Impressum Der Autor: Mark Bego Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe 2012 Deutsche Erstausgabe 2009
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, D-30827 Garbsen.
Umschlaggestaltung: Thomas Auer, www.buchsatz.com Coverfoto: VISUAL / Action Press / picturedesk.com Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com Übersetzung: Kirsten Borchardt Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai
© 2012 by Hannibal
Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen www.hannibal-verlag.de
ISBN: 978-3-85445-390-1 Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-389-5
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3/267 Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.
Inhalt Prolog: Die letzte Diva Einleitung: Die Frau, die alles hatte Kapitel 1: Familientradition Kapitel 2: Eine glückliche Kindheit Kapitel 3: Teenagerjahre Bildstrecke 1 Kapitel 4: Auftritt Clive Davis Kapitel 5: Der große Durchbruch Kapitel 6: Leben im Rampenlicht Kapitel 7: Widersprüchliche Gerüchte Kapitel 8: Die Diva zeigt Krallen Kapitel 9: Bobby Brown und Bodyguard Kapitel 10: Filmstar Kapitel 11: Erste Risse Kapitel 12: Ärger mit dem Gesetz
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Bildstrecke 2 Kapitel 13: Whatchulookinat? – Wasglotznso? Kapitel 14: Der Absturz Kapitel 15: Als sei ich niemals weg gewesen Kapitel 16: Heartbreak Hotel Quellennachweise Diskografie Auszeichnungen Danksagung Über den Autor Das könnte Sie interessieren
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s war am Vorabend der 54. Verleihung der Grammy Awards in Los Angeles. Das Grammy-Wochenende ist in der amerikanischen Musikszene zweifelsohne die aufregendste Zeit des ganzen Jahres, und bereits in der Woche zuvor hatten sich zahllose Musiker, Produzenten, Techniker, Mitarbeiter von Plattenfirmen und Superstars in der kalifornischen Unterhaltungsmetropole eingefunden, um sich auf einer der vielen Partys blicken zu lassen, die der Verleihung vorausgehen. Während die Grammy-Verleihung am 12. Februar im Staples Center von Los Angeles stattfinden sollte, plante der Plattenboss Clive Davis seine eigene Gala im Beverly Hilton Hotel: Wie jedes Jahr veranstaltete er eine exklusive „Prä-Grammy“-Party, bei der sich in der Regel die renommiertesten Vertreter des Musikgeschäfts einfanden und eine beeindruckende Liste von Gaststars für die Unterhaltung sorgte. In diesem Jahr zählten zu den geladenen Gästen unter anderem Tony Bennett, Jane Fonda, Joni Mitchell, Tom Hanks, Richard Branson, Sean „P. Diddy” Combs, John Fogerty, Kim Kardashian, Serena Williams, Neil Young, Britney Spears, Alicia Keys, Adam Lambert, Ray Davies von den Kinks und Sly Stone. Und noch jemand wurde für dieses Großereignis erwartet: Clive Davis’ größte Entdeckung und Freundin — Whitney Houston. Um gleich vor Ort zu sein, mietete sie sich eine Suite im Beverly Hilton Hotel – damit war sie mittendrin im Geschehen, und wenn es an der Zeit war, bei der abendlichen Gala zu erscheinen, konnte sie einfach den Fahrstuhl nach unten nehmen und einen großen Auftritt haben. Auch sie war schon einige Tage vor den Grammys angereist; am Abend des 9. Februar
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zeigte sie sich bei einem Auftritt ihrer Freundin Kelly Price, der in einem Club stattfand. Die Veranstaltung stand unter dem Motto: „Kelly Price und Freunde, unplugged: Grammy-Party im Tru Hollywood aus Liebe zum R&B“. Während Kellys Auftritt kam Whitney kurz auf die Bühne, und beide sangen zusammen den Song „Jesus Loves Me“. Videoaufnahmen zeigen eine leicht verschwitzte und derangierte Houston in einem schlichten, schwarzen Kleid, und sie machte ganz den Eindruck, als ob sie an diesem Abend im Kreis ihrer Freunde großen Spaß hatte und so richtig alle Fünfe gerade sein lassen wollte. Zu der Zeit ahnte wohl noch niemand, dass dies der letzte öffentliche Auftritt sein würde, bei dem Houston je singen sollte. Am Samstag, den 11. Februar, befand sich Whitney dann im Beverly Hilton Hotel, an der Kreuzung von Santa Monica Boulevard und Wiltshire Boulevard. Sie hatte im luxuriösen vierten Stock eine geräumige Suite bezogen, die an einer Ecke des Gebäudes lag und die Zimmernummer 434 trug. Normalerweise waren stets einige Angestellte in ihrer Nähe. Aber für kurze Zeit blieb sie dann doch allein und beschloss, vor der Party noch ein entspannendes Bad zu nehmen. Wie die Polizei von Beverly Hills später mitteilte, fanden ein Angestellter und zwei Bodyguards kurz darauf ihren leblosen Körper in der Wanne. Sie war bewusstlos und reagierte nicht mehr auf die Versuche, sie wieder munter zu machen. Um 15:43 Uhr rief der Angestellte den Rettungsdienst. Glücklicherweise waren Polizei und Feuerwehr bereits auf dem Gelände und schickten sofort Helfer. Doch auch die Wiederbelebungsversuche der Sanitäter blieben wirkungslos, und um 15:55 Uhr wurde Whitney Houston offiziell für tot erklärt.
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ur wenige Stars im Showgeschäft haben so hohe Karrieregipfel erklommen wie Whitney Houston. Sie zählt zu den größten Sängerinnen in der Geschichte der Popmusik und feierte 1992 mit ihrem phänomenalen Welt-Hit „I Will Always Love You“ den Höhepunkt ihrer Laufbahn. Lange Zeit galt sie als sie Personifizierung von Schönheit und Talent und wurde auf der Konzertbühne wie auch auf der Kinoleinwand eine der erfolgreichsten Künstlerinnen aller Zeiten. Sie wurde mit zahllosen Auszeichnungen bedacht und häufte ein enorm großes Vermögen an. Aber sie stürzte auch tiefer als viele andere von den Höhen des ShowOlymps. Nachdem Whitney 1991 den Musiker Bobby Brown geheiratet hatte, begann eine 20-jährige Pechsträhne, die vor allem von ihrem selbstzerstörerischen Verhalten geprägt war. Beruflich und privat, kreativ und psychisch ging es mit ihr stetig weiter bergab. Seit dem Jahr 2000 wurde jedes neue Album und jeder neue Karriereschritt als „Comeback“ betrachtet. Doch kaum war sie wieder neu durchgestartet, kam es regelmäßig zu Fehlentscheidungen oder persönlichen Schicksalsschlägen. 2009 landete sie mit ihrem Album I Look At You, das in den USA und auch in Deutschland Platz 1 der Charts erreichte, tatsächlich noch einmal den großen Wurf. Der Weg dorthin war hart gewesen, aber zumindest für eine Weile schien es, als ob sie es noch einmal schaffen würde, zu alter Form zurückzufinden und mit Energie, Stil und Flair auf die Bühne
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zurückzukehren. Doch als ihre Welttournee ein Jahr später zu Ende ging, häuften sich in der Presse niederschmetternde Kritiken über blasse, schwache Auftritte, bei denen sie schlecht oder gar nicht bei Stimme war, und zunehmend sagte sie Konzerte ab. Es war der Anfang vom Ende: Whitney Houston hatte ihre einst so herausragende Stimme verloren, und auf der Bühne überzeugte sie nicht mehr. In den Jahren 2010 bis 2012 wurde Whitney Houstons Leben zu einer beängstigenden Achterbahnfahrt zwischen kurzlebigen Triumphen und tiefen Enttäuschungen. 2011 unternahm sie einen letzten Versuch, sich wegen ihrer Drogensucht behandeln zu lassen, und sie übernahm eine Rolle in der Neuauflage des Musikfilms Sparkle aus den Siebzigern. Anfang 2012 geisterte dann jedoch das Gerücht durch die Presse, Whitney sei pleite und ihre Drogensucht schlimmer als je zuvor. Ihr plötzlicher, tragischer Tod am 11. Februar 2012 war gerade deshalb so traurig und erschütternd für ihre Millionen Fans auf der ganzen Welt, weil ihr Absturz aus einer so großen Höhe erfolgte. Seit dem Beginn ihrer Karriere in den achtziger Jahren war sie zum Schallplatten- und Filmstar aufgestiegen und aus ihr war eine glamouröse Showbiz-Diva geworden. Sie war berühmt und erfolgreich, aber dennoch hatte sie das nicht immer glücklich gemacht. Was war geschehen? Was war schief gegangen? Hatte sie nicht immer alles gehabt - „Didn’t we almost have it all“, wie sie selbst 1987 in ihrem großen Hit gesungen hatte? Whitney Houstons Karriere wurde von Anfang an sorgfältig geplant und organisiert. Sie wurde buchstäblich ins Showgeschäft hineingeboren. Ihre Cousine ist die Pop-Ikone Dionne Warwick. Ihre Mutter Cissy Houston war in den Sechzigerjahren die Leadsängerin der Girlgroup The Sweet Inspirations, deren Backgroundgesang auf Hits von Legenden wie Aretha Franklin und Luther Vandross zu hören ist. Mit Whitneys eigener Laufbahn schließlich erfüllte sich der Musikmogul Clive Davis einen persönlichen Traum. Sicher, die junge Whitney war sehr hübsch und hatte eine phänomenale Stimme, aber es war Davis, der zwei Jahre lang daran arbeitete, ihr die richtigen Songs zukommen zu lassen und die richtigen Produzenten zu finden, die ihr natürliches Talent schließlich ins beste Licht setzten.
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Ihr erstes Album Whitney Houston erreichte 1985 die Spitze der USCharts und verkaufte sich weltweit zweiundzwanzig Millionen Mal. Ein internationaler Hit nach dem anderen wurde daraus ausgekoppelt, und es ist immer noch das bestverkaufte Debütalbum aller Zeiten. Der Nachfolger, Whitney aus dem Jahr 1987, vertraute auf denselben Mix und wurde zur ersten Platte eines weiblichen Stars, die in die amerikanischen BillboardCharts von Null auf Eins einstieg. Ihr drittes Werk, I’m Your Baby Tonight von 1990, ging zehn Millionen Mal über die Ladentische. Während der ersten elf Jahre ihrer so erfolgreichen Karriere als Sängerin und Schauspielerin galt sie weltweit als eine bezaubernde, schöne, selbstbewusste und talentierte Künstlerin mit phänomenaler Stimme. Sie kleidete sich stilsicher und elegant, erschien stets mit makelloser Frisur in der Öffentlichkeit und stand souverän auf berühmten Bühnen wie der New Yorker Carnegie Hall. Allein in den USA verzeichnete Whitney Houston elf Nummer-EinsHits: „Saving All My Love For You“, „How Will I Know“, „Greatest Love Of All“, „I Wanna Dance With Somebody (Who Loves Me)“, „Didn’t We Almost Have It All“, „So Emotional“, „I Will Always Love You“, „Where Do Broken Hearts Go“, „I’m Your Baby Tonight“, „All The Man I Need“ und „Exhale (Shoop, Shoop)“. Sie gewann sechs Grammys, einundzwanzig American Music Awards sowie einen Emmy und wurde in Deutschland mit dem prestigeträchtigen Bambi als „Beste internationale Künstlerin“ ausgezeichnet. Es schien, als gäbe es nichts, was sie nicht erreichen konnte. 1992 wurde Houston außerdem zum Filmstar, als sie an der Seite von Kevin Costner die weibliche Hauptrolle in dem Kinohit Bodyguard übernahm. Auf dem Soundtrack zum Film fand sich Whitneys größter Hit „I Will Always Love You“, der weltweit vierunddreißig Millionen Mal verkauft wurde. Der Soundtrack zu ihrem zweiten Film Warten auf Mr. Right wurde zum meistnominierten Album in der Geschichte der Grammy-Verleihungen. Und der Soundtrack ihres dritten Films Rendezvous mit einem Engel, der sich fünf Millionen Mal verkaufte, wurde zum meistverkauften Gospelalbum aller Zeiten. Damals wurde alles, was
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Whitney Houston berührte, zu Gold. Sie war die strahlende Pop-Prinzessin, der eine gute Fee alles Glück der Welt geschenkt zu haben schien. Auf ihren eigenen Wunsch hin schlug sie mit ihrem Album My Love Is Your Love einen anderen Kurs ein und wandte sich mehr dem HipHopSoul zu; außerdem erschuf sie sich ein etwas härteres Image. Zwar war diese Platte weniger erfolgreich als ihre früheren Werke, fand aber immer noch ein großes, internationales Publikum. Im Jahr 2000 veröffentlichte sie dann ein Greatest Hits-Album, das zehn Millionen Mal abgesetzt wurde. Damit endete ihre Zusammenarbeit mit Clive Davis für einige Jahre. Nach Ansicht vieler Kritiker war dies der Beginn ihres Abstiegs, im Studio wie auf der Bühne. Tatsächlich folgte nun für Whitney Houston eine sieben Jahre dauernde Pechsträhne. Während ihrer Ehe mit Bobby Brown verwandelte sie sich in eine unberechenbare, verzweifelte Frau, deren Leben völlig aus den Fugen geriet. Die temperamentvolle, liebenswerte Whitney, in die sich die Welt in den Achtzigern und frühen Neunzigern verliebt hatte, war nicht mehr wiederzuerkennen. Im Jahr 2001 schien ihre Welt zu zerbrechen. Es sah so aus, als wollte Whitney selbst mit aller Macht jenes Erfolgsimage zerstören, das so sorgfältig und mühevoll für sie aufgebaut worden war. 2005, als das amerikanische Fernsehen die imageschädigende Reality-Serie Being Bobby Brown zeigte, wurde Whitney Houston in der Presse als arrogant, unzuverlässig, drogensüchtig und paranoid dargestellt, als Frau, die sowohl ihr gutes Aussehen als auch ihre Stimme leichtfertig ruiniert hatte. Selbst ihre treuesten Fans wandten sich allmählich von ihr ab. Die Hochzeit mit dem durchaus talentierten, aber schwierigen „Bad Boy“ Bobby Brown hatte zu starken Veränderungen in ihrem Leben geführt. Damit hatten der in der Presse ausführlich dokumentierte Drogenmissbrauch begonnen, die abgesagten Konzerte, das öffentliche Abkanzeln von Fans und die Konflikte mit dem Gesetz, und schließlich sah Whitney auch noch erschreckend dünn und ausgezehrt aus. Früher hatte ihr Name auf einem CD-Cover einen weltweiten Hit garantiert. Nun musste sie plötzlich feststellen, dass sie von den Radiomachern ebenso ignoriert wurde wie von den Schallplattenkäufern.
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Bobby Brown war ursprünglich in den Achtzigern als Mitglied der R&BGruppe The New Edition bekannt geworden. Später machte er jedoch vor allem wegen seiner betrunkenen Pöbeleien, der handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Whitney in aller Öffentlichkeit und seiner notorischen Fremdgeherei Schlagzeilen. Neben der gemeinsamen Tochter mit Whitney Houston hat er eine Reihe unehelicher Kinder, und es ist vielleicht typisch, dass ausgerechnet ein Song mit dem Titel „Humpin’ Around“ – zu deutsch etwa „Rumbumsen“ – zu seinem größten Solo-Hit wurde. Es war ihm zuzuschreiben, dass sich Whitney immer mehr von ihrer Familie, ihren Freunden und ihren Fans entfernte. Unter seinem Einfluss entstand 2002 das spannungsarme Album Just Whitney, von dem weltweit nicht mehr als drei Millionen Exemplare abgesetzt werden konnten. Als erste Single wurde der defensive, paranoide Song „Whatchulookinat“ ausgekoppelt, der in den Charts überhaupt keinen Eindruck hinterließ. Der Blick der Öffentlichkeit ruhte inzwischen nicht mehr wohlwollend und liebevoll wie früher auf Whitneys einst so klassischer Schönheit, sondern war eher mit dem Entsetzen und Staunen zu vergleichen, das man angesichts eines Verkehrsunfalls empfindet. Nur wenige Künstler haben je die Höhen erklommen, die Whitney Houstons Karriere bereithielt, und noch weniger sind in so kurzer Zeit so tief gefallen. Lange zählte sie zu den beliebtesten Sängerinnen und Schauspielerinnen weltweit und wurde wegen ihrer hervorragenden Stimme gefeiert. Doch zu Beginn des neuen Jahrtausends versank Whitney im Sumpf der Schlagzeilen. Sie beklagte sich öffentlich, die Boulevardpresse versuche sie fertigzumachen und ihren Namen zu beschmutzen. Dennoch war es immer noch sie selbst, die für die schockierenden Neuigkeiten sorgte. Sie galt plötzlich als drogensüchtiger, unberechenbarer, unzuverlässiger, arroganter, abgehalfterter Star von gestern. Und trotz dreier erfolgreicher Hollywood-Produktionen wollte auch niemand aus dem Filmgeschäft noch etwas mit ihr zu tun haben. Zudem kursierten seit Jahren Gerüchte, ihre Ehe mit Bobby Brown sei ein reines Täuschungsmanöver, während sie in Wirklichkeit lesbisch sei. Dass ihre Karriere derartig zerfiel, hatte auch mit ihrem ausgemergelten, müden Aussehen zu tun – und mit der Tatsache, dass sie die hohen
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Töne, die einst mühelos aus ihrer Kehle gedrungen waren, nun einfach nicht mehr traf. War Whitney Houston unter den schädigenden Einfluss ihres kriminellen Ehemanns geraten? Oder zeigte sie nun erst ihr wahres Gesicht? Der absolute Tiefpunkt ihrer Karriere war zweifelsohne ihr Auftritt in der scheußlichen Reality-Show Being Bobby Brown, in der sich das berüchtigte Duo als abstoßendes Paar präsentierte, das Drogen nahm und sich gegenseitig immer tiefer in den Abgrund hinabzog. Dann endlich ließ sich Whitney Houston 2007 offiziell von Bobby Brown scheiden, und beinahe unmittelbar darauf begann sie, an ihrem Comeback zu arbeiten. Kaum dass Bobby Brown von der Bildfläche verschwunden war, kehrte der Mann zurück, der stets an sie geglaubt hatte, und der sie zu einer international berühmten Sängerin gemacht hatte: Clive Davis. Er erklärte es zu seinem persönlichen Ziel, Whitney Houston wieder zu dem großen Star zu machen, der sie einmal gewesen war. Die Öffentlichkeit liebt Erfolgsgeschichten. Aber noch mehr lieben es die Menschen, wenn jemand erst strauchelt, um dann zurückzukehren, mit noch größerer Kraft und noch größerer Entschlossenheit. Und es gibt niemanden im Showgeschäft, der das besser hinbekommen hätte als Whitney Houston. Mit dem Album, das Clive Davis 2009 für sie erschuf, I Look To You, ist sie zurückgekehrt – als schillernder Superstar. Whitney verblüffte die Welt mit ihrem Talent, ihrem guten Aussehen und ihrer ausdrucksvollen Stimme. Sie wurde eine einzigartige Sängerin und eine preisgekrönte Schauspielerin. Als sie in Ungnade fiel und ihr Leben in Scherben lag, stand es auf Messers Schneide, wie ihr weiteres Schicksal aussehen würde. Whitney verblüffte die Welt mit ihrem Talent, ihrem guten Aussehen und ihrer ausdrucksvollen Stimme. Sie wurde eine einzigartige Sängerin und eine preisgekrönte Schauspielerin. Und als das Album I Look At You 2009 die Charts stürmte und die Single „I Didn’t Know My Strength“ ein Hit wurde, sah es für kurze Zeit so aus, als würde sie den Traum noch einmal leben können, als würde sie ein neues Erfolgskapitel in der Geschichte ihrer Karriere aufschlagen. Doch dann zeigte die gescheiterte Welttournee, dass sie völlig unzuverlässig geworden war, dass ihre Stimme keine Kraft mehr hatte und es um ihre Gesundheit nicht zum Besten stand. In Australien fiel sie völlig durch,
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und bei einigen Konzerten verließen die Besucher noch während ihrer Show die Hallen. Ihre Europa-Tournee begann mit der Absage der Gigs in Paris, Manchester und Glasgow. Zwar war in den Presseerklärungen von krankheitsbedingten Problemen die Rede, aber andere Quellen wollten wissen, dass der Grund dafür in ihrem fortgesetzten Drogenmissbrauch lag. Das führte wiederum dazu, dass die Konzertpromoter in den USA kein Interesse mehr daran hatten, sie für Live-Shows in den Staaten zu buchen. Whitney Houston stand einmal an der Spitze des internationalen Showgeschäfts. Sie hatte alles, und dann verlor sie alles. 20 Jahre lang war sie einen selbstzerstörerischen Weg gegangen, und schließlich deutete alles darauf hin, dass sie an ihrer exzessiven Lebensführung und dem Drogen- und Alkoholmissbrauch zugrunde ging. Zwar wurden die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung nach ihrem plötzlichen Tod nicht umgehend veröffentlicht, aber dennoch wurde sofort spekuliert, dass ihr Drogenkonsum dazu geführt hatte, dass sie mit nur 48 Jahren von der Lebensbühne abtrat. Es gab niemandem im ganzen Showgeschäft, der mehr Talent und Möglichkeiten gehabt hatte. Ihr Name lautete Whitney Houston, und dies ist ihre Geschichte.
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er 1. September 2009 ist ein schöner warmer Spätsommertag. Vor dem Hintergrund der Skyline von Manhattan wird im New Yorker Central Park eine große Konzertbühne errichtet, und schon seit dem Vorabend stehen Menschen Schlange, um die ersten zu sein, die am Morgen in den Zuschauerbereich gelassen werden. Sie freuen sich auf das Gratiskonzert einer Künstlerin, die einst sehr geliebt wurde, dann eine Weile verschwand und nun wieder in das Licht der Öffentlichkeit zurückgekehrt ist. Whitney Houston war erst zwanzig Jahre alt, als die Pop-Welt sich in sie verliebte. Nun, fünfundzwanzig Jahre später, ist sie wieder da und kann es kaum erwarten, den Fans zu zeigen, wie sie heute aussieht und wie sie heute klingt. Von einem guten Aussichtspunkt aus kann man an einem klaren Tag von Newark, New Jersey aus über den Hudson River nach Osten blicken und die Wolkenkratzer der City von New York erkennen. Hier, in Newark, kam Whitney Houston vor sechsundvierzig Jahren zur Welt, und auch ihr Blick richtete sich schon bald auf die benachbarte Metropole: Sie träumte davon, eines Tages dort auftreten zu können, so wie ihre Mutter Cissy Houston, die in den New Yorker Clubs und Aufnahmestudios vor dem Mikrofon stand. Doch das Leben der kleinen Whitney fand damals noch ganz innerhalb des schützenden Familiengefüges statt. Die Familie ist noch immer sehr wichtig für sie, auch an diesem Tag im Central Park. Für Whitney ist es seit sieben Jahren das erste große, im Fernsehen übertragene Konzert. In diesen sieben Jahren durchschritt sie sehr tiefe Täler, und nun möchte sie der Welt zeigen, dass sie wieder
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obenauf ist und die harte Zeit hinter ihr liegt, in der sie drogenabhängig wurde, eine bittere Scheidung erlebte und den heftigen Karriereabsturz nicht verhindern konnte, der schmerzhaft mit anzusehen war. Dabei gibt es zwei Schlüsselfiguren in ihrem Leben, die wichtiger waren als alle anderen: ihre Tochter Bobbi Kristina, inzwischen im Teenageralter, und ihre Mutter Cissy Houston. Sie sind heute ebenfalls hier, um Whitney bei ihrer Rückkehr auf die Bühne zu unterstützen. Während ihres ganzen Lebens hat die Familie für Whitney Houston stets eine enorm große Rolle gespielt. Sie hat sie beschützt, erzogen, mit ihr gestritten und ihr das unglaubliche Talent mitgegeben, das sie überhaupt erst zum Star werden ließ. Auf ihrem 2009 veröffentlichten Album I Look To You singt sie mit „Nothin’ But Love“ ein Loblied „auf die Familie, die mich aufgezogen hat“. Bei den Houstons ist das Singen seit fünf Jahrzehnten ein Familiengeschäft. Als ihre Mutter sie als junges Mädchen auf die Bühne holte und sie bei ihren Clubkonzerten in New York als Backgroundsängerin auftreten ließ, hieß es nicht: „Hört euch mal die Kleine mit der enormen Stimme an, das ist Whitney Houston.“ Die Leute sagten vielmehr: „Hört euch diese phantastische Kleine an, sie ist mit Dionne Warwick und Cissy Houston verwandt.“ An diesem triumphalen Tag im Central Park sind die fünftausend versammelten Fans nicht nur gekommen, um Whitney Houstons Comeback zu erleben. Sie wollen auch das neueste Kapitel ihrer Familiensaga erfahren. Um Whitney Houstons Karriere zu begreifen, muss man sich mit dem musikalischen Vermächtnis beschäftigen, das ihr voranging. Sie entstammt einer berühmten und hochtalentierten Familie: Dionne Warwick ist ihre Cousine, und auch ihre Mutter Cissy Houston war Sängerin. Über die Jahre sollten sich das Leben und die Karrieren der drei Frauen des Öfteren überschneiden. Cissy sang auf einigen der Alben, die Dionne aufnahm, und Whitney wurde, auf Dionnes Betreiben hin, von Clive Davis entdeckt, als sie mit Cissy zusammen sang. In den Neunzigern taten sich Dionne und Whitney endlich für ein Duett zusammen, das bei Arista erschien. Whitneys Patentante ist zudem niemand anders als die Queen of Soul – Aretha
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Franklin höchstpersönlich. Cissy hatte bei mehreren von Arethas Platten für den Backgroundgesang gesorgt, und Whitney und Aretha nahmen später ebenfalls ein Duett auf. Interessant ist zudem, dass es ausgerechnet jener Clive Davis war, der Vorsitzende von Arista Records, der in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern die Karrieren von Aretha Franklin und Dionne Warwick wieder in Schwung brachte. Als Whitney bei Arista unterschrieb, waren beide Diven dank Davis wieder so gut im Geschäft, dass Hits mit GrammyAuszeichnung keine Seltenheit mehr waren. Dionne Warwick blickt auf eine höchst facettenreiche Karriere als Sängerin zurück. Die jungen Amerikaner kennen sie heute zwar hauptsächlich wegen der Infomercials für das Psychic Friends Network, die sie in den Neunzigern aufnahm, aber schon in den Sechzigern und Siebzigern prägte sie mit ihrer Stimme den Sound jener Ära. In vieler Hinsicht erinnerte Whitney in ihrer Anfangszeit mit ihrem Gesang an die gefühlvollen Balladen, mit denen ihre Cousine zahlreiche Hits verbuchen konnte. Dionne wurde als Marie Dionne Warrick in East Orange, New Jersey geboren, und sie entwickelte früh großes Interesse an Musik. Anfang der 1960er-Jahre gehörten ihre Mutter, Lee Drinkard Warrick, ihre Tante Cissy und ihre Schwester Dee Dee zu einer Gospelgruppe, die sich The Drinkard Singers nannte. Mit dieser Gruppe machte Dionne ihre ersten musikalischen Erfahrungen. Als sie später das Hartt College Of Music besuchte, gründete Dionne mit Dee Dee und einer Cousine ihr eigenes Trio, The Gospelaires. Als Dee Dee, Dionne, ihre Mutter und ihre Tante Cissy eines Abends im berühmten Apollo Theater in New York auftraten, wurde ein Talentsucher auf Dionne aufmerksam, und sie bekam das Angebot, bei einer Aufnahmesession den Begleitgesang zu übernehmen. Bei dieser Session traf Dionne den damals noch unbekannten Komponisten Burt Bacharach. Die Zusammenarbeit der beiden zählt zu den langlebigsten Verbindungen, aus der je Hits hervorgingen, von ihrem ersten Erfolg „Don’t Make Me Over“ aus dem Jahr 1962 bis zu ihrem Nummer-Eins-Hit „That’s What Friends Are For“ (mit Stevie Wonder, Gladys Knight und Elton John) im Jahr 1986, für den die Sängerin und der Songwriter einen Grammy erhielten.
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Dionne berichtete: „Ich lernte Burt kennen, als er noch mit dem Songwriter Bob Hilliard zusammenarbeitete und die beiden gerade einen Titel namens ‚Mexican Divorce‘ für die Drifters schrieben, aber noch im selben Jahr wurde der Texter Hal David sein Partner. Ich hatte ein paar Demoaufnahmen gemacht und in ihrer Anwesenheit bei Sessions die Begleitstimme gesungen, und ich nahm auch ein Demo für die Shirelles auf. Plötzlich war nicht der Song gefragt, sondern die Sängerin, und das war ich. So fing es mit unserer Zusammenarbeit an.“ Bacharach ergänzte: „Ich konnte sie einfach nicht übersehen. Dionne hatte schon damals, als ich sie zum ersten Mal sah, das gewisse Etwas, große Eleganz und ein enormes Feeling für die Musik.“ Etwas ganz Ähnliches erkannte Clive Davis Jahre später in der Musik und in der Stimme von Whitney Houston. Dionne änderte schon bald die Schreibweise ihres Nachnamens in „Warwick“ und begann, für Burt und seinen Partner Hal David Demos aufzunehmen, für die sie pro Song vierzig Dollar bekam. Es dauerte nicht lange, und sie konnte sich einen Plattenvertrag sichern; Bacharach und David wurden als Songwriter und Produzenten ins Boot geholt. Ihre erste Veröffentlichung, „Don’t Make Me Over“, wurde im Dezember 1962 ein Top-Ten-Hit in den USA. In den folgenden zwei Jahren sorgte Dionnes volle und ausdrucksvolle Stimme für einen Hit nach dem anderen: „Anyone Who Had A Heart“, „Walk On By“, „You’ll Never Get To Heaven“, „This Empty Place“, „Reach Out For Me“ und „A House Is Not A Home“ kamen bis an die Spitze der US-Charts. Keine andere Sängerin wurde in den Sechzigern im amerikanischen Radio so oft gespielt wie sie. Ihre Stärke waren vor allem romantische Balladen, die von den Sendern mit modernem Pop-Schwerpunkt ebenso geschätzt wurden wie von den eher traditionell eingestellten Easy-Listening-Programmen. Bacharach und David schrieben weitere Klassiker für sie, darunter „Message To Michael“, „Trains And Boats And Planes“, „Alfie“, „I Say A Little Prayer“, „(Theme From) Valley Of The Dolls“, „April Fools“, „Promises, Promises“ und „Do You Know The Way To San Jose?“.
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1978 war es um sie ruhiger geworden, und aufgrund zunehmend schwächeren Materials verbuchte sie trotz ihrer überragenden Stimme kaum noch große Hits. Dennoch war Clive Davis von Arista Records auf sie aufmerksam geworden, und Dionne ließ sich zu seinem Label locken. Als es um die Frage nach einem geeigneten Produzenten ging, schlug Clive einen weiteren Arista-Künstler vor, Barry Manilow – und der sollte, als er am 22. Januar 1979 mit Dionne ins Studio ging, eines der größten Hit-Alben ihrer ganzen Karriere betreuen. Manilow selbst sagte über seinen neuen Schützling: „Sie ist bei Balladen ebenso gut wie die Streisand. Dionne ist eine der besten Sängerinnen aller Zeiten.“ Nachdem das Album Dionne im Mai 1979 erschienen war, erhielt Dionne Warwick stehende Ovationen, als sie in der Carnegie Hall auf die Bühne kam. Im Februar 1980 heimste sie zwei Grammys für die von Manilow produzierten Top-Ten-Hits „I’ll Never Love This Way Again“ und „Deja Vu“ ein. Die zwei Preise waren das Sahnehäubchen für ein Erfolgsjahr, in dem Warwick wieder an ihre früheren Erfolge anknüpfen konnte. Als Whitney Houston wenige Jahre später ebenfalls Hit an Hit reihte, war Dionne Warwick unglaublich stolz auf ihre kleine Cousine und sagte: „Es ist wundervoll, dass die Welt das enorme Talent erkennt, das in Whitney steckt. Sie wird ein großer Star werden und das lange Zeit bleiben!“ Für Whitney wiederum war Dionne ein großes Vorbild. „Was ich von ihr gelernt habe“, sagte sie später, „war die Klasse, die Eleganz und die Ausstrahlung, überhaupt die ganze Art, mit der sie ihr Publikum im Griff hat.“ Gerade in den frühen Jahren war es unübersehbar, dass Whitney sich stark an der eleganten Cousine orientierte. Im Februar 1986 stand Dionne Warwick bei der Grammy-Verleihung in Los Angeles auf der Bühne, um die Auszeichnung für den besten Pop-Song einer Sängerin zu überreichen. Die Preisträgerin war niemand anders als Whitney. Die junge Sängerin sagte über den Augenblick, in dem sie darauf wartete, dass Dionne die Gewinnerin verkündete: „Ich hoffte so sehr, dass es mein Name sein würde.“ Es war ein stolzer Augenblick für eine Familie großer Sängerinnen. Dionne Warwick kann auf eine der längsten und schillerndsten Karrieren im Musikgeschäft zurückblicken. Und spätestens als Whitney Houston
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sich anschickte, es ihr nachzumachen, stand fest, dass hier eine Familientradition fortgesetzt wurde. Zwar stand Dionnes kleine Schwester Dee Dee Warrick stets im Schatten der Älteren, aber auch sie konnte beachtliche Aufnahmen vorweisen. Sie stand bei Jubilee Records unter Vertrag, als sie mit „You’re No Good“ ihre erste Single veröffentlichte, die später ein Hit für Betty Everett wurde und mit dem zuletzt Linda Ronstadt in den Siebzigern noch einmal punkten konnte. 1964 konnte Dee Dee auf Blue Rock Records eine ganze Reihe kleiner Hits verbuchen, darunter auch „We’re Doing Fine“. 1966 folgten die Hits „I Want To Be With You“ und „I’m Gonna Make You Love Me“ – ein Song, der später in der Version der Supremes und der Temptations wesentlich erfolgreicher wurde, aber trotzdem immer mit Dee Dee assoziiert wird. In den Siebzigern wechselte sie zu ATCO Records und feierte Erfolge mit „She Didn’t Know (She Kept On Talking)“ und ihrer Version von Elvis Presleys „Suspicious Minds“. Ihr letzter Hit war 1975 „Get Out Of My Life“. 1999 würdigte die Rhythm & Blues Foundation Dee Dee Warwicks Beitrag zur R&B- und Pop-Geschichte und zeichnete sie mit dem renommierten Pioneer Award aus, den ihr Dionne persönlich überreichte. Leider starb Dee Dee, die jahrelang mit Drogenproblemen zu kämpfen gehabt hatte, 2008 nach langer Krankheit. Doch Dionne und Dee Dee waren nicht die einzigen erfolgreichen Sängerinnen im Warwick-Houston-Clan – da gab es schließlich auch noch Cissy Houston, Whitneys Mutter. Sie sagte über sich: „Ich kann mich in meinen Liedern viel besser ausdrücken, als wenn ich rede. Beim Singen lasse ich allen Frust raus und kann die Traurigkeit und auch die Freude in mir richtig zum Vorschein bringen.“ „Ausdrucksstark“ ist tatsächlich auch das Wort, das ihre starke und einprägsame Stimme am besten beschreibt. Zwar ist sie vor allem als Backgroundsängerin bekannt, fühlte sich deswegen aber nie so, als ob sie in der zweiten Reihe stand. „Ich habe immer gesagt: Man muss kein Star sein, um ein Star zu sein, denn ich war ein Star im Hintergrund! Vielleicht ist es auch genau das, was mir geholfen hat, einen klaren Kopf zu bewahren. Ich habe auf so vielen Bühnen gestanden und mit so vielen großen Künstlern gearbeitet, wusste aber
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währenddessen immer, dass ich sie gesanglich jederzeit hätte übertreffen können.“ Wer Cissy Houston je live erlebt oder eine ihrer Platten gehört hat, wird das bestätigen können. Cissy Houston, geborene Drinkard, begann 1937 in Newark, New Jersey, im Kirchenchor mit dem Singen, im zarten Alter von fünf Jahren. „Ich wollte eigentlich gar nicht“, erinnerte sie sich. „Ich fand das schrecklich. Aber da meine drei Schwestern, zwei Brüder und mein Vater dauernd sangen, hatte ich gar keine andere Chance, und so musste ich in den Kirchenchor, ob ich wollte oder nicht.“ Als die sangesfreudigen Mitglieder der Familie Drinkard schließlich die Drinkard Four gründeten, war Cissy mit dabei. Mit sechzehn Jahren rief sie den New Hope Baptist Church Young Adult Choir ins Leben, und es dauerte nicht lange, bis sie in verschiedenen Gospelgruppen sang und dabei ihre kräftige, charakteristische Stimme ausbildete. Als sie mit ihrer Schwester und ihren Nichten Dionne und Dee Dee als The Drinkard Singers auftrat, bekam sie einen ersten Eindruck davon, wie es im Showgeschäft und in der Musikindustrie ablief. Und das war wesentlich aufregender als der Gesang im Kirchenchor. Doch dann stieg Dionne Warwick nach ihrer Schicksalsbegegnung mit Burt Bacharach aus und begann ihre erfolgreiche Solokarriere. Cissys Ehemann John Houston berichtete: „Damals dachten alle, die Drinkard Singers würde nach Dionnes Ausstieg auseinanderbrechen, aber Cissy sorgte für einen ganz speziellen Sound. Es dauerte nicht lange, da fegten sie alle anderen Backgroundsängerinnen beiseite.“ Bei ihrem ersten Engagement in einem Plattenstudio übernahm Cissy den Begleitgesang für Ronnie Hawkins & The Hawks, aus denen später die Rockformation The Band wurde. Mitte der Sechziger kamen die Drinkard Singers auch wieder mit Dionne Warwick zusammen, die sie auf dem Gospelalbum The Magic Of Believing unterstützten. Schon bald wurde Cissy jedoch klar, dass sich mit der Gospelmusik, so sehr sie sie auch liebte, kein Geld verdienen ließ und dass der Kampf an zu vielen Fronten zu viel Kraft kostete. „Ich habe so gern mit meinen Schwestern gesungen“, berichtete sie, „aber nach einer Weile merkte ich, dass man uns als Gospelgruppe einordnete, und das lohnte sich finanziell
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überhaupt nicht. Ich musste weiterhin Vollzeit arbeiten, um über die Runden zu kommen, und die Doppelbelastung machte mich kaputt.“ Schließlich kam ihr der Gedanke, zusammen mit drei jungen Frauen aus dem Kirchenchor eine eigene Gesangsgruppe zu gründen. Zusammen mit Myma Smith, Sylvia Shemwell und Estelle Brown rief sie die Sweet Inspirations ins Leben, deren erstes, selbstbetiteltes Album 1968 bei Atlantic Records erschien. Gleich die zweite Single, „Sweet Inspiration“, schoss in die Top Twenty der Pop-Charts. Nebenbei sangen Cissy und die Sweet Inspirations weiterhin die Begleitharmonien auf vielen Platten, beispielsweise auf zahlreichen klassischen Aufnahmen, die Aretha Franklin für Atlantic aufnahm. Es ist die hohe Stimme Cissy Houstons, die hinter Aretha bei „Ain’t No Way“ zu hören ist, wie auch auf vielen anderen Hits der Queen Of Soul. Darüber hinaus nahm Cissy den Begleitgesang für Wilson Pickett, Bette Midler, Neil Diamond, Paul Simon, Connie Francis, Herbie Mann, Dusty Springfield, Buddy Rich, Luther Vandross, Carly Simon, Elvis Presley, Burt Bacharach und viele andere auf. Die Sweet Inspirations verdienten niemals viel Geld, obwohl sie stets gut zu tun hatten. Cissys Ehemann John, der die Band managte, sagte: „Die Plattenfirmen machten die Kohle, nicht die Musiker. Aber es war damals auch ein Lernprozess. Wenn man später zurückblickte und sah, wie viel Geld man liegengelassen hatte und was man vielleicht hätte besser machen sollen, dann lernte man daraus.“ 1970 hatte Cissy schließlich genug davon, die Sweet Inspirations zum Erfolg zu führen, und beschloss, sich auf eine Solokarriere zu konzentrieren. Der erste Versuch scheiterte jedoch. Für Janus Records, ein kleines Label, spielte sie allerdings einen Song ein, von dem die meisten dachten, dass er sich für sie zum Hit entwickeln würde. Es handelte sich um einen Country-Song, dessen Text sie leicht abgewandelt hatte. Statt „The Midnight Train To Houston“ hieß er nun „The Midnight Train To Georgia“. John Houston war überzeugt: „Das war ein Hit, ganz klar! Überall wurde die Platte gekauft und gespielt. Mit lausigen fünftausend Dollar hätte man genug Werbung machen können, um den Song zum Erfolg zu
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führen. Aber man ist leider der Plattenfirma ausgeliefert und es hängt alles davon ab, ob die das Geld für Promotion hat oder eben nicht.“ Der Song „Midnight To Georgia wurde 1973 ein Riesenhit für Gladys Knight And The Pips, der bis auf Platz 1 der US-Charts vorstieß. Cissy berichtete: „Tja, Gladys Knight nahm den Song auf, und wir wissen ja, was dann passierte. Aber Gladys war immer sehr nett und hat stets drauf hingewiesen, woher der Titel kam.“ Nicht jeder war so fair. John Houston erinnerte sich: „Es kam immer wieder vor, dass Plattenfirmen Cissy zum Star aufbauen wollten, aber jedes Mal drohten sofort ein paar große Namen auf dem Label damit, sich zu verabschieden, wenn man Cissy weiter förderte.“ Sie fürchteten die Konkurrenz durch Cissys enorm starke Stimme. Während Cissy noch bei Janus Records unter Vertrag stand, arbeitete sie an einem Album von Burt Bacharach mit, das unter dem schlichten Titel Burt Bacharach 1971 bei A&M Records erschien. Sie übernahm dabei den Leadgesang auf „One Less Bell To Answer“, „Mexican Divorce“ und „All Kinds Of People“. Das Album erreichte Platz 18 in den BillboardCharts und wurde, nachdem es sich mehr als eine halbe Million Mal verkauft hatte, mit Gold ausgezeichnet. Rückblickend wirkt es beinahe ein wenig ironisch, dass diese drei Songs, die zu ihren stärksten Auftritten als Sängerin zählten, ausgerechnet ein Album des Mannes zierten, der ihre Nichte Dionne als Produzent betreute – die Welt ist eben doch oft ein Dorf. Allerdings ging es mit Cissys Karriere in den Siebzigern nicht besonders gut voran. „Ich weiß nicht, was da falsch lief“, sagte sie. „Aber ich war irgendwann total genervt. Ich war schon so lange in dem Geschäft, und es hat mich sehr entmutigt, wenn ich sah, dass Leute, die quasi erst gestern angefangen hatten, schon an die Spitze der Charts stürmten. Eine Zeitlang dachte ich darüber nach, aufzuhören und mich nur noch um meine Familie zu kümmern. Aber innerlich wusste ich, dass ich immer wieder zur Musik zurückkehren würde.“ Cissy arbeitete eine Weile als Backgroundsängerin, bevor sie 1972 wieder die Sweet Inspirations zusammentrommelte, um an Aretha Franklins Album Young, Gifted And Black mitzuarbeiten.
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1976 eroberte in New York ein neuer Trend die Musikszene – ein Sound, den man Disco nannte. Plötzlich nahmen alle Songs im Disco-Stil auf. Cissy hatte sich damals auf den kleinen Bühnen und Clubs von New York einen guten Namen gemacht und war vor allem für ihre Soul-Version eines Songs aus dem Broadway-Musical Annie bekannt geworden, der „Tomorrow“ hieß. Niemand im ganzen Musikgeschäft konnte diesen Titel so singen wie Cissy Houston. Die Zuschauer strömten in kleine Clubs wie das Reno Sweeney in Greenwich Village oder den Dinner-Club Les Mouches an der Kreuzung 11th Avenue und West 26th Street. 1977 schließlich hatte Cissy mit dem Album Cissy Houston, das auf Private Stock Records erschien, den wohl größten LP-Erfolg ihrer Karriere. „Tomorrow“ war darauf ebenso enthalten wie „He Ain’t Heavy, He’s My Brother“ und „Make It Easy On Yourself“ – Coverversionen, die so gut waren, dass sie die Originale vergessen ließen. Es schien unvermeidlich, dass Cissy 1978 ebenfalls auf den Disco-Zug aufsprang. Alben mit Balladen verkauften sich nicht mehr – die Leute wollten tanzen und sonst nichts. Cissys größter Disco-Hit war von eben jener Energie geprägt, mit der sie sonst die Songs anderer Künstler veredelt hatte. „Think It Over“ wurde zu einem echten Disco-Knüller. In den Achtzigern trat Cissy weiterhin in den New Yorker Clubs auf und nahm schließlich ihre junge Tochter mit, Whitney, die nun ihrerseits die Begleitung ihrer Mutter übernahm. Cissy selbst sang auch weiter Background-Vocals; sie war beispielsweise auf allen Platten von Luther Vandross zu hören und auch auf all jenen, die der Sänger für Dionne Warwick und Aretha Franklin produzierte, die damals beide bei Arista Records unter Vertrag standen. Cissy konnte es noch nicht ahnen, aber genau bei diesem Label sollte auch ihre Tochter eines Tages zu einem der größten Stars der Musikbranche werden.
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hitney Houston wurde im wahrsten Sinne des Wortes ins Musikgeschäft hineingeboren. Im Sommer 1963, als Cissy Houston mit ihrer Tochter schwanger war, sang sie in den Atlantic Studios Background-Vocals für große Musikproduktionen ein. Wie Whitney später berichtete, waren die Toningenieure im Studio recht besorgt, weil Cissy auch in den letzten Wochen vor der Geburt noch vor dem Mikrofon stand, aber sie sang trotzdem. „Mommy erzählte, die Produzenten seien damals deswegen ziemlich nervös gewesen“, berichtete Whitney, „aber sie sagte ihnen einfach, sie sollten sich keine Gedanken machen, und dann arbeitete sie weiter.“ Ihr Vater John Houston scherzte einmal gegenüber Whitney: „Du kannst dich nicht an das erste Mal erinnern, dass du in einem Plattenstudio warst, weil deine Mutter damals noch mit dir schwanger war!“ Als Cissy zur Geburt ins Krankenhaus kam, lenkte sie sich zwischen den Wehen ein wenig mit Fernsehen ab und sah dabei unter anderem auch die Sitcom Hazel. Shirley Booth spielte darin das Hausmädchen einer wohlhabenden Familie, während die Frau, für die sie arbeitete und die sie stets nur „Mrs. B.“ nannte, von der Schauspielerin Whitney Blake verkörpert wurde. Cissy beschloss, wenn sie ein Mädchen zur Welt bringen würde, dann sollte es den Namen Whitney tragen. Whitney Houston wurde am 9. August 1963 als jüngstes von drei Kindern geboren. Ihre Eltern John und Cissy hatten bereits zwei Söhne, den zwei Jahre älteren Michael und Whitneys sechs Jahre älteren Halbbruder Gary Garland. Cissy verriet nie sehr viel über ihre Beziehung mit Garys Vater, aber John erzog ihn stets so, als sei er sein eigener Sohn.
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Das Haus ihrer Eltern in New Jersey war, wie Whitney sich später erinnerte, ein Ort, an dem eine äußerst kreative Atmosphäre herrschte. Durch die Karriere ihrer Mutter und die Tatsache, dass auch ihre Cousine Dionne Warwick eine äußerst erfolgreiche Sängerin war, deren Karriere gerade in Schwung kam, spielte Musik bei den Houstons stets eine große Rolle. Whitney kam in der Kirche zudem viel mit Gospelmusik in Berührung, und von daher hatte sie stets das Gefühl, zum Singen geboren zu sein. Als kleines Mädchen bekam sie den Spitznamen Nippy, mit dem sie später auf der Rückseite des Plattencovers von Whitney Houston Danksagungen an enge Freunde unterschrieb. Whitney erklärte dazu: „Mein Vater hat mir den Namen gegeben, als ich noch ganz klein war. Ich weiß nicht wieso, es war einfach so ein Einfall von ihm: Nippy!“ Whitney erinnerte sich vor allem an die schönen Erlebnisse jener Zeit, in der sie als jüngstes von zwei Kindern aufwuchs, bewacht von zwei großen Brüdern, die sie durchaus auch hätten piesacken können. „Da ich ja das einzige Mädchen war, hätte man denken können, ich hätte es schwer gehabt“, sagte sie später. „Hatte ich auch. Aber ich muss zugeben, dass ich es auch gar nicht anders hätte haben wollen!“ Stolz setzte sie hinzu: „In meiner Familie können alle Geschwister meiner Mutter singen, und ihre Kinder auch, sodass es für mich nichts Besonderes war, eine gute Stimme zu haben und den Ton halten zu können.“ Die kleine Tochter von Cissy Houston war natürlich schon als Baby von Gesang umgeben. „Ich wuchs gewissermaßen in der Kirche auf, und Gospelmusik war stets ein sehr wichtiger Teil unseres Lebens“, erinnert sie sich. „Dadurch habe ich viel über das Singen gelernt. Ich habe dadurch auch einen Zugang zu Gefühl und Spiritualität bekommen, und es half mir herauszufinden, worüber ich sang, denn in der Gospelmusik ist der Text das A und O. Heute ist es so, dass ich es fühle, egal was ich singe, ob es Gospel ist oder Pop oder R&B. Diesen Zugang zur Musik habe ich durch den Gospelgesang entwickelt, dem ich durch meine Mutter schon so früh ausgesetzt war. Man kann das Publikum nicht emotional bewegen, wenn man nicht selbst die Emotionen empfindet.“
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Whitney erinnert sich gern an das Leben im Haus ihrer Eltern. „Überall war Musik. Gospelmusik natürlich, aber meine Eltern hörten auch alles mögliche andere – Rhythm & Blues, Jazz, Pop.“ Dank ihrer Mutter ging Whitney schon als kleines Mädchen in den großen Aufnahmestudios ein und aus und konnte miterleben, wie einige der großen Namen im Musikgeschäft ihre Platten einspielten. Besonders lebhaft erinnert sie sich daran, wie sie mit ihrer Mutter über den Hudson River von New Jersey nach New York fuhr, weil Cissy mit Aretha Franklin singen sollte. Whitney saß im Regieraum hinter der riesigen, schalldichten Glasscheibe und sah der Session zu. „Ich war ungefähr sechs oder sieben“, erinnerte sich Whitney, „und ich kletterte zum Fenster hoch, damit ich meine Mutter singen sehen konnte. Und ich redete mit ‚Tante Ree‘. Dass Aretha Franklin berühmt war, davon hatte ich keine Ahnung – ich wusste nur, dass ich sie gerne singen hörte!“ Die Fahrten zu den Aufnahmestudios machten großen Eindruck auf die kleine Nippy. „Ich unterhielt mich sehr viel mit Aretha und Wilson Pickett“, erinnerte sie sich später sehr genau. „Es war eine überaus kreative Atmosphäre. Als ich Aretha singen hörte, konnte ich ihre emotionale Ausdruckskraft ganz stark spüren. Es kam von ganz tief in ihr drin. Ich dachte damals, das will ich auch.“ Zusammen mit ihren älteren Brüdern begleitete sie ihre Mutter oft nach New York, wenn Cissy mit den großen Showbiz-Legenden sang. „Natürlich lernten wir Leute kennen, mit denen andere Kinder nicht so ohne weiteres in Kontakt kamen. Ich hatte keine Ahnung, dass sie Stars waren. Aber wir wurden dazu erzogen, dafür dankbar zu sein, dass wir diese Leute kannten“, sagte Whitney. „Es machte Spaß, aber meine Mom sorgte dafür, dass wir die Stars in ihrer Nähe nicht zu ehrfürchtig bestaunten, die Showbiz-Freunde, die im Scheinwerferlicht standen und mit großen Limousinen unterwegs waren.“ Angesichts dieser Erfahrungen wundert es nicht, weshalb Whitney zu Beginn ihrer Karriere den großen Erfolg der ersten Alben so gelassen aufnahm. Damals erklärte sie: „Ich hatte Glück, weil ich einen Star aus nächster Nähe kannte – meine Mutter, die auch meine Freundin und meine beste Lehrerin war.“
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All dem zollte sie in dem Video zum Song „Greatest Love Of All“ Tribut: Der Musikclip zeigt ein kleines Mädchen, das zu einer Talentshow geht und von ihrer Mutter ermutigt wird. Cissy Houston spielte hier die Mutter der Kleinen, die dann in späteren Szenen zur erwachsenen Whitney wird. Zwar ist das Video ein rein fiktiver Rückblick, aber dennoch ist es sehr dem wahren Leben nachempfunden. Cissy unterstützte Whitney in jungen Jahren sehr und beriet sie, als sie sich dafür interessierte, ebenfalls Sängerin zu werden. Whitney war als Heranwachsende aber auch sehr von ihrem Vater geprägt, John Houston, der Mitte der Achtzigerjahre in der Verwaltung der Stadtbehörde von Newark arbeitete. Als Whitneys Karriere in Schwung kam, wurde er Teil ihres Managementteams. Zur Zeit ihrer ersten Plattenerfolge erklärte Whitney: „Mein Vater ist der Rückhalt unserer Familie. Immer, wenn ich ein Problem hatte, egal was für eins, war er für mich da. Er überwacht auch meine ganzen Verträge und so. Die meisten wissen gar nicht, dass mein Dad schon seit langer Zeit im Geschäft ist. Er hat früher die Sweet Inspirations, die Gruppe meiner Mutter, gemanagt.“ John Houston hatte einst erklärt: „Niemand kam je an die Sweet Inspirations heran.“ Er konnte damals noch nicht ahnen, dass unter seinem eigenen Dach bereits eine der größten Sängerinnen der 1980er- und 1990erJahre heranwuchs. Wie ihre Mutter und ihre Cousine Dionne machte auch Whitney ihre ersten Gesangserfahrungen in der Kirche. Das erste Lied, das sie mit dem örtlichen Kirchenchor zusammen sang, war der Gospelstandard „Guide Me O Thou Great Jehovah“. Whitney sagte später über diese Hymne, es sei „ein Lied, das sich mir für den Rest meines Lebens eingeprägt hat“. Mit zwölf Jahren sang sie schließlich ihr erstes Solo in der Kirche: „Ich stand steif wie ein Brett da. Aber ich sang das Lied, und die Leute sind völlig ausgeflippt.“ Es war Whitneys erster Schritt ins Rampenlicht. „Als ich beschloss, Sängerin zu werden, war ich zwölf“, erzählte sie. „Ich wusste, das war es, was ich tun wollte. Gott hatte mir eine Gabe verliehen, und die sollte ich auch nutzen.“ John Houston erinnert sich an die ersten Gesangsversuche seiner Tochter: „Wenn ich aus dem Keller Geschrei und Gekreische hörte, war
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mir klar, dass Whitney dort unten ein Mikrofon von Cissy herausgekramt hatte und zu Platten von Chaka Khan und Aretha Franklin sang. Ich wusste, dass ihre Mutter ihr Stunden gab, aber ich verfolgte das nur am Rande. Eines Tages sagte Cissy dann: ‚Unsere Kleine singt diesen Sonntag zum ersten Mal in der Kirche ein Solo. Komm auf alle Fälle.‘ Was ich an diesem Tag dann hörte, war die Stimme einer jungen Frau aus der Kehle einer Zwölfjährigen. Ich war hin und weg.“ Whitney übte also anhand von Songs von Aretha und Chaka – wer hätte damals ahnen können, dass sie später, als sie ein großer Star geworden war, mit beiden Frauen echte Duette aufnehmen würde! Whitney: „Es war eine der glücklichsten Erfahrungen meines Lebens, als ich merkte, dass ich singen kann. Wenn man jung ist, dann ist man ja in jeder Hinsicht furchtbar unsicher. An einem Tag will man Lehrer werden, am nächsten Arzt. Als ich anfing, in der Kirche zu singen, war das zunächst im Chor, und als man mich dann für ein Solo auswählte, war ich starr vor Angst! Ich war mir nicht sicher, ob ich das schaffen würde. Aber dann versuchte ich es, und ich stellte fest, dass da etwas in mir war, was mir immer dieses irre Gefühl gab, wenn ich sang. Ein unglaubliches Gefühl, im Grunde so etwas wie Magie.“ Whitney wuchs in Newark, New Jersey nicht gerade in der feinsten Gegend auf, und sie hatte stets den Eindruck, anders zu sein als die anderen Kinder. Ihre Mutter zog ihr Rüschenkleidchen an und flocht ihr Schleifen ins Haar. Als sie klein war, kam sie oft weinend nach Hause, weil die anderen Mädchen sie geärgert oder ihr die Schleifen heruntergerissen hatten. Ihre Mom erklärte ihr, dass sie lernen müsse, sich nicht unterkriegen zu lassen und sich zu verteidigen. Es dauerte nicht lange, und die kleine Whitney entwickelte eine gewisse Härte und Zähigkeit, die es ihr bald erlaubte, sich durchzusetzen. Dennoch fühlte sie sich oft als Einzelgängerin, und sie hatte nur wenige Freundinnen. „In der Mittelstufe hatten ein paar Mädchen ein Problem mit mir“, berichtete Whitney. „Meine Haut war zu hell. Meine Haare waren zu lang. Es war die Zeit, in der man sehr stolz darauf war, schwarz zu sein, und ich fühlte mich ziemlich mies. Aber irgendwann wurde mir dann klar, dass es keine Schande ist, wenn man keine Freunde hat. Wenn man allein ist, hat
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man auch weniger Probleme. Als ich beschloss, Sängerin zu werden, warnte mich meine Mutter: Ich würde oft allein sein. Grundsätzlich sind wir das aber alle. Einsamkeit gehört zum Leben dazu.“ 1977, als Whitney gerade mitten in der Pubertät steckte, zerbrach die Ehe ihrer Eltern. John Houston zog zuhause aus. Whitney erzählte Ende der Achtziger: „Sie haben viel gelacht. Und wenn die Zeiten schwer waren, dann haben sie gestritten, was mir viel über Liebe und Opfer gezeigt hat. Eine Zeitlang haben sie versucht, unseretwegen zusammenzubleiben. Aber dann stellten sie fest, dass sie nur dann Freunde bleiben könnten, wenn sie sich trennten. Es war komisch, dass mein Vater nicht mehr bei uns lebte, aber seine Wohnung war nur zehn Minuten von unserer entfernt. Und davon abgesehen ist es doch so, dass die Liebe, auch wenn man nicht mehr zusammen wohnt, deswegen nicht vergeht.“ John Houston blieb auch nach seinem Auszug ein wichtiger Faktor in Whitneys Leben. „Ich habe ihr Blumen geschenkt“, erzählte er später. „Und ich habe ihr bei den Seminararbeiten in der Highschool geholfen – sie rief mich dienstags wegen einer Arbeit an, die sie mittwochs abgeben musste. Sie wusste immer, wie man die Daddy-Karte richtig ausspielt.“ Durch die Scheidung ihrer Eltern wurde Whitney noch verschlossener und trotziger als zuvor. Damit ihre Tochter beschäftigt war, nahm Cissy Whitney überallhin mit. „Meine Mutter war ein großer Einfluss auf mich. Als ich den Entschluss fasste, ernsthaft mit dem Singen anzufangen, nahm sie mich an die Hand und zeigte mir, wie man es richtig macht. Mit zwölf war mir schon klar, dass ich das wollte, aber professionell arbeitete ich erst, als ich siebzehn war. In den Jahren dazwischen sang ich BackgroundVocals und trat mit meiner Mutter an den Wochenenden in Clubs auf. Dass sie mich beraten konnte, hat mir sehr geholfen, mich auf das Business vorzubereiten, zu wachsen und zu begreifen, worum es überhaupt ging“, erklärte Whitney dankbar. Andere hätte es möglicherweise verdorben, wären sie mit den Möglichkeiten aufgewachsen, die sich Whitney boten, die bereits in jungen Jahren mit internationalen Popstars auf Du und Du war. Whitney nicht. Sie konnte später voller Dankbarkeit auf die Zeiten im Studio, auf den Chor und auf die Tourneen mit ihrer Mutter zurückblicken. „Es hat viel Spaß
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gemacht“, betonte sie, „aber ich wurde kein bisschen verzogen. Natürlich machte ich einige Erfahrungen, die andere Kinder nicht machen können, und lernte zum Beispiel einige Stars kennen. Aber für mich waren sie wie Familie. Und auch wenn vielleicht manche denken, man müsste dann wie eine verzogene Showbiz-Göre aufwachsen, war das überhaupt nicht so.“ In den Achtzigern berichtete Whitney von der strengen Disziplin, die Cissy bei ihrer Erziehung walten ließ. „Ich halte nichts davon, Kinder nicht zu züchtigen“, erklärte sie. „Meine Mutter auch nicht. Manchmal befahl sie mir etwas, und ich ging dann weg und maulte vor mich hin, und das konnte sie nicht leiden. Dafür bekam ich oftmals eine geklebt. Heute weiß ich, dass das richtig war, und ich würde mein eigenes Kind genauso behandeln.“ Über ihre Stimme sagte Whitney zu Beginn ihrer Karriere: „Gott hat mir diese Gabe verliehen. Meine Gesangsausbildung habe ich im Grunde genommen im Gospelchor in der Kirche absolviert, denn ich habe dort gelernt, Inspiration und ganz viel Gefühl in die Stimme zu legen.“ Gleichzeitig betonte sie erneut, dass ihre Mutter ihr von Anfang an einen Sinn für die Realität vermittelt hätte: „Als ich meiner Mom sagte, was ich machen wollte, hat sie mich auf all das vorbereitet, was mir bevorstand. Sie brachte mir bei, dass Ruhm nicht immer so großartig ist, wie man immer behauptet, sondern dass man ihn manchmal hasst und manchmal liebt.“ Cissy sorgte dafür, dass Whitney auf eine Schule kam, an der man Wert auf die Disziplin legte – die Mädchenschule Mount St. Dominic Academy. „Whitney war ein sehr zartes Kind, und deswegen brauchte sie meiner Meinung nach eine bestimmte Umgebung“, erklärte Cissy. „Außerdem dachte ich, sie würde dort bessere Bildungschancen haben. Natürlich, man war dort auch streng, aber das war nicht mein Hauptgrund. Davon abgesehen brauchte ich auch niemanden, der meine Regeln durchsetzte. Frühes Ausgehen mit Jungs, rumhängen – das würde sie sowieso nicht tun. Sie trug nicht einmal Perlonstrümpfe, bevor ich es ihr erlaubte, obwohl all ihre Freundinnen es taten. Kein Make-up, kein Lippenstift, keine hochhackigen Schuhe. Und keine Diskussion! Ihr gefiel das nicht, sie fand das schon ziemlich ätzend. Manchmal ging sie zu ihrem Vater, genau wie ihre
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Brüder, weil sie dachte, dass er leichter zu überreden sei. Aber an mir kamen sie nicht vorbei, ich ließ mich nicht umstimmen.“ Da sie sich sorgte, weil Whitney so wenige Freundinnen hatte und generell recht zurückhaltend war, ermutigte Cissy ihre Tochter, mehr zu unternehmen. Es war Cissys Idee, dass sich Whitney als ehrenamtliche Betreuerin für Kinderfreizeiten meldete. In dem Freizeitheim in der Nähe lernte sie dabei ein Mädchen kennen, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. Robyn Crawford war zwei Jahre älter als sie und sollte in ihrem Leben großen Einfluss haben. Sie war sportlicher und kräftiger als Whitney, und schon bald kamen Gerüchte auf, dass die beiden mehr wären als nur gute Freundinnen. Aber Whitney scherte sich nie darum, was man über ihre Freundschaft dachte. Die zwei Mädchen knüpften schnell ein enges Band, das lange Jahre hielt. Kevin Ammons berichtete in seinem 1996 erschienenen Buch Good Girl, Bad Girl: „Die Kinder im Freizeitheim lästerten über sie, nannten sie Lesben und machten Kussgeräusche, wenn sie vorbeigingen, eingehakt und die Köpfe im vertraulichen Gespräch zusammengesteckt. Aber den beiden Mädchen schien das egal zu sein. Sie waren beide zähe, störrische junge Frauen, und sie hatten eine sehr stürmische Beziehung.“ Noch während ihrer Zeit an der Mädchenschule Mount St. Dominic Academy in West Caldwell begann Whitney als Fotomodell zu arbeiten, und sie begleitete zudem Cissy als Sängerin, wenn die in Nachtclubs auftrat. Schule, die Arbeit vor der Kamera und die Gesangsauftritte bedeuteten, dass sie sich schon früh an eine ganze Reihe von Terminen halten musste. „Es war ein Opfer“, sagte sie. „Aber ich tat Dinge, die ich gerne tat – ich sang. Meine eigentliche Ausbildung fand erst nach meinem Schulabschluss statt.“ Diese Fähigkeit, sich selbst gut zu organisieren und unterschiedliche Aktivitäten unter einen Hut zu bekommen, trug dazu bei, dass sie so gut mit der Belastung der ersten Soloerfolge umgehen konnte, als ihr Terminplan plötzlich für große Hektik sorgte. Sie war damit aufgewachsen, gleichzeitig an verschiedenen Fronten tätig zu sein, und später half ihr das, alle Projekte gleich gut im Blick behalten. Als ihr Leben ein Wirbelsturm
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aus Aufnahmen, Fotosessions, Interviews, Videodrehs und Reisen wurde, war Whitney bereit, willens und gut darauf vorbereitet, all ihre Ziele zu erreichen. Noch zu ihrer Teenagerzeit schlug man ihr vor, die Schule abzubrechen und sofort ins Musikbusiness einzusteigen, aber ihre Eltern bestanden darauf, dass sie erst ihren Abschluss machte. „Ich unterschrieb erst mit 18 meinen ersten Vertrag“, berichtete sie. „Meine Eltern sorgten dafür, dass ich eine richtige Kindheit hatte – dass ich ein kleines Mädchen sein konnte, als ich auch eins war, und dass ich ein Teenager sein konnte, als ich einer war.“ Cissy Houston fügte hinzu: „Ich wollte, dass sie zuerst die Schule beendete, denn ich wusste, wenn sie erst einmal ins Musikgeschäft einstieg, dann würde sie nicht mehr aufzuhalten sein.“ Wollte Whitney schon immer Sängerin werden? „Nein, ich wollte Lehrerin werden oder Tierärztin. Aber als ich meinen Mund öffnete und sang, dachte ich plötzlich: ‚Wow. Jetzt warte mal einen Augenblick. Warum denn nicht?‘“ Cissy erkannte, wie ernst es ihrer Tochter mit dieser Karriere war, als Whitney mit dreizehn, vierzehn Jahren in der Junior High School war. „Da merkte meine Mom, hey, sie will wirklich diesen Weg einschlagen.“ Aber wieder legten ihre Eltern Wert darauf, dass sie es mit dem Einstieg ins Showgeschäft langsam angehen ließ und ihre Teenagerzeit genoss. „Sie sagten: ‚Sie ist noch so jung, sie soll erst mal die Schule fertig machen, ein Teenager sein, verrückte Sachen machen.‘ Und ich hatte damals wirklich viel Spaß, deshalb hörte ich auf ihren Rat und wartete ab.“ Noch während ihrer Schulzeit stellten sich dennoch die ersten Weichen für eine Profikarriere als Sängerin. Sie hatte die Stimme, jetzt brauchte sie nur noch ein wenig Erfahrung. Und die sollte sie bekommen.
