Willy Brandt und die »Vierte Gewalt«
Campus Historische Studien Band 41 Herausgegeben von Rebekka Habermas, Heinz-Ger...
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Willy Brandt und die »Vierte Gewalt«
Campus Historische Studien Band 41 Herausgegeben von Rebekka Habermas, Heinz-Gerhard Haupt, Frank Rexroth, Aloys Winterling und Michael Wildt
Daniela Münkel, Dr. phil. habil., ist Privatdozentin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Hannover.
Daniela Münkel
Willy Brandt und die »Vierte Gewalt« Politik und Massenmedien in den 50er bis 70er Jahren
Campus Verlag Frankfurt/New York
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH DD_VG Hamburg
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-593-37871-X Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2005 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln Umschlagmotiv: Willy Brandt gibt in der Wahlnacht 1969 die Bildung der sozialliberalen Koalition bekannt. Rechts im Bild Peter Merseburger, links Gerhard Löwenthal. Quelle: Bildarchiv des Archivs der sozialen Demokratie der Friedrich Ebert-Stiftung, Bonn. Druck und Bindung: KM-Druck, Groß-Umstadt Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
Inhalt
Vorwort ..............................................................................................................7 1. Einleitung ....................................................................................................9 2. Die Medienpolitik von SPD und CDU in den fünfziger Jahren ...................................................................29 2.1 Die Medienpolitik der CDU in den fünfziger Jahren.........................29 2.2 Die Medienpolitik der SPD in den fünfziger Jahren ..........................42
3. Die Presse .................................................................................................49 3.1 Die Springer-Presse ................................................................................53 3.2 Der Spiegel, Stern und Die Zeit .................................................................80 3.3 Magazine und Illustrierte..................................................................... 119 3.4 Die rechtsgerichtete Presse ................................................................ 126 3.5 Zusammenfassung................................................................................ 130
4. Rundfunk und Fernsehen.......................................................... 135 4.1 Rundfunk............................................................................................... 137 4.2 Fernsehen .............................................................................................. 142 4.3 Zusammenfassung................................................................................ 158
5. Journalisten und Politik: Helfer, Mitarbeiter und Berater.............................................. 161 5.1 Die Sozialdemokratische Wählerinitiative (SWI) ............................. 162 5.2 Journalisten als Berater und Mitarbeiter............................................ 182 5.3 Zusammenfassung................................................................................ 204
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6. Werbestrategien und Öffentlichkeitsarbeit: Die Wahlkämpfe von 1953 bis 1972 ................................ 207 6.1 Wahlkämpfe in den fünfziger Jahren: zwischen Tradition und Moderne ............................................................ 208 6.2 Der »deutsche Kennedy«? Neue Formen, neue Inhalte: Der Wahlkampf 1961................................................................................. 216 6.3 Vom »Großen Gespräch« zum Mannschaftswahlkampf: Der Wahlkampf 1965................................................................................. 241 6.4 Ein neuer Stil? Der Wahlkampf 1969................................................ 256 6.5 »Willy wählen«: Der Wahlkampf 1972............................................... 272 6.6 Zusammenfassung................................................................................ 285
7. Zusammenfassung .......................................................................... 291 8. Abkürzungsverzeichnis ............................................................... 303 9. Literatur ................................................................................................... 305 9.1 Archivalische Quellen .......................................................................... 305 9.2 Gedruckte Quellen ............................................................................... 310 9.3 Forschungsliteratur .............................................................................. 312 9.4 Literatur ................................................................................................. 327
10. Personenregister ............................................................................. 329
Vorwort
Die vorliegende Studie ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Wintersemester 2004/05 von der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Hannover angenommen wurde. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Adelheid von Saldern für ihre langjährige Förderung sowie für viele Diskussionen und Anregungen, die den Fortgang der Studie begleitet und positiv beeinflusst haben. Prof. Dr. Helga Grebing bin ich für ihre mannigfaltige Unterstützung und dem lebhaften Interesse, das sie der Arbeit entgegengebracht hat, ebenfalls zu großem Dank verpflichtet. Prof. Dr. Gert Schäfer sei für die Übernahme des dritten Gutachtens Dank gesagt. Für das Korrekturlesen, für kritische Anmerkungen und ermunternden Zuspruch danke ich herzlich Dr. Lu Seegers und Dr. Heiko Buschke; für wichtige Hinweise und die Durchsicht des Manuskriptes Prof. Dr. Edgar Wolfrum, Alexander Cammann und Dr. Uta C. Schmidt; für die technische und organisatorische Hilfe Oliver Schael und Matthias Kirchner. Für die Möglichkeit, die Studie in ihren Kolloquien diskutieren zu können, bin ich Prof. Dr. Adelheid von Saldern, Prof. Dr. Barbara Duden, Prof. Dr. Norbert Frei, Prof. Dr. Christof Mauch und Prof. Dr. Franz Walter sehr verbunden. Darüber hinaus waren mir die zahlreichen Gespräche, die ich mit Zeitzeugen führen konnte, eine wichtige Hilfe – sie haben mir neben vielfältigen Informationen auch ein Stück Zeitkolorit vermittelt. Dafür danke ich Klaus Harpprecht, Peter Merseburger, Egon Bahr, Horst Ehmke, Heli Ihlefeldt, Karl-Günther von Hase, Konrad Kraske, Klaus-Otto Skibowski, David Binder, John Mapother und Martha Mautner. Die Unterstützung durch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der zahlreichen, von mir besuchten Archive, war eine große Hilfe. Finanziell gefördert wurde die Untersuchung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und ein Habilitationsstipendium am Deutsch-Historischen-Institut in Washington, D.C. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe »Historische Studien« danke ich den Herausgebern. Für die freundliche Unterstützung der Drucklegung sei der
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Deutschen Druckerei und Verlagsgesellschaft mbH gedankt. Hannover/Göttingen, im August 2005
(dd_vg, Hamburg)
Daniela Münkel
1. Einleitung
»Medíendemokratie«, »Medienkanzler«,1 »Mediokratie«,2 »Die Demontage der Politik in der Informationsgesellschaft«,3 »Die Medienfixierung der Macht«,4 »Schrille Medien, taubes Publikum – Presse, Funk und Fernsehen treiben mit ihrer Berichterstattung den Politikern die Lust an Reformen aus«,5 »Die große Katastrophen-Show – die neue Öffentlichkeit der Medien lebt von Weltuntergangsgesängen und ruiniert den Parlamentarismus«6: diese Aufzählung von negativ klingenden Buchtiteln und Schlagzeilen führender deutscher Presseorgane ließe sich noch um ein Vielfaches erweitern. Die Diskussion um das Verhältnis von Politik und Massenmedien ist in den letzten Jahren sowohl in den Medien selbst als auch in der Politik- und Kommunikationswissenschaft intensiviert worden. Dies scheint vor allem durch den Amtsantritt der rotgrünen Bundesregierung im Jahre 1998 beschleunigt worden zu sein, der nicht nur einen Regierungswechsel, sondern auch einen Generations- und politischen Stilwechsel bedeutete. Im Vordergrund der Debatten steht die Frage nach der »Macht der Medien« und der »Medialisierung der Politik«. Beschwören die einen die Überfremdung des Politischen durch die Medien, eine »Mediatisierung«, die inhaltsleere, symbolische Politikformen befördere und zur Politikverdrossenheit beitrage,7 konstatieren die anderen eine grundsätzliche »Transformation des Politischen«8, in der die Politik sich unter dem Einfluss des Mediensystems verändere, aber nicht in ihm aufgehe.9 Übereinstimmung besteht darin, dass sich das Verhältnis von Politik und Massenmedien in einem
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Vgl. Meng, Der Medienkanzler. Vgl. Meyer, Mediokratie.. Vgl. Kepplinger, Demontage . Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. März 2004. Vgl. Financial Times Deutschland vom 19. Februar 2004. Vgl. Die Zeit vom 8. Mai 2003. Vgl. u.a. Kepplinger, Demontage, S. 15 ff. und 157 ff. Vgl. Sarcinelli, Politikvermittlung, S. 275. Kritische Anmerkungen zum Begriff vgl. Schäfer, Erfindungen und Absänge des Politischen, S. 448 ff. 9 Vgl. Meyer, Mediokratie, S. 91.
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langfrístigen Wandlungsprozess befindet, dessen Ende nicht absehbar ist. Als erster Einschnitt auf diesem Gebiet in der Geschichte der Bundesrepublik wird allgemein die Ablösung des Rundfunks als Leitmedium durch den Aufstieg des Fernsehens sowie die Ausdifferenzierung und Ausweitung des Pressewesens in den sechziger Jahren angesehen. Die Einführung des dualen Rundfunksystems im Jahr 1984 gilt als zweite Zäsur, die die Medialisierung der Politik beschleunigte. Vor einem solchen Hintergrund erscheint es sinnvoll, nach den Entwicklungen und Veränderungen im Verhältnis von Politik und Massenmedien in den ersten Nachkriegsdekaden zu fragen. Dieser Problemkomplex soll in der hier vorgelegten Studie für den Zeitraum von den fünfziger bis zum Beginn der siebziger Jahre untersucht werden. Zur Konkretisierung des Forschungsgegenstandes wurde ein Zugang über Personen, Ereignisse und Prozesse gewählt, der medien- und politikgeschichtliche Ansätze verbindet. Als Personen stehen Politiker, Journalisten und Verleger im Mittelpunkt der Untersuchung. Dabei handelt es sich bis auf ganz wenige Ausnahmen fast ausschließlich um Männer, was auf die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der politischen und der journalistischen Sphäre in den ersten Nachkriegsdekaden zurückzuführen ist. Es wird einerseits darum gehen, die Interdependenzen und vielschichtigen Beziehungsgeflechte zwischen Politikern, Journalisten und Verlegern aufzudecken. Andererseits werden die Sphären Politik und Medien im Hinblick auf ihre spezifischen Wirkungsfelder untersucht. Im politischen Feld geraten dabei die Medienpolitik und Öffentlichkeitsarbeit der Parteien ins Blickfeld. In Bezug auf die Medien wird die politische Berichterstattung in die Analyse einbezogen. Als politischer Akteur steht Willy Brandt im Mittelpunkt. Mehrere Argumente und Hypothesen sprechen für diese Wahl: Brandt war der erste »moderne Medienkanzler« in der Geschichte der Bundesrepublik. Dies spiegelte sich in einer großzügigen Informationspolitik, einer an der Wirkungsweise der Medien ausgerichteten Politikdarstellung, die wohl am herausragendsten im »Kniefall von Warschau« manifest wurde,10 sowie der medialen Inszenierung der eigenen Person wider. Mit dieser Form einer mediengerechten Politik, an anglo-amerikanischen Vorbildern angelehnt, setzten Brandt und seine Mitarbeiter Standards für alle nachkommenden Regierungen und für die Öffentlichkeitsarbeit der Parteien seit den späten sechziger Jahren. Wie sich der neue mediale Stil Brandts seit den fünfziger Jahren entwickelte, wird zu untersuchen sein. Dass Willy Brandt selber Journalist war, begünstigte sicherlich sein Verständnis für mediale Logiken und seinen Zugang zu diesem Berufsstand. Des
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—————— 10 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.2 dieser Arbeit.
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weiteren spricht für das Fallbeispiel Willy Brandt, dass sein politischer Aufstieg, wie bei kaum einem anderen Politiker in der Nachkriegszeit, sehr eng mit der Unterstützung durch die Massenmedien verknüpft war. Durch den so gewählten Zugang zum Thema wird zugleich auch ein Abschnitt der SPD-Geschichte11 und damit Parteiengeschichte der Bundesrepublik geschrieben, welcher sich im Besonderen auf die Komplexe Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Medienpolitik bezieht und damit ein bislang von der Politikwissenschaft dominiertes Feld historiographisch analysiert. Weiterhin wird ein bisher vernachlässigter wichtiger Teilaspekt der Biographie Willy Brandts erforscht: Politik und Person des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers wurden lange Zeit vor allem vor dem Hintergrund seiner Deutschland- und Ostpolitik untersucht. Dies hat sich in den letzten Jahren zwar geändert,12 und auch die neuen Biographien versuchen eine differenzierte Darstellung von Person und politischer Leistung Brandts zu zeichnen.13 Das Themenfeld »Brandt und Massenmedien« wird dort zwar angesprochen und die besondere »Medienwirksamkeit« Willy Brandts betont, eine tiefer gehende und systematische Beschreibung und Analyse bleibt allerdings aus. Als Akteure aus der massenmedialen Sphäre stehen neben diversen Journalisten und wenigen Journalistinnen aus Presse, Rundfunk und Fernsehen einige Personen als markante Fallbeispiele im Blickfeld der Studie. So werden die Repräsentanten wichtiger Meinungsführermedien wie Axel Springer, Rudolf Augstein, Henri Nannen und Gerd Bucerius in ihrem Verhältnis zur Person und Politik Willy Brandts im Speziellen sowie zur Politik im Allgemeinen einen Fokus der Untersuchung bilden. Journalisten, die zeitweilig als Berater und Mitarbeiter Willy Brandts tätig waren, wie Egon Bahr, Klaus Harpprecht,
—————— 11 Zur Geschichte der SPD im Untersuchungszeitraum liegen zahlreiche Gesamt- und Teildarstellungen vor, vgl. u.a. Bouvier, Godesberg; Klotzbach, Staatspartei; Lösche/Walter, SPD; Walter, Die SPD. 12 Vgl. dazu vor allem die zehnbändige Edition Berliner Ausgabe (hrsg. von Grebing/Schöllgen/Winkler) ausgewählter Archivalien aus dem Nachlass Willy Brandts, die thematisch geordnet ein breites Spektrum des Wirkens Brandts darbieten. Bisher sind sechs Bände erschienen: Lorenz (Bearb.), Hitler ist nicht Deutschland (Berliner Ausgabe, Bd. 1); ders. (Bearb.), Zwei Vaterländer (Berliner Ausgabe, Bd. 2); Münkel (Bearb.), Auf dem Weg nach vorn (Berliner Ausgabe, Bd. 4); Rudolf (Bearb.), Partei der Freiheit (Berliner Ausgabe, Bd. 5); von Kieseritzky (Bearb.), Mehr Demokratie wagen (Berliner Ausgabe, Bd. 7); Fischer (Bearb.), Ein Volk von guten Nachbarn (Berliner Ausgabe, Bd. 6); ders. (Bearb.), Die Entspannung unzerstörbar machen (Berliner Ausgabe, Bd. 9). 13 Die beiden zuletzt erschienenen Darstellungen sind: Schöllgen, Willy Brandt; Merseburger, Willy Brandt. Zur Kritik und Problematik einer Biographie Willy Brandts vgl. Grebing, Auf dem schwierigen Weg zu einer wissenschaftlich fundierten Biographie Willy Brandts, S. 537 ff. Darüber hinaus liegen eine Reihe älterer Biographien über Willy Brandt vor: vgl. Koch, Willy Brandt; Marshall, Willy Brandt; Prittie, Willy Brandt; Binder, The Other German; Stern, Willy Brandt.
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Günter Gaus oder Conrad Ahlers sollen im Hinblick auf das etwaige Überschreiten der Grenzen zwischen Politik und Journalismus exemplarisch untersucht werden. Der Zugang zum Thema über Ereignisse wird auf mehreren Ebenen erfolgen: Auf der einen Seite werden verschiedene herausragende, singuläre politische Geschehnisse, wie zum Beispiel der »Kniefall von Warschau« oder die »Spiegel-Affäre«, unter medienhistorischen Aspekten näher betrachtet. Auf der anderen Seite wird ein Schwerpunkt auf regelmäßig wiederkehrende politische Begebenheiten gelegt. Am Beispiel der Bundestagswahlkämpfe seit den fünfziger Jahren soll das Wechselspiel von Politik und Medien veranschaulicht werden. Politische Öffentlichkeitsarbeit im Kontext der Wahlkämpfe wird vor dem Hintergrund der medialen Veränderungen und – sofern dies möglich ist – dem Bedürfnis einer zunehmend großen Gruppe von Bundesbürgern nach gesellschaftlicher und politischer Veränderung untersucht. Durch die Analyse der Wahlkämpfe kann erörtert werden, wie sich Politikvermittlung und politische Kultur unter dem Einfluss der sich wandelnden Medienlandschaft im Laufe der sechziger Jahre änderten. Bei der Bewertung dieser Prozesse wird auch die Frage einer »Westernisierung«14 oder »Amerikanisierung« bundesdeutscher Politik zu diskutieren sein. Die Zeitachse der Untersuchung reicht, wie bereits kurz angesprochen, von den fünfziger bis zum Beginn der siebziger Jahre. Sie umschließt damit die politische Karriere Willy Brandts vom Regierenden Bürgermeister von Berlin (1957) bis zu seiner Wiederwahl als Bundeskanzler (1972), ferner den Strukturwandel der SPD hin zu einer Volkspartei sowie den entscheidenden Wandel in der Medienlandschaft durch den Aufstieg des Fernsehens zum Leitmedium. Damit wird eine zentrale politische und mediale Umbruchphase, der »zweite Strukturwandel der Öffentlichkeit«15, in der deutschen Geschichte erfasst. Am zeitlichen Endpunkt der Untersuchung im Jahre 1972 sind gleich mehrere Höhepunkte erkennbar: Willy Brandt und damit auch die SPD standen im Zenit ihrer Macht, die Verbindung von Politik und Massenmedien hatte eine bis dahin nicht gekannte Intensität erreicht und die Öffentlichkeit war in einem Ausmaß politisiert, wie dies zu keiner anderen Zeit in der Geschichte der Bundesrepublik zu finden ist. Bei der vorliegenden Studie wird von der These ausgegangen, dass im Laufe der sechziger Jahre ein beschleunigter Transformationsprozess vonstatten ging, der eine verstärkte Medialisierung der Politik bei gleichzeitiger Politi-
—————— 14 Vgl. Doering-Manteuffel, Wie westlich. 15 Weisbrod, Medien, S. 271. Der erste »Strukturwandel« wird gemeinhin mit dem Aufstieg der Massenpresse seit Mitte des 19. Jahrhunderts datiert.
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sierung der Medien und des öffentlichen Raums zur Folge hatte. Dabei wird dem Zusammenspiel von Willy Brandt, seinem Politikstil, seiner Medienpolitik und seinem Umgang mit Teilen der Massenmedien eine herausragende Rolle zugeschrieben. Angesichts der hohen politischen und gesellschaftlichen Relevanz des Themenfeldes »Politik und Massenmedien« verwundert es, dass zu dem Komplex historische Studien für die Bundesrepublik weitgehend fehlen und sich die Forschung auf diesem Gebiet erst in den Anfängen befindet.16 Dies hat vor allem zwei Ursachen: Zum einen die massive Vernachlässigung mediengeschichtlicher Fragestellungen in der bundesdeutschen Zeitgeschichtsschreibung und zum anderen die erst in den letzten Jahren allmähliche Hinwendung zu den sechziger Jahren und frühen siebziger Jahren.
Zwischen den fünfziger und siebziger Jahren: Signaturen und Zäsuren Das »Ende der Nachkriegszeit« wird von der Historiographie allgemein im letzten Drittel der fünfziger Jahre verortet. Zur Beschreibung dieser gut erforschten »kurzen« fünfziger Jahre ist mittlerweile ein tragfähiger Konsens gefunden worden, der die erste Nachkriegsdekade als eine Mischung aus modernisierenden und retardierenden Elementen beschreibt.17 Anders sieht es für die sechziger Jahre aus: Wie immer wenn eine Dekade neu in den Fokus der Zeitgeschichtsschreibung gerät, stehen zunächst Fragen der Periodisierung und Etikettierung im Mittelpunkt.18 Über die Klassifizierung der sechziger Jahre bestehen noch einige Unklarheiten und Differenzen, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Erforschung dieses Jahrzehnts mitnichten abgeschlossen ist. Bis vor einigen Jahren galt noch »1968« als die Chiffre für die sechziger Jahre. Dies war und ist zum Teil Folge der Geschichtspolitik der Protagonisten dieser Generation, die so ihren formulierten Anspruch, die eigentlichen »Modernisierer« der Bundesrepublik zu sein, untermauern wollen. In der Historiographie ist man sich hingegen einig, dass diese Charakterisierung der sechziger Jahre viel zu kurz greift und der Bedeutung der Dekade in der Geschichte der Bundesrepublik keineswegs gerecht wird. Unstrittig ist ebenfalls, dass die sechziger Jahre ein Jahrzehnt der beschleunigten Modernisierung und Demokratisierung
—————— 16 Als einige Ausnahmen vgl. Weisbrod, Die Politik der Öffentlichkeit; von Hodenberg, Journalisten, S. 278 ff. Der von Hodenberg gewählte generationelle Zugang wird an anderer Stelle behandelt, vgl. dazu Kapitel 3.5 dieser Arbeit. 17 Vgl. u.a. Schildt/Sywottek, Modernisierung. 18 Zur früheren Forschung über die sechziger Jahre vgl. u.a. Baring, Machtwechsel; Wilharm, Deutsche Geschichte; Bracher/Jäger/Link, Republik im Wandel; Ellwein, Krisen und Reformen.
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in allen gesellschaftlichen und politischen Bereichen waren.19 Darüber allerdings, welche Signatur diesen Entwicklungsprozessen angeheftet werden soll, bestehen Unstimmigkeiten. Es wird von »dynamischen Zeiten«20, von »Liberalisierung«21 oder von »Demokratisierung und Aufbruch«22 gesprochen. Diese Schlagworte unterscheiden sich im Endeffekt nur graduell, denn ihre Kernbotschaft ist sehr ähnlich: sie stehen für einen beschleunigten Transformationsprozess hin zu einem moderneren und demokratischeren Staatswesen. Die Signaturen »Modernisierung« und »Demokratisierung« eignen sich auch gut für die hier ins Blickfeld zu nehmenden Entwicklungen im Bereich von Politik und Massenmedien. Sie müssen allerdings im Hinblick auf Massenmedien und Öffentlichkeit noch um den Begriff der »Pluralisierung« ergänzt werden, womit die Ausfächerung von Bedürfnissen, Interessen und Organisationen gemeint ist, die alle von den Medien bedient werden wollten, so dass sich die Öffentlichkeit ausdifferenzierte. Die sechziger Jahre markieren auch hier einen beschleunigten Entwicklungsprozess, der am Ende des Jahrzehnts zu einer veränderten Austarierung im Verhältnis von Politik, Massenmedien und Öffentlichkeit führte. Diese wird näher zu bestimmen sein. Was die zeitliche Eingrenzung der »langen sechziger« Jahre betrifft, so besteht bislang Einigkeit darüber, diese vom letzten Drittel der fünfziger Jahre bis in die Jahre 1973/1974 zu ziehen, als durch Ölkrise, Wirtschaftsprobleme, kulturelle Neuorientierungen sowie das Stocken des Reformprogramms ein neuer Zeitabschnitt begann.23 Demgegenüber werden je nach Untersuchungsgegenstand innerhalb dieses Zeitrahmens differierende Zäsuren und Phasen gesetzt.24 Aus der hier relevanten politik- und mediengeschichtlichen Perspektive scheinen auf den ersten Blick die Periodisierungen und Wandlungsprozesse wenig strittig: Das Erringen der absoluten Mehrheit (50,2 Prozent) durch die Union und Bundeskanzler Konrad Adenauer bei der Bundestagswahl im September 1957 bedeutete den Höhepunkt und gleichzeitig den Beginn des langsamen Ausklingens einer Ära. Die ökonomischen Erfolge, von denen nun breite Bevölkerungsschichten profitierten, die weitere Erosion traditioneller Bindungen und Milieus, die zunehmende gesellschaftliche Modernisierung sowie eine im Wandel begriffene Öffentlichkeit verlangten nach neuen Kon-
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Vgl. u.a. Wolfrum, Die Bundesrepublik 1949-1990; Schönhoven, Wendejahre. Schildt/Siegfried/Lammers, Dynamische Zeiten. Herbert, Wandlungsprozesse. Frese/Paulus/Teppe, Demokratisierung. Vgl. u.a. Schildt/Siegfried/Lammers, Dynamische Zeiten; Herbert, Dynamische Zeiten; Frese/ Paulus/Teppe, Demokratisierung; Doering-Manteuffel, Politische Kultur, S. 146 ff. 24 Vgl. dazu ausführlich u.a. Frese/Paulus, Geschwindigkeiten und Faktoren des Wandels, S. 7 ff.
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zepten und Lösungen – und dies vor allem von der Politik.25 Gleiches gilt für das Feld der Außenpolitik. Mit dem Ende der heißen Phase des »Kalten Krieges« im Zuge von Berlin- und Kubakrise ging auch eine außenpolitische Umorientierung der USA einher, die eine Entspannungspolitik mit dem Ostblock sowie die Preisgabe der deutschen Wiedervereinigung als Nahziel einschloss. Auch in der Bundesrepublik wurde daraufhin ein Umdenken auf außenpolitischem Gebiet notwendig. Umfassende Reformen von Politik, Staat und Gesellschaft waren mittelfristig unumgänglich, und dies erforderte insbesondere von den Parteien neue Antworten. Im Gegensatz zur CDU, die immer noch vor allem nach dem Motto »keine Experimente« agierte, gelang es der SPD nach einer personellen, organisatorischen und programmatischen »Runderneuerung« der Partei seit 1958/1959 im Laufe der sechziger Jahre, diese Kompetenzen zunehmend für sich glaubhaft zu reklamieren. Das Ende der Ära Adenauer kündigte sich mit der so genannten »SpiegelAffäre«26 im Jahre 1962 an. Ihr wird auch für die Herausbildung einer »kritischen Öffentlichkeit« und dem Wandel im Verhältnis von Politik und Massenmedien eine zentrale Bedeutung beigemessen. Ob diese Zäsur nicht eher der Ausdruck eines bereits länger währenden Prozesses war, wird zu thematisieren sein. Mit dem Rücktritt Konrad Adenauers im Oktober 1963 wurde dann das Ende einer Ära unwiderruflich vollzogen. Nach einer kurzen Übergangsphase unter Ludwig Erhard, dem es im Endeffekt nicht gelang, seiner Kanzlerschaft eine spezifische Prägung zu geben, läutete die Große Koalition seit Dezember 1966 die Vorphase der innen- und außenpolitischen Reformen ein.27 Gleichzeitig verschärfte sich die politische Auseinandersetzung durch Außerparlamentarische Opposition (APO) und Studentenbewegung. Die zentrale politische Zäsur nach dem Ende der Ära Adenauer bildete der »Machtwechsel«28 von 1969. Die Regierungsübernahme durch die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt war mehr als ein Regierungswechsel – was auch von den Zeitgenossen so empfunden wurde. Es war ein Aufbruch in eine neue Reformzeit, die unter dem Etikett »Wir schaffen das moderne Deutschland« und »Mehr Demokratie wagen« stand. In allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen begann nun die Umsetzung von Reformkonzepten in konkrete Politik. Dieser Einschnitt ist sogar als »Umgründung«29 der Bundesrepublik definiert worden. Nach einer beschleunigten Realisierung von
—————— 25 Vgl. u.a. Schildt, Materieller Wohlstand, S. 44 ff; Schönhoven, Aufbruch in die sozialliberale Ära, S. 129 ff. 26 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.2 dieser Arbeit. 27 Vgl. dazu ausführlich Schneider, Kunst des Kompromisses, S. 104 ff. 28 Baring, Machtwechsel. 29 Vgl. Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik, S. 475 ff.
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innenpolitischen Reformen und einem außenpolitischen Kurswechsel geriet der Reformkurs 1973/74 allerdings ins Stocken. Die meisten Verträge auf dem Feld der Deutschland- und Ostpolitik waren erfolgreich abgeschlossen, ökonomische und finanzielle Schwierigkeiten sowie eine gewisse Reformmüdigkeit der Regierung führten zu einer Stagnation. Aus politikgeschichtlicher Perspektive wird das Ende der Reformära durch den Rücktritt Willy Brandts am 6. Mai 1974 symbolisiert. Mediengeschichtlich sind die sechziger Jahre im Besonderen durch den Aufstieg des Fernsehens zum neuen Leitmedium gekennzeichnet.30 Dabei waren auch die Erhöhung der Sendezeit und der Ausbau des Programmangebotes von zentraler Bedeutung. Eine entscheidende Zäsur bildete das Fernsehurteil des Bundesgerichtshofes von 1961, welches den öffentlich-rechtlichen Charakter des Rundfunks in der Bundesrepublik festschrieb. In dessen Folge kam es zur Gründung des ZDF (1963) sowie zum Ausbau der dritten ARD-Programme (seit 1961). Das Fernsehen veränderte das Freizeitverhalten durch eine »Verhäuslichung« großer Teile der Bevölkerung genauso wie es zu einem wachsenden Interesse an Politik beitrug. Nicht nur Unterhaltung wurde nun anders definiert, sondern auch die Darstellung von Politik und Politikern veränderte sich – Politik musste sich nun, um erfolgreich zu sein, im Fernsehformat visualisieren lassen und sich mit kurzen und eindringlichen Botschaften präsentieren. Das Fernsehen verdrängte jedoch nicht, wie von den Zeitgenossen zunächst befürchtet, die anderen Massenmedien:31 Im Falle des Hörfunks kam es zu einem Bedeutungswandel vom Leit- zum Begleitmedium, die Relevanz der Presse als politisches Informationsmedium verstärkte sich noch, und der Markt für Boulevardzeitungen und Illustrierte expandierte. Insgesamt ist eine quantitative Zunahme der Mediennutzung für die sechziger und beginnenden siebziger Jahre zu konstatieren. Außerdem wurde die Medienlandschaft farbiger, visueller, kritischer und vielfältiger. Es wird zu erörtern sein, wo Veränderungen und Wandlungsprozesse im Verhältnis von Politik und Massenmedien zu verorten sind und wie sie vonstatten gingen. Allerdings ist vorab schon festzustellen, dass der für das 20. Jahrhundert allgemein konstatierte ungleichzeitige Verlauf von medialen und politischen Zäsuren für die sechziger Jahre nicht zutrifft.32 Denn hier lief – wie angedeutet – der Wandel der Medienlandschaft mit politischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen parallel.
—————— 30 Vgl. dazu u.a. Dussel, Vom Radio- zum Fernsehzeitalter, S. 673 ff; Hickethier, Geschichte. 31 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.2 dieser Arbeit. 32 Vgl. u.a. Weisbrod, Die Politik der Öffentlichkeit, S. 13.
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Mediengeschichte – Politikgeschichte Um die politischen und medialen Entwicklungen in Beziehung setzen zu können, ist ein integrativer methodischer Ansatz notwendig, der Politik- und Mediengeschichte miteinander verbindet. Mediengeschichte wurde von der bundesdeutschen Historiographie lange Zeit nur am Rande betrieben und weitgehend den Kommunikationswissenschaften überlassen. Sie wurde und wird häufig als Institutionengeschichte, als Programmgeschichte oder als Biographie einzelner Akteure geschrieben. In den letzten Jahren hat sich dies jedoch geändert.33 Die im Prinzip banale Erkenntnis, dass das 20. Jahrhundert – das »Jahrhundert der Massenmedien«34 – ohne eine integrierte Mediengeschichte weder sozial-, politik- noch kulturgeschichtlich zu erfassen ist, hat nun auch die Zeitgeschichtsschreibung erreicht. Dies führte zu einem erheblichen Anstieg mediengeschichtlicher Arbeiten und Fragestellungen – Mediengeschichte ist en vogue. Konferenzen oder Themenhefte historischer Zeitschriften sind ein Zeichen für diese Entwicklung.35 Es wird sogar schon ein Paradigmenwechsel der Zeitgeschichte, die nun das »Audio-visuelle« zur Grundlage ihrer Analysen machen sollte, gefordert.36 Neue methodische Zugänge und theoretische Überlegungen werden zwar entwickelt, bleiben aber bei der praktischen Umsetzung – mit wenigen Ausnahmen – unberücksichtigt,37 was sicherlich nicht zuletzt auf die Komplexität des Gegenstandes zurückzuführen ist. In der Regel wird lediglich ein Massenmedium oder sogar nur ein Medienprodukt, wie eine Zeitung oder Zeitschrift, untersucht, oder es steht die Frage nach der Instrumentalisierung von Medien durch diverse Interessengruppen im Fokus.38 Um die massenmediale Sphäre an sich und in ihren Wechselbeziehungen zu anderen politischen und gesellschaftlichen Sphären hinreichend analysieren zu können, ist es jedoch notwendig, nicht nur von einem Medium, sondern von einem »Medienverbund«39 bzw. »Medienensemble«40 auszugehen. Für den
—————— 33 Vgl. dazu die Forschungsberichte von Schildt, Von der Aufklärung zum Fernsehzeitalter, S. 487 ff; Führer, Neue Literatur zur Geschichte der modernen Massenmedien, S. 216 ff. 34 Vgl. Schildt, Jahrhundert der Massenmedien, S. 178. 35 Vgl. u.a. Marßolek/von Saldern, Radiozeiten; Weisbrod, Politik der Öffentlichkeit sowie die folgenden Themenhefte von Fachzeitschriften: GG 27 (2001), H.2, Kommunikationsgeschichte; AfS 41 (2001), Geschichte der Massenmedien und der Massenkommunikation in Deutschland; Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 31 (2003), Medien-Politik-Geschichte; Zeithistorische Forschungen 1 (2004), H.2, Mediengeschichte(n). 36 Vgl. Lindenberger, Vergangenes Hören und Sehen. 37 Einige wenige Ausnahmen bilden Schildt, Moderne Zeiten; Marßolek/von Saldern unter Mitarbeit von Münkel/Pater/Schmidt, Zuhören und Gehörtwerden I; von Saldern/Marßolek unter Mitarbeit von Münkel/Pater/Schmidt, Zuhören und Gehörtwerden II; Seegers, Hör zu!. 38 Vgl. u.a. Wilke, Mediengeschichte; ders., Massenmedien und Zeitgeschichte. 39 Marßolek/von Saldern, Massenmedien im Kontext, S. 25.
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Untersuchungszeitraum ist das Medienensemble Presse-Hörfunk-Fernsehen kennzeichnend. Demzufolge finden alle drei Massenmedien in dieser Studie Berücksichtigung.41 Für sich genommen nahm jedes dieser drei Medien als politisches Informationsmedium eine herausragende Rolle ein. Sie bedienten aufgrund ihrer unterschiedlichen medialen Spezifika jeweils bestimmte Bedürfnisse und Erwartungen der Rezipienten in Bezug auf Inhalte und die Art der politischen Informationsvermittlung. Des weiteren ergänzten sie sich gerade wegen ihrer Verschiedenartigkeit und bildeten so als Ensemble die Grundlage politischer Informationsmöglichkeiten für die Bevölkerung. Ziel einer modernen Zeitgeschichtsforschung sollte es sein, Mediengeschichte zum integralen Bestandteil zeitgeschichtlicher Fragestellungen zu machen und dafür gangbare methodische Ansätze zu entwickeln. Hinsichtlich der hier angestrebten Verbindung von Politik- und Mediengeschichte bedeutet dies, die Interdependenzen zwischen Politik und Medien auf der einen sowie zwischen Bevölkerung, Politik und Medien auf der anderen Seite zu betrachten. So wird auch Politikgeschichte nicht nur im klassischen Sinn als Politikfeldanalyse und schon gar nicht als eine Geschichte der politischen Institutionen aufgefasst. Vielmehr wird das Politische als Kommunikationsraum verstanden,42 in dem die politischen Akteure mit der Öffentlichkeit und den Akteuren aus anderen gesellschaftlichen Bereichen in Interaktion treten. Den Medien fällt dabei einerseits eine zentrale Rolle als Transmissionsriemen zwischen Politik und Gesellschaft zu.43 Andererseits sind sie gleichzeitig ein fester Bestandteil des politischen Kommunikationsraumes.
Politik, Massenmedien und Demokratie Medien stellen nicht nur Öffentlichkeit her, sondern dokumentieren, interpretieren, konstruieren und beeinflussen politische und gesellschaftliche Prozesse in unterschiedlicher Weise. Idealtypisch nehmen Massenmedien in einer De-
—————— 40 Schildt, Jahrhundert, S. 179. Schildt macht seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts drei solcher Medienensembles aus. 41 Die Wochenschauen, die vor allem in den fünfziger Jahren ein wichtiges Informationsmedium waren, finden nur am Rande Erwähnung (Kapitel 6.1), da sie in den sechziger Jahren durch den Aufstieg des Fernsehens und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust des Kinos massiv an Relevanz verloren. Zu den Wochenschauen in den fünfziger Jahren vgl. ausführlich Schwarz, Wochenschau. 42 Vgl. dazu auch Frevert/Haupt, Neue Politikgeschichte; sowie den Bielefelder SFB »Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte«. 43 Vgl. auch Marßolek/von Saldern, Massenmedien.
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mokratie eine Vermittlungsfunktion zwischen Politikern und Bürgern ein.44 Die Medien befördern Themen, Meinungen sowie die Bedürfnisse der Bürger zu den politischen Akteuren und umgekehrt. Letztere machen über die Massenmedien ihre Planungen und Entscheidungen der Öffentlichkeit transparent. Medien und Politik sind demzufolge aufeinander angewiesen. In der Praxis sind enge Kontakte die Regel. Konstitutiv ist dabei eine Interdependenz: Die Massenmedien liefern den Politikern die Arena zur Selbstdarstellung und Legitimationsbeschaffung, die Politiker ihrerseits versorgen die Journalisten mit den »Rohstoffen« für ihre Arbeit, mit aktuellen Informationen und Bildern.45 Es wird von Fall zu Fall zu prüfen sein, wie sich die Beziehungen zwischen Politik und Massenmedien im Untersuchungszeitraum darstellten. Dabei ist grundsätzlich von der Prämisse auszugehen, dass es sich im Verhältnis von Politik und Massenmedien in der Regel nicht um eine einseitige Instrumentalisierung bzw. Abhängigkeit, sondern um ein zu entschlüsselndes vielschichtiges Beziehungsgeflecht handelte. Dieses war keinesfalls statisch, vielmehr war es auf der Basis wechselnder Konstellationen zahlreichen Veränderungen unterworfen. Die im Untersuchungszeitraum fortschreitende Bedeutung der Massenmedien im politischen Prozess wirft auch die Frage nach den Konsequenzen für die (Parteien-)Demokratie auf. Durch die zunehmende Medialisierung der Politik würde, so die Befürchtung zahlreicher Politikwissenschaftler, ein Bedeutungsverlust der Parteiorganisationen als Ort der politischen Meinungsbildung, als Politikvermittlungs- und Wahlkampfinstanzen einhergehen.46 Dies habe mittelfristig Auswirkungen auf die Struktur des demokratischen Staatswesens: aus der Parteien- würde eine Mediendemokratie.47 Demgegenüber steht die Hypothese, dass durch die immer wichtiger werdende Rolle der Massenmedien bei der Politikvermittlung ein Mehr an Information und Transparenz gewährleistet ist,48 was wiederum die Partizipation der Bürger und Bürgerinnen am politischen Geschehen erhöhe und gleichzeitig zu einer Verbreiterung des Wissens über politische Prozesse und Ereignisse führen und somit der Demokratie zugute kommen könne. Es wird zu untersuchen sein, inwieweit diese Prozesse im Untersuchungszeitraum bereits vorangeschritten waren und welche Rückwirkungen sie gegebenenfalls auf die noch junge Demokratie in der Bundesrepublik hatten.
—————— 44 45 46 47 48
Vgl. Meyn, Massenmedien, S. 286 f. Vgl. Scharf, Risiken des Neo-Bonapartismus, S. 76. Vgl. u.a. Rohe, Wahlen, S. 26. Vgl. u.a.Kepplinger, Demontage. Vgl. u.a. Sarcinelli, Politische Inszenierung, S. 150.
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Eine andere Ebene im Beziehungsgeflecht von Politik und Massenmedien sind die diversen Formen von symbolischer Politik und politischer Inszenierung. Beides sind zwar keine neuen Erscheinungen im massenmedialen Zeitalter – sie gehören seit Jahrhunderten zum Instrumentarium von politischer Herrschaft –, allerdings existieren wichtige qualitative und quantitative Unterschiede.49 Durch die Eigenlogik der Massenmedien werden Personalisierung und Inszenierung von Politik und Politikern sowie symbolische Politikformen in einem bisher unbekannten Ausmaß befördert.50 Die Politik lässt sich auf die mediale Darstellungsform ein,51 da Machterhalt bzw. Machterringung ohne Vermittlung und Unterstützung der Massenmedien in modernen politischen Systemen, so auch in der repräsentativen Demokratie, kaum möglich sind. Allerdings bedeutet dies nicht, dass symbolische Politikformen inhaltlich leere Showgesten sind, sie können ebenso wie andere Politikformen einer eigenständigen Entscheidungsoption entspringen und Handlungsalternativen offenkundig machen.52 Durch symbolische Handlungen wird nicht selten versucht, Realpolitik zu betreiben oder deren Wirkungen zu verstärken. Symbolische Politikformen haben durch ihr spezifisches Instrumentarium nicht selten den Vorteil, dass sie sowohl in politischen als auch in sozialen Zusammenhängen sinnstiftend wirken können. Wie sich solche Politikformen im Untersuchungszeitraum im Zusammenspiel von Politik und Massenmedien konkretisierten und ob Veränderungen festzustellen sind, wird zu untersuchen sein. Die Eigen- bzw. Fremdzuschreibung einer (Kontroll-)Funktion der Medien als »vierter Gewalt« ist ein weiterer wichtiger Aspekt im Beziehungsgeflecht von Politik und Massenmedien.53 Dies ist nicht im staatsrechtlichen Sinne gemeint, sondern zielt vor allem auf eine kritische, kontrollierende und aufklärerische Funktion der Medien in der Gesellschaft und im politischen System ab.54 In manchen Situationen, wie der Aufdeckung und Veröffentlichung von politischen Skandalen, sind die Medien oft die einzige Instanz, die Öffentlichkeit herstellen, Hintergründe darlegen und damit zur Aufklärung über und zur Beseitigung von politischen Missständen beitragen können. Allerdings sind die realen Möglichkeiten von Journalisten, als »vierte Gewalt« aufzutreten, strukturell begrenzt. Dies liegt einerseits an rechtlichen Grenzziehungen, hier besonders des Persönlichkeitsschutzes, andererseits an redaktionsinternen Beschrän-
—————— 49 Vgl. u.a. Meyer/Kampmann, Politik als Theater; Arnold u.a., Politische Inszenierung; Siller/Pitz, Politik als Inszenierung. 50 Vgl. dazu u.a. Kepplinger, Demontage, S. 157 ff. 51 Vgl. Meyer, Mediokratie, S. 91. 52 Vgl. dazu u.a. Meyer/Kampmann, Politik als Theater, S. 84 ff. 53 Vgl. Schulz, Aufstieg der »vierten Gewalt«, S. 65 ff. 54 Vgl. dazu u.a. Altmeppen/Löffelholz, Verlautbarungsorgan, S. 121 f.
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kungen, so zum Beispiel den politischen Interessen eines Verlagshauses. Es wird am konkreten Fall zu überprüfen sein, inwiefern das Diktum von der »vierten Gewalt« im Journalismus der einzelnen hier zu untersuchenden Medien eine Rolle spielte und wie sich dies auf die Beziehungen zur Politik auswirkte.
Öffentlichkeit Nicht nur in Bezug auf die Rolle der Medien als »vierte Gewalt«, sondern auch insgesamt bei der Thematik »Politik und Massenmedien« ist die Frage nach der Definition und Struktur von »Öffentlichkeit« zentral, denn eine Gesellschaft wird sich erst über »Öffentlichkeit ihrer selbst als politisches Subjekt bewusst«.55 In den diversen Wissenschaftsdisziplinen existieren eine Vielzahl von unterschiedlichen normativen und empirischen Öffentlichkeitsbegriffen, dies gilt auch für die Historiographie. Trotz zahlreicher Versuche in den letzten Jahren, sich dem Problem von verschiedenen Seiten zu nähern und im Besonderen für die Geschichte der Bundesrepublik einen operationalisierbaren »Öffentlichkeitsbegriff« einzuführen,56 gibt es weiterhin mehrere Ansätze. Bei den empirisch ausgerichteten Zugängen wird das konstruierte Gesamtphänomen »Öffentlichkeit« in zahlreiche Teilöffentlichkeiten aufgespalten.57 Hingegen beschreibt der normative Öffentlichkeitsbegriff »Öffentlichkeit« als »handelnden Akteur«, der primär in demokratisch verfassten Staatswesen eine unverzichtbare Diskurs- und Verständigungsfunktion basierend auf der Grundannahme eines herbeizuführenden herrschaftsfreien und kommunikativen Handelns aller Menschen ausübt. Diese idealisierte von Jürgen Habermas Anfang der sechziger Jahre eingeführte Definition von »Öffentlichkeit« als »Inbegriff derjenigen Kommunikationsbedingungen, unter denen eine diskursive Meinungs- und Willensbildung eines Publikums von Staatsbürgern zustande kommen kann«,58 prägte lange Zeit die Diskussion. Habermas beschreibt den seit Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzenden »Strukturwandel der Öffentlichkeit«, der mit dem Aufstieg der Massenpresse einherging, als Verlustgeschichte,
—————— 55 Kaelble/Kirsch/Schmidt-Gering, Entwicklung transnationaler Öffentlichkeiten und Identitäten. 56 Vgl. u.a. Schildt, Jahrhundert; Führer/Hickethier/Schildt, Öffentlichkeit, S. 1 ff; Weisbrod, Medien; Jörg Requate, Öffentlichkeit, S. 5 ff. 57 Die diversen Teilöffentlichkeiten werden von jedem gesellschaftlichen Bereich gebildet. Dies sind zum Beispiel die Parteien, die Wissenschaft, die Kultur genauso wie die Wirtschaft und der Sport; vgl. Requate, Öffentlichkeit, S. 14; Requate/Schulze-Wessel, Europäische Öffentlichkeit, S. 13. 58 Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit.
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als Zerfallsprozess, bei dem den modernen Massenmedien eine Schlüsselrolle zukam. In den sechziger und beginnenden siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts war der intellektuelle Diskurs über den Begriff der »Öffentlichkeit«, der auch in den Massenmedien aufgegriffen wurde, hochgradig politisch aufgeladen. Im Fokus stand nun nicht mehr allein der Entwurf eines wissenschaftlichen Konzeptes, sondern gesellschaftlich relevante Fragen nach einer neuen Austarierung im Verhältnis von Staat und Gesellschaft sowie der politischen Partizipation der »mündigen« Bürger.59 Die Diskurse der »Frankfurter Schule« über Öffentlichkeit und Massenmedien, die nicht nur einen kulturkritischen, sondern auch einen kapitalismuskritischen Ansatz verfolgten, waren hier von großer Bedeutung.60 Die Rezeption dieser Theorien durch die Studentenbewegung und Teile der links-liberalen Massenmedien trug zu ihrer Verbreitung bei. Einen konkreten Niederschlag fanden sie dann vor allem in den Auseinandersetzungen um das Presseimperium von Axel Springer.61 Seit den achtziger Jahren hat sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung um den Begriff der »Öffentlichkeit« wieder weitgehend auf das akademische Terrain zurückgezogen. In der Geschichtswissenschaft geht es jetzt vor allem darum, die verschiedenen Trägergruppen und Formen von Öffentlichkeit empirisch für die verschiedenen Phasen der Geschichte zu ermitteln und begrifflich zu fixieren. Dass das normative Konstrukt von »einer bürgerlichen Öffentlichkeit« im Zeitalter »des politischen Massenmarktes [...], in dem die modernen Massenmedien immer neue Kommunikationsgemeinschaften am Meinungs- und Unterhaltungsmarkt etablieren«,62 nicht mehr greift, hat Habermas selbst in der kritischen Überprüfung seines Ansatzes im Jahr 1990 festgestellt. Demgegenüber seien mehrere »konkurrierende« Öffentlichkeiten existent. Bei der empirischen Erforschung von »Öffentlichkeit« hat sich diese Erkenntnis mittlerweile durchgesetzt.63 Was umstritten bleibt, ist die Frage nach der Deutungsmacht und der Positionierung der verschiedenen Teilöffentlichkeiten. Hingegen bezweifelt wohl inzwischen niemand mehr, dass eine Geschichte der modernen Öffentlichkeit auch immer eine Geschichte der Massenmedien sein muss, da
—————— 59 60 61 62 63
Vgl. von Hodenberg, Konkurrierende Konzepte, S. 205. Vgl. dazu detailliert Albrecht u.a., Intellektuelle Gründung. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.1 dieser Arbeit. Weisbrod, Medien, S. 271. Auf den Fortgang der theoretischen Auseinandersetzung um den Begriff »Öffentlichkeit« kann hier im Einzelnen nicht eingegangen werden, vgl. dazu ausführlich Requate, Öffentlichkeit, S. 10 ff.
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diese gesellschaftliche Prozesse abbilden, interpretieren, konstruieren und mitprägen.64 Für die nachfolgende Untersuchung sind vor allem zwei Teilöffentlichkeiten von Bedeutung: die massenmediale und die politische. Sie greifen ineinander, durchdringen und beeinflussen sich gegenseitig und befinden sich in einem stetigen mehr oder weniger ausgeprägten Wandlungsprozess. Hinsichtlich des Ensembles der verschiedenen Teilöffentlichkeiten ist die herausragende Bedeutung der massenmedialen Öffentlichkeit(en) zu konstatieren. Denn »Öffentlichkeit« in modernen, demokratischen Gesellschaften ist immer primär eine massenmediale, sie ragt quasi in jede Teilöffentlichkeit hinein.65 Die massenmedialen Öffentlichkeiten überwölben die anderen Teilöffentlichkeiten, die aber wiederum auch in sich fragmentiert sind. Die medialen Öffentlichkeiten unterliegen einem ständigen Ausdifferenzierungsprozess unter anderem bedingt durch den Wandel des Mediensystems. Die massenmedialen Öffentlichkeiten konstruieren sich im Zusammenspiel von Eigeninteressen der Medienmacher, medialen Eigenlogiken, ökonomischen Zwängen sowie der Einflussnahme von diversen Interessengruppen und Personen – hier Politiker und Parteien. Neben den massenmedialen Öffentlichkeiten ist die politische Öffentlichkeit zentral. Sie umfasst im engeren Sinne den Bereich des Politischen, wie interne Besprechungen, Verhandlungen, Parlaments-, Partei- und Versammlungsöffentlichkeit, Wahlkämpfe oder politische Reden und Inszenierungen. Auf einer zweiten Ebene wird die politische Öffentlichkeit durch die Medien hergestellt bzw. in mehrfacher Weise von ihnen beeinflusst – in ihrer Struktur, ihren Inhalten und im politischen Prozess.66 Für die politischen Akteure resultieren daraus Anforderungen an die Inhalte und Darstellungsformen von Politik; sie sind darauf angewiesen, die politische Öffentlichkeit immer wieder medial herzustellen und zu aktualisieren. Beide (Teil-)Öffentlichkeiten – die massenmediale und die politische – wenden sich an abstrakte Publika, die Rezipienten und Rezipientinnen. In sehr eingeschränktem Maße soll auch diese Ebene erfasst werden, denn Aneignungsprozesse sind historisch wie jeweils zeitgenössisch nur schwer zu erforschen, hängen sie doch von zahlreichen individuellen Faktoren und Konstellationen ab, die sich selten in den Quellen niederschlagen.67
—————— 64 65 66 67
Vgl. ebd., S. 9. Vgl. Gerhards, Öffentlichkeit, S. 270. Vgl. Jarren, Medien, S. 75. Bei diesen Faktoren handelt es sich u.a. um Bildung, Sozialisation, Alter und Geschlecht; vgl. Marßolek/von Saldern, Massenmedien, S.11.
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Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Trias Politik-Medien-Rezeption ist die Konstruktion der »öffentlichen Meinung«.68 Dabei kommt den Medien eine herausragende Rolle zu, denn das Individuum entnimmt aus ihnen Vorstellungen über die Meinungen anderer. Damit sind die Medien für das Zustandekommen der »öffentlichen Meinung« konstitutiv, denn der Prozess der öffentlichen Meinungsbildung verläuft über die Absicherung der eigenen Meinung durch Orientierung an der Meinung anderer, die – durch die Massenmedien gespiegelt – als Entwurf für den eigenen Meinungsbildungsvorgang genutzt wird.69 So gesehen, wird »öffentliche Meinung« folgendermaßen definiert: »Kommunikationsprozeß zur Auswahl von relevanten oder für relevant ausgegebenen Sachverhalten oder Problemen, die als Themen etabliert werden und zu denen vor allem durch die Medien Meinungen erzeugt werden. Die Präsentation von Meinungen in der Öffentlichkeit provoziert eine Auswahl relevanter oder für relevant gehaltener Meinungen, die von einer Mehrheit akzeptiert werden oder akzeptiert zu werden scheinen und dadurch politische Wirkungen entfalten.«70
Die Wechselwirkungen zwischen Politik, Medien und »öffentlicher Meinung« unterstreichen noch einmal die Relevanz medialer Vermittlung von Politik, da eine positive »öffentliche Meinung« in der Demokratie über Machterhalt, Machterlangung und politische Handlungsmöglichkeiten von Politikern und Regierungen von ausschlaggebender Bedeutung ist. Allerdings ist die Vorstellung, dass in einer pluralistischen Öffentlichkeit wie der bundesdeutschen, die sich durch eine Vielzahl von Medien und »öffentlichen Sprechern« mit unterschiedlichen Interessen auszeichnet, es könne sich eine öffentliche Meinung herausbilden, kaum realistisch.71 Man muss eher von einer fragmentierten öffentlichen Meinung ausgehen, wobei es immer eine Mehrheitsmeinung gibt (bzw. versucht wird, diese herzustellen), die als die öffentliche Meinung generiert werden kann.
—————— 68 Das Konzept der »öffentlichen Meinung« ist in der Kommunikationswissenschaft nicht unumstritten und wird kontrovers diskutiert; vgl. u.a. Schulz, Politische Kommunikation, S. 87 ff. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, diese Diskussion im Einzelnen wiederzugeben. Die kurzen Ausführungen beschränken sich auf einen für die Studie relevanten Aspekt, der nicht strittig ist. 69 Vgl. Merten/Westerbarkey, Public Opinion, S. 201 f. 70 Merten, Einführung in die Kommunikationswissenschaft, S. 242. 71 Vgl. Gerhards, Öffentlichkeit, S. 273.
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Aufbau der Arbeit Auf der Grundlage dieser methodischen und konzeptionellen Überlegungen ist die Studie folgendermaßen aufgebaut: Als Voraussetzung zur Bestimmung von Wandlungsprozessen, Brüchen und Kontinuitäten wird die Medienpolitik von CDU und SPD in den fünfziger Jahren (Kapitel 2) dargelegt. Daran anschließend werden vor allem drei Entwicklungsstränge verfolgt: Erstens sind sowohl Willy Brandt als politischer Akteur, sein spezifischer medialer Stil und die publizistischen Akteure als auch ausgewählte Medien zu untersuchen. Ins Blickfeld werden die verschiedenen Ebenen des vielschichtigen und nicht immer für Außenstehende offensichtlichen Beziehungsgeflechts zwischen Politik und Massenmedien gerückt. Dabei geht es einerseits um die persönlichen Verbindungen zwischen Politik und Medien, was am Beispiel des Springer-Verlags, des Spiegels, der Zeit und des Sterns (Kapitel 3) sowie des Rundfunks und Fernsehens (Kapitel 4) erörtert wird. Andererseits wird nach Formen und Inhalten der Berichterstattung, der Unterstützung und Bekämpfung Willy Brandts durch die Massenmedien sowie der Integration neuer Stilelemente in die Politik und die Politikberichterstattung – vor allem durch das Fernsehen und die Boulevardpresse – gefragt. Darüber hinaus sind – sofern möglich – auch die Publikumsinteressen bzw. -reaktionen zu berücksichtigen. In einem zweiten Schritt stehen vor allem die Journalisten als Akteure im Zentrum (Kapitel 5). Allerdings geht es hierbei primär nicht um die Analyse ihres Berufes, sondern um die Überschreitung der publizistischen und das Eindringen in die politische Sphäre. Dabei fungierten Journalisten als Politikberater, als Mitarbeiter in Partei- und Staatsapparat oder als Wahlkampfhelfer in der »Sozialdemokratischen Wählerinitiative« (SWI). Am Beispiel der SWI und anhand ausgewählter Personen werden die Formen dieser Grenzüberschreitungen sowie deren Auswirkungen auf den politischen Raum, die Öffentlichkeit und die Medienberichterstattung thematisiert. Im dritten und letzten Schritt wird am Beispiel der Bundestagswahlkämpfe von 1953 bis 1972 der Wandlungsprozess im Verhältnis von Politik und Medien in Form einer Längsschnittanalyse nachgezeichnet, wobei das zentrale Feld der Öffentlichkeitsarbeit und die Werbung der Parteien im Mittelpunkt stehen. (Kapitel 6).
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Quellenlage Die Quellenlage ist ausgesprochen gut.72 Zum einen konnten die umfangreichen Bestände des Willy-Brandt-Archivs im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in die Untersuchung einbezogen werden. Sie enthalten unter anderem die Korrespondenzen Willy Brandts mit allen führenden Journalisten und Journalistinnen seiner Zeit (unter anderem Rudolf Augstein, Günter Gaus, Henri Nannen, Marion Gräfin Dönhoff, Klaus Harpprecht, Axel Springer) und zahlreiche Hinweise zum Umgang Brandts mit den Massenmedien. Zum anderen waren die Bestände des SPD-Parteivorstandes im Archiv der sozialen Demokratie von zentraler Bedeutung. Dort sind vor allem die Überlieferungen zu den Planungen der Wahlkämpfe zwischen 1961 und 1972 sowie die Strategien der Öffentlichkeitsarbeit wichtige Quellen. Des weiteren enthalten die Parteivorstands- und Fraktionsprotokolle der SPD zahlreiche Hinweise. Auch konnten die Akten der diversen Arbeitsgemeinschaften der SPD, die sich mit Wahlkampfführung, Medienpolitik und Öffentlichkeitsarbeit der Partei beschäftigt haben, für die Untersuchung genutzt werden, genauso wie die Nachlässe bzw. Deposita von Egon Bahr, Horst Ehmke und Fritz Heine. Die Unterlagen des Journalisten Klaus Harpprecht, die nicht öffentlich zugänglich sind, standen für die Recherchen uneingeschränkt zur Verfügung. Auch die Akten über die Wahlkämpfe 1961 bis 1972 der CDU, die Bundesvorstands-73 und Fraktionsprotokolle74 der Union sowie einzelne Nachlässe im Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung, unter anderem von Kurt Georg Kiesinger, wurden berücksichtigt. Der Nachlass Ludwig Erhards in der Ludwig-Erhard-Stiftung konnte ebenfalls mit in die Untersuchung einbezogen werden. Hinzu kommen demoskopische Materialien von Institutionen wie Infas und Allensbach, die Bestände des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, des Bundeskanzleramtes und des Deutschen Presserates im Bundesarchiv Koblenz sowie die Akten des Landesarchivs Berlin. Darüber hinaus
—————— 72 Die Bestände und Archivalien im Einzelnen werden an den entsprechenden Stellen im Text sowie im Quellenverzeichnis nachgewiesen. 73 Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes liegen von 1950-1965 in veröffentlichter Form vor; vgl. Buchstab (Bearb.), Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1950-1953; ders. (Bearb.), Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1953-1957; ders. (Bearb.), Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1957-1961; ders. (Bearb.), Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1961-1965. 74 Die Fraktionsprotokolle der CDU-Bundestagsfraktion liegen von 1949 bis 1953 in veröffentlichter Form vor; vgl. Heidemeyer (Bearb.), Sitzungsprotokolle 1949-1953.
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wurden die Unterlagen über Willy Brandt in den National Archives, Washington D.C., ausgewertet. Neben den klassischen Archivalien bilden die Medienprodukte eine weitere Quellengrundlage der Studie: Presseartikel, einzelne Rundfunk- und Fernsehsendungen sowie die Wahlwerbespots der Parteien. Auch Zeitzeugeninterviews mit Politikern und Journalisten konnten geführt werden und flossen, wo es sinnvoll erschien, in die Analyse mit ein.
2. Die Medienpolitik von SPD und CDU in den fünfziger Jahren
Die beiden großen Parteien dominierten die Medienpolitik in der Bundesrepublik seit den fünfziger Jahren. Die Betrachtung dieses Politikfeldes aus Sicht von CDU und SPD in der ersten Nachkriegsdekade bietet sich an, weil hier die Grundlage, das Umfeld und der Aktionsrahmen zu finden sind, in dem Brandt und die SPD in den sechziger Jahren ihre eigenen Vorstellungen entwickelten. Darüber hinaus zeigen sich inhaltliche, formale und organisatorische Brüche sowie Kontinuitäten im Verhältnis von Politik und Massenmedien im Untersuchungszeitraum.1 Trotz einiger Gemeinsamkeiten differierte die Medienpolitik von Sozialdemokraten und Christdemokraten seit den fünfziger Jahren in wesentlichen Punkten. Als Regierungspartei hatte die CDU auf Bundesebene weitreichendere Möglichkeiten, ihre Vorstellungen umzusetzen als die SPD.
2.1 Die Medienpolitik der CDU in den fünfziger Jahren In den fünfziger und beginnenden sechziger Jahren prägte Konrad Adenauer – wie Partei und Regierung insgesamt – die Medienpolitik der CDU.2 Mittels enger Kontakte zu Journalisten und einer gezielten Informationspolitik versuchte der erste Bundeskanzler wichtige Medienvertreter an sich und seine Politik zu binden. Ihm war bewusst, dass in der neuen Demokratie nur mit Unterstützung der Massenmedien politische Macht zu erringen und zu erhalten war. Die wichtigsten personellen und organisatorischen Schaltstellen der Adenauerschen Medienpolitik waren sein Staatssekretär Otto Lenz, der im Kanzleramt für Innenpolitik sowie »Presse und Propaganda« zuständig war, sowie das im Oktober 1949 eingerichtete »Presse- und Informationsamt der Bundesregierung«3 (BPA). Die CDU-Parteizentrale, die erst in den fünfziger
—————— 1 Vgl. dazu Kapitel 6 dieser Arbeit. 2 Zur Adenauer-CDU allgemein vgl. Bösch, Adenauer-CDU. 3 Vgl. dazu Walker, Presse- und Informationsamt.
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Jahren langsam ausgebaut wurde, blieb dagegen im Hintergrund. Dort gründete man zwar bereits im Jahr 1950 einen »Presseausschuss«, der 1951 in den »Ausschuss für Rundfunk, Presse und Film« umbenannt wurde und aus dem dann im Laufe der fünfziger Jahre die »Abteilung Presse, Öffentlichkeitsarbeit und Werbung« mit einem gesonderten »Rundfunk- und Fernsehreferat« entstand. Dennoch spielte dieser Apparat – mit Ausnahme von Wahlkampfzeiten – bis zum Beginn der Großen Koalition Ende 1966 nur eine untergeordnete Rolle. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und Partei lassen sich bis zu diesem Zeitpunkt kaum voneinander unterscheiden und wurden eindeutig vom Regierungsapparat beherrscht.
Medien als Erfüllungsgehilfen Die Einstellung des ersten Bundeskanzlers zur Presse war relativ klar: Einerseits hielt er nicht viel von einer offenen und (zu) kritischen Berichterstattung, andererseits war er auf Presse und Journalisten angewiesen, wenn seine Politik erfolgreich sein sollte: »Journalisten sind nicht immer angenehm, sie sind sogar häufig sehr unwillkommen, aber sie sind für unsereinen unentbehrlich. Und darum muß man sie gut behandeln, soweit das möglich ist«,4 lautete Adenauers credo. Die wenige Forschungsliteratur, die Adenauer und seinen Umgang mit den Medien untersuchte,5 ist in ihrem Urteil einhellig: Der Bundeskanzler war sich der herausragenden Bedeutung der Medien für die politische Meinungsbildung bewusst. Er ging dabei jedoch von der Prämisse aus, dass die Funktion von Massenmedien auch in einer Demokratie primär darin liegen sollte, die Politik der Regierenden der Bevölkerung und damit den Wählern nahe zu bringen. Die Motivation der Medienpolitik Adenauers lag zwar in dem Wunsch, die Presse möglichst weitgehend zu instrumentalisieren.6 Dennoch: was hingegen die Formen der Zusammenarbeit zwischen Politik und Medien anging, so beschritt er neue Wege, die stilprägend wurden. Adenauers Einstellung zur und sein Umgang mit der Presse waren vor allem durch seine nicht immer positiven Erfahrungen als Kölner Oberbürgermeister während der Weimarer Republik geprägt.7 So hatte er sich und seine Lokalpolitik häufig Anfeindungen und Kritik durch die Kölner Zeitungen
—————— 4 Zitiert nach: Krüger, Adenauer und das Bundespresseamt, S. 34. 5 Vgl. u.a. Baring, Außenpolitik, bes. S. 326 ff.; Häussermann, Konrad Adenauer, S. 207 ff; Rapp, Adenauer und die Journalisten, S. 83 ff; Küsters, Konrad Adenauer, die Presse, S. 13 ff; Hoffmann, Adenauer, S. 390 ff.; Steinmetz, Freies Fernsehen, S. 35 ff. 6 Vgl. u.a. Baring, Außenpolitik, S. 326. 7 Vgl. Häussermann, Konrad Adenauer, passim.
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ausgesetzt gesehen. Mit Ausnahme einiger weniger ihm nahestehender Journalisten der Zentrumspresse verhielt er sich damals gegenüber den meisten Presseleuten eher distanziert und kritisch. Auf seiner Meinung nach ungerechtfertigte oder »falsche« Artikel reagierte er mit massiv vorgetragenen Korrekturwünschen und versuchte somit in die Autonomie der Redaktionen einzugreifen. Dieses Vorgehen beruhte auf seiner grundsätzlichen Haltung gegenüber der Presse und deren Aufgaben, der er ein eigenständiges Eingreifen in die Politik nicht zugestand. Sie sollte sich politisch zurückhalten, Politik wiedergeben, aber nicht politisch wirken. Mit dieser Zuweisung einer hauptsächlich reproduzierenden Funktion der Presse in politischen Fragen stand Adenauer nicht allein. Sie wurde von vielen seiner Zeitgenossen geteilt und ging auf längere Traditionen seit dem Kaiserreich zurück. Adenauer schätzte bereits in den zwanziger Jahren die zunehmende Bedeutung der Presse im öffentlichen Leben und der politischen Meinungsbildung realistisch ein. Anders jedoch als nach 1945 tat er sich damals mit der Umsetzung dieser Erkenntnis in seinem politischen Alltag schwer. Hier ist dann auch der entscheidende Unterschied zwischen der Medienpolitik Adenauers in der Weimar Republik und der Bundesrepublik zu finden. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es ihm mit Unterstützung des Bundespresseamtes ein System zu installieren, das ihm, der Regierung und seiner Partei ermöglichte, mit und durch die Medien der Bevölkerung soweit wie möglich ein positives Bild von der Regierungs- und Parteipolitik zu vermitteln. Dennoch kann man auch hier nicht von einer einseitigen Instrumentalisierung sprechen. Denn eine positive Berichterstattung über Partei- und Regierungspolitik in den Medien in demokratischen Regierungssystemen setzt in der Regel eine politische Interessengleichheit prinzipiell oder in Einzelfragen zwischen Politik und Medienmachern voraus.
Presse Den Schwerpunkt der Medienpolitik von CDU, Bundesregierung und Kanzler bildete nach Gründung der Bundesrepublik die Presse als politisches Leitmedium. Nur mit Unterstützung der Presse war es möglich, Politik und Person einer breiten Öffentlichkeit nahe zu bringen, den Bekanntheitsgrad zu steigern und damit auch bei Wahlen die notwendigen Erfolge zu erzielen. In der Adenauerschen Pressepolitik lassen sich vor allem drei Stränge verfolgen: Der Aufbau eines formellen und informellen Beziehungsgeflechtes mit inländischen Journalisten, die Organisation der CDU-Presse sowie der Umgang mit der ausländischen Presse als integraler Bestandteil seiner Außenpolitik.
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Den Kern der Informationspolitik des ersten deutschen Bundeskanzlers bildeten regelmäßige Hintergrundgespräche mit einem Kreis ausgesuchter Journalisten, die so genannten »Teegespräche«.8 Die »Teegespräche« sind nicht nur das Kennzeichen der Medienpolitik der Ära Adenauer, sondern sie waren ebenso charakteristisch für den politischen Stil Konrad Adenauers, der stark auf seine Person ausgerichtet war. Allerdings blieben solche Hintergrundgespräche auch nach 1963 – unter anderem Namen – ein wichtiger Eckpfeiler der Öffentlichkeitsarbeit der beiden nachfolgenden CDU-Regierungen. Sowohl Ludwig Erhard als auch Kurt Georg Kiesinger führten solche Journalistenrunden weiter.9 Die Form der »Teegespräche« war neu, das politische Prinzip, das dahinter stand, nicht. Die Weitergabe exklusiver Informationen an Journalisten unter der Bedingung einer willfährigen Berichterstattung gehörte seit dem 19. Jahrhundert zur politischen Tradition in Deutschland.10 Die »Teegespräche« fanden unter maßgeblicher Beteiligung des Bundespresseamtes seit April 1950 regelmäßig statt.11 Zwar hatte das Presseamt schon seit 1949 wöchentliche Treffen mit Journalisten veranstaltet, die aber nach Meinung des damaligen Bundeskanzlers nicht den gewünschten Erfolg erzielten. Deshalb sollten direkte Treffen zwischen dem Kanzler und »vertrauenswürdigen« Journalisten, die Einfluss auf die öffentliche Meinung hatten, stattfinden. Es handelte sich dabei nicht nur um Vertreter der CDU-nahen Zeitungen, sondern auch um unabhängige und regierungsfreundlich eingestellte Journalisten, wobei in- und ausländische Medienvertreter in der Regel getrennt empfangen wurden. Anfänglich beschränkte sich die Zahl der Teilnehmer auf zehn bis fünfzehn Personen, um Exklusivität und eine gewisse Diskretion zu gewährleisten. Da Adenauer während der Zusammenkünfte häufig sehr offen – wenn auch nicht unkontrolliert – sprach, wurde die Teilnahme für die Medienvertreter zunehmend eine Frage des Informationsvorsprungs und des Prestiges. Diese Situation brachte das Bundespresseamt, welches die Einladungen zum Kanzlertee aussprach, immer häufiger in Bedrängnis und hatte zur Folge, dass die Zahl der Journalisten bis zum Jahr 1953 auf bis zu 60 Personen anwuchs. Da dieser Kreis zu groß erschien, wurde er wieder reduziert und pendelte sich seit Ende der fünfziger Jahre bei circa zehn Teilnehmern ein. Die
—————— 8 Vgl. Küsters (Bearb.), Teegespräche 1950-1954; ders. (Bearb.), Teegespräche 1955-1958; ders. (Bearb.), Teegespräche 1959-1961; Mensing (Bearb.), Teegespräche 1961-1963. 9 Vgl. zum Beispiel den so genannten »Sonderkreis« Ludwig Erhards, Kurzprotokolle, LudwigErhard-Stiftung e.V., Bonn (LES), Nachlass (NL) Ludwig Erhard, Nr. 559, 560, 561, 562; die Protokolle der »Vertraulichen Gespräche mit Journalisten« 1966-1969 von Kiesinger, Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin (ACDP), NL Kurt Georg Kiesinger, I-226, Nr. 8/1, 8/1a. 10 Vgl. Requate, Journalismus, S. 327 ff. 11 Vgl. ausführlich Küsters, Zum Tee beim Kanzler, S. XII ff.
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Themen, die bei den Treffen erörtert wurden, umfassten die zentralen innenund außenpolitischen Fragen und wurden je nach tagespolitischer Notwendigkeit gezielt ausgewählt. Adenauer stellte seine Sicht der politischen Lage ausführlich dar und entwickelte Überlegungen zu einzelnen Sachverhalten. Fragen und Stellungnahmen der Journalisten waren möglich, so dass sich unter Umständen rege Diskussionen ergaben. Zwar wurde immer wieder auf die Vertraulichkeit der Gespräche verwiesen, dennoch kalkulierte Adenauer bewusst ein, dass Berichte an die jeweiligen Chefredaktionen geschickt wurden und auf diesem Weg seine Vorstellungen in der Presse Verbreitung fanden. Durch die »Teegespräche« konnte Adenauer einerseits gezielt Informationen in die Öffentlichkeit bringen, andererseits wurde es möglich, eine enge Bindung zwischen ihm und einigen Pressevertretern zu schaffen, was eine positive Berichterstattung über seine Regierungspolitik zumindest begünstigte. Neben der primär auf die Regierungsarbeit bezogenen Pressepolitik existierte noch eine parteieigene. Nach 1945 stellte sich für die neugegründete CDU die Frage, wie sie die Zeitungen, die ihre politische Linie vertraten, organisieren sollte.12 Durch die Lizenzierungspraxis der Alliierten war der Entscheidungsspielraum der Parteien zunächst zwar eingeschränkt, dennoch trafen CDU und SPD schon vor Gründung der Bundesrepublik auf diesem Gebiet Grundsatzentscheidungen, die im Prinzip bis heute Bestand haben. Die CDU bevorzugte das Konzept einer parteinahen Presse. Diese Entscheidung ging auf die Initiative der rheinischen CDU zurück, deren Vorsitzender Konrad Adenauer war, und ist von ihm wesentlich forciert worden. Im Herbst 1946 trafen sich in Köln die CDU-Zeitungsverleger zu einer »Tagung der CDU-Presse der ganzen britischen Zone«.13 Die Mehrheit der Teilnehmer sprach sich für das Konzept einer parteinahen Presse aus und so wurde ein Zusammenschluss der CDU-nahen Zeitungen projektiert. Dieser erfolgte dann nach dem Vorbild des »Augustinervereins« des Zentrums auf einer Sitzung am 23. Juli 1947 in Bad Godesberg. Dort gründeten die neun CDU-Zeitungen der britischen Zone den »Verein Union Presse e.V.« (VUP).14 Der Zusammen-
—————— 12 Vgl. Frankfurter Rundschau vom 21. Dezember 2000, Münkel, Dichtes Beziehungsgeflecht zwischen Partei und Zeitungen. 13 Zum organisatorischen Aufbau des »Vereins Union Presse«, dessen Satzungen sowie zu den einzelnen Mitgliedszeitungen; vgl. Fischer, Parteien, S. 134 ff. 14 Rein formal entsprach der »Verein Union Presse« (VUP) dem postulierten Anspruch, ein Zusammenschluss der CDU nahestehender Presseorgane und deren Journalisten zu sein. Untersucht man jedoch die praktische Tätigkeit des Vereins, so wird schnell deutlich, dass dieser mit dem Etikett »parteinah« nicht richtig beschrieben ist. Dazu waren die Verbindungen zwischen CDU und dem VUP auf verschiedenen Ebenen zu eng. Der bisher vertretenen These, dass der VUP innerhalb der CDU keine dominierende Rolle gespielt habe, ist nur bedingt zuzustimmen. Sie gilt sicherlich für das offizielle Auftreten des Vereins. Anders verhält
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schluss erweiterte sich bis zu einer Versammlung am 22. November 1947 in Düsseldorf auf 85 ordentliche und 15 außerordentliche Mitglieder. Mitglieder konnten sowohl Verleger als auch einzelne Journalisten werden, die sich in gesonderten Untergruppen zusammenfanden. Auf dieser Sitzung hielt Konrad Adenauer, der selbst Mitglied des VUP war,15 ein Grundsatzreferat zum Thema »Das Verhältnis der CDU zu den Zeitungen«, in dem er noch einmal sein Konzept einer parteinahen Presse darlegte: »Wir wollen keine Parteipresse! Wir wollen auch nicht für jedes Wort verantwortlich gemacht werden, was in den Zeitungen steht. Es muß im Verhältnis zwischen Partei und Presse eine gewisse Freiheit walten [...] Jede Parteileitung bedarf einer sie korrigierenden öffentlichen Meinung, und zwar einer öffentlichen Meinung, an der sie sich ausrichten kann.« 16
Trotz dieses Bekenntnisses zu den Handlungsspielräumen einer parteinahen Presse versuchte Adenauer immer wieder direkt in die Berichterstattung der betreffenden Zeitungen einzugreifen. Zahlreiche Korrespondenzen mit Verlegern und Chefredaktionen sind überliefert, die belegen, dass nach Auffassung des CDU-Vorsitzenden die parteinahen Zeitungen eine kritische Berichterstattung über seine Politik zu unterlassen hätten.17 Hier tritt die eigentliche Auffassung Adenauers vom Verhältnis zwischen Partei, Regierung und Presse
—————— es sich, wenn man die Kontakte zwischen der Partei und einzelnen Verlegern und Journalisten betrachtet. Es gab zwischen der CDU und dem VUP, entgegen den offiziellen Verlautbarungen und Beteuerungen der beiden Partner, wesentlich engere Verbindungen als dies bisher wahrgenommen wurde. Diese lassen sich vor allem auf drei Ebenen festmachen: Politischideologisch, personell und ökonomisch. Grundsätzlich müssen zeitliche Differenzierungen berücksichtigt werden: Die Zeit von 1947 bis zur Aufhebung der Lizenzierungspflicht 1949: In diesem Zeitraum wurden bisher die engsten Kontakte zwischen CDU und VUP verortet. Dann folgte eine kurze Krise, die insbesondere auf die verschlechterte ökonomische Lage vieler CDU-naher Zeitungen infolge zunehmender Konkurrenz zurückzuführen ist. Die Zeit von Anfang der fünfziger Jahre bis zum Jahr 1969 bildet eine weitere Phase: Der Verein konsolidierte sich und nahm neue Aufgaben wahr. In diesem Zeitraum pflegte er auch eine wesentlich engere Zusammenarbeit mit der CDU als bis jetzt bekannt. Nach dem Verlust der Regierungsmacht der Union im Jahr 1969 geriet der VUP in eine erneute Krise, die er letztendlich bis heute nicht überwunden hat. Es gelang nicht – trotz vielfacher Bemühungen – den Verein umzuorganisieren und neue Betätigungsfelder zu erschließen. So wurde von 1979 bis 1985 der »Emil-Dovifat-Preis« als Auszeichnung für Journalisten vom VUP vergeben. Obwohl der »Verein Union Presse« auch heute noch existiert, spielt er innerhalb der CDU keine Rolle mehr; Vgl. Münkel, Beziehungsgeflecht. 15 Adenauer war Mitglied Nr. 156 des VUP; vgl. Schreiben vom 15. Juni 1948, Stiftung-Bundeskanzler-Konrad-Adenauer-Haus, Rhöndorf (SBAH), NL Konrad Adenauer, Private Korrespondenz 7.06 T-V. 16 Zitiert nach: Fischer, Parteien, S. 139. 17 Vgl. u.a. Mensing (Bearb.), Briefe 1945-1947; ders. (Bearb.), Briefe 1947-1949; ders. (Bearb.), Briefe 1949-1951; ders. (Bearb.), Briefe 1951-1953; ders. (Bearb.), Briefe 1953-1955.
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zutage. Besonders heftige Auseinandersetzungen lieferte er sich mit dem Verleger der Kölnischen Rundschau Reinhold Heinen, den er mit Briefen geradezu bombardierte. Am 22. März 1947 schrieb Adenauer bereits zum wiederholten Mal an Heinen: »Ich weiss nicht, ob Sie sich darüber klar sind, wie tiefgehend die Unzufriedenheit mit der ›Kölnischen Rundschau‹ ist. [...] Ich habe keine Zeit mir beim Lesen Ihrer Zeitung jedes Mal aufzunotieren, was man mit Recht bemängeln kann. Ich beschränke mich daher nochmals auf den akuten Anlass meines Schreibens, den Bericht über die Landtagsverhandlungen. Ob Herr M. die Überschrift gemacht hat, ist mir gleichgültig. Jedenfalls liegt sie völlig daneben. Charakteristisch ist, dass [...] eine sozialdemokratische Zeitung des Industriegebietes genau dieselbe Überschrift [...] gesetzt hat. [...] Übrigens hatte ich den Berichterstattern der CDUPresse sagen lassen, dass wir auf eine gute Berichterstattung über diese Landtagsverhandlungen den grössten Wert legen.«18
Im weiteren Verlauf des Briefes wurden im Falle einer Wiederholung Konsequenzen angedroht, die dann allerdings wegen fehlender Eingriffsmöglichkeiten der Partei nicht umgesetzt werden konnten. Adenauer ging jedoch von seiner Einstellung nicht ab und versuchte immer wieder, die Berichterstattung zu beeinflussen. Er bemängelte einzelne Artikel und forderte eine regierungsfreundlichere Richtung. Außerdem machte er seine Vorstellung über eine Zusammenarbeit von Politik und CDU-Presse immer wieder deutlich: »Wenn Sie nun als Voraussetzung dafür, daß die Rundschau gewissen Themen oder Gedankengängen meiner Regierung Raum gibt, bezeichnen, daß eine solche Zusammenarbeit nur auf der Grundlage der beiderseitigen Aussprache möglich sei, so bitte ich, diese Ausführungen mir zu erklären. Es ist für mich als Bundeskanzler ganz unmöglich, der Redaktion einer Zeitung einen Einfluß auf meine Entschließungen zu geben, falls Sie das unter beiderseitiger Aussprache verstehen sollten.«19
So schrieb Adenauer an Heinen im Dezember 1949. Die Differenzen zwischen Verlegern, Journalisten und dem CDU-Parteivorsitzenden, der seine Auffassung nicht revidierte, blieben bestehen. Die Haltung Adenauers gegenüber der Presseberichterstattung bildete zu diesem Zeitpunkt keine Ausnahme, sondern entsprach der Ansicht der meisten Politiker in den fünfziger Jahren, die durch die Weimarer Republik geprägt waren. Die Vorstellungen dieser Politikergeneration erwiesen sich dann im Laufe der sechziger Jahre angesichts einer sich wandelnden Medienlandschaft und einer immer kritischer werdenden Öffentlichkeit als nicht mehr umsetzbar. Adenauer war jedoch noch im Jahr 1965, zwei Jahre nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers, verstimmt
—————— 18 Schreiben vom 22. März 1947, Archiv der Kölnischen Rundschau (AKR), NL Reinhold Heinen, Pressefragen, Lizenzierungen 1945-1949. 19 SBAH, NL Adenauer, 7.27, Schreiben vom 29. Dezember 1949.
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über das Verhältnis zwischen seiner Partei und der ihr nahestehenden Presse: »Der Altbundeskanzler äußerte sich dabei betont kritisch über die Formen, unter denen sich diese Zeitungen in der Öffentlichkeit von der CDU distanzierten, um nicht als Parteipresse angesehen zu werden«20, so das Protokoll einer Versammlung des »Verein Union Presse«. Diese ständige Unzufriedenheit mit der Berichterstattung der CDU-nahen Presse, die nach Ansicht Adenauers zu kritisch berichtete und Distanz zur Regierung bewahrte, führte dazu, dass er entgegen seinem Plädoyer für das Konzept von parteinahen Zeitungen die Gründung von parteieigenen Zeitungen verfolgte. Derartige Versuche scheiterten jedoch alle an der schlechten finanziellen Lage der CDU. Auch die im September 1948 als »überregionales Sprachrohr der CDU« der britischen Zone gegründete Allgemeine Kölnische Rundschau musste aus Geldmangel bereits am 31. März 1950 ihr Erscheinen wieder einstellen.21 Ein anderer wichtiger Pfeiler der Pressepolitik der Adenauer-Regierung war der Austausch mit ausländischen Journalisten. Hier wurde eine gezielte Interviewpolitik betrieben, die Adenauer bereits als Präsident des Parlamentarischen Rates initiiert hatte. In den ersten Jahren seiner Kanzlerschaft setzte er sie vor allem als außenpolitisches Hilfsinstrument ein, da es der Bundesrepublik verboten war, eigene diplomatischen Beziehungen aufzubauen. Adenauer gab vor allem französischen, amerikanischen und englischen Journalisten in Deutschland oder auf Reisen gezielt arrangierte Interviews, um so die ausländische Öffentlichkeit über die Vorgänge in den westlichen Besatzungszonen bzw. der Bundesrepublik und die nächsten Schritte westdeutscher Außenpolitik zu informieren. Damit sollte das durch den Nationalsozialismus diskreditierte Bild Deutschlands im Ausland revidiert werden. Aber es sollte auch die Verlässlichkeit der Bundesregierung als Bündnispartner unterstrichen werden. Aus dem gleichen Grund wurden ausländische Journalisten zu exklusiven und ausführlichen Hintergrundgesprächen eingeladen. Diese Treffen wurden in der Regel von der »Pressestelle des Auswärtigen Amtes« oder dem »Presse- und Informationsamt der Bundesregierung« sorgfältig vorbereitet. Die Tatsache, dass in den Jahren von 1949 bis 1953 mehr als zwei Drittel der Kanzlerinterviews mit der Auslandspresse geführt wurden,22 unterstreicht die These, dass Adenauer Pressepolitik als ein unverzichtbares Instrumentarium der Außenpolitik betrachtete.
—————— 20 AKR, NL Heinen, VUP 1965, Aktennotiz vom 17. August 1965. 21 Vgl. Fischer, Parteien, S. 144 ff. Im Februar 1950 schrieb Heinen an Adenauer, dass die Allgemeine Kölnische Rundschau bereits Zuschüsse von mehreren hunderttausend Mark verbraucht habe und in Zukunft nicht mehr zu finanzieren sei; vgl. Schreiben vom 10. Februar 1950, SBAH, NL Adenauer, 10.01. 22 Vgl. Hoffmann, Adenauer, S. 82.
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»Unzählige Male habe ich in- und ausländische Journalisten zu ihm geführt, die ihn interviewen wollten. Er gab stets sehr offen, manchmal mit einer Offenheit, die mir den Schweiß auf die Stirn trieb, seine Antworten. Damit war aber die Sache für ihn nicht erledigt. Häufig, besonders bei Ausländern, ging er zum Gegeninterview über. Er fragte den erstaunten Besucher nach Hintergründen von Nachrichten, die er in der Zeitung gelesen hatte. [...] Er verfolgte dabei zweifellos den Zweck, die Richtigkeit der Berichte unserer Auslandsvertretungen, auch wohl seine eigenen Vorstellungen zu überprüfen«,23
so der langjährige Chef des »Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung« Felix von Eckardt in seinen Erinnerungen. Diese Interviewpraxis Adenauers, die auch von anderen Zeitgenossen bestätigt wird, wirft einen erweiterten Blick auf sein Verhältnis zur Presse. Nicht zu unterschätzen ist auch die Tatsache, dass er ein regelmäßiger und sorgfältiger Zeitungsleser war. Er nahm die Presse trotz aller Bedenken so ernst, dass er sie für sich selbst als wichtiges Informationsmedium nutzte.
Rundfunk und Fernsehen Die Möglichkeiten, die Rundfunk und Fernsehen für die politische Meinungsbildung boten, wurden von Adenauer früh erkannt und soweit wie möglich umgesetzt. 1953 stellte er fest: »Ich möchte kurz zum Rundfunk etwas sagen. Sie haben zweifellos recht, der Rundfunk ist ein größeres Propagandamittel als die Zeitung, wahrscheinlich wenigstens, absolut sicher will ich nicht sagen. Sicher ist er ein großes Propagandamittel.«24
Das von den Alliierten installierte öffentlich-rechtliche Rundfunksystem beschränkte den Zugriff der Regierung auf das Medium. Im Jahr 1950 intervenierte der Bundeskanzler deshalb bei den Hohen Kommissaren, um eine Änderung des status quo beim Rundfunk zu erreichen. »Als letztes bat ich um die Wiederherstellung der Rechtslage auf dem Gebiet des Rundfunkwesens, wie sie etwa bis 1933 bestanden hatte.25 Für den Fall einer Zuspitzung der außenund innenpolitischen Lage schien es mir nicht zweckmäßig zu sein, daß das Propagandamonopol des Rundfunks allein in der Hand von Personen lag, die gegenüber dem Parlament und der Regierung nicht verantwortlich waren.«26
—————— 23 Von Eckardt, Lebenserinnerungen, S. 165. 24 Buchstab, Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1950-1953, S. 328. 25 Durch das Rundfunkgesetz von 1932 war der Rundfunk in der Weimarer Republik quasi zum Staatsrundfunk geworden, was den Zugriff der Nationalsozialisten auf das Medium wesentlich erleichtert hat; vgl. Lerg, Rundfunkpolitik, S. 439 ff. 26 Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, S. 390.
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Dass dieser Vorstoß erfolglos war, ist bekannt, dennoch versuchte Adenauer durch die Verabschiedung eines Bundesrundfunkgesetzes die Einflussmöglichkeiten der Regierung zu verstärken. Hier scheiterte er am Widerstand der Bundesländer. Ein anderes Konfliktfeld war die Besetzung der Rundfunkräte, in denen die SPD durch die britische Labour-Regierung nach Ansicht der CDU massiv bevorzugt worden war.27 Um dennoch das Radio so gut wie möglich nutzen zu können, versuchte die CDU durch eine koordinierte Personalpolitik in den Verwaltungs- und Rundfunkräten der Sender ihre Position zu stärken. Adenauer ging dabei ähnlich wie bei der Pressepolitik vor. Er pflegte gute Kontakte mit Rundfunkjournalisten, gab Interviews und versuchte möglichst oft im Radio präsent zu sein. Sofern sich die Möglichkeit bot, wandte er sich auch mit Rundfunkansprachen direkt an die Bevölkerung und trat in verschiedenen Sendereihen auf, so in der Sendung des Bayerischen Rundfunks Politik aus erster Hand oder in den Rundfunkgesprächen des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR).28 Das Bundespresseamt verfolgte nicht nur eine gezielte Rundfunkpolitik, sondern versuchte auch, die Möglichkeiten des Mediums optimal für die Regierungswerbung zu nutzen. So konnte das BPA seit Beginn der fünfziger Jahre mehrere Rundfunksendungen auf die ARD-Sendeanstalten verteilen, in denen direkt oder indirekt für die Politik der Adenauer-Regierung Werbung betrieben wurde – nicht selten auch finanziell vom BPA gefördert. Solche Sendungen hatten den Vorteil, dass sie nicht auf den ersten Blick als politische Werbung erkennbar waren, sondern als allgemeine politische Informationssendungen galten. So konnte die Wirkung auf Hörer und Hörerinnen optimiert werden, da diese vielfach davon ausgingen, durch die Sendungen »neutral« und »objektiv« informiert zu werden. Um möglichst wenig dem Zufall zu überlassen, waren gezielte Absprachen zwischen einzelnen Sendern oder führenden Mitarbeitern der Rundfunkanstalten mit dem BPA, die eine positive Berichterstattung über die Regierungspolitik gewährleisten sollten, üblich. So bestand beispielsweise eine Absprache zwischen dem Sendeleiter des Süddeutschen Rundfunks (SDR) Dr. Helmut Jedele29 und dem Bundespresseamt darüber, dass der Politik der Bundesregierung bei der Berichterstattung Rechnung getragen werde und sich das BPA im Gegenzug an einzelnen Produktionen finanziell beteiligen wollte.30
—————— 27 Vgl. Küsters, Konrad Adenauer, die Presse, S. 27. 28 Vgl. Hoffmann, Adenauer, S. 12 ff. 29 Helmut Jedele (geb. 1920), seit 1946 freier Mitarbeiter beim Stuttgarter Rundfunk, später dann Fernsehchef des SDR; vgl. Dussel, Interessen der Allgemeinheit vertreten, S. 122 f. 30 Vgl. Bundesarchiv, Koblenz (BA-Koblenz), B 145, 1340, Vermerk vom 18. Juni 1955.
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Im September 1953 meldete das Rundfunkreferat des Bundespresseamtes dem Bundeskanzler, »daß es uns in der letzten Zeit gelungen ist, beim NWDR, beim Süddeutschen Rundfunk, beim Südwestfunk und bei Radio Bremen regelmäßige Sendungen durchzuführen, in denen wir die Politik der Bundesregierung auf den Gebieten des Wirtschafts- und Soziallebens positiv vertreten konnten. Diese Sendungen erfassen rund 5 Millionen Hörer.«31
Eine derartige Form der Werbung hat wohl zum positiven Image und den guten Wahlerfolgen der CDU in den fünfziger Jahren beigetragen.32 Bereits 1952 hatte es erste Planungen für eine eigene Sendereihe der Bundesregierung gegeben: »Das Bundespresseamt plant in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Rundfunkgesellschaften eine Art Fragestunde der Bundesregierung für die Hörer einzurichten. Die Hörer werden aufgefordert brieflich Fragen zu stellen, die wir, soweit sie von allgemeinem Interesse sind, beantworten werden.«33
Beim SDR wurde dann unter dem Titel Postfach Bundesregierung ein solches Sendeformat eingeführt. Der NWDR lehnte das Konzept zunächst ab, da man nicht bereit war, die Redaktion aus der Hand zugeben. Man verständigte sich dann Ende September 1952 darauf, dass in einer neu einzuführenden Sendereihe unter dem Titel Sorgen des Alltags, vierzehntägig ausgestrahlt, Bundesregierung und »andere amtliche Stellen« nur mittelbar in Erscheinung treten sollten.34 Einige Jahre später (1957) lehnte auch der Bayerische Rundfunk die Einrichtung einer Fragestunde der Bundesregierung ab.35 Trotz dieser vereinzelten Widerstände, den Rundfunk durch die Adenauer-Regierung instrumentalisieren zu lassen, existierten bis in die sechziger Jahre hinein zahlreiche Rundfunksendereihen nach dem Konzept »die Bundesregierung beantwortet Hörerfragen« in den diversen ARD-Rundfunkanstalten mit Titeln, wie zum Beispiel: Fragen Sie doch die Bundesregierung, seit 1960 Antwort aus Bonn (SDR), Bundesbehörden beantworten Hörerfragen, seit 1957 Postfach 100 (SWF), Herr Bremermann gibt Antwort und Schüler sprechen mit Bonn (Radio Bremen), ab 1957 Berlin fragt Bonn (SFB) oder ab 1958 Saar fragt Bonn – Postfach 100 antwortet (SR).36 Neben dieser Form der Rundfunknutzung durch die Bundesregierung versuchten das BPA oder Adenauer persönlich, ebenso wie bei der Presse durch
—————— 31 32 33 34 35 36
BA-Koblenz, B 145, 240, Schreiben vom 3. September 1953. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6 dieser Arbeit. BA-Koblenz, B 145, 1509, Schreiben vom 26. Mai 1952. Vgl. BA-Koblenz, B 145, 1509, Vermerk vom 30. September 1952. Vgl. BA-Koblenz, B 145, 1509, Schreiben vom 30. Oktober 1957. Vgl. BA-Koblenz, B 145, 1509, passim.
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direkte Interventionen in die Berichterstattung einzugreifen. Zahlreiche Schreiben vor allem an den NWDR machen dies deutlich. »Sie wissen, dass meine Partei in der Vergangenheit sehr häufig Veranlassung hatte, die mangelnde Objektivität in der Berichterstattung des Nordwestdeutschen Rundfunks zu beanstanden. Ich bitte Sie daher sehr dringend, Ihren ganzen Einfluß dahin geltend zu machen, daß der NWDR in der Zukunft – insbesondere zunächst bei den Bundestagswahlen und dann nach der Konstituierung der Bundesregierung – die notwendige Neutralität walten läßt, um auf diese Weise zu einer Befriedung des öffentlichen Lebens beizutragen«37,
so Adenauer an den Vorsitzenden des Verwaltungsrates des NWDR, Heinrich Raskop, selbst Mitglied der CDU, im Jahr 1949. Auch in den fünfziger Jahren lassen sich derartige Beschwerden finden. Wenn der eine oder andere Kommentar bzw. Inhalt einer Rundfunksendung der Regierung nicht genehm war, bezahlte das BPA auch schon mal einen Gegenkommentar – ein Beispiel vom Anfang der sechziger Jahre kann dieses Vorgehen illustrieren: »Am 29. November 1962 hat Wolfdietrich Schnurre in der Sendung des WDR ›Auf ein Wort‹ die Politik der Bundesregierung in unflätiger Weise angegriffen. Von der Amtsleitung wurden daraufhin Überlegungen angestellt, wie auf diese Sendung in geeigneter Weise geantwortet werden könne. Herr Winfrid Martini, München, wurde gebeten, für eine Antwortsendung einen Manuskriptentwurf anzufertigen; als Honorar wurden auf Veranlassung [...] DM 500.-- zugesagt. In Besprechungen mit Herrn Bundesinnenminister Höcherl, zu denen Herr Martini nach Bonn gebeten wurde, einigten sich beide Herren, daß der Text nicht, wie zunächst beabsichtigt war, von einem Bundesminister, sondern von Herrn Martini selbst gesprochen werden sollte.«38
Solche und ähnliche Vorgänge lassen sich in den Unterlagen des BPA massenhaft finden. Sie spiegeln ein grundsätzliches Prinzip der Medienpolitik von Regierung und CDU wider: Eine regierungs- und parteikritische Berichterstattung war nicht nur unerwünscht, sondern sollte gänzlich unterbunden werden – manchmal auch mit massivem Druck, bis in die Personalpolitik der Sender und Redaktionen eingreifend. Das galt auch für das Fernsehen. Als das Fernsehen seit Mitte der fünfziger Jahre seinen Siegeszug antrat, erkannten Bundeskanzler und BPA umgehend die Chancen, die das neue audio-visuelle Medium für die politische Meinungsbildung und die Werbung für Partei und Regierung bot. Zwar sah Adenauer in der Funktion des Fernsehens als Unterhaltungsmedium eine Gefahr für die traditionellen Werte, als politisches Propaganda-Instrument nahm er es aber durchaus wahr.39
—————— 37 Schreiben Adenauers an den Vorsitzenden des Verwaltungsrates des NWDR, Raskop, vom 30. Mai 1949, in: Mensing, Adenauer. Briefe 1949-1951, S. 29. 38 BA-Koblenz, B 145, 3643, 20.13 BPA, Genehmigungsverfügung. 39 Vgl. Küsters, Konrad Adenauer, die Presse, S. 28 ff.
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Durch die Erfahrungen mit dem Rundfunk und im vollen Bewusstsein darüber, dass der Bundestagswahlkampf 1961 der erste Fernsehwahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik sein würde, versuchte Adenauer die Gründung eines privaten Fernsehkanals voranzutreiben.40 Die Bundesländer sahen dadurch jedoch ihre Rundfunkhoheit gefährdet und klagten vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Vorhaben der CDU-Regierung. Am 28. Februar 1961 bekamen die Länder Recht und das »Adenauer-Fernsehen« war gescheitert. Eine indirekte Folge des »Fernsehurteils« war die Gründung des ZDF, welches am ersten April 1963 auf Sendung ging. Seit 1954 wurde das gesamte politische Fernsehprogramm vom BPA skeptisch beobachtet. Alles was regierungs- und parteikritisch oder nicht regierungsfreundlich genug war, wurde registriert und häufig an Adenauer weitergeleitet. Man beließ es hier nicht dabei, sich im Nachhinein zu beschweren, sondern versuchte auf die Inhalte der Sendungen direkten Einfluss zu nehmen, und zwar vor allem über eine gezielte Personalpolitik, sowohl in den Rundfunkräten als auch in den Redaktionen. Die Kontroversen um das Fernsehmagazin Panorama und die Ablösung des Magazinleiters Gert von Paczensky im Mai 1963 und des Hauptabteilungsleiters Rüdiger Proske im Herbst desselben Jahres41 sind herausragende Beispiele für eine solche Form von restriktiver Medienpolitik seitens der CDU-Regierungen. Nach der Ablösung Adenauers als Bundeskanzler wurde auch weiterhin das Fernsehprogramm vom BPA kritisch beobachtet und gegebenenfalls zu intervenieren versucht. Man ging dabei allerdings weniger offensiv und öffentlich vor, denn seit Spiegel-Affäre und Panorama-Skandal42 ließ sich ein derart instrumenteller, restriktiver und patriarchalischer Umgang mit den Massenmedien immer weniger einer zunehmend kritischer werdenden Öffentlichkeit vermitteln. Bestand hatten hingegen die von Adenauer und seinen Mitarbeitern eingeführten Formen der Zusammenarbeit von Politik und Massenmedien, wie die Hintergrundgespräche mit Journalisten oder deren Teilnahme an Wahlreisen. Hier setzte Adenauer Standards und wirkte stilprägend, so dass vieles davon von seinen Nachfolgern Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger beibehalten wurde.
—————— 40 Vgl. dazu ausführlich Steinmetz, Freies Fernsehen. 41 Vgl. Hickethier, Geschichte, S. 268. 42 Vgl. Berichte von Panorama im Zuge der Spiegel-Affäre führten zu massivem Druck seitens der CDU auf den NDR und zu einer Kampagne der Springer-Presse gegen den damaligen Chefredakteur des Magazins, Gert von Paczensky. Paczenskys Vertrag wurde aufgrund dessen im Februar 1963 nicht mehr verlängert und im Herbst 1963 musste dann auch der Reaktionsleiter Rüdiger Proske Panorama verlassen; vgl. Hickethier, Geschichte, S. 173 f.
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2.2 Die Medienpolitik der SPD in den fünfziger Jahren Die Medienpolitik der SPD in den fünfziger Jahren wurde bis zur Organisationsreform der Partei auf dem Stuttgarter Parteitag 1958 maßgeblich von Fritz Heine, seit 1946 »Presse- und Propagandachef«, bestimmt. Unter Medienpolitik wurde bei der Bundes-SPD in dieser Zeit fast ausschließlich Pressepolitik verstanden.
Pressepolitik der SPD Die Auffassung Heines und der SPD-Parteiführung von der Rolle der Presse als Instrument der Politik unterschied sich nicht grundsätzlich von der Adenauers und der CDU – auch sie stand in der Weimarer Tradition. Allerdings gab es Differenzen im Umgang mit den Medien. Darüber hinaus ignorierte Heine weitgehend die Funktion der Massenmedien für den Erfolg von Politik und Politikern in einer modernen Demokratie. Pressepolitik der SPD in den fünfziger Jahren meinte primär den Umgang mit der Parteipresse und den SPD-nahen Zeitungen, wobei parteinah hier in der Regel eine verschleiernde Bezeichnung war. Anders als die CDU wollte die SPD nach Ende des Zweiten Weltkrieges, nicht zuletzt aufgrund der Parteitradition, ihre durch die Nationalsozialisten enteignete parteieigene Presse wieder auferstehen lassen. Die Lizenzierungspraxis der Alliierten erlaubte dies allerdings nicht in der gleichen Form wie in den zwanziger Jahren.43 Zur Einflussund Besitzstandswahrung entwickelte die SPD zunächst ein Treuhandsystem, und nach Aufhebung der Lizenzierungspflicht im September 1949 trat die Partei bei den entsprechenden Zeitungen als Gesellschafter auf. Diese Zeitungen waren demzufolge im Besitz bzw. Mitbesitz der SPD, weshalb das zeitgenössisch benutzte Etikett »SPD-nahe Zeitungen« irreführend ist.44 Das Ziel, das sich der Parteivorstand in puncto Medien und Werbung in den vierziger und fünfziger Jahren gesteckt hatte, war eine »eigene Presse- und Propagandaarbeit durchzuführen und publizistische und propagandistische Tätigkeiten anderer zu beeinflussen, wobei es sich natürlich nicht nur um die Anregungen gebenden und unterstützenden Funktionen einer Parteizentrale [...] handelt, sondern
—————— 43 Zur Lizenzierungspraxis der Alliierten vgl. Kapitel 3 dieser Arbeit. Zur SPD-Presse in den zwanziger Jahren vgl. u.a. Boll, Die deutsche Sozialdemokratie und ihre Medien, S. 52 ff. 44 Hier lag ein Unterschied zur CDU, die zwar über parteieigene Verlage und Publikationsorgane verfügte, aber nicht an den Zeitungen im VUP finanziell beteiligt war.
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auch um die propagandistische und journalistische Einflussnahme auf befreundete, neutrale und gegnerische Organisationen und Organe.«45
Die SPD-Presse sollte »Mitglieder und Anhänger für die sozialistische Bewegung gewinnen [und, D.M.] die tagespolitischen Ziele der SPD so weitgehend wie möglich popularisieren.«46 Die Aufgabe, die den Zeitungen von Seiten der SPD zugewiesen wurde, zielte in Richtung Instrumentalisierung der Berichterstattung durch die Partei. Zeitungen galten Heine und anderen führenden Sozialdemokraten als wirksames Propaganda- und Erziehungsmittel. Die SPDPresse nach 1945 unterschied sich dennoch von ihren Vorgängern aus den zwanziger Jahren. Moderne Nachrichtenblätter mit »sozialdemokratischer Tendenz« sollten entstehen und keine »Funktionärs- bzw. Vereinsblätter«.47 Dieser Vorsatz wurde dann allerdings nur bedingt in die Praxis umgesetzt. Zwar verzichtete man darauf, die SPD-»nahen« Zeitungen zu Verlautbarungsorganen von Parteiterminen, Versammlungsberichten oder direkten Parteifragen zu machen, dennoch entsprachen die SPD-»nahen« Zeitungen nach 1945 weiterhin dem Typus der Gesinnungspresse. Zwei eigene Pressedienste, der Sozialdemokratische Pressedienst (gegründet 1946) und der Parlamentarisch-Politische Pressedienst (PPP) (gegründet 1949), sowie die Abhaltung von regelmäßigen Verleger- und Redakteurskonferenzen seit 1947 sollten den Informationsfluss und die »Linientreue« der Zeitungen gewährleisten. Fritz Heine wandte sich gegen jegliche Versuche seitens der Verleger, die Blätter in die Richtung einer politisch ausgewogenen Berichterstattung oder durch die Einbeziehung unterhaltender Elemente zu modernisieren. Schwierigkeiten resultierten aus dem Auflagenrückgang nach Aufhebung der Lizenzierungspflicht sowie der damit einhergehenden schlechten finanziellen Lage der Zeitungen. Des weiteren wirkten sich das schlecht bezahlte und oft gering qualifizierte Redaktionspersonal, die »Gängelung« durch lokale Parteifunktionäre, die nach wie vor der Ansicht waren, dass die SPD-»nahen« Zeitungen ihre persönlichen Verlautbarungsorgane waren, sowie die Bevormundung durch den Parteivorstand, repräsentiert durch seinen »Presse- und Propagandachef«, negativ aus. Heine beobachtete nicht nur genau die Berichterstattung der SPD-»nahen« Presse, er griff auch ständig ein. Die Korrespondenzen mit den verschiedenen Redaktionen belegen dies. Es ging um Artikel, um Fotos, um Schlagzeilen bis hin zum Wetterbericht.48 Darüber hinaus gab es auch konkrete Vorgaben, wie über eine Sache oder ein Ereignis berichtet wer-
—————— 45 46 47 48
Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1952/53, S. 232. Ebd., S. 233. Vgl. ebd., S. 326. Vgl. dazu Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn (AdsD), SPDParteivorstand (PV), Sekretariat Heine, 222, 227; Appelius, Heine, S. 352 f.
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den sollte. Die Versuche von Verlegern, sich gegen eine solche Art der Bevormundung zu wehren, blieben oft erfolglos. Erst seit 1957, als die Position Heines zunehmend ins Wanken geriet, setzten sich Redakteure und Verleger immer häufiger über seine Anweisungen hinweg.49 Durch Aufmachung, Stil und ihre tendenziöse Berichterstattung blieben die SPD-»nahen« Zeitungen in den fünfziger Jahren für viele Leser und Leserinnen unattraktiv. Da nützte es auch wenig, wenn seit Mitte der Dekade der Anteil der Fotos stieg und mit Mehrfarbdruck gearbeitet wurde. Hatte die SPD-Presse im Jahr 1947 noch einen Marktanteil von 14 Prozent, waren es 1955 nur noch zehn Prozent.50 Mit dem Aufstieg der Boulevard- bzw. Massenpresse in den fünfziger Jahren ging auch der Niedergang der Gesinnungspresse einher.51 Genauso wie in der Wahlwerbung52 verfuhr die SPD auch beim Umgang mit den Medien und Journalisten, die nicht ihre Linie vertraten – Konfrontation war die Devise. Heine reagierte auf eine negative Presse in der Regel mit Verbalattacken und schriftlichen Beschwerden.53 Von einer mediengerechten Politikdarstellung oder einem Umwerben von Medienvertretern, wie zeitgleich bei der CDU oder in den sechziger Jahren unter Willy Brandt, konnte keine Rede sein. Die SPD hielt zwar auch Pressekonferenzen ab, dort herrschte allerdings oft ein rüder Ton, und viele Journalisten empfanden sie eher als »Befehlsausgabe« denn als Informationsforum. Vor allem den Vertretern der sozialdemokratischen Zeitungen musste sich der Eindruck vermitteln, dass ihnen dort die »Parteilinie« verkündet wurde, die sie dann so und nicht anders in ihren Blättern zu verbreiten hatten.54 So kritisierte beispielsweise Fritz Sänger,55 der ehemalige Chefredakteur der Deutschen Presseagentur (dpa), in einem Brief an den SPD-Parteivorsitzenden Erich Ollenhauer die Vorgehensweise Heines: »Die Journalisten sollen informiert und nicht gegängelt werden. Das ist ein großer Unterschied. Wenn kein Vertrauensverhältnis zwischen frei arbeitenden Journalisten und einer Amtsstelle (auch einer Partei) besteht, so ist das in aller Regel ein Fehler der Amtsstelle und nicht umgekehrt. [...] Er [gemeint ist Fritz Heine, D.M.] hat zu wenig Zeit zu einer fröhlichen
—————— 49 Vgl. ebd., S. 294. 50 Vgl. u.a. ebd., S. 326 und 383. 51 Zur Entwicklung der bundesdeutschen Presselandschaft vgl. ausführlich Kapitel 3.1 dieser Arbeit. 52 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6 dieser Arbeit. 53 Vgl. Appelius, Heine, S. 374 f. 54 Vgl. Klotzbach, Staatspartei, S. 416. 55 Fritz Sänger (1901-1984), 1946/47 Herausgeber des Sozialdemokratischen Pressedienstes, 1947 bis 1955 Chefredakteur und 1947 bis 1959 Geschäftsführer des Deutschen Pressedienstes bzw. der Deutschen Presseagentur, 1961-1969 MdB für die SPD.
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oder ernsten Runde mit denen, die die ›Werkzeuge‹ seiner Arbeit sein sollten. Nicht in Konferenzen und Vorträgen kommt man einander näher, sondern im persönlichen Umgang, der ständig gepflegt werden muß. [...] Wir haben mehr Freunde als wir denken, wir sollten sie uns nicht verscherzen. Es ist leider oft der Tenor mancher unserer offiziellen Aussagen, daß wir so tun als ob es ›alles ganz anders‹ sei als die Frager zu wissen glauben. Gegen vermeintliches Wissen, gegen falsche Gerüchte und Informationen helfen nur richtige Informationen, hilft nur Vertrauen, beiderseitiges Kennen.«56
Diese Kritik, die nicht nur auf die Unfähigkeit und Unzeitgemäßheit Heines im Umgang mit Journalisten abhob, sondern auch auf die negativen Folgen für die Außenwirkung der SPD hinwies, war nicht die erste dieser Art. Im Gegensatz zur Parteizentrale praktizierte die SPD in einigen Bundesländern eine andere, moderne Medienpolitik. Zu nennen sind hier unter anderem Ernst Reuter und Willy Brandt in Berlin oder Waldemar von Knoeringen in Bayern. Diese Gruppe gehörte dann auch zu den schärfsten Kritikern der Linie Heines. Seit 1953 wurde neben der Wahlkampfführung auch immer wieder die Pressepolitik kritisiert. Fehlende Modernität in Aufmachung und Sprache der Zeitungen sowie eine mangelnde Öffentlichkeitsarbeit in der Zeit zwischen den Bundestagswahlkämpfen waren die Hauptkritikpunkte.57 Zwar hatte der Dortmunder Parteitag im Jahr 1952 zur Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit die Einführung eines »Werbe- und Propagandaausschusses« beim SPD-Parteivorstand (PV) beschlossen, die Einrichtung dieses Gremiums wurde dann allerdings verzögert. Zu einer grundsätzlichen Umorganisation der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der SPD kam es erst im Zuge der allgemeinen Organisationsreform der Partei durch den Stuttgarter Parteitag im Jahr 1958 und der gleichzeitig erfolgten Ablösung Fritz Heines als »Presse- und Propagandachef«.58 Herbert Wehner wurde nun unter anderem verantwortlich für »Presse, Rundfunk und Fernsehen« und richtete eine Pressestelle beim SPD-Parteivorstand unter Leitung des vormaligen Vorwärts-Redakteurs Franz Barsig ein. Für das Feld der »Propaganda« wurde Waldemar von Knoeringen zuständig.
