Er hatte sie von Anfang an für diese Figur vorgesehen, aber es sollte eine Überraschung sein.« In Thomas Carters Hotelzimmer traf Miguel erstmals mit Don zusammen. Carter, der Regisseur der ersten Episode, hatte eine Drehbuch-Konferenz einberufen. Don, der immer noch an seiner Rolle arbeitete, probierte ein paar Mundart-Varianten aus. »Ich könnte die Silben verschlucken. Ich könnte sie breittreten, so daß es sich mehr nach einem Mann aus dem Süden anhört. Ich könnte ihn beschwingter machen, melodischer.« Obwohl Yerkovich Johnson vor Augen hatte, als er das Drehbuch schrieb, mußte sich Don dennoch den Charakter Sonny Crocketts erst bewußt machen. »Don hatte ganz bestimmte Vorstellungen von dieser Figur«, sagte Pinero. »Er verwandte viel Zeit darauf, den richtigen Akzent zu finden. Sonny sollte 105
weder typischer Städtebewohner noch Provinzheini sein, sondern eine Art Großstadt-Cowboy, etwas in dieser Richtung. Zu jener Zeit waren wir uns noch nicht schlüssig, ob er auch ein Veteran des Vietnamkrieges sein sollte oder nicht.« Es war Don, der den Regieeinfall mit der Sonnenbrille hatte. In einem entscheidenden Moment des Films fällt sie ihm aus der Tasche, so daß er sich bücken muß und dabei die Höllenmaschine am Wagen entdeckt, mit der sein Partner im nächsten Moment in die Luft gesprengt worden wäre. Die Szene, wo Crockett und Tubbs sich auf dem Motorboot prügeln, wurde ebenfalls durchgearbeitet und das Ergebnis der gemeinsamen Diskussionen festgehalten. Es herrschte eine fast übermütige Stimmung, wobei Johnson immer wieder sagte: »Das schreit nach einer Serie.« Seltsamerweise beginnt der Pilotfilm, der den Serientitel Miami Vice trägt, mit einer Nachtszene in New York, in der Tubbs in einem Wagen sitzt und darauf wartet, daß der von Pinero dargestellte Kolumbianer aus einem Mietshaus herauskommt. Als ihm Ganoven aus der Nachbarschaft zu Leibe rükken wollen, greift er ganz beiläufig zu einer abgesägten Schrotflinte und vertreibt sie, während im Hintergrund die Stones Miss You spielen. Der Kolumbianer betritt die Szene, und Tubbs läßt den Motor an, legt den Gang ein und fährt dem kleinwüchsigen Südländer, der von Leibwächtern beschützt wird und gewiß nichts Gutes im Schilde führt, nach. Er verfolgt ihn durch die Straßen der Stadt bis zu einem Nachtclub. Unterlegt mit einem Soundtrack, der aus einem
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Potpourri der Original-Filmmusik von Jan Hammer und Cover-Versionen fremder Kompositionen wie Body Talks von The Deel und Somebody's Watching Me von Rockwell besteht, rollen die Bilder vor den Augen des Zuschauers ab. Für so viele Sendeminuten, wie man zur Betrachtung eines Videoclips von durchschnittlicher Länge braucht, entfaltet sich die Handlung vor unseren Augen ohne Dialog. Die Musik wird zum emotionalen Schlüssel für das tatsächliche Geschehen. Das Lied gibt dem Zuschauer unterschwellige Informationen und erzählt die Geschichte in gewisser Weise ein zweites Mal, stellt als innerer Kommentar den Bezug zwischen den dargestellten Personen und ihren Gefühlen her. Manchmal kommt die Musik aus einem Radio oder vom Plattenspieler oder wird bei einer Live-Show gespielt; in anderen Fällen hat sie nur als Nebengeräusch Bedeutung für den Ablauf der Handlung. Wir beobachten und lauschen der Verfolgungsjagd auf den Kolumbianer, die jedoch nur mit einem überraschenden Überfall auf Tubbs selbst endet, während der schlaue Kolumbianer sich inzwischen davonmacht. Miami taucht erst auf, nachdem wir Tubbs, dessen Atem in der frostigen Nachtluft von New York verdampft, in der Gasse zurückgelassen haben. Dann wird Jan Hammers Miami-Vice-Erkennungsmelodie eingeblendet, die, wie auch der Film, mit einem elektronisch simulierten Feuerstoß aus einer automatischen Waffe beginnt. Zu dieser Begleitmusik sieht der Zuschauer in einer sich rasch abspulenden Bilderfolge die touristischen Freuden von Miami: Flamingos, Bikinis, Pelota-Spiele, Ozean-
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wellen, Rolls-Royce-Karossen, Schwimmbecken, Badenixen, Telefonzellen, Windhunde, Wolkenkratzer, Hotels — bis wir zum Ende der Erkennungsmelodie kommen und elektrisches Geknister von einer barschen Stimme übertönt wird, die einem kaputten, unrasierten Typen namens Sonny Crockett gehört, der offenbar darauf wartet, einen Drogenhandel abschließen zu können. Er gehört dem Sittendezernat von Miami an, arbeitet als Geheimagent und gibt sich als Sonny Burnett aus, einen Narkotika fixenden, Bier trin-
Mit Patti D'Arbanville im Area, einem New Yorker Nachtclub im Juni 1985
kenden Dealer, der sich verpflichtet fühlt, Kontaktpersonen bis fünf Uhr früh Tequilas geben.
seinen auszu-
Obwohl er, wie schon gesagt, einen mitgenommenen Eindruck macht, geht das Geschäft nicht ganz so schlecht, wie es auf den ersten Blick scheint. Sonny fährt einen schwarzen Ferrari-Daytona (tatsächlich ist es eine Corvette mit einer FerrariKarosserie), trägt eine 8000 Dollar schwere ROLEX Armbanduhr wie ein affektierter Gigolo, der sich auf reiche Damen spezialisiert hat, und italienische Modellanzüge zu einem T-Shirt, aus dem er eine Designer-Sonnenbrille heraushängen läßt. Diese Ausstattung paßt gut zu seiner schwarzen halbautomatischen Pistole... Aber lassen sie sich von solchen Äußerlichkeiten nicht täuschen. Sonny Crockett ist kein eindimensionaler Mann. Seine Persönlichkeit ist vielschichtig, was ihn zu einem komplizierten Menschen macht, der weiß, daß man die Welt trotz all ihrer Widersprüchlichkeiten so nehmen muß, wie sie ist, solange überleben das oberste Gesetz in seinem Job ist. Alt genug, um schon ein paarmal seine Runde durch den Block gemacht zu haben, kann er auch über Probleme in der Liebe reden — ohne sentimental zu werden. Als seine Kontaktperson die Abwicklung des Kokaingeschäfts an einem anderen Ort vornehmen möchte, ist Sonny damit einverstanden, obwohl er wahrscheinlich erst Rücksprache mit seinem Vorgesetzten nehmen sollte. Er ist nicht der Typ, der sich streng an die Regeln hält, und meistens geht das auch gut. Diesmal aber nicht: Eine Bombe, die
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unter seinem Wagen befestigt ist, erwartet Sonny und seine Kontaktleute. Sonny sieht die Höllenmaschine, als er sich bückt, um die Sonnenbrille, die ihm aus dem Hemd gefallen ist, wieder aufzuheben. In der nächsten Sekunde fliegen der Wagen, sein Partner und der Dealer in die Luft. Auch Sonny Crockett ist Vater, ein geschiedener Mann, der zu seinem Sohn eine väterliche und zu seiner Ex-Gattin eine freundschaftliche Beziehung aufrechtzuerhalten versucht. Daß er am Tag, an dem sein Sohn sechs Jahre alt wird, erst zum Schluß der Geburtstagsfeier auftaucht, ist freilich nicht der richtige Weg, sich bei seiner Ex-Gattin beliebt zu machen. Und daß er bereits einen in der Krone hat, als er endlich auftaucht, ist die Folge des vergeblichen Versuchs, die Trauer über seinen toten Freund mit Alkohol zu betäuben. Seine Frau hat schon lange die Nase voll von Sonny und ihrer Ehe mit einem Bullen. Für sie sind Sonny und seine Freunde vom Sittendezernat nur die B-Seite der Dealerszene, mit der sie sich dienstlich befassen müssen. Das ist jedenfalls ihre ständige Rede. In ihrem Herzen hat sie jedoch noch immer eine Schwäche für Sonny. Wie könnte es auch anders sein ? Sonny Crockett ist ein Typ, der seine Kollegen Strohköpfe nennen darf, ohne daß sie ihm das übernehmen. Er ist paranoid, reserviert und weiß, daß er nicht nur Schokoladenseiten hat, obwohl er ein loyaler Freund sein kann, wenn man sich erst auf ihn einläßt. Sein Schoßtier ist ein Alligator namens Elvis, mit dem er auf einem Boot haust. Elvis hat einen Wecker verschluckt, der noch immer tickt, und daß er einmal eine Flugreisetasche voll
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LSD gefressen hat, macht ihn seither immer ein bißchen unzurechnungsfähig. Sein Herrchen heißt mit vollem Namen James Sonny Crockett. Er gehörte zu den besten FootballSpielern an der Universität in Florida und wurde in der amerikanischen Rangliste auf Platz 88 geführt. Einmal fing er einen Paß der Gegenmannschaft ab und hatte noch sechs Sekunden Zeit, um über das halbe Feld zu spurten und den siegbringenden Touch-Down gegen Alabama zu machen. Als ihn die nationale Football-Liga anwerben wollte, mußte er sich statt dessen für zwei Jahre Vietnam entscheiden. Inzwischen ist er schon seit sechs Jahren beim Sittendezernat. Er ist kein Jüngling mehr und weiß das auch. Manchmal hat er das Gefühl, er sei allmählich zu alt, um nur mit ein paar Stunden Schlaf auskommen zu können. Wochenlang getarnt als Ganove in der Unterwelt leben und recherchieren zu müssen, ist weder gut für die Nerven noch für die Aufrechterhaltung mitmenschlicher Beziehungen. Zuweilen läßt er das Visier herunter, und dann sehen wir, daß er verletzbar ist — ganz anders als seine StrandCowboy-Routine und seine Bierreklamenmentalität vermuten lassen. Trotz aller feinsinnigen Dialoge, Moralismen und menschlich ergreifenden Momente in Miami Vice sind die periodisch wiederkehrenden Schießereien, Autofahrten, Explosionen und die Bilder der meilenweiten Landschaft unmöglich zu übersehen — alle mit der gleichen Liebe für Details und Perspektiven aufgenommen, wie sie auch auf die schönen Körper und Kleider in eleganten Madison-Avenue-
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Werbespots verwandt wird. Obwohl es sich um echtes Räuber-und-Gendarm-Spektakel in bewährter Manier handelt, hat die Serie den New Look, einen eigenen Rhythmus, eigene Farbgebung mit einer Vorliebe für Pastelltöne, eine Attitüde und einen Bezugsrahmen, die bei der gesuchten und begehrten Zielgruppe jugendlicher Zuschauer in aller Welt gut ankommt.