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it nur vierzehn Jahren übernahm Whitney 1978 bei den Auftritten ihrer Mutter in Clubs und kleinen Hallen den Begleitgesang. Den Abend ihrer ersten Show in der Town Hall von Manhattan vergaß sie nie. Die Town Hall ist ein Konzertsaal in Broadway-Nähe, aber er ist gleichzeitig als Theater noch klein genug, um eine gewisse Intimität zu vermitteln. Cissy Houston hatte mit „Tomorrow“, einem Titel aus dem Musical Annie, der auf ihrem 1977 veröffentlichtem Album Cissy Houston erschienen war, einen großen Erfolg gelandet. Für die Live-Show hatte sie sich überlegt, dass Whitney vortreten und einen Teil des Leadgesangs übernehmen sollte. Whitney erinnert sich, dass sie kurz, bevor sie ins Scheinwerferlicht treten musste, das Gefühl hatte, vor Angst zu sterben. Aber sobald sie mit dem Singen begann, verschwand das panische Gefühl, und ihr wurde klar, dass dies der Ort war, nach dem sie sich sehnte: mitten auf der Bühne. Das Album Cissy Houston war ein so großer Erfolg gewesen, dass Cissy 1978 wieder mit dem Produzenten Michael Zager in New York ins Studio ging. Es war die große Zeit der Disco-Musik, und Zager hatte gerade mit seiner Band und dem Titel „Let’s All Chant“ selbst einen Hit gelandet. Vor allem in New York hatte es den Anschein, dass Disco nun die einzige Musik war, die sich verkaufte. Als man sich also an den Nachfolger zu Cissy Houston machte, beschloss Zager, auch diesem Album einen gewissen Disco-Touch zu geben. Und das hörte man Think It Over von 1978 schließlich auch an: Vor allem der Titel-Song klang sehr gut gelaunt. Das Material entstand in den Secret Sound Studios von New York. Als Cissy für die Gesangsaufnahmen eintraf, brachte sie ihre Teenagertochter mit, die die Backing Vocals
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übernehmen sollte. Außer auf einem ist Whitney auf allen Tracks von Think It Over zu hören. Der Titel-Song, eine sechsminütige Disco-Nummer, wurde nach seiner Veröffentlichung zu einem Top-Ten-Hit in den amerikanischen Dance-Charts. Die große Stärke Cissy Houstons lag eigentlich in der Präsentation gefühlvoller Balladen. Da Disco aber zur damaligen Zeit den Markt dominierte, ließ sie sich von Zager gern überreden, dem aktuellen Trend zu folgen. Doch die Fähigkeit, dem Publikum eine Ballade „zu verkaufen“, um die Leute dann beim nächsten Song schon wieder gut gelaunt zum Tanzen zu bringen, war Teil der musikalischen Vielseitigkeit, die Cissy an Whitney weitergab. Ihre Tochter lernte ebenfalls, die emotionalen Tiefen einer Ballade nach genau dem einen entscheidenden Moment auszuloten, um dann das Tempo anzuziehen und dann zu den schnelleren Titeln überzugehen. 1980 nahm das Leben der sechzehnjährigen Whitney eine unvorhergesehene Wendung. Eines Nachmittags war sie mit ihrer Mutter in Manhattan an der Kreuzung Seventh Avenue und West 57th Street unterwegs. Ganz in der Nähe liegt die Carnegie Hall, aber auch das Büro einer kleinen Fotomodellagentur namens Click. Der Legende nach lief ein Talentsucher von Click Models der jungen Whitney über den Weg und schlug ihr spontan vor, sich bei der Agentur vorzustellen, da er in ihr ein perfektes Model zu erkennen glaubte. Die Gründerin und Chefin von Click Models, Frances Grill, bestätigt diese Geschichte: „So war es! Sie begegnete jemandem, der für mich arbeitete, Dean Avedon. Er entdeckte sie unten im Flur und fragte, ob sie Model werden wollte. Dann brachte er sie nach oben ins Büro, und ich fand sie wirklich großartig. Wir begannen sofort, mit ihr zu arbeiten.“ Frances war von der jungen Whitney sehr beeindruckt. „Sie war nicht so, wie man sie jetzt kennt“, erklärte sie Mitte der 1980er-Jahre. „Sie war ein sehr hübsches Mädchen und kam immer in Begleitung ihrer wunderbaren Mutter. Man merkt in einer solchen Situation schnell, ob wer das Zeug zum Model hat, wenn man die Leute einfach nur vor die Kamera stellt; wenn sie gut sind, dann passiert etwas. Sie haben einen ‚Ausdruck‘. Die Talentierten können das sofort, und Whitney gehörte dazu. Wir waren
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alle von ihr begeistert. Sie vermittelte soviel unverdorbene, frische Energie. Und sie hatte etwas sehr Reines an sich.“ Die Agentur Click konnte Whitney sofort ein paar Aufträge vermitteln. „Sie hat für viele Zeitschriften gemodelt“, berichtete Grill. „Für Mademoiselle oder für Seventeen, aber auch für einige Werbekampagnen.“ Es dauerte nicht lange, und Whitney war auch in einigen der großen Modemagazine zu sehen, unter anderem in Cosmopolitan, Young Miss und Glamour. Außerdem wirkte sie bei einer Printkampagne für die Kosmetikfirma Revlon mit und warb für die Limonade Sprite. Später wechselte sie von Click Models zur Wilhelmina Modeling Agency. „Es macht mir Spaß, Modell zu stehen, aber das Singen liegt mir im Blut“, erklärte sie später mal. „Die Fotoaufnahmen sind eher eine Nebenbeschäftigung. Das ist nicht wie beim Singen, wo ich wirklich alles glaube, was ich rüberbringe. Die Gelegenheit ergab sich, also habe ich eine Weile als Model gearbeitet. Aber der Gesang stand immer an erster Stelle.“ Zum Modelgeschäft gehört auch eine gewisse Verbindung zum schnellen Leben, zu Partys, Drogen und Alkohol. Whitney sagte Mitte der Achtziger darüber: „Meine Mom hat nichts davon zugelassen, von daher habe ich vom schnellen Leben nicht so viel mitbekommen.“ Damals, als sie noch Modell stand und sich als Sängerin erst ausprobierte, war sie immer noch Cissys liebes Mädchen. Whitney sang weiterhin an der Seite ihrer Mutter und baute allmählich ihre Karriere als Model weiter aus. Dabei trat sie mit Cissy nicht nur in der Town Hall auf, sondern auch in verschiedenen Clubs in Manhattan wie dem Schwulen-Club Les Mouches, den Jazz-Clubs der West 96th Street und einem berühmten West-Side-Cabaret namens Mikell’s. Pat Mikell war ein Freund der Familie Houston, und Cissy trat mehrfach in seinem Club auf, während Whitney sie begleitete. Pat erklärte später: „Cissy war eine großartige Mutter. Sie war hart. Deswegen hat Whitney heute so viel Klasse.“ Allmählich räumte ihre Mutter Whitney in ihrem Programm immer mehr Raum ein. Abgesehen von ihrem Solo in „Tomorrow“ übernahm sie nun noch einen weiteren Song, bei dem das Rampenlicht ganz ihr gehörte. Eines Abends wurde Whitney offenbar ein wenig zu übermütig, was ihr
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Gesangstalent betraf, und begann sich vor dem Publikum aufzuspielen. Um sie dafür zurechtzuweisen, strich Cissy ihre Soloauftritte für zwei Wochen, damit sie lernte, sich zu benehmen. Whitney sagte später: „Meine Mutter ist meine beste Freundin und meine größte Inspiration. Aber natürlich ist deine Mutter manchmal auch einfach deine Mutter!“ Whitney hatte das Gefühl, auf der Bühne, vor Publikum, erwachsen zu werden. Im Laufe der Zeit übertrug ihr ihre Mutter weitere Aufgaben und teilte das Rampenlicht immer mehr mit ihr. „Meine Mutter brachte mir alles bei, was ich über das Geschäft weiß, über das Singen, über die Arbeit im Studio, solche Sachen eben.“ Über ihre Einsätze an der Seite ihrer Mutter sagte sie: „Ich musste einen Song vortragen, und als ich dann ein bisschen älter wurde, gab sie mir zwei, und so ging es weiter.“ Zu den Sängerinnen, deren Stimme Whitney stets bewunderte, zählte auch Chaka Khan. 1980 wurde Cissy gebeten, bei zwei Titeln von Chakas Album Naughty die Begleitstimmen einzusingen. Weil Whitney auf ihrer eigenen Platte Think It Over so gut gewesen war, nahm sie ihre Tochter mit ins Studio, um gemeinsam an Chakas Platte zu arbeiten. Chaka Khan hatte zwei Jahre zuvor mit Chaka gerade ihr erstes Soloalbum aufgenommen, war aber weiterhin Leadsängerin der Band Rufus geblieben. Das Album wurde von Arif Mardin produziert, und Cissy Houston war bei einigen Tracks im Hintergrund zu hören. Chaka enthielt mit „I’m Every Woman“, einer Komposition von Nicholas Ashford und Valerie Simpson, zudem einen Riesenhit – einen Song, den Whitney in den Neunzigern selbst noch einmal aufnehmen und damit einen großen Erfolg verbuchen sollte. 1999 schließlich kamen beide Sängerinnen zusammen, um den Titel für die Fernsehsendung Divas Live ’99 und das dazugehörige Album noch einmal als Duett aufzunehmen. Als Naughty 1980 entstand, saß Arif wieder an den Reglern und Ashford & Simpson steuerten mit „Clouds“ und „Our Love’s In Danger“ zwei neue Songs bei. Cissy brachte Whitney wie geplant zu den Aufnahmesessions mit, und das großartige Gesangsteam aus Mutter und Tochter ist bei beiden Titeln im Hintergrund zu hören. Whitney wurde zudem für den Begleitgesang der neuen Produktionen von Lou Rawls und den Neville Brothers gebucht, die ebenfalls in dieser Zeit entstanden.
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Whitney erinnerte sich: „Zuerst stand ich mit meiner Mutter auf der Bühne, wenn sie in Clubs auftrat. Dann fing ich an, hier und da an Plattenaufnahmen mitzuarbeiten, und sie nahm mich mit, damit wir gemeinsam Background-Vocals für andere Musiker einsangen. Als ich dann achtzehn war, unterschrieb ich einen Vertrag und wirkte solo an einem Album mit.“ Besagtes Album war eine LP des Studioprojekts Material, und der Song, auf dem sie zu hören ist, trägt den Titel „Memories“. Das Trio Material bestand aus dem Keyboarder Michael Beinhorn, dem Bassisten Bill Laswell und dem Toningenieur Martin Bisi. Da keiner der drei den Gesang übernehmen wollte, heuerten sie für die einzelnen Titel verschiedene Vokalisten an, sodass sich auf jeder Platte neue Mitwirkende fanden. 1981 konnten Material, die sonst vor allem experimentelle Instrumentalmusik gemacht hatten, mit „I’m Bursting Out“ einen großen Dance-Hit verbuchen. Der Song wurde auch ein großer Erfolg für die Sängerin, die darauf zu hören war – Nona Hendryx, ehemals ein Drittel des Soul-Trios LaBelle. Gemeinsam mit Patti LaBelle und Sarah Dash hatte Nona in den Siebzigern den Klassiker „Lady Marmalade“ gesungen. „I’m Bursting Out“ wurde so erfolgreich, dass Nona einen Solovertrag bei RCA Records erhielt. Material selbst kamen bei Elektra Records unter. 1982 nahm die Band das Album One Down auf, das acht Titel enthält, die allesamt mit verschiedenen Sängern eingespielt wurden. Nona Hendryx war auf „Take A Chance“ zu hören, Nile Rodgers von Chic spielte Gitarre auf „I’m The One“, der vielseitige Saxophonist Oliver Lake war auf „Come Down“ vertreten und Tony Thompson von Power Station und Chic spielte auf einigen Titeln Schlagzeug. Für „Memories“, einen Song auf der zweiten Seite der LP One Down, engagierten Material eine junge Sängerin, die bisher noch keine eigenen Werke vorweisen konnte – Whitney Houston. Archie Shepp spielte Tenorsaxophon auf dem Track. Es war eine angenehme, leichte Ballade, und Whitneys Gesang klang großartig. In der Rezension der Zeitschrift Village Voice hieß es über One Down: „Die Gastmusiker Whitney Houston und Archie Shepp verwandeln ‚Memories‘ in eine der herausragendsten Balladen aller Zeiten.“
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Die Platte verkaufte sich nicht besonders gut, aber für Whitney Houston war sie ein wichtiger erster Schritt, und heute ist die LP als ihre erste Soloaufnahme bekannt. Vor allem sorgte One Down dafür, dass Bruce Lundvall, der damalige Chef von Elektra Records, auf Whitney aufmerksam wurde. Angeblich war er damals sehr darum bemüht, Whitney für sein Label zu gewinnen, aber dazu kam es nie. Davon abgesehen wurde die junge Sängerin durch „Memories“ auch bei anderen Plattenproduzenten ein Begriff, und es dauerte nicht lange, bis bei ihr neue Angebote für weitere Aufnahmen eingingen. Eins kam von Paul Jabara, der im Musikgeschäft als talentierter Allrounder galt. Er hatte in den Filmen Der Tag der Heuschrecke und Gott sei Dank, es ist Freitag mitgespielt, verschiedene Hits geschrieben und erfolgreiche Platten produziert. Er wurde vor allem bekannt als der Mann, der „Last Dance“ für Donna Summer schrieb, den Song, den sie in dem Disco-Streifen Gott sei Dank, es ist Freitag präsentierte. Der Titel brachte Jabara 1980 einen Oscar für den besten Song ein. Er schrieb zudem den Disco-Klassiker „No More Tears (Enough Is Enough)“ für Barbra Streisand und Donna Summer. 1982 meldete sich Paul Jabara bei Paul Shaffer, heute bekannt als Bandleader bei der Late Show With David Letterman, und sagte ihm, er habe da eine tolle Idee für einen Song namens „It’s Raining Men“. Jabara und Shaffer schrieben den Titel gemeinsam fertig, und tatsächlich schien schon allein das Konzept enormes Hitpotenzial zu bieten. Paul Jabara verpflichtete zwei Sängerinnen, die den Titel für ihn singen sollten, Izora Armstead und Martha Wash. Die beiden waren in den Siebzigern als Gesangsverstärkung auf allen großen Disco-Nummern von Sylvester bekannt geworden und nannten sich inzwischen Two Tons Of Fun. Für diesen Titel verpasste Jabara ihnen allerdings einen neuen Namen und nannte sie die Weather Girls. Wie allgemein bekannt ist, wurde „It’s Raining Men“ ein echter DiscoKracher. Und so hatte man bei Columbia Records plötzlich eine Hit-Single in Händen, aber kein Album, das man damit hätte anschieben können. Jabara trommelte daraufhin eine Reihe verschiedener Sänger zusammen und produzierte 1983 das Album Paul Jabara And Friends, Featuring The
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Weather Girls, Leata Galloway, and Whitney Houston. Wieder wurde Whitney für einen einzelnen Song angeheuert, aber immerhin konnte sie ihren zweiten Leadgesang verbuchen. Bei dem Titel handelte es sich um die herrliche Ballade „Eternal Love“, die Whitney eine viel bessere Gelegenheit bot, alle Facetten ihrer ausdrucksvollen Stimme auszuschöpfen. Nach diesen beiden Soloaufnahmen schien plötzlich die ganze Musikszene von New York aufgeregt über Cissy Houstons kleine Tochter und ihre unglaubliche Stimme zu reden. Whitney wurde nun auch in der Presse zunehmend lobend erwähnt. Kritiker, die sich Cissys Konzerte ansahen, schwärmten in ihren Artikeln später auch von ihrer Tochter. Im Newark Star-Ledger hieß es zu dieser Zeit: „Es besteht kein Zweifel, Whitney Houston wird einmal ein großer Star werden!“ Die New York Times erklärte: „Sie ist enorm talentiert und hat ein phantastisches Potenzial!“ Billboard äußerte sich ebenfalls sehr wohlmeinend: „Bei ihrer Herkunft und ihrem Stil hat Whitney das Zeug, zu einer großen Sängerin zu werden.“ Und die Village Voice tönte: „Die Gerüchteküche hat schon einiges über Whitney Houston verlauten lassen. Sie hat eine enorm kraftvolle Stimme, die den Hörer gleichzeitig lachen und weinen lassen kann.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte Whitney bereits einen Vertrag mit dem Manager Eugene (Gene) Harvey unterschrieben, der später berichtete: „Sie war gerade mal achtzehn, als zwei große Labels sie unter Vertrag nehmen wollten, aber ich hatte das Gefühl, es sei noch nicht an der Zeit. Ich wollte nicht, dass sie schon so früh einem solchen Druck ausgesetzt würde.“ Columbia Records, die das Album von Paul Jabara veröffentlicht hatten, und Elektra, bei denen die Sachen von Material erschienen waren, waren beide sehr interessiert und boten Whitney Verträge an. Auch ein anderes Label, Arista, hatte ein Angebot eingereicht. Und dieses Unternehmen war es auch, das letztlich den Zuschlag bekommen sollte. Gene Harvey erinnerte sich: „Bevor wir bei Arista unterschrieben, fragte mich Whitney eines Tages: ‚Glaubst du wirklich, dass jemand mit einer netten Stimme, der nette Songs singt, heute noch Platten verkaufen kann?‘ Sie fragte das ganz unvermittelt und in aller Unschuld. Ich sagte: ‚Na, klar doch!‘“
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Whitney hatte den Management-Vertrag mit Gene Harvey im September 1981 abgeschlossen, bevor sie die Aufnahmen für Material und Paul Jabara machte. Im April 1983 unterschrieb sie schließlich bei Arista, unter den wachsamen Augen ihrer Mutter. Mit dieser Unterschrift unter dem Plattenvertrag begann ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der Popmusik. Während ihrer Zeit bei Arista sollte Whitney nicht nur Platten aufnehmen – sie sollte Rekorde brechen.
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Whitney machte nicht nur als Sängerin, sondern auch als Schauspielerin Karriere. 1991 widmete ihr der Sender HBO zum ersten Mal eine Sondersendung. (Foto: HBO Television / MJB Foto Archives)
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Als ihr zweites Album Whitney 1987 erschien, galt sie als eines der vielversprechendsten jungen Talente im Showgeschäft. (Foto: Arista Records, von Richard Avedon / MJB Foto Archives)
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Als Clive Davis die junge Whitney entdeckte, hatte sie bereits erste Erfahrungen als Backgroundsängerin und als Model gesammelt. (Foto: Arista Records, von Steve Prezant / MJB Foto Archives)
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In der New Yorker Diskothek Limelight singen Whitney und Jermaine Jackson „Take Good Care Of My Heart“. (Foto: Charles Moniz)
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Whitneys Cousine Dionne Warwick zählt in den USA zu den erfolgreichsten Sängerinnen der Sechziger und Siebziger. (Foto: Mark Bego)
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Cissy und Whitney Houston Anfang der Achtzigerjahre im Lincoln Center mit einer Freundin und dem Sänger George Benson. (Foto: Charles Moniz)
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Whitneys Mutter Cissy Houston – selbst eine erfolgreiche Sängerin. (Foto: Private Stock Records / MJB Foto Archives)
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m April 1983, als Whitney ihren Vertrag bei Arista unterschrieb, war es klar, dass sie zu den Neuzugängen gehörte, denen in dem Unternehmen besondere Beachtung zukam und bei denen man sich alle Mühe geben wollte, sie tatsächlich zu großen Stars zu machen. Letztlich versucht man genau das im Showgeschäft natürlich immer, und man versucht auch darauf zu achten, dass man bei Verpackung, Produktion und Präsentation einer Platte alles richtig macht, damit sie ein großer Hit wird, aber natürlich funktioniert das nicht immer. Als jedoch Clive Davis, der Gründer und Chef von Arista Records, Whitney unter seine Fittiche nahm, wurde sie vom ersten Tag an vehement darauf getrimmt, große Ziele zu erreichen. Davis gilt im Musikgeschäft als Legende. Schon zu seiner Zeit bei Columbia Records hatte er von sich reden gemacht, als er Stars wie Santana, Janis Joplin oder Sly & The Family Stone entdeckte, zum Label holte und aufbaute. Arista Records wurde 1974 gegründet, nachdem Davis Columbia verlassen hatte und ein kleines Unternehmen namens Bell Records übernahm. Dabei erbte er gewissermaßen zwei Sänger und Songwriter, die dort noch unter Vertrag standen. Davis beschloss, die beiden, die jeweils bisher nur ein einziges Album veröffentlicht hatten, einstweilen zu behalten, ließ die Optionen aller anderen Künstler auslaufen und änderte den Namen des Unternehmens in Arista: Das Label sollte nun zu seiner persönlichen Hitschmiede werden. Die beiden Singer-Songwriter, die er behalten hatte, wurden unter seiner Ägide zu Stars. Sie hießen Barry Manilow und Melissa Manchester. In den Siebzigern reihten die Künstler, die Arista verpflichtete, einen Hit an den anderen – darunter befanden sich Namen wie Patti Smith, Ray
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Parker Jr., Alan Parsons, Air Supply und Angela Bofill. Zwar war Davis stets sehr daran interessiert, neue Talente zu entdecken, aber er bemühte sich auch darum, die Karrieren seiner Lieblingsstars aus den Sechzigerjahren wieder anzukurbeln, beispielsweise die von Melanie und Martha Reeves. Anfang der Achtziger setzte er schließlich alles daran, Carly Simon, Dionne Warwick und Aretha Franklin wieder ins Rampenlicht zu holen. Aretha war schon im Geschäft, seit sie 1960 bei Columbia unterschrieben hatte. Sie nahm eine ganze Reihe von Alben für das Label auf, konnte aber nie den großen Mainstream-Erfolg verbuchen. Als ihr Vertrag auslief, wechselte sie zu Atlantic Records, und dort gelang ihr eine beeindruckende Reihe von Hit-Singles und Grammy-Auszeichnungen im Bereich Rhythm & Blues – oft begleitet von Cissy Houston, die ihre Background-Vocals sang. Zwischen 1967 und 1974 folgte ein Hit auf den anderen, darunter „Respect“, „Chain Of Fools“, „Think“ und „Rock Steady“. Mit dem Beginn der Disco-Ära ging es ihr jedoch wie vielen Stars der späten Sechziger und frühen Siebziger – andere zogen an ihr vorbei. Als ihre Zeit bei Atlantic sich dem Ende zuneigte, holte Clive Davis sie zu Arista, brachte sie mit den richtigen Produzenten und Songwritern zusammen, und plötzlich verkaufte sie mehr Platten, als sie es je bei Atlantic getan hatte. Nachdem ihm nun der Ruf vorauseilte, dass alles, was er anfasste, zu Gold würde, wollte sich Davis nun daran versuchen, eine ganz neue Sängerin aufzubauen. Eine Weile deutete alles darauf hin, als sollte Phyllis Hyman als seine größte Entdeckung in die Geschichte eingehen. Sie war eine groß gewachsene Frau von statuenhafter Schönheit, deren Stärke vor allem im Jazz und bei Balladen lag, und sie wurde auf diesem Gebiet auch recht erfolgreich; ihr größter Hit war die von Barry Manilow produzierte Ballade „Somewhere In My Lifetime“. Anfang der Achtziger zählte sie zu den Stars des bekannten Broadway-Musicals Sophisticated Ladies, und sie wurde für ihre Rolle darin sogar für einen Tony Award nominiert. Doch trotz einiger hoch gelobter Alben für Arista gelang Phyllis nie der große internationale Durchbruch. Persönliche Probleme führten dann dazu, dass
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ihre Karriere ein unerwartet frühes Ende fand, und Mitte der 1990er-Jahre beging Phyllis Hyman tragischerweise Selbstmord. Als Clive Davis jedoch das noch unausgeformte Talent der jungen Whitney Houston erkannte, fasste er sofort den Entschluss, ihre Karriere mit allen Mitteln voranzutreiben. Und tatsächlich sollte Whitney schließlich genau all das erfüllen, was man sich zuvor von Phyllis Hyman erhofft hatte. Nach zehn Jahren im Geschäft war Arista Records so erfolgreich, dass Clive Davis es sich leisten konnte, ganze zwei Jahre zu investieren, um an Whitneys Look, Sound und Image zu arbeiten. Er gab unerhörte 250.000 Dollar allein dafür aus, ihr erstes Album zu planen und einzuspielen. Er sorgte dafür, dass Whitney bei den richtigen Partys gesehen wurde, dass sie in bestimmten, wichtigen Clubs auftrat und sich bei privaten Musikveranstaltungen zeigte. Jedes Detail von Whitneys Laufbahn wurde mit größter Sorgfalt durchdacht und persönlich von Davis beaufsichtigt. Noch bevor sie mit den Aufnahmen für ihr Debütalbum begonnen hatte, trat sie 1984 in der Fernsehsendung The Merv Griffin Show auf. Es handelte sich um eine Sondersendung der berühmten Talk- und Variety-Show, die ganz und gar Clive Davis und seiner zehnjährigen Erfolgsgeschichte mit Arista gewidmet war. Als Davis selbst seinen neuesten Schützling vorstellte, sagte er: „Entweder man hat das gewisse Etwas, oder man hat es nicht. Sie hat es.“ Whitney trat auf die Bühne und eroberte das Publikum sofort mit einer bewegenden Version des Songs „Home“ aus dem Musical The Wiz – Das zauberhafte Land. 1984 nahm Whitney den ersten Song auf, der sich später auch auf ihrem Debüt wieder finden sollte. Damals arbeitete der ehemalige Leadsänger von Harold Melvin & The Blue Notes, Teddy Pendergrass, gerade an seinem Comeback und spielte ein neues Album für ein neues Label ein. Pendergrass hatte einen tragischen Autounfall hinter sich und war seitdem querschnittsgelähmt, aber er hatte dennoch erfolgreich von CBS Records zu Elektra wechseln können, und nun betreute der Balladenspezialist Michael Masser sieben Tracks des neuen Albums Love Language. Luther Vandross produzierte einen weiteren Song, „You’re My Choice Tonight
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(Choose Me)“, den Titeltrack aus dem Film Choose Me – Sag ja; die weibliche Solostimme auf diesem Titel gehörte zufällig Cissy Houston. Der Produzent und Songwriter Michael Masser war damals besonders bekannt für die Hitballade „Touch Me In The Morning“ von Diana Ross. Für Teddys Album hatte er mit Linda Creed zusammen das Duett „Hold Me“ geschrieben. Da Whitney durch ihre Beteiligung an dem MaterialProjekt bei Elektra bekannt war, wurde sie eingeladen, bei diesem Song mitzusingen. „Hold Me“ wurde für das Duo Teddy Pendergrass und Whitney Houston zum Hit. Währenddessen hatte Michael Jacksons älterer Bruder Jermaine das Label Motown nach langen Jahren verlassen und einen Solovertrag bei Arista unterzeichnet. Das Jahr 1984 stand ganz im Zeichen des King of Pop, der kurz zuvor mit Thriller eines der erfolgreichsten Alben aller Zeiten abgeliefert hatte, und daher machte es große Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass sich Michael, Jermaine, Tito, Randy, Jackie und Marlon Jackson für ein neues Album und die Victory-Tour noch einmal zusammenfinden würden. Jermaine brauchte eine kraftvolle Soloplatte, die er auf dieser ausverkauften Tour, um die so viel Rummel gemacht wurde, vorstellen konnte, und genau die gelang ihm auch. Jermaine Jackson erschien 1984 auf Arista, kam in den USA bis in die Top Twenty und wurde mit Gold ausgezeichnet. Neben der Hit-Single „Dynamite“ befanden sich unter anderem zwei bemerkenswerte Duette auf der Platte – „Tell Me I’m Not Dreamin‘ (Too Good To Be True)“ mit seinem Bruder Michael und „Take Good Care Of My Heart“ mit Whitney Houston. Im August 1984 veranstaltete Arista in einer New Yorker Diskothek namens Limelight eine große Party für Jermaine. Zur Unterhaltung der Gäste sang Whitney dort „Home“ und eine Reihe anderer Solo-Songs. Dann kam Jermaine zu ihr auf die Bühne, und beide brachten gemeinsam „Take Good Care Of My Heart“. Der Starfotograf Charles Moniz war bei der Veranstaltung im Limelight zugegen, um Fotos zu machen, und er berichtete: „Damals war Jermaine Jackson der große Star. 1984 standen alle Jacksons im Blickpunkt der Öffentlichkeit, und ich erinnere mich, dass Janet und LaToya auch im Club waren, um sich den Auftritt ihres Bruders anzusehen. Als Whitney auf die
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Bühne kam, war sie noch relativ unbekannt, jedenfalls im Vergleich zu Jermaine. Aber es war sofort klar, dass eine große Zukunft vor ihr lag. Sie wurde auch so präsentiert, als sei sie schon ein Star.“ Am letzten Novemberwochenende 1984 gab Arista Records eine große Party, um das zehnjährige Bestehen des Unternehmens zu feiern. Die Veranstaltung fand im Museum Of The City Of New York statt, und es wurde eine umwerfende Party mit viel Klasse. Einige Arista-Künstler waren dabei, beispielsweise Patti Smith, Alan Parsons und Dionne Warwick. Dionne sorgte auch für die musikalische Begleitung des Abends, und Whitney Houston trat ebenfalls auf. Die Anwesenden, der Autor eingeschlossen, waren von dem, was sie zu sehen und zu hören bekamen, äußerst beeindruckt. Das ganze Jahr über hatte man bei Arista dafür gesorgt, dass Whitneys Talent bei verschiedenen Veranstaltungen zu Gehör gekommen war, obwohl es noch immer keine Platte von ihr zu kaufen gab. Unter anderem war sie auch mit Jermaine Jackson zusammen als musikalischer Gast in der beliebten TV-Soap As The World Turns, die in den USA im Nachmittagsprogramm lief, zu sehen gewesen. Davon abgesehen hörten Millionen amerikanischer Fernsehzuschauer Whitneys Stimme bereits mehrere Male am Tag. Das Weichspülmittel Bounce wurde damals mit einem Spot beworben, der mit einer Version von „Jump“ der Pointer Sisters unterlegt war, gesungen von Cissy Houston. Im Hintergrund war ganz klar Whitneys Stimme zu erkennen. Bei Arista arbeitete damals Kenneth Reynolds, der die Abteilung R&B Product Management leitete und dabei auch direkt für Whitney zuständig war. Er ist zudem in ihrem ersten Video zu sehen, als Koch des Restaurants, in dem Whitney „You Give Good Love“ vorträgt. Reynolds berichtete: „Als ich im Oktober 1983 zu Arista kam, war der Vertrag mit Whitney bereits abgeschlossen und innerhalb des Unternehmens ausführlich kommunziert worden. Jeder wusste von ihr, jeder wusste, dass ihre Karriere mittels einer riesigen Marketing- und Promotionkampagne angeschoben werden sollte. Es stand fest, dass sie die neue große Sängerin werden sollte. Nicht nur eine neue Sängerin. Wir redeten von einem Star, der in derselben Liga spielen sollte wie Aretha Franklin oder Diana Ross.“
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Es fanden Managementbesprechungen darüber statt, wo sie gesehen werden sollte, wen sie treffen sollte, was sie tragen sollte und wie sie frisiert sein wollte. Jeder Aspekt der Werbekampagne wurde genau festgelegt, und es wurde immer wieder darauf verwiesen, dass Clive Davis bei allen Entscheidungen das letzte Wort haben würde. Hinsichtlich des Stylings und der Vermarktung Whitney Houstons erklärte Reynolds 1986: „Man kann es auch übertreiben. Und es ist schwer, wenn jemand so hübsch ist wie Whitney, denn dann hat man eigentlich nur sehr wenig zu tun. Man muss sie nur ein bisschen stylen, was ihre Garderobe betrifft, und sich eine Richtung für die Vermarktung überlegen. Aber jeder in der Firma hatte seine ganz persönliche Vorstellung von dem, was das Mädchen einmal werden sollte. Das ging schließlich soweit, dass Clive sich persönlich einmischte und sagte: ‚Mir gefallen die Ideen allesamt, und das ist alles gut und schön, aber da wir hier überhaupt keine Übereinstimmung haben, stelle ich euch jetzt mal meine Ideen vor.‘“ Davis machte deutlich, dass er sich hinsichtlich aller Marketingstrategien bei Whitney Houston ein Vetorecht vorbehielt. Ken Reynolds, der schon mit vielen Stars zusammengearbeitet hatte, lernte Whitney zu Beginn ihrer Karriere als höchst charmant und professionell kennen. Über die Aufnahmen zu ihrem ersten Video erzählte er: „Sie wirkte wie ein sehr erfahrener Profi, und das spürte ich in allem, was sie tat. Sie war zwar eigentlich ganz neu im Geschäft, aber sie verhielt sich wie jemand, der schon eine Ewigkeit dabei war. Sie hat immer etwas Cooles, Weltgewandtes an sich.“ Sie brauchte jetzt nur noch das richtige Album und die richtige SoloSingle – und beides bekam sie mit ihrem Debüt Whitney Houston, das erst im Februar 1985 erschien. Beinahe zwei Jahre hatte man daran gearbeitet, damit dieser musikalische Meilenstein auch richtig einschlug. Keine andere Platte wurde in der jüngeren Pop-Geschichte so gründlich durchdacht und geplant, was das Material, den Sound, die Verpackung und das Marketing betraf. Um die richtigen Produzenten und Songwriter zu finden, entschied man sich für eine ungewöhnliche Maßnahme: Im Sweetwaters in New York und im Vine Street Bar & Grill fanden spezielle Showcases statt, bei denen
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Whitney eine Stunde lang ihre aktuell stärksten Songs präsentierte, und Produzenten und Songwriter wurden eingeladen, um live zu erleben, wie die Legende Whitney vor ihren Augen Gestalt annahm. Am Schluss dieser beider Sessions gingen Clive Davis und Gene Harvey dann das Material durch, das diese Produzenten und Songwriter eingereicht hatten. Harvey erklärte: „Es ging nur darum, das richtige Material und die richtigen Produzenten zu finden. Clive vertrat, wie wir auch, die Meinung, dass wir diese Sängerin nicht mit Gewalt und übereilt an die Öffentlichkeit zerren sollten. Wir beschlossen zu warten und alles aufs Beste vorzubereiten, und wenn das ein wenig länger dauern würde, dann war das eben so.“ Diese Herangehensweise funktionierte offenbar hervorragend. Clive hielt von große Stücke auf Whitney und wollte sichergehen, dass das erste Album in jeder Hinsicht gelang: „Sie verfügt über eine enorme Bandbreite, von Musical bis Gospel und Soul.“ All die verschiedenen Seiten, die Whitney hatte, sollten auf dieser Platte ins beste Licht gerückt werden. Was das alles kostete, spielte für Davis dabei keine Rolle, er wollte nur dafür sorgen, dass die Platte ein Riesenhit wurde. Whitney selbst verließ sich auf ihr Bauchgefühl, als es darum ging, die richtigen Songs auszuwählen. Schließlich hatte sie schon seit Jahren dabei zugesehen, wie ihre Mutter und Stars wie Aretha Franklin Hits einspielten, und daher wusste sie, worauf sie bei einem Song achten musste, damit er zu ihr passte: „Meine Mutter kennt das Geschäft sehr gut, und sie hat mir alles darüber beigebracht!“ Cissy selbst formulierte es einmal so: „Ich versuche, Gefühl in jeden Song zu legen, den ich singe. Ich muss ihn erst einmal selbst fühlen, bevor ich ihn so bringen kann, dass andere, wenn sie ihn hören, auch etwas empfinden. Alles, was ich tue, ist absolut echt.“ Diese Einstellung übertrug sich offenbar auf ihre Tochter, denn Whitney sollte diese Grundsätze stets beherzigen. Über die zweijährige Entstehungsphase ihres ersten Albums sagte Whitney: „Ich gab Showcases und lud Leute aus dem Musikgeschäft dazu ein. Schon seit ich fünfzehn war, hatten sich die Plattenfirmen für mich interessiert – es war, als ob alle darauf warteten, dass ich endlich erwachsen wurde. Und dann reichten sie ihre Angebote ein. Ich saß dann später mit
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meinen Managern und meinen Eltern da, und ich erinnere mich an eine extrem lange Besprechung, bei der es darum ging, was ich tun, zu welchem Label ich gehen sollte. Irgendwann ging ich raus und setzte mich in einem anderen Zimmer auf einen Stuhl, und meine Mutter kam mir nach und sagte: ‚Du weißt, das ist alles sehr schwierig, aber ich sage dir jetzt, wie es ist: Du solltest dorthin gehen, wo man das Beste für dich tun wird.‘ Damit meinte sie: Einige Firmen boten einen Vertrag und sagten: ‚Whitney, du kannst dir die Songs aussuchen. Du kannst alles machen, was du willst.‘ Bei Arista war das anders, da sagte Clive Davis: ‚Wir werden dir eine bestimmte Summe zur Verfügung stellen, wir werden uns mit dir besprechen, und was die Songs angeht, die du machen willst, werde ich dich unterstützen. Ich werde sagen: Whitney, dieser Song hat Potenzial. Dieser hier nicht.‘ Meine Mutter fügte dann hinzu: ‚Du bist achtzehn Jahre alt. Du brauchst jemanden, der dich berät.‘ Clive war dieser Jemand.“ Whitney und Clive Davis schienen schon gleich zu Beginn ihrer Zusammenarbeit einen guten Draht zu einander zu entwickeln. „Es ist verrückt, wie sehr Clive und ich auf einer Linie liegen“, sagte Whitney damals. „Wenn ihm ein Song gefällt, dann ist es fast hundertprozentig sicher, dass ich ihn auch mag.“ Die Produzenten, die letztlich bei Whitney Houston zum Zug kamen, waren durch die Bank etablierte Hitgaranten, darunter Michael Masser, Kashif, Jermaine Jackson und Narada Michael Walden. Zu jener Zeit, als bei Arista über das Material für Whitneys Debüt entschieden und ihr Image aufgebaut wurde, leitete Barbara Shelley Aristas PR-Büro an der amerikanischen Westküste. Sie hatte nicht nur die Aufgabe, den neuesten aufstrebenden Star des Labels in der Öffentlichkeit zu präsentieren, sondern auch die Abhörsessions und Showcases in Los Angeles zu organisieren, aus denen einige der Songs hervorgingen, die Whitney schließlich zum Star machten. Shelley berichtete 1986: „Als das Album mit allem Drumherum zusammengestellt wurde, gab es überhaupt keinen Druck. Weder Clive Davis noch Eugene Harvey oder jemand von den anderen, die daran mitarbeiteten, wollte sich mit dem Zweitbesten zufrieden geben. Das Album wurde mit soviel Sorgfalt erarbeitet, dass es beinahe so aussah, als würde
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es nie erscheinen. Als die Platte schließlich fertig war, hatte Clive immer noch Bedenken; er hatte Angst, dass nicht genug Hits darauf enthalten waren, um Whitneys Talent gerecht zu werden! Schließlich musste er eine Entscheidung treffen. Sollte er diese viel versprechende Sängerin noch länger unter Verschluss halten? Oder sollte er eine Platte veröffentlichen, die zwar sicherlich gut war, aber vielleicht nicht gut genug für Whitneys Talent? Das zeigt, wie sehr er sich persönlich dafür engagierte, damit bei diesem Projekt wirklich alles perfekt lief.“ Sie fuhr fort: „Während der zweijährigen Vorbereitungen rief Gene Harvey jeden Tag Clive an, um darüber zu sprechen, was Whitney auf dem Plattencover tragen sollte, und um beispielsweise zu klären, ob der Art Director von der Ostküste für die Gestaltung verantwortlich sein sollte. Whitney ist ein erfahrenes Model und kann ganz verschiedene Looks präsentieren. Welcher wäre nun wohl am besten für das Cover? Schließlich fanden etwa zehn Fotosessions statt. Whitney kann so völlig verschieden aussehen. Wie sollte man sie bei ihrem ersten großen Auftritt porträtieren?“ Shelley war nicht nur von Houstons Gesangstalent beeindruckt, sondern auch von den Manieren der jungen Frau und von der Art, wie sie sich gab. „Das erste Mal, dass ich ihr begegnete, war auf Jermaine Jacksons Yacht, die in Marina Del Rey angelegt hatte. Wir hatten dort Interviews mit Jermaine organisiert, um sein damaliges Album zu promoten. Whitney war ebenfalls in der Stadt, weil sie einige der Titel für ihr Debütalbum bearbeitete, die Jackson produzierte. Ich wusste, dass sie Dionne Warwicks Cousine war, und ich wusste, dass mein Freund Gene Harvey sie managte, von daher freute ich mich, sie kennen zu lernen. Damals, auf der Yacht von Jermaine Jackson, erschien sie mir als ein stilles, hübsches Mädchen, und mich beeindruckte, wie nett sie war und wie unschuldig sie wirkte. Sie hatte das optimistische Gesicht eines jungen Mädchens, aber den Körper eines wunderschönen Fotomodells. Sie zeigte sich ehrlich daran interessiert, uns Plattenfirmenleute kennen zu lernen und mit uns zu reden, etwas über uns zu erfahren. Sie schickte mehrere Male Dankeskarten an die Leute bei Arista, die ihr auf ihrem Weg geholfen hatten. Sie ist ein Mensch, der sich sehr um andere kümmert.“
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Ein guter Weg, etwas über das wahre Wesen großer Showstars zu erfahren, liegt darin, die Musiker zu befragen, mit denen sie zu Beginn ihrer Karriere zusammengearbeitet haben. Bashiri Johnson spielte auf „You Give Good Love“ von Whitneys Debüt Percussion und wirkte auch an „Love Will Save The Day“ vom zweiten Album mit. Er berichtete: „Als ich sie kennen lernte, war sie sehr professionell. Sie war sehr entspannt, und im Studio herrschte eine sehr lockere Atmosphäre. Aber man merkt bei manchen Leuten gleich, dass sie es wirklich weit bringen werden. Ich habe auch an Madonnas Debütalbum mitgearbeitet, und damals wusste ich überhaupt nicht, wer sie eigentlich war. Aber ich hatte damals schon den Eindruck, dass sie einmal ein großer Star werden würde, und dass sie das auch wusste. Denselben Eindruck hatte ich von Whitney, allerdings war sie etwas geschliffener und professioneller. Whitney wirkt überhaupt nicht ruppig und großmäulig. Madonna hat etwas Aggressives an sich, aber Whitney ist eher eine Lady. Ich wusste, dass sie enorm erfolgreich werden würde. Das spürte ich, wenn ich sie nur ansah. Sie ist ja auch eine sehr attraktive Frau und sieht auf der Bühne wie ein Engel aus.“ Diese Einschätzungen der Leute, mit denen sie zwischen 1984 und 1986 arbeitete, unterstreichen, wie wichtig Whitney Houstons Image für ihren schnellen Durchbruch war. Sie wurde als das perfekte, souveräne, charmante, freundliche Mädchen von Nebenan vermarktet, das sonntags in die Kirche ging. Als sie Mitte der Neunziger immer mehr in den Ruf geriet, verwöhnt, schwierig und anspruchsvoll zu sein, ließ gerade das ihren Fall um so tragischer und überraschender erscheinen.
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hitney Houstons Debütalbum übertraf nicht nur bei weitem andere Erstlingswerke an Qualität und stilistischer Bandbreite, sondern enthielt auch eine überragende Zahl von Hits. Whitney konnte von Natur aus auf eine phantastische Stimme zurückgreifen, aber sie verfügte auch über die emotionale Vielseitigkeit, die nötig war, um so viele verschiedene und gleichermaßen faszinierende Titel glaubhaft und voller Inspiration zu präsentieren. Es gibt auf diesem Album keinen einzigen Song, dem es an Dynamik oder Brillanz fehlt. Zwei Jahrzehnte später gilt es noch immer als das beste Werk ihrer ganzen Karriere. Dennoch ist es hauptsächlich das Verdienst von Clive Davis, dass er Whitneys stimmliche Stärken so gut erkannte und ihr ein Budget von sagenhaften 250.000 Dollar zur Verfügung stellte, um die Platte zu realisieren. Schon beim ersten Hören wurde klar, dass dies hier kein halbherziger Versuch gewesen war, einen Albumerfolg zu erzielen, sondern dass dahinter eine äußerst sorgfältige Planung steckte. Jedes Jahr drängen enorm viele Newcomer auf den Pop-Markt, und da braucht es nicht nur eine besondere Intuition, um das Starpotenzial eines Sängers zu erfassen – man muss auch wissen, mit welchen Produzenten man ein bisher noch unerprobtes Talent am besten kombiniert. Whitney hatte bei den Clubauftritten mit ihrer Mutter und bei ihren Showcases ihre vier Produzenten dazu inspiriert, besonders packendes Material für sie zu schreiben. Michael Masser ist ein Meister der Ballade. Jermaine Jacksons große Stärke liegt in der Produktion von Songs mit starker Melodie und gefühlvollen Harmonien. Kashif hat ein Händchen für die elektrisierende Verquickung von Gesang und knackiger,
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energiegeladener Musik. Und Narada Michael Walden ist dafür bekannt, dass seine Songs wie eine Party klingen, die man in Musik gefasst hat, wie er unter anderem im selben Jahr bei Aretha Franklins „Freeway To Love“ bewies. „Die ersten Songs hörte ich mir auf Demobändern an“, berichtete Whitney. „Zuerst achtete ich auf ihre Aussage, dann auf die Melodie. Ich suche im Grunde immer zuerst danach, was ich mit einem Song machen kann, und dann bespreche ich eventuelle Änderungen mit dem Songwriter.“ Der erste Titel auf der Platte stammt von einer Komponistin, deren Name lediglich mit LaLa angegeben wurde und trägt den Titel „You Give Good Love“. Whitneys sehnsuchtsvoller Gesang vermischt sich mit einem ätherischen Chor weiblicher Stimmen und lotet alle emotionalen Höhen und Tiefen dieses packenden Liebeslieds hervorragend aus. Kurz nach der Veröffentlichung sagte Houston: „Als ich ‚You Give Good Love‘ zum ersten Mal hörte, wollte ich ganz nahe an der Kernaussage bleiben, denn ich hatte das Gefühl, dass der Song schon in der Demofassung großartig war. Daher haben Kashif und ich nur ein wenig daran gearbeitet. Der Text blieb, wie er war, aber wir veränderten die Melodie an einigen Stellen. Der Song stammt von einer jungen Frau namens LaLa. So nennt sie sich jedenfalls, eigentlich heißt sie LaForest. Als ich ihn zum ersten Mal hörte, verliebte ich mich gleich in ihn und sagte: Oh ja, den Titel möchte ich auf alle Fälle bringen!“ Bei „Thinking Of You“ zieht das Tempo dank Kashifs vielschichtigen, rhythmischen Arrangements ein wenig an. Die männlichen und weiblichen Stimmen im Background rahmen Whitneys leidenschaftlichen Gesang ideal ein, und die lebhaften Synthesizerelemente verleihen dem knackigen, frischen Song eine knisternde Spannung. „Someone For Me“ beginnt zwar langsam und zart, startet dann aber durch wie ein Düsenjet. Eine pulsierende Bassfigur unterlegt die Gitarrenriffs, die für einen funkigen Refrain sorgen, in dem der Songtitel wie ein Mantra wiederholt wird. Intensiv und mit viel Hingabe singt Whitney davon, dass sie an einem Freitagabend keine Verabredung hat. Die Zeilen, in denen ihre Mutter darauf drängt, sie solle ausgehen und ein wenig Spaß haben, stärkten noch das unschuldige Image, auf das die Sängerin damals
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setzte. Es war Jermaine Jacksons beste Produktion auf dem ganzen Album. „Saving All My Love For You“ ist eine traditionelle, romantische Sehnsuchtsballade, ganz im Stil der Achtziger produziert. Bei dieser gesanglichen Tour de Force kam Whitneys enorm starke Stimme besonders packend zur Geltung. Das verführerische Saxophon von Tom Scott betont die Beteuerungen der willensstarken Frau, die Houston hier porträtiert. Sie übernahm in diesem Text die Rolle der verliebten „Anderen“ in einer Dreiecksbeziehung voller Emotion und Dramatik. Auch im Duett mit Jermaine Jackson, „Nobody Loves You Like I Do“, ging es um eine unschuldige Art hingebungsvoller, tiefer Liebe. Steelguitars gaben diesem klassischen Liebeslied in mittlerem Tempo ein leichtes Country-Feeling. Die Stimmen der beiden passten bei diesem Track hervorragend zusammen, vor allem beim Harmoniegesang. Das Kraftpaket auf dieser Platte ist jedoch der mitreißende Dance-Track „How Will I Know“, produziert von Narada Michael Walden, der diese Suche nach Liebe in ein höchst energiegeladenes Gewand steckte. Whitneys Stimme scheint vor Begeisterung zu explodieren, und das klagende Saxophon, der Dampfhammer-Beat und das Frage-Antwortspiel des Backgroundgesangs (bei dem wieder einmal Cissy Houston mitwirkte) garantierten die Hitqualitäten dieses Titels. Bei „All At Once“ wurde das Energielevel wieder etwas nach unten gefahren, um die richtige Atmosphäre für eine ergreifende Ballade zu schaffen. Whitney zeigte gerade bei den langen Tönen die ganze Schönheit ihrer Stimme, die hier von einem kompletten Orchester eingerahmt wurde. Michael Masser, der den Song mit Jeffrey Osborne zusammen geschrieben hatte, übernahm auch die Produktion dieses Titels, der Whitneys überragende, kraftvolle Gesangstechnik einfach perfekt zur Geltung brachte. Das zweite Duett mit Jermaine Jackson, „Take Good Care Of My Heart“, war ein erneuter Beweis für die gelungene, elektrisierende Zusammenarbeit der beiden – auch dank der frischen und lockeren Produktion, die zeigte, dass Jackson nicht umsonst jahrelang bei Motown Erfahrung darin gesammelt hatte, wie man einen Hit schmiedet.
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„Greatest Love Of All“ war ursprünglich der Titelsong von Muhammad Alis Filmbiografie Ich bin der Größte gewesen. Damals hatte George Benson den von Michael Masser und Linda Creed verfassten Titel interpretiert. Whitney präsentiert diesen Titel jedoch mit einer solchen Leidenschaft und Entschlossenheit, dass er wie eine Hymne auf das eigene Selbstwertgefühl daherkommt. Ihr facettenreicher Gesang und die ergreifende Botschaft des Titels sorgten schließlich dafür, dass er nach seiner Auskopplung als Single ein Riesenhit wurde. Einer vertrauenswürdigen Quelle zufolge wurde dieser Titel in verschiedenen Versionen aufgenommen. Demnach war Clive Davis zunächst sehr unsicher, welche Fassung für Whitney Houston ausgewählt werden sollte. Schließlich überzeugte ihn offenbar der stellvertretende AristaGeschäftsführer, Dennis Fine, sich für die Version zu entscheiden, in der Whitneys Stimme zu dramatischen Crescendi an- und abschwillt. Fine hatte sich zuvor alle drei Aufnahmen angehört und sie schließlich im Cassettenspieler seines Autoradios getestet, um zu entscheiden, welcher Take im Radio am besten wirken würde. Whitneys Debütalbum schließt mit „Hold Me“, dem von Michael Masser produzierten Duett mit Teddy Pendergrass. Der Gegensatz zwischen Teddys tiefem, geschmeidigem Gesang und Whitneys hellerer und unschuldigerer Stimme verquickte sich zu einer spannenden Darbietung, die hervorragend die Stärken beider Sänger illustrierte. Als das Album im Februar 1985 endlich in die Läden kam, war die junge Newcomerin zunächst einmal unendlich erleichtert. Wie es nun weitergehen würde, hing nun ganz allein vom Publikum ab. Aber zumindest war der Stress, das ultimative Album einspielen zu müssen, erst einmal vorbei. „Ich bin dankbar“, sagte sie. „Jetzt ist der Druck erst einmal weg. Ich weiß, dass es Leute gibt, die sagen, dass ich bestimmt ein Star werde und so, aber ich denke über so etwas gar nicht nach, denn ich weiß, dass alles, was möglich war, getan wurde, und nun warte ich einfach ab, was geschehen wird.“ Die Presse urteilte von Anfang an ausgesprochen positiv. Billboard schrieb über Whitney Houston: „Dieses vielversprechende Debüt der jungen, stimmlich aber schon völlig ausgereiften Whitney Houston verbindet
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das Feeling des Souls alter Schule mit der Geschmeidigkeit des neuen. Mit viel Ausdruckskraft eingespielt, ist es mehr als ein flüchtiger Versuch, ein wenig ‚Star-Quality‘ zu zeigen.“ Der Rolling Stone schwärmte: „Whitney steht vor einer großen Karriere – bei diesen Stimmbändern und diesem Aussehen kann es gar nicht anders sein. ‚How Will I Know‘ lässt die geschliffene Kraft, die in ihr steckt und überall auf dieser Platte aufblitzt, mehr als nur ein wenig erahnen, aber es ist vor allem ‚The Greatest Love Of All‘, in dem diese Energie besonders überzeugend aufgebaut wird. Mit den richtigen Songs und im richtigen Umfeld könnte sie wirklich die Musikwelt erschüttern.“ Laut USA Today war es ein funkelndes Debüt: „Sie erinnert nicht nur an eine moderne Nefertiti, sondern verursacht wahre Musikwellen mit ihrer leidenschaftlichen Stimme, die glühenden Sonntagsmorgen-Gospel mit Rhythm & Blues-beeinflusstem Pop verschmelzen lässt!“ Die New York Times schrieb über Houston: „Künstlerisch ist ihr Debütalbum ein persönlicher Triumph über eine Auswahl von Songs, die generell stark den konservativen Pop-Rezepten verhaftet sind. Die besondere Qualität ihres Gesangs entsteht dadurch, dass sie eine ständige Spannung kreiert zwischen einer gelassenen Selbstsicherheit, wie man sie eher von einer zehn Jahre älteren Sängerin erwarten würde, und hochverdichteter jugendlicher Lebendigkeit. Eine außergewöhnliche Sängerin, deren vielseitige, facettenreiche Soul-Gospel-Stimme einen stählernen Kern besitzt und damit offensichtlich ganz der Tradition von Aretha Franklin, Gladys Knight und ihrer Cousine Dionne Warwick verhaftet ist.“ Die Desert News aus Salt Lake City hob hervor: „Die gesanglichen Fähigkeiten, die sie auf dem ersten Album unter Beweis stellt, sind elektrisierend. Whitneys Stil erinnert ein wenig an Diana Ross, und mit ihrer kristallklaren Stimme macht sie sich an eine große Bandbreite aus gefühlvollen Liebesliedern, Balladen und Soul. Es ist eine äußerst dynamische Zusammenstellung.“ Das Trendmagazin Cosmopolitan bezeichnete das Album als verblüffende Coolness-Studie: „Diese phantastische Frau, die weiß, wie es mit dem Geben guter Liebe – You Give Good Love – funktioniert, hat ein sensationelles Händchen für Songs.“
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In Newsweek hieß es: „In ihrem Debüt aus poppigen Liebesliedern präsentiert Houston eine charmante Kombination aus Unschuld und Verführung, eingerahmt von schimmernd geschliffenen Arrangements. Die Jahre, die sie in Newark, New Jersey im Chor einer Baptistengemeinde verbrachte, der von ihrer Mutter geleitet wurde, zeigen sich in der vollen Gefühlspackung, die sie entfesselt, wenn sie so richtig loslegt – der Traum eines jeden Impresarios!“ Im People-Magazin stellte man gleich einen Bezug zu ihrer damals größten Rivalin, Madonna, her und schwärmte: „Mit ihrer energiegeladenen Stimme, ihrer bestechenden Schönheit und der unverdorbenen Ausstrahlung ist sie ein rassiger kleiner Hitzkopf, der all jenen gefallen dürfte, denen die Material Girls allmählich langweilig werden.“ Obwohl man bei Arista mit aller Kraft auf eben einen solchen Erfolg hingearbeitet hatte, waren dann doch alle von dem Ausmaß überrascht, in dem Whitney die Charts eroberte. „You Give Good Love“ wurde als erste Single ausgekoppelt: In den USA schoss der Titel auf den ersten Platz der R&B-Charts und schaffte es auf den dritten Platz der Pop-Charts – damit war der erste Test erfolgreich bestanden. Als dann aber die Singles „Saving All My Love For You“ und „How Will I Know“ im Anschluss pfeilschnell bis auf den ersten Platz der Pop-Charts kletterten, war klar, dass Whitneys Karriere eine große Erfolgsgeschichte werden würde. Sie sagte damals: „Ich liebe Balladen, aber ich singe auch gerne schnellere Nummern, von daher ist es toll, dass ich beides tun kann.“ Bis 1985 waren Donna Summer, Connie Francis, Brenda Lee, Roberta Flack, Cher und Olivia Newton-John die einzigen Sängerinnen, die je zwei aufeinanderfolgende Nummer-Eins-Hits verbuchen konnten. Als Whitneys „Greatest Love Of All“ 1986 an die Chartspitze kam, in der nächsten Woche abstieg und in der Folgewoche wieder auf Platz 1 stand, war sie die erste Sängerin, der ein Dreier gelang. Auch Whitney Houston brach alle Rekorde, als die Platte über zehn Wochen lang die Spitze der amerikanischen Albumcharts hielt. Aber sie war nicht nur in ihrer Heimat erfolgreich – in Kanada, England, Australien, den Niederlanden, Japan und in Deutschland war Whitneys erster Longplayer ebenfalls ein Top-TenKandidat.
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Whitney profitierte außerdem von dem Trend, dass in den Achtzigern zunehmend auch schwarze Musiker, deren Domäne zuvor die R&B-Charts gewesen waren, die Pop-Charts eroberten, in denen sich zuvor vornehmlich weiße Rockbands tummelten. Nun aber hatten Michael Jackson mit seinem Thriller-Überflieger, Lionel Richie, Prince und Tina Turner den Weg geebnet, und sie alle bekamen zusätzlichen Rückenwind von MTV, das zu dieser Zeit gerade seinen Siegeszug antrat und plötzlich die Möglichkeit bot, nonstop Musikvideos anzusehen. Whitneys Manager Gene Harves erklärte: „Es funktionierte auch deshalb so gut, weil die PopSender offener für schwarze Musik waren. Als Whitney die Bühne betrat, war die Zeit reif.“ Clive Davis war dennoch verblüfft von der Geschwindigkeit, mit der Whitney der große Durchbruch gelang – in nur achtzehn Monaten hatte sie es ganz nach oben geschafft: „Aus Marketinggesichtspunkten haben wir alles sehr langsam angehen lassen, weil wir wussten, dass die Stimmung in der Öffentlichkeit und bei den Kritikern ab einem gewissen kommerziellen Erfolg schnell umschlagen kann. Wir wollten Whitney daher zuerst auf dem Black-Music-Markt etablieren. Sonst kann es leicht passieren, dass man von keiner Seite richtig akzeptiert wird – dass man weder von den Top-Forty-Radiosendern gespielt noch von der R&B-Gemeinde anerkannt wird.“ Davis setzte damals hinzu: „Wir hatten das Gefühl, dass wir mit ‚You Give Good Love‘ auf alle Fälle einen großen Black-Music-Hit in Händen hatten, aber wir hatten nicht damit gerechnet, dass er in den Pop-Charts so gut laufen würde. Als er auch dort durchstartete, war das für uns sehr ermutigend.“ Um das Album zu bewerben, ging Whitney im Frühjahr auf Tournee und stellte ihre gesanglichen Fähigkeiten live unter Beweis. Im Mai 1985 trat sie vor allem in kleinen, intimen Clubs auf, beispielsweise im Roxy in Los Angeles, im Judges Chambers in Dallas, im Park West in Chicago und im Warner Theater in Washington D.C.. Im darauffolgenden Sommer übernahm sie das Vorprogramm bei den Konzerten von Jeffrey Osbourne. Im Herbst folgten zwei prestigeträchtige Auftritte in der legendären Carnegie Hall in New York – vor ausverkauftem Haus. Damit waren ihre
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Zeiten als Support anderer Künstler endgültig vorbei. Im Sommer 1986 fand ihre erste große Solotournee in den USA statt, und die Konzerte zählten zu den beliebtesten und erfolgreichsten Veranstaltungen der ganzen Saison. Zwar sang sie auf der Bühne wie eine Göttin, aber die Kritiker bemängelten von Anfang an, dass sie vor dem Mikrofon ziemlich steif dastand. In ihren Videos wirkte sie lebendig und voller Ausstrahlung, aber dort war sie auch stets geschickt von Tänzern umgeben, damit dem Zuschauer nicht auffiel, dass sie kein Gespür für Rhythmus und Bewegung hatte. Das fiel besonders bei den Auftritten auf der großen Bühne der Carnegie Hall auf, wo sie sich kaum rührte, fast die ganze Zeit in der Bühnenmitte stand und einfach nur sang. Nachdem ihre Karriere ein wenig in Schwung gekommen war, trat Whitneys Vater John Houston wieder auf den Plan, der großes Interesse daran hatte, in das Management seiner Tochter einzusteigen. Whitney war einverstanden, und die nächsten Jahre war er an ihren beruflichen Entscheidungen beteiligt, wodurch ihre Karriere noch ein wenig mehr zum Familiengeschäft wurde. Doch Whitneys Talent fand nicht nur in dem erfolgreichen Solodebüt und den Konzerten seinen Ausdruck. Da Mitte der Achtziger SoundtrackAlben enorm erfolgreich wurden, brachte man Whitney auf dem Soundtrack zu Perfect unter, einem Film mit John Travolta und Jamie Lee Curtis. Sie tat sich dafür erneut mit Jermaine Jackson zusammen und nahm mit ihm den Song „Shock Me“ auf, der von Michael Omarian produziert wurde. Der Film und das dazugehörige Album wurden im Sommer 1985 ein großer Hit in den USA, und Whitney befand sich auf dem Soundtrack in bester Gesellschaft, zwischen Künstlern wie den Pointer Sisters, Wham!, den Thompson Twins, Nona Hendryx und Lou Reed. Im Frühjahr 1986 veröffentlichte Jermaine Jackson ein zweites Album auf Arista, Precious Moments. Darauf war Whitney erneut vertreten; das Duett „If You Say My Eyes Are Beautiful“ ist wohl der gefühlvollste Song, den die beiden je zusammen aufgenommen haben. Das allein hätte natürlich schon genügt, um dafür zu sorgen, dass in der Pop-Welt jeder wusste, wer Whitney Houston war, aber sie unterschrieb
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auch noch einen Werbevertrag mit Coca-Cola. Ihr Clip für Cola Light war vermutlich der aufregendste Sechzig-Sekunden-Spot im Fernsehen, seit Michael Jackson 1984 den Moonwalk für Pepsi hingelegt hatte. In der Cola-Light-Werbung sah Whitney geradezu zauberhaft aus und sang mit ungezähmter Energie. In einem Artikel über die Werbeaktivitäten von Popstars hieß es in der New York Daily News: „Wenn man einmal erlebt hat, wie Whitney Houston von ganzem Herzen von Cola Light singt, wie könnte man je wieder etwas anderes trinken?“ Während Whitneys Musik in der Radiolandschaft für Furore sorgte, drehte sie zwischen 1985 und Sommer 1986 auch vier Videos zu ihren Top-Hits. Im Juni 1986 erschienen sie auf einer Videocassette, die den Titel Whitney Houston: The #1 Video Hits erhielt, und das Video wurde ein Verkaufsschlager. In Amerika erreichte es sofort Platz 1 der VideoCharts im Branchenmagazin Cashbox. Der frischer Look und Sound dieser Clips – und natürlich die Tatsache, dass sie auf MTV ständig gezeigt wurden – trugen entscheidend dazu bei, ihren Erfolg zu zementieren. Ihre Videos machten die Fans jedoch nicht nur darauf aufmerksam, dass ein neuer Star geboren war, sondern deuteten auch bereits darauf hin, dass ihr auch im Filmgeschäft eine große Zukunft bevorstand. Das Video zu „You Give Good Love“ zeigte Whitney bei einer nachmittäglichen Probe in einem Club mit Restaurant in Greenwich Village. Es beginnt damit, dass ein Kameramann die Linse seiner Videokamera scharf stellt und dabei plötzlich von dem Gesang einer wunderschönen Sängerin abgelenkt wird, die in einem anderen Raum auf der Bühne steht. Er geht einen Flur entlang, und dann entdeckt er Whitney, die den packenden Song vor dem Mikrofon präsentiert. Alle Angestellten unterbrechen ihre Arbeit, selbst die Köche kommen aus der Küche und finden sich wie magisch angezogen im Speisesaal des Clubs wieder, in dem Whitney singt. Sie trägt einen eng anliegenden Einteiler in leuchtendem Rosa und eine schwarze Lederjacke, und das Video zeigt zahllose Nahaufnahmen von ihrem hübschen Gesicht und ihren vollen Lippen. Ganz ohne Frage stand in diesem Clip ihre Schönheit ebenso im Mittelpunkt wie der Song. Das Video zu „Saving All My Love For You“ wurde unter der Regie von Stuart Orme in London gedreht. Die Geschichte, die hier erzählt wird,
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schildert eine Dreiecksbeziehung. Der Clip beginnt mit einer geheimnisvoll wirkenden jungen Frau, die Whitney in einem Londoner Nachtclub böse Blicke zuwirft. Whitney lacht und unterhält sich mit Freunden, aber es ist klar, dass ihre Gegenwart der geheimnisvollen Frau nicht gefällt. Im weiteren Verlauf wird klar, dass Whitney eine Sängerin spielt, die in ihren gutaussehenden Produzenten verliebt ist. Einen ganz anderen Ton schlägt der Clip zu „How Will I Know“ an, in dem es keine Handlung gibt, dafür aber um so mehr Energie und Lebensfreude, wenn Whitney verführerisch in einem hautengen, tief ausgeschnittenen Kleid herumtanzt. Begleitet von einer Truppe schwarzgekleideter junger Tänzer läuft Whitney durch ein Labyrinth bunter Stellwände, die mit frischer, verlaufender Farbe bedeckt sind, und stellt die Frage: „How will I know that I’m in love?“ In einer Szene, in der sie diese Frage stellt, erscheint Aretha Franklin als gute Fee. Über Arethas Kurzauftritt in dem Clip sagte Whitney: „Ich kenne Aretha, seit ich klein war, und sie ist wie ein Teil meiner Familie, eben meine Tante. Ich nenne sie Tante Ree. Musikalisch war sie immer eine echte Inspiration. Ich finde Aretha so großartig, da dachte ich, es wäre toll, wenn sie in meinem Video auftreten könnte.“ Die Aufnahmen mit Aretha stammten aus deren Clip zu „Freeway Of Love“, das zu der Zeit ebenfalls ein großer Hit war. Whitney: „Brian Grant führte Regie, und das ganze Konzept war seine Idee. Einfach super!“ „Greatest Love Of All“ wurde mit einer Geschichte illustriert, die sich am wahren Leben orientierte. Die Dreharbeiten fanden auf und hinter der Bühne des berühmten Apollo Theaters in Harlem statt und der Clip zeigte Whitney Houston und ihre Mutter in Rückblicken und aktuellen Szenen, in denen beispielsweise ein kleines Mädchen zu sehen war, das zum ersten Mal auf die Bühne kommt, um zu singen. Cissy spielte sich selbst und sagte über den Clip: „Das Video ist wie ein Traum, der sie in ihre Kindheit zurückführt. Whitney nimmt an einem Talentwettbewerb teil. Sie hat Angst, und ich spreche ihr Mut zu: ‚Du schaffst das‘ und so. Es war ein wirklich schönes Konzept.“ Das Video beginnt mit der erwachsenen Whitney, die auf der Bühne umhergeht und singt, während Musiker, Bühnenbildner, Elektriker und
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Beleuchter die Bühne für die Show herrichten. Rückblenden zeigen dann die Sängerin als Kind, das sich auf den ersten Auftritt vorbereitet und von seiner Mutter unterstützt wird. Die Rolle der jungen Whitney übernahm die damals zehnjährige Schauspielerin Keara Janine Hailey. In den nächsten, wieder in der Gegenwart spielenden Szenen sieht man Whitney in ihrer Garderobe, wie sie ihr Make-up auflegt. Sie trägt ein Kleid mit perlenbesticktem Oberteil und Spaghettiträgern, die Haare sind hochgesteckt, und sie hat exotische, funkelnde, große Ohrringe. Während sie ihren Lippenstift nachzieht, gibt es wieder eine Rückblende, die erzählt, wie ihre Mutter ihr dreizehn Jahre zuvor in der Garderobe vor dem Talentwettbewerb zur Seite stand. Am Schluss des Songs eilt Whitney von der Bühne, um ihre Mutter zu umarmen, die im Hintergrund gewartet hat, genau wie früher. Das Konzept des Videos ging hervorragend auf, und der inspirierende Song wurde mit diesem berührenden Bild einer engen Mutter-Tochter-Beziehung äußerst gelungen umgesetzt. Whitney berichtete damals, dass sie die Dreharbeiten aller vier Clips, die auf der Videocassette #1 Hits enthalten waren, sehr genossen hatte: „Es hat viel Spaß gemacht. Videos machen einfach viel Spaß – sie sind ein bisschen wie ein Stummfilm, der mit Gesang untermalt wird!“ Diese ersten Ausflüge vor die Kamera zeigten bereits, dass Whitney großes Interesse an Filmdrehs hatte. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis sie sich höchst erfolgreich als richtige Schauspielerin versuchte.
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ls sich das Jahr 1985 dem Ende zuneigte, brach wie üblich die Zeit der Jahresrückblicke und Auszeichnungen in den Medien an. Wenn es in der Presse und in der Plattenindustrie um den größten Durchbruch der letzten zwölf Monate ging, fiel immer wieder ein Name: Whitney Houston. In kürzester Zeit hatte sie bei den Musikkritikern wie auch bei den Fans einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen. Das Branchenmagazin Billboard listete Whitney Houston in seinem Rückblick in gleich sechzehn verschiedenen Rubriken; sie wurde unter anderem zur „Besten neuen Pop-Sängerin“ und zur „Besten neuen schwarzen Sängerin“ gekürt. Anfang 1986 folgten dann die großen Preisverleihungen, und Whitney schien überall auf der Liste der heißesten Newcomer zu stehen. Am 27. Januar erhielt sie zwei American Music Awards, einmal in der Kategorie „beliebteste Video-Single im Bereich Soul/R&B“ für „Saving All My Love For You“ und in der Kategorie „beliebteste Single im Bereich Soul/R&B“ für „You Give Good Love“. Dann folgte die Jahresbestenliste im Rolling Stone. Dessen Leser wählten Whitney Houston zur besten Newcomerin des Jahres 1985. Und anschließend stand die renommierteste Preisverleihung an: die Grammy Awards. Im Januar 1986, als die Nominierungen für die 28. Grammy-Verleihung bekannt gegeben wurden, wurde LaLa als Songwriterin von „You Give Good Love“ genannt, während Whitneys Name in drei Rubriken auftauchte: „Album des Jahres“, „Bester Pop-Song einer Sängerin“ und „Beste Rhythm & Blues-Soloaufnahme einer Sängerin“.
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In der Kategorie „Beste neue Künstlerin“ fehlte Whitney seltsamerweise. Stattdessen wurden hier A-Ha, Freddie Jackson, Katrina & The Waves, Julian Lennon und Sade genannt. Wie vorauszusehen war, bekam Clive Davis einen Wutanfall angesichts der Tatsache, dass sein großartiger neuer Schützling nach der ganzen Arbeit und Zeit, die er auf die Entwicklung von Whitneys Talent und Image verwandt hatte, in dieser Kategorie überhaupt nicht berücksichtigt worden war. Er schrieb einen zornbebenden Leitartikel für Billboard, der in der Ausgabe vom 18. Januar 1986 erschien und mit der Frage überschrieben war: „Was bedeutet ‚Newcomer‘ eigentlich wirklich?“ Denn die National Academy Of Recording Arts And Sciences, die jedes Jahr die Grammys vergibt, hatte erklärt, dass Whitney schließlich schon auf den Alben von Teddy Pendergrass und Jermaine Jackson aus dem Vorjahr zu hören gewesen war und sich so für die Kategorie „Newcomer“ disqualifiziert hatte. Der Artikel von Davis begann mit den Worten: „Wie kann es sein, dass eine Künstlerin von den Lesern des Rolling Stone zur ,Besten neuen Sängerin‘ gewählt, in Entertainment Tonight als ,Newcomerin des Jahres‘ ausgezeichnet und in Billboard als ,Beste neue Künstlerin‘ (sowohl im Bereich Pop als auch im Bereich R&B) gefeiert wird, dass sie weltweit fast vier Millionen Exemplare ihres Debütalbums verkauft hat und dennoch nicht als Kandidatin für die ,Beste Newcomerin‘ von der National Academy Of Recording Arts And Sciences in Betracht gezogen wird?“ Whitney selbst sah die ganze Aufregung recht gelassen, zuckte die Achseln und erklärte: „So was kann halt passieren.“ Für sie spielte es keine Rolle, dass sie nicht berücksichtigt worden war; ihr erschien es am wichtigsten, „mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen, ganz egal, wie groß diese ganze Sache wird“. Die Grammy-Verleihung kommentierte sie des Weiteren: „Wenn ich gewinne, dann gewinne ich. Natürlich ist das eine Ehre, aber ich werde mich deswegen nicht anders fühlen als vorher. Ich komme mir wirklich ein bisschen vor wie Aschenputtel, nachdem sie den Prinzen getroffen hat. Für mich ist das alles sehr aufregend.“ Die Grammy Awards Show fand am 25. Februar 1986 statt, und als die Nominierungen in der Kategorie ,Bester Pop-Song einer Sängerin‘ verlesen
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wurden, war es Whitneys berühmte Cousine Dionne Warwick, die den Preis überreichte. Als sie den Namen der Gewinnerin vorlas, strahlte sie über das ganze Gesicht: Whitney wurde für „Saving All My Love For You“ ausgezeichnet. Sie hatte sich gegen Madonna („Crazy For You“), Linda Ronstadt (mit dem Album Lush Life), Pat Benatar („We Belong) und Tina Turner („We Don’t Need Another Hero“) durchgesetzt. Als Whitney auf die Bühne kam, um den Preis in Empfang zu nehmen, umarmte sie Dionne und dankte „Gott, der mir all das ermöglicht hat“ sowie ihren Eltern, die sie „die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben“ nannte. Am 8. März 1986, ein Jahr, nachdem das Album in die Billboard-Charts eingestiegen war, erreichte Whitney Houston endlich Platz 1 in den USA. Es hatte eine Weile gedauert, aber mit einem Nummer-Eins-Album, einem Grammy und zwei American Music Awards in der Tasche war die kleine Nippy tatsächlich ganz oben angekommen. Sie zählte nun zu den angesagtesten Sängerinnen des Jahres, und ihr Aufstieg war noch lange nicht zu Ende. Die nächste Ehrung fand direkt bei ihr zuhause statt, in ihrer Heimatstadt Newark im US-Bundesstaat New Jersey. Bei einem Galakonzert im April 1986 bekam Whitney von Bürgermeister Kenneth Gibson die Schlüssel der Stadt überreicht. Da ihr Vater John Houston in der Stadtverwaltung arbeitete, kannte sie Gibson bereits und war auch schon des Öfteren im Rathaus gewesen. Dennoch erklärte sie: „Jetzt ist es ein ganz anderes Gefühl – denn jetzt habe ich die Schlüssel!“ In der ersten Jahreshälfte 1986 ging es mit dem Album Whitney Houston weiterhin in astronomischer Geschwindigkeit aufwärts. In den USA zeichnete die Record Industry Association Of America (RIAA) das Album mit Sechsfach-Platin aus, nachdem es sich auf dem heimischen Markt sechs Millionen Mal verkauft hatte. Inzwischen war es das meistverkaufte Debütalbum der Musikgeschichte. Nachdem die Platte die Spitzenposition der Billboard-Charts erklommen hatte, verharrte Whitney Houston phänomenale vierzehn Wochen auf diesem Platz. Diesen Rekord hatte bisher nur eine Sängerin übertroffen: Carole King mit ihrem Album Tapestry.