Rundfunk und Fernsehen Die Rundfunk- und fernsehspezifische Arbeit der SPD konzentrierte sich in den fünfziger Jahren zum einen auf die Wahlkampfzeiten, das heißt auf die Produktion von Rundfunk- und Fernsehspots, die Aushandlung von Sende-
—————— 56 Schreiben vom 21. September 1957, zitiert nach: Klotzbach, Staatspartei, S. 416. 57 Vgl. Ebd., S. 315 f. 58 Zur Organisationsreform allgemein vgl. Lösche/Walter, SPD, S. 186 ff.
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zeiten mit den anderen Parteien und den Rundfunkanstalten.59 Zum anderen versuchte die Partei, durch ihre Vertreter in den Rundfunkräten die Berücksichtigung ihrer parteipolitischen Positionen zu erreichen. Neben inhaltlichen Differenzen kam es auch immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der CDU um den Parteienproporz in diesen Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten. Eine gezielte Personalpolitik in den Rundfunkanstalten war einer der Schwerpunkte der SPD-Rundfunkpolitik, denn die Bedeutung des Mediums als politisches Meinungsbildungsinstrument war auch den Sozialdemokraten wohl bewusst. Rundfunkpolitik war und ist immer zum Großteil Ländersache, und hier gab es durchaus Differenzen zwischen der Bundespartei und den Ministerpräsidenten bzw. den Bürgermeistern der Stadtstaaten – auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll.60 Neben dem »Rundfunkpolitischen Referat« der Parteizentrale, das eine Art Mittlerfunktion zwischen Partei und Rundfunkanstalten inne hatte, existierte seit 1952 ein eigener »Rundfunkpolitischer Ausschuss« beim PV, der bereits seit 1948 in der Planung gewesen war.61 Praktisch trat der Ausschuss durch eine gezielte Politik bei der Besetzung der Rundfunkräte sowie regelmäßige Treffen zwischen sozialdemokratischen Rundfunkpraktikern, Politikern und Vertretern in den Rundfunkgremien in Erscheinung.62 SPD-Politiker nahmen natürlich auch an Rundfunk- und später Fernsehsendungen teil, aber anders als bei der CDU konnte hier nicht von einer großangelegten strategischen Planung die Rede sein. In den sechziger Jahren wurde Medienpolitik insgesamt dann bei der SPD ein zentrales Thema. Dabei ging es neben Fragen von Pressekonzentration und der Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor allem um neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit der Partei. Neben den organisatorischen und praktischen Veränderungen nach 1958 kam nun auch eine andere Auffassung von der Rolle der Medien in einer Demokratie zum Tragen, die hier kurz am Beispiel der Vorstellungen Willy Brandts skizziert werden soll.
—————— 59 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6 dieser Arbeit. 60 Vgl. dazu Dussel, Rundfunk- und Verwaltungsräte, S. 147. 61 Vgl. u.a. Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der SPD vom 21. bis 25. Mai 1950 in Hamburg, Hamburg 1950, S. 277. 62 Vgl. Dussel, Rundfunk- und Verwaltungsräte, S. 146. Die erste derartige Tagung fand Ende 1951 statt.
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Zur Rolle der Medien in der Demokratie – Willy Brandts Vorstellungen Als Willy Brandt auf dem SPD-Parteitag im November 1960 zum Kanzlerkandidaten seiner Partei nominiert wurde, kündigte er nicht nur neue politische Schwerpunkte an, sondern auch einen neuen politischen Stil: »Der bisherige politische Stil in der Bundesrepublik – und dafür trägt die Unionspartei ein gerüttelt Maß an Verantwortung –, der bisherige politische Stil ist gekennzeichnet durch sehr viel Selbstgerechtigkeit, Rechthaberei, kleinlicher Schmähsucht, Überheblichkeit, Anmaßung und Machtgier. Allzuoft ist von dort bis zur Verdächtigung, Verleumdung und Verketzerung nur ein kurzer Abstand gewesen. Was wir aber brauchen, wenn die Demokratie in unserem Volke Wurzeln schlagen soll und wenn wir mit den vor uns liegenden schwierigen Problemen fertig werden wollen, sind Bescheidenheit, Redlichkeit, Offenheit, sind Duldsamkeit und Achtung vor der Meinung und dem Wert des anderen, ist Sinn für die gemeinsame Verantwortung. Gerade das ist es, was wir mit einer deutschen Politik neuen Stils meinen.«63
Dazu gehörte für Brandt eben auch ein anderer Umgang mit den Medien und vor allem eine andere Sicht ihrer Funktion in einer Demokratie als sie die SPD bis zur Ablösung Fritz Heines vertreten hatte. In einer Rede auf der »Jahrestagung des Bundesverbandes deutscher Zeitungsverleger« im Jahr 1969 führte Willy Brandt unter anderem zur Rolle der Presse aus: »Die Meinungsvielfalt als relevantes Indiz der Pressefreiheit ist für den aktiven Politiker nicht immer nur eine reine Freude. Sie ist trotzdem eine gute Sache. Denn die Presse hat ihre Aufgabe natürlich nicht darin zu sehen, uns Politikern das Leben leicht zu machen. Unbestreitbar ist, dass der komplizierte Prozeß der Meinungsbildung in einer parlamentarischen Demokratie weitreichende Konsequenzen hat. [...] Meinungsbildung in entscheidenden Fragen sollte, soweit es irgend geht, durch sachliche Informationen und objektive Elemente bestimmt sein. Das denke ich, ist ein vernünftiges Postulat.«64
Medien als wichtige Instanz der politischen Meinungsbildung, als Meinungsmacher, Diskussionsforen und als Spiegelbild einer pluralistischen Gesellschaft, diese Sichtweise Brandts charakterisierte die Aufgaben von Medien in einer demokratischen Gesellschaft. Brandt erkannte die aktive Rolle der Massenmedien innerhalb des politischen Meinungsbildungsprozesses vorbehaltlos an, dennoch warnte auch er vor dem Missbrauch der Macht der Medien: »Das Gewicht, das die Presse hat, beruht aber nicht nur auf dem Einfluß, den sie auf die Meinungsbildung der Bevölkerung hat, sondern auch darauf, wie sie gesellschaftliche Notwendigkeiten und menschliche Interessen zu artikulieren versteht. [...] Nicht zuletzt diese Breitenwirkung [der Medien, D.M.] steigert die Anforderung an das Verantwortungsbewußt-
—————— 63 Protokoll der Verhandlungen und Anträge vom Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Hannover vom 21. bis 25. November 1960, S. 674. 64 Brandt, Verantwortung der deutschen Außenpolitik, S. 437.
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sein der Journalisten, ihrer Verleger und Intendanten. Ich weiß, wie ernst diese Verantwortung genommen wird. Aber ich kann auch jene Ausnahmefälle nicht übersehen, für die es keine verbindlichen Normen zu geben scheint. [...] Ich bin der Meinung, daß die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit die Einhaltung gewisser Spielregeln erwarten läßt. Zum Beispiel die Ausübung der Sorgfaltspflicht bei der Nachprüfung von Informationen. Zum Beispiel die Richtigstellung nachweisbar falscher Behauptungen. Zum Beispiel auch die Vermeidung des Schadens, der während internationaler Verhandlungen durch die Preisgabe geheimer Unterlagen entsteht.«65
Solche Mahnungen resultierten nicht zuletzt aus eigenem Erleben, das Brandt und andere Politiker mit der Berichterstattung der Presse gemacht hatten. Dennoch änderte dies nichts an seiner grundsätzlich liberalen Einstellung zur Rolle von Massenmedien im politischen Prozess. Brandt sah in den Journalisten bis zu einem gewissen Grad eher Partner als Werkzeuge, was deutlich im Umgang mit den Medienvertretern zum Ausdruck kam. Der Unterschied zu Adenauer und anderen Politikern in den fünfziger und sechziger Jahren lag in der an der Wirkungsweise der Medien ausgerichteten Präsentation von Person und Politik, die nachhaltig das Verhältnis von Politik und Massenmedien veränderte. War es in den fünfziger Jahren die CDU, die in Form und Inhalt maßgeblich die Medienpolitik bestimmte und Standards setzte, änderte sich dies in den sechziger Jahren. Als die CDU weitgehend im status quo verharrte, entwickelte sich die SPD auf diesem Gebiet weiter, bis sie am Ende der Dekade einen eigenen Stil gefunden hatte, der auch die Medienpolitik in der Bundesrepublik insgesamt beeinflusste.
—————— 65 Berliner Stimme vom 18. September 1971: Brandt, Demokratie und Pressefreiheit.
3. Die Presse
Die Presse, Tages-, Wochenzeitungen und Zeitschriften, als politisches Informationsmedium spielte in den fünfziger bis siebziger Jahren eine herausragende Rolle und dies trotz der modernen Medien Hörfunk und Fernsehen. Entgegen aller zeitgenössischer Prognosen, die die Verdrängung der Presse durch das neue Medium Fernsehen voraussagten, stieg das Interesse an der innen- und außenpolitischen Berichterstattung der bundesdeutschen Tageszeitungen sogar noch an.1 Beide Medien ergänzten sich aufgrund ihrer Verschiedenartigkeit. Interessierten sich im März des Jahres 1955 bei der täglichen Zeitungslektüre 46 Prozent der Leser für innenpolitische Meldungen, so waren es im Juli 1972 bereits 61 Prozent.2 Diese Entwicklung lässt zum einen auf ein zunehmendes Interesse an politischen Themen, einer Politisierung und indirekt auch auf einen fortschreitenden Demokratisierungsprozess in der bundesdeutschen Gesellschaft der sechziger Jahre schließen. Zum anderen unterstreicht sie die Akzeptanz der Tagespresse als Informationsmedium, welches eben nicht so »flüchtig« ist wie die audio-visuellen Medien. Nach der Skizzierung der bundesdeutschen Presselandschaft in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten und der Entwicklung der Medienwirkungsforschung werden im Folgenden ausgewählte Zeitungen und Zeitschriften in ihrem Verhältnis zu Brandt, seiner Politik und seiner Partei untersucht. Dabei geht es vor allem darum, die vielschichtigen Beziehungsgeflechte zwischen Politik und Medien zu entschlüsseln. In diesem Zusammenhang gilt es auch zu berücksichtigen, dass die Wirklichkeitskonstruktionen, die durch die Massenmedien erzeugt werden, das Handeln der politischen Akteure genauso beeinflussen, wie umgekehrt die Politiker ihrerseits die Themen setzen und politischgesellschaftliche Interpretationen der Journalisten konturieren. Bei den ausgewählten Presseerzeugnissen (Springer-Presse, Spiegel, Stern, Zeit, einzelne Boulevardblätter und Tageszeitungen) handelt es sich um überregionale Blätter, die aufgrund ihrer Auflage und ihres politischen Profils in der Öffentlichkeit der
—————— 1 Vgl. u.a. Meyn, Massenmedien, S. 210 f. 2 Vgl. Schulz, Nutzung von Zeitungen und Zeitschriften, S. 406, Schaubild 1.
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fünfziger und vor allem sechziger Jahre eine zentrale Rolle gespielt haben. Dabei kann und soll es nicht um eine empirische Untersuchung der einzelnen Publikationsorgane gehen. Neben der Berichterstattung werden auch die persönlichen Beziehungsgeflechte zwischen Brandt, seinen Mitarbeitern und den jeweiligen Verlegern, Herausgebern oder Chefredakteuren der Verlage bzw. Blätter Gegenstand der Betrachtung sein, denn das Verhältnis von Presse und Politik insgesamt war in den fünfziger und sechziger Jahren stark personalisiert und wesentlich übersichtlichter als in der Gegenwart. Nicht nur der Besitz einer oder mehrerer Zeitungen, sondern auch der direkte Einfluss, den die jeweiligen Besitzer oder Leiter auf die Presseerzeugnisse hatten, war eindeutig zuzuordnen. Oft war dabei der Name Programm, und in der Öffentlichkeit wurden diese Personen mit bestimmten politischen Richtungen verbunden: Springer, Augstein, Bucerius, Nannen waren nicht nur Verleger, sondern gaben ihren Produkten eine spezifische politische Ausrichtung, einen journalistischen Stil und eine signifikante Form.
Die westdeutsche Presselandschaft nach dem Zweiten Weltkrieg Nach dem Zweiten Weltkrieg installierten die Alliierten in ihren jeweiligen Besatzungszonen, in der Regel nach dem Vorbild ihrer Heimatländer, ein Pressesystem, mit dem sie nach unterschiedlichen Kriterien Lizenzen an politisch »unbelastete« Personen vergaben.3 Dies sollte den Demokratisierungsprozess beschleunigen, einen Abschied – zumindest in den westlichen Zonen – von der Weimarer Zeitungstradition einläuten, die sich vor allem durch eine parteigebundene Presse auszeichnete, und das Wiedererstarken eines großen Presseimperiums wie das von Hugenberg verhindern sowie neue journalistische Traditionen begründen. Im Unterschied zur Sowjetischen Besatzungszone, wo umgehend nach der Kapitulation des »Dritten Reiches« die Gründung von Parteien und die Herausgabe von verschiedenen Parteizeitungen erlaubt wurden, favorisierte man in der amerikanischen Zone das Modell einer überparteilichen Presse. Hier wurden ab August 1945 so genannte »Gruppenlizenzen« vergeben: mehrere Personen, die unterschiedlichen politischen Parteien angehörten oder nahe standen, bekamen Lizenzen für die Herausgabe einer Zeitung. Ein völlig anderes System wurde in der britischen Zone praktiziert: Dort wollte man eine parteigebundene Zeitungslandschaft schaffen. Allerdings wurden die Lizenzen, die
—————— 3 Vgl. dazu ausführlich Fischer, Parteien, S. 31 ff. und Koszyk, Presse unter alliierter Besatzung, S. 31 ff.
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erst ab Frühjahr 1946 an Deutsche vergeben wurden, nicht an die Parteien direkt übertragen, sondern an Einzelpersonen, die aber von den jeweiligen Parteien benannt werden sollten. Die Lizenznehmer mussten sich dazu verpflichten, die Interessen der jeweiligen Partei in der Zeitung voll und ganz zu berücksichtigen. Bevor dieses System 1947 auch in der französischen Zone übernommen wurde, galt dort eine andere Praxis.4 Die Lizenzen wurden dort jeweils nur an eine Person vergeben. Eine politische Überparteilichkeit sollte hier durch die Zusammensetzung der Redaktionen mit Angehörigen verschiedener politischer Lager gewährleistet werden. Nach der generellen Aufhebung der Lizenzierungspflicht in den Westzonen am 21. September 1949 setzte zunächst ein Zeitungssterben ein, denn die begrenzte Lizenzausgabe hatte die Gesetze des freien Marktes außer Kraft gesetzt. Viele zum Teil modernere und attraktivere Neugründungen verdrängten einen Teil der unmittelbaren Nachkriegspresse wieder vom Markt. Grundsätzlich galt für die Presselandschaft in den fünfziger und sechziger Jahren: eine zunehmend voranschreitende Pressekonzentration bei gleichzeitiger Bedeutungszunahme der Massenpresse, weitere Ausdifferenzierung der Zeitungslandschaft und Zurückdrängung der reinen Gesinnungspresse.5 Bereits seit Mitte der sechziger Jahre begann dann eine Diskussion über Pressekonzentration. Besonders der Springer-Konzern, der auf dem Zeitungsmarkt im Jahr 1968 einen Marktanteil zwischen 30 bzw. 40 Prozent (inkl. Sonntagszeitungen) hatte,6 geriet in das Visier der Kritik. Forderungen nach Entflechtung oder Enteignung des Konzerns wurden laut. Dabei spielten auch die kultur- und kapitalismuskritischen Ansätze der Frankfurter Schule, namentlich von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, eine zentrale Rolle. Sie hatten ihre Überlegungen dazu erstmals 1947 in der »Dialektik der Aufklärung«7 veröffentlicht. Nach der Rückkehr in die Bundesrepublik verfolgten sie ihre medienkritischen Ansätze weiter. Dabei gingen sie von einer äußerst manipulativen Wirkung der Massenmedien aus, die primär als Ideologieproduzenten für den Kapitalismus gesehen wurden.8 Vor allem die Studentenbewegung machte sich diese Ansichten zu eigen, die dann im Schlachtruf »Enteignet Springer« kulminierten.9 Wie ernst das Problem der Pressekonzentration in der bundesdeutschen Öffentlichkeit genommen wurde, zeigt auch, dass sich der deutsche Bundestag mehrfach mit der Thematik auseinander setzte. Allein
—————— 4 5 6 7 8 9
Vgl. Schölzel, Pressepolitik in der französischen Besatzungszone, S. 41 ff. Vgl. Koszyk, Presse- und Pressekonzentration, S. 439 ff. Vgl. Kruip, »Welt«-»Bild«, S. 69. Vgl. Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung. Vgl. dazu ausführlich Kausch, Kulturindustrie und Populärkultur. Vgl. dazu u.a. Schmidtke, »1968« und die Massenmedien, S. 276 f.
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zwei medienpolitische Kommissionen wurde vom Bundestag in den sechziger Jahren eingesetzt:10 Im Jahr 1964 wurde die so genannte »Michel-Kommission«, die sich mit der »Untersuchung der Wettbewerbsgleichheit von Presse, Funk/Fernsehen und Film« befasste, ins Leben gerufen. Im September 1967 legte die Kommission dann ihren Abschlussbericht vor, der feststellte, dass nicht die Medien untereinander, sondern die Presse gegeneinander konkurriere. Ebenfalls mit der Frage der Pressekonzentration auf dem bundesdeutschen Zeitungsmarkt befasste sich dann die zweite, im Jahr 1967 eingerichtete, so genannte »Günther-Kommission« zur »Untersuchung der Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz von Presseunternehmen und der Folgen der Konzentration für die Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland«. 1968 übergab dann auch diese Kommission ihren Schlussbericht. Dort wurde noch keine Beeinträchtigung der freien Meinungsbildung in der Bundesrepublik konstatiert, dennoch könne bereits von einer »Gefährdung« durch die zwanzigprozentige Marktbeherrschung eines Verlages ausgegangen werden. Einen Teil der Empfehlungen der »Günther-Kommission« setzte die sozialliberale Koalition dann in die Praxis um, indem sie steuerliche Erleichterungen und Hilfsprogramme für die kleineren Medienunternehmen verabschiedete. Auch die Parteien beschäftigten sich intensiv mit der Thematik und legten »Medienpapiere« vor.11
Medienwirkung - Medienwirkungsforschung Im Zusammenhang mit der Diskussion um die zunehmende Pressekonzentration bekam auch die Frage nach der Macht der einzelnen Verleger, nach ihrer möglichen politischen Einflussnahme auf die Rezipienten ihrer Publikationen eine zentrale Bedeutung. Hier war die Medienwirkungsforschung, eine bis heute noch nicht unumstrittene Wissenschaft gefragt.12 Von den zwanziger bis Mitte der vierziger Jahre ging die Medienwirkungsforschung von einer fast unumschränkten manipulierenden Wirkung der Medien aus, was sich nicht zuletzt durch den Einfluss des Hugenbergschen Verlagsimperiums13 auf die
—————— 10 Zu den beiden Untersuchungskommissionen vgl. Kruip, »Welt«-»Bild«, S. 68 f. 11 Vgl. Entschließung zur Lage und Entwicklung der Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland von November 1971, in: Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 18. bis 20. November 1971; Medienpapier der CDU/CSU vom April 1973, in: ACDP, VIII-001, 18/3. 12 Als Überblick zur Geschichte der Medienwirkungsforschung vgl. Noelle-Neumann, Lexikon, S. 598 ff. 13 Zum politischen Machteinfluss Hugenbergs, vgl. Requate, Medienmacht und Politik, S. 91 ff.
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politische Meinungsbildung in der Weimarer Republik sowie die Erfolge nationalsozialistischer Propaganda während des »Dritten Reiches« zu bestätigen schien. Auch die Kriegspropaganda der Alliierten basierte auf dieser Grundannahme. Untersuchungen des aus Wien in die USA emigrierten Soziologen Paul F. Lazarsfeld und seiner Mitarbeiter aus dem Jahr 1944 widersprachen erstmals diametral dieser These.14 Lazarsfeld stellte auf der Grundlage seiner Forschungen, die ergeben hatten, dass Medienkonsumenten nur die Informationen aufnehmen, die sie in ihrem bereits bestehenden Weltbild bestätigten, die These auf, dass Massenmedien höchstens schon vorhandene Überzeugungen der Rezipienten verstärken, aber keinesfalls Wertesysteme und Einstellungen grundsätzlich verändern könnten. War diese Vorstellung bis in die sechziger Jahre hinein die dominierende auf dem Feld der Medienwirkungsforschung, änderte sich dies seit Mitte der Dekade. Jetzt fand wieder die ältere Annahme, nach der Massenmedien eine meinungslenkende Funktion zugesprochen wurde, mehr Anhänger. Anfang der siebziger Jahre erfolgte in der Medienwirkungsforschung eine Ausdifferenzierung der bis dahin vorherrschende Forschungsansätze. Nun konzentrierte man sich weniger auf die direkte Wirkung der Medien, sondern mehr auf die Ursachen der Vorstellungen und Meinungen der Bevölkerung, was in der bekannten Theorie der »Schweigespirale« von Elisabeth Noelle-Neumann gipfelte. Die Berichterstattung über »herausragende Ereignisse« sollte demnach einen hohen Wirkungsgrad auf die Rezipienten haben.15 Bei weniger besonderen Begebenheiten erhöhe sich die Wirkung durch eine längerfristige Thematisierung in den Medien. Die Mehrheit der Bevölkerung würde dann in der Regel dem »Medientenor« folgen, so die Annahme Noelle-Neumanns. Zentral für den hier behandelten Zeitraum ist jedoch, dass die Zeitungsmacher von einem erheblichen Einfluss ihrer Berichterstattung auf die politische Meinungsbildung ausgingen, und dies auch im öffentlichen und politischen Raum so wahrgenommen wurde.
3.1 Die Springer-Presse Im Oktober des Jahres 1957 trafen in Berlin Willy Brandt und Axel Springer erstmals zusammen.16 Aus dieser Begegnung ergab sich eine langjährige enge
—————— 14 Vgl. Lazarsfeld u.a., The people's choice; Zur historischen Entwicklung der Medienwirkungsforschung allgemein vgl. auch Merten, Einführung, S. 332 ff. 15 Vgl. Noelle-Neumann, Lexikon, S. 601 f. 16 Vgl. Naeher, Axel Springer, S. 303.
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Verbindung von Politiker und Verleger, die von anfänglicher gegenseitiger Unterstützung schließlich in offene Gegnerschaft umschlug. Verfolgte man zunächst ähnliche politische Ziele, praktizierte man eine enge Symbiose von Politik und Presse und war sich wahrscheinlich auch privat nicht unsympathisch, so änderte sich dies, als Brandt andere politische Wege einschlug, und der Verleger Springer seinen Ansichten aus den fünfziger Jahren treu blieb. Anders als in den zahlreichen Brandt-Biographien angenommen, war der Prozess der Entfremdung schleichender und lässt sich nicht nur auf die unterschiedlichen deutschland- und ostpolitischen Vorstellungen reduzieren. Im Jahr 1957 war Axel Springer, der Verlegersohn aus Altona, bereits der größte Verleger Deutschlands. Begonnen hatte seine Karriere Ende 1945 mit dem Druck eines Kalenders für das folgende Jahr unter dem Titel »Besinnung. Ewige Worte der Menschlichkeit«. Weitere Stationen folgten: die Nordwestdeutschen Hefte im Jahr 1946, die Radiozeitschrift Hör Zu seit Dezember 1946,17 die die finanzielle Grundlage für das Verlagsimperiums legte, das Hamburger Abendblatt seit 1948 und die schnell zum Massenblatt avancierte Bild-Zeitung seit Juni 1952. Der Erwerb der Welt im Jahre 1953, der Einkauf beim UllsteinVerlag seit 1956 und die Übernahme der Aktienmehrheit von Ullstein im Jahr 1959, welche unter anderem den Zugriff auf die BZ und die Berliner Morgenpost ermöglichte, trugen zum weiteren Aufbau des Springer’schen Verlagsimperiums bei.18 Trat Springer zunächst als »unpolitischer« Zeitungsmacher auf, änderte sich dies in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. Wie Gudrun Kruip überzeugend nachgewiesen hat, setzte eine Politisierung Springers unter dem maßgeblichen Einfluss des national-konservativen Journalisten Hans Zehrer19 bereits in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre ein.20 Der prägende Einfluss Zehrers ist im besonderen Maße bei den deutschlandpolitischen Vorstellungen Springers nachzuweisen.21 Nach dem Kauf der Welt entwickelte sich Springer mehr und mehr zum »politischen Missionar«22 und glaubte an eine hohe Einflussmöglichkeit auf seine Leserschaft. In der Öffentlichkeit pflegte er jedoch zunächst weiterhin das Bild eines »unpolitischen« Verlegers.
—————— 17 18 19 20 21 22
Zur Geschichte der Hör Zu allgemein vgl. Seegers, Hör zu!. Vgl. dazu ausführlich Kruip, »Welt«-»Bild«, S. 79 ff. Zur Biographie Hans Zehrers vgl. Demant, Hans Zehrer. Vgl. Kruip, »Welt«-»Bild«, S. 102 ff. Vgl. Jürgs, Mystiker auf Sylt, S. 196 ff. Vgl. Kruip, »Welt«-»Bild«, S.93.
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Eine Karriere wird gemacht Springer sah in den fünfziger Jahren die Politik Adenauers kritisch und sympathisierte offensichtlich mit einigen politischen Positionen der SPD.23 Ob er die Sozialdemokraten zu dieser Zeit sogar gewählt hat, wie im Nachhinein von ihm behauptet und von anderen kolportiert wird, lässt sich nicht klären, ist aber auch nicht erheblich. Zentral ist, dass er in Willy Brandt einen aufstrebenden Politiker sah, dessen Ziele vor allem auf deutschlandpolitischem Gebiet es zu fördern galt. Die Unterstützung für Brandt äußerte sich insbesondere durch die Berichterstattung der Springer- und Ullstein-Presse. Bereits im Jahr 1954 hatte Bild einen ausführlichen Bericht über den neuen »Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses« veröffentlicht. Im Januar 1956 brachte die Welt am Sonntag einen großen Artikel mit Bild unter der Überschrift »Der Erbe Ernst Reuters«. Dort wurde Brandts bisheriger Lebensweg positiv dargestellt und auf seine zukünftigen Aufgaben in der Berlin- und Bundespolitik hingewiesen: »Die Berliner haben sich an ihn gewöhnt. Und wenn nicht vieles trügt, dann wächst die Bereitschaft ihn zu lieben. [...] Berlin braucht ihn heute, aber es darf ihn nicht fesseln. Männer seines Schlages müssen die Brücke aus der Reichshauptstadt in die Bundesmetropole festigen. Sie garantieren dafür, daß Bonn die Selbstgenügsamkeit immer wieder abschüttelt, daß zum anderen Berlin dem schleichenden Verprovinzialisierungsprozeß entgeht.«24
Richtig in die Offensive gingen Ullstein- und Springer-Presse kurz vor der Wahl Willy Brandts zum Regierenden Bürgermeister von Berlin. Das Berliner Massenblatt BZ titelte im September 1957 »Wir brauchen einen großen Bürgermeister [...] Die BZ meint: der richtige Mann ist Willy Brandt.«25 Die BildZeitung pries nach der Wahl ausführlich die herausragenden Qualitäten des neuen Bürgermeisters. Aus einem »privaten« Briefwechsel zwischen Axel Springer und Karl Ullstein vom Oktober 1957 geht hervor, dass die Unterstützung Brandts eine indirekte redaktionelle Vorgabe war, die direkt auf Springer zurückging. »Darf ich um einer höheren Sache willen, noch einen kleinen Tip geben: ich glaube, man sollte alles tun, um den neuen Berliner Bürgermeister aufzubauen. [...] Bitte empfinden Sie
—————— 23 Kruip versucht wenig überzeugend nachzuweisen, dass Springer auch schon in den fünfziger Jahren parteipolitisch der CDU nahegestanden habe, einzig auf lokaler Ebene habe er zu einigen Sozialdemokraten eine enge Bindung gehabt; vgl. Kruip, »Welt«-»Bild«, S. 155 ff. Biographen Springers und auch er selbst betonen die Nähe zu einigen SPD-Positionen, die auch durch Korrespondenzen belegt sind; vgl. u.a. Jürgs, Der Verleger, S. 237 f. Dass die Adenauersche Politik der Westintegration dem Postulat der Wiedervereinigung, welches für Springer höchste politische Priorität hatte, entgegen stand, ist evident. 24 Welt am Sonntag vom 8. Januar 1956. 25 Berliner Zeitung (BZ) vom 5. September 1957.
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diesen Hinweis nur als einen unverbindlichen freundschaftlichen Rat, da ich auf keinen Fall den Verdacht erregen will, in die redaktionellen Kompetenzen Ihres Hauses einzugreifen«,26
so Springer an Ullstein. Die Antwort Ullsteins eine Woche später bestätigt die offensive Parteinahme der Ullstein-Blätter: »Was im übrigen den Regierenden Bürgermeister von Berlin betrifft, so besteht in unserem Hause völlige Übereinstimmung mit Ihnen. Unsere Zeitungen haben sich für die Wahl von Willy Brandt bis aufs äusserste eingesetzt und wir glauben, dass dieses Eintreten nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass seine Wahl zustande gekommen ist.«27
Brandt wurde zum politischen Hoffnungsträger für die gesamte Bundesrepublik und zum internationalen Staatsmann stilisiert. Ausführliche Berichte über seine berlin- und bundespolitischen Aktivitäten sowie über seine diversen Auslandsreisen machten ihn überregional bekannt und zunehmend populärer. Welt und Bild berichteten fast täglich von Brandts USA-Reise im Februar 1958 und nach Beendigung des Besuchs druckte die Bild-Zeitung ein »Reisetagebuch« von Brandt.28 Während des Berlin-Ultimatums Chruschtschows Ende November 1958 avancierte Brandt abermals zum Titelhelden der Springer Presse – der Regierende Bürgermeister als Sinnbild und Kämpfer für ein freies Berlin gegen die kommunistische Bedrohung: »Hände weg vom freien Berlin!«, lautete die Schlagzeile.29 Brandt bekam persönlich ebenfalls Gelegenheit sich zu äußern: so schrieb er zum Beispiel seit dem Jahreswechsel 1957/58 regelmäßig Neujahrsbotschaften in der Welt am Sonntag sowie gelegentlich Kolumnen.30 Bis zum Jahr 1963 findet man eine durchgehend positive bis überschwängliche Berichterstattung über Brandt in der Springer-Presse. Dies gilt auch für die Zeit nach der Nominierung des Regierenden Bürgermeisters zum SPD-Kanzlerkandidaten im November 1960 und den Wahlkampf des Jahres 1961. Auch an den Diffamierungskampagnen, die auf breiter Basis von der CDU/CSU, der rechtsgerichteten Presse und der DDR-Staatssicherheit gegen Brandt initiiert worden waren,31 beteiligte sich die Springer-Presse nicht. Das Gegenteil war der Fall. In diversen Artikeln, unter anderem in der Bild und der Welt, wurde nicht nur für Brandt Partei ergriffen, sondern die Emigration insgesamt verteidigt. So berichtete Die Welt regelmäßig über die Reaktionen
—————— 26 Unternehmensarchiv der Axel-Springer AG, Hamburg (AS-UA), Korrespondenz Springer/Ullstein, Schreiben vom 9. Oktober 1957. 27 Ebd., Schreiben vom 16. Oktober 1957. 28 Vgl. Bild vom 4. bis 8. März 1958. Zu den USA-Reisen Brandts vgl. Münkel, Als »deutscher Kennedy« zum Sieg?, S. 172 ff. 29 Bild vom 28. November 1958. 30 Vgl. Landesarchiv Berlin (LA-Berlin), B Rep. 002, Nr. 4060, Bd. 2. 31 Vgl. Kapitel 3.4 dieser Arbeit.
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Brandts und des Auslandes auf die Kampagnen.32 Bild am Sonntag wandte sich unter anderem gegen Diffamierungsversuche aus der DDR. Am 4. Dezember 1960 hieß eine Schlagzeile »In Greifswald braut ein SED-Professor Lügen über den Kanzler-Kandidaten Willy Brandt zusammen. Geheimauftrag Rufmord«33. In dem Artikel wurde einerseits das Vorgehen im Osten angeprangert, andererseits aber auch Richtigstellungen zu den »Anschuldigungen« publiziert. Wie aus einer handschriftlichen Notiz Willy Brandts vom Oktober 1960 hervorgeht, war zwischen ihm, Axel Springer und dem damaligen Chefredakteur der Bild-Zeitung, Oskar Bezold, abgesprochen worden, dass er Unterstützung von ihnen erfahren werde.34 Springer selbst sprach sich direkt bei führenden CDUPolitikern gegen die Diffamierungskampagnen aus und wollte Adenauer an seine mehrfachen Versicherungen, eine solche Kampagne nicht mitzutragen, erinnern.35 Nach dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 bezogen die Springer Blätter gegen Adenauer Position und stellten Brandt abermals als engagierten Hüter von Freiheit und Demokratie dar. »Der Osten handelt – was tut der Westen? Der Westen tut nichts! Präsident Kennedy schweigt... Macmillan geht auf die Jagd... und Adenauer schimpft auf Willy Brandt«36, lautete die bekannte Schlagzeile der Bild-Zeitung. Über die große Rede Brandts vor 500.000 Demonstranten wurde ebenso ausführlich und zustimmend berichtet (»Wir erwarten mehr als Worte!«37) wie über die anderen Aktivitäten des Regierenden Bürgermeisters nach dem Mauerbau.
Moderne Zeitungen – moderne Politiker Aber nicht nur über den Politiker Brandt, sondern auch über den Privatmann, Familienvater und Ehemann samt Frau und Söhnen berichtete die SpringerPresse. Durch homestorys wurde das »Private« vermeintlich »öffentlich« und Identifikationsflächen für Jedermann geschaffen. Diese Form der Präsentation eines Spitzenpolitikers war Ende der fünfziger Jahre in der Bundesrepublik
—————— 32 Vgl. u.a. Die Welt vom 2. März 1961 (Brandt erwirkt einstweilige Verfügung), vom 3. März 1961 (Bürgermeister Brandt will hart zurückschlagen) und vom 14. März 1961 (wie Brandt zur Norweger-Uniform kam). 33 Bild am Sonntag vom 4. Dezember 1960. 34 »Mit E. M. sprechen betr. ›Bild‹ Der Chefredakteur + Springer hatten uns Hilfe zugesagt.«, handschriftliche Notiz von Willy Brandt vom 23. Oktober 1960; vgl. Willy Brandt Archiv im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn (WBA), Prozesse, Mappe 93 A. 35 AdsD, Depositum (Dep.) Egon Bahr, 47 B, Vermerk vom 25. Februar 1961. 36 Bild vom 16. August 1961. 37 Bild vom 17. August 1961.
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nicht üblich. Zwar hatte sich auch Adenauer als »Privatmann« zu zeigen versucht,38 diese Bilder und Berichte hatten jedoch einen anderen Duktus, eine andere Aussage und sind auch von der Form her nicht mit der öffentlichen Inszenierung des Privatmannes Brandt zu vergleichen. Die Bilder von Adenauer wiederholten sich: mit Strohhut beim Rosenschneiden in Rhöndorf, Bilder vom Bocciaspielen im Urlaub in Cadenabbia sowie Bilder im Kreise seiner Großfamilie. Diese Bilder waren integraler Bestandteil einer Gesamtinszenierung des Bundeskanzlers als Patriarch – als pater familias genauso wie als pater patriae. Dieses Image Adenauers war erfolgreich, bestätigte es doch populäre Vorstellungen von einem soliden Politiker und schürte Sehnsüchte nach einer durch traditionelle Rollenverteilung bestimmten Familienidylle.39 Derartige Bilder erlaubten keinen »Blick durchs Schlüsselloch«, sie waren als Inszenierung durchaus erkennbar, was ihrer Wirkung aber offenbar keinen Abbruch tat. Die Bilder und Berichte von Willy und Rut Brandt sowie ihren Söhnen waren zwar auch inszeniert, doch sollten sie Authentizität suggerieren, die vermeintliche Trennlinie von »öffentlich« und »privat« überschreiten, den Politiker als Privatmann, als Menschen »wie Du und ich« zeigen. Außerdem bedienten sich die Bilder und Berichte über die Familie Brandt anderer Chiffren und transportierten andere Botschaften als dies bei Adenauer der Fall war. Ein moderner Politiker, der eine moderne durch Kameradschaftlichkeit geprägte Familie hatte, war die Botschaft. Hier ist nicht nur ein Generationswechsel, sondern auch ein Stilwechsel in der medialen Inszenierung von Politik und Politikern zu konstatieren. Dabei kam seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, also vor dem Durchbruch des Fernsehens zum Massenmedium, dem Zusammenspiel zwischen dem Politiker Willy Brandt und der Springer/Ullstein-Presse eine beschleunigende Wirkung zu. Die spezifische »moderne Form« der Springer-Presse, an englischen und amerikanischen Vorbildern orientiert, begünstigte einen neuen Stil der medialen Inszenierung im politischen Raum. Dass Axel Springer bei der Konzeption seiner Zeitungen wie dem Hamburger Abendblatt oder Bild für die deutsche Zeitungslandschaft – nach anglo-amerikanischem Vorbild – neue Wege beschritt, die sich durch einen hohen Grad an Modernität hinsichtlich des Schreibstils, der Themensetzung sowie der Drucktechnik auszeichneten, ist inzwischen unbestritten.40 Die Zeitungen für
—————— 38 Vgl. dazu, Schwarz, Wochenschau, S. 358 ff. 39 Zur Familie in den fünfziger Jahren vgl. Merith Niehuss, Kontinuität und Wandel der Familie in den fünfziger Jahren, in: Schildt/Sywottek, Modernisierung, S. 316-334. 40 Vgl. u.a. Kruip, »Welt«-»Bild«, S. 240. Allerdings basierten nicht alle Produkte des SpringerVerlages auf »neuen Ideen«. So wurden bei Konzeption der zunächst erfolgreichsten Springer-
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jeden Mann und jede Frau, die in verständlicher Sprache informieren, unterhalten und entspannen – diese Zeitungen sollten den Anforderungen der Massengesellschaft gerecht werden. Ein weiteres Kennzeichen der Springer-Blätter waren ein aufgelockertes, farbiges Layout und die Berücksichtigung des human touch bei allen Berichten.41 Das Motto des Hamburger Abendblattes »Seid nett zueinander« entsprach genau dieser Linie. Die genannten journalistischen Prinzipien versuchte Springer dann auch bei den zugekauften Zeitungen, wie der Welt, umzusetzen. Einen Teil der Ullstein-Blätter, wie zum Beispiel die BZ, pflegte allerdings bereits vor ihrer Übernahme durch den Springer-Konzern einen ähnlichen Stil wie die BildZeitung. Dass mit dieser Form des Journalismus der »Massengeschmack« getroffen wurde, beweist nicht zuletzt die ökonomische Erfolgsgeschichte der Blätter. Dies nahm sogar das Ausland zur Kenntnis. So bemerkte die englische BBC im Jahr 1969 über den Erfolg von Bild: »Obwohl der Informationsgehalt nicht hoch ist, hat ›Bild‹ jedoch einen neuen Typ von Zeitungslesern geschaffen, die durch sie erst zum regelmäßigen Lesen angeregt wurden. Diese Menschen hätten sich niemals für Zeitungen im alten deutschen Stil interessiert. [...] ›Bild‹ ist so erfolgreich, sicher nicht wegen seines niedrigen Niveaus, sondern einfach deshalb, weil der Generalnenner genau den Ansprüchen der Massen gerecht wird.«42
Für einen aufstrebenden Politiker wie Willy Brandt mit bundespolitischen Ambitionen garantierten Blätter wie Welt oder Bild ein Massenpublikum über die Grenzen Berlins hinaus.
Eine Allianz von Politik und Journalismus Das Verhältnis Axel Springers zum Regierenden Bürgermeister von Berlin und umgekehrt war bis in die sechziger Jahre hinein ein Arrangement zum gegenseitigen Vorteil. Wie aus Briefwechseln der beiden, Aktenvermerken von Besprechungen, dem regen Austausch zwischen dem Verlag und dem Presseund Informationsamt des Landes Berlin hervorgeht, waren neben ähnlichen politischen Zielen auch ökonomische Interessen (für Springer) und die Steigerung der Karrierechancen (für Brandt) wichtige Aspekte der zunächst erfolgreichen Beziehung. Im Mittelpunkt dieser Zusammenarbeit stand die Stadt Berlin als Wirtschaftsstandort, Frontstadt im Kalten Krieg sowie Kul-
—————— Zeitschrift, der Hör Zu, ganz eindeutige Anleihen bei den Rundfunkprogrammzeitschriften der zwanziger und dreißiger Jahre gemacht; vgl. Seegers, Hör zu!, S. 230 ff. 41 Vgl. Kruip, »Welt«-»Bild«, S. 242. 42 Zitiert nach ebd., S. 241.
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turmetropole. Berlin wurde für Springer seit Mitte der fünfziger Jahre, nicht zuletzt durch den Einfluss Hans Zehrers, der immer wieder auf die Bedeutung der Stadt für Deutschlands Zukunft hinwies, zum zentralen Thema43 – dies galt sowohl in ökonomischer wie auch in politischer Hinsicht. Getragen von der Vorstellung einer raschen Wiedervereinigung Deutschlands und dem daraus möglicherweise resultierenden Wiederaufstieg Berlins zur Zeitungsmetropole, wollte sich Springer dort eine zentrale Position für sein Verlagsimperium sichern. Auch aus diesem Grund fiel die Entscheidung für die Verlegung der Verlagszentrale von Hamburg nach West-Berlin. Im Mai 1959 wurde der Grundstein für das Berliner Verlagshaus gelegt. Die endgültige Übernahme des Ullstein-Verlages im Dezember 1959 manifestierte das Berlin-Engagement des Verlages und damit einen 70prozentigen Anteil am Berliner Zeitungsmarkt.44 Die Ansiedlung in Berlin wurde durch großzügige finanzielle Unterstützungen begünstigt. Wegen der unsicheren politischen Lage hatte die Stadt seit den fünfziger Jahren mit dem Rückzug zahlreicher Firmen zu kämpfen. Um Anreize zum Bleiben, aber auch zum Kommen zu schaffen, wurden nicht unerhebliche Steuererleichterungen, die nach dem Mauerbau nochmals erhöht wurden, für die Berliner Wirtschaft eingeführt. »Investitionshilfen wurden gegeben. Daß Axel Springer das ausnutzte, nahmen wir nicht übel. Es war eine Ermutigung für die Stadt, daß er seine Konzernleitung nach Berlin verlegte und im alten Zeitungsviertel direkt an der Mauer Verlag und Druckerei hochziehen ließ. Man verstand sich sehr gut bei der entscheidenden Unterhaltung im Amtszimmer von Brandt. Er bekam Sonderkonditionen, würde Steuern für seinen Gesamtladen sparen und war willkommen«,45
so Egon Bahr in seinen Erinnerungen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin unterstützte den Verleger aus Hamburg bei der Ansiedlung in der geteilten Stadt, indem er sich für großzügige finanzielle Vergünstigungen einsetzte. Die ökonomische »Verquickung« sollte noch weitergehen: in Gesprächen war die Übernahme des angeschlagenen Telegraf, ein marodes Teilstück des SPD-Medienbesitzes, durch den Springer-Verlag konkretisiert worden.46 Brandt und Bahr befürworteten dieses Geschäft. Die Transaktion scheiterte dann allerdings am Widerspruch der Bundes-SPD. Im Gegensatz zu Brandt und seinen engsten Mitarbeitern beobachteten die SPD und ihr Unterneh-
—————— 43 44 45 46
Vgl. u.a. ebd., S. 101. Vgl. Jacobi, 50 Jahre Axel Springer, S. 145 u. S. 150 ff. Bahr, Zu meiner Zeit, S. 143. Vgl. u.a. WBA, Beruflicher Werdegang und Berlin, Mappe 23 (alt).
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mensbereich, die »Konzentration GmbH«, die Entwicklung des Springer-Konzerns schon seit Ende der fünfziger Jahre äußerst skeptisch.47 Für Brandt lagen die Vorteile, die aus dem wirtschaftlichen Engagement Springers in Berlin resultierten, vor allem darin, dass er dies als Erfolg für eine gelungene Wirtschaftsförderungspolitik des Senats verbuchen sowie für die Berlin-Werbung nutzen konnte. Beides war positiv für ihn und seine Politik. Bereits im Mai 1959 trat Brandt an Springer heran und bat ihn, Mitglied vom »Bund der Berliner und Freunde Berlins e.V.« zu werden. »Es ist nicht beabsichtigt, Sie mit zusätzlichen Aufgaben zu belasten. Es wird durchaus als ausreichend erachtet, wenn Sie bereit sind, sich in Ihrem Tätigkeitsbereich dafür einzusetzen, die Ziele dieser Vereinigung zu fördern«,48
schrieb Brandt. Im Januar 1963 bat er Springer, mit dessen Aktivitäten für die Wirtschaftsansiedlung in Berlin werben zu dürfen: »Lieber Herr Springer, ich wollte Ihnen auf diesem Wege nur ein Wort meiner persönlichen und amtlichen Freude über Ihre Pläne in Berlin sagen. Sie werden sicher nichts dagegen haben, wenn wir Sie als Beispiel deutscher Investitionen in Berlin bezeichnen werden.«49
Beide schmückten sich mit gemeinsamen Auftritten – die für jede Seite vorteilhaft waren. Sie unterstrichen gleichzeitig die Bedeutung Springers als »größten Verlegers Europas« wie Brandts als wichtigen Politiker und waren Reklame für dessen Berlin-Politik. Schon im Mai 1958 machte Brandt bei einem offiziellen Hamburg-Besuch einen Abstecher zum Springer-Verlagshaus – inklusive einer Zusammenkunft mit führenden Mitarbeitern sowie einem gesonderten Treffen zwischen Brandt und Springer nebst Gattinnen.50 Axel Springer jr., der als Fotograf bekannt war,51 wurden Anfang der sechziger Jahre Exklusivaufnahmen von Rut und Willy Brandt in ihrer Privatwohnung sowie beim Presseball erlaubt.52 Brandt war bei der Grundsteinlegung des SpringerVerlagshauses im Mai 1959 in Berlin genauso zugegen wie bei der Einweihung im Oktober 1966. In beiden Fällen war eine große Medienöffentlichkeit garantiert.
—————— 47 Vgl. AdsD, SPD-PV, 6801. Dabei stand, nicht zuletzt wegen der Sorge um Konkurrenz für die eigenen bzw. nahestehenden Zeitungen, die mögliche »Marktbeherrschung« und »Marktbeeinflussung« im Mittelpunkt. Bereits im November 1961 gab die »Konzentration« eine Studie in Auftrag, durch die geklärt werden sollte, ob der Springer-Verlag gegen das »Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen« (Kartellgesetz) verstoße. Das Fazit der Studie war, dass ein derartiger Verstoß zur Zeit noch nicht vorliege. 48 AS-UA, Bestand Axel Springer, Schreiben Brandt an Springer vom 2. Mai 1959. 49 AS-UA, Bestand Springer, Schreiben Brandt an Springer vom 11. Januar 1963. 50 Vgl. LA-Berlin, B Rep. 002, 4028 und Die Welt vom 7. Mai 1958. 51 Axel Springer jr. arbeitete auch unter dem Pseudonym Sven Simon. 52 Vgl. LA-Berlin, B Rep. 002, 3301, Schreiben vom 15. Januar 1963.
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Die wirtschaftliche Förderung des Springer-Konzerns durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin stieß spätestens dann an die Grenzen, wenn sie seinen politischen Überzeugungen gänzlich zuwiderlief. So hoffte Axel Springer vergeblich auf die Unterstützung Brandts, als er im Jahr 1961 ein so genanntes »Verlegerfernsehen« in Deutschland implementieren wollte.53 Brandt hat in seinen Erinnerungen seine Ablehnung als einen wichtigen Grund für das Zerwürfnis zwischen ihm und Springer angeführt, ein Argument, das noch zu prüfen sein wird. Brandt schrieb dazu: »Unser freundlicher Kontakt litt Schaden, als er mich im Rathaus Schöneberg bedrängte, einem regionalen Verlegerfernsehen zuzustimmen; er sah West-Berlin als Büchsenöffner für den Bund. Mir schien es unzumutbar, den Berliner Sonderstatus auf diese Weise in Anspruch nehmen zu wollen; außerdem hatte meine Partei überhaupt Bedenken gegen privates Fernsehen.«54
An diesem Punkt waren die Grenzen der Gemeinsamkeit zwischen Verleger und Politiker erreicht. Auf dem Feld der Berlinwerbung im Ausland besonders in den USA war man sich hingegen einig. Ziel war es, auf die Probleme der geteilten Stadt aufmerksam zu machen. Auf diesem Politikfeld kam es zu Absprachen Springers mit Brandt und seinem Berliner Pressechef Bahr. Das Presse- und Informationsamt des Berliner Senats betrieb ebenfalls eine spezifische »Berlin Werbung« in den USA, für die eigens in New York eine Werbeagentur beauftragt war.55 Seit 1960 wurden in den USA mit dem Motto Message from Berlin Anzeigenkampagnen vom Springer-Verlag geschaltet, um auf die prekäre Lage der Stadt im Spannungsfeld der Machtblöcke aufmerksam zu machen – alles in Absprache zwischen Verlag und Senatskanzlei bzw. Berliner Presseamt.56 Die Anzeigen waren von Willy Brandt und weiteren Berliner Prominenten aus Politik und Wirtschaft unterzeichnet. Schon vor dem offiziellen Erscheinungstermin schickte Springer im Januar 1961 Brandt die erste Ausgabe der von ihm wiederbelebten Berliner Illustrirten mit dem Titel »Wer Berlin hat, hat Deutschland«, die auch in englischer Sprache für den US-amerikanischen Markt produziert wurde. Außerdem versicherte der Verleger, dass der »Senat für seine Sonderzwecke einige tausend
—————— 53 54 55 56
Vgl. dazu allgemein Hickethier, Geschichte, S. 210 f. Brandt, Erinnerungen, S. 288. Beauftragt war damit die Agentur Roy Blumenthal, vgl. Merseburger, Willy Brandt, S. 641. Vgl. LA-Berlin, B Rep. 002, 3899, Schreiben vom 13. Mai 1960 und 8. September 1960. Zum zwanzigsten Jahrestag des Mauerbaus »sandte« Springer in Anzeigenform eine Message from Berlin in die USA; vgl. Der Spiegel vom 12. Oktober 1981. Vgl. u.a. Washington Post vom 2. Mai 1960 und 13. August 1981.
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Exemplare erhält«.57 Dass der Regierende Bürgermeister für derartige kostenlose publicity dankbar war, liegt auf der Hand. »Ich bin überzeugt, daß die englischsprachige Ausgabe in den Vereinigten Staaten sehr wirksam sein wird. Ich beglückwünsche Sie zu dieser Leistung und uns in Berlin dazu, so viel private Initiative für die Sache dieser Stadt zu wissen«,58
so Brandt an Springer. Anlässlich des Kennedy-Besuches am 26. Juni 196359 in Berlin erschien erneut eine Sonderausgabe der Berliner Illustrirten und der BZ.60 Auch auf kulturpolitischem Gebiet war Springer mit Brandt im Gespräch. Er war motiviert von der »Sorge um die Lage Ihrer Stadt und das Bemühen, für sie das Beste zu tun«61 und immer bestrebt, »mit meinen Möglichkeiten in der Bundesrepublik unaufhörlich für die Theaterstadt Berlin«62 zu werben.
Gemeinsame politische Ziele Die politische Bedeutung Berlins als »Frontstadt der freien Welt« im Kalten Krieg63 und das politische Feld der Deutschlandpolitik waren ein weiteres wichtiges Verbindungsglied zwischen Brandt und Springer. Daraus folgte, dass auch auf diesem Gebiet die Zusammenarbeit der beiden bis in die sechziger Jahre hinein besonders intensiv war und in manchen Fällen die üblichen Grenzen zwischen Politik und Journalismus überschritten wurden. Ein zentraler Schwerpunkt des politischen Engagements Springers war die Berlin- und Deutschlandpolitik. Springer ging zwar nie aktiv in die Politik – obwohl beispielsweise Brandt in der Retrospektive meinte, dass dies bei einem Wahlsieg seinerseits im Jahre 1961 durchaus eine Option für den Verleger gewesen wäre64 –, glaubte aber fest an die Möglichkeit, durch seine Zeitungen die politi-
—————— 57 LA-Berlin, B Rep.002, 4058, Schreiben vom 12. Januar 1961. 58 AS-UA, Bestand Springer, Schreiben Brandt an Springer vom 19. Januar 1961. 59 Zum Kennedy-Besuch vgl. Daum, Kennedy; Die Ausführungen Daums geben einen detaillierten Überblick über die Vorgeschichte, den Ablauf, die mediale Verarbeitung sowie die symbolische Bedeutung des Besuches des amerikanischen Präsidenten, den er als Höhepunkt einer deutsch-amerikanischen »Vergemeinschaftung« interpretiert. 60 Vgl. BZ vom 27. Juni 1963. 61 So Springer an Brandt am 25. Januar 1960; AS-UA, Bestand Springer. 62 AS-UA, Bestand Springer, Schreiben Springer an Brandt vom 6. Februar 1962. 63 Auf dem hohen Symbolwert Berlins während des Kalten Krieges hat jüngst erst wieder Andreas Daum hingewiesen, vgl. ders., Kennedy, S. 8 und S. 37 ff. 64 Vgl. Brandt, Erinnerungen S. 288. dort heißt es wörtlich: »Hätte es nach den Wahlen 1961 eine Chance gegeben, er [Axel Springer, D.M.] wäre nicht abgeneigt gewesen, sich in einem Kabinett Brandt der gesamtdeutschen Frage anzunehmen.«
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sche Meinung der Bevölkerung entscheidend beeinflussen zu können.65 Darüber hinaus versuchte er, aktiv in das politische Geschehen einzugreifen, indem er Gespräche mit aus- und inländischen Politikern führte. Seine Moskaureise 1958 zu Chruschtschow, diverse Reisen in die USA sowie nach Israel zeugen von derartigen Absichten.66 Die oft beschriebene Moskaureise, unter maßgeblichen Einfluss von Hans Zehrer zustande gekommen, markierte eine Trendwende in den politischen Anschauungen Springers. Entscheidend ist hier, dass sich durch diese Reise Springers negative Einstellung zum Ostblock verhärtete.67 Im Laufe der sechziger Jahre wurde dann die Anlehnung an den Westen kompromisslos propagiert. All dies hatte auch direkte Auswirkungen auf die Verlagslinie, welche endgültig ab 1967 in vier grundlegenden essentials festgeschrieben wurden. De facto galten sie aber bereits seit Beginn der sechziger Jahre.68 Dabei handelte es sich um folgende Grundsätze: »1. das unbedingte Eintreten für die friedliche Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit; 2. die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen; dazu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes; 3. die Ablehnung jeglicher Art von politischem Extremismus; 4. die Bejahung der freien sozialen Marktwirtschaft.«69
Außerdem scheint es, als ob nicht nur ein reger Diskussionsprozess über die Berlin-Frage zwischen Brandt, Bahr und Springer bestand, sondern regelrecht gemeinsam Politik gemacht wurde. An diesem Punkt wurde die übliche Grenze zwischen Politik und Journalismus abermals überschritten. Das ging soweit, dass Willy Brandt Axel Springer »zur streng persönlichen Kenntnis« einen Vermerk über ein Gespräch zuschickte, dass er mit Adenauer über seine bevorstehende USA-Reise geführt hatte.70 Springer tauschte sich mit Brandt vor einer Reise in die USA, wo er mit führenden Verlegern aus aller Welt zusammenkam, ebenfalls aus.71 Über eine Unterredung mit dem amerikanischen Botschafter informierte er Brandt und Bundesaußenminister Heinrich von Brentano.72 Außerdem verschickte Springer – wovon er Brandt ebenso in Kenntnis setzte – im Juni 1961 ein Schreiben an die Mitglieder des amerikanischen Senats und einige andere »führende politische Persönlichkeiten der
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Vgl. Kruip, »Welt«-»Bild«, S. 108. Vgl. u.a. Jürgs, Der Verleger, S. 261 ff. und S. 285 ff. Vgl. Kruip, »Welt«-»Bild«, S. 173 f. Vgl. ebd., S. 110 f. Springer, Viel Lärm um ein Zeitungshaus, Rede vom 26. Oktober 1967 vor Mitgliedern des Übersee-Clubs, Hamburg, S. 152. 70 Vgl. AS-UA, Bestand Springer, Schreiben vom 13. Januar 1960. 71 Vgl. AS-UA, Bestand Springer, Springer an Brandt vom 21. Januar 1959. 72 Vgl. AS-UA, Bestand Springer, Vollhardt im Auftrag von Springer an Brandt vom 31. Juli 1961.
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Vereinigten Staaten«, in dem er auf die angespannte Lage Berlins hinwies.73 Neben direkten Gesprächen zwischen Brandt und Springer hielt vor allen Dingen Egon Bahr Kontakt und traf sich des Öfteren mit dem Verleger zu ausführlichen Erörterungen über die Lage Berlins, die Pressesituation sowie Fragen der Innen- und Außenpolitik.74 Flankiert wurde die Politik für Berlin und Brandt durch eine entsprechende Berichterstattung in den Blättern des Springer/Ullstein Konzerns. Auch hier kam es zu einer sehr engen Zusammenarbeit. Die diversen Chefredakteure und Journalisten von Springer-Blättern nahmen – was selbstverständlich ist – an den von Brandt in Berlin als Teil seiner Medienpolitik regelmäßig veranstalteten »Pressezusammenkünften beim Regierenden Bürgermeister«75, den Treffen mit Chefredakteuren zur Aussprache76 oder an dem vom Presseamt seit 1960 eingeführten Jour fixe für Journalisten77 teil. Brandt empfing Springer-Journalisten darüber hinaus gerne zu »ausführlichen« Einzelgesprächen. Sowohl Hans E. Hirschfeld als auch sein Nachfolger Egon Bahr, ab 1960 im Amt als Leiter des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin, pflegten enge Kontakte zu Springer, seinen Chefredakteuren und Journalisten. Begünstigt wurde diese Form der Zusammenarbeit nicht nur durch die hier bereits beschriebenen ähnlichen politischen Ziele und die beiderseitige Vorteilsnahme, sondern sicherlich auch durch die Tatsache, dass hier Journalisten mit Journalisten zu tun hatten. Brandt war ja nicht nur Gelegenheitsjournalist, sondern hatte bereits als Schüler erste Artikel für den Lübecker Volksboten verfasst. Während seiner Emigrationszeit in Norwegen und Schweden bildete die journalistische Tätigkeit seine materielle Lebensgrundlage, und es gelang ihm, sich in diesem Metier einen Namen zu machen.78 Nach seiner endgültigen Rückkehr nach Deutschland Ende 1947 blieb er weiter journalistisch tätig. Im Jahr 1950 übernahm er die Leitung des Berliner SPD-Parteiorgans Sozialdemokrat, später Berliner Stimme. Obwohl im Laufe der fünfziger Jahre der Journalist gegenüber dem Politiker in den Hintergrund trat, publizierte Brandt zeitlebens weiter in Zeitungen und Zeitschriften.79 Egon Bahr war zwischen 1946 und 1950 für verschiedene Berliner Zeitungen und von 1950 bis 1960 für den
—————— 73 Vgl. LA-Berlin, B Rep.002, 4058, Springer an Brandt vom 27. Juni 1961. 74 Vgl. u.a. AdsD, Dep. Bahr, 47 B, Vermerk vom 25. Februar 1961; ebd., 47 A, Vermerk vom 17. Juli 1961. 75 Vgl. LA-Berlin, B Rep. 002, 3890. Auch für ausländische Journalisten und Korrespondenten fanden solche Treffen regelmäßig statt. 76 LA-Berlin, B Rep. 002, 3417 oder 3825, Bd. 1. 77 Vgl. LA-Berlin, B Rep. 002, 8690. 78 Vgl. dazu ausführlich Merseburger, Willy Brandt, S. 29 f., S. 180 ff. und S. 187 ff. 79 Einen umfassenden Überblick vom Umfang der publizistischen Tätigkeit Brandts vermittelt der Bestand »Publizistische Äußerungen« mit 66 lfm. im WBA.
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RIAS, in den Jahren 1953/1954 als dessen Chefredakteur, tätig gewesen.80 Demzufolge verstanden alle Beteiligten etwas vom journalistischen Handwerk. Darüber hinaus und dies war von besonderer Bedeutung, hatten sich dadurch persönliche Kontakte und Beziehungen ergeben – man kannte sich eben im journalistischen Milieu des »Mikrokosmos« Berlin bzw. West-Berlin dieser Zeit. Neben einigen Fällen, in denen Willy Brandt direkt mit den verantwortlichen Journalisten des Springer-Verlages kommunizierte, war es in der Regel Egon Bahr, der einen intensiven Kontakt hielt. Dabei ging es genauso um den Austausch von Informationen, um die Diskussion politischer Sachfragen wie um Beschwerden über eine vermeintlich »misslungene« Berichterstattung.81 Dies war allerdings kein Spezifikum im Umgang mit der Springer-Presse, sondern galt im Allgemeinen für den Umgang von Politik und den Medien. Allerdings scheint es auch hier Ende der fünfziger sowie Anfang der sechziger Jahre insofern Unterschiede gegeben zu haben, als dass Bahr in einigen Fällen versuchte, in die Berichterstattung der Springer-Zeitungen in Berlin direkt bzw. indirekt einzugreifen. »Bild kann politisches Dynamit sein. Darin sind wir sicher einig. Aber wenn man in einer solchen explosiven Situation in Berlin damit operieren will, dann sollten wir beide wenigstens miteinander reden. Denn es geht hier unter Umständen tatsächlich um Explosionen«,82 so Bahr etwa an den Chefredakteur der Bild-Zeitung im August 1962.
Das Zerwürfnis Als Bruch zwischen Brandt und Springer wird das erste Passierscheinabkommen vom Dezember 1963 gesehen, da nun die unterschiedlichen Positionen zwischen dem Politiker und dem Verleger auf dem Gebiet der Deutschlandpolitik offensichtlich zutage traten. Springer setzte von da an seine Blätter primär dazu ein, gegen diese Politik und die Personen, die sie betrieben, vorzugehen – eine Strategie, die sich mit Beginn der sozialliberalen Koalition verschärfen sollte. Bezieht man jedoch nicht publiziertes Material in die Analyse mit ein, so wird deutlich, dass einerseits Brandt und Bahr Springer über ihre politischen Überlegungen zur Ostpolitik in Kenntnis setzten und anderer-
—————— 80 Vgl. dazu ausführlich Bahr, Zu meiner Zeit, S. 24 ff. 81 Vgl. u.a. AdsD, Dep. Bahr, 45 A, 47B, 49 B. 82 LA-Berlin, B Rep.002, 4051, Schreiben vom 25. August 1962. Den Ansatzpunkt für den »persönlichen« Brief bot ein Artikel Sebastian Haffners in der Bild, der nach Meinung Bahrs eine völlige Fehlinterpretation darstellte, weil er den Tod von Peter Fechner durch DDRGrenzsoldaten bei einem Fluchtversuch an der Mauer auf die Ebene eines Bruches des VierMächte-Status hob.
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seits auch weiterhin – bis zu Beginn der siebziger Jahre – informelle Gespräche und Kontakte bestanden, die jedoch nach dem Weggang Brandts aus Berlin Ende 1966 stark reduziert wurden. Während der Verhandlungen zum ersten Passierscheinabkommen im Jahr 1963 begann die Springer-Presse dagegen anzuschreiben. Schlagzeilen in der Bild wie »Passierschein-Angebot ein übler Trick. Ulbricht will uns erpressen«83 oder »Das wäre das Ende von West-Berlin. Freie Welt gegen Pankows Erpressung«84, aber auch Berichte in der Welt wie »Der Teufel im Detail. Die Frage der Passierscheine«85 lösten bei Brandt und seinen Mitarbeitern Besorgnis aus, da man befürchtete, dass dadurch womöglich die öffentliche Meinung kippen könnte. Bahr nahm mit Springer Kontakt auf und traf sich mit ihm zu einem persönlichen Gespräch auf Sylt. In seinen Memoiren liest sich die Begebenheit folgendermaßen: »Die Springer Presse, die 80 Prozent der Zeitungen in Berlin verkaufte, hatte begonnen, sich auf die Passierscheinverhandlungen einzuschießen. Das konnte auf die Verliererstraße führen. Bevor überhaupt feststand, ob in der Sache ein Erfolg erreichbar werden würde. Ich verabredete mich mit Axel Springer, der mich von Hamburg mit seinem Privatjet nach Sylt einfliegen ließ. Die Premiere dieses Erlebnisses, das sich nie wiederholte, verschaffte unbehagliches Behagen; damals war es noch sehr ungewöhnlich, daß ein Privatmann genügend Geld hatte, über ein eigenes Flugzeug, Piloten, Begleitung zu verfügen, um jederzeit an den Ort seiner Wahl fliegen zu können. Er empfing mich in seinem Haus, auch nicht ärmlich, dem Bodden zugewandt [...] Zum erstenmal, so erläuterte ich Springer, würden wir nach vielen Rückzügen wieder einen Schritt nach Osten machen und Menschen, wenn auch nur für Stunden, in ein Gebiet bringen, das ihnen versperrt worden ist. Wer weiß, vielleicht funkt es da und führt sogar wieder zu Gesamtberliner Heiraten. Er wurde überzeugt und wies an: ›Hans [Wollenberg], geh ans Telefon und sag unseren Chefredakteuren: Feuer einstellen.‹ Während ich in einem englischen Humber zurückgefahren wurde, erinnerte ich mich an Paul Sethe86, der die Pressefreiheit als die Freiheit des Verlegers definiert hatte, seine Meinung zu verbreiten. In diesem Fall war es ja gut, daß es so einfach funktionierte.«87
Die Berichterstattung der Springer-Presse zur Passierscheinfrage bekam daraufhin wirklich einen anderen Tenor. Darüber hinaus herrschte offenbar auf beiden Seiten die feste Überzeugung vor, dass durch die Presse Meinungen nicht nur beeinflusst, sondern wirklich gemacht werden könnten und diese damit ein politisches Manipulationsinstrument sei.
—————— 83 84 85 86
Bild vom 10. Dezember 1963. Bild vom 11. Dezember 1963. Die Welt vom 9. Dezember 1963. Paul Sethe (1901-1967) war von 1949 bis 1955 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, danach Kolumnist für die Welt und die Zeit. 87 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 163 f. Diese Begebenheit wird auch bei Jürgs beschrieben; vgl. Jürgs, Der Verleger, S. 225 f.
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Dass der Diskussionsprozess über Fragen der Deutschlandpolitik zwischen Springer und Brandt nicht abriss und auch im Vorfeld der Passierscheinverhandlungen existierte, zeigt der Schriftwechsel der beiden. Auch dürfte das politische Umdenken Brandts auf dem Gebiet der Deutschland- und Ostpolitik nicht so plötzlich über Springer hereingebrochen sein, wie dies oft dargestellt wird. Die Entwicklung eines politischen Konzeptes, das auf einen Ausgleich mit dem Osten bei gleichzeitiger Westintegration der Bundesrepublik zielte, war ein langwieriger Prozess. Durch den Mauerbau wurde es zwar beschleunigt in die Praxis umgesetzt. In seinen gedanklichen Ursprüngen ist das Konzept aber bereits seit Beginn der fünfziger Jahre nachweisbar.88 Brandt hielt Springer auf dem Laufenden, und man befand sich offenbar mit ihm im regelmäßigen Gedankenaustausch über Fragen der Deutschlandpolitik. So schickte Brandt ihm beispielsweise im April 1963 neben den Harvard lectures,89 in denen er vor amerikanischem Publikum im Herbst 1962 seine zukünftigen deutschland- und ostpolitischen Vorstellungen in ihren Grundzügen entwickelt hatte, »eine bisher nicht publizierte dritte Ergänzung über einige Aspekte der deutschen Situation«, die er geschrieben hatte und »die Sie teilweise vielleicht an unsere gelegentlichen Gespräche erinnert«90. Interessant ist in diesem Zusammenhang die selektive, nur dem politischen Konzept Springers folgende Berichterstattung seiner Blätter über die Harvard lectures. Sie bezog sich nur auf die Passagen der Rede, in denen die Sowjetunion angegriffen und ihre Politik negativ dargestellt wurde und nicht auf die Ausführungen über eine neue Politik der Entspannung. Unter der Überschrift »Brandt fordert feste Haltung – Das Sowjetparadies gedeiht nur hinter Gefängnismauern«, berichtete die Welt und führte aus, dass sich nur »durch Festigkeit [...] der große Konflikt gerade auch in Berlin« vermeiden lasse und die Bild schrieb unter anderem »Moskaus Koexistenz ist in Wirklichkeit aggressiv gemeint. Brandt wies alle Zweifel an den alliierten Garantien für Berlin energisch zurück«91. Nach der berühmten Kennedy-Rede am 26. Juni 1963 vor dem Rathaus Schöneberg befürchtete Springer aufgrund der Formulierung »And there are some who say in Europe and elsewhere we can work with Communists. Let
—————— 88 Vgl. Schmidt, Kalter Krieg; Schmidt hat in seiner Dissertation erstmals überzeugend diese lange Kontinuität im Denken Brandts nachgewiesen. 89 Die beiden Vorlesungen, die Brandt an der Universität Harvard hielt, standen unter dem Titel The ordeal of coexistence; veröffentlicht in deutscher Übersetzung: Brandt, Koexistenz. Ausführlich zu der inhaltlichen Ausrichtung der Harvard lectures vgl., Schmidt, Kalter Krieg, S. 454 ff. 90 AS-UA, Bestand Springer, Schreiben Brandts vom 22. April 1963. Aus der Antwort Springers vom 9. Mai 1963 ist ersichtlich, dass er zumindest vorhatte, die Unterlagen zu lesen. Der von Brandt erwähnte dritte Teil ist dann später zusammen mit den Harvard lectures unter dem Titel »Koexistenz in und mit Deutschland« publiziert worden; vgl. Brandt, Koexistenz, S. 89 - 115. 91 Die Welt und Bild vom 3. Oktober 1962.
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them come to Berlin«,92 einen Umschwung der amerikanischen Politik. Brandt schrieb ihm daraufhin: »Seine [John F. Kennedy’s, D.M.] Absichten, wie sie in der Rede vom 10. Juni zum Ausdruck gekommen sind,93 bestehen unverändert. Ich nehme an, daß ich ihnen nichts Neues sage, aber die Sache selbst ist wichtig genug, denn es handelt sich um einen Rahmen, den wir auszufüllen haben.«94
Brandt machte hier zwar einerseits deutlich, dass er den eingeschlagenen Weg auf dem Gebiet der Deutschland- und Ostpolitik nicht verlassen werde, andererseits wollte er aber mit Springer über diesen Themenkomplex weiterhin im Gespräch bleiben. Gleiches galt für Springer. Auch er signalisierte Gesprächsbereitschaft und schrieb von seiner »Sorge vor einer falschverstandenen Entspannungspolitik«.95 Im Jahr 1964 fanden noch einige solcher Unterhaltungen statt. Man wies jedoch schon auf gegenseitige Verletzungen und Enttäuschungen hin. Bereits im Juni 1963 hatte Bahr nach einem Gespräch mit Springer vermerkt, »er fühlt sich gekränkt«96, und Anfang 1964 schrieb Brandt: »Über die Unterhaltung gestern Abend habe ich mich wirklich gefreut. Wir sind gar nicht soweit auseinander. Ich will Sie auch nicht mit kleinlichen Zeug belasten, das mich [...] gestört und manchmal sogar gekränkt hat. An einer ruhigen Unterhaltung würde mir allerdings sehr liegen.«97
Zu einem persönlichen Gedankenaustausch kam es dann erneut. Die Kommunikation über andere Themen als Fragen der Deutschlandpolitik blieb weiterhin bestehen. Während des Bundestagswahlkampfes 1965 war die Unterstützung für Brandt durch die Springer-Presse allerdings nicht mehr so direkt wie noch vier Jahre zuvor. Springer selbst favorisierte eine Große Koalition, und in diese Richtung schrieben dann auch gemäß der Verlagspolitik seine Zeitungen. Dennoch gab es wieder Absprachen, was das Verhalten im Bezug auf die erneut aufgelegten Diffamierungskampagnen gegenüber Brandt anbetraf: »Herr Springer [steht, D.M.] ohne Einschränkung zu dem [...], was er mir schon vor längerer Zeit versichert habe: er lehne jegliche persönliche Diffamierung, insbesondere gegen Herrn Brandt aus dessen Emigrationszeit, strikt ab. Das Haus Springer werde mit allen ihm zur
—————— 92 Zitiert nach Daum, Kennedy, S. 202. 93 Am 10. Juni 1963 hatte Präsident Kennedy an der American University eine Rede zur Deutschlandpolitik gehalten, die mit den zentralen Gedanken von Brandts Havard lectures übereinstimmte. 94 AS-UA, Bestand Springer, Schreiben Brandts vom 4. Juli 1963. 95 AS-UA, Bestand Springer, Schreiben Springers vom 13. September 1963. 96 AdsD, Dep. Bahr, 49 B, Vermerk vom 1. Juni 1963. 97 AS-UA, Bestand Springer, Schreiben Brandts vom 30. Januar 1964.
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Verfügung stehenden Mitteln sich gegen jeden wenden, der mit diesen Diffamierungskampagnen in der Öffentlichkeit auftrete.«98
Dies berichtete Egon Bahr dem Regierenden Bürgermeister. Des weiteren schrieb der Leiter des Pressereferats beim PV, Franz Barsig, Ende August 1965 an den ehemaligen Chefredakteur von Kristall, Horst Mahnke, der ab 1965 das Amt des Geschäftsführer des »Redaktionellen Beirats« sowie des persönlichen Referenten Axel Springers bekleidete: »Wenn ich meine bisherigen Eindrücke zusammenfassen darf, dann empfinde ich die Wahlkampfberichterstattung der BILD-ZEITUNG als außerordentlich korrekt.«99 Über ein mehrstündiges Gespräch nach der Bundestagswahl mit Springer zu Fragen der Berliner Wirtschaftssituation und über die deutsche Politik im Allgemeinen vermerkte Egon Bahr: »Er [Axel Springer, D.M.] ist der Meinung, Sie [Willy Brandt, D.M.] hätten die Wahlen nicht verloren: Die Verlierer würden die Gewinner werden. Er wiederholte dies von sich aus so oft. Dass ich es als ehrlich unterstelle [...] Adenauer gehöre zu den Verlierern der Wahl. Er hatte sich A.[xel] Sp.[ringer] gegenüber in Rhöndorf [...] völlig klar zugunsten einer Grossen Koalition ausgesprochen einschliesslich einiger Vorstellungen über die Kabinettsliste. [...] A. Sp. Ist nun im Besitz einer Vision für die Schlüsselrolle Berlins und die Bedeutung W.[illy] B.[randts]'s für die Zukunft der deutschen Politik und der europäischen Politik und ist dafür bereit zu jeder Mithilfe.«100
Die »Mithilfe« Springers für Brandts weitere Politik und politische Karriere war allerdings bei weitem nicht mehr so ausgeprägt wie in den Jahren zuvor. Der Kontakt blieb bestehen, der Austausch verlor an Intensität. Springer verstärkte nun auch seine Beziehungen zu führenden CDU/CSU-Politikern, da diese mehr und mehr seinen eigenen politischen Vorstellungen entsprachen. Brandt glaubte an den potenziellen Einfluss der Springer-Presse auf die politische Meinungsbildung. Er überschätzte ihn jedoch in seiner direkten manipulativen Kraft.101 Schon allein aus diesem Grund war die Aufrechterhaltung einer Kommunikation aus seiner Sicht wünschenswert. Nach dem Eintritt der SPD in die Große Koalition und der Übernahme des Amtes des Außenministers durch Brandt war zunächst keine weitere Verschlechterung des Verhältnisses festzustellen. Nach einer Feierstunde anlässlich des hundertjährigen Geburtstages von Walther Rathenau an der Freien Universität Berlin, bei der
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AdsD, Dep. Bahr, 364, Aktenvermerk vom 17. November 1964. AS-UA, Bestand Springer, Schreiben Barsig vom 27. August 1965. AdsD, Dep. Bahr, 122, Aktenvermerk vom 7. Oktober 1965. Die Frage der manipulativen Wirkung der Bild-Zeitung bestimmte nicht nur die öffentliche, maßgeblich von Studentenbewegung und linken Intellektuellen geprägte Diskussion um die Macht Springers, sondern auch die sozialwissenschaftliche Debatte; vgl. u.a. Alberts, Massenpresse als Ideologiefabrik; Zoll, Manipulation und Meinungsbildung.
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Brandt die Festrede hielt, gab Axel Springer, da das Datum gleichzeitig mit dem einjährigen Einzug ins neue Verlagshaus zusammenfiel, einen Empfang, an dem auch der Bundesaußenminister teilnahm.102 Einige Tage nach dieser Veranstaltung schrieb Springer an Brandt einen langen Brief, in dem er bedauerte, dass es zu keinem ausführlichen Gespräch gekommen sei. Außerdem schrieb er nochmals seine politischen Ansichten im Hinblick auf die Ostpolitik und dem Verhältnis zu Israel, was ihn seit den sechziger Jahren besonders beschäftigte, nieder: »Sie wissen, daß ich in der Frage der Möglichkeit freundschaftlicher Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland ziemlich pessimistisch bin. Und ich weiß natürlich, daß der Außenminister Brandt im Angebot einer Freundschaft an die Sowjetunion aus den verschiedensten Gründen weiter gehen muß, als der Politiker Brandt selbst bei optimistischer Betrachtung für erreichbar hält. [...] Ich weiß, daß Sie ebenso wie der Bundeskanzler in der Frage unserer Haltung zu Israel grundsätzlich mit mir einer Meinung sind. Mit mir und einem Großteil der deutschen Bevölkerung. Aber ich glaube wir sollten auch offiziell diese Haltung noch öfters bekräftigen.«103
Am Ende des Briefes drückte der Verleger wiederum sein Bedauern darüber aus, »daß wir uns so wenig sehen«. Brandt erwiderte, dass ihm an einem baldigen Treffen sehr gelegen sei.104 In der Folgezeit scheint die direkte Kommunikation dann zunehmend ausgeblieben zu sein, wobei sicherlich auch die Tatsache, dass Brandt seit Ende 1966 nicht mehr in Berlin politisch aktiv und ansässig war, eine Rolle spielte. Ende 1968 bedauerte Brandt in einem Dankesschreiben an Springer, dass es schade sei, »daß sich in der letzten Zeit keine Möglichkeiten des Gesprächs mehr geboten hat«, und er hoffe, dass »wir selber wieder einmal mit einander sprechen«105 können. Zum ersten großen Generalangriff ging die Springer Presse dann im Wahlkampf 1969 über.106 In einer internen Sitzung der SPD-Wahlkampfleitung vom 8. Mai 1969 führte der Bundesgeschäftsführer der SPD, Hans Jürgen Wischnewski, aus: »Die Springer-Presse, insbesondere ›Bild‹ und ›Welt‹ nehmen zunehmend eine feindliche Haltung gegen die SPD ein. Zum Beispiel BILD: Chefredakteur Böhnisch gab die Parole aus, Stories zu finden, die der SPD schaden; insbesondere sind die Bonner Korrespondenten
—————— 102 Vgl. AS-UA, Bestand Springer, Schreiben Springers vom 24. September 1967. Springer schrieb darin u.a.: »Ich würde mich freuen, wenn Sie am Jahrestag der Einweihung des Berliner Hauses dort wieder zu Besuch sein würden. Die Gelegenheit, Sie zu sehen und mit Ihnen zu reden, begrüße ich darüber hinaus natürlich sehr.« 103 AS-UA, Bestand Springer, Schreiben Springers vom 16. Oktober 1967. 104 AS-UA, Bestand Springer, Schreiben Brandts vom 19. Oktober 1967. 105 AS-UA, Bestand Springer, Schreiben Brandts vom 27. Dezember 1968. 106 Zum Wahlkampf ausführlich vgl. Kap. 6 dieser Arbeit.
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angewiesen, Stories und Bilder von Willy Brandt zu bringen, die ihn als kranken Mann zeigen. Böhnisch schickt ausserdem ein Team nach England, um eine Reportage bringen zu können über das Versagen der sozialistischen Regierung [...]. Zweites Beispiel ›Welt am Sonntag‹, wo der stellvertretende Chefredakteur Anweisung gegeben hat, nur noch negative Personalien von der SPD zu bringen.«107
Während Brandt und Bahr weiterhin auf persönliche Kommunikation und die Kraft des Argumentes setzten, präferierte die Partei einen anderen Weg: Nach Meinung des Bundesgeschäftsführers sei es besser dafür zu sorgen, dass ein Pressekonzentrationsgesetz im Bundestag verabschiedet werde. Er setzte auf eine Gesetzesmaßnahme, um so das »Problem« grundsätzlich zu entschärfen. Offensichtlich schien die subjektive Bedrohung durch die Berichterstattung der Springer-Presse so groß, dass man keine andere Lösung mehr sah. Dennoch wollte Brandt kurz vor seiner Vereidigung als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland im Oktober 1969 in einem persönlichen Gespräch Springer um eine »loyalere Haltung« zur neuen SPD/FDP-Koalition und damit um die Unterstützung der Politikvorhaben der neuen Regierung durch dessen Publikationsorgane bitten.108 Ein negatives öffentliches Meinungsklima zu den Reformprojekten hätte nach Einschätzung der führenden Politiker der sozialliberalen Koalition deren Umsetzung erschwert oder gar unmöglich gemacht. Man befürchtete, dass sich durch eine Gegenkampagne der Springer Presse die öffentliche Meinung gegen die Regierung wenden könnte. »Gegen eine starke wütende Opposition, die sich um den Sieg betrogen fühlte, gegen Springer und die Macht seines Medienimperiums eine Wende der deutschen Politik durchzusetzen, würde schwer werden«,109
schrieb Bahr dazu in seinen Erinnerungen. Diese Einschätzung hatte mit der in den sechziger Jahren im gesamten politischen Spektrum verbreiteten Ansicht über den relativ großen Einfluss der Medien auf die politische Meinungsbildung der Bevölkerung zu tun. Und auch die Medien selber gingen von einer erheblichen meinungsbildenden Macht ihrer Produkte aus. In einer internen
—————— 107 AdsD, SPD-PV, 3301, Vermerk vom 8. Mai 1969. 108 In einem Vermerk von Springers damaligem Büroleiter, Claus Dieter Nagel, hieß es dazu unter der Überschrift »Betrifft SPD contra BILD. Willy Brandt möchte, noch in diesem Jahr’ ein persönliches Gespräch mit Herrn Springer führen. [...] Inhalt einer solchen Unterredung soll es sein, Herrn Springer um eine loyalere Haltung der BILD-Zeitung gegenüber der SPD/FDPKoalition zu ersuchen. [...] Brandt erhofft sich von einem persönlichen Kontakt mit Herrn Springer eine allgemeine ›Klimaverbesserung‹.« AS-UA, Bestand Springer, Vermerk Nagel vom 17. Oktober 1969. 109 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 280.
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Analyse des Springer-Verlages über die Bild-Zeitung hieß es dann auch unter anderem: »Der Leser, der sich der Führung von Bild anvertraut, ist ohne die Hilfe und Unterstützung dieser Zeitung vielleicht sogar ein wenig hilflos. Der engagierte BILD-Leser ist auf die Zeitung im echten Sinne ›angewiesen‹. Er bedarf täglich ihrer normativen Funktionen.«110
Der Spiegel schrieb über den Einfluss der Springer-Presse auf die Durchsetzung von Brandts Politik: »Die ersten hundert Tage haben gezeigt, daß niemand in der Bundesrepublik den Weg Willy Brandts mehr erschwert als Axel Springer«.111 Auch andere Medien und Journalisten sahen zum Beispiel in der Kampagne der Springer-Presse gegen die Ostpolitik der Regierung Brandt eine Gefährdung dieser Politik durch die negative Beeinflussung der öffentlichen Meinung und prangerten dies öffentlich an.112 Die Bemühungen Brandts und Bahrs um einen Ausgleich und eine Fortführung des Dialogs mit Springer blieben erfolglos, eher war das Gegenteil der Fall. In einer Korrespondenz vom Dezember 1969 zwischen Springer und Bahr wurde dann die endgültige Unvereinbarkeit der Positionen besiegelt und der direkte Dialog zunächst für beendet erklärt. Anlass war ein Interview von Brandt in der Sendung US News and World Report, in dem er unter anderem gesagt hatte: »ich muss zugeben, dass ich aufgehört habe, über Wiedervereinigung zu sprechen.« Diese und weitere Äußerungen brachten Springer derart auf, dass er an Bahr am 25. Dezember 1969 einen langen Brief schrieb: »Als unser Haus an der Kochstraße eingeweiht wurde [am 6. Oktober 1966, D.M.], sprach ich die Hoffnung aus, wir sollten wieder eine Nation werden, ›friedlich wiedervereint, getragen von jenem Respekt vor den Völkern dieser Erde, der nur die Furcht des richtigverstanden Selbstrespekts sein kann.‹ Willy Brandt, der damals mein Gast war, hat nicht nur nicht widersprochen, sondern in seiner eigenen Rede gesagt. ›Hier, von diesem Haus aus, kann man das Ganze im Auge behalten. Welch' andere Aufgabe haben wir, als für das Ganze zu sorgen?‹ Die Träume Willy Brandts von ›veränderten Verhältnissen‹, von Kooperation statt Konfrontation sind genau das, nämlich Träume. Die Realität ist anders. [...] Und in Amerika wird dieses Interview Wasser auf die Mühlen derer sein, die nicht mehr wünschen als ein Disengagement Amerikas auch auf dem europäischen Kontinent. [...] Gern hätte ich Ihnen in diesen Tagen ein paar freundliche Zeilen zum Fest gesandt. Nach der Lektüre dieses Interviews aber kann ich nur sagen: der Kanzler hat ein böses Geschenk unter den Weih-
—————— 110 Zitiert nach: Zoll, Manipulation, S. 22. 111 Der Spiegel vom 26. Januar 1970. 112 Vgl. u.a. Vorgänge, die beim Deutschen Presserat aktenkundig wurden. Dort beschwerten sich sowohl Springer-Zeitungen über andere Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen, da sie sich von diesen diffamiert fühlten. Andere wiederum wandten sich an den Presserat, um die Springer-Zeitungen wegen der bewussten Verbreitung von Falschmeldungen anzuzeigen; vgl. BAKoblenz, B 381, 9, Schreiben vom 28. August 1970; B 381, 12, Schreiben vom 27. Januar, 10. Dezember und 17. Dezember 1972.
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nachtsbaum gelegt, dessen Folgen noch nicht abzusehen sind. Im Innern wie im Ausland. Bitte empfinden Sie meinen Vorschlag nicht als unfreundlich, die vor Wochen in der Kochstraße begonnene Diskussion um die Wiedervereinigung nicht fortzusetzen. Ich habe begriffen. In Sorge grüsst Sie.«113
Neben dem offen ausgesprochenen Bruch wird hier sichtbar: Springer hielt seine politische Auffassung für so maßgeblich, dass eine deutsche Bundesregierung dieser Linie zumindest mit in ihr Kalkül ziehen sollte. Den politischen Überzeugungen Springers wurde auch die Berichterstattung seiner Blätter kompromisslos unterworfen, sie wurde zur offiziellen Verlagspolitik.114 Wie bereits ausgeführt spielte bei der zunehmenden Politisierung der SpringerBlätter in den sechziger Jahren die Wiedervereinigung eine zentrale Rolle und Springer glaubte daran, auf diese Weise die öffentliche Meinung in Deutschland in seinem Sinne beeinflussen zu können. Die ausführliche Antwort Bahrs betonte Gemeinsamkeiten bei gleichzeitiger Klarstellung der eigenen Position sowie dem Bedauern über die Ansicht Springers. Sie ließ jedoch Raum für einen weiteren Austausch: »Ich erinnere mich an viele Gespräche mit Ihnen, in denen wir uns einig waren, daß viele, die das Wort Wiedervereinigung im Munde führen, sie nicht wollen; daß viele davon nur sprechen, weil sie hoffen, daß sie nicht kommt. Das galt und gilt für Landsleute und für ausländische Freunde. [...] Ich weiß, daß Sie zu den nicht Zahlreichen in diesem Land gehören, die an Deutschland denken, deshalb bedauere ich, daß Sie an der falschen Front kämpfen. Aber es hat geschmerzt, daß Sie ungerecht urteilen. Ich erwidere Ihren sorgenvollen Gruß.«115
Auch jetzt brach der Kontakt nicht gänzlich ab. Im Februar 1970 in Bonn sowie im August 1971 auf Sylt trafen Bundeskanzler und Verleger nochmals zu längeren persönlichen Gesprächen zusammen.116 Brandt schätzte allerdings diese Zusammentreffen falsch ein, als er meinte, dass von ihnen »eine mäßigende Wirkung« ausginge. Eher das Gegenteil war der Fall, die politischen Gräben vertieften sich. Die Bild und die anderen Springer-Zeitungen attackierten den Bundeskanzler und seine Regierung weiter. Die Angriffe gingen mit einer eindeutigen Parteinahme für die CDU/CSU-Opposition, namentlich Franz Josef Strauß und Rainer Barzel, einher. Die Schlagzeilen der Bild-Zeitung, die Leitartikel der Welt und anderer Druckerzeugnisse des Verlages hatten eine eindeutige Sprache. Da hieß es unter anderem: »Wo geht die Reise hin?«117, »Die beste
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AdsD, Dep. Bahr, 85/3, Schreiben Springers vom 25. Dezember 1969. Vgl. Kruip, »Welt«-»Bild«, S. 108 und S. 155 ff. AdsD, Dep. Bahr, 85/3, Schreiben Bahrs vom 30. Dezember 1969. Vgl. Merseburger, Willy Brandt, S. 638 f. Bild vom 30. Oktober 1969.
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Ostpolitik ist eine gute Westpolitik.«118, »politischer Winterschlußverkauf zu Schleuderpreisen«119 oder »Gibt es schon wieder im Bundestag Sozialisten, die Herrn Ulbricht [...] helfen wollen?«120 Nach dem Beginn der konkreten Verhandlungen über die Ostverträge seit 1970 nahmen die Angriffe nochmals an Schärfe zu. Axel Springers Kommentar zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrages am 7. Dezember 1970 erschien einen Tag später in der Bild-Zeitung unter der Überschrift »Diese Morgenröte ist die Farbe auf der Fahne der Gewalt«. Darin warnte er einmal mehr vor den Gefahren einer solchen Politik, die eine »tiefe Kluft in das deutsche Volk« reißen werde und konstatierte, »wer an die Chance einer fruchtbaren Kooperation glaubt, verwechselt politischen Okkultismus mit Wirklichkeitssinn«. Wenige Tage später lautete dann die Schlagzeile gar: »Ostverträge verfassungswidrig«121. Dieser Tenor wurde weiterverfolgt: »Staatsrechtler: Ostverträge verstoßen gegen Grundgesetz«.122 Als Hauptverantwortliche für diese Politik wurden Egon Bahr und der Bundeskanzler persönlich angegriffen: »Tatsache bleibt, daß Bundeskanzler Brandt den gesamtdeutschen Zug auf ein Gleis geschoben hat, das immer steiler bergab führt.«123 Brandt wurde als »Illusionär« und »Geheimniskrämer« abgestempelt. Dennoch ist bemerkenswert, dass zunächst nach dem Amtsantritt Brandts als Bundeskanzler dessen persönliche Integrität nicht in Frage gestellt wurde, zum Teil war sogar das Gegenteil der Fall. Da wurde er zum »besten Pferd der SPD«, da wurde hervorgehoben, dass er »sein Vaterland« nie verriet. Der Kniefall des Bundeskanzlers vor dem Mahnmahl des Warschauer Ghettos wurde auf Seite eins der Bild-Zeitung groß aufgemacht und positiv bewertet.124 Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Brandt im Jahr 1971 versuchte die Springer-Presse hingegen ins Zwielicht zu rücken. Durch eine entsprechende Berichterstattung im Vorfeld versuchte man zu suggerieren, dass es bei der Wahl Brandts nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen sei.125 Als es dann soweit war, veröffentlichte Die Welt gerade einmal eine zweispaltige Meldung auf ihrer ersten Seite.126 Stellvertretend für Brandt, dessen zunehmende Popularität als Bundeskanzler auch Springer und den Machern seiner Zeitungen nicht verborgen blieb, wurden häufig seine engsten Mitarbeiter, im Beson-
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Bild vom 4. November 1969. Bild vom 2. Dezember 1969. Bild vom 20. Januar 1970. Bild vom 12. Dezember 1970. Bild vom 13. Januar 1972. Bild vom 10. September 1971. Bild vom 8. Dezember 1970. Vgl. dazu ausführlich Merseburger, Willy Brandt, S. 640 ff. Vgl. Jürgs, Der Verleger, S. 240.
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deren Egon Bahr und Horste Ehmke, zu Zielscheiben der journalistischen Attacken. Die Berichterstattung gegen Brandt nahm noch einmal während des Wahlkampfes des Jahres 1972 zu.127 Nun plante die Springer-Presse eine breit angelegte Verleumdungskampagne gegen den Bundeskanzler, die auf Material aus den sechziger Jahren basieren sollte.128 Hatten sich die Springer-Blätter bis dahin nie an den Diffamierungskampagnen über Brandts Emigrationszeit beteiligt, waren zu diesem Zeitpunkt die Differenzen zwischen Springer und Brandt anscheinend so groß, dass man nicht davor zurückschreckte, Material gegen den Bundeskanzler zu verwenden, welches vom Landgericht Berlin eindeutig als verleumderisch eingestuft worden war. Dass es zu der geplanten Kampagne in den Springer-Blättern im Jahr 1972 nicht kam, lag nicht an der Einsicht der Geschäftsführung, sondern allein an der Tatsache, dass der Informant dann doch nicht mehr bereit war, seine Unterlagen gegen Geld zur Verfügung zu stellen. Nach den vielen vergeblichen Angeboten zur partiellen Zusammenarbeit mit Axel Springer und seinen Presseorganen ging nun auch die Regierung in die Offensive. Brandt äußerte sich im halböffentlichen Raum bei der täglichen Besprechung mit seinen engsten Mitarbeitern sowie vor sozialdemokratischen Chefredakteuren und Journalisten im Januar 1970 sehr erbost über Springer und die Berichterstattung seiner Blätter. »Wer sich also als Feind dieser Regierung und der Koalitionsparteien engagiert, muß mit entsprechenden Reaktionen rechnen [...] Wenn der [Axel Springer, D.M.] es hart haben will, dann kann er es hart zurückkriegen.«129
Auf einem Wahlkongress der SPD in Berlin im Februar 1971 bezeichnete Brandt die Springer-Zeitungen sogar als »negativ gleichgeschaltet«,130 worauf es zu Protesten aus dem Hause Springer kam. Im Vorfeld des Abschlusses des Moskauer Vertrages (12. August 1970) gelangten die vertraulichen Aufzeichnungen über die vorab stattgefundenen drei Verhandlungsrunden zwischen dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko und dem damaligen Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Egon Bahr, durch eine gezielte Indiskretion der Opposition an die Öffentlichkeit. Das so genannte Bahr-Papier, welches die Ergebnisse der Verhandlungen in einer Zehn-Punkte-Absichtserklärung zusammenfasste, wurde in Bild und Welt
—————— 127 Vgl. dazu ausführlich Kap. 6.5 dieser Arbeit. 128 Vgl. AS-UA, Bestand Springer, Ordner: Vergangenheit Willy Brandt. Zu den Diffamierungskampagnen gegen Brandt ausführlich Münkel, »Alias Frahm«, S. 397 ff. 129 Zitiert nach Der Spiegel vom 26. Januar 1970. 130 Vgl. WBA, Bundeskanzler, Mappe 20, Schreiben vom 2. Februar 1971.
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trotz des geheimen Charakters der Unterlagen veröffentlicht. Darauf reagierte die Bundesregierung massiv. Direkt aus dem Bundeskanzleramt kam eine Anweisung, dass die Staatsanwaltschaft bei Bonner Korrespondenten Durchsuchungen durchführen solle.131 Dies geschah dann auch und wurde von zahlreichen Protesten begleitet.
Springer-Presse in der öffentlichen Kritik In der Endphase der sechziger Jahre nahmen die Angriffe auf Springer und seine Presse in der kritischen Öffentlichkeit zu. Die zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Studentenbewegung waren auch eine Folge des publizistischen Feldzuges, den besonders die Bild gegen die Studenten führte. So war es sicherlich kein Zufall, dass der Attentäter, der Studentenführer Rudi Dutschke im April 1968 niederschoss, eine Bild-Zeitung bei sich hatte.132 Dass er durch die Berichterstattung der Springer-Presse aufgehetzt worden war, wurde schnell offensichtlich. Was folgte, waren mehrere gewalttätige Anschläge auf das Springer-Verlagshaus in Hamburg. Auch Der Spiegel133 und Mitglieder der Regierung griffen Springer und seine Presseorgane direkt an. Im Frühjahr 1970 kam es zum Eklat, als der damalige Pressesprecher Conrad Ahlers134 die Springer-Blätter, vor allem die Bild als »Kampfpresse« bezeichnete und diese Etikettierung gleichzeitig mit dem Artikel fünf des Grundgesetzes, der Garantie der Meinungsfreiheit, in Zusammenhang brachte.135 Ahlers führte aus, dass eine »Kampfpresse« eine Presse sei, die »Nachrichten verfälscht« und »eine Art Polemik betreibt«, die »mit dem, was wir in Artikel 5 unter der Meinungsfreiheit im demokratischen Staat verstehen, kaum noch zu vereinbaren ist«.136 Die Koppelung der Springer-Organe mit dem Komplex der Meinungsfreiheit hatte eine breite Debatte in der politischen und publizistischen Öffentlichkeit über Presse- und Meinungsfreiheit zur Folge. Es kam sogar zu einer
—————— 131 132 133 134
Vgl. Merseburger, Willy Brandt, S. 638. Vgl. Dutschke, Rudi Dutschke, S. 197 ff. Vgl. u.a. Der Spiegel vom 26. Januar 1970. Zu Ahlers und seiner Amtsführung als Pressesprecher vgl. ausführlich Kapitel 5.2 dieser Arbeit. 135 Vgl. dazu ausführlich Merseburger, Willy Brandt, S. 636 ff. und Ehmke, Mittendrin, S. 149 ff. 136 Zitiert nach Merseburger, Willy Brandt, S. 636. Im Grundgesetz heißt es wörtlich: »(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.« Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, Artikel 5, Abs. 1.
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Aussprache im Bundestag über diese Problematik, in der sich Willy Brandt zum Thema äußerte. In seiner Rede betonte er, dass selbstverständlich keinerlei Pläne seitens der Bundesregierung bestünden, die Meinungsfreiheit in irgendeiner Form zu beschränken. Allerdings hob er gleichzeitig hervor, dass die Erörterung des Problems der wirtschaftlichen Konzentration im Medienbereich durchaus kein Tabu wäre. Bereits in den fünfziger Jahren hatte es seitens der Bundes-SPD und Teilen von linken Intellektuellen Kritik an der beherrschenden Stellung des SpringerVerlages innerhalb der bundesdeutschen Presselandschaft gegeben.137 Diese war jedoch nicht primär durch die Sorge um eine manipulative Wirkung der Blätter bestimmt, da ja zu diesem Zeitpunkt die politische Ausrichtung der Blätter noch als »liberal« galt und nicht durch eine starke Diskrepanz zur dominanten öffentlichen Meinung gekennzeichnet war. Die Diskussion um die Pressekonzentration in der Bundesrepublik wurde dann seit Beginn der sechziger Jahre, nicht zuletzt wegen der marktbeherrschenden Stellung des Springer-Verlages, zunehmend ein wichtiges Thema. Durch derartige politische Aktivitäten fühlte sich Springer als Verleger bedroht und versuchte sich der Loyalität zahlreicher Politiker zu vergewissern. Brandt versicherte ihm mehrfach, dass er nichts auf diesem Gebiet zu befürchten habe, denn »es versteht sich von selbst, dass wir keiner Regelung zustimmen werden, die ein Verlagshaus diskriminiert«, so Brandt an Springer.138 Die Diskussionen um die Pressekonzentration wurden durch die marktbeherrschende Stellung des Verlages und die dadurch befürchtete manipulative Macht der Springer-Blätter bestimmt. Dahinter stand die damals weitverbreitete Auffassung von einer Medienwirkung, die davon ausging, dass die in den Zeitungen oder anderen Medien verbreiteten politischen Botschaften von der Bevölkerung ohne Einschränkungen geglaubt und angenommen wurden. Springer selber war von der »Macht« seiner Blätter überzeugt und setzte sie deshalb auch ohne Skrupel für seine politischen Feldzüge ein. Wie bereits ausgeführt war die bewusste Nutzung seiner Zeitungen zum Zwecke der »Meinungsmache« in einem direkt vom Verleger vorgegebenen Sinne Verlagspolitik.139 Wie ist nun die Wirkung der Springer-Presse auf die politische Meinungsbildung Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre einzuschätzen? Grundsätzlich ist festzustellen, dass nur Tendenzen beschrieben werden können. Doch die Auswirkungen der politischen Berichterstattung der Springer-Presse auf die Einstellungen der Leser und Leserinnen waren – wie
—————— 137 Vgl. Kruip, »Welt«-»Bild«, S. 217. 138 AdsD, Dep. Bahr, 114 A. 139 Vgl. Kruip, »Welt«-»Bild«, S. 108.
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Gudrun Kruip und andere heraus gearbeitet haben – trotz immenser Auflagen und einem hohen Marktanteil sehr begrenzt.140 Das tritt besonders seit Ende der sechziger Jahre zutage. Trotz der Kampagnen gegen die Regierung Brandt und ihre Außen- und Innenpolitik waren auch unter den Lesern der SpringerBlätter die Umfragewerte für die SPD gut und bei der Bundestagswahl im Jahr 1972 wählten Bild-Zeitungsleser zuhauf die Sozialdemokraten. Auch in Hamburg und Berlin, wo der Springer-Verlag ein Zeitungsmonopol von bis zu 80 Prozent hatte, wurde trotz eindeutiger Parteinahme der Zeitungen für die CDU weiterhin SPD gewählt. Die Leserschaft der Springer-Presse schloss sich offensichtlich nur in geringer Zahl der politischen Meinung des Verlages an. Dies lässt auf nicht nur auf einen hohen Politisierungsgrad, sondern auch auf ein großes Maß an politisch aktiver, selbstbewusster Meinungsbildung schließen. Solange Brandt Bundeskanzler war, ging der »Kampf« Axel Springers gegen dessen Politik unvermindert weiter. Erst im Jahr 1985 versöhnten sich die beiden nun in die Jahre gekommenen Männer bei einem von Dritten arrangierten Zusammentreffen in Israel.141
Zwischenbilanz Aus den vorangegangenen Ausführungen können als erste Zwischenergebnisse einige allgemeine Aussagen über das Verhältnis von Politik und Presse in Bezug auf Brandt getroffen werden: 1. Es ist eine enge Verzahnung zwischen Politik und Presse in den fünfziger und beginnenden sechziger Jahren festzustellen, die auf einer Interessenkongruenz beruhte. Für Brandt war entscheidend, durch ständige Präsenz in den Medien seine Karriere zu befördern sowie seine politischen Konzepte zu popularisieren. Für Springer ergaben sich ökonomische Vorteile genauso wie die Chance, seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre seinen eigenen politischen Vorstellungen mehr Nachdruck zu verleihen. Das Kennzeichen dieser engen Verbindung waren zahlreiche informelle Kontakte und Absprachen sowie der regelmäßige Austausch über politische Sachthemen und Strategien, wobei von einer gegenseitigen Beeinflussung bis zum Anfang der sechziger Jahre durchaus ausgegangen werden kann. Der Grad dessen lässt sich jedoch in der Retrospektive kaum mehr feststellen. Neben dieser informellen, für die Öffentlichkeit nicht transparenten Form des Zusammenwirkens praktizierten
—————— 140 Vgl. ebd., S. 265 ff. 141 Vgl. dazu ausführlich Jürgs, Der Verleger, S. 277 ff.
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beide auch einen öffentlichen Schulterschluss, unter anderem durch gemeinsame Auftritte und Aktionen. Begünstigt wurde diese Form des engen Verhältnisses von Politik und Presse im Untersuchungszeitraum durch den hohen Personalisierungsgrad in diesem Feld. 2. Hinter der von Brandt und Springer angestrebten engen Verbindung zwischen Politik und Presse stand ein beiderseitiges Verständnis von der manipulativen Wirkung der Printmedien auf die politische Meinungsbildung der bundesrepublikanischen Bevölkerung. Dies wurde auch dadurch unterstrichen, dass beide versuchten, trotz zahlreicher Konflikte den Kontakt aufrechtzuerhalten und politische Differenzen zu überbrücken, was aber schließlich aufgrund der unterschiedlichen politischen Zielsetzungen nicht mehr gelingen konnte. Das Interesse an einer positiven Berichterstattung über Politik und Person des Kanzlers in der Springer-Presse war auf Seiten von Brandt und seiner Regierung nach 1969 besonders stark ausgeprägt. Aber auch Springer war daran gelegen, seinen politischen Konzepten bei den Regierenden Gehör zu verschaffen. Als für alle Beteiligten deutlich wurde, dass es keine gemeinsamen Positionen, Interessen und Ziele mehr gab, verkehrte sich die einst enge Verbindung in ihr Gegenteil. 3. Die zeitliche Abfolge im Verhältnis Brandt/Springer verlief insgesamt gegenläufig zur Entwicklung der bundesdeutschen Presselandschaft. Springer, der in den fünfziger Jahren mit seinen »modernen« Zeitungen und Zeitschriften Maßstäbe gesetzt hatte, die mediengerechte Inszenierung von Politik begünstigte und mit seiner Unterstützung Willy Brandts politische Positionen gegen den mainstream vertrat, blieb im Großen und Ganzen diesen Positionen auch in den sechziger Jahren verhaftet, was ihn zunehmend in Gegensatz zu den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen dieser Dekade stellte. Andersherum verlief die Entwicklung bei den noch zu untersuchenden Presseorganen und ihren Protagonisten. Sie schwenkten erst in den sechziger Jahre auf Person und Politik Brandts ein, nahmen die neuen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf, prägten deren Bild in der Öffentlichkeit mit und versuchten, sich aktiv in den politischen Prozess einzubringen.
3.2 Der Spiegel, Stern und Die Zeit Neben der Springer-Presse und den großen Tageszeitungen, wie der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Rundschau oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, spielten in den sechziger Jahren die einmal wöchentlich erscheinenden Presseorgane Der Spiegel, Die Zeit oder Stern, eine herausragende Rolle in der publizis-
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tischen Öffentlichkeit und bei der politischen Meinungsbildung. Dies unterstreichen nicht zuletzt die ständig steigenden Auflagenzahlen. Die genannten Blätter unterschieden sich nicht nur in ihrer äußeren Form oder der Art ihrer Berichterstattung, sondern auch in ihrer politischen Ausrichtung von der Springer-Presse. Außerdem versuchten sie, ein ökonomisches Gegengewicht gegen den ständig expandierenden Springer-Verlag zu bilden. Durch die Gründung des Verlages »Gruner + Jahr« im Jahr 1965 wurde dieses Bestreben ein Stück weit realisiert.142 Neben den ökonomischen Verflechtungen von Spiegel, Stern und Zeit, die sich in den fünfziger und sechziger Jahren immer wieder veränderten, wechselte auch ein Teil der Redakteure zwischen den Blättern hin und her. Für die politische Ausrichtung und das äußere Gesicht der Wochenzeitungen standen jedoch einzelne Personen, die mit »ihren« Blättern in der Öffentlichkeit identifiziert wurden und maßgeblich deren Richtlinien bestimmten: Rudolf Augstein für den Spiegel, Henri Nannen für den Stern und Gerd Bucerius für Die Zeit. Sie alle begannen nach Kriegsende – ausgestattet mit Lizenzen der Alliierten – ihre Karrieren als Zeitungsmacher. Nach ersten Anfängen für Spiegel und Stern in Hannover zogen auch diese Blätter nach Hamburg, so konzentrierte sich dort ein wichtiger Teil der Medienmacht der Bundesrepublik und die Hansestadt avancierte zur Medienmetropole. Waren Zeit und Spiegel von Beginn an als dezidiert »politisch« konzipiert, rückte beim Stern das politische Element erst seit Ende der fünfziger Jahre zunehmend in den Vordergrund. Augstein und Bucerius überschritten sogar die politische und journalistische Sphäre, indem sich beide zeitweise als Politiker betätigten, der eine kurzzeitig als Bundestagsabgeordneter der FDP, der andere als Mandatsträger der CDU. Im Gegensatz zu Springer schwenkten die hier zu betrachtenden Zeitungen erst im Laufe der sechziger Jahre auf die Unterstützung Willy Brandts um und befürworteten dessen neue ostpolitische Vorstellungen und Aktivitäten sowie seine innenpolitischen Reformkonzepte. Ohne diese linksliberale Presse und ihre positive Berichterstattung wäre die Erreichung und Erhaltung der politischen Macht für Brandt und die sozialliberale Koalition wesentlich schwieriger gewesen.143 So wird auch hier zu erörtern sein, wie sich das Verhältnis der jeweiligen Blätter und ihrer Repräsentanten zu Brandt und der SPD sowie umgekehrt gestaltete. Neben den persönlichen Beziehungen und den spezifischen Formen des Umgangs, die für Brandts Medienpolitik signifikant waren, wird ebenfalls
—————— 142 Vgl. Schneider, Gruner + Jahr Story. 143 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6.4 dieser Arbeit; Zons, Denkmal, S. 19 ff. und S. 75 ff.
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nach der gegenseitigen politischen Beeinflussung, der realen oder vermeintlichen »Macht der Medien« sowie ihrer Rolle als »vierter Gewalt« zu fragen sein.
Der Spiegel Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, nach dem Vorbild der amerikanischen Time und der britischen News Review konzipiert, erschien erstmals am 4. Januar 1947. Rudolf Augstein, Roman Stempka und Gerhard Barsch hatten die Lizenz von den britischen Besatzungsbehörden für das Wochenmagazin erhalten. Rudolf Augstein, der damals gerade 23 Jahre alt war, setzte sich jedoch gegenüber seinen Mitlizenzträgern durch und firmierte als Herausgeber, was zur Folge hatte, dass die inhaltliche Ausgestaltung des Blattes maßgeblich von ihm bestimmt wurde. Von Beginn an fiel Der Spiegel durch eine kritische Berichterstattung auf. Trotz der drohenden Zensur wurden Missstände bei den Besatzungsmächten und Teile ihrer Politik angeprangert. Ein weiteres unverwechselbares Kennzeichen des Spiegel blieb bis in die neunziger Jahre, dass nur wenige Artikel namentlich gekennzeichnet wurden. Nur die von Rudolf Augstein verfassten Artikel und Kommentare waren stets kenntlich gemacht, die von anderen Journalisten nur in Ausnahmefällen. Demzufolge ist es legitim, von der Meinung oder politischen Linie des Spiegel zu sprechen. Vieles deutet darauf hin, dass es maßgeblich von Rudolf Augstein bestimmte Richtlinien gegeben haben muss, die die grobe Richtung des Blattes festlegten, aber nicht öffentlich bekannt waren.
Investigativer Journalismus als Markenzeichen Nach Gründung der Bundesrepublik stand die Politik Adenauers im Fadenkreuz der Kritik des Spiegel. Die Westintegration, die vermeintliche Aufgabe der Wiedervereinigung und die Pläne zur Wiederbewaffnung der Bundesrepublik attackierte im Besonderen Rudolf Augstein unter dem Pseudonym »Jens Daniel«144 – was ihm zeitweise die offene Feindschaft des ersten Bundeskanzlers einbrachte. Dieser betonte zwar ständig, dass er den Spiegel nicht lesen würde, echauffierte sich allerdings über die Berichterstattung des Blattes und bezeichnete es während seiner »Teegespräche«, zu denen selbstverständlich Augstein nicht geladen war, auch schon mal als »Dreck-Spiegel«, der von einer »Bande« von Redakteuren gemacht würde.
—————— 144 Vgl. u.a. Greiwe, Augstein, S. 39 f.
