M. Frede /G. Patzig Aristoteles ,Metaphysik Z' Zweiter Band
MICHAEL FREDE / GUNTHER PATZIG
ARISTOTELES ,METAPtIYSIK Z' TEXT, DBERSETZUNG UNO KOMMENTAR
ZWEITER BAND
Kommentar
VERLAG C. H. BECK MUNCHEN
CIP-Kurztitel.ufnahme det Deutschen Bibliothek
Frede, Michael: Aristoteles "Met.physik Z" : Text, abers. u. Kommentar I Michael Frede ; Gunther P.tzig. Miinehen : Beck lSB
J 406 J 1918 1
NE: P.uig, Gunther:; Anstoteles: Mer.physik Z Bd. 1 . Kommenrar. - 1988.
ISB
©
3 406 319 I 8 I (fur Bde. IfII)
c. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), Munchen 1988 Gesamtherstellung: Passavia Passau Printed in Germany
INHALT DER BEIDEN BANDE Band I EINLEITUNG
7
Vorbemerkungen .
I. II. III.
Zum griechischen Text
Zur Obersetzung ZH als Text: Die Abhandlung )) Oher die ousia und das Seiende" IV. ZH irn Kontext det "Metaphysik" . V. Der Gedankengang von Z . . . . . VI. Die Theorie von Metaphysik Z . . VII. Eine kurze Wiirdigung def Theorie .
I,
9
18 21
VIII. Sind Formen allgemein adee individuell? TEXT UND UBERSETZUNG . . . . . . . . . . . . .
59 Band II
KOMMENTAR
.
Erstes Kapitei .
7
Zweiccs Kapitel .
9 26
Drittes Kapitel
jj
Vicrtes Kapitel .
Fiinftes Kapitel . Sechstes Kapitel Siebentes Kapitel Achtes Kapitel . Neuntes Kapitel Zehntes Kapitel . Elftes Kapitel .. Zw61ftes Kapitel Dreizehntes Kapitel
57
76 87 104 12 9 149
166 199 221
241
Vierzehntes Kapitel .
264
Fiinfzehntes Kapitei
280
Sechzehntes Kapitel
297 ,07
Siebzehntes Kapitel . AN HANG .
Literaturverzeichnis
Stellenvetzeichnis . Namenverzeichnis . Sachverzeichnis . . Verzekhnis dec sprachlichen Beobachtungen
32 5 J27 jjI
340
J43 34 6
KOMMENTAR
•
ERSTES KAPITEL
1m ersten Kapitel erklart Aristoteles, warum er. sich einer Untersuchung iiber die ousia zuwendet. Es ist die Aufgabe der Philosophen, ganz allgemein das, was ist, zu verstehen und zu erklaren. Dies aber setzt voraus, daB man zuerst einmal das versteht, was vor aHem anderen seiend
ist, namlich die ousia. Diese ist das primar Seiende, weil alles andere nur insofern seiend ist, als es eine ousia giht, an welcher es sich als etwas Seiendes findet. Diese Behauptung iiber den Vorrang der ousia (1028'29- 31) stiitzt Aristoteles auf zwei Oberlegungen, von denen freilich die zweite die erste voraussetzt: (i) Wenn man von Seiendem spricht, dann spricht man entweder yom "Was es ist H einer Sache oder einer Qualitat oder einer Quantitat usE. Unter diesen aber ist offenkundig das "Was es ist" einer Sache fundamental, wei! alles andere nur seiend ist, insofern es ein in der Weise des "Was
es ist" Seiendes gibt, an dem es als Qualitat oder Quantitat usf. auftritt. DaB abet das H Was es ist" einer Sache diesen Vorrang hat, kann natiirlich
nur darin begriindet sein, daB es die ousia ist (1028'10-20). (ii) Nur dieser Vorrang der ousia macht auch verstandlich, daB jemand die folgende Schwierigkeit haben konnte: Handelt es sich denn bei so etwas wie beim Gehen oder Gesundsein oder Sitzen iiberhaupt urn etwas Seiendes, oder ist es nicht vielmehr so, daB allen falls das Gehende, das Gesunde und das Sitzende Anspruch darauf erheben konnten, Seiendes zu sein? Dieser Eindruck kann aber nur entstehen, weil es 1m letzteren FaIle etwas Bestimmtes, namlich eine bestimmte Qllsia, gibt, die das ist, was geht, gesund ist oder sitzt. Nur deshalb konnte man den Eindruck haben, daB nicht das Gehen, sondern allenfalls das Gehende etwas Seiendes ist (1028'20- 29). Aber die ousia ist nicht nur in dem Sinne das primar Seiende, dafl aUes andere nur seiend ist, insofern es cine ousia gibt, an der es sich findet. Vielmehr hat die ousia in jeder Hinsicht Prioritat: der Formel, der Erkenntnis und der Zeit nach (1028'3 I- b2). So stellt sich hera us, daB die alte Frage "Was ist eigentlich das Seiende?" auf die Frage hinausIauft "Was ist eigentlich die ousia?", wie man ja auch schon daraus ersehen kann, daB auch die friiheren Philosophen, sieht man genau zu, die letztere Frage zu beantworten suchten (1028 b2- 7). Das Kapitel gliedert sich dementsprechend in drei Teile: 1028'10-3 I; I02Sa3I - b2; I02S h 2 - 7 ·
Erstes Kapitel
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von 5 eiendem 1m Griechischen fehlt hier die sonst iibliche Verbindungspartikel, vermutlich, weil es sich bei Z und H urspriinglich urn eine selbstandige Schrift handelte (vgl. Einleitung, S. 28 ff.).
von 5 eiendem ,;to Bv AEY£'['(lt konnte auch iibersetzt werden "De! Ausdruck ,seiend' wird auf vielfache Weise (oder: in vielen Bedeutungen) verwendet". Entsprechend konnte man meinen, es gehe Aristoteles in diesem Kapitel darum, zu zeigen, daB det Ausdruck "seiend" in seiner primaren Verwendung nur auf die ousia Anwendung findet, wahrend alles andere nur in abgeleiteter Weise "seiend" genannt werden kann. Es
scheint aber, daB Aristoteles in diesem Kapitel vie! allgemeiner von der Prioritiit der ousia vor aHem anderen spricht, und daB die Prioritat dieser Verwendung von "seiend" vor anderen Verwendungen dieses Ausdrucks nur eine det vielen Weisen ist, in denen sich diese allgemeine Priori tat
der ousia widerspiegelt. Dieser Unterschied in der Interpretation von "[0 OV macht sich auch in der Interpretation anderer Details des Kapitels bemerkbar. So geht es etwa 1028'32- 36 nicht darum, die Prioritat des allgemeinen Begriffs der ousia aufzuweisen, sondern die Prioritiit der jeweils relevanten bestimmten Art von ousia, was vollig belanglos ware, wenn es Aristoteles urn Bedeutungen des Wortes "seiend" oder die Begriffe der ousia, der Qualitiit, der Quantitiit usf. ginge. Diese Auffassung legt es nahe, die Formulierung ,,"[0 Bv AtyeWI 1tOAAUx&r;" als elliptischen Ausdruck fUr ,,"[0 Bv AtYe"[Ul
bereits in der Schrift V gl. Met. 7. Wegen der urspriinglichen Selbstiindigkeit von ZH halt Jaeger diesen Verweis auf fiir den Zusatz eines spiiteren Herausgebers. Nach allem, was wit wissen, wurde das Buch .6. erst in spaterer Zeit in die aristotelische "Metaphysik" eingefiigt. Trotzdem konnte sich Aristoteles in einer selbstiindigen Abhandlung zur ousia auf eine ebenfalls selbstiindige Schrift iiber die mannigfachen Bedeutungen berufen haben. Was stort, ist der Ausdruck ,,1tQ6'tEQOV", den Aristoteles sonst verwendet, urn auf friihere Ausfiihrungen innerhalb derselben Schrift zu verweisen. Vielleicht ware also 1tQO"[eQOV zu streichen, das auch in der Kustode am Ende des Buches E fehlt.
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bedeutct }}seicnd(( Diese Zeilen lassen sich kaum wortlich iibersetzen, weil Aristoteles mit einer Leichtigkeit, die fiir uns kaum ertraglich ist, zwischen der Rede iiber Gegenstande und der Rede iiber die entsprechenden Ausdriicke (also zwischen Objektsprache und Metasprache, in Terminologie) hin- und herwechselt: 1m ersten Satz ist vom Seienden die Rede, obwohl man den Satz zur Not auch als einen Satz iiber den Ausdruck "seiend" auffassen konnte. Damit ware die Harte vermieden, die dadurch entsteht, daB nur ein Ausdruck Subjekt von Cl"lll1uivEl sein kann. Aber diesel be Harte liegt im dritten Satz vor, in dem Aristoteles einen Gegenstand, und nicht den entsprechenden Ausdruck, Subjekt von ,,0"lll1UiVel" sein laBt. Dies Schwan ken zwischen inhaltlicher und formaler Redeweise kehrt bei Aristoteles standig wieder. Uns heute wird die Unterscheidung durch den Gebrauch von Anfiihrungszeichen sehr erleichtert. Auch wir sind iibrigens in unserer Umgangssprache nicht immer konsistent. Aber die Unbekiimmertheit des Aristoteles geht iiber das, was wir uns erlauben, so weit hinaus, daB wir uns oft gezwungen sehen, die Worte des Aristoteles sinngemaB so zu iibersetzen, daB die auftretenden Harten etwas geglattet werden. Obrigens benutzt Aristoteles anstelle von Anfiihrungszeichen ofters, wie im Griechischen iiblich, den bestimmten Artikel ,,16" als Hinweis darauf, daB iiber einen isolierten Ausdruck gesprochen werden soil, und "on" als Zeichen der direkten Rede (Beispiele fiir ,,16": Anal.pr. A I, 24b20f., 28- 30; Met. A7, IOlt27- 30; A12, IOI9b30- 33; fur "on"; Met. !J.7, loq' ll f.; Anal. post. B6, 92'16f.). Die entsprechende Verwendung von ,,16" wird von Bonitz im Aristoteles-Index (44 j a) nicht vermerkt. Damit hangt vielleicht zusammen, daB Bonitz solche Vorkommnisse von ,,16" gelegentlich aus dem iiberlieferten Text der "Metaphysik" streicht (!J.12, 1019b28; !J.'4, 1020' 33). Jaeger fo lgt Bonitz darin; andererseits fiihrt er gelegentlich auch Anfiihrungszeichen ein (!J. 7, 1017'18; !J. 12, 1019'10; Z ,6, 1040b34), ohne daB ein Prinzip fiir dieses Schwan ken in der Notation zu erkennen ware. das "Wczs etwas ist" und ein Dies von der Art Manche Kommentatoren (z. B. Ross, S. 'j9; Owen, PAS 79, S. 2- 3; die Londinenses in den "Notes on Z", S. I) meinen, der Ausdruck "das ,Was etwas ist' und ein Dies von der Art" fasse zwei Seiten der aristote1ischen Auffassung der ousia zusammen, die zueinander in einer gewissen Spannung stehen, von der nicht sicher sei, ob Aristoteles sie
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Ersles Kapitel
stets habe unter Kantrolle halten ader gar ausgleichen konnen. Das "ein Dies von def Art" scheint erstens cincn konkreten Gegenstand zu bezeichnen, wahrend "Was etwas ist", so mcint man, etwas an einem Gegenstand bezeichnet, etwa sein Wesen ader etwas, das ihm natwendig zukommt. Entsprechend scheint es zwei verschiedene Bedeutungen von "ousia" zu geben: Einmal ware "ousia" ein einstelliges Pradikat, das cinen einzelnen Gegenstand als solchen charakterisiert, dann abet auch ein zweistelliges Pradikat, insofern die Dusia bisweilen als die Dusia von etwas behandelt wird. Zweitens, so konnte man meinen, verweist das "ein Dies von de! Art" auf etwas Individuelles, wahrend das "Was etwas ist" einer Sache etwas Allgemeines zu sein scheint. Denn man beantwortet die Frage, was etwas sei, durch einen Hinweis auf etwas Allgemeines: es sei ein Mensch, ader ein Lebewesen (vgl. 1028'16- 18). Man sallte sich freilich nicht varschnell diesen Meinungen anschlieBen und dann den Text van Z in ihrem Licht sa lesen, als sei ihre Wahrheit etwas Gegebenes. Vielmehr scheint es sich urn Varurteile zu handeln, die, so natiirlich sic auch erscheinen mogen, sich im Verlauf von Aristoteles' Ausfiihrungen in Z als falsch erweisen. Wer sagt, Sakrates sei ein Mensch, sagt in der Tat, was Sakrates ist. Und es ist ohne Zweifel sa, dall wir es fast fUr selbstverstandlich halten, daB in einer salchen Aussage Sakrates etwas Allgemeines - die Eigenschaft, Mensch zu sein - zugeschrieben wird. Wir fragen uns dann allenfalls nach, ab man sagen kann, daB es sich urn eine besondere Art van allgemeiner Eigenschaft, namlich urn eine wesentliche Eigenschaft handelt. DaB es sich urn etwas Allgemeines handelt, gilt uns dagegen als ausgemacht. Nun bestreitet Aristoteles keineswegs, daB Priidikatsausdriicke wie "Mensch" oder "Kugel" allgemein verstanden werden kennen, wie man etwa ZIO, IOJ5b27ff., ader in ZIJ sieht. So verstanden gibt der Satz "Sokrates ist ein Mensch" an, was fur eine Art von Form und was fur eine Art von Matetie Sokrates konstituieren. Aristoteles scheint aber zu bestreiten, daB det Satz, so verstanden, das Was des Sokrates, seine ausia, angibt. Er argumentiert namlich dafiir, -var aHem in Z 1J, daB ein allgemeiner Pradikatsausdruck, so allgemein verstanden, keine ousia bezeichne. Das ist die Auffassung der Platoniker, und Aristateles setzt sich im Verlauf van Z wiederhalt und ausfiihrlich mit der Auffassung auseinander, bei der ousia des Sokrates konne es sich urn so etwas wie das Universale "Mensch" handeln. Wenn aber "Mensch", als etwas Allgemeines verstanden, nicht eine ousia bezeichnen kann, dann kann es auch nicht das "Was etwas ist" einer Sache bezeichnen. Denn das "Was etwas ist" sol1 ja gerade die ousia sein, nach der wir suchen.