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Whitneys Leben hatte inzwischen so viel Fahrt aufgenommen, dass es ihr beinahe selbst schwerfiel, damit Schritt zu halten. Zunächst sah es so aus, als hätte sie alles im Griff. Sie war fest entschlossen, unbeeindruckt von ihrem Erfolg derselbe Mensch zu bleiben wie früher. Von außen wirkte sie weiterhin selbstbewusst und bodenständig, und sie gab sich alle Mühe, bescheiden aufzutreten: „Bei den ersten paar Millionen denkst du nur: ‚Herr Jesus, ich danke dir!‘ Wenn man eine Platte macht, dann will man ja auch, dass die Leute diese Platte kaufen, das ist ja klar. Jeder, der behauptet, er mache eine Platte, weil er sich kreativ ausleben wolle, ist ein verdammter Lügner. Sie wollen alle verkaufen. Und als es dann weiterging, und das tat es ja, versuchte ich ganz bescheiden zu bleiben. Ich lief nicht herum und tönte: ‚Hey, ich habe dreizehn Millionen Platten verkauft, geile Sache, oder.‘ Meine Mutter hat mir immer eingebläut, Hochmut kommt vor dem Fall.“ Obwohl sie schon seit Jahren geschieden waren, als es mit ihrer Karriere so richtig losging, wurden Whitneys Eltern oft beide mit ihr gemeinsam fotografiert. Whitney zog nun bei ihrer Mutter aus und nahm sich eine eigene Wohnung in der Nähe. Um den neuen Erfolg zu feiern, gönnte sie sich einen schwarzen Mercedes. Davon abgesehen blieb sie einstweilen die zurückhaltende junge Frau, die sie vor dem großen Durchbruch gewesen war. Die meisten Beziehungen zu Freunden und Bekannten wurden von den Veränderungen nicht berührt, wie sie sagte. Es gefiel ihr jedoch nicht, dass sie von einigen plötzlich wie ein Star behandelt wurde. „Sie nennen mich nicht mehr Nippy, sondern Whitney“, berichtete sie. „Wenn ich sie besuche, werde ich wie eine Göttin behandelt. Dabei bin ich dieselbe wie noch vor fünf Jahren, habe immer noch dieselben moralischen Überzeugungen und Werte. Ich habe wesentlich mehr Geld und mehr zu tun, aber das ist auch schon alles.“ Die weltlichen Freuden, die ihr jetzt zunehmend offenstanden, übten dennoch einen gewissen Reiz auf sie aus. „Aufregend ist für mich, dass ich jetzt tun kann, was ich will, zum Beispiel reisen. Kürzlich bin ich in Europa gewesen, und Paris war echt das Größte! Ich war viel shoppen. Und es ist
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auch toll, für eine kleine Atempause in der Karibik entspannen zu können. Aber gleichzeitig fange ich auch an, selbst Songs zu schreiben.“ Ihre Wohnung, die in einem hellen Lila gestrichen war, nannte sie ihr „Lavendel-Apartment“. Es lag in Woodbridge, New Jersey, in unmittelbarer Nähe ihrer Eltern, und sie betonte: „Mir ist es sehr wichtig, meiner Familie nahe zu sein.“ Und Cissy fügte hinzu: „Einer ihrer Brüder, Gary Garland, singt in ihrer Show, der andere, Michael Houston, managt sie, von daher – ja, man könnte sagen, wir hätten sehr enge Familienbande.“ Whitney unterstrich das, indem sie erklärte: „Meine Eltern, die Liebe und Geduld und die Sicherheit, die sie uns vermittelt haben, waren für meine Karriere unglaublich wichtig. Gerade der Einfluss meiner Mutter ist sehr groß. Sie ist schon seit Jahren in diesem Geschäft, und daher bekomme ich von ihr professionelle Unterstützung und mütterlichen Rat. Im letzten Jahr hat mein Vater darauf gedrängt, dass ich mich mehr mit der geschäftlichen Seite meiner Karriere auseinandersetze.“ Darüber hinaus sagte sie: „In diesem Geschäft gehen die Leute manchmal viel zu schnell vor. Ich versuche daher, ganz langsam zu machen. Manchmal, wenn man in eine Richtung geht, wollen dich die Leute in eine andere drängen. Ich habe acht Jahre gebraucht, um dorthin zu kommen, wo ich heute bin. Ich bin schon viel länger im Geschäft, als die Leute denken, viel länger, als ich der Öffentlichkeit bekannt bin. Es kommt allerdings in diesem Geschäft auf Langlebigkeit an, und daher hoffe und bete ich, dass ich in zwanzig Jahren noch immer da sein werde, dass ich noch lebe und immer noch singe.“ Allerdings mehrten sich allmählich die ersten Anzeichen, dass der Stress einen gewissen Tribut forderte. 1986 erklärte Whitney: „Bei den Konzerten in diesem Sommer habe ich bewusst drauf geachtet, nur vier Tage in der Woche zu verplanen. Ich brauche Zeit für mich selbst. Da muss ich dann nicht unbedingt irgendwas Großes machen – vielleicht putze ich einfach nur die Wohnung oder gehe spazieren. Ich brauche das. Auf Tour habe ich so viel Spaß mit der Band, wir lachen und albern bei den Soundchecks herum, und meine Assistentin sagt dann immer, ich solle aufhören, weil ich meine Stimme sonst so stark strapaziere. Ich glaube allerdings,
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wenn ich diesen Spaß nicht hätte, dann könnte ich die Touren gar nicht machen.“ Sie hatte bereits einmal erlebt, dass sie ihre Stimme verlor und wegen einer Halsentzündung nicht singen konnte. „Eines Abends in Los Angeles haben wir es wohl übertrieben“, erklärte sie, „und am nächsten Morgen brachte ich kein Wort heraus. Schließlich war ich total panisch und rief Dionne an. Ihr Arzt sagte mir, dass ich eine ganze Woche lang nicht singen dürfte. Ich musste ein Konzert absagen, was mir total unangenehm war. Ich kam mir sehr unprofessionell vor, obwohl das ja nicht gespielt war. Es war die schlimmste Nacht meines Lebens.“ Am 4. Juli 1986 feierte Amerika mit dem Liberty Weekend den hundertsten Geburtstag der Freiheitsstatue im Hafen von New York, und Whitney Houston zählte zu den Stars, die für die große Galavorstellung ausgewählt worden waren, die auch im Fernsehen übertragen wurde. Im Liberty Park von Jersey City, gegenüber von New York und im Schatten der Fackelträgerin aus Kupfer, sang Whitney ihren Nummer-Eins-Hit „Greatest Love Of All“. Wie sie bei dieser Veranstaltung erklärte, war ihr der Song persönlich sehr wichtig, vor allem wegen der Botschaft, die er transportierte: „Ich wurde nur wenige Meilen von hier entfernt in Newark, New Jersey geboren. Für mich war das letzte Jahr ganz wundervoll, und dass ich an diesem phantastischen musikalischen Abend teilnehmen kann, ist sozusagen die Krönung. Als die jüngste Sängerin bei dieser Veranstaltung möchte ich einen ganz besonderen Song singen, der, wie ich glaube, uns allen etwas vermitteln kann, vor allem den jungen Leuten dort draußen. Die jungen Menschen in diesem Land müssen diesen Song hören und begreifen, dass es darum geht, sich selbst zu lieben. Wenn man sich selbst lieben kann, mit all seinen Stärken und Schwächen und Fehlern, dann ist das die größte Liebe, die es gibt. Das ist die Botschaft.“ Ihre Interpretation von „Greatest Love Of All“ bei der Jubiläumssendung zu Ehren der Freiheitsstatue beeindruckte die Zuschauer so tief, dass sie auch dafür eine Auszeichnung erhielt: Im August 1986 überreichte man ihr einen Emmy Award für den überragendsten Soloauftritt in einem Showprogramm. Es hatte den Anschein, als könne ihr nichts misslingen. Sie sprach sich öffentlich gegen Drogen aus, betonte
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immer wieder, wie sehr sie ihre Eltern liebte und sang voller Leidenschaft patriotische Songs. Sie war eine blitzsaubere und wohlanständige PopIkone, die jedem zu gefallen schien. Zu diesem Zeitpunkt war ihr Image genauso entscheidend wie ihr Talent als Sängerin. Damals sprach man auch viel über Whitney Houstons Rolle als Vorbild für junge Frauen. Barbara Shelley, die Leiterin der Presseabteilung Arista, sagte 1986: „Dionne Warwick, Whitneys Cousine, war und ist ein Vorbild für die jungen schwarzen Frauen in diesem Land, die in den letzten zwanzig Jahren aufwuchsen. Dionne ist eine gebildete, kultivierte und äußerst talentierte Frau, deren Persönlichkeit sich über alle Rassenschranken hinwegsetzt, und die damit die Tür für schwarze Frauen in den USA weiter aufstößt. Für die folgende Generation wird Whitney Houston sicherlich ein ebenso wichtiges Vorbild sein, und zwar nicht nur für die nächste Generation schwarzer junger Frauen, sondern für alle Mädchen und Frauen, die jetzt heranwachsen, schon allein wegen der hervorragenden Leistungen, die sie sich vorgenommen und auch erreicht hat. Es ist doch phänomenal, dass zwei Frauen aus derselben Familie, die zwei verschiedenen Generationen angehören, einen solchen Eindruck in der Welt hinterlassen konnten!“ Whitney selbst war allerdings mit ihrer Vorbildfunktion nicht hundertprozentig im Reinen. Wie sie selbst sagte, war sie „nicht wild darauf, dass mich die Leute als Vorbild betrachten“. Stattdessen hielt sie für ihre Altersgenossinnen diesen Rat parat: „Bevor ihr euch auf etwas einlasst, überprüft, welche Folgen es hat. Lasst euch Zeit. Ihr seid jung und solltet Spaß haben. Aber setzt euch Ziele. Macht nicht nur das, was alle machen. Ich wollte nie wie die anderen sein. Ich wollte immer individuell sein und eine ganz einzigartige Perspektive haben.“ Damals betrachtete sie sich als „gutes Mädchen“, das mit dem wilden Leben nichts am Hut hatte. „Manche meiner Freunde haben sogar Drogen genommen, aber davon habe ich mich ferngehalten, weil ich so etwas nicht brauche; ich bin von Natur aus high. Ich wollte nicht, dass Drogen Teil meines Lebens sind, weil ich weiß, dass sie dich letztlich kaputtmachen. Drogen töten dich psychisch und körperlich. Du stirbst auf die eine oder
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die andere Weise.“ Eine vor allem hinsichtlich dessen, was in späteren Jahren noch geschehen sollte, recht erstaunliche Aussage. Über ihre religiösen Überzeugungen sagte sie: „Ich glaube an den allmächtigen Gott. Meine Eltern haben mich so erzogen, dass ich viele der Dinge, die andere in meiner Umgebung tun, nicht benötige. Wenn man in Gott ruht, kann man vielen Verlockungen widerstehen. Gebete helfen dabei sehr.“ Mit solchen Äußerungen pflegte sie das Image des grundanständigen, soliden amerikanischen Mädchens, das regelmäßig zur Kirche ging. Dennoch fand die blitzsaubere Whitney jener Zeit auch in der Rockund Pop-Welt ihre Fans. Am 15. September 1986 präsentierte sie bei den dritten MTV Video Music Awards den Song „How Will I Know“ und gewann für diesen Titel den MTV Award in der Kategorie „Bestes Video einer Sängerin“. Im November 1986 reiste Whitney nach England, wo sie ihre ersten Konzerte in Europa gab. Alle britischen Shows waren ausverkauft, die Tour wurde ein riesiger Erfolg. Kenneth Reynolds, der bei Arista für Whitney zuständig war, erklärte 1986: „Zum jetzigen Zeitpunkt ihrer Karriere ist es ein logischer Schritt, sich dem Filmgeschäft zuzuwenden, man muss sich nur mal ihre Performance in den Cola-Light-Werbeclips ansehen. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber gerüchteweise hat sie für Bob Fosses Musical Big Deal am Broadway vorgesprochen, und ihre Vertreter haben sich schon mit Fosse unterhalten. Nun ja, man weiß ja, wie es sich in diesem Geschäft mit Gerüchten verhält, aber angeblich ist sie dauernd in Kalifornien und spricht mit wichtigen Produzenten und Regisseuren. Von daher bin ich sicher, dass sie als nächstes zum Film gehen wird.“ Nun, da Whitney über Nacht die große Sensation und ein Star geworden war, wollte natürlich auch die ganze Welt etwas über ihr Liebesleben erfahren. Wenn man ihr selbst Glauben schenkte, dann gehörte ihre ganze Liebe damals allein dem Türkisch-Angorakater Misti Blue, der als einziges anderes Wesen die Wohnung mit ihr teilte. Sie erklärte: „Er ist im Augenblick der einzige Mann in meinem Leben.“ Und sie fügte hinzu: „Ich habe jetzt gerade gar nicht die Zeit, die man braucht, um eine Beziehung so zu
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pflegen, wie ich das von mir selbst erwarten würde, und ich würde nie versuchen, etwas anzufangen, wenn mir diese Zeit fehlt. Davon abgesehen würde ich mir dauernd Sorgen darüber machen, was er denkt, wenn ich weg bin. Meine Zeit geht so sehr für mich drauf, dass es sehr selbstsüchtig wäre, wenn ich etwas mit jemandem anfinge, bloß um dann zu sagen: ‚Hey, jetzt muss ich weg!‘“ Nach ihrer Familienplanung gefragt, erklärte sie: „Ich würde sehr gern Kinder haben, und ich weiß, dass ich eines Tages auch Karriere und Ehe verbinden kann, aber ich glaube, noch habe ich nicht die nötige Erfahrung dazu.“ Dennoch kursierten im Musikgeschäft bereits erste Gerüchte, der wahre Grund, weshalb es keinen Mann in ihrem Leben gab, läge darin, dass sie sich überhaupt nicht für Männer interessierte. Man erzählte sich von nächtlichen Partys, bei denen nur Frauen zugegen waren, und angeblich hatte sie auch verlangt, dass ihre Limousinen einzig und allein von Frauen chauffiert würden. Doch momentan konzentrierte sie sich hauptsächlich auf ihre Karriere und erklärte: „Es gibt noch so viel, was ich erreichen möchte, und so viele talentierte Menschen, mit denen ich arbeiten möchte. Eines Tages würde ich zum Beispiel gern eine Gospel-Platte machen und zusammen mit meiner Mutter und Dionne am Mikrofon stehen.“ Bei den Live-Auftritten fand sie erst allmählich ihren eigenen Stil. Über ihre Konzerte sagte sie: „Ich glaube nicht, dass man von mir eine bestimmte Vorstellung hat. Bei jeder Show kann ich spüren, dass es im Publikum Leute gibt, die sich fragen: ‚Wer ist dieses dünne Mädchen mit den dünnen Beinen, die so mächtige Töne von sich gibt?‘“ Nach der Veröffentlichung ihres ersten Albums sagte der Perkussionist Bashiri Johnson über Whitney: „Sie ist sehr konzentriert, und sie hat etwas von einer Katze – von einem Panther. Ein Panther greift nur dann an, wenn er nicht anders kann, aber dann schlägt er ausgesprochen kraftvoll zu. So ist es auch mit ihr. Sie hat so viel Kraft und ist so beeindruckend, aber sie hält das alles gut unter Verschluss. Sie hat sich ganz unter Kontrolle. Whitneys familiärer Background ist der Grund dafür, dass sie sich so professionell und aufrecht gibt.“
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Über die Art, wie Whitney die ersten Erfolge wegsteckte, sagte Bashiri: „Sie macht das sehr gut und lässt sich nicht von den Ereignissen überrollen. Sie macht den Eindruck, als hätte sie alles im Griff. Sie sorgt beispielsweise dafür, dass sie genug Ruhe bekommt und achtet auf ihre Gesundheit. Sie hat im Gegensatz zu vielen anderen Musikern keine Laster, und daher kann sie gut auf sich aufpassen. Ihre Gesundheit ist ihr sehr wichtig. Ihr Terminplan ist manchmal vielleicht etwas hektisch, aber sie wird lernen, es langsamer angehen zu lassen.“ Als das zweite Album erschien, bewegte sie sich allerdings schon in Überschallgeschwindigkeit. Die Aufnahmesessions für die neue Platte hatten bereits begonnen. Es dauerte nicht lange, bis sie die Belastungen zu spüren begann, die sich durch den schnellen Ruhm ergaben.
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hitney Houstons Weg blieb auch 1987 von Auszeichnungen und Ehrungen gepflastert. Man beglückwünschte sie zu den großen Erfolgen in den Charts, im Fernsehen, im Radio. Am 26. Januar räumte sie bei den American Music Awards mächtig ab: Sie sicherte sich die Preise in den Kategorien „Beliebteste Pop/Rock-Sängerin“, „Beste Pop/Rock-LP einer Solokünstlerin“ (Whitney Houston), „Beliebteste Soul/R&B-Sängerin“ und „Beliebtestes Soul/R&B-Video einer Sängerin“. Außerdem kürte der Rolling Stone ihr Debütalbum zum besten Album des Jahres. Am 24. Februar 1987 trug Whitney ihren Hit „Greatest Love Of All“ bei der 29. Grammy-Verleihung vor, die im Shrine Auditorium in Los Angeles stattfand. Im April trat sie in der Schweiz beim renommierten Montreux Jazz Festival auf. Die Arbeiten an ihrem zweiten Album waren währenddessen schon fast abgeschlossen. Wie Whitney selbst erzählte, waren die Aufnahmen wesentlich leichter und angenehmer verlaufen als bei der ersten Platte. Das lag zum Teil daran, dass sie größtenteils mit denselben Produzenten arbeitete. „Es war, als ob man nach Hause käme, zu alten Freunden“, sagte sie. „Jeder der Produzenten war jetzt lockerer und persönlicher. Seit der ersten Platte waren wir uns alle ein großes Stück näher gekommen.“ Das Album Whitney erschien 1987 und war wesentlich druckvoller als der Vorgänger, entfernte sich aber generell nicht allzu weit von dem erprobten Erfolgsrezept. Auf dem knackigen Dance-Hit „I Want To Dance With Somebody“, der das Album eröffnete, klang die junge Diva bei ihrer Suche nach einem romantischen Tanzpartner höchst energiegeladen.
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Anschließend wurde das Tempo erst einmal wieder langsamer, denn nun folgte eine klassische Whitney-Ballade, „Just The Lonely Talking Again“, ein langsamer, gehauchter Love Song. Beide Titel produzierte Narada Michael Walden, der hier ein besonderes Händchen dafür offenbarte, die lockere, verspielte Whitney ebenso musikalisch passend einzurahmen wie die melancholische. Der einzige neue Produzent auf dem Album war John Jellybean Benitez, der das schwungvolle „Love Will Save The Day“ mit seinem exotischen Disco-Flair versah. Benitez hatte sich mit der Produktion von Madonnas erstem Nummer-Eins-Hit in den USA, „Holiday“, einen Namen gemacht. Er war zunächst als Star-DJ in der New Yorker Diskothek The Funhouse bekannt geworden und hatte sich schließlich zum international erfolgreichen Dance-Produzenten entwickelt. Dieser Song war mit Abstand schillernder und gelöster als alle anderen auf der Platte. Die bewegendste und ergreifendste Ballade produzierte jedoch Michael Masser mit dem packenden „Didn’t We Almost Have It All“. Als das Lied erschien, dachte man dabei wohl am ehesten an eine gescheiterte Beziehung. Jahre später jedoch, nachdem Whitney von den Höhen des Starolymps gestürzt war, wirkte es plötzlich wie ein Klagelied über den Verlust von weit mehr als nur der Liebe eines Menschen. Damals, 1987, waren solche Balladen Whitneys Markenzeichen. Die gefühlvolle Interpretation, das gesangstechnische Feuerwerk, das sie hier abbrannte, sorgten für eine Aufnahme, die jedem Hörer Schauer über den Rücken laufen ließ. „So Emotional“ wiederum war eine druckvolle Rocknummer, die auch gut zu Pat Benatar oder Madonna gepasst hätte. Whitney gelang es jedoch, dieser dynamischen Melodie ihren ganz eigenen Stempel aufzudrücken, als sie von den schockierenden Dingen sang, zu denen die Liebe einen Menschen bringen kann. „Where You Are“ war Kashifs einziger Beitrag zu dieser Platte und gleichzeitig der wohl lockerste und am wenigsten dramatische Song. Es ist allerdings einer jener Titel, der wächst, je öfter man ihn hört, und war ein gutes Beispiel für den „ruhigen Sturm“, der damals bei jenen amerikanischen Radiosendern sehr beliebt war, die sich dem Format „urban contemporary“ verschrieben hatten, dessen Schwerpunkt bei aktuellen R&B-Songs lag.
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Bei den flotteren Titeln vermittelte Whitney erfolgreich das Gefühl, im Studio wirklich Spaß gehabt zu haben. Zu den herausragenden DanceSongs zählte zweifelsohne „Love Is A Contact Sport“, bei dem, unterlegt von pulsierenden Rhythmen, der lustige Vergleich zwischen Liebe und Sport gezogen wurde. Bei „You’re Still My Man“ handelte es sich um eine weitere gefühlvolle Ballade von Michael Masser, die Whitney offenbar sehr zu liegen schien. Ebenso gut meisterte sie die Neuauflage des jazzigen „For The Love Of You“, das ursprünglich von den Isley Brothers stammte. „Where Do Broken Hearts Go“ wiederum war eine perfekte, samtige und glatte Ballade, die Whitney hervorragend interpretierte. In diesem wundervollen Song ging es um eine verlorene Liebe, die nach einer Versöhnung wieder aufflammt, und die Sängerin legte all ihr musikalisches Können in diese dramatische Aufnahme. Die meiste Furore machte jedoch der Song „I Know Him So Well“. Er stammte aus der Feder von Tim Rice und den beiden ABBA-Songwritern Björn Ulvaeus und Benny Andersson, die ihn für das Musical Chess geschrieben hatten, und er bot Whitney eine hervorragende Plattform für ein Duett mit ihrer Mutter Cissy. Im Musical wird dieser Song von zwei Frauen gesungen, von denen die eine die Ehefrau, die andere die Geliebte desselben Mannes ist. Hier jedoch schienen Whitney und Cissy über einen fernen Ehemann und Vater zu sprechen. Nachdem in der Presse so oft darüber geschrieben worden war, dass Cissy ihre herausragende Stimme in den letzten Jahren viel zu selten solo eingesetzt hatte, war es ein netter Zug von ihrer Tochter, dass sie hier das Rampenlicht mit ihrer Mutter teilte. „I Know Him So Well“ stellte nicht nur einen gelungenen, schillernden Schlusspunkt für das Album Whitney dar, es bot dem berühmten Mutter-Tochter-Gespann auch einen perfekten Rahmen, um die jeweiligen Gesangstalente voll auszureizen. „I Know Him So Well“ war denn auch der Song, den Whitney später als ihren Lieblingstitel auf dem Album bezeichnete: „Das ist einfach das Lied, das ich am meisten schätze. Ich finde sie alle großartig, aber dieses liegt mir besonders am Herzen.“ Um ihr glamouröses Image zu festigen, wurden das Coverfoto und die Aufnahmen, die im Innern des Klappcovers zu sehen waren, von dem
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berühmten Modefotografen Richard Avedon realisiert. Vorn war Whitney in einem schlichten, ärmellosen weißen Baumwoll-T-Shirt zu sehen, das sie gleichzeitig glamourös und jugendlich-lebendig wirken ließ. Auf den Innenfotos, die in Schwarzweiß gehalten waren, trug sie einen bodenlangen schwarzen Umhang und sah ganz und gar wie ein Top-Model aus. Die Bilder verstärkten das Funky-aber-chic-Image, das auch die Musik auf dem Album vermittelte. Die Kritiken für das neue Album fielen jedoch gemischt aus. Verschiedene renommierte Magazine bemängelten, es sei zu steif und berge zu wenig Überraschungen. Vince Aletti schrieb im Rolling Stone: „Beim ersten Hören gerät man leicht in Versuchung, Whitney Houstons neues Album als viel zu kalkuliertes, hohles Pop-Produkt abzutun, das derart von Professionalität erstickt wird, dass nur noch ein winziger Hauch von Soul verbleibt. Wenn man die Platte jedoch öfter hört, dann ist es kaum noch möglich, Whitney wieder aus dem Kopf zu bekommen. Das Patentrezept wird noch strenger befolgt als zuvor, und die Bandbreite ist so stark eingegrenzt, dass es den Eindruck macht, als hätte sich Houstons Potenzial eher verkleinert denn vergrößert.“ Ganz ähnlich urteilte Jon Parales in der New York Times: „Sie singt nach einer vorgegebenen Formel“, lautete bereits die Überschrift. „Ihre Produzenten – oder aber Miss Houston selbst – haben sehr großes Vertrauen in ihre Stimme. Statt Material zu finden (oder zu verlangen), das ihre Eigenständigkeit betont, gibt sich Miss Houston auf beiden Alben mit Pop-Formeln zufrieden, die für weniger talentierte Sängerinnen entworfen wurden – und bedient diese Formeln mit viel Eleganz und wenig Überzeugung. Selbst der Albumtitel passt zum Usus bei Arista, bei Sängerinnen gern den Nachnamen abzukoppeln – ‚Dionne‘, ‚Aretha‘, ‚Carly‘. Miss Houstons Gesang mit all seinen hervorragend gelungenen, aber willkürlichen Höhen und Tiefen hat eine ganz eigentümliche Unterströmung. Sie legt nahe, dass die Gefühle, von denen sie singt, nicht bis in ihr Innerstes dringen, sondern nur Worte sind, die dazu dienen, ihre Stimme zur Schau zu stellen. Ihre Produzenten haben die Emotionen hier viel zu sehr gedeckelt.“
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John Milward von USA Today hingegen fand die Platte großartig und schwärmte: „Whitney verbindet klassische Sounds mit Eleganz und Stil. Die Betonung liegt mehr auf dynamischeren Songs. Die große stilistische Bandbreite, die schon auf ihrem Debüt so hervorragend funktioniert hat, wurde hier beibehalten und schmälert den Hörgenuss keinesfalls. Whitneys Duett mit ihrer Mutter Cissy Houston („I Know Him So Well“) bietet einen faszinierenden Kontrast. Während Whitneys Stimme perfekt und souverän klingt, bringt ihre Mutter mühelos jede Note zum Schwingen.“ Der Erfolg des neuen Albums ließ sich durch die kritischen Stimmen nicht aufhalten. Die Platte war kaum veröffentlicht, da war sie bereits ein Verkaufsschlager. Begünstigt durch das enorm erfolgreiche Debüt wurde Whitney über Nacht ein Hit und war zudem das erste Album einer Sängerin, das je in den Billboard-Charts von Null auf Eins eingestiegen ist. Das war zuvor überhaupt nur drei Musikern gelungen: Bruce Springsteen, Elton John und Stevie Wonder. Noch in derselben Woche schoss die erste Single-Auskopplung „I Wanna Dance With Somebody“ auf den ersten Platz der Hot 100 von Billboard – es war zugleich ihr erster Nummer-Eins-Hit in Deutschland. In den USA konnte Whitney damit den fünften Nummer-Eins-Erfolg in Folge verbuchen. Damit spielte sie nun in derselben Liga wie die Supremes (fünf aufeinanderfolgende Hits), Elvis Presley (fünf), die Bee Gees (sechs) und die Beatles (sechs). Ab da wurde Whitney Houston in einem anderen Licht betrachtet. Sie hatte bereits eine Reihe von Rekorden gebrochen, obwohl sie Musikfans erst seit zwei Jahren überhaupt bekannt war. Selten zuvor hatte man eine Karriere so erfolgreich am Reißbrett geplant, um dann tatsächlich auch alle gesteckten Ziele zu erreichen. Dabei mangelte es nicht an Konkurrenz. Madonna war zweifelsohne rebellischer und wagemutiger. Tina Turner war auf der Bühne und auch im Studio wesentlich dynamischer und energiegeladener. Anita Baker übertraf Whitney deutlich, wenn es um die Fähigkeit ging, einem Song emotionale Tiefe zu verleihen und ihn sich ganz zu eigen zu machen. Und Cyndi Lauper klang auf ihren Aufnahmen wesentlich ausdrucksvoller. Dennoch zog Whitney in den Charts an ihnen allen vorbei.
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Das Album war kaum in den Läden, da brach die junge Diva des Pop und Soul auch schon zu einer Tournee auf, um das neue Material live vorzustellen und die enorme Nachfrage nach ihr zu befriedigen. Über den Sommer und bis in den Herbst hinein tourte Whitney durch die USA und galt dabei als einer der heißesten Acts, den es damals auf den Bühnen zu bewundern gab. Edna Gundersen von USA Today besuchte die Show in Columbia, Maryland und nannte die Sängerin in ihrer Kritik begeistert „The greatest voice of all“. Sie fuhr fort: „Wenn man ihre Stimme auf Flaschen zöge, bekäme man einen Zaubertrank, mit dem man Wirbelstürme aufhalten, Stahl schmelzen und Essig versüßen könnte. Whitney Houston stellt jede durchschnittliche Nachtigall in den Schatten. Die dreiundzwanzigjährige Sirene lässt das gelegentlich farblose Material und die etwas holprige Dramaturgie des Konzerts vergessen und liefert trotzdem eine der überzeugendsten Shows dieses Sommers ab. Einige Songs verweisen stilistisch auf ihre Cousine Dionne Warwick, und das lebhafte ‚Love Is A Contact Sport‘ ist zu stark an Aretha Franklin, eine gute Freundin der Familie, angelehnt. Aber der Großteil von Houstons Material ist eigenständig und individuell. Houston quetscht aus jeder Note das letzte Bisschen heraus und lässt ihre Fans kraft ihrer Stimmgewalt geradezu erbeben.“ Wenn die Presse darauf abhob, dass sie ein „Retorten-Star“ war, den Clive Davis und Arista am Reißbrett entworfen hatten, protestierte Whitney stets sofort aufs Schärfste. Dem Magazin Time sagte sie 1987: „Sie mussten bei mir doch gar nichts erfinden. Ohne Whitney Houston gäbe es keine ‚Whitney Houston‘.“ Im Juli 1987 schloss Arista Records einen auf zwei Jahre angelegten so genannten Development Deal mit TriStar Pictures ab, der dem Zweck diente, sich aktiv nach einem passenden Projekt umzusehen, in dem Whitney ihr Filmdebüt geben konnte, um sie als Schauspielerin aufzubauen. Während sie im Musikgeschäft einen Erfolg an den nächsten reihte, wurde in der Presse natürlich viel über ihr Privatleben spekuliert. Erstmals tauchte das Gerücht auf, dass sie eine Liebesbeziehung mit Robyn Crawford habe.
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Es war allgemein bekannt, dass Robyn nicht nur ihre Freundin war und als Assistentin auf ihrer Gehaltsliste stand, sondern auch ihre ständige Begleiterin war und mit ihr zusammenwohnte. Eine der Danksagungen in den Liner Notes zu Whitneys Debütalbum lautete: „Robyn, was bist du für eine phantastische Assistentin! Ich liebe dich, und ich glaube, du musst gar nicht mehr tun, als einfach Teil meines Lebens zu bleiben, Nip.“ Auf dem zweiten Album fand sich eine weitere Botschaft an Crawford: „Robyn, du bist meine Freundin, und du bist außerdem eine tolle Assistentin. Bleib stark, denn du bist ein Kind des allmächtigen Gottes und wandelst in seiner Liebe und in seinem Licht. Ich liebe dich, Whitney.“ Die Medien drängten Whitney verschiedentlich, eine Stellungnahme zu diesem Thema abzugeben, aber meist wich sie aus. „Nein, ich bin keine Lesbe“, erklärte sie einem Reporter. „Kerle, die so was über mich erzählen, sind genau die, die mich gerne flachlegen würden.“ Und verteidigend fügte sie hinzu: „Wieso müssen die Leute überhaupt immer alles wissen? Es muss doch noch ein paar Überraschungen geben.“ Sie versuchte, die Geschichte abzutun, indem sie sagte: „Ich tue wirklich ganz alltägliche Dinge in meinem Leben. Ich esse, schlafe, singe, spiele Tennis, spiele mit meinen Katzen. Es ist sehr wichtig für mich, allein zu sein, aber wenn ich mit Freunden zusammen bin, dann lache ich, mache Witze, albere herum – verhalte mich einfach ganz normal.“ Dennoch hielten sich die Gerüchte hartnäckig. In der Biografie Good Girl, Bad Girl hieß es, sowohl Whitney als auch Robyn hätten diese Gerüchte zumeist wie folgt kommentiert: „Die Leute, die nicht kapieren, was für eine Beziehung wir haben, können mich am Arsch lecken!“ Es war nun eine Sache, wenn die Regenbogenpresse und die Klatschkolumnen solche Vermutungen druckten, aber als das Time-Magazin die Angelegenheit recherchierte und Whitney deswegen in die Zange nahm, gehörte die Frage bald zum Standardrepertoire eines jeden Reporters. In der Time-Ausgabe vom 13. Juli 1987 wurde Whitney von Richard Corless interviewt und sprach von Robyn als der „Schwester, die ich nie hatte“. In dem Artikel hieß es, Robyn habe das Monmouth College vorzeitig verlassen, an dem sie ein Stipendium als Basketballerin bekommen hatte, und
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sei dann Whitneys Assistentin geworden. „Die Gerüchteküche behauptet, dass die beiden ein Liebespaar sind“, berichtete Corless. Beide Frauen stritten das vehement ab. Zunächst erklärte Robyn: „Meiner Familie habe ich gesagt: Auf den Straßen hört man immer so allerlei, aber solange ihr es nicht von mir hört, ist es nicht wahr.“ Whitney wurde noch deutlicher: „Meine Mutter hat mir beigebracht: Wenn du die Wahrheit weißt und jemand eine Lüge über dich erzählt, dann gehe nicht dagegen an. Ich habe keinen Freund. Ich bin nicht verliebt. Die Leute sehen mich zusammen mit Robyn und ziehen ihre eigenen Schlüsse. Überhaupt, wen geht es etwas an, ob man schwul oder lesbisch ist oder auf Hunde steht? Was andere Leute tun, sollte überhaupt keine Rolle spielen. Lasst die Leute reden. Mir macht es nichts aus, weil ich weiß, dass ich nicht lesbisch bin. Mir ist das egal.“ Allerdings sah es so aus, als ob es ihr doch etwas ausmachte – ziemlich viel sogar. Am 11. September 1987 trat Whitney bei den 4. MTV Video Music Awards auf, die aus dem Universal Amphitheatre in Los Angeles übertragen wurden. Soeben hatte ihre jüngste Single, die Ballade „Didn’t We Almost Have It All“, den ersten Platz der Billboard-Charts erreicht; in England kam die Single bis auf Platz 14, in Deutschland bis auf Platz 20. Währenddessen bekam das perfekte Image des höflichen, netten Mädchens von nebenan allmählich Risse. Als sie weiterhin von der Presse gedrängt wurde, intime Details aus ihrem Privatleben zu offenbaren, schoss Whitney des Öfteren ruppig zurück: „Ich schulde niemandem etwas, abgesehen von einem guten Gesangsauftritt.“ Angeblich brüskierte sie auch andere Prominente. In London war sie dem Culture-Club-Sänger Boy George begegnet, der später öffentlich erklärte: „Was für eine unhöfliche Kuh! Ich habe schon viele Mitglieder der königlichen Familie getroffen, unter anderem Prinzessin Diana. Aber nicht einmal der Hochadel würde andere Leute so von oben herab behandeln. Sie hat mir das Gefühl gegeben, als sei ich ein Nichts.“ Es gab Zeiten, in denen Whitney auch bei Konzerten ihr Publikum mit Verachtung strafte. Der Plattenproduzent Andrew Skurow berichtete: „Während ihrer Show in Las Vegas auf der I Want To Dance With Somebody-Tour konnte man deutlich sehen, dass Whitney am liebsten
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ganz woanders gewesen wäre. Sie sang ihre Songs herunter und lächelte nicht einmal. Die Leute warfen Rosen auf die Bühne und schrien ‚Whitney! Wir lieben dich!‘. Aber sie reagierte überhaupt nicht darauf, nicht einmal mit einem kleinen ‚Danke‘. Als sie schließlich von der Bühne ging, fingen einige Zuschauer an zu buhen.“ Völlig überraschend erwarb Whitney für zehn Millionen Dollar ein Anwesen in Mendham Township, New Jersey. Das Haus war von einem zwei Hektar großen Grundstück umgeben und bot ihr die Privatsphäre, nach der sie sich sehnte. Sie kaufte das Haus, ohne sich vorher mit ihrer Mutter abzusprechen, was einigen Quellen zufolge bei Cissy nicht besonders gut ankam. Zudem zog sie zusammen mit ihrer Freundin Robyn Crawford dort ein. Wie ein Insider berichtete, wäre es Cissy sehr recht gewesen, wenn Whitney etwas Abstand zu Robyn gehalten hätte. Sie mochte die junge Frau nicht und war nicht glücklich über die Beziehung der beiden – welcher Natur sie auch immer sein mochte. Allerdings war Robyn wohl ebenso entschlossen, in Whitneys Nähe zu bleiben, und offenbar wollte Whitney das auch – Ende der Diskussion. Während es hinter den Kulissen mächtig brodelte, gab sich Cissy alle Mühe, die besagten Gerüchte in einer Titelstory im Magazin US zu entkräften, die den Titel „Sorgen um Whitney“ trug. Cissy erklärte damals: „Whitney möchte gern heiraten und Kinder haben. Es ist nur eine Frage des richtigen Zeitpunkts und des richtigen Partners. Sie muss jemanden finden, der sie selbst liebt, nicht ihr Geld oder sonst etwas. Sie ist ein liebevolles, empfindsames Mädchen, und ich weiß, dass sie sich nach einem ganz normalen Leben sehnt. Aufgrund ihrer Situation wird es für sie nicht so leicht werden, das zu realisieren. Ich hoffe, dass es ihr gelingt. Und ich denke, dass sie das schafft. Sie hat eine sehr gute Menschenkenntnis.“ Hätte Cissy gewusst, welchen Mann Whitney später heiraten sollte, wer weiß, vielleicht hätte sie ihre Tochter damals vorsorglich ins Kloster gesteckt. 1987 gab die New York Daily News den Jahresverdienst der beliebtesten Künstler der damaligen Zeit bekannt. Madonna brachte es auf siebenundvierzig Millionen Dollar, während Whitney mit vierundvierzig
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Millionen nicht weit dahinter lag. Die beiden Pop-Diven hatten damit Michael Jackson überholt, der mit dreiundvierzig Millionen Dollar auskommen musste. Das Jahr 1988 begann für Whitney mit ihrem sechsten Nummer-EinsHit in Folge in den USA; in England erreichte „So Emotional“ Platz 5. Am 25. Januar heimste sie wieder einige American Music Awards ein, dieses Mal als „Beliebeste Pop/Rock-Sängerin“ und mit „I Wanna Dance With Somebody“ für die „Beliebteste Pop/Rock-Single“. Am 2. März wurde ihr vor einem hochkarätigen Star-Publikum bei den Grammy Awards der Preis als beste Sängerin im Bereich Pop für „Saving All My Love For You“ überreicht. Bei den 2. Soul Train Awards, die von den Machern der beliebten, gleichnamigen US-Fernsehshow veranstaltet wurden, erhielt das Album Whitney am 30. März die Auszeichnung als bestes Album einer Solokünstlerin. Im April 1988, als mit „Where Do Broken Hearts Go“ ihre nächste Single Platz 1 in den USA erreichte, brach Whitney den bisherigen Rekord für die meisten aufeinanderfolgenden Nummer-Eins-Hits, der bisher von den Beatles und den Bee Gees gehalten worden war. Inzwischen war sie längst nicht mehr nur das Pop-Sternchen, über das gerade alle redeten, sondern bewies, dass sie das Potenzial hatte, Pop-Geschichte zu schreiben. Im Juni 1988 war Whitney wieder einmal in London. „Where Do Broken Hearts Go“ war in Großbritannien bis auf Platz 10 gekommen, und sie gab nun fleißig Konzerte; am 11. Juni trat sie zudem als Headliner zu Ehren von Nelson Mandelas siebzigstem Geburtstag bei einer großen Show im Wembley Stadion auf. Die nächste Single, die aus Whitney ausgekoppelt wurde, „Love Will Save The Day“, brach schließlich die Erfolgsserie aufeinanderfolgender Nummer-Eins-Hits und kam in den USA lediglich auf Platz 9. Und auch der Nachfolger, „One Moment In Time“, schaffte es im Herbst in den USA nicht mehr an die Spitze, sondern erreichte Platz 5; dafür kam er sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland ganz nach oben. Der bewegende Song stammte von einem Arista-Album, das ebenfalls One Moment In Time hieß und von verschiedenen Künstlern anlässlich der Olympiade
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1988 veröffentlicht worden war. Die Compilation wurde in den USA mit Gold ausgezeichnet. Gleichzeitig wurde in der Musikszene weiter darüber gemunkelt, dass sie an einer Karriere als Schauspielerin arbeite, und sie gab zu: „Das Filmgeschäft ist ein aufregender Teil der Unterhaltungswelt, und ich glaube, ich könnte darin ganz gut sein.“ Seit der besagte Development Deal mit TriStar abgeschlossen worden war, zeigte sich Whitney allmählich von einer ganz neuen Seite. Hatte man sie zuvor als nettes, charmantes, religiöses und unkompliziertes Mädchen von nebenan porträtiert, war nun in den Klatschkolumnen immer öfter davon die Rede, dass es zwischen ihr und der egozentrischsten Diva aller Zeiten, Diana Ross, zum Austausch von allerlei Gehässigkeiten gekommen war. Diana Ross war in den frühen Siebzigerjahren in einer ganz ähnlichen Position gewesen wie Whitney. Mit ihrem ersten Film Lady Sings The Blues (1972) hatte sie sofort großen Erfolg gehabt, an den sie mit den folgenden Filmen, Mahogany (1975) und The Wiz – Das zauberhafte Land (1978), jedoch nicht anknüpfen konnte. Beide Projekte machten so große Verluste, dass ihre Filmkarriere ebenso schnell zu Ende ging, wie sie begonnen hatte. Von ihr sagte man außerdem, es sei sehr schwer, mit ihr zu arbeiten. Als bekannt wurde, das TriStar in Erwägung zog, Houston für die Filmversion des Musicals Dreamgirls zu verpflichten, war Ross mehr als erzürnt. Die Hauptfigur in dieser Geschichte war mehr als nur ein wenig an ihre eigene Persönlichkeit angelehnt, sodass Whitney gewissermaßen die Rolle der Soul-Diva gespielt hätte – eine Rolle, von der Ross ganz offenbar erwartet hatte, dass man sie ihr selbst anbot. Damit kam eine Fehde in Fahrt, die von der Regenbogenpresse mit Entzücken in allen Einzelheiten dokumentiert wurde. Einem Bericht zufolge erklärte Whitney hinsichtlich der Vorstellung, dass Ross die Hauptrolle in Dreamgirls übernahm: „Dann müssten sie den Film wohl in Dreamgrannies (DreamOmas) umbenennen – ich meine, ist sie nicht schon über fünfzig?“ Diana Ross war damals erst vierundvierzig Jahre alt.
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Sie hatte außerdem schon lange damit geliebäugelt, die Rolle der Josephine Baker in einem Biopic über die berühmte Tänzerin der 1920erJahre zu spielen. Allerdings wurde nie etwas daraus. Als dann bekannt wurde, dass TriStar den besagten Film eventuell mit Whitney realisieren wollte, sah Ross endgültig rot. Offensichtlich konnte sie es nicht verwinden, dass die beinahe zwanzig Jahre jüngere Whitney nun ausgerechnet jene zwei Rollen erhalten sollte, die sie so gern selbst gehabt hätte. Während der Schlagabtausch der beiden Diven durch die Presse ging, beschäftigten sich die Medien immer noch mit den Spekulationen über Whitneys Privatleben. Ihrem sorgsam aufgebauten Image als nettes kleines Mädchen zum Trotz sah man sie niemals mit einem Mann an ihrer Seite. Wenn sie sich bei einem Herrn untergehakt hatte, dann handelte es sich entweder um ihren Vater, einen ihrer Brüder oder um Clive Davis. Das Lesbengerücht war inzwischen bei jedem Presseinterview, das sie gab, zur lästigen Standardfrage geworden. Schließlich beschloss Whitney, sich öffentlich demonstrativ in männlicher Begleitung zu zeigen, um die Gerüchte ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen. Sie ging einige Male mit dem Schauspieler Eddie Murphy aus. Presseberichten zufolge wurde sie mit dem Baseballer Darryl Strawberry, dem Schauspieler Arsenio Hall und sogar mit Prince in Verbindung gebracht. Angeblich interessierte sich auch Robert DeNiro für sie, wobei Whitney schnell klarstellte, dass sie nicht im Geringsten in den Schauspieler verliebt sei. Bevor sie sich mit Bobby Brown einließ, wurde sie des Öfteren mit dem Footballer Randall Cunningham gesehen. Allerdings beteuerte sie auch hier: „Wir sind nur Freunde! Wir haben keine intime Beziehung, keine Romanze. Irgendwie wollen die Leute mich dauernd mit irgendjemandem verkuppeln.“ Während die Presse weiterhin über Whitneys Liebesleben spekulierte, war ihre Karriere fast schon zum Selbstläufer geworden. Am 30. Januar 1989 gewann sie erneut zwei American Music Awards, diesmal als „Beliebteste Soul/R&B-Sängerin“ und als „Beliebteste Pop/Rock-Sängerin“. Am 22. Februar präsentierte sie ihren Olympia-Hit „One Moment In Time“ bei den 31. Grammy Awards, deren Verleihung im Shrine Auditorium in Los Angeles stattfand.
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In jenem Jahr veröffentlichte Aretha Franklin ihr Soloalbum Through The Storm. Drei Tracks auf dieser Platte hatte Narada Michael Walden produziert, mit dem auch Whitney häufig arbeitete. Franklin sang für das Album Duette mit James Brown und Elton John ein und war auf einem Song zusammen mit den Four Tops und Kenny G. zu hören. Da lag es nahe, auch einen Song mit Whitney aufzunehmen. Es wurde ein amüsanter Zickenkrieg, in dem sich zwei Frauen um ein und denselben Mann streiten – „It Isn’t, It Wasn’t, It Ain’t Never Gonna Be“ strotzte vor spaßig-bissigen Bemerkungen und vor Energie, und ganz offensichtlich hatten die beiden Sängerinnen dabei jede Menge Spaß. Die Single kam bis auf Platz 41 in den USA und erreichte Platz 29 in Großbritannien. Doch eines der interessantesten Ereignisse des Jahres war zweifelsohne, dass Whitney Houston Bobby Brown kennen lernte. Offenbar begegneten sich die beiden bei der Verleihung der Soul Train Awards zum ersten Mal. Brown sagte: „Es war Liebe auf den ersten Blick. Sie hatte einige Tage später Geburtstag und wollte eine Party geben, und dazu lud sie mich ein. Anschließend gingen wir öfter miteinander aus.“ Wer hätte geahnt, dass dieses Treffen einen so großen Einfluss auf ihre spätere Karriere haben würde. Als sich die Achtzigerjahre dem Ende zuneigten, erzählte man sich, dass sie kurz davor stand, ihr Filmdebüt zu geben und in zwei Filmen an der Seite von Robert DeNiro beziehungsweise von Eddie Murphy aufzutreten. Keines der beiden Projekte wurde je realisiert. Davon abgesehen arbeitete sie bereits mit Volldampf an ihrem dritten Album für Arista.
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ls die Neunzigerjahre begannen, war Whitney intensiv mit der Arbeit an ihrem nächsten Album beschäftigt. Wie inzwischen üblich sammelte sie währenddessen immer noch zahlreiche Auszeichnungen ein. Am 30. Mai 1990 erhielt sie den Hitmaker Award von der Songwriters Hall Of Fame. Bei der Verleihung im New Yorker Hilton Hotel war sie zudem unter den Moderatoren und durfte Smokey Robinson für seine Leistungen als Songwriter in der Hall Of Fame willkommen heißen. Am 3. Oktober zählte Whitney zu den Stars, die an den Feierlichkeiten zum National Children’s Day im Weißen Haus in Washington teilnahmen. Und am 19. Oktober war sie erneut in New York, wo sie bei einer Gala in der Radio City Music Hall eine Auszeichnung der Zeitschrift Essence erhielt. Das neue Album und der nächste Single-Hit erschienen im Herbst 1990 und wurden vom üblichen Presserummel begleitet. I’m Your Baby Tonight orientierte sich stark an den beiden, inzwischen mit Mehrfach-Platin ausgezeichneten Vorgängern. Es enthielt allerdings auch ihre erste Zusammenarbeit mit den Produzenten L.A. Reid und Babyface, die in den folgenden Jahren eine Reihe von Hits für die Sängerin schmieden sollten. Der Titeltrack, eine etwas härtere, energiegeladene Dance-Nummer, zeigte als erster Song, dass sie noch immer hervorragend bei Stimme war und äußerst kraftvoll und jugendlich-frisch klang. „My Name Is Not Susan“, der nächste Titel, zählt zu den rassigsten schnelleren Songs, die Whitney je eingespielt hat, und offenbar konnte sie sich ganz und gar in den Text hineinversetzen. Er handelt davon, dass ihr Geliebter zufällig den Namen „Susan“ ausgesprochen hat, und eine recht
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erregte und sehr entschlossen klingende Whitney zeigte mit aller Gesangskraft, was sie davon hielt. Davon abgesehen hatten Reid und Babyface den lockeren Funk-Abschiedssong „Anymore“ produziert, in dem Whitney selbstbewusst und gelassen davon berichtete, wie sie sich von einem Geliebten trennte, und außerdem den Song „Miracle“ komponiert, eine traurige Ballade, in der die Sängerin sich wieder dem Liebesleid widmete. Narada Michael Walden und Michael Masser waren die einzigen beiden Produzenten, die an allen drei ersten Whitney-Alben beteiligt waren. Walden steuerte hier das prickelnde, sehnsuchtsvolle „All The Man That I Need“, das rhythmische „I Belong To You“ und die Mid-Tempo-Nummer „Lover For Life“ bei. „All The Man That I Need“ war 1982 bereits ein Hit für Sister Sledge gewesen. Masser hingegen brachte das langsame, romantische „After We Make Love“ mit. Zwei der bemerkenswertesten Songs dieser Platte stammten von den Gastproduzenten Luther Vandross und Stevie Wonder. Wonder schrieb und produzierte „We Didn’t Know“, eine Ballade, die er zudem im Duett mit Whitney einsang. Seine Stimme setzte einen funkelnden Akzent neben Whitneys ausdrucksvolle Darbietung. Luther Vandross, der in den Achtzigern für Arista bereits Alben von Aretha Franklin und Dionne Warwick betreut hatte, verlieh dem überschäumenden „Who Do You Love“ ein typisch dynamisches Gewand, und Whitney sang voller spürbarer Energie. Wie bei vielen seiner Produktionen griff Luther auch hier auf Cissy Houston zurück, die ganz offensichtlich zu seinen liebsten Backgroundsängerinnen zählte und diesem Titel mit ihrer unverkennbaren Präsenz deutlich ihren Stempel aufdrückte. Beim letzten Song auf dem Album, „I’m Knocking“, versuchte sich Whitney zum ersten Mal selbst als Produzentin und setzte sich mit Rickey Minor zusammen persönlich ans Mischpult. Der freche, rockige Titel zeichnete sich durch ein nüchternes Arrangement und ein knackiges Tempo aus, und Whitney klang äußerst locker und spontan. Ihr letztes Album lag drei Jahre zurück, und sie räumte ein, dass sie zwischenzeitlich eine Auszeit genommen hatte. Nach vier Jahren unentwegter Arbeit im Rampenlicht hatte sie eine kurze Pause gebraucht. „Ich
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denke, das Publikum hatte auch genug von mir – genau wie ich selbst.“ Wie sie sagte, hatte sie viel Zeit damit verbracht, einfach zuhause abzuhängen. „Nur, um mich selbst wieder kennen zu lernen.“ Sie stellte außerdem klar, dass sie nicht die geringste Absicht hegte, nach Hollywood oder Manhattan zu ziehen. „Bei meiner Familie in New Jersey kann ich immer noch ich selbst sein. Ich liebe das Musikgeschäft, aber das ist nicht mein Leben. Hier habe ich die Möglichkeit, mal auszugehen oder im Einkaufszentrum zu bummeln. Die Leute fallen nicht über mich her. Für mich ist es wichtig, weiter Mensch zu bleiben. Alle halten mich für einen Superstar, aber ich weiß, was wirklich läuft.“ Doch inzwischen stöberte nicht nur die Presse in ihrem Privatleben herum, auch einige Komiker begannen, sich über sie lustig zu machen. In der satirischen Show In Living Color lästerte man in einem Sketch darüber, sie sei „zu weiß“. Whitney erklärte verteidigend: „Wenn ich singe, dann denke ich nicht darüber nach, ob die Musik jetzt schwarz oder weiß ist. Ich singe Songs, die allen gefallen.“ Auch für I’m Your Baby Tonight zeichnete Clive Davis wieder als leitender Produzent verantwortlich, was bedeutete, dass er jeden Aspekt der Songs und auch der Präsentation genau kontrollierte. Whitney wies jedoch gern darauf hin, dass sie keine Scheu hatte, ihre eigene Meinung zu sagen. „Ich könnte doch nicht einfach dasitzen und mich zurückhalten. Ich hatte immer Einfluss auf die Songs, die ausgewählt wurden, ebenso wie auf die Konzepte der Videos und auf meinen Look.“ Die erste Single aus dem neuen Werk, „I’m Your Baby Tonight“, erreichte im Oktober 1990 in England Platz 5, in Deutschland Platz 37 und in den USA im Dezember Platz 1. Das Album selbst schaffte es jedoch nur bis auf den dritten Platz. Seit die ersten beiden Alben erschienen waren, hatte sich die Musikszene gewandelt, und ein neuer Trend beherrschte die Charts: Rap. Die Plätze 1 und 2 der Billboard-Albumcharts hielten Vanilla Ice und MC Hammer, und so kam es, dass erstmals eine LP von Whitney Houston die Chartspitze verfehlte. Nachdem ihr Debüt sich weltweit zweiundzwanzig Millionen Mal verkauft hatte und der Nachfolger Whitney immerhin noch stolze
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neunzehn Millionen Exemplare abgesetzt hatte, war es relativ enttäuschend, dass I’m Your Baby Tonight es auf nur zehn Millionen brachte. Trotz gesunkener Verkaufszahlen wurde die Sängerin jedoch weiterhin mit Auszeichnungen bedacht und koppelte einige Hits aus dem Album aus. Es war die Zeit, in der die USA sich nach längerer Zeit wieder an einem Krieg beteiligten und in den Irak einmarschierten, und in der die patriotischen Gefühle enorm hochkochten. Am 27. Januar 1991 wurde das Superbowl-Footballspiel im Fernsehen übertragen, das in den USA traditionell das Sportereignis mit der höchsten Einschaltquote ist. Als Whitney Houston auf die Bühne trat und mit unglaublicher Überzeugung die amerikanische Nationalhymne sang, schmolz ganz Amerika dahin. Die Nachfrage nach einer Aufnahme war enorm, und so wurden in aller Eile eine Single-CD sowie ein Video mit dem Fernsehauftritt auf den Markt geworfen. Die CD verkaufte sich in den USA 750.000 Mal und kam bis auf Platz 20 der Billboard-Charts. Whitneys Version des „Star Spangled Banner“ war so beliebt, dass unglaublich viel darüber geschrieben wurde – und schließlich herauskam, dass sie bei dem Auftritt nicht etwa live gesungen, sondern nur gemimt hatte. Das lag jedoch daran, dass es bei der Superbowl-Übertragung allgemein Usus ist, dass die Nationalhymne zuvor von dem betreffenden Künstler eingesungen und bei dem eigentlichen Auftritt dann abgespielt wird, um sicherzugehen, dass es keine Probleme mit dem Ton gibt. Trotz dieser Enthüllung verkaufte sich die Single immer noch wie geschnitten Brot. Die Erlöse von CD und Video gingen an den Gulf Crisis Fund. Plötzlich galt Whitney als die patriotischste Diva, die Amerika zu bieten hatte. Die Sängerin und ihre Karriere wurden nun ganz anders wahrgenommen. Am 31. März war sie als Headliner in einem Fernsehspecial des Senders HBO zu sehen, der Welcome Home Heroes hieß und gleichzeitig auch von der Radiosenderkette Westwood One übertragen wurde. Whitney trat im Norfolk Naval Air Stadion auf, wo die Rückkehr der amerikanischen Truppen aus dem Persischen Golf gefeiert wurde, und das Konzert war ein Riesenerfolg. Der mit Spannung erwartete Höhepunkt der Show
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war natürlich ihre bewegende Version von „The Star Spangled Banner“, die sie dieses Mal wirklich live sang. Vor dem Ausbruch des Krieges im Mittleren Osten hatte Whitney eine Europatournee geplant, die sie jedoch aufgrund der Ereignisse absagte. Stattdessen tourte sie durch die USA; das Auftaktkonzert fand am 18. April 1991 in der Thompson Boling Assembly Center Arena in Knoxville, Tennessee statt. Wenig später kam Whitney erstmals mit dem Gesetz in Konflikt, als man sie beschuldigte, in Lexington, Kentucky einen Mann bedroht und angegriffen zu haben. Der Vorfall hatte sich am 19. April im Radisson Plaza Hotel ereignet, wo ihr Bruder Michael offenbar in eine Schlägerei mit einem gewissen Kevin Owens verwickelt wurde. Wie um zu beweisen, dass auch Diven Krallen haben, schlug Whitney auf Owens ein, und der Mann musste sich in ärztliche Behandlung begeben und am Auge mit zwölf Stichen genäht werden. Whitney hatte ihn auch verbal attackiert und wurde später der „aggressiven Einschüchterung“ beschuldigt. Glücklicherweise wurde diese Klage schnell beigelegt. Am 7. Mai wies Richter Lewis Paisley auf Empfehlung des Staatsanwalts von Fayette County, Norrie Walker, die Klage gegen die Sängerin ab. Whitney, die schon früh gelernt hatte, sich gegen die ruppigen Kinder in der Nachbarschaft durchzusetzen, hatte keine Angst vor einer körperlichen Auseinandersetzung. Auch wenn sie auf der Bühne und auf ihren Platten wie ein zartes Mädchen wirkte, war sie unter dieser weichen Schale doch ziemlich hart und ließ nicht mit sich spaßen. Im Mai wurde I’m Your Baby Tonight in den USA mit Dreifach-Platin ausgezeichnet. Die Single „Miracle“ stieg bis auf Platz 9, und im Juli erreichte „My Name Is Not Susan“ in Großbritannien Platz 29, in Deutschland aber lediglich Platz 52. Whitney war währenddessen weiterhin unterwegs auf US-Tournee. Am 23. Juli 1991 sang sie im Madison Square Garden in New York. Im Anschluss an das Konzert überreichte man ihr im Grolier Club eine Medaille für sieben Millionen verkaufte Exemplare ihrer dritten Arista-LP. Kurz darauf sagte sie die übrigen Konzerte aufgrund von Halsproblemen
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ab. Whitney Houston standen einige große Veränderungen in ihrem Leben bevor. Einige davon sollten ihr zum Vorteil gereichen, andere nicht.
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u Beginn ihrer Karriere hatte Whitney in Interviews oft geschildert, wie strikt ihre Mutter auf Disziplin geachtet hatte, als sie heranwuchs, und dass sie froh war, so erzogen worden zu sein. Dennoch behaupteten Insider, die mit der Familie gut bekannt waren, dass Cissy sich viel stärker in Whitneys Karriere einmischte, als es ihrer Tochter recht war. Whitney rebellierte schließlich, indem sie immer wieder ihre Unabhängigkeit demonstrierte. Auch ihre enge Freundschaft zu Robyn Crawford war möglicherweise ein Teil dieses Protests, auch wenn diese Beziehung schließlich eine ganz eigene Dynamik entwickelte. Robyn ließ ebenfalls unablässig verlauten, was Whitney ihrer Meinung nach tun sollte, und die zwei stritten sich oft. Wie hätte Whitney sich nun am besten gegen ihre Mutter und gegen Robyn auflehnen können, die ihr beide dauernd vorschreiben wollten, was sie zu tun und zu lassen hatte? Vielleicht, indem sie mit einem Musiker anbändelte, der das Image eines richtig bösen Buben hatte, und sich von ihm schwängern ließ? Genau so kam es jedenfalls: Bühne frei für den berüchtigten Bobby Brown. Whitney und Bobby kannten sich schon eine ganze Weile, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekommen hatte. Im Mai 1992 sagte Whitney über die damals gerade aufkeimende Romanze: „Wir waren sofort gute Freunde“, zwischen denen allerdings „zwei Jahre lang überhaupt nichts“ gelaufen sei.
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Später führte sie aus: „Bobby und ich lernten uns bei den Soul Train Music Awards kennen. Er präsentierte ‚Don’t Be Cruel‘, und er war ein echt heißer Typ. Ich saß mit einigen Freunden hinter ihm. Wir umarmten uns und alberten rum, und ich schlug Bobby dabei ein paar Mal von hinten gegen den Kopf. Robyn sagte: ‚Whitney, wenn du Bobby immer wieder haust, wird er irgendwann garantiert sauer.‘ Also beugte ich mich vor und sagte: ‚Bobby, es tut mir so leid.‘ Und er drehte sich um und warf mir einen Blick zu, so nach dem Motto: ‚Ist okay, pass halt jetzt besser auf.‘ Und ich dachte: ‚Oooh, der Typ mag mich nicht.‘ Na ja, es macht mich immer irgendwie neugierig, wenn mich jemand nicht mag. Ich will dann immer wissen, wieso. Also sagte ich: ‚Ich werde Bobby zu einer Party einladen.‘ Und das tat ich auch. Prompt rief er mich an und sagte zu, was mich echt überrascht hat. Er war der erste Mann im Showgeschäft, mit dem ich mich ganz normal unterhalten konnte. Er war so bodenständig und cool, und ich merkte irgendwann, hey, ich mag ihn. Vier Monate später sahen wir uns wieder, bei einer Show von BeBe und CeCe Winans. Anschließend gab CeCe eine Party, und wir gingen alle zusammen essen. Als wir wieder aufbrachen, kam Bobby zu mir und meinte: ‚Wenn ich dich jetzt fragen würde, ob du mit mir ausgehst, würdest du ja sagen?‘ Damals gab es jemandem, mit dem ich mich öfter traf, aber es war alles ein bisschen in der Schwebe. Deswegen sagte ich: Ja, das würde ich.‘ Und er hakte noch mal nach: ‚Wirklich?‘ Er ist so cool! Und dann sagte er: ‚Dann hole ich dich morgen um acht ab.‘ Seitdem sind wir Freunde. Unsere ganze Beziehung basiert auf Freundschaft. Wir gehen zusammen essen, wir lachen, reden und gehen dann wieder nach Hause. Wir waren nicht intim. Aber irgendwann dämmerte es uns: ‚Hey, was läuft denn wirklich?‘“ Offenbar eine ganze Menge. Bobby Brown war nie ein Star vom gleichen Kaliber wie Whitney Houston, hatte es aber im Musikgeschäft durchaus zu Erfolg und Ansehen gebracht. Er war kaum dem Kindesalter entwachsen, als er Anfang der Achtziger mit der Teenieformation New Edition durchstartete. Ende des Jahrzehnts arbeitete er an seiner Solokarriere, und er befand sich auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, als er Whitney kennen lernte. Seitdem ging es mit seiner Laufbahn ständig abwärts, bis er schließlich nur noch als
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„Whitney Houstons Ehemann“ bekannt war, aber nicht mehr für seine musikalischen Leistungen. Bobby Brown kam als Robert Baresford Brown am 5. Februar 1969 in Roxbury, Massachusetts zur Welt, und seine ersten Schritte im Musikgeschäft machte er, als der Promoter Maurice Starr Anfang 1981 ein Teeny-Bop- und HipHop-Projekt auf die Beine stellte und die fünf Jungs New Edition nannte. Nach demselben Muster schuf Starr Jahre später ein ganz ähnliches Erfolgsprojekt, dieses Mal allerdings ausschließlich mit weißen Jugendlichen – New Kids On The Block. Die fünf schwarzen Jungs von New Edition – Bobby Brown, Ralph Tresvant, Ricky Bell, Michael Bivens und Ronald Devoe – kamen mit zuckersüßen Balladen wie „Candy Girl“ und „Cool It Now“ beim R&B- und Teenie-Publikum sofort gut an. Bobby Brown etablierte sich als Frontmann, dementsprechend lockte ihn schnell die Aussicht auf eine Solokarriere und er verließ die Band. Sein erstes Solo-Album King Of The Stage war eher mäßig erfolgreich und erreichte in den US-Charts nur Platz 88. Sein Zweitwerk allerdings, Don’t Be Cruel von 1988, zählte zu den Wegbereitern eines Sounds, den man „New-Jack Swing“ nannte, woran die Produktion der Hitgaranten L.A. Reid und Babyface sicherlich ihren Anteil hatte. Mit diesem neuen Sound und einem härteren Beat konnte Bobby einige Charterfolge verbuchen, darunter den Nummer-Eins-Hit „My Prerogative“ und „Every Little Step“, das bis auf Platz 3 kam. Die beiden Hit-Singles sorgten dafür, dass Don’t Be Cruel an die Spitze der Albumcharts schoss. Für kurze Zeit beherrschte Bobby die Radioprogramme und schuf eine neue R&BBewegung. 1989 gelang ihm mit „On Our Own“ aus dem Soundtrack zu Ghostbusters II ein weiterer Hit, der Platz 2 erreichte; in dem Film hatte er zudem einen Kurzauftritt als Türsteher. In der zweiten Jahreshälfte erschien ein Album mit Remixen seiner Hits unter dem Titel Don’t Be Cruel … Ya Know It, das in den USA Platz 9 und Platz 26 in England erreichte. 1992 war Bobby Brown schließlich nicht nur mit der amtierenden PopDiva Whitney Houston verheiratet, unter dem schlichten Titel Bobby erschien auch ein neues, von Babyface produziertes Album, aus dem die Hit-
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Single „Humpin’ Around“ ausgekoppelt wurde. Das Album schaffte es bis auf Platz 2, die Single auf Platz 3 in den Staaten. Der Nachfolge-Hit „Good Enough“ erreichte im darauf folgenden Jahr Platz 7. Seit Ende der Achtziger war Bobby Brown jedoch bereits wegen seines Verhaltens auf und abseits der Bühne in die Schlagzeilen geraten. Die Presse stürzte sich auf jede neue Verhaftung und jede neue Gefängnisstrafe. Es dauerte nicht lange, und er war wegen seiner Konflikte mit dem Gesetz berühmter als wegen seiner Musik. Der erste Vorfall ereignete sich am 25. Januar 1989, als der neunzehnjährige Bobby festgenommen wurde, weil er bei einem Konzert im Georgia Municipal Auditorium in Columbus auf der Bühne den Geschlechtsakt simuliert hatte. Auch stand er in dem Ruf, sehr unzuverlässig zu sein. Am 12. Januar 1990 beispielsweise, als ihm in Boston in der Symphony Hall vor Tony Bennett und dem Count Basie Orchestra der Martin Luther King Achievement Award für seine Leistungen verliehen werden sollte, ließ er sich einfach nicht blicken. Als Whitney begann, mit ihm auszugehen, waren ihre Freunde und Familie davon nicht besonders angetan. Er war sechs Jahre jünger als Whitney und gerade erst zweiundzwanzig, als die beiden sich verlobten, aber dennoch hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits drei uneheliche Kinder. Whitneys Fans waren ebenfalls mehr als verblüfft, als die Affäre publik wurde. Wie konnte das brave Mädchen des R&B, die anständige kleine Pop-Sängerin, sich nur mit einem so berüchtigten Bad Boy einlassen? Von Anfang an betonten Whitney und Bobby in der Presse ausführlich und häufig, wie sehr sie einander liebten. Whitney schien es sehr eilig damit zu haben, sich von ihrem braven Image zu verabschieden. Dem Time-Magazin sagte sie: „Die Leute halten mich immer für das kleine Fräulein Etepetete. Aber das bin ich gar nicht. Ich habe gern meinen Spaß. Ich habe eine richtig ruppige, dreckige Seite, und ich kann auch ganz schön versaut sein. Bei Bobby habe ich gelernt, viel freier zu sein, viel lockerer, nicht immer so kontrolliert. Seit wir uns kennen, sehe ich, wie sagt man, meinen ganzen Scheiß einfach viel lockerer, Mann.“ Ungewohnte Worte einer Künstlerin, die sich sonst immer ganz und gar als Lady präsentiert hatte.