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Bereits seit Beginn der fünfziger Jahre praktizierte der Spiegel einen investigativen Journalismus. Er deckte mehrere politische Skandale in der jungen Republik auf.145 Im Jahr 1950 wurde über die Bestechung einiger Bundestagsabgeordneter bei der Abstimmung über die Hauptstadtfrage berichtet. In Folge dieses Artikels wurde ein parlamentarischer »Spiegel-Untersuchungs-Ausschuss« eingesetzt, vor dem Rudolf Augstein aussagen musste. Am 10. Juli 1952 wurde Der Spiegel durch die Behörden wegen »Verleumdung« eingezogen. Seit 1957 beschäftigte sich das Magazin immer häufiger mit Franz Josef Strauß. Schon vor der Spiegel-Affäre im Oktober 1962 hatte sich das Blatt, das danach immer wieder als »Sturmgeschütz der Demokratie« tituliert wurde, bereits als eine Art »Gewissen der Demokratie« profiliert. Damit entsprach es der Funktion der Presse als »vierter Gewalt« im besonderen Maße. Eine derartige Berichterstattung fand offensichtlich auch bei immer mehr Bundesbürgern Zustimmung, wie die Auflagenentwicklung zeigt. Um das Leserinteresse besser zu treffen, bedienten sich die Verantwortlichen beim Spiegel schon seit 1949 der Demoskopie.146 So war man über die politischen Präferenzen der Bevölkerung und damit der potenziellen Leser gut informiert. Schon in den fünfziger Jahren stiegen Auflage und Anzeigenaufkommen ständig: Im Jahr 1947 startete man mit 15.000 Exemplaren, nach der Währungsreform 1948 waren es 65.123, 1952 121.20, 1955 189.930, 1957 267.010 und 1959 329.703 verkaufte Hefte.147 Die politische Linie des Nachrichtenmagazins blieb in den fünfziger Jahren eher vage, obwohl der investigative Journalismus in dieser Form Maßstäbe für den politischen Journalismus in der Bundesrepublik setzte und Augstein selbst zum »Medienereignis«148 machte. Augstein betonte bereits damals, dass der Spiegel im Zweifel auf der linken Seite stehe und in der Retrospektive hob er hervor, dass der politisch kritische Anspruch von Anfang an das movens für die Gestaltung des Spiegel war: »Für unsere kleine Truppe [im Jahr 1947, D.M.] aber galt der Satz: ›Wir wollen das schreiben, was wir, hätten wir dieses Blatt nicht, anderswo lesen wollten.‹ Bei uns allen stand die politische Überzeugung im Vordergrund. Sie fächerte sich im Lauf der Jahre naturnotwendig auf. Eisern aber blieb der Grundsatz, vor keiner Autorität, nicht einmal vor einer befreundeten, zu kuschen. Diese Gesinnung hat den SPIEGEL groß gemacht.«149
—————— 145 146 147 148 149
Vgl. dazu Bösch, Öffentliche Geheimnisse, S. 133 ff. Vgl. Greiwe, Augstein, S. 34. Vgl. Schriftliche Auskunft des Spiegel-Verlags, Abteilung Vertrieb, vom 11. November 2003. Vgl. Greiwe, Augstein, S. 49. Rudolf Augstein, 1947 – So fingen wir an, so wurden wir angefangen.
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Man war gegen Adenauers Politik, aber nicht mehr für die SPD Kurt Schumachers, nachdem diese die Rückgabe der Gebiete jenseits der Oder-Neiße gefordert hatte.150 Augstein selbst trat 1955 in die FDP ein und pflegte enge Kontakte zu deren Spitzenpolitikern, ohne jedoch die Politik der FDP in seinem Blatt besonders zu propagieren. Problematisch ist und war in diesem Zusammenhang auch die Beschäftigung von ehemaligen Nationalsozialisten in der Redaktion des Spiegels, was im diametralen Gegensatz zum aufklärerischen Impetus des Blattes stand151 – eine offensive Aufarbeitung dieses Sachverhaltes ist bis heute seitens des Magazins nicht erfolgt. Neben dem Anspruch, ohne Ansehen der Person oder des Amtes »aufklärerisch« zu wirken, war Augstein genauso wie Springer und andere fest davon überzeugt, mit seinem Blatt politische Meinung bilden zu können. Aus diesem Grund verstand er nicht, dass Adenauer trotz der massiven Attacken seitens des Spiegel immer wieder mit so guten Ergebnissen gewählt wurde.152 Bei Franz Josef Strauß schien er zunächst erfolgreicher, als dieser im Zuge der SpiegelAffäre zurücktreten musste.
Die Spiegel-Affäre In den sechziger Jahren wurde die politische Linie des Magazins deutlicher. Es avancierte zu dem politischen Nachrichtenmagazin in der Bundesrepublik und spielte eine zentrale Rolle in der öffentlichen Meinungsbildung. Dreh- und Angelpunkt war die so genannte Spiegel-Affäre im Oktober 1962.153 Entscheidend ist dabei vor allem die durch eine völlig inadäquate Aktion der Regierung ausgelöste öffentliche Reaktion, die mit dazu beitrug, dass sich das politische, gesellschaftliche und publizistische Klima der Bundesrepublik veränderte. Hier wird gemeinhin der Beginn der Herausbildung einer »kritischeren« und »liberaleren« Öffentlichkeit verortet. Die symbolische und reale Bedeutung der Spiegel-Affäre für diesen Prozess ist nicht zu unterschätzen. Allerdings wird zu erörtern sein, ob die Anfänge dieser Entwicklungen nicht doch schon in den fünfziger Jahren auszumachen sind. Auslöser der Affäre war ein Spiegel-Artikel vom 8. Oktober 1962 unter dem Titel »Bedingt abwehrbereit« aus Anlass einer Nato-Übung (Fallex 62).154 Er
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Vgl. Greiwe, Augstein, S. 136. Vgl. Hachmeister, Der frühe »Spiegel«, S. 87 ff; Buschke, Deutsche Presse, S. 113 f. Vgl. Greiwe, Augstein, S. 45. Zur Spiegel-Affäre vgl. u.a. Seifert, Die Spiegel-Affäre; Schäfer, »Spiegel-Affäre«, S. 5 ff; Hans Joachim Schöps, Die Spiegel-Affäre; Der Spiegel vom 21. Oktober 2002, S. 60-93. 154 Vgl. Der Spiegel vom 8. Oktober 1962.
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stellte das militärische Konzept des Bonner Verteidigungsministers bloß und kam zu dem Schluss, dass die Bundeswehr nur »bedingt abwehrbereit« sei. Der Artikel war im Vorfeld sorgfältig geprüft worden – sogar vom Bundesnachrichtendienst (BND) – und enthielt nichts wesentlich Neues. Bundesverteidigungsministerium und Bundeswehr reagierten deshalb zunächst auch nicht darauf. Sie wurden erst einige Tage später aktiv, nachdem eine Anzeige des Oberst der Reserve und Juraprofessors, Friedrich August von der Heydte, wegen »Landesverrat« bei der Bundesanwaltschaft eingegangen war und Minister Strauß sich persönlich für den Vorgang interessierte. In der Nacht des 26. Oktober schlug dann die Staatsmacht zu: Die Räume der Spiegel-Redaktion wurden von Polizisten besetzt und die Chefredakteure Johannes Engel und Claus Jacobi verhaftet. Rudolf Augstein stellte sich am nächsten Tag den Behörden – man hatte ihn in der Nacht nicht ausfindig machen können. Der Redakteur Conrad Ahlers, Verfasser des besagten Artikels, wurde durch die Intervention von Franz Josef Strauß beim Militärattaché in Madrid, Achim Oster, einige Tage später widerrechtlich an seinem Urlaubsort in Spanien festgenommen und nach Deutschland geflogen. Die angestrengten Verfahren gegen die Beschuldigten wurden alle eingestellt: Rudolf Augstein wurde als letzter am 7. Februar 1963 aus der Haft entlassen. Am 7. November 1962, bei einer Fragestunde zur Affäre im Bundestag, wetterte Konrad Adenauer gegen Augstein und den Spiegel. Er »sah einen Abgrund von Landesverrat im Lande«, mit dem auch noch Geschäft gemacht werden sollte: »Auf der einen Seite verdient er [Rudolf Augstein, D.M.] am Landesverrat; und das finde ich gemein. Und zweitens, meine Damen und Herren, verdient er [Rudolf Augstein, D.M.] an allgemeiner Hetze gegen die Koalitionsparteien; und das gefällt Ihnen, wie Sie nicht bestreiten können.«155
In Folge der Affäre trat eine Regierungskrise ein, an deren Ende Franz Josef Strauß nicht mehr zur Regierung gehörte und Konrad Adenauer der FDP zusagen musste, einen konkreten Rücktrittstermin festzulegen.156 Die Spiegel-Affäre hatte einen unerwartet umfassenden Protestaufschrei zur Folge. Es formierte sich eine breite Öffentlichkeit gegen das Vorgehen der
—————— 155 Zitiert nach: Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann, S. 787 f. 156 Am 16. November 1962 hatte der FDP-Vorsitzende Erich Mende erklärt, dass die Fortsetzung der Koalition mit einem Minister Strauß nicht in Frage komme. Die FDP schoss sich daraufhin einem Antrag der SPD zur Entlassung von Strauß als Verteidigungsminister (19. November) an und ihre fünf Minister verließen das Kabinett. Am 27. November traten dann auch alle CDU/CSU-Minister zurück, damit Strauß nicht als einziger diesen Schritt gehen musste. Nach gescheiterten Gesprächen zwischen CDU und SPD kam es am 14. Dezember zu einer Wiederauflage der CDU/CSU-FDP-Koalition.
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Staatsorgane. Demonstrationen und Protestaktionen sowie praktische Hilfsangebote von anderen Zeitungen, die es ermöglichten, dass der Spiegel weiter erscheinen konnte und nicht auch noch in finanzielle Bedrängnis geriet.157 Die Träger der Proteste waren neben Journalisten, Professoren, Künstler, Schriftsteller, Studenten oder einfach empörte Bürger, die die Pressefreiheit und damit einen wichtigen Pfeiler der Demokratie gefährdet sahen.158 Die Affäre beherrschte wochenlang die deutsche Medienlandschaft und selbst CDU-freundliche Zeitungen, wie die Kölnische Rundschau, äußerten sich kritisch über das Vorgehen der Regierung. Auch im Ausland wurde darüber mit einiger Empörung berichtet. Es ging ein Ruck durch die Republik. Die Zeiten der patriarchalischen Bevormundung gingen ihrem Ende entgegen. Der Spiegel wurde zum Symbol für Presse- und Meinungsfreiheit, für einen investigativen Journalismus und für die Rolle der Presse als »vierte Gewalt« in der Demokratie. Der erste Titel nach der Besetzung der Redaktionsräume trug ein Foto mit Rudolf Augstein auf dem Cover. Dieses Heft wurde in einer Auflage von 700.000 Exemplaren gedruckt, was über 200.000 mehr als üblich war, und war schnell vergriffen.159 In der Folgezeit stieg die Auflagenhöhe des Spiegels bis zum vorläufigen Höhepunkt im Jahre 1970 ständig an: Im Jahre 1962 wurden 444.643 Exemplare verkauft, 1964: 537.140, 1966: 727.524, 1967: 825.977, 1969: 895.343 und 1970: 911.405.160
Der Spiegel und Willy Brandt Das Verhältnis von Augstein und des Spiegel zu Willy Brandt sowie seiner Politik war zum Zeitpunkt der Spiegel-Affäre noch sehr ambivalent. Wie bereits angedeutet, ist erst im Laufe der sechziger Jahre eine klare politische Linie des Spiegel auszumachen, die in der massiven publizistischen Unterstützung für Willy Brandt und eine sozialliberale Koalition in der Endphase der sechziger Jahre gipfelte. In den fünfziger Jahren spielte Brandt in der Berichterstattung des Nachrichtenmagazins eine eher marginale Rolle. Erstmals erwähnt wurde er Ende 1951,161 allerdings nur in einem kurzen Absatz in seiner Funktion als Berliner Abgeordneter im Bundestag. Den ersten Titel und damit auch den ersten eigenständigen Artikel widmete der Spiegel Brandt dann am 9. Oktober
—————— 157 158 159 160 161
Vgl. dazu u.a. Schöps, Spiegel-Affäre. Vgl. dazu ausführlich Seifert, Spiegel-Affäre, Bd. 2. Vgl. u.a. Schöps, Spiegel-Affäre. Vgl. Schriftliche Auskunft des Spiegel-Verlags, Abteilung Vertrieb, vom 11. November 2003. Vgl. Der Spiegel vom 14. November 1951.
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1957 kurz nach seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister von Berlin. Bis nach dem zweiten Wahlsieg im November 1972 folgten 22 weitere Titelgeschichten, wovon allein 17 ab September 1969 datieren.162 Dies lässt sich natürlich dadurch erklären, dass ein Bundeskanzler durch seine herausragende politische Position eher auf die Titelblätter von Magazinen gelangt als ein Regierender Bürgermeister von Berlin. Des weiteren ist die Häufung in den Jahren 1969/1970 besonders auffällig, was die These von der massiven Unterstützung Brandts und seiner Politik im Vorfeld und während der ersten Legislaturperiode der sozialliberalen Koalition durch den Spiegel untermauert. Die erste Titelgeschichte im Oktober 1957 stand unter der Überschrift »Sieg über die Keulen-Riege«. In diesem Artikel wurde ausführlich der bisherige Lebensweg Brandts gewürdigt, ohne die sonst zu diesem Zeitpunkt nicht gerade seltenen Ressentiments gegen seine Emigration während der NSZeit.163 Darüber hinaus wurde mehrfach positiv hervorgehoben, dass Brandt sich gegen die klassischen »Funktionäre« in der SPD durchgesetzt habe und eben nicht dem typischen SPD-Amtsträger entspräche – was seine Person, aber auch Teile seiner politischen Ansichten betreffe. »Der weltgewandte 43jährige Willy Brandt, der sich selbst einen Intellektuellen nennt und um sich etwas kühle Atmosphäre verbreitet, die als Eigenheit hanseatischer Bürgerkreise gilt [...] hatte die Delegierten [...] aus allen Bezirken für sich gewonnen,«164
hieß es in dem Artikel. In den folgenden Jahren erschienen immer wieder Geschichten über Brandt im Spiegel, die jedoch keine klare Linie ihm gegenüber erkennen ließen. Es ist zu konstatieren, dass die Berichterstattung des Nachrichtenmagazins bis in die sechziger Jahre hinein weit von der später bedingungslosen Unterstützung Brandts am Ende der Dekade entfernt war. Am 22. Januar 1958 erschien unter der Überschrift »Kräftige Bewirtung« ein Artikel über den Besuch des Regierenden Bürgermeisters beim sowjetischen Stadtkommandanten, General Tschamow, in Berlin-Karlshorst, der Brandt und seinen Berliner Pressechef, Hans M. Hirschfeld, zu einer ausführlichen Richtigstellung gegenüber dem damaligen Redakteur, Hans Dieter Jaene,165 veranlasste. Der Artikel zielte darauf ab, einerseits Brandts Form der
—————— 162 Vgl. Der Spiegel vom 9. Oktober 1957, 11. August 1965, 29. September 1965, 16. Mai 1966, 21. November 1966, 30. Dezember 1968, 15. September 1969, 22. September 1969, 6. Oktober 1969, 27. Oktober 1969, 29. Dezember 1969, 9. Februar 1970, 23. Februar 1970, 23. März 1970, 25. Mai 1970, 17. August 1970, 14. Dezember 1970, 31. Mai 1971, 4. Oktober 1971, 20. März 1972, 2. Oktober 1972, 20. November 1972, 27. November 1972. 163 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.4 dieser Arbeit und Münkel, »Alias Frahm«. 164 Der Spiegel vom 9. Oktober 1957. 165 Hans Dieter Jaene (1924-2004), von 1947 bis 1958 in verschiedenen Positionen beim Spiegel und 1958/59 politischer Redakteur beim Stern. Von 1959 bis 1966 war er wiederum beim Spie-
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Inszenierung seiner Person und Politik ins Zwielicht zu stellen, um ihn somit in den Ruch der Unsolidität zu rücken – eine Strategie, die Der Spiegel mehr oder weniger ausgeprägt bis zum Ende des Bundestagswahlkampfes 1965 verfolgte.166 Andererseits wurde eine seiner »menschlichen Schwächen«, in diesem Fall seine Zuneigung gegenüber alkoholischen Getränken, öffentlich ausgesprochen – damals ein Tabubruch in den Medien. »Daß der Westberliner Bürgermeister Willy Brandt weiß, wie man Propaganda macht, ist auch den weniger kritischen Beobachtern längst klargeworden. Daß er es aber sogar versteht, ein eher menschliches Malheur, in das er kurioserweise durch eine Effekt berechnende Aktion hineingeraten war, zu einem Erfolg umzudichten – mit dieser Sonderleistung verblüffte Brandt in der vergangenen Woche selbst abgefeimte Propaganda-Techniker.«167
Und weiter hieß es: »Der reichliche Konsum geistiger Getränke drohte das Propagandaunternehmen Brandts ins Gegenteil zu verkehren.« Die Reaktionen aus Berlin ließen nicht lange auf sich warten. Willy Brandt telefonierte umgehend persönlich mit Hans Dieter Jaene von der Spiegel-Chefredaktion, hob allerdings auf den politischen Schaden, der im Hinblick auf ein gutes Verhältnis zu den Sowjets entstehen könne, ab. Er habe Jaene gesagt, so schrieb Brandt: »ich könne beim besten Willen nicht den Sinn von Bestrebungen erkennen, die objektiv darauf hinauslaufen, die sehr komplizierten Bemühungen nach der sowjetischen Besatzungsmacht hin zu ›zerschießen‹.«168 In demselben Vermerk wies er seinen Pressechef an, einen ausführlichen Brief an Jaene zu verfassen und gab ihm sechs Punkte zur Richtigstellung an, die dann vor allem die Vorwürfe gegen seine Person betrafen. Hirschfeld solle jedoch »den Brief vor allem von Unfreundlichkeiten frei halten«. Mit Datum vom 23. Januar 1958 ging dann ein entsprechendes Schreiben heraus, an dessen Ende es hieß: »Es ist selbstverständlich das gute Recht einer Zeitung oder einer Zeitschrift, an dem Besuch selbst Kritik zu üben. [...] Eine Kritik aber, die sich auf unrichtige Angaben stützt und eine den Tatsachen nicht entsprechende Darstellung der Vorgänge gibt, vermindert dadurch ihren Wert.«169
Bemerkenswert an diesem Vorgang ist nicht die Tatsache, dass Brandt und sein Pressechef sich beim Spiegel über den Artikel beschwerten, das taten andere Politiker auch, sondern die Art, wie sie dabei darauf bedacht waren, niemanden vor den Kopf zu stoßen. Ihnen erschien das Magazin und seine öf-
—————— 166 167 168 169
gel als stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Bonner Büros tätig. Er wechselte dann zum Fernsehen und war u.a. stellvertretender Leiter der ZDF-Sendereihe Kennzeichen D. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6.3 dieser Arbeit. Der Spiegel vom 22. Januar 1958. LA-Berlin, B Rep. 002, 3821, Bd. 1, Aktenvermerk Willy Brandts vom 22. Januar 1958. LA-Berlin, B Rep. 002, 3821, Bd. 1, Schreiben vom 23. Januar 1958.
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fentliche Wirkung zu herausragend, um auf dessen Publizität verzichten zu können. Brandt wollte eine positive Berichterstattung zum Wohl der eigenen Karriere erreichen. In den Jahren seit 1957 widmete sich der Spiegel im Besonderen der Bekämpfung von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß und den Unregelmäßigkeiten in seiner Amtsführung.170 Im Mittelpunkt stand dabei für Augstein vor allem die Verhinderung des weiteren politischen Aufstiegs von Strauß als möglichen Nachfolger Adenauers im Amt des Bundeskanzlers – was lange Zeit nicht ausgeschlossen schien.171 Die Artikel des Spiegel im Vorfeld und während des Bundestagswahlkampfes 1961 waren dementsprechend ausgerichtet.172 Augstein unterstützte 1961 durch seine Berichterstattung vor allem die FDP-Spitzenpolitiker. Allerdings plädierte er schon damals für eine SPD/FDP-Koalition. »Wenn ich die Wahl habe, Herrn Brandt zum Bundeskanzler zu machen oder Herrn Strauß, und so steht die Frage in der Tat, dann wähle ich persönlich Herrn Brandt«,173 so Augstein im Juni des Jahres 1961. Diese Einstellung hatte eine weitgehend positive Berichterstattung auch für den Kanzlerkandidaten der SPD zur Folge. Nach seiner Nominierung bekam Brandt die Möglichkeit, in zwei großen Spiegel-Gesprächen seine politischen Vorstellungen zu erörtern und der Leserschaft nahe zu bringen.174 Außerdem wandte sich das Nachrichtenmagazin in einigen Artikeln explizit gegen die Verleumdungskampagnen wegen Brandts Emigrationszeit.175 Dennoch war für Augstein und seine führenden Mitarbeiter Brandt nur das kleinere Übel, von großer Begeisterung oder Nachhaltigkeit in der Berichterstattung kann nicht gesprochen werden.176 Sie waren noch nicht davon überzeugt, dass der Kanzlerkandidat der SPD und seine Partei in der Lage seien, eine wirklich neue Politik zu betreiben. Brandts ostpolitische Konzepte waren zwar bereits seit den späten fünfziger Jahren in ihren Grundzügen entwickelt, aber noch nicht einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Die Strategie der so genannten »Gemeinsamkeitspolitik«, die die Sozialdemokraten seit Anfang der sechziger Jahre verfolgten, ließ ebenfalls nicht auf eine grundsätzliche Wende in der bundesdeutschen Politik hoffen. Augstein führte in einem Kommentar unter seinem zweiten Pseudonym »Moritz Pfeil« Ende August 1961 unter der Überschrift
—————— 170 171 172 173
Vgl. dazu ausführlich Schöps, Spiegel-Affäre. Vgl. Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann, S. 365 ff. Zum Bundestagswahlkampf 1961 ausführlich vgl. Kapitel 6. 2 dieser Arbeit. Schreiben vom 16. Juni 1961 an Karl-Hermann Flach, zitiert nach Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann, S. 680. 174 Vgl. Der Spiegel vom 23. November 1960 (Wie wollen Sie gewinnen, Herr Brandt?) und 15. März 1961 (Religion: Sehr gut). 175 Vgl. u.a. Der Spiegel vom 19. Juli 1961. 176 Vgl. u.a. Der Spiegel vom 6. September 1961.
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»Trotz allem: Brandt?«177 seine Bedenken gegenüber dem neuen Kurs der SPD und ihrem Kandidaten aus, wies auf die Brüchigkeit der bundesdeutschen Demokratie hin178 und tendierte dann am Ende doch eher zur Wahl Brandts als der »demokratischeren Variante«: »Daß Willy Brandt schlechtere Außenpolitik [als Adenauer, D.M.] machen könnte, ist undenkbar. Der Demokratie würde er förderlich sein, weil er diskutiert, weil er Institutionen achtet und weil er niemals niederträchtig ist. Er würde seine Gegner respektieren und mit seinen Freunden nicht umspringen. Mit ihm als Kanzler würden die Wahlen zu einer echten Auseinandersetzung, da er von Klerus und Industrie keine Hilfe zu erwarten hätte. [...] Was Adenauers Deutschlandpolitik verdorben hat, würde auch und erst recht Brandt nicht reparieren können. Aber die Demokratie hätte unter einer SPD-Regierung, unter seiner Regierung, eine Chance. Noch einmal eine Chance. Vielleicht die letzte Chance.«179
Diese Zeilen lassen sich als Wahlaufruf für den SPD-Kanzlerkandidaten deuten, dennoch kann insgesamt nicht von einer Kampagne des Spiegel für Brandt gesprochen werden, die Einstellung war eher ambivalent, denn sehr skeptisch stand man der »neuen« SPD gegenüber. Darüber hinaus überschätzte Augstein die reale Macht der Meinungsbeeinflussung durch sein Blatt erheblich. Was die Form der Zusammenarbeit zwischen dem Politiker Brandt und dem Nachrichtenmagazin betrifft, so ist bis zu diesem Zeitpunkt – mit einer Ausnahme – kein besonders intensives, die üblichen Grenzen von Politik und Journalismus überschreitendes Miteinander festzustellen. Zu einer engeren Zusammenarbeit zum beiderseitigen Vorteil kam es seit März 1961 für eine begrenzte Zeit. Sowohl Brandt als auch Der Spiegel hatten Probleme mit dem Verleger der Passauer Neuen Presse, Hans Kapfinger. Brandt wegen der gezielten Diffamierungskampagne, die Kapfinger in seinem Blatt mit erheblichem Erfolg gegen ihn gestartet hatte,180 der Spiegel, weil er einen Artikel veröffentlicht hatte, in dem unter anderem über Ungereimtheiten in Kapfingers Lebenslauf bezüglich seiner NS-Vergangenheit und seinem Verhalten in der unmittelbaren Nachkriegszeit berichtet wurde.181 Aufgrund dieses Artikels verklagte Kapfin-
—————— 177 Der Spiegel vom 30. August 1961. 178 Augstein schrieb dazu: »Wäre die Bundesrepublik eine eingespielte Demokratie, so böten die Programme der beiden Hauptpersonen [Adenauer und Brandt, D.M.] kaum eine Handhabe, dem Unschlüssigen eines von ihnen zu empfehlen. [...] Nun ist aber die Bundesrepublik keine eingespielte Demokratie. An ihrer Spitze steht seit ihrer Gründung ein Mann, der die Opposition wie einen Haufen Schädlinge behandelt und angesprochen hat«; ebd. 179 Ebd. 180 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.4 dieser Arbeit. 181 Vgl. Der Spiegel vom 8. März 1961, »Der unterschwellige Tod«. Dort wurde über Kapfingers Arbeit als Schriftleiter während der NS-Zeit sowie über dessen vermeintliche KPD-Mitgliedschaft und seine journalistische Tätigkeit für die Ostberliner Berliner Zeitung in der unmittelbaren Nachkriegszeit berichtet.
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ger das Nachrichtenmagazin. So entstand hier zwischen dem Spiegel und Brandt eine Interessenübereinstimmung, die zu einer engen, teilweise an die Grenze der Legalität stoßenden Zusammenarbeit führte. Sie bezog sich vor allem auf den gegenseitigen, regelmäßigen Austausch von Informationen. Dabei stand der Justitiar von Brandt, Otto Uhlitz, mit dem damaligen BerlinKorrespondenten des Spiegel, Peter Merseburger, im engen Kontakt. Die beiden besprachen sich nicht nur wegen der Prozesse – auch bei Brandt war eine Klage gegen Kapfinger anhängig – sondern tauschten auch Unterlagen mit neuen belastenden Informationen über den Passauer Verleger aus.182 Die Staatsanwaltschaft interessierte sich dann auch für die Verbindungen Brandt/Spiegel. Im Mai 1961 gab Brandt eine eidesstattliche Erklärung ab, dass er dem Nachrichtenmagazin nicht die publizierten Informationen über Kapfinger gegeben hätte und er sich zu »keinem Zeitpunkt mit Vertretern oder Mitarbeitern des ›Spiegels‹ über die Vergangenheit von Dr. Kapfinger« unterhalten habe.183 Für Brandt persönlich traf diese Aussage zu, allerdings nicht für seinen Justitiar Uhlitz, der mit Nachdruck darauf verwies, ohne Wissen und die Billigung seines Chefs mit Merseburger gesprochen zu haben184 – was eher unwahrscheinlich ist, da Brandt und Uhlitz im ständigen Austausch über diese Fragen standen. In diesem speziellen Fall war die enge Zusammenarbeit für beide Seiten von Nutzen, der Spiegel bekam dringend benötigte Informationen, und Brandt konnte auf eine Berichterstattung zu seinen Gunsten hoffen, was dann auch geschah. Im allgemeinen nahmen Redakteure des Spiegel an den regelmäßig stattfinden Pressekonferenzen und Hintergrundgesprächen des Regierenden Bürgermeisters und SPD-Kanzlerkandidaten teil, begleiteten ihn auf seinen diversen Reisen und bekamen Interviewtermine. Das persönliche Verhältnis zwischen Augstein und Brandt war nie besonders eng und ging selten – anders als bei Springer – über den auch bei anderen Politikern üblichen Umgang mit Journalisten und Verlegern hinaus. Augstein schrieb nach Brandts Tod, dass die Beziehungen zu ihm eigentlich immer »schwankend« gewesen seien.185 Die Nähe zum Spiegel insbesondere während der ersten Regierungsjahre wurde zwar massiv von Augstein befördert, im persönlichen Umgang manifestierte
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Vgl. u.a. WBA, Prozesse, 59 B. WBA, Prozesse, 75A, Schreiben vom 30. Mai 1961. Vgl. WBA, Prozesse, 92 B. Vgl. Augstein, Der Unbequeme, S. 10. In einem Brief an die Verfasserin vom Dezember 2000 schrieb Augstein sogar, dass er keinen besonders engen Kontakt oder Austausch mit Brandt gehabt habe, dies sei nur mit Rut Brandt so gewesen – diese Einschätzung wird allerdings durch die schriftlichen Überlieferungen widerlegt und ist dann wohl doch eher einer gefilterten Vergangenheitsbetrachtung geschuldet; vgl. Schreiben vom 19. Dezember 2000.
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sie sich aber eher über einzelne Redakteure, wie Günter Gaus186 oder Hermann Schreiber187 und anderen. Ab und zu trafen Augstein und Brandt eher zufällig zusammen, ein intensiver Austausch zwischen ihnen – wie er mit Springer zu dieser Zeit üblich war – bestand nicht. Der Kontakt sollte sich allerdings in den folgenden Jahren intensivieren. Im Jahr 1964 kam es zu einem engeren, jedoch durchaus kontroversen Meinungsaustausch über politische Sachfragen zwischen den beiden. Am 3. September 1964 schrieb Rudolf Augstein dem Regierenden Bürgermeister von Berlin einen persönlichen Brief, in dem er trotz der Differenzen nicht verhehlte, dass er durchaus Sympathien für einen möglichen Regierungschef Brandt hegte. »Ich bin sicher, daß Sie niemals verkennen, wie sehr wir mit Ihnen am gleichen Strang ziehen, wenn wir Meinungen äußern, die ihnen möglicherweise falsch, wenn nicht schädlich erscheinen müssen. Da dies ein Privatbrief ist, darf ich Ihnen sagen, daß ich Ihnen letztlich nichts weiter übelnehmen würde, als einen eventuellen Mißerfolg, und daß ich demgemäß darauf hoffe, von Ihnen gründlich desavouiert zu werden.«188
Augstein kritisierte den neuen Weg der »Gemeinsamkeitspolitik« der SPD, der die Differenzen zwischen den Parteien verdeckte und eine Angleichung der Positionen bedeutete, so dass dadurch keine »wahre« Opposition in Deutschland mehr stattfände. Er war der Auffassung, dass bis zum Eintritt der SPD in die Große Koalition die »einzig wahre Opposition« in der Bundesrepublik der Spiegel gewesen sei.189 Es war ihm jedoch an einem Gedankenaustausch mit Willy Brandt gelegen. Er schickte ihm Reden und Texte von sich und beide waren an persönlichen Gesprächen interessiert, wie unter anderem aus einem Briefwechsel vom September 1964 hervorgeht. »Aber es geht ja in der Politik nicht nur darum, was richtig ist, sondern vor allem auch darum, was als richtig erkannt wird. [...] Ob meine Freunde und ich das Ziel falsch oder richtig ansteuern, darüber kann es Meinungsverschiedenheiten geben. Allerdings meine ich, dass die SPD mit der kritisierten Haltung heute eine ungleich bessere Ausgangsbasis hat als zu einer Zeit, in der sie ›interessanter‹ war. Wir werden übrigens lebhafter werden, und der Wahlkampf wird wirklich Kampf werden. Ich weiss nicht, ob Sie das beruhigen kann.«190
So schrieb Brandt an Augstein; dieser antwortete einige Tage später:
—————— 186 Günter Gaus (1929-2004), seit 1953 politischer Redakteur bei verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen, 1963 bis 1966 beim ZDF Leiter der Sendereihe »Zur Person«, 1965 bis 1969 Programmdirektor und stellvertretender Intendant des Südwestfunks, 1969 bis 1973 Chefredakteur des Spiegels. Zu Gaus vgl. auch Kapitel 5.2 dieser Arbeit. 187 Hermann Schreiber (1929-), 1964 bis 1979 Reporter und Kolumnist beim Spiegel, bis 1992 bei Geo. 188 LA-Berlin, B Rep. 002, 3167, Schreiben vom 3. September 1964. 189 Vgl. Filmdokumentation Spiegel-TV zum Tod von Rudolf Augstein vom 10. November 2002. 190 AdsD, Dep. Bahr, 45 A, Schreiben vom 15. September 1964.
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»Ich muß Ihnen wohl nicht eigens versichern, daß ich mich mit Ihnen gerne einen Abend unterhalten würde. [...] Also, wenn Sie einen bequemen Abend frei haben, so stehe ich zur Verfügung. [...] Es geht ja nicht darum, ob die SPD früher ›interessanter‹ war. Die ganze Politik ist heute uninteressanter geworden, [...] Nach meiner Ansicht muß vermieden werden, daß zu den Fragen, die die SPD für wichtig hält, gewohnheitsmäßig nur noch Barsig191 spricht. Sonst könnten wir erleben, daß Erhard in seinen Fehlern erstickt und trotzdem siegt, weil niemand da ist, ihm seine Fehler einzutränken.«192
Trotz dieser und ähnlicher Differenzen bot der Spiegel Brandt, wie anderen Politiker auch, schon seit Beginn der sechziger Jahre immer wieder ein Forum, seine politischen Vorstellungen zu erläutern, dafür zu werben und sie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dies geschah vor allem auf dem Gebiet der Deutschland- und Ostpolitik, wo Brandt und Augstein auf einer Linie waren. Im Vorfeld und während der Passierscheinverhandlungen bekam der Regierende Bürgermeister gleich mehrfach die Möglichkeit, sich in langen Spiegel-Gesprächen zu äußern.193 Demgegenüber war die Berichterstattung des Spiegels vor und während des Bundestagswahlkampfes 1965 gegenüber der SPD und ihrem Kandidaten wesentlich negativer als vier Jahre zuvor. Neben Augstein tat sich Hermann Schreiber besonders durch kritische Berichte hervor. Brandt beschwerte sich mehrfach darüber und Augstein antwortet ganz offen: »Daß der Spiegel der SPD im Wahlkampf helfen könnte, glaube ich nicht. Aber vielleicht sollte er vermeiden, ihr zu schaden.«194 Das mangelnde Profil der Partei und die Form der Selbstdarstellung ihres Kandidaten standen im Mittelpunkt der rüde formulierten Kritik des Spiegel.195 Augstein ließ bei Brandt anfragen, ob für ihn – sofern die SPD als Juniorpartner in eine Regierung ginge – ein Minister Franz Josef Strauß akzeptabel sei? Daraufhin schrieb der Kanzlerkandidat etwas verärgert zurück, dass er die SPD zur stärksten Partei machen wolle und dass er Strauß nicht in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellen wolle, um diesen nicht unnötig aufzuwerten:196 »Wenn wir die SPD stark genug machen, wird Strauß für die deutsche Demokratie hoffentlich kein Problem mehr sein. Es wird ein Problem und bekommt ein erhöhtes Gewicht nur,
—————— 191 Franz Barsig (1924-1988) war von 1958 bis 1965 Pressereferent der SPD-Bundestagsfraktion. 192 LA-Berlin, B Rep. 002, 3167, Schreiben vom 18. September 1964. 193 Vgl. Der Spiegel vom 10. Januar 1962 (Ich bin bereit, mit Ost-Berlin zu verhandeln), 30. Januar 1963 (Die Hand auf Chruschtschows Türklinke), 11. März 1964 (Passierscheine von der Reichsbahn?). 194 WBA, Beruflicher Werdegang und Berlin, Mappe 52 (alt), Schreiben vom 29. April 1965. 195 Vgl. u.a. Der Spiegel vom 11. August 1965 und ausführlich Kapitel 4.3 dieser Arbeit. 196 Vgl. AdsD, Dep. Bahr, 9 B, Schreiben vom 2. April 1965.
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wenn die SPD ihr Ziel nicht erreicht. Und ich sehe, dass Sie dabei nicht helfen. Das ist schade, aber es muss auch so gehen.«197
Die Gespaltenheit, die sich hier andeutet, einerseits eine ausgeprägte Unterstützung Brandts und seiner Politik, andererseits eine massive Ablehnung, die mit beißender Kritik und einer ebensolchen Berichterstattung einherging, ist kennzeichnend für das Verhältnis Spiegel/Brandt und polarisierte sich während der Kanzlerschaft weiter. Ähnliches gilt für den Umgang von Augstein und Brandt miteinander. Augstein wollte mit seinem Blatt Politik machen, die politische Landschaft und öffentliche Meinung in der Bundesrepublik nachhaltig mitbestimmen. Nach der Spiegel-Affäre verstärkte sich nochmals die Überzeugung, mit dem Nachrichtenmagazin eine solche Macht ausüben zu können. 1967 sagte er etwas zurückhaltend, aber doch bestimmt dazu in einem Fernsehinterview: »Wenn Einfluss auf diese Geister Macht ist, dann hat der Journalist auch Macht. Man mag die Macht für begrenzt halten. Ich halte sie für ziemlich begrenzt. Aber zweifellos übt auch der Journalist Macht aus. Und das will er. Dagegen ist ja nichts zu sagen, so wenig, wie wenn ein Politiker die Macht für sich und seine Sache erstrebt.«198
Hinzu kam, dass Augstein eine dezidierte eigene politische Linie hatte, die er im Spiegel mit Nachdruck vertrat und damit die öffentliche Meinung in diese Richtung lenken wollte. Entsprach eine Partei oder ein Politiker seinen eigenen politischen Vorstellungen, wurde dieser mit Nachdruck durch eine positive Berichterstattung unterstützt. Brandt, seinen engen Mitarbeitern sowie den Verantwortlichen für Presseund Öffentlichkeitsarbeit bei der Bundes-SPD war an einer positiven Berichterstattung im Spiegel besonders gelegen, da sie um die herausragende Bedeutung des Blattes für die politische Meinungsbildung in der Bundesrepublik der sechziger Jahre wussten. Deshalb ging man oft sehr »behutsam« mit den Blattmachern um, übte vorsichtig Kritik und versuchte für die eigene politische Linie zu werben. Ein wenig kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein Teil der Macht der Medien in ihrer angenommenen bzw. vermeintlichen Wirkung lag. Nach der Bildung der Großen Koalition war die Berichterstattung des Spiegel zunächst nicht eindeutig. Augstein war entschieden gegen dieses Bündnis. Seine Einschätzung dazu war folgende: »Die Bundesrepublik ist irreparabel von jenen Leuten ruiniert worden, die eine Koalition der großen beiden Parteien begründet haben.«199 Ein Teil der Redakteure, wie Schreiber und Ahlers,
—————— 197 Ebd. 198 Zitiert nach: Der Spiegel vom 11. November 2002 (Gelebte Geschichte). 199 Zitiert nach: Greiwe, Augstein, S. 90.
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waren dafür.200 So war die Linie des Blattes am Anfang nicht klar zu erkennen, verschob sich dann aber zusehends hin zu einer Befürwortung einer sozialliberalen Koalition. »Rudolf Augstein und die Seinen waren entschlossen, eine andere Koalition, die Brandt-Scheel-Regierung herbeizuschreiben«,201 so der Augstein-Biograph Ulrich Greiwe. Seit 1968 ging der Spiegel in die Offensive. Redakteure des Blattes nahmen im Dezember 1968 Kontakt zur SPD-Zentrale auf, um für den Wahlkampf gerüstet zu sein. Sie baten um Hintergrundgespräche, Kontaktpersonen und Informationsquellen.202 Man beschwerte sich, dass »der Kontakt zur SPD wohl etwas schlecht geworden sei«, man sei aber persönlich an einem Wahlsieg der Partei interessiert. Seitens der Bundesgeschäftsführung der SPD merkte man an, dass »ein guter Draht zum SPIEGEL ja notwendig sei« und ein enger Kontakt gewünscht werde. Zwischen September 1968 und Oktober 1969 bekam der Außenminister, Parteivorsitzende und Kandidat seiner Partei, Willy Brandt, die Möglichkeit, sich ausführlich in fünf Spiegel-Gesprächen über seine Politik als Außenminister, die Probleme in der Großen Koalition sowie über die politischen Ziele einer SPD-geführten Regierung zu äußern.203 Fünf mal zierte er allein 1969 bis zum Oktober des Jahres das Titelbild des Nachrichtenmagazins und die Berichte waren nun äußerst positiv für ihn und seine Partei.204 Am 22. September 1969, eine Woche vor der Bundestagswahl, entschlossen sich Rudolf Augstein und Günter Gaus dann zu einem klaren politischen Bekenntnis.205 In einem von ihnen verfassten Artikel war zu lesen: »Wir wollen einen Bundeskanzler Brandt... an der Spitze einer Koalition aus SPD und FDP«.206 Brandt bedankte sich dann sogar persönlich bei Augstein und Chefredakteur Günter Gaus für die Unterstützung im Wahlkampf und merkte an: »Niemand wird ja genau ausrechnen können, wer welchen Anteil am gemeinsamen Erfolg gehabt hat. Der Erfolg selbst bietet eine gute Chance der Erneuerung.«207 Das erste Regierungsjahr der Regierung Brandt/Scheel mit den medienwirksam in Szene gesetzten deutschland- und ostpolitischen Erfolgen sowie dem Beginn des innenpolitischen Reformprogramms wurde vom Spiegel
—————— 200 201 202 203 204 205 206 207
Vgl. u.a. Köhler, Rudolf Augstein, S. 150 f. Greiwe, Augstein, S. 90. Vgl. AdsD, SPD-PV, 2/PVEI/8, Vermerk vom 3. Dezember 1968. Vgl. Der Spiegel vom 9. September 1968, 6. Januar 1969, 10. März 1969, 15. September 1969, 27. Oktober 1969. Vgl. Der Spiegel vom 5. Januar 1969, 13. September 1969, 22. September 1969, 6. Oktober 1969, 27. Oktober 1969. Vgl. Gaus, Widersprüche, S. 297 f. Der Spiegel vom 22. September 1969. WBA, SPD-Parteivorsitzender, persönliche Korrespondenz, Mappe 4, Schreiben vom 7. Oktober 1970.
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mit einer überschwänglichen Berichterstattung begleitet. Der neue Held hieß Willy Brandt und die Feindbilder verschwanden. Das kritische Nachrichtenmagazin, das sich als »vierte Gewalt« verstand, musste sich nun gegen den Vorwurf wehren, »Hofberichterstattung« zu betreiben, und die politischen Gegner sahen gar eine geheime, konzertierte Aktion zwischen Nachrichtenmagazin und der sozialliberalen Koalition. Klaus Bölling schrieb in der Retrospektive: »Wenn es zwischen dem SPIEGEL und einem Kanzler nach dem emotionsreichen Feldzug des Blattes gegen Adenauer so etwas wie ein ›special relationship‹ gegeben hat, dann ist die Chemie am besten im Verhältnis zwischen dem Blatt und Willy Brandt nachzuweisen. Wiederum ist es Gründungsvater Augstein, der 1969 das von Brandt gegen den zögerlichen Wehner mit der FDP geschlossene Bündnis mit dem Jubelruf begrüßt: ›Die Regierung, die wir gewollt haben‹ [...] nun bezieht einer das Adenauer-Zimmer im Palais Schaumburg, von dem Augstein weiß, daß er die nationale Frage sehr ähnlich begreift wie er – einer, der Politik nicht nur als Machtpolitik versteht, ein Mann von intellektuellem Habitus nicht nur, sondern in manchen Facetten seiner grüblerischen, mitunter hamletischen Natur, selber ein Intellektueller; in jungen Jahren im spanischen Bürgerkrieg, auch ›mit der Feder kämpfend‹, ein aufklärerischer Geist und, trotz der Anflüge von norddeutscher Schwere, einer der lachen kann.«208
Diese Einschätzung ist sicherlich idealisiert, besonders was das Verhältnis zwischen Augstein und Brandt anging. Was allerdings zutrifft, ist dass in der spezifischen historischen Situation am Ende der sechziger Jahre eine Interessengleichheit zwischen dem Politiker Brandt und dem Herausgeber sowie seinen Redakteuren bestand – »mehr Demokratie wagen« und eine andere Deutschland- und Ostpolitik waren die gemeinsamen Ziele. »Die Ostpolitik, [...] war vom SPIEGEL immerhin vorbereitet worden. Auch für die Normalisierung der verkrampften Beziehungen zu den Landsleuten ›drüben‹ war in Hamburg mehr als nur journalistische Pionierarbeit geleistet worden. Gemeinsam mit anderen liberalen Blättern hatte der SPIEGEL eine veränderte Stimmung im Land und bei Teilen der politischen Klasse herbeischreiben können: Wie sollten sich Augstein und seine Redakteure anders denn als Verbündete von Willy Brandt sehen.«209
Die Berichterstattung der linksliberalen Medien oder gar des Spiegel allein hätte sicherlich nicht gereicht, um das sozialliberale Regierungsbündnis und dessen neue Politik zu ermöglichen. Das Zusammenspiel von realpolitischen Maßnahmen und der positiven Unterstützung durch die Berichterstattung des Spiegel sowie anderer liberaler Tages- und Wochenzeitungen schaffte ein öffentliches Meinungsklima, welches die Durchsetzung der neuen Reform- und
—————— 208 Bölling, Die Kanzler. 209 Ebd.
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Außenpolitik zunehmend billigte. Dabei konnte man an einen seit den sechziger Jahren einsetzenden Einstellungswandel in immer größer werdenden Bevölkerungsteilen anknüpfen und diesen positiv verstärken. Denn mit Ausnahme der Frage der Anerkennung der DDR als Staat, wurden alle anderen Bereiche der Deutschland- und Ostpolitik, wie zeitgenössische Meinungsumfragen belegen, seit Mitte der sechziger Jahre zunehmend konsensfähig.210 Die allgemeine »Aufbruchstimmung«, die Ende der sechziger Jahre in der Bundesrepublik vorherrschte, wurde auf diese Weise begünstigt und angeheizt. Allerdings wurden auch die Erwartungen in die Höhe geschraubt – auch dies ein Zusammenspiel von Medienberichterstattung und Politik. Wie anfällig das »Bündnis« jedoch war, trat bei den ersten Schwierigkeiten in der Umsetzung der Ost- und Deutschlandpolitik sowie den innenpolitischen Reformen211 zutage. Bald war der Spiegel das erste Blatt, das mit Nachdruck den sonst hofierten Bundeskanzler und seine Regierung kritisierte und Veränderungen einforderte. Schon 1970 monierte Brandt einen Teil der Berichterstattung des Spiegel als »wenig hilfreich«.212 Im Jahr 1971 kam es dann zu einer ersten Phase,213 in der es aussah, als ob das Nachrichtenmagazin Bundeskanzler Brandt »runterschreiben« wolle. Günter Gaus verfasste im Februar 1971 einen Kommentar, unter der Überschrift »Warten auf einen Kanzler«, in dem er den Bundeskanzler massiv kritisierte. Er attestierte Brandt mangelnde Führungsstärke und warf ihm vor, sich vor allem für Außenpolitik zu interessieren und es in der Innenpolitik an Engagement fehlen lasse.214 Dabei sprach er »vom Teilkanzler Brandt«, von dem »die Hinwendung zur Innenpolitik wohl nicht mehr zu erwarten«215 sei. Hervorhebenswert ist in diesem Zusammenhang noch, dass Gaus einen Tag nach Veröffentlichung des Kommentars einen persönlichen Brief an den Bundeskanzler richtete, in dem er sein Vorgehen erklärte. Er schrieb diesen Brief, damit »Sie darin erstens erblicken, daß ich mir meinen Entschluß, den Kommentar [...] zu schreiben, nicht leicht gemacht habe und daß ich zweitens das Bedürfnis habe, Ihnen zu versi-
—————— 210 Zum Einstellungswandel in der Bevölkerung zur Deutschland- und Ostpolitik allgemein vgl. Glab, Deutschlandpolitik in der Öffentlichen Meinung; Dies., Deutschland- und Ostpolitik Willy Brandts, S. 41 ff. 211 Gemeint ist hier ein ganzes Bündel von Reformvorhaben, die vor allem die Bereiche Sozial-, Bildungs- und Justizpolitik berührten. 212 Vgl. WBA, Bundeskanzler, Mappe 6, Schreiben vom 22. Juli 1970. 213 Über die Phase 1971, als die linksliberale Presse sich zeitweise von der Regierung Brandt/Scheel entfernte vgl. allgemein Zons, Denkmal, S. 53 ff. 214 Vgl. Der Spiegel vom 1. Februar 1971. 215 Ebd.
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chern, wie sehr mir an Ihrer innenpolitischen Profilierung Ihrer Regierungsziele gelegen ist.«216
Hier tritt ein Selbstverständnis von politischem Journalismus als »vierter Gewalt« und der Wirkungsmacht des Nachrichtenmagazins zutage, welches die Aufgabe darin sieht, den Regierenden den Weg zu weisen und über das Medium den öffentlichen Druck in die gewünschte Richtung zu verstärken. Brandt reagierte empört auf den Kommentar und es dauerte seine Zeit, bis er sich mit dem Autor wieder aussöhnte, da er so eine Form der Berichterstattung gerade vom Spiegel allgemein und von Günter Gaus im Speziellen nicht erwartet hatte. »Auf die Gefahr hin, dass auch Sie mich für mimosenhaft halten: Nichts hat mir seit langem so geschadet – und zugleich wehgetan – wie Ihr böses Wort vom Teil-Kanzler. [...] Es wird sicher möglich sein, hierüber einmal in Ruhe zu sprechen. Im Augenblick würde allerdings nicht viel dabei herauskommen.«217
Einerseits wird hier nochmals die große Bedeutung klar, die Brandt dem Spiegel in der politischen Meinungsbildung beimaß. Andererseits die Nähe, die sich in den Jahren zum Magazin und seinen Mitarbeitern aufgebaut hatte und die nun zu persönlicher Enttäuschung und Verletzlichkeit führte.218 Im letzten Drittel des Jahres 1971 war die »Krise« zwischen Spiegel und Bundeskanzler dann wieder überwunden. Willy Brandt war auf dem Höhepunkt seiner internationalen Reputation und wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Das Nachrichtenmagazin unterstützte den »Friedenskanzler« wieder vorbehaltlos, was im Prinzip bis zum Wahlsieg 1972 anhielt. In dieser politisch hoch aufgeladenen Stimmung des Jahres 1972 überschritt Augstein selbst die Grenze zwischen Journalismus und Politik. Er kandidierte 1972 für die FDP, bekam über die Landesliste ein Bundestagsmandat und gab nach 44 Tagen entnervt wieder auf, weil sich seine Ambitionen nicht erfüllten. Er glaubte, als Herausgeber des Spiegel doch mehr bewegen zu können denn als Hinterbänkler in der Politik. Wie brüchig die Symbiose zwischen dem Spiegel und Bundeskanzler Willy Brandt war, zeigt, dass das Nachrichtenmagazin das erste Blatt war, das Brandt nach dem Wahlsieg 1972 für die zutage tretenden Schwächen scharf kritisierte.219 Am bekanntesten aus dieser Zeit ist das Titelbild zum 60. Geburtstag
—————— 216 AdsD, Dep. Horst Ehmke, 1/HEAA, 1036, Schreiben vom 2. Februar 1971. 217 Ebd., Schreiben vom 15. Februar 1971. 218 Laut Günter Gaus hat Rut Brandt eine Aussprache zwischen ihm und dem Bundeskanzler vermittelt; vgl. Gaus, Widersprüche, S. 312 f. 219 Vgl. dazu ausführlich Zons, Denkmal, S. 111 ff.
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des Kanzlers, das ein bröckelndes Denkmal unter der Überschrift »Kanzler in der Krise«220 darstellte.
Stern Der Stern gehörte nicht nur zu einem anderen publizistischen Genre als der Spiegel, sondern er unterschied sich auch im Umgang und Verhältnis zu Brandt und der SPD. Dies betraf sowohl die Berichterstattung als auch das persönliche Verhältnis zwischen Chefredakteur und Politiker. Der Stern unterstützte durch seine Berichterstattung Willy Brandts ostpolitische Aktivitäten bereits seit Anfang der sechziger Jahre nachdrücklich und spielte aus diesem Grund für seinen Aufstieg auf der bundespolitischen Bühne eine nicht zu unterschätzende Rolle. Zentral dabei war der Chefredakteur des Blattes, Henri Nannen, der im Stern die politische Richtung vorgab. Neben politischen Übereinstimmungen zwischen Brandt und Nannen scheinen auch persönliche Sympathien nicht unwichtig gewesen sein. Beide waren sich offenbar in ihrer Persönlichkeitsstruktur nicht unähnlich: Sie waren ein Jahrgang, nur wenige Tage auseinander geboren, kamen aus Norddeutschland, zeigten Anzeichen von »Menschenscheu«, wirkten aber gleichzeitig faszinierend und begeisternd auf andere, hatten einen Hang zu »Frauengeschichten« und waren auch sonstigen Vergnügungen nicht abgeneigt. Dennoch unterschieden sich ihre Lebenswege erheblich. Nannen wurde am 25. Dezember 1913 im Emden als Sohn eines Kriminalkommissars geboren.221 Er studierte Kunstgeschichte, machte vor dem Zweiten Weltkrieg Reportagen für den Reichssender München und schrieb für einige NS-Kunstzeitschriften, wie Die Kunst im Dritten Reich oder für Kunst und Volk.222 Während des Krieges war er, wie zahlreiche bekannte deutsche Nachkriegsjournalisten, als Kriegsberichterstatter in diversen Propagandakompanien der Wehrmacht eingesetzt, ab 1944 in Italien beim Luftwaffen-Propagandazug »Südstern«, der die Aufgabe hatte, die Kampfmoral der alliierten Soldaten zu unterminieren.223 Mitglied der NSDAP war Nannen nicht, von den englischen Besatzungsbehörden wurde er als »unbelastet« eingestuft. Er bekam eine der damals heißbegehrten Zeitungslizenzen als einer von drei Lizenzträgern für die Hannoverschen Neuesten Nachrichten, der ersten deutschen Tageszeitung, die in Hannover erscheinen konnte. Danach besaß er bis Oktober 1948 die Lizenz
—————— 220 221 222 223
Der Spiegel vom 10. Dezember 1973. Zur Biographie Henri Nannens ausführlich Schreiber, Nannen. Vgl. ebd., S. 76 ff. Vgl. ebd., S. 96 ff. Nannens Aktivitäten während der NS-Zeit, besonders im Krieg, führten seit den sechziger Jahren immer wieder zu öffentlichen Angriffen von allen Seiten gegen ihn.
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für das FDP-Blatt Abendpost. Nach einem Ausflug in die Politik – Nannen war von Juni 1947 bis Mai 1948 Mitglied der FDP und kandidierte bei der ersten Landtagswahl 1947 in Niedersachsen – beschloss er trotz einiger Achtungserfolge, dass das Politikerleben nicht das Richtige für ihn sei. Nach einer Wahlkampfversammlung, in der es ihm gelungen war, die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen, soll er gesagt haben: »Nie in die Politik! Das ist ja eine teuflische Verführungskunst, wenn man einigermaßen reden kann.«224 Es war nicht die Erkenntnis, dass er auf Menschen wirkte, sondern »daß er sich auf eine unmittelbare Massenwirkung besser nicht einlassen sollte; daß er im Umgang mit Menschen der Vermittlung bedurfte – der einerseits distanzierenden, andererseits verstärkenden Vermittlung eines Mediums«,225
so deutet Nannens Biograph, Hermann Schreiber, diese Situation. Es blieb bei dem einen Versuch, die Grenze zwischen Politik und Journalismus auf diese Art zu überschreiten. Im Mai 1948 konnte Henri Nannen die Jugendzeitung Zick-Zack übernehmen, dies tat er von Anfang an mit dem Hintergedanken, daraus eine Wochenillustrierte zu machen.226 Am 1. August 1948 erschien dann das erste Heft des Stern.
Stern – ein politisches Unterhaltungsmagazin Der Stern avancierte zu einem der erfolgreichsten Presseorgane der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Das Erfolgsrezept war seine spezifische Mischung aus Unterhaltung, Information und Ratgeber – das Ganze großzügig bebildert. Nannen hat zwar Zeit seines Lebens die Idee für den Stern als seine eigene proklamiert, inzwischen ist allerdings bekannt, dass ein in nur wenigen Ausgaben zwischen 1938 und 1940 im Berliner Ullstein-Verlag erschienenes illustriertes Magazin mit dem Namen Der Stern mit aller höchster Wahrscheinlichkeit als Vorbild für Nannen fungiert hat.227 Ähnlichkeiten in der TitelblattGestaltung und die Mischung von Genre und Themen lassen sich zumindest bis in die fünfziger Jahre hinein feststellen. Der Stern startete als bunte Illustrierte, allerdings hieß es schon 1948 im Antrag an die britischen Besatzungsbehörden, dass der Stern »seiner Bestimmung gemäß eine Zeitschrift für junge Menschen mit einer ganz klaren politisch-pädagogischen Tendenz [sein werde, D.M]. Aber er wird seine Aufgabe um so besser
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Zitiert nach: ebd., S. 187. Ebd. Vgl. ebd., S. 197 ff. Vgl. Minkmar, Die doppelte Wundertüte, S. 187 ff.
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erfüllen, je weniger diese Tendenz sich nach außen aufdrängt und je mehr man den Stern für eine reine Unterhaltungslektüre hält [...] auch die Erziehung zur menschlichen und politischen Toleranz ist viel wirksamer zu gestalten, wenn sie statt mit tönenenden Worten und belehrenden Redensarten in einer anregenden Form und interessanten und unterhaltenden unaufdringlichen Form erfolgt.«228
Hier verband sich der »Umerziehungsanspruch« der Alliierten mit einem Konzept, das bereits die Nationalsozialisten erfolgreich praktiziert hatten – herrschaftsbezogene Botschaften verpackt in unterhaltsamer Form an den Mann oder die Frau zu bringen – sei es in Rundfunk, Film oder Illustrierten. Dieses Rezept war auch in der Nachkriegszeit erfolgreich, nicht zuletzt weil so an bestehende Rezeptionsgewohnheiten der Leser und Leserinnen angeknüpft werden konnte. Auf dieser Grundlage entwickelte Nannen ein spezifisches Profil des Stern, welches allerdings nicht statisch war, sondern sich stetig weiterentwickelte und dabei auch immer ein Spiegel der gesamtgesellschaftlichen Veränderungen war. Der Stern sollte von seiner Idee her eine Publikumszeitschrift für jedermann, für »Lieschen Müller« sein, ab 1954 auch in Farbe. Dabei orientierte er sich auch am amerikanischen human-interest-Journalismus, den er bei mehrfachen USA-Besuchen zu Beginn der fünfziger Jahre kennen lernen konnte. In den ersten Jahrgängen des Stern waren dementsprechend rein politische Themen kaum zu finden. Nannen hatte einen Instinkt für Geschichten, die die Menschen ansprachen und bewegten. Er war dabei oft eine Art Trendsetter, in dem er Themen aufgriff, die noch nicht auf der allgemeinen Agenda standen. »Er entdeckt ein Ereignis oder Problem, das ihn persönlich beschäftigt oder empört, kleidet es in eine dazugehörige, womöglich, gefühlsbetonte Erzählung und fordert den Leser damit zur Stellungnahme, im Idealfall sogar zur Mitwirkung heraus. Und immer weht der Zeitgeist die Themen herbei, immer hält Nannen seinen Zeigefinger in diesen Wind und weiß dann nicht nur, woher er weht, sondern auch wohin.«229
Dieses Konzept kam bei den Lesern und Leserinnen an. Die Startauflage lag bei 130.735 Exemplaren, sie erreichte durchschnittlich 190.000 bis Mitte 1949, ein Jahr später lag sie schon bei 498.000, 1964 waren es 1.531.000 und im ersten Quartal des Jahres 1967 wurde der Höhepunkt mit einer Auflage von fast zwei Millionen Exemplaren erreicht.230 Trotz des wirtschaftlichen Erfolges des Blattes verkaufte Nannen bereits 1949 große Teile des Verlages an Gerd Bucerius, etwas später weitere an den Druckereibesitzer Richard Gruner, so dass der Stern ab 1965 nach dessen Gründung zum Gruner + Jahr Verlag ge-
—————— 228 Zitiert nach: Schreiber, Nannen, S. 205. 229 Ebd., S. 216. 230 Ebd., S. 203 ff. und 272.
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hörte.231 Seine Position als Chefredakteur und die Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung des Blattes blieb jedoch – trotz mancher Versuche, dies zu ändern – uneingeschränkt bestehen. Die »Politisierung« des Stern, das heißt der Wandel von einer »bunten« zu einer »politischen« Illustrierten, wird auf Anfang der sechziger Jahre datiert. Hierbei ist es nicht möglich, ein konkretes Datum zu nennen, da es sich um einen langsamen Prozess und nicht um einen abrupten Stilwechsel handelte. Dieser Wandlungsprozess setzte bereits in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre ein.232 Im Jahr 1955 begleitete Nannen in einer Journalistendelegation Bundeskanzler Konrad Adenauer nach Moskau,233 zwei Jahre später reiste er mit einer Gruppe von Mitarbeitern wieder in die Sowjetunion und machte ausführliche Reportagen. Sein Ziel war, den Lesern und Leserinnen des Stern das Leben der Menschen im Ostblock näher zu bringen und durch die menschliche Komponente, die Feindbilder, die im Kalten Krieg tagtäglich reproduziert wurden, etwas aufzuweichen. Diese Reportagen markierten einen doppelten Anfang: die verstärkte »Politisierung« des Stern und den Beginn eines Engagements, das in der massiven publizistischen Unterstützung der neuen Ostpolitik Willy Brandts gipfelte. Der human touch, den die Geschichten aus der Sowjetunion prägten, wurde ein Markenzeichen der politischen Berichterstattung der Illustrierten. Seit 1958 führte Nannen – nach dem Vorbild von Augsteins Rubrik »an den Spiegel-Leser« – die Briefe »an den lieben Sternleser« ein, die jedem Heft vorangestellt waren und in der er sich zu aktuellen Themen äußerte. Ein weiteres spezifisches Kennzeichen wurden neben Enthüllungsgeschichten auch spektakuläre Aktionen des Blattes unter Einbeziehung der Leser und Leserinnen, wie die Wiederbeschaffung einer gestohlenen Madonna von Riemenschneider im Jahr 1962, das Bauen einer Fertighaussiedlung 1963 nach dem Motto »jedem sein Eigenheim« oder die Initiierung des bis heute existenten Wettbewerbs »Jugend forscht« im Jahr 1964. Im Laufe der sechziger Jahre wurde der Stern zunehmend politischer, mehr tagespolitische Themen erschienen im Blatt. Dahinter stand allerdings kein geschlossenes politisches Konzept: man sympathisierte punktuell, aber mit Engagement. Nannen war – so sein Biograph Schreiber – kein durch und durch »politischer Mensch« oder gar ein political animal; aus seiner Sicht gehörte
—————— 231 Vgl. u.a. Schneider, Gruner+Jahr, S. 10 ff. 232 Gegen eine derart frühe Datierung wird immer wieder ins Feld geführt, dass Nannen 1955 zwar bereits Pläne gehabt habe, den Stern zu politisieren, diese aber nach striktem Abraten von Rudolf Augstein erst einmal wieder auf Eis gelegt habe; vgl. u.a. Schreiber, Nannen, S. 231; Schneider, Gruner+ Jahr, S. 26. 233 Am bekanntesten an dieser Reise in Bezug auf Nannen ist, dass er sich auf dem offiziellen Foto der Delegationen in die erste Reihe neben Adenauer und Bulganin gemogelt hat.
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Politik zum Leben und somit in seine Illustrierte.234 Darüber hinaus stieg in den sechziger Jahren das Bedürfnis der Bevölkerung nach politischer Information ständig an und der Stern wollte und musste dem gerecht werden, wenn er nicht an Zuspruch verlieren wollte. Der Stern avancierte zu einer einzigartigen Erscheinung auf dem deutschen Zeitungsmarkt, zu der politischen Illustrierten. Zwar waren »aktuelle, politische« Illustrierte in den sechziger Jahren eine allseits beliebte Zeitschriftengattung, wie auch die Erfolge von Quick und Revue unterstreichen. Diese Blätter wollten öffentliches und privates aufeinander beziehen, zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen, Kritik- und Kontrolle gegenüber den Politikern und der Regierung ausüben und sich so zum Fürsprecher der Leser und Leserinnen machen.235 Dennoch wurde der Stern als einzige dieser Illustrierten, wie eine zeitgenössische Untersuchung aus dem Jahre 1964 ergeben hat, dem Anspruch gerecht, Information, praktische Hilfe und Unterhaltung in einem ausgewogenen Verhältnis zu präsentieren.236 Des weiteren gelang es dort, die Bereiche Politik und Unterhaltung so zu verbinden, dass sich die Leserschaft zu einer Auseinandersetzung mit den politischen und allgemein gesellschaftlichen Problemen der Zeit aufgefordert sah. Das Blatt wollte auf diese Art und Weise dem meinungsbildenden Anspruch gerecht werden, was sich mit der 1948 formulierten Intention Nannens durchaus in Einklang bringen lässt. In späteren Jahren formulierte er die mögliche Wirkung bzw. »Macht« des Stern bzw. der Presse im allgemeinen sehr zurückhaltend: »Mir scheint, die oft zitierte Macht der Presse erschöpft sich darin, daß es Politiker gibt, die daran glauben; und wir sollten sie dann auch bei diesem Glauben lassen.«237 Trotz solcher und ähnlicher Äußerungen scheint Nannen dennoch davon ausgegangen zu sein, dass er einen gewissen Einfluss auf die Politik nehmen könne. Anders lassen sich die mit Nachdruck betriebenen Kampagnen für ausgewählte politische Ziele nicht erklären, und nicht umsonst sprach er davon, dass aus dem »Musikdampfer« Stern in den sechziger Jahren ein »Schlachtschiff« geworden sei.238 Der Erfolg des »politischen« Stern ermöglichte dem Chefredakteur darüber hinaus einen Zugang zu den politischen Führungspersönlichkeiten im In- und Ausland, den er auch zur politischen Einflussnahme nutzen wollte.
—————— 234 235 236 237 238
Vgl. Schreiber, Nannen, S. 272. Holzer, Selbstverständnis, S. 45 ff. Vgl. ebd., S. 349 f. Zitiert nach: Schreiber, Nannen, S. 273. Vgl. Ebd., S. 273.
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Der Stern, Henri Nannen und Willy Brandt Es wird immer wieder betont, dass Henri Nannen und Willy Brandt, die Verbindung von Politik und Journalismus in den sechziger und beginnenden siebziger Jahren repräsentierten. So schreibt Hermann Schreiber, dass Nannen persönlich »der von Brandt favorisierte Repräsentant des deutschen Journalismus«239 oder der »Herold« der sozialliberalen Koalition gewesen sei. Besonders in Schriften, die sich mit Henri Nannen beschäftigen, sind diese Stereotypen zu finden. Zutreffend ist, dass die beiden einen regen Austausch über politische Fragen in Briefen oder persönlichen Gesprächen gepflegt haben. Auch scheinen sie sich gegenseitig als Menschen geschätzt zu haben. Der Stern hat Brandt im Vorfeld, während und nach der Wahl 1969 unterstützt und früh positiv über seine ostpolitischen Aktivitäten berichtet. Es bestanden ebenfalls gute Kontakte zwischen anderen Journalisten des Stern und Brandt sowie seinen Mitarbeitern, wie zum Beispiel Egon Bahr. Man setzte sich über Artikel auseinander, die Stern-Journalisten nahmen – wie andere auch – an Hintergrundgesprächen, Reisen etc. teil. Einige von ihnen engagierten sich auch in der SWI für einen Bundeskanzler Willy Brandt.240 Im Großen und Ganzen entsprach der Umgang mit Nannen, dem Stern und seinen Journalisten genau dem Stil, den Brandt mit Medienvertretern pflegte. Was Nannen und Brandt verband, war das Eintreten für gemeinsame politische Ziele – hier vor allem die neue Deutschland- und Ostpolitik. An diesem Punkt ergab sich dann eine enge Verknüpfung von Politik und Journalismus, die in der Endphase der sechziger Jahre zwischen Brandt und der sozialliberalen Koalition auf der einen sowie der linksliberalen Presse auf der anderen Seite kennzeichnend war. Der Stern begann jedoch bereits seit Anfang der Dekade, die ostpolitischen Bestrebungen des damaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin publizistisch zu fördern und versuchte so, auf die öffentliche Meinung in diesem Sinne Einfluss zu nehmen. Als Springer aufhörte, Brandt auf diesem Gebiet zu unterstützen, begann Nannen damit. Zunächst beschränkte sich die positive Berichterstattung jedoch primär nur auf diesen einen Politikbereich und betraf weder Brandt als Kanzlerkandidaten der SPD noch die deutsche Sozialdemokratie im Allgemeinen. Nannen stand der FDP und ihren Repräsentanten wesentlich näher, pflegte intensive Kontakte mit Erich Mende und anderen führenden Freien Demokraten.241 Er war »kein Linker, er war überhaupt außerstande, sich auf eine ›Linie‹ festzule-
—————— 239 Ebd., S. 147. 240 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 5.1 dieser Arbeit. 241 Vgl. u.a. Schreiber, Nannen, S. 287 ff.
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gen«242, so das Urteil Hermann Schreibers. In puncto Ostpolitik legte er sich allerdings fest. Das frühe Engagement für eine Aussöhnung mit dem Osten, also mit Polen und der Sowjetunion, hatte seinen Ursprung zunächst vor allem in den Kriegserfahrungen Nannens, der während seiner Zeit als Kriegsberichterstatter eine Zeitlang im Osten eingesetzt gewesen war und die Greuel der Ostfront erfahren hatte. So war sein Einsatz für eine neue Ostpolitik ein Stück Vergangenheitsbewältigung, eine Möglichkeit der Wiedergutmachung sowie ein Mittel gegen das eigene schlechte Gewissen.243 In der Retrospektive schrieb er dazu: »Wenn ein Mensch einen klaren Kopf hat, mußte er doch wissen, wir hatten den Krieg angefangen. Wir hatten ihn verloren, und wir mußten dafür bezahlen. Die einzige Möglichkeit für uns war, den Polen klar zu machen, daß wir einsähen, wozu wir verpflichtet waren, und daß wir halfen Feindbilder abzubauen.«244
So forderte Nannen im Stern schon Anfang der sechziger Jahre die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze245 – ein Tabuthema zu dieser Zeit in der bundesdeutschen Öffentlichkeit und Politik. Auch in der Deutschlandpolitik verfolgte er ähnliche Ziele. Er war nicht bereit, die deutsche Teilung als unumstößlich anzuerkennen und lehnte die Machthaber in der DDR ab. Aber er wusste auch, dass Deutschlands Teilung nicht in absehbarer Zeit überwunden sein würde, so dass er Erleichterungen für DDR-Bürger und damit einen Kurs der Annäherung zwischen der Bundesrepublik, der DDR und der Sowjetunion unterstützte.246 Die »Politik der kleinen Schritte« in der Annäherung an den Osten durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin wurden dann auch durch die Berichterstattung des Stern positiv kommentiert. »Willy Brandts Meinungen sind für die deutsche Öffentlichkeit in zweifacher Hinsicht interessant und wichtig. Nicht nur, weil er Oppositionschef und Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten ist, sondern auch weil er als Regierender Bürgermeister von Berlin eine Schlüsselstellung einnimmt. Er hat dort in besonderer Weise gesamtdeutsche Interessen zu vertreten, von denen man zuweilen glauben könnte, sie seien in Bonn in Vergessenheit geraten.«247
So war es im September 1964 im Stern zu lesen. Das Thema Ostpolitik bewegte die Gemüter248 und war auch dazu angetan, die Auflage zu steigern – ein nicht ganz unerwünschter Nebeneffekt im Engagement Nannens auf
—————— 242 243 244 245 246 247 248
Ebd., S. 273. Vgl. von Schwerin, Nannen, S. 65 ff. Der Stern 25/1993. Vgl. von Schwerin, Nannen, S. 74. Vgl. Ebd., S. 73. Der Stern vom 27. September 1964. Vgl. Glaab, Deutschlandpolitik in der Öffentlichen Meinung.
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diesem Gebiet. Er setzte sich dabei aktiv in Szene, um zu suggerieren, dass er als Chefredakteur und damit auch sein Blatt einen realen Einfluss auf die Politik habe und etwas bewirken könne. Bilder mit führenden Politikern unterstrichen dies. So ließ er sich auch mit Willy Brandt gern in Großaufnahme ablichten. Obwohl Anfang 1963 noch ein mögliches Treffen zwischen Brandt und Chruschtschow, welches dann doch nicht realisiert wurde, im Stern massiv kritisiert wurde,249 brachte er im September 1963 eine große story mit Interview unter der Überschrift »Brandt für sinnvolle Kontakte nach Osten«.250 Der Regierende Bürgermeister konnte hier ausführlich seine Konzepte und nächsten politischen Schritte präsentieren. Die für den Stern charakteristische großzügige Bebilderung zeigt Nannen und Brandt einmütig diskutierend. Brandt bekam häufiger die Möglichkeit, den Stern als Forum zu nutzen, um seine politische Positionen zu erläutern, 1964/1965 sogar regelmäßig. Denn zum Konzept des Stern gehörte es auch, sich sowohl im Unterhaltungsbereich als auch im informierenden und kommentierenden Sektor Verstärkung von Prominenten aus Politik, Journalismus, Kultur, Sport oder dem show business zu holen. Dies geschah, indem man den entsprechenden Personen Gelegenheit bot, Kommentare, Reportagen oder Artikel im Stern zu schreiben. Das Prestige, die Popularität und die Prominenz der Gastjournalisten sollten sich positiv auf das Image der Illustrierten auswirken.251 1964/1965 schrieben Franz Josef Strauß und Willy Brandt abwechselnd im Stern. Ende November 1964 wurde die Kolumne unter der Überschrift »Willy Brandt, Franz Josef Strauß und wir« mit folgenden Worten angekündigt: »Sternleser sind gewöhnt im STERN stets etwas Besonderes zu finden. Jetzt können wir Ihnen etwas bieten, was in der deutschen Pressegeschichte seinesgleichen sucht. Etwa ein Jahr trennt uns noch von der nächsten Bundestagswahl, der ersten nach Adenauer. Sie wird für unsere Zukunft viel bedeuten. Eine ernsthafte Diskussion unserer Schicksalsfragen kann gar nicht früh genug beginnen. An dieser Diskussion müssen so früh wie möglich auch die verantwortlichen Männer teilnehmen. Zwei von ihnen, und zwar zwei der bedeutendsten Politiker Deutschlands, werden sich daher in Zukunft regelmäßig im STERN zu Wort melden. [...] Ihre Beiträge werden sich abwechseln. Brandt und Strauß werden natürlich ihre eigene Meinung schreiben [...] Wir nehmen uns natürlich die Freiheit, wie bisher unsere Meinung zu vertreten, ohne auf die beiden neuen Kolumnisten Rücksicht zu nehmen. [...] Wir geben im Interesse der deutschen Demokratie zwei wichtigen Männern, die sehr viel zu sagen haben, regelmäßig das Wort. Aber das heißt nicht, daß wir ihre Bündnispartner geworden wären.«252
—————— 249 250 251 252
Vgl. Der Stern 5/1963. Der Stern vom 15. September 1963. Vgl. Holzer, Selbstverständnis, S. 30. Der Stern vom 27. September 1964.
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In diesem Fall sollte die Presse als Instanz demokratischer Streitkultur und Meinungsbildung gezeigt werden. Außerdem konnte man auf diese Art und Weise ein breiteres Publikum ansprechen. Die beiden völlig gegensätzlichen Politiker mit ihren stark differierenden politischen Standpunkten garantierten darüber hinaus kontroverse Diskussionen, die andere bekannte Persönlichkeiten zu Meinungsäußerungen provozieren würden – auch dies zum Vorteil der Auflage. Aber nicht nur für den Stern war dieses Arrangement von Vorteil, sondern auch für Strauß und Brandt. Sie bekamen so die seltene Möglichkeit, sich in einer Zeitschrift regelmäßig zu äußern und die eigenen politischen Vorstellungen mehr als 1,5 Millionen Lesern nahe zu bringen – eine höchst willkommene publicity. Brandt gehörte zu den wenigen Politikern, die sich häufiger persönlich in Zeitungen zu Wort meldeten. Die Chance, die ihm der Stern mit dieser regelmäßigen Kolumne zumal in Vorwahlkampfzeiten bot, war von ihrer Werbewirkung nicht zu unterschätzen. So sahen es auch die Strategen für Öffentlichkeitsarbeit in der SPD. Um über die öffentliche Resonanz der Kolumne und mögliche Verbesserungen im Bilde zu sein, gab die SPD eine Meinungsumfrage in Auftrag, die »vertraulich« behandelt und weder der Öffentlichkeit noch dem Stern zur Kenntnis gebracht wurde.253 Dabei kam heraus, dass die Kolumnen durchschnittlich von drei bis vier Millionen Menschen gelesen wurden, wobei ein etwas stärkeres Interesse an den Ausführungen von Brandt bestünde. Insgesamt stieß es auf eine positive Resonanz, dass der Stern eine derartige Kolumne eingeführt hatte (50 Prozent), und sogar 60 Prozent der Befragten befürworteten es grundsätzlich, dass Politiker in Illustrierten schrieben. Brandts Glaubwürdigkeit wurde mit 44 Prozent positiv beziffert, bei Strauß lag sie gerade bei 25 Prozent, und 53 Prozent waren der Ansicht, dass sich die Kolumne für Brandt positiv auswirken würde. Auch bei Intellektuellen kam diese Form der Politikerpräsentation an, wie Egon Bahr vermerkte: »Günter Grass hat mich angerufen. Er ist fröhlich. Er findet die ›Stern‹-Kolumne sehr gut und regt an, diese Form zu kultivieren«.254 Die Texte für die Kolumne schrieb Brandt dann auch in engster Zusammenarbeit mit Egon Bahr selber und ließ sie nicht von Redenschreibern verfassen – was noch einmal die Bedeutung unterstreicht, die dieser Art der politischen Selbstdarstellung beigemessen wurde. So werbewirksam diese Form der Verknüpfung von Journalismus und Politik auch sein konnte, sie hatte eine ständige Auseinandersetzung mit bzw. in der Öffentlichkeit zur Folge, die in Zeiten politischer Niederlagen eher unerwünscht war.
—————— 253 AdsD, Dep. Bahr, 45, Stern-Auswertungen. 254 AdsD, Dep. Bahr, 122, Schreiben vom 31. März 1965.
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»Mein Vertrag hätte mich eigentlich verpflichtet, wenigstens bis zum Ende dieses Jahres in schöner Regelmäßigkeit Kolumnen zu schreiben. [...] Ich halte es für richtig, nicht nur aus persönlichem Interesse, in diesen Wochen und in der nächsten Zeit besonders zurückhaltend mit öffentlichen Äußerungen zu sein«,255
so Brandt an Nannen nach der verlorenen Bundestagswahl von 1965, seinem Rückzug nach Berlin und der öffentlichen Erklärung, nie mehr als Kanzlerkandidat der SPD zur Verfügung zu stehen.256 Trotz der augenscheinlichen publizistischen Unterstützung Brandts setzte der Stern auf ihn als richtigen Kanzler einer sozialliberalen Koalition allerdings erst seit dem Jahr 1967, da Nannen nun klar war, dass eine neue Ostpolitik nur mit einem Kanzler Brandt in die Praxis umzusetzen war. Außerdem befürwortete er erst seit dem Rücktritt Ludwig Erhards das Modell einer sozialliberalen Regierungskoalition. Dieses späte Umschwenken war vor allem auf die andere parteipolitische Orientierung Nannens zurückzuführen, sowie darauf, dass die Interessengleichheit zwischen dem Chefredakteur und dem Kanzlerkandidat sich nur auf ein Politikfeld beschränkte. Im Jahr 1961 stand der Kanzlerkandidat der SPD zwar auf der vom Stern veröffentlichten Liste »das Kabinett unserer Wahl« als Außenminister, als Bundeskanzler sei er jedoch eine Fehlbesetzung und die Wahlversprechen seiner Partei seien nicht einzulösen.257 Kurz vor der Wahl 1965 schrieb Nannen unter der Überschrift »Kann Willy Brandt noch Kanzler werden?« einen Artikel, in dem die Antwort eindeutig negativ für Brandt ausfiel.258 Dennoch bedankte sich dieser nach der Wahl 1965 bei ihm: »für die Fairness, die in unseren Landen noch unterentwickelt ist. Wenn man zuweilen etwas Sympathie zu spüren glaubte in einem Blatt, dessen Verleger [Gerd Bucerius, D.M.] – wenngleich zähneknirschend – CDU wählt, und dessen Chefredakteur öffentlich – wenngleich nicht mit dem Nachdruck, dessen er mächtig ist – für die FDP wirbt, dann kann man als Vorsitzender der SPD schwerlich mehr verlangen.«259
Verbunden wurde dieser Dank mit der Aufforderung, das gemeinsame Gespräch nicht abreißen zu lassen, denn es sei wichtig, »daß aufgeschlossene und verantwortungsbewusste Männer miteinander in Kontakt bleiben.« Dieser Austausch blieb dann auch bestehen. Obwohl seit 1967 der Stern verstärkt versuchte, für eine sozialliberale Koalition mit einem Bundeskanzler Willy Brandt zu werben, fehlte es auch in
—————— 255 AdsD, Dep. Bahr, 9 A, Schreiben vom 26. Oktober 1965. 256 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6.3 dieser Arbeit und Münkel, Auf dem Weg nach vorn, S. 46 f. und 354 ff. 257 Vgl. Der Stern 21/1961. 258 Vgl. Der Stern 37/1965. 259 AdsD, Dep. Bahr, 9 A, Schreiben vom 26. Oktober 1965.
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dieser Zeit nicht an Angriffen.260 Eine inhaltliche Auswertung des Stern hat ergeben, dass besonders ab 1968 die Berichterstattung des Blattes in der Tendenz positiv für die Sozialdemokratie und ihre Politiker war.261 Für dieses Umschwenken war Manfred Bissinger, der 1967 vom Fernsehmagazin Panorama zum Stern wechselte, nicht unwesentlich verantwortlich.262 Bissinger pflegte dann auch in den kommenden Jahren einen engen Kontakt zu Brandt und seinen engsten Mitarbeitern.263 Im Vorfeld und während der Bundestagswahlkämpfe 1969 und 1972 gehörte der Stern mit zu den Presseorganen, die Brandt mit allen publizistischen Mitteln unterstützten, um die öffentliche Meinung für einen Machtwechsel bzw. den Machterhalt zu mobilisieren. Brandt bedankte sich für die Unterstützung mehrfach persönlich bei Nannen und gewährte dafür auch schon mal Exklusivinterviews, so auch 1969: »Für die guten Veröffentlichungen des STERN möchte ich Ihnen schon jetzt danken. Ihr eigener Artikel hat im Vorwahlkampf eine entscheidende Rolle gespielt.«264 Das Jahr 1970 stand beim Stern ganz im Zeichen einer überwiegend positiven Berichterstattung über die deutschland- und ostpolitischen Aktivitäten der Regierung Brandt. Das gemeinsame politische Ziel schien zum Greifen nahe und die Regierung war für die publizistische Unterstützung dankbar. Nannen gehörte mit zu der kleinen Delegation Brandts, die im Dezember 1970 nach Warschau fuhr, was Brandt als Dank für die Unterstützung seiner Politik verstanden wissen wollte. »Ich hatte die Delegation [...] um eine Reihe von Persönlichkeiten erweitert, die an diesem Teil unserer Vertragspolitik besonderen Anteil genommen hatten«265, so der Bundeskanzler.
—————— 260 Vgl. u.a. Der Stern vom 29. Januar 1967; So tat sich der Stern besonders in der öffentlichen Diskussion um den Film »Katz und Maus« nach einer Novelle von Günter Grass hervor. In der Verfilmung lässt Lars Brandt, der zweitälteste Sohn des SPD-Vorsitzenden und Bundesaußenministers, ein Ritterkreuz in seine Badehose fallen. Diese Szene hatte massive Proteste in der Öffentlichkeit zur Folge, besonders Soldatenverbände beschwerten sich gegen diese »Verunglimpfung«, aber auch aus der Bevölkerung gingen zahlreiche Beschwerdebriefe bei der SPD und Brandt persönlich ein. Der Stern heizte die Stimmung an. Brandt und Bahr kamen aber zu der Ansicht, nicht zu intervenieren, da die Diskussion sonst noch unnötig weitergeführt würde; vgl. AdsD, Dep. Bahr, 1/EBAA/699, Vermerk vom 21. Februar 1967. 261 Vgl. von Schwerin, Nannen, S. 120. 262 Manfred Bissinger (1940-), arbeitete seit 1963 beim NDR-Fernsehen, 1965 bis 1967 als Reporter bei Panorama, 1967 Wechsel zum Stern, wo er ab 1975 einer der drei stellvertretenden Chefredakteure war. 1978 wurde er aufgrund inhaltlicher Differenzen mit der Verlagsleitung entlassen, nach mehreren Jahren bei verschiedenen Zeitungen ging er 1989 zum Verlag Hoffmann & Campe, wo er Chefredakteur für die Merian-Hefte wurde. Bissinger verließ Panorama aus Protest gegen die Entlassung von Joachim Fest, vgl. Schreiber, Nannen, S. 308 f. 263 Vgl. u.a. AdsD, Dep. Bahr, 36 A, 1. 264 WBA, SPD-Parteivorsitzender, Persönliche Korrespondenz, Mappe 6, Schreiben vom 18. September 1969. 265 Brandt, Begegnungen und Einsichten, S. 532.
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Nach 1972 reihte sich aber auch der Stern in die Riege der Kritiker ein und begann gegen das Stocken der innenpolitischen Reformbemühungen anzuschreiben.266
Die Zeit Die Zeit, in den sechziger Jahren die liberale Wochenschrift in der Bundesrepublik, konnte zwar mit ihrer Auflage (1968: 250.000) bei weitem nicht mit dem Spiegel oder dem Stern konkurrieren, spielte jedoch im intellektuellen Diskurs über das politische Geschehen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Zeit war nie ein Massenblatt und war auch nicht als solches konzipiert. Ihre Leserschaft rekrutierte sich vor allem aus dem liberalen bis linksliberalen Bildungsbürgertum. Die Wochenzeitung zeichnete sich dadurch aus, dass es keinen einheitlichen politischen Kurs gab, dieser konnte von Ressort zu Ressort variieren – ein Zeichen ihrer Liberalität. Allerdings machte die allgemeinpolitische Ausrichtung des Blattes von den fünfziger Jahren bis zum Ende der sechziger Jahre eine Trendwende von der rechten Mitte, über rechts außen, in die Mitte des politischen Spektrums bis hin zur Unterstützung der sozialliberalen Koalition und ihrer Politik durch.267 Verleger, Herausgeber und ab 1957 Alleineigentümer der Zeit war Gerd Bucerius. Bucerius, 1906 in Hamm (Westfalen) geboren, studierte Jura und war danach als Rechtsanwalt tätig. Er übte diese Tätigkeit in Hamburg auch während der NS-Zeit aus. Da Bucerius Juden verteidigte und außerdem mit einer Jüdin verheiratet war,268 bekam er des Öfteren mit dem NS-Regime auf beruflicher Ebene Schwierigkeiten. Am Zweiten Weltkrieg nahm er nicht aktiv teil. Da Bucerius »politisch unbelastet« war, bekam er bereits am 1. Juli 1945 seine Wiederzulassung als Anwalt. Seine berufliche Zukunft sollte aber auf einem anderen Gebiet liegen. Er war Demokrat und bereit, so sein Biograph Ralf Dahrendorf, »seinen Beitrag dazu zu leisten, dass die deutsche Demokratie nicht ein zweites Mal scheiterte«.269 Bucerius ist ein herausragendes Beispiel für die Verschmelzung von Politik und Journalismus in einer Person. Auch während seiner Aktivitäten als Politiker blieb er Herausgeber der Zeit. Die politische Karriere stand in den ersten Jahren jedoch eindeutig im Vordergrund, was sich seit Anfang der sechziger Jahre in sein Gegenteil verkehrte.
—————— 266 Vgl. Zons, Denkmal, S. 93 ff. 267 Vgl. Dahrendorf, Liberal, S. 92 ff. 268 Seine Frau emigrierte 1938 nach England, die Ehe wurde im gegenseitigen Einvernehmen Ende 1945 geschieden. 269 Dahrendorf, Liberal, S. 157. In der Weimarer Republik hatte Bucerius der DDP nahegestanden.
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Parteipolitisch war Bucerius zunächst nicht festgelegt, sowohl die Sozialdemokraten als auch die Christdemokraten wären für ihn in Frage gekommen. Dass er sich dann im Juni 1946 für einen Eintritt in die CDU entschied, hing sowohl mit dem politischen Programm als auch mit bestimmten Persönlichkeiten zusammen.270 Konrad Adenauer, den er in Hamburg hörte, überzeugte und beeindruckte ihn. Kurt Schumacher hingegen, den er bereits 1945 in Hannover besucht hatte, schreckte ihn ab. Er war ihm zu »national«, und die wirtschaftpolitischen Konzepte der Nachkriegs-SPD behagten ihm überhaupt nicht. Seine politische Karriere hatte Bucerius bereits im Februar 1946 als parteiloser Bausenator in Hamburg begonnen. Dieses Amt verlor er allerdings nach der ersten freien Wahl in der Hansestadt im November 1946. Bucerius wurde Abgeordneter der CDU im Frankfurter Wirtschaftsrat und gehörte von 1949 bis zu seinem Rücktritt im Jahr 1962 dem deutschen Bundestag an. Er wurde zu einem überzeugten Anhänger der Wirtschaftspolitik und der Person Ludwig Erhards. Auf anderen Politikfeldern waren seine Meinungen nicht so festgelegt und konnten durchaus variieren. Noch bevor Bucerius in die Politik ging, hatte er bei der britischen Besatzungsmacht zusammen mit Richard Tüngel, Ewald Schmidt di Simoni und Lovis H. Lorenz die Lizenz für eine Wochenzeitung beantragt und diese am 14. Februar 1946 auch erhalten. Am 21. Februar 1946 erschien mit einer Auflage von 25.000 Exemplaren die erste Ausgabe der Zeit, die »Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Handel und Kultur«, nach dem Vorbild des englischen Observers. In der ersten Nummer kündigten die Herausgeber ihr journalistisches credo an: »Wir werden niemanden nach dem Munde reden, und dass es nicht allen recht zu machen ist, ist eine alte Weisheit. Aber auch eine uns fremde Ansicht mag die Gewissheit haben, dass sie von uns geachtet wird.«271
Dies bedeutete auch, dass in der Zeit die Politik der Besatzungsmächte offensiv kritisiert wurde – in der damaligen zensierten Zeitungslandschaft ein nicht gerade alltäglicher Vorgang. Eine solche Berichterstattung kam gut bei den Lesern an, so dass die limitierte Auflage immer sehr schnell vergriffen war. Politisch lässt sich die »frühe« Zeit vor allem im national-konservativen Lager verorten,272 was nicht immer der Meinung von Bucerius entsprach.273
—————— 270 Vgl. ebd., S. 79. 271 Die Zeit vom 21. Februar 1946. 272 Hier muss allerdings angemerkt werden, dass die CDU in der unmittelbaren Nachkriegszeit durchaus auch »linke« Positionen, z.B. im »Ahlener-Programm« in Bezug auf die zukünftige Wirtschaftsordnung vertrat; vgl. Bösch, Adenauer-CDU, S. 60 f. 273 Vgl. Dahrendorf, Liberal, S. 94.
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Die Zeit in den fünfziger Jahren Die Zeit in den fünfziger Jahren war antikommunistisch, sie befürwortete den Kurs der Westintegration Adenauers, die soziale Marktwirtschaft Erhards, die Wiederbewaffnung und war gegen eine Annäherung an die DDR bzw. den Ostblock. Allerdings kam es in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahren zu einem großen Eklat innerhalb der Redaktion, der dann die Weichen für eine politische Umorientierung des Blattes stellte. Der Mitbesitzer und Chefredakteur Richard Tüngel,274 der die politische nationalliberal-konservative Linie der Wochenzeitung in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre maßgeblich bestimmt hatte, driftete stetig weiter nach rechts außen. Er holte darüber hinaus verstärkt Journalisten und Gastkommentatoren ins Blatt, die seine Meinung teilten. Zum offenen Zerwürfnis zwischen Richard Tüngel, Marion Gräfin Dönhoff275 und dem Chef vom Dienst, Josef Müller-Marein276, kam es, als Tüngel im Jahr 1954 einen Artikel des Staatsrechtlers Carl Schmitt druckte.277 Dönhoff und Müller-Marein drohten daraufhin mit Kündigung. Dönhoff verließ dann auch für eine kurze Dauer die Zeit. Nur durch die Intervention von Bucerius, die zur Entmachtung von Tüngel führte und 1957 mit dessen endgültigem Ausscheiden enden sollte, kam Marion Gräfin Dönhoff bereits 1955 zurück.278 Sie wurde stellvertretende Chefredakteurin. Müller-Marein avancierte gleichzeitig zum Chefredakteur. Unter der Ägide der beiden veränderte sich die Zeit politisch und konnte so wieder einen Auflagenanstieg verzeichnen: Lag die Auflage im Jahr 1957 gerade mal bei 50.000 Exemplaren, war sie im Jahr 1968 (250.000) fünf mal so hoch und erreichte im Jahr 1970 fast 320.000. Mit der Aufhebung der Lizenzierungspflicht und der dadurch bedingten Expansion des Zeitungsmarktes war die Zeit durch einen eklatanten Auflagen-
—————— 274 Richard Tüngel (1893-1970), Architekt, bis 1933 Stadtbaurat in Hamburg, von 1933 bis 1945 diverse schriftstellerische Tätigkeiten, Kulturpublizist und Verlagslektor, von 1946 bis 1955 Chefredakteur der Zeit, bis 1957 Mitbesitzer. 275 Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002), Studium und Promotion im Fach Volkswirtschaftslehre, ab 1939 Führung der Familiengüter in Ostpreußen, 1945 Flucht, seit 1946 Redakteurin bei der Zeit, seit 1954 Leiterin des Politikressorts, ab 1957 stellvertretende Chefredakteurin, seit Juli 1968 Chefredakteurin, seit 1973 Mitherausgeberin. 276 Josef Müller-Marein (1907-1981), Ausbildung als Musiker, 1932 bis 1943 Mitarbeiter des Ullstein- und des Scherl-Verlages in Berlin, 1943 bis 1945 Kriegsberichterstatter bei der Wehrmacht/Luftwaffe, 1945 Kapellmeister in Lübeck, seit 1946 Redakteur bei der Zeit, 1954 bis 1956 Chef vom Dienst, 1957 bis 1968 Chefredakteur, 1969 bis 1980 Vorsitzender des Verwaltungsrates des Rowohlt-Verlages, daneben Tätigkeiten als freier Schriftsteller und Kolumnist. 277 Nicht was Schmitt schrieb, sondern die Tatsache, dass er trotz seiner umstrittenen Haltung während des Nationalsozialismus in der Zeit publizieren durfte, war der Auslöser des Konfliktes. 278 Vgl. dazu ausführlich von der Heide/Wagener, »Weiter rechts als die CDU«, S. 182 ff.
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rückgang in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.279 Diese bedrohten in den fünfziger Jahren mehrfach die Existenz der Wochenzeitung. Die finanziellen Probleme konnten nur durch die ökonomischen Erfolge des Stern, den Bucerius – wie bereits erwähnt – zu einem Großteil übernommen hatte, sowie durch die Hilfe Ludwig Erhards und des CDU-Bankiers Pferdemenges abgemildert werden. Mehrfach unterstützte Ludwig Erhard Gerd Bucerius bei der Beschaffung von Geldmitteln für die Zeit. Erhard tat dies nicht nur aus Verbundenheit oder Freundschaft, sondern auch weil er sich eine positive Berichterstattung über seine Person und Politik erhoffte – eine enge Verbindung zwischen Politik und Presse zum beiderseitigen Vorteil. Im März 1951 schrieb er an Bucerius: »In unserer heutigen Besprechung kam eine volle Übereinstimmung darüber zustande, dass es das Ziel der Regierung sein muss, in der Presse eine für ihre Politik hinreichende Resonanz zu finden. Ich bin mir dessen bewusst, dass Sie der Bundesregierung und im besonderen dem Wirtschaftsministerium in der Verfolgung ihrer Ziele wesentliche Unterstützung angedeihen lassen können, und ich werde deshalb nicht verfehlen, schon in der kommenden Woche in Besprechungen mit dem Bundesverband der deutschen Industrie die Voraussetzungen zu schaffen zu suchen, um Ihrer Aktivität die materielle Basis zu geben.«280
Die Hoffnungen auf beiden Seiten wurden dann erfüllt. Bucerius war in den fünfziger Jahren primär als Politiker im Bundestag und als Berlinbeauftragter der Bundesregierung aktiv. Die Zeit nutzte er jedoch als ein Forum, um seine politischen Vorstellungen zu erörtern und für diese zu werben. Dies bezog sich auf tagespolitische Probleme, aber vor allem auf wirtschaftspolitische und rechtliche Fragen. Er ging von einer Macht der Medien auf die politische Meinungsbildung aus. In besonderem Maße nutzte er das Blatt, um für seinen Favoriten Ludwig Erhard als Bundeskanzler bereits im Jahr 1957 zu werben.281 Zwischen Adenauer und Bucerius entstanden zunehmend Differenzen, letzterer hielt Erhard wegen dessen politischen Ansichten für geeigneter, die Kanzlerschaft zu übernehmen. Als Adenauer im Jahr 1959 hin und her lavierte, ob er Bundespräsident werden solle oder nicht, startete Bucerius in der Zeit eine öffentliche Kampagne mit Artikeln und Umfragen zugunsten eines Bundeskanzlers Erhard. Er nutzte seine publizistischen Möglichkeiten, um seinen politischen Zielen zum Erfolg zu verhelfen. Dass Erhard damals sowie im Jahr 1962 zögerte, hat Bucerius ihm nie vergessen. Im Februar 1963 schrieb er ihm nochmals einen ausführlichen Brief, in dem er ihn für seine Haltung massiv kritisierte.
—————— 279 Die Auflage sank von 80.000 Exemplaren im Jahr 1950 auf 44.000 im Jahr 1952. 280 LES, NL Erhard, I.4/38, Schreiben vom 2. März 1951. 281 Vgl. Dahrendorf, Liberal, S. 137 ff.
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»Keine Zeitung u. kein Politiker haben sich so für Sie gestritten, wie ›Zeit‹ + ich. Niemand hat Ihnen so präzise + – wie ich glaube – richtige Ratschläge gegeben, wie wir. [...] Gewiß: zwischen Politik + Presse lässt sich vieles machen, aber nicht auf einer Einbahnstraße.«282
Bucerius glaubte an die Macht der Presse im Zusammenspiel mit der Politik. Die enge Verbindung von Journalismus und Politik, die Bucerius personifizierte, hatte allerdings nicht nur Vorteile, sondern brachte für ihn auch massive Nachteile mit sich. Er wurde ständig zur Rede gestellt. Im Besonderen wurden ihm die Artikel im regierungskritischen Stern von seinen CDU-Parteikollegen vorgehalten. So ist es fast eine Ironie, dass ein Stern-Artikel im Jahr 1962 der Anlass für den Rückzug von Bucerius aus der aktiven Politik war. Es handelte sich um einen anonymen Artikel vom 14. Januar 1962 unter dem Titel »Brennt in der Hölle wirklich ein Feuer?«, der eine massive Kritik an der katholischen Kirche enthielt.283 Für die CDU bot sich hier eine willkommene Gelegenheit, sich eines unbequemen Fraktionsmitgliedes zu entledigen. Der Zeitungsartikel war der Aufhänger für eine Kampagne, die maßgeblich von den CDU-nahen Zeitungen und der katholischen Presse gegen Bucerius in der Öffentlichkeit geführt wurde. Bucerius trat daraufhin aus der CDU aus und gab sein Bundestagsmandat zurück. Nach seinem Rückzug aus der aktiven Politik im Jahr 1962 überschritt Bucerius des Öfteren noch die Schwelle zwischen Politik und Journalismus, allerdings vor allem in beratender Funktion. Er war Mitglied in der so genannten »Brigade Erhard«, die sich aus bekannten Wahlforschern wie Rudolf Wildenmann, Publizisten wie Rüdiger Altmann und Johannes Groß, dem Wirtschaftsexperten Alfred Müller-Armack sowie zwölf weiteren Personen zusammensetzte.284 Dieser feste Kreis, der auf eine Idee von Bucerius zurückging,285 beriet Kanzler Ludwig Erhard nicht nur in zahlreichen politischen Sachfragen, sondern auch bei der Image-Pflege und der Öffentlichkeitsarbeit.286
—————— 282 LES, NL Erhard, I 4/38, Schreiben vom 23. Februar 1963. 283 Der Autor des Artikels war Jürgen von Kornatzky, vgl. dazu ausführlich Dahrendorf, Liberal, S. 146 ff. 284 Vgl. Hentschel, Erhard, S. 776 f. 285 Vgl. LES, NL Erhard, I 4/38, Schreiben vom 23. Februar 1963, darin hieß es wörtlich: »Es fehlt Ihnen an einem: Wenn Sie die Allgemeinheit überzeugen wollen, daß Sie mehr als ein großer Wirtschaftsminister sind, dann müssen Sie regelmäßig zu allgemeinen Problemen sprechen. Dazu brauchen Sie einen brain-trust.« 286 Bucerius war auch Mitglied einer Bundestagskommission zur Fragen der Pressekonzentration, der »Günther-Kommission«, im Jahr 1967.
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Die Zeit in den sechziger Jahren Nach dem Rückzug aus der aktiven Politik widmete sich Bucerius ganz seiner Tätigkeit als Verleger. Hier lag sein Schwerpunkt allerdings weniger im journalistischen als vielmehr im kaufmännischen Bereich.287 In die organisatorischen, personellen sowie inhaltlich-politischen Schwerpunktsetzungen der Zeit versuchte er sich jedoch sehr wohl einzumischen, wie unter anderem ein umfänglicher Brief- und Schriftwechsel über die Jahrzehnte mit Marion Gräfin Dönhoff eindrucksvoll dokumentiert. Er sei ein »interventionistischer Verleger« gewesen, hieß es.288 Dennoch gab er keine Richtung vor oder gar Anweisungen, was im Blatt geschrieben werden sollte. In einem Brief an Franz Josef Strauß vom 6. Juni 1961 hatte er die Rolle eines Verlegers bereits definiert: »Ein Verleger [...] kann einfach in seiner Zeitung Dinge nicht ›in Ordnung bringen‹. Was in der Zeitung steht, ist das Produkt einer immerwährenden Diskussion. So ist das in einer Demokratie.«289
Trotz dieser Prämisse nutzte Bucerius die Zeit immer wieder, um seine Standpunkte auf diversen Politikfeldern zu erörtern. Er schrieb zu diesem Zweck Artikel im Blatt und hoffte, damit etwas bewegen zu können. »Nur eines kann ich: Meine eigene Meinung im Blatt sagen, wie oft ich will, wie ausführlich ich will, auf welcher Seite ich will. Das ist ein Privileg.«290 Die politische Linie bestimmten in den sechziger und beginnenden siebziger Jahren andere, vor allem Marion Gräfin Dönhoff, Josef Müller-Marein und Theo Sommer291. Letzterer gab die Meinung aller führenden Redaktionsmitglieder wieder, als er sagte, dass es keine feste »politische Linie« bei der Zeit in den sechziger Jahren gegeben habe: »Es war keine Frage der Linie. Die Ereignisse waren das Bestimmende. Wir haben nur versucht, durch ausgiebige Diskussion eine vernünftige Haltung zu den Ereignissen zu entwickeln.«292
Dies ist sicherlich eine idealisierte Sichtweise der Dinge, denn schon durch das journalistische Personal, was seit Ende der fünfziger Jahre zur Zeit kam, war eine grobe politische Richtung vorgegeben. Allerdings entwickelte sich die Zeit
—————— 287 288 289 290 291
Vgl. Dahrendorf, Liberal, S. 164. Vgl. von Kuenheim/Sommer, Ein wenig betrübt. Zitiert nach: von Kuenheim/Sommer, Ein wenig betrübt, S. 47. Zitiert nach: Dahrendorf, Liberal, S. 195. Theo Sommer (1930-), 1958 bis 1968 politischer Redakteur bei der Zeit, 1968/69 und 1970 bis 1973 stellvertretender Chefredakteur, 1973 bis 1992 Chefredakteur, 1992 bis 2000 Herausgeber der Zeit. 292 Zitiert nach: Dahrendorf, Liberal, S. 160 f.
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auch zu einem Forum, in dem die politischen und intellektuellen Diskurse jener Jahre von Gastkommentatoren aus Politik und Wissenschaft kontrovers erörtert wurden. Gekennzeichnet war das Blatt dabei durch einen argumentativen Stil mit langen, ausführlichen Artikel. Die Zeit gehörte unbestritten zu den Zeitungen, die Brandt und seine Politik in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre massiv unterstützten. Dies betraf die Ostpolitik genauso wie die anderen Reformprojekte, Brandts politischen Stil und seinen Appell für »mehr Demokratie« in Politik und Gesellschaft. Brandt avancierte zum politischen »Helden« der Zeitung. »Sie und die ZEIT haben das Volk auf unsere Ostpolitik vorbereitet«293, soll Willy Brandt zu Marion Gräfin Dönhoff gesagt haben. Diese Einschätzung überbetont zwar die Position der Zeit, ist in der Tendenz aber nicht von der Hand zuweisen. Was die personellen bzw. persönlichen Beziehungen von Brandt zur Zeit betrifft, so bestanden diese weniger zu Bucerius als zu einzelnen Mitgliedern seines Redaktionspersonals. Brandt und Bucerius kannten sich schon seit den fünfziger Jahren, als Bucerius Berlin-Beauftragter der Bundesregierung war. Brandt respektierte seine politischen Leistungen und fand sein Ausscheiden aus der Politik keinen begrüßenswerten Schritt. »Ich finde es sehr bedauerlich, daß Sie sich genötigt sahen, Ihren Austritt aus der CDU zu erklären und noch mehr, daß Sie aus dem Bundestag ausgeschieden sind. Selbständig denkende und mutige Männer sind hierzu Lande nicht allzu häufig.«294
Die politischen Anschauungen der beiden Männer lagen allerdings zu weit auseinander, um zu einer intensiven Beziehung zu führen. Zwar wählte auch Bucerius in der Wechselstimmung des Jahres 1969 das einzige Mal in seinem Leben die SPD, seine eigentliche politische Heimat lag jedoch woanders. Er war, so sein Biograph, ein »rechter Liberaler«.295 Seine politischen Positionen lagen in der Regel irgendwo zwischen CDU und FDP. Die zum Teil engen Kontakte zwischen Brandt, seinen Mitarbeitern, der SPD und der Zeit bestanden vor allem zu Marion Gräfin Dönhoff und Theo Sommer. Letzterer war sogar für ein Jahr 1969/1970 Leiter des Planungsstabes im Bundesministerium für Verteidigung. Brandt und Marion Gräfin Dönhoff tauschten sich vor allem in Fragen der Ostpolitik aus und schätzten sich gegenseitig auch als Menschen.296
—————— 293 Zitiert nach: Schwarzer, Dönhoff, S. 200. 294 LA-Berlin, B Rep. 002, 4051, Schreiben vom 15. Februar 1962. 295 Vgl. Dahrendorf, Liberal, S. 196 ff. Dahrendorf definiert die Etikettierung von Bucerius als »rechten Liberalen« folgendermaßen: »Er war ein regelrechter, ein richtiger Liberaler, vom inneren Grund her, einer, der keine Ideologie brauchte, um auf Situationen liberal zu reagieren. Zugleich war er ein Liberaler, der rechts stand, rechts von der politischen Mitte«, ebd. S. 199. 296 Vgl. u.a. Schwarzer, Dönhoff, S. 198.
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Die nachhaltige publizistische Unterstützung Brandts durch die Zeit setzte noch vor der Bildung der Großen Koalition im Jahr 1966 ein. Seine beiden vergeblichen Kanzlerkandidaturen wurden von dem Blatt hingegen eher kritisch beurteilt. Das hatte einmal politisch-inhaltliche Gründe: der »weichgespülte« Kurs der »Gemeinsamkeitspolitik« der SPD und die mögliche Bildung einer Großen Koalition missfielen den politischen Redakteuren der Zeit,297 wie beispielsweise Rolf Zundel298. Der zweite grundsätzliche Kritikpunkt betraf die Art der Selbstdarstellung des Politikers Brandt, die als Kunstprodukt von übereifrigen SPD-Imageplanern, die sich einzig an Meinungsumfragen orientierten, dargestellt und negativ beurteilt wurde.299 Inwieweit es eine Rolle gespielt haben mag, dass Bucerius 1961 selber für die CDU kandidierte und dass 1965 sein politischer Favorit Ludwig Erhard zur Wiederwahl als Bundeskanzler antrat, kann nicht eindeutig gesagt werden, ist aber wohl grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Außerdem schien die SPD in den Augen der Verantwortlichen bei der Zeit zu diesem Zeitpunkt keine wirkliche Alternative darzustellen. Der Ansatzpunkt für einen Kurswechsel der Zeit im Jahr 1966 lag vor allem an den deutschland- und ostpolitischen Positionen von Brandt und der SPD. Die SPD hatte unter anderem durch ihre Initiative zum Redneraustausch mit der SED wieder Bewegung in die Deutschlandpolitik gebracht und das Thema für sich besetzt.300 Brandts Berliner Aktivitäten sowie seine ostpolitischen Ansätze fanden ebenso bei vielen in der Politikredaktion Anklang. Auch Gräfin Dönhoff plädierte schon früh, erstmals 1961, für eine aktive Ostpolitik. Für sie als Adelige und aus Ostpreußen vertrieben, war dies ein Stück Vergangenheitsaufarbeitung. 1965 schrieb sie, dass die SPD auf dem Feld der Außenpolitik weitsichtiger sei als die CDU.301 Während der Außenministerzeit Brandts gab es bereits einen regen Austausch zwischen Marion Gräfin Dönhoff, Theo Sommer auf der einen sowie Egon Bahr und Brandt auf der anderen Seite.302 In der Zeit wurde dementsprechend positiv berichtet – die gemeinsame Zielperspektive auf einem Politikfeld bildete auch hier die Klammer für die Kontakte. So gehörte die Zeit zu den Zeitungen, die 1969 massiv für einen Politikund Regierungswechsel eintraten.303 Nachdem dieses Ziel erreicht war, wurde
—————— 297 Vgl. u.a. Die Zeit vom 10. Februar 1961. 298 Rolf Zundel (1928-1989), 1959 bis 1967 politischer Redakteur bei der Zeit, 1967 bis 1973 und 1975 bis 1989 Leiter des Bonner Büros, 1973 bis 1975 stellvertretender Chefredakteur. 299 Vgl. u.a. Die Zeit vom 9. April 1965, 20. August 1965, 10. September 1965. 300 Vgl. u.a. Die Zeit vom 10. Juni 1966. 301 Vgl. Schwarzer, Dönhoff, S. 196 ff. 302 Vgl. u.a. AdsD, Dep. Bahr, 36 B, Schreiben vom 21. März 1967, 7. April 1967. 303 Vgl. dazu allgemein Zons, Denkmal, S. 22 ff.
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in der ersten Phase nach der Wahl Brandts zum Bundeskanzler überschwänglich über seine Person und seine politischen »Visionen« berichtet. Rolf Zundel schrieb von einer »historischen Zäsur«304. Die Begeisterung beschränkte sich nun nicht mehr nur auf die Außenpolitik, sondern auch auf die innenpolitischen Reformansätze. »Aber das [Reform-, D.M] Programm war inspirierend. Allerdings wuchsen die Erwartungen und Ansprüche der Bürger auch immer höher. Ein ganz neues Lebensgefühl bemächtigte sich der Menschen. Eine Reformsucht allergrößten Stils brach los, breitete sich aus wie ein Flächenbrand«,305
so Gräfin Dönhoff in der Retrospektive. Die Zeit trug mit ihrer Berichterstattung viel dazu bei, Brandt zu verklären und enorme Hoffnungen zu wecken, die ihm spätestens nach 1972 große politische Probleme bereiteten. Brandt avancierte in der Zeit zum Helden. Diese blieb in Phasen als andere linksliberale Blätter den Bundeskanzler schon wieder kritisierten, auffallend zurückhaltend. Das erste Regierungsjahr und vor allem die ostpolitischen Erfolge wurden fast euphorisch begleitet. Die herausragende Stellung, die Brandt der Zeit und im Besonderen ihrer Chefredakteurin beimaß, wurde auch darin deutlich, dass sie – ebenso wie Henri Nannen – zu der kleinen Gruppe gehören sollte, die ihn im Dezember 1970 nach Warschau begleitete. Dass sie absagte, hatte nichts mit Brandt und seiner Politik zu tun, sondern mit persönlichen Empfindungen. Um Brandt und dem Vorhaben nicht zu schaden, sagte sie erst kurz vorher ab, so dass es keine öffentliche Diskussion mehr über ihren Schritt geben konnte.306 Als die sozialliberale Koalition und damit die Ostpolitik im Jahr 1972 durch Misstrauensvotum und Neuwahlen gefährdet war, gehörte die Zeit genauso wie Stern, Spiegel und die linksliberalen Tageszeitungen zu den Presseorganen, die über das sonst übliche Maß hinaus für die Regierung und vor allem den Bundeskanzler Partei ergriffen. »Mit dem Sieg Brandts und seiner Koalition haben wir beide gerechnet; sie haben ihn sich sehr gewünscht«307, so Gerd Bucerius an Marion Gräfin Dönhoff im Dezember 1972. Die Symbiose von Journalismus und Politik erfuhr nun einen Höhepunkt in der Geschichte der Bundesrepublik, der allerdings nach dem Wahlerfolg 1972 nicht mehr von langer Dauer war. Bei den dann folgenden Angriffen auf Brandt hielt sich die Zeit im Verhältnis zurück. »Ich habe früh auf die keineswegs nur in der Person Brandts, sondern mehr im Zielkonflikt der einzelnen SPD-Gruppierungen liegende Führungsschwäche dieses Kanzlers hingewiesen.