Miami Vice spricht eine neue Sprache auf den Fernsehkanälen — eine Sprache, die zum erstenmal die breiten erzählerischen Möglichkeiten einer Fernsehserie mit der Musik eines abendfüllenden Spielfilms kombiniert. Vor Miami Vice wurden für Fernsehfilme gewöhnlich eine eigene für die Sendung komponierte Begleitmusik oder sogenannte Cover-Versionen — populäre, zeitgenössische Kompositionen, die nicht von Originalinterpreten und/ oder Komponisten, sondern in Orchesterbearbeitungen gespielt werden — verwendet. Bei dieser kalkulierte man die Tantiemen für die Aufführungsrechte durch Originalinterpreten ein und kombinierte aktuelle Originalhits mit glänzenden und kostspieligen visuellei: Effekten, was dem Räuberund-Gendarm-Klischee ein neues Element hinzufügte. Es war ein Element, das sich zugleich die Attraktivität der wichtigsten neueren Erfindung der Unterhaltungsindustrie zunutze machte — die Videoclips. Tantiemen, die man für die Aufnahme an Interpreten, Urheber und Musikverleger bezahlt, können da leicht mehr als 10 000 Dollar pro Einspielung betragen — ungefähr der Betrag, den NBC für das Recht bezahlte, Miss You von den Stones für ihren Soundtrack zu verwenden.
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Viele Jahre zuvor hatte Don die Idee gehabt, eine Rock-and-Roll-Version von / Spy zu drehen, in dem die Reisen und Auftritte eines Rockstars gezeigt werden sollten, der zugleich als Geheimagent die Drogenhändler bekämpft. Während der Sänger von Land zu Land zieht, werden seine Konzerte über Hörfunk in allen US-Staaten live gesendet. Don meinte, es wäre großartig, wenn die UKW-Stationen das Konzert an dem Abend, wo die Show gesendet wurde, simultan ausstrahlen würden. Damals hielt man Don für verrückt. Und heute... ? Gute Kritiken und einen Platz unter den ersten zehn auf der Hitliste waren die Folge, als der zweistündige Pilotfilm von Miami Vice zum erstenmal gesendet wurde. »Eine glitzernde neue PolizeiShow«, schrieb David Hinkley, Pop-Kritiker von der NEW YORK DAILY NEWS. »Mit hellen glänzenden Farben (keine erdigen Töne), und einer so hochkarätigen Kameraführung, das man fast erwartet, die kritischen Szenen anschließend noch einmal in der Wiederholung zu sehen. Miami Vice hält, was es verspricht: eine neue, rassige, poppige, schmissige Art, Geheimagenten in Aktion zu zeigen.« »Ich wußte es, als ich das Drehbuch las und den Zusammenschnitt sah«, sagte Miguel Pinero, »ich wußte, es war eine beschlossene Sache: Don würde der Star sein. Und dieser Film würde ihn dazu machen.« Schauen wir uns den Plot an. Sonny ist der Veteran, zu dem sich der New Yorker Polizist Ricardo Tubbs als ständiger Begleiter gesellt. Tubbs versucht, sich den Respekt und die Anerkennung des Starermittlers des Sittendezernats zu verschaffen,
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der sich als alter Profi am Schauplatz während Tubbs ein Neuling in der Szene ist.
auskennt,
Die Frage, wer nun wirklich der Star der Show war, wurde während der Drehbuch-Konferenzen meist übergangen. »Aber wir wußten es alle«, sagte Pinero. »Wir drehten die erste Episode und wohnten im Omni-Hotel. Mein Bruder arbeitete in einem Buchladen in der Stadt, und Don ging ein paarmal dorthin, um sich Lektüre zu kaufen. Sobald er durch die Ladentür kam ... aaah... die Damen ... es war die Attraktion für sie. Die Leute, denen der Laden gehört, waren dermaßen beeindruckt von der Werbewirkung, daß sie meinen Bruder zum Geschäftsführer machten.« Der Bürgermeister von Miami war jedoch gar nicht erfreut, daß seine schöne Stadt als Laster- und Gangsterhöhle dargestellt wurde. Im Juli, als die zweite Episode gedreht wurde, waren die Stadtväter so beunruhigt, daß sie die NBC aufforderten, sowohl den Serientitel als auch das Drehbuch zu ändern. Im Gegenzug drohte NBC, die Episoden anderswo zu drehen, aber den Serientitel Miami Vice beizubehalten. Nachdem Metro-Dade-CountyPolizeileutnant Pete Cuccaro von seinem Posten als technischer Berater der Serie zurückgetreten war, weil er meinte, die Serie sei unrealistisch und diffamiere das Ansehen der Polizeibeamten, wurde die Forderung nach einer Überarbeitung des Konzepts laut. Besondere Empörung lösten Szenen aus, in denen Beamte der Mordkommision beim Verhör gegen einen Verdächtigen gewaltsam vorgehen, zwei Geheimpolizisten einem Polizeispitzel gestatten, in
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ihrer Gegenwart Drogen einzunehmen, und die Polizei während einer Verfolgungsjagd versehentlich den Wagen eines Unbeteiligten rammt. Damit fühlte sich Miami an einer besonders empfindlichen Stelle getroffen. 1980 waren im Verlauf dreitägiger Unruhen 18 Sachschäden in Höhe von über 100 Millionen entstanden, nachdem ein Prozeß gegen vier weiße Polizeibeamte der Stadt, die einen schwarzen Geschäftsmann zu Tode geprügelt haben sollen, zu einem Freispruch geführt hatte. »Ich habe die letzten vier Jahre an leitender Stelle daran mitgewirkt, die Integrität und den guten Ruf der Metro-Dade-Polizeigruppe wiederherzustellen und kann nun nicht müßig dabei stehen, wenn künstliche Authentizität — weil das Dargestellte sich irgendwann einmal zugetragen haben mag — dazu benützt wird, ein verfälschtes Bild der Wirklichkeit vorzuspiegeln. »Unsere Beamten von der Mordkommision prügeln die Verdächtigen nicht beim Verhör«, schimpfte Cuccaro. »Unsere Jungs lassen nicht zu, daß ihre Informanten mit Drogen handeln. So etwas gibt's einfach nicht. Schon die leiseste Andeutung, daß daran was Wahres ist, ist nicht akzeptabel. Man hat mir fest zugesichert, das die Polizeigruppe realistisch dargestellt wird. Das war nicht der Fall, und ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, als Berater weiterzumachen.« Trotz der Lorbeeren, die Miami Vice bei den Kritikern erntete, war die Serie nicht sofort ein Hit auf der Einschaltquotenliste, mit Ausnahme der Premiere, die an einem Sonntagabend gesendet wurde und die Konkurrenz von der Mattscheibe
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wischte — Profi-Football auf den CBS-Kanälen und einen Unterhaltungsfilm der ABC, Some Kind of Hero mit Richard Pryor in der Hauptrolle. Erst im November gab die Fernsehgesellschaft der Serie die Chance einer Verlängerung, obwohl sie noch im Mittelfeld der Einschaltquoten herumkrebste. Man rechnete damit, daß sie ähnlich wie Hill Street Blues am Ende doch noch ihr Publikum finden würde. Dann kam sie in den Aufwärtstrend und kämpfte mit Falcon Crest um einen Platz im ersten Drittel der Hitliste. Und bei einer Million Dollar Herstellungskosten pro Folge — fast das Doppelte des Aufwands für einen normalen Action-Film von einer Stunde Dauer — hatte man das Projekt von Anfang an offenbar als Lotteriespiel betrachtet. Spätestens zum Jahreswechsel wurde es dann für die Darsteller und das technische Personal allmählich zur Gewißheit, daß ihre Verträge für die kommende Saison verlängert wurden. Jetzt konnten sich die Leute zum erstenmal entspannt in ihre Hotelzimmer setzen und über ihre Vergangenheit nachdenken. »Ski Lift to Death war Dons Tick«, erzählte Pinero. 1978 gedreht, steht der Titel des Films für eine Vergangenheit, die er nicht noch einmal erleben wollte. »Er pflegte sich an den Kopf zu greifen und zu stöhnen: >Ich sehe mich noch immer in Ski Lift to Death. Allein der Gedanke, daß ich noch einmal in einem Film wie Ski Lift to Death mitwirken könnte, macht mich schon krank.<« Und Pinero fährt fort: »Er saß da und dachte darüber nach, was es wohl für ein Gefühl sei, wenn man ein Star ist. Und wenn jemand in diesem
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Moment auf ihn zugekommen wäre und gesagt hätte: >Sie haben doch in Ski Lift to Death gespielt, nicht wahr ?< Ich glaube, er hätte den Kerl umgebracht.«
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Ein Haus mit fünf Schlafzimmern in Miami, das monatlich 3000 Dollar Miete kostet, gutes Essen, tägliches Hantelstemmen und Ruhe, um Lieder für sein bereits angekündigtes Plattenalbum zu komponieren — das gehört zu den Dividenden von Dons Erfolg. Ein weiterer Pluspunkt ist die Bewunderung, die ihm seine Fans entgegenbringen, angefangen von den berüchtigten Bossen der Unterwelt bis hinauf zum Präsidenten im Weißen Haus.