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Whitneys öffentliche Äußerungen bekamen nun oft einen rotzigen, aufsässigen Unterton. Seit sie mit Bobby zusammengekommen war, schien sie sich viel weniger gewählt auszudrücken und zunehmend gehässiger zu werden, was ihr nicht gut zu Gesicht stand. Brown erklärte einem Reporter der Los Angeles Times: „Schon möglich, dass ich ein Bad Boy bin und sie das liebe Mädchen, aber wir lieben uns. So eine Liebe muss man um jeden Preis festhalten. Man darf sich nicht davon abbringen lassen, ganz egal, was andere denken. Whitney ist eine stolze schwarze Frau. Das hat mich auch von Anfang an fasziniert. Sie ist wunderschön, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Nach einer Show zieht sie sich ein Paar Jeans an und dann geht’s ab bei uns.“ Im August 1991 fragte Bobby Brown, ob Whitney, die inzwischen von ihm schwanger war, ihn heiraten wollte. Beruflich standen ihr neue, aufregende Entwicklungen bevor, und sie war fest entschlossen, dass Bobby ein fester Teil ihres neuen Höhenflugs werden sollte. Zwar sagte sie einen Großteil der geplanten Konzerttermine im Sommer 1991 ab, aber im September war sie wieder in Bestform und gab drei ausverkaufte Shows in der Londoner Wembley Arena. Am 19. September sprach sie bei einer Aids-Veranstaltung im Londoner Hyde Park. Am 3. Dezember 1991 veranstaltete die Whitney Houston Foundation eine Weihnachtsparty in New Jerseys Symphony Hall in Newark. Es war eine Benefizgala, deren Erlöse den hundertfünfzig Kindern der Organisation Parents Anonymous zugute kamen. Während sich in ihrem Privatleben also gerade einiges änderte, arbeitete sie beruflich daran, den Sprung ins Schauspielfach zu schaffen. Inzwischen war Kevin Costner auf sie aufmerksam geworden, der die Titelrolle eines Films namens Bodyguard übernehmen sollte, und er war davon überzeugt, dass Whitney die Idealbesetzung für die Rolle der Rachel sein würde, einer Sängerin, deren Leben in Gefahr gerät. Whitney erklärte: „Ich habe ihn immer wieder gefragt: ‚Was macht dich so sicher, dass ich das überhaupt kann?‘ Und er sagte mir: ‚Whitney, pass mal auf. Alle Jubeljahre einmal begegnet man einem Menschen, der einfach dieses gewisse Etwas hat. Wenn man früher an Filme dachte, in denen gesungen wurde, dann dachte man an Barbra Streisand oder Diana
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Ross. Jetzt denkt man an dich.‘ Und ich war hin und weg: ‚Genau das will ich. Ich will, dass ich es bin!‘“ Der Film hatte eine ungewöhnliche Geschichte. Das Drehbuch war ursprünglich in den Siebzigern extra für Steve McQueen geschrieben worden. Als McQueen jedoch unerwartet an Krebs starb, wurde es leicht abgeändert und sollte angeblich mit Ryan O’Neal und Diana Ross umgesetzt werden. Weil The Wiz – Das zauberhafte Land aber so heftig gefloppt war, galt Diana anschließend in Hollywood als Kassengift. 1992 übernahm Whitney also tatsächlich eine Rolle, die zuvor für Ross vorgesehen worden war, wie es die Fehde der beiden in den Achtzigern bereits vorweggenommen hatte. Als Whitney zu den Gaststars des ABC-Fernsehspecials zählte, das am 1. März 1992 anlässlich des fünfzigsten Geburtstags von Muhammad Ali ausgestrahlt wurde, hatten die Dreharbeiten zu Bodyguard mit Kevin Costner bereits begonnen. Damals war jedoch noch nicht bekannt, dass Whitney ein Kind von Bobby Brown erwartete. Ende März, nur einen knappen Monat, nachdem sie erstmals vor die Kamera getreten war, war dann in der Presse zu lesen, dass sie eine Fehlgeburt erlitten habe. Als sie in Interviews darauf angesprochen wurde, gab sie in USA Today kryptisch zu Protokoll: „Mal angenommen, ich hätte eine Fehlgeburt gehabt, wäre das allein meine Sache. Wissen Sie, was ich meine? Es ist nun mal passiert. Wenn ich in einem Filmstudio vor der Kamera stehe, dann bekommen die Leute das mit und rufen die Presse an und quatschen das rum. Aber so etwas passiert nun mal, es ist ganz normal. Es passiert Tausenden von Frauen. Aber ich bin ja nun mal Whitney Houston: ‚Sie ist wie wir, da hat sie sicher auch Fehlgeburten.‘ Wenn ich bereit bin, darüber zu reden, werde ich das schon tun. Jetzt ist mir viel zu viel Sensationsgeilheit dabei, dabei ist die Sache an sich gar nicht so dramatisch. Deswegen will ich jetzt nicht darauf eingehen. Vielleicht ein anderes Mal.“ Davon einmal abgesehen verliefen die Dreharbeiten zu Bodyguard ohne Probleme. Am 19. April 1992 wurde Bobby Brown auf der Route 138 in Canton, Massachusetts von einer Streife angehalten, weil er ein Auto fuhr, das nicht versichert war, und bei der Überprüfung seiner Personalien stellte sich überdies heraus, dass er keinen Führerschein besaß. Bei dem Auto
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handelte es sich um den Porsche, den Whitney sich im Vorjahr gekauft hatte. Es war nur eine von vielen Gesetzesübertretungen, bei denen Bobby Brown erwischt wurde, und zwangsläufig fiel etwas von der schlechten Presse, die er bekam, auch auf Whitney zurück. Am 6. Mai widmete der Sender ABC der Sängerin ein eigenes Fernsehspecial, das den Titel Whitney Houston: This Is My Life trug. Hier bestätigte sie zum ersten Mal öffentlich, dass Bobby ihr im August des vorigen Jahres einen Antrag gemacht hatte, und dass sie im Sommer heiraten wollten. Nun konnte sie sich auf zwei der wichtigsten Ereignisse in ihrem Leben vorbereiten: auf die bevorstehende Hochzeit und auf ihr Debüt als Schauspielerin. Die Trauung sollte auf Whitneys Anwesen in Mendham, New Jersey stattfinden. Es war eine echte Galaveranstaltung, und Stevie Wonder wurde eingeladen, um bei der Feier zu singen. Bei der Trauung war alles in den Themenfarben weiß und lila gehalten, von den Kleidern der Brautjungfern bis zu den Blumenarrangements. Die Presse erging sich in sensationsheischenden Diskussionen darüber, was wohl die Motivation für diese Ehe sein mochte. Heiratete Whitney ihren Bobby nur, um der Welt zu beweisen, dass sie heterosexuell ist? Oder war das alles nur Show? Und heiratete er sie wiederum nur wegen des Geldes? Ganz gleich, wie es um Whitneys sexuelle Präferenzen bestellt sein mochte, es gab ganz offensichtlich eine seltsame Dreiecksbeziehung zwischen Whitney, Bobby und Robyn. „Whitney Houston ist etwas ganz Besonderes“, sagte Robyn Crawford im Mai 1992 in USA Today. „Ich glaube, sie wird sich nach ihrer Hochzeit viel vollständiger fühlen. Sie ist in einer Phase, in der sie einfach etwas für ihr eigenes Leben tun will.“ Insider aus dem Houston-Lager zeichneten jedoch ein ganz anderes Bild. Kevin Ammons, der damals für Whitney arbeitete, ließ verlauten, dass Robyn Crawford untröstlich sei, was die kommende Hochzeit betraf. Ihm zufolge hatte eine zutiefst verletzte Robyn Crawford ihm, einem anderen Angestellten und John Houston gegenüber erklärt: „Wenn Whitney das mit der Hochzeit wirklich durchzieht, dann halte ich eine
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Pressekonferenz ab und erzähle der ganzen Welt, dass ich Whitneys Geliebte bin und wir uns schon seit Jahren lieben, und dann bringe ich mich um.“ Aber Whitney war nicht bereit, ihre Absicht zu ändern. Sie wollte Bobby heiraten, Schluss, aus, Ende. Brown tat sein Bestes, seinen schlechten Ruf herunterzuspielen. „Ich nehme keine Drogen“, erklärte er 1992 USA Today. „Habe ich nie getan. Ich trinke Bier. Vielleicht genehmige ich mir auch mal einen Courvoisier on the rocks.“ Aufgrund von Robyns hysterischer Reaktion auf die geplante Hochzeit verlangte Whitney, dass ihre Freundin sich nun eine eigene Wohnung suchte. „Robyn ist meine beste Freundin“, vertraute sie der Los Angeles Times an, „und sie kennt mich besser als jede andere Frau auf der Welt. Wir sind seit Jahren eng befreundet, aber als ich Bobby traf, hatten Robyn und ich auch genug Zeit miteinander gehabt. Wir haben früher zusammengewohnt, aber jetzt, da ich heirate, ist sie in eine eigene Wohnung gezogen, etwa eine halbe Stunde entfernt.“ Während sie ihre Hochzeit plante, trat Whitney weiterhin bei besonderen öffentlichen Anlässen auf. Auf einer Gala des New Yorker Friars Clubs, bei der Clive Davis zum „Mann des Jahres“ gekürt wurde, sang Whitney gemeinsam mit ihrer Cousine Dionne Warwick Davis zu Ehren „That’s What Friends Are For“. Die Veranstaltung fand im Waldorf Astoria Hotel an der Park Avenue statt. Am 27. Juni trafen sich zahlreiche hochkarätige Stars wie Dionne Warwick, die Schauspielerin Jasmine Gray und die Gospelsängerin CeCe Winans im Rihga Royal Hotel in New York zu einer so genannten „wedding shower“, einer Party, die nach amerikanischer Tradition von den Brautjungfern veranstaltet wird und bei der die Braut schon vier bis sechs Wochen vor der eigentlichen Zeremonie Geschenke erhält. Die Hochzeit von Whitney Houston und Bobby Brown – auch wenn niemand so recht daran zu glauben schien, dass sie wirklich stattfinden würde – war für den 18. Juli 1992 geplant. Auf Drängen von Whitneys Anwalt und Eltern unterschrieben die beiden vor der Trauung einen Ehevertrag. Brown sagte damals: „Falls je etwas mit unserer Beziehung schief gehen sollte, dann wollen wir beide
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abgesichert sein.“ Allerdings fügte er gleich hinzu: „Ich werde den Rest meines Lebens mit dieser Frau verbringen.“ Jedenfalls dachte er das damals noch. Robyn Crawford war Trauzeugin, und als Brautjungfern fungierten CeCe Winans, die Sängerin Pebbles, Bobbys zwei Schwestern und eine Cousine. Bobby wurde von Whitneys Brüdern und seinem eigenen Bruder, der außerdem sein Manager war, begleitet. Einer Quelle zufolge war John Houston so besorgt, dass Robyn etwas Unüberlegtes tun würde, um die Trauung zu unterbrechen, dass er ein paar Bodyguards anheuerte, um sie im Auge zu behalten. Whitney hatte in der Pop-Welt den Status einer Märchenprinzessin erlangt, und ihre Trauung sollte diesem Umstand Rechnung tragen. Dementsprechend hatte sie auch beim Brautkleid keine Kosten gescheut und sich von Marc Bauer ein Kleid für angeblich vierzigtausend Dollar entwerfen lassen. Ein Augenzeuge berichtete später von der Hochzeit: „Als der Moment kam, an dem Whitney und Bobby beide‚ bis dass der Tod uns scheidet‘ sagen sollten, fingen Dionne Warwick und Patti LaBelle, die nebeneinander saßen, unkontrolliert an zu kichern. Es war, als ob die beiden es für absolut ausgeschlossen hielten, dass Bobby und Whitney einander jemals treu sein würden.“ Als Discjockeys für die spätere Feier hatte Whitney David Cole und Robert Civilles engagiert, besser bekannt als C + C Music Factory („Everybody Dance“). Zur Erinnerung an den Abend schenkte das Hochzeitspaar seinen Gästen Champagnerflaschen, Karten mit Liebesweisheiten und ein Stück von der riesigen Hochzeitstorte. Es war mit Abstand die schillerndste Trauung jenes Sommers. Anschließend fuhren Whitney und Bobby nach Europa in die Flitterwochen, die ihnen ihre Plattenfirmen bezahlt hatten. Im Herbst stand Whitney wieder im Rampenlicht. Am 3. Oktober 1992 nahm sie an einer Benefizveranstaltung für die Children’s Diabetes Foundation teil, die im Beverly Hilton Hotel in Los Angeles stattfand. Danach war eigentlich eine Europatournee geplant, doch da sie erneut schwanger war, rieten ihr die Ärzte, die Konzerte abzusagen, und das tat sie auch.
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Am 25. November 1992 hatte Whitney Houstons Filmdebüt Bodyguard in den USA Premiere. Schon kurz nach dem Start wurde der Streifen von den Filmkritikern fast einhellig verrissen, aber dennoch strömten die Zuschauer in Scharen in die Kinos. Teilweise trieb sie sicherlich die Neugier, ob es zwischen Whitney und Kevin Costner auf der Leinwand tatsächlich ein wenig knisterte. Ein Schlüsselelement für den Erfolg des Filmes war jedoch auch, dass jeder Song auf dem Soundtrack, der kein religiöses Thema hatte, ein Hit wurde. Bodyguard erzählt die Geschichte von Frank Farmer, einem ehemaligen Leibwächter des amerikanischen Präsidenten, der an dem Tag, da auf Ronald Reagan geschossen wurde, dienstfrei hatte. Er wird vom Manager einer beliebten Sängerin angeheuert, die Morddrohungen erhalten hat, und Farmer kommt zu einem ersten Treffen mit dem bedrohten Star, Rachel Marron – eine Rolle, die Whitney sehr zu liegen schien. Sie zeigte im Grunde die überhebliche Seite der echten Whitney. Rachel ist anderen Menschen gegenüber sehr kurz angebunden und von Kopf bis Fuß eine echte Diva. Mit anderen Worten, Whitney spielte hier eine etwas überzogene Version ihres eigenen Ichs. Frank hat nicht den Eindruck, dass Rachel die Drohungen wirklich ernst nimmt, da sie darauf besteht, in der Öffentlichkeit so aufzutreten, als sei nach wie vor alles in Ordnung. Tatsächlich hat sie keine Ahnung, wie bedrohlich die Lage ist, bis es für sie wirklich dramatisch wird. Natürlich verlieben sich Frank und Rachel nach einer Weile ineinander, und die romantischen Verwicklungen nehmen ihren Lauf. Whitney hatte in diesem Film einige der besten Szenen, wenn sie sang, und die Kamera fing gerade dann hervorragende Nahaufnahmen von ihr in der Rolle der Rachel ein. Ihre Stärke lag dabei besonders in Gestik und Mimik, und von daher wurde auch darauf verzichtet, Whitney besonders lange Dialoge sprechen zu lassen. Insgesamt schlug sie sich in ihrem Kinodebüt sehr ordentlich. Die knisternde Leidenschaft, die zwischen Costner und Houston entstehen sollte, war etwas weit hergeholt, aber sie als schöne Frau in Not und er als mutiger Retter wirkten wiederum recht glaubhaft.
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Das sahen allerdings nicht alle Kritiker so. Rita Kempley schrieb in der Washington Post: „Bodyguard ist ein unrunder Mix aus schmalziger Liebesgeschichte, aneinandergereihten Musikvideos, Unterhaltungsjournalismus, Actionthriller und Sechziger-Filmmelodram, das vom Traumpaar der Neunziger, Whitney Houston und Kevin Costner, getragen wird. Die Ausstattung ist üppig, die Geschichte eher dünn. Obwohl es eher den Anschein macht, er hätte sich optisch an einer Molluske orientiert, erklärte Costner, sein neuer Haarschnitt sei eine Verbeugung vor McQueen. Houston, die nicht mehr tut, als sich selbst zu spielen, übersteht den Film so unbeschadet, wie das bei einer derart irrwitzigen Unternehmung überhaupt möglich ist. Bodyguard ist ein klassisches Beispiel für Showbiz-Überheblichkeit, ein wundervoll billiger Bauchklatscher, der zeigt, dass glitzernde Kulissen und zugkräftige Stars eine Story nicht retten können, die man mit McQueen hätte begraben werden sollen.“ Deeson Howe, ebenfalls von der Washington Post, erklärte: „Zunächst ist der Film ein ganz unterhaltsames Aufeinanderprallen von Gegensätzen mit MTV-mäßigem Tiefgang. Natürlich ist es nur eine Frage der Zeit, bevor zwischen Mr. Kopfhörer und Miss Nachtigall die ersten Gefühle aufkommen. Aber bis dahin ist Bodyguard schon sang- und klanglos untergegangen. Ursprünglich wurde die Geschichte 1975 für Steve McQueen geschrieben, aber auch wenn Kasdans Drehbuch mit ein paar Verweisen auf Ronald Reagan in die Neunziger gehievt wurde, ist es trotzdem schwachsinnig, ganz egal, wie alt die Story sein mag. Je mehr sich die Romanze zum Thriller entwickelt, desto unsinniger wird der Film. Zum Showdown kommt es dann schließlich rund um eine Oscar-Verleihung. Der Mörder läuft immer noch frei herum, und Houston, die natürlich für eine Auszeichnung als beste Schauspielerin nominiert ist, besteht darauf, an der Zeremonie teilzunehmen.“ Entertainment Weekly nannte es einen „entsetzlich schwachen Liebesfilm über eine zur Schauspielerin mutierte Pop-Sängerin und ihren Bodyguard, der angeheuert wird, um sie vor einem verrückten Fan zu beschützen.“ Kritiker Leonard Maltin hob hervor, es handele sich um eine „übertriebene Selbstdarstellungsplattform für zwei Stars, die zwar keinen Sinn macht, aber mit vielen Elementen aufwartet, die das Publikum gern
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sieht – und natürlich mit einer kräftigen Dosis Kitsch.“ Er räumte aber dennoch ein: „Solides Schauspieldebüt von Houston.“ Roger Ebert von der Chicago Sun-Times zählte zu den wenigen Filmkritikern, denen der Streifen gefiel: „In den Trailern macht es den Anschein, als sei Bodyguard ein Liebesfilm, dabei ist es im Grunde eine Studie der Unterschiede von Lebensstilen zweier Menschen: eines Popstars, dessen Ruhm und Glück von Millionen von Fans abhängt, und eines professionellen Leibwächters, der sich seinen Lebensunterhalt damit verdient, sie vor eben diesen Fans zu schützen. Der Star Rachel Marron, der von Whitney Houston verkörpert wird, ist ebenso reich und berühmt wie Whitney selbst. In einer eigenwilligen, aber sehr bewegenden Szene verlässt sie ihr Anwesen, um sich mit ihm in seiner engen, vollgestopften, kleinen Wohnung zu treffen (wo es dann mit einem Samuraischwert und einem Schal zu einer unbestreitbar erotischen Tändelei kommt). Houston liefert hier ihr Schauspieldebüt ab und zeigt sich in der Rolle sehr zu Hause; in Nahaufnahmen wirkt sie wunderbar und sie hat ein warmes Lächeln, dennoch kann sie glaubhaft die selbstsüchtigen und egozentrierten Seiten der Figur vermitteln. Der Film wurde, vermutlich im Hinblick auf den Erfolg an den Kinokassen, als Thriller angelegt. Ich fühlte mich am Ende ein wenig betrogen, hätte den Ausgang aber eigentlich schon ahnen sollen.“ Da es sich bei Bodyguard um einen Film mit viel Musik handelte, war Whitney über lange Strecken in Szenen zu sehen, die wie Musikvideos anmuteten. Ein knackiges Soundtrack-Album mit möglichst vielen Originalsongs drängte sich von daher geradezu auf. Abgesehen von sechs neuen Houston-Songs befanden sich noch jeweils ein Titel von Lisa Stansfield, Kenny G und Aaron Neville, The S.O.U.L S.Y.S.T.E.M., Curtis Stigers und Joe Cocker mit Sass Jordan auf der LP. Die erste Hälfte des Albums, die von Whitney allein bestritten wurde, war ganz ähnlich wie ihre eigenen Werke produziert worden. Clive Davis und Whitney Houston wurden beide als leitende Produzenten genannt, und daran ließ sich ablesen, dass Whitney allmählich in die erste Reihe drängte, wenn es um die Produktion ihrer Platten ging. Mit Narada Michael Walden war wieder ein alter Bekannter dabei, der bisher auf jeder LP mitgewirkt hatte und hier „I’m Every Woman“ betreute. Es handelte sich
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um eine sehr energiegeladene Coverversion des gleichnamigen ChakaKhan-Hits von 1978, ein oft übersehener Klassiker, der von Ashford & Simpson geschrieben worden war und dem Whitney hier neues Leben einhauchte. L.A. Reid und Babyface steuerten die quirlige, tanzbare Rocknummer „Queen Of The Night“ bei. Und die traditionelle Hymne „Jesus Loves Me“ hatte Whitney selbst gemeinsam mit CeCes Bruder BeBe Winans produziert. Mit dem Balladenspezialisten David Foster stieß allerdings ein neuer Mann zum Whitney-Houston-Projekt, der die Sängerin in den Neunzigern mit einigen ihrer unvergesslichsten Balladen versorgen sollte. Für diesen herausragenden Soundtrack brachte er drei Songs mit, darunter „Run To You“ und das dramatische, mitreißende „I Have Nothing“. Beiden Songs hauchte Whitney jede Menge Gefühl ein. Aber der Titel, der diesen Soundtrack wirklich zu etwas ganz Besonderem machte, war Whitneys unglaubliche Aufnahme des von Dolly Parton komponierten Songs „I Will Always Love You“. Dolly hatte ihn selbst schon zweimal eingespielt und damit beide Male einen Nummer-Eins-Hit in den Country-Charts eingefahren, zum ersten Mal 1974. Nachdem Dolly 1980 mit der Komödie Nine To Five – Warum eigentlich bringen wir den Chef nicht um zum Filmstar geworden war, bot man ihr zwei Jahre später eine Rolle in der Verfilmung des Broadway-Musicals Das schönste Freudenhaus in Texas an. Zwar gab es für den Film dank des MusicalBackgrounds ausreichend Musik, aber die kluge Dolly verlangte, dass einer ihrer eigenen Titel zusätzlich darin untergebracht werden sollte, und dafür wählte sie „I Will Always Love You“ aus, der neu aufgenommen wurde und prompt wieder bis an die Spitze der Country-Charts kam. Auf dem PopMarkt war der Song ein eher bescheidener Hit (dort erreichte er 1982 Platz 53), mit den Jahren wurde er aber zu einer Erkennungsmelodie für Dolly Parton. „I Will Always Love You“ war eher eine ungewöhnliche Wahl für Whitney, und es hätte wohl niemand erwartet, dass ausgerechnet dieser Titel der größte Erfolg ihrer ganzen Karriere werden sollte. Der Gesang begann sehr verhalten und a capella, doch dann legte Whitney alles an Gefühl, zu
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dem sie in der Lage war, in den bewegenden Text. Der Titel steigerte sich schließlich zu einem mitreißenden Finale, in dem Houstons kraftvolle Stimme meisterlich die hohen Töne hielt und dabei gleichzeitig leichtfüßig und dramatisch wirkte. Diese erste Single, die aus dem Soundtrack Bodyguard veröffentlicht wurde, schoss im Dezember 1982 an die Spitze der Charts in den USA und Großbritannien. In Amerika hielt sie diese Position ganze vierzehn Wochen und stellte damit einen neuen Rekord auf. Davon abgesehen erreichte „I Will Always Love You“ den ersten Platz in Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Japan, Kanada, Neuseeland, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, der Schweiz und Spanien. Dolly Parton zufolge handelte der Text „von Veränderungen, von Trennung und Liebe“, weshalb er auch nach fast zwanzig Jahren noch immer so beliebt sei. Die Komposition hatte Dolly angeblich weit über drei Millionen Dollar an Tantiemen eingebracht. Whitney erklärte 1993: „Erst kürzlich habe ich mit Dolly Parton telefoniert, und sie erklärte mir: ‚Whitney, ich muss dir einfach mal was sagen. Ich fühle mich wirklich geehrt, dass du meinen Song gecovert hast. Ich weiß gar nicht, was ich sonst noch sagen soll.‘ Und ich erwiderte: ‚Dolly, du hast einen wunderschönen Song geschrieben.‘ Sie antwortete: ‚Ja, aber für mich hat er nie so gut funktioniert, du hast so viel in ihn hineingelegt.‘ Für mich ist Dolly Parton eine phantastische Songwriterin und eine überragende Sängerin. Als ich den Titel interpretiert habe, war ich ganz besorgt, wie meine Version bei ihr ankommen würde, was das Arrangement, meine Phrasierung, meinen Stil angeht. Als sie mir sagte, sie sei überwältigt, hat mir das unglaublich viel bedeutet.“ Als der Wirbel um Bodyguard allmählich abklang und die Songs aus dem Soundtrack die Radioprogramme nicht mehr völlig dominierten, hatte sich die Platte weltweit vierunddreißig Millionen Mal verkauft und war zu einer der erfolgreichsten in der Musikgeschichte geworden. Natürlich war ein solches Hit-Album eine hervorragende Werbung für den Film, und Bodyguard lief an den Kinokassen ebenfalls bestens. Der Streifen erzielte in der Woche nach dem Kinostart einen Gewinn von mehrv als
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sechzehn Millionen Dollar. Bis Februar 1993 hatte Bodyguard einhundertundsechs Millionen Dollar eingespielt und zählte damit zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres. Der Soundtrack war so erfolgreich, dass jeder Song, den Whitney Houston darauf sang – von „Jesus Loves Me“ einmal abgesehen – ein Chart-Hit wurde. „I’m Every Woman“ kam bis auf Platz 4 in den USA und in Großbritannien, in Deutschland bis auf Platz 13. „I Have Nothing“ schaffte es bis auf Platz 4 in Amerika, Platz 3 in England und Platz 39 in Deutschland. „Run To You“ erreichte Platz 31 in den USA und Platz 15 in England, und „Queen Of The Night“, das nur in England veröffentlicht wurde, fuhr dort noch einmal Position 14 ein. Dank dieses weltweiten Hitfeuerwerks war 1993 für Whitney ein recht aufregendes Jahr gewesen. Ihr Filmdebüt war ein kommerzieller Erfolg, das dazugehörige Album räumte mächtig ab, aber Whitney war vor allem mit ihrer Schwangerschaft beschäftigt. Während sie sich in ihrem Ferienhaus in Florida entspannte, vertraute sie Entertainment Weekly an: „Beinahe wünsche ich mir, ich wäre ein aufregenderer Mensch, damit ich dem, was da draußen gerade passiert, auch gerecht werden könnte. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich morgens aufwache und als erstes ‚I Will Always Love You‘ spiele. Manchmal sitze ich da und denke: ‚Du bist eine schlechte Entertainerin. Einfach nur schlecht. Du solltest so richtig auf den ganzen Kram abfahren.‘ Aber das tue ich nicht. In letzter Zeit denke ich nach dem Aufstehen zuerst an die Entbindung.“ Whitney behauptete, ihr sei es egal, ob die Kritiker den Film mögen oder nicht. „Die Zuschauer sind intelligent genug, dass sie sich selbst davon überzeugen wollen, wie er ist. Ich habe so hart für diesen Film gearbeitet und so viel Zeit darauf verwendet, ich und viele andere Leute. Ich bin dankbar, dass die Leute dafür offen sind und sich darauf einlassen wollen.“ Besonders interessant war hinsichtlich des großen Erfolgs dieses Films, dass das Publikum ohne Zögern eine Romanze zwischen der schwarzen Whitney und dem weißen Kevin akzeptierte. „Ich sehe es nicht als einen Meilenstein, dass eine Schwarze und ein Weißer zusammen einen Film machen“, sagte Whitney darüber. „Aber dass die Zuschauer es ohne
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Ansehen der Hautfarbe betrachten, das ist ein Meilenstein. Schwarze Frauen haben mir gesagt: ‚Darauf haben wir immer gewartet, dass jemand endlich die Barriere niederreißt, damit wir diese Rollen spielen können. Wir können einflussreiche, mächtige Frauen sein.‘ Schwarze Männer haben ebenfalls viel Stolz gezeigt und gesagt: ‚Es ist so schön, dass endlich einmal eine gut aussehende Schwester eine so intelligente Rolle spielt.‘“ Bemerkenswert war aber auch die hervorragende Marketingstrategie, die sich durch den Mega-Erfolg von „I Will Always Love You“ ergeben hatte. Whitney sagte dazu: „Wenn man den Song hört, denkt man an den Film. Ich denke an Menschen, die gestorben sind, an Familienmitglieder, denen ich nahe stand. Bestimmte Stellen lassen mich auch an meinen Mann denken. Wessen Herz würde dieser Film denn nicht berühren? Dass man sich so ganz in einem Film verlieren kann, das hat es schon lange nicht mehr gegeben. Das ist das Schlüsselelement. Damit tritt man niemandem zu nahe.“ Plötzlich hatte Whitney einen großen Filmhit in den Kinos und die erfolgreichste Single ihrer Karriere in den Charts. Sie war eine verheiratete Frau. Robyn Crawford lebte nicht mehr in ihrem Haus. Und sie erwartete ihr erstes Kind. Brachte das alles die Lesben-Gerüchte zum Verstummen? Nicht im Geringsten. Die Presse war immer noch überzeugt, dass dort, wo es Rauch gibt, auch irgendwo ein Feuer sein muss. In Entertainment Weekly hieß es Anfang 1993: „Die Ehe wirft einige Fragen auf. Brown, der fünf Jahre jünger ist als seine Frau, hat bereits drei uneheliche Kinder mit zwei anderen Frauen; er und Houston verbringen selten mehr als ein paar Wochen am Stück miteinander.“ Whitney versuchte in eben dieser Titelstory wieder einmal alle Vermutungen, sie und Robyn hätten eine Liebesbeziehung, vom Tisch zu wischen. „Sobald jemand Erfolg hat, werden automatisch ein paar Gerüchte in die Welt gesetzt. Eins davon ist, man sei homosexuell. Ein anderes, man nehme Drogen. Und dann noch, dass man keinen Schimmer von dem habe, was man da eigentlich mache. Es gab eine Zeit, da hat es mich verletzt, dass ich beweisen sollte, was ich nicht war. Das hat mich richtig fertig gemacht. Ich bin zu meiner Mutter gerannt und habe gefragt: Warum,
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warum machen die das? Kann ich nicht einfach mit einer Frau befreundet sein?“ Auch Cissy Houston fühlte sich zu einer Verteidigung berufen: „Es liegt daran, dass Whitney keine Klamotten trägt, die bis zum Hintern ausgeschnitten sind und bei denen – Entschuldigung, ich drücke es mal derb aus – ihre Titten raushängen. Eine Frau ist entweder die größte Nutte oder aber eine Lesbe.“ Whitney war eine unglaublich erfolgreiche Sängerin. Nun war sie auch noch eine anerkannte Schauspielerin. Sie war die Ehefrau eines Mannes, der selbst ein Sänger war. Und nun sollte noch eine weitere Rolle zu ihrer Biografie dazukommen – die der Mutter. Am 4. März 1993 brachte sie ihre Tochter Bobbi Kristina Houston Brown zur Welt. Whitney Houston war ganz oben angekommen.
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hitney Houston schien 1993 alle Ziele erreicht zu haben, die sie sich je gesetzt hatte. Was ihr Privatleben betraf, so verkündete sie, sie liebe Bobby über alle Maßen, obwohl er oft auf Tournee sei und seine eigenen Alben und Singles promote. Ein Auftritt in der Neil Blaisdell Arena in Honolulu auf Hawaii sollte aber zunächst der letzte Auftritt seiner damaligen Tournee bleiben: Wegen hohen Blutdrucks und Halsproblemen sagte Bobby Brown sämtliche Konzerte in Europa ab, die noch hatten folgen sollen. Am 3. Juni 1993 trat Whitney zum ersten Mal nach der Geburt ihrer Tochter wieder öffentlich auf, als sie zu einer Benefizgala erschien, die im Century Plaza Hotel in Los Angeles veranstaltet wurde, um Gelder für das St. Jude’s Children’s Research Hospital in Memphis, Tennessee zu sammeln. Die Anwesenden waren überrascht, wie dünn sie war und wie schnell sie das Gewicht wieder verloren hatte, das sie während ihrer Schwangerschaft zugelegt hatte. Prompt kursierten erneut Gerüchte über diesen plötzlichen Gewichtsverlust, der unter anderem Diätpillen zugeschrieben wurde. Kurz darauf, am 28. Juni, berichtete die New York Post, dass man Whitney nach einer Überdosis Diätpillen in ein Krankenhaus eingeliefert habe. Whitneys Anwälte drohten der Zeitung mit einer Klage und verlangten zehn Millionen Dollar Schadenersatz und zusätzlich fünfzig Millionen Dollar Strafschadenersatz. Die Post musste zwei Tage später eine Gegendarstellung drucken. Es war das erste Mal, dass Whitney Houston mit dem Missbrauch von Substanzen – verschreibungspflichtigen wie illegalen – in Verbindung gebracht wurde.
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Ein katastrophales Konzert in Miami sorgte für noch mehr schlechte Presse. Offenbar hatte die Show eineinhalb Stunden später angefangen als geplant, und Miss Houston soll schon schlechte Laune gehabt haben, als sie den ersten Fuß auf die Bühne setzte. Nach dem ersten Song stürmte ein weiblicher Fan auf die Bühne und streckte ihr ein Autogrammheft entgegen. Houston sah das Mädchen von oben herab an und sagte ins Mikrofon: „Auf deinem Ticket steht doch wohl eindeutig ‚Sitzplatz‘, oder nicht?“ Als das Publikum erzürnt zu buhen begann, erklärte Whitney: „Wisst ihr, ich bin schon mal ausgebuht worden, das beeindruckt mich wirklich überhaupt nicht.“ Im Miami Herald schrieb der Reporter Leonard Pitts am nächsten Tag: „Houston kam mit einer Einstellung auf die Bühne, die mehr als oberfaul war. Es war der Hindenburg-Absturz unter den Pop-Konzerten. Ihr Verhalten war billig, unprofessionell, arrogant und völlig unter der Würde einer Sängerin ihres Talents und ihrer Stellung.“ Offenbar nahmen die Mitarbeiter von Arista Records Whitney anschließend beiseite und sprachen mit ihr über die schlechte Presse, die ihr dieses Konzert eingebracht hatte. Der Rest der Tournee verlief ohne weitere Zwischenfälle – zumindest, was die Einstellung anging, die sie auf der Bühne zeigte. Am 30. September 1993 waren Whitney und Bobby in einer Limousine am Kennedy Airport in New York unterwegs, als sie von neun Polizisten angehalten wurden. Die Beamten fahndeten nach Drogendealern und hatten Grund zu der Annahme, dass es sich dabei um Bekannte von Brown handelte. Zwar wurden die beiden nicht festgenommen, aber es war dennoch der Anfang einer Reihe von Vorfällen, die mit Drogenkriminalität in Zusammenhang standen. In dieser Zeit veröffentlichten Bobby Brown und Whitney Houston ein Duett, „Something In Common“, das auch auf Bobbys neuestem Album enthalten war. Der Song schaffte es nur in Großbritannien in die Charts, wo er immerhin im Januar 1994 Platz 16 erreichte. Das Duett weckte in etwa dieselbe Begeisterung, wie sie Cher und Gregg Allman 1977 mit dem Duettalbum Two The Hard Way hatten verbuchen können, und Whitneys Anhänger betrachteten Bobby Brown ungefähr mit genauso viel
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Sympathie, wie Beatles-Fans sie Yoko Ono entgegengebracht hatten, als sie John Lennon heiratete. Whitney versuchte damals noch, ihr Image als braves Mädchen aufrecht zu erhalten. Dazu passte, dass sie sich über die berüchtigte Frauenfeindlichkeit der Texte im Rap beklagte. Dem Magazin TV Guide erklärte sie: „Ich finde es nicht besonders cool, eine Frau ‚bitch‘ oder ‚ho‘ zu nennen – ich sehe mich selbst nicht so, und ich gehe auch nicht so mit mir um. Das entspricht nicht meinem Lebensstil. Aber viele junge Menschen identifizieren sich mit dieser Ausdrucksform. Man muss sich das anhören, und dann kann man vielleicht sagen: ‚Okay, das hier geht für mich, das aber nicht.‘ Man muss sich damit auseinandersetzen.“ Sie sprang auch Michael Jackson zur Seite, der in dieser Zeit im Verdacht stand, kleine Jungen missbraucht zu haben. „Das sind Mutmaßungen“, sagte sie. „Es ist nicht bewiesen, dass Michael das getan hat. Ich hasse die Medien dafür, dass sie ihm so etwas antun – ich hasse sie wirklich. Generell gilt doch in den Vereinigten Staaten von Amerika der Grundsatz, dass man so lange als unschuldig gilt, bis einem ein Verbrechen nachgewiesen werden kann. Und das sollte doch Bestand haben. Ich bete für Michael, und er weiß, dass ich an ihn denke.“ Mit Beginn des Jahres 1994 wurde Whitney mit einer neuerlichen Flut von Auszeichnungen überschüttet, dieses Mal natürlich hauptsächlich für den Film Bodyguard und den dazugehörigen Soundtrack. Am 5. Januar wurde sie bei den NAACP Image Awards als Entertainerin des Jahres, als beste Künstlerin und für das beste Musikvideo („I’m Every Woman“) geehrt. Die Verleihung fand im kalifornischen Pasadena statt. Bei den 21. American Music Awards sammelte sie am 7. Februar 1994 fünf weitere Trophäen ein – in den Kategorien „Beliebteste Pop/RockKünstlerin“, „Beliebteste Pop/Rock-Single“, „Beliebteste Soul/R&BSingle“ (beide für „I Will Always Love You“) sowie „Beliebtestes Pop/RockAlbum“ und „Beliebtestes Album im Bereich Adult Contemporary“ (ein Hörfunkformat, das hauptsächlich melodische, aktuelle Titel mit breiter Akzeptanz bevorzugt) für den Soundtrack zu Bodyguard. Whitney sah überwältigend gut aus, als sie an jenem Abend bei der Fernsehübertragung auf die Bühne kam. Edna Gunderson von US Today
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erklärte: „Die Gewinnerin des Abends war Whitney Houston, die eine Reihe von Auszeichnungen abräumte und allen anderen mit einem hochkarätigen Medley aus ‚I Love You Porgy‘ (aus Porgy And Bess) und ‚I Tell You I’m Not Going‘ (aus Dreamgirls) die Show stahl.“ Als sie ihre Preise entgegennahm, hatte sie Bobbi Kristina bei sich, und als Whitney ihre Dankesrede hielt, griff die Kleine nach dem Mikrofon. „Ich konnte nicht ohne sie kommen“, entschuldigte sich die Sängerin. „Als ich sie allein lassen wollte, fing sie an zu weinen.“ Aber das war nicht die letzte Auszeichnung für dieses Jahr. Sieben Tage später wurde Bodyguard auf der anderen Seite des Atlantiks bei den 13. BRIT-Awards in London zum besten Soundtrack-Album gekürt. Am 1. März 1994 sang Whitney in der Radio City Music Hall in New York bei der 36. Grammy-Verleihung „I Will Always Love You“, jenen Song, der inzwischen zu ihrer Erkennungsmelodie geworden war. Mit diesem Titel heimste sie gleich zwei der renommierten Auszeichnungen ein, für die Platte des Jahres und die beste Pop-Aufnahme einer Sängerin; Bodyguard erhielt einen weiteren Grammy als bestes Soundtrack-Album. Bei den Soul Train Awards, die am 15. März im Shrine Auditorium stattfanden, wurde „I Will Always Love You“ zum besten R&B-Song des Jahres gekürt. Whitney erhielt zudem den Sammy Davis Jr. Award und trat zusammen mit Bobby Brown live auf. In Kanada verlieh man ihr am 20. März einen Juno-Award für Bodyguard als bestes Album des Jahres. Und bei der jährlichen Versammlung der Vertriebsorganisation der amerikanischen Musikindustrie, der National Association of Recording Merchandisers, wurde Bodyguard zum bestverkauften Soundtrack und bestverkauften Hit-Album des Jahres erklärt. Obwohl Whitney nun längst Mrs. Brown war, flackerten die Lesbengerüchte immer wieder auf, und Whitney versuchte immer vehementer, sie zu widerlegen. Im Rolling Stone erklärte sie: „Mir hängt dieser Scheiß wirklich zum Hals raus. Die Leute wollen wissen, ob Robyn und ich eine Beziehung haben. Wir haben eine – eine freundschaftliche. Wir sind Freundinnen, seit wir Kinder waren. Inzwischen ist Robyn meine Angestellte. Ich bin ihre Arbeitgeberin. Aber wenn ich mit einer Frau befreundet bin, muss es irgendwie wohl zwangsläufig so sein, dass ich gleich eine lesbische
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Beziehung zu ihr habe. Das ist Quatsch. Es gibt so viele Künstlerinnen, deren Vertraute Frauen sind, und das stellt niemand in Frage. Mir kommt es so vor, als würden sich die Leute sagen: ‚Hey, Whitney Houston, die ist doch total beliebt, der würgen wir mal eine rein.‘ Ich habe es immer und immer wieder bestritten, und niemand hat das akzeptiert. Die Medien jedenfalls nicht. Die Leute wissen doch, dass ich verheiratet bin. Was denkt man denn von mir – dass ich verheiratet bin und ein Doppelleben führe? Das würde mein Ehemann schon gar nicht zulassen – nur, dass das klar ist, verstanden? Er ist durch und durch ein Mann und steht nicht auf so was, okay? Aber mich nervt diese Frage so sehr, und noch mehr nervt es mich, sie beantworten zu müssen.“ Aber ganz gleich, was sie in der Presse auch zu Protokoll gab, die Gerüchte hielten sich auch weiterhin hartnäckig. Bei einem Aufenthalt im Peninsula Hotel in Beverly Hills am 24. März 1994 brach zwischen Bobby, Whitney und Robyn angeblich ein heftiger Streit aus. Nicht nur Bobby und Whitney stritten miteinander, Bobby griff auch Robyn an. Am frühen Morgen rief sie die Sicherheitskräfte und behauptete, von Bobby Brown tätlich attackiert worden zu sein. In Diva: The Totally Unauthorized Biography Of Whitney Houston von Jeffrey Bowman wurde einer der Sicherheitsleute wie folgt zitiert: „Mr. Brown fluchte und bedrohte Miss Crawford, und daraufhin fragten wir Miss Houston, ob wir bleiben sollten, bis die Polizei eintrifft, die mittlerweile gerufen worden war. Aber sie sagte, sie habe die Situation jetzt im Griff. Wir erkannten anhand seines Verhaltens, dass Mr. Brown getrunken hatte. Offenbar waren Brown, Houston und Crawford allesamt in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt gewesen.“ Am 9. April 1994 zählte Whitney zu den Headlinern des 5. Save The Rain Forest-Benefizkonzerts, das in der Carnegie Hall in New York stattfand; darüber hinaus traten auch Elton John, Tammy Wynette, Sting, James Taylor, Aaron Neville, Branford Marsalis und Luciano Pavarotti bei diesem Event auf. Am 14. April begann dann Whitneys SüdamerikaTournee mit einem Konzert im San Carlos De Apoqundo Stadion der chilenischen Hauptstadt Santiago.
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Während sie unterwegs war, wurde Bobby Brown am 26. April festgenommen: Man warf ihm vor, im Mannequin, einem Nachtclub der Disney World in Orlando, Florida, einen Gast zusammengeschlagen zu haben. Berichten zufolge hatte Brown mit drei Freunden gefeiert, als ein Geschäftsmann aus Chicago ein Mädchen ansprach, mit dem sich Brown und seine Begleiter gerade unterhielten. Bobby zog dem Mann eine Flasche über den Kopf und schlug ihn zu Boden. Die Polizei wurde gerufen, um für Ruhe zu sorgen, und als die Beamten Brown und seine Kumpels aufforderten, sich vor dem Club auf die Bordsteinkante zu setzen und einige Fragen zu beantworten, weigerte sich der Sänger und wurde prompt in Gewahrsam genommen. Daraufhin urinierte er auf den Rücksitz des Polizeiwagens und schnitt das Wort „fuck“ in die Polsterung der Sitze. Der Mann, der bei dem Angriff verletzt worden war, wurde ins Krankenhaus gebracht, wo man ihm das teilweise abgetrennte Ohr wieder annähte. Bobby und seine Jungs verbrachten ungefähr fünf Stunden in Polizeigewahrsam, zahlten eine Kaution von 5.000 Dollar und wurden wieder freigelassen. Eine typische Kneipentour mit Bobby eben. Die 6. World Music Awards, die im Sporting Club in Monte Carlo verliehen wurden, brachten die nächsten Trophäen im weltweiten Auszeichnungsreigen für Whitney. Bei der Zeremonie am 4. Mai gewann sie in den Kategorien „Popk-Künstler des Jahres“, „R&B-Künstler des Jahres“, „USamerikanischer Künstler des Jahres“, „Künstler des Jahres“ und „Sängerin des Jahres“. Im Frühjahr wurde bekannt, dass Whitneys nächste Filmverpflichtung feststand: Sie sollte die Titelrolle in der Neuauflage von Rodgers und Hammersteins Cinderella übernehmen. Das Musical war bereits 1957 in Schwarzweiß fürs Fernsehen verfilmt und in den Sechzigern mit einem Star-Ensemble neu aufgelegt worden. Die neue Fassung war ebenfalls als Fernsehfilm gedacht. Die nächsten Schlagzeilen machte Whitney im Juni, als sie eine Klage gegen den Konzertveranstalter Pro Rok einreichte, der am 24. April 1994 ihr Konzert im puertoricanischen San Juan organisiert hatte. Wie ihre Rechtsvertreter erklärten, habe man ihr den zugesicherten Anteil aus dem Ticketverkauf vorenthalten.
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Am 14. Juni war Whitney Houston der Star einer Pressekonferenz in New York, bei der bekannt gegeben wurde, dass sie einen Werbevertrag mit dem Telefonkonzern AT&T abgeschlossen habe, der mit „AT&T True Voice“ gerade eine neue Technik etablierte, um die Sprachqualität von Ferngesprächen zu verbessern. Für ihre Beteiligung an der Werbekampagne kassierte Whitney eine Million Dollar. Als am 17. Juli 1994 das Finale der Fußballweltmeisterschaft zwischen den Nationalmannschaften von Italien und Brasilien im kalifornischen Pasadena stattfand, bestritt Whitney als Headliner das Programm vor dem Spiel. Aber es gab auch immer wieder unangenehme Zwischenfälle in diesem Jahr. Am 2. September wurde beispielsweise in Morristown, New Jersey eine zweite Unterlassungsverfügung gegen einen gewissen Charles Gilberg ausgesprochen, einen Fan, der es mit seiner Zuneigung soweit übertrieb, dass er behauptete, selbst der Vater von Whitneys Kind zu sein. Im September war Whitney für sieben Konzerte in der Radio City Music Hall in New York gebucht, die alle ausverkauft waren. Ihre Einnahmen beliefen sich auf 2.668.940 Dollar. Am 4. Oktober trat sie im Rose Garden des Weißen Hauses in Washington auf, und auf ihr Konzert folgte ein Staatsbankett zu Ehren von Nelson Mandela. Berichten zufolge erschien sie an jenem Abend extrem spät auf der Bühne, ohne dafür eine Erklärung abzuliefern, eine Verhaltensweise, die bald schon zur Gewohnheit für sie werden sollte. Am 12. November strahlte der Fernsehsender HBO ein Konzert aus, das den Titel Whitney – Concert For A New South Africa trug und live aus dem Ellis Park in Johannesburg übertragen wurde. Es war Teil ihrer Südafrika-Tournee und gleichzeitig als Würdigung der jüngsten politischen Ereignisse und der Abschaffung der Apartheid gedacht. Durch den Erfolg als Schauspielerin und vor allem durch den Superhit „I Will Always Love You“ war Whitney Houston zu dieser Zeit sogar ein noch größerer Star als zuvor. Je berühmter sie wurde, desto mehr gab sie sich aber auch als Diva. Am 2. März 1995 rauschten Whitney und Bobby mit ihrer Entourage ins Hollywood Palladium, wo sie ihrer Mutter den Pioneer Award der Rhythm & Blues Foundation überreichen sollte. Ich war an jenem Abend persönlich anwesend und staunte nicht schlecht über
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das kühle und arrogante Verhalten der Sängerin. Der Abend begann mit einer Cocktailparty, bei der es vor Stars nur so wimmelte – Bonnie Raitt, Fred Schneider von den B-52’s, Mary Wilson, Martha Reeves, Mavis Staples, Little Richard und viele andere waren zugegen, und niemand von ihnen schottete sich vor der Presse ab. Whitney und Bobby kamen spät, umgeben von einem ganzen Klüngel von Assistenten; einer passte auf Bobbi Kristina auf und ein anderer trug etwas, das wie eine Windeltasche aussah. Die ganze Gruppe schien nur dazu da zu sein, Whitney und Bobby jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Ich saß mit zwei Entertainmentsgrößen an einem Tisch, als ein Mann vom Sicherheitspersonal zu uns herüberkam und ausgesprochen höflich darum ersuchte, dass sich „auf Miss Houstons Bitte hin, niemand ihrem Tisch nähert“. Wir waren empört über diese ungehörige Aufforderung, da sich reihenweise renommierte Sänger und Künstler im Raum befanden, die sich freundlich mit Jedermann unterhielten. Ein Insider aus dem Musikgeschäft sagte an diesem Abend zu mir: „Ich kann nicht glauben, dass Whitney so eine eingebildete Ziege geworden ist.“ Nachdem Bodyguard im Kino so gut gelaufen war, mangelte es natürlich nicht an neuen Drehbüchern, die Whitney wieder vor die Kamera locken sollten. Eine Idee, die immer wieder gehandelt wurde, war ein Remake der Filmkomödie Jede Frau braucht einen Engel, die ursprünglich mit Cary Grant, Loretta Young und David Niven gedreht worden war. Bevor das Projekt tatsächlich in Angriff genommen werden konnte, bot man Whitney jedoch eine der Hauptrollen in Warten auf Mr. Right an, der Verfilmung des Bestsellers Endlich ausatmen von Terry McMillan. Das Frühjahr 1995 verbrachte Whitney größtenteils in Phoenix, Arizona, wo sie als Savannah vor der Kamera stand. Die anderen Hauptrollen in dem Film übernahmen Angela Bassett, Loretta Devine und Lela Rochon, und insgesamt war der Film mit hervorragenden schwarzen Schauspielern besetzt; Forest Whitaker führte Regie. Whitney sagte gegenüber dem Magazin Ebony: „In nur zwei Wochen hat mir Forest enorm viel über die Schauspielerei beigebracht. In Bodyguard habe ich einfach eine Rolle gespielt, die mir sehr vertraut war, weil meine Figur und ich dieselbe Welt teilten. Savannah ist mir auch ähnlich, aber sie ist eben nicht berühmt. In
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dieser Rolle kann ich viel mehr ich selbst sein. Großartig ist auch, dass ich mit drei wunderschönen Ladies vor der Kamera stehe, die alle großartige Schauspielerinnen sind und mir eine Grundlage bieten, auf der ich mich richtig austoben kann.“ Während Whitney arbeitete, amüsierte sich ihr Ehemann nach Kräften. Im August 1995 gab Bobby in Hollywood eine Party für seine Freunde. Als ihn jemand vom Sicherheitspersonal darauf hinwies, dass die Feierlichkeiten allmählich zu laut wurden, trat Bobby erzürnt nach dem Mann. Der Vorfall brachte ihm eine Anklage wegen tätlichen Angriffs ein. Am 21. September 1995 erschien eine Presseerklärung, in der es hieß, Whitney und Bobby hätten sich offiziell getrennt. Die Fans der Sängerin atmeten allesamt auf. Aber die Trennung war leider nur von kurzer Dauer. Zunächst aber fiel Bobby weiterhin durch ungebührliches Verhalten auf und geriet sogar in eine Schießerei, die auch tödlich hätte ausgehen können. Kurz zuvor hatte er mit Steven „Shot“ Sealy einen neuen Leibwächter eingestellt. Als er zusammen mit dem Bodyguard eine Bar im Roxbury-Viertel von Boston verließ, eröffnete jemand das Feuer auf die beiden. Sealy kam dabei ums Leben. Auf das auffällige Verhalten ihres Ehemannes angesprochen, erklärte Whitney 1995: „Wir haben alle unsere Sorgen und Probleme. Ich wünsche mir, sie privat lösen zu können. Es heißt immer, er würde mich betrügen. Ich selbst habe ihn dabei noch nicht erwischt, sonst hätte ich ihm den verfickten Hals gebrochen!“ Für die Lady, als die sie sich früher immer gegeben hatte, verfügte Whitney inzwischen über ein erstaunlich vulgäres Vokabular. Die Schlagzeilen, die sie und Bobby damals machten, waren ihr natürlich auch nicht recht. „Die Medien sind Teufel“, sagte sie. „Dämonen, die sich von meinem Fleisch ernähren.“ Dabei berücksichtigte sie allerdings nicht, dass ihr Gatte ständig mit dem Gesetz in Konflikt kam und sie selbst allmählich in den Ruf geriet, eine echte Zicke zu sein. Sie verteidigte ihr eigenes Verhalten: „Ich nehme nicht mehr so viel Scheiße hin wie früher, und wenn ich deswegen eine Zicke bin, dann ist das eben so.“ Nun, wie heißt das alte Sprichwort: Wer sich den Schuh anzieht, dem passt er auch.
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Wenn man sich beim Dreh von Warten auf Mr. Right umhörte, gab Whitney sich auch dort wenig Mühe, ihrem neuen Ruf als launischer Diva etwas entgegenzusetzen. Entertainment Weekly zitierte einen Produktionsmitarbeiter, der an dem Film mitwirkte, mit den Worten: „Die Leute, mit denen sie sich umgibt, sind nicht so gebildet wie sie. Sie sind ziemlich ruppig. Und ich denke, innerlich ist sie auch so. Sie hat so etwas Kaltes an sich. Sie ist hart.“ Am 2. November 1995 wurde Whitney bei den 25. Soul Train Awards in die Hall Of Fame dieser berühmten amerikanischen Soul-Fernsehsendung aufgenommen. Wenig später, am 17. November, war sie Berichten zufolge wieder mit Bobby zusammen, mit dem sie sich öffentlich in dem Nachtclub Bar None in Miami versöhnt hatte. Ende des Monats erreichte ihre aktuelle Single, der Titelsong aus Warten auf Mr. Right – „Exhale (Shoop Shoop)“ – Platz 1 in den USA und Platz 11 in England; in Deutschland kam der Song auf Platz 26. Mit diesem Hit konnte Whitney als dritte Künstlerin eine Single vorweisen, die von Null auf Eins in die Billboard Charts eingestiegen war. Außerdem war „Exhale (Shoop Shoop)“ ihre elfte Nummer Eins, und damit zog sie mit Madonna gleich. Die beiden Diven wurden nur noch von den Beatles (20 Nummer-Eins-Hits), Elvis (17) und den Supremes (12) übertroffen, was die Anzahl von Spitzentiteln in den Pop-Charts betraf. Der Film Warten auf Mr. Right erschien zu Weihnachten 1995 und wurde an den Kinokassen ein großer Hit, wobei er besonders das weibliche Publikum ansprach. Warten auf Mr. Right war gewissermaßen ein „Frauenfilm“, wie sie in den Dreißiger- und Vierzigerjahren vielfach mit Schauspielerinnen wie Bette Davis, Miriam Hopkins, Claudette Colbert und Joan Crawford gedreht und gezielt auf den Geschmack der Kinogängerinnen zugeschnitten worden waren. Der einfühlsame und humorvolle Film bildete eine Ausnahmeerscheinung auf dem Filmmarkt. Es war der erste Film, der für die schwarze Frau von heute über schwarze Frauen von heute gedreht worden war. Genau wie das Buch, auf dem er basierte, stellte auch der Film Rassenfragen nicht in den Mittelpunkt. Die Hauptfiguren waren zufällig farbig, aber das spielte überhaupt keine Rolle. Die Geschichte handelte von vier
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Freundinnen und ihren Problemen mit Männern, hatte aber mit der Problematik einer schwarzen oder weißen Gesellschaft nichts zu tun. Warten auf Mr. Right spielte in Phoenix, Arizona und schilderte die Erlebnisse und Lebenskrisen der vier jungen Frauen, die beim Cocktailtrinken, auf Partys und beim Diskutieren von Beziehungsproblemen gezeigt wurden. So verschieden sie auch waren, waren sie doch allesamt sehr attraktive, gebildete Frauen, die – selbstgewählt oder nicht – Single waren und diesen Umstand hassten. Whitney übernahm die Rolle der Savannah, die bei einem Fernsehsender arbeitet und in einer Beziehung mit einem verheirateten Mann feststeckt, der ihr schon seit Jahren verspricht, seine Frau für sie zu verlassen. Angela Bassett spielte Bernadette, die es zu einem wunderschönen Haus, zwei entzückenden Kindern und zahllosen herrlichen Besitztümern gebracht hat, und die, als ihr Mann sie verlässt, auf Rache sinnt. Loretta Devine war als Gloria zu sehen, die ebenfalls von ihrem Mann verlassen wird, der ihr erklärt, eigentlich schwul zu sein – ein Umstand, der es für sie um so schwerer macht, ihren Teenagersohn Tarik zu erziehen. Und die hübsche Lela Rochon spielte Robin, eine erfolgreiche Geschäftsfrau, in deren Liebesleben sich allerdings nur Männer tummeln, die entweder zu selbstverliebt oder zu dusslig sind, als dass einer davon wirklich als Ehemann in Betracht käme. Von den vieren gelang es vor allem Angela Bassett, ihre Szenen mit Verve und Spannung aufzuladen. Nachdem sie erfahren hat, dass ihr Mann sie wegen seiner weißen Sekretärin verlassen will, steckt sie seinen geliebten Sportwagen in Brand. Müsste man den Hauptfiguren je ein bestimmtes Attribut zuordnen, dann wäre Angela die Resolute, Loretta die Nette, Lela die Süße und Whitney die von allem Gelangweilte. Um angemessen frustriert und blasiert zu wirken, schien Whitney oft völlig desinteressiert durch ihre Szenen zu schweben, und ihre schauspielerischen Fähigkeiten wurden nicht immer ins beste Licht gerückt. Sie kam besonders dann sehr lebendig herüber, wenn sie von den anderen Hauptdarstellerinnen umgeben war, wenn sie mit ihnen tratschen und Frauengespräche führen konnte. Wenn sie allein vor der Kamera stand, wirkte sie gelegentlich, als fühlte sie sich nicht wohl – beispielsweise in der
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Szene, in der Savannah mit ihrer Mutter telefoniert und dabei so viel Gefühl vermittelt, als würde sie ihre Zeilen von einem Zettel ablesen. Die Presse beurteilte Waiting For Mr. Right grundsätzlich sehr positiv. Barry Walters vom San Francisco Examiner erklärte: „Warten auf Mr. Right kommt als erster offizieller den-muss-man-gesehen-haben-Film daher, der sich speziell an schwarze Frauen richtet. Es ist eine stolze Geschichte, die sich perfekt für einen Mädels-Abend eignet.“ Er wies jedoch auch darauf hin, „dass der Film die Geschichte nicht so gut erzählt wie der dazugehörige Soundtrack, ein Diva-Marathon, der das Thema des Films besser rüberbringt als der Drehbuchautor auf der Leinwand“. In der Washington Post stellte Desson Howe fest: „Der Episodenfilm erzählt von vier Frauen, dargestellt mit viel Elan und Ehrgeiz von Bassett, Whitney Houston, Loretta Devine und Lela Rochon, die alle reichlich schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht haben. Bei der Fülle von Handlungssträngen hätte sich Warten auf Mr. Right leicht verzetteln können. Aber der Film bleibt stets fließend und gefühlvoll dank eines knackigen, witzigen Drehbuchs. Die Hauptdarstellerinnen liefern alle hervorragende Leistungen ab (ihnen allen fällt es leicht, verletzte Gefühle zu zeigen – aufgepasst, Bobby Brown!), und werden dabei optimal von Forest Whitakers einfühlsamer Regie unterstützt.“ Edmund Guthmann erklärte im San Francisco Chronicle, der Film sei unzusammenhängend: „Streckenweise ist er albern, leblos und flach. Man würde sich einen Film wünschen, der mit den Füßen stampft, begeistert die Arme in die Luft wirft und enthemmt weint, aber stattdessen verzettelt er sich in zu viele parallele Entwicklungen und billige Gags. Houston, die seit Bodyguard (1992) keinen Film mehr gemacht hat, übernimmt hier eine der Hauptrollen, aber sie spielt dermaßen reduziert, dass sie so gelangweilt und distanziert wirkt, als hätte sie eigentlich etwas Besseres zu tun.“ Roger Ebert von der Chicago Sun-Times war von der Geschichte von Anfang an fasziniert. „Es sind insofern keine ‚echten‘ Frauen, dass die fiktiven Figuren so sorgfältig gestaltet wurden, dass sie die Träume und Wünsche aller Zuschauer verkörpern – gerade die der weiblichen, die sicher glücklich wären, ein Leben führen zu können, wie es hier dargestellt wird,
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ob mit Mann oder ohne“, schrieb er. „Dennoch funktioniert dieser Film. Ich habe mich keinen Augenblick gelangweilt. Über weite Strecken gibt er sich damit zufrieden, die Geschichte unterhaltsam aus dem Blickwinkel eines Frauenmagazins zu erzählen. Als seine Schutzheilige böte sich Mae West an, die sich mehr Männer in ihrem Leben und mehr Leben in ihren Männern wünschte.“ Im Januar 1996 erreichte der Soundtrack von Warten auf Mr. Right, Waiting To Exhale Platz 1. Neben „Exhale (Shoop Shoop)“ enthielt er zwei weitere Aufnahmen von Houston, aber auch neue Songs von Aretha Franklin, Patti LaBelle, TLC, Toni Braxton, Brandy, Mary J. Blige, Chaka Khan und weiteren Soul-Diven. Sämtliche Tracks wurden von Babyface produziert. Whitneys „Exhale (Shoop Shoop)“ nahm das lautmalerische „Shoop“ im Titel auf, das bei vielen Songs im Begleitgesang auftauchte und damals in aller Munde war; 1993 hatten Salt-N-Pepa mit „Shoop“ einen großen TopTen-Hit gelandet, und Cher hatte zwei Jahre zuvor mit „The Shoop Shoop Song (It’s In His Kiss)“ einen ihrer größten internationalen Erfolge verbuchen können. Houston bewies mit dieser schlichten, aber eingängigen Pop-Ballade, dass der „Shoop“-Zauber auch noch ein drittes Mal funktionierte. Sie sang dabei sehr zurückhaltend, aber höchst überzeugend. Ihr zweiter Solotitel auf der Platte, „Why Does It Hurt So Bad“, zählt zu ihren sanftesten Balladen. Es ist ein schlichter Song über den Herzschmerz, den die Liebe mit sich bringt, und Whitney klang bei dieser Komposition von Babyface, als wüsste sie nur zu genau, wie sich so etwas anfühlte. Davon abgesehen war sie auf diesem Soundtrack noch in einem Duett mit der Gospel-Queen CeCe Winans zu hören, „Count On Me“, einem Song über Freundschaft und Hingabe. Auf dem Cover fand sich der Hinweis, dass außer Kenneth „Babyface“ Edmonds, der das Soundgerüst für alle Songs entworfen hatte, Whitney Houston und Clive Davis als leitende Produzenten verantwortlich waren. Zwar erprobte Whitney in vieler Hinsicht die eigene Unabhängigkeit, aber es war immer noch Davis, der genau kontrollierte, wie Whitney sich der Öffentlichkeit präsentierte. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis sie sich auch gegen seine Autorität auflehnte.
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Warten auf Mr. Right war gerade erst in den Kinos angelaufen, als im Januar 1996 bereits die Dreharbeiten zu dem Familienfilm Rendezvous mit einem Engel begannen. Wie Entertainment Weekly berichtete, erhielt Whitney die stolze Summe von zehn Millionen Dollar für die weibliche Hauptrolle an der Seite von Denzel Washington. Am 24. Februar erreichte „Count On Me“, das Duett von Whitney und CeCe Winans aus dem Soundtrack von Waiting To Exhale, mit Platz 12 seine höchste Chartposition in England. Bei den 10. Soul Train Music Awards am 29. März gewann Whitney mit „Exhale (Shoop Shoop)“ den Preis für die beste R&B/Soul-Single einer Sängerin. Am 5. April moderierte Whitney dann zusammen mit Denzel Washington die 27. NAACP Image Awards im kalifornischen Pasadena. Die Bürgerrechtsorganisation, die sich für die Gleichstellung ethnischer Minderheiten in den USA einsetzt, zeichnete Waiting To Exhale als bestes Album und „Exhale (Shoop Shoop)“ als herausragenden Song des Jahres aus. Währenddessen machte Bobby Brown weiterhin Schlagzeilen. Am 22. April erwischte ihn die Polizei, als er in Atlanta unter Alkoholeinfluss Auto fuhr; dabei war er so betrunken, dass er nicht einmal mehr das Alphabet aufsagen konnte. Auch wurde dabei festgestellt, dass die Frau, die mit ihm im Wagen saß, nicht seine Ehegattin war. Während es mit Bobby Browns Karriere ungebremst abwärts zu gehen schien, blieb Whitney jedoch weiterhin auf der Erfolgsspur. Im Mai erreichte „Count On Me“ mit Platz 8 seine höchste Platzierung in den US-Charts, und im August kam die dritte Houston-Auskopplung aus Waiting To Exhale, „Why Does It Hurt So Bad“, bis auf Platz 26. Am 13. September wurde Whitney vom schwarzen Fernsehsender Black Entertainment Television (B.E.T.) gewürdigt und erhielt den B.E.T. Walk Of Fame Award, der bei der Benefizveranstaltung des United Negro College Fund in Washington übergeben wurde. Am 17. November sang sie bei der Fernsehaufzeichnung Celebrate The Dream: 50 Years Of Ebony Magazine, bei dem das Jubiläum des Lifestyle-Magazins für den afroamerikanischen Markt begangen wurde. Das Special wurde am 28. November ausgestrahlt.
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Doch zuvor hatte es schon wieder neue Zwischenfälle mit Bobby Brown gegeben. Am 17. August hatte er mit Whitneys Porsche in der Ortschaft Hollywood in Florida ein Verkehrsschild gerammt und war wegen Verletzungen an Hals und Beinen in einem Krankenhaus ärztlich versorgt worden; nach der Behandlung konnte er jedoch gleich wieder gehen. Strafrechtlich hatte der Vorfall für ihn keine Konsequenzen. Whitney konzentrierte sich nun auf ihren neuen Film. Rendezvous mit einem Engel war ein wenig verändertes Remake der amüsanten Komödie Jede Frau braucht einen Engel aus dem Jahr 1947. In der Originalversion spielte Loretta Young die besagte Frau, David Niven gab ihren zerstreuten Ehemann, und die Rolle des charmanten Engels Dudley hatte Cary Grant übernommen. Es ist einer jener Filme, die in den USA immer noch gerne zu Weihnachten im Fernsehen gezeigt werden. In der Neuauflage von 1996 übernahm Courtney B. Vance die Rolle des Reverend Henry Biggs, des Hauptgeistlichen der St. Matthews Baptist Church in einer Stadt an der Ostküste. Es ist kurz vor Weihnachten, und der Reverend hat jede Menge Probleme, mit denen er sich herumschlagen muss: Die Kirche kann die Betreuung der Jugendgruppen nicht mehr finanzieren, die Zahl der Gottesdienstbesucher schwindet, die Heizungsanlage pfeift aus dem letzten Loch und ein aggressiver Immobilienhai (Gregory Hines) bedrängt die Gemeinde, weil er am liebsten die ganze Kirche dem Erdboden gleichmachen würde. Mit Julia (Whitney Houston) steht Henry Biggs zwar eine wundervolle Frau zur Seite, doch sie fühlt sich vernachlässigt, während ihr Ehemann hastig versucht, ein Problem nach dem anderen zu lösen. Henry ist zwar frustriert, aber er weiß um die Kraft des Gebets. Und so betet er zu Gott, dass Er ihm jemanden schickt, der ihm hilft. Allerdings erkennt Henry nicht, dass seine Gebete tatsächlich erhört werden. Vom Himmel wird in der Gestalt von Dudley (Denzel Washington) ein Engel herabgeschickt, der Henry unterstützen soll. Julia geht davon aus, dass Dudley vom Kirchenkreisvorstand geschickt wurde und heißt ihn wärmstens in ihrem Haus willkommen. Schnell freundet er sich auch mit dem kleinen Sohn des Paares an, der Dudley auf Anhieb akzeptiert, weil er so unschuldig und ehrlich ist.