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Aber gibt es eine andere Art und Weise, den Satz "Sokrates ist ein Mensch" zu verstehen, als den Ausdruck "Mensch" auf etwas Allgemeines, etwa die allgemeine Eigenschaft, ein Mensch zu sein, zu beziehen, derarr, dall der Satz genau dann wahr ist, wenn Sokrates diese Eigenschaft hat? • Die Antwort auf die Frage, was eine Sache ist, hangt auch davon ab, was fiir eine philosophische Ansicht man davon hat, wie solehe Fragen zu beantworten sind. Eine Art der Antwort, die Aristoteles zwar zuriickweist, aber doch wenigstens fiir sinnvoll moglich halt, ware die These, So hates sei dies Gewebe, diese Knochen und Sehnen, aber auch die These, Sakrates sei nichts anderes als eine Ansammlung von Atomen; und damit meinte man eine kankrete Ansammlung von konkreten, indi viduellen Atomen, auch wenn man nicht in der Lage ware, die Atome als Individuen zu identifizieren, und sich auf sie daher nur auf eine allgemeine Weise beziehen konnte. (Dabei kann offenbleiben, ob dies tatsachlich der Theorie des Demokrit entspricht.) Aristoteles halt eine solehe Antwort auf die Frage, was Sokrates ist, rucht deshalb fiir unangemessen, weil er meint, die Antwort masse eine zugleich wesentliche und allgemeine Eigenschaft des Sokrates namhaft machen, sondern deshalb, weil sich nach seiner Meinung Sokrates nicht mit seinen materiellen Bestandteilen identifizieren lallt. Was Sokrates ist, das sind nicht Gewebe, Knochen und Sehnen, sondern das ist ein Mensch. Wenn gesagt wird, Sokrates sei ein Mensch, dann sprechen wir von einem bestimmten, einzelnen Menschen, niimlich dem, an dem sich aile die Widerfahrnisse finden, die wir Sokrates zuschreiben. Er ist das, was Sokrates selbst, im Gegensatz zu seinen akzidentellen Eigenschaften, ist. Wenn man sich auf ihn nur in allgemeiner Weise bezieht, indem man sagt, dall es sich bei Sokrates urn einen Menschen handelt, dann heillt das nach nicht, es k6nne sich bei dem, was Sokrates ist, nicht urn ein bestimmtes Individuum handeln. Auch aus der These, Sokrates sei nichts als eine Menge von Atomen, folgt ja nicht, dall Sokrates etwas Allgemeines sei, weil doch von Atomen dabei nur in allgemeiner Weise gesprochen werde. Das, was eine Sache ist, ihr "Was etwas ist", ist also die Sache selbst im WTdeifiihrnissen. Danerwar" es'aucn"irrefUhiend, sich das "Was etwas ist" alser'was-vorzustellen, was sich an einer Sache findet, was also nur die ousia von ihr ist. Es ist vielmehr so, dall das "Was es ist" die Sac he selbst ist, die dann, jedenfalls nach der Auffassung des Aristoteles, zusammen mit den Widerfahrnissen, den komplexen Gegenstand iiberhaupt erst ausmacht, der uns in der Erfahrung begegnet. Dieser Gegenstand aber, insofern er bereits aile Widerfahrnisse miteinbe-
Erstes Kapitei
schliellt, ist nicht die Sache selbst, die ousia. Die ousia ist vielmehr die ousia dieses komplexen Gegenstandes; diese aber ist nichts anderes als die Sache selbst. Es ist also moglich, den Satz "Sokrates ist ein Mensch" nicht nur so zu verstehen, dan er sich mit dem Pradikatsausdruck "Mensch" auf etwas Allgemeines bezieht, zu dem Sokrates in einer bestimmten Beziehung stehen muG, wenn der Satz wahr sein 5011, sonclern er kann auch so verstanden werden, dan er sich mit clem Ausdruck "Mensch", wenn auch auf allgemeine Weise, auf eine bestimmte individuelle Sache bezieht, die ist, was der Gegenstand der Erfahrung eigentlich ist. Und in der Tat scheint es so zu sein, dafl auch Aristoteles davon ausgeht, clan ein Satz wie "Dies ist ein Mensch" auf die zweite Weise verstanden werden kann. Denn in Z 8 spricht er wiederholt (1033'30; lO33 b3) davon, dall eine konkrete eherne Kugel eine Kugel ist, dall aber die Kugel, die sie ist, nicht dem Entstehen und Vergehen unterworfen ist, wahrend die konkrete Kugel entsteht und vergeht. Von dieser Kugel aber, welche die konkrete Kugel ist, meint er, sie existiere nur gerade so lange, wie die konkrete Kugel existiert (vgl. die Anmerkung zu 1033b6). Er mull also meinen, daB es sich bei dieser Kugel, welche eine konkrete eherne Kugel ist, nicht urn etwas Allgemeines, allen Kugeln Gemeines handelt. Denn dieses existierte zeitlos oder zumindest solange, wie es iiberhaupt Kugeln gibt. Vielmehr mull es sich urn etwas Bestimmtes, Individuelles handeln, eben das Was oder die ousia der konkreten ehernen Kugel, genauer gesagt, wie man aus 10"b j - 6 ersieht, ihre Form. Darauf beziige sich also "Kugel" in "Dies ist eine Kugel". Dazu pallt auch, dall Aristoteles Eh nicht nur von einer Form spricht, die von etwas ausgesagt wird, sondern ebendort die Form, die von etwas ausgesagt wird, als ein "Dies von der Art" bezeichnet (1049' , j), also als etwas Individuelles. Es ist also keineswegs so, daB Aristoteles, wie man vielleicht erwarten wiirde, davon ausgeht, daB das, was ausgesagt wird, eben deshalb schon allgemein ist. Vielmehr scheint Aristoteles hier anzunehmen, dall sich der Pradikatsausdruck auch auf etwas Individuelles, etwa die Form, beziehen kann, wie sich schon in Kapitel Z 8 zeigte. Es kann also keine Rede davon sein, daB sich der Ausdruck "Was etwas ist" auf etwas Allgemeines und damit auf einen allgemeinen Aspekt der ousia beziehen mufl . Denn wie wir gesehen haben, gibt zwar der Satz "Dies ist ein das Was def Sache an; aber er wird von Aristoteles so verstanden, dall er nicht auf etwas Allgemeines verweist, sondern eben, wenn auch auf allgemeine Weise, auf die besondere ousia, die das ist, was der Gegenstand eigentlich ist. Noch kann davon die Rede sein, dall die Ausdriicke "Was etwas ist"
If
und "ein Dies von der Art" zwei Aspekte des aristotelischen ousiaBegriffs andeuten, die einer Unterseheidung eines einstelligen und eines zweistelligen Gebrauches von "ousia" entsprechen. Oenn wenn die Dusia
das ist, was ein Gegenstand der Erfahrung mit all seinen Eigensehaften eigentlich ist, dann ist die Dusia imme! schon zugleich die Dusia von etwas . Selbst wenn "ousia" im Sinne des Zugrundeliegenden verstanden wird, handelt es sieh nieht urn den Erfahrungsgegenstand selbst, sondern urn seine Dllsia, eben das, was den Eigenschaften, weIche mit zur Konsti -
tution des Erfahrungsgegenstandes gehoren, zugrunde [iegt. So spricht denn auch Aristoteles zu Beginn von Kapitel 3 von det "ousia einer jeden Sache" (1028b3 j), selbst im Faile des Zugrundeliegenden (vgl. die Anmetkung zur Stelle).
und ein Dies von der Art Da das ti tcrn auf verschiedene Weise verstanden werden kann, z. B. als etwas Allgemeines, und zumal da Aristoteles selbst, wie z. B. in der Kategorienschrift, das ti tcrn noeh so verstanden hatte, dall es die Art und die Gattung zumindest miteinbezog, prazisiert Aristoteles, wie er hier das ti tcrn verstanden wissen will, namlieh als etwas Individuelles, indem er, epexegctisch, "und ein Dies von det Art" hinzufi.igt. Denn cin
Dies von der Art ist immer etwas Individuelles. Dall es sich bei xai t68e n in der Tat urn einen epexegetischen Zusatz zu ti tcrn handelt, ergibt sich aueh aus der Parallele 1'] oucria xai to xali' ;;xacrtOv in '27 und insbesondere daraus, dall Aristoteles darauf in '30 mit 8tu taUtllV zuriickverweist. Die Verwendung von taUtllV statt taiha ist nur verstandlich, wenn xai to xali' ExacrtOV als epexegetischer Zusatz zu 1'] oucria dient. Die genaue ErkJarung des Ausdrucks "t68e n" ist umstritten: Einmal versteht man ,;tooe n" als formelhaften Ausdruck fur so etwas wie "liv9QOJ7t6<; n<;", wobei das "n" die Rolle des ,;n<;". das ,,-r60e" die Rolle von "liv3QOJ1toC;" iibernirnrnt; dann aber kann der Ausdruck auch so verstanden werden, daB es sich bei ,,'t6oe" urn das iibliche Demonstrativ-
pronomen handelt (vgl. z. B. 1028'15 noiov n t68e), wahrend das "n" die Art vertritt, durch die der mit "t68e" bezeichnete Gegenstand bestimmt ist. Ohne die Frage entscheiden zu k6nnen, neigen wir dec zweiten
Auffassung zu. Die Stelle °7,1049'3 j, sprieht eher fUr die erste Interpretation; ahnlieh auch Z4, 103ob, I - H. Es ist aber auch nieht auszuschlieflen, dall Aristoteles beide Auffassungen nebeneinander gelten liell und sie jeweils in verschiedenen Zusammenhiingen verwandte.
Erstes Kapitel 1028'12
daft es durch eine Qua/itat
Wir folgen, wie in der Einleitung, S. '3 ff., begrundet, dem Konsensus der beiden Handschriften E und J uberal! dort, wo nicht starke Gegengrunde vorliegen. Das on von E und J, das in Ab und Ps.-Alexander fehlt, ergibt aber einen guten Sinn. Worum es an dieser Stelle geht, ist nicht, dall der Ausdruck "seiend" viele Bedeutungen hat, sondern dall das Seiende sich auf die verschiedenste Weise mit Hilfe des Ausdrucks "dvat", bzw. "Ecrnv" oder "ov", charakterisieren biBt: Einmal ist davon die Rede, was die Sache ist, ein anderes Mal etwa davon, daB ein Gegenstand auf die-und-die Weise quantitativ oder qualitativ bestimmt ist. Denselben Sinn des Satzes erhielte man auch ohne on, wenn man statt 1
in dieser Weise namlich in der Weise, wie eine Qualitat oder eine Quantitat ausgesagt wird, 1m Unterschied zu der Weise, in der ein "Was es ist" und ein Dies
von der Art ausgesagt werden.
welches ja die ousia bezeichnet Der Gedankengang scheint der folgende zu sein: Die Zeilen '5 - ,8 suchen die Behauptung zu rechtfertigen, dall das, was das Was einer Sache bezeichnet, die ousia bezeichnet. Dall dasjenige, welches das Was einer Sache bezeichnet, die ousia bezeichnet, soll der Grund darnr sein, dall das "Was es ist" das ist, was primar seiend ist. Demnach muBte Aristoteles das folgende Argument im Auge haben: Es ist offenkundig (vgl.
ousta
Die Obersetzung von "oucriu" hat schon in der Antike Schwierigkeiten bereitet, wo man zunachst zwischen "essentia" (vgl. Augustin, Migne VII, 350) und "substantia" (vgl. Seneca, Ep.mor. 58, ,6) schwankte.
"substantia" hat sich dann unter dem uberwaltigenden Einflull der lateinischen Versionen der Kategorienschrift durchgesetzt. Mit dem Ausdruck hat sich aber auch die Vorstellung durchgesetzt, bei der aristotelischen ousia handle es sich stets urn die Substanz der aristotelischen Kategorienschrift, den konkreten Gegenstand als Trager der verschiedenen unwesentlichen Eigenschaften.
17
Der Ausdruck "Substanz" ist freilich in mehrfacher Hinsicht irrefiihrend. Einmal verdeckt er die Tatsache, dall Aristoteles, wenn er von der ousia spricht, von derselben Sache zu sprechen gedenkt, von der auch Platon und die Platoniker reden, wenn sie von der ousia sprechen. Schon die oberflachliche Lektiire von Met. Z zeigt, dall Aristo'teles seine Theorie der ousia als Alternative zu einer platonistischen Theorie de! ousia versteht, mit der er sich in Met. Zimmer wieder auseinandersetzt. Die platonistische Theorie der ousia aber ist offenkundig nicht eine Theorie der aristotelischen Substanz im traditionellen Sinn. Zweitens steUt Aristoteles selbst in Met. Z den Begriff, den er sich in der Kategorienschrift 7 von de't'"'J(;;ia,.gemacht hatte, radikal in Frage und kommt zu dem Ergebnis, dall der Kategorienschrift allenfaUs in einem abgeleiteten Sinn als ousia betrachtet werden kann. Was jetzt in den Vordergrund tritt, ist eine Vorstellung von der ousia, wonach es sich bei ihr um den Grund des Seins einer Sache handelt. Nur eine besondere Theorie edaubt es Aristoteles, noch weiter an der Vorstellung festzuhalten, bei der ousia handle es sich letztlich auch um den Trager der verschiedenen unwesentlichen Eigenschaften, eine Theorie namlich, wonach es letztlich die Form ist, die das Subjekt aller Eigenschaften darstellt, die man einem Gegenstand zuschreibt. Aber eben weil Aristoteles auch noch in der "Metaphysik" daran festhalt, dall es sich bei der ousia um das handelt, was letztlich Trager all der Eigenschaften ist, die man einem Gegenstand zuschreibt, ist auch die in deutschen Ubersetzungen weit verbreitete Wiedergabe von "ousia" dutch "Wesen" oder "Wesenheit" clem aristotelischen Begriff unangemessen: Wir lassen daher "ousia" uniibersetzt. (Zur Begriffsgeschichte von "ouaia", "urrocr-rU(H<;", "substantia", "essenria" vgl. C. Arpe, Substantia, Philologus 94, 1941, S. 65 - 78.)
drei Ellen lang oder Nach Bonitz (p. 295) hatte Aristoteles in den Zeilen 1j - 18 nicht der Qualitat die Quantitat und das Was der Sache, spater dem Was der Sache die Qualitat und die Quantitat gegeniibersetzen soUen, sondern erst die Qualitat clem "Was etwas ist", danach die Quantitat clem "Was etwas ist",
und schliefilich das "Was etwas ist" beiden zusammen. Er vermutet, es kiinnte etwas ausgefaUen sein. Ross halt den Ausdruck "tQt"'lXU ij" fiir "irrelevant" und vermerkt im Apparat Susemihls Streichung. Er meint namlich, zu Unrecht, es gehe in der Klammer datum, die ousia von der Qualitat zu unterscheiden, wahrend es in Wirklichkeit darum geht, zu zeigen, daB das "Was etwas ist" die ousia ist. Es scheint klar, daB Aristoteles sich hier nur nicht allzu pedantisch ausdriicken woUte: Wer von der Qualitat einer Sache spricht, redet nicht von ihrer Quanritat oder von
Erstes Kapitel
der ousia, wer hingegen davon redet, was die Sache ist, spricht nicht von ihrer Qualitat oder Quantitat, sondern von der ousia. Eine entsprechende Bemerkung tiber die Quantitat soll sich der Leser selbst erganzen.