Es war zu Beginn der ersten Saison von Miami Vice, als ein Mann bei Don anrief, der als Protege von Meyer-Lansky, dem inzwischen verstorbenen Initiator vieler geschäftlicher Unternehmen der Verbrechersyndikate bekannt ist. Dieses prominente Reptil unter den Crockett-Fans lud Don zu einem Besuch seines Landsitzes in Florida ein und schickte ihm einen Hubschrauber, der ihn hinbrachte. Nach einem erlesenen Abendessen und einer Besichtigungstour durch den gut bewachten Besitz wurde Don wieder zum Hubschrauber-Landeplatz geleitet und verabschiedet. »Es war in jeder Hinsicht das, was ich unter einem angenehmen Nachmittag verstehe«, sagte Johnson. »Nur daß mein Herz etwas schneller klopfte als sonst.«
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Die Arbeitsbelastung bei den Aufnahmen ist außerordentlich groß, aber es gibt auch viel Spaß. Zu den am wenigsten ehrgeizigen Stars der Serie gehört Crocketts Schoßtier, der Alligator Elvis, der mit auf seinem Motorboot haust. In einer Szene sollte ihn Sonny auf dem Pier in Miami Harbor spazieren führen, wo seine Motorjacht ankert. Statt dessen beschloß der 350 Pfund schwere Alligator, ein paar Runden zu schwimmen, und sechs Domteure waren nötig, um das Schoßtier wieder an Land zu ziehen. Bei einer Party erging sich Johnson in übertriebenen Lobhudeleien seines Wohnungsgenossen Elvis, was Patti DArbanville zu der trokkenen Bemerkung veranlaßte: »Hast du nicht neulich noch damit gedroht, ihn in ein Paar Schuhe zu verwandeln ? Oder erzählst du das nur mir, wenn du zu Hause bist und er dich nicht hören kann ?« Als die Show um noch höhere Einschaltquoten rang und die Beziehungen zu den Behörden von Dade County frostiger wurden, stellten sich Don und Philip zunehmend für kommunale und wohltätige Veranstaltungen zur Verfügung. Im Verlauf eines Herbstkongresses der Süßwarenindustrie wurden die hart arbeitenden Ganovenjäger bei einer Veranstaltung zu Gunsten der Kinderkrebshilfe im Fontainebleau-Hotel ohne viel Federlesens in ein Faß mit 1323 Liter Schokoladensirup getaucht. Anschließend saßen die beiden dann abwechselnd als Zielscheibe auf dem Rand des riesigen Zubers, während kleine Mädchen für drei Dollar pro Wurf Bälle nach ihnen schmeißen durften. Schon bald nach der Premiere der Show im Fern-
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sehen trainierten Johnson und Thomas mit der Polizei von Miami, um das Eindringen in geschlossene Zimmer, das Stürmen eines Gebäudes und andere von den Ordnungskräften verlangte Tätigkeiten zu erlernen. Im Verlauf dieser gemeinsamen Übungen freundete sich Don mit einem Beamten der Abteilung für Bandenkriminalität an, der sich in seiner Freizeit als Hobbyjuwelier betätigt. Dieser Polizist fertigte nun, als äußerliches Zeichen ihrer freundschaftlichen Verbundenheit, für sie beide einen Kettenanhänger mit der Inschrift Miami Vice an. Als er bei einem Tarneinsatz Geschäfte mit einem echten Drogenhändler abwickeln wollte, warf dieser nur einen Blick auf die Halskette und geriet in Panik. Er wollte sofort aussteigen. Der Bulle versicherte dem Dealer, er solle sich keine Sorgen machen — er arbeite lediglich als Ersatzmann bei dieser Fernsehserie —, konnte aber das Mißtrauen des Dealers nicht ganz zerstreuen. Um den Dealer von seiner Unverfänglichkeit zu überzeugen, bot er ihm an, den Star der Fernsehserie anderntags zum vereinbarten Treff mitzubringen.
Anschließend vereinbarte er mit Johnson, mit ihm zusammen am nächsten Tag den Dealer in einem Restaurant zu treffen. Als Don dann dem Dealer ebenfalls versicherte, sein Begleiter sei nur Ersatzmann in seiner Show, atmete dieser erleichtert auf und ging mit ihnen hinaus auf den Parkplatz. Dort sollte die Übergabe der Drogen stattfinden, und bei dieser Gelegenheit wurde der Dealer gekascht. »Wahrscheinlich bin ich im Grunde meines Herzens tatsächlich ein Bulle«, sagte Don. »In jedem von uns steckt ein kleiner Geheimpolizist.«
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Miguel Pinero schrieb das Drehbuch zu Smuggler's Blues — einer Episode der Serie, zu der Glenn Freys gleichnamiger Hit die Idee lieferte. Die Folge, die im Dezember '84 gedreht und im Februar '85, in der zweiten Hälfte der ersten Programmsaison, ausgestrahlt wurde, hat eine interessante Entstehungsgeschichte. Zuerst hörte Michael Mann das Lied auf einer Tonbandkassette, als er mit dem Wagen auf der Route 101 — dem Hollywood-Freeway — unterwegs war. Er hielt an der nächsten Telefonzelle, rief einen Freund an und bat ihn, sich das Lied anzuhören. Dann rief er Miguel Pinero in New York an und trug ihm auf, sich die Glenn Freys LP Allnighter zu besorgen und ihm umgehend Nachricht zu geben, ob er zu diesem Lied ein Drehbuch schreiben könnte. Unter der Regie von Paul Michael Glaser, der sich mit Starsky &Hutch als Regisseur einen Namen gemacht hatte, war in dieser Episode auch Glenn Frey in der Rolle eines Schmugglers auf der Mattscheibe zu sehen. Trotz der vielen hochkarätigen Talente war dies eine Folge, der kein guter Start bei den Dreharbeiten beschieden war. Philip hatte einen Unfall, Don wurde krank, und Pinero ließ einen Termin für Außenaufnahmen in Puerto Rico platzen, um an der Jubiläumsaufführung seines Stücks Short Eyes in New York teilnehmen zu können, das seit zehn Jahren auf dem Spielplan stand. Der Schauspieler Richard Edson traf erst ein, als die Filmerei in vollem Gange war. Direkt aus der New Yorker Pipeline, die die Show mit frischen Gesichtern versorgte, konnte Edson als Referenz nur auf einen, wenn auch außerordentlich erfolgrei-
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chen Streifen eines unabhängigen Filmemachers — Stranger than Paradise — verweisen, in dem er bisher mitgewirkt hatte. Der für die Besetzung der Serie maßgebliche Mann — Bonnie Timmermann — hatte von einem Interview mit Edson in New York ein Videoband angefertigt, das er dem Regisseur Glaser vorspielte. Dem gefiel eine Geschichte, die Edson von zwei legendären russischen Städten — Minsk und Pinsk — erzählte und da ihre beiden Familien aus der gleichen Weltgegend stammten, engagierte Glaser Edson für die Rolle des Flugzeugmechanikers, der in dieser Episode erschossen wird. »Die Serie war zu diesem Zeitpunkt noch nicht besonders bekannt«, berichtete Edson. »Doch ihre Beliebtheit nahm zu, und man prophezeite ihr einen dauerhaften Erfolg. Es war gutes Geld, und so nahm ich natürlich das Angebot an.« Edson stieß erst in der zweiten Woche der Dreharbeiten zum Team, da die Szenen, in denen seine Rolle — Wavy Davy — vorkam, nicht früher auf dem Drehplan standen. Kaum in Miami eingetroffen, wurde er zur Anprobe in die Garderobe geschickt und flog anschließend mit dem Rest der Besetzung und dem Aufnahmeteam nach Puerto Rico. * Edsons erster Eindruck von Johnson war, daß er kleiner zu sein schien, als er ihn sich vorgestellt hatte. »Sie folgten ihm und Thomas überall hin. Thomas ist ein wirklich netter Kerl. Er kam gleich zu mir und stellte sich vor. Don sagte >hei<, und dann war er auch schon wieder weiter. Er war immer überall der Mittelpunkt, sagte den Leuten,
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wie sie eine Szene durchzuführen hätten, kämmte sich die Haare, machte Witze. Er wußte anscheinend, daß dieser Film seine große Chance war, und war entschlossen, soviel wie möglich daraus zu machen.« Die Dreharbeiten in Puerto Rico gingen gut voran, und das war Balsam für die strapazierten Nerven der hart arbeitenden Mannschaft. Sie fanden, das sei ein Anlaß zum Feiern und amüsierten sich auf dem Rückflug nach Miami in der ersten Klasse dermaßen gut, daß der Kapitän sich gezwungen sah, das Cockpit zu verlassen, um sie zur Ordnung zu rufen. Nach der Rückkehr nach Miami wurde Edson im Strandhotel >Alexander< untergebracht, einem alten Playboy-Club-Hotel am Strip, das nun den Darstellern und dem technischen Stab von Miami Vice als Hauptquartier diente. Dort schwärmten in diesem Moment Hunderte reizender Mädchen aus, die der öffentlichen Aufforderung nachgekommen waren, sich für die Rolle einer Prostituierten in einer der kommenden Folgen zu bewerben. Eines Morgens kam Pinero, der inzwischen von seinem Jubiläum in New York zurückgekehrt war, zu früher Stunde mit einer Frau am Arm die Treppe herunter. Total abgebrannt nach einer die ganze Nacht währenden Feier, erspähte er Don in der Halle, nahm ihn beiseite und bat ihn, einem Kumpel in einer momentanen Notsituation auszuhelfen. Don blickte ihm in die Augen, und in diesem berühmten Tonfall, der sich anhört wie gequetschter Kies, erinnerte er Pinero daran, daß er ihn schon einmal, an anderer Stelle, mit einem Zuschuß aus
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einer vertrackten Lage ausgelöst habe, und dieser ihm das Geld bis heute schuldig geblieben sei. Zunächst wußte Pinero gar nicht, was er von dieser Bemerkung halten sollte, bis er in Dons Mundwinkeln dieses unverschämte Lächeln aufkeimen sah. Don griff in die Tasche und blätterte, wie es sich für einen guten Kollegen gehört, ein paar grüne Scheine hin. Bei den Dreharbeiten ging es jedoch rein geschäftsmäßig zu. Und das bedeutete für Edson, der Schwierigkeiten mit seiner Rolle hatte, zahllose Wiederholungen einer Szene, in der er zusammen mit Thomas und Johnson auftrat. Er brüllte seinen Text herunter, als würde diese Folge nur für Taubstumme gedreht, und statt daß die Stars sich nun über ihn aufregten, »amüsierten sie sich sogar über mich«, berichtete Edson, »klopften mir auf die Schulter und sagten okay, Junge, probieren wir es eben noch einmal. Sie waren sehr professionell.« Als die Smuggler's-Blues-Episode ausgestrahlt wurde, gab es ihretwegen eine Menge Kontroversen und Aufregungen in der Unterhaltungsindustrie. Auslöser waren die Vorwürfe des Village-VoiceMitarbeiters und Redakteurs für lateinamerikanische Musik beim Magazin Billboard, Enrique Fernandez, die Serie verbreite >häßliche Klischees<: »Lateinamerikaner sind flatterhaft, schießwütig, lüstern. Es ist eine Steve-Canyon-Betrachtungsweise der Dritten Welt. Die stets kühlen Kopf bewahrenden Amerikaner, ob blond, ob schwarz«, schrieb er, »bekämpfen unberechenbare Urwaldmenschen.« Finanziell gesehen brachte diese Folge Aufschwung. Schon bei der Premiere hatte sich die
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Möglichkeit angedeutet, durch die Serie aus einem Schlager einen echten Hit zu machen. Phil Collins vier Jahre alter Titel In the Air Tonight wurde schon bald nach der Erstsendung des Pilotfilms von Miami Vice, in dem dieses Lied zu hören war, zu einer der meist verlangten Singles des Landes. Dasselbe passierte nun mit Freys Smuggler's Blues, aus dem Album Allnighter, das bereits im Sommer 1984 auf den Markt gekommen war. Die Sendung dieser Episode fand bei den Radiostationen wie beim Publikum eine ungeheure Resonanz. Die Plattenfirma MCA-Records brachte über Nacht das Lied auf einer Single heraus und wies in ihrer Werbekampagne auf die Fernsehserie hin. Dann setzte sich die MCA-Records mit der Fernsehgesellschaft NBC zusammen und arbeitete mit ihr einen Terminplan für die Wiederholungen aus, der beiden Firmen den größtmöglichen Nutzen bringen sollte. Vor der Sendung einer Wiederholung übernahm MCA-Records einen großen Teil der Fernsehwerbung und wies damit auf dieses Programm hin. Die Smuggler's-Blues-Episode rückte in die Gruppe der zehn besten Einschaltquoten vor und wurde bisher öfter als jede andere Folge der Serie gesendet. Und da die Fernsehgesellschaft und die Plattenfirma am gleichen Strang zogen, gelang es ihnen, sich so großen Einfluß auf den Markt zu verschaffen, daß Miami Vice zu einer Startrampe für zahlreiche musikalische Karrieren geworden ist. Musik war für Miami Vice etwas Besonderes — nicht nur, weil die Show sie nahtlos in ihre Struktur integrierte, sondern auch, weil sie so wichtig war für die Persönlichkeiten, die an dieser Serie mitwirkten.