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Auch Cissy Houston ist in diesem Film zu sehen, als Mrs. Havergal, eine Dame aus dem Kirchenchor, die ihren ganz eigenen Kopf hat. Ihre Auftritte zählen zu den bestechendsten Szenen in diesem hübschen Film. Whitneys beste Szenen zeigen sie bei der Leitung des Kirchenchors, und in diesen Augenblicken scheint sie ganz in ihrem Element zu sein. Als Dudley die Gelegenheit erhält, Julia in einen Jazz Club mitzunehmen, trifft sie einen alten Freund, den Klavierspieler Britsloe (Lionel Ritchie). Wie alle Weihnachtsfilme hat auch Rendezvous mit einem Engel ein Happy End, das in diesem Fall aufbauend wirkt, ohne schmalzig oder süßlich zu sein. Die Julia in Rendezvous mit einem Engel erwies sich als Whitneys bis dahin stärkste Rolle; sie wirkte konzentriert und schien mit ihrer Figur ganz und gar im Einklang zu sein. Auch im Zusammenspiel mit den beiden männlichen Hauptdarstellern überzeugt sie. Die Szenen mit ihrer Filmmutter Jenifer Lewis stellen bei allen liebevollen Neckereien eine sehr warmherzige Mutter-Tochter-Beziehung dar. Der Regisseurin Penny Marshall gelang es, für eine straffe Handlung zu sorgen und äußerst glaubwürdige Darstellungen aus Whitney und der übrigen Besetzung herauszulocken. Die Kritiken für Rendezvous mit einem Engel waren recht gut, und Whitney wurde ebenfalls gelobt. Kevin Thomas schrieb in der Los Angeles Times: „Rendezvous mit einem Engel ist ein Weihnachtsfilm, der die Atmosphäre dieser Jahreszeit wunderbar erfasst. Er ist gefühlvoll, sentimental, lustig und dennoch ernst, und er verquickt Phantasie und schmerzhafte Realität auf ideale Weise. Washington und Houston, die als Leiterin des Gospelchors von St. Matthews reichlich Gelegenheit zum Singen bekommt, zählen zu den attraktivsten und charismatischsten Schauspielern, die man heutzutage auf der Leinwand bewundern kann, und sie sind hier großartig.“ Im San Francisco Examiner behauptete Barbara Shulgasser: „Die größte Stärke des unbedeutenden, aber unterhaltsamen Films Jede Frau braucht einen Engel von 1947 lag in der attraktiven Besetzung der Hauptrollen. Rendezvous mit einem Engel folgt einer beinahe identischen Handlung und kann mit ebenso attraktiven Schauspielern punkten. Dass
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die Handlung hier in eine schwarze Kirche verlegt wurde, in der Houston immer wieder Gospels singen kann, ist die größte Verbesserung gegenüber dem Original. Houston ist einfach faszinierend, und ihre Stimme verleiht den Musiktiteln erhebende Kraft.“ Auch Roger Ebert von der Chicago Sun Times mochte den Film: „Rendezvous mit einem Engel ist eine hübsche und liebenswerte Komödie über die Weihnachtszeit. Mir hat der Film besonders wegen der vielen schlichten, aber sehr echt wirkenden Elemente gefallen, die einfach Spaß machen, angefangen mit der Art, wie Houston singt, aber auch wegen Denzel Washington, der Liebe ohne Lust und Güte ohne Abgedroschenheit vermitteln kann. Der Film hätte noch mehr erreichen können, aber auch so lässt er den Zuschauer mit einem wohligen Gefühl zurück.“ Das sahen allerdings nicht alle so. Denis Seguin schrieb beispielsweise in Eye Weekly: „Rendezvous mit einem Engel ist eine erbärmliche Neuauflage von Jede Frau braucht einen Engel. Zwar handelt die Geschichte von göttlicher Einmischung, aber der Film versprüht keinerlei Zauber und vertraut noch zynischer als sonst üblich auf die Kraft der Starbesetzung. Er ist so offensichtlich als Plattform für die Sängerin angelegt, dass man stellenweise den Eindruck hat, sich eine Grammy-Verleihung aus den späten Achtzigern anzusehen.“ Wie auch schon bei Bodyguard und Warten auf Mr. Right hatte Whitney ihre eigene Gesangskarriere einstweilen auf Eis gelegt, um sich auf den Soundtrack zu konzentrieren. Hier konnte sie sich endlich auf ihre GospelWurzeln besinnen, und sie setzte alles daran, ihre Song-Auswahl einerseits so lebendig zu gestalten, dass die Musikfans der Neunziger Zugang dazu finden, und andererseits neue Titel zu schaffen, die für sich allein stehen konnten. Whitney hatte zudem Gelegenheit, ein Duett mit der Gospel-Legende Shirley Caesar zu singen, und einen Song überließ sie ganz ihrer Mutter Cissy. Auf Whitneys Betreiben hin bekam auch Bobby Brown einen Gastauftritt, und Robyn Crawford wurde ebenfalls eingebunden – als CoProduzentin. Es wäre irreführend, den Soundtrack The Preacher’s Wife als reine Gospel-LP zu bezeichnen, obwohl es sich bei der Musik zu achtzig Prozent um Gospel handelt. Die größten Solo-Hits, die darauf enthalten waren, die
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Pop-Ballade „I Believe In You And Me“ und das knackige „Step By Step“, fanden sich gleich in zwei verschiedenen Versionen. „Step By Step“ ist der wohl energiegeladenste Song auf der Platte und stammt aus der Feder der Sängerin Annie Lennox. Zu Whitneys Ausflügen in den Gospelsound zählten „Joy“, „Hold On Help Is On The Way“, „I Go To The Rock“ und „I Love The Lord“. Whitney und Shirley Caesar entfesselten zudem, unterstützt vom Georgia Mass Choir, ein echtes Gospelfeuerwerk bei „He’s All Over Me“. Cissy Houston trat allein ins Rampenlicht und sang begleitet vom Hazekiah Walker Choir „The Lord Is My Shepherd“. Es fanden sich zudem einige eher weihnachtliche Songs auf dem Album, beispielsweise das extra für die Platte geschriebene „Who Would Imagine A King“ und das traditionelle „Joy To The World“, die beide unaufdringlich daran erinnerten, dass auch die Handlung des Films rund um die Weihnachtszeit angesiedelt war. Zu den interessantesten und gelungensten Titeln zählt der Gospel-Rap „Somebody Bigger Than You And I“, an dem auch Bobby Brown, Faith Evans, Johnny Gill sowie Monica und Ralph Tresvant mitwirkten. Whitney konnte sich zudem an einigen Balladen versuchen. Diane Warren schrieb das hingebungsvolle „You Were Loved“, Babyface steuerte das pulsierende „My Heart Is Calling“ bei und produzierte beide Titel. Eine Single-Version von „I Believe In You And Me“ wurde jedoch von David Foster produziert, der sich mit „I Will Always Love You“ ein Denkmal gesetzt hatte. Abgesehen von den beiden Songs, die auf das Konto von Babyface gingen, dem besagten Foster-Titel und „Step By Step“, bei dem Stephen Lipson an den Reglern saß, wurde Whitney Houston als CoProduzentin für diese Platte angegeben, neben Mervyn Warren und, bei einem Titel, Ricky Minor. Offenbar nahm Whitney ihr musikalisches Geschick nun zunehmend selbst in die Hand, und in diesem Fall drückte sie genau die richtigen Knöpfe. Zwar waren auf dem Soundtrack keine Nummer-Eins-Hits dabei, aber er avancierte dennoch zum erfolgreichsten Gospel-Album aller Zeiten und verkaufte sich weltweit über fünf Millionen Mal. Am 28. Dezember 1996 erreichte The Preacher’s Wife mit Platz 3 seine höchste Position in den Billboard-Albumcharts. Im Januar 1997 kam
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„Step By Step“ in Großbritannien bis auf Platz 13, in Deutschland sogar auf Platz 8. Bei der 24. Verleihung der American Music Awards, die am 27. Januar im Shrine Auditorium in Los Angeles stattfand, war Whitney erneut unter den Gewinnern und wurde als beliebteste Künstlerin im Bereich Adult Contemporary genannt. „I Believe In You And Me“ erreichte im Februar in den USA Platz 4. Am 8. Februar wurden die NAACP Image Awards erneut verliehen, und der Soundtrack The Preacher’s Wife wurde als „herausragendes Album“ ausgezeichnet, während Whitney den Titel „herausragende Schauspielerin“ erhielt. Es war ihr erster Preis als Schauspielerin und sollte auch der einzige bleiben. Am 10. Februar meldete Bobby Browns in Atlanta beheimatete Musikproduktionsgesellschaft Bosstown Inc. Konkurs an – buchstäblich eine Viertelstunde, bevor dem Sänger eine gerichtliche Anordnung zugestellt wurde, laut der er 194.000 Dollar an das Unternehmen Stude Editech Inc. hätte zahlen müssen – für Aufnahmegeräte, die er gekauft hatte, ohne sie sich leisten zu können. Am 26. Februar wurden die Grammy Awards im Madison Square Garden in New York verliehen. Der Soundtrack Waiting To Exhale, der in den USA drei Millionen Mal über den Ladentisch gegangen war, wurde schließlich das meistnominierte Album in der Geschichte der Grammys. An jenem Abend sangen Whitney, Mary J. Blige, CeCe Winans, Chaka Khan, Aretha Franklin, Brandi und Toni Braxton ein All-Star-Medley ihrer Songs auf dieser Platte. Im März erreichte „Step By Step“ in den USA Platz 15, und „I Believe In You And Me“ schaffte es in England bis auf den sechzehnten Platz. Die letzte Single, die aus The Preacher’s Wife ausgekoppelt wurde, war „My Heart Is Calling“, die jedoch in den USA lediglich bis auf Position 77 vorrückte. Trotz der gelegentlichen Ausfälle ihres Ehemannes schwamm Whitney Houston auf der höchsten Erfolgswelle ihrer Karriere. Zwar brach Rendezvous mit einem Engel keine Rekorde an den Kinokassen, aber die Kritiker liebten den Film, und die Zuschauer waren sich einig, dass es Whitneys bis dahin lockerster und bezauberndster Auftritt war. Binnen fünf Jahren
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hatte sie an drei Kassenknüllern mitgewirkt und war der große Star dreier äußerst erfolgreicher Soundtracks. Auch wenn ihr letztes Soloalbum sich im Vergleich zu den Vorgängern nicht mehr so gut verkauft hatte, die Soundtracks für Bodyguard, Waiting To Exhale und The Preacher’s Wife hatten das mehr als ausgeglichen. Es sah aus, als sei sie auf einer echten Erfolgsstraße, und das nächste Abenteuer sollte die lang erwartete Neuverfilmung des Musicals Cinderella mit einer echten Starbesetzung werden.
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ährend eines Urlaubs, den Whitney und Bobby im Sommer in Europa verbrachten, kam es zu einem eigentümlichen Zwischenfall, dessen genauere Umstände nie wirklich geklärt wurden. Das Ehepaar war mit einer Yacht vor Capri unterwegs gewesen, als Whitney am 21. Juli 1997 ins Capilupi-Krankenhaus gebracht wurde, wo ihr ein Arzt eine fünf Zentimeter lange Schnittwunde auf der Wange mit zwei Stichen nähen musste. Gegenüber der italienischen Polizei behauptete Whitney, sie habe sich die Verletzung beim Schwimmen zugezogen, als sie gegen einen Felsen gestoßen sei. Crewmitglieder der gemieteten Yacht erklärten allerdings, dass die Wunde auf dem Boot entstanden sein musste. Die Vermutung lag nahe, dass Bobby und Whitney wieder einmal eine ihrer berüchtigten Auseinandersetzungen gehabt hatten, zu denen es angeblich immer häufiger kam. Am 5. Oktober strahlte der Fernsehsender HBO ein groß beworbenes Live-Konzert von Whitney Houston aus. Augen- und Ohrenzeugen erklärten später, die Sängerin hätte „zugedröhnt ausgesehen“, als sie auf die Bühne kam und die Zuschauer mit einer fahrigen Rede überfiel, die ganz offenbar nicht vorher geplant und einstudiert worden war. Entertainment Weekly berichtete: „Sie hatte Mühe, ihre Songs zu singen und den Ton zu treffen, spulte ein unstrukturiertes, befremdliches Medley ab, bei dem sie sich vor allen möglichen toten Stars, darunter auch Notorious B.I.G. und Prinzessin Diana, verbeugte, und hatte mehr Angstschweiß im Gesicht als Nixon.“ Ein Kritiker meinte, dieses Konzert mit anzusehen, sei wie eine „mit Verzögerung gesendete Nahtod-Erfahrung“ gewesen.
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Der Produzent Andrew Skurow erklärte: „Ich war schockiert, als ich mit das HBO-Debakel bei der Übertragung aus Washington ansah. Ich glaube, es wurde nur einmal ausgestrahlt, weil es so grottenschlecht war. Sie schien bei dem Auftritt völlig neben sich zu stehen.“ Viele Zuschauer rutschten Berichten zufolge unbehaglich auf ihren Plätzen hin und her und wären am liebsten geflüchtet. Ein Songwriter, der für einen von Whitneys größten Hits verantwortlich zeichnet und bei dem Konzert zugegen war, bekannte, er sei von dem, was er bei diesem Konzert hätte mit ansehen müssen, „peinlich berührt“ gewesen. „Sie traf keinen Ton. Sie hat ihre Stimme ruiniert“, erklärte er betrübt. „Ich konnte kaum abwarten, dass es zu Ende war. Es war eine Qual, ihr zuzusehen.“ Whitney sorgte erneut für wenig schmeichelhafte Schlagzeilen, als sie kurzfristig einen Auftritt in der Talkrunde The Rosie O’Donnell Show absagte. Houston war als Star der Sendung vom 30. Oktober 1997 eingeplant gewesen, aber eine Dreiviertelstunde, bevor sie zur Aufzeichnung hätte erscheinen sollen, erklärte sie, sie würde nicht kommen. Rosie O’Donnell, für ihre Schlagfertigkeit bekannt, spickte die Sendung prompt mit gehässigen Bemerkungen über Whitney. Houston hatte behauptet, plötzlich eine Magenverstimmung bekommen zu haben, und Rosie erklärte daraufhin: „Ich hoffe, sie ist sehr krank.“ Um die plötzlich entstandene Lücke in der Sendung zu füllen, musste O’Donnell die anderen Gastauftritte entsprechend in die Länge ziehen. Das war deswegen besonders kitzlig, weil die Ausstrahlung ausgerechnet in jene Woche im November fiel, die Werbesponsoren als Messlatte für die Einschaltquoten nehmen. Außerdem kam schlecht an, dass Whitney an jenem Tag, an dem sie zu krank für Rosies Sendung war, irgendwie noch die Kraft fand, um Bobby Brown bei seinem Auftritt in einer anderen Fernsehsendung, The Late Show With David Letterman, zu begleiten. Währenddessen näherte sich ein lange geplantes Projekt endlich seiner Umsetzung. Fünf Jahre zuvor war man sich einig gewesen, dass der Fernsehfilm Cinderella sich ideal für Whitney eignete, denn schließlich erinnerte ihre eigene Geschichte durchaus an das Aschenputtel-Märchen von dem einfachen Mädchen, das eines Tages Prinzessin wird. Doch
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inzwischen hatte sich das Konzept grundlegend geändert. Ursprünglich war ihr die Titelrolle zugedacht gewesen, doch nun hatte sie in der Öffentlichkeit längst nicht mehr das Image eines unschuldigen Mädchens. Schließlich entschloss sie sich vernünftigerweise selbst dazu, die Hauptrolle abzugeben. Sie blieb jedoch eine der Produzentinnen des Projekts und beschloss, die gute Fee zu spielen, die mit ihrem Zauberstab Kürbisse in Kutschen und Mäuse in Pferde verwandeln kann. Die Rolle der Cinderella bot Houston der jungen Sängerin und Schauspielerin Brandy an, die durch die Sitcom Moesha bekannt geworden war. Sie war die perfekte Besetzung in dieser Märchenverfilmung, in der schwarze und weiße Schauspieler gleichermaßen vertreten waren – Brandy präsentierte jene natürliche Unschuld, die Whitney nicht mehr besaß oder ausstrahlte. Mit von der Partie waren außerdem Bernadette Peters als böse Stiefmutter, Whoopi Goldberg als Königin, Victor Garber als König und Jason Alexander als Höfling. Sie alle spielten ihre Rollen mit viel Verve und herrlich überspitzter Energie und sorgten für eine äußerst lebendige Produktion. Die Songs wurden im Vorfeld unter der Ägide von Arif Mardin eingespielt, der eine wunderbare Arbeit ablieferte. Whitneys Freundin Robyn Crawford war hinter den Kulissen als Co-Produzentin beschäftigt. Während der Dreharbeiten gingen bereits erste Gerüchte über Probleme am Set in Hollywood um. Augenzeugen berichteten, dass Whitney nie pünktlich erschien. Im Film wirkte sie später schwach und unsicher, was ihre Sprechstimme betraf, und sie schien wie lebendig begraben in ihrem Kostüm, das nicht ehrfurchteinflößend und überwältigend, sondern lediglich überladen und wenig schmeichelhaft aussah. Whitneys gute Fee erinnerte leider des Öfteren eher an eine Hexe. Ihr Auftritt vor der Kamera hätte aufregend, ihre Ausstrahlung charmant und bestechend sein sollen. Aus irgendeinem Grund verlieh sie ihrer Figur jedoch eine dominante, arrogante, reizbare und einschüchternde Note. Es war keine gute Idee, eine solche Rolle im Stil einer aufbrausenden Neunzigerjahre-Zicke zu spielen. Wenn sie ihren Text sprach, klang ihre Stimme rau, und in einer Szene bricht sie sogar. Es hörte sich an, als hätte sie die Nacht zuvor bis in die Morgenstunden mit Bobby gefeiert und nicht darauf geachtet, Kraft und Energie für ihren Auftritt aufzusparen. Abgesehen von einer Szene war sie
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in ein hautenges, goldenes Kleid gequetscht, in dem sie dicklich und schwanger aussah. „Impossible“, ihr Duett mit Brandy, versprühte Energie, aber über weite Strecken nahm man Whitney die gute Fee einfach nicht ab. Ihre Darstellung versprühte keinerlei Zauber, sondern wirkte entsetzlich beliebig und schlapp. Die übrigen Schauspieler lieferten glücklicherweise beeindruckende Leistungen ab. Und Brandy war als Cinderella bezaubernd und trug den ganzen Film. Beim Tanzen mit ihrem Prinzen (Paolo Montalban) strahlte sie geradezu. Die üppige Ausstattung der Kulissen wurde dem Märchenbild gerecht und orientierte sich am Wien des frühen 20. Jahrhunderts, wobei der Einfluss Gustav Klimts besonders zum Tragen kam. Bei seiner Erstausstrahlung am 2. November 1997 erzielte Cinderella in den USA hervorragende Einschaltquoten – über vierunddreißig Millionen Zuschauer sahen den Film. Allerdings war Whitneys Auftritt nach Ansicht von Kritikern und Publikum eine Enttäuschung, und man war sich einig, dass es sich um Houstons schwächsten Auftritt als Schauspielerin handelte. Ken Tucker urteilte in Entertainment Weekly: „Whitney Houston jedoch, die früher einmal sogar für die Rolle der Cinderella in Betracht gezogen worden war, sorgt mit ihrer rotzigen, ein wenig feindseligen Darstellung der guten Fee für einen falschen Ton.“ Es kam ebenso schlecht an, dass Whitney am 29. November – wieder einmal äußerst kurzfristig – ein Konzert absagte. Sie war für einen 45-minütigen Auftritt im RFK Stadion in Washington gebucht und sollte dafür eine Million Dollar erhalten. Sie begründete die Absage mit einer „plötzlichen grippalen Erkrankung“. Besonders bizarr war an dieser Geschichte, dass es sich bei der Veranstaltung um eine Massenheirat von 2500 Paaren handelte, die der Mun-Sekte angehörten und nun ohne Whitney getraut werden mussten. Bobby Brown hatte die Ehe mit einem Superstar wie Whitney hinsichtlich seiner Karriere als Musiker keine Vorteile gebracht, und mit ihrer ging es ganz sicher auch nicht aufwärts, seit man sie mit ihm in Verbindung brachte. Als er im November 1997 seine neue CD Forever bei MCA Records veröffentlichte, schaffte die LP es gerade mal bis auf Platz 61, und die Single „Feelin’ Inside“ erreichte in England Platz 40. Anschließend
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konnte er als Rapper und Sänger kaum noch nennenswerte Erfolge verbuchen. Whitneys Popularität war jedoch durch ihr seltsames Verhalten in der letzten Zeit noch nicht ernsthaft beschädigt. Am 11. Januar 1998 erhielt sie den People’s Choice Award als beste Musikerin. Bobby hatte weniger Glück in dieser Zeit. Am 29. Januar 1998 stand er in Fort Lauderdale wegen Trunkenheit am Steuer vor Gericht. Richter Leonard Finer verurteilte den „Humpin’ Around“-Sänger zu fünf Tagen Gefängnis, dreißig Tagen Drogen- und Alkoholentzug in einer Reha-Klinik und einem Bußgeld von fünfhundert Dollar. Außerdem verfügte er, dass Brown einen speziellen Lehrgang für Fahrer, die betrunken unterwegs gewesen waren, absolvieren musste, um seinen Führerschein wiederzuerlangen. Ihm wurde auferlegt, sich in unregelmäßigen Abständen auf Drogen und Alkohol testen zu lassen, hundert Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten und eine Reihe von gemeinnützigen Radio-Jingles einzuspielen; seinen Führerschein sollte er erst in einem Jahr zurückerhalten. Whitney und Bobby waren bei der Urteilsverkündung beide zugegen. Bobby legte Berufung ein und wurde gegen eine Zahlung von 15.000 Dollar einstweilen aus der Haft entlassen. Als das Urteil erging, brachen angeblich beide in Tränen aus. Am 27. Februar erhielt Whitney bei den Soul Train Awards den QuincyJones-Preis für ihre außergewöhnliche Karriere. Monica, Ronald Isley, Kenny Lattimore und Terry Ellis brachten ihr bei der Verleihung im Shrine Auditorium von Los Angeles ein Ständchen und sangen ein Medley ihrer größten Hits. Am 23. April war Whitney in Nashville und trug bei der Verleihung der Dove Awards ihren Gospel-Song „I Go To The Rock“ vor. Und am 10. Juni 1998 überreichte sie mit einer unerwartet freundlichen Geste den Hitmaker Award beim Dinner der Songwriter’s Hall Of Fame ausgerechnet ihrer alten Rivalin Diana Ross. Anschließend stand eine zehntägige Europatournee an, die am 20. und 21. Juni mit zwei Konzerten im Gerry-WeberStadion in Halle/Westfalen begann. Für Bobby ging es derweil wie gehabt weiter. Am 21. Juni wurde er nach einem Vorfall im Swimmingpool des Beverly Hills Hilton Hotels wegen des
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Verdachts auf sexuelle Nötigung und Körperverletzung festgenommen; er kam auf Kaution frei. Am 7. August 1998 kam es in einem Aufnahmestudio in New York zu einem echten Diven-Treffen, als sich zwei der großen Pop-Rivalinnen ihrer Zeit, Whitney Houston und Mariah Carey, dort einfanden und gemeinsam für den Soundtrack zum Zeichentrickfilm Der Prinz von Ägypten den Song „When You Believe“ einspielten. Die Presse hoffte natürlich auf einen echten Zickenkrieg, aber allen Berichten zufolge lief die Session der beiden offenbar ganz ruhig ab. Während der Neunziger hatten sie in den Charts heftig miteinander konkurriert, und es gibt zahlreiche Parallelen zwischen ihren Karrieren. Während Whitneys Erfolg das Produkt der Starmaschinerie von Clive Davis war, hatte Carey den Vorsitzenden von Sony Music, Tommy Mottola, geheiratet, der bei ihrer Karriere die Fäden zog. Whitney trat am 11. Oktober bei der Verleihung der International Achievement In Arts Awards im Beverly Hilton Hotel von Beverly Hills auf. Es handelte sich um eine Benefizveranstaltung zugunsten der Starkey Hearing Foundation und Whitneys eigener Wohltätigkeitsorganisation, der Whitney Houston Foundation For Children. Dann endlich, am 28. November 1998, erschien Whitneys lang erwartetes viertes Studioalbum. My Love Is Your Love war auf Drängen der Sängerin härter ausgefallen und von Rap geprägt. Damit unterschied es sich völlig von den vorangegangenen LPs. Statt das vertraute Publikum zu umgarnen, hatte sie sich für ein Experiment entschieden. Der Gesang auf diesem Album war ebenfalls viel frecher und selbstsicherer, und sie wagte sich recht erfolgreich auf das Gebiet des HipHop vor. Aber war es das, was ihre Fans von ihr hören wollten? In vieler Hinsicht stellte My Love Is Your Love für Whitney Houston eine spannende und dramatische Weiterentwicklung dar. Es ist allerdings auch ein sehr inkonsequentes Album. Eine Hälfte besteht aus dynamischem und recht aggressivem HipHop, die andere Hälfte ist wenig aussagekräftig, blass und langweilig. Der erste Titel, „It’s Not Right But It’s Okay“, überzeugt von allen Songs auf der Platte am meisten. Rodney Jenkins sorgte für eine besonders
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knackige, energiegeladene und lebendige Produktion. Whitney konfrontiert mit dem Text ihren Geliebten – wahrscheinlich Bobby – mit dem Vorwurf, dass er sie betrüge. Mit bissiger Selbstsicherheit singt sie davon, wie sie auf seiner Kreditkartenabrechnung Beweise seiner Untreue findet. Sie schimpft, tobt und schreit und klingt in diesem mitreißenden und pulsierenden Song über eine gescheiterte Beziehung überwältigend. Ihr neuer, aggressiverer Stil kam auch in „Heartbreak Hotel“ gut zur Geltung. Es handelte sich dabei nicht um den Klassiker von Elvis Presley, sondern eine neue Komposition, bei der Whitney Unterstützung von zwei aufstrebenden Soul-Diven, Faith Evans und Kelly Price, bekam: In einem pulsierenden Soul-Fest zeigten hier drei Freundinnen einem unaufmerksamen Geliebten die kalte Schulter. Der Titelsong wiederum, „My Love Is Your Love“, feierte die bedingungslose Liebe und klang nach einem Liebesschwur, der an Bobby gerichtet war. Kurz war auch die Stimme der kleinen Bobbi Kristina zu hören, was vermutlich niedlich wirken sollte, aber an der Stelle eher störte. Das wunderschöne, funkelnde „When You Believe“ kombinierte die klare, mehrere Oktaven umfassende Stimme Mariah Careys mit Whitneys eher stählernem Gesang. Die beiden Sängerinnen harmonierten bei diesem gelungenen Duett aus dem Soundtrack Der Prinz von Ägypten überraschend gut miteinander. Es war gewissermaßen eine ironische Fügung, dass dieser Song die erste und einzige Zusammenarbeit der beiden führenden Pop-Diven der Neunziger darstellte – und dass die Karrieren beider Sängerinnen anschließend einen ziemlich starken Knick erlebten. Der nächste Titel auf der Platte, „If I Told You That“ ist insofern eigentümlich, weil Whitney davon singt, ein nicht näher beschriebenes, zusätzliches „something“ in eine sexuelle Beziehung einzubringen, und man sich unwillkürlich fragt, um was – oder um wen – es sich dabei handeln könnte. Will sie einen zweiten Mann dazuholen? Eine Frau? Eine Zirkusnummer? Es wird nicht näher erklärt, aber das raue Knurren in ihrer Stimme legt nahe, dass Whitney hier etwas eher Kontroverses und Umstrittenes im Sinn hatte. Der letzte wirklich überzeugende Song auf dem Album ist „In My Business“, bei dem sich Houston mit der Rapperin Missy „Misdemeanor“
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Elliott zusammentat. Elliott, die selbst eine ganze Reihen eingängiger und dynamischer Platten eingespielt hatte, inspirierte Whitney hier zu einem echten Funkenregen, als sie von den „ho’s“ (Slangausdruck für whores, Nutten) sang, die auf ihren Kerl scharf waren. All diese härteren Songs waren bestens geeignet, Whitneys altes Image als braves Mädchen grundlegend auf den Kopf zu stellen. Sie stellten einen Aufbruch zu neuen Ufern für sie dar, und aus genau diesem Grund kauften viele ihrer alten Fans diese Platte nicht. Die folgenden Titel, „I Learned From The Best“, „Oh Yes“, „Get It Back“, „Until You Come Back“ und „You’ll Never Stand Alone“ verschmelzen zu einem Block aus reinem Füllmaterial, den man getrost vergessen kann. Davon abgesehen ist Whitneys Gesang dabei völlig uninspiriert. Allein „Until You Come Back“ von Babyface schlägt ein paar gesangliche Funken – aber nicht genug, um dem Titel wirklich Leben einzuhauchen. Die Tracks sieben bis zwölf sind größtenteils komplette Schlaftabletten. Doch dann wartet das Album noch einmal mit einem echten Höhepunkt auf. Hinter dem dreizehnten Track, der auf der Tracklist und im Begleittext im CD-Booklet nicht genannt wird, verbirgt sich Whitneys heiße Coverversion von Stevie Wonders „I Was Born To Love Him“, die, wie es heißt, von Lauren Hill produziert wurde. Für Whitney Houston war dieses Album ein großer musikalischer Schritt, der ihre Fangemeinde spaltete. Die beiden besten Songs der Platte, „It’s Not Right But It’s Okay“ und „Heartbreak Hotel“ richteten sich an die HipHop- und Soul-Hörer. Die alten Fans, die von Whitney saubere Mainstream-Balladen erwarteten wie jene, mit denen sie berühmt geworden war, konnten mit ihrem Stilwechsel jedoch nichts anfangen. Zwar machte es den Eindruck, als ob Whitney ihre Stimme nicht mehr in dem Umfang ausschöpfte, wie sie es früher getan hatte, aber gesanglich schien sie trotzdem immer noch voll auf der Höhe zu sein. My Love Is Your Love, bei dem Clive Davis und Whitney Houston wieder als leitende Produzenten genannt wurden, war für lange Zeit das letzte Studioprojekt mit neuem Material, bei dem die Diva und der Label-Chef zusammenarbeiteten. Ihnen standen stürmische Zeiten bevor.
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Robyn Crawford war als „Album Manager“ genannt – welche Aufgaben diese Position auch immer umfassen mochte. Im Booklet-Text schrieb Whitney an ihren Ehemann gerichtet: „Du warst für mich bestimmt. Nichts kann zwischen diese Liebe kommen. Ich weiß das, weil ich dich niemals gehen lassen werde. Geben wir ihnen etwas, worüber sie tratschen können.“ Das erwies sich tatsächlich als nicht weiter schwierig. In den USA und Australien war My Love Is Your Love insofern Whitneys bisher enttäuschendstes Album, als es im Gegensatz zu allen anderen nicht die Top Ten der Charts erreichte – in den USA war bei Platz 13, in Australien sogar bei Platz 42 Schluss. Immerhin kam es in Österreich und der Schweiz auf den ersten Platz, in Deutschland auf Platz 2 und in Großbritannien auf Platz 4. Das große Duett von Houston und Carey, „If You Believe“, kam in den USA nur auf Platz 15 und auf Platz 4 in England, dafür schaffte es aber die CD-Single „I Learned From The Best“ bis an die Spitze der deutschen Single-Charts. Am 30. November 1998 verneigte sich Whitney gemeinsam mit Barbara Walters und Tom Hanks vor Clive Davis bei dem „Seasons Of Hope“Galadinner, das ihm zu Ehren im Winter Garden des World Financial Center in New York gegeben wurde. Am 7. Dezember stand sie bei der Verleihung der Billboard Music Awards mit Kelly Price und Faith Evans auf der Bühne des MGM Grand in Las Vegas; gemeinsam trugen die drei „Heartbreak Hotel“ aus Whitneys neuem Album vor. Drei Tage später war sie der Stargast der Late Show With David Letterman. Um die neue Platte zu bewerben, machte sie in vielen Fernsehshows die Runde. Ihr Vertrag mit Arista würde demnächst auslaufen, und von daher war es ganz entscheidend, dass das aktuelle Album ein Erfolg wurde. Am 11. Januar 1999 trat sie mit Babyface und Wyclef Jean bei der Fernsehübertragung der 26. American Music Awards auf. Gemeinsam mit ihren Produzenten sang sie die Songs „Until You Come Back“ und „My Love Is Your Love“. Zwei Tage später war sie in der Tonight Show With Jay Leno. Dann ging es nach London, wo sie am 16. Februar bei der Verleihung der BRIT-Awards in der Docklands Arena ihren Hit „It’s Not Right But It’s Okay“ präsentierte.
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Am 2. März 1999 schaffte es „Heartbreak Hotel“ in den USA bis auf Platz 2. Die Zeiten, in denen es automatisch einen ersten Platz bedeutete, wenn Whitneys Name auf einer Single oder einem Album zu lesen war, waren vorbei. Für Whitney und ihre Karriere ging es allmählich abwärts. Bei der Oscar-Verleihung am 21. März standen Whitney Houston und Mariah Carey mit ihrem Duett „If You Believe“ auf der Bühne des Dorothy Chandler Pavilion in Los Angeles. Der Song wurde später mit einem Oscar ausgezeichnet, und obwohl der Preis offiziell an die Songwriter ging, hatten Whitney und Mariah doch die Ehre, die Sängerinnen zu sein, die man immer damit in Verbindung bringen würde. Am 13. April 1999 zählte Whitney zu den Mitwirkenden bei dem schillernden Fernsehspecial VH1 Divas Live ’99, das aus dem Beacon Theater in New York übertragen werden sollte. Die Veranstaltung hielt für Whitney allerdings ein paar Tücken bereit. Den Anfang machte die unbezähmbare Rock-Diva Tina Turner, die den Abend mit ihrem Hit „The Best“ eröffnete und dann „Let’s Stay Together“ hinterher schickte. Dann kam Elton John zu ihr auf die Bühne, und gemeinsam brachten die beiden „The Bitch Is Back“, bei dem sich dann auch noch Cher zu ihnen gesellte. Die drei Stars sangen anschließend Tinas heißen Klassiker „Proud Mary“. Nach Chers Soloauftritt zeigten einige Nachwuchs-Diven, unter anderem Faith Hill, Brandy und LeAnn Rimes, was sie stimmlich draufhatten. Die letzte Hälfte der Show wurde von Whitney Houston bestritten, die gemeinsam mit Mary J. Blige eine wundervolle Fassung von „Ain’t No Way“ ablieferte. Im Alleingang brachte sie dann ihren größten Hit, „I Will Always Love You“, bevor sie mit Chaka Khan eine Duettversion von „I’m Every Woman“ sang. Für das große All-Star-Finale war geplant, dass sich alle Diven noch einmal für „I’m Every Woman“ auf der Bühne einfinden und gemeinsam singen sollten. Brandy, Faith, LeAnn und Mary traten zu Whitney und Chaka, aber die größten Stars, Cher und Tina, fehlten. Insider behaupteten, sie hätten nicht neben Whitney am Mikrofon stehen wollen. Beide lehnen Drogen konsequent ab, und allgemein ging man davon aus, dass das der
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Grund war, weshalb sie nicht unbedingt in der Gesellschaft von Mrs. Houston gesehen werden wollten. Den Rest des Jahres war Whitney in den Charts stark vertreten. „It’s Not Right But It’s Okay“ und auch „My Love Is Your Love“ stiegen bis auf Platz 4 in den USA. „I Learned From The Best“ kam jedoch nicht über Platz 27 hinaus. Das Album My Love Is Your Love verkaufte schließlich weltweit zehn Millionen Exemplare und zog mit I’m Your Baby Tonight, ihrem bisher kommerziell schwächsten Album, gleich. Nur vier Jahre war es her, dass sie vom Soundtrack zu Bodyguard vierunddreißig Millionen Stück umgesetzt hatte, obwohl sie nur auf der Hälfte des Albums zu hören war. Ganz offensichtlich entwickelte sich My Love Is Your Love nicht zu dem Chartstürmer, auf den alle gehofft hatten. Als sich das Jahrtausend dem Ende zuneigte, zählte Whitney Houston immer noch zu den erfolgreichsten Sängern des Jahrhunderts. 1999 hatte sie insgesamt weltweit über 110 Millionen Alben verkauft. Sie hatte drei sehr beliebte Filme abgeliefert und den viertgrößten Nummer-Eins-Hit in der Geschichte der Popmusik produziert. Leider gab es nun nur noch eine Richtung, in die ihre Reise gehen konnte – nach unten. Und es machte den Anschein, als ob sie sich alle Mühe gab, ihren Abstieg noch zu beschleunigen.
M
it dem 1. Januar 2000 begann nicht nur ein neues Jahrtausend, für Whitney Houston begann auch ein neues Leben. Seit Beginn ihrer Karriere 1985 hatte es so ausgesehen, als ob sich alles, was sie anfasste, automatisch in Gold verwandelte. Aber von Januar 2000 bis 2006 war eher das Gegenteil der Fall – alles, woran sie beteiligt war, wurde zur Katastrophe. Den Jahreswechsel hatte sie im Pazifikparadies Hawaii verbracht. Am Dienstag, den 11. Januar, war ihr Urlaub jedoch vorbei, und sie begab sich zum Flughafen Keahole-Kona von Kailua-Kona; sie hatte ein Ticket für einen Flug mit United Airways nach San Francisco. Bei der Sicherheitskontrolle vor dem Abflug wurde jedoch ihre Tasche durchsucht, und man fand in ihrem Gepäck eine kleine Ziploc-Plastiktasche mit fünfzehn Gramm Marihuana. Die Sicherheitskräfte waren Angestellte eines privaten Wachdienstes und konnten sie deshalb nicht festnehmen, obwohl sie gegen das Gesetz verstoßen hatte; eine Festnahme war ihnen nur gestattet, wenn ein Reisender die Sicherheit auf dem Flughafen oder an Bord einer Maschine gefährdete. Sie konfiszierten allerdings Whitneys große Blumendruck-Reisetasche und riefen die Polizei. Während sie noch darauf warteten, dass die Beamten erschienen, drehte sich Whitney flugs um, rannte zum Gate und saß im Flugzeug nach San Francisco, noch bevor die Cops vor Ort waren. Im US-Bundesstaat Hawaii wird der Besitz von fünfzehn Gramm Haschisch mit einem Bußgeld von tausend Dollar und bis zu dreißig Tagen Haft geahndet. Die paranoide Whitney legte keinen Wert darauf, es darauf ankommen zu lassen und sagte von daher hurtig: „Bye bye Hawaii!“
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Das bedeutete, dass sie in diesem Bundesstaat nun offiziell als polizeilich gesucht galt. Da ihre Missetat jedoch als minderes Vergehen eingestuft wurde, war es unwahrscheinlich, dass man sich in Hawaii die Kosten und die Mühe machen würde, sie ausliefern zu lassen, damit sie sich vor Gericht verantwortete. Dieser Vorfall war jedoch die erste Episode der Serie „Whitney und Bobby benehmen sich daneben“. Für die Presse war es natürlich ein gefundenes Fressen, als die Nachricht von Whitneys Drogengeschichte im Radio verbreitet wurde. Das Boulevardblatt National Enquirer titelte: „Wütende Whitney haut vor den Bullen ab“. In dem dazugehörigen Artikel wurde ein „Freund“ zitiert, der berichtete, Whitney hätte sich bei ihm beklagt: „Das war doch nicht der Rede wert. Es war nur eine halbe Unze Gras. Worüber regen die sich denn alle so auf?“ Über ihr knappes Entkommen sagte die aufgebrachte Miss Houston besagtem Freund: „Ich bleibe doch nicht da hocken und warte darauf, dass mich diese Miet-Bullen wegen so einem Kleinkram in den Knast stecken.“ Wenig später konnte die Presse wieder angenehmere Dinge berichten, als die großen Preisverleihungen nahten und Whitneys My Love Is Your Love wieder mehr in den Mittelpunkt rückte. Am 17. Februar 2000 wurde sie bei den 14. Soul Train Awards zur Künstlerin des Jahrzehnts gekürt. Währenddessen hatten sich die Komiker im US-Fernsehen wie Jay Leno oder David Letterman in ihren Sendungen bereits ausführlich über Whitneys Marihuana-Pleite lustig gemacht. Am 23. Februar 2000, als die Grammy-Verleihung aus dem Staples Center in Los Angeles übertragen wurde, bekam die Diva ausgerechnet von Rosie O’Donnell öffentlich eins übergebraten. Rosie, die immer noch sauer war, weil Whitney sie 1997 mit ihrer kurzfristigen Show-Absage hatte im Regen stehen lassen, vergab nicht so schnell. Und sie wusste genau, wo im Publikum Whitney saß, als sie an jenem Abend mit ihrer Moderation begann. Whitney war für einen Preis nominiert und sollte außerdem in der Sendung auftreten. Bei der Live-Übertragung erwähnte Rosie O’Donnell die Rockband The Doobie Brothers, um dann gehässig hinzuzufügen: „Whitney hatte ja für Doobies (Slang-Ausdruck für Joints, Anm. d. Ü.) schon immer was übrig – da sag ich doch nur Maui Wowie!“ Whitney, die einen Platz nahe der
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Bühne hatte, wurde daraufhin eingeblendet, wie sie Rosie den Mittelfinger zeigte, während Millionen Fans schockiert zusahen. Die Diva bekam den Grammy, für den sie an jenem Abend nominiert war: „It’s Not Right But It’s Okay“ wurde als „Beste R&B-Aufnahme einer Sängerin“ ausgezeichnet. Die Presse interessierte sich am nächsten Tag jedoch wesentlich mehr für die Fehde zwischen Whitney und Rosie als für die jüngste Trophäe, die sie gewonnen hatte. Auch an anderer Front gab es Ärger. Whitney kamen eine ganze Reihe abgesagter oder verpasster Auftritte teuer zu stehen. Im Sommer zuvor hatte sie nur eine halbe Stunde vor Beginn ein Konzert im kalifornischen Concord abgesagt, und die Veranstalter verklagten sie nun auf 100.000 Dollar Spesen und Schadenersatz. Am 6. März 2000 wurde dann Clive Davis in die Rock & Roll Hall Of Fame aufgenommen, und Whitney sollte in New York die Einführungsrede halten, aber sie blieb ohne Erklärung der Veranstaltung fern. Arista Records plante derweil eine Doppel-CD mit Whitneys größten Erfolgen, und um das Ganze für die Fans noch attraktiver zu gestalten, sollte Whitney einige Duette mit anderen Stars aufnehmen, eine Idee, die zu einer weiteren Beinahe-Katastrophe auf ihrem aktuellen Kollisionskurs führte. Als die Diva mehrere geplante Aufnahmesessions mit George Michael absagte, brach ihre enge Vertraute und Assistentin, Robyn Crawford, schließlich einen fürchterlichen Streit mit ihr vom Zaun. Ein Insider berichtete: „Der Krach, der zum Bruch zwischen den beiden führte, ereignete sich im März rund um die Verleihung der Soul Train Awards, als Whitney für ihr Greatest-Hits-Album ein Duett mit George Michael einspielen sollte. George war extra von London nach Los Angeles gereist, um an Whitneys Album mitzuwirken. Aber Whitney ließ ihn eine Woche warten und sagte schließlich die ganze Aktion ab. Als Robyn sie deswegen zur Rede stellte, schrien sich die beiden schrecklich an, und dann kündigte Robyn. Sie hatte einfach die Nase voll davon, dauernd die Scherben aufsammeln zu müssen, die Whitney produzierte.“ Die nächste unglückliche Geschichte rankte sich um ihren geplanten Auftritt bei der Live-Übertragung der Oscar-Verleihung am 26. März 2000. Aus lauter Songs, die in der Vergangenheit einen Oscar erhalten
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hatten, war ein Medley zusammengestellt worden, das Whitney zusammen mit verschiedenen anderen Stars präsentieren sollte. Dieser Teil der Show wurde von niemand geringerem betreut als Burt Bacharach, jenem Erfolgskomponisten, der unter anderem eine Reihe von Hits für Whitneys Cousine Dionne Warwick geschrieben hatte. Es war Whitneys erste Zusammenarbeit mit der Songwriter-Legende. Außer ihr waren Queen Latifah, Isaac Hayes, Garth Brooks, Ray Charles und Dionne Warwick für die Nummer eingeplant. Whitney war der Judy-Garland-Klassiker aus dem Zauberer von Oz, „Somewhere Over The Rainbow“ zugeteilt worden und ein Solostück aus „The Way We Were“, anschließend sollte sie gemeinsam mit Dionne Warwick eine Duettversion von Dionnes Hit „Alfie“ singen. Doch als sie am 24. März zu den Proben im Shrine Auditorium in Los Angeles erschien, war sie, wie die New York Post es formulierte, „völlig zugedröhnt“ und „verwirrt“. Ein Augenzeuge berichtete später: „Sie tigerte im Backstage-Bereich auf und ab und wurde sichtlich immer nervöser. Sie schwitzte stark, und ihre Halsmuskeln zuckten. Es sah fast so aus, als ob Whitney nach einer Zeit des Drogenmissbrauchs auf Entzug war. Dann begann sie ganz leise vor sich hin zu singen, aber ihre Stimme brach, und sie konnte sich nicht mehr an die Texte erinnern. Sie sah aus, als sei sie komplett drauf oder besoffen, und so benahm sie sich auch.“ Spätestens bei der Generalprobe, zu der Whitney mit Bobby Brown im Schlepptau erschien, war allen Anwesenden klar, dass sie ein Drogenproblem hatte. Als sie mit „Somewhere Over The Rainbow“ an die Reihe kam und den Mund aufmachte, waren alle schockiert, wie schrecklich ihre Stimme klang. Und besonders peinlich war, dass sie sich nicht mehr an den vollständigen Text des Liedes erinnern konnte. Das Boulevardblatt The Globe zitierte einen Augenzeugen: „Sie konnte sich nicht konzentrieren und kam beim Singen immer mehr durcheinander. Ihre Aussprache war verwaschen, und ihr Unterkiefer zitterte, als sie versuchte, richtig kraftvoll zu singen.“ Dann rannte Whitney plötzlich von der Bühne durch den Zuschauerraum und drückte Bobby Brown einen dicken Kuss auf den Mund.
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Bacharach dachte, sie sei lediglich nervös und gab ihr die Möglichkeit, die Songs noch einmal einzustudieren. Als „The Way We Were“ an die Reihe kam, geriet die Situation noch mehr aus den Fugen. Eine Quelle von The Globe berichtete: „Sie kam auf die Bühne, hüpfte dort herum und trällerte wie ein kleines Mädchen. Burt war sprachlos. Er konnte nicht glauben, was er da hörte.“ The Star zufolge erklärte einer der Anwesenden: „Zweimal setzte sie zu ‚Alfie‘ an, während das Orchester wie geplant ‚Somewhere Over The Rainbow‘ spielte. Burt, der am Klavier gesessen hatte, stand schließlich auf, ging zur Bühnenmitte, wo Whitney, Garth Brooks und Dionne Warwick standen und fauchte: ‚So kann das nicht weitergehen.‘“ Bacharach setzte sich unverzüglich mit den Produzenten der Sendung in Verbindung, und mit ihrem Einverständnis feuerte er Whitney mit sofortiger Wirkung. Kurz vor knapp holte man Faith Hill, um Whitney zu ersetzen. Dionne Warwick ging in Tränen aufgelöst von der Bühne und war entsetzt über das Schauspiel, das ihre Cousine geboten hatte. Whitney verließ das Shrine Auditorium mit gesenktem Kopf, setzte sich ins Flugzeug und reiste nach Hause nach New Jersey. Die anderen Stars der Show wussten nicht recht, wie sie diesen seltsamen Auftritt einordnen sollten. Garth Brooks gab gegenüber der Zeitschrift People zu Protokoll: „Über Whitney kann ich nur soviel sagen: Sie kam auf die Bühne, probte, gab ihr Bestes, aber ihr war einfach total elend. Dabei sollten wir es belassen.“ Burt Bacharach erklärte unmittelbar nach diesem Debakel öffentlich: „Whitneys chronischer Zustand ist sehr traurig.“ Ein Fernsehproduzent, der zuvor bereits mit der Sängerin gearbeitet hatte, sagte: „Als diese Geschichte bei den Oscars passierte, hat mich das nicht besonders überrascht. Sie ist dafür bekannt, dass sie keine Leistung bringt oder gar nicht erst aufkreuzt, und es ist gefährlich, sie überhaupt zu engagieren, weil man, bevor sie wirklich auf der Bühne steht, nie weiß, ob sie überhaupt erscheint.“ Am 10. April 2000 war Whitney als einer der Headliner für ein Konzert anlässlich des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums von Arista Records eingeplant. Die große Galaveranstaltung wurde in Los Angeles
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aufgezeichnet, und man hatte alle großen Stars des Labels eingeladen. Die Show wurde später für eine Fernsehsendung zusammengeschnitten, die am 15. Mai auf NBC ausgestrahlt wurde. Zu den illustren Gästen zählten Barry Manilow, Aretha Franklin, Dionne Warwick, Annie Lennox, Carlos Santana, Sarah McLachlan, Patti Smith, Kenny G., Natalie Cole, Carole King, Melissa Etheridge und natürlich auch Whitney Houston. Leider ging auch dieser Auftritt der Diva daneben, die sich vor dieser All-Star-Versammlung fürchterlich blamierte. Als Whitney und Bobby am Flughafen von Newark, New Jersey auftauchten und an Bord ihres Fliegers gingen, hatten sie keine Lust auf die Plätze, die man ihnen bei der Buchung zugewiesen hatte. Sie wollten die Sitze 1A und 1B und nahmen dort einfach Platz. Die Fluggäste, die diese Sitze tatsächlich gebucht hatten, fanden das gar nicht lustig und bestanden darauf, dass die Sängerin und ihr Ehemann die Plätze räumten. Es kam zu einem Streit. Einer der Passagiere berichtete: „Endlich gab Bobby nach, fünf Minuten, bevor die Maschine hätte abfliegen sollen. Aber dann stand er plötzlich auf, guckte Whitney an und sagte: ‚Ich fliege nicht mit.‘ Er schnappte sich seine Tasche und verließ den Flieger. Whitney sah völlig verwirrt und schockiert aus. Und als die Stewardess erklärte: ‚Wir schließen jetzt die Türen‘, sprang Whitney auf, nahm ihre Sachen und folgte Bobby.“ Angeblich fuhren die beiden zum nahe gelegenen Flughafen Teterboro und charterten sich einen Privatjet für 65.000 Dollar. Als sie in Los Angeles ankamen, waren sie in bester Partylaune. Sie feierten so sehr, dass Whitney den Probentermin für ihren Auftritt verpasste. In der Fernsehaufzeichnung des Arista 25th Anniversary Special wirkt Whitney, als sei sie entweder betrunken oder auf Drogen. Sie sah schrecklich aus, und wenige Sekunden, nachdem sie auf die Bühne gekommen war, verhedderte sie sich im Saum ihres Kleides und wäre beinahe gestürzt. Es war unübersehbar, dass sie völlig neben sich stand, und ihr Medley war noch nicht zu Ende, als sie schon ganz in Schweiß gebadet war. Nachdem sie den Schreck über das Straucheln am Anfang überwunden hatte, tanzte sie unrhythmisch herum und sah oft aus, als würde sie jeden
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Augenblick das Gleichgewicht verlieren. Auch stimmte wohl irgendetwas mit ihrem Paillettenkleid nicht, an dem sie immer wieder zupfte; sie riss dabei einige der kleinen Glitzerplättchen ab, bis es völlig ruiniert aussah. Immer wieder zerrte sie sich den Ausschnitt weiter nach oben und beschädigte den Stoff dabei immer weiter. Sie schaffte es erfolgreich durch ein Medley ihrer Hits „I Wanna Dance With Somebody (Who Loves Me)“, „How Will I Know“, „I Believe In You And Me“ und „I Will Always Love You“ und erhielt für ihren Auftritt stehende Ovationen. Dann ging es an die Live-Version ihres jüngsten Hits „My Love Is Your Love“. Es wurde ein wirres Fiasko. Eigentlich hätte sie diesen letzten Song gemeinsam mit Monica, Deborah Cox, Angie Stone und Faith Evans bringen sollen. Man sah bereits, dass Bobby Brown hinter den Kulissen wie ein Wilder tanzte, obwohl ihm in der Show keine Rolle zugedacht worden war. Als Whitney ihn auf die Bühne einlud, damit er mit ihr zusammen sang, lief auch ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht, und das braune Hemd, das er unter dem cremefarbenen Anzug trug, war klitschnass und klebte an einigen Stellen an seinem Körper. Das bedröhnte Paar führte sich immer seltsamer auf der Bühne auf, als sei man bei einem Highschool-Theaterstück und nicht bei einem professionellen Auftritt. Whitney sang zunächst den Text zu „My Love Is Your Love“, reichte dann aber Bobby das Mikrofon, der das Publikum daraufhin mit einem sinnbefreiten Strom verschiedener Laute bedachte und den Song in ein völliges Chaos verwandelte, während er wie ein Derwisch über die Bühne wirbelte und wieder und wieder einen Refrain sang, der nur aus „eye-yeiyei-yei“ bestand. Als Whitney das Mikrofon wieder an sich nahm, hatte sie den Überblick verloren, an welcher Stelle im Song sie sich befand, aber die Musik war erfreulicherweise zu Ende, bevor sie noch Schlimmeres hätte anstellen können. Als sie die Bühne verließ, schien das Publikum unschlüssig, ob es klatschen sollte oder nicht. Es wäre besser gewesen, nach der erfolgreichen Darbietung von „I Will Always Love You“ aufzuhören. So endete ihr Medley mit einem äußerst bitteren Beigeschmack. Als sie die Bühne verließ, sagte sie ins Mikrofon: „Die Platte ist damit nicht vorbei, vergesst das nicht. Gott schütze euch. Ich liebe euch.“ Und
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was sollte diese kryptische Nachricht bedeuten? Niemand – sie selbst eingeschlossen – schien zu wissen, was sie da faselte. Im National Enquirer hieß es: „Bei der Party von Clive Davis am 10. April erniedrigte sie sich schließlich völlig, indem sie den Text an einigen Stellen eher sprach als sang.“ Whitney war an jenem Abend wirklich völlig erledigt. Bei ihrem Auftritt dachte man unwillkürlich an Nashville, diesen wunderbaren Film von Robert Altman aus dem Jahr 1975, in dem Ronee Blakkey eine berühmte Countrysängerin spielt, die vor Publikum in der Grand Ole Opry einen Nervenzusammenbruch bekommt. Whitneys Live-Auftritte hatten eine tragische Note bekommen, und es war schon soweit, dass man sich im Vorfeld fragte: Was wird diesmal schief gehen? Wird sie sich vor aller Augen selbst zerstören? Es war auch nicht klar, wofür sie den unsicheren Applaus, der auf ihre Show an jenem Abend folgte, bekam. Für ihre überwältigende Darbietung? Oder wollten ihr die Zuschauer, erleichtert darüber, dass sie zumindest nicht mit dem Gesicht voran von der Bühne gefallen war, Mut und Zuversicht zusprechen – vor allem angesichts des in der Presse gründlich durchgekauten Oscar-Debakels, das noch keine zwei Wochen zurücklag? Offenbar waren alle zunächst einmal glücklich, dass sie ihre Songs hinter sich gebracht hatte, ohne dabei zusammenzubrechen. Clive Davis sagte nach der Show: „Sie hat heute Abend gezeigt, dass in ihr immer noch ein Feuer brennt.“ Als man ihn drängte, einen Kommentar zu den Zwischenfällen abzugeben, die Whitneys Karriere inzwischen ernstlich beschädigten, sagte er nur: „Ich rede nicht über persönliche Dinge.“ Hinter der Bühne nahm die Zeitschrift People Dionne Warwick in die Zange und wollte wissen, was an dem Gerücht dran sei, dass sie und Natalie Cole ein Interventionsgespräch mit Whitney planten, um ihr zu helfen. Dionne erklärte: „Ich bin für sie da. Sie ist mir sehr lieb und teuer, aber ich würde sie nicht belehren.“ Unter den Stars des Abends war eine Diva, die mit Whitney inzwischen nichts mehr zu tun haben wollte – Aretha Franklin. Aus vertraulicher Quelle verlautete: „Aretha findet Whitneys Drogengeschichten schon seit Jahren nicht mehr witzig. Aretha hält überhaupt nichts von Drogen und
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hat alles daran gesetzt, damit ihre Söhne nicht diesen selbstzerstörerischen Weg einschlagen. Sie möchte nicht mit Whitney in Verbindung gebracht werden und ist von deren Verhalten sehr enttäuscht.“ Das ging offenbar selbst Whitneys engsten Freunden in dieser Zeit ähnlich. Anfang 2000 zitierte der National Enquirer eine Quelle aus dem direkten Umfeld der Houston-Familie: „Robyn Crawford, ihre engste Mitarbeiterin und persönliche Assistentin, hat kürzlich frustriert gekündigt. Robyn hat Whitney angeschrien: ‚Ich kann einfach nicht dabei zugucken, wie du dich umbringst.‘ Aber Robyn kann ihre beste Freundin nicht einfach so allein lassen. Von daher hat sie sich mit John und Cissy zusammengetan, um gemeinsam ein Interventionsgespräch mit Whitney zu führen. Sie haben sie mit den Fakten konfrontiert und ihr vor Augen gehalten, dass sie sich kaputt macht.“ Angeblich sprachen Clive Davis, Dionne Warwick und Natalie Cole sie auf ihre Drogenabhängigkeit an. Bei dem Jubiläumskonzert war sie unübersehbar völlig weggetreten gewesen, und nun konnten die Menschen in ihrer Umgebung nicht länger schweigen. Ein Insider verriet: „Einige der engsten Freunde haben versucht, Whitney vor Augen zu halten, dass sie dringend in Behandlung muss.“ Vor allem Natalie Cole hatte gehofft, dass Whitney auf sie hören würde. Es war allgemein bekannt, dass Cole selbst abhängig gewesen war, sich aber dem Problem gestellt und die Sucht überwunden hatte. Sie war überzeugt, dass sie zu Whitney durchdringen würde, weil sie selbst schon denselben Weg gegangen war. Aber warum griffen ihre Eltern nicht ein, um Whitney zu helfen, all diese Geschichten über sie kursierten? Aus gut unterrichteten Quellen verlautete, dass Cissy und John Houston oft mit Whitney aneinander geraten waren. Sie machten sich zudem große Sorgen um das Wohlergehen ihrer Enkelin Bobbi Kristina. Mehr als einmal hatten sie – sowohl gemeinsam als auch jeder für sich – heftige Auseinandersetzungen mit Whitney darüber, dass sie sich ihr Leben derart kaputt machte. Aber sie hörte nicht darauf und verschloss offenbar noch immer die Augen vor dem eigenen Zustand. Sie war überzeugt, kein Problem zu haben.
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Es kursierten Gerüchte, wonach Whitney ein äußerst explosives Temperament besaß und sofort in die Luft ging, wenn sie das Gefühl hatte, dass irgendjemand ihr etwas vorschreiben wollte. Im Frühjahr berichtete der National Enquirer von einem Riesenstreit zwischen Whitney und Cissy Houston, der sich backstage vor einem Konzert ereignete. Cissy begleitete ihre Tochter auf Tour, offiziell als Background-Sängerin, aber auch, um ein Auge auf ihre Tochter zu haben. Ein Augenzeuge: „Letztes Jahr im Juli geriet Whitneys Mutter in die Schusslinie von Whitneys Launen. Beim Konzert im University Park von Pennsylvania bekamen sich die beiden nur wenige Augenblicke, bevor sie auf die Bühne mussten, in der Garderobe ganz fürchterlich in die Haare. Die Crew sah sprachlos zu, wie Whitney ihre Mutter fertig machte. Whitney war schrecklich gehässig und schrie: ‚Ich bin es doch, die das ganze Scheißgeld verdient, und ich bin es, die hier verdammt noch mal sagt, was gemacht wird, und du hast zu kuschen. Wenn dir nicht schmeckt, wie es bei mir läuft, dann pack deinen Scheiß zusammen und verpiss dich!‘“ Offenbar machte Cissy inzwischen keinen Hehl mehr daraus, was sie über das Verhalten dachte, das ihre Tochter inzwischen an den Tag legte. Anfang 2000 musste sich Whitney mit dem vereinten Widerstand auseinandersetzen, den ihr Robyn UND ihre Eltern entgegensetzten. Robyn, Cissy und John Houston, Dionne, Clive und Natalie Cole hatten sie wegen ihres Drogenmissbrauchs zur Rede gestellt. Und was tat Whitney, um von den Drogen runterzukommen? Nichts. Sie wollte keinen Rat annehmen und ging weiter ihren selbstzerstörerischen Weg. Das Frauenmagazin Jane plante Whitney für die Titelseite der Mai-Ausgabe 2000 ein. Als die Fotoaufnahmen dafür anstanden, schien die Sängerin jedoch deutlich unter Drogen zu stehen. Wie es inzwischen bei ihr schon beinahe zur Regel geworden war, kam sie vier Stunden zu spät zu dem Termin und ließ alle Beteiligten ohne eine Erklärung warten, bis sie schließlich zugedröhnt aufkreuzte. Die Jane-Chefredakteurin Jane Pratt berichtete: „Sie sang vor sich hin. Dann tat sie so, als würde sie Klavier spielen, Luftklavier gewissermaßen. Ihre Augen waren halb geschlossen.“ Als Houston ihr weismachen wollte, sie sei gerade beim Zahnarzt gewesen und habe Novocain bekommen, kaufte Pratt ihr diese schlappe Ausrede
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nicht ab. „Novocain führt nicht zu solchen Aussetzern“, erklärte Pratt. „Alle Anwesenden waren sich sicher, dass sie drauf war.“ Jane Pratt räumte allerdings ein, dass es ihnen trotzdem gelang, zumindest ein gutes Foto von Whitney zu schießen. „Das Titelfoto mit ihr war eines der besten, die wir je hatten. Sie ist eine Entertainerin durch und durch.“ Als das People-Magazin jedoch von dem „zugedröhnten“ FotoShooting berichtete, fachte das die wachsende Verachtung ihrer Fans nur noch mehr an, die ihr den sinnlosen Absturz der letzten Monate übelnahmen. Im Frühjahr 2000 veröffentlichte Arista schließlich die Doppel-CD Whitney Houston: The Greatest Hits. In Amerika erreichte das Album Platz 5 der Billboard-Charts, in Großbritannien Platz 1 und in Deutschland Platz 2. Weltweit verkaufte es sich über acht Millionen Mal. Das Material auf den beiden CDs war nach Stimmungen aufgeteilt: Auf der ersten CD befanden sich die schönsten Balladen, auf der zweiten die schnelleren Nummern. Es war ein wundervoller Rückblick auf die herrliche Musik, die sie in der Vergangenheit aufgenommen hatte. Auch neue Titel waren darauf enthalten, darunter drei Star-Duette. Mit George Michael hatte sie gemeinsam „If I Told You That“ eingesungen, mit Enrique Iglesias „Could I Have This Kiss Forever“, und zusammen mit Deborah Cox war sie auf „Same Script, Different Cast“ zu hören. Und auch einen neuen Solo-Song gab es, das bissige „Fine“, in dem es um Beziehungen ging. Als letzter Track war ihre erhabene Version von „The Star Spangled Banner“ zu hören. Ein Hit folgte auf dieser Platte auf den nächsten. Es war wie eine bittersüße Erinnerung daran, wie Whitney sich früher einmal angehört hatte. Zusätzlich veröffentliche Arista im Mai 2000 eine DVD mit dem Titel Whitney Houston: The Greatest Hits, auf der alle Videoclips zu den besten Songs enthalten waren. Die DVD schoss von Null auf Eins in den Billboard-Charts. Auch die Sondersendung Arista 25th Anniversary erschien auf DVD und verkaufte sich gut. Währenddessen fand hinter den Kulissen bei Arista Records ein Machtkampf statt. Das Label war zwischenzeitlich vom Unterhaltungskonzern Bertelsmann Music Group (BMG) übernommen worden, und das
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Unternehmen begann, sich direkt in die Leitung von Arista einzumischen. Da Clive Davis damals bereits siebenundsechzig Jahre alt war, nutzte BMG den vertraglichen Handlungsspielraum, um alle Geschäftsführer über sechzig in Rente zu schicken. Aufgrund dieses allgemein sehr umstrittenen und auch innerhalb der Branche hart kritisierten Schachzugs musste Davis seinen Schreibtisch als Arista-Chef räumen und L.A. Reid wurde angeheuert, um seinen Posten zu übernehmen. Die Presse stellte sich überwiegend auf die Seite von Davis, da er schließlich das Label selbst gegründet hatte. Der geschasste Labelchef machte sich prompt daran, eine neue Firma aus der Taufe zu heben, J Records. Was aber bedeutete das für Whitney Houstons Karriere? Ihr alter Vertrag lief in Kürze aus. Würde sie wieder bei Arista unterschreiben oder sich von Davis zu J Records locken lassen? Und was würde in Zukunft aus Arista werden, nun, da Davis nicht mehr an Bord war? Würden seine Nachfolger wissen, was für Whitney das Beste war? Oder hatte Davis vielleicht auch längst genug von den Katastrophen, die sich durch ihre Drogensucht ergeben hatten? Die Frage, was geschehen und wie es Whitneys Karriere beeinflussen würde, hing noch weitere Monate ungelöst in der Luft. Im Mai 2000 erschien in der Zeitschrift Out eines von Whitneys geschmacklosesten Interviews. Im Gespräch mit dem Schwulenmagazin gab sie sich wieder einmal alle Mühe, die Lesben-Gerüchte zum Schweigen zu bringen und wurde wie folgt zitiert: „Ich hure nicht rum. Ich lutsche keine Schwänze. Ich gehe nicht auf die Knie. Da muss doch etwas nicht stimmen – ich kann doch nicht einfach nur singen. Ich kann doch nicht einfach nur ein sehr talentierter Mensch sein. Ich muss doch lesbisch sein!“ Doch das Scheinwerferlicht richtete sich schnell wieder auf Bobby Brown. Er und Whitney waren für einen Urlaub auf die Bahamas geflogen, doch am 10. Mai 2000, als die beiden wieder in die USA zurückkehrten, wurde Bobby von den Zollbeamten am Flughafen von Newark in New Jersey festgenommen und nach Fort Lauderdale in Florida transportiert. Dort übergab man ihn der örtlichen Polizei, die ihn in eine Zelle sperrte. Offenbar wurde er seit Juni 1999 in Florida gesucht, weil er gegen die Bewährungsauflagen verstoßen hatte, die man ihm nach der berüchtigten
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Schlägerei in der Bar in Orlando gemacht hatte. In einer der Urinproben, die Bobby hatte abgeben müssen, war Kokain nachgewiesen worden. Als Brown sich geweigert hatte, zurückzukehren und sich ein weiteres Mal testen zu lassen, hatte man einen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt. Am 22. Mai wurde der Antrag auf Kaution von Richter Leonard Feiner abgelehnt. Man ging von erhöhter Fluchtgefahr aus, und deshalb wurde er nicht aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Brown verbrachte einen Monat damit, in einem Gefängnis in Fort Lauderdale ein wenig runterzukommen, während er auf seinen Verhandlungstermin am 19. Juni warten musste. Whitney war sofort nach Fort Lauderdale geeilt und ging scheinbar davon aus, dass sie lediglich einen Scheck ausschreiben müsste, um Bobby wieder freizubekommen. Dass der Antrag auf Kaution abgelehnt wurde, erschütterte sie. „Sie war am Boden zerstört, als er nicht frei gelassen wurde“, war aus einer Insider-Quelle zu vernehmen. „Und als sie dann nach Hause kam, musste sie sich mit ihren Eltern wegen des Sorgerechts für ihre Tochter auseinandersetzen.“ Nach dem jüngsten Skandal hatten letztlich alle, die zu Whitneys engstem Kreis gehörten, das Gefühl, deutlich machen zu müssen, auf welcher Seite sie standen, als es um das Sorgerecht für die kleine Bobbi Kristina ging. Denn nun drohten John und Cissy damit, das Kind den drogensüchtigen Eltern durch die Behörden wegnehmen zu lassen. Im Juni 2000 zitierte The Globe jemanden aus dem Umfeld der Familie: „John und Cissy haben Whitney klar gemacht, dass ihre Drogensucht sie das Sorgerecht für Bobbi kosten könnte. Sie haben klar gesagt, dass sie alles daransetzen werden, selbst das Sorgerecht zu bekommen, wenn es mit ihr weiter abwärts geht. Das ist die einzige Warnung, die Whitney wirklich Angst macht, weil sie die Kleine mehr liebt als das eigene Leben.“ Eine andere Quelle behauptete: „Die Houstons haben angekündigt, dass sie eingreifen werden, wenn Whitney ihr Leben nicht in den Griff bekommt. Sie sind alle glücklich, dass Bobby im Augenblick aus dem Weg ist. Es war tatsächlich jemand aus der Familie, der die Polizei anrief und dort Bescheid sagte, wann das Flugzeug der beiden landen würde, damit man ihn festnehmen konnte. Sie wollen nicht, dass er wieder in Whitneys Nähe
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kommt. Sie haben sogar das Hauptbüro von Whitneys Firma Nippy Inc. von Fort Lee in New Jersey nach Newark verlegt, ohne ihm etwas davon zu sagen.“ In Florida verbüßte Bobby Brown seine fünfundsiebzig Tage Knast in einer zweieinhalb mal vier Meter großen Zelle. Als Gefangener Nummer 500014529 musste er unter anderem die Wäsche der anderen Häftlinge waschen und die Böden wischen – ein wesentlich unbequemeres Leben als in einer Suite im Peninsula Hotel. Und während er hinter Gittern saß, kehrte Robyn Crawford wieder in Whitneys Leben zurück, versuchte ihre Freundschaft zu kitten und die Sängerin davon zu überzeugen, sich von Brown scheiden zu lassen. Der National Enquirer erfuhr aus gut unterrichteten Kreisen: „Whitneys Drogensucht war offengelegt worden, und Bobby war im Knast. Robyn spürte, dass Whitney jede Menge Probleme hatte.“ Und tatsächlich bekam Robyn einen Telefonanruf der verzweifelten Whitney, die sie händeringend um Unterstützung bat. „Whitney weinte am Telefon so sehr, dass Robyn kaum verstehen konnte, was sie sagte. Sie erklärte, dass sie wirklich alles daran setzen wollte, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Sie versprach Robyn, dass sie sich von allen Drogen fernhalten wollte, klagte aber, dass das schwierig sei, ganz allein und ohne Unterstützung. Daher bettelte Whitney darum, dass Robyn zurückkehrte, um sie in dieser schweren Zeit zu unterstützen, und dass sie bei ihr bliebe, bis Bobby aus dem Gefängnis entlassen würde. Robyn willigte nach diesem verzweifelten Hilfeschrei ein und sagte, sie sei dazu bereit, aber nur für kurze Zeit. Sie wollte alles tun, damit Whitney von den Drogen loskam, solange Whitney versprach, stark zu bleiben und bei dem Entzug aktiv mitzuarbeiten.“ Und tatsächlich blieb Robyn eine Zeitlang wieder an Whitneys Seite. Auch nun, da Bobby nicht in der Nähe war, stand es schlecht um Whitneys Karriere und um sie selbst. Sie war für ein dreitägiges Gastspiel rund um den amerikanischen Nationalfeiertag am 4. Juli im Casino Caesar’s Palace in Atlantic City gebucht, doch die Konzerte gerieten zu peinlichen Auftritten, wie sie für die Diva in jener Zeit typisch waren. Ein Augenzeuge berichtete: „Sie brach acht oder neun Songs mittendrin ab, vergaß den Text oder ihr brach die Stimme weg.“
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Als verkündet wurde, dass Bobby aufgrund guter Führung vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen würde, fuhr sie sofort nach Florida. Das Partyleben ging weiter. Das Wiedersehen des Paares am 7. Juli 2000 war ein bizarres Schauspiel. Whitney trug Jeans, ein weißes, ärmelloses Top und ein verschwitztes Stirnband, mit dem sie eher wie ein schweißgebadetes Groupie aussah als wie ein internationaler Superstar. Vor laufenden Fernsehkameras trat Bobby aus dem Tor des North Broward County Detention Centers in Pompano Beach, Florida und Whitney stürmte ihm entgegen, warf ihm die dürren Arme um den Hals, sprang hoch und umklammerte seine Hüften mit ihren Beinen. Wie sie so an Brown hing, wirkte sie völlig bedröhnt, und sie achtete auffällig darauf, dass die Kameras ihre Augen nicht einfingen. Auch der Komiker Chris Rock war mit einem eigenen Filmteam vor Ort. Brown umarmte Rock und sagte in die Kameras: „Es ist schön hier draußen.“ Cissy Houston ging so weit, dass sie in The Star erklärte, Bobby Brown sei „eine Wiedergeburt des Teufels“. Ein Insider behauptete: „Mir hat Cissy gesagt: ‚Solche Probleme hat Whitney nie gehabt, bevor sie diesen Mann geheiratet hat. Ich habe sie vor ihm gewarnt, bis ich Fransen am Mund hatte, aber sie hat nicht auf mich gehört. Sie sagt, dass sie ihn liebt – was kann ich also tun? Ich bete nur zu Gott, dass sie wieder zu ihrem alten Ich zurückfindet und ein glücklicherer Mensch wird, der sich besser im Griff hat.“ Statt sich jedoch den eigenen Problemen zu stellen, stürzten sich Whitney und Bobby lieber wieder Hals über Kopf ins schnelle Partyleben. Am 25. Juli 2000 checkte das Katastrophenpaar um zehn Uhr morgens im Grandover Resort Hotel in Greensboro, North Carolina ein. Wie das Hotelpersonal später berichtete, verließen sie kaum die Suite 1114. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs, in Suite 1113, kümmerte sich Ellen White, eine Freundin der Familie, um Bobbi Kristina und um Browns drei uneheliche Kinder. Ein Hotelmitarbeiter meinte: „Man sollte doch meinen, dass sie ein bisschen schlauer wären. Der Marihuana-Geruch aus der Suite zog durch den ganzen Flur. Es war ekelhaft – ihre Tochter hielt sich gleich gegenüber in
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einer anderen Suite auf.“ Das Paar schien die ganze Nacht über wach zu bleiben und rief zu jeder Tages- und Nachtzeit den Zimmerservice. Als sie wieder auscheckten, ließen die Browns eine Plastiktüte mit Marihuanakrümeln zurück, ein aufgequollenes Päckchen Blättchen, eine Zigarrenverpackung, Tabakblätter, die aus einer Zigarre stammten, das aus Pappe gerollte Mundstück eines Joints in einem Aschenbecher, sechzehn leere Budweiser-Flaschen und eine halbleere Viereinhalbliterflasche Jack Daniel’s Punch. Der National Enquirer berichtete, es sei erschreckend gewesen, was das Reinigungspersonal nach Whitneys und Bobbys Abreise in der Suite gefunden habe. Einer der Mitarbeiter vertraute dem Boulevardblatt an: „Es gab auch Hinweise darauf, dass in der Suite Kokain konsumiert worden war. Auf dem Sockel im Badezimmer lagen ein leeres Päckchen Backpulver und ein Löffel mit Russspuren an der Unterseite, eben die Utensilien, die man benötigt, um Crack zu rauchen – Insidern zufolge Whitneys bevorzugte Methode, um die Droge zu konsumieren. Das Backpulver und das Kokain werden mit Wasser vermischt und in einem Löffel erhitzt, bis sich harte Klümpchen bilden, die Crack genannt werden. Um es zu rauchen, öffnen die Süchtigen manchmal eine Zigarre und füllen sie mit der Droge. Im Hotel hatte Bobby eine Zigarre gekauft – und Tabakblätter von dem Stummel lagen neben dem Backpulver.“ Das Paar checkte am 26. Juli 2000 gegen 23 Uhr aus. Augenzeugen berichteten, dass Whitney in der Hotellobby mit den Kindern herumschrie. Völlig außer sich stürmte sie in die Bar und bestellte sich einen Jack Daniel’s, während Bobby versuchte, sie zu beruhigen. Ein Hotelmitarbeiter sagte: „Whitney wurde sauer und setzte sich drei Tische von Bobby entfernt hin. Sie sah sehr dünn aus, viel dünner als im Fernsehen. Und ihre Augen wirkten müde.“ Am 28. Juli 2000 waren die Browns wieder zuhause in Mendham, New Jersey. Offenbar hatte die staatliche Familienfürsorge einen anonymen Anruf erhalten, weil jemand um die Sicherheit von Bobbi Kristina fürchtete, und man schaute bei Whitney und Bobby vorbei, um sich einmal umzusehen. Das Paar war kooperativ, und es wurden keine Anstrengungen unternommen, die kleine Tochter aus der Familie zu nehmen.