—————— 304 305 306 307
Die Zeit vom 24. Oktober 1969. Dönhoff, Deutschland, Deine Kanzler, S. 211. Vgl. AdsD. Dep. Bahr, 324/1; Schwarzer, Dönhoff, S. 199f. Zitiert nach: von Keunheim /Sommer, Ein wenig betrübt, S. 143.
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Theo Sommer macht zwar schon kritische Anmerkungen, bekommt aber immer noch (Dezember 1973) sanfte Augen, wenn er von Willy Brandt spricht«,308
so Bucerius. Die »gemeinsamen« politischen Erfolge, die Bewunderung für den Kanzler und die persönlichen Bindungen machten es offensichtlich einigen Journalisten schwer, wieder den nötigen Abstand zu finden.
3.3 Magazine und Illustrierte Neben den Wochen- und Tageszeitungen spielten seit den fünfziger Jahre die Unterhaltungsillustrierten eine wichtige Rolle in der bundesdeutschen Medienlandschaft. Sie boomten regelrecht und bedienten mit ihren großzügig bebilderten Geschichten das Bedürfnis der Leserschaft nach Unterhaltung. Brandt kam auch dieser Form des Journalismus entgegen, in dem er es zuließ und gerade zu förderte, dass über ihn und seine Familie dort berichtet wurde. Politiker als Privatpersonen darzustellen, als Menschen wie »Du und ich« zu präsentieren, das Menschliche hinter der Politik zu suchen und damit die vermeintliche Trennung von öffentlich versus privat aufzuheben, ist auch in Deutschland keine reine Erfindung des Nachkriegsjournalismus. Die Darstellung von Politikern as real man begann bereits am Ende des 19. Jahrhunderts in den USA.309 Der Trend verstärkte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dann noch einmal in den zwanziger Jahren. Diese Entwicklung war eng mit der Ausbreitung von Massen-Illustrierten (mass-circulations magazins) und der technischen Innovation, Fotos in guter Qualität drucken zu können, verbunden. Dadurch wurde der human-interest journalism auf allen Gebieten befördert. In Deutschland gab es während der Weimarer Republik in den Illustrierten Geschichten mit Bildern über Stars und andere Berühmtheiten aus Kunst, Kultur und dem öffentlichen Leben, die diese Personen in ihrem vermeintlichen privaten Umfeld zeigten und über deren Privatleben berichteten.310 Solche Artikel über Politiker waren jedoch nicht sehr verbreitet. Es waren die Nationalsozialisten mit ihrer ausgeklügelten Propagandamaschinerie, die dies forcierten. Bereits 1932 veröffentlichte Heinrich Hoffmann, Hitlers Leibfotograf, einen Bildband unter dem Titel »Hitler, wie ihn keiner kennt«, in dem die »private« Seite des NSDAP-Führers gezeigt werden sollte.311 Nach der Macht-
—————— 308 309 310 311
Zitiert nach: Dahrendorf, Liberal, S. 194. Vgl. von Saldern, Amerikanische Magazine, S.189 f.; Ponce de Leon, Self Exposure, S. 173 ff. Vgl. u.a. Seegers, Hör zu!, S. 99. Vgl. Herz, Vom Medienstar zum propagandistischen Problemfall, S. 59.
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übernahme der Nationalsozialisten wurde dieser Aspekt der Präsentation des »Führers« und seiner führenden Minister, wie Goebbels oder Göring, weiter praktiziert und ausgebaut. In den Zeitungen und Illustrierten der dreißiger Jahre waren solche Bilder mit entsprechenden Artikeln häufig zu finden. Dabei handelte es sich um sorgfältige Inszenierungen, die die entsprechenden Personen zwar in ihrer privaten Umgebung zeigten, aber dennoch wenig mit ihrem realen Leben oder ihrem Alltag zu tun hatten. Die Botschaft war trotzdem eindeutig und kam bei den Rezipienten und Rezipientinnen an: Der »Führer« habe die Nähe zu seinem Volk nicht verloren und sei nicht weit von den einfachen Menschen entfernt.312 Der »wirkliche« Hitler sei Mensch, Kamerad, Tierund Menschenfreund sowie Kunstliebhaber. Diese Form der Darstellung Hitlers sollte die Identifikation mit ihm und damit seiner Politik erhöhen. Die »privaten« Politikerbilder und Artikel der fünfziger Jahre, vornehmlich von Adenauer, zeigten diesen in immer wiederkehrenden Motiven, die mit seinem privaten Leben wenig zu tun hatten. Sie gehörten zu einer umfassenden Inszenierung des ersten deutschen Bundeskanzlers als Patriarchen.313 Die Darstellung von Brandt als »Privatmann« unterschied sich in den fünfziger Jahren davon – wie bereits an andere Stelle ausgeführt –, befördert durch die Springer-Presse. Sie hatte eine andere Art Ikonographie und andere Botschaften. Es wurde ein junger moderner Politiker und Privatmann präsentiert. In den sechziger Jahren als Brandt eine immer zentralere Rolle auf der bundespolitischen Bühne zu spielen begann, nahm das Interesse der Presse nicht nur an seiner politischen, sondern auch an seiner privaten Person ständig zu. Die Bilder und die Aussagen der Texte sowie die quantitative Menge derartiger Geschichten waren zu dieser Zeit bei anderen Politikern nicht üblich. Eine solche Berichterstattung traf aber bei der Leserschaft auf eine große Resonanz und wurde schon deshalb von den Zeitungsmachern gefördert. Den SPDWerbestrategen und Brandt persönlich kam eine solche mediale Darstellung ebenfalls sehr gelegen, konnte doch so das Image des Kandidaten, Ministers oder Kanzlers verbessert werden, wobei sich seine besondere Fotogenität noch zusätzlich positiv auswirkte. Die Form der Berichterstattung über den Politiker Brandt als »Privatmann« seit Ende der fünfziger Jahre ist der Beginn einer Entwicklung, die bis heute noch nicht abgeschlossen ist, in der das voyeuristische Element immer mehr die Überhand gewinnt und die Privatsphäre von Politikern zunehmend der Öffentlichkeit – nicht immer freiwillig – preisgegeben wird.
—————— 312 Vgl. Henning, Hitler-Porträts, S. 34 f. 313 Vgl. Kapitel 3.1. dieser Arbeit.
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Es würde ein eigenes Buch füllen, die Zeitungen und Illustrierten der sechziger und beginnenden siebziger Jahre zu diesen Komplex systematisch auszuwerten. Deshalb werden allgemeine Tendenzen und Entwicklungen näher betrachtet und an Einzelbeispielen illustriert. Die human-interest-stories über Brandt erschienen sowohl in Tageszeitungen als auch in Illustrierten und Frauenzeitungen, wobei die Tageszeitungen genre-bedingt seltener in dieser Form berichteten und dort das Bildmaterial – mit Ausnahme von Teilen der Springer-Presse – weniger üppig war. Dies fand man vor allem bei den Illustrierten. Hier spielten Fotos eine zentrale Rolle – zunächst, um die Texte zu illustrieren, seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre auch zunehmend, um für sich selbst zu sprechen.314 Zur gleichen Zeit änderten sich die Bildformate in den Illustrierten. Das großformatige, eine ganze Seite einnehmende Foto trat seinen Siegeszug an und prägte von nun an das Erscheinungsbild der deutschen Illustrierten.315 Die Geschichten und Bilder von der »privaten« Seite des Politikers Brandt wurden mit unterschiedlichen Motiven und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen der Öffentlichkeit präsentiert: Willy Brandt allein, er mit seiner Familie, seine Frau allein, mit oder ohne Kinder, Brandt mit einem oder mehreren seiner Söhne oder seine Söhne allein. Die Familie war fester Bestandteil der Imagekampagnen und Öffentlichkeitsarbeit. Ihre Mitglieder wurden je nach Bedarf als Individuum oder als Bestandteil der Gesamtfamilie der Öffentlichkeit präsentiert. Durch diese Form der Repräsentation sollte die Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit überschritten, das Private öffentlich gemacht und der Mensch hinter dem Politiker und Staatsmann gezeigt werden. Ein Mann mit Freuden und Problemen wie jedermann, der deshalb auch Verständnis für die Probleme der Bevölkerung aufbringen kann: das war die Botschaft. Die human-touch-stories über Brandt lassen sich in mehrere Kategorien einteilen, die zum Teil auch durch die Zielgruppen der jeweiligen Zeitschriften bestimmt waren. Es gab einmal die klassischen homestorys. Brandt wurde mit Frau und Kindern im häuslichen Umfeld und im Alltag der Leserschaft präsentiert. Diese Darstellung eines Politikers mit seiner Familie war neu – die Inszenierung zielte auf Authentizität. Die homestorys erschienen in der Regel in bunten Illustrierten wie Bunte oder Neue Revue sowie in Frauenzeitschriften wie Constanze oder Jasmin. Ende der sechziger Jahre kam es auch vor, dass ein politisches Magazin wie der Spiegel an einer homestory Interesse hatte.316 Die Familie
—————— 314 Vogel, Die populäre Presse, S. 117. 315 Vgl. Koetzle/Wolff, Fleckhaus, S. 85 ff. 316 Vgl. u.a. WBA, Bundesaußenminister, Mappe 43, Schreiben vom 10. Januar 1968. Dort hieß es: »Da so häufig davon die Rede ist, daß Bonn den führenden Politikern der Bundesrepublik
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Brandt wurde in diesen Geschichten seit Ende der fünfziger Jahre als Vorbild für eine »moderne, glückliche Mittelstandsfamilie« dargestellt, was allerdings nicht bedeutete, dass die traditionelle Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Hier wurden zwei Eheleute präsentiert, die ihre Ehe partnerschaftlich führten. Die Ehefrau beriet ihn schon mal bei Sachfragen, und wenn er zu Hause war, kümmerte auch er sich um die Söhne, unternahm etwas mit ihnen und stand ihnen zur Seite. Die Botschaft, die hinter derartigen Bildberichten stand, sollte heißen: Ein moderner Politiker hat auch eine moderne Familie und führt eine moderne Ehe. Dieses Bild blieb nicht statisch, sondern wurde dem jeweiligen Zeitgeist angepasst. Als im Zuge der 68er- und Frauenbewegung die traditionellen Rollenbilder ins Wanken gerieten, wurde Willy Brandt zu Erziehungsfragen oder über seine Einstellung zur Rolle der Frau in Gesellschaft und Politik befragt. Da verkündete er 1970 »Die Stellung der Frau wird gestärkt«,317 1971 sprach er sich in Für Sie für die Gleichberechtigung der Geschlechter in Familie und Beruf aus, oder er erzählte in einem Interview im Jahr 1972, dass er sich durchaus eine Frau als Bundeskanzlerin vorstellen könne. Im Jahr 1968 plädierte er dann im Stern für eine »Erziehung ohne Gewalt«318 und entsprach damit einmal mehr dem Zeitgeist. Gleiches galt auch für die Darstellung Rut Brandts in der Presse. Sie wurde oft für Frauenzeitschriften porträtiert oder interviewt, aber auch manche Tageszeitungen schrieben über sie. Rut Brandt selbst waren derartige Zurschaustellungen lästig, aber sie fügte sich den vermeintlichen Notwendigkeiten der politischen Werbung.319 In den fünfziger Jahren wurde Rut Brandt als die Frau an seiner Seite dargestellt, die ihren Mann unterstützt, sich jedoch nicht übermäßig einmischt sowie Familienleben und öffentliche Aufgaben mit Bravour meistert.320 Dabei wurde betont, dass sie hübsch, elegant, sympathisch
——————
317 318 319 320
Werkstatt, nicht aber Heimstatt sei, würden wir gern einmal darstellen, über welche Art von Zuhause die prominentesten Politiker der Großen Koalition in der Bundeshauptstadt verfügen: in welchem Stil, welcher Umgebung sich ihre in vielerlei Hinsicht repräsentative private ›Bonner Existenz’ abspielt. Eine solche Bemühung, das journalistische Augenmerk auf Milieu und Liebhabereien, auf Gastlichkeit und (soweit vorhanden) Haus, Gesinde und Garten führender Politiker zu richten, sollte selbstverständlich mit dem berüchtigten Blick durchs Schlüsselloch nichts gemein haben, sondern im Einvernehmen mit Ihnen und Ihrer Familie verwirklicht werden. Es handelt sich hier lediglich um den Versuch, die politische Elite der Bundesrepublik so vor ihrem privaten und häuslichen Hintergrund zu zeigen, wie es in vielen Berichten über den ›Bungalow’ mit dem Herrn Bundeskanzler längst geschehen ist – übrigens auch hier, ohne das die Grenze zur Intimsphäre überschritten worden wäre«. Vgl. u.a. Westfälische Rundschau vom 4. November 1970. Stern vom 7. Januar 1968. Vgl. Brandt, Freundesland, S. 243. Vgl. u.a. Frankfurter Rundschau vom 18. Juli 1959.
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und zurückhaltend sei. Es wurde aber auch erwähnt, dass sie als Journalistin tätig gewesen war und sich in der norwegischen Widerstandsbewegung engagiert hatte. 1968 gestand sie in Jasmin »Gewiß, diese Ehe ist nicht ganz einfach...«. Da wurde darauf hingewiesen, dass ihr Mann zu wenig Zeit habe und manchmal nicht einfach im Umgang sei – Probleme, die in vielen anderen Ehen ebenfalls zu finden waren und damit die Identifikation mit den Eheleuten Brandt erhöhen konnten. Die Partnerschaftlichkeit im gegenseitigen Miteinander auch bei der Erziehung der Söhne wurde betont. Rut Brandt wurde allerdings weiterhin als hübsch, elegant, sympathisch, verständnisvoll und ihren Mann unterstützend dargestellt. Damit wurde gleichzeitig das alte und neue Frauenbild bedient und eine Identifikationsfigur für zahlreichen Frauen geschaffen. Die drei Söhne gehörten mit zu der Berichterstattung über Willy Brandt und waren so gezwungen, ein »öffentliches« Leben zu führen. Der Jüngste, Matthias Brandt, war als Nesthäkchen der Sympathieträger. Lars Brandt begleitete seinen Vater seit Ende der sechziger Jahren häufig bei dienstlichen Terminen im In- und Ausland, was sowohl das gute Verhältnis zwischen Vater und Sohn unterstreichen, als auch die jüngeren Leute ansprechen und deren Interesse für Politik fördern sollte. Die negativen Auswirkungen des öffentlichen Interesses an der Familie Brandt und ihren Söhnen bekam Peter Brandt besonders zu spüren, nachdem er sich an mehreren Demonstrationen und Happenings der APO in Berlin beteiligt hatte und gegen ihn zwischen 1967 und 1971 deswegen fünf Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden.321 Die Presse berichtete ausführlich darüber, und allgemeine Erziehungsfragen wurden in diesem Zusammenhang debattiert.322 Diese Geschichten hatten allerdings nicht nur negative Auswirkungen für Brandt. Sie zeigten einmal mehr, dass die Familie des Außenministers und Bundeskanzlers eine relativ »normale« Familie war. Ähnliche Generationskonflikte trugen zu dieser Zeit massenhaft Kinder und Eltern miteinander aus. Einen anderen Schwerpunkt der Berichterstattung über Brandt und seine Familie bildeten die Urlaubsgeschichten. Dieses Genre war nicht neu: Adenauer, Erhard und Kiesinger ließen sich wie viele andere Politiker in ihren Urlaubsorten ablichten und bis heute wird die Bevölkerung alle Jahre wieder mit Bildern ihrer Spitzenpolitiker in deren Ferienorten konfrontiert.323 Die Bilder von Politikern aus dem Urlaub waren gestellt und in ihren Motiven wenig abwechslungsreich. Man denke dabei an die Bilder von Konrad Ade-
—————— 321 Vgl. dazu ausführlich Merseburger, Willy Brandt, S. 556 ff. 322 Vgl. u.a. Düsseldorfer Nachrichten vom 24. Juni 1968. 323 Vgl. Löwenstein, Niemals ganz im Urlaub. Die Wahl der Ferienorte war auch für frühere Bundeskanzler ein Politikum in: Frankfurter Allgemein Zeitung vom 12. Juli 2003.
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nauer in Cadenabbia oder von Helmut Kohl, der sich noch in den neunziger Jahren in seinem Urlaubsort in Österreich zusammen mit seiner Frau jedes Jahr mit einem ähnlichen Bild ablichten ließ – das einzige, was wechselte, waren die jeweiligen Tiere, die zusammen mit dem Ehepaar Kohl fotografiert wurden. Diese Form der Urlaubsberichterstattung sollte unterstreichen, dass ein Spitzenpolitiker immer Staatsmann ist – selbst im Urlaub. Die Geschichten über Brandt und seine Urlaube waren anders und in ihrer Form und Darstellung neu. Sie erschienen sowohl in Tageszeitungen als auch in Illustrierten jeglicher Art. Bereits seit seiner Zeit als Regierender Bürgermeister von Berlin waren die Urlaubsgeschichten und Bilder von Brandt und seiner Familie so aufgebaut, dass sie aus einem ganz »normalen« Familienurlaub hätten stammen können.324 Man hatte Brandt sogar eigens zu diesem Zweck das Angeln als Hobby verordnet, worüber er sich selbst gelegentlich lustig machte, wie in einem Brief an Günter Grass: »Mein Spaß am Angeln beginnt langsam zu einer Legende zu werden. Ich muß Dir gelegentlich erzählen, was es damit auf sich hat; von einer Leidenschaft kann keine Rede sein.«325 Der einzige Unterschied zu »normalen« Familienferien war die Betonung, dass die ständige Verantwortung für das politische Amt im Urlaub nicht endete und Brandt trotz unbeschwerter Stunden immer im »Dienst« sei, was durch Bilder, die ihn während des Urlaubs mit Kollegen zeigten, zusätzlich unterstrichen wurde. Auch als er Bundeskanzler war wurde dieses Schema nicht durchbrochen, 1971 lautet eine Schlagzeile »Familienurlaub ohne Luxus«, und die Bilder sahen wie spontane Schnappschüsse aus: da wurde gemeinsam gegessen, geschwommen, geangelt, gespielt, ein gutes Buch gelesen oder ein Glas Wein getrunken.326 Nachdem Brandt Ende 1966 Außenminister geworden war, entstand neben der üblichen politischen Berichterstattung eine neue Form der Präsentation eines Politikers in den Printmedien. Bemerkenswert ist, dass sich hier besonders Journalistinnen hervortaten. Heli Ihlefeldt,327 Eva Windmöller328 unter anderem machten andere Reportagen über Brandt als bis dato üblich. Der Politiker im politischen Tagesgeschäft wurde als Mensch mit Bedenken, Freuden, Stärken und Schwächen beschrieben und fotografiert – der »Mensch Willy Brandt hinter dem Politiker« war das Motto. Brandt war dieser Form der
—————— 324 Vgl. u.a. Süddeutsche Zeitung vom 25. Juli 1959. 325 WBA, Sozialdemokratische Wählerinitiative (SWI), Mappe 52, Schreiben vom 20. Dezember 1968. 326 Vgl. u.a. Neue Revue vom 24. Januar 1971; Bunte vom 24. August 1971. 327 Heli Ihlefeldt (1935-), von 1969 bis 1973 freie Journalistin in Bonn u.a. für Stern, Bunte und Constanze. 328 Eva Windmöller, Journalistin beim Stern und der Zeit.
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Darstellung seiner Person gegenüber sehr aufgeschlossen,329 da sie sich vorteilhaft auf sein Image auswirkte und sicherlich mit zu seiner großen Beliebtheit beigetragen hat. Ein erfolgreicher Politiker mit Visionen, menschlichen Stärken und Schwächen taugte zur Identifikationsfigur. Aber auch für ihn gab es Grenzen, die er nicht überschritten wissen wollte, da sie die Würde seines Amtes womöglich beschädigen konnten. In der Frauenzeitschrift Constanze erschien im Mai 1969 ein reich bebilderter Artikel von Heli Ihlefeldt mit der Überschrift »Der Kavalier der neuen Schule«, »Constanze fotografierte Willy Brandt, wie ihn keiner kennt«.330 Es war eine Reportage über eine Nordamerikareise des Außenministers. Dabei wurde über seinen zwanglosen Umgang mit Journalisten, über seine Launen und seine Wirkung auf Frauen genauso berichtet wie über seine politischen Aktivitäten auf der Reise. Es wurde ein Foto von einem Treffen mit Richard Nixon gebracht. Ansonsten dominierten eher ungewöhnliche Bilder über einen Außenminister. Brandt wurde beim Rasieren, beim Schuhe zubinden und Anziehen abgelichtet. Diese Form der öffentlichen Zurschaustellung, die nicht mehr nur die Privatsphäre berührte, sondern sogar in die Intimsphäre eingriff, ging ihm dann doch zu weit, weil sie dem Amt, das er bekleidete, nicht angemessen war und eher eine Bloßstellung bedeutete. Die Autorin schrieb an Brandt und erklärte ihre Beweggründe: »Lieber Willy Brandt, zu meinem großen Kummer habe ich vernommen, daß Ihnen mein Bericht in der ›Constanze‹ missfallen hat. Ich schreibe Ihnen nicht, um mich dafür zu entschuldigen, oder gar um alle ›Schuld‹ auf meine Redaktion abzuwälzen. Denn bevor ich nicht durch schlagende Argumente eines besseren belehrt werde, glaube ich, daß dieser Bericht für Sie positiv wirkt; wenn auch der Text einen Kompromiss mit meiner Redaktion darstellt, und ich auf die Auswahl der Bilder keinen Einfluss ausgeübt habe. Meine Meinung wurde bisher von allen Kollegen unterstützt mit, mit denen ich über diese Geschichte gesprochen habe; und auch Frauen bestätigen mir, daß der Bericht Sie ihnen menschlich sympathisch macht. Ich hatte mir Gedanken gemacht wie man Willy Brandt, der ja bisher nicht von der Mehrheit der Frauen gewählt wurde, den Frauen, den Wählerinnen, näher bringen kann. Deshalb hatte ich von Anfang an nicht vor, Willy Brandt im Gespräch mit anderen Staatsmännern zu zeigen, sondern seine menschlichen Seiten.«331
Diese Argumentation scheint Brandt nicht eingeleuchtet zu haben, er war sehr verärgert und hielt seine Beschwerde aufrecht, offensichtlich mit Erfolg, denn solche Bilder sah man dann nie wieder von ihm. Es bleibt zu konstatieren, dass die human-interest-Berichterstattung über Politiker durch Brandt in der Bundesrepublik befördert und verändert wurde.
—————— 329 Vgl. Interview mit Heli Ihlefeldt vom Juli 2000. 330 Constanze vom 5. Mai 1969. 331 WBA, Bundesaußenminister, Mappe 6, Schreiben vom 9. Mai 1969.
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Hier begann eine Entwicklung, die die Grenzen zwischen öffentlicher Person und Privatperson immer mehr verwischte und die bis heute noch nicht beendet ist. Politische Botschaften wurden mit dem Privatleben verknüpft, um dadurch die Glaubwürdigkeit zu verstärken. Das Private wurde betont, um der Bevölkerung Identifikationsflächen zu bieten. Das war im Sinne des Politikers Brandt, um sein Karriere zu befördern und im Sinne der Medien, um die Auflage zu steigern, denn Berichte über das Privatleben berühmter Persönlichkeiten verkauften sich eben gut. Brandt war nicht nur der erste Politiker in der Bundesrepublik, der sich als Person derart in den Medien präsentierte, seine Familie war auch die erste öffentliche Politikerfamilie der Bundesrepublik.
3.4 Die rechtsgerichtete Presse Ein anderer Aspekt im Verhältnis Brandt zur Presse ist die Berichterstattung der rechtsgerichteten Presse seit dem letzten Drittel der fünfziger Jahre. Dies ist insofern erwähnenswert, da deren Position zu Brandt nicht auf einer sachlichen Auseinandersetzung über unterschiedliche politische Standpunkte basierte, sondern dort regelrechte Diffamierungskampagnen initiiert wurden. Im Mittelpunkt dieser Angriffe standen Brandts Emigrationszeit, seine uneheliche Geburt und sein Namenswechsel. In den sechziger Jahren waren die Kampagnen eine konzertierte Aktion von CDU/CSU, DDR-Staatssicherheit und rechtsgerichteten Tages- und Wochenzeitungen. Die erste größere, in einer breiteren medialen Öffentlichkeit ausgetragene Anti-Emigranten-Kampagne gegen Brandt wurde Anfang 1957 von dem ehemaligen Berliner Innensenator, Hermann Fischer, Mitglied der Freien Volkspartei (FVP), einer Abspaltung der FDP, im Zusammenspiel mit der parteieigenen Zeitung Berliner Montagsecho initiiert. In einer Artikelserie unter der Rubrik »Jetzt wird regiert« griff das Blatt die vermeintlichen Verfehlungen Brandts während seiner Emigration auf.332 Das Berliner Montagsecho bezog sich im Januar 1957 zunächst auf die Namensänderung Willy Brandts. Aufhänger der weiteren Vorwürfe war ein Interview, dass Brandt einer norwegischen Zeitung über seine Zeit in der skandinavischen Emigration und seine grundsätzliche Einschätzung des Nationalsozialismus gegeben hatte. Die Zeitung soll – laut Erklärungen von Brandt und seines Mitarbeiterstabes – seine Äußerungen verfälscht wiedergegeben haben. Am 29. April 1957 forderte Fischer Brandt im Berliner Montagsecho auf, sich zu dem Interview zu äußern. Am 6. Mai
—————— 332 Vgl. Berliner Montagsecho vom 6. Mai 1957.
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1957 berichtete die Zeitung dann noch einmal ausführlich über die vermeintlichen Verfehlungen und Äußerungen Brandts.333 Er habe im spanischen Bürgerkrieg als »Rotfrontkämpfer« teilgenommen, einer Widerstandsgruppe namens »Augustin« angehört und im Zweiten Weltkrieg gegen Deutsche mit der Waffe in norwegischer Uniform gekämpft. Außerdem hätte er wörtlich gesagt: »Ein Drittel der [deutschen] Bevölkerung war Mitglied nazistischer Organisationen, und die übrigen zwei Drittel waren nicht dagegen.«334 Bis zum Juli 1957 erschienen dann noch in regelmäßiger Abfolge Artikel, die sich mit der Thematik auseinandersetzen sowie Hinweise auf ein Buch Brandts mit dem Titel »Verbrecher und andere Deutsche« enthielten.335 Dennoch blieb die publizistische Auseinandersetzung um die Vorwürfe zunächst vor allem auf Berliner Zeitungen beschränkt. Die Gegenstrategie Brandts, seiner Mitarbeiter und der Bundes-SPD war durchaus offensiv. Es wurde eine ausführliche Stellungnahme gegen die erhobenen Vorwürfen verfasst, die über die Bundespartei an sämtliche Nachrichtenagenturen, Rundfunkanstalten sowie ausgewählte Journalisten verschickt wurde. Weitere Presseerklärungen der SPD folgten.336 Außerdem reichte Brandt beim Landgericht Berlin Klage wegen »Verleumdung« gegen Fischer ein. Am 19. Juni 1958 bekam Brandt in allen Punkten recht, was auch die Veröffentlichung einer Gegendarstellung im Berliner Montagsecho einschloss. Gegen das Urteil legte der Verlag Berufung ein, die am 22. Mai 1959 zurückgewiesen wurde. Brandt und seine Mitarbeiter gingen davon aus, dass mit diesem Urteil eine Art Präzedenzfall geschaffen worden sei, der ihm weitere Prozesse ersparen und die Vorwürfe gegen seine Person entkräften würde. Diese Einschätzung erwies sich jedoch als völlig falsch, denn die Kampagne von Fischer und dem Berliner Montagsecho war nur ein Vorspiel zu dem, was Brandt nach seiner Nominierung zum SPD-Kanzlerkandidaten von der rechtsgerichteten Presse zu erwarten hatte. Die publizistische Rufmordkampagne wurde in Blättern wie Kapfingers Passauer Neue Presse oder der Deutschen Zeitung schon einige Monate vor der Wahl Brandts zum SPD-Kanzlerkandidaten gestartet. Eine interne Aufstellung der SPD vom November 1960 führt für den Zeitraum zwischen Juli und Oktober 1960 50 Zeitungsartikel an, in denen Brandt angegriffen wurde. »Eine Sichtung der Ausschnitte, die westdeutschen Zeitungen entnommen worden sind, ergibt zweifelsohne, dass sich gegenwärtig zwei geographische Schwerpunkte der Angriffe herauskristallisieren lassen; sie gruppieren sich im weitesten Sinne um den Raum München und den Raum Bonn. [...] Die Angriffe gegen den regierenden Bürgermeister Willy Brandt
—————— 333 334 335 336
Vgl. Ebd. Ebd. Vgl. u.a. Berliner Montagsecho vom 13. Mai, 27. Mai und 15. Juli 1957. Vgl. WBA, Prozesse, Mappe 136 A.
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lassen sich unschwer in vier grosse Komplexe aufgliedern: I) das Verhältnis des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands [...]; II) Die ›norwegische Vergangenheit‹ [...]; III) Die ›spanische Vergangenheit‹ [...]; IV) Angriffe der Kommunisten (einschliesslich der Ostblockstaaten) [...].«337
Im eigentlichen Wahlkampfjahr 1961 verschärften sich die Angriffe schließlich noch einmal und wurden von Verbalattacken führender Unionspolitiker begleitet. Der Schwerpunkt lag auf der Emigrationszeit Brandts. Es wurde u.a. behauptet, dass er gegen Deutsche mit Waffe und Stift gekämpft habe, ein führender Kopf der norwegischen Widerstandsbewegung sowie als Agent für die Sowjetunion, England und USA tätig gewesen sei. Es kamen im Laufe der Zeit immer mehr absurde Beschuldigungen zum Tragen.338 So sollte ihm angeblich ein hochrangiger norwegischer Faschist die norwegische Staatsbürgerschaft verschafft haben.339 Die Tatsache, dass Brandt sich »erst« Ende 1947 entschlossen hatte, endgültig in Deutschland zu bleiben, wurde ihm nun negativ ausgelegt.340 Die Emigrationsschriften des SPD-Kanzlerkandidaten wurden auf »deutschfeindliche« Passagen untersucht und dementsprechend ausgewählt zitiert. Zur Unterstützung seiner Kampagne brachte Kapfinger im Jahr 1961 zusätzlich noch eine illustrierte Wochenschrift mit dem Titel Aktuell heraus. Die gegen Brandt erhobenen Anschuldigungen wurden von zahlreichen, zumeist der CDU-nahestehenden Presseorganen übernommen und erfuhren so eine Resonanz im gesamten Bundesgebiet. Wie entscheidend bei der Verbreitung der Diffamierungen Tagespresse und Illustrierte waren, zeigt eine Umfrage aus dem Jahr 1963: 38 bzw. 21 Prozent der Befragten gaben an, die Gerüchte über Brandt aus der Tagespresse bzw. einer Illustrierten entnommen zu haben.341 Die Berichterstattung verfehlte ihre Wirkung nicht, wie auch unzählige Schmähbriefe zeigten, die Brandt von aufgebrachten Bürgern wegen seines Verhaltens in der Emigration bekam, sowie zahllose Hinweise auf diffamierende öffentliche Äußerungen von Bundesbürgern. Dass die Kampagnen der rechtsgerichteten Presse ein derart breites zustimmendes Echo in der Bevölkerung auslöste, lässt Rückschlüsse auf den Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik zu dieser Zeit zu. In den fünfziger und beginnenden sechziger Jahren versuchte die Mehrheit der Bevölkerung, die NS-Vergangenheit möglichst zu verdrängen und nach »vorn«
—————— 337 WBA, Prozesse, Mappe 10 B, Schreiben vom 15.November 1960. 338 Für eine detaillierte Aufstellung der gegen Brandt erhobenen Vorwürfe vgl. WBA, Prozesse, Mappe 53 A, Schreiben vom 5. April 1963. 339 Vgl. WBA, Prozesse, Mappe 3 G. 340 Vgl. u.a. Äußerungen des damaligen Innenministers von Nordrhein-Westfalen Dufhues, die in den Ruhr-Nachrichten verbreitet wurden; vgl. WBA, Prozesse, Mappe 34 B. 341 Vgl. Ifas-Umfrage, Bericht vom 23. Juli 1963.
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zu schauen.342 Dieser weitgehenden Erinnerungsverweigerung standen Personen wie Brandt, die sich dem Nationalsozialismus aktiv versagt hatten, entgegen und lösten Abwehrreaktionen bei vielen Zeitgenossen aus. Gleichzeitig ist eine Diskrepanz zwischen dem staatlichem Umgang mit der NS-Zeit und der Meinung der Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung auszumachen. Wie Untersuchungen zu den sechziger Jahren zeigen, setzte ab 1958/1959 staatlicherseits – wenn auch zum Teil erst durch außenpolitischen Druck – bedingt durch antisemitische Ausschreitungen in der Bundesrepublik und den Eichmann-Prozess in Jerusalem ein langsames Umdenken ein.343 In Ludwigsburg wurde im Jahr 1958 die »Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen« eingerichtet, und der Bundestag reagierte 1959 mit einer Justizdebatte, die im Jahr 1960 in der einstimmigen Verabschiedung eines »Gesetzes gegen Volksverhetzung« gipfelte. Juristische Verfolgung und Aufklärung über NS-Verbrechen lösten, wenn auch nur allmählich, die Verdrängungs- und Integrationstaktik der fünfziger Jahre ab. Dieses Umdenken trug die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung jedoch nicht mit. Zu den Gegenmaßnahmen, die das Büro Brandt in Berlin und die SPDParteizentrale in Bonn gegen die rechtsgerichtete Presse und ihre Verleger unternahmen, gehörte neben der Ausschöpfung der juristischen Möglichkeiten vor allem eine offensive Medien- und Pressearbeit. Die Erfolge blieben allerdings gering. Die Prozesse aus den Jahren 1960/1961 waren noch nicht abgeschlossen, da sahen sich Brandt und seine Mitarbeiter schon mit der nächsten Diffamierungswelle konfrontiert. Seit August 1964 erschien in den Berliner Zeitungen 7-Uhr-Blatt und Wochen-Echo des Echo-Verlages, der bereits 1957 von Brandt erfolgreich verklagt worden war, unter der Rubrik »Hier drückt uns der Schuh, Herr Regierender«, in Anspielung auf die gleichnamige Radiosendung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, eine Artikelserie des Chefredakteurs Lothar Brenner. Brenner, rückte mit den gleichen Argumenten wie schon 1960/1961 die Emigrationszeit Brandts ins Zwielicht. Im Oktober 1964 wurde deshalb Strafantrag gegen Brenner »wegen Beleidigung und politisch übler Nachrede« beim Landgericht Berlin gestellt.344 Das rechtsradikale Sprachrohr Deutsche National Zeitung machte sich nun zum Vorreiter der Hetzkampagnen. Grundlage der Artikel bildete vor allem Material, was bereits von Kapfinger in
—————— 342 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 397 ff.; Garbe, Äußerliche Abkehr, S. 693 ff; Schildt, Der Umgang mit der NS-Vergangenheit, S. 19 ff. 343 Vgl. dazu ausführlich Siegfried, Zwischen Aufarbeitung und Schlussstrich, S. 77 ff. 344 Vgl. WBA, Prozesse, Mappe 4B, 4G bis J.
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den Jahren 1960/1961 benutzt und mittlerweile per Gerichtsurteil als verleumderisch eingestuft worden war. Die Reaktionen von Brandt und der SPD auf die erneuten Diffamierungskampagnen unterschieden sich nur graduell von denen aus den vorausgegangenen Jahren. Es wurden wieder Prozesse geführt, die zwar in der Regel juristisch erfolgreich, aber »politisch nicht effektiv«345 waren. Auf dem Gebiet der Medienarbeit versuchten die Verantwortlichen in Berlin und Bonn aufgrund der Erfahrungen von 1960/1961 nun professioneller vorzugehen. Journalisten wurden gezielt angesprochen und mit Informationen ausgestattet. In den folgenden Jahren zogen die rechtsradikalen Blätter, wie die Deutsche National Zeitung, besonders in Wahlkampfzeiten im gleichen Tenor wie 1965 gegen Brandt zu Felde, die Resonanz in der Bevölkerung war nun allerdings wesentlich geringer. Der gesellschaftliche Wandel und eine kritischere Auseinandersetzung mit der NS-Zeit befördert durch die 68er-Bewegung hatten den Kampagnen weitgehend den Nährboden entzogen. Das hier nur kurz ausgeführte Beispiel der Diffamierung Brandts durch rechtsgerichtete Presseorgane unterstreicht zum einem die Wirkungsmächtigkeit politischer Berichterstattung, solange sie an vorhandene Einstellungen und Ressentiments in der Bevölkerung anknüpfen konnte, zum anderen auch die Begrenztheit publizistischer Gegenoffensiven.
3.5 Zusammenfassung Für das Verhältnis von Politik und Presse seit den fünfziger Jahren waren verschiedene Faktoren konstitutiv: Das Beispiel Willy Brandt zeigt, das die Verbindung in vielen Fällen weit über das gängige Arrangement, exklusive Informationen gegen eine wohlwollende Berichterstattung auszutauschen, hinausging. Die Beziehungen zwischen Politik und Presse waren grundsätzlich Bündnisse zum beiderseitigen Vorteil. Die Motivation der Beteiligten ist eindeutig: Verleger, Chefredakteure und Journalisten verstanden sich nicht nur als reine Mittler zwischen Politik und Leserschaft. Sie wollten selber Politik machen und beeinflussen. Eine solche Tradition gab es schon während der Weimarer Republik, man denke nur an das Zeitungsimperium Hugenbergs, dessen Ziel die Zerstörung der Weimarer Republik war. Das Anliegen der hier näher untersuchten bundesdeutschen Nachkriegspresse war ein anderes. Sie agierte systemimmanent, sah sich als integralen Bestandteil des politischen Systems
—————— 345 Ebd.
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der Bundesrepublik und wollte zum Wohle der Demokratie gestaltend mitwirken. Die enge Verzahnung zwischen journalistischer und politischer Sphäre, die aus diesem Anspruch resultierte, wurde bei einigen der Verleger und Journalisten, wie Augstein oder Bucerius, durch eine zeitlich begrenzte Tätigkeit als Politiker verstärkt.346 Grundlage für das Postulat, Politik mitgestalten zu wollen, war, dass die Zeitungsmacher von einem relativ großen Einfluss ihrer Blätter auf die politische Meinungsbildung in der Bundesrepublik ausgingen, worin sie durch Umfragen noch bestätigt wurden. Dazu kam ein Selbstverständnis der Presse als »vierter Gewalt«. Dies gilt nicht nur für alle hier betrachteten Zeitungen – mit Ausnahme der Boulevardblätter – sondern auch für den gesamten Untersuchungszeitraum. Hieraus ergeben sich auch Konsequenzen für die Festlegung von Zäsuren. Die Überbetonung der Spiegel-Affäre als Bruch hin zu einer pluralistischen, liberaleren Publizistik und Öffentlichkeit, für ein neues Verhältnis von Journalismus und Politik tritt dabei zurück.347 Es erscheint treffender, von einem symbolischen Wendepunkt zu sprechen. Denn ein bereits im Gang befindlicher Prozess wurde zwar durch dieses Ereignis beschleunigt aber nicht ausgelöst. Zum anderen waren die Presselandschaft und die publizistische Öffentlichkeit bereits in den fünfziger Jahren plural, regierungskritisch oder -fördernd und versuchten Einfluss auf die demokratische Gestaltung der jungen Bundesrepublik zu nehmen, und dies gilt eben nicht nur für den Spiegel. Von den fünfziger Jahren als einer Zeit des »Konsensjournalismus« oder der »staatsbraven Medien«348 zu sprechen, erscheint vor diesem Hintergrund ebenso problematisch wie eine kritische Öffentlichkeit erst in den sechziger Jahren zu verorten.349 Den Wandel der politischen und der publizistischen Öffentlichkeit auf einen Generationswechsel im bundesrepublikanischen Journalismus seit Beginn der sechziger Jahre zurückzuführen, lässt einige Zweifel aufkommen.350 Denn die führenden Verleger und Journalisten wechselten nicht Anfang der sechziger Jahre, sondern waren bereits seit der unmittelbaren Nachkriegszeit aktiv. Als sie ihre Tätigkeit begannen, waren sie alle noch relativ jung. Dies gilt für Springer (*1912), Augstein (*1923), Nannen (*1913), Bucerius (*1906) oder Gräfin Dönhoff (*1909) und für viele andere. Im Bezug auf eine Vielzahl von weniger prominenten Journalisten lässt sich zwar feststellen, dass einige jüngere seit Ende der fünfziger Jahre in die Redaktionen kamen, andere abtraten und wieder andere zwischen
—————— 346 Zur Problematik von Journalisten in der Politik vgl. ausführlich Kapitel 5.2. dieser Arbeit. 347 Zum bisher gängigen Interpretationsmuster der Periodisierungen auf dem Feld des Journalismus vgl. Weiß, Journalisten, S. 272 ff. 348 Vgl. Herbert, Dynamische Zeiten, S. 28. 349 Vgl. Hodenberg, Journalisten, S. 293 ff. 350 Vgl. ebd., S. 279 und S. 309.
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den großen Tages- und Wochenzeitungen hin und her wechselten. Für die politische Umorientierung der Blätter war der begrenzte Personalwechsel jedoch nicht von entscheidender Bedeutung. Diese wurde vor allem von denen getragen, die schon lange vor 1960 aktiv waren – wie am Beispiel von Spiegel, Stern und Zeit unzweifelhaft gezeigt werden konnte. So bildet der Beginn der sechziger Jahre keine Zäsur, vielmehr dynamisieren sich hier bereits begonnene Prozesse.351 Wie am Beispiel Willy Brandts und seinem Verhältnis zu den hier ins Blickfeld genommenen Presseorganen und ihren Exponenten deutlich wurde, basierte die Verbindung von Politik und Presse in den fünfziger und sechziger Jahren auf einer Interessenkongruenz in einzelnen bedeutsamen Politikfeldern. Dieser Umstand führte zu Bündnissen auf Zeit, die zum gegenseitigen Vorteil genutzt wurden. Fielen die gemeinsamen Zielsetzungen und politischen Gemeinsamkeiten weg, zerbrachen diese Bündnisse, wie am Beispiel der SpringerPresse seit Mitte der sechziger Jahre oder von Spiegel, Stern und Zeit seit 1973 deutlich wird. Der enge Kontakt, den Brandt zu einigen Pressevertretern pflegte, der Austausch auch über Sachfragen war in dieser Form neu. Das galt ebenfalls für die Darstellung von Teilen seines Privatlebens, vor allem in der Boulevardpresse. Auch hier ging er für einen Politiker in den fünfziger und sechziger Jahren neue Wege. Brandt orientierte sich in der Präsentation seiner Politik an den Bedürfnissen der modernen Massenmedien, erkannte ihre aktive Rolle innerhalb des politischen Meinungsbildungsprozesses vorbehaltlos an und wusste um ihre Bedeutung für den Erfolg von Politikern. Für Brandt waren die guten Beziehungen zur Presse ebenso wichtig wie umgekehrt. Er und seine Mitarbeiter sowie die Verantwortlichen der BundesSPD waren von der herausragenden meinungsbildenden Wirkung der Presse überzeugt. Brandts politische Karriere wäre ohne die Unterstützung zunächst der Springer-Presse und seit dem letzten Drittel der sechziger Jahre durch die linksliberale Presse anders verlaufen. Dies war allerdings vor allem wegen der Interessengleichheit vornehmlich auf dem Gebiet der Deutschland- und Ostpolitik möglich. Der spezifische Stil Brandts im Umgang mit Medienvertretern war durch ihre bevorzugte Behandlung, einen engen Austausch in Sachfragen sowie gute persönlichen Beziehungen zu Teilen von Verlegern, Chefredakteuren und Journalisten gekennzeichnet. Begünstigt wurde das gute und enge Verhältnis dadurch, dass hier vor allem Männer zusammentrafen, die über die politischen Anschauungen hinaus einige verbindende Gemeinsamkeiten hatten. Ihre Biographien waren zwar sehr unterschiedlich, sie gehörten jedoch mit
—————— 351 Vgl. dazu grundsätzlich Schildt/Siegfried/Lammers, Dynamische Zeiten – Einleitung, S. 11 ff.
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wenigen Ausnahmen einer Alterskohorte an und pflegten ähnliche Vorlieben, was ihr Privatleben anging. Die eigentliche Zäsur liegt im Vorfeld und während der ersten Kanzlerschaft Brandts. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gelang es durch die massive Unterstützung eines Großteils der Presse die vorhandene Stimmung in der Bevölkerung für einen Machtwechsel zu verstärken und diesen so mit zu ermöglichen. Seit 1969 beschränkte sich die Gleichheit der Interessen nicht mehr nur auf das eine Politikfeld der Deutschland- und Ostpolitik, sondern auf das gesamte politische Konzept der sozialliberalen Koalition. Diese enge Symbiose zwischen Politik und Presse während der ersten Kanzlerschaft Willy Brandts wäre allerdings auf die Dauer weder für die politische Kultur noch für die Presse in ihrem Selbstverständnis als »vierte Gewalt« vorteilhaft gewesen. Letzteres impliziert eine kritische, kontrollierende und aufklärerische Funktion der Printmedien. Diese war angesichts der zeitweiligen Nähe zwischen dem Bundeskanzler und großen Teilen der (linksliberalen) Presse zwar nicht außer Kraft gesetzt, aber in den Hintergrund getreten. Langfristig wäre eine solche Situation für den demokratischen Willensbildungsprozess, zu dem eine kontroverse und kritische Berichterstattung gehört, von großem Nachteil gewesen. Da es sich aber um ein zeitlich begrenztes Phänomen handelte und auch andere Meinungen unter anderem von der konservativen Presse publiziert wurden, waren die negativen Auswirkungen auf die kritische Öffentlichkeit letztlich unerheblich.
4. Rundfunk und Fernsehen
Neben der Presse kam den audio-visuellen Medien eine herausragende Bedeutung als politische Informationsmedien und Arena der politischen Selbstdarstellung von Parteien und Politikern zu – und dies nicht nur in Wahlkampfzeiten.1 Dominierte in den fünfziger Jahren noch eindeutig das Radio als Leitmedium, waren die sechziger Jahre durch den Aufstieg des Fernsehens zum neuen Massen- und Leitmedium gekennzeichnet. Das Fernsehen trat einen rasanten Siegeszug in die deutschen Wohnzimmer an. Im Gegensatz zum Radio, das erst Mitte der fünfziger Jahre, also mehr als dreißig Jahre nach dem offiziellen Start des deutschen Rundfunkprogramms im Oktober 1923, eine ausgeglichene Versorgung zwischen Stadt und Land und eine Rundfunkdichte von 85 Prozent (1960) aller Haushalte erreichte,2 benötigte das Fernsehen dafür nur etwas mehr als 15 Jahre. Waren im Jahr 1954 gerade 11.658 Teilnehmer angemeldet, waren es 1958 schon 1,2 Millionen, im Jahr 1960 3,4 Millionen, 1963 bereits 7,2 Millionen, d.h. ca. 35 Prozent der Haushalte waren mit einem Gerät versorgt, und in den folgenden sieben Jahren bis zum Jahr 1970 stieg die Zahl weiter bis auf 15,1 Millionen Teilnehmer an.3 Am Ende des Jahrzehnts (1969) verfügten 84 Prozent der bundesdeutschen Haushalte über ein Fernsehgerät4, so dass man von einer weitgehenden Erfassung der Bevölkerung durch das Medium sprechen kann. Bezüglich der sozialen Differenzierung der Fernsehzuschauer ist seit Ende der fünfziger Jahre von einer relativ gleichmäßigen Verbreitung in allen sozialen Schichten auszugehen.5
—————— 1 Zum Einsatz der audio-visuellen Medien während der Wahlkämpfe vgl. ausführlich Kapitel 6 dieser Arbeit. 2 Vgl. Schildt, Hegemon, S. 460 f. 3 Vgl. Hickethier, Geschichte, S. 112 und S. 201. 4 Die Fernsehdichte stieg dann bis zum Jahr 1975 auf 93 Prozent der Haushalte; vgl. ebd., S. 200. 5 Am Beginn des Fernsehzeitalters in der Bundesrepublik konnte noch eine klare soziale Differenzierung beim Fernsehpublikum festgestellt werden: 1953 waren es 25,3 Prozent Gastwirte, 21,6 Prozent Rundfunkhändler, 31,3 Prozent übrige Selbstständige, 10,1 Prozent Angestellte, 4,8 Prozent Arbeiter und 0,9 Prozent Landwirte. Diese soziale Differenzierung nivellierte sich aber relativ schnell. Vgl. ebd., S.112 f.
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Einzig bei der Landbevölkerung ist eine zeitliche Verzögerung festzustellen, die aber im Laufe der sechziger Jahre an Bedeutung verlor.6 Gleichzeitig ist in der Dekade eine massive Erweiterung des Programmangebots zu konstatieren, einerseits durch die Einführung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) im Jahr 1963 sowie der Dritten Programme der ARD-Anstalten (1961 ff.), andererseits durch die Erhöhung der täglichen Sendezeiten bis zu elf Stunden (ARD) bzw. zehn Stunden (ZDF).7
Medienkonkurrenz Mit dem Aufkommen des Fernsehens entspann sich eine Debatte über die Frage nach der Medienkonkurrenz. Nun wurde zwar nicht mehr das Sterben der Presse wie bei der Einführung des Radios in den zwanziger Jahren, sondern der Untergang des Hörfunks voraus gesagt. Umfrageergebnisse hatten ergeben, dass die Erwartungen des Publikums an das Abendprogramm des Fernsehens ähnlich waren wie die an das abendliche Radioprogramm. Der Radiokonsum ging am Abend massiv zurück, sobald ein Fernseher in einem Haushalt angeschafft wurde. Aus diesen Gründen meinte die zeitgenössische Forschung, dass das Fernsehen das Radio mittelfristig verdrängen würde.8 Tatsächlich verringerte sich die Hörfunknutzung seit 1953 merklich. Dies bedeutete jedoch keinen Rückgang der Hörerzahlen; was sich veränderte, waren die Hörgewohnheiten und die Hörzeiten. Der Hörfunk verschwand nicht, er verlor jedoch seine Funktion als wichtigstes Informationsmedium und als Unterhalter am Abend – nun wurde er noch stärker zum »Nebenbeimedium«. Fernsehen und Presse hingegen wurden eher ergänzend betrachtet, da sie unter anderem verschiedene »Aktualitätsinseln« besetzten.9 Auf der einen Seite war das flüchtige Medium Fernsehen, welches durch die technischen Möglichkeiten in der Lage ist, den Zuschauenden eine unmittelbare, visualisierte Berichterstattung zu bieten. Auf der anderen Seite stand die Presse, die zwar nur eine zeitverzögerte Aktualität bieten kann, dafür aber weniger flüchtig ist und durch umfassendere Informationen eine größere Nachhaltigkeit gewährleistet. Es bildete sich ein Medienensemble heraus, in dem jedes Medienprodukt ei-
—————— 6 Vgl. Münkel, Der Rundfunk geht auf die Dörfer, S. 192 ff. 7 Die ARD sendete bereits im Jahr 1963 zehn Stunden Programm pro Tag, das ZDF begann im gleichen Jahr seinen Sendebetrieb mit knapp fünf Stunden täglich; vgl. Hickethier, Geschichte, S. 221. 8 Vgl. Kiefer, Hörfunk, S. 432 ff. 9 Vgl. Schabacher, Aktualitäten, S. 330 f.
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nerseits eine spezifische Funktion für die Rezipienten und Rezipientinnen erfüllte, andererseits eine gegenseitige Bezugnahme aufeinander erfolgte. Im Folgenden soll untersucht werden, wie sich das Verhältnis von Willy Brandt zu den audio-visuellen Medien und umgekehrt gestaltete. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Frage nach den Veränderungen der Selbstdarstellung von Politik und Politikern durch diese Medien gelegt werden. Es wird gefragt, welche Rolle Rundfunk und Fernsehen bei der öffentlichen Meinungsbildung spielten und wie sich durch ihre Existenz die politische Sphäre veränderte.
4.1 Rundfunk Nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reiches« schufen die Alliierten ein Rundfunksystem, das sich vom »gleichgeschalteten« Rundfunk der NS-Zeit aber auch vom Rundfunk der Weimarer Republik grundlegend unterschied. Durchsetzen konnte sich ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem nach dem Vorbild der englischen BBC,10 welches dann später auch auf das neue Medium Fernsehen übertragen wurde. Zum Programmauftrag des Rundfunks gehörte es, Nachrichten und Sendungen bildender, belehrender und unterhaltender Art zu produzieren.11 Eine zentrale Rolle wurde dem Medium bei der Demokratisierung der Bundesrepublik beigemessen. So hieß es in Grundsätzen, die die Amerikaner für ihre Besatzungszone formuliert hatten und die nach der Gründung der Bundesrepublik weitgehend übernommen wurden: »Auf dem Weg zur Schaffung eines freien, demokratischen und friedliebenden Deutschlands, das wiederum seinen Platz in der Familie der Nationen als geachtetes und sich selbst achtendes Mitglied einnehmen wird, muß das deutsche Rundfunkwesen mit allen Kräften bemüht sein, ohne Kompromisse sich der Förderung der menschlichen Ideale von Wahrheit, Toleranz, Gerechtigkeit, Freiheit und Achtung vor den Rechten der individuellen Persönlichkeit zu widmen.«12
Der Hörfunk spielte in den fünfziger Jahren neben seiner unterhaltenden Funktion als Medium der politischen Information eine entscheidende Rolle. Der besondere Einfluss des Mediums basierte nicht nur auf den Hörerzahlen und der großen Reichweite, sondern auch auf der hohen Glaubwürdigkeit, die
—————— 10 Vgl. dazu ausführlich Bausch, Rundfunkpolitik nach 1945, Bd. 1, S. 13 ff. 11 Vgl. dazu u.a. Diller, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, S. 147. 12 Zitiert nach: ebd.
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den Nachrichten und politischen Sendungen von Seiten der Hörerschaft bescheinigt wurden.13 Nach dem Krieg war zwar aufgrund der Erfahrungen aus der NS-Zeit das Interesse an politischen Sendungen nicht besonders ausgeprägt. Nach der Gründung der Bundesrepublik stieg es aber wieder kontinuierlich an. So ermittelten Hörerbefragungen im Bereich des Süddeutschen Rundfunks seit 1951, dass zwischen drei Viertel und vier Fünftel der Hörer regelmäßig Nachrichten hörten.14 Diese Quote ging im letzten Drittel der fünfziger Jahre zurück, da nun die Fernsehnachrichten zunehmend an Bedeutung gewannen. Hinzu kamen andere aktuelle Sendungen, die in der Regel vor dem Hauptabendprogramm (ab 20 Uhr) ausgestrahlt wurden, sowie Liveübertragungen von Großveranstaltungen, politischen Ereignissen wie dem 17. Juni 1953 oder von Bundestagsdebatten.15 Aktuelle politische Sendungen wie das Echo des Tages, das Politische Forum, die Berichte aus Bonn oder der Internationale Frühschoppen schärften das Profil der Sender und gewannen zunehmend an Bedeutung. Angesichts der großen Reichweite und Resonanz, die der Hörfunk in den fünfziger Jahren hatte, verwundert es kaum, dass er von der Politik als zentrales Medium der politischen Werbung zur Erringung und zum Erhalt von Macht angesehen und genutzt wurde. Auf die zahlreichen Auseinandersetzungen um die personelle Besetzung der Rundfunkräte und die Versuche der Adenauer-Regierung, ihren Einfluss auf das Medium Rundfunk so umfassend wie möglich zu gestalten, ist an anderer Stelle bereits ausführlich hingewiesen worden.16 Der starken Präsenz der Bundesregierung im Medium Radio wollte die SPD etwas entgegensetzen. Auch Willy Brandt nutzte das Medium ausgiebig, um seine Bekanntheit und Popularität sowohl regional als auch bundesweit zu steigern. Einen Schwerpunkt bildete dabei zunächst sein primäres politisches Wirkungsfeld Berlin. Hier spielte der Rundfunk, neben seiner üblichen Funktion als Informations- und Unterhaltungsmedium, durch die Schlüsselstellung der Stadt zwischen Ost und West im Kalten Krieg eine spezifische propagandistische Rolle. Diese hatte sich wohl erstmals am eindrucksvollsten in der Berichterstattung des Rundfunks im amerikanischen Sektor (RIAS) während des Aufstandes am 17. Juni 1953 in der DDR gezeigt. Schon vor seiner Wahl zum Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses und auch später als Regierender Bürgermeister der Stadt nahm Brandt jede sich bietende Gelegenheit zu einem Auftritt im Radio wahr. In der Zeit von
—————— 13 14 15 16
Vgl. Kiefer, Hörfunk, S. 428. Vgl. Schildt, Hegemon, S. 473. Vgl. Halefeldt, Programmgeschichte des Hörfunks, S. 215. Vgl. dazu Kapitel 2 dieser Arbeit.
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1955 bis 1972 gab er allein 113 Rundfunkinterviews in einer Länge von mehr als vier Minuten.17 Zu den oft hochgradig theoretisch und intellektuell geprägten Diskussionsrunden verschiedener Sender wurde Brandt mehrfach eingeladen.18 Seit Mitte der fünfziger Jahre war er nicht nur ein gefragter Interviewpartner, sondern es wurde auch über seine Person und seine politischen Ansichten berichtet.19 Bemerkenswert ist in dieser Frühzeit ebenfalls, dass Brandt Gelegenheit bekam, sich ausführlich über seinen Lebensweg, seine Emigration und seinen politischen Werdegang zu äußern, und das Ganze im Schulfunk (!) als Forum der politischen Bildung gesendet wurde20 – hier wollte der Rundfunk offenbar seinem demokratischen und aufklärerischen Auftrag gerecht werden. Dies war in Zeiten einer vorherrschenden gesellschaftlichen Verdrängung der NS-Zeit eine nicht gerade alltägliche Sendekonzeption. In überregionalen Programmen äußerte sich Brandt zu dieser Zeit hauptsächlich zu Berlin-Fragen sowie zur Deutschland- und Außenpolitik. Auch über seine spektakulären Auftritte im Jahr 1956 während der Demonstrationen gegen die Niederschlagung des Ungarnaufstandes wurde im Hörfunk berichtet.21 Das Radio trug so maßgeblich zur überregionalen Bekanntheit Brandts bei. Hilfreich war dabei auch seine markante Stimme, die einen hohen Wiedererkennungswert im Äther hatte. Nach dem Amtsantritt als Regierender Bürgermeister nahm das öffentliche Interesse an Willy Brandt weiter zu und damit auch seine Präsenz im Hörfunk. Die zahlreichen politischen Ereignisse von welt- und deutschlandpolitischer Bedeutung der Zeit, wie das Berlin-Ultimatum, der Mauerbau oder die Besuche führender Staatsmänner in Westberlin beförderten eine häufige Berichterstattung über Brandt im Rundfunk. Ebenso waren seine Auslandsreisen wie zum Beispiel in die USA 1958, 1959, 1961 und 1962 Anlässe für zahlreiche Rundfunksendungen und ausführliche Interviews mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin. Brandt war ein gern gesehener Gast in vielen politischen Diskussionsrunden der diversen Rundfunkanstalten. Außerdem nutzte er das Medium auch, um Erklärungen in politisch angespannten Situationen wie 1958 oder 1961 an die Bevölkerung abzugeben. Auch gehörten Neujahrs-
—————— 17 Die Auswertung basiert auf den Sendungen aller ARD-Sender, des Deutschlandfunks, der Deutschen Welle und des RIAS. 18 Vgl. u.a. Sendung des SWF vom 14. Juli 1954 (Sozialisten suchen neue Wege). 19 Vgl. u.a. Sendung des SFB vom 27. Januar 1955, 13. Juli 1956, 9. Oktober 1956 usw., Sendung des SDR vom 16. Februar 1955, 22. März 1957. 20 Vgl. Sendung des SFB vom 27. Januar 1955. 21 Zu den Demonstrationen und Reaktionen Brandts vgl. ausführlich Merseburger, Willy Brandt, S. 338 ff.
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und Weihnachtsbotschaften Willy Brandts zum Repertoire des Radioprogramms. Insgesamt nahm entsprechend der rückläufigen Bedeutung des Radios als politisches Informationsmedium im Verlauf der sechziger Jahre auch seine Schlüsselfunktion für Politik und Politiker ab – dies galt auch für Brandt. Dennoch trat er weiterhin in politischen Sendungen der diversen Radioanstalten auf. Ende 1966 ermahnte das Referat Rundfunk, Fernsehen und Film der SPD die Mitarbeiter Brandts dann auch: »Wir sollten grundsätzlich über das Fernsehen nicht die Tatsache vergessen, daß auch der Hörfunk immer noch eine beachtliche Breitenwirkung hat.«22 Eine Berliner Besonderheit war, dass der Regierende Bürgermeister der Stadt über eine eigene Radiosendung verfügte. Dies war keine Idee der Radiosender, sondern ging auf die Initiative Ernst Reuters zurück. Reuter, der im Umgang mit den Medien äußerst professionell agierte, hatte die Sendung im Jahr 1951 eingeführt. Vorbilder waren höchstwahrscheinlich die fireside-chats von US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der sich in den Jahren von 1933 bis 1944 in unregelmäßigen Abständen über das Radio an die Bevölkerung wandte.23 Die Sendungen waren in Form von Kamingesprächen gestaltet worden. In Berlin firmierte die Radiosendung unter dem Titel Wo uns der Schuh drückt und wurde alle 14 Tage an einem Sonntag über die Sender RIAS und Freies Berlin (SFB) ausgestrahlt. Sie existierte bis zum Ende der sechziger Jahre und wurden ab 1962 parallel auch im Fernsehen übertragen. Mit Ausnahme einiger Kleinigkeiten änderte sich das Konzept im Prinzip während des gesamten Zeitraums nicht. In der Regel setzte sich jede Sendung aus zwei Blöcken zusammen: im ersten Teil gab es Ausführungen des Regierenden Bürgermeisters über die aktuelle politische Lage, und im zweiten Teil folgte die Beantwortung bzw. Thematisierung von Problemfeldern, die in Briefen der Bevölkerung an den Bürgermeister aufgeworfen worden waren. Es kam aber auch vor, dass es sich nur um eine Ansprache handelte. Zu Beginn der fünfziger Jahre wurden zehn Minuten gesendet, seit dem letzten Drittel der Dekade verringerte sich die Sendezeit. Der Aufbau und die Form der Sendung suggerierten eine direkte Kommunikation zwischen Politikern und Bevölkerung. Die Menschen bekamen das Gefühl, dass ihre Nöte, Ängste und Sorgen von dem
—————— 22 AdsD, SPD-PV, 5, Schreiben vom 1. Dezember 1966. 23 Laut Angaben der Franklin D. Roosevelt Presidential Library wurden zwischen 28 und 30 fireside-chats in der Zeit von 1933 bis 1944 ausgestrahlt. Die exakte Anzahl lässt sich nicht rekonstruieren.
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führenden Repräsentanten ihrer Stadt nicht nur wahrgenommen,24 sondern auch ernstgenommen wurden, und er sich – sofern möglich – darum bemühte, ihre Anliegen mit in seine konkrete Politik einzubeziehen. Auf diese Weise erhöhte sich die Identifikation mit dem Stadtoberhaupt und trug zu dessen Popularität bei. Der Regierende Bürgermeister konnte sich so als wahrer »Landesvater« zeigen. Darüber hinaus bestand hier ein regelmäßiges Forum, um die eigene Politik zu erläutern und zu rechtfertigen. Die große positive Resonanz auf die Sendungen bestätigte das Sendekonzept und das politische Kalkül, das dahinter stand. Nicht zuletzt deshalb liegt die Vermutung nahe, dass die einige Jahre später eingeführten, sehr ähnlich konzipierten Sendungen der AdenauerRegierung, wie unter anderem Fragen Sie doch die Bundesregierung,25 ursprünglich das Berliner Sendeformat zum Vorbild hatten. Als Willy Brandt im Oktober 1957 das Amt des Regierenden Bürgermeisters übernahm, führte er die Sendereihe Wo uns der Schuh drückt bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 1966 fort. Das Konzept wurde grundsätzlich beibehalten. Eine kurzzeitig erfolgte Unbennung in Wo uns der Schuh noch drückt, die eigentlich ausdrücken sollte, dass die schwersten Zeiten überwunden seien, wurde aufgrund von Bedenken seitens der SPD-Werbestrategen wieder zurückgenommen. Sie befürchteten, dass in dem neuen Titel eine Kritik an Brandts Vorgängern zum Ausdruck kommen könnte, wie es Arno Scholz, der Herausgeber des Telegraf, gegenüber Brandt formulierte: »Ein kleiner freundschaftlicher Wink. Da und dort – auch in Journalistenkreisen – wurde kritisiert, daß Du Deine Sendung ›wo der Schuh noch drückt‹ bezeichnest. Ich wäre garnicht auf die Idee gekommen, aber andere haben mir erklärt, darin stecke eine gewisse Kritik gegenüber Deinen Vorgängern. Ich würde an Deiner Stelle überlegen, ob Du nicht doch – nicht von heute auf morgen, sondern nach einer gewissen Zeit – dieser Sendung einen anderen Namen geben solltest.«26
Am 5. Oktober 1957 ging Willy Brandt zum ersten Mal auf Sendung. Dabei stellte er sich in die Tradition Ernst Reuters und versprach, die Sendung in dessen Sinne fortführen zu wollen. Welche herausragende Bedeutung diese Form der Öffentlichkeitsarbeit und Selbstdarstellung für Brandt einnahm, unterstreicht die große Sorgfalt, die auf die Abfassung der Sendemanuskripte verwandt wurde. Es wurde auch kein Sendetermin verpasst. Befand sich der Regierende Bürgermeister im Ausland, wurde von dort aus gesendet. Dann berichtete er von seinen Eindrücken und seinen politischen Aufgaben. Um die
—————— 24 Die in den Sendungen angesprochenen Themen lesen sich dann auch wie eine Alltagsgeschichte der Berliner Nachkriegszeit. 25 Vgl. Kapitel 2 dieser Arbeit. 26 WBA, Beruflicher Werdegang und Berlin, Mappe 16 (alt), Schreiben vom 10. Oktober 1957.
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Wirkung der Sendungen noch zu verstärken, wurde ein Großteil der Sendemanuskripte an die Berliner Presse weitergegeben und dort zum Nachlesen abgedruckt, so dass ein doppelter Effekt erzielt werden konnte. Durch die Pressemitteilungen der SPD wurde ein Teil der Sendetexte zusätzlich bundesweit verbreitet. Was die Themenkomplexe der Sendungen betrifft, so lässt sich feststellen, dass in den sechziger Jahren die existentiellen Alltagssorgen der Berliner Bevölkerung angesichts des wirtschaftlichen Aufschwungs zunehmend in den Hintergrund und rein politische Fragen mehr in den Vordergrund traten. Dabei dominierten Aspekte der Berlin-, Deutschland- und Ostpolitik. Rundfunkjournalisten nahmen am Jour fixe für Journalisten des Regierenden Bürgermeisters genauso teil wie Pressejournalisten.27 Egon Bahr verfügte als ehemaliger Rundfunkjournalist in führender Position beim RIAS über gute Kontakte zu den Berliner Sendeanstalten. Dennoch ist keine engere Zusammenarbeit mit Rundfunkjournalisten festzustellen, wie dies für die Presse der Fall war und fürs Fernsehen gezeigt werden wird.
4.2 Fernsehen Wie beim Aufkommen neuer Medien stets festzustellen, brachte auch die Einführung des Fernsehens Diskussionen über die möglichen Gefahren eines solchen audio-visuellen Mediums mit sich. Der Diskurs kreiste vor allem um die Auswirkungen des Fernsehens auf die Konsumenten, die politische, gesellschaftliche sowie die kulturelle Sphäre. Hier waren neben wertkonservativen und zivilisationskritischen Stimmen, vor allem die kulturkritischen Ansätze der »Frankfurter Schule« dominierend. Zu Beginn der siebziger Jahre verstärkte sich dann auch die kapitalismuskritische Sicht auf die Massenmedien. Bereits seit den zwanziger Jahren hatte sich Theodor W. Adorno mit Phänomenen der Massenkultur beschäftigt. Seine Mitarbeit an einer großen Radiountersuchung unter Leitung von Paul Lazarsfeld während des US-amerikanischen Exils führte zu einer weiteren kritischen Auseinandersetzung mit dem Massenmedium Rundfunk im Speziellen, die er dann im Jahr 1953 anhand des Fernsehens nochmals konkretisierte.28 In zwei Aufsätzen in der neugegründeten Zeitschrift Rundfunk und Fernsehen mit dem Titel »Prolog zum Fernsehen«29 und
—————— 27 Vgl. u.a. LA-Berlin, B Rep. 002, 8690. 28 Vgl. Claussen, Adorno, S. 222 ff; Albrecht, Massenmedien und die Frankfurter Schule, S. 226 f. 29 Vgl. Adorno, Prolog, S. 1 ff.
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»Fernsehen und Ideologie«30 setzte er sich mit dem in der Bundesrepublik neuen Medium kritisch auseinander, indem er es als einen integralen Bestandteil der »Kulturindustrie« verstand. Als Modellfall galt ihm vor allem das amerikanische Fernsehen, denn das deutsche war noch nicht einmal ein Jahr auf Sendung. Dabei stand ebenso – wie bei der gesamten Kritik der so genannten »Kulturindustrie« – der Manipulations- und Instrumentalisierungsvorwurf im Vordergrund. Durch die Verbindung von Ton und Bild frei Haus geliefert, wurde die Manipulationsmöglichkeit als besonders eklatant eingestuft. »Das Medium [das Fernsehen, D.M.] selbst jedoch fällt ins umfassende Schema der Kulturindustrie und treibt deren Tendenz, das Bewusstsein des Publikum von allen Seiten zu umstellen und einzufangen, als Verbindung von Film und Radio weiter. Dem Ziel, die gesamte sinnliche Welt in einem alle Organe erreichenden Abbild noch einmal zu haben, diesem traumlosen Traum nähert man sich durchs Fernsehen und vermag es zugleich, ins Duplikat der Welt unauffällig einzuschmuggeln, was immer man für der realen zuträglich hält«,31
so Adorno. Das Konstrukt des Fernsehens als hochgradiges Manipulationsinstrument wurde von vielen Intellektuellen geteilt und fand seit Mitte der sechziger Jahre nicht zuletzt durch die Adaption seitens der Studentenbewegung zunehmend Anhänger. Noch 1970 beschwor Hans Magnus Enzensberger im Kursbuch in einem Aufsatz mit dem Titel »Baukasten zu einer Theorie der Medien« die Gefahr des Fernsehens.32 Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass in den fünfziger Jahren vor zuviel Fernsehkonsum gewarnt und ähnlich wie bei den Lesesuchtdebatten des 19. Jahrhunderts oder dem Radiokonsum in den zwanziger Jahren auf mögliche Folgen und Gefahren hingewiesen wurde.33
Fernsehen und Politik in den sechziger Jahren Das Fernsehen avancierte in den sechziger Jahren nicht nur zum Leitmedium, sondern auch zum zentralen politischen Informationsmedium – was den Kritikern weiteren Auftrieb gab, da sie die Gefahr einer manipulativen Wirkung dadurch verstärkt sahen. Als Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens waren die Bereiche Information, Bildung und Unterhaltung definiert. Werden die fünfziger Jahre als Zeit des »Familienfernsehens« charakteri-
—————— 30 31 32 33
Vgl. Adorno, Fernsehen als Ideologie, S. 1 ff. Adorno, Prolog, S. 1. Vgl. Enzenzberger, Baukasten zu einer Theorie der Medien, S. 159 ff. Vgl. Schneider, Passiv und gebildet, S. 74 ff.
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siert, gelten die sechziger als Epoche des »Gesellschaftsfernsehens«.34 Fernsehen war wahrscheinlich nie so politisch bzw. politisiert wie in dieser Zeit. Der Bildungsauftrag des Mediums zielte vor allem auf eine Demokratisierung der bundesdeutschen Gesellschaft ab. Fernsehen sollte »politisches Denken und Demokratie« in der Bevölkerung fördern.35 Schon daraus ergab sich die Einbettung des Mediums in die politische Sphäre. Im Fernsehen spiegelten sich ähnliche Entwicklungen wider, wie sie die bundesdeutsche Presselandschaft durchmachte – eine Politisierung bei gleichzeitiger Polarisierung. Hierbei spielten die Magazinsendungen wie Panorama, Report, Monitor oder das ZDF-Magazin eine wichtige Rolle. Berichte und Liveübertragungen von politischen Großereignissen, wie zum Beispiel dem Kennedy-Besuch in Deutschland im Juni 1963, Interviewsendungen und Diskussionsrunden unter Beteiligung von Politikern waren ebenfalls wichtige Elemente des politischen Fernsehens. Als erstes europäisches Land wurde in der Bundesrepublik die Direktübertragung von Bundestagsdebatten praktiziert. Besonders wichtig für die politische Information der Bevölkerung wurden die Nachrichtensendungen Tagesschau oder Heute. Die Tagesschau hatte im Jahr 1964 eine Einschaltquote von 65 Prozent, und sie gehörte für viele Zuschauer und Zuschauerinnen zum integralen Bestandteil ihres Tagesablaufs.36 Die Glaubwürdigkeit der Nachrichten und des Mediums im Allgemeinen wurde, wie zeitgenössische Umfragen ermittelten, sehr hoch eingeschätzt. In einer Abhandlung des Fernsehreferates des Bundespresseamtes vom Dezember 1965 wurde darauf sowie auf die daraus resultierende »Verantwortung« nachdrücklich verwiesen: »Umfragen des demoskopischen Instituts Emnid ergaben, daß ein hoher Prozentsatz unserer Mitbürger den Informationen des Fernsehens eine besondere Glaubwürdigkeit zuschreibt. Meist wird das damit begründet, daß die Informationen des Fernsehens ja mit Bildern und Filmberichten unterlegt seien, und damit eine Wiedergabe der Wirklichkeit sei. Der Zuschauer weiß nicht oder vergißt dabei, daß allein schon die Auswahl eines bestimmten Bildes eine Meinungsäußerung darstellt, von den zahlreichen technischen Möglichkeiten des Schnittes und der Trickaufnahmen ganz abgesehen. Diese Gläubigkeit gegenüber dem Fernsehen bürdet diesem Medium eine große Verantwortung auf, der es sich nicht entziehen kann.«37
Tagesschausprecher erschienen vielen Zuschauern als eine Art »Regierungssprecher«,38 was unterstreicht, dass die Nachrichtensendungen einen hohen
—————— 34 35 36 37 38
Vgl. Kreutzer/Thomsen, Geschichte des Fernsehens: Vorwort, S. 12 f. Vgl. Schabacher, Aktualitäten, S. 327. Vgl. Hickethier, Geschichte, S. 265 f. BA-Koblenz, B 145, 4703, Vermerk vom 3. Dezember 1965. Vgl. Hickethier, Geschichte, S. 266.
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Grad an Seriosität und einen offiziellen Charakter vermittelten. Die Glaubwürdigkeit des Mediums wurde zusätzlich durch die Visualisierung sowie durch die große Aktualität der Berichterstattung verstärkt.39 Beides vermittelte einen hohen Grad an (vermeintlicher) Authentizität und erzeugte beim Zuschauenden die Illusion, an den Ereignissen teilzunehmen quasi live dabei und immer auf dem Laufenden zu sein.
»Dieses
Fernsehen kann indifferente Bevölkerungsschichten und -kreise mobilisieren, es kann politische Entwicklungen anregen und beschleunigen. Und wen das Fernsehen nicht erreicht, der hat immer noch jenes andere, mittlerweile 50 Jahre alte Massenmedium, das Radio«,40
schrieb der Spiegel. Diese Feststellung gründete sich auf die beschriebene hohe Glaubwürdigkeit und die ständig steigende Erfassung der Bevölkerung durch das Fernsehen. Mit dem Ausbau der Programme und dem Anstieg der Fernsehdichte erhöhte sich auch der mediale Zugriff auf die Gesamtbevölkerung durch das Medium sowie die individuelle Fernsehnutzung. Im Jahr 1964 erreichte das Fernsehen im Durchschnitt (Montag bis Samstag) 47 Prozent der bundesdeutschen Gesamtbevölkerung, im Jahr 1970 waren es dann bereits 72 Prozent und 1974 sogar 78 Prozent.41 Die tägliche Fernsehnutzung stieg im gleichen Zeitraum von durchschnittlich 1.10 Stunden (1964) auf 1.53 Stunden (1970) bis hin zu 2.05 Stunden (1974).42 Die herausragende Bedeutung des Fernsehens für Politik und Politiker trat relativ schnell zutage. Adenauers gescheiteter Versuch, ein privates »FreiesFernsehen« zu gründen, das dem Zugriff der Regierung bzw. der CDU/CSU ohne Kontrollinstanzen ausgeliefert gewesen wäre, unterstreicht dies eindrucksvoll.43 Die massiven Auseinandersetzungen um die regierungskritische Berichterstattung von Panorama seit Beginn der sechziger Jahre,44 die ständige Beobachtung der politischen Magazinsendungen durch das Bundespresseamt,45 die offenen und verdeckten Interventionen seitens Regierung und Parteien, die Versuche, Zensur auszuüben und über die Rundfunkräte personelle Entscheidungen zu lenken, zeigen den hohen Grad an Wirkungsmächtigkeit und Manipulationsverdacht, den die Politiker im Fernsehen sahen. Wie bei den anderen Massenmedien auch war das Verhältnis zwischen Politik und Fernsehen bei allen Interventionsversuchen und bei noch so kritischer Berichterstat-
—————— 39 40 41 42 43 44 45
Vgl. dazu u.a. Hoffmann/Sarcinelli, Politische Wirkung der Medien, S. 330 f. Der Spiegel 11. April 1972. Vgl. Kiefer, Hörfunk, S. 435, Tabelle 1. Vgl. ebd., Tabelle 2. Vgl. dazu ausführlich Steinmetz, Freies Fernsehen. Vgl. dazu ausführlich Lampe, Panorama, S. 54 ff. Vgl. u.a. BA-Koblenz, B 145, Nr. 7, 4703, 4704.
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tung durch ein wechselseitiges, teilweise symbiotisches Verhältnis gekennzeichnet. Viele Politiker gingen zwar davon aus, das Fernsehen sei das Objekt ihrer Politik, gleichzeitig waren sie aber selber Objekt des Mediums.46 Das Fernsehen veränderte und verändert die Politik – ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist und die Diskussion um die Gefahren einer »Mediendemokratie« immer wieder aufs Neue entfacht.47 Dies gilt für die Formen der politischen Information genauso wie für die Selbstdarstellung von Politikern und Politik. Dabei spielte Reichweite, Aktualität, aber vor allem die Visualisierung eine entscheidende Rolle. Willy Brandt war nicht nur der erste Politiker, der zum »Fernsehstar« in der Bundesrepublik avancierte, er entwickelte auch eine fernsehgerechte Inszenierung und Darstellung von Politik, mit der er Standards für die Zukunft setzte. Er wurde durch die Berichterstattung eines nicht unerheblichen Teils des öffentlich-rechtlichen Fernsehens im Wahlkampf 1969 und 1972 sowie während seiner ersten Regierungsjahre mit Nachdruck unterstützt, was eine nicht zu unterschätzende Rückwirkung auf die öffentliche Meinung hatte. Nicht nur das Fernsehen professionalisierte, modernisierte und verbesserte sich in den sechziger Jahren, auch die Politiker mussten den Umgang mit dem neuen Medium lernen und professionalisieren. Telegenität, wie sie Brandt allenthalben von Zuschauern und besonders von Zuschauerinnen aber auch von führenden Fernsehjournalisten bescheinigt wurde, reichte allein auf Dauer offensichtlich nicht aus, um das Massenmedium Fernsehen optimal einsetzen zu können. Peter Merseburger, seit 1967 bei Panorama, beispielsweise sagte, dass Brandt im Gegensatz zu vielen anderen Politikern von sich aus gut auf dem Bildschirm gewirkt habe.48 Dennoch musste fernsehgerechtes Auftreten gut geplant und mit Methode betrieben werden, so ein ernstgenommener Vorschlag von Egon Bahr, der meinte: »dass jedes Fernsehinterview oder auch jede Fernseherklärung vorher ausführlich besprochen werden sollte, um an Formulierungen zu feilen und um alle denkbaren auch komplizierten oder nicht angenehmen Fragen und denkbaren Antworten durchzuspielen [....] Erfahrungsgemäss sind die Fragen dann leichter in dem Interview und Sie können darauf unmittelbar in voller Kenntnis und damit implizierten Komplexes antworten. Die Antworten werden kürzer und direkter und damit wird der Eindruck lebendiger und überzeugender. Jede Fernsehsendung erreicht mehr Menschen als die grösste Kundgebung. Das bedeutet: jede Fernsehsendung rechtfertigt mehr Zeit zur Vorbereitung als die, die für eine Rede
—————— 46 Vgl. Hickethier, Geschichte, S. 180. 47 Vgl. u.a. Kepplinger, Demontage. 48 Vgl. Interview mit Peter Merseburger vom 13. Juli 2001.
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erforderlich ist. [...] Gerade weil Erhard im Fernsehen schlecht ankommt, kann das Fernsehen entscheidend werden.«49
Fernsehauftritte gut vorzubereiten, damit eine möglichst nachhaltige, positive Wirkung bei den Zuschauenden erzielt werden konnte, war eine Sache. Darauf wurde von den Mitarbeitern Brandts, ihm selbst und der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der SPD zunehmend geachtet und immer weitere Feinheiten sowie medienspezifische Besonderheiten berücksichtigt. Als Willy Brandt auf der Funkausstellung des Jahres 1967 den berühmten roten Knopf drückte, der das Fernsehen farbig werden ließ, sollte nichts dem Zufall überlassen werden. Bahr betonte im Vorfeld, dass »über die immense Öffentlichkeitswirkung dieses Vorgangs [...] sicher keine Meinungsverschiedenheiten« bestünden und riet, damit das Ganze auch wirklich ein Erfolg für Brandt wurde: »Fachleute sollten außerdem feststellen, welchen Anzug und Hemdfarben sich nach amerikanischen Erfahrungen am besten für Farbfernsehen eignen.«50 Im Jahr 1972 unterrichtete der Bundesgeschäftsführer der SPD, Holger Börner, den Bundeskanzler darüber, dass die weiblichen Zuschauer ihn »mit Brille schöner finden«.51 Dieses »Sich Einlassen« auf das Medium, gepaart mit Brandts Telegenität, trug in jedem Fall mit zur überregionalen Bekanntheit und Popularität des Politikers Brandt bei und machte ihn zum ersten Fernsehpolitiker in der Geschichte der Bundesrepublik. So kürte beispielsweise die Redaktion der Rundfunkzeitschrift Hör ZU in einer Rangliste über die zwölf am häufigsten im Fernsehen in Erscheinung tretenden Politiker Willy Brandt zum Gewinner.52 Beurteilt wurde die »Art des Auftretens im Fernsehen, Verbindlichkeit, Umgang mit den Interviewers, Aufrichtigkeit der Aussage, Verzicht auf Demagogie«. Fernsehauftritte von Politikern im Allgemeinen und des Bundesaußenministers und Bundeskanzlers Brandt im Speziellen waren seit Ende der sechziger Jahre häufiger Gegenstand der Berichterstattung in Hör ZU. Immer wurden dabei Brandts »Fernsehqualitäten« hervorgehoben: »Willy Brandt ist ein idealer Partner der Fernsehleute«,53 hieß es unter anderem. Auch viele Fernsehjournalisten äußerten sich sehr anerkennend über Brandts Medienqualitäten, so unter anderem Werner Höfer, damals Programmdirektor des WDR:
—————— 49 AdsD, Dep. Bahr 362, Vermerk vom 15. Juli 1964. 50 AdsD, Dep. Bahr, 341, Schreiben vom 28. April 1967. Brandt trug bei der Veranstaltung einen anthrazitfarbenen Anzug, ein weißes Hemd und eine anthrazit-weiß gestreifte Krawatte. 51 WBA, SPD-Parteivorsitzender, Verbindungen mit Mitgliedern des Präsidiums, Mappe 22, Schreiben vom 19. Oktober 1972. 52 Vgl. Hör Zu 46/1968. 53 Hör Zu 16/1969.
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»Das Interview-Gesetz vom schweren und vom leichten Fall, auf Willy Brandt angewandt, sichert ihm einen Spitzenplatz unter den Spitzenleuten. Er ist kein schwerer Fall. Er hat alles, was ihn zum Idealtyp des Interview-Partners macht: Er stellt sich, und er kneift nicht. Er weicht keiner Frage aus und bleibt keine Frage schuldig. [...] Er kokettiert nicht mit der Pose des Staatsmannes und brilliert nicht mit den Allüren der Wortartisten.«54
Ein anderer wichtiger Aspekt im Verhältnis von Politik und Fernsehen ist das bewusste Nutzen des Mediums zum Transportieren bestimmter Botschaften und Bilder durch die Politik. Brandt, seine Mitarbeiter und die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der SPD bedienten sich dieser Möglichkeiten, wann immer sie sich boten oder versuchten Entsprechendes zu arrangieren. So wurde beispielsweise das Fernsehen bei der Widerlegung und Abwehr der gegen Brandt initiierten Diffamierungskampagnen eingesetzt.55 Fernsehjournalisten wurden gezielt angesprochen und mit Informationen versorgt. Brandt äußerte sich in einigen Interviews zu den diffamierenden Vorwürfen. Auch die Sendung Zur Person mit Günter Gaus im ZDF, die sehr beliebt war, hohe Einschaltquoten hatte und für die politische Meinungsbildung nicht unwichtig war, wurde im September 1964 zu einer publizistischen Offensive genutzt. In diesem langen Fernsehgespräch, das bis ins Detail geplant und ausgearbeitet worden war, nahm Brandt ausführlich zu seiner Jugend, seiner Emigrationszeit, seinem Namenswechsel sowie zu den Umständen seiner Rückkehr nach Deutschland Stellung.56 Die Wirkung solcher Interviews ist zwar nicht direkt messbar, doch ist anzunehmen, dass durch die offensive Nutzung des Fernsehens es zumindest gelang, große Teile der Bevölkerung zu erreichen und einen Kontrapunkt zu den Diffamierungskampagnen von CDU/CSU und rechtsgerichteter Presse zu setzen. Brandt bedankte sich nach der Sendung bei Gaus und bemerkte: »Die Urteile, die ich inzwischen gehört habe, waren durchweg besser als mein eigenes. Eigentlich habe ich nur Positives gehört. Ich wollte Ihnen [...] danken, [...] auch für die Fairness, mit der Sie die ganze Sache behandelt haben, ohne mir dabei etwas zu schenken.«57
Neben unzähligen kurzen und längeren Interviews, die die Möglichkeit boten, die eigenen politischen Standpunkte zu erläutern und für sie möglichst überzeugend zu werben, nahm Brandt zum selben Zweck gern an politischen Diskussionsrunden im Fernsehen teil. Zur Verstärkung der Wirkung wurden zahlreiche Fernsehinterviews oder Statements von Brandt im Fernsehen durch
—————— 54 Höfer, Dieser Mann Brandt, S. 52. 55 Vgl. WBA, Prozesse, Mappe 57, Schreiben vom 24. September 1964. 56 Das Interview ist als Dokument Nr. 54 abgedruckt in: Münkel, Auf dem Weg nach vorn, S. 309331. 57 LA-Berlin, B Rep. 0002, Nr. 3419, Bd. I, Schreiben vom 8. Oktober 1964.
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Pressemitteilungen der SPD oder der Bundesregierung an die Presse weitergeleitet, die diese oft kommentiert oder unkommentiert abdruckte. Während seiner Kanzlerschaft konnte Brandt das Massenmedium Fernsehen optimaler nutzen, als dies in den Jahren zuvor möglich gewesen war. Ein Mittel waren direkte Fernsehansprachen an die Bevölkerung – eine Sendeform, die in der Regel nur dem Kanzler und dem Bundespräsidenten zur Verfügung steht. Neben den traditionellen Weihnachts- und Neujahransprachen wandte sich Brandt gleich mehrfach via Bildschirm an die Bevölkerung. Im Jahr 1969 hielt Brandt zwei, 1970 acht, 1971 drei und 1972 sogar zwölf Fernsehansprachen.58 1972 waren besonders Fragen der inneren Sicherheit, die durch den Terrorismus bedroht erschien, sowie das Misstrauensvotum und die Neuwahlen Themen der Ansprachen. Ansonsten war es primär die Deutschland- und Ostpolitik, die Brandt in Form von Fernsehansprachen in den verschiedenen Stadien erläuterte. Allein sieben Ansprachen widmete er diesem Thema. Er sprach zweimal direkt von den Schauplätzen der Verhandlungen und Vertragsunterzeichnungen, am 12. August 1970 aus Moskau und am 7. Dezember 1970 aus Warschau zu den Zuschauern. Da eine Liveübertragung aus dem Ostblock damals noch nicht möglich war, wurden die Ansprachen aufgezeichnet und in die Bundesrepublik überspielt. Bei der Rede aus Moskau stellte Willy Brandt sich in die Tradition Adenauers, hob aber die Notwendigkeit hervor »unser Verhältnis zum Osten neu zu begründen«.59 Er sprach von neuer Hoffnung auf einen wirklichen Frieden, nach Krieg und Zerstörung. Der Mauerbau wurde problematisiert und das Endziel, die deutsche Teilung eines Tages doch noch überwinden zu können, formuliert. Dann ging er auf die Zweifler an der Aussöhnung mit dem Osten ausführlich ein, versuchte sie zu beruhigen und ihre Argumente zu widerlegen: »[...] mit diesem Vertrag geht nichts verloren, was nicht längst verspielt worden war. Wir haben den Mut ein neues Blatt der Geschichte aufzuschlagen. [...] Dieser Vertrag beeinträchtigt in keiner Weise die feste Verankerung der Bundesrepublik und ihrer freien Gesellschaft im Bündnis des Westens. Die zuverlässige Partnerschaft mit Amerika bleibt ebenso gewahrt wie die Aussöhnung mit Frankreich. [...] Der Vertrag gefährdet nichts und niemanden. Er soll mithelfen, den Weg nach vorn zu öffnen. Und wenn er dies tut, dann wird er dem Frieden Europas und uns allen nützen. Ich grüße Sie zu Hause in Deutschland.«60
—————— 58 Vgl. 26. Oktober und 25. Dezember 1969; 18. März, 12. August, 29. September, 28. Oktober, 11. November, 20. November, 7. Dezember und 31. Dezember 1970; 9. Mai, 3. September und 31. Dezember 1971; 22. Januar, 4. Februar, 24. April, 17. Mai, 26. Mai, 3. Juni, 17. Juni, 24. August, 5. September, 12. September, 19. November und 31. Dezember 1972. 59 Vgl. die Rede im Wortlaut Kölner Stadtanzeiger vom 13. August 1970. 60 Ebd.
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Die Rede bediente rhetorisch geschickt sowohl die Erwartungen der Befürworter der neuen Ostpolitik, ging aber gleichzeitig auch auf die Zweifler ein und führte beide in der Hoffnung auf Frieden und Wiedervereinigung wieder zusammen. Darüber hinaus sollte durch die Wahl des Ortes der Rede Authentizität hergestellt werden. Die Bürger und Bürgerinnen sollten dabei sein, wenn derart wichtige außenpolitische Weichenstellungen vorgenommen wurden. Politik wurde so nicht nur über das Fernsehen vermittelt, sondern ein Gefühl der Partizipation am Geschehen erzeugt, was eine erhöhte Identifikation mit der Politik und den politisch Handelnden fördern sollte. Grundsätzlich stieg die Aufmerksamkeit, die Willy Brandt vom Fernsehen entgegengebracht wurde, mit jedem Karrieresprung. In der Zeit von 1958 bis 1972 gab Willy Brandt 87 Fernsehinterviews, die länger als vier Minuten waren.61 Des weiteren befassten sich beispielsweise in den Jahren 1960 bis 1965 neun,62 in den Jahren 1966 bis 1969 5063 und zwischen 1970 und 1972 64 Beiträge in den politischen Magazinsendungen der ARD ausführlich mit Brandt und seiner Politik.64 Schon vor der Regierungsübernahme durch die sozialliberale Koalition unterstützten Report, unter Leitung von Günter Gaus, oder Peter Merseburger bei Panorama die deutschland- und ostpolitischen Bestrebungen Willy Brandts und der SPD durch ihre Berichterstattung.65 Der Regierungswechsel des Jahres 1969 wurde offen begrüßt. So stellte Sebastian Haffner in der letzten Panorama-Sendung der sechziger Jahre am 29. Dezember 1969 unter dem Titel »Abschied von den sechziger Jahren« fest: »Die Bundesrepublik der 50er Jahre hatte einen Kanzler, die der 60er vier. Der uralte Adenauer machte, [...] dem populären Erhard Platz, der aber die Hoffnungen seiner Anhänger schnell enttäuschte. Ihm folgte, als Kanzler einer Großen Koalition, der elegante und redegewandte Kiesinger. Aber auch unter ihm blieb, trotz neuer Zusammensetzung der Regeierungsparteien, in der Sache alles beim Alten. Neue Gesichter, aber immer die alte Politik. Erst die letzten Monate des Jahrzehnts brachten, mit der Kanzlerschaft Willy Brandts, des ersten sozialdemokratischen deutschen Kanzlers seit fast vierzig Jahren, einen echten Regierungswechsel [...] Bedeutet das nun für die 70er Jahre endlich eine neue Politik?«66
Seit 1970 stand vor allem die Deutschland- und Ostpolitik im Mittelpunkt solcher Berichte in den politischen Magazinen des Ersten Deutschen Fernsehens. Aber auch das innenpolitische Reformprogramm unter dem Schlagwort
—————— 61 62 63 64 65 66
Grundlage der Erhebung sind alle ARD-Sender und ab 1963 das ZDF. Vgl. Deutsches Rundfunkarchiv, Magazinbeiträge im Deutschen Fernsehen, Bd. 1: 1960 -1965. Vgl. Deutsches Rundfunkarchiv, Magazinbeiträge im Deutschen Fernsehen, Bd. 2: 1966 -1969. Vgl. Deutsches Rundfunkarchiv, Magazinbeiträge im Deutschen Fernsehen, Bd. 3: 1970 -1973. Vgl. Lampe, Panorama, S. 235 f. und S. 264. Zitiert nach: ebd., S. 267.
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»mehr Demokratie wagen« wurde durch die Sendungen unterstützt.67 Das Vorgehen der neuen Bundesregierung wurde in einem guten Licht dargestellt, was zu einem nicht geringen Teil zu einer positiven Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Sinne der Regierung Brandt/Scheel beigetragen haben wird. Die politischen Magazine der ARD und ihre führenden Journalisten waren nun im Gegensatz zur ersten Hälfte der sechziger Jahre wenig regierungskritisch. Eher das Gegenteil war der Fall, denn es wurde nicht nur positiv berichtet, sondern viele Fernsehjournalisten engagierten sich auch außerhalb der Sender für die sozialliberale Regierungskoalition und den Bundeskanzler.68 Demgegenüber stand eine äußerst kritische Berichterstattung in den politischen Magazinen des ZDF. Hier sind das Magazin Drüben – ab 1971 Kennzeichen D – und vor allem das ZDF-Magazin zu nennen. Letzteres wurde 1969 quasi als Gegenstück zu den ARD-Magazinen Report und Panorama initiiert und von Gerhard Löwenthal moderiert.69 Löwenthal bekämpfte mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Regierungspolitik, insbesondere die Deutschland- und Ostpolitik und machte sich zum Fürsprecher der Opposition. Dies tat er unverschleiert und offen; er scheute sich auch nicht, auf Parteitagen der Union als Redner aufzutreten. Löwenthals Form und Inhalt der Berichterstattung beschäftigten dann auch mehrfach die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der SPD. Dort war man vor allem darüber besorgt, dass Löwenthal seine politisch eindeutig ausgerichteten Beiträge unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Neutralität darbot. »Gerhard Löwenthal interviewte am 17.3.1970 den CDU-Abgeordneten Fritz Baier, allerdings ohne zu sagen, daß Herr Baier von der CDU kommt [...] Löwenthal erweckte den Eindruck als interviewte er einen neutralen Fachmann. [...] Dabei ist die Methode dieses ›Interviews‹ für Löwenthal typisch: er legt einen Meinungs-Trend bereits in die Frage hinein: schlimmer noch: die Befragten und deren Antworten dienen dazu, Löwenthals im Vorspann geäußerten Ansichten zu bestätigen«,70
so die Bedenken in der SPD. Da Gerhard Löwenthal keinen Hehl aus seinen politischen Überzeugungen machte, wird der Mehrzahl der Zuschauenden bekannt gewesen sein, wer da mit welcher politischen Einstellung berichtete.
—————— 67 Dabei handelte es sich vor allem um Reformen auf den Gebieten Bildungs-, Sozial-, Familienund Strafrechtspolitik. 68 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 5.1 dieser Arbeit. 69 Vgl. Hickethier, Geschichte, S. 270. 70 AdsD, SPD-PV, 1913, 047.
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Fernsehbilder als Erkennungszeichen einer Ära Willy Brandts politische Karriere und vor allem seine Kanzlerschaft ist mit (Fernseh-)Bildern verbunden wie bei kaum einem anderen Politiker in den ersten Nachkriegsdekaden. Diese Bilder wurden zu Chiffren ihrer Zeit, prägten sich bei den Zeitgenossen ein und illustrieren die Geschichtsbücher bis heute. Sie begleiteten und visualisierten Brandts Karriere, sie konturierten sein Bild in der Öffentlichkeit und waren ein wichtiger Aspekt bei der Mystifizierung und Verklärung des Bundeskanzlers als Idol und Visionär. Es waren an der Wirkungsweise des Fernsehens ausgerichtete Inszenierungen von Politik und Person, die symbolische- und Realpolitik miteinander verwoben. Symbolische Politikformen können sowohl in politischen als auch in sozialen Zusammenhängen sinnstiftend wirken.71 Das machten sich Brandt und seine Mitarbeiter zunutze. Sie setzten mit der Form einer mediengerechten, symbolischen (Bild-) Politik Standards für alle nachkommenden Regierungen. Die erste Bühne, die sich für Brandt bot, war Berlin als Brennpunkt des Kalten Krieges und die daraus resultierende nationale und internationale Bedeutung der Stadt. Die dortigen Ereignisse wurden in den sechziger Jahren eben auch zu Fernsehereignissen. Über den Mauerbau 1961, die Studentenunruhen seit 1966 oder die Staatsbesuche führender Repräsentanten aus aller Welt in Berlin wurde ausführlich im Fernsehen berichtet. Hier ergab sich für den Regierenden Bürgermeister nicht nur häufig die Gelegenheit, im Fernsehen präsent zu sein und damit seinen überregionalen Bekanntheitsgrad zu erhöhen, sondern auch die Möglichkeit, Politik und Person durch Bilder, Gesten und Symbole zu inszenieren. Das galt besonders für die Zeit während und kurz nach dem Mauerbau. Aber auch die Staatsbesuche boten sich dafür an. Der Kennedy-Besuch im Juni 1963 war wohl – neben dem Besuch des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle im Jahr 1962 – einer der symbolträchtigsten seiner Zeit, und das nutzte auch Brandt.72 Dieses politische Großereignis übertrug das Fernsehen erstmals mehrere Stunden, insgesamt 17 Stunden (!) an zwei Tagen, live.73 Wie wichtig die Fernsehbilder genommen wurden, zeigen auch die Auseinandersetzungen mit dem Bundespresseamt und Bundeskanzler Adenauer darüber, wann Willy Brandt beim Berlin-Besuch Kennedys wo dabei sein durfte und wie er sich zu positionieren hatte.74 Dass er dann bei der Fahrt im offenen Wagen durch die Stadt doch neben Kennedy stehen durfte und der visuelle Schulterschluss mit dem amerikanischen Präsi-
—————— 71 72 73 74
Vgl. dazu u.a. Meyer/Kampmann, Politik als Theater, S. 84 ff. und die Einleitung dieser Arbeit. Vgl. dazu ausführlich Daum, Kennedy. Vgl. Hickethier, Geschichte, S. 273. Vgl. Daum, Kennedy, S. 90 ff. und 99 ff.
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denten via Fernsehen und Presse vermittelt wurde, war eher einem Zufall zu verdanken. Der Präsident litt an diesem Tag wieder an starken Schmerzen,75 die es ihm nicht erlaubten, wie geplant in der Mitte zwischen Adenauer und Brandt zu stehen, da er sich anlehnen musste. Da Adenauer kein Englisch sprach, wurde Brandt neben Kennedy platziert und kam so in den Genuss für ihn vorteilhafter Bilder, die seine Bemühungen, sich als »deutscher Kennedy« in Szene zu setzen, visuell untermauerten.76 Allerdings konnte sich die große Fernsehaufmerksamkeit, die auf Berlin lag, auch negativ auswirken, wie beispielsweise im Fall der Studentenunruhen seit 1966.77 Diese Fernsehbilder waren von Demonstrationen und straßenschlachtähnlichen Szenen zwischen Studenten und Polizei geprägt. Solche Bilder konnten vermitteln, dass der Regierende Bürgermeister in seiner Stadt nicht »für Ordnung« sorgen könne. Derartige negative Fernsehbilder blieben während Brandts Amtszeit jedoch insgesamt die Ausnahme, denn den Höhepunkt erreichten die Proteste erst, als Brandt bereits Bundesaußenminister war. Was in Berlin erfolgreich praktiziert wurde, fand in Bonn seine Fortsetzung und wurde weiter professionalisiert. Die ersten Jahre von Brandts Kanzlerschaft sind durch (Fernseh-)Bilder geprägt, die geradezu als Paradebeispiele für symbolische Politik gelten können. Dies gilt im Besonderen auf dem Gebiet der Deutschland- und Ostpolitik. Die Staatsbesuche in Erfurt, Moskau und Warschau sind verbunden mit Fernsehbildern, an die man sich erinnert: Willy Brandt der Masse zuwinkend am Fenster des »Erfurter Hofs« am 19. März 1970, die Unterzeichnung des Moskauer Vertrages am 12. August und der Kniefall am Mahnmal für das Warschauer Ghetto am 7. Dezember des Jahres 1970. »Willy Brandt kniet. Er hat mit zeremoniellem Griff die beiden Enden der Kranzschleife zurechtgezogen, obwohl sie kerzengerade waren. Er hat einen Schritt zurück getan auf dem nassen Granit. Er hat einen Augenblick verharrt in der protokollarischen Pose des kranzniederlegenden Staatsmannes. Und ist auf die Knie gefallen, ungestützt, die Hände übereinander, den Kopf geneigt. Da, wo er kniet, war Hölle. Hier war das Warschauer Ghetto.«78
So formulierte Hermann Schreiber im Spiegel. Der Kniefall von Warschau bildete den Höhepunkt der medialen Inszenierung von Politik in der Ära Brandt. Brandt betonte hingegen seinerseits und in der Erinnerungsliteratur immer wieder die Spontanität der Handlung. Dies war jedoch ein integraler Bestandteil der Inszenierung: Die Mystifizierung des Kniefalls als spontane
—————— 75 76 77 78
Zu Kennedy ausführlich Dallek, An unfinished Life. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6.2 dieser Arbeit und Münkel, Als »deutscher Kennedy« zum Sieg?. Vgl. Sösemann, Die 68er Bewegung, S. 672 ff. Vgl. Der Spiegel vom 14. Dezember 1970.
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Geste steigerte deren Wirkung noch. Es spricht jedoch viel dafür, dass sich Brandt vorher genau überlegt hat, was er tun wird und welche Wirkung er damit erzielen will: zum einen seine große Professionalität als (Medien-) Politiker, zum anderen war ihm die Aussöhnung mit dem Osten und das Gelingen seiner Ostpolitik zu wichtig, um sich seine Handlungen und deren mögliche Folgen nicht genau zu überlegen. Da aber offenbar niemand von ihm informiert worden war, lässt sich die Frage auch unter Einbeziehung seines Nachlasses nicht mehr eindeutig klären. Der Kniefall des Bundeskanzlers wurde zum Medienereignis – ein Bild ging um die Welt. Wichtig war dabei die politische Botschaft, die dahinter stand, aber genau das allein hätte nicht gereicht. Die Verbindung von Form und Inhalt war hier entscheidend und dies muss dem »Medienprofi« Brandt bewusst gewesen sein. Eine einzige Geste, eine Sequenz von wenigen Minuten, transportierte so medien- bzw. fernsehgerecht Politik einem Millionenpublikum. Die gleiche Wirkung durch lange politische Reden zu erzielen, wäre kaum möglich gewesen. Politik in Form von fernsehgerechten Bildern zu vermitteln, war nicht nur eine der Stärken von Brandt und seinen Mitarbeitern, sondern deutete auf eine Veränderung der politischen Inszenierung im Laufe der sechziger Jahre hin. Wollte Politik erfolgreich sein, musste sie sich nun fernsehgerecht präsentieren. Die mediale Form gewann neben dem Inhalt zunehmend an Bedeutung.
Unterhaltungsfernsehen und Politik Politik und Fernsehen beschränkte sich in den sechziger und beginnenden siebziger Jahren vor allem auf die aktuellen politischen Sendungen, die politischen Magazinsendungen, Diskussionsrunden, Interviewsendungen und Dokumentationen. Dass das Fernsehen in den sechziger Jahren immer politischer und politisierter wurde, schloss allerdings einen gleichzeitigen Ausbau der Unterhaltungs-, Ratgeber- und Lebenshilfesendungen nicht aus.79 Fernsehen war auch schon damals ein Unterhaltungsmedium. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängt, ist, ob es schon in den sechziger Jahren eine Überschneidung von Politik und Unterhaltung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gegeben hat, wie sie heute allenthalben zu beobachten ist, aber von den Medienexperten und Wissenschaftlern massiv kritisiert wird. Da ist von »Entertainisierung« der Politik, von »Talkshowisierung« und »Politainment« die Rede.80 Die Politik werde als Theater inszeniert, sie verkomme zur reinen
—————— 79 Vgl. dazu ausführlich Hickethier, Geschichte, S. 227 ff.; Erlinger/Foltin, Unterhaltung. 80 Vgl. Dörner, Politainment, S. 31
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Unterhaltungsshow. Dadurch gehe ihr die Ernsthaftigkeit und vor allem ihre Substanz verloren. Denn die Grenzüberschreitung von Politikern kann durchaus ambivalente Folgen für sie haben, da in Unterhaltungssendungen andere Rollentypen als in der Politik gefragt sind.81 Die Differenz darf nicht zu eklatant sein, um nicht das Image eines ernstzunehmenden Politikers zu beschädigen. So wurde auch das Verhalten Gerhard Schröders während der ersten Wochen seiner Kanzlerschaft, die durch für einen Bundeskanzler eher unübliche Auftritte in Unterhaltungssendungen des Fernsehens geprägt waren, stark kritisiert. Blickt man erneut auf die sechziger Jahre, sind damals schon erste Versuche zu beobachten, in denen Politiker die Grenze zwischen politischem und Unterhaltungsfernsehen überschritten. Dabei muss zwischen der unterhaltenden Darstellung von Politik einerseits und Politikern im Unterhaltungsfernsehen andererseits differenziert werden.82 Im letzten Fall scheint die Initiative von den Fernsehverantwortlichen ausgegangen zu sein. Einige Anfragen bei Willy Brandt unterstreichen dies. Dass man mit derartigem Ansinnen gerade an Brandt herantrat, verwundert kaum, denn er hatte ja durch die Zurschaustellung und die öffentliche Inszenierung seines Privatlebens in der Presse oder in Wahlspots der SPD83 sowie durch die Integration von Showelementen bei öffentlichen Auftritten wesentlich mit dazu beigetragen, dass die Zuschauer sich an die Grenzüberschreitungen zwischen öffentlich und privat, zwischen Politik und Unterhaltung im Fernsehen gewöhnten. Brandt lehnte zwar eine unterhaltende Darstellung und Inszenierung von Politik nicht ab, ging aber nicht soweit, die Grenze zum Unterhaltungsfernsehen zu überschreiten. Er stellte sich nicht für Auftritte in reinen Unterhaltungssendungen zur Verfügung. In einem Fall fragte das Erste Fernsehprogramm (NDR) an, ob Rut Brandt bereit wäre, in der beliebten Sendung Hand aufs Herz, die auf das Private hinter bekannten Persönlichkeiten abzielte, aufzutreten.84 Da Rut Brandt derartige öffentliche Auftritte nicht besonders schätzte und versuchte, sofern es möglich war, diese auf ein Minimum zu reduzieren,85 lehnte sie ab. Daraufhin erging das Angebot direkt an den Regierenden Bürgermeister. Egon Bahr, der dem Fernsehen und seinem Nutzen für die Politik insgesamt äußerst positiv gegenüberstand, riet seinem Chef dringend zu einer Zusage, denn »die Sendung ist beliebt und beschäftigt sich nur
—————— 81 82 83 84 85
Vgl. Hickethier, Der politische Blick im Dispositiv Fernsehen, S. 93. Vgl. ebd., S. 91 ff. Vgl. dazu Kapitel 6 dieser Arbeit. Vgl. AdsD, Dep. Bahr, 49 A, Schreiben vom 19. September 1963. Vgl. Brandt, Freundesland.
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selten mit Politikern«.86 Diesen Rat befolgte Brandt nicht. Mehrfach wurde Willy Brandt außerdem gefragt, ob er an Kochsendungen mit Prominenten teilnehmen wolle. Während seiner Zeit als Außenminister trat der Südwestfunk mit der Frage an die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der SPD heran, ob Willy Brandt in ihrer im Ersten Programm ausgestrahlten Unterhaltungsshow Frohes Wochenende, in der »Prominente kochen« ein fester Bestandteil war, teilnehmen würde.87 Solche Ansinnen lehnte Brandt ab. Dabei hat die Tatsache, dass er nicht kochen konnte, noch die geringste Rolle gespielt. Ein Auftritt in einer derartigen Sendung hätte einem deutschen Spitzenpolitiker in den sechziger Jahren eher geschadet als genützt. Zum einen war es mit der Würde des Amtes – das galt für den Regierenden Bürgermeister von Berlin genauso wie für den Bundesaußenminister oder Bundeskanzler – nicht vereinbar, sich Kochlöffel schwingend im Fernsehen zu präsentieren. Zum anderen hätte es dem gängigen Männerbild dieser Zeit gänzlich widersprochen, wenn sich ein Spitzenpolitiker mit eher weiblich konnotierten Eigenschaften und Tätigkeiten im Massenmedium Fernsehen zur Schau gestellt hätte – denn Kochen war nur als professioneller Beruf eine Männerdomäne nicht als Alltagsbeschäftigung. Aus diesen Gründen hätte die Überschreitung der Grenze zum reinen Unterhaltungsfernsehen höchstwahrscheinlich zu einem Autoritäts- und Ansehensverlust in der Öffentlichkeit geführt und wäre somit der politischen Karriere nicht förderlich gewesen. Etwas anderes war es, wenn Politik unterhaltend präsentiert wurde, was im Fernsehzeitalter immer wichtiger wurde. Ein solches Sendungsformat waren Fernsehporträts von Spitzenpolitikern, die sich zum Ziel setzten – ähnlich wie bei homestorys in Illustrierten – das Private und »den Menschen« hinter dem Staatsmann zu zeigen. Im Mai 1968 strahlte die ARD ein solches Porträt von dem konservativen Journalisten Matthias Walden (SFB) über den Bundesaußenminister mit dem Titel »Einige Tage im Leben des Willy Brandt« aus.88 Walden begleitete Brandt drei Wochen lang mit der Kamera. Es sollte ein »nicht schwergewichtiges Porträt des Bundesaußenministers – abseits aller Klischees«89 entstehen. Walden drehte in Berlin und Bonn, im Amt und zu Hause sowie bei Staatsbesuchen in Rom und Marokko. Unterlegt wurden die Bilder unter anderem mit Zitaten aus Gesprächen, die während der Dreharbeiten mit Brandt geführt wurden. Dabei legte der Bundesaußenminister offen, dass auch ihm Selbstzweifel und Krisen nicht fremd seien und er häufig seine Handlungen kritisch überprüfe. Darüber hinaus kamen die Verletzungen zur
—————— 86 87 88 89
AdsD, Dep. Bahr, 49 A, Schreiben vom 19. September 1963. Vgl. WBA, Bundesaußenminister, Mappe 1, Schreiben vom 18. Januar 1968. Vgl. Sendung vom 22. Mai 1968. Fernsehspiegel für SPD-PV und Fraktion vom 22. bis 27. Mai 1968.