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Michael Mann hatte sich die Avantgarde-Band Tangerine Dream für seinen Film The Keep geholt. Johnson und Thomas hatten beide singend und tanzend in Rock-Musicals ihr Debüt als Schauspielerprofis gegeben, und sie beide waren nun dabei, eine unabhängige Gesangskarriere zu starten. Ein wesentliches Verdienst an der Schöpfung des Miami-Vice-Sounds, dem Rock-Rhythmus der Schlaggitarren vor einem unheimlichen SynthesizerKlangbild, kommt Jan Hammer zu, dem Komponisten der zwanzigminütigen Originalmusik, die in jeder Episode zu hören ist. Der Hexenmeister, wie ihn Philip Michael Thomas nennt, wohnt 90 Meilen nördlich von Manhattan, weit entfernt von dem pulsierenden Rhythmus der Metropole. Bei der Arbeit in seinem Ein-Mann-Studio kam er durch Zufall auf das musikalische Leitmotiv der Serie, während er auf seinem Fairlight-Synthesizer herumklimperte. Der siebenunddreißigjährige Keyboarder ist gebürtiger Tschechoslowake, der 1968 kurz vor dem Einmarsch der Russen, seine Heimat verließ. Danach gründete er mit John McLaughlin die Gruppe Mahavishnu-Orchestra, und bevor er sich musikalisch bei Miami Vice engagierte, versuchte er es mit einer Solo-Plattenkarriere, der aber kein kommerzieller Erfolg beschieden war. Er hat die Musik zu mehreren Filmen — Night in Heaven und Secret Admirer — und zu einigen europäischen Fernsehserien gemacht. Nun arbeitete er 80 Wochenstunden als Keyboarder, Komponist und Toningenieur am Mischpult für Miami Vice. Jede Woche bekommt Hammer die Kopie Videokassette mit der Show in Rohform — mit
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einem oder zwei Liedern des Original-Stars, der in dieser Folge musikalisch die Hauptrolle spielt, einigen Dialogproben, den Geräuschen von Schritten und vorbeifahrenden Autos. Ihm bleibt überlassen, den Rest des Tonstreifens akkustisch Auszufüllen, und hier setzt nun der künstlerische Prozeß ein. Die Lieder sind vorher von Fred Lyle ausgewählt worden, einem Michael-Mann-Protege, der gelernt hat, wie man Musik und Handlung verquickt. Nachdem Hammer jahrelang mit Rockmusik auf Tournee gewesen ist, hat er keine Probleme, eine stimmungsvolle, aufrüttelnd-rasante Musik in friedlich-ländlicher Umgebung zu komponieren. »Mir sitzt Miami Vice unter der Haut«, bekennt Hammer, »denn wenn Sie mit auf Rock-Tournee gehen, sind Sie ständig von Musik umgeben. Nun lehne ich mich zurück und erinnere mich. Und alle meine Erinnerungen spiegeln sich in den Kompositionen.« In einer Folge mit dem Titel Buddies zum Beispiel bittet ein Kriegskamerad aus gemeinsamer Vietnamzeit Sonny Crockett, Taufpate seines Kindes zu werden. Sonny steht ihm so nahe, daß er nicht erkennt, wie sehr sein Freund in ernsthaften Schwierigkeiten steckt, und daß es deshalb am
Johnson und Patti D'Arbanville bei der Emmy-Verleihung im September 1985. Johnson wurde für seine Darstellung des Sonny Crockett in Miami Vice als bester Schauspieler nominiert.
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besten wäre, sich von ihm zu trennen. Rico will ihn warnen, und hier kommt zuerst die Musik ins Spiel. Sie mag anfangs ja noch recht angenehm klingen; aber dann setzt der Gitarrenrhythmus ein und hämmert erbarmungslos weiter, um anzuzeigen, daß hier wirklich etwas schiefgehen wird. Auf diese besondere Weise integriert Miami Vice Musik — um Gefühlsakzente zu setzen und Spannungszustände zu unterstreichen.
Was zunächst als überdimensionales Risiko für die Fernsehstationen, den Stab und die Darsteller der Serie ausgesehen hatte — selbst für die Techniker, denn auch für sie bringt in den USA erst der Erfolg den sicheren Arbeitsplatz —, schien sich nun zu rentieren. Angst und nervöse Unruhe, die früher vorherrschten, als das Damoklesschwert über dem Kopf eines jeden zu schweben schien, wichen nun dem Gefühl gespannter Erwartung. Man wußte, daß da etwas Gutes fabriziert wurde. Das war keine bloße Routine mehr: das Wirken in und an dieser Show war zu einer besonderen Erfahrung geworden, hatte einen Geist der Kameradschaft bei den Aufnahmen erzeugt, der sie sich Freitagabend vollzählig vor dem Fernsehgerät, zur gemeinsamen Betrachtung ihres Werkes und anschließender Manöverkritik, versammeln ließ. Wenn jemandem der Kamm schwoll, was besonders bei Don bisweilen der Fall war, pflegte stets ein anderer in der Nähe zu sein, der auf gutmütige Weise für ein Abschwellen sorgte. Eines Tages sollten die Darsteller nach den Dreharbeiten eines der unzähligen Sponsoren-Dinners besuchen, die stän-
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dig für sie veranstaltet wurden. Dons Szene war abgedreht, und er wollte vor dem Dinner nicht mehr nach Hause fahren, um sich dort ein frisches Hemd anzuziehen. Er ging in die Garderobe und kramte dort herum, um sich etwas Hübsches auszusuchen, als ihm die Ausstatterin mit der Bemerkung in die Quere kam: »Michael Mann möchte nicht, daß jemand außerhalb der Drehzeiten diese Hemden trägt.« — »Aber das ist doch meine Show!« begehrte Don auf. »Mag sein«, erwiderte sie, »aber das Hemd bleibt hier.« Noch ganz durcheinander von dieser unerwarteten Wendung der Ereignisse, begab sich Don wutschnaubend ins Restaurant. Dort versammelte er eine Gruppe von Darstellern um sich und erzählte, was ihm vorhin widerfahren war. Er wiederholte gerade den Satz: »Das ist meine Show«, als Michael Mann, der ein wenig abseits gestanden und sich Dons Ausbruch bisher schweigend mit angehört hatte, dazu trat. »Wessen Show soll das sein?« fragte Mann und fuhr fort: »Es ist meine Show, falls du's vergessen hast!« Ebenfalls von Bonnie Timmerman, dem New Yorker Besetzungsagenten war der Schauspieler und Artist Eric Bogosian ausgesucht worden, für eine Folge mit dem Titel Milk Run, in der er die Rolle eines schmierigen Zuhälters spielen sollte. »Ich sollte also dieser Typ mit dem Feuerstuhl sein, und eine reizende junge Schauspielerin, die Rainbow Harvest hieß, spielte meine Freundin. Sie stand in irgendeiner Verbindung zu einer VoodooSekte und hatte daher auch Einblick in die KokainSzene, die von einigen Voodoo-Größen aus Haiti
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beherrscht wurde. Ich war so brutal, daß selbst Sonny und Rico sich nicht mit mir anlegen wollten. Also machten sie sich an meine Freundin heran, um von ihr Informationen zu erhalten. Wie ich das merke, fange ich an, sie zu schubsen und herumzustoßen, und das empört die beiden, besonders Sonny Crockett, weil ich dieses Mädchen vor ihren Augen fertigmache. Das können sie nämlich nicht vertragen. Das ist eine der wichtigsten Hintergrundaussagen dieser Serie — sie können Gewalt gegen Frauen nicht vertragen. Das ist ein Schlüssel zu Sonny Crocketts Charakter. Er ist im Grunde ein guter Kerl, ein wunderbarer Mensch, weil er sich immer über etwas empört, und dann bringt er in jeder Folge jemanden um. In jeder Episode massakrieren sie offenbar mindestens zwölf oder fünfzehn Leute, was den beiden scheinbar keine Bauchschmerzen bereitet. — In der besagten Folge also begeben sich die beiden zum Vordereingang eines Hauses, und dann kommen alle diese Typen mit ihren Maschinenpistolen durch die Tür auf die Straße und werden dort alle von Sonny und Rico umgelegt. Die beiden kämen gar nicht auf den Gedanken sich zu fragen, ob sie nicht lieber gehen und später wiederkommen sollten.«
In einer Szene wird Bogosian von Crockett und Tubbs zusammengeschlagen. »Wir probten«, erzählt Bogosian. »Zunächst war ich ehrlich der Meinung, daß der Typ, den ich darzustellen hatte, so unglaublich hart, so wahnsinnig zäh sei, daß schon eine Menge zusammenkommen müsse, um ihn zu einem Geständnis zu bewegen. In diesem Punkt stimmten sie mir zu. Und das führte dann zu einigen kleinen