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In einem Artikel in The Star hieß es: „Nachbarn im Nobelort Mendham berichten, dass die Starsängerin und ihr Ehemann Stammgäste im Black Horse Pub und in MacKenzie’s Restaurant sind, und aus einer Quelle verlautete, sie sähen manchmal ‚völlig zugedröhnt‘ aus.“ Offenbar kam es öfter vor, dass man die beiden in diesem Zustand sichtete. Zudem war Whitneys Anwesen, das sich inmitten eines zwei Hektar großen Grundstücks in bester Lage befand, oft Schauplatz lauter, lärmender Partys, die kein Ende zu finden schienen. Im Juli 2000 landete der National Enquirer eine Riesenstory, als ein Mann, der behauptete, Whitneys und Bobbys Drogenhändler zu sein, dem Boulevardblatt ein Exklusivinterview zusicherte. In dem Artikel berichtete „Uncle Rob“, so sein Deckname, in allen Einzelheiten, welchen Umfang der Drogenkonsum der beiden inzwischen angenommen hatte; angeblich hatten sie in den letzten zehn Jahren um die 750.000 Dollar für Rauschmittel ausgegeben. Uncle Rob enthüllte: „Whitney nimmt eine Menge Kokain – zu viel. Vor zehn Jahren gab sie etwa tausend Dollar die Woche für Kokain und Marihuana aus. Inzwischen sind es 2500 Dollar. Sie kann nicht aufhören, und sie wird sich selbst zerstören. Selbst ich habe ihr gesagt: ‚Du nimmst zu viel. Du musst mal ein bisschen runterkommen.‘ Vor ein paar Monaten gab es mal einen Tag, da brachte ich ihr nachmittags Kokain nach Hause, dann abends noch einmal, und um sechs Uhr morgens rief sie mich wieder an und bestellte Stoff für vierhundert Dollar. Ich habe gefragt: ‚Sagt mal, schlaft ihr auch mal irgendwann?‘ Sie rief mitten in der Nacht an, nachmittags oder um sechs Uhr früh, weckte mich auf, klang völlig abgedreht und verzweifelt und bettelte um Kokain.“ Das ist nun wirklich ein böses Zeichen, wenn einem schon der eigene Drogendealer zur Mäßigung rät! Freunde machten sich große Sorgen um Whitneys Gesundheit. Einer erklärte: „Es ist so traurig, wenn man sie sieht. Manchmal redet sie völlig sinnloses Zeug. Whitney ist ganz auf ihrem eigenen Planeten.“ Ein anderer klagte damals: „Die Leute, die sie wirklich gern haben, haben Angst, dass der ständige Drogenmissbrauch einen tödlichen Herzanfall auslösen könnte. Sie beten alle, dass sie Whitney nicht eines Tages tot auffinden.“
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Im Juli starb einer der Mediziner, die sich stets darum gekümmert hatten, dass Whitneys Stimme in Form blieb, Dr. Julian Groff aus North Miami Beach, der zuvor gelegentlich auch als Leibarzt mit ihr gereist war. Er hatte zuvor bereits Cher, Frank Sinatra, Michael Jackson, Tom Jones und andere große Stars betreut. Ohne Groff und seine Ratschläge begann Whitney, ihre Stimme mehr und mehr zu zerstören. Im August 2000 hatte der Enquirer wieder eine seiner Sternstunden, als Reporter herausfanden, dass „Whitney Houston und Bobby Brown einen entsetzlichen Drogenmarathon hinter sich haben, der mit einer beinahe tödlichen Crack-Überdosis für Bobby endete Am 7. August, nachdem Bobby aus Los Angeles zurückgekehrt war, bestellte das Paar eine Portion Kokain. Dann begann eine wilde Rauschnacht, bis Bobby am 8. August um drei Uhr früh zusammenbrach und bewusstlos wurde.“ Ein Augenzeuge berichtete, die Drogenorgie habe in der Küche des Hauses stattgefunden. Bobbys Herz habe schließlich viel zu schnell geschlagen, und er sei zu Boden gestürzt und habe nicht mehr atmen können. „Eine völlig durchgedrehte Whitney rief schließlich den Notarzt“, berichtete das Blatt weiter. „Die Sanitäter mussten Bobby mit Sauerstoff wiederbeleben und legten ihm sogar einen Defibrillator auf, um seine Herztätigkeit mit Stromstößen zu normalisieren.“ So konnte ein gemütlicher Abend zuhause bei den Browns eben auch enden. MCA veröffentlichte im September 2000 das Album Bobby Brown’s Greatest Hits – das kein Hit wurde. Für ihn bedeutete es das Ende seines Vertrags mit dem Label und das Ende seiner Karriere insgesamt. Spätestens jetzt war er lediglich deswegen berühmt, weil er Whitney Houstons Ehemann war. Im gleichen Monat meldete sich der Bundesstaat Hawaii bei Whitney: Die Staatsanwaltschaft verlangte, dass sie dort vorstellig wurde, bevor man am 26. Oktober offiziell ein Gerichtsverfahren gegen sie eröffnete, das für sie mit tausend Dollar Bußgeld und dreißig Tagen Gefängnis enden konnte. Zudem teilte man ihr mit, dass sie festgenommen werden würde, wenn sie noch einmal einen Fuß auf den Boden des Inselstaates setzte. Für das Paar wurde es allmählich kompliziert – vermutlich hatten die beiden inzwischen eine Landkarte der USA parat, um den Überblick darüber zu
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behalten, wer von ihnen in welchem Staat für welches Vergehen gesucht wurde. Allerdings gelang es Whitneys Anwälten, die Anklage aus Hawaii abzublocken. The Globe berichtete: „Die Pop-Diva willigte ein, viertausendundfünfundneunzig Dollar für örtliche Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden, nachdem ihre Anwälte die Anklage wegen des Besitzes von Marihuana in ihrer Tasche abmildern konnten. Das bedeutet nicht, dass Whitney sich schuldig bekennt. Quellen zufolge hatte sie beschlossen, auf alle Fälle eine außergerichtliche Einigung anzustreben, als sie erfahren hatte, dass Court TV bereits plante, ihre Gerichtsverhandlung live zu übertragen.“ Im Herbst feierte John Houston mit einer üppigen Party seinen achtzigsten Geburtstag im Justin’s, einem noblen Club in Manhattan, der dem Produzenten Sean „Puffy“ Combs gehört. Doch Whitney glänzte am Ehrentag ihres Vaters wieder einmal durch Abwesenheit. „Sie ist noch immer sauer darüber, dass sich ihre Familie in ihr Leben einmischt“, erklärte ein Freund der Familie. „Sie denkt, die anderen würden glauben, sie hätte ein Drogenproblem, wollten sie in eine Reha stecken und sie und Bobby auseinanderbringen, als der im Knast war.“ Schließlich wurde bei der Feier eine zweistöckige, samtrote Torte hereingetragen, auf der in Zuckergussschrift zu lesen war: „Für den besten aller Väter, Dad, alles Liebe, Whitney.“ Normalerweise war es Whitney, die „Happy Birthday“ für ihren Vater sang, aber dieses Mal musste ihr Bruder Gary für sie einspringen. Und obwohl Whitney gar nicht zugegen war, kreuzte gegen ein Uhr morgens Bobby Brown auf, der offenbar eine offene Bar gewittert hatte. Augenzeugen berichteten: „Als Bobby hereinkam, breitete sich Totenstille aus. Man hätte die Spannung mit einem Messer schneiden können.“ Schon bald wurde die Sorge um Whitneys Gesundheit immer größer. Am 16. Oktober 2000 tauchten Bobby und Whitney in Washington bei einer religiösen Versammlung auf, dem so genannten Million Family March, bei dem über 400.000 Menschen zusammenkamen, um für Werte wie Ehe und Familie einzutreten und die religiöse Einigkeit zu beschwören. Andere Demonstrationsteilnehmer waren erschüttert, als sie Whitney sahen. „Sie
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scheint geradezu zu schwinden. Die Knochen ihrer Arme und Beine zeichnen sich deutlich ab, und ihr Gesicht sieht aus, als sei die Haut viel zu straff gespannt.“ Ein Freund erklärte: „Wenn man sie nur ansieht, dann wird schmerzhaft deutlich, dass irgendetwas sie gesundheitlich unglaublich belastet. Sie sieht aus wie jemand, der nicht isst oder nichts bei sich behalten kann. Können die Menschen in ihrer Umgebung das übersehen? Wollen sie alle warten, bis etwas Tragisches geschieht und dann sagen: ‚Drogen? Wer hätte das geahnt?‘“ Ein schockierender Bericht des National Enquirer war mit der Schlagzeile „Whitney: Überdosis!“ überschrieben und konnte zwei Nahtod-Erlebnisse benennen, die Whitney fast das Leben gekostet hätten. Und auch Bobby Brown, so hieß es dort, sei dem Tod des Öfteren nur knapp von der Schippe gesprungen. Einer dieser Vorfälle ereignete sich in einem ungenannten Luxushotel in Los Angeles. Offenbar hatten sich die beiden außerhalb des Hotels verabredet, und Whitney war nach drei Stunden immer noch nicht erschienen. Schließlich schickte Brown einen seiner Kumpels ins Hotel, um nachzusehen, wo seine Frau blieb. Der Freund klopfte an die Tür des Zimmers und bekam keine Antwort. Mit einem Zweitschlüssel öffnete er die Tür und fand Whitney bewusstlos auf dem Bett ausgestreckt. Eine Quelle verriet: „Im Zimmer befand sich ein zusammengerollter Ein-Dollar-Schein und eine Wasserpfeife.“ Klare Hinweise auf Drogenmissbrauch. Da er einen Skandal befürchtete, rief Browns Kumpel nicht die Polizei, sondern holte einen Arzt, der ins Hotel kam und Whitney wieder belebte. Besagte Quelle fügte hinzu: „Der Arzt rettete Whitney das Leben. Sie gab später zu, sie habe Kokain genommen.“ Im gleichen Artikel wurde behauptet, dass es in Denver, Colorado schon einmal einen ähnlichen Zwischenfall gegeben hatte. Ein Freund der Familie, der dabei war, berichtete: „Sie nahmen beide Koks und Crack in einer Hotelsuite. Plötzlich erlebte Whitney eine heftige körperliche Reaktion – die Drogen in ihrer Blutbahn lösten einen Schock aus. Sie verfiel in Zuckungen. Leibwächter packten sie und legten ihr Eis auf Kopf, Hals und Brust, damit sie wach blieb und weiter atmete. Dann schleppte man sie aus
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dem Hotel in einen Lieferwagen. Whitney trug nur eine graue Trainingshose und ein T-Shirt. Der Fahrer raste dann durch Denver, um sie zu einem Arzt zu bringen, bevor es zu spät war.“ Wieder entkam sie dem Tod nur knapp. Der namentlich nicht genannte Freund enthüllte zudem, dass Bobby sich auch schon öfter in ähnlich lebensbedrohlichen Situationen befunden hatte: „Wenn Bobby eine Überdosis erwischt hat, dann ziehen ihn seine Bodyguards aus und stecken ihn in die Badewanne, die sie dann mit Eis füllen, um ihn wiederzubeleben und um zu verhindern, dass er aufhört zu atmen. Dann stellen sie ihn wieder auf die Beine und lassen ihn ein paar Stunden herumlaufen, damit der Körper die Überdosis verarbeiten kann. Sie wissen, wenn sie Bobby einschlafen ließen, dann würde seine Atmung aussetzen und er würde sterben.“ Das Leben von Whitney und Bobby war eine strapaziöse, sinnlose Lawine aus Kokainmissbrauch und verzweifeltem Überleben geworden. In dieser Zeit berichtete der National Enquirer zudem, dass Houston durchschnittlich 175.000 Dollar pro Jahr bei ihrem Dealer für Kokain ließ. Ende 2000 war Whitney für vier Auftritte im Aladdin Resort in Las Vegas gebucht. An jedem der vier Abende erschien Bobby mit seiner Posse aus Trinkkumpanen und stürzte einen Courvoisier nach dem anderen hinunter. Bei der ersten Show schnappte er sich das Mikrofon der Band und brüllte Obszönitäten hinein. Zudem tönte er angeblich: „Ich hoffe, ihr gebt hier alle reichlich Geld aus, denn dieser Saftladen muss uns Freitag noch bezahlen!“ Das ist natürlich auch eine Möglichkeit, das Publikum der Ehefrau auf einen schönen Abend einzustimmen. Die Weihnachtszeit verbrachten Whitney und Bobby auf den Bahamas und ließen sich bei einer Urlaubsveranstaltung im exklusiven Ocean Club blicken, bei der auch viele andere Stars aufkreuzten. Ein Insider verriet dem National Enquirer: „Unter den Partygästen war Baby Spice (Emma Bunton) von den Spice Girls, und Whitney hatte den Eindruck, dass Bobby viel zu nett zu ihr war. Whitney erzählte mir, dass sie deswegen im Hotelzimmer einen Riesenstreit mit Bobby gehabt hatte. Bobby, der betrunken war, packte Whitney daraufhin von hinten am Hals und hielt sie im Würgegriff. Sie schrie, er solle sie loslassen, und sie bekäme keine Luft
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mehr. Aber Bobby drückte weiter zu. Whitney sagte, sie habe Angst gehabt zu ersticken. Schließlich bekam sie einen schweren Aschenbecher zu fassen und schlug ihn ihrem Mann an den Kopf, damit er sie losließ. Sie traf ihn so schwer, dass der Aschenbecher zerbrach. Blut strömte von Bobbys Kopf, und er taumelte aus dem Zimmer. Whitney schlug die Tür hinter ihm zu, weil sie Angst hatte, er könne sie wieder angreifen. Bobby lag blutend auf dem Boden, als Hotelmitarbeiter ihn fanden und die Blutung mit Handtüchern stillten.“ Bobby Brown kam ins nächste Krankenhaus. Die Ärzte hätten ihn gern über Nacht dabehalten, aber das lehnte er ab. Währenddessen hatte sich Whitney ein Flugzeug gechartert und war nach New Jersey zurückgekehrt. Der besagte Insider erklärte: „Sie hatte wirklich Angst um ihr Leben. Natürlich hätte sie ihn leicht wegen Körperverletzung oder sogar versuchten Mordes festnehmen lassen können.“ So war das also, wenn man den Urlaub mit den schlagkräftigen Browns verbrachte! Damit ging für Whitney ein Jahr zu Ende, in dem sich ein Fauxpas an den nächsten gereiht hatte. Und dennoch war sie noch immer nicht bereit, sich ihren Dämonen zu stellen. Was konnte man da anderes sagen als: „Houston, wir haben ein Problem.“
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Whitney bei ihrem Auftritt in der Fernsehsendung Good Morning America am 8. Dezember 2002 im New Yorker Lincoln Center. (Foto: Derek Storm)
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Mariah Carey und Whitney Houston 1998 bei ihrem Duett „When You Believe“. Die beiden Rivalinnen verstanden sich gut bei den Aufnahmen. (Foto: Charles Moniz Collection)
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Beim Auftritt im Central Park im September 2009 kam auch Whitneys Tochter Bobbi Kristina Brown auf die Bühne. (Foto: Derek Storm)
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1997: Whitney als gute Fee im Fernsehfilm Cinderella. Die Sängerin Brandy übernahm die Titelrolle. (Foto: Neal Preston / Disney / Charles Moniz Collection)
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Whitneys Live-Auftritt am 1. September 2009 im New Yorker Central Park wurde für die Sendung Good Morning America aufgezeichnet. Sie stellte ihr ComebackAlbum I Look To You vor. (Fotos: Derek Storm)
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m Jahr 2001 ging es für Whitney Houston noch weiter abwärts. Konzertveranstalter zögerten immer häufiger, sie für Shows zu buchen, weil sie inzwischen in dem Ruf stand, bei ihren Engagements nur nach Lust und Laune zu erscheinen. Und es taten sich neue Probleme auf: Selbst wenn sie rechtzeitig zu einem Gig aufkreuzte, musste man befürchten, dass sie sich nicht mehr an die Texte würde erinnern können, sobald sie auf der Bühne stand. Sogar als Gäste waren sie und Bobby in Showbiz-Kreisen zunehmend unerwünscht. Bei einer Geburtstagsparty der Basketball-Legende Magic Johnson, die im House Of Blues in Los Angeles stattfand, forderte man die Browns sogar zum Gehen auf. Bei der Feier, die Johnsons Ehefrau Cookie organisiert hatte, waren Stars wie Angela Bassett, Halle Berry, Vivica Fox oder Marla Maples zugegen, als Bobby ohne Vorwarnung auf die Bühne kletterte und zu singen begann, während Whitney ihn lauthals anbrüllte, er sollte sofort wieder runterkommen. Im National Enquirer hieß es: „Bobby merkte schließlich, dass er sich blamierte, und sprang von der Bühne. Whitney stürmte aus dem Saal und kreischte ihn immer noch an. Magic war außer sich vor Wut, ging den beiden nach und wies sie an, sofort zu gehen, ansonsten würde er sie rauswerfen. Whitney und Bobby verkrümelten sich – und Magic erklärte seinen Freunden, er würde das Pärchen niemals wieder einladen, bevor er hinzusetzte: ‚Was auch immer Bobby da nimmt, Whitney nimmt es auch.‘“
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Anlässlich von Bobbi Kristinas achtem Geburtstag am 4. März 2001 veranstalteten Whitney und Bobby eine große Party auf einer Inline-SkaterBahn, die nur eine Viertelstunde von ihrem Anwesen in Mendham entfernt lag. Das Paar kam zur eigenen Feier eine halbe Stunde zu spät und wurde von einem Dutzend bulliger Bodyguards begleitet. Wie die Gäste später erzählten, waren Whitney und Bobby sehr unhöflich zu den anderen Skatern, die dort unterwegs waren, und verhielten sich gegenüber jedem, der ihnen auf der Bahn im Weg war, äußerst aggressiv. Einer der Anwesenden sagte: „Whitneys Haar hing strähnig herunter, sie hatte kein Make-up aufgelegt und sah aus, als hätte sie nächtelang nicht geschlafen. Ihr ungesundes Aussehen gab Anlass zur Sorge.“ Whitney probierte ein Paar Inline-Skater in ihrer Größe an, war aber mit ihnen nicht zufrieden. „Die taugen nichts. Hol mir ein anderes Paar“, herrschte sie einen der Leibwächter an, während sie die Inliner wie ein verwöhntes Kind auf den Boden schleuderte. Anschließend rauschte Whitney wie wild geworden über die SkaterFläche. „Sie sah aus, als wollte sie eine Menge negative Energie verbrennen“, meinte ein Beobachter. „Sie wedelte mit den Händen und fuhr mal mit dem Strom, mal scherte sie wieder aus. Sie schubste sogar andere Skater weg, wenn sie ihr im Weg waren.“ Schließlich bestellte sie sich am Tresen mit den Erfrischungen einen gefrorenen Blaubeer-Drink und wurde ausfällig, als sie das Gewünschte nicht sofort gereicht bekam. Ein Augenzeuge: „Die arme Frau hinter dem Tresen wusste nicht, was da über sie hereinbrach. Auf der Rollschuhbahn geht es sonst eher gemütlich zu, und das Personal ist es nicht gewöhnt, mit launischen Stars umzugehen.“ The Globe berichtete: „Aber richtig bizarr wurde es erst, als sie alle Gäste um sich scharte und solo ‚Happy Birthday‘ für Bobbi sang. Sie nahm ein Messer und vollführte damit ein seltsames Ritual, hielt es mit beiden Händen hoch und wedelte damit über dem Kopf herum, bevor sie die Torte anschnitt.“ Einer der Anwesenden meinte: „Das war schon ein ziemlich eigenwilliges Verhalten.“ Anfang 2001 ließ das Magazin Ebony verlauten, dass man Cissy Houston beim anstehenden „Mothers & Daughters“-Bankett ehren wollte. Cissy
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war sehr gerührt und wollte angesichts des Mütter-Töchter-Mottos natürlich gern, dass Whitney sie zu der Veranstaltung begleitete. Die Diva lehnte die Bitte jedoch ab. „Cissy war deswegen sehr verletzt“, berichtete ein Insider, „aber sie rief Whitney noch einmal an, ob sie es sich nicht noch einmal überlegen wollte, weil ihr der Abend so wichtig war. Sie fragte Whitney sogar, ob sie ihr die Begleitung nicht zum Muttertag schenken wolle, weil sie hoffte, dass eine so spezielle Bitte sie vielleicht umstimmen würde. Aber es klappte nicht. Whitney überraschte sie nicht etwa damit, dass sie dann in letzter Minute doch noch kam.“ Im Juni 2001 war in The Star und The Globe zu lesen, dass Robyn Crawford zurückgekehrt war und wieder eine große Rolle in Whitneys Leben spielte. Die Schlagzeile im Star lautete dazu: „Busenfreundin wieder da – Bobby außer sich … SKANDAL UM WHITNEYS DREIECKBEZIEHUNG MIT LESBENFREUNDIN!“ Ein Freund der Familie: „Bobby flippte aus. Seine Frau geht jedes Mal mit einem Funkeln in den Augen und hüpfenden Schrittes aus dem Haus, wenn sie sich mit Robyn trifft. Über die Jahre hat Whitney immer wieder betont, dass sie mit Robyn ein ganz spezielles Verhältnis hat, das jedoch nichts mit Bobby zu tun hat.“ Beruflich gab es auch wenig Neues. In Europa und Asien erschien eine zweite „Greatest Hits“, die den Titel Love, Whitney trug – eine einzelne CD, auf der die größten Balladen der Diva zusammengestellt waren. Das Album kam bis auf Platz 22 in Großbritannien und verkaufte sich mehr als eine halbe Million Mal. Im Spätsommer 2001 berichtete die Presse detailliert über die Vertragsverhandlungen zwischen Whitney und Arista. Schließlich unterschrieb Whitney wieder bei ihrem alten Label. Es wurde nie publik, ob Clive Davis ihr je das Angebot gemacht hatte, sie für sein neues Label J Records unter Vertrag zu nehmen. Die Vermutung liegt nahe, dass sie inzwischen eine der größten Enttäuschungen seines Lebens geworden war. Er hatte eine brillante, schillernde Karriere für sie entworfen, und sie hatte im Gegenzug alles getan, was in ihrer Macht stand, um ihre Gesundheit, ihre Beliebtheit und ihre Stimme gründlich zu ruinieren.
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Stattdessen bot Clive einer Reihe anderer Stars, die schon einmal bessere Zeiten gesehen hatten, bei seinem Label ein neues Zuhause, beispielsweise Luther Vandross, Liza Minnelli oder Rod Stewart. Auch Monica und Angie Stone umwarb er, aber der Problemfall Whitney erhielt kein Angebot. Davis war offensichtlich bewusst, dass Whitney zuerst einmal ihre persönlichen Probleme würde angehen müssen. Er lockte mit der talentierten Neuentdeckung Alicia Keys eine faszinierende, frische Sängerin zu seinem Label und baute sie zu einer neuen Pop-Diva auf. Ihr erstes Album Songs In A Minor bekam einen Hauch vom typischem Clive-DavisZauber, und prompt wurde die Platte ein Riesenerfolg und ein echter Abräumer bei den Grammys. Arista Records hingegen wurde nun von L.A. Reid geleitet, und im Musikgeschäft wurden bereits die ersten kritischen Stimmen laut. Arista war der maßgeschneiderte Traum von Clive Davis gewesen. Konnte jemand, der nur halb so alt war wie er und viel weniger Erfahrung hatte, das Label erfolgreich am Laufen halten? Da Whitney Houston von allen Arista-Künstlern bei weitem die meisten Platten verkauft hatte, schien es beinahe selbstverständlich, dass man sie gern beim Label halten wollte. Es war eine Zeit, in der riesige Geldsummen gehandelt wurden, um die größten Erfolgsstars der Neunziger zu verpflichten. Das Angebot, das L.A. Reid Whitney Houston machte, war darunter wohl das unvernünftigste. Im August 2001 gab Arista offiziell bekannt, dass Whitney ihren Vertrag für die phantastische Summe von hundert Millionen Dollar verlängert hatte und bei Unterzeichnung des Vertrages fünfundzwanzig Millionen Dollar als Vorschuss erhalten sollte. Die übrigen fünfundsiebzig Millionen waren an ihre Albenverkäufe und an die Erfüllung der Vertragsbedingungen gekoppelt. Der Vertrag umfasste sechs neue Alben und zwei Compilations. L.A. Reid sagte dem Hollywood Reporter: „Es stand nie zur Debatte, dass sie Arista verlässt. An dem Tag, als bekannt wurde, dass ich möglicherweise die Geschäftsführung übernehmen würde, war Whitney Houston die erste Arista-Künstlerin, die mich kontaktierte und mir ihre Unterstützung zusicherte. Auch wenn die Klatschmäuler gleich behaupteten,
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dass das Label ohne Clive dem Untergang geweiht sei, stand nie im Raum, dass sie gehen würde. So etwas hat mir gegenüber weder sie je geäußert, noch ihre Rechtsanwälte, die Vertreter ihres Mannes oder sonst wer.“ Schon bald zeigte sich, wie unverantwortlich und finanziell schädigend diese Entscheidung gewesen war. Die enorm hohen Ausgaben hätten sich nur dann gelohnt, wenn Whitney ein neues Album vom Kaliber des Bodyguard-Soundtracks abgeliefert hätte. War Houstons Karriere lediglich das Produkt der Star-Maschinerie eines Clive Davis gewesen, oder gründete sie sich auf ihrem Image und ihrem Talent? In den folgenden zwei Monaten demonstrierte Whitney zunächst einmal, wie leichtsinnig man bei Arista gewesen war. Um den profitablen neuen Vertrag gebührend zu würdigen, gab sie das Geld mit vollen Händen aus. Und im September fügte sie ihrem Image schließlich so großen Schaden zu, dass er sich kaum noch reparieren ließ. Whitney und Bobby hatten einem Vorschuss von fünfundzwanzig Millionen Dollar in der Tasche, und sie beschlossen, diesen Anlass auf ihre ganz spezielle Art zu feiern. Der Hollywood Reporter verkündete die Einzelheiten zum neuen Vertrag in der Ausgabe vom 3. August 2001. Fünf Tage später wurde Bobby Brown in die Notaufnahme eines Krankenhauses eingeliefert, nachdem er beinahe an einer Überdosis Kokain gestorben war. Im Star berichtete ein Insider: „Arista überwies zweiunddreißig Millionen Dollar auf ihr Konto, und noch bevor die Tinte auf dem Vertrag trocken war, kaufte Whitney ein Kilo Kokain und gab dafür 150.000 Dollar aus. Sie brachte Bobbi Kristina zu ihrer Kinderfrau und begab sich dann mit Bobby in ihre private Drogenhöhle.“ Ein Augenzeuge erklärte, die Browns hätten nicht nur gefeiert, sondern sich auch lautstark gestritten. Offenbar hatte Whitney ein Video erhalten, auf dem zu sehen war, wie Bobby sie mit einer anderen Frau betrog. Houston schrie ihren Gatten an: „Ich lasse mich scheiden, du Arschloch! Glaub ja nicht, dass ich das nicht täte!“ So machten die beiden stundenlang, Tag und Nacht weiter – sie stritten und nahmen Drogen. „Tage gingen in Nächte über, und mit jeder Stunde, die verging, wurden Whitney und Bobby und ihre Partyfreunde zugedröhnter“, hieß es weiter. „Sie rauchten
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und schnupften riesige Mengen des weißen Pulvers und waren irgendwann wirklich völlig weggetreten. Am frühen Morgen des 8. August verdrehte Bobby die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war, und bekam Schaum vor dem Mund. Er sah aus wie ein Epileptiker, der einen Anfall bekommt, allerdings lag der Grund dafür an einer Überdosis Kokain. Whitney flippte völlig aus. Sie war ebenfalls schon völlig drauf und kreischte: ‚Baby, du darfst nicht sterben!‘“ Um 2:48 Uhr wählte schließlich jemand die Nummer des Notrufs von Mendham Township und alarmierte damit auch die Polizei von New Jersey. Natürlich waren die Angestellten des Anwesens darauf gedrillt, alle Anzeichen für Drogenmissbrauch ruckzuck zu vertuschen. Als der Notruf abgesetzt wurde, vernichtete man schnell alle Spuren illegaler Substanzen und Hilfsmittel, die man zum Konsumieren brauchte. Das Aufnahmestudio wurde mit einem Lufterfrischer eingesprüht, um alle anderen Gerüche zu überdecken. The Globe berichtete: „Die Polizeibeamten John Santucci und Steven Crawford hielten Brown am Leben, bis der Rettungswagen eintraf.“ Wenig später kam ein ganzer Trupp Notärzte in Houstons Casa de cocaine. Sie beatmeten Bobby mit Sauerstoff und brachten ihn dann ins Morristown Memorial Hospital. Whitney fuhr im Krankenwagen mit. Ein weiterer Augenzeuge sagte: „Sie konnte selbst kaum zusammenhängende Sätze äußern. Bobby weigerte sich, im Krankenhaus Blut- oder Urinproben abzugeben, weil er es sich nicht leisten konnte, dass ein neuerliches Drogenvergehen in seiner Akte vermerkt wurde. Außerdem hing Whitneys ganzer Lebensunterhalt von dem neuen Vertrag ab.“ Eine andere Quelle wollte wissen: „Whitney war verschwitzt, angespannt und völlig außer sich. Jeder konnte sehen, dass sie bis an die Haarwurzeln zugekokst war und die Gefahr bestand, dass auch sie eine Überdosis erwischt hatte.“ Es gelang jedoch, Bobby nach recht kurzer Zeit wieder zu stabilisieren. Zu Beginn hatte man befürchtet, dass sein Herz aussetzen könnte, sodass er bereits an einen Defibrillator angeschlossen worden war, um sein Herz im Zweifelsfall durch einen Elektroschock wieder zum Schlagen zu bringen.
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Gegen den Rat der Mediziner verließ Bobby Brown das Krankenhaus nur anderthalb Stunden, nachdem er auf einer Bahre hineingetragen worden war. Er hatte sich geweigert, verschiedene Tests durchführen zu lassen, von denen sich die Ärzte einen Aufschluss darüber erhofften, weshalb er überhaupt umgekippt war. The Globe zitierte einen Beobachter: „Bobby wollte so schnell wie möglich wieder raus aus dem Krankenhaus. Er wusste, dass bei den Tests die ganzen Substanzen nachgewiesen werden würden, die er sich in den letzten drei oder vier Tagen reingepfiffen hatte – also vor allem Kokain und Marihuana, die er mit Cognac runtergespült hatte!“ Dr. James Whitlock, ein renommierter Neurologe aus Salem in New Hampshire erklärte dazu: „Es ist gut möglich, dass jemand durch Kokainmissbrauch Krämpfe bekommt und scheinbar kurz vor dem Exitus steht, dann aber eine Stunde später schon wieder aus dem Krankenhaus spaziert. Manche Krämpfe haben kaum Nachwirkungen.“ Am nächsten Abend war es Whitney, die in ihrem Anwesen bewusstlos zusammenbrach. Der National Enquirer berichtete: „Sie und ihr Ehemann Bobby Brown hatten Crack geraucht und Gäste unterhalten. Eine der anwesenden Frauen fürchtete, Whitney würde sterben und wollte schon einen Notruf tätigen, aber plötzlich kam Whitney wieder zu sich.“ Nachdem sie nun also mit dem neuen Arista-Vertrag in der Tasche buchstäblich gefeiert hatte, bis der Arzt kam, kam schließlich der Augenblick, an dem für jedermann sichtbar wurde, wie es ihr augenblicklich ging und was sie sich selbst antat. Ihr Auftritt im Madison Square Garden am 7. September 2001 schockierte Mitwirkende und Zuschauer gleichermaßen. Es handelte sich um ein Galakonzert zur Feier von Michael Jacksons dreißigjährigem Jubiläum als Solokünstler. Die Veranstaltung wurde von Jackson selbst und David Gest, einem befreundeten Promoter, organisiert und versprach ein riesiger Show-Event zu werden. Zu den Stars, die dabei auftreten sollten, zählten Monica, Liza Minnelli, Gloria Estefan, ’N Sync, Mya, 98°, Usher, Luther Vandross und alle sechs Jackson-Brüder – Michael, Jermaine, Tito, Marlon, Jackie und Randy. Whitney sollte dabei gemeinsam mit Usher und Mya auf die Bühne.
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Für Whitney wurde die Show ein Fiasko. Sie kam in einem kurzen Kleid auf die Bühne, das wenig von ihrem Körper verhüllte und eine Schulter ganz freiließ, und dieses Outfit zeigte in aller Deutlichkeit, dass sie fast nur noch aus Haut und Knochen bestand. Ihre Arme und Beine waren entsetzlich dünn, ihr Schlüsselbein sah aus, als läge nur noch eine ganz dünne Schicht Fleisch darüber. Um die Augen lagen durch den Gewichtsverlust tiefe Falten, und ihre Finger waren furchtbar knochig. Auf der Webseite www.ABCNews.com war zu lesen, sie sei „alarmierend dünn“ und der Kommentator Matt Drudge war der Meinung, sie sei „bis zum Skelett abgemagert“. Bei ihrer Version des Jackson-Songs „Wanna Be Startin’ Something“ enthüllte Whitney, dass ihre früher einmal so unglaublich sichere Stimme zu einem heiseren, rauen Flüstern geworden war. Eigentlich hätte sie auch am Montag, den 10. September 2001, live auftreten sollen, aber angeblich redeten ihre Mutter und ihre Schwägerinnen Donna und Pat Houston ihr das aus. Ihnen war das Bild peinlich, das Whitney inzwischen bot, und sie überzeugten die Sängerin, dass sie erst dann wieder in der Öffentlichkeit erscheinen sollte, wenn sie ein bisschen besser beieinander war. Nachdem er die erschreckenden Bilder aus dem Madison Square Garden gesehen hatte, schrieb Clive Davis Whitney angeblich einen Brief und bat sie eindringlich, sich Hilfe zu suchen. Der National Enquirer berichtete: „Clive Davis war schockiert. Sein Brief half, Whitney davon zu überzeugen, dass sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen musste.“ Als die Fotos der ausgemergelten Whitney in der Presse erschienen, konnte niemand mehr die Augen davor verschließen, dass sie sich auf dem besten Wege war, sich selbst langsam umzubringen. Am 13. September geisterte ein Gerücht durch die Medien, dass sie erneut eine Überdosis erwischt habe und gestorben sei, aber das wurde schnell dementiert. Dennoch hatte der Fernsehsender MTV der New York Post zufolge bereits eine ganze Clip-Sammlung von Whitney zusammengestellt, um auf die Schnelle einen Nachruf senden zu können. Das Ganze wurde noch bizarrer, als der Mitschnitt des Jubiläumskonzerts für die Fernsehshow Michael Jackson: 30th Anniversary für die Ausstrahlung auf CBS am 13. November 2001 vorbereitet wurde. Whitney
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sah so schrecklich aus, dass die Bildregie, wie hinterher publik wurde, ein spezielles Computerverfahren einsetzte, um ihre Szenen ein wenig zu verzerren, damit das Fernsehpublikum nicht ganz so viele Knochen durch die Haut durchscheinen sah. Und dennoch war bei der Ausstrahlung unübersehbar, dass sie sich an die Schwelle des Todes gebracht hatte. Die verwischten Aufnahmen ihres Körpers ließen keinen Zweifel daran – sie war so dürr wie eine Zaunlatte. The Star beschrieb sie als „wandelndes Skelett“. Inzwischen verglich man Whitney oft mit einer anderen berühmten Sängerin – Karen Carpenter, einer der schönsten Stimmen der Siebzigerund Achtzigerjahre. Karen war magersüchtig gewesen und 1983 an den Folgen extremen Hungerns gestorben. Und Whitney sah nun ebenfalls so aus, als bestünde sie nur noch aus Haut und Knochen und wolle jeden Augenblick dahinschwinden. Angeblich wog sie nur noch vierzig oder fünfundvierzig Kilo. Doch es gab auch Gerüchte in jener Zeit, die vermuten ließen, dass Whitney allmählich erkannte, in welcher Gefahr sie schwebte. Angeblich planten sie und Bobby einen Entzug im Koh-Samui Detox Center, einer Reha-Klinik, die auf einer Insel im Golf von Thailand liegt. Das dreiwöchige Programm wurde jedoch in letzter Minute von den beiden abgesagt. Whitney, die offenbar nur halbherzig daran dachte, sich von der regelmäßigen Kokainzufuhr zu verabschieden, hatte im September 2001 zudem zweimal geplant, mit ihrer Mutter einen Aufenthalt im luxuriösen Wellness-Club Miraval in Tucson, Arizona zu buchen, wobei es sich hier nicht um eine Entzugsklinik im eigentlichen Sinne handelte; es erschien ihr vielleicht weniger bedrohlich als die sterile Atmosphäre eines Krankenhauses. Schließlich vereinbarte sie tatsächlich, am 4. Oktober dort einzuchecken. Der National Enquirer berichtete allerdings: „Zwei Tage, bevor sie in den Wellness-Club reiste, ließen sich Whitney und Bobby von einem ihrer Fahrer eine große Menge Kokain in ihr Haus in Mendham bringen, wie eine gut unterrichtete Quelle verlauten ließ. ‚Es sollte die letzte große Drogenparty sein. Das sagen schließlich alle Drogenabhängigen.‘“
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Während ihres Aufenthalts in Miraval kam am Sonntag, den 7. Oktober, der Gesundheitsguru und Buchautor Dick Gregory vorbei, um Whitney ein wenig aufzubauen. Sie war von dieser Geste sehr gerührt und schien seinen Ratschlägen auch folgen zu wollen. Allerdings handelte sie nicht danach – im Gegenteil, es machte immer noch den Anschein, als wolle sie sich um jeden Preis mit Hilfe von Drogen umbringen. Nach wenigen Tagen verließ sie das Miraval und lebte so weiter wie bisher. Im Enquirer hieß es dazu: „Nach dem Ausflug nach Arizona verbrachte Whitney eine weitere Woche mit Bobby im berühmten Canyon Ranch Health Resort in Lenox, Massachusetts. Aber ihre Versuche, einen Entzug zu machen, waren wieder nur höchst halbherzig: Wie ein Insider berichtete, ließen Whitney und Bobby ihren Fahrer schon vor der Fahrt von New Jersey nach Massachusetts eine Ladung Drogen abholen.“ Die Konkurrenz machte in dieser Zeit ganz andere Schlagzeilen: Mariah Carey war 2001 aus ihrem Multi-Millionen-Dollar-Deal mit Virgin entlassen worden, nachdem sie mit Glitter einen kolossalen Album-Flop und anschließend einen gleichnamigen und ebenso erfolglosen Film abgeliefert hatte. Im Januar 2002 hieß es plötzlich, dass Carey darüber nachdachte, bei Arista zu unterschreiben. Einem Bericht der New York Post zufolge, der mit „Whitney wütend auf Mariah“ überschrieben war, war Whitney richtiggehend ausgerastet, als sie hörte, dass ihre Erzrivalin versuchen wollte, sie bei Arista zu verdrängen. Mariah ging schließlich zu einem anderen Label, aber für kurze Zeit hatte es ganz so ausgesehen, als wollte sie in Whitneys Revier wildern. Währenddessen arbeiteten Whitney und Bobby an einem neuen Album, dem ersten, zu dem sie der Hundert-Millionen-Dollar-Deal mit Arista verpflichtete. Anfang 2002 kursierten jedoch erste Gerüchte, dass es sich bei den Songs, die bisher entstanden waren, größtenteils um minderwertige Tracks handelte, auf denen Whitney absolut schrecklich klang. Am 12. Februar 2002 brachte The Globe wieder einmal eine neue Schock-Schlagzeile: „Whitney bricht zusammen! Drogensüchtige Diva immer wieder bewusstlos“. Der dazugehörige Artikel berichtete Erschreckendes über die Aufnahmesessions: Bobby und Whitney blieben tagelang ohne Unterbrechung wach, feierten und nahmen Koks, während sie
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nebenbei versuchten, ein paar Titel für das neue Album in den Kasten zu bekommen. Anschließend schliefen sie dann wie tot mehrere Tage und Nächte durch. Ein Augenzeuge berichtete: „Sie war zwei Tage lang überhaupt nicht ansprechbar. Als sie endlich wieder zu sich kam, verkroch sie sich unter ihrer Bettdecke und heulte wie ein Schlosshund.“ Mit der Arbeit an der neuen Platte ging es einfach nicht voran. Whitney sang nicht mehr, es war eher so, als ob sie die Texte zu ihren Songs sprach. Ein „Freund der Familie“ berichtete der Presse: „Ihre Stimme war rau und heiser und mindestens eine Oktave tiefer als zuvor. Je mehr ihre Stimme kippte, desto vehementer machte sie Bobby und das Studio-Equipment dafür verantwortlich. Wenn klar wurde, dass sie einen Ton einfach nicht treffen konnte, schlug Bobby vor, einen kleinen ‚Muntermacher‘ zu nehmen. Vielleicht wollte er wirklich nur, dass sie sich besser fühlte, aber noch mehr Kokain war wirklich das Schlimmste, das man ihr in dieser Situation geben konnte.“ Als Whitney einige Tage später die Bänder abhören wollte, nahm Bobby angeblich Zuflucht in der Ausrede, die Aufnahmegeräte seien kaputt gewesen – dabei wollte er nur nicht, dass sie selbst hörte, wie schrecklich sie klang. Ein Augenzeuge: „Sie wusste, dass Bobby log und dass sie sich schrecklich anhörte. Als sie in ihrem Zimmer verschwand, wo sie in einem Onyx-Kästchen ihre Drogen aufbewahrte, schrie sie Bobby an: ‚Du bist ein elender Dreckskerl!‘“ Allmählich kam ihr jedoch zu Bewusstsein, wie sehr sie ihr eigenes Leben schädigte, und in den nächsten Monaten gelang es ihr, zehn Kilo zuzunehmen, sodass sie wieder etwas besser aussah. Dementsprechend erpicht war sie darauf, ihren neuen, gesünderen Look beim VH1-Special Diva Las Vegas vorzustellen, bei dem außer ihr auch Mary J. Blige, Cher, Celine Dion, Stevie Nicks, Shakira, Cyndi Lauper und die Dixie Chicks auftraten. Whitney sollte einen Song gemeinsam mit Mary J. Blige singen, die in der Vergangenheit selbst Probleme mit Drogen gehabt, sich davon inzwischen aber öffentlichkeitswirksam losgesagt hatte. Seitdem war Blige extrem gegen Drogen eingestellt. Als Whitney also für die Proben und die
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Show in Las Vegas eintraf, war Blige nicht gewillt, Whitneys Mätzchen durchgehen zu lassen. Ein Beobachter berichtete: „Am Mittwoch rief Mary bei Whitney an, damit sie beide ihre Terminpläne aufeinander abstimmen und gemeinsam um 13:30 Uhr proben konnten. Und als Whitney ihr bei diesem Gespräch zu erklären versuchte, sie sei eigentlich körperlich gar nicht in der Lage, eine Probe durchzustehen, flippte Mary aus.“ Blige fuhr Whitney an: „Was? Ist das dein Ernst? Du willst nicht mit mir proben? Das glaube ich ja wohl nicht! Wie kannst du mir das antun?“ Sie war so wütend, dass Mitarbeiter aus Whitneys Tross in ihr Zimmer eilten, um sie zu beruhigen und ihr zu versichern, dass Whitney natürlich bei der Probe erscheinen würde. Blige teilte den Produzenten bei VH-1 dennoch mit, dass sie nicht mehr gemeinsam mit Whitney auftreten wollte, aber die Fernsehmacher erklärten ihr, Houston sei der wesentlich größere Star, und es käme nicht infrage, dass Mary das Duett absagte. Schließlich fand man einen Kompromiss. Ein Insider erklärte: „Die Probe ging ohne Probleme über die Bühne, und Mary und Whitney umarmten sich sogar, als sie vorüber war. Beim späteren Live-Auftritt umarmten sie sich erneut, und es war ganz offensichtlich, dass sie ihren Streit beigelegt hatten.“ Allerdings sollten sich nun immer öfter Stars von Whitney distanzieren, weil sie befürchteten, dass ihr öffentlicher Absturz auch sie in ein schlechtes Licht rückte. Im Juli 2002 erschien die erste Single aus dem noch unveröffentlichten Album Just Whitney. Die Zeitschrift Entertainment Weekly urteilte: „‚Whatchulookinat‘, ein bitterer Vorgeschmack auf das folgende Album, ist ein Stolperschritt in die falsche Richtung. Dem altbackenen Groove fehlt jedes Bisschen Funk, und der Song würde insgesamt allenfalls einem Sternchen aus der zweiten Reihe wie Deborah Cox gerecht. Die paranoiden, an Jacko erinnernden Textzeilen über die Verfolgung seitens der Presse erinnern nur noch zusätzlich an ihre jüngsten Schlagzeilen, obwohl es eher in ihrem Interesse wäre, dass man die endlich vergäße.“ Die Single kam in die Läden und ging sang- und klanglos unter. In den USA erreichte sie gerade eben Platz 96, in Deutschland Platz 47. Gerüchteweise waren sämtliche Aufnahmen für die neue Platte eine absolute Katastrophe.
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Im August 2002 musste Whitney einen schweren Schlag einstecken, als ihr eigener Vater einen Prozess gegen sie anstrengte. John Houston und sein Geschäftspartner Kevin Skinner hatten beim Superior Court von New Jersey eine Klage eingereicht, weil sie Whitney rechtlich beraten und dementsprechend bei der Neuverhandlung ihres Vertrags mit Arista unterstützt hatten. Auch, als sie auf Hawaii mit Marihuana erwischt worden war, hatte sie sich Hilfe suchend an ihren Vater gewandt, der ihr sofort zur Seite gestanden hatte. Als schließlich der Hundert-Millionen-Dollar-Deal ausgehandelt wurde, war John Houston wieder zur Stelle und verlangte für seine Zeit und Mühe sieben Prozent der gesamten Summe. Seine Tochter überging ihn jedoch, und als John Houston dann auch noch mitbekam, welches Chaos sie und Bobby in ihrem Leben anrichteten, beschloss er, dafür zu sorgen, dass sie nicht die ganzen hundert Millionen in Form von Kokain durch die Nase zog. Deshalb verklagte er sie auf die Auszahlung der kompletten Vertragssumme und beantragte zudem eine einstweilige Verfügung, laut der sie zwanzig Prozent ihrer gesamten Einnahmen einem Treuhänder übergeben musste, damit ihr zumindest noch ein gewisses Vermögen verblieb, auch wenn sie als Sängerin eines Tages völlig abstürzen sollte und niemand sie noch singen hören wollte. Ein Freund der Houstons enthüllte in The Star: „John hat Whitney davor gerettet, ihre Karriere zu zerstören. Aber sie hat ihm nie etwas ausbezahlt – gar nichts! Es ist völlig verrückt. Er ist einundachtzig Jahre alt, und sie will ihm nicht geben, was sie ihm schuldet. Er schämt sich für sie und ist wirklich sehr, sehr wütend auf sie und Bobby.“ Besagter Freund fuhr fort: „Sie hatte damals keine frei verfügbaren Geldreserven mehr. John und Kevin mussten einen Vorschuss in Höhe von drei Millionen Dollar bei Arista für sie aushandeln, damit sie das Haus in New Jersey nicht verlor. Aber als es dann darum ging, ihn für seine Arbeit zu bezahlen, weigerte sie sich einfach.“ Für Whitney wurde in jener Zeit alles nur noch schlimmer. Im September 2002 hieß es in The Globe: „Whitneys neues Album ist längst überfällig, die Aufnahmen sind noch immer nicht abgeschlossen und es gibt nicht einmal einen Titel, obwohl sie vor mehr als einem Jahr beim neuen AristaBoss L.A. Reid unterschrieben hat – und ihre neue Single
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‚Whatchulookinat‘ ist ein Riesenflop. Whitney streitet sich mit Arista über die Songs, die auf der Platte erscheinen sollen.“ Whitney und Bobby hatten sich im Swisshotel im Stadtteil Buckhead von Atlanta eingemietet, um im nahe gelegenen Silent Sounds Studio arbeiten zu können. Die Zeitung schrieb weiter: „Aus einer Quelle verlautete, dass die Sängerin und ihr Mann um sechs Uhr früh den Zimmerservice anriefen und ein paar Tüten Backpulver bestellten, ein Mittel, das unter anderem dazu verwendet wird, um aus Kokain in Pulverform Crack zu machen.“ Ein Augenzeuge berichtete: „Sie ist schrecklich dünn. Sie wiegt kaum mehr als fünfundvierzig Kilo und hat im ganzen Gesicht braune Flecken. Wenn sie in die Öffentlichkeit geht, legt sie gewöhnlich sehr viel Make-up auf und achtet darauf, dass ihre Kleidung die Schultern und Arme bedeckt.“ Im Oktober 2002 waren Whitney und Bobby in seinem neuen PorscheCabrio in Alpharetta, Georgia unterwegs. Als sie auf die Auffahrt vom La Quinta Inn, einem Hotel mittlerer Preisklasse, fuhren, wurden die beiden von einigen Leuten auf dem Parkplatz erkannt. Einige Passanten fragten laut: „Ist sie das wirklich?“, und die paranoide Whitney schoss zurück: „Verdammte Scheiße, was habt ihr denn für ein Problem? Arschlöcher! Das ist doch überall dasselbe, überall glotzen mich die Leute an!“ Am 7. November 2002 um 2:30 Uhr wurde Bobby Brown wieder einmal festgenommen. Ein Verkehrspolizist mit einem lasergesteuerten Geschwindigkeitsmesser hatte Brown in seinem Cadillac Escalade angehalten, nachdem er im exklusiven Wohnviertel Buckhead mit dreiundachtzig Stundenkilometern auf einer Straße unterwegs gewesen war, auf der eine Höchstgeschwindigkeit von sechsundfünfzig Kilometern in der Stunde galt. Mit ihm saßen noch einige Kumpels im Auto, Whitney allerdings nicht. Vor allem aber wurde eine knappe Unze, etwa achtundzwanzig Gramm, Marihuana bei ihm gefunden. Wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und Drogenbesitzes wurde er einstweilen festgenommen und verbrachte die Nacht im Gefängnis von Buckhead. Um neun Uhr morgens zahlte er eine Kaution von 1300 Dollar, um trotz dieser Vorwürfe auf freien Fuß gesetzt zu werden. Allerdings
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hatten die Beamten in Buckhead, während Bobby in seiner Zelle schmorte, kurz in die Akte ihres Häftlings hineingeschaut und festgestellt, dass im County DeKalb ganz in der Nähe ein Haftbefehl gegen ihn vorlag, weil er einen Pflichttermin vor Gericht versäumt hatte, der Teil seiner Bewährungsauflagen nach seiner Verhaftung 1996 wegen Trunkenheit am Steuer war. Deshalb wurde er um neun Uhr zwar in Buckhead entlassen, aber gleich anschließend an das Gefängnis von DeKalb County überstellt. Erst, als er dort noch einmal 10.000 Dollar Kaution wegen der Anklage auf Verletzung der Bewährungsauflagen gezahlt hatte, war er tatsächlich wieder ein freier Mann. Seine eigene Karriere hatte sich inzwischen längst erledigt – er war nur noch berühmt, weil er an Whitneys Rockzipfel hing. Offiziell wurde er als einer der Chef-Produzenten ihres neuen Albums genannt, aber im Studio überwachten echte Produzenten wie Babyface das Einspielen der Songs und schufen die richten Sounds. Bobby hatte keinen eigenen Plattenvertrag mehr. Auf der Bühne sah man ihn nur noch, wenn er spontan bei Whitneys Konzerten zu ihr ans Mikrofon kam oder sich betrank und chaotische Auftritte hinlegte. Aber wie sah es bei Whitney selbst mit Konzerten aus? Die Veröffentlichung ihres neuen Albums stand kurz bevor, und es wäre nur natürlich gewesen, wenn sie nun auf Tour gegangen wäre, um die neuen Songs live vorzustellen. Doch das geschah nicht. Zunächst einmal herrschte allgemein Unsicherheit darüber, ob sie überhaupt noch in der Lage war, eine Show von mehr als einer Stunde durchzustehen. Und die Konzertpromoter wollten sie außerdem gar nicht mehr gern buchen. Bei den letzten öffentlichen Auftritten hatte sich gezeigt, dass sie ein finanzielles Risiko darstellte. Würde sie überhaupt kommen? Würde sie den Text vergessen? Würde sie auf der Bühne sterben? Das fragte sich mittlerweile jeder. Im November 2002 schrieb The Star, dass Kevin Skinner, der Geschäftspartner von John Houston, aus dem Lager von Whitney und Bobby „Morddrohungen“ erhalten habe. Offenbar versuchte man, Whitneys Vater und seinen Partner mit Gangsta-Methoden einzuschüchtern, damit er die Klage wegen der hundert Millionen Dollar fallen ließ, machte sich damit aber nur selbst lächerlich.
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Kevin erklärte: „Sie haben Angst vor dem, was ich über Whitneys Privatleben enthüllen könnte. Sie wollen nicht, dass ihr Vater und ich sie verklagen – wegen dem, was ich im Zeugenstand aussagen könnte. Deshalb bekomme ich Morddrohungen! Mittlerweile glaube ich, bei ihnen ist alles möglich.“ Einer Quelle zufolge hatte Whitney gebrüllt: „Ich hasse Kevin – ich könnte das Arschloch UMBRINGEN! Das geht alles von ihm aus. Mein Vater käme nie auf die Idee, mich vor Gericht zu zerren, damit ich ihn für seine Unterstützung bezahle!“ Kevin führte weiter aus: „Sie sagten zu John, sie würden mich ‚kaltmachen‘. Und wenn sie kämen, mich zu töten, würde er vielleicht auch ‚kaltgemacht‘, falls er gerade zufällig neben mir im Auto säße.“ Whitney und Bobby erwiesen sich wirklich als ganz entzückendes Pärchen. Am 20. November 2002 wurde John Houston ins Columbia Presbyterian Hospital in Manhattan eingeliefert. Die New York Post berichtete: „Aufgrund der Millionenklage, die Whitney Houstons Vater gegen seine Tochter angestrengt hat, geriet er so sehr unter Stress, dass er ins Krankenhaus gebracht werden musste, sagte sein Geschäftspartner.“ Kevin Skinner erklärte in der Fensehsendung Inside Edition: „Er war schon krank, bevor die Anklage eingereicht wurde, aber diese Geschichte hat sein Leiden definitiv verschlimmert.“ Währenddessen ging es endlich mit dem neuen Album voran: Die Veröffentlichung wurde für den 10. Dezember 2002 angekündigt. Und um diese Platte, deren Entstehung von so viel Wirbel begleitet gewesen war, zu bewerben, erklärte Whitney sich bereit, in der Nachrichtensendung Dateline von der Journalistin Diane Sawyer interviewt zu werden. Sie und Bobby wollten der ganzen Nation live erzählen, dass bei ihnen alles normal und in bester Ordnung sei. Die Sendung, die am 4. Dezember 2002 von ABC ausgestrahlt wurde, belegte jedoch lediglich, dass Houston und Brown beide hochgradig drogensüchtig waren. Als hätte allein der Anblick nicht schon genügt, brüsteten sie sich offen und schamlos mit ihrem Drogenmissbrauch. In ganz Amerika starrten die Fernsehzuschauer ungläubig auf den Bildschirm, als Whitney und Bobby sich in voller Fahrt auf dem Zug in die Selbstzerstörung zeigten.
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Es war ein Interview, das Clive Davis, hätte er noch etwas zu sagen gehabt, nie zugelassen hätte. Davis – oder auch jeder andere in ihrem Leben, der etwas Macht und Einfluss besaß – hätte ihr diesen imageschädlichen Auftritt umgehend ausgeredet. Zunächst einmal sah sie fürchterlich aus. Zwar hatte sie ein wenig zugenommen, seit sie so klapperdürr bei der Michael-Jackson-Show erschienen war, aber sie wirkte immer noch ausgemergelt. Ihre einst so makellose Stimme klang völlig zerstört und ließ sie selbst beim Sprechen gelegentlich im Stich. Sawyer konfrontierte Whitney in dem Interview, das im Wohnzimmer der Browns in Atlanta stattfand, mit einigen sehr direkten Fragen. „Was konsumieren Sie? Alkohol? Haschisch? Kokain? Oder Pillen?“, wollte Diane ohne Umschweife wissen. „Ja, gelegentlich“, antwortete Whitney. „Was, alles?“, hakte Sawyer nach. „Gelegentlich, ja“, nickte Whitney, ohne mit der Wimper zu zucken. Nach ihrer Selbsteinschätzung hinsichtlich ihrer Drogensucht befragt, erklärte Whitney: „Ich würde mich nicht als Süchtige bezeichnen. Ich denke eher, ich habe ein paar schlechte Angewohnheiten, die ich überwinden kann.“ Sie stellte es so dar, als sei die Zeit der wilden Partys für sie vorbei. „Das war eine Phase, die ich durchgemacht habe, die aber nun hinter mir liegt. Ich habe damit abgeschlossen. Es ist Vergangenheit. Es ist vorbei.“ Ein Blick in ihr Gesicht genügte, um zu wissen, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Als Sawyer sie nach den größten „Dämonen“ in ihrem Leben fragte, erwiderte Whitney, das sei sie selbst. Innerlich wünschten sich vermutlich viele Fans in diesem Augenblick, dass endlich jemand einen Exorzisten rief. Und dann war da noch die Sache mit dem Prozess, den ihr Vater gegen sie anstrengte. „Mein Vater ist 81 und sehr krank. Es steht nicht gut um seine Gesundheit. Jemand aus seinem Umfeld hat ihn dazu gedrängt, hat ihm Angst gemacht bis zu dem Punkt, dass er sich nicht mehr wie mein Vater verhält.“ Whitney übersah dabei, dass John Houston sie teilweise
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gerade deswegen verklagte, um sie vor sich selbst zu schützen – damit sie noch Geld zur Verfügung haben würde, wenn er eines Tages einmal nicht mehr da war. Über ihren ausgemergelten Körper sagte Whitney verteidigend: „Das will ich mal klarstellen. Ich bin nicht krank, okay? Ich war schon immer dünn. Ich werde nie dick sein, niemals. Ich bin einssiebzig und dünn.“ Der später am häufigsten zitierte Ausspruch folgte auf Sawyers lockere Frage, ob Whitney Crack rauchte, und die Sängerin in bester Zickenmanier erwiderte: „Crack ist billig! Ich verdiene viel zu viel, um Crack zu rauchen. Das will ich gleich mal klarstellen, okay? Ich rauche kein Crack. Das tue ich nicht. Crack ist Scheiße!“ Ob er die Situation nur ein wenig auflockern wollte oder einfach den Wunsch hatte, wieder einmal im Fernsehen zu erscheinen – plötzlich tauchte jedenfalls Bobby Brown vor den Kameras auf. Er war schweißgebadet, als hätte er gerade acht Kilometer gejoggt, und dann erklärte er Sawyer noch, dass er täglich Haschisch rauchte, weil das bei seiner „bipolaren“ Veranlagung gesund sei. Als nächstes tauchte die kleine Bobby Kristina in der Sendung auf. Als sie in aller Unschuld in die Kameras lächelte, zeigte sie ein erbarmungswürdig schlechtes Gebiss. Whitney hatte gerade einen Vertrag über hundert Millionen Dollar unterschrieben und schaffte es nicht, ihrem Kind eine vernünftige Zahnbehandlung zu ermöglichen? Glaubte sie wirklich, dass die Menschen vor den Bildschirmen dieses Debakel ansehen und anschließend glauben würden, sie und ihr Mann seien ganz normale Eltern und echte Vorbilder? Damit war wirklich nicht zu rechnen. Das Interview war wie ein Zirkus, und Whitney und Bobby schafften es kaum, durch einen der überall aufgestellten brennenden Reifen zu springen. Wer die beiden schon vorher für zugekokste Idioten gehalten hatte, bekam jetzt den besten Beweis dafür, dass er damit recht gehabt hatte. Die Pressereaktionen auf die Sendung waren nicht nur negativ, sie waren niederschmetternd. The Star zitierte wieder einmal einen Insider: „Ich glaube, die beiden haben sich nicht klar gemacht, welcher Eindruck entsteht, wenn sie sich so offen vor den Kameras zeigen. Sie waren überzeugt, dass viele Leute auf
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ihrer Seite stehen und sagen würden: ‚Sie waren doch ganz ehrlich, was die Sache mit den Drogen angeht – vielleicht kriegen sie jetzt auch wieder ihr Leben auf die Reihe.‘“ Im Miami Herald schrieb Evelyn McDowell: „Houston sagte, dass sie sich nicht als Drogensüchtige bezeichnen würde, während sie offenbar völlig erschöpft und drauf war. Sie hat den Blick für die Realität völlig verloren.“ Der konservative Fernsehkommentator Bill O’Reilly verurteilte Whitney in seiner Stellungnahme zum Dateline-Interview mit harten Worten: „Sie haben Ihre kleine Tochter im Haus, Sie nehmen Drogen, das lässt sich nicht verheimlichen. Sie sind degeneriert. Nach dem Interview wissen wir von Miss Houston, dass sie Alkohol, Marihuana, Kokain und Pillen genommen hat oder noch nimmt, und ihr Ehemann hat erklärt, jeden Tag Haschisch zu rauchen. Es ist doch unmöglich, dass ein Kind, das in diesem Haus lebt, davon nichts mitbekommt. Diese Frau ist abhängig. Sie und ihr Mann nehmen Drogen. Sie hat damit nicht etwa aufgehört. Und das kleine Mädchen hat zweifelsohne miterlebt, dass seine Eltern high waren.“ O’Reilly zweifelte die Eignung der Browns als Eltern an und schäumte: „Whitney Houston ist eine Vogelscheuche, ein Skelett, und ihr Kerl steht alle zwei Tage irgendwo vor Gericht. Ich nenne das ganz direkt Kindesmissbrauch, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass eine Neunjährige ihre Eltern so erlebt – ständig Ärger mit dem Gesetz, ständig ausgeklinkt und bedröhnt –, ohne dass ihr das zu schaffen macht. Das ist doch unmöglich.“ Hinsichtlich der Sicherheit von Bobbi Kristina enthüllte The Star, dass Whitneys Haus in New Jersey ständig von den Behörden kontrolliert wurde. Die Zeitung schrieb im Dezember 2002: „Whitney ist fuchsteufelswild wegen Cissy. Sie ist überzeugt, dass es ihre Mutter ist, die dauernd beim Jugendamt anruft, sich beschwert und sie anzeigt.“ The Star wollte zudem erfahren haben, dass Whitney und Bobby sich bereits eine Strategie überlegt hatten, falls man damit drohen sollte, ihnen das Sorgerecht für Bobbi Kristina zu entziehen. „Sie wollen das Land verlassen, wenn die Cops versuchen, ihnen Krissy wegzunehmen“, behauptete eine gut unterrichtete Quelle. „Deswegen sind sie in ihrem Haus in Atlanta geblieben und haben New Jersey gemieden, denn sie wissen, dass sie dort
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auf der Abschussliste stehen. Bobby hat mir gesagt: ‚Bei den ganzen Problemen, die wir hatten, hat Whitney immer nur deswegen durchgehalten, weil sie Mutter ist.‘ Bobby hat echt Angst, dass Whitney richtig abstürzt, wenn die Behörden Bobbi Kristina woanders unterbringen.“ Im Dezember 2002 lief in der Comedy-Show Saturday Night Live ein Sketch über die Drogenmätzchen bei den Browns: Eine völlig desorientierte Whitney (Maya Rudolph) fragte, wo sie die eigene Tochter gelassen habe. Als Bobby Brown (Tracey Mogan) das Wasser aus der schlechten Perücke tropfte, führte Whitney ihn aus dem Sichtfeld der Kameras, damit er seine Haschischtherapie bekommen konnte. Auch in Mad TV wurden die beiden durch den Kakao gezogen. Hier war Whitney (Debra Wilson) zu sehen, wie sie mit Lockenwicklern und im Bademantel durchs Haus streifte und Bobbi Kristina suchte. Ein ebenso ausgeklinkter Bobby sang schließlich mit ihr zusammen ein schiefes Duett in einen quietschbunten Plastik-Cassettenrecorder für Kinder. Der Sketch zeigte sie als verantwortungslose Drogenkonsumenten. Als am 10. Dezember 2002 Just Whitney erschien, machte es den Eindruck, als sei die humorige Darstellung nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt. Kritiker und Fans waren sich einig, dass Just Whitney das langweiligste, zäheste und unnötigste Album in Whitneys gesamter Karriere war. Bei fünf der zehn auf dem Album enthaltenen Songs versuchte sie, im Text ihren chaotischen Lebenswandel und ihre unberechenbaren Launen zu rechtfertigen. In „One Of These Days“ beklagte sie sich über die Woche, die gerade hinter ihr lag. In „Tell Me ‚No‘“ verkündete sie stolz, nie den Rat anderer Menschen anzunehmen. „Try It On My Own“ klang wie eine trotzige Selbstbehauptung hinsichtlich ihrer Trennung von Clive Davis. „My Love“ feierte ihre dysfunktionale Ehe mit Bobby und wandte sich gegen alle, „die immer gesagt haben, dass sie nicht hält“. „Whatchulookinat“, eine Wortschöpfung, die auf Deutsch am ehesten mit „Wasglotznso“ wiedergegeben werden könnte, erzählte von der Selbstzerstörung, die sie vor allen Augen seit 2000 geradezu zelebriert hatte. Und bei „Unashamed“ schwor sie sich, mit den eigenen Fehlern zu leben. Dazu kam noch der erbärmliche Sound, und fertig war der wohl größte Fehler ihrer Karriere.
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Clive Davis war nicht mehr da gewesen, um weise ein paar Hitsongs für das Album auszuwählen, und als leitende Produzenten waren nun Whitney und Bobby Brown genannt. Der Platte fehlten herausragende Songs. Der einzige zumindest leidlich interessante Track war das paranoide und defensive „Whatchulookinat“, allerdings allein deswegen, weil es ein Dokument einer traurigen Zeit darstellt. Das Duett „My Love“ von Whitney und Bobby war ein Produkt reiner Eitelkeit. Es begann mit einem Monolog Bobbys, der über den zehnjährigen Hochzeitstag des Paares sprach, war jedoch weder inspirierend, noch romantisch oder auch nur überzeugend. Sie hätten besser „Jailhouse Rock“ als Duett aufgenommen, das wäre sinnvoller gewesen, da Bobby schließlich mehr Zeit im Gefängnis verbrachte als in den Charts. Es war zudem unüberhörbar, dass Whitneys Stimme sehr gelitten hatte. Eine der schönsten und ausdrucksstärksten Stimmen der Achtziger und Neunziger war nun rau, tiefer und weniger geschmeidig als zuvor. Die einzigen hohen Töne, die sich auf dieser Platte fanden, kamen aus den Kehlen der Background-Sänger, denn Houston hatte den enormen Stimmumfang früherer Zeiten endgültig eingebüßt. Ihr eigener Gesang klang mehr nach einem schlechten Demo denn nach einer fertigen Aufnahme. Bei den Songs auf Just Whitney handelte es sich um komplett neue Kompositionen, abgesehen von dem scheußlichen Cover von „You Light Up My Life“. Hier klang Houston besonders grauenhaft, vor allem, wenn sie Noten zu erreichen suchte, die sie nicht mehr traf. „Unashamed“ klang sogar noch mehr nach Verfolgungswahn als „Whatchulookinat“. Houston verteidigte hier all die schlechten Entscheidungen, die sie in ihrem Leben getroffen hatte. Vielleicht schämte sie sich wirklich nicht, aber die Abwärtsspirale, auf der sie sich befand, ließ sich durch solche Bekundungen nicht aufhalten. Und für eins hätte sie sich wirklich schämen sollen, nämlich dafür, was sie aus ihrer einst so klaren Stimme gemacht hatte. Just Whitney ging in Gänze daneben, und nicht einmal renommierte Produzenten wie Babyface und Missy „Misdemeanor“ Elliott konnten verhindern, dass die Platte so gründlich unterging wie weiland die Titanic.