an dem in diesem Sinne Seienden Diese Redeweise scheint merkwtirdig umstandlich zu sein. Aristoteles hatte auch, so k6nnte man meinen, einfach "an dec ousia" schreiben konnen. In Wirklichkeit aber erfordert das Argument, wenn wir es richtig rekonstruiert haben, dall Aristoteles hier von dem spricht, was in der Weise des "Was es ist" seiend ist. Und iiberdies ist es auch fur die Entwicklung des ganzen Gedankenganges von Z wichtig, dall Aristoteles von vornherein von der ousia als dem "Was es ist" spricht. 1028'21
jeweils fur sich genommen, um ein Seiendes handelt oder nicht
Ross will statt ij Ill'] ov (E und J) vielmehr crTllla[VEt lesen, das Ab bietet. Nur so sei die grammatische Rolle von Itxa<Jwv aUTliiv zu erklaren: "Whether the words ,to walk', etc., imply that each of these things is existent" (S. 160). ,,<Jlllla[vel exa<Jwv acmiiv ov" ist aber kaum verstandliches Griechisch. Itxa<Jwv aUTliiv steht vielmehr in Apposition zu den drei vorhergehenden Infinitiven und sol1 darauf hinweisen, dall die erwahnte Schwierigkeit besonders dann naheliegt, wenn man so etwas wie Gehen oder Gesundheit isoliert, d. h. ohne Bezug auf ein Subjekt, betrachtet. Die von uns bevorzugte Lesart findet sich auch bei Ps.-Alexander und Asclepius.
von der Art Wir folgen der einhellig tiberlieferten Lesart Jaeger streicht als eine bloI3e varia lectio zu ouva'tov in i24 unter Hinweis darauf, dall auch Ps.-Alexander es nicht gelesen habe. Daraus, dall Ps. Alexander den Ausdruck nicht benutzt, folgt aber nichts tiber seine Textvorlage. Gegen den tiberlieferten Text gibt es mehrere Bedenken: (a) die Verbindung "l
[028" 16
bis
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geMrt eher das, was geht .. ., zum Seienden Wir lesen mit E und
J 10lV OV1rov 11.
scheinen eher 5 eiendes zu sein
•
Das nimmt das in '24 wieder auf, ist also entsprechend zu verstehen. Es ist nicht von Seinsgraden die Rede, sondern nur davon, dall eine Sache eher als Seiendes betrachtet wird als eine andere. 1028' 29- 30
nur dank der ousia jede der genannten B estimmungen
xa.xeivrov exucrwv bezieht sich nach unserer Meinung nicht nur auf Gehen, Gesundsein und Sitzen ('20--21) - so die Londinenses - , sondern auf aile bisher behandelten FaIle von Bestimmungen, die nicht das "Was es ist" einer Sache betreffen. Die Zeilen 29- 30 ziehen die Konsequenz aus dem ganzen Abschnitt '1 0--29. OU11UU111V greift auf oucriu ('27) und nicht auf XU111'Yogi<;t ('28) zuruck. Der Singular 1UU111V zeigt auch, dall xul10 xulI' exucr10v ('27) ein erlauternder Zusatz zu oucriu ist und nicht eine weitere Art von Seinsfundament ' 26) einfuhren soli, in Analogie zu 'ti tan xai 't68c:. n, I02S a IZ.
und nicht nur in bestimmter H insicht Es ist nicht ganz klar, wie 11 DV zu verstehen ist. Bei 1i kcmnte es sich urn einen Akkusativ der Hinsicht handeln: 1m Gegensatz zu allem anderen ist nur die ousia uneingeschrankt seiend; alles andere ist nut in gewisser Hinsicht seiend, z. B. als Qualitat einer ousia oder als Quantitat einer ousia. Man kiinnte aber auch daran denken, dall es sich beim 1i 6v urn etwas handelt, das nur seiend ist, insofern es etwas ist, und zwar in folgendem Sinn: Das Gehende ist nur seiend, in sofern es etwas anderes, z. B. ein Mensch ist (vgl. Anal. post. A 22, 83 ' 30--)2). Wenn es sich bei den Zeilen 1028'29- 31 nur urn die Folgerung aus IOZSaz Q-29 handelte, vor allem aber, wenn man xa:xc:.lvcoV, I02S a30, auf das Gehende, das Gesunde und das Sitzende beschrankte, kame die zweite Interpretation von 'ti Bv durchaus in Betracht. Da aber diese Zeilen eine Folgerung aus dem gesamten Abschnitt 1028'10--29 zu ziehen scheinen und da xaxeivrov sich auf das Gehen, Gesundsein, Sitzen und alles ubrige von der Art (vgl. 1028'22) beziehen durfte, ist die erste Interpretation vorzuziehen, die besser auf den Gegensatz zwischen ousiai und Gegenstanden in anderen Kategorien pallt. I OZSa3I -b 2
Nun wird "primiir u
. ..
Diese Zeilen haben den Kommentatoren schon immer grolle Schwierigkeiten gemacht. Ein Grund dafur liegt darin, dall Aristoteles zwar
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E rsIl! Kopitel
verschiedene Arten von Prioritat unterscheidet, abet nie zu einer einheitli-
chen Unterscheidung mit einer entsprechend feststehenden Terminologie zu ge!angen scheint (vgl. die Bemerkungen von Ross zu 1028')2). Ferner hat ein ungliicklicher Zufall die Kommentatoren in die Irre gefUhrt. Aristoteles unterscheidet 1028'3- 33 drei Arten von Priorit.t, und er gibt 1028'33 ff. drei Argumente an, die zeigen sollen, daB die ousia Priorit.t vor allem anderen hat. Es liegt sehr nahe anzunehmen, bei den drei Argumenten handle es sich urn Argumente fUr diese drei Arten der Priorit.t, zumal sich die beiden lerzten Argumente leicht als Argumente fur die beiden zuerst erwiihnten Arten der Prioritat identifizieren lassen: Priorit.t der Forme! und Priorit.t der Erkenntnis nacho Danach sollte man erwarten, daB es sich bei dem ersten Argument urn ein Argument fiir die Priorit.t der Zeit nach handelt. Tats.chlich aber k6nnte es sich allenfalls urn ein Argument fUr das handeln, was Aristote!es sonst Prioritiit "der Natu! oder der Dusia nach" nennt (xu't
I028"jI
bis J4
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isl keine abtrennbar Es ist umstritten, was in Zusammenhangen wie diesem mit "xcogtO''tov'' gemeint ist. 1028'23- 24 zeigt, daB es nicht darum geht, daB die ousia abgetrennt von ihren Widerfahrnissen existiert, daB sie in irgendeinem Sinne abgetrennt werden kann. Welches ist aber dieser Sinn? Es dlirfte nicht gemeint sein, eine ousia k6nne ohne irgendeines ihrer Widerfahrrusse existieren, nicht aber ein Widerfahrnis ohne die ousia, an der es sich jeweils findet. Denn sonst muBte Aristoteles annehmen, aile Widerfahrnisse seien durch ihren Tr.ger individualisiert, welche Annahme man ihm nur ungern zuschreiben wird. Jedoch trifft zu, daB jede ousia das, was sie ist, unabh.ngig von irgendeinem bestimmten Widerfahrnis ist. Ein Mensch mag klug sein, aber er ist das, was er ist, n'mlich ein Mensch, unabh.ngig davon, ob er klug ist. Das Kluge aber und die Klugheit sind das, was sie sind, n'mlich das Kluge bzw. die Klugheit, nicht unabhangig von etwas anderem, sand ern immer nur als ein kluger Mensch bzw. als die Klugheit eines Menschen. Aus dieser Uberlegung I.Bt sich leicht ersehen, warum die ousia Priorit't der Forme! nach hat. Weil ein Mensch unabh.ngig davon, was ihm widerfahrt, ein Mensch ist, braucht die Forme! des Menschen keines dieser Widerfahrnisse zu erw.hnen; ein Widerfahrnis hingegen ist das Widerfahrnis, welches es ist, nur als Widerfahrnis der Art von ousia, an der es sich fmdet. Auf diese Art von ousia muB daher in seiner Forme! Bezug genommen werden. Ebenso I.Bt sich ersehen, warum die ousia der Erkenntnis nach Priorit't hat. Wenn wir etwas antreffen, was sich klug verh.lt, erkennen wir diesen Sachverhalt eigentlich erst, wenn wir erkennen, daB es sich urn einen Menschen handelt. DaB sich etwas klug verh.lt, kann man letztlich nur einsehen, wenn man einsieht, dan es sich urn einen Menschen handelt, der sich klug verh.lt. Bei diesen beiden hier entwicke!ten Argumenten fur die Priorit't der Forme! und der Erkenntnis nach handelt es sich aber ersichtlich urn genau die Argumente, die Aristoteles in '34- 36 bzw. in '36- b2 vortr.gt. Daraus ergibt sich, daB diese beiden Argumente nicht zus'tzliche Grunde fur die Priorit.t der ousia darstellen, sondern bloBe Foigerungen oder Spezifikationen des XffiQlcrt6v-Arguments sind . Schliefllich kann man daraus auch ersehen, warum die ousia zeitlich Priorit't vor ihren Widerfahrnissen hat. Ein Mensch ist zuniichst einmal ein Mensch und kann erst als diese Art von Ding klug, so-und-sogroB, so-und-so-schwer sein. Jedenfalls kann keine dieser Bestimmungen existieren, ohne dan schon etwas da ware, an dem es sich findet. Wenn
Brste! Kapilt l
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Aristote!es aber auf die Prioritiit der Zeit nach nicht besonders eingeht, dann mag das daran liegen, dall dieser Art von Prioritiit fiir den Gedanken gang von Z keine tragende Rolle zukommt. 1028'3 j
die der ousia
Es geht hier nicht darum, dall die Kategorie oder der Begriff der ousia Vorrang vor den anderen Kategorien, sondern dall die ousia Vorrang vor allem iibrigen Seienden, von welcher Kategorie es auch sei, haben musse. Folglich mull in der Forme! einer jeden Sache, die nicht se!bst ousia ist, nicht der Begriff der ousia iiberhaupt, sondern der Begriff der Art von ousia vorkommen, an der sich die betreffende Sache findet. Die Mehrdeutigkeit des Ausdrucks wiirde auch die Auffassung zulassen, in der angemessenen Formel (hier: Definition) der Seienden der iibrigen Kategorien miillte nur ein Hinweis auf die ihnen zur Basis dienende Dllsia, nicht abet die Definition dieser Dusia vorkommen. So konnte das Gesunde als ein Lebewesen in cinem salchen bestimmten Zustand definiert werden, ohne dall zugleich angegeben wiirde, was eigentlich ein Lebewesen ist. Aber sowohl sprachlich wie sachlich spricht viel dafiir, dall Aristote!es der Meinung ist, zur Erkenntnis einer Qualitat, Quantitat usw. sei die richtige Analyse der Art von ousia, an der sie jeweils auftreten, notwendig. Erst wer erfallt hat, was eine solche ousia wirklich ist, kann zugleich verstehen, warum sie eine Sache von det Art ist, dall ihr gerade diese Qualitat, Quantitat, und urn was es sich sonst handeln mag, zukommen konnen. Diese Redeweise, dall die Formel von A in der Forme! von B enthalten sein mull, wo wir eher sagen wiirden, dall A in der Forme! von B erwiihnf werden mull, tritt auch in den Kapiteln Z 10 und Z I I auf. 1028'37
was Z. B. ein besfimmter Mensch isf
Der Artikel in 6 Iiv3gCll1tO<; ist demonstrativ zu verstehen. Es geht nicht datum, das Wesen des Menschen uberhaupt zu erfassen, sondern datum, daB wit etwa einen Menschen vor uns haben, und es gilt, zu erfassen, was denn das sei, was wir da vor uns haben. Beim Beispiel des Feuers ist zu beachten, dall die Griechen manches als eine Form des Feuers ansahen, das wir nicht als solches betrachten wiirden, z. B. die Lebenswarme (vgl. De iuv. et sen. 473 ' 4; 474bI2). A-ristote!es' These, dall wir dann etwas am ehesten erkannt haben, wenn wir erkannt haben, was fu r ein Gegenstand das ist, was wir vor uns haben, z. B. ein Mensch oder ein Feuer, mag im Falle des Menschen unplausibel erscheinen: Wissen wit nicht viel besser, womit wit es zu tun haben, wenn wit z. B. w.issen, daB es sich bel der Person, die wit sehen,
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urn Sokrates handelt? Vermutlich ist es die besondere aristotelische Auffassung Yom Wissen und Yom Was dner Sache, die diesem Unterschied zugrunde liegt: Die Informationen, die wir zusiitzlich erhalren k6nnen, wenn wir wissen, dall dieser Mensch z. B. Sokrates ist. sind im Hinblick auf wissenschaftliche Erkenntnis unerheblich. Fur die wissenschaftliche Erkenntnis einer Sache kommt es darauf an, zu erfassen, was sie ist; das Was des Sokrates aber ist dies, dall er ein Mensch ist.