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Unstimmigkeiten beim Aufnahmeteam, so daß wir die Szene für eine Woche unterbrechen mußten. Ich kam also in der nächsten Woche wieder, um an dieser Szene weiterzuarbeiten. Diese Leute nehmen ihre Show verdammt ernst — ich sage also zu ihnen: >Hört mal, Jungs, es ist doch nur ein Fernsehstück; ihr nehmt mich in den Schwitzkasten oder so was Ähnliches, und ich gestehe. Ich meine, wer fragt denn hier schon nach der Motivation.< — Aber da widersprachen sie mir heftig: >Nein, nein,: wir müssen dem Zuschauer dafür eine Begründung geben.< — Ich kenne die Verhörmethoden der Polizei ein bißchen und sage: >Dann nehmt doch einfach eure Kanone aus dem Halfter, steckt sie mir in den Mund, und ich gestehe/ — Und sie antworten mir: >Das können wir nicht, weil uns sonst alle Polizeibehörden des Landes vorwerfen würden, daß wir sie zu brutal darstellen/ — Ich sagte: >Nehmt meinen Kopf und schmettert ihn vier- oder fünfmal gegen die Wand/ Sie meinten, das käme aus den gleichen Gründen auch nicht in Frage. Am Ende lag ich dann auf dem Billardtisch, und die beiden fanden ein Brotmesser in meiner Tasche, worauf es ihnen irgendwie gelang, mir einige Informationen zu entlocken.«
»Dabei ist mir übrigens aufgefallen«, fährt Bogosian mit seinem Erfahrungsbericht fort, »daß Don Johnson eine sehr entschiedene Meinung hat, wie weit eine Szene gehen darf. Er bringt seine Ansichten sehr deutlich zum Ausdruck, und ich glaube, das wurmt die Leute manchmal... Ich bin ja nicht oft mit Stars zusammen gewesen; aber die paar, mit denen ich gearbeitet habe, neigten dazu, sich sehr
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entschieden darüber zu äußern, wie ihrer Meinung nach eine Szene ablaufen müßte. Und warum auch nicht — sie haben vermutlich genauso viel Ahnung davon wie irgendwer sonst.« Dabei ging es durchaus nicht stürmisch zu am Drehort und nur selten waren Spannungen zu spüren. Aber die vielen Stunden vor und hinter der Kamera forderten ihren Tribut, und das Nervenkostüm wurde dünn. »Das ist etwas, was sich die Leute selten klarmachen, wenn sie einen Fernsehfilm sehen oder darüber schreiben«, erklärt Bogosian. »Es ist immer sehr heiß. Die Temperatur ist sehr hoch. Man ist in den vier Wänden des Ateliers eingeschlossen. Das summiert sich alles im Lauf eines Tages. In der Regel werden an so einem Drehtag sechzehn Stunden in einem Rutsch gearbeitet.« Im Atelier war Don nicht sehr gesellig. »Ich hatte das Gefühl, er hatte Wichtigeres im Kopf, als mit Kollegen zu plaudern«, berichtet Bogosian. »Er schien ziemlich konzentriert auf das, was er gerade vorhatte. Das ist bei ihm kein Snobismus. Er denkt nur eben ständig an das, was er als nächstes tun wird. Und er hat immer irgend etwas als nächstes zu tun. Don Johnson hat einen gewissen darstellerischen Spielraum, den er in seinen Szenen voll ausschöpft. Offensichtlich kämpft er darum, die Oberhand zu behalten, und das mit Erfolg. Wenn die anderen Darsteller nicht ebenfalls kämpfen, werden sie sich nie durchsetzen. Don hat in jeder Szene das letzte Wort. Er schikaniert jeden in jeder Szene. Wenn du dich mit einer untergeordneten Rolle zufrieden gibst, bist am Ende nur du der Verlierer.«
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Im Januar schien es dann wahrscheinlich, daß Miami Vice verlängert werden würde, und dieser Erfolg rührte nicht nur die Leute von der Show, sondern auch die Bewohner der Stadt Miami. Die Wiederaufführung einer Episode, in der die Gorillas der Dealerszene einen Detektiv umbringen, mehrere Leibwächter eines Kokainhändlers erschossen werden und der Boss des Rauschgiftrings das Weite sucht, nachdem er gegen eine Million Dollar Kaution Haftverschonung erhalten hat, wurde von den örtlichen Behörden gelassen hingenommen. Und dabei war man doch zuvor so um den Ruf der Stadt besorgt gewesen, daß eine Gruppe aufgebrachter Bürger der Gemeinde sich gar zu einem >Komitee zur Verteidigung der Ehre Miamis< organisiert hatte. Miami und Miami Beach sind imagebewußte Städte, weil ihr Wohlstand stark vom Tourismus abhängt. Auch haben sie ein gerüttelt Maß durchaus realer Probleme: Maschinenpistolen-Morde; Kokainbandenkriege; internationalen Terrorismus; zerstückelte Leichen, die auf dem Wasser der Biscayne Bay treiben. 1982 wurden die Produzenten von Scarface (ein Film, der großen Einfluß auf Gestaltung und Atmosphäre von Miami Vice haben sollte) aus der Stadt gejagt, weil die Gemeinde um ihren Ruf fürchtete. Jetzt war das alles vergessen. Die Sorge um das Image verwandelte sich in Begeisterung, weil Bilder von wolkenlosem Himmel, weißem Sand und aufregendem Nachtleben Szenen mit Gewalttätigkeiten scheinbar überwogen. Nie hatte Miami besser ausgesehen — und solange die Produzenten fortfahren,
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die Stadt als dritten Star der Serie zu verwandeln, haben sie inzwischen die volle Unterstützung der Fremdenverkehrsbehörde von Miami. Motive und Lokalitäten für Filmaufnahmen werden außerordentlich penibel ausgesucht, um eine Verbindung von weichen tropischen Farben und High-TechGlitzereffekten zu gewährleisten. Ernüchternde Erdfarben und Gebäude mit klassischer oder mediterraner Architektur sind für das Kameraauge tabu. »Rot ist >out<, braun ist >out<, pink ist >in<«, lautet die Devise. Miami Vice hat die Nation in ihren Strudel eingefangen, drückt der Kleidermode, der Rockmusik, den Filmemachern beim Fernsehen und natürlich der Stadt Miami ihren Stempel auf. Die Serie hat sich Miamis gewaltiger Kehrseite angenommen und sie weltweit in einer Art von Glitzer-Recycling vermarktet. Der Bürgermeister Maurice Ferre spricht nun von Miami wie von einer Märchenstadt, der Kasba, Casablanca oder dem alten Beirut vergleichbar. Sie birgt Geheimnisse und Gefahren und genügend Mystisches, daß sie auch neue Generationen von Touristen anzieht, abenteuerlustige Yuppies mit gespickten Brieftaschen. Im Mai schrieb Alan Dershowitz, ein angesehener Harvard-Professor der Rechtswissenschaften, einen Artikel für den TV-GUIDE, der die Frage nach der Nützlichkeit der Serie für Miami endgültig bejaht. Indem er Miami Vice mit anderen Serien vergleicht, führt er aus: »Ironischerweise erlaubt sich Hill Street Blues — die Serie mit der wirklichkeitsgetreuesten Darstellung des Polizeialltags —
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die größten Freiheiten mit den gesetzlichen Normen. Andrerseits kommt Miami Vice, das eine surrealistische Darstellung vom Leben eines Straßendealers liefert, der komplizierten Wirklichkeit rechtlicher Verhältnisse noch am nächsten.« Im März zierten Don und Philip das Titelblatt des ROLLING-STONE-Magazins, das einen langen Leitartikel über ihre TV-Serie brachte. Die Lawine kam nun endgültig ins Rollen, die Verlängerung der Serie in der nächsten Saison wurde garantiert. Und Don fühlte sich nun sicher genug, öffentlich zu erklären, daß er sich zum erstenmal nicht mehr durch Alkohol und Drogen gefährdet wußte. Sein ganzes Leben lang hatte er versucht, jemand zu sein, der sich frei ausdrücken, der mit seinen Aufgaben wachsen und sich anpassen kann, der Neues probiert und das Leben angeht wie ein großes Abenteuer. Am Ende des ersten Produktionsjahres verteilte Don T-Shirts, die er extra für diese Gelegenheit hatte anfertigen lassen. Darauf stand zu lesen: »Ich habe die erste Saison von Miami Vice überlebt.« Er selbst hatte in der Tat überlebt. Er hatte allen bewiesen, daß er mit den Belastungen einer wöchentlichen Serienproduktion fertig wurde — ohne einen Rückfall in seine alten Gewohnheiten. Als NBC und Universal glaubten, ihm nach jedem Erfolg Champagner schicken zu müssen, damit er diesen gebührend feiern könne, schickte er die Flaschen mit der Bitte zurück, sie durch Pralinen zu ersetzen. Nachdem die Dreharbeiten für eine Saison abgeschlossen waren, reiste Don nach Lousiana und