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Sprache, die die Diffamierungskampagnen bei Brandt ausgelöst hatten. Walden hielt sich auch mit kritischen Anmerkungen nicht zurück. So stellte er fest, dass Brandt offensichtlich Mühe gehabt habe, »in seinen neuen Posten hineinzuwachsen«. Das Porträt zeigte einen menschlichen Politiker mit Schwächen, was in diesem Fall den Verantwortlichen bei der SPD nicht ganz ins Konzept passte, aber bei den Zuschauern und Zuschauerinnen gut ankam. Im November 1971 sendete wiederum die ARD, diesmal der Bayerische Rundfunk, ein Porträt vom Bundeskanzler mit dem Titel »Kanzler Brandt – Zwischen den Terminen«.90 Auch bei diesem von Dagobert Lindlau gemachten Film stand der Anspruch dahinter, Brandt mal etwas anders, nämlich als wirklichen Menschen zu präsentieren. Der Bundeskanzler wurde in verschiedenen Situationen dargestellt, in denen er mit Lindlau oder anderen Personen im Gespräch war. Dabei ist eine Mischung aus Politischem und mehr oder weniger Privatem auszumachen. Am Beginn stand ein Gespräch zwischen Brandt und Günter Grass über die Aktualisierung des Godesberger Programms, daran schloss sich eine Sequenz an, die Lindlau und Brandt bei einer Fahrradtour zeigte, während der sie über politische Visionen sowie die Einstellung Brandts zur Presse sprachen.91 Dann folgte ein Gespräch mit seinen engsten Mitarbeitern, Horst Ehmke, Egon Bahr und Katharina Focke über ihren Chef und seinen spezifisch diskursiven Führungsstil.92 Die nächste Szene spielte während eines Angelausfluges in Bayern. Dort wurde Brandt nach seinen Gefühlen bei der Verleihung des Friedensnobelpreises gefragt – er reagierte zurückhaltend und wies vor allem auf den Vorteil für das Deutschlandbild in der Welt hin. Während einer nächtlichen Zugfahrt kamen die beiden auf die Verflachung der Politik durch eingängige Slogans zu sprechen. Brandt sprach sich – sofern nötig – für eine Vereinfachung aus, um den Menschen Politik verständlich zu machen, wandte sich allerdings gegen platte aufhetzerische Slogans. Die vorletzte Sequenz war ein längerer Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen Willy Brandt und Golo Mann über Fragen der Ostpolitik. Zum Schluss zog Dagobert Lindlau keine Bilanz der Gespräche und Eindrücke, sondern sprach über die Anfeindungen gegen Brandt, die weniger geworden seien. Sein letzter Satz lautete: »Dieser Staat sucht seit 1945 eine neue Identität. Brandt hat diesen schmerzlichen Vorgang ein wenig leichter gemacht.«93 Brandt als Identitätsstifter, als Hoffnungsträger, die Verkörperung eines besseren, anderen und nun auch modernen Deutschlands – diese
—————— 90 91 92 93
Vgl. Sendung vom 10. November 1971. Vgl. Sendemanuskript, in: AdsD, Zeitungsausschnittsammlung: Willy Brandt. Zum Führungsstil Brandts vgl. Münkel, »Auf der Zinne der Partei«, S. 75 ff. Vgl. Sendemanuskript, in: AdsD, Zeitungsausschnittsammlung: Willy Brandt.
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Interpretation bestimmte Anfang der siebziger Jahre das Bild Brandts in der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Das Porträt zeigte den Bundeskanzler als einen nachdenklichen, bedachten, ernsthaften und etwas zurückhaltenden Mann – keinen Showkanzler. Seine vielfältigen Facetten als Politiker, Staatsmann, Intellektueller oder Privatmann sollten dem Publikum nahegebracht werden und unterstrichen die Botschaft: der richtige Bundeskanzler – zur richtigen Zeit. Diese Form der Darstellung passte gut in das Konzept des Imagewandels Willy Brandts vom Bürgermeister zum Bundeskanzler.
4.3 Zusammenfassung Im Verhältnis von audiovisuellen Medien und Politik genauso wie beim Pressejournalismus existierten eine Interdependenz und interessengeleitete Bündnisse auf Zeit. Beim neuen Leitmedium Fernsehen entwickelte sich seit dem letzten Drittel der sechziger Jahre zwischen Teilen der Fernsehmacher und Brandt eine enge Symbiose bei gleichzeitiger Polarisierung der politischen Fernsehberichterstattung. Die einst regierungskritischen ARD-Politmagazine unterstützten Willy Brandt und seine Politik nun massiv – auch während der ersten Jahre seiner Kanzlerzeit. Dies ist ebenso wie bei der Presse auf eine zeitlich begrenzte Interessengleichheit von politischen Zielen und Vorstellungen zurückzuführen. Als publizistischer Gegenpol profilierten sich im gleichen Zeitraum die ehemals Unionsregierungstreuen politischen Sendungen des ZDF, die nun im Zusammenspiel mit der CDU/CSU die neue Ost- und Innenpolitik bekämpften. Was die Veränderung der politischen Sphäre durch die audiovisuellen Medien in den sechziger und beginnenden siebziger Jahren betrifft, so lässt sich folgendes feststellen: In Bezug auf die Präsentation von Politik, brachte der Hörfunk in den fünfziger Jahren wenig Neues. Die politischen Formate – seit den zwanziger und dreißiger Jahren entwickelt – wurden nach 1945 modifiziert, um den Anforderungen einer demokratischen politischen Meinungsbildung gerecht zu werden. In den fünfziger und sechziger Jahren stagnierte die Entwicklung jedoch. Bei Willy Brandt nahm der Rundfunk zwar eine wichtige Stellung als Werbemittel ein, doch sind im Gegensatz zu den anderen Massenmedien kaum Spezifika im Umgang Brandts mit dem Medium auszumachen – hier wirkte er wenig innovativ. Ganz anders beim Fernsehen: Brandt war nicht nur gegenüber einer fernsehgerechten Politikdarstellung offen, sondern beförderte diese durch seinen Politikstil und nahm damit eine Vorreiter-
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funktion in der bundesdeutschen Politik ein. Dadurch bekamen auch symbolische Politikformen einen höheren Stellenwert bei der Vermittlung von Politik, was allerdings nicht zu einer Überformung des Politischen durch das Fernsehen führte. Dennoch ist hier der erste Höhepunkt eines nicht abgeschlossenen Wandlungsprozesses auszumachen, durch den der Stellenwert des Fernsehens bei der Politikvermittlung und der politischen Meinungsbildung immer mehr an Bedeutung zunahm. Es gab allerdings auch Grenzen für Brandt in einer mediengerechten bzw. immanenten Politikdarstellung, die in der Ablehnung von Auftritten im reinen Unterhaltungsfernsehen zutage traten. Gegen eine Darstellung von Politik, die auch unterhaltsam war, um damit konkrete Politikvorhaben zu popularisieren, hatte Brandt hingegen nichts einzuwenden. Politik bzw. Politiker in reinen Unterhaltungssendungen lehnte er hingegen ab, da die dort präsentierte, auf Fröhlichkeit, Leichtigkeit und Ablenkung zielende Unterhaltung der politischen Sphäre nicht entsprach und damit negative Auswirkungen für sein Image und seine Politik gehabt hätte. Obwohl in den sechziger und beginnenden siebziger Jahren die Verquickung von Politik und Unterhaltungsfernsehen begann, verlief damals die Abgrenzung zwischen »ernster« Politik und »fröhlicher« Unterhaltung wesentlich strikter als heute.
5. Journalisten und Politik: Helfer, Mitarbeiter und Berater
Die Überschneidung der Sphären Politik und Journalismus war während der Kanzlerschaft Willy Brandts im Vergleich zu anderen Regierungen besonders ausgeprägt. Dies gilt nicht nur für die bereits erörterte publizistische Unterstützung Willy Brandts, die engen Verbindungen zu einzelnen Verlegern und Redakteuren sowie die mediale Inszenierung von Politik, sondern auch für die personellen Überschneidungen zwischen Journalismus und Politik. Brandt selbst sprach ironisch von einem gouvernment by journalist for journalist.1 Was während der ersten Regierungsjahre Willy Brandts als Bundeskanzler einen Höhepunkt erlebte, war bereits in den Jahren zuvor angelegt. Schon in der Zeit als Regierender Bürgermeister von Berlin umgab er sich mit Journalisten als Mitarbeiter und Berater. Dabei geht es nicht nur primär darum, dass Journalisten in die politische Sphäre ganz oder zeitweilig wechselten – das hat es vor Brandt genauso wie nach ihm gegeben. Neu war die quantitative Dimension. Es waren nicht nur einige wenige, sondern auffällig viele ehemalige Journalisten, die sich im engsten Umfeld Willy Brandts als Mitarbeiter, Berater oder Diskussionspartner finden lassen. Der eine oder andere von ihnen übernahm auch ein Amt im Regierungsapparat. Dieser Umstand wurde zeitgenössisch nicht nur positiv bewertet: von einem Politikverständnis, das »primär auf Formulierungen« beruhe, von einer Atmosphäre »animierter Redseligkeit« wurde genauso gesprochen wie davon, dass der »Staat buchstäblich unter die Feuilletonisten geraten« sei.2 Teile der SPD, insbesondere Herbert Wehner waren ebenfalls wenig von dem engsten Mitarbeiterkreis des Bundeskanzlers angetan. Ihn »überkam die Wut angesichts eines solchen Vereins« und er betitelte die Gruppe im Kanzleramt um Willy Brandt in der ihm eigenen drastischen Ausdrucksweise als »Scheißhaufen«.3
—————— 1 Vgl. Schreiber, Kanzlersturz, S. 101. 2 Ebd., S. 101 f. 3 Ebd., S. 102.
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Was die Verquickung von Politik und Publizistik für beide Sphären bedeuten konnte, wird zu untersuchen sein. Anhand einiger exemplarischer Einzelbeispiele soll erörtert werden, wie Journalisten als Berater und Mitarbeiter Willy Brandts agierten. Bei diesem Personenkreis handelte es sich ausschließlich um Männer. Journalistinnen gehörten nicht zum engsten Machtzirkel. Sie waren jedoch – wie zum Beispiel Wibke Bruhns – in der »Sozialdemokratischen Wählerinitiative« (SWI) aktiv. Auf diese Initiative, eine einmalige Erscheinung in der Geschichte der Bundesrepublik, wird ebenfalls näher einzugehen sein. In ihr engagierten sich neben Künstlern, Intellektuellen und »normalen« Bürgern eben auch Journalisten in großer Zahl.
5.1 Die Sozialdemokratische Wählerinitiative (SWI) Das Phänomen der »Sozialdemokratischen Wählerinitiative« ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Es steht für die Einmischung von Intellektuellen in die Politik und die Verbindung von »Geist und Macht«. Diese war in der Geschichte der Bundesrepublik nie so eng wie in der Ära Brandt, weder vorher noch nachher mischten sich massenhaft Intellektuelle aktiv in die Politik ein, versuchten das politische Geschehen mitzugestalten und den öffentlichen Diskurs nachhaltig zu prägen wie in dieser Zeit. Dies ist ein zentraler Aspekt der Geschichte der SWI, der allerdings bei den nachfolgenden Ausführungen nicht im Mittelpunkt stehen wird.4 Hier wird es neben der Organisation im Besonderen um die Rolle der Journalisten in und außerhalb der SWI, die Medienarbeit der Initiative sowie die Kontakte zu Brandt und der SPD gehen. Die ersten Anfänge einer Unterstützung der SPD und ihres neuen Kanzlerkandidaten Brandt durch einen Teil der später an der »Sozialdemokratischen Wählerinitiative« beteiligten Schriftsteller, Wissenschaftler und Journalisten sind bereits im Wahlkampf 1961 auszumachen. Besonders hervorzuheben ist hier der kurz vor der Wahl im August 1961 von Martin Walser herausgegebene Sammelband mit dem Titel »Die Alternative oder brauchen wir eine neue Regierung?«5, in dem namhafte jüngere, linke Schriftsteller und Publizisten ihre Meinung zum Thema offerierten.6 Unter den 21 Autoren und Autorinnen
—————— 4 Vgl. dazu ausführlich Münkel, Intellektuelle, S. 222 ff; Sontheimer, So war Deutschland nie, S. 147 ff.; Schönhoven, Intellektuelle, S. 279 ff. 5 Walser, Die Alternative. 6 Walser äußerte sich noch einmal 1998 in einem Gespräch mit Rudolf Augstein zu diesem Thema. In der Retrospektive ist sein Idealismus verschwunden, was allerdings wohl nicht zuletzt auf die politische Standortveränderung Walsers zurückzuführen ist. »WALSER: Mich
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waren immerhin sieben Journalisten.7 Die Frage »Brauchen wir eine neue Regierung?« wurde von allen Autoren eindeutig mit »ja« beantwortet. Dennoch stellten nicht wenige der Beteiligten das daraus abgeleitete Wahlvotum für die SPD als »das kleinere Übel« dar. Man wandte sich gegen die bestehende CDURegierung und sah in der SPD die einzige realistische Alternative, um einen Regierungswechsel herbeizuführen. Hier lag der Beginn einer Entwicklung, die sich im folgenden Jahrzehnt verstärkt fortsetzte und auf dem Konsens beruhte, dass eine Partizipation der Bürger und Bürgerinnen am politischen Prozess in einem demokratischen Staatssystem dringend notwendig sei. Ein aktives politisches Engagement könne auch außerhalb einer Partei gefördert werden. Die Initiative für eine Zusammenarbeit mit Künstlern, Intellektuellen und Journalisten im Wahlkampf des Jahres 1961 ging auch von der SPD und maßgeblich von ihrem Kanzlerkandidaten Willy Brandt aus. Schon im Jahr zuvor machte sich Brandt darüber Gedanken wie man nach amerikanischem Vorbild eine »unabhängige Gruppe« für den Wahlkampf der SPD nutzbringend einsetzen könne.8 Der Kanzlerkandidat der SPD initiierte ein Treffen mit Schriftstellern, Wissenschaftlern, Journalisten und plädierte für einen Ausbau der gemeinsamen Zusammenarbeit, weil er sich davon Unterstützung bei der Erschließung neuer Wählerschichten für die SPD erhoffte.
Das Wahlkontor deutscher Schriftsteller Im nächsten Wahlkampf des Jahres 1965 war das Bekenntnis der freiwilligen Wahlhelfer zur SPD eindeutiger.9 Den Ausgangspunkt bildete wieder die Kritik an den bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in der Bundesrepublik. Im Wahlkampf 1965 nahm zum einen das Engagement von Prominenten für die SPD zu, zum anderen änderte sich die Form ihrer Unterstützung, in dem sie nun direkt in die Wahlkampfwerbung der SPD einbezo-
—————— hast Du [gemeint ist Rudolf Augstein, D.M.] beeinflußt, in dem Dein Spiegel Angst machte vor Franz Josef Strauß als das schlechthin Bedrohende. Der Strauß will die Atombewaffnung der Bundesrepublik, habt ihr geschrieben. Deshalb habe ich ein Büchlein herausgegeben: »Die Alternative, oder brauchen wir eine neue Regierung?‹, zugunsten der damaligen SPD. Nachträglich tut es mir leid, daß ich den Strauß – wie ich jetzt glaube – falsch erlebt habe. Für mich ist dies ein Beispiel meiner Verführbarkeit oder Nichtzuständigkeit.« Der Spiegel vom 2. November 1998. 7 Dies waren Axel Eggebrecht, Gerhard Szczesny, Franz Schonauer, Fritz J. Raddatz, Christian Ferber, Gerhard Schoenberger und Erich Kuby. 8 Vgl. AdsD, SPD-PV, 6816, Schreiben vom 14. Dezember 1960. 9 Zum Wahlkampf 1965 vgl. ausführlich Kapitel 6.3 dieser Arbeit.
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gen wurden. Die Chancen für einen Wahlsieg der Oppositionspartei schätzte man jetzt wesentlich höher ein als noch vier Jahre zuvor. Darüber hinaus wurde der SPD die Fähigkeit, einen wirklichen Politikwechsel zu realisieren – im Gegensatz zum Jahr 1961 – nun durchaus zugetraut. Hans Werner Richter gab im Juni 1965 ein Buch, in Anspielung auf die Walser-Publikation von 1961, mit dem Titel »Plädoyer für eine neue Regierung oder Keine Alternative«10 heraus. In diesem Band wurden Porträts der Mitglieder des Schattenkabinetts Brandt von Schriftstellern und Journalisten gezeichnet.11 Diesmal waren fünf Journalisten an dem Band beteiligt.12 Die Herausgabe und Teile des Konzeptes des Bandes war zwischen der SPD und den Beteiligten im Vorfeld abgesprochen worden.13 Die Partei unterstützte die Autoren bei ihren Recherchen und die zu Porträtierenden stellten sich teilweise für Interviews zur Verfügung.14 Alle der Beteiligten wollten einen Regierungswechsel, wie in dem Vorwort von Hans Werner Richter deutlich als Konsens der Autoren herausgestrichen wurde: »Was allen [den Autoren, D.M.] gemein ist, scheint der Wunsch nach Ablösung zu sein, also Ablösung der Regierung und der Regierungspartei durch die Opposition. Eine parlamentarische Demokratie, in der eine Partei immer nur als Regierungspartei fungiert, und die andere immer nur als Oppositionspartei, ist zum Absterben verurteilt.«15
Einen neuen Weg des politischen Engagements ging man in dem von Günter Grass, Hans Werner Richter und Klaus Wagenbach initiierten »Wahlkontor deutscher Schriftsteller«, welches von Juli bis September 1965 wirkte.16 Dies setzte sich vor allem aus der jüngeren Generation deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen zusammen, die ihre literarischen Erfolge erst im Nachkriegsdeutschland erreicht hatten und in ihrer Mehrzahl Mitglieder der »Gruppe 47« waren.17 Zwar dominierten im Wahlkontor eindeutig die Schrift-
—————— 10 Richter, Plädoyer. 11 Dabei handelte es sich um die Porträts von Gustav Heinemann (Peter Rühmkorf), Carlo Schmid (Walter Jens) Alex Möller (Axel Eggebrecht), Helmut Schmidt (Siegfried Lenz), Herbert Wehner (Rudolf Augstein), Otto Brenner (Rolf Hochhuth), Karl Schiller (Hans Werner Richter), Willy Brandt (Günter Grass), Adolf Arndt (Richard Hey), Carl Friedrich von Weizsäcker (Hubert Fichte), Fritz Erler (Paul Schallück). 12 Es waren: Rudolf Augstein, Axel Eggebrecht, Erich Fried, Helmut Heißenbüttel und Hans Schwab-Felisch. 13 Vgl. AdsD, SPD-PV, 6843, Aktenotiz vom 2. Oktober 1964. 14 Vgl. AdsD, Dep. Bahr, 9 B, Vermerk: Betrifft Materialbeschaffung für einige Schriftsteller, ohne Datum (o.D.). 15 Richter, Die Alternative, S. 9. 16 Vgl. Das Wahlkontor deutscher Schriftsteller in Berlin 1965. 17 Mitglieder des »Wahlkontors deutscher Schriftsteller« waren: Nicolas Born, Hans Christoph Buch, Friedrich Christian Delius, Marianne Eichholz, Gudrun Ensslin, Hubert Fichte, Peter
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steller, von den 18 »Kontoristen« waren allerdings auch vier Journalisten und Journalistinnen.18 Die Aufgabe, die sie sich gestellt hatten, war die aktive Unterstützung des Wahlkampfes der SPD durch Beratung von Politikern bei der Abfassung von Wahlreden und der Erfindung von »Wahlslogans«.19 Damit sollte die Partei, unter anderem durch eine eingängige Sprache, für die Wähler an Attraktivität gewinnen. Auf diese Weise konnte sich unter Umständen auch die Möglichkeit einer inhaltlichen Einflussnahme ergeben. Willy Brandt, Karl Schiller, Helmut Schmidt und Fritz Erler arbeiteten von Seiten der SPD mit dem Wahlkontor zusammen.20 Es blieb allerdings nicht nur bei einer ideellen Unterstützung; der Initiative wurden von der SPD ein Büro in Berlin sowie finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt.21 Man erhoffte sich durch die Zusammenarbeit eine positive Resonanz in neuen Wählerschichten. Es gab aber auch Kritik in der SPD: nicht wenige waren mit den freiwilligen Wahlhelfern so gar nicht einverstanden, weil diese in Teilbereichen, wie zum Beispiel in der Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze oder des Paragraphen 218, andere Positionen vertraten als die Partei. Außerdem befürchteten die Kritiker, dass die Gefahr der Etablierung eines außerhalb des Parteiapparates angesiedelten Machtzentrums bestehe, da die »Kontoristen« nicht in den Apparat eingebunden waren und sich damit einer direkten Kontrolle entzogen. So ging die SPDFührung auf eine gewisse Distanz zu den freiwilligen Wahlhelfern. Auf Briefe von »besorgten« Parteimitgliedern an den PV antwortete man 1965 folgendermaßen: »Wir möchten bemerken, daß der Schriftsteller Günter Grass ohne Auftrag unserer Partei Veranstaltungen durchführt und für die SPD wirbt. Das ist sicher ungewöhnlich, doch können wir niemandem verbieten, für uns oder für jemanden anderen die Werbetrommel zu rühren. Wir freuen uns über die Initiative von Herrn Grass, müssen aber auch feststellen, daß wir mit manchen seiner Ausführungen nicht einverstanden sind. Herr Grass ist nicht Mitglied unserer Partei.«22
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Härtling, Rolf Haufs, Günter Herburger, Hanspeter Krüger, Martin Kurjuhn, Hans Peter Piwitt, Stefan Reisner, Klaus Roehler, Peter Schneider, Bernward Vesper, Klaus Wagenbach, Wolfgang Werth. Bei den Journalisten handelte es sich um Marianne Eichholz, Hans Peter Krüger, Gudrun Ensslin und Wolfgang Werth. Die Vorschläge für neue Wahlslogans wie »Der Frau treu bleiben – die Partei wechseln: SPD« oder »Warum denn gleich auswandern: Wählen Sie doch erst mal SPD« fielen bei der SPD nicht auf Zustimmung. Vgl. Lösche/Walter, SPD, S. 287. Vgl. WBA, Beruflicher Werdegang und Berlin, Mappe 63 (alt), Vermerk vom 4. Mai 1965. WBA, SPD-Parteivorsitzender, Allgemeine Korrespondenz, Mappe 14, Schreiben vom 23. August 1965.
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Eine solche Form der öffentlichen Distanzierung ist in den Jahren 1969 und 1972 nicht mehr zu finden, was nicht zuletzt auf den innerparteilichen Strukturwandel der SPD, der sich auch in der Zusammensetzung der Mitgliederschaft ausdrückte, zurückzuführen ist. In der Vorphase der »Sozialdemokratischen Wählerinitiative« spielten Journalisten zwar eine aktive Rolle und unterstützten sie durch eine ausführliche Berichterstattung über die Aktivitäten der Gruppe sowie durch eine in den Medien geführten Debatte über das Verhältnis von »Geist und Macht« in der Bundesrepublik.23 Getragen wurden die diversen Aktivitäten zu diesem Zeitpunkt aber vor allem von Schriftstellern. Die SPD und einige Mitglieder des »Wahlkontors« machten aber auch von sich aus eine aktive Medienarbeit und sprachen gezielt Journalisten an. Durch die große Medienresonanz, die erreicht werden konnte, wurde das Anliegen der Gruppe, welches im Jahr 1965 bereits viele (links-)liberale Journalisten teilten, in eine breite Öffentlichkeit getragen und somit die öffentliche Resonanz verstärkt.
Die Sozialdemokratische Wählerinitiative 1969 In der eigentlichen »Wählerinitiative« 1969 spielten dann Journalisten und Journalistinnen eine größere Rolle als in den Jahren zuvor. Trotz tiefgreifender Kritik an der Bildung der Großen Koalition begannen bereits im Jahr 1967 erste Überlegungen, wie und in welcher Form man die SPD im Wahlkampf 1969 unterstützen könne.24 Das Ziel war, einen »wirklichen Machtwechsel« zu erreichen.25 Die Initiative zur Gründung der »Sozialdemokratischen Wählerinitiative« im Jahr 1967 ging maßgeblich von Günter Grass, Günter Gaus unter anderem in Absprache mit Willy Brandt, Karl Schiller, Horst Ehmke und Erhard Eppler aus.26 Brandt hob noch in der Retrospektive –
—————— 23 Vgl. dazu ausführlich Münkel, Intellektuelle, S. 229. 24 Im Mai 1967 sprach Grass u.a. mit Egon Bahr darüber, wie die Unterstützung der SPD durch Schriftsteller und andere gesellschaftliche Gruppen in Zukunft koordiniert werden könne; vgl. AdsD, SWI, 1, Vermerk vom 22. Mai 1967. 25 Vgl. dazu auch Jürgs, Grass, S. 236. 26 In diesem Zusammenhang sei noch kurz erwähnt, dass Grass zu diesem Zeitpunkt vor allem durch seine – nach anfänglicher Kritik – nun eher wohlwollende Position gegenüber der Großen Koalition bei einigen seiner ebenfalls linken Schriftstellerkollegen in Misskredit geriet. Hier sind auf der einen Seite Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger und Peter Weiss zu nennen, die sich nun eher einer radikaleren politischen Linie verpflichtet fühlten, und auf der anderen Seite Autoren wie Heinrich Böll, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereit waren, ihre moralischen Überzeugungen dem politischen Tagesgeschäft unterzuordnen. Vgl. Arnold, Blech getrommelt, S. 106.
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wenn auch etwas altväterlich – die wichtige Bedeutung der Unterstützung seiner Politik durch die »Wählerinitiative« hervor: »Besonders gern denke ich daran, wie sich das geistige Deutschland für das dreifache Bemühen um Friedenssicherung, lebendige Demokratie und gesellschaftliche Erneuerung engagierte.«27 Im Unterschied zum Jahre 1965 war nun geplant, den Kreis der Personen, die die SPD im Wahlkampf unterstützten, zu erweitern.28 Im Dezember 1967 traf sich erstmals ein kleiner Kreis bei Günter Grass, darunter Kurt Sontheimer, Eberhard Jäckel, Günter Gaus und Erdmann Linde, um die »Sozialdemokratische Wählerinitiative« ins Leben zu rufen. Nach dem ersten Treffen wurden Kontakte zu führenden SPD-Politikern aufgenommen, und man ging gemeinsam in die Phase konkreter Vorbereitungen über. Nachdem die Parteigremien Ende Oktober 1968 »grünes Licht« für das Vorhaben gegeben hatten, stellte die SPD ein Büro und Geld für Personal-, Sach- sowie Reisemittel zur Verfügung.29 Allerdings waren nicht alle führenden SPD-Politiker von Anfang an von der Idee begeistert, so dauerte es beispielsweise eine gewisse Zeit, bis auch Herbert Wehner von dem Nutzen einer solchen Initiative überzeugt war.30 Die Meinung, dass die Initiative 1965 teilweise »der SPD mehr Schaden als Nutzen eingebracht« habe, war auch bei der Parteibasis nicht selten anzutreffen.31 Am 16./17. Juni 1968 fand ein erstes größeres Treffen in Berlin statt, wo die Schwerpunkte der zukünftigen Arbeit umrissen wurden: »Die Gruppe hat die Absicht, für den Herbst 1969 einen Rednerdienst zu organisieren, [...] Sie hat in diesem Zusammenhang ferner die Absicht, eine Wahlzeitung in eigener Redaktion vorzubereiten. Sie ist darüber hinaus aber auch bereit, in Verbindung mit Journalisten, jungen Wissenschaftlern und Schriftstellern Materialien der Partei redaktionell zu bearbeiten, die jedoch in ihrer inhaltlichen Substanz nicht verändert werden sollen. Gedacht ist an eine verbesserte Form des Wahlkontors 1965.«32
Darüber hinaus wurde die Abhaltung von Diskussionsforen zu Themen wie NPD, Demokratisierung von Gesellschaft und Bildungseinrichtungen oder
—————— 27 28 29 30
Brandt, Erinnerungen, S. 281. Vgl. u.a. Grass, Assistenz durch Dreinreden, S. 18. Vgl. AdsD, SPD-PV, 1374, Schreiben vom 17. Oktober 1968. Vgl. u.a. einen Brief von Günter Grass an Willy Brandt vom 30. September 1968, dort heißt es u.a. »Herbert Wehner hat an dem Versuch unseres Arbeitskreises, eine ›sozialdemokratische Wählerinitiative’ ins Leben zu rufen, Interesse genommen. Auf seinen Wunsch hin haben wir unser Projekt noch einmal vorgestellt.«; WBA, SPD-Parteivorsitzender, Verbindungen mit Gruppierungen in der SPD, Mappe 52. 31 Vgl. Schönhoven, Intellektuelle, S. 292. 32 AdsD, SWI, 1, Vermerk über die Besprechung vom 16./17. Juni 1968, o.D., Hervorhebungen im Original.
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Pressekonzentration beschlossen. Ende September 1968, nach dem nächsten Treffen der Gruppe, wurden die Ziele nochmals konkretisiert: »Im Mittelpunkt der Wahlhilfe steht das Bemühen, neben dem parteioffiziellen Wahlkampf potentielle Wähler mit den Mitteln der Gruppe für die Unterstützung der SPD zu mobilisieren. Die Gruppe benutzt dabei ihren Zugang zu namhaften, unabhängigen Persönlichkeiten jedweder Fachrichtung. [...] Die Hauptarbeit soll die erwähnte Aktivierung sozialdemokratischer Wähler durch ungebundene Persönlichkeiten sein. Dazu gehören auch Wahlveranstaltungen, die in ausgewählten Wahlkreisen mit wechselnden Teilnehmern von der Gruppe organisiert werden.«33
In der gesamten Planungsphase für die »Wählerinitiative« war der Kontakt zu Willy Brandt und seinen Mitarbeitern sehr eng. Der ehemalige Journalist, Brandts Mitarbeiter für »besondere Aufgaben« und Chefredakteur der Neuen Gesellschaft, Leo Bauer,34 übernahm neben Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Wischnewski einen Großteil der Koordination zwischen Partei und Initiative. Er organisierte einen ständigen Austausch sowie Diskussionsrunden über Sach- und Organisationsfragen.35 Die Verzahnung zwischen SPD und der »Wählerinitiative« war de facto weit enger als dies für die Öffentlichkeit sichtbar wurde. Die meisten der Schritte, die die Initiative plante, wurden mit der Partei abgesprochen oder zum Teil von ihr angeregt. Willy Brandt griff persönlich in den Ablauf der Werbemaßnahmen für die »Wählerinitiative« ein. Anfang 1969 verschickte er einen Rundbrief an bekannte Persönlichkeiten mit der Bitte, sich in der »Sozialdemokratischen Wählerinitiative« zu engagieren.36 »Ein Kreis von Wissenschaftlern, Schriftstellern und Journalisten hat sich vorgenommen, im Jahre 1969 der Sozialdemokratischen Partei zu helfen. [...] Einige Mitglieder des Kreises sind Sozialdemokraten, andere nicht. Was sie eint, ist die Überzeugung, daß in einer Zeit, in der extreme Kräfte links und rechts die politische Vernunft in unserem Lande bedrohen, verantwortungsvolle Bürger den demokratischen Politikern helfen sollten. Der Kreis hat mich dahin belehrt, daß er Wert darauf legt, die SPD zu unterstützen, weil er in dieser Partei die ihm am nächsten stehende politische Kraft sieht – das es dem Kreis aber ebenso wichtig ist, seine Unabhängigkeit von der Partei, seinen Anspruch auf abweichende Meinungen zu wahren. Ich begrüße das, denn unabhängige Köpfe tun unserem Land not. Deshalb war ich bereit, diesen Brief zu schreiben. Er soll es dem Kreis erleichtern, Kontakt mit Ihnen aufzunehmen, um Sie über die Absichten dieser Bürger-Initiative zu informieren. [...] Ein Vertreter der Gruppe wird sich bei Ihnen melden; er kann näheren Aufschluß geben als ich, dessen
—————— 33 WBA, SPD-Parteivorsitzender, Verbindungen mit Gruppierungen in der SPD, Mappe 52, Zusammenfassung der Arbeitsbesprechung vom 28./29. September in Berlin. 34 Zu Leo Bauer vgl. ausführlich Brandt u.a., Karrieren eines Außenseiters. 35 Vgl. Brandt, Erinnerungen, S. 281. 36 Der Entwurf des Briefes stammte von Günter Gaus. Ein solches Schreiben bekamen u.a. Graf Baudissin, Robert Jungk, Hartmut von Hentig, Alexander Mitscherlich, Philip Rosenthal und Helmut Schön; vgl. WBA, Leo Bauer, Mappe 1.
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Funktion eine Vermittlerrolle war (einem Außenminister ein gewohntes Brot) und dessen Vertrauen in die Stabilität unserer Demokratie zusätzlich gefestigt wurde durch den auch von diesem Kreis erbrachten Beweis, daß es genug Staatsbürger gibt, die in besonderen Zeiten besondere Pflichten zu erfüllen bereit sind.«37
Am 24. März 1969 wurde die SWI dann auf einer Pressekonferenz offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Idee stieß von Beginn an auf ein großes Interesse bei vielen Bürgern und Bürgerinnen sowie den Medien. Auf dem außerordentlichen Parteitag der SPD im April des gleichen Jahres stellte Kurt Sontheimer das Vorhaben einer breiten, parteiinternen Öffentlichkeit vor.38 Dort äußerte er sich unter anderem zum Zweck der Initiative und formulierte die Hoffnung einer demokratischeren Gesellschaft im Falle eines Wahlsieges der Sozialdemokraten: »Wir sind der Meinung, daß die Zukunft der Demokratie in Deutschland die Stärkung der Sozialdemokratischen Partei verlangt. Deshalb werden wir die SPD in ihrem Wahlkampf unterstützen. Wir sind nicht halbherzig. Die SPD ist für uns nicht das kleinere Übel [...] Sie ist in unseren Augen diejenige große Partei, die am glaubwürdigsten und zuverlässigsten gesellschaftlichen Fortschritt, soziale Demokratie und liberale Rechtsstaatlichkeit verbürgt. [...] Nach 20 Jahren Bundesrepublik, in denen die restaurative CDU sich den notwendigen Reformen entgegengestellt hat, ist es heute die Aufgabe der SPD, aus unserer Republik eine moderne Demokratie zu machen.«39
Die Resonanz war enorm. Bereits im Juli 1969 meldete Günter Grass Willy Brandt, dass 20 lokale »Wählerinitiativen« existierten.40 Diese beschränkten sich nicht nur auf die großen Städte, sondern waren zunehmend auch in Kleinstädten zu finden. Auf Bundesebene konnte die »Wählerinitiative« Prominente aus allen gesellschaftlichen Bereichen für ihr Vorhaben gewinnen. Neben der gemeinsamen Motivation, sich für einen Regierungs- und Politikwechsel in der Bundesrepublik einzusetzen, ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass es in bestimmten Kreisen in war, für Brandt und die SPD zu sein.41 Kurz vor Ende des Wahlkampfes existierten dann in rund 100 von 248 Wahlkreisen lokale Initiativen, in denen sich örtliche Prominenz, wie Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen, Architekten und Architektinnen oder Lehrer und Lehrerinnen für die SPD engagierten. Zwar differierte die soziologische Zusammensetzung der Gruppen von Ort zu Ort, grundsätzlich ist allerdings die Dominanz von »geistigen« und »künstlerischen« Berufen zu konstatieren. In Hamburg, der Me-
—————— 37 Das Schreiben ist als Dokument Nr. 81 abgedruckt in: Münkel, Auf dem Weg nach vorn, S. 428 f. 38 Vgl. Protokoll der Verhandlungen des Außerordentlichen Parteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 16. bis 18. April 1969 in Bad Godesberg, S. 184 ff. 39 Ebd. 40 Vgl. AdsD, SWI, 11, Schreiben vom 16. Juli 1969. 41 Vgl. u.a. Lösche/Walter, SPD, S. 290 f.; Der Spiegel vom 16. Juni 1969.
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dienmetropole, beispielsweise waren im Vergleich zur Bundesebene überproportional viele Journalisten aus allen Mediensparten sowie Herausgeber und Verleger in der Initiative aktiv.42 Nicht wenige Journalisten unterstützten die »Sozialdemokratische Wählerinitiative« auf unterschiedliche Art und Weise, ohne sich jedoch als aktives Mitglied zu engagieren. Dies lässt sich damit erklären, dass ein institutionalisiertes Engagement in der Öffentlichkeit für eine politische Partei für viele Journalisten mit ihrem Selbstverständnis, möglichst »unabhängig«, »objektiv« und »neutral« zu berichten, nicht zu vereinbaren war. Auch das Publikum erwartete eine vermeintliche »Neutralität« in der Berichterstattung von Presse, Hörfunk und Fernsehen. Obwohl gerade im Vorfeld und während des Wahlkampfes des Jahres 1969 eine Politisierung und Polarisierung in den Medien offensichtlich zutage trat, meinten dennoch nicht wenige bekannte oder unbekannte Journalisten, zumindest formal politisch »unabhängig« in Erscheinung treten zu müssen. Peter Merseburger, damals Leiter von Panorama, legte nach eigener Aussage aus den genannten Gründen ausdrücklich Wert darauf, kein offizielles Mitglied der SWI gewesen zu sein.43 Andere wie Günter Gaus, der zu den Gründungsmitgliedern der Initiative gehörte, zog sich, nachdem er im April 1969 zum Chefredakteur des Spiegel ernannt worden war, kurzzeitig zurück, wurde dann später aber wieder in der SWI aktiv.44 Die Formen, die SWI und deren Arbeit auch ohne offizielle »Mitgliedschaft« zu unterstützen, waren für Journalisten, die mit ihr sympathisierten, vielfältig. Eine möglichst positive und ausführliche Berichterstattung über Aktivitäten und Ziele der Initiative war eine Option, die 1968/1969 durch manche Fernsehsendung und in der (links-)liberalen Presse im beträchtlichem Umfang genutzt wurde. Auf Bundes- und Lokalebene versuchten die Protagonisten der SWI ihrerseits, gute und enge Kontakte zu den Medien aufzubauen und zu pflegen. Dies geschah sowohl durch Pressekonferenzen, Presseerklärungen, persönliche Kontakte, Hintergrundgespräche, Interviews und Einladungen zu den diversen Veranstaltungen der SWI. Durch die Journalisten, die sich für die »Wählerinitiative« engagierten, wurde der Zugang der Initiative zu den Medien vereinfacht. Auch Willy Brandt war in seiner Funktion als Parteivorsitzender der SPD bei der Intensivierung der Medienkontakte aktiv. So gab er für die SWI im Mai 1969 zwei Empfänge, bei denen unter den 116 geladenen Gästen allein 40 Journalisten unterschiedlicher politischer couleur
—————— 42 Vgl. AdsD, SPD-PV, 2/PVAR 57, Schreiben vom 30. Mai 1969, Anhang. 43 Vgl. Interview mit Peter Merseburger vom 13. Juli 2001. 44 Vgl. Jürgs, Grass, S. 236.
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anwesend waren.45 Diese Form der »Medienarbeit« passte sich gut in das Konzept der Öffentlichkeitsarbeit der SPD ein und entsprach dem von Brandt allgemein gepflegten Stil im Umgang mit den Medienvertretern. Eine andere Form der Unterstützung der »Wählerinitiative« durch Journalisten und Journalistinnen war das Verfassen von Artikeln für das eigens ins Leben gerufene Publikationsorgan der Gruppe dafür. Während des Wahlkampfes wurden zwei Ausgaben produziert. Die erste Nummer erschien im Mai, die zweite im August 1969. Sie wurden für jeweils eine Mark verkauft und erschienen in einer Auflage von einer Million Exemplaren. Vertrieben wurde die Zeitschrift über die SPD-Parteiorganisation und Buchhandlungen. Um ein möglichst breites Publikum anzusprechen, war dafür in Form eines politischen Magazins im Stile des Stern aufgemacht. Es ging darum, vor allem auch Menschen zu erreichen, »die nicht traditionell der SPD zuneigen«.46 Die Leserschaft sollte »von der Richtigkeit und Glaubwürdigkeit der SPD Politik wie des SPD-Aktionsprogramm[s]« überzeugt und ihr »die Haltung der SPD zu den umstrittenen Einzelfragen plausibel« gemacht werden.47 In der ersten Ausgabe, die einen Umfang von 64 Seiten hatte, erschienen Beiträge unter anderem von Günter Grass, Siegfried Lenz, Kurt Sontheimer, Eberhard Jäckel und Golo Mann sowie von den bekannten Journalisten Günter Gaus, Marion Gräfin Dönhoff, Peter Merseburger oder Klaus Harpprecht. Das Themenspektrum umfasste die Bereiche Bildungs-, Frauen-, Verteidigungs-, Wirtschafts- und Außenpolitik. Darüber hinaus wurde über einzelne politische Parteien berichtet sowie Politikerporträts von Willy Brandt und Gustav Heinemann präsentiert. Die Texte waren durch Fotos, Comics sowie Karikaturen aufgelockert. Es wurde, wenn auch nicht unkritisch, auf die Vorteile sozialdemokratischer Politik sowie die Notwendigkeit von Reformen in der Innen- und Außenpolitik hingewiesen. Außerdem wurde zu mehr politischer Partizipation und Engagement der Bevölkerung aufgerufen. Ein Artikel des Schriftstellers und Gründers der »Gruppe 47«, Hans Werner Richter, war der Frage gewidmet »Warum ich SPD wähle«. Darin hob er nicht nur die Vorzüge der politischen Konzepte der Sozialdemokraten hervor, sondern betonte auch, dass Willy Brandt der bessere Bundeskanzler und die SPD – trotz möglicher Bedenken – die einzige
—————— 45 Vgl. SPD-PV, 2/PVAR 57, Schreiben vom 25. April 1969 plus Anhang. Neben den 40 Journalisten standen 14 Künstler, zwölf Sportler, Wissenschaftler, Unternehmer, zehn Botschafter, zwölf Personen aus dem öffentlichen Dienst und der Partei sowie zehn Landes- und Bezirkssekretäre auf der Einladungsliste. 46 WBA, SPD-Parteivorsitzender, Verbindungen mit Gruppierungen in der SPD, Mappe 52, Schreiben vom Mai 1969. 47 WBA, SPD-Parteivorsitzender, Verbindungen mit Gruppierungen in der SPD, Mappe 52, Zusammenfassung der Arbeitsbesprechung vom 28./29. September in Berlin.
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Partei sei, die den Anforderungen der Zeit, Deutschland zu reformieren und weiter zu demokratisieren, gerecht werden könne. Dies war der Grundtenor des gesamten Heftes, wobei der Grad der Begeisterung für die Politik der SPD und vor allem für ihren Kanzlerkandidaten durchaus differieren konnte. In einem Porträt über Willy Brandt, verfasst von Golo Mann, wurde Brandt als »idealer Außenminister«, als fähiger Politiker mit antifaschistischer Vergangenheit und den richtigen politischen Konzepten für die Zukunft charakterisiert. Dafür unterschied sich von herkömmlichen Wahlzeitungen, da hier eine ausführliche Auseinandersetzung auf den diversen Politikfeldern erfolgte – auch unter Abwägung des Für und Wider. Man lieferte der Wählerschaft Argumente und nicht nur Parolen. Die zweite Ausgabe von dafür war im Gegensatz zur ersten stärker als traditionelle Wahlzeitung geplant. Sie sollte einen geringeren Umfang haben und unter dem Titel »Warum wähle ich SPD?« firmieren.48 Prominente aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens sollten die Gründe ihrer Wahlentscheidung für die SPD kundtun. Dieses Konzept wurde dann jedoch nur in Ansätzen realisiert. Der Umfang blieb mit 64 Seiten identisch, die Form der Präsentation unterschied sich vor allem durch etwas mehr und größere Bilder. Neu war der Abdruck von (fiktiven) Briefen, plakativen Thesen sowie von drei satirischen Beiträgen. Einige Rubriken waren zielgruppenorientierter, so gab es mehrere Artikel zum Thema Frau und Kinder in Deutschland. Ansonsten wurden die Politikfelder Wirtschaft, Verkehr, Bildung, Justiz und Bundeswehr thematisiert. Fünf Prominente erläuterten, warum sie SPD wählen würden und mehrere Politikerporträts wurden vorgestellt. Von den 42 beteiligten Autoren waren zwölf Journalisten und Journalistinnen, unter anderem Günter Gaus, Thilo Koch, Irene Koss und Jürgen Neven-Dumont.49 Durch das Abhalten von örtlichen Wahlveranstaltungen durch Prominente wollte die Wählerinitiative weitere Werbeffekte erzielen. Im Jahr 1969 engagierten sich vor allem die in der SWI organisierten Schriftsteller in dieser Weise – allen voran Günter Grass.50 Die öffentliche Resonanz in den Medien und das Interesse der Bevölkerung waren groß. Es war gelungen, eine von Künstlern, Intellektuellen, Wissenschaftlern und Journalisten ins Leben gerufene und getragene Initiative in eine wenn auch zeitlich begrenzte Bürgerbewegung zu transformieren. Diese wollte aktiv am politischen Prozess partizipieren und neue Wählerschichten für die SPD rekrutieren.
—————— 48 Vgl. ebd. 49 Weitere Journalisten waren: Kurt Joachim Fischer, Robert Haerdter, Horst Krüger, Clemens Münster, Richard von Frankenberg, Hans Hellmut Kirst, Francois Bondy, Jens Feddersen. 50 Seinen Wahlkampfeinsatz im Jahr 1969 für die SPD hat Günter Grass auch literarisch verarbeitet; vgl. Grass, Aus dem Tagebuch einer Schnecke.
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Nach der erfolgreichen Kampagne des Jahres 1969 und dem »Machtwechsel« waren viele »Mitglieder« der SWI der Meinung, die Initiative hätte ihren eigentlichen Zweck erfüllt und wollten das Ganze beenden. Doch vor allem Günter Grass gelang es, sie vom Gegenteil zu überzeugen, indem er auf die Möglichkeit und Notwendigkeit Politik mitzugestalten hinwies.51 Im September 1970 teilte er dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Herbert Wehner, mit, dass er wieder begonnen habe, die verschiedenen Aktivitäten der »Sozialdemokratischen Wählerinitiative« »neu zu organisieren«.52 In der Folgezeit wurden die regionalen Büros der SWI weiter ausgebaut. Diese engagierten sich bei diversen Landtagswahlen wie zum Beispiel in Niedersachsen (14. Juni 1970), Berlin (14. März 1971), Rheinland-Pfalz (21. März 1971) oder Schleswig-Holstein (24. Mai 1971).53 1969 hatte das Ausmaß der »Bewegung« allerdings bei weitem noch nicht ihren Zenit erreicht, wie der Wahlkampf des Jahres 1972 zeigen sollte.54
Auf dem Weg zur Massenbewegung: Die SWI 1972 Im Jahr 1972 erlebte die SWI ihren Höhepunkt. Damals zählte man ca. 350 lokale Initiativen, in denen sich zeitweise bis zu 70.000 Personen für die SPD und die Wiederwahl Willy Brandts zum Bundeskanzler engagierten.55 Durch die Erfolge der SWI im Jahre 1969 inspiriert, versuchten auch FDP und CDU etwas ähnliches zu initiieren, dabei waren sie allerdings wenig erfolgreich.56 Im Jahre 1972 war eine regelrechte öffentlich-politische Bekenntniswelle in weiten Teilen der Bevölkerung zu beobachten. Ansteckbuttons und Autoaufkleber waren überall zu sehen. Dabei dominierte das »Bekenntnis« zur SPD und vor allem zu Willy Brandt. Die SWI entwickelte sich zu einer regelrechten Massenbewegung, getragen von der Mittelschicht mit Willy Brandt als Identifikationsfigur und »Helden«. Die soziale Zusammensetzung der lokalen Gruppen, die überall ähnlich war, lässt sich aufgrund einer zeitgenössischen Untersuchung folgendermaßen charakterisieren: Es dominierten die 18 bis 35jährigen und das Verhältnis von Männern und Frauen war relativ ausgeglichen. 82 Prozent der
—————— 51 Vgl. Löer, Ausflug, S. 383. 52 Vgl. AdsD, SPD-Bundestagsfraktion, 6. Wahlperiode, 199, Schreiben vom 11. September 1970. 53 Vgl. u.a. AdsD, SPD-Bundestagsfraktion, 6. Wahlperiode, 199, Schreiben vom 11. September 1970. 54 Ausführlich zum Wahlkampf des Jahres 1972 vgl. Kapitel 6.5. dieser Arbeit. 55 Vgl. u.a. Müller, Willy wählen, S. 66. 56 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6.5 dieser Arbeit.
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Mitglieder waren Angestellte, Beamte, Geschäftsleute sowie Angehörige der freien Berufe. Arbeiter engagierten sich äußerst selten. Nur 16 Prozent der Aktiven in der SWI waren eingeschriebene Mitglieder der SPD.57 Die Politologen stritten damals darüber, wie diese aktive Form der politischen Partizipation zu bewerten sei – denn sie stand im krassen Gegensatz zum Bild vom »unpolitischen« Bürger, das bis in die Endphase der sechziger Jahre dominierte. Die einen waren der Ansicht, dass durch die gesellschaftlich akzeptierten, aktiven politischen Partizipationsformen eine »deutlich werdende Verankerung des politischen Systems der Bundesrepublik innerhalb der deutschen Bevölkerung« und damit ein Fortschreiten des Demokratisierungsprozesses zu erblicken sei.58 Andere hingegen meinten, dass es übertrieben sei, das massenhafte politische Engagement von Bürgern im Wahlkampf als Indiz für eine zunehmende Politisierung der Bevölkerung zu deuten, da es sich bei den Initiativen vor allem um »Hilfstruppen« der Parteien gehandelt habe.59 Zum einen schließen sich eine Politisierung und die freiwillige Unterstützung einer Partei nicht aus. Zum anderen lässt sich im Vergleich zu den Jahren vorher und nachher ein hoher Politisierungsgrad der Bevölkerung feststellen. Dieser resultierte aus einem verstärkten Bedarf nach aktiver politischer Partizipation der Bürger und Bürgerinnen – auch außerhalb von politischen Parteien. Die Polarisierung zwischen Regierung und Opposition hatte ihre Entsprechung in der Bevölkerung und begünstigte die aktive Beteiligung vieler Menschen am politischen Prozess. In den gleichen Zusammenhang ist der allgemeine Trend nach mehr politischer Information, der durch die Medien befriedigt und befördert wurde, einzuordnen. Die »Sozialdemokratische Wählerinitiative« kam offensichtlich durch ihre Organisations- und Aktionsformen dem Willen nach politischer Teilhabe in besonderem Maße entgegen – wie die große Resonanz eindrucksvoll unterstreicht. Sie entsprach und bediente den Zeitgeist. Im Wahljahr 1972 muss zwischen der »Wählerinitiative« als Massenphänomen auf lokaler Ebene und der Initiative auf Bundesebene, die von Prominenten aus allen Sparten des gesellschaftlichen Lebens getragen wurde, differenziert werden. Für die Bundesebene verzeichnete eine Mitgliederliste vom Oktober 1972 20 Schriftsteller, 15 Journalisten,60 neun Wissenschaftler, sechs »prominente Katholiken«, drei Bildende Künstler sowie 38 Regisseure, Show-
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Vgl. Abromeit/Burkhardt, Wählerinitiativen, S. 95. Vgl. Kaltefleiter, Zwischen Konsens und Krise, S. 118. Vgl. Abromeit/Burkhardt, Wählerinitiativen, S. 91 und S. 115. Dabei handelte es sich um Wibke Bruhns, Hans-Joachim Friedrichs, Günter Gaus, Klaus Harpprecht, Heli Ihlefeld, Thilo Koch, Dagobert Lindlau, Friedrich Luft, Irene Koss, Martin Morlock, Fritz J. Raddatz, Leona Siebenschön, Walter Schmieding, Wilhelm Stöck und Henning Venske.
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Stars und Schauspieler.61 Die Namen lesen sich wie das who is who der bundesdeutschen Künstler, Intellektuellen und Journalisten dieser Zeit. Unter den Journalisten waren wieder Günter Gaus, Klaus Harpprecht, Thilo Koch und Fritz J. Raddatz dabei. Außerdem riefen zahlreiche weitere prominente Personen in Testimonial- und anderen Werbeanzeigen zur Wahl der SPD auf. Besonders das Engagement von Showstars, Schauspielern, Fernsehansagern und Fernsehansagerinnen, die zu Stars geworden waren, verlieh der Initiative und ihren Aktionen nicht nur Glamour sondern trug zu einer erhöhten Identifikation mit den politischen Inhalten bei. Insgesamt stieg 1972 die Anzahl von Prominenten, die sich in der SWI engagierten. Sogar ehemalige Skeptiker, wie beispielsweise der Schriftsteller Heinrich Böll, schlossen sich nun der Initiative an. Wesentlich stärker als 1969 wurde die SWI auf allen Ebenen als Medienereignis inszeniert, was nicht zuletzt auf eine Konzeptänderung zurückzuführen ist. Im Gegensatz zu 1969 als der Anspruch, den »mündigen Bürger« anzusprechen und durch politische Inhalte zu überzeugen, in die Praxis umgesetzt worden war, trat dieses Anliegen 1972 zunehmend in den Hintergrund. Grundsätzlich ist im Laufe des Jahres 1972 eine Entsachlichung zugunsten einer starken Personalisierung feststellbar. Wurden im April/Mai noch Aktionen zum Thema »Bürger sagen JA zu den Ostverträgen« gestartet,62 schrieb im Juli 1972 Günter Grass an Herbert Wehner, »daß die Bereitschaft sozialdemokratischer Wähler, bei bevorstehenden Bundestagswahlen zu helfen, noch nie so groß gewesen ist wie zur Zeit; aus Sicht der Wähler wäre ein breit angelegter Solidarisierungswahlkampf (Wollt Ihr Brandt oder Barzel – Wollt Ihr Arend oder Katzer) möglich und erfolgreich.«63
Genau dies geschah dann auch, die SWI führte ähnlich wie die SPD einen personalisierten, ganz auf die Person des Bundeskanzlers ausgerichteten Wahlkampf. Das Schlagwort »Bürger für Brandt«, welches im Wahlkampf 1972 als zusätzliche Bezeichnung für die SWI verbreitet war, unterstreicht diese Tendenz.64 Das hohe Identifikationspotential, welches die Person Brandt bot, und die überschwängliche Begeisterung, die er bei vielen Zeitgenossen auslöste, sollte so optimal für einen Wahlsieg der SPD genutzt werden. Die Verklärung Brandts zum »Helden«, zur charismatischen Führerfigur, in der sich die Sehn-
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Vgl. AdsD, SPD-PV, 1891, Mitgliederliste vom 3. Oktober 1972. Vgl. AdsD, SPD-PV, 1891, Schreiben vom 6. April 1972. AdsD, SWI, 11, Schreiben vom 4. Juli 1972. Der Vorschlag einer solchen Benennung geht auf Anregung der SPD zurück, da man dort der Meinung war, dass sich die Polarisierung im Wahlkampf zwischen Brandt und Barzel so besser für die Werbung der SWI nutzen lasse; vgl. AdsD, SWI, 11, Schreiben vom 1. September 1972.
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süchte nach mehr Demokratie und Frieden personifizierten,65 wurde von der SWI durch die Art ihrer Kampagne begünstigt und befördert. Aufgrund der veränderten Ausrichtung der Initiative im Jahre 1972 wurde die Medienarbeit und Imagepflege noch wichtiger als 1969. Damit stieg auch die Bedeutung der Journalisten als Multiplikatoren in der SWI. Grundsätzlich schien es 1972 ein geringeres Problem für bekannte Journalisten gewesen zu sein, sich in der Initiative zu exponieren als noch drei Jahre zuvor. Dies ist zum einen mit der allgemein gestiegenen Akzeptanz einer solchen Form des politischen Engagements und Bekenntnisses zu erklären, zum anderen mit der polarisierten und politisierten Medienlandschaft. Im Prinzip war zu dieser Zeit jedem aufmerksamen Leser oder Zuschauer klar, mit welcher politischen Richtung die bekannten Medienmacher sympathisierten.66 Sofern ein Journalist oder eine Journalistin doch Probleme wegen des politischen Engagements in der SWI bekam wie Wibke Bruhns, die damals Nachrichtensprecherin und Journalistin im öffentlich-rechtlichen Fernsehen war, machten die öffentlichen Diskussionen darüber die Initiative noch mehr bekannt. Der niedersächsische CDU-Politiker Winfried Hasselmann hatte im Oktober 1972 den ZDF-Intendanten Karl Holzamer aufgefordert, Wibke Bruhns wegen ihres Engagements in der SWI zu beurlauben, da sie durch ihren Bekanntheitsgrad in der »Öffentlichkeit mit dem ZDF identifiziert« und somit die Frage des öffentlich-rechtlichen Status des ZDF berührt werde.67 Nicht nur Holzamer wies das Ansinnen des CDU-Politikers zurück, sondern auch die Öffentlichkeit beurteilte die Aktivitäten von Wibke Bruhns als völlig legitim.68 Günter Gaus, Dagobert Lindlau, Rüdiger Proske, Thilo Koch, Fritz J. Raddatz, Wibke Bruhns, Hans-Joachim Friedrichs oder Klaus Harpprecht, um nur einige der in der SWI aktiven Journalisten und Journalistinnen zu nennen, waren nicht nur bekannt und verstanden etwas von einer wirkungsvollen Medienarbeit, sondern verfügten eben auch über gute Kontakte zu ihren Kollegen bei Presse, Funk und Fernsehen. Beides – Popularität und Kontakte – gereichten der Initiative und ihren Anliegen zum Vorteil. Die SWI zeichnete sich auf allen Ebenen durch eine professionelle Medienarbeit aus. »Die SWI sollte das verstärkte Aufgreifen innenpolitischer Themen durch die Massenmedien und die damit verbundene Politisierung nutzen und lenken«69, hieß es bereits im Vorfeld der Wahl. Das Ziel war, eine
—————— 65 Vgl. Münkel, Zwischen Diffamierung und Verehrung, S. 33 ff.; von Kieseritzky, »All unsere Hoffnungen erfüllt...«. S. 17 ff. 66 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3 dieser Arbeit. 67 Vgl. u.a. Frankfurter Rundschau vom 7. Oktober 1972. 68 Vgl. u.a. Süddeutsche Zeitung vom 9. Oktober 1972; Die Welt vom 7. Oktober 1972. 69 AdsD, SPD-PV, 1891, Schreiben vom 24. Mai 1972.
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möglichst breite Resonanz in den Medien zu erreichen, um somit die SWI und ihre politischen Ziele bekannt zu machen, für sie zu werben und Imagepflege zu betreiben. Neben Pressekonferenzen, Presseerklärungen und gezielt lancierten Leserbriefen waren die Veranstaltungen der Initiative in der Regel so konzipiert, dass sie nicht nur für ein potentielles Publikum interessant erschienen, sondern auch für die Medien. Auftritte von Prominenten als Redner oder in Podiumsdiskussionen, Showveranstaltungen, die eine oder andere Spaßaktion und Wahlpartys mit »Stars« aus allen Bereichen, manchmal auch mit dem Bundeskanzler, verkauften Politik auch als Unterhaltung. Sie sollte fröhlich verlaufen, also nicht nur langweilig und ernst sein, womit das Interesse einer breiteren Bevölkerungsschicht an der Politik geweckt werden konnte. Die Medien berichteten gern über solche Veranstaltungen, da diese neben den politischen Aussagen eben auch das Unterhaltungsbedürfnis der Rezipienten und Rezipientinnen bedienten und gutes Bildmaterial lieferten. Allerdings gab es auch kritische Anmerkungen: so fragte die Rundfunkzeitschrift Hör Zu unter der Überschrift »Wahlkampf ist auch eine Show«: »Wäre weniger Show nicht besser für die Politik – und weniger Politik nicht besser für die Show?«70 Dennoch sympathisierten zahlreiche Journalisten und Journalistinnen ähnlich wie 1969 mit den politischen Zielen der SWI. Auch wenn sie sich nicht aktiv engagierten, berichteten sie doch positiv über die Aktivitäten der Gruppe. Neben speziellen Anzeigen in regionalen und überregionalen Tageszeitungen, in denen Prominente für die erneute Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler warben, gab es wieder eine eigene Wahlzeitung der Initiative. Diesmal erschien allerdings nur eine Ausgabe in wesentlich geringerem Umfang mit dem Titel Wahltag. Die Zeitung war in der Form eines Boulevardmagazins gestaltet. Dort äußerten sich prominente Mitglieder und Sympathisanten der SWI unter dem Motto »Bürger für Brandt« über die Vorzüge von Bundesregierung und Bundeskanzler.71 Der Kontakt der SWI zur SPD war ähnlich intensiv wie schon 1969, und die Partei unterstützte die Initiative wieder mit umfänglichen finanziellen Mitteln.72 Brandt stand weiter im Austausch mit der Gruppe als Ganzes bzw. einzelnen Personen und zeigte sich gern werbewirksam in der Öffentlichkeit umgeben von den Protagonisten der Initiative. Wenige Wochen nach der Wahl fand am 16./17. Dezember 1972 eine Arbeitstagung der SWI statt, auf der zukünftige Aktivitäten besprochen werden sollten, um das während des Wahlkampfes immer wieder geäußerte Verspre-
—————— 70 Hör Zu 46/1972. 71 Vgl. WBA, SPD-Parteivorsitzender, Verbindungen mit Gruppierungen in der SPD, SWI, Mappe 52. 72 Vgl. u.a. AdsD, SPD-PV, 1891.
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chen, »auch während der Legislaturperiode kritischer Gesprächspartner der Partei« zu bleiben, in die Tat umzusetzen.73 Dies geschah dann auch unter anderem durch die Weiterexistenz des Bundesbüros und diverser Regionalbüros. In den folgenden Jahren minimierten sich die Aktivitäten der SWI stetig, bis ihre endgültige Auflösung im Jahr 1993 erfolgte – aber dies ist ein anderes Thema.74
Die SWI als Think Tank Ein weiterer Aspekt der SWI war ihre Funktion als politikberatende Instanz. Die »Wählerinitiative« verstand sich vor allem im Vorfeld und während der ersten Kanzlerschaft Willy Brandts nicht nur als Wahlhilfe-Verein, sondern auch als Ideen- und Ratgeber für konkrete politische (Reform-)Vorhaben. »Da wir nicht ein Debattierclub werden wollten, haben wir von allem Anfang an nützliche Papiere hergestellt, die Willy Brandt zugeleitet worden sind«,75 so Günter Grass im Oktober 1968. Hier wurde eine Doppelstrategie deutlich: Einerseits eine breite Öffentlichkeit für ihre Anliegen herzustellen und zu mobilisieren, andererseits durch Ratschläge auf die Inhalte der SPD-Politik einzuwirken. So gesehen fungierte die SWI auch als eine Politikberatungsinstanz, 76 als eine Art brain trust bzw. think tank. Diese Funktion der SWI nahm allerdings nur der engere Kreis der Aktiven auf Bundesebene wahr und nicht die Initiative als Ganzes. Zum Zwecke der Beratung wurden Kurzanalysen, Strategiepapiere und Entwürfe für Reden vorgelegt. Dabei ging es um die Konzeption des Wahlkampf- und Arbeitsprogramms der SPD sowie um einzelne politische Sachfragen.77 Die beratende Funktion der SWI war von Brandt und anderen in der SPD durchaus erwünscht, wurde aber von anderen Teilen der SPD, unter anderem von Helmut Schmidt und Herbert Wehner, eher als lästig empfunden, da sie Bedenken gegen eine nicht institutionalisierte Beratung und die mögliche Herausbildung von partei-unabhängigen Machtzirkeln hatten. Hingegen forderten Brandt und Ehmke explizit eine inhaltliche Einmischung der Gruppe, wobei man zunächst eher an »zukunftsweisende« große
—————— 73 Vgl. AdsD, SPD-PV, 1891, Schreiben vom 12. Dezember 1972. 74 Vgl. Löer, Ausflug, S. 384. 75 Privatarchiv Klaus Harpprecht (Priva. Harpprecht), Private Korrespondenz D-G ab 1966, Schreiben vom 14. Oktober 1968. 76 Vgl. Murswieck, Wissenschaftliche Beratung, S. 108. 77 Vgl. u.a. WBA, SPD-Parteivorsitzender, Verbindungen mit Gruppierungen in der SPD, SWI, Mappe 52.
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Konzepte und Legitimierungen und weniger an das Einmischen in die »Tagespolitik« dachte.78 In der Praxis waren es dann allerdings nicht die »großen Würfe«, die von den Protagonisten der Initiative in die politische Diskussion eingebracht wurden, sondern vielmehr Anregungen, Vorschläge und Ideen zu diversen Politikbereichen. Auch hinsichtlich der im März 1969 bevorstehenden Bundespräsidentenwahl äußerte sich die SWI. In einem Brief vom 29. Oktober 1968 an den Bundesaußenminister und SPD-Parteivorsitzenden, Willy Brandt, forderte sie die SPD auf, allem hin und her ein Ende zu setzen und Gustav Heinemann als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten zu nominieren.79 Er besitze die »politische und moralische Integrität« sowie die »intellektuelle Statur und Aufgeschlossenheit«, außerdem könne er als Identifikationsfigur angesichts der Zerrissenheit der Gesellschaft integrierend wirken, so die Mitglieder der SWI.80 Brandt war der Austausch mit der Gruppe offenbar so wichtig, dass er gern betonte, deren Anregungen auch umsetzen zu wollen. So schrieb er beispielsweise an Günter Grass, dass die SPD eine Plattform über politische Perspektiven für die Zukunft erarbeiten werde81 – ein Vorschlag, der von der SWI in die Diskussion eingebracht wurde. »Dies wollte ich Sie wissen lassen, um Ihnen zu zeigen, daß wir nicht schlafen und auch den Rat guter Freunde nicht überhören«, so Brandt. Die Kommunikationsformen, in denen sich der politische Austausch zwischen SWI und Brandt bzw. seinen engsten Mitarbeitern vollzog, waren unterschiedlich. Es existierte ein direkter mündlicher oder schriftlicher Austausch mit einzelnen Mitgliedern, wie zum Beispiel Günter Grass, Günter Gaus oder Kurt Sontheimer.82 Die Initiative dazu ging in der Regel von beiden Seiten aus. Es gab aber auch gemeinsame Treffen, auf denen politische Sachfragen disku-
—————— 78 Vgl. u.a. WBA, Bundesaußenminister, Mappe 4, Schreiben vom 8. November 1967. 79 Die SPD hatte bei der vorangegangenen Bundespräsidentenwahl den Kandidaten der Union, Heinrich Lübke, mitgewählt. Über die Aufstellung eines eigenen Kandidaten für die vorzeitige Wahl im Jahr 1969 gab es Kontroversen innerhalb der Partei. Auch die Nominierung einer geeigneten Persönlichkeit ging nicht ohne Differenzen vonstatten. Die dann erfolgte Wahl Gustav Heinemanns am 5. März 1969 mit den Stimmen der FDP zum ersten sozialdemokratischen Bundespräsidenten hatte Signalcharakter für den bevorstehenden Regierungswechsel und wurde von einer beginnenden Aufbruchstimmung begleitet; vgl. dazu ausführlich Schönhoven, Wendejahre, S. 431 ff. 80 Vgl. WBA, Bundesaußenminister, lose Materialien, Schreiben vom 29. Oktober 1968. 81 Vgl. Ehmke, Perspektiven. 82 Im Falle von Günter Grass z.B. bestand seit Mitte der sechziger Jahren ein reger Austausch vor allem über verschiedene Fragen der Außen-, Ost- und Entwicklungspolitik, wie der umfangreiche Briefwechsel zwischen Grass und Brandt zeigt. Zeitweise schien allerdings hier ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis im besonderen Maße auf der Seite von Grass vorgelegen zu haben.
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tiert wurden. Eine dritte Möglichkeit war die Vorlage von Arbeits- oder Thesenpapieren seitens der SWI bzw. intern gebildeter Arbeitsgruppen, über die dann eine Erörterung mit Willy Brandt und Teilen der SPD erfolgte. Hier standen im Besonderen die Gesellschafts-, Bildungs- und Medienpolitik im Mittelpunkt. Auf dem Feld der Medienpolitik waren – wie kaum anders zu erwarten – die Journalisten in der Initiative als Fachleute besonders gefragt. Auf diesem Gebiet fand nach 1969 ein reger Austausch zwischen SWI und Brandt bzw. der SPD statt. Das Thema Medienpolitik stand vor dem Hintergrund ständiger, öffentlicher Diskussionen über die zunehmende Pressekonzentration in der Bundesrepublik seit Mitte der sechziger Jahre oben auf der Agenda der Parteien.83 Im September 1971 fand ein zweitägiges Arbeitsgespräch der SWI über die »Medien- und Informationspolitik der Bundesregierung und der SPD« statt. Im Anschluss an diese Tagung wurde dem Bundeskanzler umgehend ein Papier mit vier Kritikpunkten inklusive Verbesserungsvorschlägen übermittelt.84 An der Ausarbeitung des Textes war unter anderem Rüdiger Proske, der ehemalige Chef der Abteilung Zeitgeschehen des NDR und Pionier der Fernsehmagazins Panorama, maßgeblich beteiligt. Der erste Punkt betraf die Medienpolitik der Regierung im Allgemeinen. »Wir haben den Eindruck, daß die SPD sowohl als Partei wie in der Regierung die Bedeutung der Medien- und Informationspolitik in gefährlicher Weise unterschätzt«,85 womit auf ein Papier des PV zum Thema Massenmedien, das dieser für den Parteitag 1971 vorgelegt hatte, Bezug genommen wurde. Der zweite Kritikpunkt zielte auf die Informationspolitik der Bundesregierung. Hier wurde als negativ vermerkt, dass sich diese zu einseitig auf den Komplex der Außenpolitik konzentriere und der Öffentlichkeit schlecht vermittelt würde – für einen Wahlerfolg im Jahr 1973 sei aber die Verdeutlichung der innenpolitischen Erfolge entscheidend. Es wurde »die Berufung eines weiteren Sprechers der Bundesregierung, der insbesondere für Fragen der Innen-, Sozial- und Wirtschaftspolitik zuständig sein soll[te]«,86 vorgeschlagen. Weiterhin empfahl man der SPD, ihre Mitglieder in den Aufsichtsgremien der Rundfunkund Fernsehanstalten besser zu unterstützen und zum offensiverem Vorgehen gegenüber der »massiven Beeinflussung dieser Gremien durch CDU und CSU« aufzufordern. In diesem Zusammenhang wurde unter anderem die Abhaltung einer Arbeitstagung mit sozialdemokratischen Journalisten vorgeschlagen. Als letzten Punkt kritisierte die SWI das zögerliche Verhalten gegenüber einem
—————— 83 84 85 86
Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.1 dieser Arbeit. Vgl. AdsD, SWI, 11, Schreiben vom 19. September 1971. Ebd. Ebd.
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»erkennbar feindlich gesonnenen Teil der Presse«; gemeint war hier vor allem die Springer-Presse. »Wir halten es zur Orientierung des Wählers für wichtig und notwendig, diese Gegner ohne Schonung beim Namen zu nennen. Vor allem gilt es, demagogischen Angriffen und Verzerrungen mit sachlichen Argumenten entgegenzutreten«.87
Dass solche und ähnliche Vorschläge vom Bundeskanzler und seinen Mitarbeiter ernst genommen wenngleich nicht in allen Punkten umgesetzt wurden, zeigt unter anderem, dass Brandt bereits neun Tage nach Erhalt an die Absender des Schreiben der SWI einen Brief mit der Anrede »Liebe Freunde« (!) schickte, in dem er erste Realisierungen der Vorschläge bekannt gab.88 Die Arbeitstagung mit Journalisten sollte stattfinden und die Überlegungen des Parteivorstandes zum Thema Massenmedien seien überarbeitet worden. Darüber hinaus erwägte er eine Beratung mit »sachkundigen nahestehenden Publizisten«. In einem zentralen Punkt war Brandt allerdings anderer Meinung als die Initiative: »Was die staatliche Informationspolitik angeht, so kann ich mir Ihr negatives Urteil nicht zu eigen machen. Aber es ist sicher, daß Verbesserungsvorschläge nötig und auch möglich sind. Aus verschiedenen Gründen möchte ich dem Gedanken, einen dritten Sprecher zu berufen, allerdings nicht näher treten.«89
Wie ernst die Funktion der SWI als Beratungsinstanz von Brandt und seinen Mitarbeitern genommen wurde, zeigt darüber hinaus die Tatsache, dass es Versuche gab, einige Mitglieder der Initiative direkt in die Politik zu holen. Im Fall des Spiegel-Chefredakteurs Günter Gaus waren Brandt und seine Mitarbeiter damit erfolgreich – worauf noch ausführlich einzugehen sein wird.90 Hatte man 1969 ein Ansinnen von Günter Grass, aktiv für die Regierung zu arbeiten, noch mehr oder weniger ignoriert,91 gab sich Brandt im Jahr 1972 offener: »Es wäre – auch wegen der Wirkung auf viele Mitarbeiter der SWI – politisch sinnvoll, Günter Grass mit einer besonderen Aufgabe zu betrauen.«92 Allerdings war ein solcher Vorschlag innerhalb der Führungsriege der SPD nicht mehrheitsfähig, weil den meisten nicht daran gelegen war, einen unter Umständen zu einflussreichen neuen Machtzirkel, der nicht der Partei angehörte, zu installieren. »Nach 1972 hätte es mich mehr interessiert, in die Partei hin-
—————— 87 88 89 90 91 92
Ebd. Vgl. AdsD, SWI, 11, Schreiben vom 28. September 1971. Ebd. Vgl. Kapitel 5.2 dieser Arbeit. Vgl. Münkel, Intellektuelle, S. 235. AdsD, Dep. Bahr, Mappe 436, Vermerk vom 25. Dezember 1972.
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einzuwirken, was diese aber gar nicht wollte«,93 so der Schriftsteller Peter Härtling in der Retrospektive. Dennoch lässt sich ein Einfluss der SWI auf Teilbereiche der SPD-Politik, wie an dem dargestellten Beispiel deutlich wurde, durchaus nachweisen. Allerdings erfolgte dieser sporadisch, thematisch nicht umfassend sowie nicht institutionalisiert. Obwohl von den führenden Mitgliedern der Initiative in Erwägung gezogen, gelang es langfristig nicht, die SWI als eine Art dauerhaften brain trust in der SPD fest zu verankern.94 Das Projekt scheiterte sowohl an der SPD als auch an der Initiative, die nach 1972 mit Auflösungserscheinungen zu kämpfen hatte.
5.2 Journalisten als Berater und Mitarbeiter Die Idee Willy Brandts, Journalisten einzeln oder in Gruppen als Berater und Ideengeber, als Diskussionspartner, Redenschreiber oder Mitarbeiter in die Politik einzubeziehen, ist nicht erst mit der »Sozialdemokratischen Wählerinitiative« entstanden. Eine derartige Form der Zusammenarbeit von Journalismus und Politik gehörte seit seiner Berliner Zeit zur Arbeitsweise Willy Brandts. Ein Grund für die besondere Affinität Brandts zu diesem Berufsstand, seinen Denkweisen und Formen der Meinungsbildung resultierte daraus, dass er selbst Journalist war. Darüber hinaus scheint er sich offensichtlich im Kreis von Journalisten wohlgefühlt zu haben und schätzte die Art ihrer kontroversen Diskussion. Die Formen, in denen ein Austausch mit Journalisten stattfand, waren vielfältig. Sie reichten von persönlichen Gesprächen, über umfangreiche Korrespondenzen, regelmäßige oder unregelmäßige Treffen mit Gruppen von Journalisten bis hin zu Beraterverträgen oder der Rekrutierung als Mitarbeiter für Partei und Regierung. Zu den meisten Journalisten, die bei Brandt oder in seinem Regierungsapparat tätig waren, bestanden schon langjährige Verbindungen. Viele von ihnen pflegten einen regelmäßigen Gedankenaustausch mit Brandt oder wurden bei bestimmten Sachfragen als Experten hinzugezogen.
Journalistenkreise als Berater Anfang der sechziger Jahre gab es mehrere Anläufe von Brandt und seinen Mitarbeitern in Berlin, einen festen Kreis von Politikern und Journalisten nach
—————— 93 Zitiert nach: Löer, Ausflug, S. 388. 94 Vgl. ebd.
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dem Vorbild amerikanischer brain trusts ins Leben zu rufen.95 Solche Bestrebungen sind auch im Zusammenhang mit der allgemeinen Tendenz der Ausweitung von externer Beratung von Politikern einzuordnen. Politikberatung, sei es durch ressortbezogene Beiräte, ressorteigene Einrichtungen, weitgehend eigenständige Forschungseinrichtungen, als ad-hoc Beratung oder in Form von externen Beraterkreisen für einen Politiker oder eine Partei galt als »modern« und hatte in den sechziger Jahren eine erste Hochphase in der Geschichte der Bundesrepublik.96 Dies ist durch die allgemeine Planungs- und Zukunftseuphorie in dieser Dekade zu erklären, die die Hinzuziehung von externen Fachleuten erforderlich zu machen schien. Die Bemühungen, einen Kreis von Journalisten als festes Beratungsgremium im Umfeld Willy Brandts zu installieren, blieben langfristig gesehen allerdings erfolglos, da es nicht gelang, die Gruppen zu institutionalisieren und Differenzen über diverse Sachfragen nicht ausgeräumt werden konnten. Darüber hinaus bestanden unterschiedliche Vorstellungen darüber, welchen realen Einfluss die Beratungskreise auf Politik und Öffentlichkeitsarbeit der SPD und ihres Kanzlerkandidaten haben sollten bzw. wollten. Für eine kurze Zeit existierten mehrere Beratungszirkel von Journalisten. Im Jahr 1963 fanden unregelmäßige Treffen bei dem Journalisten und SPDMitglied Klaus Peter Schulz97 in Berlin statt. Zur geplanten Einrichtung eines Jour fixe kam es allerdings nicht, weil man seitens der SPD skeptisch war. So äußerte sich der damalige Referent Willy Brandts, Winfried Staar, aufgrund der spezifischen Disposition Schulzes dem Regierenden Bürgermeister gegenüber kritisch: »Ich habe jedoch einige Bedenken, ob man ihn [gemeint ist Klaus Peter Schulz, D.M.] als Träger des Kreises bestimmen sollte. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß er etwas empfindlich ist. Außerdem steht bei ihm – neben den unbestreitbar guten politischen Ideen – doch die emotionale Seite, d.h. ein besonderes Gefühl der Verehrung für Sie [gemeint ist Willy Brandt, D.M.] im Vordergrund. Ich fürchte etwas, daß das für die Arrangierung eines solchen Kreises nicht förderlich sein könnte.«98
Dennoch traf sich die Gruppe im Jahr 1963 noch weitere Male. Die gleiche Idee lag dem so genannten »Severin-Kreis« zugrunde. Dieser Kreis, nach dem
—————— 95 Vgl. AdsD, SPD-PV, 6820. 96 Vgl. Süß, »›Wer aber denkt an das Ganze?‹«, S. 349 f.; Ruck, Ein kurzer Sommer, S. 362 ff. 97 Klaus Peter Schulz (1915-2000), war 1946 als Redakteur beim Berliner Tagesspiegel tätig, danach als politischer Kommentator bei verschiedenen Rundfunkanstalten sowie Chefredakteur des Berliner SPD-Parteiorgans Der Sozialdemokrat, 1962 bis 1966 Leiter des Büros der Deutschen Welle in Köln, 1965 bis 1976 MdB (bis 1971 SPD, danach CDU). 98 AdsD, SPD-PV, 6820, Vermerk vom 23. Januar 1963.
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Journalisten Jochen Severin99 benannt, existierte von 1961 bis 1965. Er bestand aus Berliner Journalisten und SPD-Politikern sowie dem damaligen Chefredakteur des Vorwärts, Jesco von Puttkamer.100 Diese Gruppe befasste sich mit Problemen der Medienpolitik und dem Komplex der Bundestagswahlen von 1961 und 1965. Dabei ging es sowohl um Fragen von Öffentlichkeitsarbeit und Wahlkampfstrategien als auch um die Konzeption und Formulierung der politischen Inhalte, mit der die SPD und ihr Kandidat in den Wahlkampf ziehen sollten. Auch über die Public-Relations-Arbeit der SPD machte man sich in dem Kreis Gedanken. So schlugen sie im Februar 1964 in einem Papier für Willy Brandt unter anderem die Einrichtung eines dem Parteivorsitzenden direkt unterstellten Büros für Öffentlichkeitsarbeit vor. Dieses sollte den Auftrag erhalten: »Vorstellungsbilder von der SPD und ihren Zielen im Bewusstsein der Bevölkerung zu formen und zu festigen«.101 Daran anschließend folgten Einschätzungen zur Behandlung der verschiedenen Medien, verbunden mit dem Hinweis, dass »im Gesamtbereich der Massenmedien [...] sympathisierende, neutrale und sicher auch SPD-kritische Redakteure zu gewinnen [seien, D.M.], wenn das PR-Programm attraktiv gestaltet wird.«102 Diese Vorschläge wurden nur bedingt umgesetzt. Eine Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der SPD existierte ja bereits und die PR-Arbeit für Willy Brandt wurde bis zu seinem Weggang aus der Stadt hauptsächlich vom »Berliner Büro Willy Brandt« übernommen.103 Außerdem wurden Konzepte für Reden Willy Brandts erarbeitet und man machte sich Gedanken, wie man die Strategie der CDU aushöhlen könne.104 Der Kreis fungierte demzufolge als eine Art brain trust für den Wahlkampf. Im Juli 1964 schrieb Severin an Brandt und kündigte die Auflösung des Kreises an, da ein Arbeitspapier der Gruppe über »eine Politik der Bundesrepublik auf längere Sicht« nicht die gewünschte Resonanz bei der SPD gefunden habe. »Wir sind [...] zu dem Resultat gekommen, dass es uns nicht gelungen ist, die Art der Cooperation zu erreichen, die uns vorgeschwebt hatte, als sich der Kreis konstituierte. Alle Mitglieder des Kreises sind sich daher darüber einig, dass unsere Bemühungen in der von uns
—————— 99 Jochen Severin (1927-1995), Severin war nach dem Krieg journalistisch tätig, u.a. war er an der Gründung des Tagespiegels in Berlin beteiligt, ab 1947 war er für Die Neue Zeitung tätig, von 1955 bis Mitte der sechziger Jahre Filmproduzent und ab 1965 selbständiger Kaufmann im Bereich der Stadtbauplanung und Altbausanierung, in den achtziger Jahren war er dann im Verlagsgeschäft aktiv, u.a. gründete er 1980 mit Wolf Jobst Siedler die »Severin und Siedler Verlags GmbH«. 100 Vgl. LA Berlin, B Rep. 002, 3285, Bd. I. 101 Vgl. LA Berlin, B Rep. 002, 4041, Schreiben vom 13. Februar 1964. 102 Ebd. 103 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 4 dieser Arbeit. 104 Vgl. LA Berlin, B Rep. 002, 3285, Bd. I., Rundschreiben vom 16. Dezember 1964.
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gewählten Form keine Zukunftsaussichten haben. Jeder einzelne von uns steht Ihnen jedoch mit seinen Sonderkenntnissen und Möglichkeiten für Ihre Arbeit und Bemühungen zur Verfügung.«105
In der SPD bestanden zu dieser Zeit gegenüber solchen parteiunabhängigen Beraterkreisen genauso wie gegenüber der SWI Ressentiments, da man um die parteigene politische Deutungsmacht fürchtete. Die Auflösung des »SeverinKreises« konnte zunächst durch eine persönliche Intervention Willy Brandts verhindert werden.106 Das Ende für den Kreis kam nach der Bundestagswahl des Jahres 1965. Warum die Gruppe nicht weiter existierte und wann sie sich genau auflöste, ist nicht mehr eindeutig zu rekonstruieren. Es liegt jedoch die Vermutung nahe, dass der Grund in den oben angesprochenen Problemen lag. Angesichts der Widerstände in der SPD schien es sinnlos, sich weiter in dieser Form zu engagieren. Darüber hinaus wird auch die Ankündigung Willy Brandts im September 1965, in Zukunft nicht mehr für das Amt des SPDKanzlerkandidaten zur Verfügung zu stehen, eine Rolle bei der Entscheidung gespielt haben, da er offensichtlich das Verbindungsglied zwischen der Partei und der Gruppe gewesen ist. Wie die Schwierigkeiten im Falle des »Severin-Kreises« zeigen, resultierten die Probleme aus unterschiedlichen Ansprüchen und dem Faktum, dass in Einzelfällen der reale Einfluss solcher Gruppen auf die Politik oder eine Partei dann doch begrenzt sein konnte.
Journalisten als Berater und Mitarbeiter: Fallbeispiele Neben den Initiativen, einen festen Beraterkreis von Journalisten zu installieren, zog Brandt Journalisten als Einzelpersonen seit seiner Berliner Zeit als Diskussionspartner, Berater und Mitarbeiter heran. Dabei lassen sich vor allem zwei Formen ausmachen: einerseits der direkte mündliche oder schriftliche Austausch mit Journalisten, also eine eher spontane, themenzentrierte Form der Politikberatung, die so genannte ad-hoc Beratung.107 Andererseits die Einbindung von Journalisten in den Regierungs- oder Parteiapparat und damit die Bildung eines internen Beraterkreises, der zum Teil eine externe Beratung ersetzte. Außerdem lässt die Bevorzugung von Journalisten als Gesprächspartner und Mitarbeiter Rückschlüsse auf den politischen Stil Willy Brandts zu.
—————— 105 Ebd., Schreiben vom 16. Juli 1964. 106 Vgl. ebd., Schreiben vom 21. Juli 1964 und Korrespondenzen von 1965, in: AdsD, SPD-PV, 6930 und Dep. Bahr, Mappe 9 A. 107 Vgl. Murswieck, Wissenschaftliche Beratung, S. 108.
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Brandt pflegte einen regen Austausch mit Journalisten und Verlegern, die nicht in den Apparat eingebunden waren.108 Dabei bediente er sich unterschiedlicher Formen, wie der schriftlichen Auseinandersetzung mit Publikationen der jeweiligen Personen, der Bitte um Stellungnahmen zu verschiedenen Sachfragen, der Einbeziehung bei der Abfassung von wichtigen Reden, persönlicher Treffen und Diskussionen sowie der Zusammenarbeit bei Publikationen. Themen waren unter anderem Fragen der Koalitionsbildung, der Konzeption von Wahlkampfstrategien und Wahlslogans, der Medienpolitik, der Notstandsgesetzgebung, der Bildungspolitik sowie das Konzept des demokratischen Sozialismus. Ein Beispiel für eine derartige intensive Zusammenarbeit war der Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin, Autor und Journalist Richard Löwenthal (geboren 1908, gestorben 1991), den eine jahrelange Freundschaft mit Willy Brandt verband. Beide hatten eine linkssozialistische Vergangenheit – wenn auch in unterschiedlichen Gruppierungen. Besonders in den sechziger Jahren galt Löwenthal als wichtiger Berater des SPD-Vorstandes, war aber auch in den folgenden Dekaden beratend für die Sozialdemokratie tätig. Willy Brandt tauschte sich mit ihm besonders intensiv über politische Sachthemen aus – die überlieferte Korrespondenz der beiden ist sehr umfangreich.109 Darüber hinaus verfassten sie gemeinsam Bücher und Reden.110 Richard Löwenthal war einer der wenigen, die einen fest honorierten Beratervertrag mit Brandt hatten. Am 31. Januar 1971 stellte er allerdings fest, dass es wohl keinen Zweck habe, den Vertrag zu verlängern, »nachdem ich niemals einen bestimmten Auftrag bekommen habe oder sonst enger herangezogen worden bin. Das ändert aber nichts daran, dass ich Dir auch weiter zur Verfügung stehe, wenn Du es willst [...]«.111 Dies ist darauf zurückzuführen, dass diese auch mit Löwenthal praktizierte Form der ad-hoc-Politikberatung während der Kanzlerschaft Willy Brandts zurückging, da sie sehr zeitaufwendig war und die Anforderungen des politischen Alltags kaum genügend Spielraum ließen. Sie wurde ein Stück weit durch den Aufbau eines internen (Berater-)Kreises, in dem ehemalige Journalisten dominierten, ersetzt, wie an den folgenden etwas ausführlicher dargestellten Beispielen von Egon Bahr, Klaus Harpprecht, Günter Gaus und Conrad Ahlers ersichtlich wird.
—————— 108 Vgl. dazu auch Kapitel 3 dieser Arbeit. 109 Vgl. dazu die umfangreichen Korrespondenzen zwischen Brandt und Löwenthal im WBA, u.a. Beruflicher Werdegang und Berlin, Mappe 2 (alt), 7 (alt) und 24 (alt). 110 Das erste größere gemeinsame Buch war eine Biographie über Ernst Reuter; vgl. Brandt/Löwenthal, Ernst Reuter. 111 AdsD, Dep. Ehmke, 1/HEA, 223, Schreiben vom 31. Januar 1971.
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Egon Bahr Erstes herausragendes Beispiel für die Einbindung eines Journalisten als Mitarbeiter und Berater ist Egon Bahr, geboren 1922. Der vormalige Chefredakteur des RIAS trat 1956 in die SPD ein und wurde im Jahr 1960 Pressechef Brandts in Berlin, 1966 Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt und von 1969 bis 1974 war er Staatssekretär und Bundesminister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt.112 Ab Juli 1974 gehörte er dem Kabinett Schmidt als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit an, im November 1976 wechselte er in die Parteizentrale und damit wieder direkt zu Willy Brandt als SPD-Bundesgeschäftsführer. Im März 1981 gab Bahr das Amt auf und war danach bis 1990 weiter im Bundestag und diversen SPD-Kommissionen sowie Ausschüssen des Bundestages aktiv. Die Zusammenarbeit, persönliche Freundschaft und der gegenseitige Austausch über politische Sachfragen zwischen Egon Bahr und Willy Brandt endete erst mit dem Tode Brandts im Jahr 1992 und auch heute versteht sich Bahr immer noch als Repräsentant Brandtscher Politikkonzepte. Bahr war nicht nur über Jahre einer der engsten Mitarbeiter Willy Brandts, er war genauso einer seiner wichtigsten Berater. Das galt auch in Fragen der Öffentlichkeitsarbeit. Hier war es von Vorteil, dass er ursprünglich Journalist gewesen war. Er hatte gute Kontakte zu den Medienvertretern, wusste wie die Medien funktionierten und forcierte dementsprechend eine mediengerechte Darstellung von Person und Politik Brandts. Wie bereits an anderer Stelle ausführlich erörtert worden ist, prägte Egon Bahr die Form der Selbstdarstellung und das Image Willy Brandts entscheidend.113 Auch die Deutschland- und Ostpolitik Willy Brandts ist maßgeblich im Zusammenspiel mit Bahr umgesetzt und weiter entwickelt worden. Brandt schrieb dazu in der Retrospektive: »Egon Bahr war nicht der einzige, aber der konzeptionell fähigste meiner Mitarbeiter in Berlin und im Übergang von Berlin nach Bonn. [...] Der Moskauer Vertrag vom Juni 1970 und die anschließenden Verträge mit der DDR wurden im wesentlichen von ihm ausgehandelt. [...] Wenn und wo gesamteuropäische Zusammenarbeit vorkommt und gesamteuropäische Sicherheit gestaltet wird, ist sein gedanklicher Beitrag unverkennbar. Vieles von dem, was ich ab 1960 und über 1980 hinaus geleistet und versucht habe, wäre ohne solche Zusammenarbeit nicht möglich gewesen.«114
—————— 112 Vgl. Bahr, Zu meiner Zeit, passim. 113 Vgl. dazu ausführlich die Kapitel 3 und 6 dieser Arbeit. 114 Brandt, Erinnerungen, S. 73 f.
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Dass Bahr einen starken Einfluss auf das politische Wirken Willy Brandts gehabt hat, ist unbestritten. Hervorhebenswert ist die Art und Weise, wie die politischen Konzepte und Ideen entwickelt wurden sowie deren praktische politische Umsetzung. Bahr hat den gemeinsamen Arbeitsstil auf anschauliche Weise beschrieben: »Wer Entwürfe für Erklärungen und Ansprachen ausarbeitet, wird zum Berater. Normalerweise muß der Chef sagen, was er haben will; Inhalt und Zweck müssen klar sein; also werden sie disputiert, und in Rede und Gegenrede ergibt sich eine Linie, zuweilen etwas Neues. Dieser ständige Austausch ist oft fruchtbarer als eigens angesetzte Besprechungen. [...] Wirklich Hunderte von solchen Gesprächen im Laufe der Jahre wurden zu einem Prozeß von gegenseitigem Geben und Nehmen, der beiderseitigen Beeinflussung, des Vertrautwerdens mit dem Denken des anderen, bis etwas Außergewöhnliches entstand: Wir verstanden uns so gut, daß halbe Sätze genügten, um sich über einen strittigen Punkt zu einigen; ein einziges Wort konnte dazu reichen, weil es Hintergrund hatte, und erinnerte, welche Bedeutung ihm im vielfältigen Austausch zugekommen war.«115
Die hier spürbare Vertrautheit ist nicht zu verallgemeinern, die Form des Austausches ist demgegenüber allerdings ein spezifisches Kennzeichen des politischen Stils Willy Brandts.116 Dieser traf selten einsame Entscheidungen, sondern tauschte sich in intensiven Diskussionsprozessen schriftlich oder mündlich mit Mitarbeitern und/oder externen Vertrauten und Fachleuten aus. Hier spielten Journalisten eine besondere Rolle, da er ihre Problemlösungsstrategien, die den seinen sehr ähnlich waren, schätzte. Brandt selbst charakterisierte seinen Stil wie folgt: »Ich habe versucht [...] einen möglichst kollegialen Arbeitsstil zu praktizieren. Es war und ist nicht meine Art, nur Zustimmung zu erbitten und Diskussionen vor allem führen zu lassen, um mich in einer vorgefassten Meinung bestätigt zu wissen. [...] es ist nahezu immer fruchtbarer, eine Übereinstimmung in Führungsgremien herbeizuführen. Mir lag daran, auf den menschlichen Zusammenhalt gerade dann zu achten, wenn sich sachliche Meinungsverschiedenheiten ergaben.«117
Dieser diskursive, kollegiale Arbeitsstil war ein Spezifikum von Brandt und brachte ihm oft Kritik in der Führungsriege der SPD, vor allem von Herbert Wehner und Helmut Schmidt, ein. Sie kritisierten dies als Entscheidungsschwäche und diagnostizierten fehlende Führungsqualitäten – worunter sie selbst primär autoritäre Führung verstanden.
—————— 115 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 120 f. 116 Zu Brandts Führungsstil als Parteivorsitzender, vgl. Münkel, »Auf der Zinne der Partei...«. 117 Brandt, Begegnungen und Einsichten, S. 303.
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Klaus Harpprecht Den Journalist und Publizisten Klaus Harpprecht verband ebenfalls eine jahrzehntelange Freundschafts- und Arbeitsbeziehung mit Brandt.118 Harpprecht, 1927 geboren, begann seine journalistische Laufbahn 1948 als Volontär bei der Wochenzeitung Christ und Welt, für die er dann als Redakteur und Bonner Korrespondent tätig war. Im Jahr 1954 wechselte er zum RIAS, kehrte aber bereits ein Jahr später wieder – nun als Leiter des Büros des SFB – nach Bonn zurück.119 Seit Mai 1956 arbeitete er dann beim WDR. In den sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre war er mit Unterbrechungen als Korrespondent des ZDF in den USA (von 1962 bis 1966 und von 1970 bis 1972). In den Jahren dazwischen leitete er den S. Fischer-Verlag. In die SPD trat er im April 1968 ein. Nach der Bundestagswahl 1972 leitete er bis zum Rücktritt Willy Brandts das Schreibbüro im Bundeskanzleramt. Die erste Begegnung mit Willy Brandt datiert auf das Jahr 1952. Sie trafen in Berlin in einer Journalistenrunde im Hause Richard Löwenthals zusammen. Zwischen dem jungen Politiker und dem noch jüngeren Journalisten schien sich sofort ein gegenseitiges Interesse zu entwickeln. Klaus Harpprecht charakterisierte seinen Eindruck von Brandt in der Retrospektive folgendermaßen: »Was mich an dem jungen Abgeordneten anzog, waren seine Offenheit, seine Neugier, seine geistige Unabhängigkeit, sein Witz, sein rasches Lachen, waren die Vitalität und die Lebensfreude, die er ausstrahlte, und es war Hauch von Welt, den er aus der Emigration mitgebracht hatte. Wir stritten mitunter auf lebhafte Weise über des alten Adenauers außenpolitische Konzepte, doch wir kamen uns in jenen Disputen auch näher.«120
In den folgenden Jahren fanden weitere persönliche Treffen statt und man korrespondierte miteinander. Im Jahr 1956 engagierte sich Harpprecht bereits aktiv für Brandt. Er versuchte durch einen ausführlichen Leserbrief einen Artikel über den SPD-Parteitag in der CDU-nahen Kölnischen Rundschau, in dem Brandts Positionen verzerrend dargestellt worden waren, zu widerlegen.121 Auch als Vermittler betätigte sich Harpprecht bereits in den fünfziger Jahren, eine Aufgabe die auch andere Journalisten für Brandt immer wieder wahrnahmen, als eine Art »Unterhändler« zur Herstellung informeller und formeller
—————— 118 Vgl. dazu die umfangreiche Korrespondenz zwischen Brandt und Harpprecht im WBA, Beruflicher Werdegang und Berlin, Mappe 20 (alt), 39 (alt), 40 (alt); Bundesaußenminister 1966-1969, Mappe 5 sowie die Überlieferung im Priva. Harpprecht. 119 Zum Lebenslauf von Harpprecht vgl. Eintrag im Munzinger Archiv. 120 Harpprecht, Im Kanzleramt, S. 9. 121 Vgl. WBA, Beruflicher Werdegang und Berlin, Korrespondenz 1956 (alt), Schreiben vom 23. Juli 1956 und Anhang.
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Kontakte. Dies hatte den Vorteil, dass keine offiziellen Wege beschritten werden mussten, mögliche Probleme im Vorfeld abgeklärt werden konnten und beim Nicht-Zustandekommen der politische Schaden gering blieb. Im September 1956 bemühte sich Harpprecht, ein Treffen Brandts mit dem Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier zu arrangieren, den er seit seiner Jugend gut kannte, weil sie aus dem gleichen Ort stammten.122 Solche und ähnliche Formen der Vermittlertätigkeit waren immer wieder gefragt. In den sechziger und beginnenden siebziger Jahren, während seiner Zeit in den USA, arrangierte er dort zum Beispiel für SPD-Wahlkampfbeobachter einige wichtige Kontakte sowohl zu den Demokraten als auch zu den Republikanern. Auch beim Anknüpfen von Beziehungen zu anderen Journalisten war Harpprecht Willy Brandt behilflich. Noch während seiner Zeit im Kanzleramt hielt er im Auftrag des Bundeskanzlers Verbindung zu Journalisten, organisierte Treffen und Hintergrundgespräche und versuchte auf diese Art und Weise eine positive Medienresonanz zu forcieren. Der Zugang zu Journalisten war für jemanden wie Harpprecht einfacher, denn er verfügte über breitgefächerte Beziehungen zu Medienvertretern verschiedener politischer couleur. Eine erste inhaltliche Zusammenarbeit von Willy Brandt und Klaus Harpprecht begann mit der Überarbeitung der Ernst Reuter-Biographie in den Jahren 1956/1957, die Brandt zusammen mit Richard Löwenthal verfasst hatte.123 Harpprecht redigierte und kürzte nicht nur den Text im Auftrag Willy Brandts, er wurde von ihm auch um Rat gefragt, sei es bei der Abfassung des Vorwortes oder der Frage nach den Vorabveröffentlichungen des Buches.124 Diese Form der Zusammenarbeit war ein wichtiger Grundpfeiler der Arbeitsbeziehung und führte schließlich Anfang 1973 in die Schreibstube des Bundeskanzleramtes. Verstärkt seit Ende der sechziger Jahre wurde Klaus Harpprecht immer wieder zum Abfassen wichtiger Reden hinzugezogen, wie der Nobelpreisrede 1971 oder der Eröffnungsrede auf dem außerordentlichen Parteitag im Jahre 1972.125 Der eine oder andere Terminus, der zentral für Willy Brandts Politik wurde, wie die »Neue Mitte« oder compassion, geht auf Harpprecht zurück.126 Hier lässt sich dann auch der konkrete Einfluss eines Journalisten auf die Politik nachweisen. Willy Brandt ließ sich allerdings nicht
—————— 122 Vgl. Priva. Harpprecht, Post-Privat 1/1956-7/1957, Schreiben vom 26. September 1956. 123 Vgl. dazu die umfangreiche Korrespondenz zwischen Brandt und Harpprecht im WBA, Beruflicher Werdegang und Berlin, Mappe 20 (alt), 39 (alt), 40 (alt); Bundesaußenminister 1966-1969, Mappe 5 sowie die Überlieferung im Priva. Harpprecht. 124 Vgl. Priva. Harpprecht, Post-Privat 1/1956-7/1957, Schreiben vom 6. März 1957 und 16. Mai 1957. 125 Vgl. Harpprecht, Im Kanzleramt, S. 10 f.; Priva. Harpprecht, SPD, Schreiben vom 30. November 1971. 126 Vgl. Interview mit Klaus Harpprecht vom 18. Februar 2001.
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einfach Reden schreiben, sondern beteiligte sich aktiv am Entstehungsprozess; er redigierte die Texte selbst mehrfach und diskutierte mit den beteiligten Experten über strittige Fragen. So entstanden die »großen« Reden in der Diskussion und im Austausch mit Fachleuten, Wissenschaftlern, Intellektuellen und Journalisten. Es entsprach Brandts politischem Stil, dass er sich hier selbst aktiv einmischte und sich an den Diskussionen der verschiedenen Fassungen mit Verbesserungsvorschlägen beteiligte.127 Zu einer 1970 ins Auge gefassten, kontinuierlichen Zusammenarbeit mit einem längerfristigen Honorarvertrag zum Schreiben von Redeentwürfen für den Bundeskanzler kam es allerdings nicht,128 da Harpprecht dann nochmals für das ZDF in die USA ging. Die Zusammenarbeit blieb bis 1973 projektbezogen. Für Brandt und seine Mitarbeiter hatte sich die Kooperation mit Harpprecht bei der Konzeption und Abfassung von Reden bewährt – er traf den Sprachstil Brandts, und auch in politisch konzeptionellen Fragen gab es kaum Differenzen, so dass eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit ihm als Leiter der Schreibstube im Bundeskanzleramt sinnvoll erschien. Der zeitweilige Wechsel der »Fronten« vom Journalismus in die Politik, hier allerdings eher hinter die Kulissen, war für Harpprecht wegen seiner langjährigen Tätigkeit in beiden Sphären kein abrupter Schritt. Allerdings war bei ihm für den Wechsel – wie bei vielen anderen Journalisten auch, die während der Ära Brandt ganz oder zeitweise in die Politik gingen – die neue Politik und die Person des Bundeskanzlers als Identifikationsfigur und Hoffnungsträger von entscheidender Bedeutung.129 Neben dem Redenschreiben, welches ihm ermöglichte, auf die konkrete Politik und deren Zielperspektiven Einfluss zu nehmen, existierte seit den fünfziger Jahren zwischen Harpprecht und Brandt ein Gedankenaustausch über politische Sach- und Personalfragen, im Besonderen über Fragen der transatlantischen Beziehungen sowie die gegenwärtige und zukünftige Rolle Brandts in der SPD und in der Bundesrepublik. In manchen Fällen bekam Brandt den Rat ungefragt, in manchen suchte er ihn von sich aus. Brandt war daran interessiert, sich immer wieder mit Harpprecht persönlich zu treffen und auszutauschen, auch bei seinen USA-Besuchen versuchte er – wenn möglich – ein Treffen mit ihm zu arrangieren.130
—————— 127 Klaus Harpprecht hat in seinem Buch »Im Kanzleramt« detailliert das Zustandekommen der Regierungserklärung des Jahres 1973 beschrieben, das als exemplarisch gelten kann; vgl. Harpprecht, Im Kanzleramt, S. 19 ff. 128 Vgl. Priva. Harpprecht, Privatkorrespondenz A-C ab 1966, Schreiben vom 16. Juli 1970. 129 Vgl. u.a. Harpprecht, Im Kanzleramt, S. 10 ff. 130 Vgl. u.a. Priva. Harpprecht, Private Korrespondenz A-B ab 1963, Schreiben vom 15. Juni 1964.
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Als Informant und Berater in allem, was die USA betraf, war Harpprecht in den sechziger Jahren bei Brandt und der SPD sehr gefragt. Er berichtete ausführlich in den Jahren 1968, 1969, 1970 und 1972 über Wahlkämpfe und Wahlkampfstrategien der beiden US-Parteien sowie deren Öffentlichkeitsarbeit.131 Darüber hinaus schrieb er Berichte über die innenpolitische Lage in den USA. Versuche Harpprechts, diese Arbeit für die SPD zu professionalisieren und zu institutionalisieren, scheiterten jedoch an den Bedenken von Teilen der Parteiführung und des Schatzmeisters.132 Auch während und nach seiner Tätigkeit in der Schreibstube des Bundeskanzlers beriet er Brandt weiterhin in Fragen der deutsch-amerikanischen Beziehungen sowie derjenigen zu Frankreich und Israel.133 Neben der Arbeitsbeziehung hatte sich im Laufe der Jahre in diesem Fall auch ein persönliches, vielleicht sogar freundschaftliches Verhältnis entwickelt, was nicht nur durch die geistige Nähe, sondern ebenso durch gegenseitige private Besuche deutlich wurde. So machte Brandt mehrfach bei Harpprechts in Frankreich Urlaub – einmal sogar während seiner Bundeskanzlerzeit.134 Von der engen Beziehung profitierte nicht nur der Politiker Brandt sondern beide Seiten. Hier bot sich für Harpprecht als Journalist die Chance, nachhaltigeren Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen, als dies allein durch die journalistische Tätigkeit möglich gewesen wäre. Darüber hinaus bedeutete ein enges Verhältnis zu einem Spitzenpolitiker wie Willy Brandt auch den Zugang zu wichtigen Informationen und eine Bevorzugung bei der Vergabe von Interviewterminen usw. Brandt fand sich sogar einmal bereit, für ein Buch von Harpprecht zu werben. Als sich Klaus Harpprecht im Jahr 1970 kurzzeitig in einer beruflich unsicheren Situation befand – er hatte keine feste Anstellung mehr – konnte er sich an Mitarbeiter Brandts und an ihn persönlich mit der Bitte um Hilfe wenden.135
Conrad Ahlers Conrad Ahlers ist ein weiteres Beispiel für die Einbeziehung eines ehemaligen Journalisten in den Regierungsapparat. An seinem Fall wird besonders gut
—————— 131 Vgl. u.a. AdsD, SPD-PV, 14472, Schreiben vom 22. August 1972; Dep. Bahr, 58, Schreiben vom 17. August und 9. September 1968. 132 Vgl. Priva. Harpprecht, SPD, Schreiben vom 21. Dezember 1970. 133 Vgl. Harpprecht, Im Kanzleramt, S. 11. 134 Vgl. Brandt, Erinnerungen, S. 338. 135 Vgl. Priva. Harpprecht, Private Korrespondenz A-B ab 1963, Schreiben vom 8. Dezember 1964; Private Korrespondenz A-C ab 1966, Schreiben vom 9. Juli, 16. und 22. Juli 1970.
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deutlich, welche Probleme auftreten konnten, wenn ein Journalist in die Politik wechselte. Conrad Ahlers, geboren 1922 und im Jahr 1980 verstorben, studierte nach dem Zweiten Weltkrieg Volkswirtschaft und war Mitbegründer der Jungen Union in Hamburg.136 Dieses erste politische Engagement in der CDU bestimmte auch den Beginn seiner journalistischen und politischen Laufbahn. Durch den Journalisten und späteren Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Günter Diehl, kam Ahlers sowohl zum Journalismus als auch in die aktive Politik. Nach einem Jahr (1948/1949) beim Deutschen Dienst der BBC in London holte ihn Hans Zehrer zum evangelischen Sonntagsblatt. Anfang der fünfziger Jahre lernte Ahlers in Hamburg Herbert Wehner kennen – seine erste persönliche Beziehung zur deutschen Sozialdemokratie. Im Jahr 1951 wurde er durch die Vermittlung Günter Diehls Chef vom Dienst beim BPA. Ein Jahr später avancierte er zum Pressereferenten der Dienststelle Blank, dem späteren Bundesverteidigungsministerium. Nach diesem ersten Wechsel in die Politik folgte wieder eine längere journalistische Phase. Zunächst ging Ahlers 1954 als außenpolitischer Redakteur zur Welt unter Hans Zehrer, 1957 arbeitete er als Bonner Korrespondent des Spiegel, 1959 als innenpolitischer Redakteur der Frankfurter Rundschau und 1962 ging er dann als stellvertretender Chefredakteur zurück zum Spiegel, wo er bis zu seinem erneuten Wechsel in die Politik Ende 1966 blieb. Das häufige Hin und Her zwischen den verschiedenen Presseorganen war in den fünfziger und beginnenden sechziger Jahren unter Journalisten nicht unüblich. Auch die politische Linie der Springer-Presse und den anderen Zeitungen war bei weitem noch nicht so polarisiert wie am Ende der sechziger Jahre.137 Ein Schlüsselerlebnis, welches zur politischen Umorientierung von Ahlers beigetragen hat, war seine aktive Verwicklung in die Spiegel-Affäre.138 Er war der Autor des auslösenden Artikels »Bedingt abwehrbereit« und saß fast zwei Monate im Gefängnis. Seine herausragende Rolle in der Spiegel-Affäre verhalf ihm zu nationaler und internationaler Publizität. Nach Bildung der Großen Koalition holte ihn Herbert Wehner, zu dem der Kontakt nie abgebrochen war, als stellvertretenden Leiter des Presse und Informationsamtes der Bundesregierung nach Bonn, dessen Leiter er dann schließlich Ende Oktober 1969 wurde. In die SPD trat Ahlers im Jahr 1968 ein. Nach der Bundestagswahl 1972 wurde er nicht wieder in seinem Posten eingesetzt, er blieb jedoch weiterhin Bundestagsabgeordneter und setzte seine journalistische Arbeit fort.
—————— 136 Zum Lebenslauf von Ahlers vgl. Eintrag im Munzinger Archiv; Jacobi, Fremde, S. 156 ff.; der Nachlass von Conrad Ahlers ließ sich trotz diverser Bemühungen nicht auffinden; durch seinen frühen Tod existieren auch keine autobiographischen Aufzeichnungen. 137 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3 dieser Arbeit. 138 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.2 dieser Arbeit.