Z umal auch fur jedes von diesen Man yersteht diese Zeilen meist so, als redete Aristoteles davon, doll man ja auch eine Quantitiit und eine Qualitiit erst erkenne, wenn man deren "Was es ist" erkennt. Daran st6rt freilich erheblich, (i) dall das Kapitel sonst das "Was es ist" auf die ousia beschriinkt und (ii) dall nicht zu erkennen ist, wie s1ch aus dieser These ein Argument fur die Prioritat der ousia gewinnen lielle. Wir soli ten daher die Zeilen eher so verstehen, dall Aristoteles sagt: Den Menschen erkennen wir, wenn wir ihn als Menschen erkennen, und nicht als das Quale oder Quantum, das er auch ist; denn auch dies Quale oder Quantum erkennen wit nur, wenn wir das "Was es ist" der Sache erkennen, die dies Quale oder Quantum ist. Das Kluge erkennen wir erst wirklich als das Kluge, wenn wir erkennen, dall es sich urn einen Menschen handelr, der klug ist; uberhaupt erkennt man das Quale, das Quantum usE. erst dann als das, was es ist, wenn man die Art von ousia kennt, an welcher dergleichen auftreten kann. Gegen diese Auffassung k6nnte eingewandt werden, dall sie dem tOtE in '36 eine andere logische Funktion zuschreiben mullte als dem tOtE in b l : 1m ersten Fall wurde eine zugleich notwendige und hinreichende Bedingung der Erkenntnis des Gegenstandes ausgedrlickt, im zweiten Fall nur eine notwendige Bedingung. Denn wenn wir wissen, welcher ousia eine Quantitat oder eine Qualitat zukommt, wissen wir damit ooch nicht, urn welche spezifische Qualitiit oder Quantitiit es sich handelr. Diese Schwierigkeit lost sich auf, wenn man annimmt, daB Aristoteles in 102S bl nur eine zusiitzliche Bedingung formulieren will, die flir die Erkenntnis von Eigenschaften liber die Erkenntnis ihrer Spezifizitiit noch hinaus erfiillt sein muG und, mit dieser Zllsammen, zur runreichenden Bedingung wird. Wer die Zeilen auf die herk6mmliche Weise verstehen will, kann sich auf Z4, 1°3°'17- 27, berufen, wonach auch den Dingen, die nicht ousiai sind, ein "Was es ist" zukommt, freilich nur in abgeleiteter Weise. (Ohne solche Einschriinkung schreibt Aristoteles auch den Dingen der librigen Kategorien in Top. A 9, 103 b 27- 39 , ein "Was es ist" zu .) Die Schwierigkeit dieser Interpretation besteht darin, dall etwas als ein Argument flir die
Brstes Kapitel
Prioritiit der ousia angefiihrt wiirde, was in Wirklichkeit diese Prioritiit eher in Frage stetlt. Bei der vorgeschlagenen Interpretation erhielten wir dagegen tatsiichlich ein wei teres Argument fUr die Prioritiit der ousia. 102g b)
die alte und noch heute lebendige Frage
Manche Interpreten (z. B. Aubenque, ZfPhFq, 1961, S.j2 1- 33)) haben n:6.t...at 'te xui vuv xai tiei im Sinne von "fruher und jetzt und auch in aller Zukunft" verstanden und daraus abgeleitet, Aristoteles habe die Ontologie als eine unaufhebbar aporetische, nie mit eindeutigen Liisungen abzuschliellende philosophische Disziplin angesehen. Die beiden aei in b) sind aber eher als distributiv und einander korrespondierend zu verstehen: Bis heute hat die Frage ebensooft in Schwierigkeiten gefiihrt, wie sie gestellt wurde. Damit ist fiir Aristoteles nicht ausgeschlossen, dall sic durch einen richtigen neuen Ansatz (wie z. B. seinen eigenen) geliist werden konnte. Die Priisenspartizipien Sl1toUlleVOv und a1togoullevoV, die sich sowohl auf 1t(lA,!lt als auch auf vUv beziehen, drucken a1tO xotvoil aus, dail es heute noch so ist, wie es fruher gewesen ist: Die Untersuchung der Frage nach der ousia hat fruher in Schwierigkeiten gefuhrt und tut das heute noch genauso.
was das Seiende ist Diese Frage ist zugleich die Frage danach, welche Dinge zu Recht "seiend" genannt werden konnen, und danach, was die definierenden Merkmale des sen sind, was wir als "seiend" bezeichnen kennen. Die Frage mull also hier so verstanden werden, dall sie gegenuber dem Unterschied "extensional-intensional" noch neutral ist. Entsprechendes gilt fur die Frage: "Was ist die ousia?". Wie man aus dem Kapitel Z 2 ersieht, ist nach Aristoteles der Umfang des Begriffs "ousia" umstritten; aus den Ausfuhrungen am Ende von Z 2 und am Anfang von Z) ist aber auch zu entnehmen, dail in Z die Frage nach dem Begriff selbst 1m Vordergrund stehen solI.
( denn von diesem behaupten die einen ... ) In gewohnter Manier blickt Aristoteles auf die Geschichte der Philosophie unter dem Aspekt zuruck, dall auch die fruheren Denker in gewissem Sinne eine Antwort auf die gleiche Frage gesucht haben, die ihn jetzt beschiiftigt, und damit das Argument stiitzen, nach dem eine Untersuchung uber das Seiende eine Untersuchung uber die ousia sein mull (vgl. die auch formal parallelen Ausfiihrungen in AI, 1069'2j_b2). So wie in A der "Metaphysik" die voraristotelische Philo sophie als Prinzipienfor-
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schung interpretiert wird und der Haupteinwand gegen die friiheren Denker regelmiillig darin besteht, dall sie nur einen Teil der vier Arten von Ursachen ins Auge gefallt hatten, so wird hier den Philosophen der Vergangenheit bestatigt, dall auch sie die Frage nacl) einem ausgezeichneten, fundamentalen Seienden entwickelt hatten, freilich ohne diejenigen leitenden Gesichtspunkte fUr die Auswahl dieses ausgezeichneten Seienden anzuwenden, die Aristoteles vorschlagen wird. Als Vertreter der Auffassung, es gebe nur eine ousia, kiinnen die Milesier und Parmenides gelten. Ihnen stehen die Philosophen gegeniiber, die mehrere ousiai annehmen, und zwar entweder begrenzt viele, wie die Pythagoreer und Empedokles, oder unbegrenzt viele, wie Anaxagoras und die Atomisten (Leukipp und Demokrit).
und sozusagen ausschlieJllich Man kiinnte meinen, dall Aristoteles iibertreibe, wenn er sagt, eine Untersuchung des Seienden laufe auf eine Untersuchung der ousia hinaus und bestehe, praktisch gesprochen, in niehts anderem. Schlielllich gibt es neben den ousiai auch noch die Quantitaten, die Qualitaten und all das andere, welches auch der Untersuchung bedarf. Aristoteles' Ansicht ist aber, daB man erst dann fichtig versteht, was die ousia ist, wenn man sieht, dall sie die Art von Sache ist, an der sich aufgrund ihrer Natur Qualitaten, Quantitaten und dergleichen flnden . Wenn man also einen philosophisch befriedigenden Begriff von der ousia entwickeln will, so mull man zugleich eine angemessene Auffassung von all dem entwickeln, das sich an der ousia flnden kann.
ZWEITES KAPITEL
Kapitel 1 schloll mit der F rage" Was ist eigentlich die ousia?". Dies ist nicht nm eine Frage nach dem Umfang des Begriffs der ousia, sondern zunachst einmal auch eine Frage nach der richtigen Bestimmung des Begriffs selbst. Die beiden Fragen sind offenkundig auf das engste miteinander verkniipft. Und so versucht Aristoteles im zweiten Kapitel, erst einmal alle die Arten von Dingen aufzufiihren, die fUr ousiai gehalten werden. Genauer gesagt beginnt er damit, die Dinge anzufUhren, von denen sich aile einig sind, dall es sich bei ihnen, wenn iiberhaupt bei irgend etwas, urn ousiai handelt (lO,SbS- lJ ). Dall dariiber Einigkeit besteht, wird es Aristoteles dann edauben, zuerst einmal nach einem Begriff der ousia zu suchen, der wenigstens diesen ousiai gerecht wird (vgl. 10'9'33-34; vgl. auch 1037'10- 16). Nachdem Aristoteles die Dinge angefiihrt hat, die allgemein als ousiai akzeptiert werden, gibt er eine noch sehr schematische Dbersicht iiber die Antworten, die iiberhaupt auf die Frage, welche Dinge ousiai sind, gegeben werden konnen (lO,S blJ - 1j ). Aristoteles fahrt damit fort, solche Dinge aufzufiihren, die nur von bestimmten Gruppen von Philosophen als ousiai angesetzt worden sind (lO,Sb16- '7), urn schliefllich noch einmal, nun aber in praziserer Form, die Frage zu stellen, welche Arten von ousia man anerkennen sollte und wie man sich ihr Sein vorzustellen habe (lO,Sb, 7- )1). Diese Frage lallt sich Freilich nicht beantworten, ohne wenigstens eine gewisse Vorstellung davon zu haben, wie der Begriff der ousia zu fassen sei. Und so schliellt das KapiteJ mit der Bemerkung, dall wir erst einmal eine vodaufige Klarung des Begriffs versuchen sollten (lO,8 b)1 - J2). An dem Kapitel fallt ganz allgemein auf, daJl es die Unterscheidung von zwei Verwendungen von "ousia", welche in .18 getroffen wird, iiberhaupt nicht beriicksichtigt, sondern unterschiedslos als mogliche ousiai Dinge anfiihrt, welche dart entweder als ousiai im Sinne des Zugrundeliegenden oder aber, streng davon unterschieden, als ousiai im ' Sinne der U rsache des Seins einer Sache klassifiziert worden waren. Dies ist ein weiteres Anzeichen dafiir, dall Aristoteles in Z nicht zwischen einer ousia und der ousia von etwas oder, wenn man so will, zwischen einer einstelligen und einer zweistelligen Verwendung von "ousia" unterscheidet.
Nlln scheint
Es handelt sich urn eine Ansicht, u ber die sich die Philosophen einig sind, nicht urn einen Teil der Weltauffassung des gemeinen Menschenverstandes. Denn der Begriff der ousia ist ein philosophischer, theoretischer Begriff. am ehesten ... klar
Damit ist gemeint, daD, wie verschieden auch die Ansichten uber das, was ousia ist, sein mogen, doch immerhin ganz klar zu sein scheint, daD die Korper ousiai sind. Man vgl. Z 7, 1032'19, wo eben falls die Betonung darauf liegt, daD die Philosophen am ehesten darin ii bereinstimmen, solehe Dinge wie Menschen oder Pflanzen ousiai zu nennen. Das heiDt aber nicht, daD Korper ousiai par excellence sind, noch auch, daD sie die besten Beispiele fur ousiai sind, die man finden kann. bei den Korpern
Nach seiner Paraphrase (46z, I- Z) scheint Ps.-Alexander tv wi<; gelesen zu haben. Vermutlich handelt es sich urn eine Konjektur, die auf ein MiDverstandnis des Ausdrucks "it oU(Jiu U1taQX£l 10i<; zuruckgeht. Gemeint ist, daD das Pradikat "ousia" den Korpern zukommt, nicht die ousia selbst, daD es also den Korpern zukommt, ousia zu scm. Wenn man das 8u'> in b9 auf den ganzen vorhergehenden Satz bezieht und nicht bloB auf q>uvEQwmm, konnte man das U1taQXElv auch im Sinne einer besonderen Beziehung deuten, die Aristoteles zwischen der ousia und physischen Korpern sieht. Jedoch scheint es naherzuliegen, das U1taQXElv in dem schlichten und z. B. in den Analytica priora terminologisch fixienen Sinn zu nehmen, nach dem ,,10 A U1taQXEI1(ji B" aguivalent ist mit ,,10 A XU1U wi) B MYE1at" und ,,10 B A t(J1iv" (vgl. z. B. Anal. pro A4, Zjb4Q-z6' 2). lind jedem, was von dieser Art ist
Diese Ausdrucksweise ist befremdlich, weil Aristoteles so zu sprechen scheint, als gabe es mehr als vier Elemente. Dieselbe Redeweise findet sich tl8, 101 7 b IQ-I 1, und H I, 104z28- 9, wo es sagar heiEt: "Feuer. Erde, Wasser, Luft und die u brigen einfachen Karper." Ross verweist, wohl mit Recht, auf De caelo A 2, 26sb27- 29: "Unter einfachen Korpern aber verstehe ich ... etwa Feuer und Erde, deren Arten und was ihnen ver-
wandt ist." Es geht also darum, dan auch die Unteranen der vier Elemente selbst als ousiai gel ten sollen.
Zwtites Kapittf
aus jeweils eil1em Teil von ihnen Es gibt keinen zwingenden Grund, von der Lesart der Handschriften und Ps.-Alexanders abzugehen und mit Jaeger der Konjektur von Bonitz nvOlv zu folgen. Was aus den Elementen zusammengesetzt ist, enthalt entweder die Elemente in ihrer Gesamtheit oder jeweils nur einen Teil von ihnen. Dies spricht dafiir, daB "ouQUVOC;" hier "Universum" und nicht "Firmament" bedeutet. Denn nur das Universum ist ein Beispiel fiir eine ousia, die die Elemente in ihrer Gesamtheit als Teile enthalt. Die Gestirne dagegen enthalten jeweils nur einen Teil der Elemente.
Sterne, M and und Sonne Die Reihenfolge Sterne, Mond und Sonne nach aufsteigender Helligkeit, im Gegensatz zu der bei uns iiblichen Folge Sonne, Mond und Sterne, flndet sich schon bei Anaximander, der auch die raumliche Entfernung der Gestirne in dieser Reihenfolge festsetzte (vgl. DK AI I).
Ob dies aber die einzigen ousiai sind . .. Die Lesart der Handschriften bietet Schwierigkeiten, die dazu gefiihrt haben, dall Codex T, vermutlich auf Grund von Konjektur, in 1028 b , 5 UAAUt liest, dem auch Ross folgt. Bedenkt man die Sache selbst, sieht man, dall es sechs Maglichkeiten gibt: (A) entweder sind alle der erwahnten Karper ousiai, oder nur einige, oder keiner; (B) entweder gibt es auller Karpern noch andere ousiai, oder nicht. Also: (I) (2) ()) (4) (5) (6)
alle Karper ousiai, keine unkarperlichen ousiai alle Karper ousiai, unkarperliche ousiai einige Karper ousiai, keine unkarperlichen ousiai einige Karper ousiai, unkarperliche ousiai keine Karper ousiai, keine unkarperlichen ousiai keine Karper ousiai, unkarperliche ousiai
(5) scheidet als Maglichkeit aus, da vorausgesetzt wird, daB es iiber- . haupt ousiai gibt. Wenn man sieht, daB es flinf Maglichkeiten gibt, liegt es nahe, dall das 1t61eQov und die vier ij in 1028 b I ) - 1 5 diesen fiinf Maglichkeiten entsprechen. Und in der Tat scheint Aristoteles diese flinf Moglichkeiten in dieser Reihenfolge aufzufiihren: ij XU! UnOlV entspritche also (4). Die Schwierigkeit liegt nun darin, dall man statt des iiberlieferten Textes erwarten sollte, daB (4) mit "ij XU! iiAAat" wiedergegeben wird. Uberdies legt iiAAOlV nahe, daB hier nicht nur unterschieden wird, ob es
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neben den Kiirpern noch unkiirperliche ousiai gibt oder nicht, sondern uberdies noch die dritte Miiglichkeit besteht, dall nur ein Teil des Nichtkorperlichen ousia ist. Wenn aber Aristoteles eine soIche weitere Unterscheidung beabsichtigte, dann mullte er 9, bzw. 8, statt der erwahnten 6, bzw. j, Miiglichkeiten in Betracht ziehen. Nun ist zwar sinn vall, dall er die Frage steHt, ob nur ein Teil der kiirperlichen Dinge ousiai sind, weil diese 1028b9 ff. aufgefuhrt worden sind und wir also genau wissen, urn einen Teil wavon es sich handeln wurde. Aber die Klasse der unkiirperlichen Dinge ist nicht auf gleiche Weise wahlbestimmt, so dall wir sinnvoll fragen kiinnten, ab es sich bei einem Teil von ihnen urn ousiai handelt. Nun handelt es sich aber bei "ij xai a),J.rov" urn eine abgekurzte Redeweise fUr "ij tOUtrov n ve<; xai aAAat". Offenkundig also hat Aristoteles zwar tDUtrov nVE<; ausgelassen, dies aber durch die Assimilation von "aAAal" an den Genitiv ,;tOUtCOV" angedeutet. Unter dem Vorbehalt, dall die Klasse der nichtkiirperlichen Dinge nicht wohlbestimmt ist, kiinnte man den Gedanken des Aristoteles durch folgendes Schema veranschaulichen:
(1 ) (2)
® aOtat ® @ xat anat ij
() (KJ :Nk
ij tOUtrov ttVE<;
(4)
ij xat anrov
@@
[(j)
(K (N.......Ki.