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Texas, wo er bei einer Neuverfilmung von The Long Hot Summer mitwirken sollte, und zwar in der Rolle, mit der Paul Newmans Erfolgskarriere begann. In loser Anlehnung an William Faulkners The Hamlet und einer Reihe anderer Stories des berühmten Autors, erzählt dieser Film die Geschichte von Will Varner (Jason Robards), einem reichen Südstaaten-Patriarchen, seiner Kinder (Judith Ivey und William Russ) und seiner Schwiegertochter (Cybill Shepherd), die ihn enttäuscht. Das Leben dieser Familie verändert sich mit der Ankunft von Ben Quick (Don Johnson), einem Landstreicher und mutmaßlichen Scheunenbrandstifter. Nach den Begriffen des modernen Unterhaltungskinos hatte diese Story alles: Feuersbrunst, Schweiß, Sex in den Büschen, Blut, Rebellion der Sprößlinge gegen ihren Erzeuger. Don erzählte den Leuten, er habe die Rolle nicht übernommen, um als Darsteller unbestellten Boden zu beackern, sondern weil dieses Kinostück ein amerikanischer Klassiker sei, mit deftigen Charakteren und brillanten, flotten Dialogen. Seine jüngsten Erfahrungen als Darsteller nützend, spielte er Ben Quick in der Rolle eines Roadie für eine Rock-and-Roll-Band südstaatlicher Provenienz. »Da gibt es Prüfungen und Drangsal, Liebe und Mißverständnisse, Vernarrtheit und heißen, dampfenden Sex — all solche Sachen. Das ist meine eigene Geschichte«, erklärte Johnson. Doch so einfach, wie Johnson sie hinstellte, war die Produktion in Wahrheit nicht. Zwar gab es Mangofrüchte, Guaven und Kiwis im Wert von
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5000 Dollar zu den Mahlzeiten; doch der Terminplan konnte nicht eingehalten werde. In den letzten Wochen der Dreharbeiten litten sie alle unter Streß, der Produzent redete nicht mehr mit dem Regisseur, Kameraleute waren gekommen und gingen wieder, Schauspieler drohten, den Krempel hinzuwerfen und bombardierten ihre Agenten mit Ferngesprächen, in denen sie über schlechte Behandlung klagten. Die Aufnahmeleitung schlug Alarm, und plötzlich wurde Marshall in Texas zum Mittelpunkt der Welt. Die Vizepräsidenten der Fernsehanstalt, die Produzenten, die das nötige Kleingeld nachliefern mußten, und Dons Agent: alle flogen hin, um das Geschäftliche zu regeln. Wenn sie nicht über die Hitze, über die Moskitos oder über den Mangel an Organisation klagten, das sie sechs Drehtage und 500 000 Dollar mehr als geplant kostete, lieferte Don Johnson den meisten Gesprächsstoff. Mädchen trieben sich zuhauf im Ramanda Inn in Marshall herum und hinterließen Liebesbriefe für Don. Ein Magazin hatte ihn zum >Sexiest Man in America< gekürt. Würde er seine Rolle durchhalten ? Auf einer Art Richterskala, die von 1 bis 10 reichte und die Erschütterungen am Drehort maß, stufte Don sich selbst mit einer Sieben und alle übrigen mit einer mutmaßlichen Acht ein. Er war bloß einmal explodiert, als ein aufjaulender Lastwagenmotor im Hintergrund die Dreharbeiten unterbrach; doch für diesen Wutausbruch waren eher Streß und Hitze als seine Star-Allüren verantwortlich. » Es ist lange her, daß ich mit so einem kamera-
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bewußten und intelligenten Schauspieler gearbeitet habe«, sagte Regisseur Stuart Cooper. »Don ist wie Newman und McQueen; er weiß, wo sich die Kamera befindet, und spielt mir genau in die Linse.« Es fiel Don, der immer gern erster Klasse reist, nicht schwer, in Paul Newmans strammsitzende Jeans zu schlüpfen. Er brachte — auf eigene Rechnung — seinen Chauffeur und persönlichen Koch Sam Conigliaro, seinen Mercedes und seine Sauna nebst seiner persönlichen Assistentin Marry Williams zum Drehort von The Long Hot Summer mit. In der letzten Woche der Dreharbeiten war die am Ort rekrutierte Komparserie, die pro Tag und Person nur 35 Dollar und Verpflegung bekam, damit sie sich draußen in die pralle Sonne stellte, fix und fertig. Einige von ihnen hatten einen Hitzschlag bekommen und waren bewußtlos zusammengebrochen ; andere wieder verließen die Szene, weil ihnen die Sonne die Augenlider verbrannt hatte. Cybill Shepherd kühlte sich im Bad ihres persönlichen Wohnmobils, und Judith Ivey benützte einen batteriebetriebenen Ventilator. Johnson und Robards, die in A Boy and His Dog schon einmal gemeinsam vor der Kamera gestanden hatten, schienen noch am wenigsten unter der Hitze zu leiden. Als Ex-Alkoholiker waren beide eine wandelnde Werbung für gesunde Lebensweise. Das fiel Don auch nicht schwer, da sein Kostüm fast den ganzen Film hindurch aus einem nackten Oberkörper plus vorfabriziertem Schweiß bestand. (Dons eigener Schweiß glitzerte nicht stark genug für die Kamera, weshalb die Schminkabteilung ein Flüssig-
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keitsspray für ihn herstellte, das aus Mineralwasser und einer geheimen Beimischung bestand, die Moskitos fernhielt. Don nannte den Spray »NahkampfSexschweiß«.)
Viele Missourianer betrachten sich gefühlsmäßig und kulturell dem Süden ihres Vaterlands zugehörig, und Don Johnson bildet da keine Ausnahme. Und als Südstaatler ist er seinem tiefsten Wesen nach Familienvater. Die Geburt seines Sohnes hat seiner häuslichen Wesensart zum Durchbruch verholfen. Wenn Patti und Jesse zu Besuch kommen, sind die drei wirklich eine Familie. Ein Mann von Dons Charisma und Ruf wird sich stets von Gerüchten amouröser Abenteuer verfolgt sehen, gleichgültig, ob und wie oft er sie dementiert. Seit er und Patti zusammenzogen, will die Gerüchteküche wissen, daß sie sich demnächst wieder trennen werden. »Wir sind sehr ineinander verliebt, und das sehr innig«, sagte Patti, als man sie anläßlich ihres Besuches bei den Aufnahmen von The Long Hot Summer fragte, ob an diesem Gerücht etwas dran sei. Wie Don es ausgedrückt hat: Sie hatten eine lebenslange Verpflichtung, sich einander zu lieben; aber sie mochten vielleicht nicht immer beisammenbleiben. Inzwischen — wie soll es anders sein bei Dons Arbeitspensum an wechselnden Drehorten — wohnen Patti und Jesse in Los Angeles, und sie sehen sich mehrere Male im Monat. Im Sommer '85 geschah dann etwas Unvorhergesehenes. Der Kritikerfavorit des vergangenen Jahres, Miami Vice, hatte sich trotz allem noch nicht vom Mittelfeld der Einschaltquotentabelle lösen können.
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Doch mit einer wachsenden Anhängerschar nahmen auch die Einschaltquoten von Woche zu Woche zu. Dafür sorgte offenbar die Mundpropaganda ; Zuschauer machten Freunde und Nachbarn auf den >New Look< der Serie, ihre Musik, ihren Schauplatz und ihre Stars aufmerksam. Im Sommer 1986 schaffte Miami Vice endlich den Durchbruch, machte einen Sprung in die Spitzengruppe und befindet sich seither dauerhaft unter den zehn Besten auf der Einschaltquotenliste. Kurz darauf gab es die Academy of Television Ans and Sciences bekannt, daß Miami Vice für fünfzehn EmmyPreise nominiert worden sei, darunter ein Emmy für Don Johnson als bester Hauptdarsteller, ein Emmy für Edward James Olmos als bester Darsteller in einer Nebenrolle und ein Emmy für Miami Vice als beste TV-Spannungsserie. Johnson, der in der Rangordnung der Stars immer höher klettert, wurde gebeten, zusammen mit Bob Hope und O. J. Simpson in einer 30-Millionen-Dollar-Werbekampagne zur Förderung die heimische Kleidungsindustrie mit folgendem Slogan zu unterstützen: »Angefertigt in den Vereinigten Staaten von Amerika, und ich bin stolz darauf.« Es hieß, daß Sonny bei seinen Fernsehauftritten zwar italienische Anzüge trage; aber außerhalb der Drehzeiten ausschließlich amerikanische. Für Johnson bedeutet der Status als Star die Verwirklichung all seiner Träume. Sein Leben lang
Don Johnson und Judith Ivey bei den Dreharbeiten zu der Fernsehserie The Long Hot Summer im Juni 1985
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hatte er die Rolle des verantwortungslosen, aber talentierten Jungen mit einem Hang für den bürgerlich verfemten Rock-and-Roll-Lebensstil gespielt. Er sah sich stets auch als Gitarrist, der die Gesellschaft von Musikern suchte. Aber wenn Miami Vice nicht gewesen wäre, würde er wohl nie als einer der zahllosen Interpreten zu jenem Live-Aid-Konzert eingeladen worden sein, das von Bob Geldof als Hilfe für die Hungernden in Afrika organisiert und via Satellit in die ganze Welt übertragen wurde.