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Dennoch bot das Album faszinierende und aufschlussreiche Aspekte, beispielsweise die Fotos auf dem Cover und im Booklet der CD. Auf der Vorderseite und auf dreien der fünf Bilder im Innenteil hielt Whitney die Augen geschlossen. Einst hatte man ihre große Schönheit gefeiert, aber nun konnte sie offenbar ihren Fans nicht mehr in die Augen sehen, weil sonst jeder erkannt hätte, was in ihrem Leben schief lief. Die Kritiker nahmen die Platte heftig unter Beschuss – wegen des langweiligen Songmaterials, aber auch wegen der freudlosen und schlaffen Art, mit der die „neue“ Whitney sang. Ungläubig kommentierte beinahe jeder, wie gründlich sie ihre Stimmbänder ruiniert hatte. Der New Yorker Produzent Andrew Skurow erklärte: „Die Drogen haben sie offensichtlich sehr geschädigt. Whitney klingt überhaupt nicht mehr nach sich selbst. Es ist so traurig – ich hoffe, dass sie ihr Leben wieder auf die Reihe bekommt, denn sie ist unglaublich talentiert.“ In der ersten Woche nach Erscheinen stieg Just Whitney auf Platz 9 in die US-Albumcharts ein und verkaufte sich 200.000 Mal, aber danach hatte sich herumgesprochen, wie schlecht die Platte war, und die Verkaufszahlen rutschten sofort in den Keller. Schließlich holte auch dieses Album in den USA Gold, nachdem 700.000 Stück abgesetzt worden waren, aber das dauerte bis Mitte 2003, und dann verschwand es aus den Charts. So schlecht hatte sich keine ihrer Platten je verkauft, und das ganze Projekt wurde schnell als Superflop abgeschrieben. Auf ihrem zweitgrößten Markt, in Großbritannien, konnte Just Whitney keine höhere Platzierung als eine magere 76 erzielen, während in Deutschland immerhin noch ein sechzehnter Platz möglich war. Als erste Single hatten Whitney und Bobby in einem kühnen, aber schlecht beratenen Versuch, die negative Presse abzuwehren und vielleicht sogar umzukehren, ausgerechnet das defensive „Whatchulookinat“ ausgekoppelt, das überhaupt keinen Eindruck in den Charts hinterließ. Nach elf Nummer-Eins-Hits musste sich Whitney in den USA diesmal mit einem mehr als enttäuschenden Platz 96 zufrieden geben. Weltweit zerpflückten die Kritiker das neue Album, und auch Whitney selbst kam nicht ungeschoren davon.
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Der englische Guardian schrieb: „Nur wenige Künstler hatten in ihrer Karriere mit derart ungünstiger Publicity zu kämpfen wie Whitney Houston.“ Über das Album an sich urteilte Alexis Petridis: „Ähnlich wie Michael Jacksons Invincible gibt sich auch Just Whitney alle Mühe zu versichern, dass mit dem Künstler alles in bester Ordnung ist. Just Whitney ist musikalisch ein Rückschritt.“ Der Tagesspiegel schrieb: „Ihre Eleganz kannte keinen Fehler, dachte man. Heute steht Houstons Karriere auf dem Spiel. Der Comeback-Versuch Just Whitney könnte ihr Untergang sein.“ In Amerika war die Reaktion ähnlich niederschmetternd. Die Zeitschrift People nahm Whitneys jüngstes Projekt mit den Worten unter Beschuss: „Auf dem fünften Studioalbum ihrer siebzehn Jahre dauernden Karriere beweist Whitney, dass weniger nicht immer mehr ist, sondern manchmal einfach – weniger.“ Tom Moon pickte sich im Philadelphia Inquirer „My Love“ heraus und ätzte: „In einem Duett mit Ehemann Bobby Brown („Her mit dem Joint, ich hab ’ne bipolare Störung“) geben die beiden Turteltauben hier ihr Letztes, aber trotzdem glimmt nicht der kleinste Funke auf.“ Im Atlanta Journal-Constitution schrieb der Kritiker Craig Seymour: „Der größte Fehltritt auf dem Album ist das defensive ‚Whatchulookinat‘. Wenn die nervöse, klapperdürre Houston sich ernsthaft fragt, wieso sie angestarrt wird, dann hat sie offenbar schon lange nicht mehr in den Spiegel geguckt.“ Neva Chonin vom San Francisco Chronicle wies darauf hin: „Just Whitney sollte ein Schlag ins Gesicht all jener Warner werden, die schon lange behaupten, dass Houston sich zu einer fleischgewordenen Neely O’Hara entwickelt.“ Leider wurde Whitney allmählich tatsächlich immer mehr zur Inkarnation jenes tragischen alkohol- und drogenabhängigen Stars aus Jacqueline Susanns Bestseller Das Tal der Puppen, die sich und ihre Karriere selbst zerstört. Der Newark Star Ledger aus New Jersey berichtete: „Whitneys Fürsprecher haben immer wieder betont, die Musik würde beweisen, dass alle Sorgen unbegründet sind. Tja, und hier ist nun ihr neues Album – und jetzt müssen wir uns wirklich Sorgen machen.“ Der Autor, Dan Leroy, fragte
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eindringlich: „Kann jemand erklären, wie die erfahrenen R&B-Spezialisten bei Arista zulassen konnten, dass eine offenbar Drogenabhängige auf ihrem Weg zurück ins Rampenlicht eine Single wie ‚Whatchulookinat‘ veröffentlicht, die von typischer drogeninduzierter Paranoia durchdrungen ist?“ Am 13. Dezember 2002 hatte Whitney sich in Manhattan mit ihrem Bruder Michael im chinesischen Nobelrestaurant Mr. Chow’s verabredet. Bei einem Krabbengericht und einer Rindfleischvorspeise verwickelten sich die beiden in ein hitziges Gespräch voller Kraftausdrücke, das die anderen Gäste im Restaurant unfreiwillig mitanhören mussten. In ihrem Streit ging es vor allem um den bevorstehenden Prozess zwischen Whitney und ihrem Vater. „Schieb Dad doch einfach eine größere Summe rüber“, bat Michael seine wohlhabende Schwester vor aller Ohren. „Wer sagt das? Sein Laufbursche?“, gab Whitney zurück, wie ein konsternierter Gast erzählte. Ein anderer Beobachter berichtete: „Der Speiseraum war ziemlich voll, und alle Anwesenden sahen schockiert zu. Harte Worte und ein paar Kraftausdrücke waren zu hören. Der Streit endete damit, dass sie ihm ‚Vergiss es!‘ entgegenschleuderte, und er ‚auf keinen Fall‘ erwiderte. Dann stürmte Michael davon und warf Whitney noch an den Kopf, dass sie unrecht handelte und dass es ihr noch Leid tun würde, dass sie das nicht einsah. Er stand so unter Dampf, dass die Glastür des Restaurants einen Sprung bekam, als er sie zuwarf.“ Nach seinem hastigen Abgang „blieb Whitney ganz ruhig und bot an, für den Schaden aufzukommen“, zitierte The Globe einen Augenzeugen. „Sie hatte sich offensichtlich gut im Griff und übernahm die Verantwortung. Ihre Freunde waren stolz auf sie, dass sie die Situation so souverän beherrschte.“ Aber waren sie auch so stolz auf die Drogenkatastrophe, die ihre Karriere und ihr Leben zerstörte? In einem Jahresrückblick der heißesten Klatschthemen listete Ann Oldenburg in USA Today die fünf schlimmsten Promi-Desaster des Jahres 2002 auf und überschrieb sie mit der Schlagzeile: „Schlechtes Jahr für fünf Stars“. Neben Michael Jackson, der seinen kleinen Sohn in Deutschland aus einem Hotelzimmerfenster gehalten hatte, Winona Ryders Bekenntnis, eine Kleptomanin zu sein, Britney Spears’ Karriereabsturz und Rosie
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O’Donnells rücksichtslosem Coming-Out nannte Oldenburg Whitneys katastrophales Dateline-Interview: „Zitat: ‚Crack ist Scheiße.‘ Zusammenfassung: Dieser Satz, den Whitney in Diane Sawyers Sendung äußerte, war am nächsten Tag in aller Munde. Sie und ihr Ehemann Bobby Brown gaben zu, dass sie Alkohol, Kokain und Haschisch konsumierten. Die Folgen: Im Internet, im Radio, im Fernsehen wurde über sie geredet – allerdings nichts Gutes.“ Als 2002 zu Ende ging, hatte Whitney Houston sich dank des besagten Interviews erfolgreich in eine Witzfigur verwandelt. Sie und Bobby waren als leitende Produzenten für das schlechteste Album verantwortlich, das die Sängerin je abgeliefert hatte. Die giftige, bissige Single „Whatchulookinat“ war ein echter Flop. Ihre Gesangsstimme war zerstört. Cissy Houston hatte sich mit ihr zerstritten. Sie stand unter ständiger Beobachtung der Jugendbehörden, die um die Sicherheit ihrer Tochter fürchteten. Bobby kam immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Ihr Bruder war entsetzt von ihrem Verhalten. Und ihr Vater, der sie zu ihrem eigenen Besten verklagt hatte, war schwer krank und lag immer noch im Krankenhaus. Konnte es in Whitneys Albtraumwelt überhaupt noch schlimmer werden?
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as Jahr 2003 war noch keine drei Wochen alt, als sich für Whitney Houston und Bobby Brown neue Probleme auftaten. Whitneys Vater lag im Krankenhaus auf dem Sterbebett, und die ganze Familie hatte sich gegen sie gestellt. Es war kein Geheimnis, dass die Houstons Bobby Brown verabscheuten und ihn dafür verantwortlich machten, Whitneys Leben zerstört zu haben. Aber Whitney hielt, aus welchem Grund auch immer, zu ihrem Ehemann und blieb an seiner Seite. Am 13. Januar 2003 war Bobby in Los Angeles, da man ihn als Überraschungsgast zur Verleihung der American Music Awards eingeladen hatte, die im Fernsehen übertragen wurde. Er hatte einen kleinen Auftritt in der Show eines jungen Rappers, die mehr oder weniger darin bestand, dass er wie ein betrunkener Irrer über die Bühne tanzte. Das Publikum schien höchst irritiert über sein Erscheinen, da es schließlich schon gut zehn Jahre her war, dass er eine Platte veröffentlicht hatte, die der Rede wert gewesen wäre. Das an sich wäre natürlich kein Problem gewesen. Doch mit seinem Aufenthalt in Los Angeles verstieß er höchst öffentlich gegen Bewährungsauflagen aus dem Prozess, der 1996 wegen Trunkenheit am Steuer gegen ihn geführt werden war. Indem er den US-Bundesstaat Georgia verließ, verfiel auch seine Kaution in Höhe von elftausend Dollar, und wegen des Fernsehauftritts in Kalifornien stellten die Behörden in Georgia einen Haftbefehl für ihn aus. Auf Anraten seines Rechtsanwalts stellte sich Bobby Brown am Freitag, den 17. Januar 2003, und meldete sich im Gefängnis von DeKalb County. Nachdem er dort drei Tage seiner achttägigen Gefängnisstrafe verbüßt
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hatte, wurde er ins nahe gelegene Grady Memorial Hospital überstellt, aufgrund von Beschwerden, über die nichts Genaueres bekannt wurde. Schließlich wurde er wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Allerdings musste er eine Geldstrafe von zweitausendsechshundert Dollar zahlen und zweihundertundvierzig Stunden gemeinnütziger Arbeit ableisten. Außerdem sollte er sich nun zwei weitere Jahre an diese Auflagen halten. Er durfte ein Jahr lang kein Auto fahren, und er war verpflichtet, sich wegen seiner Drogenprobleme in Behandlung zu begeben. Davon abgesehen liefen aufgrund seiner Festnahme im November 2002 noch weitere Verfahren gegen ihn, unter anderem wegen Geschwindigkeitsüberschreitung, des Besitzes von Haschisch und des Führens eines unversicherten Fahrzeugs ohne Führerschein. Bobbys Probleme mit dem Gesetz schienen kein Ende zu nehmen. Ganz gleich, wie viele Tage er in Haft verbrachte, er verstieß immer wieder gegen Bewährungsauflagen und machte sich derselben Vergehen schuldig. Dazu kam, dass in Whitneys Leben einige grundlegende Änderungen unvermeidlich wurden. Als offiziell feststand, dass ihr neues Album Just Whitney verkaufstechnisch ein Riesenflop gewesen war, schwanden alle Hoffnungen auf den Erhalt von Tantiemen – eine bittere Entwicklung, denn schließlich hing ihre gesamte Familie finanziell von ihr ab. 2003 musste sie einschneidende Maßnahmen ergreifen: Ihr blieb nichts anderes übrig, als den Familienmitgliedern, die auf ihrer Gehaltsliste standen, zu erklären, dass es von nun an weniger Geld geben würde. The Globe berichtete: „Quellen zufolge hat die millionenschwere Sängerin die Einkünfte ihrer Mutter Cissy mehr als halbiert – von stolzen tausendsechshundert auf nur noch fünfhundertfünfzig Dollar pro Woche. Ebenso erging es ihren Brüdern Michael und Gary und auch ihrer Schwägerin Donna, die ihre Firma Nippy Inc. leitet.“ Bezüglich des immer noch ausstehenden Rechtsstreits mit ihrem Vater zitierte der National Enquirer eine entschlossene Whitney: „Er wird nie und nimmer hundert Millionen Dollar aus mir rauspressen.“ Arista veröffentlichte unbeirrt weitere Singles aus Just Whitney, in der Hoffnung, dass es sich beim Scheitern von „Whatchulookinat?“ um ein Einzelphänomen gehandelt haben mochte. Wie sich schnell herausstellte,
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war das nicht der Fall. Die folgenden Singles, „One Of These Days“ und „Make It On My Own“, erreichten nicht einmal die Top Forty. Das ganze Album schien ein einziger, sündhaft teurer Fehlschlag zu sein. Nun, da John Houston todkrank in der Klinik lag, erfuhr Whitney zu ihrem Schrecken, dass der Prozess, den er angestrengt hatte, auch dann weitergeführt würde, wenn ihr Vater starb. Philip Levitan, der Anwalt ihres Vaters, erklärte: „Seine Rechtsnachfolger können die Angelegenheit weiter verfolgen. Es gibt noch andere Leute, die in der Lage sind, die Fakten zu schildern und zu bezeugen.“ Die Presse erfuhr schließlich, dass Whitney ihren Vater zumindest einmal im Krankenhaus besucht hatte. John, der an den Folgen einer schweren Diabetes litt, erklärte: „Mir geht es überhaupt nicht gut. Aber die Ärzte tun, was sie können.“ The Star druckte schließlich das letzte Interview, das John Houston je gab. „Whitney wird immer meine Tochter bleiben, und was immer auch geschieht, ich werde sie immer lieben. Bei dem Prozess handelt es sich um eine geschäftliche Angelegenheit, und ich bin überzeugt, Whitney hätte längst bezahlt, wenn Bobby Brown nicht wäre. Er ist ein nichtsnutziger Versager, der einen Keil zwischen mich und meine Tochter getrieben hat. Ich habe ihm niemals vertraut.“ Am 2. Februar 2003, als John Houstons Ende nahte, war Whitney nirgendwo aufzutreiben. Ein enger Freund sagte gegenüber The Star: „John hätte Whitney so gern bei sich gehabt. Er wollte ihr unbedingt sagen, dass er sie immer noch liebte. Er wusste, dass er bald abtreten musste, und wollte sich von ihr verabschieden.“ Gerüchteweise lauteten seine letzten Worte: „Sagt Whitney, dass ich ihr vergebe.“ Aus dem Umfeld des Paares verlautete, Whitney sei vom Tod ihres Vaters schwer erschüttert gewesen, während Bobby Brown sich eher erleichtert gezeigt habe. Ein Freund der Familie bestätigte: „John hat Bobby abgrundtief gehasst. Er hielt seinen Schwiegersohn für die Wurzel alle Probleme, die Whitney hatte.“ Eine recht nahe liegende Einschätzung. The Star zitierte einen Beobachter: „Johns Tod hat Whitney sehr mitgenommen. Von Bobby kann man das nicht gerade sagen, der ist froh, dass der Alte nicht mehr da ist.“
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Whitney nahm an der Totenwache teil, die am 6. Februar im Beerdigungsinstitut Whigham stattfand, aber bei der Trauerfeier am nächsten Tag in der St. James A.M.E. Church war sie nicht zugegen. „Sie war zu erschüttert, um die Beerdigung zu überstehen“, sagte ein Bekannter. „Sie war völlig fertig. Am Boden zerstört. Sie erzählte völlig unzusammenhängendes Zeug.“ Ihr Vater war nun tot, und ihre Karriere lag ebenfalls in den letzten Zügen. Whitneys einzige Engagements waren Gastauftritte bei Fernseh-Specials und Preisverleihungen. Da keine Tour geplant war, um das gefloppte Album Just Whitney zu promoten, floss nun kein Geld mehr in die Kassen. Damit ihr weitere Summen aus ihrem Plattenvertrag ausgezahlt wurden, musste sie neues Material einspielen. Und so entstand die Idee für ein Weihnachtsalbum. Dabei handelte es sich um ein weitgehend risikofreies Unterfangen, denn bei einer solchen Platte bestand nicht der Druck, einen Hit abzuliefern. Weihnachtsalben verkauften in den USA meist nur 500.000 Stück, und von daher waren die Erwartungen an solche Projekte nicht besonders hoch. Im April 2003 reisten Whitney und Bobby nach Miami, um bei der Verleihung der Haitian Music Awards zugegen zu sein. Sie übernachteten im Hyatt Regency in der Innenstadt. Und prompt ereignete sich ein weiterer peinlicher Vorfall. Ein Hotelmitarbeiter berichtete: „Sie kamen gegen halb fünf am Nachmittag an. Bobby genehmigte sich in der Bar ein paar Wodkas, die er mit Bier herunterspülte. Whitney schlürfte einen White Russian. Sie gingen zur Preisverleihung und kamen so gegen halb zwei Uhr morgens zurück.“ Im Hotel stießen sie auf einige Feuerwehrmänner, die bereits eine Menge getrunken hatten und Bobby nun aufzogen: „Hey Bobby, spendier‘ uns doch ein paar Drinks. Du bist doch Millionär, Mann!“ Als Brown zurückbrüllte, er würde ihnen allenfalls ein Mineralwasser ausgeben, bestellten sich die sechs Herren Cocktails und ließen sie auf seine Rechnung setzen, und das führte zu einer lautstarken Auseinandersetzung. Der Mitarbeiter fuhr fort: „Je lauter Bobby wurde, desto mehr winkten die Feuerwehrleute zu ihm hinüber und hüpften auf und ab. Sie fanden es köstlich, dass er sich so herrlich provozieren ließ. Ein Typ imitierte Whitney, indem er sich zwei
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Gläser an die Ohren hielt, damit sie wie überdimensionale Ohrringe aussahen. Ein anderer schrie: ‚Euch kennt doch keiner mehr!‘ Die Situation eskalierte. Bobby wollte alles ‚draußen klären‘. Ich stand gerade im Begriff, die Polizei zu rufen, als die Feuerwehrleute abzogen.“ Bobby zahlte anschließend seine und Whitneys mit fünfhundert Dollar auch nicht gerade niedrige Barrechnung und ging ebenfalls. Ein Augenzeuge meinte dazu: „Es war lächerlich. Die Leute machen sich jetzt schon öffentlich über sie lustig.“ Die Presse stürzte sich nur zu gern auf die gestrauchelte Diva. In einem gehässigen Artikel schrieb Ernest Hardy im LA Weekly, dass die Drag Queens der Westküste inzwischen in der Rolle der Whitney unterhaltsamer seien als das Original. Hardy beschrieb einen dieser „WhitneyAuftritte“: Die Drag Queen presste bei ihrer Whitney-Imitation „ihre Augenlider zusammen, als würde ihr das Nachdenken Schmerzen bereiten, zitterte leicht auf den hohen Absätzen und sah dann mit glasigem Blick um sich, während sie gleichzeitig bei den Lippenbewegungen zum Playback absichtlich ihre Einsätze verpasste.“ Das war der Eindruck, den die Öffentlichkeit allmählich von der Sängerin hatte. Ein wenig schmeichelhaftes Bild. Am 22. Mai 2003 war Whitney unter den Stars, die für die neueste Ausgabe der VH1-Serie Divas eingeladen worden waren, die diesmal unter dem Motto Diva Duets stand. Mit von der Partie waren außerdem Queen Latifah, Chaka Khan, Mary J. Blige, Celine Dion, Shania Twain, Lisa Marie Presley, Pat Benatar, Beyoncé, Jewel und Ashanti. Sharon Osbourne führte gemeinsam mit Queen Latifah durch die Sendung. Whitney war für ein Duett mit Bobby Brown und einen Solo-Song eingeplant. Als Whitney und Bobby am Tag vor der Sendung in Las Vegas ankamen, waren beide in bester Partystimmung. Sie checkten am 21. Mai im eleganten Bellagio Hotel ein und stürmten dann die Spielzimmer. Ein Klatschreporter des Fernsehsenders Fox berichtete: „Bobby tummelte sich im Bellagio-Casino im dem Bereich, in dem man um hohe Einsätze spielt. Einer der anderen Spieler am Blackjack-Tisch gab ihm fünftausend Dollar zum Setzen und ging fest davon aus, Bobby würde ihm das Geld zurückzahlen. Der verlor jedoch alles, verschanzte sich dann hinter seinen
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Bodyguards und verschwand. Whitney erklärte sich schließlich bereit, die fünf Riesen zu erstatten, um die Lage zu entschärfen. Anderen Berichten zufolge wurde in der Suite der Browns die ganze Nacht gefeiert. Keine Ahnung, was sie dort trieben, aber um acht Uhr war die Stimmung soweit hochgekocht, dass Whitneys Nase zu bluten anfing und gar nicht mehr aufhörte.“ The Star zitierte einen Augenzeugen: „Sie bekam wirklich Angst. Ihre Sicherheitskräfte brachten sie mit einer Privatlimousine in ein Krankenhaus. Die ganze Zeit über hielt sie sich diese blutigen Taschentücher unter die Nase.“ Als sie die Hals-Nasen-Ohren-Station wieder verließ, trug sie ein bizarres Konstrukt aus Mullbinden und Wattebäuschchen vor dem Gesicht, das den Druck auf ihre Nasenlöcher mindern sollte. The Star druckte prompt ein Foto davon ab. Sie sah lächerlich aus. Eine andere Quelle verlautbarte: „Die Ärzte sagen schon seit Jahren, dass Whitney sich die Nasengänge kaputt macht, aber sie hat alle Warnungen in den Wind geschlagen. Dabei wird es immer schlimmer mit ihren Problemen.“ Während die anderen Diven neue, interessante Partnerinnen für ihr Duett zugeteilt bekamen (beispielsweise traten Jewel und Beyoncé oder Lisa Marie Presley und Pat Benatar gemeinsam auf), blieb Whitney nur ihr Gatte Bobby Brown. Mary J. Blige sang diesmal im Duett mit Chaka Khan. Es war offensichtlich, dass keine der anderen Ladies mit Whitney ans Mikrofon treten wollte. Schließlich kam Whitneys und Bobbys Auftritt. Die beiden hampelten ohne erkennbare Choreographie auf der Bühne herum und sangen zwei ihrer gemeinsamen Aufnahmen: „Something In Common“ und „My Love“. Währenddessen schien das Publikum den Atem anzuhalten und gespannt zu verfolgen, ob Whitney die Nummer ohne Patzer hinter sich bringen würde. Sie hatte inzwischen die seltsame Angewohnheit, mitten im Song wie eine Sechsjährige auf- und abzuspringen, wenn sie den Eindruck vermitteln wollte, spontane Tanzschritte auszuprobieren.
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Es war peinlich, diesen Auftritt mitanzusehen. Die völlig abgehalfterte Whitney bekannte öffentlich ihre unsterbliche Liebe zu eben jenem Mann, der ihr half, ihr Leben und ihre Karriere zu zerstören. Der Tiefpunkt des Abends kam jedoch, als Whitney wieder auf der Bühne erschien, um solo „Try It On My Own“ zu singen. Es wurde der schockierendste Auftritt ihrer Fernsehkarriere. Ihr Gesang klang während des ganzen Liedes unglaublich angespannt, als sei sie sich bewusst, nicht zu viel Kraft aufwenden zu dürfen, weil sonst ihre Nase vielleicht wieder zu bluten begann. Mehr als einmal brach ihr die Stimme, und ihre Hand fuhr unwillkürlich an die Kehle, als ob es schmerzte, die Noten herauszuschmettern. Schließlich bat sie den Soundtechniker, die Regler für die Lautstärke im Zuschauerraum weiter aufzuziehen, damit der entstehende Echo-Effekt darüber hinwegtäuschte, dass sie die Töne nicht mehr traf. Es war ein Trauerspiel, dass die einst so großartige Whitney Houston inzwischen nicht einmal mehr einen Song hinter sich bringen konnte, ohne die Stimme zu verlieren. Wie hatte sie in einem ihrer großen Hits einmal gesungen: „Didn’t we used to have it all?“ Ja, einst hatte sie alles gehabt. Und sie hatte es weggeworfen. Beim Finale kamen alle anwesenden Diven zu Stevie Wonder auf die Bühne, und Whitney sang einige Zeilen aus „I Was Born To Love Him“. Sie klang schrecklich, und es passte hervorragend, dass sie einen Song präsentierte, der davon handelte, einen Mann zu lieben, den die eigene Mutter hasst. Innerhalb einer Show, die den Eindruck vom Zusammenhalt und schwesterlicher Liebe unter den Diven heraufbeschwören sollte, wirkte es wie ein Bruch. Keine der anderen Sängerinnen, auch nicht Mary J. Blige, schien neben Whitney stehen zu wollen – offenbar wollte niemand mit ihrem katastrophalen Lebensstil in Verbindung gebracht werden. Die Browns suchten sich schnell eine neue Spielwiese. Eine knappe Woche nach der Live-Übertragung von Diva Duets reisten sie nach Israel, angeblich als Gäste der Schwarzen Hebräer, einer Gruppe, die in der südisraelischen Stadt Dimona lebt. Es handelt sich um eine Sekte amerikanischer Auswanderer, die behaupten, die Abkömmlinge eines verlorenen Stammes Israels zu sein. Allerdings werden sie von den Israelis weder als
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Juden noch als Bürger ihres Landes anerkannt. Sie glauben auch an Polygamie und daran, Kinder mit verschiedenen Frauen zu zeugen – etwas, das Bobby Brown sicherlich entgegen kam. Es kursierte das Gerücht, dass Whitney und Bobby in einem Weihnachtsspecial des amerikanischen Senders HBO auftreten sollten und nun Hilfe bei den Schwarzen Hebräern suchten, um von ihrer Drogensucht loszukommen. Allerdings gestaltete sich diese Israel-Reise recht bizarr. Der israelische Premierminister Ariel Scharon empfing Whitney und Bobby in seinem Haus, als seien die beiden so oft Festgenommenen respektable Botschafter der USA. „Willkommen in Jerusalem“, begrüßte Scharon die Browns. Der National Enquirer zeigte Fotos, auf denen sie in einem Anfall von Spiritualität in das Wasser des Jordan tauchten und dabei aussahen wie zwei nasse Katzen. Am Montag, den 26. Mai 2003, erklärte Houston der Presse im israelischen Urlaubsort Eilat, dass all dies Teil eines „spirituellen Rückzugs“ sei. Allerdings konnte man sich eher vorstellen, dass die beiden lediglich ein mögliches Exil auskundschafteten, falls die amerikanischen Behörden damit Ernst machen sollten, ihnen das Sorgerecht für Bobbi Kristina zu entziehen. In den Staaten sah es nicht gut für sie aus. Vielleicht war es ja wirklich an der Zeit, das Land zu verlassen. Mögliche Pläne dieser Art wurden jedoch vereitelt, als Whitney und Bobby in die USA zurückkehrten. Am 22. August 2003 wurde Bobby Brown in der Nähe von Atlanta festgenommen, als er gerade in einem Restaurant in Alphetta, Georgia mit Whitney beim Abendessen saß. Der Grund war erneut die Verletzung der Bewährungsauflagen von DeKalb County. Wieder einmal durfte er sich die Zellen des dortigen Gefängnisses von innen betrachten. Die Presse war Whitney gegenüber längst alles andere als wohlwollend eingestellt, und Bobby wurde von den Medien geradezu verabscheut. Das britische Magazin Night And Day verstieg sich sogar zu dem Kommentar: „Bobby Brown, einige Jahre jünger als Whitney und wegen seiner Fähigkeit bei der Zeugung illegitimer Nachkommen scherzhaft auch ‚Samenbank‘ genannt, war und ist ein professioneller Bad Boy, der sich inzwischen öfter in der Betty Ford Klinik aufhält als in den Charts.“
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Am 18. November erschien mit One Wish: The Holiday Album Whitneys geplante Weihnachtsplatte. Statt ihr ein völlig neues Publikum für ihre Musik zu erschließen, wurde dieses Album kommerziell gesehen ein noch größeres Desaster als Just Whitney im Vorjahr. Inzwischen erzählte man sich längst nicht mehr hinter vorgehaltener Hand, dass Whitney ein Drogenproblem habe, es galt als Tatsache. Dabei war die Platte an sich eine gute Idee: Whitney konnte sich hier blitzsauber und festlich präsentieren. Allerdings reichte es nicht, sich für das Cover in weihnachtlichem Schneegestöber fotografieren zu lassen, um den Schaden zu vertuschen, den sie inzwischen genommen hatte. Letztlich wurde diese Platte nur noch vom harten Kern ihrer Fans gekauft. Das größte Problem lag vermutlich in der Stimme der Diva, die nun tiefer und heiserer klang. „Oh, Holy Night“ und „I’ll Be Home For Christmas“ zeigen leider nur zu deutlich, wie sehr Whitney ihre Stimmbänder seit 1996 ruiniert hatte. Gerade in „Oh, Holy Night“ gab es eine verräterische Stelle, in der sie eine hohe Note, wie sie früher zu ihren typischen Erkennungsmerkmalen gehört hatte, lieber gegen einen Ton tauschte, der im Baritonbereich lag. Eine besinnliche Weihnachtsstimmung verbreitete sie so nicht. Dass man zwei Titel aus dem Soundtrack The Preacher’s Wife am Schluss des Albums hinzugefügt hatte – „Who Would Imagine A King“ und „Joy To The World“ – machte die Sache nur noch schlimmer. Natürlich waren beides wunderbare Songs, aber sie sorgten dafür, dass der Kontrast zwischen dem, wozu sie einst in der Lage gewesen war, und dem, wie sie inzwischen klang, noch stärker zu Tage trat. Wie hatte sich ihre Stimme in den vergangenen sieben Jahren verändert! Trotz einiger sehr schöner Arrangements wurde One Wish: The Holiday Album daher kein großartiges, sondern lediglich ein ordentliches Werk. Die Musikkritiker waren alles andere als begeistert. Der Rolling Stone vergab null von fünf möglichen Sternen. Sal Cinquemani schrieb in The Slant: „Es drängt sich der Gedanke auf, dass es sich bei One Wish lediglich um versuchte Schadensbegrenzung handelt. Die Sängerin hat seit 1999 keinen richtigen Hit mehr gehabt. Houstons Stimme ist nicht mehr das, was sie einmal war. Sie trällert sich hier durch eine ansonsten eher
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gebremste Version des Weihnachtsklassikers ‚I’ll Be Home For Christmas‘. Wenn man diese Aufnahmen mit der kristallklaren Stimme vergleicht, die die zwei letzten Titel auf dieser Platte prägen und die dem 1996 erschienen Soundtrack The Preacher’s Wife entnommen wurden – Songs, die von einer unserer größten Vokalistinnen eingesungen wurden –, dann merkt man um so mehr, wie stark sie nachgelassen hat.“ Jon Pareles befand in der New York Times, das Album habe Stärken und Schwächen. Er erklärte: „Befreit von dem Druck, den richtigen PopKracher finden zu müssen, kann Whitney Houston sich hier ganz darauf konzentrieren, ihr Stimmentalent an den vertrauten Liedern zu erproben. Die Balladen sind beeindruckend, obwohl sie gelegentlich Gefahr laufen, zu süßlich zu klingen. Ganz ökumenisch hat sie in Mel Tormés ‚Christmas Song‘ auch Chanukka und Kwanzaa untergebracht. Beim Medley aus ‚Deck The Halls‘ und ‚Silent Night‘ zeigt sie sich frisch und locker, und ‚O Come O Come Emmanuel‘ ist eine Tour de Force, die ausreicht, um den Hörer verzeihen zu lassen, dass Miss Houston bei ‚Little Drummer Boy‘ ihre Tochter ins Rampenlicht zerrt.“ One Wish: The Holiday Album kam nur in den USA in die Charts und erreichte dort Platz 44. „One Wish (For Christmas)“, das als Single ausgekoppelt wurde, schaffte es bis in die Top Twenty der amerikanischen „Adult Contemporary“-Charts. Allerdings hatte das Album bis August 2009 dem Billboard zufolge nicht mehr als 433.000 Exemplare verkauft. Verglichen mit den Erfolgen, die sie mit früheren Alben gefeiert hatte, markierte das einen neuen Tiefpunkt. Vielleicht war das der Grund, weshalb sich Whitney wieder mit Projekten beschäftigte, die abseits des Musikgeschäfts lagen. 2003 veröffentlichte sie eine Presseerklärung, dass sie zusammen mit Bobby in einem Film namens Beffy & Charlie mitspielen wollte. Allerdings fand sich kein Studio in Hollywood, das bereit gewesen wäre, ein so aberwitziges Projekt zu finanzieren. Niemand war so verrückt, einen Film mit einem Hauptdarsteller zu planen, der in mehreren US-Bundesstaaten polizeilich gesucht wurde – und mit einer Hauptdarstellerin, die in Filmkreisen dafür bekannt war, dass sie mehr Engagements absagte als einhielt. Beffy &
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Charlie stand unter einem ähnlich schlechten Stern wie Shanghai Suprise mit Madonna und Sean Penn, und die Dreharbeiten begannen nie. Dennoch musste es für Houston und Brown offenbar noch tiefer abwärts gehen, bevor sich ihre Situation wieder besserte. Wie oft würde Bobby noch festgenommen werden, bevor er endlich eine Lehre daraus zog und sich an die Gesetze hielt? Wie oft würde Whitney es sich noch leisten können, Kaution für ihn zu zahlen? Mit seiner Karriere als Musiker war es vorbei, er hatte nicht einmal mehr einen Plattenvertrag. Und auch wenn er gelegentlich mal einen Kurzauftritt in einem Film bekam, war er kein richtiger Schauspieler. Whitney musste sich währenddessen mit ihren eigenen beruflichen Problemen herumschlagen. Sie war schließlich die Verdienerin ihrer dysfunktionalen Familie, aber auch ihr Einkommen war alles andere als sicher. Schön, sie hatte einen Vertrag mit Arista über hundert Millionen Dollar abgeschlossen, aber sie musste neue Hits produzieren, bevor wieder Geld auf ihr Konto überwiesen wurde. Just Whitney war so sehr gefloppt, dass Arista mit dem Album sogar Verluste gemacht hatte. Und ihre Filmkarriere war ebenfalls beendet. Sie sah schrecklich aus und war ganz offensichtlich auch nicht belastbar. Aber sie konzentrierte sich zunächst einmal auf einen privaten Kleinkrieg gegen die Medien. Beispielsweise erklärte sie: „Es ist schon komisch. Wie hat Michael Jackson so schön gesagt: ‚Man wird zu einer Person des öffentlichen Lebens, hat dann aber selbst kein privates mehr.‘ Mit diesen Image-Geschichten ist es so – je beliebter du wirst, desto schrägere Geschichten werden über dich erzählt. Im letzten Jahr habe ich Sachen über mich gelesen, da habe ich nur gedacht, verdammt, worum geht es da überhaupt? Dauernd wird irgendwas über meinen Mann erzählt, aber diese Leute kennen ihn noch nicht einmal. Sie haben keine Ahnung, wer er ist. Sie wissen nicht, wie er ist, wenn wir allein sind. Die Medien verzerren einfach alles. Viele Dinge habe ich nie gesagt, schon gar nicht auf diese Weise, und ich hätte auch nicht gedacht, dass mich Reporter so wahrnehmen würden. Da gibt es echt kranken Scheiß, und deswegen gebe ich auch nicht gerne Interviews. Weil die Journalisten lügen. Sie lügen ganz offen.“ Whitney hatte offenbar jeden Bezug zur Realität verloren und suchte
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irgendeinen Sündenbock, den sie für ihre Schwierigkeiten verantwortlich machen konnte. Am 5. Mai 2004 erschien Bobby vor dem Gericht von Fulton County, Georgia, um sich wegen eines tätlichen Angriffs zu verantworten. Offenbar hatte er mit Whitney im gemeinsamen Haus in der Nähe von Alpharetta eine ihrer berüchtigten Auseinandersetzungen angefangen und sie dabei an der Wange und an der Lippe verletzt. Die Polizei erschien, und Brown wurde angeklagt, die Frau geschlagen zu haben, die er angeblich so über die Maßen liebte. Doch es kam noch schlimmer. Eigentlich hätte man glauben sollen, dass die Browns öffentlich kein peinlicheres Bild hätten abgeben können als jenes, das mit dem Dateline-Interview von Diane Sawyer landesweit ausgestrahlt war. Doch 2005 wagte Whitney einen noch größeren Schritt hin zur völligen Karrierezerstörung und willigte ein, in der Reality-Show Being Bobby Brown mitzuwirken. Allein die Vorstellung, dass Bobby eine eigene Fernsehserie bekam, war an sich schon erstaunlich, und tatsächlich bestätigte die Presse, dass der Vertrag mit dem Sender Bravo daran gekoppelt war, dass Whitney in jeder Episode präsent sein würde. Für die Zuschauer war der einzige Grund, die Sendung einzuschalten, die Neugier auf das, was die Browns ganz ungefiltert, ohne Drehbuch und ohne Schnitt vor der Kamera zum Besten geben würden. Die erste Folge wurde am 30. Juni 2005 ausgestrahlt. In der darauf folgenden Ausgabe vom Hollywood Reporter urteilte Barry Garron, es sei „die ekelhafteste und widerwärtigste Serie, die je über die Mattscheibe geflimmert ist“. Auch Garron überlegte, welches Motiv hinter der Serie stecken mochte: „Ist es die Heroisierung eines Asozialen, der wegen unterlassener Unterhaltszahlungen für seine unehelichen Kinder, wegen Trunkenheit am Steuer und kokainbedingter Verletzung seiner Bewährungsauflagen vor Gericht stand? Ist es sein unerträgliches Ego? Sind es seine ständigen obszönen Bemerkungen? Oder ist es einfach nur seine ekelhafte Person an sich?“ Die Öffentlichkeit fragte sich natürlich, ob die Serie wirklich so schlimm war, wie die Kritiker und die Klatschkolumnisten angedeutet hatten. Being Bobby Brown bewies, dass es sogar noch schlimmer war, als man sich
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überhaupt hätte vorstellen können. Und auch wenn das kaum möglich schien, Bobby selbst gereichte die Selbstdarstellung in dieser Serie tatsächlich mehr zum Vorteil als seiner Frau. Die elf Folgen waren bereits im Vorjahr gedreht worden, zwischen Januar und Juni 2004; eigentlich handelte es sich lediglich um zehn Folgen, während die elfte aus den zweifelhaften Highlights zusammengeschnitten worden war. Natürlich war bei den Drehs weit mehr Material entstanden, als letztlich verwendet wurde, und es wurde so zusammengestellt, dass möglichst viel Bildschirmzeit auf die geplagte Diva entfiel. Dennoch gab es viel zu lange Sequenzen, in denen Bobby sich lediglich als der angeberische Knastbruder gebärdete, der er war. Ein Internetkritiker schlug vor, die Sendung umzubenennen in Being Mr. Whitney Houston. Die Reality-Show wirkte wie ein Zugunglück in Zeitlupe. Die einzige Anziehungskraft, die sie für die Zuschauer hatte, bestand in ihrer Schockwirkung, und in dieser Hinsicht enttäuschten Bobby und Whitney nicht. In einer Folge sagte Bobby über seinen Sohn Bobby Brown Jr.: „Der Junge ist mir nur deswegen wichtig, weil er meinen Namen trägt.“ Und Whitney rief er einmal mit den Worten zu sich: „Los, trag deinen Arsch hier rein. Dann werde ich dir zeigen, was ich mit ihm mache!“ Die Kameras beobachteten das Katastrophenpaar vierundzwanzig Stunden lang am Tag, um sich anschließend die schockierendsten Szenen herauszupicken. Whitney versteckte sich oft hinter einer großen, dunklen Sonnenbrille. Einmal waren die beiden dabei zu erleben, wie sie in einem Restaurant einige Gäste anpöbelten, die das Promi-Paar erkannt hatten. Es dauerte nicht lange, da hatten sich die Browns so an die Kamerateams gewöhnt, dass sie sich wirklich völlig ungehemmt gehen ließen. In der wohl ekligsten Szene, die ausgestrahlt wurde, beklagte sich Whitney in Bobbys Gegenwart, sie litte an Verstopfung. Bobby schlug ihr daraufhin vor, er könne die fragliche Substanz ja von Hand entfernen. Schlimmer konnte es nun wirklich kaum mehr werden. Glücklicherweise folgten die Kameras den beiden nicht auf die Toilette. Whitney stand schon zuvor nicht gerade in dem Ruf, besonders zurückhaltend zu sein, aber in der Fernsehserie wirkte sie endgültig arrogant,
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unmöglich, verwöhnt, gewöhnlich und vor allem irgendwie bedröhnt. Und sie war nicht gewillt, Bobby die besten Sprüche in der Sendung zu überlassen. Häufig erklärte sie ihm: „Leck mich am Arsch!“ Und wenn sie etwas tun sollte, zu dem sie keine Lust hatte, entgegnete sie: „Scheiße, nein!“ Das wurde schließlich zum wiederkehrenden Motto der Sendung, und es dauerte nicht lange, bis es sogar T-Shirts mit dieser Aufschrift gab. Die Satiresendung The Soup machte sich über Whitney lustig, indem sie die Szene, in der die Sängerin „leck mich am Arsch“ brüllte, wieder und wieder zeigte. Whitney war offiziell zur Lachnummer der Unterhaltungsbranche geworden. Die Produzenten der Show hatten sich bemüht, die einzelnen Folgen unter ein bestimmtes Motto zu stellen – „Zuhause bei den Browns“, „Alles Gute zum Muttertag“ oder „Bobby fährt nach London“. In dieser Folge zeigte man die beiden, wie sie im legendären Londoner Kaufhaus Harrod’s einkauften und sogar Mohamed Al-Fayed, den Besitzer, trafen. In einer anderen Sendung machten Bobby und Whitney Urlaub auf den Bahamas. Es machte ganz und gar den Eindruck, als sei die Karriere beider Sänger ein für alle Mal vorbei. Man hatte sie auf Karikaturen ihres früheren Ichs reduziert: Beide waren dafür berühmt, berüchtigt zu sein, und hatten sich längst in ihrem eigenen negativen Image verfangen. Whitney, die einst in Bodyguard so schön und unschuldig ausgesehen hatte, wirkte nun oft wie eine ausgezehrte Hexe oder ein kreischender Raubvogel. Als Eltern erinnerten sie und ihr Gatte allerdings eher an zwei Alligatoren, eine Spezies, die dafür bekannt ist, die Jungtiere aufzufressen. Für die kleine Bobbi Kristina konnte man beim Zusehen nur Mitgefühl empfinden – es erschien schrecklich, diese beiden Schreckgespenster als Eltern zu haben. Being Bobby Brown wurde vom 30. Juni bis August 2005 in den USA ausgestrahlt, und jede Woche flimmerte eine neue, schockierende Folge über Amerikas Bildschirme. Es war die Fremdschämen-Serie jenes Sommers. Am 22. Dezember 2005 wurde schließlich noch einmal ein Nachschlag gezeigt, „Weihnachten bei den Browns“. 2008 überlegte man schließlich, die Show auf DVD zu veröffentlichen. Angeblich aber weigerte sich
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Whitney, ihre Zustimmung dazu zu geben, dass auch ihre Auftritte gezeigt werden durften, und damit war die Sache vom Tisch. In dem Buch Bobby Brown: The Truth, The Whole Truth And Nothing But The Truth wurde er wie folgt zitiert: „Ich habe ein echtes Problem damit, weil sich das auf mein Einkommen auswirkt. Mit der DVD hätte man viel Geld verdienen können, aber weil sie nicht kooperieren will, wird es diese DVD nie geben. Dabei habe ich sie nie darum gebeten, vor der Kamera aufzukreuzen. Sie hat das aus eigenem Antrieb gemacht. Ich habe ihr sogar des Öfteren gesagt, sie könnte gehen. Jedenfalls habe ich immer klar gestellt, dass sie sich nicht verpflichtet fühlen sollte, dabei zu sein, aber sie fand immer irgendeinen Grund, um am Drehort zu erscheinen. Jetzt tut es ihr Leid, dass sie dabei war.“ Daher gibt es die Sendung inzwischen nur noch auf den Videocassetten von Whitney-Fans und anderen schockierten Zuschauern. Es ist bestenfalls ein beschämendes Zeitdokument. Die Zeitschrift People nannte das Fernsehspektakel „bizarr“. Der Hollywood Reporter fasste es wohl am besten zusammen: „Es beweist nicht nur, dass Brown noch ordinärer ist, als die Klatschzeitungen vermuten lassen – die Show raubt auch Whitney Houston das letzte Bisschen Würde.“ In einer Folge von Being Bobby Brown hört man, wie Whitney das Kamerateam fragt: „Was sollten wir hier noch mal gerade noch machen?“ Das war einer der bezeichnendsten Augenblicke der Serie. Was tat sie da eigentlich mit Bobby Brown? Wie ging sie mit ihrer Karriere um? Und was machte sie ganz generell aus ihrem Leben? Das schien sie selbst nicht zu wissen.
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hitney Houstons Schicksal hing 2006 wieder von zwei Männern ab, die schon so oft in ihrem Leben die Weichen gestellt hatten: Bobby Brown und Clive Davis. Entweder, so schien es, würde Bobby sie endgültig ruinieren, oder aber sie würde ihren Mann verlassen und den Rettungsanker auffangen, den Davis ihr zuwarf. Zu ihrem Glück – und dem ihrer Millionen Fans auf der ganzen Welt – war es die zweite Möglichkeit, die schließlich wahr werden sollte. Als im Januar erste Gerüchte aufkamen, dass es um ihre Ehe nicht zum Besten stünde, glaubte Bobby wohl noch, dass Whitney bluffte, wenn sie ihm mit Scheidung drohte. Er wurde in der Öffentlichkeit öfter bei wilden Partys gesehen, oder man traf ihn mit mehreren Begleiterinnen in einem Casino. Nach seiner Frau gefragt, erklärte er der Presse: „Sie ist meine Freundin. Sie ist meine bessere Hälfte. Man sagt doch immer, dass sich Gegensätze anziehen, aber wir sind nicht gegensätzlich. Wir sind ein und dieselbe Person. Wir lieben das Leben, und wir versuchen, zum anderen so gut wie möglich zu sein.“ Vermutlich wollte er sich selbst nicht eingestehen, was gerade passierte. Im April 2006 veröffentlichte der National Enquirer Fotos eines Badezimmers, das Whitney und Bobby „verwüstet“ hatten. Die Bilder zeigten unverkennbar Drogenutensilien und Überreste einer Party gigantischen Ausmaßes, und sie stammten von Tina Brown, Bobbys Schwester, die sie an die Boulevardzeitung verkauft hatte. Tina behauptete zudem in dem dazugehörigen Artikel, dass Whitney lesbische Affären hatte und so
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paranoid sei, dass sie Löcher in die Wände ihres Hauses hatte bohren lassen, damit sie sehen konnte, ob vielleicht die Polizei draußen stand. Obwohl Bobby Whitney angeblich immer wieder mit anderen Frauen betrog, war er scheinbar felsenfest davon überzeugt, dass sie ihn niemals verlassen würde. Der Zeitschrift People erklärte er im Mai 2006: „Wir führen eine glückliche Ehe. Wir werden für einander einstehen, so lange wir leben. Ich bete diese Frau an. Sie hilft mir, Gott zu finden. Ich sehe in ihre Augen, und dann sehe ich Gott.“ Wenn Whitney hingegen Bobby in die Augen sah, entdeckte sie vermutlich immer öfter etwas ganz anderes. Im August 2006 berichteten die Zeitungen, dass Bobby eine Affäre mit einer Frau namens Karrine Steffans habe. Obwohl er das weder bestätigte noch bestritt, schien es im Hause Brown ein paar ernste Probleme zu geben. Sicher, Whitney Houston selbst war auch kein Engel. Sie hatte sich bereits als harte, entschlossene, willensstarke Frau gezeigt, die ihr eigenes Geschick selbst zu leiten verstand. Falls sie je den Entschluss fassen sollte, sich dem Einfluss ihres selbstzerstörerischen Ehemanns zu entziehen, dann würde es allein ihre Entscheidung sein. Und endlich begann sie, Bobby als das zu erkennen, was er war: ihr größter Feind. Sie würde sich nur retten können, wenn sie ihn aus ihrem Leben verbannte und Hilfe suchte. Genau das tat sie schließlich. Nach vierzehn Ehejahren beantragte Whitney Houston offiziell die Scheidung von Bobby Brown. In dem Antrag, der am 8. September beim Gericht von Orange County in Kalifornien einging, verlangte sie zudem das alleinige Sorgerecht für ihre inzwischen dreizehnjährige Tochter Bobbi Kristina. Bobby Brown sollte lediglich das Besuchsrecht zugestanden werden, ein finanzieller Ausgleich war nicht vorgesehen. Die offiziellen Scheidungsunterlagen sollten im Oktober 2006 ausgestellt werden. Noch in derselben Woche sah man Whitney am Arm von Clive Davis im Beverly Hilton Hotel bei der Verleihung der Ella Awards, die von der Society Of Singers veranstaltet wird. Whitney zeigte sich dabei nicht nur mit Davis, sondern auch mit ihrer berühmten Cousine Dionne Warwick, die bei der Show auftrat. Access Hollywood berichtete: „Whitney wirkte wie
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der Inbegriff von Gesundheit und Glück, so wie man sie in der Öffentlichkeit schon lange nicht mehr gesehen hat.“ Davis und Houston nach so langer Zeit wieder versöhnt – kein Wunder, dass die Presse sich darauf stürzte. Sie alle wussten, dass es Clive Davis gewesen war, der Whitneys Potenzial in den Achtzigern erkannt und gefördert hatte. Er hatte ihre Karriere geformt, strukturiert und angefacht. Und nun war es offenbar an ihm, sie davor zu bewahren, alles, was er für sie aufgebaut hatte – und ihr ganzes Leben – endgültig zu zerstören. An jenem Abend im Beverly Hilton Hotel verkündete Davis offiziell, dass er und Houston bereits damit begonnen hatten, an einem ComebackAlbum zu arbeiten. MTV gegenüber sagte er: „Whitney ist Whitney, und es gibt keine andere wie sie. Sie wird immer Whitney bleiben. Es wird kein Album werden, das irgendeinem Trend nachläuft, das kann ich versprechen.“ Die Zeiten hatten sich drastisch geändert, seit Davis und Houston zuletzt miteinander gearbeitet und ihre ersten beiden Megaseller, Whitney Houston und Whitney, zusammen eingespielt hatten. Nach der Fusion von Sony Music mit dem früheren Konkurrenten BMG/RCA hatte Clive Davis wieder die Zügel bei Arista übernommen, und mit diesem Label hatte Whitney immer noch einen Vertrag. Es war, als habe das Schicksal es darauf angelegt, sie wieder zusammenzuführen. Auch war klar, dass der einzige Mensch im Musikgeschäft, von dem Whitney einen Rat hinsichtlich ihrer Karriere und ihres ganzen Lebens annehmen würde, ihr alter Mentor war. Er allein würde sie wieder zu der Showbiz-Größe machen können, die sie einmal gewesen war. Ihr Comeback lag nun ganz offiziell in seinen Händen. Doch das bedeutete nicht, dass sie von nun an eine leichte Aufgabe vor sich hatten. Whitney sollte auf ihrem Weg zurück ins Rampenlicht noch einige Schnitzer begehen. 2007 wurde die Scheidung von Bobby offiziell. Im April bekam Whitney das Sorgerecht für Bobbi Kristina zugesprochen. Vor Gericht war sie gefragt worden, wie sie Browns Verlässlichkeit als Vater einschätzte, und sie hatte geantwortet: „Wenn er sagt, dass er seine Tochter besuchen will, dann tut er das manchmal. Normalerweise allerdings nicht.“ Zwar erhielt
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Bobby ein eingeschränktes Besuchsrecht, aber ihm wurde kein Cent von Whitneys Geld zugesprochen. Richter Franz Miller erklärte die Scheidung am 24. April 2007 für rechtskräftig. Und so endete die Ehe der Browns. Im Januar 2008 kam heraus, das Bobby versuchte hatte, gegen die Scheidungsvereinbarungen Berufung einzulegen, um schließlich doch noch Unterhaltszahlungen von Whitney zu erhalten. Er wurde abgewiesen. Seine Zeit als Mr. Whitney Houston war endgültig zu Ende. Allerdings liefen erste Comebackversuche auch nicht glatt. Am 27. April hätte sie die Möglichkeit gehabt, den Kritikern und Zweiflern ein für alle Mal zu zeigen, dass mit ihr noch zu rechnen war. Stattdessen bewies sie leider nur, dass sie ihre Probleme noch längst nicht überwunden hatte. Sie war angeblich für drei Millionen Dollar für einen Auftritt beim mit Stars gespickten Plymouth Jazz Festival engagiert worden, das auf der Karibikinsel Tobago stattfand, und sollte unmittelbar vor Rod Stewart, dem eigentlichen Headliner, auftreten. Vor Beginn der Show teilte man der Presse mit, dass Whitney während ihres Auftritts keine Fotografen zulassen würde, abgesehen von einem Kameramann, der ihr zugesichert hatte, alle Bilder, die er weitergab, vorher von ihr absegnen zu lassen. Für ihre drei Millionen Dollar Gage lieferte Whitney ein enttäuschendes Spektakel ab und enttäuschte vor allem jene Fans, die gehofft hatten, sie würde zeigen, dass sie für ihr Comeback gerüstet war. Sie war weder körperlich noch stimmlich in guter Verfassung, und der Auftritt war vom ersten Augenblick an eine Katastrophe. Sie begann mit „It’s Not Right, But It’s Okay“, ließ allerdings dabei erkennen, dass sie alles andere als „okay“ war. Bei dem dritten Titel, „Saving All My Love For You“, verlor sie bereits ihre Stimme. Laut Reporter Jawn Murray, der das Konzert für den Internetdienst Black Voices rezensierte, war „aus dem einstigen Sopran ein Reibeisen-Tenor“ geworden. Whitney sprang in einem weißen Kleid über die Bühne und rief immer wieder: „Ich liebe euch, Trinidad!“ Dabei übersah sie geflissentlich, dass es sich bei Trinidad um die Nachbarinsel handelte. Aus dem Publikum schallte entsprechend des Öfteren der zornige Ruf „Wir sind hier auf Tobago!“ zurück, den sie jedoch ignorierte. Sie war nicht nur nicht auf Trinidad, sie benahm sich, als sei sie auf dem Mars.
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Nachdem ihr klar geworden war, dass es ihr nicht gelingen würde, ihr Programm stimmlich durchzustehen, stürzte sie sich in einen Monolog über das Festival. „Es bringt so viele tolle Erinnerungen zurück“, sagte sie, „wenn man die Größen hört, die an diesem Wochenende hier aufgetreten sind. Meine Tochter und ich haben jeden Abend auf der Veranda gesessen und Diana Ross, Smokey Robinson und En Vogue zugehört.“ Anschließend versuchte sie sich an ihrem größten Hit „I Will Always Love You“. Mitten im Song merkte sie jedoch, dass sie stimmliche Probleme bekam. Je mehr der Song seinem Höhepunkt entgegenstrebte, desto mehr verlor sie ihren Halt – und ihre Stimme. Statt den Titel also zu beenden, ging sie zu „I’m Every Woman“ über, das weniger anspruchsvoll war. Nach diesem Song verneigte sie sich vor dem Publikum zu halbherzigem Applaus und hockte sich auf die Bühne. Sie benahm sich so seltsam, dass man sich unwillkürlich fragte, ob sie sich von allein aus dieser unansehnlichen und wenig damenhaften Position würde erheben können. Die staunenden Zuschauer gewannen den Eindruck, dass die Probleme der einst so gefeierten Sängerin noch lange nicht vorüber waren. Der Kritiker von Black Voices schrieb über den Auftritt: „R&B-Diva Whitney Houston enttäuschte vor ausverkauftem Haus alle Zuschauer, die gekommen waren, um eines der seltenen Konzerte der Sängerin zu sehen.“ Schon möglich, dass sie wieder an ihrer Karriere arbeiten wollte, aber es gab noch sehr viel zu tun. Vielleicht glaubte Whitney selbst, in Trinidad eine tolle Show abgeliefert zu haben, aber in Wirklichkeit hatte sie sich in Tobago von ihrer schlechtesten Seite gezeigt. Auch im Privatleben lief es für sie 2008 noch nicht besonders rund. Sicher, sie hatte sich von Bobby Brown getrennt und war nun mit dem R&B-Sänger Ray J. verbandelt, aber bei ihr zuhause gab es anderweitig Probleme. Bobbi Kristina Brown war inzwischen im Teenageralter und begann nun ihrerseits schwierig zu werden und machte es ihrer Mutter alles andere als leicht. Im Mai 2008 berichtete der National Enquirer, dass Bobbi Kristina nicht nur den Party-Lifestyle von ihren Eltern übernommen hatte, sondern sich auch mit schweren Depressionen herumschlug. In einem Artikel hieß es, das Mädchen tränke mit ihren Freunden oft und reichlich Alkohol
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und habe bereits einen Selbstmordversuch hinter sich. Presseberichten zufolge hatte sie im Februar 2008 drei Tage im Peachford Psychiatric Hospital verbracht und einen Nervenzusammenbruch erlitten. Whitney äußerte sich niemals zum Gesundheitszustand ihrer Tochter. Im Showbusiness ist es kein leichtes Unterfangen, ein Comeback zu planen. Manchmal funktioniert es, aber es kann auch daneben gehen. Für 2009 hatten gleich zwei Superstars der Achtziger ihre Rückkehr angekündigt, die damals als die erfolgreichsten Sänger am Pop-Firmament gegolten hatten: Michael Jackson und Whitney Houston. Wie bei Whitney war auch die Karriere von Michael Jackson nach seinen Überfliegern Off The Wall, Thriller und Bad den Bach runtergegangen. Während Whitney ihre Beliebtheit und Gesundheit mit einer unglücklichen Ehe und unübersehbarem Drogenkonsum ruiniert hatte, war Michael Jackson wegen Kindesmissbrauch angeklagt worden und angeblich medikamentensüchtig. Als er am 25. Juni 2009 an einer Überdosis Betäubungsmittel starb, war er gerade dabei, eine Reihe von Konzerten in London vorzubereiten, von denen er sich eine Wiederbelebung seiner Karriere erhoffte. Whitney versuchte es auf einem etwas weniger dramatischen Weg, der sie schließlich auch zum Erfolg führen sollte. Statt sich dem Stress zahlreicher Auftritte auszusetzen, vertraute sie wieder auf jenes Element, auf das sie ihren Ruhm ursprünglich gegründet hatte: auf ein sorgfältig geplantes und hervorragend durchkonzipiertes Album. Glücklicherweise hatte sie nun auch wieder den Mann an ihrer Seite, der ihr Debüt betreut hatte. Nun, da der zerstörerische Einfluss Bobby Browns ausgeschaltet war und Clive Davis die Aufnahmen und die Vermarktung ihrer neuen Platte überwachte, war sie wieder auf dem Weg nach oben. Wie ihr Erstling Whitney, an dem zwei Jahre lang gearbeitet worden war, um einen möglichst großen Erfolg zu garantieren, wurde auch das neue Album I Look To You mit größter Umsicht geplant. Und wie schon vor fünfundzwanzig Jahren, als Davis ein erstklassiges Team von Komponisten und Produzenten zusammengestellt hatte, wählte er nun erneut eine handverlesene Gruppe von Leuten, die Houstons Stimme ins rechte Licht
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setzen sollten. Unter den Produzenten befanden sich dieses Mal renommierte Namen wie Sean Garret, will.i.am, Akon, Alicia Keys, David Foster, Diane Warren und R. Kelly. Die Arbeiten hatten schon 2007 begonnen. Damals hatte der Sänger und Produzent Akon dem Branchenmagazin Billboard erklärt: „Die Stimme ist da, ich glaube, die kann ihr auch niemand nehmen. Solange wir diese Stimme mit einer Hit-Single kombinieren, wird sie bald wieder dort sein, wo sie aufgehört hat.“ Darüber hinaus gab es schon Pläne für ein Duett von Whitney und Akon, das den passenden Titel „Like I Never Left“ trug – „Als wäre ich nie weg gewesen“. Am 6. Februar 2009 erschien Whitney zu ihrem ersten großen öffentlichen Auftritt bei einer Gala von Clive Davis in Los Angeles, die am Vorabend der Grammy-Verleihung stattfand. Bei dieser Party sang sie vier Songs, darunter „I Will Always Love You“, „I Believe In You And Me“ und „I’m Every Woman“, um der Musikindustrie und der Presse zu beweisen, dass ihre Stimme und ihr Selbstbewusstsein wieder ganz wie früher waren. Clive erklärte der Presse: „Man muss manchmal darauf warten, dass große Songs geschrieben werden. Whitney hat über die Jahre so viele phantastische Hits herausgebracht – man kann sie nur ermutigen, sich immer wieder selbst zu übertreffen. R. Kelly und Whitney sind jetzt gerade im Studio und arbeiten an einem großartigen Titel, der ‚I Look To You‘ heißt.“ Im Juli 2009 wurde bekannt, dass das Warten auf Whitneys erstes „richtiges“ Album seit sieben Jahren – die Weihnachtsplatte nicht mitgerechnet – bald ein Ende haben würde: Die Veröffentlichung von I Look To You wurde für den 31. August in Europa und für den 1. September in den USA angekündigt. Die Platte wurde mit einer derartigen Spannung erwartet, dass auf der Webseite www.whitneyhouston.com eine tickende Uhr anzeigte, wie viele Tage, Stunden und Minuten noch verblieben, bevor das Album in die Läden kam. Es war wie der Countdown bei einem großen Raketenstart. Um eine perfekte Verbindung zwischen den alten Erfolgen und dem neuen Anfang zu schaffen, wurde David Foster als Produzent für die neuen Aufnahmen ausgewählt. Er hatte für den Soundtrack zu Bodyguard den
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Riesenhit „I Will Always Love You“ produziert und ihr Album My Love Is Your Love als Co-Produzent betreut. Stolz berichtete Clive Davis von der Sorgfalt, mit der das neue Album geplant worden war: „Auch bei ihrem Debüt haben wir viel Zeit und Aufwand investiert, und heute ist es ja auch nicht so, dass man einfach etwas in einen Computer eingibt und das gewünschte Resultat erhält. Man muss auf das Material warten, das eine neue Platte auch rechtfertigt.“ Schließlich wurde das neue Album I Look To You bei drei großen Abhörpartys in London, New York und Los Angeles vorgestellt, um die Medien und die Öffentlichkeit auf die Veröffentlichung einzustimmen. Die Veranstaltung in London fand am 14. Juli im Mandarin Oriental Hotel statt, die in New York im Lincoln Center am 21. Juli und die in Los Angeles zwei Tage später im Beverly Wiltshire Hotel. Dean Piper vom britischen Sunday Mirror berichtete später aus London: „Mir gelang es, eine Einladung zu einem der größten und aufregendsten Ereignisse des bisherigen Jahres zu erhalten – der exklusiven Präsentation von Whitney Houstons mit Spannung erwartetem neuen Album I Look To You. In der eleganten Atmosphäre des Mandarin Orientals stellte der legendäre Produzent Clive Davis jeden einzelnen Track der Platte vor.“ Über die einzelnen Titel schrieb Piper: „‚Million Dollar Bill‘ ist ein richtiger Sommer-Song mit großem Lächelfaktor, eine Wohlfühlhymne. Der Gesang ist hervorragend. ‚Call You Tonight‘ – ein Riesentitel mit echtem Ohrwurmrefrain, produziert vom vielfach preisgekrönten StargateTeam, gefiel mir besonders gut. ‚Like I Never Left‘ mit Akon wurde als Song mit Karibik-Flair angekündigt. Ist sicher schön, wenn man Akon mag, aber mich persönlich bringt dieser Sound dazu, mir Nadeln in den Kopf stechen zu wollen. Für das Radio ist der Titel sicher gut geeignet, aber es ist nicht der beste, den sie je aufgenommen hat. ‚A Song For You‘ ist lupenreiner Pop und eine echte Schwulenhymne. Am liebsten wären alle Anwesenden aufgesprungen und hätten losgetanzt; er erinnerte an die Zeiten, als ‚I’m Every Woman‘ in den Charts war. Das wird mit Sicherheit ein neuer Lieblingssong der Fans, und sie klingt wirklich großartig. Es ist
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einfach wundervoll, dass Miss Houston wieder zurück ist – und so wie es aussieht, ist sie mehr als bereit, jetzt wieder so richtig durchzustarten.“ Der Klatschkolumnist Roger Friedman war bei der Party im New Yorker Lincoln Center und schrieb: „Als Houston hinausging, bekam sie stehende Ovationen, und die hat sie auch verdient. Whitney brachte ihre Mutter Cissy Houston, ihre Cousine Dionne Warwick und ihre Tochter Bobbi Kristina mit, die sich zu einer wunderschönen jungen Lady entwickelt hat.“ Der New Yorker Modefotograf Domani Moyd war ebenfalls zugegen; ihn interessierte natürlich vor allem Whitneys Aussehen. Er berichtete: „Sie sieht gesund und clean aus. Bobby Brown und Crack sind Vergangenheit – sie ist wieder da. Sie ist eine Prinzessin.“ Allerdings fügte er hinzu: „Sie sieht ‚echt‘ aus – in ihren Augen kann man lesen, dass sie einiges durchgemacht hat.“ Über die Atmosphäre der Abhörpartys inmitten der vielen Stars sagte Moyd: „Es war sehr surreal. Der Raum war recht klein, und nur wenige Reihen von uns entfernt saßen Diane Sawyer und Martha Stewart.“ Über die Musik, die er an diesem Abend zu hören bekam, erklärte er: „Sie ist gut gemacht. Man hat nicht versucht, die Hörer vergessen zu lassen, was passiert ist.“ Er mochte besonders den Titel „Million Dollar Bill“, über den Whitney bei der Veranstaltung ihm zufolge gesagt hatte: „Alicia Keys meldete sich und wollte mir gern einen Song schreiben. Und Alicia war die einzige, die richtig kapiert hat, was in mir vorging.“ Allmählich wuchs die Spannung, und das Interesse an dem neuen Werk, das bald erscheinen sollte, war international sehr groß. Egal, ob die Platte nun gut oder schlecht sein würde – es handelte sich um das Comeback eines Superstars. Im August 2009 tauchten die ersten Songs im Internet auf – „I Look To You“ und „I Didn’t Know My Own Strength“. Niemand war von ihnen so richtig begeistert. Mitte des Monats wurde bekannt, dass „Million Dollar Bill“ die erste Single in den USA werden sollte, und der Kritiker Brian McCollum von der Detroit Free Press war einer der ersten, der dem Titel großen Erfolg voraussagte: „Als erstes fällt bei dieser Platte auf, dass man noch nie eine solche Single von Whitney Houston vor sich gehabt hat. Sie
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ist geprägt von einer lebendigen, bodenständigen Kraft, wie sie auch dem R&B der Siebziger innewohnte, und macht schnell klar, was hinter ihr steckt: Nach sieben turbulenten Jahren, in denen sie dem Musikgeschäft den Rücken kehrte, will Houston nun mit viel Feuer und viel Energie zurückkehren. Der schnelle Gute-Laune-Track folgt auf zwei eher zähe Balladen, die jene Fans, die sich ein Comeback mit mehr Schwung gewünscht hätten, verblüfften. ‚Million Dollar Bill‘ ist nun das, worauf sie gewartet haben. Houston lässt hier Hoffnung aufkommen, indem sie einfach gut klingt.“ Als die Single erschien, erklärte Tom Corson von RCA/Arista: „Es deutet vieles darauf hin, dass es ein großes Publikum gibt, das Whitneys Rückkehr gar nicht erwarten kann. Sie ist glücklich, gesund, motiviert und singt hervorragend. Es ist ein Kulturereignis.“ Am Montag, den 31. August 2009, kam das neue Album I Look To You endlich in die Läden. Der Presserummel, der die dramatische Rückkehr der Diva begleitete, war enorm. Der Internet-Buchversand Amazon erklärte, die Platte sei allein nach den Umsätzen eines Tages auf den ersten Platz seiner Verkaufscharts geschossen, und das war ein gutes Zeichen. Schon allein das Coverfoto beeindruckte auf den ersten Blick. Whitney sieht geradewegs in die Kamera und macht ein sehr ernstes Gesicht. Dabei ist sie nur ganz leicht geschminkt, und ihre Miene scheint zu sagen: „Okay, ihr wisst, was hinter mir liegt, aber ich habe mein Leben wieder auf die Reihe bekommen, und ich bin zurück.“ Das ist tatsächlich das vorherrschende Thema dieses Albums. Viele der ihr auf den Leib geschriebenen Texte geben Houston die Möglichkeit zu erklären, was sie in den letzten sieben Jahren durchgemacht hat. Manche klingen dabei ein wenig verteidigend, wie „Like I Never Left“ oder „I Didn’t Know My Own Strength“. In „Nothin’ But Love“ singt sie die Zeile „ain’t gonna regret anything I’ve done“ – „ich werde nichts bereuen, was ich getan habe“. In dem Booklet zur CD finden sich zwei wunderschöne Fotos der Sängerin, die Patrick Demarchelier aufnahm. Das erste auf Seite 2 ist besonders faszinierend: Zum ersten Mal seit Jahren hat Whitney die Augen weit
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geöffnet und sieht mit zufriedenem Gesicht in die Kamera. Das andere bemerkenswerte Foto befindet sich im hinteren Teil des Booklets: Eine Ganzkörperaufnahme, die von hinten ausgeleuchtet wurde, zeigt eine starke Frau mittleren Alters, die in ihrem Leben viele Erfahrungen gemacht hat. Die Musik auf dem Album ist von der ersten bis zur letzten Note hervorragend produziert. Gelegentlich kann Whitney stimmlich alle Erwartungen erfüllen, bei einigen Titeln schafft sie es nicht. Schlechte Songs gibt es keine, allerdings einige eher mittelmäßige. Die vier Höhepunkte von I Look To You sind ohne Frage die Songs „Million Dollar Bill“, „Nothin’ But Love“, „A Song For You“ und „I Didn’t Know My Own Strength“. „Million Dollar Bill“ ist ein klug gewählter Einstieg für die Platte. Es bringt genau jene Energie und Spannung, die man von Whitney erwartet, und ist noch dazu mit einem mitreißenden Refrain ausgestattet. Der Song aus der Feder von Alicia Keys funktioniert auch deshalb so gut, weil er mit so viel Dynamik daherkommt, dass Whitneys Stimme hinaufschwebt, ohne auch nur einmal zu Boden zu sehen. Thematisch hat er keinen direkten Bezug zu ihrem Leben. Ein solch starker, schneller und ins Ohr gehender Song war die perfekte Wahl als erste Single und ist schon allein den Erwerb der CD wert. Der Titeltrack „I Look To You“ ist zwar packend, zeigt aber auch deutlich, dass Whitney stimmlich nicht mehr so perfekt ist wie früher. Der Text ist hervorragend gelungen, und zwanzig Jahre früher hätte Whitney ihn mit großer Kraft in die Welt hinaus geschmettert, doch 2009 musste sie notgedrungen eine tiefere Tonlage wählen. Dass der Song dennoch überzeugt, liegt an Whitneys hingebungsvoller Interpretation. Der nächste starke Track auf dem Album ist „A Song For You“, das Leon Russell eigentlich als klassische Ballade komponierte. Durch die Produktion des skandinavischen Produzententeams Stargate gewinnt der Song jedoch so an Fahrt, dass er sich vom getragenen Anfang zu einer packenden Dance-Nummer entwickelt, richtiggehend Feuer fängt und ein Disco-Inferno entzündet. Ähnlich packend fällt Diane Warrens „I Didn’t Know My Own Strength“ aus, das von David Foster produziert wurde und bei dem Whitneys facettenreiche Beteuerungen besonders effektiv wirken.