(6)
(K':
........
b IOZS I6
@ ij tDUtrov OUOEV, EteQat OE nVe<; Einige ... meinen
Das nat wird von Ps.-Alexander aufPlaton und seine SchUler bezogen, von Asclepius hingegen auf die Pythagareer. Von den neueren Kammentatoren folgen Bonitz, Schwegler, Ross und Reale dem Asclepius, die Londinenses Ps. -Alexander (so wohl auch J. Annas, Aristotle's Metaphysics MN, '976, S. j9). Die Tatsache, dall es sich urn die Frage handelt, ob die Flachen, Linien und Punkte eher ousiai seien als die Kiirper, und die Wahrscheinlichkeit, dall durch den Ausdruck "to xat 10 a1eQeOV" die mathematischen Kiirper mit einem Seitenblick gestreift werden, sprechen dafUr, dall Aristoteles hier an die Platoniker denkt. Dadurch, dall erst spater, in den Zeilen b ,9- 27 , von Platon, Speusippas und (vermutlich) Xenokrates die Rede ist, wird nicht, wie Ross, darin
}O
Zweites Kapitel
Bonitz folgend, meint, ausgeschlossen, daB auch an unserer Stelle schon von den Platonikern gesprochen wird. Was hier referiert wird, kannten gemeinsame Auffassungen der platonischen Schule sein, denen dann die jeweils besonderen Theoreme Pia tons, des Speusippos und des Xenokrates gegeniibergestellt werden. Im iibrigen scheint Ross selbst von dem Bonitzschen Argument in seinem K.ommentar zu B 5,
IOOlaI 1,
Abstand
zu nehmen. Es muB ferner ins Gewicht fallen, daB sich in der gesamten Literatur kein unabhangiges Zeugnis damr findet, daB die hier von Aristoteles referierte Theorie von den Pythagoreern vertreten wurde.
Punkt bzw. Einheit Es fragt sich, ob !lOVa, (Einheit) als Erlauterung bzw. alternative Bezeichnung zu (HIY!lll (Punkt) angefiihrt wird, oder ob es vielmehr ein Teil der Theorie war, daB die Einheit in ahnlicher Weise Prinzip des Punktes sei, - nach der Definition (De an. A4, 409'6): ... ernY!l!) !lOVa, Eern ifterlV exouera (ein Punkt ist eine Einheit, die eine Position hat) - wie der Punkt Prinzip der Linie ist, weil dutch die Bewegung eines Punktes die Linie "erzeugt" wird (De an. A4, 409'4- 5), und die Linie Prinzip der Flache usf. ist. Foigende Umstande scheinen eher fiir die erstgenannte Auffassung zu sprechen: (i) Im aristotelischen Referat iiber die "Derivationstheorien" der geometrischen Gegenstande in M und N der "Metaphysik" (z. B. 1076b3- 36; 1085'7-b4; 109ob5- 13) wird immer mit dem Punkt (ernY!lll) und nieht mit der Einheit begonnen; (ii) In den Paralleltexten Met. B 5, 1002'4- 8 und 1002'23- 25, werden Flache, Linie, Einheit und Punkt einmal in dieser Reihenfolge, dann aber in der Reihe Flache, Linie, Punkt und Einheit angefiihrt, was gegen eine systematische Rangfolge von Punkt und Einheit im Sinne der Detivationstheotie spticht; (iii) die wechselseitige Definietbatkeit von Punkt und Einheit. Wie der Punkt als "Einheit, die eine Lage (Position) hat" definiert werden kann (s. 0.), laBt sich die Einheit als "positionsloset Punkt" definieten (M 8, 1084b26--27).
der physische und der mathematische Korper Man sollte annehmen, daB ,;,,6 erro!la" sich hier auf den physischen Karper bezieht, da das Referat mit den Worten eingeleitet wird "Einige aber meinen, daB die Grenzen des Korpers ... ", im Voraufgehenden abet
von physischen Karpern die Rede war. Die Vertreter der referierten Auffassung, so mussen wir annehmen, meinen nicht nur,wie alle anderen, daB physische Karper ousiai sind, sondern iiberdies noch, daB auch die Grenzen dieser Karper ousiai sind, und das sagar noch in einem strenge-
ren Sinn als die Karper selbst. Da dieser Zusammenhang zwischen der
JI
hier referierten Auffassung und dem Voraufgehenden so klar zu selO scheint, ist es kaum anzunehmen, daJl xui to at£Q£6v explikativ zu to amllu steht, urn zu verdeutlichen, daJl von physischen Kiirpero die Rede sein soll. Folglich muJl mit to at£Q£6v der mathematische Kiirper gemeint sein. Wenn auch an der Parallelstelle B 5, 1002'4- 80, von mathematischen Kiirpero keine Rede ist, so ist doch die Annahme wahrscheinlich genug, daJl die Theorie in einer Reihe von Schritten, vom Punkt ausgehend, iiber den mathematischen Kiirper fortschreitend, den physischen Kiirper abzuleiten versuchte. DaB, wie die "Notes on Z" nahelegen, Aristote1es hier einer Begriffsverwirrung von physischen und mathematischen Kiirpern zum Opfer fallt, ist in sich unwahrscheinlich und wird auch nicht durch die angefiihrten Stellen (Met. M 2, 1077"4- 20,3'- 36) gestiitzt. Der mathematische Kiirper, der in den Derivationstheorien der Platoniker vermutlich eine Rolle spielte, wird deshalb hier von Aristoteles erwahnt, aber nur kurz, weil er fur den Zusammenhang des Arguments keine Bedeutung hat.
sagar mehrere Arten Entweder ist gemeint, daJl Platon zahlenmaJlig mehr ousiai einfiihrt, oder aber, daJl er mehr Arten von ousia ansetzt. Ross spricht sich fiir die erste Miiglichkeit aus, wahl weil Aristoteles an anderen Stellen (A 9, 99ob4; M4, 107Sb34ff.) Platon wegen der Anzahl der ousiai kritisiert, die durch die Einfiihrung der Ideen entsteht. Aber da Aristoteles in den folgenden Zeilen (102Sb2Q--24) offensichtlich von Arten von ousiai spricht und diese sagar zahlt, ist klar, daJl er sich auch 102S b'9 darauf bezieht, daJl Platon gleich mehrere Arten von unkiirperlichen ousiai einfiihrt.
die dies in einem noch strengeren . . . seien Diese Worte lassen drei Interpretationen zu: (i) Man setzt ein Komma nach Dv'ta und versteht: Arten von ousiai, die in einem h6heren Mafie seiend sind, cia sie ewig sind; (ii) Man setzt ein Komma nach QV'tu, versteht abet: Arten von ousiai, die in einem h6heren Mafie ousiai sind, da sie ewig sind; (iii) Man setzt ein Komma nach lliiAAov und versteht: Arten von ousiai, die in einem h6heren Mafie ousiai sind, cia sie ewig sind. Ross zieht (i) vor. Aber 102S bq und 102S b21 ff. legen nahe, daJl es in diesem Zusammenhang nieht urn den Seinsgrad, sondero urn den Grad von Substantialitat geht. AuJlerdem bereitet auch das alleinstehende n{otu Schwierigkeiten. Deshalb ist auch Interpretation (iii) der Interpretation (ii) vorzuziehen. Die Schwierigkeit, die nun das alleinstehende lliinov
Zweiles Kapilel
bereitet, wird durch das j.liiAAOV in IOZS b'7 gemilderr, welches darauf vorbereitet, dall von Graden der Substantialitat die Rede sein soil. Bonitz bezieht in der Ubersetzung j.liiAAOV auf ai/ita, was aber der Sache nach ausgeschlossen zu sein scheint.
Einige dagegen meinen Vermutlich hat Asclepius Recht, der (379, '7) diese Auffassung dem Xenokrates zuschreibt.
ob es ... eine abgelrennle ousia gibl Man mull sich iiberlegen, wie sich diese Frage von der vorangehenden Frage unterscheidet, ob es neben den wahrnehmbaren ousiai noch andere gibt (IO ZS bZS-z9). Bei der zweiten Frage mull es sich urn eine Spezialisierung der ersten Frage handeln: Gibt es neben den wahrnehmbaren ousiai noch andere, und, insbesondere, gibt es noch solche, die abgetrennt fiir sich existieren? Dies setzt voraus, dall Aristoteles die Miiglichkeit in Betracht zieht, dall es rucht-wahrnehmbare ousiai gibt, die aber nicht abgetrennt fiir sich existieren. Dabei kiinnte man z. B. an die Formen von wahrnehmbaren Gegenstanden denken. In diesem Falle miillte man freilich den Ausdruck "rraQa laC; alcrlh]laC;" in der ersten Frage so verstehen, ob es neben den wahrnehmbaren ousiai noch andere Dinge gibt, die als ousiai betrachtet werden kiinnen. Denn die Formen von wahrnehmbaren ousiai existieren ja nicht neben den wahrnehmbaren ousiai selbst, sondern sind konstitutiver Bestandteil von ihnen. Der Singular in der zweiten Frage legt es nahe, dabei an die ousia des ersten Bewegers zu denken.
und warum und in welcher Weise Das "warum und in welcher Weise" bezieht sich auch auf "abgetrennte" , nicht nur auf "gibt".
DRITTES KAPITEL
Metaphysik Z 3 gehiirt zu den wichtigsten, aber auch zu den schwierigsten und umstrittensten Kapiteln der "Metaphysik". • Das Kapitel beginnt mit einer Aufzahlung von vier Miiglichkeiten, wie man die am Ende von Kapitel 2 aufgeworfene Frage nach dem richtigen Begriff der ousia zu beantworten suchen kiinnte: Bei der ousia kiinnte es sich (i) urn das "Was es heillt, dies zu sein" , (ii) urn das Allgemeine, (iii) urn die Gattung und, schlielllich, (iv) urn das Zugrundeliegende einer jeden Sache handeln (102S b3 3- 36). Der Hauptteil von Kapitel 3 ist dem Vorschlag gewidmet, bei det ousia handle es sich urn das Zugrundeliegende. Aristoteles wird dann in den Kapiteln 4-12 auf den Votschlag eingehen, bei der ousia handle es sich urn das "Was es heiEt, dies zu sein", in den Kapiteln 13- ]6 auf die Vorstellung, die ousia sei etwas Allgemeines, und damit zugleich, wenn auch nur implizit, auf die Vorstellung, die ousia sei die Gattung, urn dann erst im 17. Kapitel einen neuen Anfang zu machen. Der Beginn des 3. Kapitels bestimmt also den weiteren VerI auf des ganzen Buches mit Ausnahme des letzten Kapitels . Die Aufnahme des Vorschlags, bei der ousia handle es sich urn das Zugrundeliegende, fUhrt zu einer vorlaufigen Bestimmung der ousia: Auf eine Weise ware die Materie ousia, auf eine andere die Form und auf eine dritte das Konkrete, das aus Materie und Form Zusammengesetzte. Damit ist aber noch nichts dariiber gesagt, was von diesen dreien in erster Linie ousia ist; und Aristoteles macht nur den ausdriicklichen Vorbehalt, dall eine Priori tat der Form gegeniiber der Materie auch eine Prioritat dem Konkreten gegeniiber begriinden wiirde (10 2Sb36- 1029'9). Aber eben diese Bemerkung schon zeigt die Unzuliinglichkeit des Vorschlages, die ousia lediglich als das Z ugrundeliegende zu charakterisieren. Einmal ist diese Charakterisierung in sich unklar, zum anderen ergabe sich, folgte man lediglich der Charakterisierung der ousia als des Zugrundeliegenden, dall die Materie und nicht die Form das ware, was in erster Linie ousia ist. Dies aber ist falsch, da die ousia die weiteren Bedingungen erfUllen sollte, abtrennbar und ein Dies von der Art zu sein, diese Bedingungen aber eher von der Form und dem Konkreten erfiillt werden, so dall man meinen sollte, die Form und das Konkrete seien eher ousia als die Materie (1029'9- 30). Von diesen drei Arten von ousia nun bedarf vor allem die Form der weiteren Untersuchung. Da aber nach allgemeiner Auffassung zumindest einige wahrnehmbare Gegenstande ousiai sind, sollte man der Frage nach
Driftu Kapittl
der Form zunachst einmal im Bereich dieser wahrnehmbaren Gegenstande nachgehen. Denn mit diesen sind wir vertraut, und folglich mussen wit von diesen ausgehen, urn zu dem fortzuschreiten, was von Natur aus Prioritat vor den wahrnehmbaren Gegenstanden und ihren Formen hat ( IOZ9'3 0- b1z ).