Nachdem The Long Hot Summer abgedreht war, wurde es Zeit für Don, sich auf die nächsten Folgen von Miami Vice vorzubereiten. Die erste Episode des zweiten Zyklus sollte eine zweistündige Sondersendung werden, die in Manhattan spielte. Miami Vice hatte ja immer schon starke Verbindung zu New York. Der Pilotfilm der Serie begann in New York, und der unverwechselbare Typ des jungen New Yorker Charakterdarstellers, mit dem die Rollen besetzt wurden, half mit den harten, zupackenden Serienstil zu prägen, der beim Publikum so gut ankam. Und viele Hauptdarsteller in Miami Vice haben in Serien, die in New York spielten — wie Starsky &Hutch und Police Station — ihre Reifeprüfung als Schauspieler gemacht. Die normalerweise eher phlegmatischen Bewohner Manhattans gerieten schier aus dem Häuschen bei der Ankunft der heißesten Show und der >coolsten< Jungs weit und breit, die sich in der Stadt umsahen, um den Geist dieser Metropole einzufangen. Sie drehten Szenen in Soho-Bars, im WORLD TRADE CENTER, in Speichern in der Altstadt und
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im CHRYSLER-Wolkenkratzer. Wie in Miami suchte das Aufnahmeteam in New York nach außergewöhnlichen Motiven — keine Fotoserie auf dem Times Square, keine Aufnahmen von dampfenden Kanaldeckeln. Don zeigte sich in den zur Zeit modischen Nachtklubs, und selbst abgeschlaffte Partylöwen waren von seinem Charisma geblendet. Im September 1985 erreichte das Miami ViceFieber seinen Höhepunkt. In Chicago strömten 15 000 Fans zusammen, als die Stars der Serie in einer Werbeveranstaltung für Herrenmode auftraten und bei der Polizei der Stadt einen Freundschaftsbesuch machten. Mindestens drei Leute fielen in Ohnmacht, und das Geschrei wurde ohrenbetäubend, als Johnson und Thomas sich zu einer Party zurückzogen. Es ist eine von Crocketts Marotten, daß er ständig rauchen muß, und ehe er sich ein Stäbchen ins Gesicht steckt, rollt er es immer erst über die Lippen. Er hat vermutlich mehr für die Wiederherstellung des Männlichkeitswahns der Zigarettenraucher getan als irgendein anderer seit dem Auftritt des MARLBORO-Mannes. Das ist natürlich der amerikanischen Krebshilfe nicht verborgen geblieben: »Wir sind der Meinung, die Autoren sollten ihn in eine Klinik zur Entwöhnung von Nikotinsüchtigen stecken — je früher, desto besser.« Die Gesellschaft amerikanischer Lungenfachärzte und die Gesellschaft zur Bekämpfung von Herzkrankheiten haben sich ebenfalls beklagt: »Wenn sie in den Mund eines Helden eine Zigarette stecken«, erklärte ein Sprecher dieser Gesellschaften, »und dieser Held auch noch ein Polizist ist, der das
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Gesetz vertritt, müssen junge Menschen, die sehen, das Rauchen für etwas Erstrebenswertes Mutiges halten.«
das und
Eine bessere Note bekam Don von der Fremdenverkehrsvereinigung von Florida, die ihn zusammen mit Sänger Jimmy Büffet und Tennisstar Chris Evert Lloyd für eine 4,25-Millionen-Dollar-Werbekampagne einspannte. Und kaum waren Don Johnson und Philip Michael Thomas auf das Cover des Magazins TIME gekommen, als sie zu einem Dinner zu Ehren des Ministerpräsidenten von Dänemark ins Weiße Haus eingeladen wurden. Mit 114 anderen Gästen, zu denen auch Christina Ferrare (ehemals Gattin von John DeLorean), Dan Rather, Danny Kaye, Telly Savalas und der Jockey Angel Cordero gehörten, saß Don Johnson mit seiner Familie am Tisch und verzehrte Gemüse-Mousse mit Meeresfrüchten und Kräutersoße, Hühnergelantine in Estragon und Reis, und Kürbis mit Tomaten-Relish. Während der Präsident sich von Pete Roses Bestreben unterrichten ließ, Ty Cobbs Rekord der meisten Hits in einem Leben zu übertreffen, wanderte ein begeisterter Don mit Patti und Jesse durch die Korridore und spielte mit ihnen Eins-ZweiDrei-Felder-Hüpfen auf den Marmorfliesen. Don hatte mit Präsident Reagan und Nancy über die Probleme des Drogenmißbrauchs gesprochen, und der Präsident hatte ihm erzählt, daß Miami Vice zu den großen Favoriten im Weißen Haus zähle und ihn um ein Autogramm auf die Titelseite des TIMEMagazins gebeten. Jetzt, da Don ein Star geworden ist, der ganz
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selbstverständlich die Beachtung der Medien genießt, hat er sich auch noch für andere Belange eingesetzt, an die er glaubt. Unter anderem für die >Musical Majority< — eine Vereinigung, die sich gebildet hat, um Versuche abzuwehren, Schallplatten nach ihrem Text zu bewerten. Zusammen mit Prince, Tina Turner, Cindi Lauper, Lionel Ritchie, Dolly Parton, John Cougar Meilencamp, Don Henley und Mitgliedern der Gruppen Pointer Sisters, Chicago, Kiss und Duran Duran ist Don einem von der amerikanischen Bürgerrechtsunion organisierten Sonderausschuß beigetreten, der »verfassungswidrige« Zensuroder Verbotsvorschläge für Schallplatten durch die Organisation >Wives of the Parents' Music Recource Center< in Washington bekämpft. Der musikalische Leiter der Serie, Fred Lyle, ist verantwortlich für die Auswahl der Lieder für die wöchentlich gesendeten Miami F/'ce-Episoden. Er hat bereits erleben müssen, daß Princes Little Red Corvette, Sheena Eastons Sugar Walls und Steppenwolfs Pusher Man aus den verschiedensten Gründen von den NBC-Zensoren abgelehnt wurden. »Wir sind es leid, daß jeder Extremist, der seinen oder ihren Namen in die Zeitung bringen will, sich der Rockmusik bedient und sie zum Prügelknaben macht, erklärte der geschäftsführende Direktor der amerikanischen Bürgerrechtsunion, als er die Bildung des Sonderausschusses ankündigte. »Es ist absolut nicht Aufgabe der Regierung, den Inhalt von publiziertem Material zu prüfen«, sagte er. »Jeder Gesetzesantrag, der ein Verbraucher-Bewertungssystem für Schallplatten einrichten möchte,
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würde sehr rasch als verfassungswidrig verworfen werden müssen. Schallplattenfirmen haben vor einer derartigen Gesetzgebung nichts zu befürchten.« Die einzige Enttäuschung in einer langen Kette von Erfolgen für die Serie war die Preisverleihung der Emmy Awards, der Don, von einer strahlenden Patti begleitet, beiwohnte. Aus der Rekordzahl von 15 Nominierungen konnte sich die Serie nur vier Preise holen, und davon war nur einer — der Emmy für Edward James Olmos als bester Darsteller in einer Nebenrolle — ein Preis der Ersten Kategorie. Das Mindeste, was Don sich versprochen hatte, war eine Anerkennung des Beitrags, den die Serie mit ihrer Musik und ihren Kostümen geleistet hatte. Aber das sollte in diesem Jahr noch nicht klappen. Don, der trotz seiner begreiflichen Enttäuschung keinen Krach schlagen wollte, ließ durchblicken, er habe das Gefühl, Miami Vice könnte vielleicht für diesen Saal zu modern und progressiv gewesen sein. Als The Long Hot Summer endlich ausgestrahlt wurde, natürlich auf dem NBC-Kanal, machte Don wieder einmal Schlagzeilen in den Magazinen. Nach fünfzehn Jahren in diesem Geschäft und fast durchweg guten Kritiken hatte Don noch immer damit zu tun, Skeptiker von sich zu überzeugen. Aber als die Summer-Kritiken auf den Tisch kamen, sah er sich von dieser Mühe wohl für immer erlöst. »Johnson, der seine lose sitzenden Modellanzüge gegen engsitzende Jeans und ein an strategisch wichtigen Stellen zerrissenes T-Shirts vertauscht hat, tut nichts, was seiner schauspielerischen Reputation und seiner Beliebtheit bei seinen Fans scha-
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den könnte. Sein Ben Quick ist ein stolzer und unabhängiger Mann, der seine Sorgen für die Menschen in seiner Umgebung hinter einer lang einstudierten Pose der Unnahbarkeit versteckt; eine liebenswürdige Figur, der man leicht erliegt; doch wenn sie gereizt wird, kaum noch liebenswert. Johnson zeigt uns eine großartige allmähliche Verwandlung in einen zornigen jungen Mann und ist besonders überzeugend in Augenblicken der Verwundbarkeit. Er und Robards, die schon in einem KultKlassiker A Boy and His Dog zusammenarbeiteten, sind in ihrer Verschwörungsszene von einer fast ausgelassenen Fröhlichkeit«, schrieb der Kritiker von der ASSOCIATED PRESS. »Wird The Long Hot Summer für Don Johnson dasselbe bewirken wie für Paul Newman ? Schaden wird der Film ihm gewiß nicht ... Mr. Johnson ist eine Erscheinung, die vor der Kamera beeindruckt. Er kann jungenhaft übermütig und zugleich unnahbar-mißtrauisch sein«, urteilte die NEW YORK TIMES. Der für das Fernsehen gedrehte Film war auch ein Hit auf der Einschaltquotenliste. Er verwies die Live-Übertragung eines Footballspiels und das sonst immer das Feld beherrschende Sonntagabendprogramm der CBS auf die unteren Plätze und verhalf der Fernsehgesellschaft NBC zu ihrem zweiten Sieg bei den Einschaltquoten in der zweiten Woche der Programmsaison '85/'86. Bereit zum Start in das zweite Jahr, gab Miami Vice eine Party im exklusiven >1235-Club< in Miami mit den Bee Gees, David Lee Roth, Eddie Van Harlen, Phil Collins und Glenn Frey als Gästen. Zu
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den Höhepunkten gehörte die Versteigerung ausgesuchter Originalkreationen von Spitzendesignern und die Erstausgabe des Miami Fice-FilrnmusikAlbums. Das Album enthielt neue Aufnahmen und Lieder, die zu den Folgen der Serie aus dem vergangenen Jahr in enger Beziehung standen: fünf Instrumentalstücke von Hammer; schon früher herausgebrachte Hits von Glenn Frey; Tina Turner und Phil Collins, die in einigen der ausgestrahlten Folgen die Stars des Soundtracks waren, sowie drei neue Songs — Vice von Großmeister Meile Mel; Chaka Khans Own the Night und You Belong to the City von Frey. Das Erscheinen des Albums war so programmiert, daß es mit der Erstsendung der neugedrehten Serie zusammenfiel. Und mit der Veröffentlichung von Glenn Freys neuem Lied You Belong to the City auf der LP verhalf das Filmmusik-Album der Serie zu Erfolgen auf vielen verschiedenen Ebenen. Die letzte Filmmusik, die die Pop-Hitliste angeführt hatte, war die LP Peter Gunn, die 1959 zehn Wochen lang die Nummer eins gewesen war. Jan Hammers Eröffnungsmelodie war das erste Leitmotiv eines Fernsehfilms, das in die Spitzengruppe der Top Ten einbrach, nachdem Mike Post mit seiner Vorspannmelodie Theme From Hill Street Blues im November '81 auf den zehnten Platz der Hitliste gekommen war. You Belong to the City kam ebenfalls unter die ersten zehn. Bis November — also in nicht einmal vier Wochen — waren 1,7 Millionen Miami Vice-Alben verkauft und die LP hatte sich den vielbegehrten ersten Platz auf der Hitliste erobert.
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Die Kenner der Musikindustrie begannen davon zu sprechen, daß Miami Vice das Fernseh-Gegenstück zu Flashdance sei, was die Eroberung kommerziellen Neulands anlange. Der Gedanke, überhaupt eine Platte von der Filmmusik herauszubringen, kam erst auf, als Danny Goldberg von GOLD MOUNTAIN RECORDS sich im Januar 1985 mit Michael Mann in Verbindung setzte. Er schlug Michael Mann vor, ein Plattenalbum von der Serie zu produzieren, das neben der Filmmusik auch Originalstücke als Erstveröffentlichung herausbringen sollte — damit es eine echte Chance hätte, einen Spitzenplatz in den Hitlisten zu erreichen. »Miami Vice«, stellte ein Kritiker fest, »ist die erste Show, die sich an die Mentalität des Fernsehens hält und sich dabei trotzdem jene rebellischen und progressiv-beschwingten Elemente bewahrt, die das Wesen der Popmusik ausmachen.« Als Don mit EPIC RECORDS einen Vertrag unterschrieb, für die Firma ein Solo-Album zu machen, das im Frühjahr 1986 herauskommen sollte, erfüllte er sich einen lebenslangen, ehrgeizigen Traum: Als Interpreten sollen in diesem Album unter anderen der Texas-Blues-Gitarrist Stevie Ray Vaughn, Mitglieder der Duran-Duran-Nachfolgeband Power Station und Dickie Betts von den Allman Brothers zu Gehör kommen. »Es wird eine LP im Stil von Phil Collins werden. Ganz auf der Höhe der Zeit, wie man das von einer Glenn-Freyoder Don-Henley-Platte erwarten würde.«, ließ eine Quelle bei CBS-Records verlauten. »Nicht ein Album wie ein T-Shirt; keine Platte,
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die nur eine bekannte Persönlichkeit CBS möchte einen echten Hit haben.«
vermarktet.