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Dass mit Conrad Ahlers während der ersten Kanzlerschaft Willy Brandts ein Journalist Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung wurde, welches dem Kanzler direkt unterstellt ist, ist für sich genommen kein bemerkenswerter Vorgang. Die meisten Regierungssprecher waren und sind ehemalige Journalisten.139 Interessanter ist, dass sich an Person und Amtsführung von Ahlers Kontroversen entzündeten: sie lassen erstens Rückschlüsse auf den politischen Stil Willy Brandts und seine Auffassung von einer angemessenen Informationspolitik zu. Zweitens verdichteten sich hier Probleme, die aus der Tatsache, dass relativ viele Journalisten zu den engsten Mitarbeitern des Bundeskanzlers zählten, resultierten. Drittens zeigte sich, dass die Personalpolitik Brandts nicht von der Mehrheit der SPD Führungsriege positiv bewertet wurde. Die Berufung Ahlers als stellvertretender Bundespressesprecher der Großen Koalition wurde von Herbert Wehner auch deshalb betrieben, weil er den Kritikern des Bündnisses in der SPD den Einzug Franz Josef Strauß’ in das Kabinett leichter machen wollte. Dies war ein geschickter Schachzug, der seine Wirkung nicht verfehlte und als Verhandlungserfolg der SPD verkauft wurde. Selbst Willy Brandt kolportierte diese Darstellung in seinen autobiographischen Aufzeichnungen: »Strauß’ Ernennung wurde übrigens, nicht ohne große Ironie, durch die Ernennung Conrad Ahlers zum Regierungssprecher ›kompensiert‹.«140 Chef von Ahlers war zunächst Karl-Günther von Hase und ab November 1967 sein langjähriger Freund Günter Diehl.141 Das Duo arbeitete gut zusammen, wobei es angesichts der problematischen politischen Konstellation in der Koalition immer wieder zu Konflikten zwischen den Pressesprechern und einzelnen Kabinettsmitgliedern kam.142 Die Arbeit von Conrad Ahlers zeichnete sich schon während der Zeit der Großen Koalition durch eine Amtsausübung aus, die zu Kontroversen führte. Er tat sich durch Journalistenschelte hervor, stand Bundeskanzler Kiesinger nahe und vertrat mit Nachdruck in einigen Fällen dessen Positionen. Die Standpunkte der SPD hingegen, von der er für dieses Amt benannt worden war, und ihre Regierungsmitglieder wurden von ihm nicht hinreichend in der Öffentlichkeit präsentiert143 – so lautete eine zeitgenössische Kritik außerhalb des SPD-PV.
—————— 139 140 141 142
Vgl. Walker, Presse- und Informationsamt, S. 138 ff. Brandt, Begegnungen und Einsichten, S. 176. Vgl. Diehl, Zwischen Politik und Presse, S. 395 ff. Angesichts seiner besonderen Nähe zu Bundeskanzler Kiesinger stand in der Öffentlichkeit und bei der SPD allerdings Günter Diehl, als Chef der Behörde, häufig in der Kritik und wurde sogar von Helmut Schmidt als »Oberbundeskanzler« betitelt. 143 Vgl. Der Spiegel vom 14. Oktober 1968.
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»Die Sozialdemokraten, die sich von Ahlers paritätische Mitbestimmung im Presseamt und wahldienliche PR-Arbeit für ihre Partei erhofft hatten, waren schon längst enttäuscht. Denn ›Conny‹, statt für Brandt und seine Mannschaft zu werben, ging ganz in Kanzler Kosmetik auf«,144
so der Spiegel. Es hagelte Protestbriefe an Ahlers aus der SPD-Zentrale, und vor allem bei seinem ehemaligen Förderer Herbert Wehner stieß sein Verhalten auf harsche Kritik.145 »[...] der stellvertretende Bundespressechef Conrad Ahlers hat sich dank regen Kontaktes zum Kanzler im Zentrum der Macht etabliert. Noch immer reiben sich in Bonn viele die Augen, in Augsteins einstigen Sozius heute einem Mann zu begegnen, der Staatsräson groß schreibt und gegenüber der Presse ohne Umschweife praktiziert. Immerhin muß Ahlers nach Meinung der SPD, die ihn als ihren Vertrauten ins Presseamt holte, jetzt schleunigst wieder etwas für seine Linksreputation tun«,146
höhnte die konservative Presse. An der hier hervorgehobenen »Staatsräson« hat es Ahlers allerdings während seiner Zeit als Sprecher der Bundesregierung (1969 bis 1972) des Öfteren gemangelt. Brandt hatte nach der Wahl 1969 kurzzeitig überlegt, Ahlers aus dem BPA zu entlassen, verwarf dann aber wieder diese Idee in Ermangelung eines anderen Kandidaten.147 Die dann erfolgte Berufung von Conrad Ahlers zum Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung blieb umstritten. Sein Stellvertreter wurde der FDP-Politiker Rüdiger von Wechmar, der nach der Bundestagswahl 1972 seine Nachfolge antrat. Je weiter sich Ahlers von seinem einstigen väterlichen Freund und Förderer Herbert Wehner entfernte, desto besser wurde das Verhältnis zu Willy Brandt, der ihn auch als Gesprächspartner schätzte. Er nahm bedingt durch sein Amt häufig an den täglichen Besprechungen im Kanzleramt, der so genannten »kleinen Lage«, teil und war bei vielen Treffen im Hause Brandt dabei.148 Ahlers war einer der eigenwilligsten Leiter des Bundespresseamtes in der Geschichte der Behörde. Er praktizierte eine recht großzügige Informationspolitik, was bei seinen ehemaligen Kollegen, den Journalisten, gut ankam und im Prinzip auch den Vorstellungen Willy Brandts entsprach. Die Konfliktfelder, die sich zwischen dem Bundeskanzler und der Regierung auf der einen und dem Bundespresseamt bzw. seinem Leiter auf der anderen Seite ergaben, resultierten aus den Kontroversen um die Amtsauffas-
—————— 144 145 146 147
Ebd. Vgl. dazu u.a. Jacobi, Fremde, S. 170. Christ und Welt vom 22. März 1968. Vgl. WBA, SPD-Parteivorsitzender, persönliche Korrespondenz, Mappe 4, Schreiben vom 7. Oktober 1969. 148 Vgl. u.a. Ehmke, Mittendrin, S. 196.
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sung von Ahlers und aus Kompetenzabgrenzungsproblemen des BPA zum Bundeskanzleramt. Die im Kanzleramt tätigen ehemaligen Journalisten betrieben oft ohne Absprache ihre eigene Informationspolitik. Des weiteren war der notwendige Informationsfluss zwischen Presseamt und Bundesregierung nicht immer gewährleistet. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Nach der Unterzeichnung des Vier-Mächteabkommens über Berlin am 3. September 1971 hatte der sowjetische Generalsekretär Leonid Breschnew Bundeskanzler Willy Brandt auf seinen Sommersitz nach Oreanda am Schwarzen Meer zu einem ausführlichen Gedankenaustausch eingeladen.149 Wenige Tage nach der Einladung, am 6. September 1971, wurde die überraschte bundesdeutsche Öffentlichkeit über die bevorstehende Reise des Bundeskanzlers informiert und zwar nicht durch das Bundespresseamt sondern durch das Bundeskanzleramt, ohne ersteres darüber in Kenntnis zu setzen. Dieser Affront bot den Anlass für eine grundsätzliche Beschwerde, die Rüdiger von Wechmar im Auftrag von Conrad Ahlers vorbrachte. Dort hieß es unter anderem: »Zu meinem großen Bedauern muß ich feststellen, daß weder Herr Ahlers noch ich rechtzeitig von dem gesamten Vorhaben unterrichtet worden sind, und daß wir beide keine Gelegenheit bekommen haben, vor der Veröffentlichung der Einladung und ihrer Annahme unseren Rat hinsichtlich der publizistischen Behandlung zu erteilen. Er hätte sicherlich anders gelautet als das eingeschlagene Verfahren. Dieser Vorgang berührt einen Punkt, der mich mit zunehmender Sorge bedrückt. Der Regierung wird nicht nur von der Opposition, sondern auch von Freunden in der Koalition noch immer vorgeworfen, daß sie es nicht verstehe ihre Politik richtig zu verkaufen. Dies ist für die damit (auch) beauftragten Sprecher aber nur möglich, wenn sie über alle wichtigen Vorgänge, Absichten und Denkmodelle der Regierung rechtzeitig und fortlaufend unterrichtet werden und somit Gelegenheit haben, nicht nur ihre eigene Meinung vorzutragen und Vorschläge für die publizistische Behandlung zu unterbreiten, sondern auch in die Lage versetzt werden, über die vorgegebene Atmosphäre und Stimmung bei Journalisten und in den Medien zu berichten. Der gegenwärtig geübte Abstimmungsprozeß zwischen der Exekutive, vor allem der Führungsspitze, und den Sprechern der Regierung erscheint mir im höchsten Grad verbesserungswürdig.«150
Dass es sich bei den Kommunikationsproblemen zwischen Kanzler- und Presseamt um ein Problem handelte, bei dem es um (Deutungs-)Macht, Einfluss und Misstrauen ging, wurde bereits einige Wochen nach der Eingabe von Wechmars nochmals deutlich. Nun beschwerte sich Ahlers persönlich beim Chef des Bundeskanzleramtes, Horst Ehmke:
—————— 149 Vgl. dazu ausführlich Merseburger, Willy Brandt, S. 620 ff. Die Einladung erfolgte, nachdem Egon Bahr durch seinen back channel nach Moskau angefragt hatte, ob Breschnew zu einem informellen Gespräch mit Brandt über Abrüstungsfragen bereit sei. Die Reise fand vom 16. bis 18. September 1971 statt. Die Aussprache der beiden Politiker dauerte dann über 16 Stunden. 150 AdsD, Dep. Ehmke, 1/HEAA, 297, Schreiben vom 8. September 1971.
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»Es ist mir in den letzen Tagen zweimal passiert, daß hohe Beamte des Bundeskanzleramtes mir mit dem Hinweis, sie seien dazu nicht ermächtigt, Auskünfte verweigert haben, die für meine Arbeit erforderlich sind. [...] Ich halte diese Art der Zusammenarbeit zwischen Kanzleramt und Presseamt nicht für zweckdienlich.«151
Es gab zwar immer wieder Ansätze, den Austausch zwischen Bundeskanzleramt, Bundespresseamt und Fraktion zu verbessern und damit auch die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung zu optimieren, etwa durch die Installierung einer Gruppe unter Beteiligung aller drei Organe zu Fragen der innenpolitischen Reformen.152 Dennoch wurde das benannte Kommunikationsproblem zwischen den Institutionen bzw. Personen während der Amtszeit von Ahlers nicht mehr behoben, da niemand bereit war, seine Kompetenzen einschränken zu lassen. Ein anderer Grund war, dass man seitens des Bundeskanzleramtes und anderer Ministerien häufiger schlechte Erfahrungen mit Ahlers gemacht hatte, da dieser einige Male vertrauliche Informationen ohne Rücksprache an die Presse weitergegeben hatte, was nicht gerade zu einem guten Verhältnis beitrug. Die ständigen Kontroversen, die bezeichnend für die Amtszeit von Ahlers waren, resultierten aus seiner Amtsführung und Amtsauffassung. Rein formal hatten und haben das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und sein Leiter drei Funktionen zu erfüllen:153 erstens eine rezeptive Funktion, das bedeutet, Bundeskanzler und Bundespräsident über die Nachrichtenlage, das Meinungsbild in den Medien sowie die »öffentliche Meinung«, ermittelt durch die Methoden der Demoskopie, regelmäßig und umfassend zu informieren; zweitens eine operativ-informationspolitische Funktion, was konkret heißt, die in- und ausländischen Medien sowie die Öffentlichkeit über die Politik der Bundesregierung in Kenntnis zu setzen; drittens eine koordinierende Funktion auf den Feldern Informationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit. Die Probleme mit Conrad Ahlers ergaben sich insbesondere durch die zweit genannte Funktion des Amtes. Ahlers wurde nicht müde zu betonen, dass er eben nicht ein reines Sprachrohr des Bundesregierung sei. Sogar im Bulletin des Bundespresseamtes machte er dies deutlich: »Es ist in der Tat unser Bestreben, als Regierungssprecher nicht nur objektiv zu erscheinen, sondern es auch zu sein. Es versteht sich von selbst, daß dieses Bestreben uns manchmal in
—————— 151 AdsD, Dep. Ehmke, 1/HEAA, 297, Schreiben vom 28. September 1971. 152 Vgl. BA-Koblenz, B 136, 3912, Schreiben vom 9. und 13. Juli 1970; AdsD, Dep. Ehmke, 1/HEAA, 392, Schreiben vom 19. Oktober 1970. 153 Vgl. Walker, Presse- und Informationsamt, S. 83.
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Konflikt bringt mit denjenigen unserer Arbeitgeber, die von uns mehr Parteilichkeit erwarten.«154
Zwar räumte er ein, dass die Wirksamkeit eines Regierungssprechers um so größer sei, je mehr er den Willen der Regierung zum Ausdruck bringe, gleichzeitig schränkte er diese Feststellung jedoch wieder ein: »Damit muß auch die Bereitschaft verbunden sein, sich unter Umständen von den Meinungen der Regierungsparteien abzusetzen. Wir bemühen uns darum, obwohl es deswegen [...] auch Konflikte geben kann.«155
Im Spiegel verkündete er, dass er sich »nicht zum Anhängsel der SPD-Baracke« machen lasse.156 Ahlers blieb seiner persönlichen Amtsauffassung treu, indem er vor allem seine eigene politische Meinung und Einschätzung der Lage in der Öffentlichkeit kundtat und sich weder von der SPD noch von der Regierung die Linie vorgeben ließ. Bundeskanzler und Bundesregierung hatten erste größere Probleme mit dem Bundespressesprecher im Frühjahr 1970, als Ahlers die Springer-Presse, vor allem die Bild-Zeitung, zum wiederholten Mal als »Kampfpresse« bezeichnete.157 Dies hatte er erstmals während seiner Amtszeit als stellvertretender Leiter der Behörde im Jahr 1968 getan. In der öffentlichen Auseinandersetzung, die auf die Entgleisung seines Regierungssprechers folgte, stellte sich Brandt hinter ihn und versuchte die Situation zu entschärfen, indem er sagte, dass Ahlers der »Gaul durchgegangen« sei, weil man ihm vorgeworfen hatte, dass er schwarze Listen über Journalisten führe.158 Dass sich Ahlers damals im Amt halten konnte, hing nicht zuletzt damit zusammen, dass niemand in der SPD Springer den Triumph bereiten wollte, zur Absetzung des Regierungssprechers maßgeblich beigetragen zu haben. Interne Kritik an Ahlers ließ allerdings nicht lange auf sich warten, weil man negative Auswirkungen auf das Bild der Regierung in der bundesdeutschen Öffentlichkeit befürchtete. Im Juli 1970 legte Egon Bahr dem Bundeskanzler ein Papier vor, in dem er die Schwächen der Öffentlichkeitsarbeit des BPA im Allgemeinen und seines Leiters im Besonderen auflistete. »Der zuweilen legere Ton des Regierungssprechers entspricht den Wünschen nach kollegialer Behandlung der Korrespondenten [...] er verletzt hingegen den Wunsch nach Autorität und Würde einer Regierung bei der Bevölkerung. [...] Der Verlust an Seriosität ist fast so schlimm wie der Verlust an Glaubwürdigkeit. Daraus folgert, dass der Regierungssprecher
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Ahlers, Aufgaben der Informationspolitik, S. 52. Ebd., S. 55. Vgl. Der Spiegel vom 6. Juli 1970. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.1 dieser Arbeit. Vgl. Merseburger, Willy Brandt, S. 637.
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im Ton seine Erklärungen und in der Art seines Auftretens etwas mehr auf Distanz gegenüber den Korrespondenten gehen sollte. Anders ausgedrückt: Da jeder Sprecher sich auf dem gefährlichen Feld zwischen Regierung und Journalisten befindet, sollte der jetzige etwas näher an der Regierung bleiben und in seinen Formulierungen stärker an Lieschen Müller denken als an die Zustimmung der Korrespondenten zu intellektuell gelungenen Formulierungen.«159
Strukturell lagen die Schwierigkeiten darin, dass Ahlers nicht bereit war, den Wechsel vom Journalismus in die Politik mit allen Konsequenzen, die dies mit sich bringen konnte, zu vollziehen. Er blieb mehr Journalist, als dass er Politiker wurde, und dies vertrug sich nicht immer mit seinem politischen Amt. Willy Brandt hielt sich zunächst mit der Kritik an Ahlers zurück, als dieser jedoch am 2. Oktober 1971 in einem Interview für den Süddeutschen Rundfunk zum wiederholten Male seine eigene Einschätzung der Lage kundtat, nahm der Bundeskanzler dies zum Anlass, die Arbeit seines Regierungssprechers umfassend zu kritisieren. »An Ihrer Loyalität mir gegenüber zu zweifeln, habe ich nie Grund gehabt, und Ihre besonderen Erfahrungen habe ich stets zu schätzen gewusst. Umso mehr tut es mir leid, dass sich in zunehmenden Maße Reibungsverluste, Kontaktlücken und Unsicherheiten ergeben haben, die der Arbeit abträglich sind.«160
In dem strittigen Interview hatte der Ahlers offen darüber spekuliert, ob im Fall einer Niederlage bei der Abstimmung über die Ostverträge im Bundestag der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellen und Neuwahlen ausschreiben werde. Eine solche Äußerung war in der wegen der Deutschland- und Ostpolitik politisch angespannten Situation mehr als schädlich für die Regierungskoalition. Brandt kritisierte vor allem, dass Ahlers bei Pressekonferenzen und zu anderen Gelegenheiten zu wenig die Meinung der Regierung und zuviel seine eigene kundtat und damit der Regierung mehr schadete als nutzte. »Meines Erachtens ist es ganz allgemein nicht zweckmässig, dass sich der Sprecher häufig in Interviews und Artikeln äussert und dabei in Gefahr gerät, die Regierungspolitik nicht nur zu interpretieren, sondern sie auch im Sinne eigener Vorstellungen ›anzureichern‹. [...] ein Teil der Beanstandungen [beruht, D.M.] auf dem Eindruck, dass Sie Ihre persönliche Beurteilung von Methodenfragen der Regierungspolitik und ihre subjektive Haltung zu einzelnen Inhalten mit in das einfliessen lassen, was Sie der Presse vermitteln. Dies ginge aber selbst dann nicht, wenn Sie im einzelnen Fall recht hätten. Der Sprecher der Bundesregierung muss nun einmal seine eigene Meinung [...] völlig zurückstellen und die Massnahmen der Regierung bzw. des Kanzlers gerade dann verständlich machen, wenn es unter Umständen gar nicht so einfach ist. [...] Sie haben nie ein Hehl daraus gemacht, dass Sie gegen Geheimniskrämerei
—————— 159 AdsD, Dep. Bahr, 343 B, Schreiben vom 15. Juli 1970. 160 Der Brief vom 4. Oktober 1971 ist als Dokument Nr. 56 abgedruckt in: von Kieseritzky, Mehr Demokratie wagen, S. 292-295, hier S. 292.
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sind und ein Höchstmass an Transparenz für sachlich geboten halten. Für diesen Standpunkt lässt sich viel ins Feld führen. Trotzdem müssen Sie sehen, dass manch der aufgetretenen Unsicherheiten mit der Ungeklärtheit dieser Frage zusammenhängen.«161
Des weiteren bemängelte Brandt, dass das BPA zuwenig für die innenpolitischen Reformen in der Öffentlichkeit werbe. Außerdem werde er nicht genügend durch das BPA informiert, und Ahlers begleite ihn nicht, wie eigentlich üblich für einen Regierungssprecher, auf seinen zahlreichen Reisen. Auch über die oben bereits erwähnte schlechte Koordination zwischen Kanzleramt und BPA beschwerte sich der Kanzler und führte sie vor allem auf Vertrauensbrüche seitens des Regierungssprechers zurück. Ahlers betonte in seinem Antwortschreiben, dass er in Zukunft für eine bessere Information und eine ständige Begleitung des Kanzlers auf Reisen sorgen werde und hielt sich in der Folgezeit etwas zurück.162 Seine grundsätzliche Einstellung zum Amt änderte er allerdings nicht. Mit Ausnahme von kleinen, eher allgemein gehaltenen Andeutungen wie von der »Geschwätzigkeit in Bonn«, wovon auch seine Regierung nicht ganz auszunehmen sei,163 kritisierte Brandt seinen Regierungssprecher allerdings nie öffentlich. Er schätzte Ahlers nicht nur als Menschen, sondern auch als Journalisten und Gesprächspartner. Auch seine etwas eigenwillige Art der Amtsführung gefiel ihm im Endeffekt. »Ahlers, war die [...] Art eigen, Können mit unkonventionellem Vorgehen zu verbinden«,164 schrieb er später über seinen Regierungssprecher. Brandt wollte an Ahlers festhalten und ihn in seinem zweiten Kabinett auf seinem Posten bestätigen.165 Diese Festlegung des Bundeskanzlers wurde von Herbert Wehner unterschlagen und fand keine Berücksichtigung, weil Brandt an den Koalitionsverhandlungen krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte.166 Wehner hatte sich bereits über die Arbeit von Ahlers in der Zeit der Großen Koalition beschwert, seit 1969 verschlechterte sich jedoch das Verhältnis der beiden stetig. Herbert Wehner kritisierte den Regierungssprecher nun auch im öffentlichen und halböffentlichen Raum. Auf dem SPD-Parteitag 1970 in Saarbrücken sah er in der schlechten Werbung für die inneren Reformen, für die der Leiter des BPA verantwortlich sei, den Grund für die bevorstehende
—————— 161 162 163 164 165
Ebd., S. 293 f. Vgl. WBA, Bundeskanzler, Mappe 1, Schreiben vom 4. Oktober 1971. Vgl. dazu Interview vom 13. Februar 1970 mit Werner Höfer für die Zeit. Brandt, Erinnerungen, S. 306. In seinem ausführlichen Vermerk »zur Regierungsbildung« vom 28. November 1972 stand explizit, dass er »wünsche«, Ahlers im Amt zu belassen. Der Vermerk ist als Dokument Nr. 83 abgedruckt in: von Kieseritzky, Mehr Demokratie wagen, S. 387-396, hier S. 389. 166 Vgl. dazu ausführlich Ebd, S. 62 ff.
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Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen. In den folgenden Jahren äußerte sich Wehner verschiedentlich vor Journalisten negativ über den Regierungssprecher. Im Juni 1972 erreichte dann die öffentliche Kritik Wehners an Ahlers ihren Höhepunkt. Auf einer größeren Veranstaltung des SPD-Bezirks-HessenSüd beschimpfte er die Leitung des Bundespresseamtes. Er mokierte sich über die »miese Art mit der Regierungssprecher X und Regierungssprecher Y die Regierungsarbeit verkaufen. Wenn die Herren so weitermachen wollen, dann müssen wir sie bitten, ihre Freundlichkeiten an anderer Stelle nutzbar zu machen.«167 Auch von dieser Kritik ließ sich Ahlers wenig beeindrucken; bei nächster Gelegenheit ging er vor Journalisten in die Offensive: »Herr Wehner war einmal ein bedeutender Mann. Heute schimpfte er nur noch herum«,168 so lautete die verbale Retourkutsche.
Günter Gaus Anders als Conrad Ahlers vollzog Günter Gaus seinen Wechsel in die Politik konsequenter. Er wusste durchaus zwischen den Anforderungen der beiden Sphären zu unterscheiden, ohne seinen journalistischen background zu verleugnen. Günter Gaus, 1929 geboren und 2004 gestorben, begann schon während seines Geschichts- und Germanistikstudiums in München mit einer journalistischen Laufbahn.169 Seit 1953 war er zunächst bei der Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung, von 1958 bis 1961 das erste Mal beim Spiegel tätig, von 1961 bis 1965 bei der Süddeutschen Zeitung und im April 1969 ging er erneut zum Spiegel, nun als dessen Chefredakteur. Das Amt gab er Ende März 1973 auf und wechselte in die Politik. Neben der Karriere als Pressejournalist machte er in den sechziger Jahren eine zweite als politischer Fernsehjournalist. In der Zeit von 1963 bis 1965 war er für das ZDF tätig, und im April 1965 wurde er Programmdirektor und stellvertretender Intendant des Südwestfunks. Seine bekannteste Sendung zunächst beim ZDF und seit 1966 bei der ARD war Zur Person – Porträts in Frage und Antwort, in der er im fernsehgerechten Interviewformat Prominente aus Politik, Kunst und Wissenschaft befragte. Die Sendung avancierte zu einer der populärsten Interviewreihen im Fernsehen der sechziger Jahre. Für zwei Porträts bekam Gaus dann auch den Grimme-Preis verlie-
—————— 167 Zitiert nach: Der Spiegel vom 12. Juni 1972. 168 Ebd. 169 Zum Lebenslauf von Gaus vgl. Eintrag im Munzinger Archiv.
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hen.170 In Spiegel-Fragemanier interviewte er sein prominentes Gegenüber. Günter Gaus selbst hat den Stil und damit das Erfolgsrezept seiner Sendung folgendermaßen charakterisiert: »Die Absicht bestimmt die Methode [...] Mein Partner soll nicht mit mir argumentieren, sondern von sich erzählen. Freilich nicht erzählen, was ihm von seinem öffentlichen Standort aus als legitime Eigenwerbung nützlich zu sein scheint, sondern – von meinen Fragen gesteuert – berichten über jene Partien seiner Biographie, in denen sein Lebenslauf ein Beispiel ist, wenn es darauf ankommt: ein Beispiel im Guten und im Bösen. [...] wenn das Porträt gelingen soll, so bedarf es nicht nur der Aufgeschlossenheit des Porträtierten, sondern auch des Publikums. [...] Glätte in den Formulierungen, Vorlieben für bestimmte Ausdrücke, hartnäckige Verteidigung in unwichtigen Punkten: dies alles kann ebenso bedeutsam sein [...] wie der Inhalt der jeweiligen Antworten.«171
Gaus gehörte in den sechziger und beginnenden siebziger Jahren zu den prominentesten politischen Journalisten der Bundesrepublik. Sein Wechsel in die Politik war, wie bei Harpprecht und anderen, auch eng mit der Person und Politik Willy Brandts verbunden. Gaus gehörte zu den entschiedenen journalistischen Wegbereitern und Unterstützern von Brandts Deutschlandund Ostpolitik. Im Juni 1973 wurde er zunächst Staatssekretär im Bundeskanzleramt und ab 1974 Leiter der ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin. Nach einem kurzen Zwischenspiel im Jahre 1981 als Berliner Wissenschaftssenator war Günter Gaus wieder journalistisch und publizistisch tätig und beriet den SPD-PV weiter in deutschland- und außenpolitischen Fragen. Mitglied der SPD wurde er erst 1976, trat aber im Jahr 2001 wieder aus der Partei aus. Gaus war Mitglied im engsten Kreis um Willy Brandt in dessen zweiter Amtszeit.172 Während der kurzen Phase vor dem Rücktritt des Bundeskanzlers gehörte er zu seinen Vertrauten, mit denen er in ständigem Austausch stand.173 Die Verbindung zwischen Gaus und Brandt existierte seit Beginn der sechziger Jahre. Sie beschränkte sich allerdings zunächst auf den üblichen Kontakt Brandts zu einem wichtigen Journalisten. Intensiviert wurde der Austausch und die Zusammenarbeit im Vorfeld und nach der Bundestagswahl 1969. Gaus hatte sich während des Wahlkampfes in der SWI engagiert und gehörte
—————— 170 Die Interviews mit Gustaf Gründgens und Hannah Arendt wurden ausgezeichnet; vgl. Zimmermann, Geschichte von Dokumentarfilm, S. 276. 171 Zitiert nach: ebd., S. 276 f. 172 Die autobiographischen Aufzeichnungen von Günter Gaus enden leider vor seiner Zeit bei Willy Brandt im Kanzleramt; vgl. Gaus, Widersprüche. 173 Vgl. Handschriftliche Aufzeichnung von Brandt über den »Fall Guillaume« vom 24. April bis 6. Mai 1974, als Dokument Nr. 104 abgedruckt in: von Kieseritzky, Mehr Demokratie wagen, S. 508-537, hier S. 511 f.; Schreiber, Kanzlersturz, 203 ff.; Merseburger, Willy Brandt, S. 664.
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mit zu den Journalisten, die einen Regierungswechsel publizistisch mit Nachdruck unterstützten. Brandt dankte ihm nicht nur persönlich für seine Hilfe, sondern er wünschte auch, dass »der politische Kontakt möglichst eng bleibt« und daraus »in einer weiteren Entwicklung auch eine arbeitsmässige Verzahnung werden könnte«.174 Gaus erklärte sich gerne zu einer Beratung und Unterstützung bereit und hob hervor, dass er die Idee von Brandt schätze, sich Rat von außerhalb zu holen: »Unserem letzen Gespräch vor der Wahl habe ich entnommen, daß Sie an der Aufrechterhaltung von Kontakten zu Leuten außerhalb des Regierungsapparates – gerade auch nach der Wahl – für wichtig und wünschenswert ansehen. Sie wissen besser als ich, daß Ihre Vorgänger Erhard und Kiesinger zwar stets solche Vorsätze hatten, nicht aber die Fähigkeiten, sie auszuführen. Bei Ihnen, wenn Sie mir dies zu sagen erlauben, ist das anders: An einer Bereitschaft und Fähigkeit, den Nutzen solcher Kontakte zu erkennen und entsprechend zu verwenden gibt es keinen Zweifel. Wohl aber wird es für Sie nun darauf ankommen, sich innerhalb des gewiß noch gedrängter werdenden Terminkalenders und der Anforderungen des Apparates den Platz für solche Gespräche offen zu halten. Wenn ich Ihnen dabei behilflich sein kann, lassen Sie es mich wissen.«175
In der Folgezeit war Gaus dann beratend für Brandt und die SPD tätig – dies betraf vor allem die Medienpolitik. So bat ihn der Bundeskanzler um die Ausarbeitung einer ausführlichen Stellungnahme zur weiteren Entwicklung des Fernsehens sowie zu »kommunikationspolitischen Maßnahmen« im Allgemeinen.176 Außerdem riet Gaus dem Kanzler auch schon mal, das eine oder andere Themenfeld besser für sich zu besetzen.177 Darüber hinaus gab es mehrere Versuche, bevor Gaus im Jahr 1973 in die Politik wechselte, ihn als Mitarbeiter zu gewinnen. Dreimal war er als Regierungssprecher im Kabinett Brandt im Gespräch, davon in zwei Fällen, um Conrad Ahlers abzulösen. Einen Tag vor der Wahl im Jahr 1969 hatte Brandt Gaus gefragt, ob er sich vorstellen könne, Bundespressechef zu werden.178 Dass er es dann doch nicht wurde hatte parteiinterne Gründe. Brandt schrieb dazu an Günter Gaus, dass er »bei Unterhaltungen nach der Wahlnacht rasch zu dem Ergebnis kam, Conny Ahlers nicht aus dem BPA herauszunehmen. [...] Dieser Meinung war auch Herbert Wehner.«179
—————— 174 WBA, SPD-Parteivorsitzender, persönliche Korrespondenz, Mappe 4, Schreiben vom 7. Oktober 1969. 175 WBA, Bundesaußenminister, allgemeine Korrespondenz, Mappe 4, Schreiben vom Oktober 1969, o.D. 176Vgl. AdsD, Dep. Ehmke, 1/HEAA 220, Schreiben vom 12. März 1970. 177 Vgl. AdsD, Dep. Ehmke, 1/HEAA 220, Schreiben vom 5. März 1970. 178 Vgl. WBA, SPD-Parteivorsitzender, persönliche Korrespondenz, Mappe 4, Schreiben vom 7. Oktober 1969. 179 Ebd.
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Nach der Bundestagswahl 1972 scheiterte die Berufung von Gaus dann daran, dass Rudolf Augstein ihn nicht als Chefredakteur des Spiegels gehen lassen wollte, da er selbst in die Bonner Politik gewechselt war.180 Das letzte Mal sollte Gaus Regierungssprecher werden, als Brandt im April 1974 eine Kabinettsumbildung plante,181 die dann durch dessen Rücktritt nicht mehr realisiert wurde. Gaus bewahrte bei aller Begeisterung und positiver Bewertung von Person und Politik Brandts immer auch eine gewisse Distanz und scheute sich nicht, mit Nachdruck Kritik zu äußern, sei es als Journalist, als Berater oder Mitarbeiter. Besonders während der ersten Kanzlerschaft Brandts, als viele seiner Kollegen aus der großen Begeisterung heraus zeitweise ihre Kritikfähigkeit verloren zu haben schienen, hielt sich Gaus nicht – oft zur Enttäuschung des Bundeskanzlers – mit öffentlicher und interner Kritik zurück. 1971 betitelte er ihn – wie ja bereits an anderer Stelle ausführlich dargelegt – im Spiegel als »Teilkanzler« und monierte damit sein vermeintlich mangelndes Engagement in Fragen der innenpolitischen Reformen.182 Er attestierte ihm Führungsschwäche bei Personalfragen183 und äußerte sich negativ über das erste »Küchenkabinett« des Kanzlers,184 das zuviel Einfluss habe und »über jedes herkömmliche Maß hinaus institutionalisiert« werde.185 Als Gaus dann selber dem »Küchenkabinett« angehörte, war derartiges nicht mehr zu hören. Das offene Wort und die ehrlich gemeinte Kritik waren es nicht zuletzt, die Brandt neben den intellektuellen, journalistischen und politischen Qualitäten an Gaus schätzte.
5.3 Zusammenfassung Journalisten als Politiker und politische Berater sind ein Phänomen, das bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Auch in der Geschichte der Bundesrepublik war und ist es übliche Praxis, dass einzelne Journalisten ganz oder zeitweise in die Politik wechseln. Auffällig war bei Willy Brandt, dass Journalisten sogar in seinem engsten politischen Umfeld überwogen. Auf diese Weise erhielten sie Einfluss auf die Politik und prägten vor allem den politischen Stil einer Ära
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Vgl. dazu Merseburger, Willy Brandt, S. 661. Vgl. Ebd., S. 720; Bahr, Zu meiner Zeit, S. 458. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.2 dieser Arbeit. Vgl. Merseburger, Willy Brandt, S. 598. Gemeint sind Brandts engste Mitarbeiter u.a. Horst Ehmke und Egon Bahr. Vgl. Schreiber, Kanzlersturz, S. 101.
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mit. Nicht nur der auf Diskussion ausgelegte Arbeitsstil Willy Brandts stieß in Journalistenkreisen auf positive Resonanz, die Journalisten in seiner Umgebung beeinflussten auch das öffentliche Erscheinungsbild des Regierenden Bürgermeisters, Außenministers oder Bundeskanzlers sowie seiner Regierung. Sie beförderten die Nähe Brandts zu den Medien, die relativ großzügige Informationspolitik sowie die mediengerechte Präsentation von Politik und Politiker. Dabei waren die Ansprüche, Ziele und Vorstellungen von Willy Brandt und seinen journalistischen Mitarbeitern bzw. Beratern sehr ähnlich und teilweise deckungsgleich. Durch ihre beratende Funktion hatten die Medienleute, sei es durch die SWI, als Einzelpersonen oder in den genannten Journalistenkreisen – sowie am stärksten jedoch als Mitarbeiter, in vielen Fällen einen doppelten Einfluss auf die politische Entwicklung: zum einen durch ihre politische Berichterstattung, zum anderen durch die politische Diskussion sowie ihre Vorschläge für konkrete politische Vorhaben und Ideen für Zukunftsentwürfe. Auf diese Weise haben nicht wenige Journalisten, die jahrelang Willy Brandt beratend zur Seite standen, wie am Beispiel von Egon Bahr oder Klaus Harpprecht illustriert wurde, zu einem nicht unerheblichen Teil die Politik der SPD und der Bundesregierung mitbestimmt. Diese Entwicklung fand ihren Höhepunkt in der Zeit zwischen 1969 und 1974. Die Kehrseite für den Politiker Brandt lag zum einen darin, dass es sich bei den ihn umgebenden Journalisten um recht eigenwillige Persönlichkeiten handelte, die sich den politischen Erfordernissen schwer unterordneten, die eigenen Befindlichkeiten bisweilen in den Vordergrund stellten, untereinander oft in Konkurrenz standen oder sich gegenseitig nicht leiden konnten, wie beispielsweise Günter Gaus und Klaus Harpprecht.186 All dies führte nicht selten zu innerparteilichen oder koalitionsinternen Konflikten und wurde Brandt häufig als Führungsschwäche ausgelegt, was im Falle von Conrad Ahlers auch seine Berechtigung hatte. Außerdem entstanden negative Folgen für die Regierung und ihre Politik aus Indiskretionen und einer allzu großzügigen Informationspolitik, wie wiederum am Beispiel des Regierungssprechers Conrad Ahlers und seiner Amtsführung besonders signifikant zutage trat. Für die Bürger und Bürgerinnen hatte die praktizierte großzügige Informationspolitik unter Umständen ebenfalls ambivalente Folgen. Auf der einen Seite eröffnete sich die Möglichkeit, dass politische Vorgänge transparenter und damit besser nachvollziehbar wurden, was ein Gefühl der direkten Partizipation an den Entscheidungsprozessen erzeugen und die Identifikation mit der Demokratie, der Politik und dem politischen Handeln erhöhen konnte. Auf der anderen Seite
—————— 186 Vgl. dazu u.a. Merseburger, Willy Brandt, S. 665.
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konnte es aber durch einen Überfluss an zum Teil widersprüchlichen politischen Informationen auch zu Desinformation und Desorientierung kommen. Das Engagement von Journalisten, anderen Prominenten sowie Bürgern und Bürgerinnen in großer Zahl für einen Politiker und seine Partei, ohne selbst in die Politik zu gehen oder in eine Partei einzutreten, ist allerdings eine auf die Ära Brandt beschränkte Erscheinung. Es war das Kennzeichen für eine zunehmende Demokratisierung und Politisierung der bundesdeutschen Gesellschaft und dem Bedürfnis geschuldet, sich als »mündige Bürger« aktiv in das politische Geschehen einzumischen. Dies war ein erklärtes Ziel der Regierung Brandt. Das Motto »mehr Demokratie wagen« sollte jenseits der innenpolitischen Reformvorhaben auch ein mehr an Partizipation am politischen Prozess für die Bürger und Bürgerinnen bedeuten: »Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Wir werden darauf hinwirken, daß nicht nur Anhörungen im Bundestag, sondern auch durch ständige Fühlungnahme mit den repräsentativen Gruppen unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an den Reformen von Staat und Gesellschaft mitzuwirken.«187
So hieß es in der Regierungserklärung vom Oktober 1969. Die Aufforderung zur aktiven politischen Teilhabe wurde von großen Teilen der Bevölkerung – auch jenseits der Studentenbewegung – wahrgenommen. Dass auch Journalisten in dieser Form politisch aktiv wurden, ist ein weiteres Indiz für die schon mehrfach festgestellte Politisierung der Medienmacher und ihrer Produkte seit Ende der sechziger Jahre sowie den hohen Identifikationsgrad, der während der ersten Kanzlerschaft Brandts zwischen einem Teil der bundesdeutschen Journalisten mit Person und Politik Willy Brandts bestand. Dadurch wurde allerdings nicht selten der Abstand zwischen der journalistischen und der politischen Sphäre, der für eine politische Berichterstattung wünschenswert ist, aufgehoben.
—————— 187 Regierungserklärung 1969, S. 69.
6. Werbestrategien und Öffentlichkeitsarbeit: Die Wahlkämpfe von 1953 bis 1972
In den fünfziger und sechziger Jahren durchlebte die Wahlkampfkultur der Bundesrepublik einen entscheidenden Wandlungsprozess. Dieser zeichnete sich durch eine verstärkte Personalisierung, die Zunahme der »Macht der Medien« für die politische Meinungsbildung und eine nachhaltige Politisierung des öffentlichen Raumes seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre aus. In diesem Zusammenhang wird in der Forschung allgemein von einer »Amerikanisierung« der Wahlkampfkultur in der Bundesrepublik gesprochen.1 Der Begriff »Amerikanisierung« wird in der Regel als der »komplexe Prozess der vergleichsweise konkreten Transformation einer Gesellschaft in wirtschaftlicher und soziokultureller Hinsicht« durch die Aufnahme von Impulsen aus den USA in einem anderen Land, die in klar erkennbarer Form dort Veränderungen hervorrufen, verstanden.2 In Bezug auf die Wahlkämpfe gibt es spezifische Merkmale, die eine »Amerikanisierung« der Kampagnen kennzeichnen:3 Am wichtigsten ist die Personalisierung, wobei Personen und weniger Sachthemen von Bedeutung sind. Der Spitzenkandidat, seine politische Kompetenz und persönliche Integrität stehen im Mittelpunkt der Wahlkampagnen. Zur Personalisierung von Politik gehört auch die positive Selbstdarstellung des Kandidaten sowie die »Vermenschlichung« der politischen Akteure durch Einbeziehung der privaten Sphäre in das Werbekonzept.4 Zwei weitere Merkmale von »amerikanisierten« Wahlkämpfen sind der Kandidaten-Wettstreit und das negative campaigning. Beides kann auch im weiteren Sinne unter Personalisierung subsumiert werden. Das negative campaigning bezieht sich vor allem darauf, den Spitzenkandidaten der Gegenpartei zu diskreditieren. Ein weiteres Kennzei-
—————— 1 Vgl. u.a. Kepplinger, Demontage. 2 Vgl. Doering-Manteuffel, Westernisierung, S. 313. Zur Frage der »Amerikanisierung« allgemein vgl. u.a. Jarausch/Siegrist, Amerikanisierung und Sowjetiserung; Lüdtke/Marßolek/von Saldern, Amerikanisierung; Doering-Manteuffel, Wie westlich. 3 Vgl. Schulz, Politische Kommunikation, S. 186 f. 4 Vgl. Sarcinelli, Symbolische Politik, S. 175 f.
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chen von »Amerikanisierung« ist die Professionalisierung des Wahlkampfes, das heißt die Planung der Kampagne wird von Fachleuten wie Meinungsforschern, Werbeagenturen und wissenschaftlichen Politstrategen durchgeführt. Gleiches gilt für die Planung der Wahlkämpfe nach dem Vorbild von kommerziellen Werbekampagnen, dem so genannten Marketing-Ansatz, sowie für das Ereignis- und Themenmanagement, welches der Werbekampagne eine politische Kampagne hinzufügt. Konkret heißt dies, dass durch die mediengerechte Gestaltung von politischem Handeln die Medienberichterstattung beeinflusst werden soll. Ziel ist es, eine möglichst große und umfassende positive Medienresonanz zu erreichen Es wird zu fragen sein, ob für die Beschreibung der Veränderung der Werbekonzepte der Parteien in den fünfziger und sechziger Jahren in der Bundesrepublik das Konzept einer »Amerikanisierung« greift, welche konkreten amerikanischen Einflüsse auf die Präsentation deutscher Politik sich vor allem in Wahlkampfzeiten finden lassen sowie wo und warum es Grenzen der Adaption amerikanischer Wahlkampfkonzepte gab. Die Veränderungen in der Wahlkampfkultur in Form und Inhalt sollen im Folgenden anhand der Wahlkämpfe von den fünfziger bis Anfang der siebziger Jahre, mit einem Schwerpunkt auf die Zeit von 1961 bis 1972, nachvollzogen werden. Dabei liegt die Hypothese zugrunde, dass die SPD unter maßgeblichem Einfluss von Willy Brandt und seinen Mitarbeitern bis zum Ende der sechziger Jahre einen eigenen, neuen Wahlkampfstil entwickelte, der über die Parteigrenzen hinweg nachhaltige Auswirkungen auf die Wahlkampfkultur in der Bundesrepublik hatte. War es in den fünfziger Jahren die CDU, die die Wahlkämpfe modernisierte, waren die sechziger Jahre bei der Union auf diesem Feld eher durch Stagnation geprägt. Demgegenüber spielte die SPD in der zweiten Nachkriegsdekade auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle.
6.1 Wahlkämpfe in den fünfziger Jahren: Zwischen Tradition und Moderne Seit Bestehen der Bundesrepublik wurden die Wahlkämpfe von den beiden großen Parteien CDU und SPD in sehr unterschiedlicher Weise geführt. Dies betraf sowohl die Inhalte als auch die Form der Präsentation von Politik und Personen. In den fünfziger Jahren war es vor allem die Adenauer-CDU, die sich schon früh »moderner« Wahlkampfformen bediente. Damit sind vor allem die Übernahme wesentlicher Aspekte amerikanischer Wahlkämpfe – wie oben aufgelistet – gemeint: die Nutzung der Methoden der Meinungsforschung, die
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Zusammenarbeit mit professionellen Werbeagenturen, die starke Personalisierung der Kampagnen, die Rundreisen des Kandidaten und der Versuch, unterhaltende Elemente zu integrieren. Die ersten Ansätze in diese Richtung lassen sich bereits im Wahlkampf des Jahres 1953 finden.
Der CDU-Wahlkampf 1953: Deutschland wählt Adenauer Die CDU versuchte, ihre in Umfragen vorausgesagte Niederlage5 durch einen gezielt inszenierten Wahlkampf zu verhindern. Federführend waren dabei der damalige Staatssekretär im Kanzleramt, Otto Lenz, und der erste Bundesgeschäftsführer der CDU, Bruno Heck. Damals wurde der Wahlkampf der CDU noch nicht von einer Werbeagentur ausgearbeitet, sondern von einer kleinen Gruppe, die aus dem geschäftsführenden Vorstand der Partei in Zusammenarbeit mit dem Bundespresseamt und dem Pressechef Felix von Eckhardt sowie seinem Stellvertreter Werner Krüger bestand. Der Apparat des BPA wurde von der CDU ausgiebig für Wahlkampfzwecke genutzt. Das Amt war auch die maßgebliche Stelle für die Kontakte zu Presse und Rundfunk.6 Die Bundesgeschäftsstelle der CDU diente als Organisationsgremium sowie Wahlkampfzentrale.7 Bereits im Sommer 1952 wurden erste Vorbereitungen für den Wahlkampf getroffen, und man einigte sich darauf, dass Versprechen von wirtschaftlichen Vergünstigungen für die Bevölkerung, die Erfolge der Bundesregierung sowie die Person Konrad Adenauers im Mittelpunkt stehen sollten. »Wir müssen uns ferner darüber klar sein, dass man die ganze Wahlkampagne, wenn man auf die breite Masse wirklich Einfluss ausüben will, unter starken emotionalen Geschichtspunkten führen müsste«,8 so Otto Lenz an Adenauer im August 1952. Mit dem Konzept einer emotionalen Ansprache der »breiten Masse« wurden Erkenntnisse aus der modernen Konsumwerbung in die Wahlwerbung übertragen. Neben den traditionellen Wahlkampfmitteln wie Plakat, Flugblatt, Wahlillustrierte und Zeitungsanzeigen zog man auch das neue Medium Fernsehen und im Besonderen die Filmwerbung in Betracht.9 Im Gegensatz zu 1949 gab es drei Neuerungen: die starke Ausrichtung des Wahlkampfes auf den Bundeskanzler und dessen Reise im Sonderzug durch
—————— 5 Im März 1953 hatte Allensbach ermittelt, dass die CDU nur 33 Prozent der Stimmen erzielen und damit mit drei Prozentpunkten hinter der SPD zurückliegen würde. Vgl. Bösch, AdenauerCDU, S. 151. 6 Vgl. u.a. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 91. 7 Vgl. Kapitel 2.1 dieser Arbeit und Kleinmann, Geschichte der CDU, S. 134 f. 8 ACDP, I-172, 58/2. 9 Vgl. ACDP, I-172, 58/2.
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die Republik, von der ständig berichtet wurde. Außerdem wurde die so genannte Mobilwerbung entwickelt, eine Einrichtung, die mit Wahlkampffilmen über Land zog und dabei sehr erfolgreich operierte.10 Die Plakate waren zum einen personenbezogen – »Deutschland wählt Adenauer« – zum anderen waren sie thematisch auf die Beschwörung der Gefahr durch Sozialismus und Sowjetherrschaft ausgerichtet – »Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau. Darum CDU«.11 Im Bereich der Filmwerbung wurde noch mit sehr einfachen Mitteln gearbeitet. So versorgte die Bundespartei ihre Untergliederungen wegen fehlender Filmwagen mit Lautsprecheranlagen, die auf einem Volkswagen montiert werden konnten, und mit Filmvorführgeräten.12 Zusätzlich warb die CDU in Kinos, besonders im Rahmen der Wochenschauen, für ihre Politik. Die Wochenschauen spielten in den fünfziger Jahren eine wichtige Rolle als Informationsmedium. Adenauer bauten seine Beratern als »Wochenschau-Politstar« auf, in dem er so oft wie irgend möglich werbewirksam ins Bild gesetzt wurde: als Privatmann in Cadenabbia genauso wie als Bundeskanzler im In- und Ausland.13 Das Bundespresseamt gab ebenfalls Filme heraus, die primär der Wahlwerbung für die Regierung dienten. So berichtete das Filmreferat im BPA im September 1953 dem Bundeskanzler: »Aus dieser [beiliegenden, D.M.] Aufstellung geht hervor, daß in Zusammenarbeit mit anderen Ressorts 14 staatsbürgerliche Filme geschaffen wurden mit insgesamt 1334 Kopien. Diese Kopien werden seit einigen Wochen in durchschnittlich 1640 Vorstellungen wöchentlich gezeigt. Bis zum 15. August dürften rund 10 Millionen Zuschauer die Filme gesehen haben.«14
Auf diese Art und Weise erfolgte durch scheinbar »unparteiische« Filme eine indirekte Wahlwerbung für die CDU vor einem massenhaften Publikum. Auch der Rundfunk wurde mit Hilfe des Bundespresseamtes intensiv für die Werbung in Sachen Bundesregierung und Wahlkampf genutzt, so zum Beispiel
—————— 10 Vgl. ACDP, VII-003, 2/1; I-172, 48/3. 11 Langguth, Politik, S. 87 ff. 12 Den Landesverbänden wurden 290 Tonbänder und 649 Filmkopien zugeteilt. Bei den Tonbändern handelte es sich um 90 Bänder mit Kurzreden, 100 Bänder mit Musik und Wahlparolen gemischt sowie 100 Bänder, die »Wahlpropaganda mit Schlagern vermischt[en]«. Es gab insgesamt sieben unterschiedliche Filme mit Titeln wie »Der Weg nach oben«, »Ein Mann wirbt für sein Volk«, »Damals und heute« sowie »Der 17. Juni 1953«; ACDP, VII-0003, 2/1. 13 Schwarz, Wochenschau, S. 352 ff. 14 BA-Koblenz, B 145, Nr. 240. Die Filme hatten die Amerikareise Adenauers (»Ein Mann fürs Volk«), den 17. Juni, den Wiederaufbau sowie die Deutschland- und Außenpolitik zum Thema.
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durch die regelmäßig ausgestrahlte Sendung Fragen Sie die Bundesregierung.15 Darüber hinaus hatte die CDU im Rundfunk 100 Sendungen mit einer Gesamtsendezeit von 12 Stunden und 42 Minuten in eigener Sache zur Verfügung.16 Im Vergleich dazu spielte das Fernsehen 1953 angesichts der geringen Zuschauerzahlen noch keine große Rolle, lediglich zwei Wahlsendungen wurden von der CDU bestritten. Das Fehlen einer parteieigenen Presse17 wollte die Union durch die Einrichtung von Pressebüros auf Landesebene sowie durch spezielle Pressedienste für Heimat- und Regionalzeitungen ausgleichen. Hinzu kamen Anzeigenkampagnen der »Waage«18, der »Werbegemeinschaft für soziale Marktwirtschaft« und der »Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise« (ADK)19, die zur Wahl der Christdemokraten aufriefen. Die Partei konnte auch mit einer positiven Berichterstattung ihrer partei-nahen Presse rechnen.20 Um neue Wählerschichten, vor allem in den der CDU kritisch gegenüber stehenden protestantischen Gebieten der Bundesrepublik zu gewinnen, wurden gezielt Auftritte mit führenden Repräsentanten in diesen Gegenden geplant und sorgfältig inszeniert. Zu nennen sind hier unter anderem die Treffen mit dem Oberhaupt des Welfenhauses, Ernst-August von Hannover, sowie mit dem Enkel Bismarcks, verbunden mit einer Kranzniederlegung am Grab des Reichskanzlers in Friedrichsruh.21 Auch über die methodische Grundlage der Kampagne machten sich die Verantwortlichen Gedanken. Sie erwogen die Nutzung der »massenpsychologischen Lage«, verwarfen diese Idee dann aber wegen »zu großer theoretischer Unsicherheiten«. Allerdings wurden die vom Bundespresseamt (!) in Auftrag gegebenen Meinungsumfragen ausgiebig analysiert, um darüber informiert zu sein, »welche Meinungen das Volk über all die Fragen habe, die eventuell im Wahlkampf an Bedeutung gewinnen könnten«22. Das Vertrauen der Parteien in Meinungsumfragen war im Untersuchungszeitraum sehr groß, sie wurden ständig weiter ausgedehnt und immer mehr zur Grundlage der politischen Werbung.23
—————— 15 Durch diese Sendungen konnten ca. »5 Millionen Hörer« erreicht werden; vgl. dazu ausführlich Kapitel 2.1 dieser Arbeit. 16 Vgl. ACDP, VIII-003, 2/1, Bericht vom Dezember 1953. 17 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 2.1 dieser Arbeit. 18 Vgl. Schindelbeck/Ilgen, »Haste was, biste was!«. 19 Vgl. Recker, Wahlen und Wahlkämpfe, S. 300. 20 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 2.1 dieser Arbeit und Münkel, Beziehungsgeflecht. 21 Vgl. Bösch, Adenauer-CDU, S.150 f. 22 ACDP, VII-003, 2/1. 23 Heute ist die Problematik von Meinungsumfragen bekannt. Besonders was die Fragen der Repräsentativität und der Begriffsvorgaben betrifft.
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Eine retrospektive Analyse des CDU-Wahlkampfes vom Dezember 1953 hob die Wirksamkeit »moderner« Methoden der Wahlkampfwerbung hervor und stellte fest, dass sogar »ein Amerikaner, der den Wahlkampf in der Bundesrepublik zu beobachten hatte, erklärte [...], dass die CDU mit Abstand den intensivsten und besten Wahlkampf von allen Parteien geführt habe«.24 Das Zustandekommen des guten Wahlergebnisses von 45,2 Prozent wurde zusätzlich durch »Steuergeschenke« unter anderem in Form einer »kleinen Steuerreform«, wie der Senkung der Kaffee-, Tee- und Tabaksteuer, im Vorfeld der Wahl begünstigt. Der Aufstand des 17. Juni 1953 und dessen gewaltsame Niederschlagung in der DDR führten zu einer großen Verunsicherung auch unter der westdeutschen Bevölkerung und trugen maßgeblich zum Wahlsieg der CDU bei.25 In diesem Zusammenhang fielen Werbeaussagen der CDU, die die SPD als totalitäre Partei im Stil der SED darstellten, auf besonders fruchtbaren Boden. Der außenpolitische Kurs der Bundesregierung schien sich als richtig zu bestätigen. Auch die sorgfältig geplante USA-Reise des Kanzlers im Frühjahr 1953, an der ausgesuchte Journalisten teilnahmen, spielte eine wichtige Rolle für den Ausgang der Wahl. Die Reise demonstrierte sowohl die Anerkennung der Bundesregierung bzw. Adenauers in den USA – »Wir sind wieder wer - auch im Ausland« – als auch das klare Bekenntnis zur Westbindung der jungen Bundesrepublik. Der Staatsbesuch wurde in einem Film zu Wahlkampfzwecken dokumentiert und in einer parteiinternen Analyse des Wahlausgangs hieß es, dass der eigentliche Stimmungsumschwung zu Gunsten der Union »in erster Linie die Amerikareise des Bundeskanzlers gewesen«26 sei.
Der CDU-Wahlkampf 1957: Keine Experimente Die nächste Bundestagswahl des Jahres 1957 wurde dann von der CDU noch stärker als schon vier Jahre zuvor an amerikanischen Vorbildern ausgerichtet. War die Kampagne 1953 eine Art »Probe«, sollte 1957 die »Premiere« stattfinden. Die Partei schickte Beobachter in die USA, aber auch die englischen Wahlkämpfe wurden auf brauchbare Elemente hin überprüft.27 Wesentlich stärker noch als 1953 stand der Bundeskanzler im Mittelpunkt der CDU-
—————— 24 ACDP, VII-003, 2/1. 25 Zur Bedeutung des 17. Juni im Wahlkampf vgl. ausführlich Wolfrum, Geschichtspolitik, S. 106 ff. 26 ACDP, VIII-003, 2/1, Bericht vom Dezember 1953. 27 Interview mit Klaus Otto Skibowski, Wahlkampforganisator der CDU bis 1961, vom 25. Juli 2000.
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Kampagne. Das größte Problem für die Wahlkampfmacher war, den alten Adenauer, der mittlerweile 81 Jahre alt war, möglichst dynamisch und jung erscheinen zu lassen. Aus diesem Grund wurden auf den Wahlplakaten der CDU keine Photos der Kandidaten, sondern gemalte Porträts abgebildet. Auch im Jahre 1957 war die Demoskopie wieder grundlegend für die Strategie der CDU-Kampagne. Was die Organisation anbetrifft, so wurde erstmals die Werbeagentur Hegemann28 zu Rate gezogen. Die Geschäftsstelle der CDU spielte eine untergeordnete Rolle, die Organisatoren waren sowohl personell als auch örtlich von der Parteizentrale separiert. Abermals war das Bundespresseamt von zentraler Bedeutung für den Wahlkampf der Regierungspartei. So wurde ein Teil der Kosten vom Presseamt übernommen, zum Beispiel wurden aus dem »Titel 300« die Wahlkampforganisatoren der CDU bezahlt und eine spezielle Wahlkampf-Illustrierte mit dem Titel Bleib im Bild herausgegeben. Darüber hinaus erhielt die ADK seit 1956 Mittel für ihre Publikationen.29 Auch ein Großteil der Medienkontakte wurde über die Bundesbehörde organisiert. Anders als 1953 konnte die CDU mit einem großen demoskopischen Vorsprung in den Wahlkampf gehen, was ihre Ausgangssituation erleichterte. Hinzu kam die große Popularität des Bundeskanzlers.30 Nicht zuletzt deshalb lag der Schwerpunkt der Wahlkampfkonzeption der CDU bei der Person Adenauers, was sich auch in dem zentralen Slogan »Adenauer – Keine Experimente« ausdrückte. Die Plakate – immer noch eines der wichtigsten Werbemittel – zeigten dann vor allem die gemalten Porträts von Adenauer und seinen Mitstreitern. Zur direkten Ansprache der Wähler und Wählerinnen versandte die CDU mehrfach Briefe des Parteivorsitzenden.31 Wiederum spielten Anzeigen in Zeitungen und Illustrierten eine große Rolle. Diesmal wurde verstärkt auf Zielgruppenanzeigen gesetzt und speziell für die Boulevardpresse einzelne Anzeigen im Comicformat entworfen.32 Beides lässt sich auf angloamerikanische Vorbilder zurückführen. Politik als Comic zu vermarkten, war in der Bundesrepublik gänzlich neu. Die CDU gab 1957 auch Wahlbroschüren als Comics heraus, so unter anderem ein zwanzigseitiges Heft mit dem Titel Die spannendste Geschichte unserer Zeit, in der die Politik von CDU und Bundesre-
—————— 28 Die CDU arbeitete bis in die siebziger Jahre mit der Werbeagentur Hegemann zusammen. 29 BA-Koblenz, B 145, Nr. 853; 1038 und Interview mit Klaus Otto Skibowski vom 25. Juli 2000. 30 46 Prozent der Bevölkerung waren im Februar 1957 der Meinung, dass sie lieber Adenauer als einen anderen Politiker als Bundeskanzler haben möchten; vgl. Noelle/Neumann, Umfragen über Adenauer, S. 78. 31 Vgl. ACDP, u.a. VII-002, Nr. 9/3. 32 Vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 95.
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gierung seit Kriegsende als Erfolgsgeschichte in eingängigen Spruchblasen präsentiert wurde. Die Partei gab sich auf diese Art »aufgeschlossen« und modern, denn noch wenige Jahre zuvor galten Comics als »Schmutz und Schund«, vor dem die deutsche Jugend »geschützt« werden müsse. Auf unterhaltsame, einfache sowie einprägsame Weise sollte Politik interessant und spannend wirken und die Jugend ansprechen. Die Filmwerbung wurde 1957 weiter intensiviert, die Mobilwerbung war diesmal mit bis zu 80 Fahrzeugen in der ganzen Republik unterwegs, und auch die Wochenschauen wurden wieder als Foren der Wahlwerbung genutzt. Von den Rundfunkanstalten bekamen die Parteien erneut Werbezeiten, und die speziellen Rundfunksendungen der Bundesregierung wurden wie schon 1953 von der CDU als Wahlkampfmittel eingesetzt.33 Das neue Medium Fernsehen spielte im Wahlkampf 1957 mit circa einer Million Empfängern immer noch keine herausragende Rolle. Die Presse war das wichtigste Massenmedium im Kampf um den Wähler. Die CDU, die sich strukturell im Nachteil auf diesem Gebiet sah, versuchte dies durch neue Strategien, die aus Amerika entlehnt waren, auszugleichen. Wiederum machte Adenauer mit dem Zug eine Deutschlandreise, auf der er von Journalisten begleitet wurde. Auf diesen Reisen wurden täglich Pressekonferenzen für die Lokalpresse abgehalten, Interviews für die örtlichen Publikationsorgane gegeben sowie mit einer Polaroidkamera (!) Bilder von politischen Lokalgrößen und Adenauer aufgenommen, die dann umgehend der jeweiligen Zeitung zur Verfügung gestellt wurden.34 Auf diese Weise versuchten die Wahlkampforganisatoren – soweit möglich – flächendeckend das Wahlvolk durch die Presse zu erreichen. Die örtliche Wahlkundgebung und die umgehende Berichterstattung darüber in der Lokalpresse bildeten ein in sich geschlossenes Konzept der CDU-Wahlkampfstrategen. Kontrastiert man die Wahlkampfführung der CDU mit der der SPD, so bestätigt sich die These, dass die CDU in den fünfziger Jahren die treibende Kraft bei der Modernisierung der Wahlkämpfe in der Bundesrepublik war. Die Wahlkämpfe der SPD in der ersten Nachkriegsdekade waren demgegenüber traditionell und orientierten sich primär an Vorbildern aus der Weimarer Zeit.
—————— 33 Die CDU bekam 45 Minuten, die SPD 40 Minuten, CSU und FDP je 15 Minuten sowie DP und BHE je 10 Minuten Sendezeit zugestanden. Die für das Fernsehen produzierten Werbespots waren in der Regel fünf Minuten lang; vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 97. 34 Vgl. ACDP, VII-002, Nr. 9/3 und Interview mit Klaus Otto Skibowski vom 25. Juli 2000.
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Die SPD-Wahlkämpfe 1953 und 1957: Statt Adenauer – Ollenhauer Verantwortlich für die Wahlkampfführung der SPD war seit 1949 der »Presseund Propagandachef« der Partei, Fritz Heine.35 Heine, der bereits in der Weimarer Republik für die SPD im Bereich »Werbung« gearbeitet hatte, erwies sich als relativ resistent gegenüber Neuerungen auf diesem Gebiet. So lehnte man beispielsweise die Inanspruchnahme von Meinungsumfragen als Grundlage der Wahlkampfkonzepte rundweg ab. Die SPD tat sich vor allem durch eine Negativstrategie hervor, Angriffe auf den politischen Gegner standen dabei im Mittelpunkt. Im Jahr 1953 bildeten – wie auch bei der CDU – die gedruckten Medien, also Wahlplakate, Flugblätter, Wahlzeitungen, Broschüren sowie Anzeigen in Zeitungen den Schwerpunkt der SPD-Wahlwerbung.36 Die Plakate der Partei waren sehr textlastig oder zeigten einfach das Parteilogo auf schwarzem Grund. Dementsprechend wirkten sie wenig attraktiv. Einen personalisierten Wahlkampf zu führen, war für die SPD, nachdem der charismatisch wirkende Kurt Schumacher verstorben war, keine Alternative. Es gab zwar ein Plakat mit dem Kopf Ollenhauers und dem Slogan »Statt Adenauer – Ollenhauer«, dieses war jedoch nicht besonders effektvoll, da der farblose Ollenhauer der Person des zunehmend beliebter werdenden Bundeskanzlers Adenauer wenig entgegenzusetzen hatte. Darüber hinaus war ein Personenwahlkampf nicht unbedingt im Sinne der Parteistrategie. Es sollte primär um Inhalte, weniger um Personen gehen. Organisatorisch war der Wahlkampf innerhalb des Parteiapparates angesiedelt. Es wurde eine Wahlkampfleitung unter Führung Fritz Heines ins Leben gerufen. In diesem Gremium bestimmte jedoch Heine weitgehend allein die Vorgehensweise. Neben den traditionellen Printmedien bediente sich auch die SPD der Filmwerbung. Es wurden drei längere Filme speziell für Wahlveranstaltungen, Diaszenen für die Kinowerbung sowie zusätzlich Tonträger besonders für die Werbung auf dem Lande produziert. Großen Anklang fand der Einsatz von zwei Kabarettgruppen, die als Werbeträger für die SPD durch die Republik reisten. Insgesamt betrachtet mutet die Wahlkampagne der SPD im Jahr 1953 etwas »hausbacken« an. Zwar wurde eine Grundstrategie festgelegt, diese aber ständig durch Reaktionen auf den CDU-Wahlkampf verändert. Vier Jahre später hatte sich die Situation nicht wesentlich verbessert, eher war das Gegenteil der Fall. Die Prognosen für die SPD waren durchweg negativ. Dennoch gingen der Parteivorstand und sein »Propagandachef« wieder mit
—————— 35 Vgl. Appelius, Heine, S. 274 ff. 36 Vgl. u.a. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 93.
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»altbewährten« Mitteln und Konzepten in den Wahlkampf. Auch an der Organisation wurde nichts geändert. Gedruckte Produkte bildeten wiederum den Kern der Werbemittel der SPD: Wandzeitungen, Plakate, Flugblätter, Wahlzeitungen, direkte Briefe des Parteivorsitzenden an die Wähler und Wählerinnen sowie Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften. Noch mehr als 1953 nahm man von einer Personalisierung der Wahlkampagne Abstand. Es gab zwar diesmal mehr als Zielgruppenwerbung konzipierte Bildplakate, dennoch wurden auch wieder zahlreiche textlastige, so genannte Sloganplakate eingesetzt. Die Werbezeiten in Rundfunk und Fernsehen wurden genutzt, ein Teil der Fernsehspots der SPD waren Zeichentrickfilme.37 Hier stand offensichtlich die Konsumwerbung als Ideengeber Pate. Für die Kinos und den direkten Einsatz in Wahlveranstaltungen vor Ort wurden Tonbildfolgen, 16 Filme sowie 25 Kandidatenfilme produziert.38 Das Wahlergebnis für die SPD mit 31,8 Prozent39 entsprach bei weitem nicht den Erwartungen. Das schlechte Abschneiden der Partei wurde von innerparteilichen Kritikern nicht zuletzt auf die unzureichende Wahlwerbung und Öffentlichkeitsarbeit zurückgeführt. Wollte die Partei neue Wählerschichten erschließen, galt es nicht nur sich von traditionellen sozialdemokratischen Positionen zu verabschieden, sondern auch die Präsentation von Politik, Partei und Kandidaten modern und ansprechend zu gestalten. Nach der Organisationsreform 1958, der Ablösung Heines und der personellen Erneuerung der SPD40 änderten sich auch die Wahlkämpfe und die Öffentlichkeitsarbeit der Partei.
6.2 Der »deutsche Kennedy«? Neue Formen, neue Inhalte: Der Wahlkampf 1961 Nicht erst der Wahlkampf des Jahres 1961 zeigt den Bruch mit der bisher geübten Praxis der Öffentlichkeitsarbeit der SPD, sondern bereits der Parteitag im November 1960 in Hannover. Er bildete den Ausgangspunkt für eine permanente Werbekampagne bis zur Bundestagswahl 1965. Dieser Parteitag unterschied sich in der äußeren Präsentation und Inszenierung von den vorangegangenen. Die traditionelle Farbe rot wurde durch blau ersetzt, um Assozia-
—————— 37 38 39 40
Vgl. Filmarchiv im AdsD. Vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 95 f. Vgl. Ritter/Niehuss, Wahlen in Deutschland. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 2.2 dieser Arbeit.
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tionen mit der traditionellen Arbeiterbewegung zu vermeiden. Das Parteisignet wurde nun auf einer Linie und nicht mehr gestaffelt präsentiert. Das traditionelle Schlusslied »Brüder zur Sonne zur Freiheit« wurde durch das Lied »Mit uns zieht die neue Zeit« ausgetauscht, und der Slogan »Geh mit der Zeit, geh mit der SPD« unterstrich den Anspruch der Partei, zeitgemäß also modern zu sein.41 Erstmals orientierte sich die Parteitagsregie an den Erfordernissen von Rundfunk und dem neuen Medium Fernsehen. Das reichte von der Platzierung der Ehrengäste bis hin zum mediengerechten Aufbau der Rede Willy Brandts.
Die Gemeinsamkeitspolitik Nachdem 1959 die programmatische Öffnung der Partei vollzogen war,42 konnte auch in der praktischen Politik ein Kurswechsel eingeleitet werden. Was zunächst als Annäherung an die außenpolitischen Positionen der Regierung Adenauer begann, wurde zum gesamtpolitischen Konzept der so genannten »Gemeinsamkeitspolitik«43, die sowohl die Regierungsbereitschaft der SPD demonstrieren als auch die Partei für neue Wählerschichten – vor allem in »der Mitte« – attraktiver machen sollte. Die Erarbeitung des neuen politischen Konzeptes übernahmen Willy Brandt, Herbert Wehner und Fritz Erler. Brandt schrieb dazu in der Rückschau: »Wir hatten das Gelände für dieses Bemühen um mehr Gemeinsamkeit in unserer Partei mit einiger Sorgfalt vorbereitet.«44 Der Ansatzpunkt der »Gemeinsamkeitspolitik« war zunächst die Außenpolitik, das bedeutete eine Korrektur der Positionen der SPD aus den fünfziger Jahren und eine Annäherung an die Politik der Bundesregierung. Das Bekenntnis zur »Gemeinsamkeit« wurde erstmals in einer Rede Herbert Wehners während einer außenpolitischen Debatte des Bundestages am 30. Juni 1960 öffentlich abgelegt. Der Bundesregierung boten die Sozialdemokraten eine gemeinsame außenpolitische Bestandsaufnahme sowie eine Zusammenarbeit bei der Festlegung der Prämissen einer zukünftigen Außenpolitik an. Die zentrale Aussage der Rede Wehners waren das Bekenntnis zur Eingliederung der Bundesrepu-
—————— 41 Vgl. AdsD, SPD-PV, 984, u.a. Schreiben Karl Anders an die Mitglieder der ZWL vom 26. August 1960. 42 Die Integration westlich-liberal-demokratischer Politikvorstellungen in das Godesberger Programm hat Julia Angster jüngst detailliert herausgearbeitet; vgl. Angster, Konsenskapitalismus, S. 415 ff. 43 Vgl. dazu allgemein Bouvier, Godesberg. 44 Brandt, Begegnungen und Einsichten, S. 44.
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blik in das westliche Bündnissystem sowie die Bejahung der Landesverteidigung.45 Während des Wahlkampfes verlagerte sich der Schwerpunkt dann aber stark auf innenpolitische Fragen: »Es geht um den weiteren Weg unseres Volkes und um die Lösung der vielen vernachlässigten Gemeinschaftsaufgaben. Es geht also um eine weitgehend innenpolitische Entscheidung«,46 so Willy Brandt in einer Rede vor der SPD-Bundestagsfraktion Anfang 1961. Um den neuen Weg der außen- und innenpolitischen »Gemeinsamkeit« in der eigenen Partei mehrheitsfähig zu machen und Kritik möglichst schon im Vorfeld zu entschärfen, warben Willy Brandt, Herbert Wehner und Fritz Erler auf zahlreichen lokalen Parteiveranstaltungen und in Interviews für ihren politischen Kurs.47 Ein zentraler Punkt der Auseinandersetzung war die Frage der von den Unionsparteien gewünschten atomaren Aufrüstung der Bundeswehr, die die SPD-Parteispitze durch ihr Bekenntnis zur Notwendigkeit der Landesverteidigung ja indirekt anerkannt hatte.48 Zwar wurde der eingeschlagene Kurs der »Gemeinsamkeitspolitik« auf dem Parteitag im November 1960 in Hannover von den Delegierten bestätigt, doch blieb die Mehrheit der Parteimitglieder weiterhin skeptisch. Auch einige führende Sozialdemokraten wie Ollenhauer waren nicht gänzlich mit der Trendwende einverstanden. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass Herbert Wehner den »Gemeinsamkeitskurs« primär auf die Außenpolitik beziehen wollte. Erler und insbesondere Brandt gingen hier jedoch wesentlich weiter. Neben den außenpolitischen Fragen nannte Brandt in seiner Rede vor dem Parteitag 1960 vier innenpolitische Schwerpunkte der »Gemeinschaftsaufgaben«: »Das nationale Gut der Volksgesundheit muß geschützt und erhalten werden, unsere Städte müssen erneuert, das Verkehrswesen muß auf die Erfordernisse von morgen zugeschnitten werden, die Fähigkeiten und Begabungen, unser wertvollstes Volksvermögen, müssen entsprechend den Anlagen jedes Einzelnen entdeckt und gefördert werden.«49
Diese Aspekte wurden in den Reden Brandts während des Wahlkampfes erweitert bzw. konkretisiert und fanden ihren Niederschlag im »Regierungs-
—————— 45 Vgl. Wehner, Wandel und Bewährung, S. 232 ff. 46 WBA, Beruflicher Werdegang und Berlin, 113, Rede Brandts vor der SPD-Bundestagsfraktion am 6. Februar 1961 in Bad Dürkheim. 47 Vgl. Bouvier, Godesberg, S. 62 ff. 48 Der Bundestag hatte am 8. April 1960 im Verteidigungshaushalt Mittel für die Beschaffung von Raketen bereitgestellt, die mit atomaren Sprengköpfen ausgerüstet werden konnten. 49 Protokoll der Verhandlungen und Anträge vom Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Hannover 21. bis 25. November 1960, S. 665 f.
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programm der SPD«, das der Öffentlichkeit im April 1961 vorgestellt wurde50. Darin standen zehn innenpolitische »Gemeinschaftsaufgaben«. Neben den vier bereits genannten waren dies die Förderung des Breitensports, die Absicherung der Rentner und die Regelung der Kriegsopferfragen, die Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus sowie Familienförderung und Umweltschutz. In diesem Zusammenhang prägte Brandt auch den berühmt gewordenen Slogan »Der Himmel über dem Ruhrgebiet muß wieder blau werden«51. Hier wird nochmals deutlich, dass der SPD daran gelegen war, ein politisches Konzept zu präsentieren, welches eine konkrete Verbesserung der Lebensbedingungen anstrebte und das »Allgemeinwohl« über »parteipolitische Interessen« stellte. Aus dem politischen Konzept der »Gemeinsamkeitspolitik« resultierte als Vorgabe für den Wahlkampf die Vermeidung einer Konfrontation mit dem politischen Gegner.
Neue Personen – neuer Stil Neben den neuen politischen Konzepten war ein personeller Wechsel an der Spitze der SPD die entscheidende Voraussetzung für eine neue Wahlkampfführung. Dieser wurde – wie bereits ausgeführt – seit dem Stuttgarter Parteitag von 1958 massiv vorangetrieben. Nach außen am deutlichsten wurde er durch die Nominierung Willy Brandts zum Kanzlerkandidaten der SPD auf dem Parteitag von 1960.52 Die Wahl eines Spitzenkandidaten war in der Geschichte der SPD neu, bis dahin führte immer automatisch der Parteivorsitzende die Sozialdemokraten in den Wahlkampf. Brandt, der sich nach dem Verzicht Ollenhauers gegen Carlo Schmid durchsetzen konnte, personifizierte nicht nur den innerparteilichen Kurswechsel, sondern auch den Typus des jungen, modernen Politikers und damit den idealen Gegenpart zum greisen Bundeskanzler Adenauer. Das wurde auch von ausländischen Beobachtern bemerkt. So hieß es in einem Bericht für das amerikanische State Department vom 12. Dezember 1960 über den Auftritt Brandts auf dem Parteitag: »It was not only a triumph for youth and the new look, but also an victory for a man who may develop into an exceedingly astute politician.«53 Nicht zuletzt wegen seiner
—————— 50 Das Regierungsprogramm ist als Dokument Nr. 36 abgedruckt in: Münkel, Auf dem Weg nach vorn, S. 230-257. 51 Ebd., S. 239. 52 Zum Prozess der Wahl Brandts für dieses Amt, vgl. Münkel, Auf dem Weg nach vorn, S. 35 ff. 53 National Archives, Washington, D.C., Abteilung College Park (NA-Washington), RG 59, CDF 1960-1963, Box 1894.
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Medienwirksamkeit hatte sich Brandt für das Amt des Kanzlerkandidaten empfohlen.
Vorbild USA? Brandt griff aktiv in die Wahlkampfplanung ein, indem er nicht nur Mitglied in den entscheidenden Gremien war, sondern eigene Vorschläge einbrachte und im anglo-amerikanischem Raum nach Vorbildern suchte.54 Die SPD betrat im Gegensatz zur CDU auf diesem Gebiet Neuland. Zunächst schickten die Sozialdemokraten Beobachter zur Parlamentswahl des Jahres 1959 nach England, wichtiger war allerdings der Präsidentschaftswahlkampf in den USA zwischen Nixon und Kennedy im Jahre 1960. Im Vorfeld einer Reise in die USA wurden genaue Vorstellungen über den Ablauf der Wahlkampfbeobachtung von Klaus Schütz und Alex Möller im Auftrag der SPD-Parteiführung formuliert: »Der Vorstand der SPD möchte, dass die beiden Herren den Wahlkampf so gründlich wie möglich studieren, wobei sich allerdings eine gewisse Arbeitsteilung ergeben wird. Herr Dr. Alex Möller [...] wird daher [weil er zur Mannschaft Brandts gehört, D.M.] besonderen Werte darauf legen, nicht nur die persönliche Bekanntschaft der beiden Präsidentschaftskandidaten, Mr. Kennedy und Mr. Nixon, zu machen, sondern darüber hinaus eine Reihe von amerikanischen Politikern, Beamten und anderen Persönlichkeiten zu sprechen, um sich über die politische Lage vor und nach der Wahl zu informieren. [...] Herr Klaus Schütz legt Wert darauf, den technischen und organisatorischen Ablauf des Wahlkampfes zu studieren. [...] Herr Schütz möchte, wenn möglich, für ein bis zwei Tage einen der Kandidaten auf den ›election campaign trains‹ begleiten, wenn möglich auf dem flachen Lande. [...] Von grosser Bedeutung sind auch die Kontakte mit den Organen der Meinungsbildung, insbesondere der grossen Gesellschaften des Fernsehens, des Rundfunks, die Pressekommentatoren und dergleichen mehr. Auch der Besuch von wissenschaftlichen Instituten, die sich mit Wahlkampfanalysen und -methoden befassen, wäre begrüssenswert. Schliesslich sind die Herren interessiert an einem Kontakt mit ›public-relation‹-Firmen, [...] Ebenso wichtig wären Unterhaltungen mit ›public opinion polls‹-Instituten, um ihre Tätigkeit kennenzulernen und ihre Erfahrungen auszuwerten.«55
Diese sehr detaillierten Wünsche machen die Stoßrichtung der Reise deutlich: die Prüfung einer Übertragung amerikanischer Wahlkampfbestandteile auf die eigene Kampagne. Im Oktober 1960 reisten die beiden SPD-Politiker in die USA.56 Klaus Schütz schrieb während des Besuches regelmäßig Briefe an Willy Brandt, um ihn umgehend über seine Eindrücke zu informieren. Schütz favori-
—————— 54 Zu Willy Brandt und Amerika vgl. ausführlich Münkel, Als »deutscher Kennedy« zum Sieg?. 55 AdsD, SPD-PV/Anders, Nr. 798, Schreiben vom 29. September 1960. 56 Der Aufenthalt in den USA fand vom 14. Oktober bis zum 6. November 1960 statt; vgl. AdsD, SPD-PV, Nr. 6908, Schreiben vom 24. September 1960.
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sierte als Vorbild für die SPD und ihren Kandidaten die Kampagne von John. F. Kennedy.57 Allerdings räumte er ein, dass man das Ganze an »deutsche Verhältnisse« anpassen müsse, da die dort praktizierten Techniken auf das sehr unterschiedliche Regierungs- und Mediensystem der USA zugeschnitten seien und sich demzufolge nicht einfach übertragen ließen.58 Darüber hinaus bemerkte er offensichtliche Mängel in der Planung der amerikanischen Kampagnen. Im Vorfeld der Reise hatte die Erwartung dominiert, dass in den USA alles völlig durchorganisiert sein müsse. »Der Wahlkampf ist für einen Beobachter deshalb etwas enttäuschend, weil ihm weitgehend alle Elemente einer geplanten Kampagne fehlen. Er läuft, wie fast alle Gesprächspartner aus den Führungsstäben bestätigen, in traditionell ausgetreten Pfaden. Fast kein Werbemittel ist durchdacht, selbst den ›roten Faden‹ z.B. bei Kennedy zu finden ist nicht immer leicht. Das Resultat meiner Bemühungen ist m.E. gerade deshalb sehr zufriedenstellend. Ich sehe gerade im Hinblick auf unsere Planung in manchem klarer, eine große Anzahl Detailanregungen habe ich verzeichnet«,59
schrieb Schütz an Brandt. Die Konsequenz für den eigenen Wahlkampf war demzufolge die Übernahme einzelner Versatzstücke aus dem Kennedy campaigning, ohne jedoch die Gesamtkonzeption aus Amerika zu übernehmen. Brandt schrieb in der Retrospektive: »Manches war für uns nützlich, anderes nicht. Wir haben die amerikanischen Beispiele sozusagen ›verdeutscht‹ - und die anderen Parteien folgten uns damit recht schnell.«60 Zentral war hier die so genannte Whistlestop Tour, die in Form einer »Deutschlandreise« Brandts, auf die noch näher einzugehen sein wird, kopiert wurde. Hier wird schon einmal sehr deutlich, was für die gesamten fünfziger, sechziger und beginnenden siebziger Jahre galt: aus der amerikanischen Wahlkampfwerbung wurden nur einzelne Teile, die sich in die politische Kultur der Bundesrepublik integrieren ließen bzw. an diese angepasst werden konnten, übernommen.
Brandt contra Adenauer Die drei angesprochenen Faktoren – neue Personen, neue politische Konzepte und neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit – bestimmten insgesamt die Wahlkampagne der SPD des Jahres 1961, die vor allem zwei Ziele verfolgte: 1. Die eigene Mitgliedschaft und die traditionelle Wählerklientel von dem Kurswech-
—————— 57 Vgl. WBA, Beruflicher Werdegang und Berlin, Mappe 26 (alt), Schreiben vom 18. Oktober 1960. 58 Vgl. dazu auch Schütz, Lehren, S. 33. 59 LA-Berlin, B Rep. 002, Nr. 4036, Schreiben vom 22. Oktober 1960. 60 Brandt, Begegnungen und Einsichten, S. 48.
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sel der Partei zu überzeugen. 2. Neue Wählerschichten zu gewinnen, um sich so mittelfristig an einer Regierung beteiligen zu können bzw. sie zu stellen.
»Unser Konzept hieß Öffnung: Wir mussten neue Breite gewinnen. Wir mussten auf alte Gewohnheiten des Denkens und der Selbstdarstellung verzichten, um für das Neue bereit zu sein. Wir mussten Zöpfe abschneiden ideologische und andere. In der Tat machten wir die Fenster weit auf«,61 so Brandt in der Rückschau. Im Mittelpunkt der Kampagne stand die Präsentation eines Kandidaten und einer Mannschaft, wobei der Kanzlerkandidat im Laufe der Zeit immer mehr in den Vordergrund rückte – auch das ein Novum in der SPD-Wahlwerbung. Dementsprechend waren auch die Slogans der SPD-Wahlkampagne auf den Kandidaten ausgerichtet: »Voran mit Willy Brandt. SPD«. Diese stark personalisierte Form der Wahlkampfführung hatte seinen Grund vor allem in der politischen Ausgangslage vor Beginn des eigentlichen Wahlkampfes. Analysen hatten ergeben, dass »der Wahlkampf 1961 ohne Zweifel eine Personenentscheidung, Adenauer oder W[illy] B[randt], sein wird« und die SPD »Wahlen – allein an der Parteisympathie orientiert« 62 verlieren würde. Eine Verbesserung der Chancen der Partei könne nur erreicht werden, »wenn die Wahlen den Charakter von Persönlichkeitsplebisziten annehmen«63. Die zunehmende Konzentration auf den Kandidaten bei der SPD während des Wahlkampfes resultierte darüber hinaus aus dem Konzept des Berliner Wahlbüros, welches seine Person in den Mittelpunkt der Kampagne stellte. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Wahlkämpfen wurde diesmal ein detailliertes Konzept auf der Grundlage von Meinungsumfragen erarbeitet und ein Werbefachmann an zentraler Stelle in die Planung und Umsetzung der Konzeption eingebunden. Die Kampagne der SPD 1960/1961 wies also rein formal die zentralen Merkmale amerikanischer Wahlkämpfe auf, das heißt: Personalisierung und Professionalisierung durch vorher festgelegte Konzepte aufgrund von Meinungsumfragen und die Einbindung von Werbefachleuten in das Wahlkampfteam. Die Ausgangsposition für die Bundestagswahl des Jahres 1961 hatte sich insgesamt im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen verbessert, was nicht zuletzt an innerparteilichen Problemen der Union lag. Die CDU musste eine personalpolitische Diskussion um die Nachfolge des inzwischen 84-jährigen Adenauer führen, wodurch Schwierigkeiten für die Konzeption der Kampagne entstanden. Die CDU-Wahlkampfmacher versuchten neben Adenauer vor allem den »Vater des Wirtschaftswunders« und den in der Bevölkerung sehr
—————— 61 Ebd. 62 AdsD, SPD-PV, Nr. 6908. 63 Ebd.
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beliebten Ludwig Erhard im Wahlkampf hervorzuheben. Allerdings machten sich die führenden Politiker bei der Union auch Sorgen über die Erfolgschancen des SPD-Kandidaten. Adenauer führte bereits lange vor Beginn des eigentlichen Wahlkampfes in einer Sitzung des CDU-Bundesvorstandes seine Bedenken aus: »Da sei aber noch ein wesentlicher Punkt vorhanden und zwar Herr Brandt. Die Bedeutung dieser Figur werde im Allgemeinen bei der CDU unterschätzt. [...] Man müsse sich jetzt überlegen, was zur Aufklärung über Brandt zu geschehen habe.«64
Die CDU befürchtete, dass Brandt zum »Helden« stilisiert und dieser Archetypus der »Vaterfigur« Adenauer erfolgreich entgegengesetzt werden könne. Deshalb plante das zuständige CDU-Wahlgremium: »Zur Enttarnung der SPD müsste es auch dann gehören, etwa unter dem Motto ›wollt ihr schon wieder einen Helden?‹, die Neigung, es mit einem Jung-Siegfried zu probieren, gründlich zu verleiden.«65
Außerdem hatte die CDU prinzipielle Schwierigkeiten mit ihrer außen- und innenpolitischen Orientierung.66 Wollte die Partei für die Mehrheit der Wähler und Wählerinnen attraktiv bleiben, musste auch sie sich mittelfristig »erneuern« und sich damit für die Anforderungen des zweiten Nachkriegsjahrzehnts »rüsten«.67 Inhaltlich entwickelte die CDU keine neuen Vorstellungen; sie setzte im Wahlkampf vor allem darauf, die wirtschaftlichen und die außenpolitischen Erfolge ihrer zwölfjährigen Regierungszeit herauszustellen.68 Hingegen boten die innerparteilichen Reformen der SPD die Grundlage für eine Verbreiterung der Wählerbasis. Die größten Probleme für die Sozialdemokraten lagen darin, den Kurswechsel glaubhaft zu machen und das fehlende Vertrauen in die Regierungsfähigkeit der Partei, vor allem auf dem Feld der Außenpolitik, zu zerstreuen.69 Eine weitere Schwierigkeit lag – trotz seiner relativ großen Popularität – in der Biographie des Kandidaten: Emigrant, ehemaliger Linkssozialist, uneheliche Geburt und die Änderung des Geburtsnamens waren Anfang der sechziger Jahre keine positiv besetzten Attribute. Dass dies vom politischen Gegner benutzt werden konnte, war sowohl Willy Brandt als auch der SPD-Führung bewusst. Das wirkliche Ausmaß der während des
—————— 64 Protokoll der Sitzung des CDU-Bundesvorstandes vom 6. Juli 1960, in: Buchstab, Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1957-1961, S. 709 und S. 711. 65 ACDP, VII-003, Nr. 85/4, Protokoll vom 5. Januar 1961. 66 Vgl. Scheuch/Wildenmann, Wahlkampf 1961 im Rückblick, S. 40. 67 Das Politikverständnis der CDU und die »Kanzlerdemokratie« begannen sich, angesichts des gesellschaftlichen Wandels langsam zu überleben; vgl. u.a. Angster, Der neue Stil, S.195 f. 68 Vgl. u.a. Scheuch/Wildenmann, Wahlkampf 1961, S. 55 f. 69 Vgl. u.a. AdsD, SPD-PV, Nr. 6908.
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Wahlkampfes folgenden Diffamierungskampagnen im Zusammenspiel von Union, rechtsgerichteter Presse und DDR-Staatssicherheit hatte jedoch niemand vorausgesehen.70 Die Attacken von Franz Josef Strauß und Konrad Adenauer gegen Brandt waren massiv. So stellte Strauß bei einer Rede im Februar 1961 in Vilshofen die diffamierende Frage: »Eines wird man doch Herrn Brandt fragen dürfen: was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir gemacht haben.«71 Bundeskanzler Adenauer griff Brandt mehrfach direkt an. Sein Ausspruch »Herr Brandt alias Frahm«72, den er einen Tag nach dem Mauerbau bei einer Wahlkampfrede in Regensburg fallen ließ, ist der Bekannteste. Durch das negative campaigning gelang es der CDU/CSU, ein Gegenimage zum Bild des Kanzlerkandidaten, so wie es die SPD transportierte, zu profilieren. Neben den bereits genannten Angriffspunkten wurde Brandt ein vermeintlich unmoralischer Lebenswandel unterstellt. Das Spektrum der Vorwürfe und Verleumdungen zielte auf eine politische wie private Unzuverlässigkeit ab. Man verunglimpfte Brandt als »Vaterlandsverräter«, und er wurde als moralisch unzuverlässig, ja fast dekadent dargestellt und damit ein weiteres stark emotionales Argument gegen ihn als ernstzunehmenden, seriösen deutschen Politiker ins Feld geführt. Denn dem Leitbild eines deutschen Politikers entsprachen Anfang der sechziger Jahre aufgrund ihres Alters und ihres Habitus vor allem Personen wie Bundeskanzler Adenauer oder Wirtschaftsminister Erhard. Dass diese Strategie gegen Brandt letztlich erfolgreich war und die Diffamierungskampagnen eine ernorme Resonanz in der Bevölkerung erfuhren,73 war möglich, weil sie in einer großen medialen Öffentlichkeit entfaltet wurden und an vorhandene Ressentiments im Umgang mit der NSVergangenheit anknüpften.74
Wahlkampf aus einem Guss Wichtig erschien es den SPD-Wahlkampfstrategen, einen »Wahlkampf aus einem Guss« zu präsentieren, denn nur so könne man »in einer politischen, organisatorischen, sachlichen und propagandistischen Einheit [erfolgreich sein,
—————— 70 71 72 73
Ausführlich dazu vgl. Münkel, »Alias Frahm«. WBA, Beruflicher Werdegang und Berlin, Mappe 28/29 (alt). Adenauer, Wahlrede am 14. August 1961, in: Schwarz, Reden, S. 417. Es sind Massen von Schmähbriefen, Beschimpfungen und diffamierenden Äußerungen in der Öffentlichkeit von Privatleuten gegen Brandt aus dem Bundestagswahlkampf 1961 überliefert; vgl. WBA, Prozesse. 74 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.4 dieser Arbeit.
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D.M.] und die überlegenen finanziellen Mittel des Gegners weitgehend ausgleichen«.75 Auch in der Retrospektive hielt die SPD daran fest, ihren »Wahlkampf aus einem Guss« zu stilisieren,76 um über mögliche Konflikte um den neuen Kurs innerhalb der Partei hinwegzutäuschen. Um eine stringente Wahlkampfplanung zu gewährleisten und den Anforderungen eines modernen Wahlkampfes gerecht werden zu können, wurde bereits 1960 eine Zentrale Wahlkampfleitung (ZWL) in Bonn und ein »Wahlbüro Willy Brandt« in Berlin eingerichtet.77 Mitglieder der ZWL waren Erich Ollenhauer, Willy Brandt, Herbert Wehner, Alfred Nau und Waldemar von Knoeringen. Das Wahlbüro in Berlin leitete Klaus Schütz unter Mitarbeit unter anderem von Egon Bahr, damals Pressechef des Berliner Senats, Heinrich Braune, Chefredakteur der Hamburger Morgenpost, sowie Karl Garbe, Redakteur der Frankfurter Rundschau. Die ZWL untergliederte sich wiederum in fünf fachspezifische Arbeitsgruppen: für Sichtwerbung, Druck und Schrift, Film, Rundfunk und Fernsehen, Organisation sowie eine Technische Kommission. Die Funktionen dieser Arbeitsgruppen wurde folgendermaßen charakterisiert: »Die Arbeitsgruppen hatten die Aufgabe, der ›Zentralen Wahlkampfleitung‹ Hinweise und Anregungen zu geben, werbliche Wirkungsmöglichkeiten nach politischen, psychologischen, graphischen, technischen und organisatorischen Gesichtspunkten zu prüfen, Werbemöglichkeiten anzuregen und die erforderlichen Werbemittel zu erstellen.«78
Bereits 1959 wurde das »Institut für angewandte Sozialwissenschaften« (infas) als SPD-nahes Meinungsforschungsinstitut gegründet. Gleichzeitig sollte damit ein Gegengewicht zum CDU-nahen Institut für Demoskopie in Allensbach geschaffen werden. Des weiteren wurde zur Beratung ein Arbeitskreis von Fachleuten unter Leitung von Werner Steltzer79 installiert, der die Kampagne beobachten und möglichst schnell Verbesserungsvorschläge unterbreiten sollte.80
—————— 75 76 77 78 79
AdsD, SPD-PV, Nr. 6908, Protokoll einer Arbeitsbesprechung vom 1. November 1960. Vgl. u.a. SPD-Jahrbuch 1960/61, S. 288 ff. Vgl. u.a. ebd., S. 294 f. Ebd., S. 291. Werner Steltzer (1917-1982), der Sohn des ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Theodor Steltzer, war vormals Pressechef der Ufa und kannte Brandt bereits aus der Emigration. Anfang Dezember 1961 übernahm er die Leitung des neu eingerichteten »Informationszentrums Berlin«, wurde 1969 Pressereferent im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und bekleidete danach an mehreren Botschaften den Posten eines Presse- und Kulturreferenten, zuletzt in Mailand. 80 Vgl. AdsD, SPD-PV, Zentrale Wahlkampfleitung, Nr. 2179, 2180, 2183, Protokolle des Arbeitskreises.
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Der Wahlkampf selbst sollte in mehreren Phasen ablaufen, wobei die letzte durch den Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 nicht mehr planungsgemäß durchgeführt werden konnte. Grundsätzlich war der Wahlkampf der beiden großen Parteien in der Regel in drei Abschnitte untergliedert: eine erste »Sympathiephase«, eine zweite »argumentative Phase« und die »Schlussphase«, die eigentliche Wahlkampfphase der letzten vier Wochen vor dem Wahltermin. Für die SPD bedeutete dies, dass sie in der ersten Phase, die bis Ende April 1961 terminiert war, ihr Image bei der Wählerschaft verbessern musste. Im Jahrbuch der Partei liest sich das folgendermaßen: »Bei der Mehrheit der Wähler bestand ein Bild der SPD, das mit ihrem tatsächlichen Wollen und ihren Absichten wenig zu tun hatte. Um dieses Zerrbild zu korrigieren und die Partei so darzustellen wie sie ist, um allgemeine Sympathie für sie zu erwecken, setzte eine zentrale Plakataktion über das ganze Bundesgebiet ein, erschienen Inserate in den Tageszeitungen und Illustrierten, lagen die Wahlillustrierten ›Davon spricht Deutschland‹ und ›Vertrauen‹ in einem Großteil der Tageszeitungen, vornehmlich in der Provinzpresse bei. Durch die allgemeinen Mittel, die über Presse, Rundfunk und Fernsehen ausstrahlen, wurde versucht das ›Leitbild‹ beim Wähler günstiger für die SPD zu gestalten.«81
In einem internen Papier wurde zusätzlich darauf hingewiesen, dass es vor allem darum ginge, die Bemühungen der CDU »durch eine Neutralisierung ins Leere« laufen zu lassen und zu verhindern, dass »kein Thema, das die CDU dank ihrer überlegenen Mittel ins Bewusstsein der Bevölkerung bringt, als Anti-SPD«82 empfunden werde. Der zweite Wahlkampfabschnitt, der mit der öffentlichen Verkündung des »SPD-Regierungsprogramms«83 am 28. April 1961 in Bonn begann, sollte die politischen Forderungen der Partei verdeutlichen und ihre Regierungsbereitschaft unterstreichen. Des weiteren seien »Akzente zu setzen, wegen der es dem Wähler überhaupt sinnvoll und attraktiv erscheint, die SPD und nicht die CDU zu wählen«84. In diese zweite Phase fiel auch die »Deutschlandfahrt« des Kanzlerkandidaten. Die »heiße Phase« des Wahlkampfes begann für die SPD am 12. August 1961 mit dem so genannten »Deutschlandtreffen« in Nürnberg und wurde bereits einen Tag danach durch den Mauerbau und die damit notwendige Präsenz des Kandidaten in seiner Funktion als Regierender Bürgermeister unterbrochen. Im Gegensatz zur CDU, die ihren Wahlkampf weiter nach Plan durchführte, wurde das Konzept für Willy Brandt verändert, um seine
—————— 81 SPD-Jahrbuch 1960/61, S. 305. 82 AdsD, SPD-PV, Nr. 6908, Protokoll einer Arbeitsbesprechung vom 1. November 1960. 83 Das »Regierungsprogramm« ist als Dokument Nr. 36 abgedruckt in: Münkel, Auf dem Weg nach vorn, S. 230-257. 84 AdsD, SPD-PV, Nr. 6908, Protokoll einer Arbeitsbesprechung vom 1. November 1960.
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Anwesenheit in der Krise Berlins zu gewährleisten. Insgesamt, so die SPD selbst, war die letzte Wahlkampfphase »durch den Großeinsatz aller Werbemittel und massive Anstrengungen in der gesamten Partei«85 gekennzeichnet. Der »Wahlkampf aus einem Guss« zerfiel bei genauer Betrachtung in weiten Teilen in zwei Kampagnen – eine für die Partei und eine spezielle für Willy Brandt. Dieser Sachverhalt spiegelte sich nicht zuletzt in dem Dualismus von ZWL und »Wahlbüro Willy Brandt« wider.
Testfall Landtagswahl Berlin 1958 Die Mitarbeiter des »Wahlbüros Brandt« hatten im Berliner Landtagswahlkampf des Jahres 1958 bereits erste Erfahrungen mit einer an Amerika orientierten Form der Wahlkämpfe sammeln können. Allerdings sei dies »nicht viel mehr als Kosmetik – ein kleiner Schuss Hollywood inmitten traditioneller Rhetorik«86 gewesen, so Klaus Schütz. Dennoch lassen sich in der Berliner Wahlkampagne von 1958, die sich elementar von der bis dahin praktizierten Wahlwerbung der SPD auf Bundesebene unterschied, bereits wesentliche Elemente der Taktik von 1961 auffinden. Dies betrifft im Besonderen die Personalisierung. Der Wahlkampf der Berliner SPD war ganz auf ihren Spitzenkandidaten Willy Brandt ausgerichtet, der sich einer außerordentlichen Beliebtheit in der Berliner Bevölkerung erfreute.87 Darüber hinaus wurde Brandt als Politiker eine hohe fachliche Kompetenz sowohl in lokalpolitischen sowie außenpolitischen Fragen zugeschrieben. Um dieses Potenzial für sich zu nutzen, musste es den Berliner Sozialdemokraten gelingen, die positiven Eigenschaften mit der SPD in Verbindung zu bringen. Dies erschien nur in der Beschränkung auf die Politik des Berliner Landesverbandes möglich. So versuchte man die Bundes-SPD und ihre Politik möglichst aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Themen und Konzepte des Wahlkampfes der Berliner SPD basierten erstmals auf umfassenden Meinungsumfragen – auch hier eine Parallele zum Jahre 1961. In den Formen der Wahlkampfführung war, wie Klaus Schütz treffend bemerkt hatte, nur ein »Hauch von Amerika« zu spüren. Die SPD und auch die anderen Parteien bedienten sich vor allem traditioneller Mittel wie Versammlungen, Lautsprecherwagen, Plakate, Broschüren, Flugblätter und Kandidatenbriefe. Was die Massenmedien betraf, so wurde mit Ausnahme der Presse eine starke Zurückhaltung bei den großen Parteien ge-
—————— 85 SPD-Jahrbuch 1960/61, S. 306. 86 Schütz, Lehren, S. 34. 87 Zum Berliner Wahlkampf des Jahres 1958 vgl. Shell/Diederich, Berliner Wahl, S. 253 ff.
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pflegt. Die lokalen Rundfunkanstalten SFB und RIAS stellten den Parteien nach Proporz Sendezeit zur Verfügung, die für Werbespots genutzt wurden. Darüber hinaus wurde das Radio jedoch kaum einbezogen. Zeitgenössische Analysen führten dies darauf zurück, dass »das gesprochene Wort sich nicht allzu leicht in die absichtlich ›entpolitisierte‹ Atmosphäre des Wahlkampfes einpassen ließ und die großen Parteien es außerdem vermeiden wollten, den anderen Parteien in größerem Maße proportionale ›Publicity‹ zu ermöglichen.«88 Die Nichteinbeziehung des Fernsehens in den Wahlkampf hatte seinen Grund einerseits in den damals noch geringen Teilnehmerzahlen und der Skepsis andererseits gegenüber der Wirksamkeit des neuen Mediums. Bei den Versammlungen probierte auch die SPD dann erstmals den Einsatz amerikanischer Elemente aus: Kabaretts, Tonbildschauen und Filme zu Berliner Themen, Kosumorientierung durch Modenschauen, die weibliches Publikum ansprechen sollten, begleiteten die Auftritte Willy Brandts. Durch Stilelemente wie das Zeigen von Modenschauen bekam der Wahlkampf nicht nur eine geschlechtsspezifische Komponente, sondern ein Stück Glamour und ein Symbol für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg der Bundesrepublik – beides Komponenten, die im Jahre 1958 nicht gerade mit der Sozialdemokratie in Beziehung gebracht wurden. Auch dies war demzufolge ein Versuch, das Image der Partei zu verändern.
Im Mittelpunkt – der Kandidat Abgeleitet aus den Berliner Wahlkampferfahrungen sah sich das »Wahlbüro Willy Brandt« als der professionellere Teil der gesamten Wahlkampfplanung der Jahre 1960/61; es beschwerte sich immer wieder über die Bonner Wahlkampfzentrale, der man »Konzeptlosigkeit« und einen unprofessionellen Arbeitsstil vorwarf.89 Die Kampagne für Brandt wurde dann auch weitgehend von Berlin aus geplant und koordiniert. Herzstück war die so genannte »Deutschlandreise« des Kanzlerkandidaten mit dem Ziel, die Wähler direkt anzusprechen und Wählergruppen zu mobilisieren, die nicht zur traditionellen Klientel der SPD gehörten. »Fortan sollten nicht mehr die Wähler zu den Politikern kommen, sondern – umgekehrt – die Politiker zu den Wählern.«90 Was für die SPD ein völlig neues Konzept war, hatte Adenauer – wie bereits
—————— 88 Ebd., S. 254. 89 Vgl. AdsD, SPD-PV, Berliner Büro, Nr. 1, Schreiben vom 12. Oktober 1960. 90 Schütz, Lehren, S. 33.
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ausführlich dargelegt – schon 1957 erfolgreich praktiziert. Dennoch lassen sich Unterschiede finden. Die »Deutschlandfahrt« Brandts enthielt noch größere Anleihen am amerikanischen Vorbild, was die Art der Fortbewegung und den Einsatz von Showelementen betraf, und war was kaum überrascht mehr auf die »Jugendlichkeit« des Kandidaten ausgerichtet. Die Reise, bis ins Detail geplant, sollte in mehreren Etappen absolviert werden. In den ersten 21 Tagen vom 7. Mai bis 8. Juli 1961 besuchte Brandt Gebiete, in denen die SPD bei der Wahl 1957 leichte Zuwächse erreicht hatte. Meistens war er in einem cremefarbenen Mercedes-Cabriolet mit roten Ledersitzen unterwegs. Der Mercedes als Chiffre für Wohlstand und wirtschaftlichen Aufschwung sowie als bürgerliches Statussymbol eignete sich besonders gut als sichtbares Zeichen des Imagewechsels der SPD weg von der Arbeiterpartei. Der Ablauf einer solchen Veranstaltung war standardisiert: Ungefähr eine Stunde vor Ankunft der Wagenkolonne fuhr ein Lautsprecherwagen durch den Ort und kündigte das kommende Ereignis an: »Achtung, Achtung! Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, kommt gleich durch diese Straße. Bereiten auch Sie ihm einen herzlichen Empfang.«91 Gleichzeitig wurden Fähnchen verteilt. Wenn Brandt stehend und winkend in dem Mercedes durch die Stadt fuhr, wurde er in der Regel mit viel Jubel und Neugier begrüßt. Er hielt eine kurze Rede mit Versatzstücken je nach Ortsgröße abgestimmt,92 schüttelte Hände und hielt ein kurzes Treffen mit lokalen Politikergrößen ab. Brandt nahm an einem Tag bis zu 25 derartige Termine wahr. Sie waren inhaltlich und zeitlich standardisiert. Auf die präzise Einhaltung des Zeitplans achtete der Organisator Klaus Schütz. In dieser ersten Phase legte der Tross mit dem Kanzlerkandidaten 22.056 km zurück. Die nächste Phase der Reise war auf mittlere und große Städte ausgerichtet, der Verlauf der Kundgebung entsprach jedoch dem gleichen Konzept. Insgesamt bewältigte Brandt ca. 40.000 km im Zeitraum von Mai bis August. Beendet wurde die zweite Reise am 12. August 1961 mit dem »Deutschlandtreffen in Nürnberg«, wo die letzte »heiße« Phase des Wahlkampfes eingeleitet wurde. Die »Deutschlandreise« wurde in der Öffentlichkeit positiv bewertet, wie zeitgenössische Untersuchungen belegen,93 allerdings bedeutete dies nicht zwangsläufig auch einen entsprechenden Niederschlag in Wählerstimmen. Jeden Tag konnten auf diese Weise zwischen 40.000 und 50.000 Menschen direkt angesprochen werden. Die Resonanz in der Lokalpresse war sehr hoch. Nach einem Brandt-Besuch waren oft ein- oder mehrseitige Bild- und Textbe-
—————— 91 Der Spiegel vom 6. September 1961 (Held nach Maß). 92 Vgl. WBA, Publizistische Äußerungen, Mappe 117, Redemanuskript vom 23. Mai 1961. 93 Vgl. infas, Brandt unterwegs. Eine Untersuchung der Resonanz der Deutschlandreise vom Juni 1961, »vertraulich«.
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richte über das Ereignis zu finden. Die Veranstaltungen waren in der Regel gut besucht – Brandt kam gut bei seinen Zuhörern an, »man fand ihn ungemein sympathisch«94. Viele kamen aus Neugier, um den Politiker, den sie aus dem Fernsehen kannten, einmal live zu erleben. Interessant und von den Wahlkampfplanern erhofft war die Abkoppelung der Veranstaltungen und der Person Brandts vom Wahlkampf. Brandt wurde primär als Regierender Bürgermeister von Berlin wahrgenommen und nicht als Wahlkämpfer und Kanzlerkandidat der SPD. Somit konnte man hoffen, dass das hohe Ansehen, welches das Amt und die Person des Regierenden Bürgermeisters von Berlin genoss, indirekt auf den Kandidaten und damit auf dessen Partei übertragen wurde. Viele persönliche Zuschriften aus der Bevölkerung an Brandt nach seinen Reisen bestätigten diesen Trend. Insgesamt wurde in einer internen infas-Untersuchung resümiert: »Unabhängig davon, wie groß der Teilnehmerkreis war, und unabhängig davon, ob es örtliche Einwände gegen den Charakter der Reise gegeben hat oder nicht: das Auftreten Willy Brandts war zumeist ein Ereignis. Politische Meinungsverschiedenheiten haben demgegenüber relativ wenig auszurichten vermocht. Für die Gemeinden standen weniger der Wahlkampf oder die Sorge um Berlin im Vordergrund des Interesses als die schlichte undifferenzierte Zuneigung zu einem Mann, von dem man schon viel gehört hat, und den man einfach einmal selber sehen wollte. Wo immer der Brandt-Besuch einigermaßen vorbereitet war, wurde ein Kapital an Vertrauen und Sympathien mobilisiert.«95
Das Kalkül der Berliner Wahlkampfstrategen ging demzufolge auf: Die positive Einstellung nicht geringer Teile der Bevölkerung zu Willy Brandt konnte durch sein persönliches Auftreten noch verstärkt werden. Dieser Effekt musste allerdings, wenn das Wahlkampfkonzept erfolgreich sein sollte, auf die SPD übertragen werden. Auch ansonsten versuchte man über die Person des Kandidaten das Negativimage der SPD zu verbessern. Laut Umfragen wurde der SPD vor allem in der Außenpolitik wenig zugetraut.96 Die Politik der Partei in den fünfziger Jahren auf diesem Gebiet, sei es gegen die Wiederbewaffnung, gegen den NATO-Beitritt der Bundesrepublik sowie gegen eine zu enge Westbindung, war im Gedächtnis der Bevölkerung noch verankert und negativ besetzt. Das Umschwenken der SPD auf dem Gebiet der Außenpolitik durch das bereits erläuterte Konzept der »Gemeinsamkeitspolitik« fand offenbar nicht die gewünschte Akzeptanz unter der Wählerschaft. Hinzu kam das grundsätzliche Problem, dass den Sozialdemokraten das Image der ewigen Opposition und damit der Regierungsunfähigkeit anhaftete, welches es zu
—————— 94 Ebd., S. 31. 95 Ebd., S. 38. 96 Vgl. Scheuch/Wildenmann, Wahlkampf 1961, S. 55.
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zerstreuen galt. Ein Weg führte dabei nach Ansicht der Wahlkampfplaner über den Kandidaten und dessen Image.
Der Berlin-Bonus Dabei müssen mehrere Ebenen unterschieden werden: Das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und das Prestige dieser Position sowie die symbolische Bedeutung der Stadt im In- und Ausland konnte sich die SPD zu nutze machen. Berlin, die »Frontstadt« gegen die »kommunistische Bedrohung«, wie es in der damaligen Kalten-Kriegs-Rhetorik hieß, stand stellvertretend als »Symbol der Freiheit«. Diese nicht zu unterschätzende Rolle der Stadt übertrug sich auch auf ihren höchsten Repräsentanten. Dies unterstreicht die hohe Popularität, die Brandt und seine Vorgänger als Regierende Bürgermeister in der Bundesrepublik erreichten. So hatten beispielsweise im Jahr 1959 74 Prozent der Bundesbürger eine »gute Meinung« von Willy Brandt,97 und Umfragen von Allensbach im März und Mai 1960 hatten ergeben, dass Brandt bei einer Direktwahl des Bundeskanzlers erheblich mehr Stimmen als Adenauer oder Erhard bekommen würde.98 Begünstigt wurde dies durch die mediale Aufmerksamkeit, die ständig auf die Stadt und die dortigen Ereignisse gerichtet war. Diesen Vorteil verstanden Brandt und seine Mitarbeiter durch eine gezielte Medienpolitik noch zu verstärken und für die bundespolitischen Ambitionen Willy Brandts nutzbar zu machen. Darüber hinaus bot die extreme politische Situation Berlins in den fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre Möglichkeiten für einen Lokalpolitiker, sich bundesweit zu profilieren und der Aufmerksamkeit der Massenmedien sicher zu sein. Für Willy Brandt boten sich bereits vor seiner Bürgermeisterzeit solche Gelegenheiten. Im Zuge des Ungarnaufstandes vom November 1956 kam es in Westberlin zu Demonstrationen, welche Gefahr liefen zu eskalieren.99 Die aufgebrachten Demonstranten machten sich in Richtung Brandenburger Tor auf, um in den Ostsektor der Stadt durchzubrechen. Die Reaktion der DDR-Regierung bzw. der Sowjets auf ein derartiges Vorkommnis wäre höchstwahrscheinlich der Einsatz von Waffengewalt gewesen. Die Beschwichtigungsversuche der Landesvorsitzenden der SPD, Franz Neumann, und der CDU, Ernst Lemmer, hatten keine Resonanz unter den Demonstran-
—————— 97 Vgl. Noelle/Neumann, Jahrbuch 1957-1964, S. 289. 98 Laut der Umfrage vom März 1960 hätten Erhard 26 Prozent und Brandt 43 Prozent der Stimmen erhalten. Im Mai 1960 wurde die gleiche Frage im Verhältnis Adenauer-Brandt mit dem Ergebnis 28 Prozent (Adenauer) bzw. 40 Prozent (Brandt), gestellt; vgl. ebd., S. 291. 99 Vgl. dazu ausführlich Merseburger, Willy Brandt, S. 338 ff.