Von ousia spricht man . .. Wie man aus 1029 a7- 9 ersehen kann, macht sich Aristoteles hier daran, die am SchluJ3 von Kapitel z aufgeworfene Frage nach dem richtigen Begriff der ousia zu beantworten. Wie Aristoteles selbst andeutet (vgl. 1tAWVUX&<;, aAA' tv ,tHuQcrl ye gibt es aile miiglichen Antworten auf die Frage. Warum zieht er gerade die vier hier angefuhrten in Betracht? Vermutlich waren sich die Philosophen daruber einig, daJ3 die ousia das "Was etwas ist" einer Sache ist. Als soIches war die ousia auch im ersten Kapitel von Z eingefuhrt worden. Als das "Was etwas ist" einer Sache aber kann man Verschiedenes betrachten. Da ist einmal das Wesen der Sache, dann aber auch das den Widerfahrnissen der Sache Zugrundeliegende. Oberdies kiinnte man meinen, daJ3 das, was eine Sache eigentlich ist, etwas Allgemeines ist. Und dies laJ3t sich auf zwei verschiedene Wei sen verstehen, namlich einrnal so, daB das, was etwas ist, etwas ganz Allgemeines, eine Gattung ist, welche, durch immer weitere Bestimmungen spezifiziert, schlielllich den jeweils vorliegenden Gegenstand ausmacht, dessen "Was etwas ist" die Gattung darstellt; oder aber so, daB es sich beim Allgemeinen urn die der in Frage stehenden Sache spezifische Art handelt. Jedenfalls durfte Aristoteles meinen, daB es in der Regel eines von diesen vier Dingen ist, an das Philosophen denken, wenn sie von der ousia sprechen.
in vier hauptsdchlichen Die Redeweise "AtyecriJUI tv" in dieser Verwendung scheint ohne Parallele zu sein. Vielleicht wolhe Aristoteles durch die Wahl dieses Ausdruckes die durch eine ublichere Redeweise nahegelegte Fehldeutung vermeiden: Es geht hier nicht Klassen Gegenstanden, sondern urn die Merkmale, die fUr die ousia ·sein kiinnte'n.
urn
IOZS b34
das "was es heijJt) dies
zu sein u
Die Erklarung und mithin auch die Obersetzung von ",,, 'I 1'jv elVat" sind umstritten. V gl. C. Arpe, Das ,I liv elvill bei Aristoteles, Hamburg 1938; F. Bassenge, Das '" tv; elvill ... bei Aristoteles, Philologus 104, 1960, S. 14- 47; 201 - 222. Wir folgen der Auffassung, nach der es sich beim ,t 1'jv elVat urn eine
[023";; bis J!
Jf
Kurzformel fiir Ausdriicke wie ,,1i i'Jv 1iii &.vllgcil1tCfl &.vllgOl71Cfl ElVat" handelt, also fiir Ausdriicke wie: "was es fiir den Menschen heillt, ein Mensch zu sein". Das Prateritum i'Jv, bisweilen von Grammatikern auch als "philosophisches Imperfekt H klassifiziert, verstehen wir so, dafi auf eine vorausgesetzte Festlegung der definierenden Bestimmungen verwiesen wird. Diese Verwendung des Prateritums hat im Deutschen keine Entsprechung, wenn man nicht solche umgangssprachlichen Wendungen wie "Wie war doch gleich der Name?" heranziehen will. Wir verwenden daher in der Ubersetzung das Prasens. Es wird in der Literatur Dfters die Ansicht vertreten, das "dVUl" in 16 1( i'Jv ElvU! habe eindeutig existentielle und nicht bloll pradikative Bedeutung. Es scheint aber gerade charakteristisch fUr die Auffassung des Aristoteles, daB bei den Dingen, die iiberhaupt ein 1i i'Jv ElVUl haben, das Sein (die Existenz) und das So-bestimmt-sein zusammenfallen. Das Sein des Menschen liegt in nichts anderem als in seinem Mensch-sein. 102g b l j
die Gattung
Es rallt auf, dall Aristoteles auf die drei anderen Kandidaten im folgenden gesondert eingeht, nicht aber auf die Gattung. So kiinnte man fast versucht sein, zu meinen, Aristoteles unterscheide der Sache nach iiberhaupt nur drei Kandidaten, und die Gattung werde Iediglich epexegetisch zum Allgemeinen hinzugefiigt, weil aus dem Bereich des Allgemeirien lediglich die Gattung als ousia eines Gegenstandes in Betracht k'''mmt, wobei "Gattung", wie in B I, 99jb29, sowohl Genera als auch Spezies umfassen kann. Zu dieser Deutung wiirde es passen, dall AristoteIes zu Beginn von Kapitel Il, IOlg blff., so spricht, als hatten wir nur drei Kandidaten unterschieden. Doch schliellt das 1E1!lglOV in 102g bl j diese Interpretation aus. Aristoteles mull also meinen, daB die Unhaltbarkeit det These, die ousia sei die Gattung, bereits hinteichend durch seine ausfuhrliche Diskussion der These, die ousia sei etwas Allgemeines, erwiesen werde und dall es daher keinen zwingenden Grund gebe, gesondert auf die These einzugehen, die ousia sei die Gatrung . Denn die Gattung ist sicher etwas Allgemeines, wenn auch nicht alles Allgemeine eine Gattung ist.
die ousia einer jeden 5 ache 1m Gegensatz zu der vetbreiteten und auch durch die Kategorienschrift nahegelegten Auffassung, das Zugrundeliegende sei ousia im Sinne eines einstelligen Priidikates, das "Was es heifit, dies zu sein hingegen nur ousia von etwas, also im Sinne eines zweistelligen Pradjkats, macht diese H
J6
Drjllts Kapitel
Stelle deutlich, dall fUr Aristoteles auch das Zugrundeliegende ousia von etwas ist, die Unterscheidung von ein- und zweistelligem Pradikat im Hinblick auf die ousia der Auffassung des Aristoteles also nicht gerecht wird. Man k6nnte hiergegen einwenden, Aristoteles habe der Sonderste11ung des Zugrundeliegenden hier gerade dadurch Rechnung tragen wollen, dall er das ouain 00"£1 Elvm t"ua'Wu auf die drei anderen Kandidaten einschrankt und ihnen das Zugrundeliegende a11ein als "Viertes" gegenuberste11t. Wenn das t"ua'Wu nur auf die drei ersten Kandidaten zu beziehen wiire, so k6nnte man in der Tat daran den ken, dall Aristoteles bei diesen den relationalen Aspekt der Verwendung des zweiste11igen Pridikats "ousia", 1m Gegensatz zum Zugrundeliegenden, betonen wollte. Jedoch steht dem entgegen: (i) Die grammatische Struktur erlaubt nicht, eine solche Aufspaltung von ouain oo"d Elvnl und t"ua'Wu so vorzunehmen, dall sich nur ouain oo"d dvm, aber nicht exua'Wu auf das Zugrundeliegende bezieht. (ii) Wenn Aristoteles hier diese Unterscheidung von ousia sein und ousia von etwas sein beabsichtigte, verl6re die F rage nach der ousia ihre Einheit; sie wird aber in Z durchweg als ,in, Frage, als die Frage nach ,in,r Sache, eben der ousia, behandelt. (iii) Es ist ein Irrtum zu meinen, das Zugrundeliegende sei nicht die Dusia von etwas; indem es den Widerfahrnissen zugrundeliegt, ist es zwar nicht die ousia dieser Widerfahrnisse, aber die ousia des wahrnehmbaren Gegenstandes, der eben nur wahrnehmbar ist, weil die Widerfahrnisse bereits Teil seiner Konstitution sind . Der wahrnehmbare Gegenstand ist nicht mit dem Zugrundeliegenden identisch, sondern vielmehr ist dieses Zugrundeliegende das, was der wahrnehmbare Gegenstand 'igentlich ist, seme QUSia.
(iv) Der Grund, warum Aristoteles die Erwahnung des Zugrundeliegenden von der Erwahnung der anderen Kandidaten abhebt, durfte vielmehr der sein, dall er sich im folgenden zunachst dem Zugrundeliegenden zuwenden will, weil die Dusiai, die allgemein als Dusiai angesehen werden, ousiai im Sinne der Zugrundeliegenden sind, weil seine eigene Vorste11ung von der ousia in der Kategorienschrift die Vorstellung von einem Zugrundeliegenden war und weil seine Vorganger, wenn sie nach dem Seienden und insofern nach der ousia fragten, in erster Linie nach dem Zugrundeliegenden gefragt haben. Wir haben schon in unseren Bemerkungen zum I. Kapitel und in der Einleitung zum 2. Kapitel darauf aufmerksam gemacht, dall Aristoteles in Z nlcht zwischen der Dusia und de! ousia von etwas unterscheidet. Anders lallt sich die Liste von Kandidaten in Kapitel 2 nicht verstehen.
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Deshalb Es ist nicht offenkundig, worauf im Vorhergehenden das "Deshalb" verweisen konnte. So sagen die Londinenses, S. 14: "OtO seems idle". Vermutlich bezieht sich "Deshalb" darauf, daB in Zeile b}6 das Zugrundeliegende so bestimmt worden ist, daB zumindest die Moglichkeit offen gelassen wird, daB es nicht nur das Zugrundeliegende fur aile unwesentlichen Widerfahrnisse, sondern auch fur das "Was es heiBt, dies zu sein", das Allgemeine und die Gattung bildet. Denn die in b 36 gegebene Bestimmung des Zugrundeliegenden laBt es noch offen, wo die Grenze zwischen dem Zugrundeliegenden und aHem Anderen gezogen wird. Und das Kapitel 3 selbst zeigt, daB die Grenze durchaus verschieden gezogen werden kann. 1m Kapitel r war die Grenze so gezogen, daB das Ubrige die unwesentlichen Widerfahrnisse waren (vgl. r018'r8- 10). Entsprechend ware das Zugrundeliegende das aus Materie und Form Zusammengesetzte. Aber im Kapitel 3 zieht Aristoteles auch die Moglichkeit in Betracht, daB die Materie das Zugrundeliegende ist und daB sie das Zugrundeliegende nicht nur fur die Widerfahrnisse, sondern auch fur die ousia bildet (vgl. 1019'13 ff.). Wenn wir aber die Moglichkeit in Betracht ziehen mussen, daB das Zugrundeliegende auch das Zugrundeliegende fUr die anderen Kandidaten fUr den Titel der ousia bildet, das Zugrundeliegende aber eben deswegen als ousia betrachtet wird, weil es das allem Ubrigen Zugrundeliegende ist, dann hatte das Zugrundeliegende auch eher Anspruch auf den Titel der ousia als die ubrigen Kandidaten. Foiglich mussen wir unsere Untersuchung mit dem Zugrundeliegenden beginnen. Die sich mit "Denn" anschlieBende Begrundung ware dann nicht so zu verstehen, daB ganz allgemein von den vier Kandidaten das Zugrundeliegende am ehesten das ist, was aHgemein als ousia akzeptiert witd, und daB wir deswegen unsere Untersuchung mit dem Zugrundeliegenden beginnen mussen, sondern vielmehr so, daB dasjeweils Zugrundeliegende am ehesten ousia zu seln scheint, daB also, wenn das Zugrundeliegende etwa auch der Gattung zugrundelage, auch hier das Zugrundeliegende eher ousia zu sein schiene als die Gattung.
das IIrspriinglich Zligrundeliegende Die Redeweise von einem ursprunglich Zugrundeliegenden konnte auf folgende dtei Weisen verstanden werden: (i) In r019'r 5- r6 spricht Aristoteles davon, daB jenes die ousia sei, dem die Dimensionen (Lange, Breite und Hohe) als erstem zukommen. Dahinter steht offenkundig der Gedanke, daB vielfach verschiedene Gegenstande als das in Berracht kommen, was einer Bestimmung zugrunde liegt. So konnte man, urn bei
Drittts Kapitel
des Aristoteles Beispiel zu bleiben, als das den Dimensionen Zugrundeliegende einmal das Standbild, dann aber auch den entsprechenden geometrischen Karper und schlielllich auch die das Standbild konstituierende Materie ansehen. Urn festzustellen, welches von diesen verschiedenen Zugrundeliegenden die ousia ist, mullte man feststellen, welehes von ihnen das eigentliche, primare Subjekt der Bestimmung ist. (ii) Das Verhaltnis zwischen Zugrundeliegendem und dem, welehem es zugrunde liegt, lallt sich, wie besonders aus der Kategorienschrift hervorgeht, iterieren, wobei nicht jedes der in einer solehen Kette als Zugrundeliegendes auftretenden Glieder schon deshalb eine ousia ware. So kann man sagen, die Gerechtigkeit sei eine Tugend, und insofern liege sie der Tugend zugrunde. Wenn es aber so etwas wie Gerechtigkeit und damit Tugend geben soli, dann mull der Gerechtigkeit ihrerseits ein Individuum zugrunde liegen, von dem sie ausgesagt werden kann. Da diese Pradikationsreihe nicht liber das Individuum hinaus fortgesetzt werden kann, ware dieses Individuum ein der Tugend ursprunglich Zugrundeliegendes und mithin ousia, wahrend dies fur die Gerechtigkeit nicht gel ten wiirde. An solehe Pradikationsreihen denkt Aristoteles offensichtlich auch in Z 3 (vgl. 1029'23- 24) . Aus dies em Beispiel kann man auch entnehmen, dall Aristoteles in Met. Z, anders als in der Kategorienschrift, nicht die Ansicht vertritt, dall dem Verhaltnis des Zugrundeliegenden zu dem, welehem es zugrundeliegt, immer ein Pradikationsverhaltnis entspricht. Denn zwar werden die Widerfahrnisse von der ousia und die ousia ihrerseits von der Materie ausgesagt, und mithin liegt die Materie auch den Widerfahrnissen zugrunde, aber die Formulierung in '23- 24 legt nahe, dall die Widerfahrnisse nicht von der Materie ausgesagt werden. Das urspriinglich Zugrundeliegende ware dann ein solehes Zugrundeliegendes, von dem nicht notwendig gelten wiirde, dall das, dem es zugrunde liegt, auch von ihm ausgesagt wird. Wenn wir Aristote1es so verstehen, dann enthielte der Zusatz "ursprunglich" cine Prazisicrung der Bestimmung des Zugrundeliegenden in 1028b36- 37 . (iii) Wenn man nach- der ousia als dem Zugrundeliegenden fragt, dann fragt man nach der Sache selbst im Gegensatz zu clem, was man ihr zuschreibt, also nach dem, was jeweils der Bestimmung eigentlich zugrunde liegt. Diese Unterscheidung ist wichtig, wei! es naheliegt, als das den Bestimmungen Zugrundeliegende den empirischen Gegenstand aufzufassen. Da dieser aber seine Bestimmungen schon miteinschliellt, kann er nicht das ihnen eigentlich Zugrundeliegende sein . Eben deshalb stellt Aristoteles in '2- ) als urspriinglich Zugrundeliegendes nur die Form, die Materie und das Konkrete zur Diskussion. Denn nur diese kannen als die Sache selbst, d. h. als die Sache ohne ihre Widerfahrnisse betrachtet werden. Dies ist offenkundig bei
1029"2
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Materie und Form; was "das Konkrete" anbelangt, muB man beach ten, daB es sich dabei urn einen theoretischen Begriff handelt, der sich auf das bezieht, was ausschlieIllich aus der Form und der Materie zusammengesetzt ist und daher durchaus nicht mit dem beobachtbaren Gegenstand, den wir aus der Erfahrung kennen, zusammenfallt, zu dessen Konstitution auch noch seine Widerfahrnisse gehoren. Diese drei Aspekte, unter denen von einem ursprunglich Zugrundeliegenden gesprochen werden kann, schlieBen einander offensichtlich nicht aus. 1m ubrigen sei darauf verwiesen, daB U1tOXtlllevOv 1tQiiitov hier dem u1toxeillevov Eaxntov in 6. 8, 10I7b24, entspricht (vgl. auch EaxntOV in 102 9'24).