Im zweiten Jahr der Serie sollte sich Don Johnson als noch größerer Star etablieren — im und außerhalb des Studios. »Don versteht es, dich spüren zu lassen, daß er ein Star ist; und dennoch ein Freund zu bleiben«, berichtet Pinero. »Er liebt es, andere zu dirigieren. Er gibt den Ton an. Er ist immer obenauf. Er schafft an, und man läßt ihn anschaffen, weil es ganz natürlich zu sein scheint, daß er die Leitung übernimmt. Als ich ihn das letztemal in einer Folge der Serie erlebte, wußte ich, daß er die Regie übernehmen würde. Im ersten Jahr wurden die Drehbücher auseinandergerissen und auf dem Studioboden wieder zusammengesetzt, während jeder seinen Senf dazugab. Jetzt, wo sich Don als Star etabliert hat, wollen sie ihm keine Drehbücher mehr geben — die natürlich vor den Dreharbeiten schon fertig bereitliegen —, bis sie halbwegs gut zu sein scheinen.« Im Premierenjahr hieß es: Miami Vice — mit Don Johnson in der Hauptrolle. Ein Jahr später wäre es richtiger zu sagen: Don Johnson spielt die Hauptrolle in Miami Vice. Das früher locker und auch etwas windig organisierte Aufnahmeteam hat nun Büros für die Organisation des Transports und eine eigene Verwaltung. Während Don früher nur gelegentlich Ansichtskopien seiner Sequenzen betrachtete, hat er nun Dauerkonferenzen mit Leuten, die ihm vortragen, wie er in diesen Szenen aussieht und wie er darin aussehen sollte. Er hat sich sogar etwas für die Autogrammjäger ausgedacht, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgen.
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Kindern gibt er persönlich Autogramme; wenn Erwachsene ihn ansprechen, gibt er ihnen eine Visitenkarte mit folgendem Text:
»Tut mir leid; Sie haben mich in einem ungünstigen Moment angesprochen. Ich danke Ihnen, daß Sie meine Arbeit schätzen.
Wenn Sie gern ein Bild mit meiner Unterschrift haben möchten, schreiben Sie bitte an den DonJohnson-Fanclub, 2895 Biscayne Blvd., Suite 395, Miami Fla. 33137. Gezeichnet: Don Johnson.«
»Don war smart«, berichtet Pinero. »Er macht bei dieser Tingeltangel-Show Miami Vice mit — eine Show mit aufregenden Episoden, ein rein kommerzielles Fernsehen mit großartiger Szenerie, Regisseuren und so weiter; trotzdem nichts als eine reine kommerzielle Angelegenheit —, er macht also bei diesem Spektakel mit, um sich als Schauspieler zu etablieren. Er hätte bei einem Projekt a la Rambo mitmachen und damit eine Milliarde Dollar verdienen können. Doch nein, er entschied sich lieber für so etwas wie The Long Hot Summer. In seinem Haus liegen genügend Drehbücher herum. Er könnte jede Rolle beim Fernsehen spielen, die er haben möchte, und wenn er sie lieber auf Theaterbühnen spielen will, könnte er das auch haben.« Eine weitere Anerkennung als Schauspieler der Spitzenklasse und als hübsches Gesicht mit schweißglitzerndem Torso erfuhr Don mit der Premiere von Cease Fire. Nachdem der Film fast zwei
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Jahre lang in den Regalen verstaubt war, hatte man ihn nun doch, Dons Bekanntheitsgrades wegen, in die Kinos gebracht. »Cease Fire hätte man sich als übliche Peinlichkeit aus der Vor-Star-Zeit vorstellen können; aber das ist sie nicht«, befand ein Kritiker. »Sogar in einer mittelmäßigen berechenbaren Filmhandlung spielt Mr. Johnson ziemlich ergreifend, was vermuten läßt, daß er seinen jüngsten Ruhm mindestens ebensosehr echtem Schauspielertalent wie seinem guten Aussehen verdankt.« Am 7. November 1985 kam Don abermals auf die Titelseite von ROLLING STONE — diesmal ohne Philip Michael Thomas und ohne einen Hinweis auf Miami Vice. Freimütig wie eh und je sprach er sich in diesem Artikel über sein vergangenes Leben und seine laufenden Pläne aus. Die vertrauten Ausbrüche seiner ego-inspirierten Rhetorik waren noch dieselben, aber das Image von Don Johnson, dem Familienvater, trat deutlich hervor. Er benützte diese Gelegenheit, der Öffentlichkeit bekanntzugeben, daß er nicht länger in Hollywood leben wolle. Ihm ging es wie vielen Leuten, die ihre Lebensweise radikal ins Gegenteil verkehren: Er fürchtete plötzlich, wie er gestand, daß die »Schmarotzer-Elemente« dieser degenerierten HollywoodSzene einen negativen Einfluß auf seinen Sohn Jesse haben könnten. Die Beeinträchtigungen seines Aufwachsens seien schon schlimm genug, da müsse man nicht auch noch in der Traumfabrik wohnen. Er hatte sich geweigert, Miami Vice zum Markenzeichen einer bestimmten Garderobe zu
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machen, aus Angst, die Fans der Serie zu verprellen ; doch könnten eines Tages doch noch CROKKETT UND TUBBS-Schuhe und ein Sortiment anderer Artikel, die in der Serie vorkommen, unter diesem Namen auf den Markt kommen. Don äußerte sich besorgt über die Möglichkeit, daß sein Alptraum eines Tages Wirklichkeit werden könnte: daß er eines Tages in Bloomingdales Kaufhaus kommen und dort eine riesige, zweieinhalb Meter große Pappkopie seiner eigenen Gestalt antreffen könnte, bekleidet mit Miami Vice-Unterhosen.
Bislang ist Erfolg biert hat — frei kungen. Statt mit er nun mit dem tigwerden — und nachlaufen.
die beste Droge, die Don je provon jeglichen negativen Nebenwirdem Kater nach Zechgelagen muß Blitzlichtgewitter der Kameras fermit den Fans, die ihm überall hin
Wird der Erfolg Don Johnson korrumpieren? Vermutlich nicht. Es war ein weiter Weg, seit der hübsche Boy aus dem Mittelwesten Hollywood im Sturm erobert hatte. Aus einem schlichten Jungen vom Land, der sich auf der Bühne und vor der Kamera auszog, ist ein geachteter Schauspieler und ein Rollenvorbild für die achtziger Jahre geworden. Jedes Jahr kommen Hunderte von gutaussehenden Jungen nach Hollywood in der Hoffnung, dort als Schauspieler Karriere zu machen. Einigen gelingt es, die meisten scheitern, und nur sehr wenige können später als gereifte Männer in ihrem Beruf eine führende Rolle einnehmen. Doch eben das ist es, was Don Johnson irgendwie geschafft hat, nach 17 Jahren schmerzlicher
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Prüfungen und Heimsuchungen im Sündenbabel Hollywoods, das berühmt ist für seinen herzlosen Verschleiß junger und attraktiver Talente, hat er es geschafft. Im Augenblick, wo diese Zeilen geschrieben werden, ist er der einzige wirklich populäre männliche Fernsehstar, und er hat zudem die Grenzen, die normalerweise Fernsehberühmtheiten gesetzt sind, übersprungen und wird selbst vom Präsidenten der Vereinigten Staaten als Pop-Star voll und ganz respektiert und bewundert. Was kommt als nächstes ? Miami Vice ist auf dem besten Weg, der neue Standard zu werden, an dem alle anderen Räuber-und-Gendarm-Fernsehkrimis gemessen werden müssen. Angebote für Starrollen in abendfüllenden Unterhaltungsfilmen strömen ihm ins Haus. Und endlich geht nun auch Johnsons lebenslanger Traum in Erfüllung, ein professioneller Musiker zu werden, dessen Lieder, an denen er auch schon so lange arbeitet, von Millionen gehört werden. Auch in seinem Privatleben ist er seßhaft geworden, genießt den langsameren Pulsschlag seines Familienvaterdaseins und die Sicherheit eines stabilisierenden weiblichen Einflusses. Seine kratzige Stimme, die einst so unpassend wirkte, paßt nun so gut zu ihm wie seine maßgeschneiderten Modellanzüge. Er tpt Charakter bekommen. Die vergeudeten Jahre seines maßlosen Lebens haben sich ironischerweise für ihn bezahlt gemacht. Er hat viel mehr aus sich gemacht als die bloße Summe seiner Körperteile. Don Johnson hat mit seinem Pfund gewuchert, und die Gewinne beginnen eben erst zurückzufließen...
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Die beiden Stars aus Miami Vice, Don Johnson und Philip Michael Thomas, bei einer Pressekonferenz im New Yorker Visage im Juni 1985
Verzeichnis der Theaterstücke, Filme und Fernsehproduktionen, in denen Don Johnson mitwirkte : Theaterstücke
Your Own Thing (1968) Fortune and Men's Eyes (1969)
Filme
Magic Garden of Stanley Sweetheart (1970) Zachariah (1971) Harrad Experiment (1973) A Boy and His Dog (1975) Return to Macon County (1975) CeaseFire(1985)
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Fernsehproduktionen
Police Story Bold Ones Young Dr. Kildare Sarge Kung Fu Big Hawaii (1977) Ski Lift to Death (1978) The Rebeis (1979) Amateur Night at the Dixie Bar and Grill (1979) From Here to Eternity (1980) Revenge of The Stepford Wives (1980) Elvis and the Beauty Queen (1981) The Two Lives of Carol Leitner (1981) Beulah Land (1982) Miami Vice (1985 ff.) The Long Hot Summer (1985)
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Bildnachweis
Frank Edwards Fotos International, New York, S. 9, 12, 24, 33, 44, 49, 61, 67, 78, 91,101
Ron Galella, New York, S. 108,129
AP/Wide World Photos, S. 143
Vinnie Zuffante, Star File, New York, Frontispiz
Bob V. Noble Fotos International, New York, S. 83
Anthony Savignano/Gallela Ltd., S. 157