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ten. Erst Willy Brandt, der als Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses einen gewissen Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad erlangt hatte, konnte durch eine mitreißende Rede und das Anstimmen der Nationalhymne die Situation entschärfen.100 Die Bilder über seinen Auftritt gingen durch die regionale und überregionale Presse; sie steigerten die Popularität Brandts in Berlin und der Bundesrepublik. Zwei Jahre später – nun als Regierender Bürgermeister – konnte sich Brandt wieder der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit sicher sein. Die »Berlin-Krise« im Zuge des Chruschtschow-Ultimatums gab ihm die Möglichkeit, sich als höchster Repräsentant Berlins im »Abwehrkampf gegen den totalitären Kommunismus«101 zu profilieren. Besuche hoher Repräsentanten der Alliierten in Berlin, besonders von Amerikanern wie zum Beispiel Senator Humphrey, garantierten die Aufmerksamkeit der Weltpresse.102 Die exponierte Rolle der Stadt eröffnete Brandt auch die Möglichkeit, sich auf der weltpolitischen Bühne einen Namen zu machen. Die USA-Besuche des Regierenden Bürgermeisters in den Jahren 1958 und 1959 boten eine gute Gelegenheit, die Verbundenheit mit Amerika zu demonstrieren und Professionalität auch auf außenpolitischem Feld zu beweisen.103 Sie fanden ein großes Presseecho sowohl in der Bundesrepublik als auch in den Vereinigten Staaten. Die amerikanische Regierung ihrerseits hatte wegen der Rolle Berlins im Kalten Krieg ein großes Interesse daran, den Aufenthalten Brandts eine große Bedeutung zu zumessen.104 So wurde der Regierende Bürgermeister nicht nur persönlich vom US-Präsidenten in Washington empfangen und weitere wichtige publikumswirksame Termine arrangiert, sondern es wurde auch für die notwendige öffentliche Aufmerksamkeit in den Medien gesorgt. Ausführliche Berichte erschienen in den großen amerikanischen Zeitungen über seine Reisen und auch die deutsche Presse berichtete fast täglich von den Amerika-Besuchen.105 Wie wichtig dem State Department und der amerikanischen Regierung überhaupt ein positives Images Brandts in den USA war, unterstreicht auch die Tatsache, dass – wie bei amerikanischen Politikern üblich – auch Rut Brandt viel Auf-
—————— 100 Vgl. dazu u.a. Willy Brandt, Mein Weg nach Berlin, aufgezeichnet von Leo Lania, München 1960, S. 316 ff. 101 Shell/Diederich, Berliner Wahl, S. 255. 102 Zur symbolischen Bedeutung Berlins im Kalten Krieg und für die USA vgl. ausführlich Daum, Kennedy, S. 37 ff. 103 Zu den Reisen Willy Brandts in die USA vgl. ausführlich Münkel, Als »deutscher Kennedy« zum Sieg?. 104 Vgl. u.a. NA-Washington, RG 59, Central Files, CDF 1955-59, Box 3551 und Interview mit Martha Mautner vom 12. Juni 2002. 105 Vgl. u.a. New York Times vom 8., 9. und 13. Februar 1958 sowie vom 9., 11. und 13. Februar 1959; Washington Post vom 10. und 11. Februar sowie vom 9., 11. und 13. Februar 1959.
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merksamkeit entgegengebracht wurde. Die attraktive, immer modisch und gut gekleidete Ehefrau mit ihrer zurückhaltenden skandinavischen Art bot sich als Sympathieträgerin sehr gut an. So wurde beispielsweise im Februar 1959 ein Trip across America für Rut Brandt vom State Department organisiert.106 Die Frauenbeilagen der Zeitungen berichteten ausführlich über die Frau des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.107 Diese ersten USA-Reisen ermöglichten es Brandt außerdem, persönlich amerikanische Formen der Selbstdarstellung von Politikern und die mediengerechte Inszenierung von Politik zu beobachten und praktische Erfahrungen bei der Umsetzung zu sammeln. Gleichzeitig begünstigte die politische Position und die Popularität, die Brandt in den USA hatte, seinen Ruf als kompetenten Außenpolitiker im Inland. Bei einer Umfrage von Allensbach im Mai 1960 stimmten immerhin 46 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Brandt im Ausland sehr angesehen sei und das Ansehen Deutschlands im Ausland gestärkt habe.108 Diesen Sachverhalt versuchten die SPD-Wahlkampfstrategen auszunutzen, indem sie die außenpolitische Kompetenz ihres Kandidaten zu einem wichtigen Pfeiler der Wahlkampfstrategie machten, in der Hoffnung, dass sich dies auf die SPD übertragen würde. So war es kein Zufall, dass Brandt im März 1961 eine erneute USAReise antrat, wobei er mit Präsident Kennedy und Repräsentanten des Kabinetts zusammentraf sowie an einer Ticker-tape-Parade in New York teilnahm.109 Eine Wahlbroschüre mit dem Titel »Vertrauen«, mit Brandt und Kennedy auf dem Titelblatt, präsentierte den Regierenden Bürgermeister und Kanzlerkandidaten als Staatsmann mit führenden Politikern aus aller Welt. Die gewollte Apostrophierung als »deutscher Kennedy« ist auch in diesem Zusammenhang zu interpretieren. Neben der außenpolitischen Kompetenz konnte Brandt in Berlin die Regierungsfähigkeit seiner Partei unter Beweis stellen. Nicht nur, dass es ihm in Krisenzeiten gelang, eine »besonnene« Politik zu betreiben, auch ansonsten versuchte er durch eine Politik auf breiter Basis zu regieren, wie die Bildung einer Großen Koalition – trotz beträchtlicher Mehrheit der SPD – nach den Berliner Wahlen vom 7. Dezember 1958 zeigte. Auch dies schlug sich positiv auf sein Image nieder. Im Dezember 1960 antworteten auf die Frage »Finden
—————— 106 Vgl. Privatarchiv Karl und Martha Mautner, Bericht von Martha Mautner März 1959, »Trip across America with Mrs. Willy Brandt«, February 14-23, 1959 (accompained by Martha Mautner). 107 Vgl. u.a. Washington Post vom 10. Februar 1959. 108 Noelle/Neumann, Jahrbuch 1957-1964, S. 290. 109 Vgl. u.a. New York Times vom 12., 13., 14. und 16. März 1961.
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Sie, Willy Brandt macht seine Sache als Berliner Bürgermeister gut oder nicht gut?« immerhin 62 Prozent mit »gut« und nur 3 (!) Prozent mit »nicht gut«.110
Werbemittel der Parteien Bei den »Werbemitteln« der SPD lassen sich sowohl alte als auch neue Elemente finden. Die traditionellen schriftlichen Wahlkampfmaterialien wie Plakate, Broschüren, Wahlillustrierte, Zeitungsanzeigen und Kandidatenbriefe überwogen auch im Wahlkampf 1961. Dies gilt für alle Parteien. Da die CDU im Vorfeld der Wahl fast alle öffentlichen Plakatwände bzw. -anschlagplätze für sich reserviert hatte, war deren Plakataufkommen fast doppelt so hoch wie das der SPD.111 Die Slogans der CDU-Plakate waren entsprechend der Strategie auf Konfrontation mit dem politischen Gegner und auf die Hervorhebung der Verdienste der Bundesregierung beschränkt. Die Personalisierung war wesentlich schwächer ausgeprägt. Neben wenigen Adenauer-Plakaten wurde häufiger das Gespann Adenauer-Erhard gezeigt. Die Slogans lauteten dementsprechend: »Deutschland braucht eine starke Regierung!«, »Erfolg und Erfahrung«, »Auch morgen in Freiheit leben«.112 Insgesamt ergibt sich der Eindruck, als ob die CDU-Kampagne des Jahres 1961 weit hinter den Standard von 1957 zurückfiel. Dies gilt sowohl für den Grad der Personalisierung als auch für die Gestaltung der Wahlkampfmittel und -methoden. Die Plakate der SPD zeigten in ihrer Mehrzahl den Spitzenkandidaten mit dem zentralen Slogan »Voran mit Willy Brandt«. Insgesamt produzierte die SPD 46 Plakatmotive.113 Der Wandel der SPD sollte auch nach außen sichtbar werden. So wurde die Benutzung der traditionellen Farbe rot vermieden und stattdessen die neutrale Farbe blau ausgewählt. Erstmals schrieb die Partei auf Initiative der Jungsozialisten einen speziellen Plakatwettbewerb aus, ein Mittel, um besonders die jungen Leute anzusprechen und für Politik zu interessieren. Die Aufgabe bestand darin, die »symbolische Gestaltung eines ›Neuen Stils‹ in der deutschen Politik« zu illustrieren.114 Diese Aktion stieß durchaus auf Resonanz, denn über 200 Entwürfe gingen in der Parteizentrale ein.115 Das Gewinner-Plakat visualisierte den neuen Kurs der »Gemeinsamkeitspolitik« durch
—————— 110 27 Prozent der Befragten hatten dazu »kein Urteil« und acht Prozent waren »unentschieden«; vgl. Noelle/Neumann, Jahrbuch 1957-1964, S. 289. 111 Vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 98. 112 Vgl. Langguth, Politik, S. 107 ff. 113 Wenerus, Massenkommunikationsmittel, S. 107. 114 Vgl. AdsD, SPD-PV/Anders, Nr. 858. 115 Vgl. SPD-Jahrbuch 1960/161, S. 315 f.
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zwei verschiedenfarbige Pfeile, die ineinander laufen mit dem Slogan »miteinander – nicht gegeneinander«. Die Wahlillustrierten waren thematisch ausgerichtet und wandten sich auch an verschiedene gesellschaftliche Gruppen. So gab es eine mit dem Titel Das Revier steht zu Berlin, eine andere hieß Davon spricht Deutschland. In Zeitungen und Illustrierten wurden je nach Zielgruppe des Publikationsorgans in großem Ausmaß Anzeigen geschaltet. In der vorletzten Woche vor der Wahl sandte die SPD an jeden Haushalt in der Bundesrepublik einen persönlichen Brief von Willy Brandt. Außerdem machte die SPD mit speziellen Filmen und Diaserien Wahlwerbung in den Kinos. So zeigte man in der Zeit vom 25. August bis zum 16. September 1961 in 4.337 Lichtspielhäusern drei unterschiedliche Wahlfilme und über einen Zeitraum von vier Wochen ergänzend oder auch allein die produzierten Farbdiaserien.116 Auch der Hörfunk wurde von den Parteien für Wahlsendungen genutzt. Nach dem Mauerbau am 13. August wurden die vorproduzierten Hörfunkspots durch politische Kommentare ersetzt.117 Eine Neuerung in der bundesdeutschen Wahlkampfgeschichte war die öffentliche Unterstützung eines Kandidaten bzw. einer Partei durch Künstler, Journalisten und Intellektuelle – auch hier hatte man sich an Vorbildern aus den USA orientiert.118
Fernsehwerbung Erstmals spielte 1961 das Fernsehen in der Wahlwerbung eine Rolle, da nun bereits fast 35 Prozent der Wähler und Wählerinnen durch das neue Medium erreicht werden konnten.119 Die Anzahl der tatsächlichen Fernsehzuschauer erhöhte sich noch, wenn man berücksichtigt, dass besonders in der Anfangszeit des Fernsehens viele Apparate in öffentlichen Räumen, wie Gaststätten, aufgestellt waren und auch im häuslichen Bereich nicht selten gemeinsame Fernsehabende mit Freunden und Nachbarn arrangiert wurden. Bereits vor Beginn der eigentlichen Wahlkampagne hatten führende Kommunikationswissenschaftler darauf hingewiesen, dass trotz aller Skepsis »uns 1961 der erste politische Bildschirm-Wettbewerb« geboten werde. Kurt Koszyk hatte die USA, die Medienanalysen amerikanischer Wahlkämpfe und die unterschiedlichen politischen und medialen Entwicklungen im Blick, als er vorschlug:
—————— 116 117 118 119
Vgl. SPD-Jahrbuch 1960/61, S. 314. Vgl. Wenerus, Massenkommunikationsmittel, S. 109 f. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 5.1 dieser Arbeit. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 4.2 dieser Arbeit.
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»Die Unentschiedenen werden in einer Fernsehkampagne jedoch nur von der Partei gewonnen werden können, die sich auf die Telegenität einiger weniger Persönlichkeiten verlässt. Nicht das intellektuelle hohe Niveau einer munteren und interessanten Fernsehschau [...], sondern die leicht eingängliche Identifizierung eines für den Fernseher sympathischen Menschen mit den Zielen einer Partei lenkt schließlich im Unterbewußtsein des Wählers die Wahlentscheidung.«120
Hier hätte der Vorteil eindeutig bei der SPD gelegen, allerdings war die Fernsehwerbung im Wahlkampf 1961 nicht entscheidend. Die ARD stellte den politischen Parteien nach einem an den Wahlergebnissen orientierten Proporz unentgeltlich Sendezeiten für ihre Wahlwerbung zur Verfügung. Die CDU bekam 70 Minuten, die SPD 60, FDP und CSU je 20 und die übrigen kleineren Parteien zwischen 15 und 5 Minuten Sendezeit.121 Für die Parteien stellte sich das grundsätzliche Problem, dass der Beginn der Ausstrahlung der Fernsehwahlwerbung für den 14. August festgesetzt war und mancher der vorproduzierten Spots bis dahin von der aktuellen politischen Entwicklung überholt und dann durch politische Ansprachen ersetzt wurde. Die beiden großen Parteien schätzten die Wirkung der Fernsehwerbung unterschiedlich ein. In der CDU/CSU war man sich grundsätzlich der Bedeutung des Fernsehens als neuem Massenmedium bewusst, war allerdings bezüglich der Wirkung von Werbespots kritisch.122 So hatte Adenauer für den Wahlkampf 1961 gefordert, auch jenes »Instrument zur Verfügung« zu bekommen, das die öffentliche Meinung sehr stark beeinflusse »nämlich das Fernsehen«.123 Damit meinte er jedoch eher den uneingeschränkten Zugriff der Regierung auf das Medium und weniger die Ausstrahlung von Fernsehspots zugunsten der CDU. Die SPD war von der Wirksamkeit von Fernsehwerbespots überzeugt und gab auf Anregung von Infratest entsprechende Untersuchungen in Auftrag. Klaus von Dohnanyi, der damalige Leiter des Instituts, schrieb an die SPD-Führung im August 1961: »Keines der modernen Massenmedien besitzt im Hinblick auf den Wahlkampf 1961 die Bedeutung und die Möglichkeiten des Fernsehens. [...] Die Parteien haben die Bedeutung des Fernsehens für die Führung des Wahlkampfes erkannt und daher beträchtliche Anstrengungen gemacht, die zur Verfügung gestellte Zeit durch optimale Ansprache an das Fernsehpublikum auszunutzen.«124
Dabei setzten die Wahlkampfmanager auch auf die besondere Telegenität des SPD-Kanzlerkandidaten. Nicht zuletzt deshalb forderte Brandt Bundeskanzler
—————— 120 121 122 123 124
Der televisionäre Wahlerfolg, in: Vorwärts vom 11. März 1960. Vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 100. Vgl. ausführlich Kapitel 2.1 dieser Arbeit. Buchstab, Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1957-1961, S. 710 f. AdsD, SPD-PV/Anders, Nr. 860, Schreiben vom 22. August 1961.
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Adenauer zu einem Fernsehduell nach dem Vorbild des Nixon-Kennedy-Duells von 1960 heraus. Adenauer lehnte ab, weil er aufgrund seines fortgeschrittenen Alters eine nachteilige Wirkung befürchtete. Was die Gestaltung der Fernsehspots anbelangt, so sind signifikante Unterschiede zwischen SPD und CDU festzustellen, die auch auf deren Bewertung durch die Zuschauer Einfluss hatten. Die SPD hatte elf unterschiedliche Sendungen produziert,125 die als zentralen Fokus die Person des Kanzlerkandidaten hatten. Die diversen Werbespots waren als Reihe unter dem Motto »Auf ein Wort« konzipiert.126 Die längeren unter ihnen stellten Willy Brandt als Regierenden Bürgermeister von Berlin und als beliebten, volksnahen, jungen, der Zukunft zugewandten und dynamischen Politiker dar, der Probleme meistere und gleichzeitig hohes Ansehen in aller Welt genösse. Einblendungen von Zusammentreffen zwischen Brandt und hochrangigen internationalen Politikern unterstrichen dies. Weitere Themen waren das Bekenntnis zur Bundeswehr und zur Verteidigungsbereitschaft, zur Westbindung und Europa. Etwa in der Mitte der Spots hielt Brandt eine kurze Ansprache an die Wähler und Wählerinnen, in der er seine Vorstellungen einer zukünftigen Politik für Deutschland konkretisierte. Ebenso kamen einige Mitglieder der »Mannschaft« zu Wort. Auffällig ist bei diesen Spots, dass die SPD als Partei fast gar nicht vorkommt, nur am Ende wird explizit zur Wahl der Sozialdemokraten aufgerufen. Auch dies passte in das oben beschriebene Konzept. In einem längeren Spot, der unter dem Titel »Wer ist Willy Brandt?« lief, betonten die Wahlkampfleiter sogar, dass Brandt eben kein »typischer« Sozialdemokrat sei, sondern innerhalb der Partei reformerische Konzepte vertrete. Dieser Wahlfilm ist allerdings noch vor einem anderen Hintergrund besonders hervorzuheben. Er ist als eine Reaktion auf die massiven Diffamierungskampagnen zu verstehen. Dem Zuschauer wurde Willy Brandt als zuverlässiger Politiker, als Familienvater, Intellektueller und Publizist vorgestellt. Des weiteren wurde ein Gespräch mit einem jungen Paar eingeblendet, welches Brandts Vergangenheit zum Inhalt hatte. Die kürzeren SPD-Wahlspots nahmen als Ausgangspunkt die »Deutschlandreise« des Kandidaten und hatten gemäß dem »Regierungsprogramm der SPD« jeweils einen inhaltlichen Schwerpunkt.127 Immer wiederkehrendes Element war das Bad in der Menge sowie das Zusammentreffen mit Betroffenen und/oder Experten.
—————— 125 Neun Filme á fünf und zwei á zehn Minuten Länge. 126 Die Spots sind überliefert im Filmarchiv des AdsD. 127 Dies waren Sozialpolitik, vor allem Fragen nach der Situation der Rentner und Rentnerinnen, Bildungs-, Verkehrs-, Umwelt- sowie Gesundheitspolitik.
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Insgesamt gesehen entsprach die SPD-Fernsehwerbung – orientiert an amerikanischen Vorbildern – damals den als modern geltenden Standards. Sie war dynamisch und integrierte einen abgewogenen Wechsel unterschiedlicher Stilmittel. Der SPD-Kandidat wurde nicht nur als Politiker, sondern auch als Mensch und Familienvater präsentiert, indem seine Frau und seine Söhne in das Werbekonzept einbezogen wurden. Insgesamt kam diese Form der Fernsehwahlwerbung – wie zeitgenössische Umfragen ermittelten – bei den Zuschauern und Zuschauerinnen gut an. Die Wahlsendungen der SPD wurden besser beurteilt als die der CDU, und Willy Brandt hatten den »besten Eindruck« hinterlassen.128 »Die Wahlsendungen der SPD waren gegenüber den Sendungen der CDU abwechslungsreicher und ansprechender gestaltet. Durch das Einbeziehen aktueller Ereignisse und vor allem die Angleichung der Wahlsendungen an die vorhergegangenen Sendungen gelang es der SPD, Interesse und Aufmerksamkeit des Zuschauers zu wecken, die Glaubwürdigkeit zu erhöhen und die Unterscheidung von objektiver Berichterstattung und Propaganda zu erschweren«,129
hieß es in einer zeitgenössischen Analyse. Die CDU hatte zwar 16 Wahlspots vorproduziert, musste allerdings cirka die Hälfte angesichts der politischen Ereignisse vom 13. August zurückziehen. Diese wurden durch weniger ansprechende Reden und Vorträge ersetzt. Die inhaltlichen Schwerpunkte lagen vor allem in der Gleichsetzung einer »Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik« mit der CDU. Zusätzlich brachte die Fernsehberichterstattung über die Ereignisse um und nach dem Mauerbau Brandt einen Vorteil und steigerte seine Publizität. So schrieb der Spiegel: »Da zog Zonendirektor Ulbricht seinen Stacheldraht quer durch Berlin. Und schon in den nächsten acht Tagen, unmittelbar bevor die Flimmerschirme minutenweise für den Wahlkampf freigegeben werden sollten, durfte sich Willy Brandt vor 20 Millionen Zuschauern geschlagene zehn Stunden lang als Fernsehstar produzieren: mal Liebling des Volkes vor dem Schöneberger Rathaus, mal Staatsmann vor dem Forum des Deutschen Bundestages, mal Intimus der Amerikaner neben Kennedys Stellvertreter Johnson – allemal in einer Rolle, die das deutsche Publikum heutigentags fasziniert. Gegenkandidat Konrad Adenauer war derweil vom Glück verlassen; er brachte es in der ersten Berliner Krisenwoche auf zwei Fernsehstunden.«130
Trotz der großen Medienpräsenz, des professionellen Wahlkampfes und der mediengerechten Inszenierung des Kandidaten konnte die SPD zwar im End-
—————— 128 Vgl. Wenerus, Massenkommunikationsmittel, S. 130 ff. 129 Ebd., S. 127. 130 Der Spiegel vom 6. September 1961.
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ergebnis mit 36,2 Prozent über vier Prozentpunkte im Vergleich zu 1957 hinzugewinnen, erreichte aber ihr Wahlziel einer Regierungsbeteiligung nicht. Die Gründe dafür waren vielfältig, werfen aber auch die Frage nach der Wirkungsmächtigkeit der Medien im politischen Prozess auf. In der Kommunikationswissenschaft ist es unbestritten, dass trotz verstärkter Medienwirkungsforschung eindeutige Aussagen zu deren realen Wirkung problematisch sind.131 Vor dem Hintergrund, dass sich die Herausbildung entsprechender Methoden in der Kommunikationswissenschaft während der sechziger Jahren erst in den Anfängen befand, und die Medienlandschaft anders strukturiert war als in der Gegenwart, ergeben sich zusätzliche Schwierigkeiten, gesicherte Aussagen zu treffen. Unstrittig ist, dass im Laufe der sechziger Jahre die Massenmedien zunehmend an Bedeutung für die politische Meinungsbildung gewannen.132 Während der Bundestagwahl von 1961 informierten sich über das politische Geschehen 42 Prozent der Befragten laut einer Emnid-Studie »sehr viel« und »viel« aus den Tageszeitungen, 34 Prozent aus dem Radio und 21 Prozent aus dem Fernsehen.133 Diese Zahlen lassen sich auch durch die unterschiedlichen Verbreitungsgrade des jeweiligen Massenmediums erklären. Dennoch sahen 40 Prozent der Bevölkerung die Wahlsendungen der Parteien im Fernsehen, ebenso viele hörten die Spots im Radio. Den konkreten Einfluss der Sendungen auf die Wahlentscheidungen lässt sich im nachhinein schwer ermessen. Eine zeitgenössische Untersuchung kommt allerdings zu dem Schluss: »Aber die hohen Zuschauerzahlen, die durch eine günstige Platzierung erreicht wurden, und die Tatsache, daß ein sehr hoher Prozentsatz (85%) der Zuschauer zu den Wahlsendungen Stellung nahm, lassen erkennen, daß die Wahlsendungen im Fernsehen einen starken Eindruck hinterließen. [...] Selbst wenn ein Teil dieser Zuschauer Wahlsendungen unbeabsichtigt empfing, und diese Tatsache vielleicht zu einer ablehnenden Haltung führte, zeigen die Stellungnahmen zu den Wahlsendungen, daß ein großer Teil der Sendungen perzipiert wurde. Das ist für den politischen Entscheidungsprozeß umso bedeutsamer, da das Fernsehen Anhänger verschiedener Parteien gleichzeitig erreichte. Wenn auch meistens nur die Sendungen der bevorzugten Partei die Zustimmung der Wähler fand, dürften die Sendungen der übrigen Parteien zu Vergleichen angeregt haben.«134
Daraus lässt sich schließen, dass die Wirkung einer ansprechenden und damit mediengerechten Fernsehwerbung nicht unterschätzt werden sollte, aber wohl auch nicht wahlentscheidend war.
—————— 131 132 133 134
Vgl. u.a. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 78 ff. Vgl. Kepplinger, Demontage, S. 37. Vgl. Wenerus, Massenkommunikationsmittel, S. 128 f. Ebd., S. 137.
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Zwischenbilanz Ein modernes Wahlkampfkonzept, welches die Medien stärker als bisher berücksichtigte, eine starke Personalisierung sowie ein medienwirksamer und erfahrener Kandidat waren 1961 offenbar nicht ausreichend, um eine Wahl zu gewinnen. Hier waren mindestens ebenso politische Inhalte, traditionelle Parteipräferenzen sowie Politikerbilder ausschlaggebend. Die Entwicklung der Bundesrepublik in die Richtung einer »Mediendemokratie« befand sich erst in den Anfängen. Hier liegt ein entscheidender Unterschied zur Situation in den USA, wo die Medien bereits eine wesentlich herausragendere Rolle bei den Wahlentscheidungen der Bürger spielten und insgesamt mehr Gewicht in der politischen Kultur besaßen.135 Hinzu kam, dass es der SPD und ihrem Kandidaten auch in Sachfragen nicht gelungen war, sich als echte Alternative zur Regierung zu profilieren und neue Wählerschichten in ausreichendem Maße zu rekrutieren. Viele blieben offenbar skeptisch gegenüber der neuen »Gemeinsamkeitspolitik«, die es erschwerte, Unterschiede zwischen den Parteien festzustellen und die SPD zuviel von ihrem eigenständigen Profil kostete. Letzteres monierten vor allem die Stammwähler der Partei. Ein anderer Faktor waren die Diffamierungskampagnen gegen Brandt, durch die es der Union gelang, ein Gegenimage Brandts in der Öffentlichkeit zu installieren. Die Diffamierungen wurden nicht nur durch Verbalattacken führender Unionspolitiker verbreitet, sondern vor allem durch eine großangelegte Hetze in der rechtsgerichteten Presse. Eine weiterer Punkt war der Bau der Berliner Mauer mitten im Wahlkampf. Zwar rückte das Ereignis – wie ausgeführt – Brandt als Regierenden Bürgermeister der Stadt in den Mittelpunkt der nationalen und internationalen Öffentlichkeit, dennoch erschien der Mehrheit der Wähler offensichtlich in dieser bedrohlichen Situation ein Regierungswechsel – entsprechend dem CDU-Slogan »Keine Experimente« – nicht opportun. Da die SPD-Kampagne 1961 für die Partei einen entscheidenden Bruch mit den traditionellen Inhalten und Formen der Öffentlichkeitsarbeit bedeutete, kamen Vermittlungsprobleme an der eigenen Basis hinzu, die zu diesem Zeitpunkt häufig nicht bereit war, die Trendwende der Bundespartei nachzuvollziehen und umzusetzen.
—————— 135 Vgl. u.a. Graber, Mass Media, S. 2 ff.
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6.3 Vom »Großen Gespräch« zum Mannschaftswahlkampf: Der Wahlkampf 1965 Nach der verlorenen Wahl 1961 und einer intensiven Analyse der Ursachen gingen die SPD und ihr Kanzlerkandidat umgehend daran, sich auf den nächsten Wahlkampf vorzubereiten.136 Die Phase zwischen 1962 und 1965 lässt sich für die SPD als permanenter Wahlkampf beschreiben. Ausgangspunkt für die SPD waren eine Reihe von medien- und öffentlichkeitswirksam inszenierten Veranstaltungen, die unter dem Schlagwort »Das große Gespräch« firmierten. Gemäß den formulierten »Gemeinschaftsaufgaben« waren damit diverse Konferenzen betitelt, in deren Mittelpunkt jeweils ein Themenschwerpunkt stand. Die Anregung zu dieser Form der politischen Diskussion kam direkt von Willy Brandt und Klaus Schütz.137 Auf diesen Veranstaltungen erörterten Politiker und mehr oder weniger unabhängige Fachleute, Wissenschaftler sowie Intellektuelle Zukunftsperspektiven für die unterschiedlichen Politikfelder.138 Konkret hieß dies: Bildung, Gesundheit, Stadtplanung und Sozialpolitik. Das Ganze gipfelte in dem großen »Kongreß Deutsche Gemeinschaftsaufgaben« vom 17. bis 19. Oktober 1962 und vom 29. August bis 1. September 1963 in Berlin.139 Hier sollten »in einem Nebeneinander von Forumsgesprächen, intimen Round-Table-Diskussionen, Vorlesungen, Seminaren, filmischen Demonstrationen [...] und Exkursionen«140 die unterschiedlichen Themenbereiche erörtert werden. Mit diesen Konferenzen verfolgte man vor allem zwei Strategien: Zum einen sollten dadurch Sachkompetenz und politische Seriosität demonstriert sowie neue Impulse für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik geboten werden. Dies betonte Brandt in einem Dankschreiben an die Teilnehmer des »Kongresses Deutsche Gemeinschaftsaufgaben« im Jahr 1962 ausdrücklich:
»Ich möchte Ihnen, zugleich im Namen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, noch einmal herzlich für Ihre Mitwirkung am Kongreß Deutsche Gemeinschaftsaufgaben in der Berliner Kongreßhalle danken. Meine politischen Freunde und ich halten diesen Kongreß für den gelungenen Ausdruck einer neuen Art, sich mit Fragen der öffentlichen Ver-
—————— 136 137 138 139 140
Vgl. ebd. Vgl. AdsD, SPD-PV, Nr. 709, Exposé »Kongress deutsche Gemeinschaftsaufgaben«. Zur Zusammenarbeit von SPD und Wissenschaftlern vgl. ausführlich Kapitel 5 dieser Arbeit. Vgl. Dokumentation deutscher Gemeinschaftsaufgaben. AdsD, SPD-PV, 6788, Schreiben vom 28. Februar 1963.
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antwortung auseinanderzusetzen. Wir sind sehr froh, daß Sie uns geholfen haben, einen neuen Stil im Umgang zwischen Wissenschaft und Politik sichtbar zu machen.«141
Zum anderen wurden unter dem Schlagwort »Das Große Gespräch« seit 1963 gezielte Einsätze von führenden Sozialdemokraten in ausgesuchten Orten verstanden, die als eine Art Vorwahlkampf gelten können. Ziel war es, »mit Vertretern derjenigen Bevölkerungsschichten [...], die für die Wahlentscheidung wichtig sind«142 ins Gespräch zu kommen, damit so genannte Meinungsführer an die SPD zu binden und für den folgenden Wahlkampf zu mobilisieren. Grundlage dieses Vorgehens waren Erkenntnisse von demoskopischen Untersuchungen, die die wichtige Bedeutung einer interpersonalen Kommunikation herausgefunden hatten.143 Auch die Hundertjahrfeier der SPD im Mai 1963 bot eine weitere Möglichkeit, das Bild der Partei in der Öffentlichkeit positiv darzustellen. Hier eröffnete sich die Chance, die älteste deutsche Partei im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne zu positionieren und auf diese Weise sowohl die Stammwählerschaft als auch neue Wählerschichten anzusprechen. Die zentrale Feierstunde fand am 12. Mai 1963 in Hannover statt. Die Festrede hielt Carlo Schmid, der einen Bogen von Ferdinand Lassalle bis zu Willy Brandt spannte, und betonte, dass die Sozialdemokratie trotz aller Veränderungen immer an ihrer »Grundrichtung« festgehalten habe. Der Feier in Hannover folgten zahlreiche weitere lokale Veranstaltungen zum Thema. Willy Brandt sprach auf einer Festveranstaltung in Düsseldorf am 31. Mai 1963. Seine Rede stand unter dem Motto »Sozialdemokratie auf dem Weg nach vorn«.144 Brandt betonte nach einem historischen Überblick über die verschiedenen Generationen der deutschen Sozialdemokratie, dass die SPD mittlerweile zu »einer Partei des Volkes« geworden sei, und er führte weiter aus: »Die moderne Sozialdemokratie ist tatsächlich auf dem Weg nach vorn, auf dem Weg zur entscheidenden Mitgestaltung. Dies ist die Krönung einer 100jährigen Tradition. Gestützt auf diese Tradition werden wir die politische Macht erringen. Und dann werden wir mehr Ehrlichkeit und mehr Gerechtigkeit nicht nur fordern, sondern verwirklichen.«145
Dieses Bekenntnis zu einer vorwärtsgewandten, jedoch in ihren Traditionen verwurzelten Partei wurde während des gesamten Wahlkampfes 1965 im Gegensatz zu 1961 immer wieder betont.
—————— 141 142 143 144 145
Ebd. AdsD, SPD-PV, 2/PVAR, Nr. 1, Vermerk vom 24. Oktober 1963. Zur Rolle der Demoskopie in der Politik vgl. Kruke, Parteien. Die Rede ist als Dokument Nr. 49 abgedruckt in: Münkel, Auf dem Weg nach vorn, S. 289-299. Ebd., S. 299.
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Flankiert wurden die Festakte zum Parteijubiläum durch vielfältige Werbemittel.146 Ein Film in Spielfilmlänge (anderthalb Stunden lang) mit dem Titel »100 Jahre SPD« wurde produziert und auf zahlreichen SPD-Veranstaltungen einem großen Publikum gezeigt, eine Schallplatte unter dem gleichen Titel wurde gepresst, eine Tonbildfolge »Ins zweite Jahrhundert« hergestellt sowie diverse Broschüren, Bücher und Plakate zum Thema produziert. Auf einem der Plakate findet sich ein Motiv, welches im Bundestagswahlkampf 1965 erneut Verwendung finden sollte: »Die ersten hundert Jahre SPD-1963«, wobei die Aufschrift »SPD-1963« einem Autokennzeichen glich. Dieser Bezug zum Automobil kann als Chiffre für das Wirtschaftswunder, für Modernität und Mobilität, für Wohlstand und deutsche Qualitätsarbeit, für Zukunft und Fortschritt gelesen werden. Damit sollte bei den Wählern und Wählerinnen die Assoziation einer »modernen, fortschrittlichen« Partei ausgelöst werden, die wenig mit der Partei der fünfziger Jahre gemein hatte. Nach dem Tod Ollenhauers im Dezember 1963 wurde Willy Brandt am 15./16. Februar 1964 auf einem außerordentlichen Parteitag zum neuen Parteivorsitzenden gewählt und gleichzeitig zum alten/neuen Kanzlerkandidaten gekürt. Fritz Erler und Herbert Wehner wurden seine beiden Stellvertreter. Somit hatte die SPD bereits mehr als anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl ihren Kandidaten bestimmt, was für das Konzept des permanenten Wahlkampfes von Vorteil war, da es so keine Probleme mit strittigen Personalia gab.
Vorwahlkampf Der reguläre Parteitag der Sozialdemokraten im November 1964 war dann ein wichtiges Ereignis im Vorwahlkampf. Dementsprechend medien- und publikumswirksam wurde die Veranstaltung inszeniert, ein Regierungsprogramm, eine Regierungsmannschaft, der mit Ausnahme von Käte Strobel nur Männer angehörten, der Öffentlichkeit präsentiert und Willy Brandt nochmals als Parteivorsitzender mit einem »überwältigenden« Ergebnis bestätigt.147 Als Logo wurde, wie schon bei der Hundertjahrfeier, das Nummernschild diesmal mit der Aufschrift »SPD-1964« gewählt; der Leitspruch des Parteitages war »Erbe und Auftrag«, also auch hier wieder die Verknüpfung von Tradition und Moderne, von Vergangenheitserfahrung und Zukunftsgestaltungsanspruch.
—————— 146 Vgl. SPD-Jahrbuch 1962/63, S. 297 ff. 147 Brandt wurde mit 314 von 324 gültigen Stimmen wieder gewählt; Vgl. Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 23. bis 27. November in Karlsruhe 1964, S. 829.
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Insgesamt fand der Parteitag laut einer Untersuchung von ifas »ein positives Echo« und erfuhr eine »eingehende Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen«148. ARD und ZDF brachten 90 Minuten Direktberichte vom Parteitag – eine nicht zu unterschätzende Steigerung der publicity für die Partei. Organisatorisch blieben die Planungsgruppe in Bonn und das »Büro Willy Brandt« in Berlin für die Vorbereitungen des Wahlkampfes 1965 verantwortlich. Die »Zentrale-Wahlkampfleitung« bestand aus dem Parteivorsitzenden, den stellvertretenden Vorsitzenden sowie dem Schatzmeister der Partei.149 Das Büro wurde von Herbert Wehner geleitet.150 Neben den bereits dargelegten konkreten Vorgehen in der Zwischenwahlkampfzeit machten sich die Verantwortlichen aber schon seit 1962 Gedanken über die konkrete Gestaltung der Kampagne für 1965. Während der Landtagswahlen in Bayern (1962), in Nordrhein-Westfalen (1962) und in Rheinland-Pfalz (1963) sowie bei diversen Kommunalwahlen (1964) erprobten die Wahlkampfmacher der Sozialdemokraten einige Neuerungen für die Bundestagswahl.151 Dies galt für die Wahlillustrierte, die erstmals mit einem spezifischen Regionalteil versehen wurde, wie für Fernsehfilme, Plakate und Musteranzeigen sowie einen verstärkten Einsatz der Demoskopie. Auch Willy Brandt beteiligte sich aktiv mit konkreten Vorschlägen an den Wahlkampfplanungen seiner Partei. Im Juli 1963 legte er ein mehrseitiges Papier vor, worin 21 Punkte aufgelistet wurden, die es nach Auffassung Brandts im nächsten Bundestagswahlkampf zu berücksichtigen galt.152 Ausgehend von der durch eine Umfrage ermittelten Feststellung, dass die SPD von einem Großteil der Bevölkerung immer noch als »Arbeiterpartei« betrachtet werde, stellte er fest, dass ein »abgerundetes Bild«153 vermittelt und innerparteilicher Streit vermieden werden müsse. Überlegungen zu einem fairen Wahlkampf, ferner Fragen der Gewinnung katholischer Wähler sowie der Wahlkampforganisation wurden ebenfalls in dem Papier angesprochen. Die Kandidatenkür sollte zu keiner »Routineangelegenheit« werden, zumal nicht der Kandidat, sondern vielmehr die Mannschaft im Vordergrund des Konzeptes stehen sollte. Die »Deutschlandreisen« sollten noch detaillierter geplant werden. Ebenso sollte ein fester Stamm von Journalisten immer dabei
—————— 148 Ifas, Politogramm vom März 1965. 149 Vgl. AdsD, NL Fritz Erler, Nr. 63. 150 Zwar wurde im Jahr 1964 die ARE als parteieigene Werbeagentur gegründet, diese spielte wegen Unstimmigkeiten mit der »Zentralen-Wahlkampfleitung« im Wahlkampf 1965 allerdings keine entscheidende Rolle. 151 Vgl. AdsD, SPD-PV, Nr. 6945, Bericht Karl Garbes vom 6. April 1966. 152 Vgl. AdsD, SPD-PV, Nr. 6929, Hinweise und Erwägungen. 153 Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass Brandt ursprünglich »ein abgerundetes Bild einer ›Volkspartei‹ geschrieben hatte, dann aber »einer ›Volkspartei‹« durchgestrichen hat.
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sein, und lokalen Reportern die Möglichkeit für Fragen gegeben werden. Das System der Standardrede müsse durch die Integration von mehr lokalen Spezifika verbessert werden. Darüber hinaus forderte Brandt »die amerikanischen und die englischen Wahlen zu beobachten und rasch auszuwerten«154. Wie die »Beobachtung« des amerikanischen Wahlkampfes aussehen sollte, legte Brandt im Mai 1964 fest.155 Im Mittelpunkt sollten ein Besuch bei den verantwortlichen Wahlkampfmanagern, des Parteitages der Demokraten sowie der SchlussKampagne stehen. Diese ausführlichen Aufzeichnungen des Kanzlerkandidaten über die Gestaltung des Bundestagswahlkampfes 1965 sind vor allem deswegen von Bedeutung, weil ein Großteil davon umgesetzt wurde und sich somit ein wesentlicher Einfluss auf die Wahlkampfgestaltung durch Brandt nachweisen lässt.
Veränderte Ausgangslage Die Ausgangssituation für den eigentlichen Wahlkampf war eine andere als noch vier Jahre zuvor. Im Jahr 1963 löste Ludwig Erhard nach 14 Jahren Konrad Adenauer als Bundeskanzler ab, was aber die personellen und inhaltlichen Orientierungsprobleme eher vergrößerte als löste. Erhard war in der eigenen Partei nicht unumstritten und hatte zahlreiche Probleme, sich in der neuen Rolle und in den für ihn neuen Politikfeldern, wie der Außenpolitik, zurechtzufinden.156 In der Bevölkerung war er jedoch sehr beliebt. Der »Vater des Wirtschaftswunders« galt nicht wie Adenauer als »Patriarch«, sondern als »Volkskanzler«. Seine äußere Erscheinung erschien wie ein politisches Programm: Wohlgenährt, mit Hut und dicker Zigarre personifizierte er das »Wirtschaftswunder« und stand für Deutschlands Aufschwung. PR-Berater hätten ihn nicht besser »erfinden« können. Die Gegensatzpaare für die beiden Kandidaten waren demzufolge nicht mehr so leicht aufzubauen wie noch 1961: der jungdynamische Brandt gegen den greisen Adenauer. Hinzu kam, dass die Wirtschaft weiter prosperierte, die Menschen in der Mehrheit vom Aufschwung profitierten und dies Erhard und der CDU/CSU zuschrieben. Für den Wahlkampf der SPD ergaben sich diverse Konsequenzen aus dem neuen »Gegner« Erhard. Zum einen galt es den Wahlkampf stärker innenpolitisch auszurichten, zum anderen sollte wegen der Beliebtheit Erhards
—————— 154 AdsD, SPD-PV, Nr. 6929, Hinweise und Erwägungen. 155 Vgl. WBA, Beruflicher Werdegang und Berlin, Mappe 50 (alt). 156 Vgl. dazu ausführlich Hentschel, Erhard, S. 599 ff., bes. S. 786 ff.
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ein direkter Vergleich Kanzler versus Kandidat vermieden werden, weswegen der Grad der Personalisierung der Kampagne möglichst niedrig gehalten werden sollte. Daraus ergab sich die Schlussfolgerung, stärker die »Mannschaft« und weniger den Kandidaten in den Mittelpunkt der SPD-Werbung zu stellen. Kernpunkte des Wahlkonzeptes waren neben der Herausstellung der Regierungsmannschaft vor allem die »Regionalisierung, Entdramatisierung und Mobilisierung«.157 Im Gegensatz zur CDU, die auf Konfrontation mit dem politischen Gegner setzte, versuchte die SPD, möglichst derartige Angriffe zu vermeiden und wiederum die »Gemeinschaftsaufgaben« zu betonen. Eine solche Strategie hatte zur Folge, dass sich für viele Wähler und Wählerinnen in realpolitischen Fragen die Unterschiede zwischen Union und Sozialdemokratie weithin verwischten. Dies fand seinen Ausdruck sogar in den Wahlslogans. Die Hauptslogans der CDU waren »Es geht um Deutschland – CDU« und »Unsere Sicherheit – CDU«, während die SPD neben dem bereits seit 1963 als Symbol eingeführten Autokennzeichen »SPD-1965« mit dem Slogan »Sicher ist Sicher – SPD« warb. Wie aus den parteiinternen Unterlagen hervorgeht, wurde dieser Leitspruch gewählt, um der CDU die Möglichkeit zu nehmen, ihn ihrerseits zu nutzen, da man befürchtete: »Eine solche Parole würde schlagend auf den einfachsten Nenner bringen, was für die CDU ist und gegen die SPD. Es wäre die positive Variation des Satzes ›Keine Experimente‹, nur im Bedeutungsinhalt ungleich schwergewichtiger. Deshalb müssen wir rechtzeitig diese Losung besetzen.«158
Die Sozialdemokratie versuchte, sich mit diesem Hauptslogan als Volkspartei zu gerieren und ihr Image als Arbeiterpartei endgültig abzustreifen. Dass die SPD mit »Sicher ist Sicher« für ihre Wahl warb, brachte ihr jedoch viel Kritik in Medien und Öffentlichkeit ein, da dieser dann doch zu sehr an die Union erinnerte. Darüber hinaus war er auch innerparteilich nicht unumstritten. So meinten nicht wenige Parteifunktionäre, dass er »gar nicht recht zur SPD« passen würde.159
—————— 157 »Regionalisierung« meinte vor allem eine starke Verlagerung des Wahlkampfes in die Wahlkreise und die Betonung regionaler Eigenheiten bei der Wahlwerbung. Unter »Entdramatisierung« wurde verstanden, die Konfrontation mit dem politischen Gegner nicht zu suchen und einen »fairen Wahlkampf zu führen. In diesem Zusammenhang ist auch das erstmals geschlossene Abkommen zwischen den Parteien »über die Führung eines fairen Wahlkampfes und über die Begrenzung der Wahlkampfkosten« einzuordnen. Die »Mobilisierung« zielte auf die eigenen Mitglieder, die im Wahlkampf aktiv mitarbeiten und vor Ort in die Wahlwerbung eingebunden werden sollten. Durch Gespräche in ihrem persönlichen Umfeld oder am Arbeitsplatz sollte diskutiert und für die Wahl der SPD geworben werden; vgl. Struve, Kampf um die Mehrheit, S. 143 ff. 158 AdsD, SPD-PV, Nr. 6801, Schreiben vom 27. Mai 1965. 159 Vgl. u.a. AdsD, SPD-PV, Nr. 6945, Bericht vom 6. April 1966.
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Wahlkampf des Kanzlerkandidaten Obwohl die SPD eine zu starke Personalisierung des Wahlkampfes verhindern wollte, gab es auch diesmal eine gesonderte Kampagne für den Kanzlerkandidaten. Die Berliner Gruppe organisierte wieder eine am amerikanischen campaigning ausgerichtete Wahlkampftour, nur etwas professioneller als 1961 und mit anderen regionalen Schwerpunkten. Zeitgenössische Medienberichte sprachen 1965 davon, dass es eine »ähnlich exakt arbeitende Maschine, wie diese, die Brandt bei seinem zweiten Anlauf zur Macht hievt und schiebt [...] in der deutschen Parteiengeschichte noch nicht gegeben«160 habe. Hans Ulrich Kempski schrieb in der Süddeutschen Zeitung im September 1965: »Die radikalen Neuerungen sind amerikanischen Vorbildern abgeschaut, funktionieren aber bereits perfekt. Für irgendwelche Ausbrüche aus dem Programm lässt die teutonische Nachahmung der US-Kampagnen keinen Raum. Nichts darf passieren, was die von Motivforschern, Werbeexperten und Psychologen angepeilte Marschroute gefährden könnte.«161
Ziel der Bemühungen war es vor allem, die Unentschiedenen162 und die eigene Klientel als Wählerreservoir für die Sozialdemokratie auszuschöpfen. Da die Demoskopen diese vor allem in den Großstädten, speziell in denen des Ruhrgebietes, ausgemacht hatten, tourte Brandt diesmal nicht durch Dörfer- und Landgemeinden, sondern durch die urbanen Zentren der Bundesrepublik. Das Ritual lief immer gleich ab, und seine Wahlkampfstrategen sorgten mit Einsatz modernster Technik dafür, dass der Zeitplan stets minutiös eingehalten wurde. »Ein Lautsprecherwagen kündigt ihn an, dann rollt der schwarze Mercedes 300 vorbei, darunter tut’s auch die SPD nicht mehr. Im offenen Fond steht Brandt mit dem Wahlkreisabgeordneten seiner Partei, mit gemessener Geste entbietet er den Wählern seinen Gruß. [...] Die SPD hat 44 ›Durchfahrten‹ in größeren Städten für Brandt organisiert. Dieses ›Campaigning‹ [...] erstreckt sich meist den ganzen Nachmittag, der Abend ist für zwei oder drei größere Kundgebungen reserviert. Oft beginnt es mit einem Auftritt Brandts, der für die Lokalpresse ergiebig ist. Der Kanzlerkandidat besucht ein Altersheim, hält eine kurze Ansprache und lässt kleine Geschenke verteilen; oder er besucht einen Hausfrauennachmittag.«163
So beschrieb Rolf Zundel den Ablauf der Brandtschen Wahlkampftour in der Zeit. Bei Dunkelheit oder schlechten Lichtverhältnissen wurde der schwarze
—————— 160 Süddeutsche Zeitung vom 13. September 1965 (Der zweite Anlauf zur Macht – im »Zug der Zeit«). 161 Ebd. 162 Vgl. dazu u.a. Struve, Kampf um die Mehrheit, S. 134 ff. 163 Die Zeit vom 10. September 1965 (Es kommt auf jede Stimme an). Dass Brandt Altenheime und Hausfrauen besuchte, ist dadurch zu erklären, dass Rentner eine Zielgruppe im Wahlkampf ebenso wie Nichtwähler waren, unter denen Hausfrauen den höchsten Anteil stellten.
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Mercedes durch ein cremefarbenes Modell ersetzt und mancherorts spielt eine Kapelle beim Einzug des Kandidaten »Das ist die Berliner Luft.« Das Fortbewegungsmittel für längere Strecken war ein Sonderzug, und wenn nötig stand ein Flugzeug zur Verfügung. In seinen Reden vor Ort knüpfte Brandt an lokale Besonderheiten an. Er hatte zwar auch eine Standardrede, diese wurde jedoch je nach Bedarf abgewandelt.164 Die zentralen Themen seiner Wahlkampfreden waren Bildungsnotstand, Fragen der Raumordnung, Gesundheits- und Finanzpolitik.165 Wahlkampfbeobachter bemerkten zusätzlich, dass Brandt versuchte, sich in seinen Reden als »Erbwalter von John F. Kennedy«166 zu präsentieren. Die Assoziation des »deutschen Kennedys« sollte auf diese Weise aufrechterhalten werden. Willy Brandt handele im gleichen Sinne wie der ermordete US-Präsident und praktiziere Politik ähnlich wie dieser war die Botschaft. Außerdem wurde so noch einmal das gute Verhältnis des Kanzlerkandidaten zu den USA und deren höchsten Regierungsrepräsentanten unterstrichen. Auch nach der Wahl 1961 hatte Brandt regelmäßig die USA besucht und sich mit den Präsidenten getroffen. Im Juni 1963 hatte er die Ehrendoktorwürde der Eliteuniversität Harvard verliehen bekommen. Auch im Wahljahr reiste der Regierende Bürgermeister wieder medienwirksam in die Vereinigten Staaten, um seine außenpolitische Bedeutsamkeit auch im Vergleich zum Bundeskanzler nochmals zu unterstreichen. Gemäß der festgelegten Wahlkampflinie der »Entdramatisierung« vermied Brandt es in seinen Reden, die Regierung direkt anzugreifen, sondern versuchte auf die Defizite ihrer Politik aufmerksam zu machen. Die Wahlkampfveranstaltungen Brandts waren gut besucht und der Kandidat kam parteiinternen und allgemeinen Medienberichten zufolge bei seinen Zuhörern und -hörerinnen auch an. Allerdings gelang es ihm noch nicht, wie dann in späteren Jahren, »das Blut von Zuhörern [...] richtig in Wallung zu bringen«167. »[...] Er hinterlässt ein Bild, das nicht unvorteilhaft aussieht: Er gibt, nachdem er sich 18 Pfund abgehungert hat, eine straffe elastische Erscheinung ab. Seine Gesichtshaut ist gebräunt. Er trägt elegante Anzüge, biedert sich bei niemanden an, hat bescheidene Manieren. Es geht nichts maßloses von ihm
—————— 164 Vgl. AdsD, SPD-PV, Berliner Büro, Nr. 6934. 165 Diese Themenschwerpunkte waren Teil der von der SPD postulierten »Gemeinschaftsaufgaben«, die es vordringlich im Hinblick auf eine zukunftsfähige Gesellschaft zu lösen galt. Das Thema Gesundheit zielte auf eine bessere medizinische Versorgung der Menschen ab. Hinzu kamen Fragen der Absicherung der Rentner. In der Finanzpolitik standen die Geldwertstabilität und das Wirtschaftswachstum im Vordergrund, da sich erste Probleme auf diesem Gebiet zeigten. Die Verbesserung und Modernisierung der Bildungspolitik war seit 1961 schon ein herausragendes Thema gewesen; vgl. Struve, Kampf um die Mehrheit, S. 163 ff. 166 Süddeutsche Zeitung vom 13. September 1965. 167 Ebd.
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aus, auch nichts selbstgefälliges«,168 kommentierte etwa Hans Ulrich Kempski in der Süddeutschen Zeitung. Flankiert wurde die Kampagne des Kandidaten durch eine intensive Medienarbeit. Wie schon im Jahr 1961 begleiteten ausgesuchte Journalisten Willy Brandt auf seiner Wahlkampftour. Zusätzlich wurden gezielt lokale Presseorgane angesprochen, indem Interviews mit lokalpolitischem Bezug vorbereitet und das passende Bildmaterial durch die Nutzung der neuen Polaroidkameras gleich mit geliefert wurde. Die Berichterstattung der Presse lässt sich folgendermaßen charakterisieren: Die rechtsgerichtete Presse initiierte wieder mit Unterstützung der CDU eine Neuauflage der Diffamierungskampagnen gegen Brandt von 1960/1961. Das Vorgehen und die Argumente unterschieden sich dabei kaum von dem vorangegangenen Bundestagswahlkampf.169 Demgegenüber verfasste die Mehrheit der Printmedien über Brandt und seinen Wahlkampf Berichte, die – anders als vier Jahre später – in ihrer Mehrheit nicht von Sympathie geprägt waren. Die liberalen und linksliberalen Blätter wie Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Frankfurter Rundschau und Stern berichteten hingegen in der Regel positiv über Brandt und seine Kampagne.170 Anders etwa Der Spiegel: insbesondere Hermann Schreiber äußerte sich in mehreren Artikeln sehr kritisch über die Kampagne sowie die Person Brandts und seine Politik. In einer großaufgemachten Spiegel-Geschichte unter dem Titel »Bereitsein für Alles« vom 11. August 1965 ging das Magazin zum Generalangriff auf den SPDKanzlerkandidaten, seine engsten Mitarbeiter sowie seine Unterstützer aus der Künstler- und Intellektuellenszene über. Dabei wurde vor allem die Inszenierung von Person und Wahlkampf angegriffen und damit eine »Amerikanisierung« der politischen Kultur kritisiert, ein Topos, der auch in der Gegenwart immer wieder während Wahlkämpfen als negativer Posten von den Medien ins Feld geführt wird. Der Autor stellte Brandt als Kunstprodukt dar, der für sein Image und einen möglichen Wahlsieg zahlreiche »Verbiegungen« hinnehme und dadurch letztendlich an Glaubwürdigkeit verlieren würde: »Der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten muß jetzt erfahren, daß nichts einen Politiker schlimmer verschleißt als dieses Bereitsein für alles, das er namens und im Auftrag der SPD zu verkörpern hat. Er macht einen Prestigeverlust durch [...] Aus dem Zugpferd der Partei ist so ein Fußkranker geworden. [...] Dieser Brandt weiß das wohl. Denn er ist ja nicht der Mann für den er gehalten wird. Wer vor seinen Posen nicht haltmacht, der findet ihn im Niemandsland zwischen seinen Masken, in der Mühsal der Selbsterkenntnisse; findet einen Brandt, der mehr über sich weiß und der mehr Abstand zu sich hat als seine Lieschen-Mül-
—————— 168 Ebd. 169 Vgl. Münkel, »Alias Frahm«, S. 412 ff. 170 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.1 dieser Arbeit.
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ler-Diktion vermuten lässt. [...] Mit scheint. Willy Brandt ist zwar sicher, daß er Kanzler sein, nicht aber, daß er es werden könne. Und diese Bundestagswahl ist seine letzte Chance.«171
Hermann Schreiber gab als Grund für seine Berichterstattung an, dass er gegen eine Große Koalition sei und beide Kandidaten für nicht besonders geeignet hielte.172 Die Kritik zielte auch darauf ab, dass die SPD keine wirkliche politische Alternative biete. Der Artikel löste bei der SPD Entrüstung, Unverständnis aber auch Besorgnis aus, da den Wahlkampfstrategen die Bedeutung des Spiegels als wichtiges Organ der politischen Meinungsbildung bewusst war.173
Die CDU-Kampagne Die Wahlveranstaltungen des Bundeskanzlers verliefen anders als die des SPDKandidaten, was sowohl an der unterschiedlichen Konzeption als auch an den verschiedenen Persönlichkeiten lag. Die CDU setzte ganz auf einen personalisierten Wahlkampf und auf eine »Dramatisierungsstrategie«: direkte Angriffe zielten auf den politischen Gegner ab, um den Wählern zu suggerieren, dass ein Wahlsieg der SPD nicht weniger als gleichbedeutend mit dem Untergang Deutschlands wäre. Anknüpfen konnte die CDU hierbei einerseits an langlebige Ressentiments gegen die deutsche Sozialdemokratie als »vaterlandslose Gesellen«, die eher für »Chaos« als für »Stabilität« standen, andererseits an eine durch den Kalten Krieg verstärkte latente Angst vor dem »Sozialismus«. Dementsprechend offensiv und verbalaggressiv ging Erhard bei seinen Wahlreden gegen die Opposition, deren Kanzlerkandidaten und alle anderen ihm vermeintlich als »Gegner« gegenüberstehenden Gruppen wie Gewerkschaften, Künstler, Schriftsteller oder Intellektuelle vor. Für Erhard persönlich bedeutete diese Wahl mehr als den Erhalt der Regierungsmacht für seine Partei: es sollte ein Plebiszit für seine Kanzlerschaft sein. In der »heißen Wahlkampfphase« vom 8. August bis 19. September 1965 reiste Erhard mit einem Sonderzug, der während des »Dritten Reiches« von Reichsfeldmarschall Hermann Göring genutzt worden war, durch die Republik und legte bei 500 Auftritten ca. 23.000 km zurück.174 Zur Fortbewegung vor Ort benutzte er einen Mercedes der gehobenen Klasse. Der Wagen war speziell für einen Deutschlandbesuch der Königin von England angefertigt worden. Der Kanzler übernahm den Wagen samt Nummernschild »S-KE 600«. »Königin Elisabeth« wurde
—————— 171 172 173 174
Der Spiegel vom 11. August 1965. Vgl. Priva. Harpprecht, Korrespondenz ab 1963 S-V, Schreiben vom 1. September 1965. Vgl. AdsD, SPD-PV, Nr. 6930, Schreiben vom 19. August 1965. Vgl. u.a. Kempski, Um die Macht, S. 105.
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kurzerhand zu »Kanzler Erhard« umdefiniert. Ungefähr zwei Millionen Menschen erlebten den Kanzler live im Wahlkampf. Trotz der rein äußerlichen Ähnlichkeiten der Wahlkampfreise von Kanzler und Kandidat gab es wesentliche Unterschiede in der Präsentation von Person und Politik. Erhards Wahlkampfauftritte reichten von kurzen fünfminütigen Ansprachen bis hin zu abendfüllenden Kundgebungen.175 Er hielt Standardreden, die »Wirtschaftswunder« und soziale Marktwirtschaft sowie seinen Schöpfer feierten und Angriffe gegen die SPD enthielten.176 Er versuchte seinen Zuhörern und Zuhörerinnen klar zu machen, dass es bei dieser Wahl auch um die Wahl des richtigen Bundeskanzlers gehe, wobei er sich in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte. Seine Fähigkeit andere zu begeistern, hielt sich in Grenzen: »Die Lokomotive qualmt, doch es fehlt ihr an Kraft. Der Bundeskanzler führt geschickte Zwiesprache mit dem Wählervolk, wirkt aber nicht mehr als Magnet« war beispielsweise eine Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung.177 Der Erhard-Biograph Volker Hentschel schreibt über den Wahlkämpfer Erhard: »Von 1949 vielleicht abgesehen – aber da war er jung und energiegeladen gewesen – hatte Erhard ja nie Wahlkampf im engeren Sinn des Wortes geführt. Er war als werbender Messias durchs Land gezogen, der sich freundlich herbeiließ und dem man gläubig huldigte. Die gläubige Anteilnahme an seiner Person, die nach seinem Tun nicht fragte, hatte ihn bestätigt und beschwingt. Er fühlte sich gut in Wahlkämpfen und hatte Grund dazu. So sollte es seinem Selbstverständnis nach auch sein. Aber so war es nicht mehr. Er füllte noch immer die Säle, aber er interessierte nicht mehr wirklich. Was er sagte und wie er es sagte, rief keine Begeisterung und nur mäßigen Beifall hervor. Er ließ gleichgültig oder veranlaßte zu Protest.«178
Die zeitgenössische Berichterstattung über den Erhard’schen Wahlkampf hatte den gleichen Tenor. Die von Hentschel angedeuteten Widerstände kamen vor allem von jüngeren Leuten, speziell von Studenten. So waren die Kundgebungen in den Universitätsstädten Marburg, Göttingen, Tübingen und Heidelberg von massiven Protesten begleitet. Diese gründeten sich zum einen auf die verbalen Entgleisungen des Kanzlers gegenüber jenen Schriftstellern und Intellektuellen, die Brandt unterstützten. Anfang Juli 1965 hatte Erhard auf einer Großkundgebung der Jungen Union ausgeführt, dass »es einen Intellektualismus [gibt], der in Idiotie umkippt, wenn der Intellektuelle nur die Unzufriedenheit schürt, von der Sache aber nichts versteht«.179 Wenige Tage später äußerte er sich in gleiche Richtung, indem er Ausführungen des Schriftstellers
—————— 175 176 177 178 179
Vgl. Hentschel, Erhard, S. 793 f. Vgl. Ebd. S. 798. Süddeutsche Zeitung vom 8. September 1965. Hentschel, Erhard, S. 797 f. Zitiert nach: ebd., S. 791.
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Rolf Hochhuth zu sozialpolitischen Fragen als »Banausentum« bezeichnete und weiter ausführte: »Die sprechen von Dingen, von denen sie von Tuten und Blasen keine Ahnung haben. Die begeben sich auf die Ebene, auf die parterrste Ebene eines kleinen Parteipolitikers und wollen mit dem hohen Grad eines Dichters ernstgenommen werden. Nein, so haben wir nicht gewettet. Da hört der Dichter auf, da fängt der ganz kleine Pinscher an, der in dümmlichster Weise kläfft.«180
Eine solche Intellektuellenschelte und -feindlichkeit, die auf der Trennung von »Geist und Macht« beharrte, wollten sich viele Intellektuelle und Studenten nicht bieten lassen. Außerdem waren die Proteste in Form von Demonstrationen, Reden oder Zeitungsartikeln ein Zeichen des beginnenden gesellschaftlichen Wandels und die Vorzeichen der Studentenbewegung. Erhard konnte mit den Störungen seiner Wahlkampfveranstaltungen nicht umgehen, er geriet aus der Fassung, beschimpfte die Protestierenden als »Kommunisten« und sah dahinter eine gezielte Verschwörung gegen ihn. Der Kanzler wurde auf seinen Reisen von einem großen Tross Journalisten begleitet, die regelmäßig Berichte an ihre Redaktionen sandten. Nachts saß er mit ihnen beim Whisky im Wahlkampfzug zusammen und führte informelle Gespräche.181 Obwohl die Auswahl der begleitenden Journalisten nicht dem Zufall überlassen wurde,182 war die Berichterstattung über Erhards Wahlkampf dennoch von kritischen Tönen begleitet. Er vermochte nicht mehr zu überzeugen. Auch die Imageberatung des aus Journalisten und Wahlforschern bestehenden Beraterkreises, der »Brigade Erhard« bzw. des »Sonderkreises Erhard«,183 und die Erfindung eingängiger Parolen wie das Konzept der »formierten Gesellschaft«184 waren wenig erfolgreich.
—————— 180 Zitiert nach: ebd. 181 Vgl. u.a. Kempski, Um die Macht, S. 107. 182 So hieß es in einem vertraulichen Schreiben vom 23. Juli 1965: »Für die Auswahl der Journalisten zur Begleitung des Bundeskanzlers auf den einzelnen Reisen ist maßgebend einmal das jeweilige bereiste Gebiet, dann die beruflichen, politischen und menschlichen Voraussetzungen des jeweiligen Journalisten und das Zusammenpassen in der Gruppe, die notwendige Mischung zwischen den verschiedenen Medien, schließlich, soweit das dann noch möglich ist, Berücksichtigung eigener Wünsche der Journalisten«; ACDP, VII-003, Nr.4/2. 183 Vgl. LES, Protokolle des »Sonderkreises Erhard«. 184 Die Idee beruhte auf der anhaltenden Besorgnis Erhards, dass die bundesdeutsche Gesellschaft in Gruppen zerfalle, die jeweils um hohe Anteile am Sozialprodukt sowie um den Einfluss auf politische Entscheidungen kämpfen würden. In der »formierten Gesellschaft« hingegen solle der Einfluss der Verbände zugunsten der Individuen zurücktreten und so nicht die organisierten Interessen, sondern Vernunft, Einsicht und Rücksicht die Gesellschaft prägen; vgl. Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik, S. 415.
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Fernsehen im Wahlkampf Im Wahlkampf des Jahres 1965 spielte das Fernsehen aufgrund der rasant zunehmenden Teilnehmerzahlen eine größere Rolle als noch 1961. Darüber hinaus nutzten die Politiker das Medium intensiver. Als Bühne boten sich vor allem die politischen Sendungen und Magazine wie zum Beispiel Panorama an, die eine große Zuschauerschaft garantierten. Beide Parteien hatten spezielle Arbeitskreise für »Rundfunk und Fernsehen«, die sich mit dem gezielten Einsatz der modernen Medien im Wahlkampf befassten. Die besondere Bedeutung, die dem Fernsehen in diesem Wahlkampf beigemessen wurde, unterstreicht auch die Tatsache, dass Brandt Bundeskanzler Erhard mehrfach zu einem Fernsehduell nach amerikanischem Vorbild aufforderte, was dieser jedoch ablehnte.185 Den Parteien standen wieder unentgeltliche Sendezeiten in Rundfunk- und Fernsehen für ihre Wahlwerbung in größerem Umfang als 1961 zur Verfügung.186 Die Spots der beiden großen Parteien entsprachen exakt den jeweiligen Wahlkampfkonzepten. So stand bei der SPD nicht mehr primär der Kandidat im Mittelpunkt, sondern die jeweiligen Mitglieder der »Mannschaft«.187 Ähnlich wie 1961 waren sie als Reihe gestaltet, allerdings stand diese nun unter dem Titel Bonner Depesche. Vom Stil her war die Reihe als Nachrichtensendung konzipiert, was die angestrebte »Sachlichkeit« unterstreichen sollte. Als Sprecherin für diese Spots wurde Irene Koss, die damals beliebteste deutsche Fernsehansagerin, gewonnen.188 Umfragen zufolge kamen auch in diesem Wahlkampf die Wahlwerbesendungen der SPD besser an als die der CDU, die altbacken wirkten.189 Die Wirkung der Spots ist allerdings nicht zu hoch anzusetzen: »Sie [die Umfrage, D.M.] spiegelt eine starke generelle Abneigung gegenüber Parteiensendungen, weil diese nicht als Information, sondern als Propaganda und sogar als Manipulation empfunden werden«,190 wurde im SPD-PV festgehalten. Die Skepsis der Parteien über die Wirkung der Fernsehwerbung war demzufolge also berechtigt. Trotzdem war allen Wahlkampfmachern wohl bewusst, dass
—————— 185 Vgl. u.a. Stern vom 15. August 1965 (Offener Brief an Professor Erhard). 186 Die Angaben über die genauen Zeitkontingente differieren: nach einer Angabe standen in ARD und ZDF der Union 55 Minuten, der SPD 45 Minuten und der FDP 15 Minuten Sendezeit zur Verfügung; einer anderen zu Folge bekamen CDU und SPD je 40 Minuten sowie FDP und CSU je 15 Minuten; vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 108. 187 Die Wahlspots sind im Filmarchiv des AdsD zu finden. 188 Vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 108. 189 Vgl. u.a. ebd. 190 AdsD, SPD-PV, Nr. 1374, Aktennotiz vom 11. Oktober 1968, betr.: »Wahlsendungen im Fernsehen bei der Bundestagswahl 1965«.
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ohne ansprechende Fernsehwerbung mittelfristig keine Wahl mehr zu gewinnen sei.
Werbemittel der Parteien Dennoch waren auch im Bundestagswahlkampf 1965 die »traditionellen« Werbemittel, nämlich Plakat, Anzeige und Flugblatt, die dominierenden Maßnahmen.191 Für die CDU wurde das Bundespresseamt wieder im Wahlkampf aktiv. Es ließ unter anderem Tonbildschauen, in denen die Erfolge der Regierung und des Kanzlers einem breitem Publikum präsentiert wurden, produzieren.192 Darüber hinaus wurden die Wahlkampfvorbereitungen zwischen Bundespresse- und Bundeskanzleramt detailliert abgesprochen, wie aus vertraulichen Vermerken hervorgeht.193 Eine umfangreiche Anzeigenkampagne »Mitbürger fragen – der Kanzler antwortet« wurde ebenfalls vom Presseamt initiiert. Auch diesmal spielte die CDU-Parteizentrale eine untergeordnete Rolle. Bei der Konzeption setzte man wieder auf die Angebote der bewährten Werbeagentur Hegemann, wobei Meinungsumfragen die Grundlage der Strategie waren. Die Plakate unterschieden sich im Stil von denen der Adenauer-Ära. Sie waren insgesamt »schlichter und sachlicher«, was darüber hinaus in dem nun in rot gehaltenen CDU-Logo zum Ausdruck kam. Ansonsten wurde erneut das traditionelle Werberepertoire der vorangegangenen Wahlkämpfe bemüht, inklusive Mobilwerbung und den Aktivitäten des ADK. Auch bei der SPD dominierten die gedruckten Werbemittel, das heißt Plakate mit den bereits erwähnten Slogans sowie Wahlillustrierte, Wählerbriefe und Anzeigen. Nachdrücklicher als noch vier Jahre zuvor setzen sich 1965 Künstler und Intellektuelle für die SPD und ihren Kanzlerkandidaten ein.194 Trotz des Ansatzes der SPD-Wahlkampfstrategen, eine zu starke Fokussierung auf den Kanzlerkandidaten zu vermeiden, wurde in der Rückschau festgestellt, dass »Willy Brandt nie eine größere Rolle in den Werbemitteln als 1965« gespielt habe und von den Parteiorganisationen »nie so viele Brandt-Plakate bestellt und geklebt« worden sind wie in dieser Zeit.195 Darüber hinaus dominierte Brandt »im zentralen Teil der 19 Millionen Wahl-Illustrierten«, und auch in der »Inseraten-Kampagne wurde immer wieder der Mann und sein Werk ins
—————— 191 192 193 194 195
Vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 105 ff. Vgl. u.a. BA-Koblenz, B 145, Nr. 2794. Vgl. ACDP, VII-003, Schreiben vom 8. Februar 1965. Vgl. ausführlich Kapitel 5.1 dieser Arbeit. Konkret bedeutete dies: »das Verhältnis Brandt-Plakat: Kandidaten-Plakat: Ja-Plakat betrug 5:3:1«; AdsD, SPD-PV, Nr. 6945, Bericht vom 6. April 1966.
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Zentrum gerückt«196. Auch 1965 ist also eine starke Personalisierung der Wahlkampagnen beider Parteien zu konstatieren.
Zwischenbilanz Trotz der Kritik an Ludwig Erhard in der eigenen Partei, unter Intellektuellen und in großen Teilen der Presse gelang es dem »Volkskanzler«, ein überragendes Ergebnis mit 47,6 Prozent zu erzielen. Dies ist als Indiz dafür zu sehen, dass es den Wählern vor allem darum ging, welcher Partei und Person sie die stabilen gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse in der Bundesrepublik zuschreiben konnten. Sie ließen sich nicht allein von Personen, Werbung und Medienberichterstattung in ihrer Stimmenabgabe beeinflussen. Die SPD erreichte 39,3 Prozent und verbesserte ihr Ergebnis von 1961 um etwas mehr als drei Prozentpunkte. Dennoch war es ihr nicht gelungen, die Stimmenmehrheit zu erreichen. Gleich nach der Wahl setzten sich die Parteigremien kritisch mit dem Wahlergebnis und dem Wahlkampf auseinander. Willy Brandt, nicht nur von seiner eigenen zweiten Niederlage enttäuscht, sondern auch durch die erneuten Diffamierungen seiner Person schwer getroffen, erklärte in einer Pressekonferenz am 22. September 1965, dass er zwar weiter Parteivorsitzender der SPD und Regierender Bürgermeister von Berlin bleiben wolle, aber »kein Anwärter für 1969 auf das Amt des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland« sein werde. Er führte weiter aus: »Es hat eine offizielle Wahlkampagne gegeben, die man mehr oder weniger fair nennen kann. Es hat eine darunter liegende Wahlkampagne gegeben, die mich wie 1961 nicht unverletzt aus diesem Wahlkampf hat herausgehen lassen. Ich bin mit sauberen Händen nach Deutschland zurückgekommen, mit sauberen Händen nach Deutschland zurückgekommen [sic!]. Ich bekenne mich zu meinem Lebensweg. Ich bekenne mich zu dem Stück freiheitlicher Tradition dieses Landes, in der ich stehe. Auch die Bitterkeit über die Dreckkampagne, die auf der Ebene unterhalb des offiziellen Wahlkampfes gegen mich bis in die letzten Tage [ge]führt worden ist, hindert mich nicht daran und wird mich nicht daran hindern, das weiter zu verfolgen mit meinen Möglichkeiten, wofür ich mich vor fünf Jahren auf dem Hannoverschen Parteitag der SPD ausgesprochen habe, nämlich alles was in meiner Kraft steht, zur Aussöhnung dieses Volkes zu tun. Aber ich gebe es zu, ich bin nicht unversehrt aus dieser Kampagne herausgekommen.«197
Trotz dieser Erklärung gingen Analysen und erste Überlegungen für die nächste Wahlkampagne der SPD relativ schnell weiter.
—————— 196 Ebd. 197 Dokument Nr. 59 abgedruckt in: Münkel, Auf dem Weg nach vorn, S. 354-359, hier S. 357.
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6.4 Ein neuer Stil? Der Wahlkampf 1969 Die Bundestagwahl 1969 markiert die entscheidende Zäsur in dem Bestreben der SPD auch ihre Öffentlichkeitsarbeit weiter zu modernisieren. Auf der Grundlage empirischer Meinungsforschung galt es, planmäßige Werbestrategien zu entwerfen, die sich an den Erfordernissen des Mediensystems und der modernen Konsumwerbung ausrichteten. Es war der erste wirkliche »Medienwahlkampf« in der Geschichte der Bundesrepublik, was sich darin äußerte, dass sich die Aktivitäten – vor allem der SPD – von der Straße nun vollends hin zu Presse, Rundfunk und Fernsehen verschoben. Ende der sechziger Jahre hatte die SPD damit einen spezifischen Wahlkampfstil zur Reife gebracht, der für ihre Öffentlichkeitsarbeit – wie neuere Längsschnittanalysen zeigen198 – bis 1980 konstitutiv bleiben und die Wahlkampfkultur der Bundesrepublik nachhaltig beeinflussen sollte.
Wahlkampfvorbereitungen Die Vorbereitungen für den Wahlkampf 1969 begannen früh. Schon Anfang August 1967 legte das SPD-Präsidium erste grundlegende Überlegungen vor.199 Im Mittelpunkt standen dabei der Anspruch auf die »politische Führung« in der Bundesrepublik, die Spitzenkandidatur Willy Brandts, die enge Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, Künstlern, Intellektuellen sowie die Aufstellung eines eigenen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl. Allerdings galt es zunächst, die Entscheidung für das Regierungsbündnis mit der CDU nach außen und nach innen zu legitimieren. Aus dem Entschluss für eine Große Koalition hatten sich zwar massive innerparteiliche Konflikte ergeben und auch die mit der Sozialdemokratie sympathisierenden Künstler und Intellektuellen, allen voran Günter Grass, hatten öffentlich gegen dieses Bündnis protestiert.200 Dennoch gelang es der Parteispitze mittelfristig durch einen regelrechten Werbefeldzug, die eigenen Genossen und Sympathisanten zu überzeugen. Auch der Parteivorsitzende war sich bewusst, dass die Große Koalition in seiner eigenen Partei mit »viel Skepsis oder auch mit offener Ablehnung« aufgenommen werden würde. Aus diesem Grund hatte er noch im Dezember 1966 einen Brief an die SPD-Parteimitglieder verfasst, in dem er die Bildung dieser Koalition rechtfertigte und die Vorteile für die SPD und die
—————— 198 Vgl. Hetterich, Von Adenauer zu Schröder. 199 Vgl. AdsD, SPD-PV, Präsidiumssitzung vom 1./2. August 1967. 200 Zur großen Koalition allgemein vgl. Schönhoven, Wendejahre.
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Bundesrepublik hervorhob.201 Um für die Entscheidung zu werben, wurden zahlreiche regionale Parteiveranstaltungen abgehalten sowie Erfolgsmeldungen und Bilanzen veröffentlicht, so zum Beispiel eine 20-seitige Sonderbeilage des Vorwärts mit dem Titel »Die SPD in der Regierung« im November 1967, in der das erste Jahr der Regierungsarbeit dargestellt und bewertet wurde.202 Die Bemühungen der Parteiführung um Aufklärung und nicht zuletzt die sichtbaren Erfolge der SPD-Minister in der Koalition trugen dazu bei, den innerparteilichen Konflikt wesentlich zu entschärfen. Vorerst waren die politischen Folgen für die SPD allerdings eher negativ: Es gab Parteiaustritte und Verluste bei den Landtagswahlen des Jahres 1968. Während des Nürnberger Parteitages im Jahr 1968, auf dem es unter anderem aufgrund der Beteiligung der SPD an der Großen Koalition zu tumultartigen Ausschreitungen kam, sollte diese Entscheidung der Führungsgremien im Nachhinein legitimiert werden. Das Ergebnis war denkbar knapp – der Antrag wurde mit 173 gegenüber 129 Stimmen angenommen – und unterstrich noch einmal die in der Partei weiterhin verbreitete innerparteiliche Skepsis gegenüber dem Regierungsbündnis mit der CDU/CSU. Dennoch hatte sich die Parteispitze durchgesetzt. Nachdem diese Hürde überwunden war, konzentrierte man sich auf die Konzeption der Bundestagswahlkampagne. Wie schon bei den vorherigen Wahlkämpfen wurde eine feste Organisation für den Wahlkampf installiert. Zwar konnten dadurch Reibungsverluste unter anderem mit der Fraktion nicht völlig vermieden werden, diese wurden jedoch abgeschwächt. Allerdings kam es auch in den diversen parteieigenen Arbeitsgruppen zu Koordinationsproblemen. So beschwerte sich der persönliche Referent Willy Brandts, Peter Röhrig, bei dem Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Partei, Werner Müller: »Obwohl wir uns ständig bemühen, Sie und Ihre Abteilung mit Informationen aus unserem Arbeitsbereich zu versorgen und Anregungen zu geben [...] müssen wir in zunehmendem Maße feststellen, daß Sie uns die für unsere Arbeit notwendigen Informationen aus Ihrem Bereich nicht zukommen lassen. Das erschwert zwangsläufig eine fruchtbare Kooperation, zumal gerade im Bereich Wahlkampf-Öffentlichkeitsarbeit immer mehr Arbeitsgruppen und
—————— 201 Vgl. als Dokument Nr. 71 abgedruckt in: Münkel, Auf dem Weg nach vorn, S. 392-395. 202 Brandt führt dort u.a. aus: »Das erste Jahr stellte uns vor die Aufgabe, Schäden zu reparieren, die nicht von uns angerichtet wurden, aber unser gesamtes Volk in große Gefahr brachten. Wir haben bei der Überwindung der Vergangenheit Opfer bringen und verlangen müssen, um den Weg in die Zukunft freizuschaufeln. Diese Opfer werden nur dann einen Sinn gehabt haben, wenn wir den beschrittenen Weg fortsetzen, bis der neue Aufschwung verwirklicht ist und man ohne Zögern von einer gesicherten nächsten Zukunft sprechen kann. Dazu kommt es nicht gegen und ohne die SPD. Darin liegt unsere große Verantwortung, der wir uns zu stellen haben, heute für morgen«; SPD-Pressemitteilungen und Informationen vom 11. November 1967.
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Arbeitsgrüppchen entstehen, die in keiner Weise aufeinander abgestimmt sind und sich gegenseitig über ihre Arbeitsergebnisse nicht auf dem Laufenden halten.«203
Trotz solcher und ähnlicher Schwierigkeiten gelang es im Vergleich zu den beiden vorangegangen Kampagnen, die Organisation stärker zu zentralisieren. So fiel unter anderem das Wahlbüro Berlin weg. Die organisatorische Federführung des Wahlkampfes lag in den Händen des seit 1968 amtierenden Bundesgeschäftsführers Hans-Jürgen Wischnewski. Als zentrales Wahlkampfgremium wurde wiederum eine »Zentrale Wahlkampfleitung« installiert, deren Mitglieder Willy Brandt, Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Karl Schiller, Alfred Nau und Hans-Jürgen Wischnewski waren. Ihnen zur Seite stand eine »Technische Wahlkampfleitung« (TWL), die sich vor allem mit anstehenden Detailfragen befasste und der ZWL zuarbeitete. Die Mitglieder der TWL waren Mitarbeiter von Parteivorstand und Fraktion. Des weiteren bemühte sich die Zentrale in Bonn um eine möglichst umfassende Information der regionalen Wahlkampfinstitutionen sowie um einen regen Kommunikationsprozess. Für die Umsetzung in konkrete Werbung zeichnete neben der ARE-Werbeagentur die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit beim PV verantwortlich. Um eine moderne und professionelle Wahlkampfwerbung zu ermöglichen, wurde die ARE eigens umstrukturiert. Diesmal spielte die Demoskopie nicht nur eine wichtige Rolle für die Konzeption des Wahlkampfes, sondern ihre Klassifizierungen wurden nun auch als Bewertungskriterium für die Politik im Allgemeinen übernommen. Damit hatte sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Gestaltung und öffentliche Darstellung von Politik bekommen. Neben diesen organisatorischen Veränderungen hatten sich die strukturellen Voraussetzungen für die Kampagne grundlegend gewandelt. Dies hatte nachhaltige Auswirkungen auf die Werbestrategie: Die SPD führte erstmals einen Wahlkampf nicht aus der Opposition heraus, sondern als mitregierende Partei. Die Sozialdemokraten sahen sich nun nicht mehr gezwungen, unter Beweis zu stellen, dass sie auch wirklich regierungsfähig waren. Dies hatten die beteiligten Minister mit ihrer erfolgreichen Politik in der Großen Koalition mit Nachdruck bewiesen.204 Wahlbeobachter wurden 1968 nach Schweden geschickt, wo die dortige Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SAP) einen äußerst erfolgreichen Wahlkampf geführt hatte. Über die amerikanischen Präsidentschaftswahlen des Jahres 1968 berichtete Klaus Harpprecht regelmäßig dem SPD-Parteivor-
—————— 203 AdsD, SPD-PV, 2/PVE/8, Schreiben vom 21. Juli 1969. 204 Die Erfolge lagen vor allem in der Wirtschafts- und Außenpolitik. Allerdings wurden auch in der Innen- und Sozialpolitik wichtige Reformvorhaben auf den Weg gebracht; vgl. dazu ausführlich Schneider, Kunst des Kompromisses, S. 166 ff.
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stand,205 und auch der Bundesgeschäftsführer reiste eigens zur Wahlkampfbeobachtung in die Vereinigten Staaten.206 Die Vorbildfunktion beschränkte sich jedoch nach wie vor auf die Übernahme einzelner Versatzstücke und nicht auf die grundsätzliche Anlage der SPD-Kampagne. Denn, so führte es unter anderem Brandts persönlicher Referent in einem Schreiben aus: »wir [können, D.M.] uns diese Lautstärke und Farbenpracht, wie sie einen amerikanischen Wahlkampf auszeichnen, bei den deutschen Wählern nicht recht leisten. Hier will man einen mehr ›seriösen‹ Wahlkampfstil.«207
Willy Brandt beteiligte sich auch diesmal wieder persönlich an der Ausarbeitung der Konzeption des Wahlkampfes. So entwickelte er unter anderem in einer Rede vor dem Parteirat im Juni 1969 nicht nur eine differenzierte Situationsanalyse, sondern auch die daraus zu ziehenden Konsequenzen für einen erfolgreichen Bundestagswahlkampf.208 Aus der Regierungsbeteiligung resultiere das Problem, so Brandt, dass der Koalitionspartner auch der »Hauptgegner« sei, wobei er dafür plädiere, die CDU/CSU in »möglichst viele Widersprüche [zu] verwickeln«. Die Auseinandersetzung mit Bundeskanzler Kiesinger solle soweit wie möglich unterbleiben, da »seine Popularität [...] relativ unabhängig [....] von konkreter Leistung« zu sein scheine. Auch der damalige Finanzminister Strauß solle nicht »unnötig hochgejubelt« werden. Ziel einer solchen Strategie war es, den politischen Gegner – soweit möglich – zu ignorieren, um ihm keine unnötige Angriffsfläche zu bieten. Ansonsten brauche die SPD ihr »Licht nicht unter den Scheffel zu stellen«, denn die Erfolge ihrer Regierungsbeteiligung könnten sich sehen lassen. Auch die Bevölkerung sei nach Umfragen »von dem Leistungsanteil der Partei an der Arbeit der Regierung und an der Arbeit des Bundestages beeindruckt«. Wirtschafts- und außenpolitische Erfolge würden anerkannt. Dennoch müssten die Sozialdemokraten im Unterschied zur CDU, deren Bild in der Öffentlichkeit etabliert und festgefügt sei, »ihren Stand in der öffentlichen Meinung immer neu behaupten und neu sichern«. Insgesamt sei »das Ansehen der Partei in der Öffentlichkeit weitaus größer, als dies einem Teil unser Funktionäre oder Mitglieder bewusst ist«. Wichtig sei es, dass die SPD auf Grundlage ihres auf dem Außerordentlichen Parteitag im April 1969 in Godesberg verabschiedeten »Regierungspro-
—————— 205 206 207 208
Zu Klaus Harpprecht vgl. ausführlich Kapitel 5.2 dieser Arbeit. Vgl. u.a. AdsD, 2/PVAR 56, Schreiben vom 27. November 1968. Ebd., Schreiben vom 19. Februar 1969. Vgl. zum Folgenden AdsD, SPD-PV, PV-Protokolle, Mai-August 1969, Protokoll der Sitzung des Parteirates der SPD vom 28. Juni 1969.
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gramms« ihre politischen Inhalte überzeugend darlege und damit auch bisher nicht ausgeschöpfte »Wählerreservoirs« anspreche.209
Die Kampagnen von SPD und CDU Die konkrete Werbestrategie der SPD stand auf mehreren Grundpfeilern und lief in drei vorher festgelegten Phasen ab.210 Die erste, der so genannte »Vorwahlkampf«, erstreckte sich vom Januar 1969 bis zum Beginn der Sommerferien. Sie galt vor allem der »Sympathiewerbung«. Getragen wurde dieser Teil des Wahlkampfes durch erste Anzeigen in Tages- und Wochenzeitungen, die »Testimonialkampagne« von Prominenten aus Kunst, Kultur, Wissenschaft, Showbuisness und Sport sowie Ausstellungen, Kongresse, Plakat- und Sloganwettbewerbe. Daran schloss sich die »Ferienphase« an. Die potenziellen Wähler und Wählerinnen sollten in entspannter Laune und Umgebung mit entsprechend gestaltetem Werbematerial angesprochen werden. Erstmals gab die SPD ein Ferienmagazin in einer Auflage von fünf Millionen Exemplaren heraus. Dieses Heft war wie ein »modernes«, farbiges Boulevardmagazin im Stil von Quick und vergleichbaren Blättern aufgemacht. Es informierte die Leser und Leserinnen in unterhaltsamer Weise mit vielen farbigen Bilder über die Urlaubs- und Freizeitaktivitäten der SPD-Spitzenpolitiker, so hieß es unter anderem »Erleben Sie ein Wochenende mit Willy Brandt«. Politik wurde so als Unterhaltung verkauft und Politiker als Menschen »wie Du und ich« inszeniert. Die letzte Phase, der eigentliche »heiße Wahlkampf«, setzte ungefähr sechs Wochen vor dem Wahltermin am 28. September ein. Hier wurde nochmals eine regelrechte Medienoffensive gestartet, die alle Werbeträger – Presse, Rundfunk, Fernsehen, Flugblätter und Plakate – einbezog. Sowohl inhaltlich, konzeptionell als auch hinsichtlich der Gestaltung der Werbemittel war der Bundestagswahlkampf der SPD im Jahre 1969 anders als die vorangegangenen der Partei, aber auch anders als der der CDU. Im Jahr 1969 wurde wesentlich stärker als 1961 und 1965 »die Mannschaft« in den Mittelpunkt gerückt, um so politische Sachkompetenz zu unterstreichen und die stark personalisierte CDU-Kampagne »Auf den Kanzler kommt es an« zu konterkarieren. Außerdem war 1969 der beliebteste SPD-Politiker Karl Schiller und nicht Willy Brandt, was einen Mannschaftswahlkampf beförderte. Politisch setzte man
—————— 209 Das »Regierungsprogramm« legte den Schwerpunkt auf Wirtschafts-, Finanz-, Bildungs-, Sozial-, Verkehrs- und Deutschlandpolitik. 210 Vgl. u.a. SPD-Jahrbuch 1968/1969, S. 29.
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nicht mehr auf die Gemeinsamkeit, sondern präsentierte ein eigenständiges politisches Konzept, welches in Form des »Regierungsprogramm 1969« unter dem Motto »Erfolg, Stabilität und Reformen« stand. Die Topoi »Reform« und »modern« dominierten den gesamten Wahlkampf. Die SPD hatte somit ihren Imagewechsel umfassend vollzogen. Sie präsentierte sich als moderne, selbstbewusste Volkspartei, die ihre Traditionen jedoch nicht verleugnete. Nicht zuletzt aus diesem Grund resultierte die Auswahl der Farbe orange für den Wahlkampf. Diese symbolisierte die Verbindung von Tradition und Aufbruch und zusätzlich – wie Günter Grass – es formulierte: »Nicht nur mit Anstecknadeln, auch mit Plakaten, Aufklebern und Flugblättern zum Wegschmeißen wollen wir in Orange werben: fett, fröhlich, positiv kalorienreich [...] Triebkraft als Treibkraft. [...] Emnid, Infas, Allensbach haben Tugenden [von Orange, D.M.] ermittelt: ist heiter sinnlich, wirkt aktiv sportlich modern, zieht jung an, stößt alt nicht ab, leuchtet reif und gesund.«211
Orange galt lange Zeit – bis zur Rückkehr zum traditionellen Rot – als das Erkennungszeichen für die neue SPD. Orange dominierte dann auch die Plakate, Anzeigen und Flugblätter. Die zentralen Wahlkampfslogans waren: »Wir schaffen das moderne Deutschland und »Wir haben die richtigen Männer«. Letzterer führte allerdings zu massiver, aber erfolgloser innerparteilicher Kritik seitens der Frauen in der SPD.212 Die Konzeption und Umsetzung der Wahlkampfwerbung war Ende der sechziger Jahre in der SPD eben noch reine Männersache. Frauen wurden aber als Wählerinnen durch geschlechtsspezifische Anzeigen, Broschüren und Plakate angesprochen. Dabei wurden vor allem auf die beabsichtigte Verbesserung der Situation von Frauen in Familie und Beruf abgehoben. Insgesamt wurde die politische Werbung ganz im Stil moderner Konsumwerbung – wie dies heute üblich ist – präsentiert. Es galt für das Produkt zu werben und mit der Werbung die Sehnsüchte, Hoffnungen und die Gefühle der potentiellen Käufer anzusprechen. Die SPD-Fernsehwerbung und die
—————— 211 Grass, Tagebuch, S. 159 f. 212 Zahlreiche empörte Beschwerdeschreiben über den Slogan von diversen regionalen SPDFrauengruppen gingen beim Bundesgeschäftsführer ein, vgl. AdsD, 2/PVEI 5. So schrieb u.a. die Kreisvorsitzende der SPD-Frauengruppe Flensburg Stadt: »Ich protestiere auf das Schärfste gegen den neuen Werbeslogan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Wie sollen wir politisch engagierten Frauen mit diesem Spruch um die Stimmen der Wählerinnen werben?«. Die Antwort folgte postwendend: »Die von Ihnen angesprochene Problematik wurde selbstverständlich in verantwortlichen Gremien diskutiert. Aber die Entscheidung über eine Erweiterung dieses Slogans fiel zugunsten der prägnanteren Formulierung aus.«; ebd. Auch die Intervention Annemarie Rengers, die damals für SPD-Frauenpolitik verantwortlich war, gegen diesen Slogan blieb ohne Erfolg; vgl. Münkel, »Hör auf Deine Frau, wähl SPD«, S. 261.
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großen farbigen Bildplakate suggerierten eine moderne, bessere Bundesrepublik, in der Fortschritt mit sozialer Gerechtigkeit und einer Demokratisierung von Politik und Gesellschaft einhergeht. Der zentrale Topos war modern. Die Werbung für eine Person und eine Partei wurde mit der Vermittlung einer politischen und gesellschaftlichen Vision verbunden. Der Wunsch nach Veränderung war keine Minderheitenmeinung mehr, und somit konnten mit einem überzeugenden politischen Reformkonzept Wählerstimmen gewonnen werden. Die Wahlkampfmanager der CDU setzten demgegenüber wesentlich stärker auf Altbewährtes. Die Umsetzung der Kampagne wurde wieder von den Werbeagenturen Hegemann, Egger und »Die Werbe« durchgeführt.213 Außerdem wurde ein Wahlkampfgremium mit Vertretern der Bundesgeschäftsstelle der CDU, der Bundestagsfraktion, des Bundeskanzleramtes sowie des Presseund Informationsamtes der Bundesregierung ins Leben gerufen. Die große Beliebtheit Kiesingers und der »Kanzlerbonus« ließen die CDU einen stark personalisierten, ganz auf die Person des Bundeskanzlers zugeschnittenen Wahlkampf führen. Die Umfrageergebnisse im Vorfeld der Wahlen schienen einer derartigen Strategie Recht zu geben. Im März/April 1969 hatten 73 Prozent der Befragten »eine gute Meinung« von Kurt Georg Kiesinger, und auf die Frage »Wer wäre Ihnen lieber als Bundeskanzler? Kiesinger oder Brandt« lagen die Werte des amtierenden Bundeskanzlers von März bis September 1969 um die 53 Prozent.214 Brandts Werte stiegen im gleichen Zeitraum von 24 auf 32 Prozent, blieben damit jedoch weit hinter dem Kanzler zurück. Der zentrale Slogan »Auf den Kanzler kommt es an« war dann auch Programm, und in den Inhalten setzte die CDU nicht auf Veränderung wie die SPD, sondern auf Kontinuität und Beständigkeit einer zwanzig Jahre währenden CDUBundespolitik.215 Gegen Brandt polemisierte man zwar, hielt sich aber diesmal mit den Diffamierungen wegen seiner Emigrationszeit zurück.216 Diese bis dahin erfolgreichen Gegenimagekampagnen hätten angesichts des beginnenden gesellschaftlichen Wandels und der kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, die durch die Aktivitäten der 68er-Bewegung stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt waren, eine geringere Resonanz als noch vier Jahre zuvor hervorgerufen. Des weiteren war entscheidend, dass Brandt im Ausland gerade
—————— 213 Zu deren Konzepten vgl. ACDP, VII-003, 13/1, 17/1, 17/2. 214 Vgl. Noelle/Neumann, Jahrbuch 1968-1973, S. 263 f. 215 Vgl. u.a. ACDP, VII-0003, 18/3, Kraske zum Stand der Wahlkampfvorbereitungen auf einer Landesvorsitzenden und –geschäftsführer Konferenz der CDU vom 26. März 1969. 216 Vgl. Münkel, »Alias Frahm«, S. 416 f.
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wegen seiner Emigrationszeit große Annerkennung fand, was sich positiv für seine Arbeit als Außenminister in der Großen Koalition auswirkte.217
Der Medienwahlkampf Wie eingangs bereits erwähnt, spielten 1969 die Massenmedien eine wesentlich wichtigere Rolle im Wahlkampf als in den Jahren zuvor. Dies gilt sowohl für die Einschätzung der Parteien, als auch für die Journalisten und ihr berufliches Selbstverständnis. In internen Sitzungen, Besprechungen und Papieren der SPD wurde immer wieder auf die außerordentliche Bedeutung der Massenmedien für die politische Meinungsbildung und damit für den Wahlkampf hingewiesen. Die SPD legte noch stärker als in früheren Jahren den Schwerpunkt auf Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften. »Die Anzeige in der Tagespresse ist trotz Fernsehen immer noch ein bevorzugter Werbeträger, der dazu besonders flexibel in der Streuung ist«218, hieß es in einem internen Papier. Dabei bediente man das gesamte Spektrum der bundesdeutschen Zeitungslandschaft von den regionalen und überregionalen Tageszeitungen, den Sonntagszeitungen, den Wochenzeitungen, der Boulevard-Presse, den Frauenzeitschriften, den Illustrierten, der Yellow-Press bis hin zu den Programmzeitschriften. Dadurch erreichten die SPD-Anzeigen im Bundestagswahlkampf eine Auflage von 56.051.897. Dies bedeutete rein statistisch, wenn – wie damals üblich – pro Zeitung drei Leser angenommen wurden, dass im Durchschnitt jeder Wahlberechtigte während der gesamten Wahlkampfzeit 50mal eine Anzeige der Sozialdemokraten gesehen hatte.219 Dies unterstreicht noch einmal die zentrale Bedeutung, die die Presse bei der politischen Meinungsbildung Ende der sechziger Jahre noch hatte. Neben Presse und Radio hatte das Fernsehen Ende der sechziger Jahre endgültig den Status eines Massenmediums erlangt.220 So wurde die Fernsehwerbung diesmal besonders sorgfältig geplant. Nach zähen Verhandlungen mit den Repräsentanten der anderen im Bundestag vertretenen Parteien sowie ZDF und ARD einigte man sich auf folgenden Schlüssel: Die SPD
—————— 217 Dazu schrieb auch Hermann Schreiber im Spiegel: »Es klingt wie die Ironie der Geschichte von Willy Brandt, aber es liegt in Wahrheit in der Logik ihrer Entwicklung: daß genau das, was dem Kandidaten Brandt geschadet hat, dem Außenminister Brandt zugute kommt – nämlich Emigrant gewesen zu sein. Den moralischen Kredit, den der Außenminister Brandt gerade in solchen Ländern genießt, die unter den Nazis gelitten haben [...], den kann auch der ›Bayernkurier‹ nicht wegargumentieren.«; Der Spiegel vom 15. September 1969. 218 AdsD, SPD-PV, 1374. 219 Vgl. Wischnewski, Bundestagswahlkampf 1969, S. 29. 220 Vgl. dazu ausführlich Kap. 3.2 dieser Arbeit.
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erhielt bei jedem Sender 25 Minuten und das Privileg, den letzten Werbespot vor der Wahl zu senden, die CDU je 20 Minuten und die kleinen Parteien zusammen 17,5 Minuten Sendezeit zur Verfügung gestellt.221 Die SPD entschied sich für fünf Werbespots á fünf Minuten Länge.222 Diese Spots waren von der Struktur her alle identisch:223 Im Mittelpunkt stand jeweils ein zentrales Thema, das – mit einer Ausnahme – einer Person der SPD-Mannschaft zugeordnet wurde. In fünf Fällen handelte es sich dabei um amtierende Minister, was den Vorteil hatte, dass auf deren positive Regierungsarbeit verwiesen werden konnte. Der erste Spot (am 4. September 1969 ausgestrahlt) hatte die Themen Bildung, Wissenschaft und Forschung zum Gegenstand, mit Helmut Schmidt als Hauptperson, der zweite (8. September 1969) die Sozialund Gesundheitspolitik, repräsentiert durch Käte Strobel und Herbert Wehner, der dritte (11. September 1969) Verkehr, Städte- und Wohnungsbau, für den Georg Leber stand, der vierte (19. September 1969) die Wirtschafts- und Finanzpolitik mit Karl Schiller als Fachmann, und der letzte (26. September 1969) mit Willy Brandt befasste sich mit dem Thema Außenpolitik und dem zukünftigen Bundeskanzler. Die Spots knüpften inhaltlich und formal an die Anzeigen- und Plakatkampagnen der SPD an, um einen Wiedererkennungsund Verstärkungseffekt zu erzielen. »Unsere Wahlspots müssen [...] eine Mischform zwischen Informationsblöcken und Unterhaltung sein«224, legte Werner Müller, der Leiter des Referats Film-Funk-Fernsehen beim PV der SPD, fest. Professionell in Szene gesetzt wurde das Ganze vom bekannten Regisseur Michael Pfleghar. Die Botschaft war klar: Die einzige Partei, die in der Lage war, Deutschland zu modernisieren, sei die SPD. Um das »moderne Image« auch in Bild und Ton umzusetzen, wurden entsprechende Stilelemente benutzt: »rasante Kamerafahrten, schnelle Schnittfolgen, interessante Perspektiven. Diese Techniken wurden unterstützt durch die Wahl der Sujets, wie startenden Fugzeugen, Raketen im Weltraum und modernen Industrien, sowie durch einen Musiksound, der – es sei zugegeben – etwas an Peter Stuyvesant erinnerte.«225
Inhaltlich hob man die Leistungsbilanz der jeweiligen Minister bzw. Kandidaten hervor, machte auf dringende Sachprobleme aufmerksam und präsentierte
—————— 221 Vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 112. 222 Im Vergleich zu heutigen Standards waren diese Spots sehr lang. Im Bundestagswahlkampf des Jahres 1998 dauerten sie lediglich eineinhalb Minuten; vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 147. 223 Die Spots sind überliefert im Filmarchiv des AdsD. 224 AdsD, SPD-PV, 3301, Schreiben vom 3. Juli 1969. 225 Müller, Die Konzeption der SPD-Werbespots, S. 90.
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politische Lösungskonzepte für die Gegenwart gepaart mit Zukunftsvisionen. Die Spots endeten alle auf dieselbe Weise: »Geben Sie Ihre Stimme der modernen SPD, für das moderne Deutschland. Die SPD hat nicht nur den neuen Kanzler, sondern auch die erprobte Mannschaft mit den richtigen Männern«.
Daran anschließend wurden die Bilder von Georg Leber, Karl Schiller, Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Alex Möller und zuletzt Willy Brandt eingeblendet. Die große Professionalität der Spots genauso wie der enorme Aufwand, der in ihre Entwicklung gesteckt wurde, untermauern nochmals die zentrale Bedeutung, die dieser Art der Wahlwerbung Ende der sechziger Jahre von der SPD zugesprochen wurde. Auch bei der CDU wurde die Rolle der Massenmedien und im Besonderen des Fernsehens ebenfalls sehr hoch eingeschätzt, was aus den internen Wahlkampfunterlagen der Partei eindeutig hervorgeht.226 Die CDU legte wieder einen wesentlichen Schwerpunkt ihrer Wahlwerbung auf Inserate und Plakate. »Alle Untersuchungen im Anschluß an frühere Bundestagswahlkämpfe hatten ergeben, daß neben der Nachrichtengebung durch Presse und Funk zwei Medien mit Abstand den höchsten Aufmerksamkeitswert erzielt hatten, nämlich Plakatierung und Insertion. [...] daher [wurde, D.M.] bei der Vorbereitung des Wahlkampfes der Konzentration auf Plakatierung und Insertion besonderes Gewicht gegeben«,227
so CDU-Bundesgeschäftsführer Konrad Kraske. Der quantitative Schwerpunkt dieser Werbeaktionen lag in den letzten Wochen vor dem Wahltermin. Die Wahlwerbespots der CDU teilten sich in drei Spots á fünf und zwei á zweieinhalb Minuten auf. Der erste konzentrierte sich auf die Ferienzeit und das Ansehen Deutschlands im Ausland, drei andere Spots bezogen sich ganz auf den Bundeskanzler.228 Nur ein Wahlspot der CDU, der Mitte September ausgestrahlt wurde, war auf Wirtschafts- und Sozialpolitik ausgerichtet. Zwar kam es auch diesmal wieder zu keinem Fernsehduell zwischen den beiden Spitzenkandidaten, allerdings gab es kurz vor der Wahl im Rahmen der ZDF-Sendung Journalisten fragen – Politiker antworten eine Gesprächsrunde mit den Spitzenkandidaten aller im Bundestag vertretenen Parteien.229
—————— 226 Vor allem in kommunikationswissenschaftlichen Abhandlungen wird behauptet, dass die CDU der Wirkung der Fernsehwerbung eher skeptisch gegenüberstand; vgl. u.a. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 114. Derartige Untersuchungen kranken grundsätzlich daran, dass sie sich in der Regel nur auf bereits publiziertes Material beziehen. 227 ACDP, VII-003, 15/1, Schreiben vom 11. August 1969. 228 Vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung. S. 13. 229 Vgl. Hetterich, Von Adenauer zu Schröder, S. 257 f. Die Form der Wahlkampfdiskussion im öffentlich-rechtlichen Fernsehen blieb für die nächsten Jahrzehnte konstitutiv. Zu einem
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Aber nicht nur die politisch Verantwortlichen und die Werbestrategen der Parteien setzten vermehrt auf eine mediale Vermittlung ihrer Botschaften, auch die Medienmacher verstärkten ihre politische Berichterstattung über den Wahlkampf. Es bestanden Absprachen zwischen den Sendeanstalten und den Parteien, »dass im Gegensatz zu 1965 in den redaktionell gestalteten und verantworteten Sendungen regelmäßig über den Wahlkampf informiert wird.«230 Diese gingen auf eine Initiative der Bundesgeschäftsführer von CDU und SPD zurück. Brandt forderte am 24. Juni 1969 in einem Brief den Bundeskanzler dazu auf, möglichst umgehend ein Gespräch mit den Sendeanstalten zu initiieren, da »mit dem bevorstehenden Wahlkampf [...] für die politischen Parteien auch die Frage der Berichterstattung der Fernsehanstalten eine besondere Bedeutung [gewinnt, D.M.].«231 Die Unterrichtung der Bevölkerung über den Wahlkampf durch die Nachrichtensendungen kam zusätzlich hinzu. Insgesamt steigerte sich das Volumen der Wahlkampfberichterstattung von ARD und ZDF erheblich,232 dennoch war es kein »Fernsehwahlkampf« nach amerikanischem Vorbild, dazu spielten die Printmedien eine zu große Rolle. Die Wahlkampfberichterstattung in den Tageszeitungen stieg 1969 sprunghaft an. So hat eine Längsschnittuntersuchung der vier großen überregionalen Blätter Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Die Welt und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ergeben, dass 1969 ein Anstieg um über 40 Prozent im Vergleich zur Wahl 1965 erfolgte. Bis dahin hatte sich der Wert von 1949 an relativ gleichmäßig auf das Dreifache des Ausgangswertes erhöht.233 In nicht wenigen Fällen kam es zu einer massiven Unterstützung Willy Brandts und der SPD durch die Medien und zahlreichen Journalisten.234 Mit Ausnahme der konservativen und rechtsgerichteten Presse war während des Wahlkampfes die Berichterstattung über Brandt und seine Politik durchweg positiv gewesen. Auch die Parteien verstärkten ihre Pressearbeit durch regelmäßige Pressekonferenzen, Interviewtermine und Pressemitteilungen, sowie durch die Einbindung von Journalisten bei Wahlkampftouren. Die SPD nutzte zusätzlich ihre parteieigenen Zeitungen, um eine breite und positive Berichterstattung zu befördern. In der Konzeption des SPD-Wahlkampfes hieß es dazu:
—————— Fernsehduell der beiden Kanzlerkandidaten der großen Parteien kam es erstmals im Bundestagswahlkampf des Jahres 2002. 230 AdsD, SPD-PV, 3301, Schreiben vom 3. Juli 1969. 231 WAB, Bundesaußenminister, ungeordneter Bestand. 232 Vgl. Gütt, Deutschland vor der Wahl, S. 11 ff; Dietrich, Auch diesmal keine Fernsehwahl, S. 17 ff. 233 Vgl. Wilke/Reinemann, Kanzlerkandidaten, S. 170 f. 234 Vgl. Kapitel 3 dieser Arbeit.
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»Die Presse der Konzentration, die [...] mehr als 2 Mio Leser erreicht, muß in verstärktem Maße für die politische Arbeit eingesetzt werden und besser berichten und kommentieren. Vor allem geht es um eine verstärkte Vereinheitlichung der politischen Berichterstattung, um Widersprüche zu vermeiden und die Politik der Partei zu interpretieren.«235
Die Politisierung breiter Teile der Bevölkerung am Ende der sechziger Jahre, verstärkt durch die Aktivitäten von Studentenbewegung und APO sowie einen allgemeinen gesellschaftlichen Wandel, der zu einer Pluralisierung von Lebensstilen und Verhaltensmustern sowie dem Aufbrechen verkrusteter Strukturen wie zum Beispiel im Bildungssektor führte,236 machte sich auch im Wahlkampf bemerkbar. Dies schlug sich unter anderem in einem verstärkten Informationsbedürfnis und der Gründung der »Sozialdemokratischen Wählerinitiative«237 nieder. In diesem Zusammenhang ist auch das Konzept der »Regionalisierung« des SPD-Wahlkampfes zu sehen. Es wurden Strukturdaten aller Wahlkreise erhoben, um einen speziell auf die regionalen Probleme abgehobenen Wahlkampf machen zu können. Die »Aktion demokratisches Gespräch«, die darauf abzielte, dass sich Parteimitglieder vor Ort aktiv am Wahlkampf beteiligten, indem sie nicht nur Plakate klebten, sondern auch das Gespräch mit ihren Nachbarn und Kollegen suchten, gehörte ebenso zum Konzept. Unter dem Motto »Du wirst im Wahlkampf gebraucht« mit dem Untertitel »Noch nie waren wir so nah dran, eine Wahl zu gewinnen. Wir müssen jetzt alle mithelfen, daß es dieses Mal Wirklichkeit wird«, wurde mit einem orangefarbenen Flugblatt für die Mobilisierung des gesamten Potenzials der SPD geworben. Durch die Ausschreibung von Plakat- und Sloganwettbewerben sollten zusätzliche Personenkreise aktiviert werden.
Wahlkampf für Willy Brandt Darüber, dass für Willy Brandt als Spitzenkandidat ein spezielles Wahlkampfkonzept entworfen werden sollte, war man sich in den Parteigremien einig. Ende 1968 begannen die ersten konkreten Planungen. Allerdings bestanden von Anfang an organisatorische und personelle Kooperationsprobleme zwischen den persönlichen Mitarbeitern Brandts und den zuständigen Gremien und Personen beim PV. Dabei ging es um Zuständigkeiten, um Inhalte und um Detailfragen. Trotz solcher Differenzen waren sich alle Beteiligten über die grundsätzliche Ausrichtung der Kampagne einig. Da Brandt nun
—————— 235 AdsD, SPD-PV, 1374. 236 Vgl. dazu u.a. ausführlich Schildt/Siegfried/Lammers, Dynamische Zeiten. 237 Vgl. dazu ausführlich Kap. 5 dieser Arbeit.