auf eine andere Weise dagegen die Form Es iiberrascht, wie auch Ross bemerkt, daB Aristoteles hier behauptet, auf eine Weise sei das urspriinglich Zugrundeliegende die Form. Bonitz hat gemeint, es handle sich urn ein bloBes Versehen des Aristoteles, der es so gewohnt sei, die Materie, das Konkrete und die Form in einer Reihe zu nennen, daB ihm auch hier, wo es fehl am Platz sei, die Erwahnung der Form unterlaufe. Ross verweist dagegen, ganz zu Recht, auf HI, I04ZaZS- z9. wo Aristoteles in seiner Zusammenfassung von Z diese Behauptung wiederholt. Und in der Tat spielt diese These fur die Auffassung, die Aristoteles in Z vertritt, sogar eine Schliisselrolle. Denn es ist diese Behauptung, welche es Aristoteles erlaubt, die beiden in 6. 8 noch unterschiedenen Begriffe der ousia zu einem Begriff zu verschmelzen, wonach die ousia sowohl das Zugrundeliegende als auch die Ursache fUr das Sein einer Sache ist, eben indem die Form beides ist. In welchem Sinne aber ist die Form das letztlich Zugrundeliegende? Wie in der Anmerkung zu 1029'2 ausgefuhrt worden ist, kann das ursprunglich Zugrundeliegende unter einem Aspekt als die Sache im Gegensatz zu ihren Bestimmungen aufgefaBt werden. 1m weiteren Verlauf von Z wird Aristoteles die These entwickeln, daB die Sache selbst die Form ist. Dies erlaubt es Aristoteles, schon hier die Form als urspriinglich Zugrundeliegendes zu nennen. Man konnte versuchen, wie Boehm es unter Verweis auf lozSb 19 getan hat (R. Boehm, Das Grundlegende und das Wesentliche, 196 5, S. 45), sich den weitgehenden Foigerungen, die sich aus diesem Verstandnis der Stelle ergeben, dadurch zu entziehen, daB man tolOiitov auf ouain im voraufgehenden Satz bezieht. Aber nicht nur ware eine salche Erklarung des tOtOUtOV au13erst kunstlich, sondern man mu13te auch die entsprechende Bemerkung in HI, 1042'16ff., wegerklaren.
Driltu Kapitti
10 29'4
so etwas wie das Erz
Man kann sich fragen, ob Aristoteles als Beispiel fiir Materie das Erz als eine bestimmte Art von Stoff oder das Erz als Materie einer bestimmten Statue anfUhrt. Materie ist aber fUr Aristoteles, streng genommen, immer das Material einer Sache. Materie, rein als seiche, gibt es fUr Aristoteles nicht. Daher kann nur die zweite Interpretation in Betracht kommen. die Figur, die sich dem Anblick bietet
Die ungewiihnliche, fast pleonastische Ausdrucksweise erkliirt sioh daraus, dall Aristoteles hier nicht die Form im allgemeinen, sondern die konkrete Gestalt der Statue im Auge hat. Uberdies vermeidet sie das Millverstiindnis, "iotu" sei hier terminologisch gebraucht. 1029'j
das Konkrete
Es gibt keinen iiberzeugenden Grund, mit Jaeger das einhellig iiberlieferte t6 auvoJ..ov zu streichen. "Standbild" kann nach Aristoteles sowohl im Sinne der Form als auch im Sinn des konkreten Standbildes gebraucht werden (vgl. Z 10, 103 H 3, Zwar erscheint eine solehe Verdeutlichung hier nicht notwendig, aber daraus folgt noch nicht, dall der Ausdruck zu streichen ist. Den grammatischen Bezug auf t6 ex 'too'tO)v kann man vermeiden, wenn man nach 'tOY etVOQlclVta. ein Komma setzt. 1029'6
dem aus beiden Zusammengesetzten
Die Uberlieferung bietet neben t OU (E J) auch t 6 (Ab ex corr., E2), was auch von Ps. -Alexander gelesen und von Schwegler bevorzugt wurde. Bonitz entschied sich fiir WU, hielt aber beide Lesungen sachlich fiir gleich miiglich. Denn das Konkrete halte die Mitte zwischen vollbestimmter Form und unbestimmter Materie. Demgegeniiber weist Ross zu Recht darauf hin, dall aus der Prioritiit der Form vor der Materie auch die Prioritiit der Form vor dem Konkreten folgen wiirde, aber noch nichts iiber das Verhiiltnis zwischen dem Konkreten und der Materie. Es ist zu beachten, dall Aristoteles hier nicht die Prioritiit der Form gegeniiber der Materie behauptet, sondern, unter dieser Voraussetzung, die Prioritiit der Form gegeniiber dem Konkreten. Dies ergibt sich aus dem unmittelbar Vorhergehenden (mate), insofern das Konkrete dort ausdriicklich als das aus Materie und Form Zusammengesetzte eingefiihrt worden ist. Die Funktion dieses Satzes im Zusammenhang des Kapitels diirfte in dem Nachweis liegen, dall, wenn es gelingt, die Prioritiit der Form als
ousia gegenuber der Materie zu erweisen, zugleich damit auch die Prioritat der Form als ousia gegenuber dem Konkreten erwiesen ware und sich die weitere Untersuchung zu Recht auf die Form konzentrieren k6nnte (vgl. '30-33). 1029'10
fur sich genommen IInk/ar
Diese Bemerkung durfte sich daraufbeziehen, dan unklar ist, was unter "alles Obrige" zu verstehen ist (vgl. Anmerkung zu 1028 b37 "Deshalb"), aber auch darauf, dan schwer zu verstehen ist, wie die Form allem Obrigen zugrundeliegen soil.
und aujerdem ergabe sich ... So, wie Aristoteles sich hier ausdruckt, k6nnte man meinen, dall er schon in der blonen Tatsache, dall auch die Materie ousia ware, einen Einwand gegen die Vorstellung sieht, die ousia sei das Zugrundeliegende. Das kann aber nicht zutreffen. Nicht nur meint Aristoteles ganz allgemein in Z und H, dan es sich auch bei der Materie in gewisser Hinsicht urn eine ousia handelt (vgl. HI, 1042'27), sondern auch in Z 3 selbst scheint er an dieser Annahme festzuhalten. Denn wenn er 1029'32 von der Form als der dritten Art von ousia spricht, dann setzt er voraus, dan es sich auch bei der Materie urn eine Art von ousia handelt. Man k6nnte sich zu helfen versuchen, indem man sagt, Aristoteles nehme in Wirklichkeit an der These Anston, die Materie sei die ousia, d. h. nur die Materie sei ousia. Und darin k6nnte man sich durch 1029'19 bestatigt sehen, wo es heillt, dan allein die Materie ousia ware, wenn man die Sache so betrachtete. Ja, man k6nnte versucht sein, in 1029'10 il (i),,11
Dritles Kapiltl
folgende sein: Das, was in erster Linie ousia ist, ist in gewisser Hinsicht die ousia, das, auf dessen Sein letztlich das Sein von allem anderen, einschlieBlich eventueller anderer Arten von ousia, beruht. Die hier zu erkHirenden Warte waren also so zu verstehen: "Und iiberdies wird so die Materie zur ousia, d. h. zu clem, was im eigentlichen Sinn ousia ist; nicht in dem Sinn, daB allein die Materie ,ousia' genannt werden kann, sand ern in dem Sinn, daB die Materie in erster Linie ousia ware. So erkliirt sich auch, warum Aristoteles mit den Worten fortfahren kann: "Denn wenn sie nicht ousia ware, so bliebe uberhaupt nichts, was sonst ousia sein konnte. U
H
I02.9alo-27
Denn wenn sie nicht ousia wiire .. .
In diesen Zeilen versucht Aristoteles folgendes zu zeigen: Wenn man nur davon ausgeht, dall es sich bei der ousia urn das Zugrundeliegende handelt, stellt sich die Materie als das heraus, was letztlich ousia ist. Der Abschnitt zerfillt deutlich in zwei Teile (1029'10- 19 und 1029'20- 27), von denen jedoch nicht vollkommen klar ist, wie sie miteinander verbunden sind. Die Vermutung, dall im wesentlichen dieselbe Folgerung sowahl bereits I029aI8- 19, als auch wieder 1029226- 27 gezogen wird, ki:innte nahelegen, dall es sich hier urn zwei unabhangige Argumente daWr handelt, dall die Materie das ist, was eigentlich ousia ist. Und tatsachlich liellen sich auch die beiden Teile als selbstandige Argumente interpretieren. Vermutlich aber handelt es sich bei dem zweiten Teil urn die Verdeutlichung einer Annahme, die 1029' 18- 19 gemacht wird, namlich der Annahme, dall die Materie zwar nichts in dem Sinn ist, dall sie keine Sache, kein Was, ist, aber auch wiederum nicht gar nichts ist, sondern das, was den Bestimmungen zugrunde liegt. Wenn man von den Widerfahrnissen, so lautet das Argument, abstrahiert, dann bleibt nichts iibrig, es sei denn, es gebe etwas, das zwar nichts in dem Sinn ist, dall es keine Sache ist, aber nichtsdestoweniger das ist, was von Lange, Breite und Hi:ihe begrenzt wird. Die Folgerung setzt dann voraus, dall es in der Tat so etwas gibt, namlich die Materie. Und die Zeilen 1029'20--27 wiirden erkliiren, wie die Materie genau das ist, was durch rlie Folgerung vorausgesetzt wird. Wie immer wir auch den Zusammenhang zwischen den beiden Teilen interpretieren, so handelt es sich jedenfalls bei dem ersten Teil urn ein durch eine Folgerung abgeschlossenes Argument, welches Aristoteles allenfalls in einem Punkte fiir der Erklarung oder der Erganzung bediirftig halt. Und so ki:innen wir zunachst diesen Abschnitt im Wesentlichen fiir sich betrachten.
I()2f} "10
bis 27
4J
Das in diesem Absehnitt vargetragene Argument hat den Interpreten immer graBte Sehwierigkeiten bereitet, salehe Sehwierigkeiten, daB manche, wie Ross, es vorgezogen haben, gar nicht erst auf sie einzugehen. Ein Sehlussel fUr das Verstandnis des Absatzes liegt in der folgenden Schwierigkeit: 10'9'18- 19 farmuliert Aristateles die l"algerung so, als ergabe sich aus dem varangegangenen Argument, allein die Materie sei ousia. Wir haben aber bereits gesehen, daB AristOteles nicht meinen kann, diese Falgerung ergabe sich schon aus der blaBen Annahme, die ousia sei das letztlich Zugrundeliegende. Denn 1O'9'Z- j sagt ja Aristateles ausdrucklieh, sowohl die Materie als auch die Form und das Konkrete seien letztlich zugrundeliegend. Uberdies beginnt auch das Argument selbst I029a1o-r I so, als gelte es nur zu zeigen, daB unter der Voraussetzung, die ausia sei das letztlich Zugrundeliegende, die Materie ausia sein muB, wenn irgend etwas sanst ousia sein soil. Es wird also keineswegs ausgeschlossen, daB es neben der Materie auch nach andere Arten von ausia geben kannte. Es wird lediglich behauptet, daB es salehe anderen Arten von ousia nur unter der Voraussetzung geben kann, die Materie sei ousia. Ferner ist auch zu beriicksichtigen, daB Aristoteles, wenn er 1O'9'z6- , 7 die Falgerung abschlieBend emeut formuliert, nicht sagt, allein die Materie sei ousia, sondern nur, die Materie sei ousia oder das, was eigentlich ausia ist, sei die Materie. Dies also ist die Falgerung, urn die es AristOteles im Zusammenhang der ganzen Diskussian des Zugrundeliegenden geht. Wie aber erklatt sich dann, daB er 10'9'18-19 die starkere Falgerung zu ziehen scheint, die Materie allein sei ausia, wenn man davan ausgehe, die ausia sei das letztlich Zugrundeliegende? Die Erklarung fur diese Schwierigkeit durfte in folgendem liegen: AristOteles versucht zu zeigen, daB die Materie am ehesten darauf Anspruch hat, ousia zu sein, wenn man nur davon ausgeht, daB die ousia das letztlich Zugrundeliegende ist. Warum? Wie wir gesehen haben, laBt sieh die Grenze zwischen dem Zugrundeliegenden und allem Ubrigen auf wenigstens zwei Wei sen ziehen. Entweder erstreekt sich alles Ubrige sawahl auf die unwesentlichen Widerfahrnisse als auch auf die wesentlichen Eigenschaften; in diesem Fall kammt nur die Materie, nicht aber das Kankrete ader die Form als Zugrundeliegendes in Frage. Oder aber das Ubrige ist auf die unwesentlichen Widerfahmisse beschrankt; in diesem Fall kame nieht nur die Materie als Zugrundeliegendes in Frage, sandem auch die Form und das Kankrete. Die Materie kammt also in jedem Fall als Zugrundeliegendes in Frage, wahrend die Form und das Kankrete nur als Zugrundeliegendes in Betracht kommen, wenn wir alles Ubrige auf die unwesentlichen Eigenschaften beschranken. Wenn man also lediglich von der Varstellung ausgeht, die ausia sei das Zugrundelie-
44
Drittes Kapitel
gende, dann ist die Materie das, was am ehesten Anspruch darauf hat, DUSia ZU sem .