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Es hat immer schon Sänger und Sängerinnen gegeben, die tiefe Abgründe durchschreiten mussten und ihre schweren Zeiten zwar mit heiler Seele, aber veränderter Stimme überstanden, beispielsweise Billie Holiday, die in den Dreißigerjahren als Big-Band-Sängerin noch weich und sanft klang. In den Fünfzigern hatte jahrelanger Drogenmissbrauch ihren Gesang gezeichnet. Dennoch waren die Aufnahmen, die dann mit den TopJazzern der damaligen Zeit entstanden, auf ganz andere Weise höchst gelungen. Ihre Stimme war rauer, aber als die Lady nun den Blues sang, hatte ihre dunklere Tonlage an Ausdruckskraft gewonnen. Dasselbe gilt für Rosemary Clooney. Die beliebte Sängerin der Fünfzigerjahre war mit Weiße Weihnachten an der Seite von Bing Crosby zum Filmstar geworden, wurde dann aber abhängig von Beruhigungsmitteln und Schlaftabletten. In den Neunzigern war die jugendliche Frische aus ihrer Stimme verschwunden, aber sie nahm dennoch einige der beeindruckendsten Titel ihrer ganzen Karriere auf. Vielleicht verhält es sich mit Whitney Houston ähnlich. Sie wird nie wieder so unbeschwert und mühelos jene Töne treffen, die ihr mit zwanzig so leicht gefallen waren, aber ihre gewandelte Stimme gestattet ihr eine neue Tiefe, was den Ausdruck betrifft. Die ersten Kritiken erschienen in der Presse, noch bevor die Platte in den Läden stand oder in endgültiger Form als Download erhältlich war. Ein besonders interessanter Artikel über I Look To You fand sich in der Chicago Tribune. Der Autor Greg Kot gab dem Album „zwei von vier Sternen“ und wies zunächst darauf hin, wie sehr sich das Musikgeschäft gewandelt hat, seit Whitney Houston zuletzt als Erfolgsgarantin gegolten hatte. Er schickte voraus: „Nachdem sie zuletzt vor allem für unglückliche Schlagzeilen und eine ebenso unglückliche Ehe mit dem Sänger Bobby Brown bekannt war, macht Whitney Houston nun endlich wieder das, was sie am besten kann: Singen. Houston hat niemals ein wirklich großartiges Album abgeliefert: Ihrer gospeltrainierten Stimme wurde durch flache Songs und eine sterile Produktion die Seele ausgesaugt. Ihre Karriere wurde Schritt für Schritt mit unerbittlicher Hand von Clive Davis gesteuert, einem Plattenfirmen-Mogul, der dafür bekannt ist, dass er aus einem Talent ein perfekt vermarktbares Produkt formen kann. Aber die Zeiten sind heute anders. Die Verkaufszahlen in der Musikbranche
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befinden sich im freien Fall, und Houston ist heute nur noch eine Randbemerkung oder einen Witz wert. Sie kann noch immer singen – aber wie gut?“ Über die Musik an sich schrieb Kot: „Bei ‚One Million Dollar‘ klingt sie beinahe verspielt, und der Titel, der von Swizz Beatz und Alicia Keys produziert wurde, swingt beinahe. Der Song ist gleichzeitig auch schon der Höhepunkt des Albums, und die übrigen Titel können diesen hohen Standard mit wenigen Ausnahmen nicht halten, weil nichts auch nur ansatzweise ähnlich elegant und überschäumend klingt. Auch legt sie nie so richtig los – manchmal bekommt man den Eindruck, als sei Houston nur ein hübsches Ornament auf den Tracks ihrer Produzenten. In der Vergangenheit war ihre Stimme so mächtig, dass sie langweiliges Material überspielen konnte, aber das funktioniert heute nicht mehr. Houston hat den Autopiloten eingeschaltet. Die norwegischen Produzenten des StargateTeams verwandeln Leon Russells Ballade ‚A Song For You‘ in eine DiscoNummer. Das überzeugt nicht völlig, aber zumindest versucht sie hier, die starre Formel einmal aufzubrechen.“ Kot zog den folgenden Schluss: „Whitney Houstons Stimme ist nicht mehr das, was sie einmal war. Aber das ist die Musikindustrie, die sie einst beherrschte, auch nicht mehr.“ In der Los Angeles Times kommentierte Ann Powers: „Die klassische Stimme ist nicht mehr da – wie könnte sie auch? Aber das Album ist dennoch durchaus gelungen. Es gibt Stimmen, die sich wie Monumente in der Pop-Landschaft erheben, die Architektur ihrer Zeit definieren, die Träume von Millionen von Menschen in sich aufnehmen und zahllose Imitatoren hervorbringen. Whitney Houston besitzt eine dieser Stimmen. Wie ein Wolkenkratzer von Donald Trump war die Sängerin einst so dominant wie der Kapitalismus. Dann wurde Houstons Vokalgebäude, wie so viele phantastische Bauwerke, irgendwann renovierungsbedürftig. Drogenmissbrauch und eine schwierige Ehe mit dem Rapper-Lümmel Boby Brown machten sie zum Futter der Regenbogenpresse. Schlimmer war jedoch (jedenfalls zumindest für ihre Fans), dass sie mit ihren Exzessen auch ihr Instrument zerstörte. Dass viele Pop-Fans so viel Schmerz und auch Abscheu angesichts ihres Abstiegs empfanden, hatte weniger mit ihrem
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persönlichen Elend zu tun als mit ihrem scheinbar achtlosen Umgang mit jenem Nationalheiligtum, das da in ihr ruhte.“ Da war sicherlich etwas dran. Powers war von den neuen Songs nicht übermäßig beeindruckt. „I Look To You, das Comeback nach beinahe zehn Jahren der Schmach, ist eine teure Runderneuerung. Das, was Houston heute leisten kann, unterliegt gewissen Einschränkungen, und das Ausloten dieser Grenzen wird zum beherrschenden Thema dieser Platte. Ihre Songwriter und Produzenten versorgen sie mit den besten Werkzeugen, die ihr Handwerk zu bieten hat, und sie setzt sie vorsichtig und beinahe ehrfurchtsvoll ein. Dabei scheitert sie nie, weil sie niemals hohe Ziele anpeilt. Es ist dennoch schwer, sich vom Traum der mühelosen Perfektion zu verabschieden, den die junge Houston einmal verkörperte, damals, in der Yuppie-Ära, als ihre Stimme so verführerisch klang wie das leichte Geld, das es überall zu verdienen gab. Natürlich war auch das eine Seifenblase, die für manche platzte. Obwohl I Look To You nicht so befreit dahinschwebt wie früher, ist es schön zu hören, dass Houston an ihrer Wiederherstellung arbeitet.“ Jody Roen vom Rolling Stone wies darauf hin: „Es gibt eine ganze Beyoncé-Generation, die Houston nicht als virtuose Sängerin mit einem Stimmumfang von mehreren Oktaven kennt, sondern nur als Schlagzeilengarantin, deren Abstieg jahrelang in aller Öffentlichkeit stattfand. I Look To You hält sich nicht lange mit Rückblicken auf. Die heute sechsundvierzigjährige Houston ist nicht mehr die Sängerin, die sie einmal war. Die Zeit und ein exzessives Leben haben einige Bereiche des früher so phantastischen Stimmumfangs vernichtet.“ Im Internetportal Soul Tracks schrieb Chris Rizik über Whitney: „Hinter ihr liegen zehn Jahre persönlicher, gesundheitlicher und drogenbedingter Probleme, und dementsprechend ist es eine andere Frau, die jetzt ans Mikrofon tritt. Es ist deshalb beinahe unfair, wenn auch wohl vorhersehbar, dass Kritiker I Look To You am Geist der alten Whitney messen werden, und durch diese Linse betrachtet kann die ältere, reifere Sängerin kaum bestehen. In ihre Stimme hat sich eine Rauheit geschlichen, die erstmals 2003 auf dem Weihnachtsalbum zu hören war und inzwischen noch ausgeprägter geworden ist, und insgesamt singt sie heute
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tiefer und etwas schwächer als zu ihren besten Zeiten. Whitney Houston ist heute keine Ausnahmesängerin mehr, sondern eine singende Normalsterbliche.“ Es war klar, dass sich die Zeiten geändert hatten, und Houston mit ihnen. Rizik fuhr fort: „Whitney hat nicht mehr die stimmliche Qualität, um die Schwächen eines Songwriters zu verdecken. Die Whitney Houston, an die ich mich zu ihren Bestzeiten erinnere, gibt es nicht mehr. Auf I Look To You beweist die neue Whitney, dass sie immer noch große musikalische Qualitäten besitzt. Aber einmal ohne Zynismus betrachtet – die Grazie, die immer noch in ihr steckt, ist schließlich auch der Grund dafür, dass es I Look At You überhaupt gibt. Und es ist schön, sagen zu können, dass eine der bedeutendsten Künstlerinnen unserer Zeit ein Comeback hingelegt hat, das sich lohnt.“ Am 1. September 2009 gab Whitney Houston ein Minikonzert mit vier Songs im New Yorker Central Park, das für die Fernsehsendung Good Morning America aufgezeichnet und am nächsten Tag gezeigt wurde. Es war ihr erster großer Fernsehauftritt seit ihrer Trennung und Scheidung von Bobby Brown. Sie wurde außerdem für die Oprah Winfrey Show interviewt, die in zwei Teilen am 14. und 15. September ausgestrahlt wurde. Der Bericht in Good Morning America war besonders aufschlussreich, denn hier stand sie zusammen mit Diane Sawyer vor der Kamera, die anno 2002 jenes Fernsehinterview geführt hatte, das als einer von Whitneys Karrieretiefpunkten in die Pop-Geschichte eingegangen war. Es war von Anfang an offensichtlich, dass Whitney sehr vorsichtig und kontrolliert an die Sache heranging. Statt früh morgens aufzustehen, um für die ab acht Uhr ausgestrahlte Sendung live zur Verfügung zu stehen, so wie es die Gäste der Show normalerweise taten, hatte Houston darauf bestanden, dass ihr Auftritt nach elf Uhr stattfand und erst am darauf folgenden Tag gezeigt wurde. Für ihr Konzert im Central Park hatten sich an jenem Dienstag im September fünftausend Fans eingefunden. Die Menschen hatten schon während der Nacht lange Schlangen gebildet, um am Morgen bühnennahe Plätze zu ergattern. Schnell wurde klar, dass der Auftritt für Good
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Morning America nicht perfekt gelang. Bei den vier Songs, die Whitney präsentierte, brach ihr mehrfach die Stimme. Die Sängerin kam in einer kurzen, beigefarbenen Jacke, einer schwarzen Lederhose und ebensolchen Stiefeln auf die Bühne und nahm die neue Single „Million Dollar Bill“ als Auftakt. Schon die ersten Noten ließen klar erkennen, dass sie stimmlich nicht in Topform war; tatsächlich war schwer zu sagen, wie viel sie tatsächlich selbst sang, und wie viel von den Backgroundsängern übernommen wurde. „Ich liebe euch, New York. Ich liebe Good Morning America. Ich liebe euch alle“, rief Whitney der Menge zu. „Ich fühle mich total gut wegen euch.“ Als die beiden Moderatorinnen der Sendung, Diane Sawyer und Robin Roberts, zu ihr auf die Bühne kamen, sagte Houston: „Ich bin so überwältigt. Eure Unterstützung, eure Gebete haben so viel für mich bedeutet. Ich war niemals weg.“ Nachdem sie die beige Jacke ausgezogen hatte, zeigte sie sich in einem grauen Top mit einem breiten Saum aus Tüll, der auf dem Rücken zu einer Schleife gebunden war, deren Bänder hinter ihrer Lederhose herflatterten. Sie schien während des ganzen Auftritts guter Stimmung zu sein. Trotz der Anspannung und der stimmlichen Probleme hielt sie sich an das alte Entertainer-Motto: „The show must go on.“ Bei „My Love Is Your Love“ kam ihre fünfzehnjährige Tochter auf die Bühne. Mit einem Nicken in Richtung der schlanker gewordenen Bobbi Kristina sang Whitney stolz: „See, I got my baby, me and Bobby’s baby.“ Anschließend präsentierte sie den Titelsong des neuen Albums mit großer emotionaler Intensität und auch stärkerer Stimme; hier hielten sich die Backgroundsänger merklich zurück. Als sie „I Look To You“ ansagte, begrüßte sie auch ihre Mutter im Publikum, in deren Augen die Tränen glitzerten. Und während sie sang, deutete sie immer wieder auf einzelne Zuschauer, um dem wiederholten „I look to you“ – ich sehe dich an – noch mehr Tiefe zu geben. Ohne die technischen Möglichkeiten eines Aufnahmestudios im Rücken klang ihre Stimme ein wenig dünn, aber sie machte den Eindruck, als bedeute ihr die Unterstützung des begeisterten Publikums wirklich eine Menge.
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Bevor sie „I’m Every Woman“ anstimmte, entschuldigte sich die Diva für die schwache Stimme, die sie an diesem Tag zeigte (eine Bemerkung, die später in der Sendung herausgeschnitten wurde): „Es tut mir Leid. Ich war bei Oprah. Ich habe so viel geredet, so lange, und meine Stimme … ich sollte nicht reden, ich sollte singen!“ Konnte sie live noch überzeugen? Konnte sie noch immer singen und den Ton halten? Das waren die zwei Fragen, die sich an jenem Tag stellten. Das Publikum, das sich im Central Park zusammengefunden hatte, sang und tanzte zu ihrer Musik, und es war unübersehbar, dass ihre Fans die Sängerin noch immer fest ins Herz geschlossen hatten. Whitneys Interview mit Oprah Winfrey, das zwei Wochen später ausgestrahlt wurde, war sehr offen und emotional. Whitney wirkte stark, aber ein wenig angespannt, als das Gespräch begann – als sei sie nicht sicher, mit welchen Dämonen sie gleich konfrontiert werden würde. Ihre Stimme klang heiser und rau. In der ersten Stunde ging Oprah alle kontroversen Themen an und fragte, was Whitney dazu bewogen hatte, sich von Bobby Brown zu trennen, was Bobbi Kristina alles mitbekommen hatte, wie das Verhältnis zu ihrer starken Mutter aussah, wie es ihr ergangen war, als sie nächtelang Drogen nahm und stumpfsinnig vor dem Fernseher saß, und wie es ihr gelungen war, ihrem Leben wieder eine Richtung zu geben. Whitney berichtete, ihre liebste Droge sei es gewesen, Joints mit Crack versetzt zu rauchen. Sie erzählte auch von Bobby Browns Wutausbrüchen, vor allem, wenn er betrunken war. Sie habe gewusst, sagte sie, dass ihre Ehe am Ende war, als Bobby ihr ins Gesicht spuckte. Und besonders entsetzt sei sie gewesen, als sie merkte, dass ihre Tochter diesen Ausdruck äußerster Respektlosigkeit mitbekommen hatte. Die zweite Stunde der zweiteiligen Oprah-Show wurde einen Tag später ausgestrahlt, und die Sendung schloss mit einer gelungenen Interpretation des Titels „I Didn’t Know My Own Strength“. Clive Davis und Bobbi Kristina saßen im Studio unter den Zuschauern, und Oprah zeigte zudem aufgezeichnete Grußbotschaften von Dionne Warwick, Celine Dion, Christina Aguilera und Jennifer Hudson. Es war ein Augenblick des Triumphes, zumal zurzeit der Ausstrahlung bereits bekannt war, dass I Look
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To You es in den amerikanischen und deutschen Album-Charts auf den ersten Platz geschafft hatte. Es war der Beginn einer neuen Ära für Whitney Houston und ihre Fans auf der ganzen Welt. Dass I Look To You in einer Reihe von Ländern den ersten Platz erreichte, zeigte, dass sie noch immer nichts von ihrer Starqualität verloren hatte. Dennoch war sie nicht mehr dieselbe Sängerin, die man einst als Amerikas Sweetheart gehandelt hatte. Ihre Unschuld war vergangen, aber sie war nun eine reife, erfahrene Frau, der in der Zukunft viele weitere Showbiz-Erfolge bevorstehen mochten. Dank des Films Bodyguard und des Klassikers „I Will Always Love You“ wird Whitney stets ein fester Bestandteil der Popkultur sein. Schon allein diese beiden Werke dokumentieren ihr Talent auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft. Sie wurden auf DVD und CD für die Ewigkeit bewahrt. Dennoch, wahre Künstler können aus den Erfolgen ihrer Jugendjahre Karrieren schmieden, die Bestand haben, wenn sie älter und reifer werden, ohne ihre Fan-Gemeinde zu verlieren. Skeptiker mögen immer noch fragen: „Didn’t she used to have it all?“ – aber ihre wahren Fans wissen, dass ihre künstlerische Kraft einen kurzen „Moment In Time“ überdauert hat. Der Pfad, den sie nach I Look To You beschreitet, wird zeigen, wohin ihre Reise geht. Dass sie so große Höhen erklomm, dann so tief stürzte und die Jahre in der Schlagzeilenhölle weitgehend unbeschadet überlebte, zeigt, dass sie Charisma und Talent besitzt. Sie ist ein kreativer Mensch, dem es bestimmt ist, im Licht der Öffentlichkeit zu stehen. Ihre Freunde, ihre Familie und ihre Fans haben sich das gewünscht. Denn das, was sie für Whitney Houston empfinden, ist für sie The greatest love of all. War es wirklich eine neue Ära für Houston und ihre Fans auf der ganzen Welt? Dass I Look At You in einigen Ländern sofort Platz 1 erreichte, bewies ihren ungebrochenen Star-Status. Inzwischen galt sie als Diva – sie war längst nicht mehr die niedliche Whitney der späten Achtziger, der Darling der Amerikaner. Ihre Unschuld war vergangen, aber dennoch schien ihr immer noch eine große Zukunft im Showbusiness offen zu stehen.
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achdem I Look At You weltweit so erfolgreich eingeschlagen hatte, lag es natürlich nahe, eine umfassende Tournee zu planen, auf der Whitney ihren Fans beweisen konnte, dass wirklich wieder mit ihr zu rechnen war und sie ihren Status als Weltstar nicht zu Unrecht beanspruchte. Am 12. Oktober 2009 gab Whitney auf ihrer Webseite offiziell bekannt: „Das ist meine erste richtige Tournee seit den Auftritten rund um My Love Is Your Love, und ich bin wirklich sehr aufgeregt, dass ich endlich wieder überall auf der Welt für meine Fans singen werde. Ich stelle gerade eine großartige Show zusammen und kann es nicht erwarten, die Songs von meinem Album I Look To You vorzustellen, aber natürlich werden auch einige altbekannte Lieblingssongs zu hören sein.“ Es klang tatsächlich so, als sei sie mit Feuer und Flamme bei der Sache und ginge die Tournee mit neu entfachter Energie an. Schon nach kurzer Zeit zeigte es sich allerdings, dass sie den Strapazen einer langen Tour überhaupt nicht mehr gewachsen war. Mehr noch: es wurde klar, dass sie nicht mehr die Kraft und das Durchhaltevermögen besaß, um eine komplette Show durchzuziehen, und dass der jahrelange Drogenkonsum ihre einst so phantastische Stimme schwer geschädigt hatte. Die Nothing But Love-Tournee dauerte vom 9. Dezember 2009 bis zum 17. Juni 2010 und war in vier Abschnitte unterteilt, mit sieben Konzerten in Asien, sechs in Australien und 37 in Europa. 50 Shows außerhalb der USA – es machte ganz den Anschein, als ob sie es bewusst vermied, sich den harten und launischen Musikkritikern in ihrem Heimatland zu stellen. Falls das tatsächlich so beabsichtigt war, dann war es eine weise Entscheidung.
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Die ersten Konzerte fanden in Russland statt. Am 9. Dezember 2009 trat Whitney im Moskauer Olimpiyskiy auf, am 12. in der Eissport-Arena von Sankt Petersburg. Vom 6. bis 18. Februar ging es dann weiter durch Asien, wo sie sieben Auftritte in Korea und Japan absolvierte. Anschließend, vom 22. Februar bis 6. März 2010, standen sechs Headliner-Konzerte in Australien an, und nun schwirrten die ersten Presseberichte durchs Internet, in denen sich die nahende Katastrophe ankündigte. Im Daily Telegraph schrieb Kathy McCabe über das Konzert in Sydney: „Bei der Akustik-Bearbeitung alter Hits war leider nicht zu überhören, dass sie ganz offensichtlich Probleme mit ihrer Stimme hat. Wie schon in Brisbane klang sie angestrengt und hustete viel. Während des Gospel-Teils ihres Programms strömten schließlich reihenweise enttäuschte, traurige und wütende Fans zu den Ausgängen.“ Berichten zufolge war Houston auf der Bühne zumeist schweißüberströmt, machte viele Pausen, in denen sie backstage verschwand, und statt zu singen, ging sie vielfach dazu über, die Ansagen zwischen den Songs endlos auszudehnen und zu reden und zu reden – bis man hätte vermuten können, dass sie es richtiggehend vermied, die vertrauten Melodien anzustimmen. Ebenso ärgerlich war die neue Masche, das Publikum immer wieder dazu aufzufordern, selbst zu singen. Zusätzlich ließ sie ihre Background-Sänger oder ihren Bruder Gary große Teile des Gesangs übernehmen. Und wenn sie selbst ans Mikrofon trat, dann zeigte sich schmerzlich, dass sie längst nicht mehr die überragende Sängerin war, in die sich die Welt einst verliebt hatte. Sie klang inzwischen rau und kratzig, und die hohen Töne, für die sie einst berühmt gewesen war, erreichte sie nicht mehr. Das wurde vor allem überdeutlich, wenn sie sich an ihrem größten Hit versuchte, „I Will Always Love You“. Whitney sagte zwei der geplanten Auftritte in Australien und einen in Neuseeland ab. Die vollmundig als triumphale Comeback-Tour angekündigte Unternehmung war bereits schwer ins Trudeln gekommen, und in Europa lief es auch nicht besser. Gleich als erstes fielen weitere Konzerte in Frankreich, Großbritannien und Spanien aus, und Whitney wurde in Frankreich ins Krankenhaus eingeliefert, weil sie, wie es hieß, an
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einer Infektion der Atemwege litt. Die Presse vermutete allerdings sofort, dass sie wieder begonnen hatte, Drogen zu nehmen. Die Drogengerüchte liefen schließlich so aus dem Ruder, dass die Sängerin sich genötigt fühlte, offiziell dazu Stellung zu beziehen. Dem Magazin People erklärte sie, die Vorwürfe seien „lächerlich“. Als der Journalist sie fragte, was sie täte, wenn Klatschkolumnisten solche Dinge über sie schrieben, erklärte die Diva: „Ich reagiere einfach nicht darauf. Ich lese das nicht einmal.“ Am 13. April begann die Europa-Tournee dann verspätet mit einer Show in der LG Arena von Birmingham. Es folgten weitere Auftritte in Irland, Schottland, Frankreich, Italien, der Schweiz, Deutschland, Österreich, Belgien, Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland. Das Urteil der Presse war überwiegend niederschmetternd. Im Independent schrieb John Maegher über das Konzert in der Dubliner O2-Arena: „Zu Beginn verbringt sie mehr Zeit damit, mit dem Publikum zu plaudern, als wirklich zu singen, wobei ihre Aussagen selten über ,I love you, Dublin‘ hinausgehen. Letztlich wird es langweilig. Selbst die einigermaßen akzeptabel präsentierten Songs wie ‚My Love Is Your Love‘ werden maßgeblich von ihren Begleitsängern und dem begeisterten Mitsingen des Publikums getragen. Hin und wieder erinnern einzelne Momente an die super-talentierte junge Whitney, ein klarer, hoher Ton oder eine gänsehautträchtige Pause bei ‚I Will Always Love You‘ – aber sie sind so selten, dass sie kaum eine Rolle spielen. Stattdessen bleibt vor allem der gescheiterte Versuch in Erinnerung, Songs wie ‚I Wanna Dance With Somebody‘ und ‚How Will I Know‘ ein kleines Bisschen Magie abzuringen.“ Über ihr Konzert in der Londoner O2-Arena berichtete John Aizlewood im Evening Standard: „Wo sie früher mühelos größte Höhen erreichte, krächzt und keucht sie heute. Aus der perfekten Pop-Single ‚I Wanna Dance With Somebody (Who Loves Me)‘ wurde eine mühsame KaraokeNummer, das bewegende ‚My Love Is Your Love‘ wurde aller Emotion beraubt. Ganz schlimm erging es ‚I Will Always Love You‘, jenem Song, der wohl das ‚Over The Rainbow‘ dieser modernen Judy Garland ist, und der übel verstümmelt wurde.“
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Fiona Shepherd kommentierte im Scotsman den Auftritt im Glasgower SECC: „An ihrem Auftritt ließ sich ablesen, dass sie ihre stimmliche Ausdruckskraft, ihre Energie, ihr Gespür für sicheres Auftreten und ihren Verstand verloren hat – das war jedenfalls der Eindruck, den das ständige nervöse Lachen, das dauernd wiederholte ‚thank you‘ und die zusammenhanglosen persönlichen Bemerkungen vermittelten. Ihre Band war darauf eingestellt, die Auszeiten zu überbrücken, die sie sich nahm, um sich den Schweiß abzuwischen, neues Make-up aufzulegen, die Anwesenden mit einem neuerlichen Juwel bizarrer Einsichten zu erfreuen und vor allem das eigentliche Singen immer wieder aufzuschieben.“ Das Konzert in Kopenhagen offenbarte ebenfalls, dass da etwas faul war im Staate Dänemark. Die Schlagzeile der Konzertkritik von MSN Entertainment lautete jedenfalls: „Whitney Houston versagt erneut: Hunderte Konzertbesucher verlassen vorzeitig die Halle“. Weiter hieß es: „Wie die Copenhagen Post berichtete, urteilten die Kritiker der großen Medien in Dänemark niederschmetternd über das Konzert, vor allem wegen des schwachen und schiefen Gesangs. Thomas Soie Hansen von der Berlingske Tidende schrieb: ‚Sie sah aus wie jemand, der nicht mehr viele Jahre zu leben hat, und klang auch so. Am Schluss der Show sah sie aus, als ob sie jeden Augenblick explodieren wollte.‘“ Die Berichte in der europäischen Presse waren niederschmetternd, und die Gerüchte über ihren Drogenkonsum machten weiter die Runde. Aus der triumphalen Rückkehr auf die Konzertbühnen wurde schließlich die letzte große Tournee, die sie überhaupt absolvierte. Immerhin spülten die Konzerte ein wenig Geld in die Kassen, aber die Kritiken waren eine Katastrophe. Whitney nahm Berichten zufolge um die 36 Millionen Dollar ein, wobei allein die abgesagten Konzerte in Australien den dortigen Promoter zwei Millionen kosteten. Aus künstlerischer Sicht war die Nothing But Love-Tournee ein völliger Reinfall. Tausende von Fans waren aus Enttäuschung über die schlechte Show vorzeitig nach Hause gegangen, und damit war auch das große Comeback gründlich gescheitert. Alle Hoffnungen, die man sich nach dem kurzlebigen Erfolg von I Look For You hatte machen können, zerschlugen diese Auftritte gründlich.
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2011 war Whitney Houston wieder in den Schlagzeilen, und erneut ging es um Kokain. Wie der National Enquirer zu berichten wusste, war die 17-jährige Bobbi Kristina dabei fotografiert worden, wie sie Kokain schnupfte. Um ihre Tochter zu schützen, stoppte Whitney angeblich auch deren Party zum 18. Geburtstag, die im The Atlantis auf den Bahamas stattfinden sollte, und ließ verlauten, dass sie ihrer Tochter den neuen Lexus, den sie ihr geschenkt hatte, wieder weggenommen hatte. Angeblich hatte Whitney Bobbi Kristina mehrere Male aufgefordert, sich in eine Entzugsklinik zu begeben. Das ganze Jahr über stritten Mutter und Tochter immer wieder über Drogen und Entzug. Gerade wollte es den Anschein machen, als ob sich Whitney Houstons Karriere komplett in eine Seifenoper der Boulevardpresse verwandelt hatte, da war dann doch wieder einmal eine gute Nachricht von ihr zu vermelden: Man hatte ihr eine Rolle in der Neuauflage des 1976 gedrehten Musikfilms Sparkle angeboten, der die Geschichte dreier Schwestern erzählt, die eine Gesangsgruppe gründen und darauf hoffen, eines Tages so groß herauszukommen wie die Supremes. Jordan Sparks, die Gewinnerin der Casting-Show American Idol, übernahm bei der neuen Fassung die Titelrolle, und Whitney war als Sparkles pragmatische Mutter Emma besetzt worden. Nach all den Problemen, die es 2010 auf Whitneys Tour gegeben hatte, wurde natürlich sehr darüber spekuliert, ob sie körperlich überhaupt in der Lage sein würde, jeden Tag zum Dreh zu erscheinen. Aber zur Erleichterung aller Beteiligten stellte sich heraus, dass Whitney, als sie in Detroit am Set erschien, der Aufgabe nicht nur gewachsen war, sondern mit ihrer mitreißenden Präsenz vor der Kamera brillierte und das ganze Team für sich einnahm. Im Film singt Whitney den Gospel-Song „Eyes On The Sparrow“ und teilt sich den Gesang bei dem von R. Kelly verfassten „Celebrate“ mit Jordan Sparks. Produzent Howard Rosenman ließ verlauten: „Es ist ein großer, großer Gospel-Song, den sie genial interpretiert.“ Über ihre Arbeit im Film sagte er: „Sie war am Set einfach großartig, die Crew fand sie wundervoll, und sie hat sich als echter Profi erwiesen.“
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Im Januar 2012 folgten wieder andere Schlagzeilen, und zwar schlechte. Wie aus verschiedenen Quellen verlautete, war Houston pleite – all das Geld, das sie im Laufe ihrer erfolgreichen Karriere angehäuft hatte, war weg. In Radar Online hieß es: „Whitneys Vermögen ist futsch. Sie wird von hochkarätigen Freunden aus der Musikindustrie unterstützt, und ihr Label zahlt ihr als Vorschuss auf das nächste Album Bargeld aus, aber niemand weiß, wann diese Platte je erscheinen wird. Ohne die Hilfe anderer wäre sie vielleicht schon obdachlos. Sie ist völlig mittellos und hat schon Leute wegen hundert Dollar angerufen. Es ist traurig.“ Trotz der schlechten Nachrichten, die ihr auf Schritt und Tritt zu folgen schienen, schmiedete Whitney Houston weiter optimistisch Pläne für die Zukunft. Sie schien der Überzeugung zu sein, sie sei unbesiegbar und habe alle Zeit der Welt. Als sie beschloss, zur Grammy-Verleihung im Februar 2012 zu kommen, schien es ihr lediglich darum zu gehen, die vielen alten Freunde zu treffen, die ebenfalls in Los Angeles sein würden, und mit ihnen viel Spaß zu haben. Als sie am 11. Februar zu ihrer Suite im Beverly Hilton Hotel hinauffuhr, freute sie sich bereits auf die Party am Abend. Egal, wie es gerade um ihre Karriere stand, Clive Davis hatte sie stets wie eine Prinzessin behandelt. Vielleicht wird nie bekannt werden, was wirklich an diesem Nachmittag in Whitney Houstons Suite geschah. Sicher ist nur, dass sie um 15:55 Uhr für tot erklärt wurde. Damit fand eine der großartigsten Karrieren der letzten hundert Jahre ein tragisches Ende. Die amerikanischen Nachrichtensender CNN und Fox begannen fast sofort mit der Berichterstattung über diesen unerwarteten Tod. Wer hatte ihren Leichnam entdeckt? Gab es Hinweise auf Fremdeinwirkung? Wo war Bobby Brown? Würde Clive Davis seine Party absagen? Was würde bei den Grammys geschehen? Wie konnte sie mit nur 48 Jahren sterben? Alle Aspekte wurden gründlich diskutiert, und im Mittelpunkt stand natürlich die große Frage: Was hatte denn nun wirklich zu ihrem Tod geführt? Whitney hatte schon so viele lebensbedrohliche Situationen überstanden, dass die Nachricht zunächst gar nicht echt zu sein schien. Selbst erfahrene Nachrichtenmoderatoren zeigten sich schockiert und überrascht. Obwohl ihre Süchte und Probleme so oft öffentlich diskutiert worden
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waren, hatte dennoch niemand wirklich damit gerechnet, dass sie so unerwartet und plötzlich sterben würde. Clive Davis feierte seine Grammy-Party wie geplant, ganz nach dem altbekannten Motto seiner Branche: The show must go on, auf welche Weise auch immer. Allerdings begann man sofort damit, die Party wie auch die Grammy-Verleihung so umzugestalten, dass im Programm Platz für eine ausführliche Widmung der so tragisch Verstorbenen sein würde. Whitney hatte wegen Clives Party im Beverly Hilton Hotel sein wollen, und das war sie auch. Während unten gefeiert wurde, befand sich ihr lebloser Körper noch immer im vierten Stock in ihrer Suite, während die Polizei gründlich das gesamte Umfeld untersuchte. Erst nach Mitternacht wurde ihre Leiche aus der Suite gebracht. Bei der Grammy-Verleihung im Staples Center am nächsten Tag ging Whitneys schockierender Tod wohl allen Beteiligten im Kopf herum. Es war, als ob ihr Schatten oder ihr Geist über der ganzen Veranstaltung schwebte. Die Show begann mit einem Gebet und einer Schweigeminute für Whitney, angekündigt von LL Cool J, der durch diesen Abend führte. Stevie Wonder, der später für eine kurze Ansage auf die Bühne kam, nutzte den Augenblick, um sich öffentlich von Whitney zu verabschieden. Nach einem sehr getragenen Teil der Show, in dem all jenen Stars gedacht wurde, die im vergangenen Jahr gestorben waren, sang Jennifer Hudson eine großartige Version von „I Will Always Love You“ als wunderbar passende Verbeugung vor Whitney Houston. Es war der bewegendste Moment der ganzen Veranstaltung. Am Tag nach der Grammy-Verleihung kamen allmählich erste Einzelheiten über Whitneys letzte Stunden ans Licht. Im Polizeibericht hieß es, sie sei „unter Wasser“ in der Badewanne gefunden worden; ein persönlicher Mitarbeiter habe sie dort um 15:25 Uhr entdeckt. Weiter hieß es: „Sie lag unter Wasser und war offenbar bewusstlos. Mrs. Houston wurde von ihren Mitarbeitern aus der Wanne gehoben, dann wurde der Sicherheitsdienst des Hotels benachrichtigt.“ Als die Feuerwehr und die Sicherheitskräfte auf den Notruf hin in die Suite eilten, war Whitney „weiterhin bewusstlos und reagierte nicht. Man
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versuchte es mit einer Herz-Lungen-Massage, konnte sie aber nicht wieder beleben. Um 15:55 Uhr wurde Whitney Houston im Alter von 48 Jahren für tot erklärt.“ Am Sonntag, jenem Tag, als die Grammy-Verleihung im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, nahm man eine Autopsie an Whitneys Leiche vor. Der zuständige Gerichtsmediziner gab sie schließlich am Montag frei, damit die Familie die Beerdigung vorbereiten konnte. Die Polizei hielt die Ergebnisse der Autopsie jedoch weiter unter Verschluss und gab keine weiteren Einzelheiten zur Todesursache bekannt. Die offizielle Mitteilung lautete: „Wie es sich bei einem Vorfall mit derartig hohem Nachrichtenwert erwarten ließ, kursieren bereits viele Gerüchte in den Medien und in der Öffentlichkeit. Um diese Spekulationen nicht weiter anzuheizen, hat die Polizei von Beverly Hills die Gerichtsmedizin gebeten, ihre Ergebnisse einstweilen nicht zu veröffentlichen, bis ein vollständiger und endgültiger Bericht vorliegt.“ TMZ.com berichtete am 13. Februar, Whitneys Familie sei von Beamten der Gerichtsmedizin davon in Kenntnis gesetzt worden, dass sie nicht ertrunken sei. Es wurde vielmehr vermutet, dass sie an einer tödlichen Dosis verschiedener verschreibungspflichtiger Medikamente, darunter das Beruhigungsmittel Xanax, und Alkohol gestorben sei. In den Lungen sei jedenfalls nicht so viel Wasser gefunden worden, dass es auf einen Tod durch Ertrinken hindeutete. Nach und nach kamen auch Berichte ans Licht, denen zufolge Whitney kurz vor ihrem Tod ausgiebig und wild gefeiert hatte. Einige Leute beschrieben das Verhalten, das sie während ihrer letzten Tage in Los Angeles an den Tag gelegt hatte, als „auffällig“. Am Donnerstag hatte sie Clive Davis bei einem Interview, das er vor laufender Kamera gab, ständig unterbrochen, und auf dem Bildmaterial wirkt sie tatsächlich betrunken. Als sie später am Abend bei einem Konzert von Kelly Price erschien, war sie verschwitzt und machte ebenfalls den Eindruck, als sei sie ein wenig weggetreten. Das britische Boulevardblatt Daily Mail berichtete später: „Am Donnerstag soll sie wild gefeiert und sich dabei mit einigen Sicherheitskräften angelegt haben. Am nächsten Abend feierte sie ausgelassen mit Freunden
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in der Hotelbar, trank und unterhielt sich laut. In ihrem Hotelzimmer wurden angeblich die Medikamente Lorazepam, Valium, Xanax sowie ein Schlafmittel gefunden. Aufgrund der Medikamente war sie vermutlich so benommen, dass sie in der Wanne einschlief, weil sich die Wirkstoffe mit dem Alkohol verbanden, den sie von den Partys der vorigen Tage noch im Körper hatte.“ Doch während die Welt über die Todesursache diskutierte – wie kamen Bobby Brown, Cissy Houston und Bobbi Kristina Brown mit dieser Tragödie zurecht? Cissy behielt am ehesten die Fassung. Sie veröffentlichte eine Presseerklärung, in der stand: „Der Verlust unserer geliebten Whitney hat uns tief getroffen. Es ist eine unfassbare Tragödie, und wir vermissen sie schrecklich.“ Berichten zufolge nahm Bobby Brown die Nachricht sehr schwer. Als er davon erfuhr, befand er sich in Mississippi auf einer Reunion-Tournee seiner alten Band New Edition. Zwar schaffte er es an jenem Abend zum Konzert auf die Bühne, brach allerdings während des Auftritts vor den Augen der mitfühlenden Fans zusammen. Einmal deutete er zum Himmel hinauf und erklärte: „Ich liebe dich, Whitney!“ Am schwersten zu verkraften war Whitneys Tod erwartungsgemäß für ihre 18-jährige Tochter Bobbi Kristina. Am Tag ihres Todes gab es einen Zusammenstoß mit der Polizei, als Bobbi versuchte, in die Suite ihrer Mutter zu gelangen. Da das Zimmer auf mögliche Spuren untersucht wurde und die Polizei von Beverly Hills sich noch nicht ganz sicher war, ob sie ein Verbrechen ausschließen konnte, wurde niemandem Zutritt zu den Räumlichkeiten gestattet. Bobbi Kristina wurde an diesem Abend ins Cedar Sinai Hospital gebracht, da sie einen Schock erlitten hatte, möglicherweise auch eine Panikattacke. Sie wurde wieder entlassen, am Sonntag jedoch mit den gleichen Symptomen erneut ins Krankenhaus eingeliefert. TMZ.com zufolge war Bobbi Kristina „hysterisch, erschöpft und untröstlich“. Das Portal berichtete zudem, die Familie befürchte, das Mädchen sei selbstmordgefährdet und wolle sich darum bemühen, dass sie professionelle Hilfe bekomme. Im Cedar Sinai wurde sie zunächst einmal stabilisiert und dann wieder entlassen.
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Aus Sorge um seine Tochter unterbrach Bobby Brown am Montag seine Tournee und flog zu Bobbi nach Los Angeles. Er sagte später gegenüber Extra: „Der Tod ihrer Mutter hat sie natürlich sehr mitgenommen. Aber wir werden diese Tragödie als Familie überstehen. Ich möchte noch einmal darum bitten, dass man unsere Privatsphäre gerade in dieser Zeit respektiert.“ Am Montag, den 13. Februar 2012, wurde Whitneys Leiche mit einem Privatflugzeug zur Beerdigung in ihren Heimatstaat New Jersey gebracht. Presseberichten zufolge übernahm das Bestattungsunternehmen Whigham Funeral Home in Newark alles Weitere. Die Bestatter hatten sich 2003 auch schon um die Beisetzung von Whitneys Vater John Houston gekümmert. In den Tagen nach Whitneys Tod äußerten viele Kollegen und Weggefährten ihr Beileid und ihre Erschütterung und teilten ihre Gedanken und Gebete unter anderem auf ihren Webseiten und auf Twitter mit. Barry Manilow: „Wir haben mehr als 20 wunderbare Jahre gemeinsam bei Arista Records mit unserem Freund und Mentor Clive Davis verbracht. Mein Beileid gilt ihrer Familie, aber auch Clive und allen Menschen, die diese unglaublich talentierte und wunderschöne Künstlerin gekannt haben. Ich werde sie immer lieben.“ Aretha Franklin: „Ich kann jetzt einfach noch nicht darüber sprechen. Es ist so furchtbar und unglaublich. Meine Gedanken gelten Cissy, ihrer Tochter Bobbi Kristina, ihrer Familie und Bobby.“ Usher: „Ruhe in Frieden, Whitney Houston. Sie war eine wahre Ikone unserer Zeit. Sie ging viel zu früh. Ich wünsche ihrer Familie in dieser schweren Zeit alles Gute.“ Queen Latifah: „Oh lieber Gott! Das tut so weh!!! Meine Schwester Whitney!!!!!! Newark, bitte betet!!! Ihr da auf der ganzen Welt, bitte betet!“ Tony Bennett: „Es ist eine Tragödie. Whitney Houston war die größte Sängerin, die ich je gehört habe, und sie wird uns sehr fehlen.“ Oprah Winfrey: „Für mich war Whitney DIE Stimme schlechthin. Wenn sie sang, hörten wir ein Stück von Gott. Das Herz ist schwer, der Geist aber dankbar dafür, dass sie uns geschenkt wurde.“
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Dolly Parton: „Ich bin auf ewig voller Dankbarkeit und Ehrfurcht, was die wundervolle Interpretation meines Songs angeht, und ich kann aus vollem Herzen sagen: ‚Whitney, I will always love you.‘ Du wirst uns fehlen.“ Tony Braxton: „Mein Herz weint. Die legendäre Diva und Ikone Whitney Houston!!!!! So ein unglaublicher Einfluss auf die gesamte Musik!“ Celine Dion: „Als ich meine Karriere begann, wollte ich so sein wie sie. Ich fand sie so großartig. Meine Gebete gelten ihrer Tochter und ihrer ganzen Familie.“ Smokey Robinson: „Ich kannte Whitney von klein auf, und ich habe sie immer geliebt. Sie war für mich wie ein Familienmitglied und ich werde sie sehr vermissen.“ Die Kondolenzliste war endlos. Whitney und ihre Musik hatten Zeit ihres Lebens so viele Menschen berührt und inspiriert, und sie hinterließ ein unglaubliches Gesamtwerk. Wie aber sieht das Vermächtnis Whitney Houstons tatsächlich aus? Dank ihrer Filme Bodyguard, Waiting To Exhale – Warten auf Mr. Right und Rendezvous mit einem Engel, vor allem aber dank phantastischer Aufnahmen wie „I Wanna Dance With Somebody (Who Loves Me)“, „How Will I Know“ und „I Will Always Love You“ ist sie mit ihrer Stimme und ihrem Image ein Teil der Popkultur geworden, der sich nicht mehr wegdenken lässt. Ihre Filme und Schallplatten haben ihrem großartigen Talent auf der Höhe seiner Schaffenskraft ein Denkmal gesetzt. Sie sind auf ewig auf DVD und CD festgehalten, und wir können sie immer wieder aufs Neue genießen. Es ist seltsam, wie die Zeit die Erinnerung der Menschen an ihre Idole verändert. Wenn wir heute an Elvis Presley denken, dann sehen wir ihn in erster Linie als den jungen, aufregenden Rock’n’Roll-Sänger der späten Fünfziger. Wenn wir an Marilyn Monroe denken, dann an die schöne Frau, die in ihrem weißen Kleid über dem U-Bahn-Schacht steht. Wenn wir an Billie Holiday denken, dann haben wir sie vor Augen, wie sie mit einer Gardenie im Haar in einem verrauchten Nachtclub singt. Und bei Michael Jackson werden wir immer als erstes an das „Billie Jean“-Video denken.
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Nun stellt sich die Frage, wie wir uns an Whitney Houston erinnern werden. Sicherlich wird der strahlende Star aus Bodyguard ins kollektive Gedächtnis eingehen, der gefühlvolle Gesang von „I Will Always Love You“ oder auch die frische, unverbrauchte Sängerin aus dem Video von „You Give Good Love“, in die wir uns zum ersten Mal verliebten. Die Musik, die sie aufnahm, die Filmrollen, die sie zum Leben erweckte, die Faszination, die sie auf der Höhe ihres Ruhms auf uns ausübte, sie werden erhalten bleiben. Eine wie Whitney kann es nur einmal geben.
INTERVIEWS Mark Bego verwendete eigene Beobachtungen und führte persönlich Interviews mit Francis Grill, Bashiri Johnson, Charles Moniz, Kenneth Reynolds, Barbara Shelley, Andrew Skurow und Marsha Stern. VERWENDETE PUBLIKATIONEN UND WEBSEITEN Access Hollywood, Associated Press, Billboard, Black Voices, Cash Box, The Chicago Tribune, Cosmopolitan, Ebony, Fresh!, Globe, The Hollywood Reporter, www.IMDB.com, Jet, Los Angeles Times, Luce Press Clippings, National Enquirer, Newark Star Ledger, New Jersey Monthly, New York Daily News, New York Post, New York Times, People, Post Chronicle, Rolling Stone, Salt Lake City Desert News (Utah), Song Hits, Star, Time, US, USA Today, Vogue, Village Voice, Washington Post BÜCHER Kevin Ammons und Nancy Bacon – Good Girl, Bad Girl (Birch Lane Press, New York 1996) Mark Bego – Whitney! (PaperJacks Books, New York und Toronto 1986) Jeffrey Bowman – Diva: The Totally Unauthorized Biography Of Whitney Houston (Harper Mass Market Paperbacks, New York 1995) Derry Handspike – Bobby Brown: The Truth, The Whole Truth And Nothing But … (Down South Books, Atlanta 2008) Leonard Maltin’s 1998 Movie & Video Guide (Signet Books, New York 1997) Dafydd Rees und Luke Crampton – Rock Stars Encyclopedia (DK Publishing, New York 1996/1999)
ALBEN Platzierungen in den USA, Großbritannien (GB), Australien (AUS), Deutschland (D), Österreich (A), Schweiz (CH) Umsatz = Verkaufte Tonträger weltweit TITEL
USA GB AUS D
A
CH Umsatz
Whitney Houston (1985)
1
2
1
1
9
1
22 Mio.
Whitney (1987)
1
1
1
1
1
1
19 Mio.
I’m Your Baby Tonight (1990)
3
4
10
3
2
3
10 Mio.
The Bodyguard (Soundtrack, 1992)
1
1
1
1
1
1
34 Mio.
Waiting To Exhale (Soundtrack, 1995)
1
8
9
--
--
--
10 Mio.
The Preacher’s Wife (Soundtrack, 1996)
3
35
34
5
8
16
5 Mio.
My Love Is Your Love (1998)
13
4
42
2
1
7
10 Mio.
Whitney Houston:The Greatest Hits (2000)
5
1
8
2
3
4
8 Mio.
Love, Whitney (2001)
--
22
--
2
1
7
1 Mio.
Just Whitney (2002)
9
76
16
-- 42
12
3 Mio.
One Wish: The Holiday Album (2003)
49
--
--
--
--
0,5 Mio.
--
248/267 The Ultimate Collection (2007)
--
I Look To You (2009)
1
The Essential Whitney Houston (2011)
--
3
--
31
-- 38
10
0,5 Mio
16
1
2
3
--
--
--
--
--
--
WHITNEY HOUSTON AUF DEN ALBEN ANDERER KÜNSTLER: Material – One Down (1982) – „Memories“ Paul Jabara – Paul Jabara & Friends (1983) – „Eternal Love“ Teddy Pendergrass – Love Language (1984) – „Hold Me“, Duett mit Teddy Pendergrass Jermaine Jackson – dito (1984) – „Take Good Care Of My Heart“, Duett mit Jermaine Jackson Various Artists – Perfect (Soundtrack, 1985) – „Shock Me“, Duett mit Jermaine Jackson Jermaine Jackson – Precious Moments (1986) – „If You Say My Eyes Are Beautiful“, Duett mit Jermaine Jackson Various Artists – One Moment in Time (1988) – „One Moment In Time“ SINGLES Höchstplatzierungen in USA, Großbritannien (GB), Deutschland (D) [#] = Anzahl der Wochen auf Platz 1 USA
GB
D
„Hold Me“ (Duett mit Teddy Pendergrass)
46
45
--
„You Give Good Love“
3
--
--
„Saving All My Love For You“
1[1]
1[2]
18
„How Will I Know“
1[2]
5
26
„Greatest Love of All“
1[3]
8
22
„I Wanna Dance With Somebody“
1[2]
1[2]
1
Titel
249/267 „Didn’t We Almost Have It All“
1[2]
14
20
„So Emotional“
1[1]
5
--
„Where Do Broken Hearts Go“
1[2]
14
--
„Love Will Save The Day“
9
10
37
„I Know Him So Well“ (Duett mit Cissy Houston)
--
--
46
„One Moment In Time“
5
1[2]
1
„It Isn’t It Wasn’t, It Ain’t Never Gonna Be“ (Duett mit Aretha Franklin)
41
29
--
„I’m Your Baby Tonight“
1[1]
5
5
„All The Man That I Need“
1[2]
13
37
„The Star Spangled Banner“
20
--
--
9
--
--
20
29
52
„Miracle“ „My Name Is Not Susan“ „I Will Always Love You“
1[14] 1[10]
1
„I’m Every Woman“
4
4
13
„I Have Nothing“
4
3
39
„Run To You“
31
15
--
„Queen Of The Night“
--
14
--
„Something In Common“ (Duett mit Bobby Brown)
--
16
--
250/267 „Exhale (Shoop Shoop)“
1[1]
11
26
„Count On Me“
8
12
75
„Why Does It Hurt So Bad“
26
--
--
„I Believe In You And Me“
4
16
--
„Step By Step“
15
13
8
„My Heart Is Calling“
77
--
--
„When You Believe“ (Duett mit Mariah Carey)
15
4
8
„Heartbreak Hotel“ (mit Kelly Price und Faith Evans)
2
25
61
„It’s Not Right But It’s Okay“
4
3
14
„My Love Is Your Love“
4
2
2
„I Learned From The Best“
27
--
48
„Same Script, Different Cast“ (Duett mit Deborah Cox)
70
--
--
„Could I Have This Kiss Forever“ (with Enrique Iglesias)
52
--
5
„The Star Spangled Banner“ (Wiederveröffentlichung)
6
--
--
„Whatchulookinat“
96
13
47
„One Of Those Days“
72
--
--
„Try It On My Own“
84
--
--
„I Look To You“
70
85
41
251/267 „Million Dollar Bill“
100
5
41
Whitney erhielt in ihrer Karriere beeindruckend viele Auszeichnungen, darunter sechs Grammys, eine Rekordzahl von 21 American Music Awards, 15 Billboard Music Awards und zwei Emmys. Hier die vollständige Liste: 1985 Billboard Music Awards: • Beste neue Pop-Sängerin • Beste neue schwarze Sängerin 1986 Grammy: • Bester Pop-Song einer Sängerin – „Saving All My Love for You“ American Music Awards: • Beliebteste Soul/R&B Single – „You Give Good Love“ • Beliebtestes Soul/R&B Video – „Saving All My Love For You“ Billboard Music Awards: • Bestes schwarzes Album – Whitney Houston • Bestes Pop-Album – Whitney Houston • Bester schwarzer Album-Künstler • Bester Pop-Album-Künstler • Beste Pop-Album-Sängerin • Bester Album- und Single-Künstler Rolling Stone Music Award: • Bestes Album des Jahres: Whitney Houston MTV Music Video Award: • Bestes Video einer Sängerin – „How Will I Know“ Emmy: • Überragendster Soloauftritt in einem Showprogramm
253/267 1987 American Music Awards: • Beliebteste Pop/Rock-Sängerin • Beliebteste Pop/Rock-LP einer Solokünstlerin – Whitney Houston • Beliebteste Soul/R&B-LP einer Solokünstlerin – Whitney Houston • Beliebteste Soul/R&B-Sängerin • Beliebtestes Soul/R&B-Video einer Sängerin Billboard Music Award: • Beste Album-Künstlerin People’s Choice Award: • Beliebteste Musikerin/Sängerin 1988 Grammy: • Bester Pop-Song einer Sängerin – „I Wanna Dance With Somebody (Who Loves Me)“ Billboard Music Award: • Beste Pop-Singles-Künstlerin American Music Awards: • Beliebteste Soul/R&B-Sängerin Soul Train Music Award: • Bestes Album einer Solokünstlerin – Whitney Emmy: • Überragendster Soloauftritt in einem Showprogramm People’s Choice Award: • Beliebteste Unterhaltungskünstlerin im Bereich Musik 1989 People’s Choice Award: • Beliebteste Unterhaltungskünstlerin im Bereich Musik American Music Awards: • Beliebteste Pop/Rock-Sängerin • Beliebteste Soul/R&B-Sängerin 1990
254/267 Essence Magazine: • 1990 Essence Award für darstellende Künste 1991 Billboard Music Awards: • Bestes R&B Album – I‘m Your Baby Tonight • Bester R&B-Album-Künstler • Bester R&B-Singles-Künstler • Beste Pop-Album-Sängerin • Bester R&B-Album- und Single-Künstler The American Cinema Künstler des Jahres Award • Whitney Houston für Bodyguard 1993 Billboard Music Awards: • Bestverkaufte Top Hot 100 Single – „I Will Always Love You“ • Beste Pop-Single – „I Will Always Love You“ • Bestverkaufte R&B-Single“ – „I Will Always Love You“ • Beste R&B-Single – „I Will Always Love You“ • Bester Pop-Singles-Künstler • Beste Pop-Singles-Sängerin • Bestes Pop-Album – The Bodyguard Soundtrack • Bestes R&B-Album – The Bodyguard Soundtrack • Bester R&B-Singles-Künstler World Music Awards: • Song des Jahres 1993 – „I Will Always Love You“ • Album des Jahres 1993 – The Bodyguard Soundtrack • Entertainer des Jahres 1993 MTV Movie Award: • Bester Song – „I Will Always Love You“ People’s Choice Award: • Beliebteste Solokünstlerin • Beliebtestes Musikvideo – „I Will Always Love You“ Soul Train Music Award:
255/267 • Beste R&B-Single einer Sängerin – „I Will Always Love You“ 1994 Grammy Awards: • Single des Jahres – „I Will Always Love You“ aus dem Soundtrack The Bodyguard • Album des Jahres – Soundtrack The Bodyguard • Beste Pop-Aufnahme einer Sängerin – „I Will Always Love You“ American Music Awards: • Beliebteste Pop/Rock-Künstlerin • Beliebteste Pop/Rock-Single einer Solokünstlerin – „I Will Always Love You“ • Beliebteste Soul/R&B-Künstlerin • Beliebteste Soul/R&B-Single einer Solokünstlerin – „I Will Always Love You“ • Beliebtestes Pop/Rock-Album einer Solokünstlerin – The Bodyguard Soundtrack • Beliebtestes R&B/Soul-Album einer Solokünstlerin – The Bodyguard Soundtrack • Beliebtestes Adult Contemporary Album – The Bodyguard Soundtrack • Ehrenpreis „American Music Award Of Merit“ Soul Train Music Award: • R&B-Song des Jahres – „I Will Always Love You“ • Sammy Davis Jr. Award als „Entertainerin des Jahres“ für außergewöhnliche Leistungen in der Unterhaltungsbranche 1993 Brit Award: • Bester Soundrack – The Bodyguard Juno Music Award: • Bestverkauftes Album in Kanada – The Bodyguard 1995 Soul Train Award: • Hall Of Fame VH1 Honors • für ihr Engagement für Wohltätigkeitsorganisationen 1996 NAACP Image Award: • Herausragende Solokünstlerin mit „Exhale (Shoop Shoop)“
256/267 Soul Train Award: • Beste R&B/Soul Single einer Solokünstlerin: „Exhale (Shoop Shoop)“ Nickelodeon Kid’s Choice Award: • Hall Of Fame Black Entertainment Television (BET) Award: • Walk Of Fame 1997 American Music Awards: • Beliebteste Künstlerin im Bereich Adult Contemporary • Beliebtester Soundtrack – Waiting to Exhale NAACP Image Awards: • Herausragende Schauspielerin für ihre Rolle in Rendezvous mit einem Engel • Herausragende Gospelsängerin – Soundtrack The Preacher’s Wife • Herausragendes Album – Soundtrack The Preacher’s Wife Blockbuster Entertainment Award: • Beste Pop-Sängerin Essence Award (vergeben von der Zeitschrift Essence): • 1998 Essence Award People’s Choice Award: • Beliebteste Solokünstlerin Trumpet Pinnacle Award: • „für die Inspiration, die sie anderen in ihrem Beruf und ihrer Karriere ist“ Soul Train Award: • „Quincy Jones Award“ für eine außergewöhnliche Karriere in der Unterhaltungsbranche Dove Award: • Beste Gospelaufnahme im traditionellen Stil – „I Go To the Rock“ 1999 NAACP Image Award: • Herausragendes Duett/Gruppenaufnahme – „When You Believe“ von Whitney Houston und Mariah Carey MTV Europe Music Award 1999: • Beste R&B-Darbietung
257/267 Bambi, deutscher Medienpreis: • Beste internationale Künstlerin 2000 NAACP Image Award: • Beste Gesangsaufnahme einer Künstlerin – „Heartbreak Hotel“ Grammy Award: • Beste R&B-Aufnahme einer Sängerin – „It’s Not Right But It’s Okay“ Soul Train Award: • Whitney Houston: Künstlerin des Jahrzehnts 2001 BET Award: • Whitney Houston: Auszeichnung für ihr Lebenswerk
Für ihre Hilfe und Unterstützung bei der Arbeit an diesem Buch bedankt sich der Autor bei Kirsten Borchardt, Jerry George, Mike Glenn, Frances Grill, Isiah James, Bashiri Johnson, John Klinger, Monika Koch, Nick Mayer, Walter McBride, Scott Mendel, Charles Moniz, Ruth Mueller, David Perel, Kenneth Reynolds, David Salidor, Barbara Shelley, Andrew Skurow, Marsha Stern, Derek Storm, Val Virga, George Vissichelli und Beth Wernick.
MARK BEGO schrieb mehr als fünfzig Bücher über Rockmusik und das Showgeschäft und wurde von Publisher’s Weekly als „Bestseller unter den Pop-Biografen“ gefeiert. In der Presse nannte man ihn den „Prinz der Popmusik-Biografien“. Seine Bücher gelangten auf die Bestsellerlisten von New York Times und Los Angeles Times, und seine Erfolgsbiografie Dancing In The Street: Confessions Of A Motown Diva, die er gemeinsam mit der MotownLegende Martha Reeves von Martha & The Vandellas schrieb, erreichte die Bestsellerliste der Chicago Tribune. Seine Michael-Jackson-Biografie Michael! erschien 1984 in der Woche, als Jackson sich bei den Dreharbeiten zu einem Pepsi-Werbespot das Haar verbrannte. Allein in den USA verkaufte sich das Buch drei Millionen Mal, es blieb sechs Wochen in der Bestsellerliste der New York Times und wurde in sechs Sprachen übersetzt. Es war so erfolgreich, dass Bego anschließend drei Monate bei der „Victory“-Tournee der Jacksons mitreisen durfte, um den Millionenseller On The Road With Michael zu verfassen. Im Jahr darauf folgte das millionenfach verkaufte Buch Madonna!, das inzwischen zweimal – 1992 und 2001 – unter dem Titel Madonna: Blonde Ambition neu aufgelegt wurde. Auf deutsch erschien es unter dem Titel Madonna – Who’s That Girl im Hannibal Verlag. Von 1978 bis 1980 berichtete er für das Magazin Cue über das New Yorker Nachtleben. Von 1983 bis 1985 war er Chefredakteur des Magazins Modern Screen. Seine Artikel erschienen zudem in Publikationen wie People, US, Billboard, Record World, Cosmopolitan, The Star und The National Enquirer. Er schrieb Bücher mit Micky Dolenz von den Monkeys (I’m A Believer), Debbie Gibson (Between The Lines) und Jimmy Greenspoon von der Band Three Dog Night (One Is The Loneliest Number), und in seinen Biografien widmete er sich Stars wie Elvis Presley, Bonnie Raitt, Julia Roberts, Whitney Houston, Joni Mitchell, Billy Joel, Jackson Browne, Cher und Bette Midler. Neben zahlreichen Werken über die amerikanische Country-Szene verfasste er auch Nachschlagewerke wie TV Rock und The Rock & Roll Almanac sowie mit The Best of „Modern Screen“ und Rock Hudson: Public and Private einige Werke über die Filmbranche.
260/267 Mit Lamar Fike von der „Memphis Mafia“ schrieb er An Uncommon Journey: On Elvis Presley Boulevard, und er war Co-Autor eines Drehbuchs, das auf dem Buch ’57 to ’60: One Of The Boys basierte. Als der Kinoerfolg Titanic gerade in aller Munde war, veröffentlichte Bego die Biografie des großen Stars in diesem Film – Leonardo DiCaprio: Romantic Hero –, die sechs Wochen lang in der Bestsellerliste der New York Times geführt wurde. Oft tritt er im Fernsehen als Showbiz-Experte auf und kommentiert die aktuellen Entwicklungen in Sendungen wie Entertainment Tonight, Biography oder True Hollywood Story. 2008 veröffentlichte er die Popkulturstudie Macho Man, die er gemeinsam mit Randy Jones von den Village People geschrieben hatte, und mit Paperback Writer hat er inzwischen auch seine eigenen Memoiren zu Papier gebracht. 2009 erschienen im Hannibal Verlag Begos erfolgreiches zweiundfünfzigstes Buch – Elton John: Die Story sowie eine überarbeitete und ergänzte Ausgabe von Tina Turner: Die Biografie. Mehr über ihn verrät seine Webseite www.MarkBego.com. Seine Mail-Adresse lautet
[email protected]
Uwe Anton Wer fürchtet sich vor Stephen King? Broschur, 304 Seiten ISBN 978-3-85445-318-5 Dieses Buch ist auch ein kompetenter Werkführer, der den Zugang zu den bedeutendsten Romanen und Kurzgeschichten des Autors eröffnet. Im Wechsel mit biografischen Kapiteln gibt der Autor kurze Inhaltsanrisse, die Lust auf die Lektüre machen. Bei den biografischen Kapiteln wird besonderer Wert auf Anekdoten und gut recherchierte Hintergrundfakten gelegt. »Meine Bücher sind das literarische Äquivalent eines Big Mac mit einer großen Portion Pommes«, hat Stephen King einmal selbstironisch über sein Werk gesagt. Stephen King zählt zu den bekanntesten und meistverkauften Autoren der Welt: Weit über 50 Bücher hat er veröffentlicht, fast 40 abendfüllende Spielfilme entstanden nach seinen Romanen oder Drehbüchern. Aber wer verbirgt sich eigentlich hinter diesem literarischen Phänomen? Woher kommt Stephen King, wie hat er diesen unglaublichen Erfolg erreichen können
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Hanspeter Künzler Der Thriller um Michael Jackson Familie, Fans und Verfolgungsjagden Broschur, 256 Seiten ISBN 978-3-85445-321-5 Am 25. Juni 2009 ging eine Nachricht um die Welt, die überall Fassungslosigkeit und Trauer hervorrief: Michael Jackson, der King of Pop, ist tot! Nur wenige Tage vor dem Start einer Konzertserie in London, für die bereits 750.000 Karten für insgesamt 50 Konzerte verkauft waren. Eine Erfolgsgeschichte voller Superlative ging ebenso unerwartet wie tragisch zu Ende. Die Fans trauerten weltweit. Aber die Zeit nach seinem plötzlichen Tod wurde überschattet von Mordanschuldigungen und vielen anderen Skandalthemen. Ein echter »Thriller« für Fans und Medien weltweit.
Ian Christe Höllen-Lärm Die komplette, schonungslose, einzigartige Geschichte des Heavy Metal Hardcover, 420 Seiten ISBN 978-3-85445-241-6 Ian Christe führte mehr als einhundert Interviews mit den Musikern von Black Sabbath, Metallica, Judas Priest, Twisted Sister, Slipknot, Kiss, Megadeth und all den anderen Major Players der Szene. Daraus entstand ein Werk, dessen Ausführlichkeit und Szenekenntnis kaum zu übertreffen sein dürfte. Selbst unübersehbar Fan des Höllenlärms, über den er schreibt, liefert Ian
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Christe dennoch die objektive Analyse einer Musikszene, die von den Medien ebenso wie von der etablierten Musikkritik nach wie vor gern ignoriert wird.
R.U. Sirius Stoned! Rockstars auf Drogen Broschur, 272 Seiten ISBN 978-3-85445-308-6 Drogen und Musik, Musik und Drogen – eine enge Verwandtschaft, die von den Anfängen des Jazz bis heute reicht. Wilde Spekulationen, haarsträubende Geschichten von Exzessen, Abstürzen, kreativen Höchstleistungen und moralischem Verfall standen schon immer im Interesse der Öffentlichkeit. Marihuana, LSD, Heroin, Crack, Ecstasy, Speed, Alkohol ... das sind die Stoffe, aus denen die Träume und Albträume der Musikszene gewebt sind. R. U. Sirius beschäftigt sich schon seit Jahren mit den vielfältigen Aspekten der Popkultur. Er bietet sorgsam recherchierte Fakten in einem flüssigen Schreibstil und erzählt humorvolle Anekdoten ohne dabei eine wohl dosierte Ernsthaftigkeit vermissen zu lassen. Neben einzelnen Kapiteln zu u.a. den Beatles, Rockstars und LSD, Rockstars gegen Drogen oder Rockstars auf Kokain präsentiert Sirius seine berühmtberüchtigten Rankings.
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50 Cent 50 Cent Dealer, Rapper, Millionär. Die Autobiografie Hardcover, 264 Seiten ISBN 978-3-85445-266-9 50 Cent ist als Rapper weltweit ein Idol. Als Buchautor zeigt er bemerkenswerte Talente: Denn er sprengt den üblichen Rahmen der Musikerautobiographie, weil er authentische Einblicke in eine amerikanische Realität liefert – in die HipHop-Kultur und ihre Verwurzelung auf den Straßen der Ghettos. In der Regel bekommt das Publikum von dieser Realität per MTV nur ein Zerrbild vermittelt.
Charles R. Cross Kurt Cobain intim Hardcover, 160 Seiten mit Audio-CD, zahlreiche interaktive Memorabilia durchgehend farbig bebildert ISBN 978-3-85445-293-5 Die erste autorisierte und illustrierte Biografie von Kurt Cobain ist eine wahre Schatztruhe, randvoll mit bislang unveröffentlichten Dokumenten, privaten Fotografien und Erinnerungen. 15 interaktive Memorabilien wie zB: Noch nie zuvor gezeigte Artefakte und Bilder aus dem Privatarchiv der Familie; handschriftliche Notizen und Zeichnungen von Kurt Cobain; Faksimiles längst vergessener Zeitschriftenseiten; randvoll mit bislang unveröffentlichten Dokumenten; großformatige Abbildungen
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seiner vielen mit Graffiti verzierten Gitarren; Audio-CD mit bisher unveröffentlichtem Spoken-Word-Material und Gesprächen mit Kurt Cobain
Dave Thompson Schattenwelt. Helden und Legenden des Gothic Rock Broschur, 424 Seiten mit zahlreichen Fotos ISBN 978-3-85445-236-2 Die romantische Todessehnsucht des Gothic wurde von der Rockpresse gern belächelt, und der Humor hinter den Vampiroutfits gern übersehen. Dieses Buch räumt mit den Vorurteilen gegenüber diesem Genre auf: Statt um Satanisten, Friedhöfe und endlose Traurigkeit geht es Dave Thompson um die musikalischen Wurzeln, von Bertolt Brecht und Leonard Cohen bis Iggy Pop, um lustige Horrorfilme und wahrlich schwarzen Humor – und um den Einfluss eines Sounds, dem die Musikszene nicht nur Marilyn Manson, sondern letztlich auch Guns N Roses verdankt. Thompson zapfte die wichtigsten schwarzen Quellen an und holte sich die Informationen aus erster Hand von Bauhaus, The Cure, The Mission oder New Order. Schattenwelt bildet eine wichtige Grundlage zum Verständnis der großen deutschen Gothic-Szene, die sich noch heute auf den Sound und das Image der Düsterrocker aus England beruft.
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Marilyn Manson/Neil Strauss Marilyn Manson – The Long Hard Road Out Of Hell Hardcove, 364 Seiten mit 16 Seiten Farbfotos ISBN 978-3-85445-182-2 Marilyn Manson erzählt seine Metamorphose vom gottesfürchtigen Schuljungen zu einem der meistgefürchteten und umstrittensten Idole der Popwelt. Ein Großvater, der Frauenkleidung trägt; ein Nachbar, der in sexuellen Mißbrauch verstrickt ist; ein Gesundbeter, der seinen Klienten eine Gehirnwäsche verpaßt; ein Lehrer, der in Rocksongs nach satanischen Botschaften sucht – das sind nur einige der vielen merkwürdigen Charaktere, die Mansons bizarre Kindheit prägten. Sein Lebensweg ist eine wilde Reise, die aus dem Backstage-Raum in die Gefängniszelle, aus dem Tonstudio zur Notaufnahme und aus den Abgründen der Verzweiflung an die Spitze der Hitparaden führt. Mansons Autobiographie ist ein Kultbuch allererster Güte, liebevoll ausgestattet mit vielen bislang unveröffentlichten Fotos, Illustrationen und philosophischen Lesefrüchten.
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