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nicht mehr nur Kandidat, sondern auch Außenminister war, sollten – und das gilt prinzipiell insgesamt für diesen Wahlkampf der SPD – weniger Showelemente in das Konzept integriert werden. »Willy Brandt ist Außenminister. Deshalb anderer Wahlkampfstil als in früheren Jahren: keine Kapelle, keine Unterhalter etc. Wichtig: absolute Pünktlichkeit; lange Verspätungen sind wenig populär«,238 so Hans-Jürgen Wischnewski in einer Planungssitzung. Als weitere essentials wurden festgelegt, dass die Brandt-Kampagne zentral aus Bonn gelenkt werden, es keine mehrtägigen Wahlkampfreisen geben, die Touren erst am Mittag beginnen und der Sonntag ein freier Tag sein sollte. Letzteres ging auf die Beobachtungen aus dem Nixon campaigning zurück. Organisatorisch wurde das Konzept dann auch weitgehend in die Praxis umgesetzt: Brandt absolvierte keine mehrtägigen Wahlkampfreisen; er ging vormittags seinen Amtsgeschäften nach und machte am Nachmittag Wahlkampf. Er absolvierte nach wie vor Auslandsreisen als Außenminister, wie zum Beispiel eine Reise zur UNO-Vollversammlung nach New York, wo er am Rande der Sitzung mit führenden Politikern aus West und Ost medienwirksame Gespräche führte. Auch dies war ein integraler Bestandteil des Wahlkampfkonzeptes für Brandt. Während der eigentlichen Wahlkampftour legte er in 42 Tagen ca. 40.000 km zurück, bestritt 250 Veranstaltungen und erreichte damit über eine Million Menschen.239 Durchschnittlich bestritt er fünf Kundgebungen pro Tag, die in großen Sälen oder open air stattfanden. Umrahmt wurden die Großkundgebungen von kurzen Besuchen in Rathäusern oder Betrieben, durch Mittagund/oder Abendessen mit Honoratioren und Journalisten. Letztere begleiteten ihn auch häufig auf seinen nächtlichen Rückfahrten mit dem Zug, wo sich dann Gelegenheit zu weiteren Gesprächen in entspannter Atmosphäre bot. An der Frage, ob nun ein separater Salonwagen bei der Bahn gemietet oder ein ganzer Sonderzug für Brandt eingesetzt werden solle, entzündeten sich zahlreiche Diskussionen: Brandt präferierte die Salonwagenlösung, ein Teil seiner Mitarbeiter den Sonderzug. Was auf den ersten Blick als nicht erwähnenswert erscheint, bekommt ein anderes Gewicht, sobald die Entscheidungsfindung näher betrachtet wird. Da zunächst kein Konsens erzielt werden konnte, wurde Brandts persönlicher Referent, Klaus Sönksen, aktiv und befragte bekannte Journalisten, die Brandt 1965 in seinem Sonderzug begleitet hatten, nach ihrer Auffassung zum Thema. Er berichtete daraufhin dem Bundesgeschäftsführer:
—————— 238 AdsD, SPD-PV, 2528, Protokoll einer Sitzung beim Bundesgeschäftsführer am 20. Dezember 1968. 239 Vgl. Wischnewski, Bundestagswahlkampf 1969, S. 45.
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»Alle waren übereinstimmend der Meinung, dass ein möglichst langer Sonderzug [...] Provinzjournalisten, Landräte und Bürgermeister ungeheuerlich beeindrucke. Damit wollten sie nicht recht zugeben, dass im Grunde sie selbst das Mitfahren mit dem Sonderzug für ein zwei Nächte als eine Auszeichnung betrachteten, da sie Gelegenheit hatten, neben dem pulloverbekleideten Kandidaten zu sitzen und in dieser, wenn auch manchmal wackeligen und mässig beleuchteten Atmosphäre starke Impressionen erhielten. Chefredakteur H. sagte mir, dass selbst in grossen Redaktionen förmlich ein Run um einen Platz im Sonderzug einsetzte.«240
Dass entgegen der vorherrschenden Meinung bei den Wahlkampfplanern dann doch ein Sonderzug eingesetzt wurde, ist nicht zuletzt auf dieses Meinungsbild zurückzuführen und unterstreicht noch einmal die herausragende Bedeutung, die den Medien repräsentiert durch die Journalisten von den SPD-Wahlkampfstrategen beigemessen wurde: Hofierte Journalisten berichten eben unter Umständen auch positiver über den Kandidaten. Im Juli 1969 erging dann eine Aufforderung vom SPD-Parteivorstand an Journalisten, sich für die Wahlkampfbegleitung von Brandt, Schiller, Schmidt oder Wehner akkreditieren zu lassen.241 Mit der neuen Werbestrategie änderte sich auch das Image Willy Brandts. Aus dem »jugendlichen Helden« und »deutschen Kennedy« vom Anfang der sechziger Jahre wurde der »Staatsmann« und »Minister«. Dieser Imagewechsel war von den Wahlkampfmanagern genauso wie von Brandt persönlich bewusst vollzogen worden. Die erfolgreiche Arbeit als Außenminister, im Inund Ausland anerkannt, veränderte das Bild Brandts in der Öffentlichkeit. Jetzt wurde er vor allem als Minister wahrgenommen, und dies implizierte in der Bundesrepublik der sechziger Jahre, staatsmännisch aufzutreten und einem traditionellen Politikerbild zu entsprechen. Der Imagewechsel Brandts erfolgte weder plötzlich noch war er eine reine Erfindung spitzfindiger Werbestrategen. Er wurde maßgeblich von der Presse und dem Fernsehen mitbestimmt, die über den Außenminister in einem anderen Stil berichteten als über den Regierenden Bürgermeister von Berlin und SPD-Kanzlerkandidaten. Die Tugenden, die dem Politiker Brandt laut Umfragen – von CDU und SPD in Auftrag gegeben – nun zugeschrieben wurden, waren: Fleiß, Redlichkeit, Erfahrung, Zähigkeit, Durchhaltevermögen, Diplomatie, Gesprächsbereitschaft, politische Intelligenz und Aufgeschlossenheit.242 Somit erfüllte er weitgehend die Erwartungen, die von breiten Teilen der Bevölkerung an einen »soliden« deutschen Politiker zu dieser Zeit gestellt wurden. Hermann Schreiber beschwor in einem längeren Spiegel-Artikel den »neuen« Brandt. Endlich habe der Politiker Brandt
—————— 240 AdsD, 2/PVAR 49, Schreiben vom 1. April 1969. 241 AdsD, 2/PVAR 69, Schreiben vom 24. Juli 1969. 242 Vgl. Der Spiegel vom 15. September 1969.
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seinen eigenen Stil gefunden und würde sich nicht mehr der »Charakterkosmetik« von Wahlkampfmanagern unterordnen, die ihn zur »rücksichtslos retuschierten Titelblatt-Figur, die geheime Wählerwünsche« wecke, 243 degradierten. »Der Wandel, den Willy Brandt seither [seit der Wahlniederlage von 1965, D.M.] durchgemacht hat, ist kein Wandel durch Annäherung an des deutschen Menschen Mentalität. Es ist auch keine Imagekorrektur, wie die Public-Relations-Berater sie planen mögen, um einen Verlierer wie einen Gewinner aussehen zu lassen. Es geht viel weiter [...] Der Willy Brandt, der jetzt auf Wahlreise ist, will ja nicht mehr um jeden Preis gefallen. Er treibt auch keine Sympathiewerbung, mindestens nicht für seine Person. Die Gags muß man suchen in seiner Kampagne.«244
Selbst in den USA wurde die Veränderungen des Brandt’schen Images wahrgenommen: »Four years ago, Willy Brandt reluctantly allowed his campaign handlers to present him as a German version of John F. Kennedy – dynamic, riding about in a white limousine with a smile an making bold speeches. [...] In this year’s campaign, the Social Democratic leader is Foreign Minister Willy Brandt, the succesful statesman in a sober blue suit«,245
so David Binder in der New York Times. Das neue Image, welches die Medien hier transportierten, unterstrich auch die Glaubwürdigkeit von Brandts Politik – Politik und Person wurden als deckungsgleich angesehen. Hier konnten die Wahlkampfmanager Brandts anknüpfen und konzipierten die Kampagne für Willy Brandt – wie oben beschrieben und nicht anders. In einem internen SPD-Papier hieß es hierzu dann auch: »Das Bild des Politikers Willy Brandt in Öffentlichkeit und Presse hat sich wesentlich gewandelt. Der Politiker, der als Regierender Bürgermeister von Berlin durch seine Arbeit und Leistung Respekt und Bewunderung hervorgerufen hat, ist seitdem zu einem gründlichen tatsachenvertrauten Kenner innerer und auswärtiger Situationen und Probleme geworden. Man schätzt den bewährten Staatsmann von internationalem Rang, man schätzt seine konsequenten Bemühungen um Frieden, Abrüstung und ein geeintes Europa. Man hat Achtung vor seiner geistigen und politischen Beweglichkeit, vor seiner Toleranz. Man bewundert seine Fähigkeit, in großen Augenblicken jene inspirierende Wirkung auszuüben, die eine zerspaltene Welt heute vor allem braucht. Für die kommende Wahlkampagne bedeutet das: Das neue Bild des Politikers Brandt bestimmt wesentlich die Formen seines öffentlichen Auftretens.«246
—————— 243 244 245 246
Vgl. ebd. Ebd. New York Times vom 21. September 1969. WBA, Wahlen, Mappe 4.
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Genau von diesen Prämissen war der Wahlkampf Brandts dann auch bestimmt, ganz verzichtete man zwar nicht auf »Showelemente«, was besonders bei der Abschlussveranstaltung deutlich wurde, die am 26. September in Dortmund stattfand: Die SPD veranstaltete eine große Party mit über 2.500 Teilnehmern – darunter auch Karl Schiller. Alle Bundestagskandidaten sowie prominente und weniger prominente Wahlkampfhelfer nahmen daran teil. Ziel war es, durch ein derartiges Ereignis eine möglichst große Medienöffentlichkeit kurz vor der Wahl zu erreichen: »Die ganze Veranstaltung würde am Samstag vor der Wahl und, soweit es sie gibt, in Sonntagszeitungen gross herausgebracht werden. Wir wollen auch versuchen, das Fernsehen hin zu bekommen«.247
Mit diesem Argument wurde der hohe Kostenfaktor gerechtfertigt.
Zwischenbilanz Das Wahlergebnis mit 46, 1 Prozent für die CDU/CSU, 42, 7 Prozent für die SPD und 5, 8 Prozent für die FDP war zwar knapp, aber reichte für einen Regierungswechsel. Was aber unterschied nun den Wahlkampf 1969 von den vorangegangen und was rechtfertigt es, von einer Zäsur sowie einem neuen, spezifischen Stil der Öffentlichkeitsarbeit der SPD zu sprechen? Entscheidend war, dass sich sowohl die Ausgangsbedingungen als auch daraus resultierend die Konzeption der Öffentlichkeitsarbeit in wesentlichen Punkten verändert hatten: Die SPD führte erstmals einen Wahlkampf nicht aus der Opposition heraus, sondern als mitregierende Partei. Die Erfolge der SPD-Minister im Kabinett der Großen Koalition begünstigten einen Mannschaftswahlkampf und die Demonstration von Sachkompetenz. Dies drückte sich in den politischen Inhalten genauso wie im eigenen Stil des Wahlkampfes aus. Beide Parteien setzten bei ihrer Werbung verstärkter als in den Jahren zuvor auf die Massenmedien. Die politische Berichterstattung in Presse, Rundfunk und Fernsehen wurde während des Wahlkampfes erweitert. Darüber hinaus bezogen zahlreiche Journalisten eine dezidiertere politische Stellung zugunsten der SPD als noch vier Jahre zuvor. Außerdem hatte sich das politische und gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik gewandelt. Breite Teile der Bevölkerung waren politisiert und der Wunsch nach Veränderung war keine Minderheitenmeinung mehr. Was sich unter anderem in der Gründung der SWI ausdrückte. Die
—————— 247 AdsD, 2/PVAR 49, Schreiben vom 1. September 1969.
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Mehrheit der SPD-Parteimitglieder trug nun den Kurs der Parteiführung mit. Dies führte zu einer einheitlichen Präsentation der Partei auch auf lokaler Ebene und unterstrich, dass der Wandel der SPD zu einer Volkspartei sich nun auch im Denken und der Struktur der Mitglieder vollzogen hatte.
6.4 »Willy wählen«: Der Wahlkampf 1972 Seit Willy Brandt als erster sozialdemokratischer Bundeskanzler 1969 unter dem Motto »Mehr Demokratie wagen!« angetreten war, hatten sich in der Bundesrepublik grundsätzliche Veränderungen vollzogen. Ein innenpolitisches Reformprogramm wurde auf den Weg gebracht, die neue Deutschland- und Ostpolitik in zahlreichen Vertragswerken umgesetzt und damit grundsätzliche Prämissen der bisherigen Außenpolitik der CDU-Regierungen in Frage gestellt.
Misstrauensvotum und Neuwahlen: Die kurze Phase der Wahlkampfvorbereitung Dem normalen Vier-Jahresrhythmus folgend, hätten die nächsten Bundestagswahlen im Herbst 1973 stattfinden sollen. Doch die SPD beschloss bereits Ende 1970, dass nun mit den Vorbereitungen zum Bundestagswahlkampf 1973 begonnen werden müsse, um inhaltliche und werbetechnische Kontinuitäten zu gewährleisten.248 Diese frühe Vorbereitung erleichterte dann das Umschwenken auf eine sehr kurze Wahlkampfphase im Jahre 1972. Nach dem gescheiterten konstruktiven Misstrauensvotum am 24. April 1972, dem Stellen der Vertrauensfrage durch den Bundeskanzler am 20. September 1972 und der offiziellen Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten am 23. September 1972 wurde der Wahltermin auf den 19. November 1972 festgesetzt. Den Parteien blieb also nur ein kurzer Zeitraum, um ihre Wahlkämpfe vorzubereiten Die Bewertung des Endergebnisses dieser Wahl, bei der die SPD mit 45,8 Prozent das beste Ergebnis in ihrer Geschichte erreichte, ist bis heute kontrovers. Da wird von einem »Volksentscheid über die Ostpolitik«249 oder von einer »Willy-Wahl« gesprochen, da werden die charismatischen Qualitäten
—————— 248 Vgl. WBA, Bundeskanzler, Mappe1/2, Schreiben vom 11. Dezember 1970. 249 Vgl. u.a. Baring, Machtwechsel, S. 499.
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Brandts betont,250 oder es werden die Aspekte Wirtschaftspolitik und innere Sicherheit sowie die strikte Planung des Wahlkampfes ins Feld geführt.251 Es war, wenn man die Wählermotivationen und die konzeptionelle Ausrichtung des Wahlkampfes analysiert, vornehmlich ein »Plebiszit für den Wandel«, für Reformen auf dem Gebiet der Innen- und Außenpolitik und für einen Kanzler Willy Brandt, der wie kein anderer diese Veränderungen personifizierte. Befördert wurde das gute Wahlergebnis für die SPD durch eine äußerst professionelle Wahlkampagne, die Stimmungen aufnahm und verstärkte, die Medien im einem bis dahin ungekannten Ausmaß geschickt nutzte sowie Negativstrategien der CDU/CSU konterkarierte. Unter Federführung von Bundesgeschäftsführer Holger Börner arbeitete die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des PV, unter Leitung von Albrecht Müller, eng mit der Werbeagentur ARE zusammen. Zusätzlich hatte die SPD als Regierungspartei den Vorteil des Zugangs zum Bundespresseamt. So initiierte dieses im Jahre 1972 eine Kampagne für die Ostpolitik.252 Allerdings war das Ausmaß der Nutzung des BPA für indirekte Parteiwerbung wesentlich geringer als unter Adenauer oder dessen Nachfolgern. Brandt beteiligte sich auch diesmal wieder aktiv an den Wahlkampfkonzepten und brachte seine eigenen Vorstellungen ein. Wie schon während der vorherigen Bundestagswahlen wurde eine »Zentrale Wahlkampfleitung«, bestehend aus dem Parteivorsitzenden, seinen beiden Stellvertretern, dem Schatzmeister und dem Bundesgeschäftsführer sowie eine »Technische Wahlkampfleitung« aus Mitarbeitern des PV und einigen Vertretern von Bundeskanzlerund Bundespresseamt gebildet.253 Im Jahr 1972 gab es wie in den Jahren zuvor einige Reibungspunkte. So beschwerte sich Annemarie Renger, damals in der SPD-Führung zuständig für Frauenpolitik, darüber, dass sie nicht zu den Beratungen über die Wahlkampfkonzeption hingezogen wurde, denn sie wolle »nicht noch einmal erleben, dass wir Frauen unter dem Motto ›Wir haben die besseren Männer‹ in den Wahlkampf ziehen müssen«254. Die Jusos versuchten in Teilbereichen eigene Wege zu gehen. Insgesamt waren die Reibungsverluste im Jahre 1972 allerdings wesentlich geringer als in den sechziger Jahren. Dies war auf eine straffere und effektivere Organisation sowie eine bessere innerparteiliche Kommunikation zurückzuführen. Die eigentliche Phase der Vorbereitung und Konzipierung der Grundstrukturen des Wahlkampfes beschränkte
—————— 250 251 252 253
Vgl. u.a. von Kieseritzky, »All unsere Hoffnungen erfüllt...«. Vgl. Müller, Willy wählen, S. 26 ff. Vgl. BA-Koblenz, B 145, 6939. Vgl. AdsD, SPD-PV, 14468, Notiz vom 7. Juni 1972; AdsD, SPD-PV, 14475, Schreiben vom 11. Juli 1972. 254 AdsD, SPD-PV, 14475, Schreiben vom 10. Juli 1972.
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sich auf den kurzen Zeitraum von Mai bis August 1972. In der SPD konnte man allerdings auf die bereits erwähnten Vorüberlegungen für 1973 zurückgreifen. Dennoch erforderten die besonderen Umstände des vorgezogenen Wahltermins spezielle Konzepte. Die Ausgangslage für den Wahlkampf war durch das gescheiterte Misstrauensvotum, die Probleme in der Koalition sowie innerparteiliche Problem für die SPD nicht gerade unproblematisch. Das Vorgehen der Unionsparteien gegen die Regierung und das Scheitern des Misstrauensvotums brachten der sozialliberalen Koalition zunächst eine Welle von Sympathien bei der Bevölkerung ein. Immerhin 43 Prozent der von Allensbach Befragten waren im Mai 1972 der Ansicht, dass die Regierung Brandt/Scheel trotz der knappen Mehrheit weiterregieren solle.255 Zwei Monate später, nach dem Rücktritt von Wirtschaftsminister Karl Schiller, der die Regierungsfähigkeit der Koalition empfindlich beeinträchtigte, waren nur noch 13 Prozent für ein »Weiterregieren« aber 77 Prozent für Neuwahlen.256 Neben den personellen Problemen innerhalb der Regierungskoalition traten zunehmend innenpolitische Schwierigkeiten, die in der öffentlichen Meinung an Relevanz gewannen und die von der CDU/CSU aufgegriffen sowie werbewirksam durch Angstszenarien in Szene gesetzt wurden. Dies waren Fragen der inneren Sicherheit, die durch die terroristischen Aktionen der »Rote Armee Fraktion« (RAF) – auch nach der Verhaftung der führenden Köpfe im Juni 1972257 –die Gesellschaft zutiefst erschütterten und verunsicherten. Hinzu kamen wirtschaftspolitische Schwierigkeiten, die sich unter anderem in einer Deckungslücke im Bundeshaushalt sowie einer höheren Neuverschuldung ausdrückten. Beiden Themenkomplexen räumten in den Monaten Juni/Juli 1972 ein Großteil der Bevölkerung Priorität ein. Die Relevanz der Ostpolitik wurde vor diesem Hintergrund zurückgedrängt.258 Noch im Mai 1972 hatte das Thema Ostpolitik – laut Meinungsumfragen – für 24 Prozent der Befragten höchste Priorität, im Juni/Juli sank dieser Wert auf zehn Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg die Relevanz innenpolitischer Fragen von 24 auf 40 Prozent. Wirtschaftspolitische Aspekte blieben dagegen mit 38 Prozent konstant.259 Was die Ausgangswerte für die Parteien und deren Kandidaten betraf, so ergab sich folgendes Bild:
—————— 255 Vgl. Noelle/Neumann, Jahrbuch 1968-1973, S. 330. 256 Vgl. ebd. 257 Am 1. Juni 1972 konnten Andreas Baader, Holger Meins und Jan Carl Raspe festgenommen werden, am 7. Juni Gudrun Ensslin und am 15. Juni Ulrike Meinhof. 258 Zur umfassenden demoskopischen Analyse von Deutschland- und Ostpolitik, vgl. Glaab, Deutschlandpolitik in der Öffentlichen Meinung. 259 Vgl. Noelle/Neumann, Jahrbuch 1968-1973, S. 505.
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Willy Brandt stand zwar in der Gunst der Wähler eindeutig an erster Stelle, bei der Parteipräferenz dominierte jedoch bis September die CDU/CSU.260 Die hier nur kurz skizzierte Problemlage bildete das Ausgangszenario für den Bundestagswahlkampf 1972. Kaum ein Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik fand unter so großer aktiver Anteilnahme der Bevölkerung statt, war so emotional aufgeladen, so polarisierend und so stark personalisiert gewesen.
Wahlwerbung von SPD und CDU: Das Fernsehen auf dem Vormarsch Inhaltlich setzte die SPD bei ihrer Kampagne vor allem auf die Leistungsbilanz sozialdemokratischer Regierungspolitik, auf die positive Besetzung des Begriffs und des Konzepts »demokratischer Sozialismus« sowie auf die Vermittlung einer »modernen, von sozialer Gerechtigkeit geprägten Bundesrepublik« als Zukunftsperspektive.261 Die Wahl wurde zu einer Weichenstellung nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft stilisiert: »Wer morgen sicher leben will, muß heute für Reformen kämpfen« war einer der Leitslogans der SPD-Kampagne. Zum wiederholten Male wollte sich die SPD von den amerikanischen Wahlkämpfen inspirieren lassen. Aus diesem Grund beauftragte die Partei den Journalisten Klaus Harpprecht, der zu dieser Zeit als Korrespondent in den USA war, nützliche Informationen zu sammeln und entsprechende Berichte zu verfassen.262 Brandt ebnete »seinem« Beobachter in den USA persönlich den Weg, wie aus einem Schreiben an den Bundesgeschäftführer hervorgeht: »Ich darf Dir mitteilen, daß in der Zwischenzeit der Parteivorsitzende, Bundeskanzler Willy Brandt, an die Vorsitzenden der Demokratischen und Republikanischen Parteien in den U.S.A. kurze Schreiben mit der Bitte gerichtet hat, Klaus Harpprecht als Beobachter unserer Partei zur Teilnahme an den Wahlkonventen zu betrachten und ihm die notwendigen Berechtigungsunterlagen zur Teilnahme zu übermitteln.«263
Harpprecht sandte dann auch einige ausführliche Berichte an die SPD-Zentrale und resümierte:
—————— 260 Vgl. ebd., S. 331 und S. 335. 261 Vgl. u.a. Müller, Willy wählen, S. 43 ff. 262 Wie wichtig der SPD diese Dienste waren, unterstreicht auch die Tatsache, dass sie Harpprecht für seine Tätigkeit die nicht geringe Summe von 10.000 DM bezahlte; Priva. Harpprecht, Schreiben Nau an Harpprecht vom 19. Mai 1972. 263 AdsD, SPD-PV, 14472, Schreiben vom 20. Juni 1972.
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»Die Techniken des Wahlkampfes, die [...] zum Teil mit erstaunlichen Erfolgen praktiziert wurden, passen sich nicht ohne weiteres in die deutschen Erfahrungen ein. Aber eines ist übertragbar, nämlich das entscheidende Moment: die Mobilisierung zehntausender junger und nicht ganz so junger Helfer, die keinen anderen Ehrgeiz haben, als eine möglichst große Zahl ihrer Mitbürger im unmittelbaren Gespräch zu gewinnen.«264
Diesen Rat nahmen sich die SPD-Wahlkampfstrategen zu Herzen. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass es genau wie in den Jahren zuvor nur zur Übernahme einzelner Elemente aus den Kampagnen von Demokraten bzw. Republikanern kam und diese in der Regel »eingedeutscht« wurden. Unabhängig von der konkreten Wahlkampfwerbung der Parteien in den Massenmedien, spielten diese eine entscheidende Rolle bei einer an Inhalten und Hintergründen ausgerichteten politischen Meinungsbildung. Über den Wahlkampf 1972 haben, wie eine Längsschnittuntersuchung von Frankfurter Rundschau, Süddeutscher Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung und der Welt ergeben hat, die Zeitungen insgesamt am meisten berichtet.265 Interessant ist, dass die Inhalte der Berichterstattung sich weniger mit den Personen, als vielmehr mit den zentralen Themen des Wahlkampfes befassten. Allerdings kamen die beiden Kandidaten in Form von Originalzitaten im Vergleich zu anderen Wahlkämpfen wesentlich häufiger zu Wort. Die Tageszeitungen bedienten mit ihrer ausführlichen, themenbezogenen Berichterstattung das in diesem Wahlkampf besonders ausgeprägte Informationsbedürfnis der Bevölkerung und unterstützten damit die allgemeine Politisierung. Auch das Fernsehen baute seine Berichterstattung während des Wahlkampfes nochmals aus und bot den Parteien und ihren Kandidaten eine zusätzliche Bühne. Die Wahl von 1972 gilt als das »Durchbruchsjahr der Wahlsondersendungen«266 und damit für die Ausweitung politischer Sendeformate. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen baute so seine Stellung als politisches Informationsmedium im massenmedialen Ensemble weiter aus und erhöhte damit seinen Einfluss auf die politische Meinungsbildung genauso wie auf den politischen Raum. Dennoch übertreibt Elisabeth-Noelle Neumann, wenn sie damals bereits von einer »Fernsehdemokratie« sprach.267 Willy Brandt lehnte die Herausforderung Rainer Barzels zu einem Fernsehduell der Spitzenkandidaten ab, um dem Gegenkandidaten nicht die Möglichkeit zu geben, sich einer großen Öffentlichkeit als ebenbürtig zu präsentieren und womöglich durch eine geschickte Präsentation Pluspunkte für
—————— 264 265 266 267
Ebd., Bericht vom August 1972; dort befinden sich auch die anderen Berichte Harpprechts. Vgl. Wilke/Reimann, Kanzlerkandidaten, S. 179. Vgl. Hetterich, Von Adenauer zu Schröder, S. 258. Vgl. Noelle-Neumann, Wahlentscheidung, S. 161 ff.
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sich zu verbuchen.268 Stattdessen schlug der Bundeskanzler – wie bereits 1969 praktiziert – eine Fernsehdiskussion der Parteivorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien vor. Diesmal wurden allerdings in ARD und ZDF nicht nur eine, sondern drei derartige Runden ausgestrahlt. Zwei mit einer einstündigen Sendedauer, am 18. Oktober 1972 bzw. am 2. November 1972, sowie eine zweistündige am 15. November 1972, die gleichzeitig auf beiden Fernsehkanälen ausgestrahlt wurde.269 Die Zuschauerresonanz auf diese Sendungen war enorm. Nach zeitgenössischen Umfragen hatten 70 Prozent der Befragten eine der drei Sendungen und sogar 40 Prozent zwei gesehen. Die letzte der drei Diskussionsrunden erreichte eine Sehbeteiligung von 58 Prozent.270 Diese Zahlen unterstreichen ebenso eindrucksvoll das gesteigerte Bedürfnis großer Teile der Bevölkerung nach politischer Information wie den Stellenwert des Fernsehens als politisches Informationsmedium. Was dann allerdings die konkrete Wirkung dieser Art von Sendungen angeht, so ist sie selbstverständlich kaum messbar. Dennoch ist es nicht ganz uninteressant, wenn damals festgestellt wurde, dass »die Anhänger der Koalition [...] weit geschlossener hinter ihren Akteuren [standen, D.M.] als die der Opposition«271. Dies unterstützt einmal mehr die Annahme eines Regierungsbonus, zeigt aber auch die Polarisierung der Wählerschaft im Wahlkampf 1972. Wie wichtig vor allem die SPD die Fernsehberichterstattung und ihre Wirkung nahm, unterstreicht auch, dass im Wahlkampf 1972 ein neues Informationsmittel unter dem Titel TV-Intern eingeführt wurde.272 In der äußeren Form erinnerte es an Flugblätter. Nach einer wichtigen politischen Fernsehsendung wurde noch in derselben Nacht eine aktuelle Ausgabe von TV-Intern, in der auf die Sendung Bezug genommen und vor allem kommentiert wurde, produziert und per Fernschreiber an alle SPD-Untergliederungen geschickt. Diese konnten sie dann entsprechend ihres Bedarfes vervielfältigten und gleich morgens an die Bevölkerung verteilen. Damit wurde nicht nur Aktualität und Effizienz
—————— 268 Mündliche Auskunft Egon Bahrs vom 24. Juni 2003. 269 Vgl. Kaltefleiter, Zwischen Konsens und Krise, S. 115; Die erste Sendung wurde in der ARD in der Reihe »Deutschland vor der Wahl« ausgestrahlt und hatte die Schwerpunkthemen Deutschland-, Außen- und Währungspolitik. Die Zweite beim ZDF im Rahmen der Sendereihe »Journalisten fragen - Politiker antworten«, mit den Themen Gesellschafts-, Wirtschafts-, Parteipolitik sowie der Grundlagenvertrag zwischen Bundesrepublik und DDR. Für die letzte Diskussionsrunde wurde eigens eine Sondersendung »Vier Tage vor der Wahl« eingerichtet. Die inhaltlichen Schwerpunkte waren Entspannungs- und innere Reformpolitik, innere Sicherheit sowie wirtschaftspolitische Fragen; vgl. Hans-Jürgen Weiß, Überschätztes Fernsehen. Materialien zur Wirkung von Fernsehdiskussionen, in: Just/Romain, Auf der Suche, S. 208. 270 Vgl. ebd. 271 Ebd. 272 Vgl. Müller, Willy wählen, S. 114 f.
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demonstriert, sondern Anhänger und Sympathisanten der SPD waren schon vor Arbeitsbeginn über die Position ihrer Partei informiert bzw. mit Argumenten versorgt – also schon bevor im Betrieb oder im Alltag die Diskussion über die abendliche Fernsehsendung begann. Auch bei der Wahlwerbung der Parteien spielte das Fernsehen wieder eine wichtige Rolle. Auf den Umfang der Sendezeiten der Spots konnten sich die Repräsentanten aus Politik und Sendeanstalten wieder erst nach zähem Ringen einigen: CDU und SPD bekamen jeweils 22,5 Minuten verteilt auf neun Sendeplätze, CSU und FDP je 12, 5 Minuten auf fünf Sendeplätzen.273 Bemerkenswert ist die Verkürzung der Wahlspots auf zweieinhalb Minuten pro Ausstrahlung, das heißt eine Zeitreduzierung um die Hälfte im Vergleich zu 1969. Dies deutet auf die Anpassung der Fernsehparteiwerbung an die medienimmanenten und infolge davon an die wahrnehmungspsychologischen Veränderungen hin. Fernsehen wurde im Laufe der sechziger Jahre nicht nur politischer, sondern auch schneller und dynamischer – dem allgemeinen Zeitgeist entsprechend. Außerdem wurden die Wahlspots nun erstmals in Farbe produziert. Die CDU ließ sich bei der Konzeption ihrer Spots durch den bekannten Fernsehjournalisten Peter von Zahn beraten. In der Partei ging man davon aus, dass »von den drei Medien Hörfunk, Fernsehen und Film [...] das Fernsehen das bedeutendste«274 sei. Im Mittelpunkt standen einerseits Statements führender Unionspolitiker, andererseits waren sie inhaltlich entsprechend des CDU-Wahlkonzeptes polarisierend ausgerichtet.275 Dort wurde durch markige Bilder unter anderem von Demonstrationen und Straßenschlachten ein dunkles Bild von Deutschlands Zukunft unter sozialdemokratischer Regierung gezeichnet – die einzige Möglichkeit dies zu verhindern, sei die Wahl der CDU. Als Stilmittel bediente man sich dabei dem Aufbau von Gegensatzpaaren wie »soziale Marktwirtschaft« versus »sozialistische Planwirtschaft« oder »Demokratie« versus »Linksradikalismus«. Bei den Zuschauern kam diese Art der Wahlwerbung nicht besonders gut an, so fanden nur 12 Prozent der Befragten einer Allensbachumfrage die CDU/CSU-Spots besser als die der SPD, demgegenüber bewerteten 31 Prozent die SPD-Spots als qualitativ besser.276 Dies lag sicherlich nicht zuletzt an der für viele Fernsehzuschauer attraktiveren Darstellungsform. In Szene gesetzt wurde die SPD-Fernsehwerbung ein weiteres Mal durch den populären Regisseur Michael Pfleghar. Es sollten »Herz und
—————— 273 Vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 117. 274 ACDP, VII-003, 52/1, Rechenschaftsbericht der Bundesgeschäftstelle der CDU »Wahlkampf 1972«. 275 Vgl. Holtz-Bacha, Wahlwerbung, S. 118. 276 Vgl. Noelle-Neumann, Wahlentscheidung, S. 181, Tabelle 19.
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Verstand« angesprochen werden mit dem Ziel, »Emotionen in Verbindung mit der Person Brandts und der Ost- und Deutschlandpolitik zu wecken bzw. wiederzubeleben«277. Sieben der neun Spots waren nach dem gleichen Muster aufgebaut: Der Einstieg war ein Angriff auf die CDU/CSU, daran schloss sich ein Interview der Journalistin Eva Windmöller mit Willy Brandt – in einem Fall mit Helmut Schmidt – an, und zum Schluss warb eine Stimme aus dem Off für die Wahl der SPD. Thematisch wurden die relevanten Politikfelder wie Ostpolitik, innere Sicherheit, Preisstabilität oder Umweltschutz bedient. Die Fernsehwerbung der Parteien war nochmals wichtiger geworden, weil sie dadurch die quantitativ größte Anzahl von Wählern und Wählerinnen gleichzeitig erreichen konnten. Laut Infratest sahen rund zwei Drittel aller Wahlberechtigten mindestens einen Wahlspot jeder Partei278, und Allensbach ermittelte, dass 30 Prozent der Befragten täglich den gesendeten Spot sahen, 27 Prozent mehrmals die Woche und 20 Prozent ein bis zwei Mal pro Woche.279 Trotz dieser zentralen Stellung des Fernsehens setzte man bei der SPD weiter auf die traditionellen Werbemittel Plakat, Flugblätter, Broschüren, Wahlzeitungen, Anzeigen in diversen Tages- und Wochenzeitungen, Boulevardblättern sowie Sparten bzw. Zielgruppenzeitungen.280 Auf der Grundlage von Meinungsforschung und Zeitungsanalysen wurden zielgruppengenaue Anzeigentypen entwickelt. Auch auf diesem Feld ist demzufolge eine weitere Professionalisierung des Medieneinsatzes im Wahlkampf zu konstatieren. Ebenfalls eine Neuerung war eine ganze Serie von Kleinanzeigen. Vierzig Stück wurden in der Zeit vom 27. September bis zum 23. November unter dem Titel »SPD Wichtige Nachricht für unsere Freunde« in Bild, Bild am Sonntag, AZ München, Hamburger Morgenpost, Express Köln. Neue Presse Coburg, TZ München, Westfälische Rundschau, Frankfurter Rundschau und der Frankenpost Hof inseriert. Diese Anzeigen enthielten, Regieanweisungen zum Wahlkampf, Angriffe gegen Argumente und Methoden der Opposition sowie Programmatisches. Sie wurden auch von vielen Ortsvereinen als Handzettel weiterverbreitet. Ziel dieser Anzeigen war laut Wahlkampforganisator Müller: »Die konzeptionelle Idee und der Hintergedanke dieser Teilkampagne liegen auf der Hand. Dadurch, dass diese Anzeigen täglich erschienen, durchnummeriert waren und den Charakter einer Hintergrundinformation hatten, haben mehr und mehr Freunde der SPD täglich in ihrem Blatt danach gesucht [...] Auch andere distanzierte Leser wurden neugierig [...] Mit den kleinen Boulevardanzeigen erreichten wir vor allem die für uns wichtige Zielgruppe der
—————— 277 278 279 280
Müller, Willy wählen, S. 90. Vgl. AdsD, SPD-PV, 14469, Infratest Analyse der Wahl 1972 vom 20. November 1972. Vgl. Noelle/Neumann, Jahrbuch 1968-1973, S. 336. Vgl. u.a. Hönemann/Moors, Wer die Wahl hat, S. 115 ff.
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Arbeitnehmer. [...] Damit haben wir mit kleinen Anzeigen und für wenig Geld eine Lesedichte, Lesehäufigkeit und Aufmerksamkeit erreicht, die man sonst nur mit teuren Großformaten erreicht. «281
Diese positive Erfolgsbilanz wurde auch durch interne Untersuchungen unter anderem der BILD-Zeitung bestätigt. Was die Resonanz der verschiedenen Werbemittel bei der Wählerschaft betraf, so lag die SPD in allen Sparten und bei allen Umfragen weit vor der CDU.282 Für die CDU war der Wahlkampf 1972 insofern ein Novum, weil sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Wahlkampf als Oppositionspartei führen und sich demzufolge auch mit dem eigenen Parteiapparat als organisatorische Basis begnügen musste. Dabei kam der CDU zugute, dass die Bundesgeschäftsstelle in den sechziger Jahren weiter ausgebaut wurde und nun über eine gesonderte Abteilung Öffentlichkeitsarbeit verfügte. Außerdem konnte sie an die langjährige Zusammenarbeit mit den gleichen Werbeagenturen, besonders der Agentur Hegemann, anknüpfen. Seit Beginn des Jahres 1972 wurde in der CDU-Zentrale bereits die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen ins Kalkül gezogen und ein Wahlkampfkonzept für den Eventualfall ausgearbeitet, so dass die Partei, als Neuwahlen beschlossen wurden, auf Vorplanungen zurückgreifen konnte.283 Beraten wurde die Union darüber hinaus unter anderem von dem Politikwissenschaftler und CDU-Mitglied Werner Kaltefleiter. Des weiteren holte man sich auch bei Axel Springer und seinen Chefredakteuren den einen oder anderen Rat. Die CDU wollte einen »argumentativen Wahlkampf ohne Polemik« führen. Angesichts der Untergangszenarien, der Diffamierung der SPD und des Bundeskanzlers lassen sich allerdings starke emotionale Anteile in der Kampagne ausmachen. Die Schlagworte waren »Sicherheit, Stabilität, Fortschritt«. Dementsprechend waren die zentralen Slogans »CDU – sicher in die 70er Jahre« und »Wir bauen den Fortschritt auf Stabilität«. Hier knüpfte man inhaltlich an Altbewährtes an. Beim Stil ihrer Werbemittel blieb die CDU in den Grundzügen ebenfalls dem Bekannten aus den sechziger Jahren treu – mit einigen wenigen »modernen« Einsprengseln. Das Logo blieb rot, die Schrift schwarz, und es gab Personenbilder oder nur Schriftplakate. Auch die CDU legte die Schwerpunkte ihrer Wahlwerbung eher auf traditionelle Werbemittel wie Plakate, Broschüren und Anzeigen, ging dabei aber weniger differenziert als die SPD vor.
—————— 281 Müller, Willy wählen, S. 110 f. 282 Vgl. u.a. Noelle/Neumann, Jahrbuch 1968-1973, S. 336 f.; Noelle-Neumann, Wahlentscheidung, S. 181; AdsD, SPD-PV, 14469, Tabelle 19, Infratest Analyse der Wahl 1972 vom 20. November 1972. 283 Vgl. ACDP, VII-003, 52/1, Rechenschaftsbericht der Bundesgeschäftstelle der CDU »Wahlkampf 1972«.
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Die CDU führte 1972 erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik einen Mannschaftswahlkampf. Im Mittelpunkt stand ein Team und nicht so sehr ihr Kandidat Rainer Barzel. Dies ist nicht zuletzt auf die niedrigen Umfragewerte Barzels im Vergleich zum Bundeskanzler zurückzuführen. Auch in der Imagebewertung lag Barzel weit hinter Brandt zurück. Auf die Frage, »wer wäre Ihnen als Bundeskanzler lieber?« antworten im November 1972 48 Prozent der Befragten Willy Brandt und nur 26 Prozent Rainer Barzel.284 Im Gegensatz zur CDU setzte die SPD diesmal nicht mehr auf »die Mannschaft«, sondern vor allem auf den Kanzler. Für Brandt wurde wieder ein spezielles Wahlkampfkonzept entworfen, das seine Person und seine politischen Erfolge ganz in den Mittelpunkt stellte. Eine Wahlkampftour wurde ausgearbeitet, auf der vor allem Großkundgebungen mit bis zu 35.000 Teilnehmern abgehalten wurden.285 Der Kanzler reiste mit einem Sonderzug, begleitet von einem Tross Journalisten, in 25 Tagen (vom 5. Oktober bis 18. November) durch alle elf Bundesländer, besuchte ca. 120 Wahlkreise und absolvierte dabei eine Fahrstrecke von 23.700 km.286 Die Abschlussgroßkundgebung fand in Berlin statt. In diese Wahlkampfphase wurde auch ein außerordentlicher Parteitag vom 12. bis 13. Oktober 1972 in Dortmund einbezogen. Im Mittelpunkt des Parteitages stand das Leitmotto »Mit Willy Brandt für Frieden, Sicherheit und eine bessere Qualität des Lebens«. Die Regie des Parteitages wurde ganz auf die Rede des Bundeskanzlers ausgerichtet. Inhaltlich rekurrierte die Rede auf die zentralen Botschaften der gesamten SPD-Wahlkampagne: Leistungsbilanz der SPD-Regierungspolitik und die Reform von Gegenwart und Zukunft.
Willy-Wahlkampf Der Wahlkampf 1972 war der Höhepunkt der Popularität und des Personenkults um Willy Brandt. Er war die Symbolfigur für all das, wofür die SPD und ihre Politik stehen wollte: Hoffnungsträger, Reformer, Staatsmann. Ein immer wiederkehrendes Foto mit drei unterschiedlichen Slogans »Kanzler des Vertrauens«, »Deutsche wir können stolz sein auf unser Land. Wählt Willy Brandt« und »Willy Brandt muß Kanzler bleiben« waren das Herzstück der Plakatkampagne für Brandt. Darüber hinaus dominierte Brandt in den Werbemitteln seiner Partei. Die außerordentliche Beliebtheit des Bundeskanzlers machten
—————— 284 Vgl. Noelle/Neumann, Jahrbuch 1968-1973, S. 335. 285 Vgl. WBA, Publizistische Äußerungen, Mappe 470, 475. 286 Vgl. Müller, Willy wählen, S. 78.
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sich die Werbestrategen zu nutzte. Im Unterschied zu den vorangegangenen Wahlkämpfen mussten sie nur das in der Öffentlichkeit bereits dominierende Image Brandts aufgreifen und in ihrer Kampagne umsetzen. Denn nach dem Amtsantritt als Bundeskanzler im Jahr 1969 setzte sich der Wandel des Images von Willy Brandt in der Bevölkerung der Bundesrepublik beschleunigt fort. Aus dem einstigen »Vaterlandsverräter« wurde für viele eine Kultfigur; die Ikone einer neuen Ära, das Synonym für ein gutes, ein besseres Deutschland im In- und Ausland – ein charismatischer Reformer. Die Hintergründe für den Einstellungswandel lagen in den Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse seit Mitte der sechziger Jahre und in den außenpolitischen Konstellationen dieser Zeit. Darüber hinaus spielte es eine große Rolle, dass durch die Übernahme der Regierungsverantwortung die erfolgreiche Umsetzung der zuvor postulierten Politik möglich geworden war. Damit schienen sich auch die Hoffnungen vieler Deutscher auf Veränderung zu erfüllen. Der Wahlkampf und die Veranstaltungen des Bundeskanzlers wurden dann auch zu einer Art Triumphzug durch die Republik – was in dieser Form bis heute einzigartig ist in der Geschichte der Bundesrepublik. Unter dem Titel »Brandt: locker in die letzte Runde« hieß es zum Beispiel im November 1972 in der Zeit: »Da stehen die Wähler Kopf an Kopf, oft zu Zehntausenden, und wenn der Bundeskanzler erscheint, wird das Meer der Menschen von einer Grundwelle der Begeisterung hochgerissen. Kinder empor gehalten, Sprechchöre ›Willy, Willy‹ branden auf – die Menge ist bereit sich von der Stimmung forttragen zu lassen. [...] Der Kanzler ist heute eine Symbolfigur für die Bundesrepublik geworden, wie es einst Konrad Adenauer war. [...] Die Sympathie, die manchmal fast den Grad der Unio mystica erreicht, trägt ihn.«287
Dieser Rausch stilisierte Kanzler schon zu einer Art säkularisierten Heiligen. Und so schreckte auch eine Gruppe evangelischer Christen nicht davor zurück, mit dem Slogan »Auch Christus würde Willy Brandt wählen«288 Werbung für den Bundeskanzler zu machen. All dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch im Wahlkampf des Jahres 1972 wieder seitens der Opposition und der ihr nahestehenden Presseorgane Verleumdungskampagnen gegen Brandt gab. Neben den immer wiederkehrenden Angriffen wegen der Emigrationszeit wurde nun auch die Politik des Kanzlers massiver Kritik ausgesetzt. Die CSU brachte ein »Rotbuch: Wer ist Willy Brandt, wer ist Herbert Wehner?« heraus, welches inhaltlich zwar an die Verleumdungsschriften der sechziger Jahre anknüpfte, jedoch mehr auf vermeintliche Kontinuitäten in Brandts Politik abhob.289
—————— 287 Die Zeit vom 17. November 1972. 288 Bonner Rundschau vom 22. Januar 1973. 289 Vgl. WBA, Prozesse, Mappe 141 A.
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Nach dem Motto »einmal Vaterlandsverräter, immer Vaterlandsverräter« versuchte man, die Ostpolitik des Bundeskanzlers ins Zwielicht zu rücken. Brandt bemerkte dazu am 5. November 1972 in seinem Wahlkampftagebuch wesentlich gelassener als noch in den sechziger Jahren: »Die Dreck-Phase des Wahlkampfes hat begonnen. Sie zeugt nicht von Selbstsicherheit derer, die sie in Gang gesetzt haben: Offizielle und – vor allem – camouflierte Anzeigen der Union schlagen einen immer rüderen Ton an. [...] Im Zusammenhang mit dem Wahlkongreß der CSU erscheint ein ›Rotbuch‹ als Schmähschrift gegen Wehner und mich. Wie gehabt mit gefälschten und aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten. [...] Strauß nennt mich ›der Partisan von Norwegen‹.«290
Mit Anzeigen, wie »Wer Brandt wählt, wählt Wehner, wer Wehner wählt, wählt den Kommunismus«291 wollte man die SPD und das Konzept des »demokratischen Sozialismus« nicht nur mit »Kommunismus« oder »Bolschewismus« gleichsetzen und damit als totalitär diffamieren, sondern die Partei unter Generalverdacht stellen. Diesmal war die Resonanz solcher Angriffe jedoch relativ gering, das Gegenimage Willy Brandts hatte an Wirkungsmacht verloren. Außerdem ging die SPD in die Offensive, um den Begriff des »Demokratischen Sozialismus« wieder positiv in der Öffentlichkeit zu besetzen. Den Auftakt bildete eine vielbeachtete Rede Willy Brandts anlässlich des 20. Todestages von Kurt Schumacher am 20. August 1972 unter dem Titel »Die programmatischen Grundlagen des demokratischen Sozialismus«.292 Ein besonderes Kennzeichen dieses Wahlkampfes war – wie bereits erwähnt – die außerordentliche Politisierung großer Teil der Bevölkerung, die sich auch in einem massenhaften Bekenntnis zur eigenen politischen Meinung und dem Engagement für den favorisierten Kandidaten bzw. für die betreffende Partei ausdrückte. Am deutlichsten war das Engagement für Willy Brandt und die SPD. Initiativen unter dem Motto »Bürger für Brandt« schossen wie Pilze aus den Boden. Auch Prominente aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens setzten sich aktiv für die Wiederwahl des Bundeskanzlers ein. In der Öffentlichkeit wurde weiterhin das Image Willy Brandts als eines Kanzlers gepflegt, der sich mit Intellektuellen und Wissenschaftlern umgab. Dies geschah durch gemeinsame öffentliche Auftritte, Treffen und Feste, die der Bundeskanzler veranstaltete, sowie durch die Medien. Letztere trugen durch
—————— 290 Aus den Tagebuchaufzeichnungen Willy Brandts vom 5. November 1972, als Dokument Nr. 100 abgedruckt in: Münkel, Auf dem Weg nach vorn, S. 521 f. 291 U.a. CDU-Anzeige im Delmenhorster Kreisblatt vom 18. November 1972; zur gesamten Diffamierungskampagne der CDU/CSU vgl. AdsD, SPD-PV, 14468, Dokumentation über die Werbekampagnen der CDU/CSU und der CDU/CSU-Hilfsorganisationen im Bundestagswahlkampf 1972. 292 Die Rede ist als Dokument Nr. 95 abgedruckt in: Münkel, Auf dem Weg nach vorn, S. 480-515.
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ihre Berichterstattung in nicht zu unterschätzendem Maße dazu bei, das Bild der engen Verbindung von »Geist und Macht« zu festigen. Brandt im Kreis von Schriftstellern, Wissenschaftlern und Intellektuellen, im Spiegel und anderen großen Zeitungen abgelichtet, war keine Seltenheit in der Medienberichterstattung seit dem Jahr 1969.293Aber auch von vielen Intellektuellen, Wissenschaftlern und Künstlern, für deren politisches Engagement die Person Willy Brandts eine zentrale Rolle spielte, wurde ein solches Bild verbreitet: ein »Intellektueller« als Bundeskanzler, den sie selbst in den Jahren nach 1969 zum Helden stilisierten. Bei einigen ging die Heldenverehrung sogar soweit, dass sie vor der Bundestagswahl 1972 einen Band mit dem Titel »Was hält die Welt von Willy Brandt?« publizierten, in dem Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller ihre Meinung zu Brandt in Form von Essays niederschrieben. Zwar sei dieses Buch ein »ehrliches Zeugnis der Faszination [...], die Willy Brandt auf Intellektuelle ausübt«294, allerdings sei durch die »Massierung der Sympathiebeweise des Guten zuviel getan«295 worden, so die peinlich berührte Einschätzung eines Rezensenten in der damals nicht gerade Brandt kritisch gegenüberstehenden Wochenzeitung Die Zeit. Die CDU versuchte, der SWI eine eigene Initiative entgegenzustellen – sie war dabei trotz intensiver Bemühungen allerdings weniger erfolgreich als die SPD.296 Die Mehrheit der bundesdeutschen Prominenz aus Kunst, Kultur, Unterhaltung und Wissenschaft unterstützte zu dieser Zeit den Reformkurs Willy Brandts. Der CDU gelang es dennoch, einige Prominente für sich zu mobilisieren. So reiste der Entertainer Dieter Thomas Heck mit einer Show durch die Lande und warb unterhaltend für die Wahl der Union.297 Allerdings waren die Kosten in Höhe von 15.000 DM pro Show von den jeweiligen CDU-Kreisverbänden aufzubringen.298 Darüber hinaus konnten circa 20 damals bekannte Sportler wie zum Beispiel Dr. Reiner Klimke oder Hennes Weisweiler für den Einsatz im CDU-Wahlkampf gewonnen werden.299 Auch eine Testimonialkampagne, die durch Anzeigen zur Wahl der CDU aufrief, konnte von der Bundesgeschäftsstelle der Partei initiiert werden. Unterzeichnende waren unter anderem die Historiker Andreas Hillgruber, Theodor Schieder und der Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis.300 Derartige Initiativen
—————— 293 Vgl. u.a. Der Spiegel vom 11. August 1969. 294 Kaiser, Des Guten zuviel. Liebeserklärungen an einen Regierungschef, in: Die Zeit vom 29. September 1972. 295 Ebd. 296 Vgl. u.a. ACDP, VII-003, 56/2, 65/2, 66/2. 297 Vgl. ACDP, VII-003, 54/2. 298 Vgl. ACDP, VII-004, 293/2. 299 Vgl. ACDP, VII-003, 65/2. 300 Vgl. ACDP, VII-003, 66/1.
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spielten bei der CDU jedoch nur insofern eine Rolle, als sie in Form von Anzeigen, wie zum Beispiel von Karl Schiller unterstützt, in den Zeitungen Werbung für die Union machten.
Zwischenbilanz Die Bundestagswahl des Jahres 1972 markiert auf vielen Feldern einen vorläufigen Höhepunkt. Dies betrifft den Grad der Personalisierung und den Mobilisierungseffekt. Im besonderen Maße gilt dies für die Rolle der Medien im politischen Meinungsbildungsprozess. Die Parteien – hier besonders die SPD – nutzten wesentlich gezielter und intensiver als in den sechziger Jahren Medien als Plattform für ihre Wahlwerbung. Die Medien selbst bauten ihre politische Berichterstattung aus; dies gilt genauso für die Presse wie für das Fernsehen, womit sie dem gesteigerten Informationsbedürfnis der Bürger und Bürgerinnen entgegen kamen. Das Fernsehen avancierte neben der Presse zum wichtigsten Medium der Politik. Es war der am stärksten personalisierte Wahlkampf, was den SPD-Kandidaten betrifft, blieb aber dennoch eine politische Richtungswahl und keine reine Personalentscheidung. Es war auch der »politischste« aller Wahlkämpfe, wenn man die aktive Beteiligung der Wähler und Wählerinnen betrachtet: 91,1 Prozent Wahlbeteiligung und massenhaftes ehrenamtliches politisches Engagement auf beiden Seiten unterstreichen diese These. Die SPD manifestierte durch den Wahlkampf 1972 nicht nur ihre politische Macht, sondern auch ihre Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Modernisierung von Wahlkämpfen und der Öffentlichkeitsarbeit. Demgegenüber verharrte die CDU seit den sechziger Jahren auf diesem Gebiet eher in Stagnation.
6.5 Zusammenfassung Aus der Analyse des Längsschnitts der Bundestagswahlkämpfe von 1953 bis 1972 lassen sich folgende Tendenzen ablesen: Rein formal scheinen die Wahlkämpfe in der Bundesrepublik seit den fünfziger Jahren die Kriterien von »amerikanisierten« Kampagnen zu erfüllen: Personalisierung, negative campaigning, Professionalisierung, Ereignis- und Themenmanagement. Die CDU nahm dabei in den fünfziger Jahren eine Vorreiterrolle ein, die SPD folgte nach ihrer Programm- und Organisationsreform seit Beginn der sechziger Jahre. Während die CDU nun im status quo verharrte, beschleunigte die SPD
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unter dem anhaltenden Einfluss von Willy Brandt und seinen Mitarbeitern in den sechziger Jahren die Wandlung der Wahlkampfkultur und machte weitere Anleihen bei den US-amerikanischen Wahlkampagnen, wie die zunehmende Integration unterhaltender Elemente oder der privaten Sphäre des Kandidaten in das Werbekonzept. Im Gegensatz zur CDU verzichtete die SPD allerdings weitgehend auf das negative campaigning – was vor allem dem neuen politischen Kurs der »Gemeinsamkeitspolitik« geschuldet war. Befördert wurde die beschriebene Entwicklung durch eine Zunahme der »Macht der Medien« im politischen Raum, was nicht zuletzt auf die steigende massenmediale Erfassung der Bevölkerung und die zunehmende Politisierung des öffentlichen Raumes seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zurückzuführen ist. Vor dem Hintergrund der selektiven Adaption amerikanischer Wahlkampfkonzepte stellt sich die Frage, wie diese zu bewerten ist. Die ersten beiden Nachkriegsdekaden gelten als »Kernzeit der Amerikanisierung« im 20. Jahrhundert.301 Wenn man die eingangs des Kapitels zugrundegelegte Definition von »Amerikanisierung« als eines »komplexen Prozess[es] der vergleichsweise konkreten Transformation einer Gesellschaft in wirtschaftlicher und soziokultureller Hinsicht«302 zugrunde legt, bleiben Zweifel an der analytischen Schärfe und Aussagekraft des Begriffs »Amerikanisierung«.303 Ist er wirklich eine angemessene Kategorie zur Beschreibung der Modernisierungsprozesse in der Bundesrepublik? Zum einen ist es methodisch kaum möglich, Amerikanisierungs- und Modernisierungstendenzen in der Nachkriegszeit klar voneinander zu unterscheiden, denn die Frage des Ursprungs von amerikanischen Einflüssen oder Parallelentwicklungen ist im Einzelfall kaum befriedigend zu beantworten.304 Zum anderen gab und gibt es niemals eine lineare Übernahme von »Amerikanismen« in den diversen politischen, ökonomischen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereichen. Es ist vielmehr von einem selektiven Aneignungsprozess auszugehen.305 Grundsätzlich waren einer »Amerikanisierung« in der Bundesrepublik Grenzen gesetzt, die aus den verschiedenen politischen und kulturellen Prägungen der Bevölkerung sowie aus den Unterschieden im Regierungs-, Parteien- und Mediensystem resultierten. In den USA fanden die ersten Fernsehwahlkämpfe bereits bei den Präsidentschaftswahlen 1948 und 1952 statt;306 die Verbreitung des Mediums war
—————— 301 Vgl. Doering-Manteuffel, Dimensionen von Amerikanisierung, S. 11. 302 Vgl. ders., Westernisierung, S. 313. 303 Zu den diversen Amerikanisierungsdiskursen in Deutschland vgl. Lüdtke/Marßolek/von Saldern, Amerikanisierung, S. 7 ff. 304 Vgl. Schildt, Vom politischen Pogramm zur Populärkultur, S. 957. 305 Vgl. Gassert, Was meint Amerikanisierung?, S. 794. 306 Vgl. u. a. Benoit, Seeing Spots, S. 7; Hall Jamieson, Packaging the Presidency, S. 34 f.
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dort schon wesentlich weiter vorangeschritten als in Deutschland. Der Einfluss der Massenmedien auf die Auswahl der Präsidentschaftskandidaten und die Wahlentscheidung der Bürger verstärkte sich in den USA dann wesentlich schneller.307 Die sechziger Jahre waren auch in den Vereinigten Staaten eine Umbruchphase hinsichtlich der Form und Präsentation der Präsidentschaftswahlkämpfe, hier war jedoch die zunehmende Loslösung der Kandidaten von ihren jeweiligen Parteien entscheidend.308 So kam es zu einem massivem Bedeutungsverlust der Parteien innerhalb des politischen Systems sowie zu einer verstärkten Personalisierung der Politik, die aufgrund des präsidentiellen Regierungssystems und des traditionellen Zweiparteiensystems schon immer vorhanden gewesen war.309 Diese Entwicklung lässt sich vor allem daran messen, dass die Konzeption und Durchführung der Wahlkämpfe immer mehr in die Hände von parteiunabhängigen, professionellen political consultants überging und Wahlkampfspenden nicht mehr primär an die Parteien, sondern an den jeweiligen Kandidaten flossen.310 Die Spenden entschieden und entscheiden im US-amerikanischen System, welches im Gegensatz zur Bundesrepublik keine staatlich finanzierte Wahlkampfunterstützung kennt, wesentlich über Erfolg oder Misserfolg eines Kandidaten. Durch das vornehmlich privat organisierte US-amerikanische Mediensystem, welches Kandidaten keine unentgeltlichen Werbezeiten zur Verfügung stellt, und wegen der herausragenden Bedeutung des Fernsehens für die Wahlentscheidung der Bürger, entschied die finanzielle Ausstattung eines Kandidaten immer mehr über seine Chancen.311 Neuere Studien datieren den Wandel hin zur Kandidatenorientierung bereits auf den Wahlkampf von John F. Kennedy im Jahr 1960.312 Die strukturellen Veränderungen der so genannten Vorwahlkämpfe zur Auswahl der jeweiligen Präsidentschaftskandidaten Anfang der siebziger Jahre beschleunigten diese Entwicklung und erhöhten die konkrete Einflussnahme der Massenmedien auf die Kandidatenkür nochmals.313 In den sechziger Jahren verstärkte sich demzufolge in den USA eine Tendenz, die die strukturellen Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik verfestigte. Mit dem Blick auf einige Einzelaspekte treten die Differenzen zwischen US-amerikanischer und bundesdeutscher Entwicklung deutlich zutage, denn was gleich erscheint, kann bei näherer Betrachtung unter Umständen sehr
—————— 307 308 309 310 311 312 313
Vgl. u. a. Graber, Mass Media, S. 2 ff. Vgl. u. a. Müller, Politische Bildstrategien, S. 137 ff. Vgl. Klumpjahn, Parteien, S. 491 f. Vgl. Althaus, Wahlkampf als Beruf. Vgl. Klumpjahn, Parteien, S. 491. Vgl. u. a. Baumgartner, Modern Presidential Electioneering, S. 2 ff. Vgl. Kendall, Communication in the Presidential Primaries, S. 5 ff.
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verschieden sein. Grundsätzlich lässt sich eine Zunahme der Personalisierung von Politik in den dargestellten Wahlkämpfen der ersten beiden Nachkriegsdekaden in der Bundesrepublik, die ihren vorläufigen Höhepunkt im Jahr 1972 erreichte, konstatieren. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die Parteien an Bedeutung verloren und die Wahlentscheidung der Bevölkerung primär nach Personen getroffen wurde wie in den USA. Die Wahlen waren und blieben politische Richtungswahlen. Entscheidend war die Identifikation von Person, Programm und Partei. Personalisierung konnte in der Bundesrepublik nur wirksam werden, wenn die Spitzenkandidaten glaubwürdig mit politischen Inhalten identifiziert wurden und diese personifizierten. Dies zeigte sich deutlich im Bundestagswahlkampf 1961. Der Politiker Willy Brandt hatte im Gegensatz zu seiner Partei hohe Zustimmungswerte. Der SPD hingegen glaubten viele Wähler und Wählerinnen den eingeleiteten Politikwechsel allerdings noch nicht. So spielte es nur eine untergeordnete Rolle, dass ihr Kanzlerkandidat diese zu repräsentieren schien. Die Diskrepanz zwischen Person, Politik und Partei verringerte sich im Laufe der sechziger Jahre, bis schließlich 1972 die Person des Bundeskanzlers und die Politik, für die er und seine Partei standen, als Einheit gesehen wurden. Brandt wurde zum personifizierten Symbol der Politik seiner Regierung, die Ikone einer Ära. Auch wenn man sich andere Aspekte wie die Adaption von Versatzstücken der US-Kampagnen betrachtet, so fällt auf, dass sie nicht eins zu eins übernommen, sondern immer an deutsche Traditionen angepasst wurden, also weniger Show und mehr Inhalt. Wie lassen sich diese Entwicklungen sinnvoll beschreiben? Sollte man von »Amerikanisierung« oder eher von »Westernisierung« sprechen, die »den Grundsachverhalt des europäisch-nordamerikanischen Kulturkontaktes in der Neuzeit anspricht, der nicht so sehr im Kulturtransfer auf einer Einbahnstraße von einem Land in ein anderes besteht, sondern im interkulturellen Transfer zwischen verschiedenen Ländern. Westernisierung fasst den Ideenverkehr zwischen Europa und Nordamerika ins Auge.«314
Auch dies scheint im Falle der Wahlkampfkultur nicht wirklich zutreffend, denn unter anderem ist zwischen Deutschland und den USA auf diesem Feld nur ein einseitiger Austausch erfolgt. »Westernisierung« trifft vielleicht am ehesten zu, wenn man nicht nach Politikstilen, sondern nach der Struktur des grundsätzlichen Politikverständnisses der Parteien fragt.315 Die Entwicklung
—————— 314 Vgl. Doering-Manteuffel, Wie westlich, S. 12. 315 Vgl. Angster, Der neue Stil. Angster konstatiert, was die Form der Wahlkämpfe angeht, eine »Amerikanisierung« der Wahlkampfkultur von CDU und SPD, ebd., S. 182. Hinsichtlich des Politikverständnisses, der Schwerpunkt ihrer Ausführungen, spricht sie von »Westernisierung« und betont die Vorreiterrolle der SPD.
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der Wahlkampfkultur der Bundesrepublik in den sechziger Jahren als »medialen Stil der Sachlichkeit« zu beschreiben,316 scheint zunächst interessant, wirft allerdings bei näherer Betrachtung Probleme und Fragen auf. Sachlichkeit und Personalisierung werden als Gegensätze aufgebaut. Eine solche Polarisierung ist jedoch in der bundesdeutschen Wahlkampfkultur nicht auszumachen – das Gegenteil ist der Fall. Personen transportieren »sachliche« Politik. Darüber hinaus begünstigte auch in der Bundesrepublik der Wandel der Medienlandschaft und der Aufstieg des Fernsehens zum neuen Leitmedium einen mediengerechten Politikstil. Dieser beruhte eben nicht nur auf »Sachlichkeit«, sondern beförderte auch Formen symbolischer Politik und die Integration unterhaltender Elemente – wie am Politikstil Willy Brandts besonders deutlich wurde.317 Es bietet sich an, weniger von »Amerikanisierung« als vielmehr von einem durch amerikanische Vorbilder beeinflussten Modernisierungsprozess zu sprechen. Modernisierung ist dabei als »die Anpassung der politischen Kommunikation an den sozialen und politischen Wandel, implizit allen Beobachtungen eines veränderten Interaktionszusammenhanges von Politik, Medien und Öffentlichkeit«318 zu verstehen. Am Ende der sechziger Jahre hatte die SPD einen politischen Stil entwickelt, der für die nächsten Jahre Bestand hatte. Dieser vereinte amerikanische Einflüsse mit deutschen Traditionen von Parteienwerbung und Politikvermittlung. Es handelte sich im Endeffekt um eine Modernisierung von politischer Kultur, insbesondere der Wahlkampfkultur im Rahmen nationaler Eigenheiten - eine eigene »bundesrepublikanische Variante«, welche die sich gegenseitig bedingenden medialen, gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Veränderungen in der Bundesrepublik der sechziger Jahre reflektierte.
—————— 316 Vgl. Mergel, Der mediale Stil der »Sachlichkeit«, S. 29 ff. 317 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3 dieser Arbeit. 318 Geisler/Sarcinelli, Modernisierung von Wahlkämpfen, S. 58.
7. Zusammenfassung
November 1972: Bundeskanzler Willy Brandt befand sich auf dem Zenit seiner Macht und Popularität. Er galt als Hoffnungsträger und Staatsmann mit charismatischen Zügen – unterstützt durch die Berichterstattung großer Teile der Presse und des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Angesichts der medialen Übermacht, die für Brandt und seine Politik eintrat, sah sich die Opposition auf verlorenem Posten. »Willy Brandt wurde gefeiert wie ein Friedensfürst und von weiten Teilen der Bevölkerung wie ein neuer Messias verehrt. [...] Willy Brandt war der erste Medienkanzler. Aufgebaut als charismatische Leitgestalt, brachten ihm seine politischen Visionen Zulauf weit über die Sehnsüchte seiner Parteibasis hinaus«,1
so selbst Helmut Kohl in seinen Erinnerungen. Brandt der erste Medienkanzler, der »Held« der Medien, der erste und einzige politische Superstar der Bundesrepublik. Die enge Verbindung zwischen Brandt und großen Teilen der Massenmedien äußerte sich über seine Medienpräsenz hinaus in der engen Verquickung von politischer und publizistischer Sphäre, die in den Jahren zwischen 1969 und 1972 den ersten Höhepunkt in der Geschichte der Bundesrepublik erlebte. Im Vergleich zu den vorangegangen Jahren hatten die Massenmedien einen größeren Einfluss auf die Politik und die politische Meinungsbildung. Gleichzeitig schritt die Medialisierung der Politik weiter voran. Die Verschränkung der politischen und publizistischen Sphäre fand ihren Ausdruck auf mehreren Ebenen: erstens durch eine auf Interessenkonvergenz beruhende, zeitlich limitierte Allianz zwischen Politik und Teilen der Massenmedien. Diese drückte sich in einer positiven Berichterstattung über Politik, Person und Partei Willy Brandts im Vorfeld der Bundestagswahlen 1969 und 1972 sowie nach dem Regierungswechsel 1969 aus. Hier trafen sich für eine begrenzte Zeitspanne die Interessen des Politikers Brandt und der SPD, die die Macht erlangen wollte, mit einer immer größer werdenden Anzahl von Journalisten und Verlegern, die einen Macht- und Politikwechsel befürworteten.
—————— 1 Kohl, Erinnerungen 1930-1982, S. 298.
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Diese Medien kamen mit ihrer Form der »Parteinahme« auch den Ansprüchen einer wachsenden Zahl von Rezipienten und Rezipientinnen entgegen, die den Wunsch nach politischer Veränderung in der bundesdeutschen Politik teilten. Zweitens unterstrich das Engagement zahlreicher Journalisten und Journalistinnen für die Politik und Person Willy Brandts in der »Sozialdemokratischen Wählerinitiative« und/oder als Politikberater die große Nähe zwischen politischem und medialem Feld. Gleiches gilt drittens für die quantitativ hohe Anzahl von Journalisten im Regierungsapparat und engstem Umfeld des Bundeskanzlers. Sie konnten dadurch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Inhalt und Form der Politik ausüben. Viertens wurde ein auf die Bedürfnisse der Massenmedien ausgerichteter Politikstil gepflegt, der Politik nicht nur mediengerecht präsentierte, sondern auch eine großzügige Informationspolitik praktizierte.
Entwicklungsverläufe Für die Zeit von den fünfziger bis zu Beginn der siebziger Jahre lässt sich insgesamt ein doppelter Transformationsprozess konstatieren – ein politischer und ein medialer, der sich gegenseitig beeinflusste und zu Veränderungen im Verhältnis von Politik und Massenmedien führte. Dabei handelte es sich um eine seit Mitte der fünfziger Jahre einsetzende Entwicklungsphase, die bis heute nicht abgeschlossen ist. Dieser Weg der Bundesrepublik zur »Mediendemokratie« vollzog sich dann beschleunigt in den sechziger Jahren. Am Ende der Dekade erreichte er einen ersten Höhepunkt. Innerhalb der Zeitachse von Mitte der fünfziger Jahre bis zum Jahre 1972 markieren einige herausragende Ereignisse wichtige Eckpunkte. Allerdings waren auch sie integraler Bestandteil einer längeren Wandlungsperiode – auch dies ein Argument dafür, mehr als bisher bei der Analyse längerfristige Veränderungen und deren Prozesscharakter in den Blick zu nehmen. Die Ereignisse an sich lösten zwar keine Veränderungen aus; in ihnen verdichteten sich aber andauernde Entwicklungen, die sich in deren Folge beschleunigt fortsetzten. Solche Begebenheiten hatten sowohl einen realpolitischen als auch einen hohen Symbolwert. Dies gilt beispielsweise für die »Spiegel-Affäre«, die in der zeitgenössischen Wahrnehmung und historischen Analyse als Schlüsselereignis für die Herausbildung einer »kritischeren« und »liberaleren« Öffentlichkeit sowie eines anderen Verhältnisses von Journalismus und Politik gedeutet wurde. Wie aber gezeigt werden konnte, war die Affäre kein Auslöser für eine neue Entwicklung, sondern hier bündelten sich erstmals bereits existierende Veränderungsprozesse, die sich nach der »Affäre« dynamisierten. Es gab den
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Anspruch eines Teils von Verlegern und Journalisten, die einen investigativen Journalismus und die Rolle der Medien als »vierter Gewalt« einforderten. Außerdem wollte man, wie am Beispiel der Verleger und Journalisten von Springer-Presse Spiegel, Stern und Zeit sowie einiger politischer Fernsehmagazine gezeigt werden konnte, Politik nicht nur kommentierend begleiten, sondern aktiv mitgestalten. Ein anderes Schlüsselereignis war der Machtwechsel von 1969. Er markierte eine qualitativ neue politische und gesellschaftliche Entwicklungsstufe in der Geschichte der Bundesrepublik. Er war gleichzeitig realpolitischer sowie symbolischer End- und Anfangspunkt.2 In der Regierungsübernahme durch die sozialliberale Koalition bündelten sich bereits länger angelegte Entwicklungsstränge, die auf einen Politikwechsel und gesellschaftlichen Aufbruch abzielten und im Reformprozess nach 1969 beschleunigt fortgeführt wurden. Durch den Regierungswechsel verdichteten sich auch im vielschichtigen Beziehungsgeflecht von Politik und Massenmedien bereits im Gang befindliche Prozesse, die sich unter anderem in der oben beschriebenen, bis dahin nicht gekannten engen Verquickung von politischer und medialer Sphäre ausdrückten. Auf dem hier untersuchten Feld bezeichneten die sechziger Jahre insgesamt einen Transformationsprozess, der sich nicht innerhalb weniger Jahre vollziehen konnte, sondern seine Zeit brauchte. Kennzeichen dieses Prozesses, an dessen vorläufigen Höhepunkt in der Zeit von 1969 bis 1972 eine verstärkte Medialisierung der Politik, eine massive Politisierung und Polarisierung der Medien, der Bevölkerung sowie der Öffentlichkeit insgesamt stand, waren eine zunehmende Bedeutung von Massenmedien im politischen Prozess und die Akzeptanz dieser Tatsache durch die politische Klasse. Dadurch wandelten sich die Darstellungsformen von Politik und der politische Stil. Dass im Besonderen das Fernsehen Veränderungen auf diesem Gebiet, wie symbolische Politikformen und eine Visualisierung von Geschehnissen und Personen, evozierte, konnte an etlichen Beispielen, wie der Popularisierung der Ostpolitik unter anderem durch den »Kniefall«, verdeutlicht werden. Ebenso beförderte eine fernsehgerechte Politikdarstellung die Vermittlung von Politik durch eingängige kurze Botschaften, die Privatisierung des Politischen sowie die Präsentation von Politik auf unterhaltende Weise. Solche Entwicklungen wur-
—————— 2 Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, ob es nicht sinnvoll sein könnte, die sechziger Jahre mit dem Regierungswechsel enden zu lassen und den Beginn eines neuen Zeitabschnitts zu datieren, der die »langen siebziger Jahre« einläutete. Die Nachkriegszeit war nun endgültig überwunden und eine Zeitspanne der außen- und innenpolitischen Reformen begann. Die Reformpolitik geriet 1973/74 in die erste Krise, wurde dann – wenn auch gebremst – weiter betrieben und setzte sich zunehmend in der Lebenspraxis große Teile der Bevölkerung um.
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den insbesondere vom Politikstil Willy Brandts befördert. Dies drückte sich in der – ausführlich dargestellten – Einbeziehung der Familie in die politische Werbung und Medienberichterstattung oder in den reich bebilderten Geschichten über den vermeintlichen Privatmann Brandt beim Angeln aus. Allerdings gab es hier Grenzen: Diese lagen zum einen beim Eindringen in die Intimsphäre, wie die Auseinandersetzungen um die Fotos in der Constanze, die den Außenminister beim Rasieren im Unterhemd zeigten, unterstrichen; zum anderen bei Versuchen, Politik ins reine Unterhaltungsfernsehen zu bringen. Beides lehnte Brandt ab, da in seinen Augen leichte, fröhliche Unterhaltung und Blicke durchs Schlüsselloch der politischen Sphäre nicht angemessen waren, die Ernsthaftigkeit von Politik unterminiert und einen Imageschaden für ihn und seine Politik zur Folge gehabt hätten. Bei aller Auflockerung der politischen Darstellung standen noch immer politische Sachfragen im Vordergrund. In den folgenden Jahrzehnten sollte sich dies allerdings verändern. Auch die medialen Veränderungen verliefen nicht abrupt. So ist zwar die Einführung des Fernsehens Weihnachten 1952 ein wichtiger Einschnitt, seine Durchsetzung und Bedeutungszunahme jedoch ein über fünfzehn Jahre dauernder Prozess. Ähnliches gilt für die Veränderungen in der Presselandschaft. Die weitere Ausbreitung von Massenpresse und Boulevardzeitungen war eine Entwicklung, die in den fünfziger Jahren, massiv von Axel Springer und seinem Konzern befördert, einsetzte und sich im folgenden Jahrzehnt intensivierte. Die verstärkte Politisierung der Medien, die seit der Endphase der sechziger Jahre einen Höhepunkt erlebte, setzte ebenfalls bereits in den fünfziger Jahren ein, wie am Beispiel von Springer-Presse, Spiegel, Stern und Zeit gezeigt werden konnte. Auch hier waren Wandlungsprozesse zu beobachten, die sich in den sechziger Jahren beschleunigten, wie unter anderem die Entwicklung des Stern von einer bunten zu einer politischen Illustrierten unterstrich. Die politische Ausrichtung der diversen, in der Studie untersuchten Massenmedien änderte sich im Laufe des zweiten Nachkriegsdezenniums. Mit Ausnahme der Springer-Presse, den ZDF-Politmagazinen, der CDU-nahen Zeitungen sowie einiger rechtsgerichteter Blätter schwenkten die meisten anderen Medienmacher spätestens seit dem letzten Drittel der sechziger Jahre auf den außen- und innenpolitischen Reformkurs der SPD und ihres Kanzlerkandidaten ein. Mit der Politisierung der Medienlandschaft ging gleichzeitig eine Polarisierung einher, die zum Teil die Form von ideologischen Grabenkämpfen annahm. Dies konnte vor allem am Beispiel der politischen Berichterstattung der Springer-Presse illustriert werden, die entgegen dem allgemeinen Trend einen regelrechten publizistischen Feldzug gegen die Deutschland- und Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung führte. Gleiches galt für die politischen Magazine im Fernsehen: Auf der einen Seite standen die ARD-Politmagazine,
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wie Panorama oder Report, die seit Beginn der sechziger Jahre die Politik der CDU-Regierungen äußerst kritisch begleiteten und schon vor der Regierungsübernahme der sozialliberalen Koalition die deutschland- und ostpolitischen Konzepte von Willy Brandt und der SPD durch ihre Berichterstattung förderten. Nach 1969 führten sie diese Unterstützung fort und dehnten sie auf das innenpolitische Reformprogramm der Regierung aus. Auf der anderen Seite standen die politischen Magazine des ZDF, wie das ZDF-Magazin oder Drüben, die die Politik der Bundesregierung seit 1969 durch ihre Berichte mit Nachdruck bekämpften. Eine allgemeine Politisierung der Öffentlichkeit, die sich seit dem letzten Drittel der sechziger Jahre in einer bis dahin nicht gekannten Politisierung breiter Bevölkerungsgruppen manifestierte, war – wie erörtert wurde – ein weiteres Merkmal der Entwicklung. Dieser Prozess wurde neben anderen Faktoren auch durch die zunehmende Medialisierung der Politik begünstigt. Denn auf diese Weise wurde Politik verständlicher und populärer vermittelt und ihr Identifikationspotential erhöht. Das gesteigerte Bedürfnis großer Bevölkerungsteile nach politischer Information und Teilhabe äußerte sich in vielfacher Hinsicht: durch eine sehr hohe Wahlbeteiligung (1972: 91,1 Prozent), den Anstieg des Bedürfnisses nach politischer Information, das massenhafte politische Engagement in Wählerinitiativen sowie die Existenz einer Außerparlamentarischen Opposition. Hierbei spielten politische Inhalte und Zukunftsvisionen eine zentrale Rolle. Das Ziel einer Reform des gesamten gesellschaftlichen Lebens durch Bildungs-, Sozial-, Familien- oder Strafrechtsreformen wurde von der Mehrheit geteilt und mitgetragen. Auch die Umorientierung in der Deutschland- und Ostpolitik entsprach dem Bedürfnis vieler Menschen nach einer Manifestation des Nachkriegsfriedens. Genauso vehement wie die Mehrheit sich für ihre politische Überzeugung engagierte, vertraten auch diejenigen, die anderer Meinung waren, ihre politischen Positionen mit Nachdruck und standen öffentlich für sie ein. Die Politisierung bedeutete demzufolge eine gleichzeitige Polarisierung.
Personalisierung – Professionalisierung – Ereignis- und Themenmanagement Grundsätzlich war der Wandel des Politischen im Gleichklang mit den medialen Veränderungen seit den fünfziger Jahren durch eine zunehmende Personalisierung, Professionalisierung sowie ein Ereignis- und Themenmanagement gekennzeichnet. Diese Kriterien stehen zwar rein formal für eine »Amerikani-
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sierung« und damit »Modernisierung« von Politik und Wahlkampfkultur.3 Allerdings wurden US-amerikanische Konzepte – wie ausführlich diskutiert – in Westdeutschland nicht einfach von der Politik übernommen, sondern durch einen selektiven Aneignungsprozess in eine »bundesrepublikanische Variante« transformiert. Am Beispiel der Wahlkämpfe seit 1953 konnten die Veränderungen besonders signifikant herausgestellt werden. Zu Beginn der Entwicklung nahm dabei die CDU in den fünfziger Jahren die Rolle des »Modernisierers« ein, verlor diese Funktion dann allerdings in den sechziger Jahren an die SPD. Die Personalisierung von Politik lässt sich allerdings über die Wahlkampfzeiten hinaus als allgemeiner Trend im Untersuchungszeitraum mit dem Höhepunkt im Jahre 1972 konstatieren. Sie wurde einerseits durch die Massenmedien, besonders das Fernsehen und seinen Visualisierungszwang befördert. Andererseits bediente die Personalisierung ein Grundbedürfnis nicht weniger Wähler und Wählerinnen nach der Verringerung der Komplexität des politischen Geschehens.4 So erhöhte und erleichterte beispielsweise die Personifizierung der Reformpolitik durch Bundeskanzler Brandt die Akzeptanz und Umsetzung dieser Politik, da er sie glaubhaft verkörperte. Verstärkt wurde die Tendenz zur Personalisierung während der ersten Kanzlerschaft Brandts nochmals durch dessen charismatische Ausstrahlung, seine Medienwirksamkeit sowie den hohen Anteil symbolischer Politikformen. Die Gefahr einer Reduzierung von Politik auf eine Person, Politik als Ein-Mann-Show, die eine Zentralisierung der Macht beförderte, war trotz der starken Fokussierung auf die Person Willy Brandt im Untersuchungszeitraum nur bedingt gegeben. Gleiches gilt für eine drohende Überlagerung demokratischer Grundprinzipien in Partei, Kabinett und Parlament. Denn im Unterschied zu heute – wie unter anderem anhand der Wahlkämpfe gezeigt werden konnte – blieben trotz Personalisierung und medialer Überformung Parteien, politische Inhalte, Programme und Konzepte bei der Wahlentscheidung zentral. Alle untersuchten Wahlen waren politische Richtungsentscheidungen, auch die »Willy-Wahl« des Jahres 1972. Personalisierung funktionierte bis in die siebziger Jahre hinein eben nur glaubhaft, wenn Personen, Partei und Politik eine Einheit vermittelten. Die Professionalisierung von politischer Werbung und Öffentlichkeitsarbeit war ein weiteres Charakteristikum der untersuchten Entwicklung. Dies drückte sich durch die Einbeziehung von Fachleuten wie Werbeagenturen, Meinungsforschungsinstituten oder wissenschaftlichen Politikberatern sowie
—————— 3 Vgl. Schulz, Politische Kommunikation, S. 186. 4 Vgl. Sarcinelli, Symbolische Politik, S. 179.
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einer mediengerechten Darstellung und Inszenierung von Politik aus. Wie ausführlich erörtert, nahm die CDU auf diesem Gebiet zunächst eine Vorreiterrolle ein. Man holte sich seit Beginn der fünfziger Jahre fachlichen Sachverstand von außen, sei es vom Institut für Demoskopie in Allensbach oder der Werbeagentur Hegemann. Als die SPD zeitversetzt begann, sich ebenfalls dieser modernen Mittel zu bedienen, rekrutierte man allerdings die Organisatoren von Wahlkämpfen und politischer Öffentlichkeitsarbeit aus den eigenen Reihen. Die Partei gründete ein eigenes Meinungsforschungsinstitut (Infas) und eine eigene Werbeagentur (ARE). Die Gefahr, die solchen Modernisierungsprozessen innewohnt, nämlich ein Bedeutungsverlust und eine Entmachtung des Parteiapparates, konnte so zumindest minimiert werden. Dass die SPD dann in den sechziger Jahren die Vorreiterrolle nicht nur bei den Wahlkämpfen, sondern auch bei der öffentlichen Inszenierung von Politik im Allgemeinen übernahm, konnte an zahlreichen Beispielen gezeigt werden. Dabei kam Brandt und seinen Mitarbeitern eine Schlüsselrolle zu. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass seine erste Kanzlerschaft durch symbolische, fernsehgerechte Politikinszenierungen gekennzeichnet war, welche sich in Form, Inhalt und Quantität von denen seiner Vorgänger unterschieden. Ein gezieltes Ereignis- und Themenmanagement nahm seit den fünfziger Jahren an Bedeutung für die Durchsetzung von Politik zu. Besonders deutlich konnte dies im Vorfeld und nach 1969 bei der Realisierung der Reformpolitik beobachtet werden. Im zielgerichteten Zusammenspiel von SPD, Willy Brandt und eines Teiles der Massenmedien gelang es, die öffentliche Meinung mittelfristig positiv im Sinne dieser Politik zu beeinflussen. Wie zentral ein solches gezieltes Themenmanagement für die Durchsetzung der politischen Positionen oder zum Austesten von Meinungsbildern war, zeigt auch, dass sich die Opposition ebenfalls eines solche Vorgehens bediente. So startete die CDU/CSU beispielsweise einen Versuchsballon, in dem sie die Reaktionen der öffentlichen Meinung auf die Publikation von geheimen Papieren über die Verhandlungen der Bundesregierung mit der Sowjetunion durch die Springer-Presse testen wollte.5 Die Unterlagen waren der Presse zu diesem Zweck gezielt zugespielt worden. Damit sollte die Mehrheitsfähigkeit der eigenen politischen Position am konkreten Fall überprüft werden. Durch die Zunahme der »Macht der Medien« bei der Politikvermittlung wurde bzw. wird diese Form der gezielten Themensetzung zur Realisierung von konkreten Politikvorhaben immer wichtiger und setzt(e) zunehmend andere Möglichkeiten der politischen Meinungsbildung außer Kraft.
—————— 5 Vgl. u.a. Merseburger, Willy Brandt, S. 600 f.
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Ambivalenzen eines Transformationsprozesses Gegenwärtig werden die Auswirkungen der Medialisierung der Politik auf die politische Kultur in Politik- und Kommunikationswissenschaft kontrovers beurteilt. Dabei spannt sich der Bogen von einem Szenario, welches den »Untergang« des Politischen einhergehend mit zunehmender Politikverdrossenheit durch eine »Mediatisierung« der Politik gekommen sieht,6 bis hin zu der Feststellung einer grundsätzlichen »Transformation des Politischen« unter den Bedingungen der Mediengesellschaft, die aber nicht zu einem Aufgehen des Politischen im Mediensystem führe.7 Für den hier untersuchten Zeitraum, lässt sich – wie beschrieben – ein Transformationsprozess konstatieren. Die Entwicklungen befanden sich allerdings in vielen Bereichen im Vergleich zur heutigen Situation erst am Anfang. Eine totale Überfremdung des Politischen durch die Medien ist mitnichten festzustellen. Allerdings zeigten sich bereits damals Ambivalenzen, die durch eine enge Verzahnung von Politik und Medien für alle Beteiligten sowie für die Bevölkerung und das politische System bewirkt werden konnten. Die Ausweitung der massenmedialen (Teil-) Öffentlichkeit und ihre anwachsende Bedeutung für die politische Meinungsbildung, ihr Überschreiten von immer mehr Grenzen der politischen Sphäre, veränderte die politische (Teil-) Öffentlichkeit und drängte traditionelle Formen politischer Partizipation, Artikulation und Meinungsbildung zurück. Dies gilt einmal für die Parteien. Hier besteht die Gefahr, dass Formen innerparteilicher Demokratie und Öffentlichkeit an Gewicht verlieren, da die Themensetzungen und Diskussionsprozesse sowie die politische Werbung fast nur noch in und über die Medien stattfinden. Dass sich derartige Tendenzen im Untersuchungszeitraum erst in den Anfängen befanden, konnte unter anderem am Beispiel der Wahlkämpfe der SPD deutlich gemacht werden. So gehörte es noch 1965 zum Konzept der Partei, die »einfachen« Parteimitglieder aktiv in die Wahlwerbung mit einzubeziehen und daran partizipieren zu lassen. Ein anderes Feld war die innerparteiliche Meinungsbildung. Die fünfziger, sechziger und beginnenden siebziger Jahre waren aufgrund der Erneuerungsprozesse der SPD von harten Diskussionen und Auseinandersetzungen bestimmt, an denen sich eine große Parteiöffentlichkeit beteiligte. Allerdings bediente sich vor allem die Parteiführung, neben Mitteln wie Anschreiben an die Mitglieder, Reden und/oder Diskussionen auf Parteiveranstaltungen, Kundgebungen und Parteitagen zuneh-
—————— 6 Vgl. Kepplinger, Demontage, S. 15 ff. und 157 ff. 7 Vgl. Sarcinelli, Parteien, S. 275.
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mend der Medien, um ihre Standpunkte bei der eigenen Basis zu popularisieren. Auch für die Bürgerinnen und Bürger hatten großzügige Informationspolitik und enge Verzahnung von Politik und Medien ambivalente Folgen. Einerseits wurden politische Entscheidungsprozesse transparenter, Politik insgesamt nachvollziehbarer und damit das Bedürfnis einer immer größer werdenden Anzahl von Bundesbürgern nach mehr politischer Teilhabe bedient. Das gleiche gilt für die Ausweitung der politischen Berichterstattung insgesamt, die die oben angesprochene Politisierung breiter Bevölkerungsschichten unterstützte und beförderte. Anderseits kann ein Zuviel von (widersprüchlicher) Information unter Umständen auch zu einer Desorientierung und politischer Orientierungslosigkeit führen, was aber offensichtlich zumindest in der Endphase der sechziger Jahre eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Für Journalisten, aber auch für Verleger waren die guten Beziehungen, die Nähe zur Politik und zu führenden Politikern sowie eine großzügige Informationspolitik von Vorteil: Erstens erleichterte es ihre Arbeit, da eine prinzipielle Offenheit gegenüber den Belangen der Massenmedien den Zugang zu Informationen verbesserte. Sie wurden frühzeitig über alle wichtigen Vorgänge in Berlin oder Bonn informiert und konnten dementsprechend aktuell berichten. Zweitens war es möglich, dass sich in einigen Fällen der konkrete Einfluss der Journalisten oder Verleger auf die Politik und deren Inhalte erhöhte. Ein solcher Einfluss war zwar durch die politische Berichtserstattung prinzipiell gegeben, verstärkte sich aber über persönliche Kontakte, Beraterfunktionen oder den zeitweisen Wechsel in die Politik bzw. in den Regierungsapparat. In manchen Fällen konnten Verleger aus ihrer Nähe zu Spitzenpolitikern auch handfeste ökonomische Vorteile ziehen, wie am Beispiel von Axel Springer und Gerd Bucerius verdeutlicht wurde. Allerdings war auch für die Medienvertreter die zeitweise enge Symbiose mit der Politik nicht nur von Vorteil. Es fehlte nicht selten der Abstand zwischen beiden Sphären, der für eine politische Berichterstattung wünschenswert und sinnvoll ist. Außerdem stand eine zu große Nähe dem postulierten Selbstverständnis der Medien als »vierter Gewalt« unter Umständen im Wege und lähmte einen investigativen Journalismus, da die hierfür erforderliche kritische Distanz zwischen journalistischen und politischen Akteuren zeitweise verwischt war. Für Brandt und seine Regierung war die Symbiose mit den Medien von Vorteil, solange durch eine ständige positive Medienpräsenz ihre Politik unterstützt und popularisiert wurde. In Wahlkampfzeiten war eine »gute Presse« besonders willkommen, da so das Wahlergebnis zugunsten der SPD positiv begünstigt werden konnte, wie 1969 und 1972 signifikant zutage trat. Auch zur Popularisierung ihrer Politikvorhaben war die enge Verbindung und Interes-
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senkonvergenz mit großen Teilen der Massenmedien von erheblichem Vorteil. Ebenso vergrößerten sich die Möglichkeiten eines gezielten Themenmanagements. Allerdings wirkten sich bei einem stark auf mediale Vermittlung zentrierten Politikstil negative Schlagzeilen und Fernsehberichte besonders nachhaltig aus. Erste Erfahrungen in dieser Hinsicht hatte Brandt ja bereits während seiner Berliner Zeit mit der Springer-Presse gemacht. Axel Springer ließ den einst geförderten Regierenden Bürgermeister aufgrund von dessen Politikwechsel auf dem Feld der Deutschland- und Ostpolitik fallen. Seine Blätter begannen daraufhin, Brandt und seine Politik mit zunehmender Intensität zu bekämpfen. Die Ambivalenzen und negativen Auswirkungen eines nach medialen Logiken und einer großzügigen Informationspolitik ausgerichteten Politikstils bekam Brandt als »moderner Medienkanzler« dann mit Vehemenz zu spüren, als die ersten größeren Probleme während seiner Kanzlerschaft im Jahr 1973, bedingt durch Ölkrise und Reformstau, auftraten. Der einstige »Held« und »Liebling« der Massenmedien wurde nun zum »Kanzler in der Krise«8. Auch die Prominenz einiger bekannter Journalisten, die sich in der SWI oder auf andere Weise für die SPD und Willy Brandt in der Öffentlichkeit engagierten, wirkte zunächst positiv auf die Sozialdemokratie zurück. Die Einbeziehung von Journalisten als Mitarbeiter in die Politik beförderte gute Kontakte zu den Medien und einen mediengerechten Politikstil – wie am Beispiel Egon Bahrs schon seit Beginn der sechziger Jahre gezeigt werden konnte. In den personellen Überschneidungen von politischer und journalistischer Sphäre lag aber auch gleichzeitig viel Konfliktpotential mit negativen Wirkungen für die Außendarstellung von Politik und Regierung – wie wohl am plakativsten anhand der Amtsführung von Conrad Ahlers verdeutlicht werden konnte. Die Schwierigkeiten äußerten sich zum einen in diversen Indiskretionen und einer zu großzügig angelegten Informationspolitik, die laut Brandt zeitweise die Form von »Geschwätzigkeit« annahm. Die Nachteile traten besonders dann zutage, wenn Vorhaben zu früh bekannt wurden – dies galt im Prinzip für alle Politikfelder, betraf aber insbesondere den sensiblen Bereich der Deutschland- und Ostpolitik. Manche der Journalisten im Regierungsapparat waren nicht bereit, sich den Erfordernissen des politischen Alltagsgeschäftes unterzuordnen. Daraus entstanden häufig Kompetenzabgrenzungsprobleme und Reibungskonflikte, wie am Beispiel von Bundespresse- und Bundeskanzleramt gezeigt wurde. Derartige Probleme wurden nicht selten Willy Brandt als Führungsschwäche ausgelegt und bei innerparteilichen Konflikten gegen ihn ins Feld geführt.
—————— 8 Der Spiegel vom 10. Dezember 1973.
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Die sich im Untersuchungszeitraum vollziehenden Transformationsprozesse führten zu einer verstärkten Medialisierung der Politik bei gleichzeitiger Politisierung der Medien. Sie markieren einen ersten, zentralen Abschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik in Richtung einer »Mediendemokratie« mit allen hier dargelegten Ambivalenzen. Diese generellen Wandlungsprozesse wurden durch das Zusammenspiel von Willy Brandt, seinem Politikstil, seiner Medienpolitik und seinem Umgang mit Teilen der Massenmedien befördert und beschleunigt. Die Jahre seiner ersten Kanzlerschaft von 1969 bis 1972 waren der erste Höhepunkt dieser allgemeinen Entwicklung. Es bildete sich eine historisch einmalige Konstellation heraus, die zu einem zeitlich begrenzten Bündnis zwischen dem Bundeskanzler und großen Teilen der Massenmedien führte – mit dem gemeinsamen Ziel einer Reform von Politik und Gesellschaft.
8. Abkürzungsverzeichnis
ACDP ADK AdsD AfS APO ARD AS-UA BA BBC BND BPA BR CDU CIA CSU dpa DDP DDR Dep. Emnid
FES FVP GG HZ infas KAS
Archiv für christlich-demokratische Politik Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung Archiv für Sozialgeschichte Außerparlamentarische Opposition Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Unternehmensarchiv der Axel Springer AG Bundesarchiv British Broadcasting Cooperation Bundesnachrichtendienst Bundespresseamt (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung) Bayerischer Rundfunk Christlich-Demokratische Union Deutschlands Central Intelligence Agency Christlich-Soziale Union in Bayern Deutsche Presseagentur Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Depositum Erforschung, Meinung, Nachrichten, Informationsdienst. Institut für Markt-, Meinungs- und Sozialforschung Friedrich-Ebert-Stiftung Freie Volkspartei Geschichte und Gesellschaft Historische Zeitschrift Institut für angewandte Sozialwissenschaften, Bonn Konrad-Adenauer-Stiftung
304 LA-Berlin LES MdB NA-Washington NATO NL NDR NPD NS NWDR OSS PV RAF RIAS SAP SBAH SDR SFB SPD SR SWF SWI TWL UNO USA VUP WBA WDR ZDF ZWL
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Landesarchiv, Berlin Ludwig-Erhard-Stiftung Mitglied des Deutschen Bundestages National Archives, Washington, D.C. North Atlantic Treaty Organization Nachlass Norddeutscher Rundfunk Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nationalsozialismus Nordwestdeutscher Rundfunk Office of Strategic Services Parteivorstand Rote Armee Fraktion Rundfunk im amerikanischen Sektor Sozialistische Arbeiterpartei Stiftung-Bundeskanzler-Konrad-Adenauer-Haus Süddeutscher Rundfunk Sender Freies Berlin Sozialdemokratische Partei Deutschlands Saarländischer Rundfunk Südwestfunk Sozialdemokratische Wählerinitiative Technische Wahlkampfleitung United Nations Organization United States of America Verein-Union-Presse e.V. Willy Brandt Archiv Westdeutscher Rundfunk Zweites Deutsches Fernsehen Zentrale Wahlkampfleitung
9. Literatur
9.1 Archivalische Quellen Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn (AdsD) infas Umfragen infas Brandt unterwegs. Eine Untersuchung der Resonanz der Deutschlandreise vom Juni 1961. Filmarchiv SPD-Parteivorstand SPD Pressemitteilungen und Informationen SPD-Bundestagsfraktion Sozialdemokratische Wählerinitiative (SWI) Sammlung Personalia Zeitgeschichtliche Sammlung: infratest Zeitungsausschnittssammlung: Willy Brandt Nachlass Fritz Erler Nachlass Richard Löwenthal Nachlass Erich Ollenhauer Nachlass Carlo Schmid Nachlass Kurt Schumacher Depositum Egon Bahr Depositum Horst Ehmke Depositum Helmut Schmidt
Willy Brandt Archiv im Archiv der sozialen Demokratie der FriedrichEbert-Stiftung, Bonn (WBA) Persönliche Unterlagen/Biographische Materialien Publizistische Äußerungen Willy Brandts 1933-1992 Allgemeine Korrespondenz
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Beruflicher Werdegang und Berlin 1947-19661 Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler der Regierung der Großen Koalition 19661969 Bundeskanzler und Bundesregierung 1969-1974 Schriftwechsel/Aufzeichnungen geheim Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Parteivorsitzender / Parteipräsidium / Parteivorstand (1964-1987) Persönliche Korrespondenz 1968-1980 Prozesse Verbindungen mit Mitgliedern des Präsidiums, sozialdemokratischen Bundesministern und Staatssekretären in obersten Bundesbehörden Verbindungen mit Referaten, Abteilungen, Büros des Erich-Ollenhauer-Hauses, Gremien beim Parteivorstand sowie Arbeitsgemeinschaften und Verbänden in der SPD (Bundesebene) Verbindungen mit regionalen Parteigliederungen, Landesverbände und Bezirke Verbindungen mit regionalen Parteiorganisationen Verbindungen mit Gruppierungen in der SPD sowie mit SPD-nahen Vereinigungen, Organisationen und Stiftungen Mitgliedschaften Willy Brandts in Gremien beim Parteivorstand SPD-Parteitage, Kongresse und Veranstaltungen Allgemeine Korrespondenz Wahlen Akten aus dem Privathaus Willy Brandts in Unkel/Rhein Leo Bauer Verbindungen mit der Fraktion
Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin (ACDP) VII-001 Bundesvorstandsprotokolle VII-003 Bundesgeschäftsstelle/Wahlen; Bundestagswahlen 1949-1972 VII-004 Landesgeschäftsführerkonferenzen 1959-1972 I-172 Nachlass Otto Lenz I-182 Nachlass Josef Kannengießer I-226 Nachlass Kurt Georg Kiesinger
—————— 1 Der Bestand „Beruflicher Werdegang und Berlin“ ist nach der Benutzung umgeordnet worden, deshalb sind die Angaben der Mappennummerierung aus diesem Bestand mit dem Zusatz (alt) versehen.
LITERATUR
Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn (LES) Nachlass Ludwig Erhard
Stiftung-Bundeskanzler-Konrad-Adenauer-Haus, Rhöndorf (SBAH) Nachlass Konrad Adenauer
Bundesarchiv, Koblenz (BA-Koblenz) B 136 Bundeskanzleramt B 145 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung B 381 Deutscher Presserat
Landesarchiv Berlin (LA-Berlin) B Rep. 002 Der Regierende Bürgermeister von Berlin/Senatskanzlei Presse, Film, Funk und Fernsehen Presse- und Informationsamt der Stadt Berlin E Rep. 200-18 Nachlass Hans E. Hirschfeld
Unternehmensarchiv der Axel Springer AG, Hamburg (AS-UA) Bestand Axel Springer Reden Axel Springer Korrespondenzen Axel Springer Schriftwechsel Verlagsleitung mit der Welt, 1961-1963, 1964/65-1971 Korrespondenz: intern, 1964-1971 Welt-Redaktion: Schriftwechsel 1952-1959, Korrespondenz 1954-1959 Bild-Zeitung 1952-1963 Hamburger Abendblatt 1952-1965 Protokolle Redaktioneller Beirat Nachlass Horst Mahnke
Archiv der Kölnischen Rundschau (AKR) Nachlass Reinhold Heinen
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Privatarchiv Klaus Harpprecht (Priva. Harpprecht) Diverse Unterlagen
National Archives, Washington, D.C., Abteilung College Park (NA-Washington) RG 59 State Department Central Files: CDF 762 A. 00: 1955 bis 1959; 1960 bis 1963 CDF 611.62 A: 1955 bis 1959; 1960 bis 1963 Subject Numeric Files 1964 bis 1966: Box 2209 bis 2215; 2121 bis 2125; 4141, 4142 Subject Numeric Files 1970 bis 1973: Box 2304 bis 2309 CIA-Datenbank Nixon Files: Box: 681 bis 688; 690 bis 692; 753, 754; 917, 918
John F. Kennedy Library, Boston National Security Files, Countries: Germany Berlin Willy Brandt, Correspondence Willy Brandt, Visits
Privatarchiv Karl und Martha Mautner Diverse Unterlagen
Interviews David Binder Horst Ehmke Klaus Harpprecht Karl-Günther von Hase Heli Ihlefeldt Konrad Kraske John Mapother Martha Mautner
LITERATUR
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Peter Merseburger Klaus-Otto Skibowski
Diverse Film-, Fernseh- und Tondokumente (Die Einzelnachweise finden sich in den Fußnoten des Textes)
Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Illustrierte bis 1972 (Die einzelnen Nummer sind in den Fußnoten des Textes nachgewiesen) Berliner Montagsecho Berliner Stimme Berliner Zeitung (BZ) Bild Bonner Rundschau Boston Globe Bunte Christ und Welt Constanze Dafür Delmenhorster Kreisblatt Der Spiegel Der Spiegel. 50 Jahre. Sonderausgabe vom 15. Januar 1997. Die Welt Die Zeit Düsseldorfer Nachrichten Financial Times Deutschland Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Rundschau Kölner Stadtanzeiger Hör Zu Neue Revue New York Times Quick Stern Süddeutsche Zeitung Vorwärts Washington Post Welt am Sonntag Westfälische Rundschau
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Börner, Holger 147, 273 Brandt, Lars 109, 123 Brandt, Matthias 123 Brandt, Peter 123 Brandt, Rut 58, 61, 110, 122f., 155, 172, 232f. Brandt, Willy 11-13, 15, 25-27, 29, 4449, 53, 55-81, 86-99, 102, 104-109, 116-130, 132f., 137-141, 146-158, 159, 161-171, 173, 175, 177-192, 194-196, 198-200, 202-206, 208, 217-238, 240- 245, 247-249, 251, 253-260, 262-270, 272-276, 279, 281-284, 286, 288f., 291, 294-297, 299-301 Braune, Heinrich 225 Brenner, Otto 129, 164 Brentano, Heinrich von 64 Breschnew, Leonid 196 Bruhns, Wibke 162, 174, 176 Bucerius, Gerd 11, 50, 81, 101, 108, 110-119, 131, 299 Buch, Hans Christoph 121, 124, 127, 164, 186, 191f., 284 Bulganin, Nicolai 102 Delius, Friedrich Christian 164 Diehl, Günter 193, 194, 195 Dohnanyi, Klaus von 236 Dönhoff, Marion Gräfin 26, 112, 115-118, 131, 171 Dutschke, Rudi 77 Eggebrecht, Axel 163f. Ehmke, Horst 7, 26, 76f., 98, 157, 166, 178f., 186, 196f., 203f. Eichholz, Marianne 164f. Engel, Johannes 85 Ensslin, Gudrun 164f., 274
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WILLY BRANDT
UND DIE
Enzensberger, Hans Magnus 143, 166 Eppler, Erhard 166 Erhard, Ludwig 15, 26, 32, 41, 93, 108, 111-114, 117, 123, 147, 150, 166, 203, 223f., 231, 234, 245, 250253, 255 Erler, Fritz 164f., 217f., 243f. Fechner, Peter 66 Feddersen, Jens 172 Fest, Joachim 73, 109 Fichte, Hubert 164 Fischer, Hermann 11, 33f., 36, 50, 126f., 172, 189 Fischer, Kurt-Joachim 172 Focke, Katharina 157 Frankenberg, Richard von 172 Fried, Erich 164 Friedrichs, Hans -Joachim 174, 176 Gaulle, Charles de 152 Gaus, Günter 12, 26, 92, 95, 97f., 148, 150, 166, 168, 170-172, 174176, 179, 181, 187, 201-204, 206 Gerstenmaier, Eugen 190 Goebbels, Joseph 120 Göring, Hermann 120, 252 Grass, Günter 107, 109, 124, 157, 164-167, 169, 170-173, 175, 178f., 181, 256, 261 Gromyko, Andrej 76 Groß, Johannes 114, 282 Gründgens, Gustaf 202 Gruner, Richard 81, 101, 102 Guillaume, Günter 203 Haerdter, Robert 172 Haffner, Sebastian 66, 150 Hannover, Ernst-August von 211 Harpprecht, Klaus 7, 11, 26, 171, 174-176, 178, 187, 189, 190-193, 202, 205f., 250, 258f., 275f. Härtling, Peter 165, 182 Hase, Karl-Günther von 7, 194 Haufs, Rolf 165 Heck, Bruno 209, 284 Heine, Fritz 26, 42-45, 47, 215f. Heinemann, Gustav 164, 171, 179 Heinen, Reinhold 35f. Heißenbüttel, Helmut 164 Hennis, Wilhelm 286 Hentig, Hartmut von 168
»VIERTE GEWALT«
Herburger, Günter 165 Hey, Richard 164 Heydte, Friedrich August von 85 Hillgruber, Andreas 284 Hirschfeld, Hans M. 65, 87f. Hitler, Adolf 11, 119, 120 Höcherl, Helmut 40 Hochhuth, Rolf 164, 252 Höfer, Werner 147, 148, 200 Hoffmann, Heinrich 30, 36, 38, 109, 119, 145 Holzamer, Karl 176 Horkheimer, Max 51 Hugenberg, Alfred 50, 52, 130 Humphrey, Hubert H. 232 Ihlefeldt, Heli 7, 124, 125 Jäckel, Eberhard 167, 171 Jacobi, Claus 60, 85, 193, 195 Jaene, Hans Dieter 87f. Jedele, Helmut 38 Jens, Walter 82, 164, 172 Johnson, Lyndon B. 238 Jungk, Robert 168 Kaltefleiter, Werner 174, 279, 280 Kapfinger, Hans 90, 127f., 130 Kempski, Hans Ulrich 247, 249f., 252 Kennedy, John F. 56f., 63, 68f., 144, 152f., 216, 220f., 232f., 237f., 248, 269f., 287 Kiesinger, Kurt Georg 26, 32, 41, 123, 150, 195, 203, 259, 263 Kirst, Hans Hellmut 172 Klimke, Reiner 284 Knoeringen, Waldemar von 45, 225 Koch, Thilo 11, 172, 174-176 Kohl, Helmut 124, 291 Kornatzky, Jürgen von 114 Koss, Irene 172, 174, 255 Kraske, Konrad 7, 262, 265 Krüger, Hans Peter 30, 165, 172, 209 Krüger, Werner 209 Kurjuhn, Martin 165 Lassalle, Ferdinand 244 Lazarsfeld, Paul F. 53, 142 Leber, Georg 264f. Lemmer, Ernst 231 Lenz, Otto 29, 164, 171, 209 Lenz, Siegfried 29, 164, 171, 209 Linde, Erdmann 167
PERSONENREGISTER
Lindlau, Dagobert 157, 174, 176 Lorenz, Lovis, H. 11, 111 Löwenthal, Gerhard 151, 186, 189, 190 Löwenthal, Richard 186, 189f. Mahnke, Horst 70 Mann, Golo 157, 171f. Martini, Winfrid 40 Mautner, Martha 7, 232, 234 Meinhof, Ulrike 274 Meins, Holger 274 Mende, Erich 85, 104 Merseburger, Peter 7, 11, 62, 65, 74f., 77, 91, 123, 139, 146, 150, 170, 171, 196, 198, 203f., 206, 231, 297 Mitscherlich, Alexander 168 Morlock, Martin 174 Müller, Albrecht 101, 112, 114f., 173, 199, 250, 257, 264, 273, 275, 277, 279f., 281, 287 Müller, Werner 257, 265 Müller-Armack, Adolf 114 Müller-Marein, Josef 112, 115 Münster, Clemens 172 Nagel, Claus Dieter 72 Nannen, Henri 11, 26, 50, 81, 99, 100-106, 108f., 118, 131 Nau, Alfred 225, 258, 275 Neumann, Franz 213, 231, 233f., 262, 274, 276, 279-281 Neven-Dumont, Jürgen 172 Nixon, Richard 125, 220, 237, 238 Noelle-Neumann, Elisabeth 52f., 276, 278, 280 Ollenhauer, Erich 44, 217, 218f., 225, 243 Oster, Achim 85 Pferdemenges, Robert 113 Pfleghar, Michael 265, 278 Piwitt, Hans Peter 165 Proske, Rüdiger 41, 176, 180 Raddatz, Fritz J. 163, 174-176 Raskop, Heinrich 40 Raspe, Jan Carl 274 Rathenau, Walter 70 Reisner, Stefan 165 Renger, Annemarie 261, 273 Reuter, Ernst 45, 55, 140f., 186, 190 Richter, Hans Werner 164, 171
331
Roehler, Klaus 165 Röhrig, Peter 257 Roosevelt, Franklin D. 140, 319 Rosenthal, Philip 168 Rühmkorf, Peter 164 Sänger, Fritz 44 Schallück, Paul 164 Scheel, Walter 95, 97, 151, 274 Schieder, Theodor 284 Schiller, Karl 164-166, 258, 260, 264f., 269, 271, 274, 285 Schmid, Carlo 164, 219, 242 Schmidt di Simoni, Ewald 111 Schmidt, Helmut 7, 17, 21, 68, 111, 164f., 178, 187f., 195, 258, 264f., 269, 279 Schmieding, Walter 174 Schmitt, Carl 112 Schneider, Peter 15, 81, 102, 143, 165, 258 Scholz, Arno 141 Schön, Helmut 168 Schreiber, Hermann 92-94, 99-104, 109, 153, 161, 203f., 249f., 263, 269 Schröder, Gerhard 155, 256, 265, 276 Schulz, Klaus Peter 20, 24, 49, 183, 207, 296 Schumacher, Kurt 111, 215, 283 Schütz, Klaus 220f., 226, 227f., 229, 241 Sethe, Paul 67 Severin, Jochen 183-185 Siebenschön, Leona 174 Skibowski, Hans Otto 7, 212-214 Sommer, Theo 115-119, 183, 211 Sontheimer, Kurt 162, 167, 169, 171, 179 Springer, Axel 11, 22, 25f., 41, 49, 51, 53-81, 84, 91, 104, 120f., 131f., 181, 193, 198, 280, 293f., 297, 299f. Staar, Winfried 183 Steltzer, Werner 225 Stempka, Roman 82 Stöck, Wilhelm 174 Strauß, Franz Josef 74, 83-85, 89, 93, 106f., 107, 115, 163, 194, 224, 259, 283 Strobel, Käte 243, 264 Tschamow, Andrej S. 87
332
WILLY BRANDT
UND DIE
Tüngel, Richard 111f. Uhlitz, Otto 91 Ulbricht, Walter 67, 75, 240 Ullstein, Karl 54-56, 58f., 60, 65, 100, 112 Venske, Henning 174 Vesper, Bernhard 165 Wagenbach, Klaus 164f. Walden, Matthias 156 Walser, Martin 162, 164, 166 Wechmar, Rüdiger von 195-197 Wehner, Herbert 45, 96, 161, 164, 167, 173, 175, 178, 188, 193-195,
»VIERTE GEWALT«
201, 204, 217, 218, 225, 243f., 258, 264f., 269, 282f. Weiss, Peter 166 Weisweiler, Hennes 284 Weizsäcker, Carl Friedrich von 164 Werth, Wolfgang 165 Wildenmann, Rdudolf 114, 223, 230 Windmöller, Eva 124, 279 Wischnewski, Jürgen 71, 168, 258, 263, 268 Wollenberg, Hans 67 Zehrer, Hans 54, 60, 64, 193 Zundel, Rolf 117, 248