Nun ist es offenkundig, dall allein die Materie als letztlich Zugrundeliegendes in Betracht kommt, wenn alles Ubrige sowohl die wesentlichen als auch die unwesentlichen Eigenschaften umfallt. Was einer Begrundung bedarf, ist die Behauptung, dall die Materie selbst dann das letztlich Zugrundeliegende ist und damit das, was eigentlich Dusia ist, wenn wir das Ubrige auf die unwesentlichen Widerfahrnisse beschranken. Eben dies Argument erhalten wir in 1029'roff. Dieses Argument wird freilich fast sogleich von Aristoteles' Antwort auf einen maglichen Einwand uberlagert. Aristoteles argumentiert, dall nur die Materie ubrigbleibe, wenn man sich die unwesentlichen Eigenschaften wegdenke. Denn es gibt keinen materiellen Gegenstand ohne unwesentliche Eigenschaften. Dagegen wird von Platonikern der Einwand erhoben, wenn man sich die unwesentlichen Eigenschaften, namlich die Widerfahrnisse, Wirkungen und Krafte wegdenke, bleibe immer noch der in seinen Dimensionen bestimmte Karper ubrig, und diese Grenzen oder quantitativen Bestimmungen seien die Dusia des Gegenstandes . Es konne also keine Rede davon sein, dall nur die Materie ubrigbleibe und folglich die Materie letztlich ousia sein musse, selbst wenn man die Annahme teile, die ousia sei das Zugrundeliegende. Dagegen erwidert Aristoteles, dall die quantitativen Bestimmungen des K6rpers nicht die Dusia sein konnen, eben weil es sich nut urn Quantitaten handelt. Schlimmer noch: Wenn man die Sache so wie diese Platoniker betrachtet und doch an der Annahme festhalt, die ousia sei das Zugrundeliegende, dann kommt uberhaupt gar nichts anderes als die Materie, die den quantitativen Bestimmungen zugrundeliegt, als ousia in Betracht. Dies ist die Foigerung, welche 1029'18- 19 gezogen wird. Die, weIche "die Sache so betrachten", sind die Platoniker, welche meinen, dall den unwesentlichen Eigenschaften der durch seine dimensionalen Bestimmungen defmierte Karper zugrunde liege und dall diese Bestim die Dusia des Gegenstandes ausmachten. Diesen "muB es so scheinen u, wie Aristoteles sich ausdriickt, als sei aHein die Materie Dusia. Fur Aristoteles selbst aber ergibt sich diese Foigerung auch unter der Annahme nicht, dall man die ousia lediglich als das Zugrundeliegende betrachtet. Denn obschon sich ergabe, dall die Materie das ware, was letztlich ousia ist, gabe es immer noch die Form und das Konkrete, die immer noch als Dusia in Frage kommen, wenn auch nll! linter der Bedingung, dall der Primat der Materie gesichert bleibt. Da aber die quantitativen Bestimmungen des Karpers blolle Quantitaten sind, bleibt den Platonikern nichts auller def Matede, was uberhaupt ousia sein
I02y"IO
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konnte, wenn sie sich auf die Annahme einlassen, das den unwesentlichen Eigenschaften Zugrundeliegende sei ousia. Dafiir nun, dall Aristoteles in diesen Zeilen auf einen solehen maglichen Einwand von Platonikern antwortet, spricht das folgende: Die Redeweise von unwesentlichen Eigenschaften eines Gegenstandes als den "Widerfahrnissen, Wirkungen und Kriiften der Karper" ist, jedenfalls fUr die aristotelische "Metaphysik", einzigartig. Ferner ist die grundlegende Unterscheidung von dimensionalen Bestimmungen einerseits und sonstigen unwesentlichen Widerfahrnissen eines Gegenstandes andererseits der aristotelischen Theorie fremd. Dagegen pallt die Auszeichnung der dimensionalen Bestimmungen des Karpers genau zu der in B 5, 100[ b26ff., und noch hier in Z 2, [028 b,6, referierten Theorie, nach der die Grenzen des Karpers die ousia des wahrnehmbaren Gegenstandes ausmachen. So also erklart sich die Tatsache, dall Aristoteles in 1029'18- 19 eine Folgerung zu ziehen scheint, die starker ist als es seine eigenen Ansichten in diesem Kapitel edauben. Es ist die Folgerung aus einer ihm fremden Ansicht, die gegen sein Argument ins Feld gefiihrt wird, in gewisser Hinsicht sei die Materie das letztlich Zugrundeliegende, selbst wenn man das Obrige auf die unwesentlichen Eigenschaften beschranke.
1029'[ [ - I 2
abgelost wird
Zu dieser Verwendung von
[029' 12 ff.
,,1tEQ1UtQEiV"
vgl. Cat. 7,
7 a32, 35; b2 •
5, 7.
Denn alles andere . ..
Die Theorie, auf die Aristoteles hier anspielt, diirfte von der folgenden Art sein: Als ousiai gelten die wahrnehmbaren Gegenstmde, dann aber auch das, was den Widerfahrnissen, Wirkungen und Kriiften dieser Gegenstande zugrunde liegen soU, niimlich ein dreidimensionaler Karper schlielllich aber auch und in erster Lime die Grenzen dieses dreidimensionalen Karpers nach Lange, Breite und Hahe, die insofern die eigentliche ousia des wahrnehmbaren Karpers ausmachen.
1029' 16
dies alles ursprunglich zukommt
Wir lesen ruer, wie Ross und Jaeger, mit Ab und Ps.-Alexander 1UU1U 1tQlimp. E und J haben mum uim! 1tQomo<;, wobei U01a. urspriinglich eine Textvariante zu 1uum gewesen sein diirfte und sich 1tQIi)1(u<; aus iota adscriptum leicht erklaren lallt. 1tQOl1f!J ist wegen der Parallele zu 1tQro10V in
I029a2
vorzuziehen.
Drittes Kapitd 1029'16
vielmehr isl ousia
Wegen des argumentativen Zusarnmenhanges mit :1 14- 15 , wo es urn den ousia-Charakter der Dimensionen geht, ziehen wir die Lesart von A b und Asclepius oucria der Lesart von E J 1'] oucrta vor. 1029'18
es sei denn, es gebe da irgend etwas
Der griechische Text lielle auch die Deutung zu "es sei denn, es gebe da etwas Bestimmtes (etwas, das ein Was ist)"; vgl. die Verwendung von ti in '20. Aus sachlichen Grunden scheint diese Deutung freilich ausgeschlossen zu sein. I02.9 a 2.O-2.6
Unter nMateril' verstehe ich . ..
In diesem Abschnitt zeigt Aristoteles, dall die Materie, so wie er diesen Begriff definiert, genau die Anforderungen erfullt, die das voraufgehende Argument an das letztlich Zugrundeliegende gestellt hat: Sie kann allen Bestimmungen zugrunde liegen, eben weil sie von sich aus keinerlei Bestimmungen hat und daher tatsachlich in einem gewissen Sinne nichts (ouOtv, '12 und ' 17) ist. Daraus, dall Aristoteles hier die Materie als das charakterisiert, was von sich aus nichts ist und keinerlei Bestimmungen besitzt, folgt aber noch lange nicht, dali er hier die materia prima, einen vallig undifferenzierten Urstoff, im Blick hat. Sein Begriff der Materie ist vielmehr hier, wie sonst, der Begriff des Materials eines bestimmten Gegenstandes, welches als Materie nur solche Eigenschaften hat, die ihm als Material eben dieses Gegenstandes zukommen. So ist seine Ausdehnung keine andere als die, welche zunachst einmal dem Gegenstand zukommt. Entsprechendes gilt fiir Gewicht, Temperatur, Farbe, Lage usw. Natiirlich kann man auch das Gold einer Statue nicht als Material dieser Statue, sondern als Gold betrachten und ihm als solchem vielerlei Eigenschaften zuschreiben, etwa Farbe, spezifisches Gewicht, Geschmeidigkeit, Korrosionsbestandigkeit. Aber in dies em Fall betrachtet man das Gold nicht mehr als Materie in des Aristoteles Sinn, sondern als einen natiirlichen Karper, bei dem wiederum eine Materie von der Form unterschieden werden kann. Das schlielit nicht aus, dall sich die Natur und die Kunst der naturlichen Eigenschaften der Stoffe bedienen, urn Produkte mit bestimmten Eigenschaften herzustellen. Abet auch dann hat die Materie als solehe diese Eigenschaften nur, insofern sie Materie des Produktes ist, dem diese Eigenschaften in erster Linie zukommen. Wenn ein Bildhauer fiir eine Statue Gold als Material seiner Farbe wegen verwendet, dann geht es
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ihm um die Farbe der Statue, und nur deshalb kommt die Farbe der Statue auch dem Material zu. Wenn dagegen ein Bildhauer das Gold nicht seiner Farbe wegen wahlt, dann gilt wiederum, daB diese Farbe dem Gold nur als Gold, nicht aber als Material der Statue zukommt. Die Rostanfalligkeit des Eisens ist nicht eine Eigenschaft Eisens, die ihm als Material von sich aus zukommt. Denn wenn ein Architekt sich diese Eigenschaft zunutze macht, handelt es sich primar um eine Eigenschaft des Gebaudes. Andernfalls handelte es sich lediglich um eine Eigenschaft des Staffs Eisen, aber nicht des Materials als solchen. Man konnte auch meinen, daB Aristoteles hier gar nicht von seiner eigenen Vorstellung von Materie spricht, das ')..tyro also im Sinne von "unter Materie abe! verstehe ich hier" interpretieren. 1m Voraufgehenden hatte er anscheinend (vgl. Anm. zu 1029' 10--27) auf eine platonistische Theorie angespielt. Er kannte hier sagen wollen, daB sich bei einer solchen platonistischen Theorie (vgl. OUTro 1029'19) ergabe, daB die Materie (im Sinne der Platoniker) ousia ist, eine den Pia toni kern hachst unwillkommene Konsequenz. Gegen diese Interpretation spricht die Tatsache, daB Aristoteles im AnschluB aus dem voraufgehenden Argument Folgerungen tiber den Status der Materie in seinem eigenen Sinn ziehen will, die ungerechtfertigt waren, wenn das Argument von einer platonistischen Auffassung von der Materie ausginge. auch sonst nicht durch irgend etwas charakterisiert ist
Ross tibersetzt "nor assigned to any other of the categories by which being is determined". Es geht hier aber nicht darum, ob die Materie in eine de! Kategorien, und wenn ja, in weiche, eingeordnet werden kann, sondern darum, ob ihr - eben als der Materie - Bestimmungen zukommen kennen, die jeweils einer de! Kategorien angehoren miif3ten. Wenn davon gesprochen wird, dall diese Kategorien das sind, "wodurch das Seiende bestimmt wird", so ist nicht daran zu den ken, daB irgendein Gegenstand durch seine Widerfahrnisse bestimmt wird, sondern daB der allgemeine Ausdruck "Seiendes" durch die Differenzierung in die Kategorien erst die Bestimmtheit erhalten kann, die uns erfahren laBt, was es denn jeweils ist, von dem als einem Seienden die Rede ist. 1029'21
Sie ist niimlich etwas .. ,
Wi! fassen diesen Satz nicht, wie Bonitz und Ross in ihren Ubersetzungen, als einen allgemeinen Existenzsatz auf ("Es gibt namlich etwas . .. "), sondern als eine Charakterisierung de! Materie, von de! in a 2 1- 26 gezeigt werden soli, daB sie (i) allen Bestimmungen zugrunde liegt, aber (ii) keine
DritttI Kapitel
dieser Bestimmungen von sich aus hat. Dall sie allen Bestimmungen zugrunde liegt, wird in '2 )- 24 dadurch bewiesen, daB alle unwesentlichen Bestimmungen (Widerfahrnisse) von der ousia priidiziert werden, diese aber von der Materie ausgesagt wird . Dall sie keine dieser Bestimmungen von sich aus hat, wird 1029'22- 2) mit der Bemerkung begrundet, daB die Seinsweise der Materie verschieden ist von der Seinsweise einer jeden der in den verschiedenen Kategorien auftretenden Bestimmungen. Nur weil Sokrates zu sein eine Substanz Zll sein heillt, kann Sokrates von sich aus ein Mensch, ein Lebewesen usf. sein; entsprechend fur Qualitiiten, Quantitiiten und alles Obrige. Wenn also die Seinsweise der Materie von der alles anderen verschieden ist, kann keine dieser Bestimmungen der Materie als solcher zukommen. Man fragt sich allerdings, ob nicht eher umgekehrt der Unterschied in der Seinsweise der Materie sich nur aus der Tatsache erschliellen liillt, dall der Materie als solcher keine dieser Bestimmungen zukommt.
Denn a//es Ubrige ... Wenn Aristoteles hier sagt, dan die "ollsia von der Materie ausgesagt wird", dann kann er unter "ousia" nur die Form verstehen; denn dem Konkreten kann die Materie nicht zugrunde liegen (vgl. auch Z I), 10)8b4- 6; 07, I049'lj - 16; H2, I041'j - 6) . Es ist freilich zu berucksichtigen, dall die Form nicht in demselben Sinn von der Materie ausgesagt werden kann, in dem Bestimmungen von der Form oder dem Konkreten ausgesagt werden. Wenn niimlich etwas vom Konkreten ausgesagt wird, dann kann ihm dies auch von sich aus zukommen. Diesen Arten des Ausgesagtwerdens entsprechen zwei, oder genauer drei, Arten des Zugrundeliegens (vgl. Z), 1029'2- ); Z Ij, 10)8b4- 6; HI, 1042'26). Zu dieser Stelle vgl. auch J. Brunschwig, La forme, predicat de la matiere?, in: P. Aubenque (Hrsg.), Etudes sur la Metaphysique d'Aristote, Paris '979, S. 1JI - 166. Es kann ferner verwundern, dall Aristoteles hier so spricht, als sei klar, dall ousia und Materie nicht zusammenfallen (vgl. Ross' Komrnentar zur Stelle). Die einfachste Erkliirung scheint die zu sein, dall Aristoteles bei der Formulierung dieses Satzes bereits, vielleicht ohne das zu bemerken, seine eigene Auffassung der ousia voraussetzt, obwohl an dieser Stelle im Argument die Frage, was letztlich ousia ist, gerade noch offen gehalten werden solI.
die entsprechenden Verneinungen Wenn die positiven Bestimmungen aus den verschiedenen Kategorien der Materie nicht als solcher, von ihr selbst aus, zukommen k6nnen, weil
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sie eigentlich nur dem Gegenstand zukommen, urn des sen Materie es sich jeweils handelt, kiinnen ihr als Materie auch die entgegengesetzten negativen Bestimmungen von ihr selbst aus nicht zukommen . Es ware ein falscher Schlull, wenn man aus der Tatsache, dall es der Materie nicht von sich aus zukommt, F zu sein, schlie13en wollte, es komme ihr von sich aus zu, nicht-F zu sein. Wenn es namlich der Materie zukommen wiirde, nicht-F zu sein, dann nur, weil es ein mit "F" unvertragliches Pradikat "G" derart gibt, dall die Materie Gist. Da sie aber nicht von sich aus Gist, kann es ihr auch nicht von sich aus zukommen, nicht-F zu sein. Die Zuruckweisung einer positiven Bestimmung der Materie ist nicht eine negative Bestimmung (non omnis negatio determinatio est). Die Materie hat fur Aristoteles als solehe uberhaupt keine Bestimmungen, weder positive noch negative. Ps. -Alexander verstand die Kurzformel "ooOt 81) at